Das Schlichtungsverfahren vor dem Schiedsmann: Eine empirische Untersuchung zur Praxis strafrechtlicher Schlichtung in Nordrhein-Westfalen [1 ed.] 9783428483013, 9783428083015

Das strafrechtliche Schlichtungsverfahren vor dem Schiedsmann weist bei näherer Betrachtungsweise zahlreiche Parallelen

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Das Schlichtungsverfahren vor dem Schiedsmann: Eine empirische Untersuchung zur Praxis strafrechtlicher Schlichtung in Nordrhein-Westfalen [1 ed.]
 9783428483013, 9783428083015

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THOMAS W. GUTKNECHT

Das Schlichtungsverfahren vor dem Schiedsmann

Kölner Kriminalwissenschaftliche Schriften Herausgegeben von Hans Joachim Hirsch, Günter Kohlmann Michael Walter, Thomas Weigend Professoren an der Universität zu Köln

Band 17

Das Schlichtungsverfahren vor dem Schiedsmann Eine empirische Untersuchung zur Praxis strafrechtlicher Schlichtung in Nordrhein-Westfalen

Von Thomas W. Gutknecht

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Gutknecht, Thomas W.: Das Schlichtungsverfahren vor dem Schiedsmann : eine empirische Untersuchung zur Praxis strafrechtlicher Schlichtung in Nordrhein-Westfalen I von Thomas W. Gutknecht - Berlin : Duncker und Humblot, 1995 (Kölner kriminalwissenschaftliche Schriften ; Bd. 17) Zug!.: Köln, Univ., Diss., 1994 ISBN 3-428-08301-6 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten

© 1995 Duncker & Humb1ot GmbH, Berlin

Fremddatenübemahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Druckerei Gerike GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0936-2711 ISBN 3-428-08301-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 8

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde auf Anregung von Herrn Prof. Dr. Michael Walter, Direktor der Kriminologischen Forschungsstelle der Universität zu Köln, als Doktorarbeit erstellt. Ihm gilt mein besonderer Dank, auch für die ständige Betreuung und die zahlreichen fruchtbaren Gespräche. Danken möchte ich auch Herrn Prof. Dr. Thomas Weigend für die freundliche Übernahme und zügige Erstellung des Korreferates. Für die Unterstützung in Sachfragen möchte ich mich bedanken beim Bund Deutscher Schiedsmänner (BDS), Bochum, insbesondere Herrn Direktor des Amtsgerichts Euskirchen Väth, in seiner Eigenschaft als erster stellvertretender Bundesvorsitzender des BDS und dem Schiedsmann Herrn Willi Thelen aus Leverkusen. Herrn Dipl.-Soz. Robert Helmrich, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für angewandte Sozialforschung der Universität zu Köln, gilt mein Dank für die Beratung in statistischen Fragen. Meine Verbundenheit möchte ich sämtlichen an der Untersuchung beteiligten Schiedsleuten und den Personen, die durch das Ausfüllen der Fragebogen die Untersuchung erst ermöglicht haben, aussprechen. Meinen Freunden und Kollegen Dr. Gregor Feiter, Heiner Osterhues, Dr. Ralf Raube danke ich für die Diskussionsbereitschaft Thomas Gutknecht

Inhaltsverzeichnis Erster Teil: Rechtliche Grundlagen des Schiedsmannsinstituts und dessen Verortung im Umfeld strafrechtlicher Schlichtung A. Einleitung: Alternative Konfliktregelung - Einbeziehung des Schiedsmannsinstituts in die kriminalpolitische Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Historische Übersicht; Sühnebehörde in den neuen Bundesländern . . . . . . . . 21

I. Historische Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 II. Sühnebehörde in den neuen Bundesländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 C. Rechtliche Grundlagen des Schiedsmannsinstituts und quantitative Beteili-

gung am Kriminalitätsaufkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

I. Schiedsmannsinstitut und Privatklageverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 1. Einbindung in das Privatklageverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einzelheiten zum Privatklageverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kritik am Privatklageverfahren und deren Ausstrahlung auf das Schiedsmannsinstitut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Keine Privatklage gegen Jugendliche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25 26

II. Privatklage und Kriminalitätsaufkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kriminalitätsaufkommen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausgewählte Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bedeutung der Vermögensdelikte - Forderung nach Ausweitung der Schiedsmannstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Quantitative Entwicklung der Privatklagen- Verweisungspraxis . . .

33 33 33

III. Umfang der Schiedsmannstätigkeit; informeller Sühneversuch . . . . . . . . 1. Übersicht über die Entwicklung des Geschäftsgangs der Schiedsmänner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Erklärungsversuche für das geringe Fallaufkommen und den Rückgang der Geschäftstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der informelle Sühneversuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ursachen für den Rückgang der Eingangszahlen - Gedanke der Meidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29 32

34 35 38 38 41 41 44 48

D. Der Ablauf des Schlichtungsverfahrens in Strafsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 I. Das Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49

8

Inhaltsverzeichnis I. Die Einschaltung des Schiedsmanns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zugang zum Schiedsmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Prüfung der Zuständigkeit; Ablehnung der Amtsausübung . . . . . . 2. Sonstige Verfahrensmodalitäten; Ablauf des Verfahrens . . . . . . . . . . . a) Gebühren und Auslagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gesetzliche Regelung der Gebührenpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bewertung der Gebührenpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Terminwahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Schlichtungsverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ort und Zeit der Schlichtungsverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Nichtöffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Merkmale der Verhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (I) Rolle des Schiedsmanns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Hinzuziehung von Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Einmalige Intervention; zeitlicher Rahmen . . . . . . . . . . . . (4) Einbeziehung tieferer Ursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Formelle Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49 49 51 52 52 52 53 54 56 56 59 60 61 63 64 66 68

II. Die Beendigung des Schlichtungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Vergleich ..................... :. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vollstreckbare Urkunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Inhalt: Eine umfassende Regelung als Ideal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ende der strafrechtlichen Verfolgung der Tat . . . . . . . . . . . . . bb) Regelungsumfang; Befriedungswirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . ( 1) Regelungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Umfassende Regelung der Tatfolgen, einschließlich der zivilrechtliehen Ansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Trennung Zivilrecht/Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Befriedungswirkung; Einfluß auf den Täter . . . . . . . . . . . c) Zusammenfassung: Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der negative Verfahrensausgang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Sühnebescheinigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Weiteres Schicksal des Konflikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69 70 70 72 72 72 72 72 75 77 80 80 80 81

E. Konfliktbearbeitung unter Einschaltung eines Vermittlers . . . . . . . . . . . . . . . . 82 I. Phänomen der Einbeziehung eines Dritten zur Konfliktregelung; Laienbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Abgrenzung der Vermittlung/Schlichtung von anderen Modellen der Konfliktbewältigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Funktion des Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Allgemeine Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82 83 85 85 85

Inhaltsverzeichnis bb) Spannungsfeld zwischen Parteiautonomie und Auftrag des Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Machtkomponente des Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Kompensation von Machtdisparitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Persönliche Merkmale des Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Laienbeteiligung vs. Expertenturn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Rechtliche Konfliktregelung als Expertenangelegenheit . . . . bb) Gedanke der Laienbeteiligung an der Konfliktregelung . . . . . cc) Kritik an der Laienbeteiligung und der damit einhergehenden Dethematisierung des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . li. Anforderungen an die Person des Schiedsmanns aus der Sicht der Literatur . . .................. . ............. . ................. . .. . ...

9 88 88 90 93 94 94 97 99 101

Zweiter Teil: Empirische Untersuchungen Erstes Kapitel: Die Schiedsmänner

106

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I 06 B. Soziodemographische Zusammensetzung der Schiedsmänner- Erörterung . 107 C. Einzelfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . !II I. Auswahl der Schiedsmänner und Beweggründe für die Amtsübernahme ..... . .. .. ...... . . . ........ . .. ... . .... . ........ . .. . . ..... !II I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II!

2. Darstellung der Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 3. Interpretation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 II. Schiedsmänner und Fortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 III. Die Rechtslage als Maßstab der Einigungsbemühungen des Schiedsmanns? ........ .... .... . . .......... .. ................. .. .. . .... 118 I. Streben nach höherer juristischer Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 2. Kenntnis der Rechtslage ................................ ... ... . 121 IV. Eigenschaften: Selbsteinschätzung vs. Fremdeinschätzung ... . .. ..... 125 V. Ansichten der Schiedsmänner . ............ . . . ..... . .... .. . . .. . ... 129 I. Darstellung der Befunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 2. Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134

Zweites Kapitel: Die Parteien

142

A. Einleitung; Thesen .. . .. . . .. .. . . .. . ... . .... . . ... . . . .. . . ... . . . . .. .. . .. 142 I. Einleitung . .. . ... . .. . . . ... .. . . ......... .. .. . ... .. . . . . .. . .... . .. . 142

Inhaltsverzeichnis

10 II. Thesen

142 I. Der Zugang zum Schiedsmann ................................. 143 a) Gebührenpflicht . . .. . .... .. .. ..... ..... .. ...... . ...... . . ... 143 b) Erreichbarkeil ....................... . ..................... 143 c) Zeitliche Flexibilität . ............... . . ... ............ . ..... 143

2. Der Sühneversuch als bürokratisches Hemmnis für den Antragsteller ................. ... ............................ . .. . ...... 143 3. Auswirkungen verfahrensbedingter Zwangsmomente auf das Verhalten des Täters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 a) Ordnungsgeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 b) Drohendes Privatklageverfahren .......... . .......... . . . ..... 144 c) Vergleichserfüllung aufgrunddrohender Zwangsvollstreckung .. 144 4. Das Verfahren aus der Sicht der Parteien ........................ 144 a) Cooling out ....... . ................................ .. ..... 144 b) Wunsch nach Wiedergutmachung des Schadens .. . ...... .. .. .. 144 c) Bedürfnis nach einem schnellen und effektiven Verfahren .. .... 145 5. Rolle des Schiedsmanns . . ............................. .. . ... .. 145 a) Dominierender Einfluß des Schiedsmanns ................ .. .. 145 b) Druckmittel des Schiedsmanns .......... . .............. . .. . . 145 6. Herstellung der Einigungsbereitschaft während der Verhandlung . .. 145 7. Mehrmalige Intervention; tiefere Konfliktursachen . . . . . . . . . . . . . . . 146 a) Keine Bereitschaft der Parteien zu mehrmaligen Sitzungen .. .. . 146 b) Verhandlungsdauer .. . ................................ .. ... 146 c) Tiefere Konfliktursachen .............................. .. ... 146 8. Private Atmosphäre und Nichtöffentlichkeit als Vorteil für die Parteien . . . . . .. . . . ... . . .. . ... .. ... .... . .. .. . . . ... . .. ... ....... . . 146 9. Aufklärung des Tatgeschehens; Orientierung an der Rechtslage statt Regelung anhand eigener Gerechtigkeitsvorstellungen ......... ... 146 a) Vergangenheitsorientierte Betrachtung . ................... .. . 146 b) Der Einfluß von Zeugen auf das Verfahren ................. .. 147 c) Orientierung des Vergleichsinhalts an der Rechtslage ....... . .. 147 10. Regelungsspektrum des Vergleichs

147 a) Umfassende Regelung der Tatfolgen . .. ...................... 147

b) Regelung des zukünftigen Parteiverhaltens . . ........ . .. ... . ... 147 II. Reduktion der Beziehungen trotz formal erfolgreicher Verfahrensbeendigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 12. Die Vollstreckungsmöglichkeit aus der Sicht des Antragstellers

148

13. Fehlgeschlagener Sühneversuch 14. Auswahl des Schiedsmanns 15. Anwaltsbeteiligung

148 . .. . ........ . . . . ............. . .... 148

. .... .. ... . ... .. .. . . ... ..... .. . ..... .. . ... 148

Inhaltsverzeichnis B. Empirische Untersuchung

II 149

I. Anlage der Untersuchung ..................... . ............ . . . ... 149

Anonyme schriftliche Befragung . . .... . .. .. .. . .... . ..... . ...... Gestaltung der Fragebögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pretest des Erhebungsinstruments ....................... . .. . ... Mitwirkungserfordernis und Auswahl der Schiedsmänner ... ... . ... Ablauf der Untersuchung .................. . ........... . ... . . . .

149 150 150 151 153

II. Ergebnisse der empirischen Untersuchung ... . . . ............. . . .... I. Rücklauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ergebnisse ............ . .. . ..... . ....................... . . . ... a) Statusangaben der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Geschlecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Alter ........... . ............................. . . . .. ... cc) Familienstand .. . ....................... . . .. .. .. . .. . . .. dd) Ausbildung, Berufstätigkeit, ausgeübter Beruf . . . . . . . . . . . . . ee) Nettoeinkommen ........ . ...................... . .. . ... ff) Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Tat ........... . . .. . ............................. . . . ... aa) Deliktstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Deliktstyp und Einigungsquote ........ . ............ .. ... c) Beziehung zum Gegner ...... . ............. . ........ . .. ... . aa) Art der Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Weitere Entwicklung der Beziehung ................ . . ... d) Einzelfragen: Zugang zum Schiedsmann; Vorfeld der Verhandlung ....... . ..... .. ............................... . ... ... aa) Kenntnis von Zuständigkeit; Erreichbarkeit; Prorogation ... bb) Gebührenpflicht .. . . .. ... . ..... .. ........ . ........ .. . . . cc) Zeitliche Komponenten ; cooling out ....... . ........ . . ... (I) Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Erläuterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Akzeptanz des Schlichtungsverfahrens und Freiwilligkeit .. . . . . . aa) Akzeptanz durch die Antragsteller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (I) Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Erläuterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Disziplinierung des Antragsgegners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (I) Ordnungsgeld ............ . .................... . .. . (2) Zwangsmomente und Vergleichsabschluß ......... . ... f) Die Verhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verhalten des Schiedsmanns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (I) Verhandlungsführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Neutralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Argumente des Schiedsmanns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

154 154 156 156 156 157 158 159 161 162 162 162 163 164 164 165

I. 2. 3. 4. 5.

166 166 168 169 169 170 172 172 172 173 174 174 175 177 177 177 178 179

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Inhaltsverzeichnis bb) Initiative zum Einigungsvorschlag cc) Einigungsbereitschaft der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Behandlung des Streitgegenstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (I) Thematisierung der wesentlichen Punkte . . . . . . . . . . . . . . (2) Die Konfliktvorgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Erörterung der Konfliktvorgeschichte ........... . . (b) Konfliktvorgeschichte - Beziehung zum Gegner/ Vergleichsabschluß ......... . .................. (3) Bereitschaft zur mehrmaligen Intervention . . . . . . . . . . . . ee) Beteiligung von Zeugen . . . .......... . .......... .. ...... ff) Anwaltsbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Die Verfahrensbeendigung ........................... .... ... aa) Der Vergleich .. . . ............................ ..... .... (I) Vergleichsquote; Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Vergleichsinhalt .... . ...... . . .... . .. . . . ... . . . .. (aa) Übersicht ... .. . . .. .. . .. . . ... . . .. . . .. . ..... (bb) Erläuterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Umfassende Regelung .................. ..... ... ( c) Nachgeben des Antragstellers ........... . . . ..... (3) Die Abschlußmotive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Die Erfüllung des Vergleichs . ................... . . . . (a) Erfüllungsbereitschaft des Antragsgegners . . . . . . . . (b) Kenntnis der Parteien von der Vollstreckbarkeit . . . bb) Das Scheitern der Verhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (I) Gründe für das Scheitern des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . (2) Verhalten nach dem Scheitern des Verfahrens ..... . . . . h) Einstellungen und Erwartungen der Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Erläuterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (I) Restitution des Schadens; umfassende Regelung der Tatfolgen . .. ................. . . .. .................. . . (2) Vergangenheitsorientierung . .. .. ......... . .......... (3) Versöhnung; zukünftiges Verhalten .... . .. ........... (4) Private Atmosphäre; Nichtöffentlichkeit .. . . .. ........ (5) Erwartungen an die Rolle des Schiedsmanns . . . . ...... (6) Rollenabhängige Erwartungen . . . .. . ................. 3. Vergleich der Befunde mit den Ergebnissen anderer Forschungen zum Täter-Opfer-Ausgleich .................................... a) Klientel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beziehung vor der Tat ... ... .. .. ....... . . . .......... . ...... c) Länger andauernde Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Deliktsstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

180 181 182 182 182 182 184 185 186 188 190 190 190 191 191 191 192 193 193 194 196 196 197 198 198 200 202 202 202 202 206 207 208 208 209 210 210 211 212 212

Inhaltsverzeichnis e) Verfahrensabschluß . . .. . ............................... . ... aa) Erfolgsquote . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Regelungsinhalt vs. Erwartungen der Parteien ......... . ... cc) Gründe für Ausgleichsbereitschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Gründe für Erfolglosigkeit des Verfahrens ............ . ... f) Sonstiges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13

214 214 215 217 219 220

Drittes Kapitel: Zusammenfassung und Schlußbetrachtung

222

Literaturverzeichnis

229

Anhang I - X

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Erster Teil: Rechtliche Grundlagen des Schiedsmannsinstituts und dessen Verortung im Umfeld strafrechtlicher Schlichtung A. Einleitung: Alternative Konfliktregelung-Einbeziehung des Schiedsmannsinstituts in die kriminalpolitische Diskussion Die Institution des Schiedsmanns 1 ist seit mehr als 160 Jahren in das Rechtssystem integriert2 . Während dieser Zeit blieb das Schiedsmannsinstitut weitgehend unbeachtet und unverändert. Auch die neuere Diskussion über eine alternative strafrechtliche Konfliktregelung 3 , namentlich den Täter-Opfer-Ausgleich, erwähnt das Schiedsmannsinstitut, etwa wenn es um die Einrichtung geeigneter Vermittlungsstellen geht4 , allenfalls am Rande 5 . Hierbei wird übersehen, daß die Grundkonzeption des Schiedsmannsinstituts ebenfalls auf eine gütliche, außergerichtliche Konfliktbearbeitung ausgerichtet ist. Dem Strafrecht liegt der ultima ratio Gedanke zugrunde6 . Dies bedeutet, daß mit den Mitteln des Strafrechts erst dann einzugreifen ist, wenn andere Möglichkeiten, den Konflikt angemessen zu bearbeiten, nicht gegeben sind oder versagt haben 7 . Hier setzt die kriminalpolitische Diskussion ein, wonach bei Wiedergutmachung8 des durch die Tat verursachten Schadens, im Idealfall einhergehend mit einer Aussöhnung zwischen Täter und Opfer, das staatliche Strafbedürfnis entfallen kann. Dieser noch nicht als konkretes Institut 1 Mit der Bezeichnung "Schiedsmann" sind auch die weiblichen Amtsinhaber, Schiedsfrauen, gemeint. 2 Jahn, Sinn und Perspektiven ... , S. 1. 3 Ausführlich Walter, Über Alternativen ... , S. 557 ff. ; Weigend, Deliktsopfer ... , S. 223ff.; vgl. auch Lemert, Alternativen .. ., S. SOff.; Heinz, Diversion .. ., S. 7f.; Strempel, Vor- und außergerichtliche Konfliktlösungen .. ., S. 59 f. 4 Schöch, Empfehlen sich Änderungen . . . (59. DJT), S. C 79. 5 Herrmann, Diversion und Schlichtung . . ., S. 478, merkt an, daß trotz einer positiven Gesamtbeurteilung des Schiedsmannsinstituts diesem im Zusammenhang mit neueren Diversionsbestrebungen keine Beachtung geschenkt wird. 6 Walter, Über Alternativen .. . , S. 558, mwN. 7 Zur Subsidiarität strafrechtlicher Konfliktlösungen Walter, Wandlungen . . ., S. 32 ff. (S. 65). 8 Für Wiedergutmachung als Sanktion Killias, Muß Strafe sein ?, S. 157; vgl. auch Pilgram, Chancen sozialer Konfkliktregelung .. ., S. 119.

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I. Teil: Grundlagen und Verortung des Schlichtungsverfahrens

existierende Grundgedanke wird mit Täter-Opfer-Ausgleich bezeichnet9 . Die rechtliche Einordnung des Täter-Opfer-Ausgleichs ist noch nicht geklärt. Auch ist nicht ausgelotet, in welchen Bereichen der Kriminalität Ausgleichsregelungen Anwendung finden sollen. Teilweise wird gefordert, den TäterOpfer-Ausgleich als dritte Spur in das Sanktionensystem aufzunehmen 10. Allerdings kann gerade wegen des ultima ratio Prinzips auch an eine Installation im Vorfeld des förmlichen Strafverfahrens gedacht werden 11 • Diese Sichtweise gewährleistet zudem eine Anwendung des Täter-Opfer-Ausgleichs auch auf nicht kriminalrechtlich vordefinierte Sachverhalte 12 . Längst ' lassen sich nämlich nicht alle Vorgänge, die einen Ausgleich nahelegen, unter (derzeitige) strafrechtliche Normen subsumieren. Der Täter-Opfer-Ausgleich kann folglich bei entsprechender Betrachtung in vielen Konfliktfällen eingesetzt werden 13 . Ein weiterer Grund für die Suche nach Alternativen zum Strafrecht bzw. im Strafrecht 14 hängt mit der Erkenntnis zusammen, daß das Strafrecht und Kriminalitätskonzept in dem Maße an Wirkung verlieren, wie der "Mikrobereich des individuell einzelnen überschritten wird", beispielsweise wenn es um die Bedrohung der Lebensgrundlagen durch die Kumulation von im Grunde für jede Einzelperson legitimes Handeln oder auch nur die Verhinderung verbotener Exporte von Kriegsgerät geht 15 • Hinzu kommt die mittlerweile allgemein anerkannte individualpräventive Wirkungslosigkeit kriminalrechtlicher Sanktionen, die sogar im Hinblick auf zukünftige Legalbewährung kontraproduktiv sein können 16. Weiterhin bietet das gegenwärtige Konzept dem Geschädigten keine Perspektive. Auf den Gang des Strafverfahrens hat er keinen besonderen Einfluß, sein zivilrechtlicher Anspruch auf Schadensersatz tritt in Konkurrenz mit staatlicher Strafe 17 und er ist der Gefahr sekundärer Viktimisierungen ausgesetzt 18 . Üblicherweise wird die mittlerweile boomende 19 Form der Konfliktbearbeitung durch Täter-Opfer-Ausgleich bei kleineren strafrechtlich relevanten 9 Walter/Schuldzinski, Der Täter-Opfer-Ausgleich .. ., S. 560, 570; Schreckling, Täter-Opfer-Ausgleich ... , S. 130 f.; Schreckling I Pieplow, Täter-Opfer-Ausgleich ... , S. I 0 ff.; Literaturhinweise bei Marks/Pieplow, Auswahlbibliographie ... , S. 625 ff.; Überblick bei Trenczek, Täter-Opfer-Ausgleich ... , S. 130 ff. 10 Schöch, Empfehlen sich Änderungen . . . (59. DJT), S. C 54 ff. 11 Walter, Theoretische Perspektiven .. ., S. 67 ff. 12 Walter, Theoretische Perspektiven ... , S. 67 ff. 13 Walter, S. 65. 14 Siehe zu dieser Unterscheidung Walter, Über Alternativen ... , S. 574 f. 15 Walter /Schuldzinski, Der Täter-Opfer-Ausgleich ... , S. 562 f. 16 Walter/Schuldzinski, S. 564, mwN. 17 Walter, Über Alternativen ... , S. 564, mwN. 18 Walter/Schuldzinski, S. 564, mwN. 19 Walter/Schuldzinski, S. 559f., sprechen von einer Blitzkarriere; Schreckling, Täter-Opfer-Ausgleich . . ., S. 135, meint, der Täter-Opfer-Ausgleich habe Konjunktur.

A. Einleitung: Schiedsmann und alternative Konfliktregelung

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Delikten angewandt. Ein Mediator, in aller Regel ein Sozialarbeiter, versucht als neutraler Dritter ein Gespräch zwischen dem Täter und dem Geschädigten in Gang zu bringen, wobei er aber nicht den Konflikt für die Betroffenen regeln soll 20 . Hauptziel des Täter-Opfer-Ausgleichs ist demnach die Konfliktbeilegung und Aussöhnung zwischen den Kontrahenten in direkter, durch den Mediator geförderter Kommunikation 21 . Die Ausgleichsvereinbarung erfolgt regelmäßig durch einen Vergleich gemäß § 779 BGB 22 . Das Schiedsmannsinstitut hat aufgrund seines gesetzlichen Auftrages die gleiche Funktion. Auch der Wahlspruch der Schiedsmänner "schlichten ist besser als richten" 23 deutet auf ein auf einvernehmliche, parteibestimmte Konfliktlösung ausgerichtetes Verfahrenskonzept hin. Der Schiedsmann wird bei kleineren dem Privatklagebereich zuzuordnenden Straftaten tätig. Er versucht in einem Schlichtungsverfahren die Parteien zum Gespräch zu bewegen, damit sich diese über den Ausgleich der Tatfolgen verständigen. Kommt eine Einigung zustande, wird sie in einem Vergleich festgehalten. Eine Strafverfolgung wegen der Tat ist dann nicht mehr möglich. Vielmehr ist ein fehlgeschlagener Sühneversuch vor dem Schiedsmann Voraussetzung zur Erhebung der dem Strafverfahren ähnlichen Privatklage. Der Schiedsmann ist ehrenamtlich tätig und in der Regel rechtlicher Laie. Auch verfügt er meistens nicht über eine besondere auf das Amt zugeschnittene Ausbildung. Bei professionellen Täter-Opfer-Ausgleichsprojekten wird die Aufgabe des Mediators üblicherweise von "Fachkräften" 24 , in der Regel Sozialarbeitern, übernommen. Laienhelfern steht man distanziert gegenüber25 . Das Desinteresse am Schiedsmannsinstitut erklärt sich daraus, daß seiner Einführung in die Strafprozeßordnung heute nicht mehr akzeptable gesellschaftliche Anschauungen zugrunde lagen. Zunächst war es das Anliegen des Gesetzgebers der Justiz Arbeits- und Kostenentlastung zu verschaffen 26 • Kleinere Delikte, namentlich solche, die im sozialen Umfeld des "kleinen Mannes" 27 zu finden sind, wurden in den Zuständigkeitsbereich des Beispiele bei Schöch, Empfehlen sich Änderungen .. . (59. DJT), S. C 58 - 60. Schreckling, Täter-Opfer-Ausgleich . . ., S. 135; Walter/Schuldzinski, S. 567. 22 Schöch, S. C 71. 23 Stephan, Ansprache ... , S. 181 . 24 Schreckling, Täter-Opfer-Ausgleich . .. , S. 140. 25 Schreckling, S. 140; Borchers, Vertreterversammlung des BDS, S. 7, schätzt die Meinung der "Professionellen" sogar dahingehend ein, Schiedspersonen hätten das Stigma der ehrenamtlichen Laientätigkeit 26 Martin, Das Sühneverfahren . . ., S. 216, mwN. 27 Hirsch, Gegenwart und Zukunft des Privatklageverfahrens, S. 827, hält in diesem Zusammenhang wohl auch heute noch ein "solches volksnahes, friedensrichterliehe Züge tragendes Verfahren . .. für den Rechtsschutz der kleinen Leute (für) unentbehrlich". 20

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I. Teil: Grundlagen und Verortung des Schlichtungsverfahrens

Schiedsmanns verwiesen. Dies galt namentlich für Reibereien unter kleinen Leuten, da dort Beleidigungen und leichte Mißhandlungen alltägliche Vorkommnisse seien, die das "allgemeine Wohl der bürgerlichen Gesellschaft meist wenig" 28 berühren. Die nach der Gesellschaftsordnung des 19. Jahrhunderts maßgeblichen gesellschaftlichen Schichten hingegen sahen insbesondere Ehrverletzungen als ein todeswürdiges, nur durch Duell zu sühnendes Verbrechen an 29 . Nach Pilgram30 engen sich die Appellationsmöglichkeiten der Unterschicht ohnehin sehr schnell auf die Polizei bzw. die Strafverfolgungsorgane ein, wohingegen Angehörige der sozialen Oberschicht ein breiteres Handlungsspektrum zu Verfügung haben, welches ihnen den selektiveren Einsatz der Strafjustiz ermöglicht31, wobei die Wohlhabenderen auch im Falle eines Schuldvorwurfs ohnehin weniger von einschneidenden Sanktionen bedroht sind32 . In diesen Kontext fügt sich auch der Umstand, daß der Schiedsmann bis heute auf dem Gebiet der Vermögenskriminalität nicht zuständig ist, und handele es sich auch nur um den Diebstahl geringwertiger Sachen. Bei einer gefährlichen Körperverletzung33 hingegen, deren "Sozialschädlichkeit" wesentlich höher anzusiedeln sein dürfte, ist der Schiedsmanns zuständig. Das Schattendasein des Schiedsmannsinstituts läßt sich zudem mit seiner systematischen Stellung im Strafrechtssystem, nämlich seiner Zuordnung zum Privatklageverfahren erklären. Hierauf wird noch näher einzugehen sein. Wegen des eingangs bereits angesprochenen Bestrebens, das Strafrecht gemäß dem verfassungsrechtlichen Gebot wirklich nur in zwingenden Fällen anzuwenden, könnte sich dem Schiedsmannsinstitut in Zukunft ein neues Aufgabenfeld eröffnen 34. Ausgehend von der Erkenntnis, daß strafende Maßnahmen regelmäßig nicht einmal das Minimalziel, nämlich die 28 Vgl. v. Hentig, Zur Psychologie ... , S. 207, unter Bezugnahme auf die Motive der StPO. 29 Vgl. Falke, Das Schiedsmannsinstitut ... , S. 77. 30 Pilgram, Zwei Versuche .. ., S. 12f. 31 Pilgram, S. 12f., denkt hier vor allem an die Einschaltung zum Strafrecht alternativer "Remedy-Agents" (Er versteht hierunter klientenzentriert auf kündbarer Basis arbeitende Personen [wie: Rechtsanwälte, Sozialberater, Auskunfteien, Ärzte, politische Mandatare, pp.]). 32 Walter, Über Alternativen .. . , S. 577, mwN. 33 Vgl. Falke, Das Schiedsmannsinstitut. .. , S. 77, der den historischen Begründungen für eine Ausweitung der Privatklage auf Körperverletzungsdelikte die Grundtendenz entnimmt, daß der Schutz der körperlichen Unversehrtheil geringer bewertet worden sei als der der Vermögenssphäre. 34 V gl. Röhl, Das Güteverfahren ... , S. 22 ff. , wonach "die Versuche zur Wiederbelebung und Ausweitung der Tätigkeit des Schiedsmannes . . . im Zusammenhang mit der Suche nach vor- und außergerichtlichen Alternativen zur Justiz zu sehen" sind.

A. Einleitung: Schiedsmann und alternative Konfliktregelung

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Legalbewährung erreichen können 35 , wird ausgleichenden Verfahren, die eine förmliche strafrechtliche Befassung mit dem Konflikt entbehrlich machen, erhebliche Bedeutung zukommen. Das Schiedsmannsinstitut ist auf diesem Gebiet seit langer Zeit etabliert. Durch die Einrichtung und den Ausbau professioneller Vermittlungsagenturen, die im Grunde das gleiche Ziel, nämlich Ausgleich, gegebenenfalls Versöhnung haben, könnte das Schiedsmannsinstitut aber gänzlich in Bedeutungslosigkeit verfallen 36 . Hierdurch ginge ein reicher Erfahrungsschatz verloren. Würde hingegen das Schiedsmannsinstitut auch nur annähernd in dem Umfang gefördert und wissenschaftlich untersucht, wie dies bei Alternativprogrammen derzeit zu beobachten ist, könnte sich möglicherweise die Einrichtung manch eines Alternativprojektes als entbehrlich erweisen 37 • Teilweise werden bereits Parallelen zwischen der Tätigkeit des Schiedsmanns und alternativen, ausgleichenden Verfahren erkannt, so daß von manchen Autoren die Berücksichtigung des Schiedsmannsinstituts beim Aufbau von Schlichtungsstellen gefordert wird38 . Herriger sieht im Schlichtungsverfahren vor dem Schiedsmann ein den Mediationsprogrammen vergleichbares Verfahren zur Konfliktregelung. Es enthalte - wegen seiner praktischen Erprobung - ein Anregungspotential, das bei dem "devianztheoretischen Diskurs über mögliche Rückzugswege aus der Strafjustiz als auch in der Konzeptionierung praktischer Modellprojekte in verstärktem Maße genutzt werden sollte" 39. Weigend erkennt im Schlichtungsverfahren vor dem Schiedsmann ein "Vorbild mit langer Tradition"40. Blau/Franke sehen im Schiedsmannsinstitut einen Fall der opferorientierten Diversion, wobei sie Parallelen zu den in den USA entwickelten Schlichtungsmodellen wie Mediation, Reconciliation ziehen41 . Die AnwenSiehe oben I. Teil, A. Hartung, Hundert Jahre Schiedsmannsordnung, S. 154, hat freilich schon im Jahre 1927 bemerkt: "Daß eine staatliche Einrichtung ein Jahrhundert überdauert, ist in unseren Zeiten etwas Besonderes." 37 In diesem Sinne Weber, Zur Befriedungsfunktion des Schiedsmanns . . . , S. 83, der ausführt, daß sich das Institut des Schiedsmanns über die Fährnisse einer über 150 Jahre währenden Epoche bestens bewährt und um die Erhaltung des sozialen Friedens in der Bevölkerung verdient gemacht habe, so daß unter Rückgriff auf das Vorhandene auf die Errichtung neuer Institutionen und kostspieliger Reformen verzichtet werden sollte; vgl. auch Schauf, Entkriminalisierungsdiskussion und Aussöhnungsgedanke ... , S. 152 f. 38 V gl. Jahn, Sinn und Perspektiven . . . , S. 5; Feltes, Gesellschaftliche Gerichte .. ., S. 98 f.; Schöch, Empfehlen sich Änderungen . . . (59. DJT), S. C 78 f. 39 Herriger, Auf dem Weg . . . , S. 22 f.; vgl. auch Feltes, Gesellschaftliche Gerichte ... , S. 95. 40 Weigend, Deliktsopfer ... , S. 362 (Fn. 612); vgl. van Dijk, Viktimologie . .. , S. 9 f., der in der seit altersher bekannten Schiedsmannsinstitution einen konkreten Anwendungsfall der antistrafrechtlichen Ideologie sieht. 41 Blau/Franke, Diversion .. ., S. 492f; vgl. auch Driebold, Ein Weg . .. , S. 133; Rieß, Opferschutz . . ., S. 53. 35

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I. Teil: Grundlagen und Verortung des Schlichtungsverfahrens

dung dieser, ursprünglich zunächst für den zivilrechtliehen Bereich gedachten Verfahren, könnten zu einer Stärkung der Schiedsmannsinstitution führen42 . Gewöhnlich wird das Schiedsmannsinstitut bei der Diskussion um eine das Strafrecht zurückdrängende, auf Ausgleich bedachte Konfliktlösung aber nicht angesprochen. Die Gründe hierfür sind nicht bekannt. Möglicherweise hängt die Meidung des Schiedsmannsinstituts aber mit Vorbehalten gegenüber der Laienvermittlung zusammen 43 . Teilweise ist auch zu vermuten, daß die Institution übersehen wird. Zum Beispiel geht Feltes bei seiner Untersuchung zur Eignung bereits bestehender Einrichtungen für eine reprivatisierte Konfliktregelung nicht auf das Schiedsmannsinstitut ein44 . Er nennt sodann die Polizeivollzugsbeamten (sie!) als die geeignete Institution, da diese zahlenmäßig (Feltes geht von 190.000 Personen aus) in der Lage seien, die in Frage stehenden Bagatelldelikte der "Alltagskriminalität" einer Vermittlung zuzuführen 45 . Ein neuer Stellenwert wird dem Schlichtungsverfahren vor dem Schiedsmann erst dann zukommen können, wenn Aussagen zur Praxis der Tätigkeit der Schiedsmänner gemacht werden können. Hierbei müßte sich herausstellen, daß trotz des Laienstatus des Schiedsmanns zufriedenstellende Schlichtungsergebnisse erzielt werden. Über das Schiedsmannsinstitut liegen bislang wenig Erkenntnisse vor. In theoretischer Hinsicht ist der Schiedsmann unter dem Aspekt der laienorientierten Schlichtung noch nicht Gegenstand einer vertiefenden Befassung gewesen. Auch die empirische Seite des Instituts wurde unter dem hier interessierenden Blickwinkel des Ausgleichs zwischen Täter und Geschädigten bislang nicht erforscht. Die vorliegende Arbeit unternimmt den Versuch, das Schiedsmannsinstitut im Lichte der Bestrebungen um eine gütliche, ausgleichsorientierte Konfliktlösung einer neuen Bewertung zu unterziehen. Um die im empirischen Teil dargestellten Erscheinungen zutreffend würdigen zu können, muß zunächst die Verortung des Schiedsmannsinstituts im gegenwärtigen strafrechtlichen System dargestellt werden. Dort gibt es Besonderheiten, die die Aussagekraft des derzeitgen Zustandes in verschiedener Hinsicht einschränken. Beispielsweise ist zu berücksichtigen, daß das Schlichtungsverfahren vor dem Schiedsmann als "Vorschaltverfahren" vor dem Privatklageverfahren dient und der Tätigkeitsbereich somit auf Privatklagedelikte beschränkt ist, mithin Vermögensdelikte, mit Ausnahme der Sachbeschädigung, nicht umfaßt. Desweiteren ist verfahrensbedingt eine Zuständigkeit bei Verfehlungen Jugendlicher nicht gegeben. Es 42 43 44 45

Blau/Franke, Diversion ... , S. 492 f. Siehe oben l . Teil, A. Fettes, Konfliktbereinigung zwischen Täter und Opfer, S. 422 - 425. Ebd.

B. Historische Übersicht; Sühnebehörde in den neuen Bundesländern

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wird erforderlich sein, das Prinzip der Schlichtung darzustellen und darauf einzugehen, welche Annahmen ihr zugrunde liegen, wobei, ausgehend vom Ablauf des Verfahrens vor dem Schiedsmann, der jeweilige Bezug zu diesem Verfahren hergestellt wird. Die Auseinandersetzung mit der ausgewählten Literatur kann und soll sich nicht allein auf das Gebiet des Strafrechts beschränken, denn Schlichtung bzw. Vermittlung ist ein Phänomen, welches keinesfalls allein auf das Strafrecht bezogen und nur diesem vorbehalten ist.

B. Historische Übersicht; Sühnebehörde in den neuen Bundesländern Zum Verständnis der rechtlichen Grundlagen des Schiedsmannsinstituts sowie seiner heutigen Bedeutung im Strafrechtssystem ist eine kurze Darstellung des geschichtlichen Hintergrundes erforderlich 46 . Bedingt durch den Zusammenschluß beider deutscher Staaten soll auch ein Überblick über die derzeitige rechtliche Situation im Hinblick auf die Sühnebehörden nach § 380 I S. 1 StPO in den neuen Bundesländern gegeben werden. I. Historische Übersicht

Ursprünglich war die Zuständigkeit des Schiedsmanns nur für zivilrechtliehe Streitigkeiten gegeben. Die Preußische Schiedsmannsordnung von 1827 ist auf einen Vorschlag der Stände der Provinz Preußen an den Ostpreußischen Generallandtag aus dem Jahre 1808 zurückzuführen47 • Friedensrichter aus der Klasse der Gutsbesitzer48 waren für bestimmte Bezirke dazu berufen, in allen Rechtsstreitigkeiten vor der Anrufung eines ordentlichen Gerichts einen Vergleichsversuch vorzunehmen 49 . Erst mit dem Einführungsgesetz zum Preußischen Strafgesetzbuch vom 14.4. 1851 erfolgte eine Erweiterung der Zuständigkeit des Schiedsmanns auf kleinere Straftaten wie Ehrverletzung und leichte Mißhandlung50 . Diese Tatbestände entsprechen heute der Beleidigung und der einfachen Körperverletzung. 46 Ausführliche Darstellung bei Falke, Das Schiedsmannsinstitut. .. , S. 74 ff.; Martin, Das Sühneverfahren ... , S. 51 - 166, insb. S. 116 - 120; Vgl. auch Baunach, Die gesellschaftliche Bedeutung . .. , S. 191 ff.; Jahn, Sinn und Perspektiven ... , S. I ff.; Lüttnerbusch, Entwicklungstendenzen .. ., S. !53 ff. 47 Bierbrauer/Falke/Koch, Konflikt. .. , S. 142. 48 Schulten, Ansprache . .. , S. 129. 49 Vgl. Bierbrauer/Falke/Koch, S. 142. 50 Vgl. Hanak, Diversion und Konfliktregelung . .. , S. 6.

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I. Teil: Grundlagen und Verortung des Schlichtungsverfahrens

Mit Einführung der am 01.10.1879 in Kraft getretenen Reichsjustizgesetze (Gerichtsverfassungsgesetz, Zivilprozeßordnung, Strafprozeßordnung), wurde durch § 420 RStPO, der dem heutigen § 380 StPO entspricht, für das gesamte damalige Reich die Einführung einer der Privatklage vorgeschalteten Sühnebehörde bestimmt. Im Jahre 1879 ist auch die für das gesamte preußische Staatsgebiet gültige Schiedsmannsordnung in Kraft getreten. Allerdings erfolgte zunächst eine Beschränkung auf die Privatklage wegen Beleidigung51 • Die damalige Regelung war so ausgestaltet, daß der Schiedsmann eine aus der Mitte der Bürgerschaft stammende und von dieser gewählte Persönlichkeit war, die allerdings zu ihrer Bestätigung und während ihrer Amtsführung der Mitwirkung der Justizorgane bedurfte52 . Hieran hat sich bis heute im übrigen nichts geändert. Nach § 3 I S. I, III S. 1 SchAG/NW53 wählt der Rat der Gemeinde des betreffenden Schiedsamtsbezirkes, welcher gern. § 1 II SchAG/NW mit dem Gemeindegebiet identisch ist, die Schiedsperson auf die Dauer von fünf Jahren in ihr Amt. Nach § 4 SchAG/ NW darf "die gewählte Schiedsperson ihr Amt erst antreten, wenn sie durch die Direktorin oder den Direktor oder die Präsidentin oder den Präsidenten des Amtsgerichts (Leitung des Amtsgerichts) bestätigt worden ist, in dessen Bezirk sie ihren Wohnsitz hat". Die Aufsicht über die Amtsführung der Schiedsperson ist ebenfalls den Organen der Justiz übertragen. Oberste Aufsichtbehörde ist hierbei der Minister der Justiz. Es folgt der Präsident des Oberlandesgerichts, der Präsident des Landgerichts und schließlich der Direktor (Präsident) des Amtsgerichts, § 7 I SchAG/NW. Die durch die Preußische Schiedsmannsordnung von 1924 erweiterte Zuständigkeit des Schiedsmanns54 auf die Delikte: Hausfriedensbruch, Verletzung des Briefgeheimnisses, Körperverletzung 55 , Bedrohung und SachbeBierbrauer/Falke/Koch, Konflikt. .. , S. 143. Bierbrauer/Falke/Koch, S. 143. 53 Gesetz über das Schiedsamt in den Gemeinden des Landes Nordrhein-Westfalen (Schiedsamtsgesetz - SchAG/NW) vom 16. Dezember 1992; lokraftgetreten seit dem 0 I. Juli 1993. 54 Der Schiedsmann hat nach §§ 13 ff. SchAG/NW auch in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten eine Zuständigkeit. Es muß sich hierbei um Rechtsstreitigkeiten handeln, denen vermögensrechtliche Ansprüche zugrunde liegen, die nicht in die sachliche Zuständigkeit der Arbeitsgerichte fallen (§ 13 I SchAG/NW). Die Zivilsachen führen beim Schiedsmann ein zahlenmäßig unbedeutendes Dasein. ( 1989 hatten nach Auskunft des Bundes der Deutschen Schiedsmänner, Bochum [BDS] alle Schiedsmänner 1.709 Zivilsachen gegenüber 17.659 Strafsachen zu bearbeiten). Die zivilrechtliche Tätigkeit soll jedoch im Rahmen dieser Arbeit nicht näher erörtert werden. 55 Hiervon wird gern. § 380 I StPO neben der fahrlässigen und einfachen Körperverletzung sogar mittlerweile auch die gefährliche Körperverletzung nach § 223a StGB erfaßt. 51

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B. Historische Übersicht; Sühnebehörde in den neuen Bundesländern

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schädigung, ist bis in die Gegenwart beibehalten worden. Die Erweiterung geht auf die Zeit nach dem ersten Weltkrieg zurück, als die Bagatellkriminalität inflations- und kriegsfolgenbedingt stark angestiegen ist und die Justiz zahlenmäßig enorm belastet hat56 . In jüngster Zeit hat sich hinsichtlich der rechtlichen Grundlage des Schiedsmannsinstituts eine Änderung ergeben. Die ursprünglich maßgebliche Sch0/NW57 ist zum 0 I. Juli 1993 aufgehoben worden. An ihre Stelle ist das SchAG/NW getreten. Dort ist nicht mehr wie in § 1 li Schü/NW vom "Amt des Schiedsmanns" sondern vom "Schiedsamt" die Rede. Nach § 1 I S. 1 SchAG/NW wird das Schlichtungsverfahren vom Schiedsamt durchgeführt. Die Aufgaben des Schiedsamtes werden von Schiedsfrauen und Schiedsmännern (Schiedspersonen) wahrgenommen, § I I S. 2 SchAG/ NW. Das hier interessierende "Schlichtungsverfahren in Strafsachen" trug ursprünglich die Bezeichnung "Güteverfahren in Strafsachen". Nunmehr wird der Sühneversuch nach § 380 I StPO im Rahmen eines Schlichtungsverfahrens, dem wiederum eine Schlichtungsverhandlung zugrunde liegt, durchgeführt. In der Schü/NW war hingegen von einer Sühneverhandlung die Rede. Die Verfahrensausgestaltung indes ist unverändert geblieben, so daß die in der Arbeit herangezogene Literatur, die sich auf den durch die Schü/NW geschaffenen Rechtszustand bezieht, ohne weitere Änderungen verwertet werden konnte. II. Sühnebehörde in den neuen Bundesländern

Die Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten am 3. Oktober 1990 hat dazu geführt, daß auch das Privatklageverfahren nunmehr in den neuen Bundesländern geltendes Recht ist. Noch am 13.09.1990 hat die Volkskammer der DDR das "Gesetz über die Schiedsstellen in den Gemeinden" beschlossen58 . Im Einigungsvertrag wurde bestimmt, daß dieses Gesetz weiterhin gültig bleibt59 . V gl. Jahn, Die soziale Bedeutung S. 20. Schiedsmannsordnung für das Land Nordrhein-Westfalen in der Fassung des Gesetzes über das Schiedsmannswesen vom 10. März 1970 (GV NW S. 194/SGV NW 316). 58 GBL DDR I, Nr. 61, S. 1527 ff. V gl. ausführlich Luther, Schiedsstellen S. 17; Zur Wiedergutmachung im Strafrecht der ehemaligen DDR und dem dortigen Sanktionensystem siehe Schöch, Empfehlen sich Änderungen ... , S. C 43ff; vgl. auch Schulte, Gesetz über die Schiedsstellen S. 65 ff. ; Schöneseiffen, Vorgerichtliche Streitschlichtung . . ., S. 178 f. 59 Vgl. Luther, S. 17, mit Hinweisen auf die einschlägigen Bestimmungen des Einigungsvertrages. 56

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I. Teil: Grundlagen und Verortung des Schlichtungsverfahrens

Die Schiedsstellen, hervorgegangen aus den "gesellschaftlichen Gerichten"60, die mit einem Vorsitzenden und zwei Stellvertretern besetzt sind, übernehmen die Funktion der Vergleichsstelle im Sinne von § 380 I S. 1 StP061 . Die Schiedspersonen62 werden von der Gemeindevertretung auf die Dauer von fünf Jahren gewählt und müssen für das ehrenamtliche Amt geeignet sein63 . Den Schiedsstellen in den neuen Bundesländern kommt bereits heute die Aufgabe eines gesetzlich verankerten Täter-Opfer-Ausgleichs zu. Nach§ 43 I des Gesetzes über die Schiedsstellen in den Gemeinden ist das Schlichtungsverfahren zur außergerichtlichen Erledigung einer Strafsache darauf gerichtet, "den durch die Straftat gestörten sozialen Frieden wiederherzustellen und den Ausgleich zwischen Täter und Opfer zu erreichen". Verweisungs- und Kontrollinstanz ist die Staatsanwaltschaft. Von Bedeutung ist weiterhin, daß den Schiedsstellen auch Vermögensdelikte zugewiesen werden können 64 . Insofern sind also die Schiedsstellen in den neuen Bundesländern dem Schiedsmannsinstitut deutlich überlegen, da letzteres auf die Privatklagedelikte beschränkt ist65 . Das Institut der Schiedsstellen verdient daher aufmerksame Beobachtung sowohl in Hinsicht auf Reformüberlegungen betreffend das Schiedsmannsamt und die Privatklage als auch in der Diskussion um den Täter-Opfer-Ausgleich allgemein. Dem Schiedsmannsinstitut könnte so durch die Schiedsstellen der neuen Bundesländer eine neue Bedeutung zukommen66 .

Siehe hierzu Feltes, Gesellschaftliche Gerichte ... , S. 94 ff. Luther, Schiedsstellen ... , S. 18. 62 Es ist ausdrücklich von "Schiedspersonen" die Rede. Insofern ist, wie neuerdings auch in § I I S. I SchAG/NW, ein geschlechtsneutraler Begriff gefunden worden. Im Saarland ist mit dem Begriff "Schiedsleute" ebenfalls eine geschlechtsneutrale Bezeichnung gewählt worden (Saarländische Schiedsordnung v. 6. 9. 89 [Amtsblatt S. 1509]). 63 Luther, S. 18. Die weitere Ausgestaltung dieser Institution ist der des Schiedsmanns weitgehend ähnlich. 64 Vgl. ausführlich Luther, S. 18f., wonach bei Vermögensdelikten eine Überweisung in der Regel dann erfolgen kann, wenn der Schaden 300,- DM nicht übersteigt. 65 Siehe oben I. Teil, A. 66 Feltes, Gesellschaftliche Gerichte ... , S. 95, 99 f. 60

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C. Rechtliche Grundlagen und quantitative Bedeutung

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C. Rechtliche Grundlagen des Schiedsmannsinstituts und quantitative Beteiligung am Kriminalitätsautkommen I. Schiedsmannsinstitut und Privatklageverfahren

Die Tätigkeit der Schiedsmänner kann nur vor dem Hintergrund der rechtlichen Grundlagen des Schiedsmannsinstituts ausreichend erklärt werden. Zunächst soll also seine Verankerung in den gesetzlichen Kontext dargestellt werden. Hierfür wiederum ist auf die rechtliche Einordnung und Ausgestaltung des Privatklageverfahrens einzugehen, in welches das Schlichtungsverfahren seinerseits eingebettet ist. 1. Einbindung in das Privatklageverfahren Das Schiedsmannsinstitut ist de lege lata in das Privatklageverfahren über § 380 I S. 1 StPO eingebunden. Nach dieser Vorschrift ist die Privatklage erst zulässig, nachdem von einer durch die Landesjustizverwaltung zu bezeichnenden Vergleichsbehörde die Sühne erfolglos versucht worden ist. Der grundsätzlich obligatorische67 Sühneversuch ist folglich der Privatklage als (negative) Verfahrensvoraussetzung vorgeschaltet Die Aufgaben dieser Vergleichsbehörde sind in Nordrhein-Westfalen dem Schiedsamt übertragen. Aufgrund der in § 380 I S. 1 StPO angesprochenen Länderkompetenz ist der Schiedsmann nicht in allen Ländern der alten Bundesrepublik Deutschland eingeführt68 . In Harnburg übernimmt diese Aufgabe die öffentliche Rechtsauskunft- und Vergleichsstelle. Hier arbeiten Richter, die ehrenamtlich tätig sind69 . Nach Martin empfinden die Klienten das dortige Verfahren auch als "Quasigerichtsverfahren" 70, was angesichts der Besetzung mit Richtern nicht erstaunt. In Bremen ist die Aufgabe den Rechtspflegern übertragen 71 . Bayern und Baden-Württemberg haben sich für einen Gemeindebeamten entschieden72 . 67 Nach § 380 IV StPO i. V.m. § 36 I S. I SchAG/NW kann aber das für die Erhebung der Privatklage zuständige Gericht auf Antrag gestatten, daß vom Sühneversuch abgesehen wird, wenn der Antragsteller von der Gemeinde in der die Verhandlung stattfinden müßte, soweit entfernt wohnt, daß es ihm insgesamt nicht zuzumuten ist, zu der Verhandlung zu erscheinen. 68 Zur Rechtslage in den neuen Bundesländern siehe oben I. Teil, 8., II. 69 Verordnung vom 04.02. 1946, HambSLR 333-a. 70 Martin, Das Sühneverfahren ... , S. 269. 71 Verordnung über das Sühneverfahren in Privatklagesachen vom 30. 12. 1958, SaBremR 312-a-2. 72 Bayern : Verordnung über den Sühneversuch in Privatklagesachen vom 13.12.1956, BayRS 2026- 4-1 ; Baden-Württemberg : Verordnung über das Sühneverfahren in Privatklagesachen vom 23 .10. 1971, GBI. S. 422.

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I. Teil: Grundlagen und Verortung des Schlichtungsverfahrens

2. Einzelheiten zum Privatklageverfahren Das Privatklageverfahren ist eine besondere in den §§ 374 ff. StPO geregelte Verfahrensart, deren Hauptmerkmal darin zu sehen ist, daß die Staatsanwaltschaft bei Kenntnisnahme von einem Privatklagedelikt nicht unbedingt zur Vornahme der Ermittlungen verpflichtet ist. Insofern liegt eine Ausnahme von § 152 II StPO und somit dem Legalitätsprinzip vor, wonach die Staatsanwaltschaft gehalten ist, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte bestehen 73 . In § 152 I StPO ist das Offizialprinzip verankert, wonach die Strafverfolgung in der Regel dem Staat obliegt. Der einzelne Bürger übernimmt diese Aufgabe grundsätzlich nicht 74 . Auch hierzu bildet das Privatklageverfahren eine Ausnahme, da die Staatsanwaltschaft hier nach dem Opportunitätsprinzip nur bei Vorliegen eines öffentlichen Interesses Klage erhebt, § 376 StPO. Wie sich aus § 374 I StPO ergibt, kann das Privatklageklageverfahren auch eingeleitet werden, ohne daß es der vorgängigen Anrufung der Staatsanwaltschaft und somit deren Entscheidung über das Vorliegen des öffentlichen Interesses bedarf. Die in § 374 StPO geregelten Privatklagedelikte sind demnach keine Offizialdelikte. Im einzelnen handelt es sich um folgende Delikte75 : - Hausfriedensbruch (§ 123 StGB). - Beleidigung (§§ 185- 187a, 189 StGB), soweit sie nicht gegen eine der in § 94 IV StGB genannten politischen Körperschaften gerichtet ist. - Verletzung des Briefgeheimnisses (§ 202 StGB). - Körperverletzung(§§ 223, 223a, 230 StGB). - Bedrohung (§ 241 StGB). - Sachbeschädigung (§ 303 StGB). - Weiterhin diverse - hier nicht näher interessierende - Delikte aus dem Bereich des unlauteren Wettbewerbs und dem Urheberrecht im weiteren Sinne. 73 Zum Legalitätsprinzip siehe Kleinknecht/Meyer, StPO, § 152 Rn. 2. Die mannigfaltigen Ausnahmen vom Legalitätsprinzip schildert unter Bezugnahme auf den Schiedsmann Geerds, Der Schiedsmann .. ., S. 74 ff. 74 Kleinknecht/Meyer, StPO, § 152 Rn. I. 75 Vgl. auch die Erläuterungen in Nr. 3 der VV zu § 33 der seinerzeitigen SchO/ NW, (Verwaltungsvorschriften zur SchO/NW, vom 3. 10.1988, [MBI. NW S. 1484/ SMBI. NW 316/JMBI. NW S. 253]).

C. Rechtliche Grundlagen und quantitative Bedeutung

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Diese Straftaten sind - mit Ausnahme der nicht aufgezählten Delikte aus dem Urheberrecht - sühneversuchspflichtige Privatklagedelikte. Hier gilt folglich der bereits erwähnte § 380 I S. 1 StPO, wonach zunächst ein Sühneversuch mit dem Ziel einer gütlichen Einigung durchzuführen ist. Erst wenn die Bemühungen des Schiedsmanns76 erfolglos waren, ist die Erhebung der Privatklage zulässig. Die Frage also, ob der durch ein Privatklagedelikt geschädigte Bürger nun faktisch die Aufgabe der Staatsanwaltschaft übernehmen muß, will er die Tat durch eine staatliche Instanz bearbeitet wissen, hängt somit von dem Umstand ab, ob die Staatsanwaltschaft das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejaht. Mittelbar ist hiervon auch die Einschaltung des Schiedsmanns abhängig, denn bei Bejahung des öffentlichen Interesses kommt es nicht zum Sühneversuch. Das Entschließungsermessen der Staatsanwaltschaft wird durch die für die einzelnen Beamten verbindlichen "Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren" (RiStBV) gelenkt 77 . Die Kernvorschrift Nr. 86 II RiStBV hat folgenden Wortlaut: "Ein öffentliches Interesse wird in der Regel vorliegen, wenn der Rechtsfrieden über den Lebenskreis des Verletzten hinaus gestört und die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit ist, z. B. wegen des Ausmaßes der Rechtsverletzung, wegen der Roheit oder Gefährlichkeit der Tat, der niedrigen Beweggründe des Täters oder der Stellung des Verletzten im öffentlichen Leben. Ist der Rechtsfrieden über den Lebenskreis des Verletzten hinaus nicht gestört worden, so kann ein öffentliches Interesse auch dann vorliegen, wenn dem Verletzten wegen seiner persönlichen Beziehung zum Täter nicht zugemutet werden kann, die Privatklage zu erheben und die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit ist."

Soweit also der Konflikt (lediglich) Auswirkungen im sozialen Nahbereich des Verletzen hat, wird mit einer Bejahung des öffentlichen Interesses, es sei denn, besondere Umstände kämen hinzu, nicht gerechnet werden können. Erstaunlich auch ist der Hinweis, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung könne dann bejaht werden, wenn der Verletzte eine besondere Stellung im öffentlichen Leben habe. Hier konkretisiert sich offensichtlich der bereits erwähnte Rechts(güter)schutz der "kleinen Leute" 78 , der über das Privatklageverfahren und nicht durch die staatlichen Strafverfolgungsorgane erreicht werden soll. In diesem Kontext ist auch das Bemühen der Staatsanwaltschaft zu sehen, die Rechtsstaatlichkeit des Privatklageverfahrens herauszustellen, wenn die Strafverfolgung mangels öffentlichen Interesses ablehnt wird. Das von der Staatsanwaltschaft in Köln zur VerZu den Einigungsstellen der anderen Bundesländer siehe oben I. Teil, C., 1., I. Maßgeblich sind die Nr. 86, 87, 172, 229- 235 der RiStBV. Die RiStBV sind beispielsweise abgedruckt in Kleinknecht/Meyer, StPO, Anhang H I. 78 Siehe oben I. Teil, A. 76

77

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I. Teil: Grundlagen und Verortung des Schlichtungsverfahrens

weisung auf den Privatklageweg verwandte Standardformular enthält hierzu folgende Formulierung79 : "Bei der Privatklage handelt es sich um ein mit allen Rechtsgarantien ausgestattetes Verfahren, das Ihnen- nicht anders als ein Offizialverfahren-einen vollwirksamen Rechtsschutz gegen jedermann gewährt."

Ohnehin scheint die Entscheidung der Staatsanwaltschaft, einen Bürger auf den Privatklageweg zu verweisen, eher von praktischen Erwägungen, wie Arbeitsentlastung und Lästigkeit von Konflikten im sozialen Nahbereich geprägt zu sein, als von der durchaus auch naheliegenden Überlegung, den Konflikt durch die Befassung mit dem Schiedsmann zur "positiven friedlichen Beilegung" in das "Entstehungsmilieu zurückzutransferieren"80. Wenn die Staatsanwaltschaft das öffentliche Interesse an der Verfolgung des Privatklagedeliktes verneint hat, bleibt dem Bürger also das Privatklageverfahren. Dort gelten die allgemeinen Bestimmungen der StPO, soweit nicht in den §§ 374 ff. StPO etwas anderes bestimmt ist81 • Sollte der Versuch einer gütlichen Einigung vor dem Schiedsmann fehlgeschlagen sein, muß der Geschädigte die "negative Sühnebescheinigung" gemäߧ 380 I S. 2 StPO, § 40 SchAG/NW vorlegen und nach§ 381 StPO entweder zu Protokoll der Geschäftsstelle oder durch Einreichung einer Klageschrift die Privatklage erheben. Es sind die für die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft geltenden Erfordernisse einzuhalten. Nach §§ 381 S. 2, 200 I StPO müssen also der Angeschuldigte nebst der ihm zur Last gelegten Tat, Zeit und Ort ihrer Begehung, die gesetzlichen Merkmale der Straftat und die anzuwendenden Strafvorschriften bezeichnet werden. Anzugeben sind ferner die Beweismittel, das Gericht, vor dem die Hauptverhandlung stattfinden soll, sowie gegebenenfalls der Verteidiger. Dem rechtsunkundigen Bürger wird es ohne Zuhilfenahme anwaltlicher Bemühungen außerordentlich schwer fallen, eine den gesetzlichen Anforderungen genügende Klageschrift zu fertigen. Das Gericht wird grundsätzlich erst mit Zahlung eines Gebührenvorschusses aktiv 82 . Es kann, soweit die Schuld des Täters als gering anzusehen ist, nach § 383 II StPO das Verfahren - auch noch in der Hauptverhandlung - einstellen. Dem Privatkläger droht in diesem Falle gemäß § 471 III Nr. 2 StPO die Auferlegung der Verfahrenskosten und der notwendigen Auslagen der Beteiligten.

79

(Formularnummer: 30 1087; Einst. 25).

° Kerner, Die Wiedereinsetzung . . ., S. 499.

8

81

82

Schlund, Hochschullehrer ... , S. 332. Siehe die Regelung des § 379a StPO, sowie § 67 I GKG.

C. Rechtliche Grundlagen und quantitative Bedeutung

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3. Kritik am Privatklageverfahren und deren Ausstrahlung auf das Schiedsmannsinstitut Am Privatklageverfahren wird angesichts der soeben dargestellten Verfahrensmodalitäten überwiegend heftige Kritik geübt83 . Meier-Bornkamp etwa ist der Auffassung, das Privatklageverfahren komme einer "Verweigerung des strafrechtlichen Rechtsschutzes" gleich 84 . Er meint, mit der Verweisung des Verletzten auf den Privatklageweg beginne erst dessen richtiger "Leidensweg durch das Domengestrüpp der Privatklage" 85 . V. Schacky berichtet, bereits in der Zeit zwischen 1930 und 1940 habe es Bestrebungen gegeben, das Privatklageverfahren durch ein Friedensverfahren zu ersetzen 86 . Die Ungerechtigkeiten und Unsicherheiten dieses Rechtsinstituts sollen auch die Vorteile der versöhnenden Wirkung des mit der Privatklage gekoppelten Schlichtungsverfahrens vor dem Schiedsmann aufzehren, so daß teilweise sogar eine Abschaffung der Privatklage etwa zugunsten eines staatsanwaltschaftliehen Verweisungsverfahrens gefordert wird 87 . Gegen eine Beibehaltung sowohl der Privatklage als auch des Sühneversuchs vor dem Schiedsmann spricht sich Koewius aus 88 . Er begründet seine Auffassung mit einer erhofften Verfahrensbeschleunigung. Auch könne es dann nicht mehr zu einem Schlichtungsverfahren vor dem an sich nicht zuständigen Schiedsmann kommen, dem eine Tat zugrunde liegt, die sich nicht ausschließlich auf Privatklagedelikte erstreckt, sondern auch Offizialdelikte umfaßt89 . Außerdem gebe es bessere Möglichkeiten, dem durch eine Straftat Verletzten zu helfen. Es sei nicht sinnvoll, einen Normenbestand für ein Sonderstrafverfahren zu konservieren, das in der Rechtspraxis zumeist nur mit dem Ziel durchgeführt werde, das Strafbegehren des Klägers durch das Aufstellen formaler Barrieren zu unterlaufen. Hieraus ergebe sich eine Rechtsschutzlosigkeit des Privatklägers. Die Abschaffung dieser Institution entspreche daher dem Gerechtigkeitsgebot90 . Überwiegend spricht man sich aber für die Beibehaltung des Schiedsmannsinstituts als "örtliche Schlichtungsstelle und erste Auffangstation" 91 Zätzsch, Die Beteiligungsrechte des Verletzten . .. , S. 167. Meier-Bornkamp, Privatklageverfahren ... , S. 73. 85 Meier-Bornkamp, S. 73 ; vgl. auch Rieß, Die Rechtsstellung . .. , S. C 24. 86 V. Schacky, Das Privatklageverfahren ... , S. 273; siehe auch Schäfer, Zur Frage der Einführung eines friedensrichterliehen Verfahrens, S. 409f. 87 Vgl. Schauf, Entkriminalisierungsdiskussion ... , S. 214, 236ff. 88 Koewius, Die RechtswirklichkeiL . ., S. 166 f. 89 Koewius, S. 166f. 90 Ebd. 91 So bereits Schäfer, Zur Frage .. . , S. 409f. 83

84

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1. Teil: Grundlagen und Verortung des Schlichtungsverfahrens

auch für den Fall der Abschaffung oder Änderung des Privatklageverfahrens aus 92 . Das "einzig erhaltenswerte Institut im Rahmen der Privatklagevorschriften" sei das außergerichtliche Schlichtungsverfahren93 . Rieß hält es für wünschenswert, soweit die rechtspolitische Frage sich zuungunsten der Privatklage entscheiden sollte, das "erkennbar funktionierende Institut der Sühneverhandlung" aus seinem Zusammenhang mit der Privatklage herauszulösen und zu verallgemeinern 94 • Auch nach Martin soll unbedingt an der Konzeption einer dem Gerichtsverfahren vorgeschalteten außergerichtlichen Vermittlung festgehalten werden, da "ersichtlich nur diese Verbindung dem wichtigen Entkriminalisierungs- und Versöhnungsgedanken angemessenen Platz einräumt" 95 . Weiterhin würde die Abschaffung des Sühneversuchs bedeuten, auch in Fällen leichtester Kriminalität den Versöhnungsgedanken aufzugeben 96 . Trotz dieser im Ansatz gegebenen Zustimmung zum Schlichtungsverfahren vor dem Schiedsmann wird bei jeder Diskussion über dieses Institut seine funktionale Nähe zum ungeliebten Privatklageverfahren zu berücksichtigen sein. De facto ist der Sühneversuch eine negative Verfahrensvoraussetzung des Privatklageverfahrens. Der Umstand, daß das Privatklageverfahren an die Frustrationsgrenze des Verletzten heranreichen kann, muß bei der Bewertung des Schiedsmannsinstituts berücksichtigt werden. Dem Privatkläger in spe wird durch die Lektüre der einschlägigen Vorschriften der StPO recht schnell klar, daß das Privatklageverfahren, nicht zuletzt wegen der für das Gericht großzügig formulierten Einstellungsmöglichkeiten und der damit drohenden Kostenlast 97 , für ihn nicht gerade risikolos ist98 . Der Privatkläger wird wegen der Anforderungen an die Privatklageschrift99 regelmäßig anwaltliehe Beratung in Anspruch nehmen müssen, damit die Rechtsverfolgung überhaupt einige Aussicht auf Erfolg hat. Entweder von seinem Anwalt, der Polizei oder der Staatsanwaltschaft erfährt der durch ein Privatklagedelikt geschädigte Bürger, daß es vor Erhebung der Privatklage des Sühneversuchs bedarf. Hier besteht dann die Gefahr, daß sich der Verletzte beim Schiedsmann angesichts der im Privat92 93 94 95 96

Schauf, Entkriminalisierungsdiskussion . . ., S. 216. Schöch, Die Rechtsstellung .. ., S. 389. Rieß, Die Rechtsstellung ... , S. C 24. Martin, Das Sühneverfahren . .. , S. 375 f. Martin, S. 325; vgl. hierzu auch Geerds, Zur Rechtsstellung des Verletzten ... ,

s. 790- 792.

Siehe oben I. Teil, C., 1., 3. Neben diesem negativen Aspekt wird aber auch die das Genugtuungsbedürfnis des Verletzen befriedigende Wirkung der Privatklage hervorgehoben ; siehe Martin, Das Sühneverfahren .. ., S. 340, mwN. 99 Siehe oben I. Teil, C., 1., 2. 97

98

C. Rechtliche Grundlagen und quantitative Bedeutung

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klageverfahren drohenden Schwierigkeiten auf einen Vergleich "einläßt", den er bei einer anderen Ausgestaltung des Privatklageverfahrens so nicht geschlossen haben würde. Möglicherweise sieht das Opfer den Sühneversuch als (lästige) Baniere innerhalb des ohnehin als beschwerlich empfundenen Privatklageverfahrens an, zeigt sich aber angesichts der weiteren Schwierigkeiten, die die Privatklage in sich birgt, in der Sühneverhandlung kooperativ. Freilich kann dieser Überlegung entgegengehalten werden, daß dem Bürger sehr wohl bewußt ist, daß das Strafverfahren, betrieben durch die Staatsanwaltschaft, seine Interessen an einem Ausgleich des ihm entstandenen Schadens in der Regel nicht berücksichtigt. Zwar gibt es das in den §§ 403 ff. StPO geregelte Adhäsionsverfahren, wonach der Verletzte die ihm aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen Ansprüche im Strafverfahren geltend machen kann. Diesem Rechtsinstitut kommt indes keinerlei praktische Bedeutung zu 100 . Beim Schiedsmann hingegen bietet sich die Möglichkeit, mit einer einzigen Sitzung im Rahmen des Schlichtungsverfahrens sowohl den straf- als auch den zivilrechtliehen Aspekt der Tat umfassend und abschließend zu erledigen und somit einen Ausgleich zwischen Täter und Opfer herbeizuführen. Aus dieser Perspektive heraus würde dann dem Schlichtungsverfahren sogar eine erhebliche Attraktivität zukommen, welche dazu führte, daß der Verletzte diesem Institut positiv gegenüber eingestellt ist. In diesem Zusammenhang ist nämlich zu bedenken, daß der Geschädigte mit der Erstattung einer Anzeige ohnehin oftmals weniger ein Strafbedürfnis zum Ausdruck bringt als vielmehr den Wunsch, die Lösung des Konflikts in Angriff zu nehmen, wozu er alleine nicht (mehr) in der Lage ist. Nach Hanak, der sich auf eine Untersuchung am Wiener Strafgerichtsbezirk bezieht, geht es dem Verletzten, der sich mit einer Anzeige an die Polizei wendet, in der Regel um recht konkrete polizeiliche Dienstleistungen bezüglich der Konfliktregelung 101 . In diesen Zusammenhang fügt sich noch der Umstand, daß im normalen Strafverfahren das bei der Anzeigeerstattung vielleicht noch vorhandene Strafbedürfnis oftmals verschwunden ist 102• Die Erwartungen des Verletzten an die Polizei sind m.E. ohne weiteres auf den Schiedsmann zu übertragen, da die Verweisung zum Schiedsmann bzw. der Hinweis auf diese Institution häufig durch die Polizei erfolgen wird, ohne daß diese im Sinne des Verletzten tätig geworden ist 103 . Somit muß die gewünschte Dienstleistung vom Schiedsmann erbracht werden. Zu Rieß, Die Rechtsstellung ... , S. C 36 f., mwN. Hanak, Diversion ... , S. 29 ; vgl. auch Pilgram, Zwei Versuche .. ., S. IOf. ; Blankenburg, Die Mobilisierung . . ., S. 34 f. 102 Steinert, Kriminalpolitik, S. 75. 103 Siehe auch unten I. Teil, II., 2. IIX>

101

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I. Teil: Grundlagen und Verortung des Schlichtungsverfahrens

bemerken ist in diesem Zusammenhang, daß nach Rössner das Interventionsbedürfnis der Bevölkerung bis weit in den Bereich mittelschwerer Kriminalität hineingeht und zwar "auf die Wiederherstellung der Zustände, bevor das Recht gebrochen wurde" 104 . Der Sühneversuch vor dem Schiedsmann kann also bei richtiger Betrachtungsweise trotz der derzeitigen Einengung durch das Privatklageverfahren als Chance sowohl für den Geschädigten als auch den Täter aufgefaßt werden, zu einer Konfliktlösung zu kommen, die die Interessen der Parteien und nicht das Strafbedürfnis des Staates befriedigt 105 . 4. Keine Privatklage gegen Jugendliche

Viele Projekte, die sich mit Täter-Opfer-Ausgleich befassen, haben auch oder gerade jugendliche Klientel 106 . Dieser Tätigkeitsbereich ist dem Schiedsmann verschlossen 107 , weil das Privatklageverfahren gegen einen Jugendlichen nicht zur Anwendung kommt. Für den jugendlichen Täter bleibt demnach also auch bei einem Privatklagedelikt das Jugendgericht zuständig. Nach der ausdrücklichen Regelung in § 80 I JGG verfolgt die Staatsanwaltschaft eine Verfehlung, die nach den allgemeinen Vorschriften durch Privatklage verfolgt werden kann, auch dann, wenn Gründe der Erziehung oder ein berechtigtes Interesse des Verletzten, das dem Erziehungszweck nicht entgegensteht, es erfordern. Ein Heranwachsender indessen kann auch durch die Privatklage verfolgt werden, arg. e § 109 I S. l JGG. Er kann somit nach Nr. 5.2.2. der Verwaltungsvorschriften (VV) zu § 33 SchOf NW 108 Antragsgegner im strafrechtlichen Schlichtungsverfahren sein. Umgekehrt besteht aber die Möglichkeit, daß ein Jugendlicher Privatkläger ist. Hierbei wird er jedoch nach den allgemeinen Vorschriften von den Erziehungsberechtigten vertreten. Schumacher hielt aber bereits im Jahre 1955 das Schlichtungsverfahren gegen einen Jugendlichen für "rechtlich haltbar" und "zweckmäßig", da es eine Berührung des Jugendlichen mit dem Gericht vermeide, in zahlreichen Fällen "kurz und schmerzlos zu guten Erfolgen" führe und vor einer 104 Rössner, Wiedergutmachen ... , S. 26, mwN; siehe auch Sessar, Stratbedürfnis . . ., S. 46. 105 Zu den hierbei auftretenden Interessenkollisionen siehe oben I. Teil, A. 106 Vgl. Nachweise bei Schreckling, Täter-Opfer-Ausgleich ... , S. 130 (Fn. 1). 107 So ausdrücklich Nr. 5.2.4 der VV zu 33 der seinerzeitigen SchO/NW; vgl. auch v. Schacky, Das Privatklageverfahren ... , S. 23; Potrykus, § 80 JGG Anm. I; Potrykus, Zweifelsfragen . .. , S. 1137 f., mwN; Schöch, Täter-Opfer-Ausgleich ... , S. 147. 108 Die Verwaltungsvorschriften (VV) beziehen sich noch auf die bis zum 30. 06. 1993 gültig gewesene SchO/NW.

C. Rechtliche Grundlagen und quantitative Bedeutung

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gereiften Person stattfände, wobei es gerade nicht um die Verhängung einer Strafe, sondern um die Suche nach einem gerechten Ausgleich gehelo9. Aufgrund der geschilderten Gesetzeslage ist der Bearbeitung durch den Schiedsmann ein nicht unbeträchtlicher Anteil der verwirklichten Privatklagedelikte entzogen, was die folgende Darstellung verdeutlichen soll. Im Jahre 1991 etwa wurden in den alten Bundesländern einschließlich GesamtBerlin 74.932 Fälle der gefährlichen und schweren Körperverletzung, sowie 118.403 Fälle der vorsätzlichen leichten Körperverletzung bekannt. In der ersten Gruppe entfielen 13,0% der Tatverdächtigen auf Jugendliche. Bei der zweiten Gruppen waren die Jugendlichen mit 6,8% aller Tatverdächtigen vertreten. Bei der Sachbeschädigung gar, deren Verwirklichung in 95.562 Fällen bekannt geworden ist, entfiel ein Anteil von 17,6% auf jugendliche Tatverdächtige 110• II. Privatklage und Kriminalitätsaufkommen

Zur Einordnung der Privatklage in den Gesamtkontext der Strafrechtspflege soll nunmehr dargestellt werden, welche Bedeutung den der Privatklage zugänglichen Delikten gemessen am Gesamtaufkommen der registrierten Kriminalität überhaupt zukommt. Bei der Interpretation wird allerdings zu beachten sein, daß die Darstellung sich nur auf die erfaßten Privatklagedelikte bezieht. Ein erheblicher Teil der Taten verbleibt indes im Dunkelfeld, weil die Polizeibehörden bei solchen Taten oftmals die förmliche Anzeigenaufnahme verweigern. Der Überblick ist trotz seiner eingeschränkten Aussagekraft dennoch notwendig, um die (geringe) quantitative Bedeutung des Schiedsmannsinstituts verstehen zu können. 1. Kriminalitätsaufkommen a) Ausgewählte Zahlen Die Polizeiliche Kriminalstatistik weist für das Jahr 1991 für das Bundesgebiet einschließlich der neuen Bundesländer insgesamt 5.302.796 registrierte Straftaten 111 aus. Schumacher, Sühneverfahren gegen Jugendliche . .. , S. 242. Quelle: Polizeiliche Kriminalstatistik 1991, S. 71 . Hierbei ist allerdings darauf hinzuweisen, daß die fahrlässige Körperverletzung, § 230 StGB, nicht mitgezählt ist, dafür aber, die dem Schiedsmannsverfahren nicht zugängliche schwere Körperverletzung einbezogen ist, so daß die Daten nur als sehr grobe Orientierung für den Umfang der dem Schiedsmann per se entzogenen Klientel gewertet werden sollten. 111 Quelle: Polizeiliche Kriminalstatistik 1991, S. 15. 109 110

3 Gutknecht

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I. Teil: Grundlagen und Verortung des Schlichtungsverfahrens

Die gefährliche, schwere 112 und einfache vorsätzliche Körperverletzung hat hieran einen Anteil von Auf die Beleidigung entfallen Die Sachbeschädigung ist mit vertreten. Dem Schiedsmann zugänglich war demnach ein Anteil von lediglich der bekanntgewordenen Delikte 113• Der nicht zum Katalog der Privatklagedelikte gehörige und somit der Schiedsmannstätigkeit vorenthaltene Diebstahl hatte hingegen in allen rechtlichen Ausprägungen einen Anteil von 114

4,3 %. 1,6%. 9,8 o/o 15,7%

61,2%.

b) Bedeutung der Vermögensdelikte Forderung nach Ausweitung der Schiedsmannstätigkeit Allein der Diebstahl hat einen Anteil an der bekanntgewordenen Gesamtkriminalität von fast zwei Dritteln. Die obigen Zahlen machen schon deutlich, daß der Schiedsmann, wegen der fehlenden Zuständigkeit bei Verrnögenskriminalität, von der Bearbeitung des Hauptanteils der bekanntgewordenen Straftaten ausgeschlossen ist. Gerade leichtere Vermögensdelikte dürften aber wegen der regelmäßig nur materiellen Tatfolgen einer Wiedergutmachung relativ leicht zugänglich sein. Das Opfer ist nämlich nicht in der Intensität in seinem Integritätsinteresse betroffen, wie dies etwa bei einer vorsätzlichen Körperverletzung der Fall ist. Dementsprechend wird oftmals auch die Ausweitung der Zuständigkeit des Schiedsmannsinstituts allgemein auf Delikte mit geringer Schuld namentlich 112 Es muß angemerkt werden, daß die schwere Körperverletzung nicht Gegenstand des Privatklageverfahrens ist. Die polizeiliche Kriminalstatistik, aus welcher die Daten entnommen sind, weist eine exaktere AufschlüsseJung nicht auf. Für einen Überblick erscheint allerdings dieser "Mangel" hinnehmbar. Weiterhin ist die fahrlässige Körperverletzung nicht mitgezählt. Es kann aber unterstellt werden, daß sich die weitaus meisten Fälle der fahrlässigen Körperverletzung im Straßenverkehr ereignen. Hierbei ist Nr. 243 III, IV RiStBV zu berücksichtigen. Die Staatsanwaltschaft wird darum regelmäßig das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejahen, mit der Folge, daß der Schiedsmann mit der Tat per se nicht befaßt werden kann. liJ Die zahlenmäßig unbedeutenden Delikte: Bedrohung und Verletzung des Briefgeheimnisses sind hierin nicht enthalten. 114 Das Zahlenmaterial entstammt der Polizeilichen Kriminalstatistik aus dem Jahre 1991 , S. 15.

C. Rechtliche Grundlagen und quantitative Bedeutung

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im Bereich der Vermögenskriminalität gefordert 115 • Nach Schulte 116 bietet sich der Schiedsmann geradezu an, weitere Aufgaben zu übernehmen. Allerdings werden auch Bedenken gegen eine pauschale Ausweitung der Zuständigkeit etwa auf Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen (§ 248a StGB), sowie Erschleichen von Leistungen (265a StGB) mit dem Hinweis geäußert, der Schiedsmann würde zum "Büttel justizieller Entlastungsstrategien und damit zum Inkassobeamten von Warenhausketten und Verkehrsbetrieben degradiert" 117 • Zutreffend an dieser Auffassung ist jedenfalls der Umstand, daß der Aussöhnungsgedanke bei solchen Delikten aufgrunddes anonymen Opfers stark in den Hintergrund tritt 118 • Festzuhalten ist, daß die Gesamtkriminalität maßgeblich vom Diebstahl bestimmt wird und der Schiedsmann auf diesem Gebiet nicht zuständig ist.

2. Quantitative Entwicklung der Privatklagen - Verweisungspraxis Die tatsächlich vor Gericht erhobenen Privatklagen sind im geschichtlichen Zusammenhang gesehen sehr stark rückläufig. So wurden etwa in den Jahren 1925 bis 1931 jährlich ca. 64.300 Privatklagen vor den Amtsgerichten anhängig 119• Beispielsweise waren demgegenüber im Jahre 1981 nur noch ca. 9.800 Privatklagen anhängig 120• Dieser Wert entspricht einem Betrag von 0,93 % aller beim Amtsgericht anhängigen Strafsachen 121 . In diesem Zusammenhang ist die Verweisungspraxis der Staatsanwaltschaft zu beachten. Im Vorfeld verdient aber schon das Verhalten der Polizei eine nähere Betrachtung. Diese möchte nämlich der Bearbeitung eines Privatklagedeliktes durch Hinweis auf das Schlichtungsverfahren aus dem Weg gehen. Oftmals wird die förmliche Aufnahme einer Anzeige verbunden mit der WeiJahn, Sinn und Perspektiven .. . , S. 4; Gottwald, Streitbeilegung ... , S. 251. Schulte, Die Erweiterung .. ., S. 39. 117 Neumann, Zur außergerichtlichen Schlichtung, S. 150. 11 8 V gl. Rieß, Opferschutz .. ., S. 53 f. Diese Thematik kann im Rahmen der Arbeit jedoch nicht vertieft werden. Zu den unterschiedlichen Erscheinungsformen des Opfers siehe Rieß, Die Rechtsstellung . . ., S. C 63 ff., der den "Grad der emotionalen Berührtheit des Verletzen durch den Normbruch" anspricht. 11 9 V gl. Hartung, Änderung ... , S. 45; siehe auch die Angaben bei v. Hentig, Zur Psychologie ... , S. 208 ff. 120 Diese Angabe stammt von Rieß, Die Rechtsstellung .. . , S. C 23 . 12 1 Vgl. Rieß, S. C 23, wobei die Bezugsgröße der amtsgerichtliehen Daten sich einschließlich der Strafbefehlsverfahren versteht. Die Bußgeldverfahren sind nicht miterfaßt. Der Privatklageanteil in Bezug auf die Hauptverhandlungen betrug nach Rieß im Jahre 1981 sogar nur 0,57 %. 115

116

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I. Teil: Grundlagen und Verortung des Schlichtungsverfahrens

terleitung des Vorganges an die Staatsanwaltschaft quasi verweigert. Empirische Daten hinsichtlich der Verweisungspraxis der Polizei werden dort nicht erhoben. Kürzinger berichtet aber aufgrund einer von ihm durchgeführten Untersuchung, daß bei Delikten gegen die Person die Verweigerungsquote der Polizei bei 70% lag, bei Delikten gegen Eigentum und Vermögen hingegen nur bei 3% 122 • Nach Kaiser besteht wohl allgemein die Tendenz, kleinere Delikte gegen die Person nicht als Straftaten zu qualifizieren 123 • Diese Angaben decken sich mit den Erfahrungen, die der Verfasser durch eine Befragung von Polizeibeamten im Gebiet der Polizeipräsidenten Köln und Leverkosen im April 1990 gemacht hat. Danach wird bei Privatklagedelikten, insbesondere Körperverletzungen und Beleidigungen im "Wirtshausmilieu" von dem Hinweis auf das Privatklageverfahren bzw. dem vorgeschalteten Sühneversuch beim Schiedsmann ausgiebig Gebrauch gemacht und die Aufnahme einer Anzeige schlicht abgelehnt. Im Bezirk des Polizeipräsidenten Leverkosen bekommt der durch ein Privatklagedelikt geschädigte Bürger ein Merkblatt ausgehändigt, welches unter anderem folgenden Wortlaut hat: " ... Da es sich in Ihrem Fall um ein solches Delikt (Privatklagedelikt, d. V.) handelt, müßten Sie, wenn Ihre Klage erfolgreich sein soll, zunächst einen Schiedsmann aufsuchen, um dort einen Sühneversuch mit Ihrem Kontrahenten zu erwirken ... Grundsätzlich können Sie auf Aufnahme einer Anzeige durch diese Polizeidienststelle bestehen. Wir machen Sie jedoch darauf aufmerksam, daß wir diese Anzeige dann ohne weitere Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft weitergeben werden. Von dort wird regelmäßig die Klageerhebung nicht erfolgen ..." Diese Ausführungen stehen auch in einem gewissen Widerspruch zu Nr. 87 I S. 1,2 RiStBV, da nur die Staatsanwaltschaft über die Verweisung auf den Privatklageweg entscheiden darf und die Polizei, soweit sie ein öffentliches Interessse an der Strafverfolgung nicht sieht, den Vorgang ohne weitere Ermittlungen der Staatsanwaltschaft vorlegen soll. Hinsichtlich der der Staatsanwaltschaft (dennoch) bekanntgewordenen Privatklagedelikte gilt folgendes : Betrug die Zahl der Verweisungen 1977 noch so stieg sie 1981 auf Verweisungen an. Im Jahre 1977 wurden Privatklagen erhoben, wohingegen dieser Wert im Jahre 1981 auf abgesunken ist.

77.200, 93.800 13.700 9.000

122 Kürzinger, Private Strafanzeige ... , S. 160, 217 ; vgl. auch Rieß, Die Rechtsstellung ... , S. C 24. 123 Kaiser, Möglichkeiten ..., S. 883 f.

C. Rechtliche Grundlagen und quantitative Bedeutung

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Obwohl also die Verweisungsrate innerhalb des genannten Zeitraums gestiegen ist, ist die Zahl der tatsächlich erhobenen Privatklagen rückläufig. Das Verhältnis von tatsächlich erhobenen Klagen 124 und Verweisungen auf den Privatklageweg ist demnach von 17,7% im Jahre 1977 auf 10,4% im Jahre 1981 gesunken 125 . Der weitaus größte Teil der von der Staatsanwaltschaft auf den Privatklageweg verwiesenen Delikte wird folglich außergerichtlich erledigt. Hinzu kommt, daß der Staatsanwaltschaft aufgrund der polizeilichen Praxis ohnehin nur ein geringer Teil der Fälle zur Kenntnis kommt. Die Erledigung kann entweder durch das in § 380 I S. 1 StPO vorgesehene Sühneverfahren erfolgen, oder auch schlicht dadurch, daß der Verletzte das Interesse an einer Verfolgung der Angelegenheit in einem Strafverfahren verliert und sich (nur noch) der Durchsetzung der aus der Tat erwachsenden zivilrechtliehen Ansprüche widmet oder die Sache auf sich beruhen läßt. Aber auch die Fälle, in denen der Verletzte tatsächlich Privatklage erhoben hat, werden nur recht selten mit einem Urteil abgeschlossen. Nach RieB wurden im Jahre 1981 8,6% der 9.786 bei den Amtsgerichten anhängigen Privatklagen durch Urteil abgeschlossen, wobei die allgemeine Urteilsquote beim Amtsgericht 57% betrug 126. 47 % der amtsgerichtliehen Urteile in Privatklagesachen wurden durch Berufung angefochten. Hingegen verhielt sich der Berufungsanteil beim Amtsgericht insgesamt nur über 15 % 127 • Driendl 128 und Berckhauser/Steinhilper 129 berichten von Verurteilungsquoten, die bei 8,4 % bzw. 5% liegen. Die Ursachen für die vergleichsweise niedrigen Verurteilungsquoten können vielfältig sein. Sie reichen von der Möglichkeit der querulatorischen Klageerhebung bis zu einem gewissen Desinteresse des Gerichts an derartigen Vorgängen, verbunden mit dem Bestreben des Richters, die Angelegenheit möglichst schnell zu erledigen. Das Strafbedürfnis eines auf Bestrafung des Täters fixierten Verletzten, den es indes relativ selten gibt 130 , wird demnach durch das Privatklageverfahren kaum befriedigt.

124 In diesem Wert sind auch die Privatklagen erfaßt, die nach Erlangung der negativen Sühnebescheinigung, aber ohne vorherige Einschaltung der Staatsanwaltschaft erhoben worden sind. 125 Die Daten sind entnommen aus Rieß, Die Rechtsstellung ... , S. C 23, Fn. 83. 126 Rieß, Die Rechtsstellung ... , S. C 22, Fn. 76. 127 Ebd. 128 Driendl, Wege ... , S. 1061. 129 Berckhauser/Steinhilper, Opferschutz ... , S. 87. no Siehe oben I. Teil, C., I., 3.

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I. Teil: Grundlagen und Verortung des Schlichtungsverfahrens

111. Umfang der Schiedsmannstätigkeit; informeller Sühneversuch

1. Übersicht über die Entwicklung des Geschäftsgangs der Schiedsmänner Es wurde bereits ausgeführt, daß die auf die Privatklage verwiesenen Vorgänge, soweit keine Privatklage erfolgt, sowohl durch Untätigkeit des Opfers als auch durch einen (erfolgreichen) Sühneversuch erledigt werden können. Die folgende Darstellung zeigt, daß die Geschäftsbelastung der Schiedsmänner in der Vergangenheit stark rückläufig ist. Die Zahlen beziehen sich selbstverständlich nur auf diejenigen Bundesländer 131 , die das Schiedsmannsinstitut als Sühnestelle i.S. v. § 380 I S. I StPO beibehalten haben.

Jahr

Gesamtzahl der Strafsachen 132

1965

51.233

1975

37.077

Differenz zum vorangegangenen Zeitraum

-27,6% -22,9%

1980

28.576

1981

28.065

-

1,8 %

1982

28.033

-

0,1 % 5,4 %

1983

26.495

-

1984

21.615

- 18,4 %

1985

20.462

-

5,3 %

1986

19.148

-

6,4 %

1987

18.779

-

1,9%

1988

18.304

-

2,5 %

1989

17.659

-

3,5 %

1990

16.364

-

7,3 %

1991

15.729

-

3,9 %

- 28,4%

-23,1%

Feststellbar ist also ein stetiger Rückgang der Fallzahlen, der von 1965 bis 1991 69,3 % betragen hat. Der Abnahme der Geschäftsbelastung folgte 131 Dies sind: Berlin, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, RheinlandPfalz, Saarland, Schleswig-Holstein ; siehe auch oben I. Teil, C., I., I. 132 Daten 1965 - 1980 aus SchsZtg 1986, S. 140, entnommen. Die übrigen Daten stammen aus den jeweiligen Jahrgängen der SchsZtg.

C. Rechtliche Grundlagen und quantitative Bedeutung

39

auch ein kontinuierlicher Abbau der Gesamtzahl der Schiedsmänner. Hierzu folgende Übersicht:

Jahr

Zahl der Schiedsmänner 133

1965

8.695

Differenz zum vorangegangenen Zeitraum

1975

5.022

-42,2%

1980

3.986

- 20,6 %

1985

3.860

-

3,1%

1987

3.843

-0,4%

1988

3.827

-0,4%

1989

3.758

-1,8%

1990

3.770

+ 0,3 %

-

2,3%

1991

3.748

- 0,6%

Der Rückgang der Zahl der Amtsinhaber beträgt demnach im Zeitraum vom 1965 bis 1991 immerhin 56,9%. Hier ist in den achtziger Jahren aber eine Stabilisierung erkennbar. Große Unterschiede ergeben sich bei der "Pro-Kopf-Belastung" der Schiedsmänner, unter Betrachtung der einzelnen Bundesländer. Für das Jahr 1987 ergibt sich folgendes 134 :

Bundesland

durchschnittliche Anzahl an Sühneverhandlungen pro Schiedsmann

Schleswig-Holstein

1,4

Niedersachsen

1,7

Nordrhein-Westf.

7,7

Hessen

2,3

Rhein!.-Pfalz

3,5

Saarland

3,4

Berlin

5,0

133 SchsZtg 1986, S. 140, für die Jahre 1965 - 1980. Die übrigen Zahlen sind den betreffenden Jahrgängen der SchsZtg entnommen. 134 Vgl. SchsZtg 1988, S. 188.

40

I. Teil: Grundlagen und Verortung des Schlichtungsverfahrens

,Durchschnittlich hatten die Schiedsmänner somit 3,6 Sühneverhandlungen durchzuführen. Die regionalen Unterschiede können zum Teil mit der ungleichmäßigen Kriminalitätsbelastung der einzelnen Bundesländer erklärt werden, aber auch das Resultat unterschiedlich großer Bezirke sein, die ein Schiedsmann zu betreuen hat 135 . Zu denken ist auch an eine unterschiedliche Verweisungspraxis der Polizeibeamten. Die Erlolgsquote der Schiedsmänner in Strafsachen blieb im Laufe der Jahre recht stabil. Sie betrug im Jahre 136:

Jahr

Erfolgsquote

1965

54,7 %

1975

51,2 %

1980

50.8 %

1985

50,3 %

1990

47,6%

1991

47,8%

Im Durchschnitt liegt demnach die Erlolgsquote bei etwa 50%, wobei ein erlolgreicher Verlahrensabschluß dann gegeben ist, wenn zwischen den Parteien ein Vergleich abgeschlossen wird. Legt man der Betrachtung eine (noch) größere Zeitspanne zugrunde, so ist ein beständiges Ansteigen der Erlolgsquote von 31,6% im Jahre 1900 auf 54,7 % im Jahre 1965 zu beobachten 137 . Hinzuweisen ist noch darauf, daß obige Werte die Erlolgsquote bezogen auf alle Strafsachen darstellen. Es sind also auch Verfahren erlaßt, die allein deswegen keinen Erfolg hatten, weil eine Partei nicht erschienen ist. Unter Zugrundelegung nur der Verlahren, bei welchen auch beide Parteien erschienen sind, erhöht sich die Erfolgsquote beispielsweise für das Jahr 1990 auf 54,6% und das Jahr 1991 auf 55,1 % 138 • 135 Vgl. Serwe, Auswertung ... , S. 183 f., 188. Im Saarland entfallen nach Serwe auf einen Schiedsmann 4.153 Bürger. In Nordrhein-Westfalen liegt dieses Verhältnis bei 12.955. Auch liegt in Nordrhein-Westfalen die Häufigkeit von Beleidigungsund Körperverletzungsdelikten mit einer Tat auf 1.470 Erwachsene im Jahr 1987 über der des Bundes mit 2.124 (alte Bundesländer). 136 Werte bis zum Jahr 1985 aus SchsZtg 1986, S. 139f., danach aus SchsZtG 1992, S. 152 f., entnommen. 137 Hanak, Diversion ... , S. 7. 138 SchsZtg 1992, S. 152f.

C. Rechtliche Grundlagen und quantitative Bedeutung

41

Die erzielten Vergleichsquoten sind angesichts des Umstandes, daß es sich bei dem Fallmaterial um eine gewisse Negativauswahl handelt - der Konflikt ist bereits zu einem strafrechtlich relevanten Tatbestand eskaliert erstaunlich hoch und können sich durchaus mit vergleichbaren ausländischen Modellen messen 139 . Dieser Bereich wird jedoch in der empirischen Untersuchung noch näher zu betrachten sein. 2. Erklärungsversuche für das geringe Fallaufkommen und den Rückgang der Geschäftstätigkeit

a) Der informelle Sühneversuch Die Bewertung des geringen Fallaufkommens muß vor dem Hintergrund einer als informeller Sühneversuch 140 bezeichneten Erscheinung erfolgen. Hierbei wird kein offizieller, sich in der Statistik niederschlagender Vorgang eingeleitet. Der Schiedsmann vermittelt in einer erheblichen Anzahl von Fällen bereits im Vorfeld des offiziellen Schlichtungsverfahrens, indem er den(potentiellen) Antragsteller, der sich an ihn wendet, derart berät, daß die Durchführung eines offiziellen Sühneversuchs unterbleiben kann. Bierbrauer/Falke/Koch berichten von einer Quote von ca. 50 % aller Fälle, die ohne Einleitung eines offiziellen Schlichtungsverfahrens erledigt werden 14 1• Auf dem Lande sollen sogar 57% der Fälle auf diesem Wege erledigt werden 142 . Erklärung hierfür könnte eine höhere Vertrautheit und Bekanntheit des Schiedsmanns mit den Parteien in solchen Regionen sein. Die informellen Aktivitäten des Schiedsmanns können etwa in emem Anhören des Antragstellers liegen, der sich - möglicherweise - lediglich einmal aussprechen oder die Meinung eines Dritten hören will 143 . Röhl, der von Tür- und Angelfällen spricht, hat den informellen Sühneversuch bereits umfassend untersucht 144• Die von ihm befragten 326 Schiedsmänner haben zur Praxis der Tür- und Angelfälle, bei denen es lediglich zu Vorgesprächen, aber nicht zu einer offiziellen Antragstellung auf DurchWeigend, Deliktsopfer. . ., S. 274 f. V gl. hierzu etwa Martin, Zur funktionellen und praktischen Bedeutung ... , S. 21; Drischler, Die unsichtbare Arbeit. .. , S. 102 ff. 141 Bierbrauer/Falke/Koch, Konflikt. .. , S. 171; vgl. auch Drischler, Die unsichtbare Arbeit. .. , S. 103. 142 Bierbrauer/Falke/Koch, S. 171. 143 Hiervon berichtet bereits im Jahre 1942 Hartung, Änderung .. ., S. 44. 144 Vgl. die Zusatzbefragung der Schiedsleute in der Untersuchung von Röhl, Das Güteverfahren . . ., S. 506 ff. 139 140

42

I. Teil: Grundlagen und Verortung des Schlichtungsverfahrens

führung eines Schlichtungsverfahrens gekommen ist, folgende Angaben gemacht 145 : "Tür- und Angelfälle" 1,2%

keine Fälle I - 10 Fälle

42,3%

II - 20 Fälle

21 - 40 Fälle

keine Fälle

7,1%

1 - 5 Fälle

25,8%

29,1%

6- 10 Fälle

18,4%

18,1%

11 - 15 Fälle

17,1%

41 und mehr Fälle (bis 150) KA

"Offizielle Fälle 1984" 146

= 0,3%

9,1%

16 und mehr (bis 67) 29,1% KA = 1,8%

N = 326

Folgende Gründe waren nach Auffassung der befragten Schiedsmänner für die Nichtdurchführung eines Sühneversuchs nach der informellen Befassung mit der Sache maßgeblich 147 : häufigster Grund

zweithäufigster dritthäufigster Grund Grund

I. Die Vorschußforderung hat den potentiellen Antragsteller abgeschreckt.

24,2 %

16,0%

11,7 %

2. Ich habe vom Antrag abgeraten.

9,2%

10,4%

12,6%

3. Der potentielle Antragsteller wollte nach unserem Gespräch erst noch einmal mit dem Gegner verhandein.

9,2%

7,1%

7,1%

4. Der potentielle Antragsteller konnte sich dann doch noch mit dem Gegner einigen.

0,6%

4,6%

3,7%

5. Ich konnte die Angelegenheit durch ein informelles Gespräch mit dem Gegner klären.

12,9%

10,1 %

4,9%

6. Der potentielle Antragsteller wollte sich eigentlich nur einmal aussprechen.

14,1 %

16,9%

13,2 %

145 Röhl, S. 506 ff., wobei die Zählung auch die zahlenmäßig unbedeutenden zivilrechtliehen Tür- und Angelfälle erfaßt. 146 Strafrechtliche und zivilrechtliche Fälle insgesamt, Röhl, S. 508. 147 Röhl, S. 508.

C. Rechtliche Grundlagen und quantitative Bedeutung häufigster Grund

43

zweithäufigster dritthäufigster Grund Grund

7. Dem potentiellen Antragsteller erschien die Sache dann doch nicht mehr so wichtig.

8,0%

8,9 %

7,1 %

8. Unzuständigkeit des Schiedsmanns.

4,6%

4,9%

14,1 %

17,2%

21,2%

25,2 %

(KA; Angabe nicht verwertbar 14 8 )

Obige Zahlen belegen deutlich, daß die Schiedsleute häufig tätig werden, ohne daß eine förmliche Befassung mit der Angelegenheit erfolgt. Erstaunlich ist, daß es wesentlich mehr Schiedsmänner gibt, die keinen offiziellen Fall hatten, als solche, die keinen inoffiziellen Fall hatten. Offenbar überwiegt sogar die informelle Tätigkeit der Schiedsleute, denn 44,2% hatten 1 - 10 offizielle Fälle und 42,3 % hatten I - 10 inoffizielle Fälle, wohingegen nur 46,9% mehr als I0 offizielle Fälle vorweisen konnten, wobei dieser Wert bei den inoffiziellen Fällen aber bei 56,3% liegt. Die Gründe, warum bei der informellen Tätigkeit des Schiedsmanns dieser dann schließlich nicht offiziell tätig werden muß, sind mannigfaltig. Bemerkenswert ist zunächst, daß dieser Umstand oftmals nicht auf Bemühungen des Schiedsmanns zurückzuführen ist, sondern auf die anscheinend abschreckend wirkende Kostenvorschußforderung. In immerhin 12,9 % der Fälle nannten die Schiedsleute als häufigsten Grund ein informelles Gespräch mit dem Gegner, wobei über Inhalt und Ergebnis dieser Gespräche nichts bekannt ist. Häufig genannt wurde auch die eingangs angesprochene Vermutung, daß sich in vielen Fällen der Antragsteller eigentlich nur einmal aussprechen wollte, bzw. ihm nach dem Gespräch die Angelegenheit nicht mehr als wichtig erschien. Keine Bedeutung kommt einer Einigung zwischen den Parteien zu, die nach dem Gespräch des Antragstellers mit dem Schiedsmann erreicht werden konnte. Offenbar kann der Schiedsmann dem Antragsteller insoweit keine Kenntnisse oder Fertigkeiten vermitteln, die es letzterem erlauben würden, die Konfliktlösung ohne die Hilfe eines Dritten zu betreiben. In anscheinend aussichtslosen Angelegenheiten rät der Schiedsmann von einer Antragstellung ab. Diese - vom Umfang her erhebliche - Tätigkeit taucht nicht in der Statistik auf. Insgesamt verstehen es die Schiedsmänner in diesem Bereich nicht, ihre Arbeit und den hiermit verbundenen Erfolg sichtbar zu machen 149• Die amtli148 Die hohen Werte dürften auf die nicht ganz einfache Art der Aufgabenstellung zurückzuführen sein. 149 Drischler, Die unsichtbare Arbeit. .. , S. 102.

44

I. Teil: Grundlagen und Verortung des Schlichtungsverfahrens

ehe Statistik gibt also weder den gesamten Umfang noch die gesamte Breite der Schiedsmannstätigkeit wieder. Die staatlichen Anordnungen über die Datenerhebung zum Schiedsmannswesen sind besonders praxisfremd 150 und zeugen von einer überkommenen Einstellung zu dieser Institution, basierend auf dem Gedanken der Annexfunktion zum Privatklageverfahren. Das Schlichtungsverfahren soll hierbei der Privatklage- quasi als Filter- vorgeschaltet sein, so daß lediglich das Ergebnis eines offiziellen Schlichtungsverfahrens von Belang ist, wobei anzumerken ist, daß das Ergebnis auch nur nach der Kategorie Erfolg/Mißerfolg erfaßt wird. Den Schiedsmännern wird daher - wohl zu Recht - ein mangelnder Wille zur Selbstdarstellung vorgeworfen151. Die geringe Fallbelastung der Schiedsmänner wird also um die informell erledigten Angelegenheiten erhöht. Indes kann der informelle Sühneversuch nicht als Erklärung für den zum Teil erheblichen Rückgang der Fallzahlen herangezogen werden. Für einen hiermit verbundenen Anstieg der informellen Tätigkeit liegen keine Anhaltspunkte vor, zumal es keine längerfristigen Erhebungen zu diesem Bereich gibt. b) Ursachen für den Rückgang der EingangszahlenGedanke der Meidung Die Ursachen für den Rückgang der Geschäftstätigkeit der Schiedsmänner in Strafsachen sind noch weitgehend unerforscht. Verkürzt wäre es, die Ursache in der Rückläufigkeit der Privatklage allgemein zu sehen, denn sinkende Privatklagezahlen ließen sich mit einer erfolgreichen Tätigkeit der Schiedsmannsinstitution erklären. Auch sind die steigenden Verweisungen der Staatsanwaltschaft auf den Privatklageweg zu berücksichtigen, so daß an sich ein Ansteigen der Geschäftstätigkeit der Schiedsmänner festgestellt werden müßte. Der Rückgang der Fallzahlen kann von vielen Faktoren bedingt sein. Denkbar ist eine gewisse Skepsis der Antragsteller der Institution gegenüber. Die Vorbehalte könnten das Schiedsmannsinstitut als ungeeignet und nicht mit der nötigen "Machtfülle" ausgestattet erscheinen lassen. Weiterhin könnte der Sühneversuch gar als lästig empfunden werden. Zu denken ist auch an ein - empirisch kaum erfaßbares - Vordringen des soeben behandelten informellen Sühneversuchs. Auszuschließen ist mit einiger Sicherheit eine Senkung der tatsächlich nicht rückläufigen Kriminalitätsrate 152 . Die Kriminalität stagniert auf einem 150 JSJ

152

Anmerkung der Redaktion zu Drischler, Die unsichtbare Arbeit ... , S. 104 f. Siehe obige Fußnote. Vgl. hierzu Süssmuth, Die ehrenamtliche Tätigkeit ... , S. 3.

C. Rechtliche Grundlagen und quantitative Bedeutung

45

recht hohen Stand. Von einem wesentlichen, sich im Bereich des Schiedsmannsinstituts auswirkenden Rückgang, kann demnach nicht die Rede sein 153 . In denfünfzigerund sechziger Jahren wurden die seinerzeit stark fallenden Eingangszahlen der Schiedsmänner mit der sozialen Beruhigung, verbunden mit dem wirtschaftlichen Aufschwung der damaligen Zeiten begründet 154 . Diese vermeintlichen Ursachen werden jedoch heute nicht mehr zur Erklärung der Rückläufigkeit herangezogen werden können, zumal die Kriminalität in diesem Bereich absolut gesehen gerade nicht weiter gesunken ist. Weiterhin wird vermutet, die Akzeptanz der Bevölkerung zu den in Frage stehenden "Bagatelldelikten" habe in der vergangenen Zeit zugenommen, so daß manch ein Bürger eine dem Schiedsmann zugängliche Tat nicht gesühnt wissen wolle 155 . Steigende Gleichgültigkeit kann aber bei den Körperverletzungsdelikten nicht ohne weiteres unterstellt werden, so daß mit einem Einstellungswandel in der Bevölkerung allenfalls ein Absinken der Fälle erklärbar ist, die nur eine Beleidigung zum Gegenstand haben. Die seit Anfang des 20. Jahrhunderts mit der Zunahme der Industrialisierung und Technisierung rasant steigende Anonymität wird einen wesentlich größeren Einfluß auf den Rückgang der Fallzahlen haben. Durch diese Einflüsse hat nämlich das "Aufeinanderangewiesensein" der früher vornehmlich anzutreffenden dörflichen Gemeinschaften mit deren überschaubaren Sozialkontakten abgenommen. Der in der heutigen Zeit lebende Mensch hat in der Regel wesentlich mehr Möglichkeiten, eine bestimmte Person zu meiden und somit einem Konflikt sowie dessen förmlicher Regelung aus dem Wege zu gehen als dies zum Anfang des Jahrhunderts der Fall gewesen sein mag. Ein solches Verhalten wird auch als avoidance bezeichnet 156 . 153 Martin, Das Sühneverfahren . .. , S. 296, ist der Ansicht, daß die Bundesbürger in dem hier interessierenden Bereich "sogar wieder etwas rabiater miteinander umzugehen scheinen". 154 Hartung, Übersicht. .. , S. IOOf., der weiterhin anmerkt, der Rückgang beruhe auf der seinerzeit eingetretenen Beruhigung auf dem Wohnungsmarkt, einhergehend mit der Beseitigung der durch zu engen Wohnraum entstehenden "Reibungsflächen". 155 Martin, Das Sühneverfahren ... , S. 297, unter Hinweis auf Hoffmann, Der Schiedsmann . . ., S. 162, der allerdings nicht von einer gestiegenen Akzeptanz spricht, sondern von einer zeitbedingten Abschwächung des Strafbedürfnisses seitens des Verletzten; vgl. auch Weigend, Viktimologische und kriminalpolitische Überlegungen ... , S. 778 f., der den Rückgang in einer "geringeren Empfindlichkeit gegenüber alltäglichen Beschimpfungen und Querelen" begründet sieht; Blankenburg/Morasch, Schieds- und Schlichtungsstellen .. ., S. 217, machen den "Abbau von empfindsamen Ehrvorstellungen" für den Rückgang der Tätigkeitsbelastung verantwortlich. 156 Felstiner, Avoidance . .. , S. 695, umschreibt avoidance wie folgt: "The notion of avoidance is that a party may change his behavior on account of the dispule in such a way that his relationship with the other disputant is, at least temporarily, shrunk or terminated."

46

I. Teil: Grundlagen und Verortung des Schlichtungsverfahrens

Die Konfliktbehandlung durch avoidance soll in differenzierten Gesellschaften leichter möglich sein als in solchen, die sich durch Kleingruppen auszeichnen 157• Allerdings wird an dieser Art des Konfliktmanagements auch Kritik geübt. Gottwald meint, die hiermit verbundenen immateriellen Kosten - jedenfalls wenn es um Dauerbeziehungen gehe - seien zu hoch 158 . Sein Argument, die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung dürfte eine Verringerung der Mobilität nach sich ziehen und daher eine Meidung auch in komplexen und mobilen Gesellschaften zunehmend erschweren 159, erscheint aber angesichts der tatsächlichen Verhältnisse wenig tragfähig. Der Gedanke der Meidung läßt sich übrigens auch auf die Tätigkeit von Vermittlungsstellen übertragen und somit konzeptionell in die Schlichtung einbinden 160• Es muß nämlich nicht unbedingt Ziel des Sühneversuchs sein, eine Beziehung wiederherzustellen. Auch ein im Wege des Vergleichs geregeltes Meiden des Kontrahenten erscheint, soweit keine besonderen sozialen Beziehungen bestehen, und der Geschädigte seinen Schaden für relativ gering erachtet 161 , geeignet, eine Einigung herbeizuführen. Dies gilt namentlich dann, wenn keine Umstände erkennbar sind, die ein (weiteres) Zusammenleben als unabdingbar anmuten lassen. Ein "Sich Vertragen" oder gar eine Aussöhnung muß daher nicht unbedingt Ziel der Bemühungen sein. Der Schiedsmann kann also zunächst versuchen, verwickelte Beziehungen zu entwirren und wiederherzustellen. Er kann seine Bemühungen aber auch dahin lenken, eine geordnete Auflösung bzw. Reduktion der Beziehungen zu betreiben 162 . In unserer komplexen, zunehmend anonymen Gesellschaft stellt sich somit avoidance, unabhängig ob im Vorfeld einer offiziellen Konfliktbearbeitung durch einseitiges Verhalten bedingt oder durch eine Vereinbarung zwischen den Konfliktparteien geregelt, als eine diskussionswürdige VariDanzig/Lowy, Everyday disputes . . ., S. 676 ff. Gottwald, Streitbeilegung ... , S. 33 - 37; vgl. auch Danzig/Lowy, S. 676ff; Felstiner, Avoidance . .. , S. 695 ff. 159 Gottwald, S. 33 - 37. 160 Hanak, Diversion . . ., S. 22, stellt im Rahmen des Mediation-Konzeptes des Kansas City Neighborhood Justice Center (KCNJC) dar, daß die Konfliktregelung des primär auf die Erwartungen der Beteiligten ausgerichteten Verfahrens, in welchem also nicht Schuldzuschreibung oder Rekonstruktion des Sachverhaltes im Vordergrund stehen, auch darin bestehen kann, sich künftig aus dem Weg zu gehen. 16 1 Vgl. Hanak, Vermittlung ... , S. 43. 162 Nach Weigend, Rezension . . . , S. 318, ist der Schiedsmann "sicher nicht" in der Lage, langfristig verwickelte Beziehungen zu entwirren, was im übrigen an der lediglich einmaligen Intervention liegen dürfte, jedoch zeige die Erfahrung bei amerikanischen Projekten, daß es in der Regel um die "anständige" Auflösung der Beziehungen gehe. 157

158

C. Rechtliche Grundlagen und quantitative Bedeutung

47

ante des Konfliktmanagements dar 163 . Inwieweit derartige Überlegungen in die Praxis der Schiedsmannstätigkeit bereits Eingang gefunden haben, mithin sich in Vergleichsergebnissen niederschlagen, ist bislang noch ungeklärt. Insgesamt wird also, angesichts der gewachsenen Dichte an Angeboten im Freizeitbereich und der damit einhergehenden Auswahlmöglichkeit an sozialen Kontakten 164, oft gar nicht das Bedürfnis bestehen, jeden Konflikt in einem "offiziellen" Forum auszutragen. Wenn die eingangs angesprochene gestiegene soziale Akzeptanz gegenüber kleineren Delikten so zu verstehen ist, ist diesem Ansatz beizupflichten. Wegen der zunehmend fallenden Bereitschaft zur unmittelbaren Auseinandersetzung mit dem Konfliktpartner wird teilweise angenommen, daß hiermit auch der Wille zur Teilnahme an einer vermittelnden auf Ausgleich bedachten Konfliktlösung abnehme, da dem Bürger hierbei ein gewisses Maß an Eigeninitiative, Interesse und Beständigkeit abverlangt werde 165 . Dem stehe eine steigende gerichtsförmige und weitgehend anonyme, sowie die auf Meidung ausgerichtete Konfliktbefassung gegenüber 166 . Eine Erklärung für den Rückgang der Gesamtbelastung könnte weiterhin darin liegen, daß angesichts der zunehmenden Zahl der rechtsschutzversicherten Bürger, einhergehend mit steigenden Anwaltszahlen, ein Trend zur Durchsetzung lediglich der aus der Tat erwachsenden zivilrechtliehen Ansprüche besteht. In diesem Zusammenhang ist denkbar, daß selbst die Rechtsanwälte vom Privatklageweg und somit mittelbar auch dem strafrechtlichen Schlichtungsverfahren vor dem Schiedsmann abraten 167 , und das Interesse auf die gerichtliche Durchsetzung der aus der Tat erwachsenen zivilrechtliehen Ansprüchen lenken. Maßgebliche Bedeutung könnte wohl auch dem Umstand zukommen, daß der Bürger die mit der Privatklage verbundenen bürokratischen Hemmnisse sowie das Kostenrisiko fürchtet 168 und somit von der Rechtsverfol163 Steinert, Kriminalpolitik ... , S. 76, meint. Trennung sei in einer hochmobilen Gesellschaft "kein grundsätzliches Drama". 104 Hierbei ist auch an Beziehungssurrogate wie etwa das Fernsehen zu denken. 165 Frehsee, Schadenswiedergutmachung ... , S. 138 f., mwN, der sowohl die sinkende Inanspruchnahme des Schiedsmanns hierauf zurückführt als auch die mangelnde Auslastung der nordamerikanischen Alternativprojekte, wobei er einen Trend zu den beiden Extremen (rechtliche Befassung mit dem Konflikt oder Meidung) konstatiert. 166 Frehsee, Schadenswiedergutmachung ... , S. 138 f. 167 Vgl. hierzu Hoffmann, Der Schiedsmann ... , S. 162. 168 Vgl. Hoffmann, S. 162; jedenfalls scheint die KostenvorschuBforderung mit ein Grund für die Nichtdurchführung des strafrechtlichen Schlichtungsverfahrens zu sein; siehe hierzu die Angaben im Zusammenhang mit dem informellen Verfahren, oben I. Teil, C., III., 2., a).

48

I. Teil: Grundlagen und Verortung des Schlichtungsverfahrens

gung Abstand nimmt. Der Frustrationsgedanke erfaßt auch das im Vorfeld der Privatklage angesiedelte Schlichtungsverfahren vor dem Schiedsmann169. Allerdings muß berücksichtigt werden, daß sich an den äußeren Umständen, also den Faktoren, welche eine Privatklage "unattraktiv" machen, nichts geändert hat, so daß an sich hierdurch ein Rückgang der Fallzahlen nicht erklärlich ist. Wichtig für die Entscheidung der Frage, ob ein Bürger nun den Privatklageweg beschreiten soll oder nicht, dürfte der von Hoffmann 170 genannte Umstand sein, daß vieles sich nach einer gewissen Zeit der "Abkühlung" 171 nicht mehr so "klagewürdig" darstellt, wie dies in den ersten Momenten der Erregung gewesen sein dürfte. Indes vermag diese Überlegung aber auch nicht zu erklären, warum der Geschäftsanfall bei den Schiedsmännern rückläufig ist, denn der Umstand des "cooling off.I 72 wirkte schon als tatsächliche Einflußgröße auf die Bürger ein, als die Wissenschaft diesen noch nicht als relevant erkannt haben mag, zumal bei den (meisten) Bürgern diese Einflußgröße nicht Gegenstand des Bewußtseins sein dürfte. c) Diskussion Die Bedeutung des Schiedsmannsinstituts kann zusammenfassend, gemessen an dessen Anteil an der Bewältigung der Gesamtkriminalität, als durchaus gering angesehen werden 173 • Dennoch dürften diese (niedrigen) Fallzahlen von ganz erheblichem Gewicht sein 174 , als ein Erfahrungsschatz vorliegt, den sonstige Verfahren zur außergerichtlichen Konfliktbeilegung nicht vorweisen können. In der Schiedsmannsinstitution kann somit ein Potential stecken, welches bei entsprechender Förderung der Institution ohne weiteres eine Vervielfachung der heute vorzufindenden Eingangszahlen denkbar erscheinen läßt. Martin, Das Sühneverfahren .. ., S. 297.· Hoffmann, S. 162. 171 Vgl. hierzu auch Hanak, Diversion ... , S. 8. 172 Vgl. Külp, Der Einfluß von Schlichtungsformen . . . , S. 12, 23, der im Zusammenhang mit tarifrechtlicher Schlichtung von einer cooling off Periode spricht; zu den Parallelen zwischen Formen der Konfliktregelung unter Beteiligung Dritter auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen siehe unten I. Teil, E. 173 Vgl. Baunach, Die gesellschaftliche Bedeutung . . ., S. 186, der allerdings die Frage aufwirft, ob der Schiedsmann nur als "Anhängsel" des Rechtswesens angesehen werden kann oder ob seinem Handeln nicht eine eigene Qualität, also abseits der Rechtsform, zukommt. 174 Hanak, Diversion .. . , S. 7, hält die absoluten Zahlen, der vom Schiedsmann außergerichtlich erledigten strafrechtlich relevanten Konflikte danach auch für immer noch imponierend. 169 170

D. Der Ablauf des Schlichtungsverfahrens in Strafsachen

49

Der Rückgang der Sühneversuche kann aufgrund der bereits dargestellten Überlegungen, aber auch wegen der beachtlichen Erfolgsquote, nicht als Argument für Kritik an der Fähigkeit der Schiedsmänner benutzt werden. Die Ursache für den Rückgang der Fallzahlen ist daher weder in einer Ungeeignetheit des Schiedsmannsinstituts allgemein noch in einer mangelnden Fähigkeit des einzelnen Amtsinhabers zu suchen 175 , zumal sich eine gewisse Stabilisierung der Verhältnisse ergeben hat. Die sinkende Zahl der Eingänge sollte daher keinen Anlaß geben, die Abschaffung dieses Instituts zu fordern, zumal der in dieser Einrichtung verborgene Erfahrungsschatz zwangsläufig verloren ginge. Weiterhin muß berücksichtigt werden, daß dem Schiedsmann de lege lata nur ein recht kleiner Ausschnitt der tatsächlichen Kriminalität zur Bearbeitung offensteht, wobei das Tätigkeitspotential zudem noch von der Verweisungspraxis der Staatsanwaltschaft mitbestimmt wird. Die Eingangszahl ließe sich ohne weiteres deutlich erhöhen, wenn eine Zuständigkeit auf dem Gebiet der Vermögenskriminalität errichtet werden würde, zumal nicht ersichtlich ist, daß diese Delikte einer Vermittlung nicht zumindest gleich gut zugänglich sind, wie etwa Körperverletzungsdelikte 176, bei welchen bereits eine Zuständigkeit des Schiedsmanns gegeben ist.

D. Der Ablauf des Schlichtungsverfahrens in Strafsachen Nunmehr soll im Hinblick auf die Zuordnung des Schiedsmanns zur laienorientierten Konfliktregelung auf Einzelheiten des Verfahrens eingegangen werden. I. Das Verfahren

Das strafrechtliche Schlichtungsverfahren vor dem Schiedsmann ist 1m SchAG/NW geregelt. 1. Die Einschaltung des Schiedsmanns a) Zugang zum Schiedsmann Zunächst soll der Zugang zum Schiedsmann bzw. dessen Einschaltung dargestellt werden. 175 176

S. 90.

Vgl. Weigend, Deliktsopfer ... , S. 276. Vgl. Kuhn, Erfolgskriterien . . ., S. 85; Schreckling, Täter-Opfer-Ausgleich ... ,

4 Gutknecht

50

I. Teil: Grundlagen und Verortung des Schlichtungsverfahrens

Das strafrechtliche Schlichtungsverfahren vor dem Schiedsmann wird durch einen Antrag des Verletzten eingeleitet 177 • Aufgrund der recht hohen Zahl der Schiedsmänner wird hierbei in aller Regel nicht mit weiten Wegen zu rechnen sein 178 . Der Schiedsmann wird also erst auf förmlichen Antrag hin tätig. Folglich muß der Verletzte initiativ werden, damit der Schiedsmann sich mit dem Anliegen befaßt. Der Staat verhält sich in diesem Bereich passiv und nimmt eine relative Nichtwirksamkeit der der Tat zugrundeliegenden Rechtsnormen bewußt in Kauf179 . Beim gerichtlichen Verfahren fällt oftmals die lange Verfahrensdauer nachteilig ins Gewicht. Dieser, den Zugang erschwerende Umstand dürfte jedoch beim Schiedsmann keine Rolle spielen, da er in der Anberaumung des Sühnetermins sehr flexibel ist und so den Bedürfnissen und Wünschen der Parteien weitgehend entgegenkommen kann. Die ebenfalls bei einem gerichtlichen Verfahren von den Beteiligten oft gefürchtete Unangemessenheit der Folgen 180 stellt beim Verfahren vor dem Schiedsmann keinen bestimmenden Einflußfaktor dar, denn das Ergebnis des Sühnetermins ist dem Willen der Parteien überlassen. Diese müssen nämlich gegen ihren (erklärten) Willen einen Vermittlungsvorschlag des Schiedsmanns nicht annehmen. Positiv hervorgehoben werden weiterhin insbesondere bei ausländischen Vermittlungsprojekten die Entformalisierung des Verfahrens sowie die Beseitigung sozialer Barrieren 181 , da geringere Anforderungen an die Handlungskompetenz der Beteiligten (namentlich des Antragstellers) gestellt werden. Auch soll der Umstand bedeutsam sein, daß keine normativen Eingangsvoraussetzungen den Konflikt im Hinblick auf dessen juristische Thematisierbarkeit einengen 182 . 177 Nach § 20 SchAG/NW kann der Antrag auf Schlichtungsverhandlung beim Schiedsmann schriftlich eingereicht oder mündlich zu Protokoll gegeben werden. Der Antrag muß enthalten: Die Namen, den Wohnort der Parteien, eine allgemeine Angabe des Gegenstandes der Verhandlung und die Unterschrift des Antragstellers. 178 Im Jahre 1989 gab es nach Auskunft des BDS allein in Nordrhein-Westfalen 1.308 Schiedsmänner. 179 Vgl. Blankenburg, Recht als graduiertes Konzept. . ., S. 93, der mit dem massenhaften Auftreten von Bagatellkriminalität eine hiermit einhergehende Herausnahme aus dem Strafrecht und Bürokratisierung des Sanktionsvollzuges sieht. 180 Zu Schwellen bzw. Zugangsbarrieren zum Recht vgl. Blankenburg, Recht als graduiertes Konzept, S. 93. 181 Vgl. hierzu Jansen, Parallelen in Sozial- und Rechtspolitik ... , S. 14, mwN, die ausführt, das Ausgangsinteresse der "informal justice" Bewegung habe u. a. die Verringerung der Zugangsbarrieren für unterprivilegierte Klassen zum Gegenstand. Hingegen liege das vornehmliehe Interesse der Justiz an Alternativen zum Recht in der Einsparung von Kosten respektive dem Entlastungseffekt für die Justiz. 182 Vgl. Gottwald, Streitbeilegung . .. , S. 56f., mwN, insbesondere aus dem angloamerikanischen Bereich.

D. Der Ablauf des Schlichtungsverfahrens in Strafsachen

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Allerdings trifft der letzte Punkt auf das Schlichtungsverfahren vor dem Schiedsmann nicht zu. Wegen der auf Privatklagedelikte beschränkten Zuständigkeit, muß sich die Tat unter den Tatbestand einer der in in § 380 I StPO genannten Normen subsumieren lassen. Der Schiedsmann hat daher zunächst eine Überprüfung des an ihn herangetragenen Falles unter rechtlichen Aspekten vorzunehmen. Dies ist eine sich aus der Einbindung in das Privatklageverfahren ergebende Besonderheit des Schlichtungsverfahrens. b) Prüfung der Zuständigkeit; Ablehnung der Amtsausübung Der Schiedsmann hat somit zunächst seine örtliche und sachliche Zuständigkeit zu prüfen. Örtlich zuständig ist nach § 14 I SchAG/NW die Schiedsperson, in deren Bezirk die Gegenpartei wohnt. § 14 II SchAG/NW regelt eine Zuständigkeitsvereinbarung kraft Parteivereinbarung, also einen Fall der "Prorogation". Aufgrund des bereits erörterten informellen Sühneversuchs 183 ist es aber trotz des eng umschriebenen Aufgabenfeldes des Schiedsmanns denkbar, daß er seine Tätigkeit auch auf Gebieten entfaltet, die nicht in seinen originären Zuständigkeitsbereich fallen. Unter bestimmten Voraussetzungen muß der Schiedsmann auch bei gegebener örtlicher und sachlicher Zuständigkeit die Amtsausübung ablehnen. Ablehnungsgründe für die Amtsausübung ergeben sich aus §§ 17, 18 SchAG/NW. § 16 SchAG/NW regelt die Fälle des gesetzlichen Ausschlusses von der Amtsausübung. Die Schiedsperson ist hiernach von der Amtsausübung ausgeschlossen, wenn sie selbst Partei ist oder in Sachen, in denen sie selbst im weiteren Sinne betroffen ist 184• Die Schiedsperson muß die Ausübung ihres Amtes auch ablehnen, wenn ein Vergleich nur in gerichtlicher oder notarieller Form gültig wäre, § 17 I Nr. 1 SchAG/NW. § 17 II Nr. 1, 2 SchAG/NW regelt, unter welchen Umständen die Schiedsperson die Ausübung ihres Amtes lediglich ablehnen soll. Dies ist etwa dann der Fall, wenn bereits Zivilklage erhoben ist, bzw. andere Institutionen auf zivilrechtlicher oder auch öffentlich-rechtlicher Ebene zuständig sind 185 , soweit nicht ein ausdrückliches Einverständnis der Parteien vorliegt 186. Siehe oben I. Teil, C., III., 2. § 16 Nr. I SchAG/NW spricht insofern von "Mitberechtigten, Mitverpflichteten"; diese Norm ist ersichtlich auf den zivilrechtliehen Tätigkeitsbereich zugeschnitten und findet über die Verweisungsnorm des § 35 SchAG/NW Anwendung. 185 Auf die übrigen in§§ 17, 18 SchAG/NW genannten Ablehnungsgründe kann die Schiedsperson sich nicht berufen ; dies ergibt sich aus § 37 I SchAG/NW ; allerdings ist gern. § 37 II S. I SchAG/NW im Protokoll zu vermerken, wenn bei einer Partei einer der Umstände der §§ 17 I Nr. 2, 3, II Nr. 3 SchAG/NW vorliegt; § 37 II S. 2 SchAG/NW regelt, daß gegen eine solche Partei die Zwangsvollstreckung aus dem Vergleich nicht stattfindet. 183

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I. Teil: Grundlagen und Verortung des Schlichtungsverfahrens

2. Sonstige Veifahrensmodalitäten; Ablauf des Veifahrens

a) Gebühren und Auslagen aa) Gesetzliche Regelung der Gebührenpflicht Nach § 380 II StPO kann durch die betreffenden Justizverwaltungen der Länder bestimmt werden, daß die Vergleichsbehörde ihre Tätigkeit von der Einzahlung eines angemessenen Kostenverschusses abhängig machen darf. In Nordrhein-Westfalen soll der Schiedsmann seine Tätigkeit von der Zahlung der voraussichtlich entstehenden Gebühren und Auslagen abhängig machen 187 • Kostenschuldner ist nach dem Veranlasserprinzip derjenige, der die Tätigkeit des Schiedsmanns veranlaßt hat 188, also in der Regel der Verletzte. Die Gebühren sind allerdings recht niedrig 189• Bei besonders gearteten wirtschaftlichen Verhältnissen des Zahlungspflichtigen oder aus Billigkeitsgründen besteht die Möglichkeit einer Gebührenermäßigung bzw. des Gebührenerlasses 190• Der Schiedsmann erhebt weiterhin Schreibauslagen, sowie die ihm durch die Ausübung einer Amtshandlung entstandenen Barkosten in tatsächlicher Höhe 191 • Die von der Schiedsperson erhobenen Gebühren fließen zu gleichen Teilen der Schiedsperson selbst und der Gemeinde zu, § 48 li SchAG/NW. Die erhobenen Auslagen erhält die Schiedsperson gern. § 48 III SchAG/ NW in voller Höhe. Angesichts der relativ niedrigen Gebühren, dürfte die im Falle eines Vergleichs anfallende doppelte Gebühr den Schiedsmann nicht veranlassen, besonders intensiv - sozusagen aus materiellem Eigeninteresse - auf die Parteien einzuwirken, damit diese sich einigen. 186 Die Verweisung über§ 35 SchAG/NW auf§ 17 II Nr. I, 2 SchAG/NW ist nicht recht verständlich und wird so interpretiert werden müssen, daß bei einer strafrechtlichen Angelegenheit, die bereits anhängige zivilrechtliche Ansprüche nach sich zieht, der Schiedsmann nicht tätig werden soll. 187 § 43 II S. I SchAG/NW; Nr. I VV zu § 44 der seinerzeitigen Schü/NW. 188 § 42 I SchAG/NW. 189 Das Schlichtungsverfahren schlägt mit einem Betrag von 20,- DM zu Buche, welcher sich im Vergleichsfalle, wegen des Protokollierungsaufwandes, auf 40,DM erhöht. Bei besonders gelagerten Fällen kommt eine Erhöhung der Gebühren auf maximal 75,- DM in Betracht; vgl. § 45 I, li SchAG/NW. 190 § 45 IV SchAG/NW, der insoweit eine Parallele zum Prozeßkostenhilfeverfahren darstellt. Nach Nr. 2 der VV zum seinerzeitigen § 48 Schü/NW ist die Möglichkeit zur Gebühreuermäßigung restriktiv zu handhaben und lediglich auf solche Fälle anzuwenden, in welchen der Schuldner glaubhaft macht, die Gebühren nur unter Beeinträchtigung des Unterhaltes für sich oder seine Familie zahlen zu können. 19 1 § 46 I SchAG/NW. Hierzu gehören etwa auch Dolmetscherkosten; vgl. § 46 II SchAG/NW.

D. Der Ablauf des Schlichtungsverfahrens in Strafsachen

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bb) Bewertung der Gebührenpflicht Obwohl die Gebühren niedrig sind, dürfte die Tatsache, daß der Antragsteller sowohl hinsichtlich des Antrages initiativ werden muß, als auch vor dem Tätigwerden des Schiedsmanns noch einen Vorschuß zu zahlen hat, nicht unbedingt zur Steigerung der Attraktivität des gesamten Schlichtungsverfahrens beitragen. Hier leidet das Schlichtungsverfahren unter der Entscheidung des Gesetzgebers, das Privatklageverfahren aufgrund befürchteter Querulantenklagen unattraktiv zu gestalten 192 . Die sich mit dem Sühneversuch bietenden Möglichkeiten einer vernünftigen, einvernehmlichen Regelung des Konflikts drohen aus der Sicht des Verletzten durch die Vorschußpflicht verwässert zu werden. Bei einem ohnehin eher auf Bestrafung des Täters ausgerichteten Opfer 193 wird die Kostenvorschußpflicht eine möglicherweise wenigstens ansatzweise vorhandene Einigungsbereitschaft noch weiter verschütten. Die Gebührenpflichtigkeil des Schlichtungsverfahrens ist insgesamt negativ zu bewerten. Hinzuweisen ist noch darauf, daß dem Antragsteller im Falle der Erfolglosigkeit der Sühneverhandlung die Überbürdung der dem Antragsgegner entstandenen Kosten droht. Dies soll dann der Fall sein, wenn der Antragsteller auf die Erhebung der Privatklage trotz des erfolglosen Schlichtungsverfahrens verzichtet 194 . Diese - teilweise - von den Gerichten vertretene formalistische und sehr bedenkliche Auffassung zeugt von einer Verkennung der Aufgaben und Chancen des Sühneversuchs und führt zu einer weiteren Ausdehnung der ohnehin problematischen Kostenfrage des Schlichtungsverfahrens vor dem Schiedsmann 195 .

In diesem Sinne v. Schacky, Das Privatklageverfahren ... , S. 22 f. Eine solche Haltung des Opfers wird angesichts der Erwartungen an polizeiliche Interventionen eher selten sein; siehe oben I. Teil, C., 1., 3. 194 Vgl. AG Wesel, AnwBL 1979, S. 403f.; AG Göttingen, AnwBL 1969, S. 211; AG Weilburg, AnwBl 1980, S. 215, wonach der Antragsteller in analoger Anwendung der §§ 269 III ZPO, 471 II StPO bereits durch die bloße Nichtbetreibung des Privatklageverfahrens verpflichtet ist, dem Antragsgegner insbesondere die Kosten für den Beistand eines Rechtsanwaltes während der Verhandlung vor dem Schiedsmann zu ersetzen. A. A. AG Stade, AnwBl 1979, S. 244; AG Hamburg, AnwBl 1980, S. 312. 195 Ob den Parteien indes dieser Umstand überhaupt bewußt ist, darf angezweifelt werden. In der Regel dürften nur solche Fälle mit Anwaltsbeteiligung auf der Antragsgegnerseite betroffen sein. 192

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I. Teil: Grundlagen und Verortung des Schlichtungsverfahrens

b) Die Terminwahrnehmung Nach § 39 I SchAG/NW haben die Parteien grundsätzlich zu dem anberaumten Sühnetermin persönlich zu erscheinen. Sanktionsbewehrt ist diese Pflicht auch, denn nach § 23 III SchAG/NW kann die Schiedsperson gegen eine beim Termin ausgebliebene, nicht genügend entschuldigte Partei ein Ordnungsgeld von 20,- DM bis 150,- DM festsetzen 196 . Gleichermaßen kann der Schiedsmann verfahren, wenn sich eine Partei vor dem Schluß der Verhandlung entfernt, § 23 IV SchAG/NW. Die Möglichkeit, ein Ordnungsgeld festzusetzen, widerspricht an sich dem Gedanken der auf Ausgleich bedachten Konfliktlösung. Dieses Ziel kann in aller Regel nur durch freiwilliges Agieren der Betroffenen erreicht werden. Ein hierauf ausgerichtetes Verfahren macht nicht mehr viel Sinn, wenn der Gegner an den Verhandlungstisch gezwungen wird. Ob namentlich die Antragsgegner sich durch die Möglichkeit der Festsetzung eines Ordnungsgeldes tatsächlich beeinflußt fühlen, ist bislang nicht bekannt. Es sollte allerdings auch bedacht werden, daß zunächst natürlich ein Interesse daran besteht, die Parteien zu einer Sühneverhandlung zusammenzubringen. Unter diesem Aspekt kann die drohende Festsetzung eines Ordnungsgeldes durchaus positiv wirken, indem nämlich der Entschluß, wenigstens zu der Verhandlung zu erscheinen, begünstigt wird. Die Pflicht zur Durchführung einer Sühneverhandlung besteht aber nicht uneingeschränkt. Namentlich ist eine Befreiung von der Durchführung eines Sühneversuchs möglich bei räumlicher Distanz des Antragstellers zu der Gemeinde, in welcher der Sühneversuch stattfinden müßte 197 . Die unmittelbare Möglichkeit zur Durchführung des Privatklageverfahrens wird somit eröffnet. Hier offenbart sich ein zumindest problematisches Verständnis vom Sühneversuch als bloßes Vorschaltverfahren zur Privatklage. Neben der soeben angesprochenen Möglichkeit, das Schlichtungsverfahren wegen räumlicher Distanz zu umgehen, kann das Gericht statt dessen nach § 36 I S. 2 SchAG/NW den Antragsteller ermächtigen, sich von einer verhandlungsfähigen Person vertreten zu lassen 198 . Hierdurch wird zwar ein Interaktionsprozeß zwischen den Konfliktparteien nicht in Gang gesetzt. Wenn aber eine für beide Parteien akzeptable Lösung gefunden wird, kann dennoch von einem Verfahrenserfolg ausgegangen werden, weil immerhin ohne Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden eine gütliche Einigung erreicht wurde. 196 Nach § 22 IV S. I SchO/NW verhielten sich diese Beträge noch über 5,- bis 75,- DM. 197 Siehe oben I. Teil, C., I., I. (Fn. 67). 198 Gegen diese Entscheidung ist nach § 36 li SchAG/NW die sofortige Beschwerde entsprechend § 311 StPO gegeben.

D. Der Ablauf des Schlichtungsverfahrens in Strafsachen

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Nach § 19 S. 1 SchAG/NW kann sich jede Partei im Schlichtungsverfahren eines Beistands bedienen 199, wobei insbesondere an einen Rechtsanwalt zu denken ist200 . Die Anwesenheit eines Rechtsanwalts beim Sühnetermin wird überwiegend negativ beurteilt201 . Zum einen gefährde der Anwalt die vergleichsbegünstigende Atmosphäre, indem er die Angelegenheit auf die rechtliche Ebene transformiere und reduziere 202 , zum anderen scheitere ein greifbarer Vergleich häufig an der Frage, welche Partei die u. U. nicht unbeachtlichen Anwaltskosten zu tragen hat203 . Weiterhin wird kritisiert, die Anwälte hätten vom Schlichtungsverfahren im Hinblick auf die einschlägigen Verfahrensvorschriften lediglich rudimentäre Rechtskenntnisse 204 und würden teilweise ihrem Mandanten sogar erklären, er bräuchte zum Sühnetermin nicht zu erscheinen205 . Die Beteiligung eines oder gar zweier Rechtsanwälte beim Sühnetermin wirkt sich angeblich auch negativ auf die Vergleichsbereitschaft der Parteien aus. Bereits die Befassung eines Rechtsanwaltes mit der Sache - ohne daß dieser an der Verhandlung teilnimmt - wird kritisch gesehen, da der Rechtsanwalt dem Mandanten wohl recht häufig rät, sich "vor dem Schiedsmann auf nichts einzulassen" 206 . 199 Die Vertretung durch einen Bevollmächtigten ist hingegen nach § 22 II S. SchAG/NW unzulässig. Vgl. hierzu auch Heim, Der Rechtsanwalt. .. , S. 98. 200 § 19 S. 2 SchAG/NW gibt dem Schiedsmann die Befugnis, den Beistand zurückzuweisen, wenn dieser durch Störungen die Einigungsbemühungen des Amtsinhabers vereitelt oder wesentlich erschwert. Ein Rechtsanwalt kann - aufgrund seiner strafprozessualen Funktion - nicht zurückgewiesen werden, § 19 S. 3 SchAG/NW. 201 Vgl. hierzu mit sehr umfangreichen Nachweisen Martin, Das Sühneverfahren . .. , S. 280ff. A. A. ist hier Heim, S. 98, der, ausgehend von der großen Anzahl der unter Anwaltsbeteiligung durch Vergleich beigelegten gerichtlichen Verfahren, auf das Verfahren vor dem Schiedsmann schließt. Anzumerken ist, daß der Anwalt im gerichtlichen Verfahren eine - zusätzliche - Vergleichsgebühr erhält und auch bei der Mitwirkung an einem im Schlichtungsverfahren geschlossenen Vergleich gern. § 94 V BRAGO eine Gebühr von 20,- bis 210,- DM anfällt und Heim aus seiner Perspektive als Rechtsanwalt referiert. 20 2 Vgl. Weigend, Deliktsopfer. .. , S. 276f. 203 Siehe hierzu die Nachweise bei Martin, Das Sühneverfahren .. ., S. 282 f., Fn. 169, 171. 204 Drischler, Der Schiedsmann . . ., S. 3, merkt an, die Anwälte seien oftmals über die Aufgaben der Vergleichsbehörde unzulänglich unterrichtet. Desweiteren sei eine gewisse Unkenntnis hinsichtlich der Bedeutung des Schlichtungsverfahrens festzustellen. 205 Beispielsfall bei Bode/Schmidt, Zusammenarbeit . .. , S. 154. 206 Hartung, Änderung . . ., S. 46, wonach manche Anwälte sogar erst die Privatklage einreichen und ankündigen, die negative Sühnebescheinigung, die freilich erst durch ein bewußt herbeigeführtes Scheitern des Sühneversuchs zu erlangen ist, nachzureichen.

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I. Teil: Grundlagen und Verortung des Schlichtungsverfahrens

Nach einer vom Bund Deutscher Schiedsmänner (BDS) bereits in den Jahren 1959/60 durchgeführten Befragung war eine erfolgreiche Verfahrensbeendigung ohne Beteiligung eines Rechtsanwaltes in 56% der Fälle möglich, wohingegen die Einigungsquote bei einer Anwaltsbeteiligung auf 44% abgesunken ist207 . Diese Werte werden durch eine im Hamburger Raum durchgeführte Untersuchung bestätigt, wonach sich die Vergleichsquote ohne Anwaltsbeteiligung mit 58,1% zu 49,5% bei der Beteiligung eines Anwaltes verhielt208. Im Falle der beiderseitigen Anwaltsbeteiligung fiel die Einigungsquote sogar auf 35,6% ab209 . Die vermeintlich klaren Aussagen dürfen freilich nicht überbewertet werden, denn zu bedenken ist, daß die anwaltlieh vertretenen Fälle ohnehin ein höheres Potential an Einigungshindernissen aufweisen dürften. Es kann daher davon ausgegangen werden, daß insoweit von vomherein besonders zerrüttete Konstellationen vorliegen, die einer Einigung aufgrund der bereits stattgefundenen Entfremdung der Parteien wesentlich schwerer zugänglich sein dürften 210 • Auch kann davon ausgegangen werden, daß in Fällen mit Anwaltsbeteiligung die tatsächliche Seite der Tat kompliziert ist, so daß sich zumindest ein Beteiligter anwaltlicher Hilfe versichert wissen will. Als weitere, das Bild verzerrende Einflußgröße, muß die außerordentlich geringe Anzahl der anwaltlieh vertretenen Fälle angesehen werden211 . Dieser Umstand mag mit zur Erklärung dienen, daß lediglich in besonders schwierigen Fällen der Rechtsanwalt eingeschaltet wird. c) Die Schlichtungsverhandlung aa) Ort und Zeit der Schlichtungsverhandlung Der Schiedsmann bestimmt Ort und Zeit der Schlichtungsverhandlung, wobei zwischen der Zustellung der Ladung und dem Tag der Verhandlung eine Frist von mindestens einer Woche liegen muß, welche allerdings durch Zustimmung beider Parteien abgekürzt werden kann,§ 21 I, II SchAG/NW. 207 Über die Befragung berichtet Surhoff, Die Beteiligung der Rechtsanwälte . . ., S. 139. 283 befragte Schiedsleute hatten im Untersuchungszeitraum vom 1.10.1959- 31.3.1960 4144 Fälle verhandelt, wobei nur in 97 Fällen = 2,3% Rechtsanwälte mitgewirkt haben. 208 Bierbrauer/Falke/Koch, Konflikt. .. , S. 170. 209 Bierbrauer/Falke/Koch, S. 170. 2 10 Ebd. 2 11 Surhoff, Die Beteiligung der Rechtsanwälte . .. , S. 139; nach Ölschläger, Schiedsmann und Rechtsanwälte, S. 50, liegen die Fälle mit der Beteiligung eines Rechtsanwaltes als Beistand bei I - I ,5 %.

D. Der Ablauf des Schlichtungsverfahrens in Strafsachen

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In der Flexibilität der Terminwahl liegt ein gewichtiger Vorteil des Schlichtungsverfahrens gegenüber dem gerichtlichen Verfahren, da weder der Schiedsmann noch die Parteien an Amtszeiten gebunden sind. Es besteht daher insbesondere die Möglichkeit, auf die Arbeitszeiten der Beteiligten Rücksicht zu nehmen und den Sühnetermin dann in den frühen Abendstunden oder am Wochenende abzuhalten 212 , wenn die Parteien nicht mehr unter Termindruck stehen, was einer vergleichsfördernden Atmosphäre dienlich ist. Der arbeitenden Bevölkerung kann daher auch in den Abendstunden ein Forum zur Konfliktaustragung geboten werden213 . Einen vergleichbaren "Service" kann ein gerichtliches Verfahren allein wegen der regelmäßig starren Amtszeiten nicht bieten214 . Die Ladungsfrist ist ebenfalls geeignet, auf die individuellen Bedürfnisse der Parteien einzugehen, obwohl sie den einschlägigen Regeln der Prozeßordnungen entliehen zu sein scheint. Wie bereits angesprochen, ist es unter Umständen angezeigt, einen Sühnetermin nicht innerhalb kürzester Zeit anzuberaumen 215 , da eine gewisse Phase der "Abkühlung" durchaus die Einigungsbereitschaft fördern kann 216. Andererseits besteht aber auch die Möglichkeit einer unmittelbaren Terminanberaumung, wenn die Parteien dies wünschen. Solche Überlegungen setzen freilich voraus, daß der Schiedsmann sich nicht als Bürokrat sieht, in dessen Belieben es steht, die Beteiligten - verbunden mit der Möglichkeit bei Nichterscheinen ein Ordnungsgeld festzusetzen- zum Sühnetermin antreten zu lassen. § 21 I SchAG/NW ist jedenfalls nicht gerade parteienfreundlich abgefaßt. Nach dieser Regelung bestimmt die Schiedsperson die Zeit der Verhandlung. Auf die Terminwünsche der Parteien ist von Rechts wegen nur in begründeten Ausnahmefällen Rücksicht zu nehmen, wobei die Verhinderungsgründe einer Partei von dieser auch noch durch Urkundenvorlage oder Erklärung eines Dritten glaubhaft zu machen sind 217 . Diese rechtliche Vorgabe bedeutet freilich 212 Vgl. Weigend, Deliktsopfer ... , S. 301 f. Dieser Umstand zeichnet übrigens die meisten der zum Strafverfahren alternativen Modelle aus. 213 Hanak, Diversion ... , S. 23 f., berichtet vom 1971 in Columbus, Ohio, USA, gestarteten Night Prosecutors's Programm (NPP), welches die Möglichkeit einer Konfliktbehandlung zu unorthodoxen Zeiten sogar in seinen Namen aufgenommen hat. Das NPP arbeitet in starker Anlehnung zur Polizei und Justiz und läßt gewisse Ähnlichkeiten zur Schiedsmannsinstitution erkennen, wobei allerdings die Vermittlung durch einen besonders geschulten Jurastudenten erfolgt. 214 Dies dürfte weniger an einer mangelnden Flexibilität der Richter als an den festen Dienstzeiten der Justizangestellten liegen. 215 V gl. auch Siegel, Alternativen . .. , S. 55 f. 2 16 Siehe oben I. Teil, C., III., 2., c). 217 Vgl. Nr. 7 der VV zu § 21 der seinerzeitigen SchO/NW.

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1. Teil: Grundlagen und Verortung des Schlichtungsverfahrens

nicht, daß in der Praxis die Frage der Terminanberaumung von den Schiedsmännern auch derartig restriktiv gehandhabt werden muß. Insofern setzt also das Amt ein hohes Maß an Verständnis und Engagement voraus. Insgesamt wird somit die Bereitschaft verlangt, auf persönliche Belange zugunsten der Klientel zu verzichten 218 . Der Schiedsmann bestimmt auch den Ort der Schlichtungsverhandlung219. Oftmals wird diese in einem Raum der Wohnung des Schiedsmanns abgehalten 220. Allerdings hat nach Nr. 2.1 der VV zum seinerzeiligen § 11 a Sch0/NW221 die Gemeinde für einen geeigneten Amtsraum zu sorgen, so daß der Schiedsmann grundsätzlich nicht verpflichtet ist, seine Wohnung in Anspruch zu nehmen. Durch die Sitzung in der Privatwohnung des Schiedsmanns soll die private Atmosphäre der Schlichtungsverhandlung gefördert sowie dem Eindruck der Amtlichkeit oder eines Quasigerichtsverfahrens vorgebeugt werden 222 . Jahn führt hier etwas pathetisch aus: "Das Milieu einer Privatwohnung mit ihrer meist natürlichen Wärme ist für die Sühneverhandlung von einer nicht zu unterschätzenden . . . Bedeutung. Der dadurch gewonnene, fast familiäre Charakter einer wohlmeinenden, freundschaftlichen Aussprache zwischen dem Schiedsmann und den Parteien wirkt sich erfahrungsgemäß vielfach sehr günstig auf die Vergleichsbereitschaft der Parteien aus" 223 . Nach Gusseck "lähmt das kühle Klima eines Amtsraumes wie überhaupt jeder öffentliche Charakter einer Sühne- oder Vergleichsverhandlung - die Bereitschaft der Parteien, einander entgegenzukommen" 224. Jedoch sind die zur Frage des angemessenen Verhandlungsortes vertretenen Ansichten nicht einheitlich. Hanak225 berichtet von dem in Columbus (USA), Ohio, ansässigen Alternativprogramm NPP, dessen Effizienz zu 218 Bau nach, Die gesellschaftliche Bedeutung ... , S. 186, sieht das Schiedsmannswesen daher auch als eine von Idealisten getragene gesellschaftliche Einrichtung zur Konfliktlösung im Vorfeld des Rechtswesens an. 219 Nach der Nr. 2.1 der VV zu § II a der seinerzeitigen SchO/NW ist lediglich die Ausübung des Schiedsmannsamtes in "Schankräumen" unzulässig. 220 Bierbrauer/Falke/Koch, Konflikt. . ., S. 174, haben 218 Schiedsleute befragt. Lediglich 23,7 % hielten die Schlichtungsverhandlungen nicht in der eigenen Wohnung ab. Von etwa gleichen Werten berichtet Röhl, Das Güteverfahren . . ., S. 515, der 326 Schiedsleute befragt hat. Martin, Das Sühneverfahren .., S. 290, gibt indessen für den Landgerichtsbezirk Frankfurt nahezu umgekehrte Verhältnissen an, wonach 72,7 % der Schiedsmänner in Räumen der Stadtverwaltung tätig werden. 221 Nunmehr in § 12 I SchAG/NW geregelt. 222 Bau nach, Die gesellschaftliche Bedeutung ... , S. 206; vgl. auch Martin, Das Sühneverfahren ... , S. 287 f. 223 Jahn, Die soziale Bedeutung . . ., S. 39 f. 224 Gusseck, Die Zumutbarkeit . .. , S. 85. 225 Hanak, Diversion ... , S. 25.

D. Der Ablauf des Schlichtungsverfahrens in Strafsachen

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einem guten Teil auf der für die Parteien nicht alltäglichen Umgebung beruhe. Die Verhandlungen finden in einem Saal des Polizeigebäudes statt, wobei auch während der Verhandlungen der Behördencharakter hervorgehoben wird, um den Parteien deutlich zu machen, daß eine Verbindung zur Justiz nach wie vor besteht226 . Ob die Parteien überhaupt Wert auf einen privaten Charakter des Verfahrens legen, wird noch zu überprüfen sein. bb) Nichtöffentlichkeit Die Verhandlung der Parteien vor dem Schiedsmann ist mündlich und nicht öffentlich, § 24 S. l SchAG/NW. Der Nichtöffentlichkeit ist eine hohe Bedeutung beizumessen, denn es dürfte den Parteien leichter fallen in einem von der Öffentlichkeit abgeschirmten Rahmen ihre wahren Gefühle und Beweggründe vorzutragen und somit einer Einigung näherzukommen als bei der zumindest denkbaren Teilnahme der Öffentlichkeit. Die Möglichkeit einer offenen Aussprache über die Hintergründe des Konflikts ist daher bei von vomherein nicht zugelassener Öffentlichkeit eher gegeben 227 . Insbesondere dem Antragsgegner müßte es leichter fallen, ein Versäumnis einzugestehen, wenn gewährleistet ist, daß die Einzelheiten der gesamten Verhandlung jedenfalls nicht unmittelbar von Dritten 228 rezipiert werden können 229 . Die möglicherweise unerwünschte Öffentlichkeit eines Gerichtsverfahrens 230 läßt das Schlichtungsverfahren vor dem Schiedsmann auch unter diesem Aspekt als eine Alternative zum Strafverfahren erscheinen, zumal der Nichtöffentlichkeit entspannende und entstigmatisierende Momente nachgesagt werden 231 • Möglicherweise wirkt sich die nicht öffentliche Verhandlung sogar vergleichsfördernd aus, wenn die Beteiligten wegen der Öffentlichkeit des sich gegebenenfalls anschließenden Privatklageverfahrens eine Einigung anstreben.

Hanak, S. 25. Vgl. Weigend, Deliktsopfer . . ., S. 303. 228 Der Schiedsmann ist zwar Dritter, unterliegt aber der Amtsverschwiegenheit 229 Vgl. Baunach, Die gesellschaftliche Bedeutung ... , S. 206; Martin, Das Sühneverfahren ... , S. 292 f., merkt an, daß die Nichtöffentlichkeit auch dazu dient, die Einzelheiten aus dem Privatleben nicht an die Öffentlichlichkeit gelangen zu lassen, wo sie dann von den Medien ausgeschlachtet werden könnten. 230 Vgl. Blankenburg, Recht als graduiertes Konzept .. ., S. 91. 231 Vgl. Martin, Das Sühneverfahren ... , S. 371, der sich auch de lege ferenda ausdrücklich für die Nichtöffentlichkeit ausspricht. 226 227

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cc) Merkmale der Verhandlung Die Förmlichkeiten des Schlichtungsverfahrens sind - wie bereits erwähnt - im SchAG/NW geregelt. Einen Einfluß auf den Inhalt des Gesprächs nimmt das SchAG/NW hingegen nicht. § 24 S. l SchAG/NW bestimmt lediglich, daß die Verhandlung der Parteien vor dem Schiedsmann mündlich und nicht öffentlich ist. Nach § 24 S. 2 SchAG/NW hat der Schiedsmann dafür zu sorgen, daß die Verhandlung ohne Unterbrechung zu Ende geführt wird, wobei er erforderlichenfalls sofort einen Fortsetzungstermin zu bestimmen hat. Die praktische Durchführung der Schlichtungsverhandlung ist hingegen nicht durch den Gesetzgeber geregelt. Hier herrscht weitgehende Freiheit des Schiedsmanns232. Es bleibt somit dem Schiedsmann und den Parteien überlassen, die Verhandlung entsprechend den eigenen Bedürfnissen zu gestalten. Maßgeblich sind daher nicht Vorstellungen, die an das Verfahren geknüpft werden, sondern bestimmte Eigenschaften des Schiedsmanns in Verbindung mit den von Fall zu Fall unterschiedlichen Besonderheiten in der Person der Parteien 233 .

Über den konkreten Verfahrensablauf und die Einstellungen der Parteien liegen erst wenig Erkenntnisse vor. Zunächst soll - ausgehend von der bereits vorhandenen Literatur - eine Darstellung des Verhandlungsablaufs und der die Verhandlung bestimmenden Umstände gegeben werden. Hierbei wird - um überhaupt einen Einblick zu gewinnen - zum Teil auf die Erkenntnisse der Untersuchung von Röhl 234 zurückzugreifen sein, die allerdings den zivilrechtliehen Bereich der Tätigkeit des Schiedsmanns zum Gegenstand hat. Hierzu ist anzumerken, daß die Übertragung der von Röhl gewonnenen Erkenntnisse auf das hier interessierende strafrechtliche Schlichtungsverfahren nur mit Einschränkungen erfolgen kann. Bei einem zivilrechtliehen Anspruch liegt eine andere Interessenlage vor als bei einem strafrechtlich überlagerten Konflikt. Bei der Regulierung eines strafrechtlichen Konflikts dürfte, neben der Verantwortlichkeit des Täters, der Ausgleich zwischen den Parteien wesentlich stärker im Vordergrund stehen als bei einem zivilrechtliehen Anspruch. Bei einem zivilrechtliehen Anspruch wird nämlich zunächst die Frage nach dessen tatsächlichem Bestehen erörterungsbedürftig sein, wobei es dann nach der Klärung des Anspruchsgrundes dem Antragsteller schwer fallen dürfte, von der Maximalforderung abzurücken 235 . Eine solche Situation stellt sich im strafrechtlichen SchlichVgl. Schauf, Entkriminalisierungsdiskussion ... , S. 190f. Vgl. Holtwick-Mainzer, Der übermächtige Dritte . . ., S. 50. 234 Röhl, Das Güteverfahren. 235 Dies erklärt auch das von Röhl, Das Güteverfahren ... , S. 383, referierte Ergebnis, daß der Inhalt der Vergleiche sehr ungleichgewichtig ist, weil nämlich in 232 233

D. Der Ablauf des Schlichtungsverfahrens in Strafsachen

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tungsverfahren nicht. Hier ist die Frage nach einem angemessenen Ausgleich zwischen den Parteien vordringlich 236 . Trotzdem erscheint die Verwertung der von Röhl gewonnenen Erkenntnisse der Förderung des hier interessierenden Anliegens dienlich. ( 1) Rolle des Schiedsmanns

Dies vorausgeschickt, soll zunächst auf die Rolle des Schiedsmanns eingegangen werden, wobei es Anhaltspunkte dafür gibt, daß der Schiedsmann den überwiegenden Einfluß auf das Verfahren hat. Eine Erklärung hierfür kann das von Amts wegen bestehende Interesse am Zustandekommen einer Einigung sein. Desweiteren hat der Schiedsmann aufgrund seiner Erfahrungen eine gewisse Routine in der Durchführung solcher Vermittlungsgespräche, so daß auch die Parteien dem Schiedsmann gerne die Leitung der Verhandlung überlassen dürften 237 . Nach Stöckel238 leitet der Schiedsmann die Verhandlung, wobei er den Beteiligten das Wort erteilt, es gegebenenfalls entzieht und sicherstellt, daß jeder Beteiligte den Konflikt aus seiner Sicht schildern kann. Weiterhin weist er die Parteien auf die objektive Bedeutung der Sache aus seiner Sicht hin und schildert die Folgen einer möglichen gerichtlichen Auseinandersetzung239. Weiterhin soll den Parteien erst die Möglichkeit gegeben werden, den Vorfall aus ihrer Sicht zu schildern. Hierbei soll es unschädlich sein, wenn der Streit wieder aufbricht 240 und der Schiedsmann dann noch ergänzende Fragen stellt. Welcher Art freilich diese Fragen sind, ob sie dazu dienen, tatsächliche Ereignisse aufzuklären oder eine Gefühls- bzw. Motivationseinem Drittel aller Vergleiche von einer Partei - regelmäßig dem Antragsteller keinerlei Nachgeben verlangt wird. Ein solcher Verfahrensabschluß wird regelmäßig dann gegeben sein, wenn der Antragsteller sich mit einer konkreten Forderung an den Schiedsmann gewandt hat, deren Berechtigung sich im Verlaufe des Schlichtungsverfahrens herausstellt. 236 Voraussetzung wird aber auch hier ein Grundkonsens der Beteiligten über den zugrundeliegenden Sachverhalt sein müssen, der aber nicht einem formellen Geständnis gleichkommen muß; so für die Konfliktregelung im Täter-Opfer-Ausgleich Trenczek, Täter-Opfer-Ausgleich ... , S. 131 . 237 Vgl. Röhl, Das Güteverfahren ... , S. 381. Angesichts des zahlenmäßig weit überwiegenden Anteils von Strafverfahren ist anzunehmen, daß der Schiedsmann im zivilrechtliehen Verfahren das vom strafrechtlichen Schlichtungsverfahren gewohnte Schema anwendet. Mithin kann diese Erkenntnis auch auf den hier interessierenden Bereich übertragen werden. 238 Stöcke!, Sühneversuch ... , S. 30, der vom Sühnebeamten in Bayern berichtet. 239 Stöcke!, Sühneversuch . . . , S. 30f. 240 Vgl. Bierbrauer/Falke/Koch, Konflikt. .. , S. 175.

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I. Teil: Grundlagen und Verortung des Schlichtungsverfahrens

Iage der Parteien zu klären, bleibt dem einzelnen Schiedsmann überlassen. Aussagekräftige Angaben hierzu sind nicht vorhanden. Wichtig ist auch, daß der Schiedsmann den Parteien erst einmal zuhören kann und ihnen das Gefühl gibt, er habe für ihr Anliegen Verständnis 241 . Nach der Erörterung des Sachverhaltes wird dieser in der Regel vom Schiedsmann noch einmal den Parteien dargelegt, wobei nach den Erkenntnissen von Röhl 242 die Parteien zwar nicht in allen Fällen mit dessen Klärung einverstanden sind, sich aber mit der Kundgabe von Gegenvorstellungen zurückhalten. Nach obigen Aussagen kann man annehmen, daß in der überwiegenden Zahl der Fälle der Schiedsmann einen Vergleichsvorschlag unterbreitet243 . Zunächst macht der Schiedsmann sich nach der Ermittlung des Sachverhaltes ein Bild von der Angelegenheit und versucht dann, den Parteien eine von ihm gutgeheißene Lösung aufzugeben. Diese Vorgehensweise fügt sich im Grunde nicht in die Vorstellung einer von den Parteien selbst gefundenen Einigung. Nach den bisherigen Erkenntnissen kommt aber ein Verhandeln der Parteien nach deren eigenen VorstelJungen nur selten vor244 . Vom Geschick des Schiedsmanns, den sich streitenden Parteien nahezubringen, daß eine einvernehmliche Lösung den Interessen beider Konfliktpartner dienen kann, soll auch der Erfolg der Verhandlung abhängen245 . Hierbei ist im Grunde die beobachtete vergangenheitsorientierte Betrachtung nicht erforderlich. Ziel des Verfahrens ist gerade nicht die Bestrafung des Täters, wofür gegebenenfalls eine genaue Aufklärung des Tathergangs erforderlich wäre, sondern ein Ausgleich, mit dem beide Parteien leben können. Aus diesem Grunde könnte die Vergangenheit zugunsten einer zukunftsorientierten Betrachtung weitgehend ausgeblendet werden 246 . 241 Vgl. Jahn, Die Kunst. .. , S. 134f., der "richtiges Zuhörenkönnen" als Charakteristikum einer reifen Persönlichkeit sieht. Desweiteren weist er darauf hin, daß der Schiedsmann "lebendige Anteilnahme an den von ihm verhandelten Angelegenheiten zeigen" soll. 242 Röhl, Das Güteverfahren ... , S. 382. 243 Röhl, S. 382, spricht davon, in 75 % der (zivilrechtlichen) Fälle habe der Schiedsmann einen Vergleichsvorschlag unterbreitet. 244 Nach Röhl, S. 382, ist das Verfahrensergebnis weitgehend vom Schiedsmann bestimmt. 245 Vgl. Bierbrauer/Falke/Koch, Konflikt. .. , S. 171 f. 246 Vgl. Bierbrauer/Falke/Koch, S. 176; Bode, Richten und schlichten, S. 151, meint, die Vorfälle der Vergangenheit sollten "verziehen, möglichst sogar vergessen werden", wobei das Hauptaugenmerk einer Einigung auf die Regelung der zukünftigen Beziehungen der Beteiligten zu legen sei.

D. Der Ablauf des Schlichtungsverfahrens in Strafsachen

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Festzuhalten bleibt, daß es ein einheitliches Verhandlungsschema nicht gibt, da der nähere Verfahrensablauf gesetzlich nicht geregelt ist. Die Verhandlung wird somit vornehmlich durch die Interaktionen zwischen Schiedsmann und Parteien bestimmt, wobei Anhaltspunkte dafür bestehen, daß der Schiedsmann überwiegenden Einfluß auf die Verhandlung hat. (2) Hinzuziehung von Zeugen

Die Hinzuziehung von Zeugen, Sachverständigen sowie die Einnahme des Augenscheins ist nach § 25 I SchAG/NW zulässig. Soweit Zeugen oder Sachverständige gehört werden, verleiht dieser Umstand dem Verfahren eher den Charakter eines rechtsförmigen formalen Verfahrens. Denn mit Hilfe dieser "Beweismittel" soll ein in der Vergangenheit liegendes Ereignis aufgeklärt werden. Hierdurch wird die formale Komponente des Schlichtungsverfahrens gestärkt. Es gibt Hinweise darauf, daß sich die Hinzuziehung von Zeugen positiv auf das Verfahrensergebnis auswirkt247 . Diese Erscheinung wird mit dem (unterstellten) Bestreben des Beschuldigten erklärt, dieser wolle das Privatklageverfahren vermeiden. Bei einem klar nachgewiesenen und durch Zeugenaussagen untermauerten Sachverhalt bliebe dem Beschuldigten folglich nur noch der Weg des Vergleichsabschlusses, um dem Privatklageverfahren zu entgehen. Die Frage, wie die Parteien den Einfluß von Zeugen auf das Verfahren tatsächlich einschätzen und welche Parteien überhaupt die Zeugen stellen, ist bislang in der Literatur - soweit ersichtlich - noch nicht behandelt worden. Die wenigsten Privatklagen führen aber auch tatsächlich zu einer Verurteilung des vermeintlichen Täters 248 . Der Täter muß also - gleichgültig ob Zeugen zur Aufklärung beitragen oder nicht - keineswegs darum bemüht sein, mit allen Mitteln einer Privatklage zu entgehen, wozu auch die Zustimmung zu einem "zähneknirschenden" Vergleich gehört. Bislang ist indes ungeklärt, ob dem Beschuldigten dieser Umstand überhaupt bewußt ist. Ungeklärt ist auch, ob sich der Täter während der Verhandlung tatsächlich von der Besorgnis eines im Falle des Scheiteros des Sühneversuchs drohenden Privatklageverfahrens beeinflussen läßt.

247 Bierbrauer /Falke/Koch, Konflikt ... , S. 169 f., berichten davon, ohne Hinzuziehung von Zeugen betrage die Vergleichsquote 55, I %, bei Zeugenbeteiligung steige dieser Wen aber auf 68,2 %. 248 Siehe oben I. Teil, C., II., 2.

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I. Teil: Grundlagen und Verortung des Schlichtungsverfahrens

(3) Einmalige Intervention; zeitlicher Rahmen Das Schlichtungsverfahren ist - wie bereits ausgeführt - an keinen formalen Rahmen gebunden. Die Verhandlung kann daher relativ ungezwungen ablaufen, wobei auch die Zeit zur Verfügung stehen sollte, eventuell die tieferen Ursachen des Streites anzusprechen. Eine Vorgabe der zeitlichen Spanne für die Verhandlungsdauer ist nicht gegeben. Nach bereits vorliegenden Erkenntnissen soll sich relativ schnell herausstellen, ob ein Konflikt zu regeln ist oder nicht249 . Hanak berichtet von einem amerikanischen Vermittlungsprogramm, welches aus diesem Grunde seine Verhandlungen in halbstündigen Intervallen ansetzt, da innerhalb dieser Zeitspanne entweder eine Einigung gefunden werden könne oder sich die Nichtschlichtbarkeit des Konflikts herausstelle 250 . Das Schlichtungsverfahren vor dem Schiedsmann steht indes nicht unter bestimmten zeitlichen Vorgaben, zumal aufgrund der recht geringen Belastung der einzelnen Schiedsmänner hierfür auch keine Erforderlichkeil erkennbar ist. Bei der Tätigkeit des Schiedsmanns im Rahmen des Schlichtungsverfahrens handelt es sich in aller Regel um einen einmaligen Kontakt. Hiervon geht auch § 24 S. 2 SchAG/NW aus. Eine Betreuung im Sinne eines Behandlungskonzeptes, welches sich über einen längeren Zeitraum ziehen mag, kann daher vom Schlichtungsverfahren nicht erwartet werden 25 1. Fraglich ist, ob mit der einmaligen Intervention durch das Schlichtungsverfahren den Parteien überhaupt gedient ist. Die hierzu vertretenen Ansichten sind durchaus unterschiedlich. Hanak252 berichtet von Erfahrungen aus den USA, wonach das therapeutische Ausforschen der Tiefenstruktur eines Konflikts gerade bei Alltagskonflikten oftmals unnötig sei, da solche Konflikte regelmäßig einer pragmatischen Regelung zugänglich seien. Vermutlich ließe auch gerade auf Seiten des Antragstellers dessen Bereitschaft zur Kooperation rapide nach, wenn er unter Abhaltung mehrerer Termine zeitlich extensiv in Anspruch genommen würde 253 • Andererseits wird teilweise gefordert, ein optimales Verfahren dürfe, damit es eine wirkliche Alternative zur justizförmigen Konfliktbearbeitung sein könne, sich nicht auf eine einmalige Intervention beschränken, sondern Hanak, Diversion ... , S. 24. Ebd. 251 Nach Schädler, Den Geschädigten nicht nochmals schädigen, S. 152, mwN, wird auch das Opfer nicht immer bereit sein, hieran mitzuwirken. 252 Hanak, Diversion ... , S. 26. 253 Vgl. Schädler, S. 152. 249

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D. Der Ablauf des Schlichtungsverfahrens in Strafsachen

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müsse eine längere Betreuung aufweisen254 . Die Übertragung dieses Gedankens auf das Schlichtungsverfahren läßt nur den Schluß zu, daß das Schlichtungsverfahren in dieser Beziehung einen erheblichen Mangel aufweist255. Bei strafrechtlichen Bagatellangelegenheiten ist aber nicht ersichtlich, welche Vorteile eine längerfristige Intervention haben soll. Solche Konflikte müßten einer pragmatischen Lösung zugänglich sein. Besonders im Rahmen des Privatklageverfahrens wird dem Opfer ohnehin ein Maß an Initiative und Kooperationsbereitschaft abverlangt, welches dem Strafrecht an sich fremd ist und an das Zivilverfahren erinnert256 . Zunächst kann die Bereitschaft des Antragstellers zur Mitwirkung an der Schlichtungsverhandlung unterstellt werden. Dieser grundsätzlich vorhandene Wille dürfte nämlich schon durch die Antragstellung dokumentiert werden, wobei es sicherlich aber auch Fälle gibt, in welchen der Antrag nur gestellt wird, um die negative Sühnebescheinigung zu erhalten. Die Einigungsbereitschaft des Opfers wird aber mit zunehmendem zeitlichem Aufwand sinken. Dies ist namentlich dann anzunehmen, wenn die Mitwirkung des Opfers das erkennbare Ziel einer Behandlung des Täters haben soll 257, und für das Opfer ein greifbarer Vorteil nicht ersichtlich ist. Hier sind zumindest die Fälle angesprochen, in welchen die Parteien keine vertieften sozialen Kontakte haben. Eine mehrmalige Intervention ist daher lediglich bei komplexeren Delikten angezeigt und für das vor dem Schiedsmann betriebene Verfahren nicht geeignet. Dies ergibt sich aus dem Bagatellcharakter der Delikte und der hieraus ableitbaren mangelnden Bereitschaft der Parteien, namentlich des Opfers, an mehreren Sitzungen teilzunehmen.

254 Vgl. Felstiner, Neighborhood Justice . .. , S. 141, der für das Projekt in Darchester Massachusetts zu dieser Forderung gelangt ist, wobei die Begründung aber offenbar von der Zielvorgabe geleitet wird, Unterschiede zum Gerichtsverfahren zu schaffen; vgl. auch Supe, Rehabilitation . .. , S. 54, der, auf der Suche nach Alternativen zum Strafvollzug für den Täter, als Voraussetzung einer erfolgreichen Rehabilitation, eine längerfristige Betreuung fordert. 255 Röhl, Das Güteverfahren ... , S. 384, erkennt des wegen im zivilrechtliehen Schlichtungsverfahren vor dem Schiedsmann dessen begrenzte Fähigkeit zur Regelung von Beziehungs- und Verhaltensproblemen. 256 Im Zivilprozeß ist den Parteien aufgrund des Parteibetriebs eine aktive Rolle zugewiesen. 257 Auf diese Thematik soll im Rahmen der Arbeit nicht näher eingegangen werden. Zu den Nachteilen einer auf Behandlung ausgerichteten Resozialisierung, die bis zu einer "Persönlichkeitsvergewaltigung" gehen sollen, vgl. Roxin, Die Wiedergutmachung ... , S. 50 f., der die Wiedergutmachung als Alternative zum Freiheitsentzug behandelt. 5 Gutknecht

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I. Teil: Grundlagen und Verortung des Schlichtungsverfahrens

(4) Einbeziehung tieferer Ursachen Zum Verhandlungsablauf und der hiermit zusammenhängenden Interventionsintensität gehört auch die Frage nach der Einbeziehung eventuell vorhandener tieferer Konfliktursachen in die Schlichtungsverhandlung. Nach bereits vorhandenen Erkenntnissen scheint die Einbeziehung der tieferen Konfliktursachen durch den Schiedsmann positiven Einfluß auf die Erfolgsquote zu haben. Bierbrauer/Falke/Koch berichten davon, daß Schiedsmänner, welche die tieferen Ursachen zum Gegenstand der Erörterungen machten, eine Erfolgsquote von 69,5% hatten, wohingegen Schiedsleute, die ihre Verhandlung regelmäßig nur auf den konkreten Streitfall beschränkten, eine Erfolgsquote von "nur" 55,4% aufweisen konnten 258 . Geklärt ist allerdings nicht, wie die Behandlung der gegebenenfalls bestehenden tieferen Konfliktursachen aus Sicht der Parteien erfolgen soll. Die Suche nach tieferen Ursachen - soweit es solche im konkreten Streitfall denn überhaupt gibt - kann die Ablenkung des Geschehens von einem ansonsten möglicherweise dominierenden rechtlichen Aspekt ermöglichen. Auch kann ein solches Vorgehen auf Seiten des Antragstellers die Vergleichsbereitschaft fördern, nämlich, wenn er eine mögliche eigene Beteiligung an der Verursachung des Konflikts erkennt. Es könnte daher die Einsicht auf Seiten des Antragstellers gefördert werden, daß - je nach Gestaltung des Falles - der strafrechtlich relevante Konflikt lediglich die Eskalation einer schon längere Zeit schwelenden Konfliktsituation ist, derer die Beteiligten mit dyadischen Mitteln nicht Herr werden konnten. Allerdings sollte nach den tieferen Ursachen des jeweiligen Konflikts nur geforscht werden, wenn ein solches Vorgehen auch dem Willen der Parteien entspricht. Es sollte daher den Parteien überlassen bleiben, diesen Punkt anzusprechen bzw. zu vertiefen, wobei der Schiedsmann einen Anstoß geben kann, aber nicht drängend wirken sollte. Die Suche nach den tieferen Ursachen macht auch nur dann Sinn, wenn die angesprochenen Probleme in der konkreten Verhandlungssituation überhaupt sinnvoll bearbeitet werden können. Angesichts der lediglich einmaligen Intervention und des Laienstatus der Schiedsmänner ergeben sich hier Zweifel. Zudem führt Röhe 59 in diesem Zusammenhang aus, Schiedsmänner würden sich relativ häufig über die Hintergründe einer Streitigkeit irren, wobei sie annehmen, ein Konflikt habe tiefere Ursachen, dies aber nach dem Bekunden der Parteien gar nicht der Fall ist. Außerdem sei das Hinterfragen der Konfliktgenese den Parteien - wenn sie nicht von sich aus darauf eingehen wollen - eher unangenehm. Dementsprechend wird den Schiedsleuten im 258 259

Vgl. Bierbrauer/Falke/Koch, Konflikt. .. , S. 175. Röhl, Das Güteverfahren ... , S. 381 f.

D. Der Ablauf des Schlichtungsverfahrens in Strafsachen

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Bereich der tieferliegenden Konfliktursachen zur "äußersten Behutsamkeit" geraten 260. Sind hingegen die tieferen Ursachen des Konflikts Gegenstand der gemeinsamen Erörterungen gewesen, so soll sich ein hierbei gefundenes Abkommen aufgrund der intensiven Befassung mit dem Konflikt als besonders tragfähig erweisen 261 • Insgesamt werden zu dieser Thematik divergierende Aufassungen vertreten, denen unterschiedliche Annahmen zugrunde liegen. Einerseits wird die positive Wirkung eines Forschens nach den Konfliktursachen hervorgehoben, andererseits soll sich der Vermittler bei dieser Tätigkeit möglichst vorsichtig und zurückhaltend verhalten. Bei realistischer Betrachung dürfte sich dieses Problemfeld jedoch als überbewertet darstellen. Zunächst ist zu bemerken, daß die Einbeziehung der tieferen Konfliktursachen nur bei solchen Konflikten Sinn machen kann, die durch eine nahe soziale Beziehung der Parteien ausgewiesen und zudem bereits längere Zeit in der Welt sind. Wenn der Konflikt nicht auf Ursachen zurückzuführen ist, die in der Beziehung der Kontrahenten zueinander liegen, was etwa bei einer "Kneipenschlägerei" oder einem Vorfall im Straßenverkehr denkbar ist, so gibt es keine tieferen Ursachen des Konflikts. In einem solchen Falle trotzdem danach zu forschen , warum der Täter den Angriff ausgeführt hat, kann zwar dem Täter zugute kommen, nämlich in der Hinsicht, daß er etwas über seine Persönlichkeitsstruktur erfährt, jedoch hat das Opfer allenfalls mittelbare Vorteile hiervon. Es könnte von zukünftigen Verletzungshandlungen des (geläuterten) Täters verschont bleiben. Für die "Beziehungen" der Beteiligten hätte ein solches Verfahren keine Vorteile, da es keine Beziehung gegeben hat und auch keine geben wird. Die Einbeziehung der tieferen Ursachen dürfte häufig aber auch an dem bereits angesprochenen tatsächlichen Hemmnis scheitern, weil sich das Schlichtungsverfahren vor dem Schiedsmann nämlich mit einer einmaligen Intervention begnügt. Hierbei kann allenfalls bis zur psychologischen Oberfläche des Konfliktstoffes vorgedrungen werden, so daß die gelegentliche Herausstellung dieses "Vorteils" wohl nur deswegen geschieht, um die Unterschiede zum Gerichtsverfahren deutlich zu machen 262 • Den Parteien wird Ebd. Vgl. Rosellen, Mediation .. ., S. 215, der Bezug auf Vorbilder in amerikanischen Mediationsverfahren nimmt. Vgl. auch Fe lstiner, Neighborhood Justice ... , S. 139, der hervorhebt, die Formen der Vermittlung könnten aufgrundder Einbeziehung der tieferen Ursachen eine permanente Lösung des Konflikts erreichen. 262 Vgl. Weigend, Deliktsopfer ... , S. 322f., der anmerkt, daß es oftmals gar nicht der "peniblen" Ursachenforschung bedürfe, sondern die Suche nach einem modus vivendi fruchtbarer sei und der Anspruch mancher Mediationsprogramme in diesem Bereich so weit überzogen sei, daß man förmlich nach einer Erklärung suchen müsse, warum er ernsthaft erhoben werde. 26o

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I. Teil: Grundlagen und Verortung des Schlichtungsverfahrens

daher eher mit einer pragmatischen Konfliktregelung, die sich in erster Linie mit dem Schadensausgleich befaßt, gedient sein.

(5) Formelle Aspekte Das Schlichtungsverfahren stellt hinichtlich seiner Konzeption eine "DeThematisierung" des Rechts dar. Die Streitigkeit muß demnach nicht erst auf die juristische Ebene transformiert werden, sondern kann auf der Interaktionsebene der konfligierenden Parteien belassen werden 263 . Dem Schlichtungsverfahren wird in dieser Beziehung aber vorgeworfen, es reiche nicht an das Idealbild parteiautonomer Konfliktregelung heran, da der Schiedsmann als "Extension" des Justizsystems gerade den formellen, rechtlichen Aspekt stärker zu betonen habe 264 . Beim Schiedsmann sei strukturell eine Ambivalenz zwischen Zwang und Manipulation angelegt, da er aufgrund seiner ihm zugwiesenen Entlastungsfunktion bestrebt sein müsse, eine möglichst hohe Vergleichsquote zu erzielen 265 . Diese Umstände könnten einer parteiautonomen Konfliktregelung zuwiderlaufen, zumal der Schiedsmann - aufgrund der doppelten Gebühr - noch finanziell motiviert werde266 . Der Kritik ist zuzugeben, daß der Schiedsmann wohl oftmals an der zutreffenden rechtlichen Beurteilung des Konflikts interessiert ist267 . Bestätigt wird dieser Trend durch die Anfragen der Schiedsmänner in der SchZtg, wo Rechtsfragen dominieren 268 . Die Gründe hierfür sind indes nicht ohne weiteres ersichtlich. Auf eine bewußte Betonung des formellen Aspekts kann jedenfalls nicht eindeutig geschlossen werden. Die Heraushebung des formellen Aspekts, etwa durch einen Hinweis auf die klare Rechtslage, kann dazu dienen, einen zunächst nicht vergleichsbereiten Täter zu erhöhter Verhandlungsbereitschaft zu motivieren. Der Verletzte hingegen kann durch Hinweis auf offene rechtliche Fragen zu einem Einlenken gegenüber dem Täter bewegt werden, wenn nämlich der Ausgang einer PriVgl. Bierbrauer/Falke/Koch, Konflikt ... , S. 187. Gottwald, Streitbeilegung . .. , S. 252 f. 265 Gottwald, Streitbeilegung ... , S. 255. 266 Gottwald, S. 255; vgl. auch oben I. Teil, D., 1., 2., a), aa). 267 Bierbrauer/Falke/Koch, Konflikt ... , S. I 78 f., berichten, daß 75,2% der dort befragten Schiedsmänner der zutreffenden rechtlichen Bewertung des Konflikts Bedeutung beigemessen haben. 268 Bierbrauer/Falke/Koch, Konflikt ... , haben die Jahrgänge 1970 - I 974 der SchsZtg ausgewertet und 63 Anfragen zum Verfahren, 29 Anfragen zur gesetzlichen Regelung bestimmter Rechtsfragen und nur 2 Anfragen zur erfolgreichen Vorgehensweise während der Sühneverhandlung gezählt. Diese Tendenz setzt sich in den folgenden Jahrgängen fort. Es dominieren auch hier rechtliche Fragen. 263

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vatklage nicht vorhersagbar ist. Insofern erscheint die Kritik unberechtigt, da der Schiedsmann durch die Verfahrensordnung gerade nicht gezwungen ist, den formellen rechtlichen Aspekt zu betonen. Auch steht er in seinem Bemühen, eine möglichst hohe Einigungsquote zu erzielen, nicht im Widerspruch zum Gedanken einer auf Ausgleich bedachten Konfliktregelung. Selbstverständlich sollte eine zur Vermittlung eingeschaltete Person bestrebt sein, die Konfliktparteien zu einer Einigung zu bewegen. Angesichts der niedrigen Gebühren269 erscheint das Argument, der Schiedsmann habe ein finanzielles Interesse am Abschluß eines Vergleichs, nicht tragfähig. Schließlich wird auch ein völliges Zurückdrängen formeller Aspekte nicht erreichbar sein, da bei Erfolglosigkeit der Einigungsbemühungen - im übrigen nicht nur beim Schlichtungverfahren vor dem Schiedsmann - eine justizförmige Behandlung des Konflikts droht, die dann ausschließlich von Rechtsnormen bestimmt ist. Desweiteren ist auch bei den Parteien ein Interesse an der Rechtslage zu vermuten 270, so daß ein völlig entformalisiertes und rechtlich dethematisiertes Verfahren möglicherweise den Erwartungen der Parteien zuwiderlaufen könnte. Zudem dürften die Parteien angesichts fehlender, das Verfahren betreffender Kenntnisse ohnehin keine genaue Differenzierung zwischen dem justizförmigen Verfahren und dem Schlichtungsverfahren vor dem Schiedsmann vornehmen. II. Die Beendigung des Schlichtungsverfahrens

Wie bereits erwähnt, kann das Schlichtungsverfahren entweder durch den Abschluß eines Vergleichs oder die Erteilung einer negativen Sühnebescheinigung beendet werden271 • Im folgenden soll näher auf das jeweils erzielbare Verfahrensergebnis eingegangen werden.

Siehe oben I. Teil, D., I., 2., a), aa). Diese Vermutung wird bereits durch die Eindrücke gestärkt, die der Verfasser während seiner Anwesenheit bei Schlichtungsverhandlungen gewonnen hat. Hier haben in der Tat die Parteien während der Verhandlung vom Schiedsmann erfahren wollen, wie dieser die Sache rechtlich beurteilt. Dieses Verlangen ging im Einzelfall so weit, daß quasi vom Schiedsmann zunächst eine "Feststellung der Schuld" verlangt wurde, damit überhaupt über einen Vergleich geredet werden konnte. Der Schiedsmann hingegen wies darauf hin, eine rechtliche Beurteilung der Angelegenheit wäre gerade nicht der Sinn des Verfahrens. 271 Diese Verfahrenserledigungen betreffen nur das offizielle Schlichtungsverfahren. Zu den Bemühungen des Schiedsmanns im Vorfeld des Schlichtungsverfahrens siehe oben I. Teil, C., III., 2. 269 270

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I. Teil: Grundlagen und Verortung des Schlichtungsverfahrens

1. Der Vergleich a) Vollstreckbare Urkunde Der vor dem Schiedsmann abzuschließende Vergleich ist an das zivilrechtliche Vorbild angelehnt 272 . § 26 I SchAG/NW bestimmt, daß ein geschlossener Vergleich zu Protokoll festzustellen ist. In § 26 II Nr. I - 4 SchAG/NW ist der Protokollinhalt geregelt, wonach Ort und Zeit der Verhandlung, die Namen der Parteien bzw. der Bevollmächtigten, der Gegenstand des Streites sowie die Vereinbarungen der Parteien niederzulegen sind 273 . Als besonderer Vorteil dieser Verfahrensbeendigung274 wird die im nachfolgenden eingehender darzustellende Möglichkeit hervorgehoben, sich aus diesem Vergleich einen vollstreckbaren Titel zu schaffen 275 . Dies betrifft insbesondere Fälle, in denen im Schlichtungsverfahren die aus der Tat erwachsenen vermögensrechtlichen Ansprüche ebenfalls geltend gemacht worden sind 276 . Aus dem vor dem Schiedsmann geschlossenen Vergleich findet auch wegen der erstattungsfähigen Kosten 277 die Zwangsvollstreckung statt, § 33 I SchAG/NW278 . § 33 II SchAG/NW stellt den Vergleich einer vollstreckbaren notariellen Urkunde gleich, wobei eine Verweisung auf die ZPO erfolgt279 . Einschlägig ist § 794 I S. 1 Nr. 5 ZP0280, wonach die Zwangsvollstreckung aus den dort genannten Urkunden stattfindet, wenn hierin die Zahlung einer bestimmten Geldsumme geregelt ist und der Schuldner sich in der Urkunde der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen hat. Die rechtliche Ausgestaltung des Vergleichs entspricht somit dem streng formalisierten Zwangsvollstreckungsrecht281 . 272 Schon die Frage, ob ein Vergleich zustande gekommen ist, beurteilt sich nach zivilrechtliehen Grundsätzen ; vgl. v. Schacky, Das Privatklageverfahren .. ., S. 35 f. 273 In den §§ 31, 32 SchAG/NW ist die Ausfertigung des Vergleichs geregelt, die gern. § 30 SchAG/NW zur Zwangsvollstreckung aus dem Vergleich erteilt wird. 274 Vgl. Weber, Zur Befriedungsfunktion ... , S. 83. 275 Vgl. Serwe, Institution ... , S. 146. 276 Siehe hierzu Weber, Zur Befriedungsfunktion ... , S. 82. 277 Die Freiheit der Parteien umfaßt die inhaltliche Ausgestaltung des Titels einschließlich der Kostenregelung; vgl. Serwe, Institution . . ., S. 146. 278 Vgl. Nr. I, 2 der VV zum damaligen§ 32 SchO/NW. 279 Nach § 33 li S. 2 SchAG/NW erteilt das für den Amtssitz des Schiedsmanns zuständige Amtsgericht die Vollstreckungsklausel gern. § 724 ZPO. 280 Nach § 794 I S. I Nr. 5 ZPO findet die Zwangsvollstreckung auch statt, wenn die Leistung einer bestimmten Menge anderer vertretbarer Sachen oder Wertpapiere geschuldet wird, was freilich bei den vor dem Schiedsmann geschlossenen Vergleichen eher die Ausnahme bilden dürfte. 281 Zu weiteren Einzelheiten wegen der Vollstreckung aus vollstreckbaren Urkunden vgl. Brox/Walker, Zwangsvollstreckungsrecht, Rn. 87 ff.

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Gerade aus diesem Grunde hebt sich das Schlichtungsverfahren vor dem Schiedsmann von sonstigen auf Ausgleich bedachten Vermittlungsverfahren ab. Soweit also im Vergleich auch zivilrechtliche, auf Geldzahlung gerichtete Ansprüche behandelt werden, kann unmittelbar im Falle des Nichtbeachtens durch einen Beteiligten die Vollstreckung eingeleitet werden. Allein dieses "Druckmittel" dürfte einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf die - offenbar noch nicht näher überprüfte282 - Befolgungsquote haben. Eine Partei wird eine getroffene Vereinbarung eher befolgen, wenn sie weiß, daß sie im Weigerungsfalle relativ leicht mit Mitteln der Zwangsvollstreckung hierzu angehalten werden kann. Dies gilt jedenfalls bei auf Zahlung einer Geldsumme gerichteten Ansprüchen. Zur Kenntnis der Parteien über die Vollstreckungsmöglichkeiten aus dem Vergleich ist nichts Näheres bekannt. Weiche Erwartungen die Parteien an den Vergleich, auch hinsichtlich dessen Vollstreckbarkeit, richten, ist bislang weitgehend ungeklärt. Denkbar ist jedenfalls, daß hierdurch im Bewußtsein der Parteien ein Grad an Formalisierung entsteht, der die Abgrenzungskonturen zum gerichtlichen Verfahren verschwimmen läßt. Dies würde jedoch eine gewisse Kenntnis der Parteien von dem rechtlichen Hintergrund voraussetzen, was allerdings angesichts des regelmäßig anzutreffenden Laienstatus der Parteien bezweifelt werden darf, zumal wohl die meisten Parteien ohnehin nur recht vage zwischen den einzelnen Zweigen der Gerichtsbarkeit zu unterscheiden vermögen. Wenn ihnen indes die rechtliche Stellung des Vergleichs bewußt ist oder vom Schiedsmann bewußt gemacht wird, so dürfte auf Seiten des Antragstellers eine gewisse Beruhigung eintreten, denn er weiß damit, daß er nicht allein auf die freiwillige Erfüllung des Vergleichsinhalts angewiesen ist. Auf Seiten des Antragsgegners wird die Möglichkeit der einfachen zwangsweisen Durchsetzung des Vergleichs einen gewissen Ansporn zur Einhaltung der getroffenen Regelung bilden. Ob diese Umstände, die ein gewisses Zwangsmoment enthalten, geeignet sind, das Schiedsmannsverfahren dem Idealbild einer außergerichtlichen Streiterledigung nahezubringen, mag zunächst dahingestellt bleiben. Selbst bei anfänglichem guten Willen des aus dem Vergleich Verpflichteten, kann sich dessen Bereitschaft zur Erfüllung abschwächen, wenn erst einmal das Verfahren vor dem Schiedsmann beendet ist. Folglich stellt die Vollstreckungsmöglichkeit ein Instrument der Absicherung für den Berechtigten dar. Gleichzeitig ist sie aber auch ein Druckmittel, mit dessen Hilfe der Verpflichtete zur Erfüllung des Vergleichs angehalten werden kann.

282 Vgl. für den zivilrechtliehen Bereich Röhl, Das Güteverfahren ... , S. 2 18 ff. (224), der (unter Vorbehalt) festgestellt hat, daß "die Erfüllung materieller Forderungen aus Schiedsmannsvergleichen kein Problem des Gerichtsvollziehers ist".

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I. Teil: Grundlagen und Verortung des Schlichtungsverfahrens

b) Inhalt: Eine umfassende Regelung als Ideal aa) Ende der strafrechtlichen Verfolgung der Tat Im Vergleich wird inzident der Verzicht auf die weitere Strafverfolgung der Tat geregelt, da eine Sühnebescheinigung, die gern. § 40 I SchAG/NW im Falle der Erfolglosigkeit erteilt wird, wegen der erfolgreichen Beendigung des Verfahrens gerade nicht ausgestellt wird. Nach § 380 I S. 1 StPO kann die Privatklage jedoch erst dann erhoben werden, wenn der Sühneversuch erfolglos war. Der bei Erhebung der Privatklage einzureichenden Klageschrift ist nach § 380 I S. 2 StPO die Sühnebescheinigung im Sinne des § 40 I SchAG/ NW beizufügen, so daß beim Fehlen der Sühnebescheinigung aufgrund des erfolgten Vergleichs ein Verfahrenshindernis besteht283 . Der Täter hat demnach grundsätzlich keine weitere Strafverfolgung zu besorgen 284 . bb) Regelungsumfang; Befriedungswirkung ( 1) Regelungsumfang

(a) Umfassende Regelung der Tatfolgen, einschließlich der zivilrechtliehen Ansprüche Der materielle Inhalt des Vergleichs bleibt vollständig der Einigung der Parteien überlassen285 • Nach Nr. 2.1 der VV zum damaligen § 25 SchO/NW, mußte sich aber aus dem Protokoll ein Nachgeben beider Parteien ergeben, da ansonsten kein Vergleich, sondern ein Anerkenntnis oder Verzicht vorliegen soll, zu dessen Beurkundung der Schiedsmann nicht befugt .ist. Indes dürfte es weniger auf die Frage ankommen, ob beide Parteien nachgegeben haben, sondern maßgeblich ist, ob eine Einigung erzielt werden konnte. Dem Pro283 Stöcke!, Sühneversuch ... , S. 33. Unzutreffend insofern v. Schacky, Das Privatklageverfahren ... , S. 34, die empfiehlt, im Vergleich auch den ausdrücklichen Verzicht auf die Privatklage aufzunehmen, was nach dem oben Gesagten gerade nicht notwendig ist. 284 Auf die Problematik einer hier möglicherweise auftretenden Situation mit Bezügen zum Strafklageverbrauch soll nicht eingegangen werden. Eine solche Fallgestaltung wäre vorstellbar, wenn nach Abschluß des Vergleichs, mithin also nach Beendigung des Schlichtungsverfahrens, sich herausstellen würde, daß die durch den Vergleich erledigt geglaubte Tat auch den Tatbestand eines nichtsühneversuchspflichtigen Offizialdelikts erfüllt. 285 Vgl. v. Schacky, Das Privatklageverfahren . . . , S. 34 ; Dürwanger, Handbuch . . ., S. 189.

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blem des Nachgebens sollte daher keine besondere Bedeutung beigemessen werden, zumal auf Seiten des Antragstellers durch den inzidenten Verzicht auf die Privatklage bereits ein Nachgeben im Rechtssinne zu sehen ist. Die Parteien können im Vergleich auch eventuelle Sanktionen frei aushandeln, wobei freilich Bedenken auftreten, wenn durch eine solche Sanktion die Degradierung einer Partei herbeigeführt wird, oder zu befürchten ist286 . Ein Degradierungszeremoniell ist dem Verfahren vor dem Schiedsmann im Grunde fremd. Der Schiedsmann würde solchen Tendenzen in der Schlichtungsverhandlung wohl auch entgegenwirken, so daß eine erniedrigende Sanktionsvereinbarung keine Aufnahme in einen Vergleich finden wird. Ohnehin dürfte regelmäßig eine recht pragmatische Lösung gefunden werden, die den im folgenden zu erörternden Inhalt haben kann. Zur umfassenden Regelung der Tatfolgen besteht die Möglichkeit, den Ausgleich der aus der Tat erwachsenden vermögensrechtlichen Ansprüche in den Vergleich aufzunehmen. Der Verletzte kann dies sogar zum Gegenstand seines Antrages machen. Das Verfahren hat dann den Charakter einer "gemischten Streitigkeit", für die aber auch die Regeln über das strafrechtliche Schlichtungsverfahren anwendbar sind 287 . Gerade die durch einen privaten Ausgleich zwischen Täter und Opfer erreichte Schadensregulierung ist ein wesentliches Argument für den Verzicht auf die Bestrafung288 . Insofern erfolgt die Ersetzung der Strafe durch eine Wiedergutmachungsregelung. Möglich ist auch die Aufnahme einer Entschuldigung oder Ehrenerklärung in das Protokoll. Ebenfalls kann eine symbolische "Buße" in Form einer Spende etwa an eine gemeinnützige Einrichtung289 erfolgen sowie die Übernahme angefallener Kosten 290 und besonderer Leistungen 291 . Desweiteren ist an eine Regelung der zukünftigen Beziehungen der Parteien zu denken 292 . Vgl. Hanak, Vermittlung ... , S. 46. Vgl. Nr. 2 VV zum seinerzeitigen § 33 SchO/NW. 28 8 Vgl. Berckhauser/Steinhilper, Opferschutz ... , S. 99f., die bei ihren Erörterungen aber das Schiedsmannsinstitut übersehen. 289 An die Möglichkeit der Zahlung eines "Sühnegeldes" hat man bereits in dem 20iger Jahren dieses Jahrhunderts gedacht; siehe das Muster bei Wedekind, Muster ... , S. 13. 290 Die Frage der Kostentragung gibt des öfteren Anlaß zu Streitigkeiten. Wenn etwa die Anwaltskosten des Antragstellers im Vergleich nicht geregelt werden, so soll sich in entsprechender Anwendung des § 471 111 StPO der Antragsgegner hieran beteiligen; vgl. AG Charlottenburg, AnwBI 1983, S. 140f., wonach der Antragsgegner, wenn er bereits die übrigen Kosten trägt, die Hälfte der Anwaltskosten des Antragstellers zu tragen hat. 291 Vgl. Stöcke!, Sühneversuch . . ., S. 31. 292 Hier wird in erster Linie eine zukünftige Meidung in Betracht kommen; siehe oben S. 44ff.; Zweifel an der Wirksamkeit einer im Vergleich aufgenommenen Zu286 287

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I. Teil: Grundlagen und Verortung des Schlichtungsverfahrens

Da die inhaltliche Ausgestaltung des Vergleichs den Parteien überlassen ist, geht damit einher, daß die zivilrechtliehen Folgen der Tat nicht eo ipso durch den Vergleich geregelt werden, sondern im Grunde genommen der Verletzte eine Erklärung abgeben muß, keine Ansprüche mehr aus der Tat geltend machen zu wollen. Die abschließende Regelung auch des zivilrechtliehen Teils der Tat erscheint aber geboten, da im Sühnegespräch die in der Regel überschaubaren Ansprüche ohnehin angesprochen werden dürften. Hierbei wird es sich meistens um Schmerzensgeld oder den Ersatz beschädigter Kleidung, pp. handeln. Wenn also der zivilrechtliche Teil der Streitigkeit ebenfalls umfassend miterledigt wird, so wirkt der Schiedsmann doppelt streitverhütend. Gerade letzterer Aspekt kommt dem gerichtlichen Verfahren nur selten zugute293 , da in aller Regel die das Opfer betreffenden Tatfolgen im Sinne einer Wiedergutmachung oder Restitution des Schadens nicht berücksichtigt werden. Freilich besteht für den Verletzten nicht die Gelegenheit zur Regelung solcher Ansprüche, die seiner Dispositionsmöglichkeit entzogen sind. In diesem Bereich ist insbesondere an Anspruchsübergänge z. B. auf Krankenkassen oder sonstige Sozialversicherungsträger zu denken 294 , etwa in den Fällen, die infolge der Tat eine ärztliche Behandlung erforderlich gemacht haben. Dem (möglichen) Rückgriff dieser Institutionen bleibt der Täter also auch bei einer vergleichsweisen Einigung mit dem Opfer weiterhin ausgesetzt295. Die Bemühungen des Schiedsmanns werden nicht soweit gehen, mit solchen Institutionen Verhandlungen aufzunehmen, um beispielsweise ein Zahlungsmoratorium oder einen (Teil)Forderungsverzicht zu erreichen. Dies mag als Nachteil des Schlichtungsverfahrens angesehen werden können, denn eine wirklich umfassende Betreuung bzw. Behandlung des Konflikts, die alle Facetten eines derartigen Ereignisses erfaßt, ist insoweit nicht gegeben. Freilich darf dieser Gesichtspunkt aber auch nicht überbewertet werden, denn aufgrund der hier in Betracht kommenden Körperverkunftsregelung äußert Gramse, Der (gerichtliche) Vergleich ... , S. 163; vgl. auch Dürwanger, Handbuch ... , S. 297 f. , der - ausgehend von einem im Privatklageverfahren geschlossenen Vergleich - der Ansicht ist, in erster Linie sei das Strafgesetz der Garant dafür, daß der "Friedensbrecher" in Zukunft den Frieden wahrt und weniger die auf die Wahrung des Friedens abzielende vergleichsweise Verpflichtung. 293 Zu denken ist hier allenfalls an das Adhäsionsverfahren, §§ 403 ff. StPO, und die sonstigen Möglichkeiten der Schadenswiedergutmachung respektive Berücksichtigung der Opferinteressen (vgl. etwa § 153a I Nr. I StPO), worauf hier jedoch nicht näher eingegangen werden soll. 294 Vgl. insbesondere § 116 I SGB-X. 295 Die wenig wahrscheinliche Möglichkeit der Vereinbarung eines internen Freistellungsanspruchs zugunsten des aus dem Vergleich Verpflichteten soll hier nicht vertieft werden.

D. Der Ablauf des Schlichtungsverfahrens in Strafsachen

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letzungsdelikte mit recht geringen Verletzungsfolgen werden die Kosten regelmäßig überschaubar sein. Sollte jedoch dieses Phänomen häufig auftauchen, so wären in der Tat Überlegungen dahingehend anzustellen, ob nicht der Umfang der Schiedsmannstätigkeit auf diese "Serviceleistung" ausgedehnt werden sollte, damit der Konflikt einer tatsächlich umfassenden Regelung zugeführt werden kann 296 . (b) Trennung Zivilrecht/Strafrecht Das Schlichtungsverfahren in Strafsachen kann daher sowohl die strafrechtliche als auch die zivilrechtliche Seite der Tat erledigen. Hierdurch wird aber die durch die rechtliche Binnensystematik bedingte Trennung von Zivil- und Strafrecht297 im Grunde aufgehoben. Hirsch merkt hierzu an, bereits der historische Gesetzgeber von 1877 habe bei Einführung der StPO aufgrund der Auseinanderentwicklung von Zivil- und Strafrecht nur die Alternative der Einordnung des Privatklageverfahrens - und somit auch des Schlichtungsverfahrens vor dem Schiedsmann - in das Kriminalstrafrecht oder Zivilrecht gesehen 298 . Er habe sich - trotz der erkannten Ungereimtheiten - für die Einordnung in das Strafrecht entschieden299. Demzufolge wird die strenge Trennung zwischen Strafe und Schadenswiedergutmachung auch als "historische Fehlentwicklung" bezeichnee00. Nach anderer Auffassung liefe die Ersetzung von Strafsanktionen durch Wiedergutmachungsregelungen auf eine Abschaffung der Strafe hinaus 301 , da Strafe und Schadensersatz bzw. Wiedergutmachung sich dadurch unterscheiden sollen, zu wessen Gunsten sie geleistet werden. Die Wiedergutmachung sei zugunsten des Opfers zu leisten, nicht hingegen die Strafe. Diese gehe vom Staat aus und habe hier die Aufgabe, das von der Gemeinschaft gesetzte Recht wiederherzustellen 302. 296 Zu den Vereinbarungen bei Täter-Opfer-Ausgleich Projekten vgl. Kuhn/Rössner, Konstruktive Tatverarbeitung . .. , S. 270; Albrecht, Kriminologische Perspektiven ... , S. 64 ff.; Schreckling, Täter-Opfer-Ausgleich . .. , S. 133; Schöch, Wiedergutmachung . . ., S. C 58 f.; C 66 ff. 297 Vgl. Walter/Schuldzinski, Der Täter-Opfer-Ausgleich ... , S. 566, die die Trennung für "wenig verbraucherfreundlich" halten; Roxin, Die Wiedergutmachung ... , s. 38 ff. 298 Hirsch, Gegenwart ... , S. 827. 299 Ebd. 300 Vgl. Schöch, Vorläufige Ergebnisse ... , S. 73. 301 Roxin, Die Wiedergutmachung . . ., S. 41, mwN, auch aus der abolitionistischen Literatur. 302 Roxin, Die Wiedergutmachung .. . , S. 39; vgl. bereits Binding, Die Normen ... , S. 284 - 290, der allerdings davon ausgeht, die Rechtsverletzung sei un-

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I. Teil: Grundlagen und Verortung des Schlichtungsverfahrens

Zu bedenken ist aber, daß durch einen erfolgten Schadensausgleich, gleichgültig ob dieser im Zivilrecht oder Strafrecht angesiedelt ist, eine strafrechtliche Intervention, die ohnehin nur ultima ratio sein kann, entbehrlich werden kann. Wie bereits angedeutet, unterliegt die historisch bedingte Trennung zwischen Zivil- und Strafrecht zunehmenden Bedenken und wird im Hinblick auf eine zeitgemäße Konfliktregelung eher als hinderlich empfunden303 . Die privatautonome Konfliktregelung, wozu auch das Schlichtungsverfahren vor dem Schiedsmann gezählt werden kann, führt zu einer Annäherung des Strafrechts an das Zivilrecht, wobei die Wiedergutmachung nicht in das System der Strafzwecke integriert ist304 . Hierdurch erfährt die angesprochene Polarisierung zwischen Zivil- und Strafrecht eine Abmilderung. Das Schlichtungsverfahren trägt demnach der Kritik an der fragwürdigen Trennung zwischen Zivil- und Strafrecht Rechnung, wobei dieses Verfahren bereits im Vorfeld des eigentlichen Strafverfahrens angesiedelt ist, was insgesamt auch sinnvoll erscheineos. Ist nämlich eine Wiedergutmachung auch ohne ein Strafverfahren möglich, so sollte diese auch ohne ein solches angestrebt werden, allein um dessen stigmatisierende Wirkungen zu vermeiden.

wiederherstellbar, so daß die Strafe "Rechtsminderung zur Genugtuung für dieses unwiederherstellbare Unrecht (ist); Schadensersatz dagegen (ist) Aufhebung eines wiederherstellbaren dem Rechte widerstreitenden Zustandes"; ausführlich Hellmer, Wiedergutmachung ... , S. 529ff. (insbesondere S. 533); vgl. auch Rössner, Wiedergutmachen ... , S. 8, II; aus der Sicht der Präventionslehre wird kritisch angemerkt, die Prävention sei aufgehoben, wenn der Täter allenfalls die durch die Tat erlangten Vorteile herausgeben müsse, er also durch die Tatbegehung im Grunde nur gewinnen könne, vgl. Roxin, Die Wiedergutmachung . . ., S. 40f. 303 Vgl. Jung, Die Stellung des Verletzten ... , S. 1154, wonach sich die "rigide Trennung des Strafrechts vom Zivilrecht nicht durchhalten (läßt)" und insofern eine Renaissance des Schadensersatzes als Reaktionsmittel zu erwarten sei; Schöch, Die Rechtsstellung ... , S. 387, 391 fordert die Lockerung der "doktrinären" Trennung von Strafe und Schadensersatz und schlägt ein Restitutionsverfahren vor; vgl. auch Weigend, Tagungsbericht. . ., S. 1282 f. , der die Diskussionsbeiträge von Eser und Maihafer wiedergibt; kritisch unter Bezugnahme auf die oben Genannten äußert sich Roxin, Die Wiedergutmachung ... , S. 42 f. 304 Nach Roxin, Die Wiedergutmachung ... , S. 43 f., handelt es sich bei Modellen, die im Vorfeld des Strafverfahrens angesiedelt sind, nicht um Wiedergutmachung im System der Strafzwecke ; zur Wiedergutmachung als "eigenständige dritte Spur" im Sanktionsgefüge vgl. Rössner, Wiedergutmachen . .. , S. 39 f. ; kritisch zum Alternativ-Entwurf Wiedergutmachung und der dort vorgesehenen dritten Spur äußert sich Schmidt-Hieber, Ausgleich statt Geldstrafe, S. 2001, 2004. 305 Vgl. Walter/Schuldzinski, Der Täter-Opfer-Ausgleich ... , S. 566f.

D. Der Ablauf des Schlichtungsverfahrens in Strafsachen

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(2) Befriedungswirkung; Einfluß auf den Täter

Der Vergleichsabschluß ist der eigentliche, formale "Erfolg" des Verfahrens. Fraglich ist freilich, ob durch die üblicherweise getroffenen Vereinbarungen überhaupt Erfolg dokumentiert werden kann 306. Die bloße, durch einen Vergleich geregelte Streitbeilegung, muß nämlich noch nicht eine Aussöhnung bzw. Versöhnung zwischen den Parteien bedeuten307 • Teilweise wird nämlich eine solch umfängliche, über den eigentlichen Streitpunkt hinausgehende Beziehungsarbeit als Hauptziel von Schlichtungsbemühungen genannt. Die Parteien sollen demnach mittels eines intensiven Gesprächs über das Tatgeschehen zu einer Aussöhnung kommen, bei der eine materielle Schadenswiedergutmachung nebensächlich wird308 . Bei realistischer Betrachtung wird allerdings eine durch das Schlichtungsverfahren erstrebte Aussöhung zwischen den Parteien allenfalls als Ideallösung angesehen werden können. Wichtig ist die Streitbeilegung, der Ausgleich und die hiermit einhergehende Befriedungswirkung, zumal gerichtliche Verfahren hier mit Sicherheit nicht erfolgreicher sind309 . Röhl kann für das Schlichtungsverfahren vor dem Schiedsmann in Zivilsachen eine befriedende Wirkung feststellen, meint aber, diese solle nicht überschätzt werden 3 10 . Trotz eines erzielten Vergleichsabschlusses wird nämlich oftmals von den Parteien selbst eine Aussöhnung ausgeschlossen311. Ein formaler Vergleichsabschluß wird aber auch nicht immer einem lediglich an Streitbeilegung und Befriedung orientierten Verfahrensziel gerecht werden. Die Einigung kann nämlich durch mannigfaltige Ursachen bedingt sein. Der Verletzte kann sich angesichts der Beschwernisse der Privatklage zu einem "zähneknirschenden" Vergleich bereitgefunden haben. Der Täter hingegen kann aus Angst vor dem sich im Falle der Erfolglosigkeit möglicherweise anschließenden gerichtlichen Verfahren 312 zu Zuge306 Vgl. für den Täter-Opfer-Ausgleich Al brecht, Kriminologische Perspektiven . .. , S. 62 ; zur möglichen Bandbreite des Verfahrenserfolgs vgl. Weigend, Deliktsopfer .. ., S. 290. 307 V gl. aber Stöcke!, Sühneversuch .. . , S. 33, der einen erfolgreichen Sühneversuch mit einer Aussöhnung zwischen den Parteien gleichsetzt. 308 Schreckling, Täter-Opfer-Ausgleich ... , S. 132, 133, 135. 309 Vgl. zur marginalen Befriedungswirkung formeller Verfahren Strempel/van Raden, Strukturanalyse ... , S. 91 ; kritisch im Hinblick auf informelle Verfahren Albrecht, Kriminologische Perspektiven . . ., S. 55. 3 10 Röhl, Das Güteverfahren .. ., S. 383 f. 3 11 Ebd. 3 12 Die Sorge wäre aber, wie oben im I. Teil, C., I., 2., gesehen, nicht begründet.

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I. Teil: Grundlagen und Verortung des Schlichtungsverfahrens

ständnissen bereit gewesen sein, die redlicherweise von ihm nicht gefordert werden konnten 313 . Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang auf eine Entscheidung des LG Bochum314 . In dem dort zugrundeliegenden Fall hat ein Antragsteller den vor dem Schiedsmann abgeschlossenen Vergleich mit der Argumentation angefochten, in einem gerichtlichen Verfahren sei ein höheres Schmerzensgeld erzielbar. Bereits dieser Sachverhalt zeigt, daß den Antragstellern im Verfahren vor dem Schiedsmann jedenfalls teilweise daran gelegen sein kann, durch den Abschluß eines Vergleichs Leistungen zu erlangen, die hinsichtlich der Höhe dem entsprechen, was in einem gerichtlichen Verfahren realisierbar wäre. Es muß also angenommen werden, daß die Antragsteller zum guten Teil nicht zu materiellen Zugeständnissen bereit sind315 . Die oben erwähnte Hoffnung auf eine Aussöhnung, die die materielle Seite nebensächlich werden läßt, dürfte sich mithin nur selten erfüllen. Ficht der Antragsteller den Vergleich sogar an, so kann von einer Streitbeilegung oder Befriedung auch nicht mehr die Rede sein. Gleiches gilt, wenn sich nachträglich aufrund unausgeglichener Regelungen eine Unzufriedenheit mit dem Verfahrensergebnis einstellt. Freilich wird den Parteien - und hier namentlich dem Antragsteller - mit dem Schlichtungsverfahren noch eher gedient sein, als mit einem strafgerichtliehen Verfahren, welches die Opferinteressen regelmäßig vernachlässigt. Die Mitwirkung an einem Vergleich und die hiermit in aller Regel bedingte Schadenswiedergutmachung sollen weiterhin den Täter veranlassen316, sich mit seiner Tat auseinanderzusetzen 317. Schöch verspricht sich von der durch den Ausgleich zwischen Täter und Opfer aufgehobenen Passivität des Täters einen positiven Einfluß auf sonst vorhandene neutralisierende Rechtfertigungs- und Entschuldigungsmechanismen 318 . Der Täter soll lernen, seine Handlung aus der Opferperspektive nachzuempfinden und hierdurch bedingt Hemmungen entwickeln, die ihn von einem neuerlichen Rechtsbruch abhalten sollen 319 . Ungeklärt ist in diesem Zusammenhang allerdings, ob sich der Täter tatsächlich mit der Tat auseinandersetzen will. Albrecht meint, auf der Täterseite stehe als Motiv der Teilnahme an Wiedergutmachung und Mediation die erhoffte Strafmilderung bzw. Einstellung des Verfahrens im Vorderm Diese Bedenken äußert auch Weigend, Deliktsopfer . . . , S. 290.

LG Bochum, VersR 1990, S. 392. Von zum Teil unrealistisch hohen Schmerzensgeldforderungen der Opfer in dem auf Jugendliche bezogenen Projekt "Handschlag" in Reutlingen berichten Kuhn/Rössner, Konstruktive Tatverarbeitung ... , S. 269. 316 Zum spezialpräventiven Bereich der Wiedergutmachung vgl. Roxin, Die Wiedergutmachung .. . , S. 50 f. 3 17 Frehsee, Wiedergutmachung . . ., S. 130. 3 18 Schöch, Täter-Opfer-Ausgleich . .. , S. 147 f. 3 19 Ebd. 3 14

3 15

D. Der Ablauf des Schlichtungsverfahrens in Strafsachen

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grund, nicht aber das Interesse am Opfer, an Konfliktbereinigung und Ausgleich320. Supe berichtet von einer Untersuchung bei jugendlichen Strafgefangenen321. Diese haben auf die Frage: "Welche Angebote wünschen Sie im Jugendvollzug?" unter 28 Antwortmöglichkeiten die Antworten: "Hilfen für die Wiedergutmachung", "Hilfen für die Versöhnung mit dem Geschädigten" die Wiedergutmachung an 15. und die Versöhnung an 24. Stelle genannt322 . Allerdings soll es möglich sein, anfangs nicht vorhandene Mitwirkungsbereitschaft in einem gewissen Umfang zu erzeugen323 . Maßgeblich sollte letztlich folgendes sein: Wenn durch Wiedergutmachung eine erneute Auffälligkeit des Täters vermieden werden kann 324, so ist auch ein Vorteil für die Allgemeinheit gegeben. Nach Frehsee325 wird der zu restitutiven Leistungen sich verpflichtende Täter aus seiner Rolle als duldendes Objekt herausgenommen und in seiner Autonomie unter Achtung seiner Persönlichkeit in die Pflicht genommen. Dem Täter werde keine Versagensidentität vermittelt, sondern Gelegenheit zur Entwicklung einer Erfolgsidentität gegeben. Die von Frehsee 326 herausgehobene, mit dem Schlichtungsverfahren teilweise identische Schadenswiedergutmachung soll sich weniger mit der vergangenheitsorientierten Betrachtung der Tat als mit der Gestaltung der zukünftigen Verhältnisse befassen. Die im Rahmen eines Vergleichs vor dem Schiedsmann erfolgende Verpflichtung des Täters zur freiwilligen 327 Wiedergutmachung wird als Vorstufe der (idealtypischen) Aussöhnung zwischen Täter und Opfer angesehen 328 . Desweiteren haben Wiedergutmachung und Befriedung möglicherweise eine resozialisierende Wirkung, wobei die ansonsten mit der Resozialisierung im Sinne einer Behandlung auftauchenden Probleme wie der Verhältnismäßigkeit oder der Persönlichkeitsvergewaltigung nicht auftauchen 329 .

Albrecht, Kriminologische Perspektiven ... , S. 70, mwN. Supe, Ausgleich ... , S. 53. 322 Ebd. m Walter, Wandlungen . .. , S. 66. 324 Ausführlich hierzu Weigend, Deliktsopfer ... , S. 320, mwN. 325 Frehsee, Wiedergutmachung ... , S. 130, mwN. 326 Ebd. 327 Der Freiwilligkeit, wie sie im Schlichtungsverfahren zumindest formal gegeben ist, wird erhebliche Bedeutung beigemessen ; vgl. Schöch, Vorläufige Ergebnisse ... , S. 79f. 328 Vgl. Roxin, Die Wiedergutmachung .. ., S. 50. 329 Roxin, Die Wiedergutmachung . . ., S. 50 f., der zutreffend auf die Problematik der fehlenden empirischen Absicherung hinweist sowie, daß es durchaus auch Täter geben kann, die durch eine Wiedergutmachung meinen, noch einmal "glimpflich davon gekommen zu sein" und gerade deswegen nicht von weiteren Taten absehen. 320

321

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1. Teil: Grundlagen und Verortung des Schlichtungsverfahrens

c) Zusammenfassung: Vergleich Die Verfahrensbeendigung durch den Abschluß eines inhaltlich frei auszuhandelnden Vergleichs ermöglicht den Parteien - unter Mitwirkung des Schiedsmanns - die umfassende Regelung der Tatfolgen, einschließlich der zivilrechtliehen Komponenten. Hierdurch kann eine Befriedung zwischen den Parteien erreicht werden. Die umfassende Bewältigung des Konflikts liegt namentlich im Interesse des Verletzten, der stets weniger an einer Bestrafung des Täters, als an einem Ausgleich seines Schadens interessiert ist330 . Durch die Möglichkeit, aus dem Vergleich relativ einfach die Zwangsgvollstreckung zu betreiben, ergibt sich für den Verletzten eine gewisse Absicherung. Auch wird weiterer Streit vermieden, weil nicht auf Erfüllung des Vergleichs geklagt werden muß.

2. Der negative Veifahrensausgang a) Sühnebescheinigung Kommt es in der Schlichtungsverhandlung nicht zu einer Einigung, wird dem Antragsteller die bereits erwähnte Sühnebescheinigung nach § 40 SchAG/NW erteilt, damit dieser - falls gewünscht - die Privatklage erheben kann. In seltenen Fällen wird der Antragsteller nicht zu einer Einigung bereit sein, sondern nur die Sühnebescheinigung erhalten wollen 331 . Solche Umstände haben aber weniger mit einer Ungeeignetheil des Schiedsmannsinstituts zu tun, sondern mit der Persönlichkeitsstruktur des Verletzten, der bei entsprechender Disposition an einer Einigung gar nicht interessiert ist332 , weil es ihm vielmehr auf eine Bestrafung des Täters ankommt. Personen, die einer Einigung nicht zugänglich sind, wird es immer geben, ohne daß durch diese Erscheinung der Wert ausgleichender Verfahren geschmälert wird.

Vgl. Weigend, Deliktsopfer . . . , S. 239 ; Hanak, Diversion ... , S. 30. V gl. Schädler, Den Geschädigten ... , S. 151, wonach eine informelle Konfliktregelung nicht von allen Opfern gutgeheißen wird, was besonders dann gelten soll, wenn es sich um Opfer von Gewaltstraftaten handelt. 332 Vgl. hierzu Walter, Wandlungen .. . , S. 66, der von der teilweisen Herstellbarkeit gewisser Rahmenbedingungen ausgeht, wobei er anmerkt, das Opfer könne nach "anfänglich strikter Weigerung zum Gespräch und zu Entschädigungsabreden bereit werden". 330 331

D. Der Ablauf des Schlichtungsverfahrens in Strafsachen

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b) Weiteres Schicksal des Konflikts Nach dem Scheitern des Schlichtungsverfahrens bleibt dem Antragsteller zur weiteren Bearbeitung des Konflikts entweder die Möglichkeit Privatklage zu erheben oder sich auf die Verfolgung der aus der Tat erwachsenen zivilrechtliehen Ansprüche zu beschränken. Er kann allerdings den Konflikt auch unbearbeitet lassen und von einer weiteren Verfolgung der Tat absehen. Nur in einer geringen Anzahl der an den Schiedsmann herangetragenen Sühneangelegenheiten wird auch tatsächlich Privatklage erhoben, wobei der entsprechende Wert im Bereich von unter 20% anzusiedeln ise33 . Gleiches ergibt sich bei Betrachtung der Verweisungszahlen der Staatsanwaltschaft. Gab es 1977 noch 77.200 Verweisungen auf den Privatklageweg und 13.700 Privatklagen, was einem Verhältnis von 17,7% entspricht, so ergibt sich für 1981 ein Verhältnis von 10,4%, bei 93.000 Verweisungen 9.000 Privatklagen 334 . Diese Werte beinhalten auch die Fälle, denen aufgrund einer "Verweisung" durch die Polizei 335 keine Verweisung durch die Staatsanwaltschaft vorangegangen ist. Oftmals wird also nach einem erfolglosen Schlichtungsverfahren die Tat, jedenfalls was das Privatklageverfahren anbetrifft, nicht weiter verfolgt. Die Gründe für die Nichterhebung der Privatklage trotz des Scheiteros der Bemühungen des Schiedsmanns können vielfältig sein 336. Sie können zum einen in einer Frustration des Verletzten liegen, der die weitere Verfolgung der Tat angesichts der Beschwernisse des Privatklageverfahrens (Kosten, geringe Verurteilungswahrscheinlichkeit, etc.) aufgibt. Hiervon werden insbesondere solche Fälle betroffen sein, die aufgrund mangelnder Einigungsbereitschaft des Täters nicht mit einem Vergleich abgeschlossen werden konnten. 333 Bierbrauer/Falke/Koch, Konflikt. . ., S. 148 f., haben ermittelt, daß in den Jahren 1880 bis 1931 66,2% aller Sühneversuche erfolglos waren und nur in 35,2 % der ursprünglich eingeleiteten Schlichtungsverfahren auch Privatklage erhoben worden ist. Hiernach wäre also in etwa bei der Hälfte aller erfolglosen Schlichtungsverfahren Privatklage erhoben worden ; nach Martin, Das Sühneverfahren ... , S. 245 (Fn. 458) sank in Bezug auf die Eingangszahlen die Privatklagequote von 1978: 24% auf 1984 : 18,8 %. 334 Rieß, Die Rechtsstellung ... , S. C 22 f., Fn. 83; Schöch, Die Rechtsstellung ... , S. 389, gibt ein Verhältnis von 10% an. 335 Siehe hierzu oben I. Teil, C., II., 2. 336 Vgl. bereits Hartung, Hundert Jahre Schiedsmannsordnung, S. 158, der davon ausgeht, daß der größte Teil der 54.229 im Jahre 1926 vor dem Schiedsmann erfolglos gebliebenen Sachen "deshalb nicht weiter verfolgt worden ist, weil der Antragsteller sich im Schlichtungsverfahren hat überzeugen müssen, daß er keine Aussicht habe, beim Gericht mit seiner Klage durchzudringen, oder weil er des Kampfes müde geworden ist."

6 Gutknecht

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I. Teil: Grundlagen und Verortung des Schlichtungsverfahrens

Auch ein erfolgloses Schlichtungsverfahren kann im Einzelfall aber durchaus sinnvoll gewesen sein. Der Verletzte kann in der Verhandlung vor dem Schiedsmann seine eigene Beteiligung an dem Konflikt erkannt haben, wobei ihm dann eine gewisse Mitverursachung ins Bewußtsein gerückt wird. Der Abschluß eines Vergleichs verbietet sich für den Verletzten in einem solchen Falle möglicherweise aber aus Prestigegründen 337 . Weil er seine eigene Konfliktbeteiligung erkannt hat, nimmt der Verletzte in solchen Fällen vom Privatklageverfahren Abstand. Ein so verstandener "fehlgeschlagener" Sühneversuch hätte immerhin den Parteien deren eigene Beteiligung am Konflikt bewußt gemacht, wobei eine gerichtliche Befassung mit dem Streit entbehrlich geworden ist. Denkbar ist aber auch, daß der Verletzte nach der erfolglosen Verhandlung zu der Tat einen solchen Abstand gewonnen hat, der die Motivationslage zur Einleitung weiterer Schritte nachteilig beeinflußt.

E. Konfliktbearbeitung unter Einschaltung eines Vermittlers I. Phänomen der Einbeziehung eines Dritten zur Konfliktregelung; Laienbeteiligung

Zentrale Figur bei der Konfliktregulierung im Schlichtungsverfahren ist die Person des Schiedsmanns. Basierend auf der bereits erfolgten Darstellung der Einzelheiten des Schlichtungsverfahrens soll nunmehr auf den theoretischen Ansatz der Einbeziehung eines Dritten - wie etwa des Schiedsmanns - an der Konfliktregelung eingegangen werden. Bekanntlich findet sich die Zuhilfenahme einer dritten Person im Konfliktfalle in nahezu allen Lebensbereichen wieder338 , wenn es darum geht, zwei sich streitenden Parteien zu einer Lösung ihres Konflikts zu verhelfen. Angesprochen sei etwa der Bereich der Politik, aber auch die Schlichtungsstellen des Handwerks oder das weite Feld der Tarifauseinandersetzungen, wo oftmals eine neutrale, von allen Parteien anerkannte Person den ins 337 Diesen Gedanken wirft Weigend, Deliktsopfer .. ., S. 290 auf, der insbesondere Fälle der Provokation durch den Verletzten als in diesen Bereich gehörend ansieht. 338 Dies gilt ebenfalls für andere Kulturen vgl. Nothdurft/Spranz-Fogasy, Der kulturelle Kontext. .. , S. 37, unter Hinweis auf ausländische Untersuchungen; ein umfassender Überblick findet sich bei Holtwick-Mainzer, Der übermächtige Dritte ... , S. 15 ff., 124 f.; Folberg/Taylor, Mediation ... , S. 350ff; siehe auch Rokumoto, Tschotei (Schlichtung) ... , S. 394 - 396, der von einer japanischen Form der außergerichtlichen Konfliktbewältigung, Tschotei, berichtet; die hierbei zu Tage tretenden Parallelen zu den im hiesigen Kulturkreis behandelten theoretischen Aspekten sind erstaunlich und lassen den Schluß auf eine gewisse Allgemeingültigkeit des theoretischen Konstrukts von Schlichtung (Vermittlung) zu.

E. Konfliktbearbeitung unter Einschaltung eines Vermittlers

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Stocken geratenen Gesprächsfluß neu beleben soll 339 . Zwar ist zwischen individuellen und kollektiven Regelungsstreitigkeiten und etwaigen Verfahrensbesonderheiten zu unterscheiden. Maßgeblich ist aber in allen Fällen die Hinzuziehung und der positive Einfluß eines (neutralen) Dritten. Grundsätzlich können daher auch Ansätze aus anderen Konkliktbereichen auf das hier interessierende Konfliktspektrum übertragen werden 340. Speziell wird auf die Besonderheiten einzugehen sein, die sich ergeben, wenn der zur Vermittlung/Schlichtung berufene Dritte ein Laie ist.

1. Abgrenzung der Vermittlung/Schlichtung von anderen Modellen der Konfliktbewältigung Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf solche Erscheinungsformen der Einbeziehung eines Dritten, bei welchen dieser als Vermittler auftritt. Der Begriff der Vermittlung wird in diesem Zusammenhang dahingehend verstanden, daß der Dritte keine Macht hat, den Parteien eine verbindliche Lösung des Konflikts aufzugeben 341 . Bei der Austragung einer (Rechts-)Streitigkeit kann unterschieden werden zwischen folgenden Formen der Konfliktbewältigung, wobei mit der Reihenfolge der Aufzählung der Grad der Formalisierung und die Normorien. tlerung zunehmen342 : -

Aushandeln Vermitteln Schlichten Richten.

Hinsichtlich des Einflusses der Parteien, der Interessenorientierung, des Verhandlungsspielraums und der Zukunftsorientierung ist umgekehrt von einer Abnahme auszugehen 343 . 339

Für den Bereich von Tarifverhandlungen vgl. Keller, Theorien ... , S. 115 f.

° Keller, Theorien ... , S. 83, merkt daher zutreffend (unter Hinweis auf Schel-

34

ling, The strategy of conflict, S. 3) an, daß es erstaunliche Parallelen zwischen diversen Konflikten gibt. 34 1 Die Begrenzung erfolgte im Hinblick auf die Ausgestaltung der Stellung des Schiedsmanns im strafrechtlichen Schlichtungsverfahren, in welchem er gerade nicht als "Friedensrichter" sondern Vermittler gesehen wird; vgl. Pfeiffer, Die Bedeutung ... , S. 72. 342 Siehe hierzu Falke/Gessner, Konfliktnähe ... , S. 290ff., mwN, die einen guten Überblick liefern; eine ausführliche Darstellung der konflikttheoretischen Unterschiede dieser - idealtypischen - Erscheinungsformen kann innerhalb der vorliegenden Arbeit nicht stattfinden. 343 Zur Einteilung der Konfliktlösungsstrategien vgl. auch Strempel, Vor- und außergerichtliche Konfliktlösungen . . ., S. 57. 6*

I. Teil: Grundlagen und Verortung des Schlichtungsverfahrens

84

Bei obiger Aufzählung ist unter Vermitteln 344 die Aktivität eines Dritten

zu verstehen, bilaterale Verhandlungen zu katalysieren, zu lenken und zu

fördem 345 .

Man versucht teilweise die Schlichtung von der Vermittlung dadurch zu unterscheiden, daß den Parteien bei der Schlichtung die bilaterale Kontrolle über das Verfahrensergebnis verloren geht, indem sie sich in der Regel der Entscheidung des Schlichters schon durch eine den Verhandlungen vorausgehende Vereinbarung unterwerfen 346 . Demnach müßte das Schlichtungsverfahren in Strafsachen an sich in "Vermittlungsverfahren" umbenannt werden, weil sich die Parteien gerade nicht aufgrund einer vorherigen Vereinbarung dem Spruch des Schiedsmanns unterwerfen. Oftmals wird aber zwischen Vermittlung und Schlichtung terminologisch nicht unterschieden 347 . Dies wird auch anband von Nr. I der VV zu§ 12 der bis zum 30.06.1993 gültigen Schü/NW deutlich, wonach der Schiedsmann zur gütlichen "Schlichtung" streitiger Rechtsangelegenheiten berufen ist. Dieser Begriff wird aber im Sinne von Vermittlung verstanden, da die Vorschrift (weiter) ausführt: "Er (der Schiedsmann, d. V.) ist kein Schiedsrichter und zu einer Entscheidung irgendwelcher Art nicht berufen. Zwang zur Einigung darf er nicht ausüben." Die Tätigkeit des Dritten als Vermittler kommt sowohl bei Sach- als auch bei Beziehungsproblemen in Betracht348 . Wenn Sachprobleme im Vordergrund stehen, soll der Vermittler als dritte Person Verhandlungshilfe durch Hinlenkung der Kommunikation auf kognitive Abklärung des Konflikts leisten, wobei den Parteien das Selbstinteresse am Konflikt und somit ein Kooperationsspielraum eröffnet werden so11 349 . Bei Beziehungsproblemen hat die Leistung des Vermittlers eher therapeutischen Charakter und dient der Ingangsetzung der Kommunikation zwischen den Parteien350. Vermittlung soll unter gleichzeitiger Dethematisierung des Rechts die Verrechtlichung des Konflikts vermeiden helfen 351 . Hierbei wird eine

s.

344

Vgl. zur Funktion des Vermittlers allgemein Ramm, Schiedsgerichtsbarkeil ... ,

144f.

Gottwald, Streitbeilegung ... , S. 38; Koch, Konfliktmanagement.. ., S. 91. Falke/Gessner, Konfliktnähe . .. , S. 292; Gottwald, Streitbeilegung . . ., S. 38 f.; vgl. auch Nothdurft/Spranz-Fogasy, Der kulturelle Kontext. .. , S. 32 f., die auf die unterschiedliche und nicht festgelegte Begriffsdefinition hinweisen; als ein kulturübergreifendes Definitionsmerkmal heben Nothdurft/Spranz-Fogasy, (S. 35), die freiwillige Unterwerfung unter eine Einigung hervor. 347 Nach Röhl, Der Vergleich ... , S. 299, handelt es sich hierbei ohnehin nur um definitorische Festlegungen. 348 Falke/Gessner, Konfliktnähe . . ., S. 292. 349 Falke/Gessner, S. 292. 35o Ebd. 351 Gottwald, Streitbeilegung ... , S. 42 ff. 345

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Begrenzung der Konfliktregelung auf das straftatbestandlieh Relevante vermieden. Folglich kommt das Schlichtungsverfahren vor dem Schiedsmann dem Idealbild der Vermittlung am nächsten, da der Schiedsmann keine für die Parteien verbindliche Entscheidung treffen kann, sondern seine Bemühungen "lediglich" in dem Versuch der Herbeiführung einer Einigung zwischen den Parteien bestehen. Obwohl die Einigung zu einem vollstreckungsfähigen Vergleich niedergeschrieben wird, überwiegt die Nähe zur Vermittlung, weil der Vergleichsabschluß ausschließlich vom Willen der Parteien bestimmt ist. Die im Schlichtungsverfahren an den Schiedsmann herangetragene Problematik hat sowohl Bezüge zur Sach- als auch zur Beziehungsebene, was davon abhängig ist, ob die Parteien vor dem Konflikt schon soziale Beziehungen gepflegt haben und ob diese weiterbestehen sollen. Die Frage etwa nach der Art der Schadenswiedergutmachung ist, wenn es z.B. Probleme der individuellen Leistungsfähigkeit des Täters zu regeln gilt, dem Sachbereich zuzuordnen.

2. Der Dritte Der zur Konfliktregulierung hinzugezogene Dritte soll den Parteien, die zu einer Kommunikation nicht mehr in der Lage sind, die Möglichkeit eröffnen, den Konflikt angemessen zu bearbeiten 352 . Ihm kommt in erster Linie eine helfende Funktion zu 353 . Ein zwingendes oder direktives Verhalten des Dritten soll einer Einigung abträglich sein354 . Allerdings wird teilweise die Einschaltung eines Dritten zur Konfliktregelung insgesamt kritisch beurteilt. Namentlich bei bereits bestehenden Sozialbeziehungen soll die Hinzuziehung des Dritten die Beziehung mehr gefährden als der Konflikt selbse55 . a) Funktion des Dritten aa) Allgemeine Faktoren Neben der bereits angesprochenen helfenden Funktion soll der Dritte den personalen Konflikt unter dem Gesichtspunkt des sozialen Ganzen sehen356 . 352 Jansen, Parallelen ... , S. 6, hebt die Rolle des Dritten bei alternativer Konfliktregelung besonders hervor. 353 Vgl. Gottwald, Streitbeilegung .. ., S. 50. 354 Ebd. 355 Blankenburg, Recht .. ., S. 91. 356 Holtwick-Mainzer, Der übermächtige Dritte ... , S. 164.

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I. Teil: Grundlagen und Verortung des Schlichtungsverfahrens

Hierbei wird ihm die Aufgabe zugedacht, die Verhandlungen zwischen den Parteien zu "katalysieren", zu lenken und zu fördem 357 . Er soll hierbei den Streit strukturieren und die Parteien eine Einigung möglichst selbsttätig finden lassen 358 . Danzig/Lowy sehen in dieser Tätigkeit auch die eigentliche Schwierigkeit bei der Rolle des Mediators, der weniger auf einen Vergleichsabschluß hinwirken, sondern einen Interaktionsprozeß zwischen den Parteien herbeiführen soll 359 . Ein solches Vorgehen drückt Respekt vor der Parteiautonomie aus, zumal selbstgefundene Lösungen wohl auch eher beachtet werden 360 . Inwieweit die Parteien während des Schlichtungsverfahrens wirklich alleine eine Lösung finden, wird noch zu klären sein. Möglicherweise nehmen die Parteien auch einen vom Schiedsmann vorgeschlagenen und formulierten Vergleich an. Somit würde sich zwar das Ergebnis der Konfliktlösung nicht als das (ausschließliche) Produkt einer Interaktion zwischen den Parteien darstellen, doch wäre nicht gesagt, daß die Parteien mit einer solchen Lösung unzufriedener sind. Jedenfalls werden durch das Hinzutreten des Dritten Kompromißlösungen für die Parteien akzeptabel, weil ein offensichtlicher Gesichtsverlust einer Partei vermieden wird 361 . Einfluß auf den Erfolg der Bemühungen haben persönliche Eigenschaften des Vermittlers, aber auch die zwischen den Parteien bestehenden und vom Vermittler hervorzuhebenden gemeinsamen Interessen an der Konfliktlösung, die höher zu bewerten sind als die Bedeutung von Normen 362 . Rechtsfragen können durch das Hinlenken der Aufmerksamkeit auf gemeinsame Interessen zurückgedrängt werden. Gerade die Schiedsmanns-Praxis soll hierzu reiches Anschauungsmaterial liefern363 . Der Vermittler soll den Parteien keinesfalls rechtlichen Rat erteilen, da er regelmäßig gerade nicht rechtlich versiert ist, und ein solches Verhalten die Unparteilichkeit gefährdet würde 364 . 357 Gottwald, Streitbeilegung .. ., S. 38; vgl. auch Keller, Theorien ... , S. 20, der von einem "catalytic agent" spricht. 358 Danzig/Lowy, Everyday Disputes .. . , S. 689f. 359 Danzig/Lowy, S. 689f; vgl. auch Felstiner, Neighborhood Justice . . ., S. 141 f. , wonach der Vermittler praktikable Einigungsvorschläge machen soll. 360 Weigend, Deliktsopfer. . ., S. 236f., mwN. 36 1 Vgl. Weigend, Deliktsopfer. . ., S. 231, mwN. 362 Gottwald, Streitbeilegung . .. , S. 38 f. 363 Luhmann, Kommunikation .. ., S. 109; Gusseck, Die Zumutbarkeit. .. , S. 86f. 364 Vgl. Folberg/Taylor, Mediation . .. , S. 351 f., die ausführen : "Mediators are not lawyers. At no time will a mediator offer legal advice to parties in dispute . .. The roJe of an impartial mediator should not be confused with that of an attorney who is an advocate for an dient."

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Im Schlichtungsverfahren vor dem Schiedsmann dürften regelmäßig sowohl der Antragsteller - es sei denn, er will nur die negative Sühnebescheinigung erlangen - als auch der Antragsgegner an einer Einigung interessiert sein, weil die Möglichkeit einer umfassenden Regelung der Tatfolgen besteht und die strafrechtliche Verfolgung der Tat abgewendet werden kann. Der Schiedsmann muß den Parteien diese gemeinsame Interessenebene verdeutlichen. Damit der Dritte diesen Anforderungen gerecht werden kann, muß er neutral sein 365 . Er unterhält in der Regel keine Beziehungen zu den streitenden Parteien. Von ihm wird eine gewisse Autorität erwartet366 . Neutralität und Autorität des Dritten sorgen für Entspannung und fördern die Kommunikationsbereitschaft, wobei die Neutralität bedingt, daß sich der Dritte mit der Kundgabe eigener Perspektiven zunächst zurückhäle67 • Der Vermittler soll eine moralisierende Haltung vermeiden, da dies von den Parteien bereits als Disziplinierungs- bzw. Degradierungszeremonie erlebt werden könnte 368 . Vorteilhaft soll nach Bierbrauer/Falke/Koch369 sein, wenn der Dritte über die "situativen" Momente der Verhandlung eine möglichst hohe Kontrolle hat, er also z.B. den zeitlichen Ablauf und die Gesprächsführung zu steuern vermag. Bei allen theoretischen Erwägungen zum Verhalten des Dritten sollte beachtet werden, daß offenbar bereits seine bloße Anwesenheit, ohne das Hinzutreten sonstiger Faktoren, dazu angetan ist, eine Einigung zwischen den Parteien zu fördern 370 . So belegt beispielsweise eine Untersuchung von Meeker/Shure eine deutliche Erhöhung der Kooperationsbereitschaft schon durch die reine Präsens eines älteren, für die Parteien nicht näher charakterisierten Dritten371 . Bei einem im Rahmen eines Experiments gespielten Konflikt haben in allen Fällen die Versuchspersonen den Vorschlag eines hinzutretenden allseits geachteten Neutralen akzeptiert372 . Zwar wurde hier 365 Nothdurft/Spranz-Fogasy, Der kulturelle Kontext. . ., S. 47 f. , mwN, die zwischen dem interessierten Schlichter, dem parteilichen Schlichter und dem Repräsentanten der Ordnung unterscheiden; vgl. auch Danzig/Lowy, Everyday disputes and mediation ... , S. 689; Serwe, Verfahrensgang . .. , S. 134. 366 Vgl. Martin, Das Sühneverfahren ... , S. 257, mwN. 36 7 Vgl. Hanak, Vermittlung . . . , S. 46. 368 Ebd. 369 Bierbrauer/Falke/Koch, Konflikt ... , S. 154, mwN. 370 Vgl. Bierbrauer/Falke /Koch, S. 154; vgl. auch die Untersuchung von Vidmar, Effects .. ., S. 49 f., 57; kritisch äußert sich Albrecht, Kriminologische Perspektiven ... , S. 62, der die theoretische Begründung des Prozesses eines Täter-Opfer-Ausgleichs und dessen Erfolgskriterien im Hinblick auf ein von einem Sozialarbeiter geleitetes Gespräch zwischen den Parteien vermißt 37 1 Meeker/Shure, Pacifist bargaining tactics .. . , S. 492 f. 372 Keller, Theorien . . ., S. 84 - 86, unter Hinweis auf Schelling, The strategy of conflict, S. 62 f.

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I. Teil: Grundlagen und Verortung des Schlichtungsverfahrens

sicherlich von idealtypischen Voraussetzungen ausgegangen, doch wird schon die Einschaltung des Dritten erheblichen Einfluß auf die Vergleichsbereitschaft der Parteien haben. bb) Spannungsfeld zwischen Parteiautonomie und Auftrag des Dritten Da der Dritte in Person des Schiedsmanns bereits aufgrund seines gesetzlichen Auftrags bemüht sein muß, eine Einigung zwischen den Parteien herbeizuführen, ergeben sich Probleme im Hinblick auf die Parteiautonomie. Zum einen soll der Vermittler den Parteien möglichst freie Hand lassen, sowie die ihm vermittelten Wahrnehmungen und Interpretationen als "Wahrheit sui generis" 373 annehmen374 und zum anderen primär aber das Ziel einer Übereinkunft im Auge behalten375 , wobei eine einmal gemachte Konzession sofort festzuhalten ise76 . Dementsprechend wird vertreten, der Dritte mache sich durch solche Ansprüche unglaubwürdig, er solle daher vom Ideal der Einigung abrücken 377 . Immerhin illustriert die Kritik von Rosellen 378, daß von idealtypischen Anforderungen regelmäßig gewisse Abstriche gemacht werden müssen, jedenfalls, wenn ein in der Praxis funktionierendes Institut gefordert wird, welches nicht an seinen eigenen starren Idealen scheitern soll. cc) Machtkomponente des Dritten Offenbar wird das Verhandlungsergebnis von der schon erwähnten Autorität des Vermittlers mitbestimmt. Soweit demnach der Vermittler Möglichkeiten hat, Druck auf die Parteien auszuüben, steigt die Wahrscheinlichkeit einer Übereinkunft379 . Mit zunehmender Macht des Vermittlers soll aber gleichzeitig die Wahrscheinlichkeit einer auch für beide Seiten zufriedenstellenden Einigung sinken380 . Demnach könnte zwar unter dem Druck des Dritten ein VerRosellen, Mediation ... , S. 217. Nach Folberg/Taylor, Mediation . .. , S. 350, soll sich der Mediator mit einer Einflußnahme auf freiwilliges Verhalten und selbstgefundene Einigungen der Parteien zurückhalten ("Pressures which jeopardize voluntary action and agreement by the parties should not be a part of mediation. ") 375 Rosellen, Mediation ... , S. 217. 376 Rosellen, S. 217, sieht ein solches Vorgehen "aus der Ecke des hard-selling" stammend an. 377 Rosellen, S. 217. 378 Ebd. 379 Vgl. Koch, Konfliktmanagement ... , S. 9 1. 3so Ebd. 37 3 374

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gleich erzielt worden sein, mit dem aber zumindest eine Partei im Grunde unzufrieden ist. Dem Schiedsmann steht in seiner Rolle als Vermittler kein nennenswertes Machtinstrumentarium zur Seite. Er kann aber, um eine Einigung zu erreichen, zunächst dem Antragsteller die weiteren Beschwernisse des anstehenden Privatklageverfahrens plastisch darstellen und gegenüber dem Antragsgegner die drohende Kriminalstrafe betonen. Obwohl sich letzterer - wie bereits gesehen 381 - keine ernstlichen Sorgen vor einer Bestrafung machen müßte, steht zu vermuten, daß er von der relativ geringen Wahrscheinlichkeit einer Bestrafung nicht informiert ist und somit die Drohung mit der Privatklage ihre vermutete Wirksamkeit nicht verliert. Nach Albrecht hängt das Funktionieren informeller Streitschlichtung von der Rekursmöglichkeit auf eine staatliche Streitentscheidung und dem damit zusammenhängenden Zwang ab 3 ~>2 . Die stets verfügbare und gegenwärtige Drohung, staatliche Stellen und Gerichte einzuschalten, soll maßgeblich eine Einigung mitbestimmen 383 • Demnach dürfte auch die beim Schlichtungsverfahren im Falle des Scheiterns der Einigungsbemühungen im Hintergrund stehende Möglichkeit der Privatklageerhebung einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf die Einigungsbereitschaft des Antragsgegners haben. Auch ohne die Ausübung von irgendwie geartetem Druck durch den Dritten ist dessen faktische Macht anzuerkennen, die sich aus seiner kommunikations- und einigungsfördernden Stellung als Koordinator ergibt 384 • Die Machtkomponente des Dritten leitet sich daher weniger aus repressiven Faktoren ab, sondern vielmehr aus dem Umstand, Einigungsvorschläge unterbreiten zu können, die nicht einmal begründbar gerecht oder ungerecht sein müssen, die aber dennoch häufig von den Parteien angenommen werden 385 . Die Vorschläge des Dritten werden oftmals von den Parteien aus Resignation angenommen und weniger, weil die Parteien von deren Gerechtigkeitsgehalt überzeugt sind 386 . Mit anderen Worten: Der Vorschlag wird akzeptiert, weil die Parteien entweder ihre eigenen Interessen nicht weitergehend durchsetzen konnten oder selbst keine "gerechtere" Lösung kennen. Hierbei ist ein Zugeständnis, welches durch Vermittlung des neutralen Dritten erzielt worden ist, weniger als Rückzug von der eigenen Verhandlungsposition und somit als Eingeständnis von Schwäche oder MitSiehe oben I. Teil, C., II., 2. Albrecht, Kriminologische Perspektiven ... , S. 55. 383 Ebd. 384 Die Anwesenheit eines neutralen Dritten kann allgemein die Effektivität von bilateralen Einigungsbemühungen steigern; siehe oben I. Teil, E., 1., 2. 385 Keller, Theorien ... , S. 85. 386 Ebd. 381

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schuld anzusehen als wenn es unmittelbar vom Konfliktpartner abgerungen worden wäre 387 . Ausgehend vom Vorstellungshorizont der Konfliktpartner wird nämlich üblicherweise die Konzession einer Partei gegenüber der anderen Partei als Zeichen der Schwäche gedeutet388 . Dieser Eindruck wird abgemildert, wenn das Nachgeben durch Intervention eines Dritten erzielt wird 389, da hier die konzessionsbereite Partei nicht "ihr Gesicht zu verlieren"390 droht. dd) Kompensation von Machtdisparitäten Der zur Konfliktbearbeitung eingeschaltete Dritte ist gehalten, ein zwischen den Parteien eventuell bestehendes Machtgefälle auszugleichen. Unterscheiden sich die Konfliktparteien hinsichtlich ihres sozialen Status, der Redegewandtheit oder ähnlicher Faktoren391 , so soll der Dritte diese Einflußgrößen durch seine Gesprächsführung möglichst nicht zum Tragen kommen lassen 392 . Trotz solcher Bemühungen werden die Verhandlungsmöglichkeiten und der Nutzen des neutralen Dritten auch bei einem von vomherein nur geringen Machtgefälle steigen 393 . Der als unzureichend abgesichert empfundene Ausgleich von Machtdisparitäten ist Gegenstand allgemeiner Kritik bei alternativer strafrechtlicher Konfliktregelung 394 . Schädler fordert zum Ausgleich möglicher Ungleichheiten transparente Verfahrensregeln und Standards für die Konflikterledigung395. Es wird kritisiert, die strafrechtlichen Alternativverfahren würden 387 Hierauf weist zutreffend Keller, Theorien ... , S. 116, hin, der dies sogar als wichtige Erkenntnis über die Funktion des Dritten ansieht. 388 Vgl. Pruitt/Johnson, Mediation ... , S. 239. 389 Podell/Knapp, The effect. . ., S. 517, die aufgrund eines durchgeführten Experiments zu folgender Erkenntnis gelangt sind: "The present results indicate that concessions which come trough a mediator give less of an impression of weakening of one's bargaining position than identical concessions which come direct1y from one' s opposite negotiator." 390 Bierbrauer/Fa1ke/Koch, Konflikt. .. , S. 153. 391 Auch anwaltlicher Beistand einer Partei kann eine Ungleichheit begründen; vgl. hierzu Weber, Die WaffengleichheiL .. , S. 155, wonach sich in vielen Fällen gerade der Antragsgegner "überrumpelt und auf verlorenem Posten" vorkommt, wenn der Anstragsteiler im Sühnetermin (unerwartet) mit einem Rechtsanwalt erscheint. 392 Vgl. Hendel, Die staatliche Schlichtungsstelle, S. 13, 15, der - ausgehend von den Zugangsbarrieren wenig begüterter Personen zur Justiz - für ein von ihm entworfenes Schlichtungsverfahren im Hinblick auf die Funktion des Dritten nicht dessen Neutralität herausstellt, sondern in "sozial ungleichgewichtigen Situationen" dessen Parteilichkeit fordert. 393 In diesem Sinne Keller, Theorien . .. , S. 21. 394 Weigend, Deliktsopfer . .. , S. 339-341, mwN. 395 Schädler, Den Geschädigten . .. , S. 153.

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bestehende Machtunterschiede verfestigen und könnten den machtlosen Armen und Schwachen nicht zu deren Recht verhelfen, jedenfalls in noch geringerem Maße als die Gerichte dies zu tun vermögen 396 . Als Kritikpunkt wird angebracht, das Recht sei keine "bösartige Erfindung machthungriger Anwälte", sondern (auch) gerade dazu geschaffen, machtlosen Personen Ansprüche gegen Mächtige durch den dahinterstehenden Staat und dessen Instrumentarium zu verschaffen 397 . Weigend 398 meint, die notwendige freiwillige Kooperationsbereitschaft könne vom Mächtigeren ohnehin nicht erwartet werden und Fälle, die einen deutlichen Machtunterschied der Betroffenen aufzeigen, seien somit einer Streitschlichtung entzogen. Die Kritik übersieht jedoch, daß es im Grunde bei jeder Art der informellen Konfliktregelung darum geht, die rechtlichen Fragen des Konflikts in den Hintergrund treten zu lassen. Insofern wird wenigstens eine Vorherrschaft wegen besserer Rechtskenntnis vermieden, die immerhin denkbar ist. Der Schluß, ausgleichende Konfliktregelung durch Einschaltung eines neutralen Dritten sei ungeeignet, wenn zwischen den Parteien erhebliche Machtunterschiede bestünden 399, erscheint jedenfalls dann voreilig, wenn der Dritte diese Unterschiede zur Kenntnis nimmt und - wie bereits oben angedeutet - den Versuch einer Kompensation bzw. Neutralisation unternimmt, zumal auch verrechtlichte Verfahren bislang einen entsprechenden Nachweis schuldig bleiben. Namentlich im Strafverfahren gibt es Anhaltspunkte für die mildere Behandlung mächtiger und nach herkömmlicher Lesart sozial integrierter Personen400 • Beim Schlichtungsverfahren vor dem Schiedsmann droht jedenfalls weder einem mächtigen noch einem benachteiligten Täter eine Bestrafung. Dies ist schon ein gewichtiger Vorteil. Im Strafverfahren stehen sich Täter und Opfer nicht als Parteien gegenüber, was von der Kritik nicht beachtet wird. Hier können sich Machtdisparitäten 396 Weigend, Deliktsopfer . . ., S. 339; vgl. auch Jansen, Parallelen ... , S. 2, unter Hinweis darauf, daß eine Rechtspolitik der Informal Justice zu Lasten der sozial Schwachen gehen kann. 397 Weigend, Rezension ... , S. 315; vgl. auch Nothdurft/Spranz-Fogasy, Der kulturelle Kontext ... , S. 50, die bei Schlichtungsverfahren in "small scale" Gesellschaften bei ungleichem sozialen Status von einem den Schwächeren benachteiligenden Ergebnis beri~hten; diese Diskrepanz falle um so geringer aus, je mächtiger der Dritte sei; der mit Macht ausgestattete Dritte nehme somit die ausgleichende Funktion des Gesetzes wahr. m Weigend, Rezension ... , S. 315. 399 Vgl. die Nachweise bei Weigend, Deliktsopfer ... , S. 340, Fn. 544, unter Hinweis auf Nader/Singer, Dispute Resolution, S. 311, die außerdem aufS. 285 unter Hinweis auf Arbeits- und Konsumentenstreitigkeiten ausführen, der stärkeren Partei mangele es in der Regel an der Bereitschaft zur Schlichtung. 400 Dies gilt beispielsweise auch für den Strafvollzug, in welchem Personen mit niedrigem Ausbildungsnivieau und sozial Randständige überrepräsentiert sind; vgl. Walter, Strafvollzug, Rn. 84, 88.

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in dem von der Kritik gemeinten Sinne überhaupt nicht ergeben. Beide Verfahrenssituationen sind insofern kaum miteinander vergleichbar. Im Strafverfahren werden sich soziale Benachteiligungen des Täters beim Verfolgungs- und Sanktionsverhalten der Justizbehörden bemerkbar machen. Auch im zivilrechtliehen Schadensersatzverfahren können sich die genannten Nachteile etwa durch die restriktive Gewährung von Prozeßkostenhilfe oder fehlende anwaltliehe Vertretung auswirken. Im zivilrechtliehen Verfahren kann weiterhin der Statusunterschied der Beteiligten, die sich jetzt als Parteien gegenüberstehen, Bedeutung erlangen, etwa durch die (kostspielige) Ausnutzung sämtlicher prozessualer Möglichkeiten. Diese Überlegungen gelten auch und gerade für den Fall, wenn der Mächtigere auf der Täterseite ist. Gelingt ihm ein günstiger Abschluß des Strafverfahrens (Einstellung, etc.), wird das Opfer bei der Durchsetzung seiner zivilrechtliehen Ansprüche oftmals vor erheblichen Problemen stehen. Somit können also auch für das justizförmige Verfahren Probleme mit der sozialen Stellung der Beteiligten auftauchen. Hier droht einer sozial randständigen Person im Strafverfahren allein aufgrund ihres Status und wegen der fehlenden Parteistellung von Täter und Opfer auch dann eine "schlechtere" Behandlung, wenn Täter und Opfer mit der gleichen Macht ausgestattet sind. Im Schlichtungsverfahren wären in diesem Falle aber überhaupt keine Machtdisparitäten auszugleichen. Aufgrund des schon untersuchten zivilrechtliehen Verfahrens kann angenommmen werden, daß sich beim Schiedsmann Parteien aus allen Gesellschaftsschichten gegenüberstehen 401 . Nach Röhl gehören die Antragsgegner häufiger zur erwerbstätigen Bevölkerung, während die Antragsteller eher Rentner oder Hausfrauen sind402 . Desweiteren sind auf der Antragsgegnerseite die Selbständigen überrepräsentiert403 . Bedeutsame Unterschiede des Schul- bzw. Berufsbildungsniveaus und des Haushaltsnettoeinkommens scheinen nicht gegeben zu sein 404 . Ernsthafte Probleme mit Statusunterschieden wurden bislang vom Schlichtungsverfahren vor dem Schiedsmann nicht berichtet. Dies mag zum Teil auch an den dem Schiedsmann zugänglichen Deliktsgruppen liegen. Bei Vermögenskriminalität erscheint die Wahrscheinlichkeit, daß der Geschädigte einen höheren sozialen Status genießt, zumindest plausibel begründbar. Offenbar hängt aber die Erfolgsquote mit der Beziehung der Parteien zusammen. Mit zunehmender Nähe der Parteien ist es wohl schwieriger, eine Einigung zu finden 405 . Hier fällt die Erfolgsquote bei bisher füreinander unbekannten Personen von 83,3% 401

4oz 403 404 405

Röhl, Das Güteverfahren .. ., S. 130 ff., 133 ff. Ebd. Röhl, S. 134. Röhl, S. 136, 138; vgl. auch Bierbrauer/Falke/Koch, Konflikt. .. , S. 161. Bierbrauer/Falke/Koch, Konflikt. .. , S. 166f.

E. Konfliktbearbeitung unter Einschaltung eines Vermittlers

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auf 38,5% bei Verwandten 406 . Umgekehrt steigt der Anteil der länger schwelenden Streitigkeiten407 . Diese, noch näher zu überprüfende Angaben haben aber weniger mit einem Machtgefälle zwischen den Parteien zu tun. Zwar können nahe Beziehungen ein Indiz für ein zwischen den Parteien bestehendes Machtverhältnis sein. Doch ist zu bedenken, daß bei engen sozialen Beziehungen der Schiedsmann (wohl) erst recht spät eingeschaltet wird und es sich offenbar häufig um einen bereits länger schwelenden und somit schwer zu vermittelnden Konflikt handelt408 . Die Annahme, bei bestehenden Machtunterschieden sei eine informelle, auf Ausgleich bedachte Konfliktregelung untauglich, weil diejenige Partei, die über ein größeres Machtpotential verfüge, ohnehin einer Einigung nicht zugänglich sei, dürfte jedenfalls für das strafrechtliche Schlichtungsverfahren unzutreffend sein, zumal hier der Antragsteller das Verfahren freiwillig einleitet und dies in der Regel nur dann Sinn macht, wenn wenigstens unabhängig von Statusunterschieden - ansatzweise eine Einigungsbereitschaft vorhanden ist. Der Stellenwert von Machtdisparitäten sollte daher für das strafrechtliche Schlichtungsverfahren nicht überbewertet werden. ee) Persönliche Merkmale des Dritten An die Persönlichkeit des neutralen Dritten werden recht unterschiedliche Anforderungen gestellt. Diese werden indes meistens nicht aus näher begründeten theoretischen Überlegungen abgeleitet, sondern als Idealbild in den Raum gestellt. Der Vermittler soll demnach - idealerweise - über reiche Erfahrungen in vergleichbaren Angelegenheiten verfügen, einen hohen sozialen Status genießen409 und Repräsentant von Normen und Werten in der betreffenden Gesellschaft sein410 • Eine andere Meinung hingegen will die Position des Dritten nicht mit einer prestigereichen Person besetzt sehen411 . Es solle sich nicht um Honoratioren oder professionelle Spezialisten handeln. Auch solle das Alltagswissen der Vermittler sich nicht wesentlich von dem der Konfliktpartner unterscheiden 412 • Allerdings wird auch die vorerwähnte Meinung dem Dritten schon ein gewisses Maß an Anerkennung zugestehen müssen, wenn Bierbrauer/Falke/Koch, S. 166 f. Ebd. 408 Siehe obige Fußnote. 409 Vgl. Holtwick-Mainzer, Der übermächtige Dritte .. ., S. 125. 410 Grundsätzlich zu den persönlichen Voraussetzungen des Dritten äußern sich Nothdurft/Spranz-Fogasy, Der kulturelle Kontext ... , S. 49. 411 Hanak, Vermittlung .. . , S. 46. 41 2 Ebd. 406 407

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dieser seine Funktion überhaupt erfüllen soll. Einem Dritten, dem die Parteien keine besondere Achtung entgegenbringen, wird schon die Herstellung eines positiven Klimas schwerlich gelingen. Der Dritte soll über reichhaltige Kenntnisse vom Leben in der betreffenden Gemeinschaft verfügen sowie eine neutrale, aber nicht uninteressierte Haltung zum jeweiligen Konflikt mitbringen413 . Die Vertrautheit des Dritten mit den örtlichen Verhältnissen stellt für Weigend414 zwar einen Vorteil dar. Weil die Parteien sich aber häufig mit unterschiedlichen Verhaltensnormen und Erwartungen gegenüberstünden, soll der Dritte jedoch insbesondere die Fähigkeit der Kommunikation mit den Parteien beherrschen sowie in der Lage sein, deren Wertvorstellungen in Erfahrung zu bringen415 • b) Laienbeteiligung vs. Expertenturn aa) Rechtliche Konfliktregelung als Expertenangelegenheit Die übliche staatliche Befassung mit dem Konflikt führt zur Verlagerung der Konfliktregulierung auf Verrechtlichungsinstanzen und der Professionalisierung dieses Bereichs416 • Der ursprüngliche Konflikt wird zu einem Metakonflikt, also einem Konflikt in regulierender Behandlung, der, soweit er institutionalisiert ist, auf die Lieferung von Entscheidungen ausgerichtet ist417 • Freilich werden nur die kodierten bzw. formalisierten Probleme gelöst418 . Das hierzu bemühte juristische Verfahren soll demnach den Konflikt, durch Umformung eines Interessen- in einen Wertekonflikt, entscheidbar machen, wobei der Interessenkonflikt durch Knappheit eines begehrten Objekts und der Wertekonflikt durch Uneinigkeit "über den normativen Status faktischer Verhältnisse" . hnet 1st . 419 . gekennze1c Die Parteien werden - durch dieses Verfahren bedingt - in eine Nebenrolle abgedrängt420 . Nothdurft/Spranz-Fogasy, S. 49. Weigend, Deliktsopfer ... , S. 322. 4 15 Ebd. 416 Vgl. Brinkmann, Konflikt. .. , S. 83, 86, 90. 417 Brinkmann, S. 83, 86, 90. 418 Ebd. 41 9 Ebd. 420 Vgl. hierzu die ausführliche Darstellung bei Herriger, Auf dem Weg ... , S. 21; die Entwicklung aus viktimologischer Sicht schildert Rössner, Wiedergutmachen .. ., S. 9 ff. 413

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E. Konfliktbearbeitung unter Einschaltung eines Vermittlers

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Die Behandlung rechtlicher Streitfälle wurde im Grunde bereits recht früh zu einem von Experten besetzten Feld. Dies gilt auch im Strafrecht, wo sich das Bestreben, privates Vergeltungsdenken zu überwinden, als roter Faden durch die Geschichte der Strafrechtspflege zieht, einhergehend mit der Tendenz, den Konflikt gewissermaßen zu verstaatlichen 421 . Im vormittelalterlichen Recht der Germanen gab es noch den zwischen den Parteien geschlossenen Sühnevertrag, der als Ausprägung der Einbeziehung von Täter und Opfer in die Konfliktlösung anzusehen ist422 . Dem Rechtssystem wird vorgeworfen, es erhebe den Monopolanspruch auf Verhaltenskontrolle in der vollen Überzeugung der Überlegenheit des Experten in scheinbar allen Bereichen der Regelung sozialer Beziehungen423. Kaupen definiert das Recht als Komplex strikter formeller Handlungsanweisungen, wobei die Juristen als Spezialisten solcher Art sozialer Kontrolle auftreten424 . Der Entwicklung hin zum Expertenturn wurde insbesondere durch die Vertreter der Romanisten innerhalb der historischen Rechtsschule Vorschub geleistet, wohingegen die Germanisten bis in neuere Zeiten den Volksgeist als Rechtsquelle angesehen haben, dem über die Laienrichterbeteiligung im ansonsten von Professionellen beherrschten rechtsförmigen Verfahren der nötige Einfluß verschafft werden sollte425 . Mittlerweile wird das Expertenturn insbesondere im rechtlichen Bereich kritisch beurteilt426. Gerügt wird die auf Expertenherrschaft und dem hohen Grad an Formalisierung beruhende "religionsgleiche Mystifizierung des Rechts", anstatt es lediglich als eine Art Übereinkunft zur Konfliktlösung anzusehen 427 . Die vollständige Übertragung der Bearbeitung von Konflikten auf Experten würde bedeuten, für jede Erscheinungsform eines Konflikts eine spezielle Institution für dessen Regulierung zu schaffen. Hierbei würden jedoch Entfremdungserlebnisse428 auftreten, da in dem sich so bildenden "artifiziellen Metakonflikt" die Parteien ihren Urkonflikt nicht wiedererkennen könnten429 . Bei einer weiteren Ausdehnung des Expertenturns käme es Jung, Die Stellung . .. , S. 1151 f. Schauf, Entkriminalisierungsdiskussion ... , S. 148 f. 423 Baunach, Die gesellschaftliche Bedeutung ... , S. 207. 424 Kaupen, Über die Bedeutung . . ., S. 15 ff. , 39 ff. 425 Roos, Antiformale Tendenzen ... , S. 227 - 229, der sich mit Max Webers These der antiformalen Tendenzen im Recht auseinandersetzt 426 Caplan, Ein Kult wird untersucht. . ., S. 105 f. 427 Caplan, S. 105 f. 428 Jansen, Parallelen . .. , S. 14, unter Bezug auf gerichtsförmige Verfahren. 429 Weigend, Deliktsopfer ... , S. 225 f.; vgl auch Frehsee, Schadenswiedergutmachung .. ., S. 130. 42 1 422

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I. Teil: Grundlagen und Verortung des Schlichtungsverfahrens

daher zu emotionalen Vorbehalten430 . Dennoch erfolgt in hochentwickelten, arbeitsteiligen Gesellschaften gerade im Rahmen der Konfliktregelung eine Entwicklung hin zum Expertentum431 . Kaupen hingegen sieht mit zunehmender Entwicklung der Industriegesellschaft den Einfluß des Rechts und der Juristen zugunsten anderer Medien und Agenten sozialer Kontrolle schwinden432 , was freilich keine Abkehr vom Expertenturn bedeutet. Durch die wachsende Zahl der Fachleute, auch der Juristen, soll die Notwendigkeit bestehen, hierfür ständig neue Märkte zu schaffen433 , wobei der Kunde lediglich "unverzichtbarer Rohstoff'' für das so ausgeweitete System der Expertenherrschaft sei 434. Mc Knight sieht die Gefahr, daß das System bereits kontraproduktiv geworden ist, nämlich dergestalt, daß für mehr Richter und Polizei mehr Unrecht und Verbrechen produziert werden435 . Wenn die Befugnis, persönliche Probleme zu definieren, zunehmend auf Experten übertragen wird, so wird der Bürger in diesem Maße entmündigt436. Dem Bürger wird mit anderen Worten der Konflikt weggenommen437. Die Transformation des Konflikts in einen strafrechtlichen Vorgang, führt zu einer Umwandlung des interpersonalen Konflikts in einen Konflikt zwischen Täter und dem Staat. Es entwickelt sich eine von den Beteiligten kaum mehr zu kontrollierende Eigendynamik einhergehend mit dem weitgehenden Verlust der Parteien über die Verfahrensherrschaft438. Auf Seiten des Opfers findet daher eine Entmündigung statt439 . Die staatlichen InstituVgl. Gottwald, Streitbeilegung .. ., S. 27 f., mwN. Gottwald, Streitbeilegung ... , S. 9 f., der als Folge eines evolutiven Prozesses von einem allein auf Konfliktregelung spezialisierten Sondersystem spricht. 4 32 Kaupen, S. 15 ff. , 39 ff. 433 Mc Knight, Professionelle Dienstleistung ... , S. 40 f. 434 Illich, Entmündigende Expertenherrschaft, S. 16 f., der davon berichtet, die Expertenherrschaft treibe schon so seltsame Blüten, daß u. U. der Experte schon zur Rechenschaft gezogen werden könne, wenn sich jemand der für ihn beschlossenen Fürsorge entzöge. 435 Mc Knight, Professionelle Dienstleistung ... , S. 42, der auch auf eine Parallele in der Medizin hinweist, wonach unter Iatrogenese vom Arzt verursachte Krankheiten zu verstehen sind. 436 Vgl. Mc Knight, Professionelle Dienstleistung .. ., S. 51 , der sogar ausführt, der Bürger höre in einem solchen Falle auf zu existieren. 437 Vgl. Frehsee, Schadenswiedergutmachung ... , S. 130; Sessar, Strafbedürfnis ... , S. 45., spricht von einer Herausnahme des Täters aus der Tatsituation. 438 Vgl. Feltes, Konfliktbereinigung . .. , S. 410 f., der daher das Vorgehen, Konflikte auf den Weg der Institutionen zu bringen, als Irrweg brandmarkt. 439 Vgl. Baurmann/von Janson/Reher, Rsozialisierung .. . , S. 55, die darstellen, daß mit der Anzeige der Tat, also wenn das Opfer den Konflikt an die Öffentlichkeit trägt, diesem der Konflikt aus der Hand genommen wird. 430 431

E. Konfliktbearbeitung unter Einschaltung eines Vermittlers

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tionen setzen ihren Strafanspruch durch. Dem Täter hingegen wird die Verpflichtung entzogen, sich mit seiner Tat und somit dem Opfer auseinanderzusetzen440. Die zunehmende Expertenherrschaft mag auch als Erklärung dafür dienen, daß Einrichtungen vermittelnder und ausgleichender Konfliktregelung nicht immer das zu erwartende öffentliche Interesse zukommt. Expertenturn bedingt wachsende Arbeitsteilung. Hierdurch kann aber die Fähigkeit der Konfliktpartner, den Konflikt unmittelbar mit dem Gegner auszutragen, abnehmen441 . Eine solche Entwicklung begünstigt aber nur die weitere Übertragung des Konfliktmanagements auf Verrechtlichungsinstan. au f Experten442 . zen und somit Deshalb ist es maßgebliche Zielvorstellung ausgleichender Konfliktregelung, die Verrechtlichung zu vermeiden, um den Konflikt auf der Interaktionsebene der Parteien zu belassen. Dies kann aber nur bei entsprechender Fähigkeit und Bereitschaft der Parteien, die indes durch das zunehmende Expertenturn bedroht ist, gelingen. Das Schlichtungsverfahren vor dem Schiedsmann soll daher gerade der Wiederherstellung des Rechtsfriedens im vorgerichtlichen Bereich, also ohne Verrechtlichung des jeweiligen Konflikts, dienen443 . Auch im geltenden Recht kann der Tendenz zur zunehmenden Verrechtlichung etwa durch die Anwendung verschiedener Einstellungsmöglichkeiten vorgebeugt werden444 . Durch die entsprechende Ausgestaltung des Rechts und dessen Handhabung lassen sich integrative Mechanismen schaffen, mit deren Hilfe den entsprechenden gesellschaftlichen Teilsystemen ein Modus zur Selbststeuerung an die Hand gegeben wird445 . bb) Gedanke der Laienbeteiligung an der Konfliktregelung Der Umdefinition des Konflikts in eine für die Parteien oftmals unverständliche rechtliche Expertenangelegenheit kann auch durch die Beteiligung von Laien bei der Konfliktbearbeitung entgegengewirkt werden. 440 Vgl hierzu Feltes, Konfliktbereinigung . . ., S. 414; bei der konstruktiven Verarbeitung der Tat - etwa durch Wiedergutmachung - hingegen ist der Täter gefordert, sich der Tat und ihren Folgen zu stellen, vgl. Rössner, Wiedergutmachen ... , s. 19, 25. 441 Frehsee, Schadenswiedergutmachung ... , S. 138 f., mwN. 442 Ebd. 443 Vgl. Donnepp, Die neue Schiedsmannsordnung ... , S. 26, 28. 444 Blankenburg, Recht. . . , S. 91 ff. 445 Teubner/Willke, Kontext. .. , S. 4, die diese Thematik unter dem Oberbegriff "Reflexives Recht" abhandeln. 7 Gutknecht

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I. Teil: Grundlagen und Verortung des Schlichtungsverfahrens

Gesetze werden im Hinblick auf gesellschaftliche Veränderungen als wenig flexibel angesehen. Nicht zuletzt hierdurch erleben die Parteien, die oftmals von anderen Wertvorstellungen ausgehen, Entfremdungserlebnisse. Hier soll durch den Einsatz von Laien, die in das Verfahren eingebunden sind, entgegengewirkt werden446 . Die ZügeJung des administrativen Staates soll daher durch die verfahrensmäßige Beteiligung von Laien, die sich weder als Interpreten des Rechts verstehen noch diesem verpflichtet fühlen, erfolgen. Außerdem sei der Laie den Interessen der Parteien näher sowie verantwortlicher und verantwortungsbewußt447 . Weiterhin sei der Laie mehr auf eine eher materielle, einzelfallbezogene Gerechtigkeit zentriert als ein Experte, der aufgrund seiner Routine zu einem schematisierten nach Fallgruppen ordnenden Denken neige448 . Dem Laienelement wird gerade bei strafrechtlich relevanten Konflikten Bedeutung zugemessen. Beim Schiedsmannsinstitut wird dies von Martin 449 besonders hervorgehoben. Der Schiedsmann braucht nicht juristisch vorgebildet zu sein, verfügt also über kein Expertenwissen und muß daher nicht in einem juristischen Schema denkend an einen Fall herangehen 450 . So soll eine im Vergleich zum gerichtlichen Verfahren geringere Distanz zu den Parteien erreicht werden451 . Allerdings dürfte die Ausblendung der Rechtsfragen nur im Idealfall anzunehmen sein. Weigend meint sogar, der Wunsch, den rechtlichen Hintergrund bei der Konfliktregelung völlig außen vor zu lassen, sei illusionär452. Die mit der Dethematisierung des Rechts einhergehende Stärkung des Laienelements könne allenfalls dazu führen, die relevanten Normen in den Hintergrund treten zu lassen, um so verstärkt außerrechtliche Elemente zu berücksichtigen453 . 446 Aus der reichhaltigen Literatur zur Laienbeteiligung vgl. nur Cappelletti, Laienrichter. .. , S. 316ff., mit umfassenden weiteren auch die historischen Wurzeln erfassenden Nachweisen, wobei er herausarbeitet, daß die Beteiligung von Laien bei der Konfliktlösung fast überall anzutreffen sei; Pilgram, Chancen ... , S. 119, spricht von einer "zunehmenden Abweichung des Strafrechts von der allgemeinen Rechtskultur fortgeschrittener Gesellschaften". 447 Vgl. Cappelletti, Laienrichter ... , S. 318, 320. 448 Vgl. Roos, Antiformale Tendenzen ... , S. 253, mwN. 449 Vgl. Martin, Das Sühneverfahren ... , S. 254; ders., Zur funktionellen und praktischen Bedeutung .. ., S. 26. 450 Vgl. auch v. Schacky, Das Privatklageverfahren ... , S. 343, Fn. I, die sich bei einem Privatklageverfahren de lege ferenda für die Beibehaltung des Laienelements ausspricht; demnach soll nur praktische Lebenserfahrung genügen, da es in erster Linie auf Menschenkenntnis und Bevölkerungsnähe ankomme. 451 Vgl. Bierbrauer/Falke/Koch, Konflikt .. . , S. 174f. 4 52 Weigend, Deliktsopfer ... , S. 234. 453 Ebd.

E. Konfliktbearbeitung unter Einschaltung eines Vermittlers

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Ein Laie soll den Parteien "unverdächtiger" als ein professioneller, in den Behördenapparat eingebundener Vermittler erscheinen454 . Martin455 ist weiterhin der Ansicht, der Rückgriff auf Laien könne für die Besetzung des Schiedsmannsamts den Pool der geeigneten Bewerber erweitern und somit die wirklich engagierten Personen zum Zuge kommen lassen. Er relativiert indes diese recht weitgehende These, indem er anmerkt, in der Praxis seien wohl die Auswahlkriterien für den Schiedsmann nicht unbedingt und in jedem Falle an solchen Maßstäben orientiert 456 . In diesem Sinne äußert sich auch Weigend457 , der im Hinblick auf allgemeine Erfahrungen mit alternativer Konfliktregelung anmerkt, die Tatsache, daß der Vermittler kein Jurist sei, genüge nicht, um diesen hinreichend zu qualifizieren, da gerade manche Laien dazu neigten, die Parteien nicht zu Wort kommen zu lassen und ihnen bestimmte Lösungen aufzudrängen458 . Der Schiedsmann ist ehrenamtlich tätig. Es handelt sich bei ihm zunächst um einen Laien im Sinne der obigen Ausführungen. Er braucht auch keine besonderen psychologischen Kenntnisse zu haben. Bei den hier interessierenden Delikten soll es nicht erforderlich sein, die Konfliktbearbeitung in die Hände von psychologisch oder sozialwissenschaftlich vorgebildeten, professionellen, vom Staat bezahlten Vermittler zu geben, da durch "erfahrene und im Gemeinwesen bekannte Personen" die Schlichtung genausogut geleistet werden könne459 . Auch handelt es sich bei Personen, die statt einer besonderen juristischen Schulung über professionelle Kenntnisse im Konfliktmanagement verfügen, gerade nicht mehr um Laien, da ein (professionelles) Konfliktlösungsschema durch das andere ersetzt wird. cc) Kritik an Laienbeteiligung und der damit einhergehenden Dethematisierung des Rechts Die Übertragung der Schlichtertätigkeit auf (rechtliche) Laien wird zum Teil aber auch abgelehnt. Hirsch hält das bei der umfassenden Streiterledigung bedeutsame Haftungsrecht für derartig kompliziert, daß nur ein Volljurist, am besten ein besonders qualifizierter Richter, tätig werden solle460 . Unter Hinweis auf Martin, Das Sühneverfahren . . ., S. 257. Martin, Das Sühneverfahren . . ., S. 302. 456 Ebd. 4 57 Vgl. Weigend, Deliktsopfer . . ., S. 303. 458 Ebd. 459 Fehes, Gesellschaftliche Gerichte . .. , S. 98 f. 460 Hirsch, Gegenwart und Zukunft ... , S. 832 ff., der sich für ein entkriminalisiertes Privatklageverfahren ausspricht. 454

455

7*

100

1. Teil: Grundlagen und Verortung des Schlichtungsverfahrens

die Verfassungswidrigkeit des nach dem Zweiten Weltkrieg in Baden-Württemberg praktizierten Friedensrichterlichen Verfahrens sieht er in der Laiengerichtsbarkeit ein Verfahren minderer rechtlicher Qualität461 . Die exakte rechtliche Beurteilung von Haftungsfragen wird wohl tatsächlich nur von Juristen vorgenommen werden können. Soweit nach obiger Auffassung die gewünschte umfassende Erledigung des Streits durch einen für beide Parteien verbindlichen Spruch herbeigeführt werden soll, wird vom Schlichter auch eine entsprechende juristische Qualifikation zu fordern sein. Wenn demnach im entkriminalisierten Privatklageverfahren eine Entscheidung getroffen werden soll, die auch ohne die Zustimmung beider Parteien ergehen kann, so muß in der Tat zur Vermeidung von Rechtsnachteilen, bzw. damit nicht der Eindruck einer "second-class-justice" aufkommt, auf der Beteiligung eines Volljuristen bestanden werden. Obige Auffassung übersieht aber, daß die auch von ihrem Vertreter gewünschte Befriedung nur schwerlich gegen den Willen einer oder beider Parteien möglich sein wird. Es wird also immer eine freiwillige Übereinkunft zwischen den Parteien anzustreben sein. Bei einer so verstandenen freiwilligen Konfliktregelung sollte aber gerade keine Zuweisung von Recht oder Unrecht innerhalb von Schuldkategorien stattfinden. Das Recht soll nicht weiter thematisiert werden, sondern die Parteien sollen eine nach eigenen Gerechtigkeitsvorstellungen akzeptable Lösung anstreben. Das von Hirsch vorgeschlagene - Laien aussschließende - entkriminalisierte Privatklageverfahren vernachlässigt daher zugunsten einer juristisch exakten Entscheidung die Möglichkeiten, die in einem Aufeinanderzugehen der Parteien und einer von diesen (selbst) gefundenen Konfliktlösung liegen können. Die Verstärkung des Laienelements im Rahmen einer entprofessionalisierten Rechtspflege, verbunden mit einer Rückgabe des Konflikts an die Beteiligten, wird von Hegenbarth angegriffen 462 . Nach seiner Ansicht lassen sich die nachbarschaftsbezogenen "Palaver" in einfachen Gesellschaften nicht auf hiesige Verhältnisse übertragen, da in unserem Raum die Trennung des privaten und öffentlichen Lebensbereichs bereits so weit fortgeschritten sei, daß der "Nachbarschaftsideologie" keine Chance zu geben sei463 . V. Trotha vertritt sogar die Auffassung, eine der wesentlichsten Errungenschaften moderner Konfliktregelungsmechanismen sei die Enthebung des Opfers von der Notwendigkeit der Konfliktregelung464 . Er spricht sich gegen die "simplistische" Übertragung der Konfliktregelungs461 462 463

464

Hirsch, Gegenwart und Zukunft. .. , S. 832, mwN. Hegenbarth, Sichtbegrenzungen ... , S. 68 ff., mwN. Ebd. V. Trotha, Limits to Pain . . ., S. 45.

E. Konfliktbearbeitung unter Einschaltung eines Vermittlers

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mechanismen segmentärer Gesellschaften auf die hiesigen Verhältnisse aus46s. Hegenbarth erkennt ein sich widerspiegelndes typisches Mittelschichtsweltbild, wonach Konflikte nicht als schicksalhaft hingenommen, sondern im Vertrauen auf das eigene Leistungsvermögen, verbunden mit einer als Eigennutz zu bezeichnenden Komponente angegangen werden466 . Der Wunsch nach Rückgabe der auf Experten übertragenen Entscheidungsmacht an die Ausgangspersonen sei ein typisches Merkmal der oberen sozialen Schichten, wohingegen sich die "sozialdepravierten Populationsteile" mit einem geringeren Potential an Handlungsmöglichkeiten und Konfliktvermeidungsstrategien zunehmend im Bereich der Meidung zu orientieren hätten 467 . Die Argumentation von Hegenbarth ist in der von ihm vorgenommenen Verallgemeinerung nicht zutreffend468 . Allerdings darf ein zwischen den Parteien bestehendes Machtgefälle469 nicht unter Hinweis auf die Autonomie der Parteien außer acht gelassen werden. Soweit Hegenbarths Kritik diesen Bereich erfassen will, ist sie beachtenswert. Insgesamt dürfte deutlich geworden sein, daß die Ansätze einer Dethematisierung des Rechts bei der Konfliktbearbeitung unter (verstärkter) Laienbeteiligung durchaus nicht unumstritten sind. Jedenfalls bei den hier in Rede stehenden Konflikten überwiegen aber - zumindest den theoretischen Annahmen zufolge - die Vorteile einer Konfliktregelung unter Einbeziehung der am Konflikt beteiligten Ausgangspersonen. Eine ganz andere Frage ist freilich die, ob diese Umstände auch in der Praxis Umsetzung finden und von den Beteiligten akzeptiert werden. Dies ist für das hier interessierende Schiedsmannsinstitut zunächst von der Person des Amtsinhabers aber auch (wohl noch in stärkerem Maße) von den konkreten Erwartungen und Erfahrungen der Konfliktparteien abhängig. II. Anforderungen an die Person des Schiedsmanns aus der Sicht der Literatur

Nach den obigen Ausführungen zur Person des Dritten sowie der Konfliktbehandlung unter Laienbeteiligung soll nunmehr anband der zum SchiedsV. Trotha, Limits to Pain ... , S. 47. Hegenbarth, Sichtbegrenzungen ... , S. 68 ff. 467 Ebd. 468 In diesem Sinne äußert sich auch Hanak, Vermittlung .. . , S. 22f., wonach die "Pauschal-These von der fehlenden Konfliktfähigkeit und -bereitschaft der Unterschichten - zumindest in der vorgenommenen extremen Generalisierung - kaum haltbar" sei . 469 Siehe oben 1. Teil, E., 1., 2., a), dd). 465

466

I 02

I. Teil: Grundlagen und Verortung des Schlichtungsverfahrens

mannsinstitut existierenden Literatur dargestellt werden, welche Anforderungen speziell an die Persönlichkeit des Schiedsmanns gestellt werden. Bereits in den VV zur damaligen SchO/NW war geregelt, daß der Schiedsmann als Organ der Rechtspflege in und außerhalb der Schlichtungsverhandlung stets unparteiisch sein muß. Die besten Voraussetzungen für eine erfolgreiche Tätigkeit sollten demnach sein: "Anteilnahme an den zu verhandelnden Sachen, die geduldige Bereitschaft, den Beteiligten zuzuhören und auf ihr Vorgehen einzugehen, die Herstellung einer ruhigen und entspannten Atmosphäre sowie zurückhaltendes Auftreten" 470 . Das Amt des Schiedsmanns soll von Personen ausgeübt werden, die in ihrem Bezirk eine gewisse Achtung genießen 471 , welche ihnen eine persönliche Autorität verleiht472 . Das Autoritätsmoment wird hervorgehoben, weil es erforderlich sein soll, die Auseinandersetzung zunächst zu versachlichen und die Parteien zu einem disziplinierten Verhalten zu bewegen473 . Ob eine sofortige Versachlichung der Angelegenheit und Disziplinierung der Parteien überhaupt angezeigt ist, erscheint zumindest fraglich, denn auch durch ein von Emotionen geprägtes Streitgespräch kann ein Abbau der Spannung erfolgen. Wenn die Parteien sich ausgesprochen haben, kann der Schiedsmann mit der Einflußnahme auf das Sühnegespräch und dem Herausstellen der Gemeinsamkeiten beginnen. Die Ansicht von Baunach474, der Schiedsmann müsse persönliche Autorität4 75 besitzen, trifft demnach zwar zu, jedoch darf der Amtsinhaber seine Autorität nicht dahingehend verwenden, die Parteien nicht zu Wort kommen zu lassen und Emotionen zu unterdrücken. Das Amt sollte daher mit Personen besetzt werden, die zuhören können476 . Der Schiedsmann braucht Einfühlungsvermögen 477 . In erster Linie soll das Herz Anteil nehmen 478 . Nach Weigend kommt es weniger darauf an, ob das Amt von einem Privatmann oder Beamten besetzt wird, sondern, daß diese Person "Geduld, Einfühlungsvermögen und die Beherrschung geeigneter Gesprächstechniken mitbringt" 479 . So ausdrücklich die Nr. 1.2 der VV zu § 12 SchO/NW. Martin, Das Sühneverfahren ... , S. 253, mwN; Prütting, Schlichten .. ., S. 264. 472 Vgl. Baunach, Die gesellschaftliche Bedeutung . . ., S. 194 f. 473 Baunach, S. 194 f. 474 Ebd. 475 Vgl. hierzu auch Martin, Das Sühneverfahren . . . , S. 260, der erst mit einer gewissen Lebenserfahrung die Autorität reifen sieht. 476 Jahn, Die soziale Bedeutung ... , S. 38 f., der meint, ungeduldige Menschen besäßen oft nicht die Weisheit, um die schwierigen Aufgaben des Amtes in sozialer Weise zu meistern. 477 Schauf, Entkriminalisierungsdiskussion ... , S. 191. 478 Jahn, S. 38f. 479 Weigend, Deliktsopfer ... , S. 276; vgl. auch Gusseck, Die Zumutbarkeit ... , S. 85f., mwN. 470 471

E. Konfliktbearbeitung unter Einschaltung eines Vermittlers

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Insgesamt kommt es also auf die Persönlichkeit des Amtsinhabers, in gewisser Weise auch auf dessen Sachkunde480 im Umgang mit Konflikten, sowie dessen Erfahrung und Menschenkenntnis an, um das Amt mit einem optimalen Träger auszustatten 481 . Beim Schiedsmann sollen also Eigenschaften dominieren, die nicht juristischer Natur sind und keine besondere Vorbildung erfordern, sondern dem Bereich der zwischenmenschlichen Beziehungen entspringen482 . Diese Eigenschaften werden gerade bei älteren lebenserfahrenen Menschen vermutet483 . Dem trägt die gesetzliche Regelung Rechnung. Nach § 2 III Nr. 1 SchAG/NW soll nicht gewählt werden, wer nicht das 30. Lebensjahr vollendet hat. Für die Altershöchstgrenze gilt § 2 IV SchAG/NW, wonach nicht gewählt oder wiedergewählt werden soll, wer das 70. Lebensjahr vollendet hat. Donnepp spricht sich gegen eine Altershöchstgrenze beispielsweise bei 60 Jahren aus, mit dem durchaus zutreffenden Hinweis manch eine Person könne schon mit 50 Jahren den Anforderungen des "schwierigen Amt(es)" nicht mehr gewachsen sein, aber auch noch ein 75-Jähriger könne bei entsprechender Disposition voll und ganz das Amt ausfüllen484 . Der Aussage, lebenserfahrene Menschen seien tendenziell für eine solche Aufgabe besser geeignet, wird man generell zustimmen können. Jedoch darf auch hier eine gewisse Ambivalenz nicht übersehen werden. Probleme können wohl auftreten, wenn sich Parteien gegenüberstehen, die einer jüngeren Generation als der Schiedsmann selbst angehören. Hier ist nicht aus480 Dieser Gedanke kommt bereits in § 16 II der ersten Schiedsmannsordnung für das Königreich Preußen zum Ausdruck (abgedruckt in SchsZtg 1927, S. 146ff. [nach Nr. 43 des Amtsblattes der Regierung zu Gumbinnen von 1827, ausgegeben zu Gumbinnen am 24. Oktober 1827]), wonach die Vorschläge des Schiedsmanns durch Kenntnis der Sache geleitet werden müssen. Desweiteren muß der Schiedsmann "sich bemühen, durch unpartheiische Theilnahme das Vertrauen der Interessenten zu gewinnen. Er darf keinen von ihnen übereilen, auch müssen seine Vorhaltungen den Schein des Zwanges vermeiden." 481 Vgl. Schauf, Entkriminalisierungsdiskussion ... , S. 191; Holtwick-Mainzer, Der übermächtige Dritte .. ., S. 124. 482 Vgl. Holtwick-Mainzer, Der übermächtige Dritte ... , S. 124, die eine erstaunliche Parallele zu Eigenschaften des Dritten in Kleingruppen und deren Konfliktlösungen wie den afrikanischen moots oder verwandten Verfahren herstellt, wonach der Dritte einen Expertenstatus in genealogischer oder magischer Hinsicht und hohes persönliches Ansehen innerhalb der Gruppe genießt. Ähnlich dürften die Dinge beim Schiedsmann liegen. Auch hier gibt es kein genau definiertes und faßbares AnforderungsprofiL Die Parteien scheinen den Schiedsmann jedenfalls zu respektieren. Anderenfalls wäre auch die durchgängig hohe Erfolgsquote (siehe oben I. Teil, C., III., 1.) nicht zu erklären, weil gewiß nicht in jedem Falle eine optimale Besetzung des Amtes im Hinblick auf die abstrakten Anforderungen gegeben ist. 483 Don nepp, Die neue Schiedsmannsordnung .. ., S. 30. 484 Ebd.

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1. Teil: Grundlagen und Verortung des Schlichtungsverfahrens

zuschließen, daß dann aufgrund eines differierenden Wertesystems Verständigungsschwierigkeiten zwischen den Parteien und dem Schiedsmann auftauchen können. Gleiches gilt im Grunde natürlich auch in umgekehrter Richtung und ist an sich kein schiedsmannspezifisches Problem, sondern taucht immer bei der Einschaltung eines Dritten auf, jedenfalls, wenn dieser durch eine staatliche Instanz zur Verfügung gestellt wird und die Parteien keinen Einfluß auch dessen Auswahl haben. In diesem Zusammenhang ist zu wiederholen, daß aber bei der Auswahl des Schiedsmanns für die Parteien noch eine gewisse Flexibilität besteht485 . Prinzipiell können die Parteien sich nämlich einen genehmen Schiedsmann aussuchen. Es steht jedoch zu vermuten, daß von dieser - den Ideal nahekommenden Möglichkeit - kein nennenswerter Gebrauch gemacht wird, da die einschlägigen Vorschriften des SchAG/NW bzw. der SchO/NW in der Bevölkerung nicht gerade bekannt sein dürften. Der Schiedsmann soll desweiteren die Fähigkeit besitzen, den Verfahrensablauf in der Hand zu behalten, zu überzeugen und den Parteien ein objektives Bild der Sache verständlich zu vermitteln486 . Dieser Gesichtspunkt ist im Hinblick auf die Parteiautonomie indes nicht ganz unbedenklich. Der Schiedsmann soll den Parteien gerade nicht seine eigene- vermeintlich objektive- Meinung aufdrängen. Er muß vielmehr in der Lage sein, die von Gefühlen überlagerte "Wahrheit" der Parteien zu akzeptieren, ohne seine eigene Ansicht durchsetzen zu wollen, auch wenn dies seiner Wertung im Einzelfalle hinsichtlich der Verteilung der Verursachungsbeiträge nicht gerecht werden sollte. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich eine Einigung auch bei einer - vermeintlich - falschen Interpretation der Geschehnisse durch die Parteien abzeichnet. Es darf freilich nicht verkannt werden, daß solche Fälle in der Regel eher selten sein dürften und die Parteien regelmäßig in gewisser Weise sogar Wert darauf legen dürften, die "Meinung" des Schiedsmanns zu hören. Dennoch sollte grundsätzlich eine von den Parteien selbst gefundene Lösung einem vom Schiedsmann nach der Sachverhaltserörterung vorgeschlagenen Vergleich vorzuziehen sein. An die Persönlichkeit des Schiedsmanns werden insgesamt zahlreiche mehr oder minder faßbare Anforderungen gestellt. Es dürfte einem Aspiranten für das Schiedsmannsamt nicht ohne weiteres angesehen werden können, ob er diesen Vorstellungen genügt oder nicht. Dies wird (allenfalls) durch umfangreiche psychologische Tests mit einiger Aussicht auf Erfolg herauszubekommen sein. Solche "Untersuchungen" werden jedoch bei den 485 Auf die nach §§ 35 S. 2, 14 II SchAG/NW bestehende Auswahlmöglichkeit wurde bereits hingewiesen; siehe oben 1. Teil, D., 1., 1. b). 486 Stöcke!, Sühneversuch ... , S. 30.

E. Konfliktbearbeitung unter Einschaltung eines Vermittlers

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jeweiligen Bewerbern nicht vorgenommen. Eingangsprüfungen für das Schiedsmannsamt sind derzeit - soweit erkennbar - nicht in Sicht. Es soll nicht verschwiegen werden, daß dem Schiedsmann wegen dessen "Honoratiorenstatus" teilweise abgesprochen wird, noch eine zeitgemäße Agentur zur Erbringung der geforderten Leistungen zu sein487 .

487 Vgl. Frehsee, Schadenswiedergutmachung ... , S. 380, der sich unter Hinweis auf Ostendorf, Alternativen .. ., S. 308, u. a. für stärker sozialpädagogisch ausgerichtete gemeindenahe Schlichtungsstellen ausspricht.

Zweiter Teil: Empirische Untersuchungen Im ersten Teil der Arbeit wurde das Schiedsmannsinstitut in Bezug auf außergerichtliche und ausgleichende strafrechtliche Konfliktregelung vorgestellt. Den überwiegend theoretischen Erörterungen soll nunmehr eine auf empirischen Befunden beruhende Darstellung folgen.

Erstes Kapitel: Die Schiedsmänner A. Einleitung Die Umsetzung der geschilderten Erwartungen an die Person des Amtsinhabers hängt maßgeblich von der Besetzung des betreffenden Amtes mit einer konkreten Person ab. Über die soziodemographische Zusammensetzung der Schiedsmänner sowie deren Einstellung zum Amt und zu bestimmten Themen existiert bereits die umfangreiche Erhebung von Röhl 1• Neben der zur Erhebung der soziodemographischen Daten gedachten Totalerhebung interessiert hier insbesondere die von Röhl durchgeführte Zusatzbefragunl. Diese fand im März 1985 statt und erfaßte 506 Schiedsmänner in Nordrhein-Westfalen, einschließlich der seinerzeit amtierenden 60 Schiedsfrauen. Ausgangsbasis sind 326 in den Rücklauf gekommene Fragebögen. Es wurden Fragen zum Schiedsmannsinstitut gestellt. Weiterhin wurden persönliche Einstellungen der Schiedsmänner erhoben. Die Ergebnisse der Zusatzbefragung konnten in Röhls Untersuchung aus zeitlichen Gründen nicht ausgewertet werden. Es verblieb insoweit bei einer "rohen" Randauszählung 3 • Dieses bei Röhl nicht näher interpretierte Material kann für die vorliegende Arbeit im Rahmen der hier interessierenden Thematik gut verwendet werden. Im folgenden sollen demnach die vorhandenen Daten dargestellt und unter den angesprochenen Gesichtspunkten interpretiert werden. Obwohl die Daten nicht mehr jüngsten Datums sind, erscheint eine weitge1 Röhl, Das Güteverfahren . .. , (im folgenden: Röhl), wobei die von Röhl angestellte Kurzbefragung und die Zusatzbefragung von Bedeutung sind. 2 Röhl, S. IOOf., 505ff.

3

Röhl, S. 101.

B. Soziodemographische Zusammensetzung der Schiedsmänner

107

hende Übertragungsmöglichkeit auf die heutigen Verhältnisse gegeben, weil sich namentlich am Auswahlverfahren der Schiedsmänner nichts geändert hat, so daß von einer ausreichenden Konsistenz der seinerzeitigen Angaben ausgegangen werden kann. Soweit das Amt betreffende grundsätzliche Einstellungen erhoben wurden, dürften diese ohnehin keinen kurzfristigen Schwankungen unterliegen.

B. Soziodemographische Zusammensetzung der Schiedsmänner - Erörterung Zunächst soll auf die soziodemographische Zusammensetzung der Schiedsmänner eingegangen werden, wobei die Darstellung wegen des teilweise als zweifelhaft erkannten Wertes einer umfangreichen Erhebung von Sozialdaten4 relativ kurz gehalten wird. Die Erhebung der Daten erfolgte im Jahre 1984 durch die eingangs angesprochene Totalerhebung in Form einer Kurzbefragung, wobei alle seinerzeitigen 1.388 nordrhein-westfälischen Schiedsmänner angeschrieben wurden 5 . Basis der Ergebnisse sind 1.024 in den Rücklauf gekommene Fragebögen. Demnach war über die Hälfte der Schiedsmänner älter als 60 Jahre. 16% hatten bereits die Grenze des 70. Lebensjahres überschritten. Lediglich ca. 18% waren jünger als 50 Jahre 6 . Eine Erhebung aus dem Jahre 1989 in Schleswig-Holstein kommt auf ein Durchschnittsalter von 63,9 Jahren7 . Nur etwa die Hälfte der Schiedsmänner war berufstätig. Immerhin 46 % lebten im Ruhestand 8 . Was den ausgeübten Beruf anbetrifft, so überwogen die Angestellten mit 44%, gefolgt von den Beamten mit 35,5%. 9% waren Arbeiter, 5 % Meister und 6,4% der Schiedsmänner waren selbständig9 . Nach Röhl sind die Schreibtischberufe sowie die Beamten im Vergleich zur Bevölkerung deutlich überrepräsentiert, wohingegen die handwerklichen Tätigkeiten unterrepräsentiert sind 10 . Hinsichtlich des Schulabschlusses wurde festgestellt, daß üblicherweise der Volkschulabschluß mit anschließender Lehre bzw. Berufsfachschule vorlag und ca. ein Viertel der Schiedsmänner über Abitur resp. Fachhochschulreife verfügte. Ein weiteres Viertel hatte eine Hochschul- oder Fachhochschulausbildung genossen. Vgl. Keller, Über den Einfluß . . ., S. 37, mwN. Röhl, S. 99, 105ff., 407ff. 6 Röhl, S. 105. 7 SchsZtg 1989, 161 ff. 8 Röhl, S. I 05. 9 Röhl, S. I 05 f. 10 Röhl, S. 106.

4

5

108

2. Teil, I. Kap.: Empirische Untersuchung - Schiedsmänner

Im Durchschnitt stand den Schiedsleuten zum Zeitpunkt der Untersuchung ein Haushalts-Nettoeinkommen von 2500,- DM bis 3.000,- DM zur Verfügung, wobei rund 14% über weniger als 2.000,- DM und 20% über mehr als 4.000,- DM verfügten. Im Mittel entfielen auf ein Haushaltsmitglied etwa 1.000,- DM. 14% der Haushalte - in der Regel Ein- und Zweipersonenbaushalte - hatten mehr als 1.600,- DM zur Verfügung und insgesamt etwa 15% weniger als 600,- DM 11 • 95% der Schiedsmänner waren verheiratet. Die Gruppe der Ledigen oder Geschiedenen/Getrenntlebenden war mit lediglich 1,6% vertreten. Die durchschnittliche Haushaltsgröße betrug 2,9 Personen, wobei 49 % der Schiedsmänner in 2-Personenhaushalten lebten. 21% entfielen auf 3-Personenhaushalte und 16% auf 4-Personenhaushalte. 70% der Schiedsmänner lebten im eigenen Haus 12 • Nach Röhl, der sich auf eine Repräsentativumfrage stützt, sollte dies seinerzeit nur auf 39 % der Gesamtbevölkerung zutreffen 13 . Baunach will aufgrund einer eigenen Untersuchung eine hinsichtlich der Schichtzugehörigkeit nicht abweichende Zusammensetzung der Schiedsmänner im Vergleich mit der Gesamtbevölkerung festgestellt haben 14• Er unterteilt insofern in "manuell Tätige", "untere Mittelschicht", "obere Mittelschicht" und kommt zu in etwa gleichgelagerten Werten 15 • Die Ergebnisse der Untersuchung von Röhl scheinen die Annahme zu bestätigen, wonach es sich bei den Schiedsmännern in der Regel um ältere, lebenserfahrene Personen handelt. Dies wird bereits an der Altersstruktur deutlich. Auch in der Selbsteinschätzung der Schiedsmänner spielt das Alter eine gewisse Rolle. Die Zusatzbefragung brachte zu der Frage, welches Alter ein idealer Schiedsmann haben sollte, folgende Ergebnisse 16: sehr auch noch nicht wichtig wichtig wichtig Lebensalter von mindestens 30 Jahren

66,6%

12,6%

12,9%

8,0%

Lebensalter von mindestens 50 Jahren

27,0%

20,9%

43,3%

8,9 %

Lebensalter von höchstens 65 Jahren

12,0%

16,0%

59,8%

12,3%

II

12

13 14 15 16

17

Ebd. Röhl, S. 107. Ebd. Baunach, Die gesellschaftliche Bedeutung ... , S. 215. Ebd. Röh1, S. 516. KA = keine Angabe

B. Soziodemographische Zusammensetzung der Schiedsmänner

109

Zwei Drittel der befragten Schiedsmänner hielten demnach ein Mindestalter von 30 Jahren für sehr wichtig und immerhin noch 27,0% plädierten für ein Mindestalter von 50 Jahren. Zählt man zu letzterer Größe die 20,9 %, die ein solches Mindestalter auch noch für wichtig hielten, so maßen immerhin fast die Hälfte der Amtsinhaber dem hohen Mindestalter von 50 Jahren Bedeutung zu. Eine solche, auf den ersten Blick erstaunliche Einschätzung, die in etwa der tatsächlichen "Alterspyramide" nahekommt, zeugt davon, daß der jeweilige Amtsinhaber sich mit dem Amt identifiziert und von seiner persönlichen Geeignetheit überzeugt ist. Die im Grunde feststellbare relative Überalterung der Schiedsmänner findet keinen Einzug in deren Selbstverständnis. Hier kann eine gewisse normative Macht des Faktischen nicht geleugnet werden. Dieser Eindruck wird verstärkt durch die Aussage von lediglich 12% der befragten Amtsinhaber, wonach ein Lebensalter von höchstens 65 Jahren als Obergrenze der Amtsausübung angesehen werden sollte, hingegen aber fast 60% der Befragten diesen Umstand für nicht wichtig hielten. Offenbar fühlen sich auch die älteren Amtsinhaber noch eine Weile für die Amtsausübung gerüstet. Etwa 70% der Befragten wollten denn auch noch eine weitere Amtsperiode Schiedsmann bleiben 18• Hartung war bereits im Jahre 1927 darüber erstaunt, "mit welcher Freudigkeit, ja Begeisterung, die meisten von ihnen ihr Amt ausüben, wie selten einer nur eine Wahlperiode aushält, wie viele aber Jahrzehnte hindurch dem Amt treu bleiben" 19• Insgesamt kann von einer hohen Zufriedenheit mit dem Amt als solchem ausgegangen werden, was bei Ehrenämtern innerhalb der Rechtspflege sogar eine ubiquitäre Erscheinung sein dürfte. Die jeweiligen Amtsinhaber sind mit dem Amt zufrieden und betrachten dieses als Daueraufgabe20 . Lediglich knapp ein Viertel der von Röhl befragten Schiedsmänner wollte denn auch definitiv aus dem Amt ausscheiden, wobei dies 43 % aus Altersgründen tun mochten, aber andererseits 41% der über Siebzigjährigen (!) auch noch für eine weitere Amtsperiode zur Verfügung standen21 . Die Verweigerungsquote betrug lediglich 14% 22 . Bestätigt wird dies auch durch eine Untersuchung von Baunach, der 108 Schiedsmänner befragte, und eine Bereitschaft in obigem Sinne von 84% ermittelte 23 . Nicht mehr als 11% der ausstiegswilligen Amtsinhaber wollten dies aus Gründen der ÜberlaRöhl, S. 109. Hartung, Hundert Jahre Schiedsmannsordnung, S. 154. 20 Vgl. Zawadzki/Kubicki, Der Laienrichter ... , S. 136, die von einer Untersuchung unter Schöffen aus Polen berichten, wonach lediglich 3% der Befragten mit dem Amt unzufrieden waren. 21 Röhl, S. 109. 22 Ebd. 23 Baunach, Die gesellschaftliche Bedeutung . . . , S. 199. 18 19

110

2. Teil, 1. Kap.: Empirische Untersuchung- Schiedsmänner

stung tun, was angesichts des recht geringen Fallaufkommens auch verständlich ist24 . Allerdings wurde dieser Ausstiegsgrund überdurchschnittlich häufig von jüngeren Schiedsmännern genannt. Dieser Aspekt legt die Vermutung nahe, daß bei einer Ausweitung des Tätigkeitsfeldes bzw. einer Steigerung der Attraktivität der Institution und somit einem Ansteigen der Fallzahlen pro Amtsinhaber Probleme auftreten werden, ehrenamtliche jüngere Personen hierfür zu finden, da diese oft durch berufliches Engagement oder familiäre Belastungen nicht in der Lage oder willens sein dürften, sich noch eine zusätzliche Belastung aufzubürden. Überspitzt formuliert scheint das Schiedsmannsamt das ideale Betätigungsfeld für Rentner oder jedenfalls solche Personen zu sein, die das Ende ihres Berufslebens nahen sehen und somit über freie zeitliche Kapazitäten verfügen, die sich mit dem Schiedsmannsamt ausfüllen lassen. Wie bereits erwähnt, wollten überdurchschnittlich viele jüngere Schiedsmänner das Amt wegen Überlastung nicht weiter ausüben. Dementsprechend dürfte es schwierig werden, jüngere Personen für das zudem weitgehend unentgeltliche Ehrenamt zu rekrutieren. Abhilfe könnte allenfalls durch eine bessere finanzielle Ausstattung des Amtes bis hin zur hauptamtlichen Tätigkeit geschaffen werden. Ob hierzu jedoch seitens des Gesetzgebers eine Bereitschaft besteht, kann angezweifelt werden 25 . Desweiteren darf angezweifelt werden, ob bei guter finanzieller Ausstattung des Amtes der Laienstatus der Institution erhalten werden kann. Hier erscheint dann nämlich die Forderung naheliegend, bei entsprechender Vergütung könne vom Amtsinhaber auch eine professionelle Qualifikation verlangt werden. Der Bildungsstatus der Schiedsmänner entspricht deren Einschätzung hinsichtlich der Bedeutung einer bestimmten Schulbildung oder Ausbildung für die optimale Besetzung des Amtes. Lediglich 8,0% der Schiedsmänner maßen dem Abitur Bedeutung für die Amtsausübung bei und 4,6 % konnten sich als idealen Kollegen eine Person mit einem abgeschlossenen Jurastudium vorstellen 26, was aber auch mit dem Laienstatus nicht vereinbar wäre. Siehe oben 1. Teil, C., III. Auf den Aspekt der Kostenentlastung für die Justiz durch das Schiedsmannsverfahren soll hier nicht weiter eingegangen werden; vgl. hierzu : Stephan, Ansprache . . ., S. 181; Neumann, Zur außergerichtlichen Schlichtung, S. 150; Herrrnan, Diversion ... , S. 477; v. Schacky, Das Privatklageverfahren ... , S. 23, die sogar der Ansicht ist, der Sühneversuch habe hauptsächlich justizökonomische Bedeutung; auch bei sonstiger ausgleichsorientierter Konfliktregelung wird teilweise ein Einsparungseffekt hervorgehoben, siehe hierzu nur Gottwald, Streitbeilegung . . ., S. 58, mwN; kritisch hierzu mit umfangreichen weiteren Nachweisen Weigend, Deliktsopfer . .. , S. 315 ff. 26 Röhl, S. 516f. 24 25

C. Einzelfragen

111

Die Interpretation der Sozialdaten führt daher zusammenfassend zu der Einschätzung, daß die Forderung, bei den Schiedsmännern solle es sich um angesehene Gemeindemitglieder handeln, in aller Regel erfüllt wird. Der Schiedsmann gibt in gewisser Weise ein Spiegelbild für das, was gemeinhin unter dem Begriff "intakte Verhältnisse" verstanden wird, wofür auch der geringe Anteil der Geschiedenen/Getrenntlebenden spricht. Da der Schiedsmann sein Amt freiwillig ausübt, das Schiedsmannsinstitut in das Normensystem eingeordnet ist, und der Schiedsmann weiterhin keinen (nennenswerten) finanziellen Vorteil von der Amtsausübung hat, ist anzunehmen, daß er das von ihm in gewisser Weise vertretene Normensystem bejaht27 . Die Einkommensverhältnisse und die Bildung der Schiedsleute lassen den Schluß zu, daß es sich generell um Personen handelt, die sich nicht in auffallender Weise vom Durchschnitt der "Normalbevölkerung" unterscheiden. Dies ist letztlich auch im Hinblick auf die fehlenden spezialisierenden Eingangsvoraussetzungen für das Amt durchaus plausibel. Der Schiedsmann unterscheidet sich also nicht im Sinne einer besonderen, qualifizierenden Ausbildung, also eines Expertenstatus, von seiner Klientel. Schiedsmänner werden aus nahezu allen Gesellschaftsschichten rekrutiert. C. Einzelfragen I. Auswahl der Schiedsmänner und Beweggründe für die Amtsübernahme

1. Einleitung Von der Person des Schiedsmanns hängt maßgeblich auch die Motivation des einzelnen Amtsinhabers zur Übernahme des Amtes ab. Die Gründe hierfür können mannigfaltig sein. Zunächst könnte angesichts der angesprochenen Altersstruktur vermutet werden, ein guter Teil der Schiedsmänner suche eine ausfüllende Aufgabe für die Zeit des Rentnerdaseins. Es kann aber auch eine gewisse Machtposition mitbestimmend sein, die durch die Innehabung eines solchen Ehrenamtes die Person des Inhabers aufzuwerten vermag. Finanzielle Interessen und erhoffte fachliche Anerkennung müssen· jedenfalls für den Schiedsmann mangels finanzieller Anreize und entsprechender (fachbezogener) Ausbildung ausscheiden. Allerdings wird die Ausübung des Schiedsmannsamtes aber "anderweitig unbefriedigte Bedürfnisse" erfüllen können 28 . So soll nach Baunach, der bei 27

28

Vgl. Bau nach, Die gesellschaftliche Bedeutung .. ., S. 214. Baunach, Die gesellschaftliche Bedeutung . . ., S. 221.

112

2. Teil, 1. Kap.: Empirische Untersuchung - Schiedsmänner

den Schiedsmännern eine gewisse Berufsunzufriedenheit festzustellen glaubt29, nicht auszuschließen sein, daß dieser Umstand, gepaart mit bildungsbedingt beschnittenen Aufstiegschancen Triebfeder für die Ausübung des Schiedsmannsamtes ist. Der höhere soziale Status werde dann durch die Erlangung des Amtes erreicht, welches als "Vehikel und zur Besiegelung des sozialen Aufstiegs" 30 diene, "während der Beruf solchen Dienst nicht leisten" könne 31 . So spricht Serwe beispielsweise davon, es werde als Auszeichnung empfunden, das Schiedsmannsamt zu erhalten 32 . Er ist weiterhin der Auffassung, die zum Teil negativ zu bewertenden Gründe für die Amtsübernahme könnten während der Ausübung des Amtes durch dort gemachte Erfahrungen kompensiert werden. Insofern könne durchaus eine Änderung der Einstellungen, pp. eintreten 33 . Eine Amtsübernahme, motiviert durch die von der Amtsstellung signalisierten Macht, sowie dem Streben nach höherem Ansehen resp. Status, wird wohl tatsächlich nicht ausgeschlossen werden können, obwohl Hartung bereits im Jahre 1927 ausgeführt hat: "Es (das Schiedsmannsamt, d. V.) ist kein Feld, äußere Ehren zu erwerben. Stille, entsagungsvolle, geduldige, oft genug mit Undank belohnte Arbeit im Dienste des Volksganzen ist das Los des Schiedsmanns" 34 .

2. Darstellung der Befunde Die Untersuchung von Röhl hat zur Rekrutierung der Schiedsmänner einige im folgenden zunächst darzustellende Befunde gebrachr15 . Die Amtsinhaber wurden nach deren Mitgliedschaften in Vereinen und anderen Institutionen gefragt, wobei 67,2% der befragten Schiedsmänner neben dem Schiedsmannsamt noch eine weitere ehrenamtliche Tätigkeit, etwa als Schöffe oder Vorsitzender eines Vereins, wahrnahmen. Im übrigen hat sich hinsichtlich der Mitgliedschaften folgende Verteilung ergeben, wobei Mehrfachnennungen möglich waren:

29

30 31

32 33

34

35

Baunach, S. 222 f. Baunach, S. 224. Ebd. Vgl. Serwe, Institution ... , S. 148. Ebd. Hartung, Hundert Jahre Schiedsmannsordnung, S. 154. Röhl, S. 514 ff.

113

C. Einzelfragen Gewerkschaft

34,4%

Sonstige Berufsorganisation (z. B. Bauern- oder Einzelhandelsverband)

13,2%

Sonstige Interessenverbände (z. B. Mieterverein, Kriegsopferverbände)

14,4%

Politische Partei

57,7% 4,3%

Bürgerinitiative

30,4%

Kirchliche Organisation (z. B. Kirchenvorstand, KAB) Wohlfahrtsverbände

21,5 %

Sportverein, Gesangsverein, Heimat- o. Bürgerverein (Schützenverein)

54,9%

Sonstige Hobby- o. Freizeitvereinigung (z.B. Briefmarken-, Kegelklub)

33,4%

Anderer Verein/Verband, und zwar: (wichtigste Nennungen)

13,8 % Soldatenverbände

3,4 %

soziale Verbände

3,1 %

Weiterhin wurden die Vermutungen der jeweiligen Schiedsmänner zu der Frage erhoben, warum sie in das Schiedsmannsamt gewählt worden sind. Die Angaben der Schiedsmänner zu dieser Frage sahen wie folgt aus :

Aufgrund persönlicher Eigenschaften wie ausgleichend oder neutral

51 ,5%

Aufgrund rechtlicher Vorkenntnisse

23,9 %

Wegen Beginn des Ruhestandes

11,0%

Aufgrund von Ansehen oder Bekanntheil in der Bevölkerung

52,1 %

Aufgrund meiner Tätigkeit in der Verwaltung

17,8%

Auf Vorschlag eines Mitgliedes des Gemeinderates oder der Stadtverwaltung

59,5 %

Auf Vorschlag eines anderen Schiedsmanns

11,3 %

Aufgrund aktiver Mitarbeit in der Gemeinde: im Gemeinderat in der Bezirksvertretung

16,6% 6,7%

in einer politischen Partei

33,4 %

in einer kirchlichen Organisation/im Pfarrgemeinderat

16,0%

in einem anderen Verein/Verband

15,2%

8 Gutknecht

114

2. Teil, 1. Kap.: Empirische Untersuchung - Schiedsmänner

Schließlich wurde noch danach gefragt, ob der betreffende Schiedsmann von der Möglichkeit, ein Amtsschild an die Stätte seiner amtlichen Tätigkeit anzubringen, Gebrauch gemacht hat. Diese Frage wurde von 41 ,1% der Schiedsmänner mit "Ja" und von 58,0 % mit "Nein" beantwortet. 3. Interpretation

Die Schiedsmänner waren recht häufig in Verbänden und ähnlichen Institutionen organisiert. Mit 57,7% der Nennungen führen die politischen Parteien, gefolgt von Mitgliedschaften in Vereinen von 54,9 %. Aber auch ein knappes Drittel der Schiedsmänner war Mitglied in einer kirchlichen Organisation. Die erheblichen Aktivitäten der Schiedsmänner im politischen, gesellschaftlichen und kirchlichen Umfeld stützen die Vermutung, wonach Schiedsmänner in der Regel Personen sind, die den geltenden Wertvorstellungen in der Gesellschaft aufgeschlossen gegenüberstehen. Hierfür spricht auch der hohe Anteil der Amtsinhaber, die neben dem Schiedsmannsamt noch eine weitere ehrenamtliche Tätigkeit ausübten. Sie scheinen in besonderem Maße am Vereinsleben und dem gesellschaftlichen Leben in der Gemeinschaft teilzunehmen 36 und können hierdurch bedingt eine hohe Anzahl sozialer Kontakte vorweisen, wodurch der Bekanntheitsgrad innerhalb der Gemeinschaft erhöht wird. Die Schiedsmänner kennen sich daher zumindest in Teilbereichen mit den Belangen ihres Amtsgebiets aus. Dies wird zunächst anband der hohen Quote der Parteimitglieder deutlich. Denn es ist davon auszugehen, daß durch die Verwurzelung im Gemeindegebiet die mit einer Mitgliedschaft u. U. verbundenen Aktivitäten sich insbesondere auf Ortsverbandsebene niederschlagen. Weiterhin gaben die Schiedsmänner bei Bierbrauer/Falke/Koch an, sogar recht häufig beide Konfliktpartner oder jedenfalls eine Partei zu kennen 37 . Die Vertrautheit mit dem Amtsbezirk und die dortige Bekanntheit wurde offenbar von den Schiedsmännern auch als Grund für die Wahl in das Amt angesehen. Immerhin 52,1% der Amtsinhaber meinten, aufgrund des besonderen Ansehens und der Bekanntheit in der Bevölkerung an das Amt gekommen zu sein. Auch schätzten die Schiedsmänner ihre Fähigkeiten recht hoch ein, denn 51,5 % hielten ihre persönlichen Eigenschaften für 36 Nach Bierbrauer/Falke/Koch, Konflikt. .. , S. 173, entfallen auf einen Schiedsmann 2,36 Vereinsmitgliedschaften; es wird angemerkt, Vergleichszahlen aus der Gesamtbevölkerung lägen nicht vor, jedoch sei anzunehmen, daß die Beteiligung der Schiedsmänner am Gemeindeleben überdurchschnittlich hoch ausfalle. 37 Bierbrauer/Falke/Koch, Konflikt. .. , S. 171, wonach 32,4 % der dort befragten Schiedsmänner angaben, fast alle Parteien persönlich zu kennen; fast 75,0% der Schiedsmänner auf dem Lande kannten über die Hälfte der Parteien, im Stadtrandgebiet waren dies noch 51,6 % und in der Stadt immerhin noch 23,5 %.

C. Einzelfragen

115

derart überzeugend, daß die Wahl in das Amt hierdurch (mit)bedingt gewesen war. 59,5% gaben an, sie seien auf Vorschlag eines Mitglieds des Gemeinderats bzw. der Stadtverwaltung in das Amt gewählt worden. Dieser Wert ist trotz seiner Höhe aber nicht weiter erstaunlich, weil der Rat wohl üblicherweise aufgrund eines Vorschlags den betreffenden Bewerber wählen wird. Leider gibt diese Zahl keinen Hinweis auf die Frage, welche Bewerber sich - gegebenenfalls über die Empfehlung eines Gemeinderatsmitglieds - (mittelbar) selbst ins Gespräch gebracht haben. Diese Fälle dürften nämlich recht zahlreich vertreten sein, da über die Hälfte (56,7%) der Schiedsmänner angab, aufgrund der aktiven Mitarbeit in einer politischen Partei oder im Gemeinderat bzw. einer Bezirksvertretung gewählt worden zu sein. Hier dürfte es vor der jeweiligen Wahl eine entsprechende informelle Verständigung auf der Suche nach geeignet erscheinenden und bereiten Bewerbern gegeben haben. Hierbei gilt es dann sicherlich, den für Wahlgremien nicht unüblichen Verteilungsschlüssel nach Parteizugehörigkeit anzuwenden, um aus den Mitgliedern der jeweils "zuständigen" Partei, einen Bewerber zu finden. Immerhin I 1,3% der Befragten hiel ten den Vorschlag eines anderen Schiedsmanns mitbestimmend für die Wahl in das Amt, was für eine gewisse Kommunikation der bereits amtierenden Schiedsmänner mit den Anwärtern für dieses Amt spricht. In diesem Zusammenhang hat übrigens § 3 II SchAG/NW eine Neuerung gebracht, wonach die Gemeinde in geeigneter Form bekanntmachen soll, daß sich interessierte Personen um das Amt bewerben können. Erstaunlicherweise hielten fast ein Viertel (23,9 %) der Befragten vorhandene rechtliche Grundkenntnisse für so wichtig, daß diese (mit)ursächlich für die Entscheidung des Rates gewesen sein sollen. Nicht ganz von der Hand zu weisen ist auch die bereits angesprochene Vermutung, das Schiedsamt biete - aus der Sicht der "Betroffenen" - gute Möglichkeiten der Beschäftigung im Rentenalter, denn immerhin 11 % der Befragten sahen im Beginn des Ruhestands einen Grund für die Amtsübertragung, wobei die Ruheständler 46% der Schiedsmänner stellen 38 . Hier kann desweiteren auch die Überlegung der betreffenden zur Wahl gerufenen Ratsmitglieder zu Grunde liegen, ein im Ruhestand lebender Amtsinhaber werde seinem Amt mit voller Hingabe nachgehen, da er zumindest die zeitlichen Voraussetzungen für eine intensive Beschäftigung hierfür mitbringe. Dies verdeutlicht auch die hohe Quote der älteren Schiedsmänner, die trotz eines reifen Alters noch für eine weitere Amtsperiode zur Verfügung stehen 39 . 38

39

Siehe oben 2. Teil, I. Kap., B. Siehe oben 2. Teil, I. Kap., B.

116

2. Teil, I. Kap.: Empirische Untersuchung- Schiedsmänner

Die Frage, ob sie ein Amtsschild an das Gebäude der Amtstätigkeit angebracht haben, beantworteten 58,0% der Befragten mit "Nein". Dieses Ergebnis überraschtangesichtsder oben aufgestellten Vermutung, bei den Schiedsmännern könne es sich zu einem guten Teil um Personen handeln, die einer eigenen Aufwertung durch das Amt zumindest nicht ablehnend gegenüber stehen40 . Gerade das - im übrigen recht repräsentativ aufgemachte - Amtsschild hat neben der wohl auch vorhandenen Orientierungsfunktion mit Sicherheit einen nicht unbeachtlichen Repräsentationswert. Eine Person, die sich aus Gründen der Statuserhöhung in das Amt drängt, wird aller Wahrscheinlichkeit nach nicht auf ein derartiges Repräsentationsobjekt verzichten wollen. Auch dürften in aller Regel keine "technischen" Schwierigkeiten ausschlaggebend für den Verzicht auf die Anbringung des Amtsschilds sein, denn meistens verfügten die Schiedsmänner über ein eigenes Haus41 , so daß sich eventuelle Probleme mit dem Vermieter nicht stellen konnten. Lediglich 51,5% der Schiedsmänner meinten wegen Eigenschaften wie ausgleichend oder neutral in das Amt gewählt worden zu sein. Für eine Selbsteinschätzung ist dieser Wert gering, weil die genannten Eigenschaften im Grunde auf einen idealen Schiedsmann zugeschnitten sind. Hier wäre eine stärkere Identifikation zu erwarten gewesen, zumal auch mit einer Rückkoppelung zwischen erwarteten (positiven) Eigenschaften allgemein und der eigenen Einschätzung zu rechnen ist. Wegen der häufig anzutreffenden Mitgliedschaft in politischen Parteien und anderen gesellschaftlichen sowie kirchlichen Organisationen, oftmals verbunden mit einem weiteren Ehrenamt, steht zu vermuten, daß nicht immer nur Gründe objektiver Befähigung für die Amtsübertragung maßgeblich sind. Dies gilt sowohl auf Seiten des Bewerbers als auch (insbesondere) der politischen Gremien, die den betreffenden Schiedsmann wählen42 • Oftmals wird die Übertragung des Schiedsmannsamts als Würdigung anderweitiger gesellschaftlicher Aktivitäten anzusehen sein. Mit einiger Sicherheit werden solche Bewerber überwiegen, die der durch das Amt vermittelten Anerkennung und der Steigerung des Ansehens jedenfalls nicht ablehnend gegenüberstehen. Anders ist die hohe Bereitschaft zur Verlängerung der Amtsperiode kaum zu erklären, zumal ein finanzieller Anreiz nicht gegeben ist. Hierfür sprechen auch die Ergebnisse einer polnischen Untersuchung von Zawadzki/Kubicki, die Schöffen befragt haben43 . Schöffen sind ebenfalls Siehe oben 2. Teil, I. Kap., C., 1., I. Siehe oben 2. Teil, I. Kap., B. 42 Von solchen Unzulänglichkeiten berichtet bereits im Jahre 1942 Hartung, Änderung . .. , S. 45 f., wonach es den betreffenden Gremien "zuweilen an dem nötigen Verständnis (fehlt), welche Anforderungen an einen Schiedsmann zu stellen sind". 43 Zawadzki/Kubicki, Der Laienrichter .. . , S. 141. 40 41

C. Einzelfragen

117

ehrenamtliche in der Rechtspflege tätige Laien. Gefragt wurde nach der Meinung des jeweiligen Amtsinhabers, ob die Funktion des Schöffens Anerkennung und Achtung in bestimmten Kreisen genießt. Die Werte der vermuteten Zustimmung bewegten sich bezüglich Mitgliedern der Familie, Freunden und Arbeitskollegen zwischen 64% und 74%. Nur etwa 5 % der befragten Schöffen meinten, das Schöffenamt genieße in diesen Kreisen kein Ansehen. Die übrigen Antworten verteilten sich auf die Kategorie "schwer zu sagen"44 . Den jeweiligen Amtsinhabern bleibt also der mit dem Amt einhergehende Imagegewinn nicht verborgen. Diese Ergebnisse können auf das Schiedsmannsamt übertragen werden, weil sich das Amt des Schöffen von dem des Schiedsmanns wegen der oben dargelegten Gemeinsamkeiten jedenfalls nicht diametral unterscheidet. II. Schiedsmänner und Fortbildung

Im Zusammenhang mit der Teilnahme an Fortbildungsmaßnahmen wird teilweise Kritik am Auswahlverfahren der Schiedsmänner geübt. Den Schiedsmännern wird vorgeworfen, sie interessierten sich nicht besonders für Maßnahmen der Weiterbildung und die damit zusammenhängenden Fragen der Amtsausübung45 . Hieraus leitet Martin 46 ab, dies sei weniger ein Problem der in aller Regel sehr informativ gestalteten Lehrgänge, die sich aus Einführungslehrgängen und Fortbildungsmaßnahmen zusammensetzten, sondern zeuge von einer wenig glücklichen Auswahl der Bewerber durch die zuständigen Gemeindegremien, deren "Desinteresse an dieser Art der ehrenamtlichen Tätigkeit in einer solchen Haltung deutlich zu Tage tritt". Kaum ein Schiedsmann wird aber das Amt gegen seinen Willen übertragen bekommen47 . Welchen Sinn es machen sollte, ein Ehrenamt zu bekleiden, ohne sich auch für die hiermit zusammenhängenden Fragen zu interessieren, ist nicht recht ersichtlich und auch nicht plausibel. Desweiteren kommt Röhl zu dem Ergebnis, daß eine erstaunlich hohe Anzahl der Amtsinhaber an Lehrgängen teilgenommen hat48 . Immerhin hatten 86,5 % der von ihm befragten Schiedsmänner an einem Einführungslehrgang teilgeEbd. Vgl. Martin, Das Sühneverfahren ... , S. 260f., mwN, der u.a. darauf hinweist, bei einer Veranstaltung im LG Bezirk Frankfurt/Main seien von 147 geladenen Schiedsmännern nur 39 erschienen. 46 Martin, S. 260f. 47 Nicht verschwiegen werden soll die freilich nur theoretisch bestehende Möglichkeit der Übertragung des Amts gegen den Willen der betreffenden Person, da das SchAG/NW insoweit keinen Ablehnungsgrund wegen Desinteresse vorsieht. 48 Röhl, S. 110. 44 45

118

2. Teil, I. Kap.: Empirische Untersuchung- Schiedsmänner

nommen und 19% sogar mehrfach. 78% der befragten Amtsinhaber konnten die Teilnahme an einem Fortbildungslehrgang und 49% sogar an mehreren Fortbildungslehrgängen vorweisen 49 . Diese Zahlen sind für eine weitgehend unentgeltliche, ehrenamtliche Tätigkeit recht hoch und lassen den Schluß auf ein erhebliches Engagement eines großen Teils der Amtsinhaber zu. Die angebliche Amtsverdrossenheit und das vermeintliche Desinteresse vermögen auch nicht zu erklären, warum sich ein außerordentlich großer Anteil der Schiedsmänner bereit zeigte, einer Verlängerung der Amtsperiode zuzustimmen, obwohl 46% der Schiedsmänner ihr Amt schon 10 Jahre und länger, sowie 14% 20 Jahre und länger ausübten 50 . Diese Gegebenheiten lassen auf eine tendenziell zutreffende Auswahl der Bewerber - zumindest aus deren eigener Sicht - schließen. Wie bereits erwähnt, wäre anderenfalls die hohe Bereitschaft, einer Verlängerung der Amtsperiode zuzustimmen und die lange Amtsinhaberschaft der Schiedsmänner nicht zu erklären. 111. Die Rechtslage als Maßstab der Einigungsbemühungen des Schiedsmanns?

Nunmehr soll auf die Bedeutung der (zutreffenden) rechtlichen Würdigung der Tat für die Tätigkeit des Schiedsmanns eingegangen werden. Der Schiedsmann ist rechtlicher Laie. Aufgrund dieses Umstands könnte vermutet werden, Richtschnur für Einigungsvorschläge sei nicht die vom Schiedsmann ermittelte rechtliche Beurteilung der Tat, sondern die von den Parteien während der Verhandlung geäußerten Gerechtigkeitsvorstellungen und autonom entwickelten Lösungen, die mit der Rechtslage nicht im Einklang stehen müssen. Allerdings ist denkbar, daß der Schiedsmann - trotz seines Laienstatus erheblichen Wert auf die rechtliche Beurteilung der Tat legt, basierend auf einer genauen Sachverhaltsaufklärung. Hierdurch könnte auf die sich im "Unrecht" befindliche Partei Druck ausgeübt werden, was einer freiwilligen Einigung abträglich wäre. 1. Streben nach höherer juristischer Qualifikation Die Rechtslage bzw. die rechtliche Beurteilung der Tat müßte - auch vom Interesse der Amtsinhaber her gesehen - im gesamten Schlichtungsverfahren von untergeordneter Bedeutung sein, da dort gerade keine rechtliche Bewertung während der Verhandlung vorgesehen ist. 49

50

Ebd. Röhl, S. 109.

C. Einzelfragen

119

Vielmehr sollen die Gerechtigkeits- und Wertvorstellungen der Parteien von Bedeutung sein. Hier sollen mit Hilfe des Schiedsmanns die auf emotionaler Ebene blockierten Kompromisse begünstigt werden 5 1• Die rechtlich erheblichen Gesichtspunkte, also die Subsumtion des Tatgeschehens unter bestimmte Rechtsnormen, sollen im Gegensatz zum gerichtlichen Verfahren hinsichtlich ihrer Bedeutung eingeschränkt werden, zugunsten der für die Parteien im Mittelpunkt stehenden außerrechtlichen und persönlichen Erwägungen52. Das Schwergewicht der beim Schiedsmann relevanten Normen sollte daher im Bereich informeller, latenter Regelungsmechanismen liegen und weniger in dem des Rechts 53 . Andererseits wird zu bedenken gegeben, der Schiedsmann sei während seiner gesamten Amtszeit ganz überwiegend dem Einfluß der ihn kontrollierenden und beratenden Justiz ausgesetzt; wegen des formalisierten Sühneverfahrens, welches der Strafprozeßordnung entlehnt sei, müsse der Schiedsmann das Schiedsmannsinstitut im Vergleich zu der insoweit als Vorbild dienenden "professionellen" Rechtspflege als minderwertig empfinden54. Logische Konsequenz dieses Umstands ist nach Baunach das Streben des Schiedsmanns nach mehr juristischer Qualifikation, also das Streben, den eigenen Kompetenzbereich mehr zu professionalisieren55. Er will diese These empirisch untermauem und hat hierzu 108 Schiedsmänner befragt, was sie bei der Schlichtung eines ungewöhnlichen Streitfalls mehr behindern würde: Das Fehlen einer gesetzlichen Bestimmung oder das des persönlichen Beurteilungsmaßstabs. 61% der befragten Schiedsmänner würden die gesetzliche Regelung vermissen und nur 29% den eigenen Beurteilungsmaßstab. Baunach entnimmt diesen Aussagen den Wunsch der Schiedsmänner nach einer besseren juristischen Ausbildung56 . Ob die dargestellten Aussagen tatsächlich den Schluß auf ein Streben der Schiedsmänner nach besserer juristischer Qualifikation zulassen, ist indes zweifelhaft. Diese Einschätzung rührt aus der etwas unglücklichen Fragestellung, wo nach dem Tätigwerden in einem "ungewöhnlichen Streitfall" gefragt wird. Hier ist das Bestreben des Schiedsmanns, eine Orientierung V gl. Bau nach, Die gesellschaftliche Bedeutung ... , S. 195. Vgl. Bierbrauer/Falke/Koch, Konflikt. .. , S. 175, die gerade diesen Umstand für befriedend halten; Pawlowski, Das Amt. .. , S. 160, spricht in diesem Zusammenhang von der befriedenden Wirkung der "außerrechtlichen Imponderabilien". 53 Baunach, S. 195 f., mit Hinweis auf Kaupen, Naturrecht ... , S. 115, der unter Kritik am überkommenen Rechtspositivismus von der großen Bedeutung informeller Regelungsmechanismen berichtet, wobei insoweit die Sozialwissenschaften der Rechtswissenschaft voraus seien. 54 Baunach, S. 207 f. 55 Ebd. 56 Ebd. 51

52

120

2. Teil, 1. Kap.: Empirische Untersuchung- Schiedsmänner

an bestehenden Rechtsnonnen vorzunehmen, durchaus verständlich. Es dürfte naheliegen, daß - unabhängig vom betreffenden "Fachgebiet" - in außergewöhnlichen Fällen der Versuch einer Orientierung an bereits bestehenden Vorgaben erfolgt und mit steigender Entfernung vom eigenen Erfahrungswissen auch die persönliche Unsicherheit zunimmt. In solchen Fällen dürfte auch der Schiedsmann geneigt sein, sich eine Einschätzung der Lage zunächst anhand der vermeintlich vorgegebenen Rechtslage zu machen. Diese Annahme wird von Baunach indirekt bestätigt, der eine Auswertung der Rubrik "Fälle aus der Praxis" der Schiedsmannszeitung, Jahrgänge 1960 - 1965 vorgenommen hat57 • Hierbei trat zu Tage, daß (fast) ausschließlich Verfahrensfragen und solche nach der (zutreffenden) Rechtslage die Schiedsmänner in deren offiziellem Forum beschäftigen. Die gleiche Gewichtung soll es auch bei den Ausbildungs- und Fortbildungsseminaren geben, wobei dann für den Erfahrungsaustausch und das Einstudieren von Vermittlungstechniken kaum Zeit bleibe58 . Diese Erscheinung bestätigt obige Einschätzung. Die Rechtslage wird immer dann maßgebliche Bedeutung für den Schiedsmann erlangen, wenn er einen - jedenfalls für ihn - ungewöhnlichen Fall zu schlichten hat, bei dem er nicht auf sein Erfahrungswissen zurückgreifen kann. Anderenfalls würde der Schiedsmann einen solchen Fall nicht einem breiteren Forum zugänglich machen. Soweit oftmals Fragen zum Verfahren gestellt werden, so ist auch dies verständlich. Die Tätigkeit des Schiedsmanns ist in das recht formale SchAG/NW eingebettet, dessen Regelungen der Schiedsmann zu beachten hat, zumal eine Verfahrensordnung bereits um ihrer selbst Willen auf Beachtung drängt. Es erscheint daher nicht weiter erstaunlich, wenn die Schiedsmänner allein aufgrund der Verfahrensordnung den starken Wunsch haben, auf diesem Felde keine formalen Fehler zu machen. Hieraus mag sich auch angesichts der obigen Fragestellung von Baunach das Streben nach Kenntnis der zutreffenden rechtlichen Entscheidung begründen.

57 Baunach, S. 209; vgl. auch Bierbrauer/Falke/Koch, Konflikt. .. , S. 178 f.; dort wurden die Jahrgänge 1970 - 1974 der Schiedsmannszeitung ausgewertet; 69 Anfragen bezogen sich auf das Verfahren, 29 Anfragen auf die tatsächliche gesetzliche Regelung, aber nur 2 Anfragen auf eine angemessene und erfolgreiche Vorgehensweise in der Sühneverhandlung. 58 Bierbrauer/Falke/Koch, S. 178 f.

C. Einzelfragen

121

2. Kenntnis der Rechtslage Im Hinblick auf die oben dargestellten Unsicherheiten der Schiedsmänner steht zu vermuten, daß die zutreffende rechtliche Beurteilung eines Falles allenfalls dann für den Schiedsmann Bedeutung erlangt, wenn an diesen ein für ihn hinsichtlich seines (rechtlichen) Erscheinungsbildes ungewöhnlicher Fall herangetragen wird. Die Ergebnisse der Untersuchung von Bierbrauer/Falke/Koch sind jedoch geeignet, hieran Zweifel zu begründen. Dort wurden im Jahre 1974 insgesamt 218 Schiedsmänner aus den Landgerichtsbezirken Bielefeld und Bann befragt, von welchen 101 auswertbare Fragebogen zurückschickten59 . 75,2% der befragten Schiedsmänner hielten für die Herbeiführung eines gerechten Sühnevergleichs die eigene Kenntnis der den Ausgang des Privatklageverfahrens bestimmenden Rechtslage für "sehr wichtig" 60 . Dementsprechend fühlten sich nicht wenige Schiedsmänner als "Quasirichter" und betonten gegenüber den Parteien in der Einleitungsphase der Verhandlung ihre eigenen Rechtskenntnisse61 . Etliche Schiedsmänner wollten daher ihr Amt lieber mit dem Begriff "Friedensrichter" bezeichnet wissen 62 . Fast zwei Drittel der von Röhl befragten Schiedsmänner meinten, ein idealer Amtsinhaber solle juristische Grundkenntnisse haben, jedoch nur knapp 5% waren der Ansicht, er solle auch über ein Jurastudium verfügen63. Hieran wird ersichtlich, daß die Schiedsmänner für sich zwar keinen Expertenstatus reklamieren, andererseits aber doch der Wille besteht, nicht gänzlich ohne einen durch rechtliche Grundkenntnisse vermittelten Rückhalt die Amtsausübung anzugehen. Der Wunsch zur Justiznähe scheint recht ausgeprägt zu sein, wobei wegen der fehlenden juristischen Ausbildung nur eine Nachahmung der Justiz in schwächerer Qualität in Betracht kommt. 11 % der von Röhl64 befragten Schiedsmänner bejahten sogar uneingeschränkt die Aussage, der Schiedsmann solle in der Verhandlung entscheiden, welche Partei im Recht sei. Fast 35 % stimmten dieser Aussage noch teilweise zu. Allerdings befürworteten diese Aussage - bezogen auf das zivilrechtliche Verfahren - auch fast 46 % der Antragsteller und 30% der Antragsgegner65 . Dennoch meinten 82 % der Antragsteller und fast 95 % der Antragsgegner, der Schiedsmann solle im Streit vermitteln66. Hier 59 60 61

62

63 64 65

66

Bierbrauer/Falke/Koch, S. 158. Bierbrauer/Falke/Koch, S. 178. Röhl, S. 386, 179. Schulte, Die Bedeutung ... , S. 178. Röhl, S. 516 - 519 (Zusatzbefragung). Ebd. Röhl, S. 231. Ebd.

122

2. Teil, I. Kap.: Empirische Untersuchung- Schiedsmänner

hatten die Parteien wohl zum Teil unklare Vorstellungen hinsichtlich der Antwortkategorien. Ein guter Teil der Schiedsmänner scheint die Kenntnis der zutreffenden rechtlichen Lösung des Falles für wichtig zu halten. Gestützt wird diese Vermutung auch von der Selbsteinschätzung knapp über der Hälfte der von Röhl befragten Schiedsmänner, die die Aussage befürworteten, man wisse während der Verhandlung schon nach recht kurzer Zeit, welche Partei recht habe 67 . Hiermit geht die Einschätzung von ebenfalls über der Hälfte der Schiedsmänner konform, die nämlich nur wenige komplizierte Fälle kannten, bei denen es ihnen schwergefallen wäre zu sagen, was Recht und was Unrecht ist. Über 60% der befragten Schiedsmänner führten nicht gerne Verhandlungen durch, bei denen es keine klare und eindeutige Lösung gibt68 . Andererseits meinten nur 2,1 % der befragten Schiedsmänner, die Einigungsbemühungen sollten sich in erster Linie an der rechtlichen Lösung des Falles orientieren, aber 78,8% waren der Auffassung, Maßstab solle eine für beide Seiten befriedigende Lösung sein, die ihnen die Fortsetzung ihrer Beziehungen erlaubt69 . Der Wunsch vieler Schiedsmänner, die zutreffende rechtliche Beurteilung des Falles zu kennen - wenn diese überhaupt eindeutig möglich ist -, scheint also noch nichts Definitives darüber zu besagen, ob der konkret zu regelnde Fall auch entsprechend der rechtlichen "Lösung" zu bearbeiten ist. Die Rechtslage muß also nicht unbedingt als verbindliche Leitlinie angesehen werden. Allerdings werden viele Schiedsmänner die (vermeintlich) richtige rechtliche Bewertung in die Bemühungen zur Auffindung einer nach eigenen Vorstellungen gerechten Lösung einfließen lassen, es sei denn, der betreffende Schiedsmann sieht seine Aufgabe in erster Linie darin, die Parteien bei der Entwicklung ihrer eigenen Lösung zu unterstützen. Die Schiedsmänner werden zwar keine exakte, juristisch überprüfbare Bewertung des Konflikts vornehmen, sich aber dennoch ein auf rechtlichen Überlegungen gegründetes Bild von der zutreffenden Lösung des Falles machen und auf eine Einigung, die diese Bewertung berücksichtigt, hinwirken. Dementsprechend dürfte eine von den Parteien nach eigenen Gerechtigkeitsvorstellungen entwickelte Lösung relativ selten anzutreffen sein. Die von vielen Schiedsmännern hervorgehobene Bedeutung rechtlicher Kenntnisse wird sicherlich zum guten Teil an der Einbindung des Schiedsmannsinstituts in das Privatklageverfahren liegen, da die Schiedsmänner wie bereits angesprochen - sich zum Teil als untere Stufe des Justizsystems verstehen. 67 68 69

Röhl, S. 516- 519. Ebd. Ebd.

C. Einzelfragen

123

Ohne eine rechtliche Bewertung und die hiermit zusammenhängende Aufklärung des Tathergangs wird der Schiedsmann aber auch eine Einigung kaum erzielen können. Beim strafrechtlichen Schlichtungsverfahren dürfte es zwar weniger um die Subsumtion des Geschehens unter bestimmte Tatbestände gehen, als um das Eingeständnis des Täters, Unrecht getan zu haben. Wenn dies gewissermaßen feststeht, dann kann sich die Verhandlung der Lösung der anstehenden Probleme widmen 70 . Hierbei müssen dann formelle und rechtliche Fragen nicht mehr erörtert werden. Eine Vermittlung aber, völlig losgelöst von der Frage des Tatbeitrags der einzelnen Parteien, wird wohl auch hier schwerlich zu einer für beide Seiten akzeptablen Lösung führen, da sich dann keine Partei ihrer eigenen Verantwortung bewußt wird. Dennoch ist eine Affinität der Schiedsmänner zu juristisch nachvollziehbaren, klaren Entscheidungen festzustellen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Erkenntnis von Bierbrauer/Falke/Koch, wonach Schiedsmänner, die ihre Tätigkeit eher als sozialtherapeutische Hilfeleistung ansahen, deutlich höhere Erfolgsquoten vorweisen konnten als ihre Kollegen, die ihre Amtshandlungen mit überwiegender verwaltungstechnischer und bürokratischer Komponente auf der untersten Ebene der Justizorganisation angesiedelt sahen71 . Die Erfolgsquote lag je nach Ausprägung obiger Merkmale zwischen 52,5% und 74,2% 72 . Die zur Unterscheidung der Gruppen gewählten Klassifikationsmerkmale sind jedoch nicht unbedingt zwingend. So sollen beispielsweise der sozialtherapeutisch orientierten Gruppe der Schiedsmänner solche Amtsinhaber zugerechnet werden, die überdurchschnittlich häufig Zeugen bei der Verhandlung hinzuziehen. Dieses Merkmal könnte aber auch einem bürokratischen, am Gesetz und der damit zusammenhängenden Vergangenheitsaufklärung ausgerichteten Schiedsmann zugeschrieben werden. Die Hinzuziehung von Zeugen dient der Vergangenheitsaufklärung. Wenn dies erfolgt ist, kann von einem feststehenden Sachverhalt ausgegangen werden, der dem Schiedsmann die Aussage erlaubt, wer an dem Konflikt bzw. dessen Folgen "schuld" ist. Auf die so überführte Partei kann sodann Druck ausgeübt werden. Ein auf dieser Weise zustandegekommener Vergleich könnte nicht der Tätigkeit eines sozialtherapeutisch orientierten Schiedsmanns zugeschrieben werden. Trotz dieser Bedenken wird aber die Überbetonung rechtlicher Normen und die damit zusammenhängende mehr oder minder formale Aufklärung des Tathergangs, sowohl im Hinblick auf die Parteiautonomie als auch die 70 Vgl. für den Täter-Opfer-Ausgleich Trenczek, Täter-Opfer-Ausgleich ... , S. 131, wonach Voraussetzung für die Konfliktregelung zunächst ein Grundkonsens über den zugrundeliegenden Sachverhalt sein muß. 71 Bierbrauer/Falke/Koch, S. 176ff. 72 Ebd.

124

2. Teil, I. Kap.: Empirische Untersuchung- Schiedsmänner

Erfolgsquote betreffend, kritisch zu beurteilen sein73 . Hier bei ist noch zu berücksichtigen, daß - trotz der starken Formalisierung im SchAG/NW der Ablauf des Verfahrens nicht vorgegeben, mithin die Thematisierung rechtlicher Normen auch nicht erforderlich ist. Durch eine größere Betonung dieser Selbständigkeit könnte auch dem auf die Justiz bezogenen Annexcharakter des Schiedsmannsinstituts entgegengewirkt werden. Es bleibt aber abzuwarten, ob diese Einschätzung auch den Erwartungen der Parteien gerecht wird und somit realistisch ist. Wenn diese nämlich die Rechtslage von selbst, also ohne Hinlenkung durch den Schiedsmann, ansprechen, so ist der Schiedsmann in gewisser Weise in einem Dilemma, da er zwar von der Nichtrelevanz rechtlicher Kategorien für das strafrechtliche Schlichtungsverfahren weiß, aber dennoch bemüht sein muß, den Erwartungen der Parteien zu entsprechen. Insofern können also aufgrund einer bestimmten Erwartungshaltung der Parteien Wechselwirkungen bestehen, die dazu führen, daß der Schiedsmann Ausführungen zur Rechtslage macht und somit die Tat in rechtliche Kategorien einordnet. Für die Vermutung, wonach die Parteien Wert auf das nicht gänzliche Außerachtlassen rechtlicher Normen legen, spricht ihre Einstellung im Hinblick auf das zivilrechtliche Schlichtungsverfahren. Hier sprachen sich, nach den Eigenschaften eines optimalen Schiedsmanns befragt, 91 ,5% der Antragsteller und 91,4% der Antragsgegner für das Vorhandensein rechtlicher Grundkenntnisse beim Schiedsmann aus74 . Jedoch wollten nur 3,4% der Antragsteller und 11 ,0% der Antragsgegner den Schiedsmann durch ein Jurastudium ausgebildet wissen 75 . Vom Schiedsmann wird zwar kein Expertenstatus erwartet. Den Parteien wird es aber darum gehen, ein Verhandlungsergebnis, welches im krassen Widerspruch zur tatsächlichen Rechtslage steht, zu vermeiden, jedenfalls dann, wenn sie sich nicht über gerade diesen Umstand bewußt sind und das Ergebnis (trotzdem) wollen. Die Erfüllung dieser Anforderung soll durch die rechtlichen Grundkenntnisse des Schiedsmanns abgesichert werden. Der Schiedsmann müßte sich also möglicherweise, wollte er die Rechtslage gänzlich ausblenden, gegen den Willen der Parteien wenden76 . Im hier interessierenden strafrechtlichen Schlichtungsverfahren wird die Thematisierung der Rechtslage zunächst insofern gefordert sein, als daß der Antragsgegner die Tat einräumen muß. Bei der Suche nach einer Regelung zur Wiedergutmachung wird der Antragsteller zugunsten einer Einigung 73 Bierbrauer/Falke/Koch, S. 179, sprechen von einer dysfunktionalen Wirkung der Überbetonung des Rechtlichen, Formellen. 74 Röhl, S. 23 1, 386. 75 Ebd. 76 Ebd.

C. Einzelfragen

125

dann wohl ohnehin von rechtlich möglicherweise durchsetzbaren Maximalforderungen abrücken, will sich aber durch einen mit rechtlichen Grundkenntnissen ausgestatteten Schiedsmann hinsichtlich des Anspruchsrahmens abgesichert wissen. Eine solche Einstellung der Parteien würde im übrigen die einigermaßen hohe Bedeutung rechtlicher Grundkenntnisse in der Selbsteinschätzung der Schiedsmänner erklären können, da ein auf die Rechtslage angesprochener Schiedsmann nur ungern den Parteien seine eigene Unkenntnis eingestehen will; dies nicht zuletzt im Hinblick auf den formalen Charakter der Institution. Insgesamt erscheint es auch nicht gerade realitätsnah, annehmen zu wollen, der normative Hintergrund lasse sich bei einem entrechtlichten Verfahren gänzlich ausblenden. Es wird eine Zurückdrängung der Thematisierung rechtlicher Normen zugunsten außerrechtlicher Bezugspunkte möglich sein, jedoch nicht der Verzicht hierauf77 . IV. Eigenschaften: Selbsteinschätzung vs. Fremdeinschätzung

Die Schiedsmänner haben hinsichtlich weiterer Merkmale, die einen idealen Amtsinhaber auszeichnen sollen, bestimmte Vorstellungen, die in der Zusatzbefragung von Röhl erhoben wurden, allerdings ohne diese dort näher zu interpretieren78 . Diesen Aussagen können die entsprechenden Erwartungen der Parteien gegenübergestellt werden 79 • Durch die Auswertung der Parteiaussagen obwohl sie sich auf das zivilrechtliche Verfahren beziehen - lassen sich wertvolle Hinweise für die zu vermutenden Erwartungen der Parteien an das strafrechtliche Schlichtungsverfahren gewinnen. Zunächst sollen aus Übersichtsgründen die jeweiligen Daten in einer Tabelle zusammengestellt werden 80 :

77 Zu dieser zutreffenden und realistischen Erkenntnis vgl. Weigend, Deliktsopfer ... , S. 234, der desweiteren von ausländischen Erfahrungen berichtet. 78 Röhl, S. 506 ff.; siehe auch oben 2. Teil, I. Kap., A. 79 Dort ist die Zusatzbefragung nicht weiter ausgewertet worden, so daß ein Vergleich der Angaben nicht erfolgt ist. 80 Die Parteiangaben sind entnommen aus Röhl, S. 231, die Aussagen der Schiedsmänner finden sich bei Röhl auf S. 516; Differenz der Schiedsmannsangaben zu 100% =keine Angabe (KA).

126

2. Teil, 1. Kap.: Empirische Untersuchung - Schiedsmänner Erwartungen der Parteien:

Meinung der Schiedsmänner:

AntragAntragsgegner Zustimmung teilweise steiler Zustimmung Zustimmung Zustimmung

keine Zustimmung

wichtige Eigenschaften: Autorität

73,5%

Lebenserfahrung

90,0%

Unparteilichkeit

95,0%

Verständliche Ausdrucksweise

96,6%

62,0%

49,1 %

36,5%

8,9 %

87,1%

87,1 %

10,1%

. /.

96,8%

92,9 %

3,7 %

0,3 %

92,5%

64,1%

32,2%

0,6%

Verhalten in der Verhandlung: Auf Disziplin achten

44,4 %

53,2%

23,9 %

60,4%

14,1%

Ausreden lassen

57,9 %

69,2 %

89,0 %

9,8 %

0,9 %

Entspannte Atmosphäre schaffen

84,2%

93,3%

95,7 %

3,4%

. /.

Zukunftsregelung suchen

68,4%

74,7%

85,9 %

12,0%

0,9%

Tiefere Ursachen einbeziehen

59,8 %

66,3 %

69,9 %

./.

26,4 %

(N = (N = 117 - 133) 91 - 118)

Der überwiegende Teil der Parteien und auch der Schiedsmänner erwarteten von einem geeigneten Amtsinhaber Autorität. Dieser Wunsch deckt sich mit den Angaben der Schiedsmänner zu einem gewissen Mindestalter81. Hier spricht bereits eine Vermutung dafür, daß Autorität bei einer Person eher in einem höheren Lebensalter anzutreffen ist82 . Soweit die Antragsgegner vom Schiedsmann nur zu einem geringeren Teil autoritäre Eigenschaften erwarten, so zeugt dies von einem deutlich vermittlungsbestimmteren Erwartungshorizont Röhl äußert in diesem Zusammenhang die Auffassung, die Antragsteller würden vom Schiedsmann eher eine QuasigeSiehe oben 2. Teil, I. Kap., B. Diese Überlegung ist insofern naheliegend, als oftmals die Möglichkeit der Mitgliedschaft in gewissen Gremien oder die passive Wahlfähigkeit in ein Amt von einem Mindestalter abhängen (Der Bundespräsident etwa muß das 40. Lebensjahr vollendet haben, Art. 54 I S. 2 GG); beim Schiedsamt ist § 2 III Nr. I SchAG/NW zu beachten, wonach Schiedsperson nicht sein soll, wer das 30. Lebensjahr nicht vollendet hat; siehe oben 1. Teil, E., II. 81

82

C. Einzelfragen

127

richtsverhandlung erwarten, wohingegen die Vorstellungen der Antragsgegner mehr in die Richtung der "Alternativenbewegung" gingen 83 . Die Einstellung der Antragsteller erstaunt im Hinblick auf das untersuchte zivilrechtliche Verfahren. Hier gibt es eine echte Wahlmöglichkeit zwischen dem Schlichtungsverfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten und dem gerichtlichen Verfahren. Es wäre anzunehmen gewesen, daß sich die Antragsteller der Unterschiede bei Einleitung des Verfahrens bewußt waren. Dann dürfte indes ein Quasigerichtsverfahren nicht gefordert werden. Ebenfalls mit einem Mindestalter in Einklang zu bringen ist die fast einhellige Forderung sämtlicher Beteiligter nach hinreichender Lebenserfahrung des Schiedsmanns. Die bereits erwähnte Überalterung84 der Schiedsmänner wird daher von den Beteiligten zumindest akzeptiert. Der Schiedsmann soll - hier waren sich Parteien und Schiedsmänner einig - unparteilich sein. Das ist angesichts seiner Aufgabe, im Streit zu vermitteln, auch eine Selbstverständlichkeit. Außerordentlichen Wert auf eine allgemeinverständliche Ausdruckweise legten sowohl die Schiedsmänner im Hinblick auf ihr Selbstbild als auch die Parteien. Eine in einer unverständlichen Fachsprache gehaltene Behandlung des Konflikts wird nicht gewünscht. Diese Aussagen können als Ausdruck des Verlangens nach einem möglichst einfach zugänglichen Forum zur Konfliktaustragung angesehen werden. Von den Parteien ging ein ausgeprägterer Wunsch nach Disziplin in der Verhandlung aus, als von den Schiedsmännern selbst. Nimmt man allerdings bei den Aussagen der Schiedsmänner den Teil derjenigen hinzu, die sich der Forderung nach Disziplin in der Verhandlung nur bedingt anschlossen, so eröffnet sich die Erkenntnis, daß immerhin fast 85% der Schiedsmänner in gewisser Weise Wert auf Disziplin in der Verhandlung legten. Interessant ist der bei den Schiedsmännern deutlicher ausgeprägte Wunsch, die beteiligten Parteien ausreden zu lassen. Soweit mehr Antragsgegner als Antragsteller die Möglichkeit zum ausreden haben wollen, so erklärt sich dies aus der Parteirolle, die zunächst eine Gegendarstellung zum Vortrag des Antragstellers erforderlich macht. Auch der Wunsch nach einer entspannten Atmosphäre war bei den Schiedsmännern deutlicher ausgeprägt als bei den Parteien. Die Schiedsmänner waren sich mit den Antragsgegnern darin einig, daß in der Verhandlung eine entspannte Atmosphäre zu schaffen ist. Der im Vergleich zu den Antragsgegnern geringere Prozentsatz der Antragsteller, die eine solche Verhandlungsführung wünschten, erklärt sich aus der bereits angesprochenen Tendenz, mehr ein Quasigerichtsverfahren zu erwarten. 83 84

Röhl, S. 232 f. Siehe oben 2. Teil, I. Kap., B.

128

2. Teil, l. Kap.: Empirische Untersuchung- Schiedsmänner

Insgesamt scheinen die Parteien - jedenfalls im zivilrechtliehen Verfahren - von den Schiedsmännern eine formalere Verhandlungsführung zu wünschen, als diese selbst für tunlieh halten. Dies gilt namentlich für die Antragsteller. Die Schiedsmänner meinten fast durchweg, in der Verhandlung solle eine für beide Parteien akzeptable Zukunftsregelung gesucht werden. Hier fällt wiederum auf, daß die Parteien hierauf weniger Wert legten als die Schiedsmänner selbst, wobei die Antragsgegner dieser Frage etwas größere Bedeutung beigemessen haben als die Antragsteller. Einem guten Teil der Parteien war demnach (nur) an der Regelung des an den Schiedsmann herangetragenen Konflikts gelegen. Auch wollte etwa ein Drittel der Parteien die tieferen Konfliktursachen nicht in die Verhandlung einbezogen wissen. Den mehr von einem formellen Verfahren geprägten Vorstellungen der Parteien entspricht auch der bereits angesprochene, im Vergleich zu den Schiedsmännern häufiger geäußerte Wunsch, der Schiedsmann solle entscheiden, wer recht hat85 . Die von Röhl befragten Schiedsmänner äußerten sich noch zu weiteren Eigenschaften, die ein idealer Amtsinhaber haben sollte. Diesen weiteren Aussagen können aber nicht entsprechende Bekundungen der Parteien gegenübergestellt werden86 : sehr wichtig

auch noch nicht wichtig wichtig

KA 3,1 %

Menschenkenntnis

85,0%

11,3%

0,6 %

Gerechtigkeitsgefühl

82,8 %

12,9%

0,6 %

3,7 %

Redegewandtheit

28,8 %

59,8%

6,7 %

4,6 %

Überzeugungskraft

59,5 %

33,4 %

1,8 %

5,2 %

Toleranz, Offenheit

73,3 %

20,9%

1,8 %

4,0%

Einfühlungsvermögen

80,1%

15,0%

0,9 %

4,0%

Verhandlungsgeschick

84,7%

13,2 %

. /.

2,1%

Berufserfahrung

28,8 %

46,0 %

19,3 %

5,8%

Teilnahme am öffentlichen Leben

24,5 %

47,5 %

24,2 %

3,7 %

Vertrautheit mit der Bevölkerung des Bezirks

42,9 %

40,2%

14,7 %

2,1 %

Siehe oben 2. Teil, I. Kap., C., III., 2. Daten entnommen aus der Zusatzbefragung von Röhl, S. 517; mit 4,0 % bzw. 2,1 % wurden noch die Eigenschaften "Zuhören können" und "Geduld, Humor, Güte" genannt. 85

86

C. Einzelfragen

129

Die Schiedsmänner legten großen Wert auf Eigenschaften wie Verhandlungsgeschick, Einfühlungsvermögen und Menschenkenntnis. Werden die ebenfalls noch eine hohe Zustimmung genießenden Eigenschaften Toleranz/Offenheit und Überzeugungskraft in die Betrachtung mit einbezogen, so wird zweierlei deutlich: Die Schiedsmänner scheinen der Auffassung zu sein, bei der Ausübung des Amts sollten auch von der eigenen Meinung abweichende Vorstellungen der Parteien geduldet werden, aber das Ziel, einen Vergleich herbeizuführen, solle nicht aus den Augen verloren werden. Berufserfahrung, sowie Teilnahme am öffentlichen Leben wurden von den Schiedsmännern für weniger wichtig gehalten. Hierbei ist zu beachten, daß die Schiedsmänner den Begriff Berufserfahrung nicht mit Lebenserfahrung gleichsetzten, denn hier betrug die Zustimmungsquote 87, I %87 • Im Widerspruch zum hohen Grad der Organisation in Vereinen und ähnlichen gesellschaftlichen oder politischen lnstitutionen 88 steht der recht geringe Zuspruch, den die Teilnahme am öffentlichen Leben als wesentliche Eigenschaft eines idealen Schiedsmanns erfährt. Die Vertrautheit mit der Bevölkerung des Schiedsmannsbezirks wurde von den Schiedsmännern zwar auch noch recht hoch eingeschätzt, jedoch sind diese Werte im Hinblick auf für andere Eigenschaften erzielte Zustimmungsquoten eher niedrig. Leider ist den Daten nicht zu entnehmen, ob der Teil der Schiedsmänner, die diesen Umstand nicht für besonders wichtig hielten, seinen Amtsbezirk in einer Gegend hatte, deren Bevölkerungsstruktur sich vom eigenen sozialen Status unterschied. Sollte dies der Fall gewesen sein, so würde sich aufgrund des weniger stark ausgeprägten Zugangs zur Bevölkerung die Aussage als Folge der tatsächlichen Gegebenheiten darstellen. V. Ansichten der Schiedsmänner

Nachdem die Auffassungen hinsichtlich der Anforderungen an einen idealen Amtsinhaber dargestellt sind, soll nunmehr eine Schilderung der Ansichten der Schiedsmänner in erster Linie zu gesellschaftlichen Fragen folgen. Auch diese Daten basieren auf der Zusatzbefragung von Röhl 89 . Die Angaben betreffen das Verhältnis zur Autorität, den Bereich der Empathie und allgemeine gesellschaftliche Ansichten. Desweiteren wurden Aussagen zu Fragen des Strafvollzugs und zu kriminalpolitischen Themen erhoben.

87 88 89

Siehe oben 2. Teil, I. Kap., IV. Siehe oben 2. Teil, I. Kap., C., I., 2. Röhl, S. 506ff.

9 Gutknecht

130

2. Teil, 1. Kap.: Empirische Untersuchung- Schiedsmänner

1. Darstellung der Befunde Die Schiedsmänner haben, befragt zu ihrer Einstellung hinsichtlich verschiedener Aussagen gesellschaftliche Fragen betreffend, folgende Angaben gemacht90 : stimme zu stimme eher zu

stimme eher nicht zu

stimme nicht zu

- Zu den wichtigsten Dingen, die Kinder lernen können, gehört es, zur richtigen Zeit Autorität in Frage zu stellen.

20,6%

19,0%

25,8%

31 ,0%

- Ein Junge, der kleinere Kinder prügelt, ist schlimmer als einer, der Erwachsenen nicht gehorcht.

35,6%

23,6%

13,5%

23,3%

- Im allgemeinen ist es einem Kind im späteren Leben nützlich, wenn es gezwungen wird, sich den Vorstellungen seiner Eltern anzupassen.

12,9 %

21 ,5%

34,7 %

27,9%

- Jeder Mensch braucht etwas, woran er voll und ganz glauben kann.

74,2%

16,3 %

3,4%

3,7%

- Es gehört zu der unveränderlichen Natur des Menschen, sich zu streiten.

16,6 %

23,9%

31,6%

25,2%

- Die Gründe für zwischenmenschliche Konflikte und Auseinandersetzungen muß man in erster Linie in gesellschaftliehen Verhältnissen und nicht in der individuellen Moral der Menschen suchen.

21,8%

29,8%

25,5%

19,6%

- Es gibt für den Menschen wirklich wichtigere Aufgaben als alles mit dem Verstand durchdringen zu wollen.

43,9%

29,1%

16,0%

8,0%

- In unserer komplizierten Welt gibt es nur eine Möglichkeit zu erfahren, was los ist: Sich an Führungskräfte und Fachleute halten, auf die Verlaß ist.

17,8%

24,2%

27,9

26,4%

- Zu den wichtigsten Eigenschaften, die jemand haben kann, gehört diszip1inierter Gehorsam der Autorität gegenüber.

10,4%

15,6%

27,9%

41,4%

- Ungehorsam gegen die jeweilige Regie- 29,8% rung ist manchmal gerechtfertigt.

35,6%

19,3%

11 ,0 %

90

Röhl, S. 519 f. (Differenz zu 100%

= KA).

c.

Einzelfragen

131

stimme zu stimme eher zu

stimme eher nicht zu

stimme nicht zu

- Wir sollten dankbar sein für Köpfe, die uns sagen können, was wir tun sollen und wie.

18,7%

23,6%

24,2%

29,1%

- Ständige intensive Kritik - und nicht Vertrauen -gewährleistet das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft.

20,9%

22,4%

27,6%

25,5%

- Der Mensch sollte nur diejenigen staatIichen Beschränkungen seiner Freiheit befolgen, deren Berechtigung er auch selber als vernünftig ansieht.

31,9%

23,9%

23,6%

17,2%

Den Schiedsmännern wurde auch zu Ausländerfragen ein umfassender Aussagenkatalog vorgelegt. Die folgenden Aussagen müssen aber vor dem Hintergrund gesehen werden, daß die Erhebung bereits im Jahre 1984 erfolgte und somit denkbare Einstellungsänderungen aufgrund von Ereignissen in jüngerer Zeit nicht berücksichtigt sind91 : stimme zu stimme eher zu

stimme eher nicht zu

stimme nicht zu

- Wenn in einem deutschen Betrieb Arbeitskräfte entlassen werden, dann sollte man die ausländischen Arbeitnehmer zuerst entlassen.

8,9%

12,6%

31,3%

40,8%

- Die Ausländer in Deutschland sollten genauso wie die Deutschen Arbeitslosenunterstützung, Sozialhilfe, Kindergeld, Wohngeld, etc. erhalten.

62,8%

26,1%

4,0%

2,1%

- Unsere traditionelle deutsche Eigenart scheint Gefahr zu laufen, durch die Zunahme der ausländischen Bevölkerung verlorenzugehen.

17,5 %

13,8%

28,8%

34,7%

- Wenn ein Ausländer schon längere Zeit in Deutschland lebt, dann sollte er das Wahlrecht erhalten.

19,0%

22,1%

19,0%

35,0%

91

9~'

Röhl, S. 521 (Differenz zu I 00% = KA).

132

2. Teil, I. Kap.: Empirische Untersuchung - Schiedsmänner

(Fortsetzung von S. 131) stimme zu stimme eher zu - Wenn man sich auf unseren Straßen nicht mehr ganz sicher fühlen kann, dann liegt das daran, daß es hier zu viele Ausländer gibt.

stimme eher nicht zu

stimme nicht zu

1,8%

8,3%

22,1%

64,1%

- Wenn schon Ausländer hier in der Bundesrepublik Deutschland arbeiten, dann sollte ihre Aufenthaltserlaubnis von vorneherein auf 5 Jahre beschränkt werden.

34,7 %

21,2%

17,2%

22,1%

- Ausländische Arbeitnehmer sollten durch finanzielle Anreize zur baldigen Rückkehr ermuntert werden.

25,8%

35,9%

20,9%

12,9%

- Man sollte darauf achten, daß ausländisehe Kinder - auch wenn sie längere Zeit in Deutschland leben und hier aufgewachsen sind - sich nicht mehr als unbedingt nötig an die deutschen Sitten und Gebräuche anpassen.

9,2%

7,1%

22,7 %

55,8%

In einem weiteren Teil der Befragung wurden den Schiedsmännern Aussagen vorgestellt, von welchen gesagt werden sollte, ob sie auf die eigenen Verhandlungen zutreffen oder nicht92 : trifft (eher) zu

trifft (eher) nicht zu

- Viele Streitigkeiten, mit denen Leute zu mir kommen, sind mir einfach unbegreiflich.

35,6%

60,7%

- Es kommt häufiger vor, daß ich weiß, was jemand im nächsten Moment sagt.

42,6%

54,0%

- Es kommt häufig vor, daß sich die Parteien in Güteverhandlungen anders verhalten, als ich es erwartet habe.

60,4 %

37,7%

- Im allgemeinen kann ich ziemlich genau vorhersagen, wie eine Güteverhandlung ausgehen wird.

39,9%

58,3%

- Ich wünsche mir, daß andere Menschen sich schneller entscheiden könnten.

34,1%

62,9 %

92

Röhl, S. 518 (Differenz zu 100% = KA).

C. Einzelfragen

133 trifft (eher) zu

trifft (eher) nicht zu

- Wenn ich mir erst einmal eine Meinung gebildet habe, dann bleibe ich auch dabei.

27,0%

69,7%

- Es ärgert mich, wenn sich Leute nicht klar und deutlich ausdrücken.

16,9%

80,6%

Die Schiedsmänner wurden auch danach gefragt, welche Delikte sie angesichts beschränkter Kapazitäten von Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichten vordringlich verfolgt wissen wollen93 :

I. - 3. Platz

Rangplatz 4. - 6. 7. - 10. Platz Platz

falsch ausgefüllt/KA

I. Kindesentführung mit Lösegeldforderung von 500.000 DM.

95,4%

2,7%

1,9%

20,2%

2. Vergewaltigung einer jungen Frau nachts in einem Parkhaus.

92,7%

5,8%

1,5%

20,2%

3. Umweltverschmutzung (Einleitung von 200 hl hochgiftiger Säure in den Rhein, Schaden 200.000 DM).

55,6%

37,2%

7,2 %

23,3%

4. Verkehrsgefährdung (Trunkenheitsfahrt).

28,1%

51,2%

20,7%

24,5%

5. Einbruchsdiebstahl (Pelze und Schmuck, Wert: 20.000 DM)

10,2%

46,9%

42,9%

24,8%

6. Vorsätzliche einfache Körperverletzung (Wirtshausschlägerei).

8,1%

17,5%

74,5%

24,2%

7. Mietwucher (100 betroffene Familien, Schaden : 20.000 DM).

7,7%

53,8%

38,5%

24,2%

8. Bestechung (Schaden: Vorteile im Wert von 20.000 DM).

4,6%

39,8%

55,6 %

26,7%

9. Vorsätzliche Sachbeschädigung (am Auto, Schaden: 500 DM).

2,8 %

12,5%

84,7 %

23,9%

2,1%

33,9%

64,0%

26,7%

10. Steuerhinterziehung (Schaden 20.000 DM).

93

Röhl, S. 522.

134

2. Teil, I. Kap.: Empirische Untersuchung- Schiedsmänner

Zu den wichtigsten Zielen des Strafvollzugs befragt, äußerten sich die Schiedsmänner wie folgt94 : Verhinderung zukünftiger Straftaten beim Täter.

22,7% 4,0%

Abschreckung potentieller Täter. Schutz der Gesellschaft vor Verbrechern. Sühne des begangenen Verbrechens durch Strafe. Vorbereitung auf die Wiedereingliederung des Straftäters in die Gesellschaft.

31 ,3%

5,8% 29,8%

KA = 5,5%

Weiterhin waren 30,7% der Schiedsmänner der Auffassung, bei bestimmten Kapitalverbrechen, wie Mord oder Raubmord, solle die Todesstrafe wieder eingeführt werden. 66,0% der befragten Schiedsmänner hingegen lehnten die Wiedereinführung der Todesstrafe ab95 .

2. Diskussion Den oben wiedergegebenen Daten läßt sich zunächst entnehmen, daß bei den Schiedsmännern durchaus unterschiedliche Ansichten anzutreffen sind. Dennoch erscheint es aber möglich, eine gewisse Tendenz betreffend der bei den Schiedsmännern vorherrschenden Meinungen herauszuarbeiten. Im folgenden soll demnach dieser Versuch anband des obigen - von Röhl nicht näher interpretierten - Datenmaterials unternommen werden. Auch wenn eine Tendenz aufzeigbar sein wird, so wird es trotzdem Amtsinhaber mit einer zum Teil diametral entgegengesetzten Meinung geben. Diese Erscheinung könnte mit durch das Rekrutierungsverfahren der Schiedsmänner bedingt sein, weil insofern keine einheitliche Ausbildung, die Parallelisierungseffekte erzeugen könnte, vorliegt96 • Ein Vergleich mit den Auffassungen zu den hier interessierenden Themen in der Normalbevölkerung ist leider nicht möglich, weil entsprechende Befunde nicht erhoben wurden. Bei den Schiedsmännern gibt es einen nicht unerheblichen Teil von Amtsinhabern, dem unbedingter Gehorsam gegenüber Autoritäten als eine Ebd. Ebd. 96 Die parallelisierende Auswirkung einer gleichförmigen Ausbildung auf das Meinungsspektrum der betreffenden Personen darf freilich nicht überbewertet werden. So herrschen etwa bei den Juristen selbst bei Grundsatzfragen - trotz einer Einheitsausbildung - durchaus extrem divergierende Ansichten vor. 94

95

C. Einzelfragen

135

sehr wichtige, einen Menschen auszeichnende Eigenschaft gilt. Allerdings waren etwa zwei Drittel der Schiedsmänner nicht bereit, der Obrigkeit bedingungslos zu folgen. Aber über 40% der Schiedsmänner befürworteten die Aussage, man solle sich von Experten sagen zu lassen, was man tun solle. Dies ist angesichts der Allgemeinheit der zur Beurteilung gestellten Aussage: "Wir sollten dankbar sein für Köpfe, die uns sagen können, was wir tun sollen und wie", schon bemerkenswert. Hiermit geht die Einschätzung von 42% der Schiedsmänner konform, man solle sich, um Erkenntnisse zu schöpfen, an Führungskräfte und Experten halten. Über die Hälfte der Schiedsmänner war aber nicht vorbehaltlos bereit, Freiheitsbeschränkungen hinzunehmen, die nicht auch persönlich für richtig gehalten werden. Die Mehrzahl meinte, intensive Kritik sei dem Funktionieren der demokratischen Gesellschaft eher abträglich. Die Tendenz geht insgesamt dahin, daß der überwiegende Teil der Schiedsmänner sich nicht unbedingt autoritätsgläubig zeigte und offenbar durchaus bereit war, gegen offensichtliche Ungerechtigkeiten Partei zu ergreifen. Beachtung verdient aber ein nicht zu vernachlässigender Anteil an Amtsinhabem, deren Denken in autoritativen Strukturen verläuft, die demnach Bereitschaft zeigten, sich unter allen Umständen ohne Widerspruch einzuordnen. Amtsinhaber mit einer solchen Grundhaltung dürften für die an sie gestellte Aufgabe, im Streit zu vermitteln und hierbei gegebenenfalls die von den eigenen Wertmaßstäben abweichenden Vorstellungen der Parteien zu akzeptieren, wenig geeignet sein. Hier ist zu vermuten, daß sie versuchen, den Parteien ihre Vorstellungen aufzuoktroyieren. Solche Schiedsmänner werden sich mit Sicherheit als Respektperson sehen, die die Akzeptanz einer von ihnen vorgenommenen Bewertung aufgrund der vom Amte ausgehenden Autorität voraussetzen. Die Bedeutung von Autorität wird auch an der Bewertung der Aussagen zum Verhalten von Kindem deutlich, wonach immerhin ein gutes Drittel der Schiedsmänner Vorteile für ein Kind daraus zu erblicken vermochte, wenn es gezwungen wird, sich den Vorstellungen seiner Eltern anzupassen. Solange ein Junge den Autoritätspersonen hörig ist, sollte es nach mehr als einem Drittel der Befragten unschädlich sein, wenn dieses Kind seine Aggressionen auf dem Rücken schwächerer Menschen austrägt. Diese Einschätzung stimmt bedenklich, da gerade der Schiedsmann mit der Ausübung seines Amtes eine gewisse Friedfertigkeit und die Einsicht, eine gewaltsame Konfliktlösung sei immer die schlechteste Alternative, vermitteln soll. Der überwiegende Teil der Schiedsmänner verneinte eher die Aussage, ein Kind müsse vordringlich lernen, Autorität in Frage zu stellen. Angesichts der weitgehenden Bedeutung dieser Aussage, die das genannte Vermögen der Kinder immerhin zu den "wichtigsten Dingen" erhebt, die ein Kind Jemen kann, erstaunt hier aber die Quote von 20,6 % der vorbehaltlosen Zustimmung. Zusammenfassend kann für den Bereich des Autoritarismus festgehalten werden, daß die Schiedsmänner hier stark unterschied-

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2. Teil, I. Kap.: Empirische Untersuchung - Schiedsmänner

liehe Einstellungen geäußert haben. Letztlich überwiegen die Amtsinhaber, die zur Autorität im gesellschaftlichen Bereich ein eher kritisches, hinterfragendes Verhältnis haben. Trotzdem will der weit überwiegende Teil der Schiedsmänner als Respektperson angesehen werde 97 . Offenbar wird von den Parteien, auch wenn die ausgleichende Funktion des Schiedsmanns im Vordergrund steht, erwartet, den Schiedsmann zu achten und ihn nicht als bloßen machtneutralen Vermittler anzusehen, sondern als eine durch das Amt aufgewertete Respektperson. So überrascht es nicht, daß es unter den Schiedsmännern einen in der Größenordnung von etwa einem Drittel zu beziffernden Block gibt, der eine von hierarchischem, autoritätshörigem Denken geprägte Grundhaltung aufweist. Die Schiedsmänner scheinen bodenständige Menschen und keine Rationalisten zu sein. Über 90% der befragten Schiedsmänner konnten sich der Aussage, jeder Mensch brauche etwas, woran er voll und ganz glauben kann, weitgehend anschließen. Namentlich 74,2% stimmten dieser Aussage vorbehaltlos zu. Weiterhin meinten mehr als 70 % der Schiedsmänner, es gäbe für den Menschen wahrlich wichtigere Aufgaben, als alles mit dem Verstand durchdringen zu wollen. Diese Bekenntnisse des weit überwiegenden Teiles der Schiedsmänner lassen zusammen mit den übrigen Aussagen vorsichtige Rückschlüsse auf das Vermittlungskonzept der Schiedsmänner zu. Zwar wurde bereits gesehen, daß sie die rechtliche Richtschnur nicht missen wollen und in komplizierten Angelegenheiten besonders die rechtlich zutreffende Lösung zum Maßstab nehmen würden, jedoch kann mangels einer qualifizierten juristischen Ausbildung die vom Schiedsmann vorgeschlagene Lösung nur laienhaften rechtlichen Anforderungen genügen. Andererseits können die Schiedsmänner aber auch keine vertieften Kenntnisse in vermittlungstheoretischer Hinsicht aufweisen. Die Vermittlung im konkreten Fall dürfte somit wohl weniger aufgrund eines nicht näher konkretisierten und theoretisch untermauerten sondern eines individuell eigenen Konzepts erfolgen. Dieser Eindruck wird maßgeblich verstärkt durch die Vorstellungen der Schiedsmänner von einem idealen Amtskollegen, wonach Eigenschaften wie Menschenkenntnis und Gerechtigkeitsgefühl eine außerordentlich hohe Bedeutung beigemessen wird 98 . Die Schiedsmänner schätzten in diesem Zusammenhang die Eigenschaften: Verhandlungsgeschick, Überzeugungskraft und Redegewandtheit hoch ein 99, woraus geschlossen werden kann, daß sie - auch wenn zum Teil 97 Siehe oben 2. Teil, I. Kap., C., IV., wonach über 85% der Schiedsmänner Autorität als persönlicher Eigenschaft eines idealen Amtsinhabers Bedeutung beimaßen. Diese Aussage wird also auch von denjenigen Amtsinhabern mitgetragen, die zur Autorität im gesellschaftlichen Bereich ein eher distanziertes Verhältnis haben. 98 Siehe oben 2. Teil, I. Kap., C., IV. 99 Siehe oben 2. Teil, I. Kap., C., IV.

C. Einzelfragen

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eine autoritative Grundhaltung gegeben ist - dennoch bereit sind, Überzeugungsarbeit zu leisten, wobei aber das Ziel, nämlich der Abschluß eines Vergleichs, dominierend bleibt. Die Aussagen der Schiedsmänner zur Konfliktgenese 100 sind unterschiedlich. Der gößere Teil der befragten Amtsinhaber äußerte die Ansicht, zwischenmenschliche Konflikte entstünden in erster Linie durch gesellschaftliche Verhältnisse, wobei von einem noch etwas größeren Teil die Aussage, Konflikte seien gleichsam genetisch bedingt, der Natur des Menschen also immanent, nicht bestätigt wurde. Der allerdings nicht unerhebliche Anteil der Amtsinhaber, die die Veranlagung der Menschen, Konflikte zu produzieren, vorbehaltlos bejahten, dürfte bei der Amtsausübung Schwierigkeiten haben. Ein Schiedsmann, der obige Aussage bejaht, wird seine Tätigkeit kaum ernsthaft auf eine dauerhafte Befriedung der Parteien ausrichten können. Hier ist zu vermuten, daß das Selbstverständnis des Amtsinhabers eher auf eine konfliktverwaltende Tätigkeit gerichtet ist, weil sich nach seiner Auffassung Konflikte ohnehin nicht vermeiden lassen. Der weit überwiegende Teil der Schiedsmänner zeigte sich durch den Verlauf der Verhandlung des öfteren vom Verhalten der Parteien überrascht, wobei immerhin aber fast 40% meinten, voraussagen zu können, wie die Verhandlung ausgehen wird. Dies bedeutet, daß die Amtsinhaber jedenfalls zum Teil wohl mit einer bereits mehr oder minder feststehenden Vorstellung betreffend den Verfahrensausgang in die Verhandlung gehen. Bemerkenswert ist, daß die Schiedsmänner - trotz des oben angespochenen Autoritätspotentials - Verständnis für Hemmnisse bei den Parteien oder deren Unvermögen sich präzise auszudrücken, zeigten. Beachtlich ist hierbei die strikte Ablehnungsquote von 60% bezüglich der Aussage, es sei ärgerlich, wenn sich Leute nicht klar und deutlich ausdrücken können. Der klar überwiegende Teil der Schiedsmänner äußerte Verständnis für die an ihn herangetragenen Streitigkeiten. Insoweit darf bei der Mehrzahl der Amtsinhaber das Vermögen und die Bereitschaft, sich in die Konfliktwelt der Parteien einzufühlen, vermutet werden. Diese Fähigkeit betonten die Schiedsmänner auch an anderer Stelle. Befragt nach dem idealen Amtsinhaber meinten über 95 %, Einfühlungsvermögen sei eine wichtige Eigenschaft 101 . 27% der befragten Amtsinhaber beharren nach eigener Aussage auf einer einmal gebildeten Meinung. So unterschiedlich die Ansichten der Schiedsmänner betreffend der oben referierten Themenbereiche sind, so gehen auch die Meinungen auf dem Gebiet der Strafrechtspflege auseinander. 100

den. 101

Dieses Thema kann im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht vertieft werSiehe oben 2. Teil, I. Kap., C., IV.

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2. Teil, 1. Kap.: Empirische Untersuchung - Schiedsmänner

Recht deutlich wird dies bei der Beurteilung der Frage, nach dem wichtigsten Ziel des Strafvollzugs 102 . Hier antworteten die meisten Schiedsmänner, nämlich 3 I ,3 %, das wichtigste Ziel sei der Schutz der Gesellschaft vor Verbrechern. Ein etwas geringerer Prozentsatz, 29,8 %, sprach sich für die Vorbereitung der Wiedereingliederung des Straftäters in die Gesellschaft aus und 22,7% befürworteten die Aussage "Verhinderung zukünftiger Straftaten beim Täter". Die beiden letzteren Gruppen betonen somit das in § 2 I S. 1 StVollzG legaldefinierte Vollzugsziel, wonach der Gefangene im Vollzug der Freiheitsstrafe fähig werden soll, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen. Die Resozialisierung ist die maßgebliche Gestaltungs- und Arbeitsperspektive für die Vollzugspraxis 103 • .Von Bedeutung ist noch § 3 III StVollzG, wonach der Vollzug darauf auszurichten ist, daß er dem Gefangenen hilft, sich in das Leben in Freiheit einzugliedern. Die erste und größte Gruppe der Schiedsmänner meinte aber, im Vollzug seien präventive Gesichtspunkte bestimmend. Nach § 2 I S. 2 StVollzG dient der Vollzug der Freiheitsstrafe auch dem Schutz der Allgemeinheit vor weiteren Straftaten 104. Insofern wird dem Schutzgedanken also eine Art Randstellung zugewiesen, die den Rahmen der Resozialisierungsbemühungen konkretisiert 105 • Das Vollzugsziel gilt also innerhalb des so abgesteckten Vollzugsrahmens 106• 1e höher die Gefahr für die Allgemeinheit scheint, desto mehr tritt die Schutzfunktion in den Vordergrund 107 • Trotz dieser differenziert zu betrachtenden Problematik steht zu vermuten, daß ein erheblicher Teil der Schiedsmänner eine restriktive Vollzugsausgestaltung bejaht und sich für ein auf überkommenen Vorstellungen beruhendes Vollzugsziel ausspricht, wobei deutlich wird, daß ein beachtlicher Teil der Amtsinhaber einem liberalen Verständnis im Bezug auf den Umgang des Staates mit Kriminalität ablehnend gegenübersteht. Der oben skizzierte Eindruck verstärkt sich unter Beachtung der Aussage von 31 % der Schiedsmänner, die sich unter bestimmten Voraussetzungen die Wiedereinführung der Todesstrafe vorstellen konnten und insofern eine Auffassung vertraten, die mit Art. 102 GG nicht konform geht. Etwa ein Drittel der Schiedsmänner, deren Aufgabe es nach dem selbstgesetzten 102 V gl. zu den Vollzugszielen Walter, Strafvollzug, Rn. 48 ff., mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 103 Walter, Strafvollzug, Rn. 52. 104 Auf die Stellung der Vollzugsziele im einzelnen soll im Rahmen der Arbeit nicht eingegangen werden, ebenso nicht auf die Frage, ob der gesetzliche Anspruch auch Umsetzung in der Wirklichkeit findet. 1°5 Walter, Strafvollzug, Rn. 54. 106 Ebd. 107 Walter, Strafvollzug, Rn. 54, der auf die Sicherungsverwahrung verweist; in § 129 StVollzG steht der Sicherungszweck an erster Stelle, indes ohne das Ziel des Vollzugs zu sein.

C. Einzelfragen

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Motto "schlichten ist besser als richten'" 08 ist, auf ein versöhnliches Miteinander hinzuwirken, sprach sich somit für eine nach heutigem Verständnis nicht mehr in Betracht zu ziehende Strafe aus, und ebenfalls der gleiche Anteil der Schiedsmänner brachte ein eher zweifelhaftes Verständnis von der Behandlung der Kriminalität im Strafvollzug zum Ausdruck. Allerdings liegt die Zustimmungsquote der Schiedsmänner für die Wiedereinführung der Todesstrafe bei schweren Verbrechen eher unter der entsprechenden Quote der Bevölkerung. Dort wurden bei einem Ländervergleich Zustimmungsquoten von 37,7% (Kanton Uri, Schweiz), 36,6% (Kanton Zürich, Schweiz), 52,3% Baden-Württemberg bis zu 84,9 % (Texas, USA) für die Befürwortung der Todesstrafe bei Mord ermittelt 109 . Die Frage nach der Gewichtung einzelner Straftaten im Normengefüge haben die Schiedsmänner im Grunde erwartungsgemäß beantwortet. Kindesentführung, Vergewaltigung und Umweltverschmutzung wollten die Schiedsmänner vordringlich verfolgt wissen. Die hohe Zustimmung der besonderen Verfolgungswürdigkeit der Vergewaltigung einer jungen Frau nachts im Parkhaus dürfte wohl auch mit der Fragestellung zusammenhängen. Wäre die Frage mit einer anderen Schilderung der Situation gestellt worden, etwa so, daß die Frau auf einer Feier sich durch laszives Verhalten hervorgetan und sie somit eher negativ dargestellt worden wäre, so wäre der Grad der Zustimmung wohl deutlich niedriger ausgefallen. Gerade in einem emotional besetzten Bereich dürfen die Aussagen nur vorsichtig interpretiert werden. Die Kriminalität, die in die eigene Zuständigkeit fällt, also Privatklagedelikte wie einfache vorsätzliche Körperverletzung und Sachbeschädigung, rangierte bei den Schiedsmännern klar im unteren Bereich der Verfolgungswürdigkeit Die Schiedsmänner scheinen demnach den Delikten des eigenen Zuständigkeitsbereichs keine besondere Bedeutung zuzumessen und wollen daher die Aktivitäten der Strafverfolgungsorgane auf Delikte mit höherem Unwertgehalt gerichtet wissen. Dies scheint jedenfalls dann zu gelten, wenn - wie in der Aufgabenstellung - nur ein recht geringer Schaden entstanden ist. Bei der Sachbeschädigung lag der Schaden nur bei 500,- DM, bei den übrigen Delikten hingegen bei mindestens 20.000,- DM. Auch die von den Schiedsmännern als nicht besonders verfolgungswürdig dargestellte Wirtshausschlägerei läßt keine schweren Folgen für die Beteiligten annehmen. Weiterhin kann sich bei obiger Einschätzung auch die Verinnerlichung der eigenen Tätigkeit widerspiegeln, die zu der Einsicht geführt haben mag, daß die Nichtbefassung der Strafverfolgungsorgane mit gewissen Delikten zugunsten einer ausgleichenden Konfliktregelung durchaus Vorteile bieten kann. 108 109

Siehe oben I. Teil, A. Schwarzenegger, Die Einstellungen ... , S. 300.

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2. Teil, I. Kap.: Empirische Untersuchung- Schiedsmänner

Bestechung und Steuerhinterziehung hielt der weit überwiegende Teil der Schiedsmänner eher für nicht besonders verfolgungswürdige Kavaliersdelikte und dürfte mit dieser Einschätzung die wahrscheinlich in der Bevölkerung vorherrschende Ansicht treffen 110• Nur wenige Schiedsmänner wollten einen Einbruchdiebstahl, bei welchem Luxusgüter entwendet worden sind, vordringlich verfolgt wissen. Dieses Ergebnis läßt sich mit der sozialen Struktur der Schiedsmänner erklären. Da nur selten ein Schiedsmann aus der Oberschicht rekrutiert wird 1 1 1, scheint die Auffassung vorzuherrschen, daß auf Luxusgüter am ehesten verzichtet werden könne, jedenfalls müsse der Staat sich hier nicht sonderlich bei der Tataufklärung bemühen. Die Schiedsmänner taten zu Ausländerfragen differenzierte Meinungen kund. Der weit überwiegende Teil der Schiedsmänner sprach sich bei betrieblichen Fragen für eine gleiche Behandlung der ausländischen Arbeitnehmer gegenüber den deutschen Arbeitskollegen durch den Arbeitgeber aus. Ein noch größerer Teil vertrat die Ansicht, hier lebende Ausländer sollten im gleichen Maße wie deutsche Bürger an den Leistungen des Sozialstaats partizipieren. Freilich geht mit dieser Aussage nicht einher, daß den Ausländern auch ein Wahlrecht zugestanden wird. Hier nahmen immerhin 54,0% der Schiedsmänner eine eher ablehnende Haltung ein, wobei anzumerken ist, daß gerade in diesem Bereich in keiner gesellschaftlichen Schicht ein Konsens zu finden sein dürfte. Obwohl die Schiedsmänner die Bereitschaft bekundet haben, Ausländer seien weitgehend gleich zu behandeln, sahen sie die Personen dieser Bevölkerungsgruppe überwiegend doch nur als Gäste an. Fast zwei Drittel der Befragten befürworteten weitgehend das Angebot finanzieller Anreize zur baldigen Rückkehr ausländischer Arbeitnehmer in deren Heimatländer. Diesen Personen sollte auch, ginge es nach der Mehrheit der Schiedsmänner, durch eine Beschränkung der Aufenthaltserlaubnis deutlich gemacht werden, daß an deren Rückkehr in die Heimat gedacht ist. Obwohl der Wunsch nach Rückkehr der Ausländer in die Heimat kundgetan wurde, sahen fast zwei Drittel der Schiedsmänner kaum die Gefahr der Überfremdung durch die Zunahme der ausländischen Bevölkerung 112• Hier stellt sich indes angesichts des massiv geäußerten Rückkehrverlangens die Frage, ob diese Aussage auch der tatsächlichen Ansicht der Befragten entspricht. Weiterhin wird die Rückkehroption nicht bei den hier bereits länger 110 Vergleichbare Daten liegen - soweit ersichtlich - nicht vor, jedoch handelt es sich um Bereiche der Kriminalität, die auch als "white collar" Kriminalität bezeichnet wird, von der bekannt ist, daß sie trotz eines hohen Schadenspotentials, oftmals nicht als besonders verfolgungswürdig angesehen wird. 1 11 Siehe oben 2. Teil, I. Kap. B. 11 2 Ob dies angesichts der in der letzten Zeit gewandelten Verhältnisse auch heute noch so gesehen würde, ist zumindest fraglich.

C. Einzelfragen

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lebenden ausländischen Kindem gesehen, da diese sich offenbar an deutsche Sitten und Gebräuche anpassen sollen. Im Grunde stellt diese Aussage des weit überwiegenden Teils der Befragten ebenfalls einen Widerspruch zu dem geäußerten Wunsch nach nur zeitlich begrenztem Aufenthalt der Ausländer dar, da allgemein bekannt ist, daß mit zunehmender Adaption an deutsche Verhältnisse die Rückkehrschwierigkeiten massiv zunehmen. Offenbar wollten sich nicht alle Befragten zu den Konsequenzen, die der immerhin vorhandene Vorbehalt gegenüber der dauernden Anwesenheit von Ausländern mit sich bringt, bekennen. Eindeutig verneint wurde von den Schiedsmännern die Behauptung, Ausländer seien für die steigende Kriminalität vor allem im Gewaltbereich verantwortlich zu machen. Hier ist es durchaus denkbar, daß die Schiedsmänner von den eigenen im Amte gemachten Erfahrungen auf die wirkliche Lage geschlossen haben, denn nur 4,9% der Befragten mußten sich häufig dienstlich mit Ausländern befassen, hingegen nahezu 60% selten oder fast nie 113 • Zusammenfassend kann demnach festgehalten werden, daß die Schiedsmänner den Ausländern überwiegend mit wenig Vorbehalten begegnen, jedoch herrscht auch die Ansicht vor, Ausländer sollten nur als Gäste gesehen werden. Nationalistische Tendenzen sind - trotz der eher ungünstigen Altersstruktur 114 - nicht zu erkennen.

113 Vgl. Röhl, S. 520; die Angaben betreffen allerdings die zivilrechtliche Schlichtungsverhandlung; wegen der zahlenmäßigen Bedeutungslosigkeit der zivilrechtlichen Sachen werden beim Antwortverhalten der Schiedsmänner aber auch die Erfahrungen hinsichtlich der strafrechtlichen Tätigkeit eingeflossen sein. 114 Zur Altersstruktur der Schiedsmänner siehe oben 2. Teil, !. Kap., A. ; die Aussage zur ungünstigen Altersstruktur beruht auf der hier empirisch nicht näher belegbaren Annahme, daß ältere Menschen Auslän dern gegenüber eher eine ablehnende Haltung einnehmen als jüngere Personen.

Zweites Kapitel: Die Parteien A. Einleitung; Thesen I. Einleitung

Im nunmehr folgenden Teil der Arbeit sollen aufgrund einer empirischen Untersuchung die Erfahrungen der Parteien mit dem Schlichtungsverfahren vor dem Schiedsmann sowie deren Erwartungen an das Verfahren dargestellt werden. Eine Erweiterung der Zuständigkeit des Schiedsmanns sowie dessen stärkere Beachtung in der kriminalpolitischen Diskussion um eine nichtstrafende, die Parteiinteressen berücksichtigende Konfliktregelung bedingen eine empirische Diskussionsgrundlage, die auf Angaben der Parteien basiert. Nur so läßt sich herausfinden, ob das Schiedsmannsinstitut überhaupt geeignet ist, (auch) zukünftig an der Bewältigung des Kriminalitätsaufkommens mitzuwirken. Die Ansichten und Einstellungen der Schiedsmänner das Amt betreffend sind durch die auf der Untersuchung von Röhl beruhenden Darstellung im ersten Kapitel weitgehend geklärt. Jedoch liegen im Hinblick auf die im bisherigen Verlauf der Arbeit angesprochenen Erwartungen der Parteien an das Schlichtungsverfahren in Strafsachen keine weiteren Informationen vor. Soweit erkennbar, wurde bislang noch nicht der Versuch unternommen, das Schlichtungsverfahren aus der Sicht der Parteien anband einer empirischen Untersuchung zu betrachten. II. Thesen

Die im ersten Teil der Arbeit dargestellten und abgeleiteten Erwartungen der Parteien an das Verfahren sowie die Auswirkungen der im SchAG/NW geregelten Verfahrensmodalitäten werden im folgenden als Arbeitshypothesen zusammengefaßt, die der Konzeption der empirischen Untersuchung dienen. Bei der Formulierung der Thesen fiel auf, daß in zentralen Bereichen teilweise sich scheinbar widersprechende Annahmen möglich sind. Dies hängt in erster Linie mit den zu vermutenden Erwartungen der Parteien an das Schlichtungsverfahren und der Einbettung des Schlichtungsverfahrens in das Privatklageverfahren zusammen. Beispielsweise werden die Parteien

A. Einleitung; Thesen

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einerseits eine schnelle und möglichst umfassende Konfliktregelung wünschen, andererseits wird namentlich der Antragsteller dem Schlichtungsverfahren wegen der "Verweisung" durch die Polizei, von welcher er sich eine Befassung mit seinem Anliegen erhofft hatte, zunächst skeptisch gegenüber stehen. Solche Annahmen schließen sich indes nicht aus, weil insofern unterschiedliche Bezugsebenen gegeben sind. 1. Der Zugang zum Schiedsmann a) Gebührenpflicht - Die KostenvorschuBpflicht schreckt den Antragsteller ab. - Uneinigkeit in der Frage, welche Partei die Kosten des Verfahrens trägt, kann den Abschluß einer Einigung verhindern. b) Erreichbarkeit Der Schiedsmann ist hinsichtlich der Kontaktaufnahme für den Antragsteller ohne weiteres zu erreichen. c) Zeitliche Flexibilität - Bis zur Durchführung des Schlichtungsverfahrens gibt es keine nennenswerten Wartezeiten. - Das Schlichtungsverfahren vor dem Schiedsmann ist hinsichtlich der Terminanberaumung flexibel. Den Wünschen der Parteien wird Rechnung getragen. Insbesondere werden die Arbeitszeiten der Parteien berücksichtigt.

2. Der Sühneversuch als bürokratisches Hemmnis für den Antragsteller - Dadurch, daß der Antragsteller regelmäßig vom Schlichtungsverfahren vor dem Schiedsmann erst durch die Polizei erfährt, steht er dem Verfahren skeptisch gegenüber, denn es wäre ihm lieber, wenn sich die Polizei sofort seines Anliegens annehmen würde. - Gäbe es eine Wahlmöglichkeit zwischen dem obligatorischen Sühneversuch und einer staatlichen Befassung mit dem Konflikt, so würde sich der Antragsteller nicht für das Schlichtungsverfahren vor dem Schiedsmann entscheiden, sondern die Bearbeitung des Konflikts den staatlichen Strafverfolgungsorganen überlassen.

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2. Teil, 2. Kap.: Empirische Untersuchung- Parteien

- Eine eventuelle Einigung beruht daher auf Seiten des Antragstellers weniger auf einer echten Bereitschaft hierzu, sondern stellt sich als das Produkt einer verfahrensbedingten Resignation dar. 3. Auswirkungen verfahrensbedingter Zwangsmomente auf das Verhalten des Täters

a) Ordnungsgeld Durch die Möglichkeit der Verhängung eines Ordnungsgeldes wird der Täter in der Freiheit seiner Entscheidung, am Verfahren teilzunehmen, beeinträchtigt. Ohne diese Möglichkeit würden viele Antragsgegner zum Sühnetermin erst gar nicht erscheinen. b) Drohendes Pri valklageverfahren Der Täter schließt einen Vergleich in der Regel nicht, weil ihm an einer Aussöhnung mit dem Opfer gelegen ist, sondern er befürchtet die Strafverfolgung auf dem Privatklageweg. c) Vergleichserfüllung aufgrund drohender Zwangsvollstreckung Die Vollstreckungsmöglichkeit hat auf die Motivation des Antragsgegners, einen im Schlichtungsverfahren geschlossenen Vergleich zu erfüllen, keinen besonderen Einfluß. 4. Das Verfahren aus der Sicht der Parteien

a) Cooling out - Die Einschätzung des Antragstellers hinsichtlich der Schwere der durch die Tat erlittenen Beeinträchtigung nimmt mit der Zeitspanne zwischen dem Tatzeitpunkt und dem Tag der Schlichtungsverhandlung ab. - Je größer dieser zeitliche Rahmen ist, desto geringere Bedeutung wird der Tat noch beigemessen. b) Wunsch nach Wiedergutmachung des Schadens - Namentlich dem Verletzten geht es vordringlich um die Restitution des angerichteten Schadens.

A. Einleitung; Thesen

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- Der Wunsch nach Bestrafung des Täters tritt gegenüber dem Restitutionsverlangen zurück. c) Bedürfnis nach einem schnellen und effektiven Verfahren - Die Parteien - und hier insbesondere die Antragsteller - wünschen ein Verfahren, welches eine schnelle und unkomplizierte Konfliktregelung ermöglicht. Insbesondere sollen sämtliche (materiellen) Tatfolgen erfaßt werden, damit eine erneute Befassung mit der Tat in einem zivilrechtliehen Folgeverfahren entbehrlich ist. - Erwartungen wie Aussöhnung oder Erhalt und Normalisierung der zukünftigen Beziehungen stehen demgegenüber erst an nachgeordneter Stelle. 5. Rolle des Schiedsmanns a) Dominierender Einfluß des Schiedsmanns - Die Parteien überlassen dem Schiedsmann die Verhandlungsführung. - Sie ergreifen nicht die Initiative. Üblicherweise schlägt der Schiedsmann einen Vergleich vor. - Die Einigung wird selten allein aufgrund eines ausschließlichen Diskurses zwischen den Parteien gefunden. b) Druckmittel des Schiedsmanns Der Schiedsmann wendet zur Erzielung einer formalen Einigung Druckmittel an. Er droht dem Antragsgegner mit Privatklage bzw. Strafe und dem Antragsteller mit den weiteren Beschwernissen des Privatklageverfahrens. 6. Herstellung der Einigungsbereitschaft während der Verhandlung Es kommt vor, daß eine Einigungsbereitschaft erst während der Verhandlung hergestellt wird. Eine vor der Schlichtungsverhandlung nicht einigungsbereite Partei erkennt hierbei erst während der Verhandlung, daß eine Einigung doch die beste Lösung ist, so daß die Erscheinenspflicht auch positive Seiten hat.

I 0 Gutknecht

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2. Teil, 2. Kap.: Empirische Untersuchung - Parteien

7. Mehrmalige Intervention; tiefere Konfliktursachen a) Keine Bereitschaft der Parteien zu mehrmaligen Sitzungen - Die Parteien sind zu einer auf mehrere Sitzungen verteilten Intervention nicht bereit. - Sie sind in erster Linie an einer zügigen, zeitlich nicht ausgedehnten Regelung des Konflikts interessiert. b) Verhandlungsdauer - Den Parteien ist daher mit einhalb- bis einstündigen Schlichtungsverhandlungen gedient. - In dieser Zeit werden dann alle die Parteien interessierenden Fragen angesprochen. c) Tiefere Konfliktursachen Bei den Parteien besteht nicht der allgemeine Wunsch, in der Schlichtungsverhandlung nach den Ursachen des Konflikts zu forschen.

8. Private Atmosphäre und Nichtöffentlichkeit als Vorteil für die Parteien Die Parteien befürworten die Nichtöffentlichkeit des Verfahrens und dessen entformalisierte, private Atmosphäre.

9. Aufklärung des Tatgeschehens ; Orientierung an der Rechtslage statt Regelung anhand eigener Gerechtigkeitsvorstellungen a) Vergangenheitsorientierte Betrachtung - Die Parteien legen Wert darauf, daß zunächst der Ablauf des Tatherganges gekärt wird. Der Schiedsmann soll - ausgehend von der Aufklärung des Sachverhaltes - eine Bewertung der Angelegenheit unter Einbeziehung rechtlicher Kriterien vornehmen. Die Verwirklichung eigener Gerechtigkeitsvorstellungen tritt zurück. - Mit einer Verhandlung, die die Verursachungsbeiträge nicht thematisiert, die insofern also nicht vergangenheitsorientiert ist, sind die Parteien nicht einverstanden.

A. Einleitung; Thesen

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- Die Parteien legen Wert auf die rechtliche Beurteilung der Tat und erwarten demnach vom Schiedsmann hinreichende rechtliche Kenntnisse und dessen aktive Förderung des Verfahrens, wobei seine Rolle über die eines den Gesprächsfluß verbessemden Mediators hinausgehen soll. - Der Antragsteller möchte vor einer Diskussion über die vergleichsweise Erledigung der Angelegenheit, daß der Antragsgegner sich zur Tat bekennt. Eine Erledigung ohne Schuldfeststellung - wie dies beispielsweise im Strafverfahren nach §§ 153, 153a StPO möglich ist - kommt nicht in Betracht. b) Der Einfluß von Zeugen auf das Verfahren Durch die Hinzuziehung von Zeugen wird der vergangenheitsorientierte Aspekt noch stärker betont. Da aber eine umfangreichere Aufklärung des Sachverhaltes erfolgt, wirkt sich das Hinzuziehen von Zeugen positiv auf die Vergleichsquote aus. Dies liegt daran, daß die Parteien aufgrund des "Beweisergebnisses" das Ergebnis des Privatklageverfahrens absehen können und die vom Beweisergebnis benachteiligte Partei eher einigungsbereit sein wird. c) Orientierung des Vergleichsinhalts an der Rechtslage - Die Parteien legen Wert darauf, daß der Vergleichsabschluß in etwa die Tat im Lichte der zutreffenden rechtlichen Bewertung widerspiegelt. Das Verfahrensergebnis soll sich demnach auch an rechtlichen Maßstäben orientieren. - Ein bewußtes Nachgeben auf Seiten einer Partei wird sich selten finden. 10. Regelungsspektrum des Vergleichs a) Umfassende Regelung der Tatfolgen Im Vergleich werden die Folgen der Tat umfassend geregelt. Dies gilt namentlich für den materiellen Bereich. Ein gerichtliches Verfahren zur Geltendmachung der zivilrechtliehen Ansprüche findet nicht statt. b) Regelung des zukünftigen Parteiverhaltens - Im Vergleich wird, soweit die Parteien Sozialbeziehungen unterhalten, auch deren zukünftiges Verhalten untereinander geregelt. 10*

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2. Teil, 2. Kap.: Empirische Untersuchung- Parteien

- Gegenstand des Vergleichsinhaltes kann aber durchaus auch ein zukünftiges Meiden oder die Reduktion von Beziehungen sein. 11. Reduktion der Beziehungen trotz formal erfolgreicher Verfahrensbeendigung Auch wenn ein Vergleich erzielt werden konnte, heißt dies noch nicht, daß die Beziehung der Parteien für die Zukunft unbelastet ist. Oftmals wird mit dem erfolgreichen Abschluß des Schlichtungsverfahrens dennoch ein faktischer Abbruch der Beziehungen eintreten. 12. Die Vollstreckungsmöglichkeit aus der Sicht des Antragstellers Bei einem Vergleich, der zur Wiedergutmachung die Zahlung eines Geldbetrages vorsieht, legt der Antragsteller Wert auf die von Gesetzes wegen gegebene Möglichkeit der Zwangsvollstreckung. 13. Fehlgeschlagener Sühneversuch Auch ein nicht erfolgreich abgeschlossener Sühneversuch macht Sinn. In vielen Fällen hat der Antragsteller einen eigenen Verursachungsbeitrag erkannt und nimmt aus diesem Grunde Abstand von der weiteren Verfolgung der Tat. 14. Auswahl des Schiedsmanns Die Parteien machen keinen Gebrauch von der im SchAG/NW vorgesehenen Möglichkeit, sich durch Vereinbarung einen an sich örtlich unzuständigen Schiedsmann auszusuchen. 15. Anwaltsbeteiligung Durch die Beteiligung von Rechtsanwälten sinkt die Chance auf eine gütliche Einigung, weil der Anwalt seiner jeweiligen Partei von einer Einigung abrät.

B. Empirische Untersuchung

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B. Empirische Untersuchung I. Anlage der Untersuchung

1. Anonyme schriftliche Befragung Die empirische Untersuchung baut auf den Arbeitshypothesen auf. Von den Parteien mußten Angaben über die interessierenden Themenbereiche sowie die üblicherweise mit zu erhebenden Sozialdaten erlangt werden. In Betracht kam nur eine schriftliche Befragung. Die Erhebung der erforderlichen Daten durch persönliche Interviews schied aus, weil aufgrund der Größe des Untersuchungsgebietes und der geringen Fallzahl pro Schiedsmann in absehbarer Zeit keine auswertbare Datenbasis zu erlangen gewesen wäre 1. Eine Sekundäranalyse bereits erhobener Daten war nicht möglich, weil zur Untersuchungseinheit bislang keine empirischen Untersuchungen durchgeführt worden sind 2 . Wegen der für eine solche Untersuchung unbedingt wichtigen Anonymität konnte nur eine einmalige Befragung, also eine zeitliche Querschnittsanalyse, erfolgen. Bei Fragen, die Einstellungen bzw. Ansichten messen sollen, entfiel somit die Möglichkeit, die Aussagekonstanz beispielsweise durch eine Paneluntersuchung (zeitliche Längsschnittanalyse) 3 , mithin eine zeitlich versetzte erneute Befragung, zu überprüfen. Das Problem, nur eine Momentaufnahme darstellen zu können, taucht aber bei nahezu allen vergleichbaren Erhebungen auf. Bei den Fakt-Fragen, also solchen Fragen, die sich nicht auf Einstellungen oder Meinungen beziehen, ist indes von einer wesentlich höheren Aussagekonstanz auszugehen, da hier nur Veränderungen durch Gedächtnisverluste der Parteien zu erwarten sind. Die Quantifizierbarkeit der ermittelten Merkmale und Aussagen wird sich lediglich als Nominalskalierung darstellen lassen. Die auf der Ebene der Objekte erforderliche Möglichkeit, diese auf Gleichheit in Bezug auf die interessierende Dimension zu unterscheiden, ist gegeben. Skalen können danach klassifiziert werden, welche Transformationen für sie zulässig sind. Im Wirkungsbereich der Nominalskalen ist das Zählen die einzig zulässige Operation. Vorteil der Nominalskalierung ist aber, daß sie sich (was wohl unstreitig ist) grundsätzlich auf alle Sachverhalte, mithin auch auf gesellschaftswissenschaftliche Fragen anwenden läßt4 . Vorliegend handelt es sich um ein reaktives Meßverfahren, da die Untersuchungsobjekte sich bewußt darüber sind, Gegenstand einer Untersuchung 1 2

3 4

V gl. insgesamt Friedrichs, Methoden ... , S. 236 ff. Vgl. Friedrichs, S. 237. V gl. Mayntz/Holm/Hübner, Einführung .. ., S. 103 ff. Clauß/Ebner, Statistik .. ., S. 25 ff.

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2. Teil, 2. Kap.: Empirische Untersuchung- Parteien

zu sein, wobei dann naturgemäß die Möglichkeit besteht, auf den Datenerhebungsvorgang selbst zu reagieren 5 . Solche Reaktionen können häufig nicht von den inhaltlichen Reaktionen, etwa der sinnvollen Antwort auf eine Frage, getrennt werden. Bei der Konstruktion der Fragebögen waren besonders die sogenannten Ausstrahlungseffekte und Zustimmungstendenzen6 zu berücksichtigen, wobei allerdings bei schriftlichen Befragungen eingeräumt werden muß, daß sich namentlich Ausstrahlungseffekte - auch unter Zuhilfenahme technischer Konstruktionshilfen7 - kaum vermeiden lassen, da sich der Befragte vor dem Ausfüllen des Fragebogens einen Überblick über diesen verschaffen kann 8.

2. Gestaltung der Fragebögen Zunächst wurde je ein Fragebogen für den Antragsteller und den Antragsgegner entworfen9 . Beim Entwurf der Fragebögen wurde darauf geachtet, die Fragen in möglichst einfacher Sprache unter Vermeidung von Fachausdrücken zu formulieren. Es wurden - je nach Erforderlichkeit - offene, geschlossene und Hybridfragen, also Kombinationen aus offenen und geschlossenen Fragen, entwickelt. Fragen, die bei den jeweiligen Parteien das Auftreten sog. NonAttitutes erwarten ließen, wurden, zur Gewinnung einer substantiellen Antwort, um eine explizite "weiß-nicht"-Antwortmöglichkeit erweitert. Damit ein flüssiges Ausfüllen der Bögen gewährleistet war, wurden vor Bereichen, die aufgrund der besonderen Umstände der betreffenden Verhandlung nicht sämtliche befragten Personen betrafen, besondere Filterfragen eingebaut.

3. Pretest des Erhebungsinstruments Zur Überprüfung des vorläufigen Meßinstruments wurde ein Pretest durchgeführt. Hierbei hat der Verfasser - im Einverständnis mit den jeweiligen Parteien - im September/Oktober 1991 an mehreren Schlichtungsverhandlungen in Strafsachen im Raume Leverkusen beobachtend teilgenommen und Vgl. Schnell/Hili/Esser, Methoden .. ., S. 322. Siehe hierzu unten 2. Teil, 2. Kap., B., II., 2., h), bb). 7 Hierbei ist an besondere Frageformulierungen, einen besonderen Fragebogenaufbau etc. zu denken. Allerdings kann unter bestimmten Umständen ein technisch perfektioniertes Instrument sogar stärkere Verzerrungen bedingen, vgl. Esser, Können Befragte lügen? ... , S. 330f. 8 Vgl. Schnell/Hili/Esser, Methoden ... , S. 330. 9 Fragebogen "1" (Antragsteller) siehe Anhang : I; Fragebogen "II" (Antragsgegner) siehe Anhang: II. 5 6

B. Empirische Untersuchung

151

nach der Verhandlung den betreffenden Parteien den entsprechenden Fragebogen zum Ausfüllen vorgelegt. Bei diesem Vorgehen sollte in Gegenwart des Verfassers überprüft werden, ob die Bedeutung der Fragen von den Beteiligten richtig verstanden wird und ob deren Beantwortung bzw. die Konzeption des Bogens Schwierigkeiten bereitet. Kam es bei dieser Gelegenheit zu Verständnisschwierigkeiten oder anderen im Zusammenhang mit der Konzeption des Fragebogens auftauchenden Problemen, so konnte diesem Umstand durch entsprechendes Abändern des jeweiligen Fragebogens bereits in der nächsten Sitzung Rechnung getragen werden. Außerdem wurden die Fragebögen "unbeteiligten Dritten" vorgelegt, um das Meßinstrument einer weiteren Prüfung auf Verständlichkeit zu unterziehen. In der Endfassung wurden die Fragebögen vercodet, damit eine Eingabe der Antworten in ein EDV-Datenerfassungsprogramm 10 möglich war. Die Auswertung der Daten erfolgte auf dem Programm zur statistischen Datenanalyse: SPSS/PC+ 11 . 4. Mitwirkungserfordernis und Auswahl der Schiedsmänner

Die Verteilung der in der Endfassung erstellten Fragebögen konnte nur über die Schiedsmänner vorgenommen werden, weil jeder Schiedsmann seinen Bezirk selbständig führt und insofern keine Registratur anstehender Verhandlungen erfolgt. Bei der Festlegung der Zahl der in die Untersuchung einzubeziehenden Schiedsmänner mußten die zeitlichen Möglichkeiten des Verfassers sowie das Interesse an einer in Bezug auf den Beginn der Untersuchung zeitnahen Veröffentlichung berücksichtigt werden. Die Untersuchung konnte Ende Dezember 1991 beginnen. Der gesteckte zeitliche Rahmen machte eine Untersuchungsdauer bis zum 15. April 1992 möglich, wobei allerdings im Falle eines ungenügenden Rücklaufs auch eine Verlängerung der Untersuchung möglich gewesen wäre. Der gewählte Zeitraum erschien daneben insofern günstig, weil mit einem konstanten und nicht durch Sommerferien verminderten Fallaufkommen zu rechnen war. Insgesamt wurden jeweils etwa 80 ausgefüllte Fragebögen benötigt, damit 10 PED- Programm zur Daten- und Texterfassung, Universität zu Köln, Rechenzentrum. 11 Abkürzung für: Statistical Package for the Social Seiences for IBM PC, Microsoft.

152

2. Teil, 2. Kap.: Empirische Untersuchung- Parteien

angesichts der vorgesehenen Kombinationen von Variablen unter Berücksichtigung deren durchschnittlicher Zahl von Merkmalsausprägungen mit etwa zehn Fällen pro Zelle gerechnet werden konnte 12 • Bei der Ermittlung des mittleren Fallaufkommens pro Schiedsmann wurden die Verlautbarungen des BDS zugrunde gelegt, wonach 1989 die in Nordrhein-Westfalen tätigen 1.309 Schiedsmänner 10.198 Fälle zu bearbeiten hatten, in welchen beide Parteien erschienen waren. Dies bedeutet, daß für jeden Schiedsmann pro Jahr mit ca. 7,8 auswertbaren Schlichtungsverhandlungen in Strafsachen gerechnet werden konnte. Letztlich war also pro Schiedsmann mit weniger als einem Fall (0,65) pro Monat zu rechnen. Neben des geringen Fallaufkommens war noch eine bei schriftlichen Befragungen ebenfalls als gering zu veranschlagende Rücklaufquote, die sich zwischen 7% und 70% bewegen kann 13 , zu berücksichtigen. Insofern bestand nämlich das Erfordernis, sowohl die Schiedsmänner als auch über die Schiedsmänner die Parteien zur Mitarbeit zu bewegen. Die Ausdehnung der Untersuchung auf 300 Schiedsmänner ließ unter Berücksichtigung der geschilderten Rahmenbedingungen einen ausreichenden Rücklauf vermuten 14• Während des Untersuchungszeitraums konnte mit etwa 877 erfaßten Fällen gerechnet werden (0,65 x 4,5 x 300 = 877,5). Auch unter Berücksichtigung einer geringen Rücklaufquote konnte so von mindestens jeweils 80 ausgefüllten Fragebögen ausgegangen werden. Hinsichtlich der Adressen der nordrhein-westfälischen Schiedsmänner konnte nicht auf eine vorhandene Datei zurückgegriffen werden. Weder beim Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen noch beim BDS 15 sind die Anschriften der Schiedsmänner gesammelt. Vielmehr melden die einzelnen Kommunen die Adressen der Schiedsmänner nur den Amtsgerichten. Von dort erfolgt keine Weiterleitung der Adressdaten. Im Juni 1991 wurde daher ein Anschreiben an alle Direktoren der Amtsgerichte in Nordrhein-Westfalen versandt 16, in welchem die Bitte geäußert wurde, die Schiedsmannsadressen dem Verfasser zuzuleiten. Erst Ende Oktober 1991 lagen sämtliche Anschriften vor, da eine nicht unerhebliche Anzahl von Amtsgerichtsdirektoren dem Auskunftsersuchen aus Datenschutzgründen Vgl. Friedrichs, Methoden ... , S. 146f. Friedrichs, Methoden . .., S. 237, 241 f. 14 Vgl. zur Stichprobenproblematik Friedrichs, Methoden ... , S. 123 ff. ; 243 ff. 15 Nach Auskunft des BDS verfügt man nur über die Adressen derjenigen Schiedsmänner, die auch Mitglied im BDS sind. Da nicht alle Schiedsmänner dem BDS angehören, kam eine Auswahl aus der dortigen Datei nicht in Frage, weil durch ein solches Vorgehen bereits eine Verfälschung des Untersuchungsergebnisses denkbar gewesen wäre. 16 Schreiben an die Amtsgerichtsdirektoren in Nordrhein-Westfalen siehe Anhang: IX; Empfehlungsschreiben Prof. Walter siehe Anhang: X. 12

13

B. Empirische Untersuchung

153

nicht unmittelbar entsprechen wollte 17 , so daß auf dem Dienstwege über die Präsidenten der Landgerichte, die Präsidenten der Oberlandesgerichte und letztlich den Justizminister für das Land Nordrhein-Westfalen eine entsprechende Genehmigung eingeholt wurde. Aus dem vollständigen Adressenmaterial wurden in einem randomisierten Verfahren 300 Schiedsmänner auswählt. Zunächst wurde aus jedem Amtsgerichtsbezirk ein Schiedsmann ausgewählt, was zu 133 Schiedsmannsadressen führte. Die Auswahl unter den Schiedsmännern des jeweiligen Amtsgerichtsbezirks erfolgte zufällig, indem jedem Schiedsmann des jeweiligen Bezirks eine Nummer zugewiesen wurde. Über die Nummern eines jeden Bezirks wurde sodann ein Schiedsmann ausgelost. Hierdurch war eine Streuung der Untersuchung auf das gesamte Gebiet von Nordrhein-Westfalen gewährleistet. Die übrigen 167 Adressen wurden aus dem verbleibenden Adressenmaterial ausgelost. Jedem Schiedsmann wurde eine Nummer zugeordnet. Sodann wurden 167 Nummern ausgelost, so daß sich auch hier eine zufällige Auswahl ergab.

5. Ablauf der Untersuchung Die so ausgewählten Schiedsmänner erhielten im Dezember 1991 em Anschreiben 18 nebst zweier Empfehlungsschreiben 19 • Sie wurden gebeten, während des Untersuchungszeitraumes - Ende Dezember 1991 bis 15. April 1992 - nach einer jeden Schlichtungsverhandlung in Strafsachen den betreffenden Parteien ein Exemplar des für sie bestimmten Fragebogens20, versehen mit Ausfüllanleitung 21 , Empfehlungsschreiben22 und Rückumschlag23 , mit der Bitte, diesen zu Hause sofort auszufüllen, mitzugeben. Die ausgefüllten Fragebögen sollten von den Parteien 17 Überwiegend erfolgte die Einholung der überörtlichen Entscheidung nach Maßgabe des Abschnittes I Nr. 2 der Rundverfügung des Justizministers des Landes Nordrhein-Westfalen vom 02. 09. 1988- 1410- I B. 88. 18 Anschreiben an die Schiedsmänner von Dezember 1991 siehe Anhang: V. 19 Empfehlungsschreiben Prof. Walter (Schiedsleute) vom 14. II. 1991 siehe Anhang: VII ; Empfehlungsschreiben BDS vom 21.11. 1991 siehe Anhang : VIII. 2o Siehe Anhang: I; II. 21 Ausfüllanleitung aus Dezember 1991 mit Anschreiben des Verfassers siehe Anhang: III. 22 Empfehlungsschreiben Prof. Walter (Parteien) vom 14.11.1991 Anhang : IV. 23 Es handelte sich um einen an den Verfasser adressierten, unfrankierten Rückumschlag mit den Vermerken "Rückantwort" - "Gebühr zahlt Empfänger", so daß eine für die Parteien unentgeltliche Postzustellung an den Verfasser gewährleistet war.

154

2. Teil, 2. Kap.: Empirische Untersuchung - Parteien

sodann mit dem vorgefertigten Rückumschlag unmittelbar an den Verfasser abgeschickt werden. Jedem der 300 ausgewählten Schiedsmänner wurde - ausgehend vom ermittelten mittleren Fallaufkommen - ein Päckchen mit einem Materialsatz für je 5 Verhandlungen übersandt. Mithin sind 3.000 Fragebögen ( 1.500 für Antragsteller und 1.500 für Antragsgegner) nebst der entsprechenden Anlagen verschickt worden. In das Anschreiben an die Schiedsmänner wurde ein Vermerk aufgenommen, wonach im Falle der Verhinderung der betreffende Amtsinhaber gebeten wurde, die Untersuchungsunterlagen seinem Vertreter zu übergeben 24 . Hierdurch sollte eine möglichst umfassende Ausnutzung des Untersuchungsmaterials gewährleistet werden. Gleiches sollte für den Fall gelten, falls mit weniger als 2 Verhandlungen innerhalb des Untersuchungszeitraumes zu rechnen war25 . Dem Anschreiben war ein von den Amtsinhabern auszufüllendes Rückantwortschreiben26 mit frankiertem Freiumschlag beigefügt, in welchem Angaben zur Anzahl der Verhandlungen, deren Ergebnis sowie den Fällen, in welchen sich eine oder beide Parteien geweigert haben, die Fragebögen anzunehmen, erbeten wurden. Gleichzeitig bestand die Möglichkeit, im Bedarfsfalle weitere Fragebögen anzufordern 27 sowie den Wunsch zu äußern, über das Untersuchungsergebnis schriftlich informiert zu werden 28 . II. Ergebnisse der empirischen Untersuchung

1. Rücklauf

Insgesamt erfaßte Verhandlungen: Rücklauf (Fragebögen): Absolut Quote (gesamte erfaßte Verhandlungen)

368 Gesamt

Antragsteller

Antragsgegner

257

148

109

40,21%

29,61 %

Siehe Anhang: V. Von der Möglichkeit den Materialsatz weiterzuleiten wurde nur in 4 Fällen Gebrauch gemacht, da in den hierfür in Betracht kommenden zumeist ländlichen Gegenden kein Kollege mit entsprechender Fallzahl zur Verfügung stand. 26 Rückantwortschreiben siehe Anhang: VI. 27 Von dieser Möglichkeit wurde zweimal Gebrauch gemacht. 28 Durch dieses Angebot sollte das Interesse der Schiedsmänner an der Mitwirkung geweckt werden. 24

25

B. Empirische Untersuchung

!55

Der Rücklauf der Bögen begann am 03.01.1992. Eingänge konnten bis zum 15. 06. 1992 berücksichtigt werden. Gemäß den Rückantwortschreiben der Schiedsmänner haben sich von den 300 angeschriebenen Schiedsmännern 107 an der Untersuchung beteiligt, was einer Quote von 35,7% entspricht. Allerdings haben stichprobenartige Rückfragen ergeben, daß teilweise die Rückantwortschreiben deswegen nicht in den Rücklauf gekommen sind, weil der betreffende Amtsinhaber während des Untersuchungszeitraumes keine Fälle zu bearbeiten hatte und davon ausging, an der Rücksendung bestünde kein Interesse. Folglich ist von einer höheren formalen Beteiligung auszugehen. Erfaßt wurden insgesamt 368 Verhandlungen, die in 206 Fällen - oder 56% - mit einem Vergleich abgeschlossen werden konnten, was in etwa auch der durchschnittlichen üblichen Vergleichsquote entspricht 29 . Das durchschnittliche Fallaufkommen pro Schiedsmann lag im Untersuchungszeitraum bei 3,44 Fällen und ergibt auf das Jahr hochgerechnet eine Belastung von 9,17 Fällen, die leicht überdurchschnittlich ist30 . Diese (geringe) Abweichung läßt sich aber mit dem bereits angesprochenen Umstand erklären, daß nicht alle Amtsinhaber, die während des Untersuchungszeitraumes keinen Fall zu bearbeiten hatten, auch ein entsprechend ausgefülltes Rückantwortschreiben abgesandt haben. Bei den 368 erfaßten Verhandlungen waren in 266 Fällen beide Parteien bereit, einen Fragebogen mit nach Hause zu nehmen, was einer Quote von 72% entspricht. In 64 Fällen - oder 17,4% - haben sich beide Parteien geweigert einen Bogen anzunehmen. In 9 (2,5%) Fällen hat nur der Antragsteller die Mitarbeit verweigert; bei den Antragsgegnern war dies 29 mal (7 ,9%) der Fall. Insgesamt haben also in 27,8 % aller erfaßten Fälle entweder beide Parteien oder nur eine Partei die Annahme eines Fragebogens verweigert. Diese Werte erscheinen angesichts der recht ungünstigen Situation, in welcher die Parteien mit der Untersuchung konfrontiert worden sind - nämlich unmittelbar nach der Verhandlung -, als sehr zufriedenstellend, was ein Indiz für die Bemühungen der Schiedsmänner bei der Mitwirkung an der Untersuchung sein dürfte. Ausgehend von den bereits dargestellten Rücklaufzahlen ergeben sich unter Zugrundelegung der 368 erfaßten Verhandlungen Rücklaufquoten für die Antragsteller von 40,21 % und die Antragsgegner von 29,61%. Bereinigt man diese Werte um die Verhandlungen, in welchen sich eine oder beide Parteien geweigert haben, einen Bogen mitzunehmen, so ergibt sich hinsichtlich Siehe oben I. Teil, C., lll., I. Zum durchschnittlichen Fallaufkommen aller Schiedsmänner siehe oben I. Teil, C., III., I. 29

30

!56

2. Teil, 2. Kap.: Empirische Untersuchung - Parteien

der tatsächlich ausgehändigten Bögen bei den Antragstellern eine Rücklaufquote von 50,17% sowie bei den Antragsgegnern von 39,64%. Die Rücklaufquote ist angesichts des notwendigen Umfanges der Fragebögen zumindest zufriedenstellend. Der Umstand, daß die Antragsteller durchweg eine niedrigere Verweigerungsquote aufweisen, überrascht nicht, da diese Personen bereits durch die Einschaltung des Schiedsmanns initiativ werden mußten. Insofern konnte hier eine grundsätzlich höhere Mitwirkungsbereitschaft vermutet werden. Die vergleichsweise geringere Kooperationsbereitschaft der Antragsgegner läßt sich aus der schon durch die Parteibezeichnung negativ besetzten Verfahrensrolle erklären, so daß aufgrund dieses Umstandes wohl ein geringeres Interesse vorhanden war, einer Bitte des Schiedsmanns bzw. des Verfassers zu entsprechen.

2. Ergebnisse In die Auswertung konnten insgesamt 251 Fragebögen einbezogen werden, wobei sich die Differenz zum Gesamtrücklauf von 257 Fragebögen daraus ergibt, daß 6 Exemplare erst nach Fertigstellung der EDV-gestützten Auswertung eingegangen sind. Diese Bögen fügen sich aber in das Bild der Untersuchung, so daß eine gesonderte Auswertung nicht erforderlich erschien. Im Verlauf der folgenden Darstellung der Ergebnisse wird an der jeweiligen Stelle die Thematik der oben dargelegten Thesen behandelt werden. a) Statusangaben der Parteien Insgesamt wurden 144 Antragstellerfragebögen Antragsgegnerfragebögen ausgewertet (42,6 %).

(57,4%)

aa) Geschlecht Geschlecht der Parteien Antragsteller

Antragsgegner

Männlich

53,5 %

72,9 %

Weiblich

42,4 %

25,2%

3,5%

1,9 %

KA3t

3t

KA =keine Angabe

und

107

B. Empirische Untersuchung

157

Auf Seiten der Antragsteller waren 77 (53,5%) Männerund 61 (42,4%) Frauen vertreten. Hingegen gab es bei den Antragsgegnern mit 78 (72,9%) Männem zu 27 (25,2%) Frauen einen deutlichen Überhang der männlichen Seite. Dieser Umstand läßt sich aus der ohnehin geringeren Kriminalitätsbelastung der weiblichen Bevölkerung erklären, zumal bei den hier in Rede stehenden Beleidigungsdelikten die "Verfolgungsintensität" durch den Verletzten bei einer weiblichen Täterschaft nicht so stark ausgeprägt sein dürfte. Weiterhin ist anzunehmen, daß Frauen an der Begehung von Delikten mit einer Gewaltkomponente, wie etwa der im Schiedsmannsverfahren häufig vorkommenden Körperverletzung, ohnehin seltener beteiligt sind. Die Ergebnisse fügen sich gut in das Bild der polizeilichen Kriminalstatistik. Dort entfiel hinsichtlich sämtlicher bekanntgewordener Straftaten auf männliche Tatverdächtige eine Quote von 77,5% und auf weibliche Tatverdächtige von 22,4% 32 . Bei der vorsätzlichen (leichten) Körperverletzung und der Beleidigung ergaben sich Werte von 87,6% bzw. 12,4 % und 78,5% und 21,4% 33 . bb) Alter Altersstruktur der Parteien

Alter in Jahren

Antragsteller

Antragsgegner 6,7 %35

Tatverdächtige 1991 34

16 bis unter 23

12,0%

23 bis unter 30

10,4 %

14,3 %

25,2%

20,6%

30 bis unter 40

26,9%

23,8 %

23,5 %

40 bis unter 50

18,0%

17,1 %

14,6%

50 bis unter 60

16,4%

20,0 %

9,7 %

60 und älter

16,4%

18,1 %

6,5 %

Das Alter der Parteien umfaßt nahezu die gesamte Bandbreite der in Frage kommenden Altersgruppen. Der jüngste Antragsteller war 16 Jahre alt, der älteste immerhin 82 Jahre. Der jüngste Antragsgegner war 19jährig, Polizeiliche Kriminalstatistik 1991, S. 71. Ebd. 34 Grunddaten aus der Polizeilichen Kriminalstatistik Berichtsjahr 1991 , Tabelle 20, Blatt I entnommen (Straftaten insgesamt). Straftaten von Kindern und Jugendlichen wurden herausgerechnet 35 Antragsgegner ab 18 Jahren, vgl. oben I. Teil, C. I., 4. 32 33

158

2. Teil, 2. Kap.: Empirische Untersuchung- Parteien

der älteste Antragsgegner hatte - ebenso wie bei den Antragstellern - ein Alter von 82 Jahren erreicht. Das Durchschnittsalter betrug bei den Antragstellern etwa 42,5 Jahre und bei den Antragsgegnern 44 Jahre. Erstaunlich ist, daß die Antragsgegner von der Altersgruppe ab 36 Jahren, also Personen, die sich bereits in der zweiten Lebenshälfte befinden, mit über der Hälfte repräsentiert werden, obwohl bekanntlich mit fortschreitendem Alter an sich ein Rückgang der Kriminalitätsbelastung zu erwarten ist. Dieser Umstand ist aber mit der Struktur der Privatklagedelikte (Beleidigungen, etc.) und damit zu erklären, daß ein sehr hoher Anteil an Nachbarschaftsstreitigkeiten (42,6%) zu verzeichnen war36 . Ein Vergleich der Altersstruktur der Antragsgegner mit dem Altersgefüge der im Jahr 1991 ausweislich der Polizeilichen Kriminalstatistik ermittelten Tatverdächtigen ergibt deutlich eine relative Überalterung der Antragsgegner. Hingegen sind die Antragsgegner bis unter 30 Lebensjahren beim Schiedsmann verhältnismäßig unterrepräsentiert. Auch dieser Umstand läßt sich aus der oben erwähnten Deliktsstruktur erklären. cc) Familienstand Familienstand der Parteien Antragsteller Ledig Lebensgemeinschaft Verheiratet

25,7% 4,9% 30,6% 52,1%

Antragsgegner 19,6%

Bevölkerung am 31. 12. 198937 27,7%

10,3% 29,9% 55,1%

57,3 %

Verwitwet

4,2 %

3,7 %

10,1%

Geschieden

11,1 %

9,3%

4,9 %

2,1%

1,9%

KA

Keine auffälligen Unterschiede ergaben sich beim Familienstand der Parteien. Sowohl die Antragsteller als auch die Antragsgegner sind überwiegend verheiratete Personen, gefolgt von der Gruppe der Ledigen. Bei den Antragstellern überwiegt im Vergleich zu den Antragsgegnern leicht die Siehe hierzu unten 2. Teil, 2. Kap., B., II., 2., c), aa). Altes Bundesgebiet; Grunddaten entnommen aus dem Statistischen Jahrbuch 1992, Tabelle : 3.11, S. 66. Die unter 15jährigen Personen wurden herausgerechnet Männliche und weibliche Personen wurden zusammengefaßt. 36 37

B. Empirische Untersuchung

159

Gruppe der Geschiedenen, wohingegen bei den Antragsgegnern die Personen, die in einer Lebensgemeinschaft leben, etwas stärker vertreten sind. Die Parteien unterscheiden sich hinsichtlich ihres Familienstandes auch nicht auffällig von der Wohnbevölkerung. Es gibt lediglich mehr geschiedene als verwitwete Parteien. Insofern sind die Verhältnisse zur Wohnbevölkerung umgekehrt, was sich aus der Altersstruktur der Parteien erklären dürfte. In der Wohnbevölkerung gibt es verhältnismäßig mehr Personen, die über 70 Jahre alt sind. Dort reicht der Prozentsatz der Verwitweten bis 77% 38 . Ähnliches gilt (umgekehrt) in Bezug auf die geschiedenen Personen. Hier weist die Statistik bei den männlichen bzw. weiblichen Personen im Alter zwischen 40 und 45 Jahren beispielsweise eine Quote von 8,3% und 10,2% auf39 . Personen mittleren Alters sind aber ausweislich der Alterstruktur beim Schiedsmann recht häufig vertreten. dd) Ausbildung, Berufstätigkeit, ausgeübter Beruf Ausbildung Schulabschluß

Antragsteller

Antragsgegner

Bevölkerung im April 198940

0,7 %

0,9 %

1,1 %

Hauptschule

47,9%

51 ,4%

64,2 %

Realschule

23,6%

21,5%

19,2%

9,7%

7,5%

15,5 %

ohne Abschluß

Abitur Hochschule KA

11,8% 21,5% 6,3%

13,1% 20,6% 5,6 %

Die Parteien unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Ausbildung nicht nennenswert. Der Hauptschulabschluß überwiegt. Ein knappes Viertel kann einen Realschulabschluß vorweisen. Der Vergleich mit der Bevölkerung ergibt ein höheres Ausbildungsniveau auf Seiten der Parteien. In der Bevölkerung wird deutlich häufiger der Hauptschulabschluß angetroffen. Hier kann aber durchaus auch eine Verzerrung des tatsächlichen Bildes vorliegen, da sowohl die Lektüre als auch das Ausfüllen des recht umfangreichen Statistisches Jahrbuch 1992, Tabelle: 3.11, S. 66. Ebd. 40 Grunddaten aus dem Statistischen Jahrbuch 1992 entnommen, Tabelle: 16.1, Seite 410. Die Personen unter 20 Jahren wurden herausgerechnet 38 39

2. Teil, 2. Kap.: Empirische Untersuchung - Parteien

160

Fragebogens eine gewisse Mitwirkungsbereitschaft und ein entsprechendes Mitwirkungsvermögen erfordern, welches eher bei Personen mit einer höheren Schulausbildung zu erwarten ist. Personen, die sich das Ausfüllen eines solchen Bogens nicht zutrauen, werden den Fragebogen entweder bereits nicht angenommen oder jedenfalls nicht ausgefüllt haben. Berufstätigkeit Antragsteller berufstätig Ausbildung

54,2% 6,3% 60,5 %

Antragsgegner 63,6% 2,8% 66,4 %

nicht berufstätig

20,8%

18,7 %

Rentner

16,7 % 37,5 %

13,1 % 31,8 %

KA

2,1%

Bevölkerung im April 19904 1

49,6% Erwerbspersonen 50,4 % Nichterwerbspersonen

1,9%

Die Parteien sind überwiegend berufstätig. Dies gilt insbesondere für die Antragsgegner. In etwa gleich stark ist die Gruppe der Rentner und der Personen, die keiner Beschäftigung nachgehen. Im Vergleich zur Bevölkerung sind die erwerbstätigen Personen etwas stärker vertreten, was aber an der Zählweise liegen dürfte, da in der amtlichen Zählung auch Kinder und Jugendliche miterfaßt werden. Diese Personengruppe zählt indes in der Regel nicht zur Klientel des Schiedsmanns. Auch hinsichtlich des jeweils ausgeübten Berufs unterscheiden sich die Angaben von Antragstellern und Antragsgegnern nicht wesentlich. Die stärkste Gruppe besteht aus Arbeitern sowie den Angestellten. Bei den Antragsgegnern finden sich im Vergleich zu den Antragstellern mehr Arbeiter. Allerdings ist der Unterschied, angesichts der teilweise bestehenden Schwierigkeit der Zuordnung eines Berufs, nicht weiter bedeutsam. Wesentliche Abweichungen zur erwerbstätigen Bevölkerung können nicht festgestellt werde. Auffällig ist, daß die Daten der Antragsteller fast identisch mit den Werten der amtlichen Statistik sind.

41

Statistisches Jahrbuch 1992, Tabelle: 6.1 , Seite 109.

B. Empirische Untersuchung

161

Ausgeübter Beruf Beruf

Antragsteller

Antragsgegner

Erwerbstätige im April 199042

Selbständige

7,7%

4,2%

8,8%

Beamte

7,7%

8,3%

8,5%

Angestellte

43,3%

34,8%

43,3%

Arbeiter

38,5%

50,0%

37,4%

Hausfrauen

2,9%

2,8%

N43

104

72

ee) Nettoeinkommen Nettoeinkommen Nettoeinkommen Antragsteller in DM bis 800

10,6%

Antragsgegner

Erwerbstätige im April 199044

8,0%

bis

bis 1.200 DM 8,6%

800 bis 1.200

6,4 %

8,0%

1.200 bis 2.000

23,4%

21,3%

2.000 bis 3.000

34,0% 57,4%

36,0% 57,3%

3.000 bis 4.500

13,8%

17,3%

über 4.500

11 ,7% 25,5%

N

94

9,3% 26,6 %

800 DM 13,1%

bis 3.000 DM 58,8% mehr als 3.000 DM 19,5%

75

Ebenfalls keine auffälligen Unterschiede zeigen sich beim Vergleich der Nettoeinkommen der Parteien. Erwartungsgemäß verweigerten hier auf beiden Seiten eine nicht unerhebliche Anzahl von Personen die erbetene Auskunft. Bei den Parteiangaben zeigt sich auch hier eine weitgehende Übereinstimmung mit den Werten der Bevölkerung. 42 Statistisches Jahrbuch 1992, Tabelle: 6.5, Seite, 114. Dort sind weiterhin "mithelfende Familienangehörige" mit 2,0% angegeben. 43 N = gezählte Fälle unter Abzug der Fälle, in denen keine verwertbare Angabe zu der betreffenden Frage gemacht worden ist. 44 Statistisches Jahrbuch 1992, Tabelle: 6.6.4, Seite. 117; Werte ohne Selbständige in der Landwirtschaft, aber einschließlich der Auszubildenden.

II Gutknecht

162

2. Teil, 2. Kap.: Empirische Untersuchung - Parteien ff) Diskussion

Die Sozialdaten der Parteien auf Antragsteller- und Antragsgegnerseite unterscheiden sich nicht wesentlich voneinander. Im übrigen scheinen die Parteien recht unauffällige, "normale" Personen zu sein, deren Sozialdaten keine auffälligen Abweichungen zur übrigen Bevölkerung erkennen lassen. Dies ergibt aus dem Vergleich der jeweiligen Parteiangaben mit den amtlichen Statistiken. Insofern dürften sich beim Schiedsmann häufig Personen gegenüberstehen, die einem zumindest vergleichbaren sozialen Umfeld entstammen. Dies zeigt sich auch an dem noch darzustellenden erheblichen Anteil an Nachbarstreitigkeiten45 . Bei einer Nachbarstreitigkeit kann mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, daß die Parteien in ähnlichen sozialen Verhältnissen leben. Dies ergibt sich aus der oftmals gleichförmigen Struktur eines Wohngebietes. Der Schiedsmann wird demnach nur selten mit dem Problem befaßt sein, zwischen den Parteien bestehende Machtunterschiede, soweit sich diese auf den sozialen Status beziehen, durch eine entsprechende Verhandlungsführung zu kompensieren. Die eingangs der Arbeit dargestellte gesetzgebensehe Intention, vor dem Schiedsmann sollten Konflikte der "kleinen Leute" ausgetragen werden, scheint auch aus heutiger Sicht von der Rechtswirklichkeit nicht widerlegt zu werden. b) Die Tat aa) Deliktstypen Die Delikte, die zum Sühneversuch anstanden, waren aufgrund der eingeschränkten Zuständigkeit des Schiedsmanns nur dem Katalog der Privatklagedelikte zu entnehmen. In der Fragestellung war eine Kombination verschiedener Tatbestände zugelassen. Dies erfolgte, weil zu vermuten war, daß bei einem an den Schiedsmann herangetragenen Konflikt oftmals eine Kombination mehrerer Tatbestandsverletzungen gegeben ist. Hierbei kristallisierte sich heraus, daß Körperverletzungen oftmals mit Beleidigungen, aber auch mit Sachbeschädigungen, Bedrohungen und Hausfriedensbruch einhergehen. Die Beleidigung war häufig ebenfalls mit Sachbeschädigung, Bedrohung und/oder Hausfriedensbruch kombiniert. Solche Verbindungen sind auch naheliegend, da die hier in Rede stehenden Strei45

Siehe unten 2. Teil, 2. Kap., B., II., 2. c), aa).

B. Empirische Untersuchung

163

tigkeiten oft komplexer Natur sind, was sich an der häufig gegebenen Vorgeschichte des Konfliktes zeigt46 . Deliktstypen (Parteiangaben47 ) Tatbestand

Prozentuale Angaben Addition:

- Körperverletzung

15,5%

- Körperverletzung i. V. m. Beleidigung und/oder Sachbeschädigung; Bedrohung; Hausfriedensbruch

23,1%

- Beleidigung

28,7%

- Beleidigung i. V.m. Sachbeschädigung und/oder Bedrohung, Hausfriedensbruch

14,3%

- Sachbeschädigung

11,6%

- Hausfriedensbruch

1,2%

- Bedrohung

2,0%

- Verletzung des Briefgeheimnisses

0,4%

38,6%

43,0%

KA = 3,2%

Der Schwerpunkt der angegebenen Delikte liegt im Bereich der Beleidigung, aber auch der Körperverletzung, vor allem in Verbindung mit anderen Delikten. Auch spielt die "isolierte" Sachbeschädigung noch eine nennenswerte Rolle. Die übrigen Delikte haben, jedenfalls soweit es um deren alleiniges Vorliegen geht, keine Bedeutung. bb) Deliktstyp und Einigungsquote Die Einigungsquote vor dem Schiedsmann ist nicht vom Deliktstyp abhängig. Lediglich Körperverletzungsdelikte weisen eine etwas geringere Einigungsquote auf. Ansonsten zeigen sich nur geringe Schwankungen. Dies mag daran liegen, daß bei den hier in Rede stehenden Delikten aufgrund deren Zuordnung zu den Privatklagedelikten eine gewisse Verwandtschaft besteht und die Verletzungshandlung in der Regel persönlichen Charakter hat. 46

Zur Vorgeschichte der Konflikte siehe unten 2. Teil, 2. Kap., B., II., 2., f), aa),

(2), (a).

47 Soweit zwischen den Angaben von Antragstellern und Antragsgegnern keine wesentlichen Unterschiede bestehen, erfolgt eine zusammengefaßte Darstellung. II *

164

2. Teil, 2. Kap.: Empirische Untersuchung- Parteien

Deliktstyp/Vergleichsquote (Co! Pct) Deliktstyp:

Vergleichsabschluß: Ja Nein

Körperverletzung

60,5%

39,5%

Beleidigung

70,4%

29,6%

Körperverletzung und Beleidigung48

65,5%

34,5%

62,9%

37,1%

69,0%

31,0%

Beleidigung und

Sachbeschädigung49

Sachbeschädigung

c) Beziehung zum Gegner aa) Art der Beziehung

Bekanntschaft vor der Tat Art der Bekanntschaft: Unbekannt

14,7%

Nachbar

42,6%

"vom Sehen"

19,5%

Freund, Bekannter

7,2%

Verwandter im weiteren Sinne

4,4%

Gast, Vertragspartner

2,8 %

Arbeitskollege

2,4 %

Mitbewohner

2,0 %

Ehepartner

0,4%

KA = 4,0%

In aller Regel kannten sich die Konfliktparteien schon vor der Tat. Parteien, die sich vor der Tat nicht kannten, sind vor dem Schiedsmann nur relativ selten vertreten. Wichtig ist der hohe Anteil an Nachbarstreitigkeiten. Hier wird die Rolle des Schiedsmanns als gemeindenaher Schlichter bestätigt. 48 Gegebenenfalls noch in Verbindung mit Hausfriedensbruch; Sachbeschädigung; Bedrohung. 49 Gegebenenfalls noch in Verbindung mit Hausfriedensbruch und Bedrohung.

B. Empirische Untersuchung

165

bb) Weitere Entwicklung der Beziehung Zukünftige Beziehung der Parteien Vergleichsabschluß Einschätzung der Parteien:

Gesamt

"Ja"

"Nein"

- Vor der Tat keinen oder nur wenig Kontakt, woran sich auch nichts ändern wird

25,9%

27,2%

25,3%

- Kein/wenig Kontakt und Meidung; Unbehagen

17,1%

17,9%

12,1%

- "Man wird sich in Zukunft aus dem Weg gehen" (Meidung)

14,3%

5,6%

32,5%

- Meidung und Unbehagen; Abwarten

7,6%

9,3%

4,8%

- Bemühen, besonders höflich zu sein

5,2%

7,4%

1,2%

- Abwarten, Sache auf sich zukommen lassen

13,5%

14,2 %

13,3%

- Es bleibt - auch bei einer Einigung - immer gewisses Unbehagen

11,6%

16,0%

3,6%

- Sonstiges (genannt wurde: Beziehung irreparabel zerstört [5x]; gerichtliche Klärung abwarten [I x]; nach wie vor wird akute Bedrohung empfunden [2x]; keine Vorbehalte [2x])

4,0%

2,4%

7,2%

N (einschließlich Mehrfachnennungen) =

250

163

87

Ein gutes Viertel der Parteien steht der zukünftigen Beziehung relativ desinteressiert gegenüber, was daran liegen dürfte, daß bereits vor der Tat entweder keine oder allenfalls oberflächliche Beziehungen bestanden haben, und man keinen Anlaß sieht, die Kontakte - auch bei einem erfolgreichen Sühneversuch - zu intensivieren. Die Angaben erscheinen plausibel, da immerhin 14,7% der Parteien angegeben haben, den Konfliktpartner vor der Tat nicht gekannt zu haben5°. In 19,5% der Fälle bestand - wie bereits erwähnt - nur eine Bekanntschaft "vom Sehen", so daß in knapp einem Drittel der Konflikte ein begründbares Bedürfnis auf Erhalt der Beziehungen nicht gegeben war51 . Mit einer nicht unerheblichen Quote war das Desinteresse an der weiteren Beziehung allerdings besonders stark ausgeprägt, nämlich einhergehend mit der Vermutung, man werde sich in Zukunft aus dem Weg gehen oder es bleibe auch bei einem erfolgreichen Verfahrensabschluß 50

51

Siehe oben 2. Teil, 2. Kap., B., II., 2., c), aa). Siehe oben 2. Teil, 2. Kap., B., II., 2., c), aa).

166

2. Teil, 2. Kap.: Empirische Untersuchung - Parteien

immer ein gewisses Unbehagen zurück. Es fällt auf, daß diese Angaben offenbar unabhängig vom Verfahrensausgang gemacht werden, was sich zunächst dadurch erklären läßt, daß in Fällen ohne einer Beziehung vor der Tat eine befriedende Wirkung des Vergleichs als nicht nötig angesehen wird. Immerhin wollen fast 19% der Befragten die Entwicklung der weiteren Beziehung abwarten, bzw. bemühen sich auch um konziliantes Verhalten nach der Tat, wobei letzterer Wert bei einem erfolglosen Verfahren natürlich nur sehr gering ausgeprägt ist. Auch in Fällen mit einer erfolgreichen Einigung meinen 16% der Parteien, daß man dem Gegner in Zukunft wohl mit Vorbehalten begegnen werde. Dennoch scheint eine erfolgreiche Verhandlung befriedende Wirkung zu haben. In diesem Falle wollen nämlich nur 5,6% der Beteiligten dem ehemaligen Gegner zukünftig aus dem Weg gehen. Konnte man sich hingegen nicht einigen, so wollen 32,5% der Parteien dem Gegner zukünftig aus dem Wege gehen. Es bleibt festzuhalten, daß in zahlreichen Fällen kein besonderes Interesse an der zukünftigen Beziehung besteht. Auch eine erfolgreiche Verfahrensbeendigung räumt nicht immer die Vorbehalte aus, was auch an der nur einmaligen Sitzung vor dem Schiedsmann liegen dürfte. Ein Vergleichsabschluß hat aber zumindest die Wirkung, daß die Parteien in Zukunft unbefangener aufeinander zugehen. d) Einzelfragen: Zugang zum Schiedsmann; Vorfeld der Verhandlung aa) Kenntnis von Zuständigkeit; Erreichbarkeit; Prorogation Die Antragsteller mußten in 75% aller Fälle erst von der Polizei oder anderen Institutionen auf die Zuständigkeit des Schiedsmanns für das konkrete Anliegen hingewiesen werden. Lediglich 20,8% der Antragsteller waren ohne Hinweis von dritter Seite von der Zuständigkeit des Schiedsmanns informiert. Dies spricht nicht gerade für einen hohen Bekanntheitsgrad der Institution. Nachdem man Kenntnis von der Zuständigkeit hatte, war es aber in 87,5 % aller Fälle für die Antragsteller kein Problem, mit dem Schiedsmann Kontakt aufzunehmen. Nur in 8,3% der untersuchten Fälle konnte der Antragsteller den Schiedsmann erst nach mehreren Versuchen erreichen. Dieser Wert ist erstaunlich niedrig, zumal es sich bei den Schiedsmännern bekanntlich um ehrenamtlich tätige Bürger handelt, die aber offenbar die mit dem Amt verbundenen Pflichten ernst nehmen und daher ständig ansprechbar sind.

B. Empirische Untersuchung

167

Kenntnis von Zuständigkeit; Vorbesprechung; Kontaktaufnahme; Auswahl des Schiedsmanns (Antagstellerangaben) Kenntnis von der Zuständigkeit des Schiedsmanns: Kenntnis "Ja"

20,8 %

Kenntnis "Nein"

75,0%

KA = 4,2%

Vorbesprechnung: Ja, ohne Ausführungen zur Schuldfrage durch den Schiedsmann

66,0%

Ja, mit Ausführungen zur Schuldfrage durch den Schiedsmann

17,4%

Nein, keine Vorbesprechung

9,7%

KA = 6,9%

Kontaktaufnahme zum Schiedsmann: Problemlos Erst nach mehreren Versuchen

87,5 % 8,3%

KA = 4,2%

Auswahl des Schiedsmanns im Einvernehmen mit dem Gegner: Ja Nein

0,0 % 95,1%

KA = 4,9%

Erwartungsgemäß wurde in keinem Fall von der Möglichkeit, einen an sich örtlich unzuständigen Schiedsmann durch Parteivereinbarung auszuwählen, Gebrauch gemacht. Die Parteien haben sich regelmäßig an den zuständigen Schiedsmann gewandt. Die wohl nur in überschaubaren Sozialsystemen praktikable Möglichkeit, der Auswahl eines (offiziellen) Vermittlers unter mehreren in Betracht kommenden Personen, hat in der Rechtswirklichkeit des Schlichtungsverfahrens vor dem Schiedsmann keine Bedeutung. Die Antragsteller hatten vor der Verhandlung in 83,4% aller Fälle eine Vorbesprechung mit dem Schiedsmann, wobei in 66% der Fälle nicht die Rede davon war, wer nach Ansicht des Schiedsmanns an der Tat schuld ist. In 17,4% der Vorbesprechungen gab der Schiedsmann seine Auffassung hinsichtlich der Schuldfrage dem Antragsteller vorab zur Kenntnis, was wegen der neutralen Position des Schiedsmanns bedenklich ist. Bei 9,7% der Kontaktaufnahmen fand eine Vorbesprechung der Angelegenheit nicht

2. Teil, 2. Kap.: Empirische Untersuchung- Parteien

168

statt. Die hohe Zahl der Vorbesprechungen bestätigt (mittelbar) den großen Anteil der Schiedsmannstätigkeit im "inoffiziellen" Bereich. Hier sollte allein aus Gründen der positiveren Selbstdarstellung zumindest ein Zählverfahren zum Einsatz kommen, damit diese Tätigkeit in der amtlichen Statistik Niederschlag findet. bb) Gebührenpflicht Abschreckung durch Gebührenvorschuß Nach Mitteilung der GebührenvorschuBpflicht weitere Durchführung des Verfahrens überdacht: Ja

12,5 %

Nein

82,6 %

KA = 4,9%

Die Gebührenvorschußpflicht52 schreckt - entgegen den Erwartungen nur 12,5% der Antragsteller ab. 82,6% der Antragsteller haben sich, als sie mit dem Gebührenvorschuß konfrontiert worden sind, nicht mit dem Gedanken getragen, vom Verfahren Abstand zu nehmen. Die Kostenfrage scheint ohnehin nicht das Problem des Schlichtungsverfahrens zu sein, da die Kosten lediglich in 2,4% der nicht mit einem Vergleich abgeschlossenen Fälle (mit)ursächlich für das Scheitern des Verfahrens waren53 . Allerdings sollte die von den Antragstellern nicht sonderlich negativ bewertete KostenvorschuBpflicht nicht dazu führen, ein weiteres Festhalten an diesem zumindest zweifelhaften Institut zu billigen, da natürlich nur solche Personen befragt werden konnten, die trotz des Gebührenvorschusses vom Verfahren keinen Abstand genommen haben, so daß das Dunkelfeld naturgemäß nicht erfaßt wurde. Zusammenfassend dürfte feststehen, daß - kommt es erst einmal zu einer Verhandlung - die Kostenfrage auf den Verfahrensausgang keinen großen Einfluß hat.

Zur Höhe der Gebühren siehe oben 1. Teil, D., 1., 2., a), aa). Zu den Gründen für das Scheitern des Vergleichs siehe unten 2. Teil, 2. Kap., B., II., 2., g), bb ), (I). 52

53

B. Empirische Untersuchung

169

cc) Zeitliche Komponenten; cooling out

( 1) Übersicht Verhandlungstermin innerhalb der Arbeitszeit

Gesamt

Antragsteller

Antragsgegner

Ja, während der Arbeitszeit

20,8%

21,9%

19,8 %

Nein, außerhalb der Arbeitszeit

78,3 %

78,2%

80,2%

207

119

86

N

Verhandlungsbeginn

Gesamt

Verhandlungsdauer Bis eine halbe Stunde

22,7 %

Halbe Stunde bis eine Stunde

40,6 %

Länger als eine Stunde

35,5 %

8.00 - 12.00 Uhr

12,7 %

12.00- 15.00 Uhr

6,0%

15.00- 18.00 Uhr

47,0%

Nach

32,7%

18.00 Uhr

Gesamt

KA = 1,6 %

KA = 1,2%

Einfluß auf Verhandlungsbeginn

Gesamt

Antragsteller

Ja

48,2%

64,6%

26,2 %

Nein

25,9 %

13,9 %

42,1 %

Verhandlungsbeginn egal

19, 1%

16,7 %

22,4%

Ja, aber egal

2,8 %

4,2 %

0,9 %

Nein, aber egal

2,4%

0,0%

5,6 %

KA

1,2%

1,6%

1,9%

Antragsgegner

2. Teil, 2. Kap.: Empirische Untersuchung- Parteien

170

Sind in der Verhandlung alle für Sie wesentlichen Punkte angesprochen worden? Gesamt

Antragsteller

Antragsgegner

Ja

78,9%

80,6%

76,6 %

Nein

16,7%

13,9%

20,6 %

KA

4,4%

5,6%

2,8 %

- wenn nein, warum nicht ? 3,4%

8,3 %

Es lag am Verhalten der anderen Partei

62,1%

33,3 %

Es lag am Verhalten des Schiedsmanns

17,2%

12,5 %

Kein Interesse, hierauf zu sprechen zu kommen

17,2%

33,3 %

0,0%

12,5 %

Zuwenig Zeit

Sowohl keine Zeit als auch Verhalten von Gegner /Schiedsmann N: Ast

= 29; Ag = 26 Wartezeit bis zur Verhandlung/Einschätzung der Tat

Einschätzung der Tat am Verhandlungstag im Vergleich zum Tattag (Angaben der Antragsteller)

Wartezeit bis 2 Wochen

2- 4 Wochen

mehr als 4 Wochen

Weniger schlimm

4,4%

5,1 %

0,0 %

Keine Änderung

30,1 %

31 ,6 %

22,1%

Keine Meinung

3,7 %

0,7 %

2,2%

38,2%

37,5 %

24,3 %

Total

(2) Erläuterung

Das Schlichtungsverfahren erfolgt zu Zeiten, in denen sich die Parteien keine zeitlichen Beschränkungen auferlegen müssen. Lediglich in etwa 20% aller Fälle fand die Verhandlung während der Arbeitszeit einer oder beider Parteien statt. Dies wird durch die günstigen Sitzungszeiten bedingt sein, die mit gut 80 % nach 15.00 Uhr liegen. Die Parteien können in knapp 50% der Fälle Einfluß auf den Verhandlungsbeginn nehmen, wobei sich allerdings bei der getrennten Betrachtung

B. Empirische Untersuchung

171

von Antragstellern und Antragsgegnern erhebliche Unterschiede zeigen. Fast 65% der Antragsteller haben einen entsprechenden Einfluß bekundet; aber nur ca. 26% der Antragsgegner. Umgekehrt zeigt sich das gleiche Bild, wonach nur knapp 14% der Antragsteller aber 42% der Antragsgegner keinen Einfluß auf den Verhandlungsbeginn nehmen konnten. Ursache für diese faktische Benachteiligung der Antragsgegner dürfte das vom Schiedsmann mit dem Antragsteller jeweils im Vorfeld geführte Gespräch sein, in welchem dann auch die Frage nach Termintag und -stunde erörtert werden wird. Indes erscheint dieser Nachteil für den Antragsgegner hinnehmbar, da offensichtlich die Zeiten regelmäßig so gewählt werden, daß eine Kollision mit der Arbeitszeit nur selten auftritt. Festzustellen ist eine große zeitliche Flexibilität des Verfahrens. Die weit überwiegend erst nachmittags abgehaltenen Verhandlungen kommen den zeitlichen Interessen der Parteien entgegen. Dieser Umstand ist ein wesentlicher Vorteil gegenüber gerichtsförmigen Verfahren, die in der Regel vormittags stattfinden und auf deren Terminierung die Parteien - von begründeten Ausnahmen abgesehen - keinen Einfluß haben. Die Verhandlungsdauer ist variabel, liegt aber selten unter einer halben Stunde. In knapp 36% der Fälle ist sogar über eine Stunde verhandelt worden. Die zur Verfügung stehende Verhandlungszeit scheint individuell ausreichend bemessen zu sein. Fast 80% der Parteien meinen, in der Verhandlung die Möglichkeit zur Erörterung aller ihnen wesentlichen Punkte gehabt zu haben. Wesentlich ist, daß auch die Antragsgegner angaben, hinreichend zu Wort gekommen zu sein. Wenn eine Partei der Auffassung war, dies sei ihr nicht hinlänglich gelungen, so wurde in den seltensten Fällen hierfür mangelnde Zeit oder das Verhalten des Schiedsmanns verantwortlich gemacht, sondern in erster Linie die Ursache hierfür im Verhalten der anderen Partei gesehen. Nicht bestätigt wurde die Vermutung, daß sich mit fortschreitender zeitlicher Distanz zwischen dem Tage des strittigen Vorfalls und dem Verhandlungstermin die Einschätzung des Antragstellers zur Tat ändert. Die Antwortvorgabe "geringere Bedeutung" war so gut wie nicht besetzt. Unabhängig von der Wartezeit zum Verhandlungsbeginn meinten die Antragsteller fast ausschließlich, an ihrer Einschätzung zur Tat habe sich nichts geändert. Diese Auffassung kann durchaus darin begründet sein, daß in fast 75% der Fälle der Sühnetermin innerhalb von 4 Wochen anberaumt worden ist, so daß für die Phase des "cooling out" kein nennenswerter Zeitraum blieb. Somit ist das Schlichtungsverfahren fast regelmäßig ein schnelles Verfahren mit einer außerordentlich kurzen Wartezeit bis zur Verhandlung. Vergleichbar schnelle Verfahren mit ähnlich umfassendem Erledigungspotential

2. Teil, 2. Kap.: Empirische Untersuchung- Parteien

172

dürften bei sonstigen auf Konfliktbearbeitung ausgerichteten staatlichen Verfahren nicht anzutreffen sein54 .

e) Akzeptanz des Schlichtungsverfahrens und Freiwilligkeit aa) Akzeptanz durch die Antragsteller ( 1) Übersicht Einstellung zum Sühneversuch vor dem Schiedsmann statt sofortiger Strafverfolgung durch staatliche Instanzen:

Vergleich insgesamt

.,Ja''

"Nein"

- Polizei sollte auch bei Privatklagedelikten sofort tätig werden

6,9%

2,2%

15,2 %

- Sühneversuch ist lästig

4,9%

3,2 %

6,5 %

- Lästig und sofortige polizeiliehe Intervention

6,9% 18,7%

4,3%

9,7%

10,9% 32,6%

- Anfangs Skepsis, jetzt überzeugt

29,9%

38,7%

15,2 %

- Sühneversuch sinnvoll

43,8 % 73,7%

44,1 % 82,8%

45,7% 60,9%

Keine Meinung und KA

Zukünftige Wahlmöglichkeit zwischen staatlicher Strafverfolgung und Schlichtungsverfahren vor dem Schiedsmann:

7,7%

7,5%

6,5%

Vergleich insgesamt

"Ja"

"Nein"

- Würde wieder zum Schiedsmanngehen

66,7%

77,4%

50,0%

- Würde die Sache lieber der Polizei bzw. dem Gericht überlassen

29,2%

18,3%

47,8%

4,2%

4,3%

2,2%

KA

54

Siehe auch unten 2. Teil, 2. Kap., B., II., 3., f).

B. Empirische Untersuchung

173

Einstellung zum Verfahren/Verfahrensergebnis55 Vergleich:

Einstellung zum Verfahren:

Bei zukünftiger Wahlmöglichkeit:

ablehnend

zustimmend

wieder zum Schiedsmann

Ja

10,5%

89,5%

80,9 %

19,1 %

Nein

34,9%

65,1%

51,1 %

48,9 %

nicht wieder zum Schiedsmann

(2) Erläuterung

Die Vermutung, der Antragsteller betrachte den vor Erhebung der Privatklage obligatorischen Sühneversuch als bürokratisches Hemmnis, ihm sei es lieber, wenn die Strafverfolgungsbehörden sich sogleich der Sache annähmen, hat sich nicht bestätigt. Mit einer klaren Mehrheit von 73,7% befürworten die Antragsteller den außergerichtlichen Sühneversuch. Hierbei ist festzustellen, daß ein nicht unerheblicher Anteil von fast 30% anfänglich dem Verfahren skeptisch gegenüberstand, aber nach der Verhandlung seine Meinung geändert hat. Interessant ist ein Vergleich der Angaben von Antragstellern, deren Verfahren erfolgreich beendet werden konnte, mit solchen, bei welchen das Verfahren gescheitert ist. Zunächst stehen nur 9,7% der erfolgreichen Antragsteller dem Verfahren ablehnend gegenüber. Im anderen Fall meinen aber 32,6% der Befragten, daß die staatliche Befassung mit dem Konflikt dem Schlichtungsverfahren vorzuziehen sei. Diese Auffassung ist vor dem Hintergrund, daß der Antragsteller bis dahin an sich nur Kosten investiert hat, mit Frustrationseffekten erklärlich. So beträgt auch die Quote der erfolglosen Antragsteller, die nach anfänglicher Skepsis nun doch von der Berechtigung des Sühneversuchs überzeugt sind, nur 15,2 %, wohingegen in der erfolgreichen Parallelgruppe 38,7% der Befragten umgestimmt wurden. Erstaunlich ist, daß 45,7 % der erfolglosen Antragsteller den Sühneversuch - trotz des Scheiteros der Verhandlung - für sinnvoll halten und 50 % dieser Personen bei einer unterstellten Wahlmöglichkeit im "Wiederholungsfalle" wieder zum Schiedsmann gehen würden. Dies dürfte ein Indiz dafür sein, daß - unabhängig vom konkreten Verfahrensergebnis - ein erhebliches Bedürfnis nach außergerichtlicher Konfliktregelung besteht. 55 Die Unterschiede zu den Werten in den vorangehenden Tabellen beruhen darauf, daß die Rubrik "keine Meinung und KA" nicht in die Berechnung einbezogen ist.

2. Teil, 2. Kap.: Empirische Untersuchung - Parteien

174

Die außerordentlich hohe Zustimmung der erfolgreichen Antragsteller zum Verfahren läßt sich mit dem Erfolgserlebnis des Vergleichsabschlusses, der in aller Regel zumindest diesen Konflikt erledigt, erklären56 . Das Schlichtungsverfahren genießt bei den Antragstellern insgesamt eine sehr hohe Akzeptanz, obwohl im Vorfeld des Verfahrens einige negativ zu bewertende Erlebnisse in Kauf zu nehmen sind (Mitteilung bei der Polizei, man möge sich an den Schiedsmann wenden; Kostenvorschußpflicht). Auch bei den erfolglosen Antragstellern ist die Akzeptanz noch sehr hoch. Insgesamt zwei Drittel der Antragsteller würden sich wieder für den Schiedsmann entscheiden. Es kann gesagt werden, daß ein Bedürfnis nach außergerichtlicher Konfliktregelung durchaus gegeben ist. Angesichts des nicht unerheblichen Prozentsatzes der Antragsteller, die sich erst durch das Verfahren haben überzeugen lassen, und des Umstandes, daß die Institution recht unbekannt ist, dürfte bei verstärkter Aufklärungsarbeit eine weitere Erhöhung der Akzeptanz zu erreichen sein. bb) Disziplinierung des Antragsgegners ( 1) Ordnungsgeld Ordnungsgeld Wären Sie zur Verhandlung auch erschienen, wenn es nicht die Möglichkeit gäbe, ein Ordnungsgeld gegen Sie zu verhängen? Dann wäre ich nicht gekommen

19,6%

Ich wäre auf jeden Fall gekommen

62,6 %

Ich wußte gar nicht, daß ein Ordnungsgeld hätte verhängt werden können

15,9%

KA = 1,9 %

Knapp ein Fünftel der Antragsgegner haben das drohende Ordnungsgeld zum Anlaß genommen, bei der Verhandlung zu erscheinen. Fast zwei Drittel wären aber auf jeden Fall zum Termin erschienen. Die Zwangswirkung des Ordnungsgeldes ist somit nicht sonderlich groß, zumal sich die "hartnäckigen" Fälle ohnehin durch den recht niedrigen Betrag nicht beeindrucken lassen dürften 57 . Zum Dunkelfeld, also der Anzahl der 56 Zu den Motiven der Parteien für den Abschluß des Vergleichs siehe unten 2. Teil, 2. Kap., B., Il., 2., g), aa), (3). 57 Zur Höhe des Ordnungsgeldes siehe oben I. Teil, D., I., 2., b).

175

B. Empirische Untersuchung

Antragsteller, die trotz des drohenden Ordnungsgeldes nicht erschienen sind, lassen sich keine Aussagen machen. Nach Angaben des BDS waren im Jahre 1991 in 87% der Strafsachen beide Parteien erschienen58 , so daß 13% - wohl in erster Linie durch das Ausbleiben des jeweiligen Antragsgegners - einseitig geblieben sind.

(2) Zwangsmomente und Vergleichsabschluß In 38,5% der Fälle hat für den Antragsgegner Angst vor der möglichen späteren Bestrafung (gegebenenfalls einhergehend mit weiteren Momenten wie: Lästigkeil oder Vermutung, vor Gericht nicht gerechter behandelt zu werden) eine Rolle für den Abschluß des Vergleichs gespielt59 . Auch scheint die Vergleichsquote von der Einschätzung des Verurteilungsrisikos abhängig zu sein. Jedenfalls steigt die Vergleichsquote mit der Einschätzung des Verurteilungsrisikos. Bei einem (vermuteten) hohen allgemeinen Verurteilungsrisiko im Privatklageverfahren konnte auch eine hohe Vergleichsquote festgestellt werden. Abhängigkeit der Vergleichsquote vom antizipierten Verurteilungsrisiko (col pct)

Einschätzung des Verurteilungsrisikos im Privatklageverfahren :

Vergleichsabschluß:

bis 10%

10 bis 30%

30 bis 50 %

Ja

50,0%

61,1%

Nein

50,0 %

38,9%

50 bis 70%

über 70%

60,7 %

80,0%

83,3%

39,3 %

20,0 %

16,7 %

(N = 12- 36)

Die Tabelle zeigt einen Zusammenhang zwischen der Einschätzung des drohenden weiteren Verfahrens und dem Verfahrensausgang. Es kann daher vermutet werden, daß bei Kenntnis der Antragsgegner vom tatsächlich bestehenden, lediglich außerordentlich geringen Verurteilungsrisiko60 die Vergleichsquote zurückginge. Vgl. die Übersicht in der SchsZtg 1992, S. 153. Zu den übrigen Abschlußmotiven siehe unten 2. Teil, 2. Kap., B., li., 2., g), aa), (3). 60 Vergleiche hierzu auch Zätzsch, Die Beteiligungsrechte des Verletzten . . . , S. 167, der von einer Verurteilungsquote von nur 6 % aller auf den Privatklageweg verwiesenen Delikten spricht. 58

59

176

2. Teil, 2. Kap.: Empirische Untersuchung- Parteien

Dies dürfte indes nicht unbedingt zu begrüßen sein, da in solchen Fällen das Verfahren für den Antragsteller noch beschwerlicher würde und mit einem Rückgang der Akzeptanz zu rechnen wäre. Letztlich ist das Problem nicht zu lösen. Verzichtet man nämlich auf jegliche Zwangsmomente etwa dadurch, daß bei einem Scheitern der Verhandlung keine Bestrafung mehr droht, so wird hierdurch die Kooperationsbereitschaft der Antragsgegner mit Sicherheit nicht gefördert. Intensiviert man hingegen die Zwangsmomente, so kann von einem freiwilligen Agieren des Antragsgegners nicht mehr gesprochen werden. Es wird aber darauf zu achten sein, daß das Verfahren nicht dazu benutzt wird, dem Antragsgegner durch Einschüchterungsversuche Rechte abzuschneiden. Für solche Erscheinungen bestehen derzeit aber auch keine Anhaltspunkte. Die Antragsgegner konnten sich nach eigenem Bekunden in 76,6% aller Fälle in der Verhandlung hinreichend äußern61 und waren· in 82,2% der untersuchten Verhandlungen von der Neutralität des Schiedsmanns überzeugt62 • Ferner sind sie zu 41,1 % mit einer festgefaßten Einigungsbereitschaft in die Verhandlung gegangen, so daß auch hier Zwangsmomente für die Herstellung der Einigungsbereitschaft keine besondere Bedeutung haben konnten63 . Desweiteren scheint der Schiedsmann den jeweiligen Antragsgegner nicht übermäßig häufig mit Hinweis auf die drohende Bestrafung zur Einigung bewegen zu wollen. Lediglich in 5,2% aller Fälle stellte der Hinweis auf die drohende Strafe das einzige "Argument" des Schiedsmanns für eine Einigung dar. In 25, I % wurde die drohende Strafe - vor allem verbunden mit einem Appell an den Antragsteller - innerhalb eines Argumentationsbündels des Schiedsmanns erwähnt64. Soweit also Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die Freiwilligkeit des Antragsgegners eingeschränkt ist, handelt es sich hierbei nicht um in das Verfahren hineingetragene Umstände, sondern um mehr oder minder schlichte Mißverständnisse auf Seiten der Antragsteller, die das Verurteilungsrisiko im Privatklageverfahren falsch einschätzen.

Siehe hierzu auch oben 2. Teil, 2. Kap., B., II., 2., d), cc), (2). Zur Neutralität des Schiedsmanns siehe auch unten 2. Teil, 2. Kap., B., li., 2., f), aa), (2). 63 Siehe zur Einigungsbereitschaft vor der Verhandlung unten 2. Teil, 2. Kap., B., li., 2., f), cc). 64 Zu den Argumenten des Schiedsmanns siehe auch unten 2. Teil, 2. Kap., B., II., 2., f), aa), (3). 61

62

B. Empirische Untersuchung

177

f) Die Verhandlung

aa) Verhalten des Schiedsmanns

( 1) Verhandlungsführung Einfluß des Schiedsmanns auf den Verhandlungsablauf Einschätzung der Parteien: - Überwiegender Einfluß des Schiedsmanns

40,2%

- Schiedsmann hat sich zurückgehalten

21,1%

- Einfluß mittelmäßig stark

34,7%

KA 4,0%

Die Schiedsmänner nehmen -jedenfalls aus Sicht der Parteien - unterschiedlich stark auf die Verhandlung Einfluß. Letztlich bestätigt sich die Annahme, wonach eine überwiegend durch das Agieren der Parteien bestimmte Schlichtungsverhandlung eher selten anzutreffen ist. Weniger als ein Viertel der Befragten war der Auffassung, der Schiedsmann habe sich während der Verhandlung zurückgehalten. Selbst unter Berücksichtigung des hier von den Parteien zwangsläufig stark subjektiv angelegten Beurteilungsmaßstabes kann die Aussage gemacht werden, daß die Schiedsmänner überwiegend bestrebt sind, das Verhandlungsgeschehen und den Gang des Diskurses zu kontrollieren. Allerdings scheint eine nach Einschätzung der Parteien gegebene Zurückhaltung des Schiedsmanns einem positiven Verfahrensabschluß auch eher abträglich zu sein, da mit wachsender Zurückhaltung des Schiedsmanns auch die Erfolgsquote abnimmt. Vergleichsquote/Einfluß des Schiedsmanns (Col Pct) Vergleichsabschluß:

Von den Parteien angegebener Einfluß des Schiedsmanns: groß

weder noch

Ja

72,7%

69,8 %

50,9 %

Nein

27,3 %

30,2 %

49,1 %

(N =54 - 99) 12 Gulknecht

zurückhaltend

178

2. Teil, 2. Kap.: Empirische Untersuchung- Parteien

Die größten Vergleichsquoten haben die Schiedsmänner erzielt, denen die Parteien den überwiegenden Einfluß auf die Verhandlungsführung zugeschrieben haben. Dies bedeutet also, daß jedenfalls im Sinne eines formal positiven Verfahrensabschlusses der Diskurs möglichst nicht überwiegend den Parteien überlassen werden sollte. Die Vermutung, wonach die ungelenkte Aussprache zwischen den Parteien einigungsfördernd sein soll, läßt sich nicht bestätigen. Maßgeblich scheint zu sein, daß die Konfliganten jedenfalls neben der bloßen Anwesenheit des Dritten, von diesem auch gelenkt werden. (2) Neutralität Neutralität des Schiedsmanns Der Schiedsmann verhielt sich unparteiisch:

Antragsteller

Antragsgegner

Ja

81,9 %

82,2 %

Nein, er war eher auf meiner Seite

11,8 %

6,5 %

Nein, er war eher auf der Seite des Gegners

2,1%

8,4 %

KA

4,2%

2,8 %

Aus der Sicht der Parteien ist die Neutralität des Schiedsmanns kein Problem. Aufgrund des Umstandes, daß die Fragebögen von den Parteien zu Hause anonym auszufüllen waren, kann hier von einem durch den Schiedsmann unbeeinflußten Antwortverhalten ausgegangen werden. Überraschend hoch fällt die Quote von 82,2 % der von der Neutralität des Schiedsmanns überzeugten Antragsgegner aus. Diese müßten aufgrund ihrer Verfahrensrolle skeptisch sein, zumal sie auch nicht in das Vorgespräch einbezogen werden, welches durchaus die Gefahr in sich trägt, den Schiedsmann einseitig auf die Verhandlung vorzubereiten. Trotz der völlig unterschiedlichen Schiedsmannscharaktere scheinen die Amtsinhaber in den allermeisten Fällen den Parteien das Gefühl einer neutralen, ausgewogenen Behandlung des Falles zu geben. Wenn allerdings Zweifel an der Neutralität des Schiedsmanns bestehen, ist ein größerer Anteil der Antragsgegner der Auffassung, der Schiedsmann bevorzuge den Antragsteller.

179

B. Empirische Untersuchung

(3) Argumente des Schiedsmanns Argumente des Schiedsmanns bei seinem Bemühen, eine Einigung herbeizuführen Argumente: - Hinweis, man solle sich vertragen i. V.m. Bemerkung auf teure, oftmals erfolglose Privatklage; Bagatellcharakter; Überlastung der Gerichte.

32,2%

- Obiges, verbunden mit Anspielung an den Antragsgegner auf die drohende Strafe

25,1%

- Isoliert: - Vertragen - Kosten der Privatklage - Strafe - Privatklage oftmals erfolglos - Bagatellsache - Überlastung der Gerichte

8,8 % 6,0 % 5,2% 3,6 % 2,8% 0,4%

27,0%

- Sonstiges (genannt wurden: Schiedsmann hat nur Einigungsvorschläge gemacht [2x]; allgemeine Nachteile des gerichtlichen Verfahrens [2x]; Verhandlungssituation ließ Einigungsvorschlag nicht zu [3x]; Hinweis auf Ausnahmesituation [I x]; vor Gericht wird auch nur ein Vergleich geschlossen [lx]; Rechtsausführungen [4x]; zukünftige Beziehungen schonen [4 x])

6,8%

- Es wurden keine Argumente für eine Einigung vorgebracht

8,4%

In den meisten Fällen hat der Schiedsmann nicht nur ein Argument benutzt, um die Parteien zur Einigung zu bewegen, sondern gleich mehrere. Am häufigsten war mit 32,2% ein allgemeiner Hinweis an die Parteien anzutreffen, es sei doch besser, wenn man sich vertrüge, in Verbindung mit diversen Andeutungen in erster Linie an den Antragsteller, wonach das Privatklageverfahren kostenträchtig und oftmals erfolglos sei, es sich um einen Bagatellfall handele und die Gerichte ohnehin überlastet seien. Nach Angaben von 25,1 % der Befragten trat zu diesen Argumenten noch ein Hinweis des Schiedsmanns an den Antragsgegner auf die in einem Privatklageverfahren drohende Strafe hinzu. 5,2% der Parteien nannten einen Hinweis auf die drohende Strafe als das einzige Argument des Schiedsmanns. Insgesamt hat sich die Vermutung, der Schiedsmann setze zur Erzielung eines Vergleichs mehr oder minder unverhohlen argumentative Druckmittel sowohl gegen den Antragsteller als auch den Antragsgegner ein, nicht 12*

180

2. Teil, 2. Kap.: Empirische Untersuchung - Parteien

bestätigen lassen. Vielmehr werden solche Ausführungen meist nur zur Untermauerung der übrigen Argumentation vorgetragen. bb) Initiative zum Einigungsvorschlag Nahezu zwei Drittel der Befragten gaben an, ein konkreter Einigungsvorschlag sei zuerst vom Schiedsmann unterbreitet worden. Nach Auskunft von 18,4% der Beteiligten ging diese Initiative von den Parteien selbst aus. Auch hier bestätigt sich also die Vermutung, daß der Schiedsmann auf die Verhandlung maßgeblichen Einfluß hat. Die Parteien verhalten sich somit auch in diesem Bereich eher passiv und überlassen die Aufgabe, die divergierenden Interessen zusammenzuführen, mehrheitlich dem Schiedsmann. Überwiegend verbleibt es bei der Fassung des ersten Vergleichsvorschlags. Nicht selten wird aber auch über den ersten Vergleichsvorschlag noch verhandelt. Änderung des ersten Vergleichsvorschlags 47,0%

Keine Änderung Erster Vorschlag geändert auf Initiative von: - Antragsteller

8,4 %

- Antragsgegner

16,0%

- Schiedsmann

11,6%

- Mehreren Beteiligten

4,4 %

40,4%

KA 12,8%

In knapp der Hälfte der Fälle wird dieser Vorschlag nämlich auf das Betreiben der Partei(en) bzw. des Schiedsmanns noch abgeändert. Hier sind die Antragsgegner die stärkste Gruppe, die zu 16% entsprechende Aktivitäten entfaltet haben. 11,6% der Vergleichsvorschläge wurden vom Schiedsmann abgeändert; nur in 8,4 % der Fälle geschah Entsprechendes auf Betreiben der Antragsteller. Unbedeutend ist die Zahl der Verhandlungen, in welchen der erste Vorschlag auf Intervention mehrerer Beteiligter abgeändert worden ist. Bei einem nicht unbeträchtlichen Teil der Verhandlungen dürfte somit durch die Erörterung des Vergleichsvorschlags das Gespräch zwischen den Parteien belebt worden sein.

B. Empirische Untersuchung

181

cc) Einigungsbereitschaft der Parteien Einigungsbereitschaft vor der Verhandlung Gesamt

Antragsteller

Antragsgegner

- Ja

40,6%

40,0%

41,1%

- Erst in der Verhandlung erkannt

22,3%

18,8%

27,1%

-Nein

15,1%

11,1%

20,6%

- In der Verhandlung gesunken65

18,0%

24,4%

9,3%

4,0%

4,9%

1,9%

KA

Einigungsbereitschaft/ Vergleichsabchluß Einigungsbereitschaft vor der Verhandlung:

(Col Pct) Ja

Erst in der Verhandlung erkannt

Nein

In der Verhandlung gesunken

JA

81,0%

85,7%

32,4%

36,7%

Nein

19,0%

14,3 %

67,6%

63,3 %

Vergleich:

(N = 15- 100)

In knapp einem Viertel der Fälle konnte in der Verhandlung eine vorher bei den Parteien nicht bemerkte Einigungsbereitschaft geweckt werden. Dieser Wert erscheint angesichts der situativen Gegebenheiten durchaus beachtlich. Bei beiden Parteien waren etwa 40% der Personen schon vor der Verhandlung bereit, eine gütliche Einigung anzustreben. Mit 24,4% sank während der Verhandlung bei den Antragstellern die Vergleichsbereitschaft häufiger als bei den Antragsgegnem, wo dies lediglich in 9,3% der Fälle eingetreten ist. Eine bereits vor der Verhandlung nicht vorhandene Vergleichsbereitschaft führt oft dazu, daß auch in der Verhandlung keine Einigung möglich 65 Einschließlich der Antworten (jeweils ca. 6%), die gleichzeitig angaben, vor der Verhandlung einigungsbereit gewesen zu sein und während der Verhandlung ein Absinken der Einigungsbereitschaft festgestellt zu haben. Diese Antwortkonstellation dürfte auf das Verhalten des jeweiligen Gegners zurückzuführen sein, welches offenbar für den Konfliktpartner enttäuschend gewesen ist.

182

2. Teil, 2. Kap.: Empirische Untersuchung- Parteien

ist. Gleiches gilt, soweit die Einigungsbereitschaft während der Verhandlung gesunken ist. Wurde hingegen erst in der Verhandlung eine Einigungsbereitschaft erkannt, so konnte in 85,7% der Fälle ein Vergleich erzielt werden. Dies ist ein Zeichen dafür, daß die Verhandlung ein der Einigung günstiges Klima zu schaffen vermag. dd) Behandlung des Streitgegenstands (1) Thematisierung der wesentlichen Punkte Bereits an anderer Stelle wurde im Zusammenhang mit den zeitlichen Faktoren dargestellt, daß in nahezu 80% der Fälle die Parteien meinten, sämtliche für sie wesentlichen Punkte seien in der Verhandlung zur Sprache gekommen66. Dieser Umstand deutet darauf hin, daß die Parteien von einer ausreichenden Tiefe der Konfliktbehandlung ausgehen und mit dem Verlauf der Verhandlung im Hinblick auf die dort gegebenen individuellen Artikulationsmöglichkeiten ganz überwiegend zufrieden sind. (2) Die Konfliktvorgeschichte (a) Erörterung der Konfliktvorgeschichte Konfliktvorgeschichte Liegt der Tat ein länger andauernder Konflikt zugrunde? Ja

61,8%

Nein

34,3%

KA = 4,0 %

Thematisierung der Vorgeschichte während der Verhandlung: 14,9%

Nein Ja, durch den - Schiedsmann - Antragsteller - Antragsgegner - von mehreren Parteien

27,7 % 18,2 % 26,4% 12,8 %

N = 148 66

Siehe oben 2. Teil, 2. Kap., B., II., 2., d), cc), (2).

85,1 %

B. Empirische Untersuchung

183

61,8% der Parteien gaben an, der zur Erörterung anstehenden Tat läge ein bereits länger andauernder Konflikt zugrunde. Nur 14,9% der Befragten bekundeten, die Konfliktvorgeschichte sei nicht angesprochen worden. Ansonsten wurde dieser Umstand regelmäßig zum Gegenstand der gemeinsamen Erörterungen gemacht. 27,7% der Teilnehmer wurden vom Schiedsmann nach der Vorgeschichte gefragt. Die Antragsteller haben mit einer Quote von 18,2% darauf hingewiesen, daß sich der Konflikt nicht in einem einmaligen Anlaß erschöpft. Der mit 26,4% recht hohe Wert der Antragsgegner, die die Sprache auf die Konfliktvorgeschichte gebracht haben, läßt sich aus der Verhandlungssituation erklären, wonach die Vorschichte erst von den Antragsgegnern zur Rechtfertigung des eigenen zur Verhandlung anstehenden Verhaltens herangezogen worden sein dürfte. Üblicherweise kommt also die Konfliktvorgeschichte zur Sprache. Dies belegt, daß beim Schiedsmann der Konflikt umfassend behandelt werden kann. 27,7% der Parteien gaben an, nicht sie, sondern der Schiedsmann habe die Konfliktvorgeschichte angesprochen. Demnach versuchen teilweise die Schiedsmänner, die Konfliktursachen zu ergründen. Suche nach den Ursachen des Konflikts Sollte in der Verhandlung vor dem Schiedsmann nach den Ursachen des Konflikts gesucht werden ? - Ja

53,8 %

- Ja, aber nur, wenn beide Parteien dies wünschen

20,3%

- Nein, man sollte nur nach einer brauchbaren Regelung für die Zukunft suchen

19,9%

KA 6,0%

Die Parteien sind zwar überwiegend der Auffassung, im Termin solle nach den Ursachen des Konflikts gesucht werden, doch wollen ca. 20% der Befragten diesen Umstand gerade nicht erörtert wissen. Ebenfalls etwa 20% der befragten Parteien meinten, Ursachensuche solle nur auf Wunsch der Konfliktpartner betrieben werden. Die oben deutlich gewordene Zurückhaltung der Schiedsmänner entspricht somit durchaus der Erwartungshaltung der Parteien, zumal - wie sich gezeigt hat - in der Regel die Möglichkeit besteht, sämtliche für die Konfliktpartner wichtigen Umstände anzusprechen.

2. Teil, 2. Kap.: Empirische Untersuchung- Parteien

184

(b) Konfliktvorgeschichte Beziehung zum Gegner/Vergleichsabschluß KonfliktvorgeschichteI Vergleichsabschluß (Col Pct)

Der Tat lag bereits ein länger andauernder Konflikt zugrunde:

Vergleichsabschluß:

Ja

Nein

Ja

59,1%

81,2 %

Nein

40,9%

18,8%

(N

= 85-

154)

Länger andauernde Konflikte sind schwerer zu schlichten als solche, die einem einmaligen Anlaß entspringen. Die Vergleichsquote bei letzteren Delikten betrug 81,2 %, wohingegen bei Verhandlungen, deren zugrunde liegendes Tatgeschehen einem längerfristigen Konflikt entspringt, die Vergleichsquote "lediglich" 59, l% betrug. Beziehung der Parteien/Vergleichsabschluß (Col Pct)

Beziehung der Parteien:

Vergleichs- Unbekannt abschluß:

"Vom Sehen"

Gast

Arbeitskollege

Nachbar

Freund/ Verwandter Bekannter

Ja

75,7%

77,1%

71,4%

66,7%

62,9%

72,2 %

27,3%

Nein

24,3%

22,9%

28,6%

33,3%

37,7%

27,8 %

72,7%

(N = 6 - 10567 )

Auch die Nähe der Beziehungen zwischen den Parteien scheint Einfluß auf die Vergleichsquote zu haben. Je näher die Beziehung der Parteien ist, desto schlechter scheint sich der Konflikt regeln zu lassen. Die höchsten Vergleichsquoten werden erzielt, wenn sich die Parteien vor der Tat nicht oder kaum kannten. Hier gibt es regelmäßig auch keine Konfliktvorgeschichte. Am schwierigsten scheint die Schlichtung bei Nachbarstreitigkeiten und unter Verwandten zu sein. Solche Streitigkeiten dürften in der 67 Hinzuweisen ist darauf, daß die Felder "Gast", "Arbeitskollege", "Verwandter" nur mit wenigen Nennungen besetzt sind, so daß sich eine eingeschränkte Interpretierbarkeit ergibt.

B. Empirische Untersuchung

185

Regel mit einem hohen emotionalen Potential geführt werden, welches die Zugänglichkeil für rationale Argumente erschwert. Auffällig ist, daß bei Freunden - obwohl hier naturgemäß eine enge Beziehung zwischen den Parteien besteht - eine hohe Vergleichsquote erzielt wird68 . Die hohe Erfolgsquote dürfte damit zusammenhängen, daß bei Freundschaften eine grundsätzliche Bereitschaft zum gegenseitigen Verzeihen anzunehmen ist, deren Aktivierung durch die Intervention des Schiedsmanns erfolgt. (3) Bereitschaft zur mehrmaligen Intervention Bereitschaft zu einer mehrmaligen Verhandlung in der gleichen Sache Wären Sie zur Erledigung der Angelegenheit bereit, an einer mehrmaligen Sitzung vor dem Schiedsmann teilzunehmen ? Gesamt

Antragsteller

Antragsgegner

- Ja

24,7%

29,2%

18,7 %

- Nein, eine einmalige Sitzung muß ausreichen

37,5%

34,7%

41,1 %

- Kommt drauf an

36,3%

34,7%

38,3%

1,6 %

1,4 %

1,9%

KA

Die vorbehaltlose Bereitschaft an einer mehrmaligen Sitzung vor dem Schiedsmann zur Erledigung der Streitigkeit teilzunehmen, ist erwartungsgemäß nicht sonderlich stark ausgeprägt. Nur 24,7% der Parteien wären auf jeden Fall mit einem solchen Vorgehen einverstanden, wobei diese Quote bei den Antragsgegnern sogar nur 18,7% beträgt, was sich allerdings aus deren Verfahrensrolle erklären läßt, da schon das erstmalige Erscheinen nicht freigestellt ist. Der größte Anteil der Parteien ist nicht bereit, in derselben Angelegenheit mehrmals vor dem Schiedsmann zu erscheinen. Ein gutes Drittel will diese Frage von nicht näher bestimmten Faktoren abhängig machen. Letztlich kommt also der Grundsatz, wonach das Verfahren in einer Sitzung abgeschlossen werden soll, den Erwartungen der Parteien entgegen.

68

Vgl. auch Bierbrauer/Falke/Koch, Konflikt. .. , S. 167.

186

2. Teil, 2. Kap.: Empirische Untersuchung- Parteien

ee) Beteiligung von Zeugen Verfahren mit Zeugenbeteiligung; Gestellung der Zeugen Verhandlung fand ohne Zeugen statt

75,3%

Verhandlung fand mit Zeugen statt

19,1%

KA = 5,6% Zeuge(n) wurde(n) gestellt von: - Antragsteller - Antragsgegner - Beiden Parteien

52,1 % 25,0% 22,9%

(N = 48)

Einfluß der Zeugen auf das Verfahren in der Einschätzung der Parteien Einfluß der Zeugen: 50,0 %

Positiv davon Gründe für positiven Einfluß: - Beitrag zur Wahrheitstindung

84,2%

- Sonstiges (z. B. haben zur Einigung geraten)

15,9% 15,9%

Negativ davon Gründe für negativen Einfluß: - Zeugen waren parteiisch

100,0%

N = 27 Weiß nicht (N

34,1 %

= 44)

Fast ein Fünftel der Parteien gab an, die Schlichtungsverhandlung habe unter Hinzuziehung von Zeugen stattgefunden. Überwiegend, 52, I%, wurden die Zeugen von den Antragstellern benannt. Lediglich in 25 % geschah dies von den Antragsgegnern. Der höhere Wert bei den Antragstellern läßt sich damit erklären, daß diese in gewisser Weise die Beweislast für die dem Gegner vorgeworfene Tat

B. Empirische Untersuchung

187

tragen und sie sich offenbar dieses Umstandes bewußt sind. Angesichts des nicht unerheblichenTeils der Verhandlungen, in welchen ein Vergleich am Leugnen des Antragsgegners scheiterte69, erscheint diese Vorsorgemaßnahme jedenfalls aus der Sicht der Antragsteller verständlich. Soweit die Parteien angaben, die Verhandlung habe unter Beteiligung von Zeugen stattgefunden, so wurden in 22,9% der Fälle die Zeugen sogar von beiden Parteien gestellt. Solche Verhandlungen, aber auch solche mit nur einseitiger Zeugenbeteiligung, werden mit Sicherheit einen stark auf Aufklärung des seinerzeitigen Tatgeschehens geprägten und somit vergangenheitsorientierten Charakter haben. Dies zeigt sich auch daran, daß 50% der betreffenden Parteien angegeben haben, der Einfluß von Zeugen sei dem Verfahren förderlich gewesen. Hiervon bekundeten wiederum 84,2%, der positive Einfluß der Zeugen gründe sich in deren Beitrag zur Wahrheitsfindung. Nur 15,9% waren der Auffassung, die Zeugen hätten eine negative Auswirkung auf das Verfahren gehabt. Begründet wurde dies ausschließlich mit der vermuteten Parteilichkeit der Zeugen. Zeugenbeteiligung/Vergleichsquote (Col Pct) Vergleichsabschluß:

An der Verhandlung waren Zeugen beteiligt: Ja Nein

Ja

62,5%

67,0 %

Nein

37,5%

33,0%

Ein Zusammenhang zwischen der Beteiligung von Zeugen am Verfahren und der Vergleichsquote konnte nicht festgestellt werden. Die Vergleichsquoten waren in den Fällen mit Zeugenbeteiligung in etwa gleich hoch wie in den Verhandlungen, in welchen Zeugen nicht gehört worden sind. Allerdings kann hierdurch nicht ausgesagt werden, daß die Verhandlungen, die mit Zeugenbeteiligung erfolgreich beendet worden sind, auch ohne die Gestellung von Zeugen mit einem Vergleich hätten abgeschlossen werden können. Da aber auch die Antragsgegner überwiegend von einem positiven Einfluß der Zeugenbeteiligung - Förderung der Wahrheitsfindung - ausgehen 70, kann 69 Zu den von den Parteien vermuteten Gründen für das Scheitern einer gütlichen Einigung siehe unten 2. Teil, 2. Kap., B., II., 2., g), bb), (1). 70 Die entsprechenden Werte der Antragsgegner in Fällen mit Zeugenbeteiligung lauten: 55 % beurteilten den Einfluß positiv ; hiervon meinten 80,0%, der positive Einfluß beruhe auf der Förderung der Wahrheitsfindung.

2. Teil, 2. Kap.: Empirische Untersuchung - Parteien

188

angenommen werden, daß deren Einigungsbereitschaft durch das Mitwirken von Zeugen zumindest mitbedingt ist. ff) Anwaltsbeteiligung Schlichtungsverhandlung unter Rechtsanwaltsbeteiligung An der Verhandlung vor dem Schiedsmann hat ein Rechtsanwalt teilgenommen: Nein

86,9%

Ja und zwar - Rechtsanwalt des Antragstellers - Rechtsanwalt des Antragsgegners - Es haben zwei Rechtsanwälte teilgenommen

6,0% 4,0% 0,8%

10,8%

KA = 2,4%

Anderweitige Einschaltung/Konsultation eines Rechtsanwalts, ohne daß dieser an der Verhandlung teilgenommen hat. 66,1%

Nein, es wurde kein Anwalt aufgesucht Ja, - es wurde aber nur eine Beratung in Anspruch genommen - der Rechtsanwalt ist nach wie vor mit der Sache befaßt

21,9%

31,1%

9,2%

KA = 2,8%

Was hat der Rechtsanwalt geraten? Der Rechtsanwalt hat: - Zur Einigung geraten - und auch zur Forderungshöhe Angaben gemacht (nur bei Ast) - aber ohne näher auf die Forderungshöhe einzugehen (nur bei Ast)

Antragsteller

33,3%

53,3%

Antragsgegner 48,5%

20,0%

- Keinen konkreten Rat erteilt

31,1%

21 ,2%

- Von einer Einigung abgeraten

15,6 %

30,3%

N

54

33

B. Empirische Untersuchung

189

Rechtsanwälte nehmen an der Verhandlung vor dem Schiedsmann nur recht selten teil. Nur 10,8% der Parteien haben angegeben, an der Schlichtungsverhandlung habe ein Rechtsanwalt teilgenommen, obwohl nahezu ein Drittel der Parteien Anwälte mit der Sache betraut hatten. Grund hierfür könnte die aus Anwaltssicht oftmals ungünstige Terminstunde sein, da Anwälte nachmittags in der Regel die Sprechstunde abhalten und es so zu Überschneidungen kommen dürfte. Rechtsanwälte raten ihren Parteien entgegen der Annahme nicht gerade häufig von einer Einigung vor dem Schiedsmann ab. Bei den Antragstellern haben nur in 15,6% der in Betracht kommenden Fälle die mit der Sache befaßten Rechtsanwälte ihrer Partei von einer Einigung abgeraten. In 53,3% der Fälle wurde eine Einigung empfohlen; ein unkonkreter Rat erfolgte in 31,1% der Fälle. Ebenfalls nicht sonderlich hoch ist mit 31,1% der Wert der Angaben von Antragsgegnern, deren Anwalt von einer Einigung abgeraten hat. Der in Vergleich zu den Antragstellern leicht höhere Wert mag in der beim Anwalt angesprochenen Verteidigerstellung begründet sein. Anwaltsbeteiligung am Sühneversuch/Vergleichsquote Anwaltsbeteiligung am Sühneversuch:

(Col Pct)

Ja

Nein

Ja

66,8 %

61,1 %

Nein

33,2%

38,9%

Vergleichsabschluß:

(N = 18 - 217)

Anderweitige Anwaltsbeteiligung/Vergleichsquote (Col Pct) Vergleichsabschluß:

Haben Sie in der Sache einen Rechtsanwalt aufgesucht, auch wenn dieser nicht an der Verhandlung teilgenommen hat? Nein

Ja, aber nur Beratung

RA ist nach wie vor tätig

Ja

72, 1%

70,9 %

13,0 %

Nein

27,9 %

29,1 %

87,0 %

(N = 23- 165)

Die Teilnahme von Rechtsanwälten scheint keinen nachteiligen Einfluß auf die zu erzielende Vergleichsquote zu haben. Es läßt sich demnach nicht

190

2. Teil, 2. Kap.: Empirische Untersuchung- Parteien

feststellen, daß Schlichtungstennine, die unter Beteiligung emes oder zweier Rechtsanwälte stattgefunden haben, nur mit einer geringeren Erfolgsquote einer gütlichen Einigung zugänglich waren. Die Rechtsanwälte scheinen sich folglich durchaus kooperativ zu verhalten. Gleiches gilt, soweit der Rechtsanwalt bei der Verhandlung zwar nicht zugegen war, die betreffende Partei ihn aber im Vorfeld der Verhandlung zum Zwecke einer Beratung aufgesucht hat. Hier liegt freilich bei den Antworten, die vorgaben, der Anwalt sei nach wie vor mit der Sache befaßt, mit 13,0% eine außerordentlich niedrige Vergleichsquote vor. Die niedrige Vergleichsquote läßt sich damit erklären, daß die weitere Befassung eines Anwalts mit der Streitsache in der Regel nur dann erforderlich ist, wenn man sich gerade nicht hat einigen können. g) Die Verfahrensbeendigung aa) Der Vergleich ( 1) Vergleichsquote; Kosten

Aufgrund der entsprechenden Parteiangaben konnte eine Vergleichsquote von 64,5% ermittelt werden. Dieser Wert liegt somit noch im Rahmen der für positive Verfahrenserledigungen üblichen Quote71 , so daß von einem den tatsächlichen Verhältnissen nahekommenden Querschnitt auszugehen ist. Kostenregelung Wie haben Sie sich über die Veifahrenskosten geeinigt? Kosten trägt: - Antragsgegner - Teilung l/2 - 1/2 - Teilung andere Quote - Antragsteller - Keine Kostenregelung

22,8% 2,5%

60,5% 25,3% 13,6% 0,6%

N = 162

Überwiegend wurde im Vergleich vereinbart, daß der Antragsgegner die Verfahrenskosten zu tragen hat, wozu die Kosten für das Schlichtungsver71 Im Jahre 1991 betrug die Vergleichsquote aller nordrhein-westfälischen Schiedsmänner beispielsweise 55,1 %; vgl. SchsZtg 1992, S. 153.

191

B. Empirische Untersuchung

fahren und eventuell angefallene Rechtsanwaltskosten zu zählen waren. Rund 25% der Parteien gaben an, man habe sich auf die Teilung der Kosten verständigt. In 13,6% der Fälle haben die Antragsteller die Kosten übernommen. Festzuhalten bleibt, daß die Antragsgegner in den meisten Fällen zumindest an den entstandenen Kosten beteiligt sind. (2) Regelungsgegenstand

Der Inhalt eines Vergleichs ist nicht festgelegt. Denkbar ist folglich eine unbestimmte Vielfalt an Einzelregelungen und deren Kombinationen. Den Angaben der Parteien kann entnommen werden, daß sie von dieser sehr weitgehenden Gestaltungsmöglichkeit auch regen Gebrauch machen. (a) Vergleichsinhalt (aa) Übersicht Zunächst soll eine Übersicht über die in den Vergleichen enthaltenen Einzelregelungen sowie die Höhe eventuell vereinbarter Geldleistungen gegeben werden. Vergleichsinhalt - Regelungen Im Vergleich wurde nur eine Regelung getroffen: - Entschuldigung - Regelung hinsichtlich des zukünftigen Verhaltens einer oder beider Parteien - Zahlung: Schadensersatz für beschädigte Gegenstände - Zahlung : Spende für eine gemeinnützige Einrichtung - Meidung (Regelung, sich zukünftig aus dem Weg zu gehen) - Zahlung: Schmerzensgeld Im Vergleich wurden mehrere Regelungen getroffen: - Regelung für die Zukunft und Zahlung; Entschuldigung - Entschuldigung und Zahlung - Zusammmentreffen mehrerer Zahlungen - Meidung und Zahlung; Entschuldigung Sonstiges

(N = 160)

wurden: nur Kostentragung [3 x]; Obernahme von Arztkosten [3 x]; Anspruchsverzicht [I x]; Auflösung eines Vertrages [I x])

(~enannt

20,0 % 11,9 % 5,6 % 4,4 % 3,8 % 0,6%

46,3 %

24,4 % 20,0 % 3,8 % 0,6 %

48,8 %

5,0 %

192

2. Teil, 2. Kap.: Empirische Untersuchung- Parteien

Höhe der Geldleistungen Höhe der Vereinbarten Geldleistungen in DM: 1 bis 150 151 bis 500 501 bis 999 ab 1.000 (geringste Zahlung: (höchste Zahlung:

33,3% 31,6% 17,5% 17,5%

50,- DM) 3.275,- DM)

(N =57)

(bb) Erläuterung Etwa gleich große Anteile der Parteien haben sich entweder für einen Vergleich entschlossen, in dem nur eine Vereinbarung getroffen worden ist oder für einen solchen, der mehrere Vereinbarungen umfaßt. Überwiegend enthält der Vergleich eine Entschuldigung des Antragsgegners für sein Tun. Diese ist oftmals mit einer Zahlung in Form eines Schmerzensgeldes, einer Leistung an eine gemeinnützige Einrichtung oder dem Ersatz für beschädigte Gegenstände verbunden. Knapp 40 % der Befragten gaben an, im Vergleich seien - zum Teil neben anderen Vereinbarungen - Regelungen getroffen worden, die das zukünftige Verhalten der Parteien betreffen. Dieser hohe Wert zeigt, daß das Schlichtungsverfahren keineswegs nur auf den aktuellen Konflikt zentriert ist, sondern daß offensichtlich auch von den Parteien gewünschte - sonst würde eine solche Regelung nicht Vergleichsinhalt werden - prospektive Komponenten enthalten sind. Für die Zukunft wird also zumindest eine friedensstiftende Wirkung angestrebt. Das Schlichtungsverfahren hat insofern teilweise eine über den jeweils aktuellen Konflikt hinausgehende Wirkung. Keine besonders große Bedeutung kommt den Fällen zu, in denen im Vergleich ausdrücklich geregelt ist, man werde sich zukünftig aus dem Weg gehen. Diese sehr weitgehende Form der Regelung zukünftigen Verhaltens geht mit einer völligen Reduktion der Sozialbeziehungen einher und wird daher offenbar zurückhaltend angewandt. Daß von den Parteien trotzdem oftmals mit einer Abkühlung der Beziehungen gerechnet wird, wurde bereits gezeigt72 . Hinsichtlich der vergleichsweise vereinbarten Geldleistungen kann auf die Übersicht verwiesen werden. 72 Zur Einschätzung der Parteien zur künftigen Entwicklung ihrer Beziehungen siehe oben 2. Teil, 2. Kap., B., II., 2., c), bb).

8. Empirische Untersuchung

193

(b) Umfassende Regelung Reichweite der Regelung Sindtrotz des Vergleiches noch irgendwelche Folgen der Tat nicht geregelt? - Nein, mit dem Vergleich haben wir uns umfassend geeinigt: - Folgende Punkte sind noch offen: - Zivilrechtliche Ansprüche - Regreßansprüche der Krankenkasse gern. § 116 SGB X - Entschuldigung

94,2% 3,2% 1,9% 0,9%

(N = 155)

Mit dem Vergleichsabschluß führen die Parteien eine umfassende Regelung und somit vollständige Erledigung des Streites herbei, die sogar die gegebenenfalls angefallenen Rechtsanwaltskosten umfaßt. 94,2% der Befragten bekundeten, mit dem Vergleichsabschluß habe man sich umfassend geeinigt, sämtliche Folgen der Tat seien mithin geregelt. Die sehr weitgehende Regelung auch und vor allem der aus der Tat erwachsenden zivilrechtliehen Ansprüche zeigt sich ferner an der bereits dargestellten recht häufigen Vereinbarung von Geldleistungen, die zum Teil eine beträchtliche Höhe erreichen. Grundsätzlich kann somit von einer wirklich befriedenden Wirkung des Vergleichs gesprochen werden. Soweit im Einzelfall eine umfassende Regelung nicht erzielt werden konnte, so handelte es sich in erster Linie um zivilrechtliche Ansprüche, die noch nicht geklärt waren. (c) Nachgeben des Antragstellers Ein bewußtes Nachgeben des Antragstellers, welches an sich zum Charakter eines Vergleichs gehört, ist eher selten festzustellen. Weit überwiegend haben sich die Antragssteiler nicht zu einer Leistung verpflichtet und auch ihre ursprünglichen Forderungen nicht reduziert. Gut ein Fünftel der Antragsteller hat immerhin seine am Anfang des Verfahrens gestellten Forderungen herabgesetzt. Ein Nachgeben wurde auch in der Kostenbeteiligung des Antragstellers gesehen. Insgesamt kann nicht gesagt werden, daß der Vergleich regelmäßig das Produkt eines intensiven Diskurses zwischen den Parteien ist. Dies wurde 13 Gutknecht

194

2. Teil, 2. Kap.: Empirische Untersuchung - Parteien

auch schon bei der Erörterung der Frage, ob der erstmalige Vergleichsvorschlag abgeändert worden ist, dargelegt73 . Nachgeben des Antragstellers Haben Sie sich in dem Vergleich auch zu einer Leistung verpflichtet? - Nein, nur der Gegner muß Leistungen erbringen

59,6%

- Nicht direkt, ich habe aber am Ende weniger als anfangs verlangt

21,9%

- Sonstiges: - Kostenbeteiligung - Keine weitere Verfolgung der Tat - Keine weiteren Provokationen - Die Tat wird verziehen - Stillschweigen über die Tat bewahren - Sonstige Gegenleistung

18,5%

9,9% 3,3% 2,6% 1,3% 0,7% 0,7%

(N = 151)

(3) Die Abschlußmotive Abschlußmotive Antragsteller Warum haben Sie den Vergleich abgeschlossen? - Weil der Gegner sich bereit erklärt hat, meine Forderungen zu erfüllen

28,4%

- Weiterer Konflikt zu lästig, zu teuer und/oder weiteres Verfahren wäre ohnehin erfolglos

21,0%

- Weil wir uns versöhnt haben, und/oder weil ich dem Gegner verziehen habe

9,9%

- Habe eine gewisse "Teilschuld" an dem Konflikt erkannt

8,6%

- Forderung erfüllt und Versöhnung, Verzeihen - Versöhnung, Verzeihen und Teilschuld erkannt

4,9 % 13,6 %

- Weiteres Verfahren : Zu lästig, zu teuer, ohnehin erfolglos und Teilschuld erkannt

8,6 %

- Mitleid mit dem Täter; diesem eine Chance geben

4,9%

(N = 81) 73 Siehe zur Initiative für den Einigungsvorschlag oben 2. Teil, 2. Kap., B., II., 2., f), bb).

B. Empirische Untersuchung

195

Abschlußmotive Antragsgegner. Warum haben Sie den Vergleich abgeschlossen? - Resignation: Sache war lästig; vor Gericht auch keine gerechtere Behandlung; Bestrafung entgehen

38,5%

- Versöhnung

10,7%

- Einsicht, etwas Falsches getan zu haben

9,2%

- Versöhnung und Einsicht

15,4%

- Einsicht und Resignation

21,5 %

- Einigung auf Rat eines Dritten; Interesse an zukünftiger Regelung

4,6%

(N = 65)

Das Idealziel des Verfahrens, nämlich ein Vergleichsabschluß aufgrund des Umstandes, daß man sich mit dem jeweiligen Gegner versöhnt hat, wird nur selten erreicht. Dies war bereits angesichts der recht prosaischen Äußerungen der Parteien zum erwarteten weiteren Schicksal der jeweiligen Beziehung abzusehen. Bei beiden Parteien wurde mit nur etwa 10% die isolierte Angabe gemacht, man habe sich geeinigt, weil man sich im Verfahren versöhnt habe. Ein etwas positiveres Bild zeigt sich, wenn die Antworten hinzugenommen werden, in welchen das Versöhnungselement nach Aussage der Parteien für den Vergleichsabschluß zumindest mitursächlich gewesen ist. Dies ergibt bei den Antragstellern einen Wert von 28,4 % und bei den Antragsgegnern von 26,1 %. Der höchste Wert entfiel bei den Antragstellern mit 28,4 % auf die isolierte Aussage, man habe sich aus dem Grunde geeinigt, weil der Antragsgegner sich bereiterklärt habe, die eigenen Forderungen zu erfüllen. Gut ein Viertel (zuzüglich der Aussagen, bei welchen die Forderungserfüllung mitursächlich war, ergibt sich sogar ein Drittel) der Antragsteller steht dem Vergleich also recht nüchtern gegenüber. Hier wird deutlich, daß den Parteien - jedenfalls den Antragstellern - in der Tat oftmals mit einer den Schaden ausgleichenden, pragmatischen Regelung gedient ist. Bei den Antragsgegnern war in 36,9 % der Fälle die Einsicht, Unrecht getan zu haben (mit)ursächlich für den Abschluß des Vergleichs. Dies erscheint angesichts des Umstandes, daß im Falle eine Vergleichsabschlusses der Antragsgegner seine Täterschaft und Verantwortlichkeit der Regel eingeräumt haben wird, ein nicht sonderlich hoher Wert. 38,5 % der Antragsgegner meinten indes, sie hätten den Vergleich abgeschlossen, weil die Sache ihnen entweder lästig gewesen ist, sie vor Gericht 13"

196

2. Teil, 2. Kap.: Empirische Untersuchung- Parteien

auch keine gerechtere Behandlung erwarten würden oder, weil sie einer Bestrafung entgehen wollten. Ein ganz erheblicher Prozentsatz hat den Vergleich also aus resignativen Erwägungen abgeschlossen. Bei der Addition des Wertes von 21,5 %, dem die Fälle zugrunde liegen, bei welchen das resignative Element neben der Einsicht, Unrecht getan zu haben, auch eine Rolle spielt, ergibt sich sogar eine Quote von 60%. Ein solch hoher Wert läßt sich hingegen bei den Antragstellern nicht darstellen. Dort meinten "nur" 28,4% der entsprechenden Teilnehmer, den Vergleich abgeschlossen zu haben, weil der Konflikt entweder lästig bzw. teuer sei, oder das weitere Verfahren ohnehin keine Aussicht auf Erfolg habe. Ein Wert von 37% ergibt sich, wenn die Fälle hinzugezählt werden, bei welchen resignative Eindrücke für den Vergleichsabschluß aus der Sicht der Antragsteller mitursächlich gewesen sind. Fast ein Drittel (30,8%) der Antragsteller hat als (Mit)Ursache für den Abschluß des Vergleichs ein Mitverschulden am Zustandekommen des Konflikts ausgemacht. Dieser Umstand ist erfreulich, da sich hieran zeigt, daß - jedenfalls in etlichen Fällen - eine relativ tiefgehende Auseinandersetzung mit dem Konflikt stattfindet, die dazu führen kann, auch dem Antragsteller die Tat in einem für den Täter günstigeren Licht erscheinen zu lassen, was dem zukünftigen Verhältnis wohl förderlich sein dürfte. Hieran zeigt sich auch, daß strafrechtlich relevante Konflikte oftmals komplexer gelagert sind, als eine vordergründige Einordnung in Recht-UnrechtKategorien vermuten lassen könnte. Zusammenfassend kann für diesem Bereich gesagt werden, daß die Motivationsstruktur im Hinblick auf den Abschluß eines Vergleichs sehr vielseitig ausgeprägt ist. Ein einheitliches Bild ergibt sich weder auf Seiten der Antragsteller noch auf Seiten der Antragsgegner. Die Versöhnung spielt jedenfalls keine überragende Rolle. Bei den Parteien herrscht eine eher nüchterne Sichtweise vor, die den Grund für den Abschluß eines Vergleichs entweder in pragmatischen Erwägungen sieht oder günstigere Alternativen nicht zu erkennen vermag. (4) Die Erfüllung des Vergleichs

(a) Erfüllungsbereitschaft des Antragsgegners Die Bereitschaft der Antragsgegner, den einmal geschlossenen Vergleich auch zu erfüllen, ist nahezu einmütig gegeben. Über zwei Drittel der betreffenden Antragsgegner meinen, den Vergleich aus grundsätzlichen Erwägungen, weil man nämlich zu einer einmal getroffenen Vereinbarung stehe, erfüllen zu wollen, wobei weitere 13,6% eine Erfüllung anstreben, aber nicht genau wissen, ob sie hierzu auch imstande sind. Lediglich 15,2% der

B. Empirische Untersuchung

197

Antragsteller werden den Vergleich nur erfüllen, weil sie die gerichtliche Vollstreckung aus diesem fürchten. Erfüllungsbereitschaft des Antragsgegners Werden Sie den Vergleich erfüllen? Ja, weil ich einmal geschlossene Vereinbarungen grundsätzlich erfülle

68,2%

Ja, aber nur weil ich anderenfalls die Vollstreckung fürchte

15,2%

Ich bin bemüht, den Vergleich zu erfüllen, weiß aber noch nicht, ob ich hierzu imstande bin

13,6%

Nein, ich fühle mich an die Einigung nicht gebunden

3,0%

(N = 66)

Die Erfüllung des Vergleichs scheint also keine Schwierigkeiten zu bereiten. Das vermutete Zwangsmoment der drohenden Vollstreckung ist nicht in der erwarteten Ausprägung feststellbar. (b) Kenntnis der Parteien von der Vollstreckbarkeit Meinung der Parteien zur Durchsetzung einer im Vergleich festgelegten Zahlungsverpflichtung - Beim Gericht Klage erheben

35,5%

- Der Gerichtsvollzieher kann unmittelbar beauftragt werden 74

23,5%

- Sonstiges: (genannt wurden: Beim Schiedsmann intervenieren [4x}; Jeder zahlt die Hälfte [2x]; der Vergleich ist unverbindlich [I x]) - Weiß nicht KA

2,8% 33,5%

= 4,8%

Die Parteien haben hinsichtlich der Durchsetzung einer durch den Vergleich begründeten Zahlungsverpflichtung entweder keine oder eine unzutreffende Vorstellung. 33,5% der Parteien konnten sich zu dieser Frage 74 Die Formulierung ist mit Rücksicht auf den Adressatenkreis unpräzise gewählt. Der Gerichtsvollzieher kann nämlich nicht unmittelbar tätig werden, sondern erst muß auf der Ausfertigung des Protokolles die Vollstreckungsklausel vom zuständigen Amtsgericht erteilt werden, § 33 II SchAG/NW.

198

2. Teil, 2. Kap.: Empirische Untersuchung- Parteien

nicht erklären und 35,5% meinten, man müsse Klage bei Gericht erheben. Nur 23,5% hielten zutreffend die Vollstreckung für das richtige Mittel, die Forderung beizubringen. Bemerkenswerte Unterschiede zwischen Antragstellern und Antragsgegnern oder ein Einfluß auf die Vergleichsquote zeigten sich nicht. Das von der rechtlichen Konstruktion aus gesehen bedeutsame und echte Vorteile bietende Merkmal der Vollstreckbarkeit des Vergleichs spielt im Erleben der Parteien keine nennenswerte Rolle.

bb) Das Scheitern der Verhandlung

(I) Gründe für das Scheitern des Verfahrens Gründe für Scheitern der Schlichtungsverhandlung Wenn kein Vergleich erzielt werden konnte, was sind die Gründe hierfür?

Gesamt

Ast

- Ast: "Der Antragsgegner hat die Tat geleugnet"

40,5%

37,0%

Ag: "Ich habe die Tat nicht begangen" - Ast: "Der Antragsgegner hat sich auf Notwehr berufen"

44,8% 7,1%

4,4 %

Ag: "Es lag Notwehr o.ä. vor" - Ast: "Der Gegner soll sich vor Gericht verantworten und ihm erschien die Forderung zu hoch; Berufung auf Notwehr"

10,5% 25,1%

26,1%

Ag: "Antragsteller wollte Bestrafung und Forderung zu hoch; Notwehr; ein Dritter hat von Einigung abgeraten" - Keine Einigung über Kosten erzielt und/oder Leugnen der Tat - Anwalt (2x) odere andere (3x) hat/haben von Einigung abgeraten - Die Forderung erschien zu hoch - Psychische Disposition des Gegners ließ Einigung nicht zu - Es ist nicht ersichtlich, warum sich der Gegner nicht einigen wollte N

Ag

23,7%

7,2%

9,9%

2,6 %

4,8%

2,2 %

7,8%

1,2%

0,0 %

2,6%

3,6%

4,4%

2,6%

10,7%

15,2%

5,2 %

84

46

38

B. Empirische Untersuchung

199

Nach Meinung der Parteien scheitern die meisten Schlichtungsverhandlungen daran, weil der jeweilige Antragsgegner die Tat abstreitet, also der Auffassung ist oder vorgibt, er habe die Tat nicht begangen, sein Tun stelle keine Straftat dar, oder sein Handeln sei jedenfalls gerechtfertigt. Unter Berücksichtigung der Angaben, wonach die Verhandlung gescheitert ist, weil neben dem Abstreiten der Tat durch den Antragsgegner auch eine Einigung über die Kostentragung nicht gefunden werden konnte, haben 54,8% der Parteien angegeben, eine Vermittlung sei nicht möglich gewesen, weil das "Geständnis" des Antragsgegners nicht vorlag und dieser die Tat abgestritten hat. Es scheint also so zu sein, daß ein Vergleich ohne die Aufklärung der näheren Tatumstände, die die Frage erhellen könnten, ob der Antragsteller sich strafbar gemacht hat, in der Regel nicht zustande kommt. Hierfür spricht auch die oben dargestellte erhebliche Zahl der Antragsgegner, die als Grund für einen Vergleichsabschluß angegeben haben, sie würden (jetzt) einsehen, etwas Falsches getan zu haben. Etwa ein Viertel der Parteien gab an, man habe sich nicht einigen können, weil die Antragsteller den jeweiligen Antragsgegner durch ein Gericht bestraft wissen wollten. Jedenfalls war dieser Wille mit ein Grund für das Nichtzustandekommen einer Einigung. Erstaunlich ist, daß 26,1 % der Antragsteller eingeräumt haben, derartige Rachegedanken seien mitursächlich für die fehlgeschlagene Einigung. Hier ist allerdings nicht klar, ob diese Angaben darauf beruhen, daß der jeweilige Antragsteller mit einer von vornherein überzogenen Forderung fehlende Einigungsbereitschaft demonstriert hat, oder ob erst der Antragsgegner durch seinen Einwand, die Forderung sei zu hoch bzw. es liege ohnehin Notwehr etc. vor, den Antragsteller verärgert hat, mit der Folge, daß hierdurch bedingt erst der entsprechende Wunsch nach Bestrafung artikuliert wurde. 15,2 % der Antragsteller konnten sich nicht erklären, warum sich der jeweilige Gegner nicht hat einigen wollen; hingegen war dies nur bei 5,2 % der Antragsgegner der Fall. Eine Erklärung hierfür könnte sein, daß die Antragsgegner teilweise eine undifferenzierte Verweigerungshaltung einnehmen und am weiteren Verfahren überhaupt nicht mehr mitwirken, sondern sämtliche Vorschläge ohne nähere Begründung zurückweisen 75 . Dies könnte an der als Verteidigungsposition ausgestalteten Verfahrensrolle liegen und an den individuell verschiedenartigen Möglichkeiten, sich entsprechend zu artikulieren.

75 Diese Erfahrungen machte jedenfalls der Verfasser bei seiner Teilnahme an zahlreichen Schlichtungsverhandlungen.

200

2. Teil, 2. Kap.: Empirische Untersuchung - Parteien

(2) Verhalten nach dem Scheitern des Veifahrens Geplantes weiteres Vorgehen des Antragstellers nach dem Scheitern des Schlichtungsverfahrens - Auf jeden Fall Privatklage erheben

41,3%

- Erst weiteren Rat einholen, wobei die Sache aber grundsätzlich weiterverfolgt werden soll

37,0%

- Kein Privatklageverfahren; es soll aber der Schaden ersetzt werden

4,3%

- Unschlüssig

8,7%

- Die Sache soll nicht weiter betrieben werden

8,7%

(N = 46)

Gründe, das Privatklageverfahren nicht durchzuführen7 6 - Die Kosten wären zu hoch - Das ganze Verfahren ist zu bürokratisch

55,0% 9,1%

- In einer solchen Angelegenheit sollte nicht zu großer Aufwand betrieben werden

12,1%

- Durch das Verfahren hat der Antragsgegner gesehen, daß es "so nicht geht". Das genügt.

12,1%

- Eigene Mitschuld erkannt

3,0%

- Sonstiges (genannt wurden: Beweisprobleme [2x]; anderes Verfahren soll Klärung bringen (I x])

9,1%

(N = 33)

41,3% der Antragsteller waren sich nach dem Scheitern der Schlichtungsverhandlung weitgehend sicher, zur weiteren Verfolgung ihrer Rechte eine Privatklage erheben zu wollen. Weitere 37,0% wollten erst zusätzlichen Rat, etwa bei einem Rechtsanwalt, einholen, hatten aber vor, das Verfahren weiter zu betreiben. Die übrigen Antragsteller wollten entweder auf jeden Fall (in einem zivilrechtliehen Verfahren) ihren Schaden ersetzt haben oder waren sich über das zukünftige Vorgehen noch unschlüssig. Nur 8,7% der betreffenden Antragsteller hatten vor, die Sache auf sich beruhen zu lassen. 76 Befragt wurden nur diejenigen Antragsteller mit negativem Verfahrensausgang und die nicht bereits fest entschlossen waren, das Privatklageverfahren durchzuführen.

B. Empirische Untersuchung

201

Es ist aber damit zu rechnen, daß, angesichts der in aller Regel erst nach einer Beratung durch einen Rechtsanwalt offenbar werdenden Kosten- und Risikodimension eines Privatklageverfahrens, nur ein geringer Teil der anfangs noch zur Durchführung des Verfahrens entschlossenen Antragsteller das Privatklageverfahren auch tatsächlich durchführen wird. Diese Einschätzung geht konform mit den Angaben der Antragsteller, die nicht auf einen formal erfolgreichen Verfahrensabschluß zurückblicken können und sich auch nicht fest entschlossen äußerten, das Verfahren weiter zu betreiben, zu der Frage, warum ein Privatklageverfahren nicht durchgeführt werden würde. Hier äußerten sich nämlich 55% der Befragten, wenn sie von einem Privatklageverfahren Abstand nähmen, geschähe dies wegen der zu erwartenden hohen Kosten. Nimmt man hierzu noch den Prozentsatz der Antragsteller, die nach eigenem Bekunden durch das bürokratische Element des Verfahrens abgeschreckt werden würden, so ergibt sich eine durch die Verfahrenshemmnisse bedingte Quote von 64,1 %. Eine gewisse Bedeutung hatten noch die Angaben, man solle in einer Bagatellangelegenheit nicht einen zu großen Aufwand treiben, sowie durch das - wenn auch erfolglose - Schlichtungsverfahren sei dem Gegner gezeigt worden, man lasse sich nicht alles bieten, was nach Einschätzung der betreffenden Antragsteller genügt. Keine Bedeutung hat eine nach der Verhandlung erkannte Mitverursachung am Konflikt, die ursächlich für das Absehen von einem Privatklageverfahren sein könnte. Ein erfolgloser Sühneversuch hat demnach nicht die vermutete Wirkung, wonach die Antragsteller, oftmals aufgrund der Einsicht, der Konflikt sei nicht ausschließlich vom Täter verursacht worden, Abstand vom weiteren Verfahren nehmen. Dies mag zwar auch daran liegen, daß der Konflikt tatsächlich nicht vom Opfer mitbedingt ist, was angesichts der hohen Zahl der Nachbarschaftsstreitigkeiten und der Konflikte mit einer längeren Vorgeschichte aber eher unwahrscheinlich ist. Wahrscheinlicher ist indes die durch den Kosten- und Risikofaktor gegebene abschreckende Wirkung des weiteren Verfahrens. Obwohl - wie bereits an anderer Stelle dargestellt - auch ein nicht unerheblicher Anteil der erfolglosen Antragsteller wieder zum Schiedsmann gehen würde 77 , erscheinen die sich für die Antragsteller nach Scheitern des Schlichtungsverfahrens ergebenden bürokratischen und finanziellen Hindernisse bedenklich.

77

Siehe hierzu oben 2. Teil, 2. Kap., B., II., 2., e), aa), (1).

202

2. Teil, 2. Kap.: Empirische Untersuchung- Parteien

h) Einstellungen und Erwartungen der Parteien aa) Übersicht Zunächst soll eine Übersicht über die Angaben der Parteien hinsichtlich der individuellen Bedeutung einzelner, mit dem Schlichtungsverfahren in Strafsachen in Zusammenhang stehender, Aussagen gegeben werden. bb) Erläuterung Zunächst fällt eine, bei derartigen Fragen wohl auch nicht ausschließbare Tendenz auf, daß die Parteien mit den Angaben zu den vorgegebenen Aussagen überwiegend ihre Zustimmung erklärt haben 78 . Diese Zustimmungstendenz, oder auch Akquieszenz79, stellt einen beachtlichen Verzerrungseffekt dar, der aber aus Gründen des Fragebogenumfangs, etwa durch die Verwendung inhaltlicher Alternativantworten (forced-choice-questions), nicht vermieden werden konnte. Um Tendenzen der Parteiansichten-trotz der genannten Unwägbarkeilenbesser erfassen zu können, wurden aber bei der Konzeption der Fragebögen an unterschiedlichen Stellen zum gleichen Themenbereich zum Teil mehrere Fragen gestellt (Konzept der multiplen Indikatoren). Zwischen den zum Ausdruck gekommenen Erwartungen der Parteien zeigen sich zum Teil aber beachtliche Unterschiede, so daß die Daten einer Interpretation zugänglich sind, wobei indes zu berücksichtigen ist, daß die entsprechenden Aussagen der Parteien lediglich eine Tendenz wiedergeben können. Solche Tendenzen können aus methodischen Gründen nur im Kontext mit den übrigen erfaßten Aussagen der Parteien interpretiert werden. ( 1) Restitution des Schadens; umfassende Regelung der Tatfolgen

Die Antragsteller sind mit 91,0% Zustimmung nahezu einhellig der Auffassung, der durch die Tat entstandene Schaden solle im Schlichtungsverfahren ausgeglichen werden. Sie sind aber tendenziell bereit, hinsichtlich der Höhe der Ausgleichsforderung Zugeständnisse zu machen. Hier liegt nämlich nur eine Zustimmungsquote von 71,3% vor, wonach eine vor dem Schiedsmann verein78 Einige wenige in diesem Bereich offensichtlich unsorgfältig ausgefüllte Bögen wurden für die Auswertung nicht zugelassen. 79 Siehe zu den vermuteten Ursachen für dieses Phänomen Schnell/Hili/Esser, Methoden . .. , S. 324 ff.

- Die Angelegenheit sollte in möglichst einer Sitzung erledigt werden.

- Nichtöffentlichkeit

- Private Atmosphäre des Verfahrens.

- Sämtliche Folgen der Tat sollten umfassend geregelt werden.

- Die Tat sollte möglichst durch die Einigung vergessen werden.

- Man sollte sich im Verfahren versöhnen.

- Es sollte auch das zukünftige Verhalten zwisehen mir und dem anderen geregelt werden.

- Der entstandene Schaden ist auszugleichen.

15,9 % 26,6 %

50,8 % 55,3 %

A 77,4 % G 80,8 %

25,5%

15,5%

27,0 %

55 ,1%

G 84,1 %

44,0 %

32,5%

52,5 %

A 85,0 %

61 ,2 %

30,8%

41,3 %

G 72,1 %

A 59,5 %

28,1%

37,2 %

A 65,3 %

G 77, 5 %

20,9%

37,4 %

15,8%

24,0 %

36,8 %

A 60,8 % G 58,3 %

26,7%

26,7%

36,7 %

G 63,4%

34,4 %

19,5%

47,7 %

A 67, 2 %

33,3 %

21,8%

A 49,1 %

20,5%

70,5 % 42,5 %

A 91,0 % G 64,3 %

G 61.1 %

eher wichtig

wichtig

Zustimmung

10,6 %

12,5 %

10,5 %

12,0%

20,0 %

19,1%

10,1 %

8,3 %

16,5 %

17,4%

19,8%

19,2 %

13,3 %

15,4 %

20,7 %

6,5 %

mittel

neutral

Was erwarten Sie vom Verfahren vor dem Schiedsmann?

5,9 % 5,3 %

3,2 %

4,7 %

8,1%

17,2 %

11,2 % 4,7 %

10,0 %

16,7 %

4,5 %

4,2 %

6,6 %

14,0 %

9,9 %

11,2%

11 ,1%

9,8 %

6,9 %

0,0%

nicht wichtig

8,9%

15,0%

3,4 %

2,5 %

5,5%

3,3%

13,1 %

8,8 %

12,1 %

7,3%

8,0%

2,5%

eher nicht wichtig

(Fortsetzung)

8,5 %

10,6%

12,8 %

28,4 %

18,9%

31, 7%

7,9 %

6, 7%

12,1 %

17,3 %

22,0%

20,0 %

23,2 %

17,1 %

14,9%

2,5 %

Ablehnung

w

IV 0

O