Das Todesverständnis bei Simone de Beauvoir: Eine theologische Untersuchung [Reprint 2019 ed.] 3110040360, 9783110040364, 9783110831436

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Das Todesverständnis bei Simone de Beauvoir: Eine theologische Untersuchung [Reprint 2019 ed.]
 3110040360, 9783110040364, 9783110831436

Table of contents :
INHALT
VORWORT
EINFÜHRUNG
TOD DURCH SEIN
TOD DURCH ANDERE
TOD DURCH SCHICKSALSMACHT
LITERATURVERZEICHNIS

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ERICH

SCHMALENBERG

DAS T O D E S V E R S T Ä N D N I S BEI S I M O N E DE B E A U V O I R

w DE

G

DAS TODESVERSTÄNDNIS BEI SIMONE DE BEAUVOIR Eine theologische Untersuchung

VON ERICH SCHMALENBERG

WALTER DE GRUYTER • BERLIN • NEW YORK 1972

THEOLOGISCHE BIBLIOTHEK HERAUSGEGEBEN

TÖPELMANN

VON

K. A L A N D , K. G . K U H N , C. H . R A T S C H O W U N D B, S C H L I N K 25.

BAND

ISBN 3 11 004036 0 Library of Congress Catalog Card Number: 72-77421 © 1972 by Walter de Gruyter & Co., Berlin 30 (Printed in Germany) Alle Redite, insbesondere das der Übersetzung in fremde Spradien, vorbehalten. Ohne ausdriidcliche Genehmigung des Verlages ist es audi nidit gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomedianischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. Satz und Drudt: Dr. L. Tetzner KG, Neu Isenburg

MEINER FRAU

INHALT Vorwort

VIII

Einführung

1

Simone de Beauvoir — Leben und Werk im Uberblick Zum Todesverständnis bei Martin Heidegger und Jean-Paul Sartre . . Zur theologia mortis Zur Apologetik Methodisdies Tod durch Sein

1 4 9 18 23 27

Die Selbstauflösung im Nidits Die Selbstaufhebung im absolut Vorgegebenen Die Selbstpreisgabe an das ideell Vorgegebene Der Selbstverlust im Selbstentworfenen Tod durch andere Die Unvereinbarkeit der absoluten Existenzen Die physische Tötung im Dienste der Freiheit Der existentielle Tod durdi verweigerte Rechtfertigung Tod durch Schicksalsmacht Die Angst vor dem biologischen Tod Der biologische Tod als Hinfälligkeit Die Fremdheit des biologischen Todes Literaturverzeichnis

27 32 42 65 73 74 81 91 101 101 108 126 138

VERZEICHNIS DER ABKÜRZUNGEN Die Hauptwerke von Simone de Beauvoir werden unter den folgenden Ab' kürzungen zitiert: BL Das Blut der anderen FR Eine gebrochene Frau In den besten Jahren JA LA Der Lauf der Dinge MA Die Mandarins von Paris ME Alle Menschen sind sterblich MO Für eine Moral der Doppelsinnigkeit PY Pyrrhus und Cineas SA Ein sanfter Tod SI Sie kam und blieb TO Eine Tochter aus gutem Hause VI La Vieillesse WE Die Welt der schönen Bilder

VORWORT Die vorliegende Arbeit wurde im Frühjahr 1971 unter dem Titel „Das Todesverständnis bei Simone de Beauvoir in theologischer Sicht" vom Evangelisch-Theologischen Fachbereich der Westfälischen WilhelmsUniversität zu Münster als Dissertation angenommen. Für den Drude wurden nur leichte Verbesserungen angebracht. Später erschienene Literatur konnte nicht mehr berücksichtigt werden. Die Anfänge dieser Arbeit gehen zurück auf das Frühjahr 1969. Herr Professor D. Hans Jürgen Baden gab zu ihr die Anregung und förderte mein Unternehmen durch seinen umsichtsvollen Rat. Ihm, wie auch dem Mitgutachter, Herrn Professor D. Karl Gerhard Steck, gilt mein aufrichtiger Dank. Für großzügige finanzielle Unterstützung danke ich meinen Eltern, Herrn Friedrich Schmalenberg und seiner Ehefrau Susanne geb. Gabriel, sowie der Leitung der Evangelischen Kirche von Westfalen. Besonders verpflichtet aber bin ich den Herausgebern der Theologischen Bibliothek Töpelmann, in der diese Arbeit erscheinen darf. Frühjahr 1972

Erich Schmalenberg

EINFÜHRUNG Simone de Beattvoir — Leben und Werk im Überblick Simone de Beauvoir, 1908 zu Paris geboren, Tochter eines Schuhfabrikanten, ist die Lebensgefährtin des französischen Philosophen, Schriftstellers und Bühnenautors Jean-Paul Sartre. Mit ihm ging sie eine Lebensgemeinschaft ein, die zunächst befristet sein sollte, sich aber dann über Jahrzehnte hin als dauerhaft erwies. 1 Unter den französischen Intellektuellen der ersten Nachkriegsjahre, in denen der sogenannte Existentialismus seine Hochblüte erlebte 2 , galt Simone de Beauvoir als die „Große Sartreuse" oder als „Notre-Dame de Sartre". 3 In den bisher vorliegenden drei Memoirenbänden „Eine Tochter aus gutem Hause" 4 , „In den besten Jahren" 5 und „Lauf der Dinge" 6 schildert die Autorin in breiter Ausführlichkeit ihr Leben bis zum Jahre 1955. Sie studierte an der Sorbonne Literaturwissenschaft, Mathematik, vor allem aber Philosophie, absolvierte mit zwanzig Jahren ihre akademischen und staatlichen Prüfungen und lehrte zwischen den Jahren 1931 und 1941 Philosophie an Lycees zu Marseille, Rouen und Paris. Nach ihrem unfreiwilligen Ausscheiden aus dem Schuldienst übernahm sie unter der deutschen Besatzung zeitweilig die Aufgabe einer Programmgestalterin bei Radio Nationale. 7 Sie schloß sich der von Sartre gegründeten Widerstandsgruppe von Intellektuellen „Socialisme

1

S. de Beauvoir, In den besten Jahren (franz. Titel „La Force de l'âge", Paris

2

Zur geistigen Situation im heutigen Frankreich vgl. G. Schiwy, Der französi-

1960), übers, v. R. Soellner, Reinbek b. Hamburg 1961, S. 23. sche Strukturalismus, Reinbek b. Hamburg 1969. 8

S. de Beauvoir, Der Lauf der Dinge (franz. Titel „La Force des choses", Paris 1963), übers, v. P. Baudisch, Reinbek b. Hamburg 1966, S. 53.

4

S. de Beauvoir, Eine Tochter aus gutem Hause (franz. Titel „Memoires d'une fille rangée", Paris 1958), übers, v. E. Rechel-Mertens, Reinbek b. Hamburg 1960.

5

Vgl. Anm. 1.

6

Vgl. Anm. 3.

7

Vgl. J A S . 461.

2

Einführung

et Liberté" an, erlebte aber bald schon deren inneren Verfall. 8 Nadi Ende der Besatzungszeit gründete sie mit Sartre die Zeitschrift „Les Temps Modernes". 9 Sie lebt jetzt als freie Schriftstellerin in Paris. Neben dem umfangreichen literarischen Werk hat sich Simone de Beauvoir einer ausgedehnten Reisetätigkeit gewidmet, in deren Verlauf sie durch fast alle Kontinente der Erde geführt wurde. Nord- und Südamerika, Afrika und Asien sind ihr ebenso zum Erlebnis geworden wie Nordafrika und Europa, deren Länder und Menschen sie intensiv kennengelernt hat. Ihre Reisen durch die Vereinigten Staaten und China haben ihren literarischen Niederschlag gefunden in den Werken „Amerika — Tag und Nacht" 1 0 und „China" 1 1 . Das Werk der Autorin umfaßt ein Drama, mehrere Romane, Erzählungen, Essays (von teilweise monographischem Umfang) und Memoiren. Bis auf das Drama „Les Bouches inutiles"12 und einen Essay 13 sind alle Werke Simone de Beauvoirs ins Deutsche übertragen worden. Ihr biographisches und erzählerisches Werk zumal erscheint in hohen Druckauflagen, zum größten Teil auch in preiswerten Taschenbuchausgaben. Die meisten ihrer Schriften sind in die wichtigsten Weltsprachen übersetzt. Neuerscheinungen unter ihrem Namen rufen stets ein weites Echo der Kritik hervor. 1 4 Für den Roman „Die Mandarins von Paris" 15 wurde ihr der Prix Goncourt verliehen. 18 Die erzählerischen Werke Simone de Beauvoirs spiegeln, wie die Analyse der Romane ergibt, in weitem Maße die persönlichen Lebens8

Vgl. J A S . 427.

» Vgl. L A S . 22. 1 0 S. de Beauvoir, Amerika — Tag und Nacht (franz. Titel „L'Amérique au jour le jour", Paris 1954), übers, v . H. Wallfisch, Reinbek b. Hamburg 1 9 5 0 . 1 1 S. de Beauvoir, China (franz. Titel „La Longue Marche", Paris 1957), übers, v. K . v. Schab und H. Studniczka, Reinbek b. Hamburg 1960. 12

S. de Beauvoir, Les Bouches inutiles, Paris 1945.

1S

Es handelt sich u m : S. Nations, Paris 1948. Vgl. D. Wasmund, Der Selbst Verwirklichung im ten Simone de Beauvoirs,

14

de Beauvoir, L'Existentialisme et la Sagesse des Skandal der Simone de Beauvoir. Probleme der Existentialismus, dargestellt an den Romangestalin: Münchner Romanistische Arbeiten, her. v . Rau-

15

haut und H. Rheinfelder, 18. H., München 1 9 6 3 , S. 1 1 7 f. S. de Beauvoir, Die Mandarins v o n Paris (franz. Titel „Les Mandarins",

18

Vgl. L A S. 304.

Paris 1954), übers, v . R. Ocker-Lutz und F. M o n t f o r t , Hamburg 1 9 5 5 .

Simone de Beauvoir — Leben und Werk im Überblick

3

umstände der Autorin, ihrer Umwelt und auch die bekannter Zeitgenossen wider. Gern haben Kritiker versucht, diese Persönlichkeiten namhaft zu machen. Da sich die Autorin bei der Schilderung von Intimitäten wenig Zurückhaltung auferlegt, haben ihre Werke gelegentlich öffentliches Ärgernis hervorgerufen. So gilt ihr Werk unter dem Titel „Die Mandarins von Paris" als Schlüsselroman für die französische Resistance um Sartre während der deutschen Besetzung Frankreichs im Zweiten Weltkrieg. 17 Auch sonst fällt es nicht schwer, unter den männlichen Hauptgestalten ihrer Werke etwa Sartre zu identifizieren. Ihre geistigen Beziehungen zu Sartre sind sehr eng, ohne daß deswegen von einer epigonenhaften Abhängigkeit gesprochen werden dürfte. Sartres philosophische Terminologie spielt nicht einmal dort eine dominierende Rolle, wo sich Simone de Beauvoir in Form von Essays zu philosophischen Problemen des Existentialismus äußert. Ihr philosophisches Hauptanliegen besteht darin, eine existentialistische Moral zu begründen. 18 Es wäre daher angemessen, im Hinblick auf ihr Verhältnis zu Sartre von einem gegenseitigen Geben und Nehmen zu sprechen. Die Autorin darf als eigenständige Vertreterin des französischen Existentialismus angesehen werden. Das gilt vor allem f ü r ihr erzählerisches Schaffen. Das Spezifische ihres Werkes, insbesondere aber des erzählerischen und autobiographischen, besteht in der ungewöhnlich starken Akzentuierung des Todesproblems. „Der Tod spielt eine so gewichtige Rolle im Leben und Denken von Simone de Beauvoir, daß er . . . dem Werk unserer Autorin eine Färbung verleiht, die ganz verschieden ist von derjenigen der sartresdien Dramen: dieses Problem, behandelt in einer ganz persönlichen Weise, bestätigt . . . die Originalität von Simone de Beauvoir." 19 17 18

19

Vgl. MA S. 2 und LA S. 259. Vgl. M O S. 87 ff. — Vgl. dazu auch O. F. Bollnow, Französischer Existentialismus, Stuttgart 1965, S. 66 ff. und R. Mehl, Das ethische Problem der französisdien Existenzphilosophie, in: Kerygma und Dogma, 1. Jg. 1955, S. 142 ff. L. Gagnebin, Simone de Beauvoir, Paris 1968, S. 65: „La mort joue un rôle si important dans la vie et dans la pensée de Simone de Beauvoir qu'il . . . donne à l'oeuvre de notre auteur une coloration très différente de celle des drames sartriens; ce problème, saisi de manière très personelle, confirme . . . l'originalité de Simone de Beauvoir." — Vgl. auch G. Gennari, Simone de Beauvoir, Paris 1958, S. 36.

4

Einführung

Das Todesproblem stellt sich im Werk der Autorin unter drei Aspekten dar. Der erste Aspekt betrifft das seinshaft Vorgegebene, dem der Mensch absterben muß, um das wahre Ziel seiner Bestimmung zu erreichen. Der zweite Aspekt betrifft den anderen, die Fremdexistenz, die dem Ich existentiell und physisch den Tod bereiten kann. Der dritte Aspekt schließlich faßt den Tod ins Auge, insofern er den Möglichkeiten der Existenz physisch und biologisch ein Ende setzt. In diesem letzten Zusammenhang wird insbesondere das Altern zum Problem. Daß dieser dreifache Aspekt des Todes in einem weiteren geistigen Umfeld steht, sei zunächst an zwei Vertretern der sogenannten Existenzphilosophie und später am theologischen Todesverständnis aufgewiesen.

Zum Todesverständnis

bei Martin Heidegger

und Jean-Paul

Sartre

Für Heidegger figuriert der Tod als ontische Möglichkeit, wie sie sich bei Simone de Beauvoir unter dem zweiten und dritten Aspekt darbietet, nur am Rande. 2 0 Im Vordergrund steht die existential-ontologische Bedeutsamkeit des Todes. In diesem Zusammenhang lassen sich zwei bzw. drei Stadien im Todesverständnis Heideggers unterscheiden. 21 Bis zur sogenannten Kehre geht es Heidegger um das Sein des Daseins. Es wird bestimmt als Sorge, deren Sinn in der dreidimensionalen Zeitlichkeit liegt, die sich ihrerseits als Tod, Schuld und Situation konkretisiert. Für alle drei Konkretionen bildet das „Sein zum Tode" den Inbegriff. Das Dasein läßt sich definieren als das seinsfragende und als solches auch seinsverstehende Sein zum Tode. Dasein findet sich also durch Seinsverständnis und Sein zum Tode ausgezeichnet. Nach der Kehre indessen wendet sich Heideggers Blick vom Dasein als dem Sein zum Tode weg auf das Sein hin, das sich in endlicher Weise enthüllt. 20

21

Vgl. zum Folgenden J. M. Demske, Sein, Mensch, Tod. Das Todesproblem bei Martin Heidegger, in: Symposion. Philosophische Schriftenreihe, her. v . M. Müller, B. Welte, E. W o l f , Nr. 12, München 1963 und A. Sternberger, Der verstandene Tod. Eine Untersuchung zu Martin Heideggers ExistentialOntologie, Leipzig 1934, sowie K . Lehmann, Der Tod bei Heidegger und Jaspers, Heidelberg 1938. Weitere Literatur bei Demske, a. a. O., S. 199 ff. Die Berücksichtigung von mindestens zwei Stadien wird nötig auf Grund der sogenannten Kehre in Heideggers Denken. Wir folgen aber Demske (s. Anm. 20), der drei Stadien unterscheidet.

Zum Todesverständnis bei M. Heidegger und J . P. Sartre

5

Nach der existentialen Endlichkeit des Daseins kommt die phänomenale Endlichkeit des Seins zur Sprache. Im ersten Stadium, wie es sich in „Sein und Zeit" 2 2 darstellt, versteht sich Dasein nur aus sich selbst heraus. Es weiß sich fragend auf sich selbst gestellt und läßt sich die Ganzheit dieses Verstehens durch das Sein zum Tode verbürgen. Sein zum Tode bedeutet, daß jeder Mensch seinen eigenen Tod zu sterben hat, und zwar allein für sich. Der T o d erscheint als die äußerste Möglichkeit des Daseins, als das ausgezeichnete Seinkönnen dessen, der sich von sich selbst her versteht. „Indem das Sein zum Tode die Möglichkeit bietet, Dasein in seiner Ganzheit zu fassen, ist es zugleich die Bedingung der Möglichkeit der Eigentlichkeit des Daseins, d. i. der Existenz in der Fülle dessen, was Dasein sein kann. 2 3 Die Eigentlichkeit des Daseins besteht also in der Übernahme des eigenen Seins zum Tode. Für das zweite Stadium, markiert durch die „Einführung in die Metaphysik" 2 4 , läßt sich ein Umschwung in Heideggers Todesverständnis konstatieren, und zwar insofern als jetzt die Ehrfurcht des Menschen vor dem Sein als dem Überwältigenden zur Sprache kommt, das der Mensch dienend verwalten soll. Im Dienste des Seins bejaht er sein endliches Dasein, indem er ein J a zum Überwältigenden spricht. Die Verbindungslinien zwischen dem Sein des Daseins zum Tode und der Aufgabe des Daseins, „Bresche" zu sein für den Eintritt des Seins in die Geschichte, treten zutage. Der Tod als das ausgezeichnete Seinkönnen des Menschen steht in Relation zum Sein. An die Stelle der Selbstbehauptung schiebt sich das gelassene Gleiten, das Austragen der Endlichkeit im Dienste des Seins. Aus dem Tod als dem „Schrein des Nichts" ist das „Gebirg des Seins" geworden. Im dritten Stadium 2 5 , in dem die Kehre zur vollen Geltung kommt, erscheint das Sein als das Bestimmende schlechthin. Der eigentliche Mensch darf sich vom Sein getragen und beansprucht wissen. Er hat die Angst vor dem endlichen Dasein abgestreift. Er sieht sich geborgen in der Verborgenheit des Seins. Der Tod ist jetzt der Ort, wo sich das Sein sammelt und den Menschen in außergewöhnlicher Weise anspricht.

22 23 24 25

M. Heidegger, Sein und Zeit, 10. A., Tübingen 1963. Demske, a. a. O., S. 190. M. Heidegger, Einführung in die Metaphysik, Tübingen 1953. Demske, a. a. O., S. 120 ff.

6

Einführung

Der Tod spielt demnach eine Doppelrolle in Heideggers Daseinsverständnis. Auf der einen Seite ist er der Inbegriff für die Endlichkeit des Daseins, auf der anderen Seite gibt er den Grund und den Sinn dieser Endlichkeit an. Er besteht in der Offenheit des Daseins für das Sein. Auf Grund dieses existential-ontologischen Todesverständnisses kommt der T o d als existentiell-ontische Größe zu kurz. Heidegger weiß auch von diesem Aspekt des Todes, aber er streift ihn nur im Vorbeigehen. 26 Soll das, was Heidegger existential-ontologisch vom Tode sagt, zugleich vom Tode als einer ontischen Größe gelten? 27 Liegt bei Heidegger das ganze Gewicht auf der existential-ontologischen Bedeutsamkeit des Todes, so legt Sartre den Akzent auf den ontischen Aspekt. Es geht Sartre nicht um Existentialontologie, sondern um eine phänomenologische Ontologie. 2 8 Bei Sartre erscheint der Tod zunächst unter zwei Aspekten. Einmal ist er ein Moment der Geworfenheit menschlicher Freiheit, zum anderen steht er im Kontext dessen, was er das Sein-für-andere nennt. 29 Er begegnet auf der einen Seite als kontingentes schicksalhaftes Faktum und auf der anderen Seite als Vernichtung der existentiellen Möglichkeiten des Für-sich durch andere. Der existential-ontologische Aspekt scheint völlig zu fehlen. Daß dem im Grunde nicht so ist, werden wir weiter unten sehen. Auch Sartre will ebensowenig wie Heidegger eine erschöpfende Analyse des Todes bieten. Er widmet ihm in seinem philosophischen Hauptwerk „Das Sein und das Nichts" einen kurzen Abschnitt unter der Überschrift ,Mein T o d ' als Unterabschnitt seiner Analyse der menschlichen Situation, in der die Freiheit ihrer Geworfenheit ansichtig wird.-"0 Sartre nennt den Versuch, den Tod wieder in Besitz zu nehmen, idealistisch. Der Realismus habe ihn immer als unmenschlich von sich 26

27 28

29 30

Die Interpreten von Heideggers Todesverständnis weisen immer wieder auf diesen Sachverhalt hin. Vgl.Sternberger, a. a. O., S. 1 3 0 f f . , L e h m a n n , a . a . O . , S. 78 ff. Vgl. dazu die abschließenden Fragen bei Demske, a. a. O., S. 198. Vgl. J.-P. Sartre, Das Sein und das Nichts. Versuch einer phänomenologischen Ontologie, Hamburg 1952, S. 9 ff. Ebd. S. 299 ff. Ebd. S. 670 ff. — Vgl. dazu H.-R. Müller-Sdiwefe, Existenzphilosophie, Göttingen 1961, S. 74 ff., 183 ff.; L. Richter, J . P. Sartre, Berlin 1961; R . Jolivet, Le Probleme de la mort chez M. Heidegger et J.-P. Sartre, Abbaye S. Wandrille 1950.

Zum Todesverständnis bei M. Heidegger und J. P. Sartre

7

ferngehalten. Der Idealismus verinnerliche den Tod, individualisiere ihn und mache ihn zum Sinnträger des Lebens überhaupt. Das Leben gewinne so den Charakter des Einmaligen. Als den philosophischen Exponenten dieser Todesidealisierung nennt Sartre Heidegger. Bei ihm erdulde das Dasein nichts mehr, es sei Vorwegnahme und Entwurf des eigenen Todes. Zwar spricht Sartre der existential-ontologischen Betrachtungsweise nicht jeden Wahrheitsgehalt ab, er setzt ihr aber schroff die eigene Sicht entgegen, derzufolge der T o d den Charakter der Absurdidät hat. 3 1 Wir sind zwar einem zum T o d e Verurteilten zu vergleichen, der sich tapfer auf den letzten Gang vorbereitet, u m auf dem Schafott eine gute Figur zu machen, aber bevor es dazu k o m m t , werden wir v o n einer Grippewelle dahingerafft. 3 2 D e r T o d , der uns trifft, ist nicht der erwartete, nicht mein T o d , sondern die Enthüllung der Absurdität jeder Erwartung. Sartre besteht mit Nachdruck auf der Unterscheidung von T o d und Endlichkeit. Der Mensch würde sterblich sein, auch wenn er unsterblich wäre. Denn endlich sein heißt für Sartre, daß er sidi endlich macht, indem er sich als Mensch erwählt und auf ein Mögliches hin entwirft, das andere Möglichkeiten ausschließt. Unumkehrbarkeit ist das Merkmal einer Freiheit, die sich zeitigt. Der T o d hingegen hat mit dieser Endlichkeit, zu der sich der Mensch selbst macht, nichts zu tun. „ E r tritt ,inzwischen' ein." 3 3 Er k o m m t entweder zu früh oder zu spät. Daher ist er nicht wie bei Heidegger eine Daseinsmöglichkeit, sondern Nichtung aller Möglichkeiten des Daseins. Der T o d verleiht dem Leben keinen Sinn, weil der Sinn des Lebens nur aus der Subjektivität selbst entspringt. D a der T o d nicht auf dem U n t e r g r u n d der Freiheit erscheint, sondern diese v o n außen determiniert, entreißt er dem Leben jedwede Bedeutung. In einem Sein, das Für-sich ist, dem es in seinem Sein u m das Sein geht, gibt es f ü r den T o d keinen Platz. „Mein pro-jectum auf einen T o d hin ist verstehbar (Selbstmord, Martyrium, Heroismus)", schreibt Sartre, „aber nicht der Entwurf auf meinen T o d hin, als auf eine unbestimmte Möglichkeit, Anwesenheit in der Welt nicht mehr zu realisieren, denn dieser Entwurf wäre Zerstörung aller E n t w ü r f e . " 8 4 31 32 83 34

Vgl. Sartre, a. a. O., S. 672. Vgl. ebd. S. 672. Ebd. S. 688. Ebd. S. 680.

Einführung

8

Ist bei Heidegger der Tod eine dem Dasein vertraute Macht, so bleibt sie dem menschlichen Für-sich bei Sartre absolut fremd. Das ist auch der Grund, weshalb der Tod bei Sartre noch unter einem anderen Aspekt erscheint, nämlich dem des Für-andere-seins. Der Tod ist „der Triumph des Standpunktes Anderer über den Standpunkt, der ich in Bezug auf mich selbst bin."3S Die Beziehung zu den Toten ist eine Wesensstruktur der grundlegenden Beziehung, die Sartre „FürAndere-sein" nennt.36 Nichts kann dem Toten von innen her zustoßen, sein Leben ist völlig abgeschlossen, aber der Sinn dieses Lebens wird weiterhin von außen her umgewandelt. „So entfremdet uns die Existenz des Todes auch in unserem eigenen Leben ganz und gar zugunsten Anderer. Tot sein heißt, den Lebenden eine Beute sein." 37 Sterben ist gleichbedeutend mit Verurteiltwerden. Man wird dazu verurteilt, nur durch den anderen zu existieren. „Wegen des Anderen als einer Subjektivität ist mein Tod mein Sturz aus der Welt hinaus, anstatt Vernichtung des Bewußtseins und der Welt zu sein." 38 Die Beziehung zwischen dem Tod und dem anderen liegt in der Kontingenz beider. Daher kann Sartre über den Tod keine existential-ontologischen Aussagen machen wie Heidegger. Der Tod ist — ähnlich wie bei Karl Jaspers — Grenzsituation. 39 „Ich bin nicht frei um des Sterbens willen, sondern ich bin ein freier Sterblicher", konstatiert Sartre. 40 Die Subjektivität behauptet sich nicht gegen den Tod, sondern unabhängig von ihm. Liegt der Hauptakzent in Sartres Todesverständnis auf der ontischen Phänomenalität des Todes, so würde man doch dem Sachverhalt nicht gerecht, wollte man sich mit dieser Feststellung begnügen. Auch der existential-ontologische Aspekt kommt bei Sartre zur Sprache, jedoch in anderer Weise als bei Heidegger. Der Tod verbirgt sich gleichsam hinter Sartres Begriff des Nichts. Für Sartre ist das Sein früher als das Nichts. Das Nichts kommt durch den Menschen in die Welt.41 Wie ein Wurm sitzt es mitten im Herzen des Seins.42 Es ist identisch mit der menschlichen Freiheit. Der 35

Ebd. S. 681.

36

Vgl. ebd. S. 680 f. Ebd. S. 684. Ebd. S. 686. Vgl. Lehmann, a. a. O., S. 84 f. Vgl. Sartre, a. a. O., S. 689

37 38 39 40

41 42

Vgl. ebd. S. 65. Vgl. ebd. S. 61.

9

Zur theologia mortis

Mensch, das Für-sich, opfert in einem nichtenden Akt das An-sich des Gegebenen, um sich als Bewußtsein zu gründen. „Das Für-sich entspricht somit einer entdichtenden Strukturauflösung des An-sich, und das Ansich vernichtet sich und löst sich auf in dem Versuch, sich zu gründen." 4 3 „Die Nichtung als Seinsnichtung stellt die ursprüngliche Verbindung zwischen dem Sein des Für-sich und dem Sein des An-sich dar." 4 4 Indem der Mensch zum Für-sich wird vermittels der Nichtung des An-sich, vollzieht er so etwas wie eine Tötung, eine Art mortificatio. E r ist nie das, was er ist, sondern er ist immer das, was er nicht ist. Der Tod erscheint bei Sartre in der Gestalt des nichtenden Für-sich. 45 Es rücken demnach der Tod, der andere, das Für-sich nebeneinander auf eine Linie: der Tod und der andere betreiben die Nichtung der Existenz des Für-sich, das Für-sich nichtet das An-sich. Der Tod, den sich Heidegger als movens zur Eigentlichkeit der Existenz dienen läßt, wird bei Sartre zur Waffe im Dienste eben desselben Zieles.

7.ur theologia

mortis

Den drei Aspekten, unter denen bei Sartre bzw. Heidegger der T o d zur Sprache kommt, begegnen wir auch in der theologia mortis. 4 6 In ihr freilich werden sie der ontologischen Aussageformen entkleidet und als Momente der Gott-Mensch-Beziehung gesehen. Die Indienstnahme des Todes bei Heidegger bzw. die Nichtung des An-sich bei Sartre zum Zweck der Existenzgewinnung — also der erste der drei weiter oben genannten Aspekte — haben ihr theologisches Äquivalent in der Soteriologie, und zwar in der Lehre von der Rechtfertigung des Sünders aus Gnaden um Christi willen, die im paulinischen Gedanken vom Gestorben- und Auferstandensein mit Christus ihre Vertiefung 43

Ebd. S. 137.

44

Ebd. S. 139.

45

Vgl. J . Möller, Absurdes Sein? Stuttgart 1959, S . 2 1 8 .

46

Wir beschränken uns im Folgenden auf die Diskussion innerhalb der protestantischen Theologie. Zur Diskussion in der römisch-katholischen Theologie vgl. H . Volk, Das christliche Verständnis des Todes, Münster 1 9 5 7 ; K . Rahner, Zur

Theologie des Todes, Freiburg

1 9 5 8 ; L. Boros, Mysterium

Mortis. Der Mensch in der letzten Entscheidung, Freiburg 1962. In den beiden zuletzt genannten Arbeiten ist die sogenannte Endentscheidungshypothese Gegenstand der Erörterungen. Schmalenberg, Todesverständnis 2

10

Einführung

findet. 4 7 D e r zweite Aspekt des Todes, in Sartres O n t o l o g i e als Gericht durch den anderen verstanden, tangiert im R a h m e n der theologischen Anthropologie die Lehre v o n der Sünde sowie die ethische Problematik der T ö t u n g fremden Lebens. 4 8 D e r dritte Aspekt, unter dem der T o d als ontisches bzw. biologisches F a k t u m gesehen wird, bildet den G e genstand der theologia mortis im engeren Sinne, eines Teilbereichs der theologischen Eschatologie. Alle drei Aspekte sind christologisch fundiert. Sie stehen im Licht v o n Kreuz und Auferstehung Jesu. I m Kreuz ereignet sich ein Sterben, dessen Voraussetzungen und Auswirkungen H i m m e l und Erde umspannen. G o t t läßt den Sünder sterben — , aber nun doch nicht ihn, sondern Christus an seiner Stelle, so daß der Sünder, weil er mit Christus gestorben und auferstanden ist, leben darf. V o m Kreuz her, in dem G o t t als Richter und Erlöser handelt, stellt sich die Frage, was der T o d bedeutet unter den Aspekten des Glaubens, Handelns und Vergehens. Das Problem spitzt sich zu in der Frage, wie das Verhältnis von Gottes Gericht und Gnade, v o n menschlicher Schuld und Hingabe im Tode des näheren zu bestimmen sei. Eine Theologie des Todes, die alle drei genannten Aspekte des Todes systematisch vereint, liegt nicht vor. Die Beziehung zwischen dem zweiten und dritten, also dem ethischen und biologischen Aspekt, t r i t t nur bei Karl Barth zutage. Andere, wie Paul Althaus und H e l m u t Thielicke, akzentuieren den dritten Aspekt. T r o t z unterschiedlicher Betrachtungsweise im einzelnen dürfte aber das U r t e i l von Ansgar Ahlbrecht zutreffen, daß die theologia mortis im Bereich der reformatorischen Theologie grundsätzlich v o n der Rechtfertigungslehre aus konzipiert sei. 49 Als ontisches Phänomen k o m m t der T o d vorwiegend im R a h m e n der Eschatologie zur Sprache. B a r t h jedoch erörtert ihn in der Schöpfungslehre 5 0 , und bei Thielicke erscheint er als Gegenstand der theolo47

48

49

50

Vgl. W. T. Hahn, Das Mitsterben und Mitauferstehen mit Christus bei Paulus, Gütersloh 1937. Auf die Beziehungen zwischen Ontologie und Ethik macht Tillich aufmerksam. Vgl. P. Tillich, Systematische Theologie, Band I, 3. Überarb. A., Stuttgart 1956, S. 41. A. Ahlbrecht, Tod und Unsterblichkeit in der Evangelischen Theologie der Gegenwart, in: Konfessionskundliche und kontroverstheologische Studien, her. v. Johann-Adam-Möhler-Institut, Band X , Paderborn 1964, S. 119 f. Vgl. K. Barth, Die Kirchliche Dogmatik, III. Band, 2. Teil, 2. A., ZollikonZürich 1959, S. 714 ff.

Zur theologia mortis

11

gischen Anthropologie. 5 1 K o m m t er im Horizont der Eschatologie zur Sprache, so nimmt die kontroverstheologische Fragestellung einen weiten R a u m ein. Zumeist geht es, wie bei Althaus, um die mehr oder weniger konsequente Begründung der reformatorischen Hypothese vom Ganztod des Menschen in Abgrenzung gegenüber Unsterblichkeitshypothesen verschiedener Provenienz. 52 In letzter Zeit tritt der ethischc Aspekt des Todes in den Vordergrund theologischer Erörterungen, vor allem im Kontext des Euthanasieproblems, das durch neue Entwicklungen in der Humanmedizin angeregt wird. 5 3 Im Horizont der Fragestellung, wie sich in der theologia mortis Gottes Zorn und Gnade, Gericht und Erlösung, Endlichkeit und Hingabe zueinander verhalten, lassen sich drei Aussagetypen unterscheiden. Entweder liegt der Akzent auf dem Verständnis des Todes als eines göttlichen Gerichts oder aber der Tod ist Ausdruck der Hingabe an Gott. Zwischen diesen extremen Positionen bewegt sich ein dritter Typ, der den Weg der Vermittlung geht. Für den ersten der drei Typen mag Thielicke repräsentativ sein. Er legt in seinem Buch „Tod und Leben. Studien zur Christlichen Anthropologie" 5 4 das Schwergewicht seiner Aussagen auf den Tod als Gottes Gericht über die Sünde des Menschen. In Abgrenzung von weltanschaulichen, säkularen und orthodox-theologischen Todesdeutungen wird von ihm die Einmaligkeit und Unvertretbarkeit der menschlichen Person vor Gott herausgestellt, der in Gesetz und Evangelium den Menschen fordert. Das quantitative Phänomen der Begrenztheit des Lebens verwandelt sich coram Deo in ein qualitatives: an ihm kommt 51 52 53

54

2*

Vgl. H . Thielicke, Tod und Leben, 2. A., Tübingen 1946, S. 19 f. Vgl. den ausführlichen Überblick bei Ahlbrecht, a. a. O., S. 44 ff. Vgl. u. a. K . Barth, Die Kirchliche Dogmatik, III. Band, 4. Teil, 2. A., Zollikon-Zürich 1957, S. 453 ff.; R. Kautzky, der ärztliche Kampf um das Leben des Patienten „bis zu seinem letzten Atemzug", in: Hochland 1961, S. 314; W. Catel, Grenzsituationen des Lebens. Beitrag zum Problem einer begrenzten Euthanasie, Nürnberg 1962; ders., Leidminderung richtig verstanden, Nürnberg 1966; E. Wolf, D a s Problem der Euthanasie im Spiegel evangelischer Ethik. Ein Gutachten, in: Zeit und Geschichte. Dankesgabe an Rudolf Bultmann zum 80. Geburtstag, Tübingen 1964, S. 685 ff.; ders., D a s Problem der Euthanasie, in: Zeitschrift für evangelische Ethik, 10. J g . 1966, S. 345 ff.; K . Oesterreich, Bedenkliche Thesen über Euthanasie, in: Evangelische Welt, 21. J g . 1967, S. 127. Vgl. Anm. 51.

Einführung

12

die ira Dei zur Geltung. Der Tod soll den Menschen erfahren lassen, daß er nicht ungestraft nach Gottes Unsterblichkeit greift. Das biologische Sterben ist Medium eines personalen Aktes. Es macht die Schrekken, die der Gedanke an das Ende verursacht, die Gerichtetheit der Zeitlinie spürbar als Prediger des Kairos, der jeden Trost in einem zyklischen Zeitverständnis ausschließt. Steht auf der einen Seite der Tod als Ausdruck der ira Dei, so eröffnet Gott auf der anderen Seite in Christus die Lebensgemeinschaft mit ihm. Die Paradiesesgrenzen fallen dahin. Das ewige Leben im Sinne der johanneischen Zoe sprengt den Tod, indem sie ihm den Stachel, den Giflzahn, nimmt. Das biologische Sterben bleibt für den in Gemeinschaft mit Gott Stehenden nur „Anamnesis" und „Zeichen des Gerichts", es ist „biologische Larve", ohne Belang für den, der Gemeinschaft mit dem Auferstandenen hat. Der Tod ist durch Christus nicht aufgehoben, aber er ist entmächtigt. Der Christ vollzieht das tathafte Sterben Jesu nach, indem er sich unter die Anamnesis stellt. „Ich stelle mich", so schreibt Thielicke vom Tode, „unter das darin kundwerdende Gericht Gottes, oder schärfer: ich stelle mich diesem Gericht." 5 5 Die Prädominanz des Gerichtsgedankens findet zu einem Teil ihre Erklärung in Anlaß und Situation, denen Thielickes Ausführungen ihre Existenz verdanken. Dem Verfasser geht es um die Abgrenzung der theologischen Todesdeutung von weltanschaulichen und säkularen Theorien, die seines Eraditens allesamt darauf hinauslaufen, den Tod als Gericht zu leugnen. Insbesondere aber bietet die Todesverklärung im sogenannten Dritten Reich einen direkten Anlaß zur Polemik, die zugleich eine Herausforderung zum Gespräch sein will. 56 Die Weltanschauungen versuchen sich nach Thielicke in der E r mächtigung des Todes mit Hilfe der Aufteilung des Menschen in zwei Bestandteile. Drei Typen heben sich heraus: erstens die Teilung des Menschen in einen eigentlichen und einen uneigentlichen Ichteil (wie bei Plato, Kant, Schopenhauer, Nietzsche), zweitens die Deutung des Menschen als eines Individuums auf der einen und als eines Trägers von etwas Allgemeinem auf der anderen Seite (germanische Religion, Hegel), sowie drittens die Betrachtung des Mensdien als einer Durchgangsform und eines Trägers für Allgemeines (Faust). Die Todesanschauung des Säkularismus sieht Thielicke gekennzeichnet durch 55 58

Thielicke, a. a. O., S. 197. Vgl. ebd. S. 9 ff.

Zur theologia mortis „ideologische V e r d r ä n g u n g "

und

13

„ E n t ö f f e n t l i c h u n g " des T o d e s . D i e

A u s n a h m e eines „ s t a n d h a f t e n T o d e s w i s s e n s " g l a u b t er bei E r n s t J ü n ger u n d H e i d e g g e r z u Als Repräsentanten

finden.57 des z w e i t e n T y p s

„Kirchlichen D o g m a t i k " 6 8 erscheint der

Schöpfungslehre

unter

der

das

wählen wir

Barth.

Todesproblem

im

Überschrift

„Die

endende

In

der

Rahmen Zeit" 5 9 ,

e i n e m U n t e r a b s c h n i t t des P a r a g r a p h e n „ D e r Mensch i n seiner Zeit" 6 0 . D i e A u s f ü h r u n g e n i n d i e s e m U n t e r a b s c h n i t t lassen eine S t e i g e r u n g z u m Ende hin erkennen, v o m vor-vorletzten über

das

„vorletzte"

zum

„ l e t z t e n " W o r t h i n . M i t d e m l e t z t e n W o r t w ä r e nach B a r t h der e i g e n t liche S i n n des T o d e s g e t r o f f e n . D e r Verfasser g e h t d a v o n aus, d a ß der T o d in der B i b e l „ i m m e r als f r e m d e u n d u n h e i m l i c h e R e a l i t ä t " v e r s t a n d e n w i r d . 6 1 I m N e u e n Testa-

57

58 59 60 61

Vgl. ebd. S. 82 ff. — Der Verfasser stellt bei Heidegger auf G r u n d von „Sein und Zeit" heraus, d a ß erstens der Tod im Sinne des Ablebens unvertretbar ist, zweitens meine Existenz in ihrer Einmaligkeit vom Sterben mitbetroffen wird, und drittens sich Dasein als Ganzes zum Tode verhält. Die H a l t u n g , die sich daraus dem Tode gegenüber bei Heidegger ergibt, ist die Bereitschaft, „den Tod in Freiheit zu übernehmen". Daraus folgert Thielicke: „Wir erkennen in der Welt seines Denkens allenthalben einen Realismus des Sterbens vertreten, die so nur die biblische Botschaft vom Tode kennt, weil diese die Einmaligkeit des menschlichen Personseins, die U n u m kehrbarkeit der Zeitbahn („Entscheidungszeit", „Kairos") und die Unvertretbarkeit des Lebens und Sterbens durch andere Personen, Sachen und Mächte verkündigt" (S. 87 f.). Thielicke vergleicht Heidegger mit einem Berichterstatter, der die Folgen des Gerichtsurteils sieht, aber nicht das Gerichtsurteil, das die Situation bewirkte. Es fehle die Kategorie der Sünde. Auch mache nicht Gott das Leben ganz, Heidegger hole den Tod als „ f o r m gebende Potenz" in das Leben hinein und mache das Symptom zur genuinen Wurzel. Die Größe Heideggers liege aber darin, d a ß er sich jeden D u r d i bruch in die Unsterblichkeitsillusionen autonomen Denkens verbiete. „Es ist das Licht ohne Gnade; es ist das Licht des Gesetzes, aber nicht das andere des Evangeliums", das Heideggers Daseinsraum erhelle. „Diese Freiheit ist heroischer Nihilismus, wie ihn nur der abgefallene Christ, nicht aber der Heide kennt." Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Anm. 50. ebd. S. 714 ff. ebd. S. 524 ff. ebd. S. 716.

Einführung

14

ment jedoch stehe der Tod nicht nur im Zeichen des Gerichts, sondern auch der Aufhebung des Gerichts. Der einzige nämlich, der den Tod als totales Gottesgericht erlitten habe, sei Jesus gewesen. 62 Der Tod des Menschen trage demgegenüber nur Zeichencharakter. „Der Tod, wie er uns Menschen faktisch begegnet, ist das Zeichen des Gerichtes Gottes über uns." 6 3 Der Gerichtstod selbst wird uns zufolge des Neuen Testaments erspart. Indes die Charakterisierung des Todes als eines Gerichtes Gottes, das Jesus getragen und damit dem Menschen abgenommen habe, ist in Barths Augen nicht einmal als vorletztes W o r t über den Tod anzusehen. Das vorletzte W o r t besteht vielmehr darin, daß wir von der Auferstehung Jesu her „auf den uns bevorstehenden T o d faktisch nur noch zurückblicken und hinunterblicken können." 6 4 E r tritt nur noch als der schon überwundene Feind ins Blickfeld. Die Taufe ist dabei analog zum Begräbnis Christi die Bestätigung des Todes vor Gott, zugleich aber auch Ausdruck dessen, daß der Gerichtstod, den Jesus getragen hat, hinter uns liegt. Auf Grund des Gekreuzigt- und Gestorbenseins mit Christus werden die Leiden des Apostels Paulus als „Spuren", „Nachwehen" und „Schatten" des Kreuzestodes Jesu verstanden. 85 Die Verheißungen, resultierend aus Tod, Auferstehung und Wiederkunft Jesu, gelten dem endlichen Leben des Menschen. Diese Endlichkeit des Menschen, und darin besteht das letzte W o r t Barths über den Tod, ist nicht identisch mit dem Gerichtstod. Sie gehört zur geschaffenen menschlichen Natur. Nur faktisch und das heißt: nicht aus Notwendigkeit ist der Tod ein Gerichtstod. 66 Die christologische Begründung dafür findet Barth in der Menschwerdung des G o t tessohnes. Dessen Endlichkeit sei die Voraussetzung für den Heilstod am Kreuz gewesen.67 Infolgedessen besteht Barth auf der strikten Unterscheidung zwischen Ende und Fluch, Sterben und Strafe, Tod und Todesgericht. 68 Im Tode trete nidit nur Gericht, sondern auch Natur, das Gute und die Schöpfung Gottes auf den Plan. „Diese seine verbor« s Vgl. ebd. S. 730. 63

Ebd. S. 725. — Dem Sperrdruck hier und in allen weiteren Zitaten entspricht Sperrdrude im Text.

64

Ebd. S. 747.

85

Vgl. ebd. S. 737.

66

Vgl. ebd. S. 766.

67

Vgl. ebd. S. 767.

68

Vgl. ebd. S. 769.

Zur theologia mortis

15

gene Gestalt ist seine eigentliche und wahre Gestalt und eben in dieser seiner eigentlichen und wahren Gestalt gehört er zu des Menschen Nat u r . " 6 9 Das Übernehmen des Todes in Frieden und Freude ist im gottlosen Menschen „gewissermaßen suspendiert und sterilisiert". 7 0 Durch Gottes freie Gnade wird diese suspendierte Naturhaftigkeit des Sterbens wieder geheilt. 71 Die Befreiung vom unnatürlichen Sterben des Gerichtstodes, die gleichbedeutend ist mit der Befreiung zum ewigen Leben, heißt denn auch „Befreiung des Menschen zum natürlichen Sterben". 7 2 Das definitive Zusammensein mit G o t t macht die Endlichkeit des menschlichen Lebens erforderlich. Der Tod seiner Eigentlichkeit nach steht somit bei Barth außerhalb der Soteriologie im engeren Sinne. E r wird einer neutralen, von Gericht und Gnade unabhängigen Zone der Geschöpflichkeit zugewiesen. Sein eigentlicher Sinn ist nicht das Gericht, sondern die Hingabe an den Schöpfer. Exkurs. Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt G. Schunack, ein Vertreter der sogenannten hermeneutischen Theologie, in seiner exegetischsystematischen Studie „Das hermeneutische Problem des Todes" im Horizont der Kapitel fünf bis acht des Römerbriefes" 7 3 . E r unterscheidet den Tod vom Sterben im Sinne eines Urteils, das in den Bereich der Sprache gehört, die „so etwas wie Sprachgeschick ist". 7 4 Des näheren handelt es sich um das Sprachgeschick der Sünde, da der T o d die Diktatur über die Geschichte der Sünde angetreten hat. 7 5 Die Faktizität als Unentrinnbarkeit des Todes verfügt über die Wahrheit bzw. Anwesenheit Gottes im Tode. Für den Menschen in Christus aber ist der T o d „nie das, was der Sünder unter dem Gesetz durch den T o d zur Sprache brachte, weil Gott von Anfang an, wenn auch für den Sünder im Tode verborgen, allem zuvor das Leben verheißen hat (Rom. 4,13; 7,10.14)". 7 6 Unter Berufung auf Ernst Fuchs heißt es: „Der Tod ist 68

Ebd. S. 770.

70

Vgl. ebd. S. 776.

71

Vgl. ebd. S. 776.

71

Vgl. ebd. S. 777.

73

G. Schunack, Das hermeneutische Problem des Todes. Im Horizont

von

Römer 5 untersucht, in: Hermeneutische Untersuchungen zur Theologie, her. v. G. Ebeling, E. Fuchs, M. Meztger, 7, Tübingen 1967. 74

Vgl. ebd. S. 37.

75

Vgl. ebd. S. 266.

78

Vgl. ebd. S. 272.

Einführung

16

kein Einwand gegen die Gnade, sondern er bestätigt die Gnade als den zureichenden Grund dafür, daß der Glaube in das Leben führt." 77 Die hermeneutische Faktizität des Todes läßt den Sünder erstens in Trauer und Schmerz angesichts des Todes versinken und macht zweitens dessen Taten unwiderruflich. Dem unwiderruflichen Nein des Todes aber entzieht sich der Sünder, indem er erstens die Toten der Historie überläßt und sie um der Lebenden willen auf Zukunft hin transzendiert, zweitens die Unsterblichkeit der Seele postuliert und drittens sich in Freiheit selbst ergreift, „um sich darin den Tod zu eigen zu machen". 78 „Die Sünde macht den Tod zum Faktum für den Sünder, wie das Gesetz offenbar macht", heißt es bei Schunack.79 Das Sprachgeschick der Sünde aber kommt im Evangelium Gottes an sein Ende. „Durch Jesu Tod ist der Tod zu dem die Herrlichkeit und Macht Gottes rühmenden Prädikat Gottes geworden, da in diesem Prädikat Gott als Gott erscheint." 80 „Wo Jesus Christus als Herr verkündigt wird, ist das Nein des Todes, die hermeneutische Verfügung der Sünde im Diktat des Todes zunichte geworden und die Stille des Glaubens eingekehrt, die die Gegenwart Gottes anzeigt."91 Im Hinblick darauf also bringt der Glaube gegenüber dem „Sprachverlust" der Sünde einen „Sprachgewinn" ans Licht. 82 Ähnlich wie bei Barth figuriert auch bei Schunack der Tod in seiner eigentlichen Bedeutung als Hingabe. Seine Faktizität ist das Sprachgeschick der Sünde und damit nur uneigentlich zu verstehen. Den dritten Typ der Vermittlung finden wir bei Althaus, der die theologia mortis im Rahmen seiner Lehre von den letzten Dingen behandelt. 83 Althaus setzt sich entschieden für eine allseitige systematische Würdigung des Todesphänomens ein. „Wir sterben nicht nur dem Richter und Erlöser, sondern auch dem Herrn."M Der Tod trifft den Menschen 77

Ebd. S. 274.

78

Vgl. ebd. S. 277.

79

Ebd. S. 282.

80

Ebd. S. 284.

81

Ebd. S. 284.

82

Vgl. dazu Luthers Polemik gegen die Pseudopublicani nach W. Eiert, Morphologie des Luthertums, I. Band, München 1931, S. 57 f.

83

P. Althaus, Die letzten Dinge, 6. A., Gütersloh 1956.

84

Ebd. S. 87.

Zur theologia mortis

17

sowohl als Gericht wie auch als Befreiung und sogar als Hingabemöglichkeit. Die Dreiheit von Gericht, Befreiung und Hingabemöglichkeit entspricht formal den drei Schritten, die Barth in seiner theologia mortis durchschreitet. Aber Althaus verzichtet im Unterschied zu Barth auf eine Akzentsetzung nach den Kategorien von eigentlich und uneigentlich. Er entgeht somit den alternativen Akzentuierungen bei Thielicke und Barth. Die Aspekte von Gericht und Hingabe stehen nebeneinander. Ausgehend von der lutherisch verstandenen Rechtfertigungslehre des simul iustus et peccator kann Althaus schreiben: „Insofern wir bis zum Ende alter Mensch bleiben, ist der Tod Gottes Zorngericht über uns; sofern wir neuer Mensch sind, ist er Gnade. W i r sind bis zum Ende beides, von uns aus das eine, von Gott aus das andere. Darum ist der Tod auch beides, Zorn und Gnade." 85

Von hier aus wäre zunächst an Barth die Frage zu richten, die Ratschow in einem anderen ähnlichen Zusammenhang formuliert: „Können wir uns in einer theologia viatorum wirklich so weit auf das Reden von Ihm, dem Menschgewordenen, einlassen, daß darin die fatale Verfallenheit des Menschen nur noch als .Schein' erkennbar wird?" 8 6 Wir brauchten, um uns diese Anfrage zu eigen zu machen, und zwar speziell im Hinblick auf Barths Todesverständnis, die Rede von der „Scheinhaftigkeit des Verfallenseins" nur durch die andere von der „Zeichenhaftigkeit des Gerichtstodes" zu ersetzen. Eben dieselbe Anfrage aber müßte auch an Schunack gerichtet werden. Das Konfrontiertsein mit dem göttlichen Richter und Erbarmer erlaubt uns keine alternative Entgegensetzung von Sprachgewinn des Glaubens und Sprachverlust der Sünde. „Es ist ein Schritt zu weit in die Vollendung hinein getan." 87 Aber auch Thielicke wäre zu befragen, ob es theologisch legitim ist, den Tod so einseitig unter den Aspekt des Gerichts zu stellen, wie es bei ihm geschieht. 88 Althaus setzt sich ausführlich mit Thielickes Buch 85 86

87 88

Ebd. S. 88. C. H. Ratschow, Der angefochtene Glaube. Anfangs- und Grundprobleme der Dogmatik, Gütersloh 1957, S. 277. Ebd. S. 277. Im Vergleich zu Barth erweist es sich als Mangel, daß der Reichtum biblischer Aspekte nicht zur Sprache kommt. Umgekehrt bleibt Barth gerade

Einführung

18

auseinander und bemängelt nicht nur dessen undifferenzierte Ablehnung weltanschaulicher Unsterblichkeitslehren, sondern ebenso die einseitige Betonung des Todes als eines Erleidens des göttlichen Widerspruchs. „ ,Dem Herrn sterben' heißt bei Paulus nicht nur: mich seinem Gericht willig untergeben, sondern auch ihn preisen durch Bewährung des Glaubens und der Liebe zu ihm." 8 9 Es wäre freilich über Althaus hinaus zu erwägen, ob es angesichts der christlichen Existenz unter der Anfechtung damit getan ist, im theologischen Verständnis des Todes bei einem spannungslosen Sowohlals-auch zu verharren. Dem Verständnis des Todes als eines göttlichen Zorngerichts und einer Möglichkeit zur Hingabe an den Herrn müßte der existentielle Konflikt abzuspüren sein, in dem sich der simul iustus et peccator bis zu seinem Ende befindet. „Das Weltgewicht der lex universalis hängt am Glauben als seine Angefochtenheit." 9 0 Zu dieser lex universalis gehört der Tod. Aus der Spannung zwischen Glauben und Weltverflochtenheit gibt es keine Ausflucht. Es bleibt nur ein unablässiges Ringen, dem es geschenkt werden mag, zum Ertragen dieser Spannung durchzustoßen. Der Glaube besteht gerade darin, gegen die Anfechtung des im Tode sich kundgebenden verborgenen Gottes zum W o r t des Deus revelatus zu fliehen und auf diese Weise mit G o t t wider G o t t zu stehen. Der biologische T o d ist in der T a t eine „Larve", aber es ist die Richterlarve des verborgenen Gottes, hinter der sich für den Glauben der in Christus offenbare G o t t verbirgt. 9 1

Zur

Apologetik

Die theologia mortis, der es um das Neben- und Widereinander von Gericht und Gnade im Tode geht, bildet den kritischen Maßstab für die Untersuchung des Todesverständnisses bei Simone de Beauvoir. wegen seines intensiven Hörens auf das Zeugnis beider Testamente nicht vor einem ungeschiditlichen und unkritischen Umgang mit der Schrift bewahrt. Vgl. dazu auch Ahlbrecht, a. a. O., S. 60. 89

P. Althaus, Der Mensdi und sein Tod, in: Universitas. Zeitschrift für Wis-

90

Ratschow,

91

Den Begriff der „Larve" bringt Thielicke (vgl. a. a. O., S. 192) nicht, wie es

senschaft, Kunst und Literatur, 3. Jg. 1948, S. 394. a.a.O.,

S. 292.

nahe liegt, mit dem Begriff der Larve in Verbindung, der bei Luther eine Rolle spielt im Zusammenhang seiner Gedanken über den Deus absconditus.

Zur Apologetik

19

Damit unterziehen wir uns einer apologetischen Aufgabe, die zwar die Theologie im ganzen angeht, insbesondere jedodh die theologische Systematik. „Die Apologetik ist keine besondere theologische Disziplin. Sie gehört vielmehr gleichmäßig allen theologischen Disziplinen an und bedeutet gewissermaßen deren praktische Nutzanwendung im Hinblick auf die Bedürfnisse der Gegenwart." 9 2 Einer Apologetik großen Stils begegnen wir in der systematischen Theologie Paul Tillichs. 83 Der Verfasser läßt sich von einer Methode der Korrelation leiten, der auch wir uns prinzipiell anschließen können. Tillich stellt in der Einleitung seiner Systematischen Theologie lapidar fest: „Apologetische Theologie heißt: antwortende Theologie. Sie antwortet auf Fragen, die die Situation stellt, und sie antwortet in der Macht der ewigen Botschaft und mit den begrifflichen Mitteln, die die Situation liefert, um deren Fragen es sich handelt." 9 4 Tillich möchte Situation und ewige Botschaft miteinander vereinigen und bedient sich zu diesem Zweck der „Methode der Korrelation". 9 5 Es soll die Antwort der Botschaft nicht aus den Fragen abgeleitet werden, aber es darf auch keine Antworten geben, die an der Frage vorbeiführen — ein Verfahren, das der Verfasser der sogenannten kerygmatischen Theologie, insbesondere derjenigen von Barth, zum Vorwurf macht. Barth lehnt eine Apologetik gegenüber dem Unglauben ab, vor allem als Teil der Prolegomena zur Dogmatik. Er fürchtet, sie gehe von der Voraussetzung aus, einen „nicht zerstörten .Anknüpfungspunkt der göttlichen Botschaft im Menschen' " finden zu wollen. 96 Mit drei Gründen bestreitet er die theologische Legitimität eines solchen Unterfangens. Erstens stehe oder falle die Erkenntnis der Offenbarung nicht mit

92

93

94 95 98

Vgl. dazu L. Richter, Immanenz und Transzendenz im nadireformatorischen Gottesbild, Göttingen 1955, S. 21. K . Aland, Apologie der Apologetik, Berlin 1948, S. 16. — Zum Stand der gegenwärtigen apologetischen Diskussion vgl. A. Adam, Redit und Grenze der Apologetik, in: Informationen der Ev. Zentralstelle für Weltansdiauungsfragen, N r . 5, II. Teil, Stuttgart 1963, und G. Müller, Apologetik heute, ebd., N . 5, I.Teil. P. Tillich, Systematische Theologie, Band I, 3. Überarb. A., Stuttgart 1956, Band II, 3. A., Stuttgart 1958, Band III, Stuttgart 1966. Tillich, Systematische Theologie, Band I, a. a. O., S. 12. Vgl. ebd. S. 15. K . B a r t h , Die Kirchliche Dogmatik, I . B a n d , 1. Halbband, 7. A., ZollikonZürich 1955, S. 26.

Einführung

20

der allgemeinen religiösen Möglichkeit, die durch das alte Weltbild erleichtert oder erschwert wird. Zweitens sei die Dogmatik selbst „auf der ganzen Linie Auseinandersetzung zwischen dieser Vernunft des Menschen und der in der Kirche geglaubten Offenbarung." 97 Drittens bleibe die methodisch gehandhabte Apologetik wirkungslos, wenn nicht Gott selbst sich zu seinem Zeugnis bekennt. „Apologetik und Polemik können nur Ereignis, sie können nicht Programm sein." 98 Der Konflikt des Glaubens mit dem Unglauben ist nach Barth „ein Konflikt des Glaubens mit sich selber". 99 Lehnt Barth eine Apologetik der Offenbarung gegenüber dem Unglauben ab, sofern er nicht ein Moment des Glaubens selber ist, so bekennt er sich doch uneingeschränkt zur theologischen Polemik gegen den „Andersglauben" innerhalb des corpus christianum. Den Unglauben an sich hält er für keine belangvolle Größe, wohl aber die Häresie. 100 Sie begegnet ihm vor allem im römischen Katholizismus und im pietistisch-rationalistischen Modernismus. Zwar ist Barth insofern recht zu geben, als er die Apologetik im Sinne eines Vorspanns zur Dogmatik ablehnt, aber damit erübrigt sich die theologische Auseinandersetzung mit Denksystemen des Unglaubens keineswegs. Sie drängt sich umso mehr auf, als die Systeme des Unglaubens ihre Herkunft und Affinität zum Christentum gerade nicht verleugnen können. Es wäre zu fragen, ob nicht auch sie als Häresien im weiteren Sinne angesprochen werden sollten. Barth selber führt denn auch seinen eigenen Ansatz nicht konsequent durch. Er beschränkt sich in der Kirchlichen Dogmatik keineswegs auf die Polemik gegen häretische Verirrungen des Glaubens, sondern übt mit großer Kennerschaft das Gespräch mit dem Unglauben im neuzeitlichen Denken. 101 Der Vorwurf, den Tillich gegen Barth erhebt, besteht also nur teilweise zu recht.

07

Vgl. ebd. S. 27.

98

Ebd. S. 30.

»» Vgl. ebd. S. 30. 100 101

Vgl. ebd. S. 31. Vgl. Barths Auseinandersetzung mit Heidegger und Sartre über das Nichts, in: Die Kirchliche Dogmatik, III. Band, 3. Teil, Zollikon-Zürich 1950, S. 383 ff., sowie sein Gespräch mit Simone de Beauvoir über deren Buch „Le deuxième Sexe" (deutsch „Das andere Geschledit") in der Kirchlichen Dogmatik, III. Band, 4. Teil, a. a. O., S. 179 f.

21

Z u r Apologetik

Tillich sieht im Unterschied zu Barth eine gemeinsame Voraussetzung von Botschaft und Situation. Sie ermöglicht die Korrelation beider und besteht im Logos, auf den der fragende Mensch aller Zeiten hintendiert, und der nach der christlichen Botschaft Fleisch geworden ist. Der göttliche Logos, in Jesus Christus inkarniert, bildet die Wurzel des menschlichen Logos. 1 0 2 Von da aus folgert er, daß von Philosophie und Theologie in gleicher Weise die Frage nach dem Sein gestellt werde, mit dem Unterschied freilich, daß sich die Philosophie mit der Struktur des Seins an sich beschäftige, die Theologie hingegen mit dem Sinn des Seins für uns. 1 0 3 Tillich lehnt es ab, die moderne Philosophie heidnisch zu nennen (auch das Heidentum des Nationalsozialismus sei kein wirklicher Rückfall ins Heidentum gewesen), denn die Spuren der christlichen Tradition an ihr seien nicht auszulöschen. Das gelte ebenso vom Atheismus wie von antichristlichen Bewegungen. 1 0 4 „Keine Philosophie, die dem universalen Logos gehorsam ist, kann im Widerspruch zu dem konkreten Logos stehen, dem Logos, der Fleisch geworden ist." 1 0 5 Tillich sieht den Theologen geformt durch das geistige Leben seiner Zeit. Aber es soll nicht bei einer mittelbaren Berührung bleiben, sondern es müsse zu einer direkten Beschäftigung mit ihm kommen. Drei Hinsichten werden dabei wichtig. Erstens bedient sich der Theologe „der Kultur und Religion absichtlich als A u s d r u c k s m i t t e l Z w e i t e n s bekämpft er sie „als Widersprüche zur christlichen Botschaft", und drittens formuliert er „die existentiellen Fragen, die in ihnen liegen und auf welche seine Theologie die Antwort geben will". 1 0 6 Für die theologische Antwort wird von Tillich als materiale N o r m definiert „das Neue Sein in Jesus, dem Christus, als das, was uns unbedingt angeht". 1 0 7 Das Neue Sein ist eine Macht, die den dämonischen Zwiespalt in der „alten Wirklichkeit" der Seele, der Gesellschaft und des Universums überwinden soll, ein Zwiespalt, von dem nach Tillich insbesondere der moderne Mensch heimgesucht wird, wie Kunst, Literatur und Existenzphilosophie offenkundig machen. 1 0 8 102 v g i Tillich, Systematische Theologie, B a n d I, a. a. O . , S. 2 3 . 103 104

Vgl. ebd. S. 3 0 . Vgl. ebd. S. 3 6 f. —

Man

er dann konkret meint. 105

E b d . S. 3 7 .

106

E b d . S. 4 9 .

107

V g l . ebd. S. 6 2 .

108

Vgl. ebd. S. 6 1 .

fragt sich jedodi, welche F o r m

des Heidentums

22

Einführung

Trotz prinzipieller Zustimmung können wir Tillichs Korrelationsmethode nur mit Einschränkungen übernehmen. Wir möchten uns im Unterschied zu dessen direkter Korrelation zu einer indirekten bekennen. Und das aus folgenden Gründen. Erstens enthüllen die existentiellen Probleme in der Tat die Fraglichkeit des Menschen. Aber daß es sich dabei um eine Fraglichkeit vor Gott handelt bzw. darum, daß Gott durch sie den Menschen in Frage stellt, läßt sich nur von Gottes Offenbarung in Christus her verständlich machen. Der Mensch verdeckt diesen theologischen Sachverhalt durch seine ontologisierende Betrachtungsweise, die neutralisierend die Feindschaft zwischen Gott und dem Sünder überspielt. 109 Dieser Umstand verdient umso mehr Beachtung, als es sich vor allem bei der sogenannten Existenzphilosophie um eine Spielart ontologischen Denkens handelt, die post Christum entstanden ist. Zwar läßt sich diese Ontologie nicht ohne die Wirkungsgeschichte des Christentums verstehen, aber es kann auch nicht einfachhin außer acht gelassen werden, daß es sich dabei um ein postchristliches und bei Sartre und Simone de Beauvoir um ein atheistisches bzw. antitheistisches110, ja apostatisches Unternehmen handelt. Das nach-christliche Ontologisieren kann einen viel schärferen anti-christlichen Effekt zeitigen als das vor-christliche. Aus diesem Grunde glauben wir von einer indirekten Korrelation sprechen zu müssen. Zwar ist es Gott, der in den existentiellen Erfahrungen den Menschen in Frage stellt, aber die ontologische Fassung in der existenzphilosophisch diese Problematik zur Sprache kommt, trägt selbst den Charakter einer Antwort in sich. Sie überlagert die theologische Dimension, in der die Fraglichkeit der Existenz von ihrem tiefsten Grund erfährt. Demnach muß die existentielle Problematik immer erst aus jener ontologischen Neutralisierungszone gelöst und in den theologischen Sprachraum der Gott-Mensch-Relation transponiert werden. Kurzum: Gott und Mensch stehen zwar in direkter Korrelation, weil Gott sie eröffnet hat, aber Philosophie und Theologie stehen zueinander in einem indirekten Modus der Beziehung. Wir können niemals davon absehen, daß es der Sünder ist, der da philosophiert und trotz seines Gefragtwerdens von Gott eben doch Gott selbst die Ehre verweigert. 109

110

Vgl. W. Joest, Sein und Akt in der Existenz des Menschen vor Gott, in: Studium Generale, 8. J g . 1955, S. 695: „Die relatio ist der Hebel von esse." Vgl. H.-R. Müller-Schwefe, Existenzphilosophie, Göttingen 1961, S. 203.

Zur Apologetik

23

Daß zweitens auch die Antwort der christlichen Botschaft auf die Frage der menschlichen Situation ihrerseits noch einmal der Fraglichkeit unterliegt, können wir nicht zugestehen. 111 Sie wäre sonst keine Antwort mehr. Daß aber der Theologe als simul iustus et peccator der Fraglichkeit der Existenz unterliegt, steht außer Zweifel. Keinen Augenblick lang ist das Theologisieren selbst dieser Fraglichkeit enthoben. 1 1 2 Es steht unter der Anfechtung des Deus absconditus. Aber daß es Gott ist, der da die Existenz in Frage stellt, kann nur von der Gewißheit her ins Blickfeld kommen, daß Gott in Christus geantwortet hat. Zwar sehen wir uns drittens mit Tillich darin einig, daß Frage und Antwort letztlich durch den göttlichen Logos miteinander in Beziehung stehen. Aber der in Christus inkarnierte Logos ist der Gekreuzigte und Auferstandene. Im Kreuze verbinden sich Gesetz und Evangelium, Gericht und Gnade zu einer letzten Einheit. Die Korrelation von Gesetz und Evangelium liegt darin, daß sie wechselseitig einander bedingen. Aber wir möchten diese soteriologische Korrelation nicht zugunsten einer ontologischen opfern. Die ontologische Korrelation steht im Dienste der soteriologischen und nicht umgekehrt. 1 1 3 Es geht also nicht so sehr um die Überbrückung von Diesseits und Jenseits, Unendlichkeit und Endlichkeit, von Gott und Mensch, sondern viel mehr um die Versöhnung Gottes mit dem Sünder, also um Rechtfertigung. Nicht Identität ist das Gefragte, sondern Gemeinschaft. Auch das Wunder der Inkarnation steht in ihrem Dienst.

Methodisches Aus der apologetischen Situation ergeben sich für eine theologische Untersuchung des Todesverständnisses bei Simone de Beauvoir die folgenden methodischen Konsequenzen. 111

Vgl. K.-D. Nörenberg, Analogia Imaginis. Der Symbolbegriff in der Theologie Paul

Tillichs,

Vorrangstellung

der

Gütersloh 1966, Frage

innerhalb

S. 2 2 4 : der

„Durch

die

hermeneutisdie

Frage-Antwort-Dialektik

ist

jede theologische Antwort auf eine existentielle Frage von vornherein selbst wieder als fraglich und dadurch und in diesem Sinne als uneigentlich bestimmt und hat sich dem Vorrang der Frage zu beugen." 112

Das meint wohl auch Barth, wenn er die Auseinandersetzung mit dem U n glauben in die christliche Existenz selbst hineinverlegt. Vgl. S. 23.

113

Vgl. H . H . Sdirey, Paul Tillich, in: Studium Generale, 14. Jg. 1961, S. 40.

24

Einführung

Erstens, indem wir mit Tillich die „Situation" als Frage auffassen, lassen wir uns von dem Grundsatz leiten, auf die Frage genau zu hören und sie aus den immanenten Voraussetzungen des Denkens bei Simone de Beauvoir zu erheben. Die Analyse ihrer Werke fördert die erwähnten drei Aspekte des Todes zutage 1 1 4 , so daß es sich empfiehlt, sie als Gliederung dieser Arbeit zugrundezulegen. Die Untersuchung des philosophischen Umfeldes hat ergeben, daß diese Aspekte auch in den C y t o l o gien von Heidegger und Sartre vorliegen und im theologischen Verständnis des Todes ihre Entsprechung finden. Diese Entsprechung setzt uns methodisch instand, den theologisch-soteriologischen Aspekt mit dem ersten Aspekt des Todes bei Simone de Beauvoir, den theologischanthropologischen bzw. ethischen Aspekt mit dem zweiten und den eschatologischen mit dem dritten Aspekt des Todes bei Simone de Beauvoir in Beziehung zu setzen. Das schließt jedoch nicht aus, daß jeder der drei theologischen Aspekte auch mit jedem anderen der drei Todesaspekte bei Simone de Beauvoir in Beziehung treten kann. Es ist dies insbesondere beim soteriologischen Aspekt der Fall, dem eine dominierende Rolle zufällt. Zweitens kann das Hören auf die Fragen nicht nur bedeuten, die aus dem Werk der Autorin erhobenen Gedanken zum Todesproblem flächenhaft zu systematisieren, sondern es ist darüber hinaus nach den möglichen Stadien einer Entwicklung zu fragen. Die Reihenfolge der drei Aspekte des Todesverständnisses gibt zugleich die Akzentuierung an, die die Konfrontation mit dem T o d in den drei Lebens- bzw. Schaffensperioden der Autorin hervorruft. Es kann also nicht darauf verzichtet werden, in den drei Hauptabschnitten auch diejenigen Entwicklungsstadien zu berücksichtigen, die nicht den Hauptakzent des jeweiligen systematischen Aspektes tragen. Jeder der drei Aspekte des Todesverständnisses läßt sich in jeder der drei Lebens- bzw. Schaffensperioden der Autorin nachweisen. Dennoch liegen die Gewichte jeweils anders. Zum Ernstnehmen der Frage gehört es drittens, sich auf die Eigenart der Frage einzulassen. Das Werk Simone de Beauvoirs kann nur zu einem Teil philosophisch im schulmäßigen Sinne genannt werden. Auch da, wo die Autorin zu philosophischen Problemen direkt Stellung bezieht, bedient sie sich nicht der Kategorien eines durchreflektierten

114

Vgl. S . 4 .

Methodisches

25

philosophischen Systems. Gleichwohl läßt sich ihre Verwandtschaft zu Sartre nicht leugnen. Es wäre aber verfehlt, ihr Werk ausschließlich mit Hilfe sartrescher Kategorien zu interpretieren. Es gilt vielmehr, die Eigenart ihres Denkens ernst zu nehmen. Viertens ist in Anbetracht des großen Umfangs, den das schriftstellerische Werk der Autorin angenommen hat, Beschränkung geboten. Das Werk kann nur exemplarisch zur Geltung kommen. Die Prädominanz des Existentiellen bei Simone de Beauvoir macht es erforderlich, das Todesverständnis weitestgehend indirekt aus dem Leben und Denken der Gestalten in Romanen und Erzählungen zu erheben. Dennoch dürfen die anderen literarischen Gattungen nicht fehlen, deren sich die Autorin bedient. Da die Lyrik entfällt und das Drama nur durch ein einziges Beispiel vertreten ist, lassen wir auch Teile der Memoiren und Essays sprechen. Der Behandlung eines Romans bzw. einer Erzählung geht jeweils eine Strukturskizze voran, auf die bei anderen Gattungen verzichtet werden kann. Sie gibt in Kürze den Aufbau des Werkes wieder, soweit er für unsere Fragestellung unerläßlich ist. In einem zweiten Abschnitt schälen wir die tragenden Gesichtspunkte heraus, sofern sie für das Todesproblem Bedeutung haben. In einem dritten Abschnitt erfolgt die Erörterung unter theologischen Gesichtspunkten. U m Überschneidungen möglichst zu vermeiden, sollte sich die theologische Erörterung auf die jeweiligen Nuancierungen im Todesverständnis beschränken. N u r dem ersten Abschnitt des zweiten Teils fällt eine Ausnahmestellung zu. Er dient präludierend dem Aufweis existentieller Grunderfahrungen bei Simone de Beauvoir und erfolgt ohne Einzelanalyse in Form eines freien Uberblicks. Was fünftens die Antwort der Botschaft auf die Frage anbelangt, so wären die im vierten Abschnitt dieser Einführung genannten Gesichtspunkte wie folgt anzuwenden: Wo das existentielle Betroffensein durch den Tod und seine Drohung zum Ausdruck kommt, kann nicht ohne weiteres schon von einer Frage gesprochen werden. Auch bei Simone de Beauvoir wird die existentiell empfundene Fraglichkeit des Menschen ontologisch neutralisiert. Es gehört daher mit zur theologischen Antwort der Versuch, das ontologische Gehäuse aufzubrechen, um die existentielle Frage als Frage coram Deo sichtbar zu machen. Die Antwort der Theologie ist also negativ und positiv zugleich. Negativ ist sie insofern, als sie vom Evangelium Gottes herkommend alle Hindernisse aus dem Weg räumen Schmalenberg, Todesverständnis 3

26

Einführung

muß, die den Anspruch Gottes im Widerfahrnis des Todes verstellen. Positiv aber ist sie insofern, als sie gegen die D r o h u n g des Deus absconditus das Evangelium des in Christus offenbaren Heils aussagen darf. Die A n t w o r t sollte, wie Tillich fordert, auf die Frage bezogen sein und mit den begrifflichen Mitteln der Frage erfolgen. Aber auch in diesem Zusammenhang ist uns nur eine indirekte Korrelation m ö g lich. 115 Die Begrifflichkeit der Frage ist v o n der A n t w o r t her kritisch zu prüfen. Es besteht zwar die Möglichkeit, sie f ü r die A n t w o r t in Dienst zu nehmen, nicht aber eine verpflichtende Notwendigkeit. D a sechstens Fragende und Antwortende gemeinsam vor G o t t stehen, muß spürbar bleiben, daß der Antwortende derselben existentiellen Fraglichkeit ausgesetzt ist wie der Fragende auch. Der T o d ist f ü r den simul iustus et peccator eine bleibende Anfechtung. Das Nicht-solidarisch-sein im Bekenntnis zu G o t t schließt die Solidarität im Existentiellen nicht aus, sondern ein.

118

Vgl. S. 2.

T O D D U R C H SEIN Die Selbstauflösung im Nichts Die Feststellung, daß der Mensch nicht „ist", sondern „zu sein hat", bildet den Kern der anthropologischen Aussagen bei Simone de Beauvoir. 1 Mensch und Sein verhalten sich in diesem Menschenbild wie die Pole eines elektromagnetischen Feldes: sie suchen einander und stoßen sich ab. Der Mensch verwandelt sich gegenüber dem Sein in Nichts, aber dieses Nichts sucht das Sein. Simone de Beauvoir unterscheidet zwei Formen des Nichts: das Nichts des Todes und das Nichts, zu dem sich der Mensch selbst macht. 2 Das Nichts enthält eine objektive und eine subjektive Komponente. Teils wird es erlitten, teils mit Absicht herbeigeführt. Als erlittenes Nichts steht es in Beziehung zum Tode, als herbeigeführtes hat es den Charakter der mortificatio. Das Nichts wird zunächst am vorfindlichen Sein erfahren. Es gibt Momente im Leben der Autorin und ihrer Gestalten, da sich in außergewöhnlichen Widerfahrnissen das Nichts an den Dingen und im Zeiterleben bekundet. Angst und Schrecken sind die Folge. Das Subjekt läuft Gefahr, vom Nichts verschlungen zu werden. Solche Begegnungen mit dem Nichts ereignen sidi schon in der frühen Kindheit der Autorin. Simone de Beauvoir hat im ersten Band ihrer Memoiren unter dem Titel „Eine Tochter aus gutem Hause" darüber berichtet. Dem heranwachsenden Mädchen stellt sich auf einem Spaziergang mit der Mutter die bange Frage: „Ist das mein Leben? War es immer nur das? Wird es so weiter gehen?" 3 Der Gedanke an den unendlichen Fluß der Zeit, der von keiner Hoffnung überstrahlt sein würde, nimmt ihr den Atem. Uberhaupt ist es die Einförmigkeit ihrer zukünftigen Existenz, vor der sie sich ängstigt. 4 Das in früheren Jahren Befürchtete tritt 1 PY S. 239. * MOS.180. 5 T O S . 89. 4 Vgl. T O S . 99.



28

Tod durch Sein

später ein: die Augenblicke, in unendlicher Folge aneinandergereiht, bekunden ihr Nichts. 5 Aber nicht nur die Zeit enthüllt f ü r Simone de Beauvoir ihr Nichts, sondern auch die Dinge tun es, und zwar die unbelebten. Sie schweigen, und so fühlt das Kind durch sie hindurch ihr eigenes Nichts, ihr Nichtmehr-sein im Tode voraus. 8 Auch im dritten Memoirenband „Der Lauf der Dinge" werden ähnliche Erlebnisse geschildert.7 Das Ich der Erwachsenen löst sich in ein fremdes Bewußtsein auf. Es ist in seiner Identität mit sich selbst gestört. 8 Während eines Besuches in Madrid, der ihr von früher vertrauten spanischen Hauptstadt, bemächtigt sich der Autorin das Gefühl totaler Entfremdung. Auf der Calle de Alcala, inmitten der flutenden Menschenmenge, packt sie jäh die Angst. „Ich, ohne Kontakt mit diesem Milieu, hatte aufgehört zu existieren. Eine schwere Mattigkeit, die nichts Persönliches an sich hatte, lastete auf der Menschenmenge." 9 Ähnliches widerfährt ihr ein zweites Mal in Rouen. 10 Am Schluß des dritten Memoirenbandes, der in ein elegisdies Bekenntnis zur Vergänglichkeit der Dinge ausmündet, wie es in der europäischen Romanliteratur wohl kaum seinesgleichen findet, steht der Satz: „Ich bin da, und die Dinge sind da. Wenn dieses Schweigen von Dauer ist, wird mir meine Zukunft lang werden." 11 Auf Grund des Schweigens der Dinge zerdehnt sich die Zeit. In beiden enthüllt sich das Nichts. Fast alle wichtigen Gestalten der Prosawerke teilen das nihilistische Urerlebnis ihrer Autorin. Exemplarisch dafür sind die Romane „Sie kam und blieb" 12 , ein Werk, das noch die Züge der „idealistischen"

5 6 7

8

9 10 11 12

Vgl. T O S . 222. TO S. 48. Es sei vermerkt, daß derartige Erlebnisse nur in der frühen und späten Lebens- bzw. Schaffensperiode auftreten. Über den Zusammenhang von Nihilismus und Bewußtseinsspaltung vgl. H. Thielicke, Der Nihilismus, Tübingen 1950, S. 45 ff. L A S . 31. Vgl. L A S . 31. L A S . 622. Sie kam und blieb (Franz. Titel „L'Invitée", Paris 1943), übers, v. E. RechelMertens, Reinbek b. Hamburg 1953.

Die Selbstauflösung im Nichts

29

Frühperiode trägt, und „Die Welt der schönen Bilder"1* aus der späten Schaffensperiode. Im Zentrum beider Werke steht eine Frau: Françoise, eine junge französische Intellektuelle, im ersten; Laurence, die Architektengattin mittleren Alters, im zweiten. Françoise erlebt ihr Fremdsein inmitten der Dinge anhand eines Rocks, der über der Stuhllehne hängt. Sie fragt sich, wozu er existiere, wenn er es nicht weiß. Sie möchte so f ü r ihn „Ich" sagen, wie sie es für sich selbst tut. Aber dieser Wunsch bleibt unerfüllt. „Es geschah einfach nichts; der Rock hing weiter da, gleichgültig und fremd, und sie blieb immer Françoise." 14 Ihre Liebe zu Pierre, mit dem sie in einem eheähnlichen Verhältnis lebt, empfindet Françoise als eine unendliche Anhäufung gleichgültiger Augenblicke. Eine heftige Angst überkommt sie: „Es war, als wäre die Welt mit einem Male leer; es gab nichts zu fürchten mehr, aber auch nichts mehr zu lieben. Es gab überhaupt nichts mehr." 15 Von schwerer Krankheit heimgesucht, verspürt Françoise keine Angst mehr, sich loszulasen und ins Bodenlose hinabzugleiten. Aber indem sie sich losläßt, verwandelt sich das Sein in „nackte, eisige Gegenwart". Sie springt aus dem Bett mit den Worten: „Es war nicht zu ertragen." 18 Auf dem Heimweg vom Krankenhaus liegt vor ihr das Panorama von Paris. Im Nebel daliegend breitet es sich aus „mit verletzender Gleichgültigkeit". Zu ihren Häupten die weiße Kuppel; zu den Füßen der Abgrund — „was will sie da?". 17 Auch Laurence in dem Roman „Die Welt der schönen Bilder" empfindet die Fremdheit des Seins. Ihr Leben mit leeren Dingen ausgefüllt zu haben, findet sie schändlich.18 Sie kann nicht mehr unterscheiden zwischen Fülle und Leere. Ihr Ausgefülltsein von alltäglichen Dingen ist mit Leere identisch. Das Leben bereitet ihr Überdruß. 19 Die Liebe ist Routine geworden, zu einem Bestandteil der Hygiene. 20 Sie kommt 13

14 15 18 17 18 19 20

Die Welt der schönen Bilder (franz. Titel „Les Belles Images", Paris 1966), übers, v. H. Stiehl, Reinbek b. Hamburg 1968. S I S . 152. S I S . 165. S I S . 224. Vgl. SI S. 126. Vgl. WE S. 156. Vgl. WE S. 40. Vgl. WE S. 30.

Tod durch Sein

30

der Gleichgültigkeit des Todes gleich.21 Aber die Hohlheit und Leere, das Nichts, sind schlimmer als der physisdie Tod. 22 Laurence fürchtet sich weniger vor dem Sterben als vor dem Augenblick, da alles zusammenbricht. 25 Sie besteht nur aus Warten ohne Anfang und Ende. 24 Auf einer Griedienlandreise gelangt sie nach Mykene. Vor dem Königspalast kommt es ihr vor, als würde sie in nichts aufgelöst, und, nach Paris zurückgekehrt, findet sie ihre vertraute Wohnung ebenso fremd wie die Akropolis von Athen. 25 Solche Erfahrungen der Selbst- und Weltentfremdung teilt Simone de Beauvoir mit den anderen Existentialisten. Sie fügt sich damit ein in die lange Reihe abendländischer Denker und Schriftsteller, die sich mit dem sogenannten Nichts konfrontiert sahen. Walter Rehm ist in seinem Buch „Experimentum medietatis" 28 der Genealogie des europäischen Nihilismus nachgegangen, soweit dieser literarisch seinen Niederschlag gefunden hat. Rehm sieht unter Berufung auf Augustinus allenthalben seine These bestätigt, daß „das Nichts eine Pseudomorphose des Gottesbegriffs sei." 27 Auch Kuhn vertritt die Auffassung, daß bei Heidegger und Sartre an die Stelle des abwesenden Gottes das Nichts getreten sei.28 Diese These findet ihre Beglaubigung nicht zuletzt durch Simone de Beauvoir selbst.29 Sie hat aber zur Voraussetzung das philosophische Postulat, daß der Gott des christlichen Glaubens mit dem absoluten Sein identisch sei.30 Nur dann, wenn das Sein in irgendeiner Form an die Stelle Gottes getreten ist, besteht die Gefahr, daß Gott zusammen mit dem Sein vom Nichts verschlungen wird. So berechtigt diese These unter frömmigkeits- und literargeschichtlichen Gesichtspunkten sein mag, in der theologisch-systematischen Beurteilung stößt sie auf Widerspruch. Die Funktion, die dem Nichts bei Simone de Beauvoir und anderen Existentialisten zukommt, macht 21

Vgl. W E S . 122.

22

Vgl. W E S . 95.

23

Vgl. W E S. 199.

24

Vgl. W E S. 142.

25

Vgl. W E S. 193.

28

W. Rehm, Experimentum medietatis, München 1947.

27

Vgl. ebd. S.54.

28

Vgl. H . Kuhn, Begegnung mit dem Nichts, Tübingen 1950, S. 15.

29

Vgl. S. 41 ff.

30

Vgl. G. Huber, Das Sein und das Absolute, Basel 1955.

Die Selbstauflösung im Nichts

31

deutlich, daß es nicht einfachhin an die Stelle des Gottes getreten sein kann, mit dem es der christliche Glaube zu tun hat. Bedrohlichkeit und Schrecken des Nichts werden als Aufruf verstanden, das Sein zu suchen. Das Nichts entfremdet das Ich von sich selbst, soweit es sich in einer vertrauten Umwelt häuslich eingerichtet hat. Der Mensch soll sich durch die Erfahrung des Nichts seiner Andersartigkeit gegenüber dem Sein, ja seiner Einzigartigkeit und Würde bewußt werden. Das Widerfahrnis des Negativen übt eine positive Funktion aus. Das objektiv erlebte Nichts provoziert den Menschen, sich selbst gegenüber dem Sein zu nichts zu machen und dennoch das Sein zu suchen. Für theologisches Verständnis kann das Nichts nicht den Platz Gottes einnehmen, es sei denn, die Theologie hätte sich mit der philosophischen Metaphysik verschwistert. Das Nichts hat aber eine Funktion im Heilshandeln Gottes mit der Menschheit. Die ontologische bzw. me-ontologische Perspektive für sich genommen greift zu kurz. Im Alten Testament erfährt der Mensch sein Nichts vor Gott. Ein Frommer des Alten Bundes betet: „Herr, laß midi mein Ende erkennen, und was meiner Tage Maß ist, daß ich seh', wie vergänglich ich bin. Sieh', spannenlang hast du meine Tage gemacht, vor dir ist mein Leben wie nichts." 31 Weil Gott der Herr der Geschichte ist, darum heißt es bei Deuterojesaja: „Alle Völker sind wie nichts vor ihm". 32 Und auch den fremden Göttern ruft der Prophet zu: „Ach, ihr seid gar nichts, euer Tun ist nichts." 33 Es gibt also einen theologischen Begriff des Nichts, der nicht ontologisch, sondern relational zu verstehen ist.34 Die menschliche Erfahrung des Nidits zieht ihren Sinn aus der Gewißheit der göttlichen Allmacht. Vor Gott muß der Mensch zu nichts werden, wenn er Heil empfangen soll. Im Nichts erfährt der Mensch Gottes Gericht, das zum Leben dient.35 Es besteht eine Korrelation zwischen der Dialektik von Nidits und Sein bei Simone de Beauvoir und der Dialektik von Gericht und Gnade

31

32

33 34 35

Ps. 39,5.56a in der Übers, v. A. Weiser, Die Psalmen/I. Teil: Psalm 1—60, in: Das Alte Testament Deutsch, her. v. V. Herntrich und A. Weiser, Göttingen 1950, S. 211. Jes. 40,17a in der Übers, v. C. Westermann, Das Budi Jesaja, Kapitel 40—66, in: Das Alte Testament Deutsch, her. v.A.Weiser, Göttingen 1966, S. 46. Jes. 41,24a in der Übers, v. C. Westermann, a. a. O., S. 69. Vgl. Westermann, a. a. O., S. 72. Vgl. Ratschow, a. a. O., S. 293.

Tod durch Sein

32

Gottes im theologischen Verständnis. In beiden Fällen steht das Nichts im Dienste der U m k e h r des Menschen v o m Uneigentlichen zum Eigentlichen. Zugleich aber verdeckt die ontologische Fassung dieser Dialektik die relationale des Gott-Mensch-Verhältnisses. Es kann keine Rede davon sein, daß es durch die Vertauschung des Seins mit dem Nichts ein Entrinnen vor dem göttlichen Richter und Erbarmer gäbe. Die Selbstaufhebung

im absolut

Vorgegebenen

Memoiren „Eine Tochter aus gutem Hause" „In den besten Jahren" Bedroht vom Nichts versucht Simone de Beauvoir sich selbst zu gewinnen in einem absolut Vorgegebenen. Sie nennt es Gott. Sich dem Absoluten hingeben aber heißt das Relative nichten. Angesichts des einen Wesentlichen nimmt alles andere den Charakter des Unwesentlichen an. Das objektiv erlebte Nichts entbindet die nichtende Gewalt des Menschen. Die Suche nach dem Absoluten vollzieht Simone de Beauvoir in der „idealistischen" Periode 36 , von der sie ausführlich in den beiden Memoirenbänden „Eine Tochter aus gutem Hause" und „In den besten Jahren" berichtet. Die Analyse ergibt, daß diese Periode in zwei Hauptphasen zerfällt: eine religiöse und eine philosophische. Beide Phasen gliedern sich jeweils in zwei Stufen: die religiöse in die Stufen des Gottesglaubens und der Identitätsmystik 37 , die philosophische in die Stufen des Idealismus und des sartreschen Existentialismus. 38 Beide Phasen überschneiden sich jedoch. 39 Da die Problematik der philosophischen eingehender im nächsten Abschnitt behandelt wird, können wir uns hier im wesentlichen auf die Erörterung der religiösen Phase beschränken. Über ihr Verhältnis zu dem G o t t des Christentums schreibt Simone de Beauvoir: „Ich konnte mir keinen Kompromiß mit dem Himmel vorstellen!" 4 0 Das Absolute verlangt von ihr die Preisgabe alles dessen, womit sich das Ida im Umkreis des Relativen identifizieren könnte. Es 38

Vgl. T O S. 221 und J A S. 29.

37

Vgl. T O (Teile I und II) bis S. 160 und T O (Teile III und IV), S. 165 ff.

38

Vgl. T O (Teile III und IV), S. 165 ff. und J A (Erster Teil) bis S. 312.

39

Vgl. T O (Teile III und IV), S. 165 ff.

Die Selbstauflösung im absolut Vorgegebenen

33

fordert die Abtötung aller Ansprüche dieser Welt — mit einer Ausnahme: das sich selbst zu nichts machende Ich bleibt von dieser Forderung unberührt. So spricht denn Simone de Beauvoir ihr Bekenntnis zum Absoluten auch nur unter einem Vorbehalt aus: „Wenn man G o t t auch nur das Geringste vorenthielt, war es immer noch zu viel, sofern er existierte; ihm aber auch nur das Geringste zuzugestehen, war zu viel, wenn es ihn nicht gab." 4 1 Indem die Autorin von G o t t einen Beweis seines Daseins erwartet, den sie zur Bedingung ihrer Hingabe macht, unterwirft sie G o t t dem Richterstuhl ihrer endlichen Vernunft. Das zweifelnde Ich wäre bereit, G o t t alles zu geben, nur nicht sich selbst. So ist denn der Weg, den Simone de Beauvoir mit dem römischen Katholizismus ihrer Umgebung geht, nur ein halbes Sterben vor Gott. Die mortificatio mundi im Dienste der Selbstfindung hat den Charakter eines frommen Werks. Im Zuge seiner Entfaltung verfällt zwar die Welt dem Gericht, aber es ist nicht Gott, der es verhängt, sondern das menschliche Ich, das auf diese Weise zu sich selbst gelangen will. Die Kreuzigung alles Vorgegebenen, zu der Simone de Beauvoir schreitet, steht in einem genauen Entsprechungsverhältnis zur Erhöhung des eigenen Ichs. Als Heranwachsende gerät die Autorin in den Bannkreis einer asketisch-mystischen Frömmigkeit, die in letzter Konsequenz zur Absage an den G o t t des Christentums führt. Denn dieser G o t t fordert nicht die gnostische Mißachtung seiner Schöpfung 42 , sondern die mortificatio sui im Sinne der Beugung unter seine Herrschaft als Richter und Erbarmer. Daß sie sich im Glauben vollzieht, in dem der Mensch sich mit Christus gestorben und auferstanden weiß 43 , bleibt der Autorin verborgen aus Gründen, die nicht nur bei ihr selbst liegen dürften. 4 4 40

T O S . 131.

41

T O S . 131.

42

Über den Zusammenhang zwischen Gnosis und Existentialismus vgl. H .

43

Vgl. dazu W. T. Hahn, a. a. O., S. 164 ff.

44

Simone de Beauvoir scheint so gut wie gar keine Bekanntschaft mit dem

Kuhn, a. a. O., S. 50.

Evangelium gemacht zu haben. „Mais nous voyons pas qu'elle lit l'Évangile . . . la Bible demeura le livre négligé et ignoré. Ce qu'elle a reçu de sa famille aussi bien que de son école, s'est surtout un moralisme religieux et pieux." (A.-M. Henry, Simone de Beauvoir ou l'édiec d'une chrétienté, Paris 1961, S. 31.)

Tod durdi Sein

34

Die Nichtachtung des Vorgegebenen als negative Kehrseite einer versuchten Selbstgewinnung im Absoluten geschieht auf drei E b e n e n : gegenüber der menschlichen A u t o r i t ä t , den Dingen und gegenüber dem G o t t des Christentums. Unaufhaltsam drängt das Ich zum Licht des Absoluten empor, ohne jedoch zeitweilige Kompromisse mit dem V o r gegebenen umgehen zu können. D a es zum Beispiel keine Gemeinsamkeit zwischen den Notenzeichen auf dem Papier und den Klaviertasten entdecken kann, empfindet das Kind Notenlesen als ungerechtfertigten Zwang. Simone de Beauvoir n i m m t diese Erinnerung als Indiz dafür, daß sie schon als K i n d jeder W a h r h e i t entgegengetreten sei, die kein Absolutes darstellte. 4 5 U b e r haupt erscheinen dem Kinde die G e b o t e und Anordnungen der E r wachsenen bar aller Notwendigkeit und Verbindlichkeit. 4 6 Die überlieferte W e r t o r d n u n g stürzt vollends zusammen, als das K i n d seine E l t e r n miteinander in Streit geraten sieht. „Weiß war selten wirklich weiß, die Schwärze des Bösen blieb meinen Augen verborgen: ich sah überall nur verschiedene Nuancen v o n grau." 4 7 Die Entdeckung, daß die überlieferten W e r t e relativ sind, schließt nicht aus, daß sich das K i n d zu Beginn des Ersten Weltkriegs zur T u gendhaftigkeit bekennt. M a n hat ihm eingeredet, die E r r e t t u n g F r a n k reichs hänge v o n seiner Bravheit und F r ö m m i g k e i t ab. 48 So ü b e r n i m m t es die R o l l e des braven Kindes, zumal sich in seinen Augen durch die W o r t e der Eltern noch i m m e r der Wille Gottes bekundet. Zwar empfindet das K i n d die höhere Notwendigkeit wie ein Joch, aber einstweilen trägt es noch zur Beruhigung bei. 4 9 Dennoch gibt das zur Selbstgewinnung im Absoluten angetretene Ich keine R u h e . H i n und her gerissen zwischen der liberalen Skepsis des Vaters und der übersteigerten F r ö m m i g k e i t der M u t t e r , entzieht es sich m e h r und mehr der elterlichen Gewalt. I n der jüngeren Schwester findet es den Menschen, der das erwachende Selbstgefühl steigert. 8 0 D e r Relativierung ü b e r k o m m e n e r W e r t e entspricht die Distanznahme gegenüber dem vorfindlichen Sein. D a sich das Ich nicht m i t den

45 48 47 48 48 50

Vgl. TO S. 22. Vgl. TO S. 14. TOS. 18. Vgl. TO S. 29. Vgl. TOS. 31. Vgl. TOS. 45.

Die Selbstauflösung im absolut Vorgegebenen

35

unbelebten Dingen zu identifizieren vermag, sucht es sich selbst zu gewinnen in der Welt der Fiktion. Die fiktive Welt der Bücher verleiht dem Kinde die gewünschte Sicherheit. Im Bereich der Kunst gibt es keinen Riß, weil Wort und Sinn zur Deckung gelangen.51 Auch das Verhältnis des Kindes zu dem Gott der katholischen Frömmigkeit steht im Zwielicht. Auf der einen Seite wünscht sich Simone de Beauvoir nach dem Vorbild der Heiligen, die Seele möge den Leib verlassen, um ganz bei Gott zu sein52, andererseits erkennt sie, daß ihre Seele völlig unabhängig von Gott entstanden sei. Sie zweifelt an deren Präexistenz, weil sich keine Erinnerung an ihren vorgeburtlichen Zustand erhalten hat. Sie liebt Gott mit ganzer Leidenschaft und faßt den Entschluß, in ein Kloster der Karmeliterinnen einzutreten, zugleich aber fühlt sie sich unentbehrlich für Gottes Ruhm. 53 Ihr Dasein besitzt einen unendlichen Wert. 54 Aus Heiligkeitsverlangen schläft sie auf dem Fußboden, bevor sie sich jedoch hinlegt, steht sie vor dem offenen Fenster, um die nächtliche Natur zu enthüllen. Der unendliche Himmel über ihr schweigt, aber von der Erde vernimmt sie das Echo ihrer Stimme, die sagt: „Ich bin da." 55 Die Liebe zum Lande nimmt im Laufe der Jahre eine religiös-mystische Färbung an. Auf dem Lande begegnet der Heranwachsenden eine Art von Unendlichkeit, in der ihr Ich sich selbst zu finden glaubt. 5 ' Die Außenwelt aber strahlt das von ihr selbst entworfene Bild zurück. „Wenn ich fortging, verfiel die Landschaft, sie existierte für niemanden, sie war überhaupt nicht mehr da." 57 Auch in Paris verspürt sie auf Schritt und Tritt die Gegenwart Gottes. Jeder Spaziergang wird in ihren Augen zu einem Akt der Anbetung. Es ist ihre eigene Gegenwart, die Gottes Schöpfung aus dem Schlummer erweckt. In ihrer Abwesenheit sinkt sie in Dumpfheit zurück. 58 Demgegenüber findet Simone de Beauvoir zu dem weltjenseitigen Gott keinen Zugang. Immer wieder glaubt sie, ihm nahe zu kommen,

51 52 53 54 65 58 57 38

Vgl. TOS. 49. Vgl. TOS. 47. Vgl. TO S. 71. Vgl. TO S. 70. TOS. 77. Vgl. TOS. 119. TO S. 120. Vgl. TO S. 120,

Tod durch Sein

36

sie wünscht sich Erschütterungen und Ekstasen, aber es geschieht nichts.59 Schon hier wird deutlich, daß die Suche nach dem Absoluten an der Begegnung mit dem Gott des christlichen Glaubens vorbeiführt. Am ehesten wäre noch das Naturerleben dazu geeignet gewesen, der Größe des christlichen Schöpfergottes inne zu werden. Aber die besondere Art der Naturschwärmerei, der wir bei Simone de Beauvoir begegnen, setzt bereits die Absage an den Schöpfer voraus. Die Autorin findet ihren Gott nur in einer selbstenthüllten Welt. Gott entsteht und verfällt mit dieser Schöpfung des Ichs. Die Differenz zwischen Gott und Mensch ebnet sich mehr und mehr ein. Der Abgrund der eigenen Innerlichkeit fällt mit dem Abgrund Gottes zusamen. Damit steht Simone de Beauvoir im Bannkreis der Mystik. 80 Der mystische Weg findet eine konsequente Fortsetzung. Da das Absolute die Nichtung alles Vorgegebenen fordert, fällt ihr zuletzt auch der Gott des christlichen Glaubens zum Opfer, sofern er sich durch Menschen und Institutionen bekundet. Dessen wird sich Simone de Beauvoir zum ersten Male bewußt im Beichtstuhl. Die engherzig moralisierende Art ihres Beichtvaters verträgt sich nicht mehr mit dem Bild, das sie selbst sich von Gott gemacht hat. Sie steht allein da mit ihm. Niemand vermag ihn zu repräsentieren. 61 Zwar besucht sie Apologetikkurse und lernt, wie man allen Einwendungen gegen die Offenbarungswahrheit standhält, aber ein positiver Beweis für deren Notwendigkeit fehlt ihr. „Die religiösen Tatsachen waren überzeugend nur für die bereits von ihnen überzeugten." 62 Eine wichtige Rolle in diesem Zusammenhang spielen die „irdischen Freuden". Die Pubertierende genießt sie in ihren Phantasien und Träumen. Sie will nicht auf sie verzichten, obwohl sie in Gottes Augen Sünde sind. So fällt es ihr nicht schwer, eines Tages zu konstatieren: 69

Vgl. T O S . 128. Vgl. K . Barth, Die Kirchliche Dogmatik, I. Band, 2. Halbband, 4. A., Zollikon-Zürich

1948, S. 285 ff., 350 ff.; ders., Die Kirchliche Dogmatik,

II.

Band, 1. Halbband, 4. A., Zollikon-Zürich 1958, S. 531 ff.; Eiert, a . a . O . , S. 71; W. Philipp, Die Absolutheit des Christentums und die Summe der Anthropologie,

Heidelberg

1959, S. 277 f.;

ders.,

Religiöse

Strömungen

unserer Gegenwart, Heidelberg 1963, S. 120 ff. Zur Mystik im allgemeinen vgl. E . Underhill, Mystik, München 1928. 61

Vgl. T O S. 129.

62

T O S . 130.

Die Selbstauflösung im absolut Vorgegebenen

37

„Ich glaube nicht mehr an Gott". 6 3 Was als Gabe des Sdiöpfers empfangen wird, nimmt Simone de Beauvoir fortan als eigenes Recht gegen Gott in Anspruch. In den irdischen Freuden ergreift das Ich sich selbst. Gottes Anspruch findet seine Grenze am menschlichen Ich und seiner Phantasieschöpfung. Die Kreuzigung der Welt enthüllt sich als eine der sublimsten Formen der Selbsterhöhung. Auf der zweiten Stufe der religiösen Phase wird sowohl die Entwertung des Vorgegebenen als auch der Vorstoß ins Absolute bis in die letzten Folgerungen hinein vorangetrieben. Die junge Studentin in Paris hält unbeirrt am sittlichen Reinheitsideal der Kindheit fest. Das Sittengesetz steht ihr zwar nicht mehr gegenüber, sie findet es in sich selbst, aber doch nur insofern, als sie sich mit den Augen der Mutter ansieht. 64 Der Körper verlangt wohl sein Recht, indessen ist Simone de Beauvoir nicht bereit, sich seinen Ansprüchen zu beugen. Die Liebe bleibt ein hoher Wert. Die sexuelle Lust müßte vom Feuer der Leidenschaft reingeglüht werden. Erfüllung gibt es nur im Moment der Ekstase. Die Dauerbindung der Partner in der Ehe verliert dadurch ihren Sinn. Schon als Kind schaudert sie vor dem Gedanken an die Ehe zurück. 65 Als Studentin kann sie sich das Leben zu zweit nur als freiheitliche Bindung auf Zeit vorstellen. 66 Da die Liebe ausschließlich als Weg zur Selbstfindung im Absoluten angesehen wird, sind Kinder unerwünscht. 67 Dem ängstlichen Festhalten an der körperlichen Integrität entspricht der Rückzug auf die eigene Innerlichkeit. An die Stelle vorgegebener Glaubenswahrheiten tritt das Ideal des selbstschöpferischen Menschen, des Gelehrten und des Künstlers. Simone de Beauvoir wendet sich der Philosophie, der Literatur, dem sozialen Engagement zu, um an ihnen Maß zu nehmen für den eigenen Weltentwurf. Wie sie als Kind vor der vom Nichts bedrohten Wirklichkeit in die Sicherheit der fiktiven Welt flüchtet, so tut sie es auch als Erwachsene — freilich mit dem Unterschied, daß die fiktive Welt jetzt von ihr selbst entworfen werden muß. 63 64

65 66 67

T O S . 130. Zur Bedeutung des Angeblicktwerdens durch andere vgl. auch J.-P. Sartre, a. a. O., S. 338 ff. Vgl. T O S . 70. Vgl. T O S . 136. Vgl. T O S. 134.

Tod durdi Sein

38

Auf die Dauer vermag sich die Autorin nur mit einer Welt zu identifizieren, die sie aus sich selbst heraus geschaffen hat. Zunächst jedoch erhofft sie, am Leitfaden der Philosophie den G r u n d ihrer Existenz zu finden. Die Philosophie richtet sich auf das Wesentliche. 68 N u r das logisch Zwingende, das absolut N o t w e n d i g e kann letztverbindliche Wahrheit sein. Die Autorin studiert die wichtigsten philosophischen Systeme seit Descartes, ohne jedoch in einem v o n ihnen das Absolute zu finden. Einen noch höheren R a n g nimmt die Literatur ein. Sie tritt geradezu an die Stelle der Religion. 6 9 N u r im eigenen Werk vermag sich der Mensch selbst zu finden. Aber zu einer letzten Identifizierung mit einem der zeitgenössischen Autoren k o m m t es nicht. Traditionelle Sozialvorstellungen wirft Simone de Beauvoir über Bord. Sie durchschaut das Gleisnerische des bürgerlichen Ethos. 7 0 Im Unterschied zu ihrem Vater, der einer elitären Gesinnung verhaftet ist, tritt sie f ü r die Gleichheit aller Menschen ein und wünscht, daß überall die Vernunft zur Herrschaft gelange. 7 1 Daß die bestehende O r d nung v o r der Caritas zu rangieren habe, wie der Vater meint, stößt bei ihr auf Ablehnung. 7 2 Sie begeistert sidi f ü r die demokratische Idee. Eine Zeitlang gehört sie sogar zu den Anhängern des sozial-reformerischen katholischen Humanisten Garric, des Gründers der „Action Française". Sie schließt sich dessen Équipes an mit dem Ziel, den Menschen ohne ideologische Voreingenommenheit auf rein menschlicher Basis zu helfen. 7 3 D a aber auch diese Aktivität im Dienste der Selbstgewinnung stehen soll, k o m m t es nicht zu einem echten K o n t a k t mit dem Volke. 7 4 Alle Versuche der Autorin, die ewige Essenz zu verwirklichen, schlagen fehl. 7 5 Es stellt sich heraus, daß philosophische, literarische und soziale Ideen nur Durchgangsstufen sein können, die m a n hinter sich lassen muß, u m zur Selbstfindung im Absoluten zu gelangen. D e r as-

«8 Vgl. T O S . 69 Vgl. T O S . 79 Vgl. T O S . 71 Vgl. T O S . 72 Vgl. T O S . 73 V g l . T O S . 74 Vgl. T O S . 75 Vgl. T O S .

151. 180. 112. 123. 126. 174. 260. 184.

Die Selbstauflösung im absolut Vorgegebenen

39

ketisdi-mystische Weg der Autorin ist eingesäumt v o n Tempeln, die sich einer nach dem anderen in Ruinen verwandeln. Simone de Beauvoir verzichtet auf R u h m , Glück, Dienen und schließlich sogar auf das eigene Leben. Nachdem sie alles verworfen hat, schickt sie sich an, sich selbst wegzuwerfen. 7 6 Der Vorstoß ins absolute Sein endet im absoluten Nichts. D e r Essentialismus schlägt u m in den Nihilismus. Rauschhafte Exzesse wechseln ab mit mystischen Sonderzuständen. Die Studentin liest Plotin, beschäftigt sich mit mystischer Psychologie und hört Vorlesungen über Johannes v o m Kreuz. 7 7 N e b e n die christliche Mystik tritt die buddhistische. 78 Auch bleibt es nicht beim bloßen Studium mystischer Literatur; Simone de Beauvoir hat eigene Erlebnisse mystischer Art. Angst und Ekstase vermitteln ihr das Gefühl der Ewigkeit. 7 9 Ihr erklärtes Ziel besteht darin, an G o t t zu rühren oder G o t t zu werden. 8 0 D a der Weg zu diesem G o t t über die Nichtung der Welt geht, bietet sich auch der Immoralismus als Möglichkeit an. 81 Simone de Beauvoir ergeht sich in Liebe zu Tränen, H o f f n u n g und Furcht. 8 2 Sie wird hingerissen von Verlangen nach Wildheit und Versinken. 8 3 „Wie der Gläubige sich nach einer Krise der seelischen D ü r r e besonders innig dem D u f t v o n Weihrauch und Kerzen hingibt, so tauchte ich wieder in den Brodem v o n Alkohol und T a b a k ein." 8 4 D a s Laster ist die für Gott vorgesehene Stelle im Menschen, der Barhocker ersetzt das Allerheiligste, der J a z z die Orgel und das Abenteuer die Verzückung. 8 5 Aber weder das eine noch das andere, weder der Aufstieg z u m Sein noch der Rückfall ins Nichts, bringt den gewünschten Erfolg. Obwohl sie dem Christentum längst abgeschworen hat, verlangt Simone de Beauvoir eines Nachts, daß Gott sich erkläre, falls er

78 77 78 79 80 81 82 83 84 85

Vgl. T O S . 221. Vgl. T O S . 250. Vgl. TO S. 236. Vgl. T O S . 256. Vgl. T O S . 250. Vgl. T O S . 188. Vgl. T O S . 281. Vgl. T O S . 297. T O S . 281. Vgl.TOS.260.

Tod durdi Sein

40

existiere. Sie stößt jedodi auf abgrundtiefes Schweigen. 86 Offen gesteht sie ein, daß sie auch gar keine Antwort mehr erwartet habe. Sie fühlt sich durch Gottes Schweigen bestätigt und weiß jetzt endgültig, daß sie recht daran tat, ihm abzuschwören. Sollte er aber trotzdem noch einmal seine Existenz bezeugen, so würde sie ihm mit Verachtung begegnen. Es gibt also keinen theoretischen Atheismus bei Simone de Beauvoir. Es braucht ihn nicht zu geben, weil paradoxerweise ihr Gottesverständnis theoretisch ist. Für sie ist G o t t das Ewige, das andere, die U n endlichkeit, der Himmel. E r ist alles und audi das Nichts. 87 Schon das Kind hegt den Verdacht, sein Name könne eine Fata Morgana decken. 88 Es nimmt sein Schweigen nicht als R u f zur Umkehr, sondern als E r laubnis zur Abkehr. Das Schweigen ist nicht Antwort, sondern Ausdruck der Stummheit, Abwesenheit und Ferne Gottes. Auch die Frommen des Alten und Neuen Bundes erleben Gottes Schweigen. So bittet ein von den Lügen seiner Widersacher Verfolgter, G o t t möge ihm nahe kommen und sein Schweigen brechen 89 , und im neununddreißigsten Psalm ruft der Beter, G o t t möge zu seinen Tränen nicht schweigen. 90 Ein Volksklagelied des Psalters beginnt mit den Worten: „Gott bleibe nicht ruhig! Schweige nicht, bleibe nicht still, G o t t ! " 9 1 Das Schweigen als eine Weise der Abwesenheit und Ferne Gottes erreicht seine ganze Tiefe im Kreuz Jesu, in den Worten eines Psalms: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" 92 Aber dieses Schweigen Gottes, mit dem sich die Frommen des Alten und Neuen Bundes konfrontiert sehen, begegnet nicht im Rahmen einer ontologischen Aussage über Gott. Das relational verstandene Gottesverhältnis bleibt die unerschütterliche Grundlage auch solcher Aussagen. G o t t selbst ist es, der sich vor den Menschen verbirgt. „Die Verhüllung . . . beeinträchtigt die Offenbarung nicht." 9 3 Gottes Schweigen ist sozusagen der negative Modus seines Redens. Der Deus abscon-

86

Vgl. T O S . 261.

87

Vgl . T O S . 72.

88

Vgl. T O S . 131.

89

Vgl. Ps. 35,22.

90

Vgl. Ps. 39,13.

91

Ps. 35,22 in der Obers, v. Weiser, a. a. O., S. 193.

92

Mark. 15,34.

93

H . M. Kuitert, Gott in Menschengestalt, München 1967, S. 209.

Die Selbstauflösung im absolut Vorgegebenen

41

ditus verbirgt seinen Heilswillen sub contrario. 94 Stumm sind nach biblisdien Verständnis die heidnischen Götzen. 95 Sie repräsentieren kein göttliches Du, sondern in Analogie zu ihren steinernen Bildern ein starres Es. Ähnlich wäre auch Simone de Beauvoirs Gott zu charakterisieren. Er schweigt nicht deshalb, weil er sich dazu entschlossen hätte, dem Menschen sein hilfreiches Wort zu entziehen, sondern er schweigt a priori. Die Autorin bleibt trotz ihrer Abkehr vom ontologisch verstandenen Gott negativ an ihn fixiert. Das ens realissimum hat sich spinozistisch versteinert. 06 Das menschliche Ich in seinem Selbstbehauptungswillen drängt zur Ontifizierung des göttlichen Du. N u r in dieser ontifizierten Form vermag es sich wie das Sein überhaupt als das Nichts zu erweisen. Es nimmt den Charakter eines seinshaft Vorgegebenen an, das der Mensch um seiner selbst willen zu nichten hat. Indem sie Gott mit dem absoluten Sein bzw. Nichts identifiziert, entzieht sich Simone de Beauvoir dem gnädigen Gericht Gottes. Für sie hat das Nichts die Funktion einer Absprungbasis zur Selbstfindung in einem selbstentworfenen Relativ-Absoluten, nicht aber die Funktion eines Mittels, mit dem Gott den Menschen heimsucht. 97 Theologisch gesehen ist das Scheitern des Vorstoßes zum Absoluten am Nichts ein A k t gnädiger Bewahrung. An ihm wird deutlich, daß allen Versuchen, auf mystischem Wege den Deus nudus zu finden, Gottes Nein entgegensteht. Dieses Nein aber ist die negative Folie seines Ja. Gott schweigt zu allen Selbsterlösungsversuchen, weil es ihm gefallen hat, in Christus, dem fleischgewordenen Logos, sein Ja zum Menschen zu sprechen. Erlösung gibt es nicht auf dem Wege über die Kreuzigung der Welt zugunsten der Selbstfindung im Absoluten, sondern durch das Mitsterben und Mitauferstehen mit Christus im Glauben. 98 Nur hier kommt es zur mortificatio sui, die keinen Platz mehr für einen selbstgewählten

94

95 98

97

98

Vgl. Eiert, a. a. O., S. 19 f. und H. Bandt, Luthers Lehre vom verborgenen Gott, Berlin 1958, S. 102 ff. Vgl. Hab. 2,18; Ps. 1 1 3 , 1 5 ; I. Kor. 12,2. Vgl. H. Rombach, Substanz, System, Struktur, II. Band, Freiburg/München 1966, S. 91 und L.Richter, a. a. O., S. 13. Daß das Ich nicht einmal im eigenen Entwurf zu sich selbst gelangt, werden wir weiter unten darstellen. Vgl. S. 67 ff. Zum Verhältnis von Glauben und Sterben mit Christus vgl. Hahn, a. a. O., S. 163 ff.

Schmalenberg, Todesverständnis 4

Tod durch Sein

42

Heilsweg läßt. Zunichte werden soll das um Selbstergreifung besorgte Ich, nicht aber Gottes Schöpfung.

Die Selbstpreisgabe

an das ideell

Vorgegebene

Essays

„Pyrrhus und Cineas" „Für eine Moral der Doppelsinnigkeit" R o m a n „Alle Menschen sind sterblich" K o m m t es in der „idealistischen" Periode zur Nichtung des absolut vorgegebenen Seins, so geht es in der mittleren Periode, von Simone de Beauvoir die „moralische" genannt", um die Negation des ideell vorgegebenen Seins, insbesondere aber der moralischen Werte und Ideen. Das Streben nach Identität von Ich und Selbst hat sich jetzt endgültig ins Immanente hinein verlagert. N u r im selbstentworfenen Wert kann sich das Ich finden. Es wiederholt sich also derselbe Vorgang wie in der „idealistischen" Periode. Hatte dort das absolut Vorgegebene die Selbstentfaltung des Ichs verhindert, so stehen diesem Bestreben hier die ideell vorgegebenen Werte und Normen der Moral im Wege. Was sich in der idealistischen Periode anbahnte, wird in der moralischen zur letzten gedanklichen Klärung gebracht: die Negation alles dessen, was nicht den Stempel des eigenen Ichs trägt. Das um seine Eigenständigkeit gebrachte Ich nichtet das ideelle Sein und flieht vor dem Nichts in den Selbstentwurf. Die Parallele zur mystischen mortificatio mundi liegt auf der Hand. N u r durch den Tod der Moral gibt es eine Auferstehung der Moral. Der Rückzug des Ichs von jeder vorgegebenen Verpflichtung aber ist sub specie Dei identisch mit der Flucht vor G o t t . E r selbst steht ja als der eigentlich Fordernde hinter den Ansprüchen, die von außen her das Ich treffen. Simone de Beauvoir hält diesen Ansprüchen nicht stand. Aus dem Negativum, daß der Mensch ihnen nicht zu entsprechen vermag, entsteht bei ihr ein Positivum, und zwar insofern, als sie sich das Recht nimmt, die Legitimität solcher Ansprüche von vornherein zu negieren. Die mortificatio erstreckt sich bei ihr auch auf Gottes Forderung in Gesetz und Situation.

»9 Vgl. J A S . 467.

D i e Selbstpreisgabe an das ideell Vorgegebene

43

Wir verfolgen diesen Vorgang an den beiden Essays „Pyrrhus und Cineas" 1 0 0 und „Für eine Moral der Doppelsinnigkeit" 1 0 1 sowie an dem Roman „Alle Menschen sind sterblich" 102 . In den beiden Essays richtet sich die Polemik der Autorin gegen die Abstraktheiten vorwiegend der idealistischen Moral, weil sie den konkreten Einsatz des auf Selbstverwirklichung bedachten Individuums unmöglich machen; in dem Roman versucht die Autorin darzustellen, daß es eine universale Gesellschaftsordnung auf der Basis der Vernunft nicht geben könne. In den Essays wird die Unrechtmäßigkeit transsubjektiver Normen philosophisch begründet, im R o m a n dagegen als das Endergebnis eines leidvollen Kampfes herausgestellt. Von den Essays hat sich Simone de Beauvoir später distanziert 103 , zu dem Roman hat sie sich stets als zu einem ihrer besten Werke bekannt.

Essays „Pyrrhus und Cineas" „Für eine Moral der Doppelsinnigkeit" Was in dem Roman als Resultat am Ende eines Entwicklungsprozesses steht, nämlich der Rückzug des Menschen vom idealen Sein auf das Ich, das liegt den Essays als Voraussetzung zugrunde. Die Autorin rechtfertigt diese Selbstzurücknahme des Ichs, indem sie das Wesen des Menschen durch drei Momente bestimmt sein läßt. Der Mensch „ist" Sterblichkeit, Freiheit und Transzendenz. 104 N u r diese drei Wesensbestimmungen sollen in der Anthropologie Geltung besitzen. Die Sterblichkeit bildet also das Sein des Menschen. Er hat es zu akzeptieren wie eine unabänderliche Tatsache. 105 Zwar soll das nicht heißen, daß Simone de Beauvoir mit Heidegger übereinstimmt, der

100 P y r r h u s und Cineas (franz. Titel „Pyrrhus et C i n é a s " , Paris 1944), übers, v. A. Zeller, in: Soll man de S a d e verbrennen, München 1964, S. 271 ff. 1 0 1 Für eine Moral der Doppelsinnigkeit (franz. Titel „Pour une morale de l'Ambiguïté", Paris 1947), übers, v. A. Zeller, in: Soll man de S a d e verbrennen, München 1964, S. 85 ff. 102

Alle Menschen sind sterblich (franz. Titel „ T o u s les H o m m e s sont mortels", Paris 1946), übers, v. E. Rechel-Mertens, Stuttgart/Zürich/Salzburg 1951.

102

Vgl. J A S. 460. Vgl. M O S. 146 ff. Vgl. M O S. 149.

104 105



44

Tod durch Sein

vom Sein des Menschen „zum" Tode spricht. 106 Für sie kann nicht davon die Rede sein, daß der Mensch zum Tode bestimmt sei. Er „ist" zu nichts. 107 Teleologische Zweckbestimmungen haben in ihrer Anthropologie keinen Raum. Indessen liegt gerade in der Tatsache, daß die Sterblichkeit den Rang einer ontologischen Wesensaussage erhält, der Appell an den Menschen, sich um keinen Preis in dieses Sein zu fügen. Vielmehr hat der Mensch auch dieses Sein zu nichten, wenn er sich selbst gewinnen will. Angesichts der Sterblichkeit besteht seine Aufgabe gerade darin, Endliches zu wollen und sich selbst im Bereich des Relativen absolut zu setzen. Die Sterblichkeit als ontologische Aussage der Anthropologie hat geradezu den Sinn, alle transsubjektiven bzw. unendlichen Ansprüche zu negieren, damit sich der Mensch desto freier dem subjektiven bzw. endlichen Wollen hingebe. Das Scheitern an den Forderungen des ideell Vorgegebenen hat im objektiven Unvermögen der Sterblichkeit einen Rechtfertigungsgrund erhalten. Es wird gleichsam entschuldigt. Die Ontifizierung des Verhältnisses von Gefordertsein und Unvermögen verdeckt das theologische Relationsverhältnis zwischen Gottes Gehorsamsforderung und menschlicher Sündhaftigkeit. Das Ich entzieht sich auf diese Weise der Anklage des fordernden Gottes. 108 Nun ist aber nicht die Sterblichkeit als solche der Grund für das menschliche Unvermögen, dem Willen Gottes zu entsprechen, sondern der böse Wille des Menschen. Die Sterblichkeit hingegen kann theologisch nur als ein von Gott gefügtes Verhängnis über den Ungehorsam des Sünders verstanden werden. 109 Sterblichkeit kennzeichnet nicht den Menschen schlechthin, sondern den von Gott abgefallenen

108 107 108

109

Vgl. S. 4 f. Vgl. P Y S . 2 9 5 . Zum Verhältnis von personaler und ontologischer Begrifflichkeit in der Theologie vgl. W . Joest, Sein und A k t in der Existenz des Menschen vor Gott, in: Studium Generale, 8. Jg. 1955, S. 689 ff. Daß der Mensch ante lapsum unsterblich war, ist nicht unmittelbar aus Gen. 3 zu erheben, wie Luther meinte. Zur Exegese vgl. G. v. Rad, Das erste Buch Mose, in: Das Alte Testament Deutsch, her. v. V. Herntrich und A . Weiser, Teilband 2/3, Göttingen 1952, S. 77. Zu Luther vgl. D. C. Stange, Luthers Gedanken über die Todesfurcht, Berlin/Leipzig 1932, S. 21. Die Bestimmung des Menschen zum Leben ist nur aus der Auferstehung Jesu von den Toten zu eruieren. Vgl. dazu K . H. Rengstorf, Die Auferstehung Jesu, 2. erw. und erg. A., Witten 1954, S. 72 ff.

Die Selbstpreisgabe an das ideell Vorgegebene Menschen. Das Sein des neuen Menschen in Christus heißt

45 ewiges

Leben. E i n e analoge F u n k t i o n k o m m t dem Freiheits- und Transzendenzbegriff bei Simone de Beauvoir zu. Die Freiheit soll Ursache ihrer selbst sein. Sie stellt weder einen W e r t dar, noch ist sie vorgegeben. Sie m u ß sich vielmehr selbst erringen. 1 1 0 D i e A u t o r i n unterscheidet zwischen einer „ursprünglichen" und einer „echten" Freiheit. Die ursprüngliche kann auf die echte verzichten, ja diese Möglichkeit macht die eigentliche Versuchlichkeit des Menschen z u m Bösen aus. W e r in ursprünglicher Freiheit auf die echte verzichtet, fällt einem rein negativen Wollen anheim, das noch im absoluten Nichts das Sein sucht. 111 I m m e r steigt aus der Angst v o r der echten Freiheit die Versuchung zur Mißachtung der echten Freiheit auf. 1 1 2 Die echte Freiheit fällt m i t der Transzendenz zusammen. Diese wird ausschließlich innerweltlich verstanden. Sie entfaltet sich auf zweifache Weise: als negative und als positive Transzendenz. Als negative lehnt sie sich gegen jeden Zwang auf, sei es, daß er von der N a t u r , sei es, daß er v o m Menschen ausgeht. 1 1 3 Aber der negativen Freiheit, die alles Vorgegebene transzendiert, m u ß die positive entsprechen. Sie entwirft sich auf neue Ziele hin und setzt eigene Werte. 1 1 4 D a r i n macht sich nach Simone de Beauvoir der Mensch in seinem Streben, G o t t zu sein, als Mensch existent. 1 1 5 E r kennt nichts außer sich selbst, und niemand darf über ihn urteilen. 1 1 8 Transzendenz „ist" einfachhin, keinem W e r t oder Zweck untergeordnet. 1 1 7 Jeder Gedanke, jeder Blick, jedes Streben ist in diesem Sinne Transzendenz. 1 1 8 F ü r sie gibt es keine Schranken, sie erstirbt höchstens wie das Meer am Strand. 1 1 9 Auch dadurch, daß Freiheit und Transzendenz im ontologischen Sinne einfachhin „sind", wird die qualifizierte Gott-Mensch-Beziehung abgeblendet. Selbst dann, wenn man im Bereich der philosophischen 110 111 112 113 114 115 118 117 118 119

Vgl.PYS.245. Vgl. MO S. 102,109. Vgl. M O S . 120. Vgl. M O S . 107. Vgl. MO S. 93,107. Vgl. M O S . 91. Vgl.PYS.298. Vgl.PYS.250. Vgl.PYS.231. Vgl.PYS.255.

T o d durch Sein

46

Erörterung bliebe, wäre es unverständlich, weshalb Simone de Beauvoir der echten Freiheit den Charakter eines moralischen Wertes abspricht, zumal dessen negative Kehrseite, die ursprüngliche Freiheit, die Möglichkeit des Abfalls zum Bösen in sich birgt. Freiheit und Transzendenz bilden angesichts der ursprünglichen Freiheit Möglichkeiten, die verfehlt werden können. Also schließt auch die negative Form der Transzendenz, die Auflehnung gegen jeden Zwang, ein Sollen ein. Damit erhebt sich die Frage, ob das ideell Vorgegebene nicht auch Hilfe und Bewahrung für den Menschen sein kann. Die Autorin stellt sich diese Frage aber nicht. 120 Es gilt von vornherein als ausgemacht, daß alle nicht vom Ich gesetzten Normen als Zwangsgewalten über dem Menschen stehen und daher negiert werden müssen. Dabei muß einstweilen offen bleiben, ob auch Naturgewalten negiert werden können. 1 2 1 Jedenfalls k o m m t in dem Gefühl der Autorin, angesichts des gesetzhaft Vorgegebenen einem unerträglichen Zwang preisgegeben zu sein, etwas von dem zum Vorschein, was Luther meint, wenn er von einem natürlichen sensus legis spricht. 122 Die lex Semper accusans, hinter der G o t t selber steht, treibt den Menschen zur Verzweiflung vor Gottes Anspruch. Aber dieser Anspruch, an dem der Mensch mit Sicherheit scheitert, sollte nicht verneint, sondern bejaht werden. Denn nur als bejahter leitet er hin zur Erkenntnis der eigenen Nichtigkeit vor G o t t und damit zum Heil, das als Gnadengeschenk empfangen wird. N u r durch das Sterben des Ichs vor G o t t bzw. das Mitsterben mit Christus geht der Weg zum Leben und zur Selbstverwirklichung des Menschen im eigentlichen Sinne. Daß man der lex accusans auf keine Weise entflieht, macht Simone de Beauvoir selbst evident. Sie flieht vor der unerfüllbaren Forderung des vorgegebenen Gesetzes in das selbstgegebene Gesetz, ohne damit dem Nomos selbst entronnen zu sein. Die Flucht von der Heteronomie in die Autonomie bringt keine Entlastung von der Anklage des Nomos überhaupt. Im Zuge der Nichtung des ideell Vorgegebenen k o m m t es bei Simone de Beauvoir zu einer kritischen Auseinandersetzung mit Kant, Hegel und der Stoa. An den drei Begriffen der Person, der Universalgeschich-

120

Vgl.

121

Vgl. S. 1 2 7 f.

auch die K r i t i k v o n Bollnow, a. a. O . , S. 2 1 .

122 Y g ] fyf. Schloemann, Natürliches und gepredigtes Gesetz bei Luther, Berlin 1961,

S. 9 7 ff.

Die Selbstpreisgabe an das ideell Vorgegebene

47

te und der Freiheit versucht die Autorin darzustellen, wie eine existentialistische Moral aussehen könnte. Die Autorin weiß sich mit dem Christentum und mit Kant darin einig, daß der Mensch um keinen Preis dem Ding vorgezogen werden dürfe. 123 E r darf niemals als Mittel mißbraucht werden. 124 V o m Menschen sprechen aber heißt für Simone de Beauvoir, vom einzelnen sprechen. Ihn setzt sie als irreduziblen Wert. 1 2 5 Alle Opfer bergen nur dann einen Sinn, wenn der einzelne stets im Blickfeld bleibt. Damit aber wendet sich die Autorin kritisch gegen Kants Personbegriff, den sie als „abstrakt" bezeichnet. Die menschliche Person schlechthin, so meint sie, könne nicht Ziel und Richtschnur des Handelns sein, weil es der Einzelmensch immer nur mit dem „konkreten Einzelnen" zu tun habe. 128 Aber auch der Begriff des konkreten Einzelnen stellt sich noch als zu sehr abstrakt dar. Simone de Beauvoir reduziert ihn auf das Ich bzw. das Wir. „Wir", so schreibt sie, „müssen bestimmen, was für uns das Beste ist." 1 2 7 Da mit Kant der Wert einer sittlichen Handlung in der inneren Wahrhaftigkeit liegt, die an das Subjekt gebunden bleibt, kann nicht jeder beliebige einzelne, nicht der Nächste schlechthin, der Maßstab des Handelns sein, sondern der vom autonomen Ich „erwählte" andere. 128 Großzügigkeit und Freigebigkeit wirken umso echter, je weniger sich der andere von mir unterscheidet und je mehr ich damit, daß ich ihn erwähle, mich selbst verwirkliche. 129 Eben damit stehen wir an einem Punkt, da zu fragen ist, ob die Autorin ihren Vorsatz, eine existentialistische Moral zu begründen, nicht selbst ad absurdum führt. Denn wenn der Nächste der von mir „erwählte" andere ist 130 , bedarf es keiner Moral mehr. Im Begriff des „erwählten" Nächsten individualisiert sich gleichsam der heidnische Volksnomos. Es macht keinen prinzipiellen Unterschied, ob der Nächste

123

Vgl. M O S . 161.

124

Vgl. M O S . 174.

125

Vgl. M O S . 171.

126 127

Vgl.PYS.276. P Y S . 276.

128

Vgl. M O S . 202.

128

Vgl. M O S . 202.

130

Zum Begriff des „erwählten" Nächsten vgl. W. Eiert, Das christliche Ethos, 2. u. erg. A., her. u. bearb. v. D. E . Kinder, Hamburg 1961, S. 106 Anm. 1.

48

Tod durch Sein

vom Volk oder vom Individuum erwählt wird. Auf gar keinen Fall kann sich Simone de Beauvoir dabei auf das Christentum berufen. Jesu Gleichnis vom Barmherzigen Samariter etwa sollte deutlich machen, daß der Nächste nach christlichem Verständnis nicht unter dem subjektiven Gesichtspunkt ausgesucht werden kann, ob er mir als Gegenstand der Selbstverwirklichung dient oder nicht. Wir stellen daher fest, daß Simone de Beauvoir auf dem Wege zu einer konkreten Ethik auch den Ansprüchen ausweicht, die vom konkreten Nächsten gestellt werden. Es ist aber so, daß Gott bzw. Christus selbst als der Fordernde hinter den Ansprüchen des Nächsten steht. 131 Dieser Forderung weicht die Autorin aus, indem sie sich den Nächsten selbst erwählt. In Wahrheit enthüllt dieser Rückzug auf den erwählten anderen das Versagen gegenüber den Ansprüchen des nicht selbst erwählten Nächsten. Die Not wird gleichsam in eine Tugend umgemünzt. Für noch gefährlicher als den kantischen Personbegriff hält Simone de Beauvoir den hegelschen Geschichtsuniversalismus. Er scheint nodi weniger R a u m für die Selbstverwirklichung des Ichs zu lassen. Ihm stellt die Autorin mit Sartre den Begriff der „Situation" entgegen. 132 Die hegelsche Dialektik beraubt in ihren Augen den Menschen seiner Transzendenz und macht ihn zu einer puren Gegebenheit. 133 Er ist aber Dasein und Transzendenz zugleich und kann daher nicht Moment in einem universalen Geschichtsprozeß sein.134 Der Mensch kann nicht endlos der Zukunft nachlaufen. 135 Er würde sich selbst preisgeben, weil er nie zu sich selbst gelangen könnte. Es ist in den Augen der Autorin ein Trick, wenn Hegel behauptet, der Mensch sterbe, um im Leben der Menschheit aufgehoben zu sein.136 Die Menschheit ist für Simone de Beauvoir kein Universales, sondern eine diskontinuierliche Folge freier Menschen. 137 Auch theologisch ist der hegelsche Geschichtsuniversalismus nicht zu akzeptieren. Dennoch wahrt er ein Motiv, das seine Herkunft aus

Vgl. Mt. 25,31—46. Hier erscheint Jesus selbst in Gestalt des Hilfsbedürftigen. 132 Vgl. Sartre, a. a. O., S. 6 1 0 ff. las V g l . P Y S . 2 5 1 . 134 Vgl.PYS.257. 1 3 5 Vgl. M O S . 185. 1 3 8 Vgl. M O S . 88. 137 Vgl.PYS.248. 131

Die Selbstpreisgabe an das ideell Vorgegebene

49

dem Christentum nicht verleugnen kann: das Gefordertsein des Menschen von der Zukunft her. Der dialektische Schematismus des hegelschen Systems verhüllt indes ebenso wie die Vernunftmoral Kants, daß Gott es ist, der den Menschen zur Verantwortung ruft und auf die Anklagebank versetzt. Die Zukunftsbestimmtheit des Menschen ist zuallererst durch die Unentrinnbarkeit des göttlichen Gerichts qualifiziert, dessen positiver oder negativer Ausgang offen bleibt. Mensch und Zukunft schließen also einander nicht aus. Sie kommen aber anders zueinander, als Hegel es sieht. Eben weil jeder einzelne total von Gott verantwortlich gemacht wird, hat er Zukunft, ob der Mensch es will oder nicht. Daher geht es auch nur indirekt um die Verantwortung des gegenwärtigen Menschen vor der zukünftigen Menschheit; es geht in direktem Sinne um die Verantwortung vor dem zukünftigen Riditer. U m seinetwillen ist die Zukunft vor der Gegenwart zu verantworten. Auch in diesem Zusammenhang weicht Simone de Beauvoir dem fordernden und anklagenden Gott des christlichen Glaubens aus, indem sie sich auf anthropologische Wesensbestimmungen beruft, die von ihr gerade f ü r diesen Zweck gesetzt worden sind. Der Forderung Gottes, der aus der Zukunft auf uns zukommt, ist aber nicht auszuweichen, sondern zu entsprechen. Auch die Anklage, dieser Forderung nicht gerecht geworden zu sein, darf nicht verneint werden. Sie sollte angenommen und bejaht werden. Das Scheitern an Gott liegt nicht im menschlichen Unvermögen begründet, sondern in der Sünde des Menschen. Der Sachverhalt ist nicht vom Sein, sondern von der Sünde her zu erhellen. Vor den Forderungen des Universellen zieht sich Simone de Beauvoir auf die Forderungen der „Situation" zurück. Der Mensch „ist" nicht das Universelle, folglich kann er auch nicht einen universellen Standpunkt einnehmen. 138 Für die Praxis, so meint die Autorin, sei es gleichgültig, ob es eine Geschichtswissenschaft gäbe oder nicht. Sie könne erst am Ende der Geschichte entdeckt werden. 139 Die Beziehung zum Absoluten geht bei Simone de Beauvoir über die Menschheit, genauer: über den einzelnen.140 Von Fortschritt in der Geschichte könne nur die

las Vgl.PYS.253. Vgl. MOS. 184. 140 Vgl.PYS.254. 139

50

Tod durch Sein

Rede sein durch ein von mir gesetztes Ziel.141 Die Autorin fordert daher, daß das Handeln in Situation zu geschehen habe. Darin weiß sie sich mit dem Marxismus einig. Die Situation aber wird festgelegt durch die Bedürfnisse und Zwecke einer bestimmten Gesellschaftsschicht.142 Es zeigt sich jedoch, daß durch den Situationsbegriff für die Selbstverwirklichung des einzelnen nichts gewonnen wird, es sei denn, man wollte die Moral überhaupt preisgeben. Wenn sich Simone de Beauvoir von der Forderung des Universellen zurückzieht, weil der sterbliche Mensch ihr nicht zu entsprechen vermag, so sollte man annehmen, daß wenigstens in der Situation die Identität von Sollen und Können herzustellen sei. Davon aber kann nicht die Rede sein. Denn die Situation enthüllt in noch viel stärkerem Maße als das Universelle den fordernden und anklagenden Charakter des Vorgegebenen. In der Situation sieht sich der Mensch unausweichlich gefordert. Der Anspruch eines universellen Gesetzes läßt sich durch kasuistische Auslegung erweichen, die Situation hingegen birgt selbst das Gesetz. Simone de Beauvoir entzieht sich auch dem Anspruch der Situation. Sie sieht davon ab, in Analogie zum Begriff der Person bzw. des einzelnen zwischen der abstrakten und konkreten Situation zu unterscheiden.143 Sie geht davon aus, daß die Situation per definitionem konkret und das heißt: selbstgegeben sei.144 Das aber muß nicht notwendigerweise so sein. Ebensowenig wie ich mir den Nächsten auswählen kann, vermag ich die Situation selbst zu bestimmen. Nicht der Mensch fordert die Situation heraus; vielmehr fordert die Situation den Menschen heraus. Damit aber hat sich für das Ziel der Selbstergreifung gegenüber dem Universellen nichts geändert. Selbst f ü r den Fall, daß die Situation vom autonomen Ich festgelegt würde, könnte nur solange von Moral die Rede sein, als diese Situation nicht willkürlich bestimmt wird. Simone de Beauvoir aber möchte sich etwa die Unfreiheit des anderen nur dann etwas angehen lassen, wenn 141 142 143

144

Vgl.PYS.276. Vgl. M O S . 96. Die Begriffe „abstrakt" und „konkret" werden damit überhaupt fragwürdig. Sie sagen dasselbe aus wie „vorgegeben" und „selbstgegeben". Vgl. Schloemann, a. a. O., S .78: „Wie das einzige Gebot an Adam im Paradiese ein konkretes, situationsgebundenes Gebot war, so stellt sich auch die Forderung der lex naturae in der jeweiligen Situation des Berufs und Standes." Was hier von Luther gesagt wird, dürfte analog für die theologische Ethik überhaupt gelten.

Die Selbstpreisgabe an das ideell Vorgegebene

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sie von ihr selbst begründet worden ist.145 Welche Situation der Unfreiheit aber wäre von mir nicht zumindest mit-begründet bzw. mitverschuldet gerade dadurch, daß ich sie mich nichts angehen lasse? Wenn ferner die Situation nur von den Bedürfnissen und Zwecken einer bestimmten Gesellschaftsschicht festgelegt wird, wo liegt der moralische Maßstab für die Legitimiertheit der Ansprüche gerade dieser bestimmten Schicht? Jede Verbrecherclique könnte auf diese Weise eine Situation festlegen. Simone de Beauvoir führt also nicht nur die Privatmoral ad absurdum, sondern auch die Sozialmoral. Auch theologisch gibt es das Handeln in Situation. Aber es ist im Unterschied zu Simone de Beauvoir nicht verstehbar als Flucht vor dem Gesetz, sondern als die eigentliche Erfüllung des von Gott im Gesetz Geforderten. Gott selbst ist es, der durch Gesetz und Situation seinen Willen bekundet. Dabei legt das Gesetz die Situation und die Situation das Gesetz aus. Simone de Beauvoir stellt eine Analogie zwischen Christentum und Marxismus fest, insofern sie beide nach Rechtfertigungsmöglichkeiten f ü r das menschliche Handeln suchen. Bei Marx werde das freie Handeln durch objektive Geschichtsbedingungen eingeschränkt, im Christentum durch übernatürliche Anweisungen. 146 Mit dieser Feststellung aber wird zumindest das Christentum verkannt. Wenn Marx in der Tat objektive Bedingungen der Geschichte kennt, so läßt sich daraus ersehen, daß er ebenso wie Hegel ein wenn auch ontologisch neutralisiertes Motiv wahrt, das theologisch unaufgebbar ist: den Anspruch des aus der Zukunft uns entgegenkommenden Gottes. Für das Christentum aber ist der zukünftige Gott zugleich der jederzeit und überall gegenwärtige. Gott stellt seine Forderungen nicht nur durch Gebote, sondern auch und gerade durch die Situation. Ja, es ist die Frage zu stellen, ob nicht das, was Simone de Beauvoir „übernatürliche Anweisungen" nennt, selbst an bestimmte geschichtliche Situationen gebunden ist. So kann Luther das mosaische Gesetz „der Juden Sachsenspiegel" nennen.147 Wenn er trotzdem dem Dekalog einen die Situation transzendierenden Sonderstatus einräumt, so deshalb, weil auf ein letztes Korrektiv für die in der jeweiligen Situation vernommene Gottesforde145 146 147

Vgl.PYS.274. Vgl. M O S . 99. Zum Verhältnis von Mosesgesetz und Naturgesetz vgl. Schloemann, a. a. O., S. 97 ff.

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Tod durch Sein

rung nicht verzichtet werden kann. Dieses Korrektiv hebt aber den Anspruch Gottes vermittels der Situation nicht auf. Der Wille Gottes beansprucht den Menschen total. Ein etwaiger Rückzug vor diesem Anspruch auf den Buchstaben eines übernatürlichen Gesetzes bleibt ausgeschlossen. Die Autorin macht es sich zu leicht, wenn sie das Christentum pauschal als Gesetzesreligion qualifiziert. Dieser Vorwurf mag die Pharisäer treffen, nicht aber Jesus. Er versteht den Anspruch Gottes so total, daß er ihn fast nur konkret und in Situation verdeutlicht. Gerade die Totalität der Forderung verlangt letzte Konkretheit. Daraus aber ergibt sich eine starke Spannung zum pharisäischen Gesetzesverständnis. Indem die Pharisäer Gottes Willen seinshaft in einem abstrakten Gesetz fixiert sehen, schirmen sie sich vor dem Totalanspruch Gottes ab.118 Eine kasuistische Moral ist die Folge. So ist zum Beispiel der Sabbat in den Augen Jesu für den Menschen da, nicht umgekehrt der Mensch für ihn. 149 Während die Pharisäer Gottes Willen im Buchstaben festgelegt sehen, transzendiert Jesus den Buchstaben, nicht um ihn zu negieren, sondern um dem Willen Gottes besser zu entsprechen. Auch sonst löst er sich aus Liebe zum konkreten einzelnen aus dem gesetzlichen common sense seiner Zeitgenossen und durchbricht die Mauer gesellschaftlicher Tabus, indem er etwa Sünder, Dirnen und Zöllner in seine Gemeinschaft zieht. 150 Die Evangelisten legen sogar Wert darauf, Namen solcher Personen zu überliefern. Auch die Radikalisierung, die Jesus in der sogenannten Bergpredigt mit dem mosaischen Gesetz vornimmt, führt nicht zur Abstraktion, sondern zur Konkretion. Sie vollzieht sich in bewußter Antithese zu den Alten. 151 Jesus fächert einen vorgegebenen Gesetzeskodex nicht kasuistisch auf, er macht vielmehr deutlich, daß Gott den Menschen ganz fordert. Die Bergpredigt selbst kann niemals in dem Sinne für Christen Gesetz sein, daß sie zum Gegenstand kasuistischer Auslegung gemacht wird. 152

148 149 150 151 152

Vgl. Mt. 23,23. Vgl. Mk. 2,27. Vgl. Mk. 2,13 ff., Mt. 9,9 ff., 15,1 ff., Lk. 5,27 ff. Vgl. Mt. 5,21 ff. Vgl. H. Thielicke, Gehorsam das Richtige wählen. Wider die kasuistische Gängelung des Menschen, in: Lutherische Monatshefte, 9. Jg. 1970, S. 15 f.

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Außer gegen den kantischen Personbegriff und den hegelschen Geschichtsuniversalismus polemisiert Simone de Beauvoir gegen den abstrakten Freiheitsbegriff. Sie nennt abstrakt eine Freiheit, die um ihrer selbst willen angestrebt wird. N i m m t man sie absolut, so bleibt sie leer und fällt zusammen mit der Gleichgültigkeit des Seins. 153 Es handelt sich um die Freiheit der Stoiker. Ihr setzt die Autorin die konkrete Freiheit in Situation entgegen. Zwar räumt sie ein, daß sich der Mensch auch auf der Folter frei wissen könne, aber es stehe einem anderen nicht zu, ihn seinerseits für frei zu erklären. 154 „Das Schicksal, das auf den Anderen lastet, sind stets wir." 155 Also wird ein konkretes Engagement zur Veränderung der Situation des unfreien anderen gefordert. Die eigene Freiheit muß sich in der Freiheit des anderen fortsetzen wollen. 156 Aber auch in diesem Falle entzieht sich die Autorin dem herausfordernden Charakter der Freiheit eines Menschen, etwa auf der Folter. Sie läßt sich diese Freiheit nichts angehen. Weshalb nicht? Es liegt uns fern, den Freiheitsbegriff der Stoiker zu verteidigen. Aber auch in diesem Zusammenhang verdeckt die ontologische Aussage, daß der Mensch in jeder Situation frei sei, den theologischen Sachverhalt. Es gibt in der Tat eine Freiheit, die Gott dem Elenden verleiht. 157 Sie kommt nicht durch menschliche Befreiungsaktionen zustande. Daher geht auch sie mich etwas an. Es ist die Freiheit der Söhne Gottes, die sich um Gottes willen im äußersten Elend frei wissen. Es ist die Freiheit, mit der Jesus ans Kreuz ging 158 oder Onesimus zu seinem Herrn zurückkehrte. 159 Es handelt sich um eine Freiheit, zu der Gott ermächtigt, eine Freiheit sub cruce tectum. Weit davon entfernt, mit der stoisdien Freiheit identisch zu sein, wird sie doch mit dieser zusammen von Simone de Beauvoir negiert. Von ihr geht aber eine Frage aus an den Menschen, ob er sie sich selbst nicht auch schenken lassen will.

Vgl. M O S . 121. Vgl. P Y S . 2 7 4 . 155 P Y S . 2 7 4 . 1 5 9 Vgl. MO S. 130. 1 5 7 Vgl. G. Hourdin, Simone de Beauvoir et la liberté, Paris 1962, S. 183 und R. Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, 5. erw. A., Tübingen 1965, S. 349 ff. 158 Vgl w Pannenberg, Grundzüge der Christologie, Gütersloh 1964, S. 363 ff. 1 5 9 Vgl. den Brief des Paulus an Philemon. 153 154

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So sehr es auch moralisch geboten sein mag, dem Unfreien zur Freiheit zu verhelfen durch konkretes Engagement — und wir meinen, daß G o t t diesen Einsatz vom Menschen fordert —, so wenig sollte doch diese, von Simone de Beauvoir „abstrakt" genannte Freiheit geleugnet werden. Wer meint, sie brauche ihn nichts anzugehen, überschätzt die Wirksamkeit moralischer Postulate, auch wenn sie im Namen Gottes vorgetragen werden. Wer seine letzte Hoffnung auf das Tun der Menschen statt auf G o t t setzt, wird gerade nicht zu dem gelangen, worum es Simone de Beauvoir zu tun ist, nämlich der Selbstfindung im Absoluten. Auf Grund der Auseinandersetzung mit Kant, Hegel und der Stoa wird sichtbar, daß Simone de Beauvoir jede A r t einer heteronomen Moral ablehnt. Das ideelle Sein wird negiert, weil es gesetzhaft vorgegeben ist. Das Ich hat allen tradierten Werten und Normen abzusterben. Die autonome Moral jedoch, die sie anvisiert, schwankt zwischen zwei Möglichkeiten. Auf der einen Seite postuliert sie autonome Werte, die sich in nichts von den heteronomen unterscheiden, auf der anderen Seite bekennt sie sich zu einer sittlichen Autonomie, die in letzter Konsequenz jede Moral sprengt. Die erste Möglichkeit zeichnet sich in den Ausführungen über die Freiheit ab. Wenn nämlich die konkrete Freiheit, wie Simone de Beauvoir sie versteht, sich in der Freiheit des anderen fortsetzen soll, so hat sie sich damit selbst in den Rang einer moralischen Forderung erhoben, die Allgemeingültigkeit beansprucht. Sie unterscheidet sich strukturell weder von der Goldenen Regel Jesu 160 noch vom Kategorischen Imperativ Kants. 1 6 1 Forderungen dieser A r t gründen in der V o r aussetzung eines gemeinsamen Mediums, in dem alle Menschen miteinander verbunden sind: der Gottesebenbildlichkeit bei Jesus, der Vernunft bei Kant und der Freiheit bei Simone de Beauvoir. Ein über das Einzel-Ich hinausgehender Personbegriff wird damit unabweisbar. N u r bleibt angesichts aller sich aus diesen Voraussetzungen ergebenden Konsequenzen für die Moral, hinter der G o t t selbst als der Fordernde steht, die Frage unbeantwotet, woher der Mensch die Freiheit zur Erfüllung der Ebenbildlichkeit, Vernunft und Freiheit nehmen soll. 162 Zwischen Sollen und Können klafft ein Abgrund. Das gemeinsame

160

Vgl. Mt. 7,12.

161

Vgl. Bollnow, a . a . O . , S. 55 f.

162

Vgl. Eiert, Ethos, a. a. O., S. 194.

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Medium garantiert nicht von sich aus die Erfüllung eines Anspruchs. Auch Kant und Simone de Beauvoir rechnen mit dem Abfall des Menschen ins Böse. Wir stellen also fest, daß die Autorin, sofern sie an der Moral festhalten will, nicht umhin kann, den abrogierten Werten aufs neue Geltung zu verschaffen. Das ideelle Sein verfällt der Nichtung, weil es abstrakt ist, aber als Entwurf des konkreten einzelnen in bestimmter Situation kehrt es ins Leben zurück. Die abrogatio legis geschieht also unvollständig, und das heißt theologisch: sie geschieht überhaupt nicht. Dennoch tendiert die Autorin noch eine zweite Möglichkeit an. Angesichts der Unerfüllbarkeit des ideellen Seins sucht sie im Grunde nach einem Medium, das weder dem Ich noch dem anderen fremd gegenübersteht. In ihm müßte der Mensch unbeirrt durch Ansprüche irgendwelcher Art ganz bei sich selbst sein können. In ihm müßten Ich und D u zur Identität verschmelzen. Dieses Medium läßt sich weder in der Gottesebenbildlichkeit noch in der Vernunft oder der Freiheit finden. Als letzte ontologische Wesensbestimmungen des Menschen beinhalten sie stets ein Sollen, an dem der Mensch scheitert. Das einzige Medium, das hier in Frage kommt, ist die Liebe. Sie läßt sich nicht gebieten; sie stellt sich ein oder sie bleibt aus. Die Liebe sprengt die Grenzen der Moral. U m diese Liebe geht es eigentlich, wenn die Autorin um die Aufhebung des Gegensatzes von Heteronomie und Autonomie ringt. Dieser Konflikt läßt sich, wie am Beispiel Simone de Beauvoirs ersichtlich wird, auf philosophischer Ebene nicht lösen. Der Existentialismus drängt daher nicht nur philosophisch über sich hinaus 163 , sondern auch theologisch. Mit anderen Worten: Er kann nicht verleugnen, daß er sich durch die Absage an Gott um die Lösung seiner eigenen Probleme gebracht hat. An der Auseinandersetzung der Autorin mit dem kantischen Personbegriff läßt sich ablesen, daß der Konflikt zwischen der vorgegebenen Person und dem selbstgewählten Nächsten eigentlich nur im christlichen Bruderschaftsgedanken seine Lösung finden kann. Er wird ständig umkreist, ohne jedoch ins Blickfeld zu gelangen. 164 Wenn Simone de Beauvoir den selbstgewählten anderen sucht, ohne jedoch letztlich auf die Forderung der Nächstenliebe verzichten zu können, weil an-

163 164

Vgl. Bollnow, a. a. O., S. 69. Vgl. Eiert, Ethos, a. a. O., S. 355 f.

Tod durch Sein

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dernfalls die Moral Schaden nähme, so bleibt nur ein Weg, der darin besteht, den selbstgewählten Nächsten im christlichen Bruder zu finden. Sein nur ihm eigentümliches Merkmal liegt darin, daß er einerseits nicht vom autonomen Ich erwählt zu werden braucht — womit den Ansprüchen der Moral genügt würde —, daß er aber andererseits mit ihm in der Liebe des gegenseitigen Gebens und Nehmens steht. Damit würde zugleich dem Ziel der Selbstverwirklichung entsprochen. Es finden beide Motive im Bruderschaftsgedanken Erfüllung, aber so, daß sie in ihm aufgehoben werden, und das heißt: an ihr Ziel und zugleich an ihr Ende gelangen. N u r dann, wenn Gott selbst in Christus an die Stelle des eigenen und fremden Ichs tritt, wenn also das Ich in Christus sein Selbst gefunden hat, knüpft sich das Band der Liebe zwischen den Individuen. Die selbstische Auswahl des Nächsten erübrigt sich, weil das Christus-Ich sowohl den anderen als auch mich selbst umfängt. Die Christonomie transzendiert den Gegensatz von Heteronomie und Autonomie. Der christliche Bruderschaftsgedanke ermöglicht darüber hinaus die Lösung des Konfliktes zwischen den Ansprüchen der universalen Menschheit und denen der Situation, in der sich der einzelne zum Handeln gerufen weiß. Auch in diesem Zusammenhang kann die Autorin trotz ihres leidenschaftlichen Plädoyers für die Autonomie des einzelnen nicht umhin, das Ich mit dem Wir zu verbinden. Wenn sie auch vom einzelnen spricht, durch den allein ein Fortschritt in der Geschichte zustande komme, so sieht sie diesen einzelnen doch als Glied einer bestimmten Gesellschaftsschicht. Man könnte von einer Gruppenautonomie sprechen, die freilich im Hinblick auf das Verhältnis der Gruppe zum einzelnen heteronome Züge annimmt. Diese Gesellschaftsschicht fungiert sowohl als Anwalt isolierter gesellschaftspolitischer Interessen wie auch als Anwalt der Aufhebung aller Sonderinteressen. Gerade diese letzte Zielsetzung macht deutlich, daß das Marxsche Proletariat, auf das sich Simone de Beauvoir in diesem Zusammenhang bezieht 165 , doch wohl nicht von der Utopie einer klassenlosen Gesellschaft abzulösen ist, wie die Autorin meint. 106 Auf der einen Seite will es seine Klasseninteressen zum Zuge bringen, um auf der anderen Seite die Ansprüche von Klassen überhaupt zu beseitigen. Autonomie bzw. Gruppenautonomie und Heteronomie stehen sowohl bei Simone de 165 163

Vgl. M O S . 96. Vgl. M O S . 152.

Die Selbstpreisgabe an das ideell Vorgegebene

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Beauvoir wie auch bei Marx unausgeglichen nebeneinander. Der Begriff der Gesellschaftsschicht weist über sich hinaus auf die Kirche. Das Problem, wie die Ansprüche einer zukünftigen Menschheit mit den Sonderinteressen einer bestimmten Gesellschaftsschicht zu vereinbaren sind, kann nur in einer solchen Gemeinschaft gelöst werden, die sich als Leib Christi versteht. Die gegenwärtige Bruderschaft des gegenseitigen Gebens und Nehmens — sie trägt dem Anspruch der Situation Rechnung — ist zugleich die Heilsgemeinde der Zukunft. Sie beugt sich damit auch dem Anspruch der „Universalgeschichte". In dieser Gemeinde sind das „Abstrakte" und das „Konkrete", das Universelle und die Situation miteinander vereinigt in dem zukünftigen, und das heißt: in der Parusie des sich offenbarenden Herrn, der schon jetzt durch seinen Geist in, mit und durch die gegenwärtig in Raum und Zeit lebenden Glieder seines Leibes handelt. In diesem Aufgehobensein aber haben beide ihre Erfüllung und Überwindung gefunden. „In Christo" gibt es nicht mehr das Widerspiel von heteronomer Forderung und autonomer Selbstverwirklichung, sondern nur noch die Nachfolge Christi im Medium der Liebe. Eine ähnliche Problematik liegt dem Roman „Alle Menschen sind sterblich" zugrunde. Die Autorin möchte zeigen, daß sämtliche Versuche, die Menschheit geistig und politisch zu vereinigen, am autonomen Ich scheitern. Roman „Alle Menschen sind sterblich" Der Roman gliedert sich in Rahmen- und Binnenhandlung. Im Zentrum beider steht Fosca. Die Schauspielerin Regina in der Rahmenhandlung liebt ihn zunächst, verspürt dann aber, wie das Gefühl der Fremdheit ihm gegenüber in ihr wächst. Sie erfährt, daß der in trancehafter Gleichgültigkeit dahindämmernde Fosca unsterblich ist, und so erhofft sie sich durch Liebe zu ihm einen Anteil von seiner Ewigkeit. Mehrfach unterbrochen durch Äußerungen des Erschreckens, läßt sie sich die Geschichte seines Lebens erzählen. — Sie beginnt im italienischen Carmona des 13. Jahrhunderts. Fosca, durch Einnahme eines Unsterblichkeitstrankes Alleinherrscher geworden, kann weder seine Frau vor der Pest retten noch die Stadt vor dem Untergang in Bedeutungslosigkeit. Ebenso scheitert er bei dem Versuch, Karl V. zum Weltherrscher zu machen. Die Vernunft vermag gegen die Entscheidungs- und Gewissensfreiheit des einzelnen nichts auszurichten. — Sdimalenberg, Todesverständnis 5

Tod durdi Sein

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Ein Forscher, mit dem er im 17. Jahrhundert Amerika erkundet, haßt ihn zuletzt, weil er trotz aller Entbehrungen als Sterblicher vom Ziel seiner Mühen ausgeschlossen bleibt. — Auch als reicher Edelmann im Frankreich des 18. Jahrhunderts kann Fosca die Kluft zu den Menschen nicht überbrücken: weder zu Marianne, seiner Geliebten, noch zu den revolutionären Geistern seiner Zeit. Die Unsterblichkeit verdirbt ihm jedes Glück. — So findet auch sein Liebesverhältnis mit Regina in der Rahmenhandlung ein Ende. Er nimmt Abschied von ihr mit der Vision, unter dem erbarmungslosen Mond allein zu sein auf einer menschenleeren Erde, sein ewiges Verbrechen vor Augen, die Maus an der er in Carmona den Unsterblichkeitstrank ausprobiert hatte. Regina aber macht eine schmerzliche Wandlung durch, vom Unsterblichkeitsverlangen zur Annahme ihrer Endlichkeit. Regina zeigt viel Ähnlichkeit mit der jungen Autorin in der „Tochter aus gutem Hause". 167 Sie unterscheidet sich von ihren Freundinnen durch ein tödliches Brennen in der Brust, 168 einen Hang zum Absoluten169, der aus der Tiefe der Zeit kommt 170 . Sie macht sich völlig gleichgültig gegenüber ihrer Umgebung, nichts berührt sie mehr. 171 Während einer Party gibt sie bekannt, daß sie ihre Rolle als Schauspielerin ablegen werde.172 Aber Fosca sieht sofort, daß dieser Aufschwung zum Absoluten nur einem Flügelschlagen inmitten einer Leere gleichkommt. 173 Für ihn spielt Regina eine Komödie hoffnungsloser Worte. 174 Sie macht sich zur Lüge. Regina versucht zu gewinnen, was Fosca seinsmäßig zu eigen ist, die Unsterblichkeit, das absolute Sein. Aber dieses Sein ist gleichbedeutend mit Leere und Tod. 175 Auch Foscas Gedanken sind tot. 176 Er möchte am liebsten ganz mit sich selbst identisch bleiben in der Gleichgültigkeit

167 168 169 170 171 172 173 174 175 176

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

S. 32 ff. ME S. 78. ME S. 83. ME S. 40. ME S. 38. ME S. 90. ME S. 90. ME S. 91. ME S. 32. ME S. 35.

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des Seins und leidet darunter, von den Sterblichen immer wieder in die Polarität von Ich und Sein zurückgerufen zu -werden. Seine Begegnung mit den Sterblichen, insbesondere mit Regina, läßt ihn die Unsterblichkeit als Fluch empfinden.177 Die erhoffte Verbindung von absolutem und relativem Sein, von Unsterblichkeit und Sterblichkeit kommt nicht zustande. Es stoßen zwei Welten aufeinander, die nicht koinzidieren. Fosca findet keinen Zugang zum Innersten der Menschen. Der Grund dafür liegt außer in der Unsterblichkeit vor allem in den universalistischen Sozialideen, mit denen er die Menschheit beglücken möchte, und in seiner abstrakten Freiheit. Für Fosca ist der Himmel kein schützendes Dach mehr, sondern der Weg ohne Ende.178 Er möchte Gott für die Gabe der Unsterblichkeit danken, findet jedoch keine Spur eines personhaften Gegenübers, weder Gottes noch des Teufels.178 Ganz ähnlich ergeht es Regina. Sie sucht eine Kirche auf, aber Gott, der in ihrem Innern liest, gibt ihr immer recht. Sie hört auf, an ihn zu glauben, weil sie an seinem allumfassenden Wohlwollen kein Genüge findet. Sie weiß sich unter dem ewig gleichgültigen Himmel verloren und sieht vor sich nur einen Weg: sich selbst treu zu bleiben ohne Rücksicht auf das Urteil anderer.180 Die gemeinsame Verlorenheit unter dem Himmel treibt Regina zu Fosca, umgekehrt aber stellt sich auch bei Fosca wie von selbst der Gedanke an Regina ein.181 In erster Linie jedoch sieht Fosca sich selbst. Er steht im Zentrum der Welt. Sein Streben geht ins Universale. Gerade deshalb, weil es nirgendwo eine Grenze gibt unter dem leeren Himmel noch den Zwang einer Notwendigkeit, hat er die Hände frei, die Welt nach seinem eigenen Bilde zu bauen.182 Fosca gelangt zu der Erkenntnis, daß man, um ernsthafte soziale Reformen durchzuführen, Herr der ganzen Welt sein müsse. Er stellt sich den Habsburgern zur Verfügung und sagt zu Kaiser Maximilian: „Allein die Welt hat die gleichen Maße wie die Ewigkeit." 183 Nur derjenige, dem die Welt gehört, kann das Paradies errichten.184 In ihm 177 178 179 180 181 182 183 184

5*

Vgl. ME S. Vgl. ME S. Vgl. ME S. Vgl. ME S. Vgl. ME S. Vgl. ME S. ME S. 197. Vgl. ME S.

96. 200. 125. 19, 79. 244. 244. 210.

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Tod durch Sein

soll ausschließlich die Vernunft herrschen.185 Dieses Ziel läßt sich nur dann erreichen, wenn zuvor die Zwietracht der Geister im Reiche Karls V. besiegt ist. Ein einziger Wille müßte zur Herrschaft gelangen, sein eigener.188 Auf dem Wormser Reichstag von 1521 hätte er am liebsten alle Mönche beseitigt und die Predigten durch Lehrstunden ersetzt. Anstatt müßige Reden zu halten, hätte man nach seiner Meinung die Reichsverfassung beraten sollen.187 Luthers Kampfeseifer zeugt in seinen Augen ebenso von geistiger Beschränktheit wie der römische Aberglaube. Sein anmaßender Gewissensappell würde tausend Eigenwilligkeiten in der Welt rechtfertigen. 188 Die spätere Verurteilung der Täufer durch Luther trifft den Richter selbst, weil er sich desselben Vergehens schuldig gemacht hat.189 Dennoch scheitern Foscas Pläne. Der sterbliche Mensch kann sich nicht mit dem ideell Vorgegebenen identifizieren, ohne sich selbst preiszugeben. Fosca sieht sich gegenüber Karl V. zu dem Eingeständnis genötigt: „Ich wollte Sie zum Herrn des Universums machen. Es gibt kein Universum." 190 „Was ist die Welt, und wo ist sie denn?" 191 Die erträumte ewige Vernunftordnung würde ein Fluch für die Menschen sein. Sie lehnen alles Vorgegebene ab, weil nur das für sie von Wert sein kann, was sie selbst geschaffen haben. 182 Die Menschen wollen gar nicht das absolute Glück, sie wollen schlechthin leben und sich in konkreten Objekten verwirklichen. 193 Es geht also nicht an, erst in der Zukunft einen Sinn für das eigene Handeln zu suchen.194 Diese darf nur soweit in Betracht kommen, als man unmittelbar Einfluß auf sie nehmen kann. 195 Das Gewissen widersetzt sich jedem Anspruch, der das Universale in Raum und Zeit zum Maßstab des Handelns macht.

85 88 87 88 89 98 91 92 93 94 95

Vgl. ME S. Vgl. ME S. Vgl. ME S. Vgl. ME S. Vgl. ME S. ME S. 267. ME S. 231. Vgl. ME S. Vgl. ME S. Vgl. ME S. Vgl. ME S.

213. 219. 217. 218. 242.

269. 268. 411. 431.

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Nach dem Scheitern der Selbstverwirklichung im Universalen zieht sich Fosca auf sich selbst zurück, sein unsterbliches Sein, die abstrakte Freiheit. Ein leidenschaftlicher Wille beseelt ihn, zu zerstören. Denn wer seine Freiheit über dem Nichts ergreift, f ü r den ist Aufbauen oder Zerstören weder gut noch böse.198 Er stellt sich damit auf dieselbe Ebene wie die früher von ihm verachteten vandalisierenden Spanier in Amerika und die vor keiner Zerstörung zurückschreckenden Schwärmer. 197 In der Rolle des französischen Edelmannes sagt er zu Marianne: „Mir befiehlt mein Gewissen nichts."198 Die Haltung der abstrakten Freiheit fällt mit der Gleichgültigkeit des Absoluten zusammen. Dieser abstrakten Freiheit indessen setzt Marianne die konkrete Freiheit entgegen. Ihr erteilt das Gewissen direkte Befehle: Toleranz, Vernunft, Freiheit. Das Wissen, so erklärt sie, sei der Unwissenheit vorzuziehen, die Duldsamkeit dem Fanatismus, die Freiheit der Versklavung. 199 Sie möchte eine Universität gründen, zu deren Errichtung sie von Fosca finanzielle Zuwendungen erbittet. Diese Bitte, der Appell an die konkrete Freiheit, vermag denn auch Foscas sonst so kaltes Herz zu rühren. 200 Aus diesem Plädoyer für die konkrete Freiheit geht erneut hervor, daß sich die existentialistische Moral, wie Simone de Beauvoir sie versteht, in sachlicher Hinsicht nicht von der idealistischen unterscheidet. Toleranz, Vernunft und Freiheit sind idealistische Werte. Der Unterschied etwa zu Kant besteht nur darin, daß sich diese Werte nicht aus der Vernunft herleiten, sondern aus dem eigenen Gewissen. Zu einer ähnlichen Haltung hat auch J.-P. Sartre hingefunden. 201 Seine „humanistische" Wendung jedenfalls läßt sich nicht unmittelbar aus dem existentialistischen Ansatz heraus verstehen. 202 Die Gewissenspostulate entsprechen viel mehr der kantischen Vernunftmoral, als Simone de Beauvoir wahrhaben will. Inwieweit das Einzelgewissen aber einem

198 197 198 199 200 201

202

Vgl. ME S. 61. Vgl. ME S. 269. ME S. 345. Vgl. ME S. 325. Vgl. ME S. 336. Vgl. J.-P. Sartre, Ist der Existentialismus ein Humanismus? in: Drei Essays, Berlin 1968, S. 7 ff. Vgl. Bollnow, a . a . O . ,

S.61.

Tod durch Sein

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geschichtlich gebundenen Gesamtgewissen verpflichtet ist, sei nur am Rande gefragt. Die Autorin stellt sich diese Frage nicht. Die von Marianne bejahten Werte entstammen keineswegs ursprünglich dem Individualgewissen, dem zwar eine urteilende, aber keine setzende Funktion zukommt. 2 0 3 Die Verhältnisbestimmung von Autonomie und Heteronomie gelangt also in diesem Roman über die Aporien der Essays nicht hinaus. Der freie Mensch soll allem Vorgegebenen absterben, aber es schleicht sich hinterrücks doch wieder ein. Eine Moral, die auf den N o m o s verzichten könnte, gibt es nicht. Fosca und Regina suchen nach einer Rettung vor der Selbstpreisgabe an das vorgegebene Sein, die bei genauerer Betrachtung diesen Namen nicht verdient. Regina müßte von ihrem Streben geheilt werden, sich im Absoluten, der Unsterblichkeit, zu verwirklichen; Fosca müßte von der Verhaftung an das Absolute und der Neigung zur abstrakten Freiheit Erlösung finden. Aber wie sollen Unsterblichkeit und Sterblichkeit zueinander finden? Der unsterbliche Fosca ist immer tot, aber Regina wird gelebt haben. 204 Fosca bewundert die Sterblichen, weil sie so viel Kraft, Stolz und Liebe aufbieten für ihren Glauben, daß das Leben stärker sei als der Tod. 205 Wenn es an ihrem Ende heißt: „Gestorben — so hat die Geschichte ein gutes Ende genommen." 2 0 8 Aber die Möglichkeit, die Regina offensteht, bleibt Fosca verschlossen. Beider Wege trennen sich zuletzt. N u r auf eine Weise könnte es zu der ersehnten Verschmelzung des Absoluten mit dem Relativen kommen: durch das Einswerden in der Liebe. Im Vereinigungsakt verschlingen sich Zeit und Ewigkeit. Indessen: die Vollendung im erfüllten Augenblick ist zugleich Vernichtung. 207 Das Aufscheinen des Mondes in einem einzigen Herzen — ein Symbol für die Vereinigung zweier Liebenden im Absoluten — hieße, das eigene Ich preiszugeben. 208 Und so ist das Wünschbare eigentlich gar nicht wünschenswert. Das Glück wäre Unglück, das Leben Tod. Rettung bringt nur die Liebe, aber um der Freiheit des Ichs willen darf es sie nicht geben.

203 204 205 206 207 208

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

H . Thielicke, Theologische Ethik, I. Band, Tübingen 1951, S. 475 ff. M E S. 36. M E S. 80. M E S. 194. M E S. 92. M E S. 67

Die Selbstpreisgabe an das ideell Vorgegebene

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Da die Geschlechterliebe keine Erfüllung des Absolutheitsstrebens bringt, hätte man Grund zu der Annahme, daß sich Simone de Beauvoir offen hält für jene Gottesliebe, die alles natürliche Erfüllt- oder Unerfülltsein transzendiert. Aber diese Offenheit steht zugleich mit der Verschlossenheit im Bunde. Das Angebot der göttlichen Liebe könnte als Antwort auf die Frage der Autorin angesehen werden, aber sie würde diese Antwort abweisen müssen, weil sie das Absolute nur im Relativen finden kann. Die Selbstverwirklichung im Absoluten wird von ihr als eigenes Recht in Anspruch genommen. Das Scheitern dieser Versuche versteht sie nicht als Gericht. Im Scheitern der Liebe aber wird offenbar, daß sich der Mensch zur göttlichen Liebe nicht emporschwingen kann. Denn wer dürfte es wagen, sich ihrer f ü r würdig zu erachten? Vor ihr bleibt nur das Eingeständnis der eigenen Unwürdigkeit und das Vertrauen, der ewige Richter werde dennoch Heil und Rettung bereit halten um Christi willen. Der Weg zum Absoluten in der Liebe verläuft also umgekehrt als bei Simone de Beauvoir: Nicht um den Aufschwung zum Leben geht es — an dessen Ende steht die Vernichtung —, sondern um die Beugung unter Gottes Zorn und um den Empfang seiner barmherzigen Liebe im Glauben an die Rechtfertigung des Sünders durch Christus. Darin besteht aber auch der einzige Weg, um zu einer universalen Gemeinschaft unter den Menschen zu gelangen. Das Anliegen Foscas ist nicht einfachhin zu verneinen, nicht einmal in der von ihm intendierten Form. Denn wie sollten die Zukunftsprobleme der Menschheit einer Lösung näher gebracht werden, wenn die Idee einer auf dem Boden der Vernunft geordneten Völkerwelt verlorenginge? Dennoch befürchtet die Autorin zu Recht, daß diese vereinte Menschheit eher einem großen Konzentrationslager gleichen würde als einer Gemeinschaft freier Menschen. Aus dieser Aporie aber wäre zu entnehmen, daß alle Ideen zur Lösung der Weltproblemc über sich selbst hinausweisen. Sie weisen hin auf die Einheit der Völker und Sprachen im Geiste der Pfingsten.209 Der scheinbar nicht zu überbrückende Gegensatz zwischen dem verpflichtenden Soll und der Freiheit des Subjekts —, er löst sich nur im Geiste Jesu Christi auf. Im Geiste seiner Liebe verbinden sich Haupt und Glieder zu einem allumfassenden Leibe, der neuen Menschheit, in der die Gewissen nicht mehr durch ein vorgegebenes Gesetz gebunden werden, weil sie in Gott verbunden sind. 209

Vgl. Apg. 2.

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Tod durch Sein

Freilidi ist diese neue Menschheit sub cruce tectum. Sie verficht keinen Machtanspruch, sondern lebt gerade insoweit, als sie diesen mit Christus gekreuzigt sein läßt, um sich in ihm alles gewähren zu lassen.210 Die Selbstverwirklichung des Ichs, so müßte das Fazit aus dieser „moralischen" Periode lauten, läßt sich nicht im Vorgegebenen erlangen, weder im absoluten noch im ideellen Sein. Im Gegenteil, es verfällt der mortificatio. Läßt sich demgegenüber die Selbstverwirklichung im Selbstgegebenen ermöglichen? Die Autorin scheint sich zunächst dieser Hoffnung hinzugeben. An die Stelle des Vorgegebenen rückt sie die selbstentworfenen endlichen Ziele und Werte, den selbstbegründeten, frei erwählten anderen. Und doch verfällt auch das selbstentworfene Sein der Nichtung. Auch in ihm gibt es keine Erfüllung. Den Essays zufolge stimmt der Mensch nur dann mit sich überein, wenn er nicht bereit ist, sich wieder mit sich selbst zu vereinigen. 211 Ziele werden angestrebt, um als Ausgangspunkt für weitere genommen zu werden. 212 In einer Fülle von Wendungen enthüllt die Autorin die Doppelsinnigkeit der Existenz. So schreibt sie, daß man nur rasten dürfe, um wieder aufzubrechen. 213 Die Gegenwart muß sterben, um leben zu können. 214 Der Existentialismus habe diese Art des Todes zu wollen. Es sei wesentlich, niemals zu verlieren, aber es gewinne auch niemand. 215 Beides müsse zugleich festgehalten werden: Leben und Tod. 216 Das ständige Scheitern lasse sich durch immer neue Rückkehr zu Freiheit und Transzendenz verhindern. 217 Was in den Essays in der Form des Appells erscheint, nimmt sich in dem Roman als schmerzliche Erfahrung für Fosca und Regina aus. „Jeder Sieg eines Tages endet wieder in einer Niederlage." 218 Es gibt keine Hoffnung. Für Fosca steht fest, daß alles Lüge ist, Reginas Glück,

210 211 212 213 214 215 218 217 218

Vgl. E. Kinder, Der evangelische Glaube und die Kirche, Berlin 1960, S. 97 f. Vgl. M O S . 109. Vgl.PYS.234. Vgl.PYS.300. Vgl. M O S . 180. Vgl.PYS.95. Vgl. MO S. 88. Vgl. M O S. 109. ME S. 430.

Der Selbstverlust im Selbstentworfenen

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Leben und Liebe. 2 " Reginas Wunsch besteht nur darin, eine Zeitlang zu schwimmen, bevor sie in Schaum vergeht 220 , ein paar Jahre zu leben, bevor der Tod kommt. 2 2 1 Am Ende des Romans steht ihr Schrei. Ist es der Schrei der Neugeborenen, die da ins eigentliche Leben eintritt, oder ist es der Schrei der Untergehenden? Diese Frage findet ihre Antwort erst im dritten Schaffensstadium der Autorin, der Altersperiode. 222 Bleibt im mittleren Abschnitt noch die Hoffnung, den Lebensentwurf auf andere neue Ziele hin überschreiten zu können, um das Scheitern zu verhindern, so scheint in der Altersperiode auch diese Hoffnung der Resignation zu weichen. Der geforderten mortificatio stellen sich Hindernisse in den Weg, die das Ziel der Selbstverwirklichung in immer weitere Fernen rücken. Als Beispiel diene der Roman „Die Welt der schönen Bilder".

Der Selbstverlust

im

Selbstentworfenen

Roman „Die Welt der schönen Bilder" Simone de Beauvoir stellt in diesem Werk die Existenzprobleme dreier Frauen dar, um die sich einige Nebenfiguren gruppieren. Im Zentrum steht Laurence mit ihrer Tochter Catherine und ihrer Mutter Dominique. Dominique hat sich von ihrem Ehemann, der Laurences Vater ist, getrennt und mit Gilbert liiert. Diesem aber hat es ein neunzehnjähriges Mädchen angetan, die Tochter seiner früheren Geliebten. E r gedenkt, sie zu heiraten. Dominique, die ihre letzte Chance verspielt sieht, versucht diese Heirat zu hintertreiben, aber vergebens. Am Ende findet sie zur friedlichen Koexistenz mit dem ersten Ehemann zurück — zum Leidwesen für Laurence, deren beider Tochter. Diese sucht beständig nach etwas, das andere zu haben scheinen, ihr selbst aber fehlt. Da die Pflichten der Ehefrau und Mutter sie nicht ausfüllen, betätigt sie sich als Herstellerin von Werbebildern. Ihrer Liebe zu Lucien, von der Jean-Jacques, ihr Ehemann, nichts weiß, gibt

219

Vgl. M E S. 146.

220

Vgl. M E S. 71.

221

Vgl. M E S. 104.

222

Im Jahre 1952 sieht sich die Autorin, vierundzwanzigjährig, „endgültig" ins Schattenreich versetzt. Vgl. L A S. 271.

Tod durdi Sein

66

sie nach und nach den Abschied. Von der Realität bleibt ihr in einem wirtschaftlich gesicherten Leben nur die Welt der Bilder: das Spiegelbild von sich selbst, die Werbebilder, die Erinnerungsbilder einer Griechenlandreise. Catherine, ihre Tochter, soll jedoch nicht zu einem schönen Bild erzogen werden. Sie leidet in ungewöhnlicher Weise unter dem Elend der Menschen, von dem sie hauptsächlich durch ihre jüdische Freundin erfährt. N u r mit Widerstreben läßt sich ihre Mutter dazu bewegen, sie einer Psychologin anzuvertrauen. Von Ekel und Überdruß gepackt, beschließt sie, ihrer Tochter die Augen zu öffnen. Während sie selbst mit ihrem Manne in den obligatorischen Erholungsurlaub fährt, darf Catherine mit der jüdischen Freundin Ferien machen. Marthe, eine Nebenfigur, verkörpert in diesem R o m a n die Welt des Religiösen. Für alle anderen Gestalten spielt das absolut Vorgegebene keine Rolle mehr. In Marthe erscheint es als Karikatur, denn sie steht im Zwielicht der Bigotterie. Catherine, so meint sie, müsse zur Kommunion gehen, denn nur im Glauben an Gott werde der Mensch mit dem Bösen und dem Tode fertig. 223 Laurence aber weist Marthes Einmischung in die Erziehung ihrer Tochter zurück. „Eine Heilige, trunken von froher Gottesliebe, das ist die Rolle, die sie spielt, seit sie zum Glauben gefunden hat." 2 2 4 Man sagt von Marthe, daß sie sich, des Hausfrauen- und Mutterdaseins überdrüssig, der Heiligkeit verschrieben habe. 225 Die Rolle des Fortschrittsoptimisten, des völlig der Wohlstandsgesellschaft Angepaßten, spielt Jean-Jacques, Laurences Gatte, von Beruf Architekt. 226 An einer guten Hi-Fi-Anlage interessiert ihn vor allem der Preis, und es fällt ihm schwer, die achttausend Francs zu verwinden, die der Autoschaden seiner Frau gekostet hat. 227 Sein Streben geht ins Universale: „Wir leben schon planetarisch. Man darf nur nicht unseren Planeten für das Universum halten. N a ja, bis 85 wird das Sonnensystem erforscht sein . . ," 2 2 8 Er rechnet damit, daß die technische Automation dem Menschen demnächst ein Höchstmaß an Muße bescheren werde. Er könne dann zu den unvergänglichen Werten zurückkehren, 223 224 225 226 227 228

Vgl.WES.85. WE S. 19. Vgl.WES. 118. Vgl.WES. 76. Vgl. WE S. 13. WES. 29.

Der Selbstverlust im Selbstentworfenen

67

dem Individuellen und der Kunst. Als Beispiel für diese These dient ihm das Kunsthandwerk und die Architektur. „Man gibt sich nicht mehr mit dem Funktionellen zufrieden. Man kehrt zu einem gewissen Barock zurück, das heißt, zu ästhetischen Werten." 2 2 9 Was die sozialen Probleme in der Welt angeht, so beruhigt er sich bei der Feststellung, daß man nie alles tue, was man kann. 2 3 0 Als einer, der immer mit der Zeit geht, setzt er sich auch für die Gleichberechtigung der Frau ein. 231 Da ihm viel daran liegt, ein gutes Gewissen zu behalten, drängt er darauf, daß seine Tochter Catherine in die Hände einer Psychologin gegeben wird. Für die Skrupel seiner Frau in dieser Sache fehlt ihm das Verständnis. 232 Den Frieden mit ihr erkauft er sich durdi Blumen und Schmuck. 233 Geht es Jean-Jacques um die Werte, so huldigt Laurences Vater der abstrakten Freiheit. Die Trennung von seiner Frau nimmt er leicht. E r hat sich seine eigene Welt gebaut. Laurence empfindet eine starke Zuneigung für ihn und holt sich in allen persönlichen Problemen bei ihm R a t . Aber schließlich wird er doch seiner Freiheit überdrüssig. E r verwirft sie als reinen Negativismus. Aufs neue beginnt er das Leben zu zweit mit Dominique, seiner Frau, die sich von ihm getrennt hatte. Alle neu beschrittenen Wege führen in diesem Roman zu guter Letzt in die alten Bahnen zurück. Dominique findet sich wieder mit Laurences Vater zusammen, Gilbert setzt mit der Neunzehnjährigen nur die Liebe zu seiner früheren Geliebten fort, und Laurence mag trotz aller Ansätze, mit Lucien ein neues Leben zu beginnen, nicht auf JeanJacques verzichten. Das Streben nach Selbstverwirklichung in einem selbstentworfenen Ziel bzw. in einem selbstbegründeten Menschen erlischt. Man sinkt in die fade Alltäglichkeit zurück. Laurence lebt nur noch in Bildern. Sie arbeitet an Bildern, die zu Reklamezwecken dienen. Sie versucht, sich durch Massenmedien ein Bild von der Wirklichkeit zu machen, betrachtet das Bild ihres blassen Gesichtes im Spiegel und läßt im Geiste die schönen Erinnerungsbilder einer Griechenlandreise vor sich hergleiten. Die Wirklichkeit erscheint nur noch im Medium des Bildes. WES.46. Vgl.WES.83. 231 Vgl.WES. 111. 232 Vgl.WES. 150. 233 vgl. W E s 1 5 4 f 229

230

Tod durch Sein

68

Es verbleibt Laurence allein dies: das Grauen vor dem Unglück. Das Unglück erhält geradezu einen metaphysischen Rang. Es begegnet Laurence zunächst bei ihrer Mutter Dominique, die sich verzweifelt gegen den Gedanken wehrt, daß Gilbert sie verlassen könnte. „Die von Schluchzen und Schreien zerrissene Stimme Dominiques; ihr graut vor dem Leben, aber sie will keineswegs sterben: das ist das Unglück." 234 Das Unglück besteht darin, daß man sich weder mit dem Sein noch mit dem Nichts identifizieren kann. „Es gibt das Unglück einfach, es existiert." 235 Weil Laurence selbst unglücklich ist, bringt sie außer für ihre Mutter auch Verständnis für ihre Tochter auf. Catherine möchte Ärztin werden, um den Elenden zu helfen. Zwar gibt es keine Antwort auf ihre Frage, warum man auf der Welt ist — „Das ist abstrakt, das ist Metaphysik; diese Frage beunruhigt mich auch gar nicht so sehr", denkt Laurence — „Aber das Unglück: das ist quälend für ein Kind." 236 Die Menschen haben sich so sehr an das Elend gewöhnt, daß sie es schon nicht mehr recht wahrnehmen. „Das Stopfen der Gänse, die Lynchjustiz, die Abtreibung, die Selbstmorde, mißhandelte Kinder, Geiselerschießungen, Unterdrückungsmaßnahmen — man sieht das alles im Kino, im Fernsehen, man geht darüber hinweg." 237 Vor Catherines Frage, was sie und ihr Mann eigentlich unternähmen, um Unglücklichen zu helfen, weicht Laurence aus in eine Lüge: „Papa baut Häuser für Leute, die kein Haus haben." 238 Es gelingt ihr also nicht mehr, sich mit dem Elend der Menschen zu identifizieren. Darin besteht gerade ihr Unglück. Der Wille, die Kluft zwischen Wissen und Tun zu überbrücken, erlischt. Es gibt nur eine Ausnahme in ihrem Leben: den R a d fahrer. Beim Autofahren ergibt sich für Laurence die Situation, blitzschnell entscheiden zu müssen, ob sie einen Radfahrer überfahren oder sich selbst und ihren Mann gefährden soll. Indem sie sich f ü r das Leben des Radfahrers entscheidet, nimmt sie das Risiko auf sich, mit ihrem Mann zusammen umzukommen. Wie durch ein Wunder bleiben sie beide am Leben. Der Wagen überschlägt sich, er hat nur noch Schrottwert. Jean 234 235 236 237 238

WES.95. WES.95. WES.41. WES.33. WES. 32.

Der Selbstverlust im Selbstentworfenen

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Jacques macht ihr deswegen heftige Vorwürfe, aber Laurence liebt diesen „dummen" Radfahrer. 239 Zwar ist ihr der „Rotkopf" völlig gleichgültig, aber es wäre für sie gräßlich gewesen, ihn zu töten. Wie ihr Vater findet sie die Menschen erbärmlich. Dennoch wiegt nichts schwerer als ein Menschenleben.240 Ihr Vater hätte sich jedoch anders verhalten. „Gestern mit den Kindern im Wagen", so sagt er, „hätte ich eher eine ganze Schulklasse umgefahren, als daß ich auch nur das geringste Risiko eingegangen wäre." 241 Steht der Vater dem Elend der Welt in abstrakter Freiheit gleichgültig gegenüber, so kommt es bei Laurence zu einer momenthaften Berührung mit dem Absoluten. Für den Bruchteil einer Sekunde wirft sie sich dem Nichts in die Arme. Es droht sie beide, die Retterin und den Hilfsbedürftigen, zu verschlingen. Und doch kommt es nicht zur vollen Identität: die beiden Pole, das Ich und das Nichts, stoßen einander ab. Die Menschen finden sich per Zufall ins Leben zurückgeworfen. Dieser Vorgang erinnert an das Gleichnis Jesu vom Barmherzigen Samariter. 242 Hier wie dort entscheidet sich ein Mensch ohne Rücksichtnahme auf sich selbst zur Rettung eines anderen, der ihm eigentlich gleichgültig sein könnte. Haben wir es mit einem angewandten Beispiel f ü r dieses Gleichnis zu tun? Bei genauerem Zusehen aber geht die Parallele nicht auf. Im Evangelium ist es Jesus, der Herr seiner Gemeinde, der das Gleichnis erzählt. Sofern es als Modell für praktische Nächstenliebe genommen werden darf, ist es zunächst Jesus selbst, der Gottes Anspruch im hilfsbedürftigen Menschen erfüllt. Er ist es, der den Menschen zu seinem Bruder macht, der sich aus Liebe zu ihm mit dessen Nichtigkeit vor Gott identifiziert, indem er sich stellvertretend unter Gottes Zorn beugt und ans Kreuz geht. Jesus macht sich so rückhaltlos zum menschlichen Nichts vor Gott, daß über seinem Kreuz die Worte stehen können ,Ecce homo'. Es bleibt also kein Rest von Selbstbehauptung bei ihm übrig. Darum ist die Sterbensbereitschaft dieses barmherzigen Samariters mehr als ein Risiko, mehr als das flüchtige Berühren des Nichts. Jesus rechnet nicht mit der Chance, noch einmal davonzukommen. Aus dem Nichts vor Gott gibt es nur einen Ausweg: das freie Erbarmen Gottes. Und so bleibt auch für den Jünger Jesu wegen 239 240 242

V g l . W E S . 115. Vgl. WE S. 170 Vgl. Lk. 10,25—37.

Tod durdi Sein

70

des totalen Angewiesenseins auf Gott, den Erbarmer, nur der totale Gehorsam der mortificatio sui. Die Bruderliebe schließt die Bereitschaft des stellvertretenden Sterbens mit ein. 243 Weil nun aber der Mensch dieser möglichen Forderung Gottes nicht entspricht, weil er sich nie ganz auf die Situation einläßt, die Gott ihm stellt, sondern sich stets selbst festhält, auch und gerade in seinen äußersten Möglichkeiten, entrinnt er der Anklage des Gesetzes, das die Nächstenliebe fordert, nicht. Nur Jesus identifiziert sich so total mit dem Elend des Sünders, daß er es selbst auf sich nimmt. Von einem Risiko kann hierbei nicht die Rede sein. Die Entscheidung über Leben und Tod hängt nicht am Zufall, sondern am Willen Gottes. Während f ü r Jesus die Anklage des Gesetzes verstummt, bleibt sie für den Menschen voll bestehen, der noch auf eine Chance spekuliert. Simone de Beauvoir entzieht Laurence dieser Anklage. Deren Ich hält sich voll durch, indem es mit Zufall und Schicksal zusammenfällt. Moral und Zufall bzw. Schicksal, Gewissen und Ich lassen sich nicht mehr auseinanderhalten. Alles ist Entscheidung und Zufall zugleich. Ich und Sein bzw. Nichts rücken auf eine und dieselbe ontische Ebene. Die Konfrontation mit dem Nichts wird nicht als Aufruf zur mortificatio sui verstanden und das Zurückversetztwerden ins Sein nicht als Gnade. Wo aber das Ich nicht bereit ist, sich Gott gegenüber preiszugeben, da findet auch keine Begegnung mit Gottes Erbarmen statt. Die Selbstverwirklichung im eigentlichen Sinne bleibt aus. Die Radfahrergeschichte hat denn auch nur den Rang einer Episode. Sie ändert an Laurences unglücklichem Bewußtsein nichts. Der momentane Anflug von Liebe zum geretteten „Rotkopf" zeitigt keine Folgen. Im Gegenteil, Laurence weicht dem Anspruch des Elends auf zweifache Weise aus. Auf der einen Seite entzieht sie sich der Realität durch die Bilder. Die nur indirekte Begegnung mit dem Elend hat die Funktion eines Alibis. Zwar beklagt Laurence diesen Tatbestand, aber sie unternimmt nichts dagegen. Auf der anderen Seite zieht sie sich auf ihr Alter zurück. Mit den voranschreitenden Jahren fügt sie sich, zu immer neuen Kompromissen bereit, mehr und mehr in den Alltag der Wohlstandsgesellschaft ein. Ihre Widerstandskräfte erlahmen. Vom leidenschaftlichen Willen zum Selbstentwurf bleibt bei Simone de Beauvoir zu guter Letzt nur eine vage Chance für die Jugend übrig. Von welcher Art diese Chance sein soll, darüber schweigt sich die Autorin aus. Ein 243

Vgl. I. Joh. 3,16.

Der Selbstverlust im Selbstentworfenen

71

bloßes „Daß" genügt ihr.244 Nichts aber berechtigt zu der Annahme, daß es der jungen Catherine anders ergehen werde als ihrer Mutter und Großmutter. Im Gegenteil, das zyklische Zeitverständnis der Autorin macht die ewige Wiederkehr des Gleichen geradezu zwingend. Demgegenüber kann sich der christliche Glaube weder mit einer vagen Chance für die Jugend noch mit der Wiederkehr des Gleichen abfinden. Weil Jesus in der Begegnung mit dem Tode nicht sich selbst festgehalten hat, sondern vor Gott ganz zu nichts geworden ist, gibt es für alle Menschen, ohne Rücksicht auf ihr Alter, weniger als eine Chance und zugleich mehr als sie. Weil die Hoffnungslosigkeit bei Simone de Beauvoir der Radikalität entbehrt, fehlt auch die unumstößliche Gewißheit einer Hoffnung. Diese Hoffnung entsteht allein an dem Gott, der Tote lebendig machen kann, wann, wie und wo es ihm gefällt. Er läßt das auf Selbstbehauptung bedachte Ich zu nichts werden, damit es sich selbst in seiner wahren Gestalt, in Christus, wiederfinde. Die vivificatio hat die mortificatio sui zur unabdingbaren Voraussetzung. Simone de Beauvoir jedoch beläßt das Ich im Schwebezustand zwischen Tod und Leben. Weder findet es sich selbst ganz im Nichts noch im Sein, weder im Unglück noch im Glück. Die Autorin läßt dieses Unglück dem Ich nicht zum Anlaß werden, vor Gott Buße zu tun, sondern sie metaphysiziert es zu einem unüberschreitbaren Letzten, das ebenso akzeptiert werden muß wie Sterblichkeit, Freiheit und Transzendenz. Es ist klar, daß dieses Schweben nicht mit dem Pilgerstand des Christen verwechselt werden darf. Auch der Christ steht in einer Diskrepanz. Er lebt zwischen Angeld und Erfüllung, zwischen dem vorläufigen und endgültigen Sein. Die neue Schöpfung, das Gestorben- und Auferstandensein mit Christus, kann vorerst nur geglaubt werden. Damit büßt sie aber nichts an Realitätsgehalt ein, weil Gott allein es ist, der für sie bürgt. Der Glaube richtet sich in der Hoffnung auf die endzeitliche Erfüllung des Verheißenen. Das Unterpfand ist ihm die gestalthafte Lebendigkeit des Auferstandenen, die zeitliche Prolepse des in der Parusie Erscheinenden. Dieser Zwischenzustand zwischen dem Schon-jetzt und dem Nochnicht ist die Zeit des unablässigen Kampfes zwischen dem alten und dem neuen Menschen. Der Glaube des Christen steht unter der An-

244

Vgl.WES.205.

72

Tod durch Sein

fechtung. 245 Ob er sich bewährt, entscheidet Gott im letzten Gericht. Er kämpft gegen die „niedere" und „hohe" Form der Anfechtung an, indem er sich immer wieder gegen den Deus iratus auf den gnädigen Gott in Christo beruft. In der hohen Anfechtung begegnet der zornige Gott dem Glaubenden, damit er sich nicht überhebe und die Gewißheit des Glaubens mit der securitas verwechsle. Er selbst ist es, der den Christen zuschanden werden läßt am Geforderten und an der Weltgesetzlichkeit, damit dieser es immer besser lerne, sich rückhaltlos auf seine Gnade zu verlassen. In solcher Angefochtenheit wird der Christ immer mehr sich selbst entzogen und seinem Herrn ähnlicher. Es ist das genaue Gegenteil vom absoluten Unglück bei Simone de Beauvoir, weil bei ihr im Tragen des absoluten Unglücks der Mensch bei sich selber bleibt. Der Christ spielt also, sofern er die Anfechtung als Gottes Liebeshandeln sub contrario versteht, nicht die „Rolle" eines Heiligen wie Marthe im Roman. Gerecht ist er im Glauben, aber sein Tun steht unter der Anklage des von Gott Gesetzten. Er scheitert am Geforderten, und insofern ist er Sünder. Aber dieses Sich-als-Sünder-wissen im Scheitern hat nichts zu tun mit der Altersresignation vor dem für absolut gehaltenen Unglück der Existenz bei Simone de Beauvoir. Man könnte eher davon sprechen, daß der Christ die „Rolle" des alten Menschen noch nicht losgeworden ist. Auch die „niedere" Anfechtung des Fleisches bleibt ihm nicht fremd. Auf der anderen Seite aber wäre davon zu reden, daß Gott selbst es noch nicht gefallen hat, dem Christen die „hohe" Anfechtung zu ersparen und ihm in der „Rolle" des Deus iratus den Glauben aus der Hand zu schlagen, dessen certitudo sich so leicht in securitas verwandelt.

245

Vgl. Ratschow, a. a. O., S. 233 ff.

TOD D U R C H ANDERE Selbstverwirklichung gibt es für Simone de Beauvoir nicht nur in einem selbstentworfenen Ziel, sondern auch im selbstbegründeten anderen. Sie vollzieht sich zwar zwischen zwei Individuen, zugleich aber im Medium der Gesellschaft. Der einzelne sieht sich nicht nur einer zweiten Existenz gegenüber, es kommt auch der Dritte mit ins Spiel. Die Selbstverwirklichung stößt auf den Widerstand von Existenzen, die dem Ich die Welt streitig machen. Es entsteht eine Konfliktsituation, in der es um Sein oder Nichtsein, Leben oder Tod, Obsiegen oder Unterliegen geht. An die Stelle des Seins tritt der andere, für den man entweder Objekt ist oder den man seinerseits zum Objekt machen muß. 1 Daß hier eine Tragik waltet, die mit der Existenz als solcher gegeben ist, zeigen wir exemplarisch an dem Roman „Sie kam und blieb", der zwar erst nach der Befreiung Frankreichs von deutscher Besatzung im Druck erschien, aber noch stark vom Idealismus der Frühperiode geprägt ist. Das Problem der physischen Tötung anderer, das sich für Simone de Beauvoir insbesondere im Zusammenhang mit der französischen Resistance gegen die deutsche Besatzungsmacht stellt, findet seinen Niederschlag in dem Werk der mittleren Periode unter dem Titel „Das Blut der anderen". 2 Es ist gerade diese zweite, „moralische" Periode, in der sich die Autorin besonders intensiv mit der Realität des anderen auseinandersetzt. Wie schließlich der existentielle Tod als Verweigerung der Rechtfertigung im Werk Simone de Beauvoirs zur Geltung kommt, soll beispielhaft an der Sammlung von drei Erzählungen unter dem Titel „Eine gebrochene Frau"® zur Sprache gebracht werden. Es handelt sich hierbei um ein Werk der Spätperiode.

1

2

3

Z u m Problem des Mordes im Existentialismus vgl. W. G r u n w a l d , Zum Problem des Mordes in der zeitgenössischen französischen Literatur, insbesondere im Rahmen des Existentialismus, Diss., Tübingen 1955 (Masch.). D a s Blut der anderen (franz. Titel „Le Sang des autres", Paris 1945), übers, v. K. Rheinhold, Reinbek b. H a m b u r g 1963. Eine gebrochene Frau (franz. Titel „La Femme rompue", Paris 1967), übers, v. U. Hengst, Reinbek b. H a m b u r g 1969.

Schmalenberg, Todesverständnis 6

74

Tod durch andere

Die Unvereinbarkeit

absoluter

Existenzen

Roman „Sie kam und blieb" Françoise lebt mit Pierre in einem eheähnlichen Verhältnis, in dem sich beide Partner volle Freiheit lassen. Sie nehmen Xavière zu sich, eine junge Waise, und unterstützen sie mit Geld in der Erwartung, daß sie bald Arbeit aufnehme. Sie entpuppt sich jedoch als Ränkespielerin, unberechenbar und launenhaft-exzentrisch, jeder geordneten Tätigkeit abhold. Sie versucht, Françoise an sich zu ketten und ihr Pierre auszuspannen. Françoise vermag ihr lange Zeit nichts entgegenzusetzen; erst eine schwere Erkrankung bringt die Wende. Auch Pierre demaskiert Xavière. Sie verliert auf diese Weise die Freundschaft beider und will Selbstmord begehen. Françoise aber fühlt noch immer Mitleid mit ihr. Erst als ihr bewußt wird, daß sie sich ebenso wie ihre Rivalin zu einer unechten Liaison mit Gerbert hat hinreißen lassen, kommt der Haß über sie. Sie tötet, um die eigene Lüge zu beseitigen, Xavière, indem sie Gas in deren Zimmer leitet. N u n fühlt sie sich einsam, aber frei: „Sie hatte endlich gewählt. Sie hatte sich selbst gewählt." 4 Sie ist überzeugt, daß Pierre, der als Soldat an der Front steht, nach seiner Rückkehr Verständnis für sie aufbringen werde. Die Erfahrung der Seinsfremdheit verbindet die Frauengestalten dieses Romans. Weil man sich mit dem Sein nicht identifizieren kann, bleibt als Möglichkeit der Selbstverwirklichung entweder das eigene Werk oder der andere. Françoise, die ihre eigene Welt als Schriftstellerin aufgebaut hat, sieht sich angesichts des im Nebel daliegenden Paris derart mit der Gleichgültigkeit des Nichts konfrontiert, daß sie die Flucht ergreift und davonläuft, um mit einem menschlichen Wesen zu telefonieren. 5 Das Sein schweigt, aber der andere könnte Antwort geben. Françoise hat diesen anderen zwar in Pierre, dem Bühnenleiter gefunden, aber ihr Verhältnis zu ihm ist abgestumpft. Die Pole von Ich und Du im Spannungsfeld der Existenzen — eine Analogie von Ich und Sein® — 4 5 6

SIS. 523. Vgl. SIS. 226. Vgl. S. 27 f.

Die Unvereinbarkeit der absoluten Existenzen

75

sind zu einem friedlichen Nebeneinander auseinandergefallen. Françoises Streben nach dem Absoluten hat sich ins Werk hineinverlagert. Xavière hingegen, dieses launenhafte junge Ungeheuer, kennt nur die Extreme des Alles oder Nichts. In ihr hat sich das Streben nach dem Absoluten im anderen voll erhalten. Auf ihre Weise ganz echt, kann sie sich weder mit einer geregelten Tätigkeit noch mit einer schauspielerischen Rolle abfinden. Sie sucht nur sich selbst im anderen. In ihr verbinden sich Sadismus und Masochismus zu einem unentwirrbaren Knäuel. Sie möchte total herrschen, indem sie sich total beherrschen läßt. Das ist zunächst gegenüber Françoise der Fall, auf deren Initiative Xavières Eintritt in das Zweierbündnis zurückgeht. Sie entzieht die Waise dem Einfluß ihrer verständnislosen Verwandtschaft, gibt ihr Geld und widmet ihr einen Teil der eigenen freien Zeit. Aber Xavière verlangt mehr: sie will Françoise ganz allein für sich gewinnen. Die Bindung soll so eng sein, daß sie zur Identität führt. Das spannungslose Nebeneinander von Françoise und Pierre ist nicht der Modus, den sie für ihr Verhältnis zu Françoise akzeptiert. Diese verfällt so sehr der Faszination durch Xavière, daß sie sich nicht mehr von ihr befreien kann. Dieselbe absolute Bindung versucht Xavière zu Pierre herzustellen. Es gelingt ihr, seine Gefühle zu Françoise zu verwirren. Er sagt: „Wenn ich sie dazu bringe, daß sie mich liebt, dann zwinge ich mich ihr auf, ich dränge mich in ihre Welt und triumphiere dort also nach ihren eigenen Wertmaßstäben." 7 Diese ekstatische Identität, die erfülltes Leben ist, bedeutet aber zugleich Tod. Sie läßt sich nur gewinnen um den Preis einer Selbstaufgabe, den Pierre jedoch nicht zahlen mag. Daß man der Liebe immer das Letzte schuldig bleibt, weil man eigentlich nur sich selbst sucht, diese Erfahrung macht auch Françoise. Sie gibt sich Gerbert hin, um dem Absolutheitsstreben ihrer Rivalin nachzueifern. Damit aber verrät sie Pierre. Auch Xavière läßt sich mit Gerbert ein. Sie tut es in der Absicht, Pierre dafür zu strafen, daß er Françoise nicht frei gibt, um ganz allein für sie da zu sein.8 Die beiden Frauen verstricken sich in eine Lüge. Damit aber läßt sich Françoise durch Xavière dazu provozieren, endlich sich selbst zu wollen. Xavière raubt ihr die Welt, und daher gilt 7 8

6*

S I S . 214. Vgl. S I S . 451.

Tod durdi andere

76

es, den K a m p f aufzunehmen. Mit Bestürzung wird Françoise gewahr: „ . . . frei, absolut, unerschütterlich erhob ein fremdes Bewußtsein sein H a u p t . Es bestand wie der T o d in völliger Verneinung und ewiger A b wesenheit, und dennoch konnte durch einen bestürzenden Widerspruch dies Nichts sich selbst gegenwärtig sein und für sich selbst existieren: das Universum versank darin und Françoise, für immer der Welt verlustig, ging unter in dieser Leere, deren unendlichen H o r i z o n t kein Bild zu umschreiben vermochte." 9 Eine Wirklichkeit tritt ihr entgegen, die ebenso massiv ist wie der Tod. 1 0 „Wenn ich dir sagte, ich hätte Angst vor dem T o d e " , heißt es aus Françoises Munde im Gespräch mit Pierre, „würdest du es verstehen: G u t ! Aber dies hier ist ebenso grauenhaft". 1 1 Jeder erlebt sich selbst als absolut. Aber wie lassen sich mehrere Absoluta miteinander vereinbaren? 1 2 Eine Lösung dieses Konflikts ist unmöglich, sofern sich diese Existenzen in einem und demselben Objekt verwirklichen wollen. Es gibt in einer solchen Situation nur die Alternative: Ich oder der andere. Entweder lasse ich mich erdrücken, oder ich raffe mich z u m Gegendruck auf. Simone de Beauvoir beschreibt Françoises Gedanken mit folgenden Worten: „Ihrem eigenen Sein jenseits v o n Zeit und R a u m stand diese feindliche Gegenwart gegenüber, die sie so lange schon mit ihrem blinden Schatten erdrückte: da war sie nur f ü r sich selbst existierend, ganz in sich selbst reflektiert, alles verneinend, was nicht sie selber w a r ; sie schloß die ganze Welt in ihre eigene triumphierende Einsamkeit ein, sie breitete sidi grenzenlos, unendlich, einzig aus; was sie war, zog sie aus sich selbst; jeglichem Zugriff entzogen war sie Trennung schlechthin." 1 3 Es genügt ein Druck auf den Gashebel, u m das fremde Bewußtsein zu vernichten. Françoise betätigte den Hebel und erlangt auf diese Weise die Identität mit sich selbst im H a ß und in der aus ihm folgenden Tat. „Ihre T a t gehörte nur ihr. Ich will es! Ihr Wille vollzog sich in diesem Augenblick, nichts trennte sie mehr v o n sich selbst. Sie hatte sich gewählt." 1 4

9 10 11 12 13 14

S I S . 378. Vgl. S I S . 382. S I S . 384. Vgl. S I S . 390. SI S. 522 f. S I S . 523.

Die Unvereinbarkeit der absoluten Existenzen

77

Niemand kann Françoise verurteilen, niemand ihr vergeben." Sie hätte sich gern das Bewußtsein erspart, Xavières Karriere verdorben zu haben. Aber die Rivalin erklärt sich lieber dazu bereit, in den Tod zu gehen, als ihr dieses Bewußtsein zu nehmen.16 Hier liegt die Tragik in der Begegnung dieser beiden Frauen. Aber diese Art der Tragik unterscheidet sich doch von derjenigen, die wir in der klassischen Tragödie finden.17 Das Bewußtsein, dem rätselhaften Widerspiel transzendenter Mächte ausgeliefert zu sein, fehlt. 18 Aber auch die Entmythologisierung der klassischen Tragödie durch den Pantragismus des 19. Jahrhunderts scheint überwunden zu sein.19 Aus der Resignation schreitet der Mensch zur Tat. Und doch dürfte E. Mounier recht haben, wenn er vom Freiheitsbegriff der französischen Existentialisten sagt, daß er wieder in den Schicksalsglauben zurückführe. Dieser Freiheitsbegriff nimmt sich aus wie eine Neuauflage des Schicksalsbegriffs. Der Mensch ist zur Freiheit verurteilt, so daß er sie auf sich nehmen muß, ob er es will oder nicht. 20 Bei Simone de Beauvoir stoßen nicht das Schicksal und die unsterblichen Götter aufeinander, sondern zwei Sterbliche, die durch das Schicksal dazu verdammt sind, sich selbst in den Rang von Göttern zu erheben. Nur ist es mit der Ausgewogenheit des griechischen Polytheismus vorbei. Diese „Götter" lassen nicht mehr einander gelten; sie machen sichgegenseitig die Absolutheit streitig. Ein „monotheistischer" Zug ist unverkennbar geworden. Der Mensch selbst versucht, den Platz des Einen einzunehmen, dessen Absolutheit der christliche Glaube bekennt. Aber er kann nicht mehr wie dieser in Freiheit einen Bund mit dem anderen eingehen, der in Erbarmen und Zorn seinen Ausdruck findet; die Relation, die in gegenseitiger Selbstverpflichtung besteht, wird abgelöst durch ein Identitätsverhältnis, in dem es nur noch Identischsein oder

15

Vgl. S I S . 523.

16

Vgl. S I S . 304.

17

Vgl. H . J. Baden, Das Tragische, Berlin 1941.

18

Vgl. für das moderne Drama H . Sierig, Das Tragische und seine Überwindung im Drama der Gegenwart, in: Almanadi auf das Jahr des Herrn, Hamburg 1964, S. 53 ff.

19

Zum Pantragismus vgl. Sierig, a. a. O., S. 55.

20

Zitat nach Sierig, a. a. O., S. 61.

78

Tod durch andere

Anderssein, Eros-Liebe oder Haß, Hörigkeit oder Feindschaft gibt. Gemeinschaftstreue ist hier ein defizienter Modus der Ich-Du-Verschmelzung. Entweder finde ich mich im anderen oder der andere findet sich in mir. Die Alternative besteht nur noch darin, den anderen zum O b j e k t zu machen oder für ihn zum Objekt zu werden. Alles andere wäre fade. Diese Alternative ist im christlichen Glauben ausgeschlossen. Da G o t t in Christus das Heil für den Menschen begründet hat, entfällt der Zwang, sich zum Zweck der Selbstgewinnug den anderen hörig zu machen. Der Christ findet nicht sich selbst in anderen, weil er sich in Christus bzw. weil Christus ihn gefunden hat. Christus sucht jetzt durch ihn den anderen. E r selbst ist der eigentlich Suchende und Handelnde. Die Christen aber verstehen sich als seine Knechte, Diener, Glieder. 21 Was ihr Eigenes angeht, so sind sie sdiwach, nicht weil sie sich noch nicht selbst gefunden hätten, sondern weil sich Christus in ihrer Schwachheit umso kräftiger verwirklichen kann. 2 2 Somit gibt es für sie nicht den hassenswerten anderen. Jeder andere ist der potentielle Bruder in Christo. Das schließt freilich nicht aus, daß Christen Feinde finden.23 Aber diese Feindschaft richtet sich gegen G o t t bzw. Christus in ihnen, es sei denn, sie wären der Anfechtung des Fleisches erlegen. 24 G o t t erhebt in der T a t einen Absolutheitsanspruch. Aber er schließt nicht den Menschen, sein Geschöpf, aus, sondern das Böse. 25 G o t t liegt mit Sünde, T o d und Teufel im Kampf, und wenn sein Sieg über diese Mächte auch unumstößlich feststeht, so bleibt doch das Letzte nodi zu tun. 2 8 Die Menschen sind Gefangene des Bösen oder Freigelassene Gottes. Sie leisten im Kampf dieser transsubjektiven Mächte der einen oder anderen Seite Gefolgschaft. Es geht im Grunde darum, daß 21

Christen als Knechte: Rom. 6 , 2 2 ; Tit. 1,1; I. Petr. 2 , 1 6 ; Jak. 1,1; Christen als Diener: Luk. 2 , 1 9 ; 2 2 , 2 7 ;

Rom. 15,16;

I.Kor.3,5;

4,1;

II. Kor.

6,4;

Christen als Glieder: I. Kor. 6 , 1 5 ; 12,27; Eph. 5,30. 22

Vgl. I. Kor. 1,27; II. Kor. 11,30; 12,9 f.

23

Vgl. Mt. 5,11; 10,17; 10,22.25; Joh. 15,20; Apg. 5,18; 12,4; 1 6 , 2 2 f f . ; I. Kor.

24

Verfolgung um Jesu willen: Mt. 5 , 1 1 ; 10,18 par.; 10,39 par.; Luk. 6,22.

25

Simone de Beauvoir sieht in einem anderen Zusammenhang eine Beziehung

15,30 f.; II. Kor. 11,24 f.

zwischen dem Begriff des Andersseins und dem Manichäismus. Vgl. Das andere Geschlecht, a. a. O., S. 85. 26

Vgl. R. Bultmann, Theologie 1965, S. 258 ff.

des Neuen Testaments,

5. erw. A.,

Tübingen

Die Unvereinbarkeit der absoluten Existenzen

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die bösen Mächte außer Gefecht gesetzt werden, aus deren Gefolgschaft sich der Mensch nicht mehr lösen kann. Insofern ist er ihr Opfer. Nicht aber er ist zu hassen, sondern die Macht des Bösen trifft der Haß. Nicht er wäre zu liquidieren, sondern das Böse muß zu Fall kommen. Und wenn der Christ auch nicht umhin kann, der Gewalt des Bösen am Menschen unter Umständen mit Gewalt entgegenzutreten, so weiß er doch, daß auf diese Weise die Macht des Bösen nicht gebrochen wird. Sie hätte aber ihren Einfluß verloren, wenn sich der andere mit ihm in die Gefolgschaft Christi, des Siegers, einreihen ließe. Das Verhältnis des Christen zum anderen wird nicht bestimmt durch den Gegensatz Gottes zu den Mächten des Bösen, sondern von der gemeinsamen Verlorenheit unter der Sündenschuld, der Gottes Vergebung ein Ende bereitet. 27 Den Menschen als den Gefangenen des Bösen sehen, heißt jedoch nicht, ihn entschuldigen. Gerade weil er keiner namenlosen Schicksalsmacht unterliegt 28 , sondern sich aus freien Stücken in die Gefolgschaft des Bösen begibt, macht er sich schuldig, und zwar schuldig vor Gott. Die Absage an Gottes Gnade und das Umfangensein von der Macht des Bösen sind ein und dasselbe. Das Anderssein ist kein schicksalhaftes Verhängnis, sondern Pervertierung einer Gnadengabe des Schöpfers durch trotzige Selbstbehauptung gegen Gott. Das Anderssein wird bestimmt durch eine personale Beziehung, sei es zum Bösen, sei es zu Gott. Simone de Beauvoir ontologisiert diese Relation: das Anderssein ist wie ein Fatum zu tragen und zu bejahen. Stattdessen sollte es Anlaß zur Schulderkenntnis sein, die nach Vergebung ruft. V o n Vergebung jedoch will Françoise im R o m a n nichts wissen. Sie weist die Reue von sich, da sie mit ihr eine höhere Instanz über sich anerkannt hätte. Sie weiß sich im Augenblick der Tat ganz mit sich selbst eins, wie G o t t über jede Verurteilung erhaben. Man fühlt sich an die Siegesgewißheit des Apostels Paulus in den Fragen des Römerbriefs erinnert: „Wer wird Anklage erheben gegen die Auserwählten Gottes? . . . Wer wird die Verurteilung aussprechen?" 29 Françoise weiß sich wie Paulus der Verurteilung entzogen, aber im Unterschied zu diesem kennt sie keine Schuldvergebung. Sie hat sich im ekstatischen Moment der Identifizierung mit sich selbst in der Tat gefunden. Was aber folgt danach? Simone de Beauvoirs R o m a n läßt keine Antwort

27

Vgl. den Brief des Paulus an die Römer, insbesondere die Kapitel 1 — 6 .

28

Vgl. H . J. Baden, Mensdi und Schicksal, 2. A., Berlin 1950, S. 181 f.

29

Rom. 8,33 f.

80

Tod durdi andere

auf diese Frage zu. E r bricht ab. Paulus aber hat sich selbst für immer gefunden, indem er sich von Gottes Erbarmen in Christo gefunden weiß. Daß er dabei nicht nur von sich allein spricht, sondern von den „Auserwählten Gottes" in der Mehrzahl, läßt erkennen, wie das Anderssein der Existenzen in Gottes Liebe aufgehoben wird. Das eigentliche Motiv für den Mord an Xavière liegt in Françoises Verlangen, die eigene Schuld zu beseitigen, nämlich den Verrat an Pierre und damit an sich selbst. 30 Denn Schuld gibt es nur auf Grund der Existenz des anderen. Durch dessen Blick wird man schuldig vor sich selbst. 31 Löscht man diesen Blick aus, so streicht man zugleich die Schuld aus. Der Zwiespalt des Gewissens schließt sich, man findet zu sich selbst zurück. U n d doch erweist sich die physische Tötung als Irrweg. Denn die Liquidierung des anderen, in und mit dessen Augen man sich als schuldig ansieht, löscht außer für den Moment der Tat selbst das Schuldbewußtsein als solches nicht aus. Der andere bleibt auch als leiblich abwesender der Ankläger im Gewissen. . Im Grunde besiegelt und vervielfacht der Mord die Schuld. E r verewigt sie sogar, denn er benimmt dem anderen die Möglichkeit, sich auch für schuldig zu erklären und so im Medium gemeinsamer Schuld Vergebung zu finden. In gewisser Weise wiederholt Françoise durch ihren Mord die Absage an Gott. Sie verobjektiviert den anderen zur Leiche, wie sie G o t t zu einem fremden Sein ontologisiert hat. Sie schneidet sich auf zwiefache Weise die Möglichkeit der Vergebung ab, denn Vergebung setzt ein freies personales Gegenüber voraus. Dennoch zeigt dieser Mord, daß der Mensch nur leben kann, wenn seine Schuld aufgehoben wird. Zwar muß der selbstunternommene Versuch zur Schuldbeseitigung scheitern, aber es bleibt doch festzuhalten, daß überhaupt ein solcher Versuch gewagt wird. Aus der Unentrinnbarkeit des Schuldigwerdens erhebt sich das verzweifelte Verlangen, nicht mehr schuldig sein zu müssen. Der Mord, so wahr er als Irrweg zu bezeichnen ist, weist über sich selbst hinaus auf den G o t t des christlichen Glaubens, der allein vergeben kann. Geht es in diesem R o m a n um die Freiheit des einzelnen, so geht es in dem Werk der mittleren Periode „Das Blut der anderen" um die Freiheit eines ganzen Volkes. Während dort die Tötung des anderen als Triumph des Ichs verstanden wird, das sich endlich selbst gefunden 30 S1

Vgl. JA S. 287 f. Vgl. Sartre, Das Sein und das Nichts, a. a. O., S. 338.

Die physisdie Tötung im Dienste der Freiheit

81

hat, überwiegen in der moralischen Periode die Skrupel vor einer Handlung, die der Freiheit dienen soll, aber vielen Unschuldigen den T o d bringt. Das Unvermeidliche muß geschehen, der Skandal jedoch bleibt. Die physische Tötung im Dienste der

Freiheit

R o m a n „Das Blut der anderen" Im Zentrum dieses Werkes steht Jean Blomart, das Haupt einer französischen Widerstandsgruppe. E r sieht sich vor die Entscheidung gestellt, einen neuen Attentatsbefehl zu erlassen, obwohl von seiten der Besatzungsmacht grausame Repressalien zu erwarten sind. V o n schweren Gewissensbissen heimgesucht, sitzt er am Bett der sterbenden Hélène, die bei einem von ihm angeordneten Einsatz tödlich verletzt worden ist. — Seine Vergangenheit zieht an ihm vorüber. Als Sohn eines bürgerlichen Druckereibesitzers schließt er sich den Kommunisten an, verläßt aber bald wieder die Partei, nachdem bei einer Aktion sein Freund den Tod gefunden hat. Als Gewerkschaftler sagt er allen U m sturzideen ab. Zu Madeleine unterhält er, ohne seine Freiheit zu opfern, intime Beziehungen, aber Hélène, die Geliebte seines kommunistischen Freundes Paul, versucht, ihn auf ihre Seite zu ziehen. Doch sie vermag keinen leeren Platz in seinem Herzen auszufüllen. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges möchte sie dem Einberufenen einen ungefährlichen Sonderauftrag in Paris verschaffen, führt aber auf diese Weise den Bruch mit Jean herbei. Nach seiner Verwundung organisiert er eine Widerstandsgruppe, während Hélène zeitweilig mit der Besatzung kollaboriert. Als ihre jüdische Freundin jedoch deportiert werden soll, wendet sie sich an Jean um Hilfe. Sie schließt sich seiner Gruppe an und erhält den Auftrag, ihren gefährdeten ehemaligen Freund Paul in die freie Zone zu fahren. Bei diesem Unternehmen trifft sie der tödliche Schuß. — Schon einmal ist auf Jeans Befehl ein deutsches Munitionsdepot gesprengt worden. Zwölf Geiseln mußten dafür ihr Leben lassen. Jetzt, nach Hélènes Tod, gibt Jean den Befehl zu einem neuen Anschlag. Jean Blomart ringt um seine Identität. Dieses Ringen vollzieht sich in mehreren Etappen. Jedes Ziel wird wieder zum Sein, das überschritten werden muß.

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Tod durch andere

Zunächst ist es die bürgerliche Welt seiner Jugend, das Vorfindliche, mit dem er sich nicht länger identifizieren will. Er sagt sich von der bürgerlichen Mentalität los und versucht, sich selbst zu gewinnen in der kommunistischen Idee. Aber der erhoffte Selbstgewinn ist in Wahrheit Selbstpreisgabe. Er kommt nicht darüber hinweg, daß er seinem Freund, der bei einem Einsatz erschossen wird, eine Pistole in die Hand gegeben hat. Während seine kommunistischen Parteifreunde den Tod durch Notwendigkeit rechtfertigen, hält Jean an seinen Gewissensbissen fest. Die Selbstverantwortlichkeit läßt sich nicht durch das Postulat von Geschichtsnotwendigkeiten aus der Welt schaffen. Vom Abstrakten wendet er sich dem Konkreten zu. Als Gewerkschaftsführer organisiert er, allen universalistischen Ideen abhold, Streiks zur Abwendung konkreter Mißstände. Aber auch diese Tätigkeit bleibt noch allzu abstrakt, denn Jean spielt dabei nur die Rolle eines Funktionärs. Erst als Frontsoldat winkt ihm die Möglichkeit, sich selbst zu gewinnen in einer konkreten Tat. Aus diesem Grunde wehrt er sich gegen den Versuch seiner Freundin, ihm einen Auftrag in der Etappe zu verschaffen. Aber erst nach seiner Entlassung vom Militär kommt die eigentliche Chance zur Selbstverwirklichung im eigenen Entwurf. Wiederum verschmäht er es, sich mit dem vorfindlichen Sein abzufinden. Er gründet eine Widerstandsgruppe. Aber auch als Gruppenleiter bleibt ihm die Erlangung seines Zieles verwehrt. Es wird ihm zur Auflage gemacht, sich persönlich an keiner Aktion zu beteiligen. Den anderen gegenüber muß er die Rolle des Vorgesetzten spielen. Er ist für sie der Fremde, der andere. Darin liegt seine Schuld. Sie besteht nicht in einem Akt 32 , sondern in der Tatsache, ein anderer zu sein. 33 Schon das pure Dasein ist in seinen Augen ein Verbrechen. 34 An dem eigenen Sein läßt sich nichts ändern. „Was ich war, war ich gegen meinen Willen." 35 „Ich selber war diese Schuld; sie lag in der Substanz meines Lebens, sie lag in mir." 3 6 Für sie gibt es keine Gnade. 37 Das Verbrechen, da zu sein, ist

82 33 34 35 36 37

V g l . B L S . 104. Vgl. BL S. 12. Vgl. BL S. 25. BL S. 103. BL S. 104. Vgl. BL S. 12.

Die physische Tötung im Dienste der Freiheit

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„unheilbar und unsühnbar". 3 8 Es gibt auch keine Situation, die nicht verlogen wäre. 39 „Schuld ist überall." 40 Die Einzelexistenzen gleichen den „winzigen Insekten, die einsam unter dem leeren Himmel in einem schwarzen Meer dahintreiben." 4 1 Aber gerade weil der Himmel leer ist und kein Sinn über dem Leben waltet, ist der Mensch verantwortlich — verantwortlich für sich selbst. 42 Es gibt nichts, was über diese Selbstverantwortlichkeit hinaus die vielen voneinander getrennt lebenden Monaden verbinden könnte. Der Verantwortlichkeit kann man um keinen Preis entfliehen. „Kann ich denn so tun, als existierte ich nicht mehr? Ich gehe aus der Welt, ich lösche mein Gesicht, meine Stimme und meine Spuren aus — und nichts ist geändert." 43 Die anderen würden noch an den eigenen Tod gekettet sein. „Ich werde immer noch für all die Handlungen verantwortlich sein, die durch mein Fortgehen möglich wurden." 4 4 Selbst der Tod also gehört dem Menschen nicht allein. Auch der Selbstmord kommt dem Morde gleich. 45 Der politische Anschluß Österreichs an Deutschland unter Schuschnigg beweist es. Wer durch Gleichgültigkeit gegenüber der eigenen Freiheit sich dem anderen ergibt, macht sich mitverantwortlich dafür, daß auch anderwärts die Freiheit mit Füßen getreten wird. 4 6 Daß es auf Grund der totalen Isoliertheit der Existenzen keine Selbstverwirklichung im anderen gibt, muß vor allem Hélène erfahren, die weibliche Hauptgestalt des Romans. Auch sie sucht sich selbst, aber nicht wie Jean, der sich in einem selbstentworfenen Sein verwirklichen möchte, sondern im anderen. Sie ist von demselben Absolutheitsstreben besessen wie Xavière und nach ihr Françoise in dem Roman „Sie kam und blieb". Als einzige unter den Romanfiguren tritt sie noch einmal in eine Kirche ein. Währenddessen fährt draußen der Bus ab, in den man Pariser Juden zur Deportation in ein Kon-

Vgl. BL S. Vgl. BL S. 4® BL S. 12. 41 BL S. 136. 42 Vgl. BL S. 43 BL S. 106. 44 B L S . 107. 45 Vgl. B L S . 4 6 Vgl. B L S . 38

39

25. 20.

100.

111. 110.

Tod durch andere

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zentrationslager gepfercht hat. Aber die Gläubigen in der Kirche nehmen davon nichts wahr. Sie lassen sich v o n Musik, Licht und Weihrauch einhüllen. 4 7 Anstatt sich der Wirklichkeit zu stellen, suchen sie die unschuldig lächelnde G o t t e s m u t t e r . Aber während ein Priester den Gläubigen den eucharistischen Christus in der goldenen M o n stranz zu sehen gibt, f a ß t Hélène den Entschluß: „Ich werde J e a n sehen." 4 8 V o n der Gleichgültigkeit Gottes ist für ihre jüdische Freundin nichts zu erhoffen, wohl aber v o n einem Menschen, der sich f ü r die Freiheit entschieden hat. Hélène sucht die Identität mit sich selbst in der völligen Hingabe an den anderen. Das geliebte Gegenüber soll ausschließlich ihr gehören. Dadurch macht sie es zum O b j e k t . Mensch und Gegenstand unterscheiden sich nicht mehr. So etwa wird sie v o n der Begierde nach einem schönen Fahrrad hingerissen, das ihr nicht gehört. Sie r u h t nicht eher, bis sie den nichtsahnenden J e a n dazu überredet hat, es ihr zu bringen, als wäre es ihr Eigentum. 4 9 Sie lehnt es ab, sich Paul, dem jungen Kommunisten, hinzugeben, der sie liebt und sie heiraten möchte. D a er sich einer Idee verschrieben hat, m i t der er sich ganz identifiziert, bleibt für Hélène kein R a u m m e h r in seinem Herzen. N u r bei J e a n erhofft sie sich eine Leere, die allein sie auszufüllen imstande ist. Madeleine jedoch, m i t der J e a n in einer ähnlichen lockeren Beziehung lebt wie Pierre und Françoise in dem R o m a n „Sie kam und blieb", wird v o n Hélène überhaupt nicht zur Kenntnis genommen. U m Jean zu gewinnen, gibt sie sich sogar einem wildfremden Manne hin. Sie erwartet v o n ihm ein Kind, das sie sich wegnehmen läßt, und zwar in Jeans Gegenwart. Die Hingabe an den Fremden gilt also eigentlich ihm. 5 0 Dennoch k o m m t es nicht zur Identifizierung m i t dem geliebten Du, v o n den wenigen ekstatischen Liebesbegegnungen abgesehen. Jean steht unentschieden zwischen Madeleine und seinem Freunde Paul. E r möchte beiden die Treue halten. V o r allem aber fürchtet er, sich selbst untreu zu werden. E r hat andere Ziele, die Hélène nicht m i t ihm teilt. 5 1 Es geht ihm um Selbstverwirklichung im eigenen E n t w u r f . Erst am Schluß des R o m a n s ü b e r n i m m t Hélène

47 48 49 50 51

Vgl. BL S. 213. BL S. 214. Vgl. BL S. 41 f. Vgl. BL S. 93. Vgl.BLS.96.

Die physische Tötung im Dienste der Freiheit

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diesen Entwurf, indem sie sich Jeans Widerstandsgruppe anschließt. Aber sie übernimmt den Entwurf auf ihre Weise, nämlich viel radikaler als Jean. Sie identifiziert sich total mit dem Unglück. Noch in der Agonie macht sie den Schrei der jüdischen Mutter — „Ruth" — zu dem ihrigen. Sie findet, was sie immer gesucht hat: die Selbstpreisgabe, den Tod. Auf welche Weise er zustande kommt, darüber sagt die Autorin nichts Genaueres aus. Die näheren Umstände sind unwichtig geworden. Jean kann an ihrem Sterben nur als ein Fremder teilnehmen. Er bleibt der andere, isoliert f ü r sich. Indem er in Freiheit sich selbst sucht und alles Vorgegebene überschreitet, ist er zum Stein für Hélène geworden, der sie erschlägt. Als der Schuldige ist er zugleich unschuldig. Während Hélène Jeans Entwurf übernimmt, stimmen die französischen Geiseln, die am Tage nach dem Anschlag erschossen werden sollen, nicht aus eigenem Antrieb mit ihm überein. Ist Jean für Hélène zum „Stein" geworden, so wird er für sie zum „Felsen" werden, der sie zerschmettert. 52 Sie müssen ihn verfluchen. Gleichgültig gegenüber der eigenen Freiheit haben sie sich mit dem Vorgegebenen identifiziert. Sie werden daher zum Mittel für Jeans Absicht, durch Terrorakte gegenüber der Besatzungsmacht den Widerstandswillen der Bevölkerung zu wecken. Es gibt zwar' keine moralische Rechtfertigung für dieses Vorhaben, denn „alle Mittel sind schlecht"53, aber das Blut, das man spart, macht ebensowenig frei von Schuld wie das Blut, das man vergießt. 54 Vor der Schuld gibt es kein Entrinnen. Daher kann Jean sagen: „Diese Toten belasten mich nicht." 55 N u r seine Mutter macht ihm Vorwürfe. „Diese Männer hier wollten nicht sterben", so sagt sie, „man hat sie nicht nach ihrer Meinung gefragt . . . Man hat kein Recht dazu, das ist Mord." 56 Sie verabschiedet ihren Sohn mit den Worten: „Du hast es getan. N u n ertrage es auch."57 Jean ist bereit, die untilgbare Schuld auf sich zu nehmen. Es gibt nur ein Gut, vor dem alle Steine und Felsen unschuldig werden, die Freiheit. 58 Sie bewahrt nicht nur vor der passiven Über52 53 54 55 56 57 58

Vgl. BLS. 221. BLS. 176. Vgl. BLS. 176. BL S. 206. BL S. 207. BL S. 208. Vgl. BLS. 221.

Tod durdi andere

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nähme des Vorfindlichen und der Selbstpreisgabe an den anderen, sondern auch vor dem letzten Identischwerden mit sich selbst. Diese Freiheit gibt keinen inneren Frieden. Sie ermutigt z u m Tragen der inneren Zerrissenheit, der Schuld. 58 K o m m u n i s m u s und Pazifismus bilden den Gegensatz zu dieser Freiheit. Der K o m m u n i s m u s würde der O p f e r u n g unschuldigen Lebens eine Rechtfertigung aus Notwendigkeit geben. Auf diese Weise werden Menschen zum Mittel degradiert. Die Identifizierung mit einem ideellen Sein macht gegenüber dem konkreten einzelnen blind. Der Pazifismus verhält sich gleichgültig gegenüber allen Formen der positiven Freiheit. Er sucht den Frieden u m des Friedens willen. Aber indem er u m jeden Preis das Leben will, schafft er dem Tode R a u m . Jean dagegen meint, daß es sich lohne, f ü r die Freiheit das Leben einzusetzen und O p f e r zu fordern. N u r läßt sich d a f ü r keine Rechtfertigung gewinnen. Der Skandal bleibt. Wenn die Freiheit bei Simone de Beauvoir darin besteht, alle Verbrechen, die in ihrem N a m e n geschehen, und alle Gewissensbisse, die daraus resultieren, mutig zu ertragen, so stimmt die christliche Freiheit damit nicht überein. Wie schon an anderer Stelle das Unglück in einen metaphysischen R a n g erhoben wurde 6 0 , so geschieht es hier mit der Schuld. Sie ist zu einem Absolutum geworden. D a nichts zu rechtfertigen ist, ist alles gerechtfertigt. Der Tyrannei des Andersseins öffnen sich T ü r und T o r . Demgegenüber besteht die christliche Freiheit nicht darin, sich fatalistisch zur Unentrinnbarkeit der Schuld zu bekennen, sondern sich der eigenen Sünde zum T r o t z vor G o t t gerechtfertigt zu wissen. D a diese Freiheit im Glauben empfangen wird, gibt es keinen Weg, sie durch eigene Bemühungen zu erwirken. G o t t verleiht sie als Gnadengeschenk u m Christi willen. Christus erbringt ein freiwilliges Selbstopfer, der Sündlose tritt stellvertretend f ü r den Sünder ein. Auch Hélène opfert sich, indem sie ihr Leben f ü r den ehemaligen Freund aufs Spiel setzt. Aber sie setzt nicht ihren T o d f ü r ihn ein. Daß sie bei dem Einsatz u m k o m m t , ist ihr Risiko. Ihren T o d hingegen müssen die französischen Geiseln zum Einsatz bringen, und zwar f ü r einen von Jean bestimmten Zweck. Er soll gleichsam als abschrek39 80

Vgl. BL S. 221 f. Vgl. S. 72.

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kendes Beispiel das Freiheitsbewußtsein der Franzosen initiieren. Unmittelbar bewirkt er nichts. Er appelliert an eine menschliche Möglichkeit, die ergriffen oder versäumt werden kann. Zwar leiden die Geiseln an Stelle der wahrhaft Schuldigen, aber sie leiden nicht stellvertretend und auch nicht als die Unschuldigen. Denn gerade darin besteht ja ihre Schuld, daß sie nicht rechtzeitig die eigene Freiheit ergriffen haben. Für dieses Versäumnis müssen sie jetzt zahlen. Das Opfer Christi aber soll nicht eine Möglichkeit zur Selbstbefreiung des Menschen provozieren, sondern es realisiert selbst die Freiheit des Sünders. Es verwirklicht Gottes Barmherzigkeit zur Vergebung der Schuld und damit zur Freiheit von Sünde, Tod und Teufel. Jesu Kreuzestod geschieht stellvertretend für die Sünder. Es findet ein Austausch zwischen ihm und ihnen statt. Seine Gerechtigkeit dürfen sie für sich selbst in Anspruch nehmen. Sein Gehorsam gilt als von ihnen erfüllt. An die Stelle der gestörten Gottesbeziehung tritt die intakte. Christi Kreuzesopfer steht in Analogie zum stellvertretenden Lebensopfer überhaupt. Ein Mensch kann sein Leben für das eines anderen einsetzen. Er schafft ihm damit Lebensraum, und sei es auch nur für eine zeitlich begrenzte Frist. Ein solcher Stellvertretungsgedanke liegt Simone de Beauvoir gänzlich fern. Man kann grundsätzlich nichts für den anderen tun. Freiheit und Leben muß jeder für sich selbst erringen. Das Lebensopfer hat höchstens einen provozierenden, nicht aber einen effektiven Sinn. Die Freiheit des anderen ist entweder ein Stein, den man annimmt wie Hélène, oder ein Felsen, von dem man zerschmettert wird wie die Geiseln. Es gibt nur die Alternative, selbst Opfer zu werden oder den anderen zu opfern. Für den christlichen Glauben entfällt diese Alternative. Es gibt aber eine Entscheidungsmöglichkeit zwischen dem stellvertretenden Selbstopfer und der Opferung anderer. Da die christliche Freiheit nicht erst noch verwirklicht werden muß, erübrigt sich die Notwendigkeit, um der eigenen Freiheit willen andere zu opfern. Christus hat freiwillig das stellvertretende Selbstopfer gewählt, und so gibt es auch für Christen in der Nachfolge ihres Herrn nur diesen Weg. Der Christ kann nur an die Stelle dessen treten, der sein Leben verwirkt hat. Er bezeugt damit seine Freiheit in Christus und schafft zugleich einen befristeten Lebensraum für den anderen. Dieser Weg hat nichts zu tun mit dem gesuchten Martyrium oder dem Aufgehen der Seele in Gott. Das stellvertretende Selbstopfer ist eine außerordentlich positive Tat. Sie appelliert nicht an die Freiheit, sondern sie schafft Freiheit.

88

Tod durch andere

Die Liebe zum anderen als dem Bruder macht es aber auch erforderlich, bei grundsätzlicher Bereitschaft, für ihn gegebenenfalls mit dem eigenen Leben einzustehen, ihm Schutz und Hilfe zuteil werden zu lassen. Wer sich zur Verantwortung für den anderen gerufen weiß, muß zur Wahrung des anderen Lebens unter Umständen zur Gewalt greifen. Es gibt eine Handhabung des Gesetzes im Namen der Liebe. 61 Dabei darf es nicht um die Wahrung der eigenen Freiheit gehen, sondern nur um die des anderen. Diese Freiheit muß so beschaffen sein, daß sich der andere ohne Zwang für oder gegen Gott in Christus entscheiden kann. Weder Unwissenheit noch Hunger noch irgendeine andere Behinderung sollte diese Freiheit einschränken dürfen. 62 Die Freiheit, sich die Schuld von Gott vergeben zu lassen, schließt die andere ein, sie behalten zu wollen. Die politische Freiheit muß also nicht nur um des Menschen willen, sondern vor allem um Gottes willen gefordert werden. Nicht deswegen bedarf der Mensch der Freiheit, weil er imstande sein müßte, den Lebensentwurf eines anderen zu übernehmen — der einzige Sinn von Freiheit, für den Simone de Beauvoir eintritt 63 —, sondern damit Gott zu seinem Ziel gelangt. Was speziell die Gewaltanwendung betrifft, so teilen wir mit der Autorin den Grundsatz, daß der Mensch niemals Mittel zum Zweck sein darf. 64 Die Freiheit des Menschen, sich für oder gegen Gottes Gnade zu entscheiden, kann durch keinen höheren Wert überboten werden. Die physische Tötung aber macht dieser Freiheit auf jeden Fall ein Ende. Das gilt auch im Hinblick auf die Möglichkeit, den anderen als Bruder zu gewinnen. Im Widerspruch jedoch zu den eigenen Grundsätzen läßt Simone de Beauvoir in diesem Roman die französischen Geiseln in der Hand Jeans zum Mittel werden. Ihr Tod selbst bewirkt nichts, er soll aber Mittel sein, die Freiheit der Bevölkerung zu stimulieren. Das ist für den Christen jedoch keine ethische Möglichkeit. Für ihn gibt es Wege des Widerstandes, die Opferung anderer bzw. Terror ausschließen.65

61 62 63 64 65

Vgl. Eiert, Ethos, a. a. O., S. 537. Vgl. D. Bonhoeffer, Ethik, her. v. E. Bethge, München 1953, S. 85 ff. Vgl. P Y S. 279, 290 ff. Vgl. P Y S. 290. Vgl. M. L. King, Freiheit. Aufbruch der Neger Nordamerikas, Kassel 1964; Ders., Warum wir nicht warten können, Düsseldorf 1964; Th. Ebert, Gewaltfreier Aufstand. Alternative zum Bürgerkrieg, Freiburg i. B. 1968; Tr. Rend-

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Die physische Tötung kann im Rahmen der christlichen Ethik nur als Notwehrmaßnahme gerechtfertigt werden. Sie dient zur unmittelbaren Abwehr der Bedrohung von Leib und Leben. Sie will bewahren, nicht aber Mittel sein, die Freiheit anderer zu provozieren. Es handelt sich um eine Abwehrreaktion, nicht aber um einen Faktor im Kalkül. Dies gilt auch vom Selbstopfer, das in Stellvertretung erbracht wird. Das Kreuzesopfer Christi bildet da keine Ausnahme, denn es dient zur Bewahrung der Seinen vor dem vernichtenden Gotteszorn. Das Apokalyptische an der von Simone de Beauvoir geschilderten Konfliktsituation liegt darin, daß zwei Gegner einander gegenüber stehen, die sich insofern ähneln, als sie beide ihre Verantwortlichkeit vor G o t t leugnen und eine rein autonome Moral vertreten. Für beide Seiten haben Idealismus und Humanismus ihren Sinn verloren. Der einen Seite gilt als gut, was dem deutschen Volke nützt, der anderen, was der Freiheit nützt. Es wäre zu fragen, ob nicht Faschismus und Existentialismus einem gemeinsamen Mutterboden entwachsen sind, dem Nihilismus. 66 Beide verhalten sich wie Steine oder Felsen. Widerstandskämpfer und Eindringlinge bilden gemeinsam den „Felsen", der die unschuldigen Geiseln erschlägt. Ihr Gewicht verringert sich jeweils zu dem eines „Steines" für die mit ihnen Kollaborierenden. Beide unterscheiden sich nur durch ihr Anderssein. Obwohl Simone de Beauvoir den Faschismus ablehnt, zeigt sie Verständnis dafür, daß sich ein junger Mensch für ihn entscheidet, sofern es in Freiheit geschieht. 67 W o es ausschließlich um Selbstverwirklichung geht, kann über die Legitimität von Zielen und Mitteln letztlich nichts Normatives mehr ausgesagt werden. Die Freiheit rechtfertigt alles. Es sollte nicht leicht genommen werden, daß Simone de Beauvoir dem Christentum gegenüber den Vorwurf erhebt, gleichgültig zugesehen zu haben, wie unschuldige Menschen der Freiheit beraubt, deportiert und umgebracht werden. Während die Gläubigen Messe feiern, läßt die Autorin vor der Kirchentür einen Bus mit zur Deportation bestimmten Juden abfahren. Obwohl man auf das Ganze gesehen ihrem Urteil torff, W o sich die Geister scheiden, in: Evangelische Kommentare, 2. Jg. 1969, S. 44 f. «« Vgl. Kuhn, a. a. O. S. 70. 67

Vgl. MO 163. — Im Neuen Testament ist Christus der Stein des Anstoßes. Vgl. dazu J.Jeremias, Artikel „lithos", in: Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, IV. Band, her. v. G. Kittel, Stuttgart 1942, S. 272 ff.

Sdimalenberg, Todesverständnis 7

Tod durch andere

90

leider nicht die Berechtigung absprechen kann, bedarf das von ihr gezeichnete Bild der Korrektur. Denn dort, wo in der Ära des sog. Dritten Reiches Widerstand geleistet wurde, waren Christen fast immer mitbeteiligt, zum Teil auch in führender Position. 68 Daß sie freilich nicht in viel größerer Zahl ihre Stimme gegen Unterdrückung und Ausrottung Unschuldiger erhoben haben, bleibt ein Makel in der Geschichte des Christentums, der auch durch seine positiven Zeugen und Märtyrer nicht getilgt werden kann. Die Gründe für das Schweigen christlicher Kirchen zu den Greueln der Machthaber des „Dritten Reiches" dürften nicht einheitlich sein. Während das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche dem Verdacht ausgesetzt ist, geschwiegen zu haben, weil es galt, das größere Übel, den russischen Bolschewismus, durch das kleinere, den deutschen Nationalsozialismus, in Schach zu halten 09 , lag bei vielen leitenden Persönlichkeiten des deutschen Protestantismus die Ursache nicht zuletzt in einer falsch verstandenen Zwei-Reiche-Lehre Luthers, die dazu verführte, die sog. Obrigkeit gewähren zu lassen. Es hätte aber klar sein müssen, daß Mord an Unschuldigen nicht mehr vom Begriff der biblisch legitimierten Obrigkeit gedeckt wird. An Stelle von Gleichgültigkeit und Passivität wäre wohl prophetischer Protest und tatkräftiger Wider-

68

Vgl. A . W .Dulles,

Verschwörung

in Deutschland,

Zürich

1948;

E. Kordt,

Nicht aus den Akten, S t u t t g a r t 1950; H . H e r m e l i n k , Kirche im K a m p f , T ü bingen

1950;

Goerdeler

I. Scholl, D i e weiße Rose, München

und

die

deutsche

1952; G . R i t t e r ,

Widerstandsbewegung,

Stuttgart

Carl

1956;

J.

Schmidt, D i e Erforschung des Kirchenkampfes. D i e Entwicklung der Literatur und der gegenwärtige S t a n d der Erkenntnis, in: Theologisdie Existenz heute, N r . 149, her. v. K . G . Steck und G . Eichholz, München 1968. — Zur R o l l e von Christen im französischen Widerstand vgl. A . C a m u s , Verteidigung der Freiheit. Politische Essays, Reinbek b. H a m b u r g (Seitenzahl

nach der

rororo Taschenbuch

Ausgabe

1960, S. 15 ff.

N r . 1096, Reinbek

b.

H a m b u r g 1968). 69

V g l . H . Müller (Her.), Katholische Kirche und N a t i o n a l s o z i a l i s m u s — D o k u mente 1930—1935, München 1966; R . Hochhuth, D e r Stellvertreter, Reinbek b. H a m b u r g 1963; F. R a d d a t z , S u m m a injuria oder D u r f t e der P a p s t schweigen? Hochhuths „Stellvertreter" in der öffentlichen K r i t i k , H a m b u r g 1964 (rororo aktuell N r . 591). — H . Thielicke, Theologische Ethik, I. B a n d , a . a . O . , S. 583 ff.; II. B a n d , 1. Teil, Tübingen 1955, S. 542 ff.; I I . B a n d , 2. Teil, Tübingen 1958, S. 399 ff.; E . W o l f , Kirche im Widerstand? Protestantische O p p o s i t i o n in der K l a m m e r der Zweireichelehre, München 1968.

Der existentielle Tod durch verweigerte Rechtfertigung

91

stand am Platze gewesen. Daß die Männer vom 20. Juli 1944 zum Mittel der physischen Tötung greifen mußten, sollte auch einmal unter dem Gesichtspunkt des Versagens der Kirchen betrachtet werden. Im übrigen zeigt aber das Beispiel des versuchten „Tyrannenmordes" vom 20. Juli den Unterschied, der zwischen einem christlich verantwortbaren Handeln und den existentialistisch begründeten Terrorakten in diesem Roman besteht. Während der Terror der französischen Widerständler darauf abzielt, die Möglichkeit der Selbstbefreiung Frankreichs vom Joch der Unterdrückung zu initiieren, lag die Absicht der Verschwörer vom 20. Juli darin, durch die Beseitigung Hitlers ein Volk vor dem totalen Ruin zu bewahren. Es sollte einer an Stelle aller sterben. Der Tod Hitlers hätte unter den obwaltenden Umständen etwas von einem stellvertretenden Opfer — eines unfreiwilligen freilich — an sich gehabt, eine Qualifizierung, die man jedoch dem Geiselopfer im Roman nicht zubilligen kann. Könnte es nach diesen beiden Beispielen aus der frühen und mittleren Lebens- und Schaffensperiode der Autorin so aussehen, als bestünde das Anderssein der Existenzen nur darin, auf dem Wege zur Selbstverwirklichung entweder zum Stein oder zum Felsen f ü r andere zu werden, so zeigt das dritte Beispiel, ein Werk der Spätperiode, daß sich das Anderssein nicht nur sieghaft selbst genügt, sondern auch leidend auf die Rechtfertigung durch andere angewiesen ist. Das Anderssein der Existenzen verabsolutiert sich nicht nur in der Ausschaltung des anderen, es relativiert sich auch im Erleiden des Ungerechtfertigtseins durch andere. An die Stelle des jugendlichen Tatmenschen, der für andere zum Schicksal wird, tritt jetzt der älter werdende, mehr und mehr zur Passivität verdammte Mensch, dem andere zum Schicksal werden, ohne daß er doch auf die Rechtfertigung seiner Existenz verzichten könnte.

Der existentielle

Tod durch verweigerte

Rechtfertigung

Erzählungen „Eine gebrochene Frau" Unter dem Titel „Eine gebrochene Frau" 70 sind drei Erzählungen vereinigt, in denen drei Frauen mittleren bzw. vorgerückten Alters um ihre Rechtfertigung durch andere kämpfen. Da existentielles Leben 70

7*

Vgl. Anm. 3.

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Tod durch andere

identisch ist mit Geliebtwerden und Gerechtfertigtsein, kommt die Verweigerung der Rechtfertigung dem existentiellen Tode gleich. Diese Erfahrung macht die namenlose Tagebuchschreiberin in der Haupterzählung „Eine gebrochene Frau" 71 mit ihrem Ehemann Maurice, einem Arzt. Sie sucht eine Woche Entspannung auf dem Lande, während Maurice zu einem Fachkongreß nach Rom fährt. Eines Tages entdeckt sie, daß ihr Mann, der an einem Heilmittel gegen Leukämie arbeitet, gar nicht im Labor war, sondern bei Noelli, einer geschiedenen Rechtsanwältin. Völlig ratlos gibt sie ihrem Manne die Erlaubnis, eine Nacht bei Noelli zu verbringen und zu einem Wochenende mit ihr aufs Land zu fahren. Da Maurice keiner von beiden Frauen wehe tun möchte, verbringt er ein anderes Wochenende mit seiner Gattin zusammen. Zur Wiederherstellung der gestörten Ehe kommt es jedoch nicht. Die Erzählerin spürt, daß die Zeit vergangen ist und alles verändert hat. Sie wünscht ihrem Manne und Noelli den Tod, um auf diese Weise das Bild ihrer Schande auszulöschen. U m zu beweisen, daß sie noch immer liebenswert ist, trifft sie sich mit einem alten Freund. Nachdem ihr bekannt geworden ist, daß Maurice sie schon seit langem betrügt, spioniert sie hinter ihm her. Maurice erfährt davon, und die Erzählerin sieht sich unversehens selbst auf die Anklagebank versetzt. Ihr Mann wirft ihr vor, auf seine Arbeit eifersüchtig gewesen zu sein. Um ihre Leere auszufüllen, beginnt sie zu schreiben. Eine Hoffnung regt sich bei dem Gedanken, Maurice freizugeben. Da sie aber auf diese Weise ihre Nebenbuhlerin anerkannt hätte, verwirft sie diese Möglichkeit wieder. Sie erkrankt, und da Maurice den Vorwurf erhebt, sie wolle ihn durch ihre Krankheit erpressen, begibt sie sich zu einem Psychiater. Dieser aber raubt ihr die letzten Widerstandskräfte. Nach einem Besuch bei ihrer Tochter in den Vereinigten Staaten wird ihr klar, daß sie nur Unglück verbreitet hat, obwohl sie doch alle glücklich machen wollte. Während die Tagebuchschreiberin in der Haupterzählung nach und nach zerbricht, indem sie sich auf ihr nacktes Ich reduzieren läßt, hat bei der Sprecherin der anderen Erzählung unter dem Titel „Monolog" 72 diese Reduktion bereits stattgefunden. 71 72

Eine gebrochene Frau, in: FR S. 123 ff. Monolog, in: FR S. 87 ff.

Der existentielle Tod durch verweigerte Rechtfertigung

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Die Sprecherin im „Monolog" haßt das ausschweifende Treiben am Silvesterabend in der Wohnung des nächsthöheren Stockwerks, weil sie selbst immer sauber und unanstößig gewesen ist — im Unterschied auch zu ihrer eigenen Mutter und deren erstem Mann. Sie erwartet für den Neujahrstag den Besuch Tristans, ihres zweiten Mannes, von dem sie getrennt lebt, und ihres Sohnes Francis. U m dieses Sohnes willen willigt sie nicht in die Scheidung von Tristan ein. Sie glaubt, an dem Jungen noch einen Erziehungsauftrag ausführen zu müssen. Auch will sie Tristan zur Aufhebung der Trennung bewegen, weil sie nur an der Seite eines Mannes Respekt in der Öffentlichkeit gewinnen kann. Auf Grund des Selbstmordes ihrer Tochter aus erster Ehe hat sie die Achtung ihrer Umwelt verloren. Die Schuld an diesem Schritt ihrer Tochter lastet man ihr, der Mutter, an, obwohl sie selbst ein perverses Verhältnis zu einer Lehrerin als den wahren Grund vermutet. Immer wieder hat der Zufall alle ihre guten Vorsätze durchkreuzt. Sie würde sich rehabilitiert sehen, wenn sie an Francis noch einmal versuchen könnte, was ihr bei der aus dem Leben geschiedenen Tochter mißlungen ist. Sie greift zum Telefonhörer, um Tristan zu versöhnen, aber dieser lehnt ihr Angebot ab. So faßt sie den Entschluß, sich mit ihrem Sohne Francis umzubringen, damit alle diejenigen, die ihr die Anerkennung versagen, sie im Paradies beneiden. G o t t soll ihr Rächer sein. Die einsame Frau im „Monolog" kämpft bis zum äußersten um ihr Recht, das andere ihr verwehren. Steht hier die Möglichkeit der Rechtfertigung noch offen, und sei es auch nur so, daß Gott sie vornehmen könnte, so bleibt sie der Ich-Erzählerin in der dritten Erzählung unter dem Titel „Das Alter der Vernunft" 7 3 auf tragische Weise versagt. Als unermüdlich produzierende Schriftstellerin stört sie die Resignation ihres Mannes André, eines Gelehrten, der sich älter werden sieht. Ihre Hoffnung ruht auf Philippe, ihrem Sohne, den sie gern in der Rolle eines Intellektuellen gesehen hätte. U m s o härter fühlt sie sich von dessen Entschluß getroffen, der akademischen Laufbahn zu entsagen und eine Stellung in der Industrie anzunehmen. Sie hält Irène, ihre Schwiegertochter, für die Initiatorin. Damit raubt diese ihr den Sohn zum zweiten Male. Alles wird leer um sie. Auch ihr letztes Buch stößt auf die Ablehnung der Kritiker. Als sie erfährt, daß Phi-

73

D a s Alter der Vernunft, in: F R S. 7 ff.

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Tod durdi andere

lippe, anstatt in die Industrie zu gehen, eine Aufgabe im Kultusministerium übernimmt, stürzt eine Welt f ü r sie zusammen. Sie hatte ihrem Sohne eine entschieden anti-gaullistische Erziehung angedeihen lassen. Dennoch trifft sich ihr Mann hinter ihrem Rücken mit dem von ihr verworfenen Sohn. Eines Tages ergreift André sogar die Flucht vor ihr, indem er allein seine hochbetagte Mutter in der Provinz besucht. Später reist sie ihrem Manne dorthin nach. Während André in seinem Heimatorte auflebt, bekommt die Erzählerin das Nachlassen der körperlichen Kräfte zu spüren. Beide sind sich einig im Bekenntnis der Traurigkeit der Weltgeschichte, ganz im Gegensatz zu Andrés greiser Mutter, deren Herz nicht aufgehört hat, für einen Fortschritt durch den Kommunismus zu schlagen. Am Ende entschließt sich die Erzählerin zur Versöhnung mit Philippe, obwohl alles anders ist als vorher. Auch ihr Verhältnis zu André harmonisiert sich wieder. Beide wollen einander im Alter helfen und nicht mehr so weit in die Zukunft vorausschauen. Die einsame Frau im „Monolog" hat versucht, in ihrer Tochter aus erster Ehe den eigenen Lebensentwurf zu verwirklichen. Sie ist daran gescheitert. Dennoch gibt sie nicht auf. Auch auf Francis, ihren Sohn, möchte sie ihr Bild vom anständigen Menschen projizieren. Sie hat sich einer abstrakten Idee verschrieben, die sie um ihrer Selbstfindung und Rechtfertigung willen um jeden Preis glaubt durchsetzen zu müssen. In der Erzählung „Eine gebrochene Frau" hat sich diese Leidenschaft zum Absoluten schon abgeschwächt. Das Syndrom von Selbstverwirklichung und Selbstbegründung spaltet sich auf. Die gebrochene Frau will zwar ihren Mann ganz für sich, sie vermag sich jedoch nicht mit ihm in demselben Lebensentwurf zu finden. Sie sucht die Selbstbegründung im anderen. Maurice hingegen möchte sich in einem eigenen Entwurf verwirklichen. Weil es nicht zur völligen Identität im Geistigen kommt — die Erzählerin muß sich von ihrem Ehegatten des öfteren den Vorwurf gefallen lassen, sie teile seine beruflichen Interessen nicht — weicht der männliche Partner in eine zweite Liebe aus. Kommt es nicht zur Übernahme des eigenen Lebensentwurfs, so wird die Liebesbindung an den einen Partner als lästig empfunden. Das friedliche Nebeneinander von zwei Partnerinnen, die man weder ganz missen möchte noch in voller Ausschließlichkeit zu lieben braucht, läßt mehr Freiheit zur Selbstverwirklichung im eigenen Entwurf. Das ist umso eher der Fall, als beide Partnerinnen ihren eigenen Entwurf ver-

Der existentielle Tod durch verweigerte Rechtfertigung

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folgen. So jedenfalls verhält es sich bei Noëlli, der Rechtsanwälte. Auch die zerbrochene Frau soll nach dem Willen ihres Mannes einen Beruf ausüben. Aber sie scheitert daran. Maurices Entfremdung von ihr trifft sie hart. Aber im Grunde hat sie selbst sich von ihm entfernt von dem Augenblick an, da sie versucht, sich selbst in ihren Töchtern zu verwirklichen. Auch die Erzählerin im „Alter der Vernunft" möchte sich selbst im anderen verwirklichen. Sie hat dazu Philippe, ihren Sohn, erwählt, dessen Lebensweg sie vorzeichnet. Darüber hinaus entwirft sie sich in einem literarischen Werk. Infolgedessen bleibt ihr Verhältnis zu André frei vom üblichen Konflikt absoluter Existenzen. Oder sollte gerade dieses Patt zwischen den Ehepartnern der Grund sein, weshalb die Erzählerin nach anderen Wegen der Selbstverwirklichung sucht? Alle drei Frauengestalten müssen unter Schmerzen erfahren, daß ihrer Liebe bzw. ihrem Lebensentwurf keine Rechtfertigung zuteil wird. Der andere identifiziert sich nicht mehr mit ihnen, Dritte treten störend in den Weg. Für die einsame Frau im „Monolog" ist es die introvertierte Lehrerin, die ihr den Zugang zum Herzen der Tochter raubt. Für die Tagebuchschreiberin in der „Gebrochenen Frau" spielt Noëlli die Rolle des störenden Dritten. Im „Alter der Vernunft" hat Irène, Philippes Frau, diese Funktion. Die Reaktion der drei Frauen auf die Verweigerung der Rechtfertigung fällt unterschiedlich aus. Die einsame Frau im „Monolog" steigert sich in einen Paroxysmus des Hasses hinein. Sie möchte am liebsten die ganze Welt auslöschen. 74 Da jeder nur auf die eigene Rechtfertigung aus ist, bleibt eigentlich nur der eine Ausweg, die Ansprüche des anderen durch physische Liquidierung zum Schweigen zu bringen. Die einsame Frau fühlt sich als Opfer der um ihre Rechtfertigung bemühten anderen. Man läßt sie in Einsamkeit umkommen, um sich die Mitwisserin der eigenen Schuld aus den Augen zu schaffen. Sie soll für jene die Rolle eines Sündenbodes spielen. 15 Demgegenüber hält sie mit absoluter Gewißheit an der eigenen Rechtschaffenheit fest. Jede Brücke zur Fremdexistenz ist abgebrochen. Sogar der geplante Selbstmord bzw. die Ermordung von Francis steht im Dienste ihres Begehrens, um jeden Preis recht zu behalten. Auch Gott muß als Zeuge der eigenen Integrität herhalten. 74 75

Vgl. FR S. 102. Vgl. FR S. 113.

Tod durch andere

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Er soll die Tote rechtfertigen, indem er sie ins Paradies versetzt; die anderen jedoch sollen an den Ort ewiger Q u a l verwiesen werden. Von demselben Verlangen, um keinen Preis ins Unrecht gesetzt zu werden, wird die „gebrochene Frau" in der gleichnamigen Erzählung umgetrieben. Sie gibt nur deshalb Maurice nicht frei, weil sie ihrer Rivalin Noëlli gegenüber recht behalten möchte. 76 Ihr eigenes Unrecht, das darin besteht, sich durch kleinliches Ausspionieren der "Wege ihres Mannes erniedrigt zu haben, kommt nur dadurch zustande, daß sie sich mit Maurices Augen anblickt. Ihr Ehemann wechselt aus der Rolle des Angeklagten in die des Richters über. 77 Zur Auslöschung dieser Schuld müßte man zur physischen Beseitigung des anderen übergehen. Die Erzählerin denkt an Mord. 7 8 Gerechtfertigt sein heißt völlig mit sich selbst identisch sein. Aber im Unterschied zu dem früheren R o man „Sie kam und blieb" kommt es jetzt, in der Spätperiode der Autorin, nicht mehr zur Ausführung des Gedankens. Es bleibt zuletzt nur noch die heroisch getragene Einsamkeit übrig, in der mutig der nächste Schritt in die Zukunft gewagt werden muß, auch wenn diese Zukunft nur Dunkel bereithält. A m stärksten fällt die Gebrochenheit der um Rechtfertigung betrogenen Existenz an der Ich-Erzählerin im „Alter der Vernunft" ins Auge. Deren Rivalität zur Schwiegertochter Irène hat keineswegs mehr die zugespitzte Form, in der sich die Konflikte der Existenzen in den beiden anderen Erzählungen abspielen. Jede Möglichkeit der Selbstverwirklichung ist abgeschnitten, sei es im eigenen Sohn, sei es im literarischen Werk. Der Impuls, um jeden Preis recht zu behalten, fehlt. Das Scheitern hat einen nicht mehr zu überschreitenden Gipfel erreicht. Die Anpassung an das Gegebene ist perfekt. Die Hoffnung, daß wenigstens noch die Jugend eine Chance hat 79 , erweist sich als trügerisch. Nicht nur kollaboriert Philipp mit den Gaullisten, auch die Mutter verzichtet zuletzt darauf, ihm gegenüber redit zu behalten. Sie söhnt sich mit ihm aus. Die Leidenschaft zum Absoluten erlischt gänzlich. Damit ist diese Erzählung zu einem erschütternden Dokument des Zurücksinkens der auf Absolutheit bedachten Existenz in die Alltäglichkeit geworden. N u r Andres betagte Mutter, die Kommu-

76 77 78 78

F R S. 235. Vgl. F R S. 183. Vgl. F R S. 196,218. Vgl. S. 70.

Der existentielle Tod durch verweigerte Rechtfertigung

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nistin, kann sich noch empören — ein Hinweis darauf, daß bei Simone de Beauvoir das Alter nicht allein durch die Zahl der Lebensjahre bestimmt wird, sondern auch durch die Kraft, das Absolute zu wollen. 80 In diesem Sinne ist die Greisin jünger als ihr Sohn und dessen Frau. Während sich die alte Frau mit dem absoluten Leid der Menschheit identifiziert, stimmen André und dessen Gattin nur noch mit der Traurigkeit der menschlichen Geschichte überein. An die Stelle der Empörung über das Leid ist die Schwermut getreten. Auf allen Ebenen k o m m t es zu einer friedlichen Koexistenz: zwischen den Ehepartnern, der älteren und der jüngeren Generation, den Gaullisten und den Antigaullisten, dem Menschen und dem Sein der Natur, das von André und seiner Frau mit einer Art von interesselosem Wohlgefallen betrachtet wird. 81 Das Anderssein ist definitiv geworden, man arrangiert sich miteinander. Erliegen die Gestalten gerade dieser Erzählung der Gefahr, daß ihr Scheitern am Absoluten in Resignation umschlägt, so ist dieser Punkt bei den Figuren der beiden anderen Erzählungen noch nicht erreicht. Mit dem christlichen Glauben hält Simone de Beauvoir daran fest, daß Rechtfertigung sein muß, und daß sie nur vom anderen her erfolgen kann. Zwar geht es stets darum, daß das Individuum sich selbst finde, aber für die Selbstfindung spielt der andere eine unentbehrliche Rolle. Existenzgewinnung, eigentliches Leben, läßt sich ohne ihn nicht denken. Verweigert der andere die Rechtfertigung, so steht das Ich vor dem Ruin, dem existentiellen Tod. T r o t z dieser Gemeinsamkeit mit dem Christentum unterscheidet sich das Rechtfertigungsverständnis bei Simone de Beauvoir fundamental vom christlichen. Bei ihr erlangt der Mensch seine Rechtfertigung, indem der andere in der Liebe bzw. der Übernahme des eigenen Lebensenlwurfs mit ihm identisch wird. Voraussetzung ist die An nähme der prinzipiellen Andersartigkeit des Du, die nicht bestehen bleiben darf, sondern durch Einschmelzung in der Identität aufgehoben werden muß. Das Ziel besteht im absoluten Einswerden ohne Rest —, eine Art von unio mystica im zwischenmenschlichen Bereich. Es hängt nur von der Stärke des Selbstbehauptungswillens ab, wer von zwei Partnern sich gegenüber dem anderen durchzusetzen vermag. Es gibt keine andere Alternative als die von Obsiegen oder Unter80 81

Vgl. S. 127. Vgl. FR S. 81.

98

Tod durdi andere

liegen. Da aber diese Art der Rechtfertigung nur momentan bzw. befristet möglich ist, im Augenblick ekstatischer Liebesvereinigung, in der zeitweiligen Übernahme eines Lebensentwurfs, etwa durch Heranwachsende, enden alle diesbezüglichen Versuche im Scheitern. Es kommt zum Verzicht auf Rechtfertigung überhaupt, im „Alter der Vernunft" verbunden mit einem leidit ins Positive gewendeten Sichzufriedengeben mit sich selbst und einer spannungsfreien Anerkennung des anderen in seinem Sosein. Von dieser Art von Rechtfertigung kann im Christentum nicht die Rede sein. Es geht im christlichen Glauben überhaupt nicht um Identität. D a die menschliche Schuld nicht ihren Grund im Anderssein absoluter Existenzen hat, kann Rechtfertigung auch nicht darin bestehen, dieses Anderssein aufzuheben. Der christliche Glaube versteht Schuld als Aufkündigung der Gemeinschaft mit Gott und den Menschen.82 Daher besteht Rechtfertigung in der Vergebung dieser Schuld und in der Wiederherstellung dieser Gemeinschaft. Es fällt auf, daß im Denken der Autorin die Schuld zwar eine gewichtige Rolle spielt, der Vergebungsbegriff aber gänzlich fehlt. Die ontologische Begrifflichkeit von Anderssein und Identischsein läßt keinen Platz mehr für eine personale Begrifflichkeit, in der es insofern um Sein geht, als das Gestört- oder In-Ordnung-sein der Gemeinschaft mit Gott und den Menschen auf dem Spiele steht. Das Ich-Du-Verhältnis wird vom Ich-Es-Verhältnis aufgesogen. Das Anderssein des anderen kann theologisch nicht als ontisch erstarrtes Sein im Sinne einer schicksalhaften Gegebenheit verstanden werden, vielmehr empfängt es seinen Sinn von Gott her. Die Verschiedenheit der Individuen erklärt sich aus der Zuteilung unterschiedlicher Gnadengaben durch ihn bzw. aus der Verschiedenheit der Wege, die Gott in Gericht und Heil mit den einzelnen geht. Auch das Anderssein im Sinne der Autorin resultiert aus der Gottesbeziehung. Was als Schicksal erscheinen mag, kommt aus Gottes Hand. 8 3 Er hat es gefügt, er vermag es auch zu ändern. Die Weltgesetzlichkeit findet in Gott ihren Herrn. Das primäre Interesse des christlichen Glaubens beruht auf der Wiederherstellung der Gemeinschaft mit Gott. Unrecht ist die Sünde im Sinne des Ausbruchs aus der Gehorsamsbeziehung zu ihm. Der

82

Vgl. Gen. 11

Der existentielle Tod durch verweigerte Rechtfertigung

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Mensch macht sich schuldig. Er ist aber gerechtfertigt, indem Gott diese Schuld vergibt und die Gemeinschaft wiederherstellt. Von ihm gerechtfertigt sein, heißt aber auch, Hoffnung gewinnen, von allen Weisen schicksalhafter Umschlossenheit frei zu werden. Auch weiterhin unterliegt der Gerechtfertigte den Strukturen dieser Welt, aber sie haben bereits ihren Stachel verloren. Das gilt nicht zuletzt auch vom Anderssein des anderen. Aber Resignation und Schwermut, die mit dem Glauben an schicksalhafte Notwendigkeiten zusammengehen, dürfen der Hoffnung auf Freiheit weichen. Noch in einer anderen Hinsicht unterscheidet sich die Rechtfertigungslehre der Autorin von der christlichen. Da die Wiederherstellung der Selbstidentität das eigentliche Heilsziel bildet, heißt Rechtfertigung bei Simone de Beauvoir, sich selbst in einem anderen gerechtfertigt zu sehen. Der andere wird somit als Mittel zur Selbstfindung gesucht. Es geht darum, ihm gegenüber auf jeden Fall selbst recht zu behalten. Genau umgekehrt aber liegt das Verhältnis in der christlichen Rechtfertigungslehre. Nicht das menschliche Ich darf recht behalten, denn jede Art von Selbstrechtfertigung verfällt als kauchesis dem göttlichen Gericht, 84 sondern Gott allein kommt zu seinem Recht. Vor ihm bleibt von der menschlichen Eigengerechtigkeit kein Rest mehr übrig. Christliche Rechtfertigung heißt, an Stelle der eigenen Gerechtigkeit vor Gott Christi Gerechtigkeit in Anspruch nehmen. Es ist zwar nachdrücklich zu vermerken, daß die Autorin im „Monolog" nach einer längeren Zeit der Mißachtung Gott wieder eine Funktion zuweist, aber sie ist anders als diejenige, die Gott selbst in Christo für sich in Anspruch nimmt. Die Beziehung des Rachegottes der einsamen Frau im „Monolog" zu dem Gott der sogenannten alttestamentlichen Rachepsalmen 85 liegt zwar auf der Hand, aber der in Christo offenbare Gott kann nicht als Erfüllungshelfer menschlicher Rachegelüste in Dienst genommen werden. Gott ist nicht der Ausgleicher für die unerfüllt gebliebenen Ansprüche des Menschen, eine Art von „Opium des Volkes" 80 , sondern er selbst ist es, der seine Ansprüche gegenüber 83 84 85

88

Vgl. Baden, Mensdi und Schicksal, a. a. O., S. 194. Vgl. II. Kor. 10 ft. Vgl. Ps. 79,12; 94; 137; 149,2; Klagel.4,21. — Vgl. dazu C. Westermann, Tausend Jahre und ein Tag, 4. A., Stuttgart 1962, S. 264 f. K.Marx, Zur Kritik der Hegeischen Rechtsphilosophie, in: Die Frühsdiriften, her. v. S. Landshut, Stuttgart 1964, S. 208.

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Tod durch andere

dem Menschen geltend macht. G o t t erscheint in der T a t zum Gericht, aber es wäre Vermessenheit, ihm vorschreiben zu wollen, daß er im Sinne individueller Gerechtigkeitsvorstellungen zu urteilen hätte. Weil gerade die Selbstgerechtigkeit Ausdruck des Aufstandes gegen G o t t ist und damit Schuld beinhaltet, besteht die christliche Rechtfertigung zunächst darin, Gottes berechtigtes N e i n gegenüber Selbstrechtfertigungsversuchen anzuerkennen. N u r im Verzicht auf eigene Gerechtigkeit und im Bekenntnis der eigenen Schuld v o r G o t t wird dem Menschen u m Christi willen Gerechtigkeit zuteil. N u r leere H ä n d e will G o t t füllen. In seinen Augen recht sein, wieder Gemeinschaft mit ihm finden, heißt leben im echten Sinne. Einzig auf diesem Wege gelangt Existenz zu ihrer Eigentlichkeit. Gemeinschaft mit G o t t haben heißt auch: im anderen den Bruder finden. Sein Anderssein bildet nicht mehr den Anlaß z u m Konflikt auf Leben u n d T o d ; es stellt sich jetzt dar als eine v o n G o t t gefügte Verschiedenheit. G o t t selbst nimmt sie in Dienst, u m mit ihr seine Gemeinde auf Erden zu bauen. 8 7 Nicht K o n k u r r e n z ist das Prinzip dieses neuen Miteinanders, sondern gegenseitige Hilfeleistung.

87

Vgl. Bultmann, a. a. O., S. 156 ff., 456.

T O D D U R C H SCHICKSALSMACHT Nachdem in den Werken der mittleren Schaffensperiode die Absolutheit der Existenzen die Identifizierung des Ichs mit sich selbst im Sein bzw. dem anderen verhindert hat, tritt in den Werken der Spätperiode der biologische Tod als diejenige Macht in den Vordergrund, die alle Versuche der Selbstgewinnung im Absoluten zum Scheitern bringt. Das Preisgegebensein des Menschen an den biologischen Tod bzw. das Altern bildet ein wichtiges Thema bei Simone de Beauvoir, durch das sie sich in bemerkenswerter Weise von den anderen Existentialisten unterscheidet. Für die Erörterung auch dieses Zusammenhanges empfiehlt es sich, der zeitlichen Entwicklung der Autorin zu folgen. Das kann wiederum nur durch exemplarische Behandlung geschehen. Da die Angst vor dem biologischen Tod die Autorin schon in der Frühperiode bewegt, greifen wir noch einmal auf die beiden ersten Memoirenbände „Eine Tochter aus gutem Hause" und „In den besten Jahren" zurück. 1 Für die mittlere Periode, in der das Älterwerden Beunruhigung und Schrecken auszulösen beginnt, erfolgt die Darstellung an Hand des Romans „Die Mandarins von Paris" 2 . Ihr schließt sich ein Exkurs an über den Essay „La Vieillesse". Für die Spätperiode, in der die Bedrohung durch den Tod das beherrschende Thema wird, bietet sich der Bericht „Ein sanfter Tod" 3 an. Die Angst

vor dem biologischen

Tod

Memoiren „Eine Tochter aus gutem Hause" „In den besten Jahren" Der biologische Tod stellt sich für Simone de Beauvoir als das Endglied einer langen Reihe von existentiellen Todeserlebnissen dar, die sie schon als Kind auf sich zukommen sieht. „Ich habe allen Verzicht, 1 2 3

Vgl. S. 32 ff. Vgl. Anm. 15 auf S. 2. Ein sanfter Tod (franz. Titel „Une Mort tres douce", Paris 1964), übers, v. P. Mayer, Reinbek b. Hamburg 1965.

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Tod durch Sdiicksalsmadit

alle Verlassenheit, alle aufeinanderfolgenden T o d e schon früh vorausgeahnt", 4 so schreibt sie. Insbesondere aber sind es die Frontberichte des Ersten Weltkrieges, die sie beklommen machen, u n d die Nadhrichten, daß Freunde der Familie und Vettern gefallen seien. Das Kind kann den Gedanken nicht ertragen, daß der T o d Menschen, die einander lieben, f ü r immer trennt. 5 Die erste persönliche Begegnung mit dem Tode hat Simone de Beauvoir, als ihr geliebter Onkel stirbt. Sie erlebt dessen Sterbestunde mit. Ihre Verzweiflung bricht mit derartiger Heftigkeit hervor, daß sie sich selbst davon überrascht zeigt. Es ist die Unwiderruflichkeit des Sterbens und die Unentrinnbarkeit des Todes im Blick ihres Onkels, die sie an ihre eigene Zukunft und an den T o d ihres eigenen zukünftigen Mannes vorausdenken läßt." Vor allem auf der mystischen Stufe ihrer religiösen Phase, nach der Absage an den G o t t des Christentums, bricht die Angst vor dem T o d e mit Urgewalt hervor. D e m Nichts preisgegeben, erkennt Simone de Beauvoir zwar rein intellektuell, daß es nur konsequent sei, dem Leben ein E n d e zu machen — sie bewundert die Freiheit anderer z u m Selbstmord —, aber den letzten Schritt wagt sie selbst nicht, denn: „Ich hatte zu große Angst vor dem T o d e " . 7 Aufhorchen läßt der Satz: „Ich fand es umso schrecklicher, sterben zu müssen, als ich keine Gründe zum Leben sah." 8 In der Folgezeit verläßt sie der Gedanke an den T o d nie. Jedoch läßt sie das Grauen vor ihm den Glanz des gegenwärtigen Daseins u m s o tiefer empfinden. 9 Sartre versucht, in ihr die Freude am Leben wachzuhalten, aber die D r o h u n g des Todes verdirbt jedes Glücksgefühl. Sie empfindet das dauernde Konfrontiertsein mit dem T o d e als eine A r t v o n Offenbarung. 1 0 Aus späterer Sicht f ü g t die Tagebuchschreiberin einem solchen Erlebnisbericht die Bemerkung hinzu, daß es f ü r sie zwei Wahrheiten gebe, zwischen denen keine Wahlmöglichkeit besteht: „die Freude zu existieren und das Grauen vor dem

4 5 6 7 8 8 10

TO S. 9. Vgl. TO S. 62. Vgl. TO S. 207. T O S . 221. TO S. 222. Vgl. JA S. 255. Vgl. JA S. 178.

Die Angst vor dem biologisdien Tod

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Ende." 1 1 Schon ahnt sie, daß die zweite Wahrheit auf die Dauer stärker sein werde als die erste. Aber eigentlich ist es nicht so sehr der Gedanke an den T o d , der die Autorin verfolgt, sondern an das Nichts, in das der T o d die Existenz hineinstößt. 1 2 Zwar treibt sie der T o d immer wieder zu Tränenausbrüchen und lauten Schreien, aber schlimmer ist es, daß das Leben in nichts versinkt. Die ganze Welt vergeht, und es existiert nur noch „Entsetzen". 1 8 Ein Leben lang v o n Entsetzen verfolgt zu sein, ist nach dem Empfinden der Autorin gräßlicher als der T o d selbst. „Wenn der T a g der Fälligkeit naht, sagte ich mir, und man ist schon dreißig oder vierzig Jahre alt und denkt: Morgen ist es so weit — wie erträgt man das n u r ? " " Daß der T o d ohne Rücksicht auf G u t und Böse, ja eigentlich unverdient über die Menschen k o m m t , geht dem Kinde am Märchen v o n der Seejungfer auf. „Die kleine Seejungfrau litt, bevor sie unterging, bei jedem ihrer Schritte, als ob sie auf glühenden Kohlen einhergehe, und dennoch hatte sie nie etwas Böses getan." 1 5 Später gelangt die Heranwachsende zu der Erkenntnis, daß wir zum T o d e verurteilt sind. 16 Wie wenig man angesichts des eigenen Todes empfindet, stellt die Autorin fest, als sie bei einer einsamen Bergwanderung ihrem zu Tal gerollten Rucksack nachsteigen will und dabei ins Gleiten k o m m t . „ D a haben wir's, sagte ich mir. Es passiert, es passiert! Es ist aus! Ich fand mich auf dem G r u n d der Schlucht wieder, einen Schenkel aufgeschunden, aber mit heilen Knochen. Ich war erstaunt, wie wenig ich empfunden hatte, als ich mich dem Tode nahe glaubte." 1 7 Auf der ersten Stufe der religiösen Phase dient als Mittel gegen den T o d der Glaube an die Ewigkeitsverheißung Gottes: „ N i e würde ich aufhören, zu sehen, zu hören, mit mir selbst zu sprechen. Es würde kein Ende geben." 1 8 Später, auf der mystischen Stufe, spricht die

JA S. 178. Vgl. TO S. 47. 1S Vgl. TO S. 199. 14 T O S . 132. 15 TO S. 50. 16 Vgl. TO S. 132. " JA S. 257. 18 TO S. 47. 11

12

Tod durch Sdiicksalsmacht

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Autorin vom Zerfall der Zeit in Augenblicke, die in unendlicher Folge ihr nichts bekunden, als v o n einem „vielfältig partiellen T o d " , in den sie sidi nicht zu ergeben vermag. Sie geht gegen diesen T o d an, indem sie sich der U n t ä t i g k e i t entreißt, und „Seiten aus Schopenhauer, aus Barres, Verse von Madame de Noailles" abschreibt. 1 9 Simone de Beauvoir erblickt also insofern einen Zusammenhang zwischen dem biologischen und dem existentiellen T o d , als der biologische den Schlußpunkt hinter die vielfältigen existentiellen Todeserlebnisse setzt. E r rundet sie sozusagen zu einem Ganzen. Es gibt f ü r die A u t o r i n eine objektive Macht des Nichts, der man schon im Leben begegnet und die letztendlich m i t dem T o d zusammenfällt. Sie darf freilich nicht m i t der nichtenden Negativität der Freiheit bzw. Transzendenz verwechselt werden. Beide verhalten sich wie die m o r t i ficatio zur mors. D e r T o d reduziert den Menschen wider seinen Willen auf das Nichts. Es ist aber nicht in erster Linie der T o d selbst, v o n dem sich das Leben unmittelbar b e d r o h t sieht, oder gar die Leiche, die er zurückläßt; vielmehr sind es die m i t der D r o h u n g des Todes aufbrechenden Vorstellungen der U n e n t r i n n b a r k e i t , Unwiderruflichkeit, Endgültigkeit und des ewigen Getrenntseins v o m anderen, die in ihr die stärksten Grade abwehrender Gefühlsreaktionen auslösen: Furcht, Angst, Schrekken, Entsetzen, Tränen, Schreie. Simone de Beauvoir gibt auch den G r u n d des Entsetzens an. E r besteht paradoxerweise darin, keine Gründe z u m Leben aufzeigen zu können. D e r Sinn des Todes m ü ß t e sich für sie v o m Sinn des Lebens aus erschließen. D a aber dem Leben der Sinn fehlt, geht er auch dem T o d e ab. A m ehesten ließe sich noch ein Sinn für die physische T ö t u n g bzw. den O p f e r t o d auffinden. Wie aus dem R o m a n „Das B l u t der anderen" hervorgeht, k ö n n t e ein solcher Sinn in der Freiheitsidee liegen. W e r in ihr einen Sinn erblickt, k ö n n t e wohl auch die Lebenshingabe für sinnvoll halten. 2 0 Durch den biologischen T o d jedoch wird dieser Lebens- bzw. Todessinn entschieden in Frage gestellt. E r unterwirft den Menschen, auch wenn er zum O p f e r für die Freiheit bereit wäre, einer unbezwingbaren Notwendigkeit. Das Nichts, dem er in seinem freien Lebensentwurf entflieht, h o l t ihn schließlich doch ein. D e r bio19 20

Vgl. TO S. 222. Vgl. S. 85 f.

Die Angst vor dem biologisdien Tod

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logische Tod in seiner grauenerregenden Faktizität läßt ebenso einen Sinn vermissen wie das Leben in seiner puren Gegebenheit. Es ist also bei Simone de Beauvoir keineswegs so, als wüchse die Todesbereitschaft mit der Sinnlosigkeit des Lebens. Gerade das Scheitern am Absoluten, die Unmöglichkeit, sich entweder mit dem Sein oder dem Nichts zu identifizieren, macht den Tod zum Feind schlechthin. Es erfolgt weder eine Verklärung des Todes noch seine Verdrängung. Er birgt keinen Sinn in sich.21 Damit unterscheidet sich das Todesverständnis der Autorin ganz wesentlich von demjenigen Heideggers. 22 Während bei diesem der Tod als Seinsmöglichkeit des Daseins dem Verstehen zugänglich ist, entzieht er sich bei Simone de Beauvoir. Er läßt sich nicht in das Verständnis des Daseins integrieren. Auch im Alten Testament kann weithin nicht davon die Rede sein, daß der Tod verstanden worden sei. Klammert man einmal die Erzvätergeschichten aus, nach denen sich der Ahnherr alt und lebenssatt zu seinen Vätern versammelt, 23 dem Tode also ohne Schrecken entgegengeht, so wird im allgemeinen der biologische Tod doch wie ein Verhängnis betrachtet, das kein Warum und Wozu kennt. „Sterben müssen wir und sind wie das Wasser, das auf die Erde gegossen wird und das man nicht wieder sammeln kann." 24 Der Tod setzt dem Leben unwiderruflich ein Ende, ohne daß ein Sinn damit verbunden wäre. Es fragt sich jedoch, ob nicht die Auslegung des Faktums Tod als eines sinnlosen Widerfahrnisses bereits einem Denken entspringt, das Gott aus dem Zusammenhang von Tod und Leben verdrängt hat. Mag die Beziehungslosigkeit des Todes zu Gott im Alten Testament auch religionsgeschichtliche Gründe haben, 25 bei Simone de Beauvoir können sie keine Anwendung finden. Die Sinnlosigkeit des Todes steht

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Diese Alternative bei Thielicke, Tod und Leben, a. a. O., S. 63, vereinfacht den Tatbestand. Vgl. S. 8 ff. und Heidegger, Sein und Zeit, a. a. O., S. 235 ff. sowie Sternberger, a. a. O., S. 125 ff. Vgl. L. Wächter, Der Tod im Alten Testament, Habilitationsschrift, Rostode 1964 (Masch.), S. 88. II. Sam. 14,14 in der Übers, v. H. W. Hertzberg, Die Samuelbücher, in: Das Alte Testament Deutsch, Teilband 10, 3. A., Göttingen 1965, S. 270. Vgl. G. v. Rad, Theologie des Alten Testaments, I. Band, 5. durchges. A., München 1966, S. 288 ff.

Schmalenberg, Todesverständnis 8

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Tod durch Schicksalsmacht

bei ihr in einem direkten Verhältnis zu ihrer Absage an Gott. Darüber ist sie sich selbst auch völlig im klaren. 26 Im Alten Testament jedoch hat es nicht bei der sinnlosen Faktizität des Todes sein Bewenden. Die Frommen des Alten Bundes ringen unablässig mit dem Todesproblem. Wenn es auch im Unterschied zum Neuen Testament nicht zur letzten Auflösung der theologischen Aporien kommt, so zeichnet sich doch eine Entwicklung ab, die auch den biologischen Tod dem theologischen Verstehen öffnet. 27 Die Frage nach seinem Sinn entzündet sich im Alten Testament am Problem der Gerechtigkeit. Auch der Sinn des Lebens liegt nicht in seiner bloßen Faktizität. Vielmehr quillt er aus der Freude am Leben, 20 die ihrerseits dem Verhältnis zu Gott entspringt und sich im kultischen Gotteslob erfüllt. 29 „Die Gerechten sind es, die vor und mit Jahwe leben." 30 Von diesem Verständnis der Eigentlichkeit des Lebens her gewinnt auch der Tod einen Sinn, und zwar zunächst nur der frühe, plötzliche Tod. Er kann als Segensentzug, als Strafe Gottes für Ungehorsam, verstanden werden. 31 Von dieser Deutung bleibt jedoch der normale biologische Tod zunächst unberührt. D a das eigentliche, sinnerfüllte Leben im kultischen Gotteslob kulminiert, wird vom biologischen T o d lediglich festgestellt, daß er die durch ihn Betroffenen vom Gotteslob ausschließe. „Nicht loben die Toten den Herrn, noch wer ins Schweigen hinabfuhr. " 3 2 Es liegt noch fern, ihn als Strafe zu verstehen. Daß sich jedoch bei fortschreitender Individualisierung der Frömmigkeit auch der einzelne die Frage vorlegt, weshalb Gott den Gerechten in Leid und Bedrängnis stürzt, liegt auf der Hand. Wie verhält sich Gottes Gerechtigkeit zu dem Frommen, der sich von der Unterwelt bedroht sieht? 33 Achtet Gott etwa den Gerechten dem Gott-

28 27 28

29

30 31 32

Vgl. T O 131 f. Vgl. Schunack, a. a. O., S. 53. Vgl. L. Köhler, Theologie des Alten Testaments, 3. überarb. A., Tübingen 1953, S. 139. Vgl. G. v. Rad, Alttestamentliche Glaubensaussagen von Leben und Tod, an: Evangelisch-Lutherische Kirchenzeitung, Leipzig, 71. J g . 1938, Sp. 829. Schunack, a. a. O., S. 53. Vgl. Köhler, a. a. O., S. 136. Ps. 115,17 in der Übers, v. A. Weiser, Die Psalmen/II. Teil: Psalm 61—150, in: Altes Testament Deutsch, her. v. V. Herntrich und A. Weiser, 4. neubearb.A., Göttingen 1950, S. 491.

Die Angst vor dem biologischen Tod

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losen gleich? Auf der Linie dieser Frage hätte auch die Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Todes gelegen. Aber sie erfolgt so noch nicht. Stattdessen entsteht aus der Frage nach Gottes Gerechtigkeit für den bedrängten Frommen am Rande des Alten Testaments die Hoffnung auf Gottes Vergeltungsgericht jenseits des Todes.34 Da nur die Auferstehung der Toten dahin den Zugang eröffnet, nimmt der biologische Tod den Charakter des Vorläufigen an. Das Gericht Gottes wird zum entscheidenden „eschatologischen Kultakt", in dem es um endgültige Verwerfung, den zweiten Tod, oder um unlösbare Gemeinschaft, das ewige Leben, geht. 35 Der biologische Tod versteht sich als Ubergang, ist Funktion des letzten Gerichts, trägt aber in sich selbst keinen Sinn. Das wird erst anders in dem Moment, da sich die Erkenntnis Bahn bricht, daß auch der Gerechte vor Gott nicht bestehen kann, sofern er auf seine eigene Gerechtigkeit pocht. Davon aber ist aufs Ganze gesehen erst im Neuen Testament die Rede, insbesondere bei Paulus. Es gibt nun niemanden mehr, der sich vor Gott der eigenen Gerechtigkeit rühmen dürfte. 38 Alle Menschen sind Sünder, und allein darin liegt der Grund, weshalb sie sterben müssen. Die Deutung des plötzlichen Todes als eines Straftodes greift jetzt auch auf den biologischen Tod über. Gottlose und Gerechte werden von ihm in gleicher Weise getroffen. Der Tod schlechthin ist „der Sünde Sold". 37 Damit hat der „normale" Tod einen Sinn erhalten. Er wird aus der gestörten Beziehung des Menschen zu Gott verstanden. Seine Unentrinnbarkeit und Endgültigkeit läßt sich nicht länger als reines Faktum ansehen; dieses Faktum unterliegt von nun an der theologischen Qualifizierung. Demgegenüber hat Simone de Beauvoir Gott, den Herrn über Leben und Tod, den Richter und Erbarmer, aus ihrem Todesverständnis ausgeklammert. Das faktizistische Todesverständnis aber ist „Sprachgeschick der Sünde" 38 , insofern Sünde als Aufstand gegen Gott 33 34

35 38 37 38

8*

Vgl. Schunack, a. a. O., S. 58 ff. Vgl. Dan. 12,1 f. und H . P. Schmidt, Todeserfahrung und Lebenserwartung, in: Leben angesichts des Todes. Beiträge zum theologischen Problem des Todes. Helmut Thielicke zum 60. Geburtstag, Tübingen 1968, S. 205. Vgl. Sdiunack, a. a. O., S. 72 f. Vgl. Rom. 3,23.27; I. Kor. 1,29. Vgl. Rom. 6,23. So Sdiunack, a . a . O . , S. 281: „Diese Faktizität des Todes herrscht als Sprachgesdiick schon (und nur) in der Geschichte der Sünde und des Todes."

108

Tod durch Schicksalsmacht

begriffen wird. Gerade deswegen hat die unter diesem faktizistisdhen bzw. schicksalhaften Aspekt entstehende Angst vor der Unentrinnbarkeit und Endgültigkeit des Todes einen Grund. Sie gewinnt sub specie Dei überhaupt erst einen Sinn. E r liegt darin, zu erkennen daß G o t t es ist, der das Leben unwiederbringlich macht. U n d wenn der T o d nach menschlichem Urteil Gute wie Böse trifft, ein Umstand, der dessen sinnlose Faktizität zu bestätigen scheint, so kann für ein theologisches Verständnis daraus nur der Schluß gezogen werden, daß nach Gottes Urteil alle Menschen ausnahmslos Sünder sind. Nicht weil sie im moralischen Sinn als gut oder böse angesehen werden können, trifft sie der Tod, sondern weil sie vor G o t t als Sünder dastehen. Der T o d ist nicht Schicksalsgabe, er hängt am Willen Gottes, der sich durdi Gericht und Gnade enthüllt. Nur dann, wenn der Tod nidit nur Sündenfolge, sondern als Sündenfolge auch Strafe Gottes ist, besteht ein Grund zur Hoffnung, daß sich Gottes Gericht in Gnade verwandelt. 3 8 Daß der Sinn des Todes mit der Gerechtigkeit bzw. der Rechtfertigung zusammenhängt, hat Simone de Beauvoir in ihrer Erzählung „Monolog" selbst angedeutet. 40 Für die nach Gerechtigkeit dürstende Frau hat der Tod seine Schrecken verloren. Ihre Haltung ähnelt derjenigen Hiobs, insofern beide um jeden Preis den G o t t der Gerechtigkeit suchen, auch wenn er nur jenseits der Todesschwelle gefunden werden kann. Aber gerade das ist die Frage, ob es eine menschliche Gerechtigkeit gibt, die vor G o t t bestehen kann. V o m Neuen Testament her gesehen, auf Grund des Kreuzestodes Christi, gibt es diese Gerechtigkeit nicht. Der Mensch empfängt seinen T o d zu recht. Auch der Christ nimmt ihn als verdiente Strafe aus Gottes Hand, er k o m m t ihm zu. Wenn er trotzdem auf Leben hofft und u. U . sehnsüchtig auf die Todesschwelle zuschreitet, so allein deshalb, weil er sich auf eine fremde Gerechtigkeit berufen darf, auf diejenige Christi. Der biologische Tod als

Hinfälligkeit

R o m a n „Die Mandarins von Paris" Exkurs: Essay „La Vieillesse" Schon am Ende der Frühperiode — Simone de Beauvoir hat noch nicht das dreißigste Lebensjahr vollendet — heißt es in dem Memoi39 411

Gegen Sdiunack, a. a. O., S. 256. Vgl. S. 96 ff.

Der biologische Tod als Hinfälligkeit

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renband „In den besten Jahren": „Noch eine Sorge drückte m i d i : ich wurde älter." 41 Obwohl sie die Fähigkeit, in Verzückung zu geraten, noch nicht verloren hat, drängt sich ihr das Gefühl eines „unaufhaltsamen Schwundes" auf. 42 Er bekundet sich trotz unveränderten Aussehens und gleichbleibender Gesundheit im Ausbleiben neuer Entdeckungen und in der Farblosigkeit ihrer Umwelt. In den nachfolgenden Jahren, insbesondere aber in der mittleren und späten Schaffensperiode, häufen sich die Klagen über das Älterwerden zusehends. In fast allen Werken der Spätperiode, die zum Teil bereits in anderem Zusammenhang besprochen wurden, 4 8 stehen Figuren im Zentrum, die an sich verspüren, daß sie älter werden. N i d i t nur die Welt verliert ihren Reiz, die körperliche Hinfälligkeit untergräbt mehr und mehr auch den Kontakt zu den Mitmenschen. Das Problem der Hinfälligkeit des Lebens läßt sich am besten an Hand eines Werkes der mittleren Periode, des Romans „Die Mandarins von Paris", erläutern. Ein Exkurs über den Essay „La Vieillesse" schließt sich an. Roman „Die Mandarins von Paris" Der Roman kann nach dem Urteil von André Maurois als „Chronik des Verfalls" einer führenden Schicht von Intellektuellen — eben der Mandarins von Paris — verstanden werden, die sich in ein Spiel von Intrigen verlieren, nachdem durch das Ende der Besatzungszeit im Zweiten Weltkrieg ein persönliches Engagement nach der Art der französischen Widerstandskämpfer überflüssig geworden ist. Das sehr breit angelegte Werk mit chronistischen Partien, die sich zum Teil in den Memoiren wiederfinden, gestattet einen interessanten Einblick in die Lebens- und Vorstellungswelt derer, die sich im Nachkriegsfrankreich um den Siegespreis ihres Kampfes betrogen fühlen. Den drei männlichen Gestalten: dem Emigranten Scriassine, dem Philosophen Dubreuilh und dem Journalisten Henri Perron stehen drei weibliche gegenüber: Anne, die Gattin Dubreuilhs, Psychologin von Beruf, Nadine, deren Tochter, und Paule. Im Mittelpunkt des Romans aber stehen Henri und Anne. Henri verkörpert das Scheitern 41 42 43

J A S . 179. Vgl. J A S. 179. Vgl. S. 28, 65, 9 1 .

110

Tod durdi Schitksalsmacht

der Freiheitsidee, von der die Widerstandskämpfer beseelt waren; an Anne zeigt die Autorin, daß auch die Liebe scheitern muß. Uber beiden schwebt Dubreuilh, der in abstrakter Freiheit sowohl den politischen Einsatz als auch die Hingabe der Liebe verfehlt. Der Hinfälligkeit des Ideals korrespondiert die Hinfälligkeit der Liebe. Beide, Idee und Liebe, unterliegen der alles wandelnden Macht der Zeit. Zeit und Tod aber sind einander verschwistert. Das Sterben als ein Prozeß in der Zeit enthüllt sich im Phänomen des Alterns. Anne, auf die sich unser Augenmerk richtet, findet sich damit ab, daß aus ihrer Liebe zu dem um zwanzig Jahre älteren Dubreuilh eine Freundschaft geworden ist. Sie weiß, daß sie dem ganz seiner Arbeit Hingegebenen nichts mehr bedeuten kann. In New-York lernt sie anläßlich eines Psychologenkongresses Lewis Brogan kennen, einen viel jüngeren Schriftsteller, in den sie sich verliebt und dem sie sich rückhaltlos hingibt. Bei einem zweiten und dritten Zusammentreffen aber läßt sich nicht länger verhehlen, daß der langen Trennungszeiten wegen die Liebe des Mannes erloschen ist. Anne sieht sich am Ende ihrer Existenz, schlägt aber den Freitod aus in der Hoffnung, eines Tages vielleicht doch wieder glücklich werden zu können. Der Tod begegnet Anne vor dem Einschlafen. Sie versucht, sich zu beruhigen bei dem Gedanken, daß sie selbst den Tod nie kennenlernen werde. „Ich werde für die anderen tot sein, ohne daß ich mich selbst jemals sterben sah." 44 Aber dieser Trost verfängt nicht. Der Tod dringt sogar in ihre Träume ein. „Er schleicht umher, ich fühle, wie er umherschleicht." 45 Zwar hat sie seit dem Augenblick, da sie Dubreuilh liebt, vor nichts mehr Angst empfunden, aber jetzt beginnt die Fraglichkeit an der Gewißheit ihres Lebens zu nagen. Sie ist sich nidit mehr sicher, ob ihr Mann in seinem Arbeitszimmer nebenan nicht auch „dieses schwache Geräusch" hört. „Die Erde birst unter unseren Füßen, über unseren Häupten klafft ein Abgrund, und ich weiß nicht mehr, wer wir sind und was uns erwartet." 4 6 Es ist nicht das Sterben als soldies, das den Grund ihrer Angst bildet, sondern das Nichts, dem es entgegenführt. Die Autorin bezieht sich

44 45 40

MAS.24. MA S. 24. MA S. 24.

Der biologische Tod als Hinfälligkeit

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noch einmal auf den Opfertod der Seejungfer zurück 47 , von dem sie im Memoirenband „Eine Tochter aus gutem Hause" berichtet. 48 Während sie dort erzählt, von dem Gedanken beeindruckt gewesen zu sein, daß der Tod auch die Unschuldigen heimsuche, bemerkt sie hier, daß Anne in diesem Märchen das Schweigen des Todes entdeckt habe. Lautlos geht die Seejungfer davon und läßt nur eine Erinnerung zurück, keine Stimme. Nichts mehr sagen oder hören können, ist Inbegriff des Grauens, Gipfel der Trostlosigkeit. Auch Henri fürchtet nicht den Tod, sondern das Schweigen, das eintreten würde, wenn in einem Atomkrieg alles Leben stirbt. Der Erdball würde sich weiterdrehen — „eisig und wüst". 49 Henri zieht daraus den Schluß, daß man angesichts einer solchen Möglichkeit eigentlich nur schweigend auf den Weltuntergang oder auf seinen Tod warten könne. „Alles war nichts."50 Im Unterschied zur Frühperiode wird der Tod jetzt viel unmittelbarer als gegenwärtig empfunden. Das Ende rückt bedrohlich nahe — durch die Erfindung der Atombombe und durch den unaufhaltsamen Fortgang der Zeit. Weil die Lebenskräfte dahinschwinden, erstirbt das Verlangen nach Selbstverwirklichung im Absoluten, sei es im eigenen Entwurf, sei es in der Liebe zum anderen. Zwar glaubt Anne, von der Liebe, die den Menschen wie eine Krankheit überfalle, genesen zu können, nicht aber von der Hinfälligkeit des Lebens.51 Anne sieht der Tatsache ins Auge, daß die Zeit ihre Liebe zu Lewis töten werde. Die räumliche Entfernung zu ihm, die Distanz zwischen Paris und den Vereinigten Staaten, bleibt zwar konstant, nicht aber der Zeitabstand. „Von Tag zu Tag näherte ich mich meinem Alter." 52 Ihr einziger Wunsch besteht darin, ihre Liebe mit eigenen Händen, also in Freiheit, begraben zu können. 53 Zwar mag sie sich nicht zu diesem Begräbnis entschließen, solange ihr Lewis zulächelt,54 aber nach dem letzten Abschied von ihm ringt sie sich dazu durch, die Orchidee, die Lewis ihr mitgab, wegzuwerfen. 47 48 49 50 51 52 63 64

MA S. 24. Vgl. TO S. 50. Vgl. MA S. 222. MA S. 222. Vgl. MA S. 552. MA S. 383. Vgl. MA S. 383. Vgl. MA S. 495.

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Tod durch Schicksalsmadit

Der Grund zu diesem Entschluß liegt, wie Anne ausdrücklich feststellt, nicht bei Lewis, sondern bei ihr selbst, in ihrer Lebensmüdigkeit. 55 Sie weiß, daß sie sich von der Krankheit dieser Liebe erholen wird, aber eigentlich ist es der Tod, der im fortschreitenden Prozeß des Alterns den Menschen einsam macht. „Jeder ist eingeschlossen in seinem Körper, mit seinen Arterien, die unter seiner eintrocknenden Haut verhärten, mit seiner Leber, seinen Nieren, die sich verbrauchen, und seinem verblassenden Blut, mit seinem Tod, der dumpf in ihm reift und ihn von allen anderen trennt." 5 9 Es gibt keine Vereinigung mit dem geliebten Menschen im Tode. Der Tod stiehlt Anne die Zeit weg, indem er die Zukunft verzehrt und die Vergangenheit verschlingt. Jede Erinnerung ruft partielle Todeskämpfe wach: „Tot ist das kleine Kind, das ans Paradies glaubte, tot das junge Mädchen, das Bücher, Ideen und den Mann, den es liebte, für unsterblich hielt, tot die junge Frau, die sich überglücklich in einer verheißungvollen Welt erging, tot die Liebende, die lachend in Lewis' Armen erwachte." 57 Anne hegt den Wunsch, ihre Vergangenheit ganz und gar zu begraben. Auch physisch möchte sie ihrem Leben am liebsten ein Ende setzen. Sie kommt sich vor wie ein Todeskandidat in seiner Zelle, der dem Tode entgegeneilen möchte und, da er das Ende nicht erwarten kann, selbst Hand an sich legt. 58 Das ganze Leben will ihr vorkommen wie ein Wettlauf mit dem Tode. Immer konnte sie vor ihm fliehen, weil sie ihm stets ein Stück voraus war. Jetzt hingegen schickt er sich an, sie einzuholen. Sie besitzt keine Kraft mehr zur Flucht und ist bereit, sich ihm zu ergeben, ihn durch eine freie Tat zu bejahen. Sie hält den Tod, der in ihr wächst, in Gestalt des Giftfläschchens in der Hand. 5 9 Er stellt sich dar als die letzte Wahrheit, und Anne braucht sie nur durch eine Geste zu besiegeln. Im Unterschied zu den Memoiren „Eine Tochter aus gutem Hause" und „In den besten Jahren" hat sich die Angst vor dem Tode so gut wie ganz verflüchtigt. Tod und Leben braudien nicht mehr durch einen Sinn gerechtfertigt zu werden. Auch das Schweigen schreckt nicht mehr. „Vielleicht ist dieses Schweigen nur das Schweigen meines 55 5« 57 58 59

Vgl. MA S. 552. MA S. 552 f. MA S. 554. Vgl. MA S. 552. Vgl. MA S. 554.

Der biologisdie Tod als Hinfälligkeit

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Herzens'" 0 , sagt Anne. Der Tod von innen kommt sozusagen dem Tode von außen entgegen. Wenn trotzdem die Kurzschließung dieser beiden Pole nicht erfolgt, so keineswegs deshalb, weil inzwischen das Leben einen neuen Sinn empfangen oder die Angst vor dem Tode wieder die Oberhand gewonnen hätte. Anne, die sich in den Augen der anderen f ü r ganz entbehrlich hält, will einfach niemandem ihre Leiche zumuten. „Die Lippen wären blau gewesen, die Nasenflügel zusammengepreßt; aber nicht für mich, sondern für sie."61 Anne wird sich dessen bewußt, daß ihr der eigene Tod nicht gehört und sie kein Recht hat, ihn den anderen zu präsentieren. „Zum Tode verurteilt; doch auch zum Leben verurteilt." 82 Die anderen leben. „Sie leben, sie sprechen mit mir, ich bin lebendig", denkt Anne. 63 Die menschlichen Stimmen brechen das Schweigen des Todes. Es regt sich sogar eine Hoffnung. „Wer weiß? Vielleicht werde ich eines Tages von neuem glücklich. Wer weiß?" 64 Über Annes Tod hat das Leben noch einmal den Sieg davongetragen. Ihre Liebe jedoch ist der Zeit zum Opfer gefallen. Anders verhält es sich bei Nadine, ihrer Tochter, die nicht davon abläßt, Diego nachzutrauern, ihrem während des Widerstandskampfes umgekommenen Geliebten. Aber Anne weiß, daß es keinen Sinn hat, sich in Trauer um die Toten zu verzehren. Mit einem Leichnam läßt sich nichts anfangen. „Wir haben schon genug mit unserem Leben zu tun." 65 Noch glaubt auch Henri, daß man das Vermächtnis der Toten erfüllen müsse und daß es verboten sei, vor den im Tode Gebliebenen zu fliehen. „Frauen können diese Zuflucht nehmen", so denkt er verächtlich, als Anne bei der Besichtigung von Gräbern derer, die durch die Besatzungsmacht ermordet wurden, ohnmächtig zusammensinkt. 66 Anne hat sich damit abgefunden, daß sie die Toten überlebt hat und vergißt. „Aber Lebende verraten, ist eine ernste Sache."67 Uber diesen Punkt kommt es zu tiefgreifenden Meinungsverschiedenheiten mit

60 61 62 63 64 65 66 67

M A S . 553. M A S . 555. MA S. 555. M A S . 556. MA S. 556. M A S . 27. Vgl. M A S . 221. MA S. 323.

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Tod durdi Sdiicksalsmacht

Dubreuilh, ihrem Mann. Dieser e r k l ä r t sidi, obwohl selbst kein Kommunist, dazu bereit, den bolschewistischen Zwangsarbeitslagern in R u ß l a n d Verständnis entgegenzubringen, und zwar u m des höheren Zieles der Menschheit willen. „Aber hier", so erklärt Anne, „gehe ich nicht m i t ; der Tod verzehrt alles. Die Generationen von Opfern steigen nicht aus ihren Gräbern, u m schließlich am Freudenfest teilzunehmen." 6 8 Dubreuilh akzeptiert also u m des Lebens der Zukunft willen, an das er glaubt, den Tod. Aber Anne spricht sich gerade u m dieses Todes willen, der jeden einzelnen trifft, f ü r das konkrete Leben der Gegenwart aus. Dubreuilh greift auf einer Wanderung durch das Departement Ardeche am Tage nach dem Atombombenwurf auf Hiroshima zu Mappe und Papier, u m seine schriftstellerische Arbeit fortzusetzen. „Er ist ein Ungeheuer", erklärt Anne. „Er w ü r d e auch inmitten der R u i n e n von Hiroshima arbeiten." 6 9 Dubreuilh empört sich zwar über Henri, weil dieser, aller Kämpfe müde, keine Zeitung mehr anrühren mag u n d u n b e k ü m m e r t seinem Privatleben nachgeht, aber im Grunde unterscheidet sich seine eigene Gleichgültigkeit k a u m v o n derjenigen Henris. „Er hält es f ü r vernünftig, zu leben, als ob m a n nie sterben sollte." 70 Weil er den Tod mißachtet, gibt es in seinem Dasein keinen Anlaß, sich f ü r das k o n k r e t e Leben anderer einzusetzen. Aber diese seine Weigerung, den Tod zur Kenntnis zu nehmen, sich gleichsam f ü r unsterblich zu halten 7 1 , macht ihn selbst nicht gegen den Tod i m m u n . Zwar hat sich sein Blick jung erhalten, aber A n n e gew a h r t nach ihrer R ü c k k e h r aus A m e r i k a , daß sein Gesicht begonnen hat, sich aufzulösen. W ä h r e n d er m i t H e n r i über Pläne f ü r einen geistigen Neuanfang berät, als gäbe es f ü r ihn nie ein Ende, beobachtet Anne seine Zähne. „ N u r die Zähne, in denen sich das Knochengerüst zu erkennen gibt, sind aufrichtig in einem Körper. Ich betrachtete Roberts Knochengerüst u n d sagte m i r : Er wartete auf seine Stunde." 7 2 Im Unterschied zur Frühperiode, in der das Entsetzen triumphiert bei der bloßen Vorstellung des unwiderruflichen Endes, das der Tod bereiten wird, meldet sich am Ende der mittleren Periode das Gefühl, 68 69 70 71 7i

MA S. 324. MA S. 215. MAS. 519. Vgl. S. 57 ff. MA S. 552.

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widerstandslos dem Fluß der Zeit preisgegeben zu sein. Vor der Vorstellung von der nichtenden Gewalt des Todes kann man fliehen, aber dem im eigenen Leib heranreifenden Tod ist man machtlos ausgeliefert. Der Spielraum des Lebens engt sich mehr und mehr ein, unaufhaltsam strebt der Tod von innen dem Tode von außen entgegen. Wer sich nicht mehr zum Engagement für andere gerufen weiß, fällt auf sich selbst zurück. Die Wahrheit des Todes kommt an den Tag. Daß Simone de Beauvoir ganz ungeschminkt die Unerbittlichkeit dieses Vorganges beschreibt, macht sie zu einem wichtigen Gesprächspartner für das Christentum. Der christliche Glaube kann sich ihren Enthüllungen nicht verschließen, zumal die Klage über die Hinfälligkeit des Lebens und die Schwachheit des Leibes unabdingbar zum Bilde des Frommen gehört, das die Bibel Alten und Neuen Testamentes ihrem Leser vermittelt. So heißt es im neunzigsten Psalm von den Menschen, die sich dem ewigen Gott gegenübergestellt sehen: „ ,Du säst sie' J a h r für Jahr'; sie sind wie das Gras, das nachwächst. A m Morgen sprießt es und wächst, am Abend welkt es und verdorrt." 7 3 Die Eitelkeit des Lebens bestimmt als Leitmotiv die Weisheit des Predigers Salomo 7 4 , und Hiob muß erleben, wie seine ganze Existenz zunichte gemacht wird. Während jedoch für biblisches Existenzverständnis die Hinfälligkeit des Lebens einen Sinn einschließt, so daß man auch dann, wenn er zunächst verborgen bleiben sollte, um ihn ringen und nach ihm fragen kann, steht für Simone de Beauvoir von vornherein fest, daß es keinen Sinn gibt. Hinfälligkeit und Tod sind jeglichen Sinnes bar. Die Zeitunterworfenheit des Lebens ist ein schicksalhaftes Verhängnis, auf das kein Licht fällt. Im Unterschied dazu stellen das Alte und das Neue Testament die Vergänglichkeit des Lebens unter Gott. Er ist es, der die Menschen dahinrafft. G o t t aber ist kein blindes Schicksal, sondern der zornige Gott, der um der Sünde willen dem Menschen ein Ende setzt. „Fürwahr — wir schwinden dahin durch deinen Zorn, und durch deinen Grimm werden wir erschreckt. Du stellst unsere Sünden dir vor Augen, unsere verborgenen Fehler vor deines Antlitzes Licht." 7 5 73

Ps. 90,5 f. in der Übers, v. H . - J . Kraus, Psalmen. 2. Teilband, in: Biblischer Kommentar. Altes Testament, her. v. M. N o t h und H . W. Wolff, Band X V , 2 , 3 . A . , Neukirdien-Vluyn 1966, S. 627.

74

Vgl .Pred. Sal. 1,2; 12,8. Ps. 90,7 f. in der Übers, v. Kraus, a. a. O., S. 627.

75

116

Tod durch Sdiicksalsmadit

U n d wenn auch der Beter des Alten Bundes nicht über die Bitte hinauskommt, Gott möge doch den Jahren der Beugung ebensoviel Jahre irdischer Freude hinzufügen 76 , so weiß das Neue Testament, und hier wäre vor allem Paulus zu nennen, daß die Schwachheit des Fleisches selbst Offenbarungsort göttlicher Kraft sein kann. 77 Audi Christus, mächtig in seiner Kraftwirkung 7 8 , ist „selbst mit Schwachheit behaftet". 79 Da Christus gekreuzigt worden ist „aus Schwachheit" 80 , „sind auch wir wohl schwach in ihm". 81 Die Schwachheit selbst, deren sich Paulus immer wieder rühmt, 8 2 ist der einzige Zustand, in dem sich Gemeinschaft mit Christus ermöglicht. Die Paradoxie der Schwäche ist eine „Erscheinungsform des Göttlichen auf Erden". 83 Wie Christus um der Verlorenheit der Menschen willen schwach wird, so soll auch der Christ die Schwachheit des Leibes tragen. Indem er es tut, bekennt er sich zu seiner Schuld vor Gott und gibt ihm die Ehre. Er anerkennt sein Gericht über sich. Gerade darin aber erweist er sich als einer, der allein auf Gottes Gnade angewiesen ist. U m Christi willen wird sie ihm im Glauben unverdient zuteil. So geschieht die Annahme der eigenen Schwachheit nicht aus Leidseligkeit, sondern um der Gnade Gottes ungehindert R a u m zu schaffen. Sterbenmüssen heißt daher für den Christen nicht nur, Gottes Zorn tragen, sondern zugleich, sich die Zeit der Widersetzlichkeit gegen Gottes Gnade befristen und damit Gottes heilschaffende Gerechtigkeit wirksamer zum Zuge kommen lassen. Liegt darin der Sinn, den der Glaube der Hinfälligkeit des Lebens verleiht, so bleibt bei Simone de Beauvoir nur Resignation, die möglicherweise noch einmal durch ein Glückserlebnis unterbrochen wird. Jeder mögliche Sinn aber steht im Schatten der Sinnlosigkeit. Anne betrachtet den Tod als eine Art von Kunstgriff des Schicksals, viel existentielles Leben zu haben. Die Endgültigkeit des Todes steht in Funktion zur Verantwortlichkeit des Menschen f ü r das Leben. Je 7" 77

78 79 80 81 82 83

Vgl. Ps. 90,15 f. Vgl. G. Stählin, Artikel „asthenes", in: Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, I. Band, her. v . G. Kittel, Stuttgart 1933, S. 489 Sp. 43. Vgl. II. Kor. 13,3. Vgl. Hebr. 5,2. Vgl. II. Kor. 13,4a. Vgl. II. Kor. 13,4b. Vgl. II. Kor. 1 1 , 3 0 ; 12,5.9. Vgl. Stählin, Artikel „asthenes", a. a. O., S. 4 9 0 Sp. 9 f.

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endgültiger der T o d erscheint, umso mehr wiegt das Leben des einzelnen in seiner Einmaligkeit. Anne wendet sich entschieden gegen die Gleichgültigkeit, mit der Dubreuilh dem Tode gegenübersteht. Damit berührt die Autorin ein christliches Motiv. Denn auch der Glaubende tut gut daran, sich immer wieder das memento mori einzuschärfen. Es kommt beispielhaft wiederum im neunzigsten Psalm zum Ausdruck, wo an Gott die Bitte herangetragen wird: „Unsere Tage zu zählen — das lehre (uns), damit wir einbringen ein weises H e r z ! " 8 4 Während jedoch der Appell des Todes bei Simone de Beauvoir die Wertschätzung des zeitlichen Lebens initiieren soll, eines Lebens, das doch dem Zeitverfall preisgegeben ist, dient das Innewerden der Vergänglichkeit im Psalmgebet dazu, G o t t zu preisen und seinen Zorn zu fürchten. 85 V o r ihm gerinnt die Lebenszeit des Menschen zu einer kurz bemessenen Frist, aber diese Frist besitzt nur insofern einen Sinn, als es dem Menschen geschenkt wird, seiner Verlorenheit innezuwerden, damit Gottes Gnade umso heller leuchte. Das Recht Gottes auf den Menschen einzuschärfen, ihn zur Buße zu rufen, darin liegt der Sinn des Todes, nicht aber liegt er darin, daß der Mensch sich selbst entwerfe bzw. in einem anderen begründe, um letztendlich an diesem Entwurf bzw. dem anderen zu scheitern. Der T o d mag die Verantwortung für die Freiheit des Ichs und des Du bestärken, aber für den Christen verdient eine Verantwortlichkeit, die sich der Mensch angesichts des Todes abzwingt, nicht diesen Namen. Sie ist für ihn vielmehr Frucht der Liebe, mit der er sich selbst unverdientermaßen von G o t t geliebt weiß. An Simone de Beauvoir wäre also die Frage zu richten, was der Appell zur Verantwortung des Lebens noch ausrichten soll, wenn sich der Mensch dem Verfall seiner Kräfte preisgegeben sieht. E r verliert seine Wirkung in demselben Maße, als der Tod von innen dem Tode von außen entgegenstrebt. Es legt sich eine Lethargie über den Menschen, die ihn auch den Aufruf des Todes, seiner Verantwortung und Einmaligkeit innezuwerden, vergessen läßt. Simone de Beauvoir stellt in diesem R o m a n das Todesverständnis des memento mori selbst in Frage. 86 Der T o d überfällt den Menschen nicht nur von außen, ihm

84

Ps. 90,12 in der Obers, v. Kraus, a. a. O., S. 652.

85

Vgl. Ps.90,1 f. 11.

86

Vgl. dazu Sartre, Das Sein und das Nichts, a. a. O., S. 670 ff.

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Tod durch Sdiicksalsmadit

arbeitet auch die „biologische Resignation" 8 7 v o n innen entgegen. „Die Müdigkeit des Alters hat ein vertrautes Verhältnis zum Tode. Sie geht dem T o d e voraus wie die D ä m m e r u n g der Nacht." 8 8 Es wächst die Verlockung, durch Selsbtmord einen Schritt auf ihn zuzugehen. Der Überdruß Annes, weiter zu machen, hat eine gewisse Parallele in der Unlust des Apostels Paulus, das Leben „im Fleische" fortzusetzen. Er schreibt seiner Gemeinde zu Philippi: „Ich habe Verlangen abzuscheiden und mit Christus zu sein." 8 9 Wenn er trotzdem das Leben in der Schwachheit des Fleisches fortzusetzen bereit ist, so deshalb, weil Gefahr besteht, daß sein Werk in Philippi, nämlich „die Bewährung der Gemeinde im Martyrium", 9 0 mißlingen könnte. Der T o d hat auch f ü r Christen seine Schrecken verloren, so daß geradezu eine Sehnsucht a u f k o m m e n kann, v o n dieser Welt Abschied nehmen zu dürfen. Aber diese Sehnsucht trägt eine ganz andere Färbung als die m ü d e Resignation bei Simone de Beauvoir, der vielleicht noch einmal das Glück in den Weg tritt. Sie erhebt sich auf dem G r u n d e der festen Gewißheit, in der vollen Leidensgemeinschaft auch die volle Lebensgemeinschaft mit Christus zu finden. Der T o d eröffnet nicht den Eingang z u m ewigen Reich des Schweigens, sondern zur seligen Gemeinschaft mit dem gekreuzigten und auferstandenen Herrn. 9 1 V o r dem Ende im biologischen T o d e gar Schwachheit und Leid für Christus zu tragen, ihn im Zeugentod des Martyriums öffentlich bekennen zu dürfen, ist f ü r Paulus Gipfel der Gnade. Auf sie macht er sich als Gefangener Hoffnung. 9 2 Wenn er sich trotzdem diesen Wunsch aus dem Herzen reißt, so aus demselben Grunde, aus dem er seinerseits gerne das Martyrium erlitten hätte, nämlich damit in der Schwachheit die Gnade Gottes gepriesen werde, und zwar jetzt nicht mehr durch ihn allein, sondern zugleich durch die bedrängte Gemeinde in Philippi, der er dabei helfen möchte. U n d noch ein weiterer Sachverhalt ist zu bedenken.

87 88 89

90 91 92

Vgl. H. J. Baden, Die Grenzen der Müdigkeit, München 1963, S. 66. Ebd. S. 24. Phil. 1,23 in der Übers, v. V. E. Lohmeyer, Der Brief an die Philipper, in: Kritisdi-exegetischer Kommentar über das Neue Testament, begr. v. H. A. W. Meyer, 9. Abt. (1), 13. A., Göttingen 1964, S. 59. Vgl. ebd. S. 61. Vgl. Rom. 8,17.32; II. Kor. 4,14. Vgl. Lohmeyer, a. a. O., S. 59 ff.

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Die Stimmen der anderen erretten Anne aus ihrer Versunkenheit in das Schweigen des Todes. Leben heißt f ü r sie Angesprochenwerden, Hören, Antwortgeben. Der Tod dagegen besteht im Schweigen schlechthin. Eine ähnliche Vorstellung findet sich im Alten Testament. In einem Psalm heißt es: „Wäre nicht Jahwe meine Hilfe gewesen — beinahe hätte meine Seele im (Land des) Schweigens gelegen!"03 Der Tod ist mit dem Reich des Schweigens und der Stille identisch. Aber läßt sich das auch noch von Paulus sagen? Zwar bewirken die Stimmen seiner in Bedrängnis geratenen Gemeinde zu Philippi, daß er seinen Wunsch zurückstellt, aus dem Leben zu scheiden, aber er schenkt diesen Stimmen nicht deshalb Gehör, weil der Tod für ihn Schweigen und menschliche Stimmen für ihn Leben bedeuten. Da der Tod Gemeinschaft mit Christus eröffnet, besteht er nicht in Schweigen. Er kann auch nicht als „Stille des Glaubens" 94 verstanden werden, denn die Toten in Christus sind dazu bestimmt, mit ihrem Herrn die Herrschaft auszuüben 94 , Trost zu empfangen 95 und Gott im Lobgesang zu preisen.96 Des Christen Leben besteht also darin, von seinem Herrn angesprochen zu werden, auf ihn zu hören und ihm zu antworten. Zwar bedarf es dazu im Leben des Fleisches der mündlichen Kundgabe durch Menschen, aber ihr Wort stammt nicht aus ihnen selbst, sondern es ist der Herr, der durch ihren Mund spricht. Bei Simone de Beauvoir herrscht das Schweigen des Todes, wenn die Stimmen der anderen verstummen. Auf Grund der späten Erzählung unter dem Titel „Monolog" 97 erhebt sich jedoch die Frage, was aus dem Menschen werden soll, wenn niemand mehr auf ihn hören und niemand mehr das Wort an ihn richten mag. Für die einsame Frau im „Monolog" bleibt nur der Schrei zu Gott. Daher erscheint der Trost, den sich Anne in diesem Roman gibt, in einem fragwürdigen Licht. Der Gott aber, zu dem die einsame Frau ruft, hat bereits gesprochen. Es gilt nur, das Wort des Erbarmens zu hören, das Gott in Christus, dem fleischgewordenen Logos, kundgetan hat und das er durch den Mund seiner Boten weitersagen läßt. Es ist das Wort von Gottes Zorn und Gnade, durch 9S 84 95

97

Ps. 94,17 in der Obers, v. Kraus, a . a . O . , S. 652. Vgl. Mt. 19,28; Lk. 22,30; I. Kor. 6,2 f.; Offb. 20,6. Vgl. Offb. 7,17. Vgl. Offb. 14,1 ff.; 19,1 ff. Vgl. S. 91 ff.

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Tod durch Schicksalsmadit

dessen Annahme allein Leben zufließt, auch dann, wenn alle menschliche Rede verstummt. Simone de Beauvoir hat in ihrem siebten Lebensjahrzehnt dem Problem des Alterns eine Monographie gewidmet unter dem Titel » La Vieillesse". In ihr fügt sie dem biologischen und existentiellen Aspekt des Alterns einen soziologischen hinzu, der in den erzählerischen Werken nicht zur Sprache kommt.

Exkurs: Essay „La Vieillesse" Das umfangreiche Werk gliedert sich in zwei große Hauptteile. Im ersten Hauptteil widmet sich die Autorin dem alten Menschen, insofern er als Objekt der Wissenschaften erscheint, der Biologie, Anthropologie, Geschichte und Soziologie. Im zweiten Hauptteil beschreibt sie die Art und Weise, in welcher der Mensch im Alter seine Umweltbeziehungen verinnerlicht. In diesem zweiten Teil ist vom Verhältnis des Alternden zu seinem Leib, zur Zeit und zu den Mitmenschen die Rede. Hier findet auch die Autorin selbst Gelegenheit, ihre Alterserfahrungen vorzubringen. In der Hauptsache aber erläutert sie ihr Thema an Hand von Beispielen bedeutender alter Menschen aus den Bereichen von Kunst, Wissenschaft und Politik. Es fällt auf, daß Simone de Beauvoir häufig auf Werke Sartres Bezug nimmt und sich auch sonst dessen phänomenologisch-ontologischer Terminologie bedient. In einem Anhang stellt sie Fremdbeiträge über die Hundertjährigen, die Altersbetreuung in den U S A und die Lebensbedingungen altgewordener Arbeiter in sozialistischen Ländern zusammen. In einem Vor- und einem Nachwort appelliert sie an den Leser, die Konsequenzen aus ihren Darlegungen zu ziehen. Altern heißt wie in den „Mandarins von Paris", der fortschreitenden Zeit wie einem Verhängnis unterworfen sein. Unter dem Aspekt der Zeit stehen Altern und Sterben nacheinander in einer Reihe: „Großwerden, reifen, altern, sterben: das Vergehen der Zeit ist ein Verhängnis." 98 In der Perspektive der Biologie aber erscheint das Altern als 98

VI S. 567: „Grandir, mûrir, vieillir, mourir: le passage du temps est une fatalité."

Der biologische Tod als Hinfälligkeit

121

ein gewisser T y p der „Wandlung", die ihrerseits das Grundgesetz des Lebens bildet. Sie trägt des näheren die Kennzeichen der Irreversibilität, der Ungunst und der Abnahme. Es sei ein Irrtum, das Altern, wie die menschliche Existenz überhaupt, als langsamen T o d zu verstehen. T o d ist identisch mit Untätigkeit und Stillstand, Altern hingegen mit dem sich wandelnden L e b e n . " Existentiell erlebt der alternde Mensch eine qualitative Veränderung der Zukunft. „Mit 65 Jahren hat m a n nicht nur 20 Jahre mehr als mit 45. Man hat eine unbestimmte Zukunft . . . vertauscht mit einer bestimmten." 1 0 0 Die Beziehung der Existenz z u m biologischen Verfall drückt sich darin aus, daß der Verfall die E n t w ü r f e tötet, in denen sich der Mensch selbst überschreitet. Aus diesem G r u n d e k o m m t es zuletzt dahin, daß der Mensch seinen biologischen T o d akzeptiert. 1 0 1 V o r allem aber ist das Altern ein kulturelles und soziales Problem. 1 0 2 Was f ü r den Menschen Fortschritt oder Rückschritt heißt, läßt sich niemals a priori entscheiden: es hängt ab v o n den Werten, die sich eine Gesellschaft setzt. „ N u r im sozialen K o n t e x t kann das Wort Verfall einen präzisen Sinn finden."103 In den primitiven Gesellschaften bestimmen die Kollektivziele die A r t der Behandlung alter Menschen, und in historischen Zivilisationen, die v o n Klassengegensätzen gezeichnet sind, bestimmen die Herrschenden den Status der Altgewordenen. So gibt es bis heute zwei G r u p p e n alter Menschen: die ausbeutende und die ausgebeutete. 1 0 4 Der Gegensatz der Klassen hat sich nach Meinung der Autorin in der Gegenwart auf unerträgliche Weise zugespitzt. Das Gefühl der Sinnlosigkeit des Lebens, unter dem besonders der alte Mensch leidet, steht in direkter Beziehung zur Entwürdigung des Menschen in der modernen Industrie- und Arbeitswelt. Der Arbeiter wird dazu verdammt, die Unwürdigkeit seines tätigen Lebens im Rentnerdasein fortzusetzen. „Wenn der Rentner verzweifelt ist durch die Sinnlosigkeit seines gegenwärtigen Lebens, so deswegen,

99 Vgl. VI S. 7. îoo v i s . 400: „A 65 ans, on n'a pas seulement 20 ans de plus qu'à 45. On a échangé un avenir indéfini . . . contre un avenir défini." 101 Vgl. VI S. 468. 102 Vgl. VI S. 19. 103 V I S . 19: „C'est dans le context social que le mot de déclin peut trouver un sens précis." 104 Vgl. VI S. 15 S., 230.

Schmalenberg, Todesverständnis 9

122

Tod durch Sdiicksalsmadit

weil ihm der Sinn seines Lebens zu jeder Zeit gestohlen worden ist." 1 0 5 Simone de Beauvoir nennt die Alterspolitik der Gesellschaft skandalös und verbrecherisch. Alle Mittel, die aufgewandt werden, um das Los der Alten zu erleichtern, erscheinen ihr lächerlich. „Das Alter kündigt das Scheitern unserer ganzen Zivilisation an." 10G Es gibt nur einen Weg, um das Unglück zu verhindern: der Mensch müßte immer als Mensch behandelt werden. 107 „In der Idealgesellschaft, die ich heraufbeschwöre, kann man träumen, daß das Alter sozusagen nicht existiert." 1 0 8 D a das volle Menschsein darin besteht, sich im eigenen Entwurf zu verwirklichen, erteilt Simone de Beauvoir den Rat, nicht allzu viel an das Alter zu denken, sondern „das Leben eines ganz engagierten, ganz gerechtfertigten Menschen zu leben" in Liebe, Freundschaft, Empörung und Mitleiden. 109 Da dem jedoch die gesellschaftlichen Verhältnisse im Wege stehen, müsse das ganze System geändert werden. „Unmöglich, dieses Resultat durch einige begrenzte Reformen zu erzielen, die das System intakt lassen würden." 1 1 0 Der Aufruf zum politischen Umsturz macht aus der Monographie über das Altern eine Art von Klassenkampfmanifest. Auch sonst geht von den essayistischen Monographien der Autorin ein sozialkritischer Impuls aus, so etwa von ihrem Werk über die Frau unter dem Titel „Das andere Geschlecht". 111 In keinem Falle aber klingt die Stimme der Autorin so grell wie in diesem Werk der Spätperiode. Zwischen dem essayistischen und dem erzählerischen Schaffen Simone de Beauvoirs zeichnet sich ein auffallender Unterschied ab. Im Essay appelliert sie an den Willen des Menschen, sich dem Verhängnis zu entreißen durch Engagement; im erzählerischen Werk beschreibt sie, wie das Verhängnis die Existenz zum Scheitern bringt. Das erzählerische

VI S. 568 : „Si le retraité est désespéré par le non-sens de sa vie présente, c'est que de tout temps le sens de son existence lui a été volé." îoe V I S . 569: „ L a vieillesse dénonce l'échec de toute notre civilisation." 107 Vgl. VI S. 568. los v i g. 569 : „Dans la société idéale que je viens d'évoquer, on peut rêver que la vieillesse n'existerait pour ainsi dire pas." 1 0 9 Vgl. V I S. 567. 1 1 0 V I S . 13: „Impossible d'obtenir ce résultat par quelques reformes limitées qui laisserait le système intact." 1 1 1 Vgl. Anm. 25 auf S. 78. 105

Der biologische Tod als Hinfälligkeit

123

Sdiaffen bildet sozusagen den Kommentar zum essayistischen Werk. 112 Mit ihrer Monographie über das Altern vollzieht die Autorin überdies eine Wendung, die sich in ähnlicher Weise beim späten Sartre beobachten läßt. 113 Die beiden Lebensgefährten verstehen jetzt ihr Werk als einen integrierenden Bestandteil der marxistischen Klassenkampfideologie. Beider Eintreten für die maoistische Zeitschrift „La Cause du Peuple" muß als ein weiterer Schritt auf diesem Wege angesehen werden. 114 Der Rat, den Simone de Beauvoir für den alten Menschen bereithält, unterscheidet sich prinzipiell nicht von dem, der audi dem jungen Menschen gilt: er soll ein engagiertes Leben führen, sich auf selbstbestimmte Ziele hin entwerfen und so sich selbst gewinnen. Obwohl die Autorin genau die biologischen Bedingungen des Alters registriert, läßt sie existentiell gesehen den spezifischen Unterschied der Alterssdiichten außer Betracht. Dem Alternden, dessen biologische Kräfte versiegen, wird in demselben Maße zugemutet, sich auf Ziele hin zu entwerfen, wie dem jungen Menschen im Vollbesitz seiner Kraft. Ihm wird eine Willensanstrengung abverlangt, die sich nicht nur gegen seine subjektive Trägheit, sondern auch gegen seine objektive N a t u r richtet. Die Rede von den „Wandlungen" des Lebens beschönigt die objektiven Tatbestände des körperlichen Verfalls. Zwar gibt es für ihn eine Kompensation im Geistigen 115 , aber es muß doch gefragt werden, ob diese Kompensation nicht von anderer Art sind als diejenigen, die einem jungen Menschen bei körperlicher Behinderung offen stehen. Der Appell zum Engagement der Alten zeugt bei Simone de Beauvoir von einer rigoristischen Gesetzlichkeit, die keine Gnade kennt. Zwar können auch wir uns ebensowenig wie Simone de Beauvoir damit abfinden, daß das Alter wie ein sinnloses Verhängnis getragen wird. Aber diesem Verhängnis kann man nicht einfachhin den Appell 112

118 114

115



Vgl. auch das Verhältnis des Romans „Alle Menschen sind sterblich" zu den Essays „Pyrrhus und Cineas" und „Für eine Moral der Doppelsinnigkeit" auf S. 57 bzw. S. 43. Vgl. J.-P. Sartre, Kritik der dialektischen Vernunft, Hamburg 1967, S. 13 ff. Vgl. Der Spiegel, D a s Deutsche Nachrichtenmagazin, her. v. R. Augstein, 22. J g . 1968, N r . 29, S. 54; Nr. 40, S. 163; 24. J g . 1970, N r . 26, S. 118; N r . 26, S. 121. Vgl. V I S . 18.

124

Tod durch Schicksalsmacht

an die Freiheit entgegensetzen, die eigene Situation zu transzendieren. Die A u t o r i n verlangt v o m alten Menschen m e h r als das Sprichw o r t „Wer rastet, der r o s t e t " . N u r die Erkenntnis, daß das Alter v o n G o t t her qualifiziert ist, bewahrt v o r dem I r r t u m , dem biologischen Verhängnis m i t einem heroischen T r o t z d e m begegnen zu können. W e r die Hinfälligkeit des Lebens v o n G o t t verfügt weiß um der Sünde willen, k a n n sich auch öffnen f ü r die Gnade, die sowohl im Leiden selbst liegt, als auch in jedem Tag, an dem noch etwas zu t u n bleibt. Diese H a l t u n g k o m m t sehr schön zum Ausdruck in dem vielleicht m i t U n r e c h t L u t h e r zugeschriebenen W o r t : „Wenn ich wüßte, daß morgen die W e l t untergeht, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen." 1 1 6 Es hat einen ganz anderen Klang als Simone de Beauvoirs Appell zum engagierten Leben. W ä h r e n d die A u t o r i n dazu aufruft, unter Aufbietung der letzten K r ä f t e nach dem Licht zu greifen, bevor das D u n k e l hereinbricht, spricht aus dem W o r t des Christen die G e trostheit dessen, der sich im T u n des Vorläufigen nicht beirren läßt, weil hinter dem kommenden Dunkel das Licht auf ihn wartet. D e r einen Unbarmherzigkeit fügt die A u t o r i n eine weitere hinzu. Sie bindet die Selbstverwirklichungsmöglichkeit des alten Menschen an die Endregulierung des sogenannten Klassenkampfes. D e m biologischen Verhängnis, v o m Schicksal gewirkt, t r i t t die v o n Menschen verfügte Fatalität zur Seite, ein Ausgebeuteter zu sein. Gegen beide Zwänge wird die engagierte Freiheit auf den Plan gerufen. Aber die Freiheit gegenüber dem Schicksal k a n n sich nur durchsetzen, wenn die E m a n zipation v o m Klassenzwang gelungen ist. Die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung mit all den Fragwürdigkeiten, die Simone de Beauvoir selbst kennt, wird zusätzlich abhängig gemacht v o n der Möglichkeit, die Ausbeutung abzuschaffen. Die Schuld an der Gleichgültigkeit der Alten trifft den Systemkonformismus. Die Gesellschaft m u ß als Sündenbock herhalten für die verfehlte Existenz des einzelnen. N u r wenn alle frei sind, kann sich auch der einzelne frei entfalten. D a m i t hat die A u t o r i n das Los des einzelnen an die Verwirklichung universaler Ziele geknüpft. Was heißt das anderes, als daß der einzelne an das Ganze preisgegeben wird? Simone de Beauvoir fällt nach Überschreitung des sechsten Lebensjahrzehnts hinter die Erkenntnisse zurück,

116

Vgl. K. Ihlenfeld, Ein Luthergedicht von Gottfried Benn, in: Evangelische Welt, 21. Jg. 1967. S. 348 f.

Der biologische Tod als Hinfälligkeit

125

die sie in jüngeren Jahren gewonnen hat. 1 1 7 Ihre Einwände gegen Sartres abstrakten Freiheitsbegriff, denen zufolge nicht jede Situation in gleicher Weise die Chance bietet, transzendiert zu werden, gelten nicht mehr. An ihre Stelle ist ein revolutionäres Konzept getreten. 118 N u n geht es in der T a t um radikales Umdenken — , nicht jedoch in dem Sinne, daß die sogenannten Ausgebeuteten die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung ergreifen, die bis dahin den sogenannten Privilegierten vorbehalten blieb. Der freie Selbstentwurf im Fluß der Zeit erstirbt. Umdenken heißt vielmehr, aus der Liebe miteinander leben, die dem Menschen um Christi willen unverdient von G o t t geschenkt werden kann. Die Idealgesellschaft, die Simone de Beauvoir heraufbeschwört, ist eine Utopie. Sie trägt die Züge des Reiches Gottes, das der Mensch etablieren möchte. In ihrer früheren Auseinandersetzung mit Hegel und Marx hat die Autorin alle idealistischen Abstraktionen verworfen. 119 Jetzt aber gewinnt das Streben nach dem Absoluten in Gestalt des Universalen wieder die Oberhand in ihrem Denken. Den K o m mentar dazu hat Simone de Beauvoir jedoch selbst geliefert in ihrem erzählerischen Werk. V o n ihm aus gesehen ist die Monographie über das Alter kein Buch der Weisheit und des Trostes, sondern ein letzter Empörungsschrei vor dem Scheitern. Daß die Autorin das Los der Alten in den sozialistischen Ländern nur anhangsweise behandelt, noch dazu mit Hilfe von Materialien, die kein objektives Urteil zulassen, ist ein Mangel, der umso schwerer wiegt, als eine gründlichere Analyse der Situation dieser Menschengruppen hätte zeigen können, daß mit der formellen Abschaffung der Ausbeuterklasse im marxistischen Sinne die Probleme des Alters nicht gelöst sind. Das Alter ist nicht in erster Linie ein sozio-ökonomisches, sondern vor allem ein religiöses Problem. Wenn aber zugleich die beklagenswerte Situation der alten Menschen auch sozio-ökonomische Implikationen hat, und niemand wird das bezweifeln, so wohl nur deshalb, weil auch gesellschaftspolitische Probleme im religiösen Kontext stehen. Das Verdienst der Autorin, auf die Verflochtenheit der Probleme des

117

Vgl. S. 60.

118

Vgl. S. 49 f. und J A S. 373.

«• Vgl. S. 47 ff.

126

Tod durch Sdiicksalsmacht

alten Menschen und der Gesellschaft aufmerksam gemacht zu haben, soll nicht geschmälert werden. Aber der Klassenkampf löst die Probleme des Alters nicht, sondern allein die gemeinsame Verantwortung aller vor Gott, der uns in seinem W o r t Gericht und Gnade ansagen läßt. 120 Simone de Beauvoir hat in ihrem Essay das innere Verhängnis des Alterns abgegrenzt von der äußeren Fatalität des Todes. Tod heißt Stillstand, Altern, Wandlung. 121 Audi der alte Mensch schreckt vor dem Tod zurück. 122 „In der Tat", so schreibt die Autorin, „die Idee, daß der Tod sich nähert, ist ein Irrtum. Er ist weder nah noch fern: er ,ist' nicht." 123 Da dieser Aspekt des Todes vor allem in den Aufzeichnungen über die letzten Lebenstage von Simone de Beauvoirs Mutter unter dem Titel „Ein sanfter T o d " eine Rolle spielt, widmen wir ihm einen eigenen Abschnitt.

Die Fremdheit

des biologischen

Todes

Bericht „Ein sanfter T o d " Die siebenundsiebzigjährige Mutter der Autorin liegt mit einem Oberschenkelhalsbruch in einer Pariser Klinik. Der durch Röntgenaufnahme wahrscheinlich gemachte Krebsbefund wird durch eine Operation erhärtet. H i n f o r t erlebt Simone de Beauvoir die Leiden ihrer Mutter als ihre eigenen. Die Erinnerungen an den sehr schmerzhaften Krebstod ihres Onkels verfolgen sie. Die Mutter indessen ahnt nichts von ihrer Krankheit. Sie entdeckt erst jetzt das Wunder des Lebens. Ihre Angehörigen t u n alles, um sie mit Zukunftsplänen zu betäuben. Obwohl sie eine f r o m m e Katholikin ist, äußert sie nicht

120

Vgl. H . Wolterek, Das Alter ist das zweite Leben, Stuttgart 1956; H. Thomae und U. Lehr (Her.), Altern. Probleme und Tatsachen, Frankfurt 1968; M.Pflanz, Der menschliche Tod, in: Was ist der Tod? Mündien 1969. 121 Vgl. V I S . 17. 122 Vgl. VI S. 465. 123 V I S . 466: „En vérité, l'idée que la mort se rapproche est erronée. Elle n'est ni proche ni lointaine: elle n'est pas."

Die Fremdheit des biologischen Todes

127

den Wunsch, einen Priester zu sehen. Simone de Beauvoir fühlt, seitdem sich ihre M u t t e r ganz den vitalen Bedürfnissen des Lebens zugewandt hat, so etwas wie Zärtlichkeit für sie in sich aufkeimen. I m mer rascher verwandelt sich die K r a n k e in einen lebenden Leichnam. Während Autorin

sie an der H o f f n u n g hängt, bald zu genesen, kennt keine

andere Wahrheit m e h r als den T o d . D a n n

die

beginnt

die Sterbende sich ganz auf sich selbst zu konzentrieren. Nichts berührt

sie mehr. Zwar

sagen die Krankenschwestern,

daß sie einen

sanften T o d sterbe, aber sie erlischt nicht wie eine Kerze. Eines ihrer letzten W o r t e lautet: „Der T o d m u ß zurückgestellt werden." 1 2 4

Die

Trauerfeier erlebt Simone de Beauvoir als Generalprobe zu ihrer eigenen Beerdigung. D i e N e n n u n g des vollen Namens durch den Geistlichen ruft die M u t t e r als Persönlichkeit ins Leben zurück. O h n e es eigentlich zu wollen, haben die Angehörigen mit dazu beigetragen, daß ihr letzter Wille in Erfüllung geht, den sie in die W o r t e f a ß t e : „Weder Blumen noch Kränze. Aber viele Gebete." 1 2 5 Simone de Beauvoir vermerkt in diesem Spätwerk, daß auch die M u t t e r Angst v o r dem T o d e empfunden habe, und zwar genauer: v o r dem Sprung, dem sie mit Grauen entgegensah. Es handelt sich um ein „animalisches G r a u e n " ; v o r ihm bleiben nicht einmal die F r o m m e n bewahrt. 1 2 8 Das Animalische bildet die K r a f t , die sich in der M u t e r gegen den T o d auflehnt. V o r dem nahenden Ende fallen alle Drapierungen spiritueller A r t ab. D e r Mensch zeigt sein wahres Gesicht. Was für ihn letztlich zählt, ist die Ernährung. 1 2 7 Die Schwester der Autorin, die aus dem Gestammel der M u t t e r das W o r t „Priester" zu vernehmen glaubt, m u ß sich korrigieren lassen. Sie hat „Preiselbeeren" gemeint. 1 2 8 Die alte Frau, f ü r die bis dahin alles Körperliche T a b u gewesen ist, schämt sich plötzlich nicht m e h r ihrer Körperlichkeit. 1 2 8 Sie freut sich über Komplimente 1 3 0 und genießt von ihrem Krankenlager aus das

124

1M 127 128 128 1S0

SA S. 98. SAS. 113. Vgl. SA S. 15. Vgl. SA S. 24. Vgl. SA S. 66. Vgl. SA S. 60. SA S. 55.

128

Tod durch Schicksalsmadit

herbstlich bunte Laub der Bäume. 1 3 1 Vogelgesang bereitet ihr E n t z ü k ken. 1 3 2 „Wir fanden", so schreibt die Autorin, „das Lächeln wieder, das unsere frühe Kindheit verklärt hatte, das strahlende Lächeln einer jungen Frau." 1 3 3 F ü r die Patienten eines anderen Krankenhauses, das ihr selbst erspart geblieben ist, empfindet die M u t t e r Mitleid. 1 3 4 Sogar für K r a n kenschwestern ergreift sie Partei, weil die D i r e k t i o n sie ausbeutet. 1 3 5 O b w o h l die Patientin nicht mehr aus eigener K r a f t weiterexistieren kann und nur mit H i l f e v o n medizinischen Kunstgriffen am Leben bleibt, bricht der Lebenswille i m m e r wieder durch. Die K r a n k e ängstigt sich v o r dem Einschlafen, bittet ihre Tochter, sie nicht in das Loch fallen zu lassen und r u f t noch in völliger Erschöpfung: „Leben, leben!" 1 3 8 V o n Albträumen heimgesucht, die über das nahende Ende keinen Zweifel lassen, ergreift die K r a n k e dennoch jede Äußerung der Zufriedenheit über ihren Zustand vonseiten der Ä r z t e wie einen Rettungsanker an. 137 D a ß ihr v o n Krebs zerfressener D a r m nicht m e h r funktioniert, n i m m t sie m i t leichtem Erstaunen zur Kenntnis. M i t Genugtuung bestätigt sie, was die Ä r z t e v o n ihr sagen: „Ja, vital bin ich." 1 3 8 Auch als ihr Gesicht schon das Grinsen eines Skeletts zeigt und die Tochter davon abrät, Medizin zu nehmen, weil sie eine Verlängerung der Qual befürchtet, meint die Patientin: „Besser, ich nehme sie." 1 3 9 Aber dann greift doch das Nichts in Gestalt der Gleichgültigkeit nach ihr. Sie erkennt ihre Umgebung nicht m e h r und zweifelt, ob sie überhaupt noch jemanden gern hat. 1 4 0 A u f eine Rose, die ihr Simone de Beauvoir vorhält, w i r f t sie nur einen zerstreuten Blick. 1 4 1 D e n n noch ergibt sie sich nicht restlos dem T o d e ; sie verlangt seine Zurückstellung. D i e Voraussage der Ärzte, sie werde wie eine Kerze erlö131 132 133 134 135 138 137 138 138 140 141

Vgl. SA S. 56. Vgl. SA S. 57. SA S. 56. Vgl. SA S. 65. Vgl. SA S. 65. SA S. 71. Vgl. SA S. 72. SA S. 78. SA S. 86. Vgl. SA S. 94. Vgl. SA S. 99.

Die Fremdheit des biologischen Todes

129

sehen, erfüllt sich nicht. Das Leben erliegt wohl dem Tode, aber es gibt sich ihm nicht preis. Im Aufbau des Werkes zeichnet sich eine gegenläufige Bewegung ab. Während die Mutter nach den Jahren der Selbstentfremdung im Joch der Ehe auf dem Sterbebett zum vitalen Leben erwacht, drängt sich der Tochter in zunehmendem Maße die Erkenntnis auf, daß der Tod die letzte Wahrheit sei. Das Krankenhaus bildet für immer einen Teil ihres Lebens. Ihr Hotel verwandelt sich in eine Klinik, das Zimmermädchen in eine Krankenschwester, die Menschen verbergen unter ihren Kleidern ein verwickeltes Röhrenwerk, und sie selbst empfindet sich als Saug- und Druckpumpe bzw. als ein System von Ballons und Schläuchen.142 Aller Lebensaufwand und Luxus kommt ihr fade vor. Die Welt lebt, als gäbe es keinen Tod; in Wahrheit lauert er hinter ihrer Fassade, in den Kliniken und Krankenhäusern, den Sterbezimmern. 143 Auch an Simone de Beauvoir frißt ein Krebs, der Krebs des schlechten Gewissens.144 Sie macht sich Vorwürfe, die Operation nicht verhindert zu haben. Sie hat sich dem „Man" gebeugt, obwohl ihre Moral verlangt, einen Menschen nicht sinnlos leiden zu lassen. Gefangen im Räderwerk der medizinischen Technik unternimmt sie nichts, ihre Mutter den Diagnosen, Vermutungen und Entscheidungen der Spezialisten zu entreißen. Es gibt für sie nichts Schrecklicheres, als der Willkür teilnahmsloser Ärzte und überlasteter Krankenschwestern ausgeliefert zu sein. Trotzdem kann sie es nicht ertragen, ihre Mutter sterben zu sehen. „Eine Tablette erweckte sie wieder." 145 Sie hat das Gefühl, sich zur Helfershelferin des Schicksals zu machen, das ihrer Mutter Gewalt antut. 146 Damit willigt sie in eine Lüge ein, genauso wie ihre Mutter, die sich in der Klinik gerettet weiß. „Der Verrat begann." 147 Spaßhaft nennt Simone de Beauvoir die Medizin der Mutter den „reinsten Cocktail". Mit Plänen für die Zukunft trägt sie dazu bei, die Ster-

142 143 144 145 148 147

Vgl. SA S. 83. Vgl. SA S. 87. Vgl. SA S. 63. SA S. 84. Vgl. SA S. 118 SA S. 50.

Schmalenberg, Todesverständnis 10

Tod durch Schicksalsmacht

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bende irrezuführen. 148 Auch die Kranke findet immer wieder Ausflüchte, um ihre Erschöpfungszustände zu erklären. 149 Sooft die Gewißheit des nahenden Endes über sie kommt, verurteilen die Angehörigen sie zum Schweigen, unterdrücken ihre Ängste und verdrängen ihre Zweifel. Doch es gibt keine andere Wahl: „Hoffnung war das, was sie am dringendsten brauchte." 150 Uberall kommt sich die Autorin wie eine Lügnerin vor. „Die Sprache verfaulte mir in meinem Munde." 151 Aus Angst, die Mutter könnte die Wahrheit erfahren, hält sie deren Freundinnen vom Sterbebett fern. Die Kranke hatte in gesunden Tagen mit ihnen ausgemacht, daß sie sich gegenseitig „richtig" sterben helfen würden. 152 Jetzt aber fühlt sie sich nur wohl in der Gemeinschaft derjenigen Freundinnen, die sich den Lügen der nächsten Verwandten angeschlossen haben. Dennoch trägt die Autorin schwer daran, daß sie die Einsamkeit ihrer Mutter nicht überwinden kann. Sie hält deren Hand, aber sie ist nicht bei ihr. „Ich belog sie."153 Diese letzte Täuschung haßt sie umso mehr, als ihre Mutter das ganze Leben hindurch getäuscht worden ist. Zwei Gründe sind dafür maßgebend, daß sich Simone de Beauvoir nicht zur Wahrheit bekennt. Der Mutter soll kein Tag ihres Lebens verloren gehen. Nach ihrem Tode stellt sich heraus, daß sie dreißig Tage gewonnen hat, die mit Hilfe der Medizin schmerzlos verlaufen sind. Aber auch den Angehörigen verschafft dieser Aufschub des Endes einen Vorteil: er hat sie vor Gewissensbissen bewahrt — „oder doch fast bewahrt". 154 Denn es bleiben noch genung Selbstvorwürfe, weil die Tote zu ihren Lebzeiten keinen größeren Raum in ihrem Dasein eingenommen hat. Daß die sterbende Mutter für das vitale Leben eine animalische Leidenschaft entwickelt, nimmt Simone de Beauvoir als Hinweis auf die Unwahrhaftigkeit ihrer früheren religiösen und moralischen Existenz. Die Verachtung des Körperlichen, dessen sie sich im Krankenhaus nicht mehr schämt, sei ihr im Kloster beigebracht worden. 155 148 148 150 151 152 15S 154 155

Vgl. SA S. 54. Vgl. SA S. 73. SA S. 74. SAS. 82. Vgl. SA S. 100. SAS. 118. Vgl. SA S. 104. Vgl. SAS. 41.

Die Fremdheit des biologischen Todes

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Im Grunde war es Eifersucht, wenn sie stets die Befürchtung hegte, Simone de Beauvoirs Glaubenslosigkeit könne das Seelenheil ihrer älteren Toteher beeinträchtigen. 156 Die Autorin zeichnet ihre Mutter als eine Katholikin, die aus Furcht, als „Idiotin" zu gelten, zu den „Aufgeklärten" hielt. Dennoch lebte sie fortgesetzt gegen sich selbst an. 157 Erst im Krankenhaus ändert sich diese Haltung. Simone de Beauvoir nimmt es als einen Beweis für ihren Mut, daß die „Geistgläubige" sich im Krankenhaus mit solcher Entschiedenheit zur „Triebhaftigkeit" bekennt. 158 Einen Priester jedenfalls läßt sie nicht rufen, und die Versuche ihres Beichtvaters, zu der Kranken vorzudringen, werden von der Tochter mit Nachdruck abgewehrt. 159 N u r ein junger Jesuit, ein Verwandter, darf zu ihr. Die Mutter will ihrer Tochter den Spaß nicht verderben, mit ihm über theologische Probleme zu diskutieren. „Ich werde", so erklärt die Kranke, „die Augen schließen und brauche nicht zu sprechen." 160 Dieselbe Frau, die alle ihre Bekannten dazu aufgerufen hatte, für das Seelenheil ihrer gottlosen Tochter zu beten, zieht während des Klinikaufenthaltes nicht ein einziges Mal das Meßbuch, den Rosenkranz oder das Kruzifix aus der Schublade. 161 Auch nach der Kommunion trägt sie kein Verlangen. „Ich bin zu erschöpft, um zu beten; Gott ist gut!" 1 6 2 Die Autorin meint, ihre Mutter sei nicht bereit gewesen, den T o d anzunehmen und habe deswegen kein unwahres Wort zu Gott sprechen wollen. „Sie gestand sich nicht einmal das Recht zu, aufzubegehren. Sie schwieg." 163 Simone de Beauvoir unterscheidet drei Verhaltensweisen zum Tode. Die eine findet sich bei ihrer Großmutter, die nicht am Leben hing und das Paradies erwartete. „Ich werde noch ein letztes weichgekochtes Ei essen", so hatte sie gesagt, „und dann zu Gustave hinübergehen." 164 Die andere machte sich ihr verstorbener Vater zu eigen. Er untersagte seiner Tochter, einen Geistlichen zu holen, weil er kein 156 157 158 158 160 161 16S 168 1M

Vgl. SA S. 44. Vgl. SA S. 46. Vgl. SA S. 60. Vgl. SA S. 67. SA S. 73. Vgl. SA S. 99. SA S. 99. SAS. 101. SAS. 101.

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Tod durch Sdiicksalsmadit

„Theater" spielen wollte. Wie die Großmutter das Paradies, so nahm er das Nichts hin. 165 Den dritten Typ findet die Autorin bei sich selbst und ihrer Mutter. „Sie empfand dem Tode gegenüber das gleiche Aufbegehren wie ich." 168 Vor ihm gibt es keinen Trost: weder die Unsterblichkeit im Himmel noch die Unsterblichkeit im Werk. 167 Die Endgültigkeit des Todes schließt jedoch für Simone de Beauvoir nicht aus, daß es in den Augen der Überlebenden so etwas wie eine Auferstehung von den Toten gibt. Als der Geistliche bei der Trauerfeier für die Verstorbene den Namen der Mutter nennt, heißt es: „Diese Worte erweckten sie wieder zum Leben." 168 Die selten bei Namen genannte, zurückgezogen lebende Frau erscheint jetzt als „Persönlichkeit". Vor allem hat die Autorin die Gewißheit gewonnen, daß der Tod keine „natürliche" Angelegenheit bildet. „Nichts, was einem Menschen widerfahren kann, ist natürlich." 169 Als Begründung dient ihr der Umstand, daß der Mensch die Welt in Frage stellt. Was aber in Frage gestellt werden kann, ist nicht natürlich. Der Mensch ist aufgerufen, mit dem Tode zu ringen. Man stirbt immer an „etwas". Der Sarkom trifft auch den alternden Menschen als Überraschung. Zwar steht fest, daß alle Menschen sterben müssen, aber trotzdem widerfährt der Tod dem einzelnen wie ein Unfall, als unverschuldeter Gewaltakt sozusagen.170 Er ist ein Fremdling im Reiche des Menschen. Die Autorin nimmt nach allem lieber einen unüberwindlichen Dualismus in Kauf, den Gegensatz der beiden Wahrheiten von Leben und Tod, die immer zugleich in Geltung stehen, als den Tod auf idealistische Weise zu verklären oder sich ihm in nihilistischer Resignation auszuliefern. Aber dieser Dualismus versteht sich rein ontologisch. Er verdeckt die theologische Fragestellung. In ihr geht es um den Aufweis, daß der Tod den Menschen als den Sünder vor Gott trifft. Die Frage, ob er die Menschen als Fremdling angeht, läßt sich von hier aus nicht mehr mit einem glatten Ja beantworten. Die soge-

165 166 1,7 168

170

Vgl. SA S. 101. SA S. 102. Vgl. SA S. 102. SAS. 112. SAS. 119 f. Vgl. SAS. 120.

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nannte Natur, mit der die Autorin den Tod für unvereinbar hält, bestimmt sich theologisch allein aus der Relation des Menschen zu Gott. Sie wird qualifiziert durch den Ungehorsam des Sünders. Infolgedessen hat der Mensch den Tod verdient. Er trifft ihn als Strafe, gehört ihm zu und ist insofern weit davon entfernt, dem Menschen fremd zu sein. Dennoch ist auch im christlichen Glauben der Tod ein Fremder. Gott erblickt in ihm den letzten Feind.171 Zwar hat er schon jetzt für den Glaubenden seinen Stachel verloren 172 , aber seine endgültige Beseitigung bleibt dem Eschaton vorbehalten. Auch Jesus erkennt in ihm seinen Gegner. Er bekämpft ihn in allen seinen Erscheinungsformen. Auf die Frage Johannes des Täufers, ob er der verheißene Messias sei, antwortet er den Abgesandten: „Blinde werden sehend und Lahme können gehen, Aussätzige werden rein und Taube hören, und Tote stehen auf und ,Arme empfangen Freudenbotschaft', und selig ist, der nicht an mir zu Fall kommt." 173 Durch Jesu Heilungen und Totenauferweckungen bricht Gottes Herrschaft in den Machtbereich des Todes ein. Gottes Reich ist ein Reich des Lebens, weil Gott selbst ein Gott des Lebens ist.174 Durch Jesus tritt er aus seiner Verborgenheit ins Licht der Geschichte. Wenn Gott dennoch den Tod verhängt um seiner Gerechtigkeit willen — und daran besteht für das Alte und das Neue Testament kein Zweifel, daß Gott ihn wirkt, und sei es auch nur in der Weise, daß er vernichtenden Mächten Raum läßt —, so verrichtet er sozusagen ein opus alienum. Den Tod austeilen heißt für ihn, ein fremdes Werk verrichten. Fremd und unnatürlich ist recht eigentlich der Tod f ü r ihn. Anders verhält es sich beim Menschen. Ihm sollte der Tod vertraut sein. Jedenfalls steht ihm kein Recht zu, ihn als Fremdling von sich zu weisen. Er kommt ihm zu. Auf der anderen Seite aber darf er gegen ihn kämpfen, weil Gott in Christus Gnade zum Leben anbietet. Der Mensch ist nur insofern auf den Tod als auf ein ihm Zukommendes 171

173

174

Vgl. Jes. 25,8; I. Kor. 15,26.54 f.; Offb. 19,20; 20,10.15. Vgl. I. Kor. 15,55. Mt. 11,5 in der Obers, v. J. Schniewind, Das Evangelium nach Matthäus, in: Das Neue Testament Deutsdi, her. v. P. Althaus, II. Band, Göttingen 1953, S. 139. Vgl. Mt. 9,18 ff.; Lk. 7,11 ff.; Joh.9,3; 11,17 ff.

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bezogen, als er infolge der Sünde dem Zorne Gottes unterliegt. Da aber Gott selbst in unergründbarem Erbarmen eine Gnadenbeziehung zum Sünder herstellt, darf sich dieser auch in ein neues Verhältnis zum Leben versetzt wissen. Sogar das befristete Leben in der Zeit steht jetzt in Relation zu der durch Christus wiederhergestellten Gottesgemeinschaft. Es ruht nicht in sich selbst, sondern empfängt seinen Sinn von dem, der die Schuld vergeben und die Gnade des Lebens zur Kehrseite des Todesgerichts gemacht hat. Das. ist der Grund, weshalb auch für ein befristetes Leben gekämpft werden darf unter Zuhilfenahme aller medizinischen Praktiken. Das biologische Leben enthält bis zuletzt die Chance, Gottes Gnade zu preisen, und die Versuchung, sein Angebot auszuschlagen. Es gibt freilich eine Art physiologischen Lebendigseins, dessen künstliche Verlängerung für diese beiden Möglichkeiten keinen Raum mehr läßt. Sie liegt dann vor, wenn der menschliche Körper nur dazu am Leben erhalten wird, damit er als Organbank f ü r Transplantationen diene.175 Aber selbst in diesem Falle wäre es denkbar, daß der Körper des zu Schaden Gekommenen mit dessen eigenem Willen f ü r diesen Zweck ausgenutzt wird. So kann man der Autorin nur beipflichten, wenn sie die sogenannte Euthanasie ablehnt, jedenfalls dann, wenn es der Medizin gelingt, eine möglichst schmerzfreie Lebensverlängerung zu gewährleisten. Die Mutter genießt auf dem Sterbebett zum ersten Male das Wunder des Lebens. Aber sie sieht sich außerstande, zwischen dem Lebensgenuß und der Gottesgnade einen Zusammenhang herzustellen. Gott ist ihr ferngerückt. Er geht auf in einem völlig indifferenten universalen Wohlwollen. Die Sterbende klammert sich mit animalischer Hartnäckigkeit an das Leben anstatt an Gott, und gerade dieses Animalische erfüllt die Autorin mit besonderer Genugtuung. Darin aber unterscheiden sich doch Tier und Mensch, daß der Mensch im Unterschied zum Tier wissen darf, weshalb er stirbt und lebt. Der Autorin ist dieses Wissen abhanden gekommen. Sie rückt das Leben unter dieselbe Kategorie wie den Tod. Beide vereinigen sich unter dem Begriff der Fatalität. Es ist über uns verhängt, daß wir leben und sterben. Einen Sinn impliziert weder das eine noch das andere. Das Problem, vor dem Simone de Beauvoir in der Euthanasiefrage «« Vgl. Anm. 120 auf S. 126.

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steht, weist eine gewisse Beziehung zu dem Problem auf, das die Totenauferweckungen Jesu stellen. Es erhebt sich die Frage, weshalb Jesus Tote ins Leben zurückruft, wenn sie doch eines Tages wieder sterben müssen. Weshalb immer wieder Medikamente reichen, die den moribundus nicht sterben lassen? N u n tragen Jesu Krankenheilungen und Totenauferweckungen zeichenhaften Charakter. 1 7 6 Sie machen den Einbruch der Gottesherrschaft offenbar. Unverdient wird Leben zurückgeschenkt. Jesu Zeichen wirken Hoffnung und Zuversicht, mehr und Größeres von Gott zu erwarten. In Analogie dazu darf auch das mit medizinischen Mitteln zurückgewonnene Leben als zeichenhafte Voraberweisung einer viel größeren Gnade angenommen werden, die in der Seligkeit des ewigen Lebens besteht. Weil die von Jesus Begnadeten Gott preisen 177 , darum hat es einen Sinn gehabt, sie ins Leben zurückzuholen. N u r darin kann letztlich auch der Sinn bestehen, auf künstliche Weise das Leben eines Menschen zu verlängern. Es bildet nicht an und für sich ein Wunder; vielmehr handelt es sich in jedem Falle um ein Wunder der Gnade Gottes. Mag seine Frist auch noch so kurz bemessen sein, sie räumt dem Menschen die unwiederbringliche Möglichkeit ein, sich unter Gottes Gericht zu beugen, seine Gnade zu preisen und den Glauben in Anfechtung zu bewähren. Aus diesem Grunde wird keine Sekunde vergeblich gelebt. Wenn jedoch die Autorin den Gewinn der Lebensverlängerung im Grunde darin erblickt, daß sich ihre Mutter, der Ideologie ihrer Tochter folgend, vom christlichen Glauben weg zur gnadenlosen Freiheit der Existenz durchgerungen habe, so mutet diese Feststellung beinahe diabolisch an. Überdies trifft Simone de Beauvoir nur die halbe Wahrheit, wenn sie sich selbst der Lügenhaftigkeit bezichtigt, weil sie nicht die Kraft aufbringt, der Sterbenden zu sagen, wie es wirklich um sie steht. Es wäre genau im umgekehrten Sinne eine Lüge gewesen, der Mutter die Unentrinnbarkeit des Todes vor Augen zu führen, ohne dabei zum Ausdrude zu bringen, daß der Gott, der Wunden schlägt, auch verbindet. 178 Was vom Schweigen oder vom Reden im Hinblick auf den 178

177

"8

Vgl. K . H . Rengstorf, Artikel „semaion", in: Theologisdies Wörterbudi zum Neuen Testament, her. v. G. Friedrich, VII. Band, Stuttgart 1964, S. 499 ff. Vgl. Mk. 2,12 p a r ; Mt. 15,31; Lk. 17,11 ff.; 18,43 und R. Bultmann, Die Gesdiidite der synoptischen Tradition, 6. A., Göttinden 1964, S. 241. Vgl. Hiob 5,18; Hos. 6,1.

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Tod gilt, das gilt in gleicher Weise vom Verhältnis beider zum Leben. Es ist auch eine Lüge, vom Leben des Menschen so zu sprechen, als besäße der Mensch ein Recht darauf, als wäre es nicht ein unverdientes Geschenk des Schöpfer- und Erlösergottes. Gerade darin ist Satan der Ur-Lügner, daß er versucht, die Existenz des Menschen in Leben und Tod dem Verfügungsbereich Gottes zu entziehen. 179 Die Wahrheit besteht weder im Leben noch im Tode, als wären sie beide an und für sich etwas; die Wahrheit besteht in der Person Jesu Christi, dem fleischgewordenen Logos, der identisch ist mit dem Leben. 180 An der Wahrheit teilnehmen heißt daher, an seinem Leben Anteil gewinnen. Eine Wahrheit, die tötet, ohne zugleich an seinem Leben Anteil zu geben, verdient diesen Namen nicht. Der Tod trifft die sterbende Mutter der Autorin deshalb wie ein Gewaltakt von außen, weil er nicht als wohlverdientes Gericht angenommen wird. Der Protest gegen den Tod wendet sich gegen den göttlichen Richter selbst. Er kommt geradezu als Mörder zu stehen. Aber es gibt wohl kein größeres Mißverständnis als dieses, ihn die Rolle eines Totengottes spielen zu lassen. Gott tötet zwar, aber er tötet, um lebendig zu machen. Daß der N a m e den Toten überlebt, ja daß durch seine Nennung eine Art Wiederbelebung stattfindet, könnte angesichts der Endgültigkeit des Todes wie ein Trost erscheinen. Aber Simone de Beauvoir kennt die Kurzlebigkeit des menschlichen Gedächtnisses nur allzu gut. 181 Und doch gibt sie mit der Erwähnung der Trauerfeier, bei der durch einen Geistlichen der N a m e ihrer Mutter genannt wird, einen Hinweis auf die Hoffnung des christlichen Glaubens, daß die Namen der Menschen in Gottes Gedächtnis aufbewahrt werden. Gott läßt dem Volke Israel in der Gefangenschaft sagen: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen, mein bist du!" 1 8 2 Es gibt kein Vergessen bei Gott. Aber entscheidend ist nicht das bloße Aufbewahrtsein des Namens. Es hängt alles davon ab, ob des Menschen N a m e zum Leben oder zum Tode, zum Heil oder

Vgl. Joh. 8,44 f. Vgl. Joh. 14,6; 8,58; 11,25. 181 Yg[ L A S. 52 f. und die Bedeutung des Namens in L. Feuerbachs Todesverständnis bei J . Wach, Das Problem des Todes in der Philosophie unserer Zeit, Tübingen 1934, S. 25. 1 8 2 Jes. 43,1 in der Übers, v. C. Westermann, Das Buch Jesaja, a. a. O., S. 94. 179

180

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137

zur Verdammnis aufgerufen wird. Was an diesem N a m e n sollte es wert sein, daß er zum Leben aufgerufen wird, wenn nicht die Gerechtigkeit, die uns im N a m e n Jesu Christi 1 8 3 schon jetzt geschenkt wird.

183

Vgl. Joh. 20,31 ;Apg. 4,12; 10,43; I. Kor. 6,11.

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Bernhard K l a u s

Ulrich B r o w a r z i k

Massenmedien im Dienst der Kirche Theologie und Praxis VIII, 215 S. 1969. Kart. DM 9,80 ISBN 3 11 002646 5 (Band 21) Glauben und Denken Dogmatische Forschung zwischen der Transzendentaltheologie Karl Rahners und der Offenbarungstheologie Karl Barths mit einem Geleitwort von Karl Rahner XII, 282 S. 1970. Lw. DM 38,— ISBN 3 11 006354 9 (Band 20)

Klaus K r ü g e r

D e r Gottesbegriff der spekulativen Theologie VIII, 185 S. 1970. Lw. DM 38,— ISBN 3 11 006355 7 (Band 19)