Das Tatbestandsmerkmal »Verlangen« im Strafrecht: Zugleich ein Beitrag zur Unrechtslehre am Beispiel der Tötung auf Verlangen und des Schwangerschaftsabbruchs nach Konfliktberatung [1 ed.] 9783428553372, 9783428153374

»The Element of Crime ›Demand‹ in Criminal Law«The thesis deals with questions of genesis, meaning and legal consequence

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Das Tatbestandsmerkmal »Verlangen« im Strafrecht: Zugleich ein Beitrag zur Unrechtslehre am Beispiel der Tötung auf Verlangen und des Schwangerschaftsabbruchs nach Konfliktberatung [1 ed.]
 9783428553372, 9783428153374

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Schriften zum Strafrecht Band 322

Das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ im Strafrecht Zugleich ein Beitrag zur Unrechtslehre am Beispiel der Tötung auf Verlangen und des Schwangerschaftsabbruchs nach Konfliktberatung

Von

Angela Knierim

Duncker & Humblot · Berlin

ANGELA KNIERIM

Das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ im Strafrecht

Schriften zum Strafrecht Band 322

Das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ im Strafrecht Zugleich ein Beitrag zur Unrechtslehre am Beispiel der Tötung auf Verlangen und des Schwangerschaftsabbruchs nach Konfliktberatung

Von

Angela Knierim

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg hat diese Arbeit im Jahre 2017 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2018 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: CPI buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-15337-4 (Print) ISBN 978-3-428-55337-2 (E-Book) ISBN 978-3-428-85337-3 (Print & E-Book)

Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2017 von der Juristischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Schrifttum sind bis Ende 2016 berücksichtigt worden. Mein größter Dank gilt in Liebe Paul Hentz. Ich danke dir nicht nur für deine klugen Anmerkungen und deine unermüdliche Hilfe vom Korrekturlesen bis zur Formatierung, sondern auch für deine Bereitschaft, noch zu später Stunde über Inhalte meiner Doktorarbeit zu diskutieren. Meinen Eltern, Heike und Alfred Knierim, gebührt ganz besonderer Dank. Ihr habt mich stets ermutigt und in jeder Hinsicht unterstützt. Euch widme ich dieses Werk. Von Herzen danken möchte ich auch meinen Geschwistern, Eva Knierim und Jan Knierim – dafür, dass ihr immer für mich da seid. Für die moralische Unterstützung danke ich Dr. Claus Brech und Andreas Reidt. Herzlich bedanken möchte ich mich außerdem für das fleißige Korrekturlesen bei meinen Eltern und Christa Scherffius-Hentz. Auch Dr. Ben Koslowski danke ich sehr – für deine Unterstützung im italienischen Strafrecht. Für die Erstellung des Zweitgutachtens danke ich Herrn Prof. Dr. Dieter Dölling. Abschließend, aber gewiss nicht zuletzt, gebührt mein tiefster Dank meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Thomas Hillenkamp für die Anregung des Themas, die gute Betreuung der Arbeit sowie die hervorragende fachliche und persönliche Unterstützung. Sie waren mir bereits während meines Studiums ein großes Vorbild und sind es bis heute. Düsseldorf, im Frühjahr 2018

Angela Knierim

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Fragestellung und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ausgeklammerte Themengebiete . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Sterbehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nasciturus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17 20 22 23 23 25

B. Unrecht, Unrechtsausschluss und -minderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Unrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Terminologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Materieller Unrechtsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der materielle Unrechtsbegriff im Wandel der Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Lehre vom Gesellschaftsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Lehre von der Verletzung subjektiver Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Rechtsgutslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Pflichtverletzung und Gesinnungsstrafrecht im Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) In Abkehr vom Nationalsozialismus wieder Betonung der Rechtsgutslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unrecht und die Aufgaben des Strafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Unrecht als Rechtsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Verletzung subjektiver Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Eigenes Unrechtskonzept: Erweiterung des Modells von Renzikowski um einen verfassungsrechtlichen Maßstab sowie Erstreckung auf objektive Rechtsgehalte . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Erweiterung um einen verfassungsrechtlichen Maßstab . . (b) Erstreckung auf objektive Rechtsgehalte . . . . . . . . . . . . . . (c) Nähe der hier vorgestellten Theorie zu Günthers Lehre von der Strafrechtswidrigkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Strafbarkeitslimitierende Funktion des eigenen Konzepts (e) Mögliche Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (f) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Unrecht als Freiheitsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Unrecht als Rechtsgutsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

26 26 26 27 27 27 28 28 29 29 30 30 32 32 35

36 36 54 57 58 61 62 64 65

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Inhaltsverzeichnis (1) Funktionaler Rechtsgutsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Personaler Rechtsgutsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Realer Rechtsgutsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Positivistische Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Kriminalpolitische Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Hermeneutische Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (7) Der Rechtsgutsbegriff Röttgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Individualrechte und Allgemeinrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Vergleich mit anderen Unrechtskonzepten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Angloamerikanische Unrechtstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Rechtsphilosophische Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Absolutistische Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unrechtselemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Objektive Unrechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Subjektive Unrechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Personale Unrechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Unrechtssystematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Normenhierarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verhältnis zum öffentlichen Recht und zum Zivilrecht . . . . . . . . . . 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Unrechtsminderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Unrechtsausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Struktur der Rechtfertigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Materielle Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Monistische Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Pluralistische Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Elemente der Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kompensationsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Axiologisches Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Systematik der Rechtfertigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rechtsfolge der Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Struktur der Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Materielle Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verfassungsrechtliche Verortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einfachgesetzliche Verortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Verzicht auf Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65 68 68 69 71 71 72 73 74 76 76 77 80 81 81 81 84 85 86 86 86 87 88 89 90 90 90 91 92 93 93 95 96 97 98 98 101 101 103 103

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dd) Abwägungstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Elemente der Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Einwilligungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rechtsinhaberschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Dispositionsbefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Erklärung vor der Tat und Fortbestehen im Zeitpunkt der Rechtsverletzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Inhalt der Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Einwilligungsfähigkeit und Freiheit von Willensmängeln . . . . . . . e) Objektive Einwilligungsschranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verfassungsrechtliche Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einfachgesetzliche Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Indisponible Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Erfordernis der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung . . . . . . cc) Auswirkung auf die Unrechtskompensation . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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C. Voraussetzungen des Verlangens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. § 216 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verlangen als objektives oder subjektives Tatbestandsmerkmal? . . . . . . . . a) Subjektives Tatbestandsmerkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Objektives Tatbestandsmerkmal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verhältnis des Tötungsverlangens zur Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verlangen als „Plus“ gegenüber der Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Qualifizierte Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Aliud . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verlangen als Synonym zur Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Alternativentwürfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Entwurf von Hoerster 1988 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Alternativ-Entwurf Sterbehilfe 1986 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Alternativ-Entwurf Sterbebegleitung 2005 . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der (frühere) Sonderweg Mitschs: Verlangen als verständliche/vernünftige Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Art und Weise der Äußerung eines Verlangens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wer kann das Verlangen äußern? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Was muss das Verlangen beinhalten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

115 115 115 116 116 116 116 117 117 118 119 120 121 121 123 124 124 125 126

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Inhaltsverzeichnis c) Wie muss das Verlangen geäußert werden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Wann muss das Verlangen geäußert werden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Tatbestandsmerkmale in Bezug auf das Verlangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausdrücklichkeit des Verlangens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Herrschende Meinung in Literatur und Rechtsprechung . . . . . . . . . bb) Alternativentwürfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Mutmaßliches Verlangen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ernstlichkeit des Verlangens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Altersgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Alternativentwürfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit sowie Steuerungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Freiheit von Irrtum, Arglist und Zwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Vernünftigkeit des Verlangens als weitere Voraussetzung? . . . . . . . (1) Ernstlichkeit ist mehr als fehlerfreie Willensbildung . . . . . . . . (2) Ernstlichkeit meint lediglich fehlerfreie Willensbildung . . . . . (3) Logisches Problem der 2. Ansicht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verlangen mittels Patientenverfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Stellvertretung in der Äußerung eines Tötungsverlangens? . . . . . . . . . . . . . 7. Adressat des Verlangens und dessen Bestimmung durch das Verlangen . . a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Parallelität zur Anstiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. § 218a Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verhältnis des Abbruchsverlangens zur Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Verlangen als „Plus“ zur Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verlangen als Synonym zur Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Art und Weise der Äußerung eines Verlangens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Wer kann das Verlangen äußern? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Altersgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Freiheit von subjektiven Mängeln im Übrigen . . . . . . . . . . . . . . . . .

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b) Was muss das Verlangen beinhalten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Wie muss das Verlangen geäußert werden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Wann muss das Verlangen geäußert werden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verlangen mittels Patientenverfügung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stellvertretung in der Äußerung eines Abbruchsverlangens? . . . . . . . . . . . a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gesetzliche Vertretung durch die Erziehungsberechtigten . . . . . . . bb) Stellvertretung durch einen nach § 1896 BGB bestellten Betreuer b) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gesetzliche Vertretung durch die Erziehungsberechtigten . . . . . . . bb) Stellvertretung durch einen nach § 1896 BGB bestellten Betreuer Mutmaßliches Verlangen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Adressat des Verlangens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Voraussetzungen des § 218a Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

164 164 164 164 165 165 165 166 167 168 168 169 170 170 170 171 171 172 173

D. Rechtsfolgen des Verlangens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. § 216 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unrechtsgehalt von § 216 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Tötungsunrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Individualrechtsgut „Leben“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Verletzung wegen Indisponibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Kriminalpolitische und paternalistische Begründungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Intrapersonaler oder interpersonaler Pflichtenverstoß . . . (2) Abstrakte Gefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Universalrechtsgut „Gutsgattung Leben“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Verletzung des kollektiven Rechtsguts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Abstrakte Gefährdung des kollektiven Rechtsguts . . . . . . . . . . cc) Kombinationsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Individueller und kollektiver Schutzzweck in einem Rechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Disponibles Individualrechtsgut sowie indisponibles Universalrechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sonstiger Unrechtsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

174 174 174 175 176 176

3. 4.

5.

6.

7.

176 178 179 180 180 180 181 181 182 183 194

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Inhaltsverzeichnis aa) Universalrechtsgut „Einhaltung eines objektiven Mindeststandards im Umgang mit Menschen in existenziellen Krisen“ . . . . . . bb) Universalrechtsgut „Verwaltbarkeit der Gesellschaft“ . . . . . . . . . . . cc) Universalrechtsgut „Sozialer Frieden“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kein Unrechtsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Forderungen de lege ferenda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Im Einzelfall kein Unrechtsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wirkung des Tötungsverlangens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unrechtsminderung durch das Tötungsverlangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Materielle Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Auswirkung auf die Unrechtselemente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unrechtsausschluss durch das Tötungsverlangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) De lege lata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) De lege ferenda: Alternativentwürfe und Reformvorschläge . . . . . c) (Ausschließliche) Schuldminderung durch das Tötungsverlangen respektive die Bestimmung durch dieses? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Eigene Theorie zum Unrechtsgehalt von § 216 Abs. 1 StGB und zur Wirkung des Tötungsverlangens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. § 218a Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Unrechtsgehalt von § 218 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Tatobjekt Schwangere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Tatobjekt nasciturus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Individualrechtsgut „Leben“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Objektiv-rechtlicher Lebensschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wirkung des Abbruchsverlangens in § 218a Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . a) Tatobjekt Schwangere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Tatobjekt nasciturus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ausschluss nur des kriminellen Unrechts aus dem Tatbestand . . . . cc) „Normaler“ Tatbestandsausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Tatbestandsausschluss sui generis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Fiktiver Tatbestandsausschluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Rechtsfreier Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . gg) Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . hh) Entfall der „Tatverantwortung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

194 195 196 196 201 201 201 202 203 203 203 204 204 205 205 206 207 207 215 220 220 221 222 222 224 226 233 236 236 237 238 239 239 241 241 241 242 242

Inhaltsverzeichnis

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aa) Tatobjekt Schwangere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Tatobjekt nasciturus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Eigene Theorie zum Unrechtsgehalt von § 218 Abs. 1 StGB und zur Wirkung des Abbruchsverlangens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Unrechtsgehalt von § 218 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Nasciturus als Mensch: Versagen des klassischen Auslegungskanons . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Eigener Vorschlag: Klärung des Grundrechtsstatus über die praktische Konkordanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Konsequenzialistische Vorfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Bedeutung des status quo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Deontologische Herleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wirkung des Abbruchsverlangens in § 218a Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . aa) Verfassungsrechtliche Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Lebensrecht des nasciturus vs. allgemeines Persönlichkeitsrecht der Schwangeren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Menschenwürdekollision? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Exkurs: Lebensrecht des nasciturus vs. Recht auf körperliche Unversehrtheit und Leben der Schwangeren . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Einfachgesetzliche Umsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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E. Eigene Auslegung des Tatbestandsmerkmals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. § 216 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Spezifischer Sprachgebrauch des Strafgesetzbuchs . . . . . . . . . . . . . . . . b) Allgemeiner juristischer Sprachgebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Umgangssprachliche Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Begriffsjurisprudenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorgeschichte und Entstehungsgeschichte im engeren Sinne . . . . . . . . b) Entwicklungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Tötungsunrecht als Unrechtsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sonstiger Unrechtsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sinn und Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Tötungsunrecht als Unrechtsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sonstiger Unrechtsgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Auslegung durch die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

246 247 247 249 250 254 257 259 261 262 263 265 266 268 271 275 275 276 277 281 284 285 286 287 287 297 301 301 302 302 303 306 306 307

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Inhaltsverzeichnis b) Instanzgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Rechtsvergleichende Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bloßes Einverständnis im Sinne der Einwilligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Qualifiziertes Einverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. § 218a Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sinn und Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Auslegung durch die Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Rechtsvergleichende Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Synopse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

311 313 313 314 316 318 318 320 327 329 333 333 334 334

F. Konsequenzen für das geltende Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Rechtfertigung der Tötung auf Verlangen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Derzeitige Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vorgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einwilligungslösung des BGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Lebensverkürzende Medikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einwilligung in die fahrlässige Tötung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Lösungsvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtfertigung des beratenen Schwangerschaftsabbruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Verhältnis zu § 228 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Embryonenschutzgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Weitere strafrechtliche Nebengesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

336 336 336 336 338 339 341 343 348 350 351 353

G. Gesamtergebnis und Schlusswort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 Sachwortregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382

A. Einleitung Das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ bedient sich eines Begriffs, der bereits umgangssprachlich eine Vielzahl von Bedeutungen hat. Für das Verb liefert das Wörterbuch der deutschen Sprache des Dudens ganze acht Wortbedeutungen.1 Demnach heißt etwas zu verlangen zunächst, es haben zu wollen oder nachdrücklich zu fordern. Zugleich heißt es aber auch, etwas zu erfordern, unbedingt zu brauchen oder nötig zu haben. Weiterhin bedeutet es, etwas notwendig zu machen oder zu gebieten. Als Gegenleistung bezeichnet „verlangen“, etwas haben zu wollen. Auch die Aufforderung an jemanden, etwas zu zeigen oder vorzulegen, ist damit gemeint. Am Telefon bedeutet es, jemanden sprechen zu wollen. In gehobener Sprache soll es den Wunsch ausdrücken, dass jemand zu einem kommt oder etwas zu erhalten wünscht. Schließlich meint es auch, sich nach jemandem oder etwas zu sehnen. Das Substantiv „Verlangen“ beschreibt formell – also die Art und Weise betreffend – einen ausdrücklichen Wunsch, eine nachdrücklich geäußerte Bitte oder eine Forderung.2 In quantitativer und inhaltlicher Hinsicht bezeichnet es einen stark ausgeprägten Wunsch, ein starkes inneres Bedürfnis.3 Etymologisch gehört das Verb „verlangen“ als Präfixbildung zum mittelhochdeutschen „langen“ 4 zu „gelingen“.5 Das „gelingen“ wiederum stellt wohl ein Präfix zum mittelhochdeutschen „lingen“, das heißt „vorwärtskommen“, dar.6 Die Ableitung „langen“ entstammt dem 9. Jahrhundert und kommt vom mittelhochdeutschen „langen“ und vom althochdeutschen „(gi)langOn“, was so viel heißt wie „reichen, erreichen“.7 Das Verb „verlangen“ gehört seit dem 14. Jahrhundert zum Standardwortschatz und entstammt dem griechischen „lagae“, was so viel bedeutet wie „sich 1

Duden, Stichwort: „verlangen“. Vgl. Duden, Stichwort: „Verlangen“. 3 Vgl. Duden, Stichwort: „Verlangen“. 4 Außerdem stellt es eine Präfixbildung zum althochdeutschen „langen“ (verlangen, gelüsten), dem englischen „to long“ (sich sehnen) sowie zum altisländischen „langa“ (sich sehnen) dar; vgl. Duden, Herkunftswörterbuch, Stichwort: „verlangen“. 5 Duden, Herkunftswörterbuch, Stichwort: „verlangen“; Kluge, Etymologisches Wörterbuch, Stichwort „verlangen“. 6 Kluge, Etymologisches Wörterbuch, Stichwort: „verlangen“. 7 Kluge, Etymologisches Wörterbuch, Stichwort: „verlangen“. 2

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A. Einleitung

sehnen“.8 Die Bedeutung „begehren“ entwickelte sich aus „(zeitlich) lang dünken“.9 In Anbetracht der zahlreichen Wortsinnmöglichkeiten verwundert es nicht, dass über die Bedeutung im juristischen Sinne10 keine Klarheit herrscht. Das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ ist zudem kein rein deskriptives Merkmal.11 Zwar ist die Äußerung der Person, die ein solches Verlangen kundtut, wahrnehmbar. Gleichwohl ist der Begriff auslegungsbedürftig und bedarf der rechtlichen Wertung. Das Ziel der vorliegenden Untersuchung ist es, die Herkunft, Bedeutung und Funktion des Tatbestandsmerkmals „Verlangen“ im Strafrecht zu klären. Zu finden ist es de lege lata im Besonderen Teil des Strafgesetzbuchs (StGB) im Tatbestand der Tötung auf Verlangen, § 216 StGB, sowie in § 218a Abs. 1 StGB, der als sogenannter Schwangerschaftsabbruch12 nach Konfliktberatung13 gemäß § 218 Abs. 1 Nr. 1 StGB das Verlangen der Schwangeren voraussetzt und zum Tatbestandsausschluss von § 218 StGB führt. Enthalten ist es außerdem im Allgemeinen Teil im Strafverlangen i. S. v. § 77e StGB.14 In der Strafprozessordnung (StPO) findet sich das Verlangen an vielen verschiedenen Stellen, etwa in § 56 S. 1 StPO (Glaubhaftmachung des Verweigerungsgrundes auf Verlangen), § 114b Abs. 2 Nr. 5 StPO (Belehrungspflicht über das Recht des Beschuldigten, eine ärztliche Untersuchung zu verlangen) und 8

Kluge, a. a. O. Duden, Herkunftswörterbuch, Stichwort: „verlangen“. 10 Zur Unterscheidung von umgangssprachlicher und sprachwissenschaftlicher Wortbedeutung und der juristischen Fachsprache Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S. 40 f. 11 Zur Unterscheidung normativer und deskriptiver Tatbestandsmerkmale Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 194 ff. m.w. N. Die Bedeutung der Einordnung sollte nicht überschätzt werden, da eine trennscharfe Unterscheidung selten gelingt; dazu Kudlich, in: BeckOK, § 15, Rn. 13. 12 Der Verzicht auf den negativ konnotierten, bis 1993 allerdings im Gesetz selbst verwendeten Begriff der Abtreibung ist im heutigen juristischen Diskurs weitgehend konsentiert. Allerdings ist auch der Terminus „Schwangerschaftsabbruch“ zu Recht der Kritik ausgesetzt, da er die eigentliche Tathandlung des § 218 StGB verschleiert. Ein wörtlich verstandener „Abbruch“ der Schwangerschaft erfüllt den Tatbestand nicht in jedem Falle. So ist etwa die Auslösung einer Frühgeburt ohne den Eintritt des Todes der Leibesfrucht nicht tatbestandsmäßig. Nur die Tötung der Leibesfrucht durch Einwirkung auf diese nach Nidation, aber vor Beginn der Eröffnungswehen erfüllt die Voraussetzungen des § 218 StGB (auch wenn der Tod erst nach den Eröffnungswehen eintritt). Dazu Hillenkamp, in: Weilert, Spätabbruch oder Spätabtreibung, S. 29 (41 f.); Knauer/ Brose, in: Spickhoff, StGB, § 219, Rn. 3 und A.III.2. 13 Terminologie nach Tröndle, NJW 1995, S. 3009 (3011); siehe auch Hillenkamp, JuS 2014, S. 924 (925) mit Fn. 1. 14 Desweiteren findet sich das Verlangen im StGB in den §§ 76a Abs. 2 S. 2; 78b Abs. 1 Nr. 2; 104a S. 1; 257 Abs. 4 S. 1; 323a Abs. 3 (jeweils als Strafverlangen) und in den §§ 165 Abs. 1; 200 Abs. 1; 218c Abs. 1 Nr. 1 StGB. 9

A. Einleitung

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§ 161 Abs. 1 S. 1 StPO (Auskunftsverlangen der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren).15 Im Jugendgerichtsgesetz (JGG) ist das Verlangen in den §§ 24 Abs. 3 S. 5; 50 Abs. 3 S. 2; 61 Abs. 2 Nr. 2 JGG normiert. Zudem findet sich das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ im Gesetz über Ordnungswidrigkeiten16 sowie in strafrechtlichen Nebengesetzen.17 Ferner tauchte es in § 3a Abs. 1 S. 2 des (abgelehnten) Gesetzesentwurfs eines Präimplantationsdiagnostikgesetzes (PräimpG) vom 25. Juni 2003 zur Änderung des Embryonenschutzgesetzes (ESchG) der Abgeordneten Parr, Flach, Funke et al.18 auf, ohne allerdings im heutigen § 3a ESchG seinen Niederschlag gefunden zu haben. Im Alternativentwurf eines Gesetzes über Sterbehilfe von 1986 fand sich das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ in §§ 214 Abs. 1 Nr. 1 und 216 Abs. 1,19 im späteren Alternativentwurf aus dem Jahr 2005 in § 214 Abs. 1 Nr. 1 sowie § 4 Abs. 1 des Entwurfs eines Sterbebegleitungsgesetzes20. Im Gesetzesentwurf von Lorenz zur Sterbehilfe aus dem Jahr 2007 wurde komplett auf das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ verzichtet und ausschließlich auf die Einwilligung rekurriert.21 Im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) findet sich das Verlangen zentral in § 194 Abs. 1 BGB in der Legaldefinition des Anspruchs als Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen. Darin manifestiert sich zugleich ein möglicher grundsätzlicher Unterschied der „üblichen“ Verwendung des Tatbestandsmerkmals „Verlangen“ zur hier untersuchten Verwendung in § 216 und § 218a Abs. 1 StGB. In allen sonstigen oben angeführten – sowohl strafrechtlichen als auch bürgerlich-rechtlichen – Normen beschreibt das Verlangen die Geltendmachung eines Rechts, genauer gesagt: eines Anspruchs. Weder ein Recht noch ein Anspruch darauf, durch fremde Hand zu sterben, besteht jedoch nach allgemeiner Meinung.22 Vielmehr stellt § 216 StGB die verlangte Fremdtötung unter Strafe. Auch ein Recht auf den Schwangerschaftsab15 Außerdem taucht das Verlangen in der StPO in den §§ 24 Abs. 3 S. 2; 35 Abs. 1 S. 2, Abs. 3; 66 Abs. 2; 80 Abs. 1; 81d Abs. 1 S. 3; 100j Abs. 1 S. 1, 2, Abs. 2, Abs. 3, S. 1, 4; Abs. 5, S. 1; 107 S. 1, 2; 110b Abs. 3 S. 2; 115a Abs. 3 S. 1; 111c Abs. 4 S. 3; 111h Abs. 1 S. 1; 111i Abs. 7 S. 1; 127 Abs. 3 S. 2; 130 S. 3; 149 Abs. 1 S. 1; 161 Abs. 1 S. 2; 163 Abs. 1 S. 2; 173 Abs. 1; 217 Abs. 2; 228 Abs. 2, 3; 240 Abs. 1; 241a Abs. 2 S. 1; 257 Abs. 2; 371 Abs. 4; 379 Abs. 1; 384 Abs. 4; 463a Abs. 1 S. 1 auf. 16 §§ 69 Abs. 2 Nr. 2, 71 Abs. 2 Nr. 2, 76 Abs. 1 S. 3 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten (OWiG). 17 §§ 2a Abs. 2; 3 Abs. 3 S. 2, Abs. 4 S. 1; 5 Abs. 1 S. 4, Abs. 3 S. 1, 4; 21 Abs. 1 S. 3, 4 Schwarzarbeitsgesetz; § 49 Abs. 4 Nr. 5 Straßenverkehrsordnung. 18 BT-Drucks. 15/1234, S. 3. 19 AE-Sterbehilfe, S. 11 f. 20 Vgl. Schöch/Verrel u. a., GA 2005, 553 ff. 21 Lorenz, Sterbehilfe, S. 94 ff., 134 f. 22 Dazu näher unter D.I.

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bruch nach Konfliktberatung wird von den meisten verneint und demgegenüber die Vornahme als Unrecht angesehen.23 Jedenfalls ein Anspruch gegenüber einem bestimmten Arzt besteht wegen dem in § 12 Abs. 1 des Gesetzes zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten (SchKG) verbürgten Verweigerungsrecht des Arztes nicht.24 Vor diesem Hintergrund erscheint die Normierung des Verlangens in §§ 216, 218a Abs. 1 StGB erklärungsbedürftig – ein Verlangen ohne Recht und Anspruch?

I. Fragestellung und Gang der Untersuchung Die vorliegende Arbeit befasst sich deshalb mit der Frage, welche Voraussetzungen und Rechtsfolgen das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ im Strafrecht, insbesondere in § 216 und § 218a Abs. 1 StGB, hat. Diese Frage wird mit dem Werkzeug der Strafrechtsdogmatik beantwortet, weshalb die Unrechtslehre und auch die Entwicklung eines eigenen Unrechtskonzepts in dieser Arbeit einen beträchtlichen Umfang einnehmen. Damit wird die Untersuchung unter B. begonnen. Denn eine Analyse des Tatbestandsmerkmals „Verlangen“ ist ohne Rekurs auf das Unrecht der untersuchten Delikte nicht möglich. Diese Untersuchung setzt voraus, zunächst einmal zu klären, was kriminelles Unrecht überhaupt ist. Dazu werden verschiedene Unrechtstheorien vorgestellt. Auch wird ein eigenes Unrechtskonzept entwickelt. Sodann wird untersucht, wie Unrecht generell ausgeschlossen und gemindert wird. Im Anschluss daran wird unter C. der Meinungsstand zu den Voraussetzungen des Verlangens in Rechtsprechung und Schrifttum (unter Einbezug der Alternativentwürfe) jeweils zu § 216 Abs. 1 StGB und § 218a Abs. 1 StGB abgebildet. Im Anschluss daran werden die verschiedenen Auffassungen einer Kritik unterzogen und Schwachstellen aufgezeigt.25 Sodann werden unter D. die Rechtsfolgen des Verlangens beleuchtet. Zuerst zur Tötung auf Verlangen und dann zum Schwangerschaftsabbruch wird dargestellt, welche Unrechtsgehalte beiden Tatbeständen zugrundegelegt werden. Die verschiedenen Ansätze werden jeweils im Anschluss einer kritischen Würdigung unterzogen. Danach werden eigene Theorien zum Unrechtsgehalt der Tötung auf Verlangen und des Schwangerschaftsabbruchs nach Konfliktberatung entwickelt, die die aufgezeigten Ungereimtheiten ausräumen. Diese gehen auf das unter B. entwickelte eigene Unrechtskonzept zurück, das auch eine verfassungsrechtliche Kontrolle beinhaltet. Eng verknüpft mit dem Verlangen ist die Frage nach dem 23

Dazu im Folgenden D.II. Kritisch zu den Folgen und für die Auslegung als „Gewissensklausel“ Hillenkamp, in: FS-Schöch, S. 511 (522 ff., 530). 25 Eine eigene Definition des Tatbestandsmerkmals wird sub E. formuliert. 24

I. Fragestellung und Gang der Untersuchung

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Stellenwert des Selbstbestimmungsrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG, da das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ sich immer dort in Straftatbeständen findet, wo die Einwilligung nach allgemeiner Meinung nicht unrechtskompensierend wirken soll. Hier wird aufgedeckt, ob das grundgesetzlich garantierte Selbstbestimmungsrecht in den §§ 216, 218a Abs. 1 StGB aus paternalistischen Erwägungen unzulässig beschnitten wird. Dabei wird auch geklärt, wie sich das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ in § 216 Abs. 1 StGB einerseits und § 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB andererseits zu den Rechtfertigungsgründen, insbesondere zur rechtfertigenden Einwilligung, verhält. Damit wird zugleich beantwortet, welche Auswirkung das Verlangen auf das Unrecht der Fremdtötung und des Schwangerschaftsabbruchs hat. Weiterhin wird untersucht, ob die Normen sich überhaupt als legitim erweisen oder es womöglich an kriminellem Unrecht fehlt.26 Unter Aufzeigung der vorherrschenden Erklärungslücken und Begründungsdefizite ergibt sich die Relevanz der Arbeit, die jene Lücken schließen wird. Unter dem Eindruck der Würdigung des Meinungsstandes und ausgehend von den entwickelten eigenen Theorien zum Unrechtsgehalt und der Wirkung des Verlangens auf das Unrecht wird unter E. anhand des klassischen Auslegungskanons eine eigene Auslegung vorgenommen, die die festgestellten Begründungsdefizite ausfüllt. Im Rahmen der Auslegung wird der eigene Standpunkt – auch im Vergleich zu den anderen Positionen – auf den Prüfstand gestellt, und zwar sowohl hinsichtlich der Voraussetzungen als auch der Rechtsfolgen des Verlangens. Neben dem klassischen Kanon wird die Auslegung durch die Gerichte betrachtet und eine rechtsvergleichende Auslegung unternommen. Es wird ermittelt, ob die eigene Auffassung mit Wortlaut, Systematik, Historie, Telos, Rechtsprechung und im Rechtsvergleich eher vereinbar ist als die unter C. und D. kritisierten anderen Meinungen. Dabei wird im Rahmen der historischen Auslegung auch der Frage nachgegangen, wann und in welchen Normen das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ erstmals Eingang in das Strafrecht27 fand und die Tatbestandsgenese von § 216 StGB und § 218a Abs. 1 StGB untersucht. Schließlich werden die jeweils für § 216 StGB und § 218a Abs. 1 StGB gefundenen Ergebnisse in einer Synopse gegenübergestellt und die Gemeinsamkeiten und Unterschiede des Verlangens in beiden Tatbeständen analysiert. 26 Das ist insbesondere in Bezug auf § 216 StGB umstritten. So konstatiert etwa Murmann: „Diese Regelung bereitet erhebliche Legitimationsprobleme“; Grundkurs Strafrecht, § 21, Rn. 76. 27 Mit dem Begriff „Strafrecht“ ist in diesem Zusammenhang das pönale Recht seit den Römern, dessen erste Erscheinungsformen sich schon in der Königszeit finden lassen, gemeint. Zu den ersten archaischen Strafgesetzen im römischen Recht Manthe, Geschichte des Römischen Rechts, S. 13 f.

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A. Einleitung

Als Ergebnis wird das Tatbestandsmerkmal einer (nicht nur tatbestandsspezifischen) Definition zugänglich gemacht und seine Funktion zum einen in § 216 Abs. 1 StGB, zum anderen in § 218a Abs. 1 StGB erläutert. Dabei wird auch die Frage, ob das Verlangen andere oder höhere Voraussetzungen als die Einwilligung hat, beantwortet. Abschließend werden die Konsequenzen der gewonnenen Erkenntnisse untersucht. Es wird aufgezeigt, dass das derzeitige Verständnis der Tötung auf Verlangen zu erheblichen Friktionen mit der Zulässigkeit von Sterbehilfe führt. Hier wird ein Lösungsweg angeboten. Ebenso wird ein Vorschlag zur Neugestaltung des Schwangerschaftsabbruchs nach Konfliktberatung unterbreitet. Zudem wird untersucht, ob das Verlangen de lege ferenda in weiteren Tatbeständen ebenso Platz greifen könnte, respektive eine Normierung aus Gründen der Logik und Kohärenz geboten wäre.

II. Ausgeklammerte Themengebiete In der vorliegenden Arbeit wird die Abgrenzung der Tötung auf Verlangen von der Mitwirkung am Suizid28 nicht behandelt.29 Ebenso außer Betracht bleibt (im Wesentlichen) die Frage nach einer möglicherweise gebotenen rechtlichen Gleichbehandlung von verlangter Fremdtötung und Mitwirkung am Suizid30 sowie das damit verbundene Problem, ob die Selbsttötung – wenngleich nach allgemeiner Meinung nicht strafbar – rechtswidrig31 und ein Unglücksfall i. S. v. § 323c StGB ist.32 Auch die durch das Gesetz zur Strafbarkeit der gewerbsmäßi-

28 Vgl. hierzu den Überblick bei Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 5 ff. und OLG München, NJW 1987, S. 2940 (2940 ff.) – Hackethal. 29 Dazu Feldmann, Mitwirkungshandlungen am Suizid, S. 235–254 m.w. N. und Gavela, Ärztlich assistierter Suizid, S. 17–39; Hillenkamp, in: Anderheiden/Eckart, Bd. 2, S. 1034 (1042 ff., 1045 f.). 30 Dazu Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 288 ff. m.w. N.; ferner Feldmann, Mitwirkungshandlungen am Suizid, S. 591 ff., 598 ff. Schmidhäuser sieht im Suizid Tötungsunrecht begründet und stützt dies – nach der hier vertretenen Auffassung mit der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar – auf eine normative interpersonale Lebenspflicht des Individuums, ders., FS-Welzel, S. 801 (814 f.); zur Behauptung einer intrapersonalen Rechtspflicht zum Leben (als Begründung der Indisponibilität des Lebensrechts) siehe sub D.I.1.a)aa)(1)(b). 31 Dies wird vor allem in der Rechtsprechung vertreten, von der wohl überwiegenden Meinung in der Literatur allerdings zu Recht abgelehnt. Dafür etwa BGHSt 6, 147 (153) = NJW 1954, S. 1048; BGHSt 46, 279 (285) = NJW 2001, S. 324 (326); Ulsenheimer, in: Laufs/Kern, § 149, Rn. 4; dagegen überzeugend Hillenkamp, in: Anderheiden/Eckart, Bd. 1, S. 349 (362, Fn. 64); Kutzer, ZRP 2012, S. 135 (137); Neumann, in: NK, Vorbem. § 211, Rn. 41, 73 ff. m.w. N.; Schneider, in: MüKo, Vorbem. §§ 211 ff., Rn. 30. 32 Bejahend BGHSt 6, 147 (153) = NJW 1954, S. 1048; kritisch zu dieser Rspr. Hillenkamp, FS-Kühl, S. 251 (527 f.).

III. Terminologie

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gen Förderung der Selbsttötung33 neu gefasste Vorschrift des § 217 StGB und das Problemfeld der ärztlichen Hilfe beim Suizid34 sollen nicht Gegenstand dieser Arbeit sein.35 Weiterhin bleibt die Diskussion darüber, wann genau das menschliche Leben beginnt, weitgehend außer Betracht. Auch eine Festlegung auf den exakten Moment, in dem ein Mensch als geboren gilt, erfolgt nicht.

III. Terminologie In der vorliegenden Arbeit wird wiederholt von „Sterbehilfe“ die Rede sein und im Hinblick auf § 218a Abs. 1 StGB vom „nasciturus“ gesprochen. Zur Vermeidung von Exkursen im Kontext soll deshalb vorangestellt eine kurze Klärung der Begrifflichkeiten erfolgen. 1. Sterbehilfe Der Begriff der Sterbehilfe wird im juristischen Kontext nicht einheitlich gebraucht.36 Nach einem Vorschlag Hillenkamps kann zwischen Sterbehilfe im engeren Sinne als ein schon begonnenes Sterben mitgestaltendes Verhalten und Sterbehilfe im weiteren Sinne als ein zum Sterben verhelfendes Verhalten (unabhängig vom Stadium einer [vorausgesetzten] Grunderkrankung oder Todesnähe), das in beiden Fällen durch Behandlungsmodifikation, Leidensminderung oder aktiver Beteiligung an einer Fremd- oder Selbsttötung erfolgt, unterschieden werden.37 Hillenkamp betont zu Recht, dass bei einer Selektion nach lebenswertem oder lebensunwertem Leben nicht von Sterbehilfe gesprochen werden kann.38

33 Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung vom 03. Dezember 2015, BGBl. I, S. 2177; zur Problematik Hillenkamp, KriPoZ 2016, S. 3 ff. m.w. N.; Roxin, GA 2013, S. 313 (324 f.). 34 Dazu Hillenkamp, FS-Kühl, S. 521–538. 35 Vgl. dazu BT-Drucks. 17/11126 und den Entwurf von Borasio/Jox/Taupitz/Wiesing, Selbstbestimmung im Sterben, S. 21 ff. nebst Begründung auf den S. 25 ff. 36 Der Bundesgerichtshof (BGH) differenziert nunmehr zwischen Behandlungsunterlassung, Behandlungsabbruch oder Behandlungsbegrenzung; vgl. BGH, Urt. v. 25. Juni 2010 – 2 StR 454/09 (LG Fulda) = NJW 2010, S. 2963; zur Terminologie der aktiven/ passiven bzw. direkten/indirekten Sterbehilfe Gaidzik, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, S. 1272, Rn. 5 ff.; Knauer/Brose, in: Spickhoff, StGB, § 216, Rn. 6 ff.; zur Semantik und möglichen emotionalen Besetzung des Begriffs „Sterbehilfe“ und mit dem Gegenvorschlag, den Terminus „Sterbebegleitung“ zu verwenden Verrel, Gutachten zum 66. DJT 2006, C 9. 37 Hillenkamp, in: Anderheiden/Eckart, Bd. 1, S. 349 (349). 38 Hillenkamp, in: Anderheiden/Eckart, Bd. 1, S. 349 (349).

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A. Einleitung

Um eine solche Assoziation zu vermeiden, wird der Begriff der „Euthanasie“ 39, der eigentlich den „guten Tod“ meint, aber mit nationalsozialistischen Verbrechen wie dem sogenannten „Euthanasieprogramm“ konnotiert ist, im Zusammenhang mit Sterbehilfe im deutschsprachigen Raum vermieden.40 Gleichwohl wird der Begriff der Sterbehilfe verschiedentlich als Deckmantel solch selektierender Begründungsansätze verwendet und trotz anderslautender Prämissen die Zulässigkeit von Sterbehilfe an den „Lebenswert“ geknüpft.41 Dies geschieht umso schneller, als nach herrschender Meinung Sterbehilfe, jedenfalls dann, wenn es nicht um Sterbehilfe im engeren Sinne geht, das Vorhandensein einer letalen Grunderkrankung voraussetzt. Ein solches Kriterium, das an den physischen Zustand eines Menschen anknüpft, öffnet einer Bewertung von Leben Tür und Tor, wenn davon zugleich die rechtliche Zulässigkeit der Sterbehilfe abhängig gemacht wird. Nur die alleinige Beachtung des Willens des Menschen als maßgebliches Kriterium der Zulässigkeit von Sterbehilfe schiebt dem einen Riegel vor. Da dies über den hergebrachten Begriff der Sterbehilfe einerseits hinausgeht, ihn andererseits aber auch verengt (und zwar dort, wo unter Sterbehilfe auch ein Verhalten ohne den Willen des Betroffenen gefasst wird), wird im Folgenden insoweit von der „konsentierten Fremdtötung“ gesprochen. Die hergebrachte Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe hat seit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 25. Juni 201042 nunmehr lediglich deskriptiven Charakter. Im Anschluss an den BGH wird zudem verbreitet auf den Begriff des „Behandlungsabbruchs“ abgestellt. Darunter fällt „Sterbehilfe durch Unterlassen, Begrenzen oder Beenden einer begonnenen medizinischen Behandlung“.43 Geläufig ist auch die Unterscheidung zwischen erlaubter indirekter und verbotener direkter Sterbehilfe. Unter die indirekte Sterbehilfe fällt der Behandlungsabbruch, wenn dies mit dem tatsächlichen oder mutmaßlichen Patientenwillen übereinstimmt und einem ohne Behandlung zum Tode führenden Krankheitsprozess sein Lauf gelassen wird.44 Mit der indirekten Sterbehilfe ist weiterhin eine ärztlich gebotene schmerzlindernde Medikation bei einem tödlich erkrankten, nicht zwingend be39 Zu Begriff und Geschichte ausführlich Kutzer, ZRP 2003, S. 209 (209 ff.) und Uhlenbruck, in: HK-AKM, 4980, Rn. 1 ff. 40 Hillenkamp, in: Anderheiden/Eckart, Bd. 1, S. 349 (359 f.). 41 Vgl. dazu F.I. 42 BGH, Urt. v. 25. Juni 2010 – 2 StR 454/09 (LG Fulda) = NJW 2010, S. 2963. 43 BGH, Urt. v. 25. Juni 2010 – 2 StR 454/09 (LG Fulda) = NJW 2010, S. 2963, 1. Ls. 44 Vgl. BGH, Urt. v. 25. Juni 2010 – 2 StR 454/09 (LG Fulda) = NJW 2010, S. 2963, 1. Ls.

III. Terminologie

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reits sterbenden Patienten gemeint, die als unbeabsichtigte, aber in Kauf genommene unvermeidbare Nebenfolge den Todeseintritt beschleunigen kann.45 Als direkte Sterbehilfe verboten und einer Rechtfertigung nicht zugänglich ist ein gezielter Eingriff in das Leben eines Menschen, der nicht in Zusammenhang mit dem Abbruch einer medizinischen Behandlung steht.46 Bereits an dieser Stelle sei angesprochen, dass die Terminologie von indirekter und direkter Sterbehilfe angreifbar ist. Denn ob mit dem Begriff der „indirekten“ Sterbehilfe ein treffender Ausdruck gefunden ist, ist bestreitbar. Auch dahinter verbergen sich direkte Tötungen. Wirkt sich ein Verhalten lebensverkürzend aus, dann tötet es direkt, wenngleich nicht sofort.47 Der Tod ist dann trotz fehlender Intention direkte Folge der Behandlung.48 Soweit die Terminologie trotz dieser Ungenauigkeit im Folgenden dennoch verwendet wird, wird damit auf die Kategorisierung von Sterbehilfe im Sinne der BGH-Rechtsprechung rekurriert. 2. Nasciturus „Nasciturus“ ist die lateinische Bezeichnung der Leibesfrucht und bedeutet „einer, der geboren werden wird“.49 Der Terminus wird in der vorliegenden Arbeit rechtstechnisch verwendet und bezeichnet den lebenden Embryo (nicht die Mole) bzw. Fötus im Mutterleib vom Zeitpunkt der (intrauterinen) Nidation an bis zur Geburt.50 In dieser Phase (vgl. zum Beginn § 218 Abs. 1 S. 2 StGB) wird die Leibesfrucht von den §§ 218 ff. StGB geschützt (und zwar unabhängig vom Leben der Schwangeren).51 Vor der Nidation greift der Schutz des ESchG, mit – so die überwiegende Meinung – dem Eintritt der Eröffnungswehen wird der nasciturus zum Menschen im strafrechtlichen Sinne und genießt vollen strafrechtlichen Schutz.52

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Vgl. Knauer/Brose, in: Spickhoff, StGB, § 216, Rn. 23 m.w. N. Vgl. BGH, NJW 2010, S. 2963, 3. Ls.; vgl. ferner Erlinger/Warntjen/Bock, in: MAH Strafverteidigung, § 50, Rn. 119. 47 Vgl. Hillenkamp, in: Anderheiden/Eckart, Bd. 1, S. 535. 48 Hillenkamp, in: Anderheiden/Eckart, Bd. 1, S. 535. 49 Duden, Fremdwörterbuch, Stichwort „nasciturus“. 50 Zum maßgeblichen Zeitpunkt bei der Schnittentbindung Gaidzik, in: Bergmann/ Pauge/Steinmeyer, § 216 StGB, Rn. 2 m.w. N. 51 Vgl. dazu Fischer, § 218, Rn. 3 f. m.w. N.; Knauer/Brose, in: Spickhoff, StGB, §§ 218–219, Rn. 3; Rössner/Wenkel, in: HK, § 218a, Rn. 3. 52 Der genaue Zeitpunkt, in dem der nasciturus zum Menschen im strafrechtlichen Sinne wird, ist umstritten. Dazu und zu der ebenfalls umstrittenen Frage, wann der nasciturus zum Grundrechtssubjekt wird, siehe D.II.3.a)bb). Zum Sonderfall eines anencephalen nasciturus und seinem Schutz durch die §§ 218 ff. StGB vgl. Fischer, § 218, Rn. 4 m.w. N.; Rudolphi/Rogall, in: SK, § 218, Rn. 8; dagegen Eser, in: Schönke/Schröder, § 218, Rn. 7. 46

B. Unrecht, Unrechtsausschluss und -minderung Um zu klären, unter welchen Voraussetzungen sich das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ wie auf das Unrecht eines Straftatbestands auswirkt, muss zunächst der Frage nachgegangen werden, was Unrecht eigentlich ist und wie es gemindert oder ausgeschlossen werden kann.

I. Unrecht Begonnen wird mit einer terminologischen Abgrenzung. 1. Terminologie Das Unrecht ist von der Rechtswidrigkeit einer Tat zu unterscheiden. Während die Rechtswidrigkeit1 die Eigenschaft einer Handlung als einer Norm widersprechend bezeichnet, also – jedenfalls außerhalb eines etwaig rechtsfreien Raumes – entweder gegeben ist oder nicht und insoweit keiner Abstufung zugänglich ist,2 meint das Unrecht die Zusammenfassung von durch das Verhalten verwirklichter Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit, kann also nach Qualität und Quantität differieren.3 Desweiteren ist auf die Terminologie von „Unrecht“ einerseits und „Unwert“ andererseits einzugehen. Oftmals werden die Begriffe synonym verwendet. Graul weist darauf hin, dass es richtiger sei, auf Tatbestandsebene vom „Unwert“ zu sprechen und erst nach der Rechtswidrigkeitsprüfung vom „Unrecht“.4 Auch nach Auffassung von Kühl stellt das Unrecht den von der materialen Werteordnung des Rechts missbilligten Unwert dar.5 Abzugrenzen ist der Begriff des Unrechts schließlich vom „Verbrechen“. Der Verbrechensbegriff konnte keiner einheitlichen Definition zugänglich gemacht 1 Nach ganz überwiegender Ansicht gilt sowohl im Straf- als auch im Zivilrecht ein einheitlicher Rechtswidrigkeitsbegriff. Vgl. hierzu Hohn, JuS 2008, S. 494 (495). 2 Anders Roxin, der zwischen formeller Rechtswidrigkeit (die entweder gegeben ist oder nicht) und materieller (nach seiner Auffassung quantitativ und qualitativ messbarer) Rechtswidrigkeit unterscheidet, AT I, § 14, Rn. 4 ff. Gegen eine solche Differenzierung des Rechtswidrigkeitsbegriffs Lenckner, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 13 ff., Rn. 50. 3 Hohn, JuS 2008, 494 (495); Kühl, in: Lackner/Kühl, Vorbem. § 13, Rn. 18; Roxin, AT I, § 14, Rn. 4 ff., 4 Graul, JuS 1995, L 41. 5 Kühl, in: Lackner/Kühl, Vorbem. § 13, Rn. 18.

I. Unrecht

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werden, er unterscheidet sich nach allen (neueren)6 Ansichten aber darin vom Unrechtsbegriff, dass er die Schuld miteinschließt. 7 Als somit weiterer Begriff umfasst er das Unrecht. Ist vom Verbrechen die Rede, ist folglich die schuldhafte Verwirklichung von Unrecht gemeint. 2. Materieller Unrechtsbegriff Darüber, was Unrecht materiell ausmacht, wird seit Jahrhunderten gestritten. Honig beschrieb den Streit über das Objekt des Verbrechens im Jahre 1919 als den Kampf zwischen Begriffs- und Interessenjurisprudenz.8 Nach seiner Auffassung kann man dem Lager der Begriffsjurisprudenz die „Rechtsverletzungstheorie“, nach der Unrecht die Verletzung subjektiver Rechte sei, zuordnen, auf der anderen Seite dem Lager der Interessenjurisprudenz die „Rechtsgutstheorie“, nach der der Bezugspunkt des Unrechts ein Rechtsgut oder Interesse darstelle, zuschlagen.9 Tatsächlich standen sich jene beiden Fronten im Diskurs um den materiellen Gehalt des Unrechts über die Jahrhunderte hinweg gegenüber. Dabei ist es bis heute geblieben. Wenngleich sich die diesen zwei Gegensätzen angehörenden Spielarten immer weiter ausdifferenziert haben, geht es letztlich immer noch um die Frage: Bildet den Kern des Unrechts die Rechtsverletzung oder die Rechtsgutsverletzung? a) Der materielle Unrechtsbegriff im Wandel der Zeit Vor der Aufklärung wurde die Zuwiderhandlung gegen religiöse und moralische Grundsätze als Unrecht angesehen.10 aa) Lehre vom Gesellschaftsvertrag Mit der Aufklärung und der Lehre vom Gesellschaftsvertrag wurde ein Verhalten, das den freiwillig geschlossenen Vertrag bricht und dadurch die Bedingungen des sozialen Zusammenlebens stört, als Unrecht begriffen. Mithin wurde es mit der Verletzung von (subjektiven) Rechten gleichgesetzt.11 6

Seit der Trennung von Unrecht und Schuld. Übersicht über die verschiedenen Verbrechensbegriffe bei Freund, in: MüKo, Vorbem. §§ 13 ff., Rn. 5–29 sowie Walter, in: LK, Vorbem. § 13, Rn. 2 ff., 21 ff. 8 Honig, Die Einwilligung des Verletzten, S. 22 f. 9 Honig, Die Einwilligung des Verletzten, S. 22 f. 10 Ausführliche Übersicht über die Entwicklung des Unrechtsbegriffs bei Anastasopoulou, Deliktstypen zum Schutz kollektiver Rechtsgüter, S. 5 ff. m.w. N. 11 Hörnle hingegen ist der Auffassung, dass es in der Praxis der Dogmengeschichte gängig sei, den Rechtsgutsbegriff in unmittelbaren Zusammenhang zur Aufklärung zu setzen. Demnach sei das Rechtsgutsprinzip aus der Lehre vom Sozialvertrag abgeleitet, 7

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B. Unrecht, Unrechtsausschluss und -minderung

Ende des 19. Jahrhunderts sah man – ähnlich der Lehre vom Gesellschaftsvertrag – mit dem Hegel’schen dialektischen Idealismus das Verbrechen als bewusste Auflehnung gegen den allgemeinen Willen an.12 bb) Lehre von der Verletzung subjektiver Rechte Feuerbach konstatierte im Jahre 1801, dass eine Handlung, die keine subjektiven Rechte eines anderen verletze, kein Verbrechen darstellen könne.13 Das Erfordernis einer Verletzung subjektiver Rechte beschränkte sich jedoch auf die Individualrechtsdelikte. Bei den Individualrechtsdelikten, den delicta privata, waren die subjektiven Rechte privater Rechtssubjekte der Bezugspunkt, bei den Allgemeinrechtsdelikten, den delicta publica, indes die Rechtspositionen der staatlich verfassten Allgemeinheit. Feuerbach führte hierzu aus, dass die delicta privata zunächst unmittelbar Rechte einer Privatperson und erst dadurch mittelbar ein Recht des Staates verletzen (weil dieser die Garantie der Rechte aller übernommen habe und das Recht des Staates auf Befolgung seiner Gesetze missachtet werde), die delicta publica hingegen unmittelbar ein Recht des Staates selbst.14 cc) Rechtsgutslehre Birnbaum leitete 1834 die Wende zum Verständnis des Verbrechens nicht mehr als Rechtsverletzung, sondern als (Rechts-)Gutsverletzung15 ein.16 Nach seiner Auffassung fiel unter den Gutsbegriff auch die Summe der sittlichen und religiösen Vorstellungen einer Gesellschaft.17 Damit fasste er den Rechtsgutsbegriff so weit, dass er sich auch in die Strafrechtsnormen zum Schutz von Religion und Sittlichkeit, die im beginnenden 19. Jahrhundert üblich waren, fügte.18 Binding und v. Liszt rekurrierten auf die Rechtsgutstheorie von Birnbaum, jedoch ist die erstmalige Verwendung des Terminus „Rechtsgut“ Binding zuzu-

weil es sich an der Schädlichkeit des zu verbietenden Verhaltens für die Menschen orientiere; Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 13 m.w. N. 12 Dazu Anastasopoulou, Deliktstypen zum Schutz kollektiver Rechtsgüter, S. 6 f. m.w. N. 13 Vgl. Feuerbach, Lehrbuch, §§ 9, 31. 14 Vgl. Feuerbach, Lehrbuch, § 23. 15 Birnbaum selbst sprach vom „Gut“, der Begriff „Rechtsgut“ wurde von ihm selbst nicht verwendet; vgl. Anastasopoulou, Deliktstypen zum Schutz kollektiver Rechtsgüter, S. 6 m.w. N. 16 Birnbaum, Archiv des Criminalrechts, 1834, S. 179; dazu Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 11, 43 ff.; Anastasopoulou, Deliktstypen zum Schutz kollektiver Rechtsgüter, S. 6; Vormbaum, Einführung in die moderne Strafrechtsgeschichte, S. 51 ff. 17 Birnbaum, Archiv des Criminalrechts, 1834, S. 179. 18 Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 47 ff.

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schreiben.19 Binding verstand das Rechtsgut schlicht als Produkt eines politischen Willensaktes.20 Er lehnte subjektive Rechte Privater als Schutzgegenstand der strafrechtlichen Verhaltensnormen ab.21 Die Gegenstände individuellen Interesses würden nur als soziale Rechtsgüter der Gesamtheit und nicht als Individualrechtsgüter Schutz genießen. Mit diesem Ansatz hob Binding die Trennung zwischen subjektiven Individualrechten und Kollektivrechten auf.22 dd) Pflichtverletzung und Gesinnungsstrafrecht im Nationalsozialismus Die Ansicht, dass das Unrecht eine Rechtsgutsverletzung (oder -gefährdung) bedeute, blieb bis in die 1930er Jahre herrschende Ansicht.23 Mit dem aufkeimenden Nationalsozialismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde der Rechtsgutsbegriff allerdings zunehmend durch die Begriffe der Pflichtverletzung (unter Aufhebung der Trennung von Unrecht und Schuld) und der Gesinnungswerte ersetzt.24 Schaffstein kritisierte am Rechtsgutsbegriff, dass dieser „ein blutleeres Erzeugnis der Abstraktion“ mit „aufklärerisch-individualistischem Gehalt“ sei.25 Damit könne die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs nicht erklärt werden, wohl aber mit einer Auffassung, die das Unrecht versubjektiviert.26 Die „volkswidrige und damit unsittliche Willensbetätigung“ sei das Substrat des Unrechts, daher verstünde das nationalsozialistische Strafrechtssystem das Verbrechen als Pflichtverletzung.27 ee) In Abkehr vom Nationalsozialismus wieder Betonung der Rechtsgutslehre Heute wird der Rechtsgüterschutz fast einhellig als Aufgabe und auch materielle Legitimation des Strafrechts verstanden.28 Nach dem Zweiten Weltkrieg 19

Anastasopoulou, Deliktstypen zum Schutz kollektiver Rechtsgüter, S. 7. Vgl. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 14 m.w. N. 21 Binding, Die Normen und ihre Übertretung, 1. Bd., S. 96 ff., 105 ff. 22 Dazu Haas, Die Theorie der Tatherrschaft und ihre Grundlagen, S. 60. 23 Spendel, FS-Weber, S. 3 m.w. N. 24 Vgl. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 13 m.w. N. 25 Schaffstein, Deutsches Strafrecht 1935, S. 97, 101 f. 26 Schaffstein, Deutsches Strafrecht 1935, S. 101, 105. 27 Schaffstein, Deutsches Strafrecht 1935, S. 101, 105. 28 BVerfGE 39, 1 (57): „Sieht man die Aufgabe des Strafrechts in dem Schutz besonders wichtiger Rechtsgüter und elementarer Werte der Gemeinschaft [. . .]“; BVerfGE 57, 250 (275): „[. . .] den Strafanspruch des Staates um des Rechtsgüterschutzes Einzelner und der Allgemeinheit willen [. . .] durchzusetzen“; Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 3, Rn. 10 ff.; Freund, in: MüKo, Vorbem. §§ 13 ff., Rn. 40; Hassemer, Theorie und 20

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wurde damit eine Abkehr vom nationalsozialistischen Gedankengut verbunden und der Rechtsgutsbegriff als traditionell der Aufklärung zugehörig betont.29 ff) Würdigung Vor dem Hintergrund, dass Birnbaum in den Rechtsgutsbegriff auch die Summe der sittlichen und religiösen Vorstellungen der Gemeinschaft einschloss und Binding das Rechtsgut schlicht als Produkt eines politischen Willensaktes verstand, war der traditionelle Gehalt des Rechtsgutsbegriffs kein kritischer, wie es in der Dogmengeschichte oftmals angenommen wird.30 Der Rechtsgutsbegriff war von Anfang an ein Einfallstor für religiös-moralische und sonstige ideologische Straftatbestände.31 Dieser Einwand gilt – noch verstärkt – auch gegenüber dem Verzicht auf jegliche objektive Elemente des Unrechts zugunsten eines Gesinnungsstrafrechts, das im Nationalsozialismus der Ideologisierung des Rechts Tür und Tor öffnete.32 Die Zuwendung zum Rechtsgutsbegriff nach dem Nationalsozialismus mit dem Argument der aufklärerischen Tradition beruht nach alledem auf einem Trugschluss. Nur weil die nationalsozialistische Rechtwissenschaft den Rechtsgutsbegriff als „liberalistisch“ verdammte, kann dies nicht als Argument für dessen Aufwertung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gelten. b) Unrecht und die Aufgaben des Strafrechts Naheliegend erscheint es, die Aufgabe des Strafrechts darin zu sehen, dass es kriminelles Unrecht bestraft, weil es Unrechtstatbestände vertypt und somit gerade diese Funktion innehat. Indessen wird nahezu33 einhellig früher angesetzt: Die Aufgabe des Strafrechts sei es demnach, präventiv bereits zu vermeiden, dass Unrecht geschehe – wobei Soziologie des Verbrechens, S. 87; Jescheck/Weigend, AT, § 1 III 1, S. 7; § 26 I 1, S. 256 ff.; Kindhäuser, AT, § 2, Rn. 6; Lackner, in: Lackner/Kühl, Vorbem. § 13, Rn. 4; Otto, Allgemeine Strafrechtslehre, § 1, Rn. 21 ff., Roxin, AT I, § 2, Rn. 2–96; Rudolphi, FS-Honig, S. 154; Spendel, FS-Weber, S. 3; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 6 ff. 29 Vgl. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 13 f. m.w. N. 30 Dazu Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 13 f. m.w. N. 31 Vgl. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 13 m.w. N. 32 Spendel macht daher zu Recht darauf aufmerksam, dass der untaugliche Versuch als Überbleibsel der Gesinnungsstrafe einer rechtsstaatlichen Auffassung eigentlich zuwiderläuft; ders., FS-Weber, S. 5. 33 Freund weist demgegenüber darauf hin, dass der Gedanke der gerechten Vergeltung eines Normverstoßes einen berechtigten Stellenwert besitze, da eine präventive Strafe nur dann gerechtfertigt sei, wenn der Täter dies „verdient“ habe; Freund, in: SK, Vorbem. §§ 13 ff., Rn. 39 und Fn. 56; er rekurriert dabei auf Lenckner, in: Schönke/ Schröder, Vorbem. §§ 13, Rn. 109a.

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dies selten genau so benannt wird. Vielmehr ist oft die Rede davon, dass „sozialschädliches Verhalten“ 34 bekämpft werden soll.35 Vom BVerfG wird die Aufgabe des Strafrechts im Schutz der „Grundlagen eines geordneten Gemeinschaftslebens“ gesehen.36 Überwiegend wird der Rechtsgüterschutz zur Aufgabe des Strafrechts erklärt,37 wobei die Rechtsgüter teilweise zugleich als Bezugspunkte des sozialschädlichen Verhaltens verstanden werden38. Dies erweist sich jedoch als unzutreffend.39 Nicht jedes sozialschädliche (oder sozial abweichende) Verhalten und auch nicht jede Rechtsgutsverletzung soll und darf vom Strafrecht bekämpft werden.40 Sozialschädlich ist es auch, seine Mitmenschen zu belügen, es ist aber nicht Aufgabe des Strafrechts, das (bloße) Lügen zu bekämpfen, obwohl sich die

34 Hassemer/Neumann stellen auf die „soziale Abweichung“ ab, deren Konflikte das Strafrecht formalisiert bewältigen soll; vgl. dies., in: NK, Vorbem. § 1, Rn. 168 f., 195. Hassemer selbst allerdings betonte zu Recht (rekurrierend auf die Staatsvertragstheorie), dass die Beschränkung der Handlungsfreiheit des einen nur im Falle der kollidierenden und in der Abwägung überwiegenden Handlungsfreiheit der anderen legitimiert werden kann; ders., Theorie und Soziologie des Verbrechens, S. 31 ff. Eine Gegenüberstellung der Auffassung Hassemers zur Ansicht Amelungs, der die Aufgabe des Strafrechts in der Sicherung der Bedingungen des menschlichen Gemeinschaftslebens sieht, findet sich bei Stratenwerth, FS-Amelung, S. 355 (356, 360 ff.) m.w. N. 35 Hassemer/Neumann, in: NK, Vorbem. § 1, Rn. 108. 36 BVerfGE 88, 203 (257) – Schwangerschaftsabbruch II; dies sei seit „jeher und auch unter den heutigen Gegebenheiten“ die Aufgabe des Strafrechts; erneut in BVerfG, NJW 2008, S. 1137 (1138); Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 382; dazu kritisch Stratenwerth, FS-Amelung, S. 355 (361 f.), der zu Recht darauf hinweist, dass die Frage offen bleibt, welche Normen zur Sicherung des Gemeinschaftslebens denn unerlässlich sind. Bemerkenswert ist ferner, dass Stratenwerth aufdeckt, dass es von einem solchen Standpunkt aus einfacher ist, Verbote wie § 216 StGB, bei denen es – so Stratenwerth – nicht um die Freiheit des Betroffenen geht, zu legitimieren. 37 BVerfGE 39, 1 (57); BVerfGE 57, 250 (275); Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 3, Rn. 10 ff.; Freund, in: MüKo, Vorbem. §§ 13 ff., Rn. 40; Hassemer, Theorie und Soziologie des Verbrechens, S. 87; Jescheck/Weigend, AT, § 1 III 1, S. 7; § 26 I 1, S. 256 ff.; Kindhäuser, AT, § 2, Rn. 6; Kühl, in: Lackner/Kühl, Vorbem. § 13, Rn. 4; Otto, Allgemeine Strafrechtslehre, § 1, Rn. 21 ff., Roxin, AT I, § 2, Rn. 2–96; Rudolphi, FS-Honig, S. 154; Spendel, FS-Weber, S. 3; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 6 ff. 38 Putzke, in: AK, Einl., Rn. 3; vgl. Hassemer/Neumann, in: NK, Vorbem. § 1, Rn. 168 (die allerdings statt auf sozialschädliches Verhalten auf sozial abweichendes Verhalten rekurrieren) und Rn. 108. 39 So auch Renzikowski, GA 2007, S. 561 (578), der in seiner normtheoretischen Analyse sowohl dem Rechtsgutsprinzip als auch dem Verständnis des Unrechts als „soziale Störung“ zu Recht eine Absage erteilt. Bereits Noll äußerte sich zu Recht kritisch dazu, materielles Unrecht als „Rechtsgüter- oder Interessenverletzung oder als sozialschädliches Verhalten“ zu beschreiben: „[. . .] diese einheitlichen Begriffe müssen, um die Natur der materiellen Rechtswidrigkeit wirklich vollständig zu erschöpfen, so vieles umfassen, dass sie praktisch nichts mehr aussagen und der Rechtsfindung keine greifbare Hilfe leisten“, ders., ZStW 68 (1956), S. 181 (182). 40 In eine ähnliche Kerbe schlagen Hassemer/Neumann, in: NK, Vorbem. § 1, Rn. 52, 152.

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Wahrheit problemlos unter zahlreiche der heute vertretenen Rechtsgutsbegriffe subsumieren ließe. Ein Rechtsgut wird auch geschädigt, wenn der Inhaber es selbst zerstört; die Bestrafung dessen zählt aber nicht zur Aufgabe des Strafrechts. Vielmehr soll und darf das Strafrecht nur dann sozialschädliches Verhalten bestrafen, wenn dadurch strafrechtliches Unrecht verwirklicht wurde. Dieses zu bestrafen ist somit die entscheidende Aufgabe des Strafrechts.41 So banal diese Erkenntnis klingen mag, wird sie doch oft aus den Augen verloren oder ins Gegenteil verkehrt. Denn ein Zirkelschluss wird nur vermieden, wenn sich der Gehalt materiellen Unrechts nicht im bloßen Vorhandensein einer Strafnorm, gleichsam der Pönalisierung an sich, erschöpft. Schon zuvor und unabhängig von jeder Normierung muss bestimmbar sein, was kriminelles Unrecht ist. Das Vorhandensein von Unrecht ist damit auch der Bezugspunkt jeder Straftheorie: positive oder negative Spezialprävention, positive oder negative Generalprävention, auch die Vergeltung, müssen sich sämtlich auf begangenes Unrecht beziehen. Deshalb muss zunächst die Verhaltensnorm42 legitimiert werden, bevor die Sanktionsnorm legitim sein kann.43 Die Legitimation der Strafgesetze hängt daher maßgeblich, konstitutiv und in erster Linie von der Legitimität als Verhaltensnormen ab, bevor man über die Legitimation als Sanktionsnorm überhaupt nachdenken kann. Das Versäumnis, eine Begründung für die Legitimation der Verhaltensnorm zu liefern, wird gerade in der Diskussion um § 216 StGB oftmals dadurch verschleiert, dass die Sanktionsnorm straftheoretisch untermauert wird. Fehlt es jedoch bereits an dieser fundamentalen Voraussetzung jeglicher Strafe, was soll dann präveniert werden? Das Strafrecht ist der Ort, wo einzig und allein die Begehung von Unrecht in Verhaltensnormen verboten werden darf. Was ist nun aber Unrecht? aa) Unrecht als Rechtsverletzung (1) Verletzung subjektiver Rechte Auch heute noch wird der Unrechtsbegriff abweichend von der allgemeinen Meinung mit der Verletzung subjektiver Rechte – anstatt der Rechtsgutsverlet41 Derselben Methodik folgt Marx: „[. . .] so sollte man weiter zugeben, dass dann die Definition des Verbrechens diesen Zweck berücksichtigt, dass der Zweck des Strafrechts als konstituierendes Element in den Verbrechensbegriff mit eingehen muss“; ders., Rechtsgut, S. 25. 42 Instruktiv Kühl, AT, § 3, Rn. 5. 43 Zu Verhaltens- und Sanktionsnormen und deren Legitimation Kindhäuser, AT, § 2, Rn. 2 ff.

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zung – gleichgesetzt.44 Hierbei wird an die bereits erörterte, aus der Theorie des Gesellschaftsvertrags abgeleitete Position Feuerbachs aus dem 19. Jahrhundert angeknüpft, wonach das Verbrechen in der Verletzung der durch den Staatsvertrag45 verbürgten und die durch Strafgesetze gesicherte Freiheit bestehe.46 Renzikowski leitet dies aus der Normentheorie ab. Seine Erkenntnisse gewinnt er mit der Methode, als Gegenstück zur Verpflichtung, die sich aus der jeweiligen Strafrechtsnorm ergibt, die geschützte Rechtsposition in den Blick zu nehmen.47 Er rekurriert damit auf das Konzept Feuerbachs. Allerdings wird die Differenzierung der Normen als primäre Verhaltensnormen, die dem Bürger ein Verhalten gebieten oder verbieten, einerseits und sekundäre Sanktionsnormen, die den Richter ermächtigen, eine bestimmte Sanktion als Reaktion auf die festgestellte Straftat zu verhängen, andererseits auf Binding zurückgeführt. Wie erwähnt, etablierte Binding – im Gegensatz zu Feuerbachs Theorie von den subjektiven Rechten – das Rechtsgutsdogma.48 Durch die Fokussierung auf das Rechtsgut als geschützte Rechtsposition wurde nach Auffassung von Renzikowski der Diskurs in diese Richtung zugunsten einer stärkeren Beachtung der Verpflichtung vernachlässigt.49 Renzikowski setzt nun hier an und stellt heraus, dass jeder Verpflichtung ein Wert gegenüberstehen müsse, um dessentwillen die Verpflichtung gefordert werde. Normtheoretisch wird dieses Werturteil von Armin Kaufmann als Bewertungsnorm bezeichnet, was nach Ansicht Renzikowskis insofern missverständlich ist, als der Bewertung als lediglich gesetzgeberisches Motiv die Normqualität fehlt.50 Vielmehr sei hier der Begriff der Distributivnorm treffend, weil die Norm mit dem ihr immanenten Wertschutz einen Bereich rechtlich geschützter Freiheit zuweise.51 Denn wenn eine Rechtsnorm eine konkrete Position schütze, gehe damit die Verpflichtung Dritter einher, diese zu achten. Die Freiheitsbeschränkung (Pflicht) des einen ermögliche damit das Freiheitsrecht des anderen, ganz im

44 Vgl. im Ergebnis Haas, Die Theorie der Tatherrschaft und ihre Grundlagen, S. 58 ff.; Haas, in: Kaufmann/Renzikowski, S. 204 ff.; Renzikowski, GA 2007, S. 562 ff. 45 Vgl. hierzu Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 111, Rn. 25 m.w. N. 46 Vgl. Renzikowski, in: Matt/Renzikowski, Einl., Rn. 10 m.w. N. 47 Renzikowski, GA 2007, S. 561 (578). 48 Renzikowski, GA 2007, S. 561 (578). 49 Renzikowski nennt hier das Beispiel der Idee von der Verhaltensnorm als Bestimmungsnorm, wonach nur derjenige, der die Folgen seines Handelns vorhersehen kann, diese entsprechend dem Gebot oder Verbot einer Norm vermeiden kann; ders., GA 2007, S. 561 (578) m.w. N. 50 Renzikowski, GA 2007, S. 562 (578) m.w. N. 51 Renzikowski, GA 2007, S. 562 (578).

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Sinne des kategorischen Imperativs Kants.52 Daher endet die allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG auch an der Schranke der Rechte Dritter. Der so von Renzikowski umgrenzte Bereich der Freiheit ist das subjektive Recht.53 Diese Rechtszuweisung ist gekennzeichnet durch eine doppelte Befugnis: jener zur Disposition über einen bestimmten Gegenstand und einer zum Ausschluss Unbefugter.54 Folglich garantiert ein subjektives Recht als absolutes Recht dessen Nutzungs- und die Ausschlussfunktion für den Rechtsinhaber. Trotzdem ist nach Renzikowski der Bürger durch die Verhaltensnorm nur mittelbar berechtigt, da der Staat als Urheber der Norm unmittelbar Berechtigter sei.55 Nach Renzikowski sind weiterhin subjektives Recht und Verhaltensnorm nicht komplementär.56 Vielmehr könne ein subjektives Recht weiter gehen, als es geschützt wird. Der Gesetzgeber müsse im Interesse größtmöglicher Handlungsfreiheit aller zwischen den potenziellen Gefahren für die Rechtssphäre der Betroffenen und der jeweiligen Handlungsfreiheit Dritter abwägen. Subjektive Rechte müssten daher auch nicht von Verhaltensnormen geschützt werden, sondern der Schutz könne auch durch Gefährdungstatbestände, die nicht an die schuldhafte Verletzung einer Verhaltensnorm anknüpfen, gewährt werden, weil das (gefährliche) Verhalten als solches im Interesse größtmöglicher Handlungsfreiheit aller nicht verboten werden soll (z. B. das Autofahren).57 Nach der Auffassung von Haas lässt sich die gesamte Rechtsordnung als Inbegriff von Rechtsverhältnissen verstehen.58 Es gelte immer die Relation zwischen zwei Rechtssubjekten und einem materiellen oder immateriellen Substrat zu regeln.59 Das objektive Recht lege danach fest, welches Rechtssubjekt kraft seines Willens über dieses Substrat unter Ausschluss des anderen herrschen dürfe. Im Gegensatz hierzu berücksichtige das Rechtsgutsprinzip nur die zweistellige Relation zwischen einem Rechtssubjekt und dem sachlichen Substrat.60 Der Rechtsgutsbegriff könne somit zwar abbilden, ob ein bestimmtes Ereignis schädlich für das Substrat (und damit den Rechtsgutsinhaber) sei.61 Damit könne aber nicht erklärt werden, wie der Geschehensablauf beschaffen sein muss, um der rechtlich anerkannten Güterordnung zu widersprechen.62 52 53 54 55 56 57 58 59 60 61 62

Renzikowski, GA 2007, S. 562 (578). Renzikowski, in: Matt/Renzikowski, Einl., Rn. 8 m.w. N. Renzikowski, in: Matt/Renzikowski, Einl., Rn. 11 m.w. N. Renzikowski, GA 2007, S. 563 f. (578). Renzikowski, GA 2007, S. 563 (578). Renzikowski, GA 2007, S. 563 (578). Haas, Die Tatherrschaft und ihre Grundlagen, S. 60. Haas, Die Tatherrschaft und ihre Grundlagen, S. 60. Haas, Die Tatherrschaft und ihre Grundlagen, S. 60. Haas, Die Tatherrschaft und ihre Grundlagen, S. 60. Haas, Die Tatherrschaft und ihre Grundlagen, S. 60.

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(2) Würdigung Der insgesamt überzeugenden Auffassung von Renzikowski wird hier lediglich insoweit nicht gefolgt, als er den Bürger nur mittelbar berechtigt sieht. Unmittelbar berechtigt ist der Rechtsinhaber, und das ist bei einem subjektiven Recht eines Bürgers der Bürger selbst und nicht der Staat. Dem entspricht auch das Verständnis des subjektiven Rechts in anderen Rechtsgebieten. So wird etwa im Zivilrecht zwischen primären und sekundären subjektiven Rechten unterschieden.63 Primäre subjektive Rechte sind jene, die im objektiven Recht verbürgt sind. Weil das objektive Recht vom Gesetzgeber und damit Staat gesetzt wird, ist er deshalb aber nicht unmittelbarer Berechtigter des Rechts. Das Recht zur Gesetzgebung ist nicht synonym zum Recht aus dem Gesetz. Sekundäre subjektive Rechte sind solche, die im horizontalen Verhältnis interpersonal in Wahrnehmung der primären subjektiven Rechte geschaffen werden: beispielsweise durch Vertragsschluss über einen Anspruch (primär garantiert durch die Privatautonomie). In beiden Fällen ist der Bürger unmittelbar berechtigt. Die Ausübung der subjektiven Rechte als klagbare Ansprüche hängt vom Willen des Berechtigten ab.64 Im öffentlichen Recht ist ein Recht nach der Schutznormtheorie dann subjektiv, wenn es (auch) einem Individualinteresse dient.65 Auch hier hängt die Ausübung vom Willen des Berechtigten ab. Sowohl im Zivilrecht als auch im öffentlichen Recht ist somit der Bürger aus seinen subjektiven Rechten unmittelbar Berechtigter. Der These von Renzikowski, dass subjektives Recht und Verhaltensnorm nicht komplementär sind, wird ebenfalls zugestimmt. Tatsächlich gibt es mehr subjektive Rechte, als sie in Verhaltensnormen geschützt werden. Dies zeigt sich etwa im Polizeirecht: 66 Die Störerhaftung setzt kein Verschulden seitens des Störers voraus, mithin muss er keine Verhaltensnorm übertreten, um wegen der Verletzung eines subjektiven Rechts eines Dritten in Anspruch genommen zu werden. Zugleich ergibt sich hieraus, dass auch für polizeirechtliches Unrecht eine Verletzung subjektiver Rechte vorausgesetzt wird. So wird auch im gesamten öffentlichen Recht auf Rechtsverhältnisse mit den jeweiligen Rechten und Pflichten von Bürger und Staat abgestellt und nicht etwa auf etwaige Rechtsgutsverletzungen.67 Als Folge müssen diese Grundsätze zwar nicht auf das Strafrecht übertragen werden, da beide Rechtsgebiete eigenständig zu behandeln sind. Nach Renzikowskis normtheoretischer Untersuchung, der hier im Grundsatz gefolgt wird, knüpfen die sekundären strafrechtlichen Sanktionsnormen jedoch akzessorisch 63

Diese Unterscheidung geht zurück auf Raiser, JZ 1961, S. 465 (466). Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 355, zur weiteren Definition, die alle absoluten Rechte, Gestaltungsrechte und Forderungen einschließt, vgl. S. 354. 65 Schmidt-Kötters, in: BeckOK, VwGO, § 42, Rn. 151 ff. m.w. N. 66 So auch Renzikowski, GA 2007, S. 570 (578). 67 Im Ergebnis so auch Renzikowski, GA 2007, S. 570 (578). 64

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an die primären Verhaltensnormen des vor-strafrechtlichen bürgerlichen und des öffentlichen Rechtes an, die ihrerseits an den entsprechenden Rechtszuweisungsregeln orientiert sind.68 Nach alledem lässt sich die Akzessorietät des Strafrechts zum öffentlichen Recht69 (wie auch zum Zivilrecht)70 als weiteres Argument dafür in Anspruch nehmen, dass das Konzept des strafrechtlichen Unrechts als Rechtsverletzung dem Rechtsgutsprinzip vorzuziehen ist.71 Auch Haas hat überzeugend dargelegt, dass die Rechtsordnung aus Rechtsverhältnissen besteht. Schlussendlich streitet bereits der schlichte Wortlaut als Argument für diese Unrechtskonzeption: der Antagonist des Unrechts ist das Recht. Was wird also vom Unrecht verletzt? – das Recht (und nicht das Rechtsgut). (3) Eigenes Unrechtskonzept: Erweiterung des Modells von Renzikowski um einen verfassungsrechtlichen Maßstab sowie Erstreckung auf objektive Rechtsgehalte Zirkelschlüssig wäre es nun aber, das Strafrecht – d.h. den Gesetzgeber – selbst entscheiden zu lassen, was materielles Unrecht ist, indem er bestimmte Verhaltensweisen inkriminiert, denn dann würde der Strafgesetzgeber seine Aufgaben (und damit auch Eingriffsbefugnisse) selbst festlegen. Notwendig ist daher zunächst ein verfassungsrechtlicher Maßstab.72 (a) Erweiterung um einen verfassungsrechtlichen Maßstab Dem Gesetzgeber steht nach allgemeiner Meinung eine Einschätzungsprärogative zu.73 Er kann im Rahmen der Kriminalpolitik ein Verhalten mit Strafe bedrohen, wenn er es für strafwürdig hält.74 Dieser Grundsatz gilt auch für die Frage, ob der vorhandene Bestand der Strafrechtsnormen zu erweitern oder zu vermindern ist.75 Schranken sind der Gesetzgebungsfreiheit aber durch die Verfassung gesetzt.76 68

Renzikowski, GA 2007, S. 571 (578). Renzikowski, GA 2007, S. 571 (578). 70 Näher Appel, Verfassung und Strafe, S. 431 f. 71 Vgl. Haas, Die Tatherrschaft und ihre Grundlagen, S. 61; der im Ergebnis ebenfalls für eine Definition des Unrechts als Rechtsverletzung anstelle des Rechtsgutsprinzips plädiert. 72 So auch Appel, Verfassung und Strafe, S. 428. 73 Vgl. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 24 f. m.w. N. 74 Nach Auffassung von Hassemer/Neumann richtet sich dies nach den Kategorien der Gerechtigkeit und Zweckmäßigkeit, dies., in: NK, Vorbem. § 1, Rn. 53, 56 m.w. N., 58 ff. m.w. N. 75 Hassemer/Neumann, in: NK, Vorbem. § 1, Rn. 49 ff. m.w. N. 76 Renzikowski, GA 2007, S. 565 (578); Rudolphi, in: SK, Vor § 1, Rn. 1, 5 m.w. N. 69

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Zwar enthält das Grundgesetz „keine ausdrücklichen Direktiven für den Umfang des materiellen Strafrechts“, sondern setzt dessen Existenz – etwa in Art. 103 Abs. 2 und 3 GG – lediglich voraus.77 Auch in der Rechtsprechung des BVerfG findet keine inhaltliche Eingrenzung statt, indem für das Strafrecht keine Schutzgüter vorgegeben werden, sondern allgemein von strafrechtlich zu schützenden „elementaren Werten des Gemeinschaftslebens“ 78 und „Gemeinschaftsbelange[n], die vor der Verfassung Bestand haben“ 79 sowie von „gewichtigen, elementaren Gemeinschaftsgütern“ 80 die Rede ist.81 Materielle Vorgaben ergeben sich aber aus den Grundrechten82 und dem übrigen Verfassungsrecht, an das der Strafgesetzgeber gemäß Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG gebunden ist.83 Hermes/Walther lesen aus dem zweiten Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum Schwangerschaftsabbruch, dass das Gericht dem Strafrecht die Aufgabe zuweise, Verbote mit Verfassungsrang in das Strafrecht zu transformieren und in eine gesetzliche Form zu bringen.84 Auch wenn das Gericht dies nicht ausdrücklich ausgeführt hat, ist die Aussage als solche richtig. Mithin sind die subjektiven Rechte, die in den Strafrechtsnormen geschützt werden, „nicht die Ergebnisse von Wohltaten, mit denen der Souverän sein Volk beglückt. Sie werden vom Staat nicht originär geschaffen, sondern der Idee nach [in der Verfassung] vorgefunden und rechtlich anerkannt“.85 Diese Ansicht beruht auf dem Verständnis der Rechtsordnung als wechselseitige Anerkennung der Individuen als selbstbestimmte Personen.86 Unrecht ist nach Renzikowski insofern eine Auflehnung gegen den Willen der Allgemeinheit.87 Deren Grundpositionen sind in der Verfassung konsentiert. Die strafrechtlichen Normen schützen aber nicht nur subjektive Rechte, sie greifen auch darin ein. Das Verbot und die Sanktionierung von einem bestimmten Verhalten stellen nicht nur für den sanktionierten Täter, sondern für jeden Bürger bereits deshalb einen Grundrechtseingriff dar, weil er das Verhalten unterlassen muss und dadurch in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 77

Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 22. BVerfGE 39, 1 (46); 45, 187 (253). 79 BVerfGE 90, 145 (175). 80 Sondervotum Graßhof, BVerfGE 90, 145 (201). 81 Vgl. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 23 f. 82 Vgl. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 43. 83 Zu den materiell-rechtlichen Garantien des Grundgesetzes näher Appel, Verfassung und Strafe, S. 22 f. 84 Hermes/Walther, NJW 1993, S. 2337 (2344). 85 Renzikowski, GA 2007, S. 565 (578). 86 Renzikowski, GA 2007, S. 565 (578). 87 Renzikowski, GA 2007, S. 566 (578). 78

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Abs. 1 GG beeinträchtigt ist. Außerdem führt die Kriminalisierung des Täterverhaltens zu einem mittelbaren Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit des Opfers, dem die Einwilligung untersagt wird.88 Zu beachten hat der Gesetzgeber bei der Strafrechtsgesetzgebung somit die Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG sowie vorrangig die des jeweils betroffenen Spezialgrundrechts. Lagodny konstatiert hinsichtlich der Sanktion wegen der mit der Verurteilung einhergehenden offiziellen Missbilligung des Verhaltens ferner einen Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG sowie im Falle einer angedrohten Freiheitsstrafe in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG; beides soll die Norm in ihrer Funktion als Sanktionsnorm betreffen.89 Folgte man dieser Auffassung, wären auch die Schranken dieser Grundrechte zu beachten. Die Differenzierung zwischen Verbotsnorm und Sanktionsnorm innerhalb der verfassungsmäßigen Legimationskontrolle einer Strafnorm ist jedoch bereits von Hörnle mit guten Gründen abgelehnt worden.90 Innerhalb der jeweiligen Prüfung der Schranken-Schranken ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten, wonach der Strafgesetzgeber mit der jeweiligen Strafnorm einen legitimen Zweck verfolgen und die Norm zur Erreichung dieses Zwecks geeignet, erforderlich und angemessen (Übermaßverbot) sein muss.91 Es sind allerdings nicht nur die Abwehrrechte des (potenziellen) Täters, der das kriminalisierte Verhalten unterlassen muss, und des Bürgers, dem die Einwilligung versagt wird, zu berücksichtigen. Diese Abwehrrechte sind vielmehr mit dem subjektiven Schutzanspruch (potenzieller) Opfer in Ausgleich zu bringen.92 Dieser gibt nach der hier vertretenen Auffassung den Ausschlag dafür, was inkriminiert werden muss. Das BVerfG hat aus den Grundrechten als „objektiven Wertentscheidungen“ abgeleitet, dass der Staat verpflichtet ist, den Einzelnen gegen private Eingriffe der Bürger untereinander in die Grundrechte zu schützen.93 Calliess benennt die staatlichen Schutzpflichten zutreffend als Fundament des Rechtsstaats und als 88

Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 24. Lagodny, Schranken der Grundrechte, S. 78, 130 f.; dazu Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 25 ff. 90 Vgl. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 28 ff. 91 BVerfG, Beschl. v. 26. Februar 2008 – 2 BvR 392/07 = BVerfGE 120, 224 = NJW 2008, S. 1137 m.w. N.; Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 23; Putzke, in: AK, Einl., Rn. 2 ff. 92 Vgl. dazu ausführlich Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht, Band V, § 111, Rn. 5. 93 Vgl. BVerfGE 39, 1 (41 f.); BVerfGE 49, 89 (141 f.); BVerfGE 53, 30 (57); BVerfGE 77, 170 (214); BVerfGE 79, 174 (201 f.); dazu Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht, Bd. V, § 111, Rn. 19 ff.; Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2, Rn. 24. 89

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vertragstheoretische Grundlage des Verfassungsstaats.94 Diese Schutzpflichten sind im Grundgesetz nicht ausformuliert, jedoch in den Grundrechten in ihrer Doppelfunktion als Abwehr- und Schutzrecht impliziert.95 Als Emanationen der Schutzpflichten werden zum Beispiel die Verpflichtung des Staates in Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG und die Schrankenregelungen der Freiheitsgrundrechte angesehen,96 wobei letztere ein Dürfen im Verhältnis zum Inhaber des Abwehrrechts und ein Müssen im Verhältnis zum zu schützenden Dritten darstellen.97 Einer besonderen „Herleitung“ bedürfen grundrechtliche Schutzpflichten daher nicht, vielmehr ergibt sich ihre normative Geltungskraft bereits aus der umfassenden Bindung des Staates an das Grundgesetz (Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG). Der Staat ist hiernach nicht nur an das Grundgesetz gebunden, soweit es um die Achtung subjektiver Rechte seiner Bürger geht, sondern umfassend, er hat auch die objektiven Grundgesetzgehalte zu achten. Drohen die im Grundgesetz gewährleisteten subjektiven Rechte, subjektiven Ansprüche oder objektiven Gewährleistungen (auch durch Bürger untereinander) verletzt zu werden, muss der Staat folglich regulierend eingreifen.98 Die Frage, warum er dies tun muss, ist eine solche der Verfassungsbindung des Staates (die nach der Vertragstheorie eine Voraussetzung der Legitimation des staatlichen Gewaltmonopols ist)99 und nicht speziell der staatlichen Schutzpflichten. Die in diesem Zusammenhang vielfach gebrauchten Begriffe des Staatszwecks Sicherheit und des Rechtsstaatsprinzips beschreiben diese Pflicht lediglich, und auch der (wie so oft überstrapazierte) Rückgriff auf die Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG liefert insoweit keinen neuen Erkenntnisgewinn,100 denn auf diese lässt sich tatsächlich jeder Grundrechtsgehalt zurückführen. Nicht zutreffend ist ferner die „Herleitung“ der staatlichen Schutzpflichten aus dem Sozialstaatsprinzip. Wichtig ist, dass die hier besprochene dogmatische „Herkunft“ der Schutzpflichten nicht zu verwechseln ist mit deren jeweiligem materiellen Gehalt, der

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Calliess, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 44, Rn. 2 m.w. N. 95 Das ist allgemein konsentiert, entbindet jedoch nicht von einer dogmatisch sauberen Herleitung, vgl. dazu die umfassende Darstellung bei Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht, Bd. V, § 111, Rn. 12 ff., 18 ff., 25 ff. m.w. N. 96 Dazu ausführlich Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht, Bd. V, § 111, Rn. 12 ff. 97 Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch Staatsrecht, Bd. V, § 111, Rn. 17 in Bezug auf Art. 6 GG. 98 Instruktiv Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 37 ff., 42 ff. 99 Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 37 f. 100 Vgl. Hufen, NJW 2001, S. 849 (850).

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sich sowohl aus subjektiven Rechten als auch aus objektiven Prinzipien speisen kann.101 Auch das BVerfG differenziert zwischen dem Grund der Schutzpflichten einerseits und deren Gegenstand und Maß andererseits.102 Problematisch ist die Frage, wie nach dem Gesagten die materielle Legitimationsprüfung eines Strafgesetzes konkret auszugestalten ist, wann also strafwürdiges Unrecht, mithin legitimes Strafunrecht, nach Gegenstand und Maß der jeweiligen Schutzpflicht gegeben ist. Dies ist nicht einfach zu beantworten, da Schutzpflichten inhaltlich unbestimmt sind und unter vielen geeigneten Schutzmöglichkeiten nicht jede fördernde Handlung geboten ist, vor allen Dingen nicht automatisch ein Strafgesetz.103 Die Prüfung, ob die Unterlassung des Gesetzgebers, einen privaten Eingriff zu verbieten, verfassungsrechtlich zu rechtfertigen ist, entspricht den Anforderungen an die Rechtfertigung staatlicher Eingriffe, so dass insbesondere der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten ist.104 Wegen der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers überprüft das BVerfG dies allerdings in der Regel nur eingeschränkt anhand einer Evidenzkontrolle.105 Hinsichtlich der Geeignetheit prüft das BVerfG zumeist lediglich, ob ein Gesetz „objektiv“ oder „schlechthin“ ungeeignet ist,106 da jede Förderung des legitimen Zwecks genüge.107 Ein Strafgesetz ist nach Auffassung des Gerichts erforderlich, wenn der Gesetzgeber nicht ein anderes, gleich wirksames, aber das 101 Umfangreiche Darstellung bei Calliess, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 44, Rn. 1–22; Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 38 f. mit Fn. 35 m.w. N. auch zur früheren a. A., S. 41, 48 mit Beispiel zur oft fehlenden Differenzierung in der Literatur, allerdings selbst fehlerhaften Schlüssen hinsichtlich der sehr wohl bestehenden Möglichkeit eines objektiv-rechtlichen verfassungsrechtlichen Schutzes (ohne Rechtsinhaber). Dass es Rechte ohne Inhaber gibt, wird Merkel schwerlich bestreiten können. So ist etwa die Bundestaatlichkeit rein objektiv-rechtlich in der Verfassung gewährleistet, ohne dass es einen Rechtsinhaber gäbe. Dies gilt auch für Grundrechte. In Art. 5 Abs. 1 S. 2, 2. Var. GG wird die Rundfunkfreiheit auch als objektive Garantie gewährleistet. Die Ansicht Merkels, es gebe keinen objektiv-rechtlichen Verfassungsschutz ohne Grundrechtssubjekt, ist daher nicht haltbar. Dazu ausführlich unter D.II.1.b)bb). 102 BVerfGE 88, 203 (251 f.); vgl. dazu Calliess, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 44, Rn. 5. 103 Vgl. Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 43. 104 Allerdings weist Murswiek auf die Besonderheiten in der Prüfung aufgrund der dogmatischen Struktur der Schutzpflicht hin, wonach die Orientierung am Schema Eingriff/Eingriffsrechtfertigung nur implizit erfolgen könne, explizit die Prüfung aber einstufig sei, da ein Unterlassen entweder die Schutzpflicht verletze oder die Schutzpflicht insoweit schon gar nicht bestehe; ders., in: Sachs, GG, Art. 2, Rn. 34 f. 105 So etwa BVerfGE 77, 170 (215); vgl. dazu Calliess, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 44, Rn. 6 m.w. N.; Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 24 f., Kritik auf S. 31 ff.; befürwortend Putzke, in: AK, Einl., Rn. 2. 106 BVerfGE 17, 306 = NJW 1964, S. 1219 (1220); BVerfGE 47, 109 = LMRR 1998, 2. 107 BVerfGE 120, 224 (224).

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Grundrecht nicht oder weniger stark einschränkendes Mittel hätte wählen können.108 Schließlich müsse, so das BVerfG, bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit für die Adressaten des Verbots gewahrt sein (Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn).109 Hiernach dürfe eine Strafandrohung nach Art und Maß dem unter Strafe gestellten Verhalten nicht schlechthin unangemessen sein,110 in Bezug auf das Übermaßverbot (bzw. Untermaßverbot) sollen daher nur „schlechthin untragbare“ Ergebnisse unzulässig sein.111 Die Kontrolldichte wird teilweise aber auch über die bloße Evidenzkontrolle hinaus auf eine Vertretbarkeitskontrolle verstärkt.112 Nur selten nimmt das BVerfG eine Inhaltskontrolle vor.113 Hörnle weist jedoch zu Recht darauf hin, dass aus der – vorderhand von praktischen Erwägungen geleiteten – eingeschränkten Kontrolle des BVerfG nicht folgt, dass diese eingeschränkten Kriterien auch für die Primärentscheidungen des Gesetzgebers gelten müssten, zumal dabei Kapazitätserwägungen und massenhaft drohende Wiederaufnahmeverfahren gerade noch keine Rolle spielen.114 An „Kontroll- und Handlungsperspektive“ sind daher unterschiedlich strenge Maßstäbe anzulegen.115 Somit kann sich der Strafgesetzgeber nicht auf den eingeschränkten Prüfungsmaßstab des BVerfG berufen, das heißt die beschränkte Justiziabilität, sondern muss eine umfassende Verhältnismäßigkeitsprüfung der Grundrechtsbeschränkung durch Strafgesetze vornehmen.116 Es ergibt sich zweifelsohne aus dem Grundgesetz, dass „Gesetze, die die Grundrechte einschränken, ihrerseits an der Schranke des Verhältnismäßigkeitsprinzips zu messen sind“.117 Insbesondere darf der Gesetzgeber nur das bestrafen, was für die Wahrung der Grundrechte des einzelnen Bürgers in der Gesellschaft erforderlich, das heißt notwendig ist,118 die 108

BVerfGE 120, 224 (224 ff.). BVerfGE 120, 224 (224 ff.) m.w. N. 110 BVerfGE 120, 224 (224 ff.) m.w. N. 111 BVerfGE 34, 261 (267); 50, 125 (140); eine höhere Kontrolldichte („Vertretbarkeitskontrolle basierend auf sorgfältiger Tatsachenermittlung“) sieht hier Calliess, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 44, Rn. 6. 112 Etwa in BVerfGE 88, 203 (254, 261 ff.) – Schwangerschaftsabbruch II; vgl. Calliess, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 44, Rn. 6 m.w. N. 113 So etwa in BVerfGE 88, 203 (254) – Schwangerschaftsabbruch II; dazu Calliess, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 44, Rn. 6; kritisch Hermes/ Walther, NJW 1993, S. 2337 (2340). 114 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 33 ff. mit durchschlagenden Argumenten. 115 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 33 ff. 116 Zum Konflikt von Ideal und Realität in der Gesetzgebungspraxis vgl. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 35 ff. 117 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 35 m.w. N. 118 Rudolphi, in: SK, Vorbem. § 1, Rn. 5. 109

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Strafnorm ist ultima ratio119.120 Folglich ist dem Gesetzgeber auch inhaltlich vorgegeben, was er in strafrechtlichen Normen schützen darf.121 Das BVerfG führt in seiner Inhaltskontrolle im zweiten Urteil zum Schwangerschaftsabbruch aus, dass das Strafrecht eingesetzt werden müsse, wenn „ein bestimmtes Verhalten über sein Verbotensein hinaus in besonderer Weise sozialschädlich und für das geordnete Zusammenleben der Menschen unerträglich, seine Verhinderung daher besonders dringlich ist“.122 Problematisch an dieser Vorgabe ist, dass sie stark wertungsbedürftig ist. Sie rekurriert auf die Sozialschädlichkeit, was schon deshalb kein Gewinn ist, weil es – wie bereits erörtert – äußerst sozialschädliches Verhalten gibt, das (zu Recht) nicht mit Strafe bedroht wird, aber auch Verhalten kriminalisiert ist, dessen Sozialschädlichkeit nicht unmittelbar oder offenkundig begründet werden kann und deshalb jedenfalls nicht besonders sozialschädlich ist (was somit theorieintern wie -extern Zweifel an der Legitimation aufwirft). So ist, wie erwähnt, das Belügen seiner Mitmenschen sozialschädlich, aber die (bloße) Lüge zu Recht nicht kriminalisiert. Andererseits ist manches Verhalten, dessen Sozialschädlichkeit nicht ohne weiteres ersichtlich ist, das aber trotzdem unter Strafe steht, schwerlich als „besonders“ sozialschädlich zu bezeichnen. Auf die Sozialschädlichkeit kann es also nicht entscheidend ankommen. Im Beispiel des Beischlafs unter Geschwistern betreibt das BVerfG in einem „Lehrstück“ einer auf allzu vagen Kriterien beruhenden Normlegitimation gleichwohl erheblichen Aufwand, um die Sozialschädlichkeit zu begründen, die sich denn auch jenseits einer Rechtsverletzung (in Fällen, in denen die Eigenverantwortlichkeit feststeht) lediglich auf eine paternalistisch motivierte Vermeidung von psychisch und physisch unangenehmen Folgen für die Betroffenen zu stützen weiß.123 Damit werden die „Wahrung gesellschaftlicher Traditionen“, der Schutz vor „Diskriminierung“, die Vermeidung von „Erbschäden“ plötzlich zu Aufgaben des Strafrechts (!) erklärt.124 119 Ob das ultima-ratio-Prinzip innerhalb der Verhältnismäßigkeitsprüfung oder extern zu verorten ist, ist streitig, vgl. zum Streitstand sowie zu den Argumenten gegen eine Prüfung in der Verhältnismäßigkeit Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 38 ff. 120 BVerfGE 39, 1 (47) – Schwangerschaftsabbruch I; BVerfGE 88, 203 (258) – Schwangerschaftsabbruch II; kritisch Hörnle, die diese Aussage für ein „Bekenntnis ohne Relevanz für die Überprüfungspraxis“ hält, dies., Grob anstößiges Verhalten, S. 25 m.w. N. 121 Renzikowski, GA 2007, S. 565 (578); Rudolphi, in: SK, Vorbem. § 1, Rn. 5. 122 BVerfGE 88, 203 (258) – Schwangerschaftsabbruch II. 123 BVerfGE 120, 224. 124 Der Argumentation des BVerfG begegnen erhebliche Bedenken. Die Wahrung gesellschaftlicher Traditionen und der Schutz vor Diskriminierung mögen im Zivilrecht oder öffentlichen Recht ihre berechtigte Verortung finden (man denke etwa an das Bestattungswesen oder das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz), aber der ultima ratio des Strafrechts bedarf es zur Rechtswahrung hier sicherlich nicht. Die Verhütung von

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Die Anknüpfung an die Unerträglichkeit für das geordnete Zusammenleben ist von subjektiven Einschätzungen abhängig und somit wenig als Grundlage einer verfassungsrechtlichen Legitimationsprüfung geeignet. Der Bruch mit dem Inzesttabu und ethische Zweifel sind leicht zu bejahen, aber ist es tatsächlich unerträglich für das geordnete Zusammenleben der Menschen, wenn volljährige Geschwister den Beischlaf vollziehen? Auch nach diesem Kriterium steht die Legitimation des § 173 Abs. 2 S. 2 StGB auf dünnem Eis.125 Diese Auffassung teilt inzwischen auch der Deutsche Ethikrat.126 Nach der Auffassung von Hassemer/Neumann erfüllen die Kategorien der gerechten und zweckmäßigen Strafe eine die gesetzgeberische Freiheit gemäß den verfassungsrechtlichen Vorgaben auf strafwürdiges Verhalten limitierende Funktion.127 Ein Kriterium der Gerechtigkeit sei es, dass ein Verhalten nur dann mit Strafe bedroht werde, wenn es fundamentale Interessen eines Einzelnen oder der Gesellschaft angreife, was heute durch das Erfordernis der Verletzung oder Gefährdung eines Rechtsguts gewährleistet werde:128 „Gerade das Rechtsgutskonzept verbindet die Strafwürdigkeitsbestimmung mit der Verfassung einerseits und mit der sozialen Wirklichkeit andererseits“ 129. Was als strafrechtliche Rechtsgüter in Betracht komme, sei in den Grundrechten formuliert (Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit, Eigentum usw.).130 Zwar sei es wegen des gesetzgeberischen Entscheidungsspielraumes nicht so, dass der Strafgesetzgeber die grundrechtlich geschützten Interessen schlicht als strafrechtliche Rechtsgüter zu übernehmen habe, aber sie stellten ein „gewichtiges Merkmal im komplexen Geflecht der Strafwürdigkeitsbestimmung“ dar.131

Erbschäden als „ergänzende“ Begründung heranzuziehen, mutet vor dem Hintergrund, dass ja auch niemand auf die Idee käme, Paaren mit ungünstiger Genkonstellation oder in hohem Alter (beides Fälle, die mit zum Teil hoher Wahrscheinlichkeit zu Erbschäden beim Kind führen können; vgl. Schaaf/Zschocke, Basiswissen Humangenetik, S. 72 ff.; Pompl, Alte Väter, kranke Kinder?) den Beischlaf – der überhaupt nur potenziell zur Schwangerschaft führt – zu verbieten, äußerst selektiv an (ganz zu schweigen von der Tatsache, dass nicht einmal im Falle einer eingetretenen Schwangerschaft, also nach dem Beginn [straf-]rechtlichen Lebensschutzes, das Erbgut des nasciturus in hohem Maße schädigende Verhaltensweisen – insbesondere der Alkohol- und Drogenkonsum, aber auch der Umgang mit Umweltgiften – unter Strafe gestellt sind). 125 Zutreffend daher die abweichende Meinung von Hassemer, BVerfGE 120, 224 (255 ff.). Eine verfassungsrechtlich fundierte Legitimation der Norm kommt nur in Betracht, wenn man ausschließlich auf den objektiv-rechtlichen Schutz der Familie in Art. 6 Abs. 1 GG rekurriert. 126 Deutscher Ethikrat, Inzestverbot, S. 72 f.; ders., Infobrief Januar 2015, S. 1–3. 127 Hassemer/Neumann, in: NK, Vorbem. § 1, Rn. 58 ff. 128 Hassemer/Neumann, in: NK, Vorbem. § 1, Rn. 62. 129 Hassemer/Neumann, in: NK, Vorbem. § 1, Rn. 63. 130 Hassemer/Neumann, in: NK, Vorbem. § 1, Rn. 64. 131 Hassemer/Neumann, in: NK, Vorbem. § 1, Rn. 65 m.w. N.; eine Ausnahme hierzu stellt Art. 26 Abs. 1 GG dar, der die Inkriminierung von Handlungen, die geeignet sind

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Dem ist nur teilweise zuzustimmen. Sicherlich ist der grundrechtlich gewährte Schutz ein „gewichtiges Merkmal“ dafür, ob ein dem zuwiderlaufendes Verhalten mit Strafe bedroht werden muss. Aber die Grundrechte gewähren dem Bürger, wie Hassemer/Neumann selbst schreiben,132 subjektive Abwehrrechte. Die Grundrechte gewährleisten Rechte und nicht Güter. Aus der Verfassung ergibt sich auch im Übrigen nicht, dass in den Grundrechten Rechtsgüter geschützt würden.133 Das Grundgesetz kennt diesen Begriff nicht. Es verwendet selbst die Bezeichnung der Grundrechte, etwa in Art. 1 Abs. 3 GG. Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit, Eigentum usw. sind daher keine Güter, es sind Rechte (Grundrecht auf Leben, Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit etc.), wie sich auch aus dem Wortlaut der einzelnen Normen ergibt. So ist etwa in Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG vom Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit die Rede, Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG spricht vom Recht auf Meinungsfreiheit, Art. 8 Abs. 1 GG gewährt das Versammlungsrecht usw. usf. Aus den Grundrechten Rechtsgüter ableiten zu wollen, ergibt sich folglich nicht aus dem Grundgesetz selbst.134 Es ist vielmehr der Versuch, das jeweilige Recht plastisch darzustellen, es zu versinnbildlichen, indem der Bezugspunkt des Rechts („Recht auf . . .“), also der Gegenstand, auf den sich das Recht bezieht, mit dem Recht selbst vermengt und als „Rechtsgut“ dargestellt wird. Das mag lediglich als Denkhilfe zulässig sein. Aus der Verfassung ergibt sich ebenfalls mitnichten, dass Rechtsgüter ein „gewichtiges Merkmal“ für die Strafwürdigkeitsbestimmung seien. Entscheidendes Merkmal sind vielmehr, wie gesehen, die Grundrechte. Fraglich ist nun, ob die Prüfung der materiellen Legitimität aus der Täter- oder der Opferperspektive vorzunehmen ist, ob also zu prüfen ist, ob durch die Normierung eines Strafgesetzes in die Abwehrrechte des Täters (bzw. desjenigen, der das Verhalten unterlassen muss, um nicht zum Täter zu werden) zu Recht eingegriffen wird oder ob ohne das Strafgesetz aus Opfersicht grundrechtliche Schutzpflichten verletzt würden.135 Zwar werden in der Abwägung grundsätzlich alle betroffenen Grundrechte, also die von beiden Seiten, miteinander abgewogen und finden so Berücksichtigung. Jedoch ergibt sich nach der hier vertretenen Auffassung aus dem ultimaund in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, vorschreibt. 132 Hassemer/Neumann, in: NK, Vorbem. § 1, Rn. 65. 133 Anders etwa Ipsen, JZ 2001, S. 989 (993) m.w. N. und Roxin, Symposium für Schünemann, S. 139, der Grund- und Menschenrechte als Rechtsgüter einordnet. 134 So im Ergebnis auch BVerfG, NJW 2008, S. 1137 (1138); wie hier Appel, Verfassung und Strafe, S. 376 f.; anders Roxin, AT I, § 2, Rn. 9, der einen Rechtsgutsbegriff aus den im Grundgesetz niedergelegten Aufgaben des Rechtsstaats entwickeln möchte. 135 Zu beiden möglichen Perspektiven Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 44, die sich für die Sicht auf die Abwehrrechte des Täters entscheidet.

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ratio-Grundsatz, dass die Abwehrrechte des (potenziellen) Täters – also desjenigen, der das verbotene Verhalten unterlassen muss – solange und soweit unangetastet bleiben müssen, bis die Strafbewehrung eines Verhaltens aus Gründen des Opferschutzes unausweichlich ist.136 Solange und soweit verbietet sich zugleich der mittelbare Grundrechtseingriff durch die Untersagung der Einwilligungsmöglichkeit in die allgemeine Handlungsfreiheit des Opfers. Da die grundrechtlichen Schutzpflichten gegenüber (potenziellen) Opfern grundsätzlich durchsetzungsschwächer sind als die Abwehrrechte (potenzieller) Täter, wird damit strafrechtliches Unrecht so restriktiv verstanden, wie es verfassungsrechtlich möglich ist.137 So wird die Möglichkeit vermieden, eine Strafnorm und den damit verbundenen Eingriff in die Abwehrrechte des (potenziellen) Täters bzw. desjenigen, der das verbotene Verhalten unterlassen muss, aus anderen Erwägungen als dem zwingenden Opferschutz verfassungsrechtlich zu rechtfertigen. Eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs in die Abwehrrechte des Täters ist nämlich auch dann denkbar, wenn dies aus Gründen des Opferschutzes nicht zwingend notwendig ist, es sei denn, man betrachtet den Opferschutz als Indikator des ultima-ratio-Prinzips. Die Abwehrrechte des (potenziellen) Täters und die grundrechtlichen Schutzpflichten gegenüber dem Opfer beschreiben nämlich nach dem ultima-ratioGrundsatz nicht zwei Seiten derselben Medaille. Nach dieser Ausprägung des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips darf ein Verhalten grundsätzlich nur als letztes Mittel der Wahl mit der scharfen Waffe des Strafrechts verboten werden.138 Zwingend ist der Einsatz des Strafrechts aber, wenn der Opferschutz auf andere Weise nicht garantiert werden kann.139 Somit genügt man dem ultima-ratio-Grundsatz nur dann, wenn man maßgeblich auf den Opferschutz abstellt und im Übrigen von der grundsätzlichen Unzulässigkeit von staatlichen Eingriffen mittels des Strafrechts in die Abwehrrechte des Täters ausgeht. Es sind daher die in der Verfassung gewährten Grundrechte, die vorschreiben, wann die Nichtregulierung von Verletzungen subjektiver Rechte im horizontalen Verhältnis unter Bürgern zugleich das Untermaßverbot im vertikalen Verhältnis zwischen Bürger und Staat verletzen,140 wann also strafrechtliches Unrecht gege136 Vgl. dazu Calliess, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 44, Rn. 10, 11. 137 Vgl. Calliess, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 44, Rn. 10, 11 und Rn. 12 ff. zu dem abzulehnenden Versuch, die unterlassene Erfüllung einer Schutzpflicht in einen Eingriff in ein Abwehrrecht umzudeuten. 138 Kritisch zur Verkehrung des Strafrechts von der ultima ratio zur sola ratio Hassemer, Strafen im Rechtsstaat, S. 197 f. 139 Vgl. BVerfGE 88, 203 (204), 8. Ls – Schwangerschaftsabbruch II. 140 Zu diesem Dreiecksverhältnis zwischen Staat und Bürgern (vertikal) sowie den Bürgern untereinander (horizontal) vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des

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ben ist, das mit dem Mittel des Strafrechts (in Erfüllung der grundrechtlichen Schutzpflichten) reguliert werden muss. Im C-Waffen-Beschluss hat das BVerfG ausdrücklich anerkannt, dass die Verletzung einer staatlichen Schutzpflicht eine Verletzung des betroffenen Grundrechts darstellt, und der Bürger ein subjektives Recht auf Abhilfe durch Schutz hat.141 Kommt der Gesetzgeber dem nicht nach, verletzt er dieses subjektive Recht. Zwar stellen Rechtsverletzungen der Bürger untereinander, also im horizontalen Verhältnis, keine Grundrechtsbeeinträchtigungen dar, da Private grundsätzlich nicht grundrechtsverpflichtet sind.142 Auch hat der Gesetzgeber grundsätzlich die Freiheit, zu entscheiden, ob (und ggf. wie) er ein bestimmtes Recht mit dem Mittel des Strafrechts verteidigen will.143 Aus dem Verbot der Privatgewalt und dem staatlichen Gewaltmonopol folgt aber die Pflicht des Staates, „für die Sicherheit seiner Bürger zu sorgen und die Beachtung ihrer Rechte sicherzustellen“ 144.145 Da die Grundrechte nämlich keine unmittelbare Drittwirkung haben, haben Dritte solange die Freiheit, Eingriffe in grundrechtliche Schutzgüter vorzunehmen, wie diese nicht gesetzlich beschränkt wird.146 Die grundrechtliche neminem-laedere-Pflicht 147 wirkt in der Beziehung zwischen den Privaten nur indirekt und negativ durch das Verbot der Verletzung von Leben, Selbstbestimmung, Eigentum etc., der allerdings kein grundrechtlicher Anspruch des Opfers gegen den Störer auf Unterlassung korrespondiert, sondern allein die Pflicht des Staates, das Verbot in Gesetze umzusetzen und das Opfer zu schützen.148 Denn „wenn die Einzelnen durch den Eintritt in die bürgerliche Gesellschaft darauf verzichten, ihre Interessen eigenmächtig durchzusetzen, muss der Staat mit seinen Institutionen den Schutz der Bürger übernehmen und wirksam ge-

Staatsrechts, Bd. V, § 111, Rn. 5; zu den grundrechtlichen Schutzpflichten im Falle von horizontalen Rechtsverletzungen der Bürger untereinander ausführlich Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 96, 99 ff., 111 ff., speziell zum Strafrecht S. 119 ff. 141 BVerfGE 77, 170 (214 f.); dazu Calliess, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 44, Rn. 6. 142 Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 111, Rn. 5; Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 96 m.w. N. 143 Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 119 m.w. N. 144 BVerfGE 74, 257 (262). 145 Vgl. Calliess, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 44, Rn. 1 ff.; Renzikowski, in: Matt/Renzikowski, Einl., Rn. 1; Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 121. 146 Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2, Rn. 26. 147 „Neminem laedere“, lat. für „niemandem schaden“; gemeint ist, dass die Selbstverwirklichung des Einzelnen ihre Grenze an der Handlungsfreiheit der Mitmenschen finden muss. Dazu Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 65. 148 Calliess, Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 44, Rn. 1 ff.; Isensee, in: Isensee/ Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 111, Rn. 5.

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währleisten.“ 149 Der Staat ist nicht nur verpflichtet, grundsätzlich Eingriffe in die Grundrechte der Bürger zu unterlassen (Abwehrfunktion der Grundrechte: status negativus), sondern diese Grundrechte auch vor rechtswidrigen Eingriffen seitens anderer Bürger zu bewahren (freiheitsverstärkende Funktion: status positivus).150 Wenn ein Privater einen anderen z. B. in seiner Gesundheit schädigt, verletzt er mangels Grundrechtsverpflichtung nicht dessen Grundrecht, sondern nur das einfachgesetzliche Verbot, das der Gesetzgeber erlassen hat, um seine Verpflichtung, die Grundrechte zu schützen, zu erfüllen.151 Wegen dieser Schutzpflicht muss der Staat also Maßnahmen ergreifen, zu denen auch der Einsatz des Strafrechts zählt.152 Diese „Staatsaufgabe Sicherheit“ kann ideengeschichtlich auf Hobbes zurückgeführt werden.153 Heute ergibt sie sich aus der umfassenden Bindung des Staates an das Grundgesetz, die in Art. 1 Abs. 1 S. 2, Abs. 3 und Art. 20 Abs. 3 GG normiert ist. Der Staat achtet nur dann das Grundgesetz, wenn er zum einen selbst keine Eingriffe in Grundrechte oder objektive Verfassungsprinzipien vornimmt (Abwehrfunktion der Grundrechte und Verletzungsverbot von objektiven Verfassungsprinzipien), zum anderen aber auch gewährleistet, dass das subjektive und objektive Verfassungsrecht nicht durch die Bürger untereinander ausgehöhlt wird (Schutzanspruch durch Grundrechte und staatliche Schutzpflichten in Bezug auf objektive Verfassungsprinzipien). Genau dies wäre nämlich der Fall – die im Grundgesetz garantierten Rechte wären nichts wert – wenn der Staat zwar einerseits das Gewaltmonopol innehat, andererseits aber nicht regulierend eingreift, wenn auf horizontaler Ebene grundgesetzlich garantierte Rechte verletzt werden. Vielmehr ist das Gewaltmonopol des Staates nur dann legitim, wenn die Bürger im Gegenzug für ihren Verzicht auf Selbsthilfe staatlicherseits geschützt werden. Staatsmacht ist somit nur legitim, wenn sie dem Schutz der Bürger dient und sich in den Grenzen des Grundgesetzes bewegt (deshalb bestehen staatliche Schutzpflichten auch dort, wo es nicht um subjektive Rechte im Sinne eines Abwehr- oder Schutzanspruchs geht, sondern um objektive Grundgesetzgehalte). Wann Unrecht also zum strafrechtlichen Unrecht wird, richtet sich danach, ob ohne die strafrechtliche Regulierung eine Verletzung des Untermaßverbots zu beklagen wäre.154 Strafrechtliches Unrecht ist also dann gegeben, wenn eine 149 Renzikowski, in: Matt/Renzikowski, Einl., Rn. 1; vgl. außerdem Calliess, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 44, Rn. 1. 150 Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 22 f. 151 Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 111, Rn. 5. 152 Renzikowski, in: Matt/Renzikowski, Einl., Rn. 1; Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 22. 153 Calliess, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 44, Rn. 1, 2; Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 22 f. 154 Vgl. hierzu Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 111 ff., 119 ff.

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Rechtsverletzung unter Bürgern ein solches Ausmaß hat, dass ihr mit dem Mittel des Strafrechts begegnet werden muss, weil ansonsten eine staatliche Verletzung grundrechtlicher Schutzpflichten vorläge.155 Die Reichweite der Schutzpflicht richtet sich nach Bedeutung und Schutzbedürftigkeit des zu schützenden Rechts einerseits und der kollidierenden Rechte (des potenziellen Täters) andererseits.156 Auch bei der Ausgestaltung des Schutzes ist das Untermaßverbot zu beachten.157 Nach der neueren Rechtsprechung des BVerfG ist die Effektivität des Schutzes entscheidend, die Vorkehrungen des Gesetzgebers müssen für einen angemessenen Schutz wirksam sein und auf sorgfältigen Tatsachenermittlungen und vertretbaren Einschätzungen beruhen.158 Nach diesem Grundsatz bleibt das Gebot vom Strafrecht als ultima ratio gewahrt. Die Orientierung an grundrechtlichen Schutzpflichten soll gewährleisten, dass Strafrecht wirklich nur dann eingesetzt wird, wenn es nicht anders geht. Das entbindet allerdings keineswegs von einer Abwägung der betroffenen Grundrechtspositionen, so dass aus der bloßen Existenz einer grundgesetzlichen Schutzpflicht nicht zugleich automatisch folgt, dass der Eingriff in die Grundrechte des (potenziellen) Täters qua Strafnorm gerechtfertigt wäre.159 Hörnle wendet gegen die materielle Legitimationsprüfung eines Strafgesetzes anhand grundrechtlicher Schutzpflichten ein, dass durch eine Strafnorm zu erfüllende Schutzpflichten nur bei wenigen, sehr wichtigen Rechtsgütern und bei unmittelbar drohenden Verletzungen unproblematisch anzuerkennen seien.160 Außerdem müsse die mögliche Verletzung potenzieller Opfer nicht zwingend durch ein Strafgesetz abgewehrt werden, hier bestehe ein Spielraum auch hinsichtlich der Mittel.161 Selbst wenn eine Schutzpflicht verneint werde, könne ein Strafgesetz noch gerechtfertigt werden, da die Verfassung eher die Ableitung dessen erlaube, was nicht pönalisiert werden darf, als eine positive Festlegung auf Schutznormen.162 Hörnle hebt daher auf die Perspektive des Täters ab und will die 155 Vgl. hierzu Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 99 ff., 103 ff., 119 ff. 156 Vgl. Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2, Rn. 33 m.w. N. 157 Vgl. BVerfGE 88, 203 (254) – Schwangerschaftsabbruch II. 158 BVerfGE 88, 203 (254) – Schwangerschaftsabbruch II; vgl. außerdem Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2, Rn. 33. 159 So Hermes/Walther kritisch am Beispiel des zweiten Schwangerschaftsabbruchurteils, in dem das BVerfG nach Feststellung der Existenz grundrechtlicher Schutzpflichten gegenüber dem nasciturus das Übermaßverbot gegenüber der Schwangeren nicht geprüft habe; dies., NJW 1993, S. 2337 (2339); vgl. ferner Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 38 mit Fn. 33, der darauf hinweist, dass der Staat seine Schutzpflichten zwar vorrangig durch Gesetzgebung (das heißt nicht vorrangig durch Strafgesetze) erfüllen muss, aber auch durch exekutives und judikatives Handeln erfüllen kann. 160 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 44. 161 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 44 m.w. N. 162 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 44 m.w. N.

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Frage nach einem materiellen Prüfungsmaßstab auf dessen Abwehrrechte konzentrieren.163 Dem wird hier nicht gefolgt, sondern – wie erörtert – entscheidend auf die grundgesetzlichen Schutzpflichten gegenüber dem potenziellen Opfer rekurriert. Denn wie gesehen ist es eine Konsequenz des ultima-ratio-Grundsatzes, dass nichts pönalisiert werden darf, was nicht zwingend erforderlich ist. Die entscheidende Perspektive sind nicht die Abwehrrechte des (potenziellen) Täters, sondern die Schutzpflichten gegenüber dem (potenziellen) Opfer.164 In die Abwehrrechte des Täters darf grundsätzlich nicht mittels einer Strafnorm eingegriffen werden, es sei denn der Staat muss eine ansonsten drohende Verletzung grundrechtlicher Schutzpflichten gegenüber dem Opfer durch die strafrechtliche Regulierung vermeiden.165 Ob dies der Fall ist, ist durch Auslegung zu ermitteln, in der die betroffenen Grundrechtspositionen in den schonendsten Ausgleich zu bringen sind und sowohl das Untermaßverbot gegenüber dem (potenziellen) Opfer als auch das Übermaßverbot gegenüber dem (potenziellen) Täter zu achten sind.166 Nur dann ist Strafrecht wirklich die ultima ratio. Geht man wie Hörnle davon aus, dass sich eine Strafnorm auch dann verfassungsrechtlich rechtfertigen lasse, wenn eine Schutzpflicht gegenüber dem potenziellen Opfer verneint wird,167 dann wird in die Abwehrrechte des Täters eingegriffen, ohne dass der Staat hierzu gezwungen wäre. Eine solche Auffassung verstößt gegen den ultima-ratio-Grundsatz. Ist der Staat nicht verfassungsrechtlich (wegen einer ansonsten drohenden Verletzung grundrechtlicher Schutzpflichten gegenüber dem potenziellen Opfer) gezwungen, in die Abwehrrechte des Täters einzugreifen, dann bedient er sich des scharfen Schwertes des Strafrechts, obwohl er noch andere Mittel zur Wahl hätte. Wenn Hörnle darauf hinweist, dass die potenzielle Verletzung des Opfers ja auch durch andere Mittel als dem Strafrecht abgewendet werden könne, also ein Spielraum bestehe,168 ist ihr darin also durchaus Recht zu geben. Sie zieht aber mit der Einnahme einer auf die Abwehrrechte des potenziellen Täters bezogenen Perspektive nicht die richtigen Schlüsse daraus: Soll das Strafrecht ultima ratio sein, dann muss die potenzielle Verletzung des Opfers solange und soweit mit

163 Ähnlich auch die abweichende Meinung von Rupp-v. Brünneck und Simon, BVerfGE 39, 68 (70 ff.) – Schwangerschaftsabbruch I. 164 Aus dieser Perspektive prüft auch das BVerfG in seinem zweiten Urteil zum Schwangerschaftsabbruch, ob das Lebensrecht des nasciturus durch ein Strafgesetz zu schützen ist; vgl. BVerfGE 88, 203 (252 ff.) – Schwangerschaftsabbruch II. 165 Nur so wird die „Zwickmühle der Freiheit“ verfassungsgemäß gelöst; vgl. dazu Calliess, Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 44, Rn. 3. 166 Zutreffend Hermes/Walther, NJW 1993, S. 2337 (2339). 167 Vgl. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 44. 168 Vgl. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 44.

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anderen Mitteln als dem Strafrecht abgewendet werden (mittels Normen des Verwaltungs- oder Zivilrechts), bis der Schutz darüber nicht mehr sichergestellt werden kann, erst dann ist – ultima ratio – auf das Strafrecht zurückzugreifen. Würde man nur die Abwehrrechte des Täters berücksichtigen und in diese sogar und auch dann eingreifen, wenn dies nicht aus Gründen des Opferschutzes zwingend erforderlich ist, dann ginge man zu weit und schösse über das Ziel hinaus. Aus diesem Grunde ist auch die Zweckmäßigkeit als zweites Kriterium, das Hassemer und Neumann zur Bestimmung der Strafwürdigkeit heranziehen,169 abzulehnen. Die Gerechtigkeit sei „notwendige, aber keine hinreichende Bedingung der Strafwürdigkeitsbestimmung“, die Strafbestimmung müsse auch „praktisch Sinn machen“.170 Eine unzweckmäßige Strafbestimmung, die entweder ein untaugliches Instrument darstelle oder zu erheblichen unerwünschten Nebenfolgen führe, sei auch ungerecht.171 Dem ist insoweit zuzustimmen, als eine untaugliche, unzweckmäßige Strafbestimmung niemals eine verhältnismäßige (insbesondere keine geeignete) und mithin auch keine verfassungsrechtlich gerechtfertigte Einschränkung der betroffenen Grundrechte sein kann. Letztlich kommt es für die verfassungsrechtliche Beurteilung einer strafrechtlichen Norm jedoch allein auf die oben skizzierte Schrankenprüfung unter Wahrung des ultima-ratio-Prinzips an.172 Für die hier eingenommene Ansicht spricht schließlich auch, dass die Aufgaben des Strafrechts, wie sie hier entwickelt worden sind, quasi per definitionem den Aufgaben grundrechtlicher Schutzpflichten entsprechen. Während nämlich ein Eingriff von staatlicher Seite ein Grundrecht als Abwehrrecht betrifft, so ist es in seiner Funktion als staatlicher Schutzpflicht betroffen, wenn der Eingriff von Privaten droht. Es handelt sich also um gegenläufige Funktionen: „Im ersten Fall hat der Staat die grundrechtliche Substanz von sich aus zu schonen, im zweiten vor Dritten zu schützen.“ 173 Die grundrechtlichen Schutzpflichten (status positivus) erfüllen die Aufgabe des Staates, für die Unversehrtheit der grundrechtlichen Güter zwischen Privaten, also der Sicherheit in den privaten Beziehungen, zu garantieren, als „Grundrecht auf Sicherheit“.174 Die Staatsgewalt wird dabei nicht wie beim Abwehrrecht

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Hassemer/Neumann, in: NK, Vorbem. § 1, Rn. 58, 77 ff. Hassemer/Neumann, in: NK, Vorbem. § 1, Rn. 77. 171 Hassemer/Neumann, in: NK, Vorbem. § 1, Rn. 61 mit dem fragwürdigen Beispiel, die „materiell-strafrechtlich konsequente Kriminalisierung“ elterlicher Körperverletzung an Kindern führe zu größerem Schaden als Nutzen. Diese Auffassung schränkt die betroffenen Grundrechtspositionen der Opfer ungerechtfertigt ein. Vgl. hierzu die treffenden Ausführungen von Schlehofer, in: MüKo, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 117 ff. 172 Im Ergebnis ähnlich Renzikowski, in: Matt/Renzikowski, Einl., Rn. 1. 173 Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 111, Rn. 1. 174 Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 111, Rn. 3 m.w. N. 170

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zurückgedrängt, sondern – auch in der Gesetzgebung – gefordert.175 Die grundrechtliche Schutzpflicht garantiert damit die Sicherheit in den zwischenmenschlichen Beziehungen.176 Das entspricht der hier vertretenen Auffassung von den Aufgaben des Strafrechts, subjektive Rechtsverletzungen im Verhältnis der Bürger untereinander (also auf horizontaler Ebene) qua Normierung von Strafgesetzen im vertikalen Verhältnis zwischen Staat und Bürger zu regulieren, wenn die Unterlassung dieser Regulierung eine Grundrechtsverletzung gegenüber den ansonsten schutzlos gestellten Bürgern darstellen würde (das Gewaltmonopol liegt beim Staat!177). Isensee formuliert hierzu sehr treffend: „Der grundrechtliche Schutzbereich, der dem Staat im Kontext des Abwehrrechts primär als negativ definiert erscheint, als ausgegrenzter, unzugänglicher Bezirk, stellt sich im Kontext der Schutzpflicht primär als positiv erfasstes Schutzgut dar, dessen Integrität der Staat gegen Gefährdung durch Dritte zu sichern hat.“ 178

Auf diesen positiven Bereich kommt es folglich nach dem ultima-ratio-Prinzip an, wenn es um die Frage der materiell verfassungsrechtlichen Legitimität von Strafnormen geht. Der Einwand von Hörnle, dass durch eine Strafnorm zu erfüllende Schutzpflichten nur bei wenigen Rechtsgütern gegeben seien,179 überzeugt nicht: Nicht jedes aus den Grundrechten ableitbare subjektive Recht muss mit der scharfen Waffe des Strafrechts geschützt werden (das sieht Hörnle auch selbst), die Begrenztheit der strafrechtlich zu schützenden Rechte wird hier als logische Konsequenz des ultima-ratio-Prinzips befürwortet. Demgemäß verlangt z. B. die grundrechtliche Schutzpflicht aus dem Grundrecht auf Leben gemäß Art. 2 Abs. 2 S. 1, 1. Var. GG, private Übergriffe auf das Leben durch das Tötungsverbot zu unterbinden.180 Andere Grundrechtsgehalte wie etwa die Rundfunkfreiheit bedürfen bei Verletzungen unter Privaten grundsätzlich keines strafrechtlichen Schutzes. Es kann also festgehalten werden, dass der Gesetzgeber mit der Normierung von Strafgesetzen seine Pflicht erfüllt, den Einzelnen gegen horizontale Eingriffe in seine Grundrechte zu schützen. Da die Grundrechte gegenüber dem Staat verbindlich festlegen, welche regulativen Maßnahmen des Verhaltens seiner Bürger er zu ergreifen hat, zu denen er aufgrund seines Gewaltmonopols verpflichtet ist und deren Nichttreffen damit das Untermaßverbot verletzen könnte, und diese als höchste Rechtszuweisungs-

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Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 111, Rn. 3. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 111, Rn. 1. 177 Dazu Calliess, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 44, Rn. 1 ff. 178 Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 111, Rn. 3 m.w. N. 179 Vgl. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 44. 180 Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 111, Rn. 1. 176

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normen auch den Strafrechtsgesetzgeber binden, ergibt sich hieraus als logische Konsequenz, dass das Strafrecht betreffend der jeweils in den Grundrechten geschützten Sachbereiche keine strafrechtsspezifischen Rechtsgüter erfinden und konstruieren darf.181 Altenhain stellt zu Recht fest, dass „wenn weder ein Privater noch der Staat berechtigt ist, von Dritten ein Unterlassen zu verlangen, [. . .] nicht ersichtlich [ist], woher der Staat die Berechtigung nimmt, dieses Verlangen mittels Strafdrohung durchzusetzen.“ 182 Demzufolge schreibt die Verfassung den Inhalt dessen, was der Strafrechtsgesetzgeber als Unrecht mit Strafe bedrohen darf, zwingend vor: die Rechtsverletzung. Strafwürdig ist ein Verhalten somit, wenn es subjektive Rechte Dritter derart beeinträchtigt, dass das Untätigbleiben des Staates, das heißt das fehlende Eingreifen mit dem Mittel des Strafrechts (als Ausgleich für die Übertragung des Gewaltmonopols seitens der Bürger auf den Staat183), im vertikalen Verhältnis eine Verletzung des Untermaßverbots bedeuten würde. Es geht also um die Verfassungsgemäßheit der staatlichen Regulation (oder Nichtregulation) mit dem Mittel des Strafrechts, deren Maßstab die Kriminalpolitik verpflichtet. In den Bahnen der jeweiligen horizontalen und vertikalen Verhältnisse zeichnet auch Renzikowski sein Bild vom Unrecht nach: Horizontal werde das Rechtsverhältnis zwischen den Bürgern verletzt (materielles Unrecht), vertikal (bei Renzikowski im Verhältnis zwischen Täter und Staat und nicht zwischen Opfer und Staat wie im hiesigen Modell) eine Verhaltensnorm überschritten (formelles Unrecht).184 Plastisch ausgedrückt sei beim Diebstahl die Missachtung des Eigentumsrechts durch den Täter materielles Unrecht, der Verstoß gegen §§ 242 ff. StGB formelles Unrecht.185 Die horizontale Verletzung des subjektiven Rechts sei damit der Anlass, die vertikale Übertretung der öffentlich-rechtlichen Verhaltensnorm der Grund für die Bestrafung.186 Renzikowskis Modell ist zwar grundsätzlich richtig, unberücksichtigt bleiben von ihm indes die oben angesprochenen verfassungsrechtlichen Vorgaben im vertikalen Verhältnis zwischen Opfer und Staat, die diesen zur Bereitstellung von

181 In seiner normtheoretischen Analyse bemerkt Renzikowski zutreffend, dass die Normen der Teilrechtsordnungen, zu denen das Strafrecht zählt, keine Interessen oder Güter vorgeben; ders., GA 2007, S. 571 (578). 182 Altenhain, Das Anschlussdelikt, S. 299. 183 Zur mit dem Gewaltmonopol einhergehenden Aufgabe des Staates, das friedliche und gewaltlose Zusammenleben seiner Bürger zu sichern und herzustellen aus staatsrechtlicher Sicht Herzog, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. IV, § 72, Rn. 38 ff. m.w. N. 184 Renzikowski, GA 2007, S. 568 (578). 185 Renzikowski, GA 2007, S. 568 (578). 186 Renzikowski, GA 2007, S. 568 (578).

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öffentlich-rechtlichen Verhaltensnormen (und auch zur Bestrafung von deren Übertretung) zwingen, weil ansonsten mit der Nichtregulierung und Tolerierung der horizontalen Verletzung subjektiver Rechte eine vertikale Verletzung des Untermaßverbots einherginge. Dies wird von ihm insoweit auch gesehen, als er darauf hinweist, dass die Begründung eines Rechtsverhältnisses nicht ausreiche, um den Einsatz des Strafrechts zu legitimieren.187 Die Analyse des Gegenstandes von Verhaltensnormen biete keine Kriterien dafür, wann ein Rechtsverhältnis überhaupt begründet werden dürfe. Auch eine Abgrenzung des Strafrechts z. B. vom Ordnungswidrigkeitenrecht könne so nicht erreicht werden: Bei der Ordnungswidrigkeit werde ebenfalls gegen eine Verhaltensnorm verstoßen, die den Schutz eines Rechtsverhältnisses bezweckt, ohne aber dass strafrechtliches Unrecht verwirklicht würde.188 Dem ist insoweit zuzustimmen, als die Verletzung von (subjektiven) Rechten innerhalb von Rechtsverhältnissen zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für strafrechtliches Unrecht darstellt, weil dadurch keine Abgrenzung zu nichtstrafrechtlichem Unrecht getroffen werden kann. Dies wird auch von Renzikowski gesehen. Er stellt fest, dass die analytische Normentheorie an ihre Grenzen stößt, wenn es gilt, bloßes zivilrechtliches Unrecht von strafrechtlichem Unrecht abzugrenzen.189 Einschlägig sei hier das verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip, das einen weiten Einschätzungsspielraum des Gesetzgebers einräume.190 Dieser fehlende verfassungsrechtliche Bestandteil, anhand dessen sich bemessen lässt, wann Unrecht strafwürdig erscheint und damit zum Strafunrecht wird, wurde oben ergänzt. Zugleich ergibt sich hieraus die Legitimation der Strafrechtsnorm. Alles in allem bleibt also festzuhalten, dass dem Strafgesetzgeber zwar eine Einschätzungsprärogative zusteht, sich die Kriminalpolitik aber in der Frage, welches Verhalten mit Strafe bedroht und in diesem Sinne strafwürdiges UnRecht werden soll, einzig dem Maßstab der Verfassung zu unterwerfen hat. Nach der hier vertretenen Ansicht hat der strafrechtliche Unrechtsbegriff insoweit einen positivistischen Zug. Er kann sich aber nicht darauf beschränken, als Unrecht nur das Verhalten unter Bürgern zu begreifen, dessen Nichtregulation im vertikalen Verhältnis zum Staat eine Verletzung des Untermaßverbots darstellte, denn auch die Verfassung ist als gesetztes Recht keine absolute Wahrheit und nicht vor verfassungsgesetzgeberischem Missbrauch gefeit.

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Renzikowski, GA 2007, S. 570 f. (578). Renzikowski, GA 2007, S. 571 (578). 189 Renzikowski, GA 2007, S. 566 (578). 190 Renzikowski, GA 2007, S. 566 (578) mit Verweis auf die sog. „Cannabis-Entscheidung“ BVerfGE 90, 145 (171 ff.). 188

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Schon v. Liszt erkannte: „[Der] materielle (antisoziale) Gehalt des Unrechts ist unabhängig von seiner richtigen Würdigung durch den Gesetzgeber (er ist ,metajuristisch‘). Die Rechtsnorm findet ihn vor, sie schafft ihn nicht“ 191. Dies gilt letztlich auch für den Verfassungsgeber und die Verfassungsnorm, was das Grundgesetz selbst in Art. 1 Abs. 2 GG anerkennt. Es muss also einen dem Recht übergeordneten, nichtpositivistischen Maßstab geben, an dem sich Unrecht auch unter der Verfassung eines Unrechtsstaats messen lassen kann. Was dem Menschen systemtranszendent als basale, naturrechtliche Menschenrechte zustehen soll, ist letztlich eine hochphilosophische und metaphysische Frage, deren absolute Antwort zu finden sich niemand anmaßen kann. Das Unternehmen eines Versuchs würde den Umfang der vorliegenden Arbeit sprengen und muss daher unterbleiben. Man muss sich wohl oder übel damit begnügen, hier in letzter Instanz auf die ethischen Wertungen der vom jeweiligen System betroffenen Bevölkerung abzustellen, wobei nicht jene der Mehrheit allgemeine Gültigkeit verlangen dürfen, sondern nur – entsprechend dem kategorischen Imperativ – jene, deren Geltung jedes einzelne Mitglied für und auch gegen sich selbst beanspruchen möchte. Solange aber das Grundgesetz in seinem Schutzniveau nicht das unterschreitet, was als so verstandene Menschenrechte jedes Mitglied der Gesellschaftsform für und gegen sich in Anspruch nehmen möchte, kann auf es als Maßstab für das strafrechtliche (wie auch für das öffentlich-rechtliche und zivilrechtliche) Unrecht zurückgegriffen werden. Im Grundgesetz wird dies durch die sogenannte „Ewigkeitsklausel“ in Art. 79 Abs. 3 GG (vor allem i.V. m. Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 GG) garantiert. Als Fazit kann also festgehalten werden, dass strafrechtliches Unrecht im horizontalen Verhältnis die Verletzung von subjektiven Rechten darstellt, die dem Bürger von der Verfassung gewährt werden, und deren Regulation seitens des Staates erforderlich ist, weil er ansonsten im vertikalen Verhältnis das Untermaßverbot hinsichtlich seiner grundgesetzlichen Schutzpflichten verletzen würde. (b) Erstreckung auf objektive Rechtsgehalte Nach der hier vertretenen Auffassung kann sich der Unrechtsbegriff nicht auf die Verletzung von subjektiven Rechten beschränken. Oben wurde bereits von der „Rechtsverletzung“ als Voraussetzung kriminellen Unrechts im horizontalen Verhältnis gesprochen und nicht etwa von der Verletzung eines subjektiven Rechts. Der Grund liegt darin, dass die Rechtsverletzung als eine der beiden Voraussetzungen kriminellen Unrechts sich auch auf objektives Recht beziehen kann. 191 v. Liszt, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, S. 133; zitiert nach Anastasopoulou, Deliktstypen zum Schutz kollektiver Rechtsgüter, S. 11.

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Auf dem Boden eines Konzepts, das kriminelles Unrecht ausschließlich an die Verletzung subjektiver Rechte knüpft, ergeben sich nämlich dort Friktionen, wo es an einem Rechtsinhaber fehlt, ein verletzendes Verhalten aber gleichwohl unter Strafe gestellt ist. Die Behauptung, dass das Strafrecht dem Verbrechensopfer keine subjektiven Rechte zubillige, da es ja auch Verbrechen ohne Opfer kenne, ist denn auch ein Argument der strafrechtlichen Rechtsgüterschutzlehre gegen ein Verständnis des Unrechts als Verletzung subjektiver Rechte.192 Dieses vermeintliche Problem ist aber leicht aufzulösen, wie im Folgenden aufgezeigt wird. Mit Delikten, durch die kein Rechtsinhaber verletzt wird, sind nicht etwa solche gemeint, die sich auf Universalrechte (respektive Universalrechtsgüter) beziehen wie etwa Umweltdelikte. Renzikowski hat in diesem Zusammenhang überzeugend dargetan, dass diese Delikte sich letztlich auf eine Verletzung subjektiver Rechte zurückführen lassen, deren ursprüngliche Rechtsinhaber alle Individuuen sind,193 die ihre Teilrechte jedoch auf den Staat zur kollektiven Verwaltung übertragen haben.194 Rechtsinhaber ist dann der Staat als verfasste Allgemeinheit. Gemeint sind mit den Delikten ohne Rechtsinhaber z. B. solche des Tierschutzes. Probleme ergeben sich etwa bei § 17 TierSchG, der die Tötung eines Tieres ohne „vernünftigen“ Grund sowie unter bestimmten Umständen die Zufügung von erheblichen Schmerzen oder Leiden unter Strafe stellt. Tiere besitzen keine Rechtspersönlichkeit und sind damit nicht rechtsfähig. Folglich können sie nicht Inhaber von subjektiven Rechten sein. Man könnte nun daran denken, das Lösungsangebot, das Renzikowski für die Umweltdelikte entwickelt hat, auf § 17 TierSchG zu übertragen und nicht nur die natürlichen Ressourcen als Eigentum der Allgemeinheit zu verstehen, sondern auch die Tierwelt. Das mag man für herrenlose Tiere noch begründen können. Dies erklärt aber nicht, warum das kriminelle Unrecht von § 17 TierSchG auch die Tierquälerei von Tieren erfasst, die im Eigentum von Einzelpersonen stehen und von diesen gequält werden (die also über ihr subjektives Recht – Eigentum am Tier – disponieren). Die Lösung liegt darin, den Kreis der strafunrechtskonstituierenden Rechtsverletzung über die subjektiven Rechte hinaus auch auf objektives Recht zu erstrecken.195 Das ergibt auch Sinn, denn warum sollte der Strafrechtsgesetzgeber verfassungsmäßig gehalten sein, seine Schutzpflichten in Bezug auf die Grund192

Vgl. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 269. „Die Umwelt“ als solche ist im Gegensatz zu einzelnen Pflanzen etc. nicht individualisiert eigentumsfähig, sie gehört „allen“. Rechtsinhaber ist somit der Staat als verfasste Allgemeinheit. 194 Renzikowski, GA 2007, S. 570 (578). Ausführlich dazu B.I.2.b)dd). 195 So wird etwa die Legitimationsgrundlage von § 173 StGB von vielen nicht im Schutz subjektiver Rechte, sondern dem objektiven, aus Art. 6 Abs. 1 GG ableitbaren Schutz des Instituts von Ehe und Familie erblickt; vgl. dazu BVerfG, NJW 2008, S. 1137 (1139) m.w. N. Dies dürfte – mangels Vorliegens einer Verletzung subjektiver Rechte – in der Tat die einzige Möglichkeit sein, zur Legitimation der Norm zu gelangen. 193

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rechte bzw. deren subjektive Gehalte durch Bereitstellung von Strafrechtsnormen zu erfüllen, aber hinsichtlich der objektiven Grundrechtsgehalte sowie des übrigen Verfassungsrechts (wie eben der Staatszielbestimmung „Tierschutz“ des Art. 20a GG) untätig bleiben dürfen? Es gibt keinen Grund dafür, nur zur Verhütung und Sanktion der Verletzung subjektiver Rechte der Bürger untereinander (also im horizontalen Verhältnis) mit dem Mittel des Strafrechts regulativ einzuwirken, die Missachtung objektiven Verfassungsrechts durch die Bürger (im vertikalen Verhältnis) aber buchstäblich ungestraft zu lassen. Denn der (Straf-)Gesetzgeber ist nicht nur verpflichtet, den Grundrechtsschutz zu gewährleisten, sondern die Verfassung insgesamt zu schützen und ihre Geltung zu gewährleisten, er ist umfassend an das Grundgesetz gebunden. Diese Pflicht endet also nicht mit den Grundrechten, sondern gilt auch für das übrige – objektive – Verfassungsrecht.196 Schutzpflichten sind zunächst eine objektivrechtliche Staatsaufgabe, aus der sich subjektive Rechte des einzelnen ableiten können.197 Nur Abwehrrechte sind von vorneherein als subjektive Rechte konzipiert. Strafrecht dient aber grundsätzlich der Erfüllung von staatlichen Schutzpflichten. Desweiteren sind subjektives und objektives Recht letztlich nur die zwei Seiten derselben Medaille des Rechts,198 so dass eine Verengung des Strafunrechtsbegriffs auf subjektive Rechte – bildlich gesprochen – einseitig wäre. Folglich kann das objektive Recht nicht aus dem strafrechtlichen Unrechtsbegriff exkludiert werden. Es wird deshalb hier vorgeschlagen, das oben vorgestellte Unrechtskonzept Renzikowskis nicht nur um einen verfassungsrechtlichen Maßstab zu erweitern, sondern darüber hinaus auch auf die Verletzung objektiver Rechte zu erstrecken. Strafrechtliches Unrecht ist also dann gegeben, wenn eine Verletzung von subjektiven Rechten im horizontalen Verhältnis der Bürger untereinander ein regulierendes Eingreifen des Strafgesetzgebers erforderlich macht, da ansonsten im vertikalen Verhältnis eine Verletzung des Untermaßverbots zu beklagen wäre. Kriminelles Unrecht liegt zudem im Falle einer Verletzung von rein objektiven Rechten durch die Bürger, deren Regulierung durch den Strafgesetzgeber zur Erfüllung der staatlichen Schutzpflichten gegenüber objektiven Grundgesetzgehalten erforderlich ist, vor. Das Unrecht von § 17 TierSchG erklärt sich folglich damit, dass ohne ein regulatives Eingreifen des Strafgesetzgebers die Staatszielbestimmung des Art. 20a 196 Zur kodifikatorischen Wirkung auch nicht-grundrechtlicher materieller Inhalte des Grundgesetzes vgl. Badura, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 6, Rn. 6 m.w. N. 197 Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 111, Rn. 5. 198 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 407.

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GG, die den Tierschutz beinhaltet, der Geltungslosigkeit preisgegeben würde.199 Mit diesem Modell lassen sich auch Friktionen im Hinblick auf eine Erklärung des Unrechts des Schwangerschaftsabbruchs vermeiden, soweit man dem nasciturus mangels Rechtspersönlichkeit eigene subjektive Rechte abspricht (dazu ausführlich unter D.II.1.b)). (c) Nähe der hier vorgestellten Theorie zu Günthers Lehre von der Strafrechtswidrigkeit? Indem vorliegend zwischen strafrechtlichem Unrecht mit einer bestimmten Qualität, dessen Inkriminierung durch den Gesetzgeber wegen des verfassungsrechtlichen Untermaßverbots geboten und daher legitim ist, und zivil- oder öffentlich-rechtlichem Unrecht unterschieden wird (dessen Regulation durch das Zivilrecht oder öffentliche Recht zur Wahrung grundgesetzlicher Schutzpflichten ausreicht und damit eine Bestrafung nach dem ultima-ratio-Prinzip illegitim wäre), steht das Konzept dieser Arbeit der Theorie Günthers vom spezifischen Strafunrecht nahe. Auch Günther hat als Ausgangspunkt den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewählt. Er sieht darin ebenfalls den legitimierenden Grund und die Grenze für den strafrechtlichen Zugriff, der erst dann legitim sei, wenn die Übertretung einer Verhaltensnorm ein strafrechtlich relevantes Maß an Unrecht verwirkliche.200 Der strafrechtliche Zugriff erfordert also auch nach seiner Auffassung strafwürdiges Unrecht.201 Während Günther aber die Strafrechtswidrigkeit anstelle der rechtsgebietsübergreifend einheitlichen Rechtswidrigkeit im dreistufigen Verbrechensaufbau prüfen möchte,202 wird vor199 Anderer Auffassung ist Göbel, der das Unrecht der Vorschrift damit erklärt, dass das pönalisierte Verhalten gegen Wertüberzeugungen verstoße, die in unserer Gesellschaft tief verwurzelt seien; ders., Die Einwilligung im Strafrecht, S. 40. Dagegen spricht, dass der Verstoß gegen (auch mehrheitliche) Wertüberzeugungen allein kein strafrechtliches Unrecht begründen kann, da sich das Strafrecht an der Verfassung, die gerade von einem Wertepluralismus ausgeht, messen lassen muss. Wie hier grundsätzlich auch Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 5. Fischer interpretiert § 17 TierSchG als abstraktes Gefährdungsdelikt, das den Schutz der Menschen vorverlagere; ders., GA 1989, S. 459. Die Ansicht Fischers ist allerdings kaum mit der Struktur abstrakter Gefährdungsdelikte zu vereinbaren: Die Tierquälerei ist typischerweise nicht abstrakt gefährlich für den Menschen. Zudem ist fraglich, warum Fischer den „Menschenschutz“ über die Inkriminierung von Gefährdungen eines ganz anderen Tatobjekts – dem Tier – zu erreichen sucht. Mit dieser Konzeption lässt sich jedenfalls, gleichermaßen wie mit dem Modell Göbels, kein strafrechtlicher Unrechtsgehalt ausmachen. Zur Verdeutlichung der rechtsstaatlichen Funktion einer genauen Unrechtsbestimmung sei auf den beachtlichen Aufsatz Spendels, FS-Weber, S. 1 ff. verwiesen. 200 Im Anschluss an Günther auch Schlehofer, in: MüKo, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 57, der von einem Unrechtsquantum spricht, das nach dem verfassungsrechtlichen Übermaßverbot für die strafrechtliche Missbilligung erforderlich sei. 201 Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluss, S. 179 ff., 245, 394 f. 202 Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluss, S. 1, 7.

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liegend davon ausgegangen, dass sich die Frage, ob kriminelles Unrecht gegeben ist, unabhängig von einer konkreten Strafbarkeitsprüfung stellt. Nach der hier vertretenen Ansicht muss die Prüfung, ob der jeweilige Tatbestand Strafunrecht vertypt, als Legitimitätskontrolle der jeweiligen Strafnorm stattfinden und nicht etwa als Bestandteil der Prüfung der Strafbarkeit im Einzelfall.203 (d) Strafbarkeitslimitierende Funktion des eigenen Konzepts Mit dem hier vorgestellten Konzept lässt sich eine die Strafgewalt des Gesetzgebers begrenzende Funktion erreichen. Dies lässt sich gut mit dem Begriffspaar vom ius poenale und ius puniendi veranschaulichen. Ganz gleich, ob man nun das ius puniendi als Ausfluss des ius poenale versteht oder umgekehrt,204 so muss im Ergebnis doch aus Gründen der Logik Einigkeit darüber bestehen, dass das eine Recht nicht weiter gehen kann als das andere. Das heißt, dass das subjektive Recht des Staates auf Bestrafung nicht über das objektive Strafrecht hinausgehen kann, das objektive Strafrecht aber auch nicht weiter gehen darf als der öffentlich-rechtliche Strafanspruch reicht.205 Sieht man nun mit dem hier vorgestellten eigenen Modell strafrechtliches Unrecht als gegeben an, wenn eine Verletzung von objektivem Recht oder eines subjektiven Rechts eines Bürgers im horizontalen Verhältnis der Bürger untereinander so beschaffen ist, dass ein Nichteingreifen mit dem Mittel des Strafrechts zugleich im vertikalen Verhältnis zwischen Staat und Bürger eine Verletzung grundrechtlicher oder sonstiger grundgesetzlicher Schutzpflichten darstellt,206 dann ergibt sich hieraus zugleich die Grenze des subjektiven Rechts des Staates auf Bestrafung und damit auch die Grenze dessen, was objektives Strafrecht sein darf. Die Grenze liegt dort, wo in diesem Sinne die Einschätzungsprärogative des

203 Auch Rudolphi zweifelt an, ob die Systemkategorie der Rechtswidrigkeit der richtige Ort sei, um die Legitimation der Strafe zu gewährleisten, und weist diese Aufgabe letztlich „dem Straftatbestand“ zu; vgl. Rudolphi, GS-Armin Kaufmann, S. 374, 376. Nach der hier vertretenen Auffassung greift das zu kurz: Nicht die Positivierung als solche, also die Inkriminierung durch den Tatbestand, legitimiert die Bestrafung, sondern die Legitimation muss anhand eines systemkritischen Maßstabs erfolgen. Diese Funktion erfüllt gegenwärtig die Verfassung. Im Übrigen wird aber Rudolphi in seiner Argumentation gegen die Verortung einer Legitimationsprüfung unter dem Prüfungspunkt der „Strafrechtswidrigkeit“ gefolgt. 204 Vgl. Llompart, Dichotomisierung in der Theorie und Philosophie des Rechts, S. 64. 205 So auch Llompart, GS-Armin Kaufmann, S. 105. 206 Ähnlich Rudolphi, GS-Armin Kaufmann, S. 374 m.w. N., der strafwürdiges Unrecht im Gegensatz zu sonstigem Unrecht dann als gegeben ansieht, wenn ein Quantum an Unrecht verwirklicht ist, das die Strafe als schärfste staatliche Reaktion als legitim erscheinen lässt. Den Filter hierfür stelle der Straftatbestand dar.

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Gesetzgebers vom verfassungsrechtlichen Unter- und Übermaßverbot limitiert wird.207 Die hier vertretene Ansicht ist folglich konstitutionalistisch, geht also davon aus, dass sich die Legitimation und damit die materiellen Rahmenbedingungen für ein legitimes Strafgesetz a priori aus der Verfassung ergeben und nicht etwa, wie es unter dem Stichwort des Legalismus vertreten wird, erst durch Konsentierung im demokratischen Gesetzgebungsverfahren.208 Während nach der legalistischen Sichtweise das Demokratieprinzip als Legitimation dafür herangezogen wird, das Gesetzgebungsverfahren als Entscheidungsverfahren zu betrachten, in dem Schutzgüter erst definiert werden und aufgrund des Demokratieprinzips legitimiert daraus hervorgehen, ist das Gesetzgebungsverfahren nach dem Konstitutionalismus ein Erkenntnisverfahren, in dem der Gesetzgeber sich an der materiellen Werteordnung des Grundgesetzes, das heißt an vorgelagerten Schutzgütern, orientieren muss.209 Entscheidendes Argument für die hier vertretene konstitutionalistische Sichtweise ist die Bindung des Gesetzgebers an Recht und Gesetz in Art. 1 Abs. 1, 3 und 20 Abs. 3 GG. Erinnert werden muss an dieser Stelle wiederum an die oben aufgestellte Prämisse, dass dies nur solange gelten kann, wie das Grundgesetz den Schutzmaßstab dessen, was nach dem kategorischen Imperativ jedermann für und gegen sich als basale Menschenrechte beanspruchen möchte, nicht unterschreitet. Mit dieser Lösung wird weder auf einen zementierten, „universalistischen Kanon“ 210 von naturrechtlich vorgegebenen Rechtsgütern abgestellt, noch der Willkür eines autoritativ verstandenen Gesetzgebers und dessen Positivierungsmacht Tür und Tor geöffnet, vielmehr bietet die „Wertungsoffenheit der Verfassungsprinzipien“ 211 einen sicheren Rahmen, der zugleich Platz lässt für zeitgeschichtliche Veränderungen212, aber in seiner Reichweite in letzter (damit freilich metaphysischer) Instanz vom Bild des autonomen, mit unveräußerlichen Menschenrechten geborenen Individuums abhängt. Ähnlich der Diskussion im Hinblick auf die Strafzumessung um die Punktstrafe oder die Spielraumtheorie213 ist außerdem zu klären, ob die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers einen Spielraum für das öffentlich-rechtliche Straf-

207 Im Ergebnis ähnlich Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluss, S. 394 ff. 208 Vgl. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 41 m.w. N. 209 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 41 f. m.w. N. 210 Vgl. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 43. 211 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 43. 212 Vgl. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 43. 213 Vgl. hierzu Haas, Strafbegriff, Staatsverständnis und Prozessstruktur, S. 274 ff.

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recht öffnet (im – räumlich verstandenen – Bereich zwischen Untermaß- und Übermaßverbot) oder ob es in Anbetracht der in Ausgleich zu bringenden kollidierenden Grundrechte nur ein punktuelles Strafrecht des Staates gibt, das an der Schwelle zur Überschreitung des Untermaßverbots immer zugleich eine Strafpflicht nach sich zieht.214 Nach der Auffassung von v. Hippel ist das „Strafrecht im subjektiven Sinne (. . .) heute regelmäßig zugleich Strafpflicht des Staates“.215 Als Argument wird das Legalitätsprinzip benannt. Ebenso geht Llompart davon aus, dass der Staat immer nur soweit ein Recht zur Strafe hat, wie er dazu verpflichtet ist, sieht also sozusagen das subjektive Recht als Kehrseite zur Pflicht (oder andersherum). Er sieht den Gedanken, dass das staatliche Strafrecht aus dessen Schutzpflicht erwachse und daher das ius puniendi schon immanent von der Reichweite dieser Pflicht beschränkt werde, in Art. 1 Abs. 1 GG positiviert.216 Dieser Verweis kann allerdings nicht als Argument hergenommen werden, denn damit geriete man in einen Zirkelschluss. Für ein punktuelles Strafrecht des Staates spricht das ultima-ratio-Prinzip. Danach ist immer ein milderes, aber gleich effektives Mittel gegenüber der Inkriminierung vorzugswürdig. Die Strafnorm ist ultima ratio und nur dann einzusetzen, wenn die subjektiven Rechte der Bürger (oder objektive Grundrechtsgehalte) anders nicht geschützt werden können. Dann muss es aber zugleich eingesetzt werden, weil den Staat Schutzpflichten treffen (Untermaßverbot).217 Folglich ist das Strafrecht nur an diesem äußersten Punkt zulässig, das Strafrecht ist damit zugleich immer Strafpflicht.218 Für das hier entwickelte Konzept spricht, dass der Legitimationskontrolle einer Strafnorm Kriterien zugrunde gelegt werden, die sich aus dem Grundgesetz ergeben und somit ein Argumentieren im luftleeren Raum vermieden wird, wie dies etwa unter Rekurs auf das Rechtsgutsprinzip der Fall wäre.219 Will das BVerfG etwa in seinem ersten Urteil zum Schwangerschaftsabbruch die Strafwürdigkeit davon abhängig machen, ob es um den Schutz eines „besonders wichtigen Rechtsguts“ oder eines „elementaren Wertes der Gemeinschaft“ geht,220 so ist äußerst unklar und stark wertungsbedürftig, was überhaupt ein Rechtsgut ist, welches Rechtsgut denn besonders wichtig oder welcher Wert für das Gemein214

Llompart, GS-Armin Kaufmann, S. 106 m.w. N. v. Hippel, Deutsches Strafrecht, Bd. 1, S. 4. 216 Llompart, GS-Armin Kaufmann, S. 106. 217 Vgl. BVerfGE 39, 1; 4. Leitsatz – Schwangerschaftsabbruch I. 218 Vgl. auch die Differenzierung von Hörnle zwischen der Handlungsebene des Gesetzgebers und der Kontrollebene (Spielraum der Gerichte), dies., Grob anstößiges Verhalten, S. 34 f. 219 Zur Ungeeignetheit des Rechtsgutsbegriffs für die verfassungsrechtliche Legitimationskontrolle BVerfGE 120, 224 (225 ff.). 220 BVerfGE 39, 1 (57). 215

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schaftsleben elementar ist.221 Solche Unklarheiten werden vermieden, wenn man sich darauf zurückbesinnt, dass die Frage nach dem, was Unrecht ist und Unrecht sein darf, nur mit dem diesem vorgeschalteten und korrespondierenden Recht als System (Axiom) und als Norm beantwortet werden kann. (e) Mögliche Einwände Wendet man nun, wie Hassemer (allerdings in anderem Zusammenhang)222 ein, dass unklar sei, warum sich die Legitimität des Systems aus der Verfassung als Subsystem ergeben solle, so ist dem zu entgegnen, dass das Grundgesetz das Axiom von Gerechtigkeit in unserem Rechtssystem darstellt, dessen konsentierte Anerkenntnis die Voraussetzung jeden Diskurses im einfachen Recht darstellen muss. Als weitere mögliche Einwände können die Strafbarkeit des untauglichen Versuchs und die Existenz von abstrakten Gefährdungsdelikten vorgebracht werden, da hier die Strafbarkeit nicht an die Verletzung eines subjektiven Rechts anknüpft.223 Indessen wird die fremde Rechtsposition auch dort missachtet. Bei den abstrakten Gefährdungsdelikten ist die Strafbarkeit lediglich auf das Vorfeld der eigentlichen Rechtsverletzung vorverlagert.224 Diese Verbote sollen bereits die Gefährdung von Rechten verhindern und dienten somit der Effektuierung des (subjektiven) Rechtsschutzes.225 Ingelfinger ist der Auffassung, dass eine Unrechtskonzeption, die allein auf die Freiheitswidrigkeit abstellt, zu kurz greife.226 Das in der Verletzung eines Individualguts liegende Erfolgsunrecht könne schon deshalb nicht allein im Freiheitsverstoß liegen, weil sich das Ausmaß einer Rechtsgutsverletzung mit Hilfe der Willenswidrigkeit nicht angemessen beschreiben lasse.227 Eine Sachbeschädigung wäre sonst in ihrem Unrechtsgehalt nicht anders zu bewerten als eine schwere Körperverletzung oder Tötung.228 Deshalb könne keine Unrechtskonzeption auf die Einbeziehung des Schadensprinzips verzichten.229 Das ist so nicht zutreffend. Auch die hier vertretene Unrechtskonzeption, die auf die Verletzung eines Rechts rekurriert und ohne ein naturalistisches Scha-

221 So auch Stratenwerth in Bezug auf Amelung, der ebenjene These des Senats ebenfalls vertritt; Stratenwerth, FS-Amelung, S. 350 (361). 222 Hassemer, ZStW 87 (1975), S. 162. 223 Renzikowski, GA 2007, S. 569 (578). 224 Renzikowski, GA 2007, S. 569 (578). 225 Renzikowski, GA 2007, S. 569 (578). 226 Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 215. 227 Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 215. 228 Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 215. 229 Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 215.

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densprinzip auskommt, bewertet eine Körperverletzung oder Tötung in ihrem Unrechtsgehalt anders als eine Sachbeschädigung. Denn auch ein Recht hat immer einen Bezugspunkt, an dem sich der Unrechtsgehalt seiner Verletzung messen kann. Das Recht ist immer relativ auf etwas bezogen, zum Beispiel auf eine Sache oder eine Handlung. Man hat also ein Recht auf einen unversehrten Körper, ein Recht auf Handlungsfreiheit etc. (und zwar immer gegenüber einem Dritten, insofern handelt es sich um eine Dreiecksbeziehung230). Damit lassen sich selbstverständlich qualitative Abstufungen schaffen. Das Recht auf Leben ist etwa grundsätzlich höher zu bewerten als das Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit, weshalb der Staat berechtigt ist, die Fremdtötung unter Strafe zu stellen. Es ist also auch nach der hier vertretenen Unrechtskonzeption ohne weiteres möglich, sachgerecht zu unterscheiden, welche Qualität der Unrechtsgehalt einer Rechtsverletzung aufweist. Jakobs bringt generell gegen auf der Lehre vom Gesellschaftsvertrag basierende Unrechtskonzeptionen vor, dass der Mensch nicht ohne den Staat zu sich selbst kommen könne, insofern auf ihn angewiesen und es daher unrichtig sei, den subjektiven Rechten der Menschen eine grundsätzliche Priorität vor der Gesellschaft und dem Staat einzuräumen.231 Somit müsse die Legitimation von strafrechtlichen Normen nicht nur auf subjektive Rechte rekurrieren, sondern gleichwertig auf den Bestand der Gesellschaft.232 Jakobs qualifiziert kriminelles Unrecht deshalb als „Sozialschaden“.233 Aus der Sozialisation des Menschen eine Rechtfertigung staatlichen Strafens abzuleiten, benennt Röhl indessen zu Recht als Misstrauen gebietendes Beispiel für das Problem, wie aus dem Deckmantel von Definitionen staatliche Legitimationen abgeleitet werden: „Wenn es zum Wesen des Menschen gehört, dass er in Gesellschaft lebt, so ist es ihm auch wesengemäß, dass er sich den Anforderungen der Gesellschaft beugt, ihren Gesetzen gehorcht [. . .]. Es ist deshalb besser, auf die Rede vom „Wesen“ [. . .] zu verzichten.“ 234 (f) Zusammenfassung Eine Strafnorm ist nur dann legitim, wenn sie Unrecht im strafrechtlichen Sinne kriminalisiert. Unrecht ist die Verletzung subjektiver Rechte oder (sonstigen) objektiven Rechts. Strafwürdig und damit kriminell ist Unrecht, wenn das Unterlassen der Regulierung eines Verhaltens der Bürger untereinander im horizontalen Verhältnis mit dem Mittel des Strafrechts eine Verletzung staatlicher 230 231 232 233 234

Vgl. Haas, Die Tatherrschaft und ihre Grundlagen, S. 60. Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 26 f., 37. Vgl. Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 25 ff., 28. Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 37. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 30.

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Schutzpflichten bedeuten würde. Diese staatlichen Schutzpflichten können sich sowohl aus subjektiven Grundrechtsgehalten als auch objektiven Gehalten des Verfassungsrechts ergeben. Bei der Prüfung, ob eine derartige Schutzpflichtverletzung vorliegt, ist im Hinblick auf das Übermaßverbot der ultima-ratio-Grundsatz zu beachten. Das bedeutet, dass die Kriminalisierung eines Verhaltens solange und soweit zu unterbleiben hat, wie es das Untermaßverbot im Hinblick auf betroffene Schutzpflichten zulässt. Das Strafrecht des Staates ist somit nur dann gegeben, wenn den Staat zugleich eine Strafpflicht trifft. Diese Perspektive, die sich an verfassungsrechtlichen staatlichen Schutzpflichten orientiert, ist restriktiver als eine Sichtweise, die nur prüft, ob zulässig in Abwehrrechte des (potenziellen) Täters eingegriffen wird. In der „Dreierkonstellation Staat – Störer – Opfer“ 235 ist die Normierung eines Strafgesetzes ein Dürfen gegenüber dem (potenziellen) Störer und ein Müssen gegenüber dem (potenziellen) Opfer.236 Nach dem hier entworfenen Konzept legitimiert erst das Müssen gegenüber dem Opfer das Dürfen gegenüber dem potenziellen Täter. Solange den Staat nicht die Pflicht trifft, potenzielle Opfer mit dem scharfen Schwert des Strafrechts zu schützen, darf er nicht aus anderen Gründen – mögen sie kriminalpolitisch noch so sinnvoll und erwünscht sein – in die Abwehrrechte des Täters eingreifen. Folglich sind Strafnormen, die nicht zur Erfüllung staatlicher Schutzpflichten geboten sind, illegitime, verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigende Eingriffe in die Abwehrrechte des (potenziellen) Täters. Das gilt entsprechend für die Beschneidung der allgemeinen Handlungsfreiheit des Opfers durch objektive Einwilligungsschranken. Wer nur die Sichtweise des Täters einnimmt, findet möglicherweise andere verfassungsrechtliche Rechtfertigungsgründe für den Eingriff in die Abwehrrechte des Täters als den Opferschutz. Das ist, wie gesehen, im Hinblick auf den ultima-ratio-Grundsatz unzulässig. Dieser Schluss ist zwingend, wenn man, wie Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG es vorgeben, auch die materielle Legitimation des Strafrechts aus der Verfassung herleitet. Demnach müssen der strafrechtliche Unrechtsbegriff und die Frage, was Strafnormen kriminalisieren dürfen, davon abhängen, ob eine grundgesetzliche Schutzpflicht die strafrechtliche Regulierung von subjektiven und objektiven Rechtsverletzungen unter Privaten bzw. durch Private gebietet. Für das hier gefundene Ergebnis spricht weiterhin die Einsicht, dass „die Konnexität von Schutz und Gehorsam [. . .] eine archetypische Rechtfertigung von 235

Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 111, Rn. 15. Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 111, Rn. 15. 236

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Herrschaft überhaupt“ ist.237 Die Unterwerfung unter strafrechtliche Verbote und Sanktionen ist auch nach der Staatsvertragstheorie nur legitim, wenn und soweit Schutz gewährt wird.238 Maßstab für die Schutzpflichten in Bezug auf private Rechtsverletzungen ist das Grundgesetz, solange und soweit es die nach dem kategorischen Imperativ zu beurteilenden Menschenrechte wahrt. Das hier entwickelte strafrechtliche Unrechtskonzept beantwortet damit nicht nur die Frage, was kriminelles Unrecht ist, sondern es ermöglicht zugleich eine materielle Legitimitätskontrolle. Es ist dabei immer entlang dem Dreieck zu denken: Ist die Unterlassung strafrechtlicher Regulation einer durch den Bürger begangenen Rechtsverletzung eine vertikale Schutzpflichtverletzung? Wenn ja (und nur dann), darf und muss sie mit dem scharfen Schwert des Strafrechts reguliert werden. bb) Unrecht als Freiheitsverletzung Gierhake definiert Kriminalunrecht als „Freiheitsverletzung“,239 die drei Dimensionen habe: Erstens der Bruch eines interpersonalen Rechtsverhältnisses zwischen Täter und Opfer (zugleich Rechtsgutsverletzung und Sozialschaden), zweitens der Bruch allgemeinen Rechts (Infragestellung der Normgeltung) und drittens der Selbstwiderspruch des Täters, der die Bindungswirkung des von ihm eigentlich mitkonstituierten Rechts für sich selbst suspendiere (ebenfalls Infragestellung der Normgeltung).240 Das Konzept Gierhakes ist letztlich nichts anderes als eine plastische Umschreibung einer Rechtsverletzung, wie sie in der vorliegenden Arbeit als Konstitutive des (Kriminal-)Unrechts angenommen wird. Die erste „Dimension“ des Kriminalunrechts nach Gierhake, die „Rechtsverhältnisverletzung“, soll wohl umschreiben, dass für eine Verletzung subjektiver Rechte zwei Personen/Subjekte beteiligt sein müssen (= interpersonales Rechtsverhältnis). Sie übersieht, dass Kriminalunrecht zwar nach der personalen Unrechtslehre die Begehung durch eine Person voraussetzt, aber mitnichten zwingend zwei Personen („interpersonal“): Kriminalunrecht kann auch die Verletzung eines objektiven Rechtsgehalts durch eine Person sein, wie die §§ 17 ff. TierSchG zeigen. Diese können mit dem Konzept Gierhakes, das alle drei Dimensionen für die Begründung von Kriminalunrecht voraussetzt, nicht erklärt werden. Die Stichworte der „Rechtsgutsverletzung“ und des „Sozialschadens“ sind weitere plastische Umschreibungen der realen Folgen einer (normativen) Rechtsverletzung. 237

Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, § 111, Bd. V, Rn. 32. Calliess, Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 44, Rn. 1 ff. 239 Ähnlich die Terminologie bei Murmann: „Unrecht setzt die Verletzung der Freiheit des Opfers voraus [. . .]“; ders., in: Grundkurs Strafrecht, § 21, Rn. 83. 240 Gierhake, GA 2012, S. 291 (293 ff.). 238

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Die zweite „Dimension“ Gierhakes umschreibt das objektive Recht, das ggf. subjektive Rechte normiert (als primäre subjektive Rechte) oder objektive Gehalte schützt und durch die Rechtsverletzung verletzt wird. Die dritte „Dimension“ meint nichts anderes als die Bindung des Bürgers an das Rechtssystem, wie sie hier unter dem Stichwort „Staatsvertrag“ diskutiert wurde. Folglich umschreibt und beschreibt das Konzept Gierhakes letztlich die Rechtsverletzung als Unrechtskonstitutive und ist insoweit zu begrüßen. Dem Konzept fehlt indessen die Beantwortung der Frage, wann Unrecht Kriminalunrecht ist, denn all die gegebenen Umschreibungen treffen ebenso auf Zivilunrecht oder Verwaltungsunrecht zu und geben keine Unterscheidungsmerkmale an die Hand. Die Bereitstellung von solchen Unterscheidungsmerkmalen wurde durch das hier vorgestellte Unrechtskonzept geleistet. cc) Unrecht als Rechtsgutsverletzung Ganz überwiegend wird der Unrechtsbegriff abweichend von der hier vertretenen Theorie allerdings materiell mit der Verletzung eines Rechtsguts gleichgesetzt.241 Dementsprechend beruht auch der bisherige Diskurs im Hinblick auf § 216 Abs. 1 und § 218a Abs. 1 StGB maßgeblich auf dieser Lehre. Darüber, was ein Rechtsgut sein soll, besteht jedoch nach wie vor kein Konsens.242 (1) Funktionaler Rechtsgutsbegriff Verbreitet nähert man sich dem Rechtsgutsbegriff über dessen Funktionen an. Walter hebt fünf Funktionen des Rechtsguts hervor: zunächst eine „auslegungsleitende Funktion“, dann eine „Systematisierungsfunktion“, wonach der Besondere Teil und das Nebenstrafrecht anhand der in den Normen geschützten Rechtsgüter geordnet werden sollen, eine „konkurrenzdogmatische Funktion“, wonach Rechtsgüter der Abgrenzung der Konkurrenzen dienen, sowie – und diese Funktionen sind im Zusammenhang mit dem Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ besonders relevant – eine „Legitimierungsfunktion“ und „Einwilligungsfunktion“.243 Qua „Einwilligungsfunktion“ lege das jeweils normierte Rechtsgut, je nachdem, ob es sich um ein Individual- oder Allgemeinrechtsgut handele, fest, welche Tatbestände der rechtfertigenden Einwilligung zugänglich seien und welche nicht.244 241 Spendel, FS-Weber, S. 3: „[. . .] Aufgabe und Ziel des Strafrechts ist der Schutz menschlicher Interessen und Bedürfnisse [. . .]. Diese rechtlich geschützten [. . .] Interessen [. . .] werden damit zu Rechtsgütern. Der Eingriff in diese Güter der Mitmenschen macht sachlich das Unrecht aus“. 242 Vgl. Anastasopoulou, Deliktstypen zum Schutz kollektiver Rechtsgüter, S. 7 f. m.w. N.; Freund, in: MüKo, Vorbem. §§ 13 ff., Rn. 45; Roxin, AT I, § 2, Rn. 2. 243 Vgl. Walter, in: LK, Vorbem. § 13, Rn. 8 m.w. N. 244 Walter, in: LK, Vorbem. § 13, Rn. 8 m.w. N.

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Die Einwilligungsfunktion scheint jedoch im Hinblick auf § 216 Abs. 1 StGB zu versagen, da es sich bei dem Leben nach allgemeiner Auffassung um ein Individualrechtsgut handelt.245 Hinsichtlich § 218a Abs. 1 StGB vermag sie den Unrechtsgehalt indessen zu erklären, wenn man den nasciturus als selbstständig geschützt anerkennt. Die Legitimierungsfunktion des Rechtsguts meint, dass nur Tatbestände legitim sein sollen, die ein Rechtsgut – in Abgrenzung zur Ideologie, Moralvorstellung, zum Tabu oder einem nicht billigenswerten Partikularinteresse – schützen.246 Hillenkamp beschreibt sie als „Auslesefunktion“, mit der solche Verhaltensweisen aus der Vielzahl individual- und sozialschädlicher Verhaltensweisen herausgelesen werden, die (nach den herkömmlichen Kriterien) als strafwürdig und strafbedürftig erscheinen.247 Über den Maßstab der Auslese und die Maßgabe für den Gesetzgeber bestehe jedoch Streit. Bezüglich der Strafbedürftigkeit sei der Strafrechtsdoktrin von der Subsidiarität des Strafrechts als ultima ratio – gegenüber anderem staatlichen Zwang – im Ergebnis zuzustimmen.248 Hinsichtlich der Strafwürdigkeit erachtet Hillenkamp die Begrenzung des Strafrechtsgebers mit der Bindung der Tatbestände an Rechtsgüter als vorzugswürdig gegenüber einer – auch vom BVerfG vertretenen – freien Wahl und Festlegung der zu schützenden Güter innerhalb der verfassungsrechtlichen äußersten Grenzen.249 Diese kritische Funktion der Rechtsgutsdoktrin ist auch von Roxin gegenüber der bereits angesprochenen Inzest-Entscheidung des BVerfG behauptet und verteidigt worden. Roxin stellt heraus, dass ein staatlicher Eingriff zur Erreichung seines Ziels gewiss geeignet, erforderlich und verhältnismäßig sein müsse, aber eben nicht jedes beliebige Ziel Gegenstand einer Strafdrohung sein dürfe.250 Legitim sei nur ein Ziel, das dem Rechtsgüterschutz oder der Sicherung des Kernbereichs privater Lebensgestaltung diene.251 Auch Freund weist darauf hin, dass dem Staat das Recht fehle, den Einzelnen moralisch zu bevormunden – verfassungsrechtlich legitim sei deshalb nur ein Straftatbestand, der die Aufgabe des Strafrechts, den Rechtsgüterschutz, erfülle.252 Es gelte der Grundsatz der Unzulässigkeit der Bevormundung des mündigen Menschen.253 Die Legitimierungsfunktion der Rechtsgutsdoktrin zeichnet aus, dass sie ein Konzept zur Begrenzung der Strafgewalt bietet.254 Diesem Anliegen ist beizu245 246 247 248 249 250 251 252 253 254

Vgl. D.I.1.a)aa). Walter, in: LK, Vorbem. § 13, Rn. 8 m.w. N. Hillenkamp, FS-Kirchhof, S. 1356. Hillenkamp, FS-Kirchhof, S. 1357. Hillenkamp, FS-Kirchhof, S. 1358 f. m.w. N. Roxin, StV 2009, S. 544 (545). Roxin, StV 2009, S. 544 (545). Freund, in: MüKo, Vorbem. §§ 13 ff., Rn. 40 m.w. N. Freund, in: MüKo, Vorbem. §§ 13 ff., Rn. 41 m.w. N. Vgl. Roxin, StV 2009, 544 (545, 549).

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pflichten. Allerdings lässt das Konzept offen, mit welchem materiellen Gehalt der Rechtsgutsbegriff, der doch eigentlich inhaltlich begrenzend wirken soll, zu füllen ist. Denn soll nach der Einwilligungsfunktion in die Verletzung jeden Individualrechtsguts eingewilligt werden können, müsste unter Rückgriff auf die kritische Funktion des Rechtsgutsbegriffs dem Straftatbestand der Tötung auf Verlangen konsequent die Berechtigung abgesprochen werden, was aber nur höchst vereinzelt geschieht. Demgegenüber gibt es eine große Bandbreite von Rechtsgütern, die § 216 Abs. 1 StGB zugrunde gelegt werden.255 Zum Teil wird die Einwilligungsfunktion des Rechtsguts mit dem Verweis auf kriminalpolitisch wünschenswerte Ergebnisse beschränkt. Eine solche Vorgehensweise läuft sicherlich dem eigentlichen Zweck der kritischen Rechtsgutsfunktion und dem Verständnis ihrer Verfechter zuwider. Darin zeigt sich aber auch, dass die Theorie missbrauchsanfällig ist und ihrem eigentlichen, limitierenden Anliegen zuwider als ideologisches Einfallstor benutzt werden kann. Appel formuliert hierzu treffend, dass die Tatsache, dass die Rechtsgutslehre in ihrer strafrechtsbegrenzenden Funktion gerade jenen Entwicklungen, denen zu begegnen ihre selbstgestellte Aufgabe sei, aus eigener Kraft nicht entgegenzusteuern vermag, bezeichnend für den Zustand und die Leistungsfähigkeit der Theorie sei.256 Limitierend wirkt die Legitimationsfunktion des Rechtsguts daher nur für jenen, der den Begriff des Rechtsguts mit kritischem Verständnis zu füllen gewillt ist. Nach alledem steht fest, dass das Rechtsgutsdogma den vorgenannten Ansprüchen nicht gerecht wird. Das liegt zunächst einmal an der Methodik, die Hörnle treffend beschreibt: In der Tradition der deutschen Strafrechtswissenschaft wird zuerst ein Rechtsgutsbegriff formuliert, dann der Schutzgegenstand der Norm darunter subsumiert und schließlich die Rechtfertigung der Kriminalisierungsentscheidung davon abhängig gemacht.257 Das führt dazu, dass die Norm legitim ist, wenn nur ein Rechtsgut gefunden wird.258 Nach Auffassung von Hörnle ist diese Vorgehensweise auf die „optimistische“ Annahme einer systemtranszendenten bzw. systemkritischen Funktion des Rechtsgutsbegriffs gestützt. Diese Funktion vermag der Rechtsgutsbegriff aber nicht zu erfüllen, da – wie nachfolgend aufgezeigt wird – nicht allgemein verbindlich feststeht, was ein Rechtsgut überhaupt ist. Roxin weist daher zu Recht darauf hin, dass die Leistungsfähigkeit des Rechtsgutsbegriffs (bereits) ob der Vielfalt der Definitionen begrenzt ist.259 Wie gezeigt, gelingt eine systemkritische Legitimitätskontrolle nur am Maßstab des Grundgesetzes.

255 256 257 258 259

Dazu D.I.1. Appel, Verfassung und Strafe, S. 356. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 11 m.w. N. Vgl. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 11. Roxin, AT I, § 2, Rn. 3.

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(2) Personaler Rechtsgutsbegriff Neben der Umschreibung des Rechtsgutsbegriffs anhand seiner Funktionen wird zur Definition auf den sogenannten personalen Rechtsgutsbegriff in Abgrenzung zum formalen Rechtsgutsbegriff abgestellt. Der formale Rechtsgutsbegriff beschreibt ein „rechtlich geschütztes Interesse“.260 Diese Definition ist inzwischen überwiegend aufgegeben worden zugunsten des personalen Rechtsgutsbegriffs, der die Relation zwischen Rechtsgut und Individuum herstellt und das als Rechtsgut zu schützende Interesse vom Rechtsgutsinhaber her ableitet.261 Gegen die personale Rechtsgutslehre wendet Renzikowski zu Recht ein, dass diese den Unterschied zwischen der Motivation für den Rechtsschutz und der Rechtsposition selbst verkennt.262 Ein subjektives Recht dient zwar der Wahrnehmung von (wie auch immer gearteten) Interessen durch das Individuum, es ist aber damit nicht identisch: Das Recht weist mit dem jeweiligen subjektiven Recht einen Freiheitsbereich zu, um die Interessenverfolgung durch das Individuum generell zu gewährleisten.263 Es legt aber nicht fest, welche Interessen als solche geschützt werden sollen und welche nicht.264 Mithin ist das Interesse die Motivation dafür, dass subjektive Rechte geschützt werden, subjektive Rechte sind aber nicht gleichzusetzen mit Interessen.265 Das subjektive Recht ist also lediglich das „Medium“ der Interessenverfolgung, indem es mit der Rechtsposition einen Freiheitsbereich absteckt, und gerade nicht das jeweilige rechtlich geschützte Interesse, das in diesem Freiheitsbereich wahrgenommen werden kann.266 (3) Realer Rechtsgutsbegriff Im Anschluss an Binding wird auch heute noch zum Teil vertreten, dass unter Rechtsgütern die durch die Verhaltensnormen geschützten realen Güter, das heißt Gegenstände und Zustände, zu verstehen seien.267 Hingegen wird die bloße tatsächliche Einwirkung auf ein Objekt vom Strafrecht nicht erfasst.268 So ist etwa die Körperverletzung mit Einwilligung des 260

Vgl. Joecks, in: MüKo, Einleitung, Rn. 33. Vgl. Joecks, in: MüKo, Einleitung, Rn. 32 m.w. N. und Renzikowski, GA 2007, S. 597 (598). 262 Renzikowski, GA 2007, S. 567 (578). 263 Renzikowski, GA 2007, S. 567 (578). 264 Renzikowski, GA 2007, S. 567 (578). 265 Renzikowski, GA 2007, S. 567 (578). 266 Renzikowski, GA 2007, S. 567 (578). 267 Vgl. hierzu Graul, JuS 1995, L 41, Fn. 4. Gegen den realen Rechtsgutsbegriff Haas, Die Tatherrschaft und ihre Grundlagen, S. 61 m.w. N., vgl. auch S. 64. 268 Vgl. Renzikowski, GA 2007, S. 569 (578). 261

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Rechtsinhabers nicht rechtswidrig, auch wenn faktisch auf den Körper verletzend eingewirkt wird. Entscheidend ist, ob damit eine Rechtsverletzung einhergeht. Innerhalb der Rechtsgutslehre hat sich deshalb eine Gegenposition herausgebildet, die zwischen den realen Gütern als Rechtsgutsobjekt und darauf bezogenen ideellen Werten oder Achtungsansprüchen differenziert.269 Dieser Ansatz findet sich in den positivistischen, kriminalpolitischen und hermeneutischen Positionen, die nachfolgend diskutiert werden, wieder. (4) Positivistische Definitionen Die positivistischen Positionen kennzeichnet, dass sie den Rechtsgutsbegriff vom positiven Recht her deduzieren.270 Unter Verzicht auf einen dem positiven Recht vorgelagerten kritischen Maßstab beschränkt sich diese Lehre darauf, das bereits „Gegebene zu sammeln und zu ordnen“.271 Auf Honig geht die bekannte Formel des Rechtsguts als „in den Strafrechtssätzen anerkannter Zweck in seiner kürzesten Formel“ 272 zurück, während Grünhut die Terminologie von der „Abbreviatur des Zweckgedankens“ 273 prägte. Rudolphi folgt Amelung in der Auffassung, dass der Begriff des Rechtsguts – jedenfalls bei formaler Betrachtung – ein durch und durch positivrechtlicher Begriff sei, da das Werturteil des Gesetzgebers für dessen Inhalt konstitutiv sei.274 Jescheck/Weigend definieren das Rechtsgut als „rechtlich geschützte[n] abstrakte[n] Wert der Sozialordnung“.275 Andere beschreiben das Rechtsgut als (strafrechtlich) geschütztes Interesse.276 Versteht man den Rechtsgüterschutz als Aufgabe des Strafrechts277 und begreift die Verletzung von Rechtsgütern als Unrecht, so beruhen diese positivistischen Definitionen auf einer petitio principii: Wenn ein Rechtsgut das ist, was vom Strafrecht geschützt wird, und dieser Schutz Aufgabe des Strafrechts sein soll, würde der Strafgesetzgeber die eigenen Aufgaben selbst definieren, indem er durch die Inkriminierung von Rechtsgutsverletzungen festlegt, was ein Rechtsgut sein soll.278 Wie bereits ausgeführt, muss sich indessen das Strafrecht am 269 270

Vgl. Graul, JuS 1995, L 41, Fn. 4. Terminologie nach Hassemer, Theorie und Soziologie des Verbrechens, S. 19 ff.,

41 ff. 271

So Hassemer, Theorie und Soziologie des Verbrechens, S. 23. Honig, Die Einwilligung des Verletzten, S. 94. 273 Grünhut, FG-Frank, S. 8. 274 Rudolphi, in: SK, Vorbem. § 1, Rn. 4 m.w. N.; vgl. aber Rn. 5 zu den Schranken des Gesetzgebers. 275 Jescheck/Weigend, AT, S. 257. 276 Vgl. Joecks, in: MüKo, Einleitung, Rn. 34 m.w. N. 277 So die allgemeine Meinung. Statt aller Joecks, in: MüKo, Einleitung, Rn. 1 m.w. N. 278 Kritisch auch Renzikowski, in: Matt/Renzikowski, Einleitung, Rn. 8: „[. . .] eine selektive Auswahl unter verschiedenen faktischen Einzelinteressen steht immer unter dem Verdacht staatlicher Bevormundung.“ 272

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Maßstab der Verfassung messen lassen und darf nicht systemintern die eigene Reichweite bestimmen.279 Desweiteren spricht gegen diesen Definitionsversuch, dass es nicht die Aufgabe des Rechts ist, bestimmte Interessen zu schützen, sondern die Freiheit zur Interessenverfolgung überhaupt zu gewährleisten.280 Dies geschieht durch den Schutz subjektiver Rechte. In diesem Bereich kann das Individuum seine Interessen nach Gutdünken verfolgen.281 Das subjektive Recht ist also das Medium der Interessenverfolgung.282 Der positivistische Definitionsversuch hingegen verwechselt die Rechtsposition mit deren Motivation und Möglichkeiten.283 Doch auch soweit zum Teil auf einen verfassungsrechtlichen Rechtsgutsbegriff abgestellt wird, z. B. mit dem Verweis auf die objektive Werteordnung des Grundgesetzes284 oder verfassungsmäßig geschützte Güter (so etwa die bereits angesprochene Theorie von Hassemer/Neumann285), ist damit inhaltlich nicht viel gewonnen. Appel wendet hiergegen zutreffend ein, dass sich der Verfassung nicht entnehmen lässt, dass bestimmte Werte oder Güter per se strafrechtlich schutzwürdig seien oder nicht.286 Dies könne nur im Wege der Abwägung entschieden werden.287 Mit der einseitigen Ausrichtung des Strafrechts am Rechtsgüterschutz könne die Ambivalenz des Strafrechts bereits im Ansatz nicht erfasst werden, weil sie verdränge, dass strafrechtliche Regelungen durchweg in einem Spannungsverhältnis zwischen den grundrechtlichen Abwehrrechten und der Schutzdimension der Freiheitsrechte stünden.288 Beachtlich ist ferner die Kritik Appels, dass die Kernaussagen der Rechtsgutslehre an keiner Stelle der Verfassung Bestätigung finden und sich die Frage aufdrängt, warum für die Strafrechtsbegrenzung nicht von vorneherein auf die Verfassung zurückgegriffen wird, anstatt zu versuchen, einen zuvor konstruierten Rechtsgutsbegriff in die Verfassung „einzuhängen“.289 Diesen Einwänden sieht sich das vorliegend unter B.I.2.b)aa)(3) entwickelte, unmittelbar aus der Verfassung abgeleitete Konzept nicht ausgesetzt.

279 Im Ergebnis ähnlich Freund, in: MüKo, Vorbem. §§ 13 ff., Rn. 37; Roxin, AT I, § 2, Rn. 1. 280 Renzikowski, in: Matt/Renzikowski, Einleitung, Rn. 8 m.w. N. 281 Renzikowski, in: Matt/Renzikowski, Einleitung, Rn. 8. 282 Renzikowski, in: Matt/Renzikowski, Einleitung, Rn. 8. 283 Vgl. Renzikowski, in: Matt/Renzikowski, Einleitung, Rn. 8 m.w. N. 284 Vgl. Roxin, AT I, § 2, Rn. 9. 285 Hassemer/Neumann, in: NK, Vorbem. § 1, Rn. 64. 286 Appel, Verfassung und Strafe, S. 378 ff. 287 Appel, Verfassung und Strafe, S. 381. 288 Appel, Verfassung und Strafe, S. 383. 289 Appel, Verfassung und Strafe, S. 376 f.

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(5) Kriminalpolitische Definitionen Die kriminalpolitischen Ansätze eint, dass sie systemtranszendent290 unter Verwendung wertungsbedürftiger verklausulierter Begriffe das zum Rechtsgut erheben, was aus der jeweiligen Perspektive als Mittel zum „vernünftigen“ Zweck gereicht. Für Jäger sind Rechtsgüter werthafte Zustände.291 Lenckner spricht von sozial wertvoll erkannten Lebensgütern,292 Welzel versteht darunter „elementare Werte des Gemeinschaftslebens“,293 Lampe hält sie für kulturelle Werte, auf deren Bestand die Allgemeinheit vertraut und zu deren Schutz sie den Einsatz von Zwang für erforderlich hält294. Um es mit den Worten v. Liszts zu sagen, der sich seinerzeit damit zwar gegen den positivistischen realen Rechtsgutsbegriff Bindings stellte, die aber genauso für die kriminalpolitischen Definitionsversuche Geltung beanspruchen: „Ein Proteus, der alle Gestalten annimmt, (. . .) ein Blankett, dem jeder den Inhalt geben kann, der ihm gerade passt“.295 (6) Hermeneutische Definitionen Die hermeneutischen Definitionen versuchen, den Rechtsgutsbegriff im Wege der Rechtsauslegung zu ermitteln. Wie auch die positivistischen Ansätze orientieren sie sich am gegebenen Recht. Ihr Unterschied liegt darin, dass sie nicht auf positivierte Rechtsgüter rekurrieren, sondern aus einer Gesamtbetrachtung des Systems davon unabhängige Definitionen ableiten. Diese können auch von der lex lata divergieren und ihr somit als Maßstab dienen. Wenngleich Rudolphi den Rechtsgutsbegriff als formal positivistisch beschreibt, ist seine inhaltliche Definition hermeneutisch. Ihm zufolge sind all diejenigen durch menschliches Verhalten zu beeinträchtigenden Erscheinungen in der Gesellschaft dem Rechtsgutsbegriff einzugliedern, die sich als eine Voraussetzung für ein die jeweiligen Grundrechte gewährleistendes Zusammenleben freier Individuen erweisen.296 Für den hermeneutischen Rechtsgutsbegriff spricht, dass sie einen an der Verfassung orientierten Maßstab für das geltende Recht (aber auch de lege ferenda) bieten, weshalb sie den positivistischen Definitionen vorzuziehen sind. Zudem 290

Vgl. Hassemer, Theorie und Soziologie des Verbrechens, S. 19 ff., 41 ff. Jäger, Strafgesetzgebung und Rechtsgüterschutz bei Sittlichkeitsdelikten, S. 13; der jedoch wenigstens die Grenzen des Gesetzgebers betont, vgl. S. 121 ff. 292 Lenckner, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 13 ff., Rn. 9. 293 Welzel, Strafrecht, § 1 I, S. 1. 294 Lampe, FS-Welzel, S. 146. 295 v. Liszt, ZStW 6 (1886), S. 674. 296 Rudolphi, in: SK, Vorbem. § 1, Rn. 5, 7. 291

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erscheinen die hermeneutischen Deutungen des Rechtsgutsbegriffs auch gegenüber dem kriminalpolitischen Begriffsverständnis als vorzugswürdig, da sie sich nicht den jeder Ideologie anhaftenden Vorwurf der inhaltlichen Indifferenz gefallen lassen müssen, sondern an den (zwar gleichwohl wertungsabhängigen) verfassungsmäßigen Eckpfeilern orientiert sind und von diesen materiell umgrenzt werden. Roxin gibt zu bedenken, dass ein hermeneutischer Rechtsgutsbegriff nicht über das Prinzip der teleologischen Auslegung hinausgeht und Sachprobleme den kriminalpolitischen Rechtsgutsbegriff rechtfertigen würden, so dass die Bevorzugung eines hermeneutischen gegenüber einem kriminalpolitischen Rechtsgutsbegriff unbefriedigend sei.297 Dagegen kann ins Feld geführt werden, dass der hermeneutische Rechtsgutsbegriff nicht auf das Telos der (jeweiligen) Norm fixiert ist, sondern wie beschrieben eine systematische Gesamtbetrachtung des Rechts vornimmt, die bemüht ist, dogmatische Kohärenz und verfassungsrechtliche Vorgaben zu wahren und daraus eine Definition abzuleiten. Hinsichtlich der angesprochenen Sachprobleme ist Roxin zu entgegnen, dass sich das einfache Recht – wenngleich es diesen zu begegnen sucht und diese das gesetzgeberische Motiv sein sollten – nicht vor der Lösung von Sachproblemen rechtfertigen muss (das ist eher eine politische Frage), sondern vor der Verfassung. Alles in allem stellt der hermeneutische Rechtsgutsbegriff das am ehesten brauchbare Werkzeug dar, wenn man am Rechtsgutsbegriff unbedingt festhalten möchte. (7) Der Rechtsgutsbegriff Röttgers Röttger stellt zunächst fest, dass die Rechtsgutsverletzung darin bestehe, dass eine Handlung auf einen Unwertsachverhalt gerichtet ist.298 Der Unwertsachverhalt sei demnach verwirklicht, wenn (bei Erfolgsdelikten) das von dem Straftatbestand vorausgesetzte Ereignis objektiv zurechenbar verwirklicht werde.299 Spiegelbildlich hierzu stehe der Wertsachverhalt. Dieser beziehe sich auf ein Rechtsgutsobjekt (etwa den Menschen), das wiederum dem Rechtsgut (etwa dem Leben) zuzuordnen sei.300 Der Achtungsanspruch des Rechtsguts, dass der Wertsachverhalt bestehen bleiben solle, finde im Rechtsgutsobjekt seinen Ausdruck.301 Dieser Anspruch werde verletzt, wenn eine Handlung (oder ein Unterlassen) auf den entgegengesetzten Unwertsachverhalt gerichtet sei. 297 298 299 300 301

Roxin, AT I, § 2, Rn. 5. Röttger, Unrechtsbegründung und Unrechtsausschluss, S. Röttger, Unrechtsbegründung und Unrechtsausschluss, S. Röttger, Unrechtsbegründung und Unrechtsausschluss, S. Röttger, Unrechtsbegründung und Unrechtsausschluss, S.

36. 36. 35. 35.

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Was ist nun aber ein „Achtungsanspruch“? Der Anspruch ist – wie bereits erwähnt – in § 194 BGB legaldefiniert als das Recht, von einem anderen ein Tun oder Unterlassen zu verlangen. Dieses Recht steht nach der Konzeption Röttgers dem „Rechtsgutsobjekt“ zu, welches wiederum dem jeweiligen Rechtsgut zugeordnet sei (beispielsweise der Mensch dem Leben). Nun liegt die Frage nahe, warum der Umweg gegangen werden soll, dass die auf die Verletzung des Rechtsguts gerichtete Handlung und (bei den Erfolgsdelikten) der objektiv zurechenbare Verletzungserfolg als Unwertsachverhalt ausgemacht werden.302 Ist es nicht vielmehr entscheidend, dass der – um in der Terminologie Röttgers zu bleiben – Achtungsanspruch (das subjektive Recht) verletzt wird? Der Rechtsgutsinhaber ist nicht lediglich „Rechtsgutsobjekt“, er ist das Rechtssubjekt und in seinen subjektiven Rechten verletzt. Warum soll man ihn also als bloßen Bezugspunkt eines Rechtsguts degradieren und den maßgeblichen Gehalt des Unrechts (bei den Erfolgsdelikten) darin erblicken, dass das Gut, auf das sich die Rechte des Rechtsgutsinhabers beziehen, verletzt wird? Dieses ist das eigentliche Objekt. Der Kern des Unrechts ist jedoch nicht dessen (tatsächliche) Verletzung, sondern – wie Röttger selbst erkennt – der Unwertsachverhalt der Verletzung des Achtungsanspruchs, eben des subjektiven Rechts, des Rechtsinhabers. dd) Individualrechte und Allgemeinrechte Nachdem nun der Rechtsgutsbegriff erhellt wurde, soll die Differenzierung zwischen Individual- und Allgemeinrechten nachvollzogen werden, da diese wichtig für das Verständnis einiger Positionen in der Diskussion um die der Tötung auf Verlangen und des Schwangerschaftsabbruchs zugrundeliegenden Rechtsgüter ist. Nach den meisten Vertretern der Rechtsgutslehre sollen alle Rechtsgüter von den Interessen der Einzelperson her abzuleiten sein. Demzufolge sollen auch Allgemeinrechtsgüter nur anzuerkennen sein, wenn sie dem Wohl des Einzelnen dienen.303 Vorzugswürdig erscheint es, das Konzept des Unrechts als Verletzung subjektiver Rechte oder objektiver Rechtsgehalte auch auf die Verletzung von Allgemeinrechtsgütern zu übertragen.304 Bei Allgemeinrechten ist danach die „Gesamtheit der Gemeinschaftsmitglieder“ 305 Inhaberin des Rechts. Stellvertretend übt der Staat die Nutzungs- und Ausschlussfunktion aus, denn die Gesellschaft hat den Staat als Institution geschaffen, um jene eigenen Rechte, deren

302

So aber Röttger, Unrechtsbegründung und Unrechtsausschluss, S. 36 m.w. N. Hassemer, Theorie und Soziologie des Verbrechens, S. 232; ders., Strafen im Rechtsstaat, S. 160 ff.; Marx, Rechtsgut, S. 63. 304 So auch Renzikowski, GA 2007, S. 569 f. (578). 305 Renzikowski, GA 2007, S. 569 (578). 303

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Inhaber alle Gesellschaftsmitglieder sind, auf diesen zu übertragen und durch ihn wahrnehmen zu lassen.306 Das Rechtsverhältnis besteht zwischen dem Staat und jedem seiner Bürger, da dieser jeweils die Wahrnehmung seines Rechts(-anteils) auf den Staat übertragen hat. Renzikowski nennt das Beispiel der Aussagedelikte gemäß §§ 153 ff. StGB, bei denen der Auskunftspflichtige deshalb der Wahrheitspflicht unterliege, weil das Recht der Allgemeinheit auf Rechtsschutz, die es auf den Staat übertragen hat, dies gebiete.307 Da verfassungsrechtliche Schutzpflichten auch in Bezug auf Kollektivrechte bestehen können, soweit sie sich auf Einzelrechte zurückführen lassen,308 fügt sich dies in das hier entwickelte Unrechtskonzept problemlos ein. Was Allgemeinrechte anbelangt, die sich nicht auf Individualrechte zurückführen lassen (§ 17 TierSchG), so liegt ihre Berechtigung in den objektiven Gehalten des Grundgesetzes (Art. 20a GG), die ihrerseits als Bestandteil des Grundgesetzes von den einzelnen Individuuen als „Rahmenvertrag“ der Bedingungen, unter denen der Staat existieren soll, konsentiert sind. ee) Zwischenergebnis Die These, dass strafrechtliches Unrecht mit der Verletzung eines Rechtsguts gleichzusetzen sei und dies zu verhüten die Aufgabe des Strafrechts darstelle, erweist sich nach alledem als unzutreffend.309 Unrecht ist die nicht gerechtfertigte Verletzung subjektiver Rechte oder objektiver Rechtsgehalte, die grundgesetzlich geschützt werden. Kriminell ist Unrecht, wenn diese Rechtsverletzung eine solche Qualität aufweist, dass die Nichtregulierung durch den Staat eine Verletzung grundgesetzlicher Schutzpflichten darstellte. Auf horizontaler Ebene ermöglicht die Freiheitsbeschränkung des einen durch das Verbot der jeweiligen Strafnorm die rechtlich garantierte Freiheit des anderen.310 Unrecht ist daher die Usurpation einer fremden Rechtssphäre durch ein Verhalten, welches das fremde Recht verletzt, indem die eigene Handlungsfreiheit auf Kosten eines anderen ausgedehnt wird.311 Das Rechtsgutsdogma ist hingegen abzulehnen312. Es stellt ein Konstrukt dar, das sich der Vergegenständlichung als plastischer Denkhilfe bedient. Dessen

306 Haas, Die Tatherrschaft und ihre Grundlagen, S. 58; Renzikowski, GA 2007, S. 569 (578). 307 Renzikowski, GA 2007, S. 570 (578). 308 Vgl. Szczekalla, Die sogenannten grundrechtlichen Schutzpflichten, S. 139 m.w. N. 309 Im Ergebnis ähnlich Renzikowski, GA 2007, S. 566. 310 Vgl. Renzikowski, GA 2007, S. 562. 311 Renzikowski, GA 2007, S. 572 (578). 312 So auch Haas, in: Kaufmann/Renzikowski, S. 204 ff.; umfassende Darstellung der Kritik am Rechtsgutskonzept bei Hassemer/Neumann, in: NK, Vorbem. § 1, Rn. 116 ff.

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Verdienst mag einst gewesen sein, die Bestrafung bloßer Moralwidrigkeiten zu entlarven.313 Allerdings werden Rechtsgüter heute zum Teil regelrecht erfunden, so dass vom Rechtsgutsbegriff nur noch eine leere Hülse, die beliebig gefüllt werden kann, übrig geblieben ist.314 Damit ist das Konzept ein Einfallstor von Ideologien. So sollte das Allgemeinrechtsgut „Interesse der Gesamtheit an der Bewahrung vor sexuellen Abirrungen“ den heute aufgehobenen § 175 StGB (Strafbarkeit der gleichgeschlechtlichen Beziehungen zwischen Männern) legitimieren.315 Die Norm galt immerhin bis zum 11. Juni 1994. Die in § 168 StGB strafbewehrte Störung der Totenruhe schützt nach Auffassung des BGH neben dem Individualrecht auf postmortalen Persönlichkeitsschutz kumulativ als Allgemeinrechtsgut gar ein bloßes Gefühl (sic!), nämlich das „Pietätsgefühl der Allgemeinheit“.316 Legt man das hier vorgeschlagene Unrechtskonzept auf die erwähnten „Rechtsgüter“ an, scheitert die Legitimation an der Frage, wessen oder welches (in der Verfassung wurzelndes) Recht denn verletzt wird. Ein Recht der Gesamtheit darauf, dass Dritte homosexuelle Handlungen unterlassen mögen, war schon vor 1994 schwerlich zu finden. Solchen Legitimationsproblemen entgeht man damals wie heute mithilfe des Rechtsgutsblanketts. Und so war es leichter, ein Rechtsgut eines „Interesses der Gesamtheit an der Bewahrung vor sexuellen Abirrungen“ zu konstruieren, als ein entsprechendes Recht zu finden. All dies zeigt die Anfälligkeit des Rechtsgutsdogmas für Missbrauch und eine ideologische Verbrämung des Strafrechts. Letztlich zeigt sich an einem Beispiel von Haas sehr deutlich, dass die Konstruktion von Rechtsgütern für ein Unrechtskonzept schon deshalb nicht relevant ist, weil deren Verletzung in mancher Konstellation nicht einmal fingiert werden kann: Wird ein staatliches Verbot auferlegt, das den Bürger in seinen Grundrechten verletzt, ist dessen rechtliches Können beeinträchtigt und damit ein Recht als Recht verletzt.317 Sollte dies mangels Rechtsgutsverletzung kein Unrecht sein?

313 Vgl. Hassemer/Neumann, in: NK, Vorbem. § 1, Rn. 113–115; Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 1 f. 314 Paradigmatisch Hassemer/Neumann, wenn sie über die „Herstellung von Rechtsgütern“ als „Ergebnis gesellschaftlicher Verarbeitungs- und Herstellungsprozesse“ schreiben; Hassemer/Neumann, in: NK, Vor § 1, Rn. 139 ff.; kritisch BVerfG, NJW 2008, S. 1137 (1138); ablehnend gegenüber dem Rechtsgutsdogma Noll, ZStW 68 (1956), S. 181 (182). 315 Vgl. BGH, Urt. v. 11. Feburar 1955 – 2 StR 404/54 (LG Wuppertal) = BGHSt 7, 231 = NJW 1955, S. 917 (917). 316 BGH, Urt. v. 22. April 2005 – 2 StR 310/04 (LG Kassel) = BGHSt 50, 80 = NJW 2005, S. 1876 (1878) m.w. N. – Kannibale. 317 Vgl. Haas, Die Theorie der Tatherrschaft und ihre Grundlagen, S. 64, Fn. 33.

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ff) Vergleich mit anderen Unrechtskonzepten Ein Blick auf andere Unrechtstheorien ist lohnenswert, um das in der vorliegenden Arbeit entwickelte Unrechtskonzept zu überprüfen. Außerdem werden einige Theorien zur Legitimation von § 216 StGB herangezogen. (1) Angloamerikanische Unrechtstheorien Der angloamerikanische Unrechtsdiskurs ist der deutschen Strafrechtswissenschaft insofern voraus, als ideologische Kriminalisierungsgründe offen als solche benannt werden. von Hirsch und Neumann kritisieren denn auch an der deutschen Rechtsgutstheorie, dass sich hiermit paternalistische Kriminalisierungsgründe nicht abgrenzen ließen und greifen daher auf die in den USA gängige Lehre Mills vom Harm Principle und deren Rezeption und Weiterentwicklung durch Feinberg zurück.318 Hiermit lasse sich nämlich kenntlich machen, welche Verhaltensweisen strafbewehrt werden, obgleich sie eigentlich kein kriminelles Unrecht beinhalten. Nach Feinberg gilt es zwischen drei verschiedenen Kriminalisierungsgründen zu unterscheiden: dem Harm Principle, dem Paternalismus und dem Legal Moralism.319 Diese Theorien lassen sich als Unrechtskonzepte begreifen, da sie die Aufgaben des Strafrechts abstecken sollen. Das Harm Principle besagt, dass Strafrecht davor schützen soll, dass Personen den Interessen anderer Schaden zufügen. Nach dem Paternalismusprinzip soll die Person vor Interessenverletzungen durch eigene Entscheidungen geschützt werden,320 wobei zwischen dem sogenannten harten Paternalismus, der dem Betroffenen bestimmte Ziele und Interessen aufzwingt,321 und dem sogenannten weichen Paternalismus, der nur im Falle des Fehlens einer freiverantwortlichen Entscheidung greift,322 unterschieden wird.323 Ferner wird zwischen direktem und indirektem Paternalismus differenziert, das heißt zwischen Strafdrohungen gegen das „Opfer“ selbst (direkter Paternalismus) und solchen gegen Dritte, die mit Einverständnis des Betroffenen 318 v. Hirsch/Neumann, GA 2007, S. 671 ff. (694); vgl. auch Hassemer, in: NK, Vorbem. § 1, Rn. 117; v. Hirsch, in: Hefendehl/v. Hirsch/Wohlers, Die Rechtsgutstheorie, S. 13 ff. 319 Feinberg, The Moral Limits of Criminal Law (1984–1988); vgl. insbesondere Harm to Others, ders., Harm to Self; ders., Harmless Wrongdoing. 320 Vgl. v. Hirsch/Neumann, GA 2007, S. 672 (694). 321 Vgl. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 198. 322 Vgl. dazu Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 198, die darauf hinweist, dass mangels selbstbestimmter Entscheidung keine Freiheitsbeschränkung vorliegt, so dass es sich bei dem sogenannten „weichen Paternalismus“ eigentlich um keinen echten Paternalismus handele. 323 Dazu Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 2, Fn. 9 m.w. N.

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handeln (indirekter Paternalismus).324 Die Position des Legal Moralism erkennt Kriminalisierungsgründe jenseits des Schutzes von Interessen der betroffenen Individuuen an, beispielsweise gesellschaftliche Traditionen oder religiöse Überlieferungen.325 Die vorgenannte Systematisierung fügt sich in das (freilich nicht verbindliche) Verständnis des Unrechtstatbestandes gemäß § 1.02 (1) (a) Model Penal Code326 ein, welcher eine Handlung voraussetzt, die ungerechtfertigt persönlichen oder öffentlichen Interessen erheblichen Schaden zufügt oder androht (und in Verbindung mit fehlender Entschuldbarkeit – also ähnlich dem deutschen dreistufigen Verbrechensaufbau – den Straftatbegriff komplettiert).327 Im Vergleich zum hier entwickelten Unrechtskonzept gehen die vorgenannten Theorien also in ihrem Verständnis von den Aufgaben des Strafrechts zum Teil über die Unrechtsbekämpfung hinaus, soweit unabhängig von einer Verletzung subjektiver Rechte (bzw. einer Schadenszufügung) Individualinteressen geschützt werden. Denn sowohl im harten Paternalismus als auch im Legal Moralism wird unter Missachtung der grundsätzlichen Dispositionsbefugnis, die aus der Nutzungs- und Ausschlussfunktion des subjektiven Rechts fließt, ein Schutz aufoktroyiert. Ein Verdienst der Theorien bleibt indes, dass dies nicht unter dem Deckmantel des Rechtsgüterschutzes geschieht, sondern transparent gemacht wird, dass die Strafe sich in diesen Fällen nicht aus dem Unrecht der Tat legitimiert, sondern aus einem Staatsverständnis, das die Bevormundung zum staatlicherseits definierten Wohle des Bürgers als vorrangig gegenüber dessen Selbstbestimmungsrecht erachtet. Auf das deutsche Strafrecht übertragbar sind sie in dieser Reichweite aber nicht. (2) Rechtsphilosophische Ansätze Auch einige Unrechtskonzepte der Rechtsphilosophie sollen nachstehend beleuchtet werden, da – wie bereits angesprochen – die Frage, wie kriminelles Unrecht auch in einem Unrechtssystem erkannt werden kann, letztlich philosophischer Natur ist. Nach Kant ist Unrecht „ein Hindernis der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen“.328 Recht sei „der Inbegriff der Bedingungen, unter denen die Willkür des 324

Vgl. v. Hirsch/Neumann, GA 2007, S. 671 (694). Vgl. v. Hirsch/Neumann, GA 2007, S. 672 (694). 326 § 1.02 Model Penal Code (1) The general purposes of the provisions governing the definition of offenses are: (a) to forbid and prevent conduct that unjustifiably and inexcusably inflicts or threatens substantial harm to individual or public interests; [. . .] (abgedruckt bei Dubber/Hörnle, Criminal Law, S. 175). 327 Vgl. Gavela, Ärztlich assistierter Suizid, S. 147 f. m.w. N. 328 Kant, Metaphysik der Sitten, S. 33. 325

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einen mit der Willkür des andern nach einem allgemeinen Gesetze der Freiheit zusammen vereinigt werden kann“. Diese allgemeinen Gesetze entsprechen unserem heutigen Grundgesetz, den sich hieraus ergebenden Inbegriff der Bedingungen dem Strafrecht. Denn wie erörtert kann nach der hier vertretenen Unrechtskonzeption solange auf das Grundgesetz als „allgemeines Gesetz“ im Kant’schen Sinne abgestellt werden, wie das positive Verfassungsrecht nicht den Schutzmaßstab dessen, was jedem Menschen von Natur aus zusteht, unterschreitet.329 Lampe überträgt die Philosophie Kants im Rahmen seiner Abhandlung über „Willensfreiheit und strafrechtliche Unrechtslehre“ folgendermaßen auf das Strafrecht: Strafunrecht geschehe „demjenigen, dessen Freiheit ein anderer durch den Missbrauch seiner Freiheit gesetzwidrig antastet; das Recht des Staates ist es, solchem Missbrauch mittels Strafzwang zu wehren“.330 Dabei setzt er sich auch mit möglichen Einwänden auseinander, etwa der Frage, ob nicht Unrecht auch sein könne, was nicht mit einem Missbrauch menschlicher Freiheit einhergehe.331 Gemeint sind damit etwa Umweltdelikte und das Verbot der Tierquälerei. Schließlich benennt Lampe als weiteren Kritikpunkt, dass Unrecht auch weder durch Gebrauch noch Nichtgebrauch menschlicher Freiheit verwirklicht werden könne.332 Er überprüft die These, indem er auf den gutgläubigen Besitz einer fremden Sache, der Unrecht begründet, ohne dass es eines Freiheitsgebrauchs bedürfe, rekurriert.333 Auch hier wird vertreten, dass sich strafrechtliches Unrecht nicht in der Verletzung der Freiheit anderer Menschen erschöpft. Deshalb wurde der hier vorgestellte Unrechtsbegriff über die Verletzung subjektiver Rechte hinaus auch auf die Verletzung objektiver Rechtsgehalte erstreckt. Würde man allerdings der These vom Unrecht ohne Gebrauch oder Nichtgebrauch menschlicher Freiheit folgen, wäre das Merkmal der Rechtsverletzung nicht konstitutiv für den Unrechtsbegriff. Das hierzu gegebene Beispiel ist insoweit unrichtig, als in der Inbesitznahme oder im Behalten einer fremden Sache sehr wohl ein Freiheitsgebrauch liegt. Aufgrund des guten Glaubens weiß der Besitzer zwar nicht, dass er ein Besitzrecht verletzt. Aber subjektive Merkmale sind auch keine Voraussetzung für die bloße Rechtsverletzung.334 Darauf, ob sie für einen personalen Unrechtstatbestand erforderlich sind, kommt es für das objektive Vorliegen einer Rechtsverletzung nicht an, zumal für den zivilrechtlichen Unrechtstatbestand unstreitig 329

Vgl. B.I.2.b)aa)(3). Lampe, ZStW 118 (2006), S. 1 (3). 331 Lampe, ZStW 118 (2006), S. 1 (3). 332 Lampe, ZStW 118 (2006), S. 4. 333 Lampe, ZStW 118 (2006), S. 4 mit Verweis auf Jhering, der dies für das Zivilrecht erstmals nachgewiesen habe. 334 So auch Lampe, ZStW 118 (2006), S. 5. 330

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keine subjektiven Merkmale erforderlich sind. Der Grund dafür, dass der gutgläubige Besitz einer fremden Sache nicht kriminalisiert werden darf, ist somit nicht das Fehlen einer Rechtsverletzung. Er liegt vielmehr darin, dass der Unrechtsgehalt keine Qualität aufweist, die eine Regulation im Hinblick auf grundgesetzliche Schutzpflichten zwingend erforderlich machte. Das Zivilrecht hingegen reguliert auch solche Rechtsverletzungen, die zufällig oder eben gutgläubig eintreten, als zivilrechtliches Unrecht, denn es straft nicht und unterliegt damit nicht dem ultima-ratio-Grundsatz. Nach Hegel ist strafrechtliches Unrecht der bewusste, das heißt vorsätzliche, Widerspruch des durch Handlung betätigten Willens des Einzelnen gegen den im Recht zum Ausdruck kommenden allgemeinen Willen.335 Die Unsittlichkeit des inneren Willens bedürfe dabei der äußeren Handlung, um zum Unrecht zu erstarken.336 Die Handlung verstand Hegel als Einheit des Subjektiven und Objektiven im menschlichen Tun.337 Der allgemeine Wille, der im Recht zum Ausdruck komme, stamme aus den Institutionen und werde vom Staat verwaltet. Hegel formuliert drei grundsätzliche Rechtsgebote:338 Erstens, dass man eine Person sein solle, das heißt als Inhaber von Rechten nicht geschädigt zu werden. Zweitens, dass man die anderen Personen respektieren solle, sich also keine fremde „Organisation“ anmaßen und mithin Dritte nicht schädigen solle. Drittens, dass man seine Rolle spielen solle, um den Bestand der Institution zu wahren – gemeint sind Pflichten kraft institutioneller Zuständigkeit (Familie, Korporation, Staat). Die Unrechtskonzeption Hegels ist eine positivistische. Inhaltlich unterscheidet sie sich vom Ansatz der vorliegenden Arbeit darin, dass Hegel als Maßstab des Rechts (und damit als Bezugspunkt des Unrechts) das allgemein „Sittliche“ betrachtet. Nach dem hegelianischen Verständnis werden die Pflichten zu einer sittlichen Lebensführung vom Staat auferlegt. Daran kritisiert Jakobs zu Recht, dass die staatliche Verwaltung einer „allgemeinen Sittlichkeit“ heute der Verfassung, die Pluralismus und Individualität verbürgt, zuwiderläuft und der Staat demnach die „Sittlichkeit“ gerade nicht selbst verwalten, sondern privatisieren muss – der Staat darf nur „Gemeinsames“ verwalten.339 Zur Erhellung des materiellen Gehalts des Unrechts ist weiterhin ein kurzer Blick auf die Moralphilosophie unabdingbar, zumal auch im hier vertretenen Unrechtskonzept auf einen in letzter Instanz naturrechtlichen Maßstab und damit moralphilosophischen Kern zurückgegriffen wird. 335 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, §§ 82 ff., 95 ff.; dazu Lampe, ZStW 118 (2006), S. 1 (6). 336 Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, §§ 94, 102 f. 337 Vgl. Lampe, ZStW 118 (2006), S. 1 (6). 338 Vgl. die Rezeption von Jakobs, FS-Arthur Kaufmann, S. 459 (460 ff.). 339 Jakobs, FS-Arthur Kaufmann, S. 459 (464 f.).

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Aristoteles unterschied zwischen natürlichem Unrecht („Unrecht von Natur“) und positivistischem Unrecht („Unrecht kraft Verordnung“).340 Auf dieser Trennung basiert auch die sogenannte „Radbruch’sche Formel“ 341. Im vorliegenden Unrechtskonzept findet sie sich darin wieder, dass das Grundgesetz nur solange als Maßstab des Unrechts fungieren soll, wie darin die nach dem kategorischen Imperativ zu ermittelnden Menschenrechte gewahrt werden. (3) Absolutistische Theorien Zu den absolutistischen Unrechtsmodellen gehören solche Modelle, die sich auf eine bestimmte Ideologie stützen. Hilgendorf zählt dazu den naturrechtlichen Ansatz, der das Unrecht als naturwidrig verstehe, sowie den „Wertplatonismus“, der vom BGH vor allem in den 1950er und 1960er Jahren vertreten worden sei und das Unrecht als das, was der „ratio“ zuwiderläuft, beschreibe.342 Aus dieser Lehre entstammt der Begriff des „Sittengesetzes“,343 der entgegen der bereits angesprochenen Terminologie Hegels schlicht auf die Vernunft abstellt. Ferner gehören nach Hilgendorf sowohl der klassische Utilitarismus, nach dem Unrecht aus glückverringernden Normen bestehe, als auch die von Arthur Kaufmann vertretene Spielart des negativen Utilitarismus, nach dem Unrecht sei, wenn das Elend nicht größtmöglich verringert werde, zu den absolutistischen Theorien.344 Die absolutistischen Theorien konfligieren mit unserer meinungspluralistischen und ideologisch indifferenten Verfassung: Es kommt danach nicht darauf an, ob ein Verhalten vernünftig ist oder nicht, im Gegenteil unterfällt sogar unvernünftiges Verhalten dem Schutzbereich der Grundrechte, soweit sie Rechte Dritter nicht ungerechtfertigt beschränken. Der Rekurs auf die Vernunft und die Sitte als materielle Unrechtsgehalte ist als Einfallstor paternalistischer Vorstellungen in das Recht abzulehnen. Auch der Utilitarismus gibt für ein strafrechtliches Unrechtskonzept nicht viel her: Die Begriffe „Glück“ und „Elend“ sind höchst subjektiv und eignen sich daher nicht für ein in einer Gemeinschaft allgemeingültiges Modell.345

340 341 342 343

Aristoteles, Nikomachische Ethik, 5. Buch, 10. Kapitel, S. 105. Radbruch, Rechtsphilosophie, Bd. 3, S. 89, 96 ff. Hilgendorf, JuS 2008, S. 761. Vgl. etwa BGH, Urt. v. 23. Oktober 1957 – 2 StR 458/56 = NJW 1958, S. 799

(802). 344 345

Hilgendorf, JuS 2008, S. 761. Ablehnend ebenso Hilgendorf, JuS 2008, S. 761.

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c) Unrechtselemente Seit langem wird darüber gestritten, ob Strafunrecht objektiv, subjektiv oder zusammengesetzt aus beiden Elementen strukturiert ist. Die Literatur hierzu ist umfassend. Daher sollen vorliegend nur die Grundzüge der Diskussion einer eigenen Position vorangestellt werden. aa) Objektive Unrechtslehre Zunächst – das heißt bereits vor der Zäsur des Nationalsozialismus, aber auch danach wieder – war in der jüngeren Strafrechtsgeschichte die Auffassung herrschend, dass objektive Elemente konstitutiv für das Unrecht seien, subjektive Elemente hingegen für die Schuld.346 Überwiegend wurde allein der Erfolgsunwert als Herbeiführung eines rechtlich missbilligten Zustandes für maßgeblich erachtet.347 Nowakoswki lehnte eine Trennung zwischen Handlungs- und Erfolgsunwert ab und zog es vor, das Gesamtgeschehen als Unwerteinheit zu betrachten, bei der das Verhalten aber nur rechtswidrig sei, weil es die Beeinträchtigung eines Schutzobjektes herbeiführte.348 Einig war man sich jedenfalls darin, dass die rechtliche Missbilligung des persönlichen Verhaltens der Schuld vorbehalten sei. Kritisiert wurde an diesem Unrechtskonzept vor allem, dass „nicht der Tod, sondern das Töten“, das heißt nicht der bloße Erfolg, sondern nur das Werk eines bestimmten Täters als Folge einer menschlichen Handlung dem Recht zuwiderlaufe.349 Die Strafnormen könnten nur zwecktätiges Handeln verbieten, nicht aber blinde Kausalprozesse,350 sie seien vornehmlich Bestimmungsnormen und nicht Bewertungsnormen. Indessen behauptet die objektive Unrechtslehre dies gar nicht. Nicht der isolierte Erfolg, das heißt der „bloße“ Tod eines Menschen wird als Unrecht verstanden, sondern der von Menschenhand herbeigeführte Tod. bb) Subjektive Unrechtslehre Die Gegenposition zur objektiven Unrechtslehre bildet die subjektive Unrechtslehre, die ihre Wurzeln im Nationalsozialismus hat.351 Paradigmatisch ist 346 Kühl, in: Lackner/Kühl, Vorbem. § 13, Rn. 19 m.w. N.; heute noch vertreten von Spendel, FS-Weber, S. 16; zur früheren h. M. zählten etwa Nowakowski, ZStW 63 (1951), S. 321; Oehler, Das objektive Zweckmoment, S. 84 (der den subjektiven Elementen allerdings Bedeutung für den Unrechtsausschluss beimisst). 347 Vgl. Krauß, ZStW 76 (1964), S. 21 m.w. N. (die objektive Unrechtslehre ablehnend). 348 Nowakowski, ZStW 63 (1951), S. 321. 349 So Krauß, ZStW 76 (1964), S. 19. 350 Welzel, Das deutsche Strafrecht, § 8 II. 351 Vgl. Spendel, FS-Weber, S. 4 ff., 7 ff.

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der Ausspruch Dahms: „Die Gesinnung, nicht die objektive Tat, begründet das Unrecht“.352 Spendel hat sich um den Nachweis verdient gemacht, dass die im Nationalsozialismus mithilfe der instrumentalisierten Vermischung von Unrecht und Schuld bestrafte „Gesinnung“ 353 danach im Zuge der Auflösung der objektiven Unrechtslehre unter dem Begriff des „Handlungsunrechts“ ihre Wiederkehr in die fortan versubjektivierte Unrechtslehre fand (das heißt nicht nur in den Finalismus, sondern auch in die personale Unrechtslehre).354 Das Handlungsunrecht ist nach Auffassung der Finalisten einziges konstitutives Element des Unrechts.355 Es wird als vorsätzliches oder objektiv sorgfaltswidriges Verhalten in Bezug auf einen rechtlich missbilligten Zweck (Rechtsgutsverletzung) verstanden,356 wobei der Erfolgsunwert unselbstständig und nicht konstitutiv für das Unrecht, sondern lediglich objektive Bedingung der Strafbarkeit sei.357 Das Fundament dieser Theorie bildet die von Welzel begründete finale Handlungslehre, wonach eine Handlung im strafrechtlichen Sinne die vom Willen auf ein Ziel hin gesteuerte Tätigkeit darstellt.358 Welzel rechnete daher den handlungssteuernden Willen (Vorsatz) ebenso wie auch die übrigen subjektiven Merkmale bereits zum Unrechtstatbestand und nicht erst zur Schuld.359 Die Ähnlichkeit des Handlungsunwerts mit der „Pflichtverletzung“ als „Gesinnungsverfall“ im Sinne der nationalsozialistischen Unrechtslehre manifestiert sich nach der Auffassung von Spendel 360 in der Äußerung Welzels, dass für das Unrecht entscheidend sei, „mit welchen Absichten, Gesinnungen oder Einstellungen der Täter seine Handlung vollzieht“ 361. 352

Dahm, ZStaatsW 95 (1935), S. 288. So etwa Dahm, ZStaatsW 95 (1935), S. 283 ff.; vgl. dazu die Kritik Spendels, FS-Weber, S. 8. 354 Spendel, FS-Weber, S. 4 ff., 11 f. 355 Vgl. etwa Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert im Unrechtsbegriff, S. 120 ff., 205 ff. 356 Dazu Graul, JuS 1995, S. L 43 sowie Röttger, Unrechtsbegründung und Unrechtsausschluss, S. 29 m.w. N. 357 Welzel, Der Allgemeine Teil des deutschen Strafrechts, S. 28 f.; Zielinski, Handlungs- und Erfolgsunwert im Unrechtsbegriff, S. 120 ff., 205 ff. 358 Welzel, Das deutsche Strafrecht, § 7 II, § 8 I 1. 359 Lampe weist auf die Konsequenz dieser Auffassung hin, dass somit auch das Problem der Willensfreiheit vorverlagert bereits in Bezug auf das Unrecht der Tat virulent wird und nicht etwa, wie gemeinhin angenommen und diskutiert, als Frage der Schuld. Letztlich hält Lampe – seiner eigenen Konzeption vom Unrecht als „asozialem Prozess“ folgend – die Willensfreiheit im „sozialen Unrecht“ (gemeint ist der objektive Tatbestand) wie auch im „personalen Unrecht“ (subjektiver Tatbestand) für irrelevant. Letzteres setze lediglich ein funktionierendes „Ich“ als dem freien oder unfreien Willen vorgelagert voraus; vgl. ders., ZStW 118 (2006), S. 1 ff., 6 ff., 40 ff. 360 Spendel, FS-Weber, S. 12. 361 Welzel, Das deutsche Strafrecht in seinen Grundzügen, S. 31. 353

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Im Gegensatz dazu vertritt Haas, der wie auch hier die Rechtsverletzung als maßgebliches Kriterium des Unrechtsbegriffs erkennt, eine davon unbelastete Variante der subjektiven Unrechtslehre, die an die zivilrechtliche Usurpationstheorie362 erinnert: Er hält das Rechtsverhältnis nicht erst durch den zumeist als Erfolgsunwert bezeichneten Schadenseintritt am Rechtsgut (als tatbestandlichen Erfolg) für verletzt und damit strafrechtliches Unrecht für verwirklicht, sondern bereits durch den Okkupationsvorgang des Täters, das heißt durch das Verhalten, mit dem der Täter den Zuweisungsgehalt seines Rechts überschreitet und die rechtlich anerkannte Willensmacht des Opfers beeinträchtigt.363 Da es verfehlt wäre, die Kritik am Finalismus auf seine Herkunft aus der nationalsozialistischen Unrechtslehre und den stattgehabten Missbrauch zu reduzieren, soll sie sich auf das Konstrukt als solches fokussieren. Zunächst fehlt es den Finalisten, die ja den Erfolgsunwert für nicht erforderlich für die Komplettierung des Unrechtstatbestandes halten und nach denen es somit für die Schwere des Unrechts eigentlich keinen Unterschied zwischen der versuchten und der vollendeten Tat geben dürfte, an einer Begründung für die fakultative Minderbestrafung der versuchten Tat.364 Auch ist mit der subjektiven Unrechtslehre nicht stringent erklärbar, warum die Fahrlässigkeitstat strafbedürftig ist, wenn doch die finale Überdetermination unrechtskonstitutiv sein soll.365 Hier zeigt sich die Unzulänglichkeit des Konzepts, die zu umgehen versucht wird und sich doch darin erneut manifestiert, dass im Bereich der Fahrlässigkeits- und Unterlassungstat plötzlich auf die personale Fähigkeit zu einer finalen Handlung abgestellt wird,366 also nun auch noch die letzten verbliebenen Schuldelemente in den Unrechtsbegriff verfrachtet werden. Das zeigt sich insbesondere, wenn man die Gegenfrage stellt: Was gibt es noch für Schuldkriterien, die nicht bereits im Unrechtsbegriff der Finalisten enthalten sind? Natürlich kann man der hier vorgebrachten Kritik an dieser Differenzierung damit begegnen, dass es sich um einen systemexternen Einwand handelt und dass das finalistische Konzept gar nicht beansprucht, einen einheitlichen Oberbegriff für alle Unrechtsformen bereitzustellen (obwohl Armin Kaufmann dies mit der „potenziellen finalen Tatmacht“ später geleistet hat, da der Begriff Vorsatz-,

362

Vgl. Baldus, in: MüKo, BGB, § 1004, Rn. 78 ff. m.w. N. Haas, Die Theorie der Tatherrschaft und ihre Grundlagen, S. 64. 364 Vgl. Lampe, ZStW 118 (2006), S. 11; siehe dazu auch Hillenkamp, in: LK, Vor § 22, Rn. 72; § 23, Rn. 7 ff., 17 ff. 365 Vgl. Lampe, ZStW 118 (2006), S. 11. 366 So die Konstruktion Welzels, ders., Das deutsche Strafrecht, § 28, 1, § 18, Einl. 4; im Sinne der hier geäußerten Kritik auch Maihofer, FS-Rittler, S. 145 ff.; Gegenkritik (allerdings unter Zuhilfenahme der personalen Unrechtslehre) bei Krauß, ZStW 76 (1964), S. 41. 363

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Fahrlässigkeits- und Unterlassungsdelikte erfasst).367 Das trifft aber nicht den Kern der Kritik, dass die Finalisten versuchen, den fehlenden objektiven Gehalt ihres Unrechtskonzepts mit Schuldelementen aufzufüllen. cc) Personale Unrechtslehre Die personale Unrechtslehre ist die jüngste Unrechtslehre, die sich in der modernen strafrechtlichen Dogmatik als eine Art Kombination der subjektiven und objektiven Unrechtslehre herausgebildet und durchgesetzt hat. Sie versteht das Unrecht in erster Linie als Handlungsunrecht, setzt aber jedenfalls für die vollendete Tat kumulativ die Verwirklichung von Erfolgsunrecht als konstitutiv voraus.368 Während das Erfolgsunrecht aber bei der versuchten Tat fehlen kann (insoweit also das verwirklichte Handlungsunrecht hinreichend ist), ist die Verwirklichung von Handlungsunrecht in jedem Falle notwendig zur Unrechtsbegründung.369 Das Erfolgsunrecht ist nach der personalen Unrechtslehre eine „rechtlich missbilligte – d.h. nicht durch ein Eingriffsrecht gedeckte – Rechtsgutsverletzung“, während das Handlungsunrecht der Vorsatztat als „vorsätzliches Handeln in Bezug auf eine – tatsächlich – rechtlich missbilligte Rechtsgutsverletzung (d.h. ein Erfolgsunrecht) aufgrund Fehlens einer Annahme einer ein Eingriffsrecht gewährenden Situation“ beschrieben wird.370 Zum Teil wird desweiteren zwischen einem objektiven und einem subjektiven Handlungsunwert differenziert.371 Infolge der Anknüpfung der personalen Unrechtslehre an den Finalismus lassen sich die dagegen vorgebrachten Kritikpunkte zum Teil auf die personale Unrechtslehre übertragen, soweit es nicht speziell um die Nichtberücksichtigung des Erfolgsunwerts als (auch) unrechtskonstituierend geht,372 um dessen Anerkennung die personale Unrechtslehre den Finalismus ja erweitert. Allerdings verlieren die oben gegen den Finalismus vorgebrachten Argumente hier an Überzeugungskraft: Krauß weist zu Recht darauf hin, dass der Vorwurf der Inkonsequenz im Bereich der Fahrlässigkeits- und Unterlassungstat gegenüber der personalen 367 Armin Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, S. 83 f.; ähnlich auch Welzel selbst, vgl. ders., Das deutsche Strafrecht, S. 27. 368 Krauß, ZStW 76 (1964), S. 38 f., 67; Kühl, AT, § 3, Rn. 3 ff.; vgl. außerdem das Schema bei Graul, JuS 1995, L 43. 369 Graul, JuS 1995, L 43. 370 Graul, JuS 1995, L 43. 371 Grupp, Unrechtsbegründung und Unrechtsaufhebung, S. 52 ff. 372 Gemeint ist die Kritik daran, dass der Finalismus die fakultative Minderbestrafung der lediglich versuchten Tat nicht erklären kann. Diese läuft gegen die personale Unrechtslehre ins Leere: Die mögliche Minderbestrafung erklärt sich hiernach damit, dass das Erfolgsunrecht als eine (zwar auch konstitutive, aber nur für die vollendete Tat notwendige) der beiden Unrechtskomponenten fehlt.

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Unrechtslehre nicht durchschlägt, da sie eben gerade nicht konsequent auf subjektive Komponenten des Unrechts abstellt, sondern a priori davon ausgeht, dass neben subjektiven Elementen auch objektive Kriterien Berücksichtigung finden müssen.373 Jedoch bleibt nach der personalen Unrechtslehre trotzdem eine Diskrepanz zwischen vorsätzlicher Tat einerseits und fahrlässiger Tat andererseits. Während bei ersterer der Handlungsunwert aus objektiven und subjektiven Kriterien gebildet wird, besteht der Handlungsunwert der Fahrlässigkeitstat aus dem rein objektiv bestimmten sorgfaltswidrigen Verhalten hinsichtlich der Erfolgsverursachung.374 Das bedeutet, dass die personale Unrechtslehre das Unrecht der Fahrlässigkeitstat rein objektiv bestimmt, hingegen das Unrecht der Vorsatztat gemischt objektiv-subjektiv. Hieraus lässt sich zumindest der Schluss ziehen, dass auch die personale Unrechtslehre anerkennt, dass es rein objektives Unrecht gibt. Ein Verdienst der personalen Unrechtslehre ist hingegen die schlüssige Erklärung der Versuchsstrafbarkeit, die sich reibungslos in § 22 StGB fügt. dd) Würdigung Lampe hat überzeugende Argumente sowohl gegen die subjektive als auch die personale Unrechtslehre vorgebracht.375 Zunächst ist ihm in der Auffassung zu folgen, dass die strafrechtliche Erkenntnis wie jede soziale Erkenntnis von der Wirkung einer Handlung ausgehen muss, das heißt vom „Erfolg als Primat vor der Handlung“.376 Erst nach Wahrnehmung einer sichtbaren Rechtsverletzung als Erfolg und dessen Bewertung als rechtswidrig kann die „soziale Rückkopplung“ an die dafür verantwortliche Person erfolgen.377 Das Argument der Finalisten, dass Strafgesetze keine Erfolge verbieten könnten, sondern nur Handlungen, es sich mithin dabei in erster Linie um Imperative, also Bestimmungsnormen handele, entkräftet Lampe mit dem Hinweis, dass die Strafnormen primär von der Bestrafung und nicht von der strafbaren Handlung handeln.378 Im Vordersatz stehe die vergangenheitsbezogene Bewertungsnorm, es werde der Taterfolg bewertet („Wer einen anderen Menschen tötet“, was als „getötet hat“ zu lesen 373

Krauß, ZStW 76 (1964), S. 41 f. Vgl. Graul, JuS 1995, L 42. 375 Im Umkehrschluss heißt dies jedoch nicht, dass er sich der objektiven Unrechtslehre angeschlossen hat. Indessen hat Lampe ein eigenes Unrechtskonzept entwickelt. Hiernach sei der objektive Tatbestand treffender als sozialer (Unrechts-)tatbestand, der subjektive Tatbestand als personaler (Unrechts-)tatbestand beschrieben. Die Verbindung werde hergestellt durch die Durchdringung von Individuum und Gemeinschaft. Vgl. Lampe, ZStW 118 (2006), S. 40 ff. 376 Lampe, ZStW 118 (2006), S. 12 f. Kritisch zu dieser Anknüpfung an beobachtbare Vorgänge Zaczyk, Das Unrecht der versuchten Tat, S. 56 m.w. N. 377 Lampe, ZStW 118 (2006), S. 16 f. 378 Lampe, ZStW 118 (2006), S. 13 f. m.w. N. 374

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sei379), und erst im Nachsatz folge die zukunftsorientierte Sanktionsnorm, die, da aus ihr zugleich das Verbot/Gebot folge, zugleich auch Bestimmungsnorm sei („wird mit x Jahren Freiheitsstrafe bestraft“).380 Dem ist zuzustimmen, zumal diese Ansicht den Gesetzeswortlaut auf ihrer Seite hat. Desweiteren spricht insbesondere gegen die finalistischen Unrechtslehren, dass im säkularen und Meinungspluralität garantierenden Verfassungsstaat ein Strafverbot nie deontologisch, sondern immer nur konsequenzialistisch hergeleitet werden darf.381 Nach alledem wird vorliegend aus dogmatischen Gesichtspunkten die objektive Unrechtslehre befürwortet. Da aber der Vorzug der einen oder anderen Lehre für das Verhältnis des Tatbestandsmerkmals „Verlangen“ zum Unrecht nicht relevant ist (deren Verständnis ist nur relevant, um die Unrechtskompensation nachzuvollziehen), wird in der vorliegenden Arbeit zur vereinfachten Darstellung von der allgemeinen Meinung, der personalen Unrechtslehre, ausgegangen. d) Unrechtssystematik aa) Normenhierarchie In systematischer Hinsicht – also einer an das positive Recht anknüpfenden Sichtweise – ergibt sich aus der verfassungsrechtlich vorgegebenen Normenhierarchie als zwingende Vorgabe, was oben bereits festgestellt wurde: Der Strafrechtsgesetzgeber ist in seiner Einschätzungsprärogative insoweit eingeschränkt und muss ein Verhalten als Unrecht inkriminieren, wenn die Nichtregulation und Hinnahme dessen ansonsten eine Verletzung grundrechtlicher oder sonstiger grundgesetzlicher Schutzpflichten seitens des Staates zur Folge hätte. Die hierdurch betroffenen Grundrechte müssen dabei in praktische Konkordanz zur allgemeinen Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 S. 1 GG gebracht werden, da ein strafrechtliches Verbot, das den Bürgern auferlegt, ein bestimmtes Verhalten zu vermeiden, hierin eingreift.382 bb) Verhältnis zum öffentlichen Recht und zum Zivilrecht Während im 19. Jahrhundert, als der Streit um die Einheit des Unrechtsbegriffs aufkeimte, und auch noch im beginnenden 20. Jahrhundert die Auffassung verbreitet war, dass der strafrechtliche Unrechtsbegriff sich inhaltlich von zivilem 379 Lampe beruft sich hier auf den Codex Ur-Namma, dem ersten bekannten Normentext aus dem Jahre 2100 v. unserer Zeitrechnung, in dem es wörtlich hieß: „Wer einen anderen Menschen getötet hat . . .“. Bereits damals war der Vordersatz also vergangenheitsbezogen und bewertend (nicht bestimmend). 380 Lampe, ZStW 118 (2006), S. 13 f. 381 Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 104 f. m.w. N. 382 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 2.

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oder öffentlich-rechtlichem Unrecht unterscheide,383 geht die heutige überwiegende Meinung von einem für das Strafrecht, (sonstige) öffentliche Recht und Zivilrecht einheitlichen Unrechtsbegriff aus.384 Vor seiner späteren Abkehr vom einheitlichen Unrechtsbegriff konstatierte bereits Binding, dass es nicht von einem Unterschied in der Unrechtsstruktur, sondern vom gesetzgeberischen Ermessen abhänge, ob eine rechtswidrige Handlung unter Strafe gestellt werde oder nicht.385 Auch vorliegend wird vertreten, dass sich kriminelles Unrecht von Zivilunrecht oder Verwaltungsunrecht nicht strukturell, sondern in der Qualität unterscheidet. Deshalb wird hier angenommen, dass der Strafgesetzgeber ein bestimmtes rechtsverletzendes Verhalten im Hinblick auf den ultima-ratio-Grundsatz erst dann inkriminieren darf, wenn er zugleich dazu verpflichtet ist.386 Wie erwähnt, ähnelt dies der Auffassung Rudolphis, der davon ausgeht, dass es die Aufgabe des Straftatbestandes sei, das Strafunrecht aus dem übrigen Unrecht herauszufiltern.387 Der Unterschied ist nach Rudolphi allerdings quantitativer Natur:388 Ein nicht straftatbestandsmäßiges Verhalten könne rechtswidrig im Sinne des Zivilrechts sein, wenn es sich um Unrecht handele, das kein solches Quantum erreicht habe, welches die Strafe als ultima ratio als legitim erscheinen ließe.389 Das ist insofern nicht richtig, als selbst schwerstes Unrecht, also solches in quantitativ hohem Ausmaß, noch zivil sein kann: etwa ein extrem vertragsverletzendes Verhalten. Das ist jedoch kein Grund für die Kriminalisierung. Wie bereits ausführlich erörtert, ist vielmehr entscheidend, ob das Verhalten eine derartige Qualität aufweist, dass die strafgesetzliche Regulation zwingend ist, weil anderenfalls staatliche Schutzpflichten verletzt werden. 3. Ergebnis Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Unrecht in allen Rechtsgebieten gleichermaßen durch die Rechtsverletzung gekennzeichnet ist. Kriminell ist Unrecht dann, wenn die Rechtsverletzung eine solche Qualität aufweist, dass die 383 Vgl. hierzu den ausführlichen historischen Abriss des Meinungsstandes bei Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluss, S. 9 ff. 384 Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 13 ff., Rn. 27; a. A. Günther, der einen einheitlichen Unrechtsbegriff verneint, da ein solcher zu schwerwiegenden Friktionen bei den Rechtfertigungsgründen führen würde; ders., Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluss, S. 2 ff. 385 Binding, Die Normen und ihre Übertretung, 1. Bd., S. 175. 386 Siehe B.I.2.b)aa)(3). 387 Rudolphi, GS-Armin Kaufmann, S. 374. 388 Rudolphi, GS-Armin Kaufmann, S. 372. 389 Rudolphi, GS-Armin Kaufmann, S. 374 f.

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staatliche Regulation erforderlich ist. Erforderlich – und erlaubt – ist die Kriminalisierung aber nur dann, wenn die Untätigkeit eine Verletzung grundgesetzlicher Schutzpflichten im vertikalen Verhältnis von Staat und Bürger darstellte. Das hier gefundene Ergebnis einer Unrechtskonzeption ist nicht positivistisch, weil es zwar auf das Grundgesetz rekurriert, aber nur solange darin die – zugegebenermaßen in einem philosophischen Prozess festzulegenden – Menschenrechte wahrt. Diese können in der Praxis ungeachtet ihrer theoretischen Nichtbeweisbarkeit als richtig oder falsch dadurch ermittelt werden, indem man auf den gesellschaftlichen Konsens abstellt. Dieser muss, um die als ethisch unvertretbar abzulehnende Gleichsetzung von Macht und Recht zu vermeiden, unabhängig von gesellschaftlichen Mehrheiten anhand des kategorischen Imperativs ermittelt werden. Mit dem hier entwickelten Unrechtskonzept können somit Strafgesetze systemkritisch auf ihre Legitimation hin überprüft werden. Diese ist insbesondere im Hinblick auf § 216 StGB zweifelhaft.

II. Unrechtsminderung Die Erkenntnis, dass der Wille des Einwilligenden nicht nur zur kompletten Unrechtsaufhebung führen kann,390 sondern a maiore ad minus auch zur bloßen Unrechtsminderung, bildet das Fundament des § 216 StGB. Sie gründet auf der Lehre von der Graduierbarkeit des Unrechts. Bereits 1906 schrieb Beling von „Stärkegraden der Rechtswidrigkeit“.391 Diese Theorie wurde unter anderen von Kern392 und Noll 393 aufgegriffen. Die damalige Terminologie unterscheidet sich insofern von der heutigen, als heute die Rechtswidrigkeit für nicht quantifizierbar gehalten wird. Quantifizierbar ist indessen der Unrechtsgehalt. In der Sache dürfte aber nichts anderes gemeint gewesen sein, als damals von den Graden der Rechtswidrigkeit gesprochen wurde.394 Noll führte als Beweis für die Graduierbarkeit des Unrechts an, dass das Gesetz unterschiedliche Strafrahmen enthält.395 Faktoren für den Unrechtsgehalt waren nach Kern der Wert des Angriffsobjekts, die Art der Angriffshandlung und das Verhalten des Verletzten (die Berücksichtigung des von Kern ebenfalls ange390 Das Lager der Stimmen, die die Einwilligung bei den dem Individualschutz dienenden Delikten als Tatbestandsausschließungsgrund begreifen, nimmt jedoch zu. Was dies für den Gegenstand der Arbeit bedeutet, wird näher unter B.III.2. ausgeführt. 391 Beling, Die Lehre vom Verbrechen, S. 128. 392 Kern, ZStW 64 (1952), S. 255 (256 ff.). 393 Noll, ZStW 68 (1952), S. 18 (18 ff.). 394 So auch (in Bezug auf Kern) Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 237. 395 Noll, ZStW 68 (1956), S. 18 (18).

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führten Verhaltens des Täters nach der Tat würde gegen § 8 StGB verstoßen und kann höchstens im Rahmen der Strafzumessung Beachtung finden).396 Heute ist die quantitative Abstufbarkeit des Unrechts allgemein anerkannt.397 Hillenkamp hat in seiner Untersuchung zum Einfluss des Opferverhaltens auf die Vorsatztat die von Mezger entwickelte Theorie vom „Gesetz der Grenzwertbestimmung“ in Erinnerung gerufen und mit der Einsicht Kerns, „dass es Grade der Rechtswidrigkeit gibt“ zu einer Leitidee verbunden, nach der das Unrecht nicht ausschließendes Opferverhalten unrechtsmindernd und entsprechend strafmindernd wirken kann.398 Er benennt vier Grenzwerte, auf denen eine veränderte Unrechtsbewertung beruhen kann, darunter auch die Einwilligung.399 Versteht man demnach Unrechtsminderungsgründe als Annäherungen an unrechtsaufhebende Grenzwerte, dann bleibt desto weniger Unrecht bestehen, je näher das Verhalten dem Grenzwert kommt.400 Der Grenzwert ist somit das „Endglied“ einer „abstufbaren Reihe“.401 Ein Verhalten, das „unterhalb“ des Grenzwerts liegt, mindert das Unrecht folglich umso stärker, je mehr Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes es erfüllt.402 Günther hält es für möglich, dass infolge einer Unrechtsminderung sogar die Aufhebung des Kriminalunrechts eintreten kann.403 Möglich ist dies auf dem Boden seiner Lehre von der Strafrechtswidrigkeit, weil eine Unrechtsreduzierung bereits zur strafrechtlichen Irrelevanz führen könne und damit ein Ausschluss der spezifischen Strafrechtswidrigkeit denkbar werde. Gegen die Lehre von der Strafrechtswidrigkeit sprechen jedoch die bereits erörterten Einwände.404

III. Unrechtsausschluss Um zu verstehen, warum nach der überwiegenden Meinung zwar die Einwilligung Unrecht kompensiert, das Verlangen in § 216 Abs. 1 und § 218a Abs. 1 StGB aber nicht, ist weiterhin zu klären, warum und wie Unrecht generell ausgeschlossen werden kann.

396

Vgl. Kern, ZStW 64 (1952), S. 255 (276 ff.). Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 238 m.w. N. 398 Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 235 ff. m.w. N.; ders., in: LK, § 23, Rn. 33. 399 Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 239. 400 Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 237. 401 Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 237. 402 Vgl. Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 237, 239. 403 Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluss, S. 117. 404 Weitere Einwände bei Bacigalupo, GS-Kaufmann, S. 459 (468 ff.) m.w. N. 397

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1. Struktur der Rechtfertigungsgründe Mit der Bejahung der Tatbestandsmäßigkeit ist lediglich festgestellt, dass ein Verhalten typischerweise Unrecht darstellt.405 Im Einzelfall kann das Unrecht aber durch einen Rechtfertigungsgrund kompensiert werden.406 Ein Rechtfertigungsgrund ist ein Erlaubnissatz, der das typischerweise rechtswidrige Verhalten ausnahmsweise erlaubt.407 a) Materielle Begründung Der Unrechtsausschluss kann in materieller Hinsicht mit monistischen Prinzipien, die nur ein („allumfassendes“ 408) Modell als Grundlage haben, und mit pluralistischen Theorien, die verschiedene Modelle kombinieren, erklärt werden. aa) Monistische Theorien Zu den monistischen Theorien zählt die einst unter anderem von Graf zu Dohna und v. Liszt vertretene Zwecktheorie, wonach die Tat gerechtfertigt sein soll, wenn sie ein angemessenes Mittel zur Erreichung von einem anerkannten Zweck darstellt.409 Dieser Gedanke findet sich heute in § 34 S. 2 StGB wieder. Schlehofer sieht das überwiegende Interesse als alleiniges Rechtfertigungsprinzip, das auch der Einwilligung zugrundeliege.410 Die zweite Säule der dualistischen Theorie, das Prinzip des mangelnden Interesses, dem die Einwilligung gemeinhin zugeordnet wird, lehnt er ab. Zur Begründung führt Schlehofer an, dass die Einwilligung als Prinzip mangelnden Interesses auch dann das Handlungsunrecht ausschließen müsste, wenn dieses mangels subjektiven Rechtfertigungselementes – als argumentum e contrario § 22 StGB – bestehen bleibe.411 Sauer vertritt ein „Mehr-Nutzen-als-Schaden“-Prinzip, wonach im materiellen Sinne ein Verhalten rechtmäßig sein soll, das „in seiner allgemeinen Tendenz generalisiert der staatlichen Gemeinschaft mehr (ideellen, kulturellen) Nutzen als Schaden gewährt“.412 405

Murmann, Grundkurs Strafrecht, § 15, Rn. 1. Murmann, Grundkurs Strafrecht, § 15, Rn. 1. 407 Murmann, Grundkurs Strafrecht, § 15, Rn. 1. 408 Dazu Roxin, AT I, § 14, Rn. 39 mit der Kritik, dass sie daher notwendig abstrakt und inhaltslos bleiben müssten. 409 v. Liszt, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, § 32 II 2, 9; Graf zu Dohna, Die Rechtswidrigkeit als allgemeingültiges Merkmal, S. 48 f. 410 Schlehofer, in: MüKo, Vorbem. §§ 32, Rn. 60. 411 Schlehofer benennt als Beispiel, dass A eine Sachbeschädigung zum Nachteil des B in Unkenntnis von dessen Einwilligung begeht; vgl. ders., in: MüKo, Vorbem. §§ 32, Rn. 60. 412 Sauer, Allgemeine Strafrechtslehre, S. 56; kritisch Roxin, AT I, § 14, Rn. 41. 406

III. Unrechtsausschluss

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Nach Schmidhäuser und Röttger ist nur der vorgehende Gutsanspruch zu achten.413. Eine ähnliche Ansicht vertritt Noll, der die Rechtfertigung als eine Wertkollision, die durch Wertabwägung zu lösen ist, betrachtet.414. Auch Rudolphi kann zu diesem Lager gezählt werden: Er verstehen die Rechtfertigung als die Wahrnehmung des überwiegenden Interesses.415 bb) Pluralistische Theorien Überwiegend wird vertreten, dass sich die verschiedenen Rechtfertigungsgründe keinem einheitlichen Prinzip zuordnen lassen, sondern nur pluralistisch zu erklären sind.416 Zu den pluralistischen Theorien zählt die dualistische Lehre Mezgers vom Prinzip des überwiegenden und des mangelnden Interesses.417 Das Prinzip des überwiegenden Interesses ist aus § 34 S. 1 StGB abgeleitet, wonach die Tat nicht rechtswidrig ist, wenn „bei Abwägung der widerstreitenden Interessen [. . .] das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt“.418 Die Einwilligung des Verletzten wird als klassisches Beispiel des Unrechtsausschlusses nach dem Prinzip des mangelnden Interesses angesehen.419 Sie bedeute die bewusste Interessenpreisgabe seitens des zur Verfügung über das Rechtsgut Berechtigten. Die Berechtigung fehle dort, wo der Verletzte in der Erfüllung seiner sozialen Aufgaben beeinträchtigt werde. Die dualistische Theorie Mezgers hat großen Anklang gefunden und wird in verschiedenen Spielarten heute noch weit verbreitet vertreten. Die Frage, ob der Interessenpreisgebende zur Verfügung über das Rechtsgut berechtigt ist, wird dabei nicht mehr danach beurteilt, ob der Verletzte in seiner sozialen Aufgabenerfüllung beeinträchtigt wird, denn das Individuum lebt zwar in der Sozialgemeinschaft, ist ihr aber – außer in einigen Ausnahmefällen, etwa der Sozialbindung des Eigentums – nicht verpflichtet. Hoyer stellt demgegenüber schon gar nicht auf ein Individualinteresse ab, sondern auf das Interesse des Staates an der Integrität seiner Verbotsnormen, an dem es entweder mangeln oder das von anderen Interessen überwogen werden müsse, um die Verletzung der Verbotsnorm zu rechtfertigen.420 Roxin hebt auf die sozial richtige Regulierung von Interessen und Gegeninteressen (kollidierenden Rechts-

413 414 415 416 417 418 419 420

Schmidhäuser, FS-Lackner, S. 88. Noll, ZStW 77 (1965), S. 1 ff., 9. Rudolphi, GS-Armin Kaufmann, S. 378. Murmann, Grundkurs Strafrecht, § 15, Rn. 6 m.w. N. Mezger, Strafrecht, S. 204 ff. Dazu Schlehofer, in: MüKo, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 58. Mezger, Strafrecht, S. 204 ff. Hoyer, in: SK, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 39.

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B. Unrecht, Unrechtsausschluss und -minderung

gütern) ab: Letztlich komme es auf die fehlende Sozialschädlichkeit des tatbestandsmäßigen Verhaltens an, die sich näher durch fünf soziale Ordnungsprinzipien konkretisieren lasse. Roxin benennt das Schutzprinzip, das Rechtsbewährungsprinzip, das Verhältnismäßigkeitsprinzip, das Güterabwägungsprinzip sowie das Autonomieprinzip.421 Ähnlich dazu führt Jakobs die Rechtfertigungsgründe auf drei Prinzipien zurück: Das Prinzip der Verantwortung oder Veranlassung durch das Eingriffsopfer, das Prinzip der Interessendefinition durch das Eingriffsopfer selbst sowie das Solidaritätsprinzip.422 cc) Würdigung Fast allen Sichtweisen ist gemein, dass sie der Rechtfertigung eine Wertungsfrage und damit Abwägung im Einzelfall zugrundelegen, so dass sich insoweit eine Entscheidung erübrigt. Es ist allgemein anerkannt, dass die vom Strafgesetzgeber abstrakt-generell getroffene Wertentscheidung im Einzelfall anders aussehen kann. Bei der verlangten Fremdtötung wäre hiernach also abzuwägen, ob das Selbstbestimmungsrecht des Verlangenden im Einzelfall gegenüber anderen Rechten unterliegt. Im Rahmen des verlangten Schwangerschaftsabbruchs nach Konfliktberatung ginge es darum, ob das Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren gegenüber dem Recht des ungeborenen Lebens überwiegen kann. Diese Fragen werden im Folgenden unter D.I. und D.II. beantwortet. Besonderheiten ergeben sich nur unter Zugrundelegung des Prinzips des mangelnden Interesses, weil insoweit eine Abwägung ausbleiben würde. Sieht man das Tötungsverlangen als Ausdruck mangelnden Interesses am Leben an, wäre im Hinblick auf die verlangte Fremdtötung allein die Berechtigung, über das eigene Leben zu verfügen, zu diskutieren. Nach Mezger würde diese an der sozialen Aufgabenerfüllung scheitern. Unter dem Gesichtspunkt der Verantwortlichkeit und Veranlassung (Jakobs) müsste die Dispositionsbefugnis hingegen bejaht werden. Dies gilt auch für die Sozialschädlichkeit (Roxin), da andere nicht geschädigt werden. Ob dies in der Tat so vertreten wird, wird ebenfalls unter D.I. geklärt. Hinsichtlich § 218a Abs. 1 StGB kommt eine Rechtfertigung aufgrund des Verlangens der Schwangeren nach dem Prinzip des mangelnden Interesses nur in Bezug auf ihre eigenen Rechte in Betracht, bezüglich des ungeborenen Lebens könnte allenfalls das Prinzip des überwiegenden Interesses zur Rechtfertigung führen. Wie erwähnt, wird eine solche Abwägung unter D.II. vorgenommen.

421 422

Roxin, AT I, § 14, Rn. 42 f. Jakobs, AT, 11/3; Kritik bei Roxin, AT I, § 14, Rn. 44.

III. Unrechtsausschluss

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b) Elemente der Rechtfertigung aa) Kompensationsmodell Nach dem Kompensationsmodell setzt sich die Rechtfertigung – ähnlich einem Baukastenprinzip423 – daraus zusammen, dass (ausgehend von der personalen Unrechtslehre) der Erfolgsunwert als zurechenbarer Eintritt einer Rechtsverletzung durch einen Erfolgswert im Sinne einer erforderlichen Gefahren- oder Angriffsabschwächungshandlung aufgehoben wird.424 Der objektive Handlungsunwert als tatbestandlich geschaffene Gefahr einer Rechtsverletzung wird durch einen objektiven Handlungswert (Schaffung einer Rettungschance425) und der subjektive Handlungsunwert als Vorsatz oder Fahrlässigkeit sowie sonstige subjektive Tatbestandsmerkmale werden durch einen subjektiven Handlungswert (zumindest Kenntnis des Täters von der Schaffung der Rettungschance426) kompensiert.427 Die Rechtfertigung tritt dann ein, wenn der Saldo der Unrechtskompensation Null ergibt.428 Ganz überwiegend wird dabei angenommen, dass der jeweilige Unwert bei bestehenbleibender Rechts(guts)verletzung lediglich neutralisiert wird.429 Nur vereinzelt wird der tatbestandliche Verhaltensbefehl in Bezug auf die Rechtfertigungssituation als aufgehoben betrachtet. Die Basis des Modells stellt das Prinzip der Interessenabwägung dar, wonach der Unwert kompensiert wird, indem ein dazu korrespondierender, überwiegender Gegenwert geschaffen wird.430 423 Vgl. hierzu die schematische Darstellung bei Grupp, Unrechtsbegründung und Unrechtsaufhebung, S. 65. 424 Graul, JuS 1995, L 41 ff.; Jescheck/Weigend, AT, § 31, IV 1; Kühl, AT, § 6, Rn. 12; Lenckner, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 13 f.; Rudolphi, GS-Armin Kaufmann, S. 379 f.; vgl. zum Ganzen Grupp, Unrechtsbegründung und Unrechtsaufhebung, S. 63 f. 425 Grupp versteht den objektiven Handlungswert als Schaffung einer Rettungschance für das bedrohte Rechtsgut als Pendant zur objektiven Zurechnung auf der Unrechtsbegründungsseite, vgl. dies., Unrechtsbegründung und Unrechtsaufhebung, S. 52. Die objektive Zurechnung setzt indes einen Erfolgseintritt voraus (ohne Erfolg kann nichts objektiv zugerechnet werden), die Schaffung einer Rettungschance muss demgegenüber nicht zur Rettung geführt haben. Es handelt sich mithin nicht um ein Pendant zum objektiven Handlungsunwert. 426 Erforderlichkeit und Inhalt des subjektiven Handlungswerts werden sehr unterschiedlich beurteilt. Nimmt man das Kompensationsmodell ernst, ergibt sich für den Inhalt des subjektiven Handlungswertes, dass er dem subjektiven Handlungsunwert entsprechen muss, um diesen zu kompensieren. Der subjektive Handlungsunwert setzt sich aus dem Vorsatz, also (verkürzt) Wissen und Wollen, zusammen. Somit muss auch der Handlungswert ein Wissen und Wollen der rechtfertigenden Handlung beinhalten (wie auch auf Vorsatzseite genügt der Bezug auf die tatsächlichen Umstände). 427 Graul, JuS 1995, L 41 ff.; Jescheck/Weigend, AT, § 31 IV 1; Kühl, AT, § 6, Rn. 12; Lenckner, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 13 f.; Rudolphi, GS-Armin Kaufmann, S. 379 f. 428 Grupp, Unrechtsbegründung und Unrechtsaufhebung, S. 71 m.w. N. 429 So Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 277. 430 Grupp, Unrechtsbegründung und Unrechtsaufhebung, S. 71.

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Fruchtbar machen lässt sich das Kompensationsmodell für die vorliegende Arbeit insoweit, als es plastisch verdeutlicht, inwiefern Unrecht im Sinne einer partiellen Rechtfertigung431 gemindert wird, wenn einzelne Bausteine der Unrechtskompensation fehlen (zum Beispiel ein zum Erfolgsunwert fehlender korrespondierender Erfolgswert). Mit der Grenzwertbestimmung Hillenkamps hat es gemein, dass auch das „Baukastenprinzip“ von einer Annäherung an den Grenzwert, nämlich im Sinne einer Teilkompensation, ausgeht, wenn eine Voraussetzung – ein „Baustein“ – fehlt, andere aber vorliegen. Beide Modelle unterscheiden sich darin, dass das Kompensationsmodell von einer Verrechnung ausgeht, während Hillenkamp von einer Annäherung spricht, mit der eher eine Skala von „Unrecht bis Recht“ zu assoziieren wäre. Auch die Möglichkeit, einzelne fehlende Kompensationswerte mit anderen auszugleichen, erklärt sich anhand des „Baukastenprinzips“. Das ist für die hier behandelte Problematik interessant, weil das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ nach überwiegender Auffassung wegen der fehlenden Verfügungsbefugnis nicht zur Rechtfertigung führt.432 Somit geht es um den Fall einer unvollständigen Unrechtskompensation, deren fehlender „Baustein“ der Verfügungsbefugnis möglicherweise durch andere Bausteine ausgeglichen werden kann. Als ein solcher Baustein, der die (nach überwiegender Meinung) fehlende Dispositionsbefugnis des Verlangenden kompensieren könnte, wird die Einhaltung einer Prozedur diskutiert. Auf die prozedurale Rechtfertigung wird deshalb im Folgenden noch zurückzukommen sein. Grupp hat das Kompensationsmodell in Bezug auf Entschuldigungsgründe untersucht. Sie beschreibt, wie ein „Weniger“ in der Unrechtskompensation nach §§ 32, 34 StGB (Fehlen der Erforderlichkeit bzw. eines überwiegendenden Erhaltungsgutes) gemäß §§ 33, 35 StGB durch das Vorliegen einer psychischen Ausnahmesituation (asthenischer Effekt bzw. Betroffenheit der eigenen oder einer nahestehenden Person) ausgeglichen werden kann, da diese zusammen mit der partiellen Unrechtskompensation zur Entschuldigung führen.433 Zugrundegelegt wird dabei die Lehre von der doppelten Schuldreduzierung434, nach der die Schuld sich zum einen (unabhängig) nach der psychischen Ausnahmesituation

431 Zu Recht weist Röttger darauf hin, dass der Begriff insofern ungenau ist, als unklar bleibt, ob damit die jeweils teilweise Erfüllung sämtlicher Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes oder die vollständige Erfüllung von manchen, aber nicht allen Rechtfertigungsvoraussetzungen gemeint ist; ders., Unrechtsbegründung und Unrechtsausschluss, S. 25, Fn. 45. 432 Dazu D.I.1. und D.I.2. 433 Grupp, Unrechtsbegründung und Unrechtsaufhebung, S. 69. 434 Hirsch, in: LK, Vorbem. § 32, Rn. 195; Kühl, AT, § 12, Rn. 1; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 13 ff., Rn. 118; Lenckner, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 111; Lenckner/Perron, in: Schönke/Schröder, § 33, Rn. 2, § 35, Rn. 2, 19; Rudolphi, FS-Welzel, S. 631; Schlehofer, in: MüKo, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 201 f.

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bemesse und zum anderen (abhängig) nach dem Unrechtsgehalt.435 Jede Verwirklichung eines Entschuldigungsgrundes stelle daher zugleich eine partielle Unrechtsminderung dar.436 Die Arbeit von Grupp ist für die vorliegende Untersuchung von besonderem Interesse, da sie zeigt, dass der Ausgleich eines „Weniger“ in der Unrechtskompensation mit dem Vorliegen einer besonderen psychischen Ausnahmesituation zu der Konstruktion eines Entschuldigungsgrundes führt. Dies wird unter D.I.2.d) Bedeutung erlangen. bb) Axiologisches Modell Im Gegensatz zum Kompensationsmodell verzichtet das axiologische Modell, dessen Grundlagen mit der Theorie einer werthaften Unrechtsbegründung und -aufhebung von Schmidhäuser geschaffen worden sind, auf die Saldierung einzelner Unrechtsmodule (also von subjektivem/objektivem Handlungsunwert und Erfolgsunwert mit den dazu korrespondierenden Werten). Vielmehr wird die Unrechtsaufhebung anhand einer wertorientierten Betrachtung nachvollzogen. So wird etwa die Einwilligung in die Fremdverletzung als axiologisch gleichwertig zur Selbstverletzung betrachtet, da es in beiden Fällen um den Umgang mit eigenen Rechten gehe.437 Übertragen auf die Tötung auf Verlangen bedeutete dies, dass die Fremdtötung axiologisch gleichwertig zur Selbsttötung und damit der Rechtfertigung durch die Einwilligung zugänglich wäre. Ob dies angenommen werden kann, wird unter D.I. geklärt. Röttger, der die Konzeption Schmidhäusers aufgegriffen hat, sieht eine Wertschaffung durch „Ziel-, Chancen- und Tätigkeitswert“ als gegeben an, sobald der vorgelagerte Sachverhalt typischerweise etwas Werthaftiges nach sich zieht.438 Die Annahme, dass ein Erlaubnissatz abstrakt-generell einen positiven Wertsachverhalt vertypen würde, überzeugt nicht, da die Rechtsfolge der Rechtfertigung mitnichten eine positive Bewertung der Tat ist.439 Das Verhalten wird lediglich wie ein rechtmäßiges, das heißt tatbestandsloses Vorgehen behandelt.440 Damit ist über die Bewertung als rechtmäßig – was so viel bedeutet wie rechtlich 435

Grupp, Unrechtsbegründung und Unrechtsaufhebung, S. 70. Herzberg, in: MüKo, § 22, Rn. 191; Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 13 ff., Rn. 111; vgl. zum Ganzen Grupp, Unrechtsbegründung und Unrechtsaufhebung, S. 69 f. Ein anderer Versuch, die Auswirkung der Schuld auf das Unrecht zu erklären, zielt auf die Feststellung als solche ab, dass mit der Entschuldigung regelmäßig eine Unrechtsreduzierung einhergehe; vgl. dazu Jakobs, AT, 20/4. 437 Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 52a. 438 Röttger, Unrechtsbegründung und Unrechtsausschluss, S. 276. 439 Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 9. 440 Freund, in: MüKo, Vorbem. §§ 13 ff., Rn. 194; Rudolphi, GS-Amin Kaufmann, S. 372. 436

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neutral – hinaus keine rechtliche Einordnung als „positiv“ oder „negativ“ verbunden. Auch das Beispiel Röttgers, dass etwa die Züchtigung eines Minderjährigen durch dessen Erziehungsberechtigten einen „Tätigkeitswert“ habe, weil ein solches Handeln „generell (,abstrakt‘) etwas Positives“ mit sich bringe, geht fehl. Diese Argumentation war bereits vor der Revision des Züchtigungsrechts im BGB durch das Gesetz zur Ächtung von Gewalt in der Erziehung vom 2. November 2000 unzutreffend, da die Züchtigung auch zuvor abstrakt-generell in den §§ 223 ff. StGB als Unrecht vertypt war.441 Sie wurde vor der Änderung des § 1631 BGB lediglich als der Rechtfertigung zugänglich angesehen. Alles in allem sehen sich beide axiologischen Modelle dem Einwand ausgesetzt, dass der Rekurs auf die „Werthaftigkeit“ wenig bestimmt ist. c) Systematik der Rechtfertigungsgründe Nach der überwiegenden Auffassung lässt sich der Unrechtsausschluss systematisch damit erklären, dass dem jeweiligen Verbot oder Gebot des Tatbestandes eine sogenannte „Erlaubnisnorm“ vorgeht, welche die Pflicht im Einzelfall aufhebt oder nicht wirksam werden lässt.442 Das rechts(guts)verletzende Verhalten wird ausnahmsweise gestattet oder sogar geboten.443 Das „sachliche Substrat“ dieser Erlaubnisnormen stellen die Rechtfertigungsgründe dar.444 Durch das Vorliegen der Rechtfertigungsvoraussetzungen wird der Bewertungszustand hergestellt, der ohne das grundsätzliche (tatbestandliche) Missbilligungsurteil über das Verhalten bestünde, so dass das Verhalten nicht positiv gebilligt, sondern wie ein tatbestandsloses Verhalten behandelt wird.445 Die Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen hingegen versteht die Rechtfertigungsgründe als Bestandteile eines „Gesamt-Unrechtstatbestandes“, geht also nicht von einem dreistufigen, sondern zweistufigen Verbrechensaufbau aus.446 Der so verstandene Tatbestand ist hiernach nicht nur „ratio cognoscendi“, sondern „ratio essendi“ der Rechtswidrigkeit,447 eine Körperverletzung mit Einwilligung beispielsweise also bereits nicht tatbestandsmäßig. 441 Zur abstrakten Generalität der Unrechtstatbestände vgl. Rudolphi, GS-Armin Kaufmann, S. 372, 377. 442 Statt aller Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 4 m.w. N. 443 Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 4 m.w. N. 444 Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 4 m.w. N. 445 Freund, in: MüKo, Vorbem. §§ 13 ff., Rn. 194. 446 Vgl. hierzu Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 13 ff., Rn. 15. 447 Vgl. Lenckner/Eisele, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 13 ff., Rn. 15.

III. Unrechtsausschluss

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Demgegenüber knüpft die Lehre von den echten Strafunrechtsausschließungsgründen, die Günther im Zusammenhang mit seiner oben bereits angesprochenen Theorie vom Strafunrecht entwickelt hat, an eine besondere Strafrechtswidrigkeit an und differenziert zwischen Rechtfertigungsgründen als Erlaubnistatbeständen wie z. B. §§ 32, 34 StGB („unechte Strafunrechtsausschließungsgründe“) und echten Strafunrechtausschließungsgründen, die keine Erlaubnistatbestände seien und das strafrechtliche Unrecht lediglich unter die Schwelle der Strafwürdigkeit senken, wie z. B. die Einwilligung oder die Indikationen des § 218a Abs. 2 StGB.448 Die echten Strafunrechtsauschließungsgründe schließen nach Günther mithin etwaiges zivil- oder öffentlich-rechtliches Unrecht nicht aus. Aus der Perspektive der Lehre von den „echten Strafunrechtsausschließungsgründen“ lässt sich Interessantes für die vorliegende Arbeit folgern. Betrachtet man nämlich bereits das Institut der Einwilligung als lediglich (straf-)unrechtsmindernd, so unterscheidet die Einwilligung (nunmehr nicht als Rechtfertigungsgrund, sondern als Strafunrechtsausschließungsgrund) vom Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ im Wesentlichen die Schwelle der Strafwürdigkeit, die das Verlangen im Gegensatz zur Einwilligung nach überwiegender Ansicht nicht zu unterschreiten vermag. Einwilligung und Verlangen würden sich dann nur noch in ihrer Struktur (hier Strafunrechtsausschließungsgrund, dort Tatbestandsmerkmal), aber nicht mehr in ihrer Wirkung unterscheiden: der Unrechtsminderung. Bei der Legitimation von § 216 StGB ginge es dann gezielt darum, zu erklären, warum die Schwelle der Strafwürdigkeit überschritten sei. Letztlich ist die Lehre von den „echten Strafunrechtsausschließungsgründen“ im Hinblick auf §§ 153, 153a StPO, die zeigen, dass auch (quantitativ) geringfügiges kriminelles Unrecht relevant ist, jedoch als contra legem abzulehnen.449 d) Rechtsfolge der Rechtfertigung Die Rechtsfolge eines erfüllten Rechtfertigungsgrundes – wie auch der Einwilligung – ist grundsätzlich ein echtes Eingriffsrecht mit korrespondierender Duldungspflicht für den Betroffenen.450 Sowohl die Bestimmungs- als auch die Gewährleistungsnorm wird suspendiert, Handlungs- und Erfolgsunwert verlieren an rechtlicher Relevanz bzw. werden kompensiert.451

448 Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluss, S. 394 ff.; vgl. auch Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 8 m.w. N. und die Rezeption durch Rudolphi, GS-Armin Kaufmann, S. 372 ff. 449 Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 8 m.w. N.; mit weiteren Argumenten ablehnend Rudolphi, GS-Armin Kaufmann, S. 375. 450 Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 10 ff. m.w. N. 451 Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 10.

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B. Unrecht, Unrechtsausschluss und -minderung

2. Struktur der Einwilligung Um zu verstehen, warum das Verlangen nach überwiegender Ansicht kein Unrecht auszuschließen vermag, muss geklärt werden, warum im Gegensatz dazu der Einwilligung diese Wirkung beigemessen wird. a) Systematik Nach der vor allem in der Literatur verbreiteten „Einheitslösung“ ist nicht zwischen einem tatbestandsausschließenden Einverständnis (das immer dann greifen soll, wenn ein Handeln gegen den Willen bereits zum Tatbestand gehört452) und der rechtfertigenden Einwilligung zu unterscheiden,453 vielmehr wird jede Zustimmung in eine Rechtsverletzung als Tatbestandsausschluss behandelt.454 Überwiegend wird dabei weiterhin in der Sache zwischen einem tatbestandsausschließenden Einverständnis und einer tatbestandsausschließenden Einwilligung unterschieden.455 Die tatbestandsausschließende Wirkung der Einwilligung wird zum Teil daraus hergeleitet, dass das geschützte Recht bzw. Rechtsgut preisgegeben werde. Marx, der die Rechtsgutsverletzung als Angriff auf die Verfügbarkeit des Rechtsgutsgegenstandes versteht, sieht sie als nicht erfolgt an, wenn die beschriebene Beziehung des Menschen zum Rechtsgut freiwillig gelöst werde.456 Andere heben darauf ab, dass die Einwilligung einen Rechtsgebrauch darstelle, so dass das geschützte Recht von vornherein nicht verletzt werde. Die Rechtsgüter würden nicht als statische Gebilde geschützt, sondern nur als Bezugspunkt und Mittel für den Freiheitsgebrauch.457 Die überwiegende Meinung (die sogenannte Zweiteilungslehre) nimmt demgegenüber eine Rechtsgutsverletzung an und differenziert zwischen dem tatbestandsausschließenden Einverständnis und der rechtfertigenden Einwilligung.458 Für die Einheitslösung spricht, dass es gerade unter Ablehnung des Rechtsgutsdogmas – wie in der vorliegenden Arbeit – nahe liegt, ein Verhalten, das eigent452

Vgl. Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 33. Zu dieser Differenzierung erklärend Schlehofer, in: MüKo, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 124 m.w. N. 454 Göbel, Die Einwilligung im Strafrecht, S. 68 ff.; Kindhäuser, AT, § 12, Rn. 4 ff.; Roxin, AT I, § 13, Rn. 12 ff.; Rudolphi, GS-Armin Kaufmann, S. 374; mit abweichender Begründung Rönnau, in: LK, Vorbem. § 32, Rn. 156. 455 So etwa Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 32, a. A. Schlehofer, in: MüKo, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 126. 456 Marx, Rechtsgut, S. 62 ff., 67 ff. 457 Vgl. Göbel, Die Einwilligung im Strafrecht, S. 67 m.w. N. 458 BGH, NStZ 2000, S. 87 (88); Dölling, FS-Gössel, S. 216; Fischer, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 3b; Kühl, in: Lackner/Kühl, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 10; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 29; Paeffgen, in: NK, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 152; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 361. 453

III. Unrechtsausschluss

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lich den Unwertsachverhalt eines Tatbestands verwirklichen würde, im Falle der Erlaubnis des Rechtsinhabers als dessen Gebrauch des Rechts und nicht als Rechtsverletzung anzusehen. Entscheidendes Argument459 für die „Zweiteilungslehre“ ist aber, dass eine objektiv tatbestandsmäßige Verletzungshandlung schwerlich verneint werden kann, selbst wenn der Rechtsinhaber in diese eingewilligt hat. Schneidet etwa der Chirurg mit dem Skalpell in die Haut seines Patienten, mutet es absurd an, hier eine tatbestandsmäßige Körperverletzung abzulehnen. Damit ist jedenfalls das objektive Recht verletzt, nämlich §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2, 2. Var. StGB.460 Gilt das aber auch zugleich für das in der jeweiligen Norm geschützte subjektive Recht? Ein subjektives Recht ist nichts anderes als eine bestimmte Form des objektiven Rechts. Es wird im objektiven Recht positiviert und ist daher zugleich dieser Menge als Teilmenge zugeordnet. Wenn ein Chirurg nun mit dem Skalpell in die Haut seines Patienten schneidet, ist das objektive Recht der §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 2, 2. Var. StGB verletzt. Darüber hinaus wird aber auch das subjektive Recht des Patienten auf körperliche Unversehrtheit verletzt, denn das objektive Recht hört nicht einfach auf, das subjektive Recht zu gewährleisten, nur weil der Betroffene auf dessen Schutz verzichtet.461 459 Schließlich geht auch das Strafgesetzbuch in § 228 StGB selbst von der Zweiteilungslehre aus. Schlehofer möchte diesem Argument § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB entgegenhalten, wonach „rechtswidrig“ nach dem Sprachgebrauch des StGB nur eine Tat sei, die den Tatbestand eines Strafgesetzes erfülle, so dass § 228 StGB ja auch an die fehlende Tatbestandsmäßigkeit anknüpfen könne; ders., in: MüKo, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 127. Eine solche Ungenauigkeit widerspricht aber der gesetzgeberischen Technik. So ist in § 218a Abs. 1 StGB explizit davon die Rede, dass der Tatbestand unter den gegebenen Voraussetzungen nicht erfüllt sei. Das StGB differenziert also sehr wohl zwischen bereits fehlender Tatbestandsmäßigkeit (§ 218a Abs. 1 StGB) und einem Unrechtsausschluss erst auf Rechtswidrigkeitsebene bei erfülltem Tatbestand (§ 228 StGB). Die exakte Differenzierung zwischen fehlender Tatbestandsmäßigkeit und Rechtfertigung im StGB wird besonders deutlich, wenn man die Systematik von § 218a Abs. 1 StGB einerseits (Tatbestandsausschluss) und § 218a Abs. 2 StGB andererseits (Rechtfertigung) betrachtet. 460 Ob das Skalpell auch in der Hand des Arztes ein gefährliches Werkzeug darstellt, ist freilich umstritten. 461 Auch das von Rönnau entwickelte sogenannte „Basismodell“, nach dem die Einwilligung tatbestandsausschließend wirke, weil die im Rechtsgut gespeicherte „Handlungsoption“ nicht verletzt werde, ist aus diesem Grunde abzulehnen; vgl. ders., in: LK, Vorbem. § 32, Rn. 156. Zudem kennt das Strafrecht den Schutz von Optionen nicht, sondern nur von Rechten. Diese sind indes nicht „im Rechtsgut gespeichert“, sondern beziehen sich darauf. Die Konstruktion einer geschützten „Handlungsoption“ statt dem Abstellen auf das jeweilige subjektive Recht führte darüber hinaus zu der bedenklichen Folge, dass Menschen, die keine „Handlungsoptionen“ mehr haben, aus dem strafrechtlichen Schutz herausfielen. Darüber hilft nicht hinweg, dass Rönnau hier auf einen Institutionenschutz abstellen möchte, da er den Betroffenen damit ihre subjektiven Rechte abspricht. Ein solcher depersonalisierter Institutionenschutz von eigentlich höchstpersönlichen Rechten widerspricht dem Menschenbild unserer Verfassung.

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Als ausgesprochen treffend, wenn auch aus seinem eigentlichen Zusammenhang gerissen,462 erweist sich an dieser Stelle ein Zitat von Dubs: „Subjektivierung (. . .) darf also keineswegs einfach mit Individualisierung gleichgesetzt werden“ 463. Subjektive Rechte sind mithin keine Rechte, über deren Wirksamkeit das Individuum entscheidet, sondern immer noch objektives Recht. Das subjektive Recht auf die körperliche Unversehrtheit wird daher verletzt, wenn der objektiv-rechtliche Gewährleistungsgehalt der körperlichen Unversehrtheit, wie in unserem Beispiel durch den Einschnitt in die Haut mit dem Skalpell, missachtet wird. Erst auf einer weiteren Ebene stellt sich die Frage, ob dies ausnahmsweise aufgrund des individuellen Willens erlaubt war. Erst hier ist das „Gebiet, worin der Wille herrscht“ 464. Warum sollte auch eine im Einzelfall erteilte Erlaubnis eines aufgrund des generellen Unrechtsgehaltes verbotenen Verhaltens bereits in die Tatbestandsebene einbrechen? Das wäre gar contra legem. Denn der Gesetzgeber hat mit der Inkriminierung von Straftatbeständen verbindlich festgelegt, dass die abstrakt-generell umschriebenen Verhaltensweisen grundsätzlich als Unrecht bestraft werden sollen. Der Tatbestandsausschluss durch den Willen Privater darf deshalb nur dort zulässig sein, wo der jeweilige Straftatbestand dies selbst vorsieht: Dessen Berücksichtigung ist etwa in den §§ 123, 240, 242, 248b, 249 StGB ausdrücklich positiviert.465 Anderenfalls würde gegen das Normverwerfungsmonopol des BVerfG verstoßen. Die Einwilligung ist daher eine Möglichkeit, trotz der Verletzung eigener Rechte durch Dritte auf Rechtsschutz zu verzichten. Dadurch wird der dienenden Funktion der subjektiven Rechte Rechnung getragen. Für das hier behandelte Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ ergibt sich nach alledem – zunächst für § 216 StGB – Folgendes: Das Verlangen ist nach den Prämissen der Einheitslösung dogmatisch nicht mit der Einwilligung vergleichbar, da die tatbestandsausschließende Einwilligung strukturell nicht mit der überwiegend angenommenen lediglich unrechtsmindernden Wirkung des Verlangens zu vereinen ist. Das liegt daran, dass die Einheitslösung davon ausgeht, dass im Falle der Einwilligung das Rechtsgut nicht verletzt wird, sondern vielmehr das darauf bezogene Recht gebraucht bzw. darauf verzichtet werde. Wenn das Rechtsgut nicht verletzt wird, ist das Unrecht aber nicht (durch eine Teilkompensation) graduierbar, sondern nicht existent. Geht man dahingegen von der Zweiteilungslehre aus, auf der auch die vorliegende Arbeit basiert, kann man eine unwertreduzierende Wirkung des Verlangens annehmen.

462 463 464 465

Es geht bei Dubs an dieser Stelle um die Subjektivierung des Unrechtsbegriffs. Dubs, FS-Germann, S. 29. v. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. 1, S. 7. Vgl. Schlehofer, in: MüKo, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 124.

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Keine Unterschiede ergeben sich in Bezug auf das Verlangen, wenn man der hauptsächlich in der Rechtsprechung466 vertretenen Ansicht folgt, dass § 216 StGB keinen Privilegierungstatbestand zu den §§ 211, 212 StGB, sondern einen Tatbestand sui generis darstelle: Sowohl nach der Einheitslehre als auch nach der Zweiteilungslehre wäre das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ dann ein vermindertes Unrecht begründendes Tatbestandsmerkmal. Die Problematik wird im Folgenden unter D.I.2.a.aa. näher untersucht. In § 218a Abs. 1 StGB ist demgegenüber der Tatbestandsausschluss ausdrücklich als Rechtsfolge des Verlangens (und der sonstigen Voraussetzungen des Absatzes) vorgesehen, so dass der Theorienstreit insoweit keine Rolle spielt. b) Materielle Begründung Des Weiteren ist zu untersuchen, worauf die unrechtskompensierende Wirkung der Einwilligung in materieller Hinsicht beruht – warum also „im interpersonalen Verhältnis [. . .] die Selbstbestimmung des besonderen Willens zum Rechtfertigungsgrund“ wird.467 aa) Verfassungsrechtliche Verortung Die oben angesprochene verfassungsrechtliche Schutzpflicht des Staates endet, wenn der Bürger seine Grundrechte „einzusetzen bereit“ ist,468 das heißt deren Verletzung durch einen anderen Bürger konsentiert und dabei auf den staatlichen Schutz verzichtet. Stünde dem Bürger diese Einwilligungsmöglichkeit nicht zu, verkehrte sich die Bestimmung der Grundrechte als Freiheitserweiterung für den Bürger zu einer Freiheitseinschränkung, denn dann dürfte er sich keiner fremden Hand bedienen, um seine Grundrechte dem eigenen Willen entsprechend einzusetzen.469 Das Grundrecht enthielte dann auch eine Grundpflicht,470 dieses unabhängig vom eigenen Willen durch den Staat vor anderen bewahren zu lassen. Arzt bezeichnet ein Rechtsgut ohne Einwilligungsmöglichkeit daher als ein „Danaergeschenk“.471 Solche den Grundrechten korrespondierende Grundpflichten lassen sich indes nicht mit der Verfassung vereinbaren.472 Somit entfällt nicht nur 466 Grundlegend BGH, Urt. v. 7. Februar 1952 – 3 StR 1095/51 = NJW 1952, S. 753 (753 f.). 467 Köhler, Strafrecht AT, S. 243. 468 Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 23. 469 Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 23. 470 Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 23 Fn. 33 m.w. N. 471 Arzt, Willensmängel bei der Einwilligung, S. 42. 472 Hofmann, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 114, Rn. 17 ff.

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die Schutzpflicht, sondern auch das Schutzrecht des Staates, wenn der Bürger in eine Rechtsverletzung durch einen anderen einwilligt.473 Gleichzeitig entfällt die zur Schutzpflicht akzessorische Legitimation des Staates, den Täter zu sanktionieren.474 Ob sich die Einwilligung verfassungsrechtlich ausschließlich aus dem in der allgemeinen Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG verankerten Selbstbestimmungsrecht475 oder aus dem jeweils betroffenen Grundrecht, in dessen Schutzbereich die konsentierte Rechtsverletzung fällt,476 legitimiert, wird unterschiedlich beurteilt.477 Entscheidend ist die Klärung dieser Frage dafür, ob zur Beschränkung der Einwilligungsmöglichkeit die weite Schrankentrias des Art. 2 Abs. 1 GG heranzuziehen ist oder die engeren Beschränkungsmöglichkeiten des jeweiligen spezifischen Grundrechts greifen.478 Für die ausschließliche Verortung in der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG lässt sich anführen, dass dies der genuinen Funktion der Einwilligung entspricht. Es geht dabei nicht in erster Linie um den Freiheitsgebrauch des jeweiligen spezifischen Grundrechts, sondern um die Selbstbestimmung über alle subjektiven Rechte unabhängig von den jeweiligen grundrechtlichen Schutzbereichen. Der Grundrechtsinhaber erlitte zudem auch gar keine Beeinträchtigung des Spezialgrundrechts, wenn ihm die Einwilligungsmöglichkeit versagt würde. Die Möglichkeit, sich in der eigenen Rechtssphäre einer fremden Hand zur Verletzung eigener Rechte zu bedienen, um subjektiv höher bewertete andere Interessen zu verwirklichen, unterfällt vielmehr dem Selbstbestimmungsrecht. Vorliegend wird die Einwilligung folglich in der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG verortet.479 Da sich die meisten subjektiven Rechte auf spezifische Grundrechte zurückführen lassen, ist ein enger Bezug der Selbstbestimmung, die sich ja immer auf ein subjektives Recht bezieht, zu dem jeweiligen spezifischen Grundrecht aber gegeben. 473

Vgl. Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 23 m.w. N. Vgl. Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 23 mit Fn. 37. 475 BVerfGE 52, 131 (168) – Mehrheitenvotum; Dölling, GA 1984, S. 84; Göbel, Die Einwilligung im Strafrecht, S. 22; Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 15; Hirsch, FS-Welzel, S. 786; Kühl, AT, § 9, Rn. 20. 476 BVerfGE 52, 131 (172 f.) – Minderheitenvotum; Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 20; Weigend, ZStW 98 (1986), S. 61. 477 Amelung verortet die Einwilligung grundsätzlich in Art. 2 Abs. 1 GG und will nur dann auf das Spezialgrundrecht zurückgreifen, wenn die Einwilligung die einzige Möglichkeit der Grundrechtsausübung ist; ders., FS-Dünnebier, S. 491. 478 Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 18. 479 So auch BVerfGE 52, 131 (168) – Mehrheitenvotum; Dölling, GA 1984, S. 84; Göbel, Die Einwilligung im Strafrecht, S. 22; Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 15; Hirsch, FS-Welzel, S. 786. 474

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bb) Einfachgesetzliche Verortung Die Einwilligung ist im Strafgesetzbuch nicht ausdrücklich geregelt, wird aber in § 228 StGB vorausgesetzt und ist daher als Rechtsinstitut gleichwohl anerkannt.480 Sie findet sich außerdem in verschiedenen strafrechtlichen Nebengesetzen als Voraussetzung der Straffreiheit, etwa in § 3 Abs. 1 Nr. 1 TPG. Die zivilrechtlichen Regelungen der §§ 182 ff., 104 ff. BGB gelten nicht entsprechend im Strafrecht,481 so dass sich Voraussetzungen und Inhalt der zivilrechtlichen von der strafrechtlichen Einwilligung teils erheblich unterscheiden. Seit Anfang 2013 ist die Einwilligung (ebenso wie die mutmaßliche Einwilligung) in § 630d BGB nunmehr für medizinische Maßnahmen ausdrücklich geregelt. Auch diese Regelung lässt allerdings die strafrechtliche Einwilligungsdogmatik unberührt (§ 630d Abs. 1 S. 3 BGB). cc) Verzicht auf Rechtsschutz Nach einer verbreiteten Auffassung482 handelt es sich bei der Einwilligung um einen Verzicht auf Rechtsschutz,483 der auf dem Prinzip des mangelnden Interesses beruhe, „da für das Recht kein Anlass besteht, Güter zu schützen, die ihr Inhaber bewusst dem Zugriff Dritter preisgibt“ und somit die Verbotsnorm zurücktrete.484 Da in der vorliegenden Arbeit das Wesen des Unrechts als Rechtsverletzung verstanden wird, ist es folgerichtig, die Einwilligung des Rechtsinhabers als Rechtsschutzverzicht einzuordnen, so dass dieser Lehre hier gefolgt wird. Denn der Rechtsinhaber kann den Dritten nicht von den Normen des Strafrechts entbinden, die Rechtsverletzung steht fest.485 Jedoch ist dem Rechtsinhaber durch sein Selbstbestimmungsrecht die Befugnis verliehen, durch den Verzicht auf Rechtsschutz die Rechtfertigung der Verletzung zu bewirken.486 Rönnau kritisiert an der Rechtsschutzverzichtstheorie, dass sie nicht erklären könne, warum und in welchen Grenzen der Einzelne auf den durch Normaufstellung im Interesse der Gemeinschaft erzeugten Rechtsschutz privat verzichten 480

Kühl, AT, § 9, Rn. 20. So aber Jakobs, AT, 7/114. 482 Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 29; Paeffgen, in: NK, § 228, Rn. 13; Renzikowski, GA 2007, S. 565 mit Fn. 21; Wessels/ Beulke/Satzger, AT, Rn. 370. 483 Davon zu unterscheiden ist der Rechtsverzicht. Bei der Einwilligung bleibt das Recht bestehen; vgl. Renzikowski, GA 2007, S. 565, Fn. 21. 484 Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 33 m.w. N.; vgl. außerdem Kühl, in: Lackner/Kühl, Vorbem. § 32, Rn. 10 m.w. N. 485 Kindhäuser, AT, § 12, Rn. 5. 486 Vgl. Kindhäuser, AT, § 12, Rn. 5. 481

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können soll.487 Diesen Einwand räumt er jedoch an anderer Stelle selbst aus, wenn er schreibt: „Rechtsgüter werden nicht [. . .] wegen ihres Wertes für die Gemeinschaft geschützt. Der Wert liegt vielmehr darin, dem Rechtsgutsinhaber als Mittel für die Entfaltung von Handlungsfreiheit zur Verfügung zu stehen.“ 488 Daraus erhellt zugleich, warum der Einzelne auf den staatlich erzeugten Rechtsschutz mittels der Einwilligung privat verzichten kann: Für den Staat besteht kein Anlass, ein Recht zu schützen, auf dessen Schutz der Bürger verzichtet. dd) Abwägungstheorien Zum Teil wird der Wirkgrund der Einwilligung darin gesehen, dass in einer Abwägung zwischen dem geschützten Recht(-sgut) und einem Gemeinschaftsinteresse an dessen Schutz mit dem Selbstbestimmungsrecht des Individuums letzteres stets (mit Ausnahme der §§ 216, 228 StGB) vorgehe.489 Gegen diese Ansicht spricht zuvörderst, dass es nach der hier vertretenen Auffassung nicht mit dem Grundgesetz zu vereinbaren ist, aus Grundrechten ableitbaren subjektiven Rechten (respektive Individualrechtsgütern) eine kollektiven Interessen dienende Funktion zuzusprechen.490 Rönnau kritisiert zu Recht, dass ein solcher Fokus auf Gemeinschaftsinteressen staatlicher Bevormundung Tür und Tor öffnet und die Anforderungen für Einwilligungssperren senkt.491 Dem Menschen wird vom Grundgesetz aber ein Bestand von subjektiven Rechten um seiner selbst willen, das heißt in der Anerkennung seiner grundsätzlichen Autonomie garantiert (vgl. Art. 1 Abs. 1 GG) und nicht in einer bestimmten gesellschaftlichen Funktion; das Recht ist ein dem Bürger dienendes Mittel zu dessen selbstgewählten Zwecken.492 Daher gewährleistet die Verfassung einen Freiheitsrahmen, der „sinnpluralistisch“ ist.493 Jeder Bürger kann selbst entscheiden, wie er mit seinen Rechten verfährt, soweit er damit nicht in den Rechtskreis Dritter eindringt. Jakobs vertritt eine modifizierte Abwägungstheorie, nach der für die Auslösung der Rechtfertigungswirkung neben der Zustimmung des Opfers noch ein

487

Rönnau, in: LK, Vorbem. § 32, Rn. 153 m.w. N. Rönnau, in: LK, Vorbem. § 32, Rn. 153. 489 Dölling, GA 1984, 71, 83 f., 91; Jescheck/Weigend, AT, § 34, II 3; Noll, ZstW 77 (1965), S. 1, 14 ff. 490 Unglücklich formuliert daher in BVerwGE 14, 21 (25): „Die Grundrechte sind dem Einzelnen nicht zur freien Verfügung eingeräumt, sondern in seiner Eigenschaft als Glied der Gemeinschaft und damit auch im öffentlichen Interesse“ (Hervorhebung von der Verfasserin). Wie hier Rönnau, in: LK, Vorbem. § 32, Rn. 152 ff. 491 Rönnau, in: LK, Vorbem. § 32, Rn. 152 m.w. N. 492 Ähnlich Rönnau, in: LK, Vorbem. § 32, Rn. 152 ff. 493 Sternberg-Lieben, Schranken der Einwilligung, S. 5. 488

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„vernünftiger Grund“ erforderlich sei.494 Damit widerspricht er sich selbst, da er an anderer Stelle – zu Recht – äußert, dass der Staat die „Sittlichkeit“ privatisieren muss, weil die Grundrechte Individualismus und Pluralismus verbürgen.495 Die Friktionen infolge der Abwägung des Selbstbestimmungsrechtes mit einem Gemeinschaftsinteresse vermeidet zwar die Auffassung, die von einer vollständig internen Interessenkollision ausgeht, wonach der Rechtsinhaber sein Recht (bzw. sein Rechtsgut) zugunsten eines für ihn wertvolleren Interesses aufopfere, weil er nur die Möglichkeit alternativer Interessenbefriedigung habe.496 Hier wird aber eine (unter mehreren anderen) denkbare innere Motivation fälschlicherweise zur Begründung erhoben, denn Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet die Selbstbestimmung, ohne dass es auf einen internen Konflikt überhaupt ankäme. c) Elemente der Einwilligung Welche Unrechtselemente durch die Einwilligung kompensiert werden, hängt davon ab, wie man den Gegenstand der Einwilligung bestimmt. Zum Teil wird vertreten, dass sich die Einwilligung nur auf die Handlung beziehe.497 Manche differenzieren zwischen Vorsatz- und Fahrlässigkeitstat und setzen bei ersterer den Bezug auf Handlung und Erfolg, bei letzterer nur den Bezug auf die Handlung voraus.498 Andere halten es für erforderlich, dass sich die Einwilligung auf die Handlung und auf den Erfolg499 bezieht.500 Letztgenannte Auffassung ist richtig. Das ergibt sich daraus, dass die vollendete Vorsatztat nach der personalen Unrechtslehre aus Handlungs- und Erfolgsunwert besteht. Wie bereits oben erörtert, ist bereits der Handlungsunwert insoweit auf den Erfolg bezogen, als es sich dabei um ein vorsätzliches Handeln in Bezug auf eine rechtlich missbilligte Rechtsgutsverletzung handelt.501 Um also überhaupt den Handlungsunwert als konstitutives Unrechtselement zu kompensieren, muss die Einwilligung nicht nur die bloße Handlung, sondern die auf einen bestimmten Erfolg gerichtete Handlung erlauben. Mithin muss auch der Erfolg ge-

494 Jakobs, AT, 14/3 ff., 9; vgl. speziell zu § 216 StGB ders., FS-Arthur Kaufmann, S. 467 ff. 495 Jakobs, FS-Arthur Kaufmann, S. 464 f. 496 Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 17, Rn. 96 f.; Sternberg-Lieben, Objektive Schranken der Einwilligung, S. 65 f. 497 Paeffgen, in: NK, § 228, Rn. 12 m.w. N. 498 Dazu Paeffgen, in: NK, § 228, Rn. 12 m.w. N. 499 Unter dem Eindruck der einst vorherrschenden objektiven Unrechtslehre wurde der Bezug lediglich auf den Erfolg für ausreichend erachtet. 500 Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 34 m.w. N. 501 Siehe B.I.2.c)cc).

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wollt sein. Somit erfolgt die Rechtfertigung der vollendeten Vorsatztat qua Einwilligung durch die Kompensation von Handlungs- und Erfolgsunwert mit der Erlaubnis der verbotenen Handlung als Handlungs- und Erfolgswert. d) Einwilligungsvoraussetzungen Die Voraussetzungen der Einwilligung unterscheiden sich nach wohl noch überwiegender Auffassung – ganz gleich, ob dieser rechtfertigende oder tatbestandsausschließende Wirkung beigemessen wird – von jenen des tatbestandsausschließenden Einverständnisses.502 Den unterschiedlichen Betrachtungsweisen kommt indes keine Bedeutung zu,503 da in beiden Fällen die natürliche Handlungs- und Entschließungsfreiheit ausreicht.504 aa) Rechtsinhaberschaft Sieht man wie hier die Einwilligung als Verzicht auf Rechtsschutz wegen einer Rechtsverletzung an, ergibt sich hieraus als logische Folge, dass der Einwilligende Inhaber des verletzten Rechts sein muss.505 Dies ist bei subjektiven Rechten der Fall, wenn dem Betroffenen die Nutzungsund Verfügungsbefugnis zusteht, es sich mithin um ein eigenes Individualrecht handelt. Im Umkehrschluss scheidet eine Einwilligung einer Einzelperson in die Verletzung von Allgemeinrechten folgerichtig aus: Hier steht dem Individuum nicht die alleinige Nutzungs- und Verfügungsbefugnis zu, sondern nur dem Kollektiv. Einwilligen können dann alle Rechtsinhaber gemeinsam (ggf. vertreten durch den Staat). bb) Dispositionsbefugnis Während also dem Mitinhaber eines Allgemeinrechts keine alleinige Dispositionsbefugnis zusteht, kann der alleinige Rechtsinhaber eines Individualrechts grundsätzlich über sein eigenes Recht disponieren, das heißt in dessen Verlet502 Während sich die Voraussetzungen des tatbestandsausschließenden Einverständnisses aus der Funktion des jeweiligen Tatbestandes und dem Wesen des geschützten Rechtsguts ergeben sollen, richte sich die Wirksamkeit der Einwilligung nach allgemeinen Grundsätzen; vgl. Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 32; a. A. Schlehofer, in: MüKo, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 125. 503 Schlehofer, in: MüKo, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 126. Auch Rönnau macht darauf aufmerksam, dass die Ansicht, die aus der strikten Trennung von Einverständnis und Einwilligung unterschiedliche Wirksamkeitsvoraussetzungen ableitet, stark an Bedeutung verloren hat; ders., in: LK, Vorbem. § 32, Rn. 157. 504 Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 39 ff. m.w. N.; Rönnau, in: LK, Vorbem. §§ 32, Rn. 193. 505 Im Ergebnis so auch Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 36.

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zung einwilligen. Ausnahmen hierzu hat der Gesetzgeber in Form von objektiven Einwilligungsschranken geschaffen. Diese sind von der subjektiven Einwilligungsschranke der Einwilligungsfähigkeit zu unterscheiden. Zu den objektiven Einwilligungsschranken zählt die relative Schranke des § 228 StGB und hierzu wird überwiegend auch die absolute Schranke des § 216 StGB gezählt.506 Diese Einwilligungsschranken versagen dem Bürger die Verfügung über ein eigenes Recht, so dass sie als Eingriffe in das Selbstbestimmungsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG unter dem Vorbehalt verfassungsrechtlicher Rechtfertigung stehen.507 Sternberg-Lieben sieht hierin ein Spannungsfeld zwischen individueller Freiheit und sozialer Bindung verdeutlicht, da es um die Frage gehe, inwieweit der Einzelne auf den durch die Strafrechtsordnung gewährten Schutz verzichten könne und inwieweit umgekehrt der Staat befugt sei, die vom Betroffenen selbst preisgegebenen Interessen zu dessen eigenem Wohl paternalistisch oder im Interesse Dritter zu schützen.508 Rein paternalistisch motivierte objektive Einwilligungsschranken, die keine Interessen Dritter berühren, sind verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen, da die Grundrechte von der Autonomie des Menschen ausgehen.509 Das Selbstbestimmungsrecht des Individuums ist mit der eigenen Verantwortlichkeit verknüpft,510 so dass „individuelle Orientierungsleistungen“ auch „das Risiko der Selbststeuerung“ tragen511. Die Voraussetzungen einer selbstbestimmten Entscheidung im Sinne der Freiverantwortlichkeit werden von den subjektiven Einwilligungsschranken gewährleistet. Als möglicherweise zulässige Legitimation einer objektiven Einwilligungsschranke verbleibt damit der Schutz von Interessen Dritter. Inwieweit der Schutz von Interessen Dritter durch die Einwilligung eines anderen überhaupt betroffen sein kann und ob sich somit eine Legitimationsgrundlage für § 216 StGB finden lässt, wird im Folgenden eruiert werden. cc) Erklärung vor der Tat und Fortbestehen im Zeitpunkt der Rechtsverletzung Nach der überwiegenden und zutreffenden Willenserklärungstheorie muss die Einwilligung (ausdrücklich oder konkludent) erklärt, also nach außen kundgege506 Vgl. Rönnau, JuS 2007, S. 18 (19); Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 103 ff. 507 Göbel, Die Einwilligung im Strafrecht, S. 22. 508 Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 1 f. 509 Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 5. 510 Göbel, Die Einwilligung im Strafrecht, S. 16. 511 Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 4.

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ben werden,512 jedoch nicht die Voraussetzungen einer rechtsgeschäftlichen, empfangsbedürftigen Erklärung nach den §§ 145 ff., 104 ff. BGB erfüllen513. Weiterhin wird überwiegend angenommen, dass der Täter in Kenntnis der tatsächlichen Umstände der Einwilligung handeln muss,514 um einen zum Handlungsunwert korrespondierenden Gegenwert zu begründen. Dazu muss die Willensäußerung vor der Tat erfolgt sein und im Zeitpunkt der Rechtsverletzung noch fortbestehen.515 Soweit Röhl hieraus ableitet, dass das Strafrecht keine subjektiven Rechte schütze, da man im Zivilrecht auf Ansprüche aus unerlaubter Handlung auch nach der Tat verzichten könne,516 ist ihm entgegenzuhalten, dass im Strafrecht § 8 StGB gilt. Daraus ergibt sich, dass bereits zur Zeit der Tat feststehen muss, ob sich der Täter strafbar gemacht hat oder nicht. dd) Inhalt der Einwilligung Kessler beschrieb die Einwilligung bereits im Jahr 1884 zutreffend als „Erklärung der Übereinstimmung meines Willens mit dem Willensakte eines andern“.517 Die Einwilligung muss somit das „bewusste Einverstandensein mit der Rechtsverletzung“ beinhalten.518 Ein bloßes Geschehenlassen genügt nicht.519 Insoweit ist der überwiegend angenommene Unterschied zum Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ in inhaltlicher Hinsicht dünn. Wer allerdings das Verlangen mit einem „Begehren“ gleichsetzt, vermag den Unterschied zur Einwilligung leichter zu erklären. Denn für die Einwilligung ist ein Begehren, ein „Herbeiwünschen“ des Erfolgs, nicht erforderlich.520 Es genügt, dass der Eintritt des Erfolgs mit dolus eventualis gebilligt wird.521 Für das Tötungsverlangen im Sinne eines Begehrens müsste der Erfolg aber gerade nicht nur gebilligt, sondern beabsichtigt 512 BGH, NJW 1956, S. 1106; LG Oldenburg, NJW 1966, S. 2132; Fischer, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 3c; Jescheck/Weigend, AT, § 34, IV 5; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 228, Rn. 5; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 43; Roxin, AT I, § 13, Rn. 71 ff.; a. A. (Willensrichtungstheorie) Göbel, Die Einwilligung im Strafrecht, S. 135 f.; Rönnau, in: LK, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 162; Schlehofer, in: MüKo, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 146. 513 Vgl. dazu Rönnau, Willensmängel bei der Einwilligung, S. 176 f. m.w. N. auch zur a. A. Zitelmanns. 514 Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 51 m.w. N. 515 So auch Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 44; Schlehofer, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 157 (allerdings auf dem Boden der Willensrichtungstheorie). 516 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 269. 517 Kessler, Einwilligung des Verletzten, S. 26. 518 LG Oldenburg, NJW 1961, S. 2132. 519 LG Oldenburg, NJW 1961, S. 2132. 520 Rönnau, in: LK, Vorbem. § 32, Rn. 136. 521 Rengier, AT, § 23, Rn. 20 m.w. N.

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werden. Ob der Unterschied des Verlangens zur Einwilligung tatsächlich inhaltlicher Natur ist, wird im Folgenden in den Abschnitten C. bis E. geklärt werden. ee) Einwilligungsfähigkeit und Freiheit von Willensmängeln Die Voraussetzung der Einwilligungsfähigkeit und Freiheit von Willensmängeln stellt eine subjektive Einwilligungsschranke dar.522 Diese Einwilligungsschranke resultiert aus der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 1 GG.523 Die Einwilligungsfähigkeit setzt voraus, dass der Einwilligende unabhängig von starren Altersgrenzen oder – so die inzwischen ganz überwiegende Meinung – zivilrechtlichen Vorgaben524 in natürlicher Hinsicht einsichts- und urteilsfähig ist525 und die Fähigkeit besitzt, sich nach dieser Einsicht zu richten (Steuerungsfähigkeit).526 Die Unabhängigkeit von der zivilrechtlichen Geschäftsfähigkeit ist die logische Konsequenz der Lozierung der Einwilligung im Selbstbestimmungsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG, da dieses ebenfalls nicht an die Geschäftsfähigkeit oder sonstige starre Altersgrenzen anknüpft.527 Hieraus ergibt sich zugleich die Notwendigkeit der subjektiven Einwilligungsschranke: Autonomes Verhalten setzt die Fähigkeit zur Autonomie voraus.528 Diese Fähigkeit fehlt, wenn Wesen, Bedeutung und Tragweite des eigenen Verhaltens etwa aufgrund von psychischer oder physischer Krankheit oder sonstiger intellektueller Einschränkung (auch altersbedingt) nicht erkannt werden können.529 Im Übrigen muss die Einwilligung frei von sonstigen subjektiven Einwilligungsmängeln wie Zwang oder Irrtum über Bedeutung und Tragweite530 der Einwilligung sein.531 Führt eine Täu522

Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 9. Dazu Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 45 f., der die Einwilligung (und somit auch die Schutzpflicht) allerdings aus dem jeweils betroffenen Grundrecht ableitet. 524 Für vermögens- und/oder eigentumsbezogene Entscheidungen wird noch heute zum Teil die Geschäftsfähigkeit nach §§ 104 ff. BGB vorausgesetzt. Eine Übersicht zum Streitstand bietet Hillenkamp, 32 Probleme aus dem Strafrecht AT, 6. Problem, S. 49 ff. m.w. N. 525 Wie hier Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 21, Rn. 4b; Göbel, Die Einwilligung im Strafrecht, S. 75; Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 39 m.w. N. 526 BayObLG, Beschl. v. 7. September 1998 – 5 St RR 153-98 = NJW 1999, S. 372 (372). 527 Vgl. Sachs, in: Sachs, GG, Vor Art. 1, Rn. 76. 528 Ähnlich Göbel, Die Einwilligung im Strafrecht, S. 75. 529 Vgl. Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 40. 530 Göbel beschreibt zutreffend, dass in einem solchen Fall schon gar keine Einwilligung vorliegt, vgl. ders., Die Einwilligung im Strafrecht, S. 86. 531 Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 45 f., 48. 523

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schung nicht zu einem Irrtum vorgenannter Art, ist deren Beachtlichkeit als Einwilligungsmangel umstritten.532 Interessant ist, dass darüber hinaus vereinzelt die Ernstlichkeit der Einwilligung gefordert wird,533 deren Voraussetzung in § 216 Abs. 1 StGB in Bezug auf das „Verlangen“ positiviert ist. Rönnau bezieht das Ernstlichkeitskriterium indirekt auf die Einwilligung, indem er auf die „Ernstnahmetheorie“ der Vorsatzlehre rekurriert und entsprechend fordert, dass der Einwilligende die Möglichkeit des Erfolgseintritts ernstnehmen und insofern sein Gut bewusst preisgeben müsse.534 Das Erfordernis der Ernstlichkeit wird damit begründet, dass die Einwilligung nur dann dem wahren Willen des Berechtigten entspreche.535 Eine ähnliche Begründung findet sich auch für das Verlangen in § 218a Abs. 1 StGB, das nämlich sicherstellen soll, dass der Schwangerschaftsabbruch ein eigener, überlegter Wunsch der Schwangeren sei536 und diese eine „verantwortliche Letztentscheidung“ getroffen habe537. Man könnte auch hier also ebenso gut vom Erfordernis einer ernstlichen Entscheidung sprechen. In der Sache könnte damit jedoch nichts anderes als eine willensmängelfreie Entscheidung gemeint sein. Ob diese Anforderung über die Einwilligungsfähigkeit hinausgeht, wird unter C.II. und E.II. untersucht. e) Objektive Einwilligungsschranken Objektive Einwilligungsschranken rekurrieren nicht auf die subjektive Einwilligungsfähigkeit und Freiheit von subjektiven Mängeln des Einwilligenden, sondern beschränken die Wirksamkeit unabhängig von der einwilligenden Person und ihren individuellen Verhältnissen nach objektiven Kriterien.538 Zu diesen objektiven Kriterien wird etwa der Schutz von Interessen Dritter bzw. der Allgemeinheit oder im Sinne eines harten Paternalismus’ die Vernünftigkeit der Entscheidung gezählt.539 Wie bereits erörtert, ist aber selbst gemeinhin als unvernünftig eingestuftes Verhalten von der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG geschützt und kann daher nicht zu dessen Beschränkung herangezogen werden. Daran muss 532 Übersicht zum Streitstand bei Rönnau, Willensmängel bei der Einwilligung, S. 430 ff.; dafür etwa Fischer, § 228, Rn. 7; dagegen z. B. Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 47 m.w. N. 533 Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 49. 534 Rönnau, Willensmängel bei der Einwilligung, S. 191 f. 535 Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 49. 536 Eser, in: Schönke/Schröder, § 218a, Rn. 9; Gropp, in: MüKo, § 218a Rn. 16; Kröger, in: LK, § 218a, Rn. 26; Merkel, in: NK, § 218a, Rn. 69. 537 BT-Drucks. 12/2875, S. 84 f. 538 Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 9. 539 Vgl. Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 9.

III. Unrechtsausschluss

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sich das Strafrecht orientieren.540 Die paternalistisch motivierte Konstruktion von objektiven Einwilligungsschranken, die unvernünftiges Verhalten aus dem Anwendungsbereich der Einwilligung ausschließen sollen, ist daher nicht mit Art. 2 Abs. 1 GG zu vereinbaren. aa) Verfassungsrechtliche Schranken Da die Einwilligung vorliegend im aus der allgemeinen Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG fließenden Selbstbestimmungsrecht verortet wird, ergeben sich die Schranken aus der Trias gemäß Art. 2 Abs. 1, 2. Hs. GG und damit aus der verfassungsmäßigen Ordnung insgesamt. Diese schließt als Oberbegriff die Rechte anderer und das Sittengesetz ein.541 Somit kann auch einfaches Recht die Einwilligungsmöglichkeit beschränken. Eine solche Beschränkung muss mit der Verfassung im Übrigen in Einklang stehen und verhältnismäßig sein. Wenn die Einwilligung infolge Unwirksamkeit wegen einer objektiven Einwilligungsschranke keine strafbarkeitsbefreiende Wirkung für den Täter entfaltet, stellt dies einen mittelbaren Grundrechtseingriff für den Rechtsinhaber dar. Eine Einwilligungsschranke stellt aber nicht nur einen Grundrechtseingriff für denjenigen dar, der die Fremdverletzung konsentieren möchte. Gleichermaßen liegt eine Freiheitsbeeinträchtigung des Täters vor. Sternberg-Lieben konstatiert zutreffend: „Die Wirksamkeit bzw. Unwirksamkeit der Einwilligung entscheidet über beider Freiheitsraum“.542 bb) Einfachgesetzliche Schranken Wie bereits angesprochen, handelt es sich bei § 216 StGB und § 228 StGB um objektive Einwilligungsschranken.543 Objektive Einwilligungsschranken sind darüber hinaus in den Spezialgesetzen geregelt. So legt § 2 Abs. 1 Nr. 3 KastrG eine starre Altersgrenze von 25 Jahren für eine wirksame Einwilligung in die Kastration fest. Auch § 8 Abs. 1 Nr. 1a TPG sieht eine starre Altersgrenze von 18 Jahren für die Wirksamkeit der Einwilligung in die Entnahme von Organen oder Gewebe vor. In § 8 Abs. 1 S. 2 TPG ist als objektive Einwilligungsschranke die Voraussetzung einer bestimmten verwandschaftlichen oder persönlichen Beziehung aufgestellt. 540 Der Gesetzgeber darf den Anwendungsbereich der Einwilligung daher über das verfassungsrechtlich gebotene Maß ausdehnen, nicht aber dahinter zurückbleiben; vgl. Göbel, Die Einwilligung im Strafrecht, S. 22 f. 541 Da das Sittengesetz also in der verfassungsmäßigen Ordnung aufgeht, ist nicht nachvollziehbar, warum die Einwilligung mit dem Argument, so könne man der Schranke des Sittengesetzes entgehen, im jeweiligen Spezialgrundrecht verortet werden sollte. 542 Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 24. 543 Vgl. Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 103 ff., 121 ff. (zu § 226 a. F.).

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B. Unrecht, Unrechtsausschluss und -minderung

(1) Indisponible Rechte Es liegt bereits in der Natur des Selbstbestimmungsrechts, dass es nur das Recht gewährt, über sich selbst zu bestimmen. Folglich kann nur in die Verletzung subjektiver Rechte bzw. von Individualrechtsgütern eingewilligt werden, nicht aber in die Verletzung von (auch) fremden Rechten. Unter letztere fallen die Rechte Dritter und Universalrechte. Zum Teil werden aber auch Individualrechte als indisponibel bezeichnet. Die Indisponibilität eines subjektiven Rechts ist eigentlich ein Widerspruch in sich und bedarf als Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung. In einer Leitentscheidung des BGH zur Einwilligung, die sich auf die Idee v. Savignys stützt,544 heißt es: „Wie das RG (. . .) ausgeführt hat, gehören das Leben und die körperliche Unversehrtheit wie auch die Ehre zu den sog. Rechtsgütern, die zwar Dritten gegenüber Rechtsschutz genießen, selbst aber nicht Gegenstand eines Rechts ihres Trägers sind. Über sie kann ein Mensch nicht verfügen wie über eine ihm gehörige Sache, ein ihm zustehendes dingliches Recht oder ein Rechtsverhältnis“.545 Hier wird den Rechten auf Leben, körperliche Unversehrtheit und Ehre also bereits die Qualität als subjektives Recht abgesprochen, indem der Bürger nicht als Rechtsinhaber angesehen wird. Wäre dies richtig, so ergäbe sich die Unmöglichkeit der Einwilligung bereits daraus, dass Art. 2 Abs. 1 GG wie gesehen nur die Disposition über subjektive Rechte garantiert. Die Behauptung des BGH ist indessen falsch. Die Subjektivität der angesprochenen Rechte ergibt sich aus der klassischen Abwehrfunktion der Grundrechte, aus denen sie sich ergeben.546 Betroffen sind hier Art. 2 Abs. 2 S. 1, 1. und 2. Var. GG sowie das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. Leben, körperliche Unversehrtheit und Ehre sind folglich a priori disponibel. Wenn der Staat subjektive Rechte der Disposition des Bürgers entziehen und diese gesetzlich für indisponibel erklären möchte, so stellt dies einen rechtfertigungsbedürftigen Eingriff in die Einwilligungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG dar. Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung muss im Einzelfall geprüft werden. (2) Erfordernis der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung Die verfassungsrechtliche Rechtfertigung des in den objektiven Einwilligungsschranken liegenden Grundrechtseingriffs in das Selbstbestimmungsrecht richtet sich somit nach der Schrankentrias gemäß Art. 2 Abs. 1 GG. Göbel sieht die 544

So die zutreffende Interpretation von Ohly, Die Einwilligung im Privatrecht,

S. 29. 545 546

BGHZ 29, 33 (36). Vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. 3, Rn. 13 m.w. N.

III. Unrechtsausschluss

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Rechtfertigung der objektiven Einwilligungsschranken in einem höherrangigen öffentlichen Interesse, das mit dem Selbstbestimmungsrecht des Individuums kollidiert.547 Dieses lasse sich unter die Schranke der betroffenen Rechte Dritter subsumieren und müsse für die jeweilige Norm konkret geprüft werden. In der vorliegenden Arbeit greift eine solche Prüfung für die hier interessierenden § 216 und § 218a Abs. 1 StGB im Folgenden noch Platz. cc) Auswirkung auf die Unrechtskompensation Im Falle einer objektiven Einwilligungsschranke liegt der Erfolgsunwert in der Verletzung eines Rechts, das der Verfügung des Betroffenen entzogen ist. Es kann also qua Einwilligung weder ein Handlungswert noch ein Erfolgswert geschaffen werden. Soweit der Rechtsinhaber zwar grundsätzlich verfügungsbefugt ist, aber hinsichtlich eines bestimmten Teils verfügungsbeschränkt – etwa der Tötung durch fremde Hand – schlägt das Verfügungsverbot, obwohl es sich nur auf einen bestimmten Bruchteil des Rechts und damit nicht auf den Todeserfolg an sich bezieht, auf den Handlungsunwert durch. Es kann kein Handlungswert geschaffen werden, weil dieser die Erlaubnis der auf den erlaubten Erfolg gerichteten Handlung voraussetzt. Aus diesem Grunde ist die bloße Lebensgefährdung einer Kompensation zugänglich. So ist etwa eine eingewilligte lebensgefährdende Operation, die zum Tod führt, mangels vorsätzlich auf den Todeserfolg bezogenen Handlungsunwerts rechtmäßig. Die Einwilligung bezieht sich dabei nämlich nicht auf eine auf einen Tötungserfolg gerichtete Tötungshandlung, sondern eine den Tötungserfolg vermeiden wollende (gefährliche) Körperverletzung. Realisiert sich gleichwohl der für möglich gehaltene Todeserfolg, liegt insoweit kein kongruenter vorsätzlicher Handlungsunwert vor. Der vorsätzliche Handlungsunwert bleibt auf die (gefährliche) Körperverletzung beschränkt. Der realisierte Erfolgsunwert geht über den Handlungsunwert hinaus. Unrechtskonstitutiv ist aber der Handlungsunwert. Da er vollständig durch die Einwilligung kompensiert wird, ist der Erfolgsunwert „Tod“ mangels kongruenten vorsätzlichen Handlungsunwerts nicht strafbar. Es handelt sich dabei zwar um Unrecht, jedoch fehlt insoweit der personale Bezug. Es ist dann neben dem vorsätzlichen Handlungsunwert der Körperverletzung jedoch ein fahrlässiger Handlungsunwert der Tötung gegeben. Dieser müsste ebenfalls durch die Einwilligung kompensierbar sein, ansonsten träfe den Operateur die Strafbarkeit der fahrlässigen Tötung (ein kongruenter Erfolgsunwert liegt mit dem Todeserfolg ebenfalls vor). Nach überwiegender Auffassung soll hier die Einwilligung kompensierend wirken. Dazu werden unterschiedliche Begründungsansätze vertreten.548 Im Ergebnis gehen sie jedoch übereinstimmend davon 547 548

Göbel, Die Einwilligung im Strafrecht, S. 70. Vgl. zum Streit Rönnau, in: LK, Vorbem. § 32, Rn. 166.

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B. Unrecht, Unrechtsausschluss und -minderung

aus, dass in eine fahrlässige Tötung wirksam eingewilligt werden kann (dazu im Folgenden unter F.I.1.b)bb)). Aus alledem ergibt sich, dass die behauptete Indisponibilität des Lebensrechts als objektive Einwilligungsschranke von der herrschenden Meinung nur auf die Vorsatztat beschränkt wird. Die Einwilligung vermag hiernach folglich nur einen vorsätzlichen Handlungsunwert, der auf einen Todeserfolg gerichtet ist, nicht zu kompensieren. Allerdings ist ein Recht entweder indisponibel, dann betrifft dies sowohl die fahrlässige als auch die vorsätzliche Verletzung, oder es ist disponibel. Eine solche Teilindisponibilität ist systemfremd. Hier herrscht ein erhebliches Begründungsdefizit. Zu prüfen bleibt darüber hinaus, ob die Behauptung, dass die vorsätzliche Tötung durch fremde Hand nicht qua Einwilligung zu kompensieren sei, sich als richtig erweist.549 Denn die vorsätzliche Fremdtötung ist zumindest im Rahmen der Notwehr550, im Rahmen der Sterbehilfe551, polizeigesetzlich („finaler Rettungsschuss“)552 und kriegsvölkerrechtlich553 durchaus der Unrechtskompensation zugänglich.

549 550

Siehe D.I. und F.I. Zur durch Notwehr gerechtfertigten Tötung instruktiv Kühl, JURA 2009, S. 881

(881). 551 552 553

Vgl. F.I. Dazu Kühl, JURA 2009, S. 881 (883). Kühl, JURA 2009, S. 881 (883).

C. Voraussetzungen des Verlangens Nachdem das theoretische Fundament gelegt wurde, soll nun geklärt werden, welche Voraussetzungen das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ hat. Im Folgenden soll der bisherige Meinungsstand – zunächst zu § 216 Abs. 1 StGB, dann zu § 218a Abs. 1 StGB – abgebildet werden. Dabei werden auch die im bisherigen Diskurs offen gebliebenen Fragen beantwortet.

I. § 216 Abs. 1 StGB Im Hinblick auf § 216 Abs. 1 StGB sind die Fragen allerdings oft eher theoretischer Natur, da Fälle der verlangten Fremdtötung sehr selten sind. Für das Jahr 2015 erfasst die polizeiliche Kriminalstatistik lediglich 13 Taten.1 Gerichtsentscheidungen, in denen wegen Tötung auf Verlangen verurteilt wurde oder § 216 StGB zu prüfen war, sind daher ebenfalls rar. Einige wenige sind aber immerhin da, die auf die Facetten der Problematik verweisen. Das Kernproblem in Bezug auf § 216 StGB ist die Frage, warum die Einwilligung in die Tötung nicht rechtfertigend wirken soll und die Privilegierung – jedenfalls ausweislich des Wortlautes – ein Verlangen statt einer Einwilligung voraussetzt. Dieses Problem ist inzwischen auch praktisch virulent geworden, da die Entscheidung des BGH vom 25. Juni 20102 von nicht wenigen Stimmen so gelesen wird, dass er nunmehr die rechtfertigende Einwilligung direkter und aktiver Tötungen im Bereich der Sterbehilfe anerkannt habe.3 Walter weist darauf hin, dass sich das Dogma der Einwilligungssperre aus § 216 StGB lediglich aus dem Tatbestand selbst speise und daher auch mit diesem stehe und falle.4 Die Bedeutung des Tatbestandsmerkmals „Verlangen“ ist in der strafrechtlichen Literatur in diesen Zusammenhängen bisher nicht eingehender beleuchtet worden. 1. Verlangen als objektives oder subjektives Tatbestandsmerkmal? Zunächst ist nach dem dogmatischen „Standort“ des Tatbestandsmerkmals zu fragen. Ob das Tötungsverlangen in § 216 StGB ein objektives oder subjektives Tatbestandsmerkmal darstellt, wird nicht ganz einheitlich beurteilt.5 1 2 3 4 5

Bundesministerium des Inneren, Polizeiliche Kriminalstatistik 2015, S. 82 (Tabelle). BGH, Urt. v. 25. Juni 2010 – 2 StR 454/09 (LG Fulda) = NJW 2010, S. 2963. Siehe dazu F.I.1.b). Walter, NStZ 2014, S. 368 (375). Darstellung bei Gierhake, GA 2012, S. 291 (292) m.w. N.

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C. Voraussetzungen des Verlangens

a) Subjektives Tatbestandsmerkmal Eine heute inzwischen kaum mehr und auch früher nur von wenigen vertretene Auffassung begreift das Verlangen als subjektives Tatbestandsmerkmal und lässt die subjektive Vorstellung des Täters, dass ein Tötungsverlangen des Getöteten vorliege, für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals in § 216 Abs. 1 StGB genügen.6 Der Täter müsse vom – auch nur vermeintlichen – Tötungsverlangen zur Tat bestimmt worden sein. Als Argument hierfür wurde vorgebracht, dass § 216 StGB sich von den §§ 211, 212 StGB durch die besondere Art und Weise des Zustandekommens des Tötungsvorsatzes unterscheide, indem der Täter diesen erst aufgrund der Anstiftung durch den Getöteten fasst.7 b) Objektives Tatbestandsmerkmal Die ganz herrschende Meinung sieht das Verlangen dagegen als objektives Tatbestandsmerkmal an.8 Als Begründung wird teils angeführt, dass sich § 216 StGB durch das äußere Tatgeschehen von § 212 StGB unterscheide und nicht nur im Tatvorsatz.9 Außerdem liefe ansonsten § 16 Abs. 2 StGB insoweit leer.10 c) Würdigung Das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ ist auch nach der hier vertretenen Auffassung als objektives Tatbestandsmerkmal zu begreifen. Richtigerweise ist der Grund in der Einwilligungsdogmatik zu sehen, nach der die Unrechtskompensation vom objektiven Vorliegen der Einwilligung abhängt und nicht davon, ob der Täter sich ihr Vorliegen vorstellt.11 Warum die Einwilligungsdogmatik für das Verlangen Geltung beansprucht, wird im Folgenden geklärt. 2. Verhältnis des Tötungsverlangens zur Einwilligung Die Frage nach dem Verhältnis des Tatbestandsmerkmals „Verlangen“ in § 216 Abs. 1 StGB zur rechtfertigenden Einwilligung12 wird zum Teil gar nicht the6 Gössel/Dölling, BT 1, § 5, Rn. 12; Horn, in: SK, 6. Aufl., 50. Lfg., April 2000, § 216, Rn. 3 (jedoch anders in der Neuauflage Sinn, in: SK, 7. Aufl., 125. Lfg., Oktober 2010), § 216, Rn. 3; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 1, § 2, Rn. 62. 7 Horn, in: SK, 6. Aufl., § 216, Rn. 3 (anders die Neuauflage; vgl. Sinn, in: SK, § 216, Rn. 3). 8 Eser, in: Schönke/Schröder, § 216, Rn. 4; Fischer, § 216, Rn. 3; Gierhake, GA 2012, S. 291 (305); Joecks, § 216, Rn. 8; Küper, JURA 2007, S. 260 (263); Neumann, in: NK, § 216, Rn. 18; Schneider, in: MüKo, § 216, Rn. 10 f. 9 Jähnke, in: LK, § 216, Rn. 2. 10 Jähnke, in: LK, § 216, Rn. 2. 11 Vgl. Eser, in: Schönke/Schröder, § 216, Rn. 4; Neumann, in: NK, § 216, Rn. 17; Schneider, in: MüKo, § 216, Rn. 11. 12 Vgl. B.II.2.

I. § 216 Abs. 1 StGB

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matisiert. So führt Kindhäuser aus, dass das Verlangen ein nachdrückliches Begehren sei, für das die „bloße Zustimmung“ nicht genüge.13 Er setzt das Verlangen allerdings nicht ins Verhältnis zur Einwilligung. Einige verweisen immerhin auf den Wortsinn,14 hinterfragen aber auch nicht, warum der Gesetzgeber an dieser Stelle eine Unterscheidung von der Einwilligung gewollt haben soll. Denkbar ist etwa, dass die Differenzierung zwischen Einwilligung und Verlangen lediglich deklaratorischer Natur sein könnte, also hier zwar eigentlich den Voraussetzungen nach eine Einwilligung gefordert wird, der rechtstechnische Begriff der Einwilligung aber nur deshalb vermieden wurde, weil sich daran die Rechtsfolge der Rechtfertigung knüpft. So begreift Schneider das Verlangen deshalb als Unterfall der Einwilligung, weil die Grundlage der Unrechtsminderung die Disposition des Rechtsgutsträgers über das tatbestandliche Schutzobjekt darstelle.15 Überwiegend wird die Frage dahingehend beantwortet, dass sich das Verlangen hinsichtlich seiner Voraussetzungen im Sinne eines „Plus“ vom Institut der Einwilligung unterscheide.16 Nach einer Mindermeinung wird das Tötungsverlangen des § 216 Abs. 1 StGB strafrechtsdogmatisch als Unterfall der Einwilligung angesehen.17 Manche setzen es mit der Einwilligung gleich,18 zum Teil aber mit höheren formalen Anforderungen19. a) Verlangen als „Plus“ gegenüber der Einwilligung aa) Literatur Innerhalb der Literaturmeinung, nach der das Verlangen ein „Plus“ gegenüber der Einwilligung darstellt, lassen sich zwei Strömungen unterscheiden: die Einordnung des Verlangens als qualifizierte Einwilligung oder als aliud.

13

Kindhäuser, BT I, § 3, Rn. 10. Jähnke, in: LK, § 216, Rn. 4. 15 Schneider, in: MüKo, § 216, Rn. 12; ähnlich Arzt, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, 2. Aufl. 2009, § 3, Rn. 12. 16 Vgl. RGSt 68, 306; Eser, in: Schönke/Schröder, § 216, Rn. 5; Fischer, § 216, Rn. 2; Jähnke, in: LK, § 216, Rn. 4; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 216, Rn. 2; Maurach/ Schroeder/Maiwald, BT 1, § 2, Rn. 62; Rengier, BT 2, § 6, Rn. 3. Nicht das „Verlangen“, sondern das „Bestimmen“ sei mehr als die Einwilligung vertritt BGH, NJW 2005, S. 1879; kritisch Mitsch, FS-Weber, S. 58 f.; ablehnend Arzt, in: Arzt/Weber/Heinrich/ Hilgendorf, BT, 2. Aufl. 2009, § 3, Rn. 12; Schneider, in: MüKo, § 216, Rn. 12. 17 So etwa Schneider, in: MüKo, § 216, Rn. 12. 18 Arzt, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, 2. Aufl. 2009, § 23, Rn. 13; ebenso in der Neuauflage Hilgendorf, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, 3. Aufl. 2015, § 23, Rn. 13. 19 Fischer, § 216 Rn. 7. 14

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C. Voraussetzungen des Verlangens

(1) Qualifizierte Form Einige sehen das Verlangen als qualifizierte20 bzw. gesteigerte21 Einwilligung und damit als eine bestimmte Einwilligungsform mit höheren Voraussetzungen an.22 Oft wird von einem „Mehr“ oder „Plus“ im Verhältnis zur Einwilligung gesprochen.23 So ist nach der Auffassung Eschelbachs das Verlangen „mehr als die bloße Einwilligung“, in dem Verlangen sei aber eine Einwilligung enthalten.24 Eser führt zwar aus, dass das Verlangen „kein bloßer Unterfall zur Einwilligung“ sei, hält es wohl aber nicht für ein aliud, da er es als „darüber hinausgehendes Plus“ beschreibt.25 Das bloße Einverständnis des Getöteten genüge hierzu nicht, sagen andere.26 Vielmehr müsse der Getötete darüber hinaus gezielt auf den Willen des Täters eingewirkt haben.27 Diese Einwirkung entspreche dem „Bestimmen“ i. S. v. § 26 StGB, es sei mithin nicht vonnöten, dass der Vorschlag oder die Initiative vom Getöteten ausgegangen sein müsse, sondern das Opfer könne auch einem Vorschlag des Täters nachdrücklich zustimmen, wenn der Täter ohne diese Zustimmung nicht handeln würde.28 Auch Momsen setzt das Verlangen mit einem „Bestimmen“ gleich29 und ist (wohl im Anschluss an die Entscheidung des BGH im sogenannten „Kannibalen-Fall“ 30) der Auffassung, dass für das Bestimmen mehr verlangt werden müsse als eine bloße Einwilligung.31 Küpper definiert das Verlangen als qualifizierte Einwilligung durch die unmissverständliche Kundgabe des Tötungsbegehrens, das mehr als bloßes „Einverstandensein“ bedeute, vielmehr müsse das Ziel die Einwirkung auf den anderen sein.32 20

Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 287 f. Kühl, JURA 2009, S. 881 (881). 22 Kritisch Mitsch, FS-Weber, S. 58 f. 23 So etwa Bringewat, in: Eser, Suizid und Euthanasie, S. 368 (373); Eser, in: Schönke/Schröder, § 216, Rn. 5; ebenso Kühl, in: Lackner/Kühl, § 216, Rn. 2. 24 Eschelbach, in: BeckOK, § 216, Rn. 9. 25 Eser, in: Schönke/Schröder, § 216, Rn. 5. 26 Duttge, in: Prütting, Fachanwaltskommentar, StGB, § 216, Rn. 3; Safferling, in: Matt/Renzikowski, § 216, Rn. 7. 27 Eser, in: Schönke/Schröder, § 216, Rn. 5; Hillenkamp, in: Anderheiden/Eckart, Bd. 1, S. 349 (353, Fn. 18); Jähnke, in: LK, § 216, Rn. 4; Joecks, § 216, Rn. 5: „mehr als bloßes Einverständnis“ sowie Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 1, § 2, Rn. 62; Neumann, in: NK, § 216, Rn. 10; Rengier, BT II, § 6, Rn. 6 und Wessels/Hettinger, BT 1, Rn. 156: „mehr als bloßes Einwilligen“. 28 Eser, in: Schönke/Schröder, § 216, Rn. 5; kritisch Feldmann, Mitwirkungshandlungen am Suizid, S. 355 ff. 29 Diese Umschreibung findet sich zudem bei Safferling, in: Matt/Renzikowski, § 216, Rn. 7; dazu sogleich unter (2). 30 BGH, Urt. v. 22. April 2005 – 2 StR 310/04 = NJW 2005, S. 1876 – Kannibale; siehe C.I.2.a)bb). 31 Momsen, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, § 216, Rn. 5. 32 Küpper, BT 1, § 1, Rn. 63. 21

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Kühl 33 sowie Rössner/Wenkel 34 bezeichnen das Verlangen als „gesteigerte Einwilligung“. Es sei das Begehren des Todes und meine mehr als nur eine Einwilligung und ein Dulden der Tat.35 Auch Duttge sieht das Verlangen als Begehren an, mit dem der später Getötete ziel- und zweckgerichtet auf den Täterwillen einwirke und das dadurch zum maßgeblichen Auslöser des Tatgeschehens werde.36 Die bloße Einwilligung und Duldung der Tat genüge nicht.37 (2) Aliud Von einigen wird das Verlangen als aliud von der Einwilligung unterschieden, allerdings ohne das ausdrücklich zu sagen. Es ergibt sich im Wesentlichen daraus, dass das Verlangen nicht als Einwilligungsform oder -art beschrieben wird, sondern als etwas anderes, der Einwilligung ähnliches. So ist etwa nach Gierhake das Verlangen der Einwilligung ähnlich, aber eine der Intensität nach stärkere Äußerung, mit der ein Begehren ausgedrückt werde.38 Jähnke nimmt an, dass im Verlangen Elemente der Einwilligung „durchschlagen“, darüber hinaus müssen seiner Auffassung nach Willensfestigkeit und Zielstrebigkeit die innere Haltung des Verlangenden kennzeichnen.39 Safferling äußert sich etwas ungenau dazu, was das Verlangen als gesteigertes Einverständnis ausmache, indem er ausführt, dass ein „Bestimmen“ im Sinne von § 26 StGB genüge (er behandelt dies in einem Abschnitt über das „Verlangen“, abgegrenzt vom Tatbestandsmerkmal des „Bestimmt-worden-seins“, das in § 216 Abs. 1 StGB ebenfalls normiert ist).40 Auf welche Voraussetzungen er damit abstellen möchte, geht daraus nicht eindeutig hervor, da diese für das „Bestimmen“ i. S. v. § 26 StGB sehr unterschiedlich beurteilt werden. Darauf wird unter C.I.7. näher eingegangen, zum Verständnis des von Safferling Gemeinten sei jedoch so viel vorgegriffen: Nach einer Mindermeinung ist für das Bestimmen eine kommunikative, nachdrückliche Beeinflussung mit Aufforderungscharakter erforderlich. Die herrschende Meinung lässt dagegen jede Einwirkung genügen, die für die Hervorrufung des Tatentschlusses (mit-)ursächlich ist.41 Bestimmt ist der Täter danach, wenn durch die Bestimmungshandlung der Entschluss zur Tat in ihm hervorgerufen wird,42 die 33

Kühl, AT, § 9, Rn. 28; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 216, Rn. 1. Rössner/Wenkel, in: HK, § 216, Rn. 1. 35 Rössner/Wenkel, in: HK, § 216, Rn. 8. 36 Duttge, in: Prütting, Fachanwaltskommentar, StGB, § 216, Rn. 3. 37 Duttge, in: Prütting, Fachanwaltskommentar, StGB, § 216, Rn. 3. 38 Gierhake, GA 2012, S. 291 (291, 293); so auch Murmann, Grundkurs Strafrecht, § 21, Rn. 84. 39 Jähnke, in: LK, § 216, Rn. 2, 4. 40 Safferling, in: Matt/Renzikowski, § 216, Rn. 7. 41 Kühl, in: Lackner/Kühl, § 26, Rn. 2 m.w. N. 42 Heine, in: Schönke/Schröder, § 26, Rn. 4 m.w. N. 34

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C. Voraussetzungen des Verlangens

Einwirkung also (mit-)ursächlich für die Auswirkung ist. Indem Safferling weiter ausführt, dass der Vorschlag auch vom Täter ausgehen könne, solange der Täter ohne die eindeutige Zustimmung des Opfers nicht zur Tat schreiten würde,43 ergibt sich für das Verlangen lediglich, dass es (auch) in Reaktion auf einen Vorschlag des Täters geäußert werden kann. Gegen die Annahme, dass Safferling mit dem Bestimmen auf die herrschende Meinung rekurriert, spricht der Umstand, dass dies im Widerspruch zu seiner Definition des Verlangens als „mehr als ein bloßes Einverständnis“ 44 stünde – denn mehr als ein bloßes Einverständnis muss die mittelunspezifizierte ursächliche Hervorrufung des Tatentschlusses gerade nicht sein, die kommunikative, nachdrückliche Beeinflussung mit Aufforderungscharakter ist es hingegen schon. Somit dürfte Safferling das Tötungsverlangen als nicht notwendig initiative kommunikative Beeinflussung mit Aufforderungscharakter verstehen. bb) Rechtsprechung In einem Urteil von 17. September 1934 hatte sich das Reichsgericht mit dem Verhältnis von Einverständnis und Verlangen zu befassen. Es stellte fest, dass Einverstandensein die Billigung des bekannten Vorhabens des anderen bedeute.45 Das Einverstandensein müsse der Ausdruck der Übereinstimmung der eigenen inneren Stellungnahme mit der des anderen sein, mithin mehr sein als bloßes Hinnehmen und ein bloßes Geschehenlassen.46 Demgegenüber schließe das Verlangen im Sinne von § 216 StGB begrifflich eine Betätigung mit dem Ziel der Einwirkung auf den anderen ein.47 Für das Verlangen genüge daher nicht, wenn der Getötete die Tötung gebilligt habe.48 Das LG Ravensburg führt in seinem Urteil vom 3. Dezember 1986 aus, dass „zu Recht auch eine Einwilligung des Getöteten in seine Tötung oder gar sein Todesverlangen die Tötung nicht rechtfertigen“ 49 könne, es geht also davon aus, dass ein Todesverlangen mehr sei als die Einwilligung. Der 2. Strafsenat des BGH stellt im „Kannibalen-Fall“ fest, dass das „Bestimmen“ i. S. v. § 216 mehr voraussetze als die bloße Einwilligung des Opfers.50

43 44 45 46 47 48 49 50

Safferling, in: Matt/Renzikowski, § 216, Rn. 7. Safferling, in: Matt/Renzikowski, § 216, Rn. 7. RGStE 68, 306 (307). RGStE 68, 306 (307). RGStE 68, 306 (307). Vgl. RGStE 68, 306. LG Ravensburg, NStZ 1987, S. 229; Hervorhebung von der Verfasserin. BGH, Urt. v. 22. April 2005 – 2 StR 310/04 = NJW 2005, S. 1876 (1879).

I. § 216 Abs. 1 StGB

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b) Verlangen als Synonym zur Einwilligung Wohl überwiegend wird das Verlangen als Synonym zur Einwilligung begriffen oder jedenfalls in der Praxis so behandelt. Im Verlauf dieser Arbeit wird sich zeigen, dass in der Praxis sogar jene, die das Verlangen ausdrücklich eigentlich als „Plus“ zur Einwilligung beschreiben, letztlich dieselben Voraussetzungen annehmen und dadurch in der Sache Einwilligung und Verlangen gleichsetzen. aa) Literatur Nach Fischer kann für das Verlangen inhaltlich nicht mehr als eine unbedingte Einwilligung vorausgesetzt werden, auch wenn formal dem Wortsinn nach ein aktives, auf die Tötungsmotivation des Täters gerichtetes Handeln im Gegensatz zu einem hinnehmenden Einverständnis notwendig sei.51 Ein besonders starker Wunsch als primäre oder alleinige Motivation sei aber nicht erforderlich.52 Schneider bezeichnet das Tötungsverlangen zwar zunächst als „einwilligungsähnlich“,53 jedoch betrachtet er das Verlangen strafrechtsdogmatisch als Unterfall der Einwilligung.54 Es beschreibe in Bezug auf die innere Haltung den Todeswunsch des Verlangenden und setze dem Wortsinn nach mehr voraus als ein einverständliches Hinnehmen oder Geschehenlassen, nämlich bezüglich der äußeren Form eine auf das Vorstellungsbild des Erklärungsadressaten abzielende aktive Willensäußerung.55 Die Folgerung der herrschenden Meinung, dass das Verlangen demnach mehr als eine bloße Einwilligung darstellen müsse, da für die Einwilligung die Billigung des Vorhabens genüge, sei jedoch ohne praktische Bedeutung.56 Auch für die Einwilligung reiche ein bloßes Geschehenlassen und Dulden des Eingriffs nicht aus, so dass insoweit gar kein Unterschied zum Verlangen bestünde.57 Nach Arzt ist für die Auslegung des § 216 StGB von einer Unrechtsabschwächung wegen Einwilligung des Opfers auszugehen, das Verlangen sei als (ausdrückliche) Einwilligung zu interpretieren.58 Die Wortwahl im Gesetz resultiere aus einer kriminalpolitischen Notwendigkeit, die Beweislage zulasten des Täters 51

Fischer, § 216, Rn. 7a. Fischer, § 216, Rn. 7a. 53 Schneider, in: MüKo, § 216, Rn. 1. 54 Schneider, in: MüKo, § 216, Rn. 12. 55 Schneider, in: MüKo, § 216, Rn. 13. 56 Schneider, in: MüKo, § 216, Rn. 12, Fn. 35. 57 Schneider, in: MüKo, § 216, Rn. 12, Fn. 35; dies hat schon das Reichsgericht in RGStE 68, 306 angenommen. 58 Arzt, ZStW 83 (1971), S. 1 (36 f.); ders., in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, 2. Aufl. 2009, § 3, Rn. 13; ihm in der 3. Auflage folgend Hilgendorf, in: Arzt/Weber/ Heinrich/Hilgendorf, BT, 3. Aufl. 2015, § 3, Rn. 13. 52

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C. Voraussetzungen des Verlangens

zu verschlechtern.59 Damit gehe allerdings eine Verwischung der eigentlichen ratio legis einher, nach der die Unrechtsabschwächung auf dem zustimmenden Willen des Opfers beruhe, wofür eine Einwilligung ausreiche.60 Daher sei das Verlangen mit der Einwilligung weitgehend gleichzusetzen, auch die Maßstäbe seien gleich.61 Es mache auch keinen Sinn, zwischen einem ernstlichen Verlangen und einer ernsthaften Einwilligung (auch die Einwilligung müsse „ernst gemeint“ sein) zu unterscheiden. Der Einwand, dass ein einwilligendes Wort schnell gesprochen sei, ist nach der Auffassung von Arzt deshalb nicht richtig, weil man dann alle empfindlichen Eingriffe (z. B. auch schwere Operationen) nach der Verlangens- und nicht nach der Einwilligungsdoktrin beurteilen müsse.62 Die wichtigste Folgerung aus der Gleichsetzung von Verlangen und Einwilligung sei, dass die Initiative zur Tötung auch vom Täter ausgehen könne.63 Dies erkenne auch die herrschende Meinung an, obwohl sie zugleich annehme, dass das Verlangen mehr sein müsse als bloße Zustimmung.64 Die Möglichkeit, dass der Täter initiativ sein könne, lasse indes auch aus Opfersicht zwischen Einwilligung und Verlangen kaum einen Unterschied zu.65 Steinhilber hält es ebenfalls für fraglich, ob das Verlangen realiter mehr ist als ein bloßes Einverständnis.66 Auch Mitsch sieht das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ mittlerweile als weitgehend synonym zur Einwilligung an. Während er 2004 einen Sonderweg beschritt, auf den im Folgenden noch eingegangen wird, beschreibt er im Jahr 2011 das Verlangen als das „bekundete Einverständnis mit Tathandlung und Taterfolg“, wobei „eine vollständige Übereinstimmung von Willen, Willensäußerung und Tat hergestellt werden“ müsse.67 Mitsch merkt zwar an, dass die spezielle Wortwahl des Gesetzes signalisiere, „dass ein Unterschied zwischen Einwilligung und Verlangen bestehe, das Verlangen stärkeren Aufforderungscharakter hat und deshalb eine – verglichen damit ,schwächere‘ – Einwilligung nicht ausreiche: ,Verlangen‘ sei mehr als eine Einwilligung“.68 Er stellt aber weiterhin fest, dass der Unterschied zum Tötungsverlangen gering sei, „da nach h. M. auch eine Einwilligung der Kundgabe bedarf um rechtswirksam zu sein“ und sich bereits aus allgemeinen Einwilligungsgrundsätzen ergebe, dass das bloße Dulden oder Geschehenlassen der Tötung nicht ausreiche, so dass dies kein Spezifikum des Verlangens 59 60 61 62 63 64 65 66 67 68

Arzt, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, 2. Arzt, a. a. O. Arzt, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, 2. Arzt, a. a. O. Arzt, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, 2. Arzt, a. a. O. Arzt, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, 2. Steinhilber, JA 2010, S. 430. Mitsch, in: AK, § 216, Rn. 7. Mitsch, in: AK, § 216, Rn. 7.

Aufl. 2009, § 3, Rn. 13. Aufl. 2009, § 3, Rn. 13. Aufl. 2009, § 3, Rn. 12. Aufl. 2009, § 3, Rn. 13.

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sei.69 Mitsch fasst schließlich zusammen, dass der Unterschied zwischen dem Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ und der rechtfertigenden Einwilligung möglicherweise nur darin bestehe, dass das Tötungsverlangen den Täter zur Tat bestimmt haben müsse (bei der Einwilligung genüge die Kenntnis).70 Da das „Bestimmt-worden-sein“ zur Tat zwar ein auf das Verlangen bezogenes, trotzdem aber eigenständiges Tatbestandsmerkmal des § 216 Abs. 1 StGB ist, besteht nach der Auffassung von Mitsch somit jedenfalls in der Sache kein Unterschied zwischen Verlangen und Einwilligung. bb) Rechtsprechung In der Rechtsprechung insbesondere der Instanzgerichte lässt sich eine leichte Tendenz feststellen, dass im Ergebnis das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ bejaht wird, wenn nur die Voraussetzungen einer Einwilligung vorliegen, auch wenn eigentlich von höheren Anforderungen ausgegangen wird. Manchmal wird terminologisch nicht ganz sauber zwischen Verlangen und Einwilligung getrennt. Bereits das Reichsgericht prüfte die Voraussetzungen in der Person des Verlangenden im Hinblick auf Alter und etwaige Geisteskrankheit kurzerhand gemeinsam für ein „Verlangen oder die Einwilligung“.71 Das OLG München führt im bekannten Fall „Hackethal“ aus, dass ein Selbsttötungswille nur dann eigenverantwortlich sei, wenn er Ausdruck eines „freien und ernstlichen Verlangens nach dem eigenen Tod ist“.72 Ein selbst zu verantwortender Suizid werde „daher erst dann bejaht, wenn dieser den Voraussetzungen der Einwilligung in eine fremde Tat gerecht wird“.73 In beiden Fällen geht es allerdings weniger um das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“, als um die Ernstlichkeit bzw. Freiverantwortlichkeit. Terminologisch wird auch insoweit nicht sauber differenziert. Im bereits angesprochenenen „Kannibalen“-Fall, in dem der 2. Strafsenat des BGH feststellt, dass das Tatbestandsmerkmal „Bestimmen“ i. S. v. § 216 Abs. 1 StGB mehr voraussetze als eine bloße Einwilligung,74 reduziert der Senat nach Auffassung von Arzt das Verlangen aus der Opferperspektive auf die Einwilligung.75 Andererseits könnte es sich dabei lediglich um eine sprachliche Ungenauigkeit gehandelt haben. Das AG Tiergarten setzt in seinem Urteil vom 13. September 2005 das bloße Einverständnis mit dem Verlangen weitgehend gleich, indem es die mehrmals auf 69 70 71 72 73 74 75

Mitsch, in: AK, § 216, Rn. 7 m.w. N. Mitsch, in: AK, § 216, Rn. 7. Reichsgericht, Urt. v. 1. November 1938 = RGStE 78, 399 (400). OLG München, NJW 1987, S. 2940 (2942) – Hackethal. OLG München, NJW 1987, S. 2940 (2942) – Hackethal. BGH, NJW 2005, S. 1879 – Kannibale. Arzt, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, 2. Aufl. 2009, § 3, Rn. 13a.

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C. Voraussetzungen des Verlangens

Nachfrage geäußerte Zustimmung als Verlangen wertet.76 Ein Verlangen liege vor, da das Opfer die Frage, ob es sterben wolle, „eindeutig mit ,Ja‘ beantwortet“ habe. Die Angeklagte wurde deshalb wegen Tötung auf Verlangen schuldig gesprochen, von Strafe jedoch abgesehen. Dem lag der Sachverhalt zugrunde, dass eine Mutter ihren nach einem Unfall durch eine spastische Tetraparese schwerstbehinderten Sohn über einen Zeitraum von zehn Jahren aufopfernd pflegte. Sowohl für die Mutter als auch ihren Sohn war die Situation extrem belastend. Die Kommunikation über Augenzwinkern und/oder Kopfnicken waren nach einem Unfall die einzigen dem Sohn möglichen Mitteilungsformen. Es gab die Regelung, dass einmaliges Augenzwinkern eine Bejahung, zwei- oder mehrmaliges Augenzwinkern ein Verneinen bedeuten solle.77 Die Mutter stellte ihrem Sohn, nachdem sich sein Zustand zunehmend verschlechterte, mehrmals die Frage, ob er sterben wolle. Er bejahte jedes Mal mit einem Augenzwinkern. Nachdem sie mit ihrem Sohn über die Vorgehensweise gesprochen und er die Frage, ob er sterben wolle, erneut bejaht hatte, tötete sie ihn durch Medikamentengabe.78 Anschließend versuchte sie, sich selbst zu töten. cc) Alternativentwürfe Unter der Vielzahl von Alternativentwürfen zum Strafgesetzbuch werden nur einige ausgewählte Vorschläge dargestellt. (1) Entwurf von Hoerster 1988 Hoerster schafft in seinem Entwurf aus dem Jahr 198879 einen Rechtfertigungsgrund für die Tötung mit Einwilligung und behält daneben einen Privilegierungstatbestand für die rechtswidrige Tötung mit Einwilligung bei.80 Daraus 76 Vgl. AG Tiergarten, Urt. v. 13.09.2005 – (237) 1 Kap Js 2655-04 Ls (19/05) = MedR 2006, S. 298 = BeckRS 2006, 00655: „Daraufhin hat er noch einmal seine Augen einmal geschlossen, was die Angeklagte als ein ,Ja‘ und als Einverständnis zu ihrem Handeln verstand. Anschließend führte sie ihrem Sohn – wie zuvor besprochen – über die Magensonde den in Wasser aufgelösten Medikamentencocktail zu.“ 77 AG Tiergarten, Urt. v. 13.09.2005 – (237) 1 Kap Js 2655-04 Ls (19/05) = MedR 2006, S. 298 = BeckRS 2006, 00655. 78 AG Tiergarten, Urt. v. 13.09.2005 – (237) 1 Kap Js 2655-04 Ls (19/05) = BeckRS 2006, 00655. 79 Hoerster, ZRP 1988, 1 (4); vgl. auch die erste, andere Fassung in NJW 1986, S. 1786 (1792). 80 § 216 Tötung mit Einwilligung (1) Die Einwilligung des Getöteten schließt die Rechtswidrigkeit der Tötung nicht aus, es sei denn, er leidet an einer unheilbaren Krankheit, die das weitere Leben für ihn wertlos macht. (2) Die mit Einwilligung des Getöteten begangene, rechtswidrige Tötung wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu 5 Jahren bestraft. (3) Der Versuch ist strafbar.

I. § 216 Abs. 1 StGB

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erhellt, dass er das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ für verzichtbar erachtet. Dass Hoerster zwar einerseits der Einwilligung in die Tötung unter bestimmten Umständen81 rechtfertigende Wirkung zuspricht, andererseits aber auch die Tötung mit Einwilligung noch für rechtswidrig erachtet, wenn diese Umstände nicht gegeben sind und für diesen Fall die bisherige Privilegierung beibehält, spricht dafür, dass er dem Verlangen keine eigenständige Bedeutung gegenüber der Einwilligung beimisst. (2) Alternativ-Entwurf Sterbehilfe 1986 Der Alternativ-Entwurf Sterbehilfe von 198682 differenziert zwischen den Tatbestandsmerkmalen „Einwilligung“ und „Einverständnis“ (§ 214a StGB-E83) sowie „Verlangen“ (§§ 214 Abs. 1 Nr. 184, 216 Abs. 1 StGB-E85). 81 Hoerster knüpft an an eine unheilbare Krankheit, die das Leben für den Betroffenen „wertlos“ mache, an. Eine solche Bewertung menschlichen Lebens wird hier abgelehnt, ebenso die Hernahme der Krankheit als Hauptkriterium. Zur Begründung siehe F.I.2. 82 AE-Sterbehilfe, S. 15. 83 § 214a Leidensmindernde Maßnahmen Wer als Arzt oder mit ärztlicher Ermächtigung bei einem tödlich Kranken mit dessen ausdrücklichem oder mutmaßlichem Einverständnis Maßnahmen zur Linderung schwerer, anders nicht zu behebender Leidenszustände trifft, handelt nicht rechtswidrig, auch wenn dadurch als nicht vermeidbare Nebenwirkung der Eintritt des Todes beschleunigt wird. 84 § 214 Abbruch oder Unterlassung lebenserhaltender Maßnahmen (1) Wer lebenserhaltende Maßnahmen abbricht oder unterlässt, handelt nicht rechtswidrig, wenn 1. der Betroffene dies ausdrücklich und ernstlich verlangt oder 2. der Betroffene nach ärztlicher Erkenntnis das Bewusstsein unwiederbringlich verloren hat oder im Fall eines schwerstgeschädigten Neugeborenen niemals erlangen wird oder 3. der Betroffene nach ärztlicher Erkenntnis sonst zu einer Erklärung über Aufnahme oder Fortführung der Behandlung dauernd außerstande ist und aufgrund verlässlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass er im Hinblick auf Dauer und Verlauf seines aussichtslosen Leidenszustandes, insbesondere seinen nahe bevorstehenden Tod, diese Behandlung ablehnen würde, oder 4. bei nahe bevorstehendem Tod im Hinblick auf den Leidenszustand des Betroffenen und die Aussichtslosigkeit einer Heilbehandlung die Aufnahme oder Fortführung lebenserhaltender Maßnahmen nach ärztlicher Erkenntnis nicht mehr angezeigt ist. [. . .] 85 § 216 Tötung auf Verlangen (1) Ist jemand durch das ausdrückliche und ernsthafte Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen. (2) Das Gericht kann unter den Voraussetzungen des Abs. 1 von Strafe absehen, wenn die Tötung der Beendigung eines schwersten vom Betroffenen nicht mehr zu ertragenden Leidenszustandes dient, der nicht durch andere Maßnahmen behoben oder gelindert werden kann. [. . .]

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C. Voraussetzungen des Verlangens

Vordergründig scheint das „Verlangen“ als „Plus“ zur Einwilligung begriffen zu werden. Die Initiative müsse zwar nicht vom Patienten ausgehen, dieser müsse aber „nachdrücklich zustimmen“.86 Tatsächlich spricht hingegen einiges für die Lesart eines synonymen Verständnisses von Verlangen und Einverständnis. So erfasst § 214 Abs. 1 Nr. 1 StGB-E drei Fallgruppen: die generelle Ablehnung einer Behandlung, die Verweigerung der Einwilligung in neue Behandlungsschritte im Rahmen einer Behandlung sowie das Verlangen nach Beendigung einer laufenden Maßnahme. Die Verweigerung neuer Behandlungsschritte bezieht sich demnach schlicht auf die Verweigerung der Einwilligung, und nicht etwa auf ein Verlangen der Unterlassung. Warum nun aber eine noch nicht begonnene Behandlung schlicht abgelehnt, dafür aber die Beendigung einer begonnenen Behandlung verlangt werden muss, ist nicht ohne Weiteres ersichtlich. Offenbar setzt der Entwurf für eine Tötung durch aktives Tun ein Verlangen voraus und für die Tötung durch Unterlassen eine Einwilligung bzw. Verweigerung der Einwilligung in die Gefahrabwendung. Möglicherweise soll dadurch zwischen einem die Berechtigung a priori entziehendem Behandlungsveto (statt einer das tatbestandliche Unterlassen rechtfertigenden Einwilligung)87 einerseits und aktivem Tun andererseits differenziert werden. Allerdings genügt in § 214a StGB-E wiederum das Einverständnis in die Lebensverkürzung, ein Verlangen wird hier nicht vorausgesetzt, obwohl die Lebensverkürzung durch aktives Tun erfolgen kann (Medikamentenapplikation). Die gleichlaufende Verwendung von Einverständnis bzw. Einwilligung einerseits und Verlangen andererseits, bezogen auf die gleiche Rechtsfolge – Rechtfertigung – legt nahe, dass die Begriffe sich von den Voraussetzungen her im Entwurf nicht unterscheiden, zumal ein initiatives Einfordern ja gerade nicht notwendig sein soll. (3) Alternativ-Entwurf Sterbebegleitung 2005 Der Alternativ-Entwurf Sterbebegleitung aus dem Jahr 2005 fasst den Entwurf von 1986 neu und enthält desweiteren den Entwurf eines Sterbebegleitungsgesetzes.88 Vordergründig scheint auch dieser Entwurf zwischen Verlangen und Einwilligung zu differenzieren (so jedenfalls dem Wortlaut nach) und dem Verlangen höhere Voraussetzungen beizumessen. In der Sache wird aber nicht zwischen Verlangen und Einwilligung unterschieden.

86

AE-Sterbehilfe, S. 15. Vgl. die Differenzierung bei Hillenkamp, in: Anderheiden/Eckart, Bd. 1, S. 349 (366). 88 Schöch/Verrel u. a., GA 2005, 553 (584 ff.). 87

I. § 216 Abs. 1 StGB

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Im Rechtfertigungsgrund des § 214 Abs. 1 Nr. 1 StGB-E ist vom „Verlangen“ des Betroffenen die Rede.89 Andererseits heißt es gleichzeitig in den Erläuterungen, dass alle Fälle zulässiger Behandlungsmaßnahmen und -begrenzungen als Rechtfertigungsgründe konzipiert seien, weil die Einwilligung (sic!) rechtfertigende Wirkung entfalte.90 Die gleichlaufende Normierung von Verlangen und Einwilligung des alten Entwurfs setzt sich auch im Übrigen in der neuen Fassung fort. So genügt in § 214a StGB-E91 die Einwilligung in die lebensverkürzenden Maßnahmen, während die Behandlungsbegrenzung in § 214 Abs. 1 Nr. 1 StGB-E eines Verlangens bedarf. c) Der (frühere) Sonderweg Mitschs: Verlangen als verständliche/vernünftige Entscheidung Bereits 2004 gab Mitsch zu bedenken, dass nicht deutlich erkennbar sei, inwiefern sich die „gesteigerte Einwilligung“ des § 216 StGB von der allgemeinen Einwilligung unterscheide, es könne sich dabei ja auch um ein aliud oder ein „Minus“ handeln.92 Er kritisierte, dass die bisher angebotenen Definitionen „recht vage“ seien und somit über Wesen und Kennzeichen des Verlangens wenig Klarheit bestünde.93 Mitsch war damals allerdings noch der Auffassung, dass „auch ohne eine exakte Festlegung auf bestimmte Kriterien“ gesagt werden könne, dass der Motivation zur Äußerung eines Tötungsverlangens „gewichtige

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§ 214 Abbruch oder Unterlassung lebenserhaltender Maßnahmen (1) Wer lebenserhaltende Maßnahmen beendet, begrenzt oder unterlässt, handelt nicht rechtswidrig, wenn 1. der Betroffene dies ausdrücklich und ernstlich verlangt oder 2. der Betroffene dies in einer wirksamen schriftlichen Patientenverfügung für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit angeordnet hat oder 3. der Betroffene nach ärztlicher Erkenntnis zu einer Erklärung über Aufnahme oder Fortführung der Behandlung außerstande ist und aufgrund verlässlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass er im Hinblick auf Art, Dauer und Verlauf seiner Erkrankung diese Behandlung ablehnen würde, oder 4. bei nahe bevorstehendem Tod im Hinblick auf den Leidenszustand des Betroffenen und die Aussichtslosigkeit einer Heilbehandlung die Aufnahme oder Fortführung lebenserhaltender Maßnahmen nach ärztlicher Erkenntnis nicht mehr angezeigt ist. 90 Schöch/Verrel u. a., GA 2005, 553 (559). 91 § 214a Leidensmindernde Maßnahmen Wer als Arzt oder mit ärztlicher Ermächtigung bei einem tödlich Kranken mit dessen ausdrücklicher Einwilligung oder aufgrund des in einer wirksamen schriftlichen Patientenverfügung geäußerten Willens oder gemäß mutmaßlicher Einwilligung nach den Regeln der medizinischen Wissenschaft Maßnahmen zur Linderung schwerer, anders nicht zu behebender Leidenszustände trifft, handelt nicht rechtswidrig, wenn dadurch als nicht vermeidbare und nicht beabsichtigteNebenwirkung der Eintritt des Todes beschleunigt wird. 92 Mitsch, FS-Weber, S. 58 f. 93 Vgl. Mitsch, FS-Weber, S. 58.

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C. Voraussetzungen des Verlangens

und anerkennenswerte Gründe vorausliegen“ müssten,94 die den Todeswunsch als zumindest „verständlich“ bzw. in Extremfällen als „vernünftig“ erscheinen lassen.95 Er beschrieb das Verlangen als ein Kombinationsmodell. Demnach setze sich das Verlangen aus einer „einfachen“ Einwilligung und einem gewichtigen Interesse zusammen.96 Das gewichtige Interesse sei eine sonstige unrechtsmindernde Tatsache und bei einem vernünftigen Grund für die Entscheidung zu bejahen. Im Falle von „hochrangigen Motiven“ könne dieser vernünftige Grund solche unrechtsmindernde Kraft entfalten, dass es zusammen mit der Einwilligung zum Unrechtsausschluss komme. Mitsch selbst sah das Verlangen folglich als eine Kombination von einer einfachen Einwilligung mit einem gewichtigen Interesse. Wie oben erwähnt, hat er in späteren Definitionen darauf jedoch nicht mehr Bezug genommen. d) Würdigung Warum das Verlangen nach seinen Voraussetzungen mehr als die Einwilligung sein soll (oder aber mit der Mindermeinung ein Unterfall der Einwilligung, das gleiche oder ein aliud) wird kaum hinterfragt, geschweige denn begründet.97 Der Verweis der herrschenden Meinung, dass das in § 216 StGB geschützte Rechtsgut Leben unverfügbar und damit der rechtfertigenden Einwilligung unzugänglich sei,98 begründet nicht, warum das Verlangen seinen Voraussetzungen nach ein „Plus“ zur Einwilligung darstellen müsse – zumal zunächst einmal zu klären wäre, warum es bei unterstellter Unbeachtlichkeit des Willens, also der Indisponibilität des Rechtsguts „Leben“, überhaupt auf den Willen des Individuums ankommen sollte. Um es mit den Worten Neumanns zu sagen: Die herrschende Meinung liefert „eher eine Beschreibung als eine Begründung“.99 Unter den vertretenen Ansätzen sollen deshalb jene, die insofern Fragen aufwerfen, ei-

94 Diese Auffassung ist nicht zu vermischen mit den Anforderungen, die der 3. Strafsenat des BGH an die Ernstlichkeit des Verlangens stellt, wenn er von „rechtlich anzuerkennenden Beweggründen“ des Tatopfers spricht. Diese seien nämlich normativ zu bestimmen und beziehen sich gerade nicht auf den Inhalt des Verlangens; vgl. BGH, NStZ 2011, S. 340 (341). 95 Mitsch, FS-Weber, S. 59. 96 Mitsch, FS-Weber, S. 61. 97 Eine Ausnahme hierzu bildet Arzt, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, 2. Aufl. 2009, § 3, Rn. 12; so auch Hilgendorf in der Neuauflage, ders., in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, 3. Aufl. 2015, § 3, Rn. 13. Ferner stellen die herrschende Auffassung ebenfalls in Frage und formulieren Begründungsansätze Mitsch, FS-Weber, S. 58 f. und Steinhilber, JA 2010, S. 430. 98 So etwa bei Eser, in: Schönke/Schröder, § 216, Rn. 5, 13; Maurach/Schroeder/ Maiwald, BT 1, § 2, Rn. 62. Die meist unbegründete Phrase von der „Unverfügbarkeit des Lebens“ beklagte Hoerster bereits vor über 25 Jahren, sie hält sich gleichwohl bis heute; vgl. ders., ZRP 1988, 1 (3, 4). 99 Neumann, in: NK, § 216, Rn. 1.

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ner kritischen Würdigung unterzogen werden. Es wird deshalb nicht zu jeder der oben abgebildeten Positionen im Einzelnen Stellung genommen. Soweit das Tötungsverlangen als unmissverständliche Kundgabe des Tötungsbegehrens mit dem Ziel der Einwirkung auf den anderen definiert wird,100 ist dem entgegenzuhalten, dass damit ein weiteres Tatbestandsmerkmal des § 216 Abs. 1 StGB mit dem Verlangen vermischt wird: Die „Unmissverständlichkeit“ ist sicher unter das Tatbestandsmerkmal „ausdrücklich“ zu subsumieren und daher nicht bereits Bestandteil des Verlangens selbst. Desweiteren wird vorliegend vorgeschlagen, auf die Beschreibung des Verlangens als „Bestimmen“ zu verzichten. Wie erörtert, wird das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ oftmals mit dem Einwirkungsprozess des „Bestimmens“ umschrieben.101 Es sind jedoch zwei verschiedene Tatbestandsmerkmale. Beide Tatbestandsmerkmale sind in § 216 Abs. 1 StGB eigenständig normiert, so dass das eine Tatbestandsmerkmal nicht gleichsam als das andere definiert werden darf.102 Zudem besteht zwischen dem Bestimmen als Einwirkung und dem Bestimmt-worden-sein als Auswirkung ein Unterschied. Dass der Verlangende in § 216 StGB durch sein Verlangen den Täter (im Ergebnis) zur Tötung bestimmt haben muss, heißt nicht, dass das Verlangen ein Bestimmen ist.103 Das Handeln als Einwirkung und der Erfolg als Auswirkung sind keine identischen Prozesse, den Täter zu bestimmen ist nicht synonym zum Bestimmt-worden-sein des Täters. Aus diesem Grund muss auch das Verlangen selbst kein „Bestimmen“ sein, es muss nur zum Ergebnis des „Bestimmt-worden-seins“ führen. Dafür spricht der Wortlaut. Anders liegen die Dinge bei § 26 StGB, auf den einige zur Beschreibung des Verlangens abheben. Diese Norm setzt nämlich gerade die Einwirkungshandlung des „Bestimmens“ voraus, indem dort die Tathandlung im aktiven Perfekt verwendet wird. In § 216 Abs. 1 StGB wird aber nicht die Tathandlung beschrieben, sondern der Erfolg (Passiv Perfekt): durch das Verlangen muss der Täter bestimmt worden sein. Die Norm setzt als Einwirkung objektiv somit nur das „Verlangen“ voraus und den Erfolg des Bestimmt-worden-seins auf Täterseite subjektiv als Auswirkung. Ein aktives Bestimmen ist als Einwirkung im

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Küpper, BT 1, § 1, Rn. 63. Ungenau z. B. BGH, Urt. v. 22. April 2005 – 2 StR 310/04 = NJW 2005, S. 1876 (1879) – Kannibale: „,Bestimmen‘ i. S. von § 216 StGB setzt mehr voraus als die bloße Einwilligung des Opfers.“ Ähnlich Momsen, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, § 216, Rn. 5: „Nach dem Wortsinne muss für das ,Bestimmen‘ mehr verlangt werden als die bloße Einwilligung.“ Ebenfalls ungenau Eser, in: Schönke/Schröder, § 216, Rn. 5. 102 Das Tatbestandsmerkmal des „Bestimmt-worden-seins“ wird daher im Folgenden unter C.I.7. im Rahmen der Anforderungen an den Adressaten des Verlangens besprochen. 103 Vgl. auch die differenzierte Darstellung, die zwischen beiden Tatbestandsmerkmalen sauber unterscheidet, bei Eser/Sternberg-Lieben; in: Schönke/Schröder, § 216, Rn. 9. 101

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C. Voraussetzungen des Verlangens

Rahmen des Verlangens nicht erforderlich. Geht es nur um die isolierte Betrachtung des objektiven Tatbestandsmerkmals „Verlangen“, empfiehlt sich eine Terminologie, die etwas deutlicher zwischen objektiver Einwirkung und subjektiver Auswirkung auf Täterseite unterscheidet. Die Gefahr der synonymen Verwendung von „Verlangen“ und „Bestimmen“ liegt folglich darin, dass sie zwei Tatbestandsmerkmale des § 216 StGB – jedenfalls sprachlich – vermischt. Dem mag man entgegenhalten, dass dieses Argument rein formaler und grammatischer Natur ist. Denn sowohl § 216 Abs. 1 StGB als auch § 26 StGB setzen im Ergebnis voraus, dass eine Bestimmung erfolgte. § 216 Abs. 1 StGB konkretisiert aber, wie die Bestimmung zu erfolgen hat (durch das Verlangen), während § 26 StGB das Mittel der Anstiftung offen lässt. Das Mittel führt somit zwar zur Anstiftung, es ist aber nicht mit ihr identisch. Desweiteren erscheint der bloße Verweis auf das Bestimmen zur Umschreibung des Tötungsverlangens auch deshalb als problematisch, weil recht unterschiedlich beurteilt wird, wie das Bestimmen im Sinne von § 26 StGB zu definieren ist.104 Somit erhellt der Rekurs auf das Bestimmen nicht unmittelbar, was dies für das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ aussagen soll. Die durch das Tatbestandsmerkmal „Bestimmen“ hergestellte Parallelität der Tötung auf Verlangen zur Anstiftung ist allerdings sowohl im Hinblick auf die Voraussetzungen des „Bestimmt-worden-seins“ als auch im Hinblick auf die Rechtsfolgen des Verlangens von besonderem Interesse und wird daher im Folgenden unter C.I.7. und D.I.2.d) näher beleuchtet. Soweit Schneider ausführt, dass auch für die Einwilligung ein bloßes Geschehenlassen und Dulden des Eingriffs nicht ausreiche, so dass insoweit gar kein Unterschied zum Verlangen bestünde,105 ist dem zuzustimmen. Denn das ist für die Einwilligung in der Tat anerkannt.106 Schneider ist außerdem zuzugeben, dass genauso bei der Einwilligung vorauszusetzen ist, dass das Opfer auf das Vorstellungsbild des Täters eingewirkt hat, wenn man – mit der überwiegenden Meinung – ein Handeln des Täters in Kenntnis der Einwilligung für erforderlich erachtet.107 Zum anderen ist auch der Hinweis Schneiders berechtigt, dass auch die Vertreter der überwiegenden Ansicht es für das Verlangen ausreichen lassen, wenn das Opfer eine auf Lebensbeendigung gerichtete Aufforderung erst auf die Initiative des Täters hin artikuliert.108

104

Streitstand bei Heine, in: Schönke/Schröder, § 26, Rn. 4 ff., jeweils m.w. N. Schneider, in: MüKo, § 216, Rn. 12, Fn. 35; dies hat schon das Reichsgericht in RGStE 68, 306 angenommen. 106 Hirsch, in: LK, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 111. 107 Vgl. Mitsch, FS-Weber, S. 59, Fn. 68. 108 Schneider, in: MüKo, § 216, Rn. 12, Fn. 35. 105

I. § 216 Abs. 1 StGB

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Die Konklusion Steinhilbers, in der Praxis gehe es wohl eher darum, dem Angeklagten die Beweiserbringung eines ausdrücklichen Verlangens aufzuerlegen,109 geht indessen fehl: Das kann schon deshalb nichts mit dem Streit um die Vergleichbarkeit von Einwilligung und Verlangen zu tun haben, weil die Ausdrücklichkeit ein eigenständiges Tatbestandsmerkmal des § 216 StGB ist. In dem besonders tragischen Fall des AG Tiergarten, der im Ergebnis insbesondere im Hinblick auf das Absehen von Strafe richtig entschieden wurde, muss in Rechnung gestellt werden, dass dem Betroffenen mehr als eine reaktive Zustimmung physisch gar nicht mehr möglich war. Ob ein schlichtes, dafür aber mehrmals geäußertes Einverständnis auf die Frage, ob man sterben wolle, als Verlangen bewertet werden kann, ist jedoch nach der Formel vom Verlangen als „Mehr als die bloße Einwilligung“ fraglich. Der Fall fügt sich damit in die erwähnte Tendenz der Gerichte, Verlangen und Einwilligung im Ergebnis gleichzusetzen, ein. Die gleichlaufende Normierung von Verlangen und Einwilligung der beiden Alternativentwürfe scheint allerdings wenig durchdacht. Unklar ist etwa auch im neuen Entwurf, warum in § 214a StGB-E110 die Einwilligung in die lebensverkürzenden Maßnahmen genügen soll und demgegenüber die Behandlungsbegrenzung in § 214 Abs. 1 Nr. 1 StGB-E eines Verlangens bedarf. Der Entwurf selbst schweigt dazu, ob sich hieraus unterschiedliche Voraussetzungen ergeben sollen. Sinn machen würde es allerdings nicht, an die Zustimmung zu lebensverkürzenden Maßnahmen geringere Anforderungen zu stellen als an die Zustimmung zur Behandlungsbegrenzung. Gegen die frühere Auffassung von Mitsch bestehen erhebliche Einwände. Indem er nur verständliche oder gar vernünftige Entscheidungen als Verlangen anerkennen wollte, ging Mitsch in seinen Anforderungen weit über die oben vorgestellten anderen Positionen hinaus und löste sich völlig von der Einwilligungsdogmatik. Während die anderen Theorien – sogar jener Ansatz, der das Verlangen als „Plus“ zur Einwilligung begreift – darin übereinstimmen, dass der Wille des Opfers ungeachtet der dahinterstehenden Gründe als vernunftindifferentes Instrument der Selbstbestimmung anzuerkennen sei,111 beschränkte Mitsch die

109

Steinhilber, JA 2010, S. 430. § 214a Leidensmindernde Maßnahmen Wer als Arzt oder mit ärztlicher Ermächtigung bei einem tödlich Kranken mit dessen ausdrücklicher Einwilligung oder aufgrund des in einer wirksamen schriftlichen Patientenverfügung geäußerten Willens oder gemäß mutmaßlicher Einwilligung nach den Regeln der medizinischen Wissenschaft Maßnahmen zur Linderung schwerer, anders nicht zu behebender Leidenszustände trifft, handelt nicht rechtswidrig, wenn dadurch als nicht vermeidbare und nicht beabsichtigteNebenwirkung der Eintritt des Todes beschleunigt wird. 111 Mit Ausnahme der Theorie Hoersters, der auf den Verlust des „Lebenswerts“ rekurriert; siehe oben sub C.I.2.b)cc)(1). 110

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C. Voraussetzungen des Verlangens

Beachtlichkeit des Willens des Individuums a priori auf die Fälle, in denen der Vormund Staat die Selbstbestimmung nach einer inhaltlichen Prüfung der Motive auf ihre Vernunft hin gewährt. Diese extrem paternalistische Sichtweise bricht mit der dogmatischen Struktur der Einwilligung, denn die Einwilligung ist zwar aufgrund der objektiven und subjektiven Einwilligungsschranken nicht gänzlich inhalts- und motivindifferent, aber jedenfalls stets vernunftindifferent.112 Eine objektiv unvernünftige, aber willensmängelfreie Entscheidung ist daher auch nicht sittenwidrig i. S. v. § 228 StGB.113 Roxin erläutert dies anhand der „Zahnextraktionsentscheidung“ 114 des BGH überzeugend: Bei einer Totalextraktion von Zähnen kommt es etwa nicht darauf an, ob der Patient damit bezweckt, seine Kopfschmerzen zu bekämpfen (weil er – medizinisch unzutreffend – meint, diese würden durch seine Plomben hervorgerufen) oder ob er damit kosmetische Zwecke verfolgt und eine Prothese bevorzugt.115 Entscheidend ist, ob der Patient willensmängelfrei entscheidet – also etwa im ersten Fall der Arzt den Patienten darüber aufgeklärt hat, dass die Kopfschmerzen nicht von den Zähnen herrühren. Soweit im Gegensatz dazu Amelung für die Einsichtsfähigkeit auf die Vernünftigkeit abstellt,116 erweist sich dies bei näherem Hinsehen lediglich als Benennung eines Indizes für die Einwilligungsfähigkeit. Hinsichtlich einer Einwilligungsunfähigkeit rekurriert Amelung nämlich entscheidend dann doch auf biologisch begründete Defekte.117 Die Wirksamkeit der Einwilligung unabhängig von vernünftigen Motiven (nicht: unabhängig von ihrem Inhalt!) ist auch verfassungsrechtlich geboten. Roxin führt hierzu treffend aus, dass Art. 2 Abs. 1 GG die Freiheit zu vernünftigen und unvernünftigen Handlungen gleichermaßen schützt.118 Eine vernunftorientierte Beschränkung läuft daher der Einwilligungslehre zuwider, da diese auch unvernünftigen Willensentscheidungen des Rechtsgutsinhabers Wirkung verleiht, solange keine einwilligungsrelevanten Willensmängel vorliegen.119 Somit nahm Mitsch eine Extremposition ein, die an das Verlangen die strengsten Voraussetzungen knüpfte. Systemextern und unter Anlegung des herkömm-

112 Ähnlich im Ergebnis Schneider, der die Vernünftigkeit als Kriterium der Ernstlichkeit des Verlangens ablehnt, weil dies der Einwilligungslehre zuwiderliefe; ders., in: MüKo, § 216, Rn. 20. 113 Roxin, AT I, § 13, Rn. 87. 114 BGH, Urt. v. 22. Februar 1978 – 2 StR 372/77= NJW 1978, S. 1206 (1206). 115 Roxin, AT I, § 13, Rn. 87. 116 Amelung, ZStW 104 (1992), S. 525 (551 ff.). 117 Amelung, ZStW 104 (1992), S. 525 (535, 558). 118 Roxin, AT I, § 13, Rn. 87. 119 Roxin, AT/1, Rn. 87; Schneider, in: MüKo, § 216, Rn. 20.

I. § 216 Abs. 1 StGB

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lichen Verständnisses der Selbstbestimmungsfreiheit könnte man einwenden, dass dies der von Mitsch – insoweit zu Recht – angenommenen „Narrenfreiheit“ im Rahmen der Einwilligungsfähigkeit, bei der die Rechtfertigungswirkung nicht davon abhänge, ob „gute Gründe“ für die Entscheidung vorliegen, widerspricht. Andererseits hat Mitsch seine Definition des Verlangens ja gerade völlig von der Einwilligungsdogmatik abgekoppelt, indem er den Anwendungsbereich auf anerkennenswerte und vernünftige Motive beschränkt hat. Insoweit war sein Kombinationsmodell von dem Verlangen als Kombination von Einwilligung plus vernünftigem Grund in sich durchaus kohärent. Dem Konzept stehen jedoch andere Einwände entgegen. Zum einen sprengt es die Wortlautgrenze, an das Verlangen der Tat ein gewichtiges Interesse zu koppeln. Zum anderen könnte die Theorie Mitschs, jedenfalls so, wie er sie selbst verstand, nicht ganz schlüssig gewesen sein: Wenn er anerkannte, dass die Rechtfertigungswirkung der Einwilligung nicht von vernünftigen Gründen abhängt, ergibt es wenig Sinn, das Verlangen als einfache Einwilligung mit einem vernünftigen Grund zu kombinieren, um die Rechtfertigungswirkung zu erreichen. Die Einwilligung als solche bedarf gerade keines vernünftigen Grundes, so dass eine Kombination zur Erreichung der Rechtfertigungswirkung nicht notwendig ist. Geht man nun aber davon aus, dass eine „einfache“ Einwilligung Fremdtötungsunrecht nicht rechtfertigen kann, dann erscheint es fragwürdig, dass ausgerechnet die Kombination mit einem der Einwilligungsdogmatik fremden Baustein – der Vernünftigkeit – doch zum Unrechtsausschluss führen soll. Für das Modell von Mitsch spricht allerdings, dass derartige Kombinationsmodelle dem Strafrecht durchaus bekannt sind. So finden sich Kombinationen von Einwilligung und gewichtigem Interesse oder einem bestimmten Verfahren in § 3 KastrG, §§ 40, 41 AMG und § 8 TPG.120 Auch in diesen Vorschriften wird versucht, durch bestimmte materielle (oder prozedurale) Kriterien, bei deren Vorliegen generalisiert und typisiert die subjektive Mangelfreiheit der Erklärung vermutet wird, die Einwilligungsfähigkeit zu verallgemeinern und verobjektiviert zu kontrollieren.121 Abschließend kann festgehalten werden, dass die bisherigen Ansätze, das Verhältnis von Einwilligung und Verlangen zu klären, viele Ungereimtheiten enthalten. Die offenen Fragen werden unter D.I.3. und E.I. beantwortet. 3. Art und Weise der Äußerung eines Verlangens Zuvor werden die verschiedenen Meinungen darüber, auf welche Art und Weise ein Tötungsverlangen zu äußern sei, dargestellt.

120 121

Dazu Dölling, FS-Gössel, S. 209 f. Vgl. im Folgenden F.V.

134

C. Voraussetzungen des Verlangens

a) Wer kann das Verlangen äußern? Nach allgemeiner Meinung kann ein Tötungsverlangen grundsätzlich jedermann äußern. Besondere Voraussetzungen in der Person des Äußernden müssen nicht vorliegen. b) Was muss das Verlangen beinhalten? Nach allgemeiner Auffassung muss sich das Tötungsverlangen gemäß § 216 StGB auf eine Fremdtötung als Tathandlung122 beziehen.123 Materielle Voraussetzung des Verlangens ist folglich, dass das Opfer vom Täter verlangt, dass dieser es töte.124 Somit muss der Verlangende die Tatherrschaft der anderen Person wollen. Wie auch bei der Einwilligung muss sich der Inhalt des Verlangens auf die Handlung (Wer soll wie handeln?) und den Erfolg (Wozu soll die Handlung führen?) beziehen.125 Bei einem Tötungsverlangen i. S. v. § 216 StGB ist die Handlung die Tötung durch eine andere Person und der Erfolg der Tod des Verlangenden. Durch die bloße Äußerung, nicht mehr leben zu wollen, wird zwar ein Todeswunsch ausgedrückt, aber dadurch ist nicht ermittelbar, wann und wie der Lebensverzicht verwirklicht werden soll, insbesondere ist nicht erkennbar, ob der Tod durch eigene oder fremde Hand gewollt ist.126 Demgegenüber ist Herzberg der Auffassung, dass dem Verlangen sowohl beim verlangten Schwangerschaftsabbruch als auch bei der verlangten Fremdtötung gemein sei, dass die oder der Verlangende die Tatherrschaft innehabe.127 Ebenso weicht der 3. Strafsenat des BGH von der überwiegenden Auffassung ab, indem er einer Frau, die sich ausdrücklich suizidieren wollte und die Selbsttötung auch durchführte, ein Tötungsverlangen im Sinne von § 216 StGB (verlangte Fremdtötung durch Unterlassen) zusprach, obwohl diese Frau die Tatherrschaft ihres Arztes (der sie noch lebend fand) sogar ausdrücklich nicht gewollt hatte.128 Nicht nur die Tötung durch fremde Hand muss das Tötungsverlangen zum Inhalt haben, sondern auch die Art und Weise, auf welche die Fremdtötung er-

122 Meinungsstand zur Tathandlung des § 216 StGB bei Kühl, in: Lackner/Kühl, § 216 StGB, Rn. 3. 123 Eschelbach, in: BeckOK, § 216, Rn. 9; Eser/Sternberg-Lieben, in: Schönke/ Schröder, § 216, Rn. 4; Neumann, in: NK, § 216, Rn. 11 m.w. N. 124 Neumann, in: NK, § 216, Rn. 11 m.w. N. 125 Vgl. zur Einwilligung Rengier, AT, § 23, Rn. 23. 126 Vgl. BGH, Urt. v. 14. September 2011 – 2 StR 145/11 (LG Wiesbaden) = NStZ 2012, S. 85 (86). 127 Herzberg, JuS 1988, S. 771 (773). 128 Vgl. BGH, NJW 1984, S. 2639 (2639 f.).

I. § 216 Abs. 1 StGB

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folgen soll.129 Es genügt, wenn der Täter zum Ausdruck bringt, dass ihm die Tötungsmodalitäten gleichgültig sind, denn ausdrücklich – das heißt unmissverständlich – muss gemäß § 216 StGB nur der Wunsch nach einer Fremdtötung als solcher kundgetan werden.130 Hat das Opfer allerdings eine Beschränkung der Tötungsmodalitäten vorgenommen, ist sein Wille auf ebendiese Art und Weise gerichtet, so dass eine hiervon abweichende Tötungshandlung nicht vom Tötungsverlangen gedeckt ist.131 Entsprechendes gilt für die Adressierung des Tötungsverlangens.132 c) Wie muss das Verlangen geäußert werden? Zunächst einmal muss das Verlangen – wie auch die Einwilligung – überhaupt kundgetan, das heißt geäußert, werden. Die sogenannte Willensrichtungstheorie, die in der Einwilligungslehre zum Teil auch heute noch vertreten wird und nach der die innere Zustimmung genügt,133 kann für das Verlangen schon wegen der in § 216 Abs. 1 StGB geforderten Ausdrücklichkeit des Verlangens keinen Platz greifen. Grundsätzlich kommt es für die Form der Äußerung eines Tötungsverlangens nach allgemeiner Auffassung weder auf die Wortwahl noch auf die Formulierung an.134 Es kann beispielsweise auch in Frageform geäußert werden.135 Denkbar ist auch, dass es nur mit Gesten geäußert wird.136 Ferner kann das Verlangen nach überwiegender Ansicht bedingt sein, soweit der Bedingungseintritt im Tatzeitpunkt erfolgt ist.137 Diese Bedingung soll sich indessen nach der Auffassung von Neumann bei einem unbedingten Sterbewillen nur auf die Umstände des Vollzugs beziehen dürfen.138

129

Neumann, in: NK, § 216, Rn. 11 m.w. N. Dazu näher C.I.4.a). 131 Eser, in: Schönke/Schröder, § 216, Rn. 6 m.w. N. 132 Siehe C.I.7. 133 Dazu Roxin, AT 1, § 13 IV, Rn. 44 m.w. N. 134 Siehe nur Eschelbach, in: BeckOK, § 216, Rn. 9; Jähnke, in: LK, § 216, Rn. 4; beachte aber E.I.1. 135 BGH, Beschl. v. 25. November 1986 – 1 StR 613/86 = NJW 1987, S. 1092 (1092) – Scophedal; Jähnke, in: LK, § 216, Rn. 4. 136 Siehe oben C.I.2.b)bb). Zu AG Tiergarten, Urt. v. 13.09.2005 – (237) 1 Kap Js 2655-04 Ls (19/05) = BeckRS 2006, 00655. 137 BGH, Beschl. v. 25. November 1986 – 1 StR 613/86 = NJW 1987, S. 1092 (1092) – Scophedal; Jähnke, in: LK, § 216, Rn. 4; Küpper, BT 1, § 1, Rn. 63; Neumann, in: NK, § 216, Rn. 12 m.w. N.; unklar Fischer, § 216, Rn. 7a, der zunächst eine „unbedingte Einwilligung“ voraussetzt, dann aber eine Bedingung für möglich hält. 138 Neumann, in: NK, § 216, Rn. 12. 130

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C. Voraussetzungen des Verlangens

d) Wann muss das Verlangen geäußert werden? Das Verlangen muss während der Tat, also im Zeitpunkt der Tötung, vorliegen und deshalb bis zum Tatbeginn geäußert werden.139 Da es jederzeit zurücknehmbar ist,140 darf bis zur Tötung kein Widerruf erfolgen. Es kann nach überwiegender Meinung auch antizipiert geäußert werden, solange es bis zum Zeitpunkt der Tötung fortwirkt.141 Seiner Beachtlichkeit soll deshalb die Bewusstlosigkeit des Verlangenden im Zeitpunkt der Tötung nicht entgegenstehen, sofern es keine Anzeichen für einen mutmaßlichen Widerruf gibt.142 e) Würdigung Hinsichtlich der Anforderungen an die Person des Verlangenden wird zu Recht vertreten, dass grundsätzlich jedermann ein Verlangen äußern kann, denn der Wortlaut von § 216 StGB ist insoweit eindeutig und macht keine Einschränkungen. Insbesondere verbietet es sich, die Möglichkeit, ein Tötungsverlangen zu äußern, an den Gesundheitszustand des Verlangenden zu knüpfen. Obwohl § 216 Abs. 1 StGB ausdrücklich regelt, dass das Verlangen auf die Tötung durch eine andere Person gerichtet sein muss, wird es mancherorts, obwohl der Betroffene eine Selbsttötung gewollt hat, fälschlicherweise automatisch bejaht.143 Es wird dabei übersehen, dass jemand, der die Selbsttötung will, nicht automatisch zugleich die Tötung durch fremde Hand wünscht.144 Selbst- und Fremdschädigung sind nicht gleichzusetzen und juristisch unterschiedlich zu bewerten.145 Wer der personalen Unrechtslehre folgt, kann sich nicht auf das identische Ergebnis (Todeserfolg) berufen, sondern muss auch dem Handlungsunwert Berücksichtigung schenken. Der Handlungsunwert einer Fremdschädigung ist aber nicht dadurch kompensierbar, dass die Person eine Selbstschädigung gewollt hat. Deshalb ist die Auffassung Herzbergs, dass dem Verlangen sowohl beim verlangten Schwangerschaftsabbruch als auch bei der verlangten Fremdtötung gemein sei, dass die oder der Verlangende die Tatherrschaft innehabe,146 unzutreffend. 139

Schneider, in: MüKo, § 216, Rn. 17. Eschelbach, in: BeckOK, § 216, Rn. 9. 141 Zur Patientenverfügung siehe C.I.5. 142 Kühl, in: Lackner/Kühl, § 216, Rn. 2. 143 So etwa Gallas, JZ 1960, S. 649 (686 ff.), der unzutreffend annimmt, dass in einem Selbsttötungswunsch notwendig zugleich der Wille der Tötung durch einen tatherrschaftlich (sic!) handelnden Dritten (durch Unterlassen) enthalten sei. Dazu kritisch Bringewat, in: Eser, Suizid und Euthanasie, S. 368 (369, 371 f.). 144 Im Ergebnis daher unzutreffend entschieden von BGH, Urt. v. 14. August 1963 – 2 StR 181/63 (LG Duisburg) = NJW 1965, S. 699 (699 ff.) – Gisela. 145 Ebenso Bringewat, in: Eser, Suizid und Euthanasie, S. 368 (369, 371 f.). 146 Herzberg, JuS 1988, S. 771 (773). 140

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Ungenau argumentiert der 3. Strafsenat des BGH, indem er in dem erwähnten Fall der Frau, die sich ausdrücklich suizidieren wollte und die Selbsttötung auch durchführte, ein Tötungsverlangen im Sinne von § 216 StGB (verlangte Fremdtötung durch Unterlassen) zusprach, obwohl sie die Tatherrschaft ihres Arztes (der sie noch lebend fand) sogar ausdrücklich nicht gewollt hatte.147 Die Frau hatte keine Fremdtötung durch Unterlassen verlangt, sondern ihr Wille war ausschließlich auf eine Selbsttötung gerichtet. Indem sie darauf hinwies, nicht gerettet werden zu wollen,148 verlangte sie nicht eine Tötung durch fremde Hand (durch Unterlassen), sondern sie wollte ihre Selbsttötung ungestört beenden und die Tatherrschaft mitnichten aus der Hand geben. Dass ihre Tatherrschaft im Zeitpunkt der Bewusstlosigkeit entfiel, kann den zuvor ausdrücklich erklärten Willen nicht im Nachhinein umdeuten, zumal die Bewusstlosigkeit sogar vom eigenen Plan bedacht war. Wer sich selbst töten will, möchte nicht einen Dritten, der den Suizidenten auffindet und nicht rettet, zum Täter machen. Es ist ein Trugschluss, aus der schwindenden Tatherrschaft des Suizidenten zu schließen, dass er sie in dem Moment, in dem er das Bewusstsein verliert, an einen Dritten abgeben wolle. Wer ungestört die Selbsttötung beenden möchte, will doch gerade nicht, dass ein Dritter den Vorgang beherrscht, weder durch ein Tun noch durch ein Unterlassen. Auf diesen subjektiven Willen kommt es für den Inhalt des Verlangens aber an. Der Inhalt des Verlangens ist daher durch Auslegung des subjektiven Willens zu ermitteln.149 Denn das Verlangen ist als Willensäußerung subjektiv, auch wenn dessen Vorliegen aus objektiven Umständen abgeleitet wird. Einer Person, die eine Selbsttötung will und dies äußert, kann deshalb nicht unterstellt werden, sie habe zugleich eine Fremdtötung (durch Unterlassen, falls sie lebend aufgefunden wird) verlangt. Vielmehr ist der subjektive Wille aus den objektiven Umständen – zuvörderst der Willenskundgabe an sich – zu ermitteln. Eine Umdeutung, wie sie etwa im Zivilrecht denkbar wäre, ist dabei unzulässig, da das Verlangen kein Rechtsgeschäft darstellt, sondern die Ausübung der allgemeinen Handlungsfreiheit i. S. v. Art. 2 Abs. 1 GG.150 Von der Problematik, den Inhalt des Verlangens zu ermitteln, ist die Frage der Tatherrschaft zu unterscheiden. So kann etwa eine Tötung, die das Opfer als Selbsttötung gewollt hat, objektiv eine Fremdtötung sein und umgekehrt kann objektiv eine Selbsttötung vorliegen, obwohl das Opfer ein Tötungsverlangen geäußert hat und die Tötung von fremder Hand empfangen wollte. 147

Vgl. BGH, NJW 1984, S. 2639 (2639 f.). Vgl. BGH, NJW 1984, S. 2639 (2639 f.). 149 Vgl. für die Auslegung der Einwilligung BGH, Urt. v. 10. Juli 1954 – VI ZR 45/ 54 = NJW 1956, S. 1106 (1107). 150 Insoweit ist die Argumentation gegen die sogenannte „Willenserklärungstheorie“ oder auch „Rechtsgeschäftstheorie“ im Rahmen der Einwilligungslehre auf das Verlangen übertragbar. Zur von Zitelmann begründeten und heute allgemein abgelehnten Willenserklärungstheorie vgl. Roxin, AT I, § 13, Rn. 42 m.w. N. 148

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C. Voraussetzungen des Verlangens

Diese objektiven Gegebenheiten vermögen aber nichts auf der subjektiven Seite, also am geäußerten Willen des Opfers, zu ändern. Die Frage nach der objektiv wirklich eingetretenen Tatherrschaft darf somit bei der Auslegung der Willensäußerung keine Rolle spielen. Ein Suizidwunsch kann deshalb auch dann nicht als Tötungsverlangen ausgelegt werden, wenn das Opfer objektiv schließlich doch von fremder Hand getötet wird. Der Tatbestand des § 216 StGB ist in diesem Fall nicht erfüllt, dem Täter kann wegen des gewünschten Todeserfolgs jedoch § 213 StGB zugutekommen. 4. Tatbestandsmerkmale in Bezug auf das Verlangen In § 216 Abs. 1 StGB beziehen sich zwei weitere Tatbestandsmerkmale als Attribute auf das Verlangen. Das Verlangen muss demnach zum einen ausdrücklich, zum anderen ernstlich sein. Oftmals wird das Verlangen mit der Ausdrücklichkeit und Ernstlichkeit derart vermischt, dass diese nicht mehr als getrennte Tatbestandsmerkmale dargestellt werden, sondern bereits in das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ hineingelesen wird, es müsse ausdrücklich und ernstlich sein. Geht man so vor, misst man den Tatbestandsmerkmalen „ausdrücklich“ und „ernstlich“ einen lediglich beschreibenden, uneigenständigen Charakter bei. Überwiegend wird die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals „Verlangen“ aber entsprechend der Normierung in § 216 StGB unabhängig von den Tatbestandsmerkmalen „ernstlich“ und „ausdrücklich“ gesprüft, also in einem ersten Schritt untersucht, ob überhaupt ein Tötungsverlangen vorliegt und sodann festgestellt, ob es ernstlich und ausdrücklich geäußert wurde. a) Ausdrücklichkeit des Verlangens Das erste auf das Verlangen bezogene Tatbestandsmerkmal ist die Ausdrücklichkeit. aa) Herrschende Meinung in Literatur und Rechtsprechung Nach überwiegender Meinung ist das Verlangen ausdrücklich, wenn es in eindeutiger, nicht misszuverstehender Weise geäußert wird.151 Es besteht Einigkeit darüber, dass die ausdrückliche Äußerung auch in Frageform152 oder nonverbal durch Gesten geschehen kann.153 Im Übrigen sollen die Anforderungen vom 151 Eschelbach, in: BeckOK, § 216, Rn. 10; Eser, in: Schönke/Schröder, § 216, Rn. 7; Neumann, in: NK, § 216, Rn. 13; Schneider, in: MüKo, § 216, Rn. 18. 152 BGH, Beschl. v. 25. November 1986 – 1 StR 613/86 = NJW 1987, S. 1092 (1092) – Scophedal. 153 Eser, in: Schönke/Schröder, § 216, Rn. 7; Neumann, in: NK, § 216, Rn. 13.

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Einzelfall, insbesondere von den physischen Kommunikationsmöglichkeiten des Sterbewilligen, abhängen.154 Wie bereits oben angesprochen, hat das AG Tiergarten die Äußerung eines Verlangens qua Augenzwinkern durch einen an spastischer Tetraparese leidenden Schwerstbehinderten, der sich nur noch über das Schließen der Augen und leichtes Kopfnicken im Sinne einer Ja/Nein-Kommunikation mitteilen konnte, anerkannt.155 Die Äußerung des Verlangens kann darüber hinaus auch schriftlich erfolgen. Nach Auffassung des LG Köln kann sich ein Tötungsverlangen z. B. antizipiert aus einer Patientenverfügung ergeben.156 bb) Alternativentwürfe Im Alternativ-Entwurf zum Strafgesetzbuch von 1970 wird das Tatbestandsmerkmal der Ausdrücklichkeit des Verlangens für entbehrlich erachtet. Es fehlt in § 101 StGB-E des Entwurfs völlig.157 In den Entwürfen AE-Sterbehilfe von 1986158, dem AE-StB aus dem Jahr 2005159 und dem Entwurf von Lorenz aus 2007160 wurde es dagegen unverändert beibehalten. cc) Mutmaßliches Verlangen? Zu fragen ist weiterhin, ob entsprechend der mutmaßlichen Einwilligung auch ein mutmaßliches Verlangen denkbar ist. Mutmaßlich ist eine Einwilligung, wenn sie eine tatsächlich – wegen fehlender Möglichkeit oder mangelnden Interesses – nicht (auch nicht in zulässiger Stellvertretung) geäußerte Zustimmung surrogiert. Sie ist subsidiär zu der tatsächlich – auch durch eine Patientenverfügung161 – erteilten oder abgelehnten Einwilligung.162 Die dogmatische Einordnung ist nach wie vor umstritten.163 So wird unterschiedlich beurteilt, ob die mutmaßliche Einwilligung einen eigenständigen 154

Neumann, in: NK, § 216, Rn. 13. AG Tiergarten, Urt. v. 13. September 2005 – (237) 1 Kap Js 2655-04 Ls (19/05) = BeckRS 2006, 00655. 156 LG Köln, Urt. v. 2. September 2010 – Az. 101 KLs 56/09, Rn. 23 = ZfL 2010, S. 59 (61). 157 § 101 Tötung auf Verlangen Wer einen anderen tötet, der es ernstlich verlangt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft. 158 AE-Sterbehilfe, S. 12. 159 Schöch/Verrel u. a., GA 2005, S. 553 (585). 160 Lorenz, Sterbehilfe, S. 151. 161 Vgl. Paeffgen, in: NK, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 164 ff. 162 Ulsenheimer, in: Laufs/Kern, § 139, Rn. 69 m.w. N. 163 Zum Streitstand Fischer, Vor § 32, Rn. 4 m.w. N. 155

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C. Voraussetzungen des Verlangens

Rechtfertigungsgrund darstellt oder nicht. Soweit dies bejaht wird, wird verbreitet auf den Gedanken des erlaubten Risikos rekurriert.164 Im Übrigen unterscheidet sich die dogmatische Begründung jedoch erheblich und reicht von einem Rückgriff auf die zivilrechtliche Geschäftsführung ohne Auftrag165 bis zur Annahme eines eigenständigen, gewohnheitsrechtlich anerkannten Surrogats der Einwilligung166. Jene, die die mutmaßliche Einwilligung nicht als eigenständigen Rechtfertigungsgrund ansehen, ordnen sie als Unterfall der (entweder tatbestandsausschließenden oder rechtfertigenden) Einwilligung167 oder als Sonderfall des Notstands168 ein. Ungeachtet der streitigen Einordnung entspricht es inzwischen wohl aber allgemeiner Meinung, dass die mutmaßliche Einwilligung den subjektiven individuellen Interessen, Wünschen, Bedürfnissen und Wertvorstellungen des Betroffenen entsprechen muss.169 Auf objektive Maßstäbe soll nicht zurückgegriffen werden.170 Soweit ersichtlich, ist die Frage eines mutmaßlichen Verlangens bisher allerdings nicht thematisiert worden. b) Ernstlichkeit des Verlangens Die Ernsthaftigkeit i. S. v. § 216 Abs. 1 StGB stellt ein neben dem Verlangen selbstständig normiertes Tatbestandsmerkmal dar. Bei der Einwilligung hingegen ist die Ernstlichkeit – soweit man diese mit der überwiegenden Auffassung als Freiheit des Entschlusses von Willensmängeln auslegt – ein implizites Merkmal. Auch die Einwilligung muss somit „ernst gemeint“ sein.171 Ernstlich ist das Verlangen nach herrschender Meinung dann, wenn es auf freier Willensbildung beruht.172 Frei ist die Willensbildung, wenn sie keinen Fehlern unterliegt. Insoweit wird zumeist darauf abgestellt, ob Willensmängel vorliegen, die zur Unwirksamkeit einer Einwilligung führen würden.173 Es lässt sich daher festhalten, dass die Ernstlichkeit grundsätzlich nach den für die Einwilligung geltenden Kategorien der Willensmängelfreiheit beurteilt wird. 164

Roxin, in: FS-Welzel, S. 447 (447 f., 453), anders jedoch ders., AT I, § 18, Rn. 5. Vgl. dazu Schroth, JuS 1992, S. 467 (467 ff.). 166 So die Rspr.; vgl. etwa BGH, NJW 2000, S. 885 (885 f.) m.w. N. 167 Hruschka, FS-Dreher, S. 204 f. 168 Otto, Allgemeine Strafrechtslehre, § 8, Rn. 131. 169 BGH, Beschl. v. 25.03.1988 – 2 StR 93/88 (LG Aachen) = NJW 1988, S, 2310 (2311); Ulsenheimer, in: Laufs/Kern, § 139, Rn. 65 m.w. N.; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 380 ff. m.w. N. 170 So auch BGH, Beschl. v. 25. März 1988 – 2 StR 93/88 (LG Aachen) = NJW 1988, 2310 (2311); anders hingegen BGH, Urt. v. 13. September 1994 – 1 StR 357/94 (LG Kempten) = NStZ 1995, 80, 3. Ls. 171 Hilgendorf, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, 3. Aufl. 2015, § 3, Rn. 14. 172 BGH, NStZ 2012, S. 85 (86); Rengier, BT II, § 6, Rn. 6. 173 So etwa Neumann, in: NK, § 216, Rn. 14 m.w. N. 165

I. § 216 Abs. 1 StGB

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aa) Altersgrenze Fraglich ist, ob die Ernstlichkeit des Verlangens ein bestimmtes Alter voraussetzt. (1) Literatur In der Literatur werden starre Altersgrenzen vorwiegend abgelehnt.174 Safferling ist der Auffassung, dass sowohl bei jugendlichem als auch bei sehr hohem Alter die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit, die zur Ernstlichkeit des Verlangens vorausgesetzt wird, eingeschränkt sein kann.175 Der Sterbewunsch einer 16-Jährigen könne zum Beispiel (entgegen der Entscheidung des BGH im sogenannten „Gisela-Fall“ 176) „angesichts der oft krisenhaft verlaufenden sog. Teenage-Jahre“ etwas zu früh sein, um Beachtung zu finden.177 Roxin und Schneider schließen in Bezug auf eine Altersgrenze lediglich Kinder kategorisch aus dem Kreis der Personen, die ein Verlangen ernstlich i. S. v. § 216 StGB äußern können, aus.178 Umgekehrt könne aber ein von einem Jugendlichen geäußertes Tötungsverlangen, soweit es keine „jugendspezifische spontane Kurzschlusshandlung“ darstelle, ernstlich sein.179 Czerner und Soßdorf haben die Problematik der Beachtlichkeit eines Sterbewunsches von Minderjährigen im Rahmen der Patientenverfügung untersucht und plädieren dafür, jungen Menschen nicht das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben abzusprechen.180 Zur Begründung verweisen sie darauf, dass das Alter nur ein grober Anhaltspunkt für die Einwilligungsfähigkeit und die Achtung des Selbstbestimmungsrechts einwilligungsfähiger Minderjähriger verfassungsrechtlich geboten sei.181 (2) Rechtsprechung Bereits im Jahr 1938 konstatierte das Reichsgericht Meinungsverschiedenheiten darüber, „ob auch das Verlangen eines Geisteskranken oder Jugendlichen genügt“.182 Nach einem allgemeinen Grundsatz liege kein für das Strafrecht beachtliches Verlangen vor, wenn es von einem Menschen ausgehe, der wegen mangelnder Verstandesreife (Geisteskrankheit, jugendliches Alter) keine hinreichende 174 Vgl. Eschelbach, in: BeckOK, § 216, Rn. 11; Neumann, in: NK, § 216, Rn. 15 m.w. N. 175 Safferling, in: Matt/Renzikowski, § 216, Rn. 9. 176 BGH, Urt. v. 14. August 1963 – 2 StR 181/63 (LG Duisburg) = BGHSt 19, 135 (140) – Gisela. 177 Safferling, in: Matt/Renzikowski, § 216, Fn. 24. 178 Roxin, GA 2013, S. 313 (314); Schneider, in: MüKo, § 216, Rn. 21. 179 Schneider, in: MüKo, § 216, Rn. 21. 180 Czerner/Soßdorf, KritV 2013, S. 315 (318 f.) m.w. N. 181 Czerner/Soßdorf, KritV 2013, S. 315 (318 ff., 320 ff.) m.w. N. 182 RG, Urt. v. 01. November 1938 – 4 D 783/38 = RGSt 72, 399 (399 f.).

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C. Voraussetzungen des Verlangens

Einsicht in die Bedeutung des Rechtsguts habe, dessen Verletzung er verlange oder in dessen Verletzung er einwillige.183 Dafür seien die Umstände des Falles entscheidend. Als Regel nahm das Reichsgericht im Folgenden eine Altersgrenze von 18 Jahren an, unter der jugendliche Personen noch kein hinreichendes Urteil über Wert und Unwert des Lebens besäßen.184 Im „Gisela-Urteil“ hingegen sah der 2. Strafsenat des BGH das – von ihm angenommene – Tötungsverlangen eines 16-jährigen „über ihr Alter hinaus gereiften“ Mädchens als wirksam an.185 (3) Alternativentwürfe Im Alternativentwurf Sterbehilfe von 1986 ist für das Tötungsverlangen i. S. v. § 216 StGB-E keine Altersgrenze vorgesehen.186 Im Gegensatz dazu regelt § 215 Abs. 2 StGB-E („Nichthinderung einer Selbsttötung“), dass von einem frei verantwortlichen Selbsttötungswillen nicht ausgegangen werden dürfe, wenn der andere noch nicht 18 Jahre alt ist.187 Bei Kindern und Jugendlichen könne so gut wie nie von einer frei verantwortlichen Entscheidung für den Suizid gesprochen werden.188 Hilfe sei aber auch dann erforderlich, wenn das Kind oder der Jugendliche in der konkreten Situation möglicherweise doch frei verantwortlich gehandelt habe.189 Diese Regelungen setzen sich im Alternativ-Entwurf Sterbebegleitung von 2005 fort.190 Auch Lorenz stellt in seinem Alternativentwurf hinsichtlich der von ihm entwickelten „qualifizierten Behandlungsentscheidung“ für passive Sterbehilfe auf die Volljährigkeit des Patienten ab, erachtet aber auch eine Vertretung für möglich.191 Konsequenzen für die Tötung auf Verlangen finden jedoch keine Berücksichtigung. bb) Natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit sowie Steuerungsfähigkeit Der seinen Tod verlangende Mensch muss unabhängig von festen Altersgrenzen die Urteilskraft besitzen, um die Bedeutung und Tragweite seines Entschlus183

RG, Urt. v. 01. November 1938 – 4 D 783/38 = RGSt 72, 399 (399 f.). RG, Urt. v. 01. November 1938 – 4 D 783/38 = RGSt 72, 399 (399 f.). 185 BGH, Urt. v. 14. August 1963 – 2 StR 181/63 (LG Duisburg) = BGHSt 19, 135 = NJW 1965, S. 699 (699 ff.) – Gisela. 186 AE-Sterbehilfe, S. 12. 187 AE-Sterbehilfe, S. 12. 188 AE-Sterbehilfe, S. 30. 189 AE-Sterbehilfe, S. 30. 190 Schöch/Verrel u. a., GA 2005, S. 553 (579, 584 ff.). 191 Lorenz, Sterbehilfe, S. 95 f. (Teil 1, Abschnitt 2, § 7 Abs. 2 EMEG), 102 (Teil 3, Abschnitt 2, § 36 EMEG). 184

I. § 216 Abs. 1 StGB

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ses überblicken und abwägen zu können.192 Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn der Betroffene zum Beispiel aufgrund seines besonders jungen oder besonders hohen Alters, durch eine Erkrankung oder eine sonstige intellektuelle Beeinträchtigung (etwa infolge Alkoholkonsums) in der konkreten Situation in seiner natürlichen Einsichts- und Willensfähigkeit beeinträchtigt ist und er deshalb die Tragweite seines Entschlusses, sich töten zu lassen, nicht überblicken kann.193 Ist die Einsichtsfähigkeit gegeben, muss neben diesem intellektuellen Moment zudem die Steuerungsfähigkeit gegeben sein, also die Fähigkeit, sich nach dieser Einsicht zu richten.194 Nach Auffassung von Safferling ist die Ernstlichkeit nicht nur bei „vorübergehenden depressiven Verstimmungen“, sondern auch bei momentanen Krisen zu verneinen.195 Desweiteren sei bei Vorliegen einer psychischen Störung in der Regel davon auszugehen, dass diese einer vernunftgetragenen Abwägung entgegenstehe.196 cc) Freiheit von Irrtum, Arglist und Zwang Hinsichtlich der übrigen Beeinträchtigungen der natürlichen Einsichts- und Willensfähigkeit durch Irrtum und Zwang werden teils die für die Einwilligung geltenden – freilich im Einzelnen umstrittenen – Maßstäbe übernommen,197 teils aber auch strengere Anforderungen an die Willensmangelfreiheit gestellt. Nach der strengen Auffassung von Neumann hat die bei der Einwilligung geläufige Differenzierung zwischen rechtsgutsbezogenen und nicht rechtsgutsbezogenen Täuschungen bzw. Irrtümern im Rahmen von § 216 Abs. 1 StGB keinen Raum, da jeder für das Tötungsverlangen ursächliche Motivirrtum des Opfers die Ernstlichkeit des Verlangens ausschließe.198 Ähnlich dazu zählt Safferling zu einer Beeinträchtigung der natürlichen Einsichts- und Willensfähigkeit bereits die Zugrundelegung unzutreffender Voraussetzungen, andererseits nur das Unterliegen wesentlicher Motivirrtümer wie der Annahme einer unheilbaren Erkrankung sowie der Irrtum infolge arglistiger Beeinflussung.199 Weniger strenge Anforde-

192

BGH, NStZ 2012, S. 85 (86); BGH, NStZ 2011, S. 340 (341). BGH, NStZ 2012, S. 85 (86); BGH, NStZ 2011, S. 340 (341); Eser, in: Schönke/ Schröder, § 216, Rn. 8; Safferling, in: Matt/Renzikowski, § 216, Rn. 9. 194 So die Legaldefinitionen; vgl. zur Einwilligung BayObLG, Beschl. v. 7. September 1998 – 5 St RR 153-98 = NJW 1999, S. 372 (372). 195 Safferling, in: Matt/Renzikowski, § 216, Rn. 9. 196 Safferling, in: Matt/Renzikowski, § 216, Rn. 9. 197 Vgl. Rönnau, in: LK, Vor § 32, Rn. 191 f. m.w. N. 198 Neumann, in: NK, § 216, Rn. 14. 199 Safferling, in: Matt/Renzikowski, § 216, Rn. 9 m.w. N. 193

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rungen im Irrtumsbereich stellt Schlehofer an die Ernsthaftigkeit des Tötungsverlangens, indem er nicht-rechtsgutsbezogene Irrtümer für unbeachtlich hält.200 Ferner ist der freie Wille eines Tötungsverlangens nach allgemeiner Meinung bei Arglist zu verneinen.201 Zur Arglist zählt auch das Vorspiegeln eigener Suizidabsichten.202 Außerdem setzt die fehlerfreie Willensbildung voraus, dass der Wille freiwillig geäußert wird, also ohne Zwang.203 Über die Intensität, die der Zwang erreichen muss – eine Zwangslage im Sinne von § 34 oder § 35 StGB, die Nötigungsmittel im Sinne von § 240 StGB204 oder jegliches Unter-DruckSetzen – besteht indes keine Einigkeit.205 dd) Vernünftigkeit des Verlangens als weitere Voraussetzung? Nach Einschätzung des 3. Strafsenats des BGH geht das Schrifttum „einhellig“ davon aus, dass die freie Willensbildung notwendig, aber nicht hinreichend sei, um die Ernstlichkeit des Verlangens zu begründen.206 Tatsächlich dürfte lediglich ein kleinerer Teil der Literatur der Auffassung sein, dass das Tatbestandsmerkmal „ernstlich“ mehr als die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit im Sinne der Einwilligungsdogmatik voraussetzt. (1) Ernstlichkeit ist mehr als fehlerfreie Willensbildung Der BGH gelangt wohl zu dieser Einschätzung, da das Gericht selbst dazu neigt, der Ernstlichkeit höhere Voraussetzungen beizumessen. Der 3. Senat vertritt die Auffassung, dass die Ernstlichkeit unter normativen Gesichtspunkten rechtlich anzuerkennende Beweggründe des Tatopfers für sein Tötungsverlangen von solchen, denen die Rechtsordnung eine privilegierende Wirkung versagt, abgrenze.207 Der Senat merkt zwar an, dass die Voraussetzungen der Ernstlichkeit in der Rechtsprechung des BGH nicht abschließend geklärt seien.208 Jedenfalls 200 Schlehofer, in: MüKo, Vor §§ 32 ff., Rn. 153 ff. m.w. N. auch zur relativen Unwirksamkeit. 201 Safferling, in: Matt/Renzikowski, § 216, Rn. 9; Schneider, in: MüKo, § 216, Rn. 22 m.w. N. 202 Safferling, in: Matt/Renzikowski, § 216, Rn. 9 m.w. N. 203 Safferling, in: Matt/Renzikowski, § 216, Rn. 9. 204 Schneider, in: MüKo, § 216, Rn. 22. 205 Für die Einwilligung vgl. Schlehofer, in: MüKo, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 153 ff. m.w. N. 206 BGH, Urt. v. 7. Oktober 2010 – 3 StR 168/10 (LG Verden) = NStZ 2011, S. 340 (341). 207 BGH, Urt. v. 7. Oktober 2010 – 3 StR 168/10 (LG Verden) = NStZ 2011, S. 340 (341). 208 BGH, Urt. v. 7. Oktober 2010 – 3 StR 168/10 (LG Verden) = NStZ 2011, S. 340 (341).

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könne aber auch dann, wenn eine fehlerfreie Willensbildung zu bejahen sei, die Ernstlichkeit des Verlangens zu verneinen sein.209 Als weitere Mindestvoraussetzung müsse eine innere Festigkeit und Zielstrebigkeit das Verlangen tragen, das hiernach nicht beiläufig oder leichthin artikuliert sein dürfe, damit es sich um ein ernstliches handele. Ein Tötungsverlangen in depressiver Augenblicksstimmung sei nicht ernstlich, wenn es nicht von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit getragen werde.210 Nach Neumann setzt die Ernstlichkeit des Verlangens nicht nur voraus, dass die Entscheidung frei von Willensmängeln ist, die zur Unwirksamkeit einer Einwilligung führen würden.211 Vielmehr müsse das Verlangen Ausdruck eines überlegten Entschlusses des frei verantwortlichen Opfers sein.212 Auch Kühl möchte die Ernstlichkeit des Tötungsverlangens dann versagen, wenn der Todeswunsch als unüberlegt anzusehen sei.213 (2) Ernstlichkeit meint lediglich fehlerfreie Willensbildung Obwohl Rengier das Verlangen mit der überwiegenden Meinung als ein „Plus“ zur bloßen Einwilligung sieht, kommt er zu dem Schluss, dass das Verlangen (abgesehen von der Verfügungsbefugnis) schlicht den Voraussetzungen einer wirksamen Einwilligung entsprechen müsse.214 Demnach sei erforderlich, dass Einsichts- und Urteilfähigkeit bestünden, keine wesentlichen Willensmängel vorlägen und die Erklärung frei von Täuschung und Irrtum sei.215 Auch Schneider erkennt das Tötungsverlangen an, soweit keine einwilligungsrelevanten Willensmängel vorliegen.216 Es müsse von einer durch Willensfestigkeit und Zielstrebigkeit gekennzeichneten inneren Haltung getragen sein.217 Letztere Annahme Schneiders wertete der 3. Strafsenat des BGH als weitergehende Einschränkung.218 Das ist nicht richtig: Schneider betont gerade, dass die Ernstlichkeit für die Beurteilung des Verlangens keine eigenständige Funktion habe, da sich bereits aus der Einwilligungsdogmatik ergebe, dass für die Wirk209

BGH, Urt. v. 7. Oktober 2010 – 3 StR 168/10 (LG Verden) = NStZ 2011, S. 340

(341). 210 BGH, NStZ 2012, S. 85 (86); BGH; NStZ 2011, S. 340 (341); a. A. Schneider, in: MüKo, § 216, Rn. 20, der darauf hinweist, dass eine innerlich unbeschwertes Tötungsverlangen kaum denkbar sei. 211 Neumann, in: NK, § 216, Rn. 14. 212 Neumann, in: NK, § 216, Rn. 14. 213 Kühl, in: Lackner/Kühl, § 216, Rn. 2. 214 Rengier, BT II, § 6, Rn. 6. 215 Rengier, BT II, § 6, Rn. 6. 216 Schneider, in: MüKo, § 216, Rn. 19 f. 217 Schneider, in: MüKo, § 216, Rn. 19. 218 BGH, NStZ 2011, S. 340 (341).

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samkeit die Erklärung frei von Willensmängeln sein müsse.219 Er möchte nur solche beiläufig oder leichthin artikulierten Tötungsverlangen ausschließen, die einer bloßen Augenblicksstimmung oder massivem Alkoholkonsum entspringen.220 Hier erfolgt aber schon die Willensbildung nicht fehlerfrei. Denn ein in einer bloßen Augenblicksstimmung „daher gesagter“ Wille ist nicht ernst gemeint und genügt damit schon nicht den Anforderungen an die rechtlich erhebliche Willensbildung. Auch die Einwilligung muss nämlich „ernst gemeint“ sein.221 Ein infolge massiven Alkoholkonsums geäußerter Wille leidet indes an dem Mangel, dass Bedeutung und Tragweite des Entschlusses nicht überblickt werden können, und ist daher fehlerhaft. Wenn der 3. Strafsenat nun auf dem Standpunkt steht, sich letztlich Schneider anzuschließen, beruht dies somit auf einem Missverständnis. Joecks erachtet es für die Ernstlichkeit des Verlangens neben dem freien Willen des Opfers für erforderlich, dass es „zielbewusst“ auf die Tötung gerichtet ist.222 Man könnte dies als zusätzliche Voraussetzung gegenüber der Einwilligung auffassen. Indessen muss sich auch bei der Einwilligung das Opfer des Ziels seines Willens bewusst sein. Im Anschluss schreibt Joecks dann auch, dass die Ernstlichkeit „wie bei der Einwilligung“ voraussetze, dass „keine relevanten Willensmängel vorhanden“ sind.223 (3) Logisches Problem der 2. Ansicht? Bringewat konstatiert der (wohl) überwiegenden Meinung, nach der die Ernstlichkeit des Verlangens nicht mehr als fehlerfreie Willensbildung im Sinne der Einwilligungsdogmatik voraussetzt, den logischen Fehler, dass zwar einerseits die Einwilligung deshalb nicht für möglich erachtet werde, weil eine autonome Entscheidung zur Fremdtötung nicht denkbar, sondern vielmehr diese (ebenso wie die Selbsttötung) immer Ausdruck psychopathologischer Phänomene sei, andererseits aber das Verlangen gemäß § 216 Abs. 1 StGB ernstlich im Sinne einer willensmängelfreien Einwilligung zu sein habe.224 Darin stecke ein Widerspruch in sich.225

219

Schneider, in: MüKo, § 216, Rn. 12 und 21. Schneider, in: MüKo, § 216, Rn. 19. 221 Lenckner/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 32, Rn. 49; Rönnau, in: LK, Vorbem. § 32, Rn. 196. 222 Joecks, Studienkommentar, § 216, Rn. 7. 223 Joecks, Studienkommentar, § 216, Rn. 7. 224 Bringewat, in: Eser, Suizid und Euthanasie, S. 368 (374 f.). 225 Bringewat, in: Eser, Suizid und Euthanasie, S. 368 (375). 220

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c) Würdigung Es wurde aufgezeigt, dass die Ausdrücklichkeit zum Teil als Kriterium des Tatbestandsmerkmals „Verlangen“ behandelt wird. Zutreffend ist die überwiegende Auffassung, nach der die Ausdrücklichkeit bestimmte Anforderungen an den Inhalt des Verlangens stellt.226 Der Inhalt darf nur eine Auslegung zulassen, er muss eindeutig sein. Man könnte aber, ausgehend vom Wortlaut der Ausdrücklichkeit, zudem eine besondere Form der Äußerung voraussetzen: die Äußerung mit Nachdruck. Dies wird zwar bisher, soweit ersichtlich, nicht unter die Ausdrücklichkeit subsumiert. Dafür spricht aber der Wortlaut. Denn Ausdrücklichkeit bedeutet aus sprachwissenschaftlicher Sicht „mit Nachdruck, unmissverständlich (vorgebracht), explizit“.227 Die fehlende Diskussion um ein mutmaßliches Tötungsverlangen hat ihren Grund darin, dass das Tatbestandsmerkmal „ausdrücklich“ in § 216 Abs. 1 StGB klarstellt, dass ein mutmaßliches Verlangen nicht zur Unrechtsminderung nach dieser Vorschrift führen kann, da das Tötungsverlangen explizit geäußert werden muss. Denkbar ist eine unrechtsmindernde Wirkung eines mutmaßlichen Tötungsverlangens allerdings im Rahmen der Strafzumessung des § 212 StGB. Die Voraussetzung eines ausdrücklichen Verlangens ist in Anbetracht der existenziellen Bedeutung der Entscheidung über den Tod richtig. Daher ist es problematisch, dass das Kriterium der Ausdrücklichkeit im Bereich der Sterbehilfe weitgehend als unbeachtlich angesehen und diesbezüglich eine mutmaßliche Einwilligung für ausreichend erachtet wird.228 Das erscheint fragwürdig, wird die Wertung von § 216 Abs. 1 StGB doch gerade in der Sterbehilfe-Diskussion so oft bemüht. Fraglich ist, ob der herrschenden Auffassung, die eine Altersgrenze als Bestandteil der Ernstlichkeit ablehnt, zuzustimmen ist. Dagegen könnte sprechen, dass auch die Patientenverfügung, die in vielen Fällen Entscheidungen der Sterbehilfe betrifft und insofern einen Berührungspunkt zum Tötungsverlangen hat, in § 1901a Abs. 1 BGB die Volljährigkeit voraussetzt. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass im Strafrecht die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit maßgeblich ist. Davon abgesehen wird die Verfassungsmäßigkeit der Altersgrenze in § 1901a Abs. 1 BGB von Sternberg-Lieben und Reichmann mit guten Gründen angezweifelt.229

226

Hecker, JuS 2012, S. 365 (365). Duden, Richtiges und gutes Deutsch, Stichwort „ausdrücklich“. 228 So nunmehr die Rechtsprechung seit BGH, Urt. v. 25. Juni 2010 – 2 StR 454/09 (LG Fulda) = NJW 2010, S. 2963 (2963), 1. Ls.; dazu Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 381a m.w. N. Vgl. zur Kritik unten F.I.2. 229 Sternberg-Lieben/Reichmann, NJW 2012, S. 257 (258 ff.). 227

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Anerkannt ist außerdem, dass der Wille des einsichts- und urteilsfähigen Minderjährigen jedenfalls über § 1901a Abs. 2 BGB Geltung beansprucht.230 Rechtspolitisch zeigt die rege Diskussion über die rechtliche Beachtlichkeit des Willens von Kindern in Grenzfragen von Leben und Tod, dass die Thematik im Fluss ist231 und starre Altersgrenzen dem Problem nicht gerecht werden.232 Beispielsweise gehörte die Berücksichtigung des Sterbewillens von Kindern im Konflikt zum extern verstandenen Kindeswohl zu den Themen des zweiten Treffens der deutschsprachigen Bioethikkommissionen.233 Vorzugswürdig ist es, ausschließlich auf die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit abzustellen. Dafür spricht, dass das Tötungsverlangen Ausdruck des Selbstbestimmungsrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG ist. Die zivilrechtlich gebotene Einschränkung auf geschäftsfähige Personen ist im Strafrecht nicht legitimierbar, da der Schutz des Rechtsverkehrs insoweit als verfassungsrechtliche Rechtfertigung ausscheidet.234 Deshalb sind starre Altersgrenzen abzulehnen und es ist in concreto zu beurteilen, ob das Tötungsverlangen eines Kindes oder Jugendlichen ernstlich ist. Die Alternativentwürfe sind insoweit widersprüchlich. Wenn davon ausgegangen wird, dass der Sterbewunsch von Kindern und Jugendlichen wegen der aufgrund des jungen Alters besonderen Gefahr von Willensdefekten generell unbeachtlich sei, dann müsste das gleichermaßen für den Wunsch nach einer Fremdtötung gelten. Doch weder in § 216 StGB-AE noch in den die Sterbehilfe regelnden §§ 214, 214a StGB-AE wird dieser eigenen Prämisse Rechnung getragen.235 Diese Ungereimtheit setzt sich im Alternativ-Entwurf Sterbebegleitung von 2005 fort.236 Nicht-rechtsgutsbezogene Irrtümer sind nach der hier vertretenen Auffassung beachtlich. Dem Argument Schlehofers237, diese Einschränkungen vertrügen sich nicht mit den §§ 119, 123 BGB, ist entgegenzusetzen, dass es bei den zivilrechtlichen Irrtumsregeln auch um den Schutz des Rechtsverkehrs geht. Der Schutz 230

Knauer/Brose, in: Spickhoff, StGB, § 216, Rn. 22. Jüngst hat Belgien die direkte Sterbehilfe auch für Kinder und Jugendliche legalisiert; vgl. F.A.Z. vom 13.02.2014, Belgien erlaubt Sterbehilfe auch für Kinder, im Internet abrufbar unter http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/europa/parlament-stimmtzu-belgien-erlaubt-sterbehilfe-auch-fuer-kinder-12800960.html, zuletzt abgerufen am 04. Januar 2015. 232 So auch Czerner/Soßdorf, KritV 2013, S. 315 (342 ff.). 233 Vgl. die Präsentation von Wiesemann, Kindeswohl und Kindeswillen, Folie 2. 234 Vgl. Paeffgen, in: NK, § 228, Rn. 14 m.w. N. 235 AE-Sterbehilfe, S. 12 f. 236 Schöch/Verrel u. a., GA 2005, S. 553 (579, 584 ff.). 237 Schlehofer, in: MüKo, Vor §§ 32 ff., Rn. 153 ff. m.w. N. auch zur relativen Unwirksamkeit. 231

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des Rechtsverkehrs spielt für die strafrechtliche Willensäußerung aber, wie oben erörtert, keine Rolle. Vorzugswürdig erscheint es daher, jeden wesentlichen Motivirrtum zu beachten.238 Hinsichtlich der Beachtlichkeit von Zwang und Arglist muss richtigerweise im Einzelfall entschieden werden, ob der Einsatz der Zwangsmittel die Willensfreiheit des Betroffenen beeinträchtigt hat. Denn nicht jedes Unter-Druck-Setzen beeinträchtigt bei entsprechender innerer Festigkeit die Willensfreiheit. Es ist jedoch davon auszugehen, dass in der Regel jedenfalls der durch Einsatz von Nötigungsmitteln i. S. v. § 240 StGB erzeugte Zwang die fehlerfreie Willensbildung ausschließt. Dafür spricht die durch die Kriminalisierung der Nötigung getroffene gesetzliche Wertung, dass die Entscheidungsfreiheit des Opfers in relevanter Weise beeinträchtigt wird.239 Die Ernstlichkeit meint nach der hier vertretenen Auffassung letztlich nicht mehr als eine fehlerfreie Willensbildung, obwohl auch jene Meinungen, die auf eine Äußerung mit Nachdruck abstellen, gut vertretbar sind. Abzulehnen sind jedoch solche Ansätze, die auf eine inhaltliche Kontrolle auf „vernünftige“ Gründe abheben.240 Denn eine solche Motivkontrolle wäre nicht mit dem grundgesetzlich garantierten Selbstbestimmungsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG vereinbar (vgl. oben C.I.2.d)). Soweit der 3. Strafsenat des BGH – im Ergebnis gut vertretbar – die Voraussetzung aufstellt, dass das Verlangen über die fehlerfreie Willensbildung hinaus von einer inneren Festigkeit und Zielstrebigkeit getragen sein müsse und es nicht beiläufig oder leichthin artikuliert werden dürfe, damit es sich um ein ernstliches handele, beruft er sich missverständlich auf die von Schneider zur Abgrenzung von willensmängelbehafteten Entscheidungen herangezoge Unterscheidung.241 Auch die Formulierung, dass ein Tötungsverlangen in depressiver Augenblicksstimmung nicht ernstlich sei, wenn es nicht von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit getragen werde,242 ist problematisch. Zunächst einmal ist die Depression eine nach ICD-10 anerkannte Krankheit, deren Phasen unbehandelt im Schnitt zwischen sechs und 12 Monaten, behandelt 238 So auch Safferling, in: Matt/Renzikowski, § 216, Rn. 9; kritisch Schneider, der jeden Motivirrtum für beachtlich hält und so das Tatbestandsmerkmal der Ernstlichkeit inhaltlich von der Freiverantwortlichkeit abkoppelt; ders., in: MüKo, § 216, Rn. 22. 239 So (für die Einwilligung) Schroth, in: Schroth/König/Gutmann/Oduncu, TPG, § 19, Rn. 118 m.w. N. 240 So aber BGH, Urt. v. 7. Oktober 2010 – 3 StR 168/10 (LG Verden) = NStZ 2011, S. 340 (341); wie hier ablehnend Schneider, in: MüKo, § 216, Rn. 19. 241 BGH, NStZ 2011, S. 340 (341) unter Berufung auf Schneider, in: MüKo, § 216, Rn. 19. 242 BGH, NStZ 2012, S. 85 (86); BGH; NStZ 2011, S. 340 (341); a. A. Schneider, in: MüKo, § 216, Rn. 20, der darauf hinweist, dass eine innerlich unbeschwertes Tötungsverlangen kaum denkbar sei.

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durchschnittlich drei Monate, andauern.243 Die Verwendung des Begriffspaares der „depressiven Augenblicksstimmung“ impliziert indes eine lediglich momentane Befindlichkeit. Man könnte daher annehmen, dass hier in einer umgangssprachlichen Wortwahl lediglich eine – nicht pathologische und lediglich augenblicklich andauernde – Niedergeschlagenheit gemeint ist, in deren Rahmen ein Tötungsverlangen bei fehlender „innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit“ unbeachtlich sein soll. Die Voraussetzung einer „langfristigen“ Niedergeschlagenheit als Kriterium der Ernstlichkeit des Tötungsverlangens macht allerdings wenig Sinn und sprengt zudem die Wortlautgrenze, da das Tatbestandsmerkmal „ernstlich“ nichts darüber aussagt, welche Gefühle zum ernstlichen Verlangen motiviert haben müssen. Vom Ausschlusskriterium der „depressiven Augenblicksstimmung“ bliebe also nichts weiter übrig als das Erfordernis einer „inneren Festigkeit und Zielstrebigkeit“. Diese Forderung geht nach dem Senat über die Voraussetzung einer fehlerfreien Willensbildung hinaus. Das Kriterium der „inneren Festigkeit und Zielstrebigkeit“ ist für sich genommen nicht zu beanstanden und wird vom Wortlaut getragen (dazu sogleich). Geht man demgegenüber davon aus, dass mit der oben genannten Begrifflichkeit die Depression als psychologisch-technischer Begriff gemeint ist, so ist der Ausschluss eines Verlangens in „depressiver Augenblicksstimmung“, das nicht von innerer Festigkeit und Zielstrebigkeit getragen wird, zum einen – entgegen dem 3. Strafsenat des BGH244 – nicht als gegenüber dem Erfordernis fehlerfreier Willensbildung weitergehende Einschränkung zu verstehen, sondern als ein Beispiel möglicher Beeinträchtigungen der natürlichen Einsichts- und Willensfähigkeit durch eine Erkrankung zu begreifen, und zum anderen sachlich falsch. Denn eine depressive Episode beeinträchtigt die natürliche Einsichts- und Willensfähigkeit,245 da „Fühlen, Wollen, Antrieb, Denken und Impulskontrolle“ durch die Krankheit so verändert werden, dass „jedwedes Handeln mehr von der Störung als von den Motiven der Primärpersönlichkeit geprägt ist“.246 Ob dies die Einsichts- und Willensfähigkeit derart beeinträchtigt, dass die Tragweite des Entschlusses, sich töten zu lassen, nicht mehr überblickt werden kann und somit die Willensbildung fehlerhaft erfolgt, hängt somit nicht von der inneren Festigkeit und Zielstrebigkeit des Tötungsverlangens ab, sondern von der Dominanz der Störung.247 Denn anderenfalls wäre ein pathologisches Tötungsverlangen beachtlich, würde es nur zielstrebig genug verfolgt. Versteht man also den oben erwähnten Satz wortwörtlich und legt ihm den psychologisch-technischen Begriff einer Depression zugrunde, so ergibt die Voraussetzung einer „inneren Festigkeit 243

Nedopil/Müller, Forensische Psychiatrie, S. 195. BGH, NStZ 2011, S. 340 (341). 245 Nedopil/Müller, Forensische Psychiatrie, S. 198. 246 Nedopil/Müller, Forensische Psychiatrie, S. 197. 247 Zur Ermittlung des Ausmaßes einer depressiven Störung für die rechtliche Beurteilung vgl. Nedopil/Müller, Forensische Psychiatrie, S. 197 f. 244

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und Zielstrebigkeit“ als Ausschlusskriterium der Beachtlichkeit eines während einer „depressiven Augenblicksstimmung“ geäußerten Verlangens wenig Sinn. Mit dem „überlegten“ Entschluss, den Neumann und Kühl für die Ernstlichkeit voraussetzen, ist wohl ein vorgelagerter Prozess des Abwägens gemeint, im Gegensatz zu einer spontanen Entscheidung. Diese Sichtweise verträgt sich allerdings nicht mit dem Wortlaut. Das Wort „ernstlich“ bedeutet „nachdrücklich, gewichtig, eindringlich, mit Nachdruck (vorgetragen)“ und „wirklich so gemeint, im Ernst, aufrichtig“.248 Das Tatbestandsmerkmal beschreibt somit die Art und Weise, wie das Verlangen geäußert werden muss, nicht aber den vorgelagerten Prozess der Entscheidungsfindung („nach Überlegung“). Ernst gemeint, also wirklich so gemeint und nachdrücklich vorgetragen, kann auch ein Entschluss sein, der nicht lange überlegt wurde. Aus dem Wortlaut ergibt sich somit nicht, dass Spontanentscheidungen nicht umfasst wären. Möglicherweise sehen Neumann und Kühl die „Überlegtheit“ aber lediglich als ein starkes Indiz für eine fehlerfreie Willensbildung in Bezug auf die konsentierte Fremdtötung, da aufgrund der existenziellen Bedeutung eine spontane Zustimmung wohl tatsächlich in den meisten Fällen nicht willensmängelfrei sein wird. Bringewat ist das Verdienst zugute zu halten, auf die Besonderheit aufmerksam gemacht zu haben, dass das Tötungsverlangen mit dem Tatbestandsmerkmal der Ernstlichkeit an den Wirksamkeitsvoraussetzungen der Einwilligung gemessen und – soweit es ernstlich ist – unter Einwilligungsgesichtspunkten als wirksam anerkannt wird, obwohl ihm doch die allermeisten die Wirkung einer wirksamen Einwilligung absprechen.249 Entgegenzuhalten ist ihm jedoch, dass seine Prämisse von der Psychopathologie eines Sterbewunsches250 jedenfalls in der behaupteteten Allgemeingültigkeit auf wackligen Füßen steht. Zwar liegt einem Sterbewunsch häufig, aber eben nicht immer eine psychische Störung zugrunde.251 Selbst wenn aber der Sterbewunsch aus einer psychischen Krankheit heraus entstanden ist, so ist damit nicht automatisch gesagt, dass die strafrechtliche Einwilligungsfähigkeit (oder Freiverantwortlichkeit252) – als normative Kategorie – entfällt.253 Denn auch psychisch 248

Duden, Richtiges und gutes Deutsch, Stichwort „ernstlich“. Vgl. Bringewat, in: Eser, Suizid und Euthanasie, S. 368 (375). 250 Wie Bringewat verneinen auch heute noch einige die Möglichkeit eines freiverantwortlichen Sterbewunsches. Zum Streitstand Hillenkamp, in: Anderheiden/Eckart, Bd. 2, S. 1034 (1036 f.) m.w. N. 251 Vgl. Pschyrembel, Psychiatrie, Stichwort „Suizid“. 252 Diese Alterität macht freilich nur dann Sinn, wenn man die Freiverantwortlichkeit nicht synonym zur Einwilligungsfähigkeit begreift, sondern der sogenannten Exkulpationstheorie folgend als strafrechtlich verantwortlich im Sinne der §§ 20 f. StGB; zur Diskussion um die Einwilligungslösung und die Exkulpationstheorie Hillenkamp, in: Anderheiden/Eckart, Bd. 2, S. 1034 (1037 ff.) m.w. N. 253 So zutreffend Hillenkamp, in: Anderheiden/Eckart, Bd. 2, S. 1034 (1037) m.w. N. 249

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kranke Menschen können, je nach Art der Erkrankung, durchaus einwilligungsfähig sein bzw. freiverantwortlich handeln.254 Die naturwissenschaftliche Erkenntnis verträgt sich daher durchaus mit der (von Bringewat demgegenüber kategorisch als Fiktion eingeordneten) normativen Vorgabe des § 216 Abs. 1 StGB, die davon ausgeht, dass das Verlangen nach einer Fremdtötung subjektiv willensmängelfrei, nämlich ernstlich, sein kann. Auch ist inzwischen zu Recht anerkannt, dass eine freiverantwortliche Selbsttötung denkbar ist.255 Folgerichtig wird die Wirksamkeit einer Einwilligung in die Fremdtötung jedenfalls überwiegend nicht mit der unterstellten generellen Unfreiwilligkeit eines Sterbewunsches (als subjektiver Einwilligungsschranke) bestritten. Ob allerdings der herrschenden Ansicht, die Wirksamkeit der Einwilligung mit Verweis auf die (wie auch immer zu begründende) Indisponibilität als objektive Einwilligungsschranke abzulehnen, gefolgt werden kann, steht auf einem anderen Blatt. Hier ist Bringewat in seiner Kritik256 an den unstimmigen Deutungsversuchen jener, die das Leben als indisponibel betrachten, beizupflichten, wie im Folgenden gezeigt wird. Nach alledem ist festzuhalten, dass unter die Tatbestandsmerkmale „Ausdrücklichkeit“ und „Ernstlichkeit“ Voraussetzungen subsumiert werden, die auch für die Einwilligung257 erforderlich sind. Die Trias der Tatbestandsmerkmale „ausdrückliches, ernstliches Verlangen“ könnte somit der Klarstellung dienen, dass auch das Verlangen die Erfordernisse der Einwilligung erfüllen muss. Diese Klarstellung ist deshalb vonnöten, weil auf den rechtstechnischen Terminus der Einwilligung in § 216 StGB verzichtet wurde.258 Darüber hinaus schließt die Ausdrücklichkeit jedoch – hierin besteht ein Unterschied zur Einwilligung – ein mutmaßliches Verlangen aus. Dies gilt für ein hypothetisches Verlangen, sollte man es überhaupt für diskussionswürdig erachten, erst Recht.259 5. Verlangen mittels Patientenverfügung Seit 2009 ist in § 1901a BGB die Verbindlichkeit des Patientenwillens für ärztliches Handeln auch für den später eintretenden Fall der Einwilligungsunfähig254

Hillenkamp, in: Anderheiden/Eckart, Bd. 2, S. 1034 (1037). Vgl. nur LG Deggendorf, Beschl. v. 13. September 2013 (1 Ks 4 Js 7438/11) = RDG 2014, S. 237 (238) und Borasio/Jox/Taupitz/Wiesing, Selbstbestimmung im Sterben, S. 28 f. m.w. N. 256 Bringewat, in: Eser, Suizid und Euthanasie, S. 368 (373). 257 Dies gilt bezüglich der Ausdrücklichkeit nicht für die mutmaßliche Einwilligung. 258 Ob der Grund dafür in unterschiedlichen Rechtsfolgen liegt, wird unter D.I. untersucht. 259 Bereits die hypothetische Einwilligung ist äußerst umstritten, dazu Hengstenberg, Die hypothetische Einwilligung im Strafrecht, S. 163 ff., 206 ff. und Wessels/Beulke/ Satzger, AT, Rn. 384a; jeweils m.w. N. 255

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keit geregelt. Denkbar ist der Fall, dass ein Patient in einer Patientenverfügung gemäß § 1901a Abs. 1 BGB festlegt, dass er unter bestimmten Umständen (direkt) getötet werden möchte, was den Anforderungen an ein Tötungsverlangen im Sinne von § 216 StGB nach allen Ansichten grundsätzlich entsprechen würde.260 Fraglich ist jedoch, ob ein solches Tötungsverlangen in einer Patientenverfügung Wirksamkeit entfalten kann. Für den hiernach handelnden Arzt wird dies, sofern die Tötung nicht unter zulässige Sterbehilfe fällt (was direkte Tötungen teilweise einschließt)261 im Hinblick auf eine Privilegierung nach § 216 Abs. 1 StGB relevant. a) Meinungsstand Der Grundtenor in der Literatur zu dieser Frage lautet, dass eine Tötung auf Verlangen in einer Patientenverfügung nicht wirksam gefordert werden könne.262 Eine Festlegung in einer Patientenverfügung, die gegen das strafrechtliche Verbot der Tötung auf Verlangen verstoße, sei unwirksam.263 Diese Auffassung entspricht auch der gesetzgeberischen Begründung des 3. Gesetzes zur Änderung des Betreuungsrechts.264 b) Würdigung Auf welche Maßnahmen sich die Patientenverfügung beziehen kann, ist in der Legaldefinition des § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB aufgeführt: Untersuchungen des Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe. Eine direkte Tötung ist weder Untersuchung noch Heilbehandlung, aber im Rahmen ärztlicher Sterbehilfe möglicherweise ein ärztlicher Eingriff. Ein ärztlicher Eingriff ist eine Maßnahme, die nicht schon Heilbehandlung ist, also keinen kurativen Zweck verfolgt, jedoch die körperliche Integrität beeinträchtigt (zum Beispiel ein Schwangerschaftsabbruch nach Konfliktberatung). Die direkte Tötung durch einen Arzt kann somit unter den ärztlichen Eingriff im Sinne von § 1901a Abs. 1 S. 1 BGB subsumiert werden.265 Allerdings können in einer Patientenverfügung nur solche Bestimmungen getroffen werden, die mit der übrigen Rechtsordnung im Einklang stehen, da sie ansonsten nach § 134 BGB nich260 Allerdings verlangt der BGH nunmehr – für die rechtfertigende Einwilligung – auch die Einhaltung der verfahrensrechtlichen Vorgaben, BGHSt 55, 191 = NStZ 2011, S. 274; dazu Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 381a m.w. N. auch zur a. A. 261 Dazu ausführlich unter F.I. 262 Müller, ZEV 2008, S. 583 (583). 263 Kutzer, FPR 2007, S. 59 (60). 264 BT-Drucks. 16/8442, S. 7 f. 265 Direkt ist schließlich auch die Tötung durch den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen, die unstreitig in einer Patientenverfügung geregelt werden kann. Vgl. dazu BGH, Beschl. v. 6. Juli 2016 – XII ZB 61/16 – juris und unten F.I.

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tig sind. § 216 Abs. 1 StGB stellt die konsentierte Fremdtötung indessen unter Strafe, was gegen die Wirksamkeit eines in einer Patientenverfügung geäußerten Tötungsverlangens spricht. Andererseits ist dem Tötungsverlangen des § 216 Abs. 1 StGB ja gerade immanent, dass es sich auf ein verbotenes Tötungsdelikt bezieht. Auch kann ein Tötungsverlangen grundsätzlich schriftlich geäußert werden. Das auf das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ bezogene Merkmal der Ausdrücklichkeit verengt die möglichen Äußerungsformen nicht auf mündliche Äußerungen, sondern meint, wie bereits erörtert, so viel wie „unmissverständlich, eindeutig“. Es spricht also nichts dagegen, ein in einer Patientenverfügung geäußertes Tötungsverlangen als Verlangen im Sinne von § 216 StGB zu berücksichtigen,266 selbst wenn die Festlegung in der Patientenverfügung zivilrechtlich nach § 134 BGB unwirksam sein mag. Insoweit kann es auch weder auf die Verfahrensvorschriften der §§ 1901a ff. BGB ankommen noch auf die Altersgrenze der Volljährigkeit, da diese zivilrechtlichen Regelungen der Geschäftsfähigkeit nicht auf das Strafrecht übertragbar sind.267 6. Stellvertretung in der Äußerung eines Tötungsverlangens? Bei mangelnder Einwilligungsfähigkeit tritt an die Stelle der Einwilligung des Betroffenen jene seines gesetzlichen Vertreters.268 Das wirft die (wohl eher theoretische) Frage auf, ob eine solche Stellvertretung auch für das Tötungsverlangen in Betracht kommt. Die Möglichkeit einer stellvertretenden Äußerung des Tötungsverlangens ist in Rechtsprechung und Literatur, soweit ersichtlich, jedoch noch nicht behandelt worden. Die Voraussetzung, dass das Tötungsverlangen ernstlich sein muss, stünde einer Stellvertretung in der Äußerung eines Tötungsverlangens nicht entgegen – es wäre dann auf das ernstliche (und ausdrückliche) Verlangen des Vertreters abzustellen. Dagegen spricht jedoch der Wortlaut von § 216 Abs. 1 StGB, wonach es auf das Verlangen des Getöteten ankommt. Auch Sinn und Zweck der Norm sprechen dafür. Nur, wenn der Betroffene selbst den Tod wünscht, soll der Täter in den Genuss der Strafminderung gelangen. Schließlich spricht die existenzielle Bedeutung gegen eine Stellvertretung: Sie macht das Verlangen zu einer unvertretbaren Entscheidung.

266 So auch LG Köln, Urt. v. 02. September 2010 – Az. 101 KLs 56/09, Rn. 23 = ZfL 2010, S. 59 (61). 267 Anders jedoch BGH, NStZ 2011, S. 274; zur Kritik Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 381a mit Fn. 65 und m.w. N. 268 Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 374.

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7. Adressat des Verlangens und dessen Bestimmung durch das Verlangen a) Meinungsstand Nach allgemeiner Meinung kann jedermann Adressat des Verlangens sein. Demnach ist die einzige Voraussetzung in dessen Person auf subjektiver Seite, dass er durch das Verlangen bestimmt worden ist, damit die Unrechtsminderung nach § 216 Abs. 1 StGB eintritt.269 Das bedeutet nach überwiegender Auffassung, dass das Verlangen als entscheidender Tatantrieb auf den Täter gewirkt haben und als Motiv (ggf. auch unter mehreren Motiven) handlungsleitend gewesen sein muss.270 Es sind somit zwei Anforderungen an die Bestimmung anerkannt.271 Sie werden von den meisten so verstanden, dass zum einen der Tatentschluss kausal durch das Opfer hervorgerufen werden und zum anderen der Täter jedenfalls primär aufgrund des Tötungsverlangens handeln muss, also ausschlaggebend ohne das Tötungsverlangen nicht zur Tat geschritten wäre.272 Nach der Auffassung von Scheinfeld muss der Täter durch das Tötungsverlangen zur Tat „bewogen werden“, es muss also (zumindest auch) Grund für die Tötung sein.273 Auch Neumann hält die Ursächlichkeit für erforderlich, bezieht diese aber auf die Tötungshandlung.274 Die Initiative kann nach herrschender Auffassung auch vom Täter ausgehen, solange der Tatentschluss durch das Opfer hervorgerufen wird.275 Der Täter müsse dann aber seinen endgültigen Tatentschluss davon abhängig machen, dass das Opfer an ihn herantrete.276 Mitwirkende Nebenmotive seien unschädlich.277 Das „Bestimmt-worden-sein“ soll nur ausgeschlossen sein, wenn der Täter als omnimodo facturus ohnehin bereits zur Tat entschlossen war oder nicht durch das Verlangen, sondern durch andere Umstände wie Versprechungen eines Dritten zur Tat veranlasst wurde.278

269

Eser/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 216, Rn. 9. Vgl. BVerfG (2. Kammer des Zweiten Senats), Beschl. v. 7.10.2008 – 2 BvR 578/ 07 = NJW 2009, S. 1061; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 216, Rn. 2 m.w. N. 271 Vgl. Feldmann, Mitwirkungshandlungen am Suizid, S. 360. 272 Dieses Verständnis der handlungsleitenden Motivation hat namentlich Scheinfeld genauer herausgearbeitet und u. a. mit der Sicht des Gesetzgebers begründet, ders., GA 2007, S. 695 (701) m.w. N. 273 Scheinfeld, GA 2007, S. 695 (709). 274 Neumann, in: NK, § 216, Rn. 16. 275 Knauer/Brose, in: Spickhoff, StGB, § 216, Rn. 29 m.w. N. 276 Knauer/Brose, in: Spickhoff, StGB, § 216, Rn. 29. 277 Kühl, in: Lackner/Kühl, § 216, Rn. 2 m.w. N. 278 Eser/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 216, Rn. 9. 270

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Der BGH hat die Anforderung der handlungsleitenden Motivation im „Kannibalen-Fall“ anders als die vorgenannten Auffassungen verstanden und sie mit dem Argument verneint, dass der Täter aus eigenem Antrieb zur Tötung bereite Opfer gesucht habe.279 Damit hat der Senat auf die fehlende Initiative des Opfers abgestellt. Im Umkehrschluss hat er somit die Initiative des Opfers für das „Bestimmt-worden-sein“ i. S. v. § 216 StGB vorausgesetzt. Hinsichtlich der Art und Weise der Adressierung des Verlangens wird überwiegend vertreten, dass es nicht an eine bestimmte Person oder einen individualisierbaren Personenkreis gerichtet werden müsse, sondern auch gegenüber der Allgemeinheit geäußert werden könne.280 Ob bei dem an die Allgemeinheit gerichteten Verlangen eine grundsätzliche Wirksamkeit anzunehmen ist oder diese nur ausnahmsweise angenommen werden kann, wird unterschiedlich beurteilt.281 Die Übermittlung des Verlangens an den Adressaten durch einen Boten ist nach Auffassung von Mitsch denkbar.282 b) Parallelität zur Anstiftung Die Parallele des „Bestimmt-worden-seins“ i. S. v. § 216 Abs. 1 StGB zum „Bestimmt-haben“ in § 26 StGB wurde oben unter C.I.2.d) bereits angesprochen. Auch wenn beide Tatbestandsmerkmale trotz derselben Terminologie nicht zwingend gleich auszulegen sind, verspricht der Blick auf die Voraussetzungen des Bestimmens i. S. v. § 26 StGB doch Erhellung bezüglich der Definition des „Bestimmt-worden-seins“. Denn auch für die Anstiftung wird nach überwiegender Auffassung (jedenfalls) die Verursachung des Tatentschlusses vorausgesetzt,283 wobei allerdings viele darüber hinaus eine kommunikative Beeinflussung des Täters284 oder gar eine unmittelbare Aufforderung285 für erforderlich halten.286 Joecks, der der sogenannten „Kollusionstheorie“ folgt, setzt sogar die Initiative

279 BGH, Urt. v. 22. April 2005 – 2 StR 310/04 (LG Kassel) = NJW 2005, S. 1876 (1879) – Kannibale. 280 Schneider, in: MüKo, § 216, Rn. 15 m.w. N.; nicht ausreichend ist das unspezifizierte Tötungsverlangen an die Allgemeinheit nach der Auffassung von Rössner/Wenkel, in: HK, § 216, Rn. 8. 281 Für grundsätzlich wirksam hält ein solches Verlangen Schneider, in: MüKo, § 216, Rn. 15. In der Regel unwirksam und folglich nur ausnahmsweise beachtlich ist es nach Jähnke, in: LK, § 216, Rn. 5. 282 Mitsch, JuS 1996, 309 (311) m.w. N. 283 Die „reine Verursachungstheorie“ wird z. B. vertreten von Hillenkamp, JR 1987, S. 253 (256) und Kühl, in: Lackner/Kühl, § 26, Rn. 2 m.w. N. 284 So z. B. Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 568. 285 Vgl. etwa Joecks, in: MüKo, § 26, Rn. 18 ff. 286 Eine Übersicht zu den verschiedenen Auffassungen findet sich m.w. N. bei Hillenkamp, 32 Probleme aus dem Strafrecht AT, 23. Problem, S. 173 ff.

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des Anstifters für das „Bestimmen“ i. S. v. § 26 StGB voraus.287 Nur wenn der Initiierende wirklich die Initiative ergreife und kraft seiner Vorgaben die Tat massiv beeinflusse, sei die tätergleiche Bestrafung gerechtfertigt.288 Wiederum gänzlich parallel zu § 216 StGB wird bezüglich der Anstiftung zudem angenommen, dass die Bestimmung eines omnimodo facturus ausscheide.289 Scheinfeld, der sich mit der Parallelität der Anstiftung zur Tötung auf Verlangen eingehend befasst hat, sieht diese in der Gemeinsamkeit des „Eingebens eines tatwirksamen Beweggrundes“ durch die Bestimmung.290 Die Tatbestandsmerkmale würden sich insofern partiell entsprechen, als das „Bestimmen“ des § 216 StGB voll in dem des § 26 StGB aufgehe.291 c) Würdigung Die Voraussetzung der Privilegierung, dass der Täter durch das Verlangen zur Tötung bestimmt worden sein muss, ergibt sich aus dem Tatbestandsmerkmal „bestimmt worden“ und ist nach der hier vertretenen Auffassung deshalb eine Art gesetzlich vorgeschriebenes „subjektives Rechtfertigungselement“ 292 – mit dem Unterschied, dass lediglich eine Unrechtsminderung eintritt. Nicht nur soweit zugleich von einer Schuldminderung ausgegangen wird, ist das „Bestimmtworden-sein“ ein besonderes persönliches Merkmal i. S. v. § 28 Abs. 2 StGB,293 denn § 216 Abs. 1 StGB privilegiert nur jenen, der sich hat bestimmen lassen. Das gilt gleichermaßen, wenn die Privilegierung ausschließlich auf die Unrechtsminderung gestützt wird. Hinsichtlich der Wirksamkeit eines an die Allgemeinheit gerichteten Verlangens lassen sich keine pauschalen Aussagen treffen. Ist im konkreten Fall der Ausführende dem Adressatenkreis zugehörig, spricht je nach Einzelfall nichts dagegen. Das kann sowohl bei einem abgrenzbaren Adressatenkreis der Fall sein (z. B. wenn die Tötung „durch einen Arzt“ verlangt wird), aber auch bei einem nicht abgrenzbaren Teil der Allgemeinheit („irgendjemand“ möge sich zur Tötung erbarmen). 287

Joecks, in: MüKo, § 26, Rn. 22. Joecks, in: MüKo, § 26, Rn. 22. 289 Kühl, in: Lackner/Kühl, § 26, Rn. 2a m.w. N. 290 Scheinfeld, GA 2007, S. 695 (708). 291 Scheinfeld, GA 2007, S. 695 (708). 292 Soweit § 216 StGB tragend auch auf eine Schuldreduzierung gestützt wird, hat das Mitleidsmotiv des Täters insoweit eine eigenständige Bedeutung. Vgl. dazu unten D.I.2.c). 293 So aber wohl Eser/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 216, Rn. 18; vgl. im Übrigen dies., in: Schönke/Schröder, § 216, Rn. 1; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 216, Rn. 2; jeweils m.w. N. 288

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Mit dem Bestimmen in § 216 StGB einerseits und § 26 StGB andererseits ist dasselbe gemeint.294 Demgemäß decken sich die Definitionen zu Recht weitgehend. Das Erfordernis einer kommunikativen Beeinflussung bzw. einer unmittelbaren Aufforderung ergibt sich im Gegensatz zu § 26 StGB für § 216 Abs. 1 StGB (ohnehin) daraus, dass das Tötungsverlangen ausdrücklich geäußert werden muss. Eine Notwendigkeit, dies in das Tatbestandsmerkmal „Bestimmt-wordensein“ hineinzulesen, besteht daher nicht. Vielmehr spricht der Wortlaut dafür, das „Bestimmen“ als schlichte Verursachung des Tatentschlusses zu begreifen, weil das Wort in erster Linie soviel wie „festlegen, festsetzen“ bedeutet.295 Weiterhin wird hier wie dort von der überwiegenden Meinung zu Recht auf die Voraussetzung einer Initiative des Opfers verzichtet. Denn auch derjenige, der die Tat als Vorschlag an das Opfer heranträgt, die Ausführung aber davon abhängig macht, ob das Opfer sich damit einverstanden erkläre, wird von diesem zur Tat bestimmt, solange er nicht bereits zur Tat entschlossen war. Für das „Bestimmtworden-sein“ ist daher lediglich die Kausalität des Tötungsverlangens für den Tatentschluss erforderlich. Etwas ungenau ist es, insoweit auf die Kausalität für die Tötungshandlung abzustellen, da für die Bestimmung zur Tötung bereits die Verursachung des entsprechenden Tatentschlusses durch das Verlangen genügt. Hinsichtlich der Problematik der mitwirkenden Nebenmotive ist es zutreffend, diese als unschädlich anzusehen, solange der Täter ausschlaggebend ohne das Tötungsverlangen nicht zur Tat geschritten wäre. Das „Bestimmt-worden-sein“ wäre im sogenannten „Kannibalen-Fall“ 296 daher eindeutig zu bejahen gewesen, da die Zustimmung des Opfers für den Tatentschluss des Täters conditio sine qua non und deshalb auch handlungsleitend war.297 Das kommt allein in dem gewichtigen Indiz zum Ausdruck, dass der Täter sein Vorhaben zunächst abbrach und das Opfer zum Bahnhof brachte, als dieses es sich kurzfristig anders überlegte, und erst aufgrund dessen neuerlichen Entschlusses zur Tat schritt.298 Zweifel sind nur dahingehend angebracht, ob in der ersten Absprache über das geplante Geschehen ein Tötungsverlangen lag.299 294

So auch Scheinfeld, GA 2007, S. 695 (709). Duden, Richtiges und gutes Deutsch, Stichwort: „bestimmen“. 296 BGH, Urt. v. 22. April 2005 – 2 StR 310/04 (LG Kassel) = NJW 2005, S. 1876 – Kannibale. 297 Vgl. hierzu Eser, in: Schönke/Schröder, § 216, Rn. 5 (der allerdings ebenfalls die Tatbestandsmerkmale „Verlangen“ und „bestimmt“ vermischt); Scheinfeld, GA 2007, S. 695 (697). 298 BGH, Urt. v. 22. April 2005 – 2 StR 310/04 (LG Kassel) = NJW 2005, S. 1876 (1879) – Kannibale. 299 Jedenfalls die später vor dem todesursächlichen zweifachen Zustechen in den Hals des Opfers von diesem geäußerte Aufforderung, nicht den Notarzt zu rufen und ihn abzustechen, falls er bewusstlos würde, war aber als Tötungsverlangen zu werten. 295

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Ein Verlangen war zu diesem Zeitpunkt in Bezug auf die Penisamputation gegeben. Möglicherweise war dieses mit einem Tötungsverlangen verknüpft, wenngleich zur Erreichung eines anderen Zwecks – nämlich der Penisamputation. Dass es dem Opfer (!) als primäres Motiv um die Tötung an sich gehen müsse, wird jedoch von § 216 Abs. 1 StGB nicht vorausgesetzt und ist auch in anderen Fällen, die als Tötung auf Verlangen abgeurteilt worden sind, nicht für erforderlich gehalten worden (z. B. bei der Äußerung eines Tötungsverlangens, um endlich schmerzfrei zu sein: Auch hier möchte der Verlangende nicht primär tot sein, sondern nimmt dies lediglich in Kauf, um sein Leid zu beenden). Warum das Opfer seine Tötung verlangt, ist für die Anwendung von § 216 StGB unerheblich, solange es sie nur ernstlich und ausdrücklich verlangt. Der Unterschied zwischen einer Person, die ihre Tötung verlangt, um schmerzfrei zu sein und den Tod dafür in Kauf nimmt, und einer Person, die ihre Tötung verlangt, um ein sexuelles Hochgefühl zu erleben und den Tod dafür in Kauf nimmt, ist lediglich moralischer, aber nicht rechtlicher Natur. Eine Auslegung des „Bestimmens“ als initiative Beeinflussung, wie dies in Bezug auf § 26 StGB z. B. von Joecks angenommen wird und der Sache nach vom BGH im Kannibalen-Fall für § 216 StGB vorausgesetzt wird, sprengt den Wortlaut. Nach dem sozialen Wortsinn kann das „Bestimmen“ zwar auch bedeuten, jemanden zu etwas zu veranlassen oder zu bewegen, ja auch zu drängen.300 Dem lässt sich aber nicht entnehmen, dass es um eine initiative Beeinflussung gehen müsse. Aus diesem Grunde ist die Auslegung als ursächliche Hervorrufung des Tatentschlusses, ohne die der Täter (bei etwaigen Nebenmotiven) ausschlaggebend nicht zur Tat geschritten wäre, vorzuziehen. Es wird im Folgenden jedoch gezeigt werden, dass die Initiative im Rahmen von § 216 StGB an anderer Stelle Platz greift. Mit dem Bezugspunkt des Tatentschlusses geht es bei dem Bestimmen auch um eine subjektive Voraussetzung. Im Rahmen von § 26 StGB muss der Tatentschluss vom Anstifter beim Haupttäter hervorgerufen werden, im Rahmen von § 216 Abs. 1 StGB vom Opfer beim Täter. Während die Verursachung des Tatentschlusses bei der Anstiftung zur Unrechtsbegründung führt, ähnelt das „Bestimmt-worden-sein“ zur Tötung auf Verlangen dem subjektiven Rechtfertigungselement einer Einwilligung, weil das Handeln in Kenntnis und aufgrund des Willens des Verlangenden zur Unrechtsminderung führt. Nach alledem lässt sich feststellen, dass beide Tatbestandsmerkmale – zu Recht – sehr ähnlich ausgelegt werden. Die Rechtsfolgen des „Bestimmt-wordenseins“ und der Anstiftung unterscheiden sich indessen diametral (dazu näher unter D.I.2.d)).

300

Duden, Richtiges und gutes Deutsch, Stichwort „bestimmen“.

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C. Voraussetzungen des Verlangens

II. § 218a Abs. 1 StGB Die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Verlangen i. S. v. § 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB vorliegt und ein Schwangerschaftsabbruch nach Konfliktberatung möglich ist, hat in der Praxis weitaus größere Relevanz als die Prüfung eines Tötungsverlangens. In Deutschland werden jährlich knapp 100.000 Schwangerschaftsabbrüche nach Konfliktberatung vorgenommen.301 Die Zahlen sind von 111.474 Abbrüchen im Jahr 2008 auf 95.338 Abbrüche im Jahr 2015 konstant gesunken.302 1. Verhältnis des Abbruchsverlangens zur Einwilligung a) Verlangen als „Plus“ zur Einwilligung In Bezug auf § 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB besteht ganz überwiegend Einigkeit darüber, dass das Verlangen der Schwangeren mehr als eine bloße Einwilligung sein müsse.303 Nach der Auffassung von Eschelbach und Gropp enthält das Verlangen die Einwilligung als einen Bestandteil.304 Knauer/Brose definieren das Verlangen der Schwangeren als ausdrückliche und – vergleichbar zu dem Tötungsverlangen in § 216 StGB – ernstliche Aufforderung.305 Eine konkludente oder ausdrückliche Aufforderung nach einer Überredung durch den Arzt reiche nicht aus, sondern die Initiative müsse von der Schwangeren ausgehen.306 Eine Überredung durch Dritte hingegen sei unschädlich, wenn das Verlangen danach durch den freien Entschluss der Schwangeren zustande komme.307 Ähnlich hierzu liegt nach Auffassung von Eschelbach ein Abbruchsverlangen vor, wenn die Schwangere den Wunsch nach einem Schwangerschaftsabbruch 301

Vgl. Statistisches Bundesamt, Übersicht der Jahre 2008–2015. Im Jahr 2015 sind von insgesamt 99.237 Schwangerschaftsabbrüchen 95.338 als Schwangerschaftsabbruch nach Konfliktberatung gemäß § 218a Abs. 1 StGB erfolgt; vgl. Statistisches Bundesamt, Übersicht der Jahre 2008–2015. Auf die Indikationen entfällt somit nur ein Bruchteil. In Rechnung gestellt werden muss aber, dass auch Schwangere, bei denen eine Indikation vorgelegen hat, den Weg des „beratenen“ Schwangerschaftsabbruchs gegangen sein dürften. 303 Fischer, § 218a, Rn. 12 m.w. N.; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 218a, Rn. 4; Kröger, in: LK, § 218a, Rn. 26; Küpper, BT 1, § 1, Rn. 63; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 1, § 6, Rn. 45; Gropp, in: MüKo, § 218a, Rn. 16; Merkel, in: NK, § 218a, Rn. 69; Rössner/Wenkel, in: HK, § 218a, Rn. 9; Eser, in: Schönke/Schröder, § 218a, Rn. 9; Seibel, Probleme des „beratenen“ Schwangerschaftsabbruchs, S. 15; Weber, in: Arzt/Weber/ Heinrich/Hilgendorf, BT, 2. Aufl. 2009, § 5, Rn. 53 (ihm in der Neuauflage folgend Hilgendorf, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, 3. Aufl. 2015, § 5, Rn. 53). 304 Eschelbach, in: BeckOK, § 218a, Rn. 13; Gropp, in: MüKo, § 218a, Rn. 18. 305 Knauer/Brose, in: Spickhoff, StGB, §§ 218–219, Rn. 11. 306 Knauer/Brose, in: Spickhoff, StGB, §§ 218–219, Rn. 11. 307 Knauer/Brose, in: Spickhoff, StGB, §§ 218–219, Rn. 11. 302

II. § 218a Abs. 1 StGB

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nachdrücklich und ernsthaft gegenüber dem Arzt zum Ausdruck bringt.308 Nach Rössner/Wenkel bedeutet das Verlangen, dass die Schwangere den Eingriff „in reflektierter Weise begehren“ müsse.309 Durch das Verlangen soll nach allgemeiner Meinung sichergestellt werden, dass die Schwangere eine ernsthafte und reflektierte310 verantwortliche Letztentscheidung bzw. Gewissensentscheidung getroffen hat.311 Dies werde erreicht, indem der Tatbestandsausschluss nur dann greife, wenn sich im „Verlangen“ der Schwangeren ein eigener, überlegter Wunsch manifestiert, ihr der Schwangerschaftsabbruch mithin nicht aufgedrängt worden ist.312 Lackner/Kühl setzen „nach dem Gesetzeszweck“ die ausdrückliche, an den Arzt gerichtete Aufforderung, den Eingriff vorzunehmen, voraus.313 b) Verlangen als Synonym zur Einwilligung Nur wenige lassen für das Verlangen der Schwangeren ausdrücklich eine bloße Einwilligung genügen. aa) Literatur Ciper/Feiertag/Kiwitt sind der Auffassung, dass der Tatbestandsausschluss des § 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB greift, wenn der Abbruch neben den übrigen Voraussetzungen der Fristeinhaltung und Beratung „mit Einwilligung der Schwangeren“ durchgeführt wird.314 Gaidzik hält neben der tatbestandsausschließenden Beratung kumulativ die informierte Zustimmung der Schwangeren für ausreichend.315 Im Folgenden schreibt Gaidzik von den Vorgaben für die „Einwilligung“,316 er scheint somit die Einwilligung genügen zu lassen. Ulsenheimer verwendet die Termini „Verlangen“ und „Einwilligung“ im Zusammenhang mit § 218a Abs. 1 StGB synonym.317 Andererseits führt er aus, dass das Verlangen über die Einwilligung hinausgehe und den aktiven Part der Schwangeren betone.318 308

Eschelbach, in: BeckOK, § 218a, Rn. 13. Rössner/Wenkel, in: HK, § 218a, Rn. 9. 310 Seibel, Probleme des „beratenen“ Schwangerschaftsabbruchs, S. 15 m.w. N. 311 BT-Drucks. 11/2875, S. 10, 93; BT-Drucks. 12/2605 (neu), S. 19. 312 Kröger, in: LK, § 218a, Rn. 26; Gropp, in: MüKo, § 218a, Rn. 16; Merkel, in: NK, § 218a, Rn. 69; Eser, in: Schönke/Schröder, § 218a, Rn. 9. 313 Kühl, in: Lackner/Kühl, § 218a, Rn. 4; im Anschluss daran auch Seibel, Probleme des „beratenen“ Schwangerschaftsabbruchs, S. 15. 314 Ciper/Feiertag/Kiwitt, Medizinrecht, S. 289. 315 Gaidzik, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, S. 1280, Rn. 12. 316 Gaidzik, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, S. 1280, Rn. 12. 317 „Mit Einwilligung der Schwangeren durchgeführter Schwangerschaftsabbruch (§ 218a Abs. 1 S. 1 StGB)“; Ulsenheimer, in: Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 781. 318 Ulsenheimer, in: Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 810. 309

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C. Voraussetzungen des Verlangens

Die Mindermeinung, dass das Verlangen in § 218a Abs. 1 StGB die gleichen Voraussetzungen habe wie die Einwilligung, vermochte keine ernsthafte Diskussion hervorzurufen. Dies liegt möglicherweise daran, dass auch die herrschende Meinung in der Praxis trotz anderslautender Prämissen meist eine einfache Einwilligung für das Abbruchsverlangen genügen lässt. bb) Rechtsprechung In einem Beschluss des AG Schlüchtern aus dem Jahr 1997, in dem es darum ging, ob bei einer minderjährigen Schwangeren deren gesetzliche Vertreterin den Schwangerschaftsabbruch verlangen muss, ist konsequent von der „Einwilligung“ der Schwangeren (bzw. deren Erziehungsberechtigten) in den beratenen Schwangerschaftsabbruch die Rede.319 Das BVerfG setzte das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ in § 218c Abs. 1 Nr. 1 StGB in einem Urteil aus dem Jahr 1998 mit einem „bloßen Wunsch“ gleich.320 c) Würdigung Der Meinungsstand über das Verhältnis des Abbruchsverlangens zur Einwilligung lässt viele Fragen offen. Mangels einer Auseinandersetzung mit anderen Ansichten halten sich die dogmatischen Begründungen dafür, dass das Verlangen mehr sein müsse als eine Einwilligung, in Grenzen. Vielmehr wird das Tatbestandsmerkmal in der Regel mittels der damit verfolgten Ziele erläutert. Wenngleich der verbreitete Rekurs auf den Gesetzeszweck eine Erklärung der gesetzgeberischen Absichten darstellen mag, so ermangelt es doch einer dogmatisch fundierten Begründung. Schließlich ist nicht offenkundig, warum die rechtfertigende Einwilligung, die doch bereits eine bewusste und freiwillige Entscheidung voraussetzt,321 hier nicht zur Erreichung jener Ziele genügen soll. Dies muss in Anbetracht der bisherigen Forschung, die diese Frage nicht aufzuwerfen scheint, jedoch erst als Problem identifiziert werden, um eine Lösung anschließen zu können. Hier soll die vorliegende Untersuchung unter E.II. Abhilfe schaffen. 2. Art und Weise der Äußerung eines Verlangens a) Wer kann das Verlangen äußern? Konsentiert ist, dass jede einwilligungsfähige Schwangere ein Abbruchsverlangen äußern kann.322 Es wird also gemeinhin auf die subjektiven Anforderungen einer Einwilligung abgestellt. 319 320 321 322

AG Schlüchtern, Beschl. v. 29. April 1997 – X 17/97 = NJW 1998, S. 832 (832 f.). BVerfG, Urt. v. 27. Oktober 1998 – 1 BvR 1108/97, BeckRS 1998, 30030250. Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder-Lenckner, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 45. Kühl, in: Lackner/Kühl, § 218a, Rn. 4 m.w. N.

II. § 218a Abs. 1 StGB

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aa) Altersgrenze Eine starre Altersgrenze für die Äußerung eines Abbruchsverlangens wird ganz überwiegend abgelehnt. Stattdessen wird entsprechend der Einwilligungsdogmatik auf die Einsichts- und Urteilsfähigkeit sowie Steuerungsfähigkeit abgestellt.323 Die strafrechtliche Einwilligungsfähigkeit bzw. Fähigkeit, ein Verlangen zu äußern, ist – wie bereits erwähnt – von der zivilrechtlichen Geschäftsfähigkeit zu differenzieren, die erst mit Volljährigkeit eintritt. Auch unabhängig von der Fähigkeit zum Abschluss des Rechtsgeschäfts (dem Behandlungsvertrag) benötigt die minderjährige Schwangere zur Vornahme eines Schwangerschaftsabbruches gemäß § 1626 BGB in jedem Fall die Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters, die gegebenenfalls nach § 1666 BGB Abs. 3 Nr. 5 BGB ersetzt werden kann.324 Strafrechtlich wird die Fähigkeit, in einen Schwangerschaftsabbruch einzuwilligen, regelmäßig vor Vollendung des 14. Lebensjahres verneint325 und ab Vollendung des 16. Lebensjahres bejaht.326 In der Zwischenzeit soll die Urteilsfähigkeit im Einzelfall und konkret zu begründen sein.327 Wird die Einwilligungsfähigkeit verneint, soll die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters oder sonst Sorgeberechtigten erforderlich sein. Ob eine solche Stellvertretung möglich ist, wird im Folgenden unter C.II.4. eingehend untersucht werden. bb) Freiheit von subjektiven Mängeln im Übrigen Das Verlangen der Schwangeren muss im Übrigen nach allgemeiner Meinung frei von sonstigen subjektiven Einwilligungsmängeln sein. Es ist danach unwirksam, wenn es durch Täuschung oder Nötigung erwirkt wurde.328 Weiterhin schließt ein Irrtum über wesentliche Aspekte die fehlerfreie Willensbildung aus.329 Die in Bezug auf § 216 StGB entwickelten Maßstäbe gelten somit entsprechend für das Abbruchsverlangen. Im Unterschied zu § 216 Abs. 1 StGB feh-

323 Vgl. die Nachweise bei Gropp, in: MüKo, § 218a, Rn. 19 mit Fn. 46. Anders noch OLG Hamm, NJW 1998, S. 3424 (3424 f.), das bei einer 17-Jährigen die Einwilligungsfähigkeit allein aufgrund ihrer Minderjährigkeit ablehnte und bei Minderjährigen „in jedem Fall“ die Zustimmung eines gesetzlichen Vertreters für erforderlich hielt. 324 OLG Hamburg, Beschl. v. 5. März 2014 – 10 UF 25/14 = NZFam 2014, S. 948 (949) m.w. N. 325 Vgl. Odenwald, Die Einwilligungsfähigkeit im Strafrecht, S. 243 ff. 326 Gropp, in: MüKo, § 218a, Rn. 19; für die 16-Jahres-Grenze vgl. LG München I, Beschl. v. 24. Juli 1978 – 13 T 8767/78 = NJW 1980, S. 646; AG Schlüchtern, Beschl. v. 29. April 1997 – X 17/97 = NJW 1998, S. 832 (832 f.). 327 Gropp, in: MüKo, § 218a, Rn. 19 m.w. N. 328 Gropp, in: MüKo, § 218a, Rn. 19. 329 Eschelbach, in: BeckOK, § 218a, Rn. 10 m.w. N.

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C. Voraussetzungen des Verlangens

len in § 218a Abs. 1 StGB die Tatbestandsmerkmale „ernstlich“ und „ausdrücklich“ jedoch. b) Was muss das Verlangen beinhalten? Das Abbruchsverlangen im Sinne von § 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB muss zum einen auf die Tötung des nasciturus abzielen und zum anderen eine Einwilligung in die mit dem Eingriff notwendig einhergehende Körperverletzung gegenüber der Schwangeren enthalten. c) Wie muss das Verlangen geäußert werden? Dem Verlangen muss gemäß § 218c Abs. 1 Nr. 2 StGB eine ärztliche Aufklärung über die medizinische Tragweite des Eingriffs vorausgehen.330 Diese muss die mit dem Eingriff verbundenen gesundheitlichen (auch psychischen) Risiken einschließlich möglicher Komplikationen und Behandlungsalternativen umfassen.331 Mit den formellen Voraussetzungen des Abbruchsverlangens im Übrigen setzt sich das Schrifttum kaum auseinander. Abgesehen von dem Hinweis darauf, dass das Verlangen als ernstliche Aufforderung geäußert werden müsse, fehlt eine Diskussion, ob das Verlangen auch bedingt oder in Frageform geäußert werden kann, wie sie hinsichtlich des Tötungsverlangens stattfindet. d) Wann muss das Verlangen geäußert werden? Wie auch das Tötungsverlangen muss das Abbruchsverlangen der Schwangeren nach allgemeiner Meinung bis zum Tatbeginn geäußert und darf bis zum Tatzeitpunkt nicht widerrufen werden. e) Würdigung Hinsichtlich der subjektiven Voraussetzungen in der Person der Verlangenden gilt es zu hinterfragen, warum die bloße Einwilligungsfähigkeit genügen soll und nicht etwa die – darüber hinausgehende – Fähigkeit, eine verantwortliche Letztentscheidung über das ungeborene Leben treffen zu können, wird diese doch zur Grundlage des Abbruchsverlangens gemacht und soll das Verlangen doch gerade seinen Voraussetzungen nach mehr als nur eine bloße Einwilligung sein. Der fehlende Diskurs über die formellen Voraussetzungen des Verlangens, also etwa die Frage, ob es in Frageform geäußert werden kann, dürfte seine Ursache darin haben, dass in der Praxis der abbrechende Arzt regelmäßig vor dem Eingriff noch einmal konkret nachfragen wird, ob die Schwangere diesen wirklich 330 331

Vgl. Gropp, in: MüKo, § 218a, Rn. 18 m.w. N. Gropp, in: MüKo, § 218a, Rn. 18 m.w. N.

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verlangt. Grundsätzlich spricht aber nichts dagegen, entsprechend zu den bezüglich § 216 Abs. 1 StGB formulierten Maßstäben auch hier das als Frage oder unter einer Bedingung formulierte Verlangen ausreichen zu lassen, wenn die Bedingung eintritt und das Verlangen im Zeitpunkt der Tat noch fortbesteht. 3. Verlangen mittels Patientenverfügung? Es wurde bereits aufgezeigt, dass hinsichtlich der Tötung auf Verlangen keine Bedenken bestehen, das in einer Patientenverfügung geäußerte Verlangen gelten zu lassen. Hinsichtlich des Schwangerschaftsabbruchs nach Konfliktberatung ist diese Problematik eher theoretischer Natur, insbesondere dürften derartige Regelungen in Patientenverfügungen praktisch nicht auftauchen. Gleichwohl haben sich die Gerichte durchaus schon mit der Frage eines Schwangerschaftsabbruchs nach § 218a Abs. 1 StGB bei einwilligungsunfähigen Patientinnen (z. B. im Koma) beschäftigen müssen.332 In diesen Fällen lag aber keine Patientenverfügung vor. Ob eine gesetzliche Stellvertretung möglich ist, wird unter C.II.4. beantwortet. Würde ein Abbruchsverlangen in einer Patientenverfügung geäußert werden, so wäre dies für einen Schwangerschaftsabbruch nach § 218a Abs. 1 StGB unbeachtlich. Denn in einem Fall der Entscheidungsunfähigkeit der Schwangeren fehlt es augenfällig bereits an der Möglichkeit für sie, das Beratungsverfahren zu durchlaufen. Deshalb kann ein singuläres Abbruchsverlangen in einer Patientenverfügung die Voraussetzungen von § 218a Abs. 1 StGB nicht erfüllen. Hinzukommen müsste der im Vorhinein erbrachte Beratungsnachweis der Schwangeren. Bedeutung kann ein Abbruchsverlangen in einer Patientenverfügung daher allenfalls für die Ermittlung der subjektiven Wünsche im Rahmen einer mutmaßlichen Einwilligung eines „Indikationenabbruchs“ haben. 4. Stellvertretung in der Äußerung eines Abbruchsverlangens? Fraglich ist, ob das Verlangen der Schwangeren in § 218a Abs. 1 StGB durch die Einwilligung gesetzlicher Vertreter, z. B. der Eltern oder eines Betreuuers, (unter Einhaltung des Beratungsverfahrens) ersetzt werden kann. a) Meinungsstand Grundsätzlich soll es nach herrschender Meinung möglich sein, auf den Willen eines gesetzlichen Vertreters abzustellen, sofern dieser mit dem Willen der Schwangeren übereinstimmt.333 332 Vgl. OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 1. September 2008 – 20 W 354/08 = NJW 2008, S. 3790 (3790). 333 Vgl. OLG Hamburg, Beschl. v. 5. März 2014 – 10 UF 25/14 = NZFam 2014, S. 948 (949); OLG Naumburg, Beschl. v. 19. November 2003 – 8 WF 152/03 = FPR 2004, S. 513 (513); jeweils m.w. N.

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aa) Gesetzliche Vertretung durch die Erziehungsberechtigten Das OLG Hamburg stellte fest, dass es demgegenüber eine akute Kindeswohlgefährdung darstellen würde, eine 13-jährige Schwangere gegen ihren Willen zu zwingen, ein Kind auszutragen,334 und schloss damit zumindest die gesetzliche Vertretung der Minderjährigen gegen ihren Willen bei einem Schwangerschaftsabbruch nach Konfliktberatung aus. Dies entspricht auch der allgemeinen Meinung im Schrifttum. Bei der minderjährigen Schwangeren wird im Falle der Divergenz des natürlichen Willens der Einwilligungsunfähigen mit jenem ihrer Vertretungsberechtigten grundsätzlich für Schwangerschaftsabbrüche angenommen, dass der Eingriff trotz einer Einwilligung der gesetzlichen Vertreter in die Vornahme des Eingriffs jedenfalls dann nicht vorgenommen werden darf, wenn die Schwangere den Eingriff ablehnt und nicht in Lebensgefahr befindet.335 Liegt eine solche Lebensgefahr jedoch vor, wird ihr Lebensrecht höher gewertet als der Eingriff in ihr Selbstbestimmungsrecht und ihre körperliche Unversehrtheit durch die Verpflichtung, ein ihr ungewolltes Kind auszutragen. Hinsichtlich der Fragen, ob bei einer Stellvertretung die Zustimmung der Schwangeren (anstelle des Verlangens) ausreicht und ob die gesetzlichen Vertreter in den Abbruch lediglich einwilligen oder diesen (auch) verlangen müssen, lassen sich einige Anhaltspunkte in der zivilrechtlichen Literatur und Rechtsprechung finden. Nach der Ansicht Coesters „üben beim Beratungsmodell die Eltern zusammen mit ihrer Tochter die durch § 218a Abs. 1 StGB zugewiesene Letztverantwortung aus“.336 Er geht demnach von der Zulässigkeit der gesetzlichen Vertretung und von einem wohl gemeinsam zu äußernden Verlangen aus. Das AG Schlüchtern hatte 1997 über die Frage der Ersetzung der Zustimmung der Erziehungsberechtigten zu einem Schwangerschaftsabbruch nach Konfliktberatung zu entscheiden.337 Die Antragstellerin hatte beantragt, die Einwilligung ihrer Sorgeberechtigten zur Vornahme des Schwangerschaftsabbruchs durch das Vormundschaftsgericht zu ersetzen. Das Amtsgericht stellte fest, dass die Antragstellerin nicht der Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreterin bedürfe. In diesem Zusammenhang spricht das Gericht konsequent von der „Einwilligung“ der Schwangeren und der „Zustimmung“ der Vertretungsberechtigten hierzu. Letzteres ist wohl aber der zivilrechtlichen Terminologie zuzuschreiben, da es (auch) um den zivilrechtlichen Behandlungsvertrag ging. Ob die Vertretungsberechtig-

334

OLG Hamburg, Beschl. v. 5. März 2014 – 10 UF 25/14 = NZFam 2014, S. 948

(949). 335 Gropp, in: MüKo, § 218a, Rn. 19 m.w. N.; Spickhoff, in: Spickhoff, BGB, § 1904, Rn. 8. 336 Coester, in: Staudinger, BGB, § 1666, Rn. 113 m.w. N. 337 AG Schlüchtern, Beschl. v. 29. April 1997 – X 17/97 = NJW 1998, S. 832 (832 f.).

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ten demnach dem Abbruch schlicht zustimmen oder (ebenfalls) ein Verlangen äußern müssen, geht daraus nicht klar hervor. bb) Stellvertretung durch einen nach § 1896 BGB bestellten Betreuer Grundsätzlich kann nach der wohl überwiegenden Meinung für eine einwilligungsunfähige Frau die Einwilligung in einen Schwangerschaftsabbruch durch einen Betreuer erfolgen und somit auch ein Betreuer dafür bestellt werden.338 Der höchstpersönliche Charakter der Entscheidung schließe die Stellvertretung nicht generell aus, da sich die Vorschriften der §§ 1904 ff. BGB ja gerade auch auf höchstpersönliche Entscheidungen bezögen. Im Übrigen sei den Gesetzesmaterialien zur Einführung des Betreuungsgesetzes zu entnehmen, dass der Gesetzgeber die Einwilligung eines Betreuers in einen Schwangerschaftsabbruch in Stellvertretung für eine einwilligungsunfähige Schwangere für zulässig erachte.339 Nach der Begründung des Gesetzgebers muss der Betreuer die Frage des Schwangerschaftsabbruchs eigenverantwortlich prüfen.340 Die Genehmigung durch das Betreuungsgericht sei dabei regelmäßig nicht erforderlich, sondern nur im Falle besonders riskanter Eingriffe i. S. v. § 1904 BGB. Ob die Stellvertretung aber auch für einen Schwangerschaftsabbruch nach Konfliktberatung möglich sein soll, ist bisher ungeklärt. Das OLG Frankfurt a. M. ließ diese Frage in seinem Beschluss vom 1. September 2008 dahinstehen.341 Die Vorinstanz hatte die Möglichkeit eines stellvertretenden Verlangens hinsichtlich eines Schwangerschaftsabbruchs nach Konfliktberatung verneint, da nach § 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB ein Verlangen der Schwangeren vorausgesetzt werde, für das eine stellvertretende Entscheidung eines Betreuers nicht möglich sei.342 Auch in der Literatur wurde die Möglichkeit einer betreuungsrechtlichen Vertretung hinsichtlich der Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch nach Konfliktberatung unter Hinweis auf den Wortlaut von § 218a Abs. 1 StGB verneint.343 338 Der 20. Senat des OLG Frankfurt a. M. hat sich insoweit der herrschenden Auffassung in der Literatur ausdrücklich angeschlossen; OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 1. September 2008 – 20 W 354/08 = NJW 2008, S. 3790 (3790) m.w. N. zum Schrifttum; vgl. ferner Diederichsen, in: Palandt, BGB, § 1904, Rn. 9; Schwab, in: MüKo, BGB, § 1904, Rn. 32; jeweils m.w. N. 339 Vgl. OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 1. September 2008 – 20 W 354/08 = NJW 2008, S. 3790 (3791). 340 BT-Drucks. 11/4528, S. 141. 341 Vgl. OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 1. September 2008 – 20 W 354/08 = NJW 2008, S. 3790 (3791). 342 Vgl. OLG Frankfurt a. M., Beschl. v. 1. September 2008 – 20 W 354/08 = NJW 2008, S. 3790 (3790). 343 Eser, in: Schönke/Schröder, § 218a, Rn. 61; offen gelassen von Schwab, in: MüKo, BGB, § 1904, Rn. 29.

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b) Würdigung Wie die Frage der Zulässigkeit einer Stellvertretung zu beantworten ist, ergibt sich in zwei Schritten. Zunächst muss man klären, ob überhaupt eine Stellvertretung, respektive Betreuung, bei einem Abbruch nach § 218a Abs. 1 StGB stattfinden kann, insbesondere ob das Beratungsverfahren dann – soweit nicht im Vorhinein von der Schwangeren erfüllt – vom gesetzlichen Vertreter durchlaufen werden müsste.344 In einem zweiten Schritt muss ferner geklärt werden, ob der gesetzliche Vertreter lediglich einwilligen oder den Abbruch verlangen müsste. Dies hängt maßgeblich davon ab, ob man das Verlangen als Synonym zur Einwilligung begreift oder nicht. aa) Gesetzliche Vertretung durch die Erziehungsberechtigten Dass die allgemeine Meinung die stellvertretende Zustimmung in einen Schwangerschaftsabbruch gegen den natürlichen Willen der Einwilligungsunfähigen ablehnt, ist richtig. Dies gilt umso mehr hinsichtlich des Schwangerschaftsabbruchs nach Konfliktberatung. Die Tatbestandslosigkeit gründet sich nämlich in erster Linie auf die Selbstbestimmung der Frau über ihren Körper und ihre Familienplanung. Dabei handelt es sich um eine höchstpersönliche Willensentscheidung, die der Stellvertretung grundsätzlich nicht zugänglich ist.345 Im umgekehrten Fall, in dem die Schwangere den Abbruch verlangt, jedoch die gesetzlichen Vertreter ihre Einwilligung – bzw. ihr Verlangen – verweigern, hätte die Maßgabe des natürlichen Willens zwar ein faktisch immer wirksames Verlangen der eigentlich Einwilligungsunfähigen zur Folge. Das ist nach der hier vertretenen Auffassung aber hinzunehmen, da der Zwang, ein ungewolltes Kind auszutragen und zu gebären, zu einer erheblichen Traumatisierung der einwilligungsunfähigen Schwangeren führte.346 Denn ihr wäre ansonsten die Entscheidung über ihr eigenes Körperinneres genommen. Das bedeutet, dass nach der hier vertretenen Auffassung eine gesetzliche Vertretung nur mit dem Willen der Schwangeren, aber nicht gegen ihren Willen erfolgen darf. Soweit die Erziehungsberechtigten die Erteilung ihrer Zustimmung verweigern, ist diese vom Familiengericht nach § 1666 Abs. 1, 3 BGB zu ersetzen.347 344 Das OLG Frankfurt bleibt insoweit ungenau, ob der Beratungsnachweis bereits von der Schwangeren erbracht worden sein müsste oder durch den Betreuer zu erbringen wäre, vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 1. September 2008 – 20 W 354/08 = NJW 2008, S. 3790 (3791). 345 Fischer, § 218a, Rn. 16; Merkel, in: NK, § 218a, Rn. 72. 346 Vgl. OLG Hamburg, Beschl. v. 5. März 2014 – 10 UF 25/14 = NZFam 2014, S. 948 (949). 347 Vgl. zu der Möglichkeit und dem Verhältnis von Kindeswohlgefährdung einerseits und (etwaiger) Rechtswidrigkeit des Schwangerschaftsabbruchs nach Konfliktberatung andererseits Link, Schwangerschaftsabbruch bei Minderjährigen, S. 250, 252 ff. (mit im Ergebnis anderer Meinung).

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Die Beantwortung der Folgefrage, ob der gesetzliche Vertreter dann in den Abbruch einwilligen oder diesen verlangen muss, hängt – wie bereits erwähnt – maßgeblich davon ab, ob man das Verlangen als Synonym zur Einwilligung begreift oder nicht. Im letzteren Falle ist im Hinblick auf den Wortlaut von § 218a Abs. 1 StGB auch ein Verlangen des Vertreters vorauszusetzen, denn wenn man das Verlangen als „Mehr“ zur Einwilligung begreift, ist nicht ersichtlich, warum dies nur für die Schwangere, nicht aber für ihren Stellvertreter gelten sollte. Im Hinblick auf die gesetzgeberischen Motive spricht allerdings einiges dafür, dass die gesetzlichen Vertreter der Letztenscheidung der Einwilligungsunfähigen schlicht zustimmen müssen, da die Entscheidung zuletzt bei der Schwangeren selbst liegen soll.348 Andererseits ist die Letztentscheidung der einwilligungsunfähigen Schwangeren wegen ihrer fehlenden Einsichts- und Urteilsfähigkeit ja gerade nicht verantwortlich. Somit müsste im Fall der Einwilligungsunfähigkeit der Schwangeren das Verlangen i. S. v. § 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB eigentlich (auch) von den gesetzlichen Vertretern geäußert werden. Dem kann man nun entgegenhalten, dass dies bloße Förmelei sei, wenn man – wie hier – im Ergebnis ohnehin die faktische Wirksamkeit des Verlangens der Minderjährigen annimmt. Dieser Einwand ist auch berechtigt. Allerdings wird man sich am Wortlaut des § 218a Abs. 1 StGB, der ein „Verlangen“ voraussetzt, wohl festhalten lassen müssen, wenn eine Stellvertretung tatsächlich stattfindet. Nach der hier vertretenen Auffassung wird dadurch das (freilich unwirksame) Verlangen der Schwangeren selbst jedoch nicht entbehrlich. Denn so, wie es ganz grundsätzlich bei einem Schwangerschaftsabbruch einer Einwilligungsunfähigen allgemeiner Meinung entspricht, dass dieser (außer in Fällen der Lebensgefahr) nicht gegen den Willen der Schwangeren erfolgen darf, also eine „unwirksame Einwilligung“ von ihr vorliegen muss, sollte äquivalent dazu beim Schwangerschaftsabbruch nach Konfliktberatung auf Seiten der Schwangeren ein „unwirksames Verlangen“ vorausgesetzt werden. Nach alledem kann also festgehalten werden, dass die gesetzliche Vertretung der Minderjährigen möglich ist, wenn (neben den übrigen Voraussetzungen des § 218a Abs. 1 StGB) ein Verlangen sowohl der gesetzlichen Vertreter als auch der einwilligungsunfähigen Schwangeren vorliegt. bb) Stellvertretung durch einen nach § 1896 BGB bestellten Betreuer Geht es um eine Stellvertretung der volljährigen Einwilligungsunfähigen durch einen Betreuer gemäß § 1896 BGB, so muss nach der hiesigen Auffassung ebenfalls gelten, dass eine Stellvertretung nur mit dem Willen der Betreuten, aber nicht gegen ihn zulässig ist. Die Stellvertretung kann deshalb nur in Betracht 348

BT-Drucks. 11/2875, S. 10, 93; BT-Drucks. 12/2605 (neu), S. 19.

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C. Voraussetzungen des Verlangens

kommen, um den natürlichen Willen der betreuten Schwangeren durchzusetzen. Dadurch wird zwar ihr eigentlich unwirksames Verlangen faktisch wirksam. Das ist jedoch, wie bereits angesprochen, wegen des höchstpersönlichen Charakters der Entscheidung hinzunehmen. Will die Betreute den Schwangerschaftsabbruch nicht, so fehlt außerdem zugleich die Erforderlichkeit der Betreuung für den Schwangerschaftsabbruch nach Konfliktberatung, da sich die „Erforderlichkeit“ dessen rein subjektiv nach der persönlichen Entscheidung der Schwangeren bemisst. Insoweit gilt das Subsidiaritätsprinzip gemäß § 1904 Abs. 2 BGB. 5. Mutmaßliches Verlangen? Im Gegensatz zu § 216 Abs. 1 StGB, der die Ausdrücklichkeit des Verlangens explizit anordnet, fehlt eine derartige Regelung in § 218a Abs. 1 StGB. Daher ist fraglich, ob hier ein mutmaßliches Verlangen ausreichen kann. a) Meinungsstand Kröger hält eine mutmaßliche Einwilligung in den Schwangerschaftsabbruch nach Konfliktberatung für ausnahmsweise möglich, wenn die Schwangere den Eingriff fest geplant hat und durch ein unvorhergesehenes Ereignis zur Willensäußerung außerstande ist, etwa wegen eines Unfalls auf dem Weg zum geplanten Abbruch.349 Dabei sei aber Vorsicht geboten, da nicht in jedem Falle davon auszugehen sei, dass die Schwangere ihren Entschluss auch tatsächlich durchgeführt hätte. Im Übrigen stünde eine hinausgeschobene Entscheidung durch die Schwangere der Annahme der mutmaßlichen Einwilligung entgegen. b) Würdigung Hinsichtlich der Möglichkeit eines mutmaßlichen Verlangens dürfte nach dem Grundsatz der Subsidiarität der mutmaßlichen Einwilligung das tatsächliche Abbruchsverlangen nicht rechtzeitig einholbar, die Maßnahme jedoch unaufschiebbar sein, wie in dem Beispiel des Eintritts der Einwilligungsunfähigkeit kurz vor dem Ablauf der 12-Wochen-Frist. Ist die Beratung erfolgt, sind die Anforderungen des § 218a Abs. 1 StGB erfüllt.350 Ein solcher Fall dürfte jedoch eher theoretischer Natur sein. Hat sich die Schwangere noch keinem Beratungsverfahren unterzogen, scheidet die Anwendung von § 218a Abs. 1 StGB aus.351 Abgesehen davon, dass in

349 350 351

Kröger, in: LK, § 218a, Rn. 5; vgl. auch Merkel, § 218a, Rn. 47. So auch Merkel, in: NK, § 218a, Rn. 47. Insoweit unzutreffend Merkel, in: NK, § 218a, Rn. 47.

II. § 218a Abs. 1 StGB

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einem solchen Fall der mutmaßliche Wille der Schwangeren, die Schwangerschaft qua der 12-Wochen-Regelung abzubrechen, in der Praxis nur in absoluten Ausnahmefällen feststellbar sein dürfte, würde eine solche Herangehensweise Sinn und Zweck der Norm verkennen und den Schwangerschaftsabbruch nach Konfliktberatung mit den Indikationsabbrüchen vermischen. Denn die Reflexion des Vorhabens durch die Beratung ist der Grund für Straflosigkeit nach § 218a Abs. 1 StGB. 6. Adressat des Verlangens Der Adressat des Verlangens muss gemäß § 218a Abs. 1 StGB der Arzt sein, der die Schwangerschaft abbricht. a) Meinungsstand Kühl hält unter Umständen die Übermittlung des Verlangens durch Arztgehilfen für möglich.352 Nach der Auffassung von Kröger kann das Abbruchsverlangen nur einem bestimmten oder bestimmbaren Arzt gegenüber erklärt werden, eine pauschale Erklärung sei unbeachtlich.353 Der abbrechende Arzt muss schließlich nach allgemeiner Meinung in Kenntnis des Verlangens handeln, damit der Tatbestandsausschluss nach § 218a Abs. 1 StGB greift.354 Demgegenüber ist Merkel der Auffassung, dass die Annahme subjektiver Voraussetzungen aufseiten des Arztes – ähnlich einem subjektiven Rechtfertigungselement – systemwidrig sei, da § 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB ein Tatbestandsausschluss sei.355 Weil es sich dabei dogmatisch also nicht um einen Rechtfertigungsgrund handele, sollen sich subjektive Voraussetzungen nicht daraus ergeben, dass auch der Empfänger einer Einwilligung in Kenntnis derselben handeln müsse. Soweit man mit der überwiegenden Auffassung subjektive Anforderungen an den abbrechenden Arzt stellt, ist weiter zu fragen, ob den die Schwangerschaft abbrechenden Arzt besondere Prüfungspflichten hinsichtlich des Verlangens der Schwangeren treffen. Nach Eser ist insoweit das „reflektierte Begehren“ der Schwangeren „nicht zuletzt für die ärztliche Entscheidung von Bedeutung“.356 Gemeint ist damit wohl eine dem Arzt obliegende Vergewisserungspflicht, das Vorliegen eines Abbruchsverlangens zu prüfen.357

352 353 354 355 356 357

Kühl, in: Lackner/Kühl, § 218a, Rn. 4. Kröger, in: LK, § 218a, Rn. 5. Gropp, in: MüKo, § 218a, Rn. 27. Merkel, in: NK, § 218a, Rn. 68. Eser, in: Schönke/Schröder, § 218, Rn. 9. Eser (a. a. O.) verweist insoweit auf Fischer, § 218a, Rn. 12.

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C. Voraussetzungen des Verlangens

Der Arzt muss sich nach Fischer „auf geeignete Weise Gewissheit darüber verschaffen, dass das Verlangen ernsthaft ist und auf einer eigenen Entscheidung beruht“.358 b) Würdigung Hinsichtlich des korrekten Adressaten des Abbruchsverlangens ist zu beachten, dass anders als im Rahmen von § 216 StGB für § 218a Abs. 1 StGB der Arztvorbehalt gilt. Das bedeutet, dass der Arzt, der den Abbruch vornimmt, die Schwangere gemäß § 218c Abs. 1 Nr. 2 StGB zuvor über die Risiken des Eingriffs aufklären und sich vergewissern muss, dass die Patientin den Eingriff wünscht, damit ihre Willensäußerung Wirksamkeit erlangt. Aus der ärztlichen Aufklärungspflicht lässt sich auch das Erfordernis, dass der abbrechende Arzt in Kenntnis des Abbruchsverlangens handeln muss, ableiten. Nach den Gesetzen der Logik kann der Arzt diese Pflicht nicht erfüllen, wenn er den Wunsch der Schwangeren nach einem Abbruch überhaupt nicht kennt.359 Er muss aber nicht zum Schwangerschaftsabbruch „bestimmt“ worden sein, wie es bei § 216 StGB der Fall ist. Ein entsprechendes Tatbestandsmerkmal fehlt in § 218a Abs. 1 StGB. Eine etwaige Prüfungspflicht des Arztes ist abzulehnen. Dagegen spricht, dass der Arzt nach § 218c Abs. 1 StGB der Schwangeren lediglich die Gelegenheit geben muss, ihm die Gründe für ihr Verlangen nach Abbruch der Schwangerschaft darzulegen, ohne dass die Schwangere hierzu verpflichtet wäre. Daraus ergibt sich, dass den Arzt über die bloße Kenntnis des Verlangens der Schwangeren hinaus keine weiteren Pflichten zur Nachforschung treffen. Dafür spricht auch, dass § 218a Abs. 1 StGB im Unterschied zu § 218a Abs. 2, 3 StGB keine Feststellung nach ärztlicher Erkenntnis voraussetzt. Diese beinhaltet nämlich – trotz eines gewissen Beurteilungsspielraums – eine Prüfungspflicht.360 Der Arzt muss sich des Vorliegens der Indikation vergewissern361 (vergleichbar der „pflichtgemäßen Prüfung“, wie sie zum Teil als subjektives Rechtfertigungselement angenommen wird).362 Da in § 218a Abs. 1 StGB der Verweis auf die „ärztliche Erkenntnis“ fehlt, ist davon auszugehen, dass eine solche Prüfungspflicht insoweit nicht besteht.

358

Fischer, § 218a, Rn. 12. Eine – nur in Ausnahmefällen zulässige – Delegation der Aufklärungspflicht auf einen anderen Arzt setzt ebenfalls voraus, dass der abbrechende Arzt das Verlangen der Schwangeren kennt. 360 Eser, in: Schönke/Schröder, § 218a, Rn. 36; Gropp, in: MüKo, § 218a, Rn. 52; dazu ausführlich (wenngleich zur alten Rechtslage vor der Beratungslösung) Süfke, Ärztliche Erkenntnis, S. 179 ff. 361 Eser, in: Schönke/Schröder, § 218a, Rn. 36; Gropp, in: MüKo, § 218a, Rn. 52; Süfke, Ärztliche Erkenntnis, S. 179 ff. 362 Vgl. Süfke, Ärztliche Erkenntnis, S. 182 f. m.w. N. 359

II. § 218a Abs. 1 StGB

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7. Weitere Voraussetzungen des § 218a Abs. 1 StGB Im Gegensatz zu § 216 Abs. 1 StGB genügt das Verlangen in § 218a Abs. 1 StGB (und die Erfüllung der darauf bezogenen Voraussetzungen) allein nicht, um die Anforderungen der Norm zu erfüllen. Die Schwangere muss außerdem dem Arzt durch eine Bescheinigung nach § 219 Abs. 2 S. 2 StGB nachweisen, dass sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen, der Eingriff muss von einem Arzt vorgenommen werden und seit der Empfängnis dürfen nicht mehr als 12 Wochen vergangen sein.

D. Rechtsfolgen des Verlangens Nachdem der Meinungsstand zu den Voraussetzungen des Verlangens dargestellt und dessen Schwachstellen aufgezeigt worden sind, sollen nun die Rechtsfolgen des Verlangens beleuchtet werden. Es wird untersucht, welche Wirkung das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ auf das Unrecht der verlangten Fremdtötung und des verlangten Schwangerschaftsabbruchs nach Konfliktberatung hat. Dazu wird wiederum jeweils zunächst der Meinungsstand – erst zur Tötung auf Verlangen und dann zum Schwangerschaftsabbruch – dargestellt. Da in beiden Fällen bereits das geschützte Rechtsgut und daher auch der Unrechtsgehalt sehr streitig ist, wird mit dem Meinungsstand zum Unrechtsgehalt beider Tatbestände begonnen. Jeweils im Anschluss folgt eine Würdigung anhand des eigenen Unrechtskonzepts. Bei der vergleichenden Analyse der Rechtsfolgen des Verlangens in § 216 Abs. 1 StGB einerseits und § 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB andererseits ist es wichtig, stets den Unterschied zu beachten, dass bei der Tötung auf Verlangen die Person, die das Verlangen äußert, zugleich Tatobjekt ist, während beim Schwangerschaftsabbruch das Tatobjekt „nasciturus“ zwar betroffen, aber – naturgemäß – das Verlangen nicht auf dessen Willen zurückzuführen ist.

I. § 216 Abs. 1 StGB Der Verweis auf die wegen § 216 StGB unwirksame Einwilligung soll nach verbreiteter Auffassung genügen, um die Rechtsfolgen des Verlangens zu begründen. Demnach entfalte das erfüllte Tatbestandsmerkmal, wenngleich in seinen Voraussetzungen nach allen Ansichten immer zugleich (oder auch nur) eine Einwilligung enthalten ist, wegen der absoluten Einwilligungssperre keine rechtfertigende Wirkung. Aus der geringeren Strafdrohung des § 216 StGB ergebe sich, dass das Tötungshandeln gemäß dem Verlangen lediglich zur Unrechtsminderung (und nach Auffassung mancher auch Schuldminderung) führe. Der fehlende Unrechtsausschluss wird nahezu einhellig auf die Indisponibilität des Rechtsguts Leben zurückgeführt. 1. Unrechtsgehalt von § 216 Abs. 1 StGB Problematisch im Hinblick auf § 216 Abs. 1 StGB ist allerdings bereits, ob hier überhaupt Unrecht vertypt wird1 und bejahendenfalls, welche Art von Un1

Zweifelnd Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 297.

I. § 216 Abs. 1 StGB

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recht. Desweiteren kann der Tatbestand nur insoweit Unrecht vertypen, als es nicht durch das darin vorausgesetzte Verlangen ausgeschlossen wird, was die verfassungsrechtliche Illegitimität der Vorschrift zur Folge hätte. Daher ist nach dem hier entwickelten Unrechtskonzept zu klären, welches Recht durch die verlangte Fremdtötung verletzt wird, um den Unrechtsgehalt der Norm zu bestimmen. Allgemein wird im Sinne einer petitio principii davon ausgegangen, dass § 216 StGB das Rechtsgut auf Leben schütze. Möglicherweise findet sich hier aber eine paternalistisch motivierte Durchbrechung des Rechts(guts)prinzips zugunsten einer Kriminalisierung unmoralischen Verhaltens, zumal die Konsentierung der Verletzung eines eigenen Rechts(guts) ausnahmsweise – als singuläres Phänomen im Strafrecht – generell nicht rechtfertigend wirken würde. Damit verknüpft stellt sich die Frage, ob § 216 Abs. 1 StGB überhaupt Tötungsunrecht vertypt und somit eine Privilegierung zu einem Tötungsdelikt darstellen kann, oder die Norm möglicherweise eine ganz andere Form von Unrecht straft. Bei der Bestimmung des Unrechtsgehalts der Tötung auf Verlangen können zwei Hauptströmungen unterschieden werden. Nach weit überwiegender Auffassung wird in § 216 StGB das Rechtsgut „Leben“ als Individual- oder Universalrechtsgut geschützt, § 216 StGB soll hiernach Tötungsunrecht vertypen. Nur vereinzelt wird § 216 StGB ein anderer Unrechtsgehalt als Tötungsunrecht zugeordnet. a) Tötungsunrecht Soweit man davon ausgeht, das Leben sei in § 216 StGB als Individualrechtsgut geschützt, ist es zirkelschlüssig, dessen Indisponibilität aus der Existenz des Tatbestandes abzuleiten.2 Die Unverfügbarkeit des Lebens auch vor dem Eingriff Dritter ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zwingend, so dass eine strafrechtliche Konstruktion ohne strafrechtsdogmatische Herleitung einen Bruch mit dem traditionellen Rechtsgutsprinzip darstellt, den es dann zur verfassungsrechtlichen Legitimation der Strafbewehrung jenseits der Aufgaben des Strafrechts, wie sie bisher verstanden worden sind, sehr wohl zu begründen gilt.3 Die Frage, aus welchen Gründen die Selbstbestimmung über das eigene Leben beschränkt werden darf, ist aber – wie gesagt – weitgehend unbeantwortet geblieben.4 Soweit das Leben als Individualrechtsgut betrachtet wird, muss die systemfremde Unverfügbarkeit für den Einzelnen somit erklärt werden, während sich

2 So aber Joecks, der bemerkt, die Indisponibilität des Rechtsguts Leben stelle der Tatbestand des § 216 StGB klar, ders., § 216, Rn. 1. 3 Kritisch auch Eser/Sternberg-Lieben, die von einem „Legitimationsproblem“ sprechen; vgl. dies., in: Schönke/Schröder, § 216, Rn. 1a. 4 Kubiciel, JZ 2009, S. 600 (601).

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D. Rechtsfolgen des Verlangens

die Indisponibilität im Falle der Einordnung als Allgemeinrechtsgut bereits daraus ergibt, dass das Individuum nicht alleiniger Rechtsgutsträger ist.5 aa) Individualrechtsgut „Leben“ Innerhalb der Auffassung, die in § 216 StGB das Individualrechtsgut „Leben“ geschützt sieht, wird die Norm überwiegend als Verletzungsdelikt eingeordnet. Manche verstehen den Tatbestand als abstraktes Gefährdungsdelikt. (1) Verletzung wegen Indisponibilität Wie erwähnt, ist die Auffassung, dass das Individualrechtsgut „Leben“ von § 216 StGB geschützt werde, ganz herrschende Meinung.6 Das Fremdtötungsunrecht bleibe trotz des Verlangens der Tötung durch das Opfer bestehen, weil die Einwilligung in die Fremdtötung unwirksam sei.7 Die Unwirksamkeit der Einwilligung sei eine Folge der Indisponibilität des Rechtsguts „Leben“ für das Opfer, das daher nicht wirksam darüber verfügen und in die Fremdverletzung einwilligen könne.8 Warum das Rechtsgut „Leben“ in Bezug auf eine Verletzung durch Dritte9 indisponibel sein soll, wird unterschiedlich zu erklären versucht. (a) Kriminalpolitische und paternalistische Begründungsansätze Die kriminalpolitischen und paternalistischen Begründungsansätze werden gemeinsam vorgestellt, da sich hinter manch kriminalpolitischer Begründung eine paternalistische Grundidee verbirgt.

5 Nach Auffassung von Sternberg-Lieben ist ein Streit darüber angesichts der Absolutheit des Lebensschutzes ohne praktische Bedeutung; es bewahrheite sich der Grundsatz, dass Rechtsgüter der Allgemeinheit nicht ohne ihren Individualbezug und Individualrechtsgüter nicht ohne ihre Universalrelevanz gesehen werden dürften; ders., Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 104, Fn. 133. Eine solche „praktische Bedeutungslosigkeit“ setzt aber voraus, dass die Unverfügbarkeit friktionslos angenommen und legitimiert werden kann. 6 Eser, in: Schönke/Schröder, § 216, Rn. 13; Gaidzik, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, S. 1271, Rn. 1; Jähnke, in: LK, § 216, Rn. 1; Joecks, § 216, Rn. 1; Rössner/Wenkel, in: HK, § 216, Rn. 2. 7 Joecks, Studienkommentar, § 216, Rn. 1. 8 Eser, in: Schönke/Schröder, § 216, Rn. 13; Rössner/Wenkel, in: HK, § 216, Rn. 2. 9 Soweit im Folgenden von der Indisponibilität oder Unverfügbarkeit die Rede ist, bezieht sich diese – soweit nicht anders gekennzeichnet – auf die Unmöglichkeit, in eine Verletzung durch Dritte einzuwilligen. Die Frage der Dispostion über das Leben durch eine Selbsttötung soll, wie eingangs angemerkt, nur am Rande behandelt werden. Im Sinne eines Erst-Recht-Schlusses können jedoch aus dem hier gefundenen Ergebnis Konsequenzen auch für die Dispositionibilität gegenüber sich selbst gezogen werden.

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Hart-paternalistisch sind jene Begründungen, die zur Rechtfertigung auf die Unvernünftigkeit jeder Zustimmung zur Fremdtötung abheben. Dazu zählt der Ansatz Hoersters, der die Legitimationsgrundlage des § 216 StGB in den Besonderheiten der Tötung – namentlich ihrer Irreversibilität – erblicken will und meint, das Individuum habe „vernünftigerweise nicht nur ein Interesse daran [. . .], vor Fremdschädigung, sondern auch vor Selbstschädigung geschützt zu werden – und zwar vor Selbstschädigung sowohl in der Form von Selbsttötung als auch in der Form von Einwilligung zur Fremdtötung“.10 Oft wird auf eine Tabuisierung der Antastbarkeit fremden Lebens rekurriert.11 Eine Lockerung des Fremdtötungsverbots könne zu einem Achtungsverlust des Lebens anderer Menschen führen, so dass Menschen, die ihre Tötung nicht verlangen, der Gefahr ausgesetzt seien, aufgrund der gesunkenen Hemmschwelle eher Opfer eines Tötungsdelikts zu werden.12 Weiterhin wird argumentiert, dass es durch die Rechtfertigungsmöglichkeit der Fremdtötung qua Einwilligung zu einem Dammbruch kommen könnte.13 Während sich das Tabubruch-Argument auf das Verhalten der Bürger untereinander bezieht, ist das Dammbruch-Argument auf drohende staatliche Folgemaßnahmen gerichtet.14 Die Tötung alter und/oder kranker Menschen könne gesellschaftsfähig und der Lebensschutz dadurch aufgeweicht werden. Das Dammbruch-Argument wird straftheoretisch mit der positiven Generalprävention zu unterfüttern versucht. Ferner wird die Gefahr eines Missbrauchs im Falle der Dispositionsmöglichkeit über das eigene Leben befürchtet.15 Vor allem pflegebedürftige Menschen könnten ihre Tötung aus einer extrinsischen Motivation heraus verlangen, um niemandem zur Last zu fallen oder weil sie gar dazu gedrängt werden könnten. Manche argumentieren, dass ohne die Bestrafung der verlangten Fremdtötung ein Missbrauch über den strafprozessualen Grundsatz „in dubio pro reo“ erfolgen könne.16 Wenn der Angeklagte behaupte, der Getötete habe die Tötung verlangt, ohne dass sich das Opfer dem noch erwehren könne, wäre der mutmaßliche Täter im Falle der Disponibilität des Lebens im Zweifel nämlich freizusprechen.17 Zum Teil wird die Unverfügbarkeit des Lebens damit begründet, dass diese zur Stabilisierung der Gesellschaft notwendig sei, in der es ansonsten zu einer Werte10

Hoerster, NJW 1986, S. 1786 (1789). Eser, in: Schönke/Schröder, § 216, Rn. 13; als einer von mehreren Aspekten findet sich dieses Argument auch in der Begründung von Rössner/Wenkel, HK, § 216, Rn. 2 und Safferling, in: Matt/Renzikowski, § 216, Rn. 2. 12 Kritisch Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 518. 13 Duttge, GA 2006, S. 573 (573); Schöch/Verrel u. a., GA 2005, S. 582 f. 14 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 517, Fn. 739. 15 Eser, in: Schönke/Schröder, § 216, Rn. 13. 16 Hirsch, in: FS-Lackner, S. 597 (613). 17 Zu diesem Argument mit Gegenargument Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 21. 11

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D. Rechtsfolgen des Verlangens

erosion (sogenannter „slippery slope“, schiefe Ebene) kommen könnte. Vereinzelt wird die Unverfügbarkeit des Lebens religiös18, etwa als „unverfügbares Geschenk Gottes“ 19, oder mithilfe des Sittengesetzes20 erklärt.21 Manche setzen bereits auf Verfassungsebene an und leiten die Unverfügbarkeit des Lebens aus der Menschenwürde her.22 Einige begründen die Unverfügbarkeit des Lebens verfassungsrechtlich zudem mit Art. 2 Abs. 2 S. 1, 1. Var. GG. Es wird dabei auf die ganz herrschende Meinung rekurriert, dass aus dem Grundrecht auf Leben als status negativus kein Grundrecht auf Sterben abgeleitet werden könne.23 Die Grundlage dieser Auffassung bildet die Gleichsetzung der in Art. 1 Abs. 2 GG postulierten Unveräußerlichkeit mit einer Unverzichtbarkeit für den Bürger selbst.24 Jarass bezweifelt demgegenüber, ob aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG eine Verpflichtung des Staates gefolgert werden könne, den Einzelnen vor sich selbst zu schützen.25 Vielmehr werde die Selbstschädigung durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützt.26 Das BVerfG hat jedenfalls offen gelassen, ob es einen verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf „aktive Sterbehilfe durch Dritte“ gibt.27 (b) Intrapersonaler oder interpersonaler Pflichtenverstoß Während Maatsch28 das Individualrechtsgut „Leben“ des Verlangenden wegen eines in der Aufgabe desselben liegenden intrapersonalen Pflichtenverstoßes für indisponibel hält, stellen andere auf einen interpersonalen Pflichtenverstoß ab29. 18

Eines von mehreren Argumenten des LG Ravensburg, NStZ 1987, S. 229. Otto, in: Verhandlungen des 56. Deutschen Juristentags, Bd. I, Gutachten D, S. 17 f. (im Folgenden auf S. 54 allerdings noch unter Einbezug anderer Legitimationsgründe); dagegen Hoerster, NJW 1986, S. 1786 (1787 f.) und Kubiciel: „Wo [. . .] nur noch für eine kleine Minderheit das Leben ein Gottesgeschenk ist, steht diese Ressource nicht mehr zur Verfügung“, JZ 2009, S. 605 m.w. N. 20 So noch BGH, NJW 1954, S. 1049 (1050). Dieser Standpunkt entspricht den Motiven des Strafgesetzgebers von 1870, vgl. dazu Apt, Die grundlegenden Entscheidungen des Reichsgerichts und des Reichsmilitärgerichts, S. 57. 21 Dagegen zu Recht der frühere Präsident des BVerfG Zeidler, der § 216 StGB als „Insel der Inhumanität als Folge kirchlichen Einflusses auf unsere Rechtsordnung“ bezeichnete; mitgeteilt von Uhlenbruck, HK-AKM, 4980, Rn. 37. 22 Wilms/Jäger, ZRP 1988, S. 41 (44). 23 Vgl. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 2 S. 1, Rn. 47; Dreier, in: Dreier, GG, Art. 2 Abs. 2, Rn. 17; Kunig, in: v. Münch/Kunig, Art. 2 Abs. 2 GG, Rn. 50. 24 So z. B. Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 1, Rn. 14. 25 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2, Rn. 100. 26 Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, Art. 2, Rn. 100. 27 BVerfG, NJW 1987, S. 2288 (2288). Schulze-Fielitz hält die direkte Fremdtötung im Sinne einer gezielten todbringenden palliativen Behandlung für verfassungsrechtlich möglich (allerdings ebenso ihr Verbot), ders., in: Dreier, GG, Art. 2, Rn. 64. 28 Maatsch, Selbstverfügung als intrapersonaler Pflichtverstoß, S. 189 ff. 29 Schmidhäuser, FS-Welzel, S. 801 (814 ff.); Wilms/Jäger, ZRP 1988, S. 45. 19

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Letztere Theorie lässt sich hinsichtlich der Begründung der Indisponibilität unterteilen in jene, die diese zum Schutze des Individualrechts des Verlangenden selbst annehmen und jene, die Rechte Dritter verletzt sehen. Gierhake stellt auf den Individualschutz des Verlangenden selbst ab und erblickt das Unrecht des § 216 StGB in der objektiven Negation des Rechtsverhältnisses als solchem, als Grundbedingung des Rechts, über die das Individuum nicht verfügen könne („objektive Indisponibilität des Lebens“).30 Das Fundament der Theorien von Maatsch und Gierhake bildet Kants Metaphysik der Sitten. Zu dem Ansatz, der auf einen interpersonalen Pflichtenverstoß abstellt, zählen weiterhin jene, die die Indisponibilität mit entgegenstehenden Rechten Dritter als Schranke i. S. v. Art. 2 Abs. 1 S. 2 GG begründen.31 Dieser Begründungsansatz stellt auf die Summe der einzelnen kollidierenden Individualrechte Dritter ab und ist somit von der Auffassung zu trennen, die das Leben als Gesamtheit, mithin als Allgemeinrechtsgut, in § 216 StGB geschützt sieht.32 Diese der Zulässigkeit der einverständlichen Fremdtötung entgegenstehenden Individualrechte Dritter würden zwar nicht konkret durch den Tod des Einwilligenden betroffen, aber insoweit, als die Sicherung des Lebens aller Bürger vor ungewollter Fremdtötung in Frage stehe.33 (2) Abstrakte Gefährdung Schneider sieht ähnlich wie Jakobs den Schutz vor übereilter Lebensbeendigung als ratio legis des § 216 StGB an.34 Nach dieser Ansicht manifestiert sich in der Delegation des Vollzugsakts der Tötung an einen Dritten ein Willensdefekt.35 Deshalb wird als Prämisse von § 216 StGB die unwiderlegliche Vermutung angenommen, dass ein delegierter Tötungsakt nie dem wahren Willen des Verlangenden entspreche.36 Vielmehr bestehe die Gefahr, dass der selbstreflexive Mangel des Sterbewilligen durch die intersubjektive Affirmation überlagert werde, da hierdurch ein inneres Begründungsdefizit durch eine externe Bestätigung übergangen werden könne. 30 Gierhake, GA 2012, S. 291 (296). Die Terminologie von der „objektiven Indisponibilität des Lebens“ ähnelt wiederum stark der Position von Ingelfinger, siehe im selben Abschnitt unten. 31 So etwa Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 114. 32 Vgl. dazu im Einzelnen die Auseinandersetzung mit den darunter fallenden Argumenten bei Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 114–117. 33 Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 117 f. m.w. N. 34 Schneider, in: MüKo, § 216, Rn. 7. 35 So auch Friedrich-Christian Schroeder, ZStW 106 (1994), S. 565 (574). 36 Schneider, in: MüKo, § 216, Rn. 7.

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Gleichzeitig erkläre sich hiernach die Straflosigkeit des Suizids schlüssig: Die Fähigkeit, die Tötung eigenhändig auszuführen, belege die Vollzugsreife des Sterbewunsches. bb) Universalrechtsgut „Gutsgattung Leben“ Die Auffassung, die in § 216 StGB das Leben als kollektives Rechtsgut geschützt sieht und daraus die Indisponibilität für den Einzelnen ableitet, ist von den bereits diskutierten Auffassungen zu differenzieren, welche die Unverfügbarkeit des Individualrechtsguts „Leben“ mit entgegenstehenden Rechten Dritter oder aus sonstigen Erwägungen begründen. (1) Verletzung des kollektiven Rechtsguts Knauer/Brose sehen in § 216 StGB das „gesellschaftliche Interesse an dem Schutz der allgemeinen Achtung für das menschliche Leben“ geschützt.37 Systematisch sei die Norm ein selbstständiger Tatbestand, da sich das von § 216 StGB sanktionierte Unrecht qualitativ und von seiner Stoßrichtung her grundlegend von den §§ 211–213 StGB unterscheide.38 Das ist folgerichtig, da die §§ 211–213 StGB das Individualrecht „Leben“ schützen und eine Privilegierung am gleichen Recht ansetzen müsste, Knauer/Brose aber kein Individual-, sondern ein Universalrechtsgut in § 216 StGB geschützt sehen. Weigend will das „Leben als solches“ im Sinne einer „sozialen Funktionseinheit“ in § 216 StGB geschützt wissen.39 Somit stellen Knauer/Brose und Weigend auf ein kollektives Rechtsgut „Leben“ ab, das § 216 StGB als Verletzungsdelikt schütze. (2) Abstrakte Gefährdung des kollektiven Rechtsguts Dreier sieht den Unrechtsgehalt des § 216 StGB nicht im Tötungsakt begründet, sondern (ähnlich wie Jakobs) in der abstrakten Gefährlichkeit, die entscheidende Abschlusshandlung in die Hände Dritter zu legen.40 Daneben trage die „symbolische Bekräftigung der ,Unverbrüchlichkeit des Lebensschutzes‘“ das Verbot.41 Damit stellt er wohl nicht auf Fremdtötungsunrecht in Bezug auf das Individualrechtsgut „Leben“ ab, da er seinen Ansatz von den Versuchen, § 216 StGB mit „individuellem Unrecht“ zu begründen, zu differenzieren scheint.42 Im 37

Knauer/Brose, in: Spickhoff, StGB, § 216, Rn. 1. Knauer/Brose, in: Spickhoff, StGB, § 216, Rn. 2. 39 Weigend, ZStW 98 (1986), S. 57. 40 Dreier, JZ 2007, S. 317 (320). 41 Dreier, JZ 2007, S. 317 (320). 42 Vgl. Dreier, JZ 2007, S. 320, Fn. 151, in der Dreier auf den Versuch Ingelfingers, „eine Grundlage im individuellen Unrecht zu finden“, verweist. 38

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Umkehrschluss verbleibt nur die Möglichkeit, dass er in § 216 StGB kollektives Unrecht inkriminiert sieht. Wegen des Rekurses auf die Unverbrüchlichkeit des Lebensschutzes scheint es dabei aber um Tötungsunrecht zu gehen. cc) Kombinationsmodelle Manche Theorien legen § 216 StGB eine Kombination aus Individual- und Universalrechtsgut zugrunde (in einem Rechtsgut oder durch Kumulation zweier Rechtsgüter43). Solche Kombinationsmodelle sind bereits vom BGH anerkannt worden. So führte der BGH im „Kannibalen-Fall“ zu § 168 StGB aus: „Sind mehrere Rechtsgüter, die einen einwilligungsfähig, die anderen nicht, durch eine Strafnorm geschützt, so könnte [. . .] eine Einwilligung allenfalls dann die Rechtswidrigkeit entfallen lassen, wenn das nicht einwilligungsfähige Rechtsgut so unbedeutend erscheint, dass es außer Betracht bleiben dürfte“.44

Den Kombinationsmodellen zufolge soll in § 216 StGB das Leben als Individualrechtsgut disponibel sein und die fehlende Dispositionsbefugnis sich aus dem kollektiven Rechtsgutsanteil ergeben. (1) Individueller und kollektiver Schutzzweck in einem Rechtsgut Nach Auffassung von Ingelfinger ist jedem Rechtsgut sowohl ein individueller als auch ein kollektiver Schutzzweck zuzuordnen. Unrecht sei daher nicht nur subjektive Rechtsverletzung (individueller Schutzzweck), sondern auch der Verstoß gegen den neminem-laedere-Grundsatz, also objektive Schädigung (kollektiver Schutzzweck).45 Die Einwilligung beruht seiner Auffassung nach auf dem Prinzip des mangelnden Interesses und wirke tatbestandsausschließend, wobei sie ihre Wirksamkeit auf zwei Ebenen, nämlich beim Rechtsgutsobjekt und beim Schutzzweck des Verbots, entfalten könne.46 Beim Schutzzweck des Verbots könne nur der individuelle Schutzzweck ausgeschlossen werden, nicht aber der kollektive Schutzzweck.47 Infolge der Einwilligung entfalle aber bis zu den Einwilligungsgrenzen der §§ 216, 228 StGB zugleich der kollektive Schutzzweck, weil die Gemeinschaft insoweit auf den kollektiven Schutz verzichte, wenn der Rechtsgutsinhaber das Gut preisgebe.48 Gemäß §§ 216, 228 StGB halte die Gemeinschaft an diesem kollektiven Schutzzweck fest, weil damit ein Achtungs43 Zum kumulativen Schutz eines disponiblen und eines indisponiblen Rechtsguts instruktiv Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 98 ff.; vgl. ferner BGH, NJW 2005, S. 1876 (1878 f.); BGH, NJW 1954, S. 201 (201 f.). 44 BGH, NJW 2005, S. 1876 (1878) m.w. N. 45 Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 215. 46 Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 214. 47 Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 213, 215. 48 Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 213.

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schaden für die Klasse des Rechtsguts „Leben“ (respektive Körper) verhindert werden solle, der im Falle der Nichtbestrafung aus dem damit verbundenen Tabubruch resultieren würde.49 Das Rechtsgut sei dann insoweit indisponibel, so dass hinsichtlich des kollektiven Schutzzwecks die Rechtsgutsverletzung qua Einwilligung nicht ausgeschlossen werden könne und bestehen bleibe.50 Nur der individuelle Schutzzweck entfalle, hieraus folge die durch § 216 StGB gegenüber den §§ 211 ff. StGB gewährte Unrechtsminderung.51 Der Sache nach wird damit die Einwilligung aufgespalten in einen wirksamen Teil in Bezug auf den disponiblen Anteil des Rechtsguts und einen unwirksamen Teil hinsichtlich des übrigen, indisponiblen Anteils. (2) Disponibles Individualrechtsgut sowie indisponibles Universalrechtsgut Neumann nimmt an, dass § 216 StGB zunächst das Individualrechtsgut „Leben“ schütze, zugleich aber auch das „gesellschaftliche Interesse an einem Schutz der das Tötungsverbot stabilisierenden allgemeinen Achtung vor menschlichem Leben“, was er allerdings selbst für fragwürdig und zur Legitimation des Tatbestands eigentlich wenig tauglich hält.52 Mithin ist nach der Auffassung Neumanns in § 216 StGB der Schutz des Individualrechtsguts „Leben“ mit dem Universalrechtsgut „Gutsgattung Leben“ kumuliert. Er benennt zwar die „allgemeine Achtung vor dem menschlichen Leben“ nicht ausdrücklich als Universalrechtsgut der „Gutsgattung“. Diese Einordnung wird aber deutlich, wenn er auf die Unterschiedlichkeit der Rechtsgüter des § 216 StGB hinweist und dem „individuellen Rechtsgut Leben“ das „kollektive Interesse an der Aufrechterhaltung des Tötungstabus“ vergleichend gegenüberstellt.53 Zudem weist Neumann darauf hin, dass die Unrechtsminderung in § 216 StGB nicht nur auf einem unrechtsmindernden Rechtsgutsverzicht beruhe, sondern auch auf einer qualitativen Unrechtsdifferenz im Verhältnis zu § 212 StGB: das „kollektive Interesse“ habe ein geringeres Gewicht.54 Duttge sortiert die Gründe der Strafbarkeit des § 216 StGB – ohne allerdings dazu persönlich Stellung zu nehmen – als zum einen individualschützend, zum anderen als ordnungsschützend.55 Safferling geht davon aus, dass zwar das Rechtsgut „Leben“ durch die verlangte Fremdtötung im Verhältnis zwischen Täter und Opfer nicht verletzt werde, aber die Strafbarkeit wegen der überragend 49 50 51 52 53 54 55

Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 213–218. Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 214 f., 216. Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 215, 16. Neumann, in: NK, § 216, Rn. 1. Neumann, in: NK, § 216, Rn. 2, 3. Neumann, in: NK, § 216, Rn. 2. Duttge, in: Prütting, Fachanwaltskommentar, StGB, § 216, Rn. 1 m.w. N.

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wichtigen Position des Lebensrechts im Verfassungsgefüge und dessen objektiven Wertgehalts sowie generalpräventiven Zwecken legitimiert sei.56 Im Folgenden spricht er von einer „spezifischen, divergierenden Rechtsgutsverteilung“.57 Den objektiven Wertegehalt des Rechtsguts Leben beschreibt Safferling näher als „Rechtsverhältnis zur Allgemeinheit“.58 Im konkreten Fall müsse der Tötungserfolg hingenommen werden, wenn der Rechtsgutsträger in die Verletzung eingewilligt habe.59 Die Fremdtötungshandlung könne aber vom Strafrecht gleichwohl nicht ignoriert werden, weil das Tötungstabu gebrochen werde und es einen gesetzlichen Anspruch auf umfassenden Lebensschutz gebe. dd) Würdigung Als indirekter hart-paternalistischer Eingriff in das Recht des Einzelnen, über das eigene Leben zu bestimmen60, ist der Ansatz Hoersters in besonderem Maße begründungsbedürftig. Denn die Entscheidung über die Möglichkeit, sich durch einen Dritten töten zu lassen, wird durch die Einwilligungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG geschützt. Das Verbot der verlangten Fremdtötung greift daher in die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG ein und müsste die Anforderungen an ein verfassungsmäßiges Schrankengesetz im Sinne von Art. 2 Abs. 1, 2. Hs., Var. 2 GG erfüllen.61 Art. 2 Abs. 1 GG garantiert die Selbstbestimmungsfreiheit allerdings motivindifferent. Die fehlende Vernunft ist daher ebenso wie sonstige paternalistische Motive62 keine taugliche verfassungsmäßige Schranke63 und vermag daher die Indisponibilität des Individualrechtsguts „Leben“ nicht zu rechtfertigen. Ein paternalistisch aufoktroyierter Schutz durch § 216 StGB aus ethischen oder moralischen Gründen verbietet sich im Übrigen, weil nach dem hier vertretenen Un56

Safferling, in: Matt/Renzikowski, § 216, Rn. 2, 3. Safferling, in: Matt/Renzikowski, § 216, Rn. 17. 58 Safferling, in: Matt/Renzikowski, § 216, Rn. 16. 59 Safferling, in: Matt/Renzikowski, § 216, Rn. 2. 60 Vgl. Gkountis, Autonomie und strafrechtlicher Paternalismus, S. 36 m.w. N. 61 Die Rechte Dritter und das Sittengesetz haben als Schranken keine eigenständige Bedeutung, da sie ihrerseits ebenfalls der verfassungsmäßigen Ordnung entsprechen müssen; vgl. Dreier, in: Dreier, Art. 2 GG, Rn. 53 ff., 60 m.w. N. auch zur a. A. 62 So die ganz herrschende Auffassung; vgl. statt aller Gkountis, Autonomie und strafrechtlicher Paternalismus, S. 211 m.w. N.; Roxin, AT I, Rn. 67; Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 362. 63 Anders Safferling, der zwar im Ergebnis das subjektive Lebensrecht für disponibel hält und das Unrecht des § 216 StGB aus einer Verletzung eines kollektiven Rechtsguts „Leben“ herleitet, aber eine paternalistische Bestrafung wegen der Würde und des Wertes menschlichen Lebens für gerechtfertigt hält, zumal den Staat eine Schutzpflicht treffe; ders., in: Matt/Renzikowski, § 216, Rn. 3. Dabei unterliegt er dem Fehlschluss, die grundrechtlichen Schutzpflichten würden einen Schutz auch gegen den (wohlgemerkt mangelfreien) Willen des Grundrechtsinhabers gebieten. 57

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rechtskonzept kriminelles Unrecht konstitutiv eine Rechtsverletzung voraussetzt und rechtliche Schutzpflichten die strafgesetzliche Regulation zwingend erforderlich machen müssen. Auffallend an den kriminalpolitischen Begründungsansätzen ist, dass sie meist multifaktoriell sind, sich aber in einer Fülle kriminalpolitischer Argumente erschöpfen, ohne diese am Maßstab des Grundgesetzes zu messen und die rechtliche Legitimation zu hinterfragen.64 Der Ansatz von Joecks65 ist ein unzulässiger Zirkelschluss: Die Legitimation eines Tatbestandes kann sich nicht aus seiner Existenz heraus erklären. Auch das Tabuisierungs-Argument überzeugt nicht. Es erscheint fernliegend, dass die im Menschen fest verwurzelte natürliche Tötungshemmschwelle durch normative Regelungen sinken sollte, zumal die Fremdtötung bereits jetzt nicht absolut verboten ist.66 Und selbst wenn man das Tötungstabu als kulturell erworben betrachtet67, so gilt derselbe Einwand: normativ gibt es bereits jetzt kein Fremdtötungstabu,68 da die Tötung der Rechtfertigung grundsätzlich zugänglich ist.69 Eine Durchbrechung des Tötungstabus und daraus resultierend eine Erosion der Achtung vor fremdem Leben ist gleichwohl nicht zu beklagen. Aber auch kulturell kann von einem absoluten Tötungstabu inzwischen nicht mehr die Rede sein.70 Die Tabuisierungs-Argumentation unterliegt insofern möglicherweise einer Verwechslung von Fremdtötungstabu und absolutem Lebensschutz.71 Letzterer ist zweifelsohne wegen Art. 2 Abs. 2 S. 1, 1. Var. GG lückenlos geboten.

64 Vgl. Kubiciel, Die Wissenschaft vom Besonderen Teil des Strafrechts, S. 184 f., der allerdings eine Rückbindung an Sinn und Zweck der Strafe fordert. Sinn und Zweck der Strafe bilden jedoch nicht zugleich ihre Legitimation. 65 Joecks, Studienkommentar, § 216, Rn. 1. 66 Deshalb ist auch der Einwand von Jakobs, man müsse belegen, warum das Tötungstabu über den Totschlag hinaus auch auf die Tötung auf Verlangen zu erstrecken sei, beachtlich; vgl. ders., Tötung auf Verlangen, S. 19 f. 67 Hoerster, NJW 1986, S. 1791 f.: „kulturell-weltanschaulicher Natur“. 68 Vgl. Kubiciel, JZ 2009, S. 603. 69 So auch OLG München, NJW 1987, S. 2940 (2945) – Hackethal. Vgl. ferner Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 519. Murmann weist (dies im Ergebnis aber ablehnend) darauf hin, dass man das Fremdtötungstabu auch als derzeit bereits nur partiell geltend verstehen könnte und insofern dann die verfestigte Grenze nur anders verläuft, indem sie die durch Notwehr gerechtfertigte Tötung (ebenso wie die Tötung im Krieg) noch miteinschließt. Das Hinübertreten über diese traditionell noch akzeptierte Grenze wäre dann ein Bruch des partiell, in dem Pars aber ausnahmslos geltenden Tötungstabus. 70 Kubiciel formuliert treffend: „Wenn einerseits das Verabreichen einer tödlichen Spritze (auf Verlangen) verboten, andererseits die Injektion eines Sedativs mit tödlicher Nebenwirkung und die Einstellung lebenserhaltender Maßnahmen gestattet ist, dürfte dies den Bürgern kaum den Eindruck vermitteln, menschliches Leben [. . .] werde ,absolut‘ [. . .] geschützt“; ders., JZ 2010, S. 602. 71 Dazu Murmann, Grundkurs Strafrecht, § 21, Rn. 1.

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Murmann hält es für vertretbar, wenn der Gesetzgeber die Gefahren der Freigabe des Tötungstabus an anderer Stelle (z. B. Notwehr, Sterbehilfe) geringer einschätzt oder gar bei gleicher Einschätzung des Gefahrenpotentials verschiedene Fallgruppen unterschiedlich bewertet, da dies im Rahmen der gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative zulässig sei, soweit der Gesetzgeber keine aus der Luft gegriffene Gefahrprognose annehme oder eine willkürliche Differenzierung im Schutzniveau treffe. Dem ist entgegenzuhalten, dass nach hiesiger Auffassung eine Kriminalisierung nur dann legitim ist, wenn sie wegen staatlicher Schutzpflichten zwingend erforderlich ist. Solche zwingenden staatlichen Schutzpflichten wegen drohender Rechtsverletzung Dritter werden im Hinblick auf die befürchtete Erosion des Tötungstabus nicht angenommen werden können, da bereits diese Befürchtung im Hinblick auf den natürlichen Ursprung des Tabus nicht plausibel erscheint. Und selbst wenn sie sich bewahrheitete, reicht ein Tabubruch allein zur Strafbegründung nicht aus.72 Drohende Rechtsverletzungen gegenüber unbeteiligten Dritten sind im Falle einer Rechtfertigungsmöglichkeit der konsentierten Fremdtötung jedoch nicht wahrscheinlich. Das Tötungstabu erweist sich somit als harter Paternalismus in Gestalt eines moralisch pluripotenten Proteus. Ähnlich wie im Fall von § 173 StGB wird versucht, die Normlegitimation über eine Tabuisierung als Deckmantel von Sitte und Moral zu erreichen. Auch das Dammbruch-Argument vermag nicht zu überzeugen. Der Verweis auf die positive Generalprävention beschreibt nur die Funktion von Strafe. Generalprävention ist eine Strafzweckheorie und kein Strafgrund, Prävention setzt voraus, dass etwas legitim präveniert werden darf. Die Befürchtung von Missbrauchsfällen greift ebenfalls nicht durch, denn diese Annahme unterliegt einem logischen Fehler. Demnach müsste die derzeitige Rechtslage, nach der sowohl der Suizid als auch die (nicht geschäftsmäßige) „Beihilfe“ zur Selbsttötung nicht verboten sind,73 ebenso dazu führen, dass sich alte Menschen aus dieser rechtlichen Möglichkeit heraus vermehrt suizidieren.74 Dies ist nicht der Fall.75 Vielmehr hat sich der 1. Strafsenat des OLG München

72 Ebenso Gkountis, Autonomie und strafrechtlicher Paternalismus, S. 213. Wie hier außerdem Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 114 ff. m.w. N.; Putzke, AK, Einleitung, Rn. 4. Vgl. ferner die zutreffende Kritik von Kanwischer zu § 173 StGB, ders., Der Grenzbereich zwischen öffentlichem Strafanspruch und intimer Lebensgestaltung, S. 158 ff., 170 ff. 73 Vgl. hierzu Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 5 ff. mit historischem Abriss. Gleichwohl wird der Suizid zum Teil noch für rechtswidrig erachtet, so etwa von BGHSt 46, 279 (285); BGHSt 6, 147 (153); dagegen mit treffender Kritik Hillenkamp, in: Anderheiden/Eckart, Bd. 1, S. 349 (362), Fn. 64 und Verrel, in: Verhandlungen zum 66. Deutschen Juristentag, Bd. I, Gutachten C, S. 18 ff. 74 Ähnlich Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 20. 75 Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 20.

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bereits im Jahr 1987 im Fall „Hackethal“ mit derartigen Befürchtungen auseinandergesetzt,76 ohne dass es bis heute zu ihrem Eintritt gekommen wäre. Auch die Befürchtung eines Missbrauchs des „in dubio“-Grundsatzes greift nicht durch. Zunächst bestehen diese Beweisschwierigkeiten auch bei der Abgrenzung von § 216 StGB zu §§ 212, 211 StGB, ohne dass ein Missbrauch zu beklagen wäre.77 Außerdem verstieße nach diesem Erklärungsansatz § 216 StGB als jedenfalls partiell reine (materielle) Verdachtsstrafe78 gegen das Rechtsstaatsprinzip79 und die (daraus folgende) Unschuldsvermutung80. Diese Unvereinbarkeit besteht auch dort, wo eine Verdachtsstrafe im Konflikt mit dem Beweisrecht hilfreich und ein „Ventil“ dessen Drucks auf das materielle Recht wäre.81 Hillenkamp betont daher zu Recht, dass durch den in-dubio-pro-reo-Satz erzwungende Freisprüche weder Ärgernis noch Niederlage des Rechts sind, sondern die rechtsstaatliche Konsequenz der Unschuldsvermutung.82 Die Schwierigkeit, das tatsächliche Vorliegen einer Einwilligung oder eines Verlangens in die Fremdtötung zu beweisen, ist daher kein taugliches Argument dafür, die Dispositionibilität des Lebensrechts zu beschränken. Des Weiteren kann der „Fluch der Freiheit“, eigene Wertinhalte generieren zu müssen, nicht als (obendrein zirkelschlüssiges) Argument für eine Begründung der Freiheitsbeschränkung hergenommen werden. Eigene Orientierungsleistungen erbringen zu müssen ist immer eine Folge der Freiheit.83 Gegen die Herleitung der Unverfügbarkeit des Lebens – und zwar sowohl gegenüber Dritten als auch erst Recht gegenüber sich selbst84 – aus religiösen oder sittlichen Erwägungen spricht, dass sich, wie erwähnt, die deontologische Herleitung eines Strafverbots verbietet.85 Immoralität und religiöse Unzulässigkeit eines Verhaltens sind

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OLG München, NJW 1987, S. 2940 (2945 f.). Sternberg-Lieben betont, dass es dort sicherlich nicht um einen in Frage stehenden Freispruch geht, jedoch sei eine zu gering bemessene Strafe ebenso ungerecht wie ein Freispruch statt der angemessenen geringen Strafe. Vgl. ders., Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 107. Anders Murmann, der eine zu Unrecht erfolgende Strafreduzierung für immer noch eher hinnehmbar erachtet als einen Freispruch; ders., Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 525. 78 Zum rechtshistorischen Ursprung der Verdachtsstrafe als Ausgleich von Beweisdefiziten nach Abschaffung der Folter und ihrer Entbehrlichkeit seit dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung Hillenkamp, in: FS-Wassermann, S. 861 (861 f.). 79 Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 107. 80 Hillenkamp, FS-Wassermann, S. 862. 81 So zutreffend Hillenkamp, FS-Wassermann, S. 862, ab S. 863 ff. mit Beispielen, wo sich gleichwohl auch heute Verdachtsstrafe hinter „materiellem Gewand“ verbirgt. 82 Hillenkamp, FS-Wassermann, S. 862. 83 Vgl. Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 3 ff. 84 Zur Verfügbarkeit des Lebens gegenüber sich selbst Hillenkamp, FS-Kühl, S. 521 (530) mit Verweis auf Kühl, in: Jahrbuch für Recht und Ethik, S. 242 (252 ff.). 85 Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 104 f. m.w. N. 77

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als außerrechtliche Ideologien ebensowenig wie ein etwaiger Tabubruch geeignet, eine Strafnorm zu legitimieren.86 Kühl und Hillenkamp haben zutreffend herausgearbeitet, dass die „Transformation“ eines Sittenverstoßes in einen Verstoß gegen das Strafrecht unzulässig ist, weil der bloße Sittenverstoß kein die Strafbarkeit tragender Grund ist.87 Der Rekurs auf Kant von Maatsch und Gierhake stellt eine solche unzulässige Transformation dar (dazu sogleich). Hörnle hat eine treffende Begründung dafür geliefert, warum die Inkriminierung von Moralwidrigkeiten außerdem nicht auf die Schranke des Sittengesetzes aus Art. 2 Abs. 1 S. 2 GG gestützt werden kann.88 Auch der Versuch, bereits auf Verfassungsebene anzusetzen und die Unverfügbarkeit des Lebens aus der Menschenwürde herleiten zu wollen, ist abzulehnen.89 Die Menschenwürde ist zum einen nicht synonym zum Lebensrecht, zum anderen gebietet sie gerade, die Verfügungsbefugnis des Einzelnen über seine höchstpersönlichen Rechte zu gewähren. Dem Individuum die Entscheidung über seine eigene Existenz und die Umstände einer gewollten Existenzbeendigung absprechen zu wollen, negiert die Autonomie als wesentliches Element der Menschenwürde90 und die Selbstzweckhaftigkeit des Menschen.91 Die Konsentierung einer Fremdtötung löst deshalb jedenfalls keine absolute staatliche Schutzpflicht aus.92 Dies gilt umso mehr, als der Mensch gerade als autonomes Subjekt wahrgenommen wird, wenn der Täter seinem Willen entsprechend handelt, so dass dem Gesetzgeber keine Verobjektivierung des Menschen vorgeworfen werden kann, wenn er eine derartige konsentierte Handlung unter bestimmten Kautelen der Rechtfertigung zugänglich erachtet.93 Eine Gleichsetzung der in Art. 1 Abs. 2 GG postulierten Unveräußerlichkeit mit der Unverzichtbarkeit für den Bürger selbst ist unzutreffend, da das Grundgesetz nicht den Bürger verpflichtet, sondern den Staat. Somit verpflichtet auch 86 Hillenkamp, FS-Kühl, S. 521 (530) mit Verweis auf Kühl, in: Jahrbuch für Recht und Ethik, S. 242 (252 ff.); Putzke, in: AK, Einleitung, Rn. 4. Sternberg-Lieben formuliert treffend: „Der Staat des Grundgesetzes ist keine moralische (Besserungs-)Anstalt, welche eine bloß moralwidrige, für Dritte unschädliche Gesittung ihrer „Untertanen“ zu korrigieren hätte. Bloße Moralwidrigkeiten ohne Sozialbezug stellen keinen legitimen [. . .] Anwendungsbereich für den Einsatz des Strafrechts dar“; ders., Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 105. 87 Kühl, in: Jahrbuch für Recht und Ethik, S. 242 (252 ff.); zustimmend Hillenkamp, FS-Kühl, S. 521 (530). 88 Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 52 ff. 89 So aber Wilms/Jäger, ZRP 1988, S. 41 (44). 90 Gkountis, Autonomie und strafrechtlicher Paternalismus, S. 167; Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 217; Tenthoff, Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen im Lichte des Autonomieprinzips, S. 89. 91 Vgl. Hufen, NJW 2001, S. 849 (850 f.). 92 Vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig, Art. 1 Abs. 1 GG, Rn. 32 m.w. N. 93 Vgl. Hillgruber, Schutz des Menschen vor sich selbst, S. 85; beachte aber D.I.3.

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Art. 1 Abs. 2 GG nur den Staat zur Nichtveräußerung der Menschenrechte, nicht jedoch seine Bürger und sagt daher auch nichts über die Disponibilität eines Grundrechts für den Bürger aus.94 Zusammenfassend lässt sich gegen die kriminalpolitischen und paternalistischen Begründungsversuche einer Unverfügbarkeit des Rechts „Leben“ vorbringen, dass sie sich letztlich auf Behauptungen stützen und nicht zu erklären vermögen, warum der Grundsatz volenti non fit iniuria bei allen anderen Individualrechtsgütern Wirksamkeit beansprucht, aber hinsichtlich des Lebens gebrochen wird. Dogmatisch ist diese Konstellation schwer zu erklären.95 Verfassungsrechtlich lässt sich die Indisponibilität des Individualrechtsguts „Leben“ gegenüber Dritten (und erst Recht gegenüber sich selbst) nicht rechtfertigen.96 Mangels einer drohenden Verletzung staatlicher Schutzpflichten ist die Kriminalisierung auf dem Prüfstand des hier vorgestellten Unrechtskonzepts mit den vorgenannten Begründungen illegitim. Aber auch die Theorien vom intrapersonalen oder interpersonalen Pflichtenverstoß überzeugen nicht. Der Rekurs von Maatsch und Gierhake auf Kants Metaphysik der Sitten ist zugleich der Schwachpunkt der Theorien: Warum eine sittliche Pflicht zugleich eine normative sein soll, bedarf der Begründung und Subsumtion unter das geltende Recht.97 Bei einer bloßen, begründungslosen „Transformation“ einer sittlichen Pflicht in eine rechtliche werden Moralphilosophie und Recht vermischt. Eine Rechtspflicht zur eigenen Lebenserhaltung besteht deshalb nicht.98 Sie kann daher weder Argument für die Indisponibilität des Lebens gegenüber Dritten noch gegenüber sich selbst sein. Außerdem würde das Lebensrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1, 1. Var. GG ad absurdum geführt, wenn es sich als Pflicht gegen den Grundrechtsinhaber verkehrte. Es fehlt somit an der für kriminelles Unrecht konstitutiven Rechtsverletzung. Soweit etwa Sternberg-Lieben die Indisponibilität mit entgegenstehenden Rechten Dritter als Schranke i. S. v. Art. 2 Abs. 1 S. 2 GG begründet,99 erscheint 94

Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. 2, Rn. 23 m.w. N. Safferling, in: Matt/Renzikowski, § 216, Rn. 1. 96 So auch Duttge, in: Prütting, Fachanwaltskommentar, StGB, § 216, Rn. 1. Die Disponibilität des Lebens bejahte auch das OLG München, NJW 1987, S. 2940 (2945) – Hackethal. 97 Ähnlich Kubiciel, Die Wissenschaft vom Besonderen Teil des Strafrechts, S. 192 m.w. N. Unzulässig ist daher der Versuch Gierhakes, auf vorpositives Recht abzustellen; dies., GA 2012, S. 291 (298) – das Grundgesetz bietet den Maßstab und gibt ihn für die Gesetzgebung zwingend vor. Gefällt das Ergebnis nicht, kann man sich über die Vorgaben des Grundgesetzes nicht mit der „vorpositiven Fundamentalbedeutung menschlichen Lebens“ hinwegsetzen. 98 Kühl, in: Jahrbuch für Recht und Ethik, S. 242 (252 ff.); zustimmend Hillenkamp, FS-Kühl, S. 521 (530); vgl. ferner Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 294 f. m.w. N. 99 Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 114. 95

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dies wenig plausibel. Denn wie bereits erörert, erscheint es als kaum wahrscheinlich, dass Rechtsverletzungen Dritter drohen, wenn die konsentierte Fremdtötung einer Rechtfertigung zugänglich wäre. Die Möglichkeit, eine Körperverletzung zu rechtfertigen, führt schließlich auch nicht dazu, dass deshalb vermehrt Körperverletzungen begangen würden. Das primäre Verbot bleibt unberührt.100 Sternberg-Lieben sieht diesen Einwand selbst,101 wirft dann jedoch ein, dass die aus den Niederlanden bekannt gewordenen Fälle des „mercy killing“ für drohende Rechtsverletzungen Dritter sprechen, dass also auch Patienten, die nicht eingewilligt haben, wegen der generellen Einwilligungsmöglichkeit unter diesem Deckmantel getötet werden. Es erscheint aber fraglich, ob diese Fälle wirklich aus der Freigabe der direkten Sterbehilfe resultieren. Denn auch in Deutschland, wo bislang nur die indirekte Sterbehilfe erlaubt ist, haben laut einer Studie des Instituts für Medizinische Ethik und Geschichte der Medizin der Ruhr-Universität Bochum Ärzte in immerhin 47 von 692 untersuchten palliativmedizinischen Fällen angegeben, trotz Einwilligungsfähigkeit ihrer Patienten ohne deren Einverständnis über deren Kopf hinweg lebensverkürzende Maßnahmen eingeleitet zu haben.102 Mangels erfüllter Voraussetzungen der erlaubten indirekten Sterbehilfe sind damit – je nach Einzelfall – möglicherweise 47 Tötungsdelikte begangen worden. Ein kleiner Teil der Ärzte hat die Lebensverkürzung nicht nur vorhergesehen, sondern beabsichtigt. Man könnte daher genauso gut bereits jetzt auf der Basis der geltenden Grundsätze über die erlaubte indirekte Sterbehilfe eine Gefährdung der Rechte Dritter konstatieren. Der virulente Punkt scheint damit jedenfalls nicht erst in der Zulassung der (direkten) einverständlichen Fremdtötung zu liegen,103 zumal in Deutschland – da hier eine Dokumentationspflicht wie in den Niederlanden fehlt – die Dunkelziffer viel höher anzusetzen sein dürfte. Nach alledem kann auch insoweit nicht angenommen werden, dass die Nichtregulierung mit dem Mittel des Strafrechts eine grundrechtliche Schutzpflichtverletzung darstellen würde, da die Beeinträchtigung von Rechten Dritter nicht wahrscheinlich erscheint. Die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers ist nach dem ultima-ratio-Grundsatz eingeschränkt, so dass eine Kriminalisierung trotz Einwilligung nicht wie vorstehend mit drohenden Rechtsverletzungen Dritter begründet werden kann. 100 Deshalb ist auch die Befürchtung Gierhakes, mit der Möglichkeit der Einwilligung in die Fremdtötung würde eine „allgemeine, gesetzlich anerkannte Tötungserlaubnis“ im Sinne einer „allgemeinen Gesetzlichkeit“ geschaffen, unzutreffend; so aber dies., GA 2012, S. 291 (298 f.). 101 Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 118 f. 102 Schildmann/Hoetzel/Müller-Busch/Vollmann, Palliative Medicine 2010, Vol. 24, No. 8, S. 824, Tabelle 3. 103 Kritisch (auch gegenüber den eigenen Prämissen) ebenso Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 119.

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D. Rechtsfolgen des Verlangens

Es bleibt festzuhalten, dass die Annahme der Indisponibilität des Individualrechts „Leben“ sich nicht begründen lässt.104 Da der Verlangende die Tötung durch fremde Hand konsentiert, ist die Verletzung des subjektiven Lebensrechts des Opfers gerechtfertigt.105 Darüber hinaus besteht eine zumindest drohende Verletzung der individuellen Lebensrechte Dritter nicht. Es fehlt insoweit bereits an der Rechtsverletzung als konstitutive Voraussetzung kriminellen Unrechts. Deshalb ist die absolute Einwilligungssperre in § 216 StGB nach dem hier vertretenen Unrechtskonzept nicht zwingend erforderlich, um grundgesetzliche Schutzpflichten hinsichtlich des individuellen Lebensrechts des Opfers oder Dritter zu wahren. Damit wird den vielfach geäußerten Bedenken nicht ihre grundsätzliche Berechtigung abgeschnitten. In der Tat kann nicht mit Sicherheit vorausgesagt werden, ob gesellschaftlich unerwünschte Entwicklungen eintreten oder gar Missbrauch betrieben wird. Nach der hier vertretenen Auffassung genügt dies aber nicht für die Legitimitation einer Strafnorm als ultima ratio.106 Jenen Bedenken kann der Gesetzgeber andernorts Rechnung tragen, beispielsweise durch die Absicherung einer ausreichenden Bereitstellung palliativer Einrichtungen und Hospize sowie einer sozialrechtlichen Garantie palliativmedizinischer Betreuung ohne Repressalien seitens der Krankenversicherungen (was im Falle stationärer Betreuung qua Fallpauschale, bei der eine kurze Liegedauer – im Palliativfall der frühe Tod – günstiger ist, offensichtlich nicht gewährleistet sein kann).107 Das gesellschaftliche Problem liegt insofern nicht in der Tötungsbereitschaft oder Suizidalität der Bevölkerung, sondern darin, dass der Kostendruck selbst vor dem Lebensende nicht Halt macht und ein Sterbewunsch dadurch befördert werden kann, dass derzeit menschenwürdiges Sterben durch die defizitäre Situation in der Palliativversorgung gefährdet ist.108 Nach alledem kann die Indisponibilität des Lebensrechts nicht überzeugend begründet werden. Auch die Theorien zu einer abstrakten Gefährdung des Individualrechtsguts „Leben“ sind abzulehnen. Die Theorie vom Schutz vor übereilter Lebensbeendigung gerät an ihre Grenzen, wenn dem Sterbewilligen die eigenhändige Ausführung der Tötung physisch nicht möglich ist, etwa aufgrund einer Lähmung.109 104

So auch Renzikowski, in: Matt/Renzikowski, § 216, Rn. 1. Noch zweifelnd Murmann: „Denn Unrecht setzt die Verletzung der Freiheit des Opfers voraus und es stellt sich die Frage, ob es nicht gerade diese Freiheit ist, die sich in einem ernstlichen Tötungsverlangen entfaltet“, ders., Grundkurs Strafrecht, § 21, Rn. 83. 106 Wie hier Appel, Verfassung und Strafe, S. 432 f.; ähnlich Kubiciel, Die Wissenschaft vom Besonderen Teil des Strafrechts, S. 188 ff. 107 Uhlenbruck, in: HK-AKM, 4980, Rn. 20, 30 ff. m.w. N. 108 Uhlenbruck, in: HK-AKM, 4980, Rn. 20, 30 ff. 109 So auch Kubiciel, JZ 2009, S. 601. Zu einer für solche Fälle diskutierten teleologischen Reduktion von § 216 StGB siehe D.I.2. und D.I.3. 105

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Dann existiert keine Wahlmöglichkeit zwischen Selbst- und Fremdtötung für den Betroffenen, so dass die Delegation des Vollzugsakts der Tötung an einen Dritten zunächst einmal aus der physischen Unfähigkeit resultiert, aber nicht zwingend eine psychische Unfähigkeit offenbart. Das Problem an der Konstruktion eines das Individualrechtsgut110 Leben schützenden abstrakten Gefährdungsdeliktes ist ferner, dass im Falle seiner Einschlägigkeit das Rechtsgut Leben nicht nur gefährdet, sondern immer zugleich auch verletzt wäre, denn durch die verlangte Fremdtötung wird das Leben des Verlangenden nicht nur gefährdet, sondern der Verletzungserfolg tritt ein. Will man die verlangte Fremdtötung trotzdem als Gefährdungsdelikt begreifen, widerspricht das der Natur dieses Deliktstypus. Gefährdungsdelikte sollen Verhaltensweisen pönalisieren, die nicht zu einer unmittelbaren Beeinträchtigung eines Rechtsguts führen, sondern eine Situation begründen, aus der sich eine Beeinträchtigung entwickeln kann, aber nicht muss.111 Geht mit der Gefährdung denknotwendig zugleich die Verletzung einher, besteht kein Grund dafür, die Strafe auf vorgelagerter Ebene anzusiedeln. Desweiteren spricht gegen diese Ansicht, dass sie das Tatbestandsmerkmal „ernstlich“ ignoriert. Wenn nämlich die ernstlich verlangte Fremdtötung deshalb bestraft werden soll, weil die abstrakte Gefahr bestehe, dass der Verlangende einem Willensdefekt unterlegen sein könnte, ist das in sich widersprüchlich: Wie bereits dargelegt, ist nur ein von subjektiven Mängeln freies Verlangen ernstlich. Es kann daher nicht zugleich mit einem Willensdefekt behaftet sein. Aus diesen Gründen ist das Verständnis von § 216 StGB als ein das Individualrecht „Leben“ schützendes abstraktes Gefährdungsdelikt nicht haltbar. Da das Konstrukt bereits in sich widersprüchlich ist, lässt sich damit das Erfordernis staatlicher Regulierung qua § 216 StGB nicht plausibel machen. Als milderes Mittel zum Schutz des Opfers bietet sich im Übrigen gerade auf dem Boden dieser Auffassung eine prozedurale Rechtfertigung an.112 Somit überzeugt keine der angebotenen Begründungen auf dem Boden der Annahme, dass § 216 StGB das Leben als Individualrecht schütze. Gegen die Ablösung des Lebensrechts vom Individuum und die Zuordnung zur Allgemeinheit als kollektives Rechtsgut spricht demgegenüber, dass damit die Verfügungs- und Nutzungsbefugnis über ein konkretes Menschenleben der Gemeinschaft zugesprochen wird. Die Zuordnung des Rechts, über eine menschliche Existenz zu bestimmen, an einen anderen oder andere als den Träger ne110 Anders ist die Lage zu beurteilen, wenn man § 216 StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt bezogen auf ein kollektives Rechtsgut versteht, dazu im Folgenden D.I.1.a)bb)(2). 111 Anastasopoulou, Deliktstypen zum Schutz kollektiver Rechtsgüter, S. 44. 112 Dazu ausführlich unter F.I.

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D. Rechtsfolgen des Verlangens

giert jedoch dessen Autonomie in einer die Person verobjektivierenden Weise, so dass dies nicht mit der in Art. 1 Abs. 1 GG garantierten Menschenwürde vereinbar ist.113 Der Gattungsschutz kann auch nicht seinerseits der Menschenwürde als objektiv-rechtliche Dimension von Art. 1 Abs. 1 GG zugeordnet werden. Herdegen bringt dagegen zu Recht vor, dass Art. 1 Abs. 1 GG weder von der „Würde der Menschheit“ noch von der „menschlichen Würde“, sondern von der Würde des (individuellen) Menschen spricht und derartige „überschießende objektive Gehalte“ drohen, zur „Hülse für populär-pädagogische Verhaltenserwartungen“ zu werden.114 Außerdem spricht dagegen, dass die systematische Einordnung unter den Abschnitt „Straftaten gegen das Leben“ eine individualschützende Funktion von § 216 StGB nahelegt.115 Dies gilt gleichermaßen für den Wortlaut, denn in § 216 StGB ist nur vom konkreten Leben der Individualperson die Rede.116 Schließlich ist fraglich, warum hier ein kollektives Rechtsgut konstruiert wird, wenn doch im naturalistischen Sinne ein Individualrecht (das Leben der konkreten Person) angegriffen wird. Dies stellt eine unzulässige Rechtsvertauschung dar.117 Gegen die Theorie Dreiers von der abstrakten Gefährlichkeit, die entscheidende Abschlusshandlung in die Hände Dritter zu legen, spricht neben der darin liegenden Kollektivierung des Lebensrechts, dass die Einwilligungsmöglichkeit demnach generell als gefährlich eingeschätzt werden müsste. Die Möglichkeit, etwa in eine Körperverletzung einzuwilligen, führt jedoch ebensowenig zu einer abstrakten Gefahr für die „Gutsgattung Körper“ wie dies bei einer Einwilligungsmöglichkeit in die Tötung der Fall wäre. Eine solche Auffassung stellt das Institut der Einwilligung insgesamt in Frage. Eine solche abstrakte Gefahr wäre im Übrigen dem Täter einer verlangten Fremdtötung nicht objektiv zurechenbar. Zwar ist die Missbrauchsmöglichkeit für Dritte ein gewichtiges Indiz dafür, dass eine für ein kollektives Rechtsgut abstrakt gefährliche und damit strafwürdige Handlung vorliegt.118 Bereits dieser Handlung muss jedoch ein – objektiv feststehendes – typisches Gefährdungspotential innewohnen.119 Es steht aber wie bereits ausgeführt mitnichten objektiv

113 Wie hier Kubiciel, Wissenschaft vom Besonderen Teil des Strafrechts, S. 194; kritisch ferner Uhlenbruck, in: HK-AKM, 4980, Rn. 3. 114 Herdegen, in: GG, Maunz/Dürig, Art. 1, Rn. 32. 115 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 541. 116 Vgl. Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 541. 117 Dazu allgemein Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 513. 118 Anastasopoulou, Deliktstypen zum Schutz kollektiver Rechtsgüter, S. 65 m.w. N. 119 Anastasopoulou, Deliktstypen zum Schutz kollektiver Rechtsgüter, S. 64.

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fest, dass die konsentierte Fremdtötung als solche typischerweise die gesamte „Gutsgattung Leben“ gefährdet. Der Unrechtsgehalt von § 216 StGB liegt daher weder in der Verletzung noch in der Gefährdung eines kollektiven Rechtsguts „Leben“. Die Aufspaltung des Rechtsguts „Leben“ in einen disponiblen und in einen indisponiblen Teil erscheint widersprüchlich. Denn dann wäre auf der Tatbestandsebene – Ingelfinger geht von der tatbestandsausschließenden Wirkung der Einwilligung aus – das Leben als gleichzeitig subjektiv unverletzt, aber objektiv verletzt anzusehen. Selbst wenn man das so sähe, müsste man begründen, warum der aus einem Tabubruch resultierende „Achtungsschaden für die Klasse des Rechtsguts Leben“ eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung für die Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG hinsichtlich des unverfügbaren Teils darstellen soll. Wie oben aufgezeigt, liegt eine rechtliche Beeinträchtigung Dritter nicht vor. Im Übrigen wurde bereits dargelegt, dass die Begründung der Indisponibilität des Lebensrechts mit einem kollektiven Schutzzweck – wenn an dem Verbot „nicht mehr aus individuellen, sondern nur noch aus kollektiven Gründen festgehalten wird“ 120 – mit der Menschenwürde des Individuums nicht ein Einklang zu bringen ist.121 Schließlich stehen dem Rekurs auf das objektive Nichtschädigungsprinzip „neminem laedere“ Bedenken gegenüber. Dies impliziert, dass der Tod eines Menschen schlechthin etwas Negatives sei. Ein Denken in Schadenskategorien entlarvt Renzikowski indes zu Recht als antiliberale Wurzel der Rechtsgutslehre, denn der bloße Eintritt eines Schadens begründet gerade keine Verantwortlichkeit eines anderen.122 Vielmehr muss der Täter durch die Usurpation der fremden Rechtssphäre seine Handlungsfreiheit auf Kosten des anderen ausdehnen, wozu nicht die Verursachung eine Schadens genügt, sondern der Täter die geschützte Rechtsposition als Recht beeinträchtigen muss, indem er die Ausschlussfunktion des fremden Rechts missachtet.123 Nach alledem lässt sich auch mit diesem Begründungsansatz in der konsentierten Fremdtötung keine zu schützende Rechtsverletzung erblicken. Unter den Kombinationsmodellen überzeugt auch der Ansatz Safferlings, dass die Strafbarkeit wegen der überragend wichtigen Position des Lebensrechts im Verfassungsgefüge und dessen objektiven Wertgehalts sowie generalpräventiven Zwecken legitimiert sei,124 nicht. Gibt es nämlich einen Rechtsinhaber, der das 120

Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 213. Vgl. Kubiciel, Die Wissenschaft vom Besonderen Teil des Strafrechts, S. 188 f. m.w. N. 122 Renzikowski, in: Matt/Renzikowski, Einl., Rn. 9. 123 Renzikowski, in: Matt/Renzikowski, Einl., Rn. 14. 124 Safferling, in: Matt/Renzikowski, § 216, Rn. 2, 3. 121

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D. Rechtsfolgen des Verlangens

Recht subjektiv innehat, ist es ausgeschlossen, diesen konkret über den objektiven Gehalt des Rechts schützen zu wollen und hierdurch sein subjektives Recht zu beschränken. Dadurch verkehrte man die grundrechtliche Abwehrfunktion in eine Pflicht. Die Annahme, dass § 216 StGB sowohl ein disponibles Individualrechtsgut als auch ein indisponibles Universalrechtsgut schützt, vermag die Strafbarkeit der konsentierten Fremdtötung somit zwar theorieintern widerspruchsfrei zu begründen. Allerdings ist die Konstruktion eines zweiten Rechtsguts im Sinne einer „Gutsgattung Leben“ als Universalrechtsgut abzulehnen. Das „gesellschaftliche Interesse an einem Schutz der das Tötungsverbot stabilisierenden allgemeinen Achtung vor menschlichem Leben“ 125 ist kein Recht und damit nach der hier vertretenen Unrechtskonzeption kein legitimer Gegenstand eines Strafgesetzes. Nach der hier vertretenen Auffassung vermag nur eine Rechtsverletzung Unrecht zu begründen, die eine derartige Qualität aufweist, dass grundgesetzliche Schutzpflichten die strafgesetzliche Regulierung gebieten. Die Verletzung eines bloßen Interesses ist weder eine Rechtsverletzung noch berührt sie eine grundgesetzliche Schutzpflicht. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass keine der Theorien vom trotz Konsentierung verbleibenden Tötungsunrecht des § 216 StGB überzeugt. b) Sonstiger Unrechtsgehalt aa) Universalrechtsgut „Einhaltung eines objektiven Mindeststandards im Umgang mit Menschen in existenziellen Krisen“ Nach Kubiciel liegt „das Unrecht der Tötung auf Verlangen [. . .] im Verstoß gegen eine Rechtspflicht, die einen objektiven Mindeststandard im Umgang mit Menschen in existenziellen Krisen sichert, in denen vielfältige äußere Einflüsse einem ,selbstbestimmten‘ Handeln im Wege stehen“.126 Damit stellt er ausdrücklich nicht auf Tötungsunrecht ab. Dass Kubiciel nicht auf Tötungsunrecht abhebt, wird auch daran deutlich, dass er sogar die Beihilfe zur Selbsttötung (der mangels Unrecht der Haupttat eigentlich kein Unrechtsgehalt innewohnt) im Falle eines Verstoßes gegen diese Rechtspflicht als Unrecht klassifiziert127 (das heißt unabhängig vom Vorliegen von Tötungsunrecht). Im Widerspruch dazu schreibt Kubiciel allerdings weiterhin, dass er in § 216 StGB das Individualrechtsgut

125

Neumann, in: NK, § 216, Rn. 1 (im Ergebnis aber selbst kritisch). Kubiciel, JZ 2009, S. 608; ders., Die Wissenschaft vom Besonderen Teil des Strafrechts, S. 195. 127 Kubiciel, JZ 2009, S. 608. 126

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„Leben“ vor der abstrakten Gefahr einer nicht hinreichend durchdachten Disposition geschützt sehe.128 bb) Universalrechtsgut „Verwaltbarkeit der Gesellschaft“ Jakobs sieht den Unrechtsgehalt des § 216 StGB nicht in der (tatsächlichen) Verletzung des Lebensrechts des Verlangenden, sondern in der (paternalistisch statuierten) abstrakten Gefahr einer Voreiligkeit der Tötung.129 Als geschütztes Rechtsgut benennt er inzwischen allerdings ausdrücklich die „Verwaltbarkeit der Gesellschaft“,130 also ein Universalrechtsgut. Er rekurriert für seine Begründung auf die oben bereits erwähnten Ordnungsprinzipien Hegels131. Jakobs stellt die Thesen Hegels auf den Prüfstand unserer heutigen Verfassungsordnung: Nun verbürgten die Grundrechte Individualismus und Pluralismus und der Staat verwalte keine allgemeine Sittlichkeit mehr.132 Er müsse die „Sittlichkeit“ in unserem wertepluralistischen System privatisieren, und damit auch die Entscheidung darüber, was „vernünftig“ sein soll. § 216 StGB vertype daher kein Tötungsunrecht.133 Jakobs sieht den Unrechtsgehalt der Norm gleichwohl in der abstrakten Gefährdung des Lebens, da der Betroffene eine Voreiligkeit begehen könnte. Demnach bestehe die Gefahr, dass selbst bei Vorliegen eines ernsthaften Verlangens keine Vollzugsreife der Entscheidung gegeben sei, indem der Verlangende die Begründung des Todeswunsches auf den Adressaten des Verlangens abzuschieben suche.134 Nur die Eigenhändigkeit der Ausführung lasse die subjektive Vollzugsreife des Sterbewunsches klar erkennen, weshalb die Tötung auf Verlangen zwar grundsätzlich erlaubt, wegen eines allgemeinen Interesses an Klarheit aber als „Formverstoß“ 135 bestraft werde.136 128

Kubiciel, JZ 2009, S. 605, 608. Jakobs, FS-Arthur Kaufmann, S. 459, 467 f. 130 Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 36. 131 1. „Sei eine Person“, 2. „Respektiere die anderen Personen“, 3. Pflichten kraft institutioneller Zuständigkeit (Familie, Korporation, Staat). 132 Jakobs, FS-Arthur Kaufmann, S. 459, 467 f. 133 Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 18 f. 134 Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 22. 135 Ähnlich dazu zieht Schroeder den Vergleich zwischen dem Verbot der Übertragung des Tötungsakts auf einen Dritten in § 216 StGB zum Ausschluss der Stellvertretung wegen höchstpersönlicher Bedeutung des Rechtsgeschäfts im bürgerlichen Recht. Der Strafgesetzgeber habe ebenso die Entscheidung über den eigenen Tod als so existenziell angesehen, dass er die Abschiebung des Vollzugsaktes auf einen anderen nicht zulassen wolle; vgl. Friedrich-Christian Schroeder, ZStW 106 (1994), S. 565 (574). Dieser Vergleich verkennt jedoch, dass sich die zivilrechtliche Stellvertretung auf eine Vertretung im Willen bezieht. Eine solche Willensvertretung findet bei der verlangten Tötung nicht statt. 136 Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 22 f. 129

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D. Rechtsfolgen des Verlangens

cc) Universalrechtsgut „Sozialer Frieden“ Nach der Auffassung von Göbel schützt § 216 StGB den sozialen Frieden als „Gemeingut“.137 Die Strafnorm inkriminiere daher kein Tötungsunrecht, da nicht das Leben (weder als Individual-, noch als Universalrechtsgut) geschützt werde.138 Als möglichen Einwand benennt Göbel selbst, dass der soziale Frieden nicht mit einer bestimmten Moralauffassung gleichgesetzt werden dürfe, da die Inkriminierung eines Verhaltens ohne schädliche Auswirkung auf die Gesellschaft gegen die Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 GG und das Rechtsstaatsprinzip verstoßen würde.139 Allerdings sei es ein Fehler, dem Verstoß gegen bestimmte Wertvorstellungen keine schädlichen Auswirkungen auf die Gesellschaft beizumessen.140 Vielmehr führe der Verstoß gegen tief in der Gesellschaft verwurzelte Kulturnormen zu einer Desorientierung der Gesellschaft, die diese Normen dann im Wege der Selbsthilfe durchzusetzen suche.141 So läge es auch bei der einverständlichen Fremdtötung, so dass deren Verbot keine bloße Moralwidrigkeit bestrafe, sondern den sozialen Frieden erhalte und vor den schädlichen gesellschaftlichen Auswirkungen der Desorientierung und Selbsthilfe schütze.142 Dies könne aber nur soweit Geltung beanspruchen, wie dadurch die tatsächlichen Wertüberzeugungen der Gesellschaft abgebildet würden.143 Es sei die Fremdtötung auf den bloßen Willen des Betroffenen hin, die den tradierten Wertvorstellungen der Gesellschaft widerspräche.144 Bei der Sterbehilfe sei das nicht der Fall.145 dd) Würdigung Kubiciels Theorie von der Einhaltung eines objektiven Mindeststandards kann nicht durchgreifen. Einerseits hebt er nicht auf Tötungsunrecht ab, andererseits betrachtet er das Individualrechtsgut „Leben“ als Schutzgut des § 216 StGB.

137

Göbel, Die Einwilligung im Strafrecht, S. 39, 42 f. Göbel begibt sich hierzu jedoch in Widerspruch, indem er sodann schreibt, man könne § 216 StGB auch so lesen, dass die Tat trotz der Einwilligung sittenwidrig sei. Darauf käme es nämlich nicht an, wenn das Unrecht des § 216 StGB nicht durch die Verletzung des Lebensrechts begründet wird, sondern, wie Göbel schreibt, durch die Verletzung des „Schutzguts sozialer Frieden“; ders., Die Einwilligung im Strafrecht, S. 39, 41. 139 Göbel, Die Einwilligung im Strafrecht, S. 42. 140 Göbel, Die Einwilligung im Strafrecht, S. 42. 141 Göbel, Die Einwilligung im Strafrecht, S. 42. 142 Göbel, Die Einwilligung im Strafrecht, S. 42 f. 143 Göbel, Die Einwilligung im Strafrecht, S. 42 f. 144 Göbel, Die Einwilligung im Strafrecht, S. 44 f. 145 Göbel, Die Einwilligung im Strafrecht, S. 44 f. 138

I. § 216 Abs. 1 StGB

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Das führt zu der grotesken Situation, dass nach Auffassung von Kubiciel zwar das Leben als Individualrechtsgut in § 216 StGB geschützt sein soll, der materielle Unrechtsgehalt der Norm aber nicht in dessen Verletzung durch die Tötung liege, sondern in der oben beschriebenen Verletzung einer Rechtspflicht auf einen objektiven Mindeststandard im Umgang mit Menschen in existenziellen Krisen. Die von Kubiciel angenommene Rechtspflicht ergibt sich allerdings nicht aus dem Individualrechtsgut, das er in § 216 StGB geschützt sieht. Vielmehr weist er darauf hin, dass man dem Umgang des Einzelnen mit seinem Leben keine Grenzen unter dem Deckmantel eines Individualrechtsguts setzen könne.146 Überindividuelle Zwecksetzungen seien offen auszuweisen.147 Im Gegensatz zu dieser Forderung versäumt es Kubiciel indes, die Herleitung der postulierten Rechtspflicht offenzulegen. Denn auch den Rekurs auf das Leben als überindividuelles, das heißt kollektives, Rechtsgut lehnt er ausdrücklich ab.148 Woraus dann die Rechtspflicht zu einem objektiven Mindeststandard im Umgang mit Menschen, die ja den Unrechtsgehalt der Norm ausmachen soll, sonst entnommen werden könnte, bleibt offen. Man könnte nach diesen Ausführungen Kubiciels auf den Gedanken kommen, dass er die Rechtspflicht auf einen objektiven Mindeststandard im Umgang mit Menschen in existenziellen Krisensituationen als Kehrseite eines kollektiven Rechts betrachtet, auch wenn er ausdrücklich das Individualrechtsgut „Leben“ in § 216 StGB geschützt sieht. Der tatsächliche Rekurs auf ein kollektives Rechtsgut könnte zumindest erklären, warum der Einzelne nicht darauf verzichten können soll und die Einwilligung als Verzicht auf diesen objektiven Mindeststandard unbeachtlich wäre. Desweiteren spricht dafür, dass der von Kubiciel angenommene Mindeststandard nicht distributiv ist und der Einzelne andere nicht von der Nutzung ausschließen kann, was für kollektive Rechtsgüter charakteristisch ist. Für eine solche Interpretation von Kubiciels Vorschlag spricht auch der Umstand, dass er die Grenzziehung in § 216 StGB zur Wahrung überindividueller Interessen – das ist bei der Annahme eines objektiven Mindeststandards der Fall – unter dem „Deckmantel eines Individualrechtsguts“, wie gesagt, ausdrücklich ablehnt.149 Bleibt man am Wortlaut haften, so scheint Kubiciel die Verletzung des Individualrechtsguts „Leben“ bestrafen zu wollen, aber nicht um derentwillen, sondern mangels der Gefahr fehlender objektiver Validität des Todesverlangens trotz Einwilligungsfähigkeit, also aus rein paternalistischen Erwägungen, die er in seinen „objektiven Mindeststandard“ umformuliert.

146 147 148 149

Kubiciel, JZ 2009, S. 603. Kubiciel, JZ 2009, S. 603. Kubiciel, JZ 2009, S. 602 f. Vgl. Kubiciel, JZ 2009, S. 603.

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D. Rechtsfolgen des Verlangens

Kubiciels Ansicht hat einige Berührungspunkte mit Jakobs’ Theorie von § 216 StGB als abstraktem Gefährdungsdelikt, weil er ebenfalls auf die Gefahr eines nicht „wohlerwogenen“ Tötungsverlangens rekurriert und § 216 StGB teleologisch reduzieren möchte, wenn eine solche Gefahr objektiv ausgeschlossen werden könne.150 Sie ist aber restriktiver, weil Kubiciel diese Gefahr nicht schon dann als ausgeschlossen betrachten möchte, wenn ein Mensch nachvollziehbar den Verlust seines Lebenssinns beklagt151 oder ihm „die Ressourcen und Fähigkeiten fehlen“, die ein Mensch „normalerweise für ein befriedigendes Leben benötigen“ 152 würde.153 Unterschiede ergeben sich außerdem hinsichtlich des § 216 StGB zugrundegelegten Unrechtsgehalts. Es ist das Verdienst Kubiciels, auf einige Legitimationsdefizite im bisherigen Diskurs hingewiesen zu haben. Leider erweist sich sein Konzept aber als euphemistische Variante einer paternalistischen Position,154 denn er sieht den Unrechtsgehalt des § 216 StGB in der Entsprechung eines von Pater Staat nicht objektiv validierten Todesverlangens durch einen Dritten. Kubiciel bezweifelt, dass einwilligungsfähige (sic) Personen „wahrhaft“ selbstbestimmt entscheiden können, wenn sie sich in einer existenziellen Krise befinden. Er behauptet, der Autonomie sei nur vordergründig gedient, wenn man das Individuum der Gefahr der Fehlbewertung des eigenen Lebens ausliefere. Das ist allerdings der Preis, den es für die Freiheit zahlt und kann nicht als Argument für eine Grundrechtseinschränkung hergenommen werden. Diese Ausführungen vermögen im Übrigen aus dem „objektiven Mindeststandard“ kein Recht zu machen, dessen Verletzung hier unrechtskonstitutiv sein könnte.155 Eine grundgesetzliche Schutzpflicht lässt

150 Vgl. Kubiciel, JZ 2009, S. 607. Desweiteren unterscheiden sich beide Ansätze darin, dass Kubiciel § 216 StGB als Verletzungsdelikt ansieht, während Jakobs die Norm als abstraktes Gefährdungsdelikt einordnet. Zwar befürchtet Kubiciel lediglich den Eintritt der Gefahr eines nicht wohlerwogenen Tötungsverlangens, aber wenn bestimmte Voraussetzungen einer teleologischen Reduktion in Einzelfällen der direkten Sterbehilfe nicht gegeben seien, wird seiner Auffassung nach gegen einen objektiven Mindeststandard im Umgang mit Menschen in existenziellen Krisensituationen verstoßen (dieser Mindeststandard werde nicht lediglich gefährdet). Die Verletzung dieser Rechtspflicht sei unter Strafe gestellt, um die Gefahr einer individuellen Lebensverkennung auszuschließen. 151 Jakobs, FS-Arthur Kaufmann, S. 459, 470 f. 152 So aber v. Hirsch/Neumann, GA 2007, S. 671, 694. 153 Kubiciel, JZ 2009, S. 605. 154 Zwar weist Kubiciel selbst auf die paternalistische Schutzrichtung des so verstandenen § 216 StGB hin; ders., Die Wissenschaft vom Besonderen Teil des Strafrechts, S. 197 ff. Aber indem er den Autonomiebegriff verengt und Paternalismus dort gerechtfertigt wissen will, wo eine selbstbestimmte Entscheidung nicht möglich sei, behauptet er, keinen direkten, hart-paternalistischen Weg einzuschlagen, obwohl das Absprechen der Fähigkeit, eine wirklich autonome Entscheidung treffen zu können, diesen gerade ausmacht. 155 Vgl. die oben gegen den harten Paternalismus vorgebrachte Argumentation.

I. § 216 Abs. 1 StGB

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sich daraus nicht ableiten. Folglich lässt sich kriminelles Unrecht damit nicht begründen. Jakobs ist zuzugeben, dass die Fähigkeit, den Selbsterhaltungstrieb zu überwinden und sich zu suizidieren, die Ausgereiftheit des Sterbewunsches deutlicher zu belegen vermag, während die Delegierung des Tötungsakts eher als Ausdruck einer vorhandenen Hemmung begriffen werden kann. Allerdings setzt § 216 StGB mit dem Tatbestandsmerkmal der „Ernstlichkeit“ zumindest die willensmängelfreie Delegierung voraus. Weiterhin ist die „Verwaltbarkeit der Gesellschaft“ kein Recht, dessen Verletzung § 216 StGB strafen könnte. Es bleibt im Dunkeln, auf welche unrechtskonstitutive Rechtsverletzung sich die Kriminalisierung stützten sollte. Bereits der Inhalt dieses Begriffs der „Verwaltbarkeit“ ist nicht eindeutig. Gemeint ist wohl nicht die Verwaltung im organisatorischen oder formellen Sinne, sondern die Möglichkeit, mittels Formvorschriften gefährliche Verhaltensweisen zu untersagen und diese dadurch zu „verwalten“, was grundsätzlich materieller Verwaltungstätigkeit entspricht. Indem Jakobs diesen Terminus aber im Kontext des Strafrechts gebraucht und die Verwaltung dem Strafrecht zuordnet, vermischt er die Rechtsgebiete. Bei genauerem Hinsehen erweist sich das Konstrukt von Jakobs daher als bloße Behauptung unter dem Deckmantel des Rechtsgutsbegriffs.156 Um ein Recht geht es hier nicht. Gegen die Ansicht Göbels spricht, dass nach dem hier vertretenen Unrechtskonzept eine Rechtsverletzung vorauszusetzen ist, was mit dem Rekurs allein auf tradierte Wertvorstellungen nicht erfüllt ist. Möglicherweise könnte der Rekurs auf die öffentliche Sicherheit hier Abhilfe schaffen, da jedenfalls der öffentliche Frieden als deren Bestandteil angesehen wird.157 Denkbar ist auch der Rekurs auf die öffentliche Ordnung.158 Nach der strafrechtlichen Definition bezeichnet der öffentliche Frieden „sowohl einen objektiv feststellbaren Lebenszustand allgemeiner Rechtssicherheit und des frei von Furcht voreinander verlaufenden Zusammenlebens der Staatsbürger als auch das Vertrauen der Bevölkerung, in Ruhe und Frieden leben zu können“.159 Geschützt werden soll damit neben der öffentlichen Sicherheit auch das soziale Phänomen eines psychischen Klimas ohne allgemeine Unruhe, Unsicherheit, Angst und Schrecken in der Bevölkerung.160 Dies beschreibt indessen

156 In der Tat bemerkt Jakobs selbst, dass der Erfolg der Rechtsgutslehre gerade auf deren „chamäleonhaften Wandelbarkeit“ beruhe; ders., Tötung auf Verlangen, S. 16. 157 Kritisch Renzikowski, GA 2007, S. 571 (578) m.w. N. 158 Vgl. BVerfG, NStZ 1987, S. 449. Da es hier um eine Legitimationskontrolle geht, kann dagegen nicht das systematische Argument angeführt werden, dass Straftaten gegen die öffentliche Ordnung im 7. Abschnitt des StGB normiert sind. 159 Krauß, in: LK, § 130, Rn. 3 m.w. N. 160 Krauß, in: LK, § 130, Rn. 3 m.w. N.

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D. Rechtsfolgen des Verlangens

kein Recht, sondern der soziale Frieden bezieht sich auf ein Recht.161 Gemeint ist damit die „Gesichertheit der Rechtsnormen“.162 Auch die öffentliche Ordnung bietet als Angriffsobjekt wenig Aufschluss über das dahinterstehende Recht.163 Die öffentliche Ordnung ist zwar in § 118 OWiG vorausgesetzt. Gemeint ist damit die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerlässliche Voraussetzung eines geordneten menschlichen Zusammenlebens innerhalb eines bestimmten Gebiets angesehen wird.164 Auf dem Prüfstein des hier vertretenen Unrechtskonzepts stellt deshalb auch die öffentliche Ordnung bereits kein Recht dar.165 Der öffentliche Frieden oder die öffentliche Ordnung können auch nicht unter den objektiven Gewährleistungsgehalt der Menschenwürde subsumiert werden.166 Das erklärte zwar die Indisponibilität.167 Da unter diese Begriffe aber Wertvorstellungen jeglicher Art fallen, stellte dies einen Missbrauch der Menschenwürde als Synonym für die Moral- und Tabuvorstellungen der Mehrheit dar.168 Als Ergebnis ist somit festzuhalten, dass der soziale Frieden als Ausdruck des öffentlichen Friedens oder der öffentlichen Ordnung nicht mit einem Recht unterlegt werden kann.169 Oder, wie Ostendorf (in Anlehnung an Binding170) sehr treffend die „Rumpelkammer“ des Begriffs der öffentlichen Ordnung kritisiert: „Rumpelkammern im Strafrecht sind nicht nur Abstellkammern von sonst nicht unterzubringenden Normen, sie können in der Strafrechtspraxis auch zu Gefängnissen werden.“ 171 Nach alledem kann die Strafdrohung des § 216 StGB auch nicht mit den angebotenen Theorien vom sonstigen Unrechtsgehalt legitimiert werden.

161

Vgl. Fischer, NStZ 1988, S. 159 (163); Krauß, in: LK, § 130, Rn. 4 m.w. N. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 92 ff. m.w. N. 163 Treffend dazu Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 90–107. 164 BVerfG, Beschl. v. 14. Mai 1985 – 1 BvR 233/81, 1 BvR 341/81= NJW 1985, S. 2395 (3938) m.w. N. 165 Kritisch auch Fischer, NStZ 1988, S. 163; Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 90 m.w. N. 166 Hörnle nennt das Recht auf Achtung der Menschenwürde als denkbare Alternative zum Rechtsgut „öffentlicher Frieden“; vgl. dies., Grob anstößiges Verhalten, S. 116 ff. 167 Vgl. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 118 m.w. N. 168 Vgl. Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 119. 169 Das daraus resultierende Problem der Legitimation der Normen des 7. Abschnitts des StGB kann in der vorliegenden Arbeit nicht behandelt werden. Es sei in diesem Zusammenhang auf die Abhandlung von Hörnle verwiesen. Anzumerken ist aber, dass die meisten Normen auf bestimmte Individual- oder Universalrechte zurückgeführt werden können. 170 Binding, Die Normen und ihre Übertretung, 1. Bd., S. 351. 171 Ostendorf, in: NK, Vorbem. §§ 123 ff., Rn. 1. 162

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c) Kein Unrechtsgehalt aa) Forderungen de lege ferenda Einwilligungsdogmatisch konsequent fordern einige die Streichung von § 216 StGB mangels Unrechtsgehalts der Norm172 oder halten eine solche jedenfalls für mit dem Grundgesetz vereinbar.173 Duttge plädiert dafür, de lege ferenda in § 216 Abs. 3 StGB einen minder schweren Fall der Tötung auf Verlangen zu regeln.174 In außergewöhnlichen und einzigartigen Fällen soll eine bloße Verwarnung mit Strafvorbehalt (§ 59 StGB) erfolgen, wenn dies aufgrund einer Gesamtwürdigung der Tat und der Persönlichkeit des Täters und unter maßgeblicher Berücksichtigung des Interesses an einer Verteidigung der Rechtsordnung geboten erscheine.175 Diese weitere Unrechtsminderung stützt sich folglich nicht auf das Tötungsverlangen, sondern auf besondere Tatumstände. bb) Im Einzelfall kein Unrechtsgehalt Es gibt zudem einige Stimmen, die von dem Standpunkt aus, dass das Verlangen keine rechtfertigende Wirkung habe, in Ausnahmefällen die Tötung auf Verlangen als erlaubt ansehen, wobei die dogmatischen Begründungen stark divergieren. In seltenen Ausnahmefällen will Kutzer die gezielte direkte Fremdtötung auf Verlangen für erlaubt ansehen, „wenn die Möglichkeiten der Schmerztherapie und der ärztlichen Kunst einmal nicht ausreichen sollten, einen entwürdigenden Todeskampf zu verhindern“.176 Murmann hält in den Fällen, in denen das Verbot der Tötung auf Verlangen der Begründung einer Pflicht zum Leben nahekommt – namentlich der physischen Unmöglichkeit einer Selbsttötung – eine teleologische Reduktion von § 216 StGB für naheliegend.177 Der Weg einer Rechtfertigung durch das Verlangen sei nicht gangbar, da § 216 StGB auch Rechte Dritter schütze, in deren Verletzung nicht eingewilligt werden könne.178

172 Schmitt, FS-Maurach, S. 113 (117 f.); v. Hirsch/Neumann, GA 2007, S. 671 (674 ff.); Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 14 ff. (19, 23); ders., FS-Arthur Kaufmann, S. 459 (468). 173 Antoine, Aktive Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung, S. 377 f.; Dreier, JZ 2007, S. 317 (320); Schultze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 2 Abs. 2, Rn. 85. 174 Duttge, JZ 2006, S. 899 (902). 175 Duttge, JZ 2006, S. 899 (902); vgl. auch Rössner/Wenkel, in: HK, § 216, Rn. 16. 176 Kutzer, ZRP 2003, S. 209 (211); ders., MedR 2001, S. 77 (78). 177 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 530. 178 Murmann, Die Selbstverantwortung des Opfers im Strafrecht, S. 529 f.

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cc) Würdigung Den Verfechtern einer Streichung von § 216 StGB ist zugute zu halten, dass sie das grundgesetzlich garantierte Selbstbestimmungsrecht des Menschen in seiner Bedeutung für die Menschenwürde anerkennen. Möglicherweise schießen sie aber über das Ziel hinaus. Es steht nach der hier vertretenen Auffassung wohl nicht zu befürchten, dass bei einer strafrechtlichen Freigabe der konsentierten Fremdtötung Menschen scharenweise dazu übergehen, sich töten zu lassen und ein geordnetes Zusammenleben unmöglich wird. Die Schwarzmaler einer schiefen Ebene und eines Tabubruchs verkennen, dass grundlegende soziale Regeln auch ohne formelle Strafgesetze funktionieren, weil sie ihren Ursprung nicht in künstlich geschaffenen Normen haben, sondern in tief verwurzelten kulturellen und biologischen Dispositionen des Menschen. Zur konsentierten Fremdtötung gehören überdies immer zwei: Nicht nur ein Mensch, der den Sterbewunsch hat, sondern auch ein anderer, der ihn auszuführen bereit ist. Das heißt, es gilt nicht nur die Hemmschwelle der eigenen Lebensaufgabe zu überwinden, sondern auch jene der Tötung eines anderen Menschen. Daran wird sich nichts ändern, ganz gleich ob § 216 StGB im Strafgesetzbuch verbleibt oder nicht. Aber so begrüßenswert die Forderung nach der Streichung von § 216 StGB unter dem Gesichtspunkt der verdienten Beachtung des Selbstbestimmungsrechts ist, vernachlässigt sie möglicherweise doch die Bedeutung staatlicher Schutzpflichten. Wie im Rahmen des hier vorgestellten Unrechtskonzepts entwickelt, lösen diese die Pflicht des Strafgesetzgebers aus, ein rechtsverletzendes Verhalten der Bürger untereinander zu inkriminieren. Verzichtet der Bürger auf Rechtsschutz, muss die Entscheidung autonom sein. Im Rahmen von § 216 StGB kommen daher Schutzpflichten hinsichtlich der Sicherung der Defektfreiheit der Entscheidung zur Fremdtötung in Betracht. Ob solche Schutzpflichten aus dem Grundgesetz abgeleitet werden können und auf welche Rechtsverletzung sie sich als Bezugspunkt beziehen können, wird im Folgenden unter D.I.3. geklärt werden. Der Vorschlag Duttges, dass in außergewöhnlichen und einzigartigen Fällen eine bloße Verwarnung mit Strafvorbehalt erfolgen solle, wenn dies aufgrund einer Gesamtwürdigung der Tat und der Persönlichkeit des Täters und unter maßgeblicher Berücksichtigung des Interesses an einer Verteidigung der Rechtsordnung geboten erscheine,179 ist begrüßenswert. Er trägt aber nach der hier vertretenen Auffassung dem Selbstbestimmungsrecht des Betroffen nicht ausreichend Rechnung, weil nicht daran, sondern an übrige Tatumstände angeknüpft wird. Denn die weitere Unrechtsminderung stützt sich nicht auf das Tötungsverlangen, sondern besondere Tatumstände. 179

Duttge, JZ 2006, S. 899 (902); vgl. auch Rössner/Wenkel, in: HK, § 216, Rn. 16.

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2. Wirkung des Tötungsverlangens Der Meinungsstand bezüglich der Wirkung des Tötungsverlangens lässt sich grob unterteilen in solche Ansätze, die ihm eine Unrechtsminderung zuschreiben, und solche, die ungeachtet der Strafbewehrung eine rechtfertigende Wirkung annehmen. Zudem stellt sich die Frage einer (zusätzlichen) Schuldminderung. a) Unrechtsminderung durch das Tötungsverlangen Nach allgemeiner Meinung hat das Tötungsverlangen i. S. v. § 216 Abs. 1 StGB unrechtsmindernde Wirkung. Über die Begründung herrscht indessen keine Einigkeit. aa) Systematik Ob es sich bei dem Tatbestand um eine Privilegierung zu den §§ 211, 212 StGB oder einen eigenständigen Tatbestand handelt, ist umstritten.180 Seinen Ursprung hat der Streit um die Deliktsnatur von § 216 StGB in § 213 StGB a. F., der nur auf den Totschlag anwendbar war.181 Die Einwilligung sollte aber als mildernder Umstand trotzdem Beachtung finden, wobei sie ohne „Überlegung“ nicht denkbar war – es war also bei der konsentierten Fremdtötung immer zugleich der Mordtatbestand erfüllt, der Weg über § 213 StGB damit versperrt.182 Hier sollte § 216 StGB greifen und sowohl dem Mord als auch dem Totschlag vorgehen. Manche schlossen daraus, dass § 216 StGB eine eigenständige, da engere Spezialnorm sei, andere sahen ihn als einen privilegierten Totschlag an, der die Anwendbarkeit des Mordtatbestands sperre.183 Die Diskussion über das Verhältnis von § 211 StGB zu § 212 StGB setzt sich hier nun nahezu entsprechend fort. In der Literatur184 wird § 216 StGB vorwiegend als unselbstständige Abwandlung zu § 212 StGB begriffen und seitens der Rechtsprechung185 als eigenständiger Tatbestand sowohl zu § 212 StGB als auch 180 Dazu und zu den Folgen für die Anwendbarkeit von § 28 Abs. 2 StGB Neumann, in: NK, § 211, Rn. 164; zur Geschichte des Streits insbesondere im Hinblick auf § 213 a. F. und das damalige Mordmerkmal der „Überlegung“ sowie dem Konkurrenzproblem bezüglich § 211 StGB vgl. BGH, NJW 1952, S. 753 (753). 181 Schwartz, Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, § 216, 1; vgl. außerdem bereits Apt, Die grundlegenden Entscheidungen des Reichsgerichts und des Reichsmilitärgerichts, S. 58 ff. 182 BGH, Urt. v. 7. Februar 1952 – 3 StR 1095/51 = NJW 1952, S. 753 (753); Schwartz, Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 1914, § 216, 1. 183 Schwarz, Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, § 216, 1; für ein eigenständiges Delikt etwa Ebermayer/Lobe/Rosenberg, in: Reichs-Strafgesetzbuch, § 216, 1. 184 Jähnke, in: LK, § 216, Rn. 2; Küpper, BT 1, § 1, Rn. 59; Rössner/Wenkel, in: HK, § 216, Rn. 2; Schneider, in: MüKo, § 216, Rn. 1. 185 RGSt 53, 293 (294); BGHSt 13, 162 (165).

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zu § 211 StGB aufgefasst.186 Die Auswirkung des Verlangens wird somit systematisch – je nach Standpunkt hinsichtlich der Deliktsform als Privilegierung oder Tatbestand sui generis – mit einer Unrechtsminderung bzw. einer von vorneherein gegenüber dem Tötungsunrecht vermindertes Unrecht begründenden Wirkung erklärt.187 Einigkeit besteht jedoch insofern, dass § 216 StGB gegenüber den §§ 211, 212 StGB eine Sperrwirkung entfaltet, die teils mit dem Vorrang der Privilegierung vor der Qualifikation, teils mit dem Argument eines verdrängenden Sonderdeliktscharakters von § 216 StGB begründet wird.188 bb) Materielle Begründung Der Grund für die im Vergleich zu § 212 StGB geringere Bestrafung der verlangten Fremdtötung wird, wie bereits erörtert, überwiegend darin gesehen, dass das einwilligungsähnliche Tötungsverlangen unrechtsmindernde Wirkung habe.189 Wie sich die unrechtsmindernde Wirkung angesichts der vielerorts angenommenen Indisponibilität des Lebensrechts materiell erklären soll, wird jedoch – soweit ersichtlich – nicht explizit problematisiert. Nach der Auffassung von Kindhäuser hebt § 216 StGB gar nicht die Dispositionsfreiheit einer Person über ihr Leben auf, sondern lässt lediglich die bloße Erklärung, ein anderer möge das eigene Leben beenden, nicht für den Unrechtsausschluss ausreichen.190 cc) Auswirkung auf die Unrechtselemente Eine Unrechtsminderung tritt, wie unter B.II. ausgeführt, grundsätzlich dann ein, wenn Handlungs- und/oder Erfolgsunwert nicht vollständig, aber zum Teil kompensiert werden. Wird der Erfolgsunwert vollständig kompensiert, bleibt ggf. das Unrecht einer versuchten Tat zurück. Ist dagegen der unrechtskonstitutive Handlungsunwert komplett aufgehoben, entfällt damit das personale Unrecht insgesamt. Safferling zufolge wird bei der Tötung auf Verlangen das in der Tötungshandlung verwirklichte Unrecht dadurch gemindert, dass im konkreten Fall der Tötungserfolg hingenommen werden müsse, weil der Rechtsgutsträger in die 186 Vgl. zum Ganzen Eser, in: Schönke/Schröder, § 216, Rn. 1, 2; Steinhilber, JA 2010, S. 430. 187 Statt aller BGH, Urt. v. 14. September 2011 – 2 StR 145/11 (LG Wiesbaden) = NStZ 2012, S. 85 (58 f.); Eschelbach, in: BeckOK, § 216, Rn. 1; Knauer/Brose, in: Spickhoff, StGB, § 216, Rn. 32; Schneider, in: MüKo, § 216, Rn. 1; jeweils m.w. N. 188 Kudlich, JuS 2005, S. 958 (959) – Anmerkung zu BGH, NJW 2005, S. 1876 – Kannibale. 189 Vgl. Jähnke, in: LK, § 216, Rn. 2; Schneider, in: MüKo, § 216, Rn. 1. 190 Kindhäuser, BT 1, § 3, Rn. 9.

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Verletzung eingewilligt habe.191 Er scheint somit von einer vollständigen Kompensation des Erfolgsunwerts auszugehen. b) Unrechtsausschluss durch das Tötungsverlangen Es gibt wenige, die dem Tötungsverlangen in § 216 Abs. 1 StGB rechtfertigende Kraft beimessen. Darunter sehen manche diese Möglichkeit bereits im Rahmen des geltenden Rechts, andere halten eine Gesetzesänderung für erforderlich. aa) De lege lata Auf die oft diskutierten „externen“ Rechtfertigungsmöglichkeiten einer verlangten Fremdtötung in extremen Ausnahmesituationen (wie dem Fall eines verbrennenden LKW-Fahrers)192 soll nachstehend nicht eingegangen, sondern vielmehr beleuchtet werden, inwieweit die Rechtfertigung der Grundfälle einer Tötung auf Verlangen – „Lebensmüdigkeit“ und direkte Sterbehilfe – im Rahmen des geltenden Rechts sozusagen aus der Norm selbst heraus für möglich erachtet wird. Nach Ansicht von Jakobs kann das Tötungsverlangen de lege lata rechtfertigende Kraft entfalten, wenn es plausibel ist.193 Demnach sei eine restriktive Tatbestandsauslegung von § 216 StGB geboten, wenn der Zweck der Vorschrift, die Gefahr eines nicht vollzugsreifen Verlangens hintanzuhalten, nicht betroffen sei, denn ein Verhalten, das als Sterbehilfe der Rechtfertigung zugänglich sei, könne nicht aufgrund eines vorschnellen Tötungsverlangens nach § 216 StGB bestraft werden.194 Auch Kubiciel sieht die Möglichkeit, dem „Verlangen“ bereits de lege lata eine rechtfertigende Wirkung beizumessen. Er sieht eine Rechtfertigungsmöglichkeit über das Verlangen im Bereich der direkten Sterbehilfe, wenn die Mittel der Palliativmedizin ausgeschöpft seien und keine Möglichkeit mehr bestehe, dem Betroffenen zur Schmerzfreiheit zu verhelfen.195 In diesem Fall sei dem Tötungsverlangen rechtmäßig zu entsprechen, weil an der Wohlerwogenheit des Verlangens kein vernünftiger Zweifel mehr möglich sei und die direkte Sterbehilfe das letzte (qua teleologischer Reduktion von § 216 StGB de lege lata rechtmäßige) Mittel der Wahl darstelle.196 191

Safferling, in: Matt/Renzikowski, StGB, § 216, Rn. 2 m.w. N. Otto, in: Verhandlungen des 56. Deutschen Juristentages, Bd. I, Gutachten D, S. 60 m.w. N. 193 Jakobs, FS-Arthur Kaufmann, S. 459. 194 Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 25 f. 195 Kubiciel, JZ 2009, S. 600 (608). 196 Kubiciel, JZ 2009, S. 600 (607 f.). 192

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bb) De lege ferenda: Alternativentwürfe und Reformvorschläge Mitsch ist der Auffassung, dass § 216 StGB zum Teil der Legitimation entbehre, da zumindest das Vorliegen der Kombination einer „einfachen“ Einwilligung mit einem gewichtigen Interesse (einem bestimmten vernünftigen Grund im Sinne von hochrangigen Motiven) zur Rechtfertigung führen müsse.197 Die Vorschrift müsse de lege ferenda zum einen zwischen einer nach § 212 StGB strafbaren lediglich eingewilligten Fremdtötung und zum anderen einer unrechtsmindernden und daher privilegiert strafbaren, aus vernünftigen Gründen konsentierten und somit verlangten Fremdtötung differenzieren.198 Drittens müsse davon die straffreie, weil aus dem bestimmten vernünftigen Grund eines hochrangigen Motivs eingewilligte und damit ebenfalls verlangte Fremdtötung unterschieden werden.199 Mitsch sieht die legitime Funktion des § 216 StGB darin, dass die Norm klarstelle, dass eine isolierte einfache Einwilligung ohne zusätzliche gewichtige Interessen eine Tötung nicht rechtfertigen könne.200 Der Alternativentwurf Sterbehilfe von 1986 sah in § 216 Abs. 2 StGB-E die Möglichkeit eines fakultativen Absehens von Strafe vor, hielt jedoch daran fest, dass das Verlangen keine rechtfertigende Kraft besitze. In anderen Tatbeständen aber wurde dem Verlangen bzw. Einverständnis in eine Fremdtötung unter bestimmten Umständen – im Rahmen der Sterbehilfe – rechtfertigende Kraft beigemessen. Die Zustimmung sollte dann auch § 216 StGB rechtfertigen können. So regelte § 214 Abs. 1 Nr. 1 StGB-E die Rechtfertigung des Abbruchs und der Unterlassung lebenserhaltender Maßnahmen. Voraussetzung sei das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Betroffenen. Die Verursachung des Todes durch den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen stellt einen tatbestandsmäßigen Totschlag durch aktives Tun gemäß § 212 StGB dar. Ist der Täter durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Betroffenen zur Tat bestimmt worden, ist § 216 StGB erfüllt. Bei der Unterlassung einer lebensrettenden Maßnahme kommt ein tatbestandsmäßiger Totschlag durch Unterlassen gemäß §§ 212, 13 StGB bzw. eine Tötung auf Verlangen durch Unterlassen gemäß §§ 216, 13 StGB201 in Betracht, wenn eine Garantenstellung vorliegt. Folglich sprach § 214 Abs. 1 Nr. 1 StGB-E dem Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ rechtfertigende Wirkung zu, wenn die Tötung durch Abbruch oder Unterlassen einer lebenserhaltenden Maßnahme verursacht wird. 197

Mitsch, FS-Weber, S. 61. Mitsch, FS-Weber, S. 61. 199 Mitsch, FS-Weber, S. 61. 200 Mitsch, FS-Weber, S. 61. 201 Die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen durch Unterlassen ist umstritten. Dazu näher sub F.I.1. 198

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Der Alternativentwurf Sterbebegleitung aus dem Jahr 2005 konzipiert die Fälle zulässiger Behandlungsmaßnahmen einheitlich als Rechtfertigungsgründe.202 Das ernste und ausdrückliche Verlangen des Betroffenen in die Beendung, Begrenzung oder Unterlassung lebenserhaltender Maßnahmen hat gemäß § 214 Abs. 1 Nr. 1 StGB-E rechtfertigende Wirkung.203 Hoerster schlägt in seinem oben bereits besprochenen Entwurf von 1988 vor, dass die Tötung mit Einwilligung de lege ferenda gerechtfertigt sein solle, wenn der Getötete an einer unheilbaren Krankheit leide, die das Leben für ihn wertlos mache.204 c) (Ausschließliche) Schuldminderung durch das Tötungsverlangen respektive die Bestimmung durch dieses? Wessels nahm eine ausschließlich schuldmindernde Wirkung des Verlangens bzw. der Bestimmung durch dieses an. Er sah den Rechtsgrund der Privilegierung des § 216 StGB in der schuldmindernden Konfliktlage, die das selbstmordähnliche Tötungsverlangen beim Erklärungsempfänger auslöse.205 Heute führen viele die Strafmilderung der Tötung auf Verlangen kumulativ auf die bereits erörterte Unrechtsminderung und eine schuldmindernde Konfliktlage des durch Mitleid und den Wunsch, Hilfe zu leisten, motivierten Täters zurück.206 Hettinger begründet dies damit, dass das Privileg des § 216 Abs. 1 StGB nur dann greife, wenn der Täter das Verlangen gekannt habe und dadurch zur Tötung bestimmt worden sei.207 Diese Voraussetzung ergibt sich, wie bereits oben unter C.I.7. dargelegt wurde, aus dem Tatbestandsmerkmal „bestimmt worden“. Hettinger verortet die schuldmindernde Konfliktlage des Täters somit maßgeblich in dem Umstand, dass dieser zur Tötung bestimmt wurde. Dagegen führt Schneider ins Feld, dass auch dem indifferenten Täter § 216 StGB zu Gute kommt, sofern er durch das Verlangen zur Tat bestimmt wurde.208 d) Würdigung Der Streit über die systematische Einordnung der Unrechtsminderung hat wenig praktische Relevanz. Soweit allerdings § 216 StGB als unselbstständige Privilegierung angesehen wird, lässt sich für die vorliegene Arbeit daraus folgern, 202

Schöch/Verrel u. a., GA 2005, S. 553 (559). Schöch/Verrel u. a., GA 2005, S. 553 (584). 204 Hoerster, NJW 1986, S. 1786 (1792); ders., ZRP 1988, S. 1 (4). 205 Wessels, BT 1, 4. Aufl. 1979, S. 16. 206 Eser/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 216, Rn. 1 m.w. N.; Mitsch, JuS 1996, S. 309 (310); Rössner/Wenkel, in: HK, § 216, Rn. 1. 207 Wessels/Hettinger, BT/1, Rn. 158. 208 Schneider, in: MüKo, § 216, Rn. 1. 203

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dass der Norm nach dieser Sichtweise zwingend Tötungsunrecht zugrunde liegen muss, da § 216 StGB dann auf dem Grundtatbestand von § 212 StGB aufbaut. Nach der Rechtsprechung, die § 216 Abs. 1 StGB als Tatbestand sui generis ansieht, könnte der Norm grundsätzlich auch eine ganz andere (weniger schwere) Art von Unrecht zugrunde liegen. Interessant ist im Rahmen einer systematischen Betrachtung der Unrechtsminderung darüber hinaus der Blick auf die Anstiftung. Während die Bestimmung des Täters zur Verletzung fremder und damit sicher indisponibler Rechte im Rahmen von § 26 StGB zur Begründung von Unrecht als Teilnehmer führt, soll die Bestimmung zur Verletzung des nach herrschender Meinung doch ebenso indisponiblen Lebensrechts im Rahmen von § 216 StGB zur Unrechtsminderung führen? Noch deutlicher wird dieser Widerspruch am Beispiel derselben Tathandlung: Die Bestimmung eines anderen zur Begehung eines Totschlags führt zur tätergleichen Bestrafung des Anstifters nach §§ 212 Abs. 1, 26 StGB. Die Bestimmung eines anderen, die eigene Person zu töten, führt indessen zu dem gegenüber § 212 Abs. 1 StGB verminderten Unrecht, der Strafbarkeit gemäß der Privilegierung des § 216 Abs. 1 StGB. In beiden Fällen geht es bei der Bestimmung doch aber um die Schaffung der rechtlich missbilligten unmittelbaren Gefahr, dass der andere vorsätzlich und rechtswidrig den Tatbestand der Tötung eines anderen Menschen verwirkliche!209 Nach der herrschenden Auffassung kann der Unterschied deshalb einzig darin liegen, dass bei der Tötung auf Verlangen immerhin der „Anstifter“ Träger des Rechts ist, zu dessen Verletzung er den anderen bestimmt, denn der Wille des Verlangenden soll wegen der absoluten Einwilligungssperre ja unbeachtlich sein. Dem schließt sich allerdings die Frage an, wieso der Umstand, dass der „Anstifter“ Inhaber des Rechts ist, den Unrechtsgehalt soll mindern können, wenn das Recht doch auch für seinen Träger unverfügbar sei? Die Lehre von der Indisponibilität des Lebensrechts vermag hierauf keine Antwort zu geben. Der Vergleich von § 26 StGB und § 216 Abs. 1 StGB zeigt demgegenüber, dass sie nur im Willen des Verletzten gefunden werden kann. Denn der Grund dafür, dass im einen Fall Unrecht begründet, im anderen Fall Unrecht gemindert wird, liegt darin, dass bei der Bestimmung zur Verletzung fremder Rechte gegen den Willen des Rechtsträgers gehandelt wird, bei der Bestimmung zur Verletzung eines eigenen Rechts aber gerade aufgrund und mit dem Willen des Rechtsträgers. Ob die Bestimmung zur Tat Unrecht begründet oder Unrecht mindert (bzw. ausschließt), hängt somit allein vom Willen des Verletzten ab. Damit ist nichts anderes als der Unterschied zwischen einem Eingriff in ein unverfügbares fremdes Recht und ein verfügbares eigenes Recht benannt. Wo § 26 StGB zur Unrechtsbegründung führt, müsste § 216 StGB daher eigent209

Vgl. Scheinfeld, GA 2007, S. 695 (707).

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lich zum Unrechtsausschluss und nicht lediglich zur Unrechtsminderung gelangen. Warum die Vertreter der Indisponibilität des Lebensrechts gleichwohl annehmen, dass das Verlangen Unrecht mindern kann, lässt sich anhand der Viktimodogmatik erklären.210 Wie bereits angesprochen, hat Hillenkamp in seiner Untersuchung zum Einfluss des Opferverhaltens auf die Vorsatztat auch die Einwilligung als einen Grenzwert benannt, auf dem eine veränderte Unrechtsbewertung beruhen kann.211 Wie weiterhin erwähnt, kommt bei der Einwilligung als eine das Opferverhalten auf der Unrechtsebene regelnde Institution die Unrechtsminderung in Betracht, wenn deren Voraussetzungen nicht komplett erfüllt sind.212 Die Unrechtsminderung fußt insoweit auf der Annäherung an den unrechtsaufhebenden Grenzwert.213 Ein Verhalten, das „unterhalb“ des Grenzwerts Einwilligung liegt, mindert das Unrecht umso stärker, je mehr Voraussetzungen der Einwilligung es erfüllt.214 Für eine Annäherung an den Grenzwert „Einwilligung“ als nicht vollständig erfüllte unrechtsregelnde Institution spricht, dass das Verlangen nach überwiegender Meinung mangels Dispositionsbefugnis die Voraussetzungen der Einwilligung nicht komplett erfüllt. Dagegen spricht, dass das Tötungsverlangen eigentlich keine inkomplette Einwilligung darstellt, sondern die Einwilligung nach allen Auffassungen unstreitig im Tötungsverlangen mindestens enthalten sein muss. Allerdings fehlt nach allgemeiner Meinung die Dispositionsbefugnis. Stützt man dies auf die fehlende Rechtsinhaberschaft über das eigene Leben des seine Tötung Verlangenden, gelangt man zu dem Problem, dass dann nicht von einer Annäherung an den Grenzwert „Einwilligung“ gesprochen werden kann. Das Tötungsverlangen läge dem Grenzwert so fern, als wäre es nie geäußert worden, denn die Einwilligung über ein fremdes Recht ist überhaupt nicht beachtlich. Nimmt man aber an, dass das Leben als subjektives Recht dem Individuum als Träger grundsätzlich zusteht und sieht die Verfügungsbeschränkung als objektive Einwilligungsschranke, könnte man die Annahme einer „inkompletten“ Einwilligung darauf stützen, dass sich immerhin der Rechtsinhaber selbst (wenngleich unwirksam) einverstanden zeigte. Diese letztere Annahme krankt jedoch weiterhin an einem logischen Problem. Wenn die Ablehnung der Unrechtsaufhebung durch den Willen des Opfers mit der Indisponibilität des eigentlich subjektiven Lebensrechts aufgrund einer objektiven Einwilligungsschranke begründet wird, so bleibt die Frage offen, wieso der

210 211 212 213 214

Vgl. hierzu Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 60 ff. Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 239. Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 239. Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 237. Vgl. Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 237, 239.

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Wille dann ausgerechnet im Überschreiten dieser Schranke im Sinne einer Unrechtsminderung Beachtung finden kann.215 Behauptet die herrschende Meinung nun, das Lebensrecht sei zwar subjektiv und grundsätzlich (etwa in Bezug auf eine Selbsttötung) verfügbar, aber hinsichtlich der vorsätzlichen Fremdtötung absolut indisponibel, müsste eine gleichwohl erfolgte Disposition in diesem Bereich eigentlich in jeglicher Hinsicht unbeachtlich sein, das heißt sie dürfte auch nicht zu einer Unrechtsminderung führen. Denn dadurch wird dem Willen in einem eigentlich absolut unzugänglichen Bereich doch noch rechtliche Beachtlichkeit eingeräumt. Dieser Widerspruch ist bisher nicht thematisiert worden. Möglicherweise lässt sich die unrechtsmindernde Wirkung des Tatbestandsmerkmals „Verlangen“ als „antizipierte Strafzumessung“ 216 begreifen, also der Aufwertung durch das Opferverhalten geprägter Strafzumessungskriterien.217 Mit der Privilegierung würde dann von vorneherein berücksichtigt, dass das Opfer die Tat verlangt hat. Die Aufforderung zur Tat könnte als Mitverschulden des Opfers zu werten sein. Dass die Grundlage der Strafzumessung gemäß § 46 Abs. 1 StGB die Schuld des Täters ist, spricht zunächst dagegen, damit die Unrechtsminderung von § 216 StGB zu erklären. Die Strafzumessungsschuld betrifft aber nicht die Vorwerfbarkeit der Tat im Sinne der Schuld des dreistufigen Verbrechensaufbaus, sondern die Störung der Rechtsordnung.218 Diese bemisst sich nach dem Handlungs- und Erfolgsunwert der Tat.219 Danach richtet sich dann die persönliche Schuld i. S. v. § 46 Abs. 1 StGB.220 Hier gerät man allerdings in einen Zirkelschluss, weil es die Auswirkung des Verlangens auf den Handlungs- oder Erfolgsunwert ja zuerst zu beweisen gilt. Diese Auswirkung kann wiederum nur in der angesprochenen Annäherung an die Einwilligung gesehen werden. Die daraus resultierenden Widersprüche lassen sich nach den Prämissen der allgemeinen Meinung kaum auflösen. Eine annähernde Erklärung könnte darin liegen, den Verlangenden entsprechend der zivilrechtlichen Figur des „Nicht-so-Berechtigten“ als eigentlich, aber nicht so dispo215 Kritisch auch Grünewald, Das vorsätzliche Tötungsdelikt, S. 288 ff. In sich logisch ist hingegen die Ansicht, die das Lebensrecht für disponibel hält und die Unrechtsminderung darauf stützt, während der verbleibende Unrechtsanteil aus der Verletzung eines kumulativ geschützten Allgemeinrechtsguts herrühre. Dies gilt ebenso für die strukturell ähnlichen Auffassungen von Ingelfinger und Gierhake, welche die Unrechtsminderung damit begründen, dass über den individuellen Schutzzweck des Lebens verfügt werden dürfe (nur der objektive Schutzzweck sei indisponibel). 216 Schröder, FS-Mezger, S. 426. 217 Vgl. Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, S. 239. 218 Miebach, in: MüKo, § 46, Rn. 23. 219 Miebach, in: MüKo, § 46, Rn. 23. 220 Miebach, in: MüKo, § 46, Rn. 23.

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sitionsbefugt zu begreifen, der im Ergebnis aber als berechtigt gilt. Befriedigend ist ein solcher Erklärungsversuch nicht. Vorliegend wird von der vollständigen Verfügbarkeit des subjektiven Lebensrechts ausgegangen.221 Die objektive Einwilligungsschranke des § 216 StGB erweist sich daher als harter Paternalismus. Auf dem Boden der allgemeinen Meinung kann der verminderte Handlungs- und Erfolgsunwert deshalb stringent nur aus der positiven Existenz von § 216 StGB als staatliche Großzügigkeit erklärt werden. Auch aus diesem Grunde wird die absolute Versagung jeglicher Rechtfertigungsmöglichkeit durch § 216 StGB vorliegend als illegitim erachtet. Dieser Gedanke wird unter F.I. weiter ausgeführt. Hinsichtlich der Auswirkungen des Tötungsverlangens auf die Unrechtselemente wäre es – käme man über die oben aufgezeigten Widersprüche hinweg – im Übrigen aus Sicht der herrschenden Meinung richtig, eine Verminderung sowohl des Handlungs- als auch des Erfolgsunwerts anzunehmen. Wie gesehen, bezieht sich die Einwilligung sowohl auf die Handlung als auch den Erfolg der Tat. Vermag diese ihre Wirksamkeit wegen der Indisponibilität des Rechts nicht voll zu entfalten, so begründet sie sowohl einen verminderten Handlungs- wie auch Erfolgswert. Die zum Unrechtsausschluss durch das Tötungsverlangen de lege lata vertretenen Auffassungen vermögen nicht zu überzeugen. Es ist nicht nachvollziehbar, warum Jakobs auf die objektive Vernünftigkeit des Sterbewunsches als angebliches Kriterium der Rechtfertigung der Sterbehilfe rekurriert.222 Als Folgefehler erweist sich demnach, dass er dieses Kriterium auch für die Tatbestandsrestriktion des § 216 StGB heranziehen möchte und im Falle eines objektiv vernünftigen Verlangens (weil dann die Vollzugsreife hinreichend belegt sei) den Tatbestand als nicht erfüllt erachtet.223 Die objektive Vernünftigkeit ist indessen kein Kriterium der Rechtfertigung der indirekten Sterbehilfe, sondern nach der Rechtsprechung die „bloße“ (mutmaßliche) Einwilligung eines an einer (ggf. auch nur ohne die Behandlung) tödlichen, nicht zwingend bereits präfinalen Krankheit leidenden Patienten.224 Gerade das Abstellen auf den (mutmaßlichen) Willen des Patienten zeigt, dass dessen subjektiven Anschauungen in diesem höchstpersönlichen existenziellen Bereich der Lebensgestaltung maßgeblich sind und es gerade nicht auf eine objektive Vernünftigkeit ankommt.225 Das ist bei der Einwilligung unbestritten und 221 222 223 224 225

Dies gilt dann gleichermaßen für die Fremd- wie auch die Selbsttötung. Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 26. Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 29, 31, 32. Vgl. BGH, NJW 2011, S. 161, Rn. 10; BGH, NJW 2010, S. 2963. Vgl. Roxin, FS-Jakobs, S. 576.

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D. Rechtsfolgen des Verlangens

im Falle der mutmaßlichen Einwilligung zu Recht ganz herrschende Meinung: Insoweit zählt nicht, wie Jakobs fälschlicherweise annimmt,226 der Standard „der meisten“, sondern – wie oben bereits angesprochen – immer nur der individuelle und subjektive Wille, der anhand von Indizien ermittelt werden muss.227 Ein Standard ließe sich in diesem höchstpersönlichen und existenziellen Bereich auch schwerlich bestimmen.228 So meint Jakobs selbst an anderer Stelle zu Recht, dass unsere meinungspluralistische Verfassung dem Gesetzgeber untersagt, Regeln über die Sittlichkeit eines Verhaltens aufzustellen.229 Dazu passt nicht, dass er die Erlaubnis einer Fremdtötung an die „objektive Vernünftigkeit“ des Sterbewunsches knüpfen möchte. Lässt man aber diesen Rekurs auf die objektive Vernünftigkeit beiseite und betrachtet im Übrigen den Vergleich zwischen erlaubter Sterbehilfe und Tötung auf Verlangen, so ist Jakobs durchaus zuzugeben, dass eigentlich kein Unterschied zwischen palliativer, aus der medikamentösen Sterbebegleitung resultierender Lebensverkürzung und Tötung auf Verlangen besteht,230 denn auch die Verkürzung eines dem Tode geweihten Lebens um nur wenige Minuten stellt einen tatbestandsmäßigen Totschlag (respektive eine Tötung auf Verlangen) dar und ist insofern eigentlich nicht „indirekt“, sondern direkt, auch wenn der Arzt primär die Leidensminderung beabsichtigt hat – dies ändert nichts an der gleichzeitigen vorsätzlichen (meist wohl in Kauf genommenen) oder jedenfalls fahrlässigen Lebensverkürzung.231 Dieser Wertungswiderspruch ist allerdings de lege lata nicht über die Straffreistellung der verlangten Fremdtötung aufzulösen, da eine derartig restriktive Tatbestandsauslegung des § 216 StGB die Wortlautgrenze sprengen würde.232 Gegen die Auffassung Kubiciels, dass dem Tötungsverlangen zu entsprechen sei, wenn an der Wohlerwogenheit kein vernünftiger Zweifel mehr bestehe und somit die „Garantie auf einen objektiven Mindeststandard im Umgang mit Menschen in existentiellen Krisensituationen“ 233 nicht verletzt werde, lässt sich entsprechend das oben gegen Jakobs’ Theorie von § 216 StGB als abstraktem Gefährdungsdelikt Gesagte vorbringen: Eine solche teleologische Reduktion sprengte die Wortlautgrenze des § 216 StGB. Ungereimt an dieser Ansicht ist 226

Vgl. nur Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 34. So auch Roxin, FS-Jakobs, S. 576. 228 Ebenso Roxin, FS-Jakobs, S. 575. 229 Jakobs, FS-Arthur Kaufmann, S. 465. 230 Vgl. Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 29. 231 So im Ergebnis auch Kubiciel, JZ 2009, S. 600 (602); anders Ingelfinger, JZ 2006, S. 821 (831): „Ärzte, die zulässige Sterbehilfe leisten, töten nicht.“ 232 Roxin, FS-Jakobs, S. 574 f.; Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 113; zu alledem ausführlich unter F.I. 233 Kubiciel, JZ 2009, S. 600 (608). 227

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ferner, dass Kubiciel zwar auf einen objektiven Mindeststandard, also auf ein Rechtsgut der Allgemeinheit abstellt, dann aber doch der Einzelne mit seinem Verlangen darüber soll disponieren können, wenn nur die weiteren Voraussetzungen der tödlichen Krankheit und der erschöpften palliativen Mittel gegeben sind. Weiterhin ist problematisch, dass Kubiciel die Freiverantwortlichkeit einer Entscheidung für den Tod grundsätzlich negiert. Kubiciel stützt sich darauf, dass 80 % der Menschen nach einem missglückten Suizidversuch letztlich ihr Weiterleben gutheißen würden. Dagegen lässt sich die Mahnung Sternberg-Liebens ins Feld führen, dass der hohe Prozentsatz von geretteten Suizidenten, die froh über ihre Rettung sind, nicht hergenommen werden kann, um Sterbewillige pauschal als grundrechtsunmündige und einwilligungsunfähige „Gemütskranke“ zu stempeln, zumal sich die Suizidforschung gerade vor dem Hintergrund bereits ärztlich konstatierter Behandlungsbedürftigkeit bewegt.234 Zu Recht bemerkt SternbergLieben, dass eine paternalistische Bevormundung verfassungsrechtlich nur dann Bestand hat, wenn der Betroffene in concreto tatsächlich zu keiner freiverantwortlichen Disposition in der Lage ist.235 Entscheidendes Argument gegen die Theorie Kubiciels von der einwilligungsfähigen, aber eigentlich nicht selbstbestimmt entscheidenden Person dürfte aber sein, dass § 216 StGB selbst von der Möglichkeit eines freiverantwortlichen Wunsches nach Fremdtötung ausgeht, denn bei einer „eigentlichen Willensunfreiheit“ liefe die Vorschrift mangels ernstlichem – das heißt willensmangelfreien – Verlangen ins Leere.236 Die Annahme einer neben der Unrechtsminderung kumulativen Schuldminderung infolge des § 216 StGB ist nur soweit richtig, wie von einer „einfachen“ Schuldreduzierung ausgegangen wird, die konsekutiv zur Unrechtsminderung und in Abhängigkeit dazu eintritt. Soweit die Strafmilderung des § 216 StGB – auf dem Boden der Lehre von der doppelten Schuldreduzierung, die oben sub B.III.1. erläutert wurde – daneben auf eine unabhängige Schuldminderung, die sich aus der psychischen Ausnahmesituation des Täters ergebe, zurückgeführt wird, überzeugt dies nicht. Schneider hat zu Recht dagegen eingewendet, dass § 216 Abs. 1 StGB tatsächlich keine Konfliktlage für den Täter voraussetzt, sondern auch dem völlig indifferenten Täter die Privilegierung zugutekommt, solange er sich von dem Verlangen bestimmen lässt.237 Deshalb kann eine solche doppelte Schuldminderung zwar eintreten, wenn der Täter sich tatsächlich in einer Konfliktlage befunden hat. Sie ist aber nicht bereits 234 235 236 237

Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 110 f. m.w. N. Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 110. Vgl. Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 111. Vgl. Schneider, in: MüKo, § 216, Rn. 1.

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D. Rechtsfolgen des Verlangens

im Sinne eines objektiv gefassten Schuldmerkmals im privilegierten Strafrahmen des § 216 StGB „eingepreist“, weil die Norm selbst eine solche Konfliktlage gar nicht voraussetzt. Objektiv gefasste Schuldmerkmale sind „solche den äußeren Sachverhalt kennzeichnenden Merkmale [. . .], die in ihrer sachlichen Bedeutung nicht das Unrecht, sondern ausschließlich die Schuld betreffen, weil sie eine unwiderlegliche Vermutung für eine weniger verwerfliche Einstellung des Täters dem Recht gegenüber enthalten“.238 Die Bestimmung des Täters durch das Tötungsverlangen betrifft aber in ihrer sachlichen Bedeutung als einwilligungsähnlicher Sachverhalt das Unrecht und gerade nicht ausschließlich die Schuld. Deshalb kann man die zutreffende Kritik Schneiders auch nicht mit dem Einwand aushebeln, dass hier eine typisierte Konfliktlage (oder gar eine Fiktion) vorliege und es bei objektiv gefassten Schuldmerkmalen gar nicht darauf ankommt, ob tatsächlich eine weniger verwerfliche Einstellung des Täters dem Recht gegenüber vorliegt. Anders nämlich als etwa § 217 StGB a. F. setzt die Tötung auf Verlangen ja gerade keinen (implizierten) typisierten oder fingierten Konflikt voraus, wie er sich bei der Kindstötung aus dem Tatbestandsmerkmal „nichtehelich“ ergab (die Geburt eines nichtehelichen Kindes wurde damals stigmatisiert bzw. ein solches Stigma vom Gesetzgeber jedenfalls als typischer Konflikt vorausgesetzt). Die Bestimmung des Täters als solche sagt nichts über einen Konflikt in dessen Person aus. Sie bedeutet lediglich, dass der Täter den Tatentschluss aufgrund des Verlangens fasst. Dem entspricht das subjektive Rechtfertigungselement einer Einwilligung, für das nach der überwiegenden Meinung ebenfalls ein Handeln des Täters aufgrund (und in Kenntnis) der Einwilligung vorausgesetzt wird.239 Soweit eine eigenständige – also doppelte – Schuldreduzierung gleichwohl angenommen wird, liegt dies möglicherweise also daran, dass dem Umstand, dass das „Bestimmt-worden-sein“ wie eine Art „subjektives Rechtfertigungselement“ das Handlungsunrecht mindert, fälschlicherweise eine eigenständige Schuldminderung beigemessen wird. Aber das Bestimmt-worden-sein führt als Tatbestandsmerkmal bereits zu der einfachen Schuldminderung als Folge des verminderten Unrechtsgehalts der Tat, und gerade nicht zu einer doppelten Schuldminderung mit einer eigenständigen Bedeutung der Konfliktlage des Täters. Dass die hier vertretene Annahme richtig ist, lässt sich am Beispiel der Strafzumessung illustrieren. Wer eine doppelte Schuldminderung bereits durch den Tatbestand des § 216 StGB selbst annimmt, verfährt in etwa so wie bei einer falsch durchgeführten doppelten Strafrahmenverschiebung in der Strafzumessung. Zuerst wird ein minder schwerer Fall aus dem Tatbestand des Besonderen Teils entnommen (hier also der Privilegierung des § 216 StGB) und sodann

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Eisele, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 13 ff., Rn. 123. Eschelbach, in: BeckOK, § 228, Rn. 19; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 228, Rn. 9 m.w. N.; Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 567. 239

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fälschlicherweise noch ein weiterer Schuldminderungsgrund, der wiederum aus demselben (!) Tatbestand des Besonderen Teils entstammt (nur aber einem anderen Tatbestandsmerkmal, dem „Bestimmt-worden-sein“) hinzugenommen? Diese Schuldminderung ist doch schon berücksichtigt worden, indem der Strafrahmen des minder schweren Falls (also der Privilegierung des § 216 StGB) Anwendung findet! Die doppelte Berücksichtigung stellt deshalb der Sache nach eine nach § 46 Abs. 3 StGB unzulässige Doppelverwertung des Privilegierungstatbestandes dar. Die entscheidenden Argumente gegen die Annahme einer selbstständigen kumulativen Schuldminderung sind jedoch zum einen die Existenz von § 216 StGB selbst und zum anderen dessen Wortlaut. Denn nimmt man zusätzlich zu der Unrechtsminderung und der dadurch eintretenden konsekutiven Schuldminderung noch eine weitere, selbstständige Schuldminderung an, müsste dies eigentlich die Entschuldigung der Tat zur Folge haben. Wie oben unter B.III.1.b)aa) ausgeführt, kennzeichnet die Entschuldigungsgründe nämlich gerade, dass ihnen zum Unrechtsausschluss ein „Baustein“ fehlt, dieses „Weniger“ in der Unrechtskompensation aber durch das Vorliegen einer psychischen Ausnahmesituation ausgeglichen wird. Die zusätzliche selbstständige (und damit doppelte) Schuldreduzierung führt somit zusammen mit einer partiellen Unrechtskompensation grundsätzlich zur Entschuldigung. Da § 216 StGB aber ausweislich seiner Existenz als Straftatbestand und seines Wortlautes gerade nicht zur Entschuldigung führt, ist die Annahme einer selbstständigen Schuldminderung jedenfalls de lege lata widerlegt. Möchte man daran festhalten, muss man konsequenterweise de lege ferenda die Ausgestaltung des § 216 StGB als Entschuldigungsgrund fordern. 3. Eigene Theorie zum Unrechtsgehalt von § 216 Abs. 1 StGB und zur Wirkung des Tötungsverlangens Wie gesehen, überzeugen die angebotenen Begründungsansätze nicht. Deshalb wird der Unrechtsgehalt von § 216 StGB nun anhand des eigenen Unrechtskonzepts geprüft und die daraus folgende Wirkung des Verlangens erörtert. Als Bezugspunkt einer grundgesetzlichen Schutzpflicht kann nach dem hier vertretenen Konzept nur die in der Tötung liegende Verletzung des subjektiven Lebensrechts des seine Tötung verlangenden Individuums gesehen werden. Die grundgesetzliche Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1, 1. Var. GG erfordert, dass der Staat dieses rechtsverletzende Verhalten im horizontalen Verhältnis aufgrund der existenziellen Bedeutung des Lebens reguliert. Es handelt sich um eine Rechtsverletzung von solchem Gewicht, dass die Regulation durch den Strafgesetzgeber wegen einer ansonsten erfolgenden Schutzpflichtverletzung zwingend ist. Es handelt sich bei der Fremdtötung folglich zweifelsohne um kriminelles Unrecht. Deshalb ist das grundsätzliche Verbot der Fremdtötung in den §§ 211, 212 StGB verfassungsrechtlich gerechtfertigt.

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Die absolute Einwilligungssperre des § 216 StGB wäre legitim, wenn die Nichtbeschränkung der (a priori aus dem subjektiven Recht fließenden) Einwilligungsmöglichkeit eine staatliche Schutzpflichtverletzung zur Folge hätte. Dies wäre der Fall, wenn auch die konsentierte Fremdtötung noch eine staatliche Schutzpflichtverletzung nach sich zöge. Im Falle der mangelfreien Einwilligung ist das nach hiesiger Auffassung wegen des Autonomiegehalts der Menschenwürde jedoch zu verneinen.240 Vielmehr wäre die absolute Beschränkung der Einwilligungsmöglichkeit eine ungerechtfertigte Beschneidung des Selbstbestimmungsrechts. Es handelt sich bei dieser Frage letztlich um eine der Binnenkollision von Grundrechten ähnliche Situation. Im Unterschied zur „echten“ Binnenkollision streitet ein Abwehrrecht des Bürgers gegen eine Schutzpflicht des Staates, die sich auf ihn bezieht. Abzuwägen ist die grundrechtliche Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1, 1. Var. GG (Lebensschutz) mit einem Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG (Einwilligungsfreiheit). Den Ausschlag gibt Art. 1 Abs. 1 GG, da sowohl Art. 2 Abs. 2 S. 1, 1. Var. GG als auch Art. 2 Abs. 1 GG von der Menschenwürde verstärkt werden. Hier kommt es nun zu einer weiteren Kollision, nämlich einer norminternen Kollision verschiedener Menschenwürdegehalte. Der objektive Lebensschutz als Wertschätzung jedes Lebens unabhängig vom Träger stößt auf die Autonomie als ebenfalls in der Menschenwürde enthaltenen Anteil. Dass die Autonomie einen Kernbestandteil menschlicher Würde ausmacht, wurde bereits angesprochen. Das BVerfG formulierte treffend: „Die unverlierbare Würde des Menschen als Person besteht gerade darin, dass er als selbstverantwortliche Persönlichkeit anerkannt bleibt“.241 Das lässt sich mit der sogenannten Objektformel von Wintrich und Dürig begründen, wonach die Menschenwürde getroffen ist, wenn der konkrete Mensch zu einem bloßen Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt wird.242 Denn setzt sich der Staat über den Willen des Bürgers, durch fremde Hand zu sterben, hinweg und versagt ihm dies ausnahmslos, entscheidet nicht mehr der Mensch selbst über seine eigene Existenz und die Modalitäten seines Sterbens, sondern wird er zum Objekt der Bevormundung, obwohl es doch um sein eigenes höchstpersönliches Recht geht. Ist der Betroffene nicht mehr dazu in der Lage, sich selbst zu töten, würde ihm gar eine faktische Lebenspflicht auferlegt. Aber auch das Lebensrecht ist eng mit der Menschenwürde verknüpft, wie das BVerfG in der Entscheidung zum Luftsicherheitsgesetz betont hat.243 Es ist die 240 Zum Autonomiegehalt der Menschenwürde Hillgruber, in: BeckOK, GG, Art. 1, Rn. 13.1. 241 BVerfG, Urt. v. 21. Juni 1977 – 1 BvL 14/76 = NJW 1977, S. 1525 (1526). 242 Vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. 1, Rn. 36 m.w. N. 243 BVerfG, Urt. v. 15.2.2006 – 1 BvR 357/05 = NJW 2006, S. 751 (757, Rn. 119 ff.).

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vitale Basis der Menschenwürde,244 da diese sich auf die Existenz des Menschen bezieht. In der staatlichen Affirmation des subjektiven Sterbewunsches durch die Nichtbeschränkung der Einwilligungsmöglichkeit könnte eine Verobjektivierung im Hinblick auf das Leben des Menschen zu sehen sein, weil in dieser Affirmation die rechtliche Erlaubnis von konsentierten Tötungen der Bürger untereinander liegt. Mit der Entscheidung, nicht regulierend in diese horizontale Rechtsverletzung einzugreifen, könnte der Staat möglicherweise eine Pflicht verletzen, die Wertigkeit menschlichen Lebens gegenüber jedem Bürger objektiv zu gewährleisten. Eine solche Pflicht könnte sich im Sinne eines objektiv-institutionellen Schutzes aus Art. 2 Abs. 2 S. 1, 1. Var. i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG ergeben. Daraus kann man eine staatliche Schutzpflicht ableiten, den objektiven Menschenwürdegehalt insofern zu gewährleisten, als ein Menschenleben sogar dann „etwas zählt“, wenn der Träger es aufgibt. Dies vermittelte jedem einzelnen Bürger die Garantie, in der Umgebung einer solchen Wertelandschaft zu leben. Die absolute Einwilligungssperre des § 216 StGB wäre somit als Konkretisierung eines objektiv-institutionellen Gehalts des Lebensrechts in Verbindung mit der Menschenwürde als objektivem Prinzip anzusehen. Dies wird im Schrifttum zum Teil so vertreten. So negiert etwa di Fabio einen status negativus des Lebensrechts mit dem Argument, dass Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG auch ein objektives Prinzip beinhalte.245 Dagegen spricht aber, dass sich der objektive Gehalt der Menschenwürde nicht dergestalt von der subjektiv-rechtlichen Gewährleistung abstrahieren lässt, dass er ein von dem konkret zu schützenden Individuum unabhängiges allgemeines Prinzip darstellen würde.246 Selbst dort, wo ein Rechtsträger fehlt, besteht objektiver Grundrechtsschutz – sofern er sich auf ein Individuum bezieht247 – immer nur konkret-individuell und nicht um des Prinzips willen. Jeder objektive Grundrechtsgehalt, der sich auf ein Individuum bezieht, ist nur soweit berechtigt, wie er letztlich auch dem Individuum und seinem individuellen Rechtsschutz dient.248 Tatsächlich proklamiert Art. 1 Abs. 1 GG die Wertigkeit des Menschen allein aufgrund seiner Existenz, und zwar (auch) als objektiver Gewährleistungsgehalt. Die Menschenwürde besteht aber nicht um ihrer selbst oder der Menschheit als Gattung willen. Sie schützt ausweislich des Wortlauts die Würde des individuellen Menschen als Subjekt. Heute ist deshalb auch überwiegend anerkannt, dass die Menschenwürde ein subjektives Recht ist.249 244

BVerfG, Urt. v. 15.2.2006 – 1 BvR 357/05 = NJW 2006, S. 751 (757, Rn. 119 ff.). Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 2 S. 1, Rn. 48. 246 Vgl. Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG; Art. 1 Abs. 1 GG, Rn. 31. 247 Das ist etwa bei dem Schutz von Familie und Ehe als Institutionen (Art. 6 Abs. 1 GG) nicht der Fall. 248 Zutreffend Klein, DVBl. 1994, S. 489 (494). 249 Vgl. BVerfGE 15, S. 249 (255), BVerfGE 61, S. 126 (137); Höfling, in: Sachs, GG, Art. 1, Rn. 4; Hörnle, Grob anstößiges Verhalten, S. 116 f.; Ipsen, JZ 2001, S. 990 245

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D. Rechtsfolgen des Verlangens

Grundlage der vorliegenden Arbeit ist deshalb der Standpunkt, dass im Zweifel ein subjektiver grundgesetzlicher Gehalt einem kollidierenden objektiven grundgesetzlichen Gehalt vorgeht. Denn in letzter Instanz dient das Recht dem Individuum und nicht umgekehrt das Individuum dem Recht. Auch die Menschenwürde dient im Kollisionsfalle ihrer Gehalte im Zweifel dem individuellen Menschen und nicht ihrer objektiven Unverbrüchlichkeit an sich, denn nur so wird die Subjektivität und Selbstzweckhaftigkeit des Menschen konsequent geachtet. Aus diesem Grunde dürfen die kollidierenden Normgehalte von Art. 1 Abs. 1 GG nicht von ihrem Schutzsubjekt abstrahiert rein normintern ausgeglichen werden. Sie sind in Bezug zu dem Schutzsubjekt zu setzen, um dessentwillen sie bestehen und in Bezug auf das sich der Widerstreit in einer Art unechter „Binnenkollision“ von Art. 2 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 S. 1, 1. Var. GG fortführt. Somit geht das Selbstbestimmungsrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1, 1. Var GG, die beide eng mit der Menschenwürde verknüpft sind, nach der hier vertretenen Ansicht vor. Selbst wenn man – abweichend von der hier vertretenen Auffassung – gleichwohl eine institutionelle Garantie annähme, stellt die Gewährung einer Rechtfertigungsmöglichkeit der konsentierten Fremdtötung keine Behandlung dar, die die Subjektqualität des Menschen und seinen Status als Rechtssubjekt grundsätzlich in Frage stellt. Vielmehr würde der Mensch als autonomes Rechtssubjekt erst mit allen Konsequenzen anerkannt. Die praktische Konkordanz kann im Sinne eines schonenden Ausgleichs dadurch hergestellt werden, dass die Einwilligungsmöglichkeit des Individuums prozeduralisiert wird, so dass dem Staat ermöglicht wird, seiner grundgesetzlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2, S. 1, 1. Var. GG soweit wie möglich dadurch nachzukommen, dass er sich in Anbetracht der Existenzialität und Irreversibilität der Lebensaufgabe durch Aufsicht und Verfahren davon vergewissert, dass die Lebensaufgabe wirklich frei von subjektiven Einwilligungsmängeln erfolgt. Es ist deshalb verhältnismäßig, die Rechtfertigungsmöglichkeit qua Einwilligung nur dann zu gewähren, wenn die Willensmängelfreiheit gesichert erscheint. Als Kehrseite trifft den Staat insoweit zugleich eine Schutzpflicht. Unter Anlegung des hier vorgestellten Unrechtskonzepts ergibt sich nach alledem, dass § 216 StGB zwar mit der Verletzung des subjektiven Lebensrechts des Verlangenden eine Rechtsverletzung zugrunde liegt. Diese gebietet aufgrund ihrer Qualität auch die staatliche Regulation. Die absolute Versagung der Einwilligung ist jedoch, wie gesehen, aufgrund staatlicher Schutzpflichten nicht geboten, sondern lediglich die Versagung der Einwilligung ohne flankierende Schutzmaßnahmen. (990 ff.); zur Mindermeinung siehe Erichsen, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. VI, § 152, Rn. 41.

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Die konsentierte Fremdtötung ohne diese Schutzmaßnahmen ist deshalb kriminelles Unrecht. Es ist aber nach hiesiger Auffassung illegitim, wie es de lege lata durch § 216 StGB der Fall ist, unter keinen Umständen die Rechtfertigung der konsentierten Fremdtötung zuzulassen. Der Strafrechtsgesetzgeber straft derzeit mehr, als er muss. Dadurch verstößt er gegen den ultima-ratio-Grundsatz. Die absolute Einwilligungssperre des § 216 StGB – und damit die Norm in ihrer derzeitigen Fassung – ist somit verfassungswidrig. De lege lata lässt sich das hier gefundene Ergebnis nicht durch eine verfassungskonforme Auslegung, etwa eine teleologische Reduktion, umsetzen. Vielmehr würde es den Wortlaut von § 216 StGB sprengen, wenn man in die Norm hineinzulesen versuchte, es ginge um die Vergewisserung, dass wirklich eine defektfreie Entscheidung vorliegt. Denn § 216 StGB setzt gerade ein „ernstliches“ Verlangen voraus. Das spricht übrigens nicht gegen die hier vorgeschlagene Deutung der Norm, weil die Defektfreiheit des Willens als ernstlich derzeit nur ex post vom Tatrichter festgestellt wird. Demgegenüber setzt die prozedurale Rechtfertigung sinnhaft eine Vergewisserung über die Willensmängelfreiheit ex ante vor der Ausführung der Tötung voraus. Der grundgesetzlichen Schutzpflicht wird dann dadurch Genüge getan, dass in Zweifelsfällen Maßnahmen ergriffen werden können, um die konsentierte Fremdtötung zu verhindern und Menschen, die tatsächlich zu einer selbstbestimmten Entscheidung nicht in der Lage sind, durch psychologische Betreuung geholfen werden kann, andere Auswege zu finden. Das Verfahren diente so auch dem präventiven Lebensschutz, ähnlich dem Beratungsverfahren zum Schutz ungeborenen Lebens. Dies gilt umso mehr, als suizidale Tendenzen bzw. ein Sterbewille oft erst dann von Dritten bemerkt werden, wenn es zu spät ist. Diese Lösung hat nicht den Anspruch, frei von weichem Paternalismus zu sein. Sie ist aber als Grundrechtseingriff noch verhältnismäßig, weil sie die konsentierte Fremdtötung zwar erschwert, aber diesen Weg nicht gänzlich verwehrt. Im Übrigen könnte die staatliche Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1, 1. Var. GG so auch im Bereich der Sterbehilfe erfüllt werden. Die derzeitige Untätigkeit des Gesetzgebers in einem solchermaßen grundrechtssensiblen und existenziellen Bereich verletzt den Parlementsgesetzvorbehalt.250 Für die hier vertretene Auffassung spricht deshalb ebenfalls, dass damit zugleich die Sterbehilfe einer dogmatisch sauberen Lösung zugeführt werden kann.251 Derzeit spiegelt sich in der Sterbehilfeproblematik wider, dass die Indisponibilität des Lebensrechts mithilfe von Moralvorstellungen begründet wird. Denn nach der mehrheitsgesellschaftlichen Vorstellung gilt Sterbehilfe an einem Moribunden (ebenso wie eine lebensgefährliche ärztliche Behandlung, um die Brücke zu § 228 StGB zu schlagen) als 250 251

Dazu ausführlich unter F.I.2. Näher sub F.I.

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„vernünftig“ oder jedenfalls nachvollziehbar. Das bedeutet, dass die Zulässigkeit der konsentierten Fremdtötung und der konkret lebensgefährlichen Körperverletzung maßgeblich darauf beruht, dass in diesen Fällen nicht gegen gesellschaftliche Sitten- und Moralgefühle verstoßen wird.252 Diesem Phänomen begegnet man oft bei jenen, die vermeintlich nur die „wahre“ Autonomie des Menschen sichern wollen und ihn (nicht nur in Krisensituationen) zu seinem eigenen Wohle zu schützen gedenken.253 Das Gefährliche an diesen Ansichten ist, dass sie von der Annahme ausgehen, dort Ausnahmen von der Unverfügbarkeit des Lebensrechts machen zu können, wo man in einer angeblichen Objektivität sicher sein könne, eine selbstbestimmte Entscheidung sei schon vorhanden: im Falle von Krankheit und Leid. Dabei wird übersehen, dass mit einer solchen Argumentation im Ergebnis Menschen, die von Krankheit und Leid betroffen sind, objektiv ein weniger lebenswertes Leben zugesprochen wird. Diese Begründungsansätze sind es, die die Menschenwürde aufweichen, denn bei der derzeit bereits erlaubten „indirekten“ Sterbehilfe kann die tatbestandsmäßige Fremdtötung schwerlich verneint werden.254 Deshalb wird im Folgenden unter E.III. aufgezeigt, wie das hier vertretene Unrechtskonzept in seinen Konsequenzen praktisch umgesetzt werden könnte.

II. § 218a Abs. 1 StGB Nachfolgend wird der Unrechtsgehalt von § 218 Abs. 1 StGB untersucht. Denn § 218a Abs. 1 StGB selbst ist kein Straftatbestand, sondern bezieht sich auf den unrechtsbegründenden Tatbestand des § 218 Abs. 1 StGB. Über dessen Unrechtsgehalt besteht keine Einigkeit, sodass zunächst der Meinungsstand abgebildet wird. Dieser wird sodann gewürdigt. 1. Unrechtsgehalt von § 218 Abs. 1 StGB Es besteht bereits keine Einigkeit darüber, ob § 218 StGB als Tatobjekt nur den nasciturus oder zugleich auch die Schwangere schützt. Deshalb wird der Unrechtsgehalt der Norm hinsichtlich beider Tatobjekte analysiert.

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Statt aller Murmann, Grundkurs Strafrecht, § 21, Rn. 53. Paradigmatisch Feldmann, Mitwirkungshandlungen am Suizid, S. 617: „Wer einem anderen die (Selbst-)Tötung nahelegt, spricht dessen Leben den Sinn und Wert [. . .] ab, was allerdings dann anders sein kann, wenn der Täter mit guter Intention handelt, etwa weil er meint, dem Adressaten der Aufforderung so unerträgliches Leid zu ersparen“ (Hervorhebung von mir). 254 Vgl. Murmann, der die Lösung allerdings in der „ausnahmsweisen Beachtlichkeit der Einwilligung“ finden will; ders., Grundkurs Strafrecht, § 21, Rn. 78. 253

II. § 218a Abs. 1 StGB

221

a) Tatobjekt Schwangere Zum Teil wird ausschließlich das ungeborene Leben des nasciturus als von § 218 StGB geschützt angesehen.255 Nach diesem Verständnis vertypt die Norm kein Unrecht in Bezug auf die Schwangere. Dies wird angenommen, obwohl der nasciturus und die Schwangere wegen ihrer physischen Verbindung in der Regel nur gemeinsam angegriffen werden können.256 Die singuläre Benennung des nasciturus als Tatobjekt mag daran liegen, dass der Angriff auf ihn für die Strafbarkeit nach § 218 StGB notwendig, zugleich aber auch hinreichend ist. Die Schwangere kann, muss aber nicht Tatobjekt sein. Sie kann zudem gemäß § 218 Abs. 3 StGB Tatsubjekt sein. Entsprechend schützt § 218 StGB nach dieser Auffassung ausschließlich das „Rechtsgut“ 257 des (ungeborenen) menschlichen Lebens.258 Rechte der Schwangeren – zu denken ist an ihre Gesundheit, körperliche Unversehrtheit und ihr Selbstbestimmungsrecht (vgl. § 218 Abs. 2 StGB) – wären danach nur mittelbar als „bloßer Schutzreflex“ geschützt.259 Nach der gegenteiligen, wohl etwas stärker vertretenen Meinung260 sind auch die Rechte (bzw. nach dieser Auffassung Rechtsgüter) der Schwangeren unmittelbar in § 218 StGB geschützt.261 Abgehoben wird regelmäßig nur auf ihre Gesundheit. Andere benennen auch die körperliche Unversehrtheit. Zum Teil wird darüber hinaus das Selbstbestimmungsrecht als geschütztes Rechtsgut benannt.262 255 Knauer/Brose, in: Spickhoff, StGB, §§ 218–219, Rn. 3; Rössner/Wenkel, in: HK, § 218a, Rn. 1; Ulsenheimer, in: Laufs/Kern, § 143, Rn. 18; Wessels/Hettinger, BT 1, Rn. 224; zum Streitstand Gropp, in: MüKo, Vorbem. §§ 218 ff., Rn. 40 ff. 256 Der isolierte Angriff auf den nasciturus ist in atypischen Situationen denkbar, etwa im Falle des vorherigen Eintritts des Hirntods bei der Mutter, die dann – jedenfalls ausgehend von der h. M. – als Tote kein taugliches Tatobjekt der §§ 218 ff., 223 ff., 211 ff. StGB mehr wäre; vgl. zur Kontroverse um das Hirntodkonzept und den Wandel im strafrechtlichen Schutz nach dem Lebensende Ulsenheimer, in: Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, Rn. 758 ff. m.w. N. 257 Zum Rechtsgut des ungeborenen menschlichen Lebens ausführlich BVerfGE 39, 1 – Schwangerschaftsabbruch I; BVerfGE 88, 203 – Schwangerschaftsabbruch II. 258 Knauer/Brose, in: Spickhoff, StGB, §§ 218–219, Rn. 3; Rössner/Wenkel, in: HK, § 218a, Rn. 1; Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 163; zum Streitstand Gropp, in: MüKo, Vorbem. §§ 218 ff., Rn. 40 ff. 259 Sternberg-Lieben, Die objektiven Schranken der Einwilligung, S. 163; Wessels/ Hettinger, BT 1, Rn. 224. 260 Vgl. Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 218 bis 219b, Rn. 12 m.w. N.; Knauer/Brose, in: Spickhoff, §§ 218–219, Rn. 2. 261 Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. § 218, Rn. 12; Gaidzik, in: Bergmann/ Pauge/Steinmeyer, §§ 218 ff. StGB, Rn. 1 m.w. N. und Fn. 2, der zwar lediglich von einem „zumindest mittelbaren Schutz“ spricht, diesen andererseits aber als über einen „bloßen Reflex“ hinausgehend versteht; Gropp, in: MüKo, Vorbem. §§ 218 ff., Rn. 40 ff.; Joecks, Studienkommentar, Vorbem. § 218, Rn. 1, 3. 262 So etwa Gropp, in: MüKo, Vorbem. §§ 218 ff., Rn. 41.

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D. Rechtsfolgen des Verlangens

b) Tatobjekt nasciturus Bevor der Unrechtsgehalt von § 218 StGB im Hinblick auf den nasciturus untersucht wird, muss vorab noch einmal betont werden, dass der nasciturus ausschließlich vor der vorsätzlichen Tötung oder deren Versuch geschützt wird, das heißt nicht vor einer Körperverletzung (oder fahrlässigen Tötung).263 Es herrscht Einigkeit darüber, dass der Schwangerschaftsabbruch hinsichtlich des nasciturus Tötungsunrecht vertypt. Uneinigkeit besteht indessen darüber, ob das Tötungsunrecht in der Tötung eines Menschen und damit der Verletzung des subjektiven Lebensrechts begründet liegt oder der nasciturus normativ als eine andere Lebensform verstanden werden muss, deren Beendigung ein zwar auf ein Individuum bezogenes, jedoch nur objektiv geschütztes Lebensrecht verletzt. aa) Individualrechtsgut „Leben“ Nach einer verbreiteten Auffassung schützt § 218 StGB das Leben des nasciturus als Individualrechtsgut.264 Das setzt seine Rechtsfähigkeit voraus, da er ansonsten nicht Inhaber eines Rechtsguts sein könnte. Die Rechtsfähigkeit ist allerdings stark umstritten. Der strafrechtliche Schutz beginnt gemäß § 218 Abs. 1 S. 2 StGB mit der Nidation. Damit ist jedoch nichts über die Rechtsfähigkeit gesagt. Die Rechtssubjektivität des nasciturus wird von vielen aus der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG sowie aus dem Lebensrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1, 1. Var. GG abgeleitet.265 Einige sehen den nasciturus zwar nicht als von der Menschenwürde geschützt an, billigen ihm aber die Trägerschaft des Lebensrechts zu.266 Der Zeitpunkt, in dem der nasciturus die Grundrechtsträgerschaft erlangen soll, wird unterschiedlich beurteilt.267

263 Missverständlich ist daher die Aussage von Knauer/Brose, dass die Strafbarkeit des Arztes bei einem Behandlungsfehler in der Schwangerschaft, der zur körperlichen oder geistigen Behinderung des nasciturus führt, auf § 218 StGB und damit vorsätzliches Handeln beschränkt sei, bei fahrlässigem Handeln sogar ausscheide; dies., in: Spickhoff, StGB, §§ 218–219, Rn. 4. Die Strafbarkeit wegen einer Körperverletzung des nasciturus scheidet vielmehr mangels objektiver Tatbestandsmäßigkeit generell aus, es kommt deshalb auf Vorsatz oder Fahrlässigkeit gar nicht an. 264 Gropp, in: MüKo, Vorbem. zu §§ 218 ff., Rn. 38 m.w. N. 265 A. Dolderer, Menschenwürde und Spätabbruch, S. 79 ff., 94, 113 ff.; Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 218 bis 219b, Rn. 9 m.w. N. 266 Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Art. 2 Abs. 2, Rn. 29, 31. 267 Die Behandlung dieser Kontroverse würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen. Es wird deshalb jedenfalls auf den strafrechtlich relevanten Zeitpunkt der Nidation abgestellt. Eine Übersicht zum Streit findet sich etwa bei A. Dolderer, Menschenwürde und Spätabbruch, S. 102 f. m.w. N.

II. § 218a Abs. 1 StGB

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Das BVerfG hatte sich zweimal mit dem verfassungsrechtlichen Status des nasciturus auseinanderzusetzen. Im ersten Urteil zum Schwangerschaftsabbruch bezeichnet es das ungeborene268 menschliche Leben als von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG geschütztes „selbstständiges Rechtsgut“, was nicht präjudiziert, ob es sich dabei um ein Individual- oder Universalrechtsgut handelt. Dadurch wird nur klargestellt, dass der nasciturus nicht lediglich ein Körperteil der Schwangeren sei, sondern eine abgrenzbare Entität.269 Die Frage der Grundrechtsträgerschaft wird ausdrücklich offen gelassen.270 Allerdings führt das BVerfG ferner aus, dass auch das ungeborene menschliche Wesen ein Leben besitzendes menschliches Individuum und damit „Jeder“ im Sinne von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG sei.271 Dieser Umstand spricht eher dafür, dass das BVerfG das ungeborene Leben als Individualrechtsgut, mithin den nasciturus als rechtsfähiges Subjekt anerkennt. Auch die Feststellung, dass dem nasciturus als menschlichem Leben Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG zukomme, da der Träger sich dieser Würde nicht bewusst sein müsse,272 kann als Indiz dafür gewertet werden. Im zweiten Urteil des BVerfG zum Schwangerschaftsabbruch ist vom „eigenen Lebensrecht des Ungeborenen“ die Rede.273 Ein eigenes Recht kann, wie oben ausgeführt, nur ein Rechtsträger haben. Somit scheint das BVerfG nunmehr von der Grundrechtsträgerschaft des nasciturus auszugehen.274 Es könnte sich dabei aber auch um eine sprachliche Ungenauigkeit handeln, denn schon im ersten Urteil zum Schwangerschaftsabbruch war von „seinem Recht auf Leben“ (des nasciturus) die Rede, jedoch ausdrücklich in Bezug auf einen lediglich objektiv-rechtlichen Schutz: „[. . .] ob der nasciturus selbst Grundrechtsträger ist oder wegen mangelnder Grundrechtsfähigkeit ,nur‘ von den objektiven Normen der Verfassung in seinem Recht auf Leben geschützt wird“.275 Ausdrücklich benennt der Senat die Rechtsqualität des nasciturus jedenfalls nicht.

268 Gemeint ist damit die Leibesfrucht ab Nidation; vgl. BVerfGE 39, 1, Rn. 136 m.w. N. 269 BVerfGE 39, 1 (1, 36) – Schwangerschaftsabbruch I. 270 BVerfGE 39, 1 (41) – Schwangerschaftsabbruch I. 271 BVerfGE 39, 1 (37) – Schwangerschaftsabbruch I. 272 BVerfGE 39, 1 (41) – Schwangerschaftsabbruch I. 273 BVerfGE 88, 203 (283) – Schwangerschaftsabbruch II. 274 A. Dolderer, Menschenwürde und Spätabbruch, S. 61; Müller-Terpitz, Schutz des pränatalen Lebens, S. 272; a. A. Höfling, in: Sachs, GG, Art. 1, Rn. 60, nach dem die Frage der Grundrechtsträgerschaft weiterhin offen gelassen worden sei. 275 BVerfGE 39, 1 (40) – Schwangerschaftsabbruch I, Hervorhebung von der Verfasserin. Zur Widersprüchlichkeit und Ungenauigkeit dieser Textstelle näher Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 45 ff.

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D. Rechtsfolgen des Verlangens

Die Annahme, dass der nasciturus als Mensch im Rechtssinne zu gelten habe, führt nach verbreiteter Ansicht allerdings zur Verfassungswidrigkeit des Schwangerschaftsabbruchrechts. Während dieser Widerspruch von vielen hingenommen wird, versuchen einige, ihn über das Modell eines „abgestuften Lebensschutzes“ aufzulösen.276 Manche stellen auf eine abgestufte Schutzwürdigkeit277 ab, andere auf abgestufte Rechte278 des nasciturus. Darunter wird wiederum zwischen einer abgestuften Menschenwürde und einem abgestuften Lebensrecht des nasciturus unterschieden. bb) Objektiv-rechtlicher Lebensschutz Nach anderer Auffassung wird das Leben des nasciturus durch § 218 StGB objektiv-rechtlich geschützt. Über die Begründung und Herleitung besteht jedoch wenig Einigkeit. Der Schutz soll jedenfalls von Verfassungs wegen geboten sein. Dabei wird auf grundgesetzliche Schutzpflichten abgestellt. Bereits deren dogmatische Verortung wird kontrovers diskutiert. So hat die recht lapidare und im Übrigen unbegründet gebliebene Herleitung der Schutzpflichten aus der objektivrechtlichen Garantie von Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 GG aus der Verfassung als „Wertordnung“ seitens des BVerfG (ungeachtet des breiten Konsenses im Ergebnis) viel Kritik erfahren.279 Ein von Dürig entwickelter Ansatz rekurriert auf die Schutzpflicht aus Art. 1 Abs. 1 S. 2 GG, wonach der Kernbereich der Grundrechte auch vor Angriffen Privater zu schützen sei, andere weiteten dies auf den kompletten Gewährleistungsgehalt der Grundrechte aus.280 Zum Teil wird die Herleitung der objektiv-rechtlichen Schutzpflichten den Schrankenregelungen entnommen. M. Dolderer unternimmt den Versuch, aus der Menschenwürdegarantie gemäß Art. 1 Abs. 1 GG sowie den Staatsstrukturprinzipien des Sozialstaatsprinzips gemäß Art. 20 Abs. 1 GG sowie dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG „Werte“ zu extrahieren, die die Grundlage einer staatlichen Grundrechtsverwirklichungspflicht und daraus erwachsenden staatlichen objektiv-rechtlichen Schutzpflichten darstellen sollen.281 Ipsen leitet Schutzpflichten aus den betroffenen Grundrechten selbst, bezogen auf den nasciturus also aus Art. 1 Abs. 1 S. 1

276

Hilgendorf, NJW 1996, S. 761; dagegen Hoerster, NJW 1997, S. 773 (773 ff.). Hilgendorf, NJW 1996, S. 758 (761). 278 So etwa Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. 1, Rn. 69 ff. 279 Übersicht bei Calliess, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 44, Rn. 8 f. sowie Müller-Terpitz, Der Schutz des pränatalen Lebens, S. 92 f. m.w. N. mit eigener Kritik auf S. 95 ff. 280 Vgl. Calliess, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 44, Rn. 9 m.w. N. 281 M. Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, S. 146 ff., 150 ff., 155 ff., 196 ff., 199 ff.; vgl. ferner Klein, DVBl. 1984, S. 489 (492). 277

II. § 218a Abs. 1 StGB

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GG282 und Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, ab.283 Er begründet den objektiv-rechtlichen Schutz des nasciturus damit, dass die Menschenwürde eine Vorwirkung vor Lebensbeginn (äquivalent zur Nachwirkung nach dem Tode) gebiete.284 Merkel wendet gegen den objektiv-rechtlichen Grundrechtsschutz ein, dass es kein Grundrecht ohne Inhaber geben könne.285 Er ist der Ansicht, dass der nasciturus durch § 218 StGB aber auch nicht in seinen subjektiven Rechten geschützt werde, da er nicht rechtsfähig sei.286 Vielmehr sei das geschützte Rechtsgut das „pränatale menschliche Leben“, ohne dass damit ein Grundrechtsschutz korreliere.287 Strafrechtsgüter müssten keine grundrechtsgeschützten Güter sein.288 Er geht somit von einem objektiv-rechtlichen Lebensschutz aus, der sich nicht aus den Grundrechten speist. Auch die europäische Rechtsprechung scheint der Annahme eines objektivrechtlichen Lebensschutzes des nasciturus zugeneigt zu sein. Der EuGH unterscheidet zwischen dem „menschlichen Embryo“ und dem „Menschen“. Entscheidend für die Einordnung als „menschlicher Embryo“ sei die Entwicklung zum Menschen (nicht als Mensch).289 Der EGMR hat ausdrücklich offen gelassen, ob der nasciturus ein Mensch i. S. v. Art. 2 EMRK sei.290 Es gibt Sondervoten, die in beide Richtungen argumentieren.291 Nach Auffassung von Kirchner lässt sich der Rechtsprechung des 282 Im Hinblick auf Art. 1 Abs. 1 GG ist bereits umstritten, ob es sich dabei überhaupt um ein subjektives Recht oder vielmehr um ein objektives Prinzip handelt. Wie bereits erwähnt, sprechen die besseren Gründe dafür, Art. 1 Abs. 1 GG als Grundrecht einzuordnen. Zur Kontroverse und ihre Bedeutung für den Grundrechtsstatus des nasciturus Ipsen, JZ 2001, S. 989 (990 ff.) m.w. N. 283 Ipsen, JZ 2001, S. 989 (995). 284 Ipsen, JZ 2001, S. 989 (993). 285 Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 48, 53. 286 Merkel, in: NK, § 218, Rn. 7. 287 Merkel, in: NK, § 218, Rn. 7. 288 Merkel, in: NK, § 218, Rn. 7. 289 EuGH, Urt. v. 18. Dezember 2014, Rs. C-364/13, noch nicht in amtl. Slg., – International Stem Cell/Comptroller General of Patents, Designs and Trade Marks, Rn. 28 ff. Die Konventionsstaaten der EMRK haben nach Auffassung des EGMR einen Regelungsspielraum; vgl. EGMR, Urt. v. 16. Dezember 2010 – 25579/05 = NJW 2011, S. 2107 (2110) – A, B und C ./. Irland. 290 EGMR, Urt. v. 8. Juli 2004 – 53924/00 = NJW 2005, S. 727 (727) – Vo ./. Frankreich. 291 De Gaetano bezeichnet den nasciturus in seinem teilweise abweichenden Sondervotum als Träger des Lebensrechts; vgl. EGMR, Urt. v. 30. Oktober 2012 – 57375/08 = BeckRS 2013, 80294 – P. und S. ./. Polen. Demgegenüber weist Rozakis in der Entscheidung Vo ./. Frankreich in seiner abweichenden Begründung darauf hin, dass der nasciturus nicht als Mensch im Sinne von Art. 2 EMRK angesehen werde, betrachte man die Ausgestaltung des rechtlichen Schutzes in den Konventionsstaaten. Die Annahme eines Beurteilungsspielraums sei gleichbedeutend mit der Versagung der Menschqualität im Sinne von Art. 2 EMRK. Soweit davon ausgegangen werde, der nas-

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D. Rechtsfolgen des Verlangens

EGMR aber entnehmen, dass dem nasciturus weniger Rechte zustünden als dem geborenen Menschen und er nicht vom personalen Schutzbereich des Rechts auf Leben erfasst werde.292 c) Würdigung Gegen einen unmittelbaren Schutz der Rechte der Schwangeren spricht der Umstand, dass die Vornahme des Abbruchs gegen ihren Willen einen besonders schweren Fall nach § 218 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 StGB darstellt. Wenn (auch) ihre Rechte geschützt werden, dann wäre das Fehlen einer Einwilligung bezogen auf ihre Rechte kein besonders schwerer Fall, sondern eine (nicht zwingend notwendige) Voraussetzung der Strafbarkeit nach dem „Grundtatbestand“ des § 218 Abs. 1 StGB, sprich eine fehlende Voraussetzung des Tatbestandsausschlusses nach § 218a Abs. 1 StGB bzw. der Rechtfertigungsgründe nach § 218a Abs. 2, 3 StGB. Für die Auffassung, dass § 218 StGB auch die Rechte (bzw. Rechtsgüter) der Schwangeren schützt, sprechen die besseren Gründe. So sieht etwa das Regelbeispiel eines besonders schweren Falles nach § 218 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 StGB bei einem besonderen Ausmaß der Verletzung von Rechten der Schwangeren eine höhere Strafe vor. Es liegt deshalb nahe, dass bereits § 218 Abs. 1 StGB unmittelbar Rechte der Schwangeren schützt, zumal sich die Regelbeispiele darauf beziehen.293 Auch, dass die Einwilligung der Schwangeren für die Rechtfertigung des Indikationenabbruchs nach § 218a Abs. 2, 3 StGB erforderlich ist, kann als Argument dafür hergenommen werden.294 Die Rechtfertigung stützt sich nämlich insoweit auf eine Güterabwägung. Würde § 218 StGB keine Rechte der Schwangeren schützen, wäre ihre Einwilligung für den Eintritt der Rechtfertigungswirkung obsolet. Regelmäßig wird allerdings in Bezug auf die Schwangere nur die Gesundheit als Rechtsgut benannt. Das ist unrichtig: Wie auch in den Körperverletzungstatbeständen der §§ 223 ff. StGB wird neben der Gesundheit natürlich auch die körperliche Unversehrtheit der Schwangeren in § 218 StGB geschützt. Soweit einige darüber hinaus das Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren als Rechtsgut des

citurus sei Mensch im Sinne von Art. 2 EMRK, hätte dies die Unvereinbarkeit mit der Erlaubnis zum Schwangerschaftsabbruch in den Konventionsstaaten zur Folge. Vgl. die zustimmende Meinung von Rozakis, der sich Caflisch, Fischbach, Lorenzen und Thomassen angeschlossen haben; EGMR, Urt. v. 8. Juli 2004 – 53924/00 = NJW 2005, S. 727 (732) – Vo ./. Frankreich und die abweichende Meinung von Ress, a. a. O., S. 734 f. 292 Kirchner, ZfL 2015, S. 17 (18 f., 20). 293 So auch Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 218 bis 219b, Rn. 12; ähnliche Argumentation bei Gaidzik, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, Rn. 1. 294 Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 218 bis 219a, Rn. 12.

II. § 218a Abs. 1 StGB

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§ 218 StGB benennen,295 ist das jedoch unzutreffend. Als Argument wird die erwähnte Voraussetzung der Einwilligung auch bei Vorliegen einer Indikation angeführt.296 Hier wird Korrelation und Kausalität verwechselt, wie der Blick auf die Einwilligungsdogmatik zeigt: Die Einwilligung in die Verletzung eines Rechts ist zwar Ausfluss des Selbstbestimmungsrechts aus Art. 2 Abs. 1 GG (Korrelation), aber nicht zugleich Ausdruck dessen, dass die Entscheidungsfreiheit Rechtsgut jeder Strafnorm sei, die der Einwilligung zugänglich ist (Kausalität). Beispielhaft schützt § 223 StGB nicht auch die Selbstbestimmung, nur weil in eine Körperverletzung eingewilligt werden kann.297 Daran ändert sich auch nichts, wenn es um eine qualifizierte Einwilligung geht, welche an die Rechtfertigungswirkung das Vorliegen weiterer objektiver Umstände knüpft (hier: Vorliegen einer Indikation, Abbruch durch einen Arzt). Weiterhin spricht gegen die Annahme, dass auch die Entscheidungsfreiheit der Schwangeren in § 218 StGB geschützt werde, dass die Vornahme des Abbruchs gegen ihren Willen als Regelbeispiel eines besonders schweren Falles in § 218 Abs. 2 Nr. 1 StGB aufgeführt wird. Wenn die Selbstbestimmung als Rechtsgut von § 218 StGB geschützt wäre, dann läge bei fehlender Einwilligung und auch im Übrigen erfülltem Tatbestand zwangsläufig immer gleichzeitig ein besonders schwerer Fall vor. Das ist in sich widersprüchlich: Der Normalfall kann nicht ein besonders schwerer Fall sein. Bei der Frage, in welcher Form der nasciturus durch § 218 StGB geschützt wird, zeigen sich erneut die Schwächen des Rechtsgutsdogmas, denn wer vom „Rechtsgut des ungeborenen Lebens“ 298 spricht, muss sich allein vom Begriff her der Frage nach dem Rechtsgutsinhaber nicht stellen und kann es dahinstehen lassen, ob der nasciturus überhaupt Rechtsträger sein kann.299 Da die §§ 218 ff. StGB die Tötung des nasciturus in eigenen Tatbeständen regeln, ergibt sich hieraus aber im Umkehrschluss, dass die §§ 211 ff. StGB 295

So etwa Gropp, in: MüKo, Vorbem. §§ 218 ff., Rn. 41. Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 218 bis 219b, Rn. 12; Gropp, in: MüKo, Vorbem. §§ 218 ff., Rn. 41. 297 Das sieht die sogenannte Einheitslehre, die der Einwilligung bereits tatbestandsausschließende Wirkung beimisst, freilich anders. Siehe dazu B.III.2.a). 298 So benennt etwa Gaidzik „das sich im Mutterleib entwickelnde Leben als eigenständiges höchstpersönliches Rechtsgut, das Verfassungsrang genießt“; ders., in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, S. 1277, Rn. 1. 299 Programmatisch sind die Ausführungen des BVerfG: „Hingegen braucht die im vorliegenden Verfahren wie auch in der Rechtsprechung und im wissenschaftlichen Schrifttum umstrittene Frage nicht entschieden zu werden, ob der nasciturus selbst Grundrechtsträger ist oder aber wegen mangelnder Rechts- und Grundrechtsfähigkeit ,nur‘ von den objektiven Normen der Verfassung in seinem Recht auf Leben geschützt wird“; BVerfGE 39, 1 ff., Rn. 152 – Schwangerschaftsabbruch I. 296

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D. Rechtsfolgen des Verlangens

nicht anwendbar sind.300 Somit schreibt das Strafgesetzbuch vor, dass der nasciturus im Strafrecht nicht als Mensch zu behandeln ist. Die Menschqualität im Rechtssinn erlangt der nasciturus nach der überwiegenden Auffassung im Strafrecht mit dem Eintritt der Eröffnungswehen. Damit ist aber noch nichts darüber gesagt, ob der nasciturus trotzdem als Rechtssubjekt anzusehen sein könnte. Im Zivilrecht ist die Rechtsfähigkeit ausdrücklich geregelt und tritt gemäß § 1 BGB erst mit der Vollendung der Geburt ein. Eine ausdrückliche Regelung der Rechtsfähigkeit existiert im Strafrecht nicht. In § 219 Abs. 1 S. 3 StGB ist allerdings vom „eigenen Lebensrecht“ des nasciturus die Rede. Damit könnte jedoch auch der individuelle objektiv-rechtliche Lebensschutz des nasciturus gemeint sein. Letztlich muss sich der strafrechtliche Status des nasciturus nach den Vorgaben des Grundgesetzes richten. Würde man den Ausführungen des BVerfG die Prämisse der Rechtsfähigkeit des nasciturus zugrunde legen, führte dies zur Inkonsistenz beider Urteile zum Schwangerschaftsabbruch. Nähme man an, der nasciturus sei Grundrechtsträger und damit ein Mensch im Rechtssinne, stellte die gesetzliche Erlaubnis des beratenen Fristenabbruchs nicht nur einen Eingriff in die Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG, sondern auch einen Verstoß gegen das grundgesetzlich garantierte Lebensrecht aus Art. 2 Abs. 2 GG dar.301 Zwar ist das Lebensrecht kein Synonym zur Menschenwürde und es ist auch denkbar, im Einklang mit dem Grundgesetz gemäß der Schrankenregelung des Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG einfachgesetzlich Tötungen zu erlauben, wie es etwa im Rahmen der Notwehr der Fall ist.302 Machte der Gesetzgeber es aber von der Letztentscheidung der Schwangeren abhängig – und daran ändert auch die Beratungspflicht nichts – ob ein anderer Mensch getötet werden darf und stellte er diese Tötung straflos, gäbe er das Leben dieses Menschen der beliebigen Disposition eines anderen preis. Die darin liegende Verobjektivierung wäre ein Eingriff in die Menschenwürde und verletzte zudem die grundgesetzliche Schutzpflicht aus dem Lebensrecht, weil die ungerechtfertigte Tötung eines Menschen ungestraft bliebe.303 Das gilt im Ergebnis auch für den rechtmäßigen Indikationenabbruch, denn das Leben eines Menschen ist nicht gegen ein anderes Leben abwägbar und kann in der Abwägung mit der körperlichen Unversehrtheit nicht unterliegen.304 Erstaunlich ist, dass jene, die dem nasciturus bzw. sogar bereits embryonalem Leben in vitro die Grundrechtsträgerschaft zubilligen, oft ohne Begründung annehmen, dass dieser Mensch gemäß der Schrankenregelung des Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG durch Schwangerschaftsabbruch oder in der verbrauchenden Stammzellforschung getötet werden dürfe, weil das Lebensrecht dieses Menschen (sic) dann in der Abwägung 300 301 302 303 304

Vgl. Dreier, ZRP 2002, S. 377 (379). So auch Ipsen, JZ 2001, S. 989 (992). Vgl. Ipsen, JZ 2001, S. 989 (992); Kloepfer, JZ 2002, S. 417 (421). Ähnlich Ipsen, JZ 2001, S. 989 (992, 994 f.). Vgl. Ipsen, JZ 2001, S. 989 (994 f.).

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mit dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren oder der Forschungsfreiheit bzw. zugunsten der Bekämpfung schwerer Krankheiten Dritter unterliege.305 So ist Kloepfer der Auffassung, dass die Zerstörung embryonalen Lebens verhältnismäßig sei, weil zwischen dem Zweck der embryonalen Stammzellforschung (Bekämpfung schwerer Krankheiten) und der Grundrechtseinbuße kein Missverhältnis bestehe: „[. . .] selbst wenn man menschlichem Leben in seiner embryonalen Phase vollen Grundrechtsschutz zubilligen würde, ist die Lebenserhaltung anderer Menschen [. . .] grundsätzlich ein für das Proportionalitätsdenken regelmäßig hinreichend gewichtiger Zweck“.306 Wenn man davon ausgeht, dass der nasciturus ein Mensch ist, darf man seinen Grundrechtsschutz nicht im gleichen Atemzug auf eine derartige Weise aushebeln, wie es sich wohl niemand gegenüber einem geborenen Menschen getrauen würde. Hier zeigt sich eine erhebliche Inkonsequenz, die zur Entwertung des Grundrechtsschutzes insgesamt führt. Eine solche Preisgabe des Lebensrechts wird hier abgelehnt. Will man den nasciturus als Grundrechtsträger anerkennen, hat man sich auch den unliebsamen Konsequenzen zu stellen und sein Lebensrecht ebenso wie das eines geborenen Menschen zu schützen. Übrigens ist allen Bemühungen, aus den Ausführungen des BVerfG Indizien für eine Annahme der Menschqualität des nasciturus zu ziehen, entgegenzusetzen, dass das Gericht ganz überwiegend nicht vom ungeborenen Menschen, sondern zumeist vom „ungeborenen Leben“ 307 (oder auch „Vorstufe des fertigen Lebens“ 308) spricht – diese Wortwahl ist sicherlich kein Zufall, denn wenn das BVerfG den nasciturus als Menschen im Rechtssinne ansehen würde, so wäre es wenig verständlich, dass er ihn im Urteil nicht auch als solchen bezeichnen würde. Eine Ausnahme findet sich im zweiten Urteil zum Schwangerschaftsabbruch allerdings in der Aussage, dass sich das Ungeborene nicht erst zum Menschen, sondern als Mensch entwickele.309 In demselben Urteil – wie auch im ersten Urteil zum Schwangerschaftsabbruch – scheut sich der Senat jedoch im Übrigen konsequent (und im wahrsten Sinne des Wortes), „das Kind beim Namen zu nennen“: Nicht ein einziges Mal wird das „ungeborene Leben“ ausdrücklich als „Mensch“ bezeichnet. Wie bereits erwähnt, liegt der Grund darin, dass die Annahme, dass der nasciturus als Mensch im Rechtssinne zu gelten habe, zur Verfassungswidrigkeit des Schwangerschaftsabbruchrechts führte. Das BVerfG hätte folglich einen verfassungswidrigen Standpunkt bezogen, wenn es von der Grundrechtsträgerschaft des nasciturus ausgegangen wäre, da es den Schwangerschaftsabbruch nach Konfliktberatung für grundsätzlich zulässig er305 306 307 308 309

Beispielsweise Kloepfer, JZ 2002, S. 417 (421). Kloepfer, JZ 2002, S. 417 (421). Vgl. nur BVerfGE 88, 203 (252, 258, 270) – Schwangerschaftsabbruch II. BVerfGE 39, 1 (37) – Schwangerschaftsabbruch I. BVerfGE 88, 203 (252) – Schwangerschaftsabbruch II.

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D. Rechtsfolgen des Verlangens

achtet hat, sofern er nicht als gerechtfertigt bezeichnet wird.310 Da dem Tenor beider Entscheidungen zum Schwangerschaftsabbruch gemäß §§ 31 Abs. 2, 13 BVerfGG der Rang einfachen Gesetzesrechts zukommt, muss er indessen nach dem Grundsatz der verfassungskonformen Auslegung in der Weise verstanden werden, die mit dem Grundgesetz im Einklang steht. Somit sind die Ausführungen des BVerfG so zu deuten, dass der nasciturus nicht als Grundrechtsträger angesehen wird.311 Wäre der nasciturus ein vollwertiges Rechtssubjekt, dann müsste der Schwangerschaftsabbruch als Tötungsdelikt begriffen werden.312 Ansonsten träte der Widerspruch ein, dass für ein identisches Rechtssubjekt – den Menschen – ein unterschiedliches Schutzniveau gälte. Der geborene Mensch genösse den vollumfänglichen Schutz der §§ 211 ff., 223 ff. StGB, während dem ungeborenen Menschen ein Schutz „zweiter Klasse“ – gemäß den §§ 218 ff. StGB nur vor vorsätzlicher Tötung und nicht vor Körperverletzung – zukäme.313 Diese Systematik wäre nicht erklärbar und verstieße gegen die grundgesetzlichen Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 S. 2, 1. und 2. Var. GG sowie den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Der mögliche Einwand, dass die Symbiose der „Zweiheit in Einheit“ einen Rechtsgrund für die unterschiedliche Behandlung darstelle, lässt sich mit dem Beispiel der siamesischen Zwillinge entkräften: Auch diese leben in Symbiose. Darf der eine Zwilling nach einer bloßen Beratung des anderen (oder weil dessen Gesundheit gefährdet ist) getötet werden?314 Hoerster kritisiert diesen Widerspruch zu Recht und verweist darauf, dass die Anerkennung des nasciturus als Grundrechtsträger die Konsequenz eines bedingungslosen und vollumfänglichen Grundrechtsschutzes zur Folge haben muss.315 Gegen die Auflösung dieses Widerspruchs durch einen „abgestuften Lebensschutzes“ müsste sprechen, dass jedes Rechtssubjekt ausweislich des Wortlauts der Grundrechte („Jeder“, „alle Menschen“) gleichermaßen einen Anspruch auf vollumfänglichen Grundrechtsschutz hat.316 310

Ähnlich Ipsen, JZ 2001, 989 (992). So auch Ipsen, JZ 2001, S. 989 (992), a. A. Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 54, 65. 312 Ähnlich die (oben bereits angesprochene) Argumentation von Rozakis in der EGMR-Entscheidung Vo ./. Frankreich. Soweit davon ausgegangen werde, der nasciturus sei Mensch im Sinne von Art. 2 EMRK, hätte dies die Unvereinbarkeit mit der Erlaubnis zum Schwangerschaftsabbruch in den Konventionsstaaten zur Folge. Vgl. die abweichende Begründung von Rozakis, der sich Caflisch, Fischbach, Lorenzen und Thomassen angeschlossen haben; EGMR, Urt. v. 8. Juli 2004 – 53924/00 = NJW 2005, S. 727 (732) – Vo ./. Frankreich und die abweichende Meinung von Ress, a. a. O., S. 734 f. 313 Vgl. auch Hoerster, NJW 1997, S. 773 (773). 314 Zur Antwort siehe unten D.II.3. 315 Hoerster, NJW 1997, S. 773 (773 f.). 316 Im Ergebnis ebenso A. Dolderer, Menschenwürde und Spätabbruch, S. 112; Hoerster, NJW 1997, S. 773 (774 f.). 311

II. § 218a Abs. 1 StGB

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Die Tatsache, dass die Annahme der Grundrechtsträgerschaft des nasciturus zur Verfassungswidrigkeit der §§ 218 ff. StGB führen würde, bedeutet im Umkehrschluss freilich nicht, dass er deshalb kein Grundrechtsträger sein könne. Das verstieße zum einen gegen die Normenhierarchie und zum anderen als konsequenzialistische Herleitung der persönlichen Grundrechtsberechtigung gegen die Verfassungsbindung des Staats aus Art. 1 Abs. 1 S. 2, Abs. 3, 20 Abs. 3 GG, da sich der Staat unabhängig von etwaigen gesellschaftlich unerwünschten Folgen dem Grundgesetz zu unterwerfen hat. Soweit deshalb ein objektiv-rechtlicher Schutz des nasciturus angenommen wird, bestehen allerdings Bedenken hinsichtlich der allgemein gehaltenen Herleitung aus Verfassungsprinzipien und -strukturen wie der „Wertordnung“, dem Rechts- und Sozialstaatsprinzip oder den Schrankenregelungen, soweit sie sich darin erschöpft. Die Aussagen sind in ihrer Allgemeinheit zwar nicht falsch, aber sehr unkonkret. Die naheliegendste Begründung wird übersehen: Schutzpflichten in Bezug auf objektiv-rechtliche Grundrechtsgehalte ergeben sich ebenso wie hinsichtlich der subjektiv-rechtlichen Grundrechtsgehalte aus dem jeweils betroffenen317 Grundrecht selbst.318 Dies gilt entsprechend für andere, das heißt nicht in den Grundrechten geregelte, objektive Prinzipien des Grundgesetzes. Nur so erlangt die Verfassung effektive Geltungskraft.319 Der Staat – damit auch der Gesetzgeber – ist umfassend an die Verfassung gebunden und nicht nur hinsichtlich des kleinen Teilbereichs der in ihr gewährten subjektiven Rechte. Weiterhin entstehen Schutzpflichten des Gesetzgebers aus der Bindung an die Verfassung und entspringen nicht im Speziellen den subjektiven Rechten. Der Staat ist aufgrund seines normativen Monopols verpflichtet, auch dafür zu sorgen, dass objektive Grundgesetzgehalte Bestand haben. Unter dem objektiven Gehalt der Grundrechte und des übrigen Grundgesetzes werden hier verfassungsrechtliche Gewährleistungen und sonstige verfassungsrechtliche Inhalte verstanden, die keinen Rechtsinhaber haben. Als objektive Grundrechtsgehalte werden vorliegend jedoch nicht die grundrechtlichen Schutzpflichten als solche, die sich aus subjektiven Rechten gegenüber einem Rechtsinhaber ergeben, betrachtet, wie es zum Teil vertreten wird.320 Bei diesen geht es immer noch um ein subjektives Recht, das eben nicht in seiner Funktion als Ab-

317 Anders BVerfGE 88, 203 (251) – Schwangerschaftsabbruch II, wonach sich die Schutzpflichten gegenüber dem nasciturus dem Grunde nach aus Art. 1 Abs. 1 GG und im Hinblick auf Gegenstand und Maß aus Art. 2 Abs. 2 GG ergeben sollen. 318 Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 111, Rn. 84, 93; so auch Hermes/Walther, NJW 1993, S. 2337 (2339). 319 Vgl. Isensee, in: Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, § 111, Rn. 83. 320 Vgl. M. Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, S. 27 ff., der zu subjektiven Anspruchsrechten erst über eine „Subjektivierung“ von „objektiven Grundrechtswirkungen“ gelangt.

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D. Rechtsfolgen des Verlangens

wehrrecht, sondern als Schutzanspruch betroffen ist.321 Das jeweilige Grundrecht ist dann in diesem subjektiven Gehalt betroffen.322 Die Pflicht des Staates, einen Eingriff zu unterlassen oder ein Grundrecht zu schützen, ist ohnehin immer eine objektive Pflicht, die sich aus objektivem Recht ergibt und trägt nichts Erhellendes zur Qualifizierung eines Rechts bei.323 Hier darf die Frage nach der Herkunft der Schutzpflicht als Institut (aus dem objektiven Recht)324 nicht mit der Frage vermengt werden, welchen materiellen Inhalt Schutzpflichten haben können (Schutzpflichten aus subjektiven Rechten oder aus objektiven Prinzipien).325 Vielmehr folgt aus dem Grundgesetz als Werteordnung und dem somit auch bestehenden objektiv-rechtlichen Gehalt der Grundrechte326 die Pflicht des Staates, sich schützend auch vor Grundrechte zu stellen, die keinen Rechtsinhaber haben und nicht in ihrer Funktion als subjektives Recht betroffen sind, sondern in ihrem objektiven Prinzip.327 Der Begründung Ipsens, dass die Menschenwürde eine Vorwirkung vor Lebensbeginn (äquivalent zur Nachwirkung nach dem Tode) gebietet,328 ist daher zuzustimmen. Der Einwand, dass einer solchen Parallelisierung entgegenstehe, dass der Tote zumindest einmal Subjekt war, so dass man von einer Nachwirkung dessen subjektiver Rechte sprechen könne, während der nasciturus – nach dieser Auffassung – noch nie Subjekt war, verfängt nicht: Dass ein Recht, das noch nie bestanden hat, durchaus „Vorwirkungen“ erzeugen kann, zeigt die Existenz des

321

Dazu Calliess, Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 44, Rn. 3. Wie hier Ipsen, JZ 2001, S. 989 (993); anders M. Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, S. 177. 323 So auch Ipsen, JZ 2001, S. 989 (993). Wenn M. Dolderer im „Gentechnik-Beschluss“ des VGH Kassel (NJW 1990, S. 336) einen Vorrang objektiver Grundrechtsgehalte erblickt, so beruht das auf einer Verwechslung von objektiven Grundrechtsgehalten mit dem objektiven Recht als solchem, denn natürlich ergeben sich subjektive Rechte letztlich aus dem objektiven Recht; vgl. ders., Objektive Grundrechtsgehalte, S. 266, 267 mit Fn. 9 (richtig aber auf S. 76 ff.). Der VGH Kassel führt auf S. 337 (a. a. O.) aus, dass Schutzpflichten in Bezug auf Grundrechtsgüter (die in dem Fall Rechtsinhaber haben) sich unabhängig von einer Geltendmachung der subjektiven Rechte, das heißt objektiv ergeben. Das heißt nicht, dass der VGH hier plötzlich auf objektiv-rechtliche Grundrechtsgehalte abstellt. Denn in dem Beschluss sind die Rechtsinhaber zwar nicht individualisierbar, gleichwohl aber deren subjektive Rechte betroffen. 324 Im Einzelnen umstritten, vgl. Calliess, Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 44, Rn. 1–22. 325 Gut differenziert wird bei Calliess, Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 44, Rn. 1 ff., 3 ff. 326 So das BVerfG erstmals in der sog. Lüth-Entscheidung, BVerfGE 7, 198 (205). 327 Vgl. BVerfGE 49, 89 (141 f.); BVerfGE 77, 381 (402 f.). Zum Verhältnis subjektiver und objektiver Grundrechtsgehalte mit im Ergebnis anderer Einordnung siehe M. Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, S. 262 ff. 328 Ipsen, JZ 2001, S. 989 (993). 322

II. § 218a Abs. 1 StGB

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Anwartschaftsrechts.329 Darin liegt auch keine unzulässige Graduierung der Menschenwürde.330 Die Menschenwürde wird in ihrem objektiv-rechtlichen Gehalt schließlich vollumfänglich gewährt und nicht abgestuft. Der Verweis auf den postmortalen Würdeschutz, der herangezogen wird, um zu begründen, dass eine Schutzwirkung ohne Grundrechtssubjekt dogmatisch nicht nachzuvollziehen sei,331 ist eher ein Argument für die hier vertretene Ansicht. Die subjektiven Rechte erlöschen nämlich mit dem Tod, soweit sie nicht auf Rechtsnachfolger übergehen. Ein postmortaler Würdeschutz des Toten ist ohne objektive Grundrechtsgehalte somit gar nicht erklärbar. Dass der Einwand Merkels, es gebe kein Grundrecht ohne Inhaber, unzutreffend ist, ergibt sich nicht nur aus dem oben Gesagten, sondern auch aus der Existenz von Grundrechten, die ausdrücklich objektiven Grundrechtsschutz gewähren, ohne dass sie hierzu der Anknüpfung an ein Subjekt bedürften. So schützt Art. 6 Abs. 1 GG ausdrücklich Ehe und Familie objektiv-rechtlich als Institutionsgarantie. Die Auffassung, dass die Schutzwirkung eines Grundrechts ohne Subjekt dogmatisch nicht nachvollziehbar sei, beruht nach alledem auf zwei Fehlannahmen. Zum einen wird Rechtsschutz mit einem subjektiven Anspruch gleichgesetzt. Zum anderen ist es ein falscher Schluss, aus der Tatsache, dass objektives Recht auch subjektive Rechte gewähren kann, zu folgern, dass das objektive Recht in diesem Falle ohne Subjekt seinen Gewährleistungsinhalt verlieren müsse. Ein Grundrecht wird aber nicht substratlos, nur weil es kein Subjekt gibt, das subjektive Rechte daraus wahrnehmen kann. Es beinhaltet immer noch eine objektive Verbürgung. 2. Wirkung des Abbruchsverlangens in § 218a Abs. 1 StGB Die heutige Regelung des § 218a Abs. 1 StGB ist das Ergebnis eines schwierigen Normierungsprozesses.332 Das BVerfG hat in beiden Urteilen zum Schwangerschaftsabbruch entschieden, dass der beratene Fristenabbruch rechtlich missbilligt werden müsse.333 Die vorige Fassung, die als Rechtfertigungsgrund ausgestaltet war und mit dem Schwangeren- und Familienhilfegesetz (SFHG) vom 27. Juli 1992 in Kraft treten sollte, wurde vom BVerfG durch einstweilige Anordnungen vom 4. August 329 Auf die Anwartschaft rekurriert auch Kloepfer, der sich dieser allerdings – mit der Prämisse der Grundrechtsträgerschaft des nasciturus – zur Begründung eines abgestuften Lebensschutzmodells bedient; vgl. ders., JZ 2002, S. 417 (420 f.). 330 So die Kritik von A. Dolderer, Menschenwürde und Spätabbruch, S. 77. 331 A. Dolderer, Menschenwürde und Spätabbruch, S. 78. 332 Übersicht bei Seibel, Probleme des „beratenen“ Schwangerschaftsabbruchs, S. 7– 18. 333 BVerfGE 39, 1 (53) – Schwangerschaftsabbruch I; BVerfGE 88, 203 (270) – Schwangerschaftsabbruch II.

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D. Rechtsfolgen des Verlangens

1992334 und 25. Januar 1993335 ausgesetzt und im zweiten Urteil zum Schwangerschaftsabbruch am 28. Mai 1993 in Teilen für unvereinbar mit Art. 1 Abs. 1 i.V. m. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und nichtig erklärt336. Das BVerfG stellte ausdrücklich fest, dass es unzulässig sei, nicht indizierte Schwangerschaftsabbrüche – damit ist der beratene, ärztliche Abbruch innerhalb von zwölf Wochen gemeint – für gerechtfertigt (nicht rechtswidrig) zu erklären.337 Der mit dem SFHÄndG vom 21. August 1995 eingeführte § 218a Abs. 1 StGB regelt daher, dass der Tatbestand des Schwangerschaftsabbruchs nicht verwirklicht wird, wenn die Voraussetzungen der Nr. 1–3 (Nachweis stattgehabter Beratung, Karenzzeit, Abbruchsverlangen, Fristwahrung sowie Arztvorbehalt) eingehalten werden. Bei dieser „Nichtverwirklichungsklausel“ 338 könnte es sich dem Wortlaut nach um einen Tatbestandsausschluss handeln. Mit dem Begriff „Tatbestand“ 339 kann zum einen der Tatbestand im engeren Sinne, also der Unrechtstatbestand, der im Strafgesetzbuch (oder strafrechtlichen Nebengesetzen) mit seinen Tatbestandsmerkmalen abstrakt die Merkmale vertypt, bei deren Erfüllung ein Verhalten kriminelles Unrecht ist, gemeint sein.340 Zum anderen könnte auf den Gesamttatbestand aus Tatbestand, Rechtswidrigkeit, Schuld, objektiven Strafbarkeitsbedingungen und dem Fehlen von Strafausschließungsgründen abgestellt werden.341 In beiden Varianten würde das Unrecht der Tat entfallen, wenn der Tatbestand nicht verwirklicht wird. Mit der Konstruktion des § 218a Abs. 1 StGB als Tatbestandsausschluss betrat der Strafgesetzgeber in Verbindung mit den Vorgaben des BVerfG vom trotz Tatbestandsausschluss verbleibenden, aber nicht strafwürdigen Kriminalunrecht342 somit Neuland. Diese Regelung sah sich von Anbeginn an der Kritik ausgesetzt, sie verlasse die Grenzen der Strafrechtsdogmatik. Misst man mit der subjektiven Theorie auch der Gesetzesbegründung eine Bedeutung für die Auslegung bei, sind zudem die Grenzen der Logik überschritten.343 334

BVerfGE 86, 390. BVerfGE 88, 83. 336 BVerfGE 88, 203 – Schwangerschaftsabbruch II. 337 BVerfGE 88, 203 (270) – Schwangerschaftsabbruch II. 338 Eser, in: Schönke/Schröder, § 218a, Rn. 13. 339 Zu Begriff, Inhalt und Funktion Hillenkamp, FS-Kirchhof, S. 1349 (1349 ff.). 340 Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 116 ff. 341 Wessels/Beulke/Satzger, AT, Rn. 116 ff. 342 Die Regelung als Tatbestandsausschluss bei gleichwohl bestehenbleibendem strafrechtlichen Verbot wurde dem Gesetzgeber als einzig verfassungsgemäßer Weg einer Beratungslösung aufgezeigt; BVerfGE 88, 203 (273) – Schwangerschaftsabbruch II; dazu Seibel, Probleme des „beratenen“ Schwangerschaftsabbruchs, S. 19. 343 Der Gesetzesbegründung zufolge darf der beratene Schwangerschaftsabbruch im Bereich des Strafrechts nicht als Unrecht behandelt werden (mit der Folge, dass Not335

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Denn das BVerfG stellte nicht nur das grundsätzliche verfassungsrechtliche Verbot des Schwangerschaftsabbruchs und dessen Unrechtsgehalt für die gesamte Dauer der Schwangerschaft fest, sondern wies dem Strafgesetzgeber die Rolle zu, dieses in einer Strafbestimmung zu bestätigen.344 Deshalb dürfe lediglich die Strafdrohung – und das zeigte das Gericht als einzig zulässigen Weg auf – qua Tatbestandsausschluss entfallen, nicht aber die Wertung als Unrecht.345 Damit kann nur Kriminalunrecht gemeint sein,346 zumal das BVerfG ausführte, dass das Strafrecht den Schwangerschaftsabbruch, soweit keine bestimmten Ausnahmetatbestände vorliegen (damit sind die Indikationen gemeint) nicht als erlaubt ansehen dürfe.347 Im Umkehrschluss qualifizierte der Senat den Schwangerschaftsabbruch nach Konfliktberatung als vom Strafrecht zu verbietendes, kriminelles Unrecht.348 Diese vom Gesetzgeber sodann ausgeführte „eigenartige Regelungstechnik“ 349 ist zu Recht auf Ablehnung gestoßen. Ein beachtlicher Teil des Schrifttums sieht die Konstruktion des § 218a Abs. 1 StGB als Tatbestandsausschluss trotz bestehenbleibender Rechtswidrigkeit als Bruch mit dem bestehenden System der Strafrechtsdogmatik an.350 Soweit dem Gesetzgeber die (hier für unerheblich erachtete) Intention zugesprochen wird, er habe Rechtfertigungsgründe zugunsten des nasciturus ausschließen wollen, habe sich diese nicht erfüllt.351 Die Regelung als Tatbestandsausschluss kann tatsächlich als ein Ettikettenschwindel aus letztlich moralischen Erwägungen bezeichnet werden. Durch diesen Kunstgriff ist der Gesetzgeber gemäß der Jurisdiktion des BVerfG umhingekommen, § 218a Abs. 1 StGB als das zu bezeichnen, was es eigentlich ist: (auch) hilfe zugunsten des nasciturus gemäß § 32 StGB ausscheide und auch § 34 StGB nicht in Betracht komme); vgl. BT-Drucks. 13/1850, S. 25 und zur Möglichkeit der Umsetzung Hillenkamp, JuS 2014, S. 924 (926) m.w. N. Damit wird zwar einerseits der Vorgabe des BVerfG, dass Nothilfe und Notstand ausscheiden müssen, Rechnung getragen. Andererseits ist es aber unlogisch, kriminelles Unrecht ausgerechnet im Bereich des Strafrechts nicht als solches zu behandeln. Wenn Umstände bestehen, die begründetes kriminelles Unrecht im Einzelfall erlauben, ist das eine Frage der Kompensation und damit der Rechtfertigung. 344 BVerfG 88, 203 (258) – Schwangerschaftsabbruch II; dazu Hermes/Walther, NJW 1993, S. 2337 (2340). 345 BVerfGE 88, 203 (300) – Schwangerschaftsabbruch II. 346 Hermes/Walther, NJW 1993, S. 2337 (2344). 347 BVerfGE 88, 203 (273) – Schwangerschaftsabbruch II. 348 „Werden [. . .] Schwangerschaftsabbrüche unter bestimmten Voraussetzungen aus dem Straftatbestand ausgeklammert, so bedeutet dies lediglich, dass sie nicht mit Strafe bedroht sind“, BVerfGE 88, 203 (274) – Schwangerschaftsabbruch II. 349 Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 107. 350 Gropp, in: MüKo, Vorbem. §§ 218 ff., Rn. 58; Kühl, in: Lackner/Kühl, Vorbem. §§ 218–219b, Rn. 16; Merkel, in: NK, § 218a, Rn. 52 ff. m.w. N.; Tröndle, NJW 1995, 3009 (3011); Wessels/Hettinger, BT 1, Rn. 236. 351 Vgl. Knauer/Brose, in: Spickhoff, StGB, § 219, Rn. 9 m.w. N.

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ein Rechtfertigungsgrund. Denn ohne Erfüllung eines strafrechtlichen Unrechtstatbestandes ist es dogmatisch unmöglich, dass kriminelles Unrecht begründet wird. Diese Unmöglichkeit verurteilt die Fülle angebotener Lösungsansätze von vorneherein zum Scheitern. a) Tatobjekt Schwangere Die Frage, ob das Verlangen der Schwangeren in § 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB in Bezug auf die Verletzung ihrer Rechte rechtfertigende Kraft besitzt, stellt sich freilich nur dann, wenn man davon ausgeht, dass § 218 StGB ihre Rechte überhaupt schützt. Wie gesehen, wird dies wohl überwiegend bejaht. Danach vermag die (bloße) Einwilligung der Schwangeren nicht die Verletzung der Rechte des nasciturus zu rechtfertigen, da ihr insoweit die Dispositionsbefugnis fehle. Über ihre eigenen Rechte auf Gesundheit und körperliche Unversehrtheit hingegen könne sie verfügen und daher wirksam in deren Verletzung mit der Rechtsfolge der Rechtfertigung einwilligen.352 Nach Hillenkamp „ist die Körperverletzung durch das Abbruchsverlangen im Sinne einer Einwilligung gerechtfertigt“.353 Dem stehe auch § 228 StGB nicht entgegen, weil der Schwangerschaftsabbruch nach Konfliktberatung zwar möglicherweise als rechts-, nicht aber als sittenwidrig bezeichnet werden könne.354 Anderenfalls würde das in §§ 218a ff. StGB verwirklichte Lebensschutzkonzept des Gesetzgebers unterlaufen, weil sich der mitwirkende Arzt strafbar machte.355 Nach anderer Auffassung soll sich hinsichtlich der Rechtsgüter der Schwangeren eine Rechtfertigung wegen des Tatbestandsausschlusses erübrigen (die durch den abbrechenden Arzt notwendigerweise mitverwirklichten Körperverletzungsdelikte356 träten hinter dem vollendeten § 218 StGB im Wege der Konsumtion oder Spezialität zurück).357 b) Tatobjekt nasciturus Während hinsichtlich § 216 Abs. 1 StGB nahezu Einigkeit darüber herrscht, dass die Rechtswidrigkeit der Fremdtötung durch das Verlangen nicht ausgeschlossen wird, ist im Hinblick auf § 218a Abs. 1 StGB hochumstritten, ob der Tatbestandsausschluss bei einem verlangten Schwangerschaftsabbruch nach Konfliktberatung zugleich auch die Rechtswidrigkeit beseitigt, oder diese – als straf352

Vgl. Seibel, Probleme des „beratenen“ Schwangerschaftsabbruchs, S. 88. Hillenkamp, JuS 2014, S. 924 (925); Hervorhebung im Original. 354 Hillenkamp, JuS 2014, S. 924 (925). 355 Hillenkamp, JuS 2014, S. 924 (925). 356 Dies ist im Hinblick auf § 223 StGB konsentiert und wird nach überwiegender Auffassung auch hinsichtlich § 224 StGB angenommen. Tateinheit besteht jedoch zu § 227 StGB. Zu alledem Merkel, in: NK, § 218, Rn. 153 m.w. N. 357 Merkel, in: NK, § 218, Rn. 153 m.w. N. 353

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rechtsdogmatischer Bruch – trotz Tatbestandslosigkeit bestehen bleibt, oder ob gar ein rechtsfreier Raum betreten wird. Bei der Untersuchung des Verhältnisses des Tatbestandsmerkmals „Verlangen“ zum Unrecht des § 218 StGB muss stets im Blick behalten werden, dass die Person, die das Verlangen ausspricht, hier – anders als bei § 216 Abs. 1 StGB – hinsichtlich des Lebens des nasciturus über ein fremdes Recht verfügt und nur in Bezug auf die eigene körperliche Integrität Rechtsinhaberin ist. Daher dürfte einleuchten, dass das Abbruchsverlangen der Schwangeren allein die Rechtfertigung der Tötung des nasciturus nicht bewirken kann. Denn die rechtfertigende Kraft der Einwilligung speist sich nach allgemeiner Meinung aus der Dispositionsbefugnis über eigene Rechte.358 Außerdem unterscheiden sich hier der unrechtsbegründende Tatbestand (§ 218 StGB) und der Tatbestand, der das Verlangen enthält (§ 218a Abs. 1 StGB). aa) Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts Das BVerfG hatte sich in dem zweiten der beiden auch als „Fristenurteile“ bekannten Entscheidungen zum Schwangerschaftsabbruch von 1975 und 1993359 mit der Verfassungsmäßigkeit eines den Schwangerschaftsabbruch rechtfertigenden Verlangens zu befassen. In dem Normenkontrollverfahren stand § 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB360 in der Fassung des Schwangeren- und Familiengesetzes vom 27. Juli 1992, wonach der Schwangerschaftsabbruch auf das Verlangen der Schwangeren nach Konfliktberatung nicht rechtswidrig war, zur Überprüfung durch das Gericht. Wie bereits erwähnt, hat das BVerfG die Rechtfertigung des Schwangerschaftsabbruchs nach Konfliktberatung361 für ausgeschlossen erachtet.362 Auch 358

Siehe oben B.III.2. Eine detaillierte Darstellung folgt im Rahmen der Tatbestandsgenese unter E.II.2. 360 § 218a Abs. 1. Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs (1) Der Schwangerschaftsabbruch ist nicht rechtswidrig, wenn 1. die Schwangere den Schwangerschaftsabbruch verlangt und dem Arzt durch eine Bescheinigung nach § 219 Abs. 3 Satz 2 nachgewiesen hat, daß sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen (Beratung der Schwangeren in einer Notund Konfliktlage), 2. der Schwangerschaftsabbruch von einem Arzt vorgenommen wird und 3. seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind. (BGBl. v. 4. August 1992, Teil I, S. 1398 ff.). 361 Bemerkenswerterweise differenziert der Senat sprachlich zwischen Beraterinnen und Beratern (vgl. S. 282, 306, 307) und verwendet des Öfteren die geschlechtsneutrale Bezeichnung „beratende Person“ (vgl. S. 211, 284), während in Bezug auf den am Abbruch beteiligten Arzt nicht ein einziges Mal sprachlich zwischen den möglichen Geschlechtern differenziert, sondern immer nur das Maskulinum verwendet wird („der Arzt“). Die Verwendung des generischen Maskulinums in Bezug auf den angesehenen Arztberuf einerseits und das „Gendern“ in Bezug auf die beratende Person andererseits 359

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nach Durchführung des Beratungsverfahrens handele es sich dabei um Kriminalunrecht, dessen Folgen jedoch nicht in jeder Konsequenz gezogen werden dürften. Demnach sei der „beratene“ Schwangerschaftsabbruch nicht strafwürdig und ein Tatbestandsausschluss zulässig,363 Nothilfe zugunsten des nasciturus müsse ausgeschlossen werden und die Behandlungsverträge müssten wirksam sein364. Im Übrigen müsse der beratene Schwangerschaftsabbruch mit den Folgen seiner Rechtswidrigkeit bemakelt werden, etwa Sozialversicherungsverträge unwirksam sein.365 Über die eine Schwangerschaft nach Konfliktberatung abbrechende Frau hat das BVerfG somit das Unrechtsverdikt verhängt.366 Demnach beseitigt § 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB das Unrecht des Schwangerschaftsabbruchs nach Konfliktberatung gemäß der Jurisdiktion des BVerfG nicht.367 bb) Ausschluss nur des kriminellen Unrechts aus dem Tatbestand Ein Teil des Schrifttums geht davon aus, dass es sich bei § 218a Abs. 1 StGB um einen Tatbestandsausschluss handele, der nur das kriminelle Unrecht des Schwangerschaftsabbruchs ausschließe. Die Grundlage hierfür bietet die Anfördert unverhüllt die Prämissen des Senats über die gesellschaftlichen Rollen von Frau und Mann zutage. Die konsequente Verwendung des generischen Maskulinums oder Femininums ist das eine, aber dieses durch spezifisches „Gendern“ je nach gesellschaftlicher Ansehung eines Berufs zu durchbrechen, das andere. 362 BVerfGE 88, 203 (272 f.). 363 BVerfGE 88, 203 (273). 364 BVerfGE 88, 203 (279). 365 BVerfGE 88, 203 (274, 279 ff.). 366 „Die Beratungsregelung hat nach alledem zur Folge, dass die Frau, die ihre Schwangerschaft nach Beratung abbricht, eine von der Rechtsordnung nicht erlaubte Handlung vornimmt“, BVerfGE 88, 203 (280 f.). 367 Merkel hingegen entnimmt den Urteilen des BVerfG den Befund der Rechtmäßigkeit des beratenen Schwangerschaftsabbruchs. Er folgert dies aus der Widersprüchlichkeit einerseits der Feststellung im ersten Urteil, dass der beratene Schwangerschaftsabbruch wegen der – so die Interpretation Merkels – Grundrechtssubjektivität des nasciturus nicht zu rechtfertigen sei, andererseits aber der später im zweiten Urteil getroffenen Anordnung der Beratungsregelung. Nach dem „allgemeinen Rechtsprinzip des lex posterior-Satzes“ sei der Inhalt der späteren Entscheidung gültig und damit die Rechtswidrigkeitsfeststellung derogiert. Siehe Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 76 f. Auch im späteren Urteil trifft das BVerfG indessen eine Rechtswidrigkeitsfeststellung (BVerfGE 88, 203, 15. Leitsatz). Insofern ist die Argumentation Merkels unverständlich. Möglicherweise meint er die räumliche Nachfolge der Anordung der Beratungsregelung in den Urteilsgründen hinter der Rechtswidrigkeitsfeststellung in den Leitsätzen im selben Urteil (Schwangerschaftsabbruch II). Die räumliche Nachfolge derogiert jedoch nicht (vgl. Tettinger/Mann, Einführung in die juristische Arbeitstechnik, Rn. 94), vor allem nicht im Verhältnis Leitsätze – Entscheidungsgründe: „Bei der Ermittlung, was das Gericht als maßgeblich ansehen will, kommt den Leitsätzen einer Entscheidung besondere Bedeutung zu, die vom Gericht selbst formuliert und veröffentlicht werden. Aus ihnen ergibt sich, was das Gericht als Kern seiner Entscheidung ansieht und mit bindender Wirkung ausstatten will“, Maunz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 94, Rn. 29 m.w. N. auch zur a. A.

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nahme eines zweistufigen Verbrechensaufbaus, in dem bereits auf der Tatbestandsebene das Fehlen von Rechtfertigungsvoraussetzungen im Sinne negativer Tatbestandsmerkmale geprüft wird.368 Dieser Weg wird verschiedentlich beschritten. Langer stützt sich auf die verschiedenen Reichweiten des Tatbestandsbegriffs und kommt zu dem Schluss, dass § 218a Abs. 1 StGB in einem restriktivsten Verständnis nur den sogenannten „Straftatbestand“ (als gesetzliche Typisierung der Strafwürdigkeit) innerhalb des Unrechtstatbestands auszuschließen vermöge.369 Nach Günthers Lehre von der Strafrechtswidrigkeit, der sich Schlehofer angeschlossen hat, schließt § 218a Abs. 1 StGB nur das Strafunrecht aus, nicht aber das zivil- und öffentlich-rechtliche Unrecht.370 Dies sei damit erklärbar, dass beim Schwangerschaftsabbruch nach Konfliktberatung zwar Unrecht verwirklicht werde, aber nicht das für die Strafrechtswidrigkeit notwendige Maß an Unrecht, was aber nach dem verfassungsrechtlichen Übermaßverbot für die Strafwürdigkeit vorauszusetzen sei.371 cc) „Normaler“ Tatbestandsausschluss Entsprechend dem Wortlaut versteht die ganz herrschende Meinung § 218a Abs. 1 StGB als „normalen“ Tatbestandsausschluss.372 Dieser Lösungsansatz verortet den Tatbestandsausschluss des § 218 StGB – wie es auch der herkömmlichen Auffassung zum Tatbestandsausschluss entspricht – (daher) auf der ersten Prüfungsstufe im dreigliedrigen Verbrechensaufbau, das heißt auf einer Stufe mit dem Tatbestand der Strafbegründungsnorm.373 Demnach soll § 218a Abs. 1 StGB a priori zu einem Ausschluss des § 218 StGB führen. Dem Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ wird keine rechtfertigende Kraft in Bezug auf die Rechte des nasciturus beigemessen. dd) Tatbestandsausschluss sui generis Eser schlägt vor, § 218a Abs. 1 StGB als Tatbestandsausschluss sui generis zu begreifen,374 der im Falle einer gleichzeitigen Indikationserfüllung nicht Platz 368

Dazu Roxin, AT I, § 10, Rn. 13 ff. Langer, ZfL 1999, S. 47 ff.; dazu Seibel, Probleme des „beratenen“ Schwangerschaftsabbruchs, S. 30. 370 Schlehofer, in: MüKo, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 37, 63; dazu Seibel, Probleme des „beratenen“ Schwangerschaftsabbruchs, S. 34 m.w. N. 371 Schlehofer, in: MüKo, Vorbem. §§ 32, Rn. 52. 372 Zu den jeweiligen dogmatischen Begründungen siehe sub D.II.2. 373 Vgl. Seibel, Probleme des „beratenen“ Schwangerschaftsabbruchs, S. 28, 41 ff. m.w. N. 374 Dieser Auffassung ist auch Rudolphi, in: SK, § 218a, Rn. 4 (beachte aber D.II.2.b)gg)). 369

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greifen solle, um der Frau trotz erfüllter Voraussetzungen von § 218a Abs. 1 StGB die Rechtfertigung zu ermöglichen.375 Er versteht dies als Mittelweg zwischen der Annahme, § 218a Abs. 1 schließe das kriminelle Unrecht aus (die mit den Vorgaben des BVerfG in Konflikt steht) und jener, die kriminelles Unrecht trotz ausgeschlossenem Tatbestand bestehen bleiben sieht (die mangels dann noch vorhandener strafrechtlicher Missbilligung im luftleeren Raum steht).376 Eser hält dies für möglich, da das BVerfG lediglich untersagt habe, den nur beratenen Schwangerschaftsabbruch positiv für gerechtfertigt zu erklären, nicht jedoch gefordert habe, ihn ausdrücklich als „rechtswidrig“ zu bezeichnen.377 Dem Gesetzgeber sei nur aufgetragen worden, diese Wertung in außerstrafrechtlichen Regelungen zugrundezulegen (als Differenzierungsgebot zwischen gerechtfertigten und beratenen Schwangerschaftsabbrüchen).378 Dies sei in der Unterscheidung zwischen „nicht rechtswidrigen“ und „unter den Voraussetzungen des § 218a Abs. 1 StGB vorgenommenen“ Schwangerschaftsabbrüchen und der Anerkennung von Leistungsansprüchen nur für „nicht rechtswidrige“ Schwangerschaftsabbrüche so auch im SFHÄndG und im fünften Buch des Sozialgesetzbuchs zum Ausdruck gekommen.379 Im Übrigen ergebe sich aus dem verfassungsrechtlichen Verbot der Tötung des nasciturus nicht die Rechtswidrigkeit des beratenen Schwangerschaftsabbruchs für den Bürger.380 Eser weist ferner darauf hin, dass ein solches außerstrafrechtliches Verbot des enttatbestandlichten beratenen Schwangerschaftsabbruchs auch nicht aus der Vorenthaltung von Sozialversicherungsleistungen gefolgert werden könne. Das Sozialrecht werde „als Missbilligungsinstrument korrumpiert“.381 Schließlich stellt Eser fest, dass es de lege lata kein außerstrafrechtliches Verbot des Schwangerschaftsabbruchs gegenüber dem Bürger gebe, so auch nicht des Schwangerschaftsabbruchs nach Konfliktberatung.382

375 Eser, in: Schönke/Schröder, § 218a, Rn. 17 m.w. N.; für ein solches Verständnis de lege lata auch Rudolphi, in: SK, § 218a, Rn. 4 mit gleichwohl anderer Auffassung. 376 Eser, in: Schönke/Schröder, § 218a, Rn. 17. 377 Eser, in: Schönke/Schröder, § 218a, Rn. 16. 378 Eser, in: Schönke/Schröder, § 218a, Rn. 16. 379 Eser, in: Schönke/Schröder, § 218a, Rn. 16. 380 Eser weist darauf hin, dass sich ansonsten das BVerfG auch nicht um einen außerstrafrechtlichen Missbilligungsersatz für den entfallenen Straftatbestand hätte bemühen müssen, sondern einfach auf den entgegenstehenden Grundrechtsschutz hätte verweisen können. Außerdem konstatiert Eser, dass das BVerfG genau deshalb in seiner Übergangsanordnung zum Tatbestandsausschluss explizit das grundsätzliche Verbot des Schwangerschaftsabbruchs erwähnt habe. Diese Anordnung ist nun aber entfallen. Vgl. ders., in: Schönke/Schröder, § 218a, Rn. 15. Allerdings hat das BVerfG von der Unberührtheit gesprochen, die sich auf ein bestehendes Verbot beziehen muss. Dieser Bezugspunkt kann jedoch in der Tat nur im unmittelbaren Verfassungsrecht bestehen. 381 Eser, in: Schönke/Schröder, § 218a, Rn. 16. 382 Eser, in: Schönke/Schröder, § 218a, Rn. 16.

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ee) Fiktiver Tatbestandsausschluss Teilweise wird § 218a Abs. 1 StGB als fiktiver Tatbestandsausschluss verstanden.383 So bezeichnet etwa Saliger den Schwangerschaftsabbruch nach Konfliktberatung als „straflose Rechtsgutsverletzung“.384 ff) Rechtsfreier Raum Der sogenannte „rechtsfreie Raum“ ist ein Denkkonstrukt Arthur Kaufmanns, der den Schwangerschaftsabbruch darin verortete.385 Damit begegnete er der Problematik der vor dem ersten Urteil des BVerfG zum Schwangerschaftsabbruch geltenden Fristenlösung (welche die Strafbarkeit des Abbruchs ausschloss im Unterschied zum heutigen Tatbestandsausschluss). Der rechtsfreie Raum sei dem Recht entzogen und der Einzelne könne sich darin nach seinem Gewissen verhalten. Beispielhaft benennt Arthur Kaufmann das „Brett des Karneades“: der Versuch, auf das Brett zu gelangen, könne nicht zugleich rechtswidriger Angriff und rechtmäßige Notwehr sein.386 In solchen unlösbaren Konfliktsituationen solle die Rechtsordnung mangels eines rational einsichtigen Entscheidungsmaßstabes auf eine Normierung verzichten und es der freien Gewissensentscheidung des Einzelnen anheim stellen, wie er sich verhalte.387 Danach missbillige die Rechtsordnung zwar den Erfolg des Schwangerschaftsabbruchs, toleriere die Handlung aber. Im Unterschied zu einem Rechtfertigungsgrund fehle daher die Billigung. gg) Rechtfertigung Im Vordringen befindlich ist eine Auffassung, die § 218a Abs. 1 StGB faktisch einem Rechtfertigungsgrund gleichstellt.388 Die Rechtsfolge ist hiernach die Rechtmäßigkeit des beratenen Schwangerschaftsabbruchs de lege lata.389 Zum Teil wird diese Rechtsfolge aber auch erst de lege ferenda befürwortet. So sprechen nach Rudolphi die besseren Gründe dafür, „dass beratene Abbrüche nach § 218a Abs. 1 in Wahrheit nicht tatbestandslos und rechtswidrig, sondern rechtmäßig sind“.390 Insoweit sei der Gedanke der prozeduralen Rechtfertigung 383

Dazu Seibel, Probleme des „beratenen“ Schwangerschaftsabbruchs, S. 36 ff. Saliger, Schriftliche Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages am 12.12.2012, S. 10. 385 Arthur Kaufmann, FS-Maurach, S. 327 (339 ff.). Dazu instruktiv und kritisch Preisendanz, in: Petters/Preisendanz, § 218a, Rn. 2. 386 Arthur Kaufmann, FS-Maurach, S. 327 (327 f.). 387 Arthur Kaufmann, FS-Maurach, S. 327 (330). 388 Fischer, § 218a, Rn. 5 m.w. N.; Hermes/Walther, NJW 1993, S. 2337 (2341); Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 86; ders., in: NK, § 218, Rn. 50 ff., 63. 389 Ausdrücklich Merkel, in: NK, § 218a, Rn. 63 ff.; ders., Forschungsobjekt Embryo, S. 86. 390 Rudolphi, in: SK, § 218a, Rn. 3. 384

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weiterführend.391 Denn Voraussetzung für den „Tatbestandsausschluss“ sei ausschließlich die Erfüllung bestimmter prozeduraler Bedingungen. Materielle Voraussetzungen seien nicht erforderlich, es erfolge auch keinerlei inhaltliche Kontrolle der allein maßgeblichen Entscheidung der Schwangeren. Dies verträgt sich nach der Auffassung von Rudolphi zwar mit dem Postulat des BVerfG, dass der Gesetzgeber die Intensität des Lebensschutzes unterschiedlich gestalten dürfe.392 Die Einordnung von § 218a Abs. 1 StGB als Rechtfertigungsgrund sei aber nicht mit dem positiven Recht vereinbar, da nach dem gesetzgeberischen Willen § 218 StGB eindeutig zwischen tatbestandsmäßigen Abbrüchen (Abs. 1) und nicht rechtswidrigen Abbrüchen (Abs. 2 und 3) unterscheide.393 Der Rechtfertigungsgedanke sei daher de lege lata nicht zu halten und es bleibe nichts anderes übrig, als § 218a Abs. 1 StGB als Tatbestandsausschluss sui generis zu begreifen.394 hh) Entfall der „Tatverantwortung“ Denkbar ist es, nach der Lehre Maurachs wegen der singulären Situation der „Zweiheit in Einheit“ die Tatverantwortung der Schwangeren entfallen zu lassen. Diese Lehre geht davon aus, dass in scheinbar unlösbaren Konfliktsituationen wie z. B. dem „Brett des Karneades“ die Tatverantwortung entfallen müsse, eine zusätzliche Wertungsstufe zwischen Unrecht und Schuld.395 Fehle diese, sei zwar kein Rechtfertigungsgrund gegeben, aber die rechtliche Missbilligung treffe nur die Tat und nicht den Täter.396 Nach der Weiterentwicklung der Theorie Maurachs durch Maihofer ist die Tatverantwortung nicht im Rahmen der Schuld, sondern im Handlungsunwert zu verorten.397 Somit entfiele beim beratenen Schwangerschaftsabbruch lediglich der Handlungsunwert, der Erfolgsunwert aber bliebe bestehen. Ohne Handlungsunwert ist das Unrecht nicht personal. Der Schwangeren wäre hiernach kein personales Unrecht zurechenbar, so dass sie folglich rechtmäßig handelte. c) Würdigung aa) Tatobjekt Schwangere Der Annahme, dass das Verlangen der Schwangeren in § 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB in Bezug auf die Verletzung ihrer Rechtsgüter rechtfertigende Kraft entfalte, begegnen zwei Einwände. Da die überwiegende Auffassung von der 391 Rudolphi, in: SK, § 218a, Rn. 3; siehe dazu ferner Lenckner/Sternberg-Lieben, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 7a, 7c. 392 Rudolphi, in: SK, § 218a, Rn. 3. 393 Rudolphi, in: SK, § 218a, Rn. 4. 394 Rudolphi, in: SK, § 218a, Rn. 4; vgl. zudem oben D.II.2.b)dd). 395 Maurach, Schuld und Verantwortung, S. 36 ff. 396 Maurach, Schuld und Verantwortung, S. 36 ff. 397 Maihofer, FS-Rittler, S. 114 (141, 161).

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Rechtswidrigkeit des Schwangerschaftsabbruchs nach Konfliktberatung ausgeht, muss man sich erstens die oben bereits angesprochene Frage stellen, ob die notwendig mitverwirklichte Körperverletzung der Schwangeren im Hinblick auf § 228 StGB durch die im Verlangen enthaltene Einwilligung überhaupt einer Rechtfertigung zugänglich wäre.398 Dies hängt zunächst davon ab, ob als Kriterien für die Sittenwidrigkeit der Tat nur Art und Umfang der Körperverletzung in Betracht gezogen werden399 oder auch der mit ihr verfolgte Zweck400.401 Nach Art und Umfang der Körperverletzung wird die Sittenwidrigkeit mehrheitlich bei einer konkreten Todesgefahr bejaht. Eine solche scheidet bei einem ärztlich vorgenommenen Schwangerschaftsabbruch regelmäßig aus. Als sittenwidriger Zweck wird etwa die Vornahme einer Straftat angesehen.402 Der Schwangerschaftsabbruch nach Konfliktberatung ist aber gerade nicht straftatbestandsmäßig, sondern – nach der überwiegenden Auffassung – eine straftatbestandslose rechtswidrige Handlung. Auch soweit man die Rechtswidrigkeit annimmt, überzeugt gegen die Einordnung als sittenwidrig schließlich das Argument, dass anderenfalls die dann eintretende Strafbarkeit des mitwirkenden Arztes in Widerspruch zu dem Lebensschutzkonzept des Gesetzgebers geriete.403 Somit spräche nichts dagegen, die notwendig mitverwirklichte Körperverletzung der Schwangeren durch ihr Verlangen nach den Prämissen der herrschenden Auffassung auch als gerechtfertigt zu erachten. Der zweite – grundlegendere Einwand – liegt darin begründet, dass es dogmatisch unsauber ist, dem Verlangen der Schwangeren in § 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB in Bezug auf die Verletzung ihrer Rechtsgüter rechtfertigende Kraft beizumessen. Denn § 218a Abs. 1 StGB ordnet ausdrücklich bereits den Tatbestandsausschluss von § 218 StGB an, so dass das Verlangen der Schwangeren in Bezug auf ihre eigenen Rechte bereits eine tatbestandsausschließende Wirkung hat. §§ 223 ff. StGB, die als Begleittat für den Abbruch notwendig mitverwirklicht werden, treten in Gesetzeskonkurrenz hinter dem vollendeten § 218 Abs. 1 StGB zurück,404 wären aber – wie gesehen – durch die im Verlangen enthaltene Einwilligung gerechtfertigt. Wenn die übrigen Voraussetzungen des § 218a Abs. 1 StGB nicht erfüllt sind, ist die Verletzung ihrer Rechte somit durch die im Verlangen enthaltene Einwilligung gerechtfertigt. 398

Dagegen Merkel, in: NK, § 218, Rn. 153. So die h. M.; BGH, NJW 2004, S. 2458 (2459) m.w. N.; Fischer, § 228, Rn. 9; Hirsch, in: LK, § 228, Rn. 9. 400 Maßgeblich wird der Zweck mit in die Bewertung eingestellt von RGSt 74, 91 (94); BGH, NJW 1953, S. 473; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 228, Rn. 10; Stree, in: Schönke/Schröder, § 228, Rn. 8. 401 Vgl. dazu Kühl, in: Lackner/Kühl, § 228, Rn. 10 m.w. N. 402 Horn/Wolters, in: SK, § 228, Rn. 8; Paeffgen, in: NK, § 228, Rn. 55. 403 Hillenkamp, JuS 2014, S. 924 (925). 404 Gropp, in: MüKo, § 218, Rn. 58 m.w. N. 399

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bb) Tatobjekt nasciturus Für die These, dass nur das kriminelle Unrecht aus dem Tatbestand ausgeschlossen werde, lässt sich zunächst anführen, dass dies den Vorgaben des BVerfG entspricht. Denn das BVerfG hat dem Gesetzgeber aufgegeben, das Verbot des Schwangerschaftsabbruchs, das im Umfang des Tatbestandsausschlusses nicht mehr in einer Strafbestimmung enthalten sei, an anderer Stelle der Rechtsordnung in geeigneter Weise zum Ausdruck zu bringen.405 Danach fehlt kriminelles Unrecht bei einem Abbruch gem. § 218a Abs. 1 StGB auch nach Auffassung des BVerfG. Für die Auffassung spricht weiterhin die (dem BVerfG folgende) Begründung des Gesetzgebers, wonach der Schwangerschaftsabbruch nach Konfliktberatung im Bereich des Strafrechts nicht als Unrecht angesehen werden soll.406 Indem die spezifische Strafrechtswidrigkeit im Tatbestand verortet wird, ist zudem erklärbar, warum ein Tatbestandsausschluss in Betracht kommen soll, obwohl alle (anderen) Tatbestandsmerkmale erfüllt sind.407 Gegen die vorgenannte Ansicht lässt sich jedoch einwenden, dass sie Tatbestand und Rechtswidrigkeit vermischt. Es wird zwar auch hier vertreten, dass der „beratene“ Schwangerschaftsabbruch nach dem Verhältnismäßigkeitsgebot wegen der Einhaltung des Beratungsprozederes nicht mehr das notwendige Quantum an Unrecht erreicht, um spezifisches Strafunrecht bestehen zu lassen – dies liegt aber daran, dass das verwirklichte Unrecht durch die Einhaltung des Verfahrens kompensiert wird.408 Diese Einzelfallbewertung ist eine Frage der Rechtfertigung eines an sich tatbestandsmäßigen Verhaltens. Denn es sind, wie Schlehofer selbst feststellt, alle Tatbestandsmerkmale des § 218 Abs. 1 StGB erfüllt, so dass das vom Gesetzgeber in der Strafnorm aufgrund der Strafwürdigkeit des Schwangerschaftsabbruchs abstrakt vertypte Unrecht begründet wird. Der Gesetzgeber hat sich durch die Kriminalisierung in § 218 StGB bereits dafür entschieden, dass im Falle des Schwangerschaftsabbruchs das für spezifisches Strafunrecht nötige Quantum an Unrecht grundsätzlich, also in einer abstrakt-generellen Wertung, erreicht ist. Die Erfüllung des im Tatbestand abstrakt-generell vertypten Unrechts kann nur durch einen Rechtfertigungsgrund beseitigt werden, und zwar in einer Einzelfallprüfung (sozusagen in einem zweiten logischen Schritt). Es ist daher nicht, wie Schlehofer anführt, belanglos, wo – als Ausfluss und nicht etwa Prüfung des Ver405

BVerfGE 88, 203 (279) – Schwangerschaftsabbruch II. BT-Drucks. 13/1850, S. 25. 407 Schlehofer, in: MüKo, Vorbem. §§ 32 ff., Rn. 63 f.; vgl. Seibel, Probleme des „beratenen“ Schwangerschaftsabbruchs, S. 35. 408 Dazu im Folgenden D.II.3. 406

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hältnismäßigkeitsprinzips! – die Frage eines Unrechtsausschlusses entschieden wird. Die Unrechtsminderung eines an sich tatbestandsmäßigen Verhaltens unter das Maß der Strafwürdigkeit ist auf Normebene strafrechtsdogmatisch somit als Rechtfertigung zu qualifizieren. Für die Annahme eines „normalen“ Tatbestandsausschlusses streitet ganz klar der Wortlaut. Ohne Erfüllung eines Straftatbestandes ist kriminelles Unrecht jedoch nicht zu begründen. Eser ist in seiner zutreffenden Kritik und seinen Grundannahmen beizupflichten. Gegen seine Lösung über einen „Mittelweg“ spricht aber, dass die Frage der Rechtswidrigkeit eines solchen Mittelwegs gar nicht zugänglich ist – ein Verhalten ist entweder rechtswidrig oder rechtmäßig.409 Für die Theorie Saligers vom fiktiven Tatbestandsausschluss spricht, dass damit der Widerspruch, dass der „beratene“ Schwangerschaftsabbruch eigentlich den Tatbestand des § 218 Abs. 1 StGB erfüllt, aufgelöst werden kann.410 Dagegen spricht allerdings wiederum unüberwindbar der Wortlaut, nach dem der Tatbestand gemäß § 218a Abs. 1 StGB nicht verwirklicht ist.411 Gegen Arthur Kaufmanns Modell vom rechtsfreien Raum wendet Preisendanz zutreffend ein, dass ein Rechtfertigungsgrund nicht von einer Billigung abhängt.412 Die Rechtfertigung trete ein, wenn der Gesetzgeber bestimmte Verhaltensweisen in typisierender Form dulde und damit vom Urteil der Rechtswidrigkeit freistelle, obwohl sie einen bestimmten Unrechtstatbestand verwirklichen.413 Einen solchen typisierenden Erlaubnistatbestand habe auch die damalige Fristenlösung enthalten, so dass sie nur als Rechtfertigungsgrund verstanden werden könne.414

409

Vgl. dazu auch die Kritik am sog. „rechtsfreien Raum“. Das BVerfG sprach insoweit von der „Ausnahme“ aus dem Tatbestand und erklärte diesen in seiner Anordnung gemäß § 35 BVerfGG für nicht „anwendbar“. Die Nichtanwendbarkeit eines Tatbestands ist im Strafrecht im räumlich-zeitlichen Kontext bekannt (vgl. §§ 2 ff. StGB), geht es um materielle „Nichtanwendbarkeit“, ist regelungsstechnisch der Tatbestandsausschluss einschlägig. Da § 218 Abs. 1 StGB auf den Schwangerschaftsabbruch nach Konfliktberatung indes gerade anwendbar ist (ein Tatbestandsausschluss somit unlogisch), wäre hier regelungstechnisch in § 218a Abs. 1 StGB sogar die Formulierung „nicht anwendbar“ gegenüber „nicht verwirklicht“, wie es de lege lata der Fall ist, vorzugswürdig gewesen. Denn der Tatbestand ist nun einmal eigentlich verwirklicht. 411 So auch Seibel, Probleme des „beratenen“ Schwangerschaftsabbruchs, S. 39 m.w. N. 412 Preisendanz, in: Petters/Preisendanz, § 218a, Rn. 2. So auch Eser, der diese Verwechslung für die regelungstechnischen Friktionen des § 218a Abs. 1 StGB verantwortlich macht; ders., in: Schönke/Schröder, § 218a, Rn. 18. 413 Preisendanz, in: Petters/Preisendanz, § 218a, Rn. 2. 414 Preisendanz, in: Petters/Preisendanz, § 218a, Rn. 2. 410

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D. Rechtsfolgen des Verlangens

Das Modell ist jedoch auch im Übrigen zu Recht auf Ablehnung gestoßen,415 verträgt es sich doch nicht mit der grundgesetzlich vorgegebenen Verrechtlichung. So sind die Schranken von Art. 2 Abs. 1 GG enger als der von Kaufmann vorgeschlagene „rechtsfreie Raum“. Der Staat kann seine Schutzpflichten dort, wo Rechtspositionen Dritter – des nasciturus – angetastet werden, nicht einem „rechtsfreien Raum“ preisgeben. Es geht nämlich gerade nicht nur um eine sittliche Entscheidung,416 sondern um eine solche, die in das verfassungsrechtlich verbürgte Lebensrecht ungeborenen Lebens eingreift. Allerdings ist die Überlegung berechtigt, ob in dem Tatbestandsausschluss de lege lata nicht in Wahrheit tatsächlich ein solcher rechtsfreier Raum, ein Enthalten vor einer Bewertung,417 liegt. Der Vorteil der Konzeption von Maurach und Maihofer ist es, dass damit einerseits der Vorgabe des BVerfG, den Schwangerschaftsabbruch nach Konfliktberatung als kriminelles Unrecht zu behandeln, genügt würde, andererseits dieses Unrechtsverdikt aber nicht die Schwangere träfe. Die Terminologie vom Wegfall der „Tatverantwortung“ ist allerdings unglücklich gewählt, vielmehr handelt es sich um eine eigenverantwortliche Entscheidung,418 die kein personales Unrecht begründet. Zugestimmt wird vorliegend im Ergebnis der Ansicht, die eine besondere Form der Rechtfertigung annimmt. Dogmatisch unrichtig wäre es jedoch, einen ausdrücklich im Gesetz angeordneten Tatbestandsausschluss synonym zu einem Rechtfertigungsgrund zu behandeln. De lege lata kann das richtige Ergebnis nur erreicht werden, wenn die Rechtmäßigkeit als logisch konsekutiv zum Tatbestandsausschluss eintretend verstanden wird. De lege ferenda wäre die Ausgestaltung als Rechtfertigungsgrund wünschenswert. 3. Eigene Theorie zum Unrechtsgehalt von § 218 Abs. 1 StGB und zur Wirkung des Abbruchsverlangens Die Würdigung des Meinungsstandes hat ergeben, dass die verschiedenen Auffassungen über den Unrechtsgehalt von § 218 Abs. 1 StGB und die Rechtsfolge des verlangten Schwangerschaftsabbruchs nach Konfliktberatung nicht vollständig überzeugen können. Nachfolgend soll deshalb der Versuch unternommen werden, die aufgezeigten Ungereimtheiten in einer eigenen Theorie auszuräumen.

415 416 417 418

Hilgendorf, NJW 1996, S. 758 (762) m.w. N. So aber Arthur Kaufmann, in: FS-Maurach, S. 327 (331). Vgl. Arthur Kaufmann, in: FS-Maurach, S. 327 (335). Arthur Kaufmann, FS-Maurach, S. 327 (330 f.).

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a) Unrechtsgehalt von § 218 Abs. 1 StGB aa) Nasciturus als Mensch: Versagen des klassischen Auslegungskanons Zunächst ist zu prüfen, ob dem nasciturus aus verfassungsrechtlichen Gründen, namentlich der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG und dem Lebensrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1, 1. Var. GG, „Menschqualität“ zuzusprechen ist. Der Wortlaut der Grundrechte lässt eine Eröffnung des persönlichen Schutzbereichs für den nasciturus ungeachtet der inhaltlichen Ausrichtung auf geborene Menschen zu,419 gibt sie aber nicht vor.420 Die Menschenwürde setzt zwar nach dem Wortlaut einen Menschen als Träger der Würde voraus. Denkbar ist es aber, bereits den nasciturus als Menschen zu begreifen. Dies gilt ebenso für das Lebensrecht, das gemäß Art. 2 Abs. 2 S. 1, 1. Var. GG „jedem“ gewährt wird. Demgegenüber verneint Ipsen den Grundrechtsstatus des nasciturus unter anderem mit Verweis auf die Menschenwürde als sozialem Achtungsanspruch, die das Geborensein des Menschen voraussetze.421 Auch in der Rezeption des Grundgesetzes, also dem juristischen Sprachgebrauch, ist oft von der angeborenen Menschenwürde und den angeborenen Menschenrechten die Rede.422 Der Menschenbegriff des Grundgesetzes kann nach dem Wortlaut folglich sowohl in die eine als auch in die andere Richtung ausgelegt werden.423 Aus einer systematischen Betrachtung erhellt zwar, dass die meisten Grundrechte sachlich auf den nasciturus nicht anwendbar sind. Allerdings werden die Grundrechte jedem Menschen unabhängig davon gewährt, ob er sie in Anspruch zu nehmen vermag. Somit lässt sich hieraus nichts für den persönlichen Schutzbereich folgern, insbesondere nicht, ob der nasciturus verfassungsrechtlich unter den Menschbegriff zu subsumieren ist. Der Rekurs auf das Telos von Art. 1 Abs. 1 GG oder Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG scheitert daran, dass Sinn und Zweck einen Bezugspunkt des Schutzes bereits voraussetzen und somit die Annahme, der nasciturus solle als Mensch geschützt 419

Ipsen, JZ 2001, S. 989 (991, 994 f.) m.w. N. Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 26 ff. 421 Ipsen, JZ 2001, S. 989 (992 f.). Im Übrigen argumentiert Ipsen – auch im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG – überwiegend anhand der ansonsten zu konstatierenden Verfassungswidrigkeit des geltenden Abbruchsrechts. Dem wird hier zwar insoweit gefolgt, als aus diesem Grunde die Auffassung, die dem nasciturus die Grundrechtssubjektivität zuspricht und gleichwohl den Schwangerschaftsabbruch de lege lata für zulässig hält, als inkonsistent zurückgewiesen wird. Allerdings kann die Verfassungswidrigkeit einfachen Rechts wegen der Normenhierarchie kein Argument für das Gesollte auf Verfassungsebene sein. 422 Vgl. Isensee, AöR 131 (2006), S. 177. 423 Vgl. A. Dolderer, Menschenwürde und Spätabbruch, S. 88 ff. 420

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werden – ebenso wie die Gegenauffassung –, eine petitio principii wäre.424 Ob der subjektive Schutz auch des ungeborenen Lebens bezweckt wird, hängt überhaupt erst davon ab, ob der persönliche Anwendungsbereich eröffnet ist. Man dreht sich also im Kreis. Begründet wird die fehlende Rechtsfähigkeit im Hinblick auf die Schutzrichtung der Grundrechte zum Teil damit, dass dem nasciturus bestimmte menschliche Fähigkeiten bzw. Eigenschaften wie Erlebensfähigkeit425 und Überlebensinteresse426 fehlen würden.427 Da die Rechtsfähigkeit und damit Grundrechtsträgerschaft aber unstreitig spätestens mit der Geburt auch dann eintritt und bestehen bleibt, wenn ein geborener Mensch diese Attribute nicht erwirbt oder sie (etwa durch pathologische Zustände) verliert, vermag diese Argumentation nicht zu überzeugen.428 Die historische Auslegung wird vorliegend nur insoweit für maßgeblich erachtet, als sie sich auf die verobjektivierbare Tatbestandsgenese bezieht. Aus dem Protokoll des Parlamentarischen Rates zu Art. 1 Abs. 1 GG ergibt sich keine Auseinandersetzung über einen Einbezug des nasciturus.429 Die Entstehungsgeschichte von Art. 2 Abs. 2 S. 1, 1. Var. GG ist ebenfalls nicht ergiebig hinsichtlich der Frage, ob der nasciturus in den persönlichen Schutzbereich einzubeziehen ist.430 Während die einen den historischen subjektiven Willen des Gesetzgebers dahingehend deuten, dass er auch den nasciturus als Mensch im Sinne des Artikels miteinbeziehen wollte,431 folgern die anderen das Gegenteil432 aus dem Verfahrensablauf im Parlamentarischen Rat, der die Aufnahme des Zusatzes „Auch das keimende Leben ist geschützt“ in Art. 2 Abs. 2 GG abgelehnt hatte. Hier wird virulent, dass vorliegend der objektiven Auslegungstheorie gefolgt wird. Die diametral gegenläufigen Interpretationen zeigen deutlich, dass die Diskussion im Ausschuss und die Tatsache, dass der Beschluss auf Aufnahme des Zusatzes abgelehnt worden war, im Rahmen der historischen Auslegung nicht herangezogen werden dürfen. Denn es trifft zwar zu, dass einige Abgeordnete geäußert hatten, sie sähen den nasciturus auch ohne den Zusatz „Auch das keimende Leben ist geschützt“ vom persönlichen Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 424

Vgl. Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 28. Merkel, FS-Müller-Dietz, S. 508. 426 Hoerster, ZfL 2006, S. 45 (46). 427 Vgl. die Übersicht bei A. Dolderer, Menschenwürde und Spätabbruch, S. 62 ff. 428 Kritisch auch A. Dolderer, Menschenwürde und Spätabbruch, S. 62 ff., 67 ff. mit überzeugenden Gegenargumenten. 429 Vgl. A. Dolderer, Menschenwürde und Spätabbruch, S. 90 m.w. N. 430 Anders A. Dolderer, Menschenwürde und Spätabbruch, S. 104 f. m.w. N. 431 BVerfGE 39, 1 (40) – Schwangerschaftsabbruch I. 432 Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 28 ff. m.w. N., beachte aber S. 31. 425

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GG erfasst.433 Letztlich ist aber nicht nachvollziehbar, ob der Zusatz von der Ratsmehrheit für unnötig erachtet wurde oder der nasciturus aus dem persönlichen Schutzbereich exkludiert werden sollte. Aus der bloßen Ablehnung eines Antrags kann nichts anderes gefolgert werden als die Tatsache, dass die beantragte Änderung nicht vorgenommen werden sollte. Die Gründe für die Ablehnung können sehr verschieden sein, denkbar ist sowohl, dass die Änderung in einem anderen Sinne gewollt war, die Änderung schlicht für unzweckmäßig gehalten wurde oder die Vorschrift unberührt gelassen werden sollte.434 Hier zeigt sich deutlich, wie schnell die historisch-subjektive Auslegung zum Einfallstor für Spekulationen werden kann. Es empfiehlt sich daher, nur auf den verobjektivierten, d.h. in Beschlussform gefassten Willen des Gesetzgebers bzw. hier des Rats abzustellen. Nicht die Diskussion im Ausschuss spiegelt den Willen des Gesetzgebers wieder (höchstens der einzelnen Mitglieder), sondern der körperschaftlich verfasste Wille in Form des Beschlusses.435 Daher ist es weder zulässig, aus der Ablehnung des Zusatzes „Auch das keimende Leben ist geschützt“ zu schließen, dass die Antragsgegner das keimende Leben bereits durch den Menschenbegriff geschützt sahen, noch ist es zulässig, hieraus schließen zu wollen, dass das keimende Leben aus dem Menschenbegriff exkludiert werden sollte. Aufgrund dieser Unwägbarkeiten wird vorliegend überhaupt nicht auf die gesetzgeberischen Intentionen abgestellt. Hinsichtlich der objektiven Auslegung ist die Entstehungsgeschichte allerdings ebensowenig ergiebig. Folglich lässt sich mit dem klassischen Auslegungskanon für die Frage, ob der nasciturus Grundrechtssubjekt ist, nicht viel gewinnen.436 Der Weg zur Lösung wird deshalb vorliegend auf andere Art und Weise beschritten. bb) Eigener Vorschlag: Klärung des Grundrechtsstatus über die praktische Konkordanz Entscheidend ist der Ausgangspunkt von der singulären Situation der „Zweiheit in Einheit“ 437. Will man dem nasciturus die Grundrechtssubjektivität zugestehen, führt allein diese Entscheidung zu einer Grundrechtskollision mit den Rechten der Schwangeren. Denn fest steht zumindest, dass die Schwangere Grundrechtsträgerin ist. Die unsichere Frage, ob der nasciturus Grundrechtsträger ist, wird deshalb hier danach beantwortet, ob dies im Wege praktischer Konkordanz bejaht werden 433

Vgl. A. Dolderer, Menschenwürde und Spätabbruch, S. 105 m.w. N. Ulsamer, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 80, Rn. 81. 435 Zutreffend Ulsamer, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 80, Rn. 81. 436 Merkel, Forschungsobjekt Embryo, 27 f. 437 BVerfGE 88, 203 (253) – Schwangerschaftsabbruch II. 434

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kann; ob also der Zugang des nasciturus zum persönlichen Schutzbereich der Grundrechte mit den Grundrechten der Schwangeren – als gesicherte Erkenntnis – vereinbar ist. (1) Konsequenzialistische Vorfragen Die Frage wird vorliegend verneint. Zunächst ergibt sich das aus den Konsequenzen. Geht man von der Arbeitshypothese aus, der nasciturus sei Grundrechtssubjekt, wäre der Schwangeren die Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruchs verwehrt. Zunächst wäre die Erlaubnis zur Tötung eines anderen Grundrechtsträgers gegen seinen Willen unter den Voraussetzungen von § 218a Abs. 1–3 StGB als Negierung der Anerkennung als Subjekt ein Eingriff in die Menschenwürde. Im Übrigen wäre das Ergebnis der Abwägung eines subjektiven Lebensrechts des nasciturus mit den betroffenen Grundrechten der Schwangeren eindeutig, soweit man mit dem BVerfG davon ausgeht, dass ein staatlicher Eingriff nicht von vorneherein ausscheidet und somit der Weg in die Prüfung eines verhältnismäßigen Ausgleichs eröffnet ist.438 Betroffen sind das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Schwangeren, insbesondere die Selbstbestimmung über den eigenen Körper, aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG439 sowie ihre Rechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG440. Hinsichtlich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts wäre die Entscheidung über den Schwangerschaftsabbruch der Einwirkung der öffentlichen Gewalt entzogen, wenn die Intimsphäre der Frau betroffen ist. Nach der sogenannten Sphärentheorie, die sowohl die Schutzgehalte des Persönlichkeitsrechts (Intim-, Privat- und Sozialsphäre) als auch die Anforderungen an die verfassungsrechtliche Rechtfertigung von Eingriffen umschreibt, sind die Anforderungen einer Rechtfertigung umso höher, je stärker eine Beeinträchtigung in den Kernbereich der Persönlichkeit hineinreicht.441 Die höchste Schutzintensität genießt wegen der besonderen Nähe zur Menschenwürde die Intimsphäre als unantastbarer Bereich privater Lebensgestaltung.442 Sie ist absolut geschützt, so dass staatliche Eingriffe nicht verfassungsrechtlich zu rechtfertigen sind.443 Eine Abwägung scheidet dann aus.444 Im ersten Urteil zum Schwangerschaftsabbruch hat der 1. Senat den Schwanger438

Vgl. BVerfGE 39, 1 (42) – Schwangerschaftsabbruch I. Dazu BVerfGE 39, 1 (42 f.) – Schwangerschaftsabbruch I und BVerfGE 88, 203 (254) – Schwangerschaftsabbruch II. 440 BVerfGE 88, 203 (254) – Schwangerschaftsabbruch II. 441 Martini, JA 2009, S. 839 (844) m.w. N. 442 BVerfGE 109, 279 (313) m.w. N.; Lang, BeckOK, GG, Art. 2, Rn. 39 m.w. N. 443 BVerfGE 109, 279 (313) m.w. N.; Lang, BeckOK, GG, Art. 2, Rn. 39 m.w. N. 444 BVerfGE 109, 279 (313); Martini, JA 2009, S. 839 (844). 439

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schaftsabbruch ausdrücklich der Intimsphäre der Frau zugeordnet und gleichwohl wegen der „sozialen Dimension“ eine Abwägung vorgenommen.445 Der 2. Senat hat das Problem im zweiten Urteil zum Schwangerschaftsabbruch komplett übergangen und – ohne überhaupt zu prüfen oder wenigstens zu benennen, welche Sphäre des Grundrechts betroffen ist – schlicht behauptet, dass das Persönlichkeitsrecht der Frau berührt werde, ihre Grundrechte aber nicht durchgreifen würden.446 Nach alledem muss zunächst geprüft werden, welcher Sphäre des Persönlichkeitsrechts die Entscheidung über einen Schwangerschaftsabbruch zuzuordnen ist. Ob ein Sachverhalt dem unantastbaren Kernbereich zuzuordnen ist, hängt davon ab, ob er nach seinem Inhalt höchstpersönlichen Charakters ist.447 Das, was sich im eigenen Körper abspielt, hat wohl recht eindeutig höchstpersönlichen Charakter, so dass die Schwangerschaft auf den ersten Blick der Intimsphäre zuzugehören scheint. Allerdings kommt es auch darauf an, in welcher Art und Intensität die Sphäre anderer oder Belange der Gemeinschaft berührt werden.448 Aufgrund der Besonderheit der „Zweiheit in Einheit“ werden mit der Entscheidung über den Abbruch einer Schwangerschaft auch die Belange des fremden Lebens, nämlich dessen Existenz, berührt. Deshalb ist die Entscheidung über den Schwangerschaftsabbruch nicht der Intimsphäre, sondern der Privatsphäre der Frau zuzuordnen, wobei die Grenzen – wiederum wegen der „Zweiheit in Einheit“ – fließend sind. Im Wege der somit möglichen Abwägung wäre die Versagung des (vom BVerfG angenommenen) Lebensrechts des nasciturus als ein Höchstwert des Grundgesetzes449 mit dem Verweis auf das Selbstbestimmungsrecht und das Recht auf körperliche Unversehrtheit der Schwangeren verfassungsrechtlich aber nicht zu rechtfertigen.450 Das Leben des nasciturus wird beim Schwangerschaftsabbruch vernichtet, während die Selbstbestimmung und körperliche Unversehrtheit der Frau durch die Schwangerschaft lediglich beeinträchtigt werden.451 In einem solchen Fall 445 „Die Schwangerschaft gehört zur Intimsphäre der Frau“, BVerfGE 39, 1 (42) – Schwangerschaftsabbruch I. 446 BVerfGE 88, 203 (254 f.) – Schwangerschaftsabbruch II. 447 BVerfGE 34, 238 (248); BVerfGE 80, 367 (374); Lang, BeckOK, GG, Art. 2, Rn. 39. 448 Lang, BeckOK, GG, Art. 2, Rn. 39 m.w. N. 449 BVerfGE 39, 1 (42) – Schwangerschaftsabbruch I. 450 Zu Recht argumentiert Merkel (auch mögliche Notstandslagen überprüfend) gegen eine Rechtfertigungsmöglichkeit unter der Prämisse der Grundrechtssubjektivität des nasciturus; ders., Forschungsobjekt Embryo, S. 68 ff., 93 ff., 110 ff., 112 ff.; gegen eine Rechtfertigung bei unterstellter Grundrechtssubjektivität im Ergebnis auch Ipsen, JZ 2001, S. 989 (994). Einen unauflösbaren Widerspruch sieht ebenso Hoerster, NJW 1997, S. 773 (773). 451 BVerfGE 39, 1 (43) – Schwangerschaftsabbruch I.

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von zwei Grundrechtsträgern – das heißt, zwei gleichberechtigten Rechtssubjekten – mit kollidierenden Grundrechtspositionen, von denen einer in seiner Existenz ausgelöscht, der andere aber nur in einem Recht beeinträchtigt werden soll, kann man keine andere logische Lösung finden452 als den schonendsten Ausgleich im Vorrang der Existenz vor einer bloßen Rechtsbeeinträchtigung 453 zu erblicken.454 Selbstbestimmung und Gesundheit der Schwangeren sind einerseits keine höherrangigen Rechte als das Lebensrecht und andererseits droht ihnen jedenfalls keine schwerwiegendere Gefahr als dem nasciturus, dem im Abbruchsfalle der sichere Tod bevorsteht.455 Nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz, nach dem kollidierende Grundrechtspositionen in den schonendsten Ausgleich zu bringen sind, müsste dem Lebensschutz des nasciturus als Grundrechtsträger somit eindeutig der Vorzug gegeben werden – dies wird vom BVerfG sogar ohne Konjunktiv festgestellt.456 Inkonsequent ist es deshalb, dass das BVerfG schon im Folgesatz nur noch von einem „grundsätzlichen“ Vorrang spricht. Im Falle der Lebensgefahr der Schwangeren ist der nasciturus (genauso wenig wie die Schwangere) aus Solidarität verpflichtet, das eigene Leben zugunsten des Lebens des anderen zu opfern.457 Es ist daher nicht logisch zu begründen, wie die Grundrechte der Schwangeren überwiegen könnten. Die zeitweise Beeinträchtigung von Selbstbestimmungsrecht und/oder Gesundheit der Schwangeren wäre ihr zur Vermeidung der Tötung eines Subjekts zweifelsohne zumutbar und Leben gegen Leben ist nicht abwägbar.458 Die Ausführung des BVerfG, der Schwangeren sei die Fortsetzung der Schwangerschaft im Falle einer schweren Gesundheitsbeeinträchtigung oder Lebensgefährdung nicht zumutbar, wäre unter Annahme der Grundrechtsträger-

452 Ein anderes Abwägungsergebnis wäre nur dann praktisch konkordant, wenn dem nasciturus ein rechtswidriger Eingriff in den Rechtskreis der Schwangeren anzulasten wäre, so dass der Ausgleich der Grundrechtskollision zu seinen Lasten als Beseitigung der von ihm verursachten Rechtsbeeinträchtigung trotz der (unterstellten) Höherrangigkeit seines betroffenen Rechts verhältnismäßig wäre (Notwehrsituation). Die Befruchtung der Zygote und die spätestens durch Einnistung beginnende Entstehung des nasciturus wird jedoch von den Inhabern von Samen- und Eizelle verursacht, so dass ein Defensivnotstand ausscheidet. Außerdem wäre die Hinnahme zumutbar; vgl. Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 68, 94. 453 Im Falle einer Lebensgefährdung der Schwangeren stünde es Leben gegen Leben, hier verböte sich die Abwägung a priori, so dass jedenfalls der Vorrang des Lebensrechts der Schwangeren als Rechtfertigungsgrund nicht normiert werden dürfte; vgl. dazu BGHSt 35, 347 (350); Fischer, § 34, Rn. 10. 454 Im Ergebnis ebenso Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 92. 455 Vgl. Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 68. 456 Vgl. BVerfGE 39, 1 (43) – Schwangerschaftsabbruch I. 457 Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 68. 458 Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 95.

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schaft des nasciturus eine unbegründete, aber auch unbegründbare Behauptung.459 Niemand würde beispielsweise die Auffassung vertreten, dass im Falle von sogenannten „siamesischen Zwillingen“ ein Zwilling getötet werden dürfte, weil der andere sein Selbstbestimmungsrecht (respektive Gesundheit, Leben) gefährdet sieht – sie ist auch nicht haltbar, da das Leben eines Menschen nicht gegen das Leben eines anderen Menschen abwägbar ist460 und ein rechtswidriges Eindringen in den eigenen Rechtskreis nicht vorliegt.461 Ebenso wäre die Lage aber für die Verbindung von Schwangerer und nasciturus zu bewerten, wenn man wirklich so weit ginge, den nasciturus als vollwertigen Grundrechtsträger anzuerkennen. Es ginge dann um zwei physisch verbundene Menschen mit gleichwertigen Rechtspositionen. Wer diese Auffassung vertritt, darf die Augen nicht davor verschließen, dass nach dieser Prämisse im geltenden Recht ein Mensch getötet werden dürfte, nur weil ein anderer Mensch (die Schwangere) in ihrem Selbstbestimmungsrecht (§ 218a Abs. 1 StGB) oder ihrer Gesundheit (§ 218a Abs. 2, 2. Var. StGB) lediglich beeinträchtigt ist. In § 218 Abs. 2, 1. Var. StGB würde ihre körperliche Unversehrtheit sowie ihr Leben gegen ein anderes Leben abgewogen und zugunsten der Frau entschieden. In § 218 Abs. 3 StGB genügt gar die Vermutung überwiegender Interessen der Schwangeren, da sie sich tatsächlich in Bezug auf die Schwangerschaft gar nicht in einer Notlage befinden muss. Die unwiderlegliche Vermutung einer Gesundheitsgefährdung für die Schwangere überwöge dann das Leben eines anderen Menschen, selbst wenn sie realiter gar nicht besteht. Merkel weist zu Recht darauf hin, dass jene, die diese Auffassung vertreten, sich fragen lassen müssen, warum sie dies nicht im Hinblick auf geborene Menschen zu behaupten wagen, dann aber eine solche Aussage im Hinblick auf den nasciturus treffen.462 Er liefert zugleich die richtige Antwort: offensichtlich wird insgeheim die Grundrechtssubjektivität des nasciturus doch nicht für „voll“ genommen.463 Dieses Ergebnis ist zwingend, da das Rechtsstaatsgebot zur Auslegung nach den Regeln der Logik verpflichtet. Der Verweis auf die Singularität der „Zweiheit in Einheit“ oder die Rechtsprechung des BVerfG vermögen an dieser logischen Vorgabe nichts zu ändern.464 Als Konsequenz käme man nicht umhin, den 459

Kritisch auch Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 68 f. Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 90 ff. m.w. N. zur Problematik der siamesischen Zwillinge. 461 Prüfung der Voraussetzungen im Einzelnen bei Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 93 ff. 462 Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 71. 463 Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 92 f. 464 Gegen diese beiden Argumentationswege auch Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 87 f., 89 ff., 92 f., 101 ff. 460

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Tatbestandsausschluss nach § 218a Abs. 1 StGB (sowie die §§ 218 ff. StGB insgesamt) als verfassungswidrig zu bewerten.465 Dem Einwand von A. Dolderer, dass § 218a Abs. 1 StGB deshalb erlassen worden ist, gerade weil der nasciturus als Grundrechtsträger anzusehen sei,466 wird hier nicht gefolgt. Denn sie führt im Folgenden zutreffend aus, dass zur Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage normenhierarchisch nicht das einfache Recht herangezogen werden kann.467 Nach alledem kann festgehalten werden, dass es als ausgeschlossen erscheint, die gesetzliche Preisgabe des Lebensrechts eines Rechtssubjekts, wie sie in § 218a StGB bei angenommener Grundrechtsträgerschaft des nasciturus zu sehen wäre, verfassungsrechtlich rechtfertigen zu können.468 Versucht man, dies auf Biegen und Brechen zu erreichen, führt das gut gemeinte Ansinnen, den nasciturus als Grundrechtsträger zu schützen, dazu, dass der Menschenwürdebegriff ad absurdum geführt wird und als sinnentleerte Hülse zurückbleibt. Merkel spricht insoweit treffend von einer „Grundrechtssubjektivität zweiter Klasse“.469 Nun kann dem nasciturus die Grundrechtsträgerschaft freilich nicht deshalb versagt werden, weil dies zu einem Vorrang seiner Rechte gegenüber jenen der Schwangeren führen würde. Es geht um Menschenrechte, so dass die Frage zwingend deontologisch zu beantworten ist.470 (2) Bedeutung des status quo Indem die (geborene) Gesellschaft dem ungeborenen Leben den gleichrangigen rechtlichen Schutz als Subjekt versagt, wird letztlich Macht mit Recht gleichgesetzt, was ethisch471 höchst bedenklich ist.472 Mit dem Blick auf die §§ 218 ff. StGB ist das gleichwohl ein realer Befund. Dahinter steht jedoch wohl der Gedanke, dass nur geborene Menschen überhaupt als potenzielle Rechtssubjekte für andere erkennbar werden. Recht ist nichts Reales, sondern ein abstraktes Konstrukt. Es setzt reale Bezugspunkte vor465

So auch Ipsen, JZ 2001, S. 989 (992, 994 f.); Merkel, Forschungsobjekt Embryo,

S. 73. 466

A. Dolderer, Menschenwürde und Spätabbruch, S. 66. A. Dolderer, Menschenwürde und Spätabbruch, S. 66. 468 So auch Ipsen, JZ 2001, S. 989 (992). 469 Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 111. 470 Im Gegensatz dazu muss die Frage nach einem Strafverbot konsequenzialistisch beantwortet werden. 471 Es sei an dieser Stelle auf Ipsen verwiesen: „Der Interpret des Grundgesetzes muss sich [. . .] der Schwierigkeit bewusst sein, (Verfassungs-)Recht und Ethik zu unterscheiden“; vgl. ders., JZ 2001, S. 989 (Hervorhebung wie im Original). 472 Den Befund ethischer Zweifelhaftigkeit teilt Eschelbach, in: BeckOK StGB, § 211, Rn. 7 m.w. N. In diese Richtung auch Ipsen, JZ 2001, S. 989 (993). 467

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aus. Deshalb ergibt es aus normativer Sicht Sinn, die Rechtssubjektivität daran zu knüpfen, dass der Bezugspunkt erkennbar ist. Umgekehrt macht es auch deshalb Sinn, weil erst dann der Rechtsinhaber das Gedankenkonstrukt „Recht“ überhaupt potenziell selbst erkennen und sich danach richten kann.473 Das Recht setzt für die „Teilnehmer“ als Rechtssubjekte deshalb voraus, dass sie überhaupt als solche (also als Rechtssubjekte) wahrnehmbar sind. Diese Erkennbarkeit als Rechtssubjekt ist unabhängig davon, ob der Bezugspunkt bestimmte Fähigkeiten oder Eigenschaften („Überlebensinteresse“ 474, Schmerzempfinden) aufweisen müsste, wie es zum Teil vorausgesetzt wird. Diese Ansätze sind abzulehnen, weil sie sich den Vorwurf einer darwinistischen Prägung gefallen lassen müssen. Außerdem wären dann konsequenterweise etwa Tiere durchaus als Menschen und Rechtssubjekte anzuerkennen, deren Erlebnisfähigkeit, Überlebensinteresse und Schmerzempfinden eindeutig gegeben ist.475 Den Zeitpunkt der Erlangung von Rechtssubjektivität an die Geburt zu knüpfen ist freilich nicht zwingend. Dafür spricht aber, dass die Geburt die Zäsur ist, die das Ende der „Zweiheit in Einheit“ bedingt. Das Anknüpfen an die Geburt ist außerdem sachlich gerechtfertigt, weil der nasciturus in diesem Zeitpunkt als Mensch im Rechtssinne mit seiner Fähigkeit, als Rechtssubjekt am Rechtsleben teilzunehmen und als Rechtssubjekt Bezugspunkt im Rechtsleben zu sein, wahrnehmbar wird.476 Naheliegend und gewiss zutreffend ist der Einwand, dass der 473 Wichtig ist dabei, dass die potenzielle Fähigkeit qua Gattungszugehörigkeit genügt. Der Mensch verliert seine Rechtssubjektsqualität nicht dadurch, dass ihm diese Fähigkeit tatsächlich abhanden kommt oder er diese nie besessen hat (z. B. Koma, Anencephalie). Denn auch Menschen, die diese potenzielle Fähigkeit tatsächlich nicht entwickeln oder sie verlieren, sind als Rechtssubjekte wahrnehmbar. Die Wahrnehmbarkeit als Rechtssubjekt ist entscheidend für die Rechtssubjektsqualität und nur insofern die potenzielle Fähigkeit, am Gedankenkonstrukt Recht teilzunehmen. Nicht entscheidend sind etwaige Fähigkeiten im Sinne bestimmter intellektueller oder biologischer Voraussetzungen. 474 Hoerster, ZfL 2006, S. 45 (46). 475 Tiere haben ein beinahe gleiches Schmerzempfinden wie der Mensch (beim nasciturus ist das erst etwa ab der 20. Schwangerschaftswoche p. c. der Fall) und – beispielsweise der Schimpanse – einen Intellekt, der den eines Kindes in den ersten Lebensmonaten deutlich übersteigt; vgl. Storch/Welsch/Wink, Evolutionsbiologie, S. 532. Denkt man in den Kategorien von Merkel (Erlebensfähigkeit) oder Hoerster (Überlebensinteresse), müsste man Tieren vollen strafrechtlichen Schutz zukommen lassen und dem nasciturus (sogar dem geborenen Menschen in den ersten Monaten) überhaupt keinen. Vgl. zum Schmerzempfinden des nasciturus A. Dolderer, Menschenwürde und Spätabbruch, S. 12 f. m.w. N. 476 Der Einwand, dass der nasciturus bei dem regelmäßig als maßgeblich betrachteten Zeitpunkt des Eintritts der Eröffnungswehen noch gar nicht außerhalb des Mutterleibs existiert, ist zutreffend. Diese Vorverlagerung ist verfassungsrechtlich auch nicht zwingend, jedoch zum effektiveren Schutze des gerade in der Geburt besonders gefährdeten „Schwellenwesens“ vom nasciturus zum Menschen auch nicht zu beanstanden. A. A. Herzberg/Herzberg, JZ 2001, S. 106 (1112); Merkel, in: Roxin/Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 166 ff.

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nasciturus doch auch im Mutterleib erkennbar ist – sei es durch bildgebende Verfahren, sei es durch die physiologische Veränderung des Körpers der Schwangeren. Normativ ist die Wahl, auf den Zeitpunkt der Geburt abzustellen, trotzdem sinnvoll, weil die Wahrnehmbarkeit als Rechtssubjekt zuvor wesentlich erschwert ist. Das trifft – um es zu überspitzen – sicherlich auch auf einen Menschen zu, der sich beispielsweise in einer Regentonne versteckt. Es gibt tatsächlich keine absolute Antwort auf die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt der Rechtssubjektivität. Man muss sich bei der Festlegung stets bewusst sein, dass die Dinge als reale Bezugspunkte nur die Bedeutung haben, die Menschen ihnen intersubjektiv beimessen.477 Mag die immanente Widersprüchlichkeit der Bestimmung des Menschseins auch unüberwindbar sein, muss man sich trotz dieser Schwierigkeiten für die eine oder die andere Lösung entscheiden, um eine rechtliche Regelung treffen zu können.478 Die Rechtssubjektivität des nasciturus würde jedenfalls regelmäßig nicht nur daran kranken, dass er nicht als Rechtssubjekt erkennbar ist, sondern auch daran, dass es damit sinnlos wird, den anderen am Rechtssystem Beteiligten die Pflicht aufzuerlegen, seine Rechte als Subjekt zu achten, da mangels (erkennbarem) realem Bezugspunkt eine Bedeutungszumessung scheitert. Normativ und in Anbetracht der Abstraktheit des Rechts ist nach alledem zumindest nachvollziehbar, warum die Rechtssubjektivität konstitutiv an die Erkennbarkeit geknüpft wird, weil die am Gedankenkonstrukt „Recht“ Beteiligten so einen Bezugspunkt erkennen, dem sie die Bedeutung „Rechtssubjekt“ beimessen können. Das Abstellen auf die Geburt ist damit nicht mehr als eine Einigung der am Rechtssystem Beteiligten darauf, dass dieses Merkmal zur Erkennung und Differenzierung von Rechtssubjekten erfüllt sein muss.479 Ob die Wahl des Zeitpunkts dann – genauer – wie im Strafrecht üblich auf den Eintritt der Eröffnungswehen oder eine andere Zäsur fällt, ist gleichermaßen lediglich eine Bedeutungszuschreibung. Ausgehend von dem Gedanken der Erkennbarkeit als Rechtssubjekt 477

Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 44 ff. m.w. N. Zu diesem Dilemma Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 2 S. 1, Rn. 23. 479 Zutreffend betont Stratenwerth den Stellenwert des gesellschaftlichen Konsenses für das demokratische Staatswesen und stellt fest, dass „maßgebend doch nur sein [kann], worauf wir uns in einem öffentlichen Meinungsbildungsprozess am Ende verständigen“; ders., FS-Amelung, S. 350 (362). Allerdings darf dabei nie vergessen werden, dass es die Gleichsetzung von Macht (Beteiligungsfähigkeit am gesellschaftlichen Konsens) und Recht aus ethischen Gründen stets zu hinterfragen gilt, auch wenn die Antwort – wie im Falle der Definition, wann ein Lebewesen Mensch im Rechtssinne ist – aufgrund ihrer Metaphysik nie eindeutig als „richtig“ oder „falsch“ beantwortbar ist. Innerhalb des gesellschaftlichen Konsenses (d.h. unter den an ihm Beteiligten) kann zumindest unter Rückgriff auf den kategorischen Imperativ ein praktisch (nicht unbedingt theoretisch) richtiges Ergebnis erzielt werden und die Übereinstimmung des Grundgesetzes mit den Menschenrechten überprüft werden. 478

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spricht einiges dafür, auf das (wenigstens teilweise) Austreten der Frucht aus dem Mutterleib abzustellen.480 Dieser Gedanke steht aber auch dem Abstellen auf einen früheren Geburtszeitpunkt nicht entgegen, denn jedenfalls der Eintritt der Austreibungs- und Presswehen ist der Frau mit Sicherheit ohne weiteres anzumerken.481 Die rechtliche „Menschwerdung“ unterliegt damit auch vor dem tatsächlichen Austritt der Frucht aus dem Mutterleib der Wahrnehmbarkeit. Man kann daher vor dem Hintergrund des hier gefundenen Ergebnisses (insbesondere mit dem Argument der Schutzbedürftigkeit) ebenso auf einen früheren Zeitpunkt abstellen.482 Beide Ansichten haben gute Gründe. (3) Deontologische Herleitung Die deontologische Herleitung ist in letzter Instanz eine philosophische Frage. Ihre Beantwortung kann aber über die praktische Konkordanz auf rechtlichem Wege erfolgen.483 Möglich ist eine Abwägungsentscheidung, die sich darauf stützt, dass rechtlich jedenfalls die Erkenntnis gesichert ist, dass die Schwangere Grundrechtssubjekt und daher Trägerin von Grundrechten ist. Die Entscheidung für die Grundrechtssubjektivität des nasciturus führte somit zu einer Grundrechtskollision. Tröndle hat zwar zu Recht betont, dass Menschenrechte unveräußerlich sind und nicht zuerkannt werden, sondern dem Menschen unveräußerlich anhaften.484 Was wir aber unter den „Menschenbegriff“ subsumieren, ist und bleibt trotzdem eine Wertungsfrage, eine von uns Menschen vorgenommene (subjektive) Bedeutungszumessung der realen Welt. Schließlich kann sich niemand anmaßen, eine objek480 So stellte das RG früher auf das Sichtbarwerden von Gliedmaßen des Kindes ab, vgl. RGSt 1, 446 (448). Herzberg/Herzberg sowie Merkel sprechen sich dafür aus, auf das Ende der Geburt, also den völligen Austritt des Körpers aus dem Mutterleib, abzustellen. Siehe Herzberg/Herzberg, JZ 2001, S. 1006 (1113) und Merkel, in: Roxin/ Schroth (Hrsg.), Handbuch des Medizinstrafrechts, S. 172. 481 Die Wahrnehmbarkeit als solche bleibt von Irrtümern unberührt. So fehldiagnostizierten in der bekannten Buscopan-Entscheidung des BGH zwei Ärzte die Geburtswehen einer Frau als Dysmenorrhöe. Dies beruhte jedoch nicht auf der fehlenden Wahrnehmbarkeit des begonnenen Geburtsvorgangs, sondern individuellen Fehleinschätzungen. In dem Fall war jedoch im Nachhinein nicht mehr aufklärbar, ob die Eröffnungswehen bereits eingesetzt hatten. Vgl. BGHSt 31, 348 – Buscopan. 482 Neben der Schutzbedürftigkeit der insbesondere im Geburtsvorgang gefährdeten Frucht – der man auch de lege ferenda Rechnung tragen kann, wie es Merkel und Herzberg/Herzberg vorschlagen – spricht hierfür auch die ärztliche Terminologie. Denn mit Geburtsbeginn ist nicht mehr von der Schwangerschaft oder der Schwangeren, sondern von der Geburt, respektive der Gebärenden, die Rede. 483 Nicht zurückgegriffen werden kann hier auf die oben angesprochene Methodik des kategorischen Imperativs zur Ermittlung der (naturrechtlichen) Menschenrechte. Diese Methode setzt nämlich voraus, dass alle Beteiligten diskursfähig sind. Vgl. ferner Hoerster, ARSP 1990, S. 255 (257). 484 Tröndle, NJW 1991, 2542 (2542).

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tiv richtige Bewertung unserer realen Bedingungen treffen zu können.485 Jede rechtliche Subsumtion und Qualifizierung ist als Bedeutungszumessung der realen Welt letztlich eine subjektive Bewertung. Es ist deshalb eine Abwägungsentscheidung zu treffen, die die Grundrechte der Schwangeren mit dem hypothetischen Grundrechtsstatus des nasciturus in Ausgleich bringt. Nach der hier vertretenen Auffassung darf in die – gesichert anzuerkennenden – Rechte der Schwangeren nicht aufgrund der ungesicherten Erkenntnis über den Grundrechtsstatus des nasciturus derart gravierend eingegriffen werden, wie es der Fall wäre, wenn ihr der Schwangerschaftsabbruch untersagt würde. Es wurde oben bereits aufgezeigt, dass dies aber die verfassungsrechtlich zwingende Folge einer Grundrechtssubjektivität des nasciturus wäre. Versagte man der Schwangeren die Möglichkeit, die Schwangerschaft abzubrechen, würde ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht zwar nicht in seiner Existenz beseitigt werden (wie es dem Leben des nasciturus drohte), jedoch wäre im Hinblick auf die Schwangerschaft als Phänomen in ihrem Körper ihre Privatsphäre mit fließenden Übergängen zur Intimsphäre betroffen.486 Wie bereits erörtert, ist die Intimsphäre wegen ihrer besonderen Nähe zur Menschenwürde dem unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzuordnen.487 Die Nähe zu diesem Bereich muss daher besonders hohe Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit eines Eingriffs stellen. Das ausnahmslose und absolute Verbot des Schwangerschaftsabbruchs würde die Schwangere jedoch bei Strafe verpflichten, nicht über ihren eigenen Körper verfügen zu dürfen. Ein solch vollkommener Ausschluss, über die Vorgänge im eigenen Körper entscheiden zu dürfen, würde der Schwangeren die Anerkennung als Subjekt absprechen und buchstäblich den Kern ihrer privaten Lebensgestaltung – ihres Körpers – betreffen. Dies stellte einen Eingriff in die Menschenwürde und Intimsphäre der Frau dar. Im Wege der praktischen Konkordanz muss deshalb der Einbezug des nasciturus in den persönlichen Schutzbereich der Grundrechte unterbleiben. Vorliegend wird aus diesem Grunde davon ausgegangen, dass der nasciturus kein Grundrechtssubjekt ist.488 Demgegenüber ist es mit verfassungsrechtlichen Grundsätzen unvereinbar, dass das BVerfG zum einen die Schwangerschaft ausdrücklich zur Intimsphäre der Frau rechnet, zum anderen aber diesen unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung zur Abwägung freigibt.489 Konsequent wäre es gewesen, hier – wie es vorliegend vorgeschlagen wird – die Betroffenheit der Privatsphäre anzunehmen 485

Aufschlussreich Watzlawick, Wie wirklich ist die Wirklichkeit?, S. 1 ff., 142 f. Vgl. BVerfGE 39, 1 (42) – Schwangerschaftsabbruch I und D.II.3.a)bb)(1). 487 Vgl. BVerfGE 109, 279 (313) sowie die Nachweise bei Lang, in: BeckOK, GG, Art. 2, Rn. 39. 488 Wie hier Enders, JURA 2003, 666 (672); Ipsen, JZ 2001, S. 989 (991, 994); a. A. A. Dolderer, Menschenwürde und Spätabbruch, S. 94, 107. 489 BVerfGE 39, 1 (42) – Schwangerschaftsabbruch I. 486

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(wie es auch im Urteil mit dem Verweis auf die „soziale Dimension“ anklingt)490 und die fließenden Übergänge zur Intimsphäre im Rahmen des verhältnismäßigen Ausgleichs zu berücksichtigen. Für den Unrechtsgehalt von § 218 StGB ergibt sich vor diesem Hintergrund, dass die Norm keine subjektiven Rechte des nasciturus schützt. Denn nach dem hier vertretenen Unrechtskonzept leitet sich der strafrechtliche Schutz aus dem Grundgesetz ab. Die § 218 StGB zugrundeliegende Rechtsverletzung bezieht sich, wie gesehen, von Verfassungs wegen nicht auf ein Rechtssubjekt. Festzuhalten ist daher, dass der nasciturus kein Mensch im Rechtssinne und damit auch nicht rechtsfähig ist,491 so dass § 218 StGB mangels Verletzung eines subjektiven Rechts auf Leben kein individuelles Tötungsunrecht inkriminiert. Das wäre auch verfassungsrechtlich nicht geboten.492 Einfachgesetzlich wäre die Annahme eines subjektiven Lebensrechts systematisch nicht mit der Differenzierung der §§ 218 ff. StGB einerseits und §§ 211 ff., 223 ff. StGB andererseits in Einklang zu bringen.493 Desweiteren lässt sich diese Auffassung systematisch-historisch auf die Entstehungsgeschichte des heutigen § 34 StGB stützen, der sich aus der Praxis des Reichsgerichts, den Schwangerschaftsabbruch (und später auch andere Delikte) in Fällen einer Gefährdung von Leib oder Leben der Schwangeren als übergesetzlichen Notstand zu rechtfertigen,494 entwickelt hat. Das Reichsgericht gelangte dazu, indem es die Strafrahmen der Tötungsdelikte einerseits und der „Abtreibung“ andererseits verglich und daraus schloss, dass aufgrund der geringeren Bestrafung der Tötung des nasciturus der Gesetzgeber das Rechtsgut „Leben“ gegenüber dem Rechtsgut „Existenz der Leibesfrucht“ höher bewerte. An dieser strafrechtlichen Bewertung hat sich nichts geändert. cc) Ergebnis Das Unrecht des Schwangerschaftsabbruchs ist nach alledem folglich nicht in der Verletzung des Individualrechts „Leben“, sondern des objektiv geschützten 490

BVerfGE 39, 1 (42) – Schwangerschaftsabbruch I. Merkel, FS-Müller-Dietz, S. 505. 492 So auch Art. 6 Abs. 1 UN-Kinderrechtskonvention, in dem vom „angeborenen“ Lebensrecht die Rede ist. 493 Dass die hier vertretene Auffassung de lege lata § 218a StGB zugrunde liegt, zeigt die Normierung der medizinisch-sozialen Indikation. Wie könnte das Leben des nasciturus, wäre es ein vollwertiges subjektives Grundrecht, im Kollisionsfalle mit der körperlichen oder psychischen Unversehrtheit der Schwangeren ansonsten unterliegen? Damit würde Leben gegen Leben, gar lediglich gegen die körperliche Unversehrtheit abgewogen. Indem der Gesetzgeber die medizinisch-soziale Indikation normiert hat, hat er sich dazu bekannt, von einem lediglich objektiven Grundrechtsschutz des nasciturus auszugehen. Das BVerfG hat dies nicht beanstandet. 494 Vgl. RGSt 61, 242; nach Auffassung des BVerfG ist die Rechtfertigung nach dem übergesetzlichen Notstand spätestens seit dieser Entscheidung anerkannt gewesen; BVerfGE 39, 1 (6) – Schwangerschaftsabbruch I. 491

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Lebensrechts des nasciturus zu sehen. Denn hinsichtlich des nasciturus ist auf Verfassungsebene der objektiv-rechtliche Gehalt von Art. 2 Abs. 2, S. 1 sowie Art. 1 Abs. 1 GG betroffen.495 Die Grundrechte haben eine Ausstrahlungswirkung nicht nur nach dem Lebensende, sondern auch in den Zeitabschnitt der „Menschwerdung“. Der Umstand, dass aus dem nasciturus ein Mensch wird, gebietet es, ihn als Anwärter auf vollen Grundrechtsschutz anzuerkennen und deshalb seine Entwicklung zum Grundrechtsträger zu schützen. Effektiver Grundrechtsschutz ist nur dann gewährleistet, wenn einem potenziellen Grundrechtsträger auch tatsächlich die Chance gewährt wird, zum Grundrechtsträger werden zu können und diese nicht vereitelt wird.496 Der Staat ist gemäß Art. 1 Abs. 1 S. 2, 20 Abs. 3 GG umfassend an das Grundgesetz gebunden und kann den Grundrechtsschutz nicht dadurch unterwandern, dass er die Erlangung des Grundrechtstatus’ schutzlos der Torpedierung durch Dritte aussetzt. Der nasciturus ist daher als keimendes Leben dem objektiven Grundrechtsschutz der Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 S. 1, 1. Var. GG zu unterstellen.497 Dieser Schutz ist nicht abgestuft,498 sondern (spätestens) von der Nidation499 an bis zur Geburt gleichbleibend.500 Dem entspricht einfachgesetzlich der Schutz durch § 218 StGB, in dem der Strafgesetzgeber die Verletzung des objektiven Lebensrechts in Erfüllung seiner grundgesetzlichen Schutzpflichten legitim als Tötungsunrecht inkriminiert hat. Denn in der mit der Tötung des nasciturus einhergehenden Verletzung des objektiven Lebensrechts liegt eine Rechtsverletzung von solchem Gewicht, dass die gegenüber dem nasciturus bestehenden objektiv-grundgesetzlichen Schutzpflichten die Kriminalisierung zwingend erfordern. Somit würde der Staat ohne den strafrechtlichen Schutz der Existenz des nasciturus seine grundgesetzlichen Schutzpflichten aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 S. 1, 1. Var. GG verletzen, so dass die Kriminalisierung nach dem hier vertretenen Unrechtskonzept geboten ist. Das Verbot des Schwangerschaftsabbruchs ist daher nicht zu beanstanden. Mit der Geburt wird der nasciturus schließlich zum Menschen im Rechtssinne und subjektiv-rechtlich durch die Grundrechte (und dementsprechend auch einfachgesetzlich nunmehr durch die §§ 211 ff. StGB) geschützt. 495

So auch Ipsen, JZ 2001, S. 989 (995). Ähnlich Kloepfer, JZ 2002, S. 417 (420); in diese Richtung auch BVerfGE 39, 1 (37 f.). 497 So auch Ipsen, JZ 2001, S. 989 (992 ff.); vgl. auch die Stellungnahme des Bundesministers der Justiz namens der Bundesregierung, BVerfGE 39, 1 (24, 30 f.). 498 Was nicht heißt, dass die zunehmende Nähe zur Geburt völlig ohne Einfluss auf die Beurteilung des schonenden Grundrechtsausgleichs von Schwangerer und nasciturus wäre. 499 Wie erwähnt, kann auf die Kontroverse um den genauen Anfangszeitpunkt – gute Gründe sprechen für die Befruchtung – im Rahmen dieser Arbeit nicht eingegangen werden. 500 Zutreffend BVerfGE 88, 203 (254) – Schwangerschaftsabbruch II; a. A. die abweichende Meinung der Richter Mahrenholz und Sommer, S. 338 (344 ff.). 496

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b) Wirkung des Abbruchsverlangens in § 218a Abs. 1 StGB Nach der hier vertretenen Auffassung kann die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs nach Konfliktberatung de lege lata nur sinnhaft bestehen, wenn man § 218 und § 218a Abs. 1 StGB zusammen liest: „Wer eine Schwangerschaft abbricht, ohne sich dem in § 218a Abs. 1 StGB geregelten Beratungsverfahren unterzogen zu haben und die dort angegebene Frist zu wahren, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ 501 Zunächst muss geprüft werden, ob der Tatbestand von § 218 Abs. 1 StGB erfüllt ist. Dies muss in einem ersten logischen Schritt erfolgen, weil ohne das Vorliegen eines tatbestandsmäßigen Schwangerschaftsabbruchs der Anknüpfungspunkt für § 218a Abs. 1 StGB fehlt. Eine logische Sekunde später schließt sich daran die Frage an, ob der Ausschlusstatbestand des § 218a Abs. 1 StGB erfüllt ist, so dass der Tatbestand von § 218 StGB als nicht verwirklicht gilt. § 218a Abs. 1 StGB fungiert damit als ein Bündel negativ gefasster Tatbestandsmerkmale (die nicht mit den negativen Tatbestandsmerkmalen zu verwechseln sind).502 Das bedeutet zwar (gedanklich) eine zweistufige Prüfung, aber innerhalb der Prüfungsstufe des Tatbestandes und nicht als gesonderter Prüfungspunkt einer „Strafrechtswidrigkeit“. Der Tatbestand ist damit a priori ausgeschlossen. Es fehlt somit am strafrechtlich vertypten Unrecht des Schwangerschaftsabbruchs. Das Problem, wie ohne die Erfüllung eines Straftatbestandes Strafunrecht begründet werden soll, wiegt schwer.503 Dem Straftatbestand kommt die Funktion zu, kriminelles Unrecht abstrakt-generell zu vertypen. Ist er erfüllt, wird damit ein vorläufiges Unrechtsurteil gefällt, das nur noch konkret-individuell durch einen Rechtfertigungsgrund revidiert werden kann.504 Ohne tatbestandliche Missbilligung in einem Strafgesetz darf angesichts Art. 103 Abs. 2 GG505 der Vorwurf, kriminelles Unrecht verwirklicht

501 So auch Gropp, in: MüKo, § 218a, Rn. 27; ähnlich Merkel, in: NK, § 218a, Rn. 66 und Eschelbach, in: BeckOK, § 218a, Vor Rn. 1. 502 Vgl. dazu Merkel, in: NK, § 218a, Rn. 66, der allerdings von „negativen Merkmalen“ spricht. Negative Tatbestandsmerkmale sind es aber gerade nicht, weil sie ausdrücklich in § 218a Abs. 1 StGB geregelt sind und damit eine positive Regelung für den Tatbestand § 218 Abs. 1 StGB treffen – nur eben „negativ gefasst“. Zu negativ gefassten Tatbestandsmerkmalen vgl. Roxin, AT I, § 10, Rn. 30 ff. m.w. N. mit dem Beispiel § 17 Nr. 1 TierSchG, wonach strafbar ist, wer ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund tötet, wobei das Nichtvorliegen bereits Voraussetzung der Tatbestandserfüllung ist. Entsprechendes gilt für das Nichtvorliegen des Beratungsverfahrens nach § 218a Abs. 1 StGB, das Voraussetzung der Tatbestandserfüllung von § 218 Abs. 1 StGB ist. 503 So auch Eser, in: Schönke/Schröder, § 218a, Rn. 15; Seibel, Probleme des „beratenen“ Schwangerschaftsabbruchs, S. 44. 504 Roxin, Strafrecht AT I, § 10, Rn. 1. 505 Vgl. Kühl, in: Lackner/Kühl, § 1, Rn. 1.

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zu haben, nicht erhoben werden: nullum crimen, nulla poena sine lege scriptum.506 Die Tatbestandsmäßigkeit des Schwangerschaftsabbruchs ist zwar in § 218 Abs. 1 StGB geregelt. Indem § 218a Abs. 1 StGB sie für den „beratenen“ Schwangerschaftsabbruch aufhebt, ist jedoch kein Strafgesetz mehr einschlägig, an das die Feststellung kriminellen Unrechts anknüpfen könnte.507 Deshalb kann die Lösung de lege lata nur in der infolge des Tatbestandsausschlusses eintretenden Rechtmäßigkeit des beratenen Schwangerschaftsabbruchs gefunden werden. Ob diese Rechtsfolge nach dem hier angenommenen Unrechtskonzept legitim ist, wird im Folgenden geklärt. aa) Verfassungsrechtliche Vorgaben Wie bereits angesprochen, ist mangels der Dispositionsbefugnis der Schwangeren über das ihr fremde (objektive) Lebensrecht des nasciturus eine unrechtskompensierende Wirkung des Abbruchsverlangens allein ausgeschlossen. Denkbar ist aber, dass eine Unrechtskompensation aufgrund der Kombination von Verlangen und Beratungsverfahren eintritt. Nach der hiesigen Theorie vom kriminellen Unrecht bei ansonsten eintretender grundgesetzlicher Schutzpflichtverletzung ist danach zu fragen, ob nach einem durchlaufenen Beratungsverfahren noch Unrecht von solchem Gewicht verbleibt, dass die Versagung der Rechtfertigungswirkung zur Erfüllung der grundgesetzlichen Schutzpflichten zwingend erforderlich ist. Denn so wie die Frage der legitimen Kriminalisierung davon abhängt, ob eine Rechtsverletzung im horizontalen Verhältnis ein solches Gewicht hat, dass die vertikale Regulierung durch den Strafgesetzgeber zwingend erforderlich ist, weil er anderenfalls grundgesetzliche Schutzpflichten verletzen würde, hängt die Frage der Legitimität eines Rechtfertigungsgrundes davon ab, ob nach einer stattgehabten Unrechtskompensation noch Unrecht von solchem Gewicht bestehen bleibt, das die einfachgesetzliche Rechtfertigung des Täters eine Verletzung grundgesetzlicher Schutzpflichten darstellte. Die Rechtfertigung des Schwangerschaftsabbruchs nach Konfliktberatung könnte mit den objektiv-rechtlichen Schutzpflichten gegenüber dem nasciturus aus der in Art. 1 Abs. 1 GG garantierten Menschenwürde und dem Lebensrecht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG unvereinbar sein.

506 Vgl. Schmid-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 103, Rn. 197; Seibel, Probleme des „beratenen“ Schwangerschaftsabbruchs, S. 24. 507 Ähnlich Hermes/Walther, NJW 1993, S. 2337 (2344); Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 26 mit Fn. 21.

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bb) Lebensrecht des nasciturus vs. allgemeines Persönlichkeitsrecht der Schwangeren Der sachliche Schutzbereich des Lebensrechts aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG ist angesichts der im Raum stehenden gesetzlichen Rechtfertigung einer Tötung des nasciturus zweifelsohne eröffnet.508 Die mögliche Betroffenheit der Menschenwürde ergibt sich daraus, dass in der Rechtfertigung seiner Tötung durch das Beratungsverfahren eine Verobjektivierung gesehen werden könnte. In der Freigabe der Rechtfertigung könnte die gesetzliche Affirmation der Dispositionsfreiheit über fremdes Leben durch die Frau liegen. Die grundgesetzlichen Schutzpflichten gegenüber dem nasciturus kollidieren jedoch mit den Grundrechten der Schwangeren als Abwehrrechte, weil das Verbot des Schwangerschaftsabbruchs auch nach der Erfüllung der Voraussetzungen von § 218a Abs. 1 StGB einen zu rechtfertigenden Eingriff in ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht sowie ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit darstellt und möglicherweise die Menschenwürde der Frau betrifft. Kann sie die Schwangerschaft nicht (unter bestimmten Kautelen) allein aufgrund ihrer Entscheidung abbrechen, so trifft sie die Pflicht zur Austragung fremden Lebens in ihrem eigenen Körper. Somit würde ihr die Anerkennung als Subjekt, das über den eigenen Körper entscheiden darf, verwehrt. Denn wird sie dazu verpflichtet, ihren Körper zur Verfügung zu stellen, geht damit eine Verobjektivierung ihrer Person einher, da sie als Mittel zum Zweck der Lebenserhaltung des nasciturus gegen ihren Willen diente und damit nicht mehr in ihrer Subjektivität und Selbstzweckhaftigkeit als autonomer Mensch geachtet würde. Die Reichweite der Schutzpflichten gegenüber dem nasciturus bestimmt somit zugleich die Eingriffsintensität in die Grundrechte der Schwangeren und umgekehrt. Beide Grundrechtspositionen müssen deshalb in praktische Konkordanz gebracht werden. Jedenfalls das objektive Lebensrecht des nasciturus einerseits sowie das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die körperliche Unversehrtheit der Schwangeren andererseits sind der Abwägung zugänglich, da diese Grundrechte beschränkbar sind (vgl. zur Menschenwürde D.II.3.b)cc)). Zu prüfen ist die Frage, ob das verbleibende Tötungsunrecht auch im Falle des Vorliegens aller Voraussetzungen von § 218a Abs. 1 StGB noch immer so schwer wiegt, dass es eine Verletzung der staatlichen Schutzpflichten gegenüber dem nasciturus darstellte, einfachgesetzlich die Unrechtskompensation zu gewähren. Stellt somit auch der nach der Beratungsprozedur erfolgte Schwangerschaftsabbruch nach dem hiesigen Konzept kriminelles Unrecht dar? Dafür spricht, dass die Selbstbestimmung der Schwangeren bei einem Unterliegen ihrer Rechte, sprich dem Verbot des beratenen Schwangerschaftsabbruchs, 508 Zur Eröffnung des personalen Schutzbereichs im Sinne eines objektiv-rechtlichen Schutzes siehe oben D.II.2.a)bb)(2).

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nicht irreversibel im Ganzen beseitigt werden würde, wie es beim Lebensrecht des nasciturus der Fall wäre. Allerdings ist zu beachten, dass es hier nicht nur um ein bloßes Unterlassen der Tötung des nasciturus für die Schwangere geht, sondern zugleich um eine Duldung der „Beherbergung“ im eigenen Körper.509 Nimmt man der Schwangeren ausnahmslos die Möglichkeit, sich diesem Zustand allein aufgrund ihres Willens (unter bestimmten Auflagen) rechtmäßig zu erwehren, wird ihr die Selbstbestimmung jedenfalls punktuell – und zwar bezogen auf ihr Körperinneres – absolut versagt.510 Mit der Konstellation der „Zweiheit in Einheit“ sind die Grenzen von Privatsphäre und Intimsphäre, mit denen die staatliche Zugriffsmöglichkeit „steht und fällt“, insoweit jedoch fließend. Wie bereits angesprochen, hat das BVerfG die Zugehörigkeit der Schwangerschaft zur Intimsphäre im ersten Urteil zum Schwangerschaftsabbruch sogar ausdrücklich bejaht511 (freilich ohne die Konsequenzen dieser Erkenntnis zu ziehen). Im zweiten Urteil zum Schwangerschaftsabbruch hat sich der Senat dieser Problematik allerdings gänzlich verschlossen.512 Es ist bezeichnend, dass das Gericht nicht näher darauf eingeht, welche Sphäre überhaupt betroffen ist, sondern stattdessen auf das äußerst vage Kriterium der „Unzumutbarkeit“ abstellt, also ausschließlich nach Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten prüft.513 Damit wird die Rechtfertigung des Eingriffs geprüft, ohne den Schutzbereich (und damit überhaupt die Möglichkeit einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung) bestimmt zu haben. Das Problem einer etwaig gänzlich fehlenden staatlichen Zugriffsmöglichkeit in die Intimsphäre der Frau hat der Senat dadurch schlichtweg übergangen. Denn die Intimsphäre ist als Kernbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG wegen des Menschenwürdegehalts unantastbar.514 Sie ist dem Zugriff der öffentlichen Gewalt schlechthin entzogen515 Eine Abwägung nach Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten scheidet diesbezüglich aus.516 Ist nun aber die Grenze zwischen Privatsphäre und Intimsphäre fließend, weil mit dem Körperinneren der Frau eigentlich ihre Intimsphäre betroffen ist, das in 509 Im Ergebnis wie hier die abweichende Meinung von Rupp-v. Brünneck und Simon, BVerfGE 39, 68 (79) – Schwangerschaftsabbruch I; vgl. außerdem die Stellungnahme des Bundesministers der Justiz namens der Bundesregierung, BVefGE 39, 1 (31 f., 48 f.); Hermes/Walther, NJW 1993, S. 2337 (2339). 510 Zur Beachtlichkeit nicht nur der dem nasciturus zukommenden Menschenwürde, sondern auch jener der Schwangeren vgl. die kritische Rezeption beider Urteile zum Schwangerschaftsabbruch im Sondervotum von Mahrenholz und Sommer, BVerfGE 88, 338 (348). 511 BVerfGE 39, 1 (42) – Schwangerschaftsabbruch I. 512 BVerfGE 88, 203 (254 f.) – Schwangerschaftsabbruch II. 513 BVerfGE 88, 203 (256) – Schwangerschaftsabbruch II. 514 Lang, in: BeckOK, GG, Art. 2, Rn. 39. 515 Lang, in: BeckOK, GG, Art. 2, Rn. 52 m.w. N. 516 Lang, in: BeckOK, GG, Art. 2, Rn. 52 m.w. N.

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ihr wachsende Leben jedoch auch fremde Belange berührt und damit den für die Privatsphäre typischen Sozialbezug herstellt, ist die Nähe zur Menschenwürde der Schwangeren in besonderem Maße zu berücksichtigen. Wie bereits ausgeführt, würde die Verpflichtung, die sich aus einer gänzlichen Verwehrung des rechtmäßigen Abbruchs auf der Grundlage des Willens der Schwangeren ergäbe, vor diesem Hintergrund die Menschenwürde der Schwangeren antasten.517 Das Lebensrecht des nasciturus muss daher zurücktreten.518 Nach der hier vertretenen Ansicht überwiegen die Grundrechte der Schwangeren. cc) Menschenwürdekollision? Problematisch ist allerdings, dass nicht nur die Menschenwürde der Schwangeren, sondern auch der nasciturus in seinem objektiv-rechtlichen Menschenwürdeschutz519 betroffen sein könnte. Eine Kollision von „Menschenwürden“ wäre unauflösbar, da die Menschenwürde gemäß Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG unantastbar und somit der Abwägung nicht zugänglich ist. Bejaht man also die Betroffenheit der Menschenwürde des nasciturus, führte das Dilemma der „Zweiheit in Einheit“ zu einer Pattsituation. Wie bereits angesprochen, ist die Menschenwürde nach der „Objektformel“ dann betroffen, wenn der konkrete Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt wird und ihm der personale Achtungsanspruch abgesprochen wird, indem seine Subjektqualität prinzipiell in Frage gestellt wird oder in der Behandlung im konkreten Fall eine willkürliche Missachtung der Würde des Menschen liegt.520

517 So auch die abweichende Meinung von Mahrenholz und Sommer, BVerfGE 88, 338 (350). 518 Ein Ausdruck dessen ist übrigens auch die kriminologische Indikation gemäß § 218 Abs. 3 StGB. Diese lässt sich nämlich ausschließlich mit dem überwiegenden allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Schwangeren begründen. Sie setzt keine gegenwärtige Gefährdung der Rechtsgüter der Schwangeren voraus, sondern ein bereits beendetes, zum Nachteil der Schwangeren begangenes Sexualdelikt. Zweifelsohne stellte die Sexualstraftat zum Nachteil der Schwangeren für diese eine Notlage dar. Für die Frage der Rechtfertigung des Schwangerschaftsabbruchs kommt es aber nur darauf an, ob die Schwangerschaft die Frau in eine Notlage versetzt. § 218 Abs. 3 StGB verlangt aber nicht, dass die Schwangere infolge der an ihr begangenen Tat irgendeinen Konflikt in Bezug auf die Schwangerschaft als solche aufweisen müsste. Sie soll lediglich nicht verpflichtet werden, gegen ihren Willen die bereits willenswidrig eingetretene Schwangerschaft fortzuführen. Die kriminologische Indikation zeigt deshalb, dass das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Schwangeren in der Abwägung mit den Grundrechten des nasciturus als höherwertig erachtet wird, indem § 218a Abs. 3 StGB den Schwangerschaftsabbruch rechtfertigt. 519 Zur Eröffnung des Schutzbereichs im Sinne eines objektiv-rechtlichen Schutzes siehe oben D.II.1.b)bb). 520 BVerfGE 30, 1 = NJW 1971, S. 275 (279); Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Abs. 1, Rn. 36 f. m.w. N.

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Eine derartige Verobjektivierung wäre zweifelsohne zu bejahen, wenn man die Rechtfertigung allein auf den Willen der Schwangeren stützte, weil sie dann über fremdes Leben verfügen würde wie über eine Sache. Das Konzept des beratenen Schwangerschaftsabbruchs beruht jedoch tragend auf dem Versuch, die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen (vgl. § 219 Abs. 1 StGB). Die Beratung ist konstitutiver Bestandteil. Es geht deshalb bei dem „beratenen“ Schwangerschaftsabbruch nicht um eine bloße Disposition der Frau. Vielmehr fußt das Beratungskonzept gerade auf der Wahrnehmung des nasciturus als werdendem Mensch. Gerade weil es sich dabei nicht um ein bloßes Objekt handelt, wird die Beratung zu seinem Lebens- und Würdeschutz angestrengt. Eine Verobjektivierung des nasciturus kann deshalb im „beratenen“ Schwangerschaftsabbruch wegen des dahinterstehenden Lebensschutzkonzepts nicht gesehen werden. Ein Eingriff in dessen objektiv-rechtlichen Menschenwürdeschutz ist aus diesem Grunde abzulehnen. dd) Exkurs: Lebensrecht des nasciturus vs. Recht auf körperliche Unversehrtheit und Leben der Schwangeren Hinsichtlich der körperlichen Unversehrtheit der Schwangeren, in die durch eine Versagung des „beratenen“ Schwangerschaftsabbruchs ebenfalls eingegriffen würde, kommt es hingegen zum Schwur. Denn grundsätzlich ist das Leben ein höherrangiges Recht als die körperliche Unversehrtheit. Hinsichtlich der Kollision zwischen dem Lebensrecht des nasciturus und der körperlichen Unversehrtheit der Schwangeren lässt sich ein Vorrang der Rechte der Schwangeren deshalb nur mit dem unterschiedlichen Schutzniveau subjektiver Rechte und objektiver Grundrechtsgehalte begründen.521 Da die Rechtfertigung des Schwangerschaftsabbruchs nach Konfliktberatung bereits im Hinblick auf das überwiegende allgemeine Persönlichkeitsrecht der Schwangeren keine Schutzpflichtverletzung gegenüber dem Lebensrecht des nasciturus darstellt, ist dieses Problem nicht mehr entscheidend. Es besitzt weitaus höhere Relevanz für die Frage der Legitimation des Indikationenabbruchs nach § 218a Abs. 2 StGB. Der Vollständigkeit halber wird die Lösung gleichwohl kurz erörtert. Sieht man subjektiv geschützte Grundrechtspositionen als den objektiv geschützten Grundrechtspositionen ebenbürtig an, kann der schonendste Ausgleich mit dem Recht auf körperliche Unversehrtheit der Schwangeren nur zugunsten 521 Es wird weiterhin vertreten, dass grundrechtliche Schutzpflichten grundsätzlich weniger wirkungsstark seien als die Grundrechte in ihrer Abwehrfunktion; vgl. dazu Calliess, in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Bd. II, § 44, Rn. 10 m.w. N.

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des nasciturus ausfallen. Denn dem nasciturus droht die Auslöschung seiner Existenz, während die körperliche Unversehrtheit der Schwangeren lediglich beeinträchtigt wird. Als subjektives Recht überwöge das Lebensrecht des nasciturus somit eindeutig. Da das objektive Schutzniveau der Grundrechte jedoch geringer ist als das subjektive, unterliegt das Lebensrecht des nasciturus in der Abwägung, weil es nicht in seinem subjektiven Gehalt, sondern als objektiv-rechtliche Position betroffen ist.522 Die Frage nach dem Verhältnis von subjektiven und objektiven Grundrechtsgehalten wird in Rechtsprechung und Literatur zwar noch kontrovers diskutiert.523 Vorliegend wird mit dem BVerfG aber ein grundsätzlicher Vorrang der subjektiven Grundrechtsgehalte vor objektiv-rechtlichen Gehalten des Grundgesetzes angenommen.524 Diese Haltung des BVerfG kommt unter anderem im ersten Urteil zum Schwangerschaftsabbruch darin zum Ausdruck, dass der Senat die Frage aufwirft, „ob der nasciturus selbst Grundrechtsträger ist oder aber wegen mangelnder Grundrechtsfähigkeit ,nur‘ von den objektiven Normen der Verfassung in seinem Recht auf Leben geschützt wird“.525 Für diese Sichtweise sprechen auch die besseren Gründe. Denn das Grundgesetz dient primär dem Menschen.526 Das ist nach der Staatsvertragstheorie der Grund dafür, warum sich die Bürger dem Staat unterwerfen.527 Daraus folgt, dass die subjektiven Rechte des Individuums die Höchstwerte des Grundgesetzes darstellen. Die Grundrechte sind deshalb in erster Linie subjektive Rechte. Objektive Grundrechtsgehalte finden ihre Wurzel in dieser primären Bedeutung.528 Schon aus der Normierung der Würde des Menschen an oberster Stelle in Art. 1 Abs. 1 S. 1 GG als absolutes Recht ergibt sich der grundsätzliche Vorrang subjektiver Rechte.529 Das BVerfG hat zutreffend festgestellt, dass der ursprüngliche und 522 In diese Richtung zunächst auch die abweichende Meinung von Rupp-v. Brünneck und Simon, BVerfGE 39, 68 (71 ff.), die allerdings zu anderen Ergebnissen gelangen. 523 Vgl. die Übersicht mit den jeweils vorgebrachten Argumenten bei M. Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, S. 266 ff. m.w. N. 524 Vgl. BVerfGE 50, 290 (336 ff.). 525 BVerfGE 39, 1 (41) – Schwangerschaftsabbruch I. Der Senat hat dadurch, dass er das „nur“ in Anführungszeichen setzte, dies zwar selbst relativiert. Wenn er kein qualititatives Abstufungsverhältnis zwischen subjektiven Rechten und objektiv-rechtlichen Garantien sähe, wäre das Wort allerdings schlicht überflüssig. 526 So lautete die Formulierung von Art. 1 Abs. 1 GG im Herrenchiemseer Entwurf: „Der Staat ist um des Menschen Willen da, nicht der Mensch um des Staates Willen.“ Dazu Marx, Rechtsgut, S. 33 f. m.w. N. und S. 40. 527 Vgl. Marx, Rechtsgut, S. 33 f. m.w. N., 48 f. 528 BVerfGE 50, 290 = NJW 1979, S. 699 (702). 529 So im Ergebnis auch M. Dolderer, Objektive Grundrechtsgehalte, S. 268 f., der allerdings vorstehend auf S. 264 im Widerspruch dazu ausführt, dass gerade die Losgelöstheit der objektiven Grundrechtsgehalte vom Individuum als Argument dafür herzunehmen sei, dass diese im „umfassendsten Sinne ,absolut‘ wirken“ müssten und daher den Vorrang im Sinne einer „Spitzenposition“ beanspruchen würden.

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bleibende Sinn der Grundrechte primär in ihrer Funktion als Rechte des einzelnen Bürgers liegt.530 Nur aus diesem Grunde kann das Lebensrecht des nasciturus in der Abwägung mit dem Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren grundsätzlich unterliegen,531 obgleich ihm die Auslöschung seiner Existenz droht und der Schwangeren, welcher der beratene Abbruch versagt wird, lediglich die Rechtsbeeinträchtigung. Von dieser Prämisse geht auch das BVerfG im ersten Urteil zum Schwangerschaftsabbruch aus, wenn es hinsichtlich der Rechtfertigung durch die Indikationen zu dem Ergebnis kommt, dass eine bloße Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit der Schwangeren ausreiche, um die Vernichtung des Lebens (sic!) des nasciturus zu rechtfertigen.532 Die medizinisch-soziale Indikation setzt nämlich die schwerwiegende physische oder seelische Gefährdung der Schwangeren oder deren Lebensgefahr voraus. Zwei subjektive Lebensrechte wären überhaupt nicht abwägbar. Das BVerfG hat die indikationsgestützte Rechtfertigung im zweiten Urteil zum Schwangerschaftsabbruch gleichwohl bestätigt. Ein solches Ergebnis ist nur legitim, wenn man davon ausgeht, dass das objektiv-rechtlich geschützte Leben des nasciturus aus Art. 2 Abs. 2 S. 1, 1. Var. GG nicht von gleich hohem Rang ist wie die subjektiven Grundrechte der Schwangeren. ee) Ergebnis Nach der hier vertretenen Auffassung wird der nasciturus in § 218 StGB objektiv-rechtlich in seinem Lebensrecht geschützt.533 Die Norm vertypt somit das Unrecht der Verletzung des objektiv geschützten Lebensrechts des nasciturus. Der objektiv-rechtliche Schutz ergibt sich aus den objektiven Grundrechtsgehalten aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 S. 1, 1. Var. GG und ist aufgrund der 530 Vgl. BVerfGE 50, 290 = NJW 1979, S. 699 (702); siehe auch BVerfGE 7, 198 (205) – Lüth. 531 Im Ergebnis verfährt auch das BVerfG nach dieser Sichtweise, wenn es feststellt, dass der Gesetzgeber grundsätzlich nicht verpflichtet sei, die gleichen Maßnahmen strafrechtlicher Art zum Schutze des ungeborenen Lebens zu ergreifen, wie er sie zur Sicherung des geborenen Lebens für geboten hält; BVerfGE 39, 1 (45) – Schwangerschaftsabbruch I. Ein solchermaßen – schon abstrakt und nicht erst in der Abwägung in concreto – differenzierter Schutz ist nur dann legitim, wenn sich auch die zugrundeliegenden Rechte in ihrer Wertigkeit bereits abstrakt dahingehend unterscheiden, dass das eine – stärker zu schützende – Recht schwerer wiegt. 532 Kritisch daher zu Recht das Sondervotum von Rupp-v. Brünneck und Simon, BVerfGE 39, 68 (90). 533 Eschelbach spricht von der „kategorialen Differenz“, ders., in: BeckOK, § 218, Rn. 1. Damit ist keine Aussage darüber getroffen, ab wann der Embryo ein Mensch im medizinischen oder ethischen Sinne ist. Die normativen Gesetzesbegriffe sind in ihrer Bedeutung unter Beachtung der Wortlautgrenze gemäß Art. 103 Abs. 2 GG davon nicht abhängig; vgl. Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 26.

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grundgesetzlichen Schutzpflicht des Staates zwingend geboten, so dass die Verletzung auf horizontaler Ebene strafgesetzlich reguliert werden muss. Er bezieht sich auf den konkreten nasciturus und ist nicht etwa auf die Gesamtheit des ungeborenen Lebens im Sinne eines Gattungsschutzes bezogen.534 Die Erfüllung des Tatbestandes von § 218 Abs. 1 StGB führt deshalb auch nach der hier vertretenen Ansicht zu einem vorläufigen Unrechtsurteil.535 Vorliegend wird weiterhin vertreten, dass der „beratene“ Schwangerschaftsabbruch durch die Wahrnehmung der Beratung der Rechtfertigung zugänglich ist, und zwar bereits de lege lata durch die Annahme einer zum Tatbestandsausschluss konsekutiven Rechtmäßigkeit.536 Diese Rechtfertigungsmöglichkeit ändert nichts an der strafrechtlichen Missbilligung auf der Primärebene. Wird das Beratungsverfahren nicht eingehalten, bleibt der Schwangerschaftsabbruch kriminelles Unrecht. Die Rechtmäßigkeit des Schwangerschaftsabbruchs nach Konfliktberatung ist deshalb nicht wegen einer Schutzpflichtverletzung gegenüber dem nasciturus zu beanstanden. Die grundrechtlichen Schutzpflichten aus dem objektiv-rechtlichen Gehalt der Art. 2 Abs. 2 S. 1, 1. Var. und Art. 1 Abs. 1 GG gebieten zwar das repressive Verbot des Schwangerschaftsabbruchs537 in jeder Phase der Schwangerschaft.538 Insoweit wird der Auffassung des BVerfG in seinen beiden Urteilen zum Schwangerschaftsabbruch gefolgt.539 Nach hiesiger Auffassung gebieten die staatlichen Schutzpflichten gegenüber dem nasciturus indessen nicht, der Schwangeren die prozedurale Rechtfertigung zu versagen. Es schlösse sich nach dem hier vertretenen Unrechtskonzept vielmehr gegenseitig aus, Strafunrecht anzunehmen, das nicht der Rechtfertigung zugänglich sei, dieses dann aber unter bestimmten Kautelen nicht zu sanktionieren und gleichwohl die Erfüllung der

534 Das BVerfG hat solchen Ansichten zu Recht eine Absage erteilt, indem es ausführte, dass der Lebensschutz nicht nur dem „Leben an sich“ diene, sondern dem einzelnen ungeborenen Leben im Sinne eines Individualschutzes; vgl. BVerfGE 88, 203 (252) – Schwangerschaftsabbruch II. Vgl. außerdem die Stellungnahme des Bundestagsabgeordneten Ehmke, in: BVerfGE 39, 1 (31) – Schwangerschaftsabbruch I; Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 113; Ipsen, JZ 2001, S. 992. 535 Vgl. Roxin, Strafrecht AT, § 10 Rn. 2. 536 Zu anderen Schlüssen gelangt Seibel, der den Tatbestandsausschluss in § 218a Abs. 1 StGB als Pönalisierungsverzicht begreift, der die strafrechtliche Missbilligung unberührt lasse; ders., Probleme des „beratenen“ Schwangerschaftsabbruchs, S. 45 f. 537 So auch BVerfGE 39, 1 (44) – Schwangerschaftsabbruch I und BVerfGE 88, 203 (255) – Schwangerschaftsabbruch II. 538 Anders die abweichende Meinung von Rupp-v. Brünneck und Simon, die allerdings nicht exakt zwischen der Kriminalisierung als solcher und der Frage der Rechtfertigung differenzieren (eine solche Unterscheidung wird aber auch im Urteil selbst nicht sauber getroffen), BVerfGE 39, 68 (69). 539 Vgl. BVerfGE 39, 1 (50 ff.) – Schwangerschaftsabbruch I; BVerfGE 88, 203 (252 ff.) – Schwangerschaftsabbruch II.

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D. Rechtsfolgen des Verlangens

staatlichen Schutzpflichten anzunehmen.540 Denn ist man – wie der Gesetzgeber – der Auffassung, das Beratungssystem sei das wirksamste Instrument für den Schutz des nasciturus, gibt es keinen Grund mehr, auf die Rechtfertigung zu verzichten,541 da im Falle der Gewährung des bestmöglichen Schutzes das Untermaßverbot gewahrt ist. Umgekehrt gäbe es keinen Grund, die Schwangere dem Beratungsverfahren zu unterziehen, wenn man nicht an die Wirksamkeit des Konzepts glaubte. In diesem Falle wäre es sogar geboten, ihr die Rechtfertigung zu versagen. Zugleich dürfte der Staat kein Beratungsverfahren für die Durchführung eines rechtswidrigen Verhaltens vorhalten542 und die Schwangere von der Strafbarkeit nach § 218 Abs. 1 StGB ausnehmen. Das heißt, der nasciturus ist weder schutzlos gestellt (die Beratung dient ja gerade seinem Schutz und ohne Beratung bleibt der Abbruch strafbar), noch hat die Schwangere einen „Freibrief“ zum Abbruch. Die vom BVerfG geforderte Schaffung eines Unrechtsbewusstseins wird durch das grundsätzliche Verbot erreicht, wie auch die übrigen Straftatbestände des Besonderen Teils diesen Zweck erfüllen, obwohl die allermeisten der Rechtfertigung zugänglich sind. Die Schaffung eines Unrechtsbewusstseins wird vielmehr vereitelt, wenn man einerseits postuliert, der Schwangerschaftsabbruch sei auch mit der Erfüllung des Beratungsverfahrens nicht zu rechtfertigen, gleichzeitig aber meint, diesen im Strafrecht nicht als Unrecht behandeln zu müssen.543 Die darin zum Ausdruck kommende Inkonsequenz erschüttert das Unrechtsbewusstsein in höherem Maße als eine Rechtfertigungsgmöglichkeit. Klare Verhältnisse über Recht und Unrecht schafft man nur, wenn man § 218a Abs. 1 StGB als Rechtfertigungsgrund ausgestaltet. De lege ferenda ist die Normierung als Recht-

540 Nach Tröndle stellt es einen „Grundwiderspruch des Schutzkonzepts des Bundesverfassungsgerichts“ dar, dass der Staat seine grundgesetzlichen Schutzpflichten zwar erfüllt haben soll, aber die Frau, die sich der staatlichen Beratungsprozedur unterzogen und sich an alle rechtlichen Vorgaben gehalten hat, Unrecht begehe; ders., NJW 1995, S. 3009 (3010). Tröndle löst den Widerspruch allerdings anders als hier auf. 541 Vgl. die abweichende Meinung von Böckenförde, BVerfGE 88, 359 (362). Hingegen ist Sendler der Meinung, das Rechtswidrigkeitsverdikt von § 218a Abs. 1 StGB verfolge das Ziel, der Schwangeren die Verwerflichkeit ihres Tuns als rechtswidrig vor Augen zu führen und ihr dadurch zu einem schlechten Gewissen (sic!) zu verhelfen; ders., NJW 2002, S. 2213 (2214). 542 Die Beratungsstellen, in denen die Schwangere den nach § 218a Abs. 1 StGB erforderlichen Beratungsschein erhält, sind gemäß § 9 SchKG staatlich anerkannt. Wird der „beratene“ Schwangerschaftsabbruch in Einrichtungen mit staatlicher Trägerschaft vorgenommen, wäre dies dem Staat zuzurechnen; vgl. Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 66, Fn. 86. Hermes/Walther erblicken darin einen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip, dies., NJW 1993, S. 2337 (2341); kritisch auch Eser, in: Schönke/Schröder, § 218a, Rn. 14 m.w. N. 543 Vgl. Seibel, Der „beratene“ Schwangerschaftsabbruch, S. 45.

II. § 218a Abs. 1 StGB

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fertigungsgrund zu befürworten. Sie ist – wie gesehen – auch verfassungsrechtlich geboten. Die derzeitige Regelung des § 218a Abs. 1 StGB kann folglich vor dem Grundgesetz nur Bestand haben, wenn sie so verstanden wird, dass mit dem Tatbestand konsekutiv auch die Rechtswidrigkeit entfällt. Die hier vertretene Auffassung ist mit dem Spruch des BVerfG noch vereinbar, soweit auch der Senat zumindest davon ausgeht, mit dem Tatbestandsausschluss entfalle das kriminelle Unrecht der Tat.544 Sie setzt sich aber darüber hinweg, soweit mit der konsekutiv entfallenden Rechtswidrigkeit der Entfall jeglichen Unrechts angenommen wird. Denn vorliegend wird ein verfassungsrechtliches Verbot des Schwangerschaftsabbruchs nach Konfliktberatung abgelehnt. Vielmehr ist es verfassungsrechtlich gerade geboten, einfachgesetzlich eine Rechtfertigungsmöglichkeit vorzusehen, die einheitlich jegliche Unrechtsform (kriminelles, öffentlich-rechtliches und zivilrechtliches Unrecht) kompensiert. Ein darüber schwebendes verfassungsrechtliches Unrechtsverdikt besteht somit richtigerweise nicht. Es ist vom BVerfG zu Unrecht angenommen worden. Damit ist es auch nicht geboten, den Schwangerschaftsabbruch nach Konfliktberatung auf einfachgesetzlicher Ebene außerstrafrechtlich (zivilrechtlich und öffentlich-rechtlich) als Unrecht zu qualifizieren. ff) Einfachgesetzliche Umsetzung Einfachgesetzlich ist die Unrechtskompensation durch das Abbruchsverlangen der Schwangeren in Verbindung mit dem Beratungsverfahren – wie bereits u. a. von Rudolphi vorgeschlagen – als prozedurale Rechtfertigung denkbar.545 Die Unrechtskompensation beruhte dabei auf dem Prinzip des überwiegenden Interesses. Die prozedurale Rechtfertigung ist das Mittel der Wahl, das die beteiligten Grundrechtspositionen am schonendsten ausgleicht.546 So kann der Staat seinen grundgesetzlichen Schutzpflichten gegenüber dem nasciturus genügen („Grundrechtsschutz durch Verfahren“ 547). Die Pflichtberatung verhilft den Grundrechtspositionen des nasciturus zu größtmöglicher Geltung, indem der Schwangeren ein „Überdenken“ auferlegt wird.548 Zum anderen stellt sie eine verhältnismäßige Beschränkung des Selbstbestimmungsrechts der Schwangeren dar. 544

Vgl. oben D.II.2.c)bb). Siehe oben D.II.2.b)gg). 546 Für eine Rechtfertigung auch die abweichende Meinung von Mahrenholz und Sommer, BVerfGE 88, 338 (339). Vgl. zur prozeduralen Rechtfertigung Hassemer, FSMahrenholz, S 736 f.; für einen Rechtfertigungsgrund sui generis plädieren Hermes/ Walther, NJW 1993, S. 2237 (2341). 547 Vgl. Eschelbach, in: BeckOK, § 218c, Rn. 1 m.w. N. 548 Eine Beschränkung auf die 12-Wochen-Frist, wie sie de lege lata gilt, ist dabei nicht zu beanstanden. Die Grenzziehung ist einerseits zu Recht dem Einwand der Will545

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D. Rechtsfolgen des Verlangens

Die Eigenheit der prozeduralen Rechtfertigung ist weiterhin, dass sie die Einwilligung (respektive ein Verlangen) allein gerade nicht zur Rechtfertigung ausreichen lässt, sondern als konstitutives Rechtfertigungselement die Einhaltung eines bestimmten Verfahrens erfordert.549 Der berechtigte Einwand, dass die Schwangere nicht über das fremde Lebensrecht disponieren kann,550 verfängt hier also gar nicht erst, da das Verlangen der Schwangeren zur Rechtfertigung nicht hinreicht. Für die hier vertretene Ansicht spricht ferner, dass damit die Ungereimtheiten551 in Bezug auf die Wirksamkeit des Behandlungsvertrags552, Lohnfortzahlung553 und den Ausschluss von Nothilfe und Notstand wegfielen.554 Auch gegen die staatliche Beteiligung am Schwangerschaftsabbruch nach Konfliktberatung bestünden keine Bedenken. Am Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ wäre festzuhalten, um zu verdeutlichen, dass die Rechte des nasciturus für die Schwangere nicht disponibel sind. Der rechtstechnische Begriff der Einwilligung würde demgegenüber implizieren, dass das fremde Recht disponibel sei und die Rechtfertigung lediglich eines kumulierten besonderen Interesses bedürfe. kürlichkeit ausgesetzt. Andererseits ist es verhältnismäßig, die Gewährung der Rechtfertigung (bzw. de lege lata des Tatbestandsausschlusses) daran zu knüpfen, dass die Schwangere, die jedenfalls regelmäßig zuvor Kenntnis von ihrer Schwangerschaft erlangen wird, sich frühzeitig über deren Fortgang entscheidet. Die Analyse der 12-WochenFrist würde den Rahmen der vorliegenden Arbeit sprengen und kann daher an dieser Stelle nicht vertieft werden. Vgl. dazu etwa Merkel, in: NK, § 218a, Rn. 75 m.w. N. 549 Eine ähnliche Kombination von Rechtfertigungselementen (Einwilligung und Verfahren) findet sich zum Beispiel in § 40 AMG und ähnlich auch in § 8 TPG. Sie ist zu unterscheiden von der qualifizierten Einwilligung, bei der weitere objektive Voraussetzungen hinzutreten müssen (etwa die besondere Engebeziehung für die Spende nicht regenerierbarer Organe in § 8 Abs. 1 S. 2 TPG). Dazu Dölling, FS-Gössel, S. 209 f. und im Folgenden E.IV. 550 BVerfGE 88, 203 (255 f.) – Schwangerschaftsabbruch II. 551 Vgl. BVerfGE 88, 203 (279 f., 295, 312, 321 ff.). 552 So wird die Frau mit dem Verdikt der Rechtswidrigkeit bemakelt, während der Arzt nach Auffassung des BGH in „Erfüllung legaler beruflicher Aufgaben“ handelt; vgl. BGH, Urt. v. 12. Juli 2004 – VI ZR 308/03 = BeckRS 2005, 01018. Ein Schwangerschaftsabbruch kann aber nicht gleichzeitig legal und rechtswidrig sein. 553 Warum soll der Frau die Lohnfortzahlung gewährt werden, nicht aber Leistungen ihrer Krankenversicherung? Zutreffend weist Böckenförde darauf hin, dass dies nicht einmal bei unterstellter Richtigkeit der Prämissen des Senats eine logische Differenzierung sein kann. Abweichende Meinung von Böckenförde, BVerfGE 88, 359 (363). 554 Abgesehen vom sozialrechtlichen Leistungsausschluss bleibt das Unrechtsverdikt lediglich als diffuser Vorwurf im Raum stehen. Vgl. die Stellungnahme des Deutschen Bundestags und der Landesregierungen von Brandenburg, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Schleswig-Holstein, BVerfGE 88, 203 (246) – Schwangerschaftsabbruch II. So auch Eser, in: Schönke/Schröder, § 218a, Rn. 13; Hermes/Walther, NJW 1993, S. 2337 (2341); Seibel, Probleme des „beratenen“ Schwangerschaftsabbruchs, S. 237 f. Im Ergebnis ebenso die abweichende Meinung von Mahrenholz und Sommer, BVerfGE 88, 338 (354 f.).

II. § 218a Abs. 1 StGB

273

Da die Rechtfertigungswirkung bereits aus dogmatischen Gründen nicht aufgrund der Ausübung des Selbstbestimmungsrechts der Schwangeren eintreten kann, sollte das durch die Verwendung des Tatbestandsmerkmals „Verlangen“ zum Ausdruck kommen. Gegen die prozedurale Rechtfertigung des beratenen Schwangerschaftsabbruchs werden die Einwände erhoben, dass zwei elementare Grundprinzipien der Rechtfertigung nicht erfüllt seien. Zum einen fehle das bessere Recht und zum anderen die Entscheidung über die (gesetzlich geregelten) materiellen Voraussetzungen durch den Strafrichter oder „Dritte, denen der Staat kraft ihrer besonderen Pflichtenstellung vertrauen darf“, da die Schwangere kein besseres Recht als der nasciturus habe und die materielle Entscheidung in die Hände der Schwangeren als Privatperson gelegt werde.555 Letzterer Einwand verkennt, dass der Strafrichter im Einzelfall ohne weiteres die materiellen Voraussetzungen der Rechtfertigung prüfen kann. Diese liegen ja gerade nicht in den persönlichen Motiven der Schwangeren, sondern in der Einhaltung des Verfahrens (insbesondere der Erfüllung der Beratungspflicht), der Inanspruchnahme eines Arztes und dem formellen Vorliegen des Verlangens der Schwangeren. Letzteres ist motivindifferent (das heißt, die persönlichen Motive bleiben außer Betracht). Vollkommen unverständlich ist, warum das BVerfG überhaupt die Feststellung und nicht die Feststellbarkeit für erforderlich erachtet. Die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes können nie im Vorhinein durch den Strafrichter überprüft werden. Die Überprüfung findet immer ex post statt, weil der Strafrichter ex ante überhaupt nicht prüfen darf. Noch abenteuerlicher ist, dass das BVerfG alternativ die Feststellung durch „Dritte, denen der Staat kraft ihrer besonderen Pflichtenstellung vertrauen darf“ voraussetzt.556 Denn über die Strafbarkeit entscheidet nach Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG allein das zuständige Gericht.557 Weil hier aber das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Frau das in der Interessenabwägung überwiegende und damit bessere Recht darstellt, darf die Feststellbarkeit sich nur auf die Einhaltung des Beratungsverfahrens und nicht auf den Inhalt und die Beweggründe der Frau beziehen, gerade weil das daraus fließende

555 Nach Auffassung des BVerfG würden die Frauen dann in einer „Selbstindikation“ in eigener Sache über Recht und Unrecht befinden; BVerfGE 88, 203 (275) – Schwangerschaftsabbruch II. Dazu Hassemer, FS-Mahrenholz, S. 733 f. 556 Vgl. zudem die Kritik in der abweichenden Meinung von Böckenförde, BVerfGE 88, 359 (361). 557 Sollte das BVerfG hier an die Indikationsfeststellung durch den Arzt gedacht haben, so verwechselt es die Rollen von Arzt und Richter. Auch im Falle der Indikationsstellung entscheidet selbstverständlich nicht der Arzt über die Frage der Rechtfertigung der Schwangeren. Er trifft lediglich die tatsächlichen Feststellungen.

274

D. Rechtsfolgen des Verlangens

Selbstbestimmungsrecht motivindifferent gewährt wird.558 Das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleistet den Schutz des Einzelnen als selbstbestimmtes Subjekt und schützt die Autonomie, vor dem Hintergrund eines Selbstentwurfs begründete Entscheidungen zu treffen.559 Die bis heutige gängige Diskussionspraxis, den Schwangerschaftsabbruch nach Konfliktberatung deshalb als Rechtfertigungsgrund abzulehnen, weil die Schwangere ja möglicherweise Gründe zur Enscheidung zum Abbruch bewegen könnten, die vor dem Grundgesetz nicht valide seien560 – „vor der Verfassung keinen Bestand haben“ 561 – ist folglich dogmatisch falsch. Zugleich erweist sich der Einwand des BVerfG, dass der Gesetzgeber darauf verzichten müsse, den „beratenen“ Abbruch der Schwangerschaft für gerechtfertigt zu erklären, weil die Feststellung einer Notlage unmöglich sei, somit in allen Hinsichten als unzutreffend.562 Soweit moniert wird, dass beim „beratenen“ Schwangerschaftsabbruch gerade keine Interessen- und Güterabwägung im Einzelfall vorgenommen werde, weil es ausschließlich auf die Entscheidung der Schwangeren für die Rechtfertigung ankomme, so ist dem (wie erörtert) entgegenzuhalten, dass damit die Beratung als Abwägungsparameter nicht berücksichtigt wird.

558 Falsch ist daher die Annahme einer „Darlegungspflicht“; so aber BVerfGE 88, 203 (290 f.) – Schwangerschaftsabbruch II. 559 Pieroth/Schlink/Kingreen/Poscher, Staatsrecht II, Rn. 391. Unzutreffend daher die Ausführungen der Antragsteller in BVerfGE 88, 203 (238 ff., insbesondere auf S. 242) – Schwangerschaftsabbruch II. 560 So etwa die Antragsteller in BVerfGE 88, 208 (240) – Schwangerschaftsabbruch II. 561 Antragsteller in BVerfGE 88, 208 (241) – Schwangerschaftsabbruch II. 562 Im Ergebnis ebenso die abweichende Meinung von Mahrenholz und Sommer, BVerfGE 88, 338 (348).

E. Eigene Auslegung des Tatbestandsmerkmals Schließlich soll das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ unter dem Eindruck der aufgezeigten Begründungsdefizite und der entwickelten eigenen Theorien einer Auslegung unterzogen werden, um eine abschließende Definition zu finden.

I. § 216 Abs. 1 StGB Der vorliegend zugrundegelegte Auslegungskanon richtet sich grundsätzlich nach der sogenannten objektiven Theorie1, nach der es für das Auslegungsziel entscheidend nicht auf den subjektiven Willen des (historischen) Gesetzgebers ankommt, sondern auf den objektiven Inhalt des Gesetzes.2 Nach der hier vertretenen Ansicht muss die Einnahme dieser Perspektive jedoch keine Beschränkung der Auslegungsmethode auf Wortlaut und Systematik zur Folge haben.3 Deshalb wird anhand des klassischen Kriterienquartetts nach Savigny, das auch die historische und – in seiner Modifikation nach Jhering – teleologische Auslegung miteinbezieht, geprüft. Allerdings findet der gesetzgeberische Wille dabei nur in seiner durch Beschlüsse gefassten und damit verobjektivierten Form Beachtung.4 Im Konfliktfall wird die grammatische, systematische und teleologische Auslegung den Vorrang genießen. Die subjektivhistorische Auslegung kann mithin höchstens bekräftigend wirken.5 Den von Hillgruber für die subjektive Theorie vorgebrachten gewichtigen Argumenten6 lässt sich für den hier im Zweifel befürworteten Vorrang des objekti1

So die überwiegende Meinung, vgl. nur BVerfG, NJW 2004, S. 1305 (1306) m.w. N. Zum Streit und den jeweiligen Argumenten (auch zur vermittelnden Auffassung) ausführlich Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 627 ff. und Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S. 30 ff. (beide im Ergebnis allerdings für die subjektive Theorie); Kühl, in: Lackner/Kühl, § 1, Rn. 6; vgl. außerdem Simon, Gesetzesauslegung im Strafrecht, S. 24. 3 So aber BVerfGE 1, 299; beachte dazu allerdings Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 630. Wie hier Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S. 33. 4 BVerfGE 11, 126 (130 f.); zutreffend auch Ulsamer: „Den Willen, dass ein Gesetz gelten solle, kann eine gesetzgebende Körperschaft nur in Form eines Gesetzesbeschlusses bilden“, ders., in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 80, Rn. 81. Ergänzen könnte man das Zitat noch um den Zusatz „[. . .] dass und wie ein Gesetz gelten solle [. . .]“ – der Gesetzgeber muss seinen Willen so ausdrücken und in Gesetzesform niederlegen, wie er ihn verstanden wissen will. 5 Tettinger/Mann, Einführung in die juristische Arbeitstechnik, Rn. 221. 6 Hillgruber, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 97, Rn. 55 ff. m.w. N. Gegenargumente insbesondere im Hinblick auf die vorgebrachte demokratietheoretische Begründung der 2

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E. Eigene Auslegung des Tatbestandsmerkmals

ven Inhalts des Gesetzes entgegenhalten, dass der Wille des Gesetzgebers nur in Form von Gesetzesbeschlüssen, also in verobjektivierter Form, beachtlich ist – weicht diese Form von den ursprünglichen Intentionen des Gesetzgebers ab, muss er sich trotzdem an seiner Beschlussfassung festhalten lassen7 oder sich in einer erneuten Beschlussfassung eindeutiger ausdrücken.8 Über den klassischen Auslegungskanon hinaus wird im Anschluss noch die Auslegung des Tötungsverlangens durch die Rechtsprechung untersucht sowie ein Blick auf ausländische Regelungen der konsentierten Fremdtötung geworfen. 1. Wortlaut Der grammatischen Auslegung kommt aufgrund der Wortlautschranke eine besondere Bedeutung zu, da die Auslegung anhand des Wortlauts gemäß Art. 103 Abs. 2 GG verfassungsrechtlich geboten ist.9 Vor allem der Strafrichter ist zur Wahrung des daraus fließenden Grundsatzes nullum crimen, nulla poena sine lege scripta, praevia, certa et stricta an die wortlautgetreue Auslegung gebunden.10 Der mögliche Wortsinn des Gesetzes ist somit die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Auslegung zum Nachteil des Angeklagten.11 Prioritär ist der spezifische Sprachgebrauch des Strafgesetzbuchs für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Verlangen“ in § 216 StGB entscheidend. Erst nachrangig ist auf den allgemeinen juristischen Sprachgebrauch zurückzugreifen und zuletzt die umgangssprachliche Bedeutung heranzuziehen.12 Zuvor soll noch einmal auf die sprachwissenschaftliche Bedeutung13 des Verlangens hingewiesen werden, weil auf diese in der juristischen Wortlautauslegung zurückgegriffen wird. Wie in der Einleitung erörtert, wird das Verlangen sprachwissenschaftlich hauptsächlich entweder als stark ausgeprägter Wunsch oder als nachdrückliche Forderung definiert. subjektiven Auslegung bei Kubiciel, Die Wissenschaft vom Besonderen Teil des Strafrechts, S. 40 f. 7 Dafür jedenfalls bei eindeutigem Gesetzestext auch Wank, der – als Subjektivist – dies nicht für eine objektive Auslegung „im eigentlichen Sinne“ hält; vgl. ders., Die Auslegung von Gesetzen, S. 29. 8 Kritisch ebenfalls Kubiciel, Die Wissenschaft vom Besonderen Teil des Strafrechts, S. 40 f. m.w. N. auch zur Andeutungstheorie, nach der die Andeutung des gesetzgeberischen Willens im Gesetz für die Berücksichtigung ausreichend sei. Kubiciel ist darin beizupflichten, dass dies der Willkür Tür und Tor öffnete. 9 Kühl, in: Lackner/Kühl, § 1, Rn. 6; dazu näher Hillenkamp, FS-Kirchhof, S. 1360. 10 Vgl. Hillenkamp, FS-Kirchhof, S. 1360 m.w. N. 11 BVerfGE 73, 206 (235); dazu Hillenkamp, FS-Kirchhof, S. 1360 m.w. N. 12 Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S. 41; kritisch zur Berücksichtigung der umgangssprachlichen Bedeutung Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 139 f. m.w. N.; deren Relevanz betonend wiederum Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 141 f. 13 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 24.

I. § 216 Abs. 1 StGB

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a) Spezifischer Sprachgebrauch des Strafgesetzbuchs Im StGB ist das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ an insgesamt 11 verschiedenen Stellen normiert, und zwar in den §§ 165 Abs. 1 S. 1, 200 Abs. 1, 216 Abs. 1, 218a Abs. 1 Nr. 1, 218c Abs. 1 Nr. 1 StGB sowie als Strafverlangen (§ 77e StGB) in den §§ 76a Abs. 2 S. 2, 78b Abs. 1 S. 2, 104a, 257 Abs. 4 S. 1, 323a Abs. 3 StGB.14 Das Strafverlangen wird definiert als Ausdruck des Begehrens der Strafverfolgung.15 Zur Klärung des spezifischen Sprachgebrauchs des StGB im Übrigen lässt sich eine teilweise Vorwegnahme der Analyse des Wortlauts von § 218a Abs. 1 StGB nicht vermeiden. Denn der spezifische Sprachgebrauch des StGB lässt sich nicht ermitteln, ohne die Normen des StGB – dazu zählt eben auch § 218a StGB – zu untersuchen. Zu beachten ist dabei, dass eine bestimmte Bedeutung des Tatbestandsmerkmals „Verlangen“ in § 216 StGB nicht durch die Bedeutung in § 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB (und andersherum) präjudiziert wird,16 sondern regelskeptizistisch jede Normierung für sich genommen als neue Entscheidung anzusehen ist, die sich nicht notwendig aus dem bisherigen Begriffsgebrauch ergibt.17 Die einzelnen Definitionsversuche sollen noch einmal kurz in Erinnerung gerufen werden. Das im Tötungsverlangen nach überwiegender Meinung liegende gesteigerte Einverständnis wird im Sinne eines aliud als „gezielte Einwirkung auf den Willen“ 18, „nachdrückliche Zustimmung“ 19 und „Einwilligung mit einer von Willensfestigkeit und Zielstrebigkeit gekennzeichneten inneren Haltung“ 20 beschrieben. Nach der Lesart als qualifizierte Einwilligung wird das Verlangen als „unmissverständliche Kundgabe mit dem Ziel der Einwirkung auf den anderen“ 21, „Begehren“ 22 oder auch „nachdrückliches Begehren“ 23 und „Betätigung mit dem Ziel der Einwirkung auf den anderen“ 24 definiert. 14

Außerdem im Verweis auf § 77e StGB in Art. 304 Abs. 1 EGStGB. Wohlers/Kargl, in: NK, § 104a, Rn. 7. 16 Vgl. zur „Relativität der Rechtsbegriffe“ Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 140. 17 Vgl. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 47. 18 Eser, in: Schönke/Schröder, § 216, Rn. 5; Jähnke, in: LK, § 216, Rn. 4; Joecks, Studienkommentar, § 216, Rn. 5: „mehr als bloßes Einverständnis“ sowie Maurach/ Schroeder/Maiwald, BT 1, § 2, Rn. 62; Neumann, in: NK, § 216, Rn. 10; Rengier, BT II, § 6, Rn. 6 und Wessels/Hettinger, BT 1, Rn. 156: „mehr als bloßes Einwilligen“. 19 Eser, in: Schönke/Schröder, § 216, Rn. 5; kritisch Feldmann, Mitwirkungshandlungen am Suizid, S. 355 ff. 20 Jähnke, in: LK, § 216, Rn. 2, 4. 21 Küpper, BT 1, § 1, Rn. 63. 22 Rössner/Wenkel, in: HK, § 216, Rn. 8. 23 Kindhäuser, BT I, § 3, Rn. 10. 15

278

E. Eigene Auslegung des Tatbestandsmerkmals

Hinsichtlich der Voraussetzung einer gezielten Einwirkung ist allerdings bereits fraglich, woraus sich der Unterschied zur Einwilligung ergeben soll, denn eine gezielte Einwirkung auf den Willen des anderen ist auch für die Einwilligung erforderlich. Für ein nicht synonymes Verständnis spricht demgegenüber bereits, dass Einwilligung und Verlangen verschiedene Begriffe sind. Aus der Fülle verschiedener Umschreibungen lassen sich jedenfalls zwei verschiedene Wortbedeutungen herauskristallisieren: das Verlangen als Begehren im Sinne eines besonders starken Wunsches einerseits und das Verlangen als „gezielte, nachdrückliche Einwirkung auf den Willen eines anderen“ andererseits. Während das „Begehren“ eine bestimmte innere Haltung des Verlangenden voraussetzt, wird mit der „gezielten, nachdrücklichen Einwirkung auf den Willen einen anderen“ eine bestimmte äußere Form der Äußerung des Verlangens für erforderlich erachtet. Duttge definiert das Verlangen im Sinne einer Kombination beider Strömungen als Begehren, mit dem ziel- und zweckgerichtet auf den Täterwillen eingewirkt werde.25 Auch hinsichtlich § 218 Abs. 1 StGB wird das Verlangen zum Teil als ein gegenüber der Einwilligung gesteigertes Einverständnis verstanden.26 Dort finden sich ebenfalls die zwei Hauptkriterien der bestimmten inneren Haltung oder der bestimmten äußeren Form als angenommene Unterscheidungsmerkmale zur Einwilligung grundsätzlich wieder und zumindest teilweise überschneiden sich die Begründungsansätze. Hinsichtlich der Voraussetzung einer bestimmten inneren Haltung ist die Übereinstimmung jedoch geringer. Rössner/Wenkel setzen zwar voraus, dass die Schwangere den Eingriff „in reflektierter Weise begehren“ müsse.27 Im Übrigen liegt der Schwerpunkt innerhalb des Kriteriums der inneren Haltung aber etwas anders. Das Abbruchsverlangen wird umschrieben als die „Manifestation eines eigenen, nicht aufgedrängten, überlegten Wunsches“,28 im Bericht des Sonderausschusses „Schutz des ungeborenen Lebens“ ist von der „verantwortlichen Letztentscheidung“ der Schwangeren die Rede29. Mit dem Verlangen des Schwangerschaftsabbruchs durch die Schwangere in diesem Sinne ist somit eher weniger gemeint, dass sie sich diesen besonders stark wünschen müsse. Es geht zwar um eine bestimmte innere Haltung der Schwangeren. Nicht die Stärke des Wunsches ist jedoch dabei entscheidend, sondern die Überlegtheit und Verantwortlichkeit der Entscheidung sowie die intrinsische Motivation. Insoweit deckt sich die Bedeutung nur teilweise mit der in Be24

RGStE 68, 306 (307). Duttge, in: Prütting, Fachanwaltskommentar, StGB, § 216, Rn. 3. 26 Duttge, in: Prütting, Fachanwaltskommentar, StGB, §§ 218, 218a, Rn. 14. 27 Rössner/Wenkel, in: HK, § 218a, Rn. 9. 28 Eser, in: Schönke/Schröder, § 218a, Rn. 9; Gropp, in: MüKo, § 218a, Rn. 16; Kröger, in: LK, § 218a, Rn. 26; Merkel, in: NK, § 218a, Rn. 69. 29 BT-Drucks. 12/2875, S. 84 f. 25

I. § 216 Abs. 1 StGB

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zug auf § 216 Abs. 1 StGB vertretenen Definition des Tötungsverlangens als „Begehren“. Auch das Begehren der Strafverfolgung hängt weniger von der Stärke des Wunsches ab, sondern eher von der nachdrücklichen Forderung – vom Einfordern – derselben. Möglicherweise spricht aber für die Begehrenskomponente, dass ein Einfordern doch zumeist mit einem korrelierenden Recht assoziiert wird („sein Recht einfordern“). Ein solches Recht wird jedoch sowohl hinsichtlich der Tötung auf Verlangen als auch des Schwangerschaftsabbruchs nach Konfliktberatung überwiegend verneint. Das Strafverlangen der ausländischen Regierung beinhaltet nach § 104a StGB ebenfalls nur das Recht, dieses zu äußern, aber keinen Anspruch, es gegenüber der Bundesrepublik Deutschland durchzusetzen. Nach der überwiegenden Auffassung kann der Verlangende seinen Wunsch somit lediglich als Bitte formulieren, ohne auf das Verlangte Recht oder Anspruch zu haben. Diese Gemeinsamkeit von § 216 StGB und § 218a Abs. 1 StGB kann als Argument dafür hergenommen werden, dass das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ hier wie dort ein Begehren, einen bloßen (starken) Wunsch, beschreibt. Dieses Argument ist allerdings nicht zwingend. Zum einen bedeutet das Verb „einfordern“ zunächst einmal nur, etwas energisch von jemandem zu fordern.30 Das Wort impliziert damit nicht, man habe ein Recht (oder einen Anspruch) auf das Eingeforderte. Zum anderen ist die allgemeine Meinung, dass niemand seine direkte Tötung soll verlangen dürfen, angreifbar. Nach dem hiesigen Standpunkt mag das insofern zutreffen, als dieses Recht nicht konkretisiert als Anspruch gegenüber einer bestimmten Person besteht. Es wurde aber oben unter D.I.3. ausgeführt, dass eine absolute Einwilligungssperre in die Fremdtötung verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen ist. Wie erörtert, gewährt das Selbstbestimmungsrecht dem Einzelnen grundsätzlich das Recht, seine Tötung durch einen Dritten zu konsentieren. Dieses Recht greift nicht in den Rechtskreis Dritter ein. Es kann verwirklicht werden, wenn sich ein Dritter dazu bereit erklärt. Damit geht allerdings nicht das Recht einher, die Verwirklichung dieses Rechts von anderen fordern zu dürfen. Ein solcher Anspruch griffe ungerechtfertigt in den Rechtskreis Dritter ein. Er ergibt sich hinsichtlich der Tötung auf Verlangen weder aus dem Grundgesetz noch aus dem einfachen Recht.31 Deshalb besteht nach der hier vertretenen Auffassung zwar kein Anspruch auf Durchführung der Tötung gegenüber einer bestimmten Person, aber doch grundsätzlich das Recht, diese zu verlangen, ohne dass sich derjenige, der sich dazu bereit erklärt, strafbar macht. 30

Duden, Richtiges und gutes Deutsch, Stichwort „einfordern“. Das Risiko, dass sich das Recht, sich zu seiner Tötung Dritter zu bedienen, nicht verwirklichen lässt, weil kein Dritter zur Ausführung bereit ist, stellt keine Legitimation zu Eingriffen in den Rechtskreis anderer (im Sinne deren Verpflichtung) dar. Die betroffenen Persönlichkeitsrechte aus Art. 2 Abs. 2 GG stehen sich gleichwertig gegenüber. Es ist nicht erkennbar, wieso das Selbstbestimmungsrecht des einen Menschen hier dem Selbstbestimmungsrecht des anderen Menschen vorgehen sollte. 31

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E. Eigene Auslegung des Tatbestandsmerkmals

Hinsichtlich des Schwangerschaftsabbruchs nach Konfliktberatung ist umstritten, ob die Schwangere ein Recht auf den Schwangerschaftsabbruch nach Konfliktberatung hat und diesen als Anspruch durchsetzen kann. Dies ist praktisch besonders relevant, weil die Schwangere insoweit auf ärztliche Hilfe angewiesen ist. Ein solcher Anspruch könnte – um Friktionen mit der Gewissensfreiheit der Ärzte und § 12 Abs. 1 SchKG zu vermeiden – auf die Vorhaltung entsprechender medizinischer Versorgungseinrichtungen durch den Staat abzielen. Aus § 12 Abs. 1 SchKG ergibt sich nämlich eindeutig, dass die Schwangere keinen Anspruch gegenüber einem bestimmten Arzt hat.32 Die eingehende Diskussion eines solchen Anspruchs würde den Umfang der vorliegenden Arbeit sprengen. Sie ist jedoch von Hillenkamp angestoßen worden.33 Vom BVerfG und der noch verbreiteten Auffassung, dass der Schwangerschaftsabbruch nach Konfliktberatung kriminelles Unrecht darstelle, wird der Schwangeren indessen bereits das grundsätzliche subjektive Recht auf Durchführung eines solchen Schwangerschaftsabbruchs abgesprochen werden müssen (anderenfalls müssten jene Vertreter immerhin ein Recht auf kriminelles Verhalten zuerkennen). Vorliegend wird ein Recht der Schwangeren auf Vornahme des Abbruchs nach Konfliktberatung indessen bejaht, was sub D.II.3. ausführlich begründet wurde. Dieses Recht darf auch nicht über § 12 Abs. 1 SchKG ausgehebelt werden.34 Nach alledem kann dem Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ folglich die Gemeinsamkeit zugesprochen werden, im spezifischen Sprachgebrauch des Strafgesetzbuchs ein Begehren darzustellen, auf das – nach herrschender Meinung – kein Recht, nach vorzugswürdiger Ansicht lediglich kein Anspruch gegenüber einer bestimmten Person, besteht. Wie gezeigt, schließt das die andere Deutungsmöglichkeit als nachdrückliche Forderung aber nicht aus. Diese zweite Deutungsvariante des § 216 StGB, nach der das Verlangen als „gezielte, nachdrückliche Einwirkung auf den Willen eines anderen“ von seiner äußeren Form her im Sinne eines Einforderns umschrieben wird, stimmt auch mit der in Bezug auf § 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB angenommenen Bedeutung eher überein. Denn auch beim beratenen Schwangerschaftsabbruch wird für das Verlangen vorausgesetzt,

32 Zu den sich daraus ergebenden Problemen Hillenkamp, in: FS-Schöch, S. 511 (522 ff., 530). 33 Hillenkamp, FS-Schöch, S. 511. 34 Hillenkamp hat das aus § 12 Abs. 1 SchKG folgende Mitwirkungsverweigerungsrecht von Ärzten und ärztlichem Hilfspersonal am Schwangerschaftsabbruch relativiert und zu bedenken gegeben, dass im Übrigen zur Abwendung des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung der Schwangeren das Weigerungsrecht versagt werden müsse. Dies folge aus der im Übereinklang mit dem BVerfG stehenden gesetzgeberischen Wertung (auch des Strafrechts), der Gesundheit der Schwangeren den Vorzug vor dem Lebensrecht des nasciturus einzuräumen; ders., in: FS-Schöch, S. 511 (519, 526 ff., 529 f.) m.w. N.

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dass die Schwangere gezielt35 und nachdrücklich auf den Willen des Arztes einwirken müsse, jedenfalls diesen aber ernstlich und ausdrücklich auffordern müsse,36 den Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen.37 Das Abheben auf eine bestimmte äußere Form stimmt außerdem besser mit der Bedeutung des Strafverlangens überein. Ein einheitlicher spezifischer Sprachgebrauch des Tatbestandsmerkmals „Verlangen“ im Strafgesetzbuch sowohl in § 216 StGB als auch in § 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB und bei dem Strafverlangen i. S. v. § 77e StGB kann nach alledem auf der Grundlage der angebotenen Definitionen höchstens in Grundzügen angenommen werden. Innerhalb der beiden Deutungsvarianten bestehen jedoch deutliche Gemeinsamkeiten in der Auslegung. b) Allgemeiner juristischer Sprachgebrauch Im allgemeinen juristischen Sprachgebrauch wird das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ synonym zu einem (grundsätzlich) initiativen Einfordern verwendet und damit enger verstanden als im spezifischen Sprachgebrauch des StGB, der zudem die zweite Auslegungsvariante als Begehren kennt und obendrein die Initiative eher für verzichtbar erachtet. Ist z. B. in § 114b Abs. 2 Nr. 5 StPO die Rede davon, dass der Beschuldigte eine ärztliche Untersuchung verlangen kann, bedeutet das nicht, dass er sich danach verzehren muss. Es genügt, dass er dies schlicht will und initiativ einfordert. Ein gesteigerter Wille im Sinne eines besonders starken Wunsches als innere Haltung (Begehren) ist nicht nötig. Das Einfordern seines Rechts auf der Basis eines schlichten Willens im Sinne der oben beschriebenen äußeren Haltung ist der entscheidende Punkt. Dies gilt auch für die zivilrechtliche Bedeutung des Verlangens. Ist beispielsweise im Allgemeinen Teil des BGB das Verlangen der Einberufung der Mitgliederversammlung in § 37 BGB vorausgesetzt, muss das Mitgliederquorum keinen über den bloßen Willen hinausgehenden Wunsch geltend machen. Kann der Käufer im Besonderen Teil des BGB gemäß § 439 Abs. 1 BGB Nacherfüllung verlangen, ist zur Äußerung ebenfalls kein gesteigerter Wille notwendig. Auch hier ist vielmehr das Einfordern der maßgebliche Umstand. Interessant ist ferner die bereits angesprochene Verwendung des Tatbestandsmerkmals „Verlangen“ in der Legaldefinition des § 194 Abs. 1 BGB. Ein Anspruch ist nach § 194 Abs. 1 BGB gegeben, wenn ein Recht, ein Tun oder Unter35

Duttge, in: Prütting, Fachanwaltskommentar, StGB, §§ 218, 218a, Rn. 14. Knauer/Brose, in: Spickhoff, StGB, §§ 218–219, Rn. 11. 37 Eschelbach, in: BeckOK, § 218a, Rn. 13. Es wird hier somit zur Beschreibung des Abbruchsverlangens in § 218a Abs. 1 StGB auf die übrigen Tatbestandsmerkmale von § 216 StGB rekurriert. 36

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E. Eigene Auslegung des Tatbestandsmerkmals

lassen zu verlangen, vorliegt. Das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ bedeutet somit in dieser Norm, dass zivilrechtlich ein Verhalten eingefordert werden kann, wenn man ein subjektives Recht in Form eines Anspruchs hat. Darin besteht ein grundlegender Unterschied zum spezifischen Sprachgebrauch des StGB. Denn wie gesehen, kann zwar ein Recht auf die Äußerung eines Strafverlangens angenommen werden, und über ein Recht auf konsentierte Fremdtötung und Schwangerschaftsabbruch nach Konfliktberatung lässt sich durchaus streiten. Ein Anspruch auf die Strafverfolgung, konsentierte Fremdtötung oder den Schwangerschaftsabbruch nach Konfliktberatung38 gegenüber einer bestimmten Person besteht indessen nicht. In § 630g Abs. 1 S. 1 BGB ist geregelt, dass der Patient Einsicht in seine Patientenakte verlangen kann. Auch hier geht es um ein initiatives Einfordern – wird der Patient nicht tätig und fordert sein Recht nicht ein, wird er keine Akteneinsicht erhalten. Auch im öffentlichen Recht erfordert das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ keinen gesteigerten Willen im Sinne einer bestimmten inneren Haltung. Muss gemäß § 56 VwGO auf Verlangen der Behörde ein Zustellungsbevollmächtigter bestellt werden, setzt dies keinen qualifizierten Willen voraus, sondern die Aufforderung. Der Wortsinn des Verlangens als besonders starkem Wunsch und Begehren im Sinne einer bestimmten inneren Haltung entspricht somit nicht dem allgemeinen rechtssprachlichen Verständnis. Allerdings stimmt der allgemeine juristische Sprachgebrauch mit der bezüglich § 216 StGB vertretenen Interpretation des Verlangens als gezielter Einwirkung auf den Willen im Sinne einer bestimmten äußeren Form überein, da diese auch mit dem „Einfordern“ umschrieben werden kann. Ein Unterschied liegt darin, dass für das Tötungsverlangen in § 216 StGB ganz überwiegend kein initiatives Tätigwerden vorausgesetzt wird. Nach dem allgemeinen juristischen Sprachgebrauch kann der Unterschied zwischen Verlangen und Einwilligung demgegenüber gerade in der Initiative gesehen werden. Gebraucht man das Tatbestandsmerkmal Verlangen nämlich im Sinne des Einforderns, impliziert dies, dass man von selbst tätig werden muss und nur dann dem eigenen Willen entsprochen wird, wenn man es selbst verlangt (einfordert) und seinen Willen initiativ äußert, den anderen darauf aufmerksam macht – es handelt sich sozusagen um ein initiativ geäußertes Einverständnis. So hängt z. B. auch die Strafverfolgung einer nur auf Strafverlangen verfolgbaren Tat davon ab, ob das zuständige Organ der ausländischen Regierung gegenüber dem

38 Beachte aber oben E.I.1.a) zur Diskussion über einen Anspruch auf den Schwangerschaftsabbruch nach Konfliktberatung.

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Bundeskanzler oder dem Bundesminister des Auswärtigen diese initiativ einfordert.39 Von dieser Deutung des Verlangens geht ebenso Mitsch aus, indem er das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ in § 216 StGB als Aufforderung zur Tötung definiert und den Unterschied zur Einwilligung darin sieht, dass das Verlangen einen stärkeren Aufforderungscharakter habe.40 Auch das Verlangen der Schwangeren in § 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB legt Mitsch so aus. Wie in § 216 Abs. 1 StGB stehe das Verlangen hier gleichfalls für eine besonders intensive Form der Willensentscheidung und Willensbekundung.41 Die Initiative zu dem Schwangerschaftsabbruch müsse von der Schwangeren ausgehen.42 Zusammenfassend lässt sich also feststellen, dass im allgemeinen juristischen Sprachgebrauch das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ – sowohl als Substantiv als auch als Verb – synonym zu einem initiativen Einfordern verwendet wird. Der allgemeine juristische Sprachgebrauch ist damit insofern enger als der spezifische Sprachgebrauch des StGB, als er die zweite Auslegungsvariante als bestimmte innere Haltung nicht kennt und grundsätzlich von seinem Sinn her (wenngleich nicht zwingend) die Initiative voraussetzt. Der allgemeine juristische Sprachgebrauch spricht somit weiterhin dafür, dass Einwilligung und Verlangen nicht synonym sind. Bemerkenswert ist schließlich, dass sich das Verlangen im allgemeinen juristischen Sprachgebrauch in der Regel auf den Gebrauch eines subjektiven Rechts bezieht (wie anhand § 194 BGB erklärt) und etwa Auskunftsansprüche und Einsichtsrechte des Bürgers, aber auch hoheitliche Rechte auf ein bestimmtes Verhalten des Bürgers (oder im öffentlich-rechtlichen Koordinationsverhältnis) sowie Rechte auf ein bestimmtes Verhalten anderer Behörden (z. B. die Abgabe von Erklärungen nach § 69 Abs. 2 Nr. 2 OWiG) bezeichnet. Mit dem Verlangen ist im Zivilrecht und öffentlichen Recht somit stets die Durchsetzung eines Anspruchs gemeint. Bezogen auf § 216 StGB verdeutlicht das Verlangen nach allgemeiner Meinung demgegenüber die unwirksame Verfügung über das subjektive Lebensrecht, in § 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB bezieht sich das Verlangen unstreitig sogar (auch) auf ein fremdes Recht, nämlich jenes des nasciturus. Während ein Recht dazu bestehen mag, ist ein Anspruch damit nicht umschrieben. Was bedeutet das für die zwei Deutungsvarianten des Verlangens vom Begehren und dem Einfordern? Das Begehren spielt im allgemeinen juristischen Sprachgebrauch überhaupt keine Rolle, das (initiative) Einfordern hingegen 39 40 41 42

Vgl. Wohlers/Kargl, in: NK, § 104a, Rn. 7. Mitsch, in: AK, § 216, Rn. 7. Mitsch, in: AK, § 218a, Rn. 7. Mitsch, in: AK, § 218a, Rn. 7.

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E. Eigene Auslegung des Tatbestandsmerkmals

schon. Mit dem Einfordern ist im allgemeinen juristischen Sprachgebrauch allerdings ein Anspruch assoziiert, der im spezifischen Sprachgebrauch des StGB fehlt – selbst über das zugrundeliegende subjektive Recht wird gestritten. c) Umgangssprachliche Bedeutung Für die Auslegung des Verlangens als initiatives Einfordern sprechen weiterhin der soziale Wortsinn und der alltägliche Sprachgebrauch. Wenn man gefragt wird, ob eine Handlung dem eigenen Willen entspreche und man möchte dies bejahen, wird man in der Regel sein Einverständnis kundtun (was einer schlichten Einwilligung entspricht) und nicht die Handlung verlangen – es würde intersubjektiv als deviant empfunden werden und zu Irritationen führen, ein bereits angebotenes Verhalten zu verlangen. Als im alltäglichen Sprachgebrauch adäquate Positivreaktion wird die bloße Zustimmung, die Einwilligung (auf die Aktion eines initiativen Verhaltens eines anderen hin) empfunden. Während eine Einwilligung als bloße Zustimmung sowohl initiativ als auch reaktiv üblich ist, ist das Verlangen im alltäglichen Verwendungskontext demgegenüber (neben seiner Bedeutung als „Begehren“) reserviert, um auszudrücken, dass man aktiv auf etwas besteht, etwas nachdrücklich und initiativ fordert. Dem entsprechen die bereits erwähnten zwei Hauptbedeutungen des Verlangens als innere Haltung einerseits und äußere Form andererseits. Folglich wird das Verlangen im allgemeinen Sprachgebrauch eher dann verwendet, wenn es um ein initiatives und nachdrückliches Einfordern von etwas geht (ein aktives Wollen), das Einwilligen hingegen (in einem weiteren Anwendungsbereich) sowohl als zustimmende Reaktion als auch aktive Zustimmung. Der soziale Wortsinn spricht deshalb gegen ein synonymes Verständnis von Verlangen und Einwilligung, was die Voraussetzungen anbelangt. Der soziale Wortsinn kennt zudem die andere, zweite Deutung des Verlangens als Begehren und lässt sich daher auch für den (weiteren) spezifischen juristischen Sprachgebrauch des StGB anführen. Diese zweite Wortbedeutung setzt einen anderen Verwendungskontext als den gerade beschriebenen (initiatives Einfordern) voraus. Sie ist dann einschlägig, wenn man einen gesteigerten Wunsch, der über den bloßen Willen hinausgeht, beschreiben möchte. In diesem Kontext geht es meist um ein Verlangen nach Genuss (bzw. Genussmitteln). Im Unterschied zum oben genannten Wortsinn als initiatives/nachdrückliches Wollen (also einer bestimmten äußeren Form) geht es hier also auch in der umgangsprachlichen Bedeutung zudem um eine bestimmte innere Haltung. Dieser zweite soziale Wortsinn, das Begehren im Sinne eines starken Wunsches als bestimmte innere Haltung, spielt im allgemeinen juristischen Sprachgebrauch, wie am Beispiel des § 114 Abs. 2 Nr. 5 StPO erklärt, indes kaum eine Rolle.

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Im spezifischen Sprachgebrauch des StGB wird in den angebotenen Definitionen zwar oft ausdrücklich auf das Begehren rekurriert. Hinsichtlich des Strafverlangens ist damit aber kein besonders intensiver Wunsch gemeint. In Bezug auf den Schwangerschaftsabbruch nach Konfliktberatung wird ebenfalls zumeist nicht auf die Intensität des Wunsches abgestellt, sondern die Art und Weise der Äußerung („nachdrücklich“, „reflektiert“ usw.). Lediglich hinsichtlich des Tötungsverlangens wird mit dem Begehren tatsächlich auf einen besonders starken Wunsch abgehoben. Für den Schwangerschaftsabbruch wie auch die Tötung auf Verlangen lässt sich allerdings die Gemeinsamkeit feststellen, dass das Begehren nach der herrschenden Meinung auf etwas gerichtet ist, auf das kein Anspruch besteht – etwas, was man sich insofern bloß wünschen kann. Dass die Beachtlichkeit dieses Wunsches aber – gerade weil darauf kein Anspruch bestehe – von seiner Intensität abhänge, ist bisher so nicht zur Begründung herangezogen worden. Die umgangssprachliche Bedeutung des Begehrens als besonders intensiver Wunsch spiegelt sich im spezifischen Sprachgebrauch des StGB somit nur zum Teil wider. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der soziale Sprachgebrauch sowohl den etwas weiteren spezifischen Sprachgebrauch des StGB als – logischerweise – auch den etwas engeren allgemeinen juristischen Sprachgebrauch komplett abdeckt. Zudem spricht die umgangssprachliche Bedeutung ebenfalls für eine Differenzierung von Verlangen und Einwilligung. d) Begriffsjurisprudenz In der Begriffsjurisprudenz werden zur Beschreibung von Begriffen (Prädikatoren)43 die Felder des Begriffskerns und des Begriffshofs abgesteckt.44 Der Begriffskern bezeichnet dabei unzweifelhafte Fälle, die eindeutig unter diesen Begriff fallen.45 Gesetzgeberischer Wille, sprachliche Formulierung und unmittelbares Bedeutungsverständnis stimmen überein.46 Der Begriffshof hingegen meint solche Fälle, bei denen Inhalt und Umfang eines Begriffs zweifelhaft erscheinen.47 Von den oben vorgestellten Auslegungsvarianten umfasst der Begriffskern nur die Deutung als gezielte Einwirkung oder initiatives Einfordern, wobei der Bezugspunkt – Anspruch, subjektives Recht oder bloßer Wunsch? – dem Begriffshof unterfällt. 43

Vgl. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 35. Vgl. Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 193 f. und Mushchinina, Rechtsterminologie – Ein Beschreibungsmodell, S. 78, jeweils m.w. N. 45 Mushchinina, Rechtsterminologie – Ein Beschreibungsmodell, S. 78 m.w. N. 46 Vgl. die Nachweise bei Mushchinina, Rechtsterminologie – Ein Beschreibungsmodell, S. 78 f. 47 Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 193 f.; Mushchinina, Rechtsterminologie – Ein Beschreibungsmodell, S. 78 m.w. N. 44

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E. Eigene Auslegung des Tatbestandsmerkmals

Die Deutung als Begehren (im Sinne eines starken Wunsches) ist insgesamt dem Begriffshof zuzuordnen, denn wie oben erörtert, ist sie dem allgemeinen juristischen Sprachgebrauch fremd und wird im spezifischen Sprachgebrauch des StGB nur im Hinblick auf das Tötungsverlangen vertreten (wenngleich sich das Begehren in anderen Definitionen ebenfalls findet). e) Fazit Nach alledem sprechen gute Gründe dafür, das Tötungsverlangen in § 216 Abs. 1 StGB als initiatives Einfordern im Sinne einer bestimmten äußeren Form zu definieren. Diese Auslegung ist nicht nur mit dem spezifischen Sprachgebrauch des StGB, sondern auch mit dem allgemeinen juristischen Sprachgebrauch und dem sozialen Wortsinn vereinbar. Weiterhin entspricht sie dem Begriffskern. Der Umstand, dass das Verlangen im bürgerlichen und öffentlichen Recht stets die Durchsetzung eines Anspruchs beschreibt, spricht nicht speziell gegen die hier favorisierte Auslegung – er spräche ja gleichermaßen gegen die Auslegung als Begehren wie auch als Einfordern, vielleicht sogar mehr gegen das Begehren. Auch generell steht dies einer insoweit abweichenden strafrechtsspezifischen Auslegung nicht im Wege. Denn wie oben erwähnt, genießt diese den Vorrang bei der Auslegung eines Straftatbestandsmerkmals. Der allgemeine juristische Sprachgebrauch ist erst nachrangig heranzuziehen. Mit diesem verträgt sich die Auslegung als initiatives Einfordern aber ebenfalls (und dies zudem besser als es bei der Auslegung als Begehren der Fall ist). Auch der Einwand, dass das Einfordern eher mit einem korrelierenden Recht assoziiert werden könnte und das von der überwiegenden Auffassung verneinte Recht auf die konsentierte Fremdtötung oder den Schwangerschaftsabbruch nach Konfliktberatung deutlicher in einer Definition als Begehren zum Ausdruck käme, wurde ausgeräumt. Aus dem Wortlaut ergeben sich damit gegenüber der Einwilligung höhere Voraussetzungen des Tatbestandsmerkmals „Verlangen“: Es beschreibt ein initiatives Einfordern. Weite Teile in Rechtsprechung und Schrifttum haben auf die Voraussetzung der Initiative allerdings ausdrücklich verzichtet. Soweit auf eine bestimmte äußere Form abgestellt wird, soll der Unterschied zur Einwilligung in der nachdrücklichen Forderung liegen. Dadurch würde das Tötungsverlangen nach der hier vertretenen Auffassung allerdings seines einzigen sachlichen Unterschieds in den Voraussetzungen zur Einwilligung beraubt und ein solcher bestünde nur noch in den Rechtsfolgen.48

48 Denn die Praxis lässt für die „nachdrückliche Forderung“ jede Einwilligung genügen, dazu im Folgenden unter E.I.5.

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Hinsichtlich der Rechtsfolgen vermag die grammatische Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Verlangen“ wenig beizutragen. Zumindest der Umstand, dass die Termini sich unterscheiden, weist darauf hin, dass die Rechtsfolgen verschieden sind. Desweiteren lässt sich dem Wortlaut der Norm durch die Verknüpfung von Verlangen und der Bestrafung der konsentierten Fremdtötung entnehmen, dass das Verlangen mit dem Ausschluss der Rechtfertigung durch die Einwilligung korreliert. Ob sich diese Indisponibilität aus der Unverfügbarkeit des subjektiven Lebensrechts ergibt, lässt sich daraus nicht eindeutig ablesen, wie auch die Fülle der Unrechtstheorien zeigt, die § 216 StGB zugrunde gelegt werden. Allerdings spricht der Bezug auf das Leben des Individuums dafür, hier von einer ungerechtfertigten Verletzung des subjektiven Lebensrechts auszugehen. 2. Historische Auslegung Wank schlägt vor, die historische Auslegung regelmäßig auf die Erforschung der Entstehungsgeschichte im engeren Sinne (also der Materialien, die zu dem konkret zu beurteilenden Gesetz geführt haben) und die Entwicklungsgeschichte (Interpretation seit Inkrafttreten) zu beschränken und die Vorgeschichte außen vor zu lassen.49 Der Rekurs auf die Entstehungsgeschichte im engeren Sinn begegnet der Schwierigkeit, dass § 216 StGB als reichsrechtliche Regelung seit dem 1. Januar 1872 bis auf die Einführung der Versuchsstrafbarkeit am 29.5.1943 und die danach mehrfache Änderung des Strafrahmens inhaltlich unverändert geblieben ist.50 Die letzte gesetzgeberische Äußerung in Bezug auf das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ findet sich in Gesetzgebungsmaterialien des vorkonstitutionellen Gesetzgebers aus dem Jahr 1870. Die historische Auslegung von § 216 StGB kommt daher nicht umhin, auch die Vorgeschichte mit einzubeziehen. a) Vorgeschichte und Entstehungsgeschichte im engeren Sinne Begonnen werden soll die Untersuchung mit der Herkunft des Tatbestandsmerkmals „Verlangen“ im römischen Recht, da es sich um das Mutterrecht unseres heutigen Rechtssystems handelt und die Heranziehung des Ursprungs sich für das Verständnis eines Tochterrechts fruchtbar machen lässt.51 Der Untersuchungszeitraum soll sich sodann über die Constitutio Criminalis Carolina (CCC) und das Partikularrecht im 19. Jahrhundert bis zum heutigen StGB erstrecken.

49 50 51

Terminologie und Methodik nach Wank, Die Auslegung von Gesetzen, S. 65 ff. Momsen, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, § 216, Rn. 2. Manthe, Geschichte des Römischen Rechts, S. 7 ff.

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E. Eigene Auslegung des Tatbestandsmerkmals

Auch in räumlicher Hinsicht wird der Untersuchungsgegenstand auf die Wurzeln des heutigen Strafrechts beschränkt. Der Begriff „Verlangen“ taucht, soweit ersichtlich, in den deutschen Übersetzungen der lateinischen Originaltexte des römischen Strafrechts52 nicht als rechtstechnisch von der Einwilligung im heutigen Sinne differenzierter Begriff auf. Das heutige Institut der Einwilligung hingegen findet sich nicht nur bereits im römischen Recht, sondern es ist sogar auf den römischrechtlichen Grundsatz volenti non fit iniuria, dem Einwilligenden geschieht kein Unrecht, zurückzuführen. Dieser findet sich sinngemäß an mehreren Stellen.53 Am bekanntesten dürfte die Digestenstelle Ulp. D.47.10.1.5 sein: nulla iniuria est, quae in volentem fiat (es gibt kein Unrecht, wenn der Beleidigte einwilligte).54 Die Formel volenti non fit iniuria ist eine sprichwörtliche Umformulierung dieser Digestenstelle.55 Sie kann allerdings nicht hergenommen werden, um daraus ein allgemeines dogmatisches Prinzip abzuleiten, denn die Wendung nulla iniuria est, quae in volentam fiat war nur beiläufig erwähnt und stand in einem Kontext, in dem es primär gar nicht um die Funktionsweise der Einwilligung ging, sondern darum, wann die Ehrverletzung eines Sohnes auch den Vater treffe.56 Die rechtfertigende Wirkung der Einwilligung wurde als selbstverständlich angesehen und nicht als dogmati52 Ein einheitliches Strafrecht als (methodisch selbstständiger) Teil des öffentlichen Rechts, wie es heute verstanden wird, kannte die römische Rechtswissenschaft nicht. Materie, die wir heute als dem Strafrecht zugehörig einordnen, wurde im römischen Recht zum einen zum öffentlichen Recht gezählt, soweit es um den magistratisch-comitialen Strafprozess ging, und zum anderen zum Privatrecht, was den Deliktsprozess vor Geschworenen betraf. Es wurde weiter zwischen den öffentlichen Straftaten (crimina [publica]) und Privatdelikten (delicta privata) unterschieden. Bis auf Straftaten gegen die Allgemeinheit (Volk, Staat) zählten die meisten Straftaten zu den Privatdelikten, was sich im Laufe der Geschichte allerdings verschob. Da die römische Jurisprudenz selbst den Begriff „Strafrecht“ nicht verwendete, bedarf es einer Abgrenzung der hier verwendeten Terminologie. Wenn hier vom „römischen Strafrecht“ die Rede ist, wird der von Mommsen vorgenommenen Klassifizierung, die sowohl das öffentliche Recht als auch das Privatrecht umfasst, gefolgt. Zu nennen sind die Hauptdeliktkategorien perduellio, parricidium, furtum und iniuria. Während die ersten beiden zum öffentlichen Recht zählen, unterfallen die letzten beiden sowohl dem öffentlichem als auch dem Privatrecht. Zu alledem ausführlich Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 4, 55 ff., 525 ff. (eine detailliertere Aufstellung der berücksichtigten Gruppen findet sich auf S. 579 f.) sowie Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, S. 345. 53 Vgl. Rein, Kriminalrecht der Römer, S. 133. 54 Rein, Kriminalrecht der Römer, S. 133. 55 Ohly, Die Einwilligung im Privatrecht, S. 25. 56 Usque adeo autem iniuria, quae fit liberis nostris, nostrum pudorem pertingit, ut, etiam si volentem filium quis vendiderit, patri suo quidem nomine competat iniuriarum actio; filio vero nomine non competit, quia nulla iniuria est, quae in volentem fiat; zit. nach Ohly, Die Einwilligung im Privatrecht, S. 25; dort ist auch die folgende Übersetzung angegeben: „Unseren Kindern widerfahrene Iniurien berühren unsere Ehre sogar soweit, dass, wenn jemand einen Sohn mit seinem Willen verkauft hat, seinem Vater im eigenen Namen eine Iniurienklage zusteht, namens des Sohnes aber nicht, weil jemandem mit seinem Willen keine Iniurie widerfährt.“

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sches Prinzip dargestellt.57. Auch in den übrigen Quellen unterschieden sich die Begründungen je nach Einzelfall.58 Nach Auffassung von v. Liszt haben diese Quellenstellen unter anderem deshalb eine beschränkte Bedeutung für das nachfolgende Recht.59 Zum einen sei der Grundsatz volenti non fit iniuria in dieser Allgemeinheit bereits für das römische Recht unhaltbar gewesen, zum anderen könne die Einwilligungsfrage nur vom geltenden Recht her beantwortet werden.60 Das ist ihm zwar zuzugeben. Gleichwohl ist es für die hier vorliegende Arbeit von Interesse, warum es im römischen Recht kein von der Einwilligung im damaligen Sinne – auch wenn diese kein allgemeines Institut gewesen ist – differenziertes Verlangen gab. Dies gilt umso mehr, als die Übersetzung des volenti mit „Einwilligender“ nicht zwingend ist. Volenti ist das Singular Maskulinum Dativ vom Adjektiv „volens“ (-entis), zu Deutsch absichtlich oder willig (auch: „mit Wissen und Willen“), der volens ist also der Willige.61 Das Adjektiv „volens“ wird aber zudem mit „begehrlich“ und „wünschenswert“ übersetzt,62 was auch zum Wortsinn des Verlangens als „stark ausgeprägter Wunsch“ und „starkes inneres Bedürfnis“ passt63 (wenngleich dies im Lateinischen eher mit cupiditas oder desiderium bezeichnet würde)64. Die Übersetzungsmöglichkeiten unterscheiden sich somit nicht qualitativ, sondern quantitativ. Das Verlangen als Begehren wäre somit von der Bedeutung des volenti erfasst gewesen. Eine andere Erklärung dafür, warum es im römischen Strafrecht keinen speziellen Begriff für die „nicht rechtfertigende Einwilligung“ gab, dürfte darin liegen, dass bereits die rechtfertigende Wirkung der Einwilligung kein allgemeines Prinzip war. Zum anderen dürfte eine solche Differenzierung schlichtweg obsolet gewesen sein, da das subjektiv-rechtliche Denken mit seiner Unterscheidung zwischen Vermögensrechten und unveräußerlichen Persönlichkeitsrechten (in die eine Einwilligung als unmöglich erachtet wurde und die insofern Bezugspunkt eines Verlangens sein könnten) erst etwa ab dem 17. Jahrhundert nach unserer Zeitrechnung aufkam,65 also dem römischen Recht zeitlich deutlich nachgelagert. 57

Ohly, Die Einwilligung im Privatrecht, S. 25. Ohly, Die Einwilligung im Privatrecht, S. 25 m.w. N. 59 v. Liszt, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, S. 149, Fn. 1. 60 v. Liszt, a. a. O. 61 Stowasser, Stichwort: „volens“. 62 Stowasser, Stichwort: „volens“. 63 Duden, Richtiges und gutes Deutsch, Stichwort: „Verlangen“. 64 Cupiditas, -atis, lat. für „Verlangen, Gier“ u. a.; desiderium, -i, lat. für „Sehnsucht, Verlangen, Wunsch, Bedürfnis“ u. a.; vgl. Stowasser, Stichworte cupiditas und desiderium. 65 Ohly, Die Einwilligung im Privatrecht, S. 27 m.w. N. 58

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E. Eigene Auslegung des Tatbestandsmerkmals

Möglicherweise interessierten sich die römischen Juristen systembedingt nicht für subjektive Rechte, weil das Aktionensystem nicht zwischen ius und actio unterschied und somit auch die Differenzierung zwischen veräußerlichen Vermögensrechten und unveräußerlichen Persönlichkeitsrechten (die nach heute überwiegender Auffassung im übertragenen Sinne das Fundament der Unterscheidung zwischen Einwilligung und Verlangen bildet) noch keine Bedeutung hatte.66 Das wirft allerdings die Frage auf, wieso der Grundsatz volenti non fit iniuria dann eigentlich keine allgemeine Gültigkeit im römischen Recht hatte.67 Die Antwort liegt darin, dass der Begriff „iniuria“ nicht nur – so der allgemeine rechtliche Sprachgebrauch – das Unrecht68 im Gegensatz zum ius, also zum Recht, meinte, sondern im engeren Wortverständnis als rechtstechnischer Begriff auch die Verletzung des Körpers oder der Sache eines Dritten (im Gegensatz zum furtum, der widerrechtlichen Aneignung fremden Eigentums).69 Im Laufe der Rechtsentwicklung verengte sich die rechtstechnische Definition – wenn auch unter Aufrechterhaltung des Gegensatzes zum furtum – wiederum,70 so dass dem Begriff „iniuria“ als solchem nur noch die Bedeutung der rechtswidrigen Personalverletzung beigemessen wurde, während die rechtswidrige Sachbeschädigung als „iniuria damnum“ bezeichnet wurde.71 Die iniuria, verstanden im engsten Sinne als Personenverletzung, war nun aber im römischen Recht nicht im Strafrecht, sondern im Privatrecht geregelt,72 das sich entsprechend der oben nachgezeichneten Aufteilung in die Privatdelikte der iniuria, der iniuria damnum und des furtum gliederte. Folglich konnte die Einwilligung des Verletzten gemäß dem Grundsatz volenti non fit iniuria nur bei einem Teilbereich der delicta privata (wiederum je nach Auslegung entweder unter Ein- oder Ausschluss der Sachbeschädigung) die Rechtswidrigkeit ausschließen, nicht aber im öffentlichen Strafrecht.73 66 Nach Ohly erfolgte diese Differenzierung erst in der Rezeption des römischen Rechts; vgl. ders., Die Einwilligung im Privatrecht, S. 27 m.w. N. 67 Rein, Kriminalrecht der Römer, S. 133; v. Liszt, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, S. 149, Fn. 1; Ohly, Die Einwilligung im Privatrecht, S. 25. 68 Der Begriff des Unrechts setzte eine der Verantwortung unterliegende (nicht notwendig dolose) Rechtswidrigkeit voraus; Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 784 Fn. 1. 69 Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 784 m.w. N. 70 Nach Ohly hingegen hat sich das Begriffsverständnis nicht verengt, sondern erweitert. Waren im Zwölftafelrecht nur bestimmten, schwerwiegenden Fällen der Personalverletzung geregelt, umfasste der Tatbestand später jede bewusste Missachtung der Persönlichkeit; Ohly, Die Einwilligung im Privatrecht, S. 25 m.w. N. 71 Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 784 m.w. N. 72 Die Kodifikation erfolgte in den Zwölftafelgesetzen; vgl. hierzu Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 785. 73 Ohly, Einwilligung im Privatrecht, S. 25.

I. § 216 Abs. 1 StGB

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Denkbar ist ferner, dass der Grundsatz selbst für die Privatverbrechen der iniuria im engsten Sinne nicht uneingeschränkt galt, da für den Fall, dass in der lex strafbewehrte Verbote der Verletzung anderer absolut waren, eine vorangegangene Einwilligung keine Wirkung haben sollte, da das Gesetz des Staates der Willensmeinung der einzelnen Bürger vorgehe.74 Daher ergäbe sich schon aus dem engeren Verständnis des Begriffs „iniuria“ (nicht als Unrecht, sondern als Personenverletzung) eine Einschränkung des Geltungsbereichs der Einwilligung auf die Personalverletzungen. Eine Personalverletzung war die absichtliche und widerrechtliche Verletzung der Persönlichkeit eines Dritten.75 Als Persönlichkeit, deren Verletzung als „iniuria“ (im engsten Sinne) bezeichnet wurde, verstand man nach Auffassung von Mommsen die physische Existenz des Menschen, der dem Staat angehörte und dem Sittengesetz (das auf dem gleichen Fundament wie das Strafrecht fußte, aber davon zu unterscheiden war),76 unterlag77. Welcher Iniurienbegriff der Spruchformel nun zugrunde zu legen ist, ist allerdings streitig. Wenn er die Personalverletzungen gemeint haben sollte, müsste die Tötung mit rechtfertigender Einwilligung aber möglich gewesen sein. Eine Tötung auf Verlangen oder mit Einwilligung war im Gesetz jedenfalls nicht erwähnt.78 Honig ist der Auffassung, dass sich die iniuria auf alle denkbaren Rechtsgutsverletzungen bezog, also auch des Lebens.79 Auch Ohly hält die Wirksamkeit einer Einwilligung in die Fremdtötung im römischen Recht für möglich.80 Ein Verbot sei jedenfalls nicht überliefert und auch der philosophische Hintergrund spreche gegen ein solches.81 Zählt man ihnen folgend die Tötungsdelikte also zu den iniurien im Sinne der volenti non fit iniuria-Formel, wäre auf die Einwilligung des Getöteten hin das Unrecht der Fremdtötung entfallen. Eine Differenzierung zwischen Einwilligung und Verlangen wäre dann auch aus diesem Grunde obsolet gewesen. Mommsen begründet demgegenüber schlüssig, dass die absichtliche Tötung (eines Freien oder Unfreien) seit dem Zwölftafelrecht schon gar nicht den Iniurien angehörte, weil diese kein delictum privatum, sondern ein gegen die Gemeinde gerichtetes und damit öffentliches Verbrechen gewesen sei und folglich

74 75 76 77 78 79 80 81

Vgl. Rein, Kriminalrecht der Römer, S. 134. Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 785. Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 3 f., 523. Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 65 f., 785. Rein, Das Kriminalrecht der Römer, S. 135. Honig, Die Einwilligung des Verletzten, S. 2 Fn. 7 m.w. N. Ohly, Die Einwilligung im Privatrecht, S. 26, 29. Ohly, a. a. O.

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E. Eigene Auslegung des Tatbestandsmerkmals

dem öffentlichen Mordgesetz unterfiel.82 Nach dieser Ansicht wäre die Tötung keine iniurie im Sinne der Formel volenti non fit iniuria und damit der rechtfertigenden Einwilligung schon vom Anwendungsbereich her entzogen gewesen. Nach Auffassung von Mommsen fiel die Einwilligung auch nicht unter die Ausnahmen, die zur Straflosigkeit der Mordtat führten.83 Auch die Tötung des Kranken durch den Arzt aus Mitleid, um dessen Leiden ein Ende zu machen, sei tatbestandsmäßig gewesen.84 Eine denkbare Einwilligung des Kranken, wie sie heute zur Rechtfertigung der indirekten Sterbehilfe führt, konnte das Delikt nach Auffassung von Mommsen nicht aufheben.85 Auch wenn die Quellen darauf so gut wie gar nicht eingehen, hält er lediglich eine Schuld- und Strafminderung für möglich. Rein will den Begriff der iniuria zwar nicht nur auf Privatverbrechen beschränkt wissen, sondern erstreckt ihn auch auf einige öffentliche Verbrechen,86 folgert aber aus dem fehlenden gesetzlichen Niederschlag, dass man an eine Einwilligung in die Tötung einfach nicht dachte.87 Jedenfalls erlitten Sklaven, die ihren Herrn auf dessen Befehl töteten, keine Strafe.88 Eine analoge Anwendung auf Freie sei jedoch fraglich. Ob die Einwilligung in die Fremdtötung im römischen Strafrecht wirksam war, kann nach der Quellenlage somit nicht eindeutig beantwortet werden.89 Es spricht aber viel dafür, dass die römischen Juristen eine Privilegierung der konsentierten Fremdtötung, wie wir sie heute als Tötung auf Verlangen verstehen, nicht kannten. Ebenso erscheint es als unwahrscheinlich, dass es neben der Einwilligung eine andere unrechtskompensierende Zustimmungserklärung gab. In der Carolina fehlte eine Bestimmung zur Einwilligung ebenso wie im kirchenrechtlichen Corpus Juris Canonici.90 Gleichwohl galt nach der Auffassung Honigs der Grundsatz volenti non fit iniuria in der Carolina, während die Einwilligung im Corpus Iuris keine Geltungskraft besessen habe.91 Die CCC enthielt jedenfalls auch keine Vorschrift über eine verlangte Tötung.92 Aber gemäß Art. 137 CCC wurde ein Mörder oder Totschläger nur bestraft, soweit er nicht 82 Nur im Falle der „zufälligen“ Tötung sei sie als Sachbeschädigung behandelt worden, vgl. Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 614. 83 Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 625. 84 Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 626. 85 Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 626. 86 Rein, Das Kriminalrecht der Römer, S. 134. 87 Rein, Das Kriminalrecht der Römer, S. 135. 88 Rein, Das Kriminalrecht der Römer, S. 135. 89 So auch Hauck, GA 2012, S. 202 (207) m.w. N. 90 Honig, Die Einwilligung des Verletzten, S. 2, Fn. 8. 91 Honig, Die Einwilligung des Verletzten, S. 2, Fn. 8. 92 Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 167.

I. § 216 Abs. 1 StGB

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„rechtmäßig Entschuldigung anführen“ konnte. Zum Teil wird hieraus gefolgert, dass die Tötung des Einwilligenden straflos gewesen sei. Eser hingegen ist der Auffassung, dass die konsentierte Fremdtötung als gewöhnliches Tötungsdelikt behandelt worden sei.93 Im Zuge der Rezeption des Römischen Rechts begann man, zwischen ius und actio zu differenzieren.94 Dies ebnete der Anerkenntnis von subjektiven Rechten und auch der späteren Teilung in veräußerliche und unveräußerliche Rechte den Weg. Nach Angaben von Ohly95 unterschied zunächst Donellus zwischen relativen Rechten und absoluten Rechten. Thomasius teilte die Rechte in angeborene (ius connatum) und erworbene (ius acquisitum).96 Die angeborenen Menschenrechte sollten unveräußerlich sein. Damit entstand erstmals ein Anknüpfungspunkt für ein von der Einwilligung differenziertes, auf unveräußerliche Rechte bezogenes Verlangen. Letztlich überwog die Ansicht, dass zwischen unveräußerlichen und veräußerlichen Rechten zu trennen sei, wobei der Einwilligung nur im letzteren Falle rechtfertigende Wirkung beigemessen wurde.97 v. Savigny verneinte die Qualität höchstpersönlicher Autonomie als subjektives Recht, da diese dem Menschen von der Natur mitgegeben sei und demnach keiner Anerkennung durch das Recht 93

Eser, FS-Tübinger Juristenfakultät, S. 377 (392). Ohly, Die Einwilligung im Privatrecht, S. 27. 95 Ohly, Die Einwilligung im Privatrecht, S. 27. 96 Vgl. Ohly, Die Einwilligung im Privatrecht, S. 27. 97 Ohly, Die Einwilligung im Privatrecht, S. 30. Die Wirksamkeit der Einwilligung selbst war ebenfalls Gegenstand einer Kontroverse. Eine Übersicht dazu findet sich bei Honig, Die Einwilligung des Verletzten, S. 5 ff., 19 m.w. N. Unter den Gegnern wurde zum Teil argumentiert, dass die Einwilligung immer ein Willensdefizit des Betroffenen manifestiere. Dieses damals prinzipiell gegen eine Berücksichtigung des Willens des Individuums herangezogene Argument wird heute, verengt auf die konsentierte Fremdtötung, noch immer herangezogen. Ebenso finden sich andere „alte“ Argumente gegen die Wirksamkeit der Einwilligung in die Fremdtötung heute noch als Begründung gegen eine Rechtfertigung der verlangten Fremdtötung: von der These Gmelins, dem Staat würde ein Mitglied entzogen, die Weigend aufgriff (ders., ZStW 98 [1986], S. 62 f., 66 ff.), bis zur Idee Thibauts von der Vermeidung künftiger Rechtsverletzungen, die sich zum Teil in der Argumentation von Ingelfinger wiederfindet, ders., Tötungsverbot, S. 215–218. Graf zu Dohna hielt die Frage nach der Wirksamkeit der Einwilligung für nicht beantwortbar. Als großes Verdienst im Einwilligungsdiskurs ist ihm zugute zu halten, dass er darauf hinwies, dass es eines Maßstabs bedürfe, mit dem die Rechtssätze selbst und auch die Einwilligungsfrage kritisch überprüft werden können. Zum anderen wies er auf die Unstimmigkeit hin, dass die Fremdverletzung zwecks Untauglichmachung zum Wehrdienst auf das Verlangen des Opfers hin schwerer bestraft wurde als eine gefährliche Körperverletzung mit Einwilligung. Dies sei mit der seiner Meinung nach flüssigen Unterscheidung zwischen Verlangen und Einwilligung nicht zu erklären. Graf zu Dohna hatte damit bereits erkannt, dass die Differenzierung zwischen den Rechtsfolgen von Verlangen und Einwilligung nicht von der Begriffsbildung her begründet werden kann, obwohl diese bis heute in der vor allen Dingen kriminalpolitisch geführten Diskussion gerne herangezogen wird, um die fehlende Rechtfertigungswirkung des Verlangens zu „erklären“. 94

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E. Eigene Auslegung des Tatbestandsmerkmals

bedürfe.98 Diese Idee von der Unveräußerlichkeit höchstpersönlicher Rechtsgüter wurde zum Allgemeingut.99 Das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ tauchte erstmals im Jahre 1794 in einer Kodifikation des westlichen Strafrechts auf, und zwar in § 834 ALR: Wer einen anderen auf dessen Verlangen tödtet, oder ihm zum Selbstmorde behülflich ist, hat sechs- bis zehnjährige, und bey einem überwiegenden Verdachte, den Wunsch nach dem Tode bey dem Getödteten selbst veranlaßt zu haben, lebenswierige Festungs- oder Zuchthausstrafe verwirkt.100

Darin war also sowohl die Tötung auf Verlangen als auch die Suizidbehilfe unter Strafe gestellt. Im Zuge der Aufklärung und der Abschaffung der Strafbarkeit der Selbsttötung setzten sich zunehmend Privilegierungsregelungen in den Partikularstaaten durch.101 Der Grund lag darin, dass dem Täter einer verlangten Fremdtötung bislang aufgrund des erfüllten Mordtatbestandes die Todesstrafe drohte.102 Die privilegierte Strafdrohung für die Tötung auf Verlangten sah Gefängnis-, Arbeitshaus- oder Zuchthausstrafe vor.103 Die sächsische Fassung aus dem Jahre 1838 entspricht im Wesentlichen sogar dem heutigen § 216 Abs. 1 StGB.104 Im Übrigen wurde die verlangte Fremdtötung noch immer als Mord angesehen. In Bayern und Oldenburg war zudem die Unwirksamkeit und Unbeachtlichkeit der Einwilligung in die Fremdtötung ausdrücklich geregelt.105 Auch im preußischen Strafgesetzbuch von 1851 fehlte ein Privilegierungstatbestand der Tötung 98 v. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, Bd. I., S. 335 ff. Warum nun aber gerade die dem Menschen von Natur aus mitgegebene Autonomie über sich selbst, das heißt auch über den eigenen Körper und das eigene Leben, nicht zur Disposition des Menschen stehen soll, indem ihr die rechtliche Anerkennung versagt wird, ist in sich nicht schlüssig erklärbar. Ist eine Freiheit so selbstverständlich, dass sie dem Menschen von Natur aus zustehen soll, so ist es ein Widerspruch, ihm gerade hier weniger Rechte gewähren zu wollen als dort, wo es um etwas geht, was dem Menschen nicht von der Natur mitgegeben worden ist. Folglich ist es unlogisch, die Autonomie zum einen als so basal und natürlich einzustufen, dass sie nicht einmal einer Anerkennung durch das Recht bedürfe, dann aber zum anderen die Ausübung ihrer verhindern zu wollen, indem ihr die rechtliche Anerkennung versagt und damit die Einwilligungsmöglichkeit genommen wird. 99 Ohly, Die Einwilligung im Privatrecht, S. 30. 100 Zitiert nach Feldmann, Mitwirkungshandlungen am Suizid, S. 56. 101 Ausführlich zu diesem Prozess Feldmann, Mitwirkungshandlungen am Suizid, S. 50 ff., 57, und die Tabellen im Anh. B.2.1.4.; Jakobs, Tötung auf Verlangen, S. 5 ff. 102 Feldmann, Mitwirkungshandlungen am Suizid, S. 57; die auch darauf hinweist, dass sich dies z. B. in den Strafgesetzbüchern Württembergs und Thüringens bereits aus der Einordnung der Tötung auf Verlangen unter der Überschrift „Mord“ ergab. 103 Feldmann, Mitwirkungshandlungen am Suizid, S. 57. 104 Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 167; Joecks, Studienkommentar, § 216 Rn. 1; abgedruckt bei Feldmann, Mitwirkungshandlungen am Suizid, Anh. B.2.1.4.1. 105 Feldmann, Mitwirkungshandlungen am Suizid, Tabelle im Anh. B.2.1.4.3.

I. § 216 Abs. 1 StGB

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auf Verlangen.106 Entwürfe, die eine mildernde Strafe für die Tötung eines Todkranken auf Verlangen vorsahen, waren in der Revision 1845 weggefallen.107 Demgegenüber gewährten Baden, Braunschweig und Württemberg eine qualifizierte Privilegierung, wenn das Opfer nicht nur ein Tötungsverlangen äußerte, sondern zugleich tödlich erkrankt oder verwundet war.108 Die Idee, das verminderte Tötungsunrecht unter anderem an die Voraussetzung einer letalen Erkrankung zu knüpfen, ist heute – was hier als problematisch bewertet wird – neben der Einwilligung Bestandteil der Rechtfertigung indirekter Sterbehilfe.109 Bemerkenswert ist, dass die Privilegierung der einverständlichen Fremdtötung in mehreren Staaten an die bloße Einwilligung gebunden war, so in § 207 badisches StGB 1845, § 147 braunschweigisches StGB 1841, Art. 257 hessisches StGB 1841, Art. 157 sächsisches StGB 1855, Art. 239 württembergisches StGB 1839.110 In § 216 des Strafgesetzbuches für den Norddeutschen Bund aus dem Jahr 1870 wurde hingegen wieder das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ verwendet. Dass die Privilegierung der Tötung auf Verlangen dort ihren Niederschlag fand, ist bemerkenswert, da das Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund im Übrigen auf dem preußischen Strafgesetzbuch von 1851 basierte,111 in dem eine Privilegierungsvorschrift jedoch – wie erörtert – fehlte. Das Strafgesetzbuch für den Norddeutschen Bund wich also an dieser Stelle von seinem preußischen Vorbild ab und orientierte sich stattdessen am sächsischen Strafgesetzbuch von 1838.

106 Anlass zur Diskussion der Einwilligungsmöglichkeit gab zunächst die Fassung von § 222 des Entwurfs eines preußischen Strafgesetzbuchs aus dem Jahr 1830, der nur die rechtswidrige Tötung unter Strafe stellte: Wer durch eine rechtswidrige Handlung oder Unterlassung den Tod eines Menschen verursacht, ist des Verbrechens der Tödtung schuldig (abgedruckt bei Beseler, Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten, S. 343). Nach Auffassung Goltdammers hätte sich daraus folgern lassen, dass nur die Tötung invito laeso (also gegen den Willen des Verletzten) strafbar sei. Auch diese Fassung entfiel jedoch in der Revision 1845, nach deren Willen nur der Selbstmord durch den Ausführenden selbst straflos sein sollte. Die Tötung auf Verlangen sollte zwar milder bestraft werden, aber mangels gesetzlich vorgesehener Privilegierung nur im Wege der Gnade; vgl. Goltdammer, Die Materialien zum Straf-Gesetzbuche für die Preußischen Staaten, S. 366 f. 107 Goltdammer, Die Materialien zum Straf-Gesetzbuche für die Preußischen Staaten, S. 364. 108 Feldmann, Mitwirkungshandlungen am Suizid, S. 58 mit dem Hinweis, dass im Gegensatz zu § 833 ALR die Privilegierung einer reinen Mitleidstötung unabhängig von objektiven Euthanasieumständen verweigert wurde. 109 Dies stellt einen offenen, jedoch selten ausgesprochenen Widerspruch zur verfassungsrechtlich gebotenen Gleichheit jeden – auch des bereits unwiederbringlich verlorenen – Lebens dar. Siehe dazu F.I. 110 Ingelfinger, Tötungsverbot, S. 166. 111 Fischer, Einl., Rn. 3 m.w. N.

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E. Eigene Auslegung des Tatbestandsmerkmals

§ 216 in der Fassung des Strafgesetzbuchs der Norddeutschen Bundes von 1870 lautete: Ist Jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getödteten zur Tödtung bestimmt worden, so ist auf Gefängniß nicht unter drei Jahren zu erkennen.112

In den Motiven des historischen Gesetzgebers, die sich nicht explizit zur Abweichung vom preußischen Vorbild erklären, heißt es dazu: „Es entspricht dem Rechtsgefühl, daß die Tödtung eines Einwilligenden, wie sie der Entwurf näher charakterisiert, nicht mit der Strafe belegt werde, wie die gegen den Willen des Getödteten erfolgte Tödtung.“ 113

Auffallend ist, dass hier – im Gegensatz zum Normtext – von der „Tödtung eines Einwilligenden“ die Rede ist. Dies kann jedoch nicht unbedingt als Argument für eine Gleichsetzung von Einwilligung und Verlangen herangezogen werden, da es sich dabei ebenso gut lediglich um eine sprachliche Ungenauigkeit handeln könnte. Für die Voraussetzungen des Verlangens lässt sich daraus somit keine eindeutige Erkenntnis gewinnen. Ergiebig sind die Motive aber hinsichtlich der Rechtsfolgen. Die Tötung auf Verlangen sollte Unrecht sein, weil „das Leben ein nicht veräußerliches Gut“ sei. In den Gesetzesmaterialien sind dazu allerdings nur wenige Sätze zu finden: „Aber das unbestrittene Sittengesetz: daß das Leben ein nicht veräußerliches Gut ist, läßt weder die Straflosigkeit, noch eine niedrig bemessene Strafe zu. Der Entwurf hat deshalb im Anschluß an die meisten deutschen Strafgesetzbücher zwar eine besondere Bestimmung über diesen Fall der Tödtung aufgenommen, jedoch die Strafe auf den Mindestbetrag von drei Jahren Gefängnis festgesetzt.“ 114

Die Vorgeschichte stützt somit die überwiegende Auffassung, die das Rechtsgut „Leben“ für indisponibel hält und in § 216 StGB deshalb Tötungsunrecht vertypt sieht, da der historische Gesetzgeber ebendiese Indisponibilität, die sich aus dem Sittengesetz ergebe, als Begründung für die Strafbarkeit der konsentierten Fremdtötung angeführt hatte. Allerdings muss hier Vorsicht walten, denn § 216 StGB ist ein sogenanntes „gealtertes“ Gesetz, das mehrere gesamtdeutsche Konstitutionen bis zum heutigen Grundgesetz in seinen wesentlichen Grundzügen überdauert hat. Es ist daher besonders darauf zu achten, dass die Auslegung den Wertungen des heutigen Grundgesetzes entspricht und nicht etwa die entstehungszeitlichen Prämissen ungeprüft übernimmt. Eben diesem Fehler sitzen jedoch viele auf, die sich schlicht auf das „absolute Tötungstabu“ berufen, denn dieses wurde damals wie heute im Wesentlichen aus Sitte und Moral hergelei112

Bundes-Gesetzbl. des Norddeutschen Bundes vom 31. Mai 1870, No. 16, S. 236. Zitiert nach Apt, Die grundlegenden Entscheidungen des Reichsgerichts und des Reichsmilitärgerichts, S. 57. 114 Zitiert nach Apt, Die grundlegenden Entscheidungen des Reichsgerichts und des Reichsmilitärgerichts, S. 57. 113

I. § 216 Abs. 1 StGB

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tet.115 Die darauf beruhende Legitimation einer Strafnorm verbietet heute jedoch unser wertepluralistisches Grundgesetz.116 Das Reichsstrafgesetzbuch, das 1871 aus dem Strafgesetzbuch des Norddeutschen Bundes entstand,117 behielt den Privilegierungstatbestand der Tötung auf Verlangen unverändert bei.118 b) Entwicklungsgeschichte Die Entwicklungsgeschichte untersucht die verschiedenen Interpretationen, die die konkret zu überprüfende Norm seit ihrem Bestehen in der aktuellen Form erfahren hat. Die Form von § 216 StGB hat sich, wie gesagt, im Wesentlichen (bis auf die Überschrift, den Strafrahmen und die Versuchsstrafbarkeit) seit 1838 nicht verändert, so dass bereits frühere Interpretationen herangezogen werden können. Die heute noch geltende Fassung stammt aus dem Jahr 1969.119

115 Kritische Stimmen gab es aber auch schon damals. Beachtlich ist, dass Tittmann bereits im Jahr 1800 die Tötung des – damals noch – Einwilligenden nicht als Rechtsverletzung einordnete. Die Behauptung des Gegenteils könne sich nur auf das für das Recht nicht maßgebliche Sittengesetz stützen. Zum Schutz der öffentlichen Ordnung könne die Tötung mit „Bewilligung“ als Polizeivergehen verboten werden. Vgl. ders., Grundlinien der Strafrechtswissenschaft, §§ 28c, 118. Im angloamerikanischen Recht wurde in einem Entwurf des Strafgesetzbuchs von 1880 die Wirksamkeit der Einwilligung in die Fremdtötung anerkannt und eine Kriminalisierung nur im Falle eines die Öffentlichkeit schädigenden Zwecks vorgeschlagen (ähnlich in Mexiko: „Gefahr oder Beunruhigung für die Gesellschaft“). Wie oben gesehen, wird dies zum Teil heute noch § 216 StGB zugrundegelegt. Auf einem öffentlichen Zweck beruhte auch die ratio von Art. 3 § 16 der Constitutio Theresiana Österreichs vom 31. Dez. 1768: „Übeltaten können auch an denen, so ihren Schaden und Untergang selbst verlangen, verübt werden. Der Täter wird deshalb um der gemeinen Genugtuung wegen den öffentlichen Strafen unterworfen.“ Interessant ist, dass 1852 zur Klarstellung eingefügt wurde: „[verlangen] oder zu denselben einwilligen“. Hier findet sich also – soweit ersichtlich erstmalig im westlichen Strafrecht – eine ausdrückliche alternative Differenzierung zwischen Verlangen und Einwilligung im positiven Recht, an deren jeweiliges Vorliegen aber die gleiche Rechtsfolge geknüpft wurde (Nachweise zu alledem bei Honig, Die Einwilligung des Verletzten, S. 3 f.). Ebenso noch heute z. B. in § 202 des japanischen StGB: „Wer einen Menschen zum Suizid anstiftet oder ihm dazu Hilfe leistet oder den Getöteten auf dessen Verlangen oder mit dessen Einverständnis tötet, wird mit Gefängnis oder Zuchthaus von 6 Monaten bis zu 7 Jahren bestraft“; zitiert nach Feldmann, Mitwirkungshandlungen am Suizid, S. 58, Fn. 203. 116 Kritisch sind daher die Ausführungen des BVerfG über Moralvorstellungen als mögliche Legitimationsgrundlage einer Strafnorm in der Entscheidung zu § 173 StGB zu sehen; BVerfGE, NJW 2008, S. 1137 (1140), beachte aber das zutreffende Sondervotum von Hassemer, a. a. O., S. 1142. 117 Vgl. Fischer, Einl., Rn. 3. 118 § 216 RStGB Ist Jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getödteten zur Tödtung bestimmt worden, so ist auf Gefängniß nicht unter drei Jahren zu erkennen. (Reichsgesetzbl. vom 14. Juni 1871, Nr. 24, S. 167). 119 Momsen, in: Satzger/Schluckebier/Widmaier, § 216, Rn. 2.

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E. Eigene Auslegung des Tatbestandsmerkmals

1914 schrieb Schwarz in seiner Kommentierung zu § 216 StGB, dass sich der Satz volenti non fit iniuria zweifelsfrei nicht auf die Tötung beziehe.120 Klar sei ebenfalls, dass die Einwilligung aber als mildernder Umstand in Betracht kommen würde.121 § 216 StGB griffe ein, wo § 213 StGB wegen der bei Einwilligung immer zu bejahenden „Überlegung“ keine Anwendung fände (§ 213 StGB war nur auf den Totschlag anwendbar) und somit ansonsten ohne § 216 StGB der Mordtatbestand erfüllt wäre.122 Das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ sei aber nicht identisch mit der Einwilligung, sondern ein „Mehr“, nämlich eine positiv auf die Tötung gerichtete Willenserklärung, während die Einwilligung nur Wissen und Willen, nur Einverständnis sei, über das der Täter keine Kenntnis haben müsse.123 Auch im Kommentar zum Reichsstrafgesetzbuch aus dem Jahr 1920 von Ebermayer et al. heißt es, dass die bloße Einwilligung nicht für das Verlangen im Sinne des § 216 StGB genüge.124 Die Tötung müsse dem „eigenen Wunsch“ des Opfers entsprechen, es dürfe sich nicht nur um seinen nicht entgegenstehenden Willen handeln.125 Demgegenüber setzt von Olshausen in der 1. Auflage seines Kommentars zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich 1927 die Begriffe des Verlangens und der Einwilligung ausdrücklich gleich: „Die Rechtswidrigkeit der Tötung (. . .) ist durch die Einwilligung des Getöteten, wenn sie in der im § 216 bezeichneten Art in die Erscheinung tritt, nicht für ausgeschlossen zu erachten; die Tötung eines Einwilligenden ist, mit Ausnahme des Falles des § 216, als Mord bzw. Totschlag zu bestrafen (. . .)“.126 Allerdings weist er im Folgenden darauf hin, dass eine solche Gleichsetzung „wegen der besonderen Natur der Vorschrift des § 216“ der herrschenden Meinung widerspreche.127 Für die Gleichsetzung könne aber argumentiert werden, dass § 216 dem sächsischen StGB entstammt und dort als Art. 157 mit „Tötung eines Einwilligenden“ überschrieben war (wie oben bereits angesprochen). Zwar könnten Überschriften allein dem Gesetzestext gegenüber keine entscheidende Bedeutung beanspruchen, jedoch sei die Gleichstellung beider Begriffe durch den Inhalt des Paragraphen selbst gerechtfertigt gewesen.128

120

Schwartz, Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 1914, § 216, 1. Schwartz, Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 1914, § 216, 1. 122 Schwartz, Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 1914, § 216, 1. 123 Schwarz, Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 1914, § 216, 2 a. 124 Ebermayer et al., Das Reichs-Strafgesetzbuch, 1920, § 216, 2. 125 Ebermayer/Lobe/Rosenberg, Das Reichsstrafgesetzbuch, 3. Auflage 1925, § 216, 2. 126 v. Olshausen, Kommentar zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 2. Bd., 1927, § 216, Rn. 3. 127 v. Olshausen, Kommentar zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 2. Bd., 1927, § 216, Rn. 2. 128 v. Olshausen, Kommentar zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 2. Bd., 1927, § 216, Rn. 2. 121

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Eine Entscheidung des Reichsgerichts aus dem Jahr 1934 ist ein Paradebeispiel für die hier vertretene Auffassung, die den Unterschied zwischen Einwilligung und Verlangen vortrefflich illustriert und zeigt, dass das initiative Einfordern der wesentliche Unterschied sein muss. In dem Fall demonstrierte das Opfer lediglich seinen nicht mehr entgegenstehenden Willen bezüglich der Fremdtötung, indem es dem Täter nach dessen vierstündiger Überredung schließlich auf dessen Aufforderung hin den Arm hinstreckte, damit der Täter die tödlichen Schnitte beibringen könne.129 Dies ist – lässt man etwaige subjektive Mängel außer Betracht – als Einwilligung zu werten, aber nicht als Tötungsverlangen. Denn das Nachkommen der Aufforderung bedeutet zwar das Einverstandensein des Opfers, aber ein initiatives Einfordern der Fremdtötung kann man hierunter gewiss nicht verstehen. Genau das ist es, was das Verlangen von der Einwilligung unterscheidet. Das Reichsgericht gelangte zwar zu demselben Ergebnis, stellte aber darauf ab, dass das Opfer die Tötung nur „hingenommen“ habe. Das Verlangen hingegen sei die Betätigung mit dem Ziel der Einwirkung auf den anderen. Diese Auslegung ist, wie gezeigt, durchaus mit dem Wortlaut vereinbar, vermag aber den Unterschied zur Einwilligung kaum zu erklären, denn auch diese ist keine ziellose Äußerung. Während des Nationalsozialismus galt die Regelung des § 216 StGB in der Fassung vom 1. Januar 1872 bis zum 15. Juni 1943 zumindest formal fort. Das Tötungsunrecht wurde im Angriff auf die Volksgemeinschaft erblickt. Dem Willen des Opfers wurde insoweit keine Bedeutung beigemessen, da ihm ohnehin kein Recht zugestanden wurde, über das eigene Leben zu disponieren. Entsprechend dem nationalsozialistischen Gesinnungsstrafrecht sollte die mildere Strafe der verlangten Fremdtötung daher rühren, dass die Gesinnung des auf Verlangen Tötenden eine andere sei als die eines Totschlägers.130 Die Freigabe „lebensunwerten“ Lebens oder „Todgeweihter“ wurde ebenso wie die Forderung Freislers nach der Zulassung „direkter Sterbehilfe“ abgelehnt.131 Ungeachtet dessen erließ Hitler 1939 den Befehl zum sogenannten „Euthanasie“Programm T 4,132 denn vorrangige „Rechtsquelle“ waren die Führererlasse und -verordnungen.133 Realiter herrschte somit die Ideologie von „lebensunwertem“ Leben.134

129 130 131 132 133 134

RGSt 68, 306 (307). Vgl. Schröder, in: Schönke/Schröder, 10. Auflage 1961, § 216, I. Feldmann, Mitwirkungshandlungen am Suizid, S. 94 m.w. N. Dazu Werle, NJW 1992, S. 2529 (2534). Vgl. Gribbohm, NJW 1988, S. 2842 (2843). Zur Rolle der Strafjustiz in dieser Zeit Werle, NJW 1992, S. 2529.

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E. Eigene Auslegung des Tatbestandsmerkmals

In der Novelle vom 4. September 1941 blieb § 216 StGB weiterhin unberührt.135 Die Meinung, dass die Einwilligung für das Verlangen nicht genüge, herrschte vor.136 Dabei blieb es in der Zeit nach 1945. Schulz beschrieb das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ im Anschluss an das Reichsgericht als „tätiges Handeln mit dem Ziele, auf den anderen einzuwirken“.137 1951 betonten Nagler/Schaefer den Unterschied von Einwilligung und Verlangen und bemerkten, dass die Tötung auf Verlangen oft irreführend als Tötung des Einwilligenden bezeichnet werde.138 Das Verlangen gehe weit über die bloße Einwilligung in einen vom Täter unterbreiteten oder vom Opfer zutreffend unterstellten Vorschlag hinaus.139 Unschädlich sei zwar, wenn die Anregung vom Täter ausgehe.140 Aber das Verlangen setze einen eigenen Wunsch des Opfers voraus, es dürfe sich nicht nur um seinen nicht entgegenstehenden und insofern nur zustimmenden Willen handeln.141 Nagler/Schaefer folgten somit der erwähnten Entscheidung des Reichsgerichts. Auch Dreher beschrieb das Verlangen 1966 als „eigenen Wunsch“ im Unterschied zur bloßen Einwilligung.142 Diese Beschreibung setzte sich in den Siebzigern fort.143 Die Formel vom „eigenen Wunsch“ ist jedoch nur dann nicht inhaltsleer, wenn man sie als „auf eigene Initiative“ liest. Denn ansonsten wäre darin kein Unterschied zur Einwilligung zu sehen, bei der der Einwilligende die Rechtsverletzung schließlich auch selbst wünschen muss. Insofern spricht dies ebenfalls für die hier vorgeschlagene Formel vom „initiativen Einfordern“. Im Schrifttum haben sich seither keine wesentlichen Änderungen hinsichtlich der Auslegung der Voraussetzungen des Tatbestandsmerkmals „Verlangen“ ergeben. Das Verlangen wurde unverändert ganz überwiegend (wenngleich mit unterschiedlichen Begründungen) als „Plus“ gegenüber der bloßen Einwilligung verstanden.144 Allerdings begann der Konsens von der Indisponibilität des Rechtsguts „Leben“ allmählich zu bröckeln und führte zu Forderungen nach der Streichung von § 216 StGB.145

135

Schröder, in: Schönke/Schröder, 10. Auflage, 1961, § 216, I. Kohlrausch, in: Guttentagsche Sammlung Deutscher Reichsgesetze, Nr. 2, 37. Auflage 1941, § 216, Rn. 3. 137 Schulz, Strafgesetzbuch mit Erläuterungen, 1949, § 216, Rn. 2. 138 Nagler/Schaefer, in: LK, 6. und 7. Auflage 1951, § 216, Rn. 1. 139 Nagler/Schaefer, in: LK, 6. und 7. Auflage 1951, § 216, Rn. 2. 140 Nagler/Schaefer, in: LK, 6. und 7. Auflage 1951, § 216, Rn. 2. 141 Nagler/Schaefer, in: LK, 6. und 7. Auflage 1951, § 216, Rn. 2 m.w. N. 142 Dreher, in: Schwarz/Dreher, 28. Aufl. 1966, § 216, Rn. 2. 143 Siehe nur Dreher, 32. Aufl. 1970, § 216, Rn. 2. 144 Lackner, 13. Aufl. 1980, § 216, Rn. 2a. 145 Marx, Rechtsgut, S. 65 f.; Schmitt, FS-Maurach, S. 113, 117; dazu (ablehnend) Lackner, 13. Aufl. 1980, § 216, Rn. 1 m.w. N. 136

I. § 216 Abs. 1 StGB

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3. Systematik Die Systematik untersucht den Sinnzusammenhang eines Normengeflechts sowie die in ihm geltenden allgemeinen Prinzipien und versucht, daraus und aus der Stellung der zu prüfenden Norm die Auslegung ihrer Tatbestandsmerkmale zu ermitteln.146 a) Tötungsunrecht als Unrechtsgehalt Die begriffliche Unterscheidung zwischen Verlangen und Einwilligung gründet nach der Prämisse der überwiegenden Meinung, dass § 216 StGB wegen der Indisponibilität des Individualrechtsguts „Leben“ individuelles Tötungsunrecht kriminalisiere, aber auch nach der Auffassung, die die Indisponibilität aus der Fremdheit eines singulär geschützten Universalrechtsguts herleitet, zunächst darauf, dass die im Vergleich zur Einwilligung andere Rechtsfolge zum Ausdruck kommen soll: Statt zum Unrechtsausschluss führt das Verlangen lediglich zur Unrechtsminderung. Da die Einwilligung als allgemeines Rechtsprinzip im gesamten Strafrecht gilt, der Begriff rechtstechnisch ist und einen rechtfertigenden Konsens bezeichnet, ist die Verwendung dieses Terminus in § 216 StGB auf dem Boden der vorgenannten Ansichten zutreffend ausgeschlossen. Diese These lässt sich stützen, wenn man das Augenmerk auf den Regelungszusammenhang zu § 218a Abs. 1 StGB richtet. Wie auch in § 216 Abs. 1 StGB bezieht sich das Verlangen der Schwangeren in § 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB (neben den disponiblen Rechtsgütern der Schwangeren selbst) auf ein indisponibles Rechtsgut, nämlich das Leben des nasciturus. Sowohl in § 216 StGB als auch in § 218a Abs. 1 StGB ist folglich das Tötungsunrecht ausgehend von der Indisponibilität des Rechtsguts einer vollen Unrechtskompensation durch die Einwilligung nicht zugänglich. Insofern geht die überwiegende Auffassung von der gleichen Funktion des Tatbestandsmerkmals „Verlangen“ in beiden Tatbeständen aus: der Beschreibung einer „unwirksamen Einwilligung“. Allerdings ist die Rechtsfolge des Verlangens in § 218a Abs. 1 StGB nicht identisch. Dort wirkt sich das Verlangen – jedenfalls nach der überwiegenden Meinung – hinsichtlich des nasciturus überhaupt nicht auf den Unrechtsgehalt aus, während es im Rahmen von § 216 Abs. 1 StGB, wie erwähnt, zur Unrechtsminderung führt. Der Vergleich zu § 218a Abs. 1 StGB lässt sich im Übrigen gleichermaßen zugunsten des Konzepts jener, die in § 216 StGB ein disponibles Individualrechtsgut kumuliert mit einem indisponiblen Universalrechtsgut geschützt sehen, anführen, da § 218a Abs. 1 StGB ebenfalls die fehlende Einwilligungsmöglichkeit hinsichtlich einer Rechtsgüterkombination beschreibt (solche der Schwangeren und des nasciturus). 146

Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 622.

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E. Eigene Auslegung des Tatbestandsmerkmals

Hinsichtlich der Voraussetzungen des Verlangens ist die systematische Auslegung kaum ergiebig. Wenn man davon ausgeht, dass das Verlangen letztlich nur eine unwirksame Einwilligung beschreibt und sich sein Zweck darin erschöpft, die zur Einwilligung verschiedene Rechtsfolge zu kennzeichnen, kann man zu dem Schluss gelangen, dass die Voraussetzungen demnach gleich sein müssten. b) Sonstiger Unrechtsgehalt Unter Annahme der Prämisse, dass § 216 StGB kein Tötungsunrecht inkriminiere, sondern die Verletzung eines sonstigen kollektiven Rechtsguts strafe, lassen sich die bezüglich der Rechtsfolgen genannten Konklusionen übertragen, da ein Allgemeinrechtsgut gleichermaßen indisponibel für den Einzelnen ist. Schwer wiegt indes der systematische Einwand gegen diesen Ansatz, dass § 216 StGB im 16. Abschnitt unter den Straftaten gegen das Leben zu finden ist und nicht etwa im 7. Abschnitt unter den Straftaten gegen die öffentliche Ordnung. Zwar sieht die ganz überwiegende Meinung die Überschrift des 7. Abschnitts ohnehin als verfehlt an, da letztlich alle Strafrechtsnormen die öffentliche Ordnung schützen, sich dabei aber auf ganz unterschiedliche Rechtsgüter beziehen.147 Doch rekurriert man auf die im Kern gemeinten Delikte – Ostendorf schlägt den Titel „Straftaten gegen den gesellschaftlichen Rechtsfrieden“ vor148 – müsste auch § 216 StGB dort zu finden sein. 4. Sinn und Zweck Eine Nominaldefinition – so auch ein Tatbestandsmerkmal – wird im Hinblick auf einen bestimmten Zweck festgelegt, so dass sie teleologisch ist.149 Die teleologische Auslegung orientiert sich somit an Sinn und Zweck der Norm.150 Die Auslegung ihrer Tatbestandsmerkmale richtet sich danach, wie die Ziele der Norm erreicht werden können (Normkonkretisierung, die als Mittel zum Zweck geeignet ist).151 Das Mittel, das zur Zweckerreichung eingesetzt werden soll (das heißt die Auslegung der Tatbestandsmerkmale im Sinne des Zwecks), muss sodann auf seine Kosten und Nebenwirkungen hin überprüft und deren Angemessenheit (Verhältnismäßigkeit) bewertet werden.152 Man muss sich allerdings darüber im Klaren sein, dass der Definierende Ziel und Zweck – auch in der hier favorisier-

147 148 149 150 151 152

Ostendorf, in: NK, Vorbem. §§ 123 ff., Rn. 1 m.w. N. Ostendorf, in: NK, Vorbem. §§ 123 ff., Rn. 1 m.w. N. Vgl. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 38. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 620. Vgl. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 620. Vgl. Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 620.

I. § 216 Abs. 1 StGB

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ten objektiv-teleologischen Auslegung – letztlich selbst bestimmt, denn auch die „Erkenntnis“ eines objektiven Zwecks ist subjektiv.153 Der Zweck, der in der Definition selbst vorkommt (als reale Eigenschaft), muss deshalb von dem Zweck, den der Schreiber mit der Definition beabsichtigt, unterschieden werden.154 a) Tötungsunrecht als Unrechtsgehalt Jene, die § 216 StGB Tötungsunrecht zuschreiben, sehen den Sinn und Zweck der Norm überwiegend im Schutz des absoluten Tötungstabus. Richtigerweise ist allerdings nicht vom absoluten Tötungstabu, sondern vom absoluten Lebensschutz zu sprechen. Denn das oben aufgeworfene Problem, warum der Wille des Inhabers des Individualrechtsguts „Leben“ überhaupt Beachtung finden und zur Unrechtsminderung führen soll, wenn das Leben gänzlich indisponibel wäre, tritt erneut auf, wenn Sinn und Zweck im absoluten Tötungstabu gesehen werden. Wie bereits problematisiert, müsste der Wille dann gänzlich unbeachtlich und eine zur Unrechtsminderung führende „Teildisposition“ ausgeschlossen sein. Eine solche teilweise Beachtlichkeit ist mit der ratio vom absoluten Tötungstabu nicht zu begründen. Die Indisponibilität eines Rechtsguts ist keiner Graduierbarkeit zugänglich. Deshalb wird die ratio vorliegend im absoluten Lebensschutz erblickt und die Einwilligung im Rahmen einer prozeduralen Rechtfertigung als möglich erachtet. Sieht man in § 216 StGB Tötungsunrecht kriminalisiert, so ergeben sich daraus noch keine zwingenden Schlüsse für die Wortbedeutung des Tatbestandsmerkmals „Verlangen“. Entscheidend ist vielmehr, ob die Einwilligung in das subjektive Lebensrecht als wirksam angesehen wird. Soweit § 216 StGB singulär das Individualrechtsgut „Leben“ zugrunde gelegt wird, spricht viel dafür, das Verlangen als aliud zur Einwilligung zu begreifen. Das gilt auch für die Vertreter, die der Tötung auf Verlangen ausschließlich ein kollektives Rechtsgut zusprechen. Der Grund liegt darin, dass die Wirksamkeit und unrechtskompensierende Wirkung der Einwilligung in diesen Fällen verneint wird. Die Differenzierung zwischen Einwilligung und Verlangen ist danach sinnvoll, da der rechtstechnische Begriff der Einwilligung die Rechtsfolge der Rechtfertigung impliziert. Nicht zwingend ist es jedoch, deshalb höhere Voraussetzungen des Verlangens anzunehmen. Das Verlangen könnte gleichermaßen lediglich den rechtstechnischen Begriff der Einwilligung ersetzen. Nach dem Sinn und Zweck der Norm 153 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 39. Die objektiv-teleologische Auslegung wird vorliegend gleichwohl als vorzugswürdig erachtet, weil sie sich jedenfalls am objektiven Empfängerhorizont orientiert, denn nur dieser ist für den Rechtsunterworfenen wie auch den Rechtsanwender unmittelbar erkennbar. 154 Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 39.

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E. Eigene Auslegung des Tatbestandsmerkmals

könnte man dem Verlangen deshalb auch lediglich die Bedeutung zuschreiben, sprachlich differenziert von der Einwilligung den Konsens in Bezug auf die Fremdtötung und die daraus folgende Rechtsfolge der Absenkung des Strafrahmens zu umschreiben. Es ist deshalb jedenfalls nach dem Telos nicht zu beanstanden, dass ein Teil der Vertreter dieser Ansicht das Verlangen von seinen Erfordernissen her der Sache nach als Einwilligung begreift. Die Annahme höherer Voraussetzungen macht indessen Sinn auf dem Boden der paternalistischen und kriminalpolitischen Theorien über die Indisponibilität des Lebens sowie jener Ansätze, die auf eine abstrakte Gefährdung des Individualrechtsguts abstellen. Denn durch die Postulierung strengerer Anforderungen verringert sich die Gefahr, dass der Täter aufgrund eines „unvernünftigen“ oder übereilten Einverständnisses in die Tötung in den Genuss der Unrechtsminderung kommt. Weiterhin dürfte der von vielen angenommene Tabubruch weniger stark ins Gewicht fallen, wenn ein gesteigertes Einverständnis des Getöteten vorlag. Tatsächlich nehmen die meisten Vertreter der vorgenannten Theorien höhere Voraussetzungen an. Eine Ausnahme hierzu bildet Schneider, der in § 216 StGB die abstrakte Gefährdung des Individualrechtsguts „Leben“ inkriminiert sieht, aber gleichwohl das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ als Synonym zur Einwilligung begreift.155 Die Auffassungen, die – wie hier – die Einwilligung in die Verletzung des Individualrechtsguts „Leben“ für möglich halten, könnten das Verlangen als Synonym zur Einwilligung ansehen, weil eine Differenzierung zwischen Einwilligung und Verlangen bei gleicher Rechtsfolge nicht nötig ist. Bei gleicher Rechtsfolge spräche somit nichts dagegen, das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ durch den rechtstechnischen Begriff der Einwilligung zu ersetzen. Zu diesen Auffassungen zählen auch die Theorien, die § 216 StGB kumulativ ein Individual- und Universalrechtsgut zugrunde legen. Bei einer Kompensation des individuellen Tötungsunrechts durch die Einwilligung besteht der verbleibende Unrechtsgehalt nach diesen Auffassungen in der Verletzung des indisponiblen Kollektivrechtsguts. Bezogen auf letzteres bietet sich der Rekurs auf das Verlangen wiederum an. Und so werden auch unter den Vertretern dieses Ansatzes überwiegend höhere Anforderungen an das Verlangen gestellt. So z. B. betrachtet Neumann, der in § 216 StGB sowohl das Individualrechtsgut „Leben“ als auch das kollektive Rechtsgut der „Gutsgattung Leben“ geschützt sieht,156 das „Verlangen“ als „mehr als die bloße Einwilligung“.157 Ebenso schreibt Safferling ausdrücklich, dass das Verlangen „mehr als ein bloßes Einverständnis des Op155 156 157

Schneider, in: MüKo, § 216, Rn. 12 f. Neumann, in: NK, § 216, Rn. 1 ff. Neumann, in: NK, § 216, Rn. 1 ff., 10.

I. § 216 Abs. 1 StGB

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fers“ sei, obwohl er die Einwilligung in das Individualrechtsgut Leben für wirksam hält.158 Auch nach dem hier vertretenen Konzept einer prozeduralen Einwilligungsmöglichkeit wird befürwortet, am Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ mit höheren Voraussetzungen festzuhalten, weil sich höhere Anforderungen als geeignet erweisen, dem absoluten Lebensschutz zu dienen und damit zur Erfüllung der grundgesetzlichen Schutzpflichten beizutragen. Im Falle einer Einwilligungsmöglichkeit hätte das Verlangen zwar – wie erwähnt – die gleiche Rechtsfolge wie die Einwilligung (wenngleich sie in ein Verfahren eingebettet würde, dazu unter E.III.), so dass die begriffliche Unterscheidung eingeebnet werden könnte. Die höheren Voraussetzungen des Verlangens lassen sich aber damit rechtfertigen, dass sie ein geeignetes Mittel zu dem Zweck sind, die Willensmängelfreiheit des Konsentierenden besser feststellen zu können, da ein initiatives Einfordern ein stärkeres Indiz für eine autonome Entscheidung ist als die bloße Zustimmung. Dies beansprucht gleichermaßen Geltung für die Rechtslage de lege lata. Sowohl de lege lata als auch de lege ferenda kann der Sinn und Zweck höherer Voraussetzungen des Verlangens somit darin liegen, sich aufgrund der Irreversibilität der Entscheidung in besonderem Maße zu vergewissern, dass die Entscheidung zur Tötung durch fremde Hand willensmängelfrei ist. Das setzt nicht voraus, dass der Gedanke an das „Sich-Töten-Lassen“ von dem Verlangenden selbst entwickelt worden ist, er also von selbst darauf gekommen ist. Wohl aber bedeutet dies, dass der Vorschlag von dem Verlangenden initiativ an den Täter herangetragen worden sein muss. Denn nur dann ist das Ziel erreicht, die Indizwirkung des initiativen Einforderns für eine autonome Entscheidung zu erreichen und einem bloß reaktiven Zustimmen zur Fremdtötung die unrechtsmindernde bzw. unrechtskompensierende Wirkung zu versagen. In diesem Punkt ist die hier vertretene Auffassung folglich enger als die herrschende Meinung, die gerade keine Initiative des Verlangenden voraussetzt.159 Die Voraussetzung eines initiativen Einforderns würde sich auch dort anbieten, wo die Privilegierung von § 216 StGB auf einen schuldmindernden Konflikt des Täters gestützt wird.160 Denn nach dieser Auffassung würde derjenige, der die Tötung selbst anbietet, weniger im schuldmindernden Konflikt stehen als der, an den dieser Weg initiativ als dringende Forderung herangetragen wird. Überprüft man die Kosten und Nebenwirkungen der teleologischen Auslegung, bleibt festzuhalten, dass nach hiesiger Auffassung die völlige Versagung der Einwilligungsmöglichkeit zwar geeignet und erforderlich zur Erreichung des absoluten Lebensschutzes sein mag, die absolute Einwilligungssperre aber unverhältnis158 159 160

Safferling, in: Matt/Renzikowski, § 216, Rn. 2. Siehe dazu oben C.I.2. Vgl. oben D.I.2.c).

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E. Eigene Auslegung des Tatbestandsmerkmals

mäßig ist. Dies wurde unter D.I.3. begründet. Zur Gewährleistung des absoluten Lebensschutzes ist es jedoch angemessen, die Möglichkeit der Einwilligung an die Einhaltung eines bestimmten staatlich überwachten Verfahrens zu knüpfen.161 Weiterhin spricht das Telos von § 216 StGB dafür, das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ beizubehalten. Die Annahme von gegenüber der Einwilligung gesteigerten Voraussetzungen des Verlangens ist im Hinblick auf den Sinn und Zweck daher zu begrüßen. b) Sonstiger Unrechtsgehalt Nach der Mindermeinung, die in § 216 StGB kein Tötungsunrecht vertypt sieht, ist eine Differenzierung zwischen Verlangen und Einwilligung insoweit geboten, als die Einwilligung in das von § 216 StGB geschützte Rechtsgut unwirksam sei, weil es sich um ein Allgemeinrechtsgut handele (in dessen Verletzung der Einzelne mangels Alleininhaberschaft nicht einwilligen kann). Folgerichtig ist das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ nach Göbel anders zu definieren als die Einwilligung.162 Allerdings bleibt Göbel die Erklärung schuldig, warum das Verlangen mehr als die bloße Zustimmung sein müsse, also über die Verwendung eines anderen Begriffs in Abgrenzung zur Einwilligung hinaus materiell höhere Voraussetzungen erforderlich sein sollen. Denn wie erwähnt ergibt sich das nicht bereits daraus, dass hier wegen der unterschiedlichen Rechtsfolgen ein anderer Begriff zu wählen war. Sinn macht die Annahme höherer Voraussetzungen allerdings – wie bereits angemerkt – wenn auf die abstrakte Gefährlichkeit abgestellt wird, so auch nach der Konzeption Jakobs’, der den Unrechtsgehalt von § 216 StGB in einem „Formverstoß“ und der daraus resultierenden Verletzung der „Verwaltbarkeit der Gesellschaft“ sieht. Indem Jakobs dem Tötungsverlangen de lege lata qua teleologischer Reduktion tatbestandsausschließende Wirkung zugesteht, wenn es objektiv vernünftig ist, aber daran nicht seine Unwirksamkeit für den Fall des Fehlens knüpft, macht er eine besondere Durchdachtheit des Verlangens jedoch gerade nicht zur Konstitutiven. 5. Auslegung durch die Rechtsprechung Die Analyse des Inhalts konkreter sprachlicher Äußerungen eines Tötungsverlangens in einem bestimmten Kontext und deren Bewertung durch die Gerichte entspricht der Untersuchung des Tatbestandsmerkmals Verlangen anhand der linguistischen Pragmatik.

161 162

Siehe F.I.2. Göbel, Die Einwilligung im Strafrecht, S. 29.

I. § 216 Abs. 1 StGB

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a) BGH In der Rechtsprechung des BGH ist als klare Linie und Grundkonsens der Strafsenate lediglich erkennbar, dass das Tötungsverlangen von seinen Voraussetzungen her im Ergebnis synonym zur Einwilligung behandelt wird, obwohl in der Regel gleichzeitig höhere, aber von Fall zu Fall verschiedene, Voraussetzungen postuliert werden. Somit kann aus Sicht der BGH-Rechtsprechung dem Prädikator „Verlangen“ der Begriffskern „Einwilligung“ zugeordnet werden.163 Der hier festgestellte Unterschied in den Voraussetzungen von Verlangen einerseits und Einwilligung andererseits, das initiative Einfordern, wurde vom BGH in dem einzigen Fall, in dem er sich mit dieser Frage zu befassen hatte – dem berühmten Fall „Gisela“ aus dem Jahr 1963 – nicht als zwingendes Kriterium angesehen.164 Demnach kann die Initiative zur Tötung vom Täter ausgehen und es genügt für das Verlangen, wenn das Opfer die Frage des Täters bejaht.165 In allen anderen Fällen des BGH hatte ein solches initiatives Einfordern ohnehin vorgelegen.166 Auf die in dieser Arbeit herauskristallisierten beiden Hauptströmungen, die zur Begründung des Unterschieds von Tötungsverlangen und Einwilligung vertreten werden – einerseits das Begehren als bestimmte innere Haltung des Verlangenden und andererseits die gezielte Einwirkung auf den Willen des anderen als bestimmte äußere Form – rekurriert der BGH im Übrigen häufig alternativ und hält das Vorliegen entweder des einen oder des anderen Kriteriums, zumindest aber eines dieser Kritierien für unabdingbar (zugleich aber hinreichend). Diese Kriterien können somit dem Begriffshof des Verlangens in der BGH-Rechtsprechung zugeordnet werden. Im „Gisela-Fall“ bejahte der 2. Senat das Vorliegen eines Tötungsverlangens, obwohl das Opfer Gisela sich lediglich einverstanden mit dem Vorschlag des Täters, Abgase in das Fahrzeug zu leiten, zeigte, seinen Vorschlag für gut befand und die Hoffnung äußerte, nicht zu früh gefunden zu werden.167 Ein initiatives Einfordern, wie es vorliegend dem Verlangen zugrunde gelegt wird, fehlt hier. Zwar hatte Gisela zuvor nach einem fehlgeschlagenen Doppel163

Vgl. zur Methodik Röhl/Röhl, Allgemeine Rechtslehre, S. 35. Vgl. BGH, Urt. v. 14. August 1963 – 2 StR 181/63 = NJW 1965, S. 699 (699 f.) – Gisela. 165 Vgl. BGH, Urt. v. 14. August 1963 – 2 StR 181/63 = NJW 1965, S. 699 (699 f.) – Gisela. 166 So etwa die Aufforderung des Opfers, der Täter solle es ins Wasser stoßen; BGH, NJW 1959, S. 1738 (1738) – allerdings mit Zweifeln hinsichtlich der Ernstlichkeit und der missverständlichen Ausführung, der Täter habe das Verlangen zumindest für ernstlich gehalten (obwohl die Ernstlichkeit objektiv gegeben sein muss). Auf die Ernstlichkeit kam es in dem Fall aber auch nicht entscheidend an. 167 BGH, Urt. v. 14. August 1963 – 2 StR 181/63 = NJW 1965, S. 699 (699 f.) – Gisela. 164

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E. Eigene Auslegung des Tatbestandsmerkmals

suizid durch Tabletteneinnahme, der auf ihrem feststehenden Entschluss, aus dem Leben zu scheiden beruhte, geäußert, dass man sich auf andere Weise töten müsse.168 Diese Aussage beinhaltet aber nicht die imperative Aufforderung, getötet zu werden, also das Einfordern einer Fremdtötung, sondern die bloße Feststellung, dass die Selbsttötung anderweitig erfolgen müsse. Das Tötungsverlangen nach § 216 StGB muss indes auf eine Fremdtötung gerichtet sein.169 In dieser Aussage kann deshalb – ungeachtet der sehr streitigen Frage, ob die Tötung von Gisela als Fremd- oder Selbsttötung zu bewerten ist170 – schon von ihrem Inhalt her kein Tötungsverlangen zu sehen sein, weil Gisela sich jedenfalls insoweit nur auf eine Selbsttötung bezog. Ein Tötungsverlangen lässt sich auch nicht mit dem Kriterium der gezielten Einwirkung auf den Willen des anderen begründen, weil Gisela – ungeachtet dessen, dass die Idee zur Selbsttötung (sic!) ursprünglich von ihr ausging171 – dem Vorschlag des Täters, Abgase in das Auto einzuleiten, lediglich zustimmte.172 Auch wenn man hier eine Fremdtötung annimmt, fehlt es insoweit am Verlangen derselben. Das Eingehen auf den Vorschlag des Täters ist aber in Anbetracht der Umstände Ausdruck eines starken Todeswunsches (im Sinne eines Begehrens als bestimmter innerer Haltung). Der starke Todeswunsch von Gisela äußerte sich durch die Tabletteneinnahme und ihre Feststellung nach deren Fehlschlagen, dass man anders vorgehen müsse.173 Ebenso hatte Gisela geäußert, dass sie hoffe, nicht zu früh gefunden zu werden.174 Auch hier ist jedoch wieder zu fragen, ob sich dieses Begehren inhaltlich auf eine Selbst- oder eine Fremdtötung bezog, denn das Verlangen muss sich gerade darauf richten, durch fremde Hand getötet zu werden. Der Wunsch, sich selbst zu töten, erfüllt nicht automatisch zugleich die Voraussetzung des Tötungsverlangens im Sinne von § 216 Abs. 1 StGB, durch fremde Hand getötet werden zu wollen.175 Gisela wollte schließlich durch das Einleiten der Abgase, die durch die Betätigung des Gaspedals durch ihren Freund entstehen sollten, sterben. Maßgeblich für die Frage, ob ihr Sterbewunsch auf eine Selbst- oder Fremdtötung gerichtet 168

BGH, Urt. v. 14. August 1963 – 2 StR 181/63 = NJW 1965, S. 699 (699) – Gi-

sela. 169

Vgl. C.I.3.b). Ausführliche Darstellung der verschiedenen Positionen bei Schneider, in: MüKo, § 216, Rn. 37–53. 171 BGH, Urt. v. 14. August 1963 – 2 StR 181/63 = NJW 1965, S. 699 (699) – Gisela. 172 BGH, a. a. O. 173 BGH, a. a. O. 174 BGH, Urt. v. 14. August 1963 – 2 StR 181/63 = NJW 1965, S. 699 (700) – Gisela. 175 Siehe C.I.3.b). 170

I. § 216 Abs. 1 StGB

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war, ist folglich, ob diese Art und Weise der Tötung als Selbst- oder Fremdtötung anzusehen ist.176 Sieht man dies als Fremdtötung an – wie der BGH im „GiselaFall“ –, dann lässt sich das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ nur auf das Todesbegehren im Sinne einer inneren Haltung stützen, das Gisela in Reaktion auf den Vorschlag des Täters äußerte. 1986 ließ der 1. Senat für ein Tötungsverlangen die Frage des Opfers „Würdest du mir helfen, die Spritze zu geben, wenn ich es nicht kann?“ genügen.177 Dies war für den Senat ausreichend, einen „unmissverständlichen Ausdruck eines ernsthaften und nach dem Gesamtzusammenhang dringenden Wunsch“ anzunehmen.178 Als einziger Unterschied zur Einwilligung, die ebenfalls ernsthaft und unmissverständlich sein muss, verbleibt hier, dass der Senat in der Frage unter Gesamtschau der Umstände einen „dringenden Wunsch“ erblickt hat, was man wiederum dem Kriterium einer bestimmten inneren Haltung des Verlangenden (Begehren) zuordnen kann. Bemerkenswert ist insoweit, dass hier nicht auf eine bestimmte Intensität des Wunsches (starker Wunsch als Begehren), sondern die Dringlichkeit abgestellt wurde. Im Jahr 2011 diskutierte der 2. Senat, ob die bloße Äußerung des Opfers, nicht mehr leben zu wollen, als Tötungsverlangen im Sinne von § 216 StGB gewertet werden könne.179 Beachtlich ist, dass der Senat seine Entscheidung sodann darauf stützte, dass das fragliche Verlangen in dem Fall jedenfalls nicht ernstlich gewesen sei.180 Die Frage nach der Ernstlichkeit eines Verlangens stellt sich nur dann, wenn überhaupt ein Verlangen gegeben ist, ansonsten fehlt es am Anknüpfungspunkt der Prüfung. Zwar steht dem Gericht frei, die Prüfung unter mehreren nicht erfüllten Tatbestandsmerkmalen an einem beliebigen Punkt scheitern zu lassen. In der Regel wird hierzu jedoch ein Tatbestandsmerkmal gewählt, das sich eindeutig verneinen lässt und nicht das Vorliegen eines anderen, ungeprüften Tatbestandsmerkmals logisch voraussetzt. Will man das Vorliegen eines Tötungsverlangens unterstellen, um die Prüfung an einem anderen Punkt scheitern zu lassen, dürfte die Annahme als Prüfungshypothese jedenfalls nicht völlig abwegig sein. Diese Vorgehensweise spricht somit dafür, dass der Senat das Vorliegen eines Tötungsverlangens zumindest für möglich hielt, was aus zwei Gründen verwun-

176 Die Abgrenzung ist sehr streitig; vgl. die Übersicht bei Eschelbach, in: BeckOK, § 216, Rn. 6 m.w. N. 177 BGH, Beschl. v. 25. November 1986 – 1 StR 613/86 = NJW 1987, S. 1092 (1092) – Scophedal. 178 BGH, a. a. O. 179 BGH, NStZ 2012, S. 85 (86). 180 BGH, NStZ 2012, S. 85 (85 f.).

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E. Eigene Auslegung des Tatbestandsmerkmals

dert. Zunächst hat der Senat verkannt, dass bereits inhaltlich kein Tötungsverlangen im Sinne von § 216 StGB gegeben war, mithin seine materiellen Voraussetzungen fehlten. Damit war das Verlangen nicht fraglich, sondern eindeutig abzulehnen gewesen. Wie mehrfach betont, muss das Verlangen sich auf die Fremdtötung beziehen und zum Inhalt haben, dass die Tötung durch eine andere Person gewollt ist. Die Äußerung, nicht mehr leben zu wollen, erfüllt diese materielle Voraussetzung nicht. Weder kann ihr entnommen werden, ob dieser Wunsch überhaupt in die Tat umgesetzt werden soll (oder einfach als innere Empfindung besteht), noch wie dies bejahendenfalls erfolgen sollte: als Selbst- oder Fremdtötung. Folglich war bereits inhaltlich eindeutig kein Tötungsverlangen gegeben. Aus den Umständen des Falls, also dem Verlust des Arbeitsplatzes, der schlechten Konstitution des Opfers, der möglicherweise angenommenen Ausweglosigkeit seiner Lage und auch der schlechten Verfassung des Ehemannes, lässt sich nichts Gegenteiliges ableiten, vielmehr lassen sich hieraus überhaupt keine Schlüsse ziehen.181 Denn selbst wenn das Opfer diese Situation auch subjektiv als sehr belastend empfand, kann seiner Äußerung objektiv mitnichten automatisch der Wunsch ausgerechnet nach einer Fremdtötung entnommen werden. Zum anderen ist bemerkenswert, dass der Senat damit die bisher – jedenfalls alternativ – für konstitutiv erachteten Kriterien des Verlangens, entweder das Vorliegen eines starken Wunsches als bestimmter innerer Haltung oder die gezielte Einwirkung auf den Willen des Täters als bestimmter äußerer Form, der Bedeutungslosigkeit preisgegeben hat. Die bloße Äußerung, nicht mehr leben zu wollen, mag zwar den Wunsch einer Fremdtötung ausdrücken können, einen starken Wunsch im Sinne eines Begehrens der Fremdtötung lässt sich in diese Formulierung jedoch nicht hineininterpretieren. Eine gezielte Einwirkung auf den Willen des Täters, die Fremdtötung zu begehen, fehlte im vorliegenden Fall ebenso. Die Äußerung, nicht mehr leben zu wollen, kann lediglich die Mitteilung eines inneren Empfindens darstellen, ohne dass dem eigene oder fremde Taten folgen sollen. Gerade diese Entscheidung zeigt, wie sehr die aufgestellten Kriterien des Verlangens von der Handhabung in der Praxis auseinanderklaffen können und das Verlangen nicht als ein „Mehr“ zur Einwilligung behandelt wird, sondern – hier jedenfalls im Rahmen einer (dadurch abwegigen) Prüfungshypothese – sogar als ein „Weniger“. Denn mit der bloßen Äußerung, nicht mehr leben zu wollen, waren nicht einmal die Anforderungen einer schlichten Einwilligung in die Fremdtötung erfüllt. 181 Anders Hecker, der im Anschluss an den BGH annimmt, dass diese Äußerung „im konkreten Kontext“ ein (sogar ausdrückliches) Tötungsverlangen darstelle, ders., JuS 2012, S. 365 (365).

I. § 216 Abs. 1 StGB

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b) Instanzgerichte Die Aussage „Ich kann nicht mehr“ einer Altenheimbewohnerin sowie auf Nachfrage der späteren Täterin, wie sie ihr denn helfen könne, die Aufforderung „Nimm das Kissen“ wertete das LG Bonn als Tötungsverlangen im Sinne von § 216 StGB.182 Ein starker Wunsch im Sinne eines Begehrens ist darin nicht zu erblicken, auch an einer gezielten Einwirkung auf den Willen der Täterin mangelt es. Die Kriterien der höchstrichterlichen Rechtsprechung liegen somit nicht vor. Allerdings kann darin ein initiatives Einfordern gesehen werden, da die Initiative vom Opfer ausging und es die Täterin zur Tötung aufforderte. Demgegenüber definierte das LG Augsburg das Tötungsverlangen i. S. v. § 216 Abs. 1 StGB als „Todeswunsch“.183 In dem Fall ging es um einen Vater, der seinen spastisch behinderten Sohn nach dem Tod der Ehefrau allein pflegte und schließlich durch die Gabe von Medikamenten und das Einströmenlassen von Autoabgasen in ein Fahrzeug, in dem er mit seinem Sohn saß, auf dessen Wunsch hin tötete. Der Täter hatte dabei (neben der Tötung seines Sohnes) eine Selbsttötung beabsichtigt, die allerdings fehlschlug. Insofern erinnert der Fall an die oben angesprochene Gisela-Entscheidung des BGH. Der entscheidende Unterschied besteht darin, dass das Tötungsverlangen sich hier auf eine Tötung durch fremde Hand gerichtet haben dürfte. Der Sohn hatte im Zuge der Verschlimmerung seines Gesundheitszustands und nach dem Tod seiner Mutter gegenüber seinem Vater und Dritten mehrfach geäußert, er wolle nicht mehr leben, er wolle dahin, „wo die Mama ist“.184 Insbesondere den Vater bat der Sohn mehrfach, ihn bei dem Sterbewunsch „zu unterstützen“. Einmal fragte er ihn morgens, warum er ihn wieder habe aufwachen lassen.185 Im Hinblick auf die zunehmend eingeschränkte Bewegungsfähigkeit können hierin Indizien dafür gesehen werden, dass der Todeswunsch sich auf eine Fremdtötung bezog. Die Kammer setzte sich mit dieser Frage im Urteil allerdings nicht auseinander, obwohl sie wegen der auslegungsbedürftigen Äußerung („unterstützen“) hätte klären müssen, ob sich der Sterbewunsch auf eine Tötung durch eigene Hand mit fremder Hilfe oder durch fremde Hand bezog. Bezüglich der Definition des Verlangens stellte sie darauf ab, dass der „Todeswunsch“ verstärkt und wiederholt geäußert wurde. Die Definition fußt somit auf der Annahme, dass das Tötungsverlangen einen starken Wunsch im Sinne 182

LG Bonn, RDG 2007, S. 108 (110). LG Augsburg, Urt. v. 10. Dezember 2014 – 3 KLs 401 Js 124746/13 = ZfL 2015, S. 24 (26). 184 LG Augsburg, Urt. v. 10. Dezember 2014 – 3 KLs 401 Js 124746/13 = ZfL 2015, S. 24 (25 f.). 185 LG Augsburg, Urt. v. 10. Dezember 2014 – 3 KLs 401 Js 124746/13 = ZfL 2015, S. 24 (26). 183

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E. Eigene Auslegung des Tatbestandsmerkmals

einer bestimmten inneren Haltung darstellt und deckt sich folglich mit der Rechtsprechung des BGH. Sie stimmt insoweit auch mit den Kriterien einer nachdrücklichen Forderung als bestimmte äußere Form des Tötungsverlangens überein, da die wiederholte Bitte um Unterstützung als nachdrückliche Forderung angesehen werden kann. Zugleich sind die Kriterien des Tötungsverlangens als initiatives Einfordern, wie sie vorliegend vorausgesetzt werden, erfüllt. Denn der Sohn äußerte seinen Todeswunsch aus eigenem Antrieb und ersuchte seinen Vater aktiv, ihn bei der Umsetzung zu unterstützen. Wie erwähnt, dürfte sich dies auf die Ausführung durch fremde Hand bezogen haben. Das AG Tiergarten hielt in dem oben unter C.I.2.b)bb) angesprochenen Fall, in dem das Opfer sich aufgrund einer spastischen Tetraparese nur noch durch Augenzwinkern äußern konnte, die mehrfache, auch nach Erläuterung der geplanten Vorgehensweise erneute, durch Augenschließen nonverbal erfolgte Bejahung der Frage, ob das Opfer sterben wolle, für ein Tötungsverlangen im Sinne von § 216 StGB.186 In der mehrfachen Bejahung kann unter Gesamtschau der Umstände, das heißt der zunehmenden Schmerzen und auch subjektiv vom Betroffenen als leidvoll erlebten Situation, ein starker Wunsch nach einer Fremdtötung gesehen werden, so dass das Kriterium der bestimmten inneren Haltung des Verlangenden erfüllt ist. Eine bestimmte äußere Form des Verlangens im Sinne eines gezielten Einwirkens auf den Willen der Täterin scheidet hier aufgrund der physischen Unmöglichkeit für das Opfer aus. Setzt man ein solches als notwendig voraus, müsste man das Verlangen in diesem Fall verneinen. Dies gilt ebenso für das in dieser Arbeit vorausgesetzte initiative Einfordern. Gerade dieser Fall verdeutlicht, dass die in Bezug auf die Voraussetzungen erfolgende Differenzierung des Verlangens von der Einwilligung zu unerwünschten Ergebnissen führen kann, da sie Menschen, die physisch nicht mehr dazu in der Lage sind, eine bestimmte Form der Äußerung ihres Wunsches einzuhalten, von der Äußerung eines Tötungsverlangens und damit den Täter von der Möglichkeit einer Unrechtsminderung exkludiert. Wenn das Opfer aus physischen Gründen nicht mehr in der Lage ist, mehr als eine bloße Einwilligung artikulieren zu können, ist eine teleologische Reduktion des Tatbestandsmerkmals „Verlangen“ erforderlich. De lege ferenda könnte eine Ausnahmeregelung im Rahmen der bereits angesprochenen prozeduralen Einwilligungsmöglichkeit Abhilfe schaffen.187

186 Vgl. AG Tiergarten, Urt. v. 13. September 2005 – (237) 1 Kap Js 2655-04 Ls (19/ 05) = BeckRS 2006, 00655. 187 Dazu F.I.2.

I. § 216 Abs. 1 StGB

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6. Rechtsvergleichende Auslegung Der Rechtsvergleich gilt als weitere Auslegungsmethode. Es soll hier aber keine umfassende Analyse der Regelungsformen konsentierter Fremdtötung in anderen Ländern geleistet werden. Vielmehr sollen im Wesentlichen nur solche ausländischen Tatbestände untersucht werden, die im Fokus des Tatbestandsmerkmals „Verlangen“ aufschlussreich sein könnten. Insbesondere die Sterbehilfeproblematik in den verschiedenen Ländern wird, soweit es sich nicht um die in diesem Zusammenhang interessierenden konsentierten direkten Fremdtötungen handelt, ausgeklammert.188 Die direkte konsentierte Fremdtötung ist unter bestimmten Voraussetzungen zum Beispiel in den Niederlanden, Belgien und Luxemburg zulässig.189 An den vorausgesetzten Konsens werden unterschiedliche Anforderungen gestellt. Es soll im Folgenden anhand einiger europäischer Regelungen untersucht werden, ob dabei ein dem Verlangen entsprechendes Tatbestandsmerkmal verwendet und ob hierfür mehr oder weniger als ein bloßes Einverständnis im Sinne der Einwilligung nach deutschem Verständnis vorausgesetzt wird. a) Bloßes Einverständnis im Sinne der Einwilligung In Italien genügt gemäß Art. 579 codice penale (c. p.) die Einwilligung für den Privilegierungstatbestand der konsentierten Fremdtötung (omicidio del consenziente), obwohl auch dort das Leben als indisponibel für seinen Träger gilt.190 Trotzdem wird der Begriff der Einwilligung (consenso), der auch im italienischen Strafrecht ein rechtstechnischer Begriff ist, in Art. 579 Abs. 1 c.p., der die konsentierte Fremdtötung kriminalisiert, verwendet.191 In Art. 579 Abs. 1 c.p. ist aber genauso wenig wie in § 216 StGB ausdrücklich von der Unwirksamkeit der Einwilligung die Rede, sondern es heißt dort nur, dass mit Freiheitsstrafe von sechs bis 15 Jahren bestraft wird, wer den Tod eines anderen mit dessen Einwilligung verursacht. Man könnte sich daher fragen, ob aus der Norm wirklich die Indisponibilität des Lebensrechts abgeleitet werden kann oder nicht vielmehr ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung bestraft wird. Denn im italienischen Strafrecht wird davon ausgegangen, dass Rechtsgutsverletzungen trotz Einwilligung rechtswidrig 188 Vgl. zu ausländischen Regelungen der Sterbehilfe die Übersicht bei Uhlenbruck, in: HK-AKM, 4980, Rn. 4 ff. und die umfangreiche Zusammenstellung der jeweiligen Normtexte bei Lorenz, Sterbehilfe, Anhang B, S. 271 ff. 189 Borasio/Jox/Taupitz/Wiesing, Selbstbestimmung im Sterben, S. 13. 190 Dolcini/Marinucci, Codice Penale, Art. 579, Rn. 1; Wernstedt, Sterbehilfe in Europa, S. 37. 191 Vgl. Maiwald, Einführung in das italienische Strafrecht und Strafprozessrecht, S. 99 f.

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E. Eigene Auslegung des Tatbestandsmerkmals

sind, wenn sie dem Gesetz, der öffentlichen Ordnung oder den guten Sitten widersprechen.192 Dann würde es durchaus Sinn machen, den rechtstechnischen Begriff consenso auch in Art. 579 Abs. 1 c. p. zu verwenden. Die Indisponibilität des Lebens ergibt sich allerdings aus der Gesamtschau von Art. 579 Abs. 1 c. p. und Art. 50 c. p., der allgemeinen Vorschrift zum consenso des Rechtsinhabers.193 Dort heißt es: „Non è punibile chi lede o pone in pericolo un diritto, col consenso della persona che può validamente disporne“ (Nicht strafbar ist, wer das Gesetz mit consenso der Person verletzt [. . .], die darüber gültig verfügen kann). Daraus kann man schließen, dass die Disponibilität des Rechtsguts keine Voraussetzung des consenso ist, sondern neben dem consenso als weiteres Merkmal für die Straflosigkeit hinzukommen muss. Aus diesem Grunde ist es nicht widersprüchlich, dass in Art. 579 Abs. 1 c. p. der Begriff des consenso verwendet wird. b) Qualifiziertes Einverständnis In den Niederlanden ist die konsentierte Fremdtötung zwar in Art. 293 Abs. 1 des niederländischen StGB (nlStGB) verboten, aber unter bestimmten Voraussetzungen (zu denen ein aussichtsloser Zustand und unerträgliches Leiden zählen) greift nach Art. 293 Abs. 2 nlStGB i.V. m. dem Gesetz über die Kontrolle der Lebensbeendigung auf Verlangen und der Hilfe bei der Selbsttötung194 (Wet toetsing levensbeëindiging op verzoek en hulp bij zelfdoding) vom 12. April 2001 ein Strafausschließungsgrund, der den Arzt von der Strafe der Tötung auf Verlangen ausnimmt.195 Der Strafausschließungsgrund regelt die Lebensbeendigung durch einen Arzt unter Berücksichtung gesetzlich verankerter Sorgfaltskriterien op verzoek, was in der offiziellen Übersetzung mit „auf Verlangen“ übersetzt wurde.196 Interessant geschehen in nach dem zu Überzeugung

ist, dass verzoek aber auch mit „Bitte“ übersetzt werden kann, so der offiziellen Übersetzung in Art. 2 Abs. 1 lit. a des Gesetzes, den Sorgfaltskriterien unter anderem gehört, dass der Arzt zu der gelangt ist, dass der Patient seine Bitte freiwillig und nach reif-

192 Maiwald, Einführung in das italienische Strafrecht und Strafprozessrecht, S. 100 m.w. N. 193 Vgl. zur Norm Maiwald, Einführung in das italienische Strafrecht und Strafprozessrecht, S. 98 ff. 194 Im Folgenden: niederländisches Sterbehilfegesetz. 195 Mit der offiziellen deutschen Übersetzung des niederländischen Außenministeriums abgedruckt bei Lorenz, Sterbehilfe, Anhang B, S. 289 ff.; vgl. außerdem Niederländisches Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, FAQ Sterbehilfe, S. 4 f. und ferner Gavela, Ärztlich assistierter Suizid, S. 117 f. m.w. N. auch zur Dogmatik des Strafausschließungsgrundes. 196 Vgl. den Abdruck bei Lorenz, Sterbehilfe, Anhang B, S. 290.

I. § 216 Abs. 1 StGB

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licher Überlegung gestellt hat („dat de arts de overtuiging heeft gekregen dat er sprake was van een vrjiwillig en weloverwogen verzoek van de patient“). Das für den Strafausschließungsgrund erforderliche Verlangen wird somit als Bitte legaldefiniert. Das spricht dafür, dass der Sterbewillige initiativ tätig werden muss. Im Übrigen wird für den Konsens auch deshalb mehr als die bloße Zustimmung im Sinne einer Einwilligung vorausgesetzt, weil für die Konsentierung durch den Patienten gemäß Art. 2 Abs. 1 lit. a und d des niederländischen Sterbehilfegesetzes weitergehende Anforderungen an die Entscheidungsfindung – wie etwa die „reifliche Überlegung“ – gestellt werden. Sehr ähnlich zur niederländischen Regelung der direkten konsentierten Fremdtötung ist das später in Belgien ergangene Gesetz zur Sterbehilfe (Loi relative à l’euthanasie) vom 28. Mai 2002. Im Unterschied zum niederländischen Sterbehilfegesetz führt die belgische Regelung unter bestimmten Voraussetzungen bereits zum Ausschluss der Straftatbestandsmäßigkeit. Der Konsens erfordert in Belgien gemäß Kapitel II, Art. 3 § 1 des Gesetzes zur Sterbehilfe eine freiwillige, überlegte, nicht durch Druck von außen und wiederholt formulierte Bitte („la demande“) des Sterbewilligen, die Sterbehilfe wird in Kapitel I, Art. 2 als die von einer Drittperson ausgeführte Handlung, durch die dem Leben einer Person auf deren Bitte hin vorsätzlich ein Ende gesetzt wird, definiert.197 In der deutschen Übersetzung im belgischen Gesetzesblatt wird la demande mit „Bitte“ übersetzt. Wie in der niederländischen Regelung spricht dies für die Voraussetzung eines initiativen Tätigwerdens, zumal die Sterbehilfe als Lebensbeendigung auf die Bitte der Person hin definiert ist. In Spanien ist die konsentierte Fremdtötung in Art. 143.4 Código Penal198 privilegiert, wobei auf Seiten des Opfers bereits für die Privilegierung (!) eine schwere letale Erkrankung oder ein „großes, dauerndes und kaum zu ertragendes Leiden“ vorausgesetzt wird.199 Interessant an dieser Norm sind ihre vielen Gesichter. Während sie von einigen als Tötung mit Einwilligung (homicido consentido) und von anderen als Tötung auf Verlangen (homicidio solicitado oder homicidio a petición) bezeichnet wird, geht ein anderes Lager von „Totschlag-Suizid“ (homicidio-suicidio) oder der dem deutschen Recht völlig unbekannten „ausführenden Mitwirkung“ (cooperación ejecutiva) aus.200

197 Mit der offiziellen deutschen Übersetzung abgedruckt bei Lorenz, Sterbehilfe, Anhang B, S. 271 ff. 198 Vgl. die Übersetzung bei Feldmann, Mitwirkungshandlungen am Suizid, S. 673. 199 Feldmann, Mitwirkungshandlungen am Suizid, S. 397. 200 Feldmann, Mitwirkungshandlungen am Suizid, S. 396.

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E. Eigene Auslegung des Tatbestandsmerkmals

Die „ausführende Mitwirkung“ bedeutet, dass der Dritte direkte Ausführungshandlungen vornimmt, die den Tod verursachen, jedoch die Tatherrschaft im Sinne der durchgehenden Entscheidung über Ausführung oder Zurücktreten des anderen beim Sterbewilligen liegt.201 Dabei genügt die Einwilligung des Opfers.202 Im Gesetzestext selbst wird die (ähnlich wie im deutschen Recht „ausdrückliche, ernstliche203 und unmissverständliche“) petición des Opfers vorausgesetzt,204 was sowohl mit „Verlangen“ 205 als auch mit „Bitte“ 206 übersetzt wird. Wie bereits erörtert, spricht eine Auslegung als Bitte dafür, dass das Opfer seinen Wunsch initiativ äußern muss. So wird denn auch in Spanien überwiegend angenommen, dass die petición initiativ vom Opfer ausgehen muss.207 Die Mindermeinung geht davon aus, dass die Einwilligung im Sinne der Zustimmung des Opfers genügt, wobei der Vorschlag auch vom Täter ausgehen kann.208 Die Regelung in Österreich ist der deutschen sehr ähnlich. § 77 des österreichischen StGB setzt jedoch ein ernsthaftes und eindringliches Verlangen voraus. Dem entspricht die auch hierzulande von einigen vorausgesetzte bestimmte äußere Form des Tötungsverlangens als nachdrückliche Forderung. Nach alledem zeigt sich die Tendenz, dass in den genannten europäischen Regelungen der konsentierten Fremdtötung – soweit sie mehr als eine Einwilligung verlangen – überwiegend die Initiative des Opfers vorausgesetzt wird. 7. Ergebnis Das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ in § 216 StGB beschreibt die Zustimmung, von fremder Hand getötet zu werden. Dieses Einverständnis ist weder von den Voraussetzungen noch von den Rechtsfolgen her mit der Einwilligung gleichzusetzen. Die an das Tötungsverlangen zu stellenden Voraussetzungen sind höher als die der Einwilligung. Rechtsprechung und Schrifttum stellen im spezifischen Sprachgebrauch des StGB entweder auf das Vorhandensein eines Todesbegehrens als 201

Feldmann, Mitwirkungshandlungen am Suizid, S. 496 Feldmann, Mitwirkungshandlungen am Suizid, S. 385. 203 Das auf das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ bezogene Merkmal der Ernstlichkeit ist dem deutschen Recht entnommen worden, jedoch wird im spanischen Recht von der deutschen Interpretation abweichend oft die umfassende Aufklärung des Patienten vorausgesetzt, soweit es um einen Fall verlangter ärztlicher Fremdtötung geht. Vgl. dazu Feldmann, Mitwirkungshandlungen am Suizid, S. 537 f. m.w. N. 204 Feldmann, Mitwirkungshandlungen am Suizid, S. 397. 205 Feldmann, Mitwirkungshandlungen am Suizid, S. 673. 206 Hoffmann, Das spanische Strafgesetzbuch, Art. 143.3 Código Penal. 207 Feldmann, Mitwirkungshandlungen am Suizid, S. 537 m.w. N. 208 Feldmann, Mitwirkungshandlungen am Suizid, S. 537 m.w. N. 202

I. § 216 Abs. 1 StGB

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innere Haltung oder auf die äußere Form im Sinne eines nachdrücklichen Forderns ab. Gegen die Definition des Verlangens als Begehren spricht, dass die Intensität des Wunsches aus der Sicht eines Dritten schwer feststellbar ist. Das ist zwar ein grundsätzliches Problem in Bezug auf innere Vorgänge, das nicht generell gegen deren juristische Beachtlichkeit angeführt werden kann. Wann ein „Wollen“ aber die Grenze zum „Begehren“ überschreitet, ist abstrakt kaum definierbar. Es verstieße deshalb gegen das Bestimmtheitsgebot, wenn man das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals „Verlangen“ von der Quantifizierung des Wunsches abhängig machte. Ein Begehren spielt im allgemeinen juristischen Sprachgebrauch des Verlangens daher zu Recht keine Rolle. Im allgemeinen juristischen Sprachgebrauch wird das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ demgegenüber regelmäßig als initiative, nachdrückliche Forderung verstanden, wobei die Initiative nicht zwingend ist, sondern vielmehr im Sinne eines „Geltendmachens“ Voraussetzung für den Eintritt einer bestimmten Rechtsfolge ist. Im Einklang mit diesem Verständnis und in teilweiser Übereinstimmung mit dem Ansatz, der im spezifischen Sprachgebrauch des StGB auf eine bestimmte äußere Form des Verlangens abstellt, wird hier vorgeschlagen, das Tötungsverlangen als notwendig initiatives Einfordern zu begreifen. Die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Verlangen“ als initiatives Einfordern wird dem absoluten Lebensschutz als Normzweck von § 216 StGB in besonders hohem Maße gerecht. Wohl deshalb wird auch in anderen Rechtsordnungen oftmals auf die Initiative des Opfers abgestellt. Die Auslegung als initiatives Einfordern steht zudem im Einklang mit dem sozialen Wortsinn. Soweit in der Rechtspraxis auf die Initiative des Verlangenden verzichtet wird, verliert das Tatbestandsmerkmal an eigenständiger Bedeutung gegenüber der Einwilligung, da die Intensität des Todeswunsches als Begehren schwer feststellbar ist und ein nachdrückliches Fordern regelmäßig auch der Einwilligung zugrunde liegt. Das Tötungsverlangen hat de lege lata keine vollständig unrechtskompensierende, sondern unrechtsmindernde Kraft. Es vermag das individuelle Tötungsunrecht nur im Sinne einer antizipierten Strafzumessung zu vermindern, aber nicht auszuschließen. Überwiegend wird angenommen, dass § 216 StGB als objektive, absolute Einwilligungsschranke die Verfügbarkeit des Lebensrechts ausschließt, wobei die Begründungen im Einzelnen erheblich divergieren. Nach der hier vertretenen Auffassung ist der vollständige Ausschluss der Einwilligungsmöglichkeit verfassungsrechtlich zur Erfüllung grundgesetzlicher Schutzpflichten gegenüber dem Opfer nicht zwingend geboten, so dass nach dem oben unter B.I.2.b)aa)(3) entwickelten Unrechtskonzept die ausnahmslose Kriminalisierung der verlangten Fremdtötung über den tatsächlichen kriminellen Unrechtsgehalt hinausgeht.

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E. Eigene Auslegung des Tatbestandsmerkmals

Soweit hier deshalb de lege ferenda die Einführung einer prozeduralen Rechtfertigungsmöglichkeit gefordert wird, bietet es sich an, auch diese auf ein Tötungsverlangen zu stützen. Zwar wäre dies wegen der in diesem Fall zur Einwilligung identischen Rechtsfolge aus rechtstechnischen Gründen nicht geboten, doch dienen höhere Voraussetzungen letztlich dem absoluten Lebensschutz und damit dem verhältnismäßigen Ausgleich der Kollision zwischen dem Selbstbestimmungsrecht des Opfers aus Art. 2 Abs. 1 GG und der ihm gegenüber bestehenden staatlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 S. 1, 1. Var. GG, die beide gleichermaßen eng mit der Menschenwürde verknüpft sind. Nach hiesiger Auffassung wiegt die Autonomie als subjektiver Kern der Menschenwürde schwerer als die staatliche Verpflichtung, jegliche Affirmation der konsentierten Fremdtötung der Bürger untereinander im Hinblick auf einen objektiven Lebensschutz zu unterlassen.

II. § 218a Abs. 1 StGB Nun wird zu zeigen sein, ob die befürwortete Auslegung des Tötungsverlangens als „initiatives Einfordern“ auf das Abbruchsverlangen in § 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB übertragen werden kann. 1. Wortlaut Wie bereits festgestellt, kann von einem einheitlichen spezifischen Sprachgebrauch des Tatbestandsmerkmals „Verlangen“ im StGB nur innerhalb der beiden Grundströmungen ausgegangen werden. Auch im Hinblick auf das Abbruchsverlangen lassen sich unter jenen, die dem Verlangen höhere Voraussetzungen als der Einwilligung beimessen,209 als Hauptströmungen die Kriterien einer bestimmten inneren Haltung einerseits und das Voraussetzen einer bestimmten äußeren Form andererseits ausmachen. Beide Ansätze, also sowohl die Ableitung höherer Voraussetzungen gegenüber der Einwilligung aus einer bestimmten inneren Haltung wie auch einer äußeren Form, sind gleichermaßen vom sozialen Wortsinn des Verlangens gedeckt, wobei der allgemeine juristische Sprachgebrauch etwas enger ist. Soweit hingegen das Abbruchsverlangen von seinen Voraussetzungen her als synonym zur Einwilligung verstanden wird, lässt sich die sprachliche Differenzierung als gewichtiges grammatisches Gegenargument anführen. 209 Eser, in: Schönke/Schröder, § 218a, Rn. 9; Fischer, § 218a, Rn. 12 m.w. N.; Gropp, in: MüKo, § 218a, Rn. 16; Hilgendorf, in: Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf, BT, 3. Aufl. 2015, § 5, Rn. 53; Kröger, in: LK, § 218a, Rn. 26; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 218a, Rn. 4; Küpper, BT 1, § 1, Rn. 63; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 1, § 6, Rn. 45; Merkel, in: NK, § 218a, Rn. 69; Rössner/Wenkel, in: HK, § 218a, Rn. 9; Seibel, Probleme des „beratenen“ Schwangerschaftsabbruchs, S. 15.

II. § 218a Abs. 1 StGB

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Überwiegend wird das Abbruchsverlangen als nachdrückliche oder ausdrückliche Forderung im Sinne einer bestimmten äußeren Form verstanden.210 Auf das Begehren des Schwangerschaftsabbruchs211 im Sinne einer bestimmten inneren Haltung wird weniger im Hinblick auf die Intensität des Wunsches abgestellt,212 sondern eher hinsichtlich einer intrinsischen Motivation, wonach sich das Abbruchsverlangen auf eine verantwortlich getroffene Entscheidung stützen müsse. Der Verweis auf die reflektierte, respektive verantwortliche Letztentscheidung ist sehr häufig anzutreffen.213 Der Rekurs auf eine solchermaßen überlegte Entscheidung lässt sich allerdings nicht aus dem Wortlaut des Tatbestandsmerkmals „Verlangen“ ableiten. Es handelt sich dabei eher um einen teleologischen Aspekt. Wohl wegen der Voraussetzung der verantwortlichen Letztentscheidung wird allerdings beim Abbruchsverlangen eher eine initiative Äußerung vorausgesetzt,214 die für das Tötungsverlangen meist für verzichtbar erachtet wird. Der hier vorgebrachte Vorschlag zur Auslegung des Tötungsverlangens als initiatives Einfordern beansprucht somit auch für das Abbruchsverlangen Gültigkeit. Wie bereits erörtert, stimmen der allgemeine juristische Sprachgebrauch und der soziale Wortsinn damit überein. Die umgangssprachliche Bedeutung des Abbruchsverlangens ist von besonderer Bedeutung, weil der Arzt das Vorliegen eines Abbruchsverlangens in der Praxis jedenfalls als tatsächlichen Umstand prüft. Diese Prüfung ist zwar einerseits immer noch eine Parallelwertung der Laiensphäre, andererseits aber qualitativ verdichtet gegenüber der reinen Tatsachenprüfung des Empfängers eines Tötungsverlangens, weil der Arzt in das gesetzliche Beratungssystem eingebunden ist. Obwohl bereits dargelegt wurde, dass das Verlangen umgangssprachlich als „Mehr“ zur Einwilligung als bloßem Einverständnis verstanden wird, dürfte im Arbeitsalltag der Gynäkologe realiter regelmäßig die Einwilligung der Schwangeren genügen lassen, zumal über die normativen Voraussetzungen des Abbruchsverlangens selbst unter Juristen keine Einigkeit besteht. Dies legt auch die medizinische Fachliteratur nahe, in der Ärzten zum Teil das Abbruchsverlangen

210 Eschelbach, in: BeckOK, § 218a, Rn. 13; Knauer/Brose, in: Spickhoff, StGB, §§ 218–219, Rn. 11; Kühl, in: Lackner/Kühl, § 218a, Rn. 4; im Anschluss daran auch Seibel, Probleme des „beratenen“ Schwangerschaftsabbruchs, S. 15. 211 Rössner/Wenkel, in: HK, § 218a, Rn. 9. 212 BVerfG, Urt. v. 27. Oktober 1998 – 1 BvR 1108/97 = BeckRS 1998, 30030250. 213 Vgl. BT-Drucks. 12/2875, 84 f.; Eser, NJW 1992, S. 2913 (2920); Gropp, in: MüKo, § 218a, Rn. 16 m.w. N.; Merkel, in: NK, § 218a, Rn. 69 m.w. N.; Seibel, Probleme des „beratenen“ Schwangerschaftsabbruchs, S. 15 m.w. N. 214 Eschelbach, in: BeckOK, § 218a, Rn. 13; Knauer/Brose, in: Spickhoff, StGB, §§ 218–219, Rn. 11.

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E. Eigene Auslegung des Tatbestandsmerkmals

nach § 218a Abs. 1 StGB so erläutert wird, dass die Schwangere den Eingriff „wünschen“ müsse.215 Der Arzt wird daher wohl weniger analysieren, ob die Schwangere den Eingriff begehrt, noch ob sie ihn nachdrücklich einfordert, sondern prüfen, ob sie dem Eingriff zustimmt und diese Entscheidung freiwillig trifft. Dem entspricht die schlichte Einwilligung. Wünschenswert wäre indessen, hier den Fokus entsprechend der in der vorliegenden Arbeit vertretenen Definition auf die Initiative der Schwangeren gegenüber dem abbrechenden Arzt zu richten. Hinsichtlich der Rechtsfolgen lässt sich (wie bereits im Rahmen von § 216 StGB) durch die grammatische Auslegung wenig gewinnen. Auch hier gilt wiederum, dass für eine von der Einwilligung unterschiedliche Rechtsfolge spricht, dass es ansonsten der differenzierten Normierung des Verlangens nicht bedurft hätte. Der Verzicht auf den rechtstechnischen Terminus der Einwilligung legt deshalb nahe, dass hierdurch zum Ausdruck kommt, dass die Rechte des nasciturus der Disposition entzogen sind. 2. Historische Auslegung Eine dem heutigen, ausdifferenzierten System des Schwangerschaftsabbruchs – eine Kombination aus dem tatbestandsausschließenden beratenen Abbruch mit Fristenregelung einerseits und dem rechtfertigenden Indikationenmodell andererseits – ähnliche Regelung gab es im römischen Strafrecht noch nicht. Im Gegenteil, nach der Darstellung von Mommsen war der Schwangerschaftsabbruch weder in der republikanischen noch in der früheren Kaiserzeit überhaupt strafbewehrt.216 Vielmehr sah man diesen als zwar „arge“, aber eben nicht strafwürdige „Unsittlichkeit“ an.217 Nach dem damaligen Verständnis unterfiel die Tötung des ungeborenen Kindes nicht dem Anwendungsbereich der Tötungsdelikte. Dies lässt sich damit erklären, dass dem nasciturus – ebenso wie im heutigen Strafrecht – jedenfalls in rechtlicher Hinsicht keine „Menschqualität“ zugesprochen wurde.218 Anders als heute wurde die Leibesfrucht aber auch nicht als ungeborenes Leben anerkannt, sondern als Teil der Mutter betrachtet, der im Eigentum des Vaters stand. Dem ungeborenen Leben kamen grundsätzlich keine Rechte zu.219 215 Breckwoldt, in: Breckwoldt/Kaufmann/Pfleiderer, Gynäkologie und Geburtshilfe, S. 407; Weyherstahl/Stauber, Gynäkologie und Geburtshilfe, S. 423 f.; insoweit richtig hingegen Buchta/Höper, Das zweite StEx, S. 974; Uhl, Gynäkologie und Geburtshilfe compact, S. 69. 216 Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 636. 217 Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 636. 218 Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 636, Fn. 5. 219 Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, S. 125.

II. § 218a Abs. 1 StGB

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Erst mit der Geburt erlangte der freie römische Bürger die Rechtsfähigkeit, jedoch unter dem Vorbehalt der Lebensfähigkeit und „menschlicher Gestalt“.220 Es gab allerdings Ausnahmen von diesem Grundsatz. So wurde der nasciturus zum Zwecke der Erbfolge als geboren fingiert: Qui in utero est, perinde ac si in rebus humanis esset custoditur, quotiens de commodis ipsius partus quaeritur (Wer im Mutterleib ist, wird, soweit es um Vorteile der Leibesfrucht selbst geht, bereits als lebend geschützt).221 Seit Antonius Pius und Septimus Severus um 200 nach unserer Zeitrechnung ist der Schwangerschaftsabbruch unter Strafe gestellt worden, die von Vermögensstrafe und Verbannung bis hin zur Todesstrafe im Falle der zusätzlichen Verursachung des Todes der Schwangeren reichte.222 Dies galt jedoch im Falle des Überlebens der Mutter nur, wenn der Abbruch ohne die Einwilligung des Vaters oder Ehemannes erfolgte. Zeitweilig soll das Recht des Ehemanns auf Nachwuchs primäres Schutzgut des Verbots des Schwangerschaftsabbruchs gewesen sein.223 Nach Auffassung von Mommsen konnte die Einwilligung das Delikt nicht aufheben, da es sich gegen die staatliche Ordnung gerichtet habe und damit nicht zu den Iniurien zählte.224 In der Carolina war der Schwangerschaftsabbruch seit 1532 als „Abtreibung“ 225 in Art. 133 CCC geregelt.226 Die Einwilligung der Schwangeren blieb unberücksichtigt. Die Vernichtung der „beseelten“ Frucht wurde mit Todesstrafe geahndet.227 § 10 des ersten Titels vom ersten Theil des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten (ALR) aus dem Jahr 1794 gewährte bereits der Leibesfrucht von der Zeit der „Empfängnis“ an die „allgemeinen Rechte der Menschheit“.228 Gleichwohl wirkte sich dieser Grundsatz in den nachfolgenden Regelungen nicht aus, da der nasciturus nicht durch die allgemeinen Tötungsdelikte geschützt wurde, sondern dessen Tötung in den §§ 985 ff. des 19. Titels des zweyten Theils des ALR als Abtreibung mit Zuchthausstrafe bedroht war.229 220

Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, S. 125. Hausmaninger/Selb, Römisches Privatrecht, S. 125. 222 Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 637. 223 Eser/Koch, Schwangerschaftsabbruch und Recht, S. 50. 224 Mommsen, Römisches Strafrecht, S. 626 Fn. 6. 225 Zu den Feinheiten dieser Regelung und der unklaren Abgrenzung zur Kindestötung vgl. Hillenkamp, in: Weilert, Spätabbruch oder Spätabtreibung, S. 29 (34) m.w. N. 226 Merkel, in: NK, Vorbem. §§ 218 ff., Rn. 2 m.w. N. 227 Kaiser, Kriminologie: Ein Lehrbuch, § 36, Rn. 55. 228 Laufs, in: Laufs/Kern, § 6, Rn. 12. 229 Siehe zum Hintergrund (insbesondere der Differenzierung des Strafmaßes nach der Lebensfähigkeit des nasciturus) Hillenkamp, in: Weilert, Spätabbruch oder Spätabtreibung, S. 29 (31 ff.) und Jerouschek, Lebensschutz und Lebensbeginn, S. 171. 221

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E. Eigene Auslegung des Tatbestandsmerkmals

Auch im Reichsstrafgesetzbuch von 1871 war der Schwangerschaftsabbruch inkriminiert. § 218 RStGB stellte neben dem Selbstabbruch auch den Fremdabbruch unabhängig von der Einwilligung unter Strafe, wobei sich deren Fehlen für den Dritten strafschärfend auswirkte,230 ganz in Anlehnung an § 181 des preußischen Strafgesetzbuchs231. Die Fassung überdauerte im Wesentlichen bis 1943. Auf das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ ist auch hier wieder zugunsten der Einwilligung verzichtet worden, allerdings im Falle des Fehlens im Zusammenhang mit der Strafschärfung und nicht, wie im heutigen § 218a Abs. 1 StGB, als positives Erfordernis eines Tatbestandsausschlusses. Zu einer möglichen Rechtfertigung der damaligen „Tötung der Leibesfrucht“ – übrigens eine dem heutigen „Schwangerschaftsabbruch“ aufgrund ihrer Eindeutigkeit vorzugswürdige Terminologie – führte Kohlrausch in seiner Kommentierung zu § 218 RStGB aus, dass die Einwilligung der Schwangeren ausscheide, da sie nicht in die Verletzung eines fremden Rechtsguts, als welches das entstehende Lebewesen anzusehen sei, rechtswirksam einwilligen könne.232 Aus dem übergesetzlichen Notstand233 (der gesetzliche galt nur für Angehörige) hat sich der – damals neue – Rechtfertigungsgrund des Abbruchs aus medizinischen sowie eugenischen Gründen entwickelt,234 der in beiden Fällen auch die Einwilligung der Schwangeren voraussetzte.235 Die medizinische Indikation war dann in § 14 Abs. 1 Erbgesundheitsgesetz vom 14. Juli 1933 geregelt und nach Kriegsende in Bayern und der DDR für aufgehoben sowie in Hessen für vorläufig nicht anwendbar erklärt worden, in den übrigen Teilen galt sie fort.236 In Bayern, Hessen und der DDR wurde wieder auf den (übergesetzlichen) Notstand zurückgegriffen.237 Dabei wurde die (mutmaßliche) Einwilligung der Schwangeren zusätzlich vorausgesetzt,238 diese sollte die Entscheidung darüber treffen, ob sie die eigene Gefährdung eingehen 230 RGBl. v. 25. Mai 1926, Teil I, S. 239; vgl. außerdem Kohlrausch, in: Guttentagsche Sammlung Deutscher Reichsgesetze, Nr. 2, 37. Auflage 1941, § 218 und Merkel, in: NK, Vorbem. §§ 218 ff., Rn. 4 f. m.w. N. 231 Abgedruckt bei Beseler, Kommentar über das Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten, S. 358. 232 Kohlrausch, in: Guttentagsche Sammlung Deutscher Reichsgesetze, Nr. 2, 37. Auflage 1941, § 218. 233 Vgl. RGSt 61, 242. Nach Auffassung des BVerfG ist die Rechtfertigung nach dem übergesetzlichen Notstand spätestens seit dieser Entscheidung anerkannt gewesen; BVerfGE 39, 1 (6) – Schwangerschaftsabbruch I. 234 Zur Vorgeschichte Ebermayer/Lobe/Rosenberg, in: Reichs-Strafgesetzbuch, 1925, § 218, 4. 235 Kohlrausch, in: Guttentagsche Sammlung Deutscher Reichsgesetze, Nr. 2, 37. Auflage 1941, § 218, Rn. 3. 236 Schröder, in: Schönke/Schröder, 10. Auflage 1961, § 218 VI 1. 237 Schwarz, in: Schwarz/Dreher, 28. Auflage 1966, § 216, Rn. 4. 238 Nagler/Schaefer, in: LK, 6. und 7. Auflage 1951, § 218, Rn. 3.

II. § 218a Abs. 1 StGB

323

wolle.239 Die damals in § 10a Erbgesundheitsgesetz geregelte eugenische Indikation entfiel ganz.240 Vom 30. März 1943 bis zum 1. Oktober 1953 an wurde auf die Einwilligung als strafmilderndes Merkmal des Fremdabbruchs verzichtet.241 § 218 RStGB stellte den Fremdabbruch nunmehr – neben dem Selbstabbruch – unabhängig davon unter Strafe.242 Dabei blieb es – wenngleich auch unter diversen Änderungen des Tatbestandes, vor allen Dingen das Strafmaß betreffend – bis zum Jahr 1974. Das Zuwiderhandeln gegen den Willen der Frau beim Fremdabbruch tauchte dann in § 218 Abs. 2 Nr. 1 StGB wieder als strafschärfendes Merkmal auf. Das 5. Strafrechtsreformgesetz vom 18. Juni 1974 führte zudem den Tatbestandsausschluss § 218a Abs. 1 StGB ein, der alle mit Einwilligung der Schwangeren innerhalb einer 12-Wochen-Frist durchgeführten Abbrüche vom Tatbestand des § 218 StGB ausnahm. Seither ist kaum ein Regelungskomplex des deutschen Strafrechts so viel – vor allem nicht nur auf normativer, sondern auch ethisch-moralischer Ebene – diskutiert worden wie die §§ 218 ff. StGB.243 Wie bereits angesprochen, kassierte das BVerfG § 218a StGB im 1. Fristenurteil vom 25. Februar 1975 und erklärte die Regelung wegen Unvereinbarkeit mit Art. 2 Abs. 2 S. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG insoweit, als der Schwangerschaftsabbruch auch dann von der Strafbarkeit ausgenommen werde, wenn keine Gründe vorliegen, die vor der Wertordnung des Grundgesetzes Bestand hätten, für nichtig.244 Von 1976 an galt § 218a Abs. 1 StGB245 in einer Fassung, die den Ausschluss der Strafbarkeit nach § 218 StGB im Falle einer Notlagenindikation vorsah. Da-

239

Schröder, in: Schönke/Schröder, 10. Auflage 1961, § 218, VI 1 c. Schwarz, in: Schwarz/Dreher, 28. Auflage 1966, § 216, Rn. 4. 241 Vgl. RGBl. v. 2. April 1943, Teil I, S. 170. 242 Die Durchführungsverordnung (DVO) zur Mutterschaftsschutzverordnung vom 18. März 1943 führte zudem zur Zusammenfassung beider Tatbestandsalternativen zum „Abtöten der Leibesfrucht“. Außerdem wurde in Abs. 2 nationalsozialistisches Gedankengut verankert. Dazu Gropp, in: MüKo, Vorbem. §§ 218, Rn. 1 m.w. N. 243 Ein umfassender Überblick zur normativen Entwicklung findet sich bei Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 218 bis 219b, Rn. 1 ff. 244 BVerfG, Urt. v. 25. Februar 1975 – 1 BvF 1 – 6/74 = NJW 1975, S. 573 – Schwangerschaftsabbruch I. 245 § 218a Abs. 1 Indikation zum Schwangerschaftsabbruch (1) Der Abbruch der Schwangerschaft durch einen Arzt ist nicht nach § 218 strafbar, wenn 1. die Schwangere einwilligt und 2. der Abbruch der Schwangerschaft unter Berücksichtigung der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren abzu240

324

E. Eigene Auslegung des Tatbestandsmerkmals

bei genügte die Einwilligung der Schwangeren. In einigen Gesetzesentwürfen zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchrechts nach der Wiedervereinigung sollte ebenfalls die Einwilligung der Schwangeren genügen.246 Das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ fand sich im Zusammenhang mit dem Schwangerschaftsabbruch erstmals in § 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB247 in der Fassung des Schwangeren- und Familiengesetzes vom 27. Juli 1992. Besonders bedeutsam an dieser Fassung ist, dass das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ nicht wie sonst an eine andere Rechtsfolge als die Einwilligung geknüpft war, sondern genau wie bei der Einwilligung als Rechtsfolge die Rechtfertigung vorsah. Bisher korrelierte das Verlangen im Gegensatz dazu durchweg mit einem Ausschluss der Rechtfertigung. Es tauchte immer dort auf, wo die Indisponibilität des Rechtsguts betont werden sollte. Folglich stellt die Fassung des § 218a Abs. 1 StGB vom 27. Juli 1992 eine Zäsur in der bisherigen Gesetzgebung und im bisherigen Verständnis des Tatbestandsmerkmals „Verlangen“ dar. In der amtlichen Begründung fehlt eine Stellungnahme dazu, warum hier nicht auf die Einwilligung, sondern ein rechtfertigendes Verlangen abgehoben wurde. In dem ursprünglichen Gesetzesentwurf der Abgeordneten Wettig-Danielmeier, Würfel, de With und anderer, dem sogenannten „Gruppenantrag“, war der Schwangerschaftsabbruch nach Konfliktberatung in § 218 Abs. 5 StGB vorgesehen und (vor der Änderung im Sonderausschuss „Schutz des ungeborenen Lebens“, dessen Fassung schließlich angenommen wurde248 und dann im SFHG seinen Niederschlag fand249) noch wie folgt gefasst: „Die Absätze 1 bis 4 sind nicht anzuwenden, wenn 1. der Schwangerschaftsabbruch mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt vorgenommen wird, (. . .).“ 250

An die Einwilligung (und die übrigen Voraussetzungen der Konfliktberatung und Vornahme durch einen Arzt innerhalb der 12-Wochen-Frist) wurde also die Rechtsfolge der Nichtanwendbarkeit des Schwangerschaftsabbruchstatbestandes wenden, und die Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise abgewendet werden kann. (BGBl. v. 21. Mai 1976, Teil I, S. 1213–1215) 246 Vgl. BT-Drucks. 12/2875, S. 93. 247 § 218a Abs. 1. Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs (1) Der Schwangerschaftsabbruch ist nicht rechtswidrig, wenn 1. die Schwangere den Schwangerschaftsabbruch verlangt und dem Arzt durch eine Bescheinigung nach § 219 Abs. 3 Satz 2 nachgewiesen hat, daß sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen (Beratung der Schwangeren in einer Notund Konfliktlage), 2. der Schwangerschaftsabbruch von einem Arzt vorgenommen wird und 3. seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind. (BGBl. v. 4. August 1992, Teil I, S. 1398 ff.) 248 BT-Prot. 12/99, S. 8379. 249 Dazu Eser, in: Schönke/Schröder, Vorbem. §§ 218–219b, Rn. 6 m.w. N. 250 BT-Drucks. 12/2605, S. 11.

II. § 218a Abs. 1 StGB

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angeknüpft. In der Begründung findet sich zu der Regelungstechnik, insbesondere zu dem Abstellen auf die Einwilligung, kein Wort. Im Sonderausschuss „Schutz des ungeborenen Lebens“ wurde dieser Absatz allerdings gestrichen und als § 218a Abs. 1 StGB in der Form, wie er schließlich als überfraktioneller „Gruppenantrag“ angenommen wurde, neu gefasst.251 In der Wiedergabe des Beratungsablaufs heißt es nur, dass die Schwangere durch die Beratung in die Lage versetzt werden solle, eine verantwortungsbewusste eigene Gewissensentscheidung zu treffen.252 Gerade die obligatorische Beratung als Grundlage der späteren Gewissensentscheidung dürfte jedoch der Unterschied dafür sein, warum hier auf das Verlangen und nicht die Einwilligung abgestellt wurde. Denn in der Zusammenfassung der Gesetzesentwürfe heißt es demgegenüber, dass die Entwürfe der Gruppe PDS/Linke Liste und der Gruppe Bündnis 90/Die Grünen jeden mit Einwilligung der Schwangeren vorgenommenen Abbruch legalisieren und damit den Abbruch der Entscheidungsfreiheit der Frau unterstellen würden.253 Gleichfalls auf die Entscheidungsfreiheit der Frau stellte der SPD-Entwurf ab, für den ebenfalls eine (schriftliche) Einwilligung genügen sollte.254 Den vorgenannten Entwürfen war gemein, dass sie keine Beratungspflicht vorsahen und beide auf die Einwilligung rekurrierten. Die Grundlage der Rechtfertigung respektive des Tatbestandsausschlusses (so der SPD-Entwurf) war demnach die Selbstbestimmungsfreiheit der Frau. Im Gegensatz dazu bildeten in dem Entwurf der Abgeordneten Wettig-Danielmeier, Würfel, de With und anderer die obligatorische Beratung und das danach formulierte Verlangen der Schwangeren die Grundlage der Rechtfertigung. Andere Entwürfe, die eine Beratungspflicht vorsahen, enthielten zudem ein Notstandselement und ließen (wohl daher) wiederum die Einwilligung genügen.255 Der maßgebende Punkt für das Abstellen auf das Verlangen kann nach alledem nur darin liegen, dass dieses als verantwortliche Letztentscheidung nach erfolgter Beratung Grundlage der Rechtfertigung sein sollte. Dafür spricht auch der Tenor der 16-stündigen Debatte der zweiten Lesung der (insgesamt sieben) Gesetzesvorlagen zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchsrechts.256 Denn im Pro-

251 BT-Drucks. 12/2785, S. 85. Die Endfassung wurde – nach gemeinsamer Beratung – den im Ausschuss vertretenen Unterzeichnern und Befürwortern überlassen, eine Schlussabstimmung fand nicht statt. An den Bundestag wurde daher nur eine Empfehlung gerichtet. Zu diesem in der Geschäftsordnung des Bundestags nicht geregelten Vorgehen siehe a. a. O., S. 90 f. 252 BT-Drucks. 12/2785, S. 93. 253 BT-Drucks. 12/2785, S. 93. 254 BT-Drucks. 12/2785, S. 93. 255 Vgl. BT-Drucks. 12/2785, S. 94, 102. 256 BT-Prot. 12/99.

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E. Eigene Auslegung des Tatbestandsmerkmals

tokoll ist unter den Befürwortern des „Gruppenantrags“ immer wieder die Rede von der – auf Grundlage der Beratung gefassten – verantwortlichen Letztentscheidung bzw. Gewissensentscheidung der Frau als ausschlaggebender Punkt der Rechtfertigung in § 218a Abs. 1 StGB und nicht etwa von einer Einwilligung der Schwangeren oder der bloßen Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechts.257 Auch wenn dies nicht ausdrücklich ausgeführt wird – das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ wird überhaupt nur in zwei Redebeiträgen erwähnt258 –, schien diese nach der Beratung getroffene verantwortliche Letztentscheidung das Verlangen auszumachen und von der Einwilligung zu unterscheiden. Die Normierung als Rechtfertigungsgrund spricht auch im Übrigen gegen die Annahme identischer Voraussetzungen von Verlangen und Einwilligung, denn gerade wenn die Rechtsfolge des Verlangens mit jener der Einwilligung übereinstimmt, kann der Sinn einer sprachlichen Differenzierung nur in den Voraussetzungen liegen. Dass die Differenzierung bewusst erfolgte, legt die Unterscheidung zwischen einem rechtfertigenden Verlangen in Abs. 1 und einer rechtfertigenden Einwilligung in Abs. 2 des § 218a StGB in der Fassung vom 27. Juli 1992 nahe. Wie bereits erörtert, wurde diese Fassung jedoch vom BVerfG zunächst durch einstweilige Anordnungen ausgesetzt und im zweiten Urteil zum Schwangerschaftsabbruch vom 28. Mai 1993 in Teilen für unvereinbar mit Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG und nichtig erklärt.259 Am 1. Oktober 1995 wurde sie deshalb durch den heutigen § 218a Abs. 1 StGB ersetzt, da das BVerfG zum einen moniert hatte, dass die vorgesehene Beratung den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genüge, zum anderen aber auch, dass die Anordnung der Rechtsfolge der Rechtmäßigkeit des beratenen Schwangerschaftsabbruchs einen Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG i.V. m. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG darstelle. Da der heutige § 218a Abs. 1 StGB als Rechtsfolge des „beratenen“ Schwangerschaftsabbruchs nunmehr lediglich den Ausschluss des Tatbestandes von § 218 StGB, nicht aber den Ausschluss der Rechtswidrigkeit anordnet, ist das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ wiederum mit der fehlenden Rechtfertigungsmöglichkeit assoziiert. Somit lässt sich aus der Entstehungsgeschichte der Norm hinsichtlich der Voraussetzungen des Verlangens erhellen, dass viel dafür spricht, es als „Mehr“ gegenüber der Einwilligung zu begreifen. Zusammen mit dem Beratungskonzept sollte damit das Ziel einer verantwortlichen Letztentscheidung der Schwangeren erreicht werden. 257 258 259

Vgl. BT-Prot. 12/99, S. 8289, 8335, 8387, 8430, 8450. BT-Prot. 12/99, S. 8278, 8352. BVerfGE 88, 203 – Schwangerschaftsabbruch II.

II. § 218a Abs. 1 StGB

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Hinsichtlich der Rechtsfolgen streitet die Entstehungsgeschichte für eine fehlende unrechtskompensierende Wirkung allein des Verlangens. Sie ist, wie aufgezeigt, von einer äußerst kontroversen Diskussion geprägt. Wohl überwiegend wurde die Norm dabei entsprechend der bundesverfassungsgerichtlichen Vorgaben als tatbestands-, aber nicht unrechtsausschließend interpretiert. Doch selbst soweit eine Rechtfertigung angenommen wird, besteht Einigkeit darüber, dass die Unrechtskompensation sich nicht allein auf das Abbruchsverlangen der Schwangeren stützt. Das Verlangen selbst hat nach allgemeiner Meinung keine rechtfertigende Wirkung. Aufgrund des jungen Alters des § 218a Abs. 1 StGB lässt sich hinsichtlich der Entwicklungsgeschichte auf den oben unter C.II. und D.II. abgebildeten Meinungsstand verweisen, da sich an der Interpretation in den etwas mehr als zwei Jahrzehnten im Wesentlichen nichts geändert hat. 3. Systematik Systematisch gibt der Regelungszusammenhang von § 218a StGB einerseits und § 218a Abs. 1 StGB zu § 218c StGB andererseits Aufschluss über die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Verlangen“ hinsichtlich seiner Voraussetzungen. Nach § 218c Abs. 1 Nr. 1 StGB stellt es eine ärztliche Pflichtverletzung dar, wenn der abbrechende Arzt der Frau keine Gelegenheit gegeben hat, ihm die Gründe für ihr Verlangen nach dem Schwangerschaftsabbruch darzulegen. Da in Nr. 1 – anders als in Nr. 4 – keine Beschränkung auf § 218a Abs. 1 StGB erfolgt, scheint § 218c Abs. 1 Nr. 1 StGB auf den gesamten § 218a StGB Anwendung zu finden. Dafür spricht ebenfalls, dass auch in § 218c Abs. 1 Nr. 3 StGB die genauen Anwendungsfälle von § 218a StGB bezeichnet werden. Im Umkehrschluss scheinen folglich § 218c Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 für alle Fälle von § 218a StGB zu gelten. Da in § 218a Abs. 2, 3 StGB aber kein Verlangen, sondern die Einwilligung der Schwangeren vorausgesetzt wird, resultierte nach dieser Lesart hieraus eine gesetzliche Gleichstellung von Verlangen und Einwilligung in § 218c Abs. 1 Nr. 1 StGB, denn obwohl dann hierunter sowohl verlangte Schwangerschaftsabbrüche nach § 218a Abs. 1 StGB als auch Schwangerschaftsabbrüche mit Einwilligung nach § 218a Abs. 2 und 3 StGB fielen, spricht § 218c Abs. 1 Nr. 1 StGB nur vom Verlangen der Schwangeren. Eine andere Interpretationsmöglichkeit ist, dass in § 218c Abs. 1 Nr. 1 StGB (im Unterschied zur Regelungstechnik in § 218c Abs. 1 Nr. 3 und 4 StGB) kein Verweis auf § 218a Abs. 1 StGB erfolgt, weil dies im Hinblick darauf, dass in § 218a Abs. 2, 3 StGB das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ gar nicht vorkommt, obsolet ist und sich bereits daraus ergeben könnte, dass § 218c Abs. 1 Nr. 1 StGB nur für § 218a Abs. 1 StGB gilt.

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E. Eigene Auslegung des Tatbestandsmerkmals

Obsolet ist ein solcher Verweis nicht bereits deshalb, weil die in § 218a Abs. 2 und 3 StGB vorausgesetzte ärztliche Erkenntnis die Anwendbarkeit von § 218c Abs. 1 Nr. 1 StGB logisch ausschlösse. Denkbar ist nämlich durchaus, dass zwar eine Indikation nach § 218a Abs. 2 oder 3 StGB vorliegt und der (abbrechende260) Arzt sie nach ärztlicher Erkenntnis festgestellt hat, aber dies erfolgte, ohne die Gründe der Schwangeren anzuhören, die (zumindest theoretisch) von der Indikation durchaus abweichen können (bspw. Schwangerschaftsabbruch aus finanziellen Nöten bei vorausgegangener Vergewaltigung und daher erfüllter kriminologischer Indikation). Dies gilt umso mehr, als die Indikationsfeststellung von einem anderen als dem abbrechenden Arzt erfolgen muss (§ 218b Abs. 1 StGB), der abbrechende Arzt also das Vorliegen der Indikation nur nach seiner Erkenntnis bestätigen muss. Soweit ersichtlich, wird § 218c Abs. 1 StGB jedoch überwiegend als auch auf § 218a Abs. 2 und 3 StGB anwendbar betrachtet.261 Folgt man dieser Auffassung, geht damit also eine gesetzliche Gleichsetzung von Verlangen und Einwilligung in § 218c Abs. 1 StGB einher. Gegen die Annahme einer gesetzlichen Gleichsetzung von Verlangen und Einwilligung spricht indes die Gesamtschau von § 218a StGB selbst, da innerhalb derselben Norm in Abs. 1 das Verlangen der Schwangeren vorausgesetzt wird und in den Abs. 2 und 3 die Einwilligung der Schwangeren. Insoweit ist allerdings der Einwand berechtigt, dass zur Betonung der Indisponibilität der Rechte des nasciturus auch in § 218a Abs. 2 und 3 StGB eigentlich ebenfalls das Verlangen der Schwangeren vorauszusetzen wäre. Nach alledem lassen sich mit der systematischen Auslegung sowohl Argumente für die Annahme gleicher Voraussetzungen von Einwilligung und Verlangen finden als auch dagegen. Hinsichtlich der Rechtsfolgen spricht vor allen Dingen die ausdrückliche Differenzierung des Tatbestandsausschlusses in § 218a Abs. 1 von der Rechtfertigung in den Abs. 2 und 3 gegen die Annahme der Rechtfertigung des Schwangerschaftsabbruchs nach Konfliktberatung. Insbesondere ergäbe sich diese auch nicht allein aus dem Verlangen, sondern maßgeblich aus der Einhaltung der Beratungsprozedur. Schließlich ist im Rahmen der systematischen Auslegung interessant, dass das Verlangen in der gesetzgeberischen Regelungstechnik immer wieder mit der Rechtsfolge der Rechtfertigung verknüpft worden ist. So war, wie bereits mehrfach angesprochen, als Rechtsfolge in § 218a Abs. 1 StGB selbst zunächst die 260 Die ärztliche Erkenntnis in § 218a Abs. 2, 3 StGB bezieht sich nach h. M. auf den abbrechenden und nicht den die Indikation feststellenden Arzt. Hierzu Merkel, in: NK, § 218a, Rn. 131. 261 Siehe nur Eser, in: Schönke/Schröder, § 218c, Rn. 4.

II. § 218a Abs. 1 StGB

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Rechtfertigung vorgesehen, bevor das BVerfG dies im zweiten Urteil zum Schwangerschaftsabbruch für mit dem Grundgesetz unvereinbar erklärte. Auch im Gesetzesentwurf der Abgeordneten Parr, Flach, Funke et al. zu § 3a ESchG war das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ mit der Rechtfertigung kombiniert.262 Aus beiden Umständen lässt sich zumindest folgern, dass das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ kein zwingender Indikator für eine fehlende Rechtfertigung sein muss, auch wenn es sich auf indisponible Rechte – wie in den beiden vorgenannten Beispielen solche des nasciturus und des Embryos – bezieht. 4. Sinn und Zweck Für die teleologische Auslegung erübrigt sich die Untersuchung anhand der Theorien einerseits zum Unrechtsgehalt des Schwangerschaftsabbruchs und andererseits zu einer möglichen Rechtfertigung, da der Schwangerschaftsabbruch unstreitig Tötungsunrecht begründet, das jedenfalls nicht durch eine bloße Einwilligung der Schwangeren kompensiert werden kann. Soweit eine Rechtfertigung des Schwangerschaftsabbruchs nach Konfliktberatung bejaht wird, stützt sich diese Annahme nicht auf eine allein auf der Disposition der Schwangeren beruhende Unrechtskompensation, sondern auf die durch das Beratungsverfahren ausgelöste prozedurale Rechtfertigung.263 Der Ausgangspunkt, dass das Verlangen mit einem unverfügbaren Recht verknüpft ist, ist deshalb hier im Gegensatz zu § 216 StGB unstreitig. Aus diesem Grunde kann das Verlangen kein Synonym für die Einwilligung sein, was ein gewichtiges Argument dafür ist, dass das Verlangen nicht dieselben Voraussetzungen hat. Man könnte allerdings auch vertreten, dass die im Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ enthaltene Einwilligung hinsichtlich des disponiblen Teils der in § 218 StGB geschützten Rechte der Schwangeren wirksam wird und das Verlangen hinsichtlich des übrigen, indisponiblen Teils der Rechte des nasciturus die Unwirksamkeit der Einwilligung kennzeichnen soll. Die besseren Gründe sprechen aber dafür, höhere Voraussetzungen des Verlangens gegenüber der Einwilligung anzunehmen. Denn der Normzweck von § 218a Abs. 1 StGB liegt darin, die grundgesetzlichen Schutzpflichten gegenüber dem nasciturus mit der Schwangeren, aber nicht gegen sie zu verwirklichen.264 Diese ratio fußt auf der Einsicht, dass es – wie oben geprüft – einen verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrechts der Schwangeren darstellte, wenn ihr die Selbstbestimmung über den eigenen Körper ausnahmslos verwehrt würde und sie dadurch eine faktische Rechts262

BT-Drucks. 15/1234, S. 3; dazu im Folgenden F.IV. Vgl. Hassemer, FS-Mahrenholz, S. 735 ff. 264 Vgl. BT-Drucks. 12/2875, S. 104 ff.; BVerfGE 88, 203 – Schwangerschaftsabbruch II. 263

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E. Eigene Auslegung des Tatbestandsmerkmals

pflicht zur Austragung des nasciturus träfe.265 Zugleich verbietet sich jedoch angesichts der grundgesetzlichen Schutzpflichten gegenüber dem nasciturus die unregulierte Preisgabe des fremden Lebensrechts. Vor diesem Hintergrund soll das Beratungskonzept den Lebensschutz für den nasciturus verbessern, indem die Schwangere in der verpflichtenden, aber ergebnisoffenen Beratung dazu ermutigt wird, die Schwangerschaft fortzusetzen (vgl. § 219 StGB sowie § 5 SchKG).266 Folgerichtig ist auch, dass die Schwangere dabei gemäß § 219 Abs. 1 S. 2 StGB auf das fremde Lebensrecht hingewiesen wird. Dadurch soll sie eine verantwortliche Letztentscheidung treffen können.267 Legt man das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ im Sinne des genannten Normzwecks von § 218a Abs. 1 StGB aus, macht es Sinn, dem Verlangen höhere Voraussetzungen gegenüber der Einwilligung beizumessen. Diese ließen sich einerseits aus dem Erfordernis einer bestimmten inneren Haltung, andererseits aus dem Erfordernis einer bestimmten äußeren Form des Verlangens herleiten. Das Kriterium des Begehrens wurde im Hinblick auf § 216 StGB bereits für grundsätzlich wenig brauchbar befunden. Da es im Hinblick auf den beratenen Schwangerschaftsabbruch jedoch weniger als intensiver Wunsch, sondern konkret in Bezug auf die intrinsische Motivation verstanden wird, ist es grundsätzlich geeignet, den Normzweck zu erreichen. Konkret wird dies aber für das Verlangen über das alleinige Kriterium der inneren Haltung schwer feststellbar sein. Wie bereits angesprochen wäre es im Hinblick auf Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG nämlich unzulässig, aus dem Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ eine Darlegungspflicht der Schwangeren herzuleiten. Zu dieser Auffassung könnte man gelangen, da das BVerfG – unzutreffend – in seinem zweiten Urteil zum Schwangerschaftsabbruch vertreten hat, der Arzt habe sich die Gründe, aus denen die Schwangere den Abbruch verlange, darlegen zu lassen.268 Dem begegnen aber erhebliche Bedenken. § 5 Abs. 2 Nr. 1 SchKG garantiert der Schwangeren das Recht, sich in der Beratung nicht offenbaren zu müssen. Müsste sie jedoch vor dem abbrechenden Arzt ihre Gründe darlegen, geriete sie in einen Rechtfertigungszwang. Dies soll, wie aus § 5 Abs. 2 Nr. 1 SchKG erkennbar wird, gerade vermieden werden. Dort heißt es ausdrücklich, dass die Mitteilung der Gründe nur erwartet wird, aber der Beratungscharakter ausschließe, die Mitwirkung zu erzwingen. Muss die Schwangere aber gegenüber dem abbrechenden Arzt ihre Gründe darlegen, ist diese Garantie aus § 5 Abs. 2 Nr. 1 SchKG entwertet. Auf die Gründe der Schwangeren für den Abbruch darf 265 Das Vorliegen einer Indikation hängt von Umständen ab, die sich in der Regel der Einflussnahme der Schwangeren entziehen. 266 BVerfGE 88, 203 – Schwangerschaftsabbruch II. 267 BT-Drucks. 12/2875, S. 84 f. 268 BVerfGE 88, 203 (290) – Schwangerschaftsabbruch II.

II. § 218a Abs. 1 StGB

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es daher nicht ankommen.269 Eine derartige Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Verlangen“ wäre zwar geeignet, den Lebensschutz zu verbessern, stellte aber ein unverhältnismäßiges Mittel dar. Deshalb sprechen gute Gründe dagegen, das Verlangen als Begehren zu definieren.270 Vorzugswürdig ist es, die höheren Anforderungen des Verlangens aus der äußeren Form abzuleiten.271 Das wird zunächst im Sinne eines nachdrücklichen oder gezielten Forderns vertreten.272 Die Formel von der verantwortlichen Letztentscheidung stützt indessen die These, dass es genau wie beim Tötungsverlangen auch für das Abbruchsverlangen auf ein initiatives Einfordern ankommt. Durch das Kriterium der Initiative der Schwangeren wird erreicht, dass der Tatbestandsausschluss nur dann greift, wenn sich im Verlangen der Schwangeren ein eigener, überlegter Wunsch manifestiert und ihr der Schwangerschaftsabbruch nicht aufgedrängt worden ist.273 Auch Duttge erklärt die erhöhten Anforderungen an das Verlangen der Schwangeren gegenüber der Einwilligung damit, dass hierdurch sichergestellt werden soll, dass ihr der Abbruch nicht aufgedrängt wird.274 Aus diesem Grunde sei die „Einwilligung frei von Willensmängeln und in Kenntnis von ,Wesen, Bedeutung und Tragweite‘ des Eingriffs [. . .] zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung“.275 Zudem müsse die letztendliche Initiative auf dem Boden einer ernstlichen Entschließung zweifelsfrei von der Schwangeren ausgehen.276 Somit ist die Initiative der Schwangeren für das Abbruchsverlangen vorauszusetzen.277 Diese Auslegung erfüllt am ehesten den Zweck, sicherzustellen, dass die Schwangere eine verantwortliche Letztentscheidung trifft. Denn die Voraussetzung der Initiative der Schwangeren ist geeignet, ihre intrinsische Motivation nachzuweisen. Dadurch werden Sinn und Zweck des Beratungskonzepts bestmöglich verwirklicht und das Normziel des Lebensschutzes so weit wie möglich erreicht. Da die Überlegtheit der Entscheidung bereits über die Beratungspflicht sichergestellt wird, ist damit eine zur Zweckerreichung geeignete, zugleich aber verhältnismäßige Auslegung gefunden. Sie vermeidet, der Schwangeren eine mit § 5 Abs. 2 Nr. 1 SchKG unvereinbare Darlegungspflicht ihrer Gründe aufzuerle269

Wie hier Kühl, in: Lackner/Kühl, § 218a, Rn. 3. Gropp, in: MüKo, § 218a, Rn. 16. 271 Vgl. Kühl, in: Lackner/Kühl, § 218a, Rn. 4. 272 Siehe oben C.II.1.a) und E.II.1. 273 Im Ergebnis ebenso Eser, in: Schönke/Schröder, § 218a, Rn. 9; Gropp, in: MüKo, § 218a, Rn. 16; Kröger, in: LK, § 218a, Rn. 26; Merkel, in: NK, § 218a, Rn. 69. 274 Duttge, in: Prütting, Fachanwaltskommentar, StGB, §§ 218, 218a, Rn. 14. 275 Duttge, in: Prütting, Fachanwaltskommentar, StGB, §§ 218, 218a, Rn. 14. 276 Duttge, in: Prütting, Fachanwaltskommentar, StGB, §§ 218, 218a, Rn. 14. 277 So auch Knauer/Brose, in: Spickhoff, StGB, § 219, Rn. 11. 270

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E. Eigene Auslegung des Tatbestandsmerkmals

gen, stellt aber zugleich sicher, dass die Schwangere nicht zum Abbruch gedrängt wird. Dafür darf sich die Subsumtion freilich nicht darin erschöpfen, zu untersuchen, ob die Schwangere selbst den Arzt auf den beratenen Schwangerschaftsabbruch angesprochen bzw. ihn aus diesem Grunde aufgesucht hat. Der abbrechende Arzt muss sich vergewissern, dass die Initiative von der Schwangeren ausgeht, indem er sie danach fragt. Soweit das BVerfG in Bezug auf die von ihm angenommene Darlegungspflicht also ausführt, dass die Erforschung der Gründe dem Arzt die Feststellung ermöglichen solle, ob die Schwangere den Eingriff innerlich bejahe oder ob sie Einflüssen unterlegen sei, die von ihrem familiären oder weiteren sozialen Umfeld ausgehen,278 ist dieses Ziel nicht zu beanstanden. Es darf aber nicht über eine Darlegungspflicht erreicht werden, sondern stellt eine Obliegenheit der Schwangeren dar. Die Schwangere muss sich so zwar nicht inhaltlich zu ihren Beweggründen äußern, aber doch verdeutlichen, dass der Wunsch zum Schwangerschaftsabbruch von ihr ausgeht und sie intrinsisch motiviert ist. Äußert sie etwa, dass der Wunsch von einem Dritten ausgehe, so ist das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ nicht erfüllt. Das initiative Einfordern kann der Schwangeren jedoch nicht deshalb abgesprochen werden, weil der Vorschlag eines Schwangerschaftsabbruchs (durch den abbrechenden Arzt279 oder Dritte) an sie herangetragen wurde, sie aber gleichwohl eine eigene Motivation verfolgt und die besagte Letztentscheidung trifft. Das Drittverhalten würde ansonsten über ihre Möglichkeit eines beratenen Abbruchs entscheiden, unter Umständen sogar, wenn es sich gar nicht auf die Motivation der Schwangeren ausgewirkt hat. Der Schwangeren selbst wäre zwar die Möglichkeit des straflosen Abbruchs wegen § 218a Abs. 4 StGB nicht verwehrt, wohl aber ihrem Arzt. Entscheidend muss daher sein, ob die Schwangere gegenüber dem abbrechenden Arzt die Initiative ergriffen hat oder aus einer objektiv erkennbar extrinsischen Motivation heraus bloß zustimmend reagiert. Somit genügt eine passive Bejahung, insbesondere auf Drängen Dritter hin, den Anforderungen eines Verlangens nicht, selbst wenn sie freiwillig (zum Beispiel, weil sich die Schwangere überredet zeigt) und auch im Übrigen willensmängelfrei erfolgt. Soweit die Überredung zum Teil als unschädlich erachtet wird,280 ist dem entgegenzuhalten, 278

BVerfGE 88, 203 (290) – Schwangerschaftsabbruch II. Es ist es auch nicht die Aufgabe des Arztes, die Patientin ungefragt auf die Möglichkeit des straffreien Abbruchs innerhalb von 12 Wochen hinzuweisen, nur weil sie schwanger ist. Fragen muss der Arzt aber sehr wohl umfassend beantworten; vgl. Greiner, in: Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, S. 154. 280 In diese Richtung Gropp, der grundsätzlich eine bestimmte innere Haltung („Begehren“) voraussetzt und ein Verlangen auch dann bejaht, wenn die Schwangere 279

II. § 218a Abs. 1 StGB

333

dass dem Wesen der Überredung gerade innewohnt, dass eine extrinsische Motivation über die in der Person vorhandene „überlagert“ wird und in einem solchen Fall keine initiative, intrinsische Motivation der Schwangeren angenommen werden kann. Fordert die Schwangere den beratenen Abbruch somit nicht initiativ ein, hat dies die Strafbarkeit des Arztes zur Folge. Abschließend kann festgestellt werden, dass es nach dem Gesagten – was im Rahmen der systematischen Auslegung noch zweifelhaft erschien – Sinn macht, dass in § 218a Abs. 2 und 3 StGB nicht das Verlangen, sondern lediglich die Einwilligung der Schwangeren vorausgesetzt wird, da sich die Rechtfertigung auf einen anderen Normzweck stützt. 5. Auslegung durch die Rechtsprechung Es gibt kaum Rechtsprechung, die sich mit den Voraussetzungen des Abbruchsverlangens in § 218a Abs. 1 StGB genauer befasst. Der Unterschied zur Einwilligung wird, soweit ersichtlich, überhaupt nicht thematisiert, sondern, wie unter C.II.1.b)bb). dargestellt, vielmehr jede Einwilligung als ausreichend für ein Abbruchsverlangen angesehen. Insbesondere im Hinblick auf den Normzweck vermag diese Gleichsetzung nicht zu überzeugen. 6. Rechtsvergleichende Auslegung Schwangerschaftsabbruch ist in allen europäischen Staaten strafbar.281 Die meisten Rechtssysteme sehen jedoch Ausnahmen vor. Nachfolgend sollen zwei Regelungen untersucht werden, die dem Tatbestandsausschluss nach § 218a Abs. 1 StGB vergleichbar sind. Nach Art. 119 Abs. 2 des schweizerischen StGB ist der ärztlich vorgenommene Schwangerschaftsabbruch straflos, wenn die Schwangere ihn schriftlich verlangt, eine Notlage geltend macht und sich beraten lässt, was sozusagen eine Kombination von § 218a Abs. 1–3 StGB darstellt. Im Unterschied zur deutschen Regelung muss die Beratung durch den abbrechenden Arzt erfolgen. Das schriftliche Verlangen der Schwangeren wird in Art. 120 Abs. 1 lit. a schweizerisches StGB synonym als schriftliches „Gesuch“ bezeichnet. Das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ wird somit im Sinne einer Bitte ausgelegt, was der grundsätzlichen Tendenz entspricht, die hinsichtlich der Anforderungen in anderen europäischen Regelungen zur konsentierten Fremdtötung festgestellt wurde. Dadurch wird ebenfalls auf eine initiative, intrinsische Motivation abgestellt. Andererseits lässt

zwar einem Verlangen Dritter nachgibt, dieses sich aber zu eigen macht; vgl. ders., in: MüKo, § 218a, Rn. 16. 281 Vgl. Eser/Koch, Schwangerschaftsabbruch und Recht, S. 65.

334

E. Eigene Auslegung des Tatbestandsmerkmals

sich auf die Formulierung auch die Auslegung als (bloßer) Wunsch stützen, denn der Begriff des „Gesuchs“ drückt aus, dass auf das Erbetene kein Anspruch besteht. Aus der Systematik von Art. 118 und Art. 119 schweizerisches StGB ergibt sich weiterhin, dass dort ebenfalls zwischen Einwilligung und Verlangen unterschieden wird. In Österreich gilt gemäß § 97 Abs. 1 Nr. 1 österreichisches StGB eine Fristenregelung, die den Schwangerschaftsabbruch innerhalb der ersten drei Monate nach erfolgter ärztlicher Beratung straffrei stellt. Aus § 96 österreichisches StGB ergibt sich, dass zusätzlich die (schlichte) Einwilligung der Schwangeren erforderlich ist. Nach überwiegender Auffassung handelt es sich dabei um einen Rechtfertigungsgrund, wie es auch hier befürwortet wird. 7. Ergebnis Nach der hier vertretenen Auffassung ist dem Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ in § 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB die Bedeutung eines initiativen Einforderns zugrundezulegen. Wie auch im Hinblick auf das Tötungsverlangen spricht insbesondere die teleologische Auslegung dafür. Damit wird das Verlangen in § 216 Abs. 1 und § 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB gleich definiert.

III. Synopse Aus einer synoptischen Betrachtung der herrschenden Interpretation der Tatbestandsmerkmale „Verlangen“ in § 216 Abs. 1 StGB einerseits und § 218a Abs. 1 StGB andererseits ergibt sich, dass das Verlangen sich im Besonderen Teil des Strafgesetzbuchs dort findet, wo es – so die überwiegende Meinung – um ein indisponibles Recht geht, in dessen Verletzung nicht mit rechtfertigender Wirkung eingewilligt werden kann. Demnach korreliert das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ mit der Indisponibilität eines Rechts. Nach der überwiegenden Meinung ist das Verlangen ein aliud zur Einwilligung und hat höhere Voraussetzungen, die entweder in einer bestimmten inneren Haltung oder der Äußerung in einer bestimmten Form gesehen werden. Nach der hier vertretenen Auffassung ist die Begründung im bisherigen Diskurs unbefriedigend. Zwar spricht der Wortlaut für eine Differenzierung von der Einwilligung. Das reicht zur Begründung höherer Voraussetzungen des Verlangens aber nicht aus, da die Unterscheidung damit erklärt werden kann, dass sie auf die unterschiedlichen Rechtsfolgen hinweist. Denn die Verwendung des rechtstechnischen Begriffs der Einwilligung ist bei fehlender Rechtfertigung ausgeschlossen.

III. Synopse

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Höhere Voraussetzungen sind indessen nach dem Sinn und Zweck geboten. Die ratio von § 216 StGB ist im Lebensschutz des sterbewilligen Individuums zu sehen. § 218a Abs. 1 StGB bezweckt den Lebensschutz für den nasciturus. In beiden Fällen tragen hohe Anforderungen dazu bei, den Lebensschutz zu verbessern. Denn dadurch werden insbesondere übereilte Entscheidungen und eine extrinsische Motivation ausgeschlossen. Nach der hier vertretenen Auffassung kann das Verlangen sowohl in § 216 Abs. 1 als auch in § 218a Abs. 1 StGB als initiatives Einfordern definiert werden. Diese Auslegung wird dem jeweiligen Normzweck bestmöglich gerecht. Gleichzeitig kann mit dem Rekurs auf die bestimmte äußere Form vermieden werden, dass das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ als Kontrollfunktion über den Vernunftgehalt der Entscheidung missbraucht wird. Hinsichtlich der Rechtsfolgen des Verlangens hat sich die allgemeine Meinung bestätigt, dass das Tatbestandsmerkmal de lege lata die fehlende Einwilligungsmöglichkeit kennzeichnet. Das Verlangen allein hat somit im geltenden Recht keine unrechtskompensierende Wirkung. Im Hinblick auf die verlangte Fremdtötung vermag das Verlangen jedoch nach allgemeiner Meinung das Unrecht der Tat zu mindern. Die Annahme der Indisponibilität des Lebensrechts krankt dabei an einigen Widersprüchen und steht nicht mit der Verfassung im Einklang. Richtig wäre es, unter bestimmten Kautelen eine Rechtfertigungsmöglichkeit zuzulassen, da hier von der Verfügbarkeit des subjektiven Lebensrechts ausgegangen wird. Das Verlangen wäre dann nicht mehr als Indikator für die Indisponibilität anzusehen. Bezüglich des Schwangerschaftsabbruchs nach Konfliktberatung scheidet die Unrechtsminderung aus, weil es dort nicht um die objektive Einwilligungsbeschränkung eines subjektiven Rechts geht, sondern um ein fremdes Recht. Aus diesem Grunde kann sich das isolierte Verlangen von vorneherein nicht auf das Unrecht des Schwangerschaftsabbruchs auswirken. Auch die Kombination mit dem Beratungsverfahren führt nach noch überwiegender Auffassung nicht zur Rechtfertigung. Das beruht nach der hier vertretenen Ansicht auf einem unverhältnismäßigen Grundrechtsausgleich. De lege lata kann § 218a Abs. 1 StGB grundrechtskonform ausgelegt werden, indem die zum Tatbestandsausschluss konsekutive Rechtmäßigkeit angenommen wird. Das Verlangen behielte auch dann seine Funktion, die Unverfügbarkeit der fremden Rechte des nasciturus anzuzeigen. Die Rechtfertigung hinge nämlich konstitutiv von der Einhaltung des Beratungsverfahrens ab. Schließlich ergibt sich aus dem Vergleich, dass in beiden Fällen der Verlangende keinen Anspruch auf das Verlangte gegenüber einer bestimmten Person hat, nach der hier vertretenen Auffassung wohl aber ein subjektives Recht.

F. Konsequenzen für das geltende Recht Abschließend sollen die Konsequenzen der in dieser Arbeit gefundenen Ergebnisse erörtert werden.

I. Rechtfertigung der Tötung auf Verlangen Die Strafbarkeit der verlangten Fremdtötung und deren Rechtfertigungsmöglichkeiten bedingen automatisch die Grenze der erlaubten Sterbehilfe. Somit zieht das Fazit der vorliegenden Arbeit Konsequenzen für die Zulässigkeit von Sterbehilfe nach sich.1 Im Gegensatz zu den wenigen Fällen verlangter Fremdtötung sollen pro Jahr etwa 400.000 Menschen von einer Entscheidung über einen Behandlungsabbruch betroffen sein,2 was etwa knapp die Hälfte der Sterbefälle insgesamt ausmacht. Nach dem hier vertretenen Unrechtskonzept handelte es sich bei einer unter bestimmten Kautelen erfolgenden verlangten Fremdtötung nicht um kriminelles Unrecht. Die ausnahmslose Versagung der Rechtfertigung ist nicht zwingend zur Erfüllung staatlicher Schutzpflichten erforderlich und infolgedessen nach dem ultima-ratio-Prinzip unverhältnismäßig. Deshalb ist grundsätzlich auch die direkte konsentierte Fremdtötung der Rechtfertigung zugänglich. 1. Derzeitige Rechtslage Die derzeitige Rechtslage ist unbefriedigend, weil das Richterrecht direkte konsentierte Fremdtötungen zulässt, ohne sie als solche auch nur zu benennen. a) Vorgeschichte Bereits die am frühesten anerkannte Form der „passiven“ Sterbehilfe Falle der Fremdtatherrschaft unter Umständen als Tötung auf Verlangen werten.3 Wer der Auffassung ist, dass das Lebensrecht indisponibel für Träger sei, kann dieses Ergebnis nicht über Korrekturen in der Kausalität

ist im zu beseinen umge-

1 Dies gilt gleichermaßen für die Selbsttötung, die auf dem Boden der Theorie von der Disponibilität des Lebensrechts gegenüber Dritten erst Recht rechtmäßig sein muss. 2 Diese Zahl stützt sich auf die Anzahl von Todesfällen im Zusammenhang mit intensiv-medizinischer Betreuung. Vgl. Strätling/Fieber, MedR 2005, 579 (581). 3 Zur – inzwischen überholten – Rechtsprechung Momsen, in: Satzger/Schluckebier/ Widmaier, § 216, Rn. 11.

I. Rechtfertigung der Tötung auf Verlangen

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hen.4 Wird etwa ein Beatmungsgerät abgeschaltet, von dem ein Patient abhängig ist, stirbt der Patient in unmittelbarer Kausalität direkt aufgrund dieser tatbestandsmäßigen Tötungshandlung.5 Die unzutreffende Umdeutung in ein Unterlassungsdelikt („Handeln durch Unterlassen“) war zu Recht von Anfang an der Kritik ausgesetzt und vermag daran nichts zu ändern.6 Hat der Patient nicht eingewilligt, liegt ein tatbestandsmäßiger Totschlag vor. Vertritt man den Standpunkt, dass das Lebensrecht indisponibel sei, kann die Einwilligung zu keinem anderen Ergebnis führen, da sie unbeachtlich wäre. Geht es um ein (tatsächliches) Unterlassen der Behandlung, könnte auch die Garantenstellung nicht mit dem Argument der Selbstbestimmung begrenzt werden, wenn das Lebensrecht unverfügbar wäre.7 Denn das Behandlungsveto ist zwar auf ein Verbot der (Weiter-)Behandlung gerichtet. Führt diese Entscheidung aber kausal und zurechenbar zum Tod, liegt darin zugleich eine Verfügung über das eigene Leben, die sich in dem Verhalten des Dritten verwirklicht. Hinsichtlich der früheren indirekten „aktiven“ Sterbehilfe reichten die Begründungen ihrer Rechtfertigung von einem „abweichenen sozialen Sinngehalt“, Sinn und Zweck, Schutzbereich, Sozialadäquanz, fehlender objektiver Zurechnung bis zu einer teleogischen Reduktion der Tötungsdelikte.8 Bis heute wird zudem auf § 34 StGB zurückgegriffen und in einer Binnenkollision werden diverse Interessen und Güter abgewogen.9 Wohlgemerkt setzen sämtliche Begründungsansätze die Einwilligung des Betroffenen voraus, die aber wegen der Indisponibilität des Lebens nicht zur Rechtfertigung herangezogen werden dürfe, oder kombinieren die Einwilligung mit § 34 StGB.10 Dem Selbstbestimmungsrecht wird dabei höchstens mittelbar Be4 Falsch ist daher die Behauptung von Wodarg, Däubler-Gmelin und Schmidbauer et al.: „Heute herrscht Einigkeit darüber, daß der Abbruch der künstlichen Beatmung, die keinem Therapieziel mehr dient, ethisch nicht anders zu bewerten ist als ihre primäre Unterlassung: Der Patient stirbt an seinen unheilbaren Schädigungen, nicht durch den Akt des Abschaltens“; BT-Drucks. 13/4114, S. 4. 5 Wie hier Kindhäuser, BT I, § 3, Rn. 7. 6 Insoweit hing die Bewertung auch von der Position im Streit um die Tötung auf Verlangen durch Unterlassen ab. Dazu Knauer/Brose, in: Spickhoff, StGB, § 216, Rn. 24 m.w. N. 7 So aber Knauer/Brose, in: Spickhoff, StGB, § 216, Rn. 25. 8 Vgl. die Nachweise bei BGH, NJW 1997, S. 807 (810); ferner Kühl, JURA 2009, S. 881 (884 f.). 9 So etwa damals der 3. Senat: „Würde und Schmerzfreiheit“, BGH, NJW 1997, S. 807 (810); BGH, NJW 2010, S. 2963 (2965); vgl. ferner die Nachweise bei Kühl, JURA 2009, S. 881 (884) m.w. N.; Perron, in: Schönke/Schröder, § 34, Rn. 8a. 10 So meinen etwa Schöch/Verrel et al., dass die alleinige Anwendung des § 34 StGB wegen der problematischen Rechtsgüterabwägung nicht völlig überzeuge, während die Einwilligung wegen § 216 StGB keine ausreichende Legitimation darstelle. Deshalb müsse man beides kombinieren; Schöch/Verrel et al., GA 2005, 553 (574). So auch Schöch, NStZ 1997, S. 409 (409 ff.); Dölling, in: FS-Gössel, S. 209 (212 f.); vgl. außerdem Perron, in: Schönke/Schröder, § 34, Rn. 8a.

338

F. Konsequenzen für das geltende Recht

achtung geschenkt, obwohl es doch am nächsten liegt, auf den Willen des Betroffenen als allein maßgebliche Quelle der Rechtfertigung abzustellen. b) Einwilligungslösung des BGH Der 2. Senat des BGH hat mit Urteil vom 25. Juni 2010 die Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe aufgegeben.11 Sowohl für die Fälle einer konsentierten Fremdtötung durch Unterlassen als auch durch aktives Tun sollen nun die einheitlichen Maßstäbe des Behandlungsabbruchs gelten.12 Zugleich hat der BGH der Heranziehung von § 34 StGB zur Rechtfertigung der Tötung auf Verlangen eine Absage erteilt und erstmals die Möglichkeit einer rechtfertigenden Einwilligung in eine direkte Fremdtötung13 unter bestimmten Voraussetzungen (finale Erkrankung14 und Zusammenhang mit einer medizinischen Behandlung15) bejaht.16 Zwar spricht der BGH von einer „indirekten Sterbehilfe“, das erweist sich aber als Euphemismus.17 Da nach allgemeiner Meinung auch die Lebensverkürzung18 den (objektiven) Tötungstatbestand des § 212 11

BGH, NJW 2010, S. 2963 (2966 f.). BGH, NJW 2010, S. 2963 (2967 f.); im Grundsatz bestätigt durch die Folgeentscheidung BGH, NStZ 2011, S. 274 (276). In dieser Entscheidung betonte der 2. Senat in einem obiter dictum, dass darüber hinaus das Verfahren nach §§ 1901a, 1901b BGB eingehalten werden müsse; vgl. dazu auch BGH, NJW 2014, S. 3572. 13 Die konsentierte Fremdtötung ist demnach zulässig, wenn der Tod als unbeabsichtigte, aber hinsichtlich der tödlichen Wirkung für möglich gehaltene Nebenfolge der Applikation eines schmerzlindernden Medikaments bei einem todkranken Patienten eintritt. 14 Anders noch BGH, Beschl. v. 17. 3. 2003 = NJW 2003, S. 1588. Zur früheren engen Begrenzung auf die begonnene Sterbephase vgl. Verrel, in: Verhandlungen zum 66. Deutschen Juristentag, Bd. I, Gutachten C, S. 21 f. Die infauste Prognose wurde damals schon für ausreichend erachtet vom AE-Sterbehilfe, S. 22 f. Roxin weist zutreffend darauf hin, dass Patienten auch schon Monate vor ihrem Tod – also in einer Zeit, die noch nicht als Sterbephase zu betrachten ist – an unerträglichen Schmerzen oder ähnlichen Leidenszuständen leiden können, so dass es nur darauf ankommen kann, ob eine Erkrankung vorliegt, die zum konsekutiven Tod führen wird; ders., GA 2013, S. 313 (314). 15 Gezielte Eingriffe in das Leben eines Menschen, die nicht in einem Zusammenhang mit dem Abbruch einer medizinischen Behandlung stehen, sollen einer Rechtfertigung durch Einwilligung nicht zugänglich sein. Die eingewilligte Maßnahme müsse objektiv und subjektiv auf die medizinische Behandlung im genannten Sinne bezogen sein. 16 BGH, NJW 2010, S. 2963 (2965); dazu Kindhäuser, BT I, § 3, Rn. 7. 17 Murmann, Grundkurs Strafrecht, § 21, Rn. 78; so im Ergebnis auch Kubiciel, JZ 2009, S. 600 (602), der von einer Umgehung durch „Umwertungen und Umbezeichnungen“ spricht und konstatiert, dass mit der Zulässigkeit der Sterbehilfe „formal pflichtwidriges Verhalten aus dem Bereich des Verbotenen in den das Erlaubten überführt worden ist“. 18 Im englischen Rechtsraum sind nach der „doctrine/rule of double effect“ ebenfalls sogenannte „zweiseitige Handlungen“ erlaubt: die Applikation lebensverkürzender, aber schmerzlindernder Medikamente. Vgl. für die USA Vacco v. Quill, 521 U.S. 793 (1997). 12

I. Rechtfertigung der Tötung auf Verlangen

339

StGB (bzw. ggf. der §§ 211, 213 ff. StGB) erfüllt,19 ist mit der „durch Einwilligung gerechtfertigten Handlung der Sterbehilfe“ 20 folglich die Rechtfertigungsmöglichkeit eines (zumindest objektiv) tatbestandsmäßigen Tötungsdelikts21 durch die Einwilligung gemeint.22 Rengier bringt dies treffend auf den Punkt: „Mit dem Gedanken, dass ein den Tatbestand des § 216 StGB erfüllender aktiver Behandlungsabbruch durch Einwilligung gerechtfertigt sein kann, betritt der BGH Neuland“ 23. Und weiter: „Dass dieser Ansatz, soweit ein aktives Tun vorliegt, mit dem Tabu der Einwilligungsunfähigkeit einer Tötung auf Verlangen bricht, wird vom BGH nicht thematisiert“.24 Macht man die Einwilligung zur Grundlage der Rechtfertigung, lässt sich die Unverfügbarkeit des Lebens andernorts jedoch nicht mehr begründen.25 In aller Deutlichkeit: die aktive direkte konsentierte Fremdtötung ist bereits derzeit unter dem Deckmantel der „indirekten Sterbehilfe“ richterrechtlich erlaubt.26 aa) Lebensverkürzende Medikation Problematisch an dieser Rechtfertigungslösung ist vor allem, dass sie maßgeblich von der Vorsatzform abhängt, da hiernach die Beschleunigung des Todeseintritts mit dolus eventualis der Rechtfertigung zugänglich sein soll, jedoch mit dolus directus ersten Grades nicht. Allerdings besteht sowohl im Hinblick auf das

Die Theorie wird auf Art. 7 der „Summe theologica“ von Thomas von Aquin zurückgeführt und beschreibt die rechtliche Zulässigkeit von unbeabsichtigten Nebenfolgen sowohl im Hinblick auf die konsentierte Fremdtötung als auch den Schwangerschaftsabbruch. Instruktiv Boyle, Theoretical Medicine and Bioethics 2004, Vol. 25, Issue 1, S. 51–60. Auch im englischen Rechtsraum besteht allerdings seit langem Streit darüber, ob die Lebensverkürzung durch Schmerzmedikation real oder ein Mythos sei, der durch die Rechtsprechung befeuert werde; dazu Fohr, Journal of Palliative Medicine 1998, Vol. 1, Issue 4, S. 315 (315 ff., 319). Kritisch zum Prinzip der Doppelwirkung im Bereich der Sterbehilfe Hoerster, ZRP 1988, S. 1 (2). 19 BGH, NStZ 1985, S. 26 f.: „mehrere Stunden“; Gaidzik, in: Bergmann/Pauge/ Steinmeyer, S. 1271, Rn. 3. 20 BGH, NJW 2010, S. 2967. 21 BGH, NStZ 1985, S. 26 f.; Gaidzik, in: Bergmann/Pauge/Steinmeyer, S. 1271, Rn. 3; Roxin, GA 2013, S. 313 (314). 22 Ungeachtet dieses ausdrücklichen Bezugs auf die Einwilligung interpretieren einige die Ausführungen des BGH allerdings noch immer als Rechtfertigung gemäß § 34 StGB, so etwa Roxin, GA 2013, S. 313 (314); Uhlenbruck, in: HK-AKM, 4980, Rn. 25. 23 Rengier, BT II, § 6, Rn. 1a. 24 Rengier, BT II, § 7, Rn. 7a m.w. N. 25 Dieses Problem sieht auch Murmann, Grundkurs Strafrecht, § 21, Rn. 78. 26 Ebenso Murmann, der ausdrücklich feststellt, „dass bei einem lebensverkürzenden Verhalten ein ,Töten‘ schwerlich verneint werden kann“; ders., Grundkurs Strafrecht, § 21, Rn. 78.

340

F. Konsequenzen für das geltende Recht

erste Urteil des BGH zur Lebensverkürzung aus dem Jahr 199627 wie auch auf die Entscheidung aus dem Jahr 2010 Unklarheit darüber, ob nach der höchstrichterlichen Auffassung auch der dolus directus zweiten Grades noch zur Rechtfertigung führt.28 Jedenfalls ab einer bestimmten Dosierung von Morphin ist es möglich, dass dem Arzt ein sicheres Wissen der dadurch verursachten Beschleunigung des Todeseintritts unterstellt wird.29 Eine Beschränkung der Rechtfertigungswirkung auf den dolus eventualis und auch bereits die Unklarheit hinsichtlich des dolus directus zweiten Grades kann daher eine unzureichende Schmerzversorgung befördern. Dieses Problem wird umso virulenter, als die lebensverkürzende Wirkung von Morphin selbst bei fachgerechter Anwendung umstritten ist, was zu noch größerer Unsicherheit in der Ärzteschaft führt.30 Der Nationale Ethikrat erachtet eine Lebensverkürzung etwa durch eine Atemdepression im Rahmen einer umfassenden Sedierung für möglich.31 Auch die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin räumt diese Möglichkeit ein.32 Demgegenüber wehrte sich der Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie Nolte vehement gegen den „Mythos“, die (palliative) Morphintherapie führe bei fachgerechter Anwendung33 zur konsekutiven Lebensverkürzung.34 Die Haltung der Palliativmediziner in der Praxis verdeutlicht eine Studie des Instituts für Medizinische Ethik und Geschichte der Medizin der Ruhr-Universität Bochum. Diese untersuchte die Sterbehilfepraxis in der Palliativmedizin, indem ärztliche Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin unter ande27 BGH, Urt. v. 15. November 1996 – 3 StR 79/96 = NJW 1997, S. 807 (810); dazu Roxin, GA 2013, S. 313 (314). 28 Zu Recht kritisch Verrel, in: Verhandlungen zum 66. Deutschen Juristentag, Bd. I, Gutachten C, S. 31 f.; ähnlich Schöch/Verrel u. a., GA 2005, S. 553 (575 f.). 29 Vgl. Murmann, Grundkurs Strafrecht, § 21, Rn. 78. 30 Vgl. Kutzer, FPR 2007, S. 59 (62); Uhlenbruck, NJW 2001, S. 2770 (2771). 31 Nationaler Ethikrat, Selbstbestimmung und Fürsorge am Lebensende, Stellungnahme vom Juli 2006, S. 74; ähnlich Kutzer, FPR 2007, S. 59 (61). 32 Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin, Sektion Rechtsberufe, Projekt Nr. 4. 33 Davon zu trennen sind die Fälle, in denen die Gabe von Morphin (und anderen Substanzen) ohne Einwilligung bzw. Verlangen des Patienten erfolgt und die iatrogene Intoxikation sich somit als Totschlag oder fahrlässige Tötung darstellt; vgl. dazu den Fall einer Hannoveraner Ärztin, gegen die wegen fahrlässiger Tötung in drei Fällen ermittelt wurde, nachdem sie ohne Einwilligung ihrer Patienten letale Dosen u. a. von Morphin verabreicht hatte; VG Hannover, NJW 2004, S. 311 (312 ff.). 34 Nolte, Schmerztherapie 4/2007, S. 3. Ihm ist sicherlich zuzugeben, dass jedes Medikament in überhöhter Dosierung tödlich wirken kann und eine fachgerechte Dosierung – jedenfalls in der Regel – keine Lebensverkürzung befürchten lässt. Nolte verweist insoweit auf eine Studie des US National Hospice Outcomes Project, die ergab, dass selbst „hohe Opioiddosen“ mit einem „extrem geringen Risiko“ verbunden seien, den Todeseintritt zu beschleunigen; vgl. Portenoy et al., Pain and Symptom Management 2006, Vol. 32, Issue 6, S. 532–540.

I. Rechtfertigung der Tötung auf Verlangen

341

rem zu ihrer Intention bei der Applikation von Palliativmedizin befragt worden sind. Die Auswertung ergab, dass bei 780 Todesfällen in 78,1 % der Fälle der behandelnde Arzt ein schmerzlinderndes Medikament in Kenntnis der Möglichkeit einer Lebensverkürzung applizierte,35 in 27,3 % der Fälle sogar mit der Absicht einer Lebensverkürzung.36 Nicht ersichtlich ist dabei, ob die Befragten von der eigenen fachgerechten Dosierung ausgegangen waren. Erkennbar wird aber, dass – ob fachgerecht dosiert oder nicht – die überwiegende Mehrheit der Palliativmediziner in ihrer tatsächlichen Anwendungspraxis von einer (potenziell) lebensverkürzenden Wirkung von palliativmedizinischer Medikation ausgeht. Es erscheint jedoch wenig sinnvoll, einem Patienten, der eine extrem hohe Schmerzmitteldosierung benötigt (etwa aufgrund einer Tumorerkrankung in der finalen Phase), diese vorzuenthalten, weil sie mit Sicherheit den Tod beschleunigen wird, „da die sichere Kenntnis die medizinische Indikation nicht beseitigt“.37 Dies gilt umso mehr, als hier der gut informierte Arzt schlechter stünde als jener, der sich über die genauen Folgen seiner Dosierung unsicher ist. Die Annahme der Rechtfertigung einer den Tod beschleunigenden Schmerzmittelgabe auch bei sicherem Wissen des Arztes über diesen Umstand ist deshalb, soweit zur Leidensminderung erforderlich und mit Einverständnis des Patienten erfolgt, richtig.38 bb) Einwilligung in die fahrlässige Tötung? Auch wenn dem Arzt die Nebenwirkung einer Lebensverkürzung infolge der palliativ-medikamentösen Behandlung auf voluntativer Seite eigentlich unerwünscht sein mag, so genügt dies nach Auffassung jener, die für den dolus eventualis keine Willenskomponente voraussetzen,39 um das Vorliegen eines dolus eventualis zu bejahen.40

35 Die Voraussicht der Lebensverkürzung als nicht nur möglich, sondern mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintretend wurde in der Studie nicht berücksichtigt. 36 Schildmann/Hoetzel et al., Palliative Medicine 2010, 24 (8), S. 824 (827), Tabelle 2. 37 Hillenkamp, in: Anderheiden/Eckart, Bd. 1, S. 349 (365). 38 So auch Hillenkamp, in: Anderheiden/Eckart, Bd. 1, S. 349 (365); Roxin, GA 2013, S. 313 (314) und Verrel, in: Verhandlungen zum 66. Deutschen Juristentag, Bd. I, Gutachten C, S. 31 f. mit Verweis auf den AE-Sterbehilfe und m.w. N. 39 Darstellung dieser Auffassung mit ihren Spielarten bei Hillenkamp, 32 Probleme aus dem Strafrecht AT, 1. Problem, S. 1 ff., zur a. A., die für den dolus eventualis zusätzlich zur kognitiven Komponente ein Willenselement voraussetzt, vgl. ebd., B. I.–IV. m.w. N. 40 Vgl. Murmann, Grundkurs Strafrecht, § 21, Rn. 78 und Verrel, in: Verhandlungen zum 66. Deutschen Juristentag, Bd. I, Gutachten C, S. 31.

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F. Konsequenzen für das geltende Recht

Und so hat nach überwiegender Auffassung im Schrifttum der BGH im Jahr 2010 eine mit dolus eventualis erfolgende direkte Fremdtötung gemeint und diese im Rahmen des Behandlungsabbruchs mit Einwilligung des Patienten für gerechtfertigt erachtet.41 Damit steht und fällt die Strafbarkeit als solche allerdings nicht, denn wer den dolus eventualis verneint – wie es eigentlich der ursprünglichen „Billigungstheorie“ 42 der Rechtsprechung entspräche – muss die fahrlässige Tötung bejahen. Daraus ergibt sich das Folgeproblem, ob eine rechtfertigende Einwilligung in die fahrlässige Tötung möglich sein kann.43 Manche sehen die Einwilligung in die fahrlässige Tötung als zulässig an, weil § 216 StGB nur eine Einwilligungssperre für vorsätzliche Tötungen darstelle. Das macht jedoch keinen Sinn, wenn man, wie die herrschende Meinung, die Einwilligungssperre mit der Indisponibilität des Rechtsguts Leben begründen will.44 Denn eine nur in Bezug auf Fahrlässigkeitstaten geltende Verfügungsbefugnis bei einem im Übrigen indisponiblen Rechtsgut ist nicht stringent erklärbar.45 Dölling sieht die Möglichkeit einer Rechtfertigung fahrlässiger Tötungen darin, die Einwilligung mit einem gewichtigen Interesse zu kombinieren.46 Der gegenüber Vorsatztaten geringere Handlungsunwert eines fahrlässigen Tötungsdelikts könne so kompensiert werden.47 Eine solchermaßen erklärte Rechtfertigung würde aber nur einen Teil der Fälle erfassen, die der BGH der Rechtfertigung zugänglich erachtet, und außerdem im Widerspruch zu dessen bisheriger Rechtsprechung bezüglich der Einwilligungsperre für konkrete Lebensgefährdungen stehen.48 Eher in die BGH-Rechtsprechung einfügen würde sich der Ansatz Hoyers, der auf das geringere Unrecht der Fahrlässigkeitstat hinweist, von dem nach der Minderung durch das Verlangen (sic!) nichts mehr übrig bleibe.49 41 Hillenkamp, in: Anderheiden/Eckart, Bd. 2, S. 1034 (1045); vgl. für die Vorentscheidung Kutzer, FPR 2007, S. 59 (62). 42 Dazu Hillenkamp, 32 Probleme aus dem Strafrecht AT, 1. Problem, S. 6, B.I. 43 Übersicht zum Streitstand bei Kindhäuser, AT, § 12, Rn. 68 ff.; Kühl, AT, § 9, Rn. 29 m.w. N., § 17, Rn. 87. Nach der überwiegenden Auffassung scheidet eine Einwilligung bei konkreter Todesgefahr aus; vgl. BGH, NJW 2009, S. 1155 (1157) m.w. N. Allerdings soll dies nicht für lebensgefährliche Operationen gelten, insofern wird die Möglichkeit der Einwilligung mit einer – auch unter sonst erfolgender Ablehnung der sogenannten Zwecktheorie – ausnahmsweisen Beachtung des positiven Zwecks bejaht; so etwa BGH, NJW 2004, S. 2458 (2459). 44 Vgl. Hauck, GA 2012, S. 202 (210 ff.). 45 Die Aussage, dass es sich bei der Einwilligung in das Risiko eines fahrlässig herbeigeführten Todes um „etwas ganz anderes“ handele, ist keine Begründung; so aber Kaspar, JuS 2012, S. 112 (115). Ähnlich der Verweis auf einen „völlig anders gearteten Lebenssachverhalt“ bei Duttge, FS-Otto, S. 227 (231). 46 Dölling, in: FS-Gössel, S. 209 (214). 47 Dölling, in: FS-Gössel, S. 209 (214). 48 BGH, NJW 2009, S. 1155 (1157) mit kritischer Anm. von Kühl, a. a. O., S. 1158. 49 Hoyer, in: SK, Anh. zu § 16, Rn. 95.

I. Rechtfertigung der Tötung auf Verlangen

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Derzeit wird im Rahmen der Sterbehilfe indes die Einwilligung für ausreichend erachtet. Das liegt daran, dass als Rechtsfolge die Unrechtskompensation eintritt und es insofern keiner Differenzierung bedarf. 2. Lösungsvorschlag Da in der vorliegenden Arbeit von der Disponibilität des subjektiven Lebensrechts ausgegangen wird, spricht dogmatisch nichts gegen eine Rechtfertigung direkter konsentierter Fremdtötungen qua Einwilligung unter bestimmten Bedingungen bei einer Beibehaltung der Privilegierung durch § 216 StGB im Übrigen, wenn diese Bedingungen nicht vorliegen. Wie bereits erörtert, führte eine unbeschränkte Gewährung der Einwilligungsmöglichkeit jedoch angesichts der Irreversibilität der Entscheidung für den Tod dazu, dass der Staat seine aus der verfassungsrechtlich garantierten Menschenwürde und dem Lebensrecht fließenden Schutzpflichten verletzte. Deshalb wird der schonendste Ausgleich zwischen dem Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen und den staatlichen Schutzpflichten gegenüber diesem vorliegend in einer prozeduralen Rechtfertigung gesehen.50 Rudimentäre Ansätze einer „Legitimation durch Verfahren“ 51 finden sich auch in der jüngsten strafrechtlichen Entscheidung des BGH zum Behandlungsabbruch.52 Für eine prozedurale Rechtfertigung spricht, dass sie Missbrauchsgefahren eindämmt53 und Licht in das Dunkelfeld verlangter Fremdtötungen unter dem Deckmantel der Sterbehilfe bringen kann.54 Bereits 2006 konstatierte Verrel in seinem Gutachten zum 66. Deutschen Juristentag zutreffend, dass nur der Gesetzgeber 50 Soweit sich eine solche prozedurale Rechtfertigung auf Fälle von Sterbehilfe (ähnlich der Regelungen in den Niederlanden und Belgien) beschränkte, würden ihr immerhin 46 % von 819 deutschlandweit befragten Betreuungsrichtern zustimmen, wie eine Umfrage von Höfling/Schäfer aus dem Jahre 2006 ergab; dies., Leben und Sterben in Richterhand?, S. 52, 69. Zur Bedeutung des Grundrechtsschutzes durch Verfahren Hufen, NJW 2001, S. 849 (857). 51 Dazu Verrel, NStZ 2011, S. 276 (278) m.w. N. – Anm. zu BGH, NStZ 2011, S. 274. 52 BGH, NStZ 2011, S. 274; vgl. auch die betreuungsrechtliche Entscheidung BGH, NJW 2014, S. 3572. 53 Im Fokus auf nicht mehr einwilligungsfähige Patienten Verrel, in: Verhandlungen des 66. Deutschen Juristentages, Bd. I, Gutachten C, S. 34 f. Damit könnte dem Einwand Uhlenbrucks begegnet werden, der eine gesetzlich geregelte Straffreiheit der aktiven Sterbehilfe auf Verlangen in Deutschland für grundsätzlich denkbar hält, aber ein Verlass auf das Arztethos allein für zweifelhaft und die Missbrauchsfälle in den Niederlanden als Anlass dazu sieht, sich gegen eine derartige gesetzliche Regelung in Deutschland auszusprechen, ders., NJW 2001, S. 2770 (2771). 54 Zahlen finden sich meist unter der Bezeichnung „aktiver Sterbehilfe“, die sowohl direkte als auch indirekte Fremdtötungen umfassen kann. Dabei ist von 1 % aller Todesfälle die Rede, dazu Kutzer, FPR 2007, S. 59 (60), Fn. 12. Uhlenbruck berichtet davon, dass die – damals von der Rechtsprechung übrigens noch als unzulässig eingestufte – aktive Sterbehilfe von etwa 19.000 Ärzten in Deutschland praktiziert wurde, ders., in: HK-AKM, 4980, Rn. 10 und NJW 2001, S. 2770 (2771).

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F. Konsequenzen für das geltende Recht

einen Ausweg aus den bisherigen Behelfslösungen weisen kann und wies zu Recht auf die Relevanz für die Verbesserung der Schmerzbehandlung hin.55 Auch in der Ärzteschaft wird eine gesetzliche Regelung befürwortet.56 Eine gesetzliche Regelung erscheint außerdem im Hinblick auf die Bedeutung der Regelungsmaterie und auf den Parlamentsgesetzvorbehalt gegenüber einer richterrechtlichen Lösung vorzugswürdig. Das Abstellen auf den Willen des Betroffenen als maßgebliches Kriterium wird dabei der begrenzten Beurteilungskraft des Rechts in Grenzfragen von Leben und Tod57 und deren existenzieller Bedeutung am Besten gerecht.58 Weiterhin ist die ausnahmslose Versagung jeglicher Einwilligungsmöglichkeit nach dem hier vertretenen Unrechtskonzept als Übertretung des ius puniendi et poenale aufgrund seiner im Verstoß gegen das ultima-ratio-Prinzip liegenden Unverhältnismäßigkeit verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Wie gesehen, ist jegliche Versagung einer Rechtfertigungsmöglichkeit zur Erfüllung der staatlichen Schutzpflichten aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 S. 1, 1. Var. GG nicht zwingend erforderlich. Sie schränkt deshalb zugleich das Selbstbestimmungsrecht des Sterbewilligen aus Art. 2 Abs. 1 GG unverhältnismäßig ein. Nicht nur hinsichtlich der Ungereimtheiten im Bereich der Sterbehilfe, sondern auch im Hinblick auf die Problematik der faktischen Lebenspflicht im Falle der physischen Unmöglichkeit einer Selbsttötung manifestiert sich die praktische Bedeutung einer Rechtfertigungsmöglichkeit. In der sogenannten Müllsack-Entscheidung hatte der 3. Senat des BGH festgestellt, dass er nicht verkenne, dass die bestehende Rechtslage es einem vollständig bewegungsunfähigen, aber bewusstseinsklaren moribunden Schwerstbehinderten weitgehend verwehre, ohne strafrechtliche Verstrickung Dritter aus dem Leben zu scheiden, und für ihn dadurch das Lebensrecht zur schwer erträglichen Lebenspflicht werden könne.59 Der Senat vertrat aber die Auffassung, dass auch dieser Umstand kein Recht auf Sterben unter menschenwürdigen Bedingungen begründen könne.60 Dass ein solcher Standpunkt zu schwer erträglichen Ergebnissen führen kann, zeigt auch der mehrfach angesprochene Fall des AG Tiergarten.61

55

Verrel, in: Verhandlungen zum 66. Deutschen Juristentag, Bd. I, Gutachten C, S. 33 f. 56 So der Tenor im Interview der Palliativmediziner de Ridder, Thöns und Wohlfart, Sie haben beim Sterben geholfen, DIE ZEIT vom 26. Februar 2015. 57 Vgl. Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 Abs. 2 S. 1, Rn. 23. 58 Im Zivilrecht ist in den §§ 1901a ff. BGB bereits klargestellt, dass allein der Wille des Patienten maßgeblich ist. 59 BGH, NJW 2003, S. 2326 (2326 f.) – Müllsack. 60 BGH, NJW 2003, S. 2326 (2328) – Müllsack; im Ergebnis ebenso EGMR, NJW 2002, S. 2851, (1. Leitsatz, S. 2852) – Diane Pretty. 61 AG Tiergarten, Urt. v. 13.09.2005 – (237) 1 Kap Js 2655-04 Ls (19/05) = BeckRS 2006, 00655.

I. Rechtfertigung der Tötung auf Verlangen

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Die Formulierung eines Gesetzesentwurfs würde insbesondere angesichts der zu treffenden Begleitregelungen den Umfang der vorliegenden Arbeit sprengen, so dass hier lediglich mögliche Kriterien einer solchen Rechtfertigung angesprochen werden können. Die verfahrensmäßige Absicherung, dass eine derartig existenzielle Entscheidung subjektiv mängelfrei getroffen wird, ist angesichts der Irreversibilität verhältnismäßig. Aufgrund der höheren Voraussetzungen ist innerhalb einer solchen prozeduralen Rechtfertigung zur Verbesserung des Lebensschutzes zunächst der Rekurs auf das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ vorzugswürdig, wenn man es wie hier als initiatives Einfordern begreift. Es empföhle sich weiterhin, entsprechend dem „beratenen“ Schwangerschaftsabbruch eine Pflichtberatung in das Verfahren einzubinden.62 Dieses Beratungsverfahren könnte als psychologische Beratung – auch zur Klärung der Einwilligungsfähigkeit63 – durch einen staatlich anerkannten Psychologen oder Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie als eine palliativmedizinische Beratung durch einen Facharzt mit dieser Zusatz-Weiterbildung ausgestaltet werden. Das Verfahren könnte weiterhin an einen Arztvorbehalt64 hinsichtlich der Ausführung anknüpfen.65 Weitere Schutzvorkehrungen könnten u. a. durch das Erfordernis notarieller Dokumentation getroffen werden. Zudem bedürfte es der Regelung, dass niemand zur Mitwirkung an einem solchen Verfahren verpflichtet werden kann. Sinnvoll wäre es außerdem, Patienten, die dazu in der Lage sind, auf die Möglichkeit der assistierten Selbsttötung zu verweisen. 62 Dem Einwand, dass die einmal begonnene Prozedur Menschen unter Druck setzen könnte, ist zu begegnen, dass die Beratung auch als Chance begriffen werden kann, den Betroffenen Alternativen – zum Beispiel eine wirksame Schmerztherapie – aufzuzeigen. 63 Diese setzt nicht zwingend die Volljährigkeit voraus, sondern richtet sich danach, ob der Betroffene einsichts- und urteilsfähig ist sowie die Fähigkeit besitzt, sich nach dieser Einsicht zu richten (Steuerungsfähigkeit); vgl. dazu oben B.III.2.d)ee). 64 Das hier vorgestellte Konzept läuft dem ärztlichen Standesrecht zuwider, es ist mit § 16 der Muster-Berufsordnung für Ärzte (MBO-Ä) unvereinbar. Dem Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient könnte eine eindeutige Regelung aber sogar zuträglich sein. Im Übrigen passt sich das ärztliche Standesrecht den gesetzlichen Vorgaben in der Regel an. So ist in der auf dem 114. Deutschen Ärztetag beschlossenen Neufassung von § 16 MBO-Ä vom 29. August 2011 das Verbot der aktiven Lebensverkürzung nicht mehr enthalten, was auf die Entscheidung des BGH vom 25. Juni 2010 zurückzuführen sein dürfte (BGH, NJW 2010, S. 2963). Dies ist auch geboten, da die Generalklauseln der Kammer- und Heilberufsgesetze den Ärztekammern keine ausreichende Grundlage für Schrankenregelungen über die hier infragestehenden schwerwiegenden Grundrechtseingriffe bieten. Zum Ganzen Antoine, Aktive Sterbehilfe in der Grundrechtsordnung, S. 386. 65 Die ärztliche Tötung durch Medikation wirft Fragen nach der Vereinbarkeit mit §§ 29, 30 BtmG auf. In der Regel wird (beim assistierten Suizid) Natrium-Pentobarbital verwendet. Zur betäubungsmittelrechtlichen Situation vgl. Feldmann, Mitwirkungshandlungen am Suizid, S. 292, Fn. 439 und Fn. 440, S. 314 f. sowie Gavela, Ärztlich assistierter Suizid und organisierte Sterbehilfe, S. 73 ff. (beide am Beispiel der Schweiz).

346

F. Konsequenzen für das geltende Recht

Handelt es sich um einen komatösen Patienten, liefe das Konzept allerdings im Hinblick auf die Beratung ins Leere. Die Lösung läge darin, für die antizipierte Ausübung des Selbstbestimmungsrechts qua Patientenverfügung für den Fall eines unumkehrbaren Bewusstseinsverlusts zu fordern, dass diese nur dann Gültigkeit erlangt, wenn sie im oben genannten Verfahren zustande gekommen ist. Der Wille müsste außerdem im fraglichen Zeitpunkt fortbestehen, was gemäß den §§ 1904 ff. BGB zu ermitteln wäre. Ansonsten wäre im Zweifel für die ausdrücklich ausgeübte Selbstbestimmung zu entscheiden, um die Gefahr zu vermeiden, dass in diesem existenziellen Bereich irreversibel gegen den tatsächlichen Willen entschieden wird. Das heißt, wenn keine im oben genannten Sinne verfahrensmäßige Willensäußerung vorliegt, sollte jegliche Form der Sterbehilfe unzulässig sein. In diesem Punkt ist die hier vertretene Auffassung sogar weitaus enger als die herrschende Auffassung, die für eine Rechtfertigung der Sterbehilfe die mutmaßliche Einwilligung ausreichen lässt. Diese rekurriert zwar – versteht man sie richtig – auf die individuellen Interessen, Wünsche, Bedürfnisse und Wertvorstellungen des Betroffenen.66 Für die existenzielle Entscheidung eines Behandlungsabbruchs wird sie hier indessen abgelehnt und im Hinblick auf den absoluten Lebensschutz der Rückgriff auf das im genannten Sinne verfahrensgemäß zustande gekommene Verlangen befürwortet. In jedem Fall verbietet sich der Rückgriff auf objektive Kriterien. Im sogenannten „Kemptener Fall“ hat der BGH demonstriert, wie gefährlich das Selbstbestimmungsrecht dadurch unterlaufen werden kann. Der 1. Senat stellte fest, die Entscheidung über den Behandlungsabbruch würde auch davon abhängen, wie aussichtslos die Prognose und wie nah der Patient am Tode sei, wenn sich konkrete Indizien für die Ermittlung des mutmaßlichen Willens nicht finden ließen.67 Krankheit, Alter, Behinderung, ein angeblich nicht mehr vorhandener „objektiver Lebenswert“ oder die Todesnähe dürfen jedoch keine Kriterien sein.68 Die darin liegende Abwertung des Lebens kranker oder alter Menschen, die „ohnehin dem Tode geweiht sind“, ist unerträglich.69 Gleichwohl finden sich auch im Schrifttum derartige Ansätze.

66

Vgl. Ulsenheimer, in: Laufs/Kern, § 139, Rn. 65 m.w. N. BGH, NStZ 1995, S. 80 (81) – Kemptener Fall; zutreffende Kritik bei Verrel, in: Verhandlungen zum 66. Deutschen Juristentag, Bd. I, Gutachten C, S. 22 ff. 68 Entschieden abzulehnen ist daher der Gesetzesentwurf von Lorenz, der vorschlägt, die Zulässigkeit indirekter Sterbehilfe u. a. daran anzuknüpfen, dass der Patient an einer Krankheit oder Verletzung leidet, die aller Wahrscheinlichkeit nach innerhalb von sechs Monaten zum Tod führen wird; ders., Sterbehilfe, S. 94 f. Ebenso unhaltbar ist § 214 Abs. 1 Nr. 2 StGB-E des AE Sterbehilfe, der die irreversible Bewusstlosigkeit für eine direkte Fremdtötung genügen lässt, ohne dass der Wille des Betroffenen berücksichtigt wird, vgl. oben C.I.2.b)cc)(2). 69 Vgl. Hillenkamp, in: Anderheiden/Eckart, Bd. 1, S. 349 (361, 365). 67

I. Rechtfertigung der Tötung auf Verlangen

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Hoerster erachtet die Sterbehilfe (mit Einwilligung) als zulässig, wenn sie ein von unheilbarer Krankheit betroffenes Leben beendet, sofern dieses deshalb „nach gewöhnlichen Maßstäben nicht lohnens- oder lebenswert“ erscheine.70 Dies ist seiner Auffassung nach im Gegensatz zu übrigen Fällen der konsentierten Fremdtötung „rational“. Die Abhängigkeit des Lebensschutzes von „gewöhnlichen Maßstäben“, die sich je nach Ideologie wandeln können, öffnet Missbrauch Tür und Tor. Dasselbe gilt für Hoersters Rekurs auf ein „lohnenswertes“ Leben aus der objektiven Sicht Dritter. Eine solche Akzessorietät des Lebensschutzes zur jeweils vorherrschenden Ideologie ist mit dem Grundgesetz unvereinbar. Unverständlich ist ferner, dass Kutzer zunächst die traurigen Belege anführt, wie in Deutschland systematisch Menschen aufgrund ihres angeblich „lebensunwerten“ Lebens gegen ihren Willen getötet worden sind, dann aber tatsächlich Ausnahmen finden will, wann das Recht heutzutage Leben als „lebensunwert“ (sic!) einstufen und vom Lebensschutz ausnehmen dürfe, ohne dass das Selbstbestimmungsrecht dabei eine maßgebende Rolle spielen dürfe.71 Die Annahme, dass Ausnahmen vom Lebensschutz „nur“ bei Kranken und schwer Leidenden den Lebensschutz bewahren würden, aber die Achtung der Autonomie des Menschen als – wie hier vertreten wird – einzig mögliche Quelle der Rechtfertigung einer Tötung den Lebensschutz gefährde, ist in ihrer Paradoxie kaum zu überbieten. Leider ist Kutzer mit dieser Auffassung nicht allein, sondern ist hier stellvertretend für eine verbreitete Meinung genannt,72 die sich auch im oben dargestellten Entwurf Hoersters widerspiegelt.73 Der Lebensschutz muss demgegenüber ausnahmslos gelten. Eine rechtliche Einstufung von dem Tode geweihtem Leben als „lebensunwert“ tastet die in Art. 1 Abs. 1 GG garantierte Menschenwürde an.74

70

Hoerster, NJW 1986, S. 1790. Kutzer, ZPR 2003, S. 209 (211). 72 So meint Eschelbach, die konsentierte Fremdtötung Schwerkranker sei „immerhin nachvollziehbar“ und deshalb würde der „Aspekt des Risikos einer Fremdtötung aufgrund irrtümlicher Annahme des Todeswunsches [. . .] relativiert“; ders., in: BeckOK, § 216, Rn. 2. 73 Vgl. C.I.2.b)cc)(1). 74 „Auch die Einschätzung, diejenigen [. . .] seien ohnehin dem Tode geweiht, vermag der [. . .] Tötung [von] Menschen [. . .] nicht den Charakter eines Verstoßes gegen den Würdeanspruch dieser Menschen zu nehmen. Menschliches Leben und menschliche Würde genießen ohne Rücksicht auf die Dauer der physischen Existenz des einzelnen Menschen gleichen verfassungsrechtlichen Schutz. Wer dies leugnet oder in Frage stellt, verwehrt denjenigen [. . .] die Achtung, die ihnen um ihrer menschlichen Würde willen gebührt“; BVerfG, NJW 2006, S. 751 (759) – Luftsicherheitsgesetz. 71

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F. Konsequenzen für das geltende Recht

Die Beschränkung der rechtfertigenden Kraft der Einwilligung auf tödlich Erkrankte geht jedoch mit einer Abwertung kranken Lebens einher. Entscheidend kann und darf daher ausschließlich der Wille des Menschen sein, nichts anderes. Die Angst vor dem Fluch der Freiheit, die Autonomie des Menschen auch mit ihren gesellschaftlich schwer zu ertragenden Folgen anzuerkennen, darf nicht zu einer Aushöhlung der Menschenwürde führen, nur weil es der Gesellschaft aufgrund der Nachvollziehbarkeit einer Entscheidung für den Tod in solchen Fällen leichter fällt, eine konsentierte Fremdtötung nur an tödlich Erkrankten und schwer Leidenden zuzulassen. Das gesellschaftliche Problem liegt nicht in der rechtlichen Möglichkeit einer konsentierten Fremdtötung, sondern in der Frage, warum ein Mensch in dieser Gesellschaft nicht mehr leben will und wie man ihm helfen kann, seinen Lebensmut wiederzufinden. Verbote lösen Probleme insofern nicht, sondern sie vermeiden die Konfrontation mit unbequemen autonomen Entscheidungen der Gesellschaftsmitglieder. Dem gern gegen eine Erlaubnis der konsentierten Fremdtötung vorgebrachten Zitat Johannes Raus, „wo das Weiterleben nur eine von zwei legalen Optionen ist, wird jeder rechenschaftspflichtig, der anderen die Last seines Weiterlebens aufbürdet“, ist entgegenzuhalten: Ist das Problem wirklich die strafrechtliche Möglichkeit des selbstbestimmten Sterbens,75 oder ist das Problem nicht vielmehr ein Gesellschaftsklima, in dem der Einzelne lieber stirbt, als anderen zur Last zu fallen?76

II. Rechtfertigung des beratenen Schwangerschaftsabbruchs Hinsichtlich des beratenen Schwangerschaftsabbruchs wird die Ausgestaltung als Rechtfertigungsgrund befürwortet. Dies hätte zur Folge, dass das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ ausdrücklich mit der Rechtsfolge der Rechtfertigung verknüpft würde. Es empföhle sich, gleichwohl am Verlangen festzuhalten, da hohe Voraussetzungen zur Erreichung des Normzwecks beitragen.77

75

Paradigmatisch unzutreffend Kutzer, ZRP 2003, S. 209 (212). Die fehlende Auseinandersetzung mit diesem Problem beruht auch darauf, dass Tod und Sterben an sich tabuisiert sind. Das belegen nicht nur Klagen gegen Hospize, sondern auch die in der Ärzteschaft vorherrschende Einstellung, das (gar freiwillige) Sterben habe in der Medizin nichts verloren. Andererseits sterben 45 % der Menschen in der Klinik, weil der Tod auch zuhause unerwünscht ist. Vgl. Interview mit de Ridder, Sterben gehört nicht ins Krankenhaus, F.A.Z. vom 10. November 2012, und Fromm, Hospiz unerwünscht – Bitte sterben Sie woanders, taz vom 12. Dezember 2013 und das klageabweisende Urteil des VG Hamburg, Urt. v. 12.12.2013 – 9 K 2327/13 = BeckRS 2014, 45796. 77 Siehe E.II.4. 76

II. Rechtfertigung des beratenen Schwangerschaftsabbruchs

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Es wird vorgeschlagen, § 218a Abs. 1 StGB wie folgt zu ändern:78 § 218a. Rechtmäßigkeit des Schwangerschaftsabbruchs (1) Ein Schwangerschaftsabbruch nach § 218 ist nicht rechtswidrig, wenn die Schwangere den Schwangerschaftsabbruch verlangt und dem Arzt durch eine Bescheinigung nach § 219 Abs. 2 Satz 2 nachgewiesen hat, dass sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen, der Schwangerschaftsabbruch von einem Arzt vorgenommen wird und seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind.

Einer derartigen Neuregelung steht das zweite Schwangerschaftsabbruchsurteil des BVerfG nicht entgegen. Der 15. Leitsatz lautet zwar: „Schwangerschaftsabbrüche, die ohne Feststellung einer Indikation nach der Beratungsregelung vorgenommen werden, dürfen nicht für gerechtfertigt (nicht rechtswidrig) erklärt werden“.79 Das BVerfG hat zudem im Normenkontrollverfahren gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG, § 13 Nr. 6 BVerfGG die Vorschrift des § 218a Abs. 1 StGB in der Fassung des SFHG vom 27. Juli 1992 für mit Art. 1 Abs. 1 i.V. m. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG für unvereinbar erklärt, als die Vorschrift den unter den dort genannten Voraussetzungen vorgenommenen Schwangerschaftsabbruch für nicht rechtswidrig erklärt und in Nr. 1 auf eine Beratung Bezug nimmt, die ihrerseits den verfassungsrechtlichen Anforderungen aus Art. 1 Abs. 1 i.V. m. Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nicht genügt.80 Das BVerfG hat die Norm weiterhin für insgesamt nichtig erklärt.81 Eine Neuregelung, die den beratenen Schwangerschaftsabbruch rechtfertigt, könnte deshalb gegen das Normwiederholungsverbot verstoßen. Das Wiederholungsverbot gilt aber nicht für den formellen Gesetzgeber.82 Eine rechtskräftige Normverwerfung hindert ihn nicht daran, das beanstandete Gesetz erneut zu erlassen.83 Dies erklärt sich damit, dass der Gesetzgeber gemäß Art. 20 Abs. 3 GG nur an die Verfassung gebunden ist, nicht an die Rechtskraft nach § 31 Abs. 1 BVerfGG und auch nicht an die Gesetzeskraft nach § 31 Abs. 2 BVerfGG.84 Der Gesetzgeber fungiert ja gerade selbst als Urheber der einfach-

78 Weiterhin empfiehlt sich die systematische Neuzuordnung etwa unter einen Abschnitt mit der Überschrift „Straftaten gegen das ungeborene Leben“. Zu diesem Vorschlag Hillenkamps vgl. ders., in: Weilert: Spätabbruch oder Spätabtreibung, S. 29 (37) mit Fußnote 30. Dadurch würde klargestellt, dass es hier nicht um die Tötung eines Menschen geht. 79 BVerfGE 88, 203 (15. Ls.) – Schwangerschaftsabbruch II. 80 BVerfGE 88, 203 – Schwangerschaftsabbruch II. 81 BVerfGE 88, 203 – Schwangerschaftsabbruch II. 82 Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 31, Rn. 71. 83 Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 31, Rn. 71. 84 Bethge, a. a. O.

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F. Konsequenzen für das geltende Recht

gesetzlichen Ordnung und kann deshalb nicht zugleich an sie gebunden sein, weshalb auch § 95 Abs. 1 S. 2 BVerfGG zu keiner anderen Bewertung führt.85 Somit darf der Gesetzgeber selbst nach einer normverwerfenden verfassungsgerichtlichen Entscheidung eine inhaltsgleiche oder -ähnliche Neuregelung treffen.86 Freilich besteht dann das Risiko einer erneuten Kontrolle und Kassation durch das BVerfG.87 Indem es in seinem zweiten Urteil zum Schwangerschaftsabbruch die Ausgestaltung des § 218a Abs. 1 StGB als Rechtfertigungsgrund im SFHG von 27. Juli 1992 als verfassungswidrig kassierte, hat es die Grundrechtspositionen der Schwangeren aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 i.V. m. Art. 1 Abs. 1 GG nach der hier vertretenen Auffassung falsch gewichtet und ist damit unzutreffend zum Schluss der Verfassungswidrigkeit der Regelung gekommen. Vorliegend wird eine Neuregelung des § 218a Abs. 1 StGB als Rechtfertigungsgrund daher für möglich erachtet.88 De lege lata kann die Norm – abweichend von den Prämissen des BVerfG – verfassungskonform ausgelegt werden, indem der Schwangerschaftsabbruch nach Konfliktberatung nicht als kriminelles Unrecht klassifiziert wird.

III. Verhältnis zu § 228 StGB Unverständlich ist, warum § 228 StGB nicht als Privilegierungstatbestand ausgestaltet ist. Denn wie im Fall von § 216 StGB handelt es sich dabei um eine objektive Einwilligungsschranke, so dass sich beide Tatbestände in ihrer Struktur ähnlich sind.89 Zwar ist das betroffene Rechtsgut „Körper“ – anders als nach allgemeiner Meinung das Leben – grundsätzlich disponibel, jedoch wird die Disposition ebenfalls durch eine objektive Einwilligungsschranke begrenzt: die Sittenwidrigkeit der Tat. Die Sittenwidrigkeit wird heute praktisch aus § 216 StGB abgeleitet. Inzwischen wird ein Verstoß gegen die guten Sitten nämlich überwiegend und

85

Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 31, Rn. 196. Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 31, Rn. 195. 87 Bethge, in: Maunz/Schmidt-Bleibtreu/Klein/Bethge, BVerfGG, § 31, Rn. 196 m.w. N. 88 Wie hier, aber mit anderer Begründung Merkel, Forschungsobjekt Embryo, S. 65, Fn. 78, S. 75. 89 Ähnlich zur Diskussion über § 216 StGB gibt es auch im Rahmen von § 228 StGB Vorstöße, das Selbstbestimmungsrecht einer (verfassungsrechtlich unzulässigen) Inhaltskontrolle auf den Vernunftgehalt hin zu unterziehen und dem Individuum nur dann die Disposition zuzugestehen, wenn diese Kontrolle positiv ausfällt; so etwa Frisch, FS-Hirsch, S. 498; Jakobs, FS-Schroeder, S. 507, 519; Köhler, AT, S. 255: „Mindestmaß inhaltlicher Vernünftigkeit“. 86

IV. Embryonenschutzgesetz

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jedenfalls regelmäßig dann angenommen, wenn das Opfer in eine konkrete Todesgefahr gebracht wird.90 Dies folge aus § 216 StGB und der Unverfügbarkeit des Rechtsguts „Leben“.91 Dann müsste a maiore § 216 StGB ad minus § 228 StGB die immerhin ausgesprochene Einwilligung im Sinne einer gesetzlichen Privilegierung Berücksichtigung finden. Zur Verdeutlichung der fehlenden unrechtskompensierenden Kraft der Einwilligung im Falle der Sittenwidrigkeit böte sich zudem die Normierung des Tatbestandsmerkmals „Verlangen“ an. Insofern könnte das Eingreifen der Privilegierung an höhere Voraussetzungen geknüpft werden. Dieser Vorschlag ist auf andere Fälle, bei denen sich die Sittenwidrigkeit nicht aus einer Lebensgefährdung ergeben soll, grundsätzlich übertragbar. Solche Fälle dürften aber, nachdem die Rechtsprechung inzwischen nur noch auf die konkrete oder abstrakte Lebensgefährlichkeit der Körperverletzungshandlung abstellt,92 kaum noch praktische Relevanz besitzen. Denn auch soweit die Rechtsprechung neben der Wertung des § 216 StGB jene von § 231 StGB zur Begründung der Sittenwidrigkeit heranzieht,93 geht es letztlich um eine abstrakte Lebensgefahr, die sich aus konkreten schweren Gesundheitsschädigungen immer ergibt (und die auch der Eskalationsgefahr innewohnt). Unabhängig von dieser Lösung auf der Basis des geltenden Rechts ist die Legitimation von § 228 StGB allerdings erheblichen Zweifeln ausgesetzt.94 Aus diesem Grunde wird es vorliegend für unschädlich erachtet, dass der hier vorgeschlagene Weg die Präventionswirkung von § 228 StGB schmälern mag.

IV. Embryonenschutzgesetz Weiterhin soll untersucht werden, warum das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“, das in Art. 1 PräimpG des Gesetzesentwurfs der Abgeordneten Parr, Flach, Funke et al. im Rechtfertigungsgrund des § 3a Abs. 1 S. 2 EschG95 auftauchte, nicht in den heutigen § 3a ESchG übernommen wurde.

90 BGH, NJW 2013, S. 1379 (1380); BGH, NJW 2004, S. 1054 (1054, 3. Ls.); vgl. zudem Kühl, in: Lackner/Kühl, § 228, Rn. 10 m.w. N. 91 BGH, NJW 2009, S. 1155 (1157) m.w. N. 92 BGH, Urt. v. 22. Januar 2015 – 3 StR 233/1 = NJW 2015, S. 1540 (1543 ff.).; BGH, Beschl. v. 20. 2. 2013 – 1 StR 585/12 (LG Stuttgart) = NJW 2013, S. 1379 (1380 f.) m.w. N.; OLG München, Urt. v. 26. September 2013 – 4 StRR 150/13 (LG München) = NStZ 2014, S. 706 (708 f.). 93 BGH, Urt. v. 22. Januar 2015 – 3 StR 233/1 = NJW 2015, S. 1540 (1543). 94 Eine Analyse kann in der vorliegenden Arbeit nicht Platz greifen. Vgl. dazu Stree/ Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, § 228, Rn. 2–15 m.w. N. 95 BT-Drucks. 15/1234, S. 3.

352

F. Konsequenzen für das geltende Recht

Absatz 1 des Entwurfs von § 3a EschG lautete: „§ 3a Präimplantationsdiagnostik (1) Besteht für einen Embryo auf Grund der genetischen Disposition der Eltern oder eines Elternteiles eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine schwerwiegende Erbkrankheit, so handelt der Arzt nicht rechtswidrig, der nach dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft eine künstliche Befruchtung vornimmt, um den Embryo vor der Implantation auf die Gefahr dieser Krankheit zu untersuchen. Nicht rechtswidrig handelt auch der Arzt, der auf Grund dieses diagnostischen Ergebnisses den Embryo auf Verlangen der Frau nicht auf diese überträgt.“

Der Entwurf regelte das Schicksal der Embryonen, die nach positivem Befund der Pränataldiagnostik (PID) auf Wunsch der Frau nicht auf sie übertragen werden sollten. Da die Nichtübertragung des Embryos – euphemistisch wird vom „Verwerfen“ gesprochen – die Existenz des objektiv grundrechtlich geschützten werdenden Lebens vernichtet, liegt darin eine Disposition der Frau nicht nur über ihre eigenen Rechte, sondern auch über die fremden Rechte des Embryos. Denn auch der noch nicht implantierte und nidierte Embryo genießt als werdendes Leben nach der hier vertretenen Auffassung objektiven Grundrechtsschutz aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2, S. 1, 1. Var. GG. Es wird insoweit auf die oben zum nasciturus geleistete Argumentation verwiesen, da eine Auseinandersetzung mit der lebhaft umstrittenen Rechtsstellung des Embryos in vitro in der vorliegenden Arbeit außer Betracht bleiben muss.96 Aus diesem Grunde war die Normierung des Tatbestandsmerkmals „Verlangen“ im obigen Entwurf zutreffend. Diese Regelungstechnik entspricht der in der vorliegenden Arbeit ermittelten Praxis, das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ mit indisponiblen Rechtsgütern zu kombinieren, um so die fehlende unrechtsausschließende Wirkung im Gegensatz zur Einwilligung zu verdeutlichen. Nach dem Sinn und Zweck der Norm, den Embryonenschutz nach einer PID zu verbessern, bot sich der Rekurs auf das Verlangen auch wegen seiner höheren Voraussetzungen an. Damit wäre die Gefahr verringert worden, dass sich die Frau übereilt oder auf Drängen Dritter mit der Verwerfung nur einverstanden erklärt. Wie auch beim Schwangerschaftsabbruch geht es bei der PID um eine dreipolige Konstellation. Allerdings hätte die Frau das Verlangen äußern müssen, um allein den Arzt zu rechtfertigen, der auf ihren Wunsch die Embryonen verwirft. In der heutigen Fassung fehlt die Regelung der Nichtübertragung des Embryos nach positivem Befund der PID jedoch in Gänze. Die Verwerfung überschüssiger Embryonen durch Wegschütten mit nachfolgendem Todeseintritt unterfällt nach Auffassung des Kammergerichts § 2 Ab96

Zum Streitstand Kubiciel, NStZ 2013, S. 382 (384) m.w. N.

V. Weitere strafrechtliche Nebengesetze

353

satz 1 ESchG, weil darin die Verwendung der Embryonen zu einem Zweck, der nicht ihrer Erhaltung dient, zu erblicken sei.97 Der Vorinstanz ist aber zuzugeben, dass das Scheuen des Gesetzgebers, die Verwerfung ausdrücklich zu regeln, im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG problematisch ist. Dass die Verwerfung nach erfolgter PID von der Entscheidung der Frau abhängt, ergibt sich de lege lata nur aus der Gesamtschau der Normen. Das Selbstbestimmungsrecht der Patientin berechtigt sie nämlich dazu, auch (einzelne) Embryonen zu verweigern, nachdem sie erzeugt worden sind (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 ESchG).98 Würde man das „Verwerfungsrecht“ ausdrücklich normieren, so wäre nach dem oben Gesagten vom Verlangen der Frau zu sprechen.

V. Weitere strafrechtliche Nebengesetze Zu den hart-paternalistischen und damit § 216 StGB in ihrer Struktur ähnlichen strafrechtlichen Normen zählen § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2 TPG, §§ 40, 41 AMG sowie § 2 KastrG, die gleichermaßen objektive Einwilligungsschranken enthalten. Das veranlasst dazu, über die Gründe der fehlenden Verortung des Tatbestandsmerkmals „Verlangen“ in diesen Tatbeständen nachzudenken. § 8 Abs. 1 S. 1 TPG knüpft die Zulässigkeit der Entnahme von Organen oder Geweben zum Zwecke der Übertragung auf andere bei einer lebenden Person an bestimmte Kautelen wie z. B. die Volljährigkeit des Spenders und das Fehlen einer übermäßigen Gefährdung bzw. Beeinträchtigung. § 8 Abs. 1 S. 2 TPG knüpft die Lebendspende nicht regenerierbarer Organe an eine besondere persönliche Verbundenheit zwischen Spender und Empfänger. § 2 Abs. 1 KastrG ermöglicht die Einwilligung in eine Kastration nur unter bestimmten Voraussetzungen wie dem Vorliegen eines abnormen Geschlechtstriebs. Die Einwilligung in eine klinische Prüfung ist nach den §§ 40, 41 AMG nur unter bestimmten Voraussetzungen wie der Verbesserung des Krankheitsbildes beim Patienten zulässig. § 8 Abs. 1 S. 1 TPG und § 2 KastrG sowie die erforderliche Nähebeziehung in § 8 Abs. 1 S. 2 TPG beschränken die Dispositionsfreiheit allerdings nur partiell und lassen die Verfügbarkeit des Rechts auf körperliche Unversehrtheit im Grundsatz unberührt. Dies gilt ebenso für die besonderen Anforderungen in §§ 40, 41 AMG. Sind die Voraussetzungen erfüllt, tritt die unrechtskompensierende Wirkung der Einwilligung ein. Es handelt sich somit zwar um objektive Einwilligungsschranken, die aber durch Erfüllung der Voraussetzungen überwindbar sind.99 Die Unrechtskompensation erfolgt durch die Kombination der 97 98 99

KG, Beschl. v. 9. Oktober 2008 – 3 Ws 139/08 = NStZ 2009, 293 (294). Beitz, in: MAH Medizinrecht, ESchG, § 13, Rn. 138. Vgl. Tag, in: MüKo, TPG, § 8, Rn. 30 ff.

354

F. Konsequenzen für das geltende Recht

Einwilligung mit einem gewichtigen Interesse100 und bestimmten Verfahrensregelungen. Zur Differenzierung von der unrechtskompensierenden Einwilligung ist das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ in diesen Tatbeständen daher nicht geboten. Auch zur Postulierung erhöhter Anforderungen ist das Verlangen obsolet, da die Willensmängelfreiheit bereits durch die in den objektiven Einwilligungsschranken enthaltenen Verfahrensregelungen und besonderen Anforderungen sichergestellt wird. Aufgrund ihrer zum Teil hart-paternalistischen Normzwecke sind die Vorschriften allerdings zu Recht der Kritik ausgesetzt.101

100 101

Dölling, FS-Gössel, S. 209 ff. Etwa von Tag, in: MüKo, TPG, § 8, Rn. 30 ff.

G. Gesamtergebnis und Schlusswort Der Rumpf der vorliegenden Arbeit, zugleich der Ausgangspunkt und Werkzeugkoffer der Argumentation, war die Frage, was kriminelles Unrecht ist. Kriminelles Unrecht wurde definiert als die horizontale Verletzung von subjektiven Rechten oder objektiven Rechtspositionen durch den Bürger, die eine solche Qualität aufweist, dass die vertikale Regulierung durch den Strafgesetzgeber zwingend erforderlich ist, weil anderenfalls grundgesetzliche Schutzpflichten verletzt würden. Diese Auffassung versteht das Strafgesetz als ultima ratio, so dass die Kriminalisierung nur erfolgen darf, wenn der Opferschutz oder objektive Grundgesetzgehalte dazu zwingen. Anhanddessen wurde geprüft, ob grundgesetzliche Schutzpflichten die Strafbarkeit der Tötung auf Verlangen legitimieren. Die ausnahmslose Versagung der Rechtfertigung wurde abgelehnt, weil das Lebensrecht nach hiesiger Auffassung als subjektives Recht verfügbar ist. Es wurde weiterhin festgestellt, dass grundgesetzliche Schutzpflichten die Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs zwingend erfordern. Die Einwilligung der Schwangeren in die Tötung des nasciturus ist ausgeschlossen, weil dessen Leben und Würde zwar nicht subjektiv durch die Grundrechte, aber objektivrechtlich geschützt werden. Demgegenüber ist die konstitutiv auf die Beratung gestützte prozedurale Rechtfertigung als verhältnismäßiger Grundrechtsausgleich zu befürworten. De lege lata geht die allgemeine Meinung indessen davon aus, dass das Rechtsgut „Leben“ in § 216 StGB unverfügbar und auch der „beratene“ Schwangerschaftsabbruch keiner Rechtfertigung zugänglich sei. Sodann wurde festgestellt, dass dem Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ im Besonderen Teil des StGB demnach die Funktion zukommt, eine unwirksame Verfügung über ein Recht zu kennzeichnen. Das Verlangen ersetzt damit den rechtstechnischen Begriff der Einwilligung. Im Unterschied zur Einwilligung tritt infolge des Verlangens keine Unrechtskompensation ein. Hinsichtlich der Tötung auf Verlangen vermag das Verlangen jedoch das Unrecht der Tat zu mindern. Das lässt sich entgegen der allgemeinen Meinung aber nicht ohne erhebliche Friktionen mit der These von der Indisponibilität des Rechtsguts „Leben“ erklären. Es wurde aufgezeigt, dass jedoch bereits diese Prämisse unzutreffend ist. De lege lata lässt sich die Unrechtsminderung durch § 216 StGB widerspruchsfrei lediglich als staatlicherseits generös gewährte Teilausnahme von der hart-paternalistischen Einwilligungssperre erklären.

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G. Gesamtergebnis und Schlusswort

Nach der hier vertretenen Auffassung ist das subjektive Lebensrecht hingegen disponibel. Folgerichtig ist der absolute Ausschluss der Rechtfertigung einer konsentierten Fremdtötung verfassungsrechtlich nicht haltbar. Deshalb wurde die prozedurale Rechtfertigung als möglicher Ausweg aufgezeigt, der zudem die Zulässigkeit der Sterbehilfe dogmatisch sauber erklären kann. Die Funktion des Tatbestandsmerkmals „Verlangen“ als Indikator der Indisponibilität würde dann freilich entfallen. Zutreffend ist hingegen, dass das Verlangen in § 218a Abs. 1 Nr. 1 StGB keine unrechtskompensierende Wirkung auf den beratenen Schwangerschaftsabbruch hat. In Kombination mit dem Beratungsverfahren wird indes die prozedurale Rechtfertigung befürwortet, weil die derzeitige Regelung nicht nur widersprüchlich ist, sondern auf einem unverhältnismäßigen Grundrechtsausgleich beruht. Das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ behielte auch bei der Ausgestaltung des § 218a Abs. 1 StGB als Rechtfertigungsgrund seine Funktion, die Unverfügbarkeit der Rechte des nasciturus zu kennzeichnen. Hinsichtlich der Anforderungen an das Verlangen ist festzuhalten, dass zutreffend höhere Voraussetzungen gegenüber der Einwilligung angenommen werden. Hohe Anforderungen tragen zur Erreichung des Lebensschutzes bei, der als Normzweck sowohl der Tötung auf Verlangen als auch dem beratenen Schwangerschaftsabbruch zugrunde liegt. In § 216 StGB wird der Verlangende selbst vor einer vorschnellen oder extrinsisch motivierten Entscheidung geschützt. Davon abweichend soll das Verlangen in § 218a Abs. 1 StGB die Schwangere davor bewahren, eine übereilte oder aufoktroyierte Entscheidung zulasten des nasciturus zu treffen. Beiden Normzwecken wird das Verlangen am ehesten gerecht, wenn man es als initiatives Einfordern auslegt. Durch diese Definition, die auf eine bestimmte äußere Form abstellt, wird zugleich vermieden, dass das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ als unzulässige Inhaltskontrolle des Willens instrumentalisiert wird. Die Definition des Verlangens als initiatives Einfordern beansprucht zudem für das gesamte Strafrecht Gültigkeit. Darüber hinaus entspricht sie sogar dem allgemeinen juristischen Sprachgebrauch. Abschließend wurden die Konsequenzen der gefundenen Ergebnisse dargestellt. Hinsichtlich der Sterbehilfe drängte sich die Frage auf, wie sich die Rechtfertigung qua Einwilligung mit der Prämisse von der Unverfügbarkeit des Lebens verträgt. Es wurde festgestellt, dass die derzeitige Rechtslage auf verschiedenen logischen Brüchen beruht und die prozedurale Rechtfertigung eine dogmatisch saubere Lösung wäre. Zudem wurde aufgezeigt, dass für die Rechtfertigung der Sterbehilfe nicht auf das Verlangen abgestellt wird. Auch wenn es der Differenzierung vom rechtstechnischen Begriff der Einwilligung wegen der gleichen Rechtsfolge nicht be-

G. Gesamtergebnis und Schlusswort

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darf, wird der Rekurs auf das Verlangen wegen seiner höheren Voraussetzungen aus teleologischen Erwägungen befürwortet. Aus diesem Grunde sollte am Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ auch bei der Ausgestaltung von § 218a Abs. 1 StGB als Rechtfertigungsgrund festgehalten werden. Schließlich wurde darauf hingewiesen, dass § 228 StGB eine Privilegierung vorsehen müsste. In diesem Zusammenhang könnte ebenfalls auf das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ zurückgegriffen werden. Weiterhin wurde festgestellt, dass bei der – gebotenen – Regelung des Schicksals verworfener Embryonen ebenfalls auf das Verlangen zu rekurrieren wäre. In § 8 TPG, § 2 KastrG und §§ 40, 41 AMG fehlt das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ dagegen zu Recht. Aus der Gesamtschau der vorliegenden Arbeit ergibt sich, dass dem Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ im Besonderen Teil des StGB und in den Straftatbeständen strafrechtlicher Nebengesetze besondere Aufmerksamkeit gebührt. Während das Verlangen nämlich im Allgemeinen Teil des StGB und etwa in der StPO oder anderen Rechtsgebieten als initiatives Einfordern der Rechtsdurchsetzung des Bürgers dient, ist es im Zusammenhang mit der Kriminalisierung bestimmter Verhaltensweisen regelmäßig Ausdruck für den ungeklärten Unrechtsgehalt einer Norm. Insoweit soll das initiative Einfordern höchstens zur Unrechtsminderung führen. De lege lata ist das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ im Besonderen Teil somit Indikator der Unverfügbarkeit eines Rechts. Wann immer das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ auftaucht, ist deshalb Vorsicht geboten. Das hier vorgestellte Unrechtskonzept gibt das Werkzeug an die Hand, die fraglichen Normen auf ihren tatsächlichen kriminellen Unrechtsgehalt hin zu überprüfen. Vor diesem Hintergrund wurde § 216 StGB als hart-paternalistische Strafnorm – jedenfalls als absolute Einwilligungssperre – als verfassungswidrig bewertet. Auch § 218a Abs. 1 StGB beruht auf einem unverhältnismäßigen Grundrechtsausgleich. Desweiteren wurde aufgezeigt, dass das Tatbestandsmerkmal „Verlangen“ selbst oftmals zum Einfallstor paternalistischer Erwägungen wird, indem objektive Kriterien hineingelesen werden. Voraussetzungen wie Vernunft und Nachvollziehbarkeit müssen im Rahmen der grundgesetzlich motivindifferent gewährten Selbstbestimmung jedoch außen vor bleiben. Festzuhalten bleibt, dass die Funktion der Strafgesetze nicht instrumentalisiert werden darf, um unerwünschten gesellschaftlichen Entwicklungen vorzubeugen. Mit der Rückbesinnung auf die wahrhafte Aufgabe des Strafrechts, ausschließlich solche horizontalen Rechtsverletzungen im vertikalen Staat-Bürger-Verhältnis als Unrecht zu kriminalisieren, welche am Maßstab grundgesetzlicher Schutzpflichten strafwürdig sind, soll der zunehmenden Einschränkung des grundgesetzlich

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G. Gesamtergebnis und Schlusswort

garantierten Selbstbestimmungsrechts unter Verkehrung der Grundrechte in Grundpflichten sowie der paternalistisch-ideologischen Verbrämung des Strafrechts, die insbesondere im Bereich medizinstrafrechtlicher Fragen in den Grenzbereichen von Leben und Tod ihr Einfallstor findet, Einhalt geboten werden. Individuelle Freiheit heißt auch, individuell verantwortlich zu sein. Nur dort, wo es an individueller Verantwortlichkeit fehlt, darf Strafrecht weich-paternalistisch sein. Die Autonomie des Menschen ist deshalb auch dort zu gewährleisten, wo sie zu gesellschaftlich unerwünschten Folgen führt, solange Rechte Dritter nicht überwiegen. Betont werden soll abschließend, dass nicht die Streichung oder Nichtexistenz einer Strafnorm der Legitimation bedarf, sondern ihr Dasein und ihr Fortbestand. Das Aufdecken einer „Lücke“ ist kein ausreichender Grund, sie zu schließen.1 In dubio pro autonomia.

1

Hillenkamp, FS-Kirchhof, S. 1349 (1358).

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Stichwortregister Anstiftung 116, 130, 156, 157, 159, 208 Autonomie 104, 107, 109, 183, 185, 187, 192, 198, 216, 220, 274, 293, 294, 318, 347, 348, 358 Begehren 108, 117, 119, 171, 277, 278, 279, 280, 281, 282, 283, 284, 285, 286, 289, 307, 308, 309, 317, 319, 331, 332 Beratung 161, 170, 171, 230, 234, 237, 238, 266, 269, 270, 274, 324, 325, 326, 330, 333, 334, 345, 346, 349, 355 Bestimmt-worden-sein 123, 129, 155, 156, 157, 158, 159, 214, 215 Dammbruch 177, 185 Disposition 34, 112, 117, 195, 210, 213, 228, 266, 294, 320, 329, 350, 352 Einfordern 126, 279, 281, 282, 283, 284, 285, 286, 299, 300, 305, 307, 311, 312, 317, 318, 319, 331, 332, 335, 345, 356, 357 Einwilligungssperre 115, 174, 190, 208, 216, 217, 219, 279, 305, 342, 355, 357 Freiheit 31, 33, 34, 43, 44, 46, 49, 64, 70, 74, 77, 78, 107, 109, 110, 132, 140, 143, 163, 186, 190, 198, 294, 348, 358 Gewaltmonopol 46, 47, 51, 52 Gisela 136, 141, 142, 307, 308, 311 Hackethal 22, 123, 184, 186, 188 Indisponibilität 22, 112, 114, 128, 152, 174, 175, 176, 179, 180, 183, 188, 190, 193, 200, 204, 208, 209, 211, 219, 287, 296, 300, 301, 303, 304, 313, 314, 324, 328, 334, 335, 337, 342, 355, 356

Initiative 118, 122, 126, 130, 155, 156, 158, 159, 160, 281, 282, 283, 286, 300, 305, 307, 311, 316, 317, 320, 331, 332 Intimsphäre 250, 251, 258, 264 Inzest 66 Kannibale 75, 118, 123, 129, 156, 158, 204 Kastration 111, 353 Kollision 216, 265, 266, 318 Legitimation 29, 32, 39, 42, 43, 53, 55, 58, 59, 62, 63, 75, 76, 88, 97, 102, 107, 175, 182, 184, 200, 206, 266, 279, 297, 337, 343, 351, 358 Letztverantwortung 166 Menschenwürde 22, 39, 178, 187, 192, 193, 200, 202, 216, 217, 218, 220, 222, 223, 224, 225, 228, 230, 232, 233, 247, 248, 249, 250, 254, 255, 258, 262, 263, 264, 265, 318, 343, 347, 348, 367 Nidation 18, 25, 222, 223, 260 Paternalismus 76, 77, 110, 183, 185, 187, 198, 211, 219 Persönlichkeitsrecht 38, 112, 250, 251, 258, 263, 265, 266, 273 Präimplantationsdiagnostik 352 Privilegierung 115, 125, 153, 157, 175, 180, 203, 204, 207, 208, 210, 213, 214, 292, 295, 305, 315, 343, 351, 357 Rechtsfolge 95, 97, 101, 117, 126, 236, 241, 246, 262, 297, 301, 302, 303, 304, 305, 317, 318, 320, 324, 326, 328, 343, 348, 356

Stichwortregister Rechtsgutstheorie 27, 28, 76 Rechtsverletzung 27, 28, 32, 36, 42, 48, 52, 54, 55, 61, 62, 64, 65, 69, 74, 78, 83, 85, 87, 93, 98, 99, 102, 103, 106, 107, 108, 181, 184, 185, 188, 190, 193, 194, 199, 202, 215, 217, 218, 259, 260, 262, 297, 300, 360 Schuldminderung 157, 174, 203, 207, 213, 214, 215 Schutzpflichten 38, 39, 40, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 54, 55, 56, 57, 58, 60, 63, 64, 74, 79, 86, 87, 88, 183, 184, 185, 188, 190, 194, 202, 218, 224, 230, 231, 232, 246, 260, 262, 263, 266, 269, 270, 271, 305, 317, 329, 336, 343, 344, 355, 357 Sittenwidrigkeit 243, 350, 351

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Staatsvertrag 33, 65 Sterbehilfe 19, 22, 23, 24, 25, 114, 115, 125, 126, 139, 142, 147, 148, 153, 178, 185, 189, 196, 198, 201, 205, 206, 211, 212, 219, 220, 292, 295, 299, 313, 314, 315, 336, 337, 338, 339, 341, 343, 344, 345, 346, 347, 356, 359 Strafwürdigkeit 50, 60, 66, 97, 239, 244, 245 Tötungstabu 183, 184, 185, 296, 303 ultima ratio 42, 45, 48, 49, 60, 66, 87, 190, 355 volenti non fit iniuria 188, 288, 289, 290, 291, 292, 298