Das Residenzpalais in Kassel [Reprint 2021 ed.]
 9783112399026, 9783112399019

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VERWALTUNG DER S T A A T L I C H E N S C H L Ö S S E R UND GÄRTEN

HANS HUTH

DAS RESIDENZPALAIS IN KASSEL

BERLIN DEUTSCHER

1930

K U N S T V E R L A G

o V)



BAUGESCHICHTE Alle Glocken läuteten, als Kurprinz Wilhelm am 31. Oktober 1813 nach Jeromes Sturz unter dem ungeheuren Jubel der Bevölkerung in die Stadt Kassel einzog. 1821 folgte er seinem Vater als Wilhelm I I . in der Regierung, und am 10. März 1831 verließ er auf immer die Residenzstadt, nachdem er seinen Sohn Friedrich Wilhelm der Form nach zum Mitregenten gemacht, in Wirklichkeit aber ihm die Regierungsgeschäfte zur selbständigen Führung überlassen hatte. Niemand bedauerte den Kurfürsten, der sich verbittert nach H a n a u zurückzog und nie wieder Kassel betreten h a t ( f 1847). Seine Regierungszeit h a t t e eine vergiftete Atmosphäre entstehen lassen, die eine einzige Kette von Denunziationen, Verfolgungen, Prozessen, Mißverständnissen und Skandalen enthielt. Von Kurprinz Wilhelm hatte m a n einst alles Heil der Z u k u n f t erwartet. Auf einem Gebiet wenigstens h a t t e er auch nicht enttäuscht : Er ließ das Geld rollen. Da sein Vater es verstanden hatte, genügend aufzuspeichern, waren ihm auch die Grenzen nicht enger gezogen, als er wünschte. Sogleich nach der endgültigen Abwendung der napoleonischen Gefahr im J a h r e 1815 ergab sich die Gelegenheit f ü r Kurprinz Wilhelm, seiner Bauleidenschaft zu fröhnen, als es sich für ihn als notwendig erwies, eine eigene Residenz einzurichten. Das alte Landgrafenschloß - an der Stelle des heutigen Regierungsgebäudes - in dem die Kurfürsten in Kassel zu residieren pflegten, war 1811 einem Brande vollständig zum Opfer gefallen, so daß K u r f ü r s t Wilhelm nach seiner Rückkehr in dem Schloß Bellevue Wohnung nehmen mußte. Die Enge dieser U n t e r k u n f t legte den Gedanken zu dem Neubau einer Residenz nahe, 1817 wurden unter Jussows Leitung denn auch die Fundamente zu einem neuen Schloß (Chattenburg) gelegt, das sich in ungeheurer Großartigkeit an der Stelle des verbrannten Landgrafenschlosses erheben sollte. Da der Kurprinz an diesem Bau keinen Anteil n a h m und sich auch in dem kleinen Bellevueschloß kein Platz f ü r ihn fand, begann er den Umbau des kleinen Palais, das ihm die Landstände nach seiner Rückkehr zur Verfügung gestellt hatten. Es war ein Wohngebäude, das sich ein General von Jungken unter finanzieller Beihilfe des Landgrafen Friedrich I I . zwischen 1767 und 1769 durch den Hofarchitekten Simon Louis du R y h a t t e erbauen lassen, das aber schon 1772 in den Besitz der Land3

stände übergegangen war u n d seitdem zu wechselnden Zwecken für Privatleute und Behörden gedient hatte. Als es der Kurprinz übernahm, bedurfte es einer gründlichen Instandsetzung, mit der im J a h r e 1816 begonnen wurde. Von dem alten Bau du Rys (1726 bis 1799) zeugt nur noch das Äußere, und zwar besonders der nach dem Abb. 9 Friedrichsplatz liegende Teil der Fassade mit dem von einem Dreiecksgiebel überragten vorspringenden Mittelrisalit, dessen Fenster durch reichere Bekrönungen hervorgehoben sind. Wie weit der nach der Königstraße gelegene Teil des Gebäudes zum ursprünglichen Bestände gehört, läßt sich nicht mehr feststellen. Nach dem weißen P u t z der Außenseite erhielt das Gebäude den Namen „Weißes Palais" im Gegensatz zu dem „Rotes Palais" gegenannten späteren Neubau. Wenn auch die Raumeinteilung des Inneren im allgemeinen beibehalten wurde, so bekam es durch die neue Ausstattung ein völlig verändertes Gesicht. Diese wurde Johann Conrad Bromeis übertragen (1788-1854), der später Jussows Nachfolger als Oberhofbaudirektor wurde. I n welcher Art die Innendekoration zu erfolgen hatte, konnte nicht zweifelhaft sein. F ü r höfische Bauten regierte noch immer jene Geschmacksrichtung, die eine spätere Zeit „ E m p i r e " genannt hat. Vom Hofe Napoleons ausgehend, h a t t e dieser Stil Europa erobert, u n d zwar in einer Weise, die sich noch viel dauerhafter zeigen sollte als die Herrschaft des Mannes, der ihr zum Siege verholfen hatte. Mochten die regierenden Herren im Lager der Rheinbundfürsten stehen wie die Könige von Sachsen und Württemberg oder waren sie wie in Kassel geschworene Feinde französischer Gesinnung, in Dingen des Geschmacks regierte Paris. Der bis zur Jahrhundertwende lebendige Einfluß Englands h a t t e trotz Waterloo und der Aufhebung der Kontinentalsperre aufgehört : Französische Journale gaben den Ton an, u n d französische Dekorateure lieferten die Vorbilder f ü r die Neueinrichtung, deren viele Höfe Europas seit der grundlegenden Stiländerung im anbrechenden J a h r h u n d e r t bedürftig waren. Grundlegend und tonangebend f ü r alle diese künstlerischen Bestrebungen war eine Veröffentlichung der beiden Architekten Napoleons, Percier und Fontaine, die zuerst 1802 erschien u n d 1812 in einer erweiterten Auflage endgültig vorlag. I n dieser Vorlagensammlung („Recueil des décorations intérieurs") waren Entwürfe f ü r Möbel, Decken und Wandbehang zum Gebrauch f ü r Architekten geschaffen worden. 4

Unter Benutzung solcher Quellen löste Bromeis seine Aufgabe meist taktvoll u n d einwandfrei - tatkräftig durch den in dieser Hinsicht begabten Kurprinzen gefördert. Vielfache Anregungen boten ihm bei seiner Arbeit sicherlich die Erzeugnisse des französischen Kunstgewerbes, mit denen Jerome die ihm allzu kärglich staffiert scheinenden Kasseler Residenzen reicher geschmückt hatte und von denen viele nach seinem Abzüge zurückgeblieben waren. Solche Stücke sind nicht n u r mit zur Ausstattung verwendet sondern auch sehr gut nachgeahmt worden, so daß es nicht immer gelingen will, einheimische von fremder Arbeit zu unterscheiden, eine Tatsache, die dem hochentwickelten Stande der Kasseler Handwerkskunst alle Ehre macht. Welche Handwerker Bromeis unterstützten, läßt sich im einzelnen, von ganz geringen Ausnahmen abgesehen, nicht feststellen, da alle f ü r diesen wie f ü r den späteren Erweiterungsbau wichtigen Akten nicht mehr vorhanden sind. So ist man auf die kärglichen Randbemerkungen auf den erhaltenen Zeichnungen und auf die wenig zuverlässige Führerliteratur der Zeit angewiesen. I m ersten Stock wurden nach der Seite des Friedrichsplatzes die privaten Wohngemächer des Kurprinzen, rückwärts nach der Hofseite die Schlaf- und Ankleidezimmer angeordnet, an der Königstraße lagen die Gesellschaftsräume. Diese fanden zugleich Anschluß an die im benachbarten Gebäude befindliche Wohnung der Gräfin Reichenbach, die seit 1815 an Stelle der vom Kurprinzen getrennt lebenden Kurprinzessin getreten war. Im Anschluß an diese Umbauten im alten Palais des Generals von Jungken wurde Abb. 9,16 von 1816 bis 1819 ein großer Anbau, das „Saalgebäude", fertiggestellt, das geräumigeren Platz für Festlichkeiten bieten sollte, als es die niedrigen, in ihren Dimensionen doch bürgerlich anmutenden Räume des alten Hauses t u n konnten. Durch diesen Zuwachs wurde der rückwärts gelegene Hof im Norden (Speisegalerie) u n d Osten (Tanzsaal) von Gebäuden umschlossen, so daß der ganze Gebäudekomplex nunmehr ein Rechteck darstellte, von dem n u r eine Ecke an der Stelle des jetzigen Thronsaales - unbebaut blieb. In gewissem Abstand von dem Saalbau wurde, zugänglich durch einen nicht über das Erdgeschoß ragenden Verbindungsflügel, ein f ü r Wirtschaftszwecke zu benutzender zweistöckiger Bau an der Stelle geplant, die jetzt von dem an der Karlstraße gelegenen Teil des Roten Palais eingenommen wird. Ob dieser Bau nur Projekt blieb oder schon nach 5

zwei Jahren dem Neubau des Roten Palais Platz machen mußte, läßt sich nicht mehr feststellen. Gewiß macht die ganze Disposition des Anbaus nicht den Eindruck der Großzügigkeit und sicheren Gestaltungskraft. Nach seinem Regierungsantritt (1821) ergab sich für Wilhelm II. die Notwendigkeit, als Ersatz für das abgebrannte Landgrafenschloß der Würde des Regenten entsprechende Repräsentationsräume zu schaffen. Den Bau der Chattenburg fortzusetzen, spürte er keine Lust, da er schon als Kurprinz gegen diesen von seinem Vater zärtlich gehegten Plan starke Abneigung hegte und Pietät eine Eigenschaft war, die ihm besonders fernlag. So blieb diese Unternehmung in den Anfängen stecken, und der ungeheure Bauplatz wurde allmählich zu einem Ruinenfeld, auf dem sich die Kasseler Jugend mit Vorliebe tummelte, bis die Trümmer in den siebziger Jahren abgetragen wurden, um dem Neubau des Regierungsgebäudes Platz zu machen. Statt der Weiterarbeit an der Chattenburg beschloß der Kurfürst eine Erweiterung der an das Weiße Palais angeschlossenen Bauten. Es zeigte sich jedoch, daß dem Neubau die Lage des Tanzsaals recht hinderlich war. Dessen ursprüng Abb. 9 lieh nach Süden vorgesehene große Fenster mußten einer Tür weichen. Dadurch machte sich ein Ausfall an Lichtzufuhr geltend. Die nach dem engen Hof gelegenen Fensteröffnungen sind weder genügend noch sind sie repräsentativ. Die Leitung des Neubaus - nach seinem Baumaterial „Rotes Palais" genannt - wurde wieder in die Hand von Bromeis gelegt. Ganz schlicht bietet sich das Äußere in den Fronten nach der Karlstraße und dem Friedrichsplatz dar. Die letztere wird Umschlag mittels eines durch sechs Pilaster gegliederten Risalits betont, dem eine durch sechs dorische Säulen gestützte Halle vorgelegt ist. Zu beiden Seiten der mittleren fünf Fensterachsen liegen vier weitere, von denen die letzte jeweils etwas zurückspringt. Die einzigen Schmuckglieder bilden die wenigen wechselnden Umrahmungen der Fenster. Dieser eintönige und wenig imposante Bau, der von einem plumpen und ungegliederten Dach überdeckt wird, soll Schinkel zu dem Ausspruch veranlaßt haben: „Schade um das dazu verwandte herrliche Baumaterial." Verspricht das Äußere des Palais wenig, so entschädigt doch das Innere durch die hohe Qualität der Dekoration, allerdings immer innerhalb der engen Grenzen des Empirestiles. Anders als sonst in der Raumdisposition repräsentativer Bauten spielt das große

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Treppenhaus eine bescheidene Rolle: Es ist an die Seite des Abb. I Raumgefiiges gedrängt und hat keinerlei funktionellen Einfluß auf die Verteilung der Räume. Als Endergebnis des ganzen Bauunternehmens erstand ein großes Rechteck: In der Mitte der Tanzsaal, flankiert von zwei von Gebäuden umgebenen Höfen. Ohne Niveauunterschiede wurden die Bauten so aneinandergefügt, daß sich im ersten Stock ununterbrochene Fluchten von Räumen ergaben, die einen völligen Ring schlössen, dadurch kommen sie zu besonders einheitlicher Wirkung. Die Mitarbeiter von Bromeis sind auch hier bis auf wenige nicht bekannt. Von Ruhl scheint der Entwurf der Treppenhausausstattung zu stammen. Jussow hat bei der Raumdisposition im Anfang mitberaten, schied aber dann wohl bald aus. Da die Räume selbst günstig lagen, konnte Bromeis hier seine dekorativen Ideen besser als in dem alten Hause zur Entfaltung bringen. Seine Stärke scheint in der farbigen Abstimmung der Räume zu liegen, sie sind häufig kühn und fast immer sehr geschmackvoll, so daß sie als musterhaft und charakteristisch im Sinne ihrer Zeit weit über den Rahmen der heimischen Kunst Geltung innerhalb Deutschlands beanspruchen dürfen. Kurfürst Wilhelm II. hat die Vollendung des Baues nicht mehr gesehen. Als er Kassel 1831 verließ, waren die Wände in den Coursälen noch nicht mit Tapeten bekleidet. Nach seinem Abzüge wurde das Tempo der Arbeiten gewiß nicht schneller. Da 1837 noch immer die Bespannung einzelner Wände und die Ausstattung durch Möbel fehlten, dürfen wir die Beendigung aller Arbeiten erst in das Ende der dreißiger Jahre setzen. So ist also im Laufe eines Vierteljahrhunderts die Folge von Räumen geschaffen worden, die uns jetzt trotzdem durchaus einheitlich anmutet. Als die Arbeit begonnen wurde, war der Empirestil auf der Höhe seiner Entfaltung, am Ende der Schaffensperiode regten sich bereits neue Kräfte in dem Pariser Kunstzentrum. Da begannen jene Musterbücher zu erscheinen, die „Sammlungen von Ornamenten aller Art und aller Style" (Chenavard, 1836) enthielten oder die eine „Universalencyclopädie aller Ornamente" (Fleury-Chavant, 1841) darstellten. Sie waren die bequemen Eselsbrücken, deren sich die erfindungsarmen Köpfe kleiner Architekten mühelos bedienen konnten. Gewiß wurden manche „Stile" periodisch dabei bevorzugt, auch hier immer unter der Bevormundung durch Paris, das im zweiten Kaiserreich zu neuer Bedeutung als künstlerisches Zentrum kam. Die Vor7

liebe der Kaiserin für die Zeit ihrer Vorgängerin Marie-Antoinette ließ „ R o k o k o " und „Louis X V I . " zu neuem Scheinleben auferstehen. An der Kasseler Residenz ging diese Bewegung nicht spurlos vorüber, u m so weniger als Friedrich Wilhelm geringes künstlerisches Verständnis besaß und die Architekten walten ließ. Als zwischen 1840 und 1850 einige neue Deckenmalereien und eine Neueinrichtung des gelben und roten Zimmers notwendig wurden, geschah das im „neuesten" Geschmack, dem erbarmungslos die alte Einrichtung geopfert wurde. Maureskenelemente an der Decke mischen sich mit den Renaissancemotiven der Öfen, als Kontrast wird dagegen das Rokoko der Möbel gesetzt: eine wahrhaft barbarische Stilmischung, die sich nun allerdings nicht nur über Kassel ergoß, sondern die im Schloß zu Babelsberg den gleichen Anklang wie in den Tuilerien fand. Auch diese gänzlich unschöpferische Kunstübung, die sich durch ein halbes Jahrhundert bis zur Ablösung durch den Jugendstil fortsetzen sollte, in ihren Erzeugnissen denkmalsmäßig zu erhalten, ist gerechtfertigt, weil sie eine charakteristische Kulturäußerung ist, nicht etwa aus Gründen jener Vorsicht, die Kunsterzeugnisse der vorigen Generation aufbewahrt, weil m a n gelernt hat, daß die folgende Generation immer zu Unrecht die künstlerischen Erzeugnisse der vergangenen schmäht. Die Produkte aus der Zeit der „Stilhetze" sind ihrem Wesen nach ganz anders zu werten, als die aus organischem Wachstum in ständig sich gegensätzlich ablösenden Entwicklungsreihen hervorgegangenen Kunstwerke früherer Zeiten. Glücklicherweise sind die Gegenstände künstlerischer Verirrung in der Kasseler Residenz so selten, daß sie keinen wesentlichen F a k t o r im Gesamteindruck ausmachen. Das Bild als Ganzes ist einheitlich. Es gibt nicht viele Schlösser in Deutschland, in denen der kühl aber auch souverän wirkende Geist der Empirezeit so rein und klar zum Ausdruck kommt.

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FÜHRUNG DURCH DIE

RÄUME

Auf einem Seitenweg gewinnt man den Zugang zu der im Halbdunkel liegenden Haupttreppe des Roten Palais, die zu den Schauräumen führt. Die Wände der Treppe und der erste Vorraum sind Raum. 1 mit vier Gobelins geschmückt. Sie entstammen der Brüsseler Werkstatt des E. Leyniers (1597 bis 1680) und hingen früher in der Löwenburg. Sie stellen Bilder aus der Geschichte der Kleopatra dar. Von dem kleinen, oft veränderten Vorzimmer, auf das die Treppe mündet, betritt man den ersten Raum des nach dem Friedrichsplatz gelegenen Teils des Weißen Palais. Es war ehemals ein „kleines Audienzzim- Raum 2 mer", das von seiner ursprünglichen Ausstattung leider gar nichts mehr aufzuweisen hat. Gegen das Farben- und Formgewirr der Deckenmalerei und der seit den fünfziger Jahren des 19. Jahrhunderts hier aufgestellten Möbel in dem Rokokostil dieser Zeit haben es die hier aufgehängten Gemälde von Joh. Heinr. Tischbein (1722 bis 1789) schwer, sich zu behaupten. Die beiden Gemälde an der Türseite (Herkules und Omphale, Anakreon und Sappho) stammen aus der Frühzeit des Meisters, sie sind frisch und lebendig gemalt und klingen an italienische Vorbilder an. Anstückungen zeigen, daß diese Gemälde wohl ursprünglich Teile einer Wandbekleidung oder einer Decke in einem anderen Kurfürstlichen Schloß ausmachten. An den Schmalseiten hängen noch zwei Bilder Tischbeins, die Szenen aus der Gcschichte der Kleopatra darstellen, ein Thema, das der Meister mehrfach behandelt hat. Nach links führte der Weg ehemals in die Privatgemächer des Kurfürsten, nach rechts - auch der jetzt vom Besucher zu verfolgende Weg - in die Festräume. Enttäuschend wie der erste wirkt auch der zweite Empfangsraum. Ein Salon, der nichts mehr von der Pracht Raum 3 der ersten Einrichtung zeigt. Das falsche Rokoko der Möbel und die Maureskenornamente der Decke legen Zeugnis ab für den in der Mitte des 19. Jahrhunderts herrschenden Mangel an Geschmack in dekorativen Dingen, als man meinte, durch Musterbücher und Maschinen künstlerische Arbeit ersetzen zu können. Drei Damenporträts von Joh. Heinr. Tischbein stellen Schauspielerinnen des französischen Theaters im Charakter der Tragödie, des Ballets und der Oper dar, sie hingen noch 1792 im Schloß Weißenstein. Beachtenswert sind auch eine Marmorbüste von 9

T. C. Wolf (Rom, 1794) und ein Schreibsekretär vom Beginn des 19. Jahrhunderts. Raum 4 Das benachbarte holzgetäfelte Kabinett, von dem vorhergehenden Zimmer erst bei dem Umbau abgetrennt, verdankt seine Entstehung sicherlich dem Bestreben, den neuentstandenen Zimmerfluchten nach der Seite des Friedrichsplatzes und der Königstraße einen geeigneten Blickpunkt zu geben. Charakteristisch hierfür ist der Spiegel an der Westwand, durch den die gegenüberliegende Zimmerflucht in das Unendliche verlängert wird. Das Kabinett wird ausgezeichnet durch seine Täfelung aus Birke und Ahorn, die mit ganz schlichten Formen vollendete Wirkung erzielt. Wenige Sitzmöbel charakterisieren den Raum als Durchgangsraum aus den Privatgemächern nach den Festräumen. Zu dem Farbenklang der goldgelben Täfelung und dem alten hellblauen Bezug der Sitzmöbel gesellt sich als kräftigerer Ton die gut erhaltene Malerei der Decke. Der verhältnismäßig große Kandelaber, dessen Wirkung bei brennenden Kerzen durch den Spiegel verstärkt wird, hilft dem Raum die Auszeichnung geben, die er weniger durch seine Größe als durch seine Lage besitzt. Raum 5 Auch das folgende Zimmer, durch den Umbau verschmälert, hat infolge seiner ungünstigen Form, die nur erlaubt, die Möbel an den Wänden aufzureihen, den Charakter eines Korridors erhalten. Die ursprüngliche Wanddekoration - bis auf zwei Pilaster hinter dem Ofen beseitigt - ist durch eine solche aus der Mitte des 19. Jahrhunderts ersetzt worden; aus derselben Zeit rührt die Decke mit ihrer öden Malerei her, wohl nach einem Entwurf von Engelhard. Die Sitzmöbel stammen aus dem zweiten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts; es sind einheimische Arbeiten nach guten französischen Vorbildern. Sehr beachtenswert ist ein Schreibschrank, der sich durch die Güte seiner Bronzen auszeichnet. Es handelt sich hierbei um ein französisches Stück, das noch aus der Zeit Jeromes stammt und vielleicht aus dem Bellevueschloß hierhergeschafft wurde. Veranlassung für die französische Ursprungsbestimmung gibt eine Abbildung dieses Schrankes, die sich in dem französischen Journal „Album de la Mesangere" (1802-1803) veröffentlicht findet und sicherlich nach der Vollendung des Schrankes angefertigt wurde, da die Bronze ganz genaue Übereinstimmung zeigt. Die Bilder der Jahreszeiten sind Joh. Heinr. Tischbein zuzuschreiben. 10

Als letztes Durchgangszimmer, das am stärksten den. Charakter Raum 6 des früheren bürgerlichen Wohnhauses zeigt, folgt das „Kabinett über dem T o r " . Trotz der gut erhaltenen Ausstattung aus der Entstehungszeit, in der allein der Ofen als Fremdkörper wirkt, ist dem Zimmer jede Raumwirkung infolge seines unglücklichen Schnittes u n d Lichteinfalls versagt. Guaschebilder aus der Fabrik der Bleuler in Schaffhausen, die ihre Erzeugnisse weithin verbreiteten, schmücken die Wände. Nach der Anspruchslosigkeit der beiden vorhergehenden Räume Raum 7 wirkt u m so überraschender das folgende „ägyptische Zimmer". ^466.6,7 Schon die quadratische, zum Verweilen einladende Form schafft einen wohltuenden Raumeindruck, der verstärkt wird durch die alle Wände einheitlich zusammenschließende Architektur. Es ist ein Teeoder Konversationsraum, der ringsum mit Sitzen versehen ist. Wirken diese reichlich mit Kissen versehenen „Puffs", eine zu Beginn des Jahrhunderts neuauftauchende und bald sehr beliebt werdende Sitzgelegenheit, einladend genug, so sorgt doch die überaus herbe und feierliche Architektonik des Ganzen dafür, daß man keinen Augenblick vergißt, in einem höfischen P r u n k r a u m zu verweilen, in dem alle Anforderungen der Etikette streng zu befolgen sind. Dementsprechend ist auch die Farbengebung, so daß dem leuchtenden Gelb der Seide und dem Gold der Beschläge das Schwarz des Holzes und der marmornen Platte des „russischen", von außen heizbaren Ofens die Waage hält. Dazu gesellt sich das kühle Blau der Decke, deren spiegelbelegte Mitte man sich im Leuchten der strahlenden riesigen Lichterkrone vorstellen muß. Die Strenge der architektonischen Linien wird gemildert durch die alles überwuchernde H ä u f u n g von in Bahnen gelegter Drapierung und zierlicher Posamenterie, in deren sorgsamer Anfertigung das Kasseler Handwerk sich besonders auszeichnete. Die Stilgebung des Ganzen ist „ägyptisch", ohne daß jedoch mehr als äußere Formmotive übernommen und schlecht und recht verarbeitet sind. Diesen Stil durch seine reichen und kostbaren Formelemente zum Ausdruck zu bringen, bemühten sich die französischen Hof künstler schon seit dem Zuge Napoleons nach Ägypten. Wenn das Zimmer so einerseits die etwas verspätete Übernahme französischer modischer Erscheinungen darstellt, so ist auch in der Wahl gerade jenes Stils der Durchbruch eines Empfindens zu spüren, das in den ägyptischen Symbolen den romantischen Ausdruck für 11

eine Mystik fand, nach der sich viele Köpfe jener Zeit sehnten. Erläuterungen auf einer erhaltenen Zeichnung beweisen, daß Bromeis auch diesen Raum ausführte und nicht Engelhard, wie zuweilen angenommen wurde. Der Tisch ist direkt aus dem Werke Perciers übernommen und bis auf die Tischplatte genau danach ausgeführt. Raum 8 Gesteigerte fürstliche Pracht bietet sich in dem folgenden, 1818 ausgeführten sogenannten „alten Coursaal". Trotz der weiten Leere dieses zum Empfang bestimmten Raumes geht von ihm ein Eindruck der Wohnlichkeit aus, der durch die außerordentlich starke Farbwirkung der Dekoration hervorgerufen wird. Mit der „dunkelfeuerfarbenen Wandbespannung mit goldenen Sternen" klingt die üppige Vergoldung der Türen, die mitsamt der niedrigen Täfelung aus massivem Mahagoni gefertigt sind, zusammen, darüber spannt sich, anscheinend durch eine umlaufende Reihe vergoldeter Konsolen gestützt, die gemalte, Stuck nachahmende Decke. Ihre goldene Akanthusbordüre auf dunkelblauem Grund wirkt um so schwerer und wuchtiger, als die Mitte der Decke in raffinierter Weise durch helle rosa Töne aufgelichtet ist. Sparsam verteilte Mahagonimöbel mit guten Bronzebeschlägen und reich ornamentierte Kronleuchter französischer Herkunft (wie fast alle Kronen des Palais) dienen diesem prunkvollen Raum zur Ausstattung. Kupfergetriebene Öfen aus der Henschelschen Fabrik stehen in stuckierten Nischen und sind als Postamente für Figuren dekorativ verwertet; statt ihrer waren russische Öfen geplant, wie sich jetzt einer im ägyptischen Zimmer ausgeführt findet. Ursprünglich schloß eine mit roten Stoffdraperien behängte und mit einer Sitzbank ausgestattete halbrunde Nische den Raum an der nördlichen Schmalseite ab; wie aus den erhaltenen Zeichnungen hervorgeht, wurde sie schon 1842 beseitigt. Raum 9 Ein schwieriges Dekorationsproblem bot der folgende „große Versammlungssaal", der hinter den beiden letzten Räumen nach der Hofseite liegt. Seine übergroße Länge versuchte man zunächst durch zwei einspringende Säulenpaare scheinbar zu verkürzen. Entsprechend seinem Charakter als Versammlungs- oder Durchgangssaal nach dem eigentlichen Empfangsraum ist seine Ausstattung bescheidener als die des letzten Raumes. Als neues Dekorationsmittel wird hier die hellfarbige Lackierung der Holzvertäfelung angewandt, die in Verbindung mit der lichten Wandbespannung und den gleichfarbi12

gen Möbelhezügen einen außerordentlich einheitlichen und eleganten Eindruck macht. Sehr reich wirkt die Decke mit der alle Formelemente der antiken Ornamentik abwandelnden gemalten Stucknachahmung. Auch hier üppige Kronleuchter und Uhren Pariser Herkunft. Der nächste anschließende Raum ist wieder holzgetäfelt und grün- Raum 10 cremefarbig lackiert. Ähnlich wie das erwähnte Birkenkabinett besteht seine Funktion darin, als Vermittlung zwischen zwei im rechten Winkel aufeinanderstoßenden Raumfluchten zu dienen. Hier ist die Stelle, an welcher der erste Anbau aus den Jahren 1816-1819, der allein aus der nun folgenden Galerie und dem großen Tanzsaal bestand, ansetzt. Die langgestreckte Speisegalerie (1818 ausgeführt), in die man Raum 11 jetzt eintritt, macht mit der hohen stuckierten Wölbung und der beiderseitigen Arkadengliederung der Wände, die nach der Hofseite durch reiche Fensterzahl durchbrochen ist, fast den Eindruck eines Gartensaals. Dazu trägt auch der kühl wirkende Stuck an den Wänden bei, der nur durch ganz zart abgetönte Farben belebt ist. Diesem Raum, der farbig so sparsam behandelt ist, verleiht erst die festlich gedeckte Tafel u n d der Glanz der Kerzen Leben u n d Farbe. Durch einen Zufall h a t sich auf einer Zeichnung eine Aufzählung der früher hier vorhandenen Möbel erhalten: 4 Kanapees, 16 Taburetts, 24 Stühle, 4 Fußbänke, 2 Ofenschirme. Ein Teil dieser Möbel, jedoch mit neuem Bezug, befindet sich heute in Schloß Wilhelmshöhe. Durchschreitet man jetzt eine anspruchslose Türöffnung, so steht man in einem Saal, dessen Größenverhältnisse überraschend ein- Raum 12 drucksvoll sind. Dieser Saal zusammen mit der vorhergehenden Ga- Abb. 2,8 lerie war die erste Erweiterung des Hauses des Generals von Jungken, die Wilhelm I I . schon während seiner Kurprinzenzeit plante und die er bald nach seinem Regierungsantritt vornahm. In diesem Saal (28 m L.; 11,70 m Br.; 8 m H.) ist ein Höhepunkt des Glanzes und höfischen Prunks erreicht; auch alle Einzelheiten vom Gardinennagel bis zur Türklinke sind hervorragend gearbeitet, überall ließ der Bauherr nur gediegenes Material zu. Die dekorativen Mittel sind der Grammatik der klassischen Architektur entnommen, so daß m a n sich eher in eine römische Basilika als in einen Tanzsaal versetzt glaubt. An den Schmalseiten ist der Saal durch den Einbau von vorspringenden Säulenpaaren verkürzt, ein Motiv, das auch bei Percier und Fontaine 13

häufig vorkommt u n d vielleicht auf Grund dieser Anregungen ausgeführt ist. An der Eingangsseite sind sie durch eine schmale Tonne überwölbt u n d grenzen den Teil ab, der als Durchgang zu den benachbarten Räumen dient, an der gegenüberliegenden Seite flankieren sie eine Apsis, in deren Mitte der Durchgang zu dem in derselben Achse liegenden Thronsaal liegt u n d in deren Kuppel die niedrige Musikempore eingebaut ist. Nischen, für die ursprünglich Figuren vorgesehen waren, gliedern die eine Längswand, in deren Mitte ein ungeheurer Spiegel eingefügt ist. Gegenüber öffnet sich die Fensterwand nach dem Hof, das riesige Mittelfenster reicht bis zum Boden und schneidet tief in die Tonnendecke ein. Die Farben Gold und Blau herrschen in diesem R a u m und geben den kühlen architektonischen Formen Leben. Kräftig heben sich die blauen Säulen und Pilaster, Friesbänder und Sitzmöbel von den gelblichen Tönen der Stuckwände a b und empfangen ihre Betonung durch die massige Vergoldung einzelner Schmuckglieder. Stark farbig wirkt auch der von Meister Krug gelieferte Fußboden mit seinen in geometrischen Mustern angeordneten hellen u n d dunklen Hölzern. Gemalter Stuck ziert die Decke und beweist., d a ß diese illusionistische Malerei eine Mode war, die man auch dann nicht als Surrogat vermied, wenn m a n Geldmittel nicht zu scheuen brauchte. Reichgeschnitzte Sitzbänke und Taburetts dienen zur Ausstattung, die sich mit ihren strengen Linien sorgfältig in den R a u m fügt. Einen Ofenschirm h a t m a n durch sein außerordentliches Ausmaß vergeblich der Umgebung anzupassen versucht; die Blätter sind mit drei Bildern in der Art Tischbeins geziert; er s t a m m t aus der Werkstatt Stobwassers in Braunschweig u n d soll 3000 Tlr. gekostet haben. Zwei bronzene, blank polierte Öfen aus der Henschelschen Gießerei sind als dekorative Bestandteile der Wandgliederung benutzt und gehören zu den wenigen Stücken, über deren H e r k u n f t etwas Genaueres bekannt ist, auch ihr Preis von 5000 Tlr. wird überliefert; die Reliefs sind von dem Bildhauer Henschel gefertigt. Besonders monumental wirken die Beleuchtungskörper, deren mittlerer beängstigend schwer allzu tief in den R a u m hineinzuhängen scheint. Sie sind bis ins einzelne außerordentlich fein durchgeführt und gehören zu den prunkvollsten E r zeugnissen der Pariser Werkstätten, die große Krone soll 12 000 Rtb*. gekostet haben und wiegt 38 Zentner. Repräsentativen Prunkbedürfnissen zuliebe wurde dieser Saal mit verschwenderischem Aufwand 14

von Mitteln geschaffen. Wenn uns der Raumeindruck dennoch kühl läßt, so mag das seinen Grund darin haben, daß sich in dieser Ausstattungskunst eine gewisse akademische Leere der Formen zu zeigen beginnt. Sie wirkt völlig unpersönlich, weil sie in keiner Weise örtlich gebunden i s t ; ihre Nahrung bezog sie aus den Anregungen hauptstädtischer Meister, deren Erzeugnisse m a n so treu nachzuahmen suchte, daß für eigene Phantasie n u r noch wenig Platz übrigblieb. Besonders charakteristisch für diese Art, eklektisch Dekorationselemente zusammenzufügen, ist die an den Tanzsaal nach Westen sich anschließende Speisegalerie, die bereits der Bauperiode des Roten Raum 13 Palais angehört. In Zweck und Gestalt ähnelt sie der nach der ande- Abb. 4 ren Seite des Tanzsaals liegenden Galerie, n u r daß bei ihr noch mehr der Charakter des Gartensaals gewahrt ist. Die Malerei der Decke zeigt diese vollständig aufgebrochen: über einem von Blumen durchflochtenen Gitterwerk wölbt sich der blaue Himmel. Die Pilaster zwischen den Arkaden tragen gemalte Einlagen, die zwar „A. Preuß e r " signiert sind, jedoch Kopien nach Dekorationen der Loggien des Vatikan darstellen, die durch Stiche von Volpato gerade um die Jahrhundertwende starke Verbreitung fanden. Noch ältere Bestandteile der Dekoration sind die zwischen den Pilastern eingelassenen Gemälde des italienisierenden Flamen Adrian van der Werff. Vielleicht stammen sie auch aus dem holländischen Landhaus, das Landgraf Carl den Deckengemälden zuliebe kaufte, die sich jetzt in der Gemäldegalerie befinden. Endlich sind die Schmalseiten mit Kopien nach italienischen Meistern geschmückt. Sind also die Dekorationselemente außerordentlich verschieden, so werden sie doch durch die immerhin geschmackvolle Wahl der Farben zusammengehalten, so d a ß ein einheitlicher Eindruck nicht ausbleibt. Die jetzt aufgestellten einfachen Stühle gehören nicht zur ursprünglichen Einrichtung. Die Öfen u n d Kronleuchter passen sich dem schlichten Charakter des Saals gut an. Nach Osten endet der Saal in einer Apsis, einer Architekturform, die Bromeis liebte und oft anwandte. Ihre Wände sind mit Spiegeln verkleidet, wohl um die nach dem benachbarten Pariser Saal führende kleine Tür zu verbergen. Die Flucht der Festräume erleidet hier einen gewissen Einschnitt, der mit ihrer Verwendung in Zusammenhang zu bringen ist. Der Zugang zum nächsten Saal erfolgte im allgemeinen nicht von hier aus, sondern von der Haupttreppe des Roten Palais. Die alte Bezeichnung dieses 15

Raum 14 Raumes als „Buffetsaal" kennzeichnet seine Bestimmung, bei größeren Festlichkeiten, die sich in den nach dem Friedrichsplatz gelegenen Räumen im Zusammenhang mit dem Thronsaal abspielten, in Funktion zu treten. Dieser später ohne ersichtlichen Grund „Pariser Saal" genannte R a u m zeigt von den Sälen des Neubaus die geringste Einheitlichkeit der Dekoration. Dreiviertel der Wände sind mit Holzvertäfelung bekleidet, die klassizistische Motive in der charakteristischen Malerei zeigen, der wir schon vorher begegnet sind. Darüber erhebt sich die oben von einem Konsolenfries begrenzte Attika, welche Platz bietet f ü r aufgetragene Figuren in klassischem Geschmack. Die Unsicherheit, die sich anscheinend von Anfang an bei der Ausstattung dieses Raumes bemerkbar gemacht h a t , geht aus einigen erhaltenen Entwürfen hervor, bei denen sowohl die Anordnung der Spiegel und Pilasterfüllungen wie auch die Verteilung der plastischen Figuren dauernd wechselt. Auch eine auf Blau abgestimmte Deckenmalerei war zunächst statt der jetzigen grün getönten vorgesehen. Die beiderseitige Erhellung durch Fensterwände verursacht eine uneinheitliche Wirkung. Durch den derzeitigen Mangel an Vorhängen und passenden Möbeln wird gleichzeitig eine gewisse Ernüchterung hervorgerufen. Festlich wirken allein die ruhigen Linien des Kronleuchters. Raum 15 Der jetzt folgende nüchtern dekorierte Durchgangssaal ist zugleich der Eingangsraum zu dem Treppenhaus des Roten Palais. J e t z t ist er zu einer Ehrenhalle umgewandelt, in der die Fahnen der hessischen Regimenter des I. Armee-Korps Aufstellung gefunden haben. Die große Flügeltür erlaubt einen Blick in das tonnengewölbte Abb. 1 Treppenhaus, dem Abgüsse antiker Bildwerke zum Schmuck dienen; auch hier sind noch einige Fahnen aufgestellt. Die mit einer gewissen feierlichen Pracht geschmückte Treppe f ü h r t in die unteren Räume, von denen allein die weiträumige Eingangshalle sehenswert ist. AnRaum 16 schließend an die Fahnenhalle folgt nun ein schmaler Durchgangsraum, der vor die jetzt folgenden drei Coursäle eingeschoben ist, u m den Besucher so zu führen, daß er nicht seitlich in den großen Saal t r i t t , sondern durch die Mitte der Wand, von der aus m a n als wirkungsvollen Blickpunkt durch die dazwischenliegenden Säle hindurch sofort den im Thronsaal aufgestellten Thron sehen kann. Der kleine R a u m selbst zeigt einfache hellstuckierte Wände mit Pilastergliederung. Die Decke ist mit pompejanischen Motiven bemalt, in den Lünetten

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der Schmalseiten zeigen allegorische Gemälde die Geburt der Venus und den Zug der Juno. Der Fußboden ist wie in allen jetzt folgenden Räumen mit kunstvoll eingelegtem Parkett belegt. Einfache Stühle, bei denen einige Geselleninschriften die sichere Kasseler Herkunft bezeugen, und bronzeverzierte Kupferöfen bilden die Ausstattung. Der erste der jetzt folgenden Coursäle ist quadratisch. Ursprünglieh hatte Bromeis beabsichtigt, eine freistehende Säulenstellung in dem Saal anzuordnen; diese sollte eine Kuppel tragen, während in den Ecken große Kanapees ihren Platz finden sollten. Nachdem diese Idee fallengelassen wurde, blieb wohl als Rest die Andeutung einer in der Mitte offenen kassettierten Kuppel in der Deckenmalerei. Die Wandgliederung geschah hier wie in dem folgenden Saal durch Stuck pilaster, zwischen denen die Wände mit Lyoner Seide bespannt wurden. Sehr vorteilhaft für den Raum wirkt die Eingliederung des Ofens in die Wand, ähnlich wie im ägyptischen Zimmer; hinter einer von einem Rundbogen überwölbten Säulenstellung werden nur farbig in Blau und Gold behandelte Platten sichtbar, von denen die Wärme ausstrahlt. Blauer, golddurchwirkter Lyoner Seidendamast gibt mit dem rosa Stuck des Wandsockels die Farbenstimmung an; in denselben Tönen schwingt die Decke, dazu sind auch die an den Wänden aufgereihten Sitzmöbel abgestimmt. Sie sind aus Mahagoni gefertigt und sicher einheimische Arbeit. Die guten Bronzebeschläge zeigen das in dieser Zeit besonders beliebte Füllhorn, das noch öfter, z. B. im Thronsaal, wiederkehrt. Die französischen Armleuchter und die Krone zeigen ägyptische Motive, die diesem Raum sonst völlig fremd sind. Der reiche Fußboden wurde von den Gebrüdern Blaue gelegt. Obwohl der folgende Coursaal der größte in der ganzen Folge ist, wurde er mit besonders feinen Mitteln dekoriert und auf zarte Farben abgestimmt. Rosagelbe Pilaster auf grauem Grund gliedern die Wandfelder, die mit zart grünem, golddurchwirktem Damast bespannt sind. Goldene Konsolen über den Pilastern teilen die schmale Attika, deren Zwischenstücke sehr feine Akanthusornamente und Grotesken in Blau und Grün auf rosa Grund zeigen. Größte Sorgfalt wurde auf die Ausmalung der Decke gelegt, nicht weniger als vier Entwürfe liegen vor. Die Decke ist in lichte Felder aufgeteilt, die Motive ähnlich den Pilasterfüllungen im Bufifetsaal zeigen. Die mit Bronzeornamenten versehenen kupfernen Öfen fügen sich farbig und architektonisch sehr glücklich in die Wandmalerei. Ein Konsoltisch 2

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Raum 17

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Raum 18

und Sitzmöbel aus hellem Mahagoni mit vergoldeter Schnitzerei und Bezügen in der Farbe der Wandbespannung bilden die Ausstattung dieses Raumes. Die rechteckigen Wandarme sowie die drei Kronleuchter sind mit feinziselierten Darstellungen geschmückt und stammen ebenso aus Frankreich wie die mit Spielwerk versehene, plastisch reichverzierte Uhr. Eigenhändige Randbemerkungen Wilhelms II. auf den Entwürfen zu diesem Raum bezeugen die verständnisvolle und bis in das kleinste gehende Teilnahme des Kurfürsten an den Bauarbeiten. Diesem Saal vorgelagert ist eine über der Säulenvorhalle liegende Terrasse. Raum 19 Von dem zweiten Coursaal aus tritt man endlich in den Thronsaal, 5 das Ziel, auf den die lange Raumflucht vorbereiten soll. Zugleich wird hier wieder Anschluß an den großen Tanzsaal im Westen und an die kurfürstlichen Privaträume im alten „Weißen Palais" gewonnen. Die stärksten Farbeneffekte: Purpurrot, Gold und Weiß sind zu Hilfe genommen, um diesem Raum das einem Thronsaal entsprechende Aussehen zu geben. Trotz seiner nicht übermäßigen Größe gelangt er dadurch zu eindrucksvoller, wenn auch etwas aufdringlicher Wirkung. Weiße mit Goldzierat versehene Pilaster und ebensolche Ofennischen mit den üblichen kupfernen Öfen heben sich kraß von dem Purpur der Wandbespannung ab. Schwer lastet darauf ein Fries und die Decke, die zwischen massigen Akanthusmotiven in Grisaille Götter als Sinnbilder der Tugenden in Statuenform vor blauem Hintergrund zeigt. Der Entwurf dieser Decke stammt von Percier und Fontaine, er war im Schlafzimmer Napoleons in den Tuilerien zum erstenmal ausgeführt und später in dem bereits genannten Werk veröffentlicht worden. Nur die Initialen Napoleons wurden durch „W K II" ersetzt, ein charakteristisches Verfahren des Kurfürsten, der, trotz seines grimmigen Franzosenhasses, sich französischen Kunstgutes gern bediente. Daß er es auch nicht verschmähte, von Jerome hinterlassene Kleinigkeiten zu übernehmen, zeigen die von ihm veranlaßten Änderungen auf den von Jerome stammenden Spielmarken; hier wurden die gravierten Initialen „I N" in „W II" umgewandelt. Die Mitte der Nordwand nimmt das nur wenig ausgezeichnete Feld ein, vor dem der Thronsessel steht. Eine kleine Plattform und ein Baldachin gab ihm einst ein besseres Relief. In diesem für feierliche Handlungen bestimmten Raum haben nur noch Taburetts Verwendung gefunden, die durch die monströse Schwere 18

ihres Bronzebeschlages auffallen. Das Füllhornmotiv findet sich hier wieder wie in dem Blauen Saal; ein Motiv, das in Frankreich sehr viel benutzt wurde und das sich z. B. auch an der bekannten Wiege des Herzogs von Berry im Musée des Arts décoratifs vorfindet; der französische Ursprung ist also naheliegend. Die mit den Initialen des Kurfürsten versehenen Kronleuchter sind französisch ; der Fußboden wurde von dem Kasseler Meister Lauckhard gelegt. Durch eine kleine Tapetentür schlüpft man von dem Thronsaal Raum 20 aus in ein Kabinett, das schon im Weißen Palais liegt, das erste Zimmer aus der jetzt beginnenden Flucht der Privaträume des Kurfürsten. Die geringe Papiertapete bringt das anspruchslose Zimmer u m die gute Raumwirkung, die es, wie erhaltene Zeichnungen der ursprünglichen Ausstattung beweisen, einst hatte. Einige Porträts Joh. Heinr. Tischbeins sind hier bemerkenswert. Günstiger ist der Eindruck des folgenden Zimmers, dessen Wand- Raum 21 ausstattung und Deckenmalerei auch aus jener Zeit s t a m m t , in der Friedrich Wilhelm einige Räume erneuern ließ. Früher war hier das Arbeitszimmer des Fürsten, und in diesem Charakter ist es noch eingerichtet. Die Sitzgarnitur zeigt schöne Bronzen, ihre Bezüge sind zugleich mit der Wandbespannung erneuert. Der Schreibtisch ist bemerkenswert, ebenso der vor ihm stehende mit Löwenköpfen gezierte Stuhl, dessen Entwurf von Bildhauer Ruhl oder aus seinem Kreise stammen kann. Das Bild aus der Geschichte von Kleopatra s t a m m t von Joh. Heinr. Tischbein. Zwei Ansichten von Wilhelmshöhe sind von Hochecker gemalt, von dessen H a n d viele Darstellungen hessischer Schlösser erhalten sind. Besonders wertvoll ist das Bildnis des Landgrafen Friedrich I I . in dem alten Rokokorahmen, der auf einer Münze das D a t u m t r ä g t (1762). Das Zimmer h a t t e einen direkten Ausgang zu dem Schlaf- und Ankleideraum des Kurfürsten. Der Besucher tritt jedoch von hier aus zunächst in die schon durchschrittenen zwei Vorräume und gewinnt so den Zugang zu dem Schlafgemach. Die Architektur des Raumes ist erhalten: Zwei Säulen teilen eine Raum22 durch Pfeiler gegliederte Bettnische von dem übrigen R a u m a b ; die übliche, auch öfter bei Percier und Fontaine vorgeschlagene Schlafzimmerlösung. Säulen, Pilaster und niedrige Täfelung sind ebenso wie die ganze Möbelausstattung aus Birkenmaserholz gearbeitet. Leider wird die Raumwirkung durch die völlig verfehlte moderne 2*

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Decken- und Wandbeleuchtung stark beeinträchtigt. Die Möbel selbst sind sehr reich mit Bronze beschlagen und sehr kostbar ausgeführt, doch in den Formen wenig originell; in dem Bett „in Schiffsform" glaubt man die treue Ausführung eines französischen Stichvorbildes zu sehen. Pariser Fabrikate sind auch die Ampel und Leuchter; das mit figürlich bemalten blechernen Lichtschirmen versehene Nachtlicht bildete eine besondere Pariser Spezialität. Ebenso die Uhr, die eine plastische Darstellung des Schwurs der Horatier und Curiatier darstellt, ein sehr bekanntes Modell, das sich häufig in Schloßmobiliaren findet. Das kostbarste Stück des Raumes ist ein kleiner niederländischer Wirkteppich um 1500, der ausgezeichnet erhalten ist und ein besonders schönes Stück seiner Gattung darstellt.

AUFNAHMEN: STAATLICHE BILDSTELLE, B E R L I N

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1. T R E P P E N H A U S D E S R O T E N PALAIS 1

2. T A N Z S A A L . ( R A U M 12)

3. E K S T K K C U L I i S A A L . ( K A U M 17)