Das Reichsarbeitsministerium im Nationalsozialismus: Verwaltung - Politik - Verbrechen [1. Auflage] 9783835330023, 9783835340817, 3835330020

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German Pages 592 Seiten [593] Year 2017

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Das Reichsarbeitsministerium im Nationalsozialismus: Verwaltung - Politik - Verbrechen [1. Auflage]
 9783835330023, 9783835340817, 3835330020

Table of contents :
Umschlag......Page 1
Titel......Page 4
Impressum......Page 5
Inhalt......Page 6
Vorwort......Page 8
Alexander Nützenadel: Einleitung......Page 12
I. Behördenstruktur, Personal und institutionelle Konflikte......Page 32
Ulrike Schulz: Das Reichsarbeitsministerium 1919-1945. Organisation, Führungspersonal und politische Handlungsspielräume......Page 34
Lisa-Maria Röhling: Ausbildung, Karrieren und Laufbahnstruktur der mittleren Beamtenschaft......Page 104
Rüdiger Hachtmann: Reichsarbeitsministerum und Deutsche Arbeitsfront. Dauerkonflikt und informelle Kooperation......Page 138
II. Politische Handlungsfelder......Page 176
Karl Christian Führer: Wohnungsbaupolitische Konzepte des Reichsarbeitsministeriums......Page 178
Alexander Klimo: Rentenversicherungspolitik zwischen Arbeitseinsatz und Diskriminierung......Page 215
Sören Eden: Arbeitsrecht im NS-Staat. Die Treuhänder der Arbeit und die Kriminalisierung der Arbeitsvertragsbrüche......Page 247
Henry Marx: Arbeitsverwaltung und Organisation der Kriegswirtschaft......Page 283
III. Expansion, Krieg und Verbrechen......Page 316
Kiran Klaus Patel und Sandrine Kott: Sozialpolitik zwischen Auslandspropaganda und imperialen Ambitionen......Page 318
Elizabeth Harvey: Arbeitsverwaltung und Arbeitskräfterekrutierung im besetzten Europa. Belgien und das Generalgouvernement......Page 349
Swantje Greve: Der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz und das Reichsarbeitsministerium......Page 388
Michael Wildt: Holocaust und Arbeitsverwaltung. Der jüdische Arbeitseinsatz in den Ghettos der besetzten Ostgebiete......Page 424
IV. Das Ministerium nach 1945......Page 460
Kim Christian Priemel: Arbeitsverwaltung vor Gericht. Das Reichsarbeitsministerium und die Nürnberger Prozesse 1945-1949......Page 462
Martin Münzel: Neubeginn und Kontinuitäten. Das Spitzenpersonal der zentralen deutschen Arbeitsbehörden 1945-1960......Page 495
Dank......Page 552
Abkürzungsverzeichnis......Page 554
Bildnachweise......Page 556
Autorinnen und Autoren......Page 558
Register......Page 562

Citation preview

Das Reichsarbeitsministerium im Nationalsozialismus Verwaltung – Politik – Verbrechen

Geschichte des Reichsarbeitsministeriums im Nationalsozialismus Herausgegeben von Rüdiger Hachtmann, Elizabeth Harvey, Sandrine Kott, Alexander Nützenadel, Kiran Klaus Patel und Michael Wildt

Das Reichsarbeitsministerium im Nationalsozialismus Verwaltung – Politik – Verbrechen

Herausgegeben von Alexander Nützenadel

WALLSTEIN VERLAG

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© Wallstein Verlag, Göttingen 2017 www.wallstein-verlag.de Vom Verlag gesetzt aus der Stempel Garamond und der Frutiger Lektorat und Registererstellung: Jutta Mühlenberg, Hamburg Umschlaggestaltung: Susanne Gerhards, Düsseldorf Umschlagfoto: Gebäudekomplex des Reichsarbeitsministeriums in der Berliner Saarlandstraße, um 1940. Postkarte, Kunstanstalt Stengel & Co. GmbH in Dresden ISBN (Print) 978-3-8353-3002-3 ISBN (E-Book, pdf) 978-3-8353-4081-7

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Alex ander Nützenadel Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Behördenstruktur, Personal und institutionelle Konflikte Ulrike Schulz Das Reichsarbeitsministerium 1919-1945. Organisation, Führungspersonal und politische Handlungsspielräume . . . . .

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Lisa-Maria Röhling Ausbildung, Karrieren und Laufbahnstruktur der mittleren Beamtenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Rüdiger Hachtmann Reichsarbeitsministerium und Deutsche Arbeitsfront. Dauerkonflikt und informelle Kooperation . . . . . . . . . . . . 137

II. Politische Handlungsfelder Karl Christian Führer Wohnungsbaupolitische Konzepte des Reichsarbeitsministeriums 177 Alex ander Klimo Rentenversicherungspolitik zwischen Arbeitseinsatz und Diskriminierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 Sören Eden Arbeitsrecht im NS -Staat. Die Treuhänder der Arbeit und die Kriminalisierung der Arbeitsvertragsbrüche . . . . . . . . . . . . 246 Henry Mar x Arbeitsverwaltung und Organisation der Kriegswirtschaft . . . . 282

III. Expansion, Krieg und Verbrechen Kir an Klaus Patel und Sandrine Kott Sozialpolitik zwischen Auslandspropaganda und imperialen Ambitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 317 Elizabeth Harvey Arbeitsverwaltung und Arbeitskräfterekrutierung im besetzten Europa. Belgien und das Generalgouvernement . . . . . . . . . . 348 Swantje Greve Der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz und das Reichsarbeitsministerium . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 Michael Wildt Holocaust und Arbeitsverwaltung. Der jüdische Arbeitseinsatz in den Ghettos der besetzten Ostgebiete . . . . . . . . . . . . . . 423

IV. Das Ministerium nach 1945 Kim Christian Priemel Arbeitsverwaltung vor Gericht. Das Reichsarbeitsministerium und die Nürnberger Prozesse 1945-1949 . . . . . . . . . . . . . . . 461 Martin Münzel Neubeginn und Kontinuitäten. Das Spitzenpersonal der zentralen deutschen Arbeitsbehörden 1945-1960 . . . . . . . . . . 494

Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553 Bildnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555 Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 561

Vorwort Mit dem vorliegenden Band präsentiert die Unabhängige Historikerkommission zur Aufarbeitung der Geschichte des Reichsarbeitsministeriums im Nationalsozialismus Ergebnisse ihrer Forschungen. Die Kommission wurde im April 2013 vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales, unter Leitung der damaligen Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen, berufen. Basierend auf einer Vorstudie, die am Institut für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität angefertigt worden ist, sollten die Vorgängerbehörden des heutigen Bundesministeriums für Arbeit und Soziales während des »Dritten Reiches« auf der Basis umfassender Quellenforschungen dargestellt werden. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat das Forschungsprojekt finanziell gefördert. Bei der Konzeption und Durchführung des Vorhabens waren der Historikerkommission folgende Gesichtspunkte wichtig: Erstens soll ein Forschungsprojekt durchgeführt werden, das einerseits dem Gebot der historischen »Aufarbeitung« Rechnung trägt. Andererseits war das Vorhaben von Beginn an als ein Forschungsprojekt konzipiert, das zwar von einem Auftrag ausging, sich in der Durchführung jedoch an den Standards und Praktiken wissenschaftlicher Drittmittelprojekte orientierte. Die während des Projektes ehrenamtlich tätige Historikerkommission hat das Vorhaben konzipiert und wissenschaftlich geleitet. Ihre Mitglieder haben außerdem eigene Forschungen durchgeführt, die in den vorliegenden Band Eingang gefunden haben. Unabhängig davon bestand von Beginn an Einigkeit, dass eine Erforschung der Ministeriumsgeschichte, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügt, nur auf Grundlage monografischer Studien möglich ist. Zu diesem Zweck wurde im Rahmen eines Ausschreibungsverfahrens eine Forschungsgruppe am Institut für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität eingerichtet, der neben zwei erfahrenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern –  Dr.  Ulrike Schulz als Leiterin der Forschungsgruppe und Dr.  Martin Münzel als Leiter der Geschäftsstelle – vier Doktorandinnen und Doktoranden – Sören Eden, Swantje Greve, Alexander Klimo und Henry Marx – angehören. Alle Mitglieder der Forschungsgruppe führen in Abstimmung mit der Historikerkommission selbständig Projekte durch und werden die Ergebnisse unter eigenem Namen publizieren. Zweitens sollte das Vorhaben über eine klassische Institutionengeschichte hinausgehen, und die politischen Handlungsfelder des Reichs-

VORWORT

arbeitsministeriums in den Blick nehmen. Ziel ist es, eine moderne Verwaltungsgeschichte zu schreiben, die staatliche Institutionen in ihrem jeweiligen historischen Umfeld wie in ihrem konkreten administrativen Handeln analysiert. Anhand historischer »Tiefenbohrungen« soll konkretes Verwaltungshandeln unter den Bedingungen der nationalsozialistischen Diktatur quellennah ausgeleuchtet werden. Der Fokus der Teilprojekte liegt bewusst auf Forschungslücken und -desideraten. Drittens haben wir sowohl die personellen und politischen Kontinuitäten nach 1945 erforscht, aber auch den Übergang von der Weimarer Republik zum Nationalsozialismus in den Blick genommen. Relevant war uns vor allem die Frage, welche Rolle das »Dritte Reich« für die Entwicklung deutscher Sozialstaatlichkeit im 20. Jahrhundert gespielt hat. Dies erfordert einen differenzierten Blick, der nicht an der Untersuchung einzelner Persönlichkeiten ansetzt, sondern die deutschen Sozialexperten, Verwaltungsfachleute und Beamten als soziale Gruppe in den Blick nimmt und in ihrem spezifischen institutionellen Kontext analysiert. Alle Einzelprojekte können daher auf detaillierten kollektivbiografischen Forschungen aufbauen, die den Zeitraum von 1919 bis 1960 umfassen. Hingegen war die Sozial- und Arbeitspolitik nach 1945 schon deshalb nicht Teil des Forschungsauftrages, weil eine umfassende »Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland nach 1945« in elf Bänden bereits vorliegt.1 Viertens soll die Aufarbeitung der Geschichte des Reichsarbeitsministeriums nicht alleine aus deutscher Perspektive erfolgen. Dies ist schon deshalb nicht möglich, weil das NS-Regime seit 1938 immer größere Teile Europas okkupierte. Darüber hinaus ist die NS-Forschung seit Langem keine deutsche Domäne mehr, sondern findet inzwischen überwiegend an nichtdeutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen statt. Dieser Sachverhalt wurde schon bei der Benennung der Kommissionsmitglieder berücksichtigt, von denen die Hälfte an ausländischen Universitäten lehrt. Auch inhaltlich geht es darum, transnationale und komparative Bezüge der NS-Sozialpolitik herauszuarbeiten und die europäisch-imperialen Ambitionen des »Dritten Reiches« in diesem Feld sichtbar zu machen. Dies betrifft nicht nur das Kapitel der Zwangsarbeit, sondern auch die Frage, inwiefern die Arbeits- und Sozialpolitik ein Instrument langfristiger europäischer Herrschaftssicherung war. 1 Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung/Bundesarchiv (Hg.): Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, 11  Bde., Baden-Baden 2001-2008.

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VORWORT

Der vorliegende Band ist ein Gemeinschaftswerk der Autorinnen und Autoren, die alle in unterschiedlichen Funktionen an dem Forschungsprojekt beteiligt waren. Er ist zugleich der Auftakt einer auf mehrere Bände angelegten Reihe von Monografien, mit der die Geschichte des Ministeriums und seiner Handlungsfelder im »Dritten Reich« untersucht wird. Die Historikerkommission Rüdiger Hachtmann (Potsdam), Elizabeth Harvey (Nottingham), Sandrine Kott (Genf), Alexander Nützenadel (Berlin), Kiran Klaus Patel (Maastricht) und Michael Wildt (Berlin)

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Einleitung Alexander Nützenadel

Die Neuordnung der Ministerialverwaltung nach 1933, so schrieb ein hoher Beamter des Reichsarbeitsministeriums 1940, sei nicht in erster Linie aus sachlichen Gründen erfolgt, sondern aus dem Geist der »nationalsozialistischen Weltanschauung«. Diese habe die Arbeitsund Sozialpolitik zum »wichtigsten Zweige der Allgemeinpolitik« bestimmt, weshalb ein eigenständiges Ministerium mit weitreichenden Kompetenzen nicht in Frage stehe.1 Tatsächlich spielte die Arbeits- und Sozialpolitik im ideologischen Selbstverständnis der NSDAP eine herausragende Rolle. Der Anspruch, eine »Arbeiterpartei« zu sein, war nicht nur symbolischer Natur. Vielmehr bedurfte die Schaffung der nationalsozialistischen »Volksgemeinschaft« nach Auffassung des Regimes weitreichender Eingriffe in die Gesellschaftsordnung. Führende NS -Ideologen wie Robert Ley drängten auf einen raschen und radikalen Umbau des deutschen Sozialstaates, der als Produkt der »Weimarer Systemzeit« abgelehnt wurde. Schon kurz nach der »Machtergreifung« kam es zu zahlreichen Initiativen in diesem Bereich. Das »Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit« ersetzte 1934 die betriebliche Arbeitsverfassung, Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie wurden aufgehoben. Die im Mai 1933 eingesetzten »Treuhänder der Arbeit«, die dem Reichsarbeitsministerium nachgeordnet waren, bestimmten fortan die Lohn- und Tarifangelegenheiten. Institutionen wie die Deutsche Arbeitsfront, die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt oder die NS -Betriebszellenorganisationen machten den Gestaltungsanspruch der neuen Machthaber auf diesem Gebiet deutlich. Auch das Reichsarbeitsministerium wurde nach 1933 durch die Ausweitung seiner Kompetenzen zumindest formal erheblich gestärkt. Kaum eine Reichsbehörde besaß ähnlich vielfältige Aufgaben. Das Ministerium war nicht nur federführend in der Arbeits- und Sozialpolitik, sondern hatte auch Kompetenzen in angrenzenden Bereichen wie dem Wohnungs- und Siedlungswesen sowie der Gewerbeaufsicht, der Familien- und Gesundheitspolitik. Nicht zuletzt waren dem Ressort zahlreiche Reichsbehörden untergeordnet, was den direkten Zugriff auf Verwaltungsvorgänge »vor Ort« ermöglichte. 1 Martin Zschucke, Das Reichsarbeitsministerium, Berlin 1940, S.5f.

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ALEXANDER NÜTZENADEL

Der vorliegende Band untersucht somit eine der zentralen staatlichen Behörden in der Zeit des »Dritten Reiches«. Dabei geht es nicht alleine um eine retrospektive Aufarbeitung der »Verstrickungen« der Vorgängerinstitution des heutigen Bundesarbeitsministeriums mit dem NS -Regime. Vielmehr zielt der Band auf eine umfassende historische Analyse einer Institution, die bislang kaum wissenschaftlich erforscht wurde. Welche Rolle spielte das Reichsarbeitsministerium im Kontext des nationalsozialistischen Herrschaftsgefüges? War es die zentrale Planungsinstanz für den »völkischen Wohlfahrtsstaat« (Götz Aly) oder handelte es sich um eine von vielen Verwaltungsbehörden mit eher sekundären Kompetenzen? Wie konnte sich das Ministerium gegenüber den zahlreichen Partei- und Sonderverwaltungen behaupten, die gerade auf dem Feld der Arbeits- und Sozialpolitik immer neue Aufgabenbereiche für sich beanspruchten? Wie stark wurde das Ministerium in den Herrschaftsapparat der Diktatur eingebunden, in welchem Umfang waren Angehörige des Ressorts in die verbrecherischen Praktiken des NS -Systems involviert? Welche Kontinuitäten lassen sich auf personeller und institutioneller Ebene in den Jahren vor 1933 und nach 1945 konstatieren? Neben der spezifischen Rolle des Reichsarbeitsministeriums soll das Vorhaben aber auch grundsätzliche Fragen thematisieren, die für die NS -Forschung von großer Bedeutung sind. Dabei geht es insbesondere um die Frage, welche Aufgaben und Funktionen die klassische Ministerialverwaltung und ihr Personal im Herrschaftsgefüge des NS -Regimes erfüllten.2 Lange Zeit wurde das Bild der Bürokratie im Nationalsozialismus durch zwei Interpretationen geprägt. Zum einen war dies die auf Max Weber zurückgehende idealtypische Unterscheidung zwischen der »legalen« Herrschaft, die den bürokratischen Anstaltsstaat kennzeichnete, und der »charismatischen« Herrschaft, die auf personalen Bindungen zwischen »Führer« und »Gefolgschaft« basierte.3 Zum anderen die von Ernst Fraenkel formulierte Interpreta2 Vgl. zur neueren Debatte Wolf Gruner/Armin Nolzen (Hg.): »Bürokratien«. Initiative und Effizienz, Berlin 2001; Christiane Kuller: »Kämpfende Verwaltung«. Bürokratie im NS -Staat, in: Dietmar Süß/Winfried Süß (Hg.): Das »Dritte Reich«. Eine Einführung, München 2008, S.227-245; Sven Reichardt/ Wolfgang Seibel (Hg.): Der prekäre Staat. Herrschen und Verwalten im Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 2011. 3 Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1922; vgl. auch Stefan Breuer: Max Webers Herrschaftssoziologie, Frankfurt am Main/New York 1991; M. Rainer Lepsius: Das Modell der charismatischen Herrschaft und seine Anwendbarkeit auf den »Führerstaat« Adolf Hitlers, in: ders.: Demokratie in

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EINLEITUNG

tion des Nationalsozialismus als »Doppelstaat«, in dem normen- und maßnahmenstaatliche Elemente nebeneinander bestanden.4 In beiden Interpretationen erschien die klassische Verwaltung meist als Residualgröße des alten Systems, die zunehmend durch die genuin nationalsozialistischen Machtstrukturen überlagert wurde. Tatsächlich besteht in diesem Bereich erheblicher Forschungsbedarf. Während zur Sozial- und Arbeitspolitik des NS -Staates zahlreiche Studien vorliegen,5 ist die im Zentrum dieses Politikfeldes stehende ReichsDeutschland. Soziologisch-historische Konstellationsanalysen. Ausgewählte Aufsätze, Göttingen 1993, S.95-118; Uta Gerhardt: Charismatische Herrschaft und Massenmord im Nationalsozialismus. Eine soziologische These zum Thema der freiwilligen Verbrechen an Juden, in: Geschichte und Gesellschaft 24 (1998), H.4, S.503-538. 4 Ernst Fraenkel: Der Doppelstaat, Rückübers. aus dem Engl. v. Manuela Schöps in Zsarb. mit dem Verf. (1974), hg. v. Alexander v. Brünneck, 3. Aufl., Hamburg 2012; vgl. auch Hubertus Buchstein/Gerhard Göhler (Hg.): Vom Sozialismus zum Pluralismus. Beiträge zu Werk und Leben Ernst Fraenkels, BadenBaden 2000. 5 Vgl. Wolfhard Buchholz: Die nationalsozialistische Gemeinschaft »Kraft durch Freude«. Freizeitgestaltung und Arbeiterschaft im Dritten Reich, München 1976; Timothy W. Mason: Sozialpolitik im Dritten Reich. Arbeiterklasse und Volksgemeinschaft, Opladen 1978; Marie-Luise Recker: Nationalsozialistische Sozialpolitik im Zweiten Weltkrieg, München 1985; Martin H. Geyer: Die Reichsknappschaft. Versicherungsreformen und Sozialpolitik im Bergbau, München 1987; Wolfgang Spohn: Betriebsgemeinschaft und Volksgemeinschaft. Die rechtliche und institutionelle Regelung der Arbeitsbeziehungen im NS -Staat, Berlin 1987; Matthias Frese: Betriebspolitik im »Dritten Reich«. Deutsche Arbeitsfront, Unternehmer und Staatsbürokratie in der westdeutschen Großindustrie 1933-1939, Paderborn 1991; Eckhard Hansen: Wohlfahrt im NS -Staat. Motivation, Konflikte und Machtstrukturen im »Sozialismus der Tat« des Dritten Reiches, Augsburg 1991; Christoph Sachße/Florian Tennstedt: Der Wohlfahrtsstaat im Nationalsozialismus, Stuttgart 1992; Wolfgang Ayaß: »Asoziale« im Nationalsozialismus, Stuttgart 1995; Tilmann Harlander: Zwischen Heimstätte und Wohnmaschine. Wohnungsbau und Wohnungspolitik in der Zeit des Nationalsozialismus, Basel u.a. 1995; Hans Günter Hockerts (Hg.): Drei Wege deutscher Sozialstaatlichkeit. NS -Diktatur, Bundesrepublik und DDR im Vergleich, München 1998; Dan P. Silverman: Hitler’s Economy. Nazi Work Creation Programs, 1933-1936, Cambridge, Mass. 1998; Winfried Süß: Der Volkskörper im Krieg. Gesundheitspolitik, Gesundheitsverhältnisse und Krankenmord im nationalsozialistischen Deutschland 1939-1945, München 2003; Martin Becker: Arbeitsvertrag und Arbeitsverhältnis während der Weimarer Republik und in der Zeit des Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 2005; Detlev Humann: »Arbeitsschlacht«. Arbeitsbeschaffung und Propaganda in der NS -Zeit 1933-1939, Göttingen 2011.

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ALEXANDER NÜTZENADEL

behörde bislang nicht Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung geworden.6 Weder zur Behördenstruktur und Personalentwicklung noch zu den verschiedenen politischen Handlungsfeldern gibt es bislang umfassende archivgestützte Forschungen. Dabei handelt es sich nicht um ein Quellenproblem, denn die archivalische Überlieferung ist für das Reichsarbeitsministerium recht gut. Das fehlende Interesse an dieser Institution geht vielmehr auf eine spezifische Interpretation des »Dritten Reiches« zurück, welche der Ministerialbürokratie nur eine geringe Bedeutung zumaß. Dies prägte schon die Anfänge der NS -Forschung, die sich stark auf die Rolle Hitlers fokussierte. Hitler selbst hatte an administrativen Vorgängen jedoch bekanntlich wenig Interesse. In seinem Weltbild war das »Verwalten« dem »Führen« weit unterlegen, da es zur politischen Machtausübung wenig beitrug. Hitler befasste sich kaum mit Angelegenheiten des täglichen Regierungsgeschäftes. Seit 1935 fanden keine regelmäßigen Kabinettssitzungen mehr statt, und nur wenige Minister hatten direkten Zugang zum Führer. Dieser fehlende »Immediatzugang« galt als Gradmesser für die politische Bedeutung einzelner Politiker und der von ihnen repräsentierten Institutionen. Reichsarbeitsminister Seldte stand in dieser Hierarchisierung weit unten, denn er hatte seit spätestens 1938 keinen Zugang mehr zu Hitler und war auch bei offiziellen Anlässen des »Führers« nicht zugegen.7 Doch auch im Zuge der in den 1960er-Jahren einsetzenden Erforschungen von Institutionen und Strukturen des Nationalsozialismus blieb die Ministerialbürokratie außen vor. Die meisten Studien zur Beamtenschaft arbeiteten heraus, wie die Verwaltungseliten Hitlers »Machtergreifung« stützten.8 Die spezifische Rolle der Staatsbürokra6 Vgl. allerdings Hans-Walter Schmuhl: Arbeitsmarktpolitik und Arbeitsverwaltung in Deutschland 1871-2002. Zwischen Fürsorge, Hoheit und Markt, Nürnberg 2003; Dieter G. Maier: Anfänge und Brüche der Arbeitsverwaltung bis 1952. Zugleich ein kaum bekanntes Kapitel der deutsch-jüdischen Geschichte, Brühl 2004; ders.: Geschichte der Arbeitsmarktpolitik und Arbeitsverwaltung in Deutschland. Ausgewählte Texte 1877-1952, Brühl 2008; Karsten Linne: Von der Arbeitsvermittlung zum »Arbeitseinsatz«. Zum Wandel der Arbeitsverwaltung 1933-1945, in: Marc Buggeln/Michael Wildt (Hg.): Arbeit im Nationalsozialismus, München 2014, S.53-73. 7 Vgl. den Beitrag von Ulrike Schulz in diesem Band. 8 Vgl. Hans Mommsen: Beamtentum im Dritten Reich. Mit ausgewählten Quellen zur nationalsozialistischen Beamtenpolitik, Stuttgart 1966; Dieter Rebentisch/ Karl Teppe (Hg.): Verwaltung contra Menschenführung im Staat Hitlers. Studien zum politisch-administrativen System, Göttingen 1986; Dieter Rebentisch: Führerstaat und Verwaltung im Zweiten Weltkrieg. Verfassungsentwicklung und Verwaltungspolitik 1939-1945, Stuttgart 1989; vgl. auch mit einem stark

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EINLEITUNG

tie im NS -Herrschaftssystem wurde jedoch nur selten thematisiert, da man in ihr keinen relevanten Faktor erkannte. So sprach Martin Broszat schon 1969 in seinem einflussreichen Buch Der Staat Hitlers von einem »Prestigeverlust und Bedeutungsschwund des Staatsbeamtentums«.9 Dieser Prozess habe bereits mit der Machtübernahme eingesetzt und sich im Zuge der Kriegsvorbereitung seit 1936 noch einmal beschleunigt. Broszat argumentierte, dass die schrittweise Entmachtung auch mit der nicht erfüllten Erwartung vieler NS -Führer (insbesondere Hitlers und Bormanns) zu tun gehabt habe, aus dem Beamtentum eine neue Elite zu formen, welche die nationalsozialistische Ideologie effizient und radikal umsetzte. Die »Mattsetzung des Beamtentums und der traditionellen Verwaltung« durch die Einrichtung neuer, der Partei oder Hitler direkt zugeordneter Sonderverwaltungen sei eine bewusste Strategie gewesen, um diese Problematik zu lösen: »Der Form nach blieben dabei die alten Regierungsressorts und die ihnen nachgeordneten Verwaltungen unangetastet. Aber die eigentlichen Entscheidungen fielen ohne sie; die alte Ministerialbürokratie wurde mehr und mehr umgangen und politisch lahmgelegt.«10 Dieses Bild ist durch die Interpretation des Nationalsozialismus als »polykratisches Herrschaftssystem« noch verstärkt worden. Zwar lenkte das Polykratiemodell den Blick weg von Hitler hin zu den Institutionen des NS -Staates. Die eigentliche Dynamik im Prozess der »kumulativen Radikalisierung« (Hans Mommsen) wurde jedoch den neuen Sonderverwaltungen und Parteiorganisationen zugeschrieben. Das »ungeregelte Eindringen der Partei in die Verwaltung«, so Peter Hüttenberger, habe dazu geführt, das sich die »Beamtenschaft trotz Gegenwehr allmählich politisch auflöste«.11 verwaltungshistorischen Blickwinkel Hans Hattenhauer: Geschichte des deutschen Beamtentums, Köln 1993; Sigrun Mühl-Benninghaus: Das Beamtentum in der NS -Diktatur bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Zu Entstehung, Inhalt und Durchführung der einschlägigen Beamtengesetze, Düsseldorf 1996. 9 Martin Broszat: Der Staat Hitlers. Grundlegung und Entwicklung seiner inneren Verfassung, München 1983, S.323. 10 Ebd., S.324f. 11 Peter Hüttenberger: Nationalsozialistische Polykratie, in: Geschichte und Gesellschaft 2 (1976), H.4, S.417-442, hier S.430; vgl. zur Polykratiedebatte Hans-Ulrich Thamer: Monokratie – Polykratie. Historiographischer Überblick über eine kontroverse Debatte, in: Gerhard Otto/Johannes Houwink ten Cate (Hg.): Das organisierte Chaos. »Ämterdarwinismus« und »Gesinnungsethik«. Determinanten nationalsozialistischer Besatzungsherrschaft, Berlin 1999, S.21-34.

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ALEXANDER NÜTZENADEL

Diese Sichtweise ist allerdings nicht unwidersprochen geblieben. Schon 1978 hat Jane Caplan darauf hingewiesen, dass die Zuordnung der klassischen Staatsverwaltung zum »Normenstaat« Bestandteil einer Exkulpationsstrategie darstellte, mit der sich führende Ministerialbeamte nach 1945 selbst entlasteten.12 Anstatt eines generellen Bedeutungsverlustes sah Caplan eine widersprüchliche Entwicklung: Zum einen seien die Ministerien durch die neuen Institutionen des NS -Regimes unter Druck geraten, zum anderen seien ihre Handlungsbefugnisse bereits während der Weimarer Republik zunehmend ausgeweitet worden. Caplans anhand des Reichsministeriums des Innern gewonnenen Erkenntnisse lassen sich in noch stärkerem Maße für das Arbeitsressort beobachten. Die Aufwertung der Exekutive als problemlösende Instanz hatte spätestens während der Präsidialkabinette zu einem erheblichen Bedeutungszuwachs der Bürokratie geführt, die im Zuge der Weltwirtschaftskrise vor schwierige Aufgaben gestellt wurde. Die Anforderungen nahmen nach der nationalsozialistischen Machtübernahme weiter zu, da zahlreiche neue Gesetze und Maßnahmen umgesetzt werden mussten. Dies erhöhte in den Behörden der Arbeits- und Sozialverwaltung den Handlungsdruck und führte zu einem permanenten Prozess der »adaptive reproduction«.13 Der vorliegende Band betrachtet das Reichsarbeitsministerium daher nicht als passive Institution, sondern als einen von vielen politischen Akteuren, der sich innerhalb der komplexen und zunehmend unübersichtlichen Herrschaftsstrukturen des NS -Staates zu behaupten versuchte. Dabei stellt sich die Frage, welche Strategien die ministeriellen Apparate anwandten, um ihre institutionelle Macht zu bewahren. Gerade weil der Zugang zu Hitler  – und damit zur politischen Machtzentrale – begrenzt war, so die Vermutung, konzentrierte sich die Ministerialbürokratie verstärkt auf ihre klassischen Kernkompetenzen: die Lösung politisch-administrativer Aufgaben durch effizientes und möglichst regelkonformes Verwaltungshandeln. Vor dem Hintergrund des nationalsozialistischen Aktionismus war das Expertenwissen der Beamten von großer Bedeutung, da eine administrative Umsetzung ohne ihre Unterstützung nicht denkbar war. Bis zum 12 Jane Caplan: Bureaucracy, Politics and the National Socialist State, in: Peter D. Stachura (Hg.): The Shaping of the Nazi State, London 1978, S.234-256; vgl. auch Jane Caplan: Government without Administration. State and Civil Service in Weimar Republic and Nazi Germany, Oxford 1988. 13 Caplan: Bureaucracy (Anm.12), S.251.

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EINLEITUNG

Schluss orientierte sich das Verwaltungshandeln an bestimmten Regeln und Routinen, die zwar situativ umgangen oder angepasst, aber nicht vollständig außer Kraft gesetzt wurden. Obgleich der Nationalsozialismus den bürgerlichen Rechtsstaat beseitigte, blieben zentrale Bereiche des Verwaltungsrechtes intakt. Aus diesem Grund beschränken sich die nachfolgenden Analysen nicht darauf, das politische Agieren der ministeriellen Führung im Kontext des nationalsozialistischen Machtapparates zu vermessen. Denn Machtstellung und Funktionsweise des Reichsarbeitsministeriums lassen sich nur dann angemessen verstehen, wenn die alltägliche Verwaltungspraxis der Beamten in den Blick genommen wird. Ein solcher praxeologischer Zugriff beinhaltet eine Reihe von Implikationen: Zum einen wird die Bürokratie als zentraler Faktor innerhalb des NS -Regimes ernst genommen. Ihre Rolle in den Machthierarchien des »Dritten Reiches« wird jedoch nicht als statisch vorausgesetzt, sondern als Ergebnis sozialer und politischer Aushandlungsprozesse in einem dynamischen Kräftefeld betrachtet. Zum anderen können bürokratische Apparate nicht als monolithische Einheiten analysiert werden. Vielmehr handelt es sich um komplexe Organisationen, in denen Akteure mit unterschiedlichen Interessen und Handlungsstrategien agieren. Ein solcher organisationstheoretischer Ansatz bleibt nicht auf die Beschreibung formaler Strukturen beschränkt, sondern bedarf einer mikrohistorischen Analyse von internen Kommunikationsprozessen, informellen Hierarchien, persönlichen Netzwerken und Alltagsroutinen.14

Anatomie einer Behörde Um was für eine Behörde handelte es sich beim Reichsarbeitsministerium? Schon aufgrund seiner Entstehungsgeschichte nahm das Ministerium eine Sonderstellung ein. Es gehörte nicht zu den klassischen Ressorts, sondern war eine relativ junge Fachbehörde, deren Ursprünge auf den Ersten Weltkrieg und seine weitreichenden Interventionen in den Arbeitsmarkt zurückgingen. Ein wichtiger Impuls zur Gründung eines eigenständigen Ressorts auf Reichsebene ging von der sozialen Absicherung der Kriegsversehrten aus, die mit großem administrativem Aufwand verbunden war. Die zentrale Koordination der Versorgungsämter stellte eine der schwierigsten Aufgaben der 14 Vgl. die Beiträge in Reichardt/Seibel (Hg.): Der prekäre Staat (Anm.2).

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ALEXANDER NÜTZENADEL

Nachkriegszeit dar. Die dynamische Entwicklung der Arbeits- und Sozialverwaltung war aber nicht allein Folge des Ersten Weltkrieges, sondern zugleich Ausdruck der dynamischen wohlfahrtsstaatlichen Entwicklung der Weimarer Republik, die insbesondere im Bereich des Arbeits- und Tarifwesens, im Wohnungsbau und der Sozialfürsorge neue sozialpolitische Handlungsfelder entwickelte. So verzeichnete kein anderes Ministerium in dieser Zeit einen stärkeren Zuwachs an Personal und finanziellen Ressourcen, aber auch an rechtlichen und administrativen Regelungskompetenzen. Dieser Trend wurde durch die Weltwirtschaftskrise und die nationalsozialistische »Machtergreifung« nicht unterbrochen, sondern weiter verstärkt. Im Zuge der Gleichschaltung und »Verreichlichung« der Sozialpolitik gewann das Ministerium auf formaler Ebene erheblich an Gewicht. Die seit dem 19.  Jahrhundert bestehende Selbstverwaltung der Sozialversicherungen wurde durch das »Führerprinzip« abgelöst und die meisten Versicherungsträger und sozialen Körperschaften direkt dem Ministerium unterstellt. 1935 wurden dem Ressort die preußischen Zuständigkeiten für die Sozialpolitik übertragen. 1939 erfolgte die wohl wichtigste Veränderung, als die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung in das Ministerium integriert und ihr Präsident Friedrich Syrup zum zweiten Staatssekretär ernannt wurde. Am Vorabend des Zweiten Weltkrieges erreichte das Reichsarbeitsministerium mit 16  Abteilungen seine bis dahin größte Ausdehnung. Die Zuständigkeiten erstreckten sich von der Arbeitsmarkt- und Tarifpolitik über den sozialen Wohnungsbau, den Städtebau und das Siedlungswesen bis hin zur Familienpolitik. Ferner umfassten diese den Arbeits- und Werkschutz, das Arbeitsrecht, die Sozialfürsorge sowie den gesamten Bereich der Sozialversicherungsund Gesundheitspolitik. Dem Geschäftsbereich gehörten schließlich die Gewerbeaufsichtsbehörden, die Arbeits- und Sozialgerichte, das Reichsversicherungsamt und das Genossenschaftswesen. Die spezifische Rolle des Reichsarbeitsministeriums im Nationalsozialismus kann nur dann richtig eingeordnet werden, wenn das politische und institutionelle Erbe des Ersten Weltkrieges und der Weimarer Republik mit in den Blick genommen wird. Ulrike Schulz zeigt in ihrem Beitrag, wie das Ministerium seit seiner Gründung mit immer neuen Aufgaben und organisatorischen Herausforderungen konfrontiert war und sich in einem kontinuierlichen Prozess der institutionellen Stabilisierung befand. Dies erklärt u.U. die auffällig hohe personelle Kontinuität auf der Führungsebene, die das Ressort von der Gründung bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges charakterisierte. Staatssekretäre

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EINLEITUNG

und Abteilungsleiter waren in der Regel sehr lange im Amt, personelle Veränderungen auch bei den zahlreichen Kabinettswechseln der Weimarer Zeit eher unüblich. Zudem stellte das Jahr 1933 weder in institutioneller noch in personeller Hinsicht eine tiefe Zäsur dar. Nur kurz ist darüber nachgedacht worden, das Ministerium aufzulösen und mit dem Reichswirtschaftsministerium zu verschmelzen. Von diesen Überlegungen wurde jedoch, nicht zuletzt aufgrund der drängenden Aufgaben, schnell wieder Abstand genommen. Es war nicht zuletzt das in der Spätphase der Weimarer Zeit eingeübte »Krisenmanagement« (Ulrike Schulz), welches das Ministerium für das nationalsozialistische Regime nach 1933 unverzichtbar machte. Ein Blick auf die Personalstruktur macht deutlich, dass auf der Führungsebene nur wenige Veränderungen vorgenommen wurden und  – zumindest bis 1938  – die fachliche Eignung bei der Einstellung und Beförderung von Beamten wichtiger war als die nationalsozialistische Gesinnung. Allerdings wurden – wie in den anderen Behörden auch – jüdische Beschäftigte bereits 1933 entlassen, Frauen aus leitenden Positionen verdrängt und zahlreiche Mitglieder aus Gewerkschaften, KPD und SPD aus der Verwaltung des Ministeriums und seinen nachgeordneten Behörden entfernt. Dennoch prägte das Leitbild des fachlich qualifizierten und administrativ geschulten Beamten die ministerielle Kultur. Dies galt nicht nur für die Leitungsebene, sondern für den gesamten Apparat bis weit hinein in die mittlere Beamtenschaft, wie Lisa-Maria Röhlings Beitrag zur Rekrutierungspraxis in den Versorgungsbehörden belegt. Auch bei der Ausbildung stand die praxisorientierte, fachliche Qualifikation weiter im Vordergrund, weltanschauliche Elemente wurden zunächst eher oberflächlich adaptiert. Erst mit dem Beamtengesetz von 1937 änderte sich dies, da nun Parteimitgliedschaft und NS -Treue zu einem zentralen Kriterium für Einstellungen und Beförderungen wurden. Im Reichsarbeitsministerium schuf der Personalnachwuchs im Rahmen der Kriegswirtschaft die Möglichkeit, alte Parteikämpfer und ideologisch zuverlässige Personen einzustellen, zumal 1938 mit Wilhelm Börger ein nationalsozialistischer Hardliner die Leitung der Personalabteilung übernahm. Wie Schulz’ Analyse des Personalbestandes nachweist, erhöhte sich die Zahl der NSDAP -Mitglieder – die bis 1938 noch deutlich unter 20% lag – nun rasant. Zugleich ging der Anteil der juristisch ausgebildeten leitenden Beamten deutlich zurück, was darauf hindeutet, dass der Nationalsozialismus dazu beitrug, das Juristenmonopol in der Ministerialverwaltung erodieren zu lassen. Der Zuwachs an Personal und Zuständigkeiten im Reichsarbeitsministerium zeigt, dass der Nationalsozialismus entgegen seiner anti-

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bürokratischen Attitüde nicht verwaltungsfeindlich war, sondern im Gegenteil einen massiven Bürokratisierungsschub in Gang setzte. Dies betraf, wie Rüdiger Hachtmann am Beispiel der Deutschen Arbeitsfront (DAF ) darlegt, sowohl die klassischen Behörden als auch die zahlreichen Partei- und Sonderverwaltungen. Die konflikthafte Abgrenzung von administrativen Aufgaben und politischen Kompetenzen führte bekanntlich zu heftigen persönlichen Auseinandersetzungen zwischen dem Reichsleiter der DAF Robert Ley und Arbeitsminister Franz Seldte, involvierte aber auch andere Funktionäre beider Institutionen. Diese Konflikte deuten freilich, wie Hachtmann ausführt, nicht zwangsläufig auf inhaltliche Divergenzen hin, sondern waren bisweilen habituell begründet und durch persönliche Rivalitäten geprägt. Ley beanspruchte nicht nur die Kompetenzen in der Betriebs- und Tarifpolitik, sondern drängte auch darauf, den gesamten staatlichen Wohnungs- und Siedlungsbau in seinen Bereich einzugliedern, was ihm 1942 endgültig gelang. Der Eindruck, dass Ley in diesem Konflikt schon frühzeitig die Überhand gewann, entstand nicht zuletzt durch sein offensives Auftreten und die öffentlichkeitswirksame Propaganda der DAF , die dem Reichsarbeitsministerium organisatorisch überlegen schien. Dagegen galt Franz Seldte als uncharismatisch und sozialpolitisch wenig erfahren. Dass Hitler den langjährigen Führer des Stahlhelms und nicht den fachlich versierten Friedrich Syrup ins Kabinett holte, galt vielen als koalitionstaktisches Manöver, über das sich sowohl ausgewiesene Sozialexperten als auch NS -Führer beschwerten. Goebbels etwa sah darin einen »Schönheitsfehler«, der möglichst bald »ausradiert« werden müsse.15 Dass Seldte bis zum Ende des Regimes an der Spitze des Ministeriums blieb, mag angesichts der massiven Anfeindungen verwundern, entspricht jedoch durchaus der Hitler’schen Machtarithmetik. Jedenfalls war die gesamte Amtszeit Seldtes durch heftige Konflikte mit anderen NS -Sozialpolitikern geprägt; 1935 stellte er sein Amt zur Verfügung, was Hitler jedoch ablehnte. Die massiven Konflikte und Seldtes eher zurückhaltendes Auftreten galten in der Forschung lange Zeit als Beleg dafür, dass das Arbeitsministerium »unter der schwachen, einflusslosen Führung« den »heftigen Rivalitätskämpfen nicht gewachsen« war. Seldte, so etwa Willi Boelcke, »verfügte kaum über Sachkenntnis, noch entwickelte er als 15 Die Tagebücher von Joseph Goebbels, hg. v. Elke Fröhlich, Teil I: Aufzeichnungen 1924-1945, Bd.2/III : Oktober 1932-März 1934, bearb. v. Angela Hermann, München 2006, S.120 (Eintrag vom 30.1.1933).

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Minister besonderen Ehrgeiz, besaß aber vorzügliche Mitarbeiter, denen er vertraute und die er gegen Angriffe und Widerstände der Partei deckte.«16 Diese Bewertung deutet zugleich an, dass die von außen wahrgenommene Schwäche sich am Ende als relative Stärke erwies. Seldte gelang es offenbar, Konflikte auszusitzen und das Ministerium so gegen Angriffe von außen zu schützen. Auf diese Weise gewann er die Loyalität seiner Mitarbeiter, die in ihren jeweiligen Bereichen relativ frei agieren konnten.17 Leys fortgesetzte Angriffe auf das Ministerium dürften Seldte am Ende sogar genützt haben, da der Führer der DAF innerhalb der NS -Führung umstritten war und seine ausgreifenden politischen Ambitionen Gegenkräfte auslösten. Seldtes dauerhafter Verbleib an der Spitze des Ressorts stellte übrigens eine Kontinuität zur Weimarer Zeit dar, wo das Ministerium unter der Leitung Heinrich Brauns ebenfalls eine ungewöhnlich lange Führungszeit erlebt hatte. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass die Zuständigkeiten des Arbeitsministeriums kontinuierlich verändert wurden und die Grenzen zwischen Ministerium und den neuen Partei- und Sonderverwaltungen verschwammen. Dies galt nicht nur für die Deutsche Arbeitsfront, sondern auch für den Reichsarbeitsdienst, der bis 1945 unter Leitung Konstantin Hierls stand. Letzterer war im März 1933 zum Staatssekretär im Reichsarbeitsministerium ernannt worden und erhielt den Titel »Reichsarbeitsführer«. Um eine möglichst unabhängige Stellung zu erlangen, wechselte Hierl 1934 aus dem Arbeits- in das Innenministerium.18 Noch wichtiger war, dass sich die 1936 eingesetzte Vierjahresplanbehörde unter Hermann Göring den Zugriff auf die Arbeits- und Lohnpolitik sicherte, indem sie den Präsidenten der Reichsanstalt Friedrich Syrup und den zuständigen Abteilungsleiter Werner Mansfeld aus dem Reichsarbeitsministerium zu Bevollmächtigten ernannte. Schließlich entstand während des Krieges mit dem im März 1942 eingesetzten »Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz« Fritz Sauckel ein neues Machtzentrum, das auf die zuständigen Abteilungen des Arbeitsministeriums direkten Zugriff hatte. Diese Kompetenzüberschneidungen schwächten einerseits die Autonomie des Reichsarbeitsministeriums, führten andererseits aber 16 Willi A. Boelcke: Arbeit und Soziales, in: Kurt G.A. Jeserich/Hans Pohl/ Georg-Christoph Unruh (Hg.): Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd.4: Das Reich als Republik und in der Zeit des Nationalsozialismus, Stuttgart 1985, S.793-807, hier S.795. 17 Vgl. den Beitrag von Ulrike Schulz in diesem Band. 18 Klaus Kiran Patel: »Soldaten der Arbeit«. Arbeitsdienste in Deutschland und den USA , 1933, Göttingen 2003, S.74-123.

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auch zu einer indirekten Aufwertung, indem den zuständigen Verwaltungseinheiten immer neue Aufgaben zugewiesen wurden. Tatsächlich zeigen die Beiträge dieses Bandes, dass die Beziehungen zwischen dem Ministerium und den neuen Behörden auf der Verwaltungsebene weitaus reibungsloser und effizienter funktionierten als bislang angenommen. Dieser Befund deckt sich mit neueren Forschungen zum NS -Herrschaftssystem, welche den dynamischen Funktionswandel der staatlichen Strukturen betonen. Die Ämterrivalitäten und Kompetenzüberschneidungen waren demnach nicht dysfunktional, sondern Ausdruck eines »hybriden« Organisationstypus, der die strikte Trennung von klassischer Bürokratie und außerstaatlichen Institutionen transzendierte. In diesem Kontext spielten persönliche Netzwerke, informelle Entscheidungsverfahren und neue Kommunikationsforen eine wichtige Rolle.19 Rüdiger Hachtmann erkennt hier sogar Ansätze einer »neuen Staatlichkeit«, welche die radikale Effizienz des NS Regimes erklärt, zugleich aber für die Genese moderner Institutionen wegweisend war.20

Das Ministerium in Aktion: politische Handlungsfelder und Konflikte Das Reichsarbeitsministerium war  – mehr als andere staatliche Ämter – durch die stetige Interaktion mit nachgeordneten Behörden und Verbänden gekennzeichnet. Tatsächlich konnten viele Maßnahmen in der Sozial- und Arbeitspolitik nur durch eine enge Abstimmung mit den zuständigen Verwaltungseinheiten auf der Ebene der Länder und Kommunen realisiert werden. Die Auslagerung von Verwaltungsaufgaben in die nachgeordneten Ämter und Organisationen charakterisierte das Ministerium bereits in der Weimarer Republik und entfaltete sich zu einem spezifischen Entwicklungsmoment der NS -Zeit. Was von Zeitgenossen als »Fehlkonstruktion« wahrgenommen wurde, erwies sich nach Ulrike Schulz als organisatorischer Vorteil, weil es die Durchsetzbarkeit von Gesetzen und Verwaltungsanordnungen erhöhte und die Kommunikation zwischen Zentrale und ausführenden Verwaltungsbehörden erleichterte. 19 Sven Reichardt/Wolfgang Seibel: Radikalität und Stabilität: Herrschen und Verwalten im Nationalsozialismus, in: dies. (Hg.): Der prekäre Staat (Anm.2), S.7-27, hier S.11. 20 Rüdiger Hachtmann: »Systemverfall« oder »Neue Staatlichkeit«? Thesen zur Binnenstruktur des NS -Regimes, in: Frank Bösch/Martin Sabrow (Hg.): ZeitRäume. Potsdamer Almanach 2011, Berlin 2012, S.89-100.

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Für die historische Erforschung des Reichsarbeitsministeriums sind die spezifischen Interaktionen zwischen der Reichsbehörde und den nachgeordneten Institutionen daher von zentraler Bedeutung. Der vorliegende Band nimmt hierfür die Kernbereiche der Arbeits- und Sozialpolitik in den Blick. Alexander Klimo fragt am Beispiel der Rentenpolitik nach, wie stark die nationalsozialistische Arbeitsmarktpolitik auf die Versicherungssysteme und insbesondere die Praxis der Rentengewährung einwirkte. Er widerlegt damit auch die in der Forschung verbreitete Auffassung, dass die Sozialversicherung im NS -Regime weitgehend unangetastet blieb. Zugleich wird an zwei Beispielen deutlich, wie komplex die Interaktionen zwischen Ministerium und Sozialversicherungsträgern waren. Die unterschiedlichen Interessen und Handlungslogiken führten vielfach zu Konflikten. Während etwa das Ministerium darauf drängte, die Praxis der Rentengewährung an die Anforderungen des Arbeitsmarktes anzupassen, versuchten die Versicherungsträger die Bewilligung von Invalidenrenten restriktiv zu handhaben, um ihre finanziellen Belastungen so gering wie möglich zu halten. Bis zum Ende des Regimes orientierten sich die Beamten dabei an rechtlichen Normen und bürokratischen Verfahren. Dies erwies sich beim Entzug von Anwartschaften für Juden und andere aus rassischen Gründen Verfolgte als erhebliches Problem, da umfassende sozialrechtliche Anpassungen notwendig waren. Auch im Bereich des Wohnungsbaus musste das Arbeitsministerium, wie Karl Christian Führer zeigt, weitreichende Anpassungen vornehmen, um die Ziele der Kriegswirtschaft zu unterstützen. Weder die vom Arbeitsministerium angestrebte Liberalisierung des Wohnungsmarktes noch die ambitionierten öffentlichen Bau- und Siedlungsprogramme, wie sie insbesondere von der DAF propagiert wurden, ließen sich umsetzen. Mit der Ernennung Leys zum »Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau« verlor das Ministerium im Jahr 1941 die politische Zuständigkeit für den öffentlichen Wohnungsbau, der allerdings während des Krieges ohnehin zum Erliegen kam.21 Die Regulierung des Arbeitsmarktes erforderte immer neue Gesetze und Institutionen. Sören Eden nimmt mit den »Treuhändern der Arbeit« eine Organisation in den Blick, die das Arbeits- und Tarifrecht während der NS -Zeit maßgeblich prägte. Als nachgeordnete Organisationen des Arbeitsministeriums nahmen die Treuhänder wichtige 21 Im Oktober 1942 wurde Ley schließlich zum »Reichswohnungskommissar« mit nochmals erweiterten Kompetenzen ernannt; vgl. auch Ronald Smelser: Robert Ley. Hitlers Mann an der »Arbeitsfront«. Eine Biographie, Paderborn 1989.

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Aufgaben bei der Ausgestaltung des Arbeitsmarktes wahr, wie Eden am Beispiel der Arbeitsvertragsbrüche belegt. Eden weist exemplarisch nach, dass die Gestaltung des Arbeitsrechtes nicht  – wie angenommen  – von der ministeriellen Ebene diktiert wurde, sondern das Ergebnis eines Aushandlungsprozesses war, der alle Herrschaftsebenen berührte und an dem eine Vielzahl von Akteuren in unterschiedlicher Weise beteiligt waren – vom einzelnen Arbeitnehmer über die Gerichte bis hin zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz. Die Treuhänder der Arbeit konnten die Kriminalisierung der Vertragsbrüche aufgrund ihrer Scharnierfunktion zwischen Arbeitswelt und Reichsarbeitsministerium in besonderem Maße mitgestalten. Auch Henry Marx befasst sich am Beispiel der Arbeitsverwaltung mit den Interaktionen zwischen ministerieller Ebene und den Arbeitsverwaltungen vor Ort, die seit 1936 vor enormen Herausforderungen standen. Die schrittweise Umwandlung der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung in eine Agentur, die nicht in erster Linie für die Arbeitsvermittlung, sondern für die Arbeitsbeschaffung und Arbeitslenkung verantwortlich war, erforderte eine Erweiterung und Zentralisierung der administrativen Kompetenzen. Die Eingliederung der Reichsanstalt in das Ministerium 1939 zielte vor allem auf die Lösung dieser immer komplexeren Koordinations- und Kommunikationsprobleme. Obgleich der Arbeitskräftemangel dadurch nicht beseitigt werden konnte, trug die Arbeitsverwaltung dazu bei, dass die Rüstungsproduktion bis zum Kriegsende aufrechterhalten wurde.

Das Ministerium in Expansion: soziale Ordnung, Besatzung und Gewalt Der NS -Staat war trotz seines radikalen nationalistischen Selbstverständnisses und seiner Autarkiebestrebungen kein hermetisch abgeschlossenes wirtschafts- und sozialpolitisches System. Tatsächlich gab es vielfältige Referenzen, ideologische Anleihen und politische Schnittmengen mit anderen autoritären Bewegungen und Regimen der Zwischenkriegszeit. Dies gilt in besonderem Maße für das faschistische Italien, das aufgrund seiner korporativen Arbeits- und Sozialverfassung in der Spätphase der Weimarer Republik in rechten Kreisen als Vorbild galt.22 Auch nach 1933 wurde die internationale Sozialpolitik 22 Wolfgang Schieder: Das italienische Experiment. Der Faschismus als Vorbild in der Krise der Weimarer Republik, in: Historische Zeitschrift 262 (1996),

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rezipiert, wie Kiran Klaus Patel und Sandrine Kott in ihrem Beitrag aufzeigen. So fuhr Seldte im Sommer 1933 nach Mailand, um sich über Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen des faschistischen Staates zu informieren. Im Arbeitsministerium wurden internationale Entwicklungen folglich genau registriert. Und obgleich Deutschland 1933 nicht nur den Völkerbund, sondern auch die Internationale Arbeitsorganisation verließ, blieben deutsche Sozialpolitiker auf der internationalen Ebene aktiv – sei es über sozialrechtliche Abkommen oder etwa im Rahmen der binationalen Anwerbeverträge für ausländische Arbeitskräfte, die Deutschland schon vor Beginn des Krieges mit verschiedenen Staaten schloss. Schließlich spielte das Ministerium auch eine wichtige Rolle in der Auslandspropaganda, welche die besonderen Errungenschaften des NS -Systems inszenierte. Letzteres profitierte hierbei von dem Interesse an neuen Instrumenten der Arbeitsmarktorganisation und der Sozialpolitik, das im Gefolge der Weltwirtschaftskrise allenthalben stark zugenommen hatte. Auch auf der internationalen Bühne konkurrierte das Arbeitsministerium mit den Ambitionen seiner innenpolitischen Gegenspieler – insbesondere der Deutschen Arbeitsfront und dem Reichsarbeitsdienst  –, die versuchten, die Auslandspropaganda an sich zu ziehen.23 Die Propaganda für die deutsche Arbeits- und Sozialpolitik war jedoch zugleich Teil imperialer Herrschaftsvisionen, die auf eine langfristige Neuordnung Europas unter deutscher Führung zielten.24 Davon zeugen die Versuche, seit 1940 eine »braune« Internationale als Gegenorganisation zur International Labour Organization aufzubauen. Vieles deutet darauf hin, dass es sich hier nicht nur um reine Propaganda handelte. Vielmehr ging es auch um langfristige Planungen zur Etablierung einer »völkischen« Sozialordnung in Europa. Wie diese H.1, S.73-125; Sven Reichardt/Armin Nolzen (Hg.): Faschismus in Italien und Deutschland. Studien zu Transfer und Vergleich, Göttingen 2005; Daniela Liebscher: Freude und Arbeit. Zur internationalen Freizeit- und Sozialpolitik des faschistischen Italien und des NS -Regimes, Köln 2009. 23 Karsten Linne: Die Deutsche Arbeitsfront und die internationale Freizeitund Sozialpolitik 1935 bis 1945, in: 1999. Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts 10 (1995), H.1, S.65-81. 24 Vgl. auch Karl-Heinz Roth: Die Sozialpolitik des »europäischen Großraum« im Spannungsfeld von Okkupation und Kollaboration (1938-1945), in: Okkupation und Kollaboration (1938-1945). Beiträge zu Konzepten und Praxis der Kollaboration in der deutschen Okkupationspolitik, zusammengest. u. eingel. von Werner Röhr, hg. v. Bundesarchiv, Berlin/Heidelberg 1994, S.461-565.

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Sozialordnung aussehen sollte, war dabei völlig ungeklärt. Wirtschaftliche Entwicklungsunterschiede oder rassische Hierarchisierungen, etwa zwischen den osteuropäischen Gebieten, die vollständig »germanisiert« werden sollten, und den besetzten Ländern in West- und Nordeuropa spielten hierbei vermutlich eine wichtige Rolle. Ein Vergleich der Zwangsarbeitsregime in den besetzten Gebieten bietet einen Ansatz, um die unterschiedlichen sozialen Ordnungsmodelle in »Hitlers Imperium« zu rekonstruieren.25 So legt Elizabeth Harvey dar, dass die konkrete Ausgestaltung der Arbeitspolitik von einem Bündel unterschiedlicher Faktoren abhing: Dazu zählten etwa die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges, die Frage, ob ein funktionierendes Arbeitsvermittlungssystem bereits existierte oder erst aufgebaut werden musste und die Kollaborationsbereitschaft der lokalen Eliten und Behörden. Von zentraler Bedeutung waren außerdem die administrativen Bedingungen vor Ort: Handelte es sich um annektierte Gebiete, die in das Reich integriert werden sollten, Besatzungszonen mit Zivilverwaltungen oder aber militärisch besetzte Gebiete? Auch die wirtschaftliche Struktur spielte eine wichtige Rolle, da Regionen in Osteuropa vordringlich als Reservoir für Arbeitskräfte, Rohstoffe und Nahrungsmittel dienten, die rücksichtslos ausgebeutet werden konnten, während in industriell entwickelten Regionen  – etwa Belgien, Frankreich, den Niederlanden oder Norditalien  – gemäßigter vorgegangen wurde, um die heimische Produktion von Industrie- und Rüstungsgütern nicht zu gefährden. Der Vergleich von Belgien und dem Generalgouvernement – zwei Gebieten mit besonders hohen Rekrutierungszahlen – macht schließlich deutlich, dass das »rassistische Gefälle« (Ulrich Herbert) zwischen Ost und West das Ausmaß der Gewalt bei der Zwangsarbeiterrekrutierung bis zum Ende des »Dritten Reiches« maßgeblich prägte. Welche Rolle aber spielte das Reichsarbeitsministerium für die Zwangsarbeiterpolitik des Nationalsozialismus? Swantje Greve zeigt, dass die Einrichtung des Generalbevollmächtigen für den Arbeitseinsatz keinen markanten Bruch in der Organisation der Zwangsarbeiterpolitik bedeutete. Fritz Sauckel nutzte die bereits etablierten Strukturen des Ministeriums, dessen zuständige Abteilungen und ihre Mitarbeiter, um den Zwangsarbeitereinsatz aktiv mitzugestalten. Diese Mitarbeit beschränkte sich nicht auf die administrativen Abläufe innerhalb der Berliner Zentrale, sondern betraf auch die Rekrutierung vor Ort. Im Gefolge der 25 Mark Mazower: Hitlers Imperium. Europa unter der Herrschaft des Nationalsozialismus, München 2009.

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Wehrmacht rückten fast überall zum Auslandseinsatz abgeordnete Beamte aus Reichs-, Landes- und kommunalen Behörden in die besetzten Territorien ein. Sie wurden meist befördert und erhielten weit größere Zuständigkeiten als in ihren früheren Dienststellen im Reich. Diese Beamten trugen in erheblichem Maße dazu bei, dass die Mobilisierung des Arbeitskräftepotenzials für die Kriegswirtschaft des »Dritten Reiches« so »erfolgreich« funktionierte. Dies betraf nicht nur die Rekrutierung der ins Reichsgebiet verbrachten über zwölf Millionen Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen, sondern auch die immer schärfere Arbeitspflicht in den besetzten Gebieten. Michael Wildt zeigt an den Beispielen des Reichsgaus Wartheland, des Generalgouvernements und Litauens, wie stark die Arbeitsverwaltung zudem in die Organisation der Ghettos und indirekt auch in den Holocaust involviert war.26 Die zuständigen Beamten registrierten und erfassten nicht nur die Arbeitskräfte, sondern entschieden zudem, wer in den jüdischen Ghettos als »arbeitsfähig« eingestuft wurde oder nicht – Letzteres bedeutete in der Regel ein Todesurteil, was innerhalb der verantwortlichen Dienststellen meist auch bekannt war. Tatsächlich setzten sich Angehörige der Arbeitsverwaltung in Einzelfällen dafür ein, dass jüdische Ghettobewohner vor diesem Schicksal bewahrt wurden. Dies macht deutlich, dass die Beamten der Arbeitsverwaltung durchaus über Handlungsoptionen verfügten. »Es blieb eine persönliche Entscheidung, Mittäter zu werden oder alles zu tun, um Menschenleben zu retten.« (Michael Wildt)

Kontinuitäten Die Einbindung der Arbeitsverwaltung in die verbrecherische Praxis der Zwangsarbeiterpolitik und die Ermordung der jüdischen Bevölkerung lässt sich an vielen Beispielen nachweisen. Dass diese Mitverantwortung lange Zeit nicht aufgearbeitet wurde, hängt  – wie Kim Christian Priemel darlegt – auch mit der erfolgreichen Verteidigungsstrategie in den Nürnberger Prozessen zusammen, in denen es Seldte und seinen Mitarbeitern gelang, ihre eigene Tätigkeit im Rahmen der Zwangsarbeiterpolitik zu relativieren. Sie verwiesen darauf, dass das Arbeitsministerium lediglich bis 1942 im Rahmen der freiwilligen Rekrutierung von Arbeitskräften federführend war, während 26 Vgl. auch Jürgen Hensel/Stephan Lehnstaedt (Hg.): Arbeit in den nationalsozialistischen Ghettos, Osnabrück 2013.

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die brutale Zwangsarbeiterpolitik seit Frühjahr 1942 allein unter die Verantwortung des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz Fritz Sauckel gefallen sei, der vor allem von der Wehrmacht und den betroffenen Unternehmen Unterstützung erfahren hätte. Führenden Beamten des Ministeriums wie Hubert Hildebrandt, Wilhelm Kimmich, Walter Letsch, Walter Stothfang und Max Timm kam in Nürnberg zugute, dass sie als Zeugen und Experten umfangreiche Aussagen machen konnten  – auch zur eigenen Entlastung. Zudem waren mit Fritz Sauckel und Albert Speer bereits zwei Exponenten der Kriegswirtschaft verurteilt, während Seldte durch seinen Tod im April 1947 einer möglichen strafrechtlichen Verfolgung entgangen war. Da die Alliierten auf einen zügigen Abschluss der Kriegsverbrecherprozesse drängten, blieb den leitenden Beamten des Arbeitsministeriums eine Anklage am Ende erspart. Die meisten von ihnen konnten in der Bundesrepublik bald wieder beruflich Fuß fassen und in ihr bürgerliches Leben zurückkehren. Die erfolgreiche Entlastungsstrategie der leitenden Beamten hat freilich auch das historische Urteil über das Reichsarbeitsministerium geprägt. Das Ministerium wurde als eine Behörde wahrgenommen, die  – im Krieg endgültig entmachtet  – nur noch nachgeordnete Verwaltungstätigkeiten ausführte und keinerlei Verantwortung für die verbrecherischen Praktiken des NS -Staates trug. Wie komplex die Frage der personellen Kontinuitäten nach 1945 ist, zeigt der Beitrag von Martin Münzel. In allen vier alliierten Besatzungszonen kam es zunächst zu einer fast vollständigen Entfernung ehemaliger Nationalsozialisten aus den leitenden Positionen der Arbeits- und Sozialverwaltung. Die konsequente Entnazifizierung des Führungspersonals prägte auch den Aufbau der zuständigen Behörden in der DDR , in der nun vorwiegend SED -treue Funktionäre und Mitarbeiter eingesetzt wurden. Die dauerhafte Entfernung ehemaliger Nationalsozialisten aus den leitenden Verwaltungspositionen erfolgte in der DDR konsequenter als in den westlichen Besatzungszonen und der Bundesrepublik. Dort zeichnete sich frühzeitig ein Trend ab, qualifizierte Beamte trotz NS -Vergangenheit wieder einzustellen. Der Mangel an geschultem Verwaltungspersonal war schon in der bizonalen Verwaltung ein vielfach angeführtes Argument, um alte Führungskräfte trotz politischer Belastungen wieder in verantwortliche Funktionen zu bringen. Dass hierbei die in Nürnberg entwickelte Exkulpationsstrategie nachwirkte, belegt das Beispiel von Walter Stothfang, der trotz seiner Tätigkeit als enger Mitarbeiter Sauckels nach einigen Zwischenstationen wieder im Ministerium eine Tätigkeit fand. Bei der Rehabilitierung Stothfangs – wie auch in anderen Fällen –

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spielten persönliche Netzwerke aus der Zeit vor 1945 eine wichtige Rolle, da vielfach »Persilscheine« ausgestellt wurden, die bei Entnazifizierungsverfahren entlastend wirkten. Aufgrund der Adenauer’schen Wiedereingliederungspolitik mussten sämtliche Bundesbehörden seit Anfang der 1950er-Jahre mindestens 20% ihrer Planstellen für Beamte reservieren, die nach 1945 entlassen und in Entnazifizierungsverfahren nicht als »Hauptschuldige« oder »Belastete« (Aktivisten, Militaristen und Nutznießer) eingestuft worden waren. Ein Großteil der NS -Bürokraten fand in den Ministerien der Bundesrepublik wieder eine Beschäftigung, mancherorts konnten alte Seilschaften reaktiviert werden. Wie Münzel zeigt, belief sich der Anteil ehemaliger NSDAP -Mitglieder in der Behördenspitze 1953 auf 57%, bis 1960 hatte er sich auf über 70% erhöht. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales gehörte damit in der obersten Mitarbeiterebene zu den am »stärksten mit ehemaligen NSDAP -Mitgliedern durchsetzten Bundesministerien« (Martin Münzel). Auch die Bundesanstalt für Arbeit und die ihr nachgeordneten Arbeitsämter beschäftigten zu dieser Zeit zahlreiche ehemalige Parteigenossen, zum Teil in leitenden Funktionen. Die formale Parteimitgliedschaft ist freilich ein Indikator, der für die Frage der politischen Kontinuitäten nur bedingt aussagekräftig ist. Entscheidender ist, dass es sich bei den ministeriellen Eliten offenbar um eine weitgehend homogene Gruppe von Sozialexperten, Verwaltungsfachleuten und Beamten handelte, die durch gemeinsame professionelle Sozialisationen und politische Erfahrungen geprägt wurden, die von der Weimarer Republik über den Nationalsozialismus bis in die Nachkriegszeit reichten.

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I. Behördenstruktur, Personal und institutionelle Konflikte

Das Reichsarbeitsministerium 1919-1945 Organisation, Führungspersonal und politische Handlungsspielräume1

Ulrike Schulz

»Sicherlich, auf keine Weise ist der bürokratischen Organisation zu entfliehen. Es ist gleichgültig, ob wir die Untergründe und Bedürftigkeiten unseres Lebens, das, was an ihnen organisatorisch gestaltet werden muss, dem Staat und seinen Untergliedern in die Hände legen oder, ob wir es dem überlassen, der es als Organisator oder privater Unternehmer an sich zieht und es für seine Geld- und sonstigen Zwecke zu verwerten weiß. In jedem Fall ist’s jene gleiche Maschinerie, jener gleiche ungeheure Bau, der herauskommt, in dessen öden ungezählten Kammern unsere Seele wie in Katakomben ihres Daseins stirbt. Es ist gleichgültig, wer ihn schafft, wem er gehört – der Käfig wird gebaut; er ist nun unser Schicksal.«2 Als Alfred Weber diese Zeilen im Jahr 1910 veröffentlichte, hoffte er noch, seine Leser vor der unmerklich wachsenden, sich aller Lebensbereiche bemächtigenden Bürokratiemaschine warnen zu können. Er wollte darüber aufklären, dass ein sich stets weiter vertiefender Gegensatz zwischen dem freien tatkräftigen Berufs-Menschen und der unpersönlichen »beamtlichen« Herrschaft der »Apparate« sich entwickle. Den »Apparaten« unterstellte er eine inhärente metaphysische Dynamik, die nur vorgab, die Gesellschaft neu zu ordnen, sie sich aber eigentlich unterwarf.3 Auch Alfred Webers älterer und ungleich berühmterer Bruder Max Weber maß den sich ständig vergrößernden »Bürokratien«, die er in seiner Gegenwart beobachtete und analysierte, größte gesellschaftspolitische Bedeutung bei. Auch er sah in dieser Entwicklung eine Tendenz, die Freiheit des Individuums zu beschnei1 Ich danke der Forschungsgruppe zur Aufarbeitung der Geschichte des Reichsarbeitsministeriums sowie Peter Collin, Karl Christian Führer und Michael Wildt für ihre vielfältige Unterstützung und die Diskussion am Manuskript dieses Textes. 2 Alfred Weber: Der Beamte, in: Die Neue Rundschau 21 (1910), Bd.4, S.13211339, hier S.1334. 3 Ebd., S.1328.

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den. Anders aber als sein Bruder bewertete Max Weber diese Herrschaft von Verwaltungsstäben, wie er sie nannte, als »legal«, da sie aus seiner Sicht nach rationalen und objektiven Prinzipien handelten. Zu diesen Prinzipien gehörten die Trennung von Amt und Person, die Verpflichtung zur Neutralität, die Ausrichtung der Verwaltungsabläufe nach rationalen Gesichtspunkten sowie die standardisierte Ausbildung und Professionalisierung.4 Aus Max Webers Sicht lag die Aufgabe der Verwaltungsstäbe gerade darin, diese Prinzipien in Geltung zu bringen und auf diese Weise sicherzustellen, dass Individuen weder einseitig bevorzugt noch benachteiligt werden könnten. Er etablierte damit für die Nachwelt eine Perspektive auf Verwaltung als eine demokratische Einrichtung. Bis in die Gegenwart entfalten die beiden von Alfred und Max Weber gezeichneten Bilder über das Entstehen moderner Verwaltung ihre Wirksamkeit  – hier die negative Semantik einer sich alles unterwerfenden Bürokratiemaschine, da die positive Semantik einer effizienten, arbeitsteiligen Organisation, in der überindividuelle Bereiche des Gemeinwesens nach rationalen Verfahren gesteuert werden.5 Vorbilder dieser zeitgenössischen Analysen waren vor allem die seit der Jahrhundertwende scheinbar grenzenlos wachsenden Großunternehmen und auch die Behörden der öffentlichen Verwaltung. Während es Alfred Weber für vermeintlich gleichgültig hielt, wer die Bürokratisierung der Gesellschaft vorantrieb, legte Max Weber seine Analyse über die sie konstituierenden Prinzipien idealtypisch an. Ob sie in einem Betrieb, in einem Krankenhaus oder in einem politischen Verband in Geltung sind  – davon hängen die Prinzipien selbst nicht ab, wenn man Max Weber folgt. Und es spielt auch kaum eine Rolle, wie sich jene Prinzipien in den jeweiligen Organisationen genau abbilden. Zwar hat ein Versicherungsamt eine andere Aufgabe im Gemeinwesen als ein Krankenhaus, aber beide sind doch Teil einer arbeitsteiligen Verwaltung in einem übergreifenden gesellschaftlichen Zusammenhang. Der generalisierende Blick über die konkreten Organisationen und ihre Merkmale hinweg war insbesondere für Max Weber eine Anforderung seiner Zeit. Es ging ihm um einen universal angelegten Systementwurf, nicht unbedingt um eine Soziologie der »Öffentlichen 4 Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft, Tübingen 1972, S.125-128; HansUlrich Derlien/Doris Böhme/Markus Heindl: Bürokratietheorie: Einführung in eine Theorie der Verwaltung, Wiesbaden 2011, S.19-66. 5 Peter Becker, Bürokratie, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 30.8.2016, http://docupedia.de/zg/Becker_buerokratie_v1_de_2016 (26.10.2016).

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D A S R E I C H S A R B E I T S M I N I S T E R I U M 1919-1945

Verwaltung«. Vielleicht hätten wir Letztere dennoch aus seiner Feder vorliegen, wenn er nicht bereits im Jahr 1920 gestorben wäre. Somit konnte der Pionier der Organisationssoziologie die demokratisch ausgerichteten und nach den Prinzipien der Gewaltenteilung aufgebauten Reichsministerien nach dem Ersten Weltkrieg und der Novemberrevolution nicht lange verfolgen. Am 21.  März 1919 wurden diese Ministerien als substantieller Bestandteil der Exekutive der Weimarer Nationalversammlung eingerichtet.6 Per Erlass gab sich die Nationalversammlung eine Regierung bestehend aus einem Reichskanzler und einem sogenannten Reichsministerium, bestehend aus verschiedenen Fachministern sowie Ministern ohne Geschäftsbereich. Dazu gehörte das erste Mal ein Reichsarbeitsministerium als eine oberste Reichsbehörde. Aufgrund seiner vorhergehenden Studien hätte sich Max Weber innerhalb dieser Ministerorganisation für die gesellschaftspolitischen Implikationen und die organisatorische Einrichtung des Reichsarbeitsministeriums wohl noch einmal gesteigert interessiert. Denn erstens trafen hier die Interessen der beiden großen Lager des Arbeitskampfes aufeinander. Für die organisierte Arbeiterbewegung, die SPD und die Gewerkschaften, aber auch Sozialreformer und Nationalliberale war das Ministerium ein Versprechen auf die Zukunft, der Arbeiterschaft endlich würdige Lebensbedingungen und Teilhabe am Gemeinwesen zu gewähren. Im konservativ-bürgerlichen Lager hielt man hingegen staatliche Sozialpolitik für wirtschaftlich unproduktiv. Mithin galt das Ministerium vor allem den Deutschnationalen und der Mehrheit der Unternehmerschaft als teure, krisenanfällige und einseitige Interessenvertretung der Arbeitnehmer im Dienste der Gewerkschaften.7 Zweitens und aus der Perspektive der Organisation vereinte das Reichsarbeitsministerium, getrieben durch die soziale Not nach Ende des Ersten Weltkrieges, so verschiedene und komplexe Aufgabengebiete, dass die verantwortlichen Mitarbeiter bei der Einrichtung der Behörde teils völliges Neuland betreten mussten. Vorläuferorganisationen auf Reichsebene fehlten oder entsprachen nicht mehr den neuen Anforderungen an eine moderne Massenverwaltung. 6 Erlaß, betreffend die Errichtung und Bezeichnung der obersten Reichsbehörden vom 21.3.1919, RGB l.1919, S.327-328. 7 Siehe vor allem die Reichstagsdebatten (Verhandlungen des Reichstags, Bd.310/311, 1917) um die Gründung eines Reichsarbeitsamtes sowie zum allgemeinen Kontext Rüdiger vom Bruch (Hg.): Weder Kommunismus noch Kapitalismus. Bürgerliche Sozialreform in Deutschland vom Vormärz bis zur Ära Adenauer, München 1985.

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Eine Geschichte des Reichsarbeitsministeriums, die beide Dimensionen der Ministeriumsarbeit in Augenschein nimmt – die von ihm verwalteten und teilweise stark umstrittenen Politikfelder ebenso wie seine Organisationsmerkmale  – gewährt neue und vielleicht sogar überraschende Einblicke in die Arbeit des Regierens und die staatlich verantwortete Sozial- und Arbeitspolitik in der Zeit zwischen 1919 und 1945. In einer solchen Geschichte muss die Rolle des Ministeriums und seiner Mitarbeiter in der Zeit des Nationalsozialismus besondere Aufmerksamkeit erhalten. Schließlich waren die Bereiche Arbeit und Soziales für die nationalsozialistische Ideologie (Stichwort »Volksgemeinschaft«), aber auch für die deutsche Besatzungspolitik nach 1939 (Stichwort Zwangsarbeit) von höchster Bedeutung. Entsprechend große politische Aufmerksamkeit erhielt das Reichsarbeitsministerium ab 1933 von verschiedenen Amtsinhabern der NSDAP und der Regierung Hitler. Um zu verstehen, welche Bedeutung dem Ministerium im Nationalsozialismus zukommt, ist es unumgänglich, die interne Organisation des Ministeriums systematisch zu analysieren. Nur so lässt sich feststellen, welche Kompetenzen, Befugnisse und Zuständigkeitsbereiche zum Reichsarbeitsministerium gehörten, aber auch welche nicht. Ohne eine solche Analyse lassen sich die Rolle, Verantwortung und Wirkung des Reichsarbeitsministeriums im Nationalsozialismus nicht seriös beurteilen. Es gilt, sich zudem die Frage zu stellen, mit welchen Maßstäben wir heute die Arbeit der Mitarbeiter bewerten und mit welchen Fragen jene in der von ihnen erlebten Zeit konfrontiert waren. Drei Aspekte einer Geschichte des Reichsarbeitsministeriums werden im Folgenden vertieft. Dazu gehört erstens, dass diese Geschichte nicht mit Hitlers »Machtergreifung« 1933 einsetzen kann. Eine Untersuchung, die sich auf die Jahre 1933 bis 1945 beschränkt, würde die nur 14 Jahre dauernde Phase zwischen der Gründung des Ministeriums 1919, seinem Aufbau und seiner Stabilisierung in den »utopisch-demokratischen« wie krisengeschüttelten Jahren der Weimarer Republik vernachlässigen.8 Diese Jahre waren aber entscheidend, um die organisatorischen Voraussetzungen und inhaltlichen Schwerpunktsetzungen des Reichsarbeitsministeriums zu verstehen, das seit dem 1.  Februar 1933 zur Regierung Hitlers gehörte. Wichtig ist es in diesem Zusammenhang zweitens, die Rollen und Aufgaben der Politiker, politischen Beamten 8 Vgl. Tim B. Müller/Adam Tooze: Demokratie nach dem Ersten Weltkrieg, in: dies. (Hg.): Normalität und Fragilität: Demokratie nach dem Ersten Weltkrieg, Hamburg 2015, S.9-36.

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und ständig angestellten Mitarbeiter im Ministerium in spezifischen Akteurskonstellationen zu betrachten. Es besteht ansonsten die Gefahr, die komplexen Funktionsmechanismen der Behörde zu stark auf die Entscheidungen des Ministers oder der leitenden Beamten zu verkürzen. Welchen Einfluss konnte Franz Seldte als einziger Reichsarbeitsminister zwischen 1933 und 1945 in seinem Amt entfalten? Warum galt er etwa als »schwacher« Minister? Schließlich geht es drittens darum, die Einflüsse, die von außen auf das Ministerium in den Jahren zwischen 1933 und 1945 einwirkten, zu identifizieren. Zu den Organisationen, für die das Reichsarbeitsministerium aus unterschiedlichen Gründen relevant war, gehörten Parteiorganisationen wie die Deutsche Arbeitsfront, aber auch die anderen Ressorts. Wie lässt sich ihr Einfluss auf das Reichsarbeitsministerium beschreiben?

Gründung und Aufbau des Reichsarbeitsministeriums in der Weimarer Republik, 1919-1933 Schon knapp ein halbes Jahr vor der Einsetzung der Ministerien, am 4.  Oktober 1918, war das Reichsarbeitsamt gegründet worden. Dieses übernahm die sozialpolitischen Angelegenheiten des Reichswirtschaftsamtes, das genau ein Jahr davor, im Oktober 1917, entstanden war und wiederum einzelne Kompetenzbereiche des Reichsamtes des Innern übernommen hatte. Das Reichsamt des Innern war bis 1917 das zentrale innenpolitische Ressort des Kaiserreiches gewesen. Unter direkter Leitung des Reichskanzlers vereinte es alle wichtigen innenpolitischen Geschäftsbereiche unter seinem Dach, vom Münzwesen bis zur Arbeiterunfallversicherung.9 Während des Ersten Weltkrieges sah sich die Behörde nicht mehr in der Lage, diese Bandbreite an Aufgaben zu bewältigen. Eine stärker ausdifferenzierte Arbeitsteilung sowie eine Neugruppierung der Zuständigkeiten schienen unumgänglich. Neun vortragende Räte und rund 20 Referenten, insgesamt 56 planmäßige Beamte und 37 Angestellte begannen noch im Oktober 1918 damit, das Reichsarbeitsamt neu aufzubauen.10 Sie kamen in der Mehrzahl aus dem Reichsamt des Innern sowie aus dem Reichswirtschaft9 Denkschrift über die Entwicklung des Reichsamts des Innern und seine Teilung, in: Verhandlungen des Reichstags (1914/18), Bd.321, Nr.1025, AnlageI I , S.8-12. 10 Hermann Geib: Zur Organisationsgeschichte des Reichsarbeitsministeriums, in: RAB l.II (1928), S.196.

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samt, teilweise aus der preußischen Innenverwaltung. Die Leitung der Behörde übernahm der für diese Aufgabe zum Staatssekretär ernannte SPD -Politiker und Gewerkschaftsfunktionär Gustav Bauer.11 Zum Geschäftsbereich des Reichsarbeitsamtes gehörten beim Übergang die Fürsorge für Arbeiter und Angestellte, die Regulierung des Arbeitsmarktes, die Arbeitsvermittlung sowie die Arbeitslosenfürsorge und Arbeiterversicherung. Auch die seit 1884 bestehende Reichsversicherungsanstalt für die Invalidenversicherung der Arbeiter sowie die seit 1911 bestehende Angestelltenversicherung als zweiter Strang der gesetzlichen Altersversicherung gingen im neuen Reichsarbeitsamt auf.12 Der Aufbau der Organisation in geordneten Bahnen währte allerdings nur wenige Tage. Kaum war das Reichsarbeitsamt aus der Taufe gehoben, stand es auch schon im Epizentrum der Novemberrevolution 1918. Das erste Mal gelang es der organisierten Arbeiterbewegung in jenen Tagen und Monaten, ihre politischen Forderungen gegenüber den Eliten des Kaiserreiches in Teilen durchzusetzen. Mit der Dynamik, die sich aus dem Ersten Weltkrieg und der kommunistischen Revolution in Russland 1917 ergeben hatte, etablierte sich die Arbeiterschaft fortan als eigene politische Kraft und setzte eine Neuordnung der politischen Kräfteverhältnisse in Gang, die das gesamte 20.  Jahrhundert prägen sollte.13 Zentrale Forderungen der Arbeiter- und Soldatenräte, die sich nach dem Vorbild der russischen Revolution nun auch in Deutschland gebildet hatten, richteten sich direkt an das nominell zuständige Reichsarbeitsamt. Es ging zunächst um die Anerkennung der Gewerkschaften als legitime Interessenvertreter der Arbeiterschaft. Mit dieser politischen Vertretung verbanden sich weitreichende arbeitsrechtliche Forderungen nach betrieblicher Mitbestimmung, kollektiver Aushandlung von Tarifverträgen sowie einer sozial orientierten betrieblichen Sozialpolitik.14 Ehe sie sich versahen, nahmen 11 PA Gustav Bauer, 1918-1926, Bundesarchiv (BA rch) R3901/100039; sowie Gustav Bauer, in: Neue Deutsche Biographie, Bd.1, Berlin 1953, S.638. 12 Gerhard A. Ritter: Soziale Frage und Sozialpolitik in Deutschland seit Beginn des 19. Jahrhunderts, Opladen 1998, S.27-69. 13 Vgl. Eric Hobsbawm: Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts, München/Wien 1995. 14 Heinrich August Winkler: Von der Revolution zur Stabilisierung: Arbeiter und Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik, 1918 bis 1924, Berlin 1984; Klaus Tenfelde/Ulrich Borsdorf (Hg.): Geschichte der deutschen Gewerkschaften von den Anfängen bis 1945, Köln 1987; Thomas Welskopp: Das Banner der Brüderlichkeit. Die deutsche Sozialdemokratie vom Vormärz bis zum Sozialistengesetz, Bonn 2000.

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die Beamten des neuen Reichsarbeitsamtes an den ersten, diffizilen Verhandlungen zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern teil und wurden zu Zeugen bis dato undenkbarer Zusammenschlüsse, wie sie etwa beim Stinnes-Legien-Abkommen vereinbart wurden.15 Nachhaltig für die Zukunft des Reichsarbeitsamtes beziehungsweise ab März 1919 des Reichsarbeitsministeriums waren auch diejenigen Forderungen, die im Verlauf der Verhandlungen zwischen Übergangsregierung und Arbeiter- und Soldatenräten an die verfassungsgebende Nationalversammlung delegiert und ab August 1919 in der Weimarer Verfassung verankert wurden. Sie reichten von einem umfassenden Arbeitsgesetzbuch über eine zentrale Arbeitsvermittlung bis hin zu Fragen der staatlich subventionierten Wohnungsfürsorge und Arbeitslosenversicherung. Alle Versäumnisse der vergangenen zwanzig Jahre sollten nun binnen kürzester Zeit abgearbeitet werden. Somit blieb kaum Zeit, systematisch über die organisatorische Einrichtung des Amtes nachzudenken. Aus rückblickender Perspektive muss es den Mitarbeitern der neuen Behörde abenteuerlich erschienen sein, in welchem Ausmaß die Behörde ab der Jahreswende 1918/19 von Monat zu Monat wuchs.16 In den vom Reichswirtschaftsamt übernommenen Arbeitsbereichen existierten zwar konzeptionelle Vorarbeiten und teils lang etablierte Organisationsstrukturen, aber auch hier gab es wenig Zuständigkeitsbereiche, für die man auf dem Entwicklungsstand von 1914 einfach hätte aufbauen können. Oberste Priorität und politisches Gebot der Stunde waren die Gesetzeswerke zum Arbeitsrecht, zum Arbeitsschutz und zur betrieblichen Sozialpolitik, um die Arbeitsund Lebenssituation der Arbeiter und ihrer Familien zu verbessern und damit auch im Sinne der Staatsräson in jenen Monaten ihrer weiteren politischen Radikalisierung entgegenzuwirken. Das »Betriebsrätegesetz« vom 4. Februar 1920 war hierbei nur ein Beispiel für die anstehenden Gesetzesvorlagen, aber sicher die bedeutendste Initiative jener Monate.17 Ein nächster Schwerpunkt bestand darin, die Arbeitsvermittlung zu reorganisieren und Konzepte zu erarbeiten, wie sich die in den Län15 Karl Christian Führer/Jürgen Mittag/Axel Schildt/Klaus Tenfelde (Hg.): Revolution und Arbeiterbewegung in Deutschland 1918-1920, Essen 2013; Gerhard A. Ritter: Arbeiter, Arbeiterbewegung und soziale Ideen in Deutschland: Beiträge zur Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, München 1998; Gerald D. Feldman: Armee, Industrie und Arbeiterschaft 1914-1918, aus dem Engl. von Norma von Ragenfeld-Feldman, Berlin/Bonn 1985. 16 Georg Hartrodt: Rückblick auf die organisatorischen Reformarbeiten im Geschäftsbereich des Reichsarbeitsministeriums, in: RAB l.II (1929), S.179. 17 RGB l.I 1920, S.147-185.

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dern sehr unterschiedliche Behördenorganisation vereinheitlichen ließe. Eine Fragestellung mit erheblicher gesellschaftspolitischer Sprengkraft war diejenige nach der Einrichtung und Berechnung des finanziellen Aufwands für eine noch zu konzipierende Arbeitslosenversicherung.18 Allerdings war es in jenen Monaten unumgänglich, den erwerbslosen Arbeitern bereits Unterstützung auszuzahlen. Zugleich wurde die Rentenversicherung für Arbeiter und Angestellte neu ausgerichtet. Hier ging es im ersten Schritt darum, die Rechtslage anzupassen und die Anwartschaften daraufhin abzugleichen. Mit diesen Aufgaben stießen die Beamten des Reichsarbeitsamtes bereits an die Grenzen der vorhandenen Kapazitäten. Jetzt aber kamen in rascher Folge weitere, teils gänzlich neue Zuständigkeiten hinzu; die große Not in der Bevölkerung vom Ende des Krieges bis zur Hyperinflation 1923 wurde zum Schrittmacher der Entwicklung. Im Dezember 1918 war bereits die Zuständigkeit für das Wohnungs- und Siedlungswesen auf das Amt übergegangen. Dies war ein Geschäftsbereich, der zuvor weder als sozialpolitischer Schwerpunkt noch als zentralstaatliche Verwaltungsaufgabe angesehen worden war. Städtischer sowie ländlicher Wohnungsbau und Wohnungsfürsorge, Boden- und Flurregulierung sowie Fragen der Mietpreisregelung und des Mieterschutzes waren bis 1914 alleinige Sache der Länder und Kommunen gewesen.19 Angesichts der akuten Wohnungsnot durch ein darniederliegendes Baugeschäft im Krieg und Hunderttausenden von den Fronten zurückströmenden Soldaten erhielt die Regulierung des Wohnungsbaus hohe Priorität und wurde in der Weimarer Verfassung verankert. Die Koordination der gesetzgeberischen Arbeiten übernahm fortan das Reichsarbeitsamt. Noch im Februar 1919 überwiesen die Übergangsregierung und die Nationalversammlung dem Reichsarbeitsamt einen nächsten Aufgabenbereich. Es war nun auch für die Versorgung der Kriegsopfer und ihrer Hinterbliebenen zuständig. Damit übernahm die Behörde die zuvor militärisch organisierte Infrastruktur der Armee mit dem Mandat, diese in eine zivile Versorgung umzubauen und die Rechtsetzung anzupassen. Von Oktober 1919 bis Juni 1923 folgte dann die komplette 18 Karl Christian Führer: Arbeitslosigkeit und die Entstehung der Arbeitslosenversicherung in Deutschland 1902-1927, Berlin 1990. 19 Siehe hierzu den Beitrag von Karl Christian Führer in diesem Band sowie Lutz Niethammer: Ein langer Marsch durch die Institutionen. Zur Vorgeschichte des preußischen Wohnungsgesetzes 1918, in: ders. (Hg.): Wohnen im Wandel: Beiträge zur Geschichte des Alltags in der bürgerlichen Gesellschaft, Wuppertal 1979, S.363-384.

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Übernahme der Militär- und Sanitätsversorgung sowie die Abwicklung der militärischen Pensionsregelungsbehörden.20 Bis weit in das Jahr 1924 hinein wurden damit gekoppelte Aufgaben aus dem Kriegsministerium, dem Reichskolonialministerium, dem Ministerium für wirtschaftliche Demobilmachung sowie den Ländern an das seit März 1919 so bezeichnete Reichsarbeitsministerium überwiesen. Sie reichten von der Erwerbslosenfürsorge für Offiziere bis zur Zentralaufsicht für Sprengstoff- und Munitionsfabriken.21 Die Übernahme des Versorgungswesens am 5. Oktober 1919 markierte in gewisser Weise den zweiten Gründungstag des Reichsarbeitsministeriums. Der Personalbestand wuchs über Nacht auf das Vielfache an, auf 572 Beamte und 3818 Angestellte.22 In der Rechtsetzung behandelte das Versorgungswesen ähnlich grundsätzliche gesellschaftspolitische Fragen wie denjenigen des Arbeitsrechts. Beispielsweise wurde die Anspruchsberechtigung für Kriegsversehrte und ihre Hinterbliebenen bis 1918 noch immer nach dem Dienstgrad berechnet und damit vor allem nach dem sozialen Status der Armeeangehörigen. Ein Zustand, der angesichts der Millionen von Menschen, die schwer verletzt aus dem Krieg zurückkehrten, nicht mehr den gesellschaftlichen Realitäten entsprach. Das Versorgungswesen war ein nächster wesentlicher und sehr umfangreicher Zuständigkeitsbereich des Reichsarbeitsministeriums, der die Behörde zudem mindestens genauso stark geprägt hat. Mithin waren beide Bereiche, Arbeitsrecht und Reichsversorgung, konstitutiv für die Errichtung und den Aufbau des Reichsarbeitsministeriums in der Weimarer Republik. Nicht zuletzt stellten beide Geschäftsbereiche für die organisatorische Entwicklung des Ministeriums insgesamt wichtige Weichen, wie der Blick auf die kommenden Jahre zeigt. Wie stabilisierte sich die Behörde angesichts des sich ständig erweiternden Zuständigkeitsbereichs? Zu Beginn gliederte sich das Amt entsprechend seiner hauptsächlichen Arbeitsgebiete in vier Abteilungen: I  Arbeiterfragen, II   Arbeiterversicherung, III   Wohnungs- und Siedlungswesen sowie IV   Versorgung der Kriegsbeschädigten und 20 Übergang des Versorgungswesens auf das Reichsarbeitsministerium, 30.10.1919, BArch 3901/6875, Bl.177-179. 21 Reichsarbeitsministerium, betr. Verteilungsplan für die aus dem Ministerium für wirtschaftliche Demobilmachung und dem Kriegsamt übernommenen Abteilungen, Mai 1919, BA rch R43  I/916, Bl.5; Heinrich Brauns, betr. Übernahme Zentralaufsicht Sprengstoff- und Munitionsfabriken, 28.5.1924, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, MA /103597. 22 Geib (Anm.10).

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-hinterbliebenen. Die ersten drei Abteilungen zogen ab 1921 in die Scharnhorststraße 35 ein, den Sitz des Reichsarbeitsministeriums bis 1934. Abteilung IV verblieb noch bis 1923 im Gebäude der Kaiser Wilhelm Akademie, Luisenstraße 32/43, bis auch sie in das Hauptgebäude des Ministeriums integriert wurde. In allen vier Abteilungen begann die Arbeit mit einer inhaltlichen und organisatorischen Bestandsaufnahme der zu bearbeitenden Sachfragen. Alle Eingänge, d.h. alle Anfragen, Briefe und Eingaben fasste man anfangs noch völlig unsystematisch nach thematischen Schwerpunkten zusammen. Der erste Geschäftsverteilungsplan vom Juli 1919 erfasste so auf gut 18 Seiten zehn Abteilungen, die noch im Wildwuchs zusammengebaut waren.23 Erst im Laufe des Jahres 1920 gruppierten die zuständigen Referenten die Tätigkeitsfelder und ordneten ihnen Abteilungen und diesen wiederum Referate zu. Die Abteilungen wurden in den kommenden Jahren vielfach verschoben und neu aufgeteilt, um die jeweiligen Kompetenzbereiche abzugrenzen. Selbiges geschah auch mit den anderen Reichsministerien, deren Zuständigkeiten sich nun teilweise überschnitten. Dazu gehörten die langwierigen Auseinandersetzungen mit dem Reichsministerium des Innern um die Fragen, ob das Reichsgesundheitsamt und die Armenfürsorge wie bisher dort verbleiben oder diese Aufgaben an das Reichsarbeitsministerium überwiesen werden sollten.24 Über andere Zuständigkeiten wurde nicht gestritten, es entwickelten sich vielmehr regelmäßiger Kontakt und Zusammenarbeit wie etwa mit dem Reichswirtschaftsministerium bei der Gewerbeaufsicht oder dem Justizministerium bei der Mietgesetzgebung. Sehr langsam, im Grunde bis 1929, kristallisierte sich schließlich eine stabile Struktur mit fünf Abteilungen heraus: Zentrale Verwaltung und Reichsversorgung (Hauptabteilung  I), Sozialversicherung in allen Bereichen (Hauptabteilung  II ), Arbeitsrecht und Lohnpolitik (Hauptabteilung  III ), Wohnungs- und Siedlungswesen (Hauptabteilung IV ) sowie Arbeitsvermittlung und -verwaltung (Hauptabteilung V).25 23 Reichsarbeitsministerium, Geschäftsverteilungsplan 1919, 1.7.1919, BA rch R43 I/916, Bl.6-23. 24 Das Reichsministerium des Innern setzte sich in beiden Fällen durch; vgl. Reichsgesundheitsamt (Hg.): Festschrift zum 50jährigen Bestehen, Berlin 1926, S.22; Christoph Sachße/Florian Tennstedt: Fürsorge und Wohlfahrtspflege 1871-1929, Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland, Bd.II , Stuttgart 1988, S.108-172; Axel  C. Hüntelmann: Hygiene im Namen des Staates. Das Reichsgesundheitsamt 1876-1933, Göttingen 2008, S.135-143. 25 Die strukturellen Verschiebungen müssten an dieser Stelle gemeinsam mit den inhaltlichen Arbeitsschwerpunkten in den einzelnen Abteilungen analysiert

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Gebäude des Reichsarbeitsministeriums in der Berliner Scharnhorststraße zur Zeit der Weimarer Republik, Ansicht von der Invalidenstraße. Foto: Max Krajewski

Große Stabilität ergab sich für die Organisation auf der Ebene des Personals, vor allem in der Besetzung der obersten Leitungspositionen von Minister und Staatssekretär. Nach dem Intermezzo von Gustav Bauer als erstem offiziellen Reichsarbeitsminister ab Februar 1919 übergab dieser die Geschäfte noch im Juli des Jahres an Alexander Schlicke, den langjährigen Vorsitzenden des Deutschen Metallarbeiterverbands und ebenfalls SPD -Politiker.26 Letzterer leitete die Geschicke der Behörde gut ein Jahr lang, bis Heinrich Brauns im Juni 1920 als Reichsarbeitsminister berufen wurde. Heinrich Brauns sollte diese Position bis fast auf den Tag genau acht Jahre, bis zum Juni 1928, innehaben. Die Dauer dieser Amtszeit war angesichts der politischen Krisen der Weimarer Republik beinahe unwahrscheinlich; Brauns wurde insgesamt in 14 neuen Regierungsbildungen als Arbeitsminister bestätigt. Heinrich Brauns, der Zentrumspartei angehörig, entwickelte sich zu einem beinahe idealen, überparteilich akzeptierten Kandidaten für dieses Ressort. Er war ein ausgewiesener Fachmann werden. Siehe dazu meine im Entstehen begriffene Studie zur Geschichte des Reichsarbeitsministeriums von 1919-1945. 26 PA Alexander Schlicke, 1919-1920, BA rch R3901/100802.

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in der Sozialpolitik und brachte über seine früheren Tätigkeiten als Seelsorger im katholischen Volksverein und Gewerkschaftsfunktionär einen gewissen inhaltlichen Schwerpunkt aus dem Arbeitsrecht mit.27 Doch Fachkenntnis allein hätte ihn auf dem politischen Schleudersitz, den das Reichsarbeitsministerium in jenen Jahren darstellte, wohl nicht gehalten. Er erarbeitete sich einen Ruf als Vermittler zwischen den politischen Lagern vor allem durch seine aktive, teils sogar offensive Rolle, die er in den Parlamentsdebatten, im Haushaltsausschuss und in der weiteren Öffentlichkeit spielte. Es gelang ihm, die Arbeit des Ministeriums nach außen überzeugend darzustellen. Die grundsätzliche Ausrichtung seiner Politik war  – ganz im Sinne der von ihm vertretenen katholischen Soziallehre  – diejenige des Ausgleichs. Während er offen das Ziel verfolgte, die Arbeiterschaft in ihren Forderungen nach Anerkennung und Mitbestimmung zu unterstützen, verschloss er sich nicht den Argumenten der Arbeitgeberseite, dass sich Sozialpolitik nach den wirtschaftlichen Möglichkeiten auszurichten habe.28 Dieses Engagement brachte ihm ebenso viel Respekt wie Kritik ein; seine Erfolge als Mittler zwischen den Lagern des Arbeitskampfes aber waren unbestritten. Sie hinterließen auch auf der internationalen Verhandlungsebene Eindruck. So schrieb Albert Thomas im Jahre 1927, zu dieser Zeit Direktor des Internationalen Arbeitsamtes, an den Minister: »Sie haben mir deutlich gemacht, wie zielsicher Sie die Verbände der Arbeitgeber und Arbeitnehmer als tragende Säulen in den Bau der Sozialpolitik eingliedern, damit Wirtschaft, Sozialpolitik und Staatsgedanken unauflösbar miteinander verknüpfend.«29 Unter Heinrich Brauns arbeitete eine Gruppe von höheren und höchsten Beamten, die wie ihre Minister ganz offenbar ein überdurchschnittliches Engagement zeigten und sich mit den Aufgaben des Ministeriums persönlich identifizierten. Das galt geradezu mustergültig für den nominell einzigen Staatssekretär im Reichsarbeitsministerium, Hermann Geib. Hermann Geib übertraf die imposante Amtszeit von Heinrich Brauns noch und tat bis 1932 – zwölf Jahre ohne Unterbrechung – auf dieser Position seinen Dienst. Überdies komplettierte er die Expertise des Ministers, denn er war ausgewiesener Fachmann für das Versorgungswesen und die Kriegsopferfürsorge. Geib, promovier27 PA Dr. Heinrich Brauns, 1920-Juni 1933, BA rch R3901/100094. 28 Heinrich Brauns: Entwicklung der Sozialpolitik, in: RAB l.II (1928), S.194196. 29 Hubert Mockenhaupt: Weg und Wirken des geistlichen Sozialpolitikers Heinrich Brauns 1868-1939, München u.a. 1977, S.156.

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Heinrich Brauns (geb. 3.1.1868 in Köln, gest. 19.10.1939 in Lindenberg) studierte Theologie und Philosophie in Bonn und Köln, bevor er sich ab 1890 als katholischer Geistlicher in Gemeinden in Krefeld und Essen-Borbeck betätigte. Anschließend wurde er 1900 Mitarbeiter der Zentralstelle des Volksvereins für das katholische Deutschland und studierte Nationalökonomie sowie Staatsrecht in Bonn und Freiburg, wo er 1905 promoviert wurde. 1919 beteiligte er sich als Abgeordneter der Zentrumspartei an der Verfassungsgebenden Nationalversammlung in Weimar, in der er den Vorsitz des Ausschusses für Volkswirtschaft übernahm. Im Juni 1920 wurde Brauns zum Reichsarbeitsminister ernannt und hatte dieses Amt bis 1928 inne. Er prägte in seiner Amtszeit die staatliche Sozial- und Arbeitspolitik in der Weimarer Republik maßgeblich mit. Nach seiner Amtszeit wurde er Generaldirektor des Volksvereins für das katholische Deutschland, blieb bis 1933 Mitglied des Reichstages und betätigte sich weiter in der Sozial- und Arbeitspolitik, etwa als Präsident der deutschen Delegationen in den Internationalen Arbeitskonferenzen 1928 bis 1931 und als Vorsitzender der sogenannten Brauns-Kommission zur Untersuchung der Weltwirtschaftskrise 1931. Nach der nationalsozialistischen Machtübernahme zog Brauns sich aus der Politik zurück und war wiederholt Repressalien ausgesetzt. Quellen und Literatur: Personalakte Heinrich Brauns, Bundesarchiv R 3901/10094; Helga Grebing: Brauns, Heinrich, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 2, Berlin 1955, S. 334; Hubert Mockenhaupt: Heinrich Brauns (1868-1939), in: Rudolf Morsey (Hg.): Zeitgeschichte in Lebensbildern. Aus dem deutschen Katholizismus des 20. Jahrhunderts, Mainz 1973, S. 148-159.

ter Jurist, hatte eine klassische Verwaltungslaufbahn absolviert. Ab 1915 leitete er die Reichsstelle für Kriegsopfer in Berlin, eine Tätigkeit, die wohl neben seiner ausgezeichneten Qualifikation den Ausschlag für seine Berufung in das Reichsarbeitsministerium gab. Mit Heinrich Brauns und Hermann Geib waren die beiden höchsten Positionen im Ministerium für eine lange Zeit von Personen besetzt, die genau jene Stabilität vermittelten, die notwendig war, um die Organisation auf Kurs zu bringen und zu halten. Zum einen arbeiteten beide in einem außergewöhnlich vertrauensvollen Verhältnis zusammen. Zum anderen erfuhren sie die notwendige Unterstützung bei dem ihnen direkt zuarbeitenden Leitungspersonal.30 Unter diesen beiden kristallisierte sich parallel zur Leitungsebene eine stabile Gruppe von Beamten heraus, die an strategisch wichtigen Stellen ebenfalls für große Kontinuität sorgte. Zwar gab es durch die festgelegte Beamtenlaufbahn ohnehin nur eine eingeschränkte Fluktuation. Dennoch erklären sich die teils 30 Hermann Geib, betr. Schriftwechsel A-Z, BA rch N 2091, Bd.1-2.

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Hermann Geib (geb. 22.6.1872 in Bergzabern, gest. 23.9.1939 in Berlin) studierte in München und Erlangen Rechtswissenschaften und Volkswirtschaft. Nach Tätigkeiten im Bayerischen Staatsministerium des Innern sowie im Bayerischen Kultusministerium wurde er 1903 Bürgermeister und 1907 Oberbürgermeister von Regensburg. Nachdem er 1910 aus gesundheitlichen Gründen von seinem Amt zurücktrat, widmete er sich bis 1914 naturwissenschaftlichen Studien. Nach einem ehrenamtlichen Engagement in der Abteilung für Kriegsbeschädigte des Deutschen Roten Kreuzes übernahm er von 1915 bis 1919 die Geschäftsleitung des Reichsausschusses der Kriegsbeschädigtenfürsorge. 1918 beteiligte sich Geib an der Gründung des Reichsarbeitsamtes und wurde zum Ministerialdirektor ernannt. Ab Februar 1919 leitete er die Abteilung für Soziale Kriegsbeschädigten- und Kriegshinterbliebenenfürsorge im Reichsarbeitsministerium, bis er im Juli zum Unterstaatssekretär und im Folgejahr schließlich zum Staatssekretär ernannt wurde. Nach einer zwölfjährigen Amtszeit schied Geib, der zeitlebens parteilos blieb, 1932 aus dem Reichsarbeitsministerium aus und war bis zu seinem Tod als Aufsichtsratsvorsitzender in der Keramikindustrie tätig. Quellen und Literatur: Nachlass Hermann Geib, Bundesarchiv N 2091; Reichshandbuch der deutschen Gesellschaft, Bd. I, A-K, Berlin 1930, S. 527.

extrem langen Dienstzeiten der Abteilungsleiter vor allem auch durch die turbulenten Gründungsumstände des Ministeriums während der Novemberrevolution 1918, die Loyalität und Zusammenhalt entstehen ließen. Die Personalpolitik und -rekrutierung Heinrich Brauns’ und des Staatssekretärs Hermann Geib verstärkten diese Tendenz zusätzlich. Die Gruppe der Spitzenbeamten im Reichsarbeitsministerium umfasste für den Zeitraum der Weimarer Republik bis 1933 insgesamt etwa 40 Personen. Dazu lassen sich seit der Besoldungsreform 1920 alle Stellen im Range eines Ministers, Staatssekretärs, Ministerialdirigenten, Ministerialdirektors und Ministerialrats zählen. In dieser Gruppe fanden sich wenige Quereinsteiger aus dem Umkreis von SPD , Gewerkschaften, Arbeitervereinen oder der Sozialreform. Das Gleiche galt für Mitarbeiter aus dem Umkreis der Deutschen Zentrumspartei und den christlichen Gewerkschaften. Unter Heinrich Brauns stieg die Zahl der Mitarbeiter, die zugleich Parteimitglieder des Zentrums waren, leicht an, insgesamt aber sind diese genauso wenig dominant vertreten wie die aus dem sozialistischen Lager.31 Stattdessen besetzte über die gesamte 31 Diese Angaben stehen allerdings unter dem Vorbehalt, dass in den Personalakten und anderen Überlieferungen nur sehr vereinzelt Hinweise auf

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Dorothea Hirschfeld (geb. 26.2.1877 in Berlin, gest. am 12.6.1966 in WestBerlin) nahm nach selbstständigen Fortbildungsaktivitäten 1904 eine Beschäftigung in der Zentralstelle bzw. dem Deutschen Verein für Armenpflege und Wohltätigkeit in Berlin auf, wo sie 1911 zur Geschäftsführerin aufstieg. Sie engagierte sich darüber hinaus im Bereich der Wohlfahrtspflege, gehörte zu den Mitbegründerinnen der Arbeiterwohlfahrt und war 1919/20 Berliner Stadtverordnete der SPD . Im Mai 1919 wurde sie als Referentin für die soziale Kriegshinterbliebenenfürsorge in das Reichsarbeitsministerium berufen und bereits 1920 zur Ministerialrätin ernannt. 1924 in die Reichsarbeitsverwaltung versetzt, wurde Hirschfeld 1927 Direktorin der neu gegründeten Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenfürsorge und 1929 erneut Referentin im Reichsarbeitsministerium. Durch das »Berufsbeamtengesetz« wurde sie aufgrund ihrer jüdischen Religion im April 1933 in den Ruhestand gezwungen. Sie überlebte das Ghetto Theresienstadt, in das sie 1942 deportiert worden war, und arbeitete in der Sowjetischen Besatzungszone von 1945 bis 1948 als Referentin in der Hauptverwaltung für Gesundheitswesen. Quellen und Literatur: Personalakte Dorothea Hirschfeld, Bundesarchiv R 3901/100393; Elisabeth Lembeck: Die Partizipation von Frauen an der öffentlichen Verwaltung in der Weimarer Republik 1918-1933, Universität Hannover, Diss., Hannover 1991, S. 198-210; Christine Fischer-Defoy (Red.): Vor die Tür gesetzt. Im Nationalsozialismus verfolgte Berliner Stadtverordnete und Magistratsmitglieder 1933-1945, Berlin 2006, S. 229 f.

Zeit der Weimarer Republik eine homogene Gruppe von Beamten mit einer klassischen Ausbildung und Laufbahn die Spitzenpositionen des Ministeriums. Eine Besonderheit für die Zeit – und im Verhältnis zu den anderen Reichsministerien – waren die sechs Frauen, die sich unter den höheren Beamten befanden und es bis 1933 teilweise sogar in die Spitzenposition einer Ministerialrätin schafften; ihre Berufung war auf das Engste mit dem sozialpolitischen Aufgabengebiet des Ministeriums verbunden, in dem seit der Jahrhundertwende Frauen eine stetig wachsende Rolle spielten. Auch innerhalb des Reichsarbeitsministeriums handelte es sich bei den Einstellungs- und Ausbildungsvoraussetzungen der Frauen in jeder Hinsicht um Ausnahmen, während sich die biografischen Merkmale ihrer männlichen Kollegen stark ähnelten.

die Parteimitgliedschaft zu finden sind. Es können hier nur die Tendenzen beschrieben werden; vgl. Datenbank des Forschungsprojekts zur Geschichte des Reichsarbeitsministeriums.

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Bei einer qualitativen Auswertung der durchschnittlich 14 Ministerialräte, die in der Weimarer Republik die Position eines Abteilungsleiters für mindestens drei Jahre bekleideten, zeigt sich ein einheitliches Bild. Die überwiegende Mehrzahl entstammte einer Alterskohorte, war zwischen 1877 und 1887 (8) geboren, gehörte der evangelischen Konfession an (8), hatte einen Abschluss der Jurisprudenz (11) und war darin promoviert worden (8). Die Mehrzahl dieser Personen war zwischen 1919 und 1921 (10) in das Ministerium eingetreten und verblieb im Durchschnitt zehn Jahre auf dieser Position, in der Spitze sogar 21 Jahre. Diese Merkmale setzten sich bei den Ministerialräten insgesamt fort und veränderten sich bis 1939 nur wenig, wie die folgenden Daten zeigen. Zwischen 1919 und 1933 handelt es sich bei diesen Mitarbeitern um 45 bis 50 Personen. Ab 1933 stieg die Anzahl nicht signifikant, erst ab 1939 lässt sich ein Anstieg auf durchschnittlich 56 Personen feststellen. Die angesprochenen Tendenzen für das Leitungspersonal blieben sogar noch für die nächstfolgende Hierarchiestufe der (Ober-)Regierungsräte signifikant, wenngleich mit verschiedenen strukturellen Einschränkungen. Diese Gruppe war größer; sie machte im Schnitt zwischen 1919 bis 1933 rund 60 Personen aus. Die unterschiedlichen Arbeitsbereiche des Ministeriums brachten es zudem mit sich, dass sich unter ihnen Vertreter anderer Berufsgruppen mischten: Neben der auch hier dominanten Gruppe der Juristen von über 50% waren dies vor allem Ärzte, (Bau-)Ingenieure sowie Sozial- und Staatswissenschaftler. Insofern kamen im Reichsarbeitsministerium Experten unterschiedlicher disziplinärer, professioneller, regionaler und politischer Herkunft zusammen, die der Organisation insgesamt durchaus eine kosmopolitische Prägung verliehen. Für das Spitzenpersonal des Ministeriums, das bis zum Regierungsrat untersucht wurde, lassen sich zwei wesentliche Merkmale zusammenfassen. Es handelt sich, erstens, um ausgesprochene Experten ihrer Fachbereiche, wie aus den Quellen überhaupt eine hohe Wertschätzung für Sachkenntnis und Spezialistentum im Ministerium ablesbar wird. Auf Expertise begründete Versachlichung lässt sich so vielleicht als kleinster gemeinsamer Nenner zwischen den unterschiedlichen Zuständigkeitsbereichen des Ministeriums markieren, sozusagen der durch die Organisation geforderte Korpsgeist. Zweitens zeigt sich, dass im Ministerium keine Vertreter politisch extremer oder radikaler Positionen zusammenkamen, weder von links noch von rechts. Das bestätigt den Eindruck, dass das Personal der Leitungsebene in den Gründungsjahren und in der

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Durchschnittsalter des Spitzenpersonals im Reichsarbeitsministerium (ab Ministerialratsebene), 1919-1945

Konfessionszugehörigkeit des Spitzenpersonals im Reichsarbeitsministerium (ab Ministerialratsebene), 1919-1945 (in %)

Studienhauptfächer des Spitzenpersonals im Reichsarbeitsministerium (ab Ministerialratsebene), 1919-1945 (in %)

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Weimarer Republik auf die Weber’schen Prinzipien von Neutralität und Professionalität verpflichtet werden konnte. Das Bild wäre jedoch unvollständig, wenn nicht mindestens die zwei verbleibenden Personen- und Berufsgruppen erwähnt würden, die im Ministerium arbeiteten. Zum einen waren das die mittleren Beamten, die mit im Schnitt 100 bis 150 Personen die höchste Zahl an Mitarbeitenden stellten. Sie unterhielten in der Mehrzahl die sogenannten technischen Einrichtungen des Ministeriums, das Büro-, Kanzlei- und Kassenwesen, die Bücherei und das Archiv. Diese Gruppe differenziert sich wiederum je nach Expertise und Ausbildung in sehr unterschiedliche Berufe und Ausbildungsvoraussetzungen. Zum anderen sind die nicht verbeamteten Angestellten sowie die Arbeiterinnen und Arbeiter zu erwähnen, die den Betrieb einer so umfangreichen Behörde wie dem Reichsarbeitsministerium unterhielten. Die formale Gliederung des Ministeriums, die kontinuierliche Personalentwicklung und die biografischen Merkmale des Personals sollten aber nicht den Blick dafür verstellen, dass das Reichsarbeitsministerium durch seine zahlreichen Geschäftsbereiche im Verlauf der Weimarer Republik zu einer Art »Superministerium« anwuchs. Der Versuch des Ministerialrats Georg Hartrodt aus dem Jahr 1929, die Arbeitsgebiete des Ministeriums auf einen Blick darzustellen, rückt hier ein nächstes, für die Entwicklung der Organisation entscheidendes Merkmal in den Blick des Betrachters: seinen nachgeordneten Bereich.32 Das Reichsarbeitsministerium war sowohl in der Weimarer Republik als auch im Nationalsozialismus eine oberste Reichsbehörde mit einer ebenso spezifischen wie umfangreichen Massenverwaltung. Die Struktur und die Arbeitsweise des Reichsarbeitsministeriums sind ohne diese Massenverwaltung nicht zu verstehen. Diesen Bereich auszulassen und sich nur auf die Entscheidungsebene der Zentrale zu beziehen, würde bedeuten, die praktische Verwaltungstätigkeit des Ministeriums weitgehend auszublenden.33 Wie die Grafik lediglich andeuten kann, bildeten die Zweige der Sozialversicherung, Reichsversorgung und Arbeitsvermittlung jeweils eigene Instanzenzüge aus. Diese Zweige wurden durch die Reichsversicherungsanstalt, die Hauptversorgungsämter und die Reichsan32 Georg Hartrodt: Die Ausstellung. Die Arbeitsgebiete des Reichsarbeitsministeriums, Berlin 1929, S.14. 33 Ebd., S.15; Wilfried Berg: §8 Arbeits- und Sozialverwaltung, in: Kurt G.A. Jeserich/Hans Pohl/Georg-Christoph Unruh (Hg.): Deutsche Verwaltungsgeschichte, Bd.4: Das Reich als Republik und im Nationalsozialismus, Stuttgart 1985, S.231-241.

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Organisatorische Struktur des Reichsarbeitsministeriums, 1929

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Personelle Entwicklung im Reichsarbeitsministeriums, 1919-1943

stalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (ab 1927) als nachgeordnete Behörden des Ministeriums koordiniert, beaufsichtigt und kontrolliert. Sie bildeten die Schnittstelle zwischen der Berliner Ministeriumszentrale, der Länderverwaltung und den Instanzenzügen in den Gemeinden und Kommunen aus.34 Die Kommunikations- und Weisungsbeziehungen, also die Aufsicht und Kontrolle zwischen dem Ministerium und diesen drei Verwaltungsebenen waren in den Jahren bis 1933 höchst uneinheitlich geregelt. Die Reichsversicherungsanstalt wie auch die Reichsanstalt waren selbstverwaltete Anstalten des öffentlichen Rechts und standen lediglich unter Aufsicht des Ministeriums. Beide konnten relativ autonom agieren, während die Hauptversorgungsämter von Beginn an der direkten Weisung der Berliner Zentrale unterstanden. Jeder dieser drei Zweige der Massenverwaltung bildete in den nächstfolgenden Instanzen wiederum unterschiedliche Behörden und Dienststellen auf Ebene der Länder (Mittelstufe) und Kommunen (Unterstufe) aus. Für ein vollständiges Bild des nachgeordneten Bereichs des Reichsarbeitsministeriums sind noch die wichtigsten Behörden zu erwähnen, die zwar keine eigenständigen Instanzenzüge ausbildeten, aber in den Arbeitsbereichen des Ministeriums diesem als Vertreter zur Verfügung standen oder aber beaufsichtigt werden mussten. Dazu gehörten das Reichsversorgungsgericht als eigene Spruchbehörde, die ständigen Schlichter, zuständig für die Streitigkeiten im Lohn- und Tarifwesen, 34 Die Arbeitsverwaltung hat zwischen 1919 und 1945 eine sehr spezifische organisatorische Entwicklung genommen, die zudem vielfach verändert worden ist; siehe hierzu den Beitrag von Henry Marx in diesem Band.

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sowie die Reichsversicherungsanstalt für Angestellte, welche die Angestelltenversicherung als eigenständige Behörde verwaltete. Das Wohnungs- und Siedlungswesen besaß keinen nachgeordneten Bereich, sondern musste mit den Landes- und Gemeindebehörden (Landesministerien, Mietämtern) verhandeln.35 Dieser vielgestaltige nachgeordnete Bereich des Ministeriums war aus drei Gründen zentral für das Funktionieren des Ministeriums insgesamt. Einmal diente er dazu, die Aufgaben innerhalb der Organisation aufzuteilen. Die Berliner Zentrale verfolgte hierbei das Ziel, möglichst alle konkreten Verwaltungsaufgaben und auch die technischen Einrichtungen – vom Kassenwesen bei der Rentenauszahlung bis zur Bettenauslastung in den Kuranstalten – immer weiter in die nachgeordneten Behörden auszulagern. Die Zentrale wollte sich demgegenüber auf die konzeptionellen Grundsatzfragen der staatlichen Arbeits- und Sozialpolitik sowie auf die Rahmengesetzgebung in den übrigen Politikfeldern konzentrieren. Das gelang allerdings für den gesamten Zeitraum bis 1945 und für die einzelnen Instanzenzüge nur bedingt, weil die Organisation intern und mit den anderen Ressorts noch sehr viel Reibung erzeugte und Konflikte produzierte, die sich nur auf der Ebene der Zentrale lösen ließen. Zweitens bündelte und zentralisierte der nachgeordnete Bereich die Verwaltungsaufgaben für die Zentrale. Andersherum erhielt die Zentrale nur über die Kommunikation mit den nachgeordneten Bereichen die nötigen Informationen, um auf der Ebene der Reichspolitik die Position des Reichsarbeitsministeriums zu bestimmen und seine Gesetzgebung auszurichten. Nicht zuletzt erfuhren die Ministerialbeamten über diese Kanäle am schnellsten, welche Regelungen in der Praxis verfingen oder nicht. Drittens war der nachgeordnete Bereich der verlängerte Arm des Ministeriums und der Reichsregierung in die Länder. Denn die nachgeordneten Instanzenzüge der Sozial- und Arbeitsverwaltung gingen nicht in den Verwaltungsstufen der Länder und Kommunen auf. Sie waren parallel und eigenständig konstruiert worden. Aus diesem Grund galten sie bereits Zeitgenossen und Verwaltungsexperten zwischen 1919 und 1945 als eine »Sonderverwaltung«, die genau deswegen und für ihre vermeintliche Doppelarbeit kritisiert wurde.36 Diese als »Fehlkonstruktion« 35 Siehe zur Organisation des Wohnungs- und Siedlungswesens auch den Beitrag von Karl Christian Führer in diesem Band. 36 Siehe als ein prägnantes Beispiel der Debatte Vollweiler: Das Problem der Verfahrensvereinfachung in der Sozialverwaltung, in: Reichsverwaltungsblatt 62 (1941), Nr.19, S.300-306.

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kritisierte Einrichtung der Sozialverwaltung stellte sich jedoch für das Ministerium als ein immenser organisationaler Vorteil heraus. Über seinen nachgeordneten Bereich war es in Konfliktfällen in der Lage, seine Gesetzgebung und Verwaltungsanordnungen bis in die lokale Ebene und im Zweifel gegen den politischen Widerstand der Länderregierung durchzusetzen. Alle drei Funktionen des nachgeordneten Bereichs – interne Arbeitsteilung, Informationsübermittlung und -verarbeitung sowie politische Durchsetzung – waren für die Berliner Zentrale von entscheidender Bedeutung und verliehen der Organisation insgesamt Stabilität. Spätestens im Jahr 1929 hatte sich das Reichsarbeitsministerium weitgehend etabliert. Es gab eingespielte Routinen im Kontakt nach außen und für die Kernaufgaben des Ministeriums: im Gesetzgebungsverfahren beim Umgang mit dem Reichstag und den Länderparlamenten, bei der Aufstellung des Etats, in den für das Ministerium relevanten Ausschüssen und so fort. Ein weit gespanntes Netz verschiedenster Organisationen und Personen hatte sich um das Ministerium gruppiert und arbeitete mit den Referenten der Abteilungen auf teils regelmäßiger Grundlage zusammen. Dazu gehörten vor allem Fach- und Lobbyverbände, von den Krankenkassen über medizinische Gesellschaften bis hin zu Mietervereinen. Dazu zählten auch Kreditinstitute wie die staatsnahe Bau- und Bodenbank, welche die Finanztransaktionen für den Wohnungsbau und die Wohnungsfürsorge abwickelte. Solche Dienstleister waren für das Ministerium enorm wichtig, um nicht als Geldgeber für bestimmte Interessen fungieren zu müssen, aber auch um Kontrolle über die Empfänger zu erhalten. Zu dem Netzwerk gehörten weiterhin wissenschaftliche Institute, die regelmäßig für das Ministerium Expertisen anfertigten, wie etwa das Rheumaforschungsinstitut in Bad Elstar, das an der Anerkennung von Versorgungsansprüchen beteiligt war. Ebenfalls werden das Statistische Reichsamt, das in Kooperation mit dem Ministerium Daten für die Entwicklung der Sozial- und Arbeitspolitik erhob, oder auch das Institut für Konjunkturforschung dazugerechnet. Schließlich sind auch Firmen, mit denen das Ministerium regelmäßig zusammenarbeitete, wie etwa Hersteller für Prothesen oder auch Lieferanten für die Dienstgebäude, hinzuzuzählen. Eingespielt hatten sich auch die diplomatischen Verbindungen auf der internationalen Ebene, die in Absprache mit dem Auswärtigen Amt teils direkt vom Ministerium ausgeführt wurden. Die Mitarbeiter des Ministeriums hatten sich während der Weimarer Republik intensiv um

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eine Normalisierung der Auslandsbeziehungen bemüht. Deutschland ratifizierte die wichtigsten sozialpolitischen Abkommen, die auf internationaler Ebene, etwa unter Vermittlung der Internationalen Arbeitsorganisation, geschlossen wurden. Die Mitarbeiter des Ministeriums verstanden es im Rahmen dieser Verhandlungen durchaus, die deutschen Interessen zu vertreten.37 Für den alltäglichen Arbeitsprozess des Ministeriums noch relevanter waren in diesem Kontext die zwischenstaatlichen Verträge. Besonders in Regionen, wo grenzüberschreitende Arbeitsbeziehungen vielfach vorkamen, unterstützte der deutsche Staat seine im Ausland beschäftigten Staatsbürger. So gab es beispielsweise sehr früh Angleichungsprozesse in der Sozialversicherung zwischen Österreich oder auch Elsaß-Lothringen und Deutschland.38 Die regelmäßige Beobachtung der internationalen Entwicklungen in der Sozial- und Arbeitspolitik war dabei keineswegs auf diese Grenzregionen beschränkt. Im Gegenteil handelte es sich hierbei um eine Kernaufgabe des Ministeriums, mit der seit 1919 kontinuierlich ein gesamtes Referat beschäftigt war. Man befasste sich mit allen geostrategisch beziehungsweise sozial- und arbeitspolitisch bedeutsamen Ländern, von den USA bis zur Sowjetunion. Dazu gehörte, dass in jeder Hauptabteilung Beamte als sozialpolitische Beauftragte für bestimmte Länder in ihren Themenbereichen eingesetzt wurden. Sie verbrachten auf diese Weise regelmäßig zwei bis drei Jahre in den betreffenden Ländern. Auch nach innen hatten sich die Verhältnisse im Reichsarbeitsministerium Ende der 1920er-Jahre normalisiert und professionalisiert.39 Das Ministerium schulte seine Mitarbeiter teilweise eigenständig, denn hierfür hatte es vor allem bei den nachgeordneten Behörden einen erheblichen Bedarf gegeben. Mitarbeiter des Ministeriums lehrten zusätzlich an der Berliner Verwaltungsakademie, die das Thema Sozialund Arbeitspolitik in ihr Curriculum aufgenommen hatte. Neben der Ausbildung gab es ab 1922 spätestens auf allen Ebenen formalisierte Anweisungen für den Geschäftsverkehr der Behörde. Das galt vor allem für die Kommunikation nach außen, mit den Parlamentariern, 37 Siehe hierzu den Beitrag von Kiran Klaus Patel und Sandrine Kott in diesem Band. 38 Alexander Klimo: An Unhappy Return: German Pension Insurance Policy in Alsace, in: Sandrine Kott/Kiran Klaus Patel (Hg.): Fascist Internationalism (im Erscheinen). 39 Die folgenden Ausführungen zu Dienstbestimmungen und zum Alltag der Mitarbeiter stützen sich auf die Nachrichtenblätter und Runderlasse des Reichsarbeitsministeriums in seinem Geschäftsbereich aus den Jahren 1920-1929.

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anderen Ressorts und Anfragen aus der Bevölkerung. Aber auch nach innen wurden die Regeln nun strenger gesetzt. So durften Mitarbeiter des Ministeriums nur mit Erlaubnis des Ministers unter ihrem Namen in Zeitungen und wissenschaftlichen Journalen publizieren (mit Ausnahme der Publikationsorgane des Ministeriums selbst). Es wurde also strikt zwischen der Selbstdarstellung des Ministeriums auf der einen und der seiner Mitarbeiter auf der anderen Seite getrennt. Der vermutlich wichtigste Leitsatz hierbei war, die Organisation der Behörde nur wenig, ihr inneres Funktionieren am besten gar nicht zu thematisieren. Dabei ging es vor allem darum, die Behörde in ihrer Arbeit vor den Ansprüchen und der Indienstnahme Dritter zu schützen, etwa die Arbeit an Gesetzestexten nicht zu schnell öffentlich diskutieren zu müssen, bevor man intern zu einer Entscheidung gekommen war. Die interne Kommunikation profitierte davon, dass ab 1925 eine neue Telefonanlage mit Selbstanschluss angeschafft werden konnte. Jetzt waren die Beamten nicht mehr allein darauf angewiesen, ihre Telefonate am Vortag bei einem zentralen Fernsprecher anzumelden oder untereinander über Briefe und Boten zu kommunizieren. Normalisiert hatten sich ab 1925 auch die Dienstzeiten der Beamten von 51 Stunden auf 48,5 Stunden in der Woche. Die Büroräume waren bezogen, und die im Ministerium organisierte Versorgung mit Lebensmitteln und Dingen des täglichen Bedarfs hatte sich eingespielt. So kamen etwa regelmäßig Vertreter von Kleidungsfirmen während der Arbeitszeit ins Haus, um ihre Ware anzubieten. Besonders für Ministerialräte war dieser Warenhandel wichtig, denn für sie galten keine verkürzten und regelmäßigen Arbeitszeiten. Die Spitzenbeamten arbeiteten im Schnitt 14 Stunden täglich. In den Personalakten finden sich nicht wenige Fälle, in denen die Mitarbeiter aufgrund zu hoher Arbeitsbelastung eine gesundheitlich gefährdende Erschöpfung diagnostiziert bekommen hatten. Ein Grund dafür war, dass insbesondere die Führungskräfte des Ministeriums neben ihrem festgelegten Arbeitspensum im Büro noch regelmäßig auf Konferenzen, in Ausschüssen und im Reichstag präsent sein mussten. Sie fungierten als Vorstandsmitglieder, hielten Vorträge auf Fachverbandstagungen, sie lernten eine Fremdsprache oder reisten zu den nachgeordneten Dienststellen. Nicht zuletzt hatten sich in der parlamentarischen Arbeit und in den Gesetzgebungsverfahren die Routinen eingespielt. Die Ministerialräte, die das Ministerium vor allem nach außen repräsentierten, waren in den Fachgruppen und Ausschüssen präsent; man traf sich auch auf den Fluren des Reichstags oder fand in der Umgebung der Wilhelmstraße zu dem einen oder anderen informellen Treffen zusammen, um die

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Chancen einer neuen Gesetzesnovelle vorab zu klären. Die Arbeitsund Sozialpolitik als Aufgabe des Staates schien in der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre nicht mehr grundsätzlich in Frage zu stehen. Das Reichsarbeitsministerium hatte sich als legitimer Regierungsvertreter in seiner Zuständigkeit etabliert. In diese relativ stabile Situation brach im Oktober 1929 die Weltwirtschaftskrise herein. Binnen kürzester Frist standen viele der gerade erst erreichten Entwicklungen erneut und grundsätzlich auf dem Prüfstand. Damit gerieten in den kommenden Jahren bis zum Machtwechsel 1933 auch die Mitarbeiter des Ministeriums unter einen enormen öffentlichen Druck. Sie standen zwischen der Notwendigkeit eines sparsamen Haushalts und der wachsenden Not der Bevölkerung. Das Reichsarbeitsministerium verzeichnete seit 1920 stets den größten Etat aller Ministerien. Die Auszahlung der Renten, die Wohnungsbauförderung und die Reichsversorgung machten die größten Posten aus. Nun sah sich die Haushaltsabteilung gezwungen, bis 1933 mit einem immer eingeschränkteren Budget die Anforderungen der Abteilungen und der nachgeordneten Bereiche zu bedienen. Zugleich aber wurde Jahr um Jahr die Bedürftigkeit der Anspruchsberechtigten größer. Die Budgetkürzungen machten sich in allen Arbeitsbereichen des Ministeriums bemerkbar, aber in der Arbeitslosenversicherung und in der Rentenversicherung nahmen sie die dramatischsten Züge an.40 Aufgrund der verheerenden Arbeitslosigkeit konnte an den erst im Jahre 1927 festgelegten Richtsätzen und der ursprünglichen Definition von Arbeitslosigkeit nicht mehr festgehalten werden. Zugleich trafen die Berechnungen der zu erwartenden Einnahmen nicht mehr zu. An der Frage, wie sie geändert werden könnten, zerbrach die letzte große Koalition der Weimarer Republik im März 1930. Das Vermögen der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung schmolz in beängstigender Geschwindigkeit dahin. Es war nur eine Frage der Zeit, bis außerordentliche Zuschüsse die Löcher stopfen mussten. Dasselbe geschah mit dem Vermögen der Reichsversicherungsanstalt, mit den Unterstützungssätzen für die Kriegsopferversorgung sowie mit den finanziellen Beihilfen für den Wohnungsbau. Der Sozialabbau war expliziter Teil der Notverordnungen der Prä40 Siehe vor allem für das Ministerium Friedrich Syrup: Hundert Jahre staatliche Sozialpolitik 1839-1939. Aus dem Nachlass von Friedrich Syrup, hg. v. Julius Scheuble, Stuttgart 1957, S.233-386; Ludwig Preller: Sozialpolitik in der Weimarer Republik, Kronberg/Ts. 1978, S.433-498.

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sidialregierungen. Trotz der drastischen Aufgabenkürzung erhöhten sich die zur Verfügung gestellten Sonderausgaben zeitgleich erheblich, da immer mehr Menschen Anträge auf Unterstützung stellten. So verdoppelte sich beispielsweise der Anteil des Zuschusses zum außerordentlichen Haushalt zwischen 1929 und 1932 von 767 Millionen RM auf 1,5 Milliarden RM .41 An dem Bemühen, ausgleichende geldwerte Lösungen zu finden, beteiligten sich neben dem Ministerium nun auch andere Ressorts, Ausschüsse sowie außerparlamentarische Expertenrunden. Die wichtigsten der vorgeschlagenen und dann von der Regierung auch umgesetzten Maßnahmen waren Arbeitsbeschaffungsprogramme, flankiert von Notstandsarbeiten, Arbeitszeitverkürzungen, der Einführung eines freiwilligen Arbeitsdienstes und anderem mehr.42 Das Ministerium verlor in jener Zeit seine alleinige Zuständigkeit auf diesem Teilgebiet. Die zuständigen Beamten hatten teils auch Empfehlungen umzusetzen, die sich explizit nicht mit ihren Lösungsansätzen deckten. So sah man etwa die Idee einer Arbeitsdienstpflicht für Arbeitslose sehr skeptisch und monierte, wer einen solchen Dienst eigentlich bezahlen werde.43 Direkt entschied das Ministerium in seinem eigenen Funktionsbereich. Einer der wichtigsten Hebel, die in der Kompetenz des Ministeriums lagen, war die Festlegung und gegebenenfalls Neudefinition von Unterstützungsempfängern. So gelang es beispielsweise zwischen 1931 und 1932 relativ schnell auf dem Verordnungsweg, den Bereich der Kurzarbeit auszubauen. Indem man die Möglichkeiten zur Einführung der Kurzarbeit für die Betriebe erweiterte und zugleich die staatliche Kurzarbeiterunterstützung erhöhte, ließ sich der rasante Anstieg der sich arbeitslos meldenden Personen etwas bremsen. Vor allem nahmen diese Maßnahmen kurzfristig Druck von den öffentlichen Kassen.44 Auf ähnliche Weise wurde in vielen Arbeitsbereichen 41 Reichshaushaltspläne 1929-1932, Berlin 1929-1932. 42 Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung: Vorschläge und Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, 1931, Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, I. HA Rep.77, MdI, Abt. I Generalabt., Sek 19, Titel 923, Nr.16, Bd.1. Christian Berringer: Sozialpolitik in der Weltwirtschaftskrise. Die Arbeitslosenversicherungspolitik in Deutschland und Großbritannien im Vergleich, Berlin 1999; Guido Golla: Nationalsozialistische Arbeitsbeschaffung in Theorie und Praxis, Aachen 2008. 43 Hermann Geib, betr. Einführungsrede für die Besprechung über die Arbeitsdienstpflicht, 17.1.1931, BA rch N 2091/8, Bl.42-48. 44 Martin Zschucke: Die Verordnung über die Kurzarbeiter, in: RAB l.II (1934), S.425-428.

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auf die finanzielle Krisensituation reagiert. Man definierte auf diese Weise die Gruppen von Unterstützten und Anspruchsberechtigten neu, schichtete die Budgetposten um oder nahm, wie bei der Arbeitslosenversicherung, bisherige Anspruchsberechtigte sogar gänzlich aus der Summe der Zahlungsempfänger heraus. Das Ministerium machte von solchen Maßnahmen durchaus rege Gebrauch, denn dies waren aus der Logik der Organisation heraus die Hebel, die kurzfristig dem öffentlichen Druck etwas entgegensetzen konnten. In dieser Form des Krisenmanagements deutete sich zugleich die Situation an, die nach dem Januar 1933 zu einer neuen Normalität der Beamten des Reichsarbeitsministeriums werden sollte. Durch den neuen Regierungsmodus der »Verordnungsregierung« wurden solche Anpassungen überhaupt erst möglich, da diese durch die Mehrheitsverhältnisse im Reichstag nur noch bedingt unter parlamentarischer Kontrolle standen.45 Dieser hoch zu veranschlagende strukturelle Machtzuwachs auf der sachthematischen Arbeitsebene stand in großem Kontrast zur öffentlichen Wahrnehmung, in der das Ministerium teilweise stark in die Defensive geriet. Es hagelte Kritik von allen Seiten. Die einen, vor allem Organisationen und Interessenvertreter der Arbeitnehmer und Unterstützungsempfänger, übten Druck aus, um die empfindlichen Leistungskürzungen rückgängig zu machen. Den anderen, vor allem industrienahen Interessenverbänden und der Unternehmerschaft, gingen die staatlichen Aufgabenkürzungen noch immer nicht weit genug. Das Ministerium verkündete etwa die 6. Notverordnung 1931, welche die Löhne und Gehälter der Arbeiter und Angestellten flächendeckend um 10% beziehungsweise auf das Niveau von 1927 absenkte.46 Die Zwangsschlichtungen, zuerst in der Eisen- und Stahlindustrie, dann auch in anderen Branchen, wurden als massive staatliche Intervention gewertet, die nun im einseitigen Interesse der Arbeitgeber getroffen worden waren.47 Im Gefolge solcher Maßnahmen scheiterte endgültig die Vision, die sich mit dem Arbeitsrecht als Instrument des Ausgleichs 45 Martin Broszat: Der Staat Hitlers. Grundlegung und Entwicklung seiner inneren Verfassung, Nachdruck der 6. Aufl., München 2000, S.24-33. 46 Geib, betr. Ansprache über Folgen der neuen Notverordnung, 12.1.1931, BA rch N 2091/8, Bl.133-137. 47 Johannes Bähr: Staatliche Schlichtung in der Weimarer Republik, Berlin 1989; Werner Plumpe: Betriebliche Mitbestimmung in der Weimarer Republik: Fallstudien zum Ruhrbergbau und zur chemischen Industrie, München 1999, S.37-67, 407-440; Peter Becker: Arbeitsvertrag und Arbeitsverhältnis während der Weimarer Republik und in der Zeit des Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 2005.

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zwischen den Lagern des Arbeitskampfes verbunden hatte, und die Heinrich Brauns, und mit ihm Vordenker wie Hugo Sinzheimer und Ernst Fraenkel, für so entscheidend hielten, um die Gesellschaft zu befrieden und zu demokratisieren. Die sachthematische Komplexität und die machtpolitischen Ambivalenzen, die alle diese Prozesse und Entscheidungen für die Arbeit des Ministeriums mit sich brachten, ließen sich in dem extrem aufgeheizten Klima der Zeit kaum vermitteln. Sichtbar war die fragile politische und wirtschaftliche Situation, die immer neue Sparzwänge brachte und für eine aktive Gestaltung von Arbeits- und Sozialpolitik keine Spielräume zuließ. Die Beschränkung ihres Handlungsspielraumes erfuhren in drastischer Manier auch die während jener Jahre amtierenden Arbeitsminister. Heinrich Brauns hatte aus parteitaktischen Überlegungen bei der Regierungsbildung im Juni 1928 seinen Abschied nehmen müssen. Ihn ersetzten für die kommenden vier Jahre zwei sehr erfahrene Politiker und Gewerkschaftsfunktionäre. Von Juni 1928 bis April 1930 stand Rudolf Wissell von der SPD dem Ministerium vor. Bis Juni 1932 übernahm anschließend Adam Stegerwald von der Zentrumspartei die Verantwortung. Beide waren in die Regierungsarbeit und das Krisenmanagement im Kabinett stark eingebunden. Im Ministerium selbst, so steht zu vermuten, hielten auf der Leitungsebene vor allem Staatssekretär Hermann Geib und seine engen Mitarbeiter das Tagesgeschäft aufrecht. Doch kurz nach dem Weggang von Adam Stegerwald reichte auch der langjährige Staatssekretär aus persönlichen Gründen seinen Abschied ein. An der Spitze des Ministeriums entstand nun ein Vakuum, das zunächst hochrangige Mitarbeiter des Hauses füllten. Zuerst wurde Hugo Schäffer, bis dahin Präsident des Reichsversicherungsamtes, zum Reichsarbeitsminister berufen. Er blieb genau 180 Tage, von Juni bis Dezember 1932 im Amt. Mit 50 Tagen als Reichsarbeitsminister unterbot sein Nachfolger Friedrich Syrup diese Spanne noch einmal. Als Staatssekretär stand beiden Interimsministern der Leiter der Hauptabteilung II , Andreas Grieser, zur Seite. Die Absetzung von Syrup und Grieser wurde ohne ihr Wissen am 28.  Januar 1933 eingeleitet. An diesem Tag trafen sich Adolf Hitler, Franz von Papen und Hermann Göring zu einer geheimen Absprache.48 Auf dieser trugen sie Franz Seldte, dem damaligen Führer des »Stahlhelm, Bund der Deutschen Frontsoldaten e.V.«, das Amt des Reichsarbeitsministers an; Seldte akzeptierte. 48 Reinhard Sturm: Zerstörung der Demokratie 1930-1933. Weimarer Republik, Bonn 2011.

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Rolle und Funktion des Reichsarbeitsministeriums im Nationalsozialismus 1933-1945 Franz Seldte kam nicht als persönlicher Kandidat Hitlers in das Ministeramt und die neu gebildete Regierung Hitler. Er gehörte vielmehr zum Umkreis des amtierenden Reichspräsidenten Hindenburg. Als Führer des »Stahlhelm« und Mitinitiator der Harzburger Front hatte er für Hitler den Wert, dass er in der kritischen Phase der »Machtergreifung« als Exponent eines breiten rechtskonservativen Bündnisses auftreten und so für politisches Vertrauen in die neue Reichsregierung werben konnte. Zudem kam der NSDAP -Führung propagandistisch wohl nicht ungelegen, dass Franz Seldte ein schwer geschädigter Kriegsveteran war, der aufgrund einer Verletzung seit 1916 an einem Nierenleiden sowie dem Verlust des linken Arms litt. Trotz oder gerade wegen seiner Einschränkungen vertrat er als Mitbegründer des Stahlhelm die Interessen der Soldaten und Kriegsopfer des Ersten Weltkrieges, was ihm vom einfachen Rekruten bis in höchste militärische und politische Kreise ein hohes Ansehen verschaffte.49 Diese Popularität und die damit verbundene Glaubwürdigkeit Seldtes war für Hitlers besonders wertvoll, denn gerade die Veteranen  – die Kriegsversehrten, mehr aber noch die gesunden und einsatzfähigen Soldaten – bildeten für ihn eine höchst zentrale Gruppe, die entsprechend umworben wurde. Somit erschien die Berufung von Franz Seldte in das Sozialressort als ein symbolpolitisch geschickter Schachzug der NSDAP . In Kreisen von Verwaltung und Berufspolitikern hingegen war er ein Debütant, dessen Berufung im In- und Ausland teils höhnische Kommentare provozierte.50 Seldte hatte bisher die familieneigene Firma in Magdeburg geleitet, die Aromen und ätherische Öle herstellte. Er konnte vielleicht Organisationserfahrung, aber wenig konkrete Expertise in der Sozial- und Arbeitspolitik vorweisen. Und doch blieb Franz Seldte für die gesamte Zeit des Nationalsozialismus Reichsarbeitsminister. Schon während seiner Amtszeit, vor allem aber nach 1945 hing ihm das Prädikat des »schwachen« Ministers an. Jüngste Untersuchungen zeigen, dass Franz Seldte bei seinen Verhören in der Kriegsgefangenschaft dieses für ihn scheinbar ungünstige Urteil selbst verstärkt hat. Es gelang ihm hiermit, sich – und mit ihm ranghohe Mit49 Siehe dazu die noch immer maßgebliche Arbeit zum Stahlhelm von Volker Berghahn: Der Stahlhelm. Bund der Frontsoldaten 1918-1935, London 1966. 50 Schmähartikel gegen Franz Seldte, 14.3.1933, BA rch R3901/2832, Bl.39.

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Franz Seldte (geb. 29.6.1882 in Magdeburg, gest. 1.4.1947 in Fürth) studierte nach Abschluss einer kaufmännischen Lehre Chemie in Braunschweig und wurde nach dem Militärdienst als Einjährig-Freiwilliger in Magdeburg 1908 Leiter der väterlichen Fabrik für chemische Produkte. Am Ersten Weltkrieg nahm er als Freiwilliger teil, zuletzt im Hauptmannsrang, und verlor 1916 im Gefecht seinen linken Arm. Im November 1918 war er Mitbegründer des völkisch-rechtskonservativen Wehrverbands »Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten«, dem er bis zu dessen Auflösung 1935 vorstand. In der Weimarer Republik betätigte sich Seldte politisch, von 1918 bis 1927 als Mitglied der DVP , anschließend in der DNVP und in wechselnden Bündnissen mit anderen nationalkonservativen, völkischen und schließlich nationalsozialistischen Kräften. Seldte, der im April 1933 der NSDAP beitrat, wurde im Januar 1933 zum Reichsarbeitsminister ernannt und behielt dieses Amt bis 1945. Gleichzeitig hatte er von März 1933 bis Juli 1934 das Amt des Reichskommissars für den Freiwilligen Arbeitsdienst inne. Bei Kriegsende wurde er von amerikanischen Einheiten festgenommen und Verhören unterzogen. Vor einer möglichen Anklageerhebung in Nürnberg verstarb Seldte in einem Lazarett des amerikanischen Militärs in Fürth. Literatur: Volker Berghahn: Der Stahlhelm. Bund der Frontsoldaten 1918-1935, London 1966; Celeste Copes: »... one of the less harmful personalities of Hitler’s government«. Der ehemalige NS -Reichsarbeitsminister Franz Seldte in seiner Darstellung und in der Fremdwahrnehmung der Alliierten anhand der Akten der Nürnberger Prozesse 1945-1946, Humboldt-Universität zu Berlin, Master-Arb., Berlin 2017; Rüdiger Hachtmann: Seldte, Franz, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 24, Berlin 2010, S. 215-216.

arbeiter des Ministeriums – zu entlasten. Weder Seldte noch die Beamten in seinem Umkreis wurden vor dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal angeklagt.51 Handelte es sich also um ein bis heute wirksames Entlastungsnarrativ? Und was sagt die Bezeichnung als »schwacher Minister« über die fachliche und politische Leitungsfähigkeit Seldtes aus? Lässt sich dieses Urteil aus der historischen Analyse des Reichsarbeitsministeriums bestätigen oder muss es differenziert werden? 51 Die Darstellung von Rüdiger Hachtmann in seinem Lexikonartikel in der NDB zu Franz Seldte ist entsprechend zu korrigieren; ders.: Seldte, Franz, in: Neue Deutsche Biographie, Bd.24, Berlin 2010, S.215-216. Siehe hierzu die Masterarbeit von Celeste Copes, die im Rahmen des Forschungsprojektes zur Geschichte des Reichsarbeitsministeriums entstanden ist; dies.: »...one of the less harmful personalities of Hitler’s government«. Der ehemalige NS -Reichsarbeitsminister Franz Seldte in seiner Darstellung und in der Fremdwahrnehmung der Alliierten anhand der Akten der Nürnberger Prozesse 1945-1946, Humboldt-Universität zu Berlin, Master-Arb., Berlin 2017; sowie den Beitrag von Kim Christian Priemel in diesem Band.

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Aus der Entstehungsgeschichte des Reichsarbeitsministeriums während der Weimarer Republik ist ersichtlich, dass der Regierung Hitlers eine ausdifferenzierte und handlungsfähige Organisation mit qualifiziertem Personal zur Verfügung stand. Lediglich unmittelbar nach Beginn der nationalsozialistischen Machtübernahme geriet das Ministerium unter Druck; seine Aufgaben – mehr noch seine Ausgaben  – standen zur Disposition. Offenbar hatte es auch schon konkrete Absprachen zwischen Franz Seldte und Alfred Hugenberg, dem kurzzeitigen Minister für »Stahlhelmtag« in Hannover, 24.9.1933; von links nach rechts: Ernst Röhm, Wirtschaft, Landwirtschaft Julius Schaub, Viktor Lutze, Adolf und Ernährung, gegeben, das Hitler, Franz Seldte und Adolf Arbeitsministerium umstands- Hühnlein. Foto: Heinrich Hoffmann los in das Wirtschaftsministerium zu integrieren. Mit Hugenbergs politischem Sturz noch im Sommer 1933 waren diese Pläne jedoch wieder vom Tisch.52 Das Ressort blieb bestehen, wie es war, und es kam nur zu einigen wenigen Personalverschiebungen auf der Ebene des Spitzenpersonals. Von einem Revirement auf der Grundlage des »Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« ab April 1933 kann keine Rede sein.53 Für diejenigen allerdings, die von dem eigens für die Beamtenschaft erlassenen Diskriminierungsgesetz betroffen waren, bedeutete es einen harschen Bruch in ihrer Erwerbsbiografie, ihrem professionellen und persönlichen Selbstverständnis und ökonomische Probleme. Die Versetzung in den Ruhestand dieser Beamten bedeutete zudem einen Aderlass für die Organisation, da 52 Hugenberg an Seldte, betr. RAM , 17.4.1933, in: Akten der Reichskanzlei. Regierung Hitler 1933-1938, Bd.1: Die Regierung Hitler, Teil I: 1933/34, bearb. v. Karl-Heinz Minuth, hg. v. Konrad Repgen/Hans Booms, Boppard am Rhein 1983, S.340-342. 53 Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7.  April 1933, RGB l.I 1933, S.175-177.

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sich unter ihnen erfahrene und altgediente Mitarbeiter befanden. So schied beispielsweise der amtierende Staatssekretär Andreas Grieser aus dem Amt. Er galt als exponierter Sozialpolitiker der Weimarer Republik und kam seiner Herabstufung oder Versetzung wohl zuvor, indem er freiwillig aus dem Dienst ausschied. Seinen Posten übernahm Johannes Krohn, bisheriger Abteilungsleiter in der Hauptabteilung  II (Sozialversicherung). Krohn hatte seine Laufbahn vom Regierungsrat zum Ministerialdirektor seit 1919 im MinisteJohannes Krohn, um 1933. rium absolviert. Als weiterhin nominell Foto: Heinrich Hoffmann einziger Staatssekretär im Reichsarbeitsministerium war er mit den internen Abläufen bestens vertraut und benötigte keine lange Einarbeitungszeit. Aus den Spitzenpositionen wurden noch im Verlauf des Jahres 1933 alle Frauen verdrängt. Bei den Frauen diente nicht das »Berufsbeamtengesetz« als gesetzliche Handhabe, sondern hier beugten sich die Ministerien sehr schnell dem politischen Druck, den die Vertreter der Deutschen Arbeitsfront mit der sogenannten DoppelverdienerKampagne gegen Frauen ausübten. Im Oktober sendete der für Beamtenfragen zuständige Reichsminister des Innern ein Schreiben, in dem er intern empfahl, männliche Bewerber bevorzugt einzustellen.54 Die Beamtinnen in Spitzenpositionen wurden  – sofern sie nicht jüdisch waren  – zumeist in nachgeordnete Behörden versetzt. Die als Juden diskriminierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden sowohl in der Zentrale als auch aus den Führungspositionen der nachgeordneten Behörden noch im Laufe des Jahres 1933 in den Ruhestand versetzt. Unter ihnen befand sich ein so bedeutender Experte wie Oscar Weigert. Er hatte seit 1919 im Ministerium gearbeitet und gilt heute als Vordenker und Begründer der 1927 eingerichteten Arbeitslosenversicherung. Die auf diese Weise vakant gewordenen Stellen wurden intern

54 Reichsminister des Innern an Reichsarbeitsministerium, betr. Abbau weiblicher Beamter, Lehrer und Angestellter, 5.10.1933, BA rch R3901/20796, Bl.164.

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Johannes Krohn (geb. 4.7.1884 in Stettin, gest. 11.7. 1974 in Bad Neuenahr-Ahrweiler) nahm als promovierter Jurist am Ersten Weltkrieg teil und war ab 1919 im Reichsversicherungsamt tätig, bis er 1920 als Regierungsrat in das Reichsarbeitsministerium wechselte. Dort wurde er 1921 zum Oberregierungsrat und 1923 zum Ministerialrat befördert. 1928 übernahm er die Leitung der Abteilung Sozialversicherung und Wohlfahrtspflege und wurde 1932 Ministerialdirektor sowie Leiter der Hauptabteilung für Sozialversicherung und soziale Fürsorge. Im Februar 1933 wurde Krohn zum Staatssekretär ernannt, verlor dieses Amt 1939 infolge eines Konflikts mit der Deutschen Arbeitsfront allerdings wieder; 1938 trat er der NSDAP bei. Es folgte eine zweimonatige Abteilungsleitung in der Arbeitsverwaltung des Generalgouvernements und die anschließende Kriegsteilnahme. Im November 1941 wurde Krohn zum Staatskommissar für die Behandlung feindlichen Vermögens im Reichsjustizministerium ernannt. Nach Kriegsende wurde er für knapp ein Jahr interniert und engagierte sich für den Fortbestand des Berufsbeamtentums und der traditionellen Sozialversicherung. Von 1953 bis 1959 stand Krohn an der Spitze der Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung e. V. sowie von 1955 bis 1968 des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen. Quellen und Literatur: Nachlass Johannes Krohn, Bundesarchiv NL 430; Personalakte Johannes Krohn im Reichsjustizministerium, Bundesarchiv R 3001/64860; Walter Rohrbeck/Maximilian Sauerborn (Hg.): Beiträge zur Sozialversicherung. Festgabe für Johannes Krohn zum 70. Geburtstag, Berlin 1954; Darren O’Byrne: Career Civil Servants during the Third Reich. The Case of Dr. Johannes Krohn, unveröffentl. Manuskript 2016; Florian Tennstedt: Krohn, Johannes, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 13, Berlin 1982, S. 69.

neu besetzt, sodass nach der Machtübernahme 1933 kaum Personal von außen auf Führungspositionen des Ministeriums gelangte.55 Zwei Personalwechsel seit Januar 1933 waren jedoch bedeutsam, da beide Neuzugänge direkt zu Abteilungsleitern ernannt wurden: Hans Engel übernahm die Hauptabteilung II (Sozialversicherung) und ersetzte damit Johannes Krohn. Engel kam aus dem Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft, wo er bereits seit 1929 als Ministerialrat eingesetzt war. Neuer Leiter der Hauptabteilung  III (Lohn- und Tarifpolitik) wurde Werner Mansfeld, der von der Universität Münster nach Berlin berufen worden war.56 Beide hatten eine für die Position 55 Ministeramt, Eingaben an Reichsarbeitsminister Seldte, 1932-1937, BA rch R3901/20006. 56 Sebastian Felz: Recht zwischen Wissenschaft und Politik. Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Universität Münster 1902-1952, Münster 2016, S.372-283.

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Oscar Weigert (geb. 12.8.1886 in Berlin, gest. 6.1.1968 in Chevy Chase, USA ) studierte in Berlin, Freiburg und Kiel Rechtswissenschaften und war anschließend von 1909 bis 1917 in der preußischen Justizverwaltung sowie von 1917 bis 1919 in der Provinzialverwaltung Posen tätig. 1919 trat er als Ministerialrat in das Reichsarbeitsministerium über, wo er als Abteilungsleiter anfangs für den Arbeitsmarkt sowie später zusätzlich für Sozialpolitik zuständig war. Aufgrund des »Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« musste Weigert, mittlerweile im Range eines Ministerialdirektors, im März 1933 das Ministerium verlassen. Daraufhin emigrierte er erst in die USA , um eine Tätigkeit im Arbeitsministerium in Philadelphia anzutreten, bevor er 1935 in die Türkei ging, wo er bis 1938 als Berater beim Wirtschaftsministerium angestellt war. Anschließend kehrte er in die USA zurück, um anfangs als Gastdozent und ab 1940 als Professor an der American University in Washington, DC , zu lehren. Ab Mai 1946 war Weigert außerdem als höherer Beamter im Department of Labor tätig, seit 1952 als Abteilungsleiter für Foreign Labor Conditions im Bureau of Labor Statistics. Quellen und Literatur: Anträge aus dem Geschäftsbereich des BMA . Weh-Wei, Nr. 7444, Bundesarchiv B 149/7444; Werner Röder/Herbert Strauss (Hg.): Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933, Bd. 1, München u. a. 1980, S. 803.

nötige Ausbildung absolviert und waren auf ihren Fachgebieten Spezialisten. Sie waren auch nicht aufgrund ihres Parteibuches in diese Stellungen gekommen. So trat Mansfeld erst unmittelbar vor seiner Einsetzung, im Mai 1933, in die NSDAP ein; Engel tat dies erst im Jahr 1936. Die verbliebenen Stellen der Abteilungsleiter und Ministerialräte blieben in der Mehrzahl von denselben Beamten wie zuvor besetzt. Für die nachgeordneten Behörden des Ministeriums sind diese Relationen einzeln zu prüfen. Beispielsweise arbeiteten in der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung viele Mitglieder der SPD , KPD und Gewerkschaftsvertreter. Hier wurden 3160 Angestellte und Arbeiter im Laufe der Überprüfungen zum »Berufsbeamtengesetz« bis 1935 entlassen.57 Die Daten zu den biografischen Merkmalen des Personals bis zum Rang eines Ministerialrates zeigen auch für die Jahre zwischen 1933 bis 1945 die aufgrund der formalisierten Beam57 Hans Mommsen: Beamtentum im Dritten Reich. Mit ausgewählten Quellen zur nationalsozialistischen Beamtenpolitik, Stuttgart 1966, S.55; Sigrun Mühl-Benninghaus: Das Beamtentum in der NS -Diktatur bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges: zu Entstehung, Inhalt und Durchführung der einschlägigen Beamtengesetze, Düsseldorf 1996, S.80; Dan P. Silverman: Hitler’s Economy. Nazi Work Creation Programs, 1933-1936, Cambridge, Mass., 1998, S.15f.

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tenlaufbahn zu erwartende homogene Verteilung analog zur Weimarer Republik. Es kam zu keiner drastischen Verjüngung, die Ausbildung und Fachkenntnis behielten ihren sehr hohen Stellenwert und auch die konfessionelle Zusammensetzung der Beamtenschaft erfuhr keine signifikanten Veränderungen.58 Allerdings weisen die Daten aus, dass die nationalsozialistische Herrschaft ab den Jahren 1938/39 doch konkrete Auswirkungen auf die Personalzusammensetzung und Personalpolitik des Ministeriums zeitigte. Dies erklärt sich zum einen damit, dass in der Berliner Zentrale in dieser Phase eine größere Anzahl an Personal für die bevorstehenden Kriegsaufgaben neu eingestellt worden war. Für diese Neuzugänge schlug spätestens jetzt die nationalsozialistische Beamtenpolitik auf die Ernennungspraxis des Ministeriums durch. Das bedeutete konkret, dass seit Anfang 1936 nicht nur das Personalreferat sowie der Staatssekretär über die Ernennung entschieden, sondern die vorgeschlagenen Kandidaten zusätzlich noch vom »Stellvertreter des Führers« in der Parteikanzlei genehmigt werden mussten.59 Zu diesem Zeitpunkt war eine NSDAP -Mitgliedschaft für den Aufstieg in eine Führungsposition in der Ministerialverwaltung zwar nicht zwingend, aber doch opportun geworden, ebenso ein gesinnungskonformer Lebenslauf als Nationalsozialist. Doch bei der Ernennungspraxis blieben die Dienstvorgesetzten der Ressorts selber maßgebend, dies bedeutete innerhalb des Reichsarbeitsministeriums, dass erst ab 1938 deutlich mehr Parteigenossen auf die Stellen gelangten. Das lag zum einen daran, dass die gesinnungspolitische Anforderung einer NSDAP -Mitgliedschaft zuvor nicht ausschlaggebend für die Einstellung gewesen war. Zum anderen ließ die NSDAP ab Mitte 1937 wieder Eintritte in die Partei zu. Erst dann konnte sich der eine oder andere Mitarbeiter einen Vorteil für seine Karriere über eine Parteimitgliedschaft versprechen. Bei der Gruppe der Ministerialräte hingegen zeigt sich bis 1939 ein überraschend eindeutiges Bild. Nur eine Handvoll von ihnen hatte sich bisher für eine NSDAP -Mitgliedschaft entschieden.60 Das passt 58 Siehe dazu die auf S.52 dargestellte personelle Entwicklung im Reichsarbeitsministerium. 59 Diese Praxis wurde im »Deutschen Beamtengesetz« vom 26. Januar 1937 bestätigt und mit weiteren Regelungen verstärkt; vgl. Mommsen: Beamtentum (Anm.57), S.62-91; Broszat (Anm.45), S.301-321. 60 Wiederum gelten diese Ergebnisse nur für das Ministerium und nicht für den nachgeordneten Bereich. Siehe zu weiterer Analysen zum Personal im Nationalsozialismus sowie zur Mitgliedschaft in der NSDAP den Beitrag von Martin Münzel in diesem Band.

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zu der in der Weimarer Republik ausgebildeten Überparteilichkeit im Stab des Ministeriums. Eine maßgebliche Rolle für diese Verteilung spielte aber wohl auch der im Ministerium hoch angesehene Leiter der Personalabteilung, Hermann Rettig, der zwischen 1919 und 1938 im Ministerium tätig war und bis 1938 auf dieser Position verblieb. Er hielt in Absprache mit Staatssekretär Krohn die einmal eingeschlagene, bewährte Linie in der Personalrekrutierung aufrecht. Danach war die Stellenbesetzung neben den formal festgelegten Laufbahnrichtlinien vor allem nach der benötigten Fachausbildung ausgerichtet. Aus Sicht der NSDAP -Funktionäre entwickelte sich über die Jahre sogar ein ausgesprochenes »Missverhältnis« zwischen Parteimitgliedern und Nichtmitgliedern. Im Jahr 1938 ging in der Reichskanzlei eine wütende Beschwerde anlässlich eines nächsten Ernennungsvorschlages für einen Ministerialrat ohne NSDAP -Parteibuch ein: »Seit längerer Zeit sind für mich die Personalverhältnisse im Reichsarbeitsministerium eine Quelle ernster Besorgnis. Wie wenig befriedigend diese sind, geht allein schon daraus hervor, dass  – wie ich unterrichtet worden bin  – von den 38 im Ministerium tätigen Ministerialräten nur 5 der Partei angehören. […] Das Reichsarbeitsministerium hat auch von der Möglichkeit einer Reinigung seines Beamtenkörpers von nicht-arischen und jüdisch-versippten Beamten im Rahmen des Berufsbeamtengesetzes nur in durchaus unbefriedigender Weise Gebrauch gemacht.«61 Dieses Bild, das den tatsächlichen Verhältnissen entsprach, wird noch dadurch abgerundet, dass Mitarbeiter auf der höchsten Führungsebene, wie Friedrich Syrup und Johannes Krohn, mehrmals zum Übertritt in die NSDAP aufgefordert werden mussten, bis sie dem Drängen 1937 beziehungsweise 1938 nachgaben. Dem aufgebauten politischen Druck gab man im Ministerium auch dadurch nach, indem Hermann Rettig im Jahr 1938 in den Ruhestand versetzt und seine Position durch den alten »Kämpfer« und Hardliner der nationalsozialistischen Bewegung Wilhelm Börger ersetzt wurde. Börger sorgte fortan für die Beförderung beziehungsweise Neueinstellung von Parteigenossen unter den hohen Beamten. Minister Franz Seldte wiederum, das zeigen diese Beispiele, unterstützte die internen Personalentscheidungen von Rettig und Krohn vor 1938/39. Es wäre jedoch vermessen, darin politische Motive, gar ein latent widerständiges Verhalten des Ministers zu vermuten. Eher ba61 Stellvertreter des Führers an Lammers, 1.2.1938, BA rch R43 II /1138b, Bl.25.

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NSDAP -Mitgliedschaft der Regierungsräte und Oberregierungsräte

im Reichsarbeitsministerium, 1933-1945 (in %)

NSDAP -Mitgliedschaft des Spitzenpersonals im Reichsarbeitsministerium

(ab Ministerialratsebene), 1933-1945 (in %)

sierte diese Politik Seldtes wohl auf seiner pragmatischen – und realistischen – Einschätzung, dass das Ministerium für die Sacharbeit auf die von den Beamten verkörperte Expertise angewiesen war. Dennoch zeigen die Quellen, dass sich Franz Seldte und die Leitungsebene in Konfliktfällen konsequent hinter seine Mitarbeiter stellten  – auch gegen hochrangige Vertreter der NSDAP .62 Das illustrieren etwa die Beispiele der beiden Ministerialräte Heinrich Goldschmidt und Bernhard Lehfeld, die als sogenannte »Halbjuden« nicht entlassen wurden.63 Auch 62 Zur Beförderung von Zweifelsfällen siehe bspw. BA rch R43 II /1138b. 63 Goldschmidt blieb bis 1945 im Reichsarbeitsministerium, während Lehfeld 1941 unter ungeklärten Umständen verstarb; vgl. Datenbank des Forschungsprojekts zur Geschichte des Reichsarbeitsministeriums.

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Wilhelm Börger (geb. 14.2.1896 in Kray [Essen], gest. 29.6.1962 in Heidelberg) absolvierte eine Schlosserlehre, bevor er von 1915 bis 1918 als Angehöriger der Marine am Ersten Weltkrieg teilnahm. Anschließend arbeitete er als Schlosser und Elektriker und wurde Betriebssekretär der Stadt Neuss. Nachdem er 1922 begonnen hatte, sich als Mitglied der Völkischen Freiheitsbewegung parteipolitisch zu betätigen und 1924 erfolglos für den Reichstag kandidiert hatte, trat er 1929 der NSDAP bei und wurde zugleich Reichsredner sowie Ortsgruppenleiter. In den Folgejahren übernahm Börger nicht nur eine Reihe weiterer Parteiämter, sondern war ab 1930 auch Mitglied des Reichstages und wurde später zum Preußischen Staatsrat ernannt. Er wurde 1933 als Treuhänder der Arbeit für das Rheinland eingesetzt und trat 1935 der SS bei, innerhalb der er bis 1939 zum SS -Brigadeführer aufstieg. 1938 wurde Börger als Ministerialdirektor ins Reichsarbeitsministerium berufen, wo er als Leiter der Hauptabteilung I bis 1945 für die Verwaltung des Ministeriums und der nachgeordneten Dienststellen zuständig war. Nach Kriegsende wurde Börger inhaftiert und war nach seiner Entlassung 1948 als Vertreter tätig. Quellen: Nachlass Wilhelm Börger, Bundesarchiv N 2032; Handakten Wilhelm Börger, Bundesarchiv R 3901/11931-11939; Personalakte Wilhelm Börger, Bundesarchiv R 3901/ 20336.

»arische« Beamte, deren parteipolitische Beurteilungen ungünstig ausfielen, wurden im Zweifel geschützt. So setzte sich Seldte energisch für den Ministerialrat Oskar Karstedt ein, der bereits kurz nach der Machtübernahme 1933 von der NSDAP angegriffen wurde. Karstedt musste sich einmal gegen den Vorwurf erwehren, er sei selber Jude. Es war verschiedenen NSDAP -Funktionären darüber hinaus nicht entgangen, dass Karstedt im Ministerium »jüdische« Ärzte empfing. Nachweislich bis 1938 galt sein Büro im Reichsarbeitsministerium als eine Anlaufstelle für »jüdische« Ärzte, die sich gegen Berufsverbote zur Wehr setzten.64 Im Fall von Karstedt, aber auch in anderen Fällen, engagierte sich Minister Seldte für seine Mitarbeiter. Er setzte über seine gesamte Amtszeit im Ministerium keine harte Parteilinie durch und ließ seinen Staatssekretären und der Abteilungsleiterebene nicht nur in Personalfragen größtenteils freie Hand. Inhaltliche Aufgaben delegierte er 64 Zum Vorgang der Disziplinarbeschwerde siehe Reichsstatthalter Braunschweig und Anhalt an Hans Heinrich Lammers, betr. Beschwerde gegen Oskar Karstedt, 12.8.1933, BA rch R43  II /1138b, Bl.8-9; Fritz Goldschmidt: Meine Arbeit bei der Vertretung der Interessen der jüdischen Ärzte in Deutschland seit dem Juli 1933, Bremen 1979, S.5, 22.

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Oskar Karstedt (geb. 10.3.1884 in Lübeck, gest. im Oktober 1945 im sowjetischen Speziallager Sachsenhausen) absolvierte nach Abitur und Militärdienst ab 1902 ein Studium der Geografie, Völkerkunde und Kolonialwissenschaften in Leipzig und Berlin, das er 1905 mit der Promotion abschloss. Ab 1906 war er als Kolonialbeamter im Verwaltungsdienst Deutsch-Ostafrikas tätig, bis er seine Stellung 1913 aus gesundheitlichen Gründen aufgeben musste und zunächst pensioniert wurde. Nach ehrenamtlichen Tätigkeiten in der Kriegsopferfürsorge wurde er 1918 wieder in den Staatsdienst übernommen und arbeitete als Referent im Reichsausschuss der Kriegsbeschädigten, bis er 1919 als Regierungsrat in das Reichsarbeitsministerium übertrat. Nach seiner Beförderung zum Ministerialrat 1920 übernahm er dort die Leitung mehrerer Referate in den Bereichen Sozialpolitik und Schrifttum und war nach 1933 Leiter des zeitweise bestehenden Sonderreferats für die »Beschwerden der nichtarischen Ärzte«. 1941 wurde er Abteilungsleiter des Arbeitsgebiets Internationales. Der NSDAP trat er nicht bei. Seit 1912 publizierte Karstedt ausgiebig zu kolonialpolitischen Themen. Quellen und Literatur: Personalakte Franz Oskar Karstedt, Bundesarchiv R 3901/104928; Fritz Goldschmidt: Meine Arbeit bei der Vertretung der Interessen der jüdischen Ärzte in Deutschland seit dem Juli 1933, Bremen 1979.

direkt. Staatssekretär Krohn führte zumeist in Anwesenheit Seldtes das Wort in den Kabinettssitzungen mit Hitler. Umgekehrt agierten seine Mitarbeiter auf der Leitungsebene ihm gegenüber anscheinend loyal.65 Von den Möglichkeiten, den Minister zu umgehen oder ihn schlecht aussehen zu lassen, machten sie jedenfalls keinen aktenkundigen Gebrauch. Im Laufe seiner Amtszeit hätte es hierfür genug Gelegenheit gegeben, da Franz Seldte vielfach nicht so präsent war, wie es seine dienstlichen Aufgaben eigentlich verlangt hätten. Es waren seine repräsentativen Aufgaben, die ihn auf längere Dienstreisen, auf Empfänge oder Konferenzen führten. Er war aber auch aufgrund seiner Invalidität immer wieder gezwungen, sich für längere Zeit in ärztliche Behandlung oder auf Kur zu begeben. Doch diese Beobachtungen sprechen nicht automatisch für eine Führungsschwäche des Ministers im Ministerium selbst. Auf dem institutionell disponiblen Ministerposten war eine spezifische Fachausbildung zwar wünschenswert und normalerweise auch vorhanden, 65 Die Quellen bis 1945 enthalten keine belastbaren Hinweise, dass dem Minister die Anerkennung unter seinen Mitarbeitern gefehlt hätte. Die Quellen nach 1945 stehen wiederum unter dem Vorbehalt individueller Entlastungsstrategien; vgl. den Beitrag von Kim Priemel in diesem Band.

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aber nicht zwingend erforderlich, um die Aufgaben eines Reichsministers auszufüllen. Seldte stand wie alle aus der Weimarer Republik überkommenen Fachminister (Arbeit, Auswärtiges Amt, Finanzen, Inneres, Justiz, Post, Reichswehr, Verkehr und Wirtschaft) bis Oktober 1933 in einem öffentlichen Angestelltenverhältnis, war nicht verbeamtet. Er war grundsätzlich nur der Verfassung verpflichtet, keinem anderen Organ untergeordnet.66 Ab Oktober 1933 wurden die Minister ganz im Sinne des Führerstaates auf Adolf Hitler persönlich über einen Diensteid verpflichtet und standen nunmehr in einem direkten Unterstellungsverhältnis.67 Dennoch ist Martin Broszat noch immer darin zuzustimmen, dass dies in der Regierungspraxis nicht etwa einen Bedeutungsverlust für die Minister erbrachte, sondern im Gegenteil die Ressorts mehr Verantwortung und größere Selbstständigkeit in der Regierung übernahmen, um Hitler über die Aufgabenverteilung ihrer Ressorts im Regierungsgeschäft zu entlasten.68 Die vordringliche Aufgabe der Minister im Nationalsozialismus war es, als Mitglieder der Regierung Hitler den politischen Willensbildungsprozess bei Angelegenheiten ihres jeweiligen Zuständigkeitsbereichs beratend zu begleiten. Sie trugen der Regierung gegenüber alsdann die Verantwortung, auf dieser Grundlage getroffene Beschlüsse von Hitler und seinem Beraterstab nach geltender Gesetzeslage umzusetzen oder im Zweifel neue Regelwerke hierfür aufzustellen. Wie sie diese Funktion in ihrer jeweiligen Behörde absicherten, welchen persönlichen Einfluss und individuellen Gestaltungswillen sie hierfür intern geltend machen konnten, lässt sich selbst aus der historischen Rückschau oftmals nur schwer bestimmen. Viele Absprachen wurden hierfür informell getroffen. Für Seldte und das Reichsarbeitsministerium lässt sich grundsätzlich festhalten, dass es Seldte als Minister gelang, zusammen mit seinen Mitarbeitern die Daueraufgaben seines Ressorts bis in die letzten Kriegsjahre hinein zu gewährleisten und an die politische und später kriegsbedingte Lage anzupassen. Wenn sich Franz Seldte hierbei umfänglich von seinen Abteilungsleitern beraten ließ und in der Lage war, Beratungsvorlagen, die er nicht beherrschte, zu delegieren, garantierte dieser Führungsstil die bisherige Kontinuität der Sacharbeit im Ministerium und den Bestandserhalt des Ministeriums selbst. 66 Gesetz über die Rechtsverhältnisse des Reichskanzlers und der Reichsminister (Reichsministergesetz) vom 27.3.1930, RGB l.I 1930, S.96-100. 67 Gesetz über den Eid der Reichsminister und der Mitglieder der Landesregierungen vom 17.10.1933, RGB l.I 1933, S.741. 68 Broszat (Anm.45), S.353-355.

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Ein ernstes Missverständnis aber wäre es, Seldtes Führungspersönlichkeit mit seiner Position und Stellung in der NS -Regierung eins zu eins in Deckung zu bringen und mit derjenigen anderer Minister in Beziehung zu setzen. Welchen Einfluss die verschiedenen Minister in der Regierung auf die Entscheidungen von Hitler hatten und welche Zuständigkeit sie im politischen Willensbildungsprozess beanspruchen konnten, war von mehreren Faktoren abhängig, die keineswegs allein von ihren individuellen Fähigkeiten, seien es Schwächen oder Stärken, abhingen.

Oskar Karstedt, um 1943

Um die Handlungsspielräume von Seldte als Reichsarbeitsminister im Nationalsozialismus einzuschätzen, sind Faktoren relevant, die sowohl die (macht)politischen als auch die institutionellen Veränderungen im Verlauf der nationalsozialistischen Herrschaft einbeziehen: 1. die strukturell veränderte Position der Ministerien innerhalb der nationalsozialistischen Staatsverfassung, 2. die persönliche Nähe zu Hitler, seinen Beratern und den dazu gehörigen persönlichen Netzwerken, 3. das Verhältnis des Ministeriums und seiner nachgeordneten Bereiche zu ihnen komplementär zugeordneten NSDAP -Parteiorganisationen, 4. die Bedeutung der in den Ressorts verwalteten Daueraufgaben sowie 5. die Bedeutung der Daueraufgaben des Ministeriums für die nationalsozialistische Expansion und Kriegswirtschaft. Im Folgenden werden diese fünf Faktoren exemplarisch beschrieben. 1. Die veränderte Position der Ministerien innerhalb der nationalsozialistischen Staatsverfassung: Nach der Machtübernahme Hitlers legten das sogenannte »Ermächtigungsgesetz« sowie das »Gesetz zur Sicherung der Einheit von Staat und Partei« die rechtliche und machtpolitische Position der Ministerien fest.69 Das »Ermächtigungsgesetz« stellte einen eindeutigen Bruch mit der Staatsverfassung und

69 Ermächtigungsgesetz vom 24.  März 1933, RGB l.I 1933, S.141; Gesetz zur Sicherung der Einheit von Staat und Partei vom 1.  Dezember 1933 RGB l.I 1933, S.1016.

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den politischen Verhältnissen der Weimarer Republik dar.70 Es verlieh Hitler die uneingeschränkte Macht, für die kommenden vier Jahre Gesetze zu verkünden, ohne parlamentarische Kontrolle oder eine Verfassungsprüfung zuzulassen. Er konnte danach die formal noch geltende Verfassung ändern oder Teilbereiche aussetzen.71 Zu den sofort wirkenden Konsequenzen des »Ermächtigungsgesetzes« gehörte auch die Abänderung der formalen und informellen Abläufe im Gesetzgebungsverfahren. Der kollektive Beratungsprozess zwischen Parlament, Experten, Interessenverbänden und Ministerialverwaltung war ausgesetzt. Was Adolf Hitler fortan als politischen Willen formulierte, hatten die zuständigen Ministerien umzusetzen, denn nur dem Reichskanzler allein standen das Gesetzgebungsrecht und das Recht zum Vollzug der Gesetze zu. Die Ministerien wiederum konzipierten, berieten und erstellten die Vorlagen der Gesetze, Erlasse und Verordnungen in ihren jeweiligen Ressorts. Eine weitere Verkürzung kollektiver Abstimmungsprozesse bestand zudem darin, nicht mehr alle Ressorts im Umlaufverfahren über einen Gesetzentwurf abstimmen zu lassen, sondern nur noch diejenige Ressorts zu beteiligen, in deren Zuständigkeitsbereich das neue Gesetz fiel. Hitler legte großen Wert darauf, dass die ihm zur Vorlage gebrachten Gesetzestexte nur noch als Rahmengesetze angelegt waren. Mit inhaltlichen Einzelheiten wollte er sich nicht befassen. Stattdessen überließ er es den zuständigen Ressorts, in den nachfolgenden Ausführungsbestimmungen die Details zu klären und ihrerseits zu verbreiten. Dadurch wurde der Beratungsprozess äußerlich vereinfacht, zugleich aber noch autokratischer ausgerichtet.72 Nach der Ausfertigung durch die Ministerien fand das Prozedere seinen Abschluss in der obligatorischen Begut70 Christoph Möllers: Ernst Rudolf Hubers letzte Fußnote. Die normative Ordnung des Nationalsozialismus und die Grenzen der Kulturgeschichte, in: Zeitschrift für Ideengeschichte 11 (2016), Nr.2, S.47-64. 71 Diese Ermächtigung wurde dann wiederum nach Ablauf der Vierjahresfrist für die nächsten vier Jahre erneuert. Eine Verfassungsreform war immer wieder im Gespräch, Hitler selbst aber scheute diesen Schritt; vgl. Otto Meißner/ Georg Kaisenberg: Staats- und Verwaltungsrecht im Dritten Reich, Berlin 1935, S.8-16; Dieter Rebentisch: Führerstaat und Verwaltung im Zweiten Weltkrieg. Verfassungsentwicklung und Verwaltungspolitik 1939-1945, Stuttgart 1989, S.395-404; Christiane Kuller: »Kämpfende Verwaltung«. Bürokratie im NS -Staat, in: Dietmar Süß/Winfried Süß (Hg.): Das »Dritte Reich«. Eine Einführung, München 2008, S.227-245, hier S.230f. 72 Lammers, betr. Verfahren der Zustellung von Gesetzen, 16.10.1934, BA rch R3901/20003, Bl.10.

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achtung der Reichskanzlei und des Ministeriums des Innern.73 Nach Anerkennung dieser beiden Behörden wurde das Schriftstück ausgefertigt, Hitler zur Unterzeichnung vorgelegt und im Reichsgesetzblatt veröffentlicht.74 Das »Ermächtigungsgesetz« »befreite« die Ministerien also nicht nur von parlamentarischer Kontrolle und dem Zwang zur Verfassungskonformität, sondern es überantwortete ihnen als Exekutivorgane praktisch die Gesetzgebungskompetenz – sofern Hitler diese nicht für sich allein beanspruchte. Die Ministerien erhielten somit überaus große formale und praktische Handlungsspielräume zugewiesen. Diese neue Rechtswirklichkeit in der Staatsverfassung galt umfassend mit dem 1. August 1933, als Hitler nach Hindenburgs Rückzug zum formal alleinigen Staatsoberhaupt des Reiches wurde.75 Nur wenige Monate später, im Februar 1934, wurde der Reichsrat als Kontrollgremium der vormaligen Länderregierungen endgültig aufgelöst, nachdem er bereits durch die Gleichschaltung der Länder im April 1933 stark an politischem Gewicht eingebüßt hatte. Mit der Gleichschaltung der Länder wurde auch die endgültige Auflösung des preußischen Staatsministeriums und seiner Verwaltung besiegelt. Die Fachministerien (Arbeit, Finanzen, Inneres, Justiz und Wirtschaft) übernahmen die Aufgaben im Laufe des Jahres 1934 vollständig in ihren Zuständigkeits- und Verwaltungsbereich. Ab März 1935 wurde diese Übernahme auch sprachlich markiert: Der Reichsarbeitsminister hieß seither offiziell »Der Reichs- und Preußische Arbeitsminister«. Diese Bezeichnung wurde allerdings schon 1938 auf Hitlers Wunsch hin wieder in »Der Reichsarbeitsminister« verkürzt.76 Die genannten Umstellungen im Gesetzgebungsverfahren hatten schließlich zur Folge, dass neben Hitler dessen engste Berater und Ver73 Das Reichsministerium des Innern übernahm stellvertretend die Begutachtung des aus dem Verfahren nun ausgeschiedenen Reichspräsidenten; vgl. Lammers, betr. Zeichnung Reichsminister, 22.1.1934, BA rch R3901/20003, Bl.16. 74 Während des Zweiten Weltkrieges häuften sich allerdings die Fälle, in denen wichtige und politisch heikle Gesetze und Führererlasse nicht veröffentlicht wurden; vgl. Martin Moll (Hg.): »Führer-Erlasse« 1939-1945. Edition sämtlicher überlieferter, nicht im Reichsgesetzblatt abgedruckter, von Hitler während des Zweiten Weltkrieges schriftlich erteilter Direktiven aus den Bereichen Staat, Partei, Wirtschaft, Besatzungspolitik und Militärverwaltung, Stuttgart 1997. 75 Meißner/Kaisenberg (Anm.71), S.12. 76 Franz Seldte an oberste Reichsbehörden, betr. Übertragung preußischer Aufgaben auf das RAM , 18.3.1935, BA rch R2/18378.

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traute, aber vor allem auch die übrigen Reichsminister maßgeblichen Einfluss auf die politischen Entscheidungen und die daraus entstehende Gesetzgebung nahmen: »Die Reichsregierung ist heute nicht mehr Kabinett im alten Sinne, indem alle Entscheidungen durch Mehrheitsbeschlüsse zustande kamen, sondern ein Führerrat, der den Führer und Reichskanzler bei der von ihm zu treffenden Entscheidung berät und unterstützt.«77 Wenn ein Gesetz, ein Erlass oder eine Verordnung in diesen internen Zirkeln abgestimmt worden war, ging der jeweilige Entwurf zudem durch einen Beratungsprozess, an dem nur noch wenige externe – und bereits gleichgeschaltete Experten und Interessenverbände – teilnahmen. Diese dramatischen Verkürzungen des Beratungsprozesses mögen die Aufstellung von Gesetzen, Erlassen und Verordnungen im Führerstaat Hitlers zwar insgesamt beschleunigt haben. Sie schufen aber gleichzeitig einen vermehrten Bedarf zur nachträglichen Abstimmung und Neuverhandlung, die dann wiederum Hitler zur Abstimmung vorgelegt werden mussten. Denn kein Führerbefehl konnte die dennoch nötig werdenden Beratungen einfach aussetzen, zumal dann nicht, wenn damit Fragen der Finanzierung verbunden waren. 2. Der Zugang zu Hitler und seinen Netzwerken: Hitler wollte jedoch keinesfalls an den Beratungs- und Verhandlungsprozessen der Ressorts untereinander beteiligt werden. Etwaige Auseinandersetzungen hatten diese unter sich zu klären.78 Wenn keine konsensuale Lösung zustande kam, überließ er die Klärung zumeist seinem Staatssekretär in der Reichskanzlei, Hans Heinrich Lammers. Lammers wiederum musste Hitler grundsätzliche politische Fragen erneut vorlegen. Hitler wiederum reagierte mit fortschreitender Zeit gereizt auf diese Entscheidungsschleife. Als eine Konsequenz ließ er insbesondere die Minister aus den Fachverwaltungen, die nicht zu seinem unmittelbaren »Führerrat« gehörten, kaum noch persönlich zum Vortrag vor. Es traf auch langjährige »Kampfgefährten«, wie etwa den Reichsminister des Innern Wilhelm Frick. Spätestens seit den unmittelbaren Kriegsvorbereitungen im Jahr 1939 und dann im Krieg hatten diese keinen Zugang mehr zu Hitler.79 Für Franz Seldte war es ungefähr ab 1938 77 Richard Wienstein: Vortrag vor der Verwaltungsakademie Bonn, 15.12.1936, in: Broszat (Anm.45), S.353. 78 Broszat (Anm.45), S.301-303; Rebentisch: Führerstaat (Anm.71), S.371-394. 79 Für Franz Seldte trifft dieser Befund in jedem Fall zu. Einen regelmäßigen Zugang zu Hitler hatten neben Seldte auch die Reichsminister aus den Fachverwaltungen Finanzen, Justiz, Landwirtschaft, Post, Verkehr, Wirtschaft und auch Erziehung am Ende der Kabinettssitzungen bis Februar 1938 nur noch

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nicht mehr möglich, bei Hitler persönlich vorzusprechen. Anhand des Itinerars Hitlers zeigt sich zudem, dass er auch bei repräsentativen oder halböffentlichen Gelegenheiten nicht mehr mit Seldte zusammenkam.80 Seldte blieb – wie der Mehrzahl der anderen zivilen Fachressorts – fortan nur die Möglichkeit, sich das Votum Hitlers indirekt über dessen Beraterstab nebst Entourage sowie über die Reichskanzlei übermitteln zu lassen. Einschränkend hierzu dürfte aber wiederum gelten, dass bisher kaum die persönlichen Netzwerke Seldtes beziehungsweise diejenigen seiner engsten Mitarbeiter im Ministerium erforscht sind. Letztere waren ja zumeist seit weit über einem Jahrzehnt im politischen Geschäft in der Wilhelmstraße, sodass Beziehungen zu anderen langjährigen Beamten und Entscheidungsträgern genauso wie auch persönliche Sympathien oder informelle kollegiale Zusammenkünfte wahrscheinlich sind.81 3. Das Verhältnis zwischen Reichsarbeitsministerium und NSDAP Parteibehörden: Zusammengefasst zeigt sich, dass die Ministerien eine immense Machtfülle im Staat Hitlers erhielten, da sie die Gesetzgebungsinitiative und exekutiven Steuerungsfunktionen übernommen hatten. Die Ministerialverwaltung war dabei nicht nur dafür verantwortlich, die Leitlinien der Politik von Hitler und seinem »Führerrat« in die Gesetzgebung zu übersetzen. Sie hatte zudem die nationalsozialistischen Politikvorstellungen in der von ihnen beaufsichtigten und weisungsgebundenen nachgeordneten Verwaltungen umzusetzen. Allerdings wurde die neue Machtfülle der Ministerien formal schon mit dem »Gesetz zur Sicherung der Einheit von Staat und Partei« vom 1.  Dezember 1933 wieder eingeschränkt.82 Das Gesetz erklärte die NSDAP zur alleinigen Staatspartei und legte die Verschränkung von Staat und Partei fest. Die staatliche Verwaltung hatte die Aufgabe, der NSDAP Amts- und Rechtshilfe zu leisten und der herausgehobenen

in Ausnahmefällen. Ich danke dem langjährigen Redakteur der Akten der Reichskanzlei, Hartmut Weber, für diese Auskunft; vgl. Broszat (Anm.45), S.380f. 80 Harald Sandner: Hitler – Das Itinerar. Aufenthaltsorte und Reisen von 1889 bis 1945, Bde. I-IV , Berlin 2016. 81 Diese werden etwa von Arnold Brecht für die Weimarer Zeit anschaulich beschrieben; vgl. ders.: Mit der Kraft des Geistes. Lebenserinnerungen 19271967, Stuttgart 1967. 82 RGB l.I 1933, S.1016; vgl. Franz L. Neumann: Behemoth, hg. v. Gert Schäfer, Frankfurt am Main 1993 (Erstausg. 1942/44), S.95-97.

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Stellung der Staatspartei Rechnung zu tragen.83 In diesem Dualismus zwischen der staatlichen Verwaltung und den Parteibehörden entstand nun eine ganz eigene Dynamik für die Verwaltungsorganisation. Auf Ebene der Gesetzgebung war diese Zusammenarbeit noch vergleichsweise konkret bezeichnet. Sie bedeutete für die Ministerialverwaltung, dass der »Stellvertreter des Führers« und die Parteikanzlei an allen Gesetzgebungsarbeiten der Ministerien beteiligt werden mussten. Zwar dominierten die Fachressorts zumeist weiterhin die Verfahren, da die Partei kaum Fachkräfte aufbrachte, um die im Verlauf der zwölf Jahre vorgelegten Gesetze, Erlasse und Verordnungen der politischen Prüfung zu unterziehen. Bei der praktischen Umsetzung aber gab es weite Interpretationsspielräume, wie die symbolpolitisch stets hervorgehobene Führungsrolle der NSDAP in den rechtsförmig angelegten Verwaltungsabläufen zu gewährleisten war.84 So entstanden zwischen der NSDAP , ihren Gliederungen und Verbänden sowie den staatlichen Verwaltungsinstanzen teils erhebliche Rivalitäten um die Kompetenzen und Ressourcen staatlicher Verwaltung. Das betraf insbesondere die Besetzung der Posten in der inneren Verwaltung der Länderregierungen sowie in Städten und Kommunen, in denen es teilweise bereits im Jahr 1933 einen weitgehenden Personalaustausch gegeben hatte, wie etwa bei den Bürgermeistern. Massive Konkurrenzkonflikte um Ressourcen und Kompetenzen entwickelten sich aber auch zwischen der Partei und den Ministerien sowohl auf Reichs- als auch auf Länderebene. Das Reichsarbeitsministerium als das zuständige Ressort für die Arbeits- und Sozialpolitik war hiervon besonders betroffen. Die nationalsozialistische Bewegung mit ihren programmatischen Gleichheits- und Gemeinschaftspostulaten und der vermeintlichen national»sozialistischen« Affinität zur Arbeiterschaft hatte es sich auf die Fahnen geschrieben, die Lebenssituation all derer zu verbessern, die Teil der »Volksgemeinschaft« sein durften.85 Dafür schien eine staats83 Nachrichtenblatt des Reichsarbeitsministeriums 17 (3.1.1936), S.2-3. 84 Broszat (Anm.45), S.244-273. 85 Timothy W. Mason: Sozialpolitik im Dritten Reich: Arbeiterklasse und Volksgemeinschaft, Opladen 1978; Michael Schneider: Unterm Hakenkreuz: Arbeiter und Arbeiterbewegung, 1933 bis 1939, Bonn 1999; Frank Bajohr/ Michael Wildt (Hg.): Volksgemeinschaft. Neue Forschungen zur Gesellschaft des Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 2009; Detlef SchmiechenAckermann (Hg.): »Volksgemeinschaft«. Mythos, wirkungsmächtige soziale Verheißung oder soziale Realität im »Dritten Reich«? Zwischenbilanz einer kontroversen Debatte, Paderborn 2012.

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interventionistische Sozial- und Arbeitsmarktpolitik opportun. Für Hitler war es kaum mehr als ein Jahrzehnt nach der so umstrittenen Gründung des Reichsarbeitsministeriums selbstverständlich, staatliche Sozial- und Arbeitspolitik zum Zwecke der Legitimation für die eigene Politik und Herrschaftssicherung einzusetzen. Entsprechend waren die Aufmerksamkeit und Bedeutung, die er und seine Berater diesem Politikfeld zumaßen, gerade in den ersten vier Jahren, in der Phase der Machtübernahme und -konsolidierung, besonders ausgeprägt. Somit erscheint es nur folgerichtig, dass gerade in den Jahren bis 1936 eine ganze Reihe von Parteiorganisationen Mitsprache reklamierten. Das betraf alle Zuständigkeitsbereiche, von der Arbeitsmarktpolitik bis zum Wohnungs- und Siedlungswesen, und es traten ganz verschiedene Persönlichkeiten und Parteiorganisationen auf, die ihren Vorstellungen einer nationalsozialistisch ausgerichteten Sozial- und Arbeitspolitik Nachdruck zu verleihen versuchten. Sie alle überragte die Deutsche Arbeitsfront (DAF ). Ihr Leiter Robert Ley stellte sich seit der Gründung im Mai 1933 bis zum Ende des Krieges in Konkurrenz zu Seldte und den Ministeriumsmitarbeitern.86 Ley beanspruchte auf allen Zuständigkeitsgebieten des Ministeriums Kompetenzen. Er selbst hielt sich wohl auch für den eigentlichen Mann Hitlers auf dem Posten des Reichsarbeitsministers. Es ging ihm im Laufe der Zeit verstärkt darum, die vom Reichsarbeitsministerium verwalteten Finanzen für die Arbeitsfront umzulenken. Robert Ley gelang es erstaunlicherweise und trotz seiner machtpolitisch sehr starken Position im Beraterkreis Hitlers kaum, konkreten Einfluss auf das Ministerium auszuüben. Es gelang ihm weder in die Gesetzgebung, die Daueraufgaben der Verwaltung und auch nicht in die vergebenen Haushaltstitel des Ministeriums hineinzuregieren. Franz Seldte verstand es demnach zusammen mit seinem Leitungsstab, einerseits den Zugriff von Ley auf die Organisationsstrukturen des Ministeriums abzuwehren und sich andererseits um Kooperation und Ausgleich in der Sacharbeit mit der Deutschen Arbeitsfront zu bemühen. Der indirekt vermittelte und dabei wirksame Einfluss Leys und der Deutschen Arbeitsfront lag vielmehr darin, dass sie den politischen Druck auf das Ministerium konstant hoch hielten. Ley intervenierte in regelmäßigen Abständen bei Hitler und beschwerte sich immer wieder über Seldte oder einzelne Mitarbeiter. Er hielt Reden und veröffentlichte Artikel gegen die Politik des Ministeriums. Er beauftragte das 86 Siehe zur Organisation, den Aufgaben und dem Konkurrenzverhältnis der DAF zum Ministerium den Beitrag von Rüdiger Hachtmann in diesem Band.

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der DAF angebundene Arbeitswissenschaftliche Institut, Konzeptpapiere zu erstellen, und nutzte diese, um die Gesetzgebung des Ministeriums anzugreifen, sei es bei der Lohn- und Tarifpolitik oder im Wohnungswesen. Er ließ kaum einen Zuständigkeitsbereich des Ministeriums aus, um auf sich und die DAF aufmerksam zu machen. Alle diese Vorwürfe und Vorschläge mussten im Ministerium bearbeitet, gekontert und nicht zuletzt in einen Kompromiss übersetzt werden, um nicht den – von Ley beabsichtigten – Eindruck zu erwecken, das Ministerium befände sich in Frontstellung zu den nationalsozialistischen Politikvorstellungen oder stelle sich sogar bewusst gegen die Deutsche Arbeitsfront. Damit banden die Aktivitäten der Deutschen Arbeitsfront enorme Kapazitäten des Ministeriums. Zusammen mit Hitlers Vorgaben auf dem Gebiet der Arbeits- und Sozialpolitik sorgte wohl auch dieser Druck dafür, dass die grundsätzlichen Regelwerke in den Zuständigkeiten des Ministeriums sehr schnell an die antisemitische, rassenideologische und militaristische Weltanschauung der Regierung Hitler angepasst wurden. 4. Die Daueraufgaben des Reichsarbeitsministeriums: Diese Anpassungen zeigten sich gleich an mehreren Gesetzespaketen, die das Reichsarbeitsministerium noch 1933 erarbeitete beziehungsweise umarbeitete. Das »Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit« (AOG ), erlassen am 20.  Januar 1934, hatte unter diesen die weitreichendsten Folgen.87 Die sofortige und grundlegende Neugestaltung des Arbeitsrechts unter nationalsozialistischen Vorzeichen war – neben der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit  – die sozialpolitische Priorität der Hitler-Regierung. Das »Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit« brachte die Arbeitnehmer um ihre kollektiven Rechte auf Mitbestimmung. Es bevorteilte nach dem Vorbild des Führerstaates einseitig die Unternehmer, die wiederum durch einen starken Staat bevormundet wurden, der ihnen die Richtlinien zur Gestaltung der Arbeits- und Lohnbedingungen diktierte. Es eröffnete schließlich Unternehmern und Staat die Möglichkeit, die individuellen, bis dahin durch das Arbeitsvertragsverhältnis abgesicherten Rechte der Arbeitnehmer massiv einzuschränken, wenn es der nationalsozialistischen »Betriebsgemeinschaft« zu nutzen versprach.88 87 RGB l.I 1934, S.45-56. 88 Timothy W. Mason: Zur Entstehung des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit, vom 20. Januar 1934. Ein Versuch über das Verhältnis »archaischer« und »moderner« Momente in der neuesten deutschen Geschichte,

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Das Ministerium, so schilderte es der Leiter der Abteilung III , Werner Mansfeld, im Rückblick, war von der Zerschlagung der Gewerkschaften völlig überrascht worden und geriet daher Anfang Mai 1933 unter enormen Handlungsdruck. Belegt ist, dass die Abteilung  III sofort Beratungen mit dem Reichswirtschaftsministerium sowie Robert Ley von der neu gegründeten Deutschen Arbeitsfront aufnahm, um die Gesetzeslage anzupassen. Das erste in der Folge formulierte Gesetz war das »Treuhändergesetz« vom 19. Mai 1933.89 Sogenannte »Treuhänder der Arbeit« sollten zukünftig anstelle der staatlichen Schlichter die Lohn- und Tarifverhältnisse gestalten sowie die Einhaltung des »Arbeitsfriedens« kontrollieren. Das Ministerium schuf mit den »Treuhändern der Arbeit« eine neue nachgeordnete Behörde, auch, um das nach der Auflösung der Gewerkschaften entstandene Vakuum zu füllen. Am 8. Dezember 1933 lag dann der erste Entwurf des »Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit« vor, der das Kabinett trotz seiner außergewöhnlichen Bedeutung ohne große Diskussion passierte.90 In seltener Deutlichkeit hat Werner Mansfeld aus der Retrospektive die inhaltliche und auch moralische Verantwortung als der maßgebliche Verfasser dieses Gesetzes übernommen. Er beschreibt zugleich, welche politischen Anforderungen das Ministerium berücksichtigen musste und welchen Druck Robert Ley am Verhandlungstisch ausübte: »Bei seiner heutigen Beurteilung [des AOG ; U.S.] darf man aber nicht übersehen, dass gewisse Grundsätze unabänderlich feststanden und von der damaligen Staatsführung ausdrücklich angeordnet waren, so die Verwirklichung des Führerprinzips im Betriebe und die Ausschaltung der Beteiligten bei der Festsetzung der Arbeitsbedingungen. […] In allen Beratungen über eine künftige Arbeitsverfassung für die er [Robert Ley] die Federführung beanspruchte, ohne sie aber wegen meines Widerstands zu erhalten, forderte Dr.

in: Hans Mommsen/Dietmar Petzina/Bernd Weisbrod: Industrielles System und politische Entwicklung in der Weimarer Republik, Düsseldorf 1977, S.322-351; Andreas Kranig: Lockung und Zwang. Zur Arbeitsverfassung im Dritten Reich, Stuttgart 1983; Rüdiger Hachtmann: Industriearbeit im »Dritten Reich«. Untersuchungen zu den Lohn- und Arbeitsbedingungen in Deutschland 1933-1945, Göttingen 1989. 89 RGB l.I 1933, S.285; zu den Treuhändern der Arbeit und der Rolle des Reichsarbeitsministeriums siehe den Betrag von Sören Eden in diesem Band, auf den ich mich im Folgenden beziehe. 90 Reichskanzlei, betr. Nr.284, Ministerbesprechung vom 12.  Januar 1933, in: Akten der Reichskanzlei, Bd.1, Teil 1 (Anm.52), S.1070-1072.

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Ley  – unterstützt von der Parteikanzlei  – eine straffe militärische Ordnung.«91 Wie eng das Reichsarbeitsministerium von Beginn an in die nationalsozialistische Politik eingebunden war und auf welche Weise es diese aufgrund seiner Aufgaben ermöglichte und in konkrete Lösungen überführte, zeigen die Entwicklungen der arbeitsrechtlichen Bestimmungen. Das Ministerium war weiterhin – wie in der Weimarer Republik, aber unter anderen politischen Vorzeichen  – Empfänger politischer Direktiven. Zugleich zeigte sich auch das spezifische Eigeninteresse der Organisation, eine Lösung zu finden, um gegenüber der neu gegründeten Deutschen Arbeitsfront die Kontrolle über die eigene Zuständigkeit zu behaupten und angestammte Daueraufgaben nicht abzugeben. Die dafür nötigen Anpassungen an die Vorgaben der politischen Führung setzte man hierfür umstandslos um, bis hinein in die Sprache: »Wie im nationalsozialistischen Staatswesen so herrscht auch im Betrieb das Prinzip der autoritären Führung, aber auch der ungeteilten und strengen Verantwortung des Führers.«92 Der Einzug autoritärer Verhältnisse in das Arbeitsrecht und eine umfassend angelegte staatliche Kontrolle in der Lohn- und Tarifpolitik durch die Treuhänder sekundierten auf diese Weise die gewalttätigen Maßnahmen und den Terror gegen die organisierte Arbeiterbewegung und ihre politischen Führer – die Auflösung der Gewerkschaften, das Verbot von KPD und SPD . Weniger prominent, jedoch kaum minder dramatisch in ihren Auswirkungen für die Betroffenen waren die neuen Gesetzeswerke zur Rentenversicherung. Konkret handelte es sich um das »Sanierungsgesetz« vom 7.  Dezember 1933 sowie das sogenannte »Aufbaugesetz« vom 5. Juli 1934.93 Durch die beiden Gesetze kam es zur Senkung der Renten und Erhöhung der Beiträge. Die Auszahlung der Rente wurde viel stärker als je zuvor an die Leistungs- und Arbeitsfähigkeit der 91 Werner Mansfeld, betr. Lebenslauf und politische Betätigung, 1947, Bundesbeauftragte(r) für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR , MfS BV Halle, Ast 7473, Bl.23. 92 Karl Andres: Das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20. Januar 1934, in: RAB l.II (1934), S.37. 93 Karl Teppe: Zur Sozialpolitik des Dritten Reiches am Beispiel der Sozialversicherung, in: Archiv für Sozialgeschichte 17 (1977), S.195-250; Eckart Reidegeld: Staatliche Sozialpolitik in Deutschland, Bd.2: Sozialpolitik in Demokratie und Diktatur 1919-1945, Wiesbaden 2006, S.447-454; sowie den Beitrag von Alexander Klimo in diesem Band, auf den ich mich im Folgenden beziehe.

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Menschen gekoppelt und nicht mehr allein aus der erworbenen Anwartschaft aufgrund der Beitragszahlung abgeleitet. Im Fahrwasser der nationalsozialistischen Propagierung einer Volks- und Leistungsgemeinschaft veränderten die beiden Gesetze so in grundsätzlicher Form den Charakter des in Jahrzehnten zuvor entwickelten Versicherungsverhältnisses.94 Zusätzlich wurde in ihrem Gefolge auch die Möglichkeit der Beschwerde für die Versicherten eingeschränkt. Insgesamt lässt sich feststellen, dass das Ministerium auch im Geschäftsbereich der Rentenversicherung auffallend schnell autoritäre Maßnahmen einführte. In diesem Geschäftsbereich wurde es jedoch anders als beim Arbeitsrecht nicht durch die neue politische Lage ausgelöst, sondern durch die finanzielle Krise der Sozialversicherung aufgrund der Weltwirtschaftskrise. Denn die vom Ministerium erdachten Maßnahmen waren bereits vor der Machtübernahme intensiv diskutiert worden und lagen wohl in der Schublade bereit. Die Anpassungen an die nationalsozialistische Programmatik zur Arbeitsbeschaffung setzten jedoch einen neuen Rahmen und machten eine solch rigide Sparpolitik auf Kosten der Versicherten überhaupt erst möglich. Den beteiligten Beamten des Ministeriums war das durchaus bewusst. Staatssekretär Johannes Krohn, der lange Zeit in der Hauptabteilung II gearbeitet hatte, formulierte anlässlich der Veröffentlichung des »Aufbaugesetzes«, dass eine solche Regelung nur »durch eine rein autoritäre Regierung, niemals in einem Parlament« abgesegnet worden wäre.95 In seiner Bedeutung für die Regierung Hitler überragten die Arbeitsverwaltung und die Arbeitsmarktpolitik noch einmal alle anderen Geschäftsbereiche des Reichsarbeitsministeriums in den Jahren bis 1936.96 An sein Versprechen, die Arbeitslosigkeit spürbar zu senken, hatte Hitler mit propagandistischem Aufwand seine Kanzlerschaft gebunden. Über die konkreten Schritte in der »Arbeitsschlacht«, wie es martialisch im Jargon der Nationalsozialisten hieß, die Arbeitsbeschaffungsprogramme, die Einführung des Arbeitsdienstes sowie die staatlichen Investitionen in die Branchen, die der militärischen

94 Michael Stolleis: Historische Grundlagen. Sozialpolitik in Deutschland bis 1945, in: Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (Hg.): Geschichte der Sozialpolitik seit 1945, Bd.1: Grundlagen der Sozialpolitik, Baden-Baden 2001, S.199-332, hier S.208-210, 223f. 95 Aussage Johannes Krohn am 2. Dezember 1933, zit. nach Teppe: Sozialpolitik (Anm.93), S.217. 96 Siehe hierzu den Beitrag von Henry Marx in diesem Band, auf den ich mich im Folgenden beziehe.

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Aufrüstung dienten, ist viel geschrieben worden.97 Nicht bei allen diesen Regelungen standen jedoch das Reichsarbeitsministerium und die Reichsanstalt im Mittelpunkt des Geschehens. Hatte das Ministerium seine Zuständigkeit über dieses Politikfeld bereits am Ende der Weimarer Republik teilweise eingebüßt, verstärkte sich diese Tendenz nun weiter. In Sachen »Arbeitseinsatz« griff nun eine wachsende Anzahl von NSDAP -Funktionären und Parteiorganisationen ein. Diese Tendenz verstärkte sich in der unmittelbaren Kriegsvorbereitung und dann während des Krieges und der Expansion noch. Allerdings gilt es auch hier wieder einzuschränken, dass diese Übernahmen vor allem die höchste politische Entscheidungsebene anbetraf. Ministerium und Reichsanstalt behielten stets den direkten Zugriff auf die konkrete Umsetzung in der Verwaltungspraxis – und damit erheblichen Spielraum für eigene Regulierung. Und auch hier entwickelten und empfahlen die Mitarbeiter von Reichsanstalt und Ministerium sukzessive bis 1939 Maßnahmen, die enormen Zwang auf die Beschäftigten ausübten. Besonders erwähnt seien die Einführung eines Arbeitsbuches im Jahr 1935 sowie die Einführung der Dienstverpflichtung im Jahr 1938. Während das Arbeitsbuch dazu diente, personenbezogene Daten der Arbeitnehmer zu sammeln, konnte man ihnen über den Hebel der Dienstverpflichtung zwangsweise einen Arbeitsplatz zuweisen. Beide Instrumente waren die Voraussetzung beziehungsweise der Hebel, die Arbeitskräfte zu »lenken« und dem Bedarf der Rüstungswirtschaft »anzupassen«, wie es euphemistisch hieß. Im Nationalsozialismus und für die Kriegswirtschaft wurden  – und blieben  – die Informationsbeschaffung über die Arbeitskräfte sowie die darauf aufbauende Koordination der Arbeitskräfteerfassung und -lenkung zum Kerngeschäft des Ministeriums. Die wenigen hier ausgewählten Beispiele aus den zentralen Aufgabenbereichen des Reichsarbeitsministeriums veranschaulichen wichtige Zusammenhänge für die institutionelle Verankerung der Behörde insgesamt. Es war nicht allein die Aufgabe des Ministeriums, Gesetze 97 Siehe als gute Einführung in die unterschiedlichen Aspekte der Thematik jüngst Marc Buggeln/Michael Wildt (Hg.): Arbeit im Nationalsozialismus, München 2014; Detlev Humann: Arbeitsschlacht, Arbeitsbeschaffung und Propaganda in der NS -Zeit 1933-1939, Göttingen 2011; Silverman (Anm.57); Hans-Walter Schmuhl: Arbeitsmarktpolitik und Arbeitsverwaltung in Deutschland 1871-2002. Zwischen Fürsorge, Hoheit und Markt, Nürnberg 2003; Kiran Klaus Patel: »Soldaten der Arbeit«. Arbeitsdienste in Deutschland und den USA 1933-1945, Göttingen 2003.

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und Verordnungen aufzulegen, sondern vor allem die daraus notwendigen Lösungen für die praktische Umsetzung zu bedenken und abzuleiten. Beide Bereiche müssen in die Analyse und Bewertung der scheinbar umstandslos vollzogenen, »selbsttätigen Gleichschaltung und Anpassung« (Martin Broszat) einbezogen werden. Dennoch bleibt es aus rückblickender Perspektive außerordentlich schwierig, aus dem Handeln der Beamtenschaft heraus auch ihre politische Haltung zu bewerten. Problematisch ist es überdies, ein spezifisches Maß individueller Verantwortung für diese Verwaltungsvorgänge zu benennen, die explizit nicht nach individuellem Ermessen des einzelnen Beamten abliefen. Zwar handelt es sich beim Berufsbeamtentum nicht um Zwangsorganisationen wie die Polizei oder die Armee, doch auch hier gab es strikte Hierarchien sowie formalisierte und nichtpersonalisierte Kommunikations- und Weisungsstrukturen, denen die Beamten zu entsprechen hatten.98 Zugleich wurden die Mitarbeiter des Reichsarbeitsministeriums – wie die Beamten der anderen Ressorts – sehr früh und umfassend mit jenen Veränderungen konfrontiert, die den Herrschaftsanspruch des NS -Regimes in allen Lebens- und Arbeitsbereichen verankern sollten. Bereits im Juli 1933 wurde der sogenannte »Deutsche Gruß« als offizielle Grußform im Ministerium eingeführt. Auf Grundlage eines Rundschreibens des Ministeriums des Innern wurden die Mitarbeiter darüber informiert, dass von ihnen erwartet wurde, nicht nur in der Behörde, sondern sogar »außerhalb des Dienstes« den Hitler-Gruß zu entbieten.99 Spielräume, sich dem zu entziehen, gab es sicherlich individuell, innerhalb eines Büros oder einer Abteilung, doch auch sie wurden, so ist anzunehmen, im Laufe der Zeit seltener. Um etwaige Abweichungen von der offiziellen politischen Linie zu verhindern, setzte das NS -Regime in seiner Beamtenpolitik auf eine diffuse Kombination aus Propaganda, Einschüchterung und Anreizen, die auch an grundsätzlichen Fragen des Beamtenverhältnisses rührte. Diese fand ihren Niederschlag im Reichsarbeitsministerium: im Juli 1933 wurde der Aushang politischer Plakate in den Diensträumen des Reichsarbeitsministeriums ausdrücklich angeordnet  – ein sichtbarer und prägnanter Bruch mit der Weimarer Republik, in der eine politi98 Stefan Kühl: Ganz normale Organisationen. Zur Soziologie des Holocaust, Berlin 2014, S.22-25. 99 Runderlass des Reichsarbeitsministeriums, 19.7.1933, Bl.42. Die folgenden Ausführungen beruhen auf den Nachrichtenblättern und Runderlassen des Ministeriums in seinem Geschäftsbereich 1933-1939.

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sche Betätigung der Beamtenschaft privat zugelassen, aber im Dienst untersagt war. Nun wurden die Beamten explizit dazu aufgefordert, sich als politisch aktive Volksgenossen zu begreifen und ihre Rolle auch nach außen so zu vertreten. Alle Beamten im Geschäftsbereich wurden extra zu Wahlen und Volksabstimmungen, Parteitagen und Leibesübungen freigestellt. Die Teilnahme blieb zwar freiwillig und doch erfasste die Anforderung der »politischen Vorreiterrolle« jeden Einzelnen und erneuerte dabei stets die Frage nach der Staatstreue. Nicht unerheblich war, vor allem auf Ebene derjenigen Beamten, die noch nicht am Ende der Karrierestufe angekommen waren, dass sich mit ihrem individuellen Einsatz für politische Belange Anerkennung und institutionelle Unterstützung verbanden, etwa bezahlter Sonderurlaub. Die neuen Verhältnisse muteten den Beamten als definierte und privilegierte Staatsdiener mehr als anderen Berufsgruppen zu, ihre privaten Angelegenheiten dem Arbeitgeber regelmäßig mitzuteilen. Über sie wurden fortan von der NSDAP politische Beurteilungen angefertigt, sie hatten nachzuweisen, dass nicht nur sie, sondern auch ihre Ehefrauen »arisch« waren und sie keinen »marxistischen« Parteien angehört hatten. Diejenigen Mitarbeiter im Ministerium, die versuchten, sich solchen Stellungnahmen zu entziehen, mussten mit teils drakonischen Maßnahmen rechnen. Wer ab 1936 aus der NSDAP wieder austreten wollte, wurde mit der Entlassung aus dem Ministerium bedroht.100 Nichtbeamtete Hilfskräfte, die bei der Durchführung des »Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« unzutreffende Angaben über frühere Parteimitgliedschaften oder ihre »arische« Abstimmung gemacht hatten, wurden ab Dezember 1933 fristlos entlassen.101 Die Ministerialbeamten waren zudem regelmäßig mit Verwaltungsaufgaben konfrontiert, die dazu dienten, einzelne Aspekte der nationalsozialistischen Ideologie zu implementieren und den Zugriff der politischen Führung auf einzelne Personen oder Bevölkerungsgruppen zu erleichtern. Denn ein wesentlicher Teil der Daueraufgaben der Berliner Zentrale bestand darin, Daten aus dem gesamten Geschäftsbereich zu sammeln, auszuwerten und bereitzustellen: Es gab statistische Daten zur Arbeitsvermittlung und Konjunkturverläufen, Branchenentwicklungen und Arbeitsschutz. Gesammelt und aggregiert wurden aber auch personenbezogene Daten von Versicherten, Anspruchsberechtigten oder Kranken. Diese Informationen wurden nun für die mit der na100 Nachrichtenblatt des Reichs- und preußischen Arbeitsministeriums (21.3.1936), Bl.17. 101 Runderlasse des Reichsarbeitsministeriums, 19.12.1933, Bl.73.

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tionalsozialistischen Diskriminierungs- und Verfolgungspolitik direkt befassten Behörden relevant. So wurde das Ministerium beispielsweise im Januar 1935 aufgefordert, dazu beizutragen, die medizinischen Unterlagen jener Untersuchungen, »die die körperliche und seelische Eignung und, zum größeren Teil, auch die Erbanlagen« von Parteianwärtern und Bewerbern für die verschiedenen NS -Organisationen feststellen sollen, besser zugänglich zu machen.102 Der Herausgabe dieser und anderer Akten konnten sich die Beamten kaum verweigern, und sie wurden so zu Komplizen der rassistischen und antisemitischen Politik im nationalsozialistischen Staat. Zusammenfassend übernahm das Reichsarbeitsministerium aufgrund der von ihm verantworteten Daueraufgaben einen wichtigen Teil der staatlichen Aufgaben im Nationalsozialismus. Ganz eindeutig lässt sich beobachten, dass Seldtes Ressort zwischen 1933 und 1945 keineswegs an Relevanz oder politischer Präsenz einbüßte. Den Nationalsozialisten war bewusst, dass sie auf die bestehenden Verwaltungsstrukturen und die Expertise des Ministeriums angewiesen waren, wenn sie die Arbeits- und Sozialpolitik in ihrem Interesse nutzen wollten. Die Bedeutung seiner einzelnen Geschäftsbereiche variierte im zeitlichen Verlauf und muss für jedes Politikfeld des Ministeriums im Einzelnen analysiert werden. Zudem waren die Bedingungen, unter denen alle Abteilungen des Ministeriums arbeiteten, abhängig von den ideologischen und politischen Schwerpunktverschiebungen der Regierung Hitler. Besonders sichtbar wurde dies mit der beschleunigten Aufrüstung ab 1936 und Hitlers aggressiver Expansionspolitik seit Beginn des Jahres 1938 sowie im Krieg. 5. Das Reichsarbeitsministerium unter den Bedingungen nationalsozialistischer Expansion und Kriegswirtschaft 1938-1945: Der 1936 beginnende Vierjahresplan stellte eine wesentliche Zäsur für die Bereiche Arbeitsverwaltung und Lohnpolitik dar.103 Hermann Göring, der Beauftragte Hitlers für den Vierjahresplan, errichtete in seiner gleichnamigen Behörde eine eigenständige Geschäftsstelle für den Arbeitseinsatz.104 Die neue Geschäftsstelle unterstand der Leitung von Friedrich 102 Runderlasse des Reichsarbeitsministeriums, 16.1.1935, Bl.3. 103 Dietmar Petzina: Autarkiepolitik im Dritten Reich. Der nationalsozialistische Vierjahresplan, Stuttgart 1968; sowie Adam  J. Tooze: Ökonomie der Zerstörung: Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus, aus dem Engl. von Yvonne Badal, München 2007, S.248-288. 104 Hermann Göring, betr. Entwurf und Begründung der Kabinettsvorlage eines Zweiten Gesetzes zur Durchführung des Vierjahresplans über die Regelung

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Syrup und Werner Mansfeld aus dem Reichsarbeitsministerium. Nach außen hin hatte sie die Aufgabe, den seit 1936 spürbar werdenden Facharbeitermangel in den kriegswichtigen Industrien zu entschärfen.105 In der internen Organisation der mit dem Arbeitseinsatz befassten Dienststellen übernahm die neue Vierjahresplanbehörde nun die grundlegende Koordination in der verstärkten Aufrüstung und Kriegsvorbereitung. Diese Entwicklung galt ebenso für andere Ressorts, insbesondere aber für das Wirtschaftsministerium. Die Ressorts erhielten nicht nur neue Aufgaben zugewiesen, sondern erlebten auch eine Veränderung in der Weisungshierarchie. Göring konnte seither über die Ressourcen der betreffenden Ressorts verfügen und war im Zweifel gegenüber den Ministern weisungsbefugt, und er nahm dieses Recht auch in vielen Fällen wahr. Diese Übernahme geschah größtenteils geräuschlos und wurde zumindest im Reichsarbeitsministerium kaum in Frage gestellt, da die leitenden Beamten des Ministeriums die Initiative für Sachthemen behielten. Dennoch wurde die Verschiebung der Kompetenzen zum ersten Ausweis eines prägnanten Merkmals der Hitler-Regierung, welches das Reichsarbeitsministerium mit seinen diversen Zuständigkeiten besonders betraf: das auswuchernde Kommissarwesen. Hitler setzte immer wieder verschiedene Kommissare oder Sonderbevollmächtigte ein, die teils mit, teils ohne eigene Behördenorganisation und -unterbau eine spezifische und temporäre Aufgabe vermeintlich schneller, flexibler und »unbürokratischer« ausführen sollten.106 Für die Ministerien bedeutete dieser Zuwachs an neuen Behörden und Dienststellen in ihren Geschäftsbereichen nicht nur eine Konkurrenz um Zuständigkeit und Ressourcen. Viel schwerer wog, dass es mehr und mehr Behörden und Dienststellen der Partei gab, die sich an den formalisierten und rechtsförmigen Dienstweg nicht gebunden fühlten – und es auch nicht waren. Damit geschah es im Laufe der Zeit immer öfter, dass die Ressorts im Zweifel weder gehört noch hinzugezogen wurden. Dies bedeutete nicht nur eine machtpolitische Einbuße, sondern es mangelte vor allem an einer zentralen und inhaltlichen Koordination parallel verlaufender Arbeiten. Die Reichskanzlei konnte diese Abstimmung nicht dauerhaft leisten, da auch sie zunehdes Arbeitseinsatzes, 22.10.1936, in: Hans Günter Hockerts/Friedrich  P. Kahlenberg (Hg.): Akten der Reichskanzlei. Regierung Hitler 1933-1945, Bd.3: 1936, München 2002, S.567-575. 105 Flügge: Arbeitseinsatz im Vierjahresplan, in: RAB l.II (1936), S.471-473. 106 Rüdiger Hachtmann/Winfried Süß (Hg.): Hitlers Kommissare. Sondergewalten in der nationalsozialistischen Diktatur, Göttingen 2006.

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mend, spätestens aber im Krieg, an Bedeutung für Hitlers Entscheidungen verlor. Im Zuständigkeitsbereich des Reichsarbeitsministeriums sind in diesem Zusammenhang die Einsetzung von Gauleiter Fritz Sauckel zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz (GBA ) ab März 1942 sowie diejenige von Robert Ley als Reichswohnungskommissar im Oktober 1942 zu erwähnen.107 Die Ernennung gleich zwei weiterer Sonderbevollmächtigter hatte eine immense Außenwirkung. Sie brachten – kolportiert vor allem von Albert Speer – dem Reichsarbeitsministerium den Ruf als »Rumpfministerium mit einem schwachen Minister« ein.108 Allerdings standen die Ernennungen in keinem inhaltlichen oder sonstigen Zusammenhang zueinander, sondern unterschieden sich deutlich voneinander. Pointiert ließe sich zusammenfassen, dass Robert Ley zahlreiche Probleme für das Ministerium erzeugte, während die Einsetzung von Fritz Sauckel ein gewichtiges Problem für das Ministerium löste. Dass Robert Ley vor allem um Zuständigkeiten kämpfte, um dann gleich »einen neuen Kampf um neue Kompetenzen aufzunehmen«, bestätigt sich am Beispiel seiner Arbeit als Reichskommissar für den Wohnungsbau.109 Er war nicht an der Sacharbeit interessiert, agierte sprunghaft und vielfach diffus. Er setzte eigene Mitarbeiter ein, denen er bei nächster Gelegenheit das Vertrauen wieder entzog.110 Bei 107 Siehe zum GBA den Beitrag von Swantje Greve in diesem Band. Robert Ley wurde bereits 1940 zum »Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau« bestimmt. Ihm stand für diese  – vor allem symbolpolitische  – Einsetzung allerdings nur eine Abteilung des Reichsarbeitsministeriums zur Verfügung, der er wiederum nur eingeschränkt Weisungen erteilen konnte. Zu Leys großer Enttäuschung erhielt er auch nur ein kleines Büro im Gebäude des Reichsarbeitsministeriums, hatte keine Richtlinienkompetenz, erheblich eingeschränkte Weisungsbefugnis und verwaltete keine Finanzen des Ministeriums. Aus diesem Grund scheint es nicht gerechtfertigt, bis Ende 1942 von einer eigenständigen Sonderbehörde zu sprechen. Vgl. zur Rolle Leys als Sonderkommissar für das Wohnungswesen die Beiträge von Christian Führer und Rüdiger Hachtmann in diesem Band; sowie Marie-Luise Recker: Der Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau. Zu Aufbau, Stellung und Arbeitsweise einer führerunmittelbaren Sonderbehörde, in: Dieter Rebentisch/Karl Teppe (Hg.): Verwaltung contra Menschenführung im Staat Hitlers. Studien zum politisch-administrativen System, Göttingen 1986, S.333-350. 108 Rebentisch: Führerstaat (Anm.71), S.390. 109 Ebd., S.336. 110 Leo Killy, betr. Kompetenzstreit Reichswohnungskommissar, 22.9.1941, BA rch R43 II /1009, Bl.151-156.

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näherer Betrachtung zeigt sich außerdem, dass die Mitarbeiter des Ministeriums nun zwar unter seiner Weisung arbeiteten, die Routinen aber weitgehend unabhängig von ihm aufrechterhielten. Die Bilanz seiner Tätigkeit blieb entsprechend einflusslos, was nicht zuletzt daran lag, dass der Wohnungsbau im Krieg eingestellt wurde, Baustoffe für die Kriegsaufgaben benötigt wurden und Leys Visionen für einen sozialen Wohnungsbau mitten im Luftkrieg unrealistisch und bizarr anmuten mussten. Insofern ließe sich argumentieren, dass Ley als Reichswohnungskommissar ein typisches Beispiel eines dilettantischen Parteifunktionärs darstellte, der Chaos in die staatlichen Verwaltungsstrukturen brachte und damit mehr Probleme schaffte, als sie »unbürokratisch« zu lösen. Ganz anders sah die Lage in der Arbeitsverwaltung aus. Der Arbeitseinsatz war schon seit dem Vierjahresplan 1936 als kriegswichtig eingeschätzt worden; er sollte sich schon bald zu einem kriegsentscheidenden Faktor entwickeln.111 Schon vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges hatten ganz verschiedene Akteure auf der obersten Führungsebene versucht, ihre jeweiligen Vorstellungen zum Arbeitseinsatz durchzusetzen. Ab 1938 meldeten etwa neu eingesetzte Reichsverteidigungskommissare neben den Behörden der Wehrmacht ihre Ansprüche an.112 Mit Ausbruch des Krieges kamen die von Hitler eingesetzten Gauleiter, Militärbefehlshaber, Reichsprotektoren und anderen Beauftragten in den besetzten Gebieten hinzu. Sie alle erhielten unterschiedliche Befugnisse und Zugriffsrechte auf die Arbeitskräfte. Insofern waren das Reichsarbeitsministerium und seine Arbeitsverwaltung in der Fläche zwar in allen Belangen zuständig, verloren jedoch zunehmend an konkreter Macht, da eine zentrale und übergreifende Koordination des Arbeitseinsatzes im Reich und in den besetzten Gebieten fehlte. Eine solche Koordination war jedoch in der Ausnahmesituation des Krieges und angesichts der immensen territorialen Ausdehnung die notwendige Voraussetzung für eine effiziente Arbeitsverwaltung.

111 Zum Arbeitseinsatz im Zweiten Weltkrieg vgl. Ulrich Herbert: Fremdarbeiter. Politik und Praxis des »Ausländer-Einsatzes« in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Berlin 1986; ders. (Hg.): Europa und der »Reichseinsatz«. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und KZ -Häftlinge in Deutschland 1938-1945, Essen 1991; sowie zur weiterführenden Literatur und der spezifischen Rolle des Reichsarbeitsministeriums die Beiträge von Elisabeth Harvey, Henry Marx sowie Michael Wildt in diesem Band. 112 Hauptabteilung  I, Wehrwirtschaft, Reichsverteidigungskommissare, 19381941, BA rch R3901/20536.

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Letztlich löste erst die Etablierung des GBA ab März 1942 die Durchsetzungsprobleme des Ministeriums. Anders als Ley unterminierten Sauckel und seine Planungsstäbe nicht die Steuerungsfunktion, Expertise und Organisation des Ministeriums. Vielmehr bedienten sie sich umstandslos der Abteilungen des Ministeriums und dessen Ressourcen im Instanzenzug der Arbeitsverwaltung, wenn nötig auch gegen Minister Seldte, der Zugeständnisse machen musste. Sauckel ließ sich nicht in Personalfragen hineinreden, gründete eine neue Hauptabteilung VI (Europaamt für den Arbeitseinsatz) sowie mehrere Referate und gab Weisungen nach eigenem Gutdünken aus. Dies mochte für den Ruf und die Wertschätzung Seldtes zum Problem werden, doch es entlastete das Ministerium erheblich, denn dadurch blieben die mit dem Arbeitseinsatz befassten Abteilungen des Ministeriums arbeitsfähig. Dies steigerte die Effizienz der Maßnahmen im Reichseinsatz und der Rekrutierung von Fremdarbeitern und Zwangsarbeitern – mit fatalen Konsequenzen für Millionen von Menschen in ganz Europa. Der Person Sauckels kam hier zentrale Bedeutung zu. Er übernahm für das Ministerium die Diplomatie auf höchster Ebene und hielt die Parteifunktionäre und Gauleiter im »Altreich« und in den besetzten Gebieten im Zaum, wozu er die nötige Autorität und Befugnisse besaß. Er hatte den direkten Zugang zu Hitler und konnte auch Konkurrenten wie Speer auf dem Feld der Arbeitskräfterekrutierung Paroli bieten. Insofern spiegelt der GBA die »Elastizität«, »Flexibilität« und »katastrophale Effizienz« einer Verwaltungsorganisation, in der die bestehende Fachverwaltung mit intelligenten und durchsetzungsstarken Parteifunktionären eine Zusammenarbeit entwickelte, die die vergleichsweise lange Dauer und Effizienz des nationalsozialistischen Staates, vor allem während des Krieges, erklärt.113 Über die formale Position wie machtpolitische Stärke, Entscheidungen auf höchster Ebene durchzusetzen, verfügten Seldte, seine Staatssekretäre (Engel, Krohn, Syrup) und leitendenden Mitarbeiter seit Ende 1938 kaum noch. Die Gründe dafür stehen eindeutig in Verbindung mit der Wende von Hitlers Politik von der innen- und außenpolitischen Stabilisierung hin zu einem Prozess radikaler Expansionspolitik. 113 Ulrich Herbert: Werner Best. Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft, Berlin 1997; Sven Reichardt/Wolfgang Seibel: Radikalität und Stabilität. Herrschen und Verwalten im Nationalsozialismus, in: dies. (Hg.): Der prekäre Staat. Herrschen und Verwalten im Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 2011, S.7-27; sowie Rüdiger Hachtmann: Elastisch, dynamisch und von katastrophaler Effizienz. Zur Struktur der Neuen Staatlichkeit des Nationalsozialismus, in: ebd., S.29-74.

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Das neue politische Klima wurde für das Reichsarbeitsministerium ab März 1938 mit der Annexion Österreichs greifbar. Der sogenannte »Anschluss« war für die verantwortlichen Beamten des Reichsarbeitsministeriums die erste Übernahme im Zuge der nationalsozialistischen Expansionspolitik. Sie sollte für die Organisation des Ministeriums und für die Beamten nicht nur wegen der erstmalig ausgeübten Rolle als Besatzer eine richtungsweisende Erfahrung werden, sondern sie beschränkte auch die zukünftigen Kompetenzen und politische Bewegungsfreiheit des Reichsarbeitsministeriums auf drastische Weise. Nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Wien hatte Hitler den österreichischen Staat zu deutschem Reichsgebiet erklärt, was bedeutete, dass die deutsche Verwaltungsorganisation in Österreich eingerichtet werden sollte. Für die verantwortlichen Beamten des Ministeriums stand außer Frage, dass die Verwaltungsbehörden in der »Ostmark« – von den Treuhändern der Arbeit bis zur Angestelltenversicherung – exakt den deutschen Pendants entsprechen mussten. Anders sahen sie sich angesichts der heterogenen Verwaltungsorganisation nicht in der Lage, die gestellten Aufgaben zu bewältigen.114 Doch kaum dass die zuständigen Beamten die ersten Schritte eingeleitet hatten, sahen sie sich durch Parteifunktionäre aus dem Stab des Kommissars zur Überleitung Österreichs, Josef Bürckel, massiv bekämpft. Mit Hitlers Rückendeckung wollten Bürckel und einige Gauleiter den außenpolitischen Erfolg des »Anschlusses« nutzen, um sich gegenüber der Reichsverwaltung mehr Handlungsspielräume zu sichern. Die Gaue sollten alle Verwaltungskompetenzen in der Mittelstufe unter Führung der Gauleiter vereinen. Die zentrale Reichsverwaltung in Berlin sollte entsprechend ihre Zuständigkeitsbereiche und ihre Budgethoheit in den Ländern aufgeben. Bürckel forderte bewusst solch weitreichende Kompetenzen von den Fachministerien ein, dass diese sich dagegen verwahren mussten. Bürckel verstand es, den daraus entstehenden Streit für seine Zwecke zu nutzen. Die Auseinandersetzungen kosteten Zeit und schufen ein Vakuum in der Sacharbeit der Ressorts, denn die Entscheidung über die Neueinteilung der Verwaltungsbezirke in Österreich blieb aus. Ohne diese Verwaltungsbezirke konnten die Ministerien ihre nachgeordneten Bereiche nicht einrichten. Währenddessen 114 Siehe zum Folgenden Reichskanzlei an Wilhelm Frick, betr. Österreichund Saarpfalzgesetz, 6.8.1938, BA rch R43  II /1353a und 1357; sowie Ulrike Schulz: The First Takeover. The Implementation of Social Policy Measures in Austria by the Reich Labour Ministry after the Anschluss, in: Sandrine Kott/Kiran Klaus Patel (Hg.): Fascist Internationalism (im Erscheinen).

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nahmen Bürckel und sein Stab vor Ort wesentliche Entscheidungen vorweg. Sie besetzten Schlüsselpositionen mit Vertrauten und hielten die Referenten der Ministerien von Entscheidungsrunden gezielt fern. Das Reichsarbeitsministerium mit seinem weitverzweigten Verwaltungsunterbau betraf diese Strategie ganz wesentlich. So wurde das Ministerium bei der Entscheidung, das Bundesministerium für Soziale Verwaltung in Wien – also das Pendant zum Ministerium auf österreichischer Seite  – aufzulösen, schlicht nicht beteiligt.115 Bürckel nahm die Einteilung letztlich selbst vor und übertrug die Zuständigkeiten des Ressorts auf andere Ministerien. Auch symbolpolitisch wurde der neue Kurs Hitlers nun relevant. Im Juni 1938 wurde Reichsarbeitsministers Franz Seldte im Zuge der Einsetzung eines neuen Treuhänders der Arbeit für Österreich offen angegriffen. Anlässlich eines Besuchs in Wien war er gebeten worden, sich für den von Bürckel vorgeschlagenen Kandidaten, Alfred Proksch, einen Schulkameraden des »Führers«, einzusetzen. Nach den üblichen Gepflogenheiten des Dienstwegs ließ Seldte über seinen Staatssekretär mitteilen, dass sich der Kandidat bei ihm in Berlin vorstellen möge. Proksch fuhr jedoch nicht nach Berlin, sondern geradewegs in das Büro des bisherigen Treuhänders, kündigte dessen Telefonleitung und Mietvertrag und verfügte »den Umzug seiner Behörde«.116 Die Personalie Proksch musste kurze Zeit später vom Reichsarbeitsministerium bestätigt werden. Solche Vorkommnisse waren im Geschäftsgang von Ministerien unerhörte Provokationen, die zu erwidern für das Ministerium äußert schwierig war, da sie von der Regierung selbst ausgingen. Das politische Ränkespiel gelang Bürckel auch deswegen, weil Hitler ihm freie Hand ließ, um die Ministerialverwaltung aus der Länderverwaltung zurückzudrängen. Dieses Ziel wurde vor allem in den Regelungen zur Verwaltungsorganisation der neu besetzten Gebiete Sudetenland, dem Reichsprotektorat Böhmen und Mähren sowie bei der Besetzung Polens deutlich: Außer in den Bereichen Finanzen, Post und Reichsbahn wurden die verbliebenen Ressorts in den Reichsgauen zugunsten der Gauverwaltung, in den besetzten Gebieten durch teilweise ganz verschiedene Besatzungsbehörden (Reichsprotektor, Militär- oder Zivilkommissare, SS ) weitgehend aus den politischen Entscheidungsprozessen gedrängt. 115 Franz Seldte, Aufbau der Verwaltung in der Ostmark, 27.4.1939, BA rch R3901/1771, Bl.31-33. 116 Hans Engel, Vermerk: Treuhänder Proksch, 2.6.1938, BA rch R3901/1770, Bl.194.

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Für das Reichsarbeitsministerium wie für alle anderen betroffenen Ministerien bedeutete diese Zurücksetzung einen klaren Machtverlust in ihrer Durchsetzungsfähigkeit. Bei den politischen Entscheidungen auf höchster Führungsebene waren sie im Grundsatz ausgeschlossen. Hatte Adolf Hitler den formalen Anschluss und die Angleichung eines besetzten Territoriums an das Reichsrecht bestimmt, baute das Reichsarbeitsministerium seine Sozialverwaltung nur noch in der Mittelinstanz nach dem Vorbild des Reiches auf. In allen anderen Fällen wurden je nach Rechtsstatus des besetzten Gebietes und den Bestimmungen zur »Volkstumspolitik« eigene Abteilungen für die Aufgabenbereiche des Ministeriums in die jeweiligen Besatzungsverwaltungen integriert. Letztere unterstanden dem Ministerium oftmals nicht mehr direkt, was die Einflussnahme der Zentrale in Berlin auf Entscheidungen vor Ort begrenzte. Das Reichsarbeitsministerium war als Steuerungsbehörde in den besetzten Gebieten zwar präsent, trat aber als eigenständiger Akteur auf der politischen Bühne kaum mehr in Erscheinung. Während des Krieges und in den Kriegsgebieten lag dies auch daran, dass dem Ministerium als ziviler Behörde keine Weisungsbefugnisse gegenüber Polizei-, Sicherheits- und Militärbehörden zustanden. Inwiefern die Zentrale des Ministeriums dennoch auf die Entscheidungen Einfluss nehmen konnte, war abhängig von der konkreten Stellung seiner nachgeordneten Behörden in den jeweiligen Besatzungsverwaltungen. Dem Ministerium blieben freilich seine fachliche Expertise, die Gesetzgebungskompetenz und vor allem die Ressourcen an Finanzen, Personal und Infrastruktur, um in vielen Entscheidungen und Prozessen weiterhin gefragt und beteiligt werden zu müssen. Auch informelle Verbindungen und Kooperationen dürften eine wichtige Rolle gespielt haben. So beteiligte sich das Reichsarbeitsministerium maßgeblich an der Koordination und Beschaffung von Informationen über die jeweiligen Länder, legte Sozialstatistiken vor und führte Kosten-NutzenAnalysen für die Durchführung verschiedener Besatzungsaufgaben durch. Von Berlin aus koordinierte die zentrale Reichsbehörde zudem die Entsendung eigenen Personals und stellte nicht zuletzt finanzielle Ressourcen für lohnpolitische oder sozialpolitische Instrumente in den besetzten Gebieten bereit. Die Aufgaben, welche die Zentrale hier jeweils konkret übernahm, waren wiederum sehr abhängig von den in den jeweiligen Gebieten eingerichteten Besatzungsstrukturen. So lassen sich schon die Verhältnisse im besetzten Belgien mit denjenigen im Protektorat Böhmen und Mähren kaum vergleichen. Während die Beauftragten des Reichsarbeitsministeriums in Belgien kaum in die Verwaltungsorganisation eingreifen konnten, steuerten die Beamten

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der deutschen Arbeitsverwaltung Teile der Arbeitsvermittlung im Protektorat eigenständig.117 Aus diesem Grund kann festgehalten werden, dass das Ministerium aufgrund der beträchtlich anwachsenden Aufgaben in der Kriegsverwaltung weder »schrumpfte« noch durch andere Behörden »entkernt« wurde. Im Gegenteil erweiterten sich seine Aufgabengebiete von 1936 bis 1943 – von der erweiterten Treuhänderverwaltung bis hin zum Arbeitseinsatz. Auch sein Personalbestand stieg in diesem Zeitraum signifikant an.118 Dieser Zuwachs machte sich vorrangig in der Mittel- und Unterstufe, den Verwaltungsbehörden auf Länderebene und den Kommunen, bemerkbar. Diese übernahmen im Zuge der Kriegshandlungen sowie durch die organisatorischen Maßnahmen zur Vereinfachung der Verwaltung zunehmend die konkreten Verwaltungsaufgaben. Fragt man danach, wie die Arbeits- und Sozialverwaltung des Reichsarbeitsministeriums mit Fortschreiten des Krieges ihre Aufgaben bewältigte, lässt sich auch hier kein einheitliches Bild zeichnen. Neben den erwähnten Transferleistungen der Zentrale für andere Behörden und Dienststellen waren die Behörden der Mittelstufe während des Krieges und der Besatzung von entscheidender Bedeutung. Nur auf dieser Ebene war das Reichsarbeitsministerium konkret »vor Ort«, und hier vor allem konnten seine Beamten in die nationalsozialistischen Massenverbrechen und den Holocaust verstrickt werden. Was bedeutet all dies abschließend für die Frage nach der Position Seldtes im Ministerium und für die Rolle des Ministeriums im Nationalsozialismus? Franz Seldte bot Hitler, vor allem aufgrund seiner körperlichen Beschwerden, mehrmals seinen Rücktritt an. Hitler lehnte dies jedes Mal ab und bestätigte ihn im Amt. Um sich seiner Dienste zu versichern, erhielt Seldte sogar aus einem Fonds der Reichskanzlei einen regelmäßigen Bonus.119 Dies weist darauf hin, dass Seldte von Hitler durchaus als ein in der Sache dienlicher Minis117 Entsprechend müssen die Organisationsstrukturen in der Arbeitsverwaltung und Sozialpolitik in den Besatzungsverwaltungen einzeln kontextualisiert werden; vgl. Kenneth Bertrams/Sabine Rudischhauser: Blurred legacy: Nazi social policies in Belgium, in: Sandrine Kott/Kiran Klaus Patel (Hg.): Fascist Internationalism (im Erscheinen); Henry Marx: The German labour administration in the »Protectorate Bohemia and Moravia«, in: Jakub Rákosník/ Radka Šustrová (Hg.): Social Policy in Occupied Europe, 1939-1945 (im Erscheinen). 118 Siehe S. 52. 119 Ich danke Celeste Copes für diesen Hinweis.

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ter angesehen wurde. Es überwogen ganz offenbar bis zum Ende 1945 die Vorteile, die mit Seldte an der Spitze des Ministeriums verbunden wurden, nicht zuletzt seine Fähigkeit, die Organisation auf Kurs zu halten und zugleich Robert Ley und die DAF einzuhegen. Ein Immediatzugang zu Hitler kann dabei kaum als entscheidendes Kriterium einer fehlenden Wertschätzung gelten, da beinahe alle Fachminister darüber ebenfalls nicht verfügten. Einen unfähigen und schwachen Minister aus »gnädigem Mitleid« im Amt zu belassen, hätte lange Zeit Hitlers Vorstellung vom Führerstaat widersprochen, in der sich der Stärkere auf »natürliche Art und Weise« durchsetzte.120 Dagegen spricht aber auch die Bedeutung des Reichsarbeitsministeriums selbst. Vermutlich spielte eine gewichtige Rolle, dass die Arbeits- und Sozialpolitik in den ersten Jahren bis 1938 als zu wichtig für die Legitimation und Loyalität der Bevölkerung dem Staat gegenüber angesehen wurde, als sie durch persönlich oder ideologisch motivierte Machtkämpfe zu riskieren. Seldte gewährleistete mit seinen leitenden Beamten die nötige Stabilität. Wie genau Seldte das bewerkstelligte, lässt sich über die intern produzierten Quellen kaum nachzeichnen. In jedem Fall aber arbeiteten die leitenden Beamten ihm loyal zu, was für sich genommen durchaus als eine Führungsqualität gelten kann. Als dann die Kriegssituation und Besatzung das gesamte Gefüge des Berliner Politikbetriebs verschob, büßten die nicht unmittelbar kriegsrelevanten Fachministerien generell ihre Bedeutung in Hitlers Regierung ein. Insofern lässt sich zusammenfassen, dass die Wahrnehmung Seldtes als schwacher Minister nur bedingt tragfähig ist, um seine Rolle und Position in der Regierung Hitler zu erfassen und zu beschreiben. Besonders wichtig wäre es etwa, weitere Forschung über seine professionellen Netzwerke und diejenigen der leitenden Beamten anzustrengen, um seine Durchsetzungsfähigkeit präziser bewerten zu können. Die Wahrnehmung des »schwachen« Ministers entspricht zum einen dem Bild, das die Zeitgenossen, von Albert Speer bis hin zu leitenden Beamten wie Werner Mansfeld, kurz nach 1945 als Teil ihrer Entlastungsstrategie zeichneten. Sie wurde noch verstärkt, als Seldte selbst dieses Entlastungsnarrativ zur Abwehr einer Anklage gegen sich und seine Beamten strickte. Dass sich dieses Bild bis heute erhält, ist schließlich auch dem Umstand geschuldet, dass vermeintlich technischen Fragestellungen der Sozial- und Arbeitsverwaltung bisher weniger Bedeutung zugewiesen wurde als politisch scheinbar brisanteren Themen wie der Rüstungs- oder der Besatzungspolitik. 120 Joseph Goebbels, zit. nach Rebentisch: Führerstaat (Anm.71), S.345.

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Schlussbetrachtung Eine zusammenfassende Betrachtung der Rolle und Tätigkeit des Reichsarbeitsministeriums zwischen 1919 und 1945 muss notwendigerweise verallgemeinern und in der Chronologie Sprünge wagen. Zu komplex, zu heterogen und zu technisch waren die Aufgaben, die dem Ministerium im Laufe der Jahre zugewiesen wurden, um spezifische Aussagen treffen zu können, die über einzelne Phasen (Gründung, Konsolidierung, Machtübernahme der Nationalsozialisten, Aufrüstung, Kriegsaufgaben) hinausreichen. Dennoch soll im Folgenden der Versuch unternommen werden, einige allgemeine Betrachtungen zu bündeln und damit eine Grundlage für zukünftige Diskussionen über die Bedeutung des Reichsarbeitsministeriums bis 1945 zu bieten und zugleich übergreifende Forschungsfragen zur Ministerialverwaltung im Nationalsozialismus zu formulieren. Gegründet in einem politischen Ausnahmezustand, gelang es dem Ministerium in erstaunlich kurzer Zeit, sich in der Weimarer Republik zu etablieren. Es wurde in der historischen Realität der Nachkriegszeit unentbehrlich. Allen Diskussionen über das Für und Wider staatlicher Sozialpolitik zum Trotz unterstützte es Millionen von Menschen und leistete in den politischen und wirtschaftlichen Krisenzeiten eine wesentliche Aufstockung individueller Einkommen. Der politische Erfolg des Ministeriums lag somit zum einen in der Relevanz der Themen begründet, mit denen es befasst war. Fragen der Arbeits- und Sozialpolitik in all ihren Facetten stellten einen zentralen Pfeiler der öffentlichen Debatten wie auch der Politik in der Weimarer Republik dar, ja sie legitimierten die erste deutsche Demokratie – wie auch die Diktatur Hitlers – in hohem Maße. Dazu gehört, dass die Daueraufgaben, die dem Ministerium übertragen wurden, trotz ihrer teilweise hohen politischen Bedeutung weitgehend unabhängig vom politischen Tagesgeschäft relevant waren und blieben. Die Eindämmung der Arbeitslosigkeit, die Versorgung der Kriegsopfer und Invaliden, die Begutachtung und Auszahlung der Renten, der Wohnungsbau  – keine Regierung, sei sie demokratischer oder autoritärer Natur, konnte und kann es sich leisten, diese Themenbereiche auszublenden. Das Ministerium verdankte seine rasche Etablierung engagierten und qualifizierten Mitarbeitern, die einen Großteil ihrer Berufsbiografie in diesem Ressort verbrachten. Auffällig ist entsprechend der hohe Grad an personeller und struktureller Kontinuität, der das Ministerium kennzeichnete. Dadurch bildete sich eine Form der überparteilichen corporate identity heraus, die besonders im Kontext der Weltwirt-

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schaftskrise oder der Machtübernahme der Nationalsozialisten zur organisatorischen Stabilität beitrug. Dass es den Ministerialbeamten innerhalb kurzer Zeit gelungen war, eine funktionsfähige Struktur für die vielen Zuständigkeitsgebiete des Ministeriums aufzubauen, machte zumindest Teile des Ressorts unangreifbar. Dazu gehört zentral die Delegation der Daueraufgaben an nachgeordnete Behörden, womit es für externe Akteure schwieriger wurde, sich Zugriff auf das Ministerium zu verschaffen. Insbesondere die Nationalsozialisten, die sich bekanntlich stark um eine Zentralisierung der Verwaltung bemühten, konnten das Reichsarbeitsministerium nicht einfach »übernehmen« und auch die intern organisierten Instanzenzüge trotz oft bekundeten Willens nicht verändern. Das Risiko, ernste Störungen in den Abläufen der vielgliedrigen Organisation zu verursachen, war zu groß. Wollten die Nationalsozialisten ihre arbeits- und sozialpolitischen Versprechen nicht aufgeben müssen und dadurch Rückhalt in der Bevölkerung verlieren, waren sie auf die Expertise des Reichsarbeitsministeriums und seiner Behörden angewiesen. Daraus erklärt sich unter anderem auch, warum Franz Seldte bis zum Ende des Krieges in seinem Amt blieb. Hitler besaß mit Seldte einen Minister, der für die nötige Konstanz sorgte. Mit dem Tagesgeschäft und der Realität konkreter Verwaltungsabläufe sowie dem alltäglichen Geschäft im Ministerium hat er sich nicht beschäftigt und beschäftigen wollen. Getragen wurde die hohe personelle und institutionelle Kontinuität des Ministeriums von der Selbstdarstellung und Fremdwahrnehmung der Ministerialbeamten als sachliche Experten. Fraglos waren tatsächlich viele von ihnen Spezialisten auf ihren jeweiligen Gebieten. Der Korpsgeist der Behörde bezog sich wesentlich auf die hohe Wertschätzung dieses Fachwissen. Doch die Bezugnahme auf »sachliche« und »technische« Themen, die noch dazu in der von juristischen Formeln geprägten Verwaltungssprache vorgetragen wurde, lässt sich auch als ein Versuch deuten, die politischen Herausforderungen der fragilen Weimarer Republik zu bewältigen und die Angriffe gegen das Ressort zu kontern. Von diesem Krisenmanagement profitierten die Beamten auch nach 1933. Der implizite oder explizite Verweis auf »Sachlichkeit« sollte dabei nicht auf eine technokratische Variante jener politischen Radikalität eng geführt werden, wie Ulrich Herbert sie für die »Generation der Sachlichkeit« beschrieben hat, sondern eher als Selbstverständnis der Beamten begriffen werden.121 Inwiefern es sich dabei um Taktik oder um eine authentische Haltung der einzelnen Mit121 Herbert: Werner Best (Anm.113).

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arbeiterinnen und Mitarbeiter handelte, lässt sich im Rückblick kaum mehr feststellen. Zwar vermittelt das Quellenstudium den Eindruck, dass im Ministerium viele Persönlichkeiten beschäftigt waren, die sich nicht zu Handlangern eines radikalen Regimes machen lassen wollten. Das Engagement von Oskar Karstedt steht dafür. Dennoch, weitere Beispiele für irgendeine Form des Widerstands gegen die Umsetzung der nationalsozialistischen Politik finden sich in den Personalakten und -vorgängen der Reichs-, Präsidial- und Parteikanzlei bisher nicht. Wie die Beamten außerhalb des Dienstes zu den politischen Ereignissen Stellung bezogen, entzieht sich fast vollständig unserer Kenntnis. Ihnen kollektiv eine Übereinstimmung zur nationalsozialistischen Ideologie zu unterstellen, verbietet sich von selbst. Für die historische Beurteilung der moralischen und sachlichen Verantwortung des Ministeriums als Organisation im Nationalsozialismus bedeutet dies, dass verallgemeinernde Aussagen nicht ohne weiteres möglich sind, sondern individuelle Handlungen und Haltungen einzelner Beamter in den Entscheidungspositionen untersucht werden müssen. Damit verbunden stellt sich die Frage, ob es innerhalb der eng definierten und stark formalisierten professionellen Strukturen der Organisation individuelle Handlungsspielräume gab und in welcher Hinsicht einzelne Beamte oder Gruppen von Beamten eine Position einnahmen, die die Umsetzung der nationalsozialistischen Ideen und Pläne beförderte oder aber verlangsamte, wenn nicht behinderte. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich in der Öffentlichkeit und in der historischen Forschung das Bild »einer geschlossenen Kaste« politisch (erz)konservativer, antidemokratischer und staatsautoritär votierender Ministerialbeamter in der Weimarer Republik und dem Nationalsozialismus verfestigt.122 Damit verbinden sich für das Handeln der Beamten im Nationalsozialismus zwei Bewertungen. Auf der einen Seite wurde der Ministerialverwaltung ein mäßigender Einfluss attestiert, indem einige Beamte den schlimmsten Exzessen der NS -Regierung entgegengetreten seien. Auf der anderen Seite sah man sie zu Hitlers willfährigen Werkzeugen degradiert, da sie seine Politikvorstellungen eilfertig umsetzten und damit sogar noch die Effektivität des Regimes

122 Einflussreich waren vor allem die in der historischen Forschung bis in die Gegenwart noch immer weithin rezipierten Schriften von Franz Neumann, der vor allem auch das Reichswirtschaftsministerium und das Reichsministerium des Innern näher analysiert hat; vgl. ders. (Anm.82), S.430-434, Zitat S.432.

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erhöhten.123 Obwohl sich für beide Einschätzungen auch Beispiele im Reichsarbeitsministerium finden, bleibt es zu kurz gegriffen, die eine oder die andere Bewertung auf das Ministerium oder gar die gesamte Ministerialverwaltung pars pro toto anzuwenden und es dabei zu belassen. Wie der Blick auf das Reichsarbeitsministerium und das Verhalten seiner Abteilungen und Mitarbeiter zeigt, hing es wesentlich von spezifischen personellen und thematischen Zusammenhängen und den damit verbundenen Akteuren ab, wie einfach oder schwierig es war, die Kontrolle über einzelne Verwaltungsbereiche gegenüber beispielsweise der Intervention von Parteibehörden zu erhalten. Gegenüber Robert Leys Forderungen nach mehr Kompetenzen als Reichswohnungskommissar haben sich die Leitung sowie die zuständige Abteilung des Reichsarbeitsministeriums lange erfolgreich zur Wehr gesetzt. Die Übernahme Fritz Sauckels auf der Ebene höchster Diplomatie im Beraterstab Hitlers löste hingegen schwerwiegende Durchsetzungsprobleme des Ministeriums in der Arbeitsverwaltung. Konzepte wie »vorauseilender Gehorsam« oder »bürokratische Mäßigung« sollten daher im Zuge der neuen Forschungen zur Ministerialverwaltung ebenfalls stärker an solchen konkreten Akteurskonstellationen gezeigt werden und weniger als pauschale und kontextlose Kategorien angenommen werden. Wie angedeutet, lassen sich allein im Zuständigkeitsbereich des Reichsarbeitsministeriums die spezifischen Bedingungen der Bereiche Wohnungsbau und Arbeitsverwaltung nur bedingt unter eine solche Kategorisierung fassen. Das Gleiche gilt für die Charakterisierung des Reichsarbeitsministeriums im Ganzen. Bevor man das Ministerium als vermeintliches Residuum bürgerlich-liberaler Ideen während des NS Staates ausmacht, müssen alle seine Zuständigkeitsbereiche verglichen und miteinander in Beziehung gesetzt werden. Die Anpassungen im Bereich des Arbeitsrechts etwa ließen vor allem auf ein autokratisches, staatsinterventionistisches Verständnis der Mitarbeiter schließen. Ob ein solches Verständnis auch bei der Kriegsopferfürsorge vorherrschte, wäre noch zu untersuchen. Allerdings soll diese übergreifende Betrachtung den Blick auf eine wesentliche Funktion der Beamten in den Ministerien nicht verstellen: Die Beamten des Reichsarbeitsministeriums gingen  – oftmals wenig beobachtet von der »großen Politik«  – ihrer Arbeit an Detailproblemen in der tagtäglichen Praxis nach und setzten die politischen Leitlinien praktisch um. Dies war keine »reine« oder »neutrale« Imple123 Broszat (Anm.45), S.426f.; Mommsen: Beamtentum (Anm.57), S.15; Rebentisch: Führerstaat (Anm.71), S.543; Kuller (Anm.71), S.243.

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mentierung, sondern ein Prozess, in dem die individuellen, fachlichen wie politischen Vorstellungen und Prägungen der beteiligten Beamten zum Tragen kamen und auch in die »große Politik« zurückwirkten. Demgemäß lässt sich keineswegs von einer unpolitischen »Bürokratie« oder lediglich ausführenden Beamten sprechen, die ihre »ideologische Ausrichtung« verschleierten.124 Im Gegenteil: Der gestaltende Anteil der Verwaltung an der Normsetzung und der Institutionalisierung von Regelungen in der Sozial- und Arbeitspolitik darf nicht unterschätzt werden. Das Arbeitsbuch war hierfür ein Beispiel. Um diesen Anteil von Normsetzung und Verwaltungspraxis präzise und systematisch bestimmen zu können, ist es erforderlich, die Organisation der Verwaltung zu analysieren und sich auch auf die Logik von Verwaltungsvorgängen einzulassen. Sonst lassen sich nicht die konkreten Verwaltungstechniken entdecken und aus ihnen ableiten, wie viel explizite oder implizite Mitsprache die Beamten im Detail hatten. Zusammengefasst überwiegen die Hinweise auf eine geschickte institutionelle Anpassungsstrategie, mit deren Hilfe sich das Ministerium mit seinen Mitarbeitern der eigenen Kompetenzen über die verschiedenen Themenfelder versicherte sowie die ihm neu zugewiesene institutionelle Position exekutiver Verantwortung wahrnahm. Insofern lassen sich die von Max Weber entworfenen idealtypischen Kriterien einer rational handelnden, auf formalisierte Abläufe konzentrierten Verwaltung bestätigen. Die Geschichte des Reichsarbeitsministeriums in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus bietet aber auch vielfältige Gelegenheiten, die idealtypischen Beobachtungen empirisch zu füllen, zu differenzieren und mit jener historischen Dynamik zu verknüpfen, die den Webers noch nicht vor Augen stand. Dabei geht es um unterbrochene Routinen, die vielen technischen Unzulänglichkeiten, missglückte Abstimmungsprozesse, verpasste Modernisierung und konflikthafte Blockaden in der Verwaltungsarbeit selbst. In dieses Bild gehört auch der immer wieder massive und kaum zu beherrschende Druck auf das Ministerium durch Lobby- und Interessenverbände in der Weimarer Republik oder der machtpolitisch so dynamische Dualismus zwischen Staats- und Parteibehörden im Nationalsozialismus. Das von Max Webers Arbeiten abgeleitete Bild einer effizienten Verwaltungsmaschine, die objektiven Prinzipien folgt, lässt sich zwar in der Selbstbeschreibung der historischen Akteure finden. Doch es wäre irreführend und anachronistisch, 124 Kuller (Anm.71), S.243.

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den zeitgenössischen Glauben an die Möglichkeit einer »objektiven« und »rationalen« Verwaltung als analytischen Zugang der heutigen historischen Forschung zu verwenden beziehungsweise dieses Modell für die historische Realität zu halten. Hier ist eine Historisierung notwendig, um differenziertere Einblicke in die Bedeutung der Verwaltung sowohl für das politische Handeln als auch für die historischen Governance-Strukturen der Weimarer Republik und des nationalsozialistischen Staates zu ermöglichen.

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Ausbildung, Karrieren und Laufbahnstruktur der mittleren Beamtenschaft Lisa-Maria Röhling

Im Jahr 1928 diskutierte die Fachpresse in der wissenschaftlichen Monatszeitschrift Das Beamtenjahrbuch die Inhalte einer möglichen Verwaltungsreform, in der auch die Ausbildung der mittleren Beamtenschaft eine Rolle spielen sollte. Die Ausbildung sollte nicht mehr nur durch die Weiterentwicklung der Fähigkeiten in der behördlichen Verwaltungspraxis bestimmt sein, sondern auch von einer theoretischen Unterrichtung. »Noch heute ist in der Praxis der mittlere Beamte in seiner Ausbildung fast ausschließlich auf den Zufall der praktischen Fälle angewiesen, die ihm während der Ausbildungszeit im Büro vor Augen kommen. Die nach den bestehenden Vorschriften nebenhergehende systematisch-theoretische Ausbildung spielt in der Praxis meist eine völlig nebensächliche Rolle. […] Auch die Ausbildung der mittleren Beamten darf sich nicht nur auf Kenntnis der Gesetze und Bestimmungen beschränken.«1 Hierbei handelte es sich um eine erstaunlich offene Herangehensweise, da jede Entscheidung über die Ausbildungsinhalte und die Vermittlung eines theoretischen Fachwissens das Denken und Handeln einer ganzen Generation von Verwaltungsbeamten bestimmen würde.2 Es ist offensichtlich, dass die Arbeit der für jede Staatsform zentralen Beamtenschaft abhängig von ihrer Ausbildung war. Und doch gilt es, ihre Bedeutung zu unterstreichen: Die Beamtenausbildung, mehr als jede andere Berufsausbildung, bedeutete nicht nur die Vermittlung von Fachwissen, sondern begründete gleichzeitig eine Deutungsgewalt für die Zukunft des Staates, denn seine Funktionsfähigkeit hing und hängt neben politischen und wirtschaftlichen Aspekten von der Verwaltung ab. Die Durchführung und Strukturierung der Ausbil1 Haußmann: Beamtenausbildung und -fortbildung als Teil der Verwaltungsreform, in: Beamtenjahrbuch 15 (1928), Nr.1, S.54. 2 Julia Alexandra Luttenberger: Verwaltung für den Sozialstaat  – Sozialstaat durch Verwaltung? Die Arbeits- und Sozialverwaltung als politisches Problemlösungsinstrument in der Weimarer Republik, Berlin 2013, S.290.

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dung der Beamtenschaft bestimmte darüber, welche Bedeutung dieser Verwaltung beigemessen werden konnte, denn die thematischen Schwerpunkte der Ausbildung beeinflussten den Arbeitsablauf und die Expertisen der jungen Beamtenschaft. Besonders in der Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus wurde der Ausbildungsverlauf durch soziale, wirtschaftliche und nicht zuletzt politische Entwicklungen geprägt und bestimmt. Insbesondere die Ausbildung und die Aufstiegsmöglichkeiten der mittleren Beamtenschaft waren für die Funktionalität einer Behörde richtungsweisend. Die Beamten des mittleren Dienstes bildeten bereits im deutschen Kaiserreich die größte Gruppe der gesamten Beamtenschaft, die vor allem in den Regionalbehörden in direktem Kontakt mit der breiten Bevölkerung tätig waren. Vom deutschen Kaiserreich über die Weimarer Republik bis zum Ende des Nationalsozialismus waren fast durchgehend zwei Drittel der gesamten Beamtenschaft im mittleren Dienst tätig. Sie besetzten die Schreibtische in den Ämtern und Behörden, in denen alltäglich unterschiedliche Anträge der Bevölkerung bearbeitet wurden, die von der höheren Beamtenschaft lediglich unterschrieben und finalisiert wurden. Im Zuständigkeitsbereich des Reichsarbeitsministeriums waren die Versorgungsbehörden eine jener nachgeordneten Behörden, in deren Dienstzimmern nicht nur hauptsächlich mittlere Beamte tätig waren, sondern die auch  – gemessen an der Gesamtmitarbeiterzahl  – den größten Anteil aller Behörden des Reichsarbeitsministeriums einnahmen. Bis in die frühen Jahre des nationalsozialistischen Regimes hinein bewegte sich die Anzahl der Mitarbeiter in einem höheren, dreistelligen Bereich und konkurrierte damit lediglich mit den Behörden der Arbeitsverwaltung. Folglich sind die Versorgungsbehörden nicht nur durch ihre Größe, sondern auch durch die Zusammensetzung ihrer Beamtenschaft ein prädestiniertes Beispiel für eine Betrachtung der Beamtenausbildung. Sowohl die Beamtenausbildung der mittleren Beamtenschaft als auch die Versorgungsbehörden wurden in geschichtswissenschaftlichen Studien bisher lediglich oberflächlich untersucht. Dabei lässt sich die Beamtenausbildung für die mittleren Beamten des Reichsarbeitsministeriums exemplarisch an ihren nachgeordneten Behörden darstellen und nachvollziehen. Im Folgenden stehen von daher drei Fragen im Mittelpunkt der Analyse: Wie gestaltete sich der berufliche Einstieg in die Versorgungsbehörden des Reichsarbeitsministeriums? Wie war die Behördenpraxis ausgestaltet, in deren Rahmen die Ausbildung stattfand, und welche Aufstiegsmöglichkeiten gab es für die mittlere Beamtenschaft?

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AUSBILDUNG, KARRIEREN UND LAUFBAHNSTRUKTUR

Und wie wirkte sich die »Machtergreifung« der Nationalsozialisten auf die Beamtenausbildung und die Laufbahnstruktur aus?

Die Versorgungsbehörden des Reichsarbeitsministeriums Die Versorgungsbehörden bestanden, wie viele andere nachgeordnete Behörden der Reichsministerien auch, aus zahlreichen Regionalbehörden, in denen vor allem mittlere Beamte tätig waren. Die Versorgungsverwaltung entstand wie auch das Reichsarbeitsministerium in den Jahren 1918/19. Im Rahmen der Umstrukturierungsprozesse nach dem Ersten Weltkrieg wurden zahlreiche ehemalige militärische Pensionsbehörden sowie Wohlfahrtseinrichtungen des Reichswirtschaftsministeriums und des Reichsministeriums des Innern zusammen mit den dort tätigen Beamten in den Geschäftsbereich des Reichsarbeitsministeriums übertragen. Folglich gehörte die Versorgungsverwaltung mit zu den Behörden, die besonders stark durch die Folgen des Ersten Weltkrieges geprägt wurde. Der Verwaltungsapparat der Reichsversorgung bestand aus Hauptversorgungs- und Versorgungsämtern: Während die Hauptversorgungsbehörden als Aufsichtsinstanz in den Provinzen aus den Dienststellen der ehemaligen Generalkommandos hervorgingen, waren die Versorgungsämter als Lokalbehörden für die breite Bevölkerung zugänglich.3 Die Aufgabenbereiche der Versorgungsbehörden wurden im Laufe der Jahre immer wieder erweitert, weshalb mehr und mehr mittlere Beamte benötigt wurden, um die täglichen Geschäfte durchführen zu können. Die Versorgungsbehörden organisierten als zentrale Verwaltungsinstanzen die Versorgung, gleichwohl waren neben ihnen auch weitere Zweige wie beispielsweise die Versorgungsgerichte sowie versorgungsärztliche Einrichtungen (Untersuchungsstellen und Krankenhäuser) ebenfalls an das Reichsarbeitsministerium angebunden.4 Ungeachtet einer Vielzahl an Vorgängerbehörden war die Struktur der Reichsversorgung in der Weimarer Republik ein Novum. Dies beeinflusste auch die Arbeitsprozesse in den Behörden und bedeutete, dass zunächst eine Arbeitsroutine ausgebildet werden musste. Die Verwaltungsaufgaben umfassten die Bearbeitung und Gewährung von 3 Vgl. Georg Hartrodt: Das Reichsarbeitsministerium, seine Entstehung sein Aufgabenkreis und seine Organisation und Der Behördenorganismus auf dem Arbeitsgebiet des Reichsarbeitsministeriums, o.O. [um 1926], S.13. 4 Vgl. ebd., S.11, 16.

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Renten und Ruhegehältern sowie die Kostenübernahme der Heilverfahren der Kriegsbeschädigten und ihrer Hinterbliebenen.5 Ein Anspruch der Versorgungsberechtigten, mit denen die Beamten täglich zu tun hatten, war dann gegeben, wenn sie eine Dienstbeschädigung im aktiven Militärdienst erlitten hatten, die für die Geschädigten oder ihre Familie gesundheitliche oder wirtschaftliche Folgen hatte.6 Konkret bedeutete dies, dass die mittleren Beamten in der alltäglichen Verwaltungspraxis mit einem breiten Aufgabenbereich betraut waren: von der Überprüfung der Rentenanträge über das Anlegen einer Akte bis hin zu Briefwechseln mit den Versorgungsberechtigten, der Gewährung und Errechnung der entsprechenden Rentenbeträge sowie der ärztlichen oder orthopädischen Versorgung. Die Höhe der Rente ergab sich aus den jeweiligen Lebensumständen der zu Versorgenden zum Zeitpunkt des Rentenantrages sowie aus der vor dem Krieg ausgeübten beruflichen Tätigkeit. Gleichzeitig war der Auszahlungsbetrag an die Beamtenbezüge gekoppelt. Da die Versorgten einst dem Reich gedient hatten, waren ihre Renten an die Bezüge des aktiven Dienstes angeglichen.7 Durch ein umfangreiches Formblatt wurden die Daten zu Familienstand, Tätigkeiten und beruflicher Vorbildung ermittelt, in manchen Fällen mit Unterstützung durch die Beamten. Die Höhe der Kriegsbeschädigung wurde extern von den versorgungsärztlichen Diensten festgestellt. Daraus ergab sich eine genaue Auflistung von Faktoren, anhand derer der Beamte das Rentengeld oder eine andere sächliche Versorgung berechnen und festlegen konnte. Das Jahr 1927 kann als ein Höhepunkt der Reichsversorgung bezeichnet werden, nie zuvor erhielten so viele Menschen eine finanzielle oder medizinische Versorgung wie in diesem Rechnungsjahr. Der Haushaltsposten für die Versorgung umfasste knapp 1,5  Milliarden RM .8 Trotz massiver Engpässe im Reichshaushalt blieb der Verwaltungsapparat der Reichsversorgung weitestgehend bestehen, obwohl es in den vorangegangenen Jahren zahlreiche Behördenschließungen gegeben hatte, um den Haushalt zu entlasten und die Verwaltungswege zu vereinfachen. Dadurch verschlechterten sich auch die Einstiegschancen für den personellen Nachwuchs. Allerdings waren 1927 im5 Vgl. Karstedt: Aufwand und Kosten des Versorgungswesens im Jahre 1927, in: Rabl. II (1927), S.175. 6 Vgl. Reichsarbeitsministerium (Hg.): Handbuch der Reichsversorgung, Berlin 1932, S.1. 7 Vgl. Reichsarbeitsministerium: Deutsche Sozialpolitik 1918-1928, Berlin 1929, S.225. 8 Vgl. Karstedt (Anm.5), S.175.

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AUSBILDUNG, KARRIEREN UND LAUFBAHNSTRUKTUR

mer noch 55% des gesamten verbeamteten Ministeriumspersonals in den Versorgungsbehörden angestellt, insgesamt 7600 Beamte.9

Brüche und Kontinuitäten: die Beamtenpolitik im deutschen Kaiserreich und in der Weimarer Republik Das Bild des Beamten als Staatsdiener und als Repräsentant des Berufsbeamtentums stammt aus dem deutschen Kaiserreich. Max Weber definierte die bürokratische Verwaltung als die einzige, die den Bedürfnissen des Staates zugutekommen könne, da sie basierend auf Kontinuitäten, Regelgebundenheit, klaren Zuständigkeitsbereichen und einer strikten Befehlsgewalt im Rahmen einer Amtshierarchie agiere.10 In den Beamtenstatus wurde niemand einfach eingestellt; er wurde als eine Würde verliehen, und der Einstieg in die Beamtenlaufbahn stellte eine Berufung dar. Gleichwohl war eine Planstelle oder die Übertragung eines Amtes keine Selbstverständlichkeit. Die Beamten sollten »eine Laufbahn vor sich sehen, also nach Dienstalter oder Leistung oder beidem befördert werden können, und einer strengen, einheitlichen Amtsdisziplin oder Kontrolle unterliegen.«11 Die Bindung an vorgegebene Laufbahnrichtlinien und eine feste Besoldung, die Unkündbarkeit und die mit dem Beamteneid verbürgte Loyalität gingen mit der Rolle des Staates als Versorger im und nach dem beruflichen Leben einher. Der Weg in eine Reichsbehörde war stets mit der verfolgten Laufbahn verknüpft, aus deren Bestimmungen heraus sich die zu erfüllenden Einstiegsvoraussetzungen ebenso wie das Gehalt und die Aufstiegsmöglichkeit generierten. Die Beamten der mittleren Laufbahn machten bereits zur Jahrhundertwende fast zwei Drittel der Beamtenschaft und damit deren Kern aus. Dieser Zustand blieb, genauso wie die Grundzüge der Einstellungsvoraussetzungen und die Ausbildungsrichtlinien, bestehen. Unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg und im Jahre 1930 wurden sogar drei Viertel der Beamtenschaft im mittleren Dienst verzeichnet.12 Nicht nur ihre Ausbildung, sondern auch ihre Fortbildung waren also 9 Vgl. ebd.; sowie Reichshaushaltsplan für das Rechnungsjahr 1927, Berlin 1927. 10 Zit. nach Hans Fenske: Bürokratie in Deutschland. Vom späten Kaiserreich bis zur Gegenwart, Berlin 1985, S.7. 11 Vgl. ebd., S.8. 12 Vgl. ebd., S.10; Luttenberger (Anm.2), S.289; sowie Bernd Wunder: Geschichte der Bürokratie in Deutschland, Frankfurt am Main 1986, S.113.

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wichtige Themen in der internen Diskussionen über das Beamtentum und die Verwaltungsstrukturen. Die Zäsur 1918 stellte auf verschiedenen Ebenen eine große Herausforderung für die Beamtenschaft dar. Mit dem Wechsel der Staatsform 1918 wurde die gesamte Beamtenschaft vom Deutschen Kaiser aus ihrem Treueeid entlassen. Veränderungen innerhalb des verbeamteten Personals gab es allerdings kaum zu verzeichnen, die meisten verblieben auf ihren Posten.13 Der Beamte schwor bei seiner Vereidigung in den Staatsdienst auf die Weimarer Verfassung und wurde damit zum Organ und Funktionär des Staates, womit er eine Vermittlerfunktion zwischen dem Staat und dem Volk einnahm.14 Mit diesem Treueeid stellte er sich in den unkündbaren Dienst des Staates und war in Bezug auf seine Besoldung und Versorgung auf ihn angewiesen  – im Gegensatz zu den klassischen Angestellten im Dienstleistungsbereich. In der frühen Weimarer Republik sahen Zeitgenossen in den Beamten somit Vertreter einer fürsorglichen Staatstätigkeit, wie ihn vor der Novemberrevolution 1918 die Landesfürsten eingenommen hatten.15 Der Arbeitseinsatz des Beamten für das ganze Volk war eng mit den geregelten dienstlichen und sozialen Verhältnissen gekoppelt, und die meisten Beamten verstanden unter dem Berufsbeamtentum vor allem eine Sicherung ihrer Anstellungsbedingungen sowie ihrer Alters- und Hinterbliebenenversorgung.16 In der Weimarer Republik befanden sich die Beamten stets in einer schwierigen Position, da sich viele von ihnen nicht als Diener des Volkes ansahen, wie es in einer Republik beabsichtigt war. Die meisten hielten den Schwur auf eine Verfassung, die in ihren Augen nur temporär war, für überflüssig oder unvereinbar mit ihrem vorherigen Eid auf den Kaiser.17 Einem derartigen Denkmodell entsprang auch die Fortsetzung der Dreiteilung der Beamtenschaft: Diese teilte sich seit jeher in einen un13 Selbst 1930 waren noch zwei Drittel der Beamtenschaft bereits seit dem Kaiserreich in dieser Funktion tätig. Vgl. ebd., S.109. 14 Vgl. Fritz Winters: Das Beamtenbildungsproblem in seiner Bedeutung für Volk, Staat und Beamtenschaft, in: Beamtenjahrbuch 15 (1928), Nr.10, S.516. 15 Vgl. Heinz Potthoff: Was heißt Berufsbeamtentum?, in: Der Beamte 1 (1929), Nr.2, S.108. 16 Vgl. Winters (Anm.14); sowie Potthoff (Anm.15.), S.107. 17 Vgl. Hans Hattenhauer: Geschichte des deutschen Beamtentums, Köln 1993, S.331; Luttenberger (Anm.2), S.198; Jörg Grotkopp: Beamtentum und Staatsformwechsel. Die Auswirkungen der Staatsformwechsel von 1918, 1933 und 1945 auf das Beamtenrecht und die personelle Zusammensetzung der deutschen Beamtenschaft, Frankfurt am Main 1992, S.82.

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AUSBILDUNG, KARRIEREN UND LAUFBAHNSTRUKTUR

Gebietskörperschaften

Reich (o. Militärpersonen) Länder Gemeinden Ämter Kreisverbände Provinzialverbände Gemeindeverbände zus. Hansestädte Beamte Insgesamt Angestellte Zusammen

Feste Gehälter Zahl 323 468 811 6 1 49 56 104 1762 — 1762

% 0,3 0,1 0,3 0,1 0,0 0,2 0,1 0,3 0,2 — 0,2

A1–A2c X u. höher

A2d–A4c VII–IX

Zahl % Zahl 8305 6,7 41741 52945 13,9 115482 25716 9,2 130532 274 3,9 2232 857 3,2 5745 1299 5,1 3200 2430 4,1 11177 2888 7,2 11317 83955 11,9 289345 8329 4,7 20904 92284 10,5 310249

% 34,0 30,2 46,9 31,5 21,6 12,6 18,9 28,1 40,9 11,9 35,1

A4d–A9 IV–VI Zahl 61192 133615 102314 3243 12629 11736 27608 12591 234673 102647 337320

A10–A12 I–III Zusammen

% Zahl 49,8 11240 35,0 79654 36,7 19155 45,8 1323 47,5 7383 46,3 9071 46,8 17777 31,2 13384 33,2 97213 58, 44097 38,2 141310

% 9,2 20,8 6,9 18,7 27,7 35,8 30,1 33,2 13,8 25,1 16,0

Beamte und Angestellte nach Besoldungs-(Vergütungs-)Gruppen am 21. März 1929. Die arabischen Zahlen A1-A12 beziehen sich auf die Gruppen der Beamtenbesoldung, die römischen auf die Gruppen des Angestelltentarifvertrags

teren, mittleren und höheren Dienst auf. Insbesondere zwischen den höheren und mittleren Beamtengruppen herrschte im Kaiserreich eine strikte Trennung, die mit den sehr unterschiedlichen Einstiegsvoraussetzungen begründet wurde. Nur die höhere Beamtenschaft verfügte über Weisungs- und Unterschriftsberechtigungen, was den reibungslosen Verlauf der Verwaltungsapparate immer wieder ins Stocken brachte. Die strenge Aufteilung der Laufbahnen feuerte stets aufs Neue Diskussionen innerhalb der Beamtenschaft an, denn sowohl die mittleren Beamten, die in die höhere Laufbahn strebten, als auch die höheren Beamten, die diese Ambitionen mit großer Skepsis beobachteten, waren mit dem Status quo nicht zufrieden. Die Durchlässigkeit zwischen den einzelnen Gruppen, die unterschiedlichen Einstiegsvoraussetzungen und die vermeintlich sehr differenzierte Arbeitskompetenz der mittleren und höheren Beamten führten über Jahrzehnte hinweg immer wieder zu hitzigen Diskussionen.18 Die mittlere Beamtenschaft schätzte sich selbst als ebenso leistungsfähig wie die höhere Beamtenschaft ein und strebte deswegen nach mehr Selbstständigkeit und Weisungsbefugnissen in Verwaltungsvorgängen, wodurch der Verwal-

18 Vgl. Luttenberger (Anm.2), S.291.

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Zahl 122901 382164 278528 7078 26615 25355 59048 40284 706948 175977 882925

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tungsapparat außerdem beschleunigt und entlastet werden sollte.19 Die höhere Beamtenschaft beharrte allerdings auch in den 1920er-Jahren darauf, dass Beförderungen keinesfalls von Prüfungen abhängig gemacht werden dürften, sondern von einer besonderen »Bewährung im Dienste«.20 In Bezug auf den Aufstieg der Beamten darf die Rolle der Besoldung nicht unterschätzt werden. Die unterschiedlichen Besoldungsgruppen strukturierten das Laufbahngefüge der Beamten. Im ersten »Besoldungsgesetz« der Weimarer Republik vom 30. April 1920 wurden die vorherigen 180 Besoldungsgruppen auf 20 reduziert und die Höhe der Gehälter zwischen den unterschiedlichen Besoldungsgruppen zur Verhinderung eines zu starken finanziellen Gefälles enger miteinander verzahnt.21 Die Besoldungsgesetzgebung bildete hieraus eine Unterteilung des mittleren Dienstes in einen einfachen und einen gehobenen mittleren Dienst, wobei beide allerdings nicht so scharf voneinander getrennt waren wie der mittlere vom höheren Dienst. Mit der Besoldungsgesetzgebung vom 16. Dezember 1927 stieg die Zahl der Besoldungsgruppen wieder auf 58 an.22 Folglich waren insgesamt 74,1% der Beamten dem mittleren Verwaltungsdienst zuzuordnen, davon 40,9% dem gehobenen mittleren Dienst und 33,2% dem einfachen mittleren Dienst.23 Zu den Besoldungsgruppen der gehobenen mittleren Beamten gehörten in den Besoldungsklassen A2d bis A4c (vorherige Besoldungsklassen VII -IX ) die Obersekretäre, Oberinspektoren, Verwaltungsamtmänner und Ministerialamtmänner. Die einfachen mittleren Beamten waren die Beamten der Besoldungsklassen A4d bis A9 (vorherige Besoldungsklassen IV -VI ), unter anderem die Kanzleiassistenten, Ministerialkanzleiassistenten, Sekretäre, Ministerialkanzleisekretäre und sondergeprüften Sekretäre.24 19 Vgl. Denkschrift des Verbandes der staatlichen Verwaltungsamtmänner Preußens zur Vereinfachung der Verwaltung, 18.12.1928, Bundesarchiv (BA rch), R8082/89, Bl.34. 20 Richtlinien für die Regelung der Verwaltungsdienstlaufbahn der Beamten des Reichs, der Länder und der Gemeinden, 28.1.1922, BA rch R1501/102431, Bl.157. 21 Besoldungsgesetz vom 30. April 1920, RGB l.I 1920, S.805-816. 22 Vgl. Hans Völter: Die deutsche Beamtenbesoldung, Leipzig 1932, S.23. 23 Vgl. ebd., S.93. 24 Ebd., S.92. Die hier aufgeführten Amtsbezeichnungen beziehen sich auf die für diese Studie relevanten Ämter und spiegeln nicht den gesamten Reichsdienst wieder.

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AUSBILDUNG, KARRIEREN UND LAUFBAHNSTRUKTUR

Beamte

Reform 1920

Reform 1927

Höhere Beamte

X und höher

A 1 bis A 2c

Gehobene mittlere Beamte

VII bis IX

A 2d bis A 4c

Mittlere Beamte

IV bis VI

A 4d bis A 9

Untere Beamte

I bis III

A 10 bis A 12

Übersicht über die Besoldungsklassen der Beamten nach den Reformen, 1920 und 192725

Erst durch das »Deutsche Beamtengesetz« vom 26.  Januar 1937 erfolgte wieder eine grundsätzliche Veränderung der Besoldungsgesetzgebung, durch die die Beamtenlaufbahnen und der Beamtenapparat im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie massiv umstrukturiert wurden.26

Die mittlere Beamtenlaufbahn in den Versorgungsbehörden Um die Beamtenlaufbahn nachvollziehen zu können, ist es wichtig, sich die Einstiegsvoraussetzungen, den Behördenalltag und die Aufstiegschancen zu vergegenwärtigen. Im speziellen Fall der Versorgungsbehörden waren die Zuständigkeiten in den Anfangsjahren von einer hohen Fluktuation bestimmt, da im Rahmen der Neugründung der Behörde gewisse Handlungsfelder erst nach und nach der Versorgung zugeordnet und somit immer neue Aufgabenbereiche eröffnet wurden.27 Der Einstieg als mittlerer Beamter im gesamten Reichsdienst begann üblicherweise mit einem Probedienst in einer staatlichen Behörde und der sogenannten Anwartschaft, im Zuge der eine Einreihung in die mittlere Beamtenlaufbahn möglich war. Um eine Position in einer Reichsbehörde zu erlangen, galt es zunächst, einen der Plätze auf den offiziellen, stets überfüllten Bewerberlisten zu erlangen. Von diesen Listen wurden die sogenannten Anwärter ausgewählt. Dabei wurde zwischen zwei Gruppen unterschieden: zum einen die Zivilanwärter, die durch eine klassische Bewerbung auf die Anwärterlisten gelangten, 25 Vgl. ebd., S.94. 26 RGB l.I 1937, S.39-70. 27 Hecker, Betrifft: Arbeitsanfall im Bereiche des Hauptversorgungsamtes Berlins, 28.5.1927, BA rch R3901/9461, nicht pag.

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und zum anderen die sogenannten Militär- und Versorgungsanwärter, die durch einen Beamtenschein einen priorisierten Zugang zu den Listen erhielten. Die Zivilanwärter mussten für eine erfolgreiche Bewerbung zunächst einen Nachweis der Volksschulbildung oder der Primareife beziehungsweise ein Einjährigenzeugnis erbringen. In wenigen Fällen wurde auch eine Aufnahmeprüfung durchgeführt. Eine klare staatliche Vereinheitlichung der Zugangsvoraussetzungen für den mittleren Dienst gab es zwar nicht, jedoch stellte sich die mittlere Reife als Einstiegsvoraussetzung bereits im Kaiserreich als gängige Praxis heraus.28 Doch auch gelernte Handwerker oder andere vorher in einem Ausbildungsberuf tätige Angestellte konnten in Ausnahmefällen in den Staatsdienst aufgenommen werden. Das übliche Einstiegsalter für den sogenannten Vorbereitungs- oder Probedienst der Anwärter lag zwischen 17 und 25 Jahren.29 Je nach der angestrebten Laufbahn, der Behörde oder den Fähigkeiten der Personen konnte der Probedienst zwischen zwei bis fünf Jahren dauern, da das erfolgreiche Bestehen einer Abschlussprüfung über das Ende des Probedienstes entschied.30 Zu Beginn des Vorbereitungsdienstes gab es zunächst eine Probezeit, nach deren Ende der offizielle Titel »Beamtenanwärter« oder »Anwärter im Probedienst« verliehen wurde. Die Anwärter wurden meist nach der Diätenordnung bezahlt, ihr Gehalt betrug ca. 70% bis 90% der Besoldungsgruppe, in die sie voraussichtlich als Erstes eingereiht werden würden.31 Üblicherweise fand der praktische Vorbereitungsdienst in der Behörde statt, und die Anwärter wurden von älteren Beamten angeleitet. Die zu erlernenden Fertigkeiten waren die Auffassungsgabe in Bezug auf die behördlichen Vorgänge, das Fachwissen und die Expertisen im Behördenverkehr.32 Mit dem Bestehen der ersten Prüfung, der 28 Auszug aus dem Entwurf der obersten Reichsbehörden, der Preußischen Zentralbehörden, der Länderregierungen und der dem Reichsministerium des Innern nachgeordneten Ämter, 1920, BA rch R3901/102430, nicht pag.; sowie Luttenberger (Anm.2), S.305. 29 Richtlinien zu den von den Ministerien zu erlassenden Vorschriften über Vorbildung, Ausbildung und Prüfung der Beamten des mittleren Verwaltungsund Justizdienstes, 1922, BA rch R1501/102431, Bl.68. 30 Günther: »Das Wesen des Anwärters und der Anwartschaft«, in: Beamtenjahrbuch 20 (1933), Nr.9, S.434. 31 Vgl. W. Isberner: Jahrbuch für Beamte im Versorgungs- und Fürsorgewesen, Berlin 1921, S.85. 32 Vgl. Luttenberger (Anm.2), S.309.

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AUSBILDUNG, KARRIEREN UND LAUFBAHNSTRUKTUR

sogenannten Diätarprüfung, wurden die Anwärter schließlich in den Stellenplan der jeweiligen Behörde eingereiht, womit ihr offizieller Laufbahnbeginn markiert wurde. Als Anwärter einer nachgeordneten Behörde eines Reichsministeriums konnten sie nach Bedarf auch in die Zentrale berufen werden.33 In den Versorgungsbehörden wurden die Prüfungen unter der Leitung der Hauptversorgungsämter durchgeführt, die auch die Aufgaben und die Prüfungsausschüsse stellten. Die Prüfungen bestanden üblicherweise aus drei Aufgaben, der Darstellung eines einfachen Sachverhaltes aus der Beschädigten- und Hinterbliebenenversorgung sowie Fragen über den Aufgabenkreis und Aufbau und ferner über den inneren Dienstbetrieb der Versorgungsbehörden, einschließlich des Kassenwesens. In der sogenannten Inspektorenprüfung wurden Aufgaben über das Versorgungsrecht, die Verwaltung, das Staats- und Verwaltungsrecht sowie die soziale Fürsorge und Heilfürsorge gestellt.34 Das bedeutete konkret, dass Prüflinge zum Beispiel die Genehmigung einer Heilbehandlung exemplarisch durchführen mussten.35 Die Militär- und Versorgungsanwärter erhielten eine bevorzugte Eingliederung in eine behördliche Anwärterliste durch einen Beamten- oder Versorgungsschein. Dies betraf ehemalige Militärpersonen, die über einen Zivilversorgungsschein verfügten, Inhaber eines Zivildienstscheins aufgrund des Wehrmachtsversorgungsgesetzes, Inhaber eines Polizeiversorgungsscheins sowie die Inhaber eines Beamtenscheins nach dem Reichsversorgungsgesetz, meist Schwerbeschädigte.36 Die Einberufung dieser Schwerbeschädigten als Anwärter wurde als staatliche Versorgungsmaßnahme gesehen, da viele ehemalige Berufsoffiziere meist nicht die entsprechende Vorbildung für eine Zivilanwartschaft mitbrachten oder durch ihre Beschädigung für einen anderen Berufszweig nicht mehr geeignet waren.37 Somit war der Beamtenschein zugleich eine Versorgungsmaßnahme für Beschädigte als auch für ausgeschiedene Berufssoldaten. Die Grundsätze für die Anstellung der Inhaber eines Versorgungsscheins vom 26.  Juli 1922 legten fest, dass eine bestimmte Anzahl von Anwärterstellen in den Verwaltungen den Versorgungsanwär33 Berufsverein der höheren Beamten: Auszug aus den »Nachrichten des Berufsvereins der höheren Verwaltungsbeamten« (November 1922), Nr.11/12, S.83, BA rch R8081/42, nicht pag. 34 Handbuch der Reichsversorgung (Anm.6), S.1724a. 35 Prüfungsaufgabe im Versorgungswesen, o.D., BA rch R3901/6599, nicht pag. 36 Handbuch der Reichsversorgung (Anm.6), S.1597. 37 Vgl. Günther (Anm.30), S.434-450.

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tern vorbehalten war. Variierend, je nach Besoldungsgruppe, sollten zwischen 50% und 75% der Stellen der mittleren Beamtenlaufbahn ausschließlich mit Versorgungsscheininhabern besetzt werden.38 Die Beamtenlaufbahn war somit nicht nur ein Staatsdienst, sondern in diesem Fall auch ein Dienst des Staates für seine Bürger. Außerdem hatten die meisten Versorgungsanwärter durch ihre vorherige Militärlaufbahn eine wesentlich geringere Schulbildung als die Zivilanwärter. Von Zeitgenossen wurde das mit der als mangelhaft und ungenügend bezeichneten Ausbildung zum Beispiel bei der Reichsmarine begründet. Somit war der Erwerb eines Beamten- bzw. Versorgungsscheins nicht an eine behördenspezifische Vorbildung oder eine gewisse Expertise gekoppelt.39 Im Jahr 1927 verteilte sich die mittlere Beamtenschaft beispielsweise folgendermaßen: Jeweils 50% der Assistenten waren Versorgungsund Zivilanwärter, 30% der Sekretäre waren ehemalige Assistenten. Die Obersekretäre bestanden zu 30% aus Aufstiegsbeamten, zu 50% aus Versorgungsanwärtern mit der zweiten Abschlussprüfung und zu 20% aus Zivilanwärtern mit der Unterprimareife.40 Eine Garantie für eine Planstelle gab es für die Anwärter allerdings nicht: In den Jahren der staatlichen Finanzkrise wurde der Behördeneinstieg vor allem für die Zivilanwärter erschwert, da in diesen Jahren offene Planstellen bevorzugt an Versorgungsanwärter sowie sogenannte Wartestandbeamte vergeben wurden. Die Wartestandbeamten erhielten als in den vorläufigen Ruhestand versetzte Beamte ohnehin eine Besoldung in Form ihres Wartegeldes, und Schwerbeschädigte sollten während der Wirtschaftskrisen so gut wie möglich »versorgt« werden.41 Das zeigte sich auch schon bei den Bewerberlisten; ab 1929 galt die Regelung, dass zwei Drittel der Bewerberlisten mit Versorgungsanwärtern besetzt werden mussten.42 Daraus ergab sich, dass in den letzten Jahren der Weimarer Republik wesentlich weniger jungen 38 Anstellungsgrundsätze (Grundsätze für die Anstellung der Inhaber eines Versorgungsscheins) vom 16. Juli 1923, RGB l.1923, S.651-682, hier S.653 (§8). 39 Runderlass des Reichsarbeitsministers zum Dienstgebrauch der Versorgungsdienststellen, 3.7.1931, BA rch R3901/20502, Bl.71. 40 Vgl. Herberger: Beamtenlaufbahnen, 14.10.1928, BA rch R8082/89, Bl.65-66. 41 Foerster, Bekanntmachung über Beamtenersatz in »Auszug aus dem Reichsministerialblatt Nr.49 vom 17.  November 1928«, 13.11.1928, BA rch R3901/20499, Bl.29; vgl. Schulte-Holthausen: Anstellungsgrundsätze, in: Reichsversorgungsblatt (1930), Nr.5, S.28 42 Max Schroeder an das Mitglied des Reichstags Direktor E. Rossmann, 8.7.1930, BA rch R3901/20502, nicht pag.

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Schulabsolventen, die sich durch ihre Zeugnisse für eine Zivilanwartschaft qualifiziert hatten, ein Behördeneinstieg ermöglicht wurde. Eher wurden dienstältere Versorgungs- und Beamtenscheininhaber sowie Wartestandsbeamte in die Laufbahn eingereiht, bei denen es sich meist entweder um unerfahrene oder ältere Verwaltungsbeamte handelte. Die Beamtenanwärter wurden in einer rein praktischen Ausbildung an die alltäglichen Tätigkeiten der jeweiligen Ausbildungsbehörde herangeführt. Bei den Behörden der Reichsversorgungen standen nicht nur typische Verwaltungsaufgaben im Mittelpunkt, sondern auch die Interaktion mit den Versorgten und die Einarbeitung in ein umfangreiches und sich stets veränderndes Versorgungsgesetzeswerk. Mit dem angestiegenen Arbeitspensum in den Versorgungsbehörden im Jahr 1927 sah sich das Reichsarbeitsministerium gezwungen, zu handeln und eine Lösung für die Überbelastung seiner größten nachgeordneten Behörde zu finden. Trotz der ernsten Lage weigerte sich das Ministerium, weitere Beamtenstellen für den Beamtennachwuchs zu schaffen oder gar aus dem Kontingent von für den mittleren Dienst geprüften unteren Beamten oder der Wartestandsbeamten zu schöpfen.43 Das stieß auf Widerrede bei den Versorgungsbehörden, hatte man im Rahmen der Behördenentlastung die Einberufung neuer Beamtenanwärter doch stark befürwortet, »da die dauernde Mehrbelastung der vorhandenen Beamten nicht tragbar ist und sich jetzt nur auf Kosten der Gesundheit der Beamten durchführen lässt.«44 Zusätzlich führte diese angespannte Situation regelmäßig zu einer allgemeinen Kritik an der Ausbildung der mittleren Beamtenschaft und förderte Bestrebungen nach einer Neustrukturierung, wie sie bereits zu Beginn dieses Beitrages zitiert wurde. Die starke Arbeitsbelastung der Beamten stellte die größte Schwierigkeit für die Durchführung der Ausbildung dar, »diese Heranbildung [war] […] für die Behörden nicht angenehm, und oft störend, da die Anwärter ein volles Jahr, also während der Ausbildungszeit als Last empfunden werden, um später bis zur Prüfung zum schwierigen Bürodienst mit ihrem einfachen Zeichnungsrecht auch nur beschränkten Nutzen bringen.«45 43 Vermerk des Oberregierungsrats Schroeder und des Regierungsoberinspektors Hussmann, 30.8.1927, BA rch R3901/20501, nicht pag. 44 Bund der Beamten im Bereich des Reichsarbeitsministeriums, Betrifft: Nachwuchs bei den Versorgungsdienststellen, 29.7.1927, BA rch R3901/20501, Bl.101. 45 Leiter des Versorgungsamtes III Berlin an den Direktor des Hauptversorgungsamtes Brandenburg-Pommern, Betrifft: Beamtenangelegenheiten, 3.12.1937, BA rch R3901/20584, Bl.161.

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Eine zentrale Aufgabe der Versorgungsbehörden lag im Umgang mit den Versorgten, denn das Schicksal der Kriegsbeschädigten und ihrer Hinterbliebenen stand auch im Fokus der Öffentlichkeit. Somit wurden speziell für diese Interaktion Vorgaben entwickelt, um Beschwerden einzudämmen. Die »Richtschnur für den gesamten Dienstverkehr« bestimmte als höchstes Ziel der Beamten: »Stets Sorge für das Wohl der Versorgungsbegehrenden und unermüdliche Hilfsbereitschaft auch in den kleinsten Dingen.«46 Diese Vorgaben dienten allerdings nicht nur dem Streben nach strukturierten Instruktionen und einer theoretischen Basis, um die Beamtenanwärter auf ihre praktische Tätigkeit im Behördenalltag vorzubereiten. Auch ein flexibler Umgang in der täglichen Handhabung der Verwaltungstätigkeiten wurde erbeten. Speziell dieser Punkt kann als Antwort auf zeitgenössische Vorwürfe interpretiert werden, wonach der durchschnittliche Beamte grundsätzlich langsam und überbürokratisiert sei und deshalb die Behördenprozesse stets zu viel Zeit benötigten und nicht effizient verliefen.47 Besonders in den Jahren der Wirtschaftskrise waren die Beamten immer wieder brutalen Androhungen von Gewalt durch Versorgte, die sich missverstanden oder misshandelt fühlten, ausgesetzt, und es kam zu zahlreichen Fällen von Sachbeschädigung in den Versorgungsämtern.48 Umso wichtiger wurde es deshalb, die Beamtenanwärter genau in die Behördenpflichten einzuarbeiten, um potenzielle Konflikte auf ein Minimum zu reduzieren. Vor allem der typische Streitpunkt zwischen den Behörden und den Versorgten, der Rekurs oder Widerspruch, sollte mit großer Aufmerksamkeit bearbeitet und erst nach genauer Prüfung der Sachlage gegebenenfalls für eine Neueinschätzung an die Hauptversorgungsämter oder an die Versorgungsgerichte für eine Entscheidung weitergegeben werden.49 Ähnliches galt für Fälle der Rentenneugewährung, die zehn Jahre nach dem Ersten Weltkrieg als Überprüfung durchgeführt wurde, ob sich Versorgungsansprüche gemindert hatten oder überhaupt noch bestanden.50 Die Balance zwischen einem kulanten, verständnisvollen Umgang mit den Antragstel46 Vorgaben für den Verkehr zwischen den Versorgungsdienststellen und Versorgungsberechtigten, in: Reichsversorgungsblatt (1928), Nr.14, S.64. 47 Vgl. ebd. 48 Hauptversorgungsamt Niedersachsen-Nordmark an das Reichsarbeitsministerium, Betrifft: Schutz der Beamten, 30.9.1929, BArch R3901/6573, nicht pag. 49 Schott, Beschwerde der Bundesleitung des Frontkriegerbundes e.V. in München über die Handhabe von Versorgungsansprüchen, 8.4.1927, BA rch R3901/9461, nicht pag. 50 Zahlreiche dieser Fälle finden sich in der Akte BA rch R3901/9537.

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lern und einem entschiedenen Durchgreifen bei der Nichtgewährung von Rekursen war eine Kernaufgabe der Beamten und beeinflusste immer wieder das Urteil über die Mitarbeiter der Versorgungsämter. Das komplexe Gesetzeswerk der Reichsversorgung stellte eine Herausforderung und einen Risikofaktor für eine Verlangsamung der Verwaltung dar. Anhand von Handreichungen für die Vereinfachungen des Behördenablaufs oder durch die Aufhebung hinderlicher Verwaltungsvorschriften wurden erste Schritte getan, bevor 1932 mit dem Handbuch der Reichsversorgung zum ersten Mal ein gesammeltes Regelwerk herausgegeben wurde, in dem sich Handreichungen für alle für die Versorgung wichtigen Verwaltungsvorgänge und Gesetzesgrundlagen befanden.51 Es erfolgte eine jährliche Überarbeitung und Aktualisierungen wurden jeweils in die vorherige Ausgabe eingeklebt, da ein kompletter Neudruck wegen der ständigen Veränderung der Gesetze und Handlungsfelder obsolet gewesen wäre. Somit war auch für die Ausbildung kaum ein realer inhaltlicher Standard festzulegen, da ein reibungsloser Behördenablauf selbst durch die Arbeit der erfahrenen Beamtenschaft kaum zu gewährleisten war. Sosehr sich die Versorgungsbehörden um eine Vereinfachung der Behördenvorgänge bemühten, ebenso schnell verloren Veränderungen mit einem Anstieg von Neu- und Änderungsanträgen ihre Wirkung. Im Jahr 1928 wurde von einem Beamten eines Versorgungsamtes konstatiert: Der »Arbeitsanfall bei den Versorgungsämtern [hat] einen derartigen Umfang genommen, daß ein geordneter Geschäftsgang nicht mehr gewährleistet ist. Die gesamte Geschäftslage hat sich nach und nach derartig entwickelt, daß jetzt Verantwortung für ordnungsgemäße Durchführung der Arbeiten nicht mehr übernommen werden kann.«52 Unter diesen Arbeitsbedingungen litten die Arbeitsmoral und der Arbeitsablauf, aber auch die Ausbildung selbstständig tätiger, für einen Aufstieg in ihrer Laufbahn bestimmter Beamter. Während der Wirtschaftskrise wurden 1932 schließlich zahlreiche Hauptversorgungs- und Versorgungsämter geschlossen und die Beamtenschaft reduziert, zudem brachten die staatlichen Notverordnungen rapide Kürzungen in der Besoldung mit sich und belasteten auch die Beamten, die in der Behörde verblieben.53 51 Handbuch der Reichsversorgung (Anm.6). 52 Reschke, Betrifft: Überlastung der Versorgungsämter, 3.4.1928, BA rch R3901/9361, nicht pag. 53 Vgl. Völter (Anm.22), S.17.

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Für die mittlere Beamtenschaft war der Aufstieg in eine höhere Besoldungsklasse zum ersten Mal bei der Besoldungsgruppe VII (ab 1927 A  4c), also beim Aufstieg in die gehobene mittlere Beamtenschaft, begrenzt, da für den Aufstieg eine Anstellungsprüfung notwendig wurde.54 Alle vorherigen Besoldungsgruppen durchschritten sie automatisch im Rahmen der normalen Laufbahn. Ab 1927 waren auch andere Besoldungsgruppen mit einer Ergänzungsprüfung verbunden, wie zum Beispiel die Besoldungsgruppe A  4d. Um für diese Aufstiegsprüfung berücksichtigt zu werden, mussten die entsprechenden Beamten einer niedrigeren Besoldungsgruppe von der entsprechenden Behörde vorgeschlagen werden. Zu diesem Vorschlag musste eine umfangreiche Empfehlung beigefügt werden, in der die Fähigkeiten der Beamten beschrieben und bewertet wurden.55 Da in den Jahren von 1925 bis 1929 zahlreiche Aufstiegsprüfungen nicht stattfanden, wurden Sonderzulassungen durchgeführt, um jenen eine Gelegenheit zu geben, die bereits mehrfach durchgefallen waren oder bisher keine Chance gehabt hatten, eine Prüfung abzulegen. Damit sollte vor allem eine massive Überalterung des Beamtenapparates und ein Mangel an Aufstiegsbeamten verhindert werden. Durch die prekäre Finanzlage des Staates hatten mehr als 1200 mittlere Beamte keine Prüfungen ablegen können, da ihre Einreihung in eine Planstelle und ihr Aufstieg in eine höhere Besoldungsklasse als zu kostspielig angesehen wurde. Ältere Beamte wurden für diese Prüfungen bevorzugt, damit sie ihre Laufbahn weiterverfolgen konnten. Gleichzeitig bedeutete dies, dass speziell jüngere und schlechter ausgebildete Beamte eher in andere Behörden übernommen wurden, da sie schlichtweg billiger waren.56

Die Beamtenpolitik in den ersten Jahren der nationalsozialistischen Herrschaft, 1933-1937 Mit der Machtübernahme der nationalsozialistischen Regierung unter Adolf Hitler wandelte sich nicht nur das politische Machtgefüge in Deutschland, sondern auch die Behördenstruktur und die Bürokratie. 54 Richtlinien für die Beamtenlaufbahn, 28.1.1922, BA rch R1501/102431, Bl.4344. 55 Brief vom Reichsminister der Finanzen, 31.12.1927, BA rch R3901/6608, nicht pag.; sowie Brief von Grießmeyer, 16.6.1928, BA rch R3901/6609, nicht pag. 56 Schroeder, Aktenvermerk über die Prüfungsfrage 1930, 23.7.1930, BA rch R3901/6611, nicht pag.

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AUSBILDUNG, KARRIEREN UND LAUFBAHNSTRUKTUR

Das »Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums« vom 7. April 1933 stellte auch für die behördliche Verwaltungspraxis eine deutliche Zäsur dar, insbesondere durch seine scharfe Abgrenzung zur Weimarer Republik.57 Durch den §2 wurden alle Beamten entlassen, die nach dem 9. November 1918 in das Beamtenverhältnis eingetreten waren und die vermeintlich nicht die vorgeschriebenen Voraussetzungen für die Laufbahn mitgebracht hatten. Davon waren vor allem sogenannte »Parteibuch-, Revolutions- oder Novemberbeamte« betroffen.58 Gleichzeitig wurden mit §3 bis auf wenige Ausnahmen alle »nichtarischen« Beamten sowie durch §4 jene Beamten entlassen, »deren rückhaltloser Einsatz für den nationalsozialistischen Staat nicht gewährleistet war«. Durch die Dritte Durchführungsverordnung vom 6.  Mai 1933 wurde bereits die Zugehörigkeit zur kommunistischen Partei als »nationale Unzuverlässigkeit« gewertet.59 Im Bereich der nachgeordneten Behörden des Reichsarbeitsministeriums waren vor allem nach den §§2 und 4 des »Berufsbeamtengesetzes« zahlreiche Entlassungen gegen den hartnäckigen Widerstand des Ministeriums durchgeführt worden.60 Das betraf vor allem die Arbeits- und Versorgungsämter, in denen der Anteil ehemaliger Sozialdemokraten und Gewerkschafter besonders hoch war.61 Allerdings muss daraus nicht automatisch eine komplette, parteikonforme Umwälzung des Beamtenapparates im Sinne des NS gelesen werden; vielmehr ist hier ein Bestreben zu erkennen, den Anforderungen der Partei entgegenzukommen und gleichzeitig die traditionelle Laufbahnstruktur und die Laufbahnrichtlinien weitestgehend aufrechtzuerhalten.62 Doch nicht nur gesetzliche Veränderungen, auch die »nationalsozialistische Weltanschauung« wies dem Berufsbeamtentum eine neue Rolle zu: »Der Beamtenberuf als Grundpfeiler des Reiches aber erfordert Achtung im Volke. Diese wird um so mehr steigen, als der Beamte durch seine Leistung Vertrauen erweckt.«63 Der Behördenbeamte sollte vor allem in Fachkreisen eine neue Bestimmung erhalten: Es war im nationalsozialistischen Staatsgefüge von großer Bedeutung, dass 57 58 59 60

RGB l.I 1933, S.175-177.

Vgl. Grotkopp (Anm.17), S.111. RGB l.I 1933, S.245-252, hier S.247.

Vgl. Hans Mommsen: Beamtentum im Dritten Reich. Mit ausgewählten Quellen zur nationalsozialistischen Beamtenpolitik, Stuttgart 1966, S.47, 72. 61 Vgl. ebd., S.47. 62 Vgl. ebd., S.69. 63 Fritz Triebel: Das Problem des Beamtennachwuchses, in: Der deutsche Reichsverwaltungsbeamte/Der Deutsche Verwaltungsbeamte (1940/41), Nr.1, S.2.

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der Beamte nicht mehr als »Vertreter der Obrigkeit«, sondern als »Beauftragter des Führers und ausführendes Organ und Mittler des vom Vertrauen des Volkes getragenen Führerwillens«64 gesehen wurde. Er sollte gerechter und verständnisvoller sein, als es die Parteibeamten in der Weimarer Republik gewesen waren, denn von seiner Tätigkeit würden Rückschlüsse auf die Regierung und den Staat geschlossen. Sachgemäßes und faires Handeln sollten die Prämisse für jede Verwaltungstätigkeit sein.65 In diesem Fall gleichen die Anforderungen an den Beamten im Kontakt mit den Bürgern exakt denen in der Weimarer Republik, allerdings sollte mit einer neuen Handlungsmotivation aus dem Führergedanken heraus mit der Beamtenpolitik in den 1920er-Jahren gebrochen werden. Schlussendlich bedeutete die neue Ausrichtung auf »den Volkswillen« insbesondere eine Ausrichtung auf den Willen der NSDAP .66 In diesem neuen Staatsgefüge kam der mittleren Beamtenschaft eine besondere Rolle zu. »Der gehobene mittlere Beamte der allgemeinen Verwaltung ist schließlich der völlig selbstständige, durch keine andere Beamtenkategorie zu ersetzende Träger des für das Funktionieren des Staates grundlegend wichtigen Kassen- und Rechnungswesens.«67 Diese Aussage war im Besonderen für die nachgeordneten Behörden des Reichsarbeitsministeriums von großer Bedeutung, da das Ministerium angehalten war, seine mittlere Beamtenschaft fast ausschließlich mit Beamten aus den nachgeordneten Behörden zu besetzen.68 Innerhalb der neuen Staatsform und der nationalsozialistischen Ideologie wurden der Beamte und die Verwaltung nun an ihrer Tätigkeit für den Volksstaat gemessen, und in dieser Rolle sollte der Beamte optimale Lebensbedingungen für das deutsche Volk schaffen und es durch eine effiziente Bürokratie so gut wie möglich fördern.69 Immerhin beeinflusste die neue Regierung die Versorgung von ungefähr 809000 Kriegsbeschädigten und fast 650000 Witwen-, Waisen- und Elterngeldempfängern, 64 Leopold Reck: »Der Wert der Beamtenarbeit«, in: Der deutsche Reichsverwaltungsbeamte/Der Deutsche Verwaltungsbeamte (1935), Nr.3, S.65. 65 Vgl. ebd. 66 Zwei Jahre Nationalsozialistische Beamtenpolitik, in: Der deutsche Reichsverwaltungsbeamte/Der Deutsche Verwaltungsbeamte (1938), Nr.6, S.172. 67 Der Preußische Finanzminister, Betrifft: Zulassungs- und Ausbildungsvorschriften für den gehobenen mittleren Dienst insbesondere der allgemeinen Verwaltung, 7.12.1937, BA rch R3901/11930, nicht pag. 68 Reichsarbeitsministerium, Laufbahnrichtlinien der Beamten des mittleren Dienstes, 22.7.1937, BA rch R3901/11925, nicht pag. 69 Vgl. Johannes Weidemann: Führertum in der Verwaltung, Berlin 1936, S.9.

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AUSBILDUNG, KARRIEREN UND LAUFBAHNSTRUKTUR

die im Jahr 1933 von 100 Versorgungsämtern betreut wurden.70 Doch der Einfluss des Staates auf Gesetzgebung und ideologische Ausrichtung der Behörden minderte nicht die Bedeutung der Beamtenschaft an sich. Somit sollten die Eingriffe der Staatsführung in die Beamten- und Verwaltungsangelegenheiten nicht nur als mächtiges Repressionsinstrument gesehen werden, war doch auch der nationalsozialistische Staat von einer reibungslos arbeitenden Beamtenschaft abhängig. Darin ist sicherlich auch die Ursache zu suchen, warum es keinerlei Bestrebungen gab, das Beamtentum von seinen Grundfesten aus völlig neu zu strukturieren. So wie in vielen anderen Reichsbehörden auch, waren mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten zahlreiche Veränderungen beim Einstieg in die Beamtenlaufbahn zu verzeichnen. Im Sinne der neuen Regierung rückte die Auslese des »zukünftigen Beamtennachwuchses« ins Zentrum der Verwaltungsdiskussionen, um diese auf ein vollständiges Eintreten für den Staat vorzubereiten.71 Ab dem Jahr 1935 wurde im Reichshaushaltsplan zum ersten Mal nach der »Machtergreifung« nicht nur wieder ein Posten für die Beamtenausbildung zugelassen, sondern es wurde sogar dringend um neue Beamtenanwärter gebeten. Damit ging die Regierung aktiv gegen die Nachwirkungen der Notverordnungen vor, die in den Jahren 1930 bis 1932 als Gegengewicht zur finanziellen Krise erlassen worden waren.72 Die tatsächlichen Ausbildungs- und Laufbahnrichtlinien der mittleren Beamtenschaft waren dabei zunächst, wie schon nach dem Staatswechsel 1918, die Gleichen geblieben. Allerdings war ab 1933 für die Einberufung der Anwärter neben der adäquaten Vorbildung auch der aktive Einsatz für den nationalen Staat sowie eine nachweislich »arische« Abstammung maßgeblich.73 70 Vgl. Foerster, Die Zahl der versorgungsberechtigten Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen und die Zahl der versorgungsberechtigten ehemaligen Angehörigen der neuen Wehrmacht und ihre Hinterbliebenen im Mai 1933, in: Rabl. II 24 (1933), S.335-337. 71 Vgl. Zwei Jahre Nationalsozialistische Beamtenpolitik, in: Der deutsche Reichsverwaltungsbeamte/Der Deutsche Verwaltungsbeamte (1938), Nr.6, S.172. 72 Reichshaushaltsplan für das Rechnungsjahr 1935, Berlin 1935, VII . Ordentlicher Haushalt, Kapitel 11, Titel 5, S.58. 73 Gesetz zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiete des allgemeinen Beamten-, des Besoldungs- und des Versorgungsrechts vom 30.  Juni 1933, RGB l.I (1933), S.433-447, hier S.434.

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Es sollte »besonders Wert darauf gelegt werden, daß die Bewerber den Gedanken der Volksgemeinschaft voll in sich aufgenommen und […] in die Tat umgesetzt haben.«74 Diese Anforderungen der Staatsführung spielten sich in einem Wechselspiel zwischen parteilichem Vormarsch und bürokratischer Routine ab: Zwar waren unter den zwischen Januar und Mai 1933 in die NSDAP eingetretenen Mitgliedern 81,4% Beamte, allerdings gab es gleichzeitig wenige gut gebildete Parteigenossen, die nur aufgrund ihrer NSDAP -Mitgliedschaft ohne weiteres eine Beamtenlaufbahn einschlagen konnten.75 Schon um 1930 gehörten bereits ca. 8,3% der gesamten deutschen Beamtenschaft der NSDAP an – ein großer Teil davon waren mittlere und untere Beamte.76 Der Widerstand innerhalb der Beamtenschaft gegen die Partei und ihre Politik war somit verhältnismäßig gering. Bis auf diese minimalen Veränderungen und Einflussnahme von Seiten des Staates blieb jedoch eine grundsätzliche Umstrukturierung der Ausbildung im Reichsarbeitsministerium und in allen anderen Reichsbehörden aus. Das hatte allerdings nichts mit einem mangelnden Engagement von Seiten unterschiedlicher Reichsbehörden zu tun, sondern mit der generellen Umstrukturierung der Reichsbehörden im Jahre 1935, im Rahmen derer das Thema der Beamtenausbildung vorerst zurückgestellt wurde. Die Grundsätze des Berufsbeamtentums, die alten Laufbahnordnungen und die Regelungen zu den Eingangsprüfungen sollten zunächst bewahrt werden.77 Somit blieben die Einstellungs- und Ausbildungsbestimmungen in ihrem strukturellen Aufbau nahezu gleich, was weitestgehend auch zu autonomen Entscheidungen der Behörden über die Einberufung der Anwärter führte, da die Personalpolitik im Allgemeinen in der Hand der Verwaltungen verblieb.78 Bei der Einberufung der Beamtenschaft wurde zwar auf die »politische Zuverlässigkeit«79 der Anwärter geachtet, allerdings bedeutete dies zunächst nicht, dass eine NSDAP -Mitgliedschaft zwingend notwendig war. 74 Reichsminister des Innern, Betrifft: Einberufung von Zivilanwärtern für den mittleren Beamtendienst, 8.2.1934, BA rch R3901/20502, nicht pag.; vgl. auch Betr: Unterrichtung der Beamten, Angestellten und Arbeiter über den Nationalsozialismus, 30.11.1933, BA rch R3901/20514, Bl.304f. 75 Vgl. Wunder (Anm.12), S.140. 76 Vgl. Grotkopp (Anm.17), S.111. 77 Vgl. Wunder (Anm.12), S.141. 78 Vgl. ebd.; sowie Heranbildung des Nachwuchses für den Ministerialbüround Registraturdienstes, 27.4.1935, BA rch R3901/20499, Bl.97. 79 Seel: Beamtenrecht. Grundlinien des Beamtenrechts, in: Beamtenjahrbuch 21 (1934), Nr.1, S.5.

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Die Annahme, nach der »Machtergreifung« der Nationalsozialisten seien die Beamtenlaufbahnen bevorzugt mit »alten Kämpfern« und Parteimitgliedern, unabhängig von ihren Expertisen und ihrer Ausbildung, besetzt worden, lässt sich in Bezug auf den Einstieg in eine standardisierte Laufbahn nur bedingt bestätigen. Mitglieder der NSDAP konnten zwar tatsächlich einen leichteren Einstieg in die Behörde finden – allerdings geschah dies durch eine Veränderung im Reichsversorgungsgesetz. Mit dem »Gesetz über die Versorgung der Kämpfer für die nationale Erhebung« vom 27. Februar 1934 wurde den Angehörigen der NSDAP und des »Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten« sowie ihrer Gliederungen Versorgung gewährt. Sie und ihre Hinterbliebenen konnten aufgrund gesundheitlicher Folgen von Körperverletzungen, die sie während der Zugehörigkeit zu diesen Gruppierungen vor dem 13.  November 1933 im »Kampf« mit dem politischen Gegner erlitten hatten, Versorgungsgebührnisse beantragen.80 Das bedeutete, dass diese Parteimitglieder auch ein Recht auf einen Versorgungsschein hatten, um damit als Versorgungsanwärter einen bevorzugten Platz auf den Bewerberlisten für den Behördendienst zu bekommen. Außerdem konnten »alten Kämpfern« auch Erleichterungen für die Laufbahnprüfungen gewährt werden.81 Zudem gab es durch einen Runderlass des Reichsministeriums des Innern vom 16. Juli 1935 eine Weisungsbefugnis, um den unteren und einfachen mittleren Dienst stärker mit »bezeichneten Nationalsozialisten« zu durchsetzen: Stellen der genannten Beamtengruppen, die bis 1936 nicht besetzt worden waren, sollten zunächst »alte Kämpfer« erhalten, bevor Versorgungsanwärter auf sie berufen wurden.82 Allerdings ist nicht bekannt, wie viele Personen durch den Runderlass bevorzugt in die Beamtenlaufbahn eingegliedert wurden. Schließlich lagen seit 1933 lange Bewerberlisten vor. Die nächste Veränderung erfolgte durch einen weiteren Erlass des Reichsministeriums des Innern vom 1. November 1935, durch den die Mitgliedschaft in der Hitlerjugend zur Bedingung für die Annahme all jener zukünftigen Beamtenanwärter gemacht wurde, die nach dem 31.  Dezember 1935 das sechzehnte Lebensjahr vollendet hatten. Mit dieser Art von Einstellungsbedingung sollte sich in der Folge nach 80 RGB l.I 1934, S.133-134; sowie Gesetz über die Versorgung der Kämpfer für die nationale Erhebung vom 27.  Februar 1934, in: Reichsversorgungsblatt (1934), Nr.3, S.15-18. 81 Wunder (Anm.12), S.140; sowie Mommsen (Anm.60), S.70. 82 Vgl. Stellen vorbehalten für Nationalsozialisten, in: Der deutsche Reichsverwaltungsbeamte/Der Deutsche Verwaltungsbeamte (1935), Nr.16, S.497.

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und nach eine ideologisch konditionierte Beamtenschaft herausbilden.83 In einer Eingabe vom Reichsarbeitsministerium an die Hauptversorgungsämter verdeutlichte Ministerialrat Schroeder im Jahr 1935, wie die Ausbildung der einfachen mittleren Beamten im Rahmen der Versorgungsbehörden gestaltet werden sollte: Die Anwärter sollten »möglichst schnell und gründlich« mit den Verwaltungsvorgängen und Gesetzesbestimmungen in den Versorgungsbehörden vertraut gemacht werden, um so schnell wie möglich nützlich im Verwaltungsbetrieb zu sein. Dafür hielt Schroeder es für notwendig und unabdingbar, dass man sich nicht allein auf die praktische Ausbildung verlassen könne, sondern die Anwärter durch Vorträge und Übungsstunden mit höheren und erfahreneren Beamten auf den Dienst vorbereiten müsse.84 Die Beamten der Versorgungbehörden befanden sich auch weiterhin im besonderen Fokus der Öffentlichkeit, weshalb ihre tägliche Arbeit in der Behörde auf dem Prüfstand stand. »Die Versorgungsbeamten sind sich ihrer Pflicht gegenüber den Kriegsopfern voll bewusst. Sie werden die ihnen zugewiesene Aufgabe besser erfüllen können, je mehr sie dem Volke verwurzelt sind.«85 Auch eine Vielzahl neuer Versorgungsgesetze, die den Behördenalltag zwar nicht maßgeblich umwälzten, trug zu zahlreichen Verschiebungen in der Handlungspraxis bei. Die Kriegsbeschädigten und Versorgten hatten bereits seit den 1920er-Jahren im besonderen Fokus der nationalsozialistischen Propaganda gestanden. Mit der Machtübernahme wurde es als oberstes Ziel der Reichsbehörden angesehen, jegliche Härten für diese Gruppe zu mildern. Das beinhaltete beispielsweise die Abwendung der Gefahr des Verlustes des Eigenheims.86 Jedoch müssen diese minimalen Erleichterungen im Verhältnis zur gesamten Bevölkerung im Deutschen Reich gesehen werden: Im Gesamtkonstrukt der »Volksgemeinschaft« machten die Sorgen und Bedürfnisse der Kriegsbeschädigten lediglich einen kleinen Teilbereich aus, und somit waren auch die Bemühungen der Verwaltungen entsprechend begrenzt.

83 Vgl. Grotkopp (Anm.17), S.135; Mommsen (Anm.60), S.36. 84 Schroeder, Betr: Beamtenanwärter, 16.1.1935, BA rch R3901/20502, Bl.148149. 85 Feige: Der Versorgungsbeamte  – Vertrauensmann der Kriegsopfer, in: Der deutsche Reichsverwaltungsbeamte/Der Deutsche Verwaltungsbeamte (1934), Nr.9, S.154. 86 Ludwig Münz: Die Sozialpolitische Gesetzgebung seit dem 30. Januar 1933, in: Rabl. II (1933), S.329-335, hier S.330.

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Letztlich gab es erst im Jahr 1937 mit dem »Deutschen Beamtengesetz«87 vom 26.  Januar 1937 erste Bestrebungen, zum einen die Ausbildungszeit zu verkürzen und zum anderen die für den Einstieg erforderliche Schuldbildung herabzusetzen.88 Zusammen mit diesen stark reduzierten Anforderungen ging auch eine Verkürzung des Vorbereitungsdienstes einher.89 Die deutlichste Veränderung bestand aber in den angeforderten Kerneigenschaften der Bewerber, auch wenn diese zunächst nicht gesetzlich festgelegt waren: Die Bewerber mussten »arische«, gesunde Reichsbürger sein, die für den NS -Staat einstanden und außerdem über einen guten Leumund verfügten. Alle mussten die Volksschule besucht haben, aber darüber hinaus kein weiteres Abschlusszeugnis vorlegen. Die Zivilanwärter hatten zusätzlich ihre Parteizugehörigkeit nachzuweisen. Anschließend erfolgte die Aufnahme der Bewerber in den Probedienst, der weiterhin sechs Monate dauerte.90 Der nachhaltigste parteipolitische Eingriff in die Beamtenausbildung beruhte in der Vorgabe, dass eine Prüfungszulassung für den Abschluss des Vorbereitungsdienstes oder für eine Laufbahnbeförderung an eine NSDAP -Mitgliedschaft gekoppelt war. Um die Durchsetzung dieser Vorgaben zu kontrollieren, hatte das Reichsarbeitsministerium das Recht, zu allen Prüfungen nach Bedarf einen Ministerialbeamten zur Überwachung zu entsenden.91 Im »Deutschen Beamtengesetz« wurden des Weiteren sehr detaillierte Voraussetzungen für die Einberufung festgelegt  – und die Interventionsmacht des Staates verstärkt. Es sollten vor allem Bewerber aus kinderreichen Familien bevorzugt werden und jene, die ein Abschlusszeugnis einer anerkannten, vollausgestalteten Mittelschule besaßen oder einen entsprechenden Aufbauzug einer Volksschule be87 RGB l.I 1937, S.39-70. 88 Der Preußische Finanzminister, Betrifft Zulassungs- und Ausbildungsvorschriften für den gehobenen mittleren Dienst insbesondere der allgemeinen Verwaltung, 7.12.1937, BA rch R3901/11930, Bl.4, 9. 89 Vgl. Die Laufbahnen der deutschen Beamten. Ein Nachschlagewerk für Behörden; ein Ratgeber für Zivil- und Versorgungsanwärter, Bd.3: Textabdruck der Laufbahnbestimmungen sämtlicher Fachrichtungen, Verordnung der Reichsregierung über die Vorbildung und die Laufbahnen der deutschen Beamten vom 28.2.1939, Berlin 1940, §§20-24, S.20f. 90 Max Eggerdinger: Ausbildung der Anwärter des einfachen Dienstes, in: Der deutsche Reichsverwaltungsbeamte/Der Deutsche Verwaltungsbeamte (1939), Nr.17, S.560. 91 Gies, Betrifft: Ausbildungs- und Prüfungsordnung, 19.4.1939, BA rch R3901/11930, nicht pag.

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sucht hatten.92 Das Gesetz enthielt jedoch auch ein stärkeres Interventionsrecht für die Partei und die übergeordneten Ministerien. Es wurde bestimmt, dass »der Bewerber um eine Beamtenstelle Mitglied der Partei oder einer ihrer Gliederungen sein muss. Ein Beamter, der von nationalsozialistischen Geist vollkommen durchdrungen ist, wird ein treuer Diener des deutschen Volkes sein; er vermag in der Volksgemeinschaft aufzugehen, sich als Kamerad zu fühlen und stets Berater und Helfer seiner Volksgenossen sein.«93 Zuletzt wurde der Einstieg von Schwerbeschädigten in die Behörde weiter forciert. Vor allem unter direkter Eingabe des Reichsarbeitsministers Franz Seldte sollten Schwerbeschädigte nicht nur bevorzugt für die Beamtenausbildung eingestellt werden, sondern bewusst mehr als die gesetzlich vorgeschriebene Mindestanzahl.94 Diese dezidierten Auswahlkriterien dürfen jedoch nicht als atypische Handlungen und nationalsozialistischer Obrigkeitsakt verstanden werden, denn die Festlegung der Auswahlkriterien lag auch bereits vor der nationalsozialistischen »Machtergreifung« bei der herrschenden Staatsmacht, womit nach dem Staatsformwechsel lediglich ein altes Recht ausgeübt und die ideologisch passenden Anwärter ausgewählt wurden. Tatsächliche Veränderungen und Zusätze in der Laufbahnstruktur, wie die Anregung, die Beamtenlaufbahn mit einem Arbeitsdienst zu verbinden, wurden hingegen nur vorübergehend zwischen den Ministerien diskutiert.95 Die Strukturen der alltäglichen Verwaltungspraxis in der Behörde änderten sich kaum, und die Ziele für die Beamtenschaft, die auch schon in den vorherigen Jahren verfolgt worden waren, blieben unverändert: die Beschleunigung der Behördenvorgänge und die Steigerung der Effizienz. Jedoch galt auch hier, wie in der neuen Ausrichtung des Berufsbeamtentums insgesamt, sich in gewissen Punkten sehr dezidiert von der Weimarer Republik zu distanzieren. So sollte im Rahmen der neuen Staatsführung gewährleistet sein, dass eine »gerechte Zuteilung der Versorgung« unter allen »Volksgenossen« erfolgte, um damit auch vermeintliche ungleiche Verteilungen der vorherigen Jahre 92 Vgl. Die Laufbahnen der deutschen Beamten (Anm.89), S.6f., 20. 93 Heranbildung des Nachwuchses für den Ministerialbüro- und Registraturdienstes, 27.4.1935, BA rch R3901/20499, Bl.97. 94 Seldte: Betrifft: Arbeitsbeschaffung für Kriegsbeschädigte, in: Reichsversorgungblatt (1936), Nr.4, S.32. 95 Vgl. Max Schroeder an den Reichsbund der Zivildienstberechtigten e.V., Auflösung von Versorgungsämtern, 31.12.1931, BArch R3901/20502, Bl.128-129.

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auszuräumen. Allerdings waren die »Ungerechtigkeiten« in Bezug auf die Versorgten mehr politischer als sozialer Natur. »Mit der Würde und dem Ansehen der Kämpfer, die für die Verteidigung des Vaterlandes Leben und Gesundheit eingesetzt haben, ist es nicht vereinbar, wenn Volksgenossen zu Unrecht Versorgung beziehen.«96 Tatsächlich führten diese Grundlagen zu einer gesetzlichen Neuordnung des Versichertenkreises. All jene, die zum Zeitpunkt der Beschädigung Mitglied einer »staatsfeindlichen Partei oder ihrer Hilfs- oder Ersatzorganisation« waren oder als solche eine Beschädigung erlitten hatten, wurden von der Versorgung ausgeschlossen.97 Neben diesen Veränderungen in Bezug auf die Versorgten herrschte in den Versorgungsbehörden, wie in vielen anderen lokalen Behörden, Normalität. Der »Volksgemeinschafts«-Gedanke und seine exkludierenden wie inkludierenden Komponenten beeinflussten die Vergabe von Versorgungsgebührnissen – der dahin führende Verwaltungsvorgang änderte sich jedoch kaum.

Beförderungen und Fortbildungen Die fachliche Weiterbildung der mittleren Beamtenschaft und die Verbesserung ihrer Expertisen war bereits im Kaiserreich ein zentrales Anliegen der Beamtenverbände, und so wurden direkt nach der Republikgründung die ersten Verwaltungsakademien in ganz Deutschland gegründet. Damit sollte gleichzeitig die Leistungsbereitschaft und die qualitative Wertigkeit der Arbeit dieser Verwaltungsbeamten betont werden.98 Zu ihren Lehrkräften gehörten auch Ministerialbeamte der einzelnen Ministerien. Neben der offensichtlichen Optimierung der mittleren Beamtenschaft spielte auch der Aufstieg in die höhere Beamtenlaufbahn von Beginn an eine große Rolle. Dennoch gab es zu Beginn der Weimarer Republik vor allem aus den Reihen der höheren Beamtenschaft und der höheren Beamtenverbände eine scharfe Gegenwehr gegen die Aufstiegsbestrebungen der mittleren Beamten, da sie fürchteten, durch derartige Beförderungen würde die mittlere Beamtenschaft schließlich einfach in die höhere hineinwach96 5. Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Versorgungssachen, 4. Juli 1934, in Reichsversorgungsblatt (1934), Nr.6, S.53. 97 Reichsarbeitsministerium (Hg.): Handbuch der Reichsversorgung, Berlin 1934, o.S. 98 Luttenberger (Anm.2), S.325.

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sen. Die vermeintlich mangelnde Vorbildung der mittleren Beamten war hierbei das entscheidende Argument, weshalb eine strukturelle Zusammenfügung verhindert werden sollte.99 Im Falle der Versorgungsanwärter und der Wartestandbeamten erwiesen sich diese Argumente allerdings als durchaus valide: Viele Versorgungsanwärter fielen bereits in ihrer Ausbildung durch mangelnde Vorbildung auf, während die meisten Wartestandbeamten oft wegen ihrer mangelnden Leistungen in den Wartestand versetzt worden waren und deshalb ausschließlich für den mittleren Dienst herangezogen wurden.100 In den Verwaltungsakademien hatten mittlere Beamte die Möglichkeit, eine Diplomprüfung in einem Fächerschwerpunkt ihrer Wahl abzulegen, zum Beispiel im Rahmen eines sechssemestrigen Fortbildungsstudiums.101 Die Themen reichten von Staats- und Wirtschaftswissenschaften über Rechtswissenschaften bis hin zu unterschiedlichen Fachwissenschaften, innerhalb derer auch Fortbildungen zum Versorgungsrecht möglich waren. Speziell die Ausbildung der Zivilanwärter wurde in Bezug auf die wachsende Verkomplizierung der Verwaltungsprozesse kritisiert, weil die Mängel in der Ausbildung zu vermehrten Spannungen zwischen den beruflichen Anforderungen und dem tatsächlichen Leistungspotenzial der Anwärter führten. Die Fortbildungen in der Verwaltungsakademie konnten deshalb als essentielles Mittel gesehen werden, um die mittlere Beamtenschaft zu einer produktiven Einheit zu formen. Die Versorgungsbeamten rückten außerdem in den Fokus der Organisatoren der Verwaltungsakademien, da im Jahr 1929 das Angebot speziell für die Beamten des Versorgungswesens weiter ausgebaut wurde.102 Diese theoretische Basis gewährte eine sinnvolle Ergänzung zur praktischen Ausbildung in der Behörde. Wartegeldempfänger konnten ebenso von den Fortbildungen profitieren: Oftmals wegen durchschnittlichen oder mangelnden Leistungen in den Wartestand versetzt, konnten sie ihre deutlichen Lücken im Büroalltag mit theoretischem Wissen füllen, damit ihre Leistung verbessern und nach Jahren ohne praktische Berufserfahrung mit einem aktualisierten Wissenskontingent wieder effizient arbeiten. 99 Betrifft: Die Tätigkeit der gehobenen Beamten bei den Regierungen, 3.7.1931, BA rch R8082/89, Bl.46. 100 Niederschrift über die Besprechung mit den Direktoren der Hauptversorgungsämter im Reichsarbeitsministerium, 6.1.1928, BA rch R3901/9361, nicht pag. 101 Verwaltungsakademie an Reichsarbeitsministerium, 15.6.1929, BA rch R3901/6598, nicht pag. 102 Vgl. Fenske (Anm.10), S.19.

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AUSBILDUNG, KARRIEREN UND LAUFBAHNSTRUKTUR

Diese Aufstiegs- und Optimierungsbestrebungen gingen mit einer sehr umfangreichen Weiterbildung der mittleren Beamtenschaft einher. Damit wurde ein Problem gelöst, das bereits seit Jahren in der Ausbildung der mittleren Beamtenschaft bemängelt worden war.103 Trotzdem waren mehrere Reichsminister strikt gegen eine Bevorteilung der Verwaltungsakademie-Absolventen, da sie die Zertifikate für keine geeigneten Eignungsnachweise hielten und die der Laufbahn inhärenten Beförderungsstellen sowieso ohne jede Bindung freigehalten werden sollten. Dem lag auch die Frage nach der Finanzierung eines solchen Laufbahnaufstieges zugrunde, da ein höherer Beamter natürlich wesentlich besser besoldet wurde als ein mittlerer. Das Problem der Beförderungsreihenfolge war auch mit der neuen Reichsregierung ab 1933 nicht gelöst. Viele geprüfte Beamte warteten zu diesem Zeitpunkt auf eine ihnen gebührende Planstelle. In der Beförderungsreihenfolge waren es nun tatsächlich als Erstes die der Partei nahestehenden Beamten, die nun profitierten: Der Reichsarbeitsminister entschied 1934, dass »verdiente Kämpfer um die nationale Erhebung« bevorzugt befördert werden sollten. Das galt für all jene Beamten, die vor dem 1. September 1930 in die Partei eingetreten waren, die durch eine Beurteilung der Gauleitung als »Kämpfer« bestätigt wurden und die außerdem einwandfreie Qualifikationen besaßen.104 Im Sinne der Verwaltungsvereinfachung und der Beschleunigung der Beförderungen wurden zu diesem Zeitpunkt verbeamtete NSDAP -Mitglieder bevorzugt. Die Möglichkeiten für einen Aufstieg sowohl innerhalb der mittleren Beamtenlaufbahn als auch in die höhere Beamtenlaufbahn waren im NS -Staat ebenfalls mit den Fortbildungen der Verwaltungsakademien verbunden. Das Potenzial der Akademien wurde schon früh erkannt. Bereits 1933 wurde der Chef der Reichskanzlei, Hans Heinrich Lammers, Vorsitzender des Reichsverbandes der Verwaltungsakademien. Außerdem wurden im Reichshaushalt Zuwendungen für die Verwaltungsakademien eingeplant, die in den Jahren 1937 und 1938 50000 RM betrugen.105 103 Vgl. ebd. 104 Vgl. Aus dem Bereich des Reichsarbeitsministeriums: Beförderung bevorzugter Kämpfer um die nationale Bewegung, in: Der deutsche Reichsverwaltungsbeamte/Der Deutsche Verwaltungsbeamte (1934), Nr.7, S.110. 105 Vgl. Weidemann (Anm.69), S.42; Staatssekretär und Chef der Reichskanzlei, Betrifft: Zuwendungen für den Reichsverband Deutscher VerwaltungsAkademien, 21.1.1937, BA rch R43 II /947, nicht pag.

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Allerdings dienten die Fortbildungen in den Verwaltungsakademien nicht mehr einer fachlichen Weiterbildung der Beamtenschaft, sondern sie wurden vielmehr zentral für die nationalsozialistische Bildung der Beamten genutzt: Bis zu 72 Stunden weltanschaulich-nationalpolitischer Vorträge wurden in den Verwaltungsakademien angeboten und machten die Weiterbildungsorte zu einer wohlkalkulierten Mischung aus »Wissensschulen« auf der einen Seite sowie »Kampf- und Charakterschulen« auf der anderen Seite.106 Damit wurde das Expertentum auch für die Beförderungsreihenfolge hinter die ideologische Zuverlässigkeit der Beamten gestellt. Bis 1936 konnten die Verwaltungsakademien steigende Hörerzahlen verzeichnen.107 Schließlich wurde die Förderung der Fortbildungen 1937 auch im »Deutschen Beamtengesetz« festgelegt. »Die dienstliche Fortbildung soll sicherstellen, daß die Beamten nach beendeter Ausbildung den immer steigenden dienstlichen Anforderungen gewachsen bleiben.«108 Aus- und Fortbildung wurden somit eng miteinander verflochten. Indes stand auch die nationalsozialistische Staatsführung vor der Problematik, dass die in den Verwaltungsakademien erworbenen Diplome von den einzelnen Behörden nicht anerkannt wurden. Noch 1941 wendete sich Lammers an den Reichsminister des Innern mit der Beschwerde, dass trotz mehrerer Erlasse die Fortbildung der Beamte bei der Besetzung von Stellen nicht berücksichtigt und in den nachgeordneten Behörden die Kursteilnehmer explizit benachteiligt würden. Zumindest müssten sie die Chance bekommen, mit dem neu erworbenen theoretischen Wissen ihre praktischen Fähigkeiten unter Beweis stellen zu dürfen.109 Nicht nur die Beamtenanwärter für die mittlere Laufbahn, sondern auch die mittleren Beamten, die im nationalsozialistischen Staat in die höhere Beamtenschaft aufsteigen wollten, mussten also weniger fachliche Expertisen und eine gute Ausbildung vorweisen, als eine positive Einstellung zum nationalsozialistischen Staat. Jede Art der Beförderung, sei es in eine höhere Besoldungsklasse der mittleren Laufbahn oder die höhere Beamtenlaufbahn, war ähnlich wie die Zulassung zu den Prüfungen für »aktive Teilnehmer der 106 Müßigbrodt: Die Verwaltungs-Akademie als Kampfschule des deutschen Beamten, in: Beamtenjahrbuch 23 (1936), Nr.1, S.50-53, hier S.52. 107 Vgl. Sigrun Mühl-Benninghaus: Das Beamtentum in der NS -Diktatur bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges: zu Entstehung, Inhalt und Durchführung der einschlägigen Beamtengesetze, Düsseldorf 1996, S.131. 108 Die Laufbahnen der deutschen Beamten (Anm.89), §38, S.24. 109 Reichsverband Deutscher Verwaltungs-Akademien an den Reichsinnenminister, 20.6.1941, BA rch R43 II /947, nicht pag.

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NS -Bewegung«110 bestimmt. Dies galt auch für eine Beförderung im

oder Einberufung zum Reichsarbeitsministerium selbst. Der fachliche Verdienst trat in den Hintergrund, in vielen Fällen wurden Beamte »wegen besonderer Verdienste um die nationale Erhebung […] bevorzugt befördert.«111 Diese Vorgabe wurde von der ministeriellen Leitungsebene anhand von 17 Erlassen, Anordnungen und Beschlüssen nachdrücklich forciert.112 Allerdings lässt sich anhand des Bürobeamten Bernhard Traulsen zeigen, dass die fachliche Expertise nicht völlig außer Acht gelassen wurde, speziell in den frühen Jahren des nationalsozialistischen Staates: 1933 wurde Traulsen (geb. 1893) für eine Beförderung in den Registraturdienst des Reichsarbeitsministeriums empfohlen. Er hatte vor dem Ersten Weltkrieg als Bürogehilfe im Bezirkskommando Flensburg, also einer Vorgängerbehörde der Versorgungsämter, gearbeitet und stand bis 1919 im Militärverhältnis. Mit dem 1. April 1920 wurde er als Diätar für das Reichsarbeitsministerium im Versorgungswesen tätig, wurde anschließend Assistent und schließlich im Jahr 1924 zum Verwaltungssekretär befördert. In seiner Akte wird ein besonderes Geschick für die Themen der Reichsversorgung und auf dem Gebiet der Verwaltungs- und Wirtschaftsangelegenheiten vermerkt.113 Dennoch verband Traulsen mit seinen Fähigkeiten eine Anforderung, die an alle Beamten gleichermaßen gestellt wurde und in der sich der ideale nationalsozialistische Beamte herausbildete: »fachliche Tüchtigkeit« in Kombination mit der »Stärke des kämpferisch eingestellten Charakters«.114

Ausblick: Aufrüstung und Krieg Erst mit dem Beginn der Kriegsvorbereitungen und der massiven militärischen Aufrüstung tauchte wieder ein Problem auf, mit dem die Behörden bereits in den Krisenzeiten zu Beginn der 1930er-Jahre 110 Reichsarbeitsministerium, Sammelsache an die Hauptversorgungsämter. Beförderungsreihenfolge für die Beamten des mittleren Dienstes, März 1935, BA rch R3901/20555, Bl.107. 111 Reichsarbeitsministerium an die Direktoren der Hauptversorgungsämter, Betrifft: Einberufungen in das Reichsarbeitsministerium, 12.1.1935, BA rch R3901/20499, Bl.67. 112 Vgl. Grotkopp (Anm.17), S.135f. 113 Beurteilung des Verwaltungssekretärs Bernhard Traulsen vom Versorgungsamt Hamburg, 9.6.1933, BA rch R3901/20499, Bl.51. 114 Müßigbrodt (Anm.106).

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zu kämpfen gehabt hatten und das die Verwaltungsabläufe ins Stocken brachte und zu Spannungen in der Beamtenschaft führte. Davon war auch die Ausbildung der Beamtenanwärter betroffen: Im Zuge der Umstellung auf die Kriegswirtschaft wurden ab 1937 zahlreiche Beamte in andere Behörden abgeordnet, die als »kriegswichtig« bezeichnet wurden.115 Insbesondere die Versorgungsbehörden, die nicht direkt an der Aufrüstung beteiligt waren und außerdem keinen entscheidenden Beitrag zu den Kriegsvorbereitungen leisteten, waren davon betroffen. Vor allem die »tüchtigen und zuverlässigen Beamten des gehobenen mittleren Dienstes [wurden] an das Ministerium, den Rechnungshof, die Wehrmacht und an die Treuhänder der Arbeit«116 abgegeben, während jene zurückblieben, die diese Attribute nicht vorweisen konnten. Die Mitarbeiterzahlen verringerten sich drastisch, und die verbliebenen Beamten waren überarbeitet, sodass die Beamtenanwärter, die der Beobachtung und Anleitung bedurften, als massive Belastung empfunden wurden. In der Folge wurden nicht nur Überstunden gemacht, sondern auch die Arbeitsleitung verschlechterte sich, da vor allem schlechter ausgebildete und/oder ältere Beamte in der Behörde verblieben. Zahlreiche Versorgungsbehörden berichteten dem Ministerium von einer immer schlechter werdenden Stimmung unter den Beamten und einer negativen Arbeitsatmosphäre.117 Die seit 1936 eingestellten Beamten hingegen seien von wenig Nutzen, da sie über keine »langjährige praktische Erfahrung im Versorgungswesen« verfügten.118 Gleichzeitig wurden auch Beschwerden über den sogenannten »Beamtenersatz« laut, denn die eingestellten Angestellten oder die Beamtenanwärter seien »nur auf dem Papier, aber nicht in der Praxis als vollwertig, besonders nicht in den Versorgungsabschnitten« anzusehen. In vielen Versorgungsämtern konnten wegen der Verwendung der Beamten in kriegswichtigen Behörden freiwerdende Stellen nur inadäquat oder gar nicht besetzt werden, und einige Beamte wa115 Vgl. Der Direktor des Hauptversorgungsamts Brandenburg-Pommern an den Reichsarbeitsminister, Betrifft: Namentliches Verzeichnis der Beamten des mittleren Dienstes, o.D., BA rch R3901/20499, Bl.135-136. 116 Vgl. Direktor des Versorgungsamts Westfalen an den Reichsarbeitsminister, Arbeitsbelastung und Personalzuweisung, 2.8.1938, BA rch R3901/20499, Bl.170f. 117 Der Leiter des Versorgungsamtes  I Berlin an den Direktor des Hauptversorgungsamtes Brandenburg-Pommern, Betrifft: Beamtenangelegenheiten, 16.11.1937, BA rch R3901/20584, Bl.157. 118 Betriebszelle Reichsversorgung an den Amtsleiter der Versorgungsämter Münster, 30.6.1938, BA rch R3901/20499, Bl.424.

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ren für nahezu 11000 Versorgungsakten zuständig.119 Mit der neuen Versorgungsgesetzgebung ab 1938 wurden die Stellen des mittleren Dienstes zu 90% mit Versorgungsanwärtern besetzt.120 In diesem Zusammenhang ist auch nicht auszuschließen, dass zahlreiche nach dem »Berufsbeamtengesetz« entlassene Beamte wieder eine Stellung in den Behörden fanden, um den Mangel in der Beamtenschaft wieder auszugleichen.121 In Bezug auf die Behördenanwartschaft waren es erneut die Zivilanwärter und damit die meist besser vorgebildeten Anwärter, denen die Wege in die Behörde versperrt wurden. Selbst wenn sich genügend Bewerber für einen neuen Anwärterjahrgang fanden, um ausgebildet zu werden, bedeutete der Kriegsbeginn einen erneuten Rückschlag. Im Jahr 1940 wurden von den Bewerbern für die Versorgungsdienststellen 31 Anwärter zugelassen – davon trat einer zurück, 21 waren bei Beginn der Vorbereitungsdienstes bereits zum Wehrdienst einberufen worden und zwei weitere wurden während des Vorbereitungsdienstes eingezogen.122 Eine Neubesetzung der freiwerdenden Beamtenstellen mit weiblichen Anwärterinnen lässt sich anhand der Bewerberlisten nicht nachweisen, woraus sich schließen lässt, dass junge Frauen höchstens als Angestellte ihren Weg in die Behörden fanden. Die Ausbildung litt gravierend unter den neuen Bedingungen, da durch den erheblichen Personalmangel die Betreuung der Anwärter als massiver Störfaktor im behördlichen Alltag angesehen wurde. Noch 1940 sollte mit einem gemeinsamen Vorbereitungsunterricht der Anwärter in Arbeitsgemeinschaften Abhilfe geschaffen werden, in dem die Anwärter in regionalen Abschnitten theoretisch unterwiesen wurden. Der Erfolg blieb allerdings aus.123 Durch die schrumpfende Beamtenbelegschaft traten sowohl in der praktischen als auch in der theoretischen Ausbildung erhebliche Mängel auf, die nicht durch der119 Versorgungsamt Soest an das Hauptversorgungsamt Westfalen, Betrifft: Arbeitsbelastung der Versorgungsämter, 14.6.1938, BA rch R3901/20499, Bl.208-209. 120 Betrifft: Ausbildungs- und Prüfungsordnung, 19.4.1939, BA rch R3901/ 11930, nicht pag; sowie Fürsorge- und Vorsorgesetz für die ehemaligen Angehörigen der Wehrmacht und ihre Hinterbliebenen – Wehrmachtfürsorge und -versorgungsgesetz (WFVG ), RGB l.I (1938), S.1080-1124, hier S.1087f. (§40). 121 Vgl. Mommsen (Anm.60), S.58f. 122 Haberkorn, Betrifft: Erfahrungen mit der Ausbildungs- und Prüfungsordnung, 17.10.1940, BA rch R3901/11930, nicht pag. 123 Vgl. ebd.

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artige gemeinsame Unterrichtstage ausgeglichen werden konnten.124 Auch das Fortbildungswesen geriet erheblich ins Stocken: Wegen der Engpässe in den Behörden und der wachsenden Haushaltsaufgaben für die Kriegsorganisation wurden auch die staatlichen und kommunalen Fortbildungskurse vorläufig ab 1942 eingestellt.125 Letztlich führte der Personalmangel auch zu einem Ausbildermangel, denn immer weniger Beamte waren in den Behörden tätig, die die Fähigkeiten oder Kapazitäten besaßen, die Anwärter in den praktischen Dienst einzuführen. Die Ausbildung der mittleren Beamtenschaft geriet ebenso wie die strukturierte Fortführung der Laufbahnen im Kriegsverlauf zunehmend zur Nebensächlichkeit, sodass die Verwaltungspraxis hauptsächlich im Sinne von praktischer Effizienz als geordneter Aufgabenerfüllung der Beamtenpflichten weitergeführt wurde. An der Verwendung der mittleren Beamten der Versorgungsbehörden in zahlreichen anderen Reichsbehörden zeigte sich die fachliche Kompetenz und die Bedeutung der mittleren Beamtenschaft, auch im Nationalsozialismus. Hiermit waren selbst jene weniger qualifizierten Beamten gemeint, die in den Behörden verblieben waren. Diese zentrale Bedeutung wurde damit begründet, dass das Behördenwesen speziell im Rahmen der Mobilisierung des Staatsapparates für den Vierjahresplan eine unvergleichliche Intensivierung erlebt habe, die durch die »verwirrende Zahl der Gesetze« nur verkompliziert worden sei.126 Diese Situation zu bewältigen und damit die alltägliche Verwaltungspraxis aufrechtzuerhalten, oblag zu großen Teilen der mittleren Beamtenschaft.

Fazit Bei der Ausbildung der mittleren Beamten in den Versorgungsbehörden handelte es sich um eine praktische Ausbildung, die vor allem parallel zur alltäglichen Verwaltungspraxis und anhand des regelmä124 Hauptversorgungsamt Danzig-Westpreußen, Betr. Ausbildungs- und Prüfungsordnung vom 12. Januar 1940, 25.10.1940, BA rch R3901/11930, nicht pag. 125 Reichsminister des Innern an die Obersten Reichsbehörden, Betrifft: Einsparung von Dienstkräften, 20.1.1942, BA rch R43 II /947, Bl.77. 126 Der Preußische Finanzminister, Betrifft Zulassungs- und Ausbildungsvorschriften für den gehobenen mittleren Dienst insbesondere der allgemeinen Verwaltung, 7.12.1937, BA rch R3901/11930, Bl.2.

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AUSBILDUNG, KARRIEREN UND LAUFBAHNSTRUKTUR

ßigen Behördenverkehrs erfolgte. Speziell in der Reichsversorgung war dieser Behördenverkehr von permanenten Gesetzesanpassungen, neuen Weisungsvorgaben und Umstrukturierungen im behördlichen Ablauf geprägt. Die Anforderungen an die Bewerber und Anwärter in den Behörden lagen in einer Praxisorientierung und Flexibilität, um die Arbeit der Behörden effizient zu gestalten. Ein sicherer Zugriff auf die Reichsversorgungsgesetzgebung und eine schnelle Bewältigung des Arbeitspensums waren wichtig, da die Beamten der Versorgungsbehörden unter einer immensen Arbeitsüberlastung standen. Zwei Anforderungen waren dabei zentral: das Fachwissen über die Themen der Reichsversorgung und ein verhandlungssicherer Umgang mit den Versorgungsempfängern. Das praktische Behördenwissen konnte im Rahmen von Fortbildungskursen erweitert werden und ermöglichte damit auch den mittleren Beamten, eine höhere Beamtenlaufbahn anzustreben. Mit diesen Fortbildungen konnte auch ein flexibler und effizienter Arbeitsablauf gesichert werden, da damit »Quereinsteiger« gut geschult in die Behörde eingegliedert werden konnten. Die praxisorientierte Ausbildung mit Ergänzungsfortbildungen in externen Verwaltungsakademien generierte sich vor allem aus einem Bestreben der mittleren Beamtenschaft, mehr Rechte und Befugnisse in den Behörden zu erhalten. Ihre alltägliche Arbeit war essentiell für das Funktionieren der Verwaltung. Durch die »Machtergreifung« der Nationalsozialisten erfuhr die Ausbildung zunächst keine strukturellen Veränderungen, bis sich die Zulassungsvoraussetzungen und Anforderungen in der Ausbildung verschoben: Die fachliche Expertise der Anwärter wurde hinter eine politische und ideologische Zuverlässigkeit zurückgestellt. Dies zeigt sich an den Einstellungen in den Behördendienst und an den Prüfungszulassungen, beides war ab 1937 an eine Mitgliedschaft in der NSDAP gekoppelt, ähnlich wie die Beförderungen und Berufungen in das Reichsarbeitsministerium. Die praktische Ausbildung sollte außerdem kürzer ausfallen; die Vorbereitung auf den Behördenalltag rückte also zusehends in den Hintergrund. Jegliche Bestrebungen, die Verwaltung in Bezug auf die Ausbildung zu reformieren, blieben allerdings aus. Die Ausbildung war weiterhin praxisorientiert und damit von der jeweiligen Anleitung in der Behörde abhängig. Eine systematische theoretische Fortbildung war und blieb nur außerhalb der eigentlichen Ausbildung im Rahmen der Verwaltungsakademien möglich. Diese stellten verstärkt die ideologische Ausrichtung des NS -Regimes in den Mittelpunkt ihrer Arbeit und verdrängten damit zusehends die fachliche Fortbildung.

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Ein obrigkeitsstaatliches Eingreifen des nationalsozialistischen Staates in die Beamtenausbildung an sich lässt sich nicht nachweisen. Das scheint bei der zentralen Rolle, die die mittlere Beamtenschaft für die Funktionalität des Staates darstellte, erstaunlich. Zwar kann vor allem ab 1937 eine starke Bindung der Einstellungsvoraussetzungen an eine Mitgliedschaft in der NSDAP und zur nationalsozialistischen Ideologie festgestellt werden, eine grundsätzliche Umwälzung der Ausbildung und damit eine Abgrenzung zur Weimarer Republik blieb allerdings – wie gesagt – aus. Die nationalsozialistische Staatsführung war auf die verankerten Strukturen des Berufsbeamtentums angewiesen. Der Einfluss der Staatsführung auf die Ausbildung und Beamtenlaufbahnen in den Versorgungsbehörden in der Zeit der Weimarer Republik und des Nationalsozialismus ist exemplarisch: Die thematische Verschiebung von einem praxisorientierten, in der Behörde selbst erlernten Fachwissen hin zu einer ideologischen Zuverlässigkeit der Beamten zeigt deutlich, wie die mittlere Beamtenschaft durch ihre Ausbildung geprägt und damit ihr zukünftiges Handeln generiert wurde. Sowohl eine Verwaltungsvereinfachung als auch eine damit verbundene grundsätzliche Umstrukturierung des Berufsbeamtentums unterblieb jedoch. Die Struktur der Beamtenschaft, ihre Ausbildung und ihre zentrale Rolle im Staatsgefüge blieben sowohl in der Weimarer Republik als auch im Nationalsozialismus bestehen.

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Reichsarbeitsministerium und Deutsche Arbeitsfront Dauerkonflikt und informelle Kooperation

Rüdiger Hachtmann

Mitte 1938 kam es zwischen dem Staatssekretär im Reichsarbeitsministerium, Johannes Krohn, und Rudolf Schmeer, dem damaligen stellvertretenden Leiter der Deutschen Arbeitsfront (DAF ), zu einem Eklat. Krohn forderte Schmeer zum Duell. Was war geschehen? Der 33-jährige Schmeer und andere, oft noch jüngere führende Funktionäre hatten Krohn durch eine Politik der Nadelstiche in Wut versetzt. Der 49-jährige, im Spätwilhelminismus sozialisierte und auf ständische Ehrvorstellungen geeichte Krohn, der seit 1920 im Arbeitsministerium tätig war, hatte schon früher »buchstäblich vor Empörung bebend« Schmeer als »Verräter« bezeichnet.1 Schmeer war als besonderer Rabauke und Schläger bekannt. Seit 1920, im Alter von 14, 15 Jahren, war er in rechtsextremistischen Organisationen aktiv. 1923, mit 16 (!) Jahren, wurde er das erste Mal Mitglied der NSDAP . Seitdem gehörte er dem engsten Vertrautenkreis Robert Leys an. Als Hitler seinen engen Vertrauten Robert Ley Anfang Mai 1933 mit der Gründung eines neuen NS -Arbeitnehmerverbandes beauftragte, folgte ihm Schmeer in die Reichshauptstadt nach. Er war 28 Jahre alt, als er im Oktober 1933 förmlich zu Leys »Stellvertreter« ernannt wurde. In der »Kampfzeit« der NS -Bewegung vor 1933 war Schmeer der Ruf vorausgegangen, in Aachen und Umgebung der »größte Rüpel und Schläger« sowie ein »Rohling erster Güte« zu sein.2 Nach Walter Kiehl, dem Pressereferenten Leys, der 1938 in einer Broschüre auch dessen engste Mitarbeiter zu Heroen der NS -Bewegung stilisierte, war Schmeer als »einer der wertvollsten Mitarbeiter Dr. Leys« regelmäßig vorneweg, wenn es darum ging, Ende der 1920er- und Anfang der 1930er-Jahre Anhänger der Sozialdemokratie oder des katholischen 1 Vgl., inkl. der Zitate, Tilmann Harlander: Zwischen Heimstätte und Wohnmaschine. Wohnungsbau und Wohnungspolitik in der Zeit des Nationalsozialismus, Basel/Berlin/Boston 1995, S.139. 2 Deutschland-Berichte der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (Sopade) 1934-1940, hg. v. Klaus Behnken, Salzhausen/Frankfurt am Main 1980, S.521 (1937).

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RÜDIGER HACHTMANN

Robert Ley (geb. 15.2.1890 in Niederbreidenbach, bei Gummersbach, gest. 25.10.1945 in Nürnberg [Suizid]) studierte von 1910 bis 1914 in Jena, Bonn und Münster Nahrungsmittelchemie und wurde 1920 promoviert. Ab 1914 nahm er freiwillig am Ersten Weltkrieg teil und geriet 1917 in französische Kriegsgefangenschaft (bis 1920); zeitlebens hatte er mit den Folgen einer schweren Kriegsverletzung zu kämpfen. Von 1921 bis 1927 war er als Chemiker bei Bayer bzw. der IG Farben angestellt. Im März 1925 trat er der NSDAP bei und wurde im selben Jahr zum NSDAP -Gauleiter für Rheinland-Süd ernannt (bis 1931). 1928 wurde Ley in den preußischen Landtag gewählt, 1930 außerdem in den Reichstag. Anfang Dezember 1932 avancierte er in der Nachfolge Gregor Strassers zum Stabsleiter der NSDAP und stieg damit bis zum Ende der NS-Diktatur, seit November 1934 als NSDAP-Reichsorganisationsleiter, zum wichtigsten Rivalen des »Stellvertreter des Führers« Rudolf Hess auf. Im Frühjahr 1933 war Ley maßgeblich für die Zerschlagung der Gewerkschaften verantwortlich. Am 10. Mai 1933 wurde er auf dem Gründungskongress der Deutschen Arbeitsfront (DAF ) von Hitler zum Leiter dieser mit Abstand größten NS -Massenorganisation eingesetzt. Zu den wichtigsten seiner zahlreichen Ämter gehörte ab dem 15. November 1940 das des »Reichskommissars für den sozialen Wohnungsbau« und, seit Oktober 1942, das des Reichswohnungskommissars. Der enge Vertraute Hitlers und fanatische Antisemit war im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher angeklagt; noch vor Prozessbeginn verübte er Suizid. Literatur: Joachim Lilla: Statisten in Uniform. Die Mitglieder des Reichstages 1933-1945. Ein biographisches Handbuch, Düsseldorf 2004, S. 636-638; Ronald M. Smelser: Robert Ley. Hitlers Mann an der »Arbeitsfront«. Eine Biographie, aus dem Amerik. v. Karl und Heidi Nicolai, Paderborn 1989.

Zentrums »in blutigen Kämpfen durch Säle, Gaststuben und empörte Bürgergassen zu jagen«.3 Was der distinguierte, von Schmeer durch ständige Provokationen herausgeforderte preußisch-korrekte Ministerialbeamte Krohn, Sohn eines Rechnungsrats, in seiner emotionalen Aufwallung verdrängt hatte, als er den DAF -Spitzenfunktionär zu einem »ehrenhaften Zweikampf« forderte: Hitler hatte kurz zuvor (1937) das Duellieren verboten.4 Da sich die DAF in ihrer aggressiven Politik gegenüber dem Arbeitsministerium auch in der Folgezeit nicht bremsen ließ, 3 Vgl., inkl. der Zitate, Walter Kiehl: Mann an der Fahne. Kameraden erzählen von Dr. Ley, München 1938, S.60f. 4 Vgl. Herbert Kater: Die Ehrauffassung der SS . Nationalsozialismus und das Duell. Himmler als Burschenschaftler: Das Duell R. Strunk gegen Horst Krutschinna, in: Einst und Jetzt 38 (1993), S.265-270.

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REICHSARBEITSMINISTERIUM UND DEUTSCHE ARBEITSFRONT

Robert Ley (2. von rechts, am Tisch sitzend) im Gespräch mit Arbeitern, o.D.

resignierte Krohn. Ende 1938 ließ er sich von seinem Amt als Staatssekretär beurlauben. Er setzte seine Karriere auf einem politischen Feld fort, auf dem die Arbeitsfront nicht tätig war: Von Oktober 1941 bis 1945 fungierte er als Reichskommissar für die Behandlung feindlichen Vermögens; Krohn stieg damit zu einem zentralen Akteur der Enteignungspolitik des NS -Regimes in den okkupierten Gebieten auf. Dies illustriert vor allem dreierlei: Konflikte zwischen der DAF und dem Reichsarbeitsministerium mussten erstens nicht auf politische Differenzen zurückzuführen sein. Sie konnten wesentlich habituell grundiert und die Reaktion auf die Hemdsärmeligkeit vieler DAF Funktionäre und deren aggressiven Aktionismus sein. Hinzu traten für Ley und seine Entourage typische antibürokratische Affekte. Zweitens zeigt die Duellforderung Krohns, dass die Differenzen zwischen den führenden Protagonisten der Arbeitsfront und des Arbeitsministeriums wesentlich generationell bedingt waren. Schmeer war mit seinen (1938) 33 Jahren fast zwei Jahrzehnte jünger als Krohn. Unter den drei engsten Vertrauten Robert Leys war Schmeer nicht einmal der jüngste. Der Jurist Heinrich Simon, der im selben Alter wie Schmeer das erste Mal der NSDAP beitrat, zählte erst 22 Jahre, als Ley ihn 1932 zu seinem persönlichen Adjutanten machte. Otto Marrenbach, ursprünglich ein kaufmännischer Angestellter, seit 1928 NSDAP -Mitglied, ebenfalls

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Rudolf Schmeer (geb. 16.3.1905 in Saarbrücken, gest. 11.9.1966 in Erlangen) absolvierte ab 1919 eine Lehre als Elektromonteur, die er 1923 mit einer staatlichen Werkmeisterprüfung abschloss. Seit Anfang der 1920er-Jahre war Schmeer in rechtsextremistischen Organisationen aktiv, u. a. 1922/23 in der illegalen »Arbeitsgemeinschaft« Roßbach, der Nachfolgeorganisation des Freikorps Roßbach, die 1923 kollektiv in die NSDAP übertrat. Nach seinem Ersteintritt im April 1923 trat er im September 1925 erneut in die NSDAP sowie in die SA ein. Von 1926 bis 1931 war er als enger Vertrauter Leys in führenden Funktionen im NSDAP-Gau Köln-Aachen tätig, u. a. von 1926 bis 1931 als Leiter der NSDAP für den Regierungsbezirk Aachen, danach bis August 1932 stellvertretender NSDAP-Gauleiter des Gaues Köln-Aachen. Seit September 1930 saß er als NSDAP-Abgeordneter im Reichstag. Von 1933 bis Mitte 1936 verantwortete Schmeer, als nomineller Stellvertreter Leys, die Organisation der NSDAPReichsparteitage. Danach leitete er bis Ende 1938 die DAF-Zentralstelle für den »Vierjahresplan«. 1938 wurde er außerdem zum Reichskommissar für den gewerblichen Mittelstand ernannt, eine Funktion, in der er keine nennenswerten Tätigkeiten entfaltete. Von Ende 1938 bis Herbst 1942 war er Ministerialdirektor in der Hauptabteilung III (Wirtschaftsorganisation, »Judenangelegenheiten«) des Reichswirtschaftsministerium, behielt jedoch gleichzeitig weiterhin eine führende Rolle in der DAF sowie der NSDAP-Reichsorganisationsleitung. 1941 leitete er außerdem den »Aufbaustab Moskau«. Im Oktober 1942 wechselte Schmeer in das Ministerium für Rüstung und Kriegsproduktion (für »Sonderaufgaben«). Daneben leitete er die Zentralstelle für Berichtswesen im Amt Bau der Organisation Todt. Seit Juli 1944 amtierte er als ständiger Stellvertreter des Reichswohnungskommissars Ley. Die Entnazifizierung überstand Schmeer weitgehend unbehelligt; von 1945 bis zu seinem Tod war er als Kaufmann in Frauenaurach (Kreis Erlangen) tätig. Quellen und Literatur: Das Deutsche Führerlexikon 1934/35, Berlin 1934, S. 419; Joachim Lilla: Statisten in Uniform. Die Mitglieder des Reichstages 1933-1945. Ein biographisches Handbuch, Düsseldorf 2004, S. 961 f.; Wer ist’s? Zeitgenossenlexikon, zusammengest. und hg. v. Herrmann A. Ludwig Degener, 10. Ausg., Berlin 1935, S. 1397; Wer leitet? Die Männer der Wirtschaft und der einschlägigen Verwaltung 1940, Berlin 1940, S. 778, sowie 1941/42, Berlin 1942, S. 872; Personalakten Rudolf Schmeer, Bundesarchiv BDC P 0098 sowie NS 5 I/340.

ein Multifunktionär und wichtig vor allem als Geschäftsführer der DAF , war (1938) mit 39 Jahren der Älteste. Auch der im Vergleich zu Schmeer »zurückhaltende« Marrenbach war im Übrigen, wie Schmeer, noch rückblickend stolz auf die »tollen Schlägereien« Ende der 1920erJahre, an denen er beteiligt gewesen war.5 Drittens schließlich verweist die Episode darauf, dass die DAF der politische Hauptkontrahent des Arbeitsministeriums war. Der mit einem riesigen Personalapparat aus5 Kiehl (Anm.3), S.45-47.

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gestattete NS -Massenverband drang in zahlreiche soziale Bereiche ein, die zuvor zum ureigenen Revier des Arbeitsministeriums zählten, und beanspruchte Kompetenzen, die bis 1933 und darüber hinaus unbestritten zum Ressort des Ministeriums gehört hatten. Was zeigt diese Episode nicht? Sie sagt nichts über die über habituelle und situative Aspekte hinausreichenden Ursachen der Konflikte aus: Lagen ihnen grundsätzliche politisch-konzeptionelle Gegensätze in zentralen Fragen der Arbeits- und Sozialpolitik zugrunde? Oder handelte es sich um eher vordergründige Rangeleien um Macht und Einfluss? Zudem suggeriert sie, das Verhältnis zwischen Arbeitsministerium und DAF sei generell von Konflikten geprägt gewesen. Hinter Vorfällen wie dem geschilderten verschwinden die vielfältigen Formen einer oft einvernehmlichen Zusammenarbeit. Tatsächlich kam es (so viel sei hier vorweggenommen) zu einer »konkurrenzbasierten Kooperation«6 zwischen beiden Seiten – wie sie nicht untypisch für die vielfältigen Beziehungen der zentralen politischen Akteure der NS -Zeit gewesen ist. Der folgende Beitrag ist zweigeteilt. Im ersten Teil wird die (verknappte) Vorstellung der Geschichte der Arbeitsfront zum Anlass genommen, die Schwierigkeiten des Reichsarbeitsministeriums mit dem schwer fassbaren Organisationskoloss Deutsche Arbeitsfront herauszuarbeiten. Im zweiten Teil werden exemplarisch einige der gemeinsamen sozialen Felder von Arbeitsministerium und Arbeitsfront vorgestellt und Praktiken der konkurrenzbasierten Kooperation zwischen beiden Seiten skizziert.

Aufgaben und Selbstverständnis der DAF Die Gründung der Arbeitsfront erfolgte auf einem bombastisch inszenierten Kongress am 10.  Mai 1933, an dem neben Hitler, Goebbels und anderer NS -Prominenz auch Reichsarbeitsminister Franz 6 Zu diesem Begriff, der ein wichtiges Strukturelement des NS -Herrschaftssystems markiert, vgl. Rüdiger Hachtmann: Die Deutsche Arbeitsfront und die NS -Gemeinschaft »Kraft durch Freude«  – »volksgemeinschaftliche« Dienstleister? in: Detlef Schmiechen-Ackermann (Hg.): »Volksgemeinschaft«. Mythos, wirkungsmächtige soziale Verheißung oder soziale Realität im »Dritten Reich«?, Paderborn 2012, S.111-131, hier S.114f.; sowie Rüdiger Hachtmann: Elastisch, dynamisch und von katastrophaler Effizienz  – Anmerkungen zur Neuen Staatlichkeit des Nationalsozialismus, in: Wolfgang Seibel/Sven Reichardt (Hg.): Der prekäre Staat. Herrschen und Verwalten im Nationalsozialismus, Frankfurt am Main/New York 2011, S.29-73, bes. S.49, 56f., 67.

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Seldte teilnahm. Sie war Ausdruck des unbedingten Willens des vom Reichspräsidenten Paul von Hindenburg berufenen »Kabinetts der nationalen Einheit«, die Bildung jeglicher Ansätze von autonomgewerkschaftlichen Verbänden grundsätzlich unmöglich zu machen. Bereits der Name der neuen Organisation zeigte an, welche Ziele das Regime mit ihr verfolgte.7 Nicht eine »Arbeiterfront«, sondern eine »Arbeitsfront« sollte aufgebaut werden. Das NS -Regime und seine Protagonisten interessierten sich nicht für den einzelnen »Arbeiter«; schon gar nicht wollten sie eine substantielle Vertretung der innerund überbetrieblichen Interessen der Arbeiter und Angestellten. Für sie ging es vielmehr um die Arbeit der zu »Gefolgschaftsmitgliedern« degradierten Arbeitnehmerschaft als Teil des rassistisch verstandenen deutschen »Volkskörpers« sowie um »Arbeit« als ökonomische Substanz. Die Mobilisierung von Arbeit wiederum geschah nicht um ihrer selbst willen, sondern zielgerichtet. Denn der zweite Namensbestandteil war die »Front«. Damit waren implizit Ziel und Mittel markiert, nämlich eine »Militarisierung der Arbeit« unter dem Primat des Bellizismus, also die Konzentration aller Kräfte auf Aufrüstung, Kriegführung und Kriegswirtschaft – terminologisch fokussiert in der »Volksgemeinschaft«, für die wiederum nicht zufällig die (idealisierte) »Frontgemeinschaft« des Ersten Weltkrieges Pate stand.8 All dies geschah im Konsens mit den rechtskonservativen Bündnispartnern der NS -Bewegung, nicht zuletzt mit den Protagonisten des Reichsarbeitsministeriums, an dessen Spitze Seldte als bisheriger Führer des »Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten« getreten war. Welchen Zielen die Deutsche Arbeitsfront zu dienen hatte, machten Hitler und Ley bereits am 10. Mai 1933, als Hauptredner auf dem Gründungskongress, unmissverständlich klar. Beide wetterten gegen den vorgeblichen »Klassenkampf« der Gewerkschaften und Arbeiter7 Zur Geschichte der DAF vgl. als Überblick Ronald Smelser: Robert Ley. Hitlers Mann an der »Arbeitsfront«. Eine Biographie, aus dem Amerik. v. Karl und Heidi Nicolai, Paderborn 1989, S.121-280; Rüdiger Hachtmann: Einleitung, in: ders. (Hg.): Ein Koloss auf tönernen Füßen. Das Gutachten des Wirtschaftsprüfers Karl Eicke über die Deutsche Arbeitsfront vom 31. Juli 1936, München 2006, S.7-94. 8 Zur Sprache vgl. Rüdiger Hachtmann: Vom »Geist der Volksgemeinschaft durchpulst«  – Arbeit, Arbeiter und die Sprachpolitik der Nationalsozialisten, in: Zeitgeschichte-Online, Januar 2010 http://www.zeitgeschichte-online.de/ thema/vom-geist-der-volksgemeinschaft-durchpulst (26.9.2016); ders.: Arbeit und Arbeitsfront: Ideologie und Praxis, in: Marc Buggeln/Michael Wildt (Hg.): Arbeit im Nationalsozialismus, München 2014, S.83-106, bes. S.89-91, 95-98.

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parteien  – und machten damit deutlich, dass die auf Verhandlungen und Verträgen basierende Tarifpolitik der Weimarer Demokratie ein Ende haben sollte. Ley konkretisierte mit den Schlagworten »Erziehung zum Arbeitswillen«, »Weckung der Arbeitsdisziplin«, »Pflege des Berufsstolzes«, »Veredelung des Begriffes ›Arbeit‹« und »Erziehung zur Volksgemeinschaft« die Aufgaben, die die Arbeitsfront zu erfüllen habe.9 Die Folgen für die Arbeitnehmerschaft wurden mit diesen Statements kaum kaschiert. Ziel war die soziale und organisatorische Atomisierung der »Gefolgschaftsmitglieder« – um eigenständige, vom Nationalsozialismus unabhängige soziale Kommunikationsstrukturen unmöglich zu machen –, eine nachhaltige individuelle wie kollektive Entrechtung der Belegschaften10 und eine umfassende politische Entmündigung. Diesen Zielvorgaben folgte die DAF seit ihrer Gründung. Repression, Einschüchterung und Entrechtung allein reichten jedoch nicht aus, um die Arbeitnehmer auf Dauer ruhigzustellen oder gar zu aktiven, vom Nationalsozialismus überzeugten »Volksgenossen« zu machen. Deshalb verlegte sich die DAF über ihre größte Suborganisation, die NS -Gemeinschaft »Kraft durch Freude« (KDF ), sowie ein riesiges organisationseigenes Unternehmensgeflecht außerdem darauf, konkrete materielle Anreize zu setzen und auch immaterielle »Dienstleistungen« anzubieten11 sowie z.B. mit dem sogenannten Reichs9 Rede Robert Leys am 10.5.1933, zit. nach Willy Müller: Das soziale Leben im neuen Deutschland unter besonderer Berücksichtigung der Deutschen Arbeitsfront, Berlin 1938, S.67. 10 Die mit dem »Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit« (AOG ) seit 1934 installierten »Vertrauensräte« verfügten über keinerlei den vormaligen Betriebsräten vergleichbare Rechte; sie waren bloße Instrumente des »Betriebsführers« zur Wahrung des Betriebsfriedens. Vgl. als Überblick Andreas Kranig: Lockung und Zwang. Zur Arbeitsverfassung im Dritten Reich, Stuttgart 1983, bes. S.41-43. 11 Zu den Unternehmen der DAF (Volkswagen, Volksfürsorge, mehrere der größten Verlagshäuser, Wohnungs- und Baugesellschaften u.a.m.), deren Umsatz dem der IG Farbenindustrie nahekam und die (ab 1940) weit mehr Arbeiter und Angestellte beschäftigten als z.B. der Siemens-Konzern, vgl. Rüdiger Hachtmann: Das Wirtschaftsimperium der Deutschen Arbeitsfront, Göttingen 2012. Zur NS -Gemeinschaft »Kraft durch Freude« vgl. Wolfhard Buchholz: Die nationalsozialistische Gemeinschaft »Kraft durch Freude«. Freizeitgestaltung und Arbeiterschaft im Dritten Reich, München 1976; Shelley Baranowski: Strength trough Joy. Consumerism and Mass Tourism in the Third Reich, Cambridge/New York 2004; Rüdiger Hachtmann: TourismusGeschichte, Göttingen 2007, S.120-139; ders.: »Bäuche wegmassieren« und »überflüssiges Fett in unserem Volke beseitigen« – der kommunale Breiten-

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berufswettkampf insbesondere jungen Arbeitnehmern zudem Hoffnungen auf einen sozialen Aufstieg zu machen. Reichsweite, aggressiv vorgetragene Kampagnen des DAF -Amtes »Schönheit der Arbeit« und alljährliche Großveranstaltungen wie der Reichsberufswettkampf oder der »Leistungskampf der Betriebe«, die über Wochen in den deutschen Medien allgegenwärtig blieben, waren immer auch  – oft geschickt inszenierte  – Spektakel. Für das Arbeitsressort war dies und überhaupt die mediale Omnipräsenz der NS -Massenorganisation ein Problem. Denn Arbeitsministerium und Arbeitsfront standen auf zahllosen Feldern in Konkurrenz zueinander. Beiden ging es um die Mobilisierung von »Arbeit« als ökonomischer Substanz für die Interessen der NS -Diktatur und um die Herstellung einer alle sozialen Klassen und Schichten überwölbenden »Volks- und Leistungsgemeinschaft«. Im Unterschied zu den Arbeitnehmerverbänden der Weimarer Republik oder auch der Bundesrepublik beschränkte sich die Arbeitsfront nicht darauf, kalkulierbar lediglich auf bestimmten sozialpolitischen Feldern aktiv zu werden. So wie sich schon bald Kompetenzen z.B. zwischen der SS und den Innenministerien des Reichs und der Länder überlappten und miteinander verschmolzen, so maßte sich vergleichbar auch die DAF de facto Befugnisse an, die bis 1933 beim Reichsarbeitsministerium gelegen hatten. Dass die Berliner Behörde und die Arbeitsfront strukturell ganz unterschiedlichen Organisationstypen zuzurechnen waren, änderte nichts daran, dass beide auf vielen Feldern einen sehr heftigen und oft persönlichen Konkurrenzkampf führten. Die mediale Präsenz verschaffte der DAF in den Auseinandersetzungen mit dem eher zurückhaltenden Arbeitsministerium bereits »atmosphärisch« Vorteile. Die NS -Organisation wurde allein dadurch im arbeits- und sozialpolitischen Raum zu einem hegemonialen Faktor, auch ohne dass sie der Behörde förmlich Befugnisse streitig machen musste. Welche Trumpfkarte die DAF mit ihrem riesigen Presse- und Propagandaapparat besaß, wird deutlich, wenn man sich die Dimensionen nur der Printmedien im Besitz der Arbeitsfront vor Augen führt. Allein 1937 waren insgesamt 389 Papierfabriken, Druckereien und Buchbindereien im Auftrag der Arbeitsfront mit dem Druck und der Herstellung von Zeitungen, Zeitschriften, Broschüren usw. tätig12  – sport der NS -Gemeinschaft »Kraft durch Freude«, in: Frank Becker/Ralf Schäfer (Hg.): Sport und Nationalsozialismus, Göttingen 2016, S.27-65. 12 Amt für die wirtschaftlichen Unternehmungen der DAF: Die wirtschaftlichen Unternehmungen der Deutschen Arbeitsfront im Jahre 1939, Berlin 1940, S.103.

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die fünf modernen Großdruckereien der Organisation, die zu den größten der Branche zählten, gar nicht eingerechnet. Im Gegensatz zur Arbeitsfront baute das Ministerium kaum medialen Druck auf, ein gravierender Nachteil im polykratischen Kampf um Macht und Einfluss. Die häufigen Polemiken von Protagonisten der DAF gegen das Reichsarbeitsministerium sollten allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass beide Seiten in den meisten grundsätzlichen Orientierungen gar nicht so weit auseinanderlagen. Angesichts der von Hitler und Ley vorgegebenen Zielsetzungen, mit »Klassenkampf« und gewerkschaftlicher Autonomie aufzuräumen und die deutsche Arbeitnehmerschaft zu »Arbeitswillen« und »Arbeitsdisziplin« zu erziehen, konnte es eigentlich keine Überraschung sein, dass die Führung der Arbeitsfront das am 20.  Januar 1934 verabschiedete »Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit«, das die Grundlagen für die Arbeitsverfassung des »Dritten Reiches« legte, geradezu enthusiastisch begrüßte. Dass dieses Gesetz (entgegen einer in der Forschung verbreiteten Ansicht) keine Niederlage der Arbeitsfront gewesen ist, lässt sich daran ablesen, dass neben hohen Beamten aus dem Reichsarbeitsministerium (namentlich Werner Mansfeld) auch maßgebliche Protagonisten der DAF federführend an der Ausformulierung dieses Gesetzes beteiligt waren, vor allem Rudolf Schmeer sowie Wolfgang Pohl. Pohl, Vertrauter und einer der wenigen Duzfreunde Leys sowie zugleich ein leitender Ministerialbeamter sowohl im Reichsarbeits- als auch im Reichswirtschaftsministerium, avancierte Anfang 1935 zum Chef des Arbeitswissenschaftlichen Instituts, dem Braintrust der Arbeitsfront, der die Strategien der Gesamtorganisation vorformulierte. Auch Ley selbst war an der Abfassung des Arbeitsordnungsgesetzes beteiligt. Er erklärte rückblickend (und vermutlich übertrieben), er habe bei der Ausformulierung des Arbeitsordnungsgesetzes sogar »gleich die Führung in die Hand« genommen.13 Nur in einer Hinsicht waren Ley und seine Mitstreiter unzufrieden: Sie wollten eigentlich ein auf wenige Kernsätze konzentriertes »Grundgesetz der Arbeit«. Damit konnten sie sich jedoch gegenüber der in traditionellem Rechtsdenken befangenen Ministerialbürokratie noch nicht durchsetzen. Das Arbeitsordnungsgesetz legte den Tätigkeitsrahmen der DAF vor allem »negativ« fest. Welche Aufgaben die Arbeitsfront »posi13 Zit. nach Hans-Joachim Reichhardt: Die Deutsche Arbeitsfront. Ein Beitrag zur Geschichte des nationalsozialistischen Deutschlands und zur Struktur des totalitären Herrschaftssystems, Freie Universität Berlin, Diss., Berlin 1956, S.85.

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Wolfgang Pohl (geb. 24.4.1897 in Breslau, gest. 1962 in Berlin) studierte von 1917 bis 1921 an der Friedrich-Wilhelms-Universität sowie der Handelshochschule Berlin und wurde 1922 promoviert. Von Herbst 1921 bis Mitte 1922 war er als leitender Angestellter in der Sozialpolitischen Abteilung der AEG beschäftigt. In den anschließenden fünf Jahren sammelte er journalistische Erfahrungen als Redakteur der Deutschen Allgemeinen Zeitung; er gewann über die renommierte Tageszeitung zudem Zugang in die wirtschaftselitären Netzwerke des Deutschen Reiches. Insofern war es wenig überraschend, dass er im Sommer 1927 zum Pressereferenten im Reichswirtschaftsministerium (Abteilung Sozialpolitik) berufen wurde; eine Stellung, die er bis Juni 1933 innehatte. In die NSDAP trat Pohl Anfang Mai 1933 ein. Er übernahm seit 1933 hohe Funktionen sowohl in der DAF als auch im Reichsarbeits- und Reichswirtschaftsministerium. Von Mitte 1934 bis Mitte 1935 leitete er als Ministerialrat bzw. Ministerialdirigent die Abteilung III b des Arbeitsministeriums; im Reichswirtschaftsministerium war er von 1935 bis Anfang 1938 als Ministerialdirektor tätig. Im Umfeld von Robert Ley rückte Pohl, der maßgeblich das »Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit« mitgestaltete, frühzeitig auf zentrale Funktionen, seit November 1933 als Leiter der »Abteilung für Sozialfragen« in der NSDAP . Die größte Bedeutung unter all seinen Ämtern hatte seine Tätigkeit im Arbeitswissenschaftlichen Institut der DAF , das er von 1935 bis zum Ende des NS -Staates leitete. Noch im Mai 1945 in der Sowjetischen Besatzungszone verhaftet, wurde er auf Basis des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 im Oktober 1945 von einem sowjetischen Militärtribunal zunächst zu 25 Jahren Zuchthaus verurteilt; danach saß er im Zuchthaus Waldheim ein. 1950 wurde die Strafe vom Landgericht Chemnitz auf 20 Jahre Zuchthaus reduziert; Anfang 1953 wurde sie auf zehn Jahre herabgesetzt. Zur Jahreswende 1955/56 wurde Pohl nach West-Berlin entlassen. Quellen und Literatur: Karl-Heinz Roth: Intelligenz und Sozialpolitik im »Dritten Reich«. Eine methodisch-historische Studie am Beispiel des Arbeitswissenschaftlichen Instituts der Deutschen Arbeitsfront, München u. a. 1993, bes. S. 216-218; Wer leitet? Die Männer der Wirtschaft und der einschlägigen Verwaltung 1940, Berlin 1940, S. 671, sowie 1941/42, Berlin 1942, S. 751; Personalakten Wolfgang Pohl, Bundesarchiv BDC 08237.

tiv« übernehmen sollte, formulierte Hitler in einer Verordnung vom 24. Oktober 1934. Wörtlich heißt es in dieser Verordnung über »Wesen und Ziel der Deutschen Arbeitsfront«, dass das »Ziel der Deutschen Arbeitsfront die Bildung einer wirklichen Volks- und Leistungsgemeinschaft der Deutschen« sei. Sie habe »dafür zu sorgen, dass jeder einzelne seinen Platz im wirtschaftlichen Leben der Nation in der geistigen und körperlichen Verfassung einnehmen kann, die ihn zur höchsten Leistung befähigt und damit den größten Nutzen für die

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Erste Reichstagung der Deutschen Arbeitsfront am 25. März 1935 in Leipzig. Von links nach rechts: Hjalmar Schacht, Franz Seldte, Martin Mutschmann und Robert Ley

Volksgemeinschaft gewährleistet«.14 Diese schwammigen und zugleich sehr weitgehenden Formulierungen machten die Verordnung für die DAF zu einer Art »Ermächtigungsgesetz«  – zu einem Hebel, der es möglich machte, die Befugnisse und letztlich die Existenz des Reichsarbeitsministeriums grundsätzlich in Frage zu stellen. Es verwundert deshalb nicht, dass die maßgeblichen Protagonisten des Arbeitsministeriums von der »Führer«-Verordnung höchst aufgeschreckt waren. Mansfeld glaubte, deren Stellenwert mit der Bemerkung mindern zu können, dass diese nicht »im Reichsgesetzblatt, sondern nur in der Tagespresse bekanntgemacht worden ist«. Die Verordnung sei lediglich als Anregung für die künftige Gesetzgebung zu sehen.15 Krohn, bis zu seiner Abdankung neben Mansfeld die entscheidende Figur im Berliner Ministerium, glaubte, sie sei auf »eine Lücke im Aufbau unseres Gesetzes über die Ordnung der nationalen Arbeit« zurückzuführen. Er wollte diese »Lücke« durch präzisere Rechtsbe14 Zit. nach Thomas Blanke/Rainer Erd/Ulrich Mückenberger/Ulrich Stascheidt (Hg.): Kollektives Arbeitsrecht. Quellentexte zur Geschichte des Arbeitsrechts in Deutschland, Bd.2: 1933-1974, Reinbek bei Hamburg 1975, S.67f. 15 Mansfeld an Krohn, 5.9.1936, Bundesarchiv (BA rch) R3901/20644, Bl.165.

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stimmungen »ausfüllen« und auf diese Weise die Verordnung Hitlers obsolet machen.16 Dazu kam es nicht. Mansfeld, Krohn und andere Ministerialbeamte mussten schmerzlich erfahren, dass es sich bei dieser Verordnung um neues »Staatsrecht« handelte, das über allen bis dahin geltenden Gesetzen und Verordnungen stand.

Ein übermächtiger Gegner: die Organisation der Arbeitsfront Auch organisationsstrukturell war die DAF kaum zu fassen. Im Gegensatz zum Reichsarbeitsministerium mit seiner  – trotz aller binnenorganisatorischen Veränderungen  – relativ fest gefügten Behördenstruktur war die Arbeitsfront, wie Hitler 1933 gefordert hatte, ein »Wechselbalg«.17 Hitler postulierte damit ein Prinzip organisatorischer Flexibilität für den neuen Massenverband, der einen »Rückfall« in gewerkschaftliche Strukturen ausschließen und eine elastische Anpassungsfähigkeit an sich verändernde Konstellationen sicherstellen sollte. Auch im Krieg verlor dieses Prinzip nicht seine Gültigkeit. So erklärte Ley Anfang 1941, dass »die gesamte Deutsche Arbeitsfront« ein »einziges großes Versuchsfeld«18 sei und man auch künftig die »Elastizität« der Organisation »bis in ihre letzten Glieder« erhalten wolle.19 Eine »endgültige« Organisationsstruktur hat die DAF deshalb bis 1945 nicht ausgebildet. Die im Folgenden umrissenen vier Phasen, die die Arbeitsfront organisationsstrukturell durchlief, sind von der Frage bestimmt, welche Probleme die Entwicklung jeweils für das Arbeitsministerium aufwarf. Die erste Phase, bis 1936/37, markiert die Zeit der inneren Konsolidierung der Arbeitsfront. In dieser Phase verloren die anfangs starken regionalen Gliederungen der DAF , die sogenannten Gauwaltungen, sowie die branchenbezogenen Gliederungen, die sogenannten Reichsbetriebsgemeinschaften, an Einfluss. Die in Berlin ansässigen Zentral16 Vermerk Krohns über eine Besprechung mit dem »Beauftragten des Führers für Wirtschaftsfragen« Wilhelm Keppler, 31.10.1934, BArch R3901/20644, Bl.8-9. 17 Hitler in den Worten von Ley; zit. nach Der Parteitag der Arbeit vom 6. bis 13. September 1937. Offizieller Bericht über den Verlauf des Reichsparteitages mit sämtlichen Kongreßreden, München 1937, S.265. Redetext im Wortlaut auch im Völkischen Beobachter, 12.9.1937. 18 Robert Ley: Haltet den Sieg und beutet ihn aus, Berlin 1941 (nicht pag. Broschüre). 19 So eine Formulierung von Gerhard Weise: Heeresbericht von der Deutschen Arbeitsfront, in: Völkischer Beobachter, 30.4.1938.

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ämter entwickelten sich stattdessen zum Machtzentrum. Die Reichsbetriebsgemeinschaften degenerierten zu subalternen Dienststellen und wurden 1937 konsequenterweise in »Fachämter« umbenannt. Die Leiter der Zentralämter, Reichsbetriebsgemeinschaften und Gauwaltungen mussten sowohl politische als auch fachliche Verdienste vorweisen: Mehr als 90% der hohen DAF -Funktionäre waren »Alte Kämpfer«, d.h. vor 1932 in die NSDAP eingetreten, drei Viertel (76%) vor der Reichstagswahl am 14.  September 1930. Damit nicht genug: Jeder sechste Spitzenfunktionär hatte sich schon vor dem Hitlerputsch, fast die Hälfte (45%) bis Mitte 1928 – als sich die NSDAP noch keineswegs in der Erfolgsspur befand – den Nationalsozialisten angeschlossen. Lediglich 2% der hohen DAF -Funktionäre waren zwischen dem 1. August 1932 und dem 30. Januar 1933 in die NSDAP eingetreten, 7% danach. Der Kontrast zum Reichsarbeitsministerium könnte kaum größer sein. Dort gehörten 1933 gerade einmal 10% aller höheren Beamten der Behörde der NSDAP an, »Märzgefallene« eingeschlossen. Auf Seiten der hohen DAF -Funktionäre schloss eine langjährige Zugehörigkeit zur NSDAP eine höhere Bildung und fachliche Qualifikationen im Übrigen keineswegs aus, vor allem seit 1936/37 nicht. Insbesondere unter den Leitern der Zentralämter, der mächtigsten Funktionärsgruppe innerhalb der NS -Massenorganisation, fanden sich zahlreiche Akademiker, ein Drittel (33%) von ihnen war promoviert. Lediglich 9% aller Leiter der Zentralämter, Reichsbetriebsgemeinschaften und Gauwaltungen können als »Arbeiter« kategorisiert werden,20 die damals statistisch gut die Hälfte aller Erwerbstätigen ausmachten. In der zweiten Phase (1936/37 bis 1939/40) stieg die DAF -Führung zu einem der zentralen politischen Akteure im »Dritten Reich« auf. Diese Phase begann im September 1936 mit dem sogenannten Vierjahresplan, der die forcierte Aufrüstung einleitete. Die DAF und ihre Freizeitorganisation »Kraft durch Freude« wuchsen seitdem in eine immer wichtigere Rolle hinein. Denn sie sollten der »Gefahr« steigender – die Aufrüstung 20 Angaben auf Basis eigener Recherchen, vor allem anhand von Personalakten im ehemaligen Berlin Document Center. Vgl. ausführlicher dazu meine in Entstehung begriffene Gesamtdarstellung der DAF . Zu Ausbildung und Beruf vgl. Rüdiger Hachtmann: Kleinbürgerlicher Schmerbauch und breite bürgerliche Brust  – zur sozialen Zusammensetzung der Führungselite der Deutschen Arbeitsfront, in: Ursula Bitzegeio/Anja Kruke/Meik Woyke (Hg.): Solidargemeinschaft und Erinnerungskultur im 20. Jahrhundert. Beiträge zu Gewerkschaften, Nationalsozialismus und Geschichtspolitik, Bonn 2009, S.233-257. Zur Ministerialbürokratie des Reichsarbeitsministeriums vgl. den Aufsatz von Ulrike Schulz in diesem Band.

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gefährdender  – Realeinkommen vor dem Hintergrund eines immer schärferen Arbeitskräftemangels vorbeugen, indem sie Dienstleistungen anboten, die die Kaufkraft der Bevölkerung nicht unmittelbar erhöhten und möglichst keine Devisen für Importe erforderten. Am 2. September 1936 ließ Robert Ley unter Verweis auf die bereits erwähnte Verordnung Hitlers vom 24.  Oktober 1934 eine Anordnung an die vierzigtausend hauptamtlichen und zwei Millionen ehrenamtlichen DAF -Funktionäre veröffentlichen,21 in der er ausdrücklich den »Totalitätsanspruch« in vielen Bereichen der Arbeits- und Sozialpolitik zur handlungsleitenden Richtschnur »seiner« Organisation machte. Diese unter dem Titel »Grundsätzliche Anweisungen« erschienene Anordnung beflügelte nachhaltig das Bestreben der DAF , sich auf Kosten nicht zuletzt des Arbeitsministeriums zur zentralen Institution auf zahlreichen arbeitsund sozialpolitischen Feldern aufzuschwingen und Anspruch auf immer neue Kompetenzen zu erheben. Für die Gegner der Arbeitsfront wurde der »Totalitätsanspruchs« zum Synonym für Unberechenbarkeit und einen ungebremsten Machtwillen. Zahlreiche Entscheidungsträger des Regimes vermuteten, die Arbeitsfront habe sich »längst von der Partei gelöst«, und fürchteten, diese wolle den »Staat zum ausführenden Organ der DAF « degradieren oder mindestens zu »einem neuen, gleichgrossen Gebilde, gleichgrossen Staat im Staate« werden.22 Dass Krohn die zahlreichen Stellungnahmen fast aller Reichsministerien und auch Parteistellen penibel in einer »Handakte«, also seinen persönlichen Unterlagen, sammelte, kann nicht überraschen. Tatsächlich war es das Arbeitsministerium, das von allen NS -Institutionen am stärksten vom Totalitätsanspruch der DAF bedroht wurde. Aufgescheucht durch den Totalitätsanspruch der Arbeitsfront versuchten so ziemlich alle Reichsministerien und ebenso eine Reihe zentraler Parteiinstanzen die Ley’sche Massenorganisation einzuhegen und politisch kalkulierbarer zu machen.23 Ein »Gesetz über die Deut21 Im Wortlaut in: Deutsche Arbeitskorrespondenz (DAK -»Sondernachrichten«), 3.9.1936, Nr.205, Bl. aff., bzw. Amtliches Nachrichtenblatt von DAF und KDF 2 (1936), S.146-150. 22 Auszüge aus den vorläufig eingegangenen »Stellungnahmen zu den von Pg. Reichsleiter Dr. Ley eingereichten Gesetzen betreffend Aufgaben und Ziele der Deutschen Arbeitsfront«, als Anlage zu: Stab des Stellvertreters des Führers an Staatssekretär Krohn im Reichsarbeitsministerium, 3.5.1938, BA rch R3901/20646, Bl.3-35, bzw. BA rch R43 II /592, Bl.90-122. 23 Zu den Initiativen für ein DAF -Gesetz vor allem 1937/38 vgl. als (unvollständigen) Überblick Wolfgang Spohn: Betriebsgemeinschaft und Volksgemein-

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sche Arbeitsfront« wurde jedoch niemals erlassen. Denn die Arbeitsfront war rechtlich, soziologisch-binnenstrukturell und typologisch trotz aller juristischen Mühen nicht zu fassen. Sie war mit keinem der bis dahin bekannten Verbände und Organisationen vergleichbar und wandelte sich zudem ständig. Davon abgesehen waren Ley und seine Arbeitsfront bis 1938/39 viel zu mächtig geworden, als dass ihnen ein »Gesetz über die Deutsche Arbeitsfront« einfach hätte oktroyiert werden können. Zudem verfügte der NSDAP -Reichsorganisationsleiter und Chef der DAF über ein Privileg, das (außer Heß) keiner der Reichsminister besaß: Er hatte jederzeit direkten persönlichen Zugang zu Hitler und konnte mithilfe seines »Führers« alle politischen Interventionen der Ministerien abwehren. Da man die DAF rechtlich nicht einhegen konnte, kamen in höchsten Parteikreisen Anfang 1938 Überlegungen auf, Ley solle »zum 1. Mai [1939] Reichsarbeitsminister werden«. Dann wäre dieser, so die Hoffnung, vielleicht bereit, »aus der DAF auszuscheiden«. An die Stelle Leys als Leiter der Arbeitsfront wollte man den rhein-pfälzischen NS -Gauleiter Josef Bürckel setzen, die ebenfalls von Ley geführte NSDAP -Reichsorganisationsleitung ganz auflösen und in den Stab des »Stellvertreters des Führers« inkorporieren.24 Allem Anschein nach wurden diese Pläne Ley selbst nicht bekannt. Sie kamen über das Stadium unverbindlicher Überlegungen nicht hinaus, weil Ley sie ohnehin abgelehnt hätte. Denn als Minister wäre er einer unter vielen gewesen; er hätte sich degradiert gefühlt. An der Spitze des mitgliederstärksten und finanzkräftigsten NS -Massenverbandes zu stehen, verschaffte ihm dagegen viel mehr Macht und Einfluss. Insofern wirft der Vorschlag, Ley zum Minister zu machen, ein bezeichnendes Licht auch auf Seldte und überhaupt die Stellung des Ministeriums im Institutionengefüge des »Dritten Reiches«. Es galt als politische Manövriermasse, über die man nach Belieben verfügen konnte. Seldte selbst war 1938 unter den NS -Granden längst ohne jeglichen Fürsprecher. Weder der Minister schaft. Die rechtliche und institutionelle Regelung der Arbeitsbeziehungen im NS -Staat, Berlin 1987, S.139, 176-185; Smelser (Anm.7), S.236, 245, 254-256; Michael Schneider: Unterm Hakenkreuz. Arbeiter und Arbeiterbewegung 1933 bis 1939, Bonn 1999, S.188-190. 24 Mitteilung des SS -Hauptsturmführers Grosche »aus zuverlässiger Quelle« (vermutlich Heß) gegenüber dem stellv. Leiter des Amtes VI des Reichssicherheitshauptamtes der SS , Walter Schellenberg (1900-1952), nach: Aktenvermerk Schellenbergs, 21.4.1939, Institut für Zeitgeschichte, München (IfZ), MA 433, Bl.2728144. Vgl. auch Aktenvermerk Schellenbergs, 11.8.1938, ebd., Bl.2728149.

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noch hohe Beamte seines Hauses scheinen über die skizzierten Absichten überhaupt informiert gewesen zu sein. Nicht der Kriegsbeginn markiert für die DAF organisationsstrukturell den zentralen Einschnitt, sondern die »Blitzsiege« des Frühjahres 1940, insbesondere die verheerende Niederlage Frankreichs. Die anschließende Zeit bis Herbst 1942 markiert die dritte Phase der Organisationsgeschichte der Arbeitsfront. Charakterisiert ist diese Zeit u.a. dadurch, dass Pläne für die Zeit nach dem scheinbar kurz bevorstehenden nationalsozialistischen »Endsieg« geschmiedet wurden. Die DAF war in diesen zwei Jahren, insbesondere von Mitte 1940 bis Mitte 1941, damit beschäftigt, ihren Organisationsapparat systematisch auszubauen, um für die »Zeit nach dem Endsieg« gewappnet zu sein und erfolgreich Ansprüche auf weitere politische Kompetenzen anmelden zu können. Parallel beschäftigte Ley die nationalsozialistische Öffentlichkeit mit megalomanen sozialpolitischen Visionen für die deutschen »Herrenmenschen« im »Tausendjährigen Reich«. Wichtig für die Stellung gegenüber dem Arbeitsministerium ist außerdem, dass in dieser Phase der Funktionärsapparat personell erhalten blieb. Erst danach, im Frühjahr und vor allem Herbst 1942, wurde die »Unabkömmlichkeit« auch der hauptamtlichen DAF -Funktionäre zunehmend aufgehoben – und damit der Apparat der Organisation substantiell geschwächt.25 Weitere Höhen schien die Arbeitsfront zu erklimmen, als ihr im Mai 1942 vom Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz Fritz Sauckel mit der »Fremdarbeiterbetreuung« ein neues, nach dem »Russlandfeldzug« in seinen Dimensionen kaum absehbares »weites Feld« übertragen wurde. Tatsächlich war diese Kompetenz, die die DAF mangels Substanz nicht vollkommen ausschöpfen konnte, eher ein Trostpflaster für den vergeblichen Versuch Leys, selbst zum »Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz« zu werden. Schließlich fällt in die dritte Phase die Ernennung Leys zum »Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau« am 15. November 1940.26 Die Ernennung Leys zum Reichswohnungskommissar am 23. Oktober 1942 markiert dagegen bereits den Übergang zur vierten Phase der Organisationsgeschichte der DAF . 25 Vgl. als (ersten, unvollständigen) Überblick über die Geschichte der DAF ab 1939: Rüdiger Hachtmann: Die Deutsche Arbeitsfront im Zweiten Weltkrieg, in: Dietrich Eichholtz (Hg.): Krieg und Wirtschaft. Studien zur deutschen Wirtschaftsgeschichte 1939-1945, Berlin 1999, S.69-108; Smelser (Anm.7), S.259-280; Michael Schneider: In der Kriegsgesellschaft. Arbeiter und Arbeiterbewegung 1939 bis 1945, Bonn 2014, bes. S.333-364. 26 Vgl. S. 158f. sowie die Beiträge von Ulrike Schulz und Karl Christian Führer in diesem Band.

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Obwohl die Arbeitsfront noch 1943 und selbst 1944 nominell weitere Kompetenzen an sich ziehen konnte, wurde es seit Ende 1942 still um die größte NS -Massenorganisation. Die Gründe für den rapiden Bedeutungsverlust der Arbeitsfront in den beiden letzten Kriegsjahren sind vielfältig. Die vier wichtigsten lauten: (a) Immer mehr deutsche Arbeitnehmer mussten als Soldaten an die Fronten. Der Arbeitsfront, die nur »deutsche Volksgenossen« in ihren Reihen organisierte, wurde infolgedessen die soziale Basis entzogen. (b) Angesichts des dramatischen Bedarfs der Wehrmacht an Soldaten wurde der Personalapparat der DAF so ausgedünnt, dass seine Arbeitsfähigkeit in Frage gestellt war. (c) Die massierten Bombenangriffe führten zu einem Zusammenbruch der kommunikativen und Verkehrsinfrastruktur. Subalterne Stellen blieben daher häufig und über längere Zeiträume ohne Anweisungen. Zudem wurden immer größere Teile der Berliner Zentrale in die abgelegene, vermeintlich bombensichere Provinz ausgelagert. (d) Im letzten Kriegsjahr stand das nackte Überleben des NS -Regimes im Vordergrund. Für machtpolitische Augurenkämpfe und die üblichen Eifersüchteleien zwischen den NS -Funktionsträgern war immer weniger Platz. Teile des DAF -Apparates verschmolzen sukzessive mit anderen hoheitlichen Institutionen. Als eigenständige Organisation gab es die Arbeitsfront schon lange nicht mehr, als sie am 10. Oktober 1945 von den Alliierten förmlich verboten wurde. Die Tätigkeitsbereiche, auf denen Arbeitsministerium und Arbeitsfront gleichzeitig zu Rivalen und Kooperationspartnern wurden, sind zahlreich. Bekannt ist z.B., dass die Arbeitsfront 1940/41 Pläne für ein umfassendes »Sozialwerk« vorlegte, das alle Zweige der Sozialversicherung (einschließlich Angestellten- und Invalidenversicherung) umgewälzt hätte, wäre es verwirklicht worden. Das Reichsarbeitsministerium hatte zwar im Konsens mit den anderen Herrschaftsträgern des NS-Regimes das Selbstverwaltungsprinzip und ebenso das der Verrechtlichung von sozialen Ansprüchen fallen gelassen, hielt ansonsten jedoch im Unterschied zur DAF grundsätzlich an der seit Ende des 19.  Jahrhunderts verankerten Struktur der Sozialversicherung fest.27 Ein weiteres Thema, das hier ebenfalls nicht ausführlicher vorgestellt werden kann, sind die außenpolitischen Initiativen der Arbeitsfront, die 1936 einsetzten, zwischen 1940 und 1943 ihren Zenit erreichten und in der Formel zu27 Vgl. Marie-Luise Recker: Nationalsozialistische Sozialpolitik im Zweiten Weltkrieg, München 1985, S.82-154; sowie den Beitrag von Alexander Klimo in diesem Band.

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sammengefasst worden sind, die DAF habe in Konkurrenz zum Reichsarbeitsministerium ein »europäisches Sozialministerium« (Karl-Heinz Roth) aufbauen wollen.28 Andere Felder, auf denen die Kompetenzansprüche und Aktivitäten der DAF die Interessen (auch) des Arbeitsministeriums tangierten, waren die Berufserziehung und der gemeinsam mit der Hitlerjugend alljährlich durchgeführte Reichsberufswettkampf, ferner (indirekt) der »Leistungskampf der Betriebe«.

Von der Demobilisierung zur Mobilisierung: Frauenerwerbsarbeit Ein weiterer Bereich, auf dem sich Kompetenzen und Praxis von Arbeitsministerium und DAF in starkem Maße berührten, war die lohnabhängige Frauenerwerbsarbeit. Bereits unmittelbar nach ihrer Gründung Mitte Mai 1933 wurde die Arbeitsfront auf diesem Gebiet aktiv. Sie war einer der Hauptträger der sogenannten Doppelverdiener-Kampagne und gehörte in den Jahren 1933 bis 1935 zu den engagiertesten Befürwortern der Entlassung von Industriearbeiterinnen und weiblichen Angestellten.29 Die Berliner Zentrale des DAF -Sozialamtes richtete eigens ein Referat ein, das den »Aufgabenbereich Doppelverdiener« zu bearbeiten hatte.30 In dieser Kampagne vertraten Arbeitsfront und SeldteMinisterium eine Meinung. Beide knüpften an ältere Traditionen an, vor 28 Vgl. hierzu, neben dem Beitrag von Klaus Kiran Patel und Sandrine Kott in diesem Band, vor allem Karl-Heinz Roth: Die Sozialpolitik des »europäischen Großraum« im Spannungsfeld von Okkupation und Kollaboration (1938-1945), in: Okkupation und Kollaboration (1938-1945). Beiträge zu Konzepten und Praxis der Kollaboration in der deutschen Okkupationspolitik, zusammengest. u. eingel. von Werner Röhr, hg. v. Bundesarchiv, Berlin/ Heidelberg 1994, S.461-565, Zitat S.559. 29 Zur Denunziation von weiblichen »Doppelverdienern« durch DAF und Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation vgl. z.B. Detlev Humann: »Arbeitsschlacht«. Arbeitsbeschaffung und Propaganda in der NS -Zeit 19331939, Göttingen 2011, bes. S.172f.; Silke Schumann: Die Frau aus dem Erwerbsleben wieder herausnehmen. NS -Propaganda und Arbeitsmarktpolitik in Sachsen 1933-1939, Dresden 2000, S.32-35. Die Zeitschriften der DAF veröffentlichten 1933/34 eine Vielzahl von Artikeln wie z.B. Muttertum und industrielle Frauenerwerbstätigkeit, in: Informationsdienst der DAF (InDie) A, 9.5.1934, Nr.105, Bl.1-2. 30 Vgl. das nach seinem Verfasser Karl Eicke sogenannte Eicke-Gutachten, in: Rüdiger Hachtmann (Hg.): Ein Koloss auf tönernen Füßen. Das Gutachten des Wirtschaftsprüfers Karl Eicke über die Deutsche Arbeitsfront vom 31. Juli 1936, München 2006, S.97-242, hier S.135.

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allem an die von gewerkschaftlicher Seite getragenen Demobilisierungskampagnen 1919/20 und eine insbesondere vom katholischen Zentrum initiierte »Krisenbewältigungsstrategie« ab 1930, jeweils auf Kosten der Arbeitnehmerinnen.31 Mitte der 1930er-Jahre nahmen DAF wie Arbeitsministerium in ihrer Politik gegenüber Industriearbeiterinnen einen Paradigmenwechsel vor. Die Beschäftigung von Frauen nun auch in der Rüstungsindustrie schien vor dem Hintergrund des sich rapide verschärfenden Arbeitskräftemangels unabdingbar. GleichWerbeplakat des Jugendamtes der wohl nahmen beide Seiten von Deutschen Arbeitsfront, 1938 geschlechtsspezifischen Rollenzuschreibungen, wonach der Platz der Frauen eigentlich in der Küche und bei den Kindern sei, nicht Abschied. Um diese Quadratur des Kreises zu lösen, propagierte die Arbeitsfront Teilzeitbeschäftigung und Halbtagsschichten für Frauen, die in der Industrie neu Arbeit aufnehmen wollten. Sie tat dies mit erheblichem Erfolg und stieß dabei bei vielen Unternehmensleitungen auf offene Ohren, weil diese hofften, so den Arbeitskräftemangel mildern zu können. Wie erfolgreich die Mobilisierungsanstrengungen für weibliche Teilzeitarbeit seit 1938 waren, lässt sich an den aggregierten Daten der offiziellen Arbeitszeitstatistik ablesen: Reichsweit sank bei ansteigender Frauenerwerbsquote die wöchentliche Arbeitszeit der Hilfsarbeiterinnen in der Produktionsgüterindustrie von 46,8 Stunden im März 1939 auf 39,0 Stunden im März 1944, in der Konsumgüterindustrie im selben Zeitraum von 46,8 Stunden auf 39,3 Stunden, in ähnlichen Dimensionen auch bei den – wenigen – Facharbeiterinnen. Demgegenüber stieg bei den Männern gleich welcher Qualifikation in beiden Wirtschaftssektoren die wöchentliche Arbeitszeit im selben Zeitraum erheblich.32 31 Vgl. als Überblick Ludwig Preller: Sozialpolitik in der Weimarer Republik, unveränd. Nachdruck der Ausg. v. 1948, Düsseldorf 1978, S.120f., 436f., 444. 32 Vgl. Rüdiger Hachtmann: Industriearbeiterinnen in der deutschen Kriegswirtschaft 1936-1944/45, in: Geschichte und Gesellschaft 19 (1993), H.3, S.332-366, hier S.338f., 364 (Tabelle 3).

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In ihrer gesamten Frauenpolitik versuchte die Arbeitsfront, die Prämissen der Eugenik mit einem rüstungspolitischen Pragmatismus zu vereinbaren. Neben den Kampagnen, Mütter aus biopolitischen Gründen für eine eugenisch tolerable Teilzeitbeschäftigung zu mobilisieren, gehörte hierzu eine Politik, die die »Betriebsführer« dazu aufforderte, Arbeiterinnen und weibliche Angestellte sozialpolitisch generös zu behandeln. Die biopolitischen wie rüstungs-pragmatischen Prämissen, die für die Frauenpolitik der DAF stets handlungsleitend blieben, wurden vom Arbeitsministerium zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt, sondern geteilt. Dies zeigt auch das »Mutterschutzgesetz« vom 17. Mai 1942, das – nur für deutsche Frauen – u.a. ein Verbot von gesundheitsgefährdender Arbeit und von Überstunden, Sonntags- und Nachtarbeit für schwangere deutsche Frauen sowie die Ausweitung dieses Mutterschutzes weit über den bisherigen Geltungsbereich hinaus vorsah.33 Dieses Gesetz war seit Mitte 1940 federführend vom Arbeitsministerium vorbereitet worden. Die DAF hatte schon früher entsprechende Regelungen zur Lösung des Gegensatzes von »Arbeitsschlacht« und »Geburtenschlacht« gefordert und über ihre »Betriebsfrauenwalterinnen« auch in zahlreichen Betriebsordnungen verankern können. Die Kritik der DAF stellte das Mutterschutzgesetz von 1942 nicht in Frage. Sie lief vielmehr auf die Behauptung hinaus, dass dessen Regelungen nicht weit genug gingen und der deutsche »Volkskörper« biopolitisch immer noch nicht ausreichend geschützt sei.34

»Jedem Deutschen eine Burg«: der soziale Wohnungsbau der DAF Die wohnungsbaupolitischen Aktivitäten der Arbeitsfront, die im Aufstieg Robert Leys zum Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau Ende 1940 und, unter gänzlich anderen Vorzeichen, zum Reichswohnungskommissar zwei Jahre später  – sowie der Übernahme der entsprechenden Abteilung des Reichsarbeitsministeriums durch den Reichswohnungskommissar  – gipfelten,35 sind hier nicht 33 RGB l.I 1942, S.321-324. Vgl. außerdem Carola Sachse: Das nationalsozialistische Mutterschutzgesetz. Eine Strategie zur Rationalisierung des weiblichen Arbeitsvermögens im Zweiten Weltkrieg; in: Dagmar Reese/Eve Rosenhaft/ Carola Sachse/Tilla Siegel (Hg.): Rationale Beziehungen? Geschlechterverhältnisse im Produktionsprozeß, Frankfurt am Main 1993, S.189-221. 34 Vgl. z.B. Ley an Bormann, 20.8.1942, BA rch NS  5 I/338. 35 Vgl. vor allem Marie-Luise Recker: Der Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau. Zu Aufbau, Stellung und Arbeitsweise einer führerunmittel-

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ausführlicher vorzustellen. Da dieses Feld zwischen beiden Seiten besonders umkämpft war, sollen zu diesem Themenkomplex jedoch drei Schlaglichter gesetzt werden. Erstens: Das von der DAF -Propaganda gezielt verbreitete Schlagwort »Sozialer Wohnungsbau« war ein gegen das Reichsarbeitsministerium gerichteter Kampfbegriff. Er sollte weitgehende Kompetenzansprüche der DAF markieren. Das Reichsheimstättenamt der Arbeitsfront führte Anfang 1938 diesen Terminus statt des traditionellen Begriffs »Volks-« oder »Arbeiterstättenwohnungsbau« als rhetorische Waffe gegen das Arbeitsministerium in den politisch-öffentlichen Diskurs ein.36 Der große Vorteil des neuen Schlagworts bestand darin, dass es nicht präzise definiert war. Während das Reichsarbeitsministerium zunächst weiter von »Arbeiterwohnstättenbau« und »gesteuertem Wohnungsbau« sprach,37 danach widerwillig seinerseits den Terminus »Sozialer Wohnungsbau« aufnahm, den Begriff jedoch eng definierte, nutzten Ley und die Arbeitsfront es als »zentrales Vehikel« (Tilmann Harlander)38 für eine Generalermächtigung der Arbeitsfront, die den politischen Zugriff auf den gesamten »großdeutschen« Wohnungsbau legitimieren sollte. Das Schlagwort »Sozialer Wohnungsbau« – über den DAF -Propagandaapparat allgegenwärtig in der deutschen Öffentlichkeit – bereitete der Ernennung Leys zum Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau am 15.  November 1940 den Boden. Zu diesem Zeitpunkt, nach der vernichtenden militärischen Niederlage Frankreichs und der Besetzung weiter Teile Europas durch die Wehrmacht, rechneten die meisten Zeitgenossen mit einem nahen nationalsozialistischen »Endsieg«, und die politischen wie staatlichen Institutionen der Diktatur waren bemüht, das eigene zukünftige Terrain gegenüber Rivalen abzustecken. In der bereits 1939 in einem DAF -Rechenschaftsbericht geprägten Formulierung, dass die durch den sozialen Wohnungsbau geschaffenen, mit fließendem Wasser und hygienischen Nasszelbaren Sonderbehörde, in: Dieter Rebentisch/Karl Teppe (Hg.): Verwaltung contra Menschenführung im Staat Hitlers. Studien zum politisch administrativen System, Göttingen 1986, S.333-350; außerdem Recker: Nationalsozialistische Sozialpolitik (Anm.27), S.128-154. 36 Vgl. Reichsheimstättenamt der DAF (Hg.): Richtlinien zur Heimstättensiedlung, in: Siedlung. Planungsheft der DAF, Berlin 1938, S.9. Hierzu und zum Folgenden Hachtmann: Das Wirtschaftsimperium (Anm.11), bes. S.444-453, 648-655 (Tabellen). Zum lange Zeit weitgehend einflusslosen DAF-Reichsheimstättenamt seit 1934 vgl. den Beitrag von Karl Christian Führer in diesem Band. 37 Vgl. Harlander (Anm.1), S.96f., 212f., 216f. 38 Ebd., S.212.

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len ausgestatteten »Wohnstätten jedem Deutschen eine Burg sein« sollten,39 klang die bellizistische Ausrichtung der DAF -Wohnungsbaupläne sprachlich ebenso an wie deren rassistische Exklusivität. In dieser Hinsicht waren sich beide Seiten einig, auch wenn sie sich ansonsten über Größe, Ausstattung usw. heftig stritten. Der Reichsarbeitsminister brachte die rassistisch-eugenischen Leitlinien der von seinem Haus verfolgten Wohnungsbaupolitik bereits am 21. September 1933 in »Richtlinien für Neusiedlungen« mit der Formulierung auf den Punkt, dass vorgeblich »minderwertige, namentlich an vererblichen geistigen und körperlichen Gebrechen leidende Siedler, deren kranker und asozialer Nachwuchs nur die Gesamtheit belastet und die Volkskraft schwächt«, als potenzielle Siedler von vornherein auszuschließen seien. In die Auswahl durften nur »rassisch wertvolle und erbgesunde Siedlerfamilien« einbezogen werden. Die »arische« Abstammung musste mindestens bis zu den Urgroßeltern nachgewiesen werden.40 Die Ernennung Leys Ende 1940 zum »Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau« war mittelbar auch auf die Übereignung der ehemals im Besitz der Gewerkschaften befindlichen Wohnungsgenossenschaften 1933 an die DAF zurückzuführen. Nicht zuletzt wegen ihres umfänglichen Bestandes an Wohnraum sowie ihrer gleichfalls den Gewerkschaften geraubten Hochbauunternehmen übertrug Hermann Göring – den Hitler Anfang September 1936 als »Beauftragten für den Vierjahresplan« eingesetzt hatte – der Arbeitsfront das »Siedlungswerk des Vierjahresplans«. Das Etikett »Siedlungswerk« war im Grunde irreführend. Tatsächlich zielte das Programm in erster Linie auf die Errichtung von mehrgeschossigen Mietwohnungshäusern für die Arbeitskräfte, die in den neuen Industrieanlagen beschäftigt werden sollten.41 Obwohl Göring diesen Auftrag zurückziehen musste, weil Ri39 Amt für die wirtschaftlichen Unternehmungen der DAF (Anm.12), S.57. 40 Reichsarbeitsministerium-Richtlinie nach Ralph J. Jaud: Der Landkreis Aachen in der NS -Zeit. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in einem katholischen Grenzgebiet 1929-1944, Frankfurt am Main u.a. 1997, S.495. Ausführlich zur Siedler-Selektion Karl Christian Führer: Das NS -Regime und die »Idealform des deutschen Wohnungsbaues«. Ein Beitrag zur nationalsozialistischen Gesellschaftspolitik, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 89 (2002), H.2, S.141-166, hier S.161-163. Grundsätzlich zum Wohnungsbau im »Dritten Reich« ders.: Mieter, Hausbesitzer, Staat und Wohnungsmarkt. Wohnungsmangel und Wohnungszwangswirtschaft in Deutschland 1914-1960, Stuttgart 1995. 41 Vgl. Denkschrift der DAF : Das Siedlungswerk des Vierjahresplans, o.J. [1937], BA rch R41/915, Bl.97-104; sowie Ulrike Haerendel: Kommunale

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valen Leys erfolgreich intervenierten, war die DAF zweitens damit zu einem ernst zu nehmenden politischen Akteur auf den wohnungsbaupolitischen Bühnen des »Dritten Reiches« geworden.42 Diese Stellung baute sie weiter aus, indem sie die ehemals gewerkschaftlichen Wohnungsgenossenschaften Ende 1938, Anfang 1939 zu schlagkräftigen, regional gegliederten Neue Heimat-Gesellschaften umgruppierte. Diese großen Wohnungsgesellschaften sowie die ebenfalls expandierenden Bauunternehmen der Arbeitsfront verschafften allen wohnungspolitischen Ansprüchen der DAF ein starkes zusätzliches Gewicht. Allein von 1937 auf 1938 wuchs der Bestand der Wohnungsgesellschaften der Arbeitsfront um beachtliche 17,6%; das waren mehr als 10% des gesamten reichsweiten Wohnungsneubaus. Ende 1938 besaßen sie etwa 72000 und Anfang 1941 gut 83000 Wohneinheiten; weitere 24000 Wohnungen befanden sich im Bau. Drittens: Zwar machten Ley und seine Mitarbeiter keine genaueren Angaben, wie ihre langfristigen megalomanen Wohnungsbauprogramme finanziert werden sollten; das Arbeitswissenschaftliche Institut schloss 1941 sogar eine vorübergehende generöse Subventionierung des avisierten sozialen Wohnungsbaus durch den Staat nicht aus, weil sonst die virulente Wohnungsknappheit nicht überwunden und vor allem die biopolitischen Ziele des NS -Regimes nicht erreicht werden könnten.43 Entgegen den Unterstellungen mancher Zeitgenossen lehnte die DAF -Führung jedoch die Aufhebung einer auf Privateigentum basierten Wohnungswirtschaft entschieden ab. Dies war für sie »Bolschewismus«. Noch im letzten Kriegsjahr erklärte Ley mit Blick auf den »Volkswohnungsbau«, der bis 1933 Gegenstand von Sozialisierungsüberlegungen gewesen war, er wolle nicht nur keinen verstaatlichten Wohnungsbau, sondern sei überhaupt ein Gegner ausufernder

Wohnungspolitik im Dritten Reich. Siedlungsideologie, Kleinhausbau und »Wohnraumarisierung« am Beispiel München, München 1999, S.142-144. 42 Vgl. hierzu im Einzelnen Hachtmann: Wirtschaftsimperium (Anm.11), S.442f. Zum Folgenden ausführlich ebd., S.437-440, 444-446. 43 Zu entsprechenden Überlegungen des Arbeitswissenschaftlichen Instituts der DAF (AWI ), die politischen Entscheidungen ausdrücklich nicht vorgreifen wollten, wesentlich auf den Werkswohnungsbau setzten und im Übrigen an die bisherigen Formen staatlicher Wohnungsbausubventionierung anknüpfen wollten, vgl. o.V.: Die Wohnungsfrage, in: Jahrbuch des AWI (1939), Teil I, S.347-387, hier bes. S.383-387; sowie (in grundsätzlichen Betrachtungen) o.V.: Kapital und Zins in der Wohnungswirtschaft, in: Jahrbuch des AWI (1940), Teil II , S.1020-1023.

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öffentlicher Wohnungsbausubventionierung.44 Deutlich wird daran, dass selbst den wohnungsbaupolitischen Konkurrenzen zwischen Arbeitsministerium und Arbeitsfront kein fundamentaler politisch-ideologischer Dissens zugrunde lag. Sie resultierten vielmehr in erster Linie aus machtpolitischen Rivalitäten sowie aus einem Spiel mit verteilten Rollen: Die DAF hatte die reichsdeutsche Arbeitnehmerschaft in die vom NS -Regime avisierte »Volks- und Leistungsgemeinschaft« zu integrieren – und entfaltete deshalb einen medial vielfach verstärkten Sozialpopulismus, ohne sich um Probleme der Finanzierung opulenter Bauprogramme zu kümmern. Das Ministerium, das gerade im wohnungsbaupolitischen Bereich seine seit Ende der 1920er-Jahre ausgeprägten wirtschaftsliberalen Traditionen nur schwer abstreifen konnte, verlegte sich dagegen auf konkrete Probleme, namentlich auf die Frage der Finanzierung der von Ley und anderen Mitgliedern der DAF -Führung großsprecherisch vorgelegten Wohnungsbauprogramme.

Unumstritten: die DAF-Rechtsberatung Ein wieder anderes Tätigkeitsfeld, das die Arbeitsfront früh, mit dem »Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit« (AOG ) vom 20. Januar 1934, erhalten hatte, war das Monopol auf die Rechtsberatung sowohl der Arbeitnehmer (mit Ausnahme der Landarbeiter, Beamten und NSDAP -Angestellten) als auch der Arbeitgeber. Mitte 1937 zählte das Amt reichsweit 1270 Rechtsberater in 367 Dienststellen,45 die jeweils in Unterabteilungen für Arbeitnehmer, Arbeitgeber und für Sozialversicherungsrecht (das der DAF als Rechtsberatungsmonopol gleichfalls zugewiesen war46) gegliedert waren. Bis Herbst 1939 wuchs die Zahl der Rechtsberatungsstellen, einschließlich Österreich und Sudeten, auf 478. Zusätzlich wurden (1939) an 1765 weiteren Orten einmal pro Woche Sprechstunden abgehalten.47 44 Vgl. Robert Ley: Wohnungsbau in Deutschland, in: Wohnungsbau in Deutschland 4 (1944), S.49-53, hier S.50. Dies war kein bloßes Lippenbekenntnis. Ausführlich dazu Hachtmann: Das Wirtschaftsimperium (Anm.11), S.573-580. 45 »Arbeitsfriede durch Rechtshilfe«, in: Berliner Tageblatt, 26.8.1937. 46 Vgl. §17 des »Gesetzes betr. Die Befugnis zur fristgerechten Entgegennahme von Anträgen aus der Renten-, Invaliden-, Angestellten-, Unfall- und Knappschaftsversicherung« vom 23.12.1936, RGB l.I 1936, S.1128. Ausführlich dazu die im Entstehen begriffene Dissertation von Alexander Klimo. 47 Angaben nach Otto Marrenbach: Fundamente des Sieges. Die Gesamtarbeit der Deutschen Arbeitsfront, Berlin 1940, S.188. Vgl. auch Simone Rücker: Rechts-

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Die Tätigkeit, die die von der Arbeitsfront gestellten Rechtsberatungsstellen entfalteten, war zwischen Arbeitsministerium und DAF grundsätzlich unumstritten. Dies lag entscheidend daran, dass  – im Unterschied zu den vormaligen gewerkschaftlichen bzw. arbeitgebernahen Rechtsberatern – die von der Arbeitsfront gestellten Rechtsvertreter nicht versuchten, die jeweiligen Interessen des klagenden Arbeitnehmers oder Arbeitgebers durchzusetzen. Sie hatten vielmehr (so Otto Marrenbach als DAF -Geschäftsführer und enger Vertrauter Leys in nicht misszuverstehenden Worten) »der Partei völlig unabhängig gegenüberzustehen« und sollten stets auch »den Standpunkt des Prozeßgegners berücksichtigen und würdigen«. Als »politische Soldaten des Führers« hatten die DAF -Rechtsberater während ihrer »Frontarbeit in der Praxis«, so Marrenbach weiter, insbesondere »unrichtige Vorstellungen« über »Ansprüche des Arbeitsverhältnisses«, d.h. vermeintlich überzogene Forderungen vor allem der Arbeitnehmer, zu korrigieren und »in jedem Falle« zu versuchen, Konflikte auf dem »Wege des Vergleichs gütlich beizulegen«.48 Die Zahl der Rechtsschutzanliegen, die von den Rechtsberatern der Arbeitsfront überhaupt als Streitfälle anerkannt und nicht von vornherein abgewiesen wurden, sank infolge dieser Festlegung auf das nationalsozialistische Gemeinschaftsprinzip allein zwischen 1936 und 1942 von mehr als 84000 auf nicht einmal 19000, also auf weniger als ein Viertel (22%).49 Unabhängig davon wirkte die DAF -Rechtsberatung wie ein Filter zwischen Rechtsuchenden und den Arbeitsgerichten. Zwar war die Bedeutung der Letzteren ohnehin geschwächt, weil mit der Installierung der Treuhänder der Arbeit Rechtsstreitigkeiten zwischen den Tarifparteien entfielen und zudem das Arbeitsordnungsgesetz sowie weitere Verordnungen zum Arbeitsplatzwechsel, Lohnobergrenzen usw. das Individualarbeitsrecht erheblich beschnitten, sodass sich die Chancen von Rechtschutz suchenden Arbeitnehmern, vor den Arbeitsgerichten auch tatsächlich Recht zu bekommen, drastisch verringerten. Aber beratung. Das Rechtsberatungswesen von 1919 bis 1945 und die Entstehung des Rechtsberatungsmissbrauchsgesetzes von 1935, Tübingen 2007, S.298. 48 Marrenbach (Anm.47), S.186, 191, 194. Ähnlich äußerten sich führende Funktionäre der DAF regelmäßig. 49 Diese und die folgenden Angaben nach Rüdiger Hachtmann: Die rechtliche Regelung der Arbeitsbeziehungen im Dritten Reich, in: Dieter Gosewinkel (Hg.): Wirtschaftskontrolle und Recht im Nationalsozialismus  – zwischen Entrechtlichung und Modernisierung. Bilanz und Perspektiven der Forschung, Baden-Baden 2004, S.123-139, hier S.144f. (Tabelle). Ausführlich zur DAF -Rechtsberatung auch Rücker (Anm.47), bes. S.285-287, 294-312.

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aufgrund der auf »volksgemeinschaftlichen« Ausgleich fokussierten Tätigkeit der DAF -Rechtsberatung50 sank die Zahl der Streitfälle vor Arbeitsgerichten zusätzlich. Bis 1938 als dem letzten »Friedensjahr« schrumpfte sie im Vergleich zu 1931 um knapp zwei Drittel, von über 440000 auf gut 150000. 1940 kamen gerade noch 82000 Streitfälle vor ein Arbeitsgericht. In noch geringerem Maße gelangten arbeitsrechtliche Streitfälle vor höhere Instanzen. Die auf das Gemeinschaftsprinzip festgelegte DAF -Rechtsberatung funktionierte schon bald zur Zufriedenheit aller NS -Herrschaftsträger.51 Nicht zuletzt der Reichsarbeitsminister – dessen Haus maßgeblich an der Formulierung des Arbeitsordnungsgesetzes beteiligt und damit auch für die Übertragung der Rechtsberatung auf die Arbeitsfront mitverantwortlich gewesen war – befürwortete die Etablierung einer auf die »Volks- und Betriebsgemeinschaft« verpflichteten Rechtsberatung der DAF ausdrücklich. Er war sich mit dem Reichswirtschaftsminister und den anderen Ministern einig, dass die neue »Rechtsberatung« »einen der schwersten Schläge gegen das Klassenkampfprinzip« darstellte.52 Freundlichere Komplimente an die Arbeitsfront ließen sich kaum machen. Die Praxis der DAF -Rechtsberater wurde den Erwartungen Seldtes und seiner Kollegen vollauf gerecht. Nachdem sich deren Tätigkeit eingespielt hatte, war Werner Mansfeld – der im Arbeitsministerium maßgebliche Arbeitsrechtler und mit Wolfgang Pohl und Rudolf Schmeer von der DAF federführend an der Ausformulierung des Arbeitsordnungsgesetz beteiligt  – voll des Lobes über die »vielfach geradezu vorbildliche soziale Rechtsberatung« der Arbeitsfront.53

50 Ausführlich ebd., S.304-312. 51 Voll des Lobes waren auch die Repräsentanten der Arbeitgeber. Vgl. z.B. Pietzsch, Präsident der Reichswirtschaftskammer (de facto eine Lobby-Organisation der Unternehmerschaft), auf der konstituierenden Sitzung des Sozialwirtschaftlichen Ausschusses der Reichsgruppe Industrie, 18.10.1935 (Wortprotokoll), S.13, BA rch R12 I/266. 52 Reichswirtschaftsministerium, Schmitt, und Reichsarbeitsministerium, Seldte, an den Staatssekretär der Reichskanzlei, Lammers, betr. Verabschiedung des Entwurfs des AOG durch die Reichsregierung, 8.12.1933, BA rch R43 II /547, Bl.37f. 53 Mansfeld, betr. Deutsche Arbeitsfront, 24.11.1936, BA rch R3101/10321, Bl.8, 10f. Vgl. auch Thomas von Freyberg/Tilla Siegel: Industrielle Rationalisierung unter dem Nationalsozialismus, Frankfurt am Main/New York 1991, S.73.

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Kooperation trotz Konkurrenz: Arbeitsfront und Gewerbeaufsicht Die Zusammenarbeit der Arbeitsfront mit den dem Arbeitsministerium unterstellten Gewerbeaufsichtsbeamten gestaltete sich lange Zeit ebenfalls einvernehmlich. Lokale Stellen der DAF oder örtliche Referenten des Amtes »Schönheit der Arbeit« führten mit der freilich von Personalknappheit gebeutelten Gewerbeaufsicht54 häufig gemeinsame Besichtigungen von Betrieben durch. Oder sie informierten sich gegenseitig über die Ergebnisse betrieblicher Kontrollbesuche. Überhaupt sahen sich die Gewerbeaufsichtsbeamten durch das Amt »Schönheit der Arbeit« unterstützt, nicht zuletzt durch dessen Kampagnen zur Verbesserung der betrieblichen Arbeitsbedingungen.55 Das DAF -Frauenamt und die Gewerbeaufsicht verfolgten ebenfalls das gleiche Ziel. Beide hatten ein Augenmerk darauf, dass die infolge der forcierten Aufrüstung seit 1935 rasch zunehmende Beschäftigung von Frauen als Arbeiterinnen in der Industrie nicht zu Lasten der pronatalistisch-eugenischen Zielsetzungen des Regimes ging und die entsprechenden Arbeitsschutzbestimmungen eingehalten wurden.56 Relativ eng gestaltete sich seit den Vorkriegsjahren zudem die Kooperation mit den von der Arbeitsfront seit Ende August 1935 eingesetzten Unfallvertrauensmännern sowie seit Kriegsbeginn mit den DAF -Revierdiensthelfern und vor allem -helferinnen.57 Zusätzlich gefestigt wurde das enge Kooperationsverhältnis durch gemeinsame Ar54 Vgl. Chup Friemert: Produktionsästhetik im Faschismus. Das Amt »Schönheit der Arbeit«, München 1980, S.153; ferner Michael Karl: Die Fabrikinspektoren in Preußen. Das Personal der Gewerbeaufsicht 1854-1945, Opladen 1993, S.300 (Tabelle 15). 55 Vgl. z.B. Jahresberichte der Gewerbeaufsichtsbeamten für 1933/34, 1 (Preußen), S.6; Jahresberichte der Gewerbeaufsichtsbeamten für 1935/36, 1 (Preußen), S.9, 320; 1937/38, S.18f.; ferner Anordnung Leys, Nr.24/34, 8.10.1934, BA rch NS 5  I/256; sowie Erlass des Reichsarbeitsministeriums, 19.7.1935, z.B. in Hauptstaatsarchiv (HS tA) München, StK 6754. Der Erlass wurde auch in der Tagespresse publiziert. 56 Vgl. Jahresberichte der Gewerbeaufsichtsbeamten für 1935/36, 1 (Preußen), S.353, 4 (Württemberg), S.72; sowie für die Kriegszeit das Protokoll einer Arbeitsbesprechung beider Seiten am 16.2.1943, Anlage zu DAF -Gauwaltung Brandenburg, Abt. Soziale Selbstverwaltung an das Gewerbeaufsichtsamt Neuruppin, 23.2.1943, Brandenburgisches Landeshauptarchiv (BLHA ), Pr.Br., Rep.43 (Gewerbeaufsicht Neuruppin), Nr.8. 57 Vgl. Jahresberichte der Gewerbeaufsichtsbeamten für 1937/38, S.44-46; ferner z.B. Martin Höfler-Waag: Die Arbeits- und Leistungsmedizin im Nationalsozialismus von 1939-1945, Husum 1994, S.116, 120.

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beitstagungen und Vortragsabende sowie weitere »kameradschaftliche Veranstaltungen«.58 Symptomatisch für das gute Verhältnis beider Seiten zueinander war, dass führende Repräsentanten der Arbeitsfront die Gewerbeaufsicht  – in deutlichem Unterschied zu anderen, dem Arbeitsministerium unterstellten Behörden  – ausdrücklich nicht als umständlichen bürokratischen Apparat denunzierten. Sie lobten diese vielmehr im Gegenteil als Korrektiv eines aus ihrer Sicht mitunter egoistischen Unternehmertums. Die Gewerbeaufsicht ihrerseits stellte befriedigt fest: Zwar habe »mancher Unternehmer […] versucht, beide Dienststellen gegeneinander auszuspielen«. Diese hätten jedoch feststellen müssen, dass »das Treiben der Gewerkschaften« im sozialpolitischen Engagement der DAF »in keiner Form eine Fortsetzung gefunden hat«, so das Resümee der Gewerbeaufsicht für 1937/38.59 Im letzten Kriegsjahr kündigte die DAF die Kooperation mit der Gewerbeaufsicht allerdings einseitig auf – mit einem Frontalangriff auf die Behörde. Zu diesem Zeitpunkt war die Gewerbeaufsicht aufgrund der Einberufung der meisten ihrer Mitarbeiter, aber auch aufgrund der Bombenangriffe und Zerstörungen schon lange nicht mehr zu einer regulären Kontrolltätigkeit in der Lage. In einem Schreiben vom 26. August 1944 an Staatssekretär Werner Naumann im Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda – das nach Goebbels’ Ernennung zum Reichsbevollmächtigten für den totalen Kriegseinsatz zwei Tage zuvor umfassende Befugnisse auch im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik erhalten hatte – wollte Otto Marrenbach als Geschäftsführer der Arbeitsfront und Stellvertreter Leys die Gewerbeaufsicht schlicht auflösen. Deren Tätigkeit könne man »ohne weiteres in die Arbeit der ehrenamtlichen Unfallschutzwalter der DAF eingliedern«.60 Vollzogen wurde die Auflösung der Gewerbeaufsichtsbehörde nicht mehr. 58 Vgl. Jahresberichte der Gewerbeaufsichtsbeamten für 1937/38, S.19; sowie z.B. »Der Führerorden«, Rundbrief der Sozialabt. der DAF -Gauwaltung Bayerische Ostmark, 13.8.1937, BA rch NS 5  I/143; ferner Matthias Frese: Betriebspolitik im »Dritten Reich«. Deutsche Arbeitsfront, Unternehmer und Staatsbürokratie in der westdeutschen Großeisenindustrie 1933-1939, Paderborn 1991, S.87f. 59 Jahresberichte der Gewerbeaufsichtsbeamten für 1937/38, S.19. 60 BA rch NS 5 I/341. Zur zunehmend engeren Kooperation während des Krieges bis zu diesem Zeitpunkt und zur Personalunionen zwischen beiden Seiten vgl. z.B. Niederschrift über die Besprechung leitender Gewerbeaufsichtsbeamten am 18.5.1943 in München, bes. S.21, Anlage zu: Rundschreiben des Reichsarbeitsministeriums, 8.7.1943, BLHA , Pr.Br., Rep.43, Nr.8.

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Rivalität und Zusammenarbeit Die vier hier skizzierten Tätigkeitsbereiche der Arbeitsfront illustrieren, dass es irreführend wäre, von fundamentalen politischen Differenzen oder gar einem Antagonismus zwischen DAF und Arbeitsministerium in Zielsetzungen und Konzepten auf den arbeits- und sozialpolitischen Feldern auszugehen. Den vor allem in Aktenvermerken und Schriftwechseln aus den archivalischen Beständen des Reichsarbeitsministeriums sowie einiger anderer Ministerien wie in einem Brennglas gebündelten Kontroversen lagen zumeist unterschiedliche politische Akzentsetzungen zugrunde. Hinsichtlich der – hier auf die Schlagworte Rassismus und Biopolitik sowie Bellizismus verknappten  – allgemeinen Zielsetzungen der Diktatur zog man vielmehr an einem Strang. Die Gründe für zeitweilig heftig hochschlagende Auseinandersetzungen lagen auf anderen Ebenen. Vier Aspekte sind besonders hervorzuheben: Erstens bangte das Arbeitsministerium schlicht um Macht und Einfluss. Durch die mit einem riesigen Personal- und Propagandaapparat ausgestattete Arbeitsfront fühlte sich die Behörde von der NS -Massenorganisation an den Rand gedrängt. Seit 1936/37 befand sich das Ministerium gegenüber der DAF machtpolitisch in einer strategischen Defensive. Die Arbeitsfront war ein bis 1943 stetig wachsender Koloss, der sich – von der Mission getrieben, den Nationalsozialismus als Ideologie und Mentalität in möglichst breiten Schichten der deutschen Bevölkerung zu verankern – immer mehr gerade diejenigen Tätigkeitsfelder und Befugnisse einzuverleiben versuchte, die das Ministerium und seine Protagonisten selbst als ureigenes Ressort beanspruchten. Zweitens: Die Aufgabenfelder, die beiden Institutionen zugewiesen waren, folgten im Grundsatz zwar denselben Zielsetzungen. Beide Seiten agierten jedoch innerhalb unterschiedlicher organisationsstruktureller Binnenlogiken. Während das Reichsarbeitsministerium ein klassisch-administrativer Verwaltungsapparat blieb (der sich in seiner Praxis allerdings, wie viele Beiträge im vorliegenden Band zeigen, der vom NS -Regime vorgegebenen und »vorgelebten« Herrschaftspraxis zunehmend anpasste), wies die DAF in vielfältiger Hinsicht, im Organisationsaufbau und -ausbau, bei der Rekrutierung von Personal sowie in der politischen Praxis, Züge eines »charismatischen Verwaltungsstabs« auf – nach dem von Max Weber formulierten Idealtypus.61 61 Vgl. vor allem Hachtmann: Einleitung (Anm.7), S.48f.; ders.: Effizienz (Anm.6), S.35-51.

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Daraus resultierten unterschiedliche Formen des Handelns. Zudem setzten beide Seiten auch auf denselben politischen Feldern inhaltlich meist etwas andere Schwerpunkte. Zielsetzungen und Praxis beider unterschieden sich im Sinne einer Arbeitsteilung. Drittens: Indem das Arbeitsministerium ähnlich wie die meisten anderen Ministerien oder auch Landes- und Kommunalbehörden weiterhin nach standardisierten, eingespielten Verfahren »bürokratisch« verwaltete und regulierte, federte es u.a. Friktionen ab, die infolge einer (scheinbar) sprunghaften und unberechenbaren Politik der maßgeblichen NS -Protagonisten auf Reichsebene  – also der neu installierten Reichsminister (Speer, Göring, Darré, Rust, Rosenberg usw.), der »führerunmittelbaren« Sonderkommissare sowie der Parteiorganisationen wie SS , Arbeitsfront usw.  – auftraten. Die DAF Führung verfolgte demgegenüber in einem nationalsozialistischen Sinne »volkspädagogische«, und das hieß vor allem: sozialintegrative, »volksgemeinschaftliche« Ziele. Insofern verkörperte sie mehr als andere NS -Massenorganisationen die »Volksgemeinschaft« deutscher »Volksgenossen« und verstand sich als deren »Treuhänder«, »Wächter« oder auch »Garanten«. Maßgeblich gehörte dazu die Integration der breiten deutschen Arbeitnehmerschaft in das NS -System. Viertens schließlich wurzelten die trotz aller Übereinstimmung in grundsätzlichen politisch-ideologischen Fragen hinter den Fassaden hochschlagenden Konflikte sowie die andauernden Streitereien zwischen hohen DAF -Funktionären und den Spitzen der Ministerialbürokratie in scharfen habituellen und generationellen Unterschieden. Während das DAF -Führungskorps von etwa 170 Spitzenfunktionären sozialstrukturell mittelständisch – die vornehmlich akademisch gebildeten und zu etwa einem Drittel promovierten Zentralamts-Leiter auch bürgerlich – geprägt und in der »Kampfzeit« der NS -Bewegung zwischen 1925 und 1932 sozialisiert worden war, hatten die hochrangigen Akteure des Ministeriums zumeist eine klassisch ministerialbürokratische Laufbahn hinter sich oder vergleichbare Karrieren (z.B. in Arbeitgeberverbänden) durchlaufen; nur gut 10% der Beamten vom Rang eines Ministerialrats aufwärts traten überhaupt der NSDAP bei – meist zudem erst nach 1933. Die führenden DAF -Funktionäre erhielten sich ihren kämpferisch-aktionistischen, rabaukenhaft anmutenden Habitus der »Kampfzeit« auch nach 1933. Ihre Rivalen im Arbeitsministerium waren davon in hohem Maße befremdet. Sie waren an überpersönliche Routinen, starre Hierarchien sowie eingespielte Amtswege gewöhnt und hatten einen gepflegt-spröden Habitus kultiviert, der unvorhergesehene Ereignisse möglichst zu vermeiden trachtete. Die für Ley und

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seine Entourage charakteristischen antibürokratischen Affekte – nach dem Motto Leys: »Erst der Mensch und dann die Akten«62 – verschärften die persönlichen Gegensätze zusätzlich. Die von der DAF propagierte »Menschenführung« als antibürokratisches Prinzip63 war ein Gegenentwurf zum Rollenverständnis des nüchternen, sachbezogenen »Beamten« oder »Bürokraten«, dem ministeriellen Leitideal. Aufgeladen wurde dieser sozialkulturell-habituelle Gegensatz durch eine starke generationelle Differenz. Während die leitenden Ministerialbeamten (ab der Ebene der Ministerialräte) 1933 im Durchschnitt etwas älter als fünfzig Jahre waren, sich also bereits im vorgerückten Alter befanden, war nicht nur die personelle Trias, auf die Ley sich unmittelbar stützte, sondern das gesamte Führungskorps der DAF Funktionäre ausgesprochen jung. Die meisten der führenden Arbeitsfront-Funktionäre (54%) waren nach der Jahrhundertwende geboren und bei der »Machtergreifung« 32 Jahre alt oder jünger.64 Gleichzeitig bestand die »faschistische Jugendbewegung«, der die meisten der führenden Kader der Arbeitsfront angehört hatten, paradoxerweise aus besonders »alten Kämpfern«. Eine frühe NSDAP -Mitgliedschaft wiederum schloss fachliche Qualifikationen keineswegs aus. Warum aber kam es trotz aller Rivalitäten und trotz gravierender generationeller und habitueller Gegensätze dennoch auf zahlreichen Tätigkeitsfeldern zu einer insgesamt durchaus erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen Arbeitsfront und Arbeitsministerium? Die Antwort ist simpel: In den grundsätzlichen Zielsetzungen waren sich beide Seiten einig – trotz einer Arbeitsteilung, die der DAF den Part des sozialpaternalistischen NS-Visionärs zuwies, der mit Projekten wie dem KDF-Massentourismus und Prora, dem Versprechen großzügiger Renten im Rahmen des DAF-»Sozialwerks«, dem KDF-Auto aus dem Volkswagenwerk oder ansprechenden Fabrikhallen nach den Vorgaben von »Schönheit der Arbeit« die Öffentlichkeit sowie die breite Arbeitnehmerschaft zu betören versuchte. Dem Reichsarbeitsministerium überließ die Arbeitsfront den pragmatischen Part, die 62 Robert Ley: Soldaten der Arbeit, Berlin 1938, S.9. Diese Formel wurde für Ley und andere DAF -Spitzenfunktionäre zu einer stehenden Redewendung. 63 Zum Begriff vgl. Dieter Rebentisch/Karl Teppe: Einleitung, in: dies. (Hg.): Verwaltung contra Menschenführung im Staat Hitlers. Studien zum politisch administrativen System, Göttingen 1986, S.7-32, hier bes. S.23-32. 64 Vgl. Anm.20. Zum Alter und zur NSDAP -Mitgliedschaft der Spitzenbeamten des Reichsarbeitsministeriums vgl. den Beitrag von Ulrike Schulz in diesem Band.

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Rolle des »Realisten« oder »Sachpolitikers«, der die Visionen Leys sowie anderer erdete oder als zu »utopisch« verwarf und unabhängig davon in ministerieller Tradition  – und ohne demokratische »Einsprengsel«  – in der Sozial-, Gesundheits- und Arbeits(rechts)politik dem »deutschen Pfad« seit Ende des 19.  Jahrhunderts verpflichtet blieb. Neben den sich rasch verändernden äußeren und inneren Rahmenbedingungen war es nicht zuletzt die aggressiv-aktionistische Arbeitsfront, die dem Ministerium einen bis dahin nicht gekannten Anpassungs- und Veränderungswillen aufzwang. »Konkurrenz belebt das Geschäft«  – dieses Motto gilt nicht nur für die Ökonomie, sondern auch für die Politik, im »Dritten Reich« stärker als unter anderen politischen Systemen. Während der NS -Zeit hatten Ehrgeiz, Rivalitäten und ein auf Dauer gestellter Wettbewerb zwischen den Funktionsträgern um Macht und Kompetenzen den Effekt, dass dies die (Selbst-)Mobilisierung in einem bis dahin ungeahnten Ausmaß stimulierte sowie die Anspannung aller Kräfte auslöste und eine rasante Dynamik entfachte, die dann in den Zweiten Weltkrieg mit all seinen Katastrophen und nationalsozialistischen Menschheitsverbrechen mündete. Die Vielfalt an Herrschaftsinstitutionen, die sich ab 1933 ausbildete, konnte je nach politischen sowie militärischen Konstellationen über Sonderkommissare oder sonstige Koordinationsinstanzen verknüpft und modifiziert werden, sodass sich, trotz aller Reibungsverluste, ein insgesamt elastisches Herrschaftssystem ausbildete, das von überlegenen Gegnern erst nach sechs Jahren niedergerungen werden konnte. Etablierte Reichsverwaltungen wie das Arbeitsministerium und die eingespielte Routine traditioneller Behördenapparate wurden zu zentralen Stabilitätsankern des Regimes, weil sie die ideologischen Vorgaben und oft sprunghaften Ideen des »Führers« sowie anderer NS -Protagonisten gleichsam in realisierbare Teilschritte stückelten. Konkurrenz und Rivalität schlossen Zusammenarbeit und mitunter auch engere persönliche Beziehungen der Akteure keineswegs aus. Unterhalb der höchsten Spitzenebene entwickelten sich zwischen Protagonisten des Arbeitsministeriums und der Arbeitsfront von außen nicht sichtbare, intensive informelle Kooperationen, die bei namhaften Protagonisten schließlich geradezu freundschaftliche Züge annahmen. Über eine solche, auch persönlich enge Zusammenarbeit gab Theodor Hupfauer Mitte der 1980er-Jahre dem damaligen Direktor des Instituts für Zeitgeschichte in München, Martin Broszat, in einem Interview Auskunft. Hupfauer leitete das wichtige DAF -Amt »Soziale Selbstverantwortung«; seit 1936 fungierte er zudem als »Beauftragter

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Theodor Hupfauer (geb. 17.7.1906 in Dellmensingen, gest. 31.8.1993 in München) studierte von 1926 bis 1931 Rechts- und Staatswissenschaften in Würzburg sowie Lausanne und wurde 1932 promoviert. 1920/21 wurde Hupfauer Mitglied des »Großdeutschen Jugendverbandes«. Ende 1922 trat er das erste Mal, Anfang Oktober 1930 ein zweites Mal in die NSDAP ein, 1931 außerdem in die SS . Berufliche Erfahrungen sammelte Hupfauer als Referendar am Amtsgericht, Arbeitsgericht sowie Landgericht Würzburg und bei der Politischen Polizei der Direktion München. Von 1933 bis Anfang 1936 leitete er die Hauptstelle »DAF -Schulung« des NSDAP -Reichsschulungsamtes. Hupfauer, der von Juli 1933 bis 1934/35 außerdem das »Amt für Ständischen Aufbau« in der NSDAP -Reichsorganisationsleitung führte, übernahm von 1936 bis 1944 das DAF -Amt »Soziale Selbstverantwortung«; daneben amtierte er als Geschäftsführer der Reichsarbeitskammer. 1936 ernannte Ley ihn darüber hinaus zum »Beauftragten für die Gesamtdurchführung des [alljährlichen] Leistungskampfs der Betriebe«. 1938 fungierte Hupfauer zudem als Repräsentant der DAF beim Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs, von 1938 bis 1939 beim Reichskommissar für das sudetendeutsche Gebiet. 1943 wechselte er in das Ministerium für Rüstung und Kriegsproduktion unter Speer und war dort bis 1945 als Amtsgruppenchef und Generalreferent für Statistik tätig, von Ende 1944 bis 1945 außerdem Chef des Zentralamtes dieses Ministeriums sowie als Leiter des Einsatzstabes »Rhein und Ruhr«. Von Frühjahr 1946 bis Herbst 1949 war Hupfauer in Haft in Günzburg sowie im Gefängnis des Nürnberger Gerichtshofes. Bei insgesamt vier Nürnberger Folgeprozessen trat er als Zeuge auf. In einem Entnazifizierungsverfahren zunächst als »Mitläufer« eingestuft, verlangte Hupfauer selbst in einem Revisionsverfahren vor der Spruchkammer Bielefeld 1947 seine Einstufung als »Aktivist«. Ab den 1950er-Jahren bis zu seiner Verrentung war er als leitender Angestellter in der türkischen Niederlassung einer Münchner Firma (»Dr. Hayler«) tätig. Quellen und Literatur: Archiv der Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts, Bremen, Bestand DAF , 6.2 Biographien, Aktenordner Hi-Kosiol; Personalakten Theodor Hupfauer, Bundesarchiv ZA I/7117, A.11, sowie BDC 00183; Dienstaltersliste der Schutzstaffel der NSDAP (SS ), Stand: 1. Dez. 1938 bzw. 15. Juni 1939, Nachdruck, Osnabrück 1996, S. 76 f.; Dietrich Eichholtz: Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft, Bd. 3: 1943-1945, Berlin 1996, S. 67; Wer leitet? Die Männer der Wirtschaft und der einschlägigen Verwaltung 1940, Berlin 1940, S. 385.

für die Gesamtdurchführung des Leistungskampfs der Betriebe«. Seit 1943 war Hupfauer führend im Ministerium für Rüstung und Kriegsproduktion tätig und einer der engsten Mitarbeiter Albert Speers. Wichtig ist hier, dass Hupfauer trotz seiner hohen Funktionen in der Arbeitsfront nicht zum engsten Umfeld Leys gehörte, der sogenannten Waldbröler Clique (benannt nach dem langjährigen Wohnort Leys),

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die sich um Schmeer, Marrenbach, Simon und einige andere gebildet hatte. Jene stammten alle aus der Geburtsregion Leys und schlossen sich gegenüber anderen maßgeblichen Funktionären u.a. durch ihr Kölsch ab, einen Dialekt, den die anderen nicht sprachen und nur schlecht verstanden. Die Nichtzugehörigkeit zur Waldbröler Clique prädestinierte Hupfauer und einige andere führende Funktionäre der Arbeitsfront, über einen langen Zeitraum bis 1943/45 zum Arbeitsministerium Strukturen informeller Kommunikation aufzubauen; diese stellten allen Reibereien »ganz oben« zum Trotz eine einvernehmliche und im Sinne der NS -Diktatur produktive Zusammenarbeit zwischen DAF und Arbeitsministerium sicher. In den – leider nur stichwortartigen – Notizen, die Broszat über das Interview zu Papier brachte, sprach Hupfauer davon, dass er selbst, der Leiter des Arbeitswissenschaftlichen Instituts als des Braintrusts der DAF Wolfgang Pohl und dessen Stellvertreter Theodor Bühler sich mit führenden Vertretern aus dem Reichsministerium über mehrere Jahre regelmäßig trafen. Als Teilnehmer aus dem Ministerium nannte Hupfauer gegenüber Broszat Werner Mansfeld und Johannes Krohn. In locker-freundschaftlichem Rahmen hätten beide Seiten gründlich alle anstehenden Fragen diskutiert und überlegt, wie die Rivalitäten zwischen Arbeitsministerium und DAF zu dämpfen seien. In der Arbeitsfront und auch im Arbeitsministerium, so Hupfauer, »hat kein Mensch gewusst, daß wir alle ständig zusammenhockten«65 – und, angesichts der Konflikte des Arbeitsministeriums mit Ley und dessen engsten Vertrautenkreis, wohl auch nicht wissen dürfen. Die untere Mitarbeiterebene der Arbeitsfront und des Ministeriums kooperierten nach anfänglichen Friktionen gleichfalls oft gut; dies illustrieren etwa die Berichte der Gewerbeaufsicht. Durchbrochen wurde die auf vielen Feldern einvernehmliche Zusammenarbeit freilich immer wieder durch DAF -Funktionäre, die glaubten, sich durch polemische Abgrenzungen profilieren zu müssen, oder Möglichkeiten zum machtpolitischen Terraingewinn witterten. Obwohl sich kontrafaktische Fragen allein deswegen verbieten, weil das NS -Regime strukturell nicht auf Dauer angelegt war, ist es dennoch reizvoll zu fragen, wie die politischen Konstellationen ausgesehen hätten, wenn sich die NS -Diktatur wenigstens zeitweilig hätte stabilisieren 65 Notizen zu zwei Gesprächen zwischen Broszat und Hupfauer (1906-1993) am 23.1. und 14.2.1985, S.6, Archiv der Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts, Bremen, Bestand DAF , 6.2 Biographien, Aktenordner HiKosiol.

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können. Eine indirekte Antwort bieten die Person und die Karriere Theodor Hupfauers. Wichtig ist in diesem Kontext, dass sich Hupfauer auch nach seinem Ausscheiden aus den Diensten der DAF 1944 enge und persönliche Beziehungen zu Robert Ley erhielt. Ley war es vermutlich auch, der Hupfauer dem »Führer« vorstellte. Hitler nun kürte Hupfauer in seinem »Testament« vom 29. April 1945 zum Nachfolger Seldtes als Reichsarbeitsminister. Realhistorisch ist dieses Testament irrelevant. Die Bestellung Hupfauers zum Reichsarbeitsminister sagt jedoch einiges darüber aus, wie sich die maßgeblichen Protagonisten perspektivisch das Verhältnis von Ministerium und Arbeitsfront vorstellten: Das Reichsarbeitsministerium und seine nachgeordneten Behörden sollten auf schlichtes Verwaltungshandeln reduziert werden. Die DAF dagegen sollte zur auch die Behörden des Ministeriums mindestens partiell überwölbenden »Erziehungsorganisation« werden, die die »Betriebsführer« und vor allem die »Gefolgschaften« auf die deutsche »Volksgemeinschaft« und Aufsichts- wie Herrschaftsaufgaben in einem rassistisch segregierten NS -Europa vorzubereiten hatte.

Fazit Von ihrer Binnenorganisation und vom Habitus ihrer Protagonisten her waren Arbeitsministerium und Arbeitsfront höchst unterschiedliche Institutionen. Das Ministerium funktionierte nach 1933 weiterhin als klassisch-administrative Reichsbehörde. Die Unterstellung einzelner Abteilungen unter den Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz (Sauckel) sowie unter den Reichswohnungskommissar (Ley) änderte daran grundsätzlich nichts. Aufgabe des Arbeitsministeriums und ebenso der anderen etablierten Reichsministerien war es, die politischen Visionen und rassistischen Utopien der NS -Protagonisten zu erden, indem sie den Weg dorthin in realisierbare Teilschritte zerlegten. Mit bürokratischem Pragmatismus trug die von Seldte geleitete Behörde auf den ihr zugewiesenen Feldern bis 1939 sowohl zu einer autoritären Pazifizierung der NS -Gesellschaft als auch zu einer Optimierung der Aufrüstung, ab 1939 dann zum Funktionieren der kriegswirtschaftlichen Maschinerie der Diktatur maßgeblich bei. Möglich wurde dies, weil die zentralen Akteure des Ministeriums die politisch-ideologischen Grundüberzeugungen der NS -Protagonisten des Regimes weitgehend teilten. Dazu gehörten – neben dem Willen, Deutschland zur Weltmacht zu machen, dem Ziel, niemals wieder eine organisierte Arbeiterbewegung aufkommen zu lassen und demokrati-

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sche Verhältnisse ein für alle Mal zu beseitigen – auch die bis zuletzt handlungsleitenden rassistischen und eugenischen Ideologeme. In scharfem Kontrast zum Arbeitsministerium als etablierter Reichsverwaltung war die Deutsche Arbeitsfront eine Großorganisation gänzlich neuen Typs. Der NS -Massenverband hatte nicht nur mit dem Arbeitsministerium organisationsstrukturell nichts gemein, sondern unterschied sich grundsätzlich auch von allen Arbeitnehmerverbänden vor 1933 und nach 1945. Als eine Art volkspädagogische NS -Behörde kam ihm die Aufgabe zu, die breiten deutschen Arbeitnehmerschichten  – insbesondere die anfangs widerwilligen, gelähmten und desorientierten Kerne der Industriearbeiterschaft – für die nationalsozialistische »Volksund Leistungsgemeinschaft« zu gewinnen. Repression allein reichte hierfür nicht aus. Die Arbeitsfront entwickelte sich deshalb zu einem strikt nach dem Führerprinzip ausgerichteten sozialpaternalistischen Massenverband, der mitsamt seiner Suborganisation NS -Gemeinschaft »Kraft durch Freude« nach möglichst umfassender Massenresonanz strebte. Sie wurde zu einem »volksgemeinschaftlichen Dienstleister«, der seinen Mitgliedern zahlreiche positiv-materielle Anreize bot sowie vielfältige Freizeit-, Bildungs- und Aufstiegsangebote offerierte. Um die ihr gestellten sozialintegrativen Ziele zu erreichen, kultivierten die Protagonisten der Arbeitsfront außerdem schon früh einen kaum gebremsten Populismus. Die sozialen Versprechungen der Organisation wurden durch eine oft aggressiv vorgetragene Rhetorik Leys und seiner Entourage gezielt unterfüttert, die bis in die Vorkriegsjahre von verbalen Ausfällen gegen einzelne, vermeintlich unsoziale Unternehmer oder auch traditionell-staatliche Verwaltungen wie das Arbeitsministerium begleitet war, die einem »alten Denken« verhaftet seien und angeblich noch in Kategorien des »Klassenkampfes« der Weimarer Republik dächten. Verbalinjurien und Sozialpopulismus ließen in der nationalsozialistischen Öffentlichkeit, aber auch bei den angegriffenen Beamten nicht zuletzt des Arbeitsministeriums den Eindruck eines grundsätzlicheren Gegensatzes zwischen beiden Seiten aufkommen. Verstärkt wurde das Gefühl, dass hier zwei Welten aufeinanderprallten, durch fundamentale habituelle Unterschiede: Viele führende DAF -Funktionäre waren zum Zeitpunkt der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler noch keine dreißig Jahre alt sowie der NSDAP in aller Regel vor 1930 und oft bereits schon 1922/23 beigetreten. Hohe Ministerialbeamte befanden sich demgegenüber zumeist in einem gesetzten Alter; sie konnten häufig auf lange Karrieren im Staatsdienst oder auch in Unternehmerverbänden zurückblicken und zählten, sofern sie sich der Partei überhaupt anschlossen, im Allgemeinen zu den

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»Märzgefallenen« oder »Maikäfern«, die erst in die NSDAP eintraten, nachdem sich die NS -Diktatur etabliert hatte. Der Schein eines grundsätzlicheren Gegensatzes zwischen beiden Seiten trügt jedoch. Ein genauerer Blick zeigt, dass beide Seiten inhaltlich weitgehend die gleichen Ziele verfolgten. Die hier exemplarisch vorgestellten Felder ließen sich durch weitere Beispiele ergänzen. Sie zeigen, dass Differenzen überwiegend aus habituellen Distinktionen, organisationsstrukturellen Gegensätzen und dadurch bedingten unterschiedlichen Akzentsetzungen in der Alltagspraxis resultierten, die durch ein aggressives Gebaren und oft rabaukenhaftes Auftreten der in der wilden »Systemzeit« vor 1933 sozialisierten DAF -Führung zusätzlich aufgeladen wurden. Tatsächlich arbeiteten beide Seiten, aller machtpolitischen Rivalitäten ungeachtet, ab Mitte der 1930er-Jahre in der Alltagspraxis zumeist einvernehmlich zusammen. Symptomatisch ist, dass führende, pragmatisch gestimmte DAF -Funktionäre und hohe Ministerialbeamte lange vor Kriegsbeginn freundschaftliche Formen informeller Absprache und Zusammenarbeit entwickelten. Arbeitsministerium und Arbeitsfront wurden – trotz aller Friktionen auf der Führungsebene – seit Mitte der 1930er-Jahre zu gut geölten Rädchen innerhalb der Maschinerie des NS -Herrschaftssystems, die maßgeblichen Anteil daran hatten, dass diese bis in die letzten Kriegsmonate funktionstüchtig blieb.

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II. Politische Handlungsfelder

Wohnungsbaupolitische Konzepte des Reichsarbeitsministeriums Karl Christian Führer

Der Reichskanzler und »Führer«, der öffentlich am liebsten in wolkigen Worten über die großen Fragen der Weltpolitik sprach, wurde ungewöhnlich konkret: Wie Adolf Hitler am 12. März 1936 seine Zuhörer in einer reichsweit im Rundfunk übertragenen Rede wissen ließ, zahlte das Deutsche Reich aktuell bei der Aufrüstung der Wehrmacht 3000 RM für jede einzelne »30-cm-Granate«. Für 4500 RM könne man hingegen »ein Arbeiterwohnhaus« errichten. Angesichts der Relation dieser Zahlen müsse er nicht überlegen, so Hitler, wie er seinen Nachruhm als Politiker bei den Deutschen sichern wolle: »wenn ich eine Million solcher Granaten auf einen Haufen lege, dann ist dies noch lange kein Monument. Wenn ich aber eine Million solcher Häuser habe, in denen soviele deutsche Arbeiter wohnen können, dann setze ich mir damit ein Denkmal.«1 Robert Ley, Chef der Deutschen Arbeitsfront und einer der wenigen hohen NS -Würdenträger, die jederzeit persönlichen Zugang zu Hitler hatten, postulierte nur wenige Monate später ebenfalls öffentlich eine sogar noch viel ambitioniertere Zahl: Allein in »den nächsten Jahren« werde das »Dritte Reich« fünf Millionen neue Wohnungen errichten, denn die »Schaffung gesunder Wohnverhältnisse« müsse sozial als besonders dringlich gelten.2 Ley sprach bei seiner Ankündigung ausdrücklich von einem »Siedlungsprogramm des Führers«; die Deutsche Arbeitsfront (DAF ), so fuhr er fort, werde bei dessen Umsetzung als planende und ausführende Instanz an zentraler Stelle beteiligt sein.3 Das Arbeitsministerium, das unter den Reichsressorts für Fragen des Wohnungsbaus zuständig war und daher eigens eine Hauptabteilung für »Wohnungs- und Siedlungswesen« (Hauptabteilung  IV ) aufwies, hat weder die zitierte Hitler-Rede noch die Erklärungen Roberts 1 Zit. nach Granaten oder Häuser?, in: Die Deutsche Wohnwirtschaft 43 (1936), S.196-199, hier S.196. Hitler eröffnete mit dieser Rede in Karlsruhe den »Wahlkampf« der NSDAP für die gänzlich unfreie Reichstagswahl am 29. März 1936. 2 Robert Ley: Fünf Millionen Wohnungen, in: Die Deutsche Wohnwirtschaft 43 (1936), S.648-649. 3 Robert Ley: Das Siedlungsprogramm des Führers, in: Bauen, Siedeln, Wohnen 16 (1936), S.329-330.

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Ley kommentiert. Nach Lage der Dinge müssen die Beamten der Hauptabteilung  IV in beiden Fällen stark konsterniert gewesen sein, denn sowohl Hitler als auch der DAF -Chef propagierten 1936 mit Aplomb und öffentlich einen wohnungs- und baupolitischen Kurs, den das »Dritte Reich« offiziell ablehnte. Seit 1933 hatten das Reichsarbeitsministerium und die Reichsregierung immer wieder betont, der Bau neuer Häuser und Wohnungen solle möglichst nicht öffentlich subventioniert werden. »Die Befriedigung der Wohnbedürfnisse wird weitgehend der Privatwirtschaft übertragen« – so lautete dieses Credo in den Worten eines der wichtigsten wohnungspolitischen Experten des Berliner Ressorts.4 Der »Führer« hingegen versprach, das Reich werde künftig die Kosten für jedes neue »Arbeiterwohnhaus« übernehmen, und auch bei Ley, der die Versorgung mit Wohnraum zur Aufgabe der DAF machen wollte, war von »Privatinitiative« und der freien Finanzierung neuer Häuser nicht die Rede. Gleichzeitig meinte allerdings auch das Arbeitsministerium, im nationalsozialistischen Deutschland müsse dringend mehr Wohnraum gebaut werden. Nur einen Tag vor Hitlers Auftritt in Karlsruhe hatte Arbeitsminister Franz Seldte in einem internen Schreiben an das Finanzministerium düstere Worte benutzt, um die Situation der Wohnungsmärkte zu beschreiben: Der Wohnungsmangel habe in den deutschen Städten einen solchen Umfang angenommen, »daß eine weitere Verschärfung die schwersten innenpolitischen, gesundheitlichen und bevölkerungspolitischen Gefahren mit sich bringen würde«.5 Ein programmatischer Dissens, wie er sich 1936 zwischen dem Arbeitsministerium einerseits und Hitler sowie Ley als führenden Exponenten der NS -Herrschaft andererseits auftat, wurde im »Dritten Reich« nur sehr selten öffentlich deutlich. Zugleich berührte die Frage, wie der Wohnungsbau intensiviert werden könne, vitale Interessen des diktatorischen Systems. Fragt man nach der Stellung des Arbeitsministeriums im nationalsozialistischen Deutschland, nach seinen Konzepten, Leistungen und Problemen, dann ist das Segment der Wohnungspolitik offensichtlich besonders bedeutsam. Die nachfolgende Skizze der ministeriellen Aktivitäten auf diesem Feld in den Jahren der Diktatur benötigt einleitend allerdings einen etwas detaillierteren Rückblick in die Weimarer Republik, denn das Ministerium folgte in 4 Joachim Fischer-Dieskau: Staatsgedanke und Wohnungswesen, in: Soziale Praxis 44 (1935), Sp. 306-312, hier Sp. 310. 5 Reichsarbeitsministerium an Reichsfinanzministerium, 11.3.1936, Bundesarchiv (BA rch) R2/18927.

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wohnungspolitischen Fragen nach 1933 einem Kurs, den es bereits in den letzten Jahren der Demokratie eingeschlagen hatte. Erst vor diesem Hintergrund zeigt sich, wie stark die Strategie des Arbeitsressorts in der Siedlungs- und Wohnungspolitik von grundsätzlichen ordnungspolitischen Überzeugungen geprägt wurde.

Entstaatlichung als wohnungspolitisches Ziel des Reichsarbeitsministeriums seit 1930 Zu den kulturellen Errungenschaften der Weimarer Republik, die bis heute die historische Erinnerung an die 1920er-Jahre prägen, gehört auch der Wohnungsbau. Mit umfangreicher öffentlicher Förderung durch stark zinsverbilligte oder sogar zinslose staatliche Kredite entstanden insbesondere nach dem Ende der Inflation 1924 in vielen deutschen Städten großangelegte, architektonisch und städtebaulich prägnante Baublöcke und Wohnsiedlungen, die konsequent viele sozialhygienische und wohnungsreformerische Ideen verwirklichten, die bislang eher Postulate wohlmeinender Experten geblieben waren. Weniger bekannt ist hingegen die Tatsache, dass diese vor allem von den Kommunen konzipierte und getragene praktische Wohnungspolitik bereits in der Weimarer Republik wieder beendet wurde. Schon seit 1929/30 entstanden kaum noch vergleichbare Bauten in kommunaler Regie; zudem galten die gerade erst fertiggestellten Siedlungen rückblickend nun nicht nur als falsch geplant, sondern auch als sozialpolitisch fragwürdig sowie als ökonomisch unsolide finanziert. Diese Umdeutung wurde zentral von den Beamten des Reichsarbeitsministeriums formuliert. Gleichzeitig nutzte das Ressort seinen Einfluss, um wohnungsbaupolitisch neue Regeln durchzusetzen, die Ländern und Kommunen auf ganz neue Weise die Hände banden. Ursprünglich verfügte das 1918/19 entstandene Ministerium auf dem Feld der Baupolitik über geringen Einfluss. Bei der Errichtung neuer Wohnbauten fielen alle wichtigen Entscheidungen in den einzelnen Ländern und – stärker noch – in den Kommunen. Das Reich konnte Rahmenbestimmungen erlassen, machte von diesem Recht aber keinen Gebrauch. Die wohnungsbaupolitisch wichtigste Aktion des Ressorts vor 1929/30 betraf daher die finanzielle Ausstattung der Länder: Im Frühjahr 1924 sicherte das Ministerium einen zehnprozentigen Anteil an der neu eingeführten »Hauszinssteuer« für die Förderung neuer Wohnbauten. Dieser Pflichtanteil wurde zur wichtigsten Finanzquelle für den öffentlichen Wohnungsbau in den stabilen Jahren

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der Weimarer Republik. Das Reichsarbeitsministerium selbst aber besaß keinen Einfluss auf die Vergabe der Gelder (bei deren Bemessung viele Landesregierungen sogar weit über den zehnprozentigen Pflichtanteil hinausgingen).6 Auch ein Versuch des Ressorts, sich durch Änderung älterer Gesetze das Recht zu verschaffen, wenigstens eigene Bürgschaften für Baukredite vergeben zu dürfen, scheiterte 1927 am Widerstand der Länder: Mit solchen Bürgschaften, so formulierte es etwa das württembergische Innenministerium, könne das Reich »tief einschneidende Maßnahmen der Wohnungs- und Siedlungspolitik« durchsetzen, ohne die Länder und Kommunen zu konsultieren.7 Zentralismus aber sei gerade in der Bauförderung strikt abzulehnen, weil es beim Wohnungsbau darum gehe, auf lokale Bedürfnisse zu reagieren und auch regionale Traditionen zu beachten seien. Die preußische Regierung fürchtete sich sogar vor »langsamer Aushöhlung der Landesverwaltung« durch ein baupolitisch ermächtigtes Reichsarbeitsministerium.8 In dieser Hinsicht blieb das Ressort daher ein Habenichts. Erst mit Beginn der Weltwirtschaftskrise im Jahr 1929, die Deutschland heftig traf und das halbautoritäre System der »Präsidialkabinette« einleitete, wurden die Karten in diesem Spiel um Gelder, Einfluss und Zuständigkeiten neu gemischt. Mit Rückendeckung des Reichspräsidenten konnte die Berliner Regierung nun nicht nur den Reichstag, sondern auch Länder und Gemeinden weitgehend aus dem Prozess der politischen Willensbildung ausschließen. So ließen sich auch politisch stark umstrittene Rezepte und Programme durchsetzen  – und genau dies geschah auf dem Feld der Baupolitik in den Jahren 1930/31. Zum einen sorgte das Reichsarbeitsministerium dafür, dass öffentliche Subventionen nur noch für »billigste Wohnungen« eingesetzt 6 Zu den komplizierten Details vgl. etwa Karl Christian Führer: Mieter, Hausbesitzer, Staat und Wohnungsmarkt. Wohnungsmangel und Wohnungszwangswirtschaft in Deutschland 1914-1960, Stuttgart 1995, S.155-164. Kurz gesagt, schöpfte die öffentliche Hand mit dieser Steuer in allen vor 1914 gebauten Mietwohnungen die Mietanteile ab, die nicht mehr für Zins und Tilgung der durch die Inflation entwerteten Vorkriegshypotheken gebraucht wurden, d.h. die Steuer wurde zwar von den Mietern gezahlt, entstand de facto aber durch die weitgehende Enteignung der Geldgeber, die den deutschen Wohnungsbau vor 1914 finanziert hatten. 7 Württembergisches Innenministerium an württembergisches Wirtschaftsministerium, 4.6.1927, Hauptstaatsarchiv (HS tA) Stuttgart, E 130b 2731. 8 Preußisches Finanzministerium an Preußischen Ministerpräsidenten, 10.12.1927, Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Rep.84a 5827.

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werden durften, die »für die einfachsten Kreise der Bevölkerung« gedacht seien.9 Mit dieser Vorschrift, die im Frühjahr 1931 per Notverordnung erlassen wurde und die auch Länder und Gemeinden band, reagierte die Reichsregierung auf ein unbestreitbar bestehendes Problem des bislang geförderten Reformwohnungsbaus: Die Wohnungen, die in den Siedlungen und Wohnblöcken der 1920er-Jahre entstanden, waren für die große Masse der Bevölkerung und gerade für die Familien, die besonders dringend nach Wohnungen suchten, zu teuer. Staatliche Subventionen für ein sozial recht exklusives Produkt hielt das Reichsarbeitsministerium jedoch für falsch. Otto Wölz, Ministerialrat in der Hauptabteilung IV , erklärte, öffentliche Gelder würden »fehlgeleitet«, wenn damit Wohnungen für die »wirtschaftlich mehr begünstigten Kreise« entstünden.10 Letztlich ging es den wohnungspolitischen Experten des Ministeriums um ein sozialpolitisches Subsidiaritätsprinzip: Sie definierten die staatliche Bauförderung strikt als eine Politik, die direkt und »wirklich den einer sozialen Fürsorge am meisten bedürftigen Kreisen der Minderbemittelten« helfe. Möglichst geringe Mieten galten daher nun als das A und O der öffentlichen Bauförderung. In der Praxis bedeutete das: Subventionen flossen nur noch für den Bau kleiner und möglichst einfach ausgestatteter Wohnungen.11 Rückblickend störte sich das Arbeitsministerium auch an den Finanzierungsmethoden, die Gemeinden und Länder bislang im öffentlich geförderten Wohnungsbau benutzt hatten. Deren Kredite hatten nicht nur den größten Teil der Baukosten abgedeckt; ein erheblicher Teil davon stammte zudem selbst aus Krediten. Viele Kommunen hatten sich nach 1924 in großen Stil für den Reformwohnungsbau verschuldet. Die Hauszinssteuer wurde so kreativ genutzt: Sie floss einerseits zu großen Teilen in die allgemeinen Etats und fundierte andererseits als prospektive Einnahme in den kommenden Jahren zugleich Kredite für Bauten, die allein mit dem begrenzten Bauanteil der Steuer nicht zu bezahlen gewesen wären. So eine Schuldenwirtschaft hielt das Reichsarbeitsministerium für einen »Übelstand«, der »den geordneten Ablauf der allge-

9 Otto Wölz: Reichsgrundsätze für den Kleinwohnungsbau, in: RAB l.II (1931), S.24-30, 49-53, hier S.51. 10 Otto Wölz: Das zusätzliche Wohnungsbauprogramm des Reichs 1930 als Glied der Reichswohnungspolitik, in: Die Wohnung 5 (1930/31), S.249-252, hier S.251. 11 Friedrich Schmidt: Erfahrungen bei Durchführung des zusätzlichen Wohnungsbauprogramms des Reichs für das Jahr 1930, in: RAB l.II (1931), S.197201 u.S.221-225, hier S.225.

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meinen Finanzgebarung der öffentlichen Hand« störe.12 Daher galten nun neue Vorschriften, die nicht nur solche Vorgriffe untersagten, sondern auch den Umfang der öffentlichen Förderung pro Wohnung massiv einschränkten. So sollten nicht nur die öffentlichen Haushalte entlastet werden; das Ministerium hoffte zugleich auf größere Sparsamkeit der finanziell nun selbst wieder geforderten Bauherren.13 Zum anderen integrierte das Arbeitsministerium diese neuen Vorschriften für den Bau möglichst billiger »Kleinwohnungen« in ein auf mehrere Jahre angelegtes wohnungspolitisches Grundsatzprogramm. Ebenfalls per Notverordnung befristete die Reichsregierung im Dezember 1930 nicht nur die öffentliche Bauförderung, sondern auch die aktuell geltenden Gesetze über die Kontrolle der Altbaumieten und den Kündigungsschutz für Mieter auf die kommenden fünf Jahre. Mit dem Ende des Rechnungs- und Haushaltsjahres 1935/36 (d.h. ab dem 1.  April 1936) sollte es in Deutschland keine Subventionen für den Wohnungsbau mehr geben. Am gleichen Tag sollten zudem sowohl das »Reichsmietengesetz« als auch das »Kündigungsschutzgesetz« außer Kraft treten, mit denen der Staat die Handlungsfreiheit der Hauswirte beschränkte und die Mieter von Altbauwohnungen schützte.14 Mit diesem Plan positionierte sich das Kabinett Brüning ordnungspolitisch auf eindeutige Weise: Die Regierung wollte auf den Wohnungsmärkten erklärtermaßen weitgehend zu den Verhältnissen zurück, die in Deutschland vor 1914 gegolten hatten.15 Sieht man von den lokal festgelegten Bauordnungen ab, kannte das Kaiserreich nur ein sehr geringes Maß an Staatsintervention sowohl beim Wohnungsbau wie auch im Verhältnis zwischen Hauswirten und Mietern. Eine öffentliche Bauförderung existierte bestenfalls in ganz rudimentärer Form; Mieten bildeten sich nach den Gesetzen von Angebot und Nachfrage; die Vertragsfreiheit galt fast uneingeschränkt auch bei Wohnraum. Erst in der letzten Phase des Ersten Weltkrieges begann der Staat, zugunsten der Mieter in diesen freien Markt einzugreifen, um die »Heimatfront« sozial zu pazifizieren, die sich über deutlich steigende Mieten zu zerstreiten drohte. In der frühen Weimarer Republik entstand aus diesen Anfängen ein komplexes System der öffentlichen »Wohnungszwangswirtschaft«, die alle Hauswirte umfassend 12 13 14 15

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Wölz: Reichsgrundsätze (Anm.9), S.25. Ebd., S.25-30. Vgl. dazu ausführlich Führer: Mieter (Anm.6). Otto Wölz: Die Verordnung des Reichspräsidenten zur Sicherung von Wirtschaft und Finanzen vom 1. Dezember 1930, in: Deutsches Wohnungs-Archiv 6 (1931), Sp. 1-5, hier Sp. 1f.

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entmachtete und wie ein Mietenstopp wirkte. Da Privatinvestoren unter diesen Bedingungen kaum noch neue Mietwohnungen bauten, übernahmen Länder und Gemeinden diese Aufgabe, zumal sie mit der 1924 eingeführten Hauszinssteuer über eine eigene Geldquelle verfügten, deren Erträge sich dafür einsetzen ließen. Durch die präzise Terminierung sowohl der staatlichen Bauförderung als auch der beiden Mieterschutzgesetze erklärte die Reichsregierung im Winter 1930/31 prospektiv das Ende dieser umfassenden Staatsintervention, deren einzelne Segmente systemisch eng zusammenhingen. Dabei machte sie nur eine Ausnahme: Der besondere Schutz für Mieter selbst gegen eine fristgerechte Kündigung durch den Hauswirt sollte 1936 nicht vollständig verschwinden, sondern in nicht näher erläuterter Form in einem noch zu formulierenden »sozialen Mietrecht« fortgeführt werden. Ansonsten aber ging es dem Kabinett – und damit auch dem Reichsarbeitsministerium – darum, sowohl sich selbst als auch Länder und Gemeinden wohnungspolitisch weitgehend zu entmachten. Die Literatur spricht daher von einer »konservativen Wende« und von einem »Umbruch« auf diesem Feld der deutschen Innenpolitik.16 Diese Wertungen führen jedoch in die Irre. Auf der höchsten politischen Ebene waren es drei Vertreter der katholischen Zentrumspartei, die für die skizzierten wohnungspolitischen Beschlüsse aus dem Winter 1930/31 verantwortlich zeichneten: Reichskanzler Heinrich Brüning, Reichsarbeitsminister Adam Stegerwald sowie der langgediente preußische Minister für Volkswohlfahrt Heinrich Hirtsiefer. Sie konzipierten den skizzierten Plan gemeinsam und einigten sich persönlich auch auf das anvisierte Enddatum der »Wohnungszwangswirtschaft«. Wie Stegerwald sagte, handelte es sich gerade bei diesem Termin um den »Ausdruck eines politischen Entschlusses«. Die Vorschriften, die öffentliche Bausubventionen auf Kleinwohnungen zu beschränken, und die Ankündigung, Mietengesetz und Kündigungsschutzgesetz seien präzise befristet, gehörten für die drei Zentrumspolitiker untrennbar zusammen: Die beiden Gesetze könne man nur aufheben, wenn kein akuter Wohnungsmangel mehr bestehe. Gebe es eine ausgeglichene Situation auf den Wohnungsmärkten, dann seien weitere staatliche Interventionen und Fördermaßnahmen entbehrlich, weil die Gefahr von allgemeinen Mietsteigerungen gebannt sei. Da vor allem preiswerte Kleinwohnungen fehlten, müsse sich der Staat darauf konzentrieren, 16 Tilman Harlander/Katrin Hater/Franz Meiers: Siedeln in der Not. Umbruch und Siedlungsbau am Ende der Weimarer Republik, Hamburg 1988, S.12.

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diesen Mangel zu beheben. Gleichzeitig sei die langfristige Ankündigung, in absehbarer Zeit werde es in Deutschland wieder eine weitgehend liberale Ordnung des Wohnungsmarktes geben, unverzichtbar, um »dem privaten Kapital eine möglichst ruhige, sichere Betätigung im Wohnungsbau [zu] gewährleisten«.17 Mit ihren Beschlüssen entwickelten Brüning, Stegerwald und Hirtsiefer auch kein neues Konzept. Im Gegenteil: Wie alle bürgerlichen Parteien hatte auch das Zentrum die staatliche »Wohnungszwangswirtschaft« immer nur als Notbehelf verstanden, der dazu diente, die sozialen Folgen des starken Wohnungsmangels einzuhegen, den die meisten deutschen Städte spätestens seit 1916/17 verzeichneten. Bei wieder »normalisierten« Verhältnissen sollte die Staatsintervention zügig beendet werden.18 Neu war 1930/31 nur die Konsequenz, mit der das Arbeitsministerium und die Reichsregierung die reformierte öffentliche Bauförderung als Instrument einsetzen wollten, um die Aufhebung der »Wohnungszwangswirtschaft« möglich zu machen. Die Notverordnung vom Dezember 1930 und die Vorschriften zum Bau von Kleinwohnungen formulierten also ein stringentes politisches Programm, das die Zentrumspartei grundsätzlich schon seit den frühen Jahren der Weimarer Republik verfolgte. Diese Politik ließ sich direkt aus ideologischen Grundpositionen des Zentrums und auch der christlichen Gewerkschaften ableiten: Sie wandte sich gegen staatssozialistische Strukturen, setzte auf den durch moderate gesetzliche Eingriffe gebändigten freien Markt (daher das Versprechen, ein »soziales Mietrecht« zu schaffen) und wollte öffentliche Hilfe grundsätzlich nur dann und nur dort gewähren, wo echte Not herrschte. Wenn gerade das Arbeitsressort diese Linie im System der »Präsidialkabinette« mithilfe der Notverordnungen tatkräftig durchsetzte, so zeigt sich daran, wie stark das Ministerium in den Jahren von Heinrich Brauns, der das Ministerium von 1920 bis 1928 geleitet hatte, von der spezifischen Gedankenwelt der bürgerlich-katholischen Soziallehre geprägt worden

17 Niederschrift über die Besprechung des Reichsarbeitsministeriums mit den Ländervertretern, 7.11.1930, BA rch R3901/10980. Vgl. auch die Rede von Heinrich Hirtsiefer in: Die Zukunft der Wohnungswirtschaft. Bericht über die 12. Hauptversammlung der Kommunalen Vereinigung für Wohnungswesen in Frankfurt a.M. am 5. und 6. Juni 1930, Berlin 1930, S.5f. 18 Vgl. etwa Hubert Mockenhaupt: Priesterliche Existenz und sozialpolitisches Engagement von Heinrich Braus, Universität Saarbrücken, Diss., Saarbrücken 1976, S.244; Heinrich Hirtsiefer: Die Wohnungswirtschaft in Preußen, Eberswalde 1929, S.544-548.

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war. Unter Adam Stegerwald, der ebenfalls aus der katholischen Gewerkschaftsbewegung kam, verstärkte sich diese Ausrichtung noch.19 Allerdings litt das in sich konsistente Programm des Arbeitsministeriums, zu einer liberalen Ordnung des Wohnungsmarktes zurückzukehren und die »Wohnungszwangswirtschaft« im Frühjahr 1936 ganz abzubauen, von vornherein an einem massiven Mangel: Die BrüningRegierung behinderte die Umsetzung des von ihr selbst entworfenen Plans, weil sie den Wohnungsbau bremste, der doch bis 1936 das Angebot an Kleinwohnungen vermehren und so den ausgeglichenen Wohnungsmarkt schaffen sollte. Für diesen Widerspruch war nicht das Reichsarbeitsministerium verantwortlich. Das Ressort erkannte das Problem vielmehr sehr genau, konnte sich mit seinen Warnungen und Gegenvorschlägen aber nicht durchsetzen. Vielmehr dominierte in dieser Frage das Finanzministerium, das äußerst streng auf Sparsamkeit und ausgeglichene öffentliche Haushalte drängte. So wurden die Einnahmen aus der Hauszinssteuer in zwei Schritten 1931/32 vollständig in die allgemeinen Etats umgeleitet; gleichzeitig untersagte die Reichsregierung den Gemeinden pauschal die Aufnahme neuer Kredite. Die Ära der billigen Baudarlehen von Ländern und Kommunen ging damit abrupt zu Ende.20 Zu den zahlreichen Kritikern dieser paradoxen Politik gehörte auch die NSDAP . Ihr Parteiorgan, der Völkische Beobachter, sprach im Herbst 1930 von »Dilettantismus« und meinte, »Ziel einer verantwortungsbewußten Staatspolitik« müsse es sein, »durch stärkste Förderung des Wohnungsbaues die erste Voraussetzung zur Besserung unserer sozialen Verhältnisse zu schaffen«.21 Mit Blick auf die Jahre nach 1933 verdient dieses Statement Beachtung – und gerade im Arbeitsministerium, das bei den anderen Reichsressorts ebenso beständig wie vergeblich um mehr öffentliche Gelder für den Wohnungsbau warb, mögen die zuständigen Referenten aufgehorcht haben. Auch das Reich tat nach 1930 wenig, um den Kleinwohnungsbau zu fördern. Zwar durfte das Arbeitsministerium im Winter 1930/31 insgesamt 100Millionen RM ausgeben, um ein zusätzliches Bauprogramm für die Kleinwohnungen zu fördern, die das Ressort im Zentrum der staat19 Zusammenfassend zu Stegerwalds Politik als Minister vgl. ausführlich Bernhard Forster: Adam Stegerwald (1874-1945). Christlich-nationaler Gewerkschafter, Zentrumspolitiker, Mitbegründer der Unionsparteien, Düsseldorf 2003, S.475-576. 20 Vgl. zusammenfassend etwa Deutscher Baugewerksbund: Jahrbuch 1931, hg. v. Vorstand des Deutschen Baugewerksbundes, Berlin 1932, S.37-42. 21 Zielloser Dilettantismus, in: Völkischer Beobachter, 20.10.1930.

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lichen Baupolitik sehen wollte. Diese Gelder, die für den Bau von rund 26000 Wohnungen reichten, waren innerhalb weniger Monate verbraucht. Weitere Subventionen dieser Art blieben jedoch aus. Stattdessen erhielt das Ressort nur noch einmal weitere 100 Millionen RM für eine indirekte Förderung kleiner und preiswerter Mietwohnungen: Die Reichsregierung wollte damit private Kredite für solche Wohnungen durch Bürgschaften absichern. Für öffentliche Baukredite durfte das Geld hingegen nicht verwendet werden. So wollte die Regierung noch einmal ihren politischen Willen unterstreichen, den Wohnungsmarkt weitgehend zu liberalisieren und Privatinvestoren schon vorab wieder daran gewöhnen, Gelder in den Mietwohnungsbau zu stecken. Mitten in der epochalen ökonomischen Krise der Jahre nach 1930 erwies sich diese Entscheidung jedoch rasch als falsch. Wie von der Hauptabteilung  IV warnend prognostiziert, hielten potenzielle Investoren die wirtschaftlichen und sozialen Perspektiven Deutschlands für viel zu unsicher, um ausgerechnet für Geringverdiener zu bauen, die in der Wohnungswirtschaft ohnehin als unzuverlässige Mieter galten. Im Frühjahr 1933 waren daher fast 90% dieser zweiten 100 Millionen RM noch nicht abgerufen. Wiederholte Forderungen des Arbeitsministeriums, der Kleinwohnungsbau müsse wieder direkt mit öffentlichen Krediten subventioniert werden, scheiterten jedoch an einem gemeinsamen Veto des Reichsfinanzministeriums und des preußischen Finanzressorts.22 Diese Knausrigkeit der Finanzpolitiker ist insofern erstaunlich, als das Reichsarbeitsministerium gemeinsam mit fast allen wohnungspolitischen Experten im Jahr 1931 eine Wohnform entdeckte, die geradezu perfekt in die Zeit der schweren Wirtschaftskrise zu passen schien. Gemeint ist die »vorstädtische Kleinsiedlung«, die Erwerbslose und ihre Familien im Umfeld der Großstädte als Hauseigentümer mit äußerst schlichten Wohnungen, aber möglichst großen Gärten ausstatten wollte, um sie durch die Bodenerträge »krisenfest« zu machen und –als Besitzer von Grund und Boden – politisch gegen kommunistische Versprechungen zu immunisieren. Die wohnungspolitischen Experten der Hauptabteilung  IV entwickelten sich rasch zu entschiedenen Verfechtern dieses Konzeptes, das sich aus traditionsreichen bürgerlichen Ängsten gegenüber den angeblich »wurzellosen« großstädtischen Industriearbeitern speiste, in der Krise aber durchaus auch in linken 22 Denkschrift des Reichsarbeitsministeriums über die nächsten Aufgaben des Reichs auf dem Gebiete des Wohnungs- und Siedlungswesens, 11.9.1933, BA rch R3901/20678.

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Die »Rundling«-Siedlung in Leipzig-Lößnig als ein Beispiel für den architektonisch und wohnungsreformerisch ambitionierten kommunalen Wohnungsbau der Weimarer Republik, 1930 (erbaut 1929/30), Architekt: Hubert Ritter; Fotopostkarte

Kreisen populär wurde. Bereits 1932 dekretierte der Abteilungsdirigent Karl Durst, die Kleinsiedlung sei die beste Form des öffentlich unterstützten Kleinwohnungsbaus und daher intensiv zu fördern.23 Mit diesen enthusiastischen Bekenntnissen hielt die politische Praxis allerdings nicht Schritt. Zwar wurden 1931/32 insgesamt 73 Millionen RM aus Haushaltsmitteln des Reiches speziell für die Förderung der Kleinsiedlung bereitgestellt. Anders als bei den normalen Kleinwohnungen durften diese Gelder auch als Kredite eingesetzt werden. Mehr als knapp 30000 Erwerbslose aber ließen sich mit der verfügbaren Summe nicht »ansiedeln«  – und dieses Resultat war bei mehr als sechs Millionen offiziell registrierten Arbeitslosen doch alles andere als eindrucksvoll. Halb resigniert, halb anklagend konstatierte das Arbeitsministerium im Mai 1932 in einem internen Schreiben an die Reichskanzlei, die Frage, wie der Wohnungsbau in Deutschland weiterhin finanziert werden könne, sei völlig offen.24 Da die Zahl der fertiggestellten Wohnungen 1932 krisenbedingt um mehr als 50% niedriger lag als noch 1929, benannte dieses Statement ein gravierendes 23 Vgl. etwa Karl Durst: Zeitfragen der Bau- und Wohnungswirtschaft, in: Siedlung und Wirtschaft 14 (1932), S.93-97, hier S.94f. 24 Reichsarbeitsministerium an den Staatssekretär in der Reichskanzlei, 12.5.1932, BA rch R43 I/2353.

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politisches Problem, das den gesamten Reformplan des Arbeitsministeriums in Frage stellte, wenn man weiterhin an dem Versprechen festhalten wollte, nur einen ausgeglichenen Wohnungsmarkt freizugeben. Zusätzlich unter Druck geriet das Ressort mit seinem Konzept darüber hinaus durch ein fast schon absurdes politisches Manöver des Reichskanzlers Heinrich Brüning. Im Dezember 1931, fast exakt ein Jahr nachdem die erste Notverordnung des Präsidialkabinetts das Ende der »Wohnungszwangswirtschaft« auf 1936 festgesetzt hatte, verkürzte der Kanzler diese Frist durch ein neues Dekret auf noch nicht einmal anderthalb Jahre: Der umfassende Kündigungsschutz für Mieter sowie das »Reichsmietengesetz« als Kern der Staatskontrolle über den Wohnungsmarkt sollten nun schon am 1. April 1933 außer Kraft treten. Brüning warb mit dieser Verfügung um die Unterstützung der Deutschen Wirtschaftspartei, die sich als Interessenvertretung der Haus- und Grundeigentümer verstand. Das Arbeitsministerium hielt – wie auch Länder und Gemeinden – die neue Frist für viel zu kurz, verteidigte sie getreu der Kabinettsdisziplin aber doch erneut als »politische Entscheidung«.25 Dieses neue Datum blieb allerdings ohne Bedeutung. In den wenigen Wochen, in denen das Amt des Reichskanzlers im Winter 1932/33 in den Händen von Kurt von Schleicher lag, wurde Brünings willkürliche Entscheidung gekippt. Eine Einigung, wie es künftig um das Kündigungsrecht der Hauswirte stehen sollte, fehlte nach wie vor – und so entschied der Kurzzeit-Kanzler auch auf Drängen des Arbeitsressorts, nicht nur den Kündigungsschutz, sondern auch das »Reichsmietengesetz« wieder zu entfristen.26 Die Frage, wann der ausgeglichene Wohnungsmarkt erreicht sein werde, der das Ende der Zwangswirtschaft im Wohnungswesen möglich machen sollte, blieb damit erneut völlig offen. Wohnungspolitisch befand sich das Reichsarbeitsministerium somit in einer höchst widersprüchlichen Position, als die NSDAP wenige Wochen später an die Macht kam. Zwar stand das Ministerium seit 1930 eindeutig im Zentrum der deutschen Baupolitik, über die zuvor Länder und Gemeinden weitgehend autonom entschieden hatten. Ein wichtiger Teil dieser »Verreichlichung« war der detailliert ausgearbeitete Plan, wie die in den 1920er-Jahren entstandene »Wohnungszwangswirtschaft« wieder abzuschaffen sei. Dieses Konzept aber präsentierte sich 1933 in bereits recht ramponierter Form: Die drastische Verkürzung der zunächst geplanten Frist durch Heinrich Brüning 25 Vermerk über die Besprechung im Reichsarbeitsministerium, 24.9.1931, HS tA Stuttgart, E 151f. I lfd. Nr.42 Aktenz. 600. 26 Vgl. Führer: Mieter (Anm.6), S.84.

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hatte die Glaubwürdigkeit des Vorhabens beschädigt; da ein exakt benannter Endtermin schließlich doch wieder fehlte, verringerte sich der Druck auf die politisch Verantwortlichen, den Wohnungsmangel aktiv zu bekämpfen. Zudem verfügte das Berliner Ministerium nach wie vor kaum über Möglichkeiten, die Staatsintervention durchzusetzen, die der umfassenden wohnungspolitischen Selbstentmachtung des Staates vorausgehen sollte: Dem Ressort fehlten schlicht die Gelder und die Kompetenzen, um den Wohnungsbau eindeutig auf die wirklich preiswerten Kleinwohnungen zu konzentrieren. Deren Zahl aber musste dringend vermehrt werden, wenn die Mieten bei einer Liberalisierung des Wohnungsmarktes wirklich stabil bleiben sollten. Darüber hinaus hatte sich mit der schweren Wirtschaftskrise auch noch die Idee durchgesetzt, diese Kleinwohnungen sollten, wenn irgend möglich, nicht als normale Mietwohnungen, sondern als vorstädtische Kleinsiedlungen entstehen. Da es sich dabei um eine sehr spezielle eigentumsbildende Maßnahme handelte, die Eigenkapital (konkret: umfangreiche Eigenarbeiten des erwerbslosen Siedlers) und wegen der verlangten großen Gärten auch ungewöhnlich viel Boden erforderte, wurde das Geschäft der Bauförderung damit noch komplizierter, als es das mitten in einer schweren ökonomischen Depression ohnehin schon war. Bereits 1933 gehörte die Arbeit in der Hauptabteilung  IV daher mit Sicherheit zu den schwierigeren Aufgaben, die im Reichsarbeitsministerium zu erledigen waren.

Neue Begründungen für eine unveränderte Politik: die ersten Jahre des »Dritten Reiches« Ende August 1933 erschien im Reichsarbeitsblatt der erste Artikel, in dem ein Mitarbeiter des Berliner Ressorts die politischen Veränderungen ansprach, die Deutschland seit dem 30.  Januar des Jahres erlebt hatte. Oberregierungsrat Ludwig Münz zog eine Bilanz der sozialpolitischen Gesetzgebung seit Hitlers Amtsantritt  – und benutzte dabei eine recht überraschende Metapher für das politische Handeln der NSDAP : Wie »eine Sturmflut«, so schrieb der Ministerialbeamte, sei »die nationalsozialistische Revolution über Deutschland hinweggegangen«.27 27 Ludwig Münz, Die sozialpolitische Gesetzgebung seit dem 30. Januar 1933, in: RAB l.II (1933), S.329-335, hier S.329.

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Den Bereich der Wohnungspolitik kann der Oberregierungsrat allerdings nicht gemeint haben, als er so erstaunlich skeptisch auf »die erste Etappe der Revolution« zurückblickte, die Deutschland nach den Erklärungen der Nationalsozialisten gerade hinter sich hatte. Bezeichnenderweise erwähnte Münz dieses Politikfeld nur ganz am Rande; Fragen des Wohnungsbaus kamen gar nicht vor. Für Beschwerden über Eingriffe der regierenden NSDAP gab es auch keinen Anlass, denn die Wohnungspolitik des »Dritten Reiches« folgte in den Anfangsjahren der Diktatur exakt den Linien, die vor 1933 gegolten hatten. Auch die Zuständigkeit des Arbeitsministeriums blieb unangetastet. Zwar fiel die Zuständigkeit für Fragen der Kleinsiedlung auf Anordnung Hitlers im März 1934 an einen eigens bestellten »Reichskommissar für das Siedlungswesen«, der dem Reichswirtschaftsministerium zugeordnet wurde und gleichzeitig die bisher dem Arbeitsressort angehörigen Wohnungsbauexperten übernahm. Mit dieser bürokratischen Reform wollte das NS -Regime angeblich den Charakter der Kleinsiedlung als »Wirtschaftsmaßnahme« besonders betonen und zudem Entscheidungen in dieser Sache beschleunigen. Tatsächlich ging es jedoch vor allem darum, einen ehrenhaften Posten für Gottfried Feder zu finden, einen »alten Kämpfer« der NSDAP , der nach Hitlers Machtübernahme zum Staatssekretär im Reichswirtschaftsministerium aufgestiegen war, dort aber dringend als ebenso überfordert wie umtriebig »entsorgt« werden sollte. Feder, ein selbsternannter Experte für Fragen der Arbeitsbeschaffung sowie des Städte- und Wohnungsbaus, hatte sich bereits vor 1933 öffentlich als schwer zu bremsender Fantast profiliert – und diesen Ruf bestätigte er auch als neuer Reichskommissar, indem er utopische Pläne entwickelte, in Deutschland rund eintausend neue, ideal geplante Kleinstädte zu bauen.28 Bereits im Dezember 1934 wurde er als ein nun endgültig »erledigter Mann« auf einen Professorenposten abgeschoben; die alte Hauptabteilung  IV im Arbeitsressort entstand erneut.29

28 Bekannt wurde Feder in den Krisenjahren nach 1929 mit seinem Plan, in Deutschland eine Parallelwährung (das »Feder-Geld«) zu schaffen, die in einem geschlossenen Geldkreislauf Arbeitsbeschaffungsprojekte finanzieren sollte. Diesen volkswirtschaftlich naiven Plan verkaufte Feder als eine Form der Kreditexpansion, von der keine inflationären Gefahren ausgingen. 29 Joachim Fischer-Dieskau: Zum Problem der verwaltungsmäßigen Verankerung von Wohnungswesen, Städtebau und Raumordnung in den ministeriellen Instanzen des Reichs und der Bundesrepublik Deutschland – Rückblick und Ausblick, in: Victor-Emanuel Preusker (Hg.): Festschrift für Hermann

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Feders wohnungspolitische Regentschaft blieb daher eine folgenlose Episode, zumal das Arbeitsministerium auch 1934 in der Phase seiner scheinbaren Entmachtung wohnungspolitisch weiterhin mitgeredet hatte: Anders als andere Reichskommissare genoss Feder mit seinen wenigen Mitarbeitern (bezeichnenderweise) zu keinem Zeitpunkt den Rang einer »selbständigen obersten Reichsbehörde«. Er musste sich vielmehr bei allen Entscheidungen nicht nur mit dem Wirtschaftsminister, sondern auch mit Arbeitsminister Seldte abstimmen.30 Zusätzlich ist ein starker Korpsgeist der Feder unterstellten Beamten in Rechnung zu stellen. Die sechzehn betroffenen Mitarbeiter wurden am 17.  Mai 1934  – auf ihren ausdrücklichen Wunsch hin  – in einer kleinen Feierstunde im Arbeitsministerium gemeinsam verabschiedet, die das Ressort zunächst nicht vorgesehen hatte. Im hausinternen Nachrichtenblatt schrieb der Abteilungsdirigent Karl Durst, die Verwaltungsreform bedeute für ihn und seine Kollegen »die Trennung von den Angehörigen des Hauses, mit denen sie sich auf Grund langjähriger Zusammenarbeit und teilweise engster persönlicher Beziehungen verbunden fühlen und von denen Abschied zu nehmen ihnen nicht leicht fällt«. Man wolle jedoch »in enger Fühlung« bleiben.31 Als sich anschließend der neue Chef vorstellte, betonte Staatssekretär Johannes Krohn, die Abteilung »verkörpere […] gute alte Beamtentradition im besten Sinne«: Feder solle dies »bei der weiteren Verwendung der Beamten berücksichtigen«  – was der NS -Ideologe selbstverständlich versprach.32 Wenn Feders Stellvertreter, der ebenfalls aus der NSDAP kam, den Untergebenen des Reichskommissars mehr als drei Monate später erklärte, es komme »alles darauf an, daß die gegebene Form nicht nur technisch umgestaltet, sondern mit einem neuen Geist erfüllt wird«, Wandersleb zur Vollendung des 75. Lebensjahres, Bonn 1970, S.113-143, hier S.125-127, Zitat S.127. 30 Ebd., S.125. Zu Feders Tätigkeit als »Episode« vgl. auch Ulrike Haerendel: Kommunale Wohnungspolitik im Dritten Reich. Siedlungsideologie, Kleinhausbau und »Wohnraumarisierung« am Beispiel München, München 1999, S.139-142, Zitat S.140. 31 Ministerialdirigent Durst an das Nachrichtenblatt im Hause, 18.5.1934, BA rch R3901/20679. Die Zahl der betroffenen Beschäftigten (ohne Hilfskräfte etc.) errechnet nach Geschäftsverteilungsplan der Abt. IV b, Februar 1934, BA rch R3901/20679. 32 Aktenvermerk von Ministerialdirigent Durst zum Übergang der Abt. für Wohnungs- und Siedlungswesen in das Reichswirtschaftsministerium, 18.5.1934, BA rch R3901/20679.

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dann darf man dies wohl als das Eingeständnis werten, dass sich die Beamten nach wie vor als Teil des Arbeitsministeriums verstanden. Die gleichzeitig übermittelte Mahnung zum »dringend erforderlichen Beginn der praktischen Arbeit« erweckt sogar den Eindruck, die umgesetzten Beamten könnten ihre beiden nationalsozialistischen Vorgesetzten durch Passivität ausgebremst haben.33 Feders Abberufung wiederum nur drei Monate später erscheint so als ein Sieg der »Beamtentradition«. Zu Beginn des »Dritten Reiches« ging es konzeptionell daher in der Wohnungspolitik weiterhin vor allem um eine Abkehr von der großzügigen Subventionskultur aus der Mitte der 1920er-Jahre. Das Arbeitsministerium strebe danach, so hieß es 1934 im Reichsarbeitsblatt, den Wohnungsmarkt möglichst rasch so zu gestalten, dass die Bauwirtschaft die Errichtung neuer Mietwohnungen wie vor 1914 wieder eigenverantwortlich und »frei von unmittelbarer behördlicher Mitwirkung« selbst regle.34 Nach neuen, systemkonformen Begründungen für diese bereits vor 1933 formulierte Politik hat das Ministerium nicht lange gesucht: Der Verzicht auf Subventionen, so hieß es nun, entspreche »der programmatischen Forderung des Nationalsozialismus, daß der Staat wohl die Wirtschaft führen, aber nicht selbst wirtschaften soll«.35 Aktuell sei es zwar noch nötig, den Wohnungsbau öffentlich zu fördern; diese finanziellen Anstöße und Zuschüsse müssten aber schrittweise abgebaut werden, um »den allmählichen Übergang auf die freie Finanzierung vorzubereiten«.36 Unverändert ging es dem Ressort auch vor allem darum, »für die Beschaffung von Wohnungen zu sorgen, die für die minderbemittelten Schichten der Bevölkerung nach Grösse und Miethöhe wirklich ge33 Rundschreiben des Stellvertreters des Reichskommissars für das Siedlungswesen, Wilhelm Ludowici, zum Geschäftsgang, 31.8.1934, BAR ch R3901/20679. Zu Ludowicis Person siehe weiter unten. 34 Otto Blechschmidt: Reichsbürgschaften für den Kleinwohnungsbau, in: RAB l.II (1934), S.85-86, hier S.86. 35 Joachim Fischer-Dieskau: Kapitalkraft und Kapitaleinsatz bei der Wohnungsbau- und Siedlungsfinanzierung, in: Jahrbuch der deutschen Siedlung, hg. mit Unterstützung der Stiftung zur Förderung von Bauforschungen, bearb. v. Clemens J. Neumann, Berlin 1937, S.14-32, hier S.16. 36 Joachim Fischer-Dieskau: Grundsätze für Kapitaleinsatz und Finanzierung von Kleinsiedlung und Wohnungsbau, in: Deutscher Bauvereins-Kalender 1937, hg. v. Hauptverband Deutscher Wohnungsunternehmen unter Mitwirkung der deutschen Baugenossenschaftsverbände, Berlin 1936, S.99-135, hier S.101.

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eignet« waren.37 Wer staatliche Förderung beantragte, musste deshalb Pläne vorlegen, die »auf die bescheidensten Ansprüche des gegenwärtigen Bedarfs«38 zugeschnitten waren, und sich verpflichten, die Baukosten »stets auf das denkbar niedrigste Maß« zu drücken.39 Eindeutiger noch als vor 1933 definierte das Ministerium die öffentlich geförderte Kleinwohnung nun als »Siedlungsstelle« in einer vorstädtischen Kleinsiedlung. Gebaut werden sollte also vor allem außerhalb der Großstädte; gewünscht waren Einfamilienhäuser mit üppig bemessenen Gärten, die zum Eigentum der »Siedler« wurden, statt großer Baublöcke mit Mietwohnungen. Nach der Machtübernahme der NSDAP wurde die Kleinsiedlung als besondere Form des Wohnungsbaus noch stärker ideologisch und sozialutopisch überhöht als ohnehin schon in den späten Jahren der Weimarer Republik. Die wohnungspolitischen Experten des Berliner Ministeriums haben diesen »weltanschaulich« hochtrabenden Diskurs intensiv mitgestaltet und dabei bereitwillig Kernvokabeln des völkisch-nationalen Milieus und der NSDAP übernommen. Bereits 1933 erklärte Oberregierungsrat Georg Heilmann, bei der Kleinsiedlung gehe es um die »staatspolitisch« entscheidend wichtige Aufgabe der »Entproletarisierung des deutschen Arbeiters«, der »innerlich wieder in ein unmittelbares Verhältnis zum Staat gebracht werden« müsse.40 Ministerialrat Wilhelm Gisbertz schrieb 1935, als Kleinsiedler werde »der Arbeiter Hüter eines Stücks heiligen deutschen Bodens« und damit aus der »Entwurzelung« der Industriearbeiter erlöst, die als einer »der schwersten Fehler einer früheren Zeitepoche« zu betrachten sei.41 Ähnlich ideologisch argumentierte Ernst Knoll, Leiter der Hauptabteilung IV seit 1936: In seiner Sicht ließ der Kleinsiedler »die Unnatürlichkeit des großstädtischen Lebens« und das »Kopfdenken des Intellektualismus« hinter sich.42 37 Aktenvermerk von Ministerialdirigent Durst zum Übergang der Abt. für Wohnungs- und Siedlungswesen in das Reichswirtschaftsministerium, 18.5.1934, BA rch R3901/20679. 38 Wilhelm Gisbertz: Die Fortführung der Kleinsiedlung auf neuer Grundlage, in: RAB l.II (1935), S.41-43, hier S.42. 39 Hermann Bellinger: Weiterführung der Kleinsiedlung, in: RAB l.II (1935), S.180-184, hier S.182. 40 Georg Heilmann: Fortführung der vorstädtischen Kleinsiedlung, in: RAB l.II (1933), S.285-286. 41 Gisbertz: Die Fortführung der Kleinsiedlung (Anm.38), S.42. 42 Ernst Knoll: Kleinsiedlung als staatspolitische Aufgabe, in: Die Wirtschaft im neuen Deutschland in Einzeldarstellungen: Bauen und Siedeln, Berlin 1937

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Auch die Forderung nach Eigenkapital (bzw. in der Praxis: nach umfangreichen Eigenarbeiten), die der Kleinsiedler mit seiner Familie – anders als der Mieter einer normalen Mietwohnung – erfüllen musste, konnte Knoll nun problemlos im NS -Jargon begründen. Gerade dank dieser Voraussetzung entspreche die Kleinsiedlung dem nationalsozialistischen »Leistungsgedanken« und dem NS -spezifischen Verständnis von Sozialpolitik, nicht der Schwache, sondern der »Würdige« und Starke sei zu fördern: »Bei der Kleinsiedlung wird in nicht unbeträchtlichem Umfang dem Menschen die Möglichkeit gegeben, selbst zu entscheiden, zu wählen, für sich zu arbeiten und die Vorteile dessen, was er selbst geleistet hat, als seinen Erfolg zu sehen. Solche Menschen brauchen wir und müssen wir fördern, wie in einem künftigen Krieg jeder an der Front fast seinen Krieg allein führen muß, so brauchen wir im ganzen Volke Menschen, die selbständig entscheiden können, die gewillt sind, eine Verantwortung und eigenes Risiko zu übernehmen […].«43 Systemkonformer hätte es wohl selbst Robert Ley nicht formulieren können. Die wohnungspolitische Harmonie, die in den ersten Jahren nach 1933 in Deutschland herrschte, verdankte sich zentral dem Kleinsiedlungsprogramm und dem starken Engagement des Reichsarbeitsministeriums in dieser Sache. Zwar hatten sich vor 1933 durchaus einige Nationalsozialisten öffentlich zu Wort gemeldet, die wenig von dieser speziellen Wohnform hielten. Hjalmar Schacht etwa, der zum Apologet Hitlers gewordene ehemalige Reichsbankpräsident, bezeichnete die Kleinsiedlungsstellen 1932 abfällig als »eine Art Schrebergärten mit Primitivwohnung«;44 der NS -Kommunalpolitiker Karl Fiehler aus München sprach im gleichen Jahr von einer »Holzhütte« mit Garten, die den Arbeitslosen »wohl einige Ablenkung von ihrem Elend«, aber keine Existenzsicherung bringe und auch keine gesunden Wohnverhältnisse schaffe.45 (Sonderbeilage zu Der deutsche Volkswirt 11 [1936/37], H.17, 22.1.1937), S.24-28, hier S.28. 43 Ernst Knoll: Arbeitseinsatz – seine Bedeutung für Wohnungsbau und Siedlungswesen, in: Die Wohnung 11 (1936), S.49-55, hier S.55. 44 Hjalmar Schacht: Brennende deutsche Bevölkerungsfragen, München 1932, S.37. 45 Karl Fiehler: Nationalsozialistische Gemeindepolitik, 5. Aufl., München 1932, S.53.

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Richtfest in der »Hermann-Göring-Siedlung« in Hamburg-Wilhelmsburg, 1936

Ab Januar 1933 allerdings verstummte diese Kritik. Gerade die neu gegründete Deutsche Arbeitsfront, die meinte, alle sozialpolitischen Maßnahmen  – und damit auch der Wohnungsbau  – gehörten in ihren Zuständigkeitsbereich, bekannte sich enthusiastisch zur Idee der Kleinsiedlung. Wilhelm Ludowici, der Leiter des noch 1933 eingerichteten »Reichsheimstättenamtes« der DAF , hatte sich schon vor der Machtübernahme der NSDAP hinter die Wohnungsbaupolitik des Reichsarbeitsministeriums gestellt: Die Strategie des Ministeriums, nur noch möglichst kleine und möglichst preiswerte Wohnungen zu fördern und zu bauen, verdiene »volle Unterstützung«, weil sie der sozialen Realität im krisengeschüttelten Deutschland entspreche. Jede anders orientierte Wohnungspolitik entspringe einer »Selbsttäuschung«. Auch die Absicht des Ministeriums, »die Bauwirtschaft wieder dem privaten Geschäftsmann zu überlassen«, fand ausdrücklich Ludowicis Beifall.46 46 Wilhelm Ludowici, Die Kleinstwohnung, in: RAB l.II (1931), S.433-436, hier S.436 u. S.433. Ludowici wurde in einer redaktionellen Bemerkung zu diesem Artikel nicht als Nationalsozialist, sondern als Sprecher von »Wirtschaftskreisen« vorgestellt (ebd., S.433), dessen Ansichten informatorisch mitgeteilt würden. Wie sein Beitrag in die Zeitschrift kam, die auch in ihrem »Nichtamtlichen Teil« selbstverständlich den Charakter eines offiziellen Organs des Reichsarbeitsministeriums hatte, ist unklar.

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Da sich auch Adolf Hitler in seiner neuen Rolle als Reichskanzler grundsätzlich gegen eine »Subventionspolitik« wandte, und meinte, »daß es vielmehr darauf ankomme, das Vertrauen des einzelnen zur eigenen Betätigung wieder zu erwecken«, plädierten NSDAP , DAF und das Reichsarbeitsministerium auf dem Feld der Wohnungsbaupolitik zunächst einvernehmlich und konfliktfrei für den Bau möglichst vieler vorstädtischer Kleinsiedlungen.47 Gemeinsam veränderten Partei, DAF und Reichsarbeitsministerium auch die sozialpolitische Ausrichtung des Programms: Die Ansiedlung von Arbeitslosen galt rasch als falsch, weil dabei vor dem Januar 1933 – so formulierte es einer der Beamten des Berliner Ressorts im Rückblick  – auch »ausgesprochen asoziale Elemente« von öffentlichen Geldern profitiert hätten.48 So wurde die Kleinsiedlung zur »Vollbeschäftigtensiedlung«, die gerade dem geringverdienenden »Stammarbeiter« und dessen Familie zugutekommen sollte. 1935 schließlich verfügte das Arbeitsministerium – ganz im Sinne der NSDAP  –, siedeln dürften nur noch »arische Volksgenossen«, die »national und politisch zuverlässig, rassisch wertvoll, gesund und erbgesund« seien. Damit funktionierte die öffentliche Wohnungsbaupolitik zumindest bei den Kleinsiedlungen exakt nach den selektierenden Prinzipien der nationalsozialistischen Sozialstrategen. Ernst Knoll pries diesen Beschluss als richtungsweisend: Die staatliche Baupolitik garantiere dank der »straffen Auslese« der Kleinsiedler nun die bevorzugte Fortpflanzung der »besten Erbstämme«.49 All diese Erklärungen und Entscheidungen helfen, die oben zitierte skeptische Metapher für die nationalsozialistische »Revolution«, die das Reichsarbeitsblatt noch im August 1933 verwandte, richtig zu beurteilen: Die Distanz, die sich in dem Vergleich mit einer »Sturmflut« artikulierte, bezog sich auf Verfahrensfragen, auf die Neigung der Nationalsozialisten, ihrer Partei und den von ihr beherrschten Organisationen direkte Regierungs- und Verwaltungsbefugnisse zuzusprechen. Mit völkisch-national oder rassistisch geprägten Vorschriften, die »ordnungsgemäß« verfügt wurden, hatten die Beamten des Arbeitsministeriums hingegen kein Problem: Sie erließen ja selbst Bestimmungen dieser Art. So vereinheitlichte das Ressort im Juli 1933 die Vorschriften zur »Gleichschaltung« der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen, 47 Akten der Reichskanzlei. Regierung Hitler 1933-1938, Bd.1: Die Regierung Hitler, Teil I: 1933/34, bearb. v. Karl-Heinz Minuth, hg. v. Konrad Repgen/ Hans Booms, Boppard am Rhein 1983, S.745 (Kabinettsitzung, 19.9.1933). 48 Hermann Bellinger: Weiterführung der Kleinsiedlung, in: RAB l.II (1935), S.180-184, hier S.181. 49 Knoll: Kleinsiedlung (Anm.42), S.26.

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die zuvor auf Landesebene recht unterschiedlich ausgefallen waren.50 Damit legitimierten und regelten die Berliner Ministerialbeamten nicht nur die Entlassung von Sozialdemokraten und Kommunisten, sondern auch von Juden in einem Bereich, der gar nicht zum öffentlichen Dienst gehörte. Vergleichbare antisemitische Entscheidungen des Ministeriums hatten es schon zuvor jüdischen Ärzten und Zahnärzten unmöglich gemacht, Behandlungen von Kassenpatienten weiterhin mit den Krankenversicherungen abzurechnen; auch für Funktionsträger in den ehrenamtlichen Institutionen der Sozialversicherungen und der Reichsversorgung formulierte das Ministerium einen »Arierparagraphen«, der das nationalsozialistische Beamtengesetz kopierte.51 Konflikte entstanden nur, wenn das Ressort seine Zuständigkeit bedroht sah. Die DAF, die so selbstbewusst auftrat und sich politisch kaum definieren ließ, beobachtete das Ministerium daher mit großem Misstrauen. Nach zahlreichen Versuchen unterer Stellen des DAF-Reichsheimstättenamtes, eigenständig über die Auswahl »geeigneter« Siedler zu entscheiden, protestierte Franz Seldte schon im Oktober 1934 in der Reichskanzlei: Ein »erfolgreiches Arbeiten« für die Kleinsiedlung sei dem Ministerium nur möglich, wenn die DAF mit all ihren Untergliederungen in die Schranken gewiesen werde.52 Reichskommissar Gottfried Feder, dem die NS-Führung Wilhelm Ludowici als Stellvertreter an die Seite gestellt hatte, wurde noch deutlicher: Der DAF-Mann habe ihn in seinem neuen Amt gar nicht vertreten und entlastet, sondern vielmehr seine Energie nur darauf verwandt, die Heimstättenämter »als Gegenspieler und Konkurrent zu den Staatsstellen« zu positionieren. Aus »Gründen der Staatsautorität« müsse diese Entwicklung sofort gestoppt werden.53 Nach Feders erzwungenem Abtritt stärkte Hitler in diesem Konflikt tatsächlich das Arbeitsministerium. Das Ressort durfte offiziell erklä50 Joseph Walk (Hg.): Das Sonderrecht für die Juden im NS -Staat. Eine Sammlung der gesetzlichen Maßnahmen und Richtlinien – Inhalt und Bedeutung, Heidelberg 1996, S.16 u. S.22. 51 Zur Gleichschaltung der gemeinnützigen Wohnungsunternehmen (die bei Walk nicht erwähnt wird) vgl. Werner Meier: Die Sicherung der Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen durch das Gesetz vom 14. Juli 1933, in: RAB l.II (1933), S.286-288, zur »Rassenzugehörigkeit« als Entlassungsgrund S.287. Auch bereits erfolgte Entlassungen wurden mit dem Gesetz pauschal rückwirkend legitimiert. 52 Reichsarbeitsministerium, Franz Seldte, an Staatssekretär Lammers, 18.10.1934, BA rch R43 II /1141c. 53 Staatssekretär Gottfried Feder an den »Stellvertreter des Führers«, Rudolf Heß, 25.8.1934, BA rch R43 II /1141c.

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ren, die DAF -Ämter nähmen keine staatlichen Funktionen war und sie besäßen auch keine Entscheidungsrechte. Ihre Hauptaufgabe sei es, die Kleinsiedlung propagandistisch zu fördern, und bei der Realisierung konkreter Projekte auf Anforderung der Behörden eventuell auch noch beratend mitzuhelfen.54 Bereits zuvor war es dem Ministerium gelungen, seine baupolitischen Kompetenzen auszuweiten. Ein im März 1934 erlassenes Gesetz, das die Beaufsichtigung und Anerkennung gemeinnütziger Wohnungsunternehmen erstmals reichsweit einheitlich regelte, beauftragte die Hauptabteilung  IV mit der Aufsicht über alle überregional agierenden Unternehmen dieser Art, d.h. sie überwachte nun die Geschäfte der großen Baugesellschaften, die nach der Zerschlagung der freien Gewerkschaften im Frühjahr 1933 in den Besitz der DAF übergegangen waren.55 Im Juli 1934 schließlich sicherte sich das Ministerium »sehr weitgehende Vollmachten« in der räumlichen Bauplanung, obwohl es mit solchen Entscheidungen zuvor überhaupt nichts zu tun gehabt hatte: Länder und Gemeinden brauchten seitdem eine Genehmigung der Berliner Hauptabteilung, wenn sie größere Neubauflächen ausweisen wollten.56 Als »prekärer Staat« (Sven Reichardt), der durch Ad-hoc-Entscheidungen gesteuert wurde, kannte das nationalsozialistische Deutschland allerdings auch in verwaltungstechnischen Fragen keine dauerhaften Lösungen und keine unantastbaren hergebrachten Grundsätze. Schon seit 1936 musste das Arbeitsministerium seine wohnungspolitische Machtposition erneut gegen die weiterhin aggressiv um eigene Zuständigkeiten kämpfende DAF verteidigen. In diesem zweiten Konflikt geriet das Ministerium allerdings in die Defensive. Dafür gab es zwei Gründe: Zum einen ließ sich die Erfolgsbilanz des Ministeriums bei der Förderung und Lenkung des Wohnungsbaus berechtigt kritisieren; zum anderen entwickelte die DAF nun ein eigenes wohnungspolitisches Konzept, das sie zunehmend selbstbewusst als genuin »nationalsozialistisch« präsentierte. Es unterschied sich deutlich von dem Wunsch des Reichsarbeitsministeriums, den Wohnungsmarkt weitgehend zu liberalisieren. So entstand ein politischer Richtungsstreit, der von der DAF auch öffentlich geführt wurde. Das Arbeitsministerium wehrte sich hinter den Kulissen mit den traditionellen Mitteln der Ka54 Reichsarbeitsministerium an das Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft, 22.12.1934 (Abschrift), HS tA Niedersachsen, Hannover, Hann. 180 Hildesheim 3100. 55 Siehe dazu auch den Beitrag von Rüdiger Hachtmann in diesem Band. 56 Vgl. zusammenfassend Joachim Fischer-Dieskau: Realkredit und Siedlungswerk, in: Die Bank 29 (1936), S.957-961, hier S.959.

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binettspolitik – und unterlag. Seit 1940 wurde die offizielle Wohnungspolitik des »Dritten Reiches« weitgehend von der DAF bestimmt, weil Adolf Hitler zu ihren Gunsten entschieden hatte.

Erfolg und Misserfolg: eine erste Bilanz der Wohnungsbaupolitik von 1933 bis 1939 Auf den ersten Blick stand es zwar durchaus gut um den Wohnungsbau in Deutschland in den Jahren nach 1933. Schon 1936 lag die Zahl der fertiggestellten Wohnungen mit rund 330000 doppelt so hoch wie im letzten Jahr der Weimarer Republik; 1937 verzeichnete das Land mit 340000 Neubauwohnungen ein Ergebnis, das sogar das bisherige Rekordbaujahr 1929 noch leicht übertraf.57 Diesen Aufschwung hat das Regime selbstverständlich propagandistisch stark herausgestrichen. Berücksichtigt man die baupolitischen Ziele, die das Arbeitsministerium selbst formuliert hatte, dann ist allerdings trotz der genannten Zahlen ein dreifacher Misserfolg zu konstatieren: Weder trat der ausgeglichene Zustand des Wohnungsmarktes ein, der die Aufhebung des »Reichsmietengesetzes« und den Verzicht auf den umfassenden Kündigungsschutz für Mieter möglich machen sollte, noch konzentrierte sich der Neubau so eindeutig auf besonders billige Kleinwohnungen und auf die Regionen außerhalb der Großstädte, wie die Hauptabteilung  IV sich das wünschte. Insofern scheiterte der Versuch des Ministeriums, den Markt zentral zu steuern, um ihn dann anschließend zu liberalisieren, gleich in mehrfacher Hinsicht. Der Wohnungsmarkt, so zeigte es sich, entzog sich den ministeriellen Planungen und Eingriffen sowohl auf der Seite der Nachfrage als auch beim Angebot an neugebauten Wohnungen. Durch den wirtschaftlichen Aufschwung nach 1933 und durch den Optimismus, den Hitler und die NSDAP bei vielen Deutschen weckten, wuchs das Interesse an Wohnraum in den ersten Jahren der NS -Herrschaft weitaus rascher und dynamischer als das Angebot. Zumal die anhaltend hohen Heiratszahlen trieben den Bedarf – und zwar insbesondere den Bedarf an preiswerten Kleinwohnungen, deren Zahl schon in der Weimarer Republik unzureichend gewesen war. Das Arbeitsministerium hat die57 Günther Schulz: Kontinuitäten und Brüche in der Wohnungspolitik von der Weimarer Zeit bis zur Bundesrepublik, in: Hans Jürgen Teuteberg (Hg.): Stadtwachstum, Industrialisierung, Sozialer Wandel, Berlin 1986, S.135-174, hier S.173f.

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se Entwicklung wachsam registriert. Bereits im Frühjahr 1935 warnte Franz Seldte kabinettsintern vor einer »Zunahme der Wohnungsnot«, die »alle Bemühungen der Reichsregierung um Ertüchtigung des Volkes« zu konterkarieren drohe;58 sein zweiter Brandbrief in gleicher Sache von 1936 wurde bereits zitiert. Öffentlich erklärte Ministerialdirigent Ernst Knoll im gleichen Jahr, es gebe aktuell einen Mangel an Wohnraum, »wie es in Deutschland noch nie der Fall gewesen ist«: Das Problem sei »an der Grenze des Erträglichen, an der Grenze des volksgesundheitlich und des politisch Erträglichen«.59 Von einem so gravierenden Fehlbestand musste man auch deshalb sprechen, weil das Angebot an Neubauwohnungen für die meisten der neu auf den Wohnungsmarkt drängenden jungen Ehepaare deutlich zu teuer war. Trotz aller Bemühungen des Berliner Ressorts, die öffentliche Wohnungsbauförderung so einzusetzen, dass gezielt das untere Marktsegment gestärkt wurde, stellten die wirklich preiswerten Kleinwohnungen nach wie vor nicht das Gros der neu errichteten Unterkünfte. Deutlich mehr als 50% davon sollten nach den Wünschen und Plänen des Ministeriums aus Wohnungen mit bis zu drei Räumen (inklusive der Küche) bestehen. De facto lag deren Anteil in den Jahren 1933 bis 1939 jedoch nur bei 37%  – selbst die Weimarer Republik hatte in dieser Beziehung ein besseres Resultat erreicht. Der deutsche Kleinwohnungsbestand expandierte daher nach 1933 nicht, obwohl die offizielle Baupolitik doch genau dieses Ziel verfolgte.60 Der Fehlschlag dieser versuchten Steuerung ergab sich zu einem guten Teil aus dem Misserfolg der großangelegten Kleinsiedlungspläne, an denen das Reichsarbeitsministerium und die DAF einvernehmlich bis 1936/37 festhielten, obwohl sich rasch zeigte, dass diese angebliche »Idealform« des Wohnungsbaus in der Praxis aus vielen Gründen nicht mehr als ein Nischenprodukt sein konnte. Eine »Ansiedlung« von Arbeitern in wirklich großem Stil scheiterte etwa an dem überkomplizierten Bewilligungsverfahren, an dem Problem, preiswerte und dennoch stadtnahe Grundstücke ausreichender Größe auf gutem Boden zu finden, an der Enttäuschung vieler Interessenten über die primitive Wohnkultur, die ihnen als Siedlern geboten wurde, und auch an einer weitverbreiteten Scheu, sich selbst und alle Familienangehörigen poli58 Reichsarbeitsminister Franz Seldte an den Reichskommissar, 25.3.1935, BA rch R43 II /1006. 59 Knoll: Arbeitseinsatz (Anm.43), S.53. 60 Karl Christian Führer: Anspruch und Realität. Das Scheitern der nationalsozialistischen Wohnungsbaupolitik 1933-1945, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 45 (1997), H.2, S.225-256, hier S.243.

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tisch und »rassisch« bis in den intimsten Lebensbereich überprüfen zu lassen, bloß weil man ein Dach über dem Kopf suchte. Zudem taten sich vollbeschäftigte »Stammarbeiter«, die siedeln sollten, sehr schwer, die umfangreichen Eigenarbeiten zu erbringen, die verlangt wurden, weil es bei der Kleinsiedlung ja darum ging, Wohneigentum zu bilden. Eigenkapital in ausreichender Höhe besaßen aber nur bürgerliche Haushalte, die typischerweise Ansprüche an ein Eigenheim stellten, denen die Kleinsiedlung nicht entsprach. An der gesamten Bauproduktion der Jahre 1933 bis 1939 entfielen daher noch nicht einmal 10% auf die Kleinsiedlung. Wie der zum akademischen Beobachter der Baupolitik zurückgestufte Gottfried Feder kritisch anmerkte, blieb ihr Anteil an allen bewohnten Unterkünften in Deutschland damit »verschwindend gering«.61 Zwar erkannte das Arbeitsministerium das Problem, und es versuchte sogar, zu reagieren. Im Sommer 1935 kreierte das Ministerium ein neues Förderprogramm für den Bau von Kleinwohnungen, das die weiterlaufende Subventionierung der vorstädtischen Kleinsiedlungen ergänzen sollte. Das Reich stellte nun Kredite auch für »Volkswohnungen« bereit, die normal vermietet wurden. Wie für alle seit 1930 öffentlich geförderten Unterkünfte, so galt auch für die »Volkswohnungen« eine Kultur der extremen Sparsamkeit: Nach der Definition der Hauptabteilung IV handelte es sich um »billigste Mietwohnungen […], die hinsichtlich Wohnraum und Ausstattung äußerste Beschränkung aufweisen«, und für »Werktätige mit geringstem Lohneinkommen« gedacht waren.62 Der Bau der »Volkswohnungen« lief rascher an als das stets nur äußerst schleppend realisierte Kleinsiedlungsprogramm. Restriktive Kostenvorschriften und der geringe Etat von zunächst nur 35 Millionen RM , die zudem auch noch aus dem bereits bewilligten Bauetat stammten, begrenzten jedoch auch die Wirksamkeit dieser neuen Fördermaßnahme. So blieb die »Volkswohnung« in den Baujahren nach 1935 ebenso eine Randerscheinung im deutschen Wohnungswesen wie die Kleinsiedlung.63 Wegen ihrer strikten Flächenbegrenzung und der stets 61 Gottfried Feder: Arbeitsstätte  – Wohnstätte, Berlin 1939, S.55. Vgl. zur Kleinsiedlung genauer Karl Christian Führer: Das NS -Regime und die »Idealform des deutschen Wohnungsbaues«. Ein Beitrag zur nationalsozialistischen Gesellschaftspolitik, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 89 (2002), S.141-166; Haerendel (Anm.30), S.197-278. 62 Rundschreiben des Reichsarbeitsministeriums, 27.7.1935, BA rch R43 II /1006. 63 1935 und 1936 entstanden 9% aller Neubauwohnungen als »Volkswohnungen«; 1937 und 1938 wuchs dieser Anteil auf 13,5%. Zahlen nach Deutscher

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sehr einfachen Ausstattung zog sie zudem starke Kritik auf sich. Ernst von Stuckrad etwa, der neue Leiter des »Reichsheimstättenamtes« der DAF , schmähte die neue Förderungslinie des Arbeitsministeriums als »resoluten Sprung zurück ins 19. Jahrhundert«.64 Das Propagandaministerium sorgte sich sogar, es müsse »zu den unangenehmsten Weiterungen führen, wenn der Begriff Volk, der im nationalsozialistischen Deutschland einen völlig neuen Klang bekommen hat, mit den primitivsten und notdürftigsten Wohnungen in dauernden Zusammenhang gebracht würde«.65 Als in sozialer Beziehung ebenfalls nur bedingt effektiv erwies sich auch das dritte Förderungsprogramm für den Wohnungsbau im nationalsozialistischen Deutschland, das System der Reichsbürgschaften für private Baukredite, das die Diktatur von der Weimarer Republik geerbt hatte. Es funktionierte zwar insbesondere seit 1935 dank des wirtschaftlichen Aufschwungs deutlich besser als auf dem Höhepunkt der ökonomischen Krise, d.h. die verfügbaren Gelder konnten nun tatsächlich eingesetzt werden. Bis 1939 wurde der Bürgschaftsetat sogar mehrfach erhöht. Allerdings entstanden mit dieser indirekten öffentlichen Hilfe weit mehr Einfamilienhäuser als Mietwohnungen; zumal die besonders preiswerten Kleinwohnungen, die das Reichsarbeitsministerium vor allem fördern wollte, fehlten weitgehend. In der Gesamtschau standen die staatlichen Baupolitiker daher in der NS Zeit vor dem gleichen Problem, mit dem sie auch schon in den Jahren der Republik gekämpft hatten: Die neu gebauten Unterkünfte und der wirklich dringende Wohnungsbedarf passten nicht zueinander, weil das Gros der Neubauwohnungen preislich eindeutig zum oberen Segment des Wohnungsmarktes gehörte. Auch indirekte Entlastungseffekte durch frei werdende Altbauwohnungen blieben  – wie vor 1933 – unbedeutend.66

Wohnungsbau 1933 bis 1937, in: RAB l.II (1939), S.227-232, hier S.228 (für 1935/36); sowie berechnet nach Hermann Aichele: Finanzierungsfragen im Arbeiterwohnstättenbau, in: Zeitschrift für Wohnungswesen 37 (1939), S.196-201, hier S.197 (für 1937/38). 64 Ernst von Stuckrad: Heimstätte und Geschoßwohnung, in: Bauen, Siedeln, Wohnen 18 (1938), S.167-168. 65 Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda an Reichsarbeitsministerium, 17.8.1935, BA rch R43 II /1006. 66 Vgl. hierzu etwa die zeitgenössischen kritischen Kommentare: Zuwenig billige Wohnungen!, in: Die deutsche Volkswirtschaft 4 (1935), S.112-113; A. Düppe: Der Wohnungsbau – Tatsachen und Probleme, in: Die Deutsche

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Noch fragwürdiger wirkten die Reichsbürgschaften, wenn man berücksichtigte, welche Kredite die öffentliche Hand denn absicherte. Eigentlich wollte das Arbeitsministerium mit diesem Programm ja die Rückkehr zur freien, nicht staatsabhängigen Finanzierung des Wohnungsbaus vorbereiten: Die Ausfallgarantie sollte helfen, private Investoren wieder dafür zu interessieren, ihr Geld in Wohnimmobilien anzulegen. In der Öffentlichkeit erweckte die Hauptabteilung IV auch stets den Eindruck, diese Absicht sei spätestens nach 1935 erreicht worden. Tatsächlich aber waren es ganz andere Geldgeber, die ihre nachstelligen Hypotheken staatlich sichern ließen: Die große Masse der Reichsbürgschaften bezog sich auf Kredite der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte, der Landesversicherungsanstalten, der Sparkassen und anderer öffentlich-rechtlicher Kreditinstitute, d.h. auf die Investitionen von Institutionen, die selbst Teil des Staates waren oder direkt unter Staatseinfluss standen. Nur ein marginaler Anteil wurde hingegen von privaten Investoren gestellt.67 Insofern konnte man bei den Bürgschaften fast von einer Propagandainszenierung sprechen: Um den Rückzug der öffentlichen Hand aus der fortlaufenden Subventionierung des Wohnungsbaus zu belegen, band das Arbeitsministerium große Summen in seinem Etat, um quasiöffentliche Kredite abzusichern, während gleichzeitig die Mittel für eine direkte Subventionierung von wirklich preiswerten Kleinwohnungen notorisch knapp waren. Der rechte ordnungspolitische Eindruck galt den verantwortlichen Ministerialbeamten aber offensichtlich mehr als die Möglichkeit, mit staatlichen Krediten unmittelbar an der Preisgestaltung für Neubaumietwohnungen mitzuwirken. Abhilfe wäre möglich gewesen, wenn der NS -Staat spürbar mehr Geld zu deutlich günstigeren Konditionen für die Förderung preislich gezielt verbilligter Kleinwohnungen zur Verfügung gestellt hätte. Dazu ist es jedoch nicht gekommen. Von den gesamten direkten Wohnungsbauinvestitionen in Deutschland zwischen 1933 und 1939 stammten lediglich 11,7% aus öffentlichen Etats  – gegenüber einem Anteil von 49,5% in den florierenden Baujahren der Weimarer Republik nach 1924.68 Das Arbeitsministerium hat sich zwar weiterhin nach Wohnwirtschaft 43 (1936), S.558-563, hier S.561; Echte Volkswohnungen!, in: Der Deutsche Volkswirt 11 (1936/37), S.1747. 67 Eberhard Wildermuth: Die Finanzierung des Wohnungsbaues, in: Die Bank 29 (1936), S.944-949, hier S.947. 68 Peter-Christian Witt: Inflation, Wohnungszwangswirtschaft und Hauszinssteuer. Zur Regelung von Wohnungsbau und Wohnungsmarkt in der Weimarer Republik, in: Lutz Niethammer (Hg.): Wohnen im Wandel. Beiträge

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Kräften um einen höheren Wohnungsbauetat bemüht und dabei immer wieder das Argument vorgetragen, nur durch eine vorübergehend intensivierte staatliche Bauförderung könne der angestrebte Übergang zu einem liberalisierten Wohnungsmarkt gelingen. Nennenswerte Erfolge blieben ihm jedoch verwehrt – trotz der oben zitierten früheren Beteuerungen der NSDAP , sie sei für »die stärkste Förderung des Wohnungsbaus«. Die zusätzlichen Mittel, die das Berliner Ressort dem Reichsfinanzministerium in zähen Kleinkämpfen abringen konnte, glichen kaum die Steigerung der Baukosten aus; zumal bei Geldern, die zur Zinsverbilligung gedacht waren, verfolgte das Finanzressort einen sehr restriktiven Kurs. Dabei verwiesen die Finanzbeamten ihre Kollegen im Arbeitsministerium stets auf deren selbstformuliertes wohnungsbaupolitisches Credo, grundsätzlich gehöre es nicht zu den staatlichen Aufgaben, Gelder in den Bau neuer Wohnungen zu investieren. Auch die immer dramatischer formulierten Warnungen des Arbeitsministeriums vor den politischen und sozialen Problemen, die sich aus dem zunehmenden Wohnungsmangel ergäben, erwiesen sich als wirkungslos. Wenn das NS -Regime die wohnungspolitischen Klagen und Forderungen des zuständigen Ministeriums so hartnäckig ignorierte, dann geschah dies nach einer kühlen Interessenabwägung der Führung von Staat und Partei. Letztlich hatte das NS -Regime keinerlei Interesse an einem stark ausgeweiteten Wohnungsbau. Dabei spielte es auch keine Rolle, ob öffentliche Gelder investiert wurden oder ob es sich um rein privat finanzierte Bauprojekte handelte. Das »Dritte Reich« wollte vor allem selbst bauen: Seit 1933 beanspruchte der Staat die Kapazitäten der deutschen Bauwirtschaft (die unter den Bedingungen der nationalsozialistischen Autarkiewirtschaft enger begrenzt waren als in der Weimarer Republik) zu weit größeren Anteilen für sich selbst als je zuvor, sei es nun, um die Aufrüstung des Reiches zu fördern, sei es, um die Repräsentationsbedürfnisse der neuen Machthaber zu befriedigen. 1932 hatten die Investitionssummen für Gebäude der Industrie, für den Wohnungsbau sowie für öffentliche Bauaufträge mit jeweils 600Millionen, 700 Millionen und 900 Millionen RM recht eng beieinander gelegen. 1935 sah das Bild ganz anders aus: 1,0 bzw. 1,1 Mrd. RM entfielen auf Gewerbebauten und auf den Wohnungsbau; staatliche Auftraggeber aber verbauten nun 4,4 Mrd. RM , obwohl die großen zur Geschichte des Alltags in der bürgerlichen Gesellschaft, Wuppertal 1979, S.385-407, hier S.403, 405. Für die Inflationsjahre 1919 bis 1923 lässt sich eine Vergleichszahl wegen der »galoppierenden« Geldentwertung nicht errechnen.

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Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu diesem Zeitpunkt bereits weitgehend abgeschlossen waren. Damit entfielen zwei Drittel des gesamten Bauvolumens auf Projekte der öffentlichen Hand.69 Um diese Vorherrschaft auf dem Baumarkt zu erreichen und für die Zukunft zu sichern, beanspruchte der NS -Staat für sich das Recht, den gesamten Kapitalmarkt nach seinen Bedürfnissen zu lenken. Ergänzend wurden in den letzten Vorkriegsjahren auch noch alle wichtigen Baumaterialien sowie die Arbeitskräfte der Branche »bewirtschaftet«, d.h. gezielt vor allem für staatliche Zwecke eingesetzt. Gerade der Wohnungsbau litt unter der Staatskontrolle des Bankensystems. Mit einer Emissionssperre für neue Pfandbriefe, die jeweils nur kurz gelockert wurde, hielt das Regime trotz beständiger Proteste der betroffenen Institute gezielt die Hypothekenbanken knapp, weil der Pfandbrief als gut eingeführte sichere Kapitalanlage den Reichsanleihen möglichst keine Konkurrenz machen sollte. Ohne neue Pfandbriefe aber verloren die Hypothekenbanken ihre Funktion als Kapitalsammelstellen für Immobilienkredite.70 Eine ergebnisoffene Diskussion über diese Politik und ihre negativen Auswirkungen auf den Wohnungsbau hätte bedeutet, ganz grundsätzlich über die »Kriegswirtschaft im Frieden« zu sprechen, die das NS Regime so planvoll aufbaute und mit sehr viel Geld perfektionierte. Unter Adolf Hitler konnte es keine Debatte dieser Art geben. Das Reichsarbeitsministerium hat dieses Tabu respektiert. Die Mitarbeiter der Hauptabteilung  IV beschränkten sich daher auf den vornehm verklausulierten öffentlichen Hinweis, mit dem Wohnungsbau könne es erst wieder wirklich bergauf gehen, wenn das Reich die auf dem Kapitalmarkt verfügbaren Gelder nicht mehr so ausschließlich für sich selbst beanspruche.71 69 Richard Schwarz: Die Spitzenfinanzierung im Wohnungsbau, in: Die Bank 29 (1936), S.420-425, hier S.420. Zur Fortdauer dieser Verhältnisse vgl. die Angaben für die Jahre bis 1937, in: Heinz Boberach (Hg.): Meldungen aus dem Reich 1938-1945. Die geheimen Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS , Bd.2, Herrsching 1984, S.211. 70 Vgl. etwa die Beiträge verschiedener Experten in dem »Themenheft« mit der gemeinsamen Überschrift »Wiederbelebung des organisierten Realkredits!«, in: Die Bank 29 (1936), S.935-980. 71 Vgl. etwa: Hermann Bellinger: Neuordnung der Kleinsiedlung, in: RAB l.II (1936), S.237-246, hier S.238f.; Joachim Fischer-Dieskau: Probleme der Wohnbau- und Siedlungsfinanzierung, in: Die Bank 31 (1938), S.10-16, hier S.11; Hermann Bellinger: Neue Kleinsiedlungsfinanzierung, in: RAB l.II (1939), S.5-9, hier S.9.

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Damit akzeptierte das Ministerium unter den gegebenen Umständen seine geringen wohnungspolitischen Gestaltungsmöglichkeiten und auch die ihm de facto zugewiesene Rolle, mit seinen Warnungen und Forderungen vor allem dafür zu sorgen, dass die öffentliche Förderung von Neubauten wenigstens nicht noch weiter zurückging. Programmatisch hielt die Hauptabteilung  IV allerdings weiterhin die Fahne der Marktliberalisierung hoch: Noch 1938/39 bekannten sich die dort beschäftigten Beamten mehrfach zu dem Grundsatz, im Wohnungswesen gebühre der »Privatinitiative« gegenüber staatlichem Handeln und öffentlichen Geldern stets der Vorrang.72 Für die letzten Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg muss man mit Blick auf diese Statements wohl von einer politischen Lebenslüge sprechen, denn praktische Schritte, die den Abschied von der »Wohnungszwangswirtschaft« vorbereitet hätten, gab es in dieser Zeit überhaupt nicht mehr. Im Gegenteil: Ausgerechnet im Frühjahr 1936, kurz vor dem 1. April des Jahres, den das Arbeitsministerium einmal als historischen Einschnitt ins Auge gefasst hatte, verfügte das Ministerium eine deutliche Verschärfung des »Reichsmietengesetzes«, »da mit Rücksicht auf die Lohnpolitik entscheidender Wert darauf zu legen ist, die gegenwärtige Preislage auch auf dem Gebiete der Mieten zu halten«. Das Ressort nahm damit fast alle Lockerungen wieder zurück, die das System der staatlichen Mietenkontrolle für Altbauwohnungen zuvor seit den späten 1920er-Jahren eingeschränkt hatten.73 Von einer konsistenten Wohnungspolitik des Ministeriums ließ sich spätestens seit dieser Rolle rückwärts nicht mehr sprechen, weil die Praxis und die behauptete konzeptionelle Orientierung des Ressorts scharf miteinander kollidierten.

Der Streit zwischen Reichsarbeitsministerium und DAF Unter den Bedingungen einer totalitären Diktatur, die keinen offenen Meinungsstreit zuließ, hätte diese Widersprüchlichkeit seiner Politik für das Ministerium wohl kaum nennenswerte Folgen gehabt, wenn es 72 Vgl. etwa Fischer-Dieskau: Probleme der Wohnbau- und Siedlungsfinanzierung (Anm.71), S.11f.; Ernst Knoll: Das Siedlungswerk in Deutschland, in: Siedlung und Siedlungspolitik in den Ländern Europas, bearb. v. Rudolf Stegemann/Friedrich Schmidt, Berlin u.a. 1939, S.75-82, hier S.79f.; Otto Blechschmidt: Fünf Jahre Reichsbürgschaften für den Kleinwohnungsbau, in: RAB l.II (1939), S.300-304, hier S.300. 73 Rundschreiben des Reichsarbeitsministeriums, 10.3.1936, BA rch R3101/ 16210. Zu den Details vgl. Führer: Mieter (Anm.6), S.213f.

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die DAF nicht gegeben hätte. Da die Arbeitsfront aber beständig nach Möglichkeiten suchte, weiter zu wachsen und noch einflussreicher zu werden, entwickelte sich der oben schon kurz angesprochene offene Konflikt zwischen Ministerium und DAF über den »richtigen« wohnungspolitischen Kurs des »Dritten Reiches«. Selbstverständlich trug dieser Streit auch Züge einer Machtprobe, in der sich zwei bürokratische Apparate unterschiedlicher Art gegenseitig den Rang streitig machten. Die Auseinandersetzung erschöpfte sich allerdings nicht in solchen organisationsegoistischen Querelen, weil die DAF seit 1936/37 zunehmend Mühe darauf verwandte, ihren wohnungspolitischen Gestaltungsanspruch politisch zu begründen, um das Reichsarbeitsministerium so wirklich sicher auszustechen. Als Ansatzpunkt benutze die Arbeitsfront dabei vor allem bevölkerungspolitische Argumente: Wenn das Reich ausschließlich Kleinwohnungen fördere, so baue der Staat Unterkünfte, die kinderfeindlich seien und somit nicht helfen würden, die deutsche Geburtenrate zu steigern. Dieser zunächst noch recht moderat formulierte Einwand, der in Diskussionen über die öffentliche Bauförderung bereits eine lange Tradition besaß, klang 1938/39 dann immer schriller. »Die Kleinstwohnungen sind des Volkes Tod, nicht des Volkes Leben«, donnerte Robert Ley höchstpersönlich im Herbst 1938 in öffentlicher Rede. Ausdrücklich forderte Ley in diesem Zusammenhang, die Wohnungsbaupolitik müsse von der NSDAP   – und das hieß für ihn selbstverständlich: von der DAF   – gestaltet werden.74 Auf diesen Angriff reagierte das Arbeitsministerium routiniert mit rein pragmatischen Argumenten: Die geringe Zahlungsfähigkeit gerade von jungen Ehepaaren müsse als Grundvoraussetzung der öffentlichen Bauförderung akzeptiert werden; wirklich preiswerte Wohnungen seien nun einmal nur durch Einschränkungen bei Fläche und Ausstattung erreichbar.75 Die DAF beharrte aber auf ihrer Position. In den letzten Vorkriegsjahren kritisierte sie mit den gleichen bevölkerungspolitischen Begründungen nicht nur das sozialpolitische Subsidiaritätsprinzip, an dem das Arbeitsministerium seine Wohnungspolitik orientierte, sondern auch den ministeriellen Grundsatz, die öffentliche Förderung strikt zu begrenzen, in immer schärferer Form. Die nötige Rückendeckung dafür besaß sie: Die eingangs zitierten Reden von Hitler und Ley müssen 74 Robert Ley: Was hat die Partei mit Wohnungsfragen zu tun?, in: Bauen, Siedeln, Wohnen 18 (1938), S.563-564, hier S.563. 75 Ernst Knoll: Kritik an den Volkswohnungen, in: Siedlung und Wirtschaft 20 (1938), S.573-578, hier S.578.

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wie eine Einladung gewirkt haben, den Konflikt mit dem Arbeitsministerium weiter zu verschärfen. Der Wohnungsbau, so schrieb ein Vertreter der DAF -Heimstätten daher bereits 1937, habe »nicht der Verwirklichung irgendeines Rentnerideals zu dienen«. Das Reich solle eine »100prozentige geschlossene Finanzierungsform« für den Mietwohnungsbau entwickeln und all »die Krücken von Staatsbürgschaften, Zwischenfinanzierungen, Betriebsdarlehen und sonstigen Einrichtungen« vergessen.76 1939 machte sich das »Arbeitswissenschaftliche Institut« der DAF diese Position ausdrücklich zu Eigen: Das Reich müsse die Finanzierung von jährlich rund 300000 Neubauwohnungen »restlos« übernehmen. Dies sei »die klarste Form« der Bausubvention.77 Ein Jahr später forderte das Institut, das der DAF als eine Art Thinktank diente, noch deutlicher, der Wohnungsbau in Deutschland müsse »aus der privatwirtschaftlichen Verstrickung« gelöst werden: Die »Auffassung des Wohnungsbaues als verzinsliche Kapitalanlage« passe grundsätzlich nicht in die nationalsozialistische Gedankenwelt. In Zukunft müssten die Kinder, die in großen und gesunden, aber dennoch preiswerten Wohnungen mit Sicherheit in großer Zahl gezeugt würden, als »Verzinsung« der eingesetzten Kapitalien gelten.78 Mit den wohnungspolitischen Konzepten des Arbeitsministeriums hatten diese Forderungen nichts mehr gemein. Das so herausgeforderte Ressort reagierte allerdings höchst zaghaft: Die Beamten der Hauptabteilung  IV überließen es ihren Kollegen im Reichsfinanzministerium, auf die unkalkulierbaren finanziellen Konsequenzen der DAF Ideen hinzuweisen, die ein wohnungsbaupolitisches Schlaraffenland mit unbegrenzt sprudelnden staatlichen Geldquellen voraussetzten.79 Sie selbst argumentierten hingegen vornehmlich bürokratisch-formal: So beharrte das Arbeitsministerium auf dem Grundsatz, eine Parteiinstitution dürfe und könne nicht »die alleinige maßgebende Führung in der Wohnungspolitik« für sich beanspruchen und so die Zuständigkeit eines Reichsministeriums ignorieren.80 Damit bewiesen die Ministerialbeamten vor allem, wie wenig sie selbst nach sieben Jahren der 76 Otto Wetzel: Nationalsozialismus und Wohnungsbau, in: Bauen, Siedeln, Wohnen 17 (1937), S.351-535, hier S.352f. 77 Jahrbuch des Arbeitswissenschaftlichen Instituts der Deutschen Arbeitsfront 1939, Teilbd. I, Berlin o.J., S.385. 78 Jahrbuch des Arbeitswissenschaftlichen Instituts der Deutschen Arbeitsfront 1940/41, Bd.II , Berlin o.J., S.1021f. 79 Vgl. genauer Marie-Luise Recker: Nationalsozialistische Sozialpolitik im Zweiten Weltkrieg, München 1985, S.138-141. 80 Zit. nach ebd., S.131f.

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NS -Herrschaft das Grundprinzip des »Dritten Reiches« verstanden

hatten, dass die Partei stets eigenmächtig entschied, welche Zuständigkeiten sie für sich und ihre Einrichtungen beanspruchte. Auch die Neigung der Nationalsozialisten, gerade in der Krise in die Utopie zu flüchten, hatte das Ministerium offensichtlich immer noch nicht als typische Reaktion identifiziert. Der Wohnungsbau in Deutschland aber befand sich nach 1939/40 ohne Frage in einer tiefen Krise. Mit Kriegsbeginn wurde der gesamte zivile Wohnungsbau abrupt eingestellt. 1940 nahm die Reichsregierung diese Verfügung zwar wieder zurück; die Zahl der fertiggestellten Wohnungen aber sank trotzdem massiv. An großangelegte Baumaßnahmen war, je länger der Krieg dauerte, allein schon wegen des akuten Mangels an Arbeitskräften und Materialien immer weniger zu denken.81 Robert Ley machte bezeichnenderweise gerade in dieser Zeit wohnungspolitisch Karriere. Hitler ernannte den DAF -Führer im November 1940 erst zum »Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau« und im Oktober 1942 dann zum »Reichswohnungskommissar«, der für die gesamte staatliche Baupolitik zuständig war und daher auch das Personal der bisherigen Hauptabteilung  IV vollständig übernahm. Damit hatte das Ministerium seine Kompetenzen auf diesem Politikfeld ohne Ausnahme verloren. Gezwungenermaßen wechselten die Ministerialbeamten damit zum zweiten Mal in eine der NS -spezifischen Sonderbehörden. Anders als Gottfried Feder, der sich 1934 in seinem Amt haltlos verzettelt hatte und ohnehin nur begrenzte Handlungsfreiheit besaß, ging Ley gemeinsam mit den Experten des »Reichsheimstättenamtes« zügig daran, die offizielle Baupolitik nach den Prinzipien der DAF neu zu gestalten. Da der 1942 bestellte »Reichswohnungskommissar« ausdrücklich als »oberste Reichsbehörde« firmierte, konnten die DAF -Leute dabei frei entscheiden. Statt der bislang geförderten Kleinwohnungen sollte das Reich daher künftig nur noch den Bau von Unterkünften mit mindestens vier Zimmern unterstützen. Eine Fläche von 62  qm durfte nicht unterschritten werden, während es zuvor für Wohnungen mit mehr als 60  qm nach den Regeln des Reichsarbeitsministeriums grundsätzlich keine öffentlichen Gelder mehr gegeben hatte. Dank zinsloser staatlicher Kredite sollten die Wohnungen dieses neuen »Sozialen Wohnungsbaus« dennoch sehr preiswert sein. Allerdings blieben entscheidend wichtige 81 Vgl. mangels reichsweiter Zahlen die Angaben für Berlin bis 1941 in: Beilage zu den Kriegs-Mitteilungen des Statistischen Amtes Berlin, Jan./Feb. 1943, BA rch R43 II /1007.

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Joachim Fischer-Dieskau (bis 1934 Joachim Fischer) (geb. 27.11.1896 in Berlin, gest. 20.7.1977 in Bad Godesberg) studierte Rechtswissenschaft in Berlin, Königsberg und Marburg; Promotion zum Dr. jur. am 6. März 1925 an der Universität Marburg mit einer Arbeit zum Thema »Die Rückwirkung von Tarifverträgen«. Nach einem Assessorat im Reichswirtschaftsministerium war Fischer-Dieskau seit dem 1. April 1927 im Reichsarbeitsministerium tätig und stieg hier in der (Haupt-)Abteilung für Wohnungs-, Siedlungswesen und Städtebau zum Ministerialdirigenten auf. Von August 1930 bis Juli 1931 wechselte er als Sozialattaché an die Deutschen Gesandtschaften in Wien, Budapest und Belgrad und wurde 1941 zum Reichswohnungskommissar abgeordnet. Seit 1. Mai 1937 war er Mitglied der NSDAP . Nach einer Tätigkeit in der freien Wirtschaft und in der obersten Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern übernahm Fischer-Dieskau im Oktober 1949 die Leitung der Abteilung I (Wohnungsbau- und Siedlungswesen, Wohnungswirtschaft) des neu gegründeten Bundesministeriums für Wohnungsbau in Bonn. Mit dem 1. April 1957 wurde er in den einstweiligen Ruhestand versetzt und wechselte in den Vorstand der Deutschen Bau- und Bodenbank, deren Aufsichtsrat er bereits seit 1951 angehört hatte. Seit 1964 lebte er im Ruhestand. Quellen und Literatur: Herrmann A. L. Degener (Hg.): Degeners Wer ist’s?, X. Ausg., Berlin 1935, S. 413; Walter Habel (Hg.): Wer ist wer? Das deutsche Who’s who, XII . Ausg. von Degeners Wer ist’s?, Berlin 1955, S. 280; Günther Schulz: Wiederaufbau in Deutschland. Die Wohnungsbaupolitik in den Westzonen und der Bundesrepublik von 1945 bis 1957, Düsseldorf 1994, S. 192-194.; Biographie Fischer-Dieskau, Joachim, in: »Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung« online, www.bundesarchiv.de/cocoon/barch/0/z/z1960a/kap1_6/ para2_38.html (22.9.2016); Ernennungsvorgänge in der Präsidialkanzlei bzw. im Bundesministerium der Finanzen, Bundesarchiv R 601/18429 und B 126/16957; Personalakte Joachim Fischer-Dieskau, Reichsjustizministerium, Bundesarchiv R 3001/55851.

Details gerade der Finanzierung offen – was möglich war, weil bis 1945 nur einige wenige Vorzeigeprojekte realisiert wurden, für die sich problemlos viel Geld locker machen ließ. Den echten Praxistest aber mussten Leys Planungen und Konzepte, die den Wohnungsbau ausschließlich als ein Instrument der staatlichen Bevölkerungspolitik behandelten und privatwirtschaftliche Einflüsse auf das Baugeschehen ausdrücklich ausschalten wollten, nie bestehen, weil die Rahmenbedingungen nach 1949  – als in Deutschland wieder Neubauten in großer Zahl errichtet wurden – in jeder Hinsicht vollständig anders aussahen.82

82 Zu der gewünschten Ausschaltung privater Bauherren und Geldgeber aus dem Mietwohnungsbau vgl. ausführlich Robert Ley an Reichsarbeitsminister Franz Seldte, 16.3.1940, BA rch NS  6/22.

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Die Mitarbeiter der Hauptabteilung IV dienten nach 1942 also Ideologen und Traumtänzern. Was die umgesetzten Beamten über ihre neuen Vorgesetzten dachten, wissen wir nicht. Öffentlich kritisierten sie nun – wie sich denken lässt – die Politik, für die sie bislang so hartnäckig gestritten hatten. So pries etwa Joachim Fischer-Dieskau die wohnungspolitische Herrschaft von Robert Ley im Jahr 1943 als Sieg der »dynamischen Kräfte des autoritären Staatsgedankens« über die »geistigen Strömungen und realen Machtpositionen der liberalistischen und kapitalistischen Erbschaft«: Deutschland stehe nun am Beginn einer »totalen Wohnungspolitik«.83 Überraschenderweise bemühte sich gleichzeitig aber auch die DAF -Führung zumindest gelegentlich darum, den Mitarbeitern aus dem Arbeitsministerium Respekt zu erweisen. So erklärte Robert Ley 1944 öffentlich, er sei grundsätzlich gegen eine staatliche Subvention des Wohnungsbaus, »ganz gleich, in welcher Form sie geschieht«. Nach dem vorangegangenen Streit war dies ein doch äußerst überraschendes Statement.84 Wenn nicht davon ausgegangen wird, dass es jemand aus der alten Hauptabteilung  IV war, der dem »Reichswohnungskommissar« hier trickreich einen Satz untergeschoben hat, der mit der bisherigen DAF -Politik kollidierte, dann kann es sich nur um den Versuch gehandelt haben, den Ministerialbeamten ihre »feindliche Übernahme« durch die Parteiorganisation etwas zu versüßen. Praktische Bedeutung aber kam dieser verbalen Referenz an ein älteres wohnungspolitisches Konzept im Jahr 1944 ohnehin nicht zu.

Fazit und Ausblick Mit dem 1930 gefassten Plan, die deutsche Wohnungswirtschaft umfassend und systematisch zu liberalisieren, scheiterte das Reichsarbeitsministerium in der NS -Zeit also auf ganzer Linie. Zum einen wollte sich der angestrebte ausgeglichene Wohnungsmarkt partout nicht einstellen; zum anderen aber verfolgte das NS -Regime ganz andere Ziele als das Ministerium. Die Politik der rücksichtslosen Aufrüstung, die 1933 eingeleitet wurde, bedingte sowohl ein riesi83 Joachim Fischer-Dieskau: Von der Förderung des Kleinwohnungsbaus zur totalen Wohnungspolitik, in: Deutsches Wohnungs-Archiv 18 (1943), Sp. 7481, hier Sp. 74. 84 Robert Ley: Grundsätzliches zum künftigen Wohnungsbau, in: Der Wohnungsbau in Deutschland 4 (1944), S.49-53, hier S.50.

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ges staatliches Bauprogramm für die militärische und industrielle »Wehrbarmachung« des Reiches als auch eine strikte Kontrolle des Kapitalmarktes sowie möglichst stabile Mieten (die am besten mit zwangswirtschaftlichen Maßnahmen sicherzustellen waren), um damit auch die Löhne auf breiter Front auf dem bestehenden Niveau zu sichern. Zwar hielt das Arbeitsministerium dennoch erstaunlich lange an den selbst gesetzten politischen Zielen fest. Spätestens seit 1936 aber betrieb es in der praktischen Arbeit dann doch eine Verschärfung der »Wohnungszwangswirtschaft«, weil die nationalsozialistische »Kriegswirtschaft im Frieden« nur mit solchen flankierenden Maßnahmen weiterhin funktionieren konnte. Konzeptionell beschwor das Ministerium allerdings selbst in dieser Zeit noch das Ideal eines vornehmlich privatwirtschaftlich organisierten und finanzierten Wohnungswesens. Keine Probleme hatten die Mitarbeiter der Hauptabteilung  IV hingegen mit den politisch und »rassisch« selektierenden Grundprinzipien der NS -Sozialpolitik: Sie wurden eins zu eins in das staatliche Förderprogramm für die vorstädtische Kleinsiedlung übernommen. Die spätere Unterstellung der wohnungspolitischen Experten des Ministeriums unter die Ideologen der DAF war zumindest in dieser Hinsicht also nicht sehr überraschend. Der Dissens über den ordnungspolitischen Charakter der weiteren Wohnungsbauförderung, den Arbeitsministerium und DAF seit 1936 ausfochten, war allerdings offensichtlich auch in den letzten Jahren des Zweiten Weltkrieges noch nicht wirklich geklärt, als in der Wohnungspolitik des »Dritten Reiches« formal allein die DAF das Wort führte. Abschließend stellt sich noch die Frage, ob es Verbindungslinien zwischen den Konzepten und der Praxis des alten Reichsarbeitsministeriums und der Politik des in der Bundesrepublik 1949 neu gegründeten Ministeriums für Wohnungsbau gibt. Da Spezialstudien fehlen und da es sich um ein sehr komplexes politisches Feld handelt, fällt eine Antwort auf diese Frage schwer. Auch personelle Kontinuitäten müssten noch genauer untersucht werden.85 Allerdings existiert in politischer Hinsicht wohl tatsächlich eine ganz direkte Traditionslinie: Das Bonner Ressort unternahm nach 1960 tatsächlich einen neuen Versuch, 85 Joachim Fischer-Dieskau allerdings firmierte in dem Bonner Ressort bis 1957 als Abteilungsleiter (dann wechselte er in den Vorstand der öffentlichen »Deutschen Bau- und Bodenbank«); Führer: Mieter (Anm.6), S.22. Ob es vergleichbare Beamtenkarrieren gab, die vom Reichsarbeitsministerium in das Bonner Bauministerium führten, ist – wie gesagt – noch zu untersuchen.

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den deutschen Wohnungsmarkt wieder weitgehend zu liberalisieren. Dieser »Lücke-Plan«, der nach dem damals amtierenden Minister Paul Lücke benannt ist, wirkt wie eine weitere Version des Abbauplans von 1930: Erneut wurde ein präzises Datum benannt (der 1. Januar 1966), an dem der Wohnungsmarkt soweit ausgeglichen sein sollte, dass seine weitere öffentliche Kontrolle nicht mehr nötig sei. Erneut auch sollte bis dahin mit staatlichen Geldern gebaut werden; anschließend aber sollte der Wohnungsbau dann nach rein »wirtschaftlichen Kriterien« funktionieren und der Privatwirtschaft überlassen werden. Allerdings laufen die Parallelen noch weiter: Auch dieser Liberalisierungsplan (der weitaus genauer ausgearbeitet war und deutlich mehr soziale Abfederungen aufwies als die Version von 1930) ist gescheitert, obwohl das NS -Regime mit seinen kriegswirtschaftlichen Eigenbedürfnissen doch längst der Vergangenheit angehörte. Zum einen wurde das ausgefeilte Konzept nicht wie geplant umgesetzt, weil CDU und CSU rasch Angst vor ihrer eigenen Courage entwickelten, als sich zeigte, dass die Mieten zumal in den Großstädten mit der schrittweisen Marktliberalisierung deutlich in Bewegung gerieten. Zum anderen beschloss die frisch installierte Regierung von Willy Brandt und Walter Scheel im Frühjahr 1970 ebenfalls aus Sorge über steigende Mieten im Wohnungsbestand mit der »ortsüblichen Vergleichsmiete« eine neue Version der staatlichen Mietpreiskontrolle; zugleich kurbelte die sozialliberale Koalition den öffentlich subventionierten Wohnungsbau erneut stark an. Cum grano salis erklärt sich auch dieser Ausgang vor allem durch eine unvorhergesehene Intensivierung der Wohnungsnachfrage, die von den Ministerialbeamten nicht antizipiert worden war, weil sie sich die Zukunft immer nur als verbesserte Variante der Gegenwart vorstellten.86 Die spezielle Ordnung des bundesdeutschen Wohnungsmarktes, die 1970 entstand, gilt im Kern auch heute noch. Die Langlebigkeit von Wohnungen, so scheint es, bedingt auch eine entsprechende Langlebigkeit der wohnungspolitischen Probleme und Aufgaben sowie der staatlichen Reaktionen. Die Frage jedenfalls, ob und wie sich die Wohnungswirtschaft »frei von unmittelbarer behördlicher Mitwirkung« selbst regeln kann und soll, ist aktuell in Deutschland noch genauso offen wie in den Jahren nach 1930.

86 Zum politischen Schicksal des »Lücke-Plans« vgl. im Überblick Karl Christian Führer: Die Stadt, der Markt und das Geld. Immobilienspekulation in der Bundesrepublik 1960-1985, München 2016, S.237-263, 315-326.

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Rentenversicherungspolitik zwischen Arbeitseinsatz und Diskriminierung Alexander Klimo

Wegen Taubheit und einer geistigen Erkrankung gewährte die Landesversicherungsanstalt Baden dem 35-jährigen Knecht Julius Danner am 9. Mai 1917 eine Invalidenrente auf unbestimmte Zeit. Diese Rente blieb von den großen Umbrüchen der Zeit, dem Ende des Ersten Weltkrieges, der Gründung der Weimarer Republik und dem Aufstieg des Nationalsozialismus, unberührt. Im fünften Jahr der NS -Herrschaft bekam Julius Danner schließlich die Folgen der NS -Politik zu spüren. Denn nach über 20 Jahren entzog ihm die Landesversicherungsanstalt Baden im Februar 1938, auf dem Höhepunkt des Arbeitskräftemangels im Vorkriegsdeutschland, die Rente  – wegen einer vom Anstaltsarzt attestierten »wesentlichen Besserung des Zustandes«. Der nun um seine Rente fürchtende Danner legte Berufung bei der nächstgelegenen zuständigen Behörde ein. Diese stellte sich jedoch auf die Seite der Landesversicherungsanstalt Baden. Die Begründung dafür lässt aufhorchen: »Bei der jetzt und in Zukunft besonders gesteigerten Nachfrage nach Arbeitskräften jeder Art kann auf einen körperlich leistungsfähigen landwirtschaftlichen Arbeiter nicht verzichtet werden«. Doch Danner gab sich damit nicht zufrieden und suchte die nächste  – und letzte – Instanz auf, das Reichsversicherungsamt mit Sitz in Berlin. Als dieses das Urteil bestätigte, waren weitere Rechtsmittel ausgeschlossen: Dem ehemaligen Rentenbezieher, durch Krankheit stark beeinträchtigt, und – wie es das Gericht immerhin hervorhob – schwer vermittelbar, blieb nun nichts anderes übrig, als sich zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes nach einer Erwerbstätigkeit umzusehen.1 Der Entzug der Rente aufgrund einer durch ärztliche Begutachtung festgestellten Besserung des Gesundheitszustandes war keineswegs eine nationalsozialistische Erfindung. Die im Kaiserreich eingeführte Rentenversicherung war genau auf diesen Fall ausgelegt: Da sie hauptsächlich die Risiken der Erwerbsunfähigkeit absicherte, besaßen die zuständigen Behörden die Möglichkeit, die Rente bei einer Besserung 1 Berufungssache vor dem Oberversicherungsamt Konstanz, Julius Danner gegen die Landesversicherungsanstalt Baden, Staatsarchiv Freiburg, D  161/2 Oberversicherungsamt Konstanz, Nr.129.

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des Gesundheitszustandes zu entziehen.2 Die durch ein ärztliches Gutachten attestierte Invalidität (daher der Name »Invaliditäts- und Altersversicherung«) war demnach, auch noch während des »Dritten Reiches«, die mit Abstand häufigste Zugangsart zu den Leistungen aus der Rentenversicherung.3 Der Rentenzugang über das Erreichen einer bestimmten Altersgrenze, etwa das 65. Lebensjahr, bildete tatsächlich erst ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts den üblichen Weg zu Leistungen aus der Rentenversicherung.4 Noch zu Beginn der 1930erJahre war »Invalidität« die dominante Zugangsform zur Rentenversicherung. »Alter« wurde in diesem Kontext lediglich als Unterform der Invalidität betrachtet. Die Rentenversicherung der Arbeiter im »Dritten Reich« war demnach vor allem eine Invalidenversicherung. Als Julius Danner die Invalidenrente entzogen wurde, handelten die beteiligten Akteure innerhalb des gesetzlichen Rahmens, der seit dem Kaiserreich gegeben war. Und doch hatte sich in der NS -Zeit etwas verändert. Dass die Ablehnung der Berufung mit dem Verweis auf den massiven Arbeitskräftemangel begründet werden konnte, hing dezidiert mit der Politik des Reichsarbeitsministeriums zusammen. Denn die für die Sozialversicherung zuständige Hauptabteilung  II verfolgte eine ganz bestimmte Linie: Die Reaktivierung eines vermeintlich brachliegenden Arbeitskräftepotenzials durch die Organisationen der Rentenversicherung. Dieses Bemühen musste auf einige Schwierigkeiten stoßen, denn der hohe Grad der Verrechtlichung der Sozialversicherung sowie ihre in Jahrzehnten ausgebildeten etablierten Strukturen erschwerten eine zielgerichtete Instrumentalisierung der Rentenversicherung zugunsten des nationalsozialistischen »Arbeitseinsatzes« erheblich. Der von höchster Stelle immer wieder propagierte Gemeinschaftsgedanke bildete jedoch einen Hebel, der genau dies zu ermöglichen schien. Staatssekretär Johannes Krohn führte im Jahre 1936 aus: »So steht in der Sozialversicherung einer für alle ein, und alle, d.h. die Gemeinschaft, garantieren die Existenz des einzelnen. Nur in 2 Siehe für das Kaiserreich bspw. Lars Kaschke: Eine versöhnende und beruhigende Wirkung? Zur Funktion der Rentenverfahren in der Invaliditäts- und Altersversicherung im Kaiserreich, in: Stefan Fisch/Ulrike Haerendel (Hg.): Geschichte und Gegenwart der Rentenversicherung in Deutschland. Beiträge zur Entstehung, Entwicklung und vergleichenden Einordnung der Alterssicherung im Sozialstaat, Berlin 2000, S.127-144. 3 Statistisches Handbuch von Deutschland. 1928-1944, hg. v. Länderrat des Amerikanischen Besatzungsgebiets, München 1949, S.534. 4 Vgl. Deutsche Rentenversicherung Bund (Hg.): Rentenversicherung in Zeitreihen, 21. Aufl., Berlin 2015, S.62.

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Verwirklichung dieser Grundsätze kann der Volksgenosse zu einer starken und selbstbewußten Persönlichkeit, die im Kampf des Lebens sich bewähren kann, erzogen werden. Wenn so die Sozialversicherung an den einzelnen hohe Anforderungen stellen muß, so läßt sie andererseits den Versicherten aber auch die wohltätigen Folgen seiner Einordnung in eine Gemeinschaft spüren«.5 Der Fall von Julius Danner demonstriert, was diese Worte bedeuten konnten: Trotz seiner Erkrankung stellte die nationalsozialistische »Volksgemeinschaft« auch an ihn »hohe Anforderungen«, weil sie auf seine Arbeitskraft nicht verzichten wollte. Sein Beispiel belegt daher eine bedeutsame Veränderung in der Praxis der Rentenversicherung, die sich in den Jahren der NS -Herrschaft vollzog. Die Zugangskriterien zu den Leistungen aus der Rentenversicherung hingen zunehmend von den durch das Regime erzeugten Rahmenbedingungen ab: dem Arbeitskräftemangel und schließlich dem Zweiten Weltkrieg. Die Rentenversicherung wurde in den Jahren zwischen 1933 und 1945 den spezifischen Interessen und Zielen des NS -Regimes dienstbar gemacht. Das Reichsarbeitsministerium spielte dabei die entscheidende Rolle, da es die Sozialversicherung verantwortete und an der Spitze jenes Behördenapparates stand, der für die Durchführung der Rentenversicherung zuständig war. Für die Sozialversicherung wird dazu in der historischen Forschungsliteratur von einer hohen Kontinuität gesprochen: Sowohl das Versicherungsrecht als auch die Institutionen der deutschen Sozialversicherung hätten die nationalsozialistische Zeit nahezu unbeschadet überstanden. Zwar wurde dabei die NS -spezifische Diskriminierung jüdischer Versicherter bereits einbezogen;6 insgesamt überwiegt jedoch das Urteil, die Strukturen der deutschen Sozialversicherung hätten sich dem Einfluss nationalsozialistischer Maßnahmen erfolgreich widersetzt.7 Das Fazit fällt jedoch anders aus, wenn man nicht nur die im Kern unangetasteten Strukturen der Sozialversicherung und die 5 Johannes Krohn: Unsere Sozialversicherung, in: Berliner Morgenpost, 28.3.1936. 6 Petra Kirchberger: Die Stellung der Juden in der deutschen Rentenversicherung, in: Götz Aly/Susanne Heim/Miroslav Kárný/Petra Kirchberger/Alfred Koniczny: Sozialpolitik und Judenvernichtung. Gibt es eine Ökonomie der Endlösung?, Berlin 1987, S.111-132. 7 Marie-Luise Recker: Nationalsozialistische Sozialpolitik im Zweiten Weltkrieg, München 1985; Lil-Christine Schlegel-Voß: Alter in der »Volksgemeinschaft«. Zur Lebenslage der älteren Generation im Nationalsozialismus, Berlin 2005.

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im Reichsgesetz- und Reichsarbeitsblatt veröffentlichten Gesetze und Verordnungen ins Auge fasst, sondern auch die alltägliche Verwaltungspraxis des Ministeriums und seiner nachgeordneten Behörden berücksichtigt. Von daher stehen im Folgenden zwei Aspekte im Vordergrund: zum einen der erwähnte Zusammenhang zwischen der Rentenversicherung und der nationalsozialistischen Arbeitsmarktpolitik sowie zum anderen die Diskriminierung jüdischer Versicherter. Der Beitrag zeigt anhand dessen, wie das Reichsarbeitsministerium unter den Bedingungen der Diktatur funktionierte und agierte.

Die Rentenversicherung als Instrument des Arbeitseinsatzes Der Begriff »Arbeit« erfuhr im Nationalsozialismus einen enormen Bedeutungswandel, indem er auf die Gemeinschaft zentriert wurde.8 Die Betonung einer wie auch immer gearteten Pflicht des Individuums gegenüber der Allgemeinheit reicherte den Arbeitsbegriff mit »volksgemeinschaftlichen« Elementen an und entzog ihm die individuellen, auf die persönliche Stellung in der Industriegesellschaft abzielenden Komponenten. Die Neuausrichtung des Arbeitsbegriffes im Nationalsozialismus tangierte demnach die zentralen Prämissen der Rentenversicherung und ihren Zweck für die werktätige Bevölkerung. Die staatlichen Versicherungsbehörden, die sich mit den Versicherten auseinandersetzten, welche aufgrund einer als individuell wahrgenommenen Erwerbsunfähigkeit Leistungen aus ihrer Pflichtversicherung einforderten, sahen sich nun dem nationalsozialistischen Druck eines neuen Arbeitsbegriffes ausgesetzt, der Individualität verneinte und einen nicht näher definierten Gemeinschaftsgedanken propagierte. Demnach betraf die Frage eines Versicherungsfalls in der Rentenversicherung nicht mehr nur das Ministerium, die Versicherungsbehörden und die Versicherten, sondern berührte die nationalsozialistische Ideologie an einer zentralen Stelle, der Zugehörigkeit zur »Volksgemeinschaft«. Denn die Aufladung des Arbeitsbegriffes mit Elementen, die auf die Gemeinschaft zielten, betraf den Kernpunkt der Rentenversicherung: den Aushandlungsprozess zwischen Versicherten und staatlichen Versicherungsbehörden um die Anerkennung von Versicherungsansprüchen. Die eigentlich private Angelegenheit eines Rentenversicherten 8 Vgl. generell Marc Buggeln/Michael Wildt (Hg.): Arbeit im Nationalsozialismus, München 2014.

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wurde so zu einer öffentlichen: Das Ersuchen um eine Invalidenrente konnte als Versuch interpretiert werden, sich den Pflichten der »Volksgemeinschaft« zu entziehen, während die Rentenversicherungsträger und Versicherungsbehörden bei der Anerkennung von Erwerbsunfähigkeit mögliche negative Folgen für das »Gemeinwohl« und den »Arbeitseinsatz« zu berücksichtigen hatten, wie es etwa beim eingangs skizzierten Beispiel von Julius Danner der Fall war. Vor allem mit der Abnahme der Erwerbslosigkeit ab Mitte der 1930er-Jahre weitete sich der Fachkräftemangel zu einem allgemeinen Arbeitskräftemangel aus und bekam in dieser Konstellation eine große Bedeutung. Im Folgenden werden vier Maßnahmen benannt, die das Reichsarbeitsministerium veranlasst hat, um die Rentenversicherung dem Arbeitseinsatz dienstbar zu machen. Es handelt sich dabei um einzelne Bestimmungen aus dem sogenannten Sanierungsgesetz und dem sogenannten Aufbaugesetz sowie aus den unmittelbar vor dem Zweiten Weltkrieg angestoßenen Verwaltungsvereinfachungen. Ihnen gemein war die Einschränkung der Rechte der Versicherten in der Praxis der Rentengewährung durch die Erleichterung des Entzugs einer Rente, den Wegfall der Selbstverwaltung der Träger, die Neukonzipierung der ärztlichen Untersuchungspraxis sowie die Einschränkung der den Versicherten zur Verfügung stehenden Rechtsmitteln. Das Ministerium kombinierte erstens in der Sozialversicherungsgesetzgebung der Jahre 1933/34 die Verschärfung dieses Aushandlungsprozesses zu Lasten der Versicherten mit der dringend notwendigen finanziellen Sanierung der Rentenversicherungsträger. Das am 7.  Dezember 1933 erlassene Sanierungsgesetz setzte den Leistungsabbau der vorangegangenen Jahre fort, indem es die mit den Notverordnungen von 1931 und 1932 verfügten Rentenkürzungen nicht außer Kraft setzte, sondern zudem noch die Höhe zukünftig festzustellender Renten um 7% kürzte.9 Das Ministerium fügte dem Gesetz zudem die Bestimmung bei, nach der »die Entziehung einer Rente auch ohne Feststellung einer wesentlichen Änderung in den Verhältnissen des Rentenempfängers zulässig [ist], wenn eine erneute Prüfung ergibt, daß der Rentenempfänger nicht invalide (berufsunfähig) ist«.10 9 Gesetz über die Erhaltung der Leistungsfähigkeit der Invaliden-, der Angestellten- und der knappschaftlichen Versicherung vom 7.12.1933, RGB l.I 1933, S.1039-1043; vgl. auch Karl Teppe: Zur Sozialpolitik des Dritten Reiches am Beispiel der Sozialversicherung, in: Archiv für Sozialgeschichte 17 (1977), S.195-250, hier S.212. 10 Vgl. §18 des Sanierungsgesetzes, RGB l.I 1933, S.1041.

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Hans Engel (geb. 17.11.1887 in Magdeburg, gest. vermutl. 1945 in Landsberg/Warthe [Gorzów Wielkopolski]) wurde nach einem Studium der Rechtsund Staatswissenschaften in Berlin, Freiburg und Marburg im Dezember 1910 promoviert. Engel gehörte während des Ersten Weltkrieges zunächst dem Magdeburger Infanterieregiment 66 an. Nach einer schweren Verwundung war er bis Kriegsende in der Luftwaffe an der Westfront eingesetzt. Anschließend erfolgte bis zum August 1920 eine Tätigkeit in der PreußischHessischen Staatsbahn als Regierungsassessor und danach sein Übertritt ins Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Im Februar 1933 wechselte er als Ministerialdirektor ins Reichsarbeitsministerium und leitete dort bis zum Beginn des Zweiten Weltkrieges die Hauptabteilung II (Sozialversicherung). Im Jahre 1936 trat er in die NSDAP ein. 1940 und 1941 fungierte als Adjutant des Fliegergenerals und Wehrmachtbefehlshabers in den Niederlanden, Friedrich Christiansen. Nach der Rückkehr ins Ministerium folgte im März 1942 seine Ernennung zum Staatssekretär und Leiter der Arbeitsgruppe »Internationale Sozialpolitik«. Er starb vermutlich 1945 im sowjetischen Speziallager Nr. 4 in Landsberg/Warthe. Literatur: Cuno Horkenbach (Hg.): Das Deutsche Reich von 1918 bis heute. Jahrgang 1933, Berlin 1935, S. 935; Auskünfte von Dr. Enrico Heitzer (Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen) und Holm Kirsten (Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora).

Hintergrund dieser Regelung war ein Gutachten des Reichssparkommissars Friedrich Saemisch, der bereits in der Weimarer Republik eingesetzt wurde und dessen Aufgabe es war, Einsparpotenziale in der Verwaltung zu identifizieren. Aufgrund einer »Dehnung des Begriffs der Invalidität« ging er davon aus, dass eine große Zahl von Renten während der Weltwirtschaftskrise zu Unrecht vergeben worden sei.11 Von einer rigorosen Nachuntersuchungspraxis versprach sich das Reichsarbeitsministerium eine Minderung der Rentenlast für das Reich und die Träger. Durch die Veröffentlichung des Gesetzes im Reichsgesetzblatt war die Intervention durch den Leiter der Hauptabteilung  II (Sozialversicherung), Hans Engel, ungewöhnlich. Er wandte sich über das Reichsversicherungsamt an die Träger und wies sie gesondert darauf hin, dass er nach der amtlichen Begründung des Ministeriums damit rechne, »dass in nicht unerheblichem Umfange Renten laufen, ohne daß die nach dem Gesetz erforderliche Invalidität (Berufsunfähigkeit) vorliegt«. Insgesamt bezweckten die »neuen Vorschriften […], die drei 11 Vgl. Florian Tennstedt: Sozialgeschichte der Sozialversicherung, in: Maria Blohmke (Hg.): Handbuch der Sozialmedizin, Bd.3: Sozialmedizin in der Praxis, Stuttgart 1976, S.385-492, hier S.473.

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Versicherungszweige von solchen Renten zu befreien«.12 Die Entscheidung, Rentenbezieher unter den generellen Verdacht der Erschleichung von Versicherungsleistungen zu stellen, hatte für die Träger eine immense Signalwirkung. Denn auch wenn diese Maßnahme dazu gedacht war, den gesamten Rentenbestand von, wie es hieß, »ungerechtfertigten Renten« zu säubern, so brachte dies auch die neue Erwartungshaltung mit sich, künftig strengere Der (spätere) Staatssekretär Maßstäbe bei der Gewährung von Invades Reichsarbeitsministeriums liden- und Berufsunfähigkeitsrenten anHans Engel, um 1934 zulegen.13 In einem internen Bericht des Rentenversicherungsträgers der Reichsbahn glaubte man etwa, dass »mit Rücksicht auf die äußerst ungünstige Finanzlage der reichsgesetzlichen Invalidenversicherung die Landesversicherungsanstalten […] gezwungen worden seien, bei der Bewilligung von Invalidenrenten einen schärferen Maßstab anzulegen als bisher«. Zudem müsse die »unrechtmäßige Bewilligung von Renten auf Kosten der Gesamtheit […] im neuen Staat ausgeschlossen sein«.14 Die Versicherten zeigten sich von der Nachuntersuchungspraxis keineswegs erfreut. Als Gradmesser können hier die Verfahren vor den Oberversicherungsämtern gelten, die für Streitsachen der Rentenversicherung zuständig waren. Die Berufungen vor den betreffenden Gerichten zeugen davon, dass die Empfehlung Engels durchaus von den Rentenversicherungsträgern umgesetzt wurde. Zwar lag die Anzahl der Berufungen 1933 aufgrund der Notverordnungen noch weit über dem bis dahin üblichen Niveau und flaute erst während der 1930er-

12 Hans Engel, Reichsarbeitsministerium, an Reichsversicherungsamt, betr. Entziehung von Renten der Invaliden-, der Angestellten- und der knappschaftlichen Versicherung nach dem Gesetz vom 7.12.1933, 15.2.1934, Generallandesarchiv Karlsruhe (GLAK ), 462-4, Nr.590. 13 Siehe generell zur Konstruktion des Begriffes der Invalidität Greg Eghigian: Making Security Social. Disability, Insurance, and the Birth of the Social Entitlement State in Germany, Ann Arbor 2000. 14 Auszug aus der Niederschrift über die Besprechung mit den Oberbahnärzten vom 12./13.  Januar 1934 in München, 12.1.1934, Bundesarchiv (BA rch) R5/23161, Bl.31-32.

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Jahre weiter ab, dennoch wurde davon ausgegangen, dass die Zahl der Berufungen »sicherlich noch weiter zurückgegangen [wäre], wenn nicht durch die zahlreichen Nachuntersuchungen und Rentenentziehungen durch die Landesversicherungsanstalt viele Berufungen verursacht worden wären. Es hat sich aber gezeigt, dass diese Rentenentziehungen in den meisten Fällen durchaus berechtigt waren. Rentenentziehungen werden von den Versicherten, die einmal in dem Genuß einer Rente standen, nicht so leicht hingenommen als Abweisungen von Erstanträgen.«15 Das Oberversicherungsamt München ging ebenfalls von einer veränderten Erwartungshaltung gegenüber den zukünftig zur Entscheidung stehenden Rentenanträgen aus: »Diese Entziehungen werden zwar in absehbarer Zeit, wenn die Nachprüfung aller Renten durch den Versicherungsträger abgewickelt ist, wieder weniger werden, jedoch wird damit gerechnet werden müssen, daß die bei der gegenwärtigen Nachprüfung vom Versicherungsträger gesammelten Erfahrungen künftig zur Anlegung eines von vornherein strengeren Maßstabes bei der Verbescheidung von Rentenanträgen führen werden«.16 Verwaltungsrechtlich beaufsichtigte das Ministerium allerdings nur den Rentenversicherungsträger der Angestellten sowie die Reichsknappschaft. Direkte Weisungen an die Träger, wie in diesem Falle von Engel geschehen, waren zu diesem Zeitpunkt noch ungewöhnlich. Die Rentenversicherungsträger der Arbeiter, die Landesversicherungsanstalten, wurden gar von einer anderen Reichsbehörde beaufsichtigt: dem Reichsversicherungsamt. Das Reichsversicherungsamt, eine direkt dem Reichsarbeitsminister unterstellte oberste Reichsbehörde (mit Spruch-, Beschluss- und Aufsichtsfunktionen), fungierte dabei als Verteilerbehörde für die Erlasse und Verordnungen aus der Hauptabteilung  II des Reichsarbeitsministeriums, wenn diese an einzelne oder alle Rentenversicherungsträger weitergeleitet werden sollten. Auch die Koordinierung der Maßnahmen aus dem Sanierungsgesetz sowie die statistische 15 Vgl. Geschäftsbericht des Oberversicherungsamts Augsburg aus dem Jahre 1934, Staatsarchiv (StA) Augsburg, Oberversicherungsamt Augsburg, Geschäftsberichte (bisher unverzeichnetes Quellenmaterial des StA Augsburg). 16 Vgl. ebd.

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Auswertung der Nachuntersuchungspraxis mittels monatlicher an das Reichsversicherungsamt abzugebender Zusammenstellungen wurden von dieser Behörde verantwortet.17 Durch das Instrument der Dienstaufsicht übte das Ministerium Weisungsbefugnisse gegenüber dem Reichsversicherungsamt aus. Wichtige Verordnungen und Erlasse, die nicht im Reichsarbeits- oder Reichsgesetzblatt veröffentlicht wurden, konnten so an sämtliche Sozialversicherungsträger und staatliche Versicherungsämter weitergeleitet werden. Die Träger wiederum, die der Rechtsaufsicht des Reichsversicherungsamts unterstanden, waren gegenüber den beiden höheren Reichsbehörden formal nicht weisungsgebunden; die Beaufsichtigung erstreckte sich lediglich auf die Einhaltung von Recht und Gesetz durch die örtliche Verwaltung. Das Reichsarbeitsministerium konnte also auf dem Verordnungswege die Rentenversicherungsträger formal nicht dazu anhalten, die Rentenentziehung aufgrund des Sanierungsgesetzes rigoros umzusetzen. Dennoch war genau dies eingetreten. Dies liegt zweitens im nächsten größeren Gesetzeswerk aus der Anfangszeit des Nationalsozialismus begründet. Das sogenannte Aufbaugesetz vom 5.  Juli 1934 sowie die dazugehörigen Ausführungsverordnungen schränkten die Rechte der Versicherten deutlich ein.18 Die Auflösung der Selbstverwaltung, schlechthin das konstituierende Element der Sozialversicherung, bedeutete eine massive Stärkung der leitenden Position bei den Rentenversicherungsträgern. Die aus Vertretern der Arbeitgeber und Arbeitnehmer gebildeten Ausschüsse, die umfangreichere Einflussmöglichkeiten vor allem in der Personalentwicklung besaßen, wurden durch sogenannte »Beiräte« ersetzt, die lediglich beratende Funktionen innehatten.19 Die Zerschlagung der Selbstverwaltungsstrukturen der Rentenversicherungsträger stärkte also den Vorstand, die ebenfalls durch das Gesetz eingeleitete Verschärfung des Aufsichtsrechts hingegen stärkte das Reichsarbeitsministerium und das Reichsversicherungsamt bei der Durchsetzung sozialversicherungsrechtlicher Regelungen. Die Hauptabteilung II des Reichsarbeitsministeriums hatte vor allem zwei wichtige Aufgabe zu erfüllen: Die ressortmäßige Vorbereitung der Sozialversicherungsgesetzgebung, wie in diesem Fall die Ausarbeitung 17 Reichsversicherungsamt an alle Landesversicherungsanstalten, betr. Rundschreiben über die Nachuntersuchung von noch nicht 60 Jahre alten Rentenempfängern, 6.6.1933, GLAK , 462-4, Nr.590. 18 Gesetz über den Aufbau der Sozialversicherung vom 5.7.1934, RGB l.I 1934, S.577-580. 19 Vgl. Schlegel-Voß (Anm.7), S.56-61.

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des Sanierungs- und des Aufbaugesetzes, sowie die Wahrnehmung des Aufsichtsrechts gegenüber den reichsunmittelbaren Trägern der Angestellten und der Bergleute sowie gegenüber dem Reichsversicherungsamt, welches wiederum Aufsichtsbehörde gegenüber den Rentenversicherungsträgern der Arbeiter und den staatlichen Versicherungsämtern war. Das zeitgenössische Aufsichtsrecht kannte grundsätzlich zwei Varianten: Das Gebäude des Reichsversicherungsamtes In einer stärkeren Variante in der Königin-Augusta-Straße in Berlin, (»positive Aufsicht«) be- 30. November 1931 deutete es das Recht der Aufsichtsbehörde, einen gewünschten rechtlichen Zustand gegenüber den zu beaufsichtigenden Behörden durchzusetzen und herzustellen, während in einer schwächeren Variante (»negative Aufsicht«) die Aufsichtsbehörden lediglich dazu befugt waren, die Aufrechterhaltung bestehender gesetzlicher Regelungen zu überwachen.20 Das Reichsarbeitsministerium und das Reichsversicherungsamt besaßen Aufsichtsbefugnisse, die einer »positiven Rechtsaufsicht« gleichkamen;21 dies bestätigte sich vor allem in der Verwaltungspraxis der Rentenversicherung. Zwischen dem Ministerium und seinen nachgeordneten Behörden gab es keine schriftlich fixierten verwaltungsrechtlichen Regelungen, die die Aufsichtsbeziehung detailliert festlegten. Vielmehr handelte es sich um einen offenen Prozess, der im jeweiligen politischen Kontext durchaus kontrovers ausgehandelt wurde.22 Die verschärften Aufsichtsrechte sollten vor allem während der Zeit des Zweiten Weltkrieges eine bedeutende Rolle spielen. Doch schon 20 Vgl. Heinrich Triepel: Die Reichsaufsicht. Untersuchungen zum Staatsrecht des Deutschen Reiches, Darmstadt 1917. 21 Vgl. Walter Jellinek: Verwaltungsrecht, Berlin 1931. 22 Vgl. zur Stellung des Reichsversicherungsamtes im Kaiserreich Wolfgang Ayaß: Wege zur Sozialgerichtsbarkeit: Schiedsgerichte und Reichsversicherungsamt bis 1945, in: Peter Masuch (Hg.): Grundlagen und Herausforderun-

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früher wurde von den Trägern die Entwicklung des Aufsichtsrechts äußerst negativ aufgenommen und auf ihrem Verbandstag im Jahre 1936 deutlich kritisiert: »Es ist ja das Anweisungs- und Aufsichtsrecht des Reichsversicherungsamtes schon so weit ausgedehnt, daß die Selbstverwaltung und Selbstverantwortlichkeit der Landesversicherungsanstalten nicht nur in finanzieller Hinsicht ganz erheblich eingeschränkt worden ist. Ich glaube, es wäre wirklich an der Zeit, wenn dieses ganze Problem vom Verbandsvorstand mit aller Deutlichkeit an maßgebender Stelle einmal angeschnitten und zur Sprache gebracht würde. So geht das nicht. Wir sind einstweilen noch Selbstverwaltungskörper und müssen in erster Linie entscheiden, ob und welche Aufgaben wir innerhalb der gesetzlichen Bestimmungen übernehmen können und wollen«.23 Das Ministerium sicherte sich erst über die verstärkten Aufsichtsbefugnisse die Gestaltungsspielräume, die es für die Umdeutung der Rentenversicherung als Instrument im Dienste des »Arbeitseinsatzes« benötigte. Die Instrumentalisierung der Rentenversicherung für den »Arbeitseinsatz« wird drittens durch eine weitere Regelung des Aufbaugesetzes deutlich: die Übertragung des sogenannten »Vertrauensärztlichen Dienstes« der Krankenversicherung auf die Rentenversicherungsträger, der die Begutachtungspraxis in der Sozialversicherung auf eine neue Grundlage stellen sollte. Fortan sollten speziell geschulte Vertrauensärzte die Nachuntersuchungspraxis in der Sozialversicherung durchführen. Der »Vertrauensärztliche Dienst« besaß seine größte Wirkung in der Krankenversicherung, organisatorisch war er allerdings bei den Rentenversicherungsträgern angebunden. Während des Krieges diente er schließlich dazu, weitere Ressourcen für den Arbeitseinsatz durch eine rigorose Untersuchungspraxis bereitzustellen.24 Aber bereits vor dem Krieg versuchte das Ministerium, die Neugestaltung des »Vertrauensärztlichen Dienstes« zugunsten des »Arbeitseinsatzes« auszubauen:

gen des Sozialstaats. Denkschrift 60 Jahre Bundessozialgericht, Berlin 2014, S.271-288. 23 Vgl. Niederschrift über die Verhandlungen des Verbandstages des Reichsverbandes Deutscher Landesversicherungsanstalten in Dresden am 24. Juni 1936, 24.6.1936, GLAK , 462 Zugang 1994-38, Nr.500, Bl.29. 24 Winfried Süß: Der Volkskörper im Krieg. Gesundheitspolitik, Gesundheitsverhältnisse und Krankenmord im nationalsozialistischen Deutschland 19391945, München 2003.

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»Wegen den schweren Auswirkungen, die sich aus unberechtigten Arbeitsunfähigkeitsmeldungen nicht nur für die Finanzen der Krankenkassen, sondern ganz besonders für den Arbeitseinsatz ergeben, muß der vertrauensärztliche Dienst in allen Bezirken unverzüglich so ausgestaltet werden, daß es ihm möglich ist, Versicherte, die sich arbeitsunfähig melden, mit größter Beschleunigung nachzuuntersuchen«.25 Um dem berüchtigten »Vertrauensärztlichen Dienst« zu entgehen, wechselten manche Angestellte in Ersatzkassen, die (noch) nicht mit den neuen Vertrauensärzten zusammenarbeiteten.26 Auch wenn der »Vertrauensärztliche Dienst« hauptsächlich für die Krankenversicherung konzipiert war, nutzten ihn die Rentenversicherungsträger ebenfalls häufig, wenn sie die Antragsteller der Invalidenversicherung gesundheitlich untersuchen ließen. Die Spruchpraxis der Oberversicherungsämter München und Augsburg zeigt, dass jeweils etwa ein Drittel der Untersuchungen der Rentenbewerber durch den »Vertrauensärztlichen Dienst«, die Krankenhäuser sowie die Haus- und Fachärzte durchgeführt wurden. Ab 1941 erhöhte sich der Anteil der Nachuntersuchungen durch Vertrauensärzte auf über die Hälfte. Die Bewertung der Erwerbsminderung war mit durchschnittlich 46% bei den Vertrauensärzten die strengste, gefolgt von den Krankenhäusern mit 48%. Die Haus- und Fachärzte erließen die mildesten Gutachten: Im Schnitt gaben sie die erreichte Erwerbsminderung mit 52% an. Die Haus- und Fachärzte bescheinigten den Versicherten in knapp der Hälfte der Fälle Invalidität, die Vertrauensärzte nur in 36% der ihnen vorgelegten Fälle. Im Jahr 1944, dem letzten Jahr, für das eine seriöse Auswertung möglich ist, sank die Anerkennungsquote aller behandelnden Ärzte auf lediglich 11% ab.27 Die in der Krankenversicherung gesetzten Standards galten also durchaus ebenfalls in der Invalidenversicherung. Als vierter und letzter Baustein der Einschränkung der Versichertenrechte diente die Verwaltungsvereinfachung, die am Vorabend des Zweiten Weltkrieges in den Versicherungsbehörden eingeführt wurde. 25 Hans Engel, Reichsarbeitsministerium, an Reichsversicherungsamt, betr. Vertrauensärztlicher Dienst, 4.2.1939, BA rch R89/5265, Bl.183. 26 Recker: Nationalsozialistische Sozialpolitik (Anm.7), S.277. 27 Vorläufiges Ergebnis der Auswertung der Spruchtätigkeit der Oberversicherungsämter Augsburg und München in Berufungssachen der Invalidenversicherung. Bis zum jetzigen Zeitpunkt (Juni 2016) wurden 811 Einzelfälle aus den Jahren 1935-1944 ausgewertet.

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Bereits die große Anzahl an Berufungen belastete die Arbeit der Versicherungsämter. Dabei stellte die Möglichkeit der Berufung lediglich die erste Instanz im Beschwerdeverfahren dar. Die uneingeschränkte Möglichkeit der Revision beim Reichsversicherungsamt, als zweiter und letzter Instanz, vergrößerte die Verwaltungsarbeit in den Behörden nochmals um ein Vielfaches, was diese seit Längerem beklagten. Die Oberversicherungsämter empfahlen bereits seit mehreren Jahren die Entziehung des Rechts der Versicherten auf ein Revisionsverfahren, wenn es sich ausschließlich um die Anerkennung der Invalidität handelte.28 Diese Impulse griff die Reichsregierung 1939 im Zuge der Gesetztätigkeit über die Verwaltungsvereinfachung auf, indem sie die Revisionsmöglichkeit massiv einschränkte.29 Fortan durften nur noch diejenigen Fälle vor dem Reichsversicherungsamt verhandelt werden, bei denen es sich um grundsätzliche Entscheidungen handelte. Auch die Spruchpraxis ab dem Jahre 1940 zeigt dies: In der absolut überwiegenden Mehrzahl der Berufungsfälle der Oberversicherungsämter München und Augsburg wurde das Rechtsmittel der Revision nicht mehr zugelassen. Auch konnten die Vorsitzenden der Spruchkammern, sowohl beim Reichsversicherungsamt als auch bei den regionalen Oberversicherungsämtern, Entscheidungen in den Spruchverfahren von nun an alleine treffen; Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter waren in den Kammern nicht mehr zugegen. Die vom Reichsarbeitsministerium befürworteten Verwaltungsvereinfachungen lassen sich auf die konkreten Erfahrungen der regionalen Versicherungsbehörden zurückführen.

Die Arbeitskräfterekrutierung in der Kriegszeit Während des Zweiten Weltkrieges stieß die Kombination aus Arbeitskräftemangel, verschärfter Begutachtungspraxis und der erleichterten Möglichkeit des Rentenentzuges auch auf Widerstand vonseiten der Versicherten. Eine »Verschlechterung der Stimmung der Gefolgschaftsmitglieder« befürchtete etwa die Landesversicherungsanstalt Sudetenland, wenn Invalidenversicherte nachuntersucht werden sollten. Doch das Reichsversicherungsamt argumentierte, dass es noch 28 Vgl. StA Augsburg, Oberversicherungsamt Augsburg, Geschäftsberichte. 29 Vgl. Verordnung über die Vereinfachung des Verfahrens in der Reichsversicherung und der Arbeitslosenversicherung vom 28.10.1939, RGB l.I 1939, S.2110.

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»wichtiger als die Rücksichtnahme auf die Stimmung ist, dass das zuständige Arbeitsamt Arbeitskräfte benötigt. Dieser Gesichtspunkt ist besonders während der Kriegszeit der politisch wichtigere, denn bei der notwendigen Anspannung aller Kräfte kann nicht zugelassen werden, dass Arbeitskräfte ungenutzt bleiben, die noch in der Lage sind, einigermassen brauchbare Arbeit zu leisten. Die vorstehende Ansicht hat auch die Billigung des Reichsarbeitsministers gefunden. Infolgedessen muss mit den Nachuntersuchungen alsbald begonnen werden«.30 Der Austausch zwischen den Arbeitsämtern und den Rentenversicherungsträgern über die Vermittlung von dringend benötigten Arbeitskräften beruhte auf einem wiederkehrenden Muster, obwohl die Dimensionen  – nach derzeitigem Stand  – noch nicht abgeschätzt werden können. Beispielsweise setzte mit der Annexion des Elsass eine Zusammenarbeit zwischen dem Landesarbeitsamt Südwest und der Landesversicherungsanstalt Baden ein, die die Vermittlung elsässischer Arbeitskräfte ins Reich koordinierte.31 Ähnliches lässt sich für die Landesversicherungsanstalt Danzig-Westpreußen konstatieren.32 Auch die in den Erholungsheimen der Rentenversicherungsträger eingewiesenen Versicherten konnten sich den Anforderungen des Arbeitseinsatzes nicht entziehen, indem sie während ihres vermeintlichen Genesungsprozesses Arbeiten für die Kriegsproduktion durchzuführen hatten.33 30 Kreissl, Landesversicherungsanstalt Sudetenland, an Franz Seldte, Reichsarbeitsministerium, betr. Vorläufige Regelung über die Pensionen und Anwartschaften von Gefolgschaftsmitgliedern der ehemaligen tschecho-slowakischen Tabakregie in den sudetendeutschen Gebieten, 2.5.1941, BA rch R89/7192, Bl.12-17, hier S.14. 31 Wilhelm Pfisterer, Landesversicherungsanstalt Baden, an Wilhelm Heller, Reichsarbeitsministerium, betr. Landesversicherungsanstalt Elsaß-Lothringen, 12.8.1940, GLAK , 462 Zugang 1994-38, Nr.344, Bl.17-18. Siehe dazu auch Alexander Klimo: An Unhappy Return: German Pension Insurance Policy in Alsace, in: Sandrine Kott/Kiran Klaus Patel (Hg.): Fascist Internationalism (im Erscheinen). 32 Zusatzprotokoll der Vereinbarung vom 5. Februar 1941 betr. Zusammenarbeit zwischen dem Landesarbeitsamt Danzig-Westpreußen und der Landesversicherungsanstalt Danzig-Westpreußen zwecks einheitlicher Beurteilung der Invalidität und Arbeitseinsatzfähigkeit eines Versicherten, 5.2.1941, Deutsche Rentenversicherung Bund, Aktenmaterial der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte (DRV RfA-Archiv), Aktenordner »Nr.34«. 33 Briest, Genesungsheim Friedrichsheim-Luisenheim, an Wilhelm Pfisterer, Landesversicherungsanstalt Baden, betr. Nachfürsorge bei Lungenkranken

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Der bezeichnendste Ausdruck für die Umgestaltung der Rentenversicherung für den Zweck der Arbeitskräfterekrutierung war das am 15. Januar 1941 im Behördenjargon sogenannte »Kriegsgesetz«.34 Vor allem §21 des Gesetzes sollte weitreichende Folgen haben. Besagter Paragraf lautete: »Eine wegen Invalidität (Berufsunfähigkeit) gewährte Rente darf nicht deshalb entzogen werden oder ruhen, weil der Berechtigte während des Krieges erneut eine Tätigkeit ausübt«.35 Anders ausgedrückt: Nahm ein Rentner wieder eine Arbeitstätigkeit auf, sollte seine Invaliden- oder Altersrente uneingeschränkt weiter gewährt werden. Dadurch versuchte das Reichsarbeitsministerium, bereits in Rente stehende Personen wieder dem Arbeitseinsatz zuführen zu können. Dies besaß vor allem für die Träger eine immense Reichweite: Auch wenn das Gesetz zunächst auf diejenigen Altersrentner abzielte, die durch diese finanziellen Anreize in den Arbeitsprozess reintegriert werden sollten, so verbot es dennoch den Entzug der Rente auch bei denjenigen Rentnern, die nur eine vorübergehende Invalidenrente bezogen. Dieses Gesetz erschwerte den gewöhnlichen Rentenentzug, etwa nach erfolgreichem Abschluss eines Heilverfahrens oder der Besserung des Gesundheitszustandes, und barg somit  – je nach Auslegung  – die Gefahr einer unkontrollierten finanziellen Mehrbelastung für die Träger. Denn deren Kostenkalkulationen beinhalteten den Wegfall der vorübergehenden Invalidenrenten aus dem Rentenbestand des Trägers. Diese wenigen Gesetzeszeilen, vom Reichsarbeitsministerium verantwortet, bedeuteten in ihrer Konsequenz letztlich die Aufhebung des Charakters der Rentenversicherung, wie sie durch die Bismarcksche Sozialversicherungsgesetzgebung 50 Jahre zuvor eingeführt worden war. Konzipiert als Versicherung gegen die finanziellen Risiken der dauerhaften und vorübergehenden Erwerbsunfähigkeit, mutete es geradezu grotesk an, dass Invalidenrentner, die den Zugang zu den Leistungen aus der Versicherung über eine bescheinigte Erwerbsunfähigkeit geltend gemacht hatten, ihre »Nicht-Invalidität« de facto versicherungsrechtlich beweisen konnten, um so wieder in den Arbeitsprozess integriert werden zu können. Der vom Ministerium eingeschlagene Pfad der möglichst langen Erhaltung der Arbeitskräfte für den Arbeitseinsatz sowie – in diesem Fall – die Reaktivierung brachnach erfolgreichem klinischen Abschluss des Heilverfahrens; hier: Arbeitstherapie, 19.9.1942, GLAK , 462 Zugang 1994-38, Nr.417. 34 Gesetz über weitere Maßnahmen in der Reichsversicherung aus Anlaß des Krieges vom 15.1.1941, RGB l.I 1941, S.34-36. 35 Ebd., S.35.

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liegenden Arbeitskräftepotenzials folgte der Logik der Uminterpretation der Funktion und Aufgaben der Rentenversicherung. Während bis zum Januar 1941 vor allem der Zugang zu den Leistungen aus der Rentenversicherung erschwert werden sollte, zielte das »Kriegsgesetz« nun vor allem auf diejenigen Personen, die bereits Rente bezogen. Ähnlich wie bei der Einschränkung des Revisionsrechts begann allerdings auch die Vorgeschichte des »Kriegsgesetzes« bereits einige Jahre früher, und auch hier kam der Impuls für die neue Gesetzgebung nicht aus dem Ministerium selbst. Am 14. Mai 1937 richtete der Stab des Stellvertreters des Führers ein Schreiben an Arbeitsminister Seldte, um auf die Möglichkeit des Arbeitseinsatzes von bereits in Rente stehenden Personen aufmerksam zu machen: »Aus Mangel an geeigneten Facharbeitern sind verschiedene Waffenfabriken dazu übergegangen, Arbeiter über 65 Jahre, die bereits im Genuß ihrer Altersrente sind, weiterzubeschäftigen. Da diese jedoch bereits eine Rente bezogen, weigerten sie sich, Arbeitsverträge einzugehen«.36 Um die vom Ministerium erbetene Stellungnahme ausarbeiten zu können, wandte sich die Hauptabteilung  II nach üblicher Verwaltungspraxis über das Reichsversicherungsamt an die Rentenversicherungsträger, um deren Einschätzung einzuholen. Da es sich nach deren Ansicht nur um eine relativ kleine Gruppe von Versicherten handelte, empfahl der Reichsverband der Landesversicherungsanstalten eine Nachprüfung bei denjenigen Altersrentnern zu unterlassen, die wieder eine Tätigkeit aufnahmen.37 Ab diesem Zeitpunkt konnte die weitere Entwicklung, die zum »Kriegsgesetz« führte, nicht mehr aufgehalten werden. Indem das Ministerium seinen Maßnahmenkatalog über den Arbeitseinsatz mit der Möglichkeit des Verzichts auf eine Nachprüfung erweiterte, schaffte es die Voraussetzungen, dem Arbeitskräftemangel mit Methoden zu begegnen, die dem Charakter der Rentenversicherung entgegenstanden – mit weitreichenden Folgen. Die dafür benötigten Gelder sollten freilich nicht durch den Reichshaushalt gedeckt, sondern von den Rentenversicherungsträgern bereitgestellt werden. Tatsächlich hat sich die Empfehlung des Dachverbandes der Rentenversicherungsträger, von der Nachuntersuchung wieder in den Arbeitsprozess integrierter Altersrentner abzusehen, in der Praxis nicht 36 Stab des Stellvertreter des Führers an Franz Seldte, Reichsarbeitsministerium, betr. Beschäftigung von Rentenempfängern, 14.5.1937, BArch R89/4922, Bl.11. 37 Reichsverband Deutscher Landesversicherungsanstalten an Reichsversicherungsamt, betr. Beschäftigung von Rentenempfängern, 8.7.1937, BA rch R89/4922, Bl.14.

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bewährt. Ohne rechtliche Grundlage oder direkte Anweisung vom Reichsarbeitsministerium oder dem Reichsversicherungsamt leiteten die Träger in vielen Fällen auch weiterhin ein Rentenentzugsverfahren ein, wenn sie herausfanden, dass ein Invalidenrentner durch die Aufnahme einer Arbeitstätigkeit seine offensichtlich noch vorhandene Erwerbsfähigkeit unter Beweis stellte. Noch im September 1939 versuchte das Reichsversicherungsamt in einem Rundschreiben erneut, die Träger davon zu überzeugen, auf die Einleitung eines Rentenentzugsverfahren in diesen Fällen zu verzichten: »Die Arbeitsämter und die Deutsche Arbeitsfront bemühen sich im Hinblick auf den derzeitigen großen Mangel an Arbeitskräften Rentenempfänger wieder auf Arbeitsplätze zu bringen, auf denen sie noch eine nutzbringende Tätigkeit ausüben können, welche den ihnen verbliebenen Fähigkeiten und Kräften angepaßt wird oder entspricht […]. Das Reichsversicherungsamt erwartet daher, daß die Träger der Rentenversicherung nicht schon lediglich die Aufnahme einer solcher Arbeit zum Anlaß für eine Nachuntersuchung des Rentenempfängers nehmen«.38 Die Erwartung wurde jedoch enttäuscht. Nachdem zahlreiche Rentenversicherungsträger die Rente wegen Wiederaufnahme einer Arbeitstätigkeit entzogen hatten, sah sich das Ministerium doch genötigt, eine gesetzliche Regelung in Form des »Kriegsgesetzes« zu erlassen. Doch auch nach Erlass des Gesetzes gab es weitere Rentenentzugsverfahren. Der Grund dafür war äußerst simpel: Weder hatte es in diesem Falle eine offizielle Kommentierung gegeben, noch war die Ausformulierung des Gesetzestextes präzise genug, um Missverständnisse zu vermeiden. Der große Interpretationsspielraum, der hier nicht in seinen Einzelheiten wiedergegeben werden kann, und vor allem die tiefe Widersprüchlichkeit und die fehlende Kohärenz des Vorhabens, erschwerten die Arbeit der Träger bei der Umsetzung des Gesetzes. Im November 1941 berichtete etwa das »Amt für Arbeitseinsatz« der Deutschen Arbeitsfront an das Ministerium: »Immer wieder erhalte ich Beschwerden von Rentner [sic], denen bei Wiederaufnahme der Arbeit während des Krieges die Rente angerechnet wird. Dieses Vorgehen macht die Bestrebungen der Gau38 Hugo Schäffer, Reichsversicherungsamt, an alle Versicherungsträger, betr. Rentenentziehung bei Rentenempfängern, die durch Vermittlung eines Arbeitsamts als beschränkt einsatzfähig wieder beschäftigt werden, 6.9.1939, DRV RfA-Archiv, Aktenordner »24a«.

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waltungen, die Invalidenrentner erneut in die Kriegswirtschaft einzureihen, zunichte. Die Rentner stellen nämlich ihre Arbeit sofort ein, wenn sie merken, dass ihnen die Rente wieder entzogen werden soll, und sie sind sehr verärgert, dass sie durch die Arbeitsaufnahme die Rente verlieren, obwohl sie in den Zeitungen und auch sonst ausdrücklich zur Arbeitsaufnahme aufgefordert wurden mit dem Versprechen, dass ihnen in den Rentenbezügen durch die Arbeitsaufnahme kein Nachteil entstehen würde«.39 Beispielhaft für viele Vorgänge fügte die Deutsche Arbeitsfront eine Streitsache bei, in der einem Rentner die Rente nach Beginn der Arbeitsaufnahme entzogen worden war. Die zuständige Landesversicherungsanstalt hatte §21 so interpretiert, dass ein Rentenentzug aufgrund des Wegfalls der Erwerbsunfähigkeit möglich war (was der eingeübten jahrzehntelangen Verwaltungspraxis der Träger entsprach), und nicht, was der Intention des Ministeriums nach vermieden werden sollte, weil der Versicherte wieder eine Beschäftigung aufgenommen hatte. Mit dieser Interpretation verließen die Träger nicht den vom Ministerium gesteckten gesetzlichen Rahmen. Dennoch verfehlten sie aber die Intentionen des »Kriegsgesetzes«. Tatsächlich interpretierte das Reichsversicherungsamt besagten §21 ähnlich wie die Deutsche Arbeitsfront, wonach ein Ruhen der Rente schlechthin nicht möglich sein sollte, wenn sich ein Rentenbezieher zur Aufnahme einer Arbeitstätigkeit entschlossen hatte: »Nunmehr wird also diese Rechtslage ausdrücklich derart sanktioniert, daß das Gesetz ausdrücklich verbietet, eine wegen Invalidität oder Berufsunfähigkeit gewährte Rente deshalb zu entziehen oder ruhen zu lassen, weil der Berechtigte während des Krieges erneut eine Tätigkeit ausübt«.40 Die verstärkten Aufsichtsbeziehungen sollten sich hier als für das Ministerium besonders fruchtbar erweisen: Der Rentenversicherungsträger wurde zur Zahlung der Rente aufgefordert  – auf dem Verordnungs- und nicht auf dem Rechtswege.41 Der Reichsarbeitsminister bestätigte die Sichtweise der Deut39 Deutsche Arbeitsfront an Franz Seldte, Reichsarbeitsministerium, betr. Rentenentziehung bei Arbeitsaufnahme während des Krieges, 12.11.1941, BA rch R89/7044, Bl.92. 40 Hermann Dersch: Gesetz über weitere Maßnahmen in der Reichsversicherung aus Anlaß des Krieges, in: Zentralblatt für Reichsversicherung und Reichsversorgung 11/12 (1941), S.101-108, hier S.107. 41 Sonderhoff, Reichsversicherungsamt, an Landesversicherungsanstalt Oberbayern, betr. Wiederaufnahme der Rentenzahlung an Josef Berndl, 16.12.1941, BA rch R89/7044, Bl.94-96.

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schen Arbeitsfront schließlich noch einmal explizit in einem Erlass an die Rentenversicherungsträger vom 25. November 1941.42 Nicht nur die Arbeiterrentenversicherung war vom »Kriegsgesetz« getroffen, sondern ebenso die Angestelltenversicherung. In einem internen Vermerk bestätigte die Reichsversicherungsanstalt für Angestellte die vom Reichsarbeitsminister verfolgte Linie: Bei der Auslegung des §21 des »Kriegsgesetzes« könne es sich nur um diese Interpretation handeln, »da die legio ratio« des Gesetzes laute: »Förderung des Arbeitseinsatzes während des Krieges, d.h. der Arbeitsaufnahme und ihrer Fortsetzung«.43 Die Versicherungsträger wehrten sich aus finanziellen Gründen lange gegen diese weitgehende Auslegung des Gesetzes. Anhand der Folgeprobleme, die diese Auslegung nach sich zog, war dies nicht verwunderlich: Das unvorhergesehene Gebot, den Rentenentzug künftig nicht mehr durchführen zu können, bedeutete eine zusätzliche finanzielle Belastung für die Träger, die nicht in deren Kostenkalkulationen berücksichtigt war. Wie eingangs erwähnt, war der Entzug einer Rente aufgrund einer Besserung des Gesundheitszustandes keineswegs ungewöhnlich. Das Reichsarbeitsministerium bürdete durch das »Kriegsgesetz« die Kosten der Förderung des Arbeitseinsatzes den Trägern auf. Allerdings wurde dadurch, und das wiederum konterkarierte die Intentionen des Ministeriums, der Arbeitswille und Arbeitsfriede empfindlich gestört, wenn ältere oder vermeintlich invalide Arbeitnehmer zusätzlich zu ihrem Lohn noch volle Rentenzahlungen erhielten. Dieses Argument führten auch die Träger gegen die Maßnahmen des §21 des »Kriegsgesetzes« an. Je länger der Krieg dauerte, desto mehr trat die Widersprüchlichkeit dieser Regelung zutage. Bereits ein halbes Jahr nachdem die Hauptabteilung  II in ihrem Novembererlass den engen Interpretationsrahmen gesteckt hatte, warnte der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger vor den nicht intendierten Folgen dieses Gesetzes, die die Arbeitsmoral empfindlich einschränken könnten. Der Verband hatte darüber berichtet, »daß es unerwünscht sei, wenn Renten wegen vorübergehender Invalidität nach Wiedereintritt der vollen Arbeitsfähigkeit neben dem vollen Lohn weiter bezahlt werden und der Berechtigte 42 Hans Engel, Reichsarbeitsministerium, an Reichsversicherungsamt, betr. Durchführung des Kriegsgesetzes, 25.11.1941, BA rch R89/7044, Bl.194. 43 Reichsversicherungsanstalt für Angestellte an die Abteilungsleiter betreffend die Ausführungen des Oberversicherungsamts (OVA ), Wien vom 23.6. und von Oberregierungsrat Dr. Wallentin vom 13.7.42, 15.7.1942, DRV RfAArchiv, Aktenordner »27a« (Hervorh. i. Orig.).

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gleichzeitig auch noch die Beitragsanteile für die Rentenversicherung spart«.44 Im Oktober 1942 trafen sich im Reichsversicherungsamt Vertreter der Landesversicherungsanstalten, der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte und der Deutschen Arbeitsfront, um die weiteren Auswirkungen des »Kriegsgesetzes« zu besprechen. Wegen der Länge des Krieges und der finanziellen Auswirkungen dieser Praxis plädierte der Träger der Angestelltenversicherung für eine Einschränkung dieser Regelung: »Dazu zwinge bei aller Anerkennung der notwendigen Förderung des Arbeitseinsatzes vor allem die ungünstige psychologische Wirkung voll berufsfähiger und berufstätiger Rentenempfänger auf die keine Rente beziehenden Arbeitskameraden und deren Willen zum Arbeitseinsatz«.45 Die Akten zu den betreffenden Vorgängen umfassen zahlreiche Beispiele, in denen die demoralisierende Wirkung dieser Gesetzgebung auf den Arbeitswillen angeprangert wird. Die Konsequenz daraus zog das Reichsversicherungsamt im Februar 1943, indem es einen neuen Umgang mit dem Problem des §21 vorschlug, um »bei der langen Dauer des Krieges einem unberechtigt langen Rentenbezug in den Fällen vorzubeugen, in denen von vornherein feststeht, daß die Invalidität (Berufsunfähigkeit) in absehbarer Zeit behoben sein wird«.46 Solche Renten sollen von nun an auch während des Krieges entzogen werden dürfen und längstens für ein Jahr bewilligt werden. Wegen der langen Dauer des Krieges betrachtete das Reichsversicherungsamt die Regelung des §21 als zu weitgehend. Speziell der Erlass des Reichsarbeitsministeriums vom 25.  November 1941, durch den der Rentenentzug zum Zwecke der Förderung des Arbeitseinsatzes generell verboten worden war, ermöglichte die kostenintensive Vergabepraxis während des Krieges: »Wenn damals noch angenommen wurde, daß die Auslegung des Erlasses vom 25. November 1941 bei Renten wegen dauernder Invalidität hingenommen werden könnte, so hat die Praxis erwiesen, daß es dringend erwünscht wäre, auch bei Renten wegen dauernder Invalidität eine Entziehung zuzulassen«. Schließlich könne 44 Liebing, Verband Deutscher Rentenversicherungsträger, betr. Entziehung von Renten während des Krieges, 11.11.1942, DRV RfA-Archiv, Aktenordner »27b«. 45 Vermerk über eine Besprechung im Reichsversicherungsamt betreffend die Auslegung der §§21, 31 des Kriegsmaßnahmengesetzes vom 15.1.1941, 7.10.1942, DRV RfA-Archiv, Aktenordner »27b«. 46 Peter Schmitt, Reichsversicherungsamt, an die Träger der Rentenversicherung, betr. Renten wegen vorübergehender Invalidität, 23.2.1943, BA rch R89/4922, Bl.107.

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es aus Sicht des Reichsversicherungsamtes nicht »als gerechtfertigt angesehen werden, wenn ein Versicherter eine Rente wegen Invalidität oder Berufsunfähigkeit bezieht, obwohl er seine volle Arbeitskraft ohne Schädigung seiner Gesundheit einsetzt«.47 Doch nicht nur das Reichsversicherungsamt, sondern auch das Oberkommando der Wehrmacht (OKW ) forderte eine Neuauslegung des »Kriegsgesetzes«. Aufgrund §17 des Gesetzes galt die Anwartschaft für Soldaten als erfüllt, wenn diese während des Einsatzes der Wehrmacht starben (dies war für die Hinterbliebenenversicherung bedeutsam) oder invalide bzw. berufsunfähig wurden. Die Kombination der §§17 und 21 ermöglichte so die Vergabe einer Rente nach der Zahlung nur eines einzigen Pflichtbeitrages – einer Rente, die zudem nicht entzogen werden durfte. Das OKW fürchtete eine massive Beeinträchtigung der Moral unter den Soldaten, wenn das Ministerium die Auslegung des Gesetzes nicht ändern würde.48 Erst im April 1944 reagierte das Reichsarbeitsministerium auf die anhaltenden Vorwürfe vom Reichsversicherungsamt und dem OKW . Die Zweite Durchführungsverordnung zum Kriegsgesetz setzte die Forderungen des OKW um und erlaubte die Einsetzung eines Invalidenrentenverfahrens erst nach der Entlassung aus dem aktiven Wehrdienst.49 Wie dringend dies dem Reichsversicherungsamt erschien, wird dadurch deutlich, dass diese Regelung auch für schwebende Fälle galt und bereits eingeleitete, aber noch nicht zum Abschluss gekommene Rentenverfahren von Soldaten eingestellt werden sollten.50 Die Politik des Ministeriums zeigte diese widersprüchliche Entwicklung, weil die mit der Reaktivierung von vermeintlich brachliegendem Arbeitskräftepotenzial zweckentfremdete Rentenversicherung dafür nicht ausgelegt war. Indem die Rentenversicherung verstärkt zu Zwecken des Arbeitseinsatzes herangezogen wurde, wurden weitere Folgeprobleme provoziert, die an das Ministerium von verschiedener 47 Peter Schmitt, Reichsversicherungsamt, an Franz Seldte, Reichsarbeitsministerium, betr. Rentengewährung an Kriegsversehrte, 18.9.1943, BA rch R89/4922, Bl.175. 48 Frese, OKW , an Franz Seldte, Reichsarbeitsministerium, betr. Rentengewährung bei Arbeitsunfähigkeit, 5.11.1943, BA rch R89/4922, Bl.201-202. 49 Zweite Durchführungsverordnung zum Gesetz über weitere Maßnahmen in der Reichsversicherung aus Anlaß des Krieges vom 5.4.1944, RGB l.I 1944, S.93. 50 Peter Schmitt, Reichsversicherungsamt, betr. Rentenvorschüsse an Soldaten vor Entlassung aus dem aktiven Wehrdienst, 5.8.1944, BA rch R89/4922, Bl.230.

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Seite herangetragen worden sind. Die Impulse der hier vorgestellten Politik kamen vor allem aus der alltäglichen Verwaltungspraxis der Rentenversicherungsträger und staatlichen Versicherungsbehörden sowie von Partei- und Armeestellen. Das »Kriegsgesetz« war der augenscheinlichste Versuch des Ministeriums, die Rentenversicherung als Arbeitskräftereservoir zu instrumentalisieren. Die finanziellen Lasten wurden den Trägern aufgebürdet, noch bevor die nötigen Maßnahmen in Gesetzesform gegossen wurden, sollten diese doch die finanziellen Mittel für die Arbeitsanreize bereitstellen. Aufgrund der unklaren Formulierung des Gesetzes und des hohen Interpretationsspielraums bedurfte es erst der verschärften Aufsichtsrechte des Ministeriums, um die gewünschte Verwaltungspraxis vor Ort durchzusetzen. Lässt sich ähnliches für die Behandlung von Juden in der Rentenversicherung sagen?

Eine »stille Übereinkunft«: die Stellung jüdischer Versicherter in der Rentenversicherung Die regionalen Träger der Arbeiterrentenversicherung wandten sich nur sehr selten direkt an das Reichsarbeitsministerium, wenn sie ein konkretes Anliegen besaßen, das sie der Berliner Zentralverwaltung mitzuteilen gedachten. Dies ist nicht verwunderlich, da die direkte Aufsichtsbehörde der Träger das Reichsversicherungsamt war, welches üblicherweise die Kommunikation zwischen dem Ministerium und den Rentenversicherungsträgern übernahm. Im März 1941 trat die Landesversicherungsanstalt Baden dennoch direkt an das Reichsarbeitsministerium wegen eines Vorganges heran, der beispiellos in der fünfzigjährigen Geschichte der Behörde war. Die Deportation der badischen Juden am 22. Oktober 1940, die zu den ersten systematischen Verschleppungen von Juden aus dem Deutschen Reich zählte,51 stellte die Landesversicherungsanstalt Baden vor eine neue Situation. Der hohe Grad der Verrechtlichung der Sozialversicherung ließ eine bürokratische Verwaltungspraxis entstehen, die auf die Änderungen der Lebensverhältnisse der Versicherten – etwa Wiedererlangung der Erwerbsfähigkeit, Umzug ins Ausland oder der Tod eines Familienmitgliedes  – im Rahmen des Rentenrechts angemessen 51 Vgl. Alfred Gottwaldt/Diana Schulle: »Die Judendeportationen« aus dem Deutschen Reich, 1941-1945. Eine kommentierte Chronologie, Wiesbaden 2005, S.37-46.

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reagieren konnte. Die Deportation von Versicherten gehörte jedoch nicht dazu. Damit gehörte die Landesversicherungsanstalt Baden zu den ersten Rentenversicherungsträgern im Reich, die ihre Verwaltungspraxis an die verbrecherische Politik des NS -Regimes anpassen mussten. Der badische Rentenversicherungsträger bat darum beim Reichsarbeitsministerium um eine konkrete Anweisung, wie vorzugehen sei, wenn jüdische Rentenversicherte vom Staat ins Ausland deportiert würden. Hans Engel verwies in seiner Antwort jedoch lediglich auf eine derzeit im Reichsministerium des Innern vorbereitete Verordnung »über vermögensrechtliche Vorschriften für Juden«, und war damit einverstanden, »daß die Rentenzahlung bis auf weiteres eingestellt bleibt«.52 Aber auch nach der Deportation der badischen Juden erließ das Reichsarbeitsministerium keine Anweisungen an die Träger, die zudem oftmals nicht wussten, ob sich unter den deportierten Juden Rentenversicherungsempfänger der eigenen Anstalt befanden.53 Der Träger der Angestelltenversicherung konstatierte etwa im Januar 1941: »In letzter Zeit kommen häufig aus Baden und der Saarpfalz die Renten von jüdischen Empfängern zurück mit dem Vermerk: ›Unbekannt verzogen‹. In der Regel handelt es sich um abgeschobene Juden, deren Vermögen von einem Treuhänder verwaltet wird. In diesen Fällen ist die Rentenzahlung einzustellen«.54 Auch die Landesversicherungsanstalt Baden stellte die Zahlungen an jüdische Rentenempfänger ein, sobald sie erfuhr, dass die betreffenden Rentner ins Ausland deportiert worden waren, wobei sie sich mit der behelfsmäßigen Verwaltungspraxis zufriedengab, die Renten lediglich aufgrund des Auslandsaufenthalts der jüdischen Empfänger »einzufrieren«. Tatsächlich ermöglichte die Reichsversicherungsordnung eine Entziehung der Rente nur dann, wenn sich der Rentenempfänger »freiwillig und gewöhnlich« im Ausland aufhielt und erkennbar die Absicht besaß, nicht ins Reich zurückzukehren. Die Deportation jüdischer Versicherter sah das Rentenversicherungsrecht nicht vor. Die Träger konnten sich demnach nicht auf die Reichsversicherungsordnung berufen, wenn sie die Rentenzahlungen einstellten. Die Verwaltungspraxis der Träger zeigt im Umgang 52 Wilhelm Pfisterer, Landesversicherungsanstalt Baden, an Reichsarbeitsministerium, betr. Rentenzahlung an deportierte badische Juden, GLAK , 462 Zugang 1994-38, Nr.283, Bl.3-5. 53 Karl Rausch, Landesversicherungsanstalt Baden, betr. interner Vermerk, 28.8.1940, GLAK , 462 Zugang 1994-38, Nr.283, Bl.1. 54 Reichsversicherungsanstalt für Angestellte, betr. Interner Vermerk, 27.1.1941, DRV RfA-Archiv, Aktenordner »Nr.26«.

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Das Gebäude der Landesversicherungsanstalt Baden in Karlsruhe, um 1900

mit dieser Situation allerdings kein einheitliches Bild: Teilweise stellten sie die Rentenzahlungen ein, andere zahlten sie auf Sicherheitskonten weiter oder überwiesen die Beiträge an die Kasse des Lagers, in dem sich jüdische Rentenempfänger befanden.55 Das Reichsarbeitsministerium überließ es den Trägern, für geeignet erscheinende Maßnahmen zu ergreifen. Nach der bisherigen Quellenrecherche sind die Rentenzahlungen an jüdische Versicherte erst mit ihrer Deportation ins Ausland eingestellt worden und nicht bereits vorher.56 Hier ist wohlgemerkt nur davon die 55 Vorgänge bspw. in Oberfinanzpräsidium Württemberg an Reichsversicherungsanstalt für Angestellte, betr. Einziehung jüdischen Vermögens, 29.1.1942, DRV RfA-Archiv, Aktenordner »Nr.168«; Reichsversicherungsanstalt für Angestellte an Zentralamt für die Regelung der Judenfrage in Böhmen und Mähren, betr. Jüdische Rentner, 10.11.1942, DRV RfA-Archiv, Aktenordner »Nr.168«. 56 Einschlägige Vorgänge in folgenden Quellen: Wilhelm Pfisterer, Landesversicherungsanstalt Baden, an Reichsarbeitsministerium, betr. Rentenzahlung an deportierte badische Juden, GLAK , 462 Zugang 1994-38, Nr.283, Bl.3-5; Reichsversicherungsanstalt für Angestellte an Zentralamt für die Regelung der Judenfrage in Böhmen und Mähren, betr. Jüdische Rentner, 10.11.1942, DRV RfA-Archiv, Aktenordner »Nr.168«; Martin Röttcher, Reichsversicherungsamt, an Reichsarbeitsministerium, betr. Rentenzahlungen an Juden, 14.9.1943, BA rch R89/4981, Bl.86; Oberfinanzpräsidium Württemberg an Reichsversicherungsanstalt für Angestellte, betr. Einziehung jüdischen Ver-

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Rede, dass die Rentenversicherungsträger die Zahlungen veranlassten. Ob und bis wann jüdische Versicherte jeweils Zugang zu den Geldern besaßen, konnte noch nicht ermittelt werden. Aufgrund der fehlenden Rechtssicherheit bei der Diskriminierung jüdischer Versicherter wandten sich die Träger ab Januar 1941 vermehrt an das Reichsarbeitsministerium, um die Ausarbeitung rechtlicher Grundlagen anzuregen. Doch das Ministerium überließ es weiterhin den Trägern, ihre Verwaltungspraxis an die jeweilige Situation anzupassen, und zeigte sich mit der von ihnen im Einzelfall getroffenen Entscheidung der Einbehaltung der Rentenzahlung einverstanden. Ein zentrales Gesetzeswerk, das Juden in Deutschland in der Rentenversicherung materiell schlechterstellte, und das den von den Trägern gewünschten Orientierungsrahmen bot, hat das Ministerium nicht erlassen.57 Die Gründe dafür lassen sich wohl am ehesten verstehen, wenn vor allem diejenigen Kategorien herangezogen werden, mit denen die Verwaltung hauptsächlich arbeitet. Auch wenn die Forschung vor allem die antisemitische Verwaltungspraxis der Rentenversicherungsträger betont, die den Ausschluss jüdischer Versicherter aus ihrem Rentenbestand vorangetrieben haben,58 so lassen sich zentral koordinierte und zielgerichtete Aktionen, den innerhalb des Reiches lebenden jüdischen Versicherten die Renten zu entziehen, nicht ausmachen. Die Träger antizipierten vielmehr den Willen des Regimes und reagierten auf die politischen Entwicklungen, anstatt in der Rentenversicherung die Initiative zu ergreifen. Für das Ministerium und die Träger kam es bis 1940/41 nicht in Betracht, jüdischen Versicherten, die teilweise jahrzehntelang Anwartschaften aufgebaut hatten, die Leistungen zu entziehen, auf die sie ein Anrecht hatten. Die Angestelltenversicherung überwies in manchen Fällen beispielsweise noch im Jahre 1942 Renten an jüdische Versicher-

mögens, 29.1.1942, DRV RfA-Archiv, Aktenordner »Nr.168«. Neuerdings auch Alfred C. Mierzejewski: A History of the German Public Pension System. Continuity amid Change, Lanham u.a. 2016, S.135-142. 57 Schlegel-Voß (Anm.7), S.102; Hans-Jörg Bonz: Geplant, aber nicht in Kraft gesetzt. Das Sonderrecht für Juden und Zigeuner in der Sozialversicherung des nationalsozialistischen Deutschland, in: Zeitschrift für Sozialreform 38 (1992), S.148-164. 58 Kirchberger: Die Stellung der Juden (Anm.6), S.111-132.

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te im Protektorat Böhmen und Mähren (das bezüglich des Sozialversicherungsrechts als Inland galt).59 Die Situation, rechtlich nicht abgesicherte Verwaltungsmaßnahmen durchzuführen, wurde von den Trägern durchaus kontrovers erfahren. Dies jedoch weniger vor dem Hintergrund der Sorge, die Verbrechen des »Dritten Reiches« auf dem Feld der Rentenversicherung auszuführen, als vielmehr davor, der Situation einer wahrgenommenen Rechtsunsicherheit gegenüberzustehen, die die bisherige Verrechtlichung der Sozialversicherung konterkarierte. Die antisemitische Verwaltungspraxis der »vorsorglichen« Einstellung der Renten jüdischer Versicherter veranlasste die Träger dazu, beim Reichsarbeitsministerium die Ausarbeitung gesetzlicher Regelungen anzuregen. Das Ministerium, als oberste Behörde für die Ausgestaltung des Sozialversicherungsrechts zuständig, wurde in diesem Bereich erst aktiv, als die Träger, für die es bezüglich dieser Vorgänge in der Vergangenheit keinerlei Vorbilder gegeben hat, an die Hauptabteilung II herangetreten sind. Das wichtigste Instrument auf zentralstaatlicher Ebene, um die Rentenbezüge für Juden einzustellen, wurde allerdings nicht im Reichsarbeitsministerium, sondern im Reichsministerium des Innern vorbereitet. Mit der Elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25.  November 1941 verloren Juden »mit der Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts ins Ausland« die deutsche Staatsangehörigkeit.60 Dadurch wurde die Möglichkeit geschaffen, die Vermögenswerte derjenigen Juden, die das Reich verließen, zugunsten des Staates einzuziehen. Auch wenn die Verordnung die Rentenversicherung nicht explizit erwähnt, diente sie für das Reichsarbeitsministerium und die Träger als Hebel zum Entzug von Renten jüdischer Versicherter. Bereits im Vorfeld der Abfassung der Verordnung hat das Reichsministerium des Innern beim Reichsarbeitsminister angefragt, ob es den entsprechenden Paragrafen, der die Versorgungsansprüche von Juden regelte, auf die Sozialversicherung ausdehnen solle. Das Ministerium »habe darauf erwidert daß eine solche Vorschrift für die Renten der Sozialversicherung nicht zu erlassen sei, weil die Renten eines Ausländers beim Aufenthalt im Ausland ruhten und in der Sozialversicherung für diesen Fall keine Zahlung der ruhenden Beträge an Angehö59 Reichsversicherungsanstalt für Angestellte an Zentralamt für die Regelung der Judenfrage in Böhmen und Mähren, betr. Jüdische Rentner, 10.11.1942, DRV RfA-Archiv, Aktenordner »Nr.168«. 60 RGB l.I 1941, S.722-724, hier S.722.

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rige im Inland vorgesehen sei«.61 Das Reichsarbeitsministerium sah es als ausreichend an, wenn Juden die deutsche Staatsangehörigkeit verloren, da das Sozialversicherungsrecht den Rentenentzug ermöglichte, wenn sich der rentenberechtigte »Ausländer« (in diesem Fall jüdische Deutsche, denen die Staatsangehörigkeit durch die Deportation entzogen wurde) dauerhaft außerhalb des Reiches aufhielt. Diese Interpretation der Elften Verordnung des Reichsbürgergesetzes gab das Ministerium auch an die Träger weiter, die auf dieser Grundlage die Renten von deportierten Juden einfroren, und nun – für diesen Fall – den gewünschten Zustand der Rechtssicherheit besaßen.62 Damit beteiligte sich das Ministerium aktiv an der Diskriminierung jüdischer Versicherter, als es die Entrechtung von Juden sozialversicherungsrechtlich begleitete. Die bis dahin rechtlich mangelhafte Verwaltungspraxis, die Rentenentziehung von Juden, die ins Ausland deportiert worden waren, aufgrund der Reichsversicherungsordnung zu rechtfertigen, wurde durch die Elfte Reichsbürgerverordnung auf ein für die Träger solideres Fundament gegossen. Das komplizierte Rentenversicherungsrecht ließ jedoch schnell Zweifelsfragen aufkommen. Wie sollten die Träger vorgehen, wenn ihre jüdischen Rentenempfänger innerhalb des Reiches deportiert worden waren, etwa in das Lager Theresienstadt oder in das Ghetto Litzmannstadt (Łódź), die sozialversicherungsrechtlich als »Inland« galten? Wenn sich die deportieren jüdischen Rentenempfänger innerhalb der Reichsgrenzen befanden, gab es auch weiterhin keine gesetzliche Handhabe, den Rentenentzug durchzuführen. So vermerkte der Träger der Angestelltenversicherung: »Die nach dem Getto in Litzmannstadt abgeschobenen Juden fallen nicht unter die 11. V.O. zum Reichsbürgergesetz, weil Litzmannstadt zum Warthegau gehört und daher nicht Ausland ist. Wir haben aber auch diese Renten bis zur Entscheidung des R.A.M. vorläufig eingestellt«.63 Auch hier lässt sich das gleiche Muster erkennen wie bei den deportierten badischen Juden. Die Einstellung von Renten jüdischer Versicherter war nur unzureichend durch die rechtlichen Rahmenbedingungen gedeckt, »vor61 Reichsversicherungsanstalt für Angestellte, betr. Vermerk, 9.12.1941, DRV RfA-Archiv, Aktenordner »Nr.168«. 62 Reichsversicherungsanstalt für Angestellte, betr. Abteilungsverfügung, 29.12.1941, DRV RfA-Archiv, Aktenordner »Nr.168«. 63 Reichsversicherungsanstalt für Angestellte an Möller, Finanzamt Alsergrund, betr. Besteuerung der Juden, 31.3.1942, DRV RfA-Archiv, Aktenordner »Nr.167«.

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sorglich« stellten die Träger die Rente aber ein und warteten auf eine Entscheidung aus dem Reichsarbeitsministerium. Der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte war klar, dass das Ruhen der Rente von Juden, die sich innerhalb des Reichsgebietes befanden, nicht durch die Reichsversicherungsordnung gedeckt war. Betreffend der Rentenansprüche, die vor Inkrafttreten der Elften Verordnung des Reichsbürgergesetzes erworben wurden, oder der Ansprüche von Juden, die sich innerhalb des Reiches oder in unmittelbaren Grenzgebieten aufhielten, befand sie: »Wenn nur das Sozialversicherungsrecht angewandt würde, würden diese Renten nicht ruhen. Sie könnten zwar keinesfalls an den Rentner oder für ihn an eine andere Person gezahlt werden, da sie dann nach §3 der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz als Vermögen des Juden dem Reich verfallen und nach §7 dem Oberfinanzpräsidenten Berlin anzumelden wären. Herr Oberregierungsrat Dr. Bogs im Reichsarbeitsministerium hat mir dies fernmündlich bestätigt, aber erklärt, daß nach der 11. Verordnung und nach dem Erlaß vom 20. Dezember 1941 nicht beabsichtigt sei, daß in solchen Fällen die Renten an das Reich gezahlt würden, daß vielmehr der Anspruch auf die Renten schlechthin aufgehoben werden sollte«.64 Hier spielten nun die unterschiedlichen Regelungen zur Diskriminierung jüdischer Versicherter ineinander: Die Reichsversicherungsordnung sah das Ruhen der Renten in den von den Trägern durchgeführten Fällen dem Gesetzestext nach nicht vor. Rentenansprüche vor dem Inkrafttreten der Elften Verordnung zum Reichsbürgergesetz besaßen versicherungsrechtliche Gültigkeit. Erst nachdem jüdische Rentner durch die Elfte Verordnung zum Reichsbürgergesetz ihre Staatsangehörigkeit bei der Deportation verloren hatten, erkannte das Ministerium die rechtlichen Grundlagen für gegeben, die Renten an jüdische Versicherte nicht auszahlen zu lassen. Das Ziel des Ministeriums war es aber, dass diese Renten nicht dem Staat verfallen sollten, sondern von den Trägern eingestellt und nicht zur Auszahlung gelangen sollten. Das Ministerium bestätigte bei Nachfragen stets das Vorgehen der Träger, die Renten an Juden trotz fehlender Rechtslage einzustellen. Damit gaben sich die Träger zunächst zufrieden, fragten aber weiterhin in der Hauptabteilung II nach, wann die geplante Verordnung erscheinen werde. Ein einzelnes Dokument, datiert auf den 13.  März 1942, 64 Reichsversicherungsanstalt für Angestellte, handschriftlicher Vermerk, 19.1.1942, DRV RfA-Archiv, Aktenordner »Nr.168«.

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Walter Bogs (geb. 3.4.1899 in Bromberg, gest. 22.10.1991) absolvierte nach seinem Einsatz im Ersten Weltkrieg ein Jurastudium in Marburg und Berlin. 1922 wurde er in Marburg promoviert. Nach einer Tätigkeit beim Deutschen Gewerkschaftsbund war er von 1928 bis 1933 Richter am Berliner Arbeitsgericht, verantwortete die Sozialversicherung aber bereits durch seine nebenamtliche Tätigkeit im Reichsversicherungsamt mit. Ab 1939 war er im Reichsarbeitsministerium beschäftigt und leitete die Abteilung II b (Internationale Angelegenheiten). Dort ging er u. a. Fragen der Sozialversicherung in den besetzten Gebieten oder Sonderregelungen bezüglich ausländischer Arbeiter im Reich nach. Im Jahre 1944 kehrte er als Senatspräsident an das Reichsversicherungsamt zurück. Nach dem Zweiten Weltkrieg war er zunächst als Lehrbeauftragter für Sozialversicherung und Arbeitsrecht an der Universität Göttingen beschäftigt und von 1946 bis 1949 als Richter am Amts- und Landgericht. Seine Hochschulkarriere setzte er als ordentlicher Professor an der Hochschule für Arbeit, Politik und Wirtschaft in Wilhelmshaven fort, 1951 und 1952 als Rektor. Von 1954 bis 1967 arbeitete er als Senatspräsident im Kasseler Bundessozialgericht; von 1958 bis 1978 war er zudem Mitglied des Sozialbeirats der Bundesregierung. Literatur: Hans F. Zacher: Walter Bogs – 90 Jahre alt, in: Zeitschrift für ausländisches und internationales Arbeits- und Sozialrecht 3 (1989), S. 69-72.

veranschaulicht dies sehr treffend: Unter der Abschrift der Anfrage, wann mit der Verordnung aus dem Ministerium zu rechnen sei, waren unter der Überschrift »Wiedervorlage« die Datumsangaben »7.7.1942«, »11.1.1943«, »1.1.1944« und »7.7.1944« jeweils mit dem Wort »Fehlanzeige« versehen.65 Das Ministerium bestimmte lediglich die allgemeine, vom Sozialversicherungsrecht nicht gedeckte Empfehlung, Rentenzahlungen an jüdische Versicherte einzustellen, und sah keine Notwendigkeit, die von einzelnen Trägern geforderte Rechtssicherheit herzustellen. Die sozialversicherungsrechtlich gravierendsten Probleme ergaben sich, wenn die Träger die Rente für diejenigen Juden einstellen wollten, die eine andere als die deutsche Staatszugehörigkeit besessen hatten und in einem Land wohnhaft waren, mit dem das Deutsche Reich einen Gegenseitigkeitsvertrag ausgehandelt hatte. Dabei handelte es sich etwa um Frankreich, Italien oder im speziellen Falle Ungarn, welches mit Österreich bereits ein Gegenseitigkeitsabkommen besaß, 65 Rentenzahlung an Juden im Ausland, 13.3.1942, DRV RfA-Archiv, Aktenordner »Nr.168«.

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das das Deutsche Reich mit der Annexion Österreichs übernommen hatte. Dadurch waren beide Vertragsländer versicherungsrechtlich als ein Gebiet zu begreifen, damit Versicherte Anwartschaften auch im jeweiligen anderen Land aufbauen konnten. Die Ausarbeitung von Gegenseitigkeitsverträgen gehörte ebenfalls zum Aufgabenbereich der Hauptabteilung  II , weswegen es dem Ministerium nicht unbekannt sein konnte, dass diese Verträge die Versicherten nicht nach »Rassekriterien« einteilten. Da das Ministerium auch in diesen Fällen auf die Ausarbeitung von Richtlinien verzichtete, hatte ein Sachbearbeiter der Reichsversicherungsanstalt für Angestellte »fernmündlich bei dem Herrn Oberregierungsrat Dr. Bogs im Reichsarbeitsministerium angefragt, ob an ausländische Juden die Rente ins Ausland zu zahlen ist, wenn sie einem Staate angehören, mit dem durch Gegenseitigkeitsabkommen die gleiche Behandlung der beiderseitigen Staatsangehörigen vereinbart ist. Er meinte, daß solche Juden wohl wie deutsche Staatsangehörige behandelt werden müßten, da die Juden in den Gegenseitigkeitsabkommen nicht ausgenommen seien, und daß daher die Renten an solche Juden ins Ausland gezahlt werden müßten«.66 Zahlreiche Beschwerden von Anwälten, Verbänden und Vertretern von Juden, die nicht die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen und in einem Land lebten, mit dem das Ministerium einen Gegenseitigkeitsvertrag ausgehandelt hatte, zeugen allerdings von der Missachtung der Träger, diese internationalen Verträge einzuhalten. Das Reichsarbeitsministerium war sich in Einklang mit den Trägern des Vertragsbruchs bewusst, behielt aber den Standpunkt bei, dass ausländische Juden nicht bessergestellt werden dürften als deutsche Juden.67 Mit dieser »Begründung« bewies das Ministerium, dass es nicht nur kein Interesse an der Beseitigung bestehender Rechtsunsicherheiten besaß, sondern dass es die Diskriminierung jüdischer Versicherter über die Gültigkeit internationaler Verträge stellte, die es selbst federführend ausgearbeitet hatte. Ähnlich wie bei der Einbehaltung von Renten jüdischer Versicherter, die innerhalb des Reiches deportiert wurden, hatten die Trä66 Reichsversicherungsanstalt für Angestellte, betr. Vermerk, 18.12.1941, DRV RfA-Archiv, Aktenordner »Nr.168«. 67 Reichsversicherungsanstalt für Angestellte an Reichsarbeitsministerium, betr. Rentenzahlung an Juden im Ausland, 20.12.1941, DRV RfA-Archiv, Aktenordner »Nr.168«.

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ger auch bezüglich der Gegenseitigkeitsabkommen erfolglos um eine Verordnung gebeten, die den Rentenentzug auf ein »gesetzlich festeres Fundament« stellen sollte. Das Ministerium hat die antijüdischen, »vorsorglichen« Maßnahmen der Rentenversicherungsträger stets genehmigt. Die wiederholt erfolgten Anfragen der Träger, das Ministerium möge für klarere rechtliche Verhältnisse und genauere Anweisungen bezüglich der Verwaltungspraxis vor Ort sorgen, verliefen ins Leere: Das Ministerium hielt es nicht für notwendig, auf diesem Feld für klarere Rechtsverhältnisse zu sorgen. Auch wenn dies aus heutiger Sicht angesichts der Gewaltverbrechen des NS -Regimes vernachlässigbar erscheint, für die Rentenversicherungsträger war es aus verwaltungsrechtlicher Perspektive durchaus von Bedeutung, die Diskriminierung jüdischer Versicherter unter gesicherteren Rechtsverhältnissen durchführen zu können. So ergab sich die perfide Situation, dass die von den Rentenversicherungsträgern angeprangerten unklaren Rechtsverhältnisse zum Nachteil jüdischer Versicherter, gleich einer »stillen Übereinkunft« zwischen dem Reichsarbeitsministerium und den Trägern, ausgelegt wurden.

Fazit Die deutsche Sozialversicherung steht wie keine andere Institution für die Kontinuität des deutschen Sozialstaates. Tatsächlich haben auch die zwölf Jahre nationalsozialistischer Herrschaft dies nicht grundlegend geändert. Dennoch lassen sich konkrete Maßnahmen benennen, die von nationalsozialistischen Einflüssen zeugen. Neben der Diskriminierung von Juden und all denjenigen, die nicht zur »Volksgemeinschaft« zugehörig angesehen wurden, zählen dazu auch die stetigen Versuche des Reichsarbeitsministeriums, die Rentenversicherung aufgrund des massiven Arbeitskräftemangels zu instrumentalisieren, um scheinbar brachliegendes Arbeitskräftepotenzial dem Arbeitseinsatz zuführen zu können. Die vom Ministerium verfolgte Zielsetzung, die Rentenversicherung zugunsten des Arbeitseinsatzes umzudeuten, traf teilweise auf Widerstände der Träger, vor allem aus finanzpolitischen Gesichtspunkten. Hier spielten die etablierten Strukturen der Sozialversicherung, der hohe Grad der Verrechtlichung sowie die noch vorhandenen und durchaus verteidigten Reste einer autonomen Eigenständigkeit und Selbstverwaltung eine bedeutende Rolle. Das Ministerium war zur Durchsetzung seiner Zielsetzung auf die konkrete Mitarbeit der Träger

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angewiesen, was sich an den Entwicklungen infolge des »Kriegsgesetzes« ablesen lässt: Die Verwaltungspraxis zeigt, dass die Träger die für sie nachteiligen Forderungen des Ministeriums so lange ignorierten, bis die Rechtsgrundlage in Form des »Kriegsgesetzes« und der Verordnung vom November 1941 keine andere Auslegung als die vom Ministerium gewünschte zuließ. Dabei spielten die verschärften Aufsichtsbefugnisse eine entscheidende Rolle. Die Träger standen aber ebenfalls in hoher Abhängigkeit vom Ministerium, dies zeigt die Verwaltungspraxis bei der Diskriminierung jüdischer Versicherter. Aufseiten der Träger war ein hohes Bedürfnis gegeben, dass das Ministerium den unsicheren Rechtszustand bezüglich der Einstellung von Renten jüdischer Versicherter beseitigte. Die Passivität des Reichsarbeitsministeriums, diesbezüglich für klarere Rechtsverhältnisse zu sorgen, ist bemerkenswert. Es hat das Vorgehen der Träger, die Renten jüdischer Versicherter »vorsorglich« einzustellen, lediglich stets gebilligt und nicht bereits im Vorfeld durch Gesetze und Erlasse angeordnet. Die Beamten des Ministeriums machten es sich daher sehr einfach: Die Verantwortung für die Diskriminierung jüdischer Versicherter übertrug es auf die Träger vor Ort, die die Politik und die Maßnahmen des Regimes antizipierten und umsetzten, allerdings dann vergeblich auf die nachträgliche rechtliche Bestätigung durch das Ministerium warteten. Das gemeinsame Wirken des Ministeriums mit seinen nachgeordneten Behörden und den Rentenversicherungsträgern hat zu einer Durchdringung der Rentenversicherung mit nationalsozialistischen Zielsetzungen sowie einer auf die Bedürfnisse des Krieges abgestellten Sozialversicherungspolitik geführt. Dort, wo sich Widerstände formierten, wirkten die verstärkten Aufsichtsrechte des Ministeriums massiv ein, um die gewünschten Ergebnisse herzustellen. Die Diskriminierung jüdischer Versicherter wurde vor allem von den Rentenversicherungsträgern durchgeführt, die die Verwaltungspraxis und die Durchführung der Rentenversicherung vor Ort verantworteten. Deren vorauseilende antisemitische Verwaltungspraxis  – die offensichtlich den Intentionen des Regimes entsprach  – und die nachträgliche Bewilligung des Reichsarbeitsministeriums genügten für die vollständige Entrechtung jüdischer Rentenbezieher. Ein zentrales Gesetzeswerk zur Diskriminierung jüdischer Versicherter war unter diesen Umständen nicht notwendig.

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Arbeitsrecht im NS -Staat Die Treuhänder der Arbeit und die Kriminalisierung der Arbeitsvertragsbrüche

Sören Eden

Am 2. September 1941 schlug Wilfriede Rutschke ein neues Kapitel in ihrem Leben auf.1 Die 19-Jährige verließ ihre Familie in der oberschlesischen Provinz und zog nach Berlin. Endlich war es ihr erlaubt, ein eigenständiges Leben zu führen, fernab elterlicher Ratschläge und familiärer Verpflichtungen. Sie trat eine Stelle als Hausgehilfin bei Frau Mazej an und war dort nicht nur für die Erziehung und Versorgung der zwei- und sechsjährigen Kinder zuständig, sondern half auch in der von Frau Mazej geführten Kantine aus. Wilfriedes anfängliche Euphorie verwandelte sich jedoch schleichend in Enttäuschung und Resignation. Sie wurde nicht gut bezahlt und musste so viel arbeiten, dass sie von der schillernden Hauptstadt nur wenig sah. Außerdem erhielt sie meistens nur wässrige Kohlsuppe zu essen, die weder schmeckte, noch ausreichte, um ihren Hunger zu stillen. Als sie an Weihnachten 1942 ihre Eltern besuchte und bemerkte, wie schlecht es ihrer Mutter ging und wie schwer es dieser fiel, Wilfriedes Geschwister zu versorgen, entschied sie, nicht nach Berlin zurückzukehren. Ohne die Kündigung einzureichen und ohne Frau Mazej zu informieren, blieb sie bei ihrer Familie. Um etwas Geld hinzuzuverdienen und abends den Haushalt ihrer Familie führen zu können, suchte sie in der Umgebung eine neue Arbeitsstelle. Noch bevor sie fündig wurde, stand plötzlich ein Beauftragter des Reichstreuhänders der Arbeit vor der Haustür, um sie zu vernehmen. Was die damals Zwanzigjährige beging, wäre heute nichts weiter als ein Arbeitsvertragsbruch, weil sie die Kündigungsfrist missachtet hatte. In der NS -Zeit bedeutete dieses Vergehen jedoch mehr. Wilfriede Rutschke brach nämlich zugleich mit dem Kern der nationalsozialistischen Arbeitsordnung: der »Betriebsgemeinschaft«.2 1 Die folgende Darstellung beruht auf dem Urteil des Amtsgerichts Lichterfelde, betr. Strafsache gegen die Hausgehilfin Wilfriede Rutschke, 15.4.1943, Landesarchiv (LA rch) Berlin, A-Rep.341-02, Nr.17118. 2 Eine Studie über die »Betriebsgemeinschaft« entsteht derzeit an der Universität Bielefeld durch Torben Möbius: Arbeit für die »Volksgemeinschaft«. Arbeits-

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In Abkehr vom überbetrieblichen und kollektiven Modus der Tarifverhandlungen zwischen den Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden wurde die Regelung der Arbeitsbedingungen nach 1933 in die einzelnen Betriebe verlagert. »Betriebsführer« und deren »Gefolgschaften« sollten ein vertrauensvolles Verhältnis zueinander aufbauen, indem der eine dem anderen mit einem grundsätzlichen Verständnis für die jeweiligen Bedürfnisse und Handlungsnotwendigkeiten begegnete. Gegenseitige »Treue« und »Fürsorge« sollten die Säulen dieser Zusammenarbeit sein. Der Gegensatz von Kapital und Arbeit wurde nicht geleugnet, aber ihm wurde die Utopie entgegengesetzt, dass er im verständnisvollen Zusammenwirken in den kleinen sozialen Einheiten der Betriebe überwunden werden konnte. Die gemeinsame Form des ökonomischen Handelns sollte ermöglichen, dass sowohl die sozialen Bedürfnisse der einzelnen Arbeitnehmer als auch die wirtschaftliche Situation der jeweiligen Arbeitgeber berücksichtigt werden würden. Die zahllosen Arbeitskonflikte in der Weimarer Republik sollten damit beendet und der ersehnte »Arbeitsfrieden« hergestellt werden. Dem lag die Idee zu Grunde, das Versprechen einer holistischen »Volksgemeinschaft« in einem zentralen Bereich des gesellschaftlichen Lebens einzulösen. Wenn erst einmal der »Klassenkampf« beendet sein würde, dann wäre damit eine wichtige Voraussetzung geschaffen, um die gesellschaftliche Zerklüftung zu kitten – so die Intention des NS -Gesetzgebers.3 In diesem Sinne bildete die »Betriebsgemeinschaft« neben der Familie das Fundament der nationalsozialistischen »Volksgemeinschaft«. Ohnehin stand Arbeit nach 1933 unter anderen Vorzeichen als zuvor. Postuliert wurde, dass die individuelle Tätigkeit nicht mehr nur den Interessen des jeweiligen Arbeitnehmers oder des Betriebes unterlag, sondern ebenso denjenigen des gesamten Staats. Arbeit stand fortan im Dienste der »Volksgemeinschaft«.4 Deshalb bedeutete der Kontraktbruch von Wilfriede Rutschke eben mehr: Fälle wie ihrer

industrielle und soziale Beziehungen in der nationalsozialistischen »Betriebsgemeinschaft«, 1928-1945 (Arbeitstitel). 3 Vgl. Die Ordnung der nationalen Arbeit. Kommentar zu dem Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit und zu dem Gesetz zur Ordnung der Arbeit in öffentlichen Verwaltungen und Betrieben unter Berücksichtigung aller Durchführungsbestimmungen, bearb. v. Werner Mansfeld/Wolfgang Pohl, 2. Aufl., Berlin 1934, S.9f. 4 Marc Buggeln/Michael Wildt: Arbeit im Nationalsozialismus (Einleitung), in: dies. (Hg.): Arbeit im Nationalsozialismus, München 2014, S.IX -XXXVII , hier S.XV .

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wurden als Verstoß gegen die Prinzipien der »Betriebsgemeinschaft« und somit auch der »Volksgemeinschaft« gedeutet.5 Wie aber reagierte der NS -Staat auf diesen Konflikt? Die Herstellung der »Volksgemeinschaft« bedeutete schließlich eine der zentralen Verheißungen des Regimes. Es stand jedoch vor dem Problem, dass es 1933 keinen Zugriff auf das konkrete Arbeitsverhältnis besaß. Zu dem Zeitpunkt unterlagen Kontraktbrüche keiner strafrechtlichen, sondern einer zivilrechtlichen Behandlung. Der Grund hierfür lag in der Rechtsnatur des Arbeitsverhältnisses. Der liberalen Rechtstradition des 19. und 20. Jahrhunderts folgend fiel dieses in die Sphäre des Privatrechts. Der Staat hatte sich aus dem Arbeitsverhältnis zurückgezogen und die zuvor existierenden obrigkeitlichen Bindungen gelöst. Rechtlich entschieden über das Arbeitsverhältnis zudem nicht mehr Geburts-, Berufs- oder Sozialstand der Vertragspartner, sondern freie und gleiche Partner. Die Entscheidung, wer, wann, wo und zu welchen Bedingungen arbeitete, wurde eine exklusive Angelegenheit zwischen dem jeweiligen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Dem Staat verblieb demgegenüber seine Arbeitsgesetzgebung, die jedoch nur den Rahmen schuf, in dem sich die Arbeitsverträge bewegten. Weil der Arbeitsvertrag zwar rechtlich zwischen Gleichen abgeschlossen wurde, es sich in der sozialen Praxis aber um Ungleiche handelte, setzte das Arbeitsrecht in der Regel Mindest- und Schutzbedingungen, die diese Asymmetrie teilweise kompensieren sollten.6 Im Jahre 1942/43 lag hingegen eine andere Rechtslage vor. Gemäß der Anordnung des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz (GBA ) gegen Arbeitsvertragsbruch vom 20. Juli 1942 wurde Wilfriede Rutschke strafrechtlich verfolgt und zu einer mehrmonatigen Haftstrafe verurteilt. Diese Kriminalisierung von Arbeitsvertragsbrüchen ist beispielhaft für einen arbeitsrechtlichen Paradigmenwechsel, der sich zwischen 1933 und 1945 vollzog. Dass das Arbeitsverhältnis von der privatrechtlichen in die öffentlich-rechtliche Sphäre verschoben wurde, es also keine exklusive Angelegenheit mehr zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern war, sondern dass sich der Staat auf einmal Zugriffsrechte anmaßte, veränderte das Arbeitsrecht grundlegend. Dieser fundamentale Einschnitt erscheint erklärungsbedürftig. Warum 5 Vgl. u.a. Treuepflicht auf beiden Seiten, in: Der Angriff, 11.9.1936. 6 Vgl. den Überblick von Joachim Rückert: Vor §611. Regelungsprobleme und Lösungen seit Rom im Überblick, in: Historisch-kritischer Kommentar zum BGB , hg. v. Matthias Schmoeckel/Joachim Rückert/Reinhard Zimmermann, Bd.III : Schuldrecht. Besonderer Teil. 2 Teilbde., §§433-853, Red. Joachim Rückert/Frank L. Schäfer, Tübingen 2013, 1. Teilbd., S.700-822.

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und wie kam es zu der Anordnung des Generalbevollmächtigten, auf der das Urteil beruhte? Ausgehend von dieser Frage können nicht nur Einblicke in die Beschaffenheit der Arbeitsverhältnisse während der NS -Diktatur, sondern auch in die nationalsozialistische Herrschaftspraxis gewonnen werden. Schließlich legte bereits Ernst Fraenkels Analyse des »Doppelstaats« dar, dass selbst in der NS -Diktatur nicht auf das Recht als einem staatlichen Steuerungsinstrument verzichtet werden konnte.7 Gerade das Arbeitsrecht war und ist ein Medium, das Gesellschaften (mit)strukturiert. Wie aber entstand und wandelte sich das Arbeitsrecht unter den Bedingungen der nationalsozialistischen Diktatur? Wie versuchte das NS -Regime auf der Ebene des Arbeitsrechts seine Herrschaft durchzusetzen? Welche Rolle nahmen dabei das Reichsarbeitsministerium und die ihm nachgeordneten Treuhänder der Arbeit ein, in deren Aufgabenbereich die Ausgestaltung der Arbeitsbeziehungen fielen? Ausgehend von der These, dass das NS -Regime das Arbeitsrecht nicht schlicht von oben nach unten diktierte, wird dargelegt, dass das Arbeitsrecht das temporäre Ergebnis eines wechselseitigen Aushandlungs- und Aneignungsprozesses war.

Arbeitsvertragsbrüche – Ursachen und Folgen Arbeitsvertragsbrüche waren 1933 kein neues Phänomen, sondern so alt wie die Institution Arbeitsvertrag selbst.8 Die Gründe für Arbeitsvertragsbrüche sind vielfältig, in den meisten Fällen war und ist jedoch das Bedürfnis der Arbeitnehmer nach besseren Lebens-, Lohn- und Arbeitsbedingungen ursächlich. Deswegen wechselten insbesondere die mobilen, also die jungen und ungebundenen Arbeitskräfte ihre Stellen unter Bruch bestehender Verträge.9 Während der NS -Herrschaft koinzidierten einige Faktoren, die dieses Bedürfnis erhöhten und den Arbeitnehmern den unrechtmäßigen Arbeitsplatzwechsel erleichterten. So war das Lohnniveau gerade in den ersten Jahren des NS -Staates noch weitgehend von den überaus niedrigen Einkommen aus der Zeit der Weltwirtschaftskrise 1929-1932 7 Vgl. Ernst Fraenkel: Der Doppelstaat, 3. Aufl., Hamburg 2012. 8 Vgl. Thorsten Keiser: Vertragszwang und Vertragsfreiheit im Recht der Arbeit von der Frühen Neuzeit bis in die Moderne, Frankfurt am Main 2013. 9 Friedrich Syrup, Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, an Reichsarbeitsministerium, 19.7.1935, Bundesarchiv (BA rch) R3601/1852, Bl.76.

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geprägt und sicherte vielfach nicht einmal das Existenzminimum.10 Daneben trat ein strukturelles Problem: das System der Arbeitsbeziehungen selbst. Die Kehrseite des Konzepts der »Betriebsgemeinschaft« bestand in der weitgehenden Entmachtung der Arbeitnehmer.11 Offenbar unmittelbar auf Anweisungen von Adolf Hitler sowie durch den Einfluss von Robert Ley und teilweise gegen die Haltung der Mitarbeiter des Reichsarbeitsministeriums strukturierte die nationalsozialistische Reichsregierung die Arbeitsverfassung 1933/34 äußerst hierarchisch.12 Das »Führerprinzip« auf das Arbeitsleben übertragend, legte das am 20. Januar 1934 verabschiedete »Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit« (AOG ) die Entscheidungsrechte über die Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen innerhalb der Betriebe in die Hände der jeweiligen »Betriebsführer«.13 Außerdem besaßen die Arbeitgeber den grundlegenden Vorteil, dass sie ihr Handeln in den »Selbstverwaltungsorganen« wie den Wirtschaftsgruppen weiterhin aufeinander abstimmen konnten und ihre Interessen kollektiv zu äußern vermochten. Durch die gewaltsame Zerstörung der Gewerkschaften verloren die Arbeitnehmer hingegen weitgehend die Möglichkeit, ihre Bedürfnisse 10 Zur Lohnsituation vgl. Rüdiger Hachtmann: Industriearbeit im »Dritten Reich«. Untersuchungen zu den Lohn- und Arbeitsbedingungen in Deutschland 1933-1945, Göttingen 1989; Tilla Siegel: Leistung und Lohn in der nationalsozialistischen »Ordnung der Arbeit«, Opladen 1989. 11 Die NS -Arbeitsverfassung ist Gegenstand zahlreicher Untersuchungen, u.a. Andreas Kranig: Lockung und Zwang. Zur Arbeitsverfassung im Dritten Reich, Stuttgart 1983; Timothy  W. Mason: Sozialpolitik im Dritten Reich. Arbeiterklasse und Volksgemeinschaft, Opladen 1977; in jüngerer Zeit Martin Becker: Arbeitsvertrag und Arbeitsverhältnis während der Weimarer Republik und in der Zeit des Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 2005. 12 Vgl. Werner Mansfeld, betr. Lebenslauf und politische Betätigung, 1947, Bundesbeauftragte(r) für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR , MfS BV Halle, Ast 7473, Bl.13-55; Entnazifizierungskommission für Juristen (Abteilung für Personal und Verwaltung beim Magistrat von Groß-Berlin), betr. Protokoll der Hauptverhandlung vom 23.  August 1949 in Sachen Werner Mansfeld, 23.8.1949, LA rch Berlin, B-Rep.031-01-02, Nr.2198. In meiner Dissertation werde ich ausführlicher auf die Genese des AOG eingehen; vgl. Timothy W. Mason: Zur Entstehung des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit, vom 20. Januar 1934: Ein Versuch über das Verhältnis »archaischer« und »moderner« Momente in der neuesten deutschen Geschichte, in: Hans Mommsen/Dietmar Petzina/Bernd Weisbrod (Hg.): Industrielles System und politische Entwicklung in der Weimarer Republik, Düsseldorf 1977, S.322-351. 13 Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20.1.1934, RGB l.I 1934, S.45-56.

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und Interessen kollektiv zu kommunizieren und durchzusetzen. In dieser Hinsicht konnte allenfalls die Deutsche Arbeitsfront (DAF ) einen gewissen Druck erzeugen. Weder war diese jedoch eine genuine Interessenvertretung der Arbeitnehmer,14 noch besaß sie relevante Entscheidungsbefugnisse. Die Entmachtung der Arbeitnehmer gründete aber nicht nur auf der massiven Einschränkung kollektiver Handlungsmöglichkeiten, sondern ebenso auf dem Verlust sämtlicher Entscheidungsrechte auf betrieblicher und überbetrieblicher Ebene sowie nicht zuletzt auf der Einschüchterung infolge der brutalen Verfolgung führender Mitglieder der Gewerkschaften und der Kommunistischen und Sozialdemokratischen Parteien. Damit fanden sich die Arbeitnehmer 1934 in einer Situation wieder, in der ihre Möglichkeit, die Arbeitsbedingungen zu verbessern – abseits der nur beratenden Vertrauensräte in den Betrieben und Sachverständigengremien der Treuhänder –, ausschließlich auf der individuellen Ebene lag. Der Kontraktbruch war ein solches, individuelles Mittel, um den persönlichen Lebensstandard durch einen vorzeitigen Arbeitsplatzwechsel zu verbessern. Diese Individualisierung der Verhandlungsmodi brachte die Position der Arbeitnehmer allerdings in große Abhängigkeit von ihrem Wert für den Betrieb. Dies gilt zwar auch für kollektive Tarifverhandlungen, jedoch verstärkt für individuelle Verhandlungen, weil das Ungleichgewicht zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern ohne Gewerkschaften weniger ausgeglichen werden kann. Deshalb situierte die jeweilige Arbeitsmarktlage die Lohnverhandlungen in der NS -Zeit in besonders hohem Maße. Entsprechend brachen Arbeitnehmer ihre Verträge häufig erst, wenn ihnen die Arbeitsmarktsituation so günstig erschien, dass sie zu besseren Konditionen in einem anderen Betrieb tätig werden konnten. Weil das Arbeitsordnungsgesetz den Arbeitnehmern die Durchsetzung besserer Arbeitsbedingungen erheblich erschwerte, begünstigte es Kontraktbrüche als spezifische Verhandlungsform der Arbeitnehmer. In der Landwirtschaft wurden als Erstes Vertragsbrüche als Problem wahrgenommen. Das war kein Zufall. Die Arbeitsbedingungen waren hier im Vergleich zu anderen Branchen besonders schlecht, sodass das 14 Rüdiger Hachtmann: »Volksgemeinschaftliche Dienstleister«? Anmerkungen zu Selbstverständnis und Funktion der Deutschen Arbeitsfront und der NS -Gemeinschaft »Kraft durch Freude«, in: Detlef Schmiechen-Ackermann (Hg.): »Volksgemeinschaft«: Mythos, wirkungsmächtige soziale Verheißung oder soziale Realität im »Dritten Reich«? Zwischenbilanz einer kontroversen Debatte, Paderborn u.a. 2012, S.111-131, hier S.120. Vgl. auch den Beitrag von Rüdiger Hachtmann in diesem Band.

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Bedürfnis nach einem Arbeitsplatzwechsel entsprechend ausgeprägt war.15 Hinzu kam das Spezifikum, dass die Arbeitsverträge im Agrarsektor häufig eine befristete Laufzeit von etwa einem Jahr besaßen – und zwar ohne die Möglichkeit zu kündigen. Die Landwirte wollten dadurch vermeiden, dass ihnen gerade in den arbeitsintensiven Zeiten der Aussaat und Ernte Arbeitskräfte fehlten. Die Mobilität der Arbeitnehmer wurde also normativ deutlich eingeschränkt, weil das Arbeitsverhältnis nur mit Ablauf des Arbeitsvertrags beendet werden konnte. Die Arbeitsmarktlage war dagegen für die Landarbeiter günstig, da im Agrarsektor bereits 1935 über »Leutemangel« geklagt wurde. Insofern fielen in dieser Branche schon zu Beginn der NS -Zeit gleich mehrere Faktoren zusammen, die Arbeitsvertragsbrüche begünstigten. Arbeitsvertragsbrüche sind nicht nur als eine spezifische Aneignung des Arbeitsordnungsgesetzes zu verstehen, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern, sondern ebenso als Symbol für die Unzufriedenheit mit den bestehenden Arbeitsverhältnissen. Die bisherige methodische Trennung von »exit« und »voice«,16 das heißt, der Möglichkeit seitens der Arbeitnehmer zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses auf der einen und der Äußerung von Bedürfnissen auf der anderen Seite, ist zwar sinnvoll, um den Grad der (Un-)Freiheit von Arbeitsverhältnissen zu analysieren. Die Trennung sollte jedoch nicht allzu dichotomisch betrachtet werden.17 Schließlich war der Kontraktbruch selbst eine überaus konfliktgeladene Form der Kommunikation. Selbst wenn 15 Beklagt wurden u.a. die Erschwernis von Familiengründungen, die häufig katastrophalen Wohnbedingungen, nicht selten auch der gewalttätige Umgang der Bauern, aber auch die langen Arbeitszeiten, die Schwere der Arbeit sowie die überaus schlechte Bezahlung. Vgl. Falk Wiesemann: Arbeitskonflikte in der Landwirtschaft während der NS -Zeit in Bayern 1933-1938, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 25 (1977), H.4, S.573-590, bes. S.577f.; ferner Daniela Münkel: Nationalsozialistische Agrarpolitik und Bauernalltag, Frankfurt am Main 1996, S.337-351; Gustavo Corni/Horst Gries: Brot  – Butter – Kanonen. Die Ernährungswirtschaft in Deutschland unter der Diktatur Hitlers, Berlin 1997, S.280-298, 433-468. 16 Vgl. Marc Buggeln: Unfreie Arbeit im Nationalsozialismus. Begrifflichkeiten und Vergleichsaspekte zu den Arbeitsbedingungen im Deutschen Reich und in den besetzten Gebieten, in: ders./Wildt (Hg.) (Anm.4), S.231-252; Mark Spoerer: Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im deutschen Reich und im besetzten Europa 1939-1945, Stuttgart 2001. 17 Albert O. Hirschman, an dessen frühe Arbeiten sich Buggeln und Spoerer methodisch anlehnen, plädiert später selbst für eine weniger scharfe Trennung; vgl. Albert  O. Hirschman: Exit, Voice, and the Fate of the German

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dies von den Arbeitnehmern gar nicht intendiert war, übermittelten gerade die Vertragsbrüche in eindrücklicher Weise eine Kritik an den bestehenden Arbeitsverhältnissen, da sie trotz aller Risiken das jeweilige Einverständnis mit diesen per Kontraktbruch zurückzogen und somit deren Ablehnung ausdrückten. In der Folge mussten sich sowohl die betroffenen Arbeitgeber als auch die staatlichen Stellen damit auseinandersetzen. Es ist also nicht so, dass Arbeitnehmer keine Möglichkeit besaßen, einen gewissen Druck zu erzeugen. Im Vergleich zu den Arbeitgebern konnten sie einen solchen jedoch ungleich schwerer entfalten. So transportierten Arbeitsvertragsbrüche zwar die ablehnende Haltung der einzelnen Arbeitnehmer gegenüber den jeweiligen Arbeitsbedingungen. Was die Kritik jedoch konkret beinhaltete, ob sie sich etwa gegen die Arbeitszeit oder die Löhne richtete, konnte allenfalls vor Gericht präzisiert werden, wenn es denn zu einem Prozess kam. Zudem war die Form des Protests zwar äußerst scharf, jedoch in der Arbeitnehmerschaft nicht aufeinander abgestimmt. Darüber hinaus war die Schwelle hoch, den Kontrakt zu brechen, da dies mit nicht zu unterschätzenden Kosten und Gefahren verbunden war. In erster Linie ist der brutale Terror des NS -Regimes zu nennen, der auch vor den Betrieben keinen Halt machte. Zudem kollidierte ein solches Handeln auch mit dem Arbeitsethos vieler Arbeitnehmer, die schon deshalb nicht ihre Verträge brachen. Die Arbeitnehmer, die sich trotzdem nicht an Kündigungsfristen hielten, waren dagegen einem hohen sozialen Druck ausgesetzt. Angesichts der immer wieder propagierten Arbeitssemantik, die Arbeit als Dienst an der »Volksgemeinschaft« postulierte, sowie der Stigmatisierung von Arbeitsvertragsbrüchen sollte dieser Faktor nicht unterschätzt werden. Denkbar ist auch, dass Kontraktbrüche teilweise von den Kollegen geächtet wurden. Schließlich waren es die »betriebstreuen« Arbeitskräfte, die zumindest für eine Übergangszeit den unplanmäßigen Ausfall einer Arbeitskraft auffangen mussten. Außerdem bedeutete die vorzeitige Auflösung des Arbeitsvertrags einen Bruch mit bestehendem Recht. Die Institution Arbeitsvertrag konnte nur stabil sein, wenn sich die Partner an ihre Bestimmungen hielten. Um das abzusichern, drohten für den gegenteiligen Fall zu Beginn der NS -Herrschaft zivilrechtliche Sanktionen. In der Praxis erwiesen sich die Konsequenzen allerdings als kaum der Rede wert. Das Rechtssystem bot auf der einen Seite kaum Anreize für ArbeitgeDemocratic Republic. An Essay in Conceptual History, in: World Politics 45 (1993), Nr.2, S.173-202.

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ber, Schadensersatzforderungen zu erheben, da die fälligen Summen entweder vergleichsweise gering waren oder aufgrund von Pfändbarkeitsgrenzen nicht vollstreckt werden konnten. Es war also zu bezweifeln, dass ein Unternehmer bereit war, den Aufwand für eine Klage zu betreiben. Auf der anderen Seite konnte das Rechtssystem kaum abschreckende Wirkung auf die Arbeitnehmer entfalten, weil diese davon ausgehen konnten, dass sie nicht belangt wurden oder dass die höheren Löhne auf der neuen Stelle die Entschädigungszahlungen kompensierten. Entsprechend konstatierte etwa der Reichsnährstand, dass die Rechtslage »kein wirksames Mittel«18 gegen die Arbeitsvertragsbrüche biete. Kontraktbrüche sind daher auch als eine spezifische Aneignung dieser gesetzlichen Lage durch die Arbeitnehmer zu verstehen, da sie deren Lücken aufspürten und ausnutzten. Daraus folgte jedoch ein gravierender Nachteil: Die Kontraktbrüche machten die Grenzen des Arbeitsordnungsgesetzes und des bestehenden Sanktionssystems sichtbar. Denn die Arbeitsvertragsbrüche wurden wahrgenommen – zu nachteilig wirkten sie sich für die Arbeitgeber aus. Erstens bedeutete der Verlust einer Arbeitskraft den unplanmäßigen Verlust eines Produktionsfaktors. Zweitens erschwerten Kontraktbrüche die Kalkulationssicherheit der Unternehmer. Drittens verschärften Arbeitsvertragsbrüche die Arbeitsmarktlage, weil die Frequenz der Stellenwechsel und damit die Fluktuation auf dem Arbeitsmarkt erhöht wurden. Viertens beschädigten Arbeitsvertragsbrüche die Solidarität zwischen den verschiedenen Arbeitgebern, denn oft warben Unternehmen die Arbeitskräfte von anderen Unternehmen mit höheren Lohnzahlungen ab. Dadurch verschlechterten sich zugleich die Positionen der jeweiligen Arbeitgeber in konkreten Lohnverhandlungen, da nicht mehr auf die gleichen Arbeitsbedingungen im benachbarten Betrieb verwiesen werden konnte. Fünftens übten Vertragsbrüche zusätzlichen Druck auf die Löhne aus, da Arbeitskräfte mit der Aussicht auf höhere Löhne leichter gehalten oder angeworben werden konnten.19 18 Reichsnährstand an Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft, 25.7.1935, BA rch R3601/1852, Bl.129-132. Nachdem die Reichstreuhänder das Recht erhielten, Ordnungsstrafen zu verhängen, wurde ihnen ebenfalls das Problem bewusst; vgl. Reichstreuhänder der Arbeit Niedersachsen an Reichsarbeitsministerium, betr. Verfolgung von Vertragsbrüchen und arbeitsvertragswidrigem Verhalten, 21.2.1940, NLA Hannover, Hann. 275, Nr.182, Bl.38-39. 19 Friedrich Syrup, Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, an Reichsarbeitsministerium, 19.7.1935, BA rch R3601/1852, Bl.76.

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Die Treuhänder der Arbeit im System der Arbeitsbeziehungen Zugleich blinkten Arbeitsvertragsbrüche auf dem Radar der Treuhänder der Arbeit auf, einer dem Reichsarbeitsministerium nachgeordneten Behörde, die per Gesetz am 19. Mai 1933 ins Leben gerufen wurde und durch das »Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit« vom 20. Januar 1934 ihren konkreten Tätigkeitsrahmen erhielt.20 Zuständig für jeweils eine Region waren die anfangs 13 Treuhänder als Schrittmacher der Arbeitsbeziehungen konzipiert. Diese TreuhänderBehörden sollten in ihrem jeweiligen Bezirk darüber wachen, dass die Verhandlungsprozesse über die Arbeitsbedingungen zwischen Arbeitnehmern und -gebern regelkonform verliefen, und hatten immer dann einzugreifen, wenn die Prozesse aus dem Takt gerieten, es zu Konflikten kam.21 Ihre Aufgabe war es, den sogenannten »Arbeitsfrieden« zu überwachen. Hierfür wurden sie mit zahlreichen Kompetenzen ausgestattet, mit deren Hilfe sie in nahezu allen Bereichen des Arbeitslebens auch gegen den Willen des jeweiligen Unternehmers intervenieren konnte.22 Unter anderem waren sie befugt, auf der überbetrieblichen Ebene die Arbeitsbedingungen durch Tarifordnungen vorzugeben. Außerdem konnten sie Richtlinien für die Gestaltung von Betriebsordnungen festlegen und so auch die konkreten betrieblichen Arbeitsbedingungen beeinflussen. Zudem waren sie damit betraut, betriebliche Konflikte verbindlich zu entscheiden. In einer Behörde wurden damit (Teil-)Kompetenzen der ehemaligen Tarifparteien und Schlichter, der Gewerbeaufsichten und der Arbeitsgerichte vereint. Die Treuhänder verfügten somit über ein kaum zu überschätzendes Regulierungspotenzial. Der Staat, so der Staatssekretär im Reichsarbeitsministerium Johannes Krohn, wolle sich durch die Treuhänder »die absolute Führung«23 im Arbeitsleben sichern. Über die Präsenz der Treuhänder entschied wesentlich, ob die Entwicklung der Arbeitsbeziehungen im Sinne der NS -Regierung verlief. Dass sich die Treuhänder-Behörden binnen weniger Jahre personell außergewöhnlich vergrößerten, spiegelt daher die Probleme im Bereich der Arbeitsbeziehungen wider. Bestanden die einzelnen Treuhänder20 Gesetz über die Treuhänder der Arbeit vom 19.5.1933, RGB l.I 1933, S.285, und Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20.1.1934, RGB l.I 1934, S.45-56. 21 Gustav Dudenhöffer: Der Treuhänder der Arbeit in seinem Einfluß auf die Wirtschaft, Pirmasens 1936, S.19. 22 Vgl. AOG §19, RGB l.I 1934, S.47. 23 Die Tagesfrage, in: Rheinisch-Westfälische Zeitung, 1.5.1935.

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Behörden 1933/34 noch lediglich aus dem Amtsträger, d.h. dem eigentlichen Treuhänder der Arbeit, sowie einer Handvoll von Mitarbeitern, vervielfachte sich der behördliche Unterbau in den folgenden Jahren. Beispielsweise zählte die westfälische Treuhänder-Behörde am 28. Juli 1938 111 Mitarbeiter.24 Die historische Einschätzung, der zufolge die Treuhänder aufgrund ihrer geringen personellen Ausstattung kaum handlungsfähig gewesen seien,25 bedarf folglich einer Revision. Den Mitarbeitern des Reichsarbeitsministeriums war durchaus bewusst, dass die neue Arbeitsverfassung von den Arbeitnehmern und Arbeitgebern erst noch internalisiert werden musste und dass es deshalb noch zu Arbeitskonflikten kommen würde.26 Besonders die weitgehende Entmachtung der Arbeitnehmer war hochgradig ambivalent. Sie erschwerte einerseits die Ausbildung einer kollektiven Kommunikation oder gar Protestbewegung, andererseits wurzelte aber in dieser Asymmetrie der Arbeitsbeziehungen zugleich erhebliches Konfliktpotenzial. Dieses musste daher durch systemstabilisierende Leistungen materieller (z.B. Löhne) wie immaterieller Art (z.B. wertschätzende Arbeitssemantik) kompensiert werden. Insofern hing die Stabilität des NS -Regimes nicht unwesentlich von dessen Arbeits- und Sozialpolitik ab, sodass dem Reichsarbeitsministerium und den ihm nachgeordneten Treuhändern der Arbeit eine wichtige Funktion zukam. Die rechtswidrigen Vertragsauflösungen lassen in diesem Kontext ein ambivalentes Urteil über die Funktionsfähigkeit des Systems der Arbeitsbeziehungen zu. Auf der einen Seite schien das Arbeitsordnungsgesetz seine Funktion insofern zu erfüllen, als sich Arbeitnehmer nicht zu überbetrieblichen Protesten vereinigten und Arbeitskonflikte insofern deutlich weniger scharf ausfochten als noch in der Weimarer Republik.27 Auf der anderen Seite war – wie eingangs skizziert – je24 Borchardt, Rechnungshof des Deutschen Reichs, an Rechnungshof des Deutschen Reichs, 7.8.1939, BA rch R2301/4830, Bl.262-265. Die Organisationsstruktur der Treuhänder ist ein thematischer Schwerpunkt meiner im Entstehen begriffenen Dissertation. 25 U.a. Matthias Frese: Betriebspolitik im »Dritten Reich«. Deutsche Arbeitsfront, Unternehmer und Staatsbürokratie in der westdeutschen Großindustrie 1933-1939, Paderborn 1991, S.231; Hachtmann: Industriearbeit im »Dritten Reich« (Anm.10), S.116-121. 26 Die Ordnung der nationalen Arbeit (Anm.3), S.8. 27 Das lag freilich nicht nur am AOG selbst, sondern lässt sich auch mit dem Terror des NS -Regimes erklären. Neben der Gewalt gegen Gewerkschaftsangehörige sowie Mitglieder der SPD und KPD ist auch die Überwachung der Betriebe durch die Gestapo zu nennen.

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Treuhänder der Arbeit Johannes Engel besucht die Glühlampen- und Röhrenfabrik Osram in der Ehrenbergstraße in Berlin, 1933. Foto: Max Ehlert

doch jeder einzelne Arbeitsvertragsbruch zugleich Signum für ein gravierendes Defizit des Gesetzes, weil die Vertragsbrüchigen eine Säule des Arbeitsordnungsgesetzes, nämlich die auf »Treue« und »Fürsorge« beruhende »Betriebsgemeinschaft«, beschädigten. Darüber hinaus bedeuteten Arbeitsvertragsbrüche, dass eine zentrale Institution der Arbeitsbeziehungen an Wirkmächtigkeit verlor: der Arbeitsvertrag selbst. Die Erosion der Geltung sowohl von Arbeitsverträgen als auch der »Betriebsgemeinschaft« setzte das Reichsarbeitsministerium und die nachgeordneten Treuhänder ebenso unter Zugzwang wie der Lohndruck, der von den Arbeitsvertragsbrüchen ausging. Die Treuhänder der Arbeit waren nämlich bereits 1933 damit beauftragt, das Lohnniveau stabil zu halten. Der nordmärkische Treuhänder Friedrich Völtzer berichtete jedoch im August 1935 über leicht ansteigende Löhne in der Landwirtschaft. Der Lohnanstieg wurde aber aus der Perspektive der Erwerbstätigen durch den rapiden Anstieg der Lebensmittelpreise seit 1934 konterkariert. Das führte nicht nur zu großer Unzufriedenheit bei einem Großteil der Arbeitnehmer, sondern steigerte auch das Bedürfnis nach höheren Löhnen, was die Spannungen zwischen den Arbeitneh-

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mern und den auf Lohnstagnation fixierten Arbeitgebern und Treuhändern verschärfte.28 Tatsächlich kam es in der Folge sogar zu einzelnen Streiks, und Adolf Hitler prophezeite gar »revolutionäre Zustände im Volk«29, sollten die Preise weiterhin so ansteigen, wodurch er erneut die Furcht äußerte, dass die nationalsozialistische Gewaltherrschaft durch eine Revolution der Arbeiter gestürzt werden könnte.30 Weil Arbeitsvertragsbrüche den Lohndruck erhöhten und darüber hinaus Grundpfeiler des Systems der Arbeitsbeziehungen beschädigten, mussten die Treuhänder Vertragsbrüche als besonderes Problem wahrnehmen. Dieser nicht zu unterschätzende Handlungsdruck, der durch die Unzufriedenheit in weiten Bevölkerungsteilen infolge der von der Preissteigerung hervorgerufenen Reallohnsenkung noch verschärft wurde, erklärt auch, weshalb sie zu der treibenden Kraft wurden, um Maßnahmen gegen Arbeitsvertragsbrüche zu initiieren.

Handlungsspielräume der Treuhänder der Arbeit Tatsächlich waren die Treuhänder prädestiniert, um den Arbeitsvertragsbrüchen wirksam zu begegnen. Sie konnten Tarifordnungen erlassen, die das Lohnniveau in den betroffenen Branchen hätten anheben und dadurch die Lohnkluft und somit den Anreiz des Stellenwechsels verkleinern können. Allerdings entschieden die Reichsminister in der Chefbesprechung über die Lohnpolitik am 2. Mai 1935, dass zugunsten der Wiederaufrüstung und Konjunktur branchenübergreifend am gegenwärtigen Lohnstand »mit der größtmöglichen Starrheit«31 festgehalten werden müsse. Dies übermittelte der Staatssekretär im Arbeitsministerium umgehend der Treuhänderverwaltung32 und engte damit die Handlungsspielräume der nachgeordneten Behörde erheblich ein. 28 Reichsarbeitsministerium, betr. Niederschrift über die Treuhänderbesprechung, 14.8.1935, BA rch R3101/10296, Bl.23-44. 29 Auszug einer Niederschrift über die Sitzung der Reichsminister über den Entwurf eines Gesetzes über Bestellung eines Reichskommissars für Preisüberwachung, 5.11.1934, BA rch R43 II /315a, Bl.31-32. 30 Zum sogenannten »November-Syndrom« vgl. Mason: Sozialpolitik im Dritten Reich (Anm.11), S.15-41. 31 Niederschrift der Chefbesprechung über Lohnpolitik, 2.5.1935, BA rch R43 II /541, Bl.87-90. 32 Johannes Krohn, Reichsarbeitsministerium, an die Treuhänder der Arbeit, 1.7.1935, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Stk 5364, 12038.

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Werner Mansfeld (geb. 12.12.1893 in Uchte, Kreis Stolzenau, gest. 10.2.1953 in Berlin) engagierte sich nach dem Studium der Rechtswissenschaften und seinem Einsatz im Ersten Weltkrieg als Kriegsfreiwilliger elf Jahre im »Stahlhelm«, u. a. als Ortsgruppenführer in Essen. Im Anschluss an seine Promotion und Tätigkeit als Gerichtsassessor arbeitete er seit 1924 in rechts- und sozialpolitischen Abteilungen des Zechenverbands, zu dessen Geschäftsführung er zählte. Dabei war er zwischenzeitig Mitglied im Vorstand der Ruhrknappschaft, Beisitzer verschiedener Senate des Reichsversicherungsamtes sowie einiger Organe der Reichsanstalt für Arbeitslosenversicherung und Arbeitsvermittlung. Seit 1926 gehörte er auch dem Rechtsausschuss des Reichsverbands der Deutschen Industrie sowie arbeits- und sozialpolitischen Ausschüssen der Vereinigung der Deutschen Arbeitgeber an. 1930 schloss er seine Habilitationsschrift ab. Kurz bevor er im Mai 1933 als Ministerialdirektor die Hauptabteilung III (Arbeitsrecht und Lohnpolitik) im Reichsarbeitsministerium übernahm, trat er der NSDAP bei. Zusätzlich war er seit 1936 zusammen mit Friedrich Syrup Leiter der Geschäftsstelle Arbeitseinsatz in der Behörde für den Vierjahresplan. Als Vorgänger des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz besaß er im Januar und Februar 1942 kurzzeitig die Vollmachten für den »Arbeitseinsatz«. Nach seiner Ablösung zog er sich als Vorstandsmitglied der Salzdetfurth AG aus dem politischen Leben zurück. Quellen und Literatur: Personalakte Werner Mansfeld, Bundesarchiv R 3901/20400-20402; Personalakte Werner Mansfeld, Bundesarchiv R 3001/67542; Sebastian Felz: Recht zwischen Wissenschaft und Politik. Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Universität Münster 1902 bis 1952, Münster 2016, S. 507.

Besonders die für Arbeitsrecht und Lohnpolitik zuständige Hauptabteilung  III des Reichsarbeitsministeriums gab jedoch das Handeln der Treuhänder vor. Leiter der Hauptabteilung war seit 1933 Werner Mansfeld. Der promovierte Jurist besaß nicht nur die notwendige theoretische arbeitsrechtliche Expertise, sondern war auch ein ausgewiesener Fachmann für die Ausgestaltung der Arbeitsbeziehungen in der Praxis. Er konnte zwar nicht auf eine Beamtenlaufbahn im Ministerium verweisen, kannte aber die Probleme des Interessenausgleichs zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aus nächste Nähe, da er vor 1933 unmittelbar in die entsprechenden Verhandlungen u.a. als Syndikus im Zechenverband involviert war. Von dieser wichtigen Position abgesehen, herrschte große personelle Kontinuität in der Hauptabteilung. Ministerialrat Kurt Classen beispielsweise durchlief die klassische Beamtenlaufbahn und war bereits seit 1920 im Reichsministerium tätig. Fielen zu Weimarer Zeiten die Schlichter in seinen

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Der promovierte Jurist Kurt Classen (geb. 28.2.1888, gest. 1962) war von 1920 bis 1945 in den Hauptabteilungen für Tarif- und Arbeitsrecht des Reichsarbeitsministeriums tätig, zuletzt als Ministerialrat. Seine Beförderung zum Ministerialdirigenten unterblieb 1942, weil er nicht der NSDAP beitrat. Seit 1933 war er Mitglied der SA -Reserve und seit 1934 förderndes Mitglied des Nationalsozialistischen Fliegerkorps. Im Entnazifizierungsverfahren als »Unbelasteter« (Kategorie V) eingestuft, war er nach dem Krieg im Zentralamt für Arbeit, der Verwaltung für Arbeit des Vereinigten Wirtschaftsgebiets sowie im Bundesministerium für Arbeit tätig. Unter anderem war er an der gesetzlichen Regelung der Betriebsverfassung beteiligt. 1953 erhielt er für seine Tätigkeit das Große Verdienstkreuz. Im gleichen Jahr schied er als Ministerialdirigent aus dem Staatsdienst aus. Quellen und Literatur: Personalakte Kurt Classen, Bundesarchiv R 3001/53521; Personalnachrichten, in: Dienstliche Mitteilungen Bundesministerium für Arbeit 36 (1953) 30.3.1953, S. 585; Ministerialdirigent a. D. Dr. Kurt Classen, in: Sozialer Fortschritt 10 (1961), S. 188.

Kompetenzbereich, leitete er nach 1933 das für die Treuhänder zuständige Referat 5.33 Das Reichsarbeitsministerium besaß die Dienstaufsicht über die Treuhänder, mittels derer es überwachte, dass diese seine Politik umsetzten und nicht außerhalb ihrer Befugnisse handelten. Dazu verfügte das Ministerium über Richtlinien- und Weisungsbefugnisse. Erstere waren Handlungsempfehlungen, deren Umsetzung das Ministerium erwartete. Rechtlich bindend waren demgegenüber nur die Weisungen, etwa in Form von Erlassen. Hinzu kamen personal- und finanzpolitische Befugnisse der Berliner Behörde. Wurden die Treuhänder anfangs noch formal auf Vorschlag der Landesministerien vom Reichskanzler ernannt, übergab das Arbeitsordnungsgesetz das Vorschlagsrecht dem Reichsarbeitsministerium. Zudem bezogen die Treuhänder ihre Bezüge aus dem Haushalt des Ministeriums. Nicht zuletzt stimmten sich Reichsarbeitsministerium und Treuhänderverwaltung im täglichen schriftlichen und mündlichen Kontakt sowie auf regelmäßigen Sitzungen miteinander ab. Die nachgeordnete Behörde befand sich somit in einer großen personellen, finanziellen und verwaltungsrechtlichen Abhängigkeit vom Reichsarbeitsministerium. Sie wurde »ganz in die Willenssphäre des Reiches einbezogen«.34

33 Zum Personal des Reichsarbeitsministeriums und der Beamtenausbildung vgl. die Beiträge von Ulrike Schulz und Lisa-Maria Röhling in diesem Band. 34 Lutz Richter: Treuhänder der Arbeit, München 1934, S.18.

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Offenbar sollte diese Einhegung dafür sorgen, dass der politische Wille der nationalsozialistischen Reichsregierung und des Reichsarbeitsministeriums durch die Treuhänder der Arbeit auf der betrieblichen und überbetrieblichen Ebene konsequent durchgesetzt wurde. Das war nicht nur das Ergebnis eines totalitären Staatsverständnisses,35 sondern auch den Erfahrungen aus dem Kaiserreich und der Weimarer Republik geschuldet. Angesichts der tiefgreifenden Krisen im Bereich der Arbeitsbeziehungen und deren politisch destabilisierenden Wirkungen wollte die Reichsregierung potenziell die größtmögliche Kontrolle über diesen Bereich erlangen. Das galt nicht nur in Bezug auf die Inhalte der Arbeitsgesetzgebung, sondern ebenso in sozialer Hinsicht: Die Treuhänder hatten auch die Funktion, die Einflusssphäre des Reichsarbeitsministeriums gegenüber anderen Akteuren wie beispielsweise der Deutschen Arbeitsfront zu sichern.36 Die Treuhänder waren aber nicht bloß ein ausführendes Organ des Reichsarbeitsministeriums. In der Praxis bestand gleichsam ein umgekehrtes, funktional begründetes Abhängigkeitsverhältnis.37 Es waren die Treuhänder, bei denen das Gros der Informationen über die soziale und wirtschaftliche Lage in den verschiedenen Regionen zusammenliefen, weil sie »Fühlung mit den von ihnen geführten Menschen und mit deren Bedürfnissen und Lebensverhältnissen«38 aufnahmen und deshalb hinsichtlich der arbeitsrechtlichen Praxis einen erheblichen Informationsvorsprung besaßen. Aus einer Fülle von Einzelfällen filterten und abstrahierten die Treuhänder ihre Beobachtungen und leiteten sie an das Ministerium weiter. Damit konnten sie das Handeln der Berliner Behörde vorstrukturieren, da das Ministerium durch diese Informationen Handlungsimpulse erfuhr, auf die es reagieren musste. In der nationalsozialistischen Diktatur war dies besonders wichtig, da durch die gewaltsame Auflösung der Gewerkschaften wichtige Informationsvermittler fehlten.39 Die Treuhänder waren aber nicht nur »Augen und Ohren«40 des Reichsarbeitsministeriums, sondern machten ebenso ihre Expertise 35 Ebd., S.61. 36 Johannes Krohn, Reichsarbeitsministerium, an Reichsfinanzministerium, 1.9.1937, BA rch R2/18488, Bl.139-143. 37 Auf Organisationen allgemein bezogen bezeichnete Stefan Kühl diese Einflussnahme »von unten« als »Unterwachung«; ders.: Organisationen. Eine sehr kurze Einführung, Wiesbaden 2011, S.81. 38 Richter (Anm.34), S.58. 39 Vgl. Hachtmann: Industriearbeit im »Dritten Reich« (Anm.10), S.31. 40 Richter (Anm.34), S.58.

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geltend. Regelmäßig übermittelten sie dem Ministerium Handlungsempfehlungen für normative Korrekturen in der Arbeitsgesetzgebung. Und wenn solche durchgeführt wurden, waren es wiederum die Treuhänder, die den (Miss-)Erfolg der jeweiligen Gesetze bewerteten und ihre Interpretation weiterleiteten. Die Informationen und Auslegungen der Treuhänder dienten dem Ministerium als wichtige Entscheidungsgrundlage für das eigene Handeln. Die Abstimmung zwischen den beiden Behörden verlief schließlich nicht nur von oben nach unten, sondern auch umgekehrt. Darüber hinaus dienten die Aussagen der Treuhänder dem Reichsarbeitsministerium in Verhandlungen mit anderen Organisationen als Legitimationsquelle. Teilweise nahmen die Treuhänder auch selbst an Sitzungen mit anderen Ministerien teil. Dabei erwies es sich als vorteilhaft, dass viele Treuhänder in ihren Regionen gut vernetzt waren. Gerade diejenigen, die auf langjährige NSDAP -Karrieren zurückblicken konnten, besaßen enge Kontakte zu den NSDAP -Gauleitungen. Dadurch gewann ihr Wort nochmals an Gewicht.41 Eine weitere Einflussmöglichkeit lag in der Ausübung ihrer Handlungsrechte und der damit verbundenen Auslegung der Arbeitsgesetze. Normen öffnen stets Interpretationsspielräume  – sei es, weil sie sich widersprechen oder weil sie Leerstellen aufweisen.42 Das Ausfüllen dieser Leerstellen mittels ihrer Befugnisse war nicht nur Aufgabe der Treuhänder, sondern zugleich eine ihrer Möglichkeiten, um die Arbeitsbeziehungen in ihrem Sinne unmittelbar auszuformen. »Die neue Arbeitsverfassung wird das sein, was der Treuhänder aus ihr zu machen versteht«,43 erkannte schon der Rechtswissenschaftler Hermann Dersch. Das Reichsarbeitsministerium konnte diese praktische Arbeit kaum leisten, weil es nicht über die ausreichenden personel41 Zur Bedeutung von Netzwerken in der nationalsozialistischen Herrschaft vgl. die im Entstehen begriffene Studie von Swantje Greve. Ferner Sven Reichardt/ Wolfgang Seibel: Radikalität und Stabilität. Herrschen und Verwalten im Nationalsozialismus, in: dies. (Hg.): Der prekäre Staat. Herrschen und Verwalten im Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 2011, S.7-27. 42 In diesen alltäglichen Auslegungen der Leerstellen liegt generell eine wesentliche Ursache für den schleichenden institutionellen Wandel; vgl. Britta Rehder: Institutioneller Wandel und neue Governance im System der Arbeitsbeziehungen, in: Irene Dingeldey/André Holtrup/Günter Warsewa (Hg.): Wandel der Governance der Erwerbsarbeit, Wiesbaden 2015, S.23-44; ferner Willibald Steinmetz: Begegnungen vor Gericht. Eine Sozial- und Kulturgeschichte des englischen Arbeitsrechts (1850-1925), München 2002, S.21. 43 Das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit, kommentiert von Hermann Dersch, Berlin 1934, S.125.

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len und logistischen Kapazitäten verfügte, um den betrieblichen und überbetrieblichen Problemen im Einzelnen nachzugehen. Weil aber das System der Arbeitsbeziehungen zwischen 1933 und 1945 autoritär ausgerichtet war, mussten die staatlichen Repräsentanten eine größere Reichweite haben als noch zu Weimarer Zeiten. Dieses funktionale Defizit glichen die Treuhänder der Arbeit für das Reichsarbeitsministerium aus. Wenn die Machtrelation zwischen der Berliner Behörde und den Treuhändern auch zugunsten des Ministeriums ausfiel, so darf der Handlungsspielraum der Treuhänder nicht unterschätzt werden. In Bezug auf das Problem der Arbeitsvertragsbrüche versuchten einige Treuhänder zu Beginn der NS -Herrschaft ihre tariflichen Kompetenzen zu nutzen, um die Kontraktbrüche durch ein positives Anreizsystem zu hemmen.44 Dem Vorgehen einiger Bauern, die Landarbeiter nur in den besonders arbeitsintensiven Zeiten wie etwa der Ernte zu beschäftigen, begegneten einige Treuhänder, indem sie die Mindestvertragslaufzeit in den Tarifordnungen verlängerten. Darüber hinaus versuchten einzelne Treuhänder, den Lohnstopp wenigstens partiell aufzuweichen, etwa durch die Einführung sogenannter »Treueprämien«.45 Neben diesen positiven Anreizen fügte etwa der schlesische Treuhänder allerdings auch Restriktionen in seine Tarifordnung ein. Er bestimmte, dass der »Betriebsführer« bis zu 20% des Barlohnes der 16- bis 21-jährigen »Gefolgschaftsmitglieder« einbehalten durfte und nur bei legaler Beendigung des Arbeitsverhältnisses auszahlen musste.46 Diese Maßnahmen lösten das eigentliche Problem freilich nicht. Die finanziellen Anreize blieben zu gering, um die Lohndifferenz zwischen alter und neuer Stelle auszugleichen.47 Die Verlängerungen der Vertragslaufzeiten wirkten eher abschreckend als integrierend, da sie den Wechsel des Arbeitsplatzes und somit eine wichtige Möglichkeit der Arbeitnehmer zur Verbesserung ihrer Arbeitsbedingungen einengten und eine Tätigkeit in der Landwirtschaft so noch weniger attraktiv machten. Die Geltung der Arbeitsverträge konnte angesichts 44 Zur Tarifpolitik vgl. meine im Entstehen begriffene Dissertation. 45 RAB l.VI (1936), S.131. Treueprämien waren Geld- oder Sachleistungen, die ausgezahlt wurden, wenn ein Arbeitnehmer eine bestimmte Mindestzeit in einem Betrieb arbeitete. 46 Aber maximal 32 RM bei männlichen bzw. 25 RM bei weiblichen Erwerbstätigen; vgl. Lohneinbehaltung gegen Bruch des Arbeitsvertrages, in: Schlesische Zeitung, 18.8.1936. 47 Hans Engel, Reichsarbeitsministerium, an Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft, 30.6.1936, BA rch R3601/1852, Bl.221-224.

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des hierarchischen Systems der Arbeitsbeziehungen und der restriktiven Lohnpolitik der Reichsregierung somit auch von den Treuhändern kaum erhöht werden. Dass das Reichsarbeitsministerium die Treuhänder mit widersprüchlichen Handlungsvorgaben versah – Wahrung des »Arbeitsfriedens« auf der einen und niedriges Lohnniveau auf der anderen Seite –, war für sie äußerst problematisch. Mit ihren bestehenden Kompetenzen konnten sie diese kaum in Einklang bringen. Die Diskussionen um die Arbeitsvertragsbrüche in der Landwirtschaft verschärften sich 1935. Die Agrarier betrieben über die sogenannten »Bauernschaften« und den ihnen übergeordneten Reichsnährstand Lobbyarbeit und waren häufig gut vernetzt.48 Zwar partizipierten sie nicht unmittelbar an der Normsetzung der nationalsozialistischen Reichsregierung, wohl aber konnten sie durch ihre ständigen Beschwerden Druck aufbauen und damit die staatlichen Akteure für ihre Sichtweise sensibilisieren. Mit ihren zahlreichen Beschwerden49 gelang es ihnen, nicht nur das Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft, sondern auch einige Reichsstatthalter und Arbeitsverwaltungen von ihrer Sicht zu überzeugen. Erheblich erleichtert wurde ihnen die Lobbyarbeit, weil eine partielle Interessenidentität zwischen den Landwirten und den staatlichen Akteuren herrschte. Wenn auch teils aus unterschiedlichen Motivlagen heraus, waren nicht nur die Unternehmer, sondern insbesondere das Reichsarbeitsministerium und die Treuhänder daran interessiert, dass die Arbeitsvertragsbrüche verhindert würden. Die Frage lautete jedoch, mit welchen Mitteln Arbeitsvertragsbrüche verhindert werden könnten. Während die Treuhänder versuchten, das Problem tarifpolitisch zu lösen, rückten die Landesbauernschaften Möglichkeiten zur Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit in den Mittelpunkt der Diskussionen. Insbesondere im Arbeitsbuch, das die Arbeitsämter allen Berufstätigen ausstellten, sah das Ressort für Ernährung und Landwirtschaft ein geeignetes Instrument. Dieses sollte ursprünglich als Informationsträger dienen, der das Wissen der Arbeitsverwaltung über den Arbeitsmarkt vergrößern und somit dessen Steuerung erleichtern sollte.50 Angetrieben von den Landesbauernschaften forderte 48 Und zwar obwohl auch Arbeitnehmer Mitglieder in ihnen waren; vgl. Corni/ Gries (Anm.15), S.250. 49 Aus Baden, Bayern, Kurmark, Schlesien, Schleswig-Holstein, Thüringen und Westfalen; vgl. die zahlreichen Berichte in BA rch R3601/1852. 50 Zum Faktor Wissen in Verwaltungen vgl. die im Entstehen begriffene Studie von Henry Marx. Ferner Michael C. Schneider: Wissensproduktion im Staat.

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das Landwirtschaftsressort zum einen, dass auf den Arbeitsbüchern vermerkt werden müsse, ob das Arbeitsverhältnis rechtmäßig beendet wurde, und zum anderen, dass eine neue Stelle nur unter Vorlage eines Arbeitsbuchs angetreten werden dürfe. Zum großen Unmut der Landwirtschaftsverbände sahen Ministerialdirektor Hans Engel und Ministerialrat Alexander Wende des Reichsarbeitsministeriums jedoch keinen Handlungsbedarf.51 Angesichts dessen richteten der Reichsnährstand und das Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft ihre Überlegungen neu aus. Auf einer Tagung der Landesbauernschaften in Goslar am 14. und 15. Januar 1936 wurden Maßnahmen diskutiert, um dem Vertragsbruch »ein für alle Mal einen Riegel vorzuschieben«. Mit »aller Eindringlichkeit« wurde nun die Einführung einer Strafnorm erwartet. Das »schädigende Verhalten muss aus der Sphäre der privatrechtlichen geldlichen Vergütung herausgehoben werden und zum Gegenstand der öffentlichen Verfolgung und der Sühne durch den Strafrichter gemacht werden.«52 Damit verlangten die landwirtschaftlichen Verbände eine Kriminalisierung der Vertragsbrüche und eine partielle Verschiebung des Arbeitsverhältnisses von der privatrechtlichen in die öffentlichrechtliche Sphäre. Ihrer Meinung nach sollte der Staat einen stärkeren Zugriff auf das konkrete Arbeitsverhältnis erhalten.

Tolerierte Selbstermächtigung Während sich auf Reichsebene die Ressorts für Landwirtschaft und Arbeit in Bezug auf die Mittel zur Verhinderung der Arbeitsvertragsbrüche uneins waren, zeichnete sich auf regionaler Ebene ein Konsens zwischen einigen Treuhändern und Landesbauernschaften ab. Letztere griffen auf der genannten Tagung einen Gedanken auf, den der brandenburgische Treuhänder, Leon Daeschner, bereits im September 1935 in die Öffentlichkeit getragen hatte. In einem Artikel, der nicht nur in seinen Amtlichen Mitteilungen erschien, sondern auch in der DAF Zeitung Der Angriff platziert wurde, stigmatisierte er die vertragsbrüchigen Arbeitnehmer als egoistisch, verantwortungslos und feige. So Das königlich preußische statistische Bureau 1860-1914, Frankfurt am Main 2013. 51 Hans Engel, Reichsarbeitsministerium, an Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft, 2.9.1935, BA rch R3601/1852, Bl.166. 52 Maßnahmen zur Verhinderung des Arbeitsvertragsbruches in der Landwirtschaft, 17.3.1936, BA rch R3601/1852, Bl.182-185.

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reiche es nicht aus, dass diese »von heute auf morgen«53 ihren Arbeitsplatz wechselten, sondern darüber hinaus würden sie auch noch Familienmitglieder zur Abholung der Arbeitspapiere vorschicken, »weil sie selbst nicht den Mut haben, ihrem Betriebsführer die ›Veränderung‹ mitzuteilen.« Zudem appellierte Daeschner an die Solidarität zwischen Arbeitnehmern, indem er erklärte, dass das Ignorieren der Kündigungsfristen nicht nur einen »Treuebruch« gegenüber dem jeweiligen Arbeitgeber, sondern gleichermaßen gegenüber »seinen Arbeitskameraden« bedeute. Neben diesen moralischen Vorwürfen markierte er den Vertragsbruch auch als Rechtsbruch. Dabei stützte er sich allerdings nicht auf die zivilrechtlichen Regelungen des Bürgerlichen Gesetzbuches und der Gewerbeordnung. Vielmehr deutete er vertragsbrüchiges Handeln als einen »schweren Verstoß gegen den im heutigen sozialen Recht vorherrschenden Grundsatz der Gefolgstreue«. Nach §§22 und 36 des Arbeitsordnungsgesetzes konnte wiederholt vorsätzliches bzw. hartnäckiges Zuwiderhandeln gegen Anordnungen der Treuhänder gerichtlich geahndet werden. Die empfohlenen Sanktionen reichten von einer Verwarnung bis hin zu mehrjährigen Gefängnisstrafen. Zwar beließ es Leon Daeschner zunächst bei seiner Drohung, er bereitete damit allerdings den Boden für eine Entwicklung, an deren Ende ein arbeitsrechtlicher Paradigmenwechsel stand. Denn durch seine Veröffentlichung gelangte seine Auslegung des Arbeitsordnungsgesetzes in die Diskussionen über die Verhinderung von Arbeitsvertragsbrüchen und gab ihnen eine neue Richtung. Besonders für die Bauernverbände und das Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft bildete die Interpretation Daeschners einen wichtigen Impuls.54 Die Initiative stieß bei beiden Akteuren auf Zustimmung, sodass die Vorschläge an das Ressort für Arbeit weitergeleitet wurden.55 Kurz darauf setzte der Treuhänder für Ostpreußen, Hans Schreiber, die Interpretation Daeschners in die Tat um. Auf seinen Antrag hin wurde am 2. April 1936 ein Melker vom Sozialen Ehrengericht56 ge53 Die folgenden Zitate aus: Gegen Treuebruch von Gefolgschaftsmitgliedern, in: Der Angriff, 7.9.1935. 54 Da Daeschners Artikel in den Akten des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft abgelegt wurde, ist seine Rezeption nachgewiesen; BA rch R3601/1852, Bl.160. 55 Reichsnährstand an Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft, 17.3.1936, BA rch R3601/1852, Bl.182-185. 56 Soziale Ehrengerichte waren 1934 eingeführte Gerichte, die perspektivisch die Arbeitsgerichte ersetzen sollten. Auch sie befassten sich mit betrieblichen Konflikten, allerdings einzig Verstöße gegen die sogenannte »soziale Ehre«.

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mäß §36 Arbeitsordnungsgesetz verwarnt, weil er die Kündigungsfristen nicht eingehalten hatte, auf die ihn der Treuhänder nach Vertragsbruch nochmals schriftlich hingewiesen hatte. Ebenso wenig folgte er der Anweisung, zum Betrieb zurückzukehren. Das legte das Gericht als Zuwiderhandlung gegen die Anordnung der Behörde aus.57 Damit wurden Arbeitsvertragsbrüche zwar nicht unmittelbar, wohl aber mittelbar sanktioniert. Die Auslegung der ostpreußischen und brandenburgischen Treuhänder war äußerst fragwürdig. Es war sowohl unklar, ob Hans Schreibers Verfahrenseinleitung eine Überschreitung seiner Befugnisse bedeutete, als auch, ob dieser Einbruch in die Privatautonomie des Arbeitsverhältnisses legitim war. So reagierte das Reichsarbeitsministerium äußerst distanziert auf den Beschluss des Sozialen Ehrengerichts. Hans Engel hatte bereits im Anschluss an die Tagung der Landesbauernschaften in Goslar seine Zweifel über die Rechtmäßigkeit der dort diskutierten Nutzung der §§22 und 36 des Arbeitsordnungsgesetzes geäußert.58 Dass der ostpreußische Treuhänder nun tatsächlich ein Verfahren vor dem Sozialen Ehrengericht eingeleitet hatte, musste das Reichsarbeitsministerium zudem brüskieren, weil es über das Vorgehen offenbar erst vom mitteldeutschen Treuhänder unterrichtet und somit vor vollendete Tatsachen gestellt worden war. Zwar hatte der ostpreußische Treuhänder gegen keine Weisung verstoßen, aber sein Handeln in einer entscheidenden Angelegenheit nicht vorher mit dem Ministerium abgesprochen. Entsprechend strafte das Reichsarbeitsministerium den Treuhänder ab, indem es ihn nicht nur direkt, sondern auch vor dem Landwirtschaftsressort kritisierte. Es bezweifelte, dass die Treuhänder befugt waren, Anordnungen zu erlassen, in denen sie die Rückkehr der Kontraktbrüchigen zum Betrieb bestimmten. Zudem übe der Beschluss einen Zwang zur Dienstleistung aus, der nach §888 der Zivilprozessordnung ausgeschlossen sei.59 Ebenso erwähnenswert ist das, was das Reichsarbeitsministerium nicht kritisierte. Dass der ostpreußische Treuhänder kurzerhand §36 des »Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit« einer Neuinterpretation unterzog, erwähnte das Ministerium nicht. So lag die Funktion des bemühten Paragrafen nicht in der Bestrafung von Arbeitsvertrags57 Beschluß in dem Ehrengerichtsverfahren gegen den Melker K.A., 2.4.1936, BArch R3601/1852, Bl.223-224. 58 Hans Engel, Reichsarbeitsministerium, an Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft, 30.6.1936, BA rch R3601/1852, Bl.221-224. 59 Reichsarbeitsministerium an die Treuhänder der Arbeit, 29.6.1936, BA rch R3601/1852, Bl.227.

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brüchen, sondern vielmehr sollte er  – ebenso wie §22  – die Durchsetzungsfähigkeit der Treuhänder schützen.60 Ebenso wenig hatte das Ministerium bemängelt, dass der Treuhänder das Arbeitsverhältnis teilweise seiner privatrechtlichen Prägung beraubte. Wichtiger war der Berliner Behörde offenbar, dass die Treuhänder innerhalb ihrer rechtlichen Grenzen handelten und dass sie sich stets mit dem Ministerium absprachen. Sollten sich die Treuhänder häufiger so eigenmächtig zeigen, würde dies die Handlungsfähigkeit des Reichsarbeitsministeriums auf dem Gebiet des Arbeitsrechts deutlich einschränken. Inhaltlich waren die Bedenken des Ministeriums dagegen teilweise weniger ausgeprägt. Zwar begegnete Hans Engel kurz nach dem Ehrengerichtsverfahren einem Gesetzesentwurf des Reichsministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, der auf eine unmittelbare Kriminalisierung der Arbeitsvertragsbrüche hinauslief, noch mit »stärksten Bedenken«,61 parallel dazu führte das Reichsarbeitsministerium aber Verhandlungen unter anderem mit den Ressorts für Justiz und Wirtschaft über eine Aufnahme des Kontraktbruchs in das Strafgesetzbuch.62 Es kann angenommen werden, dass die Mitarbeiter des Reichsarbeitsministeriums in einer unmittelbaren Kriminalisierung einen so scharfen arbeitsrechtlichen Einschnitt sahen, dass es ihnen angebracht erschien, ihn in einer großen Reform einzubetten. Diese verschiedenen Perspektiven auf das Vorgehen des Treuhänders legen nahe, dass ganz unterschiedliche Verständnisse von Recht herrschten. Dabei zeigt sich, dass die individuelle Sozialisation nicht der einzige, aber ein wichtiger Faktor für die verschiedenen Auslegungen des Arbeitsrechts war. Für die Mitarbeiter des Reichsarbeitsministeriums war das Recht das wichtigste Instrument zur Steuerung und Durchsetzung ihres politischen Willens, weshalb dessen Einhaltung für sie von zentraler Bedeutung war. Wollten sie nicht ihre Glaubwürdigkeit verspielen und das Recht selbst beschädigen, musste das Ministerium darauf achten, dass seine Mitarbeiter selbst nicht gegen Normen verstießen. So erklärt sich auch, warum sie das eigenmächtige Handeln des ostpreußischen Treuhänders vor allem auf der formalen Ebene der Zuständigkeit kritisierten. Darüber hinaus waren angesichts der hohen personellen Kontinuität über die Zäsur 1933 hinweg viele Mitarbeiter 60 Hermann Lippert: Der Treuhänder der Arbeit, seine Stellung und seine Aufgaben, Erlangen 1935, S.27-31. 61 Hans Engel, Reichsarbeitsministerium, an Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft, 30.6.1936, BA rch R3601/1852, Bl.221-224. 62 Vgl. den Zwischenbericht von Grau: Die arbeitsrechtlichen Vorschriften im kommenden Strafrecht, in: Deutsches Arbeitsrecht 5 (1937), S.65-72.

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der Hauptabteilung III noch gewohnt, arbeitsrechtliche Fragen in den Kategorien von Vertrags-, Unternehmer- und Berufsfreiheit zu betrachten. Eine unmittelbare Kriminalisierung der Arbeitsvertragsbrüche hätte nicht nur weite Teile der Bevölkerung verstimmen können, sondern rüttelte auch an zentralen Prinzipien des Arbeitsrechts. Sich davon abzuwenden, fiel manchen Mitarbeitern der Hauptabteilung III vermutlich nicht leicht. Die indifferente Haltung des Ministeriums gegenüber der Frage nach dem staatlichen Einbruch in die Privatautonomie des Arbeitsverhältnisses erklärt sich auch hieraus. Demgegenüber war Hans Schreiber anders sozialisiert.63 Er hatte keine Verwaltungslaufbahn beschritten, sondern sich mit 18 Jahren freiwillig für den Einsatz im Ersten Weltkrieg gemeldet und anschließend als Siedler und Landwirt gearbeitet, ehe er seine Gesellen- und Meisterprüfungen im Bootsbau ablegte. Bereits 1920 trat er dem Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund bei und machte seit 1930 in der NSDAP Karriere. Er betätigte sich als Ortsgruppen-, Kreisleiter und Gauredner sowie als Fraktionsführer der NSDAP in zwei Sessionen der Ostpreußischen Landwirtschaftskammer und des Provinziallandtags. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass für ihn Gesetze eine deutlich geringere Autorität ausstrahlten als für die Ministeriumsmitarbeiter. Vielmehr lässt seine Auslegung des Arbeitsordnungsgesetzes vermuten, dass er Gesetze eher als flexibel instrumentalisierbare Handlungsgrundlage betrachtete. Für ihn war der Nutzen wichtig, den er aus dem Gesetz ziehen konnte, weniger war er an der Einhaltung der ursprünglich intendierten Funktion der jeweiligen Paragrafen interessiert. Anders als Hans Schreiber sah Karl Heinrich Wiesel, ebenfalls Treuhänder der Arbeit, die Einleitung des Verfahrens äußerst kritisch. Wie die meisten Mitarbeiter des Reichsarbeitsministeriums konnte auch er als promovierter Jurist auf eine lange Verwaltungstätigkeit zurückblicken. Im Oktober 1921 trat er dem thüringischen Staatsdienst bei, wo er zunächst im Fürsorgewesen und später in der Abteilung Arbeit des Wirtschaftsministeriums tätig war – ehe er ins Schlichtungswesen wechselte und 1933 Treuhänder der Arbeit wurde.64 Diese Gegenüberstellung weist auf den großen Einfluss sowohl der einzelnen Biografien als auch der Sozialisation in Organisationen65 für 63 Vgl. Das deutsche Führerlexikon, Berlin 1934, S.435. 64 Vgl. Ernennung der Treuhänder der Arbeit, in: Wolffs Telegraphisches Bureau, 15.6.1933 (Nachtausgabe). 65 Den Einfluss von Organisationen auf das Handeln ihrer Mitglieder hat Stefan Kühl am Beispiel der Verstrickungen des Hamburger Polizeibataillons 101 in

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die konkrete Rechtsaneignung hin. Das ist hervorzuheben, weil die jeweilige Aneignung des bestehenden Rechts dieses selbst veränderte und neu generierte. So ist es wohl kein Zufall, dass Schreiber das Soziale Ehrengericht nach §36 und nicht das ordentliche Gericht nach §22 eingeschaltet hatte. Weil ihm vor Ersterem die Funktion des Staatsanwalts zukam und die beiden Laienbeisitzer auf Vorschlag der Deutschen Arbeitsfront ernannt wurden, war die Wahrscheinlichkeit größer, dass die Akteure weniger im Sinne der liberalen Rechtstradition handelten, sondern auf ein Urteil gemäß dem neuen Verständnis von Arbeit drängten. Im Ergebnis führte die hoch umstrittene Deutung des Arbeitsordnungsgesetzes dazu, dass Arbeitnehmer bei Vertragsbrüchen neue Sanktionen zu befürchten hatten und dass das Arbeitsverhältnis mittelbar in die öffentlich-rechtliche Sphäre verschoben wurde. Die Grenzen des Sag- und Machbaren wurden damit verschoben. Trotz der Kritik des Reichsarbeitsministeriums, der gravierenden Folgen für das Arbeitsrecht und die Organisation der Treuhänder selbst, schlossen sich im Laufe des Jahres 1936 immer mehr Treuhänder dieser Praxis.66 Auch wenn davon ausgegangen werden kann, dass diese Praxis Mitte der 1930er-Jahre eher die Ausnahme als die Regel bildete, wurde eine neue Rechtslage geschaffen, die den Grundstein für die weitere Entwicklung legte.

Kriminalisierung des Arbeitsvertragsbruchs Auch das Problembewusstsein der Mitarbeiter des Reichsarbeitsministeriums verschob sich zusehends. Hatten sie bis Anfang 1936 noch konsequent die vehementen Forderungen nach einer Beschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit verhindert, führten sie am 22. Dezember 1936 über die Vierjahresplanbehörde genau eine solche Regelung ein. Die Anordnung zur Durchführung des Vierjahresplans über die Verhinderung rechtswidriger Lösungen von Arbeitsverhältnissen bestimmte, dass die Arbeitgeber in der Eisen- und Metallwirtschaft, im Baugewerbe, der Ziegelindustrie und in der Landwirtschaft die Arbeitsbücher ihrer jeweiligen Arbeitnehmer bis zum Ende der Künden Holocaust sichtbar gemacht; vgl. Stefan Kühl: Ganz normale Organisationen. Zur Soziologie des Holocaust, Berlin 2014. 66 Schnuhr: Vertragsbruch in der Landwirtschaft wird bestraft, in: Amtliche Mitteilungen des Treuhänders der Arbeit für das Wirtschaftsgebiet Schlesien, 2 (1936), Nr.26, S.287.

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digungsfrist einbehalten durften.67 Weil eine neue Stelle jedoch nur unter Vorlage des Arbeitsbuches angenommen werden durfte, erhoffte sich Werner Mansfeld, den Vertragsbruch entsprechend unattraktiv zu machen.68 Zwei Jahre später gestand Ministerialrat Otto Kalckbrenner jedoch öffentlich ein, dass die »erwartete Auswirkung […] nicht in vollem Maße«69 eingetreten sei. Die Regelung hielt offenbar weder Arbeitnehmer davon ab, die Kündigungsfristen zu brechen, noch die aufnehmenden Arbeitgeber, das Datum des Arbeitsbeginns auf dem Arbeitsbuch falsch anzugeben. Außerdem arbeitete das Reichsarbeitsministerium an einer allgemeinen Reform des Arbeitsvertragsrechts, die jedoch nie zu einem Abschluss kam,70 und versuchte darüber hinaus in Verhandlungen über eine Reform des »Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit« die Sanktionsverfahren der Treuhänder zu vereinfachen. Geplant war nicht nur, dass die Treuhänder künftig Ordnungsstrafen aussprechen durften, sondern ebenso sollten Zuwiderhandlungen gegen sämtliche Anordnungen bestraft werden können. Da sich die verschiedenen Ressorts, die DAF und der Stellvertreter des Führers aber in anderen Bereichen der diskutierten Reform nicht einigen konnten, wurde das Vorhaben zurückgestellt. Dennoch: Dass Handlungsbedarf bestand, entsprach mittlerweile auch der Auffassung im Reichsarbeitsministerium. Ursächlich für den Sinneswandel dürfte gewesen sein, dass Kontraktbrüche inzwischen nicht mehr nur in der Landwirtschaft, sondern auch in anderen Branchen als Problem wahrgenommen wurden, etwa im für die Rüstungsindustrie elementaren Bergbau. 1938 standen allein im Bergbau des Ruhrgebiets 15667 Kündigungen der Bergarbeiter 5182 Kontraktbrü67 Siebte Anordnung zur Durchführung des Vierjahresplanes über die Verhinderung der rechtswidrigen Lösung von Arbeitsverhältnissen, in: RAB l.I (1937), S.13. 68 Werner Mansfeld, Behörde für den Vierjahresplan, an Neumann, Behörde für den Vierjahresplan, 14.12.1936, BA rch R3601/1852, Bl.295-298. 69 Otto Kalckbrenner: Die allgemeinen Anordnungen der Reichstreuhänder der Arbeit auf Grund der Lohngestaltungsverordnung, in: Deutsches Arbeitsrecht 6 (1938), S.305-308, Zitat S.307. 70 Enrico Iannone: Die Kodifizierung des Arbeitsvertragsrechts  – ein Jahrhundertprojekt ohne Erfolgsaussicht? Eine Untersuchung vorangegangener Bemühungen um ein Arbeitsvertragsgesetz und Analyse möglicher Erfolgsaussichten des Reformprojekts, Frankfurt am Main 2009, S.130-177; Karsten Linne: Das Scheitern des NS -Gesetzes über das Arbeitsverhältnis, in: Kritische Justiz 38 (2005), S.260-275.

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chen gegenüber.71 Das lässt darauf schließen, dass Kontraktbrüche nicht nur auf die soziale Lage und Vertragssituation in der Landwirtschaft zurückzuführen waren, sondern ebenso auf die eingangs geschilderten strukturellen Ursachen. Das dürfte das Problembewusstsein der Mitarbeiter des Reichsarbeitsministeriums deutlich sensibilisiert haben und schlug sich sogar in der Organisationsstruktur der Behörde nieder. Die Behandlung »arbeitsrechtlicher Strafbestimmungen« wurde erstmals im Geschäftsverteilungsplan von 1938 aufgenommen.72 Das Arbeitsministerium erhöhte nun den Druck und setzte in einer Besprechung in der Vierjahresplanbehörde am 13.  Januar 1938 eine deutliche Erweiterung der Treuhänder-Vollmachten durch. Das Vorhaben mündete in der Verordnung über die Lohngestaltung vom 25. Juni 1938, die zwar von Hermann Göring gezeichnet wurde, aber aus der Feder der Mitarbeiter der Hauptabteilung  III des Reichsarbeitsministeriums stammte.73 Diese Norm ermächtigte die inzwischen in Reichstreuhänder der Arbeit umbenannte Behörde, »die Lohn- und Arbeitsbedingungen zu überwachen und alle Maßnahmen zu treffen, die erforderlich sind, um eine Beeinträchtigung der Wehrhaftmachung und der Durchführung des Vierjahresplans durch die Entwicklung der Löhne und der sonstigen Arbeitsbedingungen zu verhindern.«74 In der Forschung wird diese Verordnung vor allem unter dem Aspekt des Lohnstopps beachtet, weil die Treuhänder nun nicht mehr nur Mindestlöhne per Tarifordnung festsetzen konnten, sondern auch Höchstlöhne. Übersehen wurde bisher, dass die Verordnung aus einer Generalklausel bestand, die den Handlungsrahmen der Treuhänder deutlich erweiterte. So beinhaltete die Formulierung »alle Maßnahmen« eine Ermächtigung, die zwar auf das Handlungsfeld der Lohnund Arbeitsbedingungen eingeschränkt wurde, dabei aber zugleich breiten Interpretationsspielraum ließ, weil unterschiedlich ausgelegt

71 Bezirksgruppe Steinkohlenbergbau Ruhr, betr. Abkehr von Bergarbeitern im Ruhrkohlenbergbau, Montanhistorisches Dokumentationszentrum, Bochum/Bergbau-Archiv, 13, 2225. Vgl. auch Hans-Christoph Seidel: Der Ruhrbergbau im Zweiten Weltkrieg. Zechen – Bergarbeiter – Zwangsarbeiter, Essen 2010, S.95. 72 Geschäftsplan des Reichs- und Preußischen Arbeitsministeriums, 1.3.1938, BA rch R40/363. 73 Reichsarbeitsministerium an Hermann Göring, Behörde für den Vierjahresplan, betr. Lohnstopp und Reichstreuhänder der Arbeit, 21.1.1938, BA rch R3901/20644, Bl.244. 74 Verordnung über die Lohngestaltung vom 25.6.1038, RGB l.I 1938, S.691.

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werden konnte, ob eine »Beeinträchtigung der Wehrhaftmachung und Durchführung des Vierjahresplans« vorlag. Erneut wusste der ostpreußische Treuhänder diese Leerstelle für sich auszunutzen. Für ihn fiel eine strafrechtliche Verfolgung von Arbeitsvertragsbrüchen unter »alle Maßnahmen«, und er sah sich im Oktober 1938 zu einer Anordnung zur Verhinderung von Arbeitsvertragsbrüchen ermächtigt, die das vorzeitige Lösen von Arbeitsverträgen unter unmittelbare Strafe stellte. Damit wurden Arbeitsvertragsbrüche endgültig zu einer öffentlich-rechtlichen Angelegenheit, wodurch der Treuhänder das bisherige Verfahren zugleich verschärfte und vereinfachte. In der Folge folgte ein Treuhänder nach dem anderen dieser Deutung, und erstmals stellte der thüringische Treuhänder auch die Verleitung zum Arbeitsvertragsbruch durch die aufnehmenden Arbeitgeber unter Strafe.75 Obwohl das privatrechtliche Fundament des Arbeitsverhältnisses bereits durch die unterschiedlichen Auslegungen des Arbeitsordnungsgesetzes und die Arbeitsbuch-Regelung erodierte, waren die Anordnungen dennoch überaus heikel. Das zeigt sich bereits daran, dass sich der thüringische Reichstreuhänder ausnahmsweise genötigt sah, die Anordnung mit einer längeren Begründung zu versehen. In seiner Wortwahl unverkennbar auf das Gesetz und die Lohngestaltungsverordnung verweisend, erklärte er, dass das Lösen von Arbeitsverhältnissen zwar eigentlich zivilrechtlichen Ansprüchen unterstehe, weil aber zum »Nutzen von Volk und Staat« gearbeitet werde und der Arbeitsvertragsbruch gerade angesichts des Arbeitskräftemangels eine Gefährdung des Vierjahresplans bedeute, habe sich der Kontraktbrüchige »vor der Volksgemeinschaft zu verantworten«.76 Basierend auf der Lohngestaltungsverordnung erweiterten die Treuhänder zudem in den nächsten Jahren die Definition des Arbeitsvertragsbruches erheblich. Auch die Verweigerung bestimmter Tätigkeiten, absichtlich langsames Arbeiten, unentschuldigtes Fehlen, Verspätungen oder Beschimpfungen gegen den »Betriebsführer« fielen zusehends unter diesen Tatbestand. Die Arbeitnehmer hatten zuvor Schlupflöcher in der Rechtslage entdeckt. Viele unterliefen die bisherigen Bestimmungen, indem sie den Betrieb zwar nicht mehr vor Ablauf der Kündigungsfristen verließen, stattdessen drosselten sie jedoch ihre 75 In der Praxis wurden Arbeitgeber jedoch so gut wie nie bestraft, da die Verleitung schwer nachgewiesen werden konnte. Zu den Anordnungen der beiden Treuhänder vgl. Kalckbrenner (Anm.69). 76 Anmerkungen zur Anordnung zur Verhinderung von Arbeitsvertragsbrüchen, in: Amtliche Mitteilungen des Treuhänders der Arbeit für das Wirtschaftsgebiet Thüringen (1938), Nr.21.

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Arbeitsleistung oder verhielten sich auf andere Weise konflikthaft, um eine Kündigung durch den Arbeitgeber zu provozieren.77 Daher wurde nicht mehr nur die sogenannte »Nicht-Erfüllung«, sondern auch die »Schlecht-Erfüllung« der Arbeitsverträge unter Strafe gestellt.78 Verhielt sich das Reichsarbeitsministerium 1935 noch distanziert und kommentierte im Sommer 1936 einen Entwurf des Ressorts für Ernährung und Landwirtschaft, der ebenfalls auf eine Kriminalisierung der Kontraktbrüche hinauslief, mit den Worten, dass dieser »überaus schwierige bürgerlich-rechtliche Fragen«79 hervorrufen werde, beeilte es sich zwei Jahre später, rechtliche Bedenken gegen das TreuhänderHandeln zu zerstreuen und die Auslegung der Lohngestaltungsverordnung zu institutionalisieren, das heißt konsensfähig zu machen. Beispielsweise dadurch, dass es die rechtliche Grundlage in den einschlägigen Rechtszeitschriften elaborierte.80 Die Unterstützung des Reichsarbeitsministeriums war auch notwendig, da zahlreiche Gerichte die Anträge der Treuhänder der Arbeit nicht bearbeiteten oder sie abwiesen. So ergab eine Auswertung von Werner Mansfeld auf Basis der Treuhänder-Berichte Ende Juli 1939, dass lediglich 18,52% der Strafanträge der Treuhänder in einem rechtskräftigen Urteil mündeten81 – eine desaströse Quote, die nichts anderes als die weitgehende Handlungsunfähigkeit der Reichstreuhänder in diesem Bereich bedeutete. Die Gründe, die hierzu führten, berührten vor allem die formale Rechtmäßigkeit der Reichstreuhänder-Anordnungen sowie das unterschiedliche Rechtsbewusstsein der jeweiligen Akteure. Der Linzer Generalstaatsanwalt etwa lehnte Anträge der Reichstreuhänder mit der Begründung ab, dass die Anordnungen der Treuhänder gegen Arbeitsvertragsbrüche sich »nur mit den Worten«, nicht aber »inhaltlich« auf die Lohngestaltungsverordnung stützen würden. Den Reichstreuhändern fehle es schlicht und ergreifend an der »erforderlichen gesetzlichen 77 Wolf, Reichstreuhänder der Arbeit Niedersachsen, an Reichsarbeitsministerium, 24.7.1939, Niedersächsisches Landesarchiv (NLA ) Hannover, Hann. 275, Nr.182, Bl.11-12. 78 Wilhelm Kimmich, Reichsarbeitsministerium, an alle Reichstreuhänder der Arbeit, betr. Bekämpfung der Arbeitsvertragsbrüche, 15.6.1940, BA rch NS 6/456, Bl.8-10. 79 Hans Engel, Reichsarbeitsministerium, an Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft, 30.6.1936, BA rch R3601/1852, Bl.221-224. 80 Vgl. u.a. Kalckbrenner (Anm.69). 81 Werner Mansfeld, Reichsarbeitsministerium, an die Reichstreuhänder der Arbeit, 27.7.1939, NLA Hannover, Hann. 275, Nr.191, Bl.62.

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Grundlage«.82 Das Landgericht in Eisenach entschied, dass sogar Urteile, die sich auf die entsprechenden Treuhänder-Anordnungen beriefen, rechtlich unzulässig seien.83 Es waren jedoch nicht nur rechtliche Argumente ausschlaggebend. Ebenso wurde die Schwere des Vergehens unterschiedlich bewertet. Herr Seitz von der Oberstaatsanwaltschaft in Hannover etwa kritisierte, dass viele Anträge Bagatellsachen behandelten und Strafen von lediglich 10 bis 30 Reichsmark nach sich ziehen würden. Die gerichtliche Verfolgung dieser Fälle stehe deshalb in keinem Verhältnis zu der »Unruhe in der Arbeiterschaft«,84 die dadurch erzeugt werde. Für die Reichstreuhänder hatte diese weitgehend ablehnende Haltung der Staatsanwälte und Richter dramatische Folgen, da ihre plötzliche Handlungsunfähigkeit sowohl das Vertrauen der Arbeitgeber in die Behörde als auch ihre Autorität beschädigte. So zürnte ein Unternehmer, als das Prozedere zur Bestrafung eines Vertragsbrüchigen bereits acht Wochen andauerte: »Ich kann es mir nicht leisten, monatelang auf Ihre Hilfe zu warten, umso weniger als dadurch Hunderte Arbeiter an den Baustellen der Hermann Göring-Werke zum Stehen kommen würden. Ich verzichte auf den Mann. Legen Sie den Akt ruhig beiseite. Ich kann Ihnen aber verraten, dass es unangenehm ist, sich von den Leuten ganz offen sagen lassen zu müssen, dass Ihre Anordnungen, die wir ihnen zur Kenntnis bringen, nur Bluff sind, und ihnen leider nicht mehr widersprechen oder ihre Ansicht widerlegen zu können.«85 Angesichts dieser Auswirkungen protestierten die betroffenen Reichstreuhänder wütend, und das Reichsarbeitsministerium wandte sich umgehend an das Reichsjustizministerium. Die Verhandlungen zwischen den Ressorts für Arbeit und Justiz sind nicht näher bekannt, aber offenbar zeigte sich das Justizministerium schnell verständig und wirkte entsprechend auf die Gerichte ein. Schon im Juli 1939 meinte ein Sachbearbeiter des niedersächsischen Reichstreuhänders, dass die Justizbehörden »bei der Bearbeitung von Vertragsbrüchen

82 Eypeltauer, Generalstaatsanwalt in Linz, an Reichsjustizministerium, 12.3.1941, BA rch R3001/22781, Bl.62. 83 Werner Mansfeld, Reichsarbeitsministerium, an Reichsjustizministerium, 9.7.1941, BA rch R3001/22781, Bl.98-99. 84 Reichstreuhänder der Arbeit Niedersachsen an Wolf, Reichstreuhänder der Arbeit Niedersachsen, 12.7.1939, NLA Hannover, Hann. 275, Nr.182, Bl.14. 85 Leopold Gamsjäger an den Reichstreuhänder der Arbeit Oberdonau, 3.3.1941, BA rch R3001/22781, Bl.62.

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[…] ihre bisherige Einstellung aufgegeben«86 hätten. Und Werner Mansfeld konstatierte 1940, dass sich die Gerichtspraxis »wesentlich günstiger gestaltet[e]«87 als noch in der vorherigen Jahresbilanz. Zudem erhielten die Reichstreuhänder die Befugnis, Ordnungsstrafen zu verhängen,88 wodurch sie eine »richterliche Funktion«89 ausübten und leichtere Fälle von Vertragsbrüchen mittels Geldstrafen in unbegrenzter Höhe selbst sanktionieren konnten. Allerdings stimmten dem nicht alle Staatsanwälte zu. Manche fanden eine weitere rechtliche Leerstelle, durch die sie sich in der Lage sahen, Strafanträge der Reichstreuhänder der Arbeit abzuweisen.90 Sie bezogen sich auf das Problem der sogenannten Gesetzeskonkurrenz. Durch die Verordnung zur Beschränkung des Arbeitsplatzwechsels vom 1. September 1939 durften Kündigungen nur noch ausgesprochen werden, wenn das zuständige Arbeitsamt seine Zustimmung erteilte. Dass die Arbeitsämter gegen Zuwiderhandlungen Strafanträge stellen durften, lief in der Praxis darauf hinaus, dass auch Arbeitsämter gegen Arbeitsvertragsbrüche eine strafrechtliche Verfolgung beantragten. Weil die Arbeitsplatzwechselverordnung zum einen als reichsrechtliche Norm einen höheren Status als die bezirklichen Anordnungen der Reichstreuhänder besitze und zudem noch jüngeren Datums sei, betrachteten manche Staatsanwälte deren Anordnungen als »außer Kraft gesetzt«.91 Für die Reichstreuhänder musste es absurd erscheinen, dass zwar die Leiter der Arbeitsämter Strafanträge stellen durften, die Reichstreuhänder aber nicht – obwohl doch Erstere seit 1939 Beauf86 Wolf, Reichstreuhänder der Arbeit Niedersachsen, an Reichsarbeitsministerium, 24.7.1939, NLA Hannover, Hann. 275, Nr.182, Bl.11-12. 87 Werner Mansfeld, Reichsarbeitsministerium, an die Reichstreuhänder der Arbeit, 21.9.1940, NLA Hannover, Hann. 275, Nr.182, Bl.98-99. 88 Dritte Durchführungsbestimmungen zum Abschnitt III (Kriegslöhne) der Kriegswirtschaftsverordnung – Ordnungsstrafrecht der Reichstreuhänder der Arbeit – (Dritte KLDV ) vom 2.12.1939, RGB l.I 1939, S.2370-2371. 89 Hillemann, Reichstreuhänder der Arbeit Niedersachsen, an Reichsarbeitsministerium, betr. Ordnungsstrafrecht der Reichstreuhänder der Arbeit, 9.9.1940, NLA Hannover, Hann. 275, Nr.191, Bl.67. 90 Bekannt ist dies von Gerichten aus Bayern, Linz und Breslau. Dort wiesen die Staatsanwälte entsprechende Reichstreuhänder-Anträge ab; vgl. Hertle, Reichstreuhänder der Arbeit Bayern, an Reichsarbeitsministerium, 16.4.1941, BA rch R3001/22781, Bl.89; sowie Reichsjustizministerium, betr. Vermerk über Zuständigkeit, 7.5.1941, BA rch R3001/22781, Bl.72. 91 Entwurf einer Vierten Durchführungsverordnung zur Verordnung über die Beschränkung des Arbeitsplatzwechsels, 26.9.1941, BA rch R3001/22781, Bl.19.

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tragte der Letzteren waren. Zudem lagen bereits »tausende von rechtskräftigen Urteilen« vor.92 Das Arbeitsressort wandte sich daher erneut umgehend an das Justizministerium. Während die Rechtmäßigkeit der Anordnungen der Reichstreuhänder gegen Arbeitsvertragsbrüche inzwischen auch durch ein reichsgerichtliches Urteil vom 4.  April 1941 anerkannt worden war,93 konnten sich die Vertreter der Ressorts für Justiz und Arbeit rasch einigen und erließen »zur Klarstellung der Rechtslage«94 eine Durchführungsverordnung, der zufolge auch die Reichstreuhänder Strafanträge auf Basis der ArbeitsplatzwechselVerordnung stellen durften.95 Damit geriet die rechtliche Grundlage für die strafrechtliche Verfolgung Arbeitsvertragsbrüchiger endgültig kompliziert und unübersichtlich. Schon bevor die Durchführungsverordnung im Oktober 1941 erlassen worden war, hielt der Generalstaatsanwalt in Celle die »Verschiedenheit des Erfordernisses der Stellung eines Strafantrages sowie der Antragsberechtigung« für »sehr verwirrend«.96 Das »Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit«, die Lohngestaltungs- und Kriegswirtschaftsverordnung, die verschiedenen Normen im Kontext des Arbeitsbuches, die Arbeitsplatzwechselverordnung, deren Durchführungsverordnungen, die zahlreichen Reichstreuhänder-Anordnungen – sie alle bildeten das rechtliche Fundament, auf dessen Grundlage Arbeitsvertragsbrüche strafrechtlich verfolgt werden konnten. Erst vor dem Hintergrund dieser Unübersichtlichkeit wird verständlich, weshalb die Hauptabteilung  III des Reichsarbeitsministeriums unter dem Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz am 20.  Juli 1942 die reichsweit gültige »Anordnung gegen Arbeitsvertragsbruch und Abwerbung sowie das Fordern unverhältnismäßig hoher Arbeitsentgelte 92 Reichsjustizministerium, betr. Vermerk über Zuständigkeit, 7.5.1941, BA rch R3001/22781, Bl.72. 93 Reichsjustizministerium, betr. Vermerk, 30.4.1941, BA rch R3001/22781, Bl.71. 94 Werner Mansfeld, Reichsarbeitsministerium, an die Reichstreuhänder der Arbeit, 8.11.1941, NLA Hannover, Hann. 275, Nr.183, Bl.12. 95 Entwurf einer Vierten Durchführungsverordnung zur Verordnung über die Beschränkung des Arbeitsplatzwechsels, 26.9.1941, BA rch R3001/22781, Bl.19; vgl. Vierte Durchführungsverordnung zur Verordnung über die Beschränkung des Arbeitsplatzwechsels vom 28.  Oktober 1941, RGB l.I 1941, S.664. 96 Generalstaatsanwalt in Celle an Freisler, Reichsjustizministerium, betr. Strafrechtliche Behandlung der Arbeitsverweigerung, 3.6.1941, BA rch R3001/22781, Bl.89.

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in der privaten Wirtschaft«97 erließ, welche die unübersichtliche Gesetzeslage vereinfachte, indem sie die Tatbestände und Zuständigkeiten präzise benannte. Die Ursachen der Kontraktbrüche konnte auch diese Anordnung freilich nicht lösen, denn die Sanktionen bekämpften nur die Symptome. Auch deshalb konnte die Kriminalisierung letztlich nur Symbolpolitik sein. Allerdings hatte sie überaus reale Konsequenzen, wie das eingangs genannte Beispiel von Wilfriede Rutschke zeigte. Im Wiederholungsfalle waren halbjährige Haftstrafen in Gefängnissen, Arbeitserziehungs- oder Konzentrationslagern für »Krankfeiern« oder andere Formen des Vertragsbruchs an der Tagesordnung.

Fazit Die Anordnung des Generalbevollmächtigten, auf die sich das Urteil gegen Wilfriede Rutschke im Jahr 1943 stützte, war die Konsequenz eines seit 1934 andauernden Prozesses der Institutionalisierung, der die Arbeitsverhältnisse aus der privatrechtlichen in die öffentlichrechtliche Sphäre verschob. Wer, wann, wie lange, wo und zu welchen Bedingungen arbeitete, das bestimmten im Laufe der NS -Herrschaft immer weniger die Arbeitgeber und Arbeitnehmer selbst, sondern zunehmend staatliche Behörden wie die Arbeitsverwaltung und die Treuhänder der Arbeit. Das Arbeitsverhältnis erhielt damit eine grundlegend andere Prägung als noch in der Weimarer Republik. Wie sich das Arbeitsrecht als gesellschaftliches Steuerungsinstrument unter den Bedingungen der NS -Diktatur wandelte, kann hier nicht umfassend analysiert werden, abschließend können aber drei Schlaglichter geworfen werden. Erstens: Die Anordnung des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz vom 20.  Juli 1942 bildete nicht den Beginn der strafrechtlichen Verfolgung von Arbeitsvertragsbrüchen. Sie ist auch nicht das Ergebnis eines reinen Top-down-Prozesses. Im Gegenteil: Sie konstituierte den (zwischenzeitlichen) Endpunkt einer langwierigen Institutionalisierung, in der Top-down- und Bottom-up-Prozesse aufeinandertrafen, sich gegenseitig beeinflussten und alle Herrschaftsebenen umfassten: von den vertragsbrüchigen Arbeitnehmern auf der Mikro- über die initiierenden Treuhänder auf der Meso- bis hin zu 97 Anordnung gegen Arbeitsvertragsbruch und Abwerbung sowie das Fordern unverhältnismäßig hoher Arbeitsentgelte in der privaten Wirtschaft vom 20. Juli 1942, RAB l.I (1942), S.341.

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den legitimierenden Ministerien auf der Reichsebene. Das Recht wandelte sich dabei zwar maßgeblich durch Gesetze. Aber zwischen 1933 und 1945 führten die täglichen Aneignungen und Interpretationen der Normen zu deren Veränderung. Deshalb partizipierten an den Aushandlungen nicht nur staatliche Behörden und Gerichte, sondern auch Interessenverbände wie die DAF , Wirtschaftsgruppen oder Bauernschaften. Selbst der einzelne Arbeitnehmer trug zum Wandel des Arbeitsrechts bei. Die Anordnung von 1942 war insofern nur eine staatliche Antwort in diesem Aushandlungsprozess. Die Auslegungen der bestehenden Arbeitsgesetze waren zweitens individuell sehr unterschiedlich und hingen zum Teil von der jeweiligen Sozialisation und Biografie der involvierten Personen ab. Weder können Behörden wie die Treuhänder-Verwaltungen noch das Reichsarbeitsministerium als monolithische Einheiten verstanden werden. Gerade der Mitte der 1930er-Jahre sehr unterschiedliche Umgang der verschiedenen Treuhänder mit den Arbeitsvertragsbrüchen, die indifferente Haltung der Mitarbeiter des Reichsarbeitsministeriums sowie die unterschiedliche Handhabung der einzelnen Staatsanwälte und Richter weisen darauf hin, dass das Rechtsbewusstsein unterschiedlich verfasst war. Drittens: Eine solche Interpretation bedingt, dass der Begriff »Aushandlung« etwaiger freiheitlich-demokratischer Konnotationen entkleidet und stattdessen analytisch verwendet wird. Dafür müssen die verschiedenen Handlungsmöglichkeiten und -zwänge aufgezeigt werden. Erst dann wird sichtbar, dass die Aushandlung alles andere als gleichberechtigt verlief. Die Möglichkeiten, die jeweiligen Interessen durchzusetzen, waren je nach Akteur sehr unterschiedlich und hingen von zahlreichen Faktoren ab. Zu nennen sind etwa der jeweilige Handlungskontext (etwa die Arbeitsmarktlage), konkrete Handlungsrechte (z.B. Befugnisse oder Mitspracherechte) sowie die Art der Interessenfindung und -artikulation. Die Arbeitnehmer besaßen weder Entscheidungsrechte noch konnten sie ihre Interessen aufeinander abstimmen, geschweige denn kollektiv vortragen. Diejenigen Arbeitnehmer, nach deren Berufen eine große Nachfrage bestand, befanden sich aber immerhin in einer verhältnismäßig guten individuellen Verhandlungsposition. Dass die Arbeitgeber und ihre Verbände, die Treuhänder der Arbeit, das Reichsarbeitsministerium und die anderen Ressorts sowie die Staatsanwälte und Richter sich im Gegenzug darauf einigten, die Sphäre des Privatrechts zugunsten staatlicher Eingriffsrechte einzudämmen, wurde dabei erheblich durch einen totalitären Staatsanspruch, eine neue Arbeitssemantik sowie neue, beinahe un-

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begrenzt auslegbare Rechtsquellen98 wie das »Gemeinwohl« erleichtert. Die Arbeitnehmer hatten dem kaum etwas entgegenzusetzen. Im Gegenteil – ohne Verbündete und Interessenvertretungen mussten sie Repressionen des NS -Regimes fürchten, sollten sie versuchen, ihre Stimme kollektiv zu erheben. Die Treuhänder der Arbeit zeigten sich dabei im Verbund mit dem Reichsarbeitsministerium als dem zentralen Akteur in diesem Aushandlungsprozess. Ihr Handlungsrahmen wurde zwar wesentlich von der Politik des Reichsarbeitsministeriums als Teil der nationalsozialistischen Regierung kartiert. Dennoch konnten sie einen kaum zu überschätzenden Einfluss auf die Arbeitspolitik nehmen. Ihre wichtigsten Instrumente bestanden nicht nur darin, ihre Befugnisse oder die Interpretation normativer Leerstellen auszudehnen, sondern auch darin, ihren Informationsvorsprung gegenüber dem Ministerium sowie ihre Expertise auszunutzen. Die eigenmächtige Aneignung von Sanktionskompetenzen verdeutlicht, dass das Handeln der Treuhänder das Arbeitsrecht unmittelbar veränderte und Impulse setzte, auf die insbesondere das Reichsarbeitsministerium als verantwortliche Behörde reagieren musste. Deshalb besaßen die Treuhänder Möglichkeiten, ihren politischen Willen durchzusetzen. In allen Handlungen waren sie jedoch stets an das Ministerium gebunden, dem aufgrund der Weisungsbeziehungen prinzipiell das letzte Wort gehörte. Hervorzuheben ist, dass das Reichsarbeitsministerium die Spielräume der Treuhänder nicht nur begrenzte, sondern ebenso ermöglichte. Das riskante Vorpreschen einzelner Treuhänder durch die umstrittenen Interpretationen des Arbeitsordnungsgesetzes und der Lohngestaltungsverordnung wurde von der Berliner Behörde zwar anfangs kritisch beäugt, aber letztlich unterstützt. Dafür wurde das Ministerium auf zwei seiner zentralen Handlungsfelder aktiv. Zum einen versuchte es, auf Gesetzgebungswegen eine solidere Rechtsgrundlage herzustellen. Zum anderen bemühte es sich, in interministeriellen Verhandlungen und durch rege Publikationstätigkeiten in den einschlägigen Rechtszeitschriften die Sanktionskompetenzen der Treuhänder konsensfähig zu machen. Das Wort des Ministeriums hatte nicht nur größeres Gewicht als das der nachgeordneten Behörde, sondern die Berliner Zentrale verfügte über die notwendigen Kommunikationskanäle zu den anderen Ministerien. Insofern stabilisierten sich Reichsar98 Vgl. Bernd Rüthers: Die unbegrenzte Auslegung. Zum Wandel der Privatrechtsordnung im Nationalsozialismus, 7. Aufl., Tübingen 2012; Michael Stolleis: Gemeinwohlformeln im nationalsozialistischen Recht, Berlin 1974.

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beitsministerium und Treuhänder gegenseitig. Trotz der anfangs latent konflikthaften Situation zwischen den beiden glichen sie die jeweiligen Funktionsdefizite des anderen aus. Die Treuhänder umgingen durch ihre Auslegungen der bestehenden Rechtslage die schwerfälligen Gesetzgebungsprozesse auf der Reichsebene. Das Reichsarbeitsministerium wiederum konnte sowohl den mangelnden Zugriff der Treuhänder auf andere Behörden und die Reichsebene ausgleichen als auch deren fehlende Gesetzgebungskompetenzen kompensieren. Im Ergebnis führte die Zusammenarbeit dazu, dass die nachgeordnete Behörde ein Instrument erhielt, mit dem sie Spannungen zwischen dem anfangs noch freien Arbeitsmarkt, Lohnstopp und »Arbeitsfrieden« gewaltsam zu unterdrücken versuchte und so die Legitimität der beiden staatlichen Organisationen zu schützen gedachte.

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Arbeitsverwaltung und Organisation der Kriegswirtschaft Henry Marx

»Wir wussten schon, dass wir doch einmal von unseren Feinden nicht in Ruhe gelassen würden und haben in emsigster Arbeit nun die wirtschaftliche Sicherstellung [von Arbeitskräften für den Kriegsfall; H.M.] vorgenommen. Es brauchte nicht jeder zu den Waffen zu eilen, sondern ein großer Teil hatte besondere Beorderungen in der Hand. […] Aber durch unsere Organisation hatten wir den nötigen Überblick. […] Was die Arbeitsämter da geleistet haben, ist leider in der Öffentlichkeit zu wenig bekannt geworden.«1 Die Arbeitsämter spielten eine zentrale Rolle bei der Vorbereitung und der Organisation der Kriegswirtschaft. Sie waren für die Beschaffung und Verteilung von Arbeitskräften zuständig, die der deutschen Wirtschaft in großer Zahl fehlten. Je mehr Männer die Wehrmacht im Verlauf des Zweiten Weltkrieges zum Militärdienst einzog, desto weniger Arbeitskräfte standen den Rüstungsbetrieben zur Verfügung. Die Ämter versuchten dieses Problem zu lösen, indem sie die verfügbaren Arbeiter erfassten und gegebenenfalls auch gegen deren Willen in rüstungs- und kriegswichtige Unternehmen versetzten. Um zu verstehen, wie sich die Arbeitsämter dieser komplexen Aufgabe annahmen, wird im ersten Teil des Beitrags die Entwicklung der Arbeitsverwaltung in den Vorkriegsjahren nachgezeichnet.2 In diesen Jahren erlangte die Arbeitsverwaltung eine Reihe von Interventionsrechten, mit denen sie im Sinne des NS -Regimes in den Arbeitsmarkt eingriff, und Facharbeiter in die rüstungsrelevanten Branchen lenkte. Während dieser Zeit vollzog sich ein tiefgreifender Funktionswandel der Arbeitsverwaltung. Ihre Funktion wandelte sich sukzessive von der eines Sozialversicherungsträgers zu einer Behörde, die hoheitliche Auf1 Arbeitsamt Bernburg, betr. Niederschrift über den Betriebsappell und die Dienstbesprechung am 23. März 1944, 24.3.1944, Landeshauptarchiv SachsenAnhalt (LHASA ), DE , Z 140, 2854, Bl.43-46, hier Bl.44. 2 Unter dem Begriff »Arbeitsverwaltung« werden im Folgenden die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung bzw. die Hauptabteilung V des Reichsarbeitsministeriums und die ihr nachgeordneten Landesarbeitsämter und Arbeitsämter zusammengefasst.

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gaben wahrnahm. Dies wirkte sich schließlich auch auf die Organisationsform der Verwaltung selbst aus. Die Zentrale der Arbeitsverwaltung, die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, wurde 1939 als eigenständige Behörde aufgelöst und als neue Hauptabteilung  V in das Reichsarbeitsministerium eingegliedert. Diese gravierende Veränderung in der Organisationsstruktur stellt eine Ausnahme in der deutschen Geschichte der deutschen Arbeitsverwaltung dar. Bis auf die wenigen Jahre während des Zweiten Weltkrieges war sie ausnahmslos als eine nachgeordnete Behörde des Arbeitsministeriums organisiert. Warum 1939 von dieser Struktur abgewichen wurde, ist bislang nicht hinreichend erforscht.3 Die Eingliederung der Reichsanstalt in das Reichsarbeitsministerium ergab sich aus dem Wandel ihrer Aufgaben, hatte aber einen konkreten Anlass, der in den technischen Kommunikationswegen der Verwaltung und den Vorbereitungen zur Umstellung der Wirtschaft auf die Kriegswirtschaft begründet lag. Im Ministerium selbst bildete die ehemalige Reichsanstalt fortan die Hauptabteilung V und übernahm die Arbeitskräftelenkung im Krieg. An der Organisation der Kriegswirtschaft waren zahlreiche Behörden, Dienststellen und Verbände beteiligt. Viele von ihnen haben in der umfassenden Forschungsliteratur mehr Aufmerksamkeit erfahren als das Reichsarbeitsministerium.4 Für die Zeit ab 1942 hat die For3 Die Forschungsliteratur gibt auf diese Frage keine befriedigende Antwort. Vgl. Volker Herrmann: Vom Arbeitsmarkt zum Arbeitseinsatz. Zur Geschichte der Reichsanstalt für Arbeitslosenvermittlung und Arbeitslosenversicherung 1929-1939, Frankfurt am Main 1993; Hans-Walter Schmuhl: Arbeitsmarktpolitik und Arbeitsverwaltung in Deutschland 1871-2002. Zwischen Fürsorge, Hoheit und Markt, Nürnberg 2003; Dieter G. Maier: Anfänge und Brüche der Arbeitsverwaltung bis 1952. Zugleich ein kaum bekanntes Kapitel der deutsch-jüdischen Geschichte, Brühl 2004; Horst Kahrs: Die ordnende Hand der Arbeitsämter. Zur deutschen Arbeitsverwaltung 1933-1939, in: Götz Aly/ Wolf Gruner (Hg.): Arbeitsmarkt und Sondererlaß. Menschenverwertung, Rassenpolitik und Arbeitsamt, Frankfurt am Main 2009, S.9-61. 4 Siehe bspw. Adam Tooze: Ökonomie der Zerstörung. Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus, aus dem Engl. v. Yvonne Badal, München 2007; Ludolf Herbst: Der Totale Krieg und die Ordnung der Wirtschaft. Die Kriegswirtschaft im Spannungsfeld von Politik, Ideologie und Propaganda 1939-1945, Stuttgart 1982; Ulrich Herbert: Fremdarbeiter. Politik und Praxis des »Ausländer-Einsatzes« in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Bonn 1999; Marie-Luise Recker: Nationalsozialistische Sozialpolitik im Zweiten Weltkrieg, München 1985; Rolf-Dieter Müller: Die Mobilisierung der deutschen Wirtschaft für Hitlers Kriegsführung, in: Bernhard  R. Kroener/RolfDieter Müller/Hans Umbreit (Hg.): Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd.5: Organisation und Mobilisierung des Deutschen Machtbereichs,

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schung der Arbeitskräftethematik vermehrt Beachtung geschenkt, als der Gauleiter und Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz Fritz Sauckel Teile des Arbeitsministeriums, darunter die Hauptabteilung V, übernahm.5 Jedoch nahm das Ministerium schon in den ersten drei Kriegsjahren eine zentrale und wichtige Funktion für die Kriegswirtschaft wahr. Es tat dies innerhalb eines komplexen Akteursgeflechts, das an der Organisation der Kriegswirtschaft beteiligt war. Im zweiten Teil des Beitrags wird geschildert, wie das Reichsarbeitsministerium dieser Aufgabe nachkam und somit einen wesentlichen Anteil an der Kriegsführung des Deutschen Reiches hatte.6

Die Arbeitsverwaltung vor dem Krieg Die Geschichte der staatlichen Arbeitsverwaltung begann 1927 mit der Gründung der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung als selbstverwalteter Körperschaft des öffentlichen Rechts unter Aufsicht des Reichsarbeitsministeriums. Die Behörde wurde zum Träger der neu geschaffenen Arbeitslosenversicherung. Ihr unterstanden die vorher bereits existierenden ca. 800 kommunalen Arbeitsnachweise. Die Nachweise wurden aufgelöst und in 361 staatliche Arbeitsämter überführt. 13 Landesarbeitsämter standen als Mittelinstanz zwischen der Reichsanstalt und den Arbeitsämtern. Sie bildeten eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, die im Rahmen der kommunalen Tradition unter Selbstverwaltung stand. Die Behörde verfügte über ein eigenes Personal- und Haushaltsrecht und verwaltete ihre internen Angelegenheiten selbst. Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften und Vertreter der öffentlichen Hand bildeten drittelparitätisch die Aufsichtsgremien auf lokaler, regionaler und Reichsebene. Die Reichsanstalt unterstand der Aufsicht des Arbeitsministeriums.7 Durch den reichsweiten und mehrgliedrigen Verwaltungsaufbau Halbbd.  1: Kriegsverwaltung, Wirtschaft und personelle Ressourcen 19391941, Stuttgart 1988, S.349-691; Dietrich Eichholtz: Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft 1939-1945, München 1999; Jonas Scherner: Die Logik der Industriepolitik im Dritten Reich, Stuttgart 2008. 5 Siehe dazu den Beitrag von Swantje Greve in diesem Band. 6 Der Beitrag präsentiert erste Ergebnisse meines Dissertationsprojekts, das die Gründung der Reichsanstalt im Jahre 1927 und die Entwicklung der Arbeitsverwaltung bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 umfasst. 7 Fritz Schröder: Die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung. Ihr Aufbau und ihre Aufgaben, Berlin o.J. [1930], S.24-48.

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sicherte sich der Staat einen bisher nicht dagewesenen Einfluss auf den Arbeitsmarkt. Die Verknüpfung der Arbeitslosenunterstützung mit der Vermittlung schlug sich auf die organisatorische Gestaltung der Ämter nieder: Wer Unterstützung erhalten wollte, ließ sich beim Arbeitsamt in der Versicherungsabteilung registrierten, welche die Daten des Erwerbslosen aufnahm und an die Abteilung für Vermittlung weiterreichte. Konnte das Amt keine Stelle ausfindig machen, wurden die Arbeitssuchenden im Verfahren des Bezirksausgleichs an das nächste Arbeitsamt Friedrich Syrup, 1932 verwiesen. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten ließ die Reichsanstalt nicht unberührt. Vor allem die politischen Säuberungsmaßnahmen trafen die Arbeitsverwaltung schwer. Während bei anderen Verwaltungen im Schnitt ca. 2% des Personals aus dem Dienst entlassen wurden, waren es in der Reichsanstalt 13%.8 Ebenso zerschlugen die neuen Machthaber das Prinzip der Selbstverwaltung, wie das Mitbestimmungsrecht der Arbeitsmarktparteien und der Verwaltungsmitarbeiter genannt wurde. Beides veränderte den Aufbau der Reichsanstalt, Letzteres stärkte vor allem die Führungsebene um Präsident Friedrich Syrup, der sich nun nicht mehr mit den Selbstverwaltungsgremien abstimmen musste.9 Trotz dieser Eingriffe erlebte die Arbeitsverwaltung in den Jahren der NS -Diktatur eine beispiellose Ermächtigung und Ausweitung ihrer Aufgaben und Kompetenzen. Hitler maß der Beseitigung der Arbeitslosigkeit eine ungeheure Bedeutung für seinen Machterhalt zu. Die Ämter erhielten durch die Organisation der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen einen Bedeutungszuwachs und trugen dadurch in der Wahrnehmung der Zeitgenossen stark zur Beseitigung der Arbeitslosigkeit bei. Die tatsächliche Auswirkung auf die Beschäftigung war zwar sehr gering, sie wurde aber unter dem Schlagwort der »Arbeitsschlacht« propagandistisch in Szene gesetzt.10 Ihr vermeintlicher Erfolg kam 8 Dan P. Silverman: Nazification of the German Bureaucracy Reconsidered: A Case Study, in: The Journal of Modern History 60 (1988), Nr.3, S.496-539; Schmuhl (Anm.3), S.224-227. 9 Kahrs (Anm.3), S.17f. 10 Vgl. Tooze (Anm.4), S.88-91. Zur Wirkung und propagandistischen Inszenierung der Maßnahmen vgl. Detlev Humann: »Arbeitsschlacht«. Arbeitsbe-

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Friedrich Syrup (geb. 9.10.1881 in Lüchow, gest. 31.8.1945 im sowjetischen Speziallager Sachsenhausen) studierte Maschinenbau und trat 1905 in den Dienst der preußischen Gewerbeaufsicht ein. Am Ende des Ersten Weltkrieges wurde er in das Demobilmachungsamt abgeordnet. 1920 erfolgte seine Berufung zum Präsidenten des neu geschaffenen Reichsamts für Arbeitsvermittlung, aus dem 1927 die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung gebildet wurde, der er als Präsident vorstand. 1932 für wenige Wochen zum Reichsarbeitsminister berufen, leitete er ab 1933 erneut die Reichsanstalt, bis diese 1939 in das Reichsarbeitsministerium eingegliedert wurde. Dort erfolgte seine Berufung zum zweiten Staatssekretär. Der NSDAP trat er erst nach längerem Drängen 1937 bei. Seit 1941 verschlechterte sich sein gesundheitlicher Zustand rapide, weswegen er nur noch sporadisch seinen Dienst ausüben konnte. Nach Kriegsende wurde Syrup im sowjetischen Speziallager Nr. 7 in Sachsenhausen interniert, wo er kurze Zeit später verstarb. Literatur: Dieter G. Maier/Jürgen Nürnberger/Stefan Pabst: Vordenker des Arbeitsmarktes. Elf Biografien zur Geschichte der deutschen Arbeitsverwaltung, Mannheim 2012, S. 115140; Hansjoachim Henning: Friedrich Syrup (1881-1945); in: Kurt G. A. Jeserich/Helmut Neuhaus (Hg.): Persönlichkeiten der Verwaltung. Biographien zur deutschen Verwaltungsgeschichte 1648-1945, Stuttgart 1991, S. 385-390.

auch den Ämtern zugute – sowohl in der öffentlichen als auch in der Selbstwahrnehmung. Hatten sie sich vorher zu reinen »Stempelbuden« degradiert gefühlt, zeigten sie sich nun an vorderster Stelle für den Erfolg des »neuen« Staates verantwortlich.11 Die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit verhalf der Verwaltung zu Eingriffsrechten, die in der Weimarer Republik undenkbar gewesen wären. Ab 1934 konnte sie für Gebiete mit einer besonders hohen Arbeitslosigkeit Zuzugssperren erlassen. Unter Außerkraftsetzung der Arbeitnehmerfreizügigkeit entschied sie nun, wer in die großen Städte Berlin, Hamburg und Bremen ziehen durfte, da sie diese Städte zu Sperrgebieten erklärte.12 Ebenso konnte sie ehemals in der Landschaffung und Propaganda in der NS -Zeit 1933-1939, Göttingen 2011; Kiran Klaus Patel: Soldaten der Arbeit. Arbeitsdienste in Deutschland und den USA 1933-1945, Göttingen 2003. 11 Arbeitsamt Bernburg, betr. Niederschrift über den Betriebsappell und die Dienstbesprechung am 23. März 1944, 24.3.1944, LHASA , DE , Z 140, 2854, Bl.43-46. 12 Gesetz zur Regelung des Arbeitseinsatzes vom 1. Mai 1934, RGB l.I, S.381; Verordnung über die Verteilung von Arbeitskräften vom 10.  August 1934, RGB l.I, S.786.

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wirtschaft beschäftigte Kräfte aus den Städten entfernen und dem Agrarsektor wieder zuführen. Ebenfalls zur Stützung der Landwirtschaft, die auch zu Zeiten der allgemeinen Massenarbeitslosigkeit nicht genügend Kräfte fand, zwang die Arbeitsverwaltung Unternehmen, jüngere Arbeiter unter 25 Jahren zu entlassen, wenn ihnen das Amt einen älteren, erwerbslosen Familienvater als Ersatz stellte. Die Jüngeren wurden in Landwirtschaftsbetriebe vermittelt. Jedoch verließen angesichts der harten Arbeitsverhältnisse und der schlechten Entlohnung in Stellenausschreibungen in einem Arbeitsder Landwirtschaft viele dieser amt in Ostpreußen, vermutlich 1933 Arbeitskräfte regelwidrig bald ihre dortigen Stellen und begaben sich auf Arbeitssuche in die Städte.13 Die wirtschaftliche Entwicklung potenzierte die Wichtigkeit, welche die Arbeitsverwaltung für das neue Regime einnahm. Befeuert durch die Rüstungspolitik der Nationalsozialisten erholte sich die Konjunktur und ließ die Erwerbslosenzahlen rasch dahinschmelzen. Bald zeichnete sich in wichtigen Branchen wie der Metallsparte ein Fachkräftemangel ab. Die deutsche Wiederaufrüstung wurde bereits durch zwei gravierende Engpässe bedroht. Es fehlte sowohl an Devisen als auch an Rohstoffen. Hinzu trat nun der Mangel an Fachkräften. Die Reaktion des Regimes bestand in der Bewirtschaftung der knappen Rohstoffe und Arbeitskräfte. Dafür wurde unter der Führung von Hermann Göring ein neuer Apparat, die Vierjahresplanbehörde, geschaffen. Innerhalb dieser übernahm Friedrich Syrup, der Präsident der Reichsanstalt, gemeinsam mit dem Ministerialdirektor Werner Mansfeld, dem Leiter der 13 Jahreslagebericht 1938 des Sicherheitshauptamts, in: Heinz Boberach (Hg.): Meldungen aus dem Reich. Die geheimen Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS , Bd.2, München 1968, S.200. Ich danke Karl Christian Führer für diesen Hinweis.

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Hauptabteilung III (Arbeitsrecht und Lohnpolitik) im Reichsarbeitsministerium, die Leitung der »Geschäftsgruppe Arbeitseinsatz«.14 Fortan war die Arbeitsverwaltung in die Organisation der Aufrüstung und in die Kriegsvorbereitungen eingebunden. Ihre Aufgaben umfassten in der Folge immer weniger die eines klassischen Sozialversicherungsträgers. Auch die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit trat in den Hintergrund. Das vorrangigste Ziel der Reichsanstalt bestand nun darin, mittels der Lenkung von Arbeitskräften die Sicherstellung der Aufrüstung zu gewährleisten.15 Zur Bewerkstelligung dieser Aufgaben bekam die Verwaltung ein ganzes Bündel an Instrumenten und Maßnahmen zur Intervention auf dem Arbeitsmarkt an die Hand. Im Jahr 1935 erfolgte die gesetzliche Einführung des Arbeitsbuches. Die Arbeitsämter stellten jedem sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ein solches Buch aus. Es enthielt Informationen über seine Ausbildung, beruflichen Fertigkeiten und die aktuellen sowie vorangegangenen Beschäftigungsverhältnisse. Das Buch wurde beim Arbeitgeber hinterlegt, während das zuständige Amt die Informationen in einer Kartei verwahrte und so auf sie zugreifen konnte. Alle Veränderungen eintragspflichtiger Informationen waren dem Amt zu melden. Der Sinn dieser Bücher lag in der Erfassung des gesamten Arbeitsmarktes.16 Nach und nach erhielt die Verwaltung weitere Interventionsmöglichkeiten. Ohne ihre Zustimmung waren Arbeitsplatzwechsel oder Veränderungen in Arbeitsverträgen in den Branchen Metall, Bau und Chemie fortan untersagt.17 Eine Abwanderung von Fachkräften aus diesen Branchen wurde damit unterbunden. Hatte es zehn Jahren zuvor noch keine staatlich organisierte Arbeitsverwaltung gegeben, wurde nun die Vertragsfreiheit in wichtigen Branchen der Wirtschaft abgeschafft und unter ihre Aufsicht gestellt. Mit der weiteren Abnahme der Erwerbslosigkeit wuchs der Fachkräftemangel und weitete sich zu einem allgemeinen Arbeitskräftemangel aus. Damit wuchs auch die Macht der Verwaltung, deren Befugnisse sukzessive auf weitere Branchen ausgedehnt wurden. Ab 1938 konnte 14 Dietmar Petzina: Autarkiepolitik im Dritten Reich. Der nationalsozialistische Vierjahresplan, Stuttgart 1968, S.58-61. 15 Kahrs (Anm.3), S.23. 16 Kahrs (Anm.3), S.23; Götz Aly/Karl-Heinz Roth: Die restlose Erfassung. Volkszählen, Identifizieren, Aussondern im Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 2000, S.55. 17 Maier: Anfänge und Brüche der Arbeitsverwaltung (Anm.3), S.106, Willi Sommer (Hg.): Die nationalsozialistische Arbeitseinsatz-Gesetzgebung, Berlin 1938.

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Reichsarbeitsministerium

entsendet Mansfeld in

Vierjahresplanbehörde

führt Aufsicht über

Geschäftsgruppe Arbeitseinsatz

Reichsanstalt

entsendet Syrup in

insgesamt 13 Landesarbeitsämter

Landesarbeitsämter

Landesarbeitsämter

insgesamt 361 Arbeitsämter

Arbeitsämter

Arbeitsämter

Arbeitsämter

Arbeitsämter

Arbeitsämter

Arbeitsämter

Aufbau der Arbeitsverwaltung und die Einbindung in die Vierjahresplanbehörde, 1936-1939

die Arbeitsverwaltung mittels der sogenannten Dienstverpflichtung zeitlich begrenzt Beschäftigte auch gegen ihren Willen zu Arbeiten von »staatswichtiger Bedeutung« heranziehen.18 Mit Kriegsbeginn konnten Arbeitsverhältnisse in allen Branchen nur noch ohne Zustimmung des Amtes gelöst werden, wenn Arbeitgeber und -nehmer einvernehmlich die Auflösung beantragten. Ab 1942 waren alle Veränderungen in Beschäftigungsverhältnissen der Zustimmung des Arbeitsamts unterworfen. Unter den Nationalsozialisten erhielt die Reichsanstalt Macht und Bedeutung bisher unbekannten Ausmaßes. Sie wirkte zielstrebig mit an den Zielen des Regimes und beteiligte sich auch an der Verfolgung seiner Gegner.19 Dennoch wurde die Reichsanstalt auf dem Höhepunkt der Kriegsvorbereitung überraschend aufgelöst und in das Reichsarbeitsministerium eingegliedert. Volker Herrmann und Hans-Walter Schmuhl haben diesen Prozess als »äußere Gleichschaltung« der Ar18 Verordnung zur Sicherstellung des Kräftebedarfs für Aufgaben von besonderer staatspolitischer Bedeutung vom 22. Juni 1938, RGB l.I 1938, S.652. 19 Wolfgang Ayaß: »Asoziale« im Nationalsozialismus, Stuttgart 1995, S.66, 74, 82, 91, 109, 141; Dieter Maier: Arbeitseinsatz und Deportation. Die Mitwirkung der Arbeitsverwaltung bei der nationalsozialistischen Judenverfolgung in den Jahren 1938-1945, Berlin 1994.

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beitsverwaltung beschrieben,20 was insinuiert, die politische Führung habe die Kontrolle über sie verstärken wollen. Gleichwohl gibt es keinerlei Hinweise darauf, dass die Verwaltung sich dem Willen der politischen Führung widersetzt hätte. Für eine »äußere Gleichschaltung« bestand also keine Notwendigkeit. Warum aber dann wurde die Reichsanstalt Ende 1938 aufgelöst und in das Ministerium eingegliedert?

Die Eingliederung der Reichsanstalt in das Reichsarbeitsministerium Es ist nur wenig darüber bekannt, wann die Planungen für diese Verwaltungsreform begannen, welche Überlegungen diesen Prozess begleiteten und wie sich der Eingliederungsvorgang im Einzelnen vollzog. Die beschriebenen Veränderungen im Aufbau und bei den Aufgaben der Arbeitsverwaltung in den Vorkriegsjahren haben diesen Prozess angestoßen. Insbesondere vier Aspekte spielten dabei eine zentrale Rolle: Erstens stellten einige dieser Veränderungen die für die Sozialversicherung typische Organisationsform als Körperschaft des öffentlichen Rechts allgemein zur Disposition. Eines der konstituierenden Elemente der Sozialversicherung, die Selbstverwaltung, wurde bereits 1933 zerschlagen. Mit der Vollbeschäftigung ab Mitte der 1930er-Jahre nahm die Verwaltung der Arbeitslosenunterstützung an Bedeutung ab. Mit Kriegsbeginn verlor sie gar ihren Versicherungscharakter, der sich aus Beitragspflicht, Anwartschaftserwerb und Rechtsanspruch auf Unterstützung ergab.21 Je weniger Struktur und Aufgaben der Reichsanstalt denen einer Sozialversicherung ähnelten, desto weniger offenkundig schien ihre bisherige Verfasstheit als Körperschaft des öffentlichen Rechts. Zweitens sprachen besoldungspolitische Gründe für eine Abkehr von der bestehenden Organisationsform. Im Mai 1938 schlug das Reichsarbeitsministerium eine Gesetzesänderung vor, die es erleichterte, die Mitarbeiter der Reichsanstalt und ihrer nachgeordneten Dienststellen zu verbeamten. Begründet wurde der Vorstoß mit den hoheitlichen Aufgaben, welche die Mitarbeiter der Arbeitsverwaltung zunehmend wahrnahmen. Diese Aufgaben könne man nicht Angestell-

20 Herrmann (Anm.3), S.206; Schmuhl (Anm.3), S.230. 21 Vgl. S. 294, insbes. Anm.34.

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ten, sondern nur Beamten überlassen.22 Das Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung sah nur die Verbeamtung der Präsidenten und stellvertretenden Präsidenten der Reichsanstalt sowie der Vorsitzenden der Landesämter vor. Ausnahmen von dieser Regelung mussten bei der Verbeamtung gesondert begründet werden.23 Nach der Eingliederung der Reichsanstalt in das Arbeitsministerium änderte sich diese Regelung. Beamte konnten nun nach den Bestimmungen des Reichshaushaltsplans und nach festgelegten Planstellen berufen werden, auch bei den Arbeitsämtern.24 Auch die Besoldung des Präsidenten Friedrich Syrup sorgte für Diskussionen. Die Aufgabenveränderung der Reichsanstalt bewog Hermann Göring als Beauftragten für den Vierjahresplan, sich ab 1936 nachhaltig für eine Beförderung ihres Präsidenten Syrup einzusetzen.25 Das Reichsfinanzministerium widersetzte sich dem Ansinnen aus besoldungspolitischen Gründen, da es befürchtete, auch andere Behörden könnten eine Besoldungserhöhung ihres Spitzenpersonals einfordern. Anscheinend war es das Finanzressort, das eine engere Verzahnung der Reichsanstalt und des Arbeitsministeriums vorschlug. Im Arbeitsressort wiederum entstand der Kompromissvorschlag, Syrup zum zweiten Staatssekretär im Ministerium zu ernennen. Damit zeigte sich das Finanzministerium einverstanden, solange die Stelle des Präsidenten der Reichsanstalt nicht neu besetzt werde. Das in der besoldungspolitischen Debatte angeführte Argument, die Arbeitsverwaltung übernähme mittlerweile hoheitliche Aufgaben, stellte, drittens, einen weiteren wichtigen Grund für die Verwaltungsreform dar. Die Einbindung in die Vierjahresplanbehörde beförderte also nicht nur die Wichtigkeit der Reichsanstalt, sondern stellte auch 22 Reichsarbeitsministerium, betr. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG ), 14.5.1938, Bundesarchiv (BA rch) R43 II /1161b, Bl.13-15. 23 AVAVG vom 16. Juli 1927, §§34 und 35, RGB l.I 1927, S.187-218, hier S.191. 24 Verwaltungs-Jahrbuch für die Beamten und Angestellten der Arbeitseinsatzverwaltung 1939/40, Bd.I, Berlin 1939, S.37. 25 Dr. Johannes Krohn, Reichsarbeitsministerium, an Hans Heinrich Lammers, Reichskanzlei, nachrichtlich an die Präsidialkanzlei des Führers und Reichskanzlers, betr. Entwurf eines Erlasses des Führers und Reichskanzlers über die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, 20.12.1938, BA rch R43 II /1161b, Bl.16-17. Der folgende Abschnitt basiert auf dieser Quelle. Sie findet sich auch bei Herrmann (Anm.3). Volker Herrmann führt sie als Beleg an, dass der Erlass, der die Eingliederung der Reichsanstalt in das Ministerium verkündete, im Arbeitsressort ausgearbeitet wurde; ebd., S.206.

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ihre Organisationsform in Frage. »Entsprechend der Wandlung ihres Charakters vom Versicherungsträger zur hoheitlichen Befugnisse ausübenden Behörde«, formulierte etwa der Ministerialrat Martin Zschucke 1940 in der Rückschau, »ging deshalb ebenfalls zwangsläufig die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung im Geschäftsbereich des Reichsarbeitsministeriums selbst auf.«26 Neben diesen Aspekten gab es aber, viertens, einen weiteren wichtigen Grund für die Eingliederung der Reichsanstalt in das Ministerium, der anscheinend den konkreten Anlass für die Verwaltungsreform lieferte. Er wird ersichtlich, wenn man das Augenmerk auf die Kommunikationswege der Arbeitsverwaltung und ihre Aufgaben im Kriegsfall richtet. Wie bereits ausgeführt, war die Arbeitsverwaltung seit 1936 damit betraut, Facharbeiter in die rüstungsrelevanten Branchen zu lenken. Zugleich plante die Reichsanstalt für den Moment des Ausbruchs der Kampfhandlungen die notwendigen arbeitspolitischen Schritte zur Umstellung der Friedens- auf die Kriegswirtschaft.27 Im Gegensatz zu den Problemen der ersten Kriegsmonate im Sommer 1914 sollte dieses Mal eine Arbeitslosigkeit bei der Umstellung von der Friedens- auf die Kriegswirtschaft weitgehend vermieden werden.28 In Feinabstimmung mit der Wehrmachtsverwaltung und der Wirtschaftsverwaltung legte die Reichsanstalt fest, wie viele Arbeitskräfte sie der Wirtschaft vorbehalten und wie viele von der Wehrmacht eingezogen werden könnten, welche Branchen vom Abzug geschützt wären und welche Branchen besonders viele Arbeitskräfte zu entbehren hätten.29 Die Planungen der Reichsanstalt gingen jedoch über Zahlen- und Sollvorgaben weit hinaus. In akribischer Manier legte sie ausgiebige Wissensarchive an, in denen für Millionen deutscher Arbeitskräfte festgehalten wurde, ob sie für den Dienst an der Waffe vorgesehen oder »unabkömmlich« gestellt waren, welche Fertigkeiten sie besaßen und wo sie am besten

26 Martin Zschucke: Das Reichsarbeitsministerium, Berlin 1940, S.39. Friedrich Syrup wurde gleichzeitig zum zweiten Staatssekretär im Reichsarbeitsministerium ernannt. 27 Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, betr. Mobilmachungskalender für die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung. Mobilmachungsjahr 1938/39, BA rch R3901/20130, Bl.13-21. 28 Schmuhl (Anm.3), S.68. 29 Erlass des Präsidenten der Reichsanstalt vom 20.7.1937, betrifft: Vorbereitung der personellen Mobilmachung der Rüstungsbetriebe; Unabkömmlichstellung, 9.8.1937, Landesarchiv Berlin, A Rep.242, Nr.13, Bl.1.

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der Rüstungsproduktion dienlich sein konnten.30 Die Arbeitsbehörden planten die sofortige Umstellung von einer Friedens- auf eine Kriegswirtschaft sorgfältig.31 Um diese fulminanten Bewegungen auf dem Arbeitsmarkt in Gang zu setzen und zu kontrollieren, bereitete sich die Arbeitsverwaltung darauf vor, ihre eigene Organisation innerhalb weniger Tage umzubauen. Die höchste Konzentration war der Vermittlung zugedacht. Diese Abteilungen sollten genau wie die Arbeitsbuch-Abteilungen auf der lokalen, regionalen und der Reichsebene personell verstärkt werden. Alle anderen Abteilungen hatten ihre Tätigkeiten und damit ihren Personalbestand zugunsten der Vermittlung zu reduzieren. Die Arbeitsmarktstatistik sollte vereinfacht und weniger häufig erhoben werden. In der Abteilung Arbeitslosenunterstützung fielen künftig weite Teile der Verwaltungstätigkeit weg, insbesondere soweit sie sich auf die Überprüfung der Anspruchsberechtigung von Antragstellern bezogen.32 Mit Kriegsbeginn wurde 30 Die Arbeitsbuchkartei nahm dabei einen sehr hohen Stellenwert ein, war aber nicht das einzige Wissensarchiv, auf das die Arbeitsverwaltung zurückgriff. Wissen spielte eine zentrale Funktion im Handeln der Arbeitsverwaltung, Die Frage, wie die Verwaltung das benötigte Wissen generierte, speicherte, aufbereitete und den jeweiligen Stellen innerhalb und außerhalb ihrer eigenen Organisation zur Verfügung stellte, wird ein wichtiger Themenstrang meines Dissertationsprojektes sein. 31 In der älteren Literatur wurde die These formuliert, das NS -Regime habe die deutsche Wirtschaft in den ersten Jahren nur unzureichend mobilisiert, um soziale Härten von der deutschen Bevölkerung fernzuhalten. In der ersten Kriegshälfte habe es sich gleichsam um eine »Friedenswirtschaft« im Kriege gehandelt. Die These formulierte zuerst prominent Alan Milward; vgl. ders.: Die deutsche Kriegswirtschaft 1939-1945, Oxford 1970, S.14f. Sie dominierte die Forschung zur NS -Wirtschaftsgeschichte für längere Zeit; vgl. bspw. Recker (Anm.4), S.14. Bereits Richard Overy, der früher ebenfalls von einer Friedenswirtschaft sprach, hat diese Auffassung Ende der 1980erJahre revidiert und aufgezeigt, dass die These einer geringen wirtschaftlichen Mobilisierung auf eine Fehlinterpretation des United States Bombing Surveys und Rolf Wagenführs vom Statistischem Reichsamt zurückging; vgl. ders.: »Blitzkriegswirtschaft«? Finanzpolitik, Lebensstandard und Arbeitseinsatz in Deutschland 1939-1942, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 36 (1988), H.3, S.379-436, hier S.379. Vor allem Adam Tooze hat leidenschaftlich gegen die Auffassung einer »Blitzkriegswirtschaft«, wie die mangelnde Mobilisierung zwecks sozialpolitischer Rücksichtnahme auch beschrieben wurde, argumentiert und nachgewiesen, dass die deutsche Wirtschaft bereits vor dem Krieg massiv auf die Rüstungsanstrengungen des Regimes ausgerichtet worden war; vgl. ders. (Anm.4). 32 Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung an Landesarbeitsämter, einschließlich der Zweigstelle Nürnberg und einschließ-

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tatsächlich der gesetzliche Rahmen geändert.33 Die Zugangsvoraussetzung zur Arbeitslosenunterstützung bildete nun nicht mehr die erfüllte Anwartschaft, sondern nur die ärztlich festgestellte Arbeitsfähigkeit. Alle einsatzfähigen Erwerbslosen konnten sich bei den Arbeitsämtern registrieren lassen und eine Unterstützung erhalten, wodurch sie in den Zugriff der Arbeitsvermittlung gerieten. Nichteinsatzfähige wurden an die Fürsorge überwiesen, auch wenn sie Anwartschaften auf die Arbeitslosenversicherung erworben hatten.34 Die Reichsanstalt arbeitete seit 1937 an den Plänen dieser raschen Umstellung und forderte von ihren nachgeordneten Dienststellen in regelmäßigen Abständen stets zu aktualisierende, sogenannte »Mob[-ilisierungs].-Kalender« ein. In diesen »Mob.-Kalendern« wurde festgehalten, welche Schritte bereits am ersten Tag und dann in den folgenden Tagen und Wochen nach der Ausgabe des »Mob.-Falls«, also des Kriegsfalls, zu erlassen waren.35 Die intensive Vorbereitung drohte allerdings zur Makulatur zu werden, weil die Reichspost diese geplante Vorgehensweise durchkreuzte. Der Leitgedanke der Maßnahmen zur Umstellung auf den Kriegsfall lag in der Schnelligkeit, mit der die Anordnungen ausgegeben werden mussten. Es galt, nicht nur die eigene Verwaltung in Eile umzugestalten, sondern vor allem den Zugriff auf die erfassten Arbeitskräfte zu gewährleisten, bevor sie eigenmächtig ihre Stelle wechselten oder andere Partei- oder Dienststellen entgegen den Abmachungen sich ihrer bemächtigten. Nur wenn die Befehle der Arbeitsverwaltung Betriebe und Belegschaften zuerst erreichten, war eine planmäßige Lenkung in ihrem Sinne möglich. Dafür erschien die Kommunikation auf postalischem Wege als zu langsam. Die Befehle sollten nach dem Willen der Reichsanstalt per Telefon oder Fernschreibapparat übermittelt werden. lich der Zweigstelle Österreich, betr. Mob-Kalender, August 1938, BA rch R3901/20130, Bl.136-137. 33 Verordnung zur Änderung von Vorschriften über den Arbeitseinsatz und Arbeitslosenhilfe vom 1. September 1939, RGB l.I, S.1662; Verordnung über Arbeitslosenhilfe vom 5. September 1939, RGB l.I, S.1674. 34 Diese Regelung vollendete einen Prozess, der Mitte der 1930er-Jahre eingesetzt hatte und die Unterstützung an die Arbeitsfähigkeit knüpfte. Vgl. Kahrs (Anm.3), S.35-38. 35 Vgl. die diversen Schreiben zwischen der Reichsanstalt und verschiedenen Landesarbeitsämtern und Arbeitsämtern, BA rch R3901/20130-20132. Alle kriegs-, lebens- und rüstungswichtigen Betriebe und Verwaltungen hatten solche Mob.-Kalender zur Vorbereitung des Mobilmachungsfalls vorzubereiten. Allerdings hatten bis Mai 1939 nur ca. 60% der Betriebe dieser Aufforderung Folge geleistet. Müller (Anm.4), S.359.

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Jedoch stellte sich heraus, dass die Reichsanstalt im Zweifelsfalle keinen Zugang zu den Fernsprech- und Fernschreibleitungen hatte. Die beiden genannten Kommunikationswege wurden in den 1930erJahren in rasch wachsendem Maße von Verwaltungen und Unternehmen genutzt. Der Reichspost war es nicht möglich, den notwendigen Ausbau der Leitungen zu realisieren. Seit Mitte der 1930er-Jahre konnte sie die Nachfrage der öffentlichen Verwaltungen nach weiteren Leitungen in den Dienststellen und Privatwohnungen der Führungskräfte nicht mehr bedienen. Die existierenden Leitungen waren zunehmend überlastet. Zu den Stoßzeiten ergaben sich mitunter mehrstündige Wartezeiten, bevor die Telefonzentralen die gewünschten Verbindungen schalten konnten. Verschiedene Appelle der Reichspost an alle Zweige der öffentlichen Verwaltung, ihre Kommunikation stärker postalisch abzuwickeln und den Gebrauch der Fernschreib- und Sprechleitungen zu minimieren, verhallten ungehört.36 Dementsprechend entschied sich die Reichspost, die Wichtigkeit der Fernschaltungen zu hierarchisieren und zu Stoßzeiten vor allem dringenden Staatsgesprächen und -telegrammen den Vorzug zu geben. Andere Gespräche und Fernschreiben mussten warten. In der Fernsprechordnung legte die Reichspost fest, dass nur die Reichs- und Staatsbehörden der Länder dringende Staatsgespräche und -telegramme anmelden durften.37 Diese Bestimmung schloss die Reichsanstalt und die Arbeitsämter von den schnellen Kommunikationswegen aus, da sie als Körperschaften des öffentlichen Rechts weder als Reichs- noch als Staatsbehörden galten. Jedoch schien dies der Reichsanstalt zunächst nicht bewusst zu sein. Dieses Problem verdeutlichte erst eine Probeübung des Landesarbeitsamts Bayern. In der Nacht vom 10. auf den 11.  März 1938 spielten die Arbeitsämter des Bezirks den Kriegsfall durch. Geprobt wurden vor allem die Einberufung des eigenen Personals, das sich zur Nachtzeit nicht in den Dienststellen aufhielt, die Verbindungsaufnahme mit den militärischen Stellen und die Umstellung des Dienstbetriebs auf Kriegsbedingungen. Das Landesarbeitsamt wertete den Ablauf der Übung aus und betonte in seiner Analyse vor allem den starken Gebrauch der Fernsprechanlagen. Ferner regten verschiedene 36 Höpfner, Reichspostministerium, an alle Reichsministerien und die Reichskanzlei, betr. dringende Staatsgespräche, 5.4.1935, BA rch R3901/11983, nicht pag. 37 Reichspostdirektion Berlin an Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, 18.6.1938, BA rch R3901/20130, Bl.168; Höpfner, Reichspostministerium, an alle Reichsministerien und die Reichskanzlei, betr. dringende Staatsgespräche, 5.4.1935, BA rch R3901/11983, nicht pag.

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Arbeitsämter an, sowohl Fernsprechanschlüsse in den Wohnungen der Amtsleiter einzurichten als auch einen ausreichenden Briefmarkenbestand in jedem Amt anzuschaffen. Die Ergebnisse der Analyse übersandte der Präsident des Landesarbeitsamts, Karl Durst, der Reichsanstalt am 19.  März.38 Im April zog die Reichsanstalt ihre Schlüsse aus der Übung und übersandte den bayerischen Bericht an die übrigen Landesarbeitsämter. Die Übung hatte die Wichtigkeit der Fernsprechleitungen unter Beweis gestellt. Allerdings hatte sie nachts stattgefunden, zu einer Zeit also, in der die Telefonleitungen wenig belegt waren. Zu Recht zweifelte man in der Reichsanstalt, dass die Kommunikation beim tatsächlichen Kriegsausbruch ebenfalls so störungsfrei verlaufen würde. Es war zu befürchten, dass die Leitungen in diesem Falle schnell überlastet wären. Im Mai fragte die Reichsanstalt bei der Reichspost an, ob die Dienststellen der Arbeitsverwaltung ohne weiteres berechtigt wären, Staatsgespräche zu führen oder ob dazu ein gesonderter Antrag zu stellen sei. Offensichtlich rechnete man nicht mit der Möglichkeit, überhaupt keine Staatsgespräche führen zu können. Die Anfrage richtete sich nur auf die Formalität, wie diese Kommunikationswege für die Arbeitsverwaltung freizuschalten wären, nicht darauf, ob sie der Arbeitsverwaltung zustünden. Umso schockierender fiel der eindeutig negative Bescheid der Reichspostverwaltung im Juni aus.39 Dieser Bescheid löste eine hektische Betriebsamkeit auf Seiten der Reichsanstalt aus, die sich im Zuge der »Spannungszeit« während der Sudetenkrise im September nochmals erhöhte. Man argumentierte mit den kriegswichtigen Aufgaben, die der Arbeitsverwaltung übertragen worden waren, verwies auf die Einbindung des Präsidenten Syrup in die Vierjahresplanbehörde und mobilisierte politische Unterstützung. Das Reichsarbeitsministerium, Göring und der Generalbevollmächtigte für die Kriegswirtschaft intervenierten beim Reichspostministerium zugunsten der Reichsanstalt. Die Auseinandersetzung zog sich über den Sommer und den Herbst 1938 hin, doch das Reichspostministerium setzte sich mit seiner formalrechtlich begründeten Ablehnung durch:

38 Karl Durst, Landesarbeitsamt Bayern, an Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, 19.3.1938, BA rch R3901/20132, Bl.109112. Die Übung fand »im Zusammenhang mit den politischen Ereignissen in Österreich«, dem sog. »Anschluss« statt. 39 Vermerk, Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, 25.11.1938, BA rch R3901/20130, Bl.180-181.

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»Das Recht, dringende Staatsgespräche anzumelden, steht nur den Reichsbehörden in reinen Staatsangelegenheiten, die Einlieferung von Staatstelegrammen lediglich den Reichs- und Staatsbehörden zu. Der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, die eine Körperschaft des öffentlichen Rechts ist, kann daher die Berechtigung zur Anmeldung dringender Staatsgespräche und zur Einlieferung von Staatstelegrammen nicht zugestanden werden. Ich bin hiernach zu meinem Bedauern nicht in der Lage, Ihren Anregungen zu entsprechen.«40 Es mag überraschen, dass in einer Diktatur wie der der Nationalsozialisten verwaltungsrechtliche Kategorien der Frage, ob es sich bei der Reichsanstalt um eine Reichsbehörde oder eine Körperschaft des öffentlichen Rechts handelte, eine derartige Bedeutung behielten und den geballten Willen von Hermann Göring und mehreren obersten Reichsbehörden aufhalten konnten. Diese Regelhaftigkeit erscheint auf den ersten Blick angesichts der Rechtlosigkeit des nationalsozialistischen Terrors verwunderlich. Trotz der gewalttätigen Willkür muss man sich jedoch vor Augen führen, dass das Deutsche Reich in weiten Teilen regelgebunden blieb. Dieses Paradoxon hat bereits in den 1930er-Jahren der Jurist Ernst Fraenkel analysiert. »Wer nicht die Augen vor der Realität der Verwaltungs- und Justizpraxis der Hitlerdiktatur verschloß, mußte von dem frivolen Zynismus betroffen sein, mit dem Staat und Partei für weite Lebensbereiche die Geltung der Rechtsordnung in Frage stellten und gleichzeitig mit bürokratischer Exaktheit in anders bewerteten Situationen die gleiche Rechtsvorschrift angewandt haben.«41 In den Bereichen, die das Regime als politisch bewertete, war die traditionelle Rechtsordnung suspendiert. In allen übrigen galt das Recht fort, denn Rechtssicherheit war außerhalb der politischen Sphäre auch im 40 Vgl. Rackow, Reichspostministerium, an Führungsstab Generalbevollmächtigter für die Wirtschaft (GBW ), z.H. von Ministerialdirektor Sarnow, 12.10.1938, BA rch R3901/20130, Bl.178. 41 Ernst Fraenkel: Gesammelte Schriften, Bd.2, S.41, zit. nach Hubertus Buchstein/Gerhard Göhler: Ernst Fraenkel (1898-1975), in: Wilhelm Bleek/ Hans J. Lietzmann (Hg.): Klassiker der Politikwissenschaft. Von Aristoteles bis David Easton, München 2005, S.151-164, hier S.156f.; Alexander von Brünneck: Ernst Fraenkels Urdoppelstaat von 1938 und der Doppelstaat von 1941/1974, in: Hubertus Buchstein/Gerhard Göhler (Hg.): Vom Sozialismus zum Pluralismus. Beiträge und Leben Ernst Fraenkels, Baden-Baden 2000, S.29-42, hier S.30.

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Nationalsozialismus ein wichtiges Gut. Anders hätte ein auf Privateigentum basierendes, kapitalistisches Wirtschaftssystem nicht fortbestehen können, wenn es gar keine Voraussehbarkeit staatlichen Handelns mehr gegeben hätte.42 Dies galt mit Nachdruck für das weitreichende und sensible Feld der Arbeitspolitik. Es verwundert also nicht, dass in der Frage der Kommunikationsmittel, welche die Reichsanstalt beanspruchte, verwaltungsrechtliche Kategorien entschieden. Der Reichsanstalt blieben diese Mittel versperrt, ihre Planungen für den Kriegsausbruch wurden hinfällig. Jedoch fand man eine andere, rechtsförmige Lösung des Problems. Sie bestand in der Veränderung der Organisationsform. Die Reichsanstalt wurde in das Reichsarbeitsministerium eingegliedert und bildete fortan eine seiner Hauptabteilungen. Die Eingliederung löste das Kommunikationsproblem der Reichsanstalt. »Infolge [der] Eingliederung in das Reichsarbeitsministerium ist für die frühere Hauptstelle der RA [Reichsanstalt] die Frage […] gegenstandslos geworden.«43 Die am 1. April 1939 erfolgte Erhebung der Landesarbeitsämter und Arbeitsämter zu Reichsbehörden löste auch für die nachgeordneten Dienststellen das Problem.44 Es existiert keine Überlieferung zu der Frage, ob die Mitarbeiter der Hauptabteilung  V in den Septembertagen des Jahres 1939 den gewünschten privilegierten Zugang zu den Fernsprech- und Fern42 Diese Gleichzeitigkeit angewandter und ignorierter Rechtsordnung verdichtete Fraenkel im »Doppelstaat« zu der These, die nationalsozialistische Herrschaft bestehe aus zwei Rechtssphären, die er je mit einem anderen Staatsbegriff benannte. Im Bereich des »Normenstaats« galt das Recht fort. Der Fortbestand des traditionellen Rechtswesens habe jedoch im Nationalsozialismus unter grundsätzlichem Vorbehalt gestanden, sobald es politische Belange berührte. »Im politischen Sektor des Dritten Reichs gibt es weder ein objektives noch ein subjektives Recht, keine Rechtsgarantien, keine allgemein gültigen Verfahrensvorschriften und Zuständigkeitsbestimmungen – kurzum, kein auch die Betroffenen verpflichtendes und berechtigendes Verwaltungsrecht. In diesem politischen Sektor fehlen die Normen und herrschen die Maßnahmen. Daher der Ausdruck ›Maßnahmenstaat‹.« Ernst Fraenkel: Der Doppelstaat, Rückübers. aus dem Engl. v. Manuela Schöps in Zsarb. mit dem Verf. (1974), hg. v. Alexander v. Brünneck, 3. Aufl., Hamburg 2012, S.55-58, 113f., 120, Zitat S.55. Zur Bedeutung der Rechtssicherheit auch im Nationalsozialismus vgl. ebd., S.124, 126, 142f., 177. Siehe zu Ernst Fraenkel auch die Einleitung von Alexander Nützenadel in diesem Band. 43 Vermerk, Reichsarbeitsministerium, Hauptabteilung  V (Arbeitseinsatz), 19.2.1939, BA rch R3901/20130, Bl.184. Gleichzeitig wurde die Arbeitsverwaltung dadurch auch von der Portozahlung befreit; dies befriedete einen weiteren, langen Streit mit der Reichspost. 44 Verwaltungs-Jahrbuch (Anm.24), S.37.

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schreibleitungen erhielten. Es bleibt aber zu vermuten, dass die Arbeitsverwaltungsbehörden selbst mit dem privilegierten Zugang auf technische Kommunikationsprobleme stießen. Das Fernsprech- und Fernschreibaufkommen der Behörden vergrößerte sich noch mit Kriegsausbruch. Die Post kämpfte weiterhin gegen eine Überbelastung ihrer Leitungen an. In internen Schreiben mahnten Behördenleiter ihre Dienststellen immer wieder zu einer zurückhaltenden Nutzung der Fernsprechleitungen.45 Es steht jedoch fest, dass das für den Kriegsfall befürchtete Chaos auf dem Arbeitsmarkt ausblieb. Zwar wurde Friedrich Syrup, mittlerweile Staatssekretär im Reichsarbeitsministerium, nicht müde, vor dieser Gefahr zu warnen, aber augenscheinlich griffen die Maßnahmen der Verwaltung zügig genug.46

Das Reichsarbeitsministerium und die Organisation der Kriegswirtschaft Die neue Hauptabteilung  V im Reichsarbeitsministerium nahm eine andere Rechts- und Organisationsform als die Reichsanstalt an. Der Haushalt der Reichsanstalt ging nun im Etat des Reichsarbeitsministeriums auf. Die Beitragszahlungen zur Arbeitslosenversicherung blieben jedoch bestehen. Die Beiträge wurden an den sogenannten Reichsstock für den Arbeitseinsatz abgeführt, wo sie aber nicht zur Finanzierung der Versicherung dienten. Der Reichsstock stellte diese Gelder dem Reich als Darlehen zur Verfügung, dass damit einen Teil seiner Rüstungsaufgaben finanzierte. Auch nach dem Rückgang der Arbeitslosigkeit wurden die Beitragssätze nicht gesenkt. Versicherte zahlten weiterhin wie zur Hochzeit der Arbeitslosigkeit einen Beitragssatz von 6,5%, losgelöst von der Frage, ob sie nach den neuen Kriterien Anrecht auf Arbeitslosenunterstützung hatten oder nicht. 45 Koch, Reichsarbeitsministerium, betr. Fernsprechbenutzung, 20.12.1939, BA rch R3901/11983, nicht pag. 46 Die höchste Arbeitslosigkeit herrschte im Bezirk des Landesarbeitsamts Rheinland mit ca. 18000 gemeldeten Arbeitslosen. Landesarbeitsamt Rheinland, betr. Arbeitslagebericht für die Zeit vom 11.-17.10.1939, BA rch R3901/20246, Bl.61-63; Vermerk, Pressekonferenz 13.10.1939, BA rch RW 19/230; auch bei Recker (Anm.4), S.63; Arbeitseinsatz 1939, BA rch RW 19/2113, Bl.183; vgl. zur ausbleibenden Arbeitslosigkeit allgemein die Monatsberichte zur Rüstungswirtschaft 1939, BA rch RW 19/204. Zur Furcht der politischen Führung vor einer größeren Arbeitslosigkeit bei Kriegsbeginn vgl. ebenfalls Müller (Anm.4), S.382.

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Die Versicherungsbeiträge wirkten somit indirekt wie eine Steuer, wodurch die deutschen Arbeitnehmer verdeckt zur Finanzierung der Aufrüstung herangezogen wurden. Die veränderte verwaltungsrechtliche Lage betraf vor allem die vormalige Abteilung  IA der Reichsanstalt (Personalangelegenheiten und allgemeine Verwaltung), die für Haushalts- und Personalangelegenheiten zuständig war. Alle pekuniären Aspekte der Arbeitsverwaltung mussten nun auf das Reichshaushaltsrecht umgestellt werden. Ähnliches galt für die Personalbestimmungen und Arbeitsverträge, denn die Mitarbeiter wurden zu Reichsbeamten verbeamtet oder Angestellten der Reichsverwaltung. Diese Umstellungen verursachten viel Arbeit und beschäftigten die nun zuständige Abteilung Ia in der Hauptabteilung I des Reichsarbeitsministeriums (Allgemeine Verwaltung, Personal-, Haushalts- und Wirtschaftsangelegenheiten etc.) für längere Zeit. Hingegen änderte sich durch die Eingliederung in das Ministerium zunächst nur wenig für die Abteilungen, die nicht mit den Sachthemen Personal und Haushalt beschäftigt waren. Die ehemaligen Mitarbeiter der Reichsanstalt wurden lediglich auch räumlich in das Ministerium eingegliedert und bezogen neue Büros in der Saarlandstraße in BerlinMitte. In der Verwaltungstätigkeit der Abteilungen Arbeitsvermittlung, Berufsberatung, Arbeitsbuch, Versicherungsabteilung etc. änderte sich hingegen durch die Eingliederung kaum etwas. Sie gingen wie bisher in eingespielter Weise ihren Aufgaben nach.47 Erst der Kriegsausbruch neun Monate später veränderte die Tätigkeit der Arbeitsverwaltung massiv. Wie in den minutiösen Planungen festgelegt, übernahm die Arbeitsverwaltung nun die Lenkung des Arbeitsmarktes. Sie wurde damit Teil des komplexen und sich häufig wandelnden Geflechts an öffentlichen und privaten Instanzen, welche die deutsche Kriegswirtschaft organisierten.48 Dieses orientierte sich in der ersten Kriegshälfte an den Strukturen, die sich unter der Ägide der Vierjahresplanbehörde herausgebildet hatten. Die Produktion der rüstungs-, kriegs- und lebenswichtigen Güter erfolgte nach staatlicher Auftragsvergabe in privaten Unternehmen. Da es der deutschen Wirtschaft an wichtigen Rohstoffen und Ressourcen fehlte, konnten die Unternehmen diese nicht frei auf dem Markt erwerben. Sie wurden ihnen von verschiedenen staatlichen Behörden zugeteilt.49 Dafür 47 Verwaltungs-Jahrbuch (Anm.24), vor allem S.37, 401, 420. 48 Vgl. dazu Anm.4. 49 Die Rationierung knapper Ressourcen begann mit der Devisenbewirtschaftung und wurde dann vor allem auf die Ressource Stahl ausgedehnt, bevor

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waren in unterschiedlicher Zusammensetzung verschiedene Behörden zuständig. Dieses Maschenwerk öffentlicher Verwaltungsstellen hatte zu entscheiden, wie hoch die Produktion ausfallen sollte, welche Menge an Rohstoffen dafür benötigt wurde und wie viele Arbeitskräfte man den Unternehmen dafür zur Verfügung stellte. Der Wehrwirtschaftsstab (ab November 1939 Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt) des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW ) war für alle Betriebe verantwortlich, welche als Rüstungsbetrieb für einen der drei Wehrmachtsteile produzierten. Für diese »R-Betriebe« gab das Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt die Menge und Art der Produktion vor. Mit sogenannten Dringlichkeitsstufen hierarchisierte es die Wichtigkeit und Abfolge der Fertigungen.50 Die Dringlichkeitsstufen gaben der Wehrmachtsverwaltung somit ein Instrument an die Hand, die Rüstungsproduktion immer wieder umzusteuern und den jeweiligen strategischen Bedürfnissen anzupassen. Unternehmen, die nicht für das Militär produzierten, wurden vom Reichswirtschaftsministerium bzw. dem Generalbevollmächtigten für die Wirtschaft kontrolliert. Landwirtschaftliche Betriebe hatten sich zusätzlich mit dem Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft und dem Reichsnährstand auseinanderzusetzten.51 Die genannten Instanzen machten Vorgaben über die Menge und Dringlichkeit der Produktion. Andere Stellen entschieden unter Berücksichtigung dieser Richtlinien über das Ausmaß an Ressourcen, welche die mit der Produktion beauftragten Unternehmen erhalten sollten. Es oblag der Arbeitsverwaltung zu entscheiden, wie viele Arbeitskräfte die Unternehmen tatsächlich erhalten sollten, und diese Kräfte dann auch zu vermitteln.52

auch die Verteilung von Arbeitskräften staatlich organisiert wurde. Petzina (Anm.14), S.18f., 40-46; Tooze (Anm.4), S.96, 273-284. 50 Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt des OKW an Vierjahresplanbehörde, Reichsminister für Wirtschaft (RMW i), Reichsarbeitsministerium, Reichsverkehrsministerium, betr. Umsteuerung der Rüstung, 15.7.1940, BA rch R3901/20246, Bl.2-4. 51 Bericht »Organisation der Kriegswirtschaft«, o.D. [vermutlich 1943], BA rch RW 19/509. 52 Friedrich Syrup, Reichsarbeitsministerium, an Landesarbeitsämter, betr. Arbeitseinsatzmaßnahmen zur Deckung des wehrwirtschaftlichen Kräftebedarfs, 15.9.1939, BA rch R3901/20279, Bl.24-25; Friedrich Syrup, Reichsarbeitsministerium, an Landesarbeitsämter, betr. Durchführung der Anordnung des Vorsitzenden des Ministerrats für die Reichsverteidigung Ministerpräsident Generalfeldmarschall Göring vom 28.  September 1939; hier: Facharbeitermangel, 3.11.1939, BA rch R3901/20279, Bl.42; Philipp Beisiegel,

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Jedes Unternehmen meldete an das es betreuende Arbeitsamt seinen Arbeitskräftebedarf. Die Arbeitsämter gingen davon aus, dass Unternehmen häufig einen zu hohen Bedarf anmeldeten, um sich die knappe Ressource Arbeitskraft zu sichern. Deswegen wurden die Bedarfsmeldungen der Unternehmen nicht eins zu eins übernommen, sondern aufgrund von Erfahrungen, allgemeinen Richtlinien und Unternehmensbesuchen durch das Amt korrigiert. Die überarbeiteten Bedarfsmeldungen aller Unternehmen in seinem Bezirk teilte das Arbeitsamt dem Landesarbeitsamt mit, das seinerseits Korrekturen vornahm. Für den Landesbezirk stellte es somit den Arbeitskräftebedarf nach Branche und Berufsgruppen zusammen, den es an das Reichsarbeitsministerium weiterleitete. Hier liefen die Informationen aus allen Landesteilen des Reiches zusammen. Die Hauptabteilung  V verglich die Arbeitsnachfrage mit den Produktionsvorgaben, welche ihr je nach Zuständigkeit die Wehrmachtsverwaltung oder das Reichswirtschaftsministerium übermittelte. Aus diesen beiden Parametern errechnete die Hauptabteilung die Menge der Arbeitskräfte, die versetzt werden müssten. Sie entschied, wie viele Arbeitskräfte den Produktionen unterschiedlicher Dringlichkeitsstufen zugeführt werden sollten.53 Es standen immer weniger Arbeitskräfte zur Verfügung, von daher mussten welche aus Unternehmen herausgelöst und in anderen Betrieben eingesetzt werden. Die Anzahl legte die Hauptabteilung wiederum auf die verschiedenen Landesarbeitsamtsbezirke um. Sie berücksichtigte dabei die Arbeitsmarktlage in den Bezirken, den Ort der Produktion und die regionale Arbeitsnachfrage. Konnte der Bedarf in einem Landesarbeitsamtsbezirk nicht gedeckt werden, organisierte die Hauptabteilung  V über den sogenannten »Reichsausgleich« die Verschickung von Arbeitskräften aus einem Teil des Reiches in eine andere Region. Durch das Instrument der »Dienstverpflichtung« wurden Arbeitnehmer auch gegen ihren Willen gezwungen, Arbeitsplätze außerhalb ihrer Heimatbezirke anzutreten. Dem Reichsarbeitsministerium kam somit insgesamt die Steuerungsfunktion in der Arbeitskräftelenkung

Reichsarbeitsministerium, an Landesarbeitsämter, betr. Beurteilung von Kräfteanforderungen, 7.2.1942, BA rch R3901/20289, Bl.6-7. 53 Friedrich Syrup, Reichsarbeitsministerium, Hauptabteilung Va (Arbeitseinsatz), an Landesarbeitsämter, betr. Anordnung des Führers und Obersten Befehlshabers der Wehrmacht vom 20. August 1940 über die Durchführung der Fertigungsprogramme der Sonderstufe, 23.8.1940, BA rch R3901/20246, Bl.51-52.

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zu.54 Sie machte die Vorgaben über die in Bewegung zu setzenden Arbeitskräfte. Mit der tatsächlichen Durchführung waren die nachgeordneten Dienststellen beauftragt. Hier fiel die Entscheidung, welche Unternehmen Arbeitskräfte abgeben mussten. Dem Reichsarbeitsministerium kam somit eine ganz konkrete Rolle in der Organisation der deutschen Kriegswirtschaft zu. Das Ministerium nahm exekutive Aufgaben wahr. Es setzte die Entscheidungen anderer Instanzen um, indem es die Steuerung der Wirtschaft durch die Umlenkung von Arbeitskräften ermöglichte. Das Arbeitsministerium und seine nachgeordneten Dienststellen der Arbeitsverwaltung hatten so einen enormen Einfluss auf die Kriegswirtschaft, da sie die Höhe der Arbeitskräftezuweisungen beschlossen. Jedoch entschied nicht das Reichsarbeitsministerium, in welche Branchen oder zu welchen Produktionsarten die Arbeitskräfte zu lenken waren.55 Trotz seines Einflusses blieb das Reichsarbeitsministerium somit keine entscheidende, sondern eine ausführende Kraft. Wohl deshalb ist dem Arbeitsressort bisher in der historischen Forschung nur geringere Aufmerksamkeit zuteilgeworden, auch wenn dies nicht seiner tatsächlichen Bedeutung für die Organisation der Kriegswirtschaft entspricht. Über die Ausrichtung der Wirtschaft oder Rüstungsproduktion bestimmten andere Stellen. Wie gestaltete sich jedoch die Verwaltungspraxis des Arbeitsministeriums bei der Steuerung der Wirtschaft? Vor allem in der Rüstungswirtschaft erfolgten seit Kriegsbeginn zahlreiche Umsteuerungen. Zunächst lag der Schwerpunkt auf der Munitions- und Sprengstofffertigung, die zur Vorbereitung des Frankreichfeldzuges nochmals intensiviert wurde.56 Nach dem Sieg über Polen liefen gleichzeitig die Vorbereitungen für das Unternehmen »Seelöwe«, der geplanten Invasion Großbritanniens, an. Nach der Niederlage Frankreichs wurde die Fertigung im Munitionsbereich zurückgefahren und drei neue Schwerpunktprogramme gebildet, nämlich für die Ausrüstung der schnellen Truppen, die Fertigung von U-Booten

54 Friedrich Syrup, Reichsarbeitsministerium, an Landesarbeitsämter, betr. Anwendung der Dienstpflicht-VO , 24.11.1939, BA rch R3901/20279, Bl.47. 55 Diese Funktion nahmen verschiedene Behörden wahr. Zunächst lag die Federführung beim GBW und dem Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt des OKW , später beim Reichsministerium für Bewaffnung und Munition. Zum Überblick über die verschiedenen und wechselnden Akteure vgl. Müller (Anm.4). 56 Tooze (Anm.4), S.397.

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und von Ju  88-Kampfflugzeugen.57 Weitere Schwerpunktprogramme entstanden im Zuge der Vorbereitungen für den Angriff auf die Sowjetunion. Innerhalb dieser sich abwechselnden und gegenseitig verdrängenden Programme gab es wiederum »Sonderstufen«. Die Dringlichkeit dieser Fertigungen hatte gegenüber allen anderen Priorität. Die gesamte Kriegsproduktion unterteilte sich auf diese Weise sukzessive in Sonderstufen, die Dringlichkeitsstufen der Klasse I, II und III sowie weitere Kategorien. Die Arbeitsämter waren angewiesen, immer zuerst für die vollständige Deckung des Arbeitskräftebedarfs der Sonderstufen und der Dringlichkeitsstufe  I zu sorgen. Erst danach sollten die weniger wichtigen Fertigungskategorien versorgt werden.58 Die häufigen Umsteuerungen der Rüstung waren den wechselhaften strategischen Vorgaben der Kriegsführung geschuldet. Jedoch erschwerten sie die Aufgabe der Rüstungsunternehmen. Eine langfristige unternehmerische Planung war so kaum möglich.59 Diese Unsicherheit verschärfte sich noch dadurch, dass der Staat längere Zeit benötigte, um sich mit der Rüstungsindustrie auf Festpreise für die Rüstungsgüter zu einigen, die den Unternehmen einen Profit garantierten und somit Anreize für Investitionen in die eigenen Produktionsanlagen lieferten.60 Weiter kam erschwerend hinzu, dass es an einer einheitlichen Lenkung der Rüstungsvorgaben mangelte. Selbst die drei Wehrmachtsteile – Heer, Luftwaffe und Marine – koordinierten ihre Rüstungsaufträge nur mangelhaft. Dem Wehrwirtschaftsamt gelang es nicht, sie zu einem einheitlichen Vorgehen zu verpflichten. Viele weitere Stellen versuchten, Einfluss auf die Wirtschaftspolitik zu nehmen. Kurzum, es fehlte an einer einheitlichen Steuerung der Kriegswirtschaft.61 Dies führte dazu, dass die Sonder- und Dringlichkeitsstufen unablässig verändert wurden. Dementsprechend verloren Rüstungsbetriebe Aufträge oder 57 Landfried, Reichswirtschaftsministerium, an die Reichsstatthalter, Oberpräsidenten, Regierungspräsidenten und entsprechenden Behörden, betr. Umsteuerung der Rüstung, 23.7.1940, BA rch R3901/20285, Bl.221-222. 58 Friedrich Syrup, Reichsarbeitsministerium, Hauptabteilung Va (Arbeitseinsatz), an Landesarbeitsämter, 23.8.1940, BA rch R3901/20246, Bl.51-52; WiRüAmt an Vierjahresplanbehörde, RMW i, Reichsarbeitsministerium, Reichsverkehrsministerium, 15.7.1940, BA rch R3901/20246, Bl.2-4. 59 Dietrich Eichholtz: Ökonomie, Politik und Kriegführung. Wirtschaftliche Kriegsplanungen und Rüstungsorganisationen bis zum Ende der »Blitzkriegs«phase, in: ders. (Hg.): Krieg und Wirtschaft. Studien zur deutschen Wirtschaftsgeschichte 1939-1945, Berlin 1999, S.9-42, hier S.30. 60 Ebd., S.26-29. 61 Herbst (Anm.4), S.115f.

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mussten ihre Produktion umstellen. Arbeitskräfte und Ressourcen wurden erneut zwischen den Betrieben umverteilt. Darunter litt die Effizienz der Kriegsproduktion. Auch wenn in der historischen Fachliteratur diese Mängel in der Organisation der Kriegswirtschaft häufig beschrieben wurden, ist dabei meist übersehen worden, wie schnell und effizient das Reichsarbeitsministerium die durch die Umsteuerungen notwendig gewordene Arbeitskräfteumlenkung meisterte. Innerhalb weniger Wochen nach der Umstellung der Sonder- und Dringlichkeitsstufen führte die Arbeitsverwaltung mehrere zehntausende Arbeitskräfte den nunmehr privilegierten Fertigungen zu. Allein in den Monaten November und Dezember 1940 setzten die Arbeitsämter beispielsweise 820386 bzw. 592496 Facharbeiter und Hilfskräfte durch Dienstverpflichtungen, Zuweisungen und Vermittlungen um. Ca. 140000 dieser Arbeitskräfte wurden direkt in die Rüstungsindustrie gelenkt.62 Dafür lenkten die Arbeitsämter die Fluktuation auf dem Arbeitsmarkt gezielt in die gewünschten Betriebe, entzogen weniger wichtigen Unternehmen Arbeitskräfte oder legten für die Kriegswirtschaft unbedeutende Betriebe still. Unter den Maßnahmen litt vor allem die Konsumgüterindustrie, die zugunsten der Rüstungsindustrie fortwährend marginalisiert wurde. Dadurch gelang es aber der Arbeitsverwaltung, die Rüstungskapazitäten der Kriegswirtschaft in arbeitspolitischer Hinsicht sicherzustellen. Die Instrumente der Arbeitsverwaltung zur Erfassung des Arbeitsmarktes und zur Lenkung der Arbeitskräfte hatten sich innerhalb kurzer Zeit eingespielt und bewährt. Ein Beispiel aus der Praxis zeigt, wie effektiv diese unterschiedlichen Maßnahmen der Verwaltung ineinander griffen – und dennoch nicht ausreichten.

Der Reichsausgleich – ein Fallbeispiel der Arbeitskräftelenkung Im Zuge des Minenkrieges in der Nordsee suchte ein Sperrversuchskommando der Kriegsmarine in Kiel Anfang 1940 dringend drei Uhrwerksmeister. Uhrwerkskonstrukteure waren im Krieg gesuchte Fachkräfte geworden, da ihre Fähigkeiten in der Zünderfertigung benötigt wurden. Das Sperrversuchskommando wandte sich an das 62 Philipp Beisiegel, Reichsarbeitsministerium, betr. Deckung des Bedarfs der Rüstungsindustrie; hier: Fluktuationslenkung in den Monaten November und Dezember 1940, interner Vermerk, 24.2.1941, BA rch R3901/20281, Bl.45-48.

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Arbeitsamt Kiel, das aber keine Uhrwerkskonstrukteure zuweisen konnte. Das Arbeitsamt übermittelte das Gesuch an die ihm vorgesetzte Behörde, das Landesarbeitsamt Nordmark. Da auch im Bezirk des Landesarbeitsamtes keine Uhrwerksmeister zur Verfügung standen, schaltete der Präsident des Landesarbeitsamts, Heinrich Peckert, die Hauptabteilung V des Reichsarbeitsministeriums ein und bemühte somit das Verfahren des »Reichsausgleichs«.63 Dadurch sollten auch Stellen besetzt werden, für die lokal oder regional keine Arbeitskräfte ausfindig gemacht werden konnten.64 Nach Kriegsausbruch löste sich die Arbeitskräftereserve beinahe gänzlich auf, weswegen fast ausschließlich bereits beschäftigte Kräfte für die Vermittlung in Frage kamen. In dem konkreten Fall war man im thüringischen Ruhla bei der Metallwarenfabrik Gebrüder Thiel fündig geworden. Im März beauftragte das Arbeitsministerium das Landesarbeitsamt Mitteldeutschland, drei Uhrwerksmeister dem Sperrversuchskommando zur Verfügung zu stellen. Am 10.  April übersandte das für den Ort Ruhla zuständige Arbeitsamt Eisenach die Bewerbungsunterlagen der drei ausfindig gemachten Facharbeiter an das Arbeitsamt Kiel. Nach Rücksprache mit dem potenziellen Arbeitgeber forderte Kiel sie beim Landesarbeitsamt Mitteldeutschland an, welches wiederum das Arbeitsamt Eisenach anwies, die drei Facharbeiter dienstzuverpflichten. Mit dem Mittel der Dienstverpflichtung konnte  – wie bereits ausgeführt – der Arbeitsvertrag auf Anordnung des Arbeitsamts ausgesetzt und die Arbeitskräfte auch gegen ihren Willen an jede beliebige Arbeitsstelle im Reich versetzt werden.65 Bis hierhin griffen die Räder der Verwaltung reibungslos ineinander. Der Arbeitsmarkt wurde zügig durchforstet und die benötigten Kräfte ausfindig gemacht. Die tatsächliche Gestellung der Kräfte gestaltete sich hingegen wesentlich schwieriger. Die betroffene Firma wehrte sich gegen den Abzug ihrer Arbeiter. Ihr Geschäftsführer, Reinhold Thiel, war in Thüringen ein einflussreicher Mann. Er war langjähriger Präsident der mittelthüringischen Handelskammer und seit 1936 Mitarbeiter im Amt des Gauwirtschaftsberaters der NSDAP . Im Jahr 1938 wurde er zum thüringischen Staatsrat ernannt und übte 63 Nachtigall, Landesarbeitsamt Nordmark, an Reichsarbeitsministerium, 17.9.1940, BA rch R3901/20246, Bl.137. Das Schreiben von Nachtigall schildert die Ereignisse aus der Rückschau. 64 Friedrich Syrup, Reichsanstalt, an Landesarbeitsämter: Ausgleich, 14.9.1937, BA rch R3903/2319, nicht pag. 65 Brennecke, Arbeitsamt Kiel, an Landesarbeitsamt Nordmark, 3.9.1940, BA rch R3901/20246, Bl.138.

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seit 1939 eine ständige Mitgliedschaft in der einflussreichen regionalen Rüstungskommission aus. In Verhandlungen mit dem Arbeitsamt Eisenach erreichte Thiel, dass seiner Firma nur eine der drei Fachkräfte entzogen wurde.66 Am 20.  April informierte das Arbeitsamt Eisenach seine Kieler Kollegen über die Entwicklung und bat, Kiel möge sich für einen der drei namentlich aufgeführten Uhrwerksmeister entscheiden. Vier Wochen später traf in Eisenach der Wunsch des Marine-Sperrkommandos ein, den Sohn des Inhabers Thiel nach Kiel zu entsenden. Jedoch informierten die Thüringer Arbeitsverwalter das Arbeitsamt Kiel darüber, dass die Wehrmacht mittlerweile Thiels Sohn eingezogen habe und er damit nicht mehr für eine Dienstverpflichtung zur Verfügung stehe. Das Arbeitsamt Kiel antwortete umgehend mit der Bitte der Dienstverpflichtung des zweitgenannten Facharbeiters. Wiederum mussten die Eisenacher verneinen, denn dieser war mittlerweile zum Arbeitsdienst abkommandiert. Als die Norddeutschen dann am 15.  Juni die Dienste des letztgenannten Uhrwerkskonstrukteurs anforderten, kamen in der Thüringischen Rüstungskommission der Unternehmer Thiel, die Rüstungsinspektion der Wehrmacht und das Arbeitsamt Eisenach überein, dass man der Firma nicht auch noch ihren letzten Konstrukteur entziehen könne, zumal er hier mit Fertigungen der wichtigen Dringlichkeitsstufe I betraut sei.67 Dieser Vorfall sorgte für einen gewissen Eklat in der Arbeitsverwaltung. Das Landesarbeitsamt Nordmark beschwerte sich beim Ministerium über die Thüringer Kollegen, während das Arbeitsamt Eisenach seinerseits dem Amt in Kiel vorhielt, die Bewerbungsunterlagen zu langsam bearbeitet zu haben.68 Auch im Ministerium wunderte man sich darüber, dass der Präsident Peckert die Marinewerft nicht auf die Liste der Betriebe gesetzt habe, deren Kräftebedarf bei Kriegsausbruch innerhalb von zehn Tagen zu decken seien. Im Ministerium wurde die 66 Brennecke, Arbeitsamt Kiel, an Landesarbeitsamt Nordmark, betr. Bereitstellung von Uhrwerkskonstrukteuren für das Sperrversuchskommando KielWik, 3.9.1940, BA rch R3901/20246, Bl.138; Dieter Marek: Biographien der Regierungsmitglieder (Minister und Staatsräte), in: Bernhard Post/Volker Wahl (Hg.): Thüringenhandbuch. Territorium, Verfassung, Parlament, Regierung und Verwaltung in Thüringen 1920 bis 1995, Red. Dieter Marek, Weimar 1999, S.552-648, hier S.633f. 67 Landesarbeitsamt Mitteldeutschland an Reichsarbeitsministerium, betr. Bereitstellung von Uhrwerkskonstrukteuren für das Sperrversuchskommando der Kriegsmarine Kiel-Wik, 28.9.1940, BA rch R3901/20246, Bl.140. 68 Nachtigall, Landesarbeitsamt Nordmark, an Reichsarbeitsministerium, 17.9.1940, BA rch R3901/20246, Bl.137.

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Ansicht vertreten, bei einer solchen Priorisierung hätte das Sperrkommando längst seine Fachkräfte erhalten.69 In der Zwischenzeit wandte sich das Landesarbeitsamt Nordmark erneut an die Hauptabteilung V des Reichsarbeitsministeriums, betonte abermalig die Bedeutung des Sperrkommandos und erreichte, dass das Gesuch an das Landesarbeitsamt Sachsen weitergereicht wurde. Ebenfalls Mitte Juni unterrichteten die Sachsen die Berliner Zentrale davon, dass sie in ihrem Bezirk keinen freien Uhrwerksmeister hatten ausfindig machen können. Im September erneuerte Peckert den Auftrag, den das Reichsarbeitsministerium dieses Mal an das Landesarbeitsamt Südwestdeutschland weiterleitete.70 Anfang Oktober war das Landesarbeitsamt nach schwieriger Suche im Bezirk Pforzheim fündig geworden. Jedoch stellte sich heraus, dass dieser Uhrwerkskonstrukteur Schweizer war und deswegen nicht wie Reichsdeutsche dienstverpflichtet werden konnte. Lediglich die Uhrwerksindustrie im Schwarzwald bot noch Aussicht auf die gesuchten Fachkräfte. Das Arbeitsamt Rottweil überprüfte die Abzugsmöglichkeiten in der lokalen Industrie. Das Amt stellte fest, dass zwar alle Uhrwerksmeister mit Fertigungen der besonders wichtigen Sonderstufe oder Dringlichkeitsstufe  I beschäftigt waren, jedoch die Firma Gebrüder Junghans in Schramberg noch am ehesten zwei Uhrwerksmeister abgeben könne, da sie einen hohen Anteil an Facharbeitern in ihrer Belegschaft aufwies. Bevor die beiden Fachkräfte aber ihre Arbeit in Kiel aufnehmen konnten, setzte sich die Firma Junghans mit dem Sperrkommando der Kriegsmarine in Verbindung. Wie sich herausstellte, arbeiteten beide Uhrwerkskonstrukteure bereits an der Fertigung eines Gerätes für den Minenkrieg, welches just das besagte Sperrkommando im Juli bei der Firma Junghans in Auftrag gegeben hatte. Ein Abzug dieser Fachkräfte lag dementsprechend auch nicht im Interesse der Kriegsmarine. Das Sperrkommando einigte sich mit dem Schramberger Unternehmen darauf, dass die beiden Uhrwerkskonstrukteure erst im November, nach der Fertigstellung des in Auftrag gegebenen Gerätes, nach Kiel überstellt werden sollten.71 69 Hubert Hildebrandt, Reichsarbeitsministerium, Vermerk betr. Bereitstellung von Uhrwerkskonstrukteuren für das Sperrversuchskommando der Kriegsmarine Kiel-Wik, 4.10.1940, BA rch R 3901/20246, Bl.140. 70 Hubert Hildebrandt, Reichsarbeitsministerium, an Landesarbeitsamt Nordmark, betr. Bereitstellung von Uhrwerkskonstrukteuren für das Sperrversuchskommando der Kriegsmarine Kiel-Wik, November 1942 (Entwurf), BA rch R 3901/20246, Bl.142. 71 Schwarz, Landesarbeitsamt Südwestdeutschland, an Reichsarbeitsministerium, betr. Sicherstellung des Kräftebedarfs, hier: Uhrwerkskonstrukteure für

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Letztendlich gelang es der Arbeitsverwaltung nicht, die benötigten Fachkräfte der Marinewerft zu stellen. Sie scheiterte aber eben nicht an Ineffizienz oder einem »Ämterchaos« von zu vielen beteiligten Stellen. Uhrwerksmeister konnten nicht gestellt werden, weil es nicht genügend von ihnen gab. Das angeführte Beispiel zeugt zum einen von der Schwierigkeit, rare Fachkräfte aufzutreiben. Zum anderen belegt es, dass die Arbeitsverwaltung durchaus in der Lage war, die gesuchten Spezialkräfte ausfindig zu machen, auch wenn diese bereits beschäftigt und nicht arbeitssuchend gemeldet waren. Jede ausfindig gemachte Fachkraft arbeitete jedoch bereits in einer kriegswichtigen Produktion, was ihren Abzug für das Kieler Sperrkommando verhinderte. In diesem Beispiel scheiterte die Arbeitsverwaltung vor allem an dem eklatanten Facharbeitermangel in der deutschen Wirtschaft. Nicht nur in diesem Beispiel machte dieser Engpass die Bemühungen der Arbeitsverwaltung zunichte. Er war neben der Rohstoff- und Devisenlage das zentrale wirtschaftliche Problem des Deutschen Reichs. Der Krieg entzog dem Arbeitsmarkt Millionen arbeitsfähiger Männer, wodurch sich die arbeitspolitische Lage ab 1939 weiter verschärfte. Auch wenn die partielle Demobilisierung einiger Wehrmachtstruppen nach den abgeschlossenen Feldzügen gegen Polen und Frankreich eine gewisse Erleichterung versprach, blieb die Lage angespannt. Das Reichsarbeitsministerium sah sich im Spätsommer 1940 genötigt, die Erwartung der Wirtschaft zu dämpfen, dass nun nach dem Sieg über Frankreich das Arbeitskräfteproblem gelöst sei und auch den bisher benachteiligten Branchen wie der Konsumgüterindustrie vermehrt Arbeitskräfte zur Verfügung gestellt werden würden. Die Rüstungswirtschaft meldete nach wie vor Fehlbedarfe an Arbeitern an, was sich durch die Vorbereitungen für den Angriff auf die Sowjetunion noch verschärfte.72 Dem Problem hätte die Reichsregierung Abhilfe leisten können, wenn es zu einer Einigung über einen stärkeren Einsatz von deutschen Frauen gekommen wäre. Die weibliche Erwerbsquote war allerdings in Deutschland verglichen mit den USA und Großbritannien bereits relativ hoch. Die Mobilisierungsversuche von weiblichen Arbeitskräften brachten nicht die gewünschten Erfolge.73 Auch gab es ideologische Vorbedas Sperrversuchskommando der Kriegsmarine Kiel-Wik, 8.10.1940, BA rch R 3901/20246, Bl.141. 72 WiRüAmt an Vierjahresplanbehörde, RMW i, Reichsarbeitsministerium, Reichsverkehrsministerium, betr. Umsteuerung der Rüstung, 15.7.1940, BA rch R3901/20246, Bl.2-4. 73 Tooze (Anm.4), S.416, 591f.; Walter Naasner: Neue Machtzentren in der Deutschen Kriegswirtschaft, 1942-1945. Die Wirtschaftsorganisation der SS ,

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halte gegen einen verstärkten Fraueneinsatz.74 Stattdessen füllten polnische und französische Kriegsgefangene und Zivilarbeiter die Lücken. Jedoch bestanden gegen einen umfassenderen Zwangsarbeitseinsatz von Ausländern gerade bei der SS und in Teilen der NSDAP Vorbehalte. Diese richteten sich freilich nicht gegen den Zwangscharakter der Arbeitsverhältnisse, sondern aus rassistischen Gründen gegen die Anwesenheit von »fremdvölkischen« Menschen im Reich, worin eine Gefahr für die deutsche Bevölkerung gesehen wurde.75 Die Lösung des Arbeitskräfteproblems wurde vertagt, da man von einer schnellen Niederwerfung der Sowjetunion ausging. In den Vorstellungen der deutschen Führung wären alle Rohstoff- und Ressourcenprobleme mit einem Sieg auf einen Schlag gelöst gewesen. Aufgrund dieser Siegesgewissheit wurden auch die sowjetischen Kriegsgefangenen nicht zur Arbeit herangezogen. Im rassistischen Weltbild der Nationalsozialisten hatten Sowjetbürger zunächst nicht einmal als Zwangsarbeiter Platz. Zwei der drei Millionen sowjetischen Kriegsgefangenen ließ die Wehrmacht in ihren Gefangenenlagern bis Ende des Jahres 1941 verhungern.76 Die Situation änderte sich schlagartig mit der deutschen Niederlage vor den Toren Moskaus im Dezember 1941. Sie zwang das Deutsche Reich, seine Kriegsstrategie vom Blitzkrieg auf einen langen Abnutzungskrieg umzustellen. Dies verlangte nach einer deutlich erhöhten Kriegsproduktion und einer wesentlich größeren Anzahl von Einberufungen zum Militärdienst – zwei Handlungszwänge, die kaum miteinander zu vereinbaren waren. Die steigenden Verluste der Wehrmacht verschärften die Probleme zusätzlich. Um diese zu lösen, entschied sich die deutsche Führung nun doch, den Arbeitseinsatz von Ausländern massiv auszuweiten, um den neuen Arbeitskräfteanforderungen der Kriegswirtschaft gerecht zu werden. Aus den besetzten Gebieten Europas verschleppte die deutsche Arbeitsverwaltung mit teils äußerster Brutalität Millionen von Zivilistinnen und Zivilisten zur Zwangsarbeit ins Reich.77 Diese strategischen Entscheidungen gingen mit einer tiefgreifenden Reorganisation der Kriegswirtschaft einher. Am 8. Februar 1942 ver-

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das Amt des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz und das Reichsministerium für Bewaffnung und Munition, Reichsministerium für Rüstung und Kriegsproduktion im nationalsozialistischen Herrschaftssystem, Boppard am Rhein 1994, S.68f., 88. Herbert (Anm.4), S.74. Ebd., S.74, 158. Christian Streit: Keine Kameraden. Die Wehrmacht und die sowjetischen Kriegsgefangenen 1941-1945, Bonn 1978, S.10. Herbert (Anm.4), S.149.

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unglückte der Rüstungs- und Munitionsminister Fritz Todt tödlich. Die Vakanz seines Amtes setzte einen Umbau in Gang, der Albert Speer zu Todts Nachfolger und in der Folge zum neuen mächtigen Mann in der Kriegswirtschaft machte. Parallel dazu vollzog sich eine bedeutsame Neuerung im Bereich der Arbeitspolitik. Es wurde das Amt eines Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz (GBA ) geschaffen, das im März 1942 mit dem Thüringer Gauleiter Fritz Sauckel besetzt wurde. Sauckel bildete einen kleinen Stab fachlich und politisch versierter Mitarbeiter. Diesem neuen Amt wurden wichtige Teile des Reichsarbeitsministeriums unterstellt, nämlich die Hauptabteilung  III (Lohn) und die besagte Hauptabteilung  V mitsamt den ihr nachgeordneten Behörden. Die entscheidende Neuerung bestand darin, dass der GBA , anders als das Reichsarbeitsministerium, nicht nur für das Deutsche Reich zuständig war, sondern für den gesamten deutschen Machtbereich, einschließlich der besetzten Gebiete. Vorher konnte das Reichsarbeitsministerium seinen Anspruch, auch in den besetzten Gebieten für die Sozial- und Arbeitspolitik zuständig zu sein, nur in geringen Maßen durchsetzen. Denn die Kompetenz der Reichsbehörden endete an den Reichsgrenzen, in den besetzten Gebieten waren andere, teilweise neu geschaffene Behörden zuständig. Dieses Arrangement stützte die Macht Hitlers, da nur er als Führer und Reichskanzler die Zuständigkeit über den gesamten deutschen Machtbereich hatte.78 Die Verantwortlichkeit der deutschen Arbeitspolitik wechselte somit 1942 vom Reichsarbeitsminister Franz Seldte auf den Gauleiter und Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz Fritz Sauckel über.

Fazit Die Arbeitsverwaltung nahm im Nationalsozialismus eine andere Funktion wahr, als ihr bei ihrer Gründung in der Weimarer Republik zugedacht war. Ihre Aufgaben wandelten sich von der Arbeitsvermittlung über die Arbeitsbeschaffung hin zur Arbeitslenkung. Zu diesem Zweck erhielt die Verwaltung eine Reihe von Interventionsrechten. Sukzessive wurde die Freizügigkeit eingeschränkt und schließlich alle Beschäftigten unter ihre Kontrolle gestellt. Der Zweck lag in einer planmäßigen 78 Dieter Rebentisch: Führerstaat und Verwaltung im Zweiten Weltkrieg. Verfassungsentwicklung und Verwaltungspolitik 1939-1945, Stuttgart 1989, S.132. Die Ernennung Sauckels und seine Vollmachten durchbrachen dieses Prinzip auf dem Gebiet der Arbeitspolitik.

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Verteilung der zusehends knapperen Arbeitskräfte auf die wichtigsten Betriebe im Industrie- und Agrarsektor. Die zahlreichen Einberufungen von erwerbsfähigen Männern zur Wehrmacht erschwerte diese Aufgabe gravierend. Gerade in der zweiten Kriegshälfte gewann dementsprechend die Arbeitskräfterekrutierung an Bedeutung. Mitarbeiter der Arbeitsverwaltung zeichneten in dieser Zeit für den Einsatz von Millionen ausländischer Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen in der deutschen Kriegswirtschaft verantwortlich. Durch die systematische Beschaffung und Verteilung von Arbeitskräften linderte die Arbeitsverwaltung eines der zentralen wirtschaftlichen Probleme des Deutschen Reichs. Sie trug entschieden zur Aufrechterhaltung der deutschen Kriegswirtschaft und somit zur Stabilität des Regimes bei. Dabei handelte die Arbeitsverwaltung durchaus effizient und zweckrational. Dass sie dennoch nicht in der Lage war, den Unternehmen genügend Arbeitskräfte zu stellen, lag vor allem am eklatanten Kräftemangel. Ohne eine Untersuchung ihres Verwaltungshandelns lässt sich die deutsche Kriegswirtschaft kaum begreifen. Eine solche Analyse sollte, wie in diesem Beitrag geschehen, neben den Verwaltungsinstrumenten vor allem die Kommunikationswege der Organisation und die Akteurskonstellation, in der sie agierte, untersuchen.79 Alle drei Aspekte sind essentiell zum Verständnis der Organisation und ihres Verwaltungshandelns.

79 Vgl. hierzu auch den Beitrag von Ulrike Schulz in diesem Band.

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III. Expansion, Krieg und Verbrechen

Sozialpolitik zwischen Auslandspropaganda und imperialen Ambitionen Kiran Klaus Patel und Sandrine Kott

1939 publizierte Reichsarbeitsminister Franz Seldte ein umfangreiches Buch zur Sozialpolitik im Dritten Reich. Er pries darin nicht nur die angeblichen Erfolge in Deutschland, sondern betonte auch: »Vertreter von Sozialministerien, Wissenschaftler und Praktiker aus Europa und Übersee kommen in großer Zahl zu uns, um sich an Ort und Stelle von den einzigartigen Erfolgen« nationalsozialistischer Sozialpolitik zu überzeugen.1 Vier Jahre zuvor hatte der Minister eine deutlich kürzere Fassung desselben Werkes als Beilage zum Reichsarbeitsblatt, dem Organ des Ministeriums, vorgelegt, in dem der Ton noch deutlich weniger triumphalistisch gewesen war. Beide Texte hatte übrigens aller Wahrscheinlichkeit nach Seldte nicht selbst verfasst; eher handelte es sich um eine Zusammenstellung von Textteilen der verschiedenen Abteilungen seines Ministeriums unter seinem Namen. 1935 hatte der Minister lediglich festgehalten, die deutsche Regierung habe in bilateralen Staatsverträgen »von jeher den besten Weg erblickt, um den sozialen Schutz, den jeder Arbeiter und Angestellte in Deutschland genießt, auch in den Fällen des natürlichen zwischenstaatlichen Austauschs einheimischer und ausländischer Arbeitskräfte wirksam werden zu lassen.« Deutschland, so konnte man dem Text entnehmen, setzte auf internationale Kooperationen; das Buch zählte in diesem Zusammenhang unter anderem Verträge mit Dänemark, Frankreich, Polen und der Tschechoslowakei auf.2 Das war insofern bemerkenswert, da auf politischer Ebene das Verhältnis zu diesen Nachbarländern ziemlich angespannt war; zudem stellten die bilateralen Verträge keine deutsche Besonderheit dar, sondern waren in ein europäisches Netzwerk derartiger Abkommen eingebunden. Selbst 1939  – und damit wenige Monate vor Kriegsbeginn – räumte der Minister diesen bilateralen Verträgen noch eine prominente Stellung ein.3

1 Franz Seldte: Sozialpolitik im Dritten Reich, 1933-1938, München 1939, S.267. 2 Franz Seldte: Sozialpolitik im Dritten Reich (Beilage zum Reichsarbeitsblatt 1935, Nr.36), Berlin 1935, S.4, 65. 3 Seldte: Sozialpolitik im Dritten Reich (1939) (Anm.1), S.267-269.

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Während das NS -Regime seit 1933 in vielen Fragen einen konfrontativen und radikal-nationalistischen Kurs auf internationaler Ebene verfolgte und seine Sozialpolitik immer mehr auf die Bedürfnisse von Kriegsvorbereitung und -führung ausrichtete, setzte es seine Maßnahmen in diesem Bereich zugleich als Aushängeschild gegenüber dem Ausland ein. Zugleich stießen diese international auf großes Interesse. So reisten während der gesamten NS -Zeit Experten und staatliche Delegationen aus den verschiedensten Ländern nach Deutschland, um die sozialpolitischen Maßnahmen des Regimes zu studieren. Auch nach Kriegsbeginn kam es zu intensivem Austausch; vom Aushängeschild des Regimes in der Welt wandelte sich die Sozialpolitik nun jedoch stärker zu einem Herrschafts- und Unterdrückungsinstrument. Diese Entwicklungen werden im Folgenden nach einer Skizzierung der internationalen Sozialpolitik bis 1933 erläutert. Das Reichsarbeitsministerium selbst nutzte in der NS -Zeit seine seit Jahrzehnten aufgebaute, internationale Expertise und hielt an der deutschen Tradition fest, Sozialpolitik als Mittel internationaler Profilierung einzusetzen. In dieser Hinsicht gab es somit ein hohes Maß an Kontinuität. Dieser Ansatz blieb innerhalb der Elite von Partei und Staat jedoch stets umstritten. Rassismus und extremer Nationalismus erklären, warum vor allem Adolf Hitler allen Internationalisierungsversuchen skeptisch bis ablehnend gegenüberstand. Zugleich erwuchsen dem Reichsarbeitsministerium auch in diesem Bereich wichtige Konkurrenten, allen voran die Deutsche Arbeitsfront (DAF ). Dennoch wäre es falsch zu glauben, dass das Ministerium in diesen Konflikten stetig an Einfluss verlor. Nicht immer prägte Konkurrenz das Verhältnis der verschiedenen Organisationen; teilweise war ihr Verhältnis auch arbeitsteilig und führte zu einer erhöhten Funktionsfähigkeit des Regimes. Zugleich blieb das Reichsarbeitsministerium bis Kriegsende von zentraler Bedeutung, auch wenn dies bislang in Forschung und Öffentlichkeit wenig Aufmerksamkeit gefunden hat.

Werbung für die junge Nation: die internationale Sozialpolitik bis 1933 Die Internationale Arbeiterschutzkonferenz, die Kaiser Wilhelm  II . 1890 in Berlin einberief, bildete den Grundstein des Internationalisierungsprozesses der deutschen Sozialpolitik. Sie baute auf Maßnahmen der 1880er-Jahre auf, als unter Reichskanzler Otto von Bismarck 1883 die Krankenversicherung, im Folgejahr die Unfallversicherung und

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1889 schließlich die Alters- und Invalidenversicherung für bestimmte Gruppen zur Pflicht geworden waren. Die Konferenz verfolgte nicht nur ein konkretes sozialpolitisches Anliegen, sondern fungierte zugleich als Teil der Weltpolitik des neuen Kaisers und stand für die Modernität und Fortschrittlichkeit des jungen Nationalstaats.4 Dass sogar Papst Leo XIII . ein Grußwort zu der Berliner Zusammenkunft sandte und den Kaiser beglückwünschte, »eine so edle, ernster Aufmerksamkeit würdige und die ganze Welt angehende Sache« auf die internationale Agenda zu setzen, verdeutlichte nicht nur, dass die konfliktreiche Zeit des Kulturkampfes zwischen der katholischen Kirche und dem preußischen Staat vorüber war. Es zeigte auch, wie ernst man diese deutsche Initiative international nahm.5 Zugleich eröffnete sie Sozialpolitikern und Experten aus Deutschland die Möglichkeit, sich international zu profilieren  – nicht zuletzt, um dadurch Anerkennung auf nationaler Ebene für ein damals noch junges Politikfeld zu gewinnen. Vor allem Beamte des Reichsversicherungsamts, als oberste Aufsichtsbehörde in Fragen der Sozialgesetzgebung, bemühten sich darum, die Errungenschaften der deutschen Sozialpolitik zu glorifizieren.6 Ein Leitfaden zur deutschen Arbeitsversicherung von 1893 hatte zum Beispiel eine Erstauflage von 500000 Exemplaren und wurde ins Englische, Französische, Spanische und Dänische übersetzt. Sozialpolitik fungierte somit als Aushängeschild und potenziell als Exportgut des jungen Nationalstaats.7 Solche Maßnahmen hatten durchaus Erfolg. Unter dem Einfluss der Gesellschaft für Soziale Reform entstand mit der Internationalen Vereinigung für gesetzlichen Arbeiterschutz 1901 eine Plattform sozialpolitischer Debatten, die sich als besonders wirksam erwies für die internationale Wahrnehmung und das Prestige der deutschen Sozialpolitik. Die deutsche Sektion profilierte sich als aktivste unter den nationalen Mitgliedsverbänden der Vereinigung, in der bezeichnenderweise 4 Vgl. Madeleine Herren: La formation d’une politique du travail internationale avant la première guerre mondiale, in: Jean Luciani (Hg.): Histoire de l’Office du Travail, Paris 1992, S.409-426. 5 Internationale Arbeiterschutzkonferenz: Die Protokolle der internationalen Arbeiterschutzkonferenz, Leipzig 1890, S.37. 6 Vgl. Sandrine Kott: Sozialstaat und Gesellschaft. Das deutsche Kaiserreich in Europa, aus dem Französischen v. Marcel Steng, Göttingen 2014, S.160-163. 7 Vgl. Georg Zacher: Leitfaden zur Arbeiterversicherung des Deutschen Reichs, Berlin 1893; vgl. auch Sandrine Kott: Der Sozialstaat, in: Etienne François/ Hagen Schulze (Hg.): Deutsche Erinnerungsorte, Bd.2, München 2001, S.485502.

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Deutsch die faktische Arbeitssprache bildete – und nicht Französisch, als die normalerweise bevorzugte Sprache internationaler Kooperation der Zeit.8 Im Ausland stieß die deutsche Sozialpolitik deswegen auf viel Resonanz. Sie wurde zunehmend als eigenständiges Modell verstanden, das sich durch die Pflichtversicherung für bestimmte Berufsgruppen, eine starke Rolle des Nationalstaats und die Finanzierung durch Mitgliedsbeiträge und Zuzahlungen auszeichnete. So betonte etwa ein französischer Experte 1937 rückblickend, dass in den drei wichtigsten vor 1914 gegründeten sozialpolitischen Vereinigungen »die Vertreter der deutschen Wissenschaft und Verwaltung eine bedeutende Rolle« gespielt hätten.9 Und der ehemalige US -Präsident Theodore Roosevelt hielt während des Ersten Weltkrieges fest, dass die Vereinigten Staaten in sozialpolitischen Fragen »mehr von Deutschland lernen können als von jedem anderen Land«. Gerade aufgrund seiner gefährlichen Stärke sei Deutschland für Amerika ein Weckruf, die eigene Politik zu überdenken.10 Nach dem Ersten Weltkrieg knüpfte das 1919 gegründete Reichsarbeitsministerium an die wilhelminische Tradition an. Angesichts der Niederlage im Krieg und Deutschlands Ausschluss von vielen Formen internationaler Kooperation erhielt die Sozialpolitik nun eine herausgehobene Bedeutung, Anerkennung für das besiegte Land zu gewinnen. Vor diesem Hintergrund wurde das Reichsarbeitsministerium in der Weimarer Republik zum zentralen Akteur bei der Propagierung arbeits- und sozialpolitischer Maßnahmen im Ausland: Das Ministerium brüstete sich etwa damit, alleinverantwortlich für die Beziehungen zur Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organization) zu sein. Die in Genf ansässige Organisation, besser bekannt unter dem englischen Akronym ILO , war wie das Reichsarbeitsministerium 1919 gegründet worden. Als eine Unterorganisation des Völkerbundes kam der ILO die Aufgabe zu, internationale Arbeits- und Sozialstandards zu vereinbaren. Die Rolle des Reichsarbeitsministeriums gegenüber der ILO erschöpfte sich nicht in der deutschen Delegation in Genf. Vielmehr entfaltete das Ministerium seine Wirkung selbst im Herzen der internationalen Organisation: 8 Rainer Gregarek: Le mirage de l’Europe sociale. Associations internationales de politique sociale au tournant du 20e siècle, in: Vingtième Siècle 48 (1995), S.103-118. 9 Max Lazard: L’avenir du travail, 1939-1945, Gand 1945, S.6. 10 Theodore Roosevelt: Fear God and Take Our Own Part, New York 1915, S.V.

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Die meisten deutschen Beamten des Internationalen Arbeitsamtes, dem Sekretariat der ILO , waren Mitarbeiter des Reichsarbeitsministeriums, die mit dessen Zustimmung nach Genf entsandt wurden. Häufig verfolgten sie ihre Karrieren parallel in Berlin und in Genf, was zu spürbaren Synergieeffekten führte.11 Bezeichnenderweise befand sich zudem das deutsche Zweigamt der ILO von 1921 bis 1934 in den Gebäuden des Ministeriums. Der zweite Direktor des Berliner Amtes, der Sozialdemokrat Willy Donau, baute eine enge Beziehung zu mehreren aufeinanderfolgenden Reichsarbeitsministern auf.12 Wenngleich die ILO auch Vorstellungen vertrat, die nicht der deutschen Politik entsprachen, waren die Wege kurz und Deutschland ein global weithin wahrgenommener sozialpolitischer Akteur. Die sozialpolitischen Maßnahmen der Weimarer Republik fanden nicht nur über den Umweg der ILO , sondern auch durch direkte Kontakte viel Beachtung in verschiedenen Staaten der Welt. Aufbauend auf dem durch den Ersten Weltkrieg ausgelösten Schub an Staatsinterventionismus befand sich Sozialpolitik (die sich häufig nur schwer von der Arbeitspolitik abgrenzen ließ) damals in vielen Gesellschaften auf dem Vormarsch. Die Maßnahmen der ersten deutschen Demokratie, die sich in dem Bereich als besonders fortschrittlich verstand, wurden deswegen international breit rezipiert, vom Achtstundentag über den (häufig kommunal) organisierten sozialen Wohnungsbau bis hin zur 1927 eingerichteten Arbeitslosenversicherung.13 Darüber hinaus setzte die Weimarer Republik auf bilateraler Ebene auf internationale Zusammenarbeit. So strich eine sozialpolitische Publikation Ende der 1920erJahre hervor, dass Deutschland »für sich den Ruhm in Anspruch nehmen [kann], neben der Bedeutung nationaler sozialpolitischer Gesetze auch das Gewicht internationaler sozialpolitischer Abmachungen als erster Großstaat erkannt und gewürdigt zu haben.«14 Wenngleich das Reichsarbeitsministerium zentral bei der internationalen Propagierung deutscher Sozialpolitik war, stand es auch schon vor 1933 in Konkurrenz zu anderen Akteuren, etwa den verschiedenen Versicherungsträgern. Das Ministerium konnte zum Beispiel nicht 11 Vgl. Sandrine Kott: Dynamiques de l’internationalisation. L’Allemagne et l’Organisation internationale du travail (1919-1940), in: Critique internationale (2011), Nr.52, S.69-84. 12 Vgl. International Labour Organization Archives (ILOA ), Genf, CAT 7/476; vgl. zu Donau seine Genfer Personalakte ILOA , P 2881. 13 Vgl. z.B. Daniel T. Rogers: Atlantic Crossings. Social Politics in a Progressive Age, Cambridge, MA , 1998. 14 N.N.: Die deutsche Sozialpolitik in der Nachkriegszeit, Berlin 1928, S.51.

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Andreas Grieser (geb. 31.3.1868 in Bliesdalheim, gest. 18.10.1955 in München) studierte nach einem abgebrochenen Theologiestudium Rechtswissenschaft und Volkswirtschaft in München. Darauf folgten Anstellungen als Amtsrichter und Staatsanwalt sowie als Stadtrat in München, zuständig für die soziale Fürsorge. 1918 wurde Grieser zum ersten Bürgermeister der Stadt Würzburg gewählt; von dort wechselte er 1921 als Ministerialdirektor ins Reichsarbeitsministerium. Ab 1932 amtierte er als Staatssekretär. Er war prägend für die Festigung der deutschen Sozialpolitik während der Weltwirtschaftskrise. Durch seine Tätigkeit als Experte bei der International Labour Organization genoss Grieser auch international große Anerkennung und verhalf dem deutschen Sozialversicherungsmodell zu weiterer Verbreitung. 1933 bat Grieser auf Druck des neuen Arbeitsministers Franz Seldte um seine Entlassung und zog sich dann weitgehend ins Privatleben und in seine Heimat im Saarland zurück; der NSDAP trat er nicht bei. 1947 wurde Grieser 79-jährig zum Staatssekretär im Bayerischen Staatsministerium ernannt und avancierte zu einem der wichtigsten Protagonisten beim Einsatz für den Erhalt der traditionellen deutschen Sozialversicherung und in der Abwehrbewegung gegen alliierte Reformbestrebungen. Quellen und Literatur: Personalakte Andreas Grieser, Bundesarchiv R 3901/100289; HansJoseph Britz: Artikel »Andreas Grieser«, in: Siegfried Koß/Wolfgang Löhr (Hg.): Biographisches Lexikon des KV , Teil 2, Schernfeld 1993, S. 38-41; Volker H. Schmied: Andreas Grieser (1868-1955). Das Leben und Wirken des »Nestors« der deutschen Sozialversicherung, Karlstadt 1993; Viktor Karl: Lexikon Pfälzer Persönlichkeiten, Edenkoben 1995, S. 208 f.

verhindern, dass Sachverständige aus dem Bereich der Krankenkassen in ILO -Expertenkommissionen berufen wurden, etwa der Hygieniker Walter Pryll oder der Präsident des Hauptverbandes deutscher Krankenkassen, Helmut Lehmann.15 Trotzdem war es in der Weimarer Republik der entscheidende Akteur auf internationaler Ebene. Eine wichtige Figur in dieser Hinsicht war Andreas Grieser, Ministerialdirektor der Abteilung für Sozialversicherung und 1926 als Sachverständiger in das Internationale Arbeitsamt berufen. Im Folgejahr wurde Grieser Berichterstatter für die Versicherungskommission bei der Internationalen Arbeitskonferenz und hatte beträchtlichen Einfluss auf die Abfassung des ILO -Übereinkommens 24 über die Krankenversicherung, das eine große ideelle Nähe zum deutschen Krankenversicherungsgesetz von 1883 aufwies. Über die ILO spielte Grieser so eine herausragende Rolle, deutsche Ansätze und Vorstellungen international zu verbreiten.16

15 Vgl. dazu ILOA , SI 1/0/24. 16 Vgl. zu Griesers Rolle in der ILO ILOA , SI 1/24/8.

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Deutungsansprüche und Konkurrenzlagen bis 1938 1933 versuchte das Spitzenpersonal des Reichsarbeitsministeriums, nahtlos an diesen Faden anzuknüpfen. Weiterhin sollte Sozialpolitik dazu dienen, die internationale Stellung Deutschlands zu festigen. Das Ministerium zielte in erster Linie auf internationalen Prestigegewinn durch den Verweis auf den angeblich besonders fortschrittlichen Charakter der eigenen Politik. Diese Haltung war im Nationalsozialismus durchaus kontrovers. Hitler selbst zeigte wenig Interesse daran, die nationalsozialistische Sozialpolitik als internationales Aushängeschild einzusetzen; noch weniger wollte er eine »braune Internationale« in dem Bereich aufbauen.17 Nicht zuletzt aus rassistischen Gründen galt die eigene Politik demnach als spezifisch deutsch. Demgegenüber vertraten zumindest phasenweise andere NS -Organisationen, etwa die DAF , einen eher imperial-missionarischen Ansatz, laut dem die Sozialpolitik des Regimes durchaus als Vorbild für andere Gesellschaften zu verstehen sei. In diesem Spektrum an Positionen verfolgte das Reichsarbeitsministerium eine Art mittlerer Linie. So führte es die bisherige Politik fort, Maßnahmen anderer Staaten aufmerksam zu verfolgen. Das Reichsarbeitsblatt als das offizielle Organ des Ministeriums berichtete regelmäßig über die Sozialpolitik des Auslands, und dieses Wissen über Maßnahmen in Italien, den USA und anderen Staaten floss intern etwa in Planungen zur Überwindung der Massenarbeitslosigkeit in Deutschland ein.18 In öffentlichen Verlautbarungen spielte der Bezug auf internationale Entwicklungen eine andere Rolle. Während manche Berichte einen weitgehend neutralen Ton wählten, fanden sich häufig Vergleiche zur Situation in Deutschland, welche die eigenen Maßnahmen in umso hellerem Lichte erstrahlen ließen.19 Hinzu kam der direkte Austausch 17 Kiran Klaus Patel: Welfare in the Warfare State. Nazi Social Policy on the International Stage, in: Bulletin of the German Historical Institute London 37 (2015), S.3-38. 18 Vgl. z.B. Reichsarbeitsminister Seldte an Staatssekretär Lammers, 27.4.1933, in: Konrad Repgen/Hans Booms (Hg.): Akten der Reichskanzlei. Regierung Hitler 1933-1938, Bd.1: Die Regierung Hitler, Teil 1: 1933/34, bearb. v. KarlHeinz Minuth, Boppard 1983, S.412-413. 19 Vgl. z.B. Else Lüders: Der Anteil Deutschlands an der Erfüllung sozialpolitischer Aufgaben in Afrika, in: RAB l.II (1935), S.101-105, 125-128; A. Geck: Betriebliche Sozialpolitik in England, in: RAB l.II (1935), S.268-271, 304-306; Die sozialpolitische Gesetzgebung in Kanada im Jahre 1935, in: RAB l.II (1935), S.419-420.

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mit anderen Staaten. Zum Beispiel reiste der Mussolini-Verehrer Seldte im Juni 1933 nach Mailand, um dort Arbeitsbeschaffungsprojekte des faschistischen Italiens zu besichtigen.20 Einen missionarischen Ton wählten die Beamten des Ministeriums jedoch nur selten: Sozialpolitik war demnach Aushängeschild, mit dem man international um Ansehen für Deutschland werben sollte, nicht aber Vorbild für andere Staaten. Seit 1933 erwuchs dem Ministerium jedoch ein mächtiger Konkurrent in der Frage, Deutschland nach außen zu vertreten. Genau zu der Zeit, als Seldte nach Italien reiste, trat in Genf die 17.  Internationale Arbeitskonferenz zusammen. Das Ministerium schickte zwar zwei ranghohe Beamte, die Ministerialdirektoren Hans Engel und Werner Mansfeld, zu der Zusammenkunft.21 In Genf wurden sie allerdings übertrumpft von dem ebenfalls angereisten Robert Ley, den Hitler im Mai 1933 zum Leiter der Deutschen Arbeitsfront ernannt hatte. Schon vor der Genfer Konferenz hatte Ley seine Ansprüche darauf angemeldet, an der Gestaltung der Sozialpolitik maßgeblich mitzuwirken. Bei der Internationalen Arbeitskonferenz setzte er bewusst auf Provokation und Eskalation. Bereits auf seinem Weg zum Konferenzgebäude verwickelte sich seine SA -Begleitung in handgreifliche Auseinandersetzungen; auf der Tagung selbst sorgte Ley höchstpersönlich für einen Eklat. Auf einer Pressekonferenz erklärte er, dass mit Ausnahme der Italiener für ihn alle anwesenden Delegationen die Vertreter von »Idioten-Staaten« seien, denen er etwas »vorgegeigt« habe.22 Ley benahm sich absichtlich wie ein Elefant im Porzellanladen – ähnlich übrigens wie die deutsche Delegation auf der zeitgleich tagenden Weltwirtschaftskonferenz in London. Bis nach Mexiko reichte die Verärgerung über Leys beleidigendes Verhalten.23 Demgegenüber stand das Reichsarbeitsministerium in den Monaten nach der Machtübertragung für einen konzilianteren Kurs. Vor allem 20 Vgl. Chefbesprechung vom 15.6.1933, in: Akten der Reichskanzlei (Anm.18), S.560. 21 Vgl. zur Delegation: Akten der Reichskanzlei (Anm.18), S.553, Fn. 27. 22 Reichsarbeitsministerium, übersetzte Abschrift aus dem Journal des Nations, 14.6.1933, Bundesarchiv (BA rch) R3901/20642; außerdem ILOA , DADG 104; Les nazis et la conférence, in: Journal des Nations, 16.6.1933; zum weiteren Kontext Daniela Liebscher: Freude und Arbeit. Zur internationalen Freizeitund Sozialpolitik des faschistischen Italien und des NS -Regimes, Köln 2009, S.274-283; Rainer Tosstorff: Wilhelm Leuschner gegen Robert Ley. Ablehnung der Nazi-Diktatur durch die Internationale Arbeitskonferenz 1933 in Genf, Frankfurt am Main 2007. 23 Vgl. Vermerk Krohn, 17.6.1933, BA rch R3901/20642.

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Staatssekretär Johannes Krohn versuchte, die deutsche Position – und damit zugleich die des Ministeriums  – in der ILO zu konsolidieren. Entsprechend entsetzt reagierte er auf Leys Auftritt, dem er einen Mangel an »Erfahrung über Verhandlungen mit dem Auslande und im Auslande« attestierte.24 Diese Kritik sollte man jedoch nicht mit Widerstand gegen den Nationalsozialismus verwechseln: Vielmehr zielten Krohn und andere Mitarbeiter des Reichsarbeitsministeriums darauf, die ILO weiterhin als Kanal zur Propagierung der eigenen Vorstellungen zu nutzen – ganz, wie es das faschistische Italien für seine Sozialpolitik tat. Dass Ley in Genf letztlich sogar die italienische Delegation und damit den wichtigsten potenziellen Verbündeten verärgert hatte, war aus der Perspektive des Ministeriums besonders beklagenswert.25 Im Wesentlichen handelte es sich somit um einen Konflikt, wie das nationalsozialistische Deutschland seine Interessen am besten nach außen durchsetzen könnte. Für die DAF war eine internationale Organisation nur akzeptabel, wenn sie eindeutig von Deutschland dominiert war. Das Ministerium zeigte sich dagegen kompromissbereiter und verfügte zugleich über das Wissen, wie man auf internationale Gremien Einfluss nehmen konnte. In diesem Macht- und Richtungskampf setzte sich zunächst Ley durch. Im Oktober 1933 verließ Deutschland wenige Tage nach dem Austritt aus dem Völkerbund auch die ILO . Hitler hatte seit den 1920er-Jahren die Parole ausgegeben, dass man mit dem »Versailler System« brechen müsse. Da der Völkerbund und in seinem Gefolge die ILO stark mit Versailles identifiziert wurden, war das Verlassen der ILO nur konsequent. Die vom Diktator geprägte radikale Linie dominierte so über den weniger konfrontativen Kurs des Ministeriums.26 Auf den ersten Blick erlitt das Ministerium im Sommer und Herbst 1933 somit schwere Niederlagen. Zugleich wäre es falsch, diese überzubewerten. Ley hatte auf der Juni-Sitzung in Genf Staatssekretär Krohn und Ministerialdirektor Engel beschuldigt, seinen konfrontativen Kurs torpediert zu haben. Sie hätten nicht einmal davor zurückgeschreckt, »mit den Staats-Feinden des nationalsozialistischen Staates zu paktieren.« Krohn forderte daraufhin »Genugtuung«. Nach längerem Hin 24 Stellungnahme Engel zum Schreiben der obersten Leitung der Parteiorganisation v. 9.8.1933, o.D. [1933], BA rch R3901/0642. 25 Vgl. Liebscher (Anm.22), S.278-283. 26 Vgl. Seldtes betont nüchterne, interne Kommentierung des Austritts in: Seldte an Hauptabteilungsleiter und Abteilungsdirigenten, 9.11.1933, BA rch R3901/20796.

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und Her, in das beide Seiten den Diktator höchstpersönlich involvierten, musste sich Ley offiziell bei dem Staatssekretär entschuldigen.27 Und, wichtiger noch: Auch künftig hielt das Ministerium Kontakt nach Genf. Selbst nachdem Deutschland die ILO offiziell verlassen hatte, gab es eine Vielzahl von Verbindungen. Das Ministerium versuchte so, Anschluss an internationale Debatten zu halten.28 1936 erwog man sogar, wieder in die ILO einzutreten.29 Noch 1937 führten Spitzenbeamte des Reichsarbeitsministeriums geheime Verhandlungen mit Harold Butler, dem Generaldirektor des Internationalen Arbeitsamtes, und die letzte derartige Begegnung fand im Juli 1938 statt.30 Aufgrund seiner technischen Expertise und seiner lange etablierten Verbindungen stellte das Reichsarbeitsministerium auch nach 1933 einen wichtigen Akteur auf internationaler Ebene dar. Das galt umso mehr, da die Stellung des Ministeriums in internationalen Fragen in zentralen Bereichen weitgehend unangefochten blieb. Dies galt etwa für den Wohnungsbau. 1935 fanden in Europa zwei internationale Kongresse zu diesem Thema statt – Ende Juni in Prag und Ende Juli in London. In beiden Fällen stellte das Ministerium den Leiter der deutschen Delegation und war mit weiteren Experten vertreten, während die DAF keine Rolle spielte.31 Auch bei den bilateralen Verträgen zur Sozialversicherung ausländischer Arbeitskräfte, die Seldte so prominent in seinen Büchern erwähnte, hatte das Reichsarbeitsministerium die Federführung.32 Anders als der Minister behauptete, waren diese jedoch keine Errungenschaften des NS -Regimes – zum einen, da sie in ein größeres europäisches Netz27 Ley an Seldte, 9.8.1933 (»Staats-Feinden«); Krohn an Seldte, 11.8.1933 (»Genugtuung«); vgl. zur Entschuldigung Seldte an Krohn, 30.10.1933, alle BA rch R3901/20642. 28 Vgl. Beziehungen mit Deutschland, 1933-1938, ILOA , XR 24/1/4; Reise des Direktors nach Deutschland, Mai 1935, ILOA , XT 24/1/2. 29 Bericht von Butler an Pône 25.5.1936, ILOA , XH 7/24/1. 30 Vgl. BA rch R3901/20641, v.a. Vermerk Krohn, 31.5.1937; Krohn an Mackensen, 12.5.1937, Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes Berlin (PAAA ), R29841; Deutsche Einstellungen gegenüber der ILO 1939-1941, Memorandum, 23.3.1939, ILOA , Z 5/1/24. Krohn bezog sich damit auf den Beitritt der USA zur ILO 1934. 31 Vgl. BA rch R3901/201011, v.a. Bericht Büge, o.D.; BA rch R3901/201012, v.a. Bericht Schmidt, o.D., und Reichsarbeitsministerium, Hauptabteilung IV an Abteilung Ia, 12.5.1937; vgl. auch BA rch R3901/201013, v.a. Bericht Vermerk Schmidt, 12.3.1935. 32 Vgl. z.B. zu einem Vertrag mit den Niederlanden von 1937 BA rch R3901/20652.

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werk derartiger Übereinkünfte eingebunden waren; zum anderen, da man viele dieser Verträge bereits in der Weimarer Zeit ausverhandelt hatte. Allerdings wurden einige erst nach 1933 ratifiziert – fortan mussten sie nicht mehr den Reichstag passieren, was das Verfahren deutlich beschleunigte.33 Diese Abkommen waren wichtig, weil sie ausländischen Arbeitnehmern den Zugang zu den Sozialversicherungssystemen eröffneten. Die Bedeutung dieser Abkommen wuchs im Verlauf der Vorkriegsjahre stetig an: Sie bildeten einen Teil der Basis für die Anwerbung von Italienern, Polen, Tschechen und anderen Personen, die der deutsche Arbeitsmarkt in der Aufrüstungsphase vor allem seit 1936 immer dringender benötigte. Zugleich halfen die Verträge dabei, die Massenarbeitslosigkeit in anderen Gesellschaften zu reduzieren, und deutsche Kassen zahlten in dieser Phase Leistungen zum Beispiel auch an polnische Staatsbürger aus. Die NS -Sozialpolitik bildete so ein Schmiermittel eines kapitalistisch organisierten Arbeitsmarktregimes und baute auf einer Interessensallianz zwischen deutschen und nichtdeutschen Politikern, Sozialexperten und Arbeitnehmern auf.34 Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass das Reichspropagandaministerium im Juni 1939 die deutsche Presse ausdrücklich anwies, die Neufassung des Sozialversicherungsabkommens mit Italien groß herauszubringen.35 Das Reichsarbeitsministerium konnte so zugleich auf seine tragende Rolle verweisen. Tatsächlich bildeten diese bilateralen Staatsverträge die am meisten institutionalisierten und wirkungsvollsten Bindungen Deutschlands im Bereich der internationalen Sozialpolitik. Ironischerweise war NS Deutschland dabei jedoch nicht nur auf die Kooperation mit anderen Staaten, sondern sogar auf das Regelwerk der ILO angewiesen. So versicherte etwa Krohn in einem Schreiben an die ILO im Februar 33 Vgl. z.B. ILOA , SI 11/24/22 (zu Frankreich), darin v.a. ILO Zweigamt Berlin an Direktor Internationales Arbeitsamt, 25.9.1933; vgl. ferner ILOA , SI 11/24/50/0 (Polen); ILOA , SI 11/24/17/0 (CSSR ); ILOA SI 11/24/5/0 (Österreich). 34 Vgl. Tanja Anette Glootz: Alterssicherung im europäischen Wohlfahrtsstaat. Etappen ihrer Entwicklung im 20.  Jahrhundert, Frankfurt am Main 2005, S.101-112; zum weiteren Kontext vgl. Ulrich Herbert: Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland. Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gastarbeiter, Flüchtlinge, München 2001, S.118-123; Jochen Oltmer: Migration und Politik in der Weimarer Republik, Göttingen 2005, v.a. S.425-481; vgl. z.B. zum Ausbau der deutsch-polnischen Regelungen 1935 BA arch R152/348. 35 Vgl. NS -Presseanweisungen der Vorkriegszeit, Bd.7/II : 1939, bearb. von Karen Peter, München 2001, S.597.

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1934: »Es steht nichts im Wege, dass Deutschland sich auf Einladung einer anderen Regierung ausserhalb Genfs an den Beratungen über den Abschluss eines Zweiseitigen [sic!] oder mehrseitigen internationalen Abkommens beteiligt, das inhaltlich ein vom internationalen Arbeitsamt angenommenes Uebereinkommen übernimmt«.36 Auf der anderen Seite wurden die von Deutschland mit ausgehandelten Regelungen zu einer Art europäischer Blaupause: Die ILO , die sich im Dschungel derartiger bilateraler Abkommen um Harmonisierung bemühte, orientierte sich bei der Ausarbeitung einer internationalen Übereinkunft ausgerechnet am deutsch-polnischen Vertrag  – ungeachtet der Tatsache, dass Deutschland die ILO mittlerweile verlassen hatte. Das ILO -Übereinkommen 48 von 1935 wurde dann seinerseits wiederum die Grundlage vieler bilateraler Abkommen in Europa – inklusive der Neufassung des deutsch-italienischen Vertrages vom 20.  Juli 1939.37 In diesem gesamten Bereich war die Stellung des Reichsarbeitsministeriums im Vergleich zu anderen NS -Organisationen weitgehend unangefochten. Zugleich nahm es die Kooperation mit Experten anderer Staaten überaus ernst: So bemühte man sich etwa 1936 erfolgreich darum, einen internationalen Kongress von Sozialversicherungsfachleuten nach Deutschland zu holen. Getragen vom Reichsverband Deutscher Versicherungsanstalten, bot diese Anfang September 1936 in Dresden abgehaltene Tagung eine Koordinierungsplattform, um die Abstimmung nationaler Regelungen weiter voranzubringen.38 Zugleich wäre es falsch, die DAF und andere Akteure zu unterschätzen. Das galt umso mehr, da Ley bereits in den ersten Jahren nach der Machtübertragung seinen konfrontativen Kurs aufgab und Sozialpolitik ebenfalls als internationales Aushängeschild zu nutzen trachtete. Die DAF wie auch andere Organisationen wurden allerdings primär in jenen Bereichen tätig, die zuvor nicht vom Ministerium prominent besetzt worden waren. Bei allen Konflikten ergab sich so letztlich eine gewisse 36 Erklärung Krohn, o.D. [1934]; Aufzeichnung Sitzler, 23.2.1934, beide ILOA , XH 7/24/1. 37 Vgl. Glootz (Anm.34), S.106-112; vgl. auch Stanislaw Sasorski: Die zwischenstaatlichen Zusammenhänge in der Sozialversicherung, in: Bericht über die Arbeiten des Zweiten Internationalen Kongresses der Sozialversicherungsfachleute in Dresden, hg. v. Reichsverband Deutscher Landesversicherungsanstalten, Berlin 1938, S.39-55; zu den deutsch-italienischen Folgeverhandlungen vgl. PAAA , R99022. 38 Vgl. Bericht über die Arbeiten des Zweiten Internationalen Kongresses der Sozialversicherungsfachleute (Anm.37). Der erste Kongress hatte 1935 in Budapest stattgefunden.

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Arbeitsteilung. Das beste Beispiel dafür bietet die Freizeitpolitik als ein damals junges sozialpolitisches Betätigungsfeld, das international große Aufmerksamkeit erfuhr. Ley selbst hatte sich bereits vor 1933 dafür interessiert und die Entwicklungen im faschistischen Italien intensiv verfolgt. Die Freizeitorganisation »Kraft durch Freude«, die er im November 1933 als Teil der DAF aus der Taufe hob, orientierte sich explizit am faschistischen Vorbild. In einer für den Nationalsozialismus typischen Volte dauerte es jedoch nicht lange, bis Ley seine eigene Organisa- Plakat für den Weltkongress tion als internationales Vorbild für Freizeit und Erholung, 1936. propagierte. Die DAF trat nun- Künstler: Ludwig Hohlwein mehr mit dem Anspruch auf, dass ihr Modell global kopiert werden sollte.39 So nahmen 1936 am von der DAF veranstalteten Weltkongress für Freizeit und Erholung 1500 Delegierte aus 32 Nationen teil; Hunderttausende weitere Besucher aus dem In- und Ausland besuchten die Veranstaltungen. NS -Deutschland reklamierte damit für sich die global führende Rolle in einem der wichtigsten sozialpolitischen Diskussionsfelder der 1930er-Jahre. Ley verstieg sich sogar zu der Aussage, dass Italien das Land sei, »das am ersten [sic] unsere Ziele aufnahm.«40 Der Kongress, der wenige Tage vor den Olympischen Sommerspielen in Berlin stattfand, bot dem Regime somit eine perfekte Bühne, um seine Sozialpolitik in Szene zu setzen. Darüber hinaus zeigte sich am Weltkongress, wie sehr sich die DAF auf dem Feld der Internationalisierung zu einem Konkurrenten für das Reichsarbeitsministerium entwickelt hatte  – einen ähnlich publikumswirksamen Großauftritt 39 Vgl. Liebscher (Anm.22), v.a. S.250-439. 40 Völkerfriede durch Freude, in: Westdeutscher Beobachter (Morgen-Ausgabe), 27.7.1936, zit. nach Liebscher (Anm.22), S.482.

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konnte das Reichsarbeitsministerium in der NS -Zeit nicht für sich verbuchen. Wenn die DAF auf dem Weltkongress zudem das Internationale Zentralbüro »Freude und Arbeit« gründete, das sich als expliziter Gegenentwurf zum Internationalen Arbeitsamt in Genf verstand, verdeutlichte dies wiederum nicht nur das Konkurrenzverhältnis zur ILO , sondern auch zum Reichsarbeitsministerium.41 Auch auf einer weniger sichtbaren Ebene gewann die DAF massiv an Bedeutung. Bis 1933 war das Reichsarbeitsministerium unübertroffen in seiner technischen Expertise im Bereich Sozialpolitik sowie im Wissen um die entsprechenden Entwicklungen im Ausland. Seit ihrer Gründung 1933 baute die DAF jedoch einen umfangreichen Wissensapparat auf, um sich vom Ministerium unabhängiger zu machen. Zentral in dieser Hinsicht wurde das Arbeitswissenschaftliche Institut der DAF , das systematisch globale Entwicklungen im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik verfolgte und auswertete. Nicht nur auf dem Feld politischen Handelns, sondern auch in Bezug auf das diesem zugrunde liegende Wissen forderte die DAF somit die Zentralstellung des Ministeriums heraus.42 Immer wieder griff die DAF dabei auf ministeriale Expertise zurück. Wolfgang Pohl, von seiner Gründung 1935 bis 1945 Leiter des Arbeitswissenschaftlichen Instituts der DAF , hatte davor eine steile Karriere im Reichsarbeitsministerium absolviert. Ähnliches gilt für Friedrich Sitzler, der nach einer langen Laufbahn im Reichsarbeitsministerium im März 1933 nach Genf entsandt worden war. Ab 1936 arbeitete auch er, in enger Kooperation mit Pohl, im Arbeitswissenschaftlichen Institut.43 Einerseits konkurrierten Ministerium und DAF so um Köpfe und Kompetenzen; andererseits entstanden auch Synergieeffekte, die die Funktionsfähigkeit des Regimes erhöhten. Die DAF bildete in den Vorkriegsjahren zwar den wichtigsten, jedoch keineswegs den einzigen Konkurrenten des Ministeriums. Eine 41 Vgl. ebd., v.a. S.476-485. 42 Vgl. die umfangreichen Zeitungsausschnittsammlungen in BA rch NS   5  VI ; ferner Karl-Heinz Roth: Intelligenz und Sozialpolitik im »Dritten Reich«. Eine methodisch-historische Studie am Beispiel des Arbeitswissenschaftlichen Instituts der Deutschen Arbeitsfront, München 1993; Ulrich Zucht: Das Arbeitswissenschaftliche Institut und die Nazifizierung der Sozialwissenschaften in Europa, 1936-1944, in: 1999: Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts 4 (1989), S.10-40. 43 Vgl. Irene Raehlmann: Arbeitswissenschaft im Nationalsozialismus, Wiesbaden 2005, S.140-141; Roth: Intelligenz und Sozialpolitik (Anm.42), S.216218, bes. 223. Zu Sitzler vgl. auch ILOA , P 2785.

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Friedrich Sitzler (geb. 10.12.1881 in Tauberbischofsheim, gest. 22.1.1975 in Stuttgart) studierte in Straßburg, Berlin, Heidelberg und Freiburg Rechtsund Wirtschaftswissenschaften und legte 1905 und 1909 seine Examina ab. Anschließend wurde er in den badischen Verwaltungsdienst übernommen und war ab März 1910 als kommissarischer Hilfsarbeiter im Reichsversicherungsamt (RVA ) tätig, bis er im September 1915 als Regierungsrat ständiges Mitglied des RVA wurde. Im Dezember 1916 trat er eine kommissarische Beschäftigung im Reichsamt des Innern an, wechselte bei der Teilung des Amtes ins Reichswirtschaftsamt und wurde schließlich mit dessen Einrichtung Mitarbeiter des Reichsarbeitsministeriums. Im Oktober 1919 wurde er dort zum Ministerialrat ernannt. Im Ministerium war er seit 1920 Abteilungsleiter und leitete zuletzt von 1924 bis 1933 die Hauptabteilung III (Arbeitsrecht, Arbeitsschutz, Lohnpolitik). 1933 trat er eine Stelle als Abteilungschef der International Labour Organization an, die er nach dem Austritt des Deutschen Reiches aus dem Völkerbund wieder verließ. Sitzler betätigte sich als Schlichter in zahlreichen Lohnstreitigkeiten und war von 1942 bis 1945 Leiter der Sozialabteilung der Wilhelm Bleyle KG . Zwischen 1913 und 1956 veröffentlichte er zahlreiche Aufsätze und Bücher zu Fragen des Arbeitsrechts und war von 1921 bis 1933 Herausgeber der Neuen Zeitschrift für Arbeitsrecht. In der 1936 bis 1942 von ihm herausgegebenen Zeitschrift Soziale Praxis machte sich Sitzler zum Teil explizit für die nationalsozialistische Sozialpolitik stark. Ab 1947 war er Honorarprofessor an der Universität Heidelberg und lehrte als Dozent für Arbeitsrecht an der Wirtschaftshochschule Mannheim. Quellen und Literatur: Nachlass Friedrich Sitzler, Bundesarchiv N 1687; Das Deutsche Reich von 1918 – heute, hg. v. Cuno Horkenbach, Berlin 1931, S. 511; Zum 70. Geburtstag von Ministerialdirektor a. D. Prof. Dr. Sitzler, in: Bundesarbeitsblatt 2 (1951), H. 11, S. 555.

ähnliche Rolle spielte zum Beispiel der Reichsarbeitsdienst (RAD ). Bis 1934 war diese Organisation, die an der Schnittstelle zwischen Arbeitsbeschaffungs-, Erziehungs- und Sozialpolitik agierte, dem Reichsarbeitsministerium unterstellt gewesen. Reichsarbeitsführer Konstantin Hierl beschwerte sich jedoch so lange und erfolgreich über Seldte und andere angebliche Feinde des Arbeitsdienstgedankens, bis Hitler den Dienst im Juli 1934 aus dem Ministerium herauslöste und formal dem Reichsministerium des Innern unterstellte. Wie auch die DAF stand der RAD auf dem Besuchsprogramm vieler Ausländer und propagierte deutsche Sozialpolitik auf internationaler Ebene am Reichsarbeitsministerium vorbei. Das Selbstbild des RAD fasste 1938 der Leiter der Abteilung für auswärtige Angelegenheiten und Aufklärung in der Reichsleitung der Organisation so zusammen: »Tatsache ist, daß in steigendem Maße andere Staaten den Weg zu beschreiten versuchen,

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den das Reich mit dem Arbeitsdienst genommen hat.«44 Ganz ohne Beteiligung des Ministeriums wurde hier ein deutsches Modell mit missionarischer Absicht für die Welt proklamiert. Während die Beamten im Ministerium oft die Konflikte mit der DAF und anderen Organisationen des NS -Staates beklagten und diese in den Akten entsprechenden Niederschlag gefunden haben, sollte man die dysfunktionale Dimension dieser Konkurrenzlagen nicht überschätzen. Teilweise bildeten diese weiteren Ansporn, die eigenen Vorstellungen im In- und Ausland umso prononcierter zu vertreten. In manchen Fragen ergab sich auf internationaler Ebene auch eine Art informeller Arbeitsteilung. Das Reichsarbeitsministerium war demnach primär zuständig für jene Teile der deutschen Sozialpolitik, die schon länger existierten, eines hohen Maßes technischer Expertise bedurften und auf lange etablierten internationalen Beziehungen aufbauten, etwa im Bereich der Sozialversicherung, des Wohnungsbaus oder der sozialpolitischen Absicherung von Arbeitnehmern im und aus dem Ausland. Diese Handlungsfelder wurden seit 1933 nationalsozialistisch überformt und auf Rassismus und Krieg ausgerichtet; sie entsprachen keineswegs mehr dem sozialpolitischen Ansatz des Kaiserreichs oder Weimarer Tage, profitierten jedoch von dessen internationalem Prestige. Organisationen wie die Deutsche Arbeitsfront oder der Reichsarbeitsdienst standen dagegen häufig für neue sozialpolitische Handlungsfelder, wie das der in den 1930er-Jahren viel diskutierten Freizeitpolitik oder des Arbeitsdienstes, und sie traten stärker als das Reichsarbeitsministerium mit missionarischem Anspruch auf. Konkurrenz und Arbeitsteilung – beides charakterisierte das Verhältnis des Reichsarbeitsministeriums zu anderen Teilen des NS -Regimes in diesem Tätigkeitsbereich.

Ablehnung, Anverwandlung, Faszination: nichtdeutsche Perspektiven auf die NS-Sozialpolitik Wie aber nahmen Vertreter anderer Staaten die NS -Sozialpolitik wahr, und was motivierte sie, diese zu studieren? Für Seldte war die Antwort einfach. In der 1939 publizierten Ausgabe von Sozialpolitik im 44 Hermann Müller-Brandenburg: Der Arbeitsdienst fremder Staaten, Leipzig 1938, S.7; insgesamt zum NS -Arbeitsdienst Kiran Klaus Patel: »Soldaten der Arbeit«. Arbeitsdienste in Deutschland und den USA , 1933-1945, Göttingen 2003; zu weiteren solchen Konkurrenzlagen vgl. Patel: Welfare in the Warfare State (Anm.17).

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Dritten Reich hielt er nicht nur fest, dass man im Ausland vom Erfolg der nationalsozialistischen Maßnahmen fasziniert sei. Er fügte hinzu: »Der tiefe Eindruck, den diese Sachverständigen […] gewonnen haben, hat in manchen Sozialgesetzen des Auslands seinen Niederschlag gefunden.«45 In Wirklichkeit waren die Gründe für das Interesse an der NS -Sozialpolitik vielschichtiger und die darauf aufbauenden Austauschprozesse facettenreicher. Zu den Ursachen für das durchaus große Interesse an der Politik in Deutschland gehörten erstens die lange Vorschichte und das Prestige, das sich Sozialpolitik made in Germany im davorliegenden halben Jahrhundert erworben hatte. Der Problemdruck der Weltwirtschaftskrise erhöhte zweitens auf globaler Ebene das Interesse an den Lösungsansätzen anderer Gesellschaften. Während die Weltwirtschaft auseinanderbrach und die Menschheit sich langsam auf den verheerendsten Krieg ihrer Geschichte zubewegte, rückten vor allem Experten und Fachleute international enger zusammen – wohlgemerkt zumeist, um die beste Lösung auf jeweils nationaler Ebene zu finden. Sozialpolitik und social engineering im weiteren Sinne spielten dabei eine besondere Rolle, und der Vergleich galt als faszinierendes Verfahren, um über den Zustand von Gesellschaften zu befinden und um sie auf dieser Basis mit sozialexperimentellen Instrumenten zu optimieren.46 Drittens hatten politische Lösungen rechts der politischen Mitte enormen Zulauf. Gerade in Europa befand sich Mitte der 1930er-Jahre die Demokratie als Staatsform auf dem Rückzug, und die meisten Gesellschaften orientierten sich in Richtung autoritärer oder faschistischer Lösungen um. Was war demnach naheliegender, als ins besonders radikale Deutschland zu schauen, zumal das Land die Wirtschaftskrise überdurchschnittlich schnell hinter sich zu lassen schien? Zu Faszination und analytischem Interesse gesellte sich immer wieder auch Abscheu: Vor allem für Demokraten und Vertreter der politischen Linken bildete Deutschland demnach ein Lehrstück der Verführungskraft falscher (sozialpolitischer) Versprechen und galt gerade deswegen als interessant. Wilhelm Reich zum Beispiel legte bereits 1933 eine Studie zur Massenpsychologie des Nationalsozialismus vor, in der er unter anderem auf die Sexualökonomie in den Lagern des

45 Seldte: Sozialpolitik im Dritten Reich (1939) (Anm.1), S.267. 46 Vgl. dazu ausführlicher Kiran Klaus Patel/Sven Reichardt: The Dark Sides of Transnationalism. Social Engineering and Nazism, 1930s-1940s, in: Journal of Contemporary History 51 (2016), Nr.1, S.3-21.

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Reichsarbeitsdienstes einging.47 International stießen außerdem etwa die Implikationen der NS -Sozialpolitik für die Rolle der Frau auf viel Beachtung; so kritisierte beispielsweise die amerikanische Sozialreformerin Alice Hamilton »the enslavement of women.«48 Zugleich standen dem Austausch mehrere Faktoren entgegen. Der globale Bedeutungsgewinn von Nationalismus, Überlegenheitsdenken und Selbstabschottung erschwerte transnationale Kontakte und Verbindungen. Vor allem in öffentlichen Debatten stand jeder Bezug auf Maßnahmen anderer Staaten unter dem Verdacht, unpatriotisch zu sein – nicht nur in Diktaturen, sondern auch in vielen Demokratien. In Zeiten der Großen Depression mit knappen Kassen, Devisenbewirtschaftung und hohem Aufwand für Auslandsreisen waren zudem die ökonomischen und logistischen Spielräume eng begrenzt. Angesichts dieser Faktoren war das Ausmaß an Aufmerksamkeit, mit der Experten und Politiker – und mit deutlich geringerer Intensität das Gros der Bevölkerung – in vielen Staaten die NS -Sozialpolitik verfolgten, umso bemerkenswerter. Wofür interessierte sich das Ausland besonders? Auf Resonanz stießen in der Öffentlichkeit in erster Linie jene Programme, die eine stark symbolpolitische Dimension hatten und Sozialpolitik mit Massenmobilisierung verbanden. Die administrativen Abläufe und die mathematischen Berechnungsformeln der Invalidenversicherung blieben wahren Kennern vorbehalten; ein Besuch bei einer DAF -Tagung, in einem Lager des Reichsarbeitsdienstes oder auf einem Ausflug von »Kraft durch Freude« entsprach dagegen stärker zeitgenössischen Vorstellungen dessen, was moderne Sozialpolitik zu leisten habe. Letztere standen deswegen auch im Zentrum der NS -Propaganda. Zugleich erzeugte diese für die Reisenden bessere Bilder, um die Notwendigkeit ihres Deutschlandaufenthalts angesichts politischer und ökonomischer Legitimationszwänge zu Hause zu rechtfertigen. Naheliegenderweise war der Austausch mit ähnlichen Organisationen im faschistischen Italien besonders intensiv, und phasenweise bemühten sich die beiden Regime, umfänglich miteinander zu kooperieren. Letztlich führten die meisten derartigen Ansätze jedoch 47 Vgl. Wilhelm Reich: Massenpsychologie des Faschismus. Zur Sexualökonomie der politischen Reaktion und zur proletarischen Sexualpolitik (1933), Amsterdam 1986, S.261-263. 48 Alice Hamilton: The Enslavement of Women, in: Pierre van Paassen/James Waterman Wise (Hg.): Nazism. An Assault on Civilization, New York 1934, S.76-87.

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nicht allzu weit.49 Ideologische Affinität erklärt zum Beispiel auch die vergleichsweise engen Beziehungen zu Franco-Spanien: Pilar Primo de Rivera, Gründerin der Frauenabteilung der spanischen Falange, reiste mehrmals nach Deutschland auf der Suche nach Inspirationen; die spanische Generalität interessierte sich 1939 intensiv für den Arbeitsdienst für Männer und für Frauen; und 1941 brachte die Freizeitorganisation der Falange eine eigene Zeitschrift heraus, die sich äußerlich stark an das Organ von »Kraft durch Freude« anlehnte und zudem eng mit der deutschen Organisation kooperierte.50 Der Hamburger Kongress spielte eine wichtige Rolle in der freizeitpolitischen Debatte in Japan und bei der Gründung der Nihon kôsei kyôkai  – der Japanischen Gesellschaft für Volkswohlfahrt. Ganz allgemein bildete Deutschland einen zentralen Referenzraum in der japanischen Debatte über Freizeitpolitik.51 Auch rechtsextreme und faschistische Gruppierungen in verschiedenen Teilen Europas bezogen sich häufig positiv auf sozialpolitische Maßnahmen des NS -Regimes, etwa wenn in Schweden der rechtsextreme Sveriges Nationella Förbund 1937 für die Einrichtung eines Frauenarbeitsdienstes nach deutschem Vorbild plädierte. Die treibende Kraft in diesem Zusammenhang war die prominenteste Vertreterin der radikalen Rechten des Landes, Nora Torulf, die kurz zuvor eine mehrwöchige Studienreise nach Deutschland unternommen hatte.52 Zugleich blieb die NS -Sozialpolitik stets in weitere Zirkulationen eingeschlossen; NS -Experten und Politiker hatten ihrerseits ein großes Interesse an Maßnahmen des Auslands und hielten sich stets auf dem Laufenden – nicht zuletzt, um ihren Anspruch zu untermauern, dass 49 Vgl. Liebscher (Anm.22), S.507-614; vgl. z.B. auch PAAA , R29854 zu den bilateralen Kontakten in dieser Frage. 50 Vgl. Amélie Nuq: »Heil Hitler! ¡Arriba España«. Social Policy Transfers with Spain, in: Sandrine Kott/Kiran Klaus Patel (Hg.): Fascist Internationalism (im Erscheinen); zu den Kontakten bezüglich des RAD vgl. PAAA , Botschaft Madrid/685; zu den DAF -Kontakten Auswärtiges Amt an DAF -Zentralamt für internationale Sozialgestaltung, 26.3.1941, PAAA , R99022; vgl. jetzt auch David Brydan: Axis Internationalism. Spanish Health Experts and the Nazi »New Europe«, 1939-1945, in: Contemporary European History 25 (2016), Nr.2, S.291-311. 51 Vgl. zu den sozialpolitischen Beziehungen zu Japan PAAA , R99023; vgl. zusammenfassend Daisuke Tano: »Achse der Freizeit«. Der Weltkongress für Freizeit und Erholung 1936 und Japans Blick auf die Welt, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 58 (2010), H.9, S.709-729. 52 Vgl. Norbert Götz/Kiran Klaus Patel: Facing the Fascist Model. Discourse and Construction of Labour Services in the USA and Sweden in the 1930s and 1940s, in: Journal of Contemporary History 41 (2006), Nr.1, S.57-73.

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die eigene Politik derjenigen anderer Staaten haushoch überlegen sei. Zugleich gab es keine Gesellschaft, die ausschließlich nach Deutschland blickte: Weitere sozialpolitische Modelle und Praktiken, seien es die des faschistischen Italien, der ILO , westlicher Demokratien oder der Sowjetunion, fanden häufig ebenfalls viel Beachtung. Die Komplexität von Wahrnehmungs- und Interaktionsmustern zeigt sich auch an der International Labour Organization. Während Gewerkschaftsvertreter dort durchgängig die Zerstörung der freien Arbeitnehmerorganisationen in Deutschland und die Verfolgung jüdischer Arbeitnehmer verdammten,53 nahmen die Repräsentanten von Arbeitgeberseite und Staat eine ambivalentere Haltung ein. Bei ihnen stießen die Maßnahmen des NS -Regimes im Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit auf großes Interesse, zumal diese an Debatten anknüpften, die innerhalb der ILO seit 1919 geführt worden waren.54 Interesse und Austausch beschränkten sich zugleich nicht auf die extreme Rechte in anderen Gesellschaften und die ILO . Auch mit demokratischen Regierungsvertretern und Experten kam es teilweise zu intensivem Austausch. In Teilen erklärt sich dies daraus, dass Deutschland ein global führender Industriestaat war und insofern seine Entwicklung an sich als bedeutsam galt. Kritik an den Maßnahmen des NS -Regimes – vor allem den antisemitischen, rassistischen und eugenischen Dimensionen der Sozialpolitik – war ein weiterer Grund, warum diese auf viel Aufmerksamkeit stieß. Immer wieder jedoch diente der Verweis auf die NS -Sozialpolitik auch als innenpolitisches Mobilisierungsargument. Wenn sich etwa in Großbritannien Mitte der 1930erJahre ein führender Politiker wie Neville Chamberlain positiv über die körperliche Fitness der deutschen Jugend und die entsprechenden Programme äußerte, so tat er dies, um ähnliche Maßnahmen unter demokratischen Vorzeichen für sein eigenes Land zu fordern.55 Mit dem Physical Training and Recreation Act of 1937 folgten den Worten bald Taten. Deutschland wirkte dabei, ganz wie im Fall des oben zitier-

53 Vgl. Procès verbal de la Conférence Internationale du Travail, hg. von der International Labour Conference, Genf 1933, S.486-490. 54 Vgl. International Labour Office: Public Works Policy, Genf 1935. 55 Vgl. Mr. Chamberlain on Peace, in: The Times, 3.10.1936; insgesamt dazu Anna Maria Lemcke: »Proving the Superiority of Democracy«. Die »National Fitness Campaign« der britischen Regierung (1937-1939) im transnationalen Zusammenhang, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 57 (2009), H.4, S.543-570; Ina Zweiniger-Bargielowska: Managing the Body. Beauty, Health, and Fitness in Britain, 1880-1939, Oxford 2010, S.279-329.

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ten US -Präsidenten Theodore Roosevelt, primär als abschreckender Weckruf, nicht im Sinne eines positiven Modells. Ähnlich verhielt es sich im Falle der USA , wo es mit Präsident Franklin D. Roosevelt ein entfernter Vetter Theodore Roosevelts war, der Ende der 1930er-Jahre höchstpersönlich mehrere Berichte über die NS -Sozialpolitik anforderte, um aus dieser zu lernen. In einem Fall kam es sogar zu einer höchst selektiven Adaption des um seinen ideologischen Überbau enthobenen sozialtechnischen Kerns eines Programms aus NS -Deutschland. Der US -Präsident selbst fasste den Modus des Wechselverhältnisses am besten zusammen, wenn er in einem internen Dokument vermerkte: »All of this helps us in planning, even though our methods are of the democratic variety!«56 Das dem Austausch zugrunde liegende Ethos speiste sich so aus einer Mischung aus Interesse und Abgrenzung.57 Dies mag auch erklären, warum zum Beispiel in Dänemark die deutsche Sozialpolitik in der Vorkriegszeit stets auf große Skepsis stieß: Das skandinavische Land hatte sich in dem Bereich bereits seit dem späten 19.  Jahrhundert vom großen Nachbarn im Süden abgegrenzt, und insofern stand das Insistieren auf einen eigenständigen sozialstaatlichen Ansatz in den 1930er-Jahren in Bezug auf die Negativfolie Deutschland in einer langen Tradition.58 Insgesamt ergibt sich somit für das Verhältnis zu Gesellschaften jenseits der Reichsgrenzen für die Vorkriegszeit ein weites Spektrum an Motiven, Interaktionsformen und Effekten. Vieles verblieb dabei im Möglichkeitsraum von Zukunftsentwürfen oder fand nur sehr vermittelt über selektive Anverwandlung und Abgrenzung Eingang in nicht deutsche Debatten und Praktiken.

56 Vermerk Roosevelt an Wilson, 3.9.1938, National Archives and Record Administration, Washington, DC , Franklin  D. Roosevelt Library, Hyde Park, NY , President’s Secretary’s Files, Box 32. 57 Vgl. Kiran Klaus Patel: »All of This Helps us in Planning«. Der New Deal und die nationalsozialistische Sozialpolitik, in: Martin Aust/Daniel Schönpflug (Hg.): Vom Gegner lernen. Feindschaften und Kulturtransfers im Europa des 19. und 20. Jahrhunderts, Frankfurt am Main/New York 2007, S.234-252; ders.: The New Deal. A Global History, Princeton 2016, S.85-90, 259. 58 Vgl. Rasmus Mariager/Klaus Petersen: Danish Social Policy in the Shadow of Nazi Germany 1933-1945, in: Sandrine Kott/Kiran Klaus Patel (Hg.): Fascist Internationalism (im Erscheinen).

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»Sozialpolitik« im Krieg, 1938-1945 Seit 1938 entwickelte sich die internationale Sozialpolitik des Deutschen Reiches immer mehr vom Mittel der Selbststilisierung und der Überlegenheitspose zum Herrschaftsinstrument gegenüber Dritten, vor allem gegenüber annektierten und okkupierten Staaten. Die Besatzung Österreichs im März des Jahres, verstärkt durch die Annexion des Sudetenlandes im Herbst und des Protektorats Böhmen und Mähren im März 1939, bildete in dieser Hinsicht einen tieferen Einschnitt als der Kriegsbeginn einige Monate später. Für das Reichsarbeitsministerium eröffneten sich so neue Handlungsräume, und das Ministerium unterstrich seinen Führungsanspruch in Fragen der internationalen Sozialpolitik. Als Teil der NS -Kriegsmaschinerie betrieben und implementierten seine Beamten Arbeits- und sozialpolitische Maßnahmen in den nunmehr deutsch beherrschten Gebieten. So sah Ministerialrat Friedrich Sitzler, ein ehemaliger ILO -Beamter, 1940 in der Zeitschrift Soziale Praxis in der expandierenden NS -Herrschaft auch den Beginn einer neuen Sozialpolitik, die »ihre Impulse nicht mehr von den blutleeren Ideen einer abstrakten Gerechtigkeit und Menschheitsbeglückung empfangen [wird], sondern von natürlichen Gegebenheiten und praktischen Bedürfnissen der beteiligten Volkswirtschaften. Sie wird im Dienst der Zusammenarbeit der europäischen Völker stehen, wird diese Zusammenarbeit durch vernünftige Lenkung der Arbeitskräfte […] erleichtern.«59 Jenes Superioritätsdenken, das bisher primär die Propagierung der eigenen Sozialpolitik auf internationaler Ebene befeuert hatte, führte nunmehr zu einem doppelten Prozess: Zum einen sollten jene Bevölkerungsgruppen, die man in das sogenannte Großdeutsche Reich integrieren wollte, auch in den Genuss der deutschen Sozialpolitik kommen. Österreich entwickelte sich dabei zum Laboratorium sozialpolitischen Imperialismus.60 Einen Sonderfall bildete daneben ElsassLothringen, das bis 1918 Teil des Deutschen Reiches gewesen war. Hier ging es nicht um die Errichtung, sondern um die Rekonstruktion 59 Friedrich Sitzler: Sozialpolitik im neuen Europa, in: Soziale Praxis 49 (1940), S.481-484, hier S.482. 60 Vgl. Ulrike Schulz: The First Takeover. The Implementation of Social Policy Measures in Austria by the Reich Labour Ministry after the Anschluss, in: Sandrine Kott/Kiran Klaus Patel (Hg.): Fascist Internationalism (im Erscheinen).

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und den Umbau sozialpolitischer Maßnahmen unter nationalsozialistischen Vorzeichen.61 In all diesen Gebieten, aber zum Beispiel auch im Protektorat, kam es zum anderen zu einer Bevölkerungsteilung entlang rassistischer Kriterien. Juden und andere grundsätzlich »Gemeinschaftsfremde« sollten von sozialstaatlichen Leistungen ausgeschlossen werden. Und während Deutsche in das System des »Altreichs« aufgenommen werden sollten, hatte für Nichtdeutsche die in dem jeweiligen Land vormals vorhandene Sozialpolitik Bestand.62 Vollständig umgesetzt wurde diese Trennung nur in Ansätzen; sie verweist aber auf die hohe Bedeutung des Rassismus im Verständnis nationalsozialistischer Sozialpolitik. Im für den Nationalsozialismus üblichen Ämterchaos waren außerdem je nach Territorium und Sachfrage unterschiedliche Stellen damit befasst, die nationalsozialistische Sozialpolitik einzuführen und umzusetzen. In Österreich etwa handelte es sich unter anderem um den Reichsbeauftragten für Österreich Wilhelm Keppler sowie den Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs, Josef Bürckel; im Elsass spielte Robert Wagner, der als Gauleiter für Baden zugleich Chef der Zivilverwaltung im Elsass war, eine wichtige Rolle. Formal musste das Reichsarbeitsministerium in all diesen Fällen die Zügel anderen überlassen. De facto lieferte es jedoch die unverzichtbare Sachkompetenz sowie den Stab an Mitarbeitern, die auf technischer Ebene in Zusammenarbeit mit lokalen Sozialpolitikern für die Umsetzung der Maßnahmen sorgten. Ein Beispiel hierfür war der Jurist Joachim Fischer-Dieskau, der kurz nach dem »Anschluss« als Mitarbeiter des Reichsarbeitsministeriums nach Wien geschickt wurde, um dort den Wohnungsbau unter deutschen Vorzeichen zu gestalten.63 Zugleich zog der Versuch, das deutsche System auf andere Gebiete zu übertragen, mitunter paradoxe Effekte nach sich. In Österreich etwa war das Niveau der Angestelltenversicherungen bis 1938 höher gewesen als im »Altreich«. Die Inklusion der Österreicher in das deutsche System kam deswegen einer oberflächlich camouflierten Absenkung der Leistungen

61 Vgl. Alexander Klimo: An Unhappy Return. German Pension Insurance Policy in Alsace, in: Sandrine Kott/Kiran Klaus Patel (Hg.): Fascist Internationalism (im Erscheinen). 62 Vgl. Radka Šustrová: Between National Continuities and Nazi Impulses. Labour and Social Policy in the Bohemian Lands in the 1930s and 1940s, in: Sandrine Kott/Kiran Klaus Patel (Hg.): Fascist Internationalism (im Erscheinen). 63 Vgl. Schulz (Anm.60).

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gleich. »Heim ins Reich« zu kommen, war somit keineswegs immer attraktiv.64 Nimmt man die verschiedenen Fälle zusammen, so unterschieden sich die Ansätze, die politischen und administrativen Praktiken sowie der exakte Anteil des Reichsarbeitsministeriums an der Umsetzung arbeits- und sozialpolitischer Maßnahmen von Gebiet zu Gebiet. Längere Kontinuitäten und die Machtkämpfe zwischen verschiedenen NS -Institutionen einerseits sowie mit den zuvor bereits vorhandenen sozialstaatlichen Einrichtungen besetzter Staaten andererseits sind zentral dafür, um die jeweilige Konstellation zu erklären. In Bezug auf die Stellung des Reichsarbeitsministeriums wäre es jedoch falsch, generell von einem Bedeutungsverlust auszugehen. Durch die aggressive Ausweitung des NS -Herrschaftsraums fielen dem Ministerium vielmehr neue Rollen jenseits der alten Reichsgrenzen zu. Mehr noch galt dies in Bezug auf Zwangsarbeit und damit für die systematische und brutale Ausbeutung von Millionen Arbeitskräften im nationalsozialistisch besetzten Europa, an der sich das Reichsarbeitsministerium aktiv beteiligte.65 Auf dieser Ebene gab es institutionelle Kontinuitäten zur Arbeit des Reichsarbeitsministeriums in der Vorkriegszeit. Ein Teil der späteren Zwangsarbeiter war bereits vor 1938/39 auf der Grundlage jener sozialversicherungspflichtigen, binationalen Verträge angeworben worden, für die das Ministerium stets die Federführung gehabt hatte. Diese Beschäftigten sahen sich im Kriegsverlauf immer harscheren Arbeitsbedingungen ausgesetzt. Darüber hinaus folgte die Anwerbung neuer Arbeitskräfte auch im Krieg zunächst den in der Zwischenkriegszeit etablierten Formen, um sich dann von dort aus zu radikalisieren.66 Hatte sich die NS -Sozialpolitik international also ganz ihrer werbenden Seite entledigt? Sicherlich nicht. Angesichts der neuen Möglichkeiten, die »Hitlers Imperium« auch sozialpolitischen Akteuren eröffnete,67 gewannen Überlegenheitsdenken und sozialutopische Pla64 Vgl. ebd. 65 Siehe dazu die Beiträge von Elizabeth Harvey und Swantje Greve in diesem Band. 66 Vgl. Ulrich Herbert: Fremdarbeiter. Politik und Praxis des »AusländerEinsatzes« in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Neuaufl., Berlin 1999; Ute Vergin: Die nationalsozialistische Arbeitseinsatzverwaltung und ihre Funktionen beim Fremdarbeiter(innen)einsatz während des Zweiten Weltkriegs, Universität Osnabrück, Diss., Osnabrück 2008. 67 Vgl. zum weiteren Kontext dieser Entwicklungen Mark Mazower: Hitlers Imperium. Europa unter der Herrschaft des Nationalsozialismus, München 2009.

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nungen weiter an Bedeutung, sowohl gegenüber verbündeten Mächten wie Italien, Kroatien und Rumänien sowie besetzten Staaten wie Belgien, Dänemark und Frankreich. Das galt jedoch keineswegs nur für das Reichsarbeitsministerium. Zum Beispiel versuchte auch der Reichsarbeitsdienst aggressiv, sein Arbeitsdienstmodell in verschiedene weitere Gesellschaften zu exportieren, unter anderem nach Kroatien, Norwegen und in die Niederlande. RAD -Fachleute berieten kollaborierende Eliten, und tatsächlich kam es in mehreren Staaten zum Aufbau von Organisationen, die zunächst in vielem direkt an das Vorbild des RAD angelehnt waren. Die meisten versanken jedoch bald in einem Schattendasein und gaben ihr sozialpolitisches Anliegen zugunsten militärischer Einsatzformen auf.68 Allgemein wurde Sozialpolitik immer stärker unter das Primat des Krieges gestellt, was ihren Charakter veränderte und zahlreiche Akteure und Institutionen in diesen Bereich zog, die primär kriegswirtschaftliche oder militärische Aufgaben hatten. Sozialpolitische Kompetenzen überlappten und ergänzten sich nunmehr häufig noch stärker als in der Vorkriegszeit; Konkurrenz und Verflechtung gewannen so weiter an Bedeutung. So beanspruchte beispielsweise die DAF eine wichtige Rolle bei der Betreuung von Zwangsarbeitern im Reich.69 Auf ideologisch-propagandistischer Ebene pries sie ihre sozialpolitischen Konzepte immer wieder als Modell für die anderen Teile Europas. Von 1941 bis 1944 veröffentlichte sie die Neue Internationale Rundschau der Arbeit, mit der sie die bis 1940 erschienene ILO -Publikation Internationale Rundschau der Arbeit ersetzen wollte – dieser Anspruch spiegelte sich nicht nur im Namen, sondern etwa auch in der Gestaltung der Titelseite ihrer Zeitschrift wider (siehe Abb. S.343). Die DAF -Publikation war stark ideologisch geprägt und richtete sich an eine internationale Öffentlichkeit – konsequenterweise sollte sie in fünf Sprachen erscheinen.70 Innerhalb sozial68 Vgl. Mats Ingulstad: Under the Hard Law of War. Norwegian Social Reforms under German Influence, in: Sandrine Kott/Kiran Klaus Patel (Hg.): Fascist Internationalism (im Erscheinen); Alexander Korb: From the Balkans to Germany and Back. The Croatian Labour Service, 1941-1945, in: ebd. 69 Vgl. z.B. DAF , Zentralamt für internationale Sozialgestaltung an das Auswärtige Amt, 13.2.1941, PAAA , R99019; dazu auch PAAA , R99020; vgl. dazu Rüdiger Hachtmann, Die Deutsche Arbeitsfront im Zweiten Weltkrieg, in: Dietrich Eichholtz (Hg.): Krieg und Wirtschaft. Studien zur deutschen Wirtschaftsgeschichte 1939-1945, Berlin 1999, S.69-108, hier S.97-102. 70 Neue Internationale Rundschau der Arbeit, hg. im Auftrage von Dr. Robert Ley vom Zentralamt für internationale Sozialgestaltung in Zusammenarbeit

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politischer Expertenkreise im Reich stand sie zudem im Wettstreit mit der Sozialpolitischen Weltrundschau, die das Reichsarbeitsministerium ab 1940 als eher sachliche und an das Reichsarbeitsblatt angelehnte Dokumentation internationaler Entwicklungen herausgab.71 Während des Krieges schlug allerdings auch die Leitung des Ministeriums zunehmend einen imperialistisch-missionarischen Kurs ein. 1938 hatte es die letzten bestehenden Verbindungen zur ILO gekappt; ab dem Folgejahr bemühte sich das Reichsarbeitsministerium verstärkt um den Aufbau einer »braunen« sozialpolitischen Internationale unter deutscher Leitung. Mit Italien und anderen Achsenmächten wollte man eine direkte Gegenorganisation zur ILO errichten, mit der »Deutschland mit seiner ausgebildeten Sozialpolitik Einfluss gewinnen könne.«72 Auch die DAF hatte an dieser Frage Interesse und verhandelte mit der italienischen Regierung, doch das Ministerium beanspruchte die Sache für sich, da schließlich galt: »Die deutsche Sozialpolitik ist ein so wichtiges Aktivum in Deutschlands Kampf um Weltgeltung und für die Festigung internationaler Beziehungen, daß die Wahrung und Betonung der deutschen Vorrangstellung auf diesem Gebiet eine wichtige und bedeutungsvolle Aufgabe ist.«73 Nicht zuletzt aufgrund dieser hegemonialen Ausrichtung und wegen Machtkämpfen mit der DAF scheiterten diese und ähnliche Initiativen; sie verdeutlichen jedoch, wie sehr sich Stil und Inhalt der Ministerialpolitik in dem Bereich verändert hatten.74 Die imperiale Neuausrichtung lässt sich zum Beispiel auch an zwei Personalentscheidungen fassen. Jener Hans Engel, den Ley 1933 zusammen mit Krohn beschuldigt hatte, in Genf mit »Staats-Feinden« paktiert zu haben, wurde im März 1942 zum Staatssekretär im Reichsarbeitsministerium ernannt. Engel hatte sich stets für eine internationale Profilierung der NS -Sozialpolitik eingesetzt und leitete außerdem die dafür zuständige Gruppe innerhalb des Ministeriums.75 Die Politik gegenüber dem Ausland wurde im Krieg also überaus hoch bewertet. Außerdem stand mit Oskar Karstedt spätestens seit 1942 ein ehema-

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mit dem Arbeitswissenschaftlichen Institut der Deutschen Arbeitsfront, Berlin 1941-1944. Vgl. Sozialpolitische Weltrundschau, hg. v. Reichsarbeitsministerium, Arbeitsgebiet für internationale Sozialpolitik, Berlin 1940/41-1944. Vermerk Krohn, 15.5.1939, BA rch R3901/20653. Reichsarbeitsministerium, II b, Vermerk für Minister mit Anlage, o.D. [1938], BA rch R3901/20652. Zu weiteren Verhandlungen während des Krieges vgl. PAAA , R99022. Vgl. zu Engel BA rch R3901/20342-20345; BA rch R3001/55208; BA rch R9361-I/658.

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Die Titelseiten der ILO -Publikation »Internationale Rundschau der Arbeit« und der DAF -Publikation »Neue Internationale Rundschau der Arbeit« in der Gegenüberstellung

liger Kolonialbeamter und guter Kenner der Afrikapolitik dem Arbeitsgebiet Internationales vor, das im Ministerium eine bedeutsame Rolle spielte.76 Wiewohl Karstedt als ausgleichend galt, verdichtet sich in dieser Ernennung die neue Haltung, die auch das Ministerium in die Debatte einbrachte. Die imperiale Dimension der NS -Sozialpolitik zeitigte im Krieg außerdem globale Wirkungen. Sie rief nicht zuletzt die westlichen Demokratien auf den Plan, eigene Vorstellungen für diesen Bereich im Rahmen ihrer Planungen für die Nachkriegszeit zu entwickeln. Vor allem die USA und Großbritannien grenzten ihre Vorstellungen stark vom NS -Regime und anderen Gesellschaften, die in der Sprache der Zeit als »totalitär« bezeichnet wurden, ab. So kam es in der zweiten Kriegshälfte zu einem symbolpolitisch stark aufgeladenen Wettlauf um das überlegene Konzept; diese sozialpolitische Auseinandersetzung sekundierte das Kräftemessen der Armeen und den Kampf der Ideologien. Als zum Beispiel in Großbritannien eine Gruppe von Experten um William Beveridge die später nach ihm benannten Reformmaßnahmen 76 Vgl. zu Karstedt BA rch R3901/104928.

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ausarbeitete, betonte sie den Unterschied zu den zeitgleichen Überlegungen in der DAF und im RAM . Nach dem Bekanntwerden des Beveridge Report im November 1942 – übrigens spricht man nur auf Deutsch vom Beveridgeplan – analysierten deutsche Experten das britische Dokument sofort im Detail. Das Reichsarbeitsministerium und andere Institutionen verfassten Berichte und Gegenargumentationen, die anschließend an die deutschen Botschaften im Ausland geschickt wurden. Häufig betonte man das längere Bestehen und die Überlegenheit des deutschen Modells.77 Zeitgleich studierte die ILO die deutsche Wahrnehmung des britischen Plans  – Beobachter beobachteten die Beobachter, was letztlich nur die Bedeutung der Austauschprozesse unterstrich.78 Zugleich hatten diese internationalen Debatten interessante Rückwirkungen innerhalb Deutschlands. In regimeinternen Planungen über das deutsche Rentenniveau des Jahres 1944 nutzte Reichsarbeitsminister Seldte Beveridges Ausarbeitungen als innenpolitisches Argument: Seines Erachtens müsse Deutschland sein Rentenniveau erhöhen, um nicht gegenüber den britischen Maßnahmen ins Hintertreffen zu geraten.79 Damit stieß er auf massiven Widerstand – und dennoch zeigt sich daran, wie sehr auch noch wenige Monate vor Kriegsende Sozialpolitik im internationalen Kontext formuliert wurde. Und, um noch ein letztes Beispiel zu geben: Als das Arbeitswissenschaftliche Institut der DAF im März 1944 eine internationale Konferenz zu Arbeitsbeziehungen in Bad Salzbrunn zum Thema einer zu schaffenden »sozialen Neuordnung Europas« abhielt, versuchte sie damit, einer für den Folgemonat in Philadelphia geplanten Tagung der ILO zuvorzukommen. Auf der ILO -Zusammenkunft wiederum bemühten sich die anwesenden Experten und Politiker, einen expliziten Gegenentwurf zur nationalsozialistischen Sozialpolitik zu formulieren.80 77 Vgl. Karsten Linne: »Die Utopie des Herren Beveridge«: Zur Rezeption des Beveridge-Plans im nationalsozialistischen Deutschland, in: 1999: Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts 4 (1993), S.62-82. 78 Vgl. z.B. zur deutschen Wahrnehmung etwa BA rch NS   5 VI /37876; zur ILO -Wahrnehmung der deutschen Sicht Bureau international de travail, Plan Beveridge. Opinions allemandes recueillies dans la presse par le B.I.T., ILOA , SI 2/0/25/2/2. 79 Vgl. Seldte an Funk u.a., 25.8.1944, BA rch R1501/3783; vgl. insgesamt dazu Patel: Welfare in the Warfare State (Anm.17). 80 Vgl. Zucht (Anm.42); zur ILO auch International Labour Office: Resolutions Adopted by the Twenty-Sixth Session of the International Labour Conference, Philadelphia, April-May, 1944 (reprinted from the Official Bul-

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Diesen Wettstreit von Ideen, Programmen und konkreten Praktiken verlor das NS -Regime ebenso, wie es militärisch den Alliierten unterlegen war. Die werbende Dimension seiner Politik und die Ansätze zu einer »braunen Internationalen« blieben letztlich weniger bedeutsam als Gewaltherrschaft, Unterdrückung und Vernichtung. Sogar in verbündeten Staaten wurde die deutsche Sozialpolitik während des Krieges immer häufiger als repressiv wahrgenommen und bekämpft. Selbst kollaborierende Eliten setzten in diesem Bereich primär auf Abgrenzung von Deutschland.81 Sie verstanden den Krieg als Möglichkeitsfenster, um ihre eigenen Vorstellungen zu verwirklichen, und suchten nicht den Schulterschluss mit der deutschen Sozialpolitik oder gar die Übernahme nationalsozialistischer Ansätze. An jene »einzigartigen« Erfolge, die Seldte 1939 noch beschworen hatte, glaubte 1945 niemand mehr; statt als Aushängeschild für das Reich zu fungieren, hatte sich auch die Politik des Reichsarbeitsministeriums in erster Linie der Repression und Gewalt verschrieben.

Epilog Nach 1945 behielt Sozialpolitik made in Germany in Ost wie in West distinkte Merkmale, die sich auf Optionen und Ordnungsideen der Zeit bis 1945 bezogen und diese selektiv fortführten.82 Auf den ersten Blick könnte man dennoch meinen, dass die seit dem Kaiserreich erworbene internationale Ausstrahlungskraft des deutschen sozialpolitischen Modells im Flammenmeer des Zweiten Weltkrieges zerstoben war. In der DDR stand Sozialpolitik unter sozialistischen Vorzeichen und gerierte sich nicht als genuin deutsch. In der Bundesrepublik spielten in innergesellschaftlichen Selbstverständigungen und internationalen Debatten die Stärke von Währung und Wirtschaft eine wichtigere Rolle als die Sozialpolitik. Bezeichnenderweise stand Ludwig Erhard, die Symbolfigur des westdeutschen Nachkriegsaufschwungs, nicht dem Bundesarbeits-, sondern dem Bundeswirtschaftsministerium vor, bevor er Bundeskanzletin, vol. XXVI ), Montreal 1944; sowie Antony Alcock: History of the International Labour Organisation, London 1971, S.171-187. 81 Vgl. z.B. Kenneth Bertrams/Sabine Rudischhauser: Blurerd Legacy: Nazi Social Policies in Belgium, in: Sandrine Kott/Kiran Klaus Patel (Hg.): Fascist Internationalism (im Erscheinen); Mariager/Petersen (Anm.58). 82 Vgl. Hans Günter Hockerts: Einführung, in: ders. (Hg.): Drei Wege deutscher Sozialstaatlichkeit. NS -Diktatur, Bundesrepublik und DDR im Vergleich, München 1998, S.7-25.

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ler wurde. Bei der Rentenreform von 1957, einer der wichtigsten Reformen der Nachkriegsjahrzehnte, handelte es sich zudem um »eine ›titanische‹ Neuschöpfung«.83 Und dennoch wäre es falsch zu meinen, dass der seit den 1880erJahren geknüpfte Faden ganz abbrach. Sozialpolitiker in Ost und West sowie im Ausland verstanden die deutsche Sozialpolitik als durchaus eigenständig. Bezeichnend ist etwa, dass man weiterhin von »Sozialpolitik« sprach und nicht auf den aus dem Englischen entlehnten Neologismus »Wohlfahrtsstaat« überwechselte.84 Zum semantisch fixierten Sonderbewusstsein kamen wichtige Kontinuitäten auf Akteursebene. Sicherlich, wichtige Personen von deutscher Seite, wie etwa Hans Engel, überlebten das Jahr 1945 nicht. Andere fanden sich jedoch bald wieder in herausgehobener Rolle. Otto Bach hatte sich in der Weimarer Republik am Aufbau des Berliner Zweigamtes der ILO beteiligt. Während des Krieges leitete er das Deutsche Institut in Paris und hielt Vorträge, in denen er die Überlegenheit der NS -Sozialpolitik zu demonstrieren suchte.85 In den 1950er-Jahren gehörte er dem Vorstand der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen an und ließ sich als ein seit den 1920er-Jahren »engagierter Europäer« feiern.86 Ähnlich verhielt es sich mit Friedrich Sitzler: Als er 1956 seinen 75. Geburtstag beging, versammelte die zu seinen Ehren veröffentlichte Festschrift alles, was in der jungen Bundesrepublik im Bereich der Arbeits- und Sozialpolitik Rang und Namen hatte. Bundesarbeitsminister Anton Storch pries etwa die »bleibende[n] Ver-

83 Cornelius Torp: Gerechtigkeit im Wohlfahrtsstaat. Alter und Alterssicherung in Deutschland und Großbritannien von 1945 bis heute, Göttingen 2015, S.399. 84 Vgl. dazu und insgesamt zu Fragen der (Dis-)Kontinuität über 1945 hinaus v.a. Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung/Bundesarchiv (Hg.): Geschichte der Sozialpolitik seit 1945, Bd.1: Grundlagen der Sozialpolitik, Baden-Baden 2001. 85 Vgl. Karl-Heinz Roth: Die Sozialpolitik des »europäischen Großraum« im Spannungsfeld von Okkupation und Kollaboration (1938-1945), in: Okkupation und Kollaboration (1938-1945): Beiträge zu Konzepten und Praxis der Kollaboration in der deutschen Okkupationspolitik, zusammengest. u. eingel. von Werner Röhr, hg. v. Bundesarchiv, Berlin 1994, S.461-565, hier S.465. 86 Walther G. Oschilewski: Ein Europäer kämpft für Berlin, in: Otto Bach. Ein Europäer kämpft für Berlin. Reden und Ansprachen 1947 bis 1949, hg. v. Bruno Lampasiak/Walther G. Oschilewski, Berlin 1969, S.73.

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dienste um die Entwicklung des sozial- und arbeitsrechtlichen Lebens in Deutschland«, die Sitzler sich erworben habe.87 Eine interessante zeitgenössische Sonde bilden zudem die Ergebnisse einer 1962 veröffentlichten Untersuchung über Die deutsche Sozialpolitik des 19.  Jahrhunderts im Spiegel der Schulgeschichtsbücher. Ihr Autor stellte überrascht fest, dass auch ausländische Schulbücher seit 1945 sehr ausführlich über die soziale Frage und die Geschichte der deutschen Sozialpolitik handelten. Demgegenüber falle in deutschen Büchern die Darstellung der sozialpolitischen Geschichte anderer Staaten oft sehr knapp aus. Dem Duktus der Zeit entsprechend pries er vor allem, dass nirgendwo »eine feindselige Haltung« gegenüber Deutschland festzustellen sei, wiewohl doch »die meisten Länder, aus denen die untersuchten Texte stammen, im letzten Kriege auf der Seite der Gegner Deutschlands standen«. Er schloss seine Überlegungen mit den Worten: »Die wesentlich ausgeglichenere Betrachtungsweise, in der sich die heutigen Texte über die verschiedenen Länder äußern, und die zahlreichen Bemühungen der Historiker und Lehrer, durch Aussprachen auf Konferenzen zu einem stärkeren gegenseitigen Verständnis zu gelangen, können zu der Hoffnung Anlaß geben, daß doch gewisse Lehren aus der Vergangenheit gezogen worden sind.«88 Nach wie vor galt deutsche Sozialpolitik demnach als distinkt. Vom Aushängeschild des Nationalsozialismus, vom Schmiermittel in der Aufrüstungsphase und Ausbeutungsinstrument seit 1938 mutierte sie nun jedoch zum Ausdruck europäischer Verständigung.

87 Anton Storch: Zur Frage der Schlichtung, in: Sozialpolitik, Arbeits- und Sozialrecht. Festschrift für Friedrich Sitzler zu seinem 75. Geburtstag, hg. v. Hans Constantin Paulssen/Willi Richter/Walter Freitag/Walter Raymond/Hans Carl Nipperdey/Hans-Albrecht Bischoff, Stuttgart 1956, S.9-11, hier S.11. 88 Jürgen Heinel: Die deutsche Sozialpolitik des 19. Jahrhunderts im Spiegel der Schulgeschichtsbücher, Braunschweig 1962, S.94.

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Arbeitsverwaltung und Arbeitskräfterekrutierung im besetzten Europa Belgien und das Generalgouvernement

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»Die Anwerbung der ausländischen gewerblichen Arbeitskräfte erfolgt auf Grund freiwilliger Meldungen. Dies ist bei den befreundeten Staaten selbstverständlich. Gegenüber anders lautenden Behauptungen der Feindpresse muß aber nachhaltig betont werden, daß auch für die Anwerbung in den besetzten Gebieten der gleiche Grundsatz gilt. Mit einem Einsatz zwangsweise angeworbener Kräfte wäre im übrigen den Interessen der deutschen Betriebe kaum gedient. Die steigenden Vermittlungsergebnisse beweisen, daß es ohne Anwendung von Zwang möglich ist, freiwillige Kräfte auch in den besetzten Gebieten anzuwerben.«1 Diese Zeilen entstammen einem im Januar 1941 erschienenen Artikel von Dr. Walter Letsch, Oberregierungsrat im Reichsarbeitsministerium, ab 1942 Ministerialrat und später Leiter der Abteilung VI a im Europaamt für den Arbeitseinsatz.2 Mit seinem optimistischen, zugleich defensiven Ton und seiner merkwürdigen Logik dient das Zitat als Ausgangspunkt für eine Diskussion der Arbeitsverwaltung und der Arbeitsrekrutierung in den nationalsozialistisch besetzten Gebieten im Zweiten Weltkrieg. Zum »Arbeitseinsatz« von ausländischen Arbeitskräften im Deutschen Reich während des Zweiten Weltkrieges hat sich seit den 1 Oberregierungsrat Dr. Letsch: Der Einsatz gewerblicher ausländischer Arbeitskräfte in Deutschland, in: RABl.V (1941), S.42-45, hier S.44 (Hervorh. i. Orig.). Karl Christian Führer, Tim Kirk, Karsten Linne und Jens Thiel möchte ich für Ratschläge und Anregungen bei der Erstellung dieses Aufsatzes herzlich danken. 2 Handbuch für die Dienststellen des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz und die interessierten Reichsstellen im Großdeutschen Reich und in den besetzten Gebieten, Bd.1: Vollmachten, Verlautbarungen, Verordnungen, Organisation des GBA , bearb. v. Friedrich Didier, Berlin 1944, S.271. Die Abteilung VI a war für die »Ordnung des Arbeitseinsatzes in Osteuropa« und den »Arbeitseinsatz in der gewerblichen Wirtschaft« zuständig.

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1960er-Jahren und insbesondere seit der noch immer grundlegenden Pionierstudie von Ulrich Herbert aus dem Jahre 1985 eine umfangreiche Historiografie etabliert.3 Hinzu kamen in den letzten Jahren Studien zur Arbeitsverwaltung in verschiedenen besetzten Gebieten: Neben Kenntnissen über die Rekrutierung von Männern, Frauen und Jugendlichen für die Arbeit in Deutschland bieten sie neuerdings auch Einsichten in den »Arbeitseinsatz« vor Ort in den besetzten Gebieten.4 Regionalstudien zur NS -Besatzungspolitik geben wichtige Auskünfte über die Arbeitskräftepolitik und die Arbeitsverwaltung in den jeweiligen Gebieten.5 Inzwischen sind auch vergleichende Studien zur Arbeitsverwaltung in verschiedenen besetzten Gebieten erschienen, darunter vor allem zur Arbeitsverwaltung im besetzten Ost- und Südosteuropa.6 Weitere Beiträge zu einem systematischen Vergleich der Arbeitsverwaltung und der Arbeitskräftepolitik im besetzten Europa insgesamt bieten zudem neue Regional- und Länderstudien zu West-, Nord- und Südosteuropa.7 Im vorliegenden Aufsatz werden zwei kontrastierende Beispiele aus Ost- und Westeuropa, das Ge3 Eva Seeber: Zwangsarbeiter in der faschistischen Zwangswirtschaft. Die Deportation und Ausbeutung polnischer Bürger unter besonderer Berücksichtigung der Lage der Arbeiter aus dem sogenannten Generalgouvernement, Berlin 1964; Edward Homze: Foreign Labor in Nazi Germany, Princeton, NJ 1967; Ulrich Herbert: Fremdarbeiter. Politik und Praxis des »AusländerEinsatzes« in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Berlin/Bonn 1985. 4 Mark Spoerer: Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im Deutschen Reich und im besetzten Europa 1939-1945, Stuttgart 2001, S.304-319; sowie Dieter Pohl/Tanja Sebta (Hg.): Zwangsarbeit in Hitlers Europa. Besatzung, Arbeit, Folgen, Berlin 2013, S.457-471, bieten umfangreiche Literaturverzeichnisse. 5 Christian Gerlach: Kalkulierte Morde. Die deutsche Wirtschafts- und Vernichtungspolitik in Weißrußland 1941 bis 1944, Hamburg 1999; Dieter Pohl: Die Herrschaft der Wehrmacht. Deutsche Militärbesatzung und einheimische Bevölkerung in der Sowjetunion 1941-44, München 2008; Christoph Dieckmann: Deutsche Besatzungspolitik in Litauen 1941-1944, 2 Bde., Göttingen 2011. 6 Karsten Linne/Florian Dierl (Hg.): Arbeitskräfte als Kriegsbeute: Der Fall Ostund Südosteuropa 1939-1945, Berlin 2011; Florian Dierl/Zoran Janjetović/ Karsten Linne: Pflicht, Zwang und Gewalt. Arbeitsverwaltungen und Arbeitskräftepolitik im deutsch besetzten Polen und Serbien 1939-1944, Essen 2013. 7 Neue Forschungen und vergleichende Perspektiven zur Arbeitsverwaltung und Arbeitskräftepolitik im nationalsozialistisch besetzten Europa waren das Thema einer Tagung, organisiert im Auftrag des vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales geförderten Projekts zur Geschichte des Reichsarbeitsministeriums in der Zeit des Nationalsozialismus, Berlin, 3.-5.  Dezember 2015, »Regimenting Unfree Labour in Europe during the Second World War«; siehe

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neralgouvernement (als Teil des deutsch besetzten Polens) und das besetzte Belgien, vorgestellt. Als Kontext dieses doppelten Fokus wird zunächst das offizielle Selbstverständnis der deutschen Arbeitsverwaltung im Zweiten Weltkrieg als Experteninstanz für den »intereuropäischen Arbeiteraustausch«8 skizziert, anschließend werden Thesen aus der vorliegenden Fachliteratur zur Geschichte der Arbeitsverwaltung und zum »Reichseinsatz« umrissen, die als Leitfragen für den abschließenden vergleichenden Überblick dienen. Der Vergleich soll beleuchten, wie die Arbeitsverwaltung das System der erzwungenen Arbeitskräfterekrutierung in Ost und West durchsetzte, das die nationalsozialistische Kriegswirtschaft bis Kriegsende am Laufen hielt.

Der Blick aus dem Reichsarbeitsministerium Reichsarbeitsminister Franz Seldte, Staatssekretär Friedrich Syrup und weitere Ministerialbeamte aus der Berliner Behörde präsentierten in offiziellen Publikationen ein Bild von der deutschen Arbeitsverwaltung als Rationalisierungsinstrument innerhalb der expandierenden nationalsozialistischen Machtsphäre.9 Als Verwaltungsapparat bestand die Arbeitsverwaltung aus einem Netzwerk von Landesarbeitsämtern (ab 1943: Gauarbeitsämter) und Arbeitsämtern, das sich über die Grenzen des »Altreichs« hinaus in die annektierten Gebiete erstreckte.10 Zur Beschaffung von ausländischen Arbeitskräften für die Arbeit in Deutschland dienten sowohl bilaterale Verträge zwischen der deutschen Regierung und »befreundeten« Ländern (Italien, Slowakei, Ungarn, Bulgarien) als auch die Werbung durch die Organe der von den deutschen Besatzern wieder aufgebauten oder dazu die Tagungsdokumentation auf www.historikerkommission-reichsarbeits ministerium.de (30.1.2017). 8 Dr. Syrup: Intereuropäischer Arbeiteraustausch, in: RAB l.V (1941), S.335. 9 Franz Seldte: Der Arbeitseinsatz in Frankreich, in den Niederlanden und in Belgien, in: RAB l.V (1941), S.413-417; Friedrich Syrup: Probleme des Arbeitseinsatzes im europäischen Großraum, in: Der Vierjahresplan 5 (1941), Nr.1-3, S.20-21; Friedrich Syrup: Arbeitseinsatz im Krieg und Frieden, Essen 1942; Philipp Beisiegel: Der Arbeitseinsatz in Europa, in: Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, hg. v. Verein Berliner Kaufleute und Industrieller und der Wirtschafts-Hochschule Berlin, 2., durchgesehene Aufl., Berlin 1943, S.117-139. 10 Karsten Linne: Von der Arbeitsvermittlung zum »Arbeitseinsatz«: Zum Wandel der Arbeitsverwaltung 1933-1945, in: Marc Buggeln/Michael Wildt (Hg.): Arbeit im Nationalsozialismus, München 2014, S.53-70.

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neu eingerichteten Arbeitsverwaltungen in den besetzten Gebieten.11 An der Spitze der deutschen Arbeitsverwaltung im Reich stand bei Kriegsbeginn Friedrich Syrup, der ehemalige Präsident der früher selbstständigen Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung und seit Oktober 1936 Leiter der Geschäftsgruppe Arbeitseinsatz beim Beauftragten für den Vierjahresplan. Ab 1. Januar 1939, mit der Eingliederung der Reichsanstalt ins Reichsarbeitsministerium, wurde Syrup dort Staatssekretär.12 In offiziellen Selbstdarstellungen erschienen die Experten der Arbeitsverwaltung als Meister der Improvisation, die die Arbeitskräfte im »europäischen Wirtschaftsraum« steuerten und dabei die Fehler eines liberalen Modells vom »Arbeitsmarkt« überwanden (»diese Zeiten liberalistischer Anschauung sind vorbei«).13 Dieses Standardnarrativ stellte die Rekrutierung ausländischer Arbeitskräfte für den »Einsatz« im Reich in einen doppelten Kontext: erstens in Bezug zur gegenwärtigen Mobilisierung der Arbeitskräftereserven innerhalb Deutschlands für die Kriegswirtschaft und zweitens in die längere historische Entwicklung von ausländischen »Grenzgängern«, saisonalen Wanderarbeitskräften und Arbeitsmigranten in der deutschen Wirtschaft.14 Der gelenkte »Arbeitseinsatz« sollte, laut einem 1941 erschienenen Artikel über Westeuropa von Seldte, die Arbeitslosigkeit aller daran beteiligten Länder überwinden.15 Mitten im Krieg, schrieb Syrup, sollte die Arbeit sogar als Mittel der Versöhnung dienen: »Nichts bindet die Völker mehr als gemeinsame Arbeit schaffender Menschen zur Erreichung eines gleichen Zieles: der Wohlfahrt Europas«.16 Gleichzeitig warnte Syrup vor einer »Seßhaftmachung« von ausländischen Arbeitskräften im Aufnahmeland und der »unnatürliche[n] Vermischung europäischer Völker und Rassen«.17 11 Letsch (Anm.1). 12 Dieter G. Maier: Friedrich Syrup (1881-1945). Von der Gewerbeaufsicht an die Spitze der Arbeitsverwaltung, in: ders./Jürgen Nürnberger/Stefan Pabst (Hg.): Vordenker und Gestalter des Arbeitsmarktes. Elf Biografien zur Geschichte der deutschen Arbeitsverwaltung, Mannheim 2012, S.115-140. 13 Walter Stothfang: Der Arbeitseinsatz im Kriege, Berlin 1940, S.5. 14 Ebd., S.27-29. 15 Seldte (Anm.9), S.417. 16 Syrup: Probleme des Arbeitseinsatzes (Anm.9), S.21; siehe auch Letsch (Anm.1), S.45; auch zit. in Herbert: Fremdarbeiter (Anm.3), S.106; Beisiegel (Anm.9), S.139. 17 Syrup: Probleme des Arbeitseinsatzes (Anm.9), S.20-21; Letsch (Anm.1), S.45.

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Die Klischees von Ordnung und Optimierung durchzogen ebenfalls eine 1942 erschienene Schrift von Ministerialrat Dr. Max Timm, dem späteren Leiter der Hauptabteilung  VI (Europaamt für den Arbeitseinsatz), Der Einsatz ausländischer Arbeitskräfte in Deutschland, ein Überblick bis zum Jahresende 1941. Er rechtfertigte erneut den geplanten »Einsatz«: »Nach Ausbruch des Krieges zeigte sich noch eindringlicher als vorher die Notwendigkeit, den Arbeitseinsatz planvoll zu lenken und auch die Anwerbung und Vermittlung ausländischer Arbeitskräfte einheitlich nach übergeordneten Gesichtspunkten durch die Dienststellen der Arbeitseinsatzverwaltung vornehmen zu lassen.«18 Aber Timms Überblick über besetzte und »befreundete« Territorien – das Reichsprotektorat Böhmen und Mähren, das Generalgouvernement, Italien, die Slowakei, Ungarn, Kroatien, Bulgarien, Serbien, die Niederlande, Belgien (mit Nordfrankreich), Frankreich (ohne Nordfrankreich), Dänemark, Norwegen und Spanien – konnte das heterogene Flickwerk von unterschiedlichen Verwaltungsformen und Maßnahmen zur Arbeitskräfterekrutierung in den verschiedenen besetzten Ländern nicht verbergen. Timm bestätigte das Prinzip der freiwilligen Rekrutierung von Arbeitskräften für das Reich (»An dem Grundsatz der Freiwilligkeit ist festzuhalten«, S.9), aber er verriet zugleich auch die Schwierigkeiten bei der »Werbung«, etwa mit seinen Hinweisen auf die »Notwendigkeit einer verstärkten Propaganda« in Serbien (S.75) und die »ständige Aufklärung«, die in Belgien nötig sei (S.85). Die »Sonderstellung der Polen« (S.10) und die »Sonderbehandlung der Polen« (S.26f.), die mit nicht weiter ausgeführten »volkstums- und sozialpolitischen Gründen« erklärt wurden, zeigten auch gravierende Einschränkungen in der Anwendung des Prinzips »gleiche Rechte und Pflichten« für ausländische Arbeitskräfte im Reich (S.9f.). Dass die freiwillige Anwerbung in Belgien und Serbien nur mit energischem Nachdruck erfolgte, und polnische Arbeitskräfte im Reich starke Diskriminierungen erfuhren, ging aus diesem Text hervor, noch bevor solche Diskriminierungen ab Anfang 1942 auch für die zivilen Arbeitskräfte aus den besetzten sowjetischen Gebieten initiiert wurden. Die Deportationen aus Polen wurden allerdings nicht thematisiert.

18 Max Timm: Der Einsatz ausländischer Arbeitskräfte in Deutschland, Berlin 1942 [Sonderdruck aus dem Reichsarbeitsblatt], S.5.

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Die Arbeitsverwaltung in den besetzten Gebieten: Fragen und vergleichende Perspektiven Historiker und Historikerinnen auf der Suche nach vergleichenden Perspektiven auf die Arbeitsverwaltung in den besetzten Gebieten haben eine Reihe von Zugängen und Thesen vorgeschlagen.19 Diese beziehen sich auf drei größere Fragen bzw. Themengruppen, die im Folgenden skizziert werden. Einen ersten Vergleichsgegenstand bilden die Ziele der Arbeitskräftepolitik und Arbeitseinsatzpolitik als ein zentrales Feld der Besatzungspolitik. Verschiedene Faktoren wirkten darauf ein, darunter die allgemeinen Ziele der deutschen Besatzungspolitik: Die Ausbeutung der Ressourcen der besetzten Gebiete für die Kriegswirtschaft, die Unterdrückung von Widerstand sowie die Ausplünderung, Ausbeutung und schließlich Ermordung der Juden.20 Für die verschiedenen Länder galten aber jeweils spezifische Okkupationsziele, die der nationalsozialistischen Planung einer »Neuordnung« Europas entsprachen.21 Diese »Neuordnung« wurde nie im Detail ausgearbeitet, aber in der Praxis der nationalsozialistischen Besatzungsherrschaft zeigten sich bestimmte Muster, die für die Politik und Praxis der Arbeitsverwaltung relevant waren. Beispielsweise zählte eine grobe Unterscheidung zwischen den »slawischen« Völkern Osteuropas dazu, die als rassisch minderwertig galten und einer gewaltsamen »völkischen Flurbereinigung« unterzogen wurden, und den Bevölkerungen Westeuropas (besonders wenn sie als »germanisch« angesehen wurden), deren jeweilige Kooperationsbereitschaft mit den Besetzern auszuloten war. Darüber hinaus wurde zwischen den an Deutschland angrenzenden Gebieten im Osten, Südosten und Westen unterschieden, die annektiert und 19 Grundlegend zu vergleichenden Perspektiven auf die Geschichte der Arbeitsverwaltung Florian Dierl: Arbeitsverwaltungen und Arbeitskräftepolitik im besetzten Polen und Serbien. Ein Vergleich, in: ders./Janjetović/Linne: Pflicht, Zwang und Gewalt (Anm.6), S.443-464, hier S.443. 20 Werner Röhr: System oder organisiertes Chaos? Fragen einer Typologie der deutschen Okkupationsregime im Zweiten Weltkrieg, in: Robert Bohn (Hg.): Die deutsche Herrschaft in den »germanischen« Ländern 1940-1945, Stuttgart 1997, S.11-45. 21 Hans Umbreit: Auf dem Weg zur Kontinentalherrschaft, in: Bernhard  R. Kroener/Rolf-Dieter Müller/Hans Umbreit: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd.5: Organisation und Mobilisierung des Deutschen Machtbereichs, Halbbd. 1: Kriegsverwaltung, Wirtschaft und personelle Ressourcen 1939-1941, Stuttgart 2009, S.3-348, hier S.3-135.

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durch Umsiedlung oder Aussiedlung bzw. Assimilation auf kurze oder lange Sicht germanisiert werden sollten, und denjenigen besetzten Territorien, die als nationalstaatliche Gebilde fortbestehen sollten, mit oder ohne Grenzveränderungen. Ein dritter Faktor, der die Ziele der Arbeitskräftepolitik bestimmte, war die jeweilige Wirtschaftsstruktur des besetzten Landes: In stark industrialisierten Gebieten galt es oft, die Produktion vor Ort zu erhalten; in anderen ging es den Besatzern vor allem darum, Rohstoffe und einheimische Arbeitskräfte für die deutsche Wirtschaft zu sichern. Ein weiterer potenzieller Einflussfaktor auf die Arbeitskräftepolitik stellte die Erinnerung an frühere deutsche Zugriffe auf Arbeitskräfte im jeweiligen besetzten Land dar. Auch im Ersten Weltkrieg wurden – neben Kriegsgefangenen – zivile ausländische Arbeitskräfte als Ressource für die deutsche Kriegswirtschaft ausgenutzt.22 Unterschiedliche Methoden der Arbeitskräfteerfassung, darunter auch Zwangsmaßnahmen, wurden von den zivilen Behörden (Generalgouvernement Belgien und Generalgouvernement Warschau) und Militärverwaltungen (die Militärverwaltung im Etappen- und Operationsgebiet Belgien und Nordfrankreich bzw. »Ober Ost« in den nordostpolnischen, belorussischen und litauischen Gebieten) durchgeführt. In den verschiedenen zivilund militärverwalteten Gebieten im Westen und Osten und in verschiedenen Kriegsphasen entstanden komplexe Formen von Werbung, Druck und direktem Zwang, die der Erfassung von zivilen Arbeitskräften für die Arbeit vor Ort und im Reich dienten. Am berüchtigsten dabei waren die Deportationen aus Belgien nach Deutschland im Herbst/Winter 1916/17, die im Frühjahr 1917 gestoppt wurden, und aus den militärverwalteten belgischen und nordfranzösischen Gebieten in das Etappengebiet und in die Operationszone, die bis Kriegsende anhielten.23 Dass gleichzeitig in den osteuropäischen Besatzungsgebieten rücksichtslose Zwangsrekrutierungen und auch Deportationen stattfanden, allerdings nur innerhalb der besetzten Gebiete, erregte bei 22 Ulrich Herbert: Zwangsarbeit als Lernprozeß. Zur Beschäftigung ausländischer Arbeiter in der westdeutschen Industrie im Ersten Weltkrieg, in: Archiv für Sozialgeschichte 24 (1984), S.285-304; Fabian Lemmes: »Ausländereinsatz« und Zwangsarbeit im Ersten und Zweiten Weltkrieg: Neuere Forschung und Ansätze, in: Archiv für Sozialgeschichte 50 (2010), S.395-444; Jens Thiel: »Menschenbassin Belgien«. Anwerbung, Deportation und Zwangsarbeit im Ersten Weltkrieg, Essen 2007, S.319-336; Christian Westerhoff: Zwangsarbeit im Ersten Weltkrieg. Deutsche Arbeitskräftepolitik im besetzten Polen und Litauen 1914-1918, Paderborn 2012, S.311-346. 23 Thiel: »Menschenbassin Belgien« (Anm.22).

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zeitgenössischen Beobachtern und ausländischen Kritikern weniger Aufsehen.24 Für Historiker und Historikerinnen, die zur nationalsozialistischen Besatzungs- und Arbeitskräftepolitik forschen, stellt sich die Frage, ob die Beschäftigung von Zwangsarbeitern während des Ersten Weltkrieges »eine Art Probelauf für den Zweiten«25 bildete, mit der Betonung auf Kontinuitäten und Wiederholungen, oder ob die Arbeitskräftepolitik im Ersten Weltkrieg »eher als allgemeiner Erfahrungshintergrund denn als konkrete Handlungsanweisung«26 für den Zweiten gesehen werden soll. Auf jeden Fall lohnt es sich zu fragen, wo Parallelen sichtbar werden, wo Unterschiede bestehen und was die deutschen Arbeitsverwaltungen in den verschiedenen besetzten Gebieten im Zweiten Weltkrieg aus dem Ersten lernen wollten oder konnten.27 Als zweiter Schwerpunkt für eine vergleichende Perspektive stellt sich die Frage nach der Form und dem Einfluss der Arbeitsverwaltung neben anderen deutschen Institutionen und Akteuren sowie der Rolle der einheimischen Kooperations- bzw. Kollaborationsbereitschaft bei der Durchführung der jeweiligen Arbeitskräftepolitik.28 Nach Florian Dierl war die Arbeitskräftepolitik im besetzten Europa »keineswegs Ausdruck eines kohärenten und vom GBA [Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz] und der Arbeitsverwaltung koordinierten Herrschaftswillens«.29 Die Analyse muss daher neben den übergeordneten Zielen der Arbeitskräftepolitik auch die Arbeitsverwaltung als Element eines bestimmten Typus von Besatzungsregimen in den Blick nehmen und die jeweilige Konstellation von Institutionen und Akteuren, Konflikten und Aushandlungsprozessen vor Ort beleuchten. Ohne hier auf Typologien von Besatzungsverwaltungen einzugehen,30 kann man grob gesehen drei Varianten unterscheiden. In den for24 Thiel: »Menschenbassin Belgien« (Anm.22), S.10; Westerhoff: Zwangsarbeit (Anm.22), S.224-245. 25 Herbert: Fremdarbeiter (Anm.3), S.35. 26 Westerhoff: Zwangsarbeit (Anm.22), S.329. 27 Thiel: »Menschenbassin Belgien« (Anm.22), S.321-322; Kim Christian Priemel: Lernversagen: Der Erste Weltkrieg und die nationalsozialistische Wirtschaftspolitik, in: Gerd Krumeich (Hg.): Nationalsozialismus und Erster Weltkrieg, Essen 2010, S.299-322; Jochen Oltmer: Erzwungene Migration: »Fremdarbeit« in zwei Weltkriegen, in: ebd., S.347-362. 28 Dierl: Arbeitsverwaltungen (Anm.19), S.443-463. 29 Ebd., S.443. 30 Umbreit: Auf dem Weg (Anm.21), S.95-102; Röhr (Anm.20).

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mell und de facto annektierten Gebieten wurden erstens die Verwaltungsstrukturen des Deutschen Reiches eingeführt, wenn auch mit Abweichungen vom »Altreich-Modell«. Zweitens entstanden unterschiedliche Variationen von Besatzungsregimen in Form von Zivilverwaltungen, zum Beispiel unter einem Reichskommissar oder Reichsprotektor. Als dritte Form gab es die Militärregierungen, zum Beispiel in Belgien bis Juli 1944, in Serbien oder in den besetzten sowjetischen Gebieten außerhalb der zivil verwalteten Reichskommissariate Ukraine und Ostland. In einigen besetzten Ländern (ob mit ziviler oder militärischer Regierungsform) dienten einheimische Verwaltungen unter deutscher Aufsicht als Zeichen einer gewissen Kontinuität und Stabilität in den staatlichen Strukturen. Innerhalb solcher Strukturen der Kollaboration und Kooperation gab es unterschiedlich großen Spielraum für einheimischen Einfluss oder sogar Einspruch in Sachen des »Arbeitseinsatzes«. Aber es gab auch Besatzungsverwaltungen, in denen Einheimische nur auf lokaler Ebene als Handlanger der Besatzungsmacht eingesetzt wurden und ohne Einfluss auf die Politik der Arbeitskräfterekrutierung blieben. Ein Vergleich sollte neben gemeinsamen Tendenzen auch unterschiedliche Entwicklungen in der Praxis der Arbeitsverwaltung im besetzten Europa identifizieren. In einigen besetzten Gebieten (zum Beispiel im Reichsprotektorat Böhmen und Mähren, im besetzten Polen und in den westeuropäischen Ländern) herrschte nach dem deutschen Einmarsch eine kürzere oder längere Phase von Produktionsrückgängen, Stilllegungen und dadurch bedingter Arbeitslosigkeit, die für die Anwerbung von Arbeitskräften für die deutsche Wirtschaft förderlich war. Sobald die Arbeitslosigkeit in einen Arbeitskräftemangel umschlug, manchmal innerhalb von Monaten, sank entsprechend die Bereitschaft, sich für einen »Reichseinsatz« zu melden.31 Als im Winter 1941/42 der Arbeitskräftemangel zur Krise wurde, verschärften sich typischerweise die Konflikte in den besetzten Gebieten zwischen der Arbeitsverwaltung, die die Transporte ins Reich zu füllen hatte, und anderen deutschen Stellen, die – je nach örtlicher Wirtschaftsstruktur – der Produktion vor Ort den Vorrang gaben. Als Fritz Sauckel in seiner Rolle als Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz (ab März 1942) die Arbeitskräfterekrutierung für das Reich forcierte, erhielten ab September 1942 seine Beauftragten vor Ort (meist Fachleute, die bereits eine leitende Position in der betreffenden Abteilung der Besatzungsverwaltung innehatten) als verlängerter Arm seines Apparats in 31 Siehe zur allgemeinen Entwicklung Spoerer (Anm.4), S.37-88.

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den besetzten Gebieten neuen Rückhalt gegenüber anderen deutschen Instanzen. Der unlösbare Konflikt um die Ressource »Arbeitskraft« war aber damit nicht überwunden. Dabei stellt sich die Frage, inwieweit das »System Sauckel« unterschiedlich wahrgenommen wurde, je nachdem, ob in einem Gebiet Deportationen ins Reich schon zum Besatzungsalltag gehörten oder als neue und drastische Stufe von Ausbeutung erschienen. Ein drittes Thema für den Vergleich zwischen der Arbeitskräftebeschaffung in verschiedenen besetzten Gebieten ist das Repertoire der Rekrutierungsmethoden und die jeweilige Kombination von »Zuckerbrot und Peitsche«, die zur Anwendung kamen.32 Auf den ersten Blick wiederholte sich jeweils die Entwicklung, allerdings in unterschiedlichem Tempo, von der Werbung auf freiwilliger Basis hin zu Zwang und Gewalt. Aber ein solches Phasenmodell verbirgt Komplikationen.33 Die »freiwilligen« Meldungen waren teilweise nicht erzwungene Reaktionen auf versprochene Chancen und Aussichten in Deutschland, oft aber waren sie durch Not oder äußeren Druck bedingt;34 genuin Freiwillige aus westlichen Ländern wurden nach Ablauf ihrer befristeten Verträge unfreiwillig durch »Dienstverpflichtung« an ihren Arbeitsplätzen in Deutschland festgehalten.35 Zudem dauerte die Werbung auf freiwilliger Basis z.T. noch lange Zeit parallel zu der erzwungenen Deportation bestimmter Personengruppen an.36 Eine weitere Dimension der Praxis von Arbeitsverwaltungen, die in einem vergleichenden Ansatz untersucht werden kann, ist die Herrschaftstechnik, verschiedene Gruppen gegeneinander auszuspielen. Die Arbeitskräftepolitik konnte zu einem Mittel der volkstumspolitischen und rassistischen Differenzierung und Privilegierung werden – zum Beispiel im gemischt deutsch-polnischen Gebiet Oberschlesien, wo vermeintliche Polen zugunsten von Deutschen entlassen wurden,37 oder in den besetzten baltischen Bezirken des Reichskommissariats 32 Dierl: Arbeitsverwaltungen (Anm.19), S.444f. 33 Herbert: Fremdarbeiter (Anm.3), S.83. 34 Karsten Linne: »Sklavenjagden« im Arbeiterreservoir  – das Beispiel Generalgouvernement, in: Dierl/Janjetović/Linne: Pflicht, Zwang und Gewalt (Anm.6), S.171-316, hier S.205f. 35 Herbert: Fremdarbeiter (Anm.3), S.181. 36 Dierl: Arbeitsverwaltungen (Anm.19), S.459. 37 Valentina Maria Stefanski: Nationalsozialistische Volkstums- und Arbeitseinsatzpolitik im Regierungsbezirk Kattowitz 1939-1945, in: Geschichte und Gesellschaft 31 (2005), H.1, S.38-67.

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Ostland, wo die slawischen Bewohner des Baltikums aufgrund der Kooperation zwischen der deutschen Arbeitsverwaltung und den baltischen Bevölkerungsmehrheiten benachteiligt wurden.38 Die Differenzierung zwischen verschiedenen Kategorien von Arbeitskräften konnte auch dazu dienen, eine Kategorie gegen eine andere auszutauschen, die dann »freigesetzt« wurde. Ausländische Frauen wurden beispielsweise unter bestimmten Bedingungen als Ersatzkräfte für ausländische Männer »eingesetzt«. Allerdings wurden aufgrund von rassistischen Vorstellungen und Klischees polnische und sowjetische Frauen viel eher als westeuropäische Frauen zur Arbeit gezwungen: Ein Privileg des Geschlechts galt nur, und auch nur bedingt, für westeuropäische Frauen.39 Austauschprozesse fanden ebenfalls im Kontext der antisemitischen Verfolgung statt. Wenn aus der Sicht der Arbeitsverwaltung Ersatzkräfte für jüdische Arbeiter unter der arbeitslosen bzw. »unterbeschäftigten« nichtjüdischen Bevölkerung vorhanden waren – ein solches Szenario war nach dem deutschen Einmarsch im besetzten Lettland und in Belarus im Sommer 1941 gegeben  –, dann wurden Nichtjuden zur Arbeit herangezogen und die jüdischen Arbeiter »freigesetzt«, mit tödlichen Konsequenzen für die Juden.40 Später, als aus dem »Überschuss« ein Arbeitskräftemangel geworden war, konnten sich jüdische Arbeitskräfte dadurch eine Überlebensfrist sichern, dass sie aus Sicht der Arbeitsverwaltung zumindest vorübergehend als Ersatzkräfte für fehlende nichtjüdische Arbeitskräfte galten.

Zwei Fallbeispiele: die Arbeitsverwaltung und Arbeitskräftepolitik im Generalgouvernement und in Belgien Auf der Grundlage dieser Überlegungen werden im Folgenden die Arbeitsverwaltung und die Arbeitskräftepolitik in zwei kontrastierenden Gebieten unter nationalsozialistischer Besatzung näher betrachtet: erstens dem »Generalgouvernement für die besetzten polnischen Gebiete« und zweitens Belgien. Laut einer Erhebung im Deutschen Reich über die ausländischen Arbeitskräfte vom 25.  September 1941 aufgrund einer Zählung durch die Arbeitsämter befanden sich zu die38 Tilman Plath: Zwischen Schonung und Menschenjagden. Arbeitseinsatzpolitik in den baltischen Generalbezirken des Reichskommissariats Ostland 1941-44, Essen 2012, S.215-220. 39 Herbert: Fremdarbeiter (Anm.3), S.271. 40 Plath (Anm.38), S.233f.; Gerlach (Anm.5), S.453f., 578f.

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sem Zeitpunkt 2140000 zivile ausländische Arbeitskräfte (Arbeiter und Angestellte) im deutschen Reichsgebiet.41 Hinzu kamen 1367973 Kriegsgefangene.42 Von den zivilen Arbeitskräften waren fast die Hälfte Polen (1007561). Wie viele davon aus dem Generalgouvernement stammten, ist unbekannt, da in der Zählung nach Staatsangehörigkeit (»ehem. Polen«) nicht zwischen dem Generalgouvernement und den »eingegliederten« Westgebieten Polens als Herkunftsgebieten unterschieden wurde. Polen stellten jedenfalls bei weitem das größte Kontingent nach Staatsangehörigkeit, und eine auffallend große Minderheit davon waren Frauen (262730 Frauen im Vergleich zu 744831 Männern). Aus der gleichen Zählung geht hervor, dass die Belgier das größte Kontingent aus dem besetzten westlichen Europa stellten. Zu diesem Zeitpunkt zählten die Arbeitsämter im Deutschen Reich 121501 belgische Arbeitskräfte, davon 106832 Männer und 14669 Frauen.43 Wesentlich höhere Zahlen von »Vermittlungen« ins Deutsche Reich wurden von der Militärverwaltung in Belgien genannt: Sie gab für den 6.  September 1941 die Zahl von 206692 Arbeitskräften an.44 Trotz der offenen Fragen in Bezug auf die Zahlen geht deutlich hervor, dass die Arbeitskräfterekrutierung bis zu diesem Zeitpunkt sowohl aus dem Generalgouvernement als auch aus Belgien von der Arbeitsverwaltung als Erfolg angesehen werden konnte. Eine weitere 41 Die ausländischen Arbeiter und Angestellten im Deutschen Reich nach der Staatsangehörigkeit und nach Berufsabteilungen am 25. September 1941, in: Der Arbeitseinsatz im Deutschen Reich, Nr.21 v. 5.11.1941, S.19-23; Die Ergebnisse der Erhebung über die ausländischen Arbeiter und Angestellten vom 25.  September 1941, in: Der Arbeitseinsatz im Deutschen Reich, Nr.22 v. 20.11.1941, S.14-17. In diesen Zahlen für das »deutsche Reichsgebiet« waren die Zahlen für die annektierten polnischen Gebiete nicht mit enthalten. 42 Die Entwicklung des Arbeitseinsatzes im Deutschen Reich 1940/41, in: Der Arbeitseinsatz im Deutschen Reich, Nr.21 v. 5.11.1941, S.3. 43 Die ausländischen Arbeiter und Angestellten im Deutschen Reich nach der Staatsangehörigkeit und nach Berufsabteilungen am 25. September 1941, in: Der Arbeitseinsatz im Deutschen Reich, Nr.21 v. 5.11.1941, S.21. 44 Mathias G. Haupt nennt zwei Gründe für die höheren Zahlen der deutschen Militärverwaltung: Erstens seien auch die Vermittlungen von nichtbelgischen Einwohnern Belgiens ins Reich, die von den Arbeitsämtern in Deutschland nach der Staatsangehörigkeit und nicht nach Herkunftsgebiet gezählt wurden, mit aufgenommen; zweitens habe das Zählen von »Vermittlungen« zu Doppelzählungen führen können, wenn Rückwanderer des »Einsatzes« in Deutschland wieder dorthin vermittelt wurden. Ders.: Der »Arbeitseinsatz« der belgischen Bevölkerung während des Zweiten Weltkrieges, Bonn 1970, S.82-85.

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Gemeinsamkeit zwischen Belgien und Polen war die Erfahrung der Zwangsarbeit unter deutscher Besatzung im Ersten Weltkrieg und der erzwungenen Arbeitskräfterekrutierung durch die Besatzer. Als »Erfahrungshintergrund« für die deutsche Arbeitsverwaltung in Polen ab 1939 und in Belgien ab 1940 fallen zwei Aspekte der Arbeitskräftepolitik in den besetzten Gebieten im Ersten Weltkrieg besonders auf: erstens, wie die Besatzer die Erfassung der Bevölkerung zur Arbeit mit Bezug auf die Arbeitslosigkeit und die vermeintliche »Arbeitsscheu« legitimierten; und zweitens, besonders ab 1916, die erhöhte Anwendung des Zwangs. Die Erfassung von Zivilisten zwecks Arbeitsaufnahme durch die deutschen Besatzer im Ersten Weltkrieg, eine Maßnahme, die laut der Haager Landkriegsordnung wichtigen Beschränkungen unterlag,45 wurde durch die Bedürfnisse der deutschen Kriegsführung legitimiert, aber sie wurde sowohl in Belgien als auch im Generalgouvernement Warschau und im militärisch verwalteten Gebiet »Ober Ost« als Antwort auf die Arbeitslosigkeit und soziale Not präsentiert, die durch den Krieg und die Besatzung entstanden waren. In den Generalgouvernements Belgien und Warschau erschienen Arbeitslose und »Unbeschäftigte« als Manövriermasse, die für die Arbeit in Deutschland (oder vor Ort) mit Nachdruck geworben werden sollten.46 Diese Logik führte aber auch dazu, breite Bevölkerungsgruppen im besetzten Westen wie im Osten – Belgier, Polen, Litauer und insbesondere die Juden im Generalgouvernement Warschau und »Ober Ost« – als Unterbeschäftigte und »Arbeitsscheue« zu stigmatisieren: Für diese sollte der Arbeitseinsatz auch als Disziplinierung dienen.47 Außerdem trugen die Besatzer durch eigene Stilllegungen von Industrie- und Handwerksbetrieben zur künstlichen Erhöhung der Arbeitslosigkeit bei, und damit zum wirtschaftlichen Druck auf die Notleidenden, sich für die Arbeit vor Ort oder im Reich zu melden.48 Die Anwendung des Zwangs bei der Arbeitskräftebeschaffung im Ersten Weltkrieg erreichte nach der Übernahme der Obersten Heeresleitung durch Ludendorff und Hindenburg im August 1916 insgesamt ihren Höhepunkt. Ludendorff verfolgte eine Strategie, die unter 45 Thiel: »Menschenbassin Belgien« (Anm.22), S.26. 46 Ebd., S.64-73; Westerhoff: Zwangsarbeit (Anm.22), S.99f. 47 Thiel: »Menschenbassin Belgien« (Anm.22), S.53, 73-79, 89-102; Westerhoff: Zwangsarbeit (Anm.22), S.100-103, 149-153. 48 Ebd., S.66; Thiel: »Menschenbassin Belgien« (Anm.22), S.241.

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Missachtung der Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung auf die »totale« Ausschöpfung der menschlichen Ressourcen innerhalb der deutschen Machtsphäre zielte.49 Damit brachte er seine Erfahrungen aus »Ober Ost« mit, wo er seit September 1915 eine Politik der forcierten wirtschaftlichen Ausnutzung anhand der strengen Erfassung vermeintlich »unbeschäftigter« Arbeitskräfte für den Arbeitseinsatz vor Ort praktizierte.50 Unter dem Druck Ludendorffs gingen im Oktober 1916 die beiden Zivilverwaltungen, zuerst im Generalgouvernement Warschau und dann im Generalgouvernement Belgien, dazu über, Arbeitskräfte zwangsweise zu erfassen und aus ihrem Heimatgebiet zu deportieren.51 Aus dem Generalgouvernement Warschau wurden bis Dezember 1916 ca. 5000 vorwiegend jüdische Arbeitskräfte »ausgehoben«: Davon wurde ein Teil nach »Ober Ost« deportiert und dort in »Zivil-Arbeiter-Bataillone« eingereiht.52 Aus dem Generalgouvernement Belgien wurden im Zeitraum vom 26. Oktober 1916 bis 10. Februar 1917 rund 60000 Männer nach Deutschland gebracht, wo ca. 1300 als Folge der katastrophalen Lagerunterbringung und Arbeitsbedingungen starben.53 Bereits davor, ab 8. Oktober 1916,54 hatte die Deportation von weiteren insgesamt mehr als 60000 belgischen und nordfranzösischen Männern aus dem militärisch verwalteten Gebiet Belgiens und Nordfrankreichs in das Operations- und Etappengebiet begonnen, wo sie in »Zivil-Arbeiter-Bataillonen« Zwangsarbeit leisteten: Von diesen Deportierten starben ebenfalls über 1000 Menschen.55 Während die Arbeiter in den »Zivil-Arbeiter-Bataillonen« bis Kriegsende in »Ober Ost« und in Belgien/Nordfrankreich bis Kriegsende Zwangsarbeit leisten mussten, stoppten die zivilen Regierungen des Generalgouvernements Warschau im Dezember 1916 und des Generalgouvernements Belgien im Februar 1917 die drastischen Zwangsmaßnahmen, die sie im Oktober 1916 eingeführt hatten. Diese Kehrtwendung geschah in beiden Fällen auf Grund der wirtschaftlichen Ineffektivität der Zwangspolitik und weil die Besatzer sich zumindest die Chance auf eine Kooperation mit der Bevölkerung erhalten wollten: Ein Kooperationswunsch, der nicht nur gegenüber den Belgiern, sondern angesichts der Ausrufung des polnischen Staats im November 49 50 51 52 53 54 55

Ebd., S.103-109. Westerhoff: Zwangsarbeit (Anm.22), S.80-85, 143-177, 189f. Ebd., S.198-209; Thiel: »Menschenbassin Belgien« (Anm.22), S.136-147. Westerhoff: Zwangsarbeit (Anm.22), S.202-209. Thiel: »Menschenbassin Belgien« (Anm.22), S.148-156. Ebd., S.127f. Ebd., S.128f.

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1916 auch gegenüber den Polen galt. Im Falle Belgiens kamen zahlreiche Proteste hinzu, nicht nur im Lande selbst, auch vonseiten der katholischen Kirche, sondern auch in Deutschland und im Ausland.56 Ein Blick auf die Arbeitskräftepolitik der deutschen Besatzer in Belgien und in Polen im Ersten Weltkrieg als Folie für die nationalsozialistische Arbeitskräftepolitik in diesen Gebieten zwei Jahrzehnte später ergibt disparate und widersprüchliche Tendenzen in den verschiedenen Kriegsphasen und Verwaltungsgebieten.57 Auf der einen Seite erscheint eine »totalisierende« Dimension der Arbeitskräftepolitik, besonders in »Ober Ost«, als Vorläufer späterer rassistisch fundierter Unterdrückungsmaßnahmen gegenüber »primitiven« Slawen und »arbeitsscheuen« Juden  – auch wenn Rassismus und Antisemitismus noch keine Staatsdoktrin waren.58 Auch gegenüber Arbeitskräften aus Westeuropa bildeten sich Stereotypen von »Müßiggängern« als Legitimation für repressive Maßnahmen aus. Andererseits ist die Wirkung eines internen Pluralismus im Kaiserreich unübersehbar: Kritische und zweifelnde Stimmen innerhalb der Zivilverwaltungen und auf Reichsebene hatten genug Gewicht, sodass es zur Kurskorrektur und zum Stopp der Menschenjagden und Deportationen kam.  – Ob die Mitarbeiter der Arbeitsverwaltung, die in die gleichen Gebiete im Zweiten Weltkrieg einzogen, Lektionen aus den widersprüchlichen Entwicklungen des Ersten Weltkrieges begreifen und umsetzen würden (und wenn ja, welche), war eine andere Frage. Auf jeden Fall war die unauslöschliche Verbitterung, die in Belgien aufgrund der desaströsen Deportationen anhielt, eine Mahnung für die Zukunft.59 Bei allen Gemeinsamkeiten und Parallelen zwischen Polen und Belgien fällt bei einem Vergleich der Arbeitskräftepolitik in beiden Gebieten im Zweiten Weltkrieg auch ein starker Kontrast auf: Die großen Unterschiede im Hinblick auf die Besatzungsstruktur, das Verhältnis zwischen Besatzern und Besetzten sowie die Bedingungen der Arbeitskräftebeschaffung sind offenbar. Es stellt sich allerdings angesichts der Zwangsrekrutierung ab 1942 in Belgien die Frage, ob eine Konvergenz zwischen der Praxis der Arbeitsverwaltung in beiden Gebieten in der zweiten Kriegshälfte stattgefunden hat, oder ob der grundlegende

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Ebd., S.156-162, 176-237; Westerhoff: Zwangsarbeit (Anm.22), S.241-243. Ebd., S.328f.; Thiel: »Menschenbassin Belgien« (Anm.22), S.319-329. Westerhoff: Zwangsarbeit (Anm.22), S.328. Thiel: »Menschenbassin Belgien« (Anm.22), S.163-199.

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Kontrast zwischen der nationalsozialistischen Besatzungspolitik in Ost- und Westeuropa bis Kriegsende zu beobachten war.

Generalgouvernement Mit der Errichtung des »Generalgouvernements für die besetzten polnischen Gebiete« unter Generalgouverneur Hans Frank am 26.  Oktober 1939 wich die Militärverwaltung in Mittelpolen einer Zivilverwaltung. Im Gegensatz zu den annektierten westpolnischen Gebieten, die zur Germanisierung bestimmt waren, galt das Generalgouvernement nicht als Teil des Deutschen Reiches. Erste »Planungen« für dieses Gebiet mit zwölf Millionen Einwohnern basierten auf der pervers-nihilistischen Logik, die für das Gebiet keine Ordnung vorsah, sondern nur Desorganisation und Ausplünderung.60 Das Generalgouvernement sollte als Arbeitskräftereservoir für das Reich und als »Abladeplatz« für »überschüssige« Polen und Juden aus den annektierten Gebieten genutzt werden. Nach der Zerschlagung des polnischen Staates und der Ermordung der polnischen Eliten durch die deutschen Besetzer galt die Bevölkerung »Restpolens« der Besatzungsmacht als verfügbare Masse von rechtlosen polnischen Arbeitskräften und Juden, die zunächst enteignet und versklavt werden sollten. Dass die Desorganisation kein haltbares Grundprinzip der Besatzungsherrschaft sein konnte, wurde sogar dem Polenhasser Frank klar. Partielle Kurskorrekturen folgten: Im Frühjahr 1940 protestierte Frank gegen die Massendeportationen von Polen und Juden aus den annektierten Gebieten in das Generalgouvernement; er befürwortete die Entwicklung von Industriekapazität vor Ort; er begann sogar damit, die Germanisierung von Teilen des Generalgouvernements in Aussicht zu stellen.61 Solche partiellen Kurswechsel änderten allerdings grundsätzlich nichts an der Unterdrückung und an dem Terror gegenüber der einheimischen Bevölkerung. Der Abtransport von polnischen Arbeitskräften ins Reich wurde weiterhin forciert, und die Zwangsarbeit von Juden vor Ort blieb unverändert ein Ziel des Besatzungsregimes, 60 Umbreit: Auf dem Weg (Anm.21), S.40-45. 61 Ebd., S.45; Gerhard Eisenblätter: Grundlinien der Politik des Reichs gegenüber dem Generalgouvernement, 1939-1943, Frankfurt am Main 1969, S.152; Linne: »Sklavenjagden« (Anm.34), S.172; Karol Marian Pospieszalski: Hitlerowskie »Prawo« Okupacyjne w Polsce. Częsć II . Generalna Gubernia, Poznań 1958, S.618.

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vorangetrieben und unterstützt durch die deutsche Arbeitsverwaltung im Generalgouvernement. Ca. 300000 polnische und ukrainische Kriegsgefangene aus dem besiegten Polen wurden im Herbst 1939 als landwirtschaftliche Arbeitskräfte ins Deutsche Reich geschickt; bereits zu diesem Zeitpunkt waren Vorbereitungen für die Rekrutierung von polnischen Zivilarbeitskräften im Gange.62 Schon vor der Errichtung des Generalgouvernements wurden unter der Militärverwaltung Arbeitsämter aufgebaut, geleitet von abgeordneten reichsdeutschen Fachkräften, die von einheimischem »volksdeutschen« und polnischen Personal unterstützt wurden: Zum Teil handelte es sich um die ersten zivilen Dienststellen, die in den jeweiligen Orten und Distrikten überhaupt entstanden.63 Bis November 1939 hatten fünf Arbeitsämter und 20 Nebenstellen ihre Tätigkeit aufgenommen.64 In den ursprünglich vier Distrikten des Generalgouvernements  – Warschau, Krakau, Lublin und Radom  – wurden »Abteilungen Arbeit« in den Distriktregierungen eingerichtet; nach der Besetzung Galiziens im Juni/Juli 1941 (bis dahin unter sowjetischer Besatzung) wurde ein fünfter Distrikt geschaffen. Bis zum Sommer 1943 war die Anzahl der Beschäftigten in der Arbeitsverwaltung im Generalgouvernement auf 4300 angewachsen, darunter 732 Reichsdeutsche. Die Abteilung Arbeit in der Regierung des Generalgouverneurs in Krakau (ab 1941: Hauptabteilung Arbeit) wurde vorübergehend vom ehemaligen Staatssekretär Johannes Krohn aus dem Reichsarbeitsministerium geleitet; im November 1939 übernahm der Jurist und SS -Obersturmbannführer Dr. Max Frauendorfer die Leitung dieser Abteilung.65 Nach Frauendorfers Weggang im Oktober 1942 wurde Wilhelm Struve zum Beauftragten des GBA ernannt und im Februar 1943 als Leiter der Hauptabteilung Arbeit bestätigt.66 Die Arbeitsverwaltung war Teil der Verwaltungsstrukturen des Generalgouvernements, behielt aber ihren Charakter als eine Sonderver-

62 Spoerer (Anm.4), S.45. 63 Linne: »Sklavenjagden« (Anm.34), S.181-184; Robert Seidel: Deutsche Besatzungspolitik in Polen. Der Distrikt Radom 1939-1945, Paderborn 2006, S.27f., 38. 64 Linne: »Sklavenjagden« (Anm.34), S.181. 65 Zu Frauendorfer siehe ebd., S.201-205; Thomas Schlemmer: Grenzen der Integration. Die CSU und der Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit – der Fall Max Frauendorfer, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 48 (2000), H.4, S.675-742. 66 Linne: »Sklavenjagden« (Anm.34), S.187, 197f.

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waltung bei, die dem Reichsarbeitsministerium direkt unterstand.67 Die Abteilungen Arbeit und die Arbeitsämter gerieten dadurch in einen potenziellen Konflikt zwischen den Weisungen aus Berlin an die Arbeitsverwaltung und den politischen Vorgaben Franks als Generalgouverneur bzw. den Weisungen von Distriktchefs und Kreishauptleuten.68 Darüber hinaus hatten auch andere Dienststellen ein Interesse an Fragen der Arbeitskräftepolitik. Die Rüstungsinspektionen der Wehrmacht wollten Arbeitskräfte für die Rüstungsbetriebe im Generalgouvernement sichern,69 während die Maßnahmen der SS und Polizei in der Germanisierungs- und Siedlungspolitik sowie in der antijüdischen Politik weitreichende Folgen für die Arbeitskräftepolitik hatten, die sich manchmal mit den Interessen der Arbeitsverwaltung kreuzten. Grundlegend für die Steuerungsversuche der Arbeitsverwaltung war die Erfassung der Erwerbsbevölkerung. Ab September/Oktober 1939 registrierten die neu eingerichteten Arbeitsämter die städtische Bevölkerung und zahlten Arbeitslosenunterstützung: Unterstützungsempfänger waren wiederum verpflichtet, auf Anforderung eine Arbeit in Deutschland aufzunehmen. Ab Dezember 1939 erstreckte sich die Registrierung auf die ländliche Bevölkerung.70 Schon im Herbst 1939 wurden Tausende Polen aufgrund von namentlichen Aufforderungen als landwirtschaftliche Arbeitskräfte ins Reich geschickt.71 Weitere Maßnahmen schufen zusätzliche Kontrollmöglichkeiten für die Arbeitsämter. Am Tag seiner Amtsübernahme, dem 26.  Oktober 1939, kündigte Frank eine Arbeitspflicht für alle Polen im Alter von 18 bis 60 Jahren an. Arbeitsämter konnten Arbeitslose vor Ort beim Straßenbau und bei Reparaturarbeiten sowie sonstigen Infrastrukturprojekten einsetzen.72 Gleichzeitig verordnete Frank den »Arbeitszwang« für alle Juden im Alter von 14-60 Jahren. Für die Organisation der Zwangsarbeit von Juden war zu diesem Zeitpunkt nicht die Arbeitsverwaltung, sondern die SS zuständig.73 Weitere Schritte zur Sicherung des »Arbeitseinsatzes« folgten, so wurde der Stellenwechsel ohne Er67 68 69 70 71 72

Seidel (Anm.63), S.41f. Linne: »Sklavenjagden« (Anm.34), S.184-190. Seidel (Anm.63), S.85f. Ebd., S.100-102. Linne: »Sklavenjagden« (Anm.34), S.182f. Seidel (Anm.63), S.102; Linne: »Sklavenjagden« (Anm.34), S.261. Ab 1941 erweiterten die Distriktchefs in Warschau und Lublin die »Arbeitspflicht« für Polen auch auf Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren. 73 Seidel (Anm.63), S.260.

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laubnis des Arbeitsamts verboten und die Arbeitskarte (wie das 1935 eingeführte Arbeitsbuch im Deutschen Reich) für alle nichtjüdischen polnischen Arbeiter und Angestellten im Generalgouvernement zur Pflicht gemacht.74 Aus Sicht der deutschen Behörden hatte von Anfang an die Rekrutierung landwirtschaftlicher Arbeitskräfte aus dem vermeintlich unerschöpflichen Reservoir im Generalgouvernement oberste Priorität. Die Landwirtschaft im Generalgouvernement galt als überbevölkert und unproduktiv: In den Worten Max Timms musste eine rationalisierende Arbeitspolitik »zahlreiche Arbeitskräfte, die ohne arbeitseinsatzmäßige Notwendigkeit aus Gründen der Ernährungssicherung in den kleinbäuerlichen Betrieben von Verwandten gebunden sind« für »andere Aufgaben frei machen«.75 Göring, als Beauftragter für den Vierjahresplan, verordnete mit Erlass vom 16. November 1939 die »Hereinnahme ziviler polnischer Arbeitskräfte, insbesondere polnische Mädchen in größtem Ausmaß zu betreiben«;76 und die Regierung in Krakau nannte im Januar 1940 das Ziel von einer Million Arbeitskräfte, die ins Reich geschickt werden sollten.77 Verschiedene Rekrutierungsmethoden wurden parallel angewendet: Neben der schon erwähnten namentlichen Aufforderung betrieben die Arbeitsämter auf dem Land Werbekampagnen mit Plakaten und Broschüren. Die in Teilen des Generalgouvernements vorhandene Tradition der Saisonarbeit in Deutschland und die wirtschaftliche Not ermöglichten am Anfang neben den Meldungen unter Druck auch Meldungen ohne Zwang.78 Aber die Berichte aus Deutschland nach Hause und die »Polenerlasse« im März 1940, die das stigmatisierende »P«-Abzeichen auf der Kleidung und drakonische Strafen für Vergehen innerhalb und außerhalb des Arbeitsplatzes vorschrieben, dämpften drastisch die Bereitwilligkeit, eine Arbeit im Reich aufzunehmen – obgleich die Bemühungen der deutschen Arbeitsverwaltung, auf freiwilliger Basis zu werben, bis 1944 nicht abbrachen.79

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Ebd., S.103. Timm (Anm.18), S.50; siehe auch Linne: »Sklavenjagden« (Anm.34), S.227. Zit. nach Herbert: Fremdarbeiter (Anm.3), S.69. Abteilungsleitersitzung vom 19.1.1940, in: Hans Frank: Das Diensttagebuch des deutschen Generalgouverneurs in Polen. 1939-1945, hg. v. Werner Präg/ Wolfgang Jacobmeyer, Stuttgart 1975, S.97. 78 Herbert: Fremdarbeiter (Anm.3), S.82-88. 79 Linne: »Sklavenjagden« (Anm.34), S.205-207. Zu den »Polenerlassen« siehe Herbert: Fremdarbeiter (Anm.3), S.74-82; Spoerer (Anm.4), S.93.

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Wartende Landarbeiterinnen und -arbeiter vor dem Arbeitsamt Radom, Polen, September 1939

Die ersten Monate im Jahr 1940 waren für die Arbeitsverwaltung im Generalgouvernement eine Experimentierphase. Aus einer Diskussion in Krakau am 23. April 1940 unter Beteiligung von Staatssekretär Friedrich Syrup und Staatssekretär Herbert Backe aus dem Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft ging nicht nur Franks demonstrative Härte gegen Polen und Juden hervor (»Die Juden interessieren mich überhaupt nicht. Ob sie etwas zu futtern haben oder nicht, ist für mich die allerletzte Frage«), sondern auch die Kombination von Eifer und Unsicherheit auf Seiten der Beamten der Arbeitsverwaltung.80 Frank betonte »die Schwierigkeiten der Werbung und die Notwendigkeit, zukünftig Zwangsmittel zu verwenden«. Syrup sprach sich daraufhin für »eine vorsichtige Anwendung von Zwangsmaßnahmen« neben der »materiellen Besserstellung der polnischen Arbeiter in Deutschland und ihrer Familien im Generalgouvernement« aus.81 Frauendorfer folgte Syrups Argumentation: Es sollte auf lokaler Ebene mithilfe der polnischen Dorfvorsteher und Bürgermeister nachdringlich zur Meldung aufgerufen werden, nebst der Androhung von Strafen 80 Arbeitssitzung anlässlich der Anwesenheit des Staatssekretärs Backe, 23.4.1940, in: Frank: Diensttagebuch (Anm.77), S.186-189, Zitat S.186. 81 Ebd., S.188; Maier: Friedrich Syrup (Anm.12), S.138.

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und »schlechteren Bedingungen« für Verweigerer. Gleichzeitig mahnte auch Frauendorfer zur Vorsicht: Es müsse »bei aller Nachdrücklichkeit erreicht werden, daß man überhaupt mit diesen Menschen weiterhin im Gespräch bleiben könne, denn man müsse ja schließlich nicht nur hier mit ihnen zusammenarbeiten, sondern sie sollten ja auch im Reich arbeiten.«82 Solchen Einsichten zum Trotz gab es bereits Fälle von Zwang und Gewalt bei der Rekrutierung. Am 14.  Februar 1940 wurde beispielsweise eine Straßenbahn in Warschau von Polizei umstellt, und alle arbeitsfähigen Passagiere wurden ins Reich zur Arbeit deportiert.83 Bei allen die Rekrutierungsmethoden betreffenden Unklarheiten herrschte 1940 bei den Dienststellen im Generalgouvernement Konsens in Bezug auf das Ziel der Arbeitskräftepolitik: die größtmögliche Werbung für den Einsatz im Reich. Zwei Jahre später zeigten sich dagegen Konflikte über dieses Ziel und Proteste gegen den unter Sauckel forcierten Abtransport von gewerblichen Arbeitskräften, die nun für die expandierte Industrieproduktion vor Ort benötigt wurden.84 Zunächst äußerte Frauendorfer selber Einwände gegen eine Abwerbung von Rüstungsarbeitern ins Reich, die er dann nach einem Runderlass aus dem Reichsarbeitsministerium im April 1942 fallenließ.85 Dann protestierte auch die Rüstungsinspektion.86 Im Dezember 1942 wies Frank selbst auf den Widerspruch zwischen Sauckels Anforderungen von Arbeitskräften und Hitlers Entscheidung für die Integration der Rüstungsindustrie im Generalgouvernement in die Produktionskapazität des Großdeutschen Reiches hin.87 Die Reaktionen der Arbeitsverwaltung im Generalgouvernement auf den akuten Arbeitskräftemangel im Frühjahr und Sommer 1942 sind auch im Zusammenhang mit der Frage der Austauschbarkeit von Arbeitskräften aufschlussreich, die im Kriegsverlauf von der Arbeitsverwaltung im Hinblick auf verschiedene Kategorien von Arbeitskräften unterschiedlich eingeschätzt wurde. Polnische Frauen wurden zum Beispiel ab 1942 von der Arbeitsverwaltung im Generalgouver82 Arbeitssitzung anlässlich der Anwesenheit des Staatssekretärs Backe, 23.4.1940, in: Frank: Diensttagebuch (Anm.77), S.186-189, hier S.188f.; Linne: »Sklavenjagden« (Anm.34), S.215f. 83 Ebd., S.208. 84 Ebd., S.258; Seidel (Anm.63), S.110, 148. 85 Linne: »Sklavenjagden« (Anm.34), S.267. 86 Ebd., S.268. 87 Hauptabteilungsleitersitzung, 8.12.1942, in: Frank: Diensttagebuch (Anm.77), S.585; Linne: »Sklavenjagden« (Anm.34), S.268.

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nement zunehmend als Reserve für die Industrieproduktion vor Ort betrachtet, mit dem Ergebnis, dass der weibliche Anteil an den in die Industrie des Generalgouvernements vermittelten polnischen Arbeitskräften stieg.88 Eine weitere wichtige Reserve für die Industriearbeit waren Juden und Jüdinnen; männliche Juden konnten darüber hinaus für Bau- und Infrastrukturprojekte herangezogen werden. Die Zuständigkeit für den Zwangsarbeitseinsatz der Juden im Generalgouvernement wechselte im Juni 1940 von der SS zur Arbeitsverwaltung (und wechselte im Juni 1942 wieder zurück zur Sicherheitspolizei).89 Die Arbeitsverwaltung betrachtete Juden (meist Männer) als wichtige Ersatzkräfte für die polnischen Arbeitskräfte, die ins Reich geschickt wurden: Juden wurden in öffentlichen Infrastrukturprojekten eingesetzt, oft unter katastrophalen Bedingungen, aber auch in die private Wirtschaft vermittelt. Das Argument für die Verwendung der Juden als Arbeitsreserve zählte ab Herbst 1941 jedoch immer weniger, und nur als temporärer Notbehelf, gegen die grundsätzliche Entscheidung zur Ermordung aller Juden, die im Generalgouvernement von der SS und Polizei vorangetrieben wurde. Eine Zeitlang, auf dem Höhepunkt der Arbeitskräftekrise im Winter 1941/42, signalisierten Heinrich Himmler und Reinhard Heydrich, dass arbeitsfähige Juden die »fehlenden« (weil an tödlichen Lagerbedingungen und Hunger verstorbenen) sowjetischen Kriegsgefangenen ersetzen sollten; daraufhin gingen die Arbeitsverwaltung und die Rüstungsinspektion daran, den Einsatz arbeitsfähiger Juden für die Rüstungsproduktion zu sichern. Aber diese Entscheidung wurde bereits im Juli wieder zurückgenommen. In den Worten von Christopher Browning: »Somit erfuhren die deutschen Beamten im Generalgouvernement, die seit dem Frühjahr [1942; E.H.] daran arbeiteten, die ins Reich verschickten polnischen Arbeiter durch jüdische zu ersetzen, jetzt unversehens, dass diese jüdischen Arbeiter nur ein vorübergehender Ersatz waren und wiederum durch Polen ersetzt werden sollten!«90 Dass polnische Arbeitskräfte die Juden nicht nur im Generalgouvernement, sondern auch im Reich ersetzen sollten, 88 Seidel (Anm.63), S.111. 89 Wolf Gruner: The Labor Office versus the SS  – Forced Labor in the General Government, 1939-1944, in: ders.: Jewish Forced Labor Under the Nazis: Economic Needs and Racial Aims, 1938-1944, übers. v. Kathleen M. Dell’Orto, Cambridge 2006, S.230-275; Linne: »Sklavenjagden« (Anm.34), S.274-294. Vgl. auch den Beitrag von Michael Wildt in diesem Band. 90 Christopher Browning: Judenmord. NS -Politik, Zwangsarbeit und das Verhalten der Täter, aus dem Engl. übers. v. Karl Heinz Siber, Frankfurt am Main 2001, S.155.

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wurde auch im Verlauf der Aussiedlungen im Gebiet Zamość im Distrikt Lublin im Winter 1942/43 deutlich. Der SS - und Polizeiführer Odilo Globocnik in Lublin hatte die Räumung polnischer Dörfer im Gebiet Zamość befohlen, um Platz für umgesiedelte Rumäniendeutsche aus Bessarabien zu schaffen. Die aus ihren Dörfern vertriebenen Polen wurden Selektionen unterworfen. Alte Menschen und Kinder wurden in »Rentendörfer« geschickt, wo sie ihr Leben fristeten oder starben; »Unerwünschte« wurden in die Konzentrationslager Auschwitz oder Majdanek verbracht. Diejenigen Polen und Polinnen, die für den Arbeitseinsatz im Reich bestimmt waren, kamen gegen Ende Januar 1943 nach Berlin, wo sie deutsche Juden ersetzten, die noch in der Rüstungsindustrie beschäftigt waren und nun mit ihren Familien nach Auschwitz deportiert wurden.91 Trotz des »Ertrags« in Bezug auf die Arbeitskräftebeschaffung klagte Wilhelm Struve als Sauckels Beauftragter im Generalgouvernement, dass diese Polizeiaktionen – die den polnischen Widerstand weiter entfacht hatten – die »Arbeitserfassung« erschwert hätten.92 Der Kriegsverlauf, der den deutschen Bedarf an Arbeitskräften immer weiter steigerte, aber gleichzeitig den Widerstand in den besetzten Gebieten stärkte, erzeugte bei der Zwangsrekrutierung in der letzten Kriegsphase eine besonders gewaltsame Dynamik. Diese Phase der Erfassung zum Arbeitseinsatz im Generalgouvernement wurde, wie auch andernorts im nationalsozialistisch beherrschten Europa, von stetig wiederholten und steigenden Erfassungsquoten geprägt, die von Sauckel als GBA (dem die Hauptabteilungen  III und  V des Reichsarbeitsministeriums zugeordnet wurden) über seine Beauftragten in den besetzten Gebieten an die jeweilige Arbeitsverwaltung gingen.93 Im Ergebnis führte dies im Generalgouvernement zu einer Spirale der Gewalt: Es wurden nicht nur Razzien und Geiselnahmen als Rekrutierungsmethoden eingesetzt, sondern ab Frühjahr 1943 auch ganze Kohorten von jungen polnischen Männern der Geburtsjahrgänge 1918-1921 »gemustert«.94 Die Angriffe des polnischen Widerstands auf die Arbeitsämter wurden umso entschlossener geführt: Neben der 91 Diese Kette von »Umsetzungen« beschreibt Linne: »Sklavenjagden«(Anm.34), S.175-178. 92 Polizeibesprechung, 25.1.1943, in: Frank: Diensttagebuch (Anm.77), S.598612, hier S.611. 93 Zu Sauckel als GBA und dem Reichsarbeitsministerium vgl. den Beitrag von Swantje Greve in diesem Band. 94 Linne: »Sklavenjagden« (Anm.34), S.232f., 239.

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Zerstörung von Akten häuften sich Gewaltakte gegen das Personal. Im April 1943 wurde in einer besonders spektakulären Aktion der Warschauer Arbeitsamtsdirektor in seinem Büro erschossen.95 Das Tauziehen um die Arbeitskräfte zwischen der Rüstungsproduktion im Generalgouvernement und Sauckels Anforderung für den Reichseinsatz ging weiter. Im Mai 1944 erklärte Frank, das Generalgouvernement habe nicht mehr als »Arbeitskräftereservoir« zu gelten, und er befahl Struve, diese Nachricht nach Berlin weiterzugeben.96 Im August 1944 konnte die Hauptabteilung Arbeit trotzdem eine letzte große »Erfassung« für das Reich verbuchen, nämlich den Abtransport von ca. 150000 nach dem Warschauer Aufstand verhafteten Zivilisten und Zivilistinnen zur Zwangsarbeit ins Reich.97

Belgien Nach der Kapitulation Belgiens im Mai 1940 wurde ein Besatzungsregime als Militärverwaltung unter General Alexander von Falkenhausen errichtet.98 Das Gebiet der deutschen Militärverwaltung in Brüssel umfasste nicht nur das dicht bevölkerte und hochindustrialisierte Belgien mit einer Bevölkerung von 8,39 Millionen, sondern auch die zwei französischen Departements Nord und Pas de Calais, mit wichtigen Industriegebieten und einer Bevölkerung von 3,2 Millionen. Wenig deutet auf eine konkrete deutsche Vorkriegsplanung für eine langfristige staatliche und politische Gestaltung Belgiens hin. Weitergehende Überlegungen Hitlers, etwa die Teilung des Landes, bzw. die Annexion Flanderns oder von ganz Belgien, hatten keine unmittelbaren Konsequenzen; die Gebiete Eupen-Malmedy und Moresnet wurden allerdings annektiert.99 Vielmehr zielte die Aufmerksamkeit der militärischen Führer im Winter 1939/40 auf die Planung einer militärischen Besetzung Belgiens; dabei sollte aus den Erfahrungen der Besatzungsverwaltung in Belgien während des Ersten Weltkrieges gelernt werden.100 Eine Lektion aus diesen Erfahrungen wäre gewesen, die Deportation von belgischen Zivilisten zur Arbeit 95 96 97 98

Ebd., S.306. Frank: Diensttagebuch (Anm.77), S.846 (10.5.1944). Linne: »Sklavenjagden« (Anm.34), S.246f. Umbreit: Auf dem Weg (Anm.21), S.54-69; Werner Warmbrunn: The German Occupation of Belgium 1940-1944, New York 1993, S.70f. 99 Umbreit: Auf dem Weg (Anm.21), S.54-56; Warmbrunn (Anm.98), S.66-70. 100 Umbreit: Auf dem Weg (Anm.21), S.56.

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in Deutschland, die von internationalem Protest begleitet worden war, zu vermeiden.101 In der praktischen Umsetzung führte die deutsche Besatzungspolitik im Verlauf des Zweiten Weltkrieges jedoch zu einer fatalen Wiederholung solcher Deportationen, trotz aller Versicherungen an die belgischen Behörden am Anfang der Besatzungszeit, die als Grundlage ihrer Kooperation mit den Deutschen dienen sollten.102 Die Ausgestaltung der deutschen Besatzungsverwaltung in Belgien entsprach sowohl dem relativ hohen Wert innerhalb der NS -Rassenhierarchie, die den Wallonen und besonders den Flamen zugeschrieben wurde, als auch dem Streben des Regimes, ein stabiles Fundament für die wirtschaftliche Ausbeutung mit einem Minimum an deutschem Personal herzustellen. Die Verwaltungspraxis erwuchs aber auch aus der Bereitschaft der belgischen Eliten, nach der Niederlage mit den Besatzern zu kooperieren. Wichtige Faktoren bei der Entstehung des belgischen Systems der Aufsichtsverwaltung waren ab 1940 die Entscheidung des Königs, im Lande zu bleiben (statt, wie die Mitglieder des Kabinetts, ins Exil zu gehen), die Bereitschaft von höheren Beamten (»Generalsekretären«), eine Art Ersatzregierung unter deutscher Besatzung zu bilden, sowie die Zusage zur wirtschaftlichen Kooperation von Alexandre Galopin, dem Direktor der Geschäftsbank Société Générale.103 Der Kooperationsbereitschaft der Verwaltungselite und Wirtschaftsführer lagen unterschiedliche Motivationen zugrunde: Bei einigen herrschte eine kollaborationistische Bewunderung für das deutsche System vor, bei anderen der Glaube an die Kooperation als das kleinere Übel, das das Wirtschaftsleben aufrechterhalten und die Gefahr von Demontagen und Deportationen abwenden sollte.104 Dank der belgischen Kooperation konnten die deutschen Besatzer ihre Politik auf der Basis vorhandener Strukturen durchsetzen: Die Generalsekretäre erließen und legitimierten die Maßnahmen, die der Chef des Verwaltungsstabs Eggert Reeder und die deutschen Abteilungsleiter in der Militärverwaltung formulierten.105 Schlüsselpo101 Jens Thiel/Nico Wouters: Paper on the Belgian case, unveröffentl. Vortrag, gehalten auf der Tagung »Regimenting Unfree Labour«, 3.-5.Dezember 2015 in Berlin, S.2; Spoerer (Anm.4), S.60. 102 Thiel/Wouters: The Belgian case (Anm.101), S.2. 103 Umbreit: Auf dem Weg (Anm.21), S.67; Warmbrunn (Anm.98), S.49-52. 104 Sharon M. Harrison: Belgian Labour in Nazi Germany: A Social History, University of Edinburgh, Diss., Edinburgh 2012, S.34. 105 Haupt (Anm.44), S.22-32. Zu Eggert Reeder siehe Wolfgang Seibel: Polykratische Integration: Nationalsozialistische Spitzenbeamte als Netzwerker in der deutschen Besatzungsverwaltung in Belgien 1940-1944, in: Sven

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sitionen in der belgischen Verwaltung wurden mit deutschfreundlichen Führungskräften besetzt: Victor Leemans als Generalsekretär für Wirtschaft und Gerard Romsée als Generalsekretär für Inneres.106 Auf den unteren Ebenen der Verwaltung standen den deutschen Oberfeldkommandanturen bzw. Feldkommandanturen und Ortskommandanturen belgische Behörden gegenüber.107 Belgien blieb bis Juli 1944 unter Militärverwaltung: Nach Falkenhausens Entlassung wurde eine Zivilregierung, das Reichskommissariat Belgien und Nordfrankreich, errichtet, und Josef Grohé als Reichskommissar eingesetzt. In der ersten Phase der Besatzung nach der deutschen Invasion und der Massenflucht der Bevölkerung nach Frankreich sollte das Wirtschaftsleben wieder in Gang gebracht werden, vor allem die Industriebranchen, die für die deutsche Kriegswirtschaft wichtig waren – Bergbau, Metallindustrie, Textilien.108 Auch aus belgischer Sicht besaß die Wiederbelebung der Industrieproduktion höchste Priorität, um Lebensmittelimporte zu ermöglichen, aber auch um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und die zurückkehrenden Flüchtlinge wieder in den Arbeitsprozess zu integrieren. Zu diesem Zeitpunkt arbeiteten bereits belgische Kriegsgefangene in Deutschland. Hitler versprach eine schnelle Entlassung der ca. 70000 flämisch sprechenden Kriegsgefangenen, und nach einiger Verzögerung erfolgte die Entlassung der Flamen im Verlauf des Jahres 1941.109 Das Versprechen galt aber nicht für die französischsprechenden Wallonen. Von Besatzungsbeginn an stand jedoch auch zur Debatte, ob zivile Arbeitskräfte für den »Einsatz« in Deutschland rekrutiert werden sollten: Dies wurde schnell zu einem zentralen Thema der Besatzungspolitik. Zuständig für die Arbeitskräftepolitik im besetzten Belgien war die Gruppe VII (Sozialwesen und Arbeitseinsatz) in der Wirtschaftsabteilung der Militärverwaltung unter Dr. August Schultze. Das aus dem Reich abgeordnete deutsche Personal der Gruppe  VII initiierte den Aufbau bzw. Umbau der belgischen Arbeitsämter. Das Netzwerk der belgischen Arbeitsämter aus der Vorkriegszeit befand sich nach der

106 107 108 109

Reichardt/Wolfgang Seibel (Hg.): Der prekäre Staat. Herrschen und Verwalten im Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 2011, S.241-273. Warmbrunn (Anm.98), S.105f. Haupt (Anm.44), S.26-32. Warmbrunn (Anm.98), S.46f. Friedrich Hartmannsgruber: Einleitung, in: Akten der Reichskanzlei. Regierung Hitler 1933-1945, Bd.7: 1940, bearb. v. dems., hg. v. Hans Günter Hockerts/Michael Hollmann, München 2015, S.XIX -LVI , hier S. LIV ; Syrup: Arbeitseinsatz im Krieg und Frieden (Anm.9), S.14.

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deutschen Invasion in Auflösung, das Personal war geflohen und viele Akten nicht aufzufinden.110 Unter der deutschen Besatzung wurde schon im Juni 1940 der Vorkriegsname der belgischen Arbeitsverwaltung, L’Office National du placement et du chomage/Nationale Dienst voor Arbeidsbemiddeling en Werkloosheid, umgeändert in L’Office National du placement et de contrôle/Nationale Dienst voor Arbeitsbemiddeling en Toezicht. Der neue Name drückte bereits das Ziel des gesteuerten »Einsatzes« im Gegensatz zum alten Modell des liberalen Arbeitsmarktes aus.111 Ab November 1940 stand das belgische Arbeitsamtssystem unter der Leitung von Frits-Jan Hendriks, dem ehemaligen Personalchef bei Philips Belgien und Mitglied der flämischen Kollaborationsorganisation Vlaams Nationaal Verbond (VNV ).112 Im April 1941 erfolgte eine zweite Umbenennung der belgischen Arbeitsverwaltung in Office National du Travail/Rijksarbeitsambt (ONT / RAA ). Unter Hendriks löste sich das ONT immer mehr vom belgischen Ministerium für Arbeit und soziale Wohlfahrt unter Generalsekretär Charles Verwilghen, dem es formal unterstellt war.113 Hendriks orientierte sich vielmehr an den Weisungen aus der Gruppe  VII und förderte auch die Zusammenarbeit mit den deutschen Werbestellen der Oberfeldkommandanturen bzw. Feldkommandanturen. Das ONT wurde auf diese Weise zu einem Exekutivorgan der deutschen Arbeitsverwaltung und ab 1942 ein Instrument der Zwangsrekrutierung für die Arbeit in Belgien und in Deutschland.114 Die ONT -Ämter waren auch in den Zwangsarbeitseinsatz der Juden involviert. Darstellungen der Arbeitskräfterekrutierung im besetzten Belgien schildern die Zeit bis März 1942 als eine Phase der vorwiegend freiwilligen Rekrutierung. Die Arbeitslosigkeit in Belgien stieg von ca. 154000 am Vorabend der Besatzung auf 500000 im Juli 1940 (27% der Erwerbsbevölkerung). Die belgischen Gemeinden reagierten auf die rapide Zunahme der Arbeitslosigkeit, zahlten öffentliche Unterstützung an die Arbeitslosen und organisierten Infrastrukturprojekte und Reparaturen vor Ort auch als Mittel der Arbeitsbeschaffung.115 Bis Herbst 1940 war die Arbeitslosigkeit durch solche Maßnahmen, 110 Timm (Anm.18), S.82. 111 Nico Wouters: Oorlogsburgemeesters 40/44: Lokaal bestuur en collaboratie in België, Tielt 2004, S.265. 112 Warmbrunn (Anm.98), S.226. 113 Haupt (Anm.44), S.64-67. 114 Thiel/Wouters: The Belgian case (Anm.101), S.5. 115 Haupt (Anm.44), S.55; Wouters: Oorlogsburgemeesters (Anm.111), S.265; Thiel/Wouters: The Belgian case (Anm.101), S.7.

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aber auch durch die allgemeine wirtschaftliche Wiederbelebung, gesunken. Die Maßnahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit hatten aber auch längerfristige Wirkungen, die den Maßnahmen der Besatzer im Ersten Weltkrieg zur »Bekämpfung der Arbeitsscheuen« ähnelten. Öffentliche Arbeitsmaßnahmen blieben als eine Form der sozialen Disziplinierung für »Asoziale« bestehen,116 und die schärfere Kontrolle der Arbeitslosen gehörte zu den Mechanismen zur Regulierung des Arbeitsmarktes im Allgemeinen, darunter die Maßnahmen des ONT zur Erfassung der Betriebe und zur »Auskämmung« vermeintlich überschüssiger Arbeitskräfte.117 Das Reichsarbeitsministerium hatte inzwischen Werber nach Belgien geschickt, die Belgier zur Arbeit in Deutschland überreden sollten. Im Sommer 1940 willigten die belgischen Generalsekretäre in die Werbung für die Arbeit in Deutschland ein – auf streng freiwilliger Basis.118 Deutsche Werbestellen bei den Oberfeldkommandanturen und Feldkommandanturen erhielten über das Reichsarbeitsministerium und die Gruppe  VII »Bestellungen« von deutschen Arbeitgebern, die bei den deutschen Arbeitsämtern eingelaufen waren.119 Die belgischen Arbeitsämter wurden insofern in die Werbekampagnen einbezogen, als sie deutsches Werbematerial ausstellen und Arbeitslose über Arbeitsmöglichkeiten in Deutschland »aufklären« mussten. Darüber hinaus propagierten eifrige kollaborationswillige Bürgermeister die Arbeit in Deutschland.120 Zu diesem Zeitpunkt war eine genuine Basis für die freiwillige Werbung vorhanden, auch wenn deutsche Versprechungen in Bezug auf Löhne und Geldtransfers nach Hause übertrieben waren. Belgische Arbeitskräfte in Deutschland erhielten den gleichen Lohn wie ihre deutschen Kollegen und mussten  – im Gegensatz zu polnischen Arbeitskräften – weder Sonderabgaben zahlen, noch unter diskriminierenden Bedingungen und Sondergesetzen leben. Auch wenn die Werbekampagne zu einer Zeit hoher Arbeitslosigkeit begann, so ging die Rekrutierung auf freiwilliger Basis auch nach der Rückkehr zur Vollbeschäftigung weiter. Ein entscheidendes Element der freiwilligen Meldung bestand jedoch in der Befristung des Vertrags und in der Erwartung der belgischen Arbeitskräfte, nach Ablauf des Vertrags in die Heimat zurückkehren zu 116 117 118 119 120

Haupt (Anm.44), S.60. Thiel/Wouters: The Belgian case (Anm.101), S.7. Warmbrunn (Anm.98), S.227; Harrison (Anm.104), S.37. Haupt (Anm.44), S.78. Wouters: Oorlogsburgemeesters (Anm.111), S.266.

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können. 1942 fingen die Arbeitsämter in Deutschland an, diese Freiheit einzuschränken und das Instrument der »Dienstverpflichtung« einzusetzen, um Belgier (und andere westeuropäische Arbeiter) an ihre Arbeitsplätze in Deutschland zu binden.121 So wurden aus freiwillig Rekrutierten Unfreiwillige, die zwangsweise in Deutschland verbleiben mussten. Darüber hinaus betonen neuere Studien, dass gleichzeitig unterschiedliche Rekrutierungsmethoden angewendet wurden, wie im Generalgouvernement. Auch in dieser Phase der vorwiegend freiwilligen Werbung übten deutsche Werbestellen Druck auf belgische Gemeinden aus, dass sie »Asozialen« die Unterstützung entzogen und sie zur Arbeit in Deutschland drängten.122 Der Leiter der Gruppe VII , August Schultze, lobte in einem Artikel im März 1942 die Leistungen seiner Abteilung bei der Werbung für den »Reichseinsatz« trotz der bitteren Erinnerungen der Belgier an die Deportationen des Ersten Weltkrieges.123 Mehr Flamen als Wallonen, so Schultze, seien bereit, nach Deutschland zu gehen.124 Er wies einerseits darauf hin, dass Probleme beim Lohntransfer nach Belgien noch zu lösen seien. Andererseits gebe es kein Verständnis für den Abbruch von Arbeitsverträgen: »Gegen die verhältnismäßig wenigen Kontraktbrüchigen aus dem Reiche wird allerdings weiterhin mit Strenge vorgegangen werden müssen.«125 Schultze beleuchtete auch die Erfassung der Erwerbsbevölkerung als Grundlage der planmäßigen Steuerung des Arbeitsmarktes und die Disziplinierungsmaßnahmen der belgischen ONT -Ämter, die unter deutscher Aufsicht »zu brauchbaren Organen des Arbeitseinsatzes« geworden seien und die von sich aus gegen »Arbeitsunwillige« vorgingen: »Schwere und unangenehme, verhältnismäßig schlecht entlohnte und von der Wohnung weit entfernte Arbeiten dienen zur Erziehung solcher Leute, die der Arbeit mehr oder weniger entwöhnt waren«.126 Die Arbeitskräftepolitik der Militärverwaltung hatte auch die belgischen Arbeitgeber im Fokus: Am Beispiel der Praxis in Deutschland sollten männliche Facharbeiter möglichst durch Frauen und Ungelernte ersetzt und dadurch freigesetzt werden. Zuletzt verwies Schultze auf die Dienstpflichtverordnung, die in Vor121 Herbert: Fremdarbeiter (Anm.3), S.181; Spoerer (Anm.4), S.97. 122 Wouters: Oorlogsburgemeesters (Anm.111), S.266; Thiel/Wouters: The Belgian case (Anm.101), S.7. 123 Oberkriegsverwaltungsrat August Schultze, Brüssel: Der Arbeitseinsatz in Belgien, in: Der Vierjahresplan 6 (1942), Nr.3, S.135-137, hier S.136. 124 Ebd. 125 Ebd., S.137. 126 Ebd.

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Werbestelle für Arbeitskräfte nach Deutschland, Brüssel [aufgenommen im Zeitraum 1940-1943]

bereitung sei: »Hierdurch wird die Möglichkeit geschaffen, Faulpelze, falsch angesetzte und überflüssige Arbeitskräfte einer nutzbringenden Verwendung in der belgischen Wirtschaft zuzuführen, insbesondere wird es möglich sein, hiermit den übersetzten Handel, insbesondere auch den Schwarzhandel, aufzulockern.«127 Das Jahr 1942 wurde zum verhängnisvollen Wendepunkt in der Arbeitskräftepolitik im besetzten Belgien. Angesichts der Arbeitskräftekrise, die sich schon Ende 1941 abzeichnete, hatte Göring die »Geschäftsgruppe Arbeitseinsatz« im Apparat des Vierjahresplans angewiesen, eine deutliche Erhöhung der Arbeitskräfterekrutierung aus den besetzten Gebieten herbeizuführen: Die Ernennung Sauckels zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz am 21. März 1942 bestätigte den neuen Kurs. Die erzwungene Rekrutierung polnischer Arbeitskräfte war – wie ausgeführt – nichts Neues, und die Rekrutierung unter Zwang und Gewalt etablierte sich ab Dezember 1941 auch schnell in den besetzten sowjetischen Gebieten.128 Aber auch in Belgien, wo die fragile Kooperation zwischen Militärverwaltung und den belgischen Behörden gerade auf der Freiwilligkeit der Arbeitsrekrutie127 Ebd. 128 Siehe dazu den Beitrag von Swantje Greve in diesem Band.

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rung für das Reich basierte, wurden jetzt die Weichen auf Zwangsmaßnahmen gestellt. Der erste Schritt in diese Richtung, durch Schultze angekündigt, wurde noch vor Sauckels Ernennung vollzogen: durch die Verordnung vom 6.  März 1942, die die Dienstverpflichtung von Belgiern für die Arbeit innerhalb Belgiens verfügte.129 Sie wurde von Maßnahmen zur »Auskämmung« und Umsetzung von Arbeitskräften in belgischen Betrieben, zur Bekämpfung des Schwarzmarktes und des »asozialen Elements«, sowie zur Entziehung von Arbeitslosenunterstützung für Arbeitskräfte, die eine zugewiesene Arbeit  – auch eine Arbeit in Deutschland  – ablehnten, begleitet.130 Diese Verordnung wurde von Belgiern, wie nicht anders zu erwarten war, als Vorstufe zu Deportationen aufgenommen, und der Generalsekretär für Arbeit und soziale Wohlfahrt, Charles Verwilghen, trat aus Protest gegen die angekündigten Maßnahmen zurück.131 Der zweite, gleichfalls vorhersehbare Schritt folgte, nachdem Hitler im September 1942 neue Machtbefugnisse an Sauckel übertragen hatte: Sauckel ernannte daraufhin in den besetzten Gebieten Beauftragte des GBA .132 In diesem Kontext wurde von der deutschen Militärverwaltung in Belgien am 6. Oktober 1942 die Verordnung erlassen, die die Zwangsrekrutierung für den Arbeitseinsatz im Deutschen Reich ermöglichte: Männer im Alter von 18 bis 50 sowie unverheiratete Frauen im Alter von 21 bis 35 Jahren waren davon betroffen.133 Das Jahr 1942 markierte zugleich auch den Wendepunkt in der antisemitischen Verfolgung in Belgien. Seit dem Frühjahr war die Zwangsarbeit zu einer wichtigen Dimension der antisemitischen Politik der Militärverwaltung geworden: Neben der Dienstverpflichtung der nichtjüdischen Belgier für die Arbeit in Belgien wurde im März 1942 auch die Zwangsarbeit für die Juden in Belgien verordnet, die sowohl innerhalb als auch außerhalb Belgiens zu leisten war. Im Verlauf des Jahres 1941 waren im Rahmen vereinzelter lokaler Maßnahmen arbeitslose nichtbelgische Juden in Arbeitslagern zu Meliorationsarbeiten herangezogen worden.134 Nun sollte die Zwangsarbeit der Juden, deren Verarmung durch Diskriminierungs- und Enteignungsmaßnahmen 129 Ursprünglich sollten Belgier auch zur Arbeit in die Region Nord-Pas-deCalais geschickt werden; nach Protesten wurde dieser Plan fallengelassen. 130 Warmbrunn (Anm.98), S.229f. 131 Thiel/Wouters: The Belgian case (Anm.101), S.6. 132 Haupt (Anm.44), S.108f.; Homze (Anm.3), S.141. 133 Haupt (Anm.44), S.107-116. 134 Frank Seberechts: Spoliation et travail obligatoire, in: Rudi Van Doorslaer/ Emmanuel Debruyne/Frank Seberechts/Nico Wouters (Hg.): La Belgique

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verschärft worden war, systematisch organisiert werden. Entsprechende Verordnungen vom 11.  März und 8. Mai 1942 verfügten, dass jüdische Männer im Alter von 16 bis 60 Jahren und jüdische Frauen im Alter von 16 bis 40 Jahren jede ihnen von den belgischen Arbeitsämtern zugewiesene Arbeit anzunehmen hatten.135 Jüdische Zwangsarbeiter wurden daraufhin in die Lager der Organisation Todt in Nordfrankreich zum Bau des Atlantikwalls verbracht; sie wurden aber auch in Belgien in Bergwerken, Steinbrüchen und in Der Militärverwaltungschef für Belgien verschiedenen Industriebe- und Nordfrankreich Eggert Reeder (links) trieben eingesetzt.136 überreicht ein Geschenk an den 250000sten Die Praxis der Militär- belgischen Arbeiter nach Deutschland; in verwaltung und der ONT - der Mitte der Leiter der belgischen ArbeitsÄmter in Bezug auf die verwaltung Frits-Jan Hendriks [aufgenomZwangsarbeit der Juden men im Zeitraum 1942-1944, vermutlich Januar 1942] Belgiens war aus mehreren Gründen von Bedeutung. Erstens wurden die Beziehungen zwischen der Militärverwaltung und den Generalsekretären durch die Dienstverpflichtungsverordnung vom 6.  März 1942 noch angespannter. Die Generalsekretäre protestierten gegen jede Verschickung von Belgiern zum Arbeitseinsatz jenseits der belgischen Grenzen. Sie erreichten das »Zugeständnis«, dass nur nichtbelgische Juden durch die Verordnung zur Zwangsarbeit docile: Les autorités belges et la persécution des Juifs en Belgique pendant la Seconde Guerre mondiale, Brüssel 2007, S.416-424. 135 Ebd., S.430f. 136 Sophie Vandepontseele: Le travail obligatoire des Juifs en Belgique et dans le nord de la France, in: Jean-Philippe Schreiber/Rudi Van Doorslaer (Hg.): Les curateurs du ghetto. L’Association des Juifs en Belgique sous l’occupation Nazie, Brüssel 2004, S.189-231, hier S.197-205.

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herangezogen würden. Von den im Jahre 1941 in Belgien ca. 50000 registrierten Juden waren 93% nichtbelgischer Nationalität.137 Zweitens trug die Trennung der Juden von Nichtjuden bei den Zwangsarbeitseinsätzen zur weiteren Isolierung der Juden Belgiens bei, die mit der Einführung des »gelben Sterns« am 27. Mai 1942 auf drastische Weise verschlimmert wurde.138 Drittens zeigte die Heranziehung der Juden zur Zwangsarbeit das unterschiedliche Ausmaß der Kollaboration des Personals innerhalb der ONT -Ämter  – zum Teil Anhänger der wallonischen faschistischen Bewegung Rex bzw. VNV -Anhänger  – mit den deutschen Werbestellen. In Antwerpen gab es zum Beispiel eine höhere Bereitwilligkeit, Juden zur Zwangsarbeit zu deportieren, als in Brüssel.139 Viertens waren die 2252 jüdischen Männer, die zwischen Juni und September 1942 in die Lager der Organisation Todt in Nordfrankreich verbracht wurden, dort nicht nur den lebensgefährlichen Lagerbedingungen ausgesetzt, sondern auch in einer tödlichen Falle. Im Oktober 1942 wurden mehr als 1000 jüdische Zwangsarbeiter nach Belgien zurückgebracht, um die Deportationstransporte nach Auschwitz aus dem Transitlager Mechelen/Malines aufzufüllen.140 Fünftens dienten die Transporte jüdischer Zwangsarbeiter in die nordfranzösischen Lager, die tatsächlich den »Arbeitseinsatz« zum Zweck hatten, 137 Seberechts: Spoliation et travail obligatoire (Anm.134), S.427; Einleitung, in: Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933-1945, hg. im Auftrag des Bundesarchivs, des Instituts für Zeitgeschichte und des Lehrstuhls für Neuere und Neueste Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg von Susanne Heim/ Ulrich Herbert/Michael Hollmann/Horst Möller/Dieter Pohl/Sybille Steinbacher/Simone Walther-von Jena/Andreas Wirsching, Bd.12: West- und Nordeuropa Juni 1942-1945, bearb. v. Katja Happe/Barbara Lambauer/Clemens Maier-Wolthusen, Berlin/München/Boston 2015, S.13-84, hier S.45. 138 Ebd., S.46. 139 Ebd., S.47. 140 Anne Godfroid: A qui profite l’exploitation des travailleurs forcés juifs de belgique dans le Nord de la France?, in: Cahiers d’histoire du temps present (2002), Nr.10, S.107-127, hier S.112. Es liegen unterschiedliche Angaben über die Anzahl der jüdischen Zwangsarbeiter, die im Oktober 1942 aus Nordfrankreich nach Malines/Mechelen zurückgebracht wurden, vor; ebd., S.112; Maxime Steinberg: The Judenpolitik in Belgium within the West European Context: Comparative Observations, in: Dan Michman (Hg.): Belgium and the Holocaust. Jews, Belgians, Germans, Jerusalem 2000, S.199221, hier S.215; Insa Meinen: Die Deportation der Juden aus Belgien und das Devisenschutzkommando, in: Johannes Hürter/Jürgen Zarusky (Hg.): Besatzung, Kollaboration, Holocaust. Neue Studien zur Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, München 2008, S.45-79, hier S.54.

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zur Verschleierung der Judendeportationen ab dem 4.  August 1942 aus Belgien nach Auschwitz.141 Die Verwirrung wurde dadurch noch erhöht, dass Transporte in beide Richtungen am gleichen Tag stattfanden. Am 12.  September 1942 musste beispielsweise in Antwerpen ein Kontingent von jüdischen Zwangsarbeitern auf dem Weg nach Nordfrankreich sorgfältig von dem Kontingent der zur Deportation in den Osten zum vermeintlichen »Arbeitseinsatz« aufgerufenen Juden getrennt werden.142 Bis zum Herbst 1942 hatte die grundsätzliche Kooperationsbereitschaft der belgischen Generalsekretäre, der Lokalbehörden und der ONT -Ämter – wenn auch unterschiedlich stark ausgeprägt – die Umsetzung der deutschen Arbeitskräftepolitik ermöglicht, darunter die Werbung für den »Reichseinsatz«, die »Auskämmung« der Betriebe, die Erfassung der »Asozialen« und die Heranziehung der Juden zur Zwangsarbeit. Aber die fragile Kooperationsbasis wurde durch die Verordnung vom 6.  Oktober 1942 erschüttert. Der Schutz vor Deportationen von Belgiern ins Reich hatte von Anfang an die Kooperation mit der Militärverwaltung legitimiert. Die Abkehr der Militärverwaltung von diesem Prinzip wurde unter Druck von Sauckel und seinem Beauftragten August Schultze vollzogen. Proteste folgten, teilweise öffentlich, vom Eisenbahnerstreik bis hin zu einem Protestbrief vom König und Predigten katholischer Geistlicher gegen die Militärregierung.143 Die Zwangsrekrutierung von Frauen für die Arbeit in Deutschland erregte besondere Entrüstung, mit dem Ergebnis, dass ab Januar 1943 keine weiteren Verpflichtungen an Frauen erlassen wurden. Die schon abtransportierten Frauen mussten jedoch in Deutschland bleiben.144 Welches Ergebnis brachte die Anwendung von Zwang als Rekrutierungsmittel? Nico Wouters und Jens Thiel weisen darauf hin, dass die freiwillige Rekrutierung bessere Ergebnisse erzielte.145 Und die Zwangsrekrutierung kann sicherlich als »gescheitert« gelten, wenn man sie an den von Sauckel in den Jahren 1942 bis 1944 ausgegebe-

141 Godfroid (Anm.140), S.113; Seberechts: Spoliation et travail obligatoire (Anm.134), S.450; Vandepontseele (Anm.136), S.231. 142 Einleitung, in: Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, Bd.12 (Anm.137), S.49. 143 Haupt (Anm.44), S.108-114. 144 Harrison (Anm.104), S.53f., 148f. 145 Thiel/Wouters: The Belgian case (Anm.101), S.4.

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nen, schwindelerregenden Rekrutierungsquoten misst.146 Angesichts der militärischen Lage, der Aussicht auf einen alliierten Sieg und der allgemeinen Ablehnung der Zwangsverpflichtung ist die Zahl der belgischen Rekrutierten im Zeitraum von November 1942 bis Dezember 1943 allerdings relativ hoch (91862).147 Zur Durchführung der Verordnung vom 6. Oktober 1942 dienten verschiedene Maßnahmen und Methoden. Betriebliche Unterlagen bildeten die Grundlage für die »Auskämmung« und für das »Freisetzen« jüngerer Männer durch die Einstellung von Frauen und älteren Männern. Einige Betriebe widersetzten sich allerdings solchen Maßnahmen mit Bezug auf ihren geschützten Status im Programm der »Sperrbetriebe«, das Rüstungsminister Albert Speer in seiner Kampagne zur Expansion der einheimischen Produktion in den besetzten westlichen Gebieten initiiert hatte.148 Hinzu kam, nach weiteren Erlassen im September 1943 und März 1944, die zwangsweise »Musterung« von ganzen (männlichen) Kohorten nach Geburtenjahrgängen, zuerst die Jahrgänge 1920 und 1921, dann 1922 bis 1924.149 Diese Rekrutierungsergebnisse hatten jedoch einen hohen Preis: Vom Blickpunkt der Militärverwaltung aus schuf die Zwangsrekrutierung von Arbeitskräften in der letzten Phase der Besatzung eine Kette unlösbarer Probleme. Die Produktion litt darunter, dass die Rekrutierten ihrer Deportation durch Untertauchen zuvorkamen. Die Sicherheitslage verschlechterte sich wiederum dadurch, dass untergetauchte Verweigerer den belgischen Widerstand stärkten.150 In einem wachsenden Klima der Gewalt häuften sich die Racheakte gegen Kollaborateure und »Vergeltungsakte« gegen die Widerstandsaktionen. Die Feldgendarmerie der Militärverwaltung unterstützte die Arbeitskräfterekrutierung durch bewaffnete Razzien, aber ihr Personal reichte nicht aus, um die große Anzahl der Verweigerer zu fassen.151 Im April 1944 146 Harrison (Anm.104), S.76. 147 Herbert: Fremdarbeiter (Anm.3), S.181, 252. Diese Zahlen stammen aus dem Reichsarbeitsministerium und nicht von der Militärverwaltung in Belgien. 148 Harrison (Anm.104), S.59-61. 149 Haupt (Anm.44), S.126-136. 150 Warmbrunn (Anm.98), S.58f., 237f.; Harrison (Anm.104), S.71. 151 Herbert: Fremdarbeiter (Anm.3), S.183; Bernhard R. Kroener: »Menschenbewirtschaftung«, Bevölkerungsverteilung und personelle Rüstung in der zweiten Kriegshälfte (1942-1944), in: ders./Rolf-Dieter Müller/Hans Umbreit: Das Deutsche Reich und der Zweite Weltkrieg, Bd.5: Organisation und Mobilisierung des deutschen Machtbereichs, Halbbd. 2: Kriegsverwal-

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wurde General von Falkenhausens Forderung nach weiteren 500 Feldgendarmen vom Oberkommando der Wehrmacht abschlägig beschieden. Von Falkenhausen warnte, dass die Autorität der Verwaltung im Schwinden sei und »eines Tages überhaupt keine Dienstverpflichteten zum Abtransport erscheinen« würden.152

Vergleich und Ausblick Wenn man das Repertoire der Mittel vergleicht, die im Generalgouvernement und in Belgien zur Arbeitskräftebeschaffung und zur Steuerung des »Arbeitseinsatzes« vor Ort eingesetzt wurden, sind durchaus Ähnlichkeiten vorhanden. Trotz aller Unterschiede in der Besatzungspolitik und in der Wirtschaftsstruktur beider Gebiete kam ein vergleichbares Instrumentarium der deutschen Arbeitsverwaltung zur Anwendung. Dazu gehörte die Schaffung oder der Wiederaufbau von Arbeitsämtern, um die Arbeitslosen zu erfassen und zur Arbeit zu bringen. Weitere Maßnahmen beschränkten die Freiheit von Arbeitnehmern, die Stelle zu wechseln und von Arbeitgebern, Arbeitskräfte einzustellen. Hinzu kam die Werbung für die Arbeit in Deutschland, mit großzügigen Versprechungen hinsichtlich Lohn, Arbeitsplatz und Wohnbedingungen sowie die namentliche Aufforderung zur Arbeit in Deutschland. Schließlich erfolgten auch »Musterungen« ganzer Jahrgänge (eingeschränkt, sowohl im Generalgouvernement als auch in Belgien, auf männliche Kohorten). In beiden besetzten Gebieten beriefen sich die deutschen Dienststellen auf das Gebot der Rationalisierung, die zur Einsparung von Arbeitskräften führen sollte. Im Generalgouvernement standen kleinbäuerliche Familienbetriebe im Fokus der Bestrebungen zur »Auskämmung«, in Belgien ging es um den »übersetzten Handel« und die »starke Facharbeiterdecke« in den Betrieben.153 Eine potenzielle Lektion aus den Erfahrungen in der deutschen Arbeitskräftepolitik in den besetzten Gebieten im Ersten Weltkrieg hätte insofern nahegelegen, als dass Anreize hätten angeboten und Versprechungen gehalten werden müssen, wenn die freiwillige Anwerbung tung, Wirtschaft und personelle Ressourcen 1942-1944/45, Stuttgart 1999, S.777-1002, hier S.898. 152 Ebd., S.897f. 153 Schultze (Anm.123), S.137.

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gelingen sollte.154 Das Reichsarbeitsministerium/GBA und die deutsche Arbeitsverwaltung haben diese Lehre jedoch nicht umgesetzt. Stattdessen setzten sie sowohl im Generalgouvernement als auch in Belgien auf die soziale Not als Druckmittel. In beiden Ländern wurde die Rekrutierung für den Reichseinsatz letztlich durch physischen Zwang erreicht. Die beiden besetzten Gebiete unterschieden sich jedoch radikal in Bezug auf die Art und Weise, wie früh und in welchem Ausmaß der Zugriff auf die Bevölkerung unter Zwang durchgesetzt wurde. Das Verhältnis zwischen ungezwungenen »freiwilligen« Meldungen und erzwungenen Aufforderungen, Razzien und »Musterungen« in beiden Gebieten bestätigt im Vergleich grundsätzlich den offensichtlichen und bekannten Kontrast bis 1942. Trotz Arbeitslosigkeit und materieller Not sowie einer langen Tradition von saisonaler Arbeit in Deutschland war es für die deutschen Besatzer schon im Frühjahr 1940 im Generalgouvernement nicht mehr möglich, ohne Druck und Zwang die hohen Rekrutierungsquoten polnischer Arbeitskräfte für das Reich zu erfüllen. Bereits die Diskussion in Krakau im April 1940 zeigt die Bereitwilligkeit führender Männer der Arbeitsverwaltung im Reich (Syrup) und im Generalgouvernement (Frauendorfer), die »vorsichtige« Anwendung von Zwang gutzuheißen – auch wenn sie gleichzeitig für Anreize und bessere Behandlung plädierten. In Belgien dagegen war für die kooperationsbereiten Eliten (für die es im Generalgouvernement kein Äquivalent gab) die Verhinderung von Deportationen zur Arbeit im Reich für die Legitimation ihrer Politik des »moindre mal« zentral. Sowohl die Militärverwaltung als auch August Schultze als Leiter der Gruppe VII (Sozialwesen und Arbeitseinsatz) waren sich der Erinnerungen an die belgischen Deportationen im Ersten Weltkrieg sehr bewusst. Trotzdem wurde der Druck auch vor 1942 bei der Erfassung und Disziplinierung von »Asozialen« ohne viel Bedenken durchgesetzt: Hier trafen sich vermutlich die Vorurteile der deutschen Arbeitsverwaltung mit denen der kollaborationswilligen Bürgermeister und der belgischen ONT -Ämter. Weitere Parallelen und Unterschiede werden durch eine Betrachtung der deutschen Politik in Bezug auf weibliche Arbeitskräfte und auf jüdische Arbeitskräfte sichtbar. Von Anfang an wurden Polinnen neben Polen zur Arbeit im Reich aufgefordert, wohl teilweise aufgrund der Tradition der Arbeitsverhältnisse von polnischen Frauen in der deutschen Landwirtschaft, aber anscheinend auch wegen einer rassistischen Sicht auf osteuropäische Frauen: Bei »minderwertigen Rassen«, so 154 Westerhoff: Zwangsarbeit (Anm.22), S.325.

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die zugrunde liegende Logik, müsse die Geschlechterdifferenz nicht beachtet werden. Trotzdem wurde die Differenz bei der »Musterung« von Kohorten aus dem Generalgouvernement ab 1943 beachtet, die nur junge Männer betraf. In Belgien wurden Frauen  – vielleicht überraschenderweise  – in die Zwangsrekrutierung ab Oktober 1942 einbezogen. Die Beschränkung auf unverheiratete Frauen und auf eine eingeschränkte Altersspanne signalisierte aber eine gewisse »Geschlechtersensibilität« bzw. Nervosität im Hinblick auf die öffentliche Meinung in Belgien. Daraus resultierte dann auch die Zurücknahme der Dienstverpflichtung von Frauen im Januar 1943. Der Vergleich hinsichtlich der jüdischen Arbeitskräfte im Generalgouvernement und in Belgien muss die große Diskrepanz in den absoluten Zahlen der jüdischen Bevölkerung in beiden Gebieten im Blick behalten. Trotzdem sind Parallelen festzustellen: Sowohl im Generalgouvernement (von Anfang an) als auch in Belgien (systematisch ab 1942, beschränkt auf nichtbelgische Juden) wurden Juden und Jüdinnen zur Zwangsarbeit herangezogen, die nicht nur dem »Arbeitseinsatz«, sondern auch der Erniedrigung und Stigmatisierung diente. Für die Juden (meist, aber nicht nur Männer), die auf diese Weise beschäftigt wurden, bedeutete die Zwangsarbeit einen Aufschub vor der Deportation zur Ermordung. Aber trotz des Arbeitskräftemangels in beiden Gebieten gewährte Arbeit ab 1942 keine Überlebensgarantie. Abschließend ist die Wirkung des »Systems Sauckel« in beiden besetzten Gebieten ab 1942 zu betrachten. Die Eskalation der Rekrutierungsquoten für Arbeitskräfte aus Polen nach Sauckels Ernennung im Frühjahr 1942 bestätigte nur ein System, das schon auf Zwang basierte – auch wenn die Werbung auf freiwilliger Basis als Methode weiter beibehalten wurde. Es verschärfte aber entscheidend den Konflikt über den Einsatz von Arbeitskräften vor Ort in der Rüstungsindustrie im Generalgouvernement, die von der Rüstungsinspektion und teilweise auch von der Arbeitsverwaltung vor Ort befürwortet wurde. In Belgien, obwohl die Dienstverpflichtung für die Arbeit im eigenen Lande vor Sauckels Ernennung eingeführt wurde, ging die Verordnung vom 6.  Oktober 1942, die die Zwangsrekrutierung für den Reichseinsatz einführte, eindeutig auf Sauckel und auf seinen Beauftragten August Schultze zurück. Eine Desintegration der Kooperationsbasis zwischen Militärverwaltung und Generalsekretären war die Folge, auch wenn das kollaborationswillige Personal in den ONT Ämtern bis zum Schluss als Exekutivarm der deutschen Verwaltung fungierte.

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Im Sommer 1944 war Sauckel davon überzeugt, dass in Westeuropa »die nötige Härte« bei der Arbeitskräftebeschaffung gefehlt habe. Er überlegte, ob das vollständige Repertoire an Repression und Gewalt, das in Ost- und Südosteuropa etabliert worden war, nun auch im Westen entfacht werden sollte: eine massenhafte Menschenjagd, darunter die Erzwingung ganzer Bevölkerungsteile und Flüchtlingsströme in den Arbeitseinsatz beim militärischen Rückzug.155 Aber wie es scheint zögerte sogar Sauckel, solche Gedanken in die Praxis umzusetzen. Damit bestätigte er, am Vorabend der Befreiung von Frankreich und Belgien, wieder »das rassistische Gefälle« zwischen Ost und West, das auch in der Arbeitskräftepolitik bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges zu beobachten war.156

155 Kroener: »Menschenbewirtschaftung« (Anm.151), S.911-914. 156 Herbert: Fremdarbeiter (Anm.3), S.262f.

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Der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz und das Reichsarbeitsministerium Swantje Greve

»Ich darf Ihnen sagen: Wenn es bis zum heutigen Tage gelungen ist, der deutschen Wirtschaft immer ausreichende Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen, so ist das zu verdanken der Einrichtung des deutschen Arbeitsministeriums überhaupt und dem Wirken seiner Männer. […] Ich möchte ausdrücklich betonen: Es ist das nicht mein Verdienst, sondern das Verdienst dieses Apparates.«1 Mit diesen Worten äußerte sich Fritz Sauckel, der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz (GBA ), im Dezember 1943 in einer Rede vor Pressevertretern anerkennend über die Tätigkeit des Reichsarbeitsministeriums. Er bezog sich dabei insbesondere auf die Arbeit der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Hauptabteilungen  III (Arbeitsrecht und Lohnpolitik) und V (Arbeitseinsatz) des Ministeriums sowie deren nachgeordnete Behörden, denn diese waren Sauckel bei seiner Ernennung zum GBA für seine Aufgaben zur Verfügung gestellt worden.2 Weiter heißt es in der Rede: »Weil wir über eine solche vorzügliche Arbeitsverwaltung verfügten, war es möglich, daß wir alsbald mit dem höchsten Nachdruck und der größten Intensität mit unserer Arbeit beginnen konnten, als die Institution eines Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz geschaffen worden war.«3 Der Thüringer Gauleiter und Reichsstatthalter Fritz Sauckel wurde am 21.  März 1942 von Adolf Hitler per Erlass zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz ernannt.4 Damit wurden die Zu1 Sauckels Rede auf der 4. Reichspressekonferenz in Weimar im Kreishaus-Saale, 5.12.1943, Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar (ThHS tAW ), Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr.190, Bl.162-191, hier Bl.165. 2 Zu den nachgeordneten Dienststellen der beiden Hauptabteilungen, also den Arbeitsämtern und Landesarbeitsämtern sowie den Reichstreuhändern der Arbeit vgl. die Beiträge von Henry Marx und Sören Eden in diesem Band. 3 Sauckels Rede auf der 4. Reichspressekonferenz in Weimar im Kreishaus-Saale, 5.12.1943, ThHS tAW , Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr.190, Bl.162191, hier Bl.165f. 4 Vgl. »Erlaß des Führers über einen Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz« vom 21.3.1942, RGB l.I 1942, S.179. Auch enthalten in Handbuch

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ständigkeiten im Bereich der Arbeitspolitik neu geordnet, denn der GBA sollte die zentrale Steuerung der gesamten Arbeitskräftepolitik im deutschen Herrschaftsgebiet übernehmen. Im Kompetenzbereich der beiden Hauptabteilungen des Reichsarbeitsministeriums hatten schon zuvor viele der nun dem GBA zugewiesenen Aufgabenbereiche gelegen,5 doch ging der mit Erlass vom März 1942 an den GBA verliehene Auftrag durch seine umfangreichen Vollmachten und deren Ausdehnung auf das gesamte deutsche Herrschaftsgebiet einschließlich der besetzten Gebiete weit über die bisherige Zuständigkeit des Reichsarbeitsministeriums hinaus. Bis Kriegsende war der GBA für die Rekrutierung von Millionen ausländischen Zivilarbeitskräften und deren Deportation nach Deutschland verantwortlich.6 Durch die Ausbeutung der Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen aus allen Teilen Europas war es den Deutschen während des Zweiten Weltkriegs möglich, die Kriegswirtschaft aufrechtzuerhalten, obwohl kontinuierlich deutsche Arbeiter zur Wehrmacht eingezogen wurden. Allein im Herbst 1944 waren in Deutschland 7,6 Millionen ausländische Arbeitskräfte tätig, dies entsprach etwa 20% aller Beschäftigten im Reich. Darunter befanden sich 5,7 Millionen Zivilarbeiter und Zivilarbeiterinnen und etwa 1,9 Millionen Kriegsgefangene.7 Fritz Sauckel als »der GBA « prägt bis heute maßgeblich das Bild der Dienststelle des GBA im wissenschaftlichen Diskurs. Schon die Bezeichnung »Generalbevollmächtigter« legt nahe, dass es sich beim GBA um eine einzelne Person handelt, nicht zuletzt deshalb wird meist die gesamte Entwicklung auf Fritz Sauckel projiziert. Damit geht häufig die Interpretation einher, dass es mit seiner Ernennung zu einem großen Bruch in der Arbeitskräftepolitik und zu einem Kompetenzverlust des Reichsarbeitsministeriums gekommen sei. Diese einfür die Dienststellen des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz und die interessierten Reichsstellen im Großdeutschen Reich und in den besetzten Gebieten, Bd.1: Vollmachten, Verlautbarungen, Verordnungen, Organisation des GBA , bearb. v. Friedrich Didier, Berlin 1944, S.21. 5 Vgl. hierzu den Geschäftsverteilungsplan der Hauptabteilungen I-V des Reichsarbeitsministeriums vom 1.1.1942, Bundesarchiv (BArch) R3901/20039, Bl.2-19. 6 Im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess 1945/46 wurde Sauckel aufgrund seiner Verantwortlichkeit bei der Rekrutierung von Zwangsarbeitskräften von den Richtern der Alliierten zum Tode verurteilt und im Oktober 1946 hingerichtet. Vgl. hierzu den Beitrag von Kim Christian Priemel in diesem Band. 7 Vgl. Ulrich Herbert: Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, München 2014, S.490.

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Fritz Sauckel (geb. 27.10.1894 in Haßfurt, gest. 16.10.1946 in Nürnberg) verbrachte nach der mittleren Reife und einer Ausbildung zum Seemann die Jahre 1914-1919 in französischer Zivilinternierung. Nach der Entlassung arbeitete er als Hilfsarbeiter in Schweinfurt, begann eine Lehre als Metallarbeiter und besuchte seit 1921 das Technikum in Ilmenau, das er jedoch ohne Abschluss 1924 wieder verließ. 1919 trat Sauckel dem Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbund bei, 1923 und erneut 1925 der NSDAP . Seine Parteikarriere begann er 1925 als Gaugeschäftsführer; 1927 wurde er Gauleiter in Thüringen. Darüber hinaus war Sauckel seit 1922 bzw. 1925 Mitglied der SA und seit 1934 der SS . Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten wurde er von Hitler 1933 zum Reichsstatthalter in Thüringen ernannt, nach Kriegsbeginn 1939 zum Reichsverteidigungskommissar. Am 21. März 1942 berief Hitler ihn zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz; damit zählte Sauckel zum Kreis der obersten NS -Funktionäre und war bis 1945 verantwortlich für die Rekrutierung von Millionen Zwangsarbeitskräften im besetzten Ausland. Im April 1945 verhafteten ihn Angehörige der US amerikanischen Streitkräfte in Oberbayern. Sauckel wurde im Hauptkriegsverbrecherprozess vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg angeklagt und im Oktober 1946 zum Tode verurteilt und hingerichtet. Quellen und Literatur: Dieter Marek: Bibliographien der Regierungsmitglieder (Minister und Staatsräte), in: Thüringen-Handbuch. Territorium, Verfassung, Parlament, Regierung und Verwaltung in Thüringen 1920 bis 1995, hg. v. Bernhard Post/Volker Wahl, Weimar 1999, S. 552-648, hier S. 624 f.; Rüdiger Hachtmann: Artikel »Sauckel, Fritz«, in: Neue Deutsche Biographie, Bd. 22, Berlin 2005, S. 448-449; Steffen Raßloff: Fritz Sauckel. Hitlers »MusterGauleiter« und »Sklavenhalter«, Erfurt 2008.

dimensionale Sichtweise soll durch einen differenzierten Blick auf die Organisationsstruktur der Dienststelle des GBA und ihre Arbeitsweise aufgebrochen werden. Das eingangs angeführte Zitat Sauckels weist auf die grundlegende Bedeutung hin, welche die ihm zur Verfügung gestellten Hauptabteilungen des Reichsarbeitsministeriums für seine Tätigkeit als GBA besaßen. Sowohl diese als auch der von Sauckel gebildete Arbeitsstab des GBA sowie seine Beauftragten in den besetzten Gebieten standen bisher kaum im Fokus der Forschung.8 Wie aber funktionierte diese Dienststelle, die während des Zweiten Weltkrieges für die Rekrutierung und Deportation von Millionen Arbeitskräften in das Reichsgebiet verantwortlich war? Dieser Frage wird im Folgenden durch eine eingehende Analyse der Organisation des GBA nachgegan-

8 Vgl. zur Organisation des GBA Walter Naasner: Neue Machtzentren in der deutschen Kriegswirtschaft, 1942-1945, Boppard am Rhein 1994, S.48-51.

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gen.9 Daran anknüpfend wird am Beispiel der besetzten Ukraine, aus der zwischen 1941 und 1944 allein etwa 1,7 Millionen Menschen ins Reich verschleppt wurden, die praktische Tätigkeit der Organisation in den nationalsozialistisch besetzten Gebieten dargestellt.10

Die Organisationsstruktur der Dienststelle des GBA Schon seit Oktober 1941 diskutierte die NS -Führung über die Schaffung einer neuen Stelle, in der alle arbeitspolitischen Kompetenzen gebündelt werden sollten. An dieser Debatte waren der Chef der Reichskanzlei Hans Heinrich Lammers, der Leiter der Parteikanzlei Martin Bormann, der Chef der Deutschen Arbeitsfront Robert Ley11 sowie der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht Wilhelm Keitel maßgeblich beteiligt. Die Diskussion stand in engem Zusammenhang mit dem innerhalb der deutschen Kriegswirtschaft, insbesondere der Rüstungs- und Ernährungswirtschaft, zunehmenden Mangel an Arbeitskräften, der aus der deutschen Kriegsführung gegen die Sowjetunion resultierte. Im Herbst 1941 wurde deutlich, dass der im Juni begonnene Krieg nicht wie vorgesehen innerhalb weniger Monate beendet werden konnte, sondern sich zu einem langfristigen Abnutzungskrieg entwickeln würde. Mit der noch wenige Wochen zuvor geplanten Auflösung größerer Teile der Wehrmacht, die eine Entspannung der Arbeitskräftesituation bedeutet hätte, konnte angesichts der veränderten militärischen Lage an der deutsch-sowjetischen Front nun nicht mehr gerechnet werden. Durch die laufenden Einberufungen zur Wehrmacht entwickelte sich die Arbeitskräftefrage zu einem Kernproblem der deutschen Kriegswirtschaft.12 9 Im Folgenden ist mit GBA teilweise die Person Fritz Sauckel in seinem Amt als GBA gemeint, zum Teil auch die gesamte GBA -Dienststelle. Anhand der Darstellung ist jeweils kenntlich gemacht, worauf sich die Bezeichnung »GBA « im Einzelfall bezieht. Kleinere sprachliche Unschärfen sind aufgrund der Doppeldeutigkeit der Bezeichnung jedoch nicht immer vermeidbar. 10 Zu den Zahlen, die sich auf Zivilarbeitskräfte beziehen, vgl. Mark Spoerer: Zwangsarbeit unter dem Hakenkreuz. Ausländische Zivilarbeiter, Kriegsgefangene und Häftlinge im deutschen Reich und im besetzten Europa 19391945, Stuttgart 2001, S.80. 11 Robert Ley erhob auch selbst Anspruch auf diesen Posten. Zur Deutschen Arbeitsfront vgl. den Beitrag von Rüdiger Hachtmann in diesem Band. 12 Vgl. dazu Dietrich Eichholtz: Die Vorgeschichte des »Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz«, in: Jahrbuch für Geschichte 9 (1973), S.339383, hier S.347-354; Ulrich Herbert: Fremdarbeiter. Politik und Praxis des

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Angesichts dieser Situation traf die NS -Führungsspitze um Hitler im Herbst 1941 eine Grundsatzentscheidung, die einen Umschwung in der bisher verfolgten Arbeitskräftepolitik bedeutete: Es sollten in großem Umfang sowjetische Kriegsgefangene und auch Zivilarbeitskräfte innerhalb der Reichsgrenzen eingesetzt werden. Am 7. November 1941 verkündete Reichsmarschall Hermann Göring, der Beauftragte für den Vierjahresplan, diese Entscheidung vor Vertretern von Wirtschaft, Wehrmacht, Staat und Partei. Die Geschäftsgruppe Arbeitseinsatz des Vierjahresplans, die von Beamten des Reichsarbeitsministeriums geleitet wurde, sollte zentral für die Durchführung dieses Auftrags verantwortlich sein.13 Nach dieser Grundsatzentscheidung stand weiterhin die Debatte über die Schaffung einer koordinierenden Stelle auf der Agenda der NS Führung. Zwar verfügten das Reichsarbeitsministerium sowie die Geschäftsgruppe Arbeitseinsatz über die notwendige fachliche Expertise für die Durchführung der komplexen Aufgaben, jedoch fehlte es an einer Person, die die zentrale Steuerung der Arbeitskräftepolitik auf oberster Ebene übernahm und den Interessensausgleich im Zweifel auch gegen die Position einzelner Akteure durchsetzte. Denn neben dem Reichsarbeitsministerium und der Geschäftsgruppe Arbeitseinsatz war eine Vielzahl weiterer Behörden und Dienststellen mit teils gegensätzlichen Absichten in die Arbeitspolitik involviert. Hierzu zählten beispielsweise das Reichswirtschaftsministerium, das Reichsministerium für Bewaffnung und Munition, das Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt im Oberkommando der Wehrmacht, die Deutsche Arbeitsfront, aber auch zahlreiche Wirtschaftsgruppen und Reichsvereinigungen.14 Fritz Sauckel sollte als GBA die Koordinationsfunktion ausfüllen und die zentrale Steuerung der Arbeitspolitik übernehmen.15 Die un»Ausländer-Einsatzes« in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches, Neuaufl., Bonn 1999, S.158-168; Hans Heinrich Lammers, Reichskanzlei, an Martin Bormann, Parteikanzlei, betr. Arbeitseinsatz ausländischer Arbeitnehmer, 31.10.1941, Archiv des United States Holocaust Memorial Museum (USHMM ), ITS Digital Archive, 2.2.0.1/82388233-235. 13 Vgl. Eichholtz: Vorgeschichte (Anm.12), S.346-348. 14 Für weiterführende Informationen zur Vorgeschichte des GBA vgl. Herbert: Fremdarbeiter (Anm.12), S.158-175; Naasner (Anm.8), S.30-35; Dietrich Eichholtz: Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft 1939-1945, Bd.2, München 2003, S.74-79, 190-202; Eichholtz: Vorgeschichte (Anm.12). 15 Es liegt bis heute keine umfassende wissenschaftliche Biografie Fritz Sauckels vor. Bisher sind u.a. erschienen Steffen Raßloff: Fritz Sauckel. Hitlers »Muster-Gauleiter« und »Sklavenhalter«, Erfurt 2008; Stephan Lehnstaedt/Kurt Lehnstaedt: Fritz Sauckels Nürnberger Aufzeichnungen. Erinnerungen aus

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mittelbare Ernennung durch Adolf Hitler war für die Legitimation seines Amtes von entscheidender Bedeutung, denn so konnte er sich bei der Durchführung seiner Aufgaben auf den Auftrag Hitlers berufen. Die zuvor zuständige Geschäftsgruppe Arbeitseinsatz des Vierjahresplans wurde aufgelöst und ihre Aufgaben dem GBA übertragen, der formal unmittelbar dem Beauftragten für den Vierjahresplan unterstellt wurde.16 Göring übertrug dem GBA für seine Aufgaben das Weisungsrecht gegenüber den obersten Reichsbehörden, den Dienststellen der Partei, dem Reichsprotektor, dem Generalgouverneur, den Militärbefehlshabern und den Chefs der Zivilverwaltung. Zudem verordnete Göring, dass Sauckel als GBA die Vollmachten des Reichsarbeitsministers beanspruchen konnte.17 Der Posten des GBA wurde also mit einer Fülle an Kompetenzen und Weisungsbefugnissen ausgestattet, wodurch er eine außerordentlich starke Position im NS -Herrschaftsgefüge erhielt. Bislang herrscht im wissenschaftlichen Diskurs die Auffassung vor, dass das Reichsarbeitsministerium angesichts der Ernennung des GBA als der große Verlierer zu bezeichnen sei, da es die zentralen Kompetenzen auf dem Gebiet des Arbeitseinsatzes an ihn verloren habe und zu einem »Rumpfministerium« degeneriert sei.18 Ist diese Annahme haltbar, wenn berücksichtigt wird, dass die dem GBA zur Verfügung gestellten Hauptabteilungen III und V bis 1945 innerhalb der Organisationsstruktur des Reichsarbeitsministeriums verblieben? Kann man angesichts dessen wirklich von einer Entkernung des Reichsarbeitsministeriums im Bereich der Arbeitspolitik durch den GBA sprechen?19

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seiner Haft während des Kriegsverbrecherprozesses, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 57 (2009), H.1, S.117-150; Manfred Weißbecker: Fritz Sauckel. »Wir werden die letzten Schlacken unserer Humanitätsduselei ablegen...«, in: Kurt Pätzold/Manfred Weißbecker (Hg.): Stufen zum Galgen. Lebenswege vor den Nürnberger Urteilen, Leipzig 1999, S.297-331. Zur Forschungslücke vgl. Markus Fleischhauer: Der NS -Gau Thüringen 1939-1945. Eine Struktur- und Funktionsgeschichte, Köln/Weimar/Wien 2010, S.34f. Vgl. Görings »Anordnung zur Durchführung des Erlasses des Führers über einen GBA « vom 27.3.1942, RGB l.I 1942, S.180. Auch enthalten im Handbuch des GBA (Anm.4), S.22. Vgl. Görings »Verordnung über die Rechtsetzung durch den GBA « vom 25.5.1942, RGB l.I 1942, S.347. Auch enthalten im Handbuch des GBA (Anm.4), S.25. Vgl. beispielsweise Herbert: Fremdarbeiter (Anm.12), S.178; Naasner (Anm.8), S.38f. Vgl. Sven Reichardt/Wolfgang Seibel: Radikalität und Stabilität. Herrschen und Verwalten im Nationalsozialismus, in: dies. (Hg.): Der prekäre Staat.

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Das Reichsarbeitsministerium bestand im Januar 1942 aus fünf Hauptabteilungen, die Reichsarbeitsminister Franz Seldte unterstanden. Darüber hinaus zählte zu der Berliner Behörde ein umfangreicher und ausdifferenzierter Apparat an nachgeordneten Dienststellen.20 Die dem GBA im März 1942 zur Verfügung gestellten Hauptabteilungen für Arbeitsrecht und Lohnpolitik (III ) sowie Arbeitseinsatz (V) mit ihrem Personal wurden personalpolitisch und haushaltsrechtlich nicht aus dem Fritz Sauckel vor einem Porträt Hitlers, 1933. Foto: Heinrich Hoffmann Reichsarbeitsministerium ausgegliedert, sondern blieben organisatorisch dessen Bestandteil. Bei einem persönlichen Treffen mit Seldte im April 1942 bestritt Sauckel jegliche Ambitionen auf ein Ministeramt,21 faktisch fand allerdings eine sukzessive Transformation der zentralen Weisungsbefugnisse hinsichtlich der Arbeitspolitik statt, denn anstelle des Reichsarbeitsministers war nun der GBA gegenüber dem Personal von zwei Hauptabteilungen weisungsbefugt. Die Befugnisse bezogen sich anfangs allerdings ausschließlich auf fachliche Anweisungen; personelle und organisatorische Maßnahmen durfte der GBA in den ihm zur Verfügung gestellten Hauptabteilungen sowie deren nachgeordneten Dienststellen nicht eigenmächtig vornehmen. Reichsarbeitsminister Seldte wurde jedoch unmittelbar nach der Ernennung Sauckels von Hitler zu einer kooperativen Zusammenarbeit Herrschen und Verwalten im Nationalsozialismus, Frankfurt am Main 2011, S.7-27, hier S.13. 20 Vgl. Geschäftsverteilungsplan der Hauptabteilungen  I-V des Reichsarbeitsministeriums vom 1.1.1942, BA rch R3901/20039, Bl.2-19. 21 Vgl. »Antrittsbesprechung« Sauckel mit Seldte, 15.4.1942, Dok. 318-EC , in: Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof. Nürnberg, 14.  November 1945-1.  Oktober 1946, Bd.36, Nürnberg 1949, S.310-316. Die gesamte Ausgabe umfasst 42 Bde., Nürnberg 1947-1949; im Folgenden unter der Sigle IMT . Vgl. hierzu auch Naasner (Anm.8), S.39.

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mit dem GBA angewiesen, die Seldte auch zusicherte. Im Falle von Komplikationen sollten Sauckels Vollmachten erweitert werden.22 Mit dem neuen Vorgesetzten erhielten die beiden Hauptabteilungen auch eine neue Dienststellenbezeichnung: Sie sollten nun den Titel »Der Beauftragte für den Vierjahresplan  – Der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz« tragen.23 Darüber hinaus änderte sich für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der beiden Hauptabteilungen an ihrer täglichen Arbeitspraxis zunächst wenig, sie waren wie bisher für die Bearbeitung und Verwaltung aller Fragen im Bereich des Arbeitseinsatzes, des Arbeitsrechts und der Lohnpolitik zuständig. Für die erfolgreiche Bewältigung seines Auftrags – die einheitliche Steuerung des gesamten Arbeitskräftepotenzials innerhalb des deutschen Herrschaftsgebiets – konnte sich der GBA nun ihre umfassende Fachpraxis und Expertise gezielt zunutze machen.24 Ergänzend zu den beiden Hauptabteilungen schuf Sauckel als GBA einen kleinen Arbeitsstab von anfangs 15 Mitarbeitern. Er sollte für die Leitung seines Büros in Berlin zuständig sein und die Kommunikation mit den verschiedenen Reichsministerien, NS -Organisationen, Wirtschafts- und Militärbehörden, die im weitesten Sinne an der Arbeitspolitik beteiligt waren, führen. Dazu gehörte beispielsweise die Deutsche Arbeitsfront oder die Parteikanzlei. In seinem Programm vom 20. April 1942 betonte Sauckel, er wolle »mit einem allerkleinsten persönlichen Mitarbeiterkreis seiner Auswahl sich ausschließlich der vorhandenen Partei-, Staats- und Wirtschaftseinrichtungen bedienen und durch den guten Willen und die Mitarbeit aller den schnellsten Erfolg seiner Maßnahmen gewährleisten.«25 Somit fungierte der Arbeitsstab als die koordinierende Schaltstelle zwischen den zahlreichen auf dem Feld der Arbeitspolitik handelnden Akteuren. Ein zielgerichteter 22 Die Anweisung an Seldte scheint von Speer initiiert gewesen zu sein; vgl. Schreiben Speers, betr. Kompetenzen des GBA , 23.3.1942, abgedruckt in Eichholtz: Vorgeschichte (Anm.12), S.382f.; siehe auch ebd., S.369. Vgl. ebenfalls Hans Heinrich Lammers an Fritz Sauckel, betr. Ernennung zum GBA , 23.3.1942, ThHS tAW , Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr.491, Bl.11. 23 Vgl. Fritz Sauckel an Landesarbeitsämter, betr. Bestellung eines GBA , 24.4.1942, BA rch R43 II /652, Bl.218-220. Auf den Schreiben der beiden Hauptabteilungen finden sich unter dieser Bezeichnung aber weiterhin die Kürzel der bearbeitenden Hauptabteilung des Reichsarbeitsministeriums. 24 Vgl. Edward  L. Homze: Foreign Labor in Nazi Germany, Princeton, NJ 1967, S.104. 25 Programm des GBA vom 20.4.1942, vgl. Handbuch des GBA (Anm.4), S.29.

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Austausch der verschiedenen Parteien wurde insbesondere durch das neu geschaffene Forum der Stabsbesprechungen ermöglicht, bei denen alle Stabsmitglieder und darüber hinaus verschiedene Abteilungsleiter des Reichsarbeitsministeriums unter dem Vorsitz Sauckels zusammenkamen. Seinen Arbeitsstab besetzte Sauckel fast ausschließlich mit Personen, die er durch seine Tätigkeit als Gauleiter und Reichsstatthalter in Thüringen kannte. Von den anfangs 15 Mitgliedern des Stabs stammten 12 aus Thüringen. Einige davon gehörten zur Thüringer Gauclique, einem internen Kreis innerhalb des Thüringer Gauapparates, der sich in den 1930er-Jahren um Gauleiter Sauckel gebildet hatte und der effizient die Regionalpolitik nach seinen Erfordernissen lenkte.26 Zu dieser Gauclique zählten verschiedene erfahrene Verwaltungsfachleute und Regionalpolitiker – wie beispielweise Walter Escher, Gauamtsleiter und Mitarbeiter beim Reichsstatthalter Thüringen, oder Rudolf Peuckert, ebenfalls Gauamtsleiter und Landesbauernführer Thüringen  –, die Sauckel nun in seinen GBA -Stab berief.27 Neben verschiedenen Mitgliedern des thüringischen Gauapparats bestellte Sauckel auch einige langjährige Vertraute aus der Wirtschaft in seinen neuen Arbeitsstab, darunter Carl Goetz, Aufsichtsratsvorsitzender der Dresdner Bank, oder Karl Beckurts, Direktor der Gustloff Werke in Weimar. Die Mitglieder des Arbeitsstabs besetzten die neuen Posten jeweils in Personalunion mit ihren bisherigen Ämtern und konnten dadurch ihre im Bereich von Staat, Partei und Wirtschaft meist schon vorhandenen, vielschichtigen Beziehungsnetzwerke nochmals erweitern.28 Durch die verbreitete Ämterhäufung hatten sie Zugriff auf Informationen und Ressourcen aus verschiedenen gesellschaftlichen Teilbereichen, die sie für ihre Tätigkeit nutzen konnten – so auch für die Arbeit im GBA Stab, in dem es dadurch zu einer Verquickung der Interessen von Politik und Wirtschaft kam. Durch den GBA -Arbeitsstab kamen diese

26 Vgl. Fleischhauer (Anm.15), S.80. Zum Begriff der Gauclique vgl. Peter Hüttenberger: Die Gauleiter. Studie zum Wandel des Machtgefüges in der NSDAP , Stuttgart 1969, S.56f. Vgl. auch die Kritik von Nolzen an Hüttenbergers Konzept der Gauclique; Armin Nolzen: Die Gaue als Verwaltungseinheiten der NSDAP . Entwicklungen und Tendenzen in der NS -Zeit, in: Jürgen John/Horst Möller/Thomas Schaarschmidt (Hg.): Die NS -Gaue. Regionale Mittelinstanzen im zentralistischen »Führerstaat«, München 2007, S.199-217. 27 Vgl. Fleischhauer (Anm.15), S.80, 96-98. 28 Ebd., S.100f.

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Ressourcen auch den Hauptabteilungen  III und V des Reichsarbeitsministeriums zugute.29 Der Blick auf die Organisation des GBA zeigt, dass Sauckel für die ihm zugeteilte Aufgabe keine neue Behörde schuf, sondern die bestehenden Hauptabteilungen des Reichsarbeitsministeriums nutzte und lediglich als Koordinierungsstelle einen kleinen Arbeitsstab bildete, der auch für die Kooperation mit dem Ministerium zuständig sein sollte. Für die Steuerung dieser Zusammenarbeit bestimmte Sauckel in seinem Arbeitsstab eigene Beauftragte, die jeweils die direkte Kommunikation zu den Hauptabteilungen III und V sowie zu der für Verwaltungs- und Personalangelegenheiten verantwortlichen Hauptabteilung I übernehmen sollten.30 Neben diesen Verbindungsmännern im Stab des GBA spielten zudem verschiedene Hauptabteilungs- und Abteilungsleiter der Hauptabteilungen  III und  V eine wichtige Koordinierungsfunktion für die Abstimmung von Aufgaben und das Zusammenwirken von GBA -Stab und Ministerium. Beispielsweise handelte es sich dabei um Dr. Max Timm, der unter Sauckel zum Leiter der Hauptabteilung  VI (Europaamt für den Arbeitseinsatz) aufstieg, oder die Ministerialräte Dr. Hubert Hildebrandt sowie Dr. Walter Letsch, die beiden Abteilungsdirigenten für den Arbeitseinsatz in West- bzw. Osteuropa. Von der Zusammenarbeit konnten sowohl der GBA -Stab als auch die Hauptabteilungen des Reichsarbeitsministeriums profitieren. Die Stabsmitarbeiter brachten ihre vielschichtigen Beziehungsnetzwerke ein und nutzten diese, um die arbeitspolitischen Ziele des GBA , die ja auch die Ziele des Reichsarbeitsministeriums waren, durchzusetzen. In Kombination mit der fachlichen Expertise der Mitarbeiter des Ministeriums entstanden komplexe Synergieeffekte. Sauckel hatte für das Amt des GBA damit einen effizient arbeitenden, sich gegenseitig ergänzenden Apparat geschaffen, der seine Wirkmächtigkeit gerade durch seine spezifische Konstellation erlangte – das Zusammenwirken von traditioneller Verwaltung und personalisierter, netzwerkbasierter 29 Die Beziehungsnetzwerke um Sauckel als Gauleiter und GBA werden in meiner Dissertation im Fokus stehen. Dabei soll mithilfe netzwerkanalytischer Ansätze das engere persönliche Umfeld Sauckels sowie sein Mitarbeiterstab untersucht werden, um herauszufinden, wie Sauckel das nötige Durchsetzungsvermögen für das Amt des GBA erlangte. Die Untersuchung wird dabei weniger die Akteure mit ihren Eigenschaften, als vielmehr die Beziehungen zwischen ihnen in den Mittelpunkt stellen. 30 Vgl. Mitteilungen des Beauftragten für den Vierjahresplan – Der GBA (1942), Nr.1, S.11f.

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Walter Letsch (geb. 26.1.1895 in Schweidnitz) studierte nach seinem Abitur und dem Dienst als Kriegsfreiwilliger und Leutnant der Reserve (1914-1919) ab 1919 in Breslau Rechts- und Staatswissenschaften sowie Volkswirtschaft. 1922 folgte seine Promotion (Dr. rer. pol.). Seit 1928 war Letsch für die Arbeitsverwaltung tätig, zunächst als Vorsitzender und Direktor beim Arbeitsamt Waldenburg (Schlesien), dann als Referent beim Landesarbeitsamt Schlesien. 1933 wurde er in das Beamtenverhältnis berufen und 1936 zum Oberregierungsrat befördert. In diesem Jahr wechselte er auch zur Hauptstelle der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenhilfe und wurde 1939 nach deren Integration als Hauptabteilung V in das Reichsarbeitsministerium von diesem übernommen. Durch diese Tätigkeit war Letsch seit März 1942 im Auftrag des GBA tätig. Mit dem Umbau der Abteilung V a zur Hauptabteilung VI 1943 übernahm Letsch, inzwischen zum Ministerialrat befördert, den Posten des Abteilungsdirigenten der Abteilung VI a und war damit für den Arbeitseinsatz in Osteuropa und in der gewerblichen Wirtschaft zuständig. Seit 1933 war Letsch Mitglied der NSDAP und der SA . Nach dem Krieg wurde er von den Alliierten verhaftet und als Zeuge bei den Nürnberger Prozessen vernommen. Quellen und Literatur: Personalakte Walter Letsch, Bundesarchiv R 3901/106064; Handbuch für die Dienststellen des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz und die interessierten Reichsstellen im Großdeutschen Reich und in den besetzten Gebieten, Bd. 1: Vollmachten, Verlautbarungen, Verordnungen, Organisation des GBA , bearb. v. Friedrich Didier, Berlin 1944, S. 271 f.

Politikführung, die in Form des Arbeitsstabs einen institutionalisierten Rahmen erhielt.31 Sauckel selbst führte für das Ministerium die Kommunikation auf höchster Ebene und verfügte damit de facto über ministerähnliche Verantwortlichkeiten. Ergaben sich im täglichen Verwaltungsablauf der beiden Hauptabteilungen des Ministeriums Komplikationen in der Zusammenarbeit mit anderen Dienststellen, wandte sich Sauckel an die obersten Entscheidungsträger, um Beschlüsse im Sinne des GBA und damit auch des Reichsarbeitsministeriums herbeizuführen. So schrieb er zum Beispiel im März 1943 an den Reichsführer SS Heinrich Himmler, um die Unterstützung der

31 Vgl. auch die Forschungen zu den Sonderbeauftragten, die von Sven Reichardt und Wolfgang Seibel als »Schnittstellenmanager« beschrieben werden; vgl. dies. (Anm.19), S.13; Rüdiger Hachtmann/Winfried Süß (Hg.): Hitlers Kommissare. Sondergewalten in der nationalsozialistischen Diktatur, Göttingen 2006.

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diesem unterstellten SS - und Polizeikräfte bei den Arbeitskräfterekrutierungen in den besetzten sowjetischen Gebieten zu erwirken.32

Das Europaamt für den Arbeitseinsatz Für den Reichsarbeitsminister Franz Seldte zog die Ernennung Sauckels zum GBA einen herben Machtverlust im eigenen Haus nach sich. Seldte verlor im März 1942 die Weisungsbefugnis über die zentralen Kompetenzbereiche seines Ministeriums im Bereich der Arbeits- und Lohnpolitik. In der folgenden Zeit wurde sein Einfluss noch weiter zurückgedrängt. Gegen Ende des Jahres 1942 plante der GBA eine erste organisatorische Umstrukturierung der für den Arbeitseinsatz zuständigen Hauptabteilung  V. Der Plan sah vor, aus Teilen dieser Hauptabteilung das Europaamt für den Arbeitseinsatz als neue Hauptabteilung  VI des Reichsarbeitsministeriums zu bilden. Seldte war jedoch nicht kritiklos bereit, die Vorschläge Sauckels zur organisatorischen und personellen Umstrukturierung der Hauptabteilungen umzusetzen, obwohl er im März 1942 seine Unterstützung bei jeglichen Wünschen des GBA zugesichert hatte. An den organisatorischen Details dieses Vorgangs entzündete sich zwischen Seldte und Sauckel im Dezember 1942 eine Auseinandersetzung, in der letztlich Sauckel eigenmächtig sein Vorhaben durchsetzte.33 Die Abwehrhaltung des Reichsarbeitsministers in dieser Sache führte dazu, dass in der Folge die Vollmachten des GBA weiter ausgebaut wurden: Am 4.  März 1943 regelte ein Durchführungserlass Hitlers, dass der GBA nun auch die Hoheit über personalpolitische Entscheidungen der ihm zur Verfügung gestellten Hauptabteilungen des Reichsarbeitsministeriums innehaben sollte und in den nachgeordneten Behörden selbstständig organisatorische Maßnahmen ergreifen durfte. Er erhielt damit Zugriff auf die hierfür zuständigen Teile der Hauptabteilung I.34 Diese neuerliche Machteinschränkung des Reichsarbeitsministers bezüglich der Personal- und Verwaltungsangelegenheiten in seinem eigenen Ministerium war eine bittere Niederlage, denn sie betraf die grundlegendsten Entscheidungsbefugnisse seines Ministerpostens. Sauckel 32 Vgl. Fritz Sauckel an Heinrich Himmler, betr. Zusammenarbeit mit den SS Dienststellen, März 1943, Institut für Zeitgeschichte (IfZ), RFSS , MA 464, Folder 244. 33 Vgl. zu der Auseinandersetzung BA rch R3901/20029, insbesondere Bl.99106. 34 Vgl. Handbuch des GBA (Anm.4), S.24.

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konnte in den Hauptabteilungen  III und V sowie der neugegründeten Hauptabteilung  VI nun nach eigenem Ermessen personelle und organisatorische Veränderungen vornehmen, ohne zuvor Seldtes Einwilligung einholen zu müssen. Die im Frühjahr 1943 vollzogene organisatorische Umstrukturierung der Hauptabteilung V und die Bildung der Hauptabteilung  VI (Europaamt für den Arbeitseinsatz) unter Leitung des Ministerialdirigenten Max Timm weist auf die zunehmende kriegswirtschaftliche Bedeutung des Arbeitseinsatzes ausländischer Arbeitskräfte in Deutschland hin.35 Entsprechend wies das Europaamt neben der Ordnung nach Wirtschafts- und Betriebszweigen eine Gliederung nach geografischen Gesichtspunkten auf. So erhielten einzelne Abteilungen die Zuständigkeit für den Arbeitseinsatz in bestimmten Regionen des nationalsozialistischen Herrschaftsbereichs oder auch im Bereich verbündeter oder neutraler Staaten, wobei diese Aufteilung innerhalb der Referate noch spezifiziert wurde. Beispielsweise war die Abteilung VI a unter Ministerialrat Dr. Letsch für den Arbeitseinsatz in Osteuropa, also in den besetzten sowjetischen Gebieten, dem Generalgouvernement und dem Protektorat Böhmen und Mähren zuständig. Die Abteilung VI b unter Ministerialrat Dr. Hildebrandt bearbeitete den Bereich Westeuropa und war damit dem Geschäftsverteilungsplan zufolge für die Niederlande, Belgien, Frankreich, Spanien und Portugal verantwortlich. Insgesamt lief innerhalb des neu gebildeten Europaamtes die zentrale Planung und Verwaltungsarbeit des Ministeriums für den Arbeitseinsatz im gesamten nationalsozialistisch besetzten Europa zusammen. Zu den Tätigkeitsbereichen der Hauptabteilung gehörten beispielsweise die Planung sogenannter Rationalisierungs- und Leistungssteigerungsmaßnahmen, statistische Aufgaben sowie die Durchführung der Rekrutierung ausländischer Arbeitskräfte. Die hier tätigen Beamten begleiteten den GBA auch als Experten ihres jeweiligen Fachgebiets auf dessen Reisen nach Frankreich oder in die Ukraine, um dort an Verhandlungen und Gesprächen teilzunehmen.36

35 Vgl. Geschäftsverteilungsplan der Hauptabteilung  VI des Reichsarbeitsministeriums vom 1.3.1943, BA rch R3901/20039, Bl.20, 38-48. Bei der neu gebildeten Hauptabteilung  VI handelte es sich vorrangig um die zuvor in die Hauptabteilung  V integrierte Abteilung  Va. Vgl. hierzu auch Naasner (Anm.8), S.48f.; Handbuch des GBA (Anm.4), S.271-276. 36 Vgl. beispielsweise den Bericht des Gauleiters Sauckel über seine Reise in die Sowjet-Ukraine in seiner Eigenschaft als GBA vom 26.-31.5.42, BA rch R3901/20029, Bl.25-30.

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Die deutsche Arbeitskräftepolitik in der besetzten Ukraine Der Erfolg des GBA wurde innerhalb des NS -Regimes hauptsächlich darüber definiert, ob es ihm gelang, die von der deutschen Kriegswirtschaft über die Zentrale Planung angeforderten Arbeitskräfte und insbesondere Facharbeiter und Facharbeiterinnen zur Verfügung zu stellen.37 Zum einen war der GBA für die Mobilisierung deutscher Arbeitskräfte verantwortlich, zum anderen gewann gerade auch die Rekrutierung ausländischer Arbeitskräfte stetig an Bedeutung, sie wurde praktisch zum Tätigkeitsschwerpunkt des GBA . Die besetzte Ukraine, die 1942 zum Hauptrekrutierungsgebiet für Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen in ganz Europa wurde, entwickelte für den GBA daher eine besondere Relevanz. Darüber hinaus spielte sie als die größte und wirtschaftlich bedeutsamste besetzte Sowjetrepublik in den Planungen der Nationalsozialisten eine besondere Rolle und soll daher im Folgenden im Fokus stehen.38 Innerhalb der besetzten Ukraine richteten die Deutschen eine zivile und eine militärische Verwaltungszone ein. Durch die zwei parallel bestehenden Verwaltungsformen lassen sich hier die Spezifika der Politik von Reichsarbeitsministerium und GBA unter Militär- und Zivilverwaltung erkennen. Beide Bereiche sollten hinsichtlich der Arbeitspolitik nicht getrennt voneinander betrachtet werden, da hier inhaltlich und personell enge Verbindungen bestanden, die sich insbesondere über den GBA -Beauftragten und die Zuständigkeitsverteilung im Reichsarbeitsministerium manifestierten.39 Die Arbeitskräfterekru37 Zu den komplexen Beziehungen zwischen dem GBA , Reichsminister Speer und der Zentralen Planung, in der die Gesamtkontingente aufgestellt wurden, vgl. beispielsweise Adam Tooze: Ökonomie der Zerstörung. Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus, aus dem Engl. von Yvonne Badal, München 2007, S.642-651; Eichholtz: Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft (Anm.14), S.79-83; Homze (Anm.24), S.92-94, 121. 38 Vgl. Tanja Penter: Arbeiten für den Feind in der Heimat. Der Arbeitseinsatz in der besetzten Ukraine 1941-1944, in: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte (2004), H.1, S.65-94, hier S.65f.; Herwig Baum: »Für die Stadt Kiew wird eine ›Fangaktion‹ vorbereitet...«. Akteure und Praxis der Zwangsarbeiterrekrutierungen in der Ukraine während des Zweiten Weltkriegs, in: Karsten Linne (Hg.): Arbeitskräfte als Kriegsbeute. Der Fall Ost- und Südosteuropa 1939-1945, Berlin 2011, S.270-302, hier S.273, 298. 39 Vgl. Maryna Dubyk: Arbeitseinsatz und Lebensbedingungen im Reichskommissariat Ukraine und im ukrainischen Gebiet unter Militärverwaltung (19411944), in: Dieter Pohl/Tanja Sebta (Hg.): Zwangsarbeit in Hitlers Europa: Besatzung, Arbeit, Folgen, Berlin 2013, S.195-213, hier S.197f.

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tierungen in der besetzten Ukraine begannen schon vor der Ernennung des GBA . Bereits im Dezember 1941 etablierte das Reichsarbeitsministerium bzw. die Geschäftsgruppe Arbeitseinsatz hier die organisatorischen Strukturen, auf die der GBA ab März 1942 zurückgreifen konnte. Er schuf also keinen neuen Verwaltungsaufbau, vielmehr ist hier ein hohes Maß an organisatorischer und personeller Kontinuität zu erkennen. Mit zunehmender Dauer des Krieges und den daraus resultierenden Erfordernissen der deutschen Kriegswirtschaft wurde die Durchführung der Arbeitskräfterekrutierungen in der besetzten Ukraine zusehends radikaler, und auf lokaler Ebene entstand eine Sphäre der Gewalt, die den Alltag der einheimischen Bevölkerung grundlegend prägte. Dieses Gewaltpotenzial der deutschen Besatzungsherrschaft wird in der Ukraine ganz besonders deutlich. Am 22.  Juni 1941 begann der deutsche Angriff auf die Sowjetunion. Der anfangs schnelle Vorstoß der deutschen Wehrmacht führte dazu, dass schon im November 1941 fast die gesamten ukrainischen Gebiete unter deutscher Besatzung standen – darunter auch Kiew, die Hauptstadt des Landes. Die zunächst zuständige deutsche Militärverwaltung übergab das besetzte Gebiet schrittweise in die Hände der Zivilverwaltung. In den Gebieten der West- und Zentralukraine wurde am 1.  September 1941 das zivil verwaltete Reichskommissariat Ukraine unter Reichskommissar Erich Koch gebildet, das in den folgenden Monaten parallel mit dem Vorstoß der deutschen Armee schrittweise gen Osten erweitert wurde. Die größte territoriale Ausdehnung hatte es im September 1942, bevor 1943 der endgültige Rückzug der Deutschen begann. Das im Osten an das Reichskommissariat Ukraine anschließende rückwärtige Heeresgebiet blieb dauerhaft unter deutscher Militärverwaltung.40 Die Entwicklung der Arbeitspolitik und der Verlauf der Arbeitskräfterekrutierungen in der Ukraine standen in enger Beziehung zu verschiedenen anderen besatzungspolitischen Teilbereichen und soll-

40 Zur Besetzung der ukrainischen Gebiete und zum Aufbau der Zivilverwaltung vgl. Karel Berkhoff: Harvest of Despair. Life and Death in Ukraine under Nazi Rule, Cambridge 2004, S.11-13, 36f. Vgl. auch Zweiter Erlaß des Führers über die Einführung der Zivilverwaltung in den neu besetzten Ostgebieten, 20.8.1941, IfZ, Beweisdokumente der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse, NG -953. Die Schreibweise der ukrainischen Ortsnamen orientiert sich an der unter NS -Besatzung geläufigen deutschen Schreibweise, da sich diese auch in den verwendeten Quellen wiederfindet.

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ten daher nicht isoliert von diesen betrachtet werden.41 So bestanden beispielsweise Wechselwirkungen mit der deutschen Wirtschaftspolitik, der Ernährungspolitik, den Aktionen gegen die Partisanen oder insgesamt mit der militärischen Lage. Die wirtschaftliche Ausbeutung der landwirtschaftlich fruchtbaren Regionen sowie der Industriestädte und Bergbaugebiete nahm innerhalb der Politik der deutschen Besatzer in der Ukraine von Beginn an eine zentrale Stellung ein.42 Die Ernährung der deutschen Truppen aus dem Land und darüber hinaus der Abtransport von Rohstoffen und Nahrungsmitteln in das Reichsgebiet führten vor Ort zu einer Nahrungsmittelknappheit. Die Besatzer betrieben eine aktive »Hungerpolitik« zu Lasten der einheimischen Bevölkerung, die sich anfangs insbesondere gegen die Stadtbewohner, später gegen alle nicht Arbeitenden richtete. Im Winter 1941/42 starben tausende Menschen infolge der von den Deutschen forcierten katastrophalen Ernährungslage, darunter insbesondere die Stadtbevölkerung, allein in Charkow mindestens 12000 Menschen. Der Tod dieser Menschen wurde von den Besatzern in ihren Planungen bewusst einkalkuliert.43 Ein weiterer wesentlicher Bestandteil der von den deutschen Besatzern verfolgten Wirtschaftspolitik war die Ausbeutung der Arbeitskraft der Bevölkerung, die mit dem Kriegsverlauf noch an Bedeu41 Zur deutschen Arbeitsverwaltung in der besetzten Ukraine vgl. insbesondere Markus Eikel: Arbeitseinsatz in der besetzten Sowjetunion 1941-1944. Das Reichskommissariat Ukraine als Fallbeispiel, in: Babette Quinkert/Jörg Morré (Hg.): Deutsche Besatzung in der Sowjetunion 1941-1944. Vernichtungskrieg – Reaktionen – Erinnerung, Paderborn 2014, S.175-195; Markus Eikel: »Weil die Menschen fehlen«. Die deutschen Zwangsarbeiterrekrutierungen und -deportationen in den besetzten Gebieten der Ukraine 1941-1944, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 53 (2005), H.5, S.405-433; Tanja Penter: Kohle für Stalin und Hitler. Arbeiten und Leben im Donbass 19291953, Essen 2010, S.197-230; Baum (Anm.38); Berkhoff (Anm.40), S.253274. Eine umfassende Darstellung der deutschen Arbeitskräftepolitik in der besetzten Ukraine unter besonderer Berücksichtigung der Tätigkeit des GBA und seiner Beauftragten sowie der Werbekommissionen wird Teil meiner Dissertation sein. 42 Vgl. hierzu allgemein Kim Christian Priemel: Occupying Ukraine. Great Expectations, Failed Opportunities, and the Spoil of War, 1941-1943, in: Central European History 48 (2015), Nr.1, S.31-52; sowie zum Donbass Penter: Kohle für Stalin und Hitler (Anm.41). 43 Vgl. zur »Hungerpolitik« der Besatzer allgemein Dieter Pohl: Die Herrschaft der Wehrmacht. Deutsche Militärbesatzung und einheimische Bevölkerung in der Sowjetunion 1941-1944, S.63-66, 183-200; Penter: Kohle für Stalin und Hitler (Anm.41), S.185-195.

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tung gewann. Die deutschen Beamten der Arbeitsverwaltung zogen unmittelbar nach der Eroberung in das besetzte ukrainische Gebiet ein und begannen damit, ihre Organisationsstrukturen zu etablieren, also Arbeitsämter, zunächst Arbeitsbehörden genannt, zu errichten. Die Arbeitsämter zählten damit zu den ersten deutschen Dienststellen vor Ort. Während der gesamten deutschen Besatzungszeit, also bis zum Rückzug 1943/44, nutzten die Besatzer die Arbeitskraft der ukrainischen Bevölkerung für ihre Zwecke aus. Dabei stand zunächst der Einsatz der einheimischen Bevölkerung vor Ort im Vordergrund: Sie wurde bei der Versorgung der Truppe, der Wiederherstellung der Verkehrswege, dem Aufräumen der Ortschaften, dem Wiederaufbau der kriegswichtigen und überlebensnotwendigen Industrie sowie bei landwirtschaftlichen Arbeiten beschäftigt.44 Die neu errichteten Arbeitsämter waren dabei für die Vermittlung der Arbeitskräfte vor Ort zuständig. Die Deutschen wandten im Bereich der Arbeitsverwaltung von Anfang an Zwangsmaßnahmen an und beschränkten die persönlichen Entscheidungsspielräume der Menschen. So führten sie beispielsweise schon 1941 im zivil verwalteten Gebiet die Arbeitspflicht für die einheimische Bevölkerung ein.45 Grundlegende Voraussetzung für die Tätigkeit der deutschen Arbeitsverwaltung und später auch für die Arbeit der Reichswerbekommissionen war zunächst die Registrierung der Bevölkerung, mit der die neu gebildete Arbeitsverwaltung schon 1941 begann. Sie war auch Bedingung für die Durchsetzung der Arbeitspflicht. Mit der Registrierung der Bevölkerung zielte die Arbeitsverwaltung darauf ab, die Arbeitslosen zu erfassen und gleichzeitig eine Übersicht über die Altersstruktur der Bevölkerung, ihre ethnische Zugehörigkeit, das Geschlechterverhältnis sowie die erlernten Berufe zu erlangen. Mit diesem Wissen konnten die Besatzer dann über die Arbeitskraft der Menschen verfügen, denen selber jede Entscheidungsfreiheit über ihr Beschäftigungsverhältnis abgesprochen wurde. Da 44 Vgl. Wirtschaftsführungsstab Ost: Richtlinien für die Führung der Wirtschaft (Grüne Mappe). Teil 1: Aufgaben und Organisation der Wirtschaft, Juli 1941, BA rch R26 VI /33a, insbesondere S.16-18. 45 Vgl. Amtliche Mitteilungen Nr.3. Erste Anordnung zur Durchführung, 1.11.1941, Zentrales Staatsarchiv der obersten Staatsorgane und Verwaltungen der Ukraine (CDAVO ), 3206-2-193, Bl.8f.; Verordnung des Reichsministeriums für die besetzten Ostgebiete über die Einführung der Arbeitspflicht in den besetzten Ostgebieten, 19.12.1941, in: Verordnungsblatt des Reichskommissars für die Ukraine, 1942. Vgl. die Diskussion um die Datierung der Einführung der Arbeitspflicht bei Eikel: Arbeitseinsatz (Anm.41), S.188.

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der gesamte Registrierungsprozess sehr schleppend verlief, weil die Bevölkerung vielerorts den Aufrufen nicht nachkam, führten die Besatzer in verschiedenen Bezirken eine weitere Zwangsmaßnahme ein: Sie koppelten die Ausgabe der Lebensmittelkarten an die Meldung bei einer Arbeitsbehörde.46 Anstelle von Pässen wurden Arbeitskarten oder Arbeitsausweise eingeführt, auf deren Rückseite die Ausgabe der Lebensmittelkarten markiert werden konnte.47 Neben den Arbeitsämtern schufen die Deutschen innerhalb der Besatzungsverwaltung eine mehrstufige Organisation der Arbeitsverwaltung, deren Akteure sich in den unter Militär- bzw. Zivilverwaltung stehenden Gebieten voneinander unterschieden (siehe Abb.S.407). Für die wirtschaftliche Ausbeutung der unter Militärverwaltung stehenden Ostukraine war grundsätzlich der Wirtschaftsstab Ost zuständig. Dieser war organisatorisch das Exekutivorgan des Wirtschaftsführungsstabs Ost, der von dem Beauftragten für den Vierjahresplan vor Beginn des Kriegs gegen die Sowjetunion aufgestellt worden war. Dem Wirtschaftsstab Ost waren wiederum die Wirtschaftsinspektionen und diesen die Wirtschaftskommandos nachgeordnet; im Bereich der Ukraine war vorrangig die Wirtschaftsinspektion Süd tätig.48 Sowohl im Wirtschaftsstab Ost als auch in den Wirtschaftsinspektionen und -kommandos wurde jeweils eine eigene Chefgruppe bzw. Gruppe für Arbeit eingerichtet, die für alle arbeitspolitischen Fragen in den ihr unterstehenden Gebieten zuständig war. Den Gruppen für Arbeit der Wirtschaftskommandos waren auch die Arbeitsämter beigeordnet. 46 Vgl. beispielsweise Generalkommissar Kiew an Beauftragter für die Stadt Kiew, betr. Arbeitsbuch, 9.1.1942, CDAVO , 3206-2-185, Bl.1; Einführung einer Arbeitskarte im GK Kiew, 13.2.1942, USHMM , RG -31.059M, Reel 55. Die Koppelung der Ausgabe von Lebensmittelkarten an die Meldung bei Arbeitsbehörden wurde auch später noch angewandt; vgl. beispielsweise Tätigkeit der Arbeitsbehörde Charkow für die Zeit vom 16.9.-15.10.1942, Staatsarchiv der Oblast Charkiw (DAC hO), 3080-1-37, Bl.20-23. 47 Vgl. die Sammlung von Arbeitsausweisen aus 1943, DAC hO, 3200-1-1. 48 Vgl. Göring, Schreiben betr. Schaffung des Wirtschaftsführungsstabes und des Wirtschaftsstab Ost, 30.7.1941, BA rch R6/291, Bl.29f. Die Wirtschaftsinspektion Süd wurde im Verlauf des militärischen Vorstoßes mehrfach aufgespalten und dabei umbenannt: In die Wirtschaftsinspektionen  A und  B sowie Don-Donez und Kaukasus. Zum Aufbau der Wirtschaftsverwaltung in den unter Militärverwaltung stehenden Gebieten vgl. Rolf-Dieter Müller (Hg.): Die deutsche Wirtschaftspolitik in den besetzten sowjetischen Gebieten 1941-1943. Der Abschlussbericht des Wirtschaftsstabes Ost und Aufzeichnungen eines Angehörigen des Wirtschaftskommandos Kiew, Boppard am Rhein 1991.

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Innerhalb der zivil verwalteten Gebiete des Reichskommissariats Ukraine war die Besatzungsverwaltung anders strukturiert. Das Reichskommissariat Ukraine, das dem Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete unter Alfred Rosenberg unterstand, wurde in Generalbezirke und Kreisgebiete aufgeteilt.49 Hier wurden jeweils eigene Dienststellen unter der Leitung von General- bzw. Gebietskommissaren gebildet. Sowohl im Ostministerium als auch im Reichskommissariat Ukraine und bei den General- und Gebietskommissaren wurden wiederum eigens für den Bereich der Arbeitspolitik zuständige Hauptabteilungen und Abteilungen eingerichtet. Im Bereich der Gebietskommissare waren die Arbeitsämter angesiedelt, die bei Übergabe der Gebiete von der Militär- an die Zivilverwaltung übernommen wurden. Die Dienststellen der Gebietskommissare bzw. der Wirtschaftskommandos stellten die unterste Ebene der deutschen Besatzungsverwaltung dar. Ergänzend bauten die Deutschen noch eine einheimische Verwaltung auf, die jedoch keine eigenen Entscheidungsbefugnisse besaß, sondern strikt an die Vorgaben und Richtlinien der Besatzer gebunden war. Diese Lokalverwaltungen, geleitet von Rayonvorstehern, Bürgermeistern und Dorfältesten, waren für die Besatzer von entscheidender Bedeutung, denn ohne das Wissen und die Kenntnisse der hier beschäftigten einheimischen Mitarbeiter wäre eine Verwaltung der weitläufigen ukrainischen Gebiete organisatorisch nicht möglich gewesen. Ein Problem für die Deutschen bestand insbesondere in der Sprachbarriere, aber auch in den mangelnden Kenntnissen über die einheimische Bevölkerung und ihre Lebensgewohnheiten. Außerdem waren sie personell auf die Mitarbeit der Bevölkerung angewiesen, da für die Verwaltung des ukrainischen Gebiets nicht ausreichend deutsches Personal zur Verfügung stand. So waren selbst die Arbeitsämter zum Großteil mit einheimischen Kräften besetzt, Deutsche übernahmen lediglich die Führungspositionen.50 49 Zum Reichskommissariat Ukraine vgl. Berkhoff (Anm.40); zum Aufbau der Arbeitsverwaltung in der Besatzungsverwaltung auch Eikel: Die deutschen Zwangsarbeiterrekrutierungen (Anm.41), S.406. 50 Zu den Motiven für die Mitarbeit der einheimischen Verwaltung vgl. Markus Eikel: Arbeitsteilung und Verbrechen. Die ukrainische Lokalverwaltung unter deutscher Besatzung 1941-1944, in: Timm C. Richter (Hg.): Krieg und Verbrechen. Situation und Intention. Fallbeispiele, München 2006, S.135146, hier S.143-145; Markus Eikel: Valentina Sivaieva: City Mayors, Raion Chiefs and Village Elders in Ukraine 1941-44: How Local Administrators Co-operated with the German Occupation Authorities, in: Contemporary European History 23 (2014), Nr.3, S.405-428, hier S.424-426. Vgl. allgemein

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Die in der Besatzungsverwaltung etablierten Organisationsstrukturen der Arbeitsverwaltung standen in keiner direkten Verbindung zum deutschen Arbeitsressort. Es war vorgesehen, dass die Fachministerien im Bereich der Zivil- und Militärverwaltung keine unmittelbaren Weisungsbefugnisse besitzen sollten. Eine Sonderstellung nahm das Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete als eine Art Territorialministerium ein, das die oberste Instanz der Zivilverwaltung darstellte.51 Über das Ostministerium sollten alle Eingaben der Reichsstellen an den Reichskommissar Ukraine und von dort an die General- und Gebietskommissare geleitet werden. Im Bereich der Militärverwaltung lief der offizielle Kommunikationsweg von den Reichsressorts über den Wirtschaftsführungsstab Ost an den Wirtschaftsstab Ost und von dort an die Wirtschaftsinspektionen, die wiederum die Wirtschaftskommandos informierten. Dieser offizielle Weisungsweg galt auch für Eingaben des Reichsarbeitsministeriums bzw. ab März 1942 für den GBA . Doch fanden sich in der Praxis durchaus Möglichkeiten, diese offizielle Weisungskette zu umgehen, indem sich beispielsweise Abteilungsdirigent Letsch von der Hauptabteilung VI des Reichsarbeitsministeriums oder auch Sauckel persönlich direkt an die nachgeordneten Behörden in der Besatzungsverwaltung der Ukraine wandten und deren übergeordnete Dienststellen nicht oder nur kenntnishalber informierte, was mehrmals zu Beschwerden durch Reichsminister Rosenberg führte, der sein Ministerium übergangen sah.52 Bei der Umgehung des offiziellen Dienstwegs spielten die Leiter der Abteilungen und Gruppen für Arbeit in der Besatzungsverwaltung eine wichtige Rolle, die sich aus dem Personal der reichsdeutschen Arbeitsverwaltung rekrutierten  – und zwar sowohl aus der Berliner Zentrale, also dem Reichsarbeitsministerium, als auch aus den nachgeordneten Behörden. Durch die enge inhaltliche Zusammenarbeit zwischen der Berliner Behörde und diesem Personal konnte der offizielle Kommunikationsweg zum Teil zur einheimischen Verwaltung Wendy Lower: Nazi Empire-Building and the Holocaust in Ukraine, Chapel Hill, NC u.a. 2005, S.50f. 51 Vgl. Wuttke: Der deutsche Verwaltungsaufbau in der Ukraine, in: Deutsche Verwaltung. Organ der Verwaltungsrechtswahrer des NS .-Rechtswahrerbundes, 10.6.1942, Sammlung der Bundesagentur für Arbeit zur Entwicklung der Arbeitsverwaltung in Deutschland (SEAD -BA ), Historische Sammlung Maier, Ordner 164; vgl. auch Andreas Zellhuber: »Unsere Verwaltung treibt einer Katastrophe zu  …«. Das Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete und die deutsche Besatzungsherrschaft in der Sowjetunion 1941-1945, München 2006, S.8, 105f., 264f. 52 Ernsthafte Auseinandersetzungen folgten jedoch nicht. Vgl. ebd., S.294.

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Reichsarbeitsministerium Wirtschaftsführungsstab Ost

Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete

Wirtschaftsstab Ost

Reichskommissariat Ukraine

Wirtschaftsinspektion Süd

Generalkommissare

Wirtschaftskommandos

Arbeitsämter

Gebietskommissare

einheimische Verwaltung

Organisations- und Kommunikationsstruktur der Besatzungsverwaltung im militärisch und zivil verwalteten Gebiet der besetzten Ukraine, Herbst 1941

problemlos abgekürzt werden. So beispielsweise über den Leiter der Chefgruppe Arbeit des Wirtschaftsstabs Ost, Kriegsverwaltungschef Günther Rachner, der als Ministerialdirigent des Reichsarbeitsministeriums zum Wirtschaftsstab Ost abgeordnet worden war.53

Die Arbeitskräfterekrutierungen für das Reich Der im Herbst 1941 gefasste Beschluss des NS -Regimes, sowjetische Zivilarbeitskräfte und Kriegsgefangene in großem Maßstab im Reichsgebiet einzusetzen, veränderte die Situation in den ukrainischen Gebieten in den folgenden Monaten grundlegend. Nun mussten die Dienststellen in der Ukraine zahlreiche Arbeitskräfte, die zuvor vor Ort eingesetzt gewesen waren, für die Arbeit im Reichsgebiet zur Verfügung stellen. Schnell wurde der Mangel in Bezug auf Facharbeiter 53 Vgl. beispielsweise Günther Rachner, Wirtschaftsstab Ost, an Friedrich Syrup, Reichsarbeitsministerium, betr. Berichterstattung der Gruppe Arbeit beim Wirtschaftsstab Ost, 22.9.1941, IfZ, Reichsarbeitsministerium, MA 219, Bl.321-346. Vgl. hierzu auch Zellhuber (Anm.51), S.123.

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und Facharbeiterinnen offensichtlich, und spätestens im Sommer 1942 entwickelte sich ein Zielkonflikt zwischen dem Bedarf der Dienststellen vor Ort und den Arbeitskräfteanforderungen für das Reich.54 Bei der Frage nach dem Einsatzort der Arbeitskräfte spielten menschliche Erwägungen oder die Rücksichtnahme auf die von den Rekrutierungen betroffene Bevölkerung in den seltensten Fällen eine Rolle für das Vorgehen der deutschen Besatzer. Um die Rekrutierung von Arbeitskräften für Deutschland zu forcieren, bildete das Reichsarbeitsministerium Ende 1941 sogenannte Reichswerbekommissionen und entsandte sie in die besetzten sowjetischen Gebiete. Die Werbekommissionen waren die Kräfte, die faktisch für die Erfüllung der von Berlin aus angeforderten Kontingente verantwortlich waren. Die Kommissionen sollten in Zusammenarbeit mit den bereits für die Vermittlung vor Ort zuständigen Arbeitsbehörden tätig werden. Parallel zu den Rekrutierungen von zivilen Arbeitskräften, die auch als »Anwerbung« bezeichnet wurde, gehörte es zu den Aufgaben der Reichswerbekommissionen, die Kriegsgefangenenlager nach Facharbeitskräften zu durchsuchen, die für die Arbeit in Deutschland in Frage kamen.55 Eine im Reichsarbeitsministerium angefertigte Aufstellung belegt, dass im Dezember 1941 zehn Reichswerbekommissionen in das Gebiet des Reichskommissariats Ukraine entsandt wurden.56 Die Übersicht listete auf, wie sich diese Kommissionen zusammensetzten und welcher »Anwerbebezirk« ihnen zugewiesen wurde. Demnach bestand jede Kommission aus drei bis fünf Mitgliedern und wurde durch einen Offizier des Oberkommandos der Wehrmacht begleitet, der als Verbindungsoffizier zu den militärischen Dienststellen fungieren und die Zusammenarbeit gewährleisten sollte.57 Bei den übrigen Mitgliedern handelte es sich um Personal der Arbeitsämter und Landesarbeitsämter, also Mitarbeiter der reichsdeutschen Arbeitsverwaltung. Die verschiedenen Landesarbeitsämter im Reichsgebiet waren jeweils für die Zusammenstellung einer Kommission verantwortlich, wobei die 54 Vgl. Baum (Anm.38), S.297. 55 Vgl. Günther Rachner, Wirtschaftsstab Ost, an Wirtschaftsinspektionen, betr. Arbeitseinsatz sowjetrussischer Arbeitskräfte im Reich, 4.12.1941, USHMM , ITS Digital Archive, 2.2.0.1/82385355-360. 56 Vgl. dazu Ernst Meincke, Reichsarbeitsministerium: Arbeitseinsatz von Sowjetrussen, hier: Verteilung der Anwerbebezirke in den neuen Ostgebieten auf die Landesarbeitsämter im Reich, 10.12.1941, Staatsarchiv (StA) München, Arbeitsämter, Nr.762. 57 Vgl. hierzu auch Wirtschaftsstab Ost an Friedrich Syrup, Reichsarbeitsministerium, Halbmonatsbericht vom 1.-15.12.41, 15.1.1942, BA rch R3901/20137.

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Leitung ein »erfahrener Amtsmann« übernehmen sollte – hierfür wurden meist Regierungsräte oder Regierungs-Amtsmänner ausgewählt.58 Benannt wurden die Reichswerbekommissionen entweder nach ihrem Leiter oder nach dem das Personal stellenden Landesarbeitsamt. So bestand beispielsweise die Reichswerbekommission Graf Spreti aus dem Regierungsrat Graf von Spreti und dem Angestellten Hermann, beide abgeordnet aus dem Arbeitsamt Freising (Landesarbeitsamtsbezirk Bayern). Begleitet wurden die beiden Männer von Hauptmann Binder vom Oberkommando der Wehrmacht.59 Am 13.  Dezember 1941 machten sich die Mitglieder der zehn Reichswerbekommissionen, darunter auch die Kommission Graf Spreti, nach einer einführenden Besprechung im Reichsarbeitsministerium in Berlin auf den Weg in die ukrainischen Gebiete in die ihnen zugeteilten »Anwerbebezirke«. Schon Anfang Dezember 1941 wurde verfügt, dass die Arbeitsämter in der Ukraine die Ankunft der Reichswerbekommissionen vorbereiten und diese mit den nötigen örtlichen Kenntnissen über die Wirtschaftslage und den Arbeitskräfteeinsatz versorgen sollten.60 Organisatorisch waren die Reichswerbekommissionen den Gebietskommissaren bzw. den Wirtschaftskommandos angegliedert. Sie waren zwar vom Reichsarbeitsministerium bzw. der Geschäftsgruppe Arbeitseinsatz des Vierjahresplans entsandt und diesen fachlich unterstellt, sollten aber in die offiziellen Kommunikationsstrukturen in der besetzten Ukraine eingebunden werden. Das hieß beispielsweise für das zivil verwaltete Gebiet, dass die Eingaben und Anordnungen der Hauptabteilung V bzw. später des Europaamtes den vorgegebenen Dienstweg über das Ostministerium, das Reichskommissariat Ukraine, die Generalkommissare und die Gebietskommissare nehmen mussten, bevor sie von diesen an die Werbekommissionen weitergeleitet wurden. Bei der Bildung der Reichswerbekommissionen war zunächst vorgesehen, dass diese nach Erfüllung des Auftrags wieder in das Reichsgebiet zurückkehren sollten. Schnell stellte sich aber heraus, dass ihr Auftrag eine längere Tätigkeit in den besetzten ukrainischen Gebieten erforderte, da es nicht bei einer einmaligen Rekrutierungsaktion blieb. 58 Vgl. Günther Rachner, Wirtschaftsstab Ost, an Wirtschaftsinspektionen, betr. Arbeitseinsatz sowjetrussischer Arbeitskräfte im Reich, 4.12.1941, USHMM , ITS Digital Archive, 2.2.0.1/82385355-360. 59 Die Tätigkeit der Werbekommission Spreti bei den Arbeitskräfterekrutierungen in der besetzten Ukraine wird in meiner Dissertation ausführlich dargestellt werden. 60 Vgl. Wirtschaftsstab Ost an Friedrich Syrup, Reichsarbeitsministerium, Halbmonatsbericht vom 1.-15.12.41, 15.1.1942, BA rch R3901/20137.

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Ein wesentliches Merkmal der Kommissionen war ihre Mobilität, die angesichts der Weite der ukrainischen Gebiete und der Größe der ihnen zugeteilten »Anwerbebezirke« unbedingt gewährleistet werden musste. Nicht zuletzt deshalb sollten sie personell auf das Äußerste beschränkt bleiben und keinen eigenen großen Dienststellenapparat aufbauen. Das galt insbesondere für die in den ländlichen Gebieten eingesetzten Kommissionen, die im Gegensatz zu denen in den Städten an keinen festen Dienstort gebunden waren. Vielmehr reisten sie durch die ihnen zugeteilten »Anwerbebezirke« von Dorf zu Dorf, um jeweils lokal die Bewohner und Bewohnerinnen für die Arbeit in Deutschland zu mobilisieren. Hierfür stand eigens gedrucktes Werbematerial in Form von Plakaten und Broschüren zur Verfügung, das die Vorteile einer Beschäftigung im Reich vermitteln und die Menschen zu einer »freiwilligen« Meldung bewegen sollte: Die Arbeit im Reich wurde als Chance zur Ausbildung neuer Fertigkeiten dargestellt; gute Verdienstmöglichkeiten sowie die absehbare Rückkehr in die Heimat bildeten weitere Anreize. Zudem sollte die Überweisung eines Teils des Lohns in die Heimat ermöglicht werden, um die dort verbliebenen Angehörigen zu versorgen.61 Diese Methoden der »Lockung« schienen anfangs noch zu wirken; in verschiedenen Gebieten zeigten die Menschen Interesse an einer Arbeitsaufnahme in Deutschland. Hierbei spielte neben der Propaganda der Deutschen eine Reihe weiterer Faktoren eine Rolle.62 Beispielsweise war innerhalb der einheimischen Bevölkerung in den ersten Monaten der Besatzung vielerorts eine positive Einstellung gegenüber den Deutschen zu verzeichnen, die als Befreier vom repressiven, stalinistischen Regime begrüßt wurden. Man hoffte auf eine Verbesserung der Lebensverhältnisse in der Ukraine, und nationalistische Kreise, insbesondere die Mitglieder der Organisation Ukrainischer Nationalisten, hegten Hoffnungen auf die Chance zur Bildung eines ukrainischen Nationalstaates.63 Auch schien die im Januar 1942 beginnende »Anwer61 1942 wurde von den Besatzern auch eine monatliche Unterstützungszahlung für die Angehörigen der nach Deutschland deportierten Arbeitskräfte eingeführt, deren Auszahlung aber nicht überall reibungslos verlief. Vgl. beispielsweise die Unterstützungsanträge und Zahlbögen, DAC hO, 3067-1-30. 62 Vgl. zum Folgenden Berkhoff (Anm.40), S.255f.; Spoerer (Anm.10), S.71. 63 Zu den nationalistischen Bestrebungen vgl. beispielsweise Lower (Anm.50), S.38f., 46; Berkhoff (Anm.40), S.51. Einen kritischen Blick auf die Organisation Ukrainischer Nationalisten ermöglicht Grzegorz Rossoliński-Liebe: Stepan Bandera. The Life and Afterlife of a Ukrainian Nationalist. Facism, Genocide, and Cult, Stuttgart 2014.

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bung« für die Arbeitsaufnahme im Reichsgebiet insbesondere für die durch die »Hungerpolitik« der Besatzer stark betroffene Stadtbevölkerung einen möglichen Ausweg aus der hoffnungslosen Situation zu bieten. Aus diesem Grund meldeten sich in den von der »Hungerpolitik« besonders hart getroffenen Städten wie Charkow die Menschen in größerer Zahl für die Arbeit in Deutschland, fern der Heimat.64 Ob die anfänglichen Meldungen der Bevölkerung für die Arbeit in Deutschland als »freiwillig« zu bezeichnen sind, scheint äußerst fragwürdig. Die Bereitwilligkeit der von Hunger geplagten Stadtbevölkerung war nicht zuletzt eine Folge der von den Deutschen bewusst herbeigeführten katastrophalen Lebensumstände. Zudem täuschte die deutsche Propaganda die Menschen und machte Versprechungen, die meist nicht eingelöst wurden. Spätestens als die Menschen mit den real im Reichsgebiet vorgefundenen Lebens- und Arbeitsbedingungen konfrontiert waren, offenbarte sich ihnen die Diskrepanz zwischen der von den Deutschen vorgegaukelten Scheinwelt und der Realität.65 Isoliert von der übrigen Bevölkerung, untergebracht in von Stacheldraht umgebenen Lagern, wurden sie de facto wie sowjetische Kriegsgefangene behandelt.66 Durch den Briefverkehr mit den Angehörigen in der Heimat sowie durch die ersten Rückkehrer aus dem Reichsgebiet, bei denen es sich meist um kranke und nicht arbeitsfähige Personen handelte, wurden die Verhältnisse, unter denen die sowjetischen Arbeitskräfte im Reich zu leben und zu arbeiten hatten, schnell in der Ukraine bekannt, und die Bereitwilligkeit der Bevölkerung zur Meldung für die Arbeitsaufnahme in Deutschland schwand zusehends. Anstelle von Mitteln der »Lockung« setzten die Besatzer daher schon bald Methoden des Zwangs ein, um die benötigten Arbeitskräfte für das Reichsgebiet zu rekrutieren. Meldeten sich nicht ausreichend Personen »freiwillig« bei den Reichswerbekommissionen, wurden der einheimischen Verwaltung Kontingente auferlegt, die bis zu einem bestimmten Termin erfüllt werden mussten. Dieses Vorgehen fußte auf dem schon Anfang 1942 etablierten Umlageverfahren. Hierbei gab das Reichsarbeitsministerium bzw. der GBA die Gesamtanwerbequote an die zuständigen Stellen in der Besatzungsverwaltung weiter, die sie dann auf die verschiedenen Bezirke in der Ukraine verteilten. Jeder 64 Vgl. zu Charkow Penter: Kohle für Stalin und Hitler (Anm.41), S.188; Halbmonatsbericht des Wirtschaftsstabs Ost vom 15.-31.12.41, 26.1.1942, BA rch R3901/20137. 65 Vgl. Berkhoff (Anm.40), S.256-258. 66 Vgl. Herbert: Fremdarbeiter (Anm.12), S.168.

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Stadtbezirk bzw. jedes Dorf hatte ein genau festgelegtes Kontingent an Arbeitskräften zu stellen, wobei die von der Arbeitsverwaltung während der Erfassung der Bevölkerung gesammelten Erkenntnisse über die Bevölkerungsstruktur eine wichtige Rolle spielten.67 Die Rekrutierung der Arbeitskräfte in der Ukraine gestaltete sich aus Sicht der deutschen Dienststellen also zunehmend problematisch, während die Nachfrage nach Arbeitskräften aus der deutschen Kriegswirtschaft ständig stieg, insbesondere aus der Rüstungswirtschaft und im Frühjahr 1942 auch aus der Landwirtschaft. In diesem Kontext erhielten im März 1942, und zwar noch vor der Ernennung des GBA , die Transporte mit sowjetischen Arbeitskräften auf der Rangliste des Chefs des Transportwesens beim Oberkommando der Wehrmacht einen neuen Status: Sie wurden unmittelbar hinter die Truppentransporte eingereiht und erhielten damit Priorität vor den Wirtschaftstransporten, die beispielsweise Rohstoffe oder Getreide aus der Ukraine in das Reichsgebiet brachten.68 Dies unterstreicht die enorme Abhängigkeit der deutschen Kriegswirtschaft von ausländischen Arbeitskräften. Zugleich ordnete der Beauftragte für den Vierjahresplan schon Anfang März 1942 an, dass die Reichswerbekommissionen personell verstärkt werden sollten, um den steigenden Bedarf an Arbeitskräften zu befriedigen und mehr Arbeiter und Arbeiterinnen für die Transporte bereitzustellen. Die Arbeitskräfteanforderungen aus dem Reich sollten dabei vor dem örtlichen Bedarf in der Ukraine Vorrang haben.69

Die Arbeitspolitik des GBA in der besetzten Ukraine Am 21. März 1942 kam es mit der Ernennung des GBA im Bereich der Arbeitspolitik und damit auch im Bereich der Arbeitskräfterekrutierungen zu einer Verschiebung der Weisungsbefugnisse auf oberster Ebene. Bezüglich der Arbeitskräftepolitik in der Ukraine bestand noch im März eine der ersten Amtshandlungen des GBA darin, eine Erhöhung der »Anwerbequoten« anzuordnen: Die Reichswerbekom-

67 Zum Umlageverfahren vgl. beispielsweise Baum (Anm.38), S.289f. 68 Vgl. Dr. Philipp Beisiegel an Neumann, Vierjahresplanbehörde, betr. Einsatz von Sowjetrussen, 23.3.1942, SEAD -BA , Historische Sammlung Maier, Ordner 64. 69 Vgl. Alfred Meyer, Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete, an Reichskommissare, betr. Anwerbung ziviler Arbeitskräfte aus den besetzen Ostgebieten, 6.3.1942, StA München, Arbeitsämter, Nr.758.

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missionen sollten ihre »Anwerbezahlen« verdreifachen.70 Die Kommissionen unterstanden nun dem GBA , der das neue Unterstellungsverhältnis deutlich machte, indem er sie in »Anwerbekommissionen des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz« umbenannte. Auch führte er die schon Anfang März vom Beauftragten für den Vierjahresplan angekündigte Verstärkung der Kommissionen durch und verdoppelte sie personell. Weitere fachliche oder organisatorische Veränderungen nahm der GBA in dem nun ihm unterstellten Rekrutierungsapparat in der Ukraine nicht vor, die Verwaltungsstrukturen blieben im Wesentlichen unverändert bestehen. Durch die von Sauckel Ende März verkündete Erhöhung der Rekrutierungsquoten verstärkte sich der Druck erheblich. Die von ihm angeordneten Kontingente wurden über den offiziellen Dienstweg bis auf die lokale Ebene in der Ukraine weitergereicht – dabei machte jede Dienststelle die ihr untergebene Dienststelle für die Erfüllung der Quoten verantwortlich. Aus diesem Grund lastete letztlich auf den Mitgliedern der Werbekommissionen und der einheimischen Verwaltungen, die die untersten Glieder der Weisungskette darstellten, ein enormer Druck, der zur Eskalation der Situation maßgeblich beitrug. Schon unmittelbar nach seiner Ernennung zum GBA hatte Sauckel die Dienststellen in der Ukraine angewiesen, »alle Möglichkeiten restlos zu erschöpfen, um schnellmöglichst und in grösstmöglichstem Umfang zivile Arbeitskräfte aus den besetzten Ostgebieten dem Reiche zuzuführen«.71 Gleichzeitig wurde in der offiziellen Kommunikation immer wieder darauf verwiesen, dass die Rekrutierungen auf der »Grundlage der Freiwilligkeit« erfolgen sollten. »Wo aber die notwendigen freiwilligen Meldungen das Soll nicht erreichen, muss in der Wirklichkeit naturgemäss entsprechend dem Gesetz des Krieges mit harten Mitteln durchgegriffen werden.«72 Wie genau diese anzuwendenden Mittel und Methoden aussehen sollten, wurde dabei in den Dienstanweisungen meist offen gelassen und der Interpretation der ausführenden Dienststellen überlassen. Dadurch wurde die Anwen70 Vgl. hierzu und zum Folgenden die verschiedenen Schreiben in Dok. 382USSR , in: IMT , Bd.39, S.493-497. Vgl. auch Eichholtz: Geschichte der deutschen Kriegswirtschaft (Anm.14), S.205. 71 Schreiben Sauckels betr. »Russeneinsatz«, 31.3.1942, Dok. 382-USSR , in: IMT , Bd.39, S.494-496. 72 Ostarbeiteranwerbung, Besprechung im Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete am 14.10.42, BA rch R58/225, Bl.209f.; vgl. auch Russische Zivilarbeiter für das Reichsgebiet, in: Zentralblatt des Reichskommissars für die Ukraine, Nr.21, 26.9.1942.

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dung von Zwang und Gewalt auf der Lokalebene gefördert, denn die Werbekommissionen konnten fast alle Methoden mit Verweis auf die ungenauen Anweisungen rechtfertigen. Die vom GBA im März 1942 für das Reich geforderten 1,6 Millionen Arbeitskräfte wurden bis Ende Juli 1942 gestellt, davon über 1,3 Millionen allein aus den besetzten sowjetischen Gebieten. Doch teilte der GBA kurz darauf schon die nächsten Kontingente mit.73 Bis zum Rückzug der Deutschen aus den besetzten ukrainischen Gebieten forderte er immer wieder neue Arbeitskräfte an. In diesem Zusammenhang wurden die Werbekommissionen angewiesen, in einigen Städten und Dörfern, in denen sie bereits Kräfte »angeworben« hatten, die Bewohner und Bewohnerinnen erneut für die Meldung zur Arbeit in Deutschland aufzurufen. Die Menschen hingegen waren bestrebt, sich mit allen Mitteln den Rekrutierungsaktionen und der damit verbundenen Deportation nach Deutschland zu entziehen. Daher kam es vermehrt zu gefälschten ärztlichen Gutachten, die die Arbeitsunfähigkeit beweisen sollten, zu Bestechungen von Ärzten und sogar zu Selbstverletzungen.74 Schon im November 1942 berichtete die Dienststelle des Generalkommissars Wolhynien und Podolien: »Die Werbung in Wolhynien zeigt immer das gleiche Bild, daß die Bewohner beim Erscheinen der Werbekommissionen geflüchtet sind, da die vorhandenen Polizeikräfte nicht ausreichen, um die einzelnen Dörfer überfallsartig zu besetzen«.75 Den Werbekommissionen fehlte aufgrund ihrer geringen personellen Ausstattung jegliche Exekutivkraft, daher waren sie in besonderem Maße auf die Mitarbeit der einheimischen Verwaltung angewiesen. Im Rahmen der Rekrutierung von Arbeitskräften für Deutschland entwickelte sich eine enge Kooperation zwischen den Kommissionen sowie den einheimischen Stadt- und Rayonverwaltungen. Diese Zusammenarbeit reichte bis auf die Ebene einzelner Hausverwalter hinunter, die beispielsweise Listen der Hausbewohner und Hausbewohnerinnen zur Verfügung stellten und damit eine umfassende Kontrolle bis hin zu einzelnen Bürgern und Bürgerinnen der Städte und Dörfer ermöglichten.76 Auch die im Dienste der Besatzer stehende 73 Vgl. zu den Zahlen Bericht Sauckels an Hitler, betr. Arbeitseinsatz, 27.7.1942, Dok. 1296-PS , in: IMT , Bd.27, S.115. 74 Vgl. Berkhoff (Anm.40), S.268-271. 75 Lagebericht des Generalkommissars Wolhynien und Podolien, 1.11.1942, BA rch R6/687, Bl.65-68. 76 Zur Verstrickung der einheimischen Verwaltung in die Politik der Besatzer vgl. Eikel: City Mayors (Anm.50); Lower (Anm.50), S.105f.

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Rekrutierung von Arbeitskräften in der besetzten Sowjetunion, Juni 1942. Foto: Rabenberger

einheimische Hilfspolizei, die sogenannten Schutzmannschaften, wurde in den Rekrutierungsprozess eingeschaltet, beispielsweise um sich widersetzende Personen zu den Rekrutierungspunkten zu bringen oder Hausdurchsuchungen und Razzien durchzuführen.77 Im Frühjahr 1943 führten die deutschen Dienststellen in der besetzten Ukraine als neue Methode der Arbeitskräfterekrutierung sogenannte »Jahrgangsaktionen« ein, bei denen komplette Jahrgänge für die Arbeit in Deutschland dienstverpflichtet werden sollten. Auch wenn erst im Juli 1943 ein offizieller Erlass des GBA zur Aushebung der Jahrgänge 1925-1927 erfolgte, praktizierten die deutschen Dienststellen solche Aushebungen bereits seit dem Frühjahr in verschiedenen Regionen sowohl des zivil als auch des militärisch verwalteten Gebiets.78 Mit den Aktionen, bei denen sich die Zusammenarbeit zwischen Werbekommissionen sowie einheimischer Verwaltung und 77 Vgl. beispielsweise Bericht des Kommandeurs der Sipo und des SD , 15.9.1942, CDAVO , 3676-4-474, Bl.163-302. Zur einheimischen Hilfspolizei vgl. Berkhoff (Anm.40), S.42; Eikel: Die deutschen Zwangsarbeiterrekrutierungen (Anm.41), S.430; Eikel: Arbeitsteilung (Anm.41), S.139. 78 Vgl. Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete an Reichskommissariat Ukraine, betr. Jahrgangsmäßige Aushebung für das Reich, 3.9.1943, BA rch R6/73, Bl.102.

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Polizei fortsetzte, verstärkten die Besatzer den Druck gegenüber der Bevölkerung. Sie ähnelten militärischen Musterungen: Zu festgelegten Zeitpunkten hatten alle Männer und Frauen bestimmter Dörfer oder Stadtbezirke vor der Anwerbekommission zu erscheinen, um sich einer Untersuchung zu unterziehen und gegebenenfalls für die Arbeit in Deutschland ausgewählt zu werden. Da die Bewohner und Bewohnerinnen bestimmter Jahrgänge im Vorfeld zur »Musterung« aufgerufen wurden, war es ihnen leichter möglich, sich den Maßnahmen zu entziehen und vor Eintreffen der Werbekommissionen in die Wälder zu fliehen. Die Kommissionen reagierten darauf, indem sie durch Polizeikräfte die Angehörigen dieser Personen verhaften ließen, bis sich die entsprechenden Personen der ausgewählten Jahrgänge stellten.79 Die »Jahrgangsaktionen« und die Radikalisierung der Rekrutierungen setzten eine Gewaltdynamik in Gang, die das alltägliche Leben der Bevölkerung zunehmend unmöglich machte. Die Entwicklung führte nicht zuletzt zu einer Stärkung der Partisanenbewegung, die gegen die Besatzer und auch gegen die in deren Diensten stehende einheimische Verwaltung vorging.80 Insbesondere während der militärischen Rückzugsbewegungen der Deutschen im Rahmen der Offensive der sowjetischen Armee zwischen Januar und März 1943 sowie ab Herbst 1943 erhielt die Partisanenbewegung erheblichen Zulauf. Häufig schlossen sich die aus den Dörfern vor den Werbekommissionen geflohenen Menschen in den Wäldern den Partisanen an. Die zunehmende Aktivität der Partisanengruppen führten dazu, dass sich insbesondere im rückwärtigen Heeresgebiet immer wieder militärische Dienststellen gegen die Arbeitskräfterekrutierungen für das Reichsgebiet aussprachen und sogenannte »Anwerbesperren« in ihrem Bereich verhängten, da sie eine Gefährdung der Sicherheit in den von ihnen gesicherten rückwärtigen Heeresgebieten befürchteten.81 79 Vgl. beispielsweise Schreiben an BdS Ukraine betr. Anwerbung von Arbeitskräften aus dem Osten, 25.5.1942, NARA , T  175, Roll 250; Kommandeur der Sipo/SD Kiew, Lagebericht Mai 1942, 2.6.1942, CDAVO , 3676-4-475, Bl.173-197; Groh an Kreislandwirt Jarun, betr. Abstellung von Arbeitskräften für das Reich, 16.3.1943, USHMM , RG -31.096M, Reel 6, Folder 6, S.117. 80 Zur Tätigkeit der Partisanen im Bereich des Generalkommissariats Shitomir vgl. Lower (Anm.50), S.181-187. 81 Vgl. beispielhaft für die Diskussion um »Anwerbesperren« die Einträge vom 24. und 28.  Juli 1942 im Kriegstagebuch Wirtschaftsstab Ost, Bd.1, 1.7.-30.9.42, BA rch RW 31/20; Wirtschaftsstab Ost, Aktenvermerk über die Chefbesprechung am 23.7.42, 26.7.1942, BA rch RW 31/21. Vgl. auch Baum (Anm.38), S.297f.

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Die GBA-Beauftragten Im Herbst 1942 erfuhr die Position des GBA in den besetzten Gebieten und damit auch in der besetzten Ukraine eine erhebliche machtpolitische Aufwertung. Mit dem Durchführungserlass vom 30.  September 1942 ermächtigte Hitler Sauckel, alle Maßnahmen treffen zu können, die einen »geordneten Arbeitseinsatz für die deutsche Kriegswirtschaft« im gesamten deutschen Herrschaftsgebiet gewährleisteten.82 Hierzu konnte der GBA nun ihm unmittelbar unterstellte Beauftragte bei den Dienststellen der Zivil- und Militärverwaltung ernennen, die gegenüber den dortigen für Arbeitspolitik zuständigen Abteilungen weisungsbefugt waren. Durch diese Beauftragten hatte der GBA eine direkte Verbindung in die Besatzungsverwaltungen. Die Auswahl der Beauftragten in den verschiedenen besetzten Gebieten folgte keinem einheitlichen Schema: Zum Teil wurden schon in den Besatzungsverwaltungen tätige Personen ernannt, meist aus dem Bereich der Arbeitspolitik, zum Teil externe Personen in die Besatzungsverwaltungen integriert. Für das Reichskommissariat Ukraine sowie den Bereich der Wirtschaftsinspektionen Don-Donez und Kaukasus, die auf dem Gebiet der militärisch verwalteten Ostukraine tätig waren, ernannte Sauckel den Landesbauernführer Rudolf Peuckert aus Thüringen zu seinem Beauftragen. Als Vertreter erhielt Peuckert für seine Aufgaben insbesondere im Bereich der Wirtschaftsinspektion Don-Donez Oberregierungsrat Meincke aus dem Reichsarbeitsministerium zugeteilt.83 Mit Peuckert hatte Sauckel einen Mitarbeiter aus der Thüringer Gauleitung ausgewählt, mit dem ihn schon eine langjährige und vertrauensvolle Zusammenarbeit verband und den er auch als Beauftragten für Landwirtschaft und Kriegsernährungsfragen in seinen GBA -Stab berufen hatte. Peuckert war als Landesbauernführer in Thüringen, Leiter des Amtes für Agrarpolitik der NSDAP sowie durch 82 Vgl. »Erlaß des Führers zur Durchführung des Erlasses über einen Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz« vom 30.9.1942, abgedruckt in Martin Moll (Hg.): »Führer-Erlasse« 1939-1945: Edition sämtlicher überlieferter, nicht im Reichsgesetzblatt abgedruckter, von Hitler während des Zweiten Weltkrieges schriftlich erteilter Direktiven aus den Bereichen Staat, Partei, Wirtschaft, Besatzungspolitik und Militärverwaltung, Stuttgart 1997, S.284f. Auch enthalten im Handbuch des GBA (Anm.4), S.23. 83 Zur Ernennung der Beauftragten vgl. Max Timm an Walter Escher, Liste der Beauftragten des GBA , 1942, ThHS tAW , Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr.491, Bl.27-29; Fritz Sauckel, GBA , an Otto Stapf, Wirtschaftsstab Ost, betr. Einsetzen des Beauftragten Meincke, 14.10.1942, BA rch RW 31/24.

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Rudolf Peuckert (geb. 18.8.1908 in Wiebelsdorf, gest. 3.10.1946 in Dachau) sammelte bereits in seiner Jugend landwirtschaftliche Erfahrungen, unter anderem durch den Besuch einer Landwirtschaftsschule und Tätigkeiten auf dem väterlichen Gut. Peuckert trat 1926 und erneut 1928 in die NSDAP ein. Innerhalb der Partei begann er eine Karriere insbesondere im agrarpolitischen Bereich: So wurde Peuckert Leiter der bäuerlichen Landjugend der Hitlerjugend, Fachberater für Landwirtschaft der NSDAP -Gauleitung sowie Landesbauernführer und übernahm verschiedene Tätigkeiten im Amt bzw. Reichsamt für Agrarpolitik der NSDAP und beim Reichsbauernführer. 1942 wechselte er als Beauftragter für Landwirtschaft und Kriegsernährungswirtschaft zum GBA -Stab und wurde zudem GBA -Beauftragter für die Gebiete des Reichskommissariats Ukraine sowie der Wirtschaftsinspektionen DonDonez und Kaukasus. 1943 erweiterten sich seine Zuständigkeiten auf den Bereich des Wirtschaftstabs Ost und des Reichsministeriums für die besetzten Ostgebiete, 1944 auf die gesamten besetzten Ostgebiete. Nach seiner Verhaftung durch Angehörige der US -amerikanischen Streitkräfte im Mai 1945 beging er im Oktober 1946 im Internierungslager Dachau Selbstmord. Quellen und Literatur: Dieter Marek: Bibliographien der Regierungsmitglieder (Minister und Staatsräte), in: Thüringen-Handbuch. Territorium, Verfassung, Parlament, Regierung und Verwaltung in Thüringen 1920 bis 1995, hg. v. Bernhard Post/Volker Wahl, Weimar 1999, S. 552-648, hier S. 617; Handbuch für die Dienststellen des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz und die interessierten Reichsstellen im Großdeutschen Reich und in den besetzten Gebieten, Bd. 1: Vollmachten, Verlautbarungen, Verordnungen, Organisation des GBA , bearb. v. Friedrich Didier, Berlin 1944, S. 23, 25 f.

seine Tätigkeit im Persönlichen Stab des Reichsbauernführers ein ausgewiesener Experte im Bereich der Landwirtschaft – ein großer Vorteil für seine Aufgaben in der agrarisch geprägten Ukraine.84 Durch den Erlass vom 30. September 1942 war es dem GBA offiziell möglich, den für Arbeits- und Lohnpolitik zuständigen Abteilungen und Gruppen in der Zivil- und Militärverwaltung der Ukraine im Rahmen seines Auftrags Weisungen zu erteilen (siehe Abb. S.421). Insbesondere angesichts der zunehmenden Spannungen um den Einsatzort der Arbeitskräfte  – entweder vor Ort in der besetzten Ukraine oder innerhalb des Reichsgebiets  – sowie angesichts der vermehrten, von den Heeresgruppen ausgerufenen »Anwerbestopps« spielte die direkte Verbindung des GBA in die Besatzungsverwaltung der Ukraine für 84 Zu Peuckerts verschiedenen Ämtern und Posten vgl. Dieter Marek: Bibliographien der Regierungsmitglieder (Minister und Staatsräte), in: ThüringenHandbuch. Territorium, Verfassung, Parlament, Regierung und Verwaltung in Thüringen 1920-1995, hg. v. Bernhard Post/Volker Wahl, Weimar 1999, S.552-648, hier S.617.

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seine Durchsetzungsfähigkeit eine wichtige Rolle. Durch diese vor Ort tätigen Beauftragten wurde er schneller und direkter über die Entwicklungen informiert und konnte nötigenfalls eingreifen. In den folgenden Monaten konnte Peuckert seine Position in der besetzten Ukraine noch erweitern: Im Frühjahr 1943 übernahm er ergänzend zu seinen bisherigen Posten die Leitung der Hauptabteilung Arbeitspolitik und Sozialverwaltung im Ostministerium sowie der Chefgruppe Arbeit im Wirtschaftsstab Ost; ein Jahr später wurde er zum GBA -Beauftragten für die gesamten besetzten Ostgebiete ernannt.85 Sauckel machte seine Beauftragten für die Erfüllung der Quoten verantwortlich.86 Die Anwerbekommissionen, im Oktober 1942 auf Anweisung Sauckels in »Arbeitseinsatzstäbe des GBA « umbenannt, sollten den fachlichen Weisungen des GBA -Beauftragten und seines Vertreters unterstehen. Dadurch änderte sich nichts an der organisatorischen Stellung der Stäbe, jedoch hatten sie mit den GBA -Beauftragten nun direkte, vor Ort anwesende fachliche Ansprechpartner in der Besatzungsverwaltung, wodurch die Kommunikation unmittelbarer und gezielter verlaufen konnte, als es über die Hauptabteilung VI des Reichsarbeitsministeriums oder den GBA -Stab in Berlin möglich gewesen wäre. Denn Peuckert und Meincke hatten durch ihre Tätigkeit in der Ukraine genauere Kenntnisse über die arbeitspolitische Entwicklung vor Ort und konnten entsprechend die Weisungen an die Arbeitseinsatzstäbe zielgerichteter gestalten und mit den vor Ort tätigen Dienststellen abstimmen. Die Beauftragten wirkten in der Besatzungsverwaltung als Verbindungsmänner des GBA , die ihn über die aktuellen arbeitspolitischen Entwicklungen und Problemstellungen informierten und seine Interessen bei Verhandlungen und Besprechungen vertraten. Im Rahmen sogenannter Fahrplangespräche mit Ministerialrat Walter Letsch aus 85 Vgl. Besprechung zwischen Rosenberg, Sauckel, Meyer und Peuckert, 21.1.1943, BA rch R6/46, Bl.9-11; Fritz Sauckel, GBA , an Alfred Rosenberg, Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete, betr. Bestellung eines Beauftragten für die besetzten Ostgebiete, 27.1.1944, BA rch R6/291, Bl.51, 55f. Vgl. auch Christian Gerlach: Kalkulierte Morde. Die deutsche Wirtschaftsund Vernichtungspolitik in Weißrußland 1941-1944, Hamburg 1999, S.464. 86 Vgl. dazu Dienstanweisung an die Beauftragten des GBA in den besetzten Gebieten sowie Durchführungsbestimmungen zur Anordnung Nr.10 des GBA betr. Einsatz von Arbeitskräften der besetzten Gebiete, 29.10.1942, BA rch R3901/20289, Bl.108-114. Vgl. auch Fritz Sauckel, GBA , betr. Beauftragte des GBA , 25.10.1942, ThHS tAW , Der Reichsstatthalter in Thüringen, Nr.491, Bl.20f.

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der Hauptabteilung  VI des Reichsarbeitsministeriums oder auch über eine direkte Berichterstattung an Sauckel persönlich fand ein regelmäßiger Austausch statt. In seinem Tätigkeitsbericht an Sauckel vom März 1943 berichtete der GBA -Beauftragte Peuckert beispielsweise von einer Vereinbarung mit Reichskommissar Erich Koch und dem zuständigen Höheren SS - und Polizeiführer Hans-Adolf Prützmann, bei der es unter anderem um eine geplante Zusammenarbeit im Rahmen einer »Bandenbekämpfungsaktion« ging.87 Für diese im April 1943 durchzuführende Aktion war vorgesehen, ganze Gebiete im Norden des Reichskommissariats Ukraine zu räumen und die gesamte arbeitsfähige Bevölkerung für den Einsatz im Reich zu erfassen. Zahlreiche Arbeitseinsatzstäbe sollten an der Aktion teilnehmen. Für sie war die Zusammenarbeit mit den SS - und Polizeikräften eine willkommene neue Möglichkeit, Arbeitskräfte für die Transporte ins Reichsgebiet zu erhalten. Peuckert ersuchte beim GBA das Einverständnis, dass bei diesem Einsatz ganze Familienverbände nach Deutschland gebracht werden dürften, um in der Landwirtschaft zu arbeiten – bisher unterlag ein solcher »Familieneinsatz« verschiedenen Beschränkungen. Der Tätigkeitsbericht wirft ein Schlaglicht auf die Kommunikationsstrukturen, die sich durch die Einsetzung des GBA -Beauftragten veränderten. Es wird deutlich, dass Peuckert für Sauckel die Gespräche mit Reichskommissar Koch übernahm und dabei offensiv die vom GBA in Berlin festgelegte Position vertrat. Gleichzeitig informierte er Sauckel über den Verlauf der Verhandlungen und holte von ihm das nötige Einverständnis bei grundsätzlichen Änderungen im Vorgehen ein, in diesem Fall bezüglich der »Evakuierung« ganzer Familienverbände nach Deutschland. Auch gab Peuckert an alle beteiligten Akteure in der ukrainischen Besatzungsverwaltung Sauckels Grundsätze und Forderungen weiter, meist im Rahmen persönlicher Besprechungen. Neben den Leitern der Arbeitseinsatzstäbe informierte er die für den Bereich Arbeit zuständigen Dienststellenleiter in der Zivil- und Militärverwaltung sowie weitere Funktionsträger wie den Inspekteur der Wirtschaftsinspektion Süd. Peuckert als GBA -Beauftragter besetzte damit eine zentrale Schnittstelle zwischen der Dienststelle des GBA 87 Vgl. Tätigkeitsbericht Peuckerts, 13.3.1943, BA rch R3901/20274, Bl.52f. Die Aktion stand im Kontext der ab 1943 von SS - und Polizeikräften sowie Wehrmachtseinheiten mit den Arbeitseinsatzstäben gemeinsam durchgeführten Aktionen, bei denen immer häufiger der Kampf gegen Partisanen mit der Rekrutierung von Zwangsarbeitskräften für Deutschland verbunden wurde; vgl. hierzu beispielsweise Pohl: Herrschaft der Wehrmacht (Anm.43), S.291297, 316.

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GBA/ Reichsarbeitsministerium Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete

Wirtschaftsstab Ost

GBA-Beauftragter Ukraine

Reichskommissariat Ukraine

Wirtschaftsinspektion Süd

Generalkommissare

Wirtschaftskommandos

Arbeitseinsatzstäbe

Gebietskommissare

Arbeitsämter

einheimische Verwaltung

Die veränderte Kommunikationsstruktur in der Besatzungsverwaltung im militärisch und zivil verwalteten Gebiet der besetzten Ukraine, Frühjahr 1943

in Berlin und den in die Arbeitspolitik in der Ukraine involvierten Akteuren. Sauckel wiederum konnte dank seines loyalen Beauftragten versichert sein, dass seine Interessen in der Ukraine vertreten wurden, ohne dass er selbst immer persönlich anwesend sein musste. Auf diese Weise waren die GBA -Beauftragten in der Ukraine maßgeblich an der Durchsetzung der vom GBA verfügten Arbeitskräftepolitik beteiligt.

Fazit Die Ernennung Sauckels zum GBA im März 1942 ordnete die Weisungsstrukturen auf der zentralen Ebene der Arbeitspolitik neu. Wie ein genauerer Blick auf die Organisationsstruktur der Dienststelle des GBA und ihre Arbeitsweise zeigt, führte sie jedoch nicht zum großen Bruch in der deutschen Arbeitskräftepolitik. Vielmehr lassen sich grundlegende organisatorische und personelle Kontinuitäten über die Zäsur im März 1942 ausmachen, die die These, das Reichsarbeitsministerium sei nach der Ernennung des GBA zu einem »Rumpfministerium« degeneriert und entkernt worden, widerlegen. Gleichzeitig

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zeigen diese Kontinuitäten auch, dass der GBA insbesondere im Bereich der Arbeitskräfterekrutierungen in den besetzten Gebieten auf Strukturen zurückgreifen konnte, die vom Reichsarbeitsministerium schon vor seiner Ernennung etabliert worden waren. Sauckel übernahm als GBA im März 1942 mit seinem Arbeitsstab die Steuerungs- und Koordinierungsfunktion für zentrale Kompetenzbereiche des Reichsarbeitsministeriums, ließ das Ministerium jedoch im Wesentlichen so weiterarbeiten wie bisher und stützte sich auf dessen Verwaltungsstrukturen für die Erfüllung seines Auftrags. Hierbei entwickelte sich eine effiziente Zusammenarbeit. Erst nach einigen Monaten nahm Sauckel Veränderungen vor, indem er die Hauptabteilungen des Reichsarbeitsministeriums umstrukturierte und GBA -Beauftragte in den besetzten Gebieten ernannte. Auf diese Weise versuchte er, den ihm unterstellten Verwaltungsapparat für die Erfordernisse seines Auftrags zu optimieren und seine Position insbesondere in den für ihn zentralen besetzten Gebieten zu stärken. Durch die organisatorischen Neuerungen erfuhr das Reichsarbeitsministerium keinen Machtverlust, im Gegenteil: Sie führten zu effektiveren Arbeits- und Kommunikationsstrukturen und damit zu einem Zugewinn an politischer Durchsetzungskraft. Dabei lief die Zusammenarbeit zwischen den Hauptabteilungen des Ministeriums sowie dem GBA -Stab und den GBA -Beauftragten reibungsfrei, soweit dies unter den Bedingungen des Krieges möglich war. Wie die Darstellung zeigen konnte, reichte die Verwaltungsarbeit des Reichsarbeitsministeriums mit ihren überhöhten Arbeitskräfteanforderungen, die ab März 1942 unter der Ägide des GBA stand, tief in die Lebenswirklichkeit der Menschen in der Ukraine hinein und wurde dort Teil der auf Ausbeutung ausgerichteten nationalsozialistischen Besatzungspolitik. Die Vorgaben der Berliner Behörde wurden dabei über die verschiedenen Verwaltungsinstanzen bis zur lokalen Administration vor Ort weitergereicht und führten aufgrund der überzogenen Rekrutierungszahlen und unter dem Einfluss des Krieges zu einer unheilvollen Zusammenarbeit zwischen deutschen Behörden, einheimischer Verwaltung und Polizeikräften. Auf diese Weise mündete die in Berlin in die Wege geleitete Verwaltungsarbeit letztlich in einer Spirale der Gewalt, die die Hoffnung der ukrainischen Bevölkerung auf ein normales Leben zunichtemachte.

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Holocaust und Arbeitsverwaltung Der jüdische Arbeitseinsatz in den Ghettos der besetzten Ostgebiete

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Dass die deutsche Arbeitsverwaltung an der Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden beteiligt war, soll der folgende Beitrag zeigen. Die Angehörigen der Arbeitsverwaltung waren keine Täter an den Erschießungsgräben, aber sie haben an entscheidender Stelle daran mitgewirkt, welche Menschen getötet wurden und welche nicht. »Arbeitsfähigkeit« bildete das zentrale Kriterium, ob Männer und Frauen in den Ghettos weiter zur Zwangsarbeit eingesetzt oder als »arbeitsunfähige Ballastexistenzen« ermordet wurden. Über den Arbeitseinsatz in den besetzten Gebieten, auch für die jüdischen Arbeiter und Arbeiterinnen in den Ghettos, bestimmte bis 1943 die Arbeitsverwaltung  – jedoch unter den besonderen Bedingungen der jeweiligen Besatzungsverwaltung. Darum werden in diesem Beitrag drei Beispiele aus den besetzten Gebieten in Osteuropa vorgestellt: das Ghetto Litzmannstadt im Warthegau im annektieren Westpolen, das, von deutschen Siedlern »germanisiert«, Teil des Deutschen Reiches werden sollte, das sogenannte Generalgouvernement, also jenes Restpolen, das einer eigenen deutschen Besatzungsherrschaft unterstand, und als Beispiel für die besetzten sowjetischen Gebiete das Ghetto Kaunas. In allen drei Gebieten bestimmten die deutschen Arbeitsämter, die sogleich mit der Besatzungsverwaltung aufgebaut wurden, den Zwangsarbeitseinsatz von Juden und hatten entscheidenden Anteil an der Selektion von Menschen als »arbeitsfähig« bzw. »arbeitsunfähig«. Unterschiedlich war allerdings die Rolle des Reichsarbeitsministeriums, das im annektierten Westpolen, das dem Deutschen Reich eingegliedert wurde, vorgesetzte Behörde der Arbeitsämter blieb, wohingegen die Arbeitsverwaltungen im Generalgouvernement und in den besetzten sowjetischen Gebieten Teil der jeweiligen deutschen Besatzungsverwaltungen waren. Doch auch hier wurden die Arbeitsämter von abgeordneten deutschen Beamten aus dem Reich aufgebaut und geleitet, sodass zwar nicht administrativ direkt, aber fachlich die Organisation der Arbeitsverwaltung in den besetzten Gebieten in den

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Händen von Beamten lag, deren Kenntnisse und Erfahrungen in der Verwaltungspraxis im Deutschen Reich ausgebildet worden waren. Dass deren Handlungsmöglichkeiten vor Ort durchaus vielfältig waren, sollen die Beispiele in diesem Beitrag aufzeigen. Es war keineswegs zwangsläufig, dem mörderischen Regime der Selektion zu dienen und beflissen »Arbeitsunfähige« von »Arbeitsfähigen« zu trennen. Während etliche Beamte die Auswahl willig und engagiert vornahmen und damit Tausende von Menschen dem Tod überantworteten, versuchten andere, möglichst viele jüdische Menschen in den Arbeitseinsatz zu bringen, um sie vor der Ermordung zu bewahren. Es waren stets konkrete Menschen an konkreten Orten, die nicht allein Befehle ausführten, Verwaltungsvorschriften befolgten und Gehorsam leisten mussten, sondern persönlich über Leben und Tod entschieden.

Reichsgau Wartheland Als die deutsche Wehrmacht am 1.  September 1939 Polen überfiel, verwirklichte sich der Krieg um Lebensraum, den Adolf Hitler seit Beginn der NS -Herrschaft angestrebt hatte. Ziel der deutschen Politik sei, so hatte Hitler gegenüber der engeren militärischen und politischen Führung im November 1937 unmissverständlich klargestellt, »die Sicherung und die Erhaltung der Volksmasse und deren Vermehrung«. Unabdingbar sei die »Gewinnung eines größeren Lebensraumes«, der nicht in fernen Kolonien, sondern als vielmehr in Europa gesucht werden müsse. Dass jede »Raumerweiterung« nur durch »Brechung von Widerstand und unter Risiko« vor sich gehen könne, habe die Geschichte gezeigt. »Zur Lösung der deutschen Frage könne es nur den Weg der Gewalt geben«.1 Der Angriff auf Polen, der aufgrund des Paktes mit der Sowjetunion vom 23.  August 1939 möglich geworden war, war von vornherein als »Volkstumskampf« geplant. Am 20. September legte Hitler den Oberbefehlshabern des Heeres seine Pläne von einer »Umsiedlung im großen« dar, die sowohl die Vertreibung von Polen und Juden aus den westpolnischen Gebieten als auch die Ghettoisierung der Juden umfasste. Zustän1 Niederschrift über die Besprechung in der Reichskanzlei, 5.11.1937 (HoßbachProtokoll), in: Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof. Nürnberg, 14. November 1945-1. Oktober 1946, Bd.25, Nürnberg 1947, S.403-413. Zum »Lebensraum« siehe Ulrike Jureit: Das Ordnen von Räumen. Territorium und Lebensraum im 19. und 20. Jahrhundert, Hamburg 2012.

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dig für die völkische »Flurbereinigung« seien Zivilverwaltung, SS und Polizei.2 Tags darauf fand in Berlin eine große Besprechung Reinhard Heydrichs mit den Amtschefs des Geheimen Staatspolizeiamtes und den Führern der SS -Einsatzgruppen in Polen statt. Für das besetzte Polen sei geplant, berichtete Heydrich, dass die Westprovinzen deutsche Gaue würden und daneben »ein Gau mit fremdsprachiger Bevölkerung mit der Hauptstadt Krakau«, das spätere sogenannte Generalgouvernement, entstehen solle. Als Siedlungskommissar für den Osten werde Heinrich Himmler eingesetzt. »Die Juden-Deportation in den fremdsprachigen Gau«, fuhr Heydrich fort, sei »vom Führer genehmigt«. Die polnische Intelligenz müsse »unschädlich gemacht werden«, die »primitiven Polen sind als Wanderarbeiter in den Arbeitsprozess einzugliedern und werden aus den deutschen Gauen allmählich in den fremdsprachigen Gau ausgesiedelt«.3 Die Juden in den westpolnischen Gebieten sollten in Ghettos gepfercht werden, um eine »bessere Kontrollmöglichkeit und später Abschubmöglichkeit« zu haben. Heydrich fasste seine Anordnungen in vier Punkten zusammen: »1.) Juden so schnell wie möglich in die Städte, 2.) Juden aus dem Reich nach Polen, 3.) die restlichen 30.000 Zigeuner auch nach Polen, 4.) systematische Ausschickung der Juden aus den deutschen Gebieten mit Güterzügen«.4 Bemerkenswert ist, dass in dieser Weisung die Maßnahmen gegen die polnischen Juden mit dem Plan der Deportation der deutschen Juden, die tatsächlich erst im Herbst 1941 einsetzte, und der Verschleppung der Roma und Sinti aus Deutschland nach Polen, die im Frühjahr 1940 begann, verbunden war. Schon zu diesem frühen Zeitpunkt war also die Verfolgung der Juden in Polen in einem größeren Zusammenhang gedacht worden. Mit der Eroberung von »Lebensraum« im Osten sollte auch das »Altreich« von seiner jüdischen Bevölkerung »gesäubert« werden. 2 Generaloberst Halder: Kriegstagebuch, bearb. v. Hans-Adolf Jacobsen in Verb. mit Alfred Philippi, Bd.1, Stuttgart 1962, S.82. 3 Protokoll der Besprechung vom 21.9.1939, Bundesarchiv (BA rch) R58/825, Bl.26-30; siehe auch den Schnellbrief Heydrichs an die Einsatzgruppenchefs in Polen vom 21.9.1939, abgedruckt in: Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland 1933-1945, hg. im Auftrag des Bundesarchivs, des Instituts für Zeitgeschichte und des Lehrstuhls für Neuere und Neueste Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg von Susanne Heim/Ulrich Herbert/Michael Hollmann/Horst Möller/Dieter Pohl/Sybille Steinbacher/Simone Walther-von Jena/Andreas Wirsching, Bd.4: Polen, September 1939-Juli1941, bearb. v. Klaus-Peter Friedrich unter Mitarb. v. Andrea Löw, München 2011, S.88-92 (Dok. 12). 4 Protokoll der Besprechung vom 21.9.1939, BA rch R58/825, Bl.26-30.

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Polnische Juden wurden von Beginn des Feldzugs an gejagt, misshandelt, geschlagen, gequält. Jüdische Geschäfte und Wohnungen wurden geplündert, Synagogen und Gebetshäuser niedergebrannt, Juden verhaftet oder zu Arbeiten aller Art gezwungen. Viele Juden wagten kaum noch aus dem Haus zu gehen, weil sie befürchten mussten, bei Razzien nach Arbeitskräften willkürlich aufgegriffen zu werden.5 Geschäfte, Warenlager, Bankguthaben und Vermögen wurden beschlagnahmt, den Juden damit jede wirtschaftliche Grundlage für das eigene Überleben genommen.6 Mit der Bildung von Ghettos wurde die Verfolgungspolitik durch die deutschen Besatzungsverwaltungen systematischer organisiert, war aber deswegen nicht weniger brutal. Zunächst war die Konzentration der jüdischen Bevölkerung in wenigen städtischen Ghettos als Übergangsmaßnahme gedacht, um sie dann in das Generalgouvernement abzuschieben und damit die annektierten westpolnischen Gebiete »judenrein« zu machen. Die frei werdenden Wohnungen wurden zumeist den volksdeutschen Neuankömmlingen aus dem Baltikum überlassen. Zudem wollten die deutschen Besatzer durch die »Umsiedlung« die Möglichkeit schaffen, alle jüdischen Vermögenswerte, Schmuck und Geld zu rauben, bevor deren Besitzer dann weiter deportiert würden. Und nicht zuletzt bildete das antisemitische Phantasma, die »schmutzigen Juden« seien Träger von Seuchen und Krankheiten, einen weiteren Grund, die jüdische Bevölkerung zu isolieren. Da jüdische Menschen auf knappem Raum unter katastrophalen hygienischen Bedingungen zusammengepfercht und völlig unzureichend mit Lebensmitteln versorgt wurden, stieg tatsächlich aufgrund der Ghettoisierung die Gefahr von Typhus, Fleckfieber und anderen Krankheiten an.7 Im größten Ghetto des neu gebildeten Reichsgaus Wartheland, in Łódź (unter deutscher 5 Andrea Löw: Juden im Getto Litzmannstadt. Lebensbedingungen, Selbstwahrnehmungen, Verhalten, Göttingen 2006, S.69-81; Michael Alberti: Die Verfolgung und Vernichtung der Juden im Reichsgau Wartheland 1939-1945, Wiesbaden 2006, S.41f. 6 Ebd., S.105. 7 Vgl. Christopher Browning: Die nationalsozialistische Ghettoisierungspolitik in Polen 1939-1941, in: ders.: Der Weg zur »Endlösung«. Entscheidungen und Täter, Bonn 1998, S.37-65; sowie Christoph Dieckmann/Babette Quinkert (Hg.): Im Ghetto 1939-1945. Neue Forschungen zu Alltag und Umfeld, Göttingen 2009; Dieter Pohl: Ghettos, in: Wolfgang Benz/Barbara Distel (Hg.): Der Ort des Terrors. Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, Bd.9: Arbeitserziehungslager, Ghettos, Jugendschutzlager, Polizeihaftlager, Sonderlager, Zigeunerlager, Zwangsarbeiterlager, München 2009, S.161191.

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Besatzung Litzmannstadt genannt), mussten knapp 164000 Menschen in einem Wohngebiet von etwa drei Quadratkilometern leben.8 Mit den geraubten Vermögenswerten sollte der Unterhalt der Ghettos bis zum Beginn der Deportationen bezahlt werden. Doch erwiesen sich die Vertreibungspläne als schwer umsetzbar. Vor allem die Besatzungsverwaltung des Generalgouvernements sträubte sich, Hunderttausende Menschen aufzunehmen, die in den Augen der deutschen Beamten nur eine Last darstellten. Generalgouverneur Hans Frank erreichte schließlich im März 1940 einen Deportationsstopp.9 Damit verwandelten sich die Ghettos in den annektierten westpolnischen Gebieten von kurzfristigen Improvisationen zu Dauereinrichtungen, die nun für längere Zeit existieren würden. Entsprechend gewannen jene Stimmen in der Besatzungsverwaltung an Gewicht, die forderten, dass die jüdischen Menschen in den Ghettos Arbeit leisten sollten, um mit deren Erträgen die Ghettos zu finanzieren. Jüdische Zwangsarbeit wurde nun auch in den besetzten polnischen Gebieten Teil der Verfolgungspraxis, wie sie schon im Deutschen Reich, in Österreich und im besetzten Tschechien seit 1938 gehandhabt wurde.10 Der grundlegende Erlass zur Zwangsarbeit von Juden im Deutschen Reich war am 20. Dezember 1938 vom Präsidenten der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung ausgegangen, in dem es unter anderem hieß: »Der Staat hat kein Interesse daran, die Arbeitskraft der einsatzfähigen arbeitslosen Juden unausgenutzt zu lassen und diese unter Umständen aus öffentlichen Mittel ohne Gegenleistung zu unterstützen. Es ist anzustreben, alle arbeitslosen und einsatzfähigen Juden beschleunigt zu beschäftigen und damit nach Möglichkeit die Frei8 Alberti (Anm.5), S.161. Zwar umfasste das Ghettogebiet insgesamt ca. 4,5 Quadratkilometer, davon waren allerdings 1,5 Quadratkilometer unbebautes Brachland. Vgl. zum Ghetto Litzmannstadt auch den ausführlichen Ausstellungsband »Unser einziger Weg ist Arbeit«. Das Getto in Łódź 1940-1944, eine Ausstellung des Jüdischen Museums Frankfurt am Main, 30.  März bis 10.  Juni 1990, Redaktion Hanno Loewy/Gerhard Schoenberner, Frankfurt am Main/Wien 1990. 9 Peter Longerich: Politik der Vernichtung. Eine Gesamtdarstellung der nationalsozialistischen Judenverfolgung, München 1998, S.268f. 10 Vgl. Dieter Maier: Arbeitseinsatz und Deportation. Die Mitwirkung der Arbeitsverwaltung bei der nationalsozialistischen Judenverfolgung in den Jahren 1938-1945, Berlin 1994; Wolf Gruner: Der Geschlossene Arbeitseinsatz deutscher Juden. Zur Zwangsarbeit als Element der Verfolgung 1938-1943, Berlin 1997.

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Holzschuhwerkstatt im Ghetto Litzmannstadt (Łódź), o.D. [1940-1944]. Foto: Walter Genewein

stellung deutscher Arbeitskräfte für vordringliche, staatspolitisch wichtige Vorhaben zu verbinden. Der Einsatz erfolgt in Betrieben, Betriebsabteilungen, bei Bauten, Meliorationen usw., abgesondert von der Gefolgschaft.«11 Der Zwangsarbeitseinsatz von Juden im besetzten Polen war daher den deutschen Besatzungsbehörden keineswegs neu. Auch von Seiten der jüdischen Selbstverwaltung in den Ghettos wurde der Arbeitseinsatz forciert, bot er doch die Hoffnung, damit von den Deportationen verschont zu werden und zur Versorgung der Menschen im Ghetto mit notwendigen Lebensmitteln beizutragen. Der Vorsitzende des Judenrates des Ghettos Litzmannstadt, Chaim Rumkowski, richtete an den deutschen Stadtkommissar im April 1940 den konkreten Vorschlag, im Ghetto Produktionsstätten zu errichten und die vorhandenen jüdischen Facharbeiter zu beschäftigen.12 Der Leiter der deutschen Ghettoverwaltung, der damals 38-jährige Bremer Kaffeegroßhändler Hans Biebow,13 unterstützte dieses Vorhaben. In 11 Zit. nach Maier: Arbeitseinsatz und Deportation (Anm.10), S.29. 12 Löw: Juden im Getto Litzmannstadt (Anm.5), S.116f.; Alberti (Anm.5), S.229. 13 Zu Biebow siehe Alberti (Anm.5), S.172-176; Peter Klein: Die »Ghettoverwaltung Litzmannstadt« 1940 bis 1944. Eine Dienststelle im Spannungs-

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Sattlerei im Ghetto Litzmannstadt (Łódź), o.D. [1940-1944]. Foto: Walter Genewein

Metallwerkstatt im Ghetto Litzmannstadt (Łódź), o.D. [1940-1944]. Foto: Walter Genewein

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einem Brief an den Polizeipräsidenten von Łódź (»Litzmannstadt«) vom August 1940 betonte er, »dass ich zwei Hauptziele verfolge, das sind einmal, Werte aus dem Ghetto herauszuholen, um die Ernährung der Juden ohne Inanspruchnahme von Reichsmitteln noch so lange es geht, sicherzustellen und durchzuführen, und zum anderen bin ich auf das Äusserste bemüht, die zum grössten Teil brach liegenden Arbeitskräfte wo es nur eben möglich ist, einzuspannen.«14 In der Verwaltung des Reichsstatthalters für den Warthegau, Arthur Greiser, arbeitete Biebow eng mit dem Leiter des Referats V/A »Arbeit«, Ernst Kendzia, zusammen. Kendzia, der 1931 der NSDAP beigetreten war, 1933 der SS und den hohen Rang eines SS -Obersturmbannführers bekleidete, war Leiter des Arbeitsamtes in Danzig gewesen und fungierte in Łódź (»Litzmannstadt«) nun gleichfalls als Reichstreuhänder der Arbeit wie als Leiter des Landesarbeitsamtes. Für die Arbeitsverwaltung reklamierte der Reichsarbeitsminister Franz Seldte die Weisungsbefugnisse für sich, konnte sich jedoch gegen den mächtigen Greiser kaum durchsetzen. Kendzia wiederum betonte gegenüber dem Reichsarbeitsministerium, dass es ihm aufgrund seiner guten Beziehungen zu Greiser gelungen sei, die Abteilung V/A »Arbeit« in gewissem Maß selbstständig zu erhalten, auch wenn sich deren Eingliederung in die Reichsstatthalterei hemmend auf die Arbeit auswirke.15 Mit zunehmender Kriegsdauer und der Verschleppung von polnischen Arbeitskräften nach Deutschland gewann der Arbeitseinsatz von Juden auch in den Augen der deutschen Besatzungsbehörden, die eigentlich daran interessiert waren, die Juden möglichst rasch loszuwerden, an Relevanz. In den Worten des Regierungsvizepräsidenten Walter Moser war das Ghetto

feld von Kommunalbürokratie und staatlicher Verfolgungspolitik, Hamburg 2009, S.86-88. 14 Zit. nach Alberti (Anm.5), S.233. 15 Karsten Linne: Die deutsche Arbeitsverwaltung zwischen »Volkstumspolitik« und Arbeiterrekrutierung  – das Beispiel Warthegau, in: Florian Dierl/ Zoran Janjetović/Karsten Linne: Pflicht, Zwang und Gewalt. Arbeitsverwaltungen und Arbeitskräftepolitik im deutsch besetzten Polen und Serbien 1939-1944, Essen 2013, S.47-170, hier S.63-75, 83-87. Zu den Treuhändern der Arbeit siehe den Aufsatz von Sören Eden in diesem Band.

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»eine höchst unwillkommene Einrichtung, jedoch ein notwendiges Übel. Die Juden, die in überwiegender Anzahl ein nutzloses Dasein auf Kosten des deutschen Volkes verbringen, müssen ernährt werden; dass sie dabei nicht als Normalverbraucher im Sinne der Ernährungswirtschaft angesprochen werden dürfen, bedarf keines Kommentars.«16 Bereits im Sommer 1940 vergab die Wehrmacht erste Aufträge an die Ghettoverwaltung, und bald weiteten sich diese Aufträge aus, die vornehmlich die Textilproduktion, also das Schneidern von Uniformen, betrafen. 1941 arbeiteten nahezu alle Ghettobetriebe für die Wehrmacht, aber auch für private Firmen wie das Mode- und Warenhaus Josef Neckermann in Berlin. Obwohl es sehr schwierig war, Rohstoffe zu bekommen, gelang es dem Judenrat, immer mehr Menschen Arbeitsplätze und damit Möglichkeiten des Überlebens zu verschaffen. Gab es im März 1941 etwa 22000 Beschäftigte innerhalb des Ghettos, stieg deren Zahl bis September auf 35000 und bis August 1942 auf 75000 an.17 Es wurden aber auch jüdische Facharbeiter außerhalb von Łódź eingesetzt. So arbeiteten in Pabianice rund 1400 und in Brzeziny etwa 5600 jüdische Schneider aus dem Ghetto. Michael Alberti unterstreicht, dass in diesen kleineren Orten die Dimension des jüdischen Zwangsarbeitseinsatzes durchaus mit den Verhältnissen im Ghetto Litzmannstadt gleichgesetzt werden kann.18 Im östlichen Oberschlesien baute der Breslauer Polizeipräsident Albrecht Schmelt ein eigenes Lagersystem für jüdische Zwangsarbeiter auf, die für den Bau der Autobahn von Breslau nach Krakau und in Rüstungsbetrieben eingesetzt wurden. Im Herbst 1941 arbeiteten etwa 17000 jüdische Männer und Frauen für die »Organisation Schmelt«.19

16 Aktennotiz vom 25.10.1940 über eine Sitzung im Regierungspräsidium am Vortage, zit. nach Alberti (Anm.5), S.254; zur völlig unzureichenden Lebensmittelversorgung im Ghetto und zu Protesten gegen Rumkowski vgl. Löw: Juden im Getto Litzmannstadt (Anm.5), S.124-141. 17 Alberti (Anm.5), S.235, 266, 269. 18 Ebd., S.280, 282. 19 Alfred Konieczny: Die Zwangsarbeit der Juden in Schlesien im Rahmen der »Organisation Schmelt«, in: Götz Aly/Susanne Heim/Miroslav Kárný/Petra Kirchberger/Alfred Koniczny: Sozialpolitik und Judenvernichtung. Gibt es eine Ökonomie der Endlösung?, Berlin 1987, S.91-110; Sybille Steinbacher: »Musterstadt« Auschwitz. Germanisierungspolitik und Judenmord in Ostoberschlesien, München 2000, S.138-153; Wolf Gruner: Jewish Forced

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Darüber hinaus sollten ungelernte Juden, wie Kendzia auf einer Sitzung in Łódź am 12. November 1940 mitteilte, auch bei Infrastrukturarbeiten im Warthegau und im Grenzgebiet des »Altreiches« wie der geplanten Reichsautobahn von Frankfurt (Oder) nach Posen eingesetzt werden.20 Reichsstatthalter Greiser bot sogar dem Reichsarbeitsministerium 421987 männliche und 30936 weibliche Juden für den Arbeitseinsatz im »Altreich« an. Das Ministerium forderte daraufhin die Landesarbeitsämter in Deutschland auf, Beschäftigungsmöglichkeiten für jüdische Arbeitskräfte bereitzustellen, wobei darauf Wert gelegt wurde, dass die jüdischen Arbeitskolonnen von den übrigen Arbeitern getrennt eingesetzt und in eigenen Lagern untergebracht werden sollten.21 Der Einsatz scheiterte jedoch am Veto Hitlers, der entschied, dass keine Juden aus dem Generalgouvernement und dem Warthegau im Reich eingesetzt werden sollten.22 Deshalb konzentrierte sich Kendzia auf den Zwangsarbeitseinsatz im Warthegau und wies die Arbeitsämter an, sämtliche arbeitsfähigen Juden, getrennt nach Männern und Frauen, zu erfassen.23 Die Arbeitsämter stimmten den Einsatz von jüdischen Zwangsarbeitern untereinander ab und schoben die Menschen je nach Bedarf von einem Einsatzort zu einem anderen. Anträge für den Arbeitseinsatz mussten die Stadt- und Kreisverwaltungen bei den Arbeitsämtern stellen.24 Für die Zwangsarbeitslager waren dann die staatliche Verwaltung auf kommunaler oder regionaler Ebene oder auch die Deutsche Arbeitsfront verantwortlich. Jüdische Zwangsarbeiter wurden für verschiedenste Infrastrukturmaßnahmen eingesetzt, für Meliorationsarbeiten wie für den Straßenbau, in der Landwirtschaft, aber auch in Fabriken. Alberti

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Labor under the Nazis. Economic Needs and Racial Aims, 1938-1944, Cambridge 2006, S.196-229. Linne: Die deutsche Arbeitsverwaltung (Anm.15), S.151; Klein (Anm.13), S.224-228. Schnellbrief des Reichsarbeitsministers an die Präsidenten der Landesarbeitsämter, 14.3.1941, BA rch R3901/20193, Bl.99, zit. nach Linne: Die deutsche Arbeitsverwaltung (Anm.15), S.152; vgl. Wolf Gruner: Juden bauen die »Straßen des Führers«. Zwangsarbeit und Zwangsarbeitslager für nichtdeutsche Juden im Altreich 1940 bis 1943/44, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 44 (1996), H.9, S.789-808. Vgl. dazu Maier: Arbeitseinsatz und Deportation (Anm.10), S.89-95; Rundschreiben des Reichsarbeitsministeriums, Abt. Va, an die Präsidenten der Landesarbeitsämter, 7.4.1941, BA rch R3901/20193, fol. 97, zit. nach Linne: Die deutsche Arbeitsverwaltung (Anm.15), S.152. Alberti (Anm.5), S.285. Klein (Anm.13), S.296-317.

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schätzt, dass in den Kriegsjahren zwischen 1939 und 1944 etwa 3040000 jüdische Menschen in mindestens 232 Zwangsarbeitslagern, von denen 187 im Warthegau und 45 auf dem Gebiet des »Altreiches« lagen, verschleppt wurden. Allein in der Gauhauptstadt Posen, die seit 1939 offiziell als »judenfrei« galt, gab es 1941 etwa 15000 jüdische Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen.25 Da die Versorgung in den Zwangsarbeitslagern außerordentlich schlecht war und die hygienischen Bedingungen zu Krankheiten führten, war die Sterblichkeit in den Lagern sehr hoch, sodass es auch keine verlässlichen Zahlen geben kann. Die Zwangsarbeiter mussten zehn und mehr Stunden am Tag arbeiten, häufig sieben Tage in der Woche mit einem freien Tag im Monat, wobei der Weg zur Arbeitsstelle selbst mehrere Stunden Fußmarsch zusätzlich bedeutete. Gegen Regen, Schnee und Kälte gab es kaum Schutzmöglichkeiten. Die Ernährung und Versorgung war völlig unzureichend. So erhielten die Frauen im Posener Frauenarbeitslager »Fort Radziwill« lediglich 800 Kalorien am Tag, suchten auf dem Weg zur und von der Arbeit am Wegesrand Kräuter, Wurzeln, verfaulte Gemüsereste oder Kartoffelschalen in Abfällen, was wiederum zu schweren Durchfällen führte. Die jeweiligen Lagerführer, zumeist SS -Männer, ältere Volksdeutsche, aber auch Polen, unterlagen keiner Kontrolle und übten zum Teil ein sadistisches Gewaltregiment aus. Strenge Strafen gehörten zum Alltag; wer einen Fluchtversuch unternahm, wurde öffentlich erhängt. Für die jüdischen Zwangsarbeitslager in Posen errichtete die Gestapo sogar eine zentrale Hinrichtungsstätte im Sportstadion der Stadt.26 Aber auch Angehörige der Arbeitsämter beteiligten sich an den Quälereien. So ließ der Leiter des Arbeitsamtes in Bełchatów im Kreis Łask Frauen und Töchter von Juden einfangen, die sich dem Arbeitseinsatz durch Flucht entzogen hatten und somit gezwungen werden sollten, sich einzufinden. Da die Männer nicht kamen, ließ der Arbeitsamtsleiter die Frauen sich zum großen Teil nackt ausziehen und auspeitschen, wobei er sich selbst daran beteiligte.27 Das galt gleichermaßen für das große Ghetto in Łódź (»Litzmannstadt«). Aufgrund der Folgen von Unterernährung, mangelnder me25 Alberti (Anm.5), S.288; Anna Ziółkowska gibt 173 Zwangsarbeitslager im Reichsgau Wartheland an; dies.: Zwangsarbeitslager für Juden im Reichsgau Wartheland, in: Jacek Andrzej Młynarczyk/Jochen Böhler (Hg.): Der Judenmord in den eingegliederten polnischen Gebieten 1939-1945, Osnabrück 2010, S.179-202, hier S.180. 26 Alberti (Anm.5), S.323. 27 Linne: Die deutsche Arbeitsverwaltung (Anm.15), S.155.

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dizinischer Versorgung, Erschöpfung, Krankheiten wie Ruhr oder Fleckfieber sowie der brutalen Gewalt der Bewacher waren bis Ende 1941 bereits mehr als 10000 Menschen im Ghetto gestorben.28 Zwar unternahm Ghettoverwalter Biebow Anstrengungen, die Lebensmittelzufuhr für das Ghetto zu erhöhen, um sein Ziel eines sich selbst finanzierenden, produktiven Ghettos zu erreichen. Aber die anderen deutschen Besatzungsinstanzen hatten daran wenig Interesse und machten sich vornehmlich Sorgen, dass Krankheiten aus dem Ghetto auf die übrige Stadt übergreifen könnten. Zudem gab es stets aufgrund des Kriegs Transportschwierigkeiten; zugesagte Lieferungen wurden nicht eingehalten. Der Hunger peinigte die Menschen im Ghetto fürchterlich. Selbst für diejenigen, die Arbeit hatten, reichten die minimalen Löhne noch nicht einmal aus, um die rationierten Lebensmittel zu bezahlen, geschweige denn, um auf dem schwarzen Markt Nahrungsmittel zu kaufen.29 So lag es aus der Perspektive nationalsozialistischer Antisemiten nicht weit, an die Dezimierung der »überflüssigen« Esser zu denken, um den »Arbeitsfähigen« mehr Lebensmittel zukommen zu lassen.30 Als Zusammenfassung verschiedener Besprechungen zur »Lösung der Judenfrage« in der Reichsstatthalterei schrieb Rolf-Heinz Höppner, Führer des SD -Leitabschnitts Posen, am 16.  Juli 1941 an Eichmann, dass im kommenden Winter die Gefahr bestehe, »daß die Juden nicht mehr sämtlich ernährt werden können. Es ist daher ernsthaft zu erwägen, ob es nicht die humanste Lösung ist, die Juden, soweit sie nicht arbeitseinsatzfähig sind, durch irgendein schnellwirkendes Mittel zu erledigen«.31 In der deutschen Besatzungsverwaltung wurde zunehmend zwischen »arbeitsfähigen« und »arbeitsunfähigen« Juden unterschieden und auf eine rasche »Lösung der Judenfrage« gedrängt.32 28 Alberti (Anm.5), S.301. 29 Löw: Juden im Getto Litzmannstadt (Anm.5), S.155-191. 30 Zu der Auseinandersetzung in der deutschen Besatzungsverwaltung zwischen, wie Christopher Browning sie genannt hat, »productionists« und »attritionists« siehe ders.: Jüdische Arbeitskräfte in Polen. Existenzkampf, Ausbeutung, Vernichtung, in: ders.: Judenmord. NS -Politik, Zwangsarbeit und das Verhalten der Täter, Frankfurt am Main 2001, S.93-137, hier S.100105; sowie ders.: Die nationalsozialistische Ghettoisierungspolitik (Anm.7). 31 Aktenvermerk Höppner mit Anschreiben an Eichmann, 16.7.1941, abgedruckt in Peter Longerich: Die Ermordung der europäischen Juden. Eine umfassende Dokumentation des Holocaust 1941-1945, München/Zürich 1989, S.74f.; vgl. dazu Klein (Anm.13), S.336-352. 32 Vgl. dazu ausführlich Alberti (Anm.5), S.339-372; Jacek Andrzej Młynarczyk: Mordinitiativen von unten. Die Rolle Arthur Greisers und Odilo Globocniks

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Auch Kendzia erklärte, dass die Ghettoverwaltung mithilfe der Gestapo die dauerhaft arbeitsunfähigen Juden »auf irgendeine Art und Weise aus dem Getto« abschieben könne.33 Mit der Entscheidung Hitlers Mitte September 1941, noch vor dem Ende des Krieges gegen die Sowjetunion die deutschen, österreichischen und tschechischen Juden zu deportieren, spitzte sich die Lage im Ghetto Litzmannstadt (Łódź) zu. Am 18.  September teilte Himmler Arthur Greiser mit, der »Führer wünscht«, dass »möglichst bald das Altreich und das Protektorat vom Westen nach dem Osten von Juden geleert und befreit« werden. Möglichst noch im Jahr 1941 sollten die Juden des »Altreiches« und des Protektorats vorübergehend in das Ghetto Litzmannstadt (Łódź) deportiert werden, um sie dann im Frühjahr 1942 »weiter nach dem Osten abzuschieben«.34 Greiser ernannte den leitenden Regierungsdirektor Dr. Herbert Mehlhorn zum Verantwortlichen für alle Fragen, »die mit der Unterbringung und dem Arbeitseinsatz von Juden und Zigeunern im Reichsgau Wartheland zusammenhängen«, und zu dessen Stellvertreter Ernst Kendzia.35 Insgesamt wurden knapp 20000 Juden und zusätzlich 5000 Sinti und Roma aus dem Burgenland und der Steiermark nach Łódź (»Litzmannstadt«) verschleppt; Anfang Dezember 1941 umfasste das Ghetto über 163000 Menschen.36 Daraufhin wurden die Pläne für den Massenmord an »arbeitsunfähigen« Ghettobewohnern konkret. Greiser vereinbarte mit Himmler, dass rund 100000 Juden im Warthegau getötet werden sollten, nachdem die Gesamtzahl der Juden im Warthegau auf 247500 geschätzt worden war, von denen gut 105000 als »arbeitsfähig« eingestuft wurden.37 Kendzia erklärte auf einer Sitzung im Reichsarbeits-

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im Entscheidungsprozess zum Judenmord, in: ders./Böhler (Hg.) (Anm.25), S.27-56. Vgl. Klein (Anm.13), S.321-323. Himmler an Greiser, 18.9.1941, BA rch NS 19/2655, Bl.3, als Faksimile abgedruckt in Peter Witte: Zwei Entscheidungen in der »Endlösung der Judenfrage«: Deportationen nach Lodz und Vernichtung in Chelmno, in: Miroslav Kárný/Raimund Kemper/Margita Kárná (Hg.): Theresienstädter Studien und Dokumente 1995, Prag 1995, S.38-68, hier S.50. Allerdings wandten sich Greiser und der Regierungspräsident von Łódź, Friedrich Uebelhoer, gegen die von Himmler angekündigte Zahl von 60000 Menschen und erreichten, dass vorerst »nur« 20000 Juden ins Ghetto Litzmannstadt deportiert wurden (Alberti [Anm.5], S.387-395). Klein (Anm.13) S.356f. Alberti (Anm.5), S.397f.; Löw: Juden im Getto Litzmannstadt (Anm.5), S.224-233. Alberti (Anm.5), S.417.

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ministerium Ende November 1941, dass bis Ende März 1942 »bis auf die arbeitseinsatzfähigen  – alle anderen Juden abgeschoben werden« sollten, eine im NS -Schriftverkehr zu diesem Zeitpunkt übliche Umschreibung für die Ermordung.38 Als Mordstätte war ein unbewohntes Herrenhaus in der kleinen Ortschaft Chełmno (»Kulmhof«), etwa 55 Kilometer entfernt von Łódź, ausgesucht worden, das an einer Bahnstrecke lag. Dort installierte das »Sonderkommando Lange« die Gaswagen und begann Anfang Dezember 1941 mit der Ermordung der ersten Juden aus der Umgebung von Chełmno.39 Am 16. Januar 1942 fuhren die ersten Züge aus Łódź ab; bis Ende Mai wurden etwa 97000 Menschen in den Gaswagen ermordet.40 Anfangs hatte die »Aussiedlungskommission«, die Rumkowski mit der Auswahl der Deportierten beauftragt hatte, Straffällige, Kritiker der Maßnahmen des Judenrates, Familien derjenigen, die außerhalb des Ghettos zur Zwangsarbeit eingesetzt waren, ausgewählt. Später wurden die Unterstützungsempfänger einbezogen, also exakt jene »unproduktiven Elemente«, derer sich die deutsche Besatzungsverwaltung entledigen wollte.41 Ende August 1942 ordnete das Reichssicherheitshauptamt an, dass alle Kinder unter zehn Jahren, sämtliche alte Menschen über 65 Jahre, alle Kranken sowie diejenigen, die keine Arbeit hatten, in das Vernichtungslager Chełmno (»Kulmhof«) deportiert werden sollten.42 Annähernd 16000 Menschen wurden deportiert, darunter 5860 Kinder. Danach lebten im Ghetto Litzmannstadt (Łódź) nur noch knapp 90000 Menschen im »arbeitsfähigen« Alter; es glich einer riesigen Zwangsfabrik.43

Generalgouvernement Im »Generalgouvernement« genannten Zentralpolen, über das Goebbels in seinem Tagebuch notierte, dass dort alle »ihren Unrat« abladen

38 Vermerk über eine Ressortbesprechung im Reichsarbeitsministerium am 28.11.1941, zit. nach Alberti (Anm.5), S.418. 39 Ausführlich dazu ebd., S.421-433. 40 Ebd., S.444. 41 Löw: Juden im Getto Litzmannstadt (Anm.5), S.266f.; Alberti (Anm.5), S.420f. 42 Löw: Juden im Getto Litzmannstadt (Anm.5), S.292; Alberti (Anm.5), S.447. 43 Ausführlich dazu Löw: Juden im Getto Litzmannstadt (Anm.5), S.292-308.

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wollten: »Juden, Kranke, Faulenzer etc.«,44 es zugleich aber nach Hitlers Willen ein »großes Arbeitskräftereservoir« sein sollte, galt ab dem 26. Oktober 1939 der Arbeitszwang für Juden. Sämtliche männliche Juden zwischen 14 und 60 Jahren waren zur Arbeit verpflichtet.45 Wie in den annektierten westpolnischen Gebieten war auch im Generalgouvernement die jüdische Bevölkerung in Ghettos zusammengepfercht worden, wobei die größten Ghettos in Warschau und Krakau existierten. Um den willkürlichen Verhaftungen und Razzien zu entgehen und durch eine entlohnte Arbeit eine Möglichkeit zu erlangen, Lebensmittel zu beschaffen, waren viele Ghettobewohner daran interessiert, dem Arbeitszwang nachzukommen. In verschiedenen Ghettos bildeten die Judenräte sogenannte Arbeitsbataillone, für die sich etliche freiwillig meldeten, und boten diese den deutschen Behörden zum Arbeitseinsatz an.46 Für den geringfügigen Lohn der jüdischen Arbeiter hatten die Judenräte selbst aufzukommen, deren finanzielle Möglichkeiten allerdings im Laufe des Jahres 1940 erschöpft waren.47 Allerdings stieg der Bedarf an Arbeitskräften im Generalgouvernement mit der Zeit immer stärker an, da die Deutschen ab Herbst 1939 an massiv polnische Arbeiter zum Arbeitseinsatz – zunächst auch auf freiwilliger Basis, zunehmend jedoch unter Zwang – ins Reich brachten und diese Arbeitsplätze mit jüdischen Fachkräften besetzt werden mussten.48 Um diese komplexe Aufgabe zu organisieren, erhielt die 44 Die Tagebücher von Joseph Goebbels. Sämtliche Fragmente, hg. v. Elke Fröhlich, Teil I: Aufzeichnungen 1924-1945, Bd.4: 1.1.1940-8.9.1941, München u.a. 1987, S.387 (Eintrag vom 5.11.1940). Weiter heißt es: »Und Frank sträubt sich dagegen. Nicht ganz mit Unrecht. Er möchte aus Polen ein Musterland machen. Das geht zu weit. Das kann er nicht und soll er nicht. Polen soll für uns, so bestimmt der Führer, ein großes Arbeitsreservoir sein. […] Und die Juden schieben wir später auch einmal aus diesem Gebiet ab.« 45 Verordnung über die Einführung des Arbeitszwangs für die jüdische Bevölkerung des Generalgouvernements vom 26.10.1939, abgedruckt in Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden, Bd.4 (Anm.3), S.115 (Dok. 27); sowie 2. Durchführungsvorschrift des Höheren SS- und Polizeiführers vom 12.12.1939, abgedruckt in: ebd., S.177-179 (Dok. 58); vgl. Stephan Lehnstaedt: Die deutsche Arbeitsverwaltung im Generalgouvernement und die Juden, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 60 (2012), H.3, S.409-440, hier S.415f. 46 Ebd., S.417f.; Karsten Linne: »Sklavenjagden« im Arbeiterreservoir  – das Beispiel Generalgouvernement, in: Dierl/Janjetović/Linne (Anm.15), S.171316, hier S.275. 47 Lehnstaedt: Die deutsche Arbeitsverwaltung (Anm.45), S.427f. 48 Auch für Polen zwischen 18 und 60 Jahren galt ab dem 26. Oktober 1939 eine Arbeitspflicht, d.h. jeder Pole musste die ihm vom Arbeitsamt zugewiesene

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deutsche Arbeitsverwaltung im Generalgouvernement, nachdem zunächst Polizei und SS für den Einsatz jüdischer Arbeitskräfte verantwortlich waren, gemäß einer Entscheidung von Generalgouverneur Hans Frank Anfang Juli 1940 die alleinige Zuständigkeit für den Einsatz von jüdischen Zwangsarbeitern.49 Mit dem Verwaltungsstab des Generalgouverneurs Frank waren auch Beamte des Reichsarbeitsministeriums nach Polen gekommen. Für kurze Zeit leitete der ehemalige Staatssekretär Dr. Johannes Krohn die »Hauptabteilung Arbeit« in der Regierung des Generalgouvernements in Krakau, im November 1939 folgte ihm Dr. Max Frauendorfer nach.50 Auf der Ebene der vier Distrikte Krakau, Lublin, Radom und Warschau wurden je fünf Arbeitsamtsbezirke gebildet sowie in den Kreis- und Stadthauptmannschaften als unterster deutscher Verwaltungsebene im besetzten Polen jeweils ein Arbeitsamt, wobei in größeren Städten wie Warschau auch noch Nebenstellen eingerichtet wurden. Ende 1940 besaß der Verwaltungsapparat für den Arbeitseinsatz knapp 2800 Mitarbeiter, darunter 478 Reichsdeutsche und 325 Volksdeutsche. Auch 1944 arbeiteten noch über 1100 reichs- und volksdeutsche Angestellte in den Arbeitsämtern, mehr als doppelt so viele polnische Angestellte, die allerdings nur niedere Arbeiten zu erfüllen hatten, kamen noch hinzu.51 Die Arbeitsämter sahen ihre Aufgabe vor allem darin, die deutsche Besatzungswirtschaft optimal mit Arbeitskräften zu versorgen und die polnischen wie jüdischen Arbeitskräfte entsprechend maximal auszubeuten. Allerdings waren sie an dem Erhalt, nicht an der Vernichtung dieser Arbeitskräfte interessiert und intervenierten darum durchaus, wenn die jüdischen Arbeiter nur unzureichend versorgt wurden. »Zweck des Arbeitseinsatzes der Juden ist«, hieß es in einem Rundschreiben der Abteilung Arbeit der Verwaltung des Generalgouvernements an alle Arbeitsämter vom 5. Juli 1940, »zur Behebung des

Arbeitsstelle ohne Kündigungsmöglichkeit antreten. Wer dem nicht nachkam, erhielt drastische Strafen; ebd., S.414. 49 Ebd., S.415; Linne: »Sklavenjagden« (Anm.46), S.277. 50 Zu Frauendorfer siehe Thomas Schlemmer: Grenzen der Integration. Die CSU und der Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit  – der Fall Dr. Max Frauendorfer, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 48 (2000), H.4, S.675-742. 51 Dieter Maier: Anfänge und Brüche der Arbeitsverwaltung bis 1952. Zugleich ein kaum bekanntes Kapitel der deutsch-jüdischen Geschichte, Brühl 2004, S.114f.; Lehnstaedt: Die deutsche Arbeitsverwaltung (Anm.45), S.413f.

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Mangels an Arbeitskräften im Generalgouvernement beizutragen«.52 Demnach konnten Juden in entlohnten Arbeitsverhältnissen sowie zur Zwangsarbeit ohne Entlohnung aufgrund der Verordnung vom 26. Oktober 1939 eingesetzt werden – eine wichtige Unterscheidung für die spätere Debatte um Ghettorenten.53 Arbeitsverhältnisse von Juden konnten somit verschiedene Formen annehmen, von gewaltsamen Verschleppungen in Arbeitslager über Arbeit in Ghettowerkstätten bis hin zu entlohnten Beschäftigungen bei Firmen, die sogar Sozialversicherungsbeiträge zahlten oder Lebensmittel als Entgelt verteilten. Firmen und Behörden meldeten ihren Bedarf an Arbeitskräften bei den Arbeitsämtern an, und diese forderten die jeweiligen Judenräte auf, die entsprechende Zahl an Arbeitern bereitzustellen. Die Arbeitsämter richteten dafür in einzelnen Ghettos Nebenstellen ein, auch »Judeneinsatzstellen« genannt. Der deutsche Beamte Heinz Weber berichtete darüber in einer Nachkriegsvernehmung: »Etwa im August/September 1941 kam ich vom Arbeitsamt Reichhof, wohin ich vom Arbeitsamt Karlsruhe abgeordnet war, zum Arbeitsamt Lemberg. Ich wurde beauftragt, vom Reg.Direktor Dr. Nitsche, dem Leiter des Arbeitsamtes Lemberg, die jüdische Arbeitsvermittlung wahrzunehmen. Bis dato oblag der jüdische Arbeitseinsatz dem Judenrat der Stadt Lemberg. Ich habe weisungsgemäß, ich glaube es war in einer ehem. Schule, Am Missionarsplatz 1, eine jüdische Vermittlungsstelle eingerichtet. Die Vermittlungsstelle wurde genau nach deutschem Muster eingerichtet, d.h. als Vermittler waren Juden bezw. Jüdinnen tätig, die vom Judenrat empfohlen waren. Es wurde nach deutschen Vermittlungsgrundsätzen gearbeitet. Ich war als einziger Reichsdeutscher Leiter dieser Zweigstelle Lemberg.«54 Mit diesen Nebenstellen stieg die Zahl der vermittelten jüdischen Arbeitskräfte rasch an. Juden wurden nicht nur in ortsnahen Arbeitsstellen eingesetzt, sondern auch in andere Distrikte gebracht, wo sie in Zwangsarbeitslagern

52 Zit. nach Faschismus – Getto – Massenmord. Dokumentation über Ausrottung und Widerstand der Juden in Polen während des zweiten Weltkrieges, hg. v. Jüdischen Historischen Institut Warschau, Frankfurt am Main 1962, S.210-212. 53 Ebd.; Linne: »Sklavenjagden« (Anm.46), S.277. Zur Frage der Ghettorenten siehe den Epilog am Schluss dieses Beitrages. 54 Zeugenvernehmung Heinz Weber, 14.10.19160, BA rch B  162/2137, Bl.640, zit. nach Linne: »Sklavenjagden« (Anm.46), S.28.

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leben mussten.55 Diese Lager waren keineswegs stets umzäunte Baracken, sondern die jüdischen Arbeiter wurden ebenso in ehemaligen Synagogen, Schulgebäuden oder Fabrikhallen untergebracht, wobei auch die Bewachung, die den jeweiligen Arbeitgebern oblag, unterschiedlich gehandhabt wurde. Nur in wenigen Fällen bewachten SS Einheiten die Arbeitslager.56 Anfangs erhielten Firmen und Behörden die jüdischen Arbeiter kostenlos und mussten ihnen nur Verpflegung und gegebenenfalls eine Unterkunft zur Verfügung stellen. Damit hingen sowohl die Versorgung als auch die Verhältnisse in den Lagern von den jeweiligen Arbeitgebern ab, die ganz unterschiedlich mit dieser Verantwortung umgingen. Während es durchaus Berichte gibt, dass deutsche Firmen ihre jüdischen Arbeiter ausreichend mit Mahlzeiten versorgten, waren die Bedingungen zum Beispiel in den Zwangsarbeitslagern für Meliorationsarbeiten im Distrikt Lublin unter dem berüchtigten SS - und Polizeiführer Odilo Globocnik katastrophal. Rund 10000 Menschen waren nicht nur aus dem Distrikt Lublin, sondern auch aus den Distrikten Radom und Warschau, dort in 34 Lagern unter so elenden Verhältnissen untergebracht und die Sterblichkeit so hoch, dass die Arbeitsämter aus den übrigen Distrikten ihre Entsendung von jüdischen Arbeitern nach Lublin im Herbst 1941 einstellten – nicht zuletzt auch deshalb, weil der Bedarf an jüdischen Arbeitskräften in den eigenen Distrikten seit Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion, weil nun noch mehr polnische Arbeiter und Arbeiterinnen nach Deutschland gebracht wurden, enorm anstieg.57 In Krakau, dem Sitz der Besatzungsverwaltung des Generalgouvernements, war auf deutsche Weisung schon wenige Tage nach dem Einmarsch Anfang September 1939 ein Judenrat unter Leitung des Lehrers Marek Bieberstein gebildet worden.58 Wie in den anderen pol55 Vgl. die Beispiele bei Mario Wenzel: Die Arbeitslager für Juden im Distrikt Krakau des Generalgouvernement 1940-1941, in: Dieter Pohl/Tanja Sebta (Hg.): Zwangsarbeit in Hitlers Europa. Besatzung, Arbeit, Folgen, Berlin 2013, S.173-194, hier S.184-186. 56 Ebd., S.187, 193. 57 Dieter Pohl: Von der »Judenpolitik« zum Judenmord. Der Distrikt Lublin des Generalgouvernements 1939-1944, Frankfurt am Main/Berlin 1993, S.7985; Bogdan Musial: Deutsche Zivilverwaltung und Judenverfolgung im Generalgouvernement. Eine Fallstudie zum Distrikt Lublin 1939-1944, Wiesbaden 1999, S.164-170; Browning: Jüdische Arbeitskräfte (Anm.30), S.98f.; Lehnstaedt: Die deutsche Arbeitsverwaltung (Anm.45), S.419f.; Linne: »Sklavenjagden« (Anm.46), S.279-283. 58 Andrea Löw/Markus Roth: Juden in Krakau unter deutscher Besatzung 19391945, Göttingen 2012, S.13f.

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nischen Städten mussten die Juden Geld und Wertsachen abgeben; ab 1. Dezember 1939 mussten Juden im Generalgouvernement eine weiße Armbinde mit blauem Davidstern tragen. Auch Bieberstein versuchte, einen geregelten Arbeitseinsatz zu organisieren, um den willkürlichen Razzien ein Ende zu bereiten. Im November 1939 errichtete er ein jüdisches Arbeitsamt, erfasste die arbeitsfähigen Männer und Frauen in einer Kartei und vermittelte den Einsatz jüdischer Arbeitskräfte.59 Generalgouverneur Hans Frank indes wollte in »seinem« Regierungssitz die Zahl der Juden rasch verringern. Von den rund 65000 Juden in Krakau sollten höchstens 10000 dringend benötigte »Arbeitsjuden« zurückbleiben. Am 18.  Mai 1940 befahl der deutsche Stadthauptmann Carl Schmid die Umsiedlung der Krakauer Juden in andere Städte. Allerdings ging die Vertreibung nur schleppend voran; Ende November 1940 lebten immer noch etwa 60000 Juden in Krakau. Der Gouverneur für den Distrikt Krakau, Otto Wächter, setzte daraufhin einen neuen Verantwortlichen für die »Aussiedlungsaktion« ein; im Dezember mussten etwa 20000 Juden Krakau verlassen. Anfang März 1941 ordnete die deutsche Besatzungsverwaltung daher die Einrichtung eines »jüdischen Wohnbezirks« für die verbliebenen Juden an, um sie einerseits festzusetzen und zu kontrollieren, andererseits systematisch als Zwangsarbeiter ausbeuten zu können.60 Auch im Krakauer Ghetto gab es eine Außenstelle des deutschen Arbeitsamtes (»Arbeitsamt Abteilung Judeneinsatz«), das, nachdem es von der Arbeitsamt-Abteilung des Judenrates eine bestimmte Anzahl jüdischer Arbeitskräfte angefordert hatte, diese Menschen auf verschiedene Arbeitsplätze verteilte. Diese Judenratsabteilung führte eine Kartei der »arbeitseinsatzfähigen« Ghettobewohner, die bislang noch keine Arbeitsbescheinigung besaßen. Darin waren die beruflichen Qualifikationen notiert, sodass die Menschen gezielt zugeteilt werden konnten. Sie mussten sich dazu morgens mit ihren Kennkarten beim jüdischen Arbeitsamt melden.61 Neben den Werkstätten, die sich im Ghetto befanden, wurden Juden auch außerhalb des Ghettos in Krakauer Betrieben eingesetzt, darunter die Emailwarenfabrik von Oskar Schindler.62 59 Ebd., S.27-32. 60 Ebd., S.33-45, 52f. 61 Andrea Löw: Arbeit in den Ghettos: Rettung oder temporärer Vernichtungsaufschub?, in: Marc Buggeln/Michael Wildt (Hg.): Arbeit im Nationalsozialismus, München 2014, S.293-308, hier S.297. 62 Löw/Roth (Anm.58), S.76f.

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Für viele Krakauer Juden war es sehr schwer, eine feste Arbeit zu finden, denn ihre beruflichen Fähigkeiten waren kaum gefragt. Die Fabriken und Werkstätten suchten keine Lehrer, keine Anwälte, Schriftsteller oder Journalisten. Vielmehr waren Handwerker und Menschen gefordert, die schwere körperliche Arbeit verrichten konnten. Dennoch brauchte man unbedingt eine Arbeit, um sich auch nur mit dem Nötigsten versorgen zu können. So kam es, wie die GhettoÜberlebende Anna Lermer in ihrem Nachkriegsbericht schilderte, zu einem »fieberhaften Wettlauf zum Arbeitsamt«.63 Bereits im Juli 1940 ging die Arbeitsverwaltung dazu über, von den Firmen zu verlangen, den jüdischen Arbeitern Löhne zu zahlen, die etwa 20% unter denen der polnischen Arbeitskräfte liegen sollten.64 Den Hintergrund für diese Maßnahme stellte keineswegs Altruismus oder Fürsorge für die jüdischen Arbeitskräfte dar, sondern die nüchterne Einsicht, dass die jüdische Selbstverwaltung in den Ghettos nicht in der Lage war, die Ghettobewohner aus eigenen Mitteln zu ernähren, und Lebensmittelzuweisungen nur gegen Bezahlung geleistet werden sollten. Die jüdischen Arbeiter sollten daher einen Lohn erhalten, um für die eigene Versorgung und die ihrer Familien aufzukommen. Laut Frauendorfer war die Lohnzahlung notwendig, »um die Arbeitsfähigkeit der Juden zu erhalten, den nötigen Lebensunterhalt der Familien sicherzustellen und Krankheiten und Seuchen zu vermeiden«.65 Sogar Sozialversicherungsbeiträge wurden den jüdischen Arbeitern und Arbeiterinnen von ihrem Lohn abgezogen, die ihnen jedoch in keiner Weise zugutekamen, sondern von den Sozialkassen im Generalgouvernement einfach einbehalten wurden, um etwaige Leistungsansprüche von nichtjüdischen Arbeitnehmern abzugelten.66 Allerdings vermieden die meisten Firmen, wenn sie sich überhaupt an die Anordnung hielten, ihren jüdischen Arbeitern Bargeld auszuzahlen, und verrechneten den Lohn mit den Mahlzeiten in den Betrieben oder sonstigen Lebensmitteln. Doch hatten Brot und andere Nahrungsmittel für die betroffenen jüdischen Menschen einen hohen Stellenwert. Während zum Beispiel im Warschauer Ghetto im März 63 Zit. nach Löw: Arbeit in den Ghettos (Anm.61), S.298. 64 Lehnstaedt: Die deutsche Arbeitsverwaltung (Anm.45), S.428. Der Runderlass Frauendorfers vom 5. Juli 1940 ist teilweise abgedruckt in: Faschismus – Getto – Massenmord (Anm.52), S.210-212. 65 Protokoll über die Judeneinsatzbesprechung am 6.8.1940, zit. nach Lehnstaedt: Die deutsche Arbeitsverwaltung (Anm.45), S.428; vgl. Browning: Jüdische Arbeitskräfte (Anm.30), S.96f. 66 Lehnstaedt: Die deutsche Arbeitsverwaltung (Anm.45), S.434-436.

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1942 über 420000 Menschen nur 2 Kilogramm Brot pro Person im Monat erhielten, bekamen die 25000 Arbeiter in den Rüstungsbetrieben und anderen wichtigen Betrieben sowie die Angestellten des Judenrates die doppelte Menge, die 2000 Angehörigen des jüdischen Ordnungsdienstes sogar 10 Kilogramm pro Person.67 Zudem konnten Behörden und Firmen das Geld, das den jüdischen Arbeitskräften zustand, auch den jeweiligen Judenräten bezahlen, damit diese die soziale Betreuung und Versorgung der Ghettobewohner übernahmen. Manche Judenräte zahlten zumindest einen Teil den jüdischen Arbeitern direkt aus, andere behielten die Lohnzahlungen vollständig ein, um für die Versorgung der Gemeinden aufzukommen und die schlimmste Not in den Ghettos zu mildern. Im März 1942 begann die systematische Vernichtung der polnischen Juden. Zwischen dem 16. März und dem 20. April wurde das Ghetto in Lublin nahezu vollständig geräumt, etwa 30000 Menschen wurden in das Vernichtungslager Belzec deportiert und dort in den Gaskammern ermordet.68 Auch aus dem 1941 eroberten Lemberg wurden etwa 15000 als »nicht arbeitsfähig« definierte Juden nach Belzec gebracht und dort getötet. Ebenso wurden im annektierten Oberschlesien die Ghettos geräumt, die Menschen nach Auschwitz verschleppt und dort umgebracht. Im Juni 1942 erhielt der Höhere SS - und Polizeiführer im Generalgouvernement Friedrich Wilhelm Krüger die Kompetenz für alle »Judenangelegenheiten«; am 19.  Juli 1942 gab Himmler den Befehl, dass sämtliche polnische Juden bis zum Jahresende getötet werden sollten. Drei Tage später, am 22. Juli, begannen die Deportationen aus dem Ghetto Warschau in das Vernichtungslager Treblinka, in dem bis September über 250000 Menschen ermordet wurden.69 Im Zuge der Kompetenzübertragung in allen »Judenangelegenheiten« übernahm die SS auch das Zwangsarbeitssystem für Juden. Am 25.  Juni informierte die Arbeitsverwaltung die Arbeitsämter im Generalgouvernement, dass künftig jüdische Arbeitskräfte nur im Einvernehmen mit der SS vermittelt werden dürften. Einen Monat später teilte Krüger den Rüstungsinspektionen mit, dass alle bisherigen Vereinbarungen hinsichtlich des Einsatzes jüdischer Arbeitskräfte nicht mehr gelten würden und nunmehr die SS den Zwangsarbeitseinsatz 67 Ebd., S.433. 68 Longerich: Politik der Vernichtung (Anm.9), S.504; ausführlich Musial (Anm.57), S.193-254. 69 Longerich: Politik der Vernichtung (Anm.9), S.505-508.

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von Juden, die dafür in eigenen Lagern der SS interniert würden, regeln würde.70 Zwar erklärte sich Himmler angesichts des dramatischen Arbeitskräftemangels damit einverstanden, unersetzbare jüdische Arbeitskräfte im Generalgouvernement zu belassen.71 Aber in einem Schreiben an Globocnik und Krüger stellte er klar, dass dies nur ein vorübergehendes Zugeständnis war. Jüdische Arbeitskräfte seien aus den Betrieben herauszuziehen und in einigen geschlossenen Konzentrationslagerbetrieben im Generalgouvernement zu internieren. »Es wird dann unser Bestreben sein, diese jüdischen Arbeitskräfte durch Polen zu ersetzen und die größere Anzahl dieser jüdischen KL -Betriebe in ein paar wenige jüdische KL -Großbetriebe tunlichst im Osten des Generalgouvernements zusammenzufassen. Jedoch auch von dort sollen eines Tages dem Wunsche des Führers entsprechend die Juden verschwinden.«72 Die Verfügungsgewalt über die jüdischen Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen lag nun nicht mehr bei der deutschen Arbeitsverwaltung, sondern bei der SS , die im gesamten deutschen Herrschaftsbereich die Ermordung der Juden zum Programm erhob. Allerdings hatten die Arbeitsämter bis dahin durchaus Anteil am Holocaust, hing doch von dem Arbeitsausweis, der dokumentierte, dass der Inhaber des Ausweises »wehrwichtige« Arbeit leistete, ab, ob man deportiert wurde oder nicht. So wies der Lemberger Stadthauptmann am 25. März 1942 an, dass alle Firmen und Behörden, bei denen jüdische Arbeiter und Arbeiterinnen beschäftigt waren, »Listen der zur Zeit noch nicht entbehrlich erscheinenden jüdischen Facharbeitskräfte« an das Arbeitsamt zu schicken hatten. Letzteres entschied dann zusammen »mit den sonst interessierten Dienststellen«, wer als »Arbeitsjude« galt, und vergab entsprechende Armbinden und Ausweise – eine unmittelbare Entscheidung über Leben oder Tod.73

70 Ebd., S.510; Linne: »Sklavenjagden« (Anm.46), S.290f. 71 Longerich: Politik der Vernichtung (Anm.9), S.510; Browning: Jüdische Arbeitskräfte (Anm.30), S.114-116. 72 Himmler an Pohl, Krüger, Globocnik, Reichssicherheitshauptamt und Wolff, 2.10.1942, als Faksimile abgedruckt in Helge Grabitz/Wolfgang Scheffler: Letzte Spuren. Ghetto Warschau, SS -Arbeitslager Trawniki, Aktion Erntefest. Fotos und Dokumente über Opfer des Endlösungswahns im Spiegel der historischen Ereignisse, Berlin 1988, S.179. 73 Götz Aly/Susanne Heim: Vordenker der Vernichtung. Auschwitz und die deutschen Pläne für eine neue europäische Ordnung, Hamburg 1991, S.451.

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Bevor die Räumung des Ghettos in Lublin im März 1942 begann, vereinbarte der SS - und Polizeiführer Globocnik mit dem Arbeitsamt, dass die laufenden Arbeiten nicht gestört werden sollten. Die »Arbeitsjuden« erhielten eine Kennkarte, die sowohl vom Arbeitsamt wie von der SS abgestempelt wurde. Von den rund 40000 jüdischen Menschen des Ghettos Lublin wurden in den folgenden Wochen 38000 in den Tod deportiert. Es blieben nur etwa 800 Facharbeiter mit ihren Angehörigen übrig.74 Im Distrikt Galizien nahmen Angehörige der Arbeitsverwaltungen an den »Einsatzbesprechungen« der SS teil und entschieden mit, welche Arbeitskräfte von den Deportationen ausgenommen werden sollten.75 »Es ist seinerzeit auch darüber gesprochen worden«, so Hans Hantelmann, ehemals Mitarbeiter des Arbeitsamtes in Jasło, in einer Zeugenvernehmung 1966, »was mit den Juden gemacht wurde, d.h. welchem Zweck die Abtransportierung diente. Es hieß ganz allgemein, die Juden würden vergast oder erschossen. Darüber wurde auch im Kollegenkreis ganz offen gesprochen.«76 Es gab aber auch andere Beispiele wie das von Adalbert Szepessy, dem damaligen Leiter der Nebenstelle des Arbeitsamtes im Ghetto Krakau, der im Juni 1942 wegen »Judenfreundlichkeit« verhaftet wurde. Der Höhere SS - und Polizeiführer Krüger warf ihm vor, dass er »an Juden Ausweise ausgestellt habe, die es diesen ermöglichten, durch Hinweis auf ihre Dienstleistung weiterhin von der Ausweisung aus Krakau ausgenommen zu werden«. Szepessy, ein Wiener ungarischer Herkunft, hatte tatsächlich versucht, Menschen im Ghetto zu helfen, wie die Ghettoüberlebende Anna Schermer nach dem Krieg berichtete: Szepessy »gab vor allem später, als die Deportationen begonnen hatten, fiktive Arbeitszuteilungen aus, er änderte die Berufe auf den Kennkarten, er wollte die Menschen wirklich retten«.77 Zwar verfügte Generalgouverneur Hans Frank die Freilassung Szepessys, doch zuvor war dieser auf Weisung Himmlers in das Konzentrationslager Sachsenhausen gebracht worden, aus dem er schließlich im November 1942 entlassen wurde.78

74 Linne: »Sklavenjagden« (Anm.46), S.287. 75 Bericht des Arbeitsamtes Lublin für den Monat März 1942, 7.4.1942, zit. nach Musial (Anm.57), S.231. 76 Zeugenvernehmung Hans Hantelmann, 9.2.1966, zit. nach Linne: »Sklavenjagden« (Anm.46), S.289. 77 Zit. nach Löw/Roth (Anm.58), S.77. 78 Maier: Anfänge und Brüche (Anm.51), S.60f.; Löw/Roth (Anm.58), S.77.

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Besetzte sowjetische Gebiete In den besetzten sowjetischen Gebieten bestand eine von vornherein veränderte Situation, da von Anfang an ein Vernichtungskrieg gegen die sowjetische Bevölkerung geplant war. Annähernd zwei Millionen sowjetische Kriegsgefangenen starben an Hunger, Erschöpfung, Krankheiten in den Lagern der deutschen Wehrmacht. Da die deutschen Soldaten sich von sowjetischen Ressourcen ernähren sollten, kalkulierte die deutsche Führung Millionen an Hungertoten. Die Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und des SD , verbunden mit Einheiten der Ordnungspolizei und der Waffen-SS, ermordeten in den ersten Kriegsmonaten Hunderttausende von Juden, aber auch Roma und Sinti sowie kranke und behinderte Menschen. In der Logik der Mörder entledigte man sich damit der »überzähligen Esser« und schuf »Sicherheit« in den schwer zu kontrollierenden Orten auf dem Land, während in den Ghettos der größeren Städte die dort zusammengepferchten, als arbeitsfähig eingestuften jüdischen Menschen vorerst vom Tod ausgenommen wurden.79 In Litauen hatten beim Einmarsch der Wehrmacht noch mehr als 200000 jüdische Menschen gelebt. Bis Dezember 1941 waren etwa 80% von ihnen ermordet worden. Kleinere Ghettos, die zu Beginn der Besatzung eingerichtet worden waren, wurden rasch geräumt. Übrig blieben vor allem die größeren Ghettos in Wilna (Vilnius), Kaunas (Kovno) und Šiauliai (Shavli).80 Kaunas war damals die größte Stadt Litauens und von 1920 bis zum Einmarsch der Roten Armee im Juni 1940 die Hauptstadt der unabhängigen Republik Litauen. Mit dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht am 24.  Juni 1941 kam es zu schrecklichen antijüdischen Pogromen, denen etwa 3000 Menschen zum Opfer fielen.81 Der ersten Mordwelle fielen etwa 6000 Juden zum Opfer, im September/Oktober noch einmal annähernd 12000 Juden, nun auch Frauen und Kinder. Nachdem im August 1941 im Ghetto Kaunas noch etwa 29000 Menschen gelebt hatten, waren es im November nur noch 17400, davon 9900 Frauen und 7500 Männer.82 79 Vgl. Hamburger Institut für Sozialforschung (Hg.): Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-1944, Hamburg 2004. 80 Ruth Leiserowitz: Litauen. Arbeit und Arbeitssituation in den Ghettos, in: Jürgen Hensel/Stephan Lehnstaedt (Hg.): Arbeit in den nationalsozialistischen Ghettos, Osnabrück 2013, S.209-231, hier S.211f. 81 Christoph Dieckmann: Deutsche Besatzungspolitik in Litauen 1941-1944, 2Bde., Göttingen 2012, Bd.1, S.315. 82 Ebd., Bd.2, S.1056.

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In seiner Denkschrift vom 29. April 1941 hatte der künftige Reichsminister für die besetzten Ostgebiete Alfred Rosenberg die verbrecherische Ausbeutung der einheimischen Arbeitskräfte geplant, was rund 24 Millionen Menschen betraf.83 Die jüdischen Arbeitskräfte standen dabei in der rassistischen Hierarchie der deutschen Besatzungsbehörden zusammen mit den sowjetischen Kriegsgefangenen an unterster Stelle. Dennoch waren sie für die Kriegswirtschaft in den besetzten Gebieten unentbehrlich. Die Leitung des Arbeitseinsatzes in der besetzten Sowjetunion lag nicht beim Reichsarbeitsministerium, sondern bei der Chefgruppe Arbeit im Wirtschaftsstab Ost unter Ministerialdirigent Dr. Günther Rachner, der allerdings aus dem Reichsarbeitsministerium stammte, und beim Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete, dessen Abteilung Arbeit und Soziales ebenfalls Rachner leitete. Ab März 1942 wurde dann mit dem Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz eine neue Institution aufgebaut.84 In Litauen setzte das Wirtschaftskommando der Wehrmacht im Juli 1941 Martin Peschel zum Bevollmächtigten über das ehemalige litauische Arbeitsministerium ein; deutsches Personal aus dem Landesarbeitsamt Ostpreußen und dem Reichsarbeitsministerium folgte. Im Frühjahr 1942 löste der damals 29-jährige Günther Dammer, seit 1931 Mitglied in der NSDAP , Peschel als Leiter der Abteilung Arbeitspolitik und Sozialverwaltung im Generalkommissariat Litauen ab.85 In Kaunas erhielt bis Ende Februar 1942 die jüdische Arbeitsverwaltung im Ghetto ihre Aufträge vom deutschen Arbeitsamt, das unter der Leitung des SA -Hauptsturmführers Fritz Jordan stand. Das deutsche Arbeitsamt stellte den Bedarf an zivilen Arbeitskräften fest, das Rüstungskommando der Wehrmacht den militärischen, und beide richteten ihre Forderungen an die Arbeitsabteilung der jüdischen Ghettoverwaltung.86 Ab Februar 1942 wurde eine Außenstelle des deutschen Arbeitsamtes innerhalb des Ghettos eingerichtet. Leiter dieser Außenstelle war SA -

83 Denkschrift Rosenberg, 29.4.1941, in: Der Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof. Nürnberg, 14. November 1945-1. Oktober 1946, Bd.26, Nürnberg 1947, S.560-566. 84 Dieckmann: Deutsche Besatzungspolitik (Anm.81), Bd.1, S.658; Tilman Plath: Zwischen Schonung und Menschenjagden. Die Arbeitseinsatzpolitik in den baltischen Generalbezirken des Reichskommissariats Ostland 1941-1944, Essen 2012, S.50-54. Zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz siehe den Beitrag von Swantje Greve in diesem Band. 85 Dieckmann: Deutsche Besatzungspolitik (Anm.81), Bd.1, S.660. 86 Ebd., Bd.2, S.1074.

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Obersturmführer Gustav Hörmann, der eng mit dem jüdischen Arbeitsamt unter Dr. Isaac Rabinovič zusammenarbeitete.87 Im Reichskommissariat Ostland, zu dem Litauen unter deutscher Besatzung gehörte, wie im gesamten besetzten sowjetischen Gebiet waren Juden durch die Verordnung des Reichsministers für die besetzten Ostgebiete vom 16. August 1941 zur Zwangsarbeit verpflichtet bzw. konnten von Unternehmen und Behörden eingesetzt werden. Die geringfügige Entlohnung, die dabei anfiel, wurde zwischen der Besatzungsverwaltung und den jeweiligen Judenräten geteilt, die wiederum für die Versorgung der Menschen im Ghetto zu sorgen hatten.88 Im Angesicht der Mordwelle waren die jüdischen Überlebenden sehr daran interessiert, durch Arbeit (vorläufig) von den Erschießungen ausgenommen zu werden. »Arbeit rettet unser Leben« war die Leitlinie der Judenräte auch in den noch verbliebenen Ghettos in den besetzten sowjetischen Gebieten. Während im Sommer 1941 die deutsche Besatzungsverwaltung ebenso wie die Wehrmachtsstellen noch davon ausgingen, dass die verbliebenen jüdischen Arbeitskräfte bald getötet werden würden, machte der gescheiterte »Blitzkrieg« gegen die Rote Armee mit der Niederlage der Wehrmacht vor Moskau im Dezember 1941 endgültig deutlich, dass der Krieg länger dauern würde und Arbeitskräfte zu einer entscheidenden Ressource wurden. Anfang Dezember 1941 verfügte daher der Reichskommissar für das Ostland, Hinrich Lohse, die Morde an den Juden zu unterbrechen. Zu diesem Zeitpunkt lebten noch etwa 17500 Juden und Jüdinnen im Ghetto Kaunas.89 Nach den Massenmorden bot das Ghetto nun minimalen Schutz; aber wie sollte ein Alltag überhaupt organisiert werden? Juden im Ghetto lebten unter einem permanenten Druck: dem der periodisch wiederkehrenden Selektionen, die für die »Arbeitsunfähigen« den Tod bedeuteten, Hunger, Kälte und Krankheiten sowie der Zwangsarbeit. Der Wille zu überleben wurde zum höchsten Wert. »A sho gelebt ist oych gelebt« (Eine Stunde gelebt ist auch gelebt), formulierte Shmuel Gringauz, der das Ghetto Kaunas überlebte, die Maxime unter den 87 Joachim Tauber: Arbeit als Hoffnung. Jüdische Ghettos in Litauen 19411944, Berlin/Boston 2015, S.138; Christoph Dieckmann: Das Ghetto und das Konzentrationslager in Kaunas 1941-1944, in: Ulrich Herbert/Karin Orth/ Christoph Dieckmann (Hg.): Die nationalsozialistischen Konzentrationslager. Entwicklung und Struktur, 2 Bde., Frankfurt am Main 2002, Bd.1, S.439-471, hier S.447. 88 Tauber (Anm.87), S.114-119; Plath (Anm.84), S.402-408; Dieckmann: Deutsche Besatzungspolitik (Anm.81), Bd.1, S.664f. 89 Ebd., Bd.2, S.1010; Leiserowitz (Anm.80), S.216.

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Ghettobewohnern.90 Die Juden in den besetzten sowjetischen Gebieten wussten sehr genau, dass nur die Niederlage der Deutschen ihre Rettung sein konnte. Daher erhofften sie den Sieg der Roten Armee und versuchten, bis dahin auszuhalten, durchzuhalten, Zeit zu gewinnen.91 Seit August 1941 gab es eine »Jüdische Arbeitseinsatzstelle GhettoGemeinde Vilijampole«, bei der ein Register für alle jüdischen Arbeitskräfte geführt wurde. Es wurden Arbeitsausweise, sogenannte »Jordanscheine«, später Arbeitskarten ausgegeben, die Schutz vor weiteren Selektionen bieten konnten.92 In drei großen Aktionen von Ende September bis Ende Oktober hatten SS und Polizei diejenigen im Ghetto, die über keinen Arbeitsausweis verfügten, selektiert und noch einmal über 10000 Menschen ermordet – eine »Ausforstung«, wie es der Chef der Gestapo beim Kommandeur der Sicherheitspolizei und des SD Litauen, H. Schmitz, in einer Nachkriegsvernehmung bezeichnete.93 Im Februar 1942 planten SS und Polizei offenbar eine weitere »Säuberungsaktion« im Ghetto, nach der etwa 3000-4000 jüdische Handwerker zunächst weiterarbeiten, aber die sogenannte »Intelligenz« ermordet werden sollte. Hörmann hatte auf Weisung der Polizei eine Liste zu erstellen, auf der Juden nach Berufsgruppen und Geschlecht erfasst werden sollten, sowie eine Liste sämtlicher Akademiker, älterer sowie nicht zur Zwangsarbeit eingeteilter, alleinstehender Jüdinnen, insgesamt 2000-3000 Menschen. Hörmann fälschte jedoch mit seinen jüdischen Mitarbeitern die Liste, indem er ausschließlich Handwerker, Angelernte und Hilfsarbeiter als Berufe angab. Der »Judensachbearbeiter« der Gestapo in Kaunas, Ernst Stütz, war gegenüber diesen Angaben misstrauisch, aber die geplante »Säuberungsaktion« fand nicht statt.94 Waren zunächst Juden an Arbeitsorten überall in der Stadt eingesetzt, schlug der Ältestenrat vor, auch im Ghetto selbst Werkstätten zu errichten, was der deutsche Stadtkommissar Anfang Dezember verfügte. In kurzer Zeit wurden Betriebe für Dinge unterschiedlichen Bedarfs aufgebaut; es gab ebenso eine Drechslerwerkstatt wie eine Wäscherei. 1942 wurde an der Ghettogrenze eine Möbelfabrik errichtet. Entsprechend stieg die Zahl der Arbeitskräfte. Gab es Anfang April 1942 90 Zit. nach Dieckmann: Deutsche Besatzungspolitik (Anm.81), Bd.2, S.1050. 91 Ebd., S.1053. 92 Tauber (Anm.87), S.129; Leiserowitz (Anm.80), S.221; Dieckmann: Deutsche Besatzungspolitik (Anm.81), Bd.2, S.1072-1075. 93 Dieckmann: Das Ghetto und das Konzentrationslager in Kaunas (Anm.87), S.446-448. 94 Ebd., S.448f.

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etwa 400 jüdische Beschäftigte, so waren es im April 1943 9705, davon 4765 Männer und 4940 Frauen. Zu diesem Zeitpunkt lebten 15888 Menschen im Ghetto, darunter 3611 unter 16 Jahren (im Sommer 1942 erging ein striktes Schwangerschaftsverbot; im September musste der jüdische Ältestenrat verkünden, dass jede schwangere Frau erschossen würde).95 Nahezu 80% der erwachsenen Ghettobewohner befanden sich demnach im Arbeitseinsatz. Ab Juni 1942 wurden Ghettoausweise eingeführt, und die jüdische Selbstverwaltung legte eine vollständige Kartei aller Ghettobewohner an. Wie im Generalgouvernement hatten die Wehrmachtsstellen einen Lohn für die jüdischen Arbeitskräfte zu bezahlen, der etwa 80% des tariflichen Lohns entsprechen sollte. Allerdings erhielt dieses Geld nahezu vollständig die deutsche Besatzungsverwaltung. Erhebliche Summen seien dadurch monatlich in die Stadtkasse geflossen, während die Versorgung des Ghettos völlig unzureichend blieb.96 Im April 1943 arbeiteten knapp 6000 Juden außerhalb, etwa 3700 innerhalb des Ghettos. Ein wichtiger Arbeitsort war der Flugplatz in Kaunas. Bereits im September 1941 wurden dafür rund 1000 jüdische Arbeitskräfte angefordert, zwei Monate später waren tagsüber rund 2000 Juden dort im Einsatz und im Juni 1942 kurzzeitig sogar 2500. Der Flughafen lag 15 Kilometer weit entfernt, das heißt, täglich musste eine Strecke von 30 Kilometern zur und von der Arbeitsstelle zurückgelegt werden; zudem war die Arbeit schwer, sodass sich nicht immer genügend Freiwillige meldeten. Dennoch drang der Ältestenrat darauf, die Anforderungen zu erfüllen, weil das Weiterbestehen des Ghettos mit der Zwangsarbeit beim Flughafen eng verknüpft war. Rund um Kaunas existierten etliche Zwangsarbeitslager, worunter das Lager in Palemonas, wo etwa hundert jüdische Arbeiter unter schrecklichen Bedingungen Torf stechen mussten, das berüchtigste war.97 Aber auch Unternehmen in Kaunas wie die Baufirma Grün und Bilfinger besaßen einen schlechten Ruf, da einzelne Angestellte, wie hier der Ingenieur Bolt, die beschäftigten Juden drangsalierten. Hörmann intervenierte gegen die unzureichende Verpflegung bei Grün und Bilfinger und wurde von Bolt angefahren, wie es sein könne, dass ein SA 95 Dieckmann: Deutsche Besatzungspolitik (Anm.81), Bd.2, S.1098f. 96 Leiserowitz (Anm.80), S.221f.; Dieckmann: Deutsche Besatzungspolitik (Anm.81), Bd.2, S.1078-1081; ausführlich zur Entlohnung Tauber (Anm.87), S.226-248. 97 Dieckmann: Deutsche Besatzungspolitik (Anm.81), Bd.2, S.1082-1091; Tauber (Anm.87), S.190-195.

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Frauen bei der Arbeit im Ghetto Kaunas, o.D. [1942-1944]

Obersturmführer sich für Juden einsetze.98 In einem Vermerk des deutschen Arbeitsamtes an den Gebietskommissar vom Oktober 1942 wurde festgehalten, dass Hörmann sich für eine bessere Verpflegung bei Grün und Bilfinger eingesetzt habe und deshalb »persönliche Unannehmlichkeiten« hinnehmen musste.99 Da sowohl Besatzungsverwaltung, Wehrmacht sowie deutsche Unternehmen immer stärker auf jüdische Arbeitskräfte angewiesen waren, unternahm die deutsche Polizei häufig Hausdurchsuchungen im Ghetto, um Juden zu entdecken, die sich der Arbeitspflicht entzogen, worauf die Todesstrafe stand.100 1943 gelang es der SS , die Ghettos und Arbeitslager auch in den besetzten sowjetischen Gebieten zu übernehmen. Nach dem Aufstand im Warschauer Ghetto im April/Mai 1943 ordnete Himmler nach Rücksprache mit Hitler am 21. Juni 1943 an, »alle im Gebiet Ostland noch in Ghettos vorhandenen Juden in Konzentrationslager zusammen zu fassen«.101 Die Ghettos in Vilnius und anderen Orten wurden aufgelöst, und Kaunas wurde zum zentralen Konzentrationslager in Litauen. Von den 23980 Juden, die Ende August 1943 noch in Litauen gearbeitet hatten, lebten einen Monat später nur noch 9065. Alle anderen hatte die SS nach Estland deportiert und ermordet.102 98 99 100 101

Vernehmung Hörmann, 3.11.1960, zit. nach Tauber (Anm.87), S.189. Ebd., S.246, Anm.953. Dieckmann: Deutsche Besatzungspolitik (Anm.81), Bd.2, S.1074. Befehl Himmlers vom 21.6.1943, abgedruckt in Longerich: Politik der Vernichtung (Anm.9), S.148f.; vgl. Dieckmann: Deutsche Besatzungspolitik (Anm.81), Bd.2, S.1248f.; Tauber (Anm.87), S.345f. 102 Dieckmann: Deutsche Besatzungspolitik (Anm.81), Bd.2, S.1290.

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In Kaunas informierte Hörmann Ende Juli den Vorsitzenden des jüdischen Ältestenrates, Dr. Elkhanan Elkes, über die geplante Übernahme des Ghettos durch die SS und die zu erwartenden Erschießungen, sodass dieser versuchen konnte, Fluchtmöglichkeiten und Verstecke zu organisieren. Es dauerte bis Oktober, bis die SS die Kontrolle vollständig erhielt und der SS -Obersturmbannführer Wilhelm Göcke die Leitung des nunmehrigen Konzentrationslagers Kaunas übernahm. Noch im Oktober kam es zu großen Menschenjagden im Ghetto, in deren Folge etwa 2700 Juden gefasst wurden, von denen 2000 zur Zwangsarbeit in den Ölschieferabbau nach Estland und die restlichen Menschen nach Auschwitz deportiert wurden. Im März 1944 suchte die SS Kinder und alte Menschen im Ghetto. Nach den Berichten von Überlebenden war diese Razzia »das Schrecklichste, was man im Ghetto erleben musste«. Etwa 1000 Kinder unter zwölf Jahren und 300 Menschen älter als 55 Jahre wurden gefasst und ermordet. Angesichts der heranrückenden Roten Armee räumten SS und Polizei im Juli 1943 das Ghetto. Etwa 3000 Juden wurden mit der Bahn nach Westen verschleppt; die Häuser des Ghettos niedergebrannt, sodass vermutlich etwa 2000 Menschen, die sich versteckt hatten, erstickten und verbrannten. Nur 265 Überlebende wurden von der Roten Armee am 1. August 1944 befreit.103

Fazit Die deutsche Arbeitsverwaltung in den besetzten Gebieten Osteuropas, hier an den Beispielen des Warthegaus, Generalgouvernements und Litauens aufgezeigt, war ganz unterschiedlich in die Besatzungsverwaltung integriert. Während im Reichsgau Wartheland, das Teil des Deutschen Reiches wurde und »germanisiert« werden sollte, das Reichsarbeitsministerium darauf drängte, wie im übrigen Reich die Weisungsbefugnis für die Arbeitsverwaltung zu erhalten und, wenn auch letztlich vergeblich, mit dem Reichsstatthalter Arthur Greiser um die Kompetenzen stritt, unterstand die Arbeitsverwaltung in Zentralpolen der Verwaltung des Generalgouverneurs Hans Frank und in den besetzten Gebieten dem Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete unter Arthur Rosenberg bzw. den jeweiligen regionalen Reichskommissaren. Dennoch bestanden enge personelle Verbindungen zwischen den Arbeitsverwaltungen in den besetzten Gebieten mit dem Deutschen Reich. Bis zum November 1939 baute der vormalige Staatssekretär 103 Ebd., S.1289-1301; Tauber (Anm.87), S.367-369.

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im Reichsarbeitsministerium Dr. Johannes Krohn die »Hauptabteilung Arbeit« in der Regierung des Generalgouvernements auf. Im gesamten Apparat der Arbeitsverwaltung im Generalgouvernement waren knapp 30% Deutsche, selbstredend in den leitenden Positionen tätig. Davon stammten weit über die Hälfte aus dem Reich, wie der oben erwähnte Heinz Weber, der vom Arbeitsamt Karlsruhe zunächst zum Arbeitsamt Reichhof und von dort 1941 in das besetzte Lemberg abgeordnet wurde, wo er Leiter der deutschen Arbeitsvermittlungsstelle im jüdischen Ghetto wurde. In den besetzten sowjetischen Gebieten war der Ministerialdirigent aus dem Reichsarbeitsministerium Dr. Günther Rachner Leiter der Chefgruppe Arbeit im Wirtschaftsstab Ost und zugleich der Abteilung Arbeit und Soziales im Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete. In Litauen stammten etliche Beamte der Arbeitsverwaltung aus den Arbeitsämtern in Ostpreußen. Wenn auch hinsichtlich der Unterstellungsverhältnisse das Reichsarbeitsministerium keine Weisungsbefugnisse besaß, so waren doch die personellen Verknüpfungen – und damit auch die administrative Erfahrung und Kontinuität bürokratischer Verwaltungspraxis – mit der reichsdeutschen Arbeitsverwaltung eng. Auch wenn die Leiter und Mitarbeiter der Arbeitsämter nicht die Täter an den Erschießungsgräben und in den Vernichtungslagern bildeten, waren sie dennoch am Holocaust beteiligt. Denn sie erfassten, registrierten und bestimmten, wer in den jüdischen Ghettos als »arbeitsfähig«, wer dagegen als »arbeitsunfähig« galt und damit dem Tod überantwortet wurde. Gerade weil aufgrund des immensen Arbeitskräftebedarfs die SS und Polizei ab Ende 1941 in ihren Mordaktionen vorläufig gezwungen waren, den Einsatz von jüdischen Zwangsarbeitern und Zwangsarbeiterinnen in den besetzten Gebieten nicht zu beeinträchtigen, waren die Selektionen, die die Arbeitsämter vornahmen, die Vorlage für die Mörder, wer aus den Ghettos ergriffen und getötet werden sollte. Dass den Angehörigen der Arbeitsverwaltung klar war, welches Schicksal die »aussortierten« Menschen erwartete, macht die erwähnte Zeugenaussage von Hans Hantelmann, dem ehemaligen Mitarbeiter des Arbeitsamtes in Jasło, nur zu deutlich. Es gab jedoch auch Handlungsmöglichkeiten und Entscheidungsräume, sich nicht an den Massenverbrechen zu beteiligen. Adalbert Szepessy, bis Juni 1942 Leiter der Nebenstelle des Arbeitsamtes im Ghetto Krakau, stellte Ausweise aus, änderte Berufe auf den Kennkarten, um Juden vor der drohenden Deportation zu retten. Der SA Obersturmführer Gustav Hörmann, Leiter der Nebenstelle im Ghetto Kaunas, kümmerte sich um die Versorgung jüdischer Zwangsarbeiter und fälschte Listen, um die SS zu täuschen und eine Mordrazzia im

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Ghetto abzuwenden. Andere wiederum unterstützten aktiv die Vernichtungspolitik. Nach der Übernahme der Kontrolle über die Ghettos durch die SS 1943 endete die Rolle der Arbeitsverwaltung als Instanz für die Organisation des jüdischen Zwangsarbeitseinsatzes. Bis zu diesem Zeitpunkt waren die Arbeitsämter strukturell und administrativ in die mörderische Selektion der jüdischen Menschen in den Ghettos eingebunden, aber es gab für die Angehörigen der Arbeitsverwaltung in den besetzten Gebieten keine Zwangsläufigkeit, sich am Judenmord zu beteiligen. Offenkundig existierten Handlungsoptionen, um nicht Anteil an dem Massenmord zu haben. Es blieb eine persönliche Entscheidung, Mittäter zu werden oder alles zu tun, um Menschenleben zu retten.

Epilog: Ghettorenten Die Geschichte der Restitution geraubter Vermögen und der materiellen Entschädigung für erlittenes Unrecht durch das NS -Regime ist, so Constantin Goschler, »ein zentraler Teil der Nachgeschichte des Dritten Reiches, die wiederum eng in die jeweiligen deutschen Nachkriegsgegenwarten hinein verflochten war und ist«.104 Das Londoner Schuldenabkommen von 1953 hatte festgelegt, dass Forderungen von ausländischen Staaten, gegen die das nationalsozialistische Deutschland Krieg geführt hatte bzw. die besetzt gewesen waren, bis zu einer endgültigen Regelung der Reparationsfrage zurückgestellt werden sollten. Damit bot sich für die Bundesrepublik Deutschland – die DDR lehnte grundsätzlich jedwede Entschädigungsleistungen ab – die rechtliche Möglichkeit, alle Entschädigungsforderungen für ausländische NS -Verfolgte abzuwehren, bis die 2-plus-4-Verhandlungen zur deutschen Vereinigung 1990/91 die Frage der Reparationen wieder auf die Tagesordnung brachten. Das Bundesentschädigungsgesetz von 1956, mit dem vornehmlich KZ -Haft abgegolten wurde, galt im Prinzip nur für Deutsche. Doch hatte Deutschland parallel zu den Londoner Verhandlungen mit Israel ein Abkommen über eine Pauschalentschädigung abgeschlossen 104 Constantin Goschler: Wiedergutmachungspolitik  – Schulden, Schuld und Entschädigung, in: Peter Reichel/Harald Schmid/Peter Steinbach (Hg.): Der Nationalsozialismus  – Die zweite Geschichte. Überwindung  – Deutung  – Erinnerung, München 2009, S.62-84. Vgl. dazu Constantin Goschler: Schuld und Schulden. Die Politik der Wiedergutmachung für NS -Verfolgte seit 1945, 2. Aufl., Göttingen 2008.

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und verfuhr in den folgenden Jahren gleichermaßen mit westeuropäischen Staaten, nach 1989 auch mit osteuropäischen. Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen waren jedoch von diesen Zahlungen mit Hinweis auf das Londoner Abkommen ausdrücklich ausgenommen. Erst als Ende der 1990er-Jahre große deutsche Unternehmen mit Sammelklagen konfrontiert wurden, kam wieder Bewegung in die Auseinandersetzung. Als Ergebnis wurde im Jahr 2000 eine Stiftung gegründet, in die deutsche Unternehmen zusammen mit der Bundesrepublik rund 10 Milliarden DM einzahlten, und aus deren Vermögen ehemalige Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen einmalige Pauschalzahlungen erhielten. Im Zuge dieser Debatten wurde in der Bundesrepublik dann auch darüber diskutiert, dass denjenigen, die als Ghettobewohner Arbeit geleistet hatten, Rentenansprüche zustehen. 1997 beschloss das Bundessozialgericht anhand eines Falls aus dem Ghetto Litzmannstadt (Łódź), dass sich aus der Beschäftigung in einem Ghetto grundsätzlich dieselben Ansprüche ergeben können wie auch sonst in der Sozialversicherung.105 Nachdem das Bundessozialgericht eine gesetzliche Regelung anmahnte, verabschiedete der Bundestag 2002 das Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG ), durch das Renten auch ins Ausland gezahlt werden können, wenn glaubhaft gemacht werden kann, »aus eigenem Willensentschluss in einem Ghetto gegen Entgelt beschäftigt« (ZRBG §1) gewesen zu sein.106 Die beiden entscheidenden Kriterien »eigener Willensentschluss« und »Entgelt« waren zum einen notwendig, um die Rentenansprüche von Entschädigungsleistungen nach dem Bundesentschädigungsgesetz und von Zahlungen für geleistete Zwangsarbeit, die von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft (EVZ ) vorgenommen werden, zu unterscheiden. Zum anderen wurde jedoch 105 Urteil vom 18.6.1997, BSG , B  5 Rj 66/95  B, abgedruckt in Stephan Lehnstaedt: Geschichte und Gesetzesauslegung. Kontinuität und Wandel des bundesdeutschen Wiedergutmachungsdiskurses am Beispiel der Ghettorenten, Osnabrück 2011, S.114-122; vgl. dazu Jan-Robert von Renesse: Wiedergutmachung fünf vor zwölf. Das »Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto«, in: Jürgen Zarusky (Hg.): Ghettorenten. Entschädigungspolitik, Rechtsprechung und historische Forschung, München 2010, S.13-37; Stephan Lehnstaedt: Wiedergutmachung im 21.  Jahrhundert. Das Arbeitsministerium und die Ghettorenten, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 61 (2013), H.3, S.363-390. Ich danke Annette Schicke, Bundesministerium für Arbeit und Soziales, für wertvolle Hinweise. 106 BGB l.I 2002, S.2074; vgl. Lehnstaedt: Wiedergutmachung im 21. Jahrhundert (Anm.105), S.369-373.

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mit dem ZRBG endlich eine Gleichstellung der jüdischen Arbeiter und Arbeiterinnen mit Nichtjuden erreicht, denn die Firmen, in denen jüdische Ghettoinsassen beschäftigt waren, hatten in der Regel mit dem Lohn auch Sozialversicherungsbeiträge abgeführt, die den jüdischen Beschäftigten nach dem Krieg verwehrt geblieben waren. In der praktischen Umsetzung des ZRBG zeigten sich jedoch gravierende Mängel, weil Rentenversicherungsträger wie Sozialgerichte keine Kenntnis über die tatsächlichen Bedingungen in den Ghettos besaßen und anhand von lebensfernen Kriterien entschieden. So mussten die Antragsteller beispielsweise in einem Fragebogen angeben, ob das Arbeitsverhältnis »freiwillig«, »durch Vermittlung« oder »durch Zuweisung« zustande gekommen war. Wurden alle drei Möglichkeiten angekreuzt, was der Alltagswirklichkeit in den Ghettos entsprach, führte das in der Regel zur Ablehnung des Antrages, weil die »Freiwilligkeit« des Arbeitsverhältnisses nicht eindeutig gegeben gewesen sei.107 Von den rund 70000 bereits bis zum Jahr 2006 eingereichten Anträgen wurden 61000 abgelehnt und lediglich 5000 positiv beschieden, eine Quote von 8%!108 Auch die Klagen der abgelehnten Antragsteller vor den Sozialgerichten führten zunächst zu keiner Änderung, weil viele Richter ebenfalls in Unkenntnis der tatsächlichen Bedingungen im Ghetto nur Zwang erkennen mochten und keine »Freiwilligkeit«. Erst langsam setzte sich die Erkenntnis der komplizierten Lage durch: Selbstverständlich waren jüdische Menschen durch Zwang in die Ghettos gepfercht worden und der Hunger sowie die Furcht vor der drohenden Deportation trieben sie dazu, Arbeit zu suchen. Wie Uri Chanoch, Überlebender des Ghettos Kaunas, bei der Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages am 10. Dezember 2012 betonte: »Mein Vater ist zur Arbeit gegangen und hat eine Arbeitskarte gehabt. Meine Mutter hatte auch eine Arbeitskarte und meine Schwester Miriam. Ich hatte keine Arbeitskarte, denn ich war zu klein. Aber ich konnte schon arbeiten. […] Ich habe mich gemeldet beim deutschen Arbeitsamt als Eilbote. Eilbote war ein guter Job, das muss ich zugeben. Aber, dann habe ich verstanden: Wer nicht arbeitet, den wird man töten. Es gab da keine Zwangsarbeit. Alle wollten arbeiten.«109 107 Ebd., S.376. 108 Ebd., S.365; eine detaillierte Übersicht findet sich ebd., S.380. 109 Protokoll der öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales des Deutschen Bundestages am 10.12.2012, Protokoll 17/118, S.1856,

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Auch aus Israel war die Kritik an der Urteilspraxis deutscher Sozialgerichte unüberhörbar geworden und hatte bei der Bundesregierung zur Zusicherung geführt, Abhilfe zu schaffen.110 2009 korrigierte das Bundessozialgericht in einem höchstrichterlichen Urteil die bisherige Praxis und erklärte, dass der »eigene Willensentschluss« als Regelfall gelten müsse, da die Ghettobewohner ein Interesse daran gehabt hätten, zu arbeiten. Im Falle der Entlohnung müssten auch die Niedriglöhne und Naturalentgelte, die die Rentenversicherer und Sozialgerichte nicht als »Entgelt« akzeptiert hatten, anerkannt werden.111 Nach diesen Urteilen änderten Rentenversicherer und Sozialgerichte ihre Entscheidungspraxis, erkannten jedoch hinsichtlich der sogenannten »Heilung« bereits rechtskräftiger Urteile bzw. Entscheidungen, also in der Behandlung der 61000 erfolgten Ablehnungen, nur eine Rückwirkung von vier Jahren an, setzten also statt des ursprünglich fixierten Rentenbeginns 1997 das Jahr 2005 als Beginn der Rentenzahlungen fest. Auch im Bundestag, der nach der Verabschiedung des ZRBG 2002 davon ausgegangen war, dass Bundesarbeitsministerium, Rentenversicherungsträger und Sozialgerichte eine angemessene praktische Umsetzung bewerkstelligen würden, regte sich ein Umdenken. Der CDU Rentenexperte und Bundestagsabgeordnete Peter Weiß sprach es in der Plenardebatte im Deutschen Bundestag im Mai 2014 deutlich aus: »Es war 2002 nicht die Absicht der deutschen Parlamentarier, ein Gesetz zu verabschieden, bei dem 90% der Betroffenen anschließend gar keine Leistung bekommen, weil die meisten Anträge durch die Behörden abgelehnt werden.«112 Innerhalb kurzer Zeit arbeitete das Bundesministerium für Arbeit und Soziales unter Andrea Nahles ein Novellierungsgesetz des ZRBG aus, das der Bundestag im Juni einstimmig verabschiedete und das zum 1. August 2014 in Kraft trat und nun ermöglichte, das die Rentenbescheide rückwirkend ab 1997 ausgezahlt werden können.113

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Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Chanoch erwähnte auch Gustav Hörmann, den er als »guten Menschen« bezeichnete, der nicht geschlagen und geschimpft habe (ebd.); vgl. auch Kristin Platt: Bezweifelte Erinnerung, verweigerte Glaubwürdigkeit. Überlebende des Holocaust in den Ghettorenten-Verfahren, München 2012. Lehnstaedt: Wiedergutmachung im 21. Jahrhundert (Anm.105), S.379. Ebd., S.366f. Zit. nach Stephan Lehnstaedt: Der Deutungsstreit um die »Ghettorenten«. Anmerkungen zur Diskurspraxis des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 63 (2015), H.1, S.109-118, hier S.116. Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto vom 15.7.2014, BGBl.I 2014, S.952-953.

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IV. Das Ministerium nach 1945

Arbeitsverwaltung vor Gericht Das Reichsarbeitsministerium und die Nürnberger Prozesse 1945-1949

Kim Christian Priemel

Zwei Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, im Mai 1947, setzte sich der Ministerialrat an den Tisch in seiner Gefängniszelle, die unmittelbar an den Nürnberger Justizpalast angebaut war, und begann zu schreiben. Walter Letsch, Jahrgang 1895, promovierter Volkswirt, seit vielen Jahren in der deutschen Arbeitsverwaltung tätig und dort zuletzt für die Rekrutierung und Verteilung osteuropäischer Arbeitskräfte zuständig, wollte einen Rechenschaftsbericht aufsetzen, ein Genre, das  – in seiner eigentümlichen Mischung von Apologetik und Expertise  – seinen Bedürfnissen recht genau entsprach. Betitelt mit Das Reichsarbeitsministerium und der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz beim Ausländereinsatz im Zweiten Weltkrieg, hob der Bericht an, verschiedene Ziele mit einem Rundumschlag zu erfüllen und den amerikanischen Staatsanwälten sowohl die erbetenen Einblicke in das Dickicht des deutschen Behördenwesens zu geben als auch die eigene Rolle im millionenfachen Zwangsarbeitereinsatz während des Zweiten Weltkrieges kleinzureden. Zu diesem Zweck holte der Ministerialrat weit aus und zog historische Linien zur traditionellen Arbeitsmigration ins Deutsche Reich seit dem 19. Jahrhundert, um dann detail- und kenntnisreich Ordnung in die Verwaltungsstruktur des NS-Staats zu bringen. Abteilung für Abteilung arbeitete er das Ressort ab und charakterisierte knapp das Führungspersonal, den Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz (GBA) Fritz Sauckel eingeschlossen. Letsch betonte besonders den schon vor dem Krieg gestiegenen Druck auf die Arbeitsverwaltung, den Bedarf der großdeutschen Kriegswirtschaft zu decken, namentlich aus den Reihen der privaten Wirtschaft sowie durch den stetig expandierenden Apparat des Reichsministeriums für Rüstung und Kriegsproduktion. Im Bemühen, die Kontinuität ordentlicher Verwaltungsarbeit sicherzustellen, schien das Ministerium gleichermaßen getrieben wie zerrieben zwischen den stärkeren konkurrierenden Instanzen.1 1 Das Reichsarbeitsministerium und der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz beim Ausländereinsatz im Zweiten Weltkrieg, 14.5.1947, Staatsarchiv Nürnberg (StAN), Rep.502, KVA , Interrogations, L-40.

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Letsch war nicht der einzige Beamte des früheren Reichsarbeitsministeriums, der 1947 zur Feder griff, um die Politik seiner Behörde sowie sich selbst zu erklären. Sein Kollege Walter Stothfang, Jahrgang 1902, auch er promovierter Ökonom und bis vor kurzem noch Ministerialrat im Reichsarbeitsministerium sowie persönlicher Referent Sauckels, verfasste im September 1947 ein ausführliches Memorandum für die Nürnberger Ankläger, in dem er in vielen Einzelheiten die Rekrutierung ausländischer Arbeitskräfte für die deutsche Kriegswirtschaft schilderte, säuberlich aufgeschlüsselt nach Zeitabschnitten, Ländern, Besatzungsstatus und Zuständigkeiten. Stothfangs Bericht ähnelte Letschs sichtlich, erschien doch auch hier das Reichsarbeitsministerium, insbesondere die zum GBA abgestellten Abteilungen, als Stimme der Vernunft gegenüber den radikalen Forderungen von SS und NSDAP sowie dem Eigennutz der Arbeitgeber.2 Letsch und Stothfang hatten zu diesem Zeitpunkt bereits Zeit und Gelegenheit gehabt, sich Rechtfertigungsfragen zu widmen. Als hochrangige Ministerialbeamte sowie Parteimitglieder waren sie im Mai 1945 vom automatic arrest erfasst und, nach Stationen in verschiedenen Internierungseinrichtungen, schließlich in Nürnberg inhaftiert worden, wo sie nicht nur auf ihre beiden Chefs, Sauckel und Reichsarbeitsminister Fritz Seldte, sondern auch auf eine Reihe von Kollegen trafen, darunter Hubert Hildebrandt, Letschs Pendant für Westeuropa, sowie ihren gemeinsamen Vorgesetzen, den Leiter der Hauptabteilung  VI (Arbeitseinsatz), Max Timm. Mit Wilhelm Kimmich (HA III , Arbeitsrecht, Lohn- und Sozialpolitik) und Wilhelm Börger (HA I, Haushalt) waren zudem zwei weitere Hauptabteilungsleiter vorgeladen worden. Zwischen Spätsommer 1946 und Frühjahr 1947 fand sich in Nürnberg somit eine kleine, jedoch illustre Schar ehemaliger Beamter des Ministeriums ein, deren Schicksal einstweilen weder ihnen selbst noch ihren Vernehmern klar war. Ob Sie als Zeugen oder potenzielle Angeklagte einsaßen, war über mehrere Monate keineswegs ausgemacht. So waren Timm, Hildebrandt und Stothfang 1946 zum Internationalen Militärtribunal (IMT ) gebracht worden war, um für Sauckel auszusagen.3 Dass aus Zeugen vor dem Viermächte-Tribunal sehr schnell Angeklagte in den folgenden Verfahren vor den Nuernberg Military 2 [Stothfang], unbetiteltes Memorandum, 7.9.1947, StAN, Rep.502, KVA , Interrogations, S-318. 3 Zeugenbefragungen 31.5.1946 und 1.6.1946, in: Trial of the Major War Criminals Before the International Military Tribunal, Nuremberg 14 November 1945-1 October 1946, Bd.15, Nürnberg 1948, S.207-247. Die gesamte Ausgabe umfasst 42 Bde., Nürnberg 1947-1949; im Folgenden unter der Sigle IMT .

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Max Timm (geb. 19.3.1898 in Lunden) nahm nach Weltkriegsteilnahme und Kriegsgefangenschaft 1920 ein Studium der Volkswirtschaft in Köln auf und wurde 1923 in Göttingen zum Dr. rer. pol. promoviert. 1928 übernahm er, nach einigen Jahren in der Privatwirtschaft, die Leitung des Arbeitsamts Heide in Holstein. Im April 1933 ersetzte er in der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung den aufgrund des »Berufsbeamtengesetzes« entlassenen Oberregierungsrat Albert Gutmann. Im Mai 1933 trat Timm der NSDAP bei. Es folgten ein steiler Aufstieg in der Reichsanstalt und die Ernennung zum Ministerialdirigenten. Unter dem Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz wurde er Leiter der Hauptabteilung VI (Europaamt für den Arbeitseinsatz) und zeichnete für die Rekrutierung von Zwangsarbeitern verantwortlich. Seit 1941 verschlechterte sich sein gesundheitlicher Zustand, der ihn gegen Ende des Krieges zu längeren Arbeitspausen zwang. Nach dem Krieg trat Timm als Regierungsdirektor in den Landesdienst von Schleswig-Holstein ein. Quellen und Literatur: Personalakte Max Timm, Bundesarchiv R 3901/20456; Klaus-Detlev Godau-Schüttke: Die Heyde/Sawade-Affäre. Wie Juristen und Mediziner den NS -Euthanasieprofessor Heyde nach 1945 deckten und straflos blieben, Baden-Baden 2010, S. 126 f.

Tribunals (NMT ) wurden, konnte dem halben Dutzend Beamten des Reichsarbeitsministeriums indes kaum entgehen, als sich in den ersten drei NMT -Prozessen der Generalkommissar für das Sanitäts- und Gesundheitswesen Karl Brandt sowie die Staatssekretäre Erhard Milch und Franz Schlegelberger auf der Anklagebank wiederfanden.4 Über etwa ein Jahr hinweg  – zwischen Herbst 1946 und Herbst 1947 – befanden sich Letsch, Stothfang und ihre Kollegen somit in anhaltender Unsicherheit, gewissermaßen im Nürnberger Limbus. Erst als mit dem sogenannten Wilhelmstraßen-Prozess das letzte Verfahren zur Ministerialverwaltung des »Dritten Reiches« mit der Anklageerhebung im November 1947 begann, konnten die Arbeitsverwalter aufatmen. Sofern sie indes die Fragestrategien der amerikanischen Ankläger zuvor aufmerksam verfolgt hatten, wiesen die Indizien bereits früher darauf hin, dass die Gruppe aus dem Arbeitsressort den Gerichtssaal nur noch aus der Perspektive des Zeugenstandes sehen würde. Zu diesem Ausgang leisteten die Laufbahnbeamten selbst einen greifbaren Beitrag, indem sie den Anklägern gaben, was diese wollten – Informationen zum Zwangsarbeitseinsatz und den beteiligten Stellen  –, aber 4 Vgl. die Beiträge in Kim C. Priemel/Alexa Stiller (Hg.): NMT . Die Nürnberger Militärtribunale zwischen Geschichte, Gerechtigkeit und Rechtschöpfung, Hamburg 2014.

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beinahe ebenso viel vorenthielten, nämlich all jene Fakten, die sie selbst zu inkriminieren drohten. Das Bild des Reichsarbeitsministeriums als konservativ geführte, aber schwache Behörde ging maßgeblich auf diese Verhör- und Antwortstrategien zurück.

Arbeitspolitik vor Gericht Die Absicht, Kriegsverbrechen der Achsenmächte mit juristischen Mitteln zu verfolgen, hatte sich in der zweiten Kriegshälfte herauskristallisiert, die endgültige Entscheidung dafür war jedoch erst spät gefallen. Seit der Moskauer Deklaration 1943 war eine entsprechende Willensbekundung der »Big Three« protokolliert, und hinter den Kulissen waren es vor allem amerikanische und sowjetische Juristen, die den Weg für eine juridische Form der Bestrafung deutscher Kriegsverbrecher bereiteten. Im Sommer 1945 kamen – durch die Aufnahme Frankreichs in den Kreis der Siegermächte – die nun vier Delegationen in London zusammen, um die juristischen und organisatorischen Bedingungen für ein internationales Strafverfahren auszuarbeiten. Mit dem London Agreement und der Charta vom 8. August 1945 wurde das Internationale Militärtribunal (IMT ) begründet; als Rechtsgrundlage für die späteren Verfahren sollte das bald verkündete, in der Substanz ähnliche, wenngleich in wichtigen Klauseln abweichende Alliierte Kontrollratsgesetz Nr.10 vom 20. Dezember 1945 dienen.5 Dass Zwangsarbeit eine zentrale Rolle in dem Verfahren vor dem IMT spielen würde, hatte sich bereits im Vorfeld abgezeichnet. Zwar hatten sich die frühen Berichte über Kriegsverbrechen vor allem auf die klassischen atrocities, also Gräueltaten wie Massenerschießungen und die in deutschen Konzentrationslagern verübten Vergehen (unter denen die Ermordung der europäischen Juden rasch nach vorne trat), konzentriert. Doch unter den maßgeblichen Juristen bestand wenig Zweifel darüber, dass auch das Zwangsarbeitsprogramm völkerstrafrechtlich justiziabel war.6 Angesichts des millionenfachen Ausmaßes, das etwa eine bald von den Nürnberger Anklägern rezipierte Studie 5 Bradley Smith: The Road to Nuremberg, New York 1981; Arieh J. Kochavi: Prelude to Nuremberg. Allied War Crimes Policy and the Question of Punishment, Chapel Hill 1998; Kim Christian Priemel: The Betrayal. The Nuremberg Trials and German Divergence, Oxford 2016. 6 So etwa Raphaël Lemkin: Axis Rule in Occupied Europe. Laws of Occupation. Analysis of Government. Proposals for Redress, Washington 1944, S.67-78; vgl. Priemel: The Betrayal (Anm.5), S.63, 115f.

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des International Labour Organization (ILO ) herausarbeitete, war die Relevanz des Zwangsarbeitskomplexes offenkundig.7 Hinzu kamen Prämissen der Alliierten wie auch anderer Regierungen vormals besetzter Länder: In West- wie in Osteuropa wollte man die Deportation der eigenen Staatsbürger nicht ungesühnt sehen, zumal sich damit Hoffnungen auf Reparationszahlungen verbanden.8 Und nicht zuletzt bot Zwangsarbeit den Vorteil, auch nichtjüdische Opfergruppen in den Blick zu nehmen – eine Überlegung, die angesichts verbreiteter Sorgen insbesondere auf britischer und amerikanischer Seite, aber auch in der sowjetischen Delegation, die Juden gerne in größere Kategorien wie »Opfer des Faschismus« eingemeindete, attraktiv schien.9 Wenn die schiere Zahl an Opfern bereits dafür sprach, slave labor – wie das Zwangsarbeitsprogramm bald offiziell benannt wurde – zu einem zentralen Vorwurf zu machen, so kam das Konzept auch jenen Juristen entgegen, die für eine Art Unterbau materiell substantiierter und rechtlich unstrittiger Tatvorwürfe argumentierten, um die innovativeren und entsprechend riskanteren Anklagepunkte wie Verschwörung und Verbrechen gegen den Frieden abzufedern. So riet ein Mitarbeiter des amerikanischen Hauptanklägers Robert  H. Jackson, man benötige derart überwältigendes Beweismaterial, dass »neither the public of today nor the historian of to-morrow will say that the defendants were not guilty or not proven guilty.«10 Zwangsarbeit versprach, eben dieses Material zu liefern – und zwar reichlich. Doch zugleich eröffnete der Zugriff auf arbeitspolitische Maßnahmen wertvolle Querverbindungen. So war die Deutsche Arbeitsfront (DAF ) nicht nur im Kriege für die (Unter-)Versorgung der sogenannten »Fremdarbeiter« verantwortlich gewesen, sondern hatte  – in der im Wortsinne verschwörungstheoretischen Lesart der Ankläger – eine 7 International Labor Office (Hg.): The Exploitation of Foreign Labor by Germany, Montreal, 1945; Memorandum to Mr. Allan Evans, 7.7.1945, University of Wyoming, Murray  C. Bernays Papers, Box 2, F.  Preparation of Evidence  3; Inter-Office Memorandum, 5.6.1946, National Archives and Records Administration (NARA ), Washington, DC , RG 238, Entry 202, Box 2, F. Various Correspondences from May 1946. 8 Beispielhaft die französischen Überlegungen in Evaluation des dommages subis par la France du fait de la guerre et de l’occupation ennemie (1939/1945), o.D., Archives Nationales (AN ), BB 35, 79, F. 4, sowie in den beiden Ordnern AN , BB 35, 81, F. 9.8 und 9.9. (»Main d’œuvre française I + II «). 9 Dazu Donald Bloxham: Genocide on Trial. War Criminals and the Formation of Holocaust, History and Memory, Oxford 2001, S.57-70. 10 Memorandum for Justice Jackson, 15.7.1945, Library of Congress (LoC), Robert H. Jackson Papers, Box 96, F. Preliminary Drafts.

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zentrale Rolle bei der Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur gespielt sowie zur Kriegsvorbereitung beigetragen. Die Auflösung der Gewerkschaften, ihre Enteignung und ihre Ersetzung durch die DAF 11 figurierten in einem Narrativ, dass die Ausschaltung der innenpolitischen Gegner als ersten Schritt zur außenpolitischen Aggression deutete. Und ebenso erschien die DAF  – neben Joseph Goebbels’ Apparat, Baldur von Schirachs Hitlerjugend sowie Julius Streichers Hetzblatt Der Stürmer  – als bedeutender Akteur in der psychologischen und propagandistischen Mobilisierung der deutschen Bevölkerung für den Krieg in den 1930er-Jahren. In den Worten des zuständigen Anwalts in Jacksons Team, Drexel Sprecher, hatte die DAF dazu gedient, »[to] impose their ideology on the masses, to frustrate potential resistance, and to insure [sic] effective control of the productive labor capacity of Germany«.12 Sprecher, ein junger Jurist, der begeistert von der Aussicht war, am mutmaßlich größten Strafprozess des 20.  Jahrhunderts mitzuwirken, neigte nicht selten dazu, sich von seinem Enthusiasmus mitreißen zu lassen und die Belastbarkeit des Beweismaterials zu überschätzen. Gleichwohl war er keineswegs allein in seinem Verständnis, dass jener Angriffskrieg, den Jackson ins Zentrum der amerikanischen Anklagestrategie stellte, ohne einen substantiellen ökonomischen Teilfall nicht sinnvoll darzustellen sein würde. Ein einflussreicher Berater Jacksons, Charles Horsky, sah dies ganz ähnlich, wenngleich er warnte, ökonomische Sachverhalte seien enorm komplex und nicht ohne weiteres 11 Vgl. dazu die Beiträge von Sören Eden und Rüdiger Hachtmann in diesem Band. 12 Destruction of the Free Trade Unions and the Acquisition of Control over the productive Labor Capacity of Germany, o.D., John F. Kennedy Presidential Library (JFKL ), Drexel A. Sprecher Papers, Box 53, F. Trade Unions-Trial Briefs; siehe auch Preliminary Trial Brief on The Development of the Case on Offenses Involved in the Breakdown of the Trade Unions and the Representation of Labor, 15.9.1945, ebd.: »[T]he suppression of unions in Germany is one of the ›crimes against peace‹. Removing the possibility of any open independent action or resistance by organizations of workers in Germany was an important part of the total liquidation of the opposition to Nazism within Germany. It was an integral part of the preparation for waging war within Germany. It was an integral part of the preparation for waging aggressive war. […] the continued suppression of the trade unions in the occupied countries was an important phase of exploiting foreign labor in the waging of war itself. The maltreatment and murder of union leaders and the confiscation of trade union property was a violation of the laws or customs of war, and hence one of the ›war crimes‹«.

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in das Anklagenarrativ integrierbar. Doch müsse es darum gehen, die Mitschuld jener Regimevertreter nachzuweisen, deren Beteiligung nicht auf den ersten Blick offensichtlich sei, »such as Schacht (Finance), von Krosick [sic] (Finance), Seldte (Labor), Funk (Reichsbank) […]. It should not be complex, however; all it needs do is to demonstrate that which is probably obvious – that war requires that the economic life of the state be mobilized; that it was done; who did it; and, in general, how.«13 Damit war die Frage gestellt, wer für die ökonomischen Tatbestände und insbesondere für die Organisation der Zwangsarbeit vor Gericht erscheinen sollte. Doch die Nominierung der Angeklagten zählte zu den notorischen Schwachstellen der Prozessvorbereitung, da sich die Alliierten in London angesichts prinzipieller und rechtstheoretischer Divergenzen darüber nur unzusammenhängend verständigt, auf die vermeintliche Evidenz der bekannten Namen gesetzt und zudem Proporzerwägungen berücksichtigt hatten.14 Mit Blick auf den Economic Case hatte Jackson im Juli seinen Mitarbeiter Francis Shea abgestellt, um mögliche Kandidaten zu identifizieren. Unter den zehn Namen, die sich auf der resultierenden Liste fanden, zählten mit den beiden Reichsbankpräsidenten und Wirtschaftsministern Hjalmar Schacht und Walter Funk sowie mit Rüstungsminister Albert Speer und GBA Fritz Sauckel weitgehend konsensfähige Kandidaten. Überraschender und keineswegs unstrittig – Kritik kam vor allem von britischer Seite, die einer Strafverfolgung Industrieller, aber auch Schachts, skeptisch gegenüberstand – war hingegen die Nominierung Gustav Krupp von Bohlen und Halbachs. Diesem sollten sowohl die rüstungswirtschaftliche Vorbereitung des Krieges als auch der zehntausendfache Einsatz von Zwangsarbeitern zur Last gelegt werden. Einhellig wurde hingegen die Aufnahme Robert Leys beschlossen, der sich als Kopf der DAF , lautstarker Propagandist und prominenter Weggefährte Hitlers regelrecht aufdrängte. In der Tat hatte Ley ebenso wenig auf den seit 1944 kursierenden Listen möglicher Angeklagter gefehlt wie Sauckel, dessen Image als »Sklaventreiber« des »Dritten Reiches« lange vor Prozesseröffnung zementiert schien.15 Anders Franz Seldte: Der Reichsarbeitsminister fand sich als Kabinettsmitglied zwar ebenfalls auf diversen shortlists, allerdings nicht 13 Memorandum for Justice Jackson, 4.8.1945, LoC, Robert H. Jackson Papers, Box 104, F. Horsky memo. 14 Priemel: The Betrayal (Anm.5), S.80-84. 15 IMT , Bd.19, S.415-417.

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auf den entscheidenden.16 Weder erschien er auf den restriktiveren britischen Aufstellungen noch unter den zehn »ökonomischen Angeklagten« des Shea-Memorandums; selbst die ausführlicheren, um zahlreiche Vertreter aus Privatwirtschaft und Verwaltung ergänzten Listen, die u.a. Franz Neumann und Carl Schorske im Sommer 1945 erarbeiteten, kamen ohne Seldtes Nennung aus. Auf der Londoner Konferenz fiel offenbar nicht einmal sein Name,17 und erste Vernehmungsprotokolle rubrizierten den Minister nur unter ferner liefen. Seldte, sagte etwa Albert Speer aus, hatte »als Arbeitsminister […] keine Autorität und scheute die Arbeit.«18 So überraschte es denn auch nicht, dass angesichts banaler Beschränkungen wie der Länge der Anklagebank – mehr als 24 Männer konnten dort nicht Platz nehmen – Seldte schlicht durch das Sieb fiel. Politische Entscheidungen und die Organisation der Zwangsarbeit waren mit Sauckel und Speer (sowie mit Göring, Keitel und einigen anderen) bereits ausreichend abgedeckt; für die Praxis der Zwangsarbeit standen Ley und vor allem Krupp pars pro toto. Für Gestalten wie Seldte, aber auch für Reichsfinanzminister Lutz Graf Schwerin von Krosigk und Reichsverkehrsminister Julius Dorpmüller, die ein kundiger (und viel gelesener) Beobachter wie Sebastian Haffner als loyale Partner der NS -Spitze, aber nicht als Mitglieder ihrer Kerngruppe identifiziert hatte, blieb somit kein Raum.19

16 Clyde to Dean, 6.6.1945, Columbia Law School (CLS ), Telford Taylor Papers (TTP ), 20-1-1-4; Lists of 23.6.1945, CLS , TTP , 20-1-1-4; Preliminary List of War Criminals, 30.6.1945, NARA , RG 226, Entry 146, Box 39, F. Valentin; Memorandum, German Arch-Criminals, o.D., Harvard Law Library, Belle Mayer Zeck Papers, Box 4, F. 33; The Street-Wheeler List of Individuals With Biographical Notes, 26.7.1945, CLS , TTP , LC 4.1, F. Declaration. 17 Memorandum by the Secretary of State for Foreign Affairs, 16.6.1944, National Library of Wales, Frederick Elwyn Jones Papers, C1; Memorandum to All Members of the Staff, 26.6.1945, NARA , RG 238, Entry 52E, Box 10, F. 312.2; List of Major War Criminals as released 29 August 1945, Thomas J. Dodd Research Center (TDRC ), Thomas Dodd Papers, Box 322, F. 8211. 18 Zur Vorgeschichte des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, 24.8.1945, Bundesarchiv (BA rch) N 1340/466. 19 Sebastian Haffner: Germany: Jekyll and Hyde, New York 1941, S.114f. Dorpmüller war ohnehin im Juli 1945 gestorben, doch auch sein Staatssekretär Albert Ganzenmüller sollte der Strafverfolgung zunächst entgehen, ehe in den 1960er-Jahren Ermittlungen folgten.

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Die Zwangsarbeiterpolitik vor dem Internationalen Militärtribunal Ob der Plan, mit dem Quartett aus Sauckel, Speer, Ley und Krupp den Zwangsarbeitskomplex zu verhandeln, nun gut war oder nicht, er ging jedenfalls nicht auf. Ley erhängte sich noch vor dem ersten Verhandlungstag in seiner Zelle, nachdem er bereits in den vorangegangenen Wochen unübersehbar »durchgedreht war«, wie eine Anklägerin salopp formulierte.20 Wenig besser war es um Gustav Krupp bestellt, für den sein Anwalt erfolgreich die Verhandlungsunfähigkeit beantragte, sehr zum Ärger Jacksons, dem der einzige Industrielle unter den Angeklagten abhandenkam und dessen Antrag auf Ersetzung durch Krupps Sohn Alfried die Richter indigniert zurückwiesen.21 Derart amputiert, sollte sich die Anklage im Punkt Zwangsarbeit vor allem auf jene verbleibenden beiden Männer konzentrieren – wie auch Sauckels Verteidiger Robert Servatius realisierte –, deren Amtszeiten sich mit der quantitativen wie qualitativen Eskalation des »Fremdarbeitereinsatzes« und der Ablösung der letzten Reste von Freiwilligkeit durch Zwang nahezu deckten.22 Die Beweisführung in den Verhandlungen vor dem IMT oblag vor allem den französischen und sowjetischen Delegationen, die sich entsprechend der alliierten Arbeitsaufteilung jeweils für West- und Osteuropa Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen widmeten. Für das französische Team war insbesondere der Service du Travail Obligatoire von zentraler Bedeutung, waren doch rund 650000 französische Bürger unter diesem Label – und größtenteils gegen ihren Willen – ins Deutsche Reich verbracht und dort zur Arbeit eingesetzt worden. Zudem hatten französische Kriegsgefangene lange Zeit eine der größten Gruppen von »Fremdarbeitern« gestellt, ehe sie entweder in zivilen Status überführt oder in einer Art Tauschverfahren gegen Zivilisten repatriiert worden waren.23 Die größte einzelne Gruppe von Zwangsarbeitern war jedoch aus der besetzten Sowjetunion gekommen. Deutsche Zivil- und Militärbehörden hatten über 4,7 Millionen Menschen (darunter knapp zwei Millionen Kriegsgefangene), in der ganz überwiegenden 20 Fite an ihre Eltern, 28.10.1945, Harry S. Truman Presidential Library, Katherine Fite Papers, Box 1, F. Nuremberg letters, 1945. 21 Vgl. Bloxham (Anm.9), S.28-32; Priemel: The Betrayal (Anm.5), S.152f. 22 Entwurf C. Beweisschriftsatz (Dokumente) für den Angeklagten Fritz Sauckel, 1.4.1946, BA rch AllProz 3/201. 23 Vgl. Patrice Arnaud: Die französische Zwangsarbeit im Reichseinsatz, Working Paper zur Konferenz »Regimenting Unfree Labour in Europe during the Second World War«, 3.12-5.12.2015, Berlin.

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Masse gegen ihren Willen, ins Deutsche Reich, aber auch in andere besetzte Gebiete gebracht. Dort hatten sie etwa für die Organisation Todt buchstäblich Frondienste geleistet, oft unter desaströsen Lebens- und Arbeitsbedingungen und mit verheerenden gesundheitlichen Folgen und hohen Mortalitätsraten, insbesondere unter den Rotarmisten.24 Entsprechend prominent firmierte das Thema auf der sowjetischen Agenda, zumal Zwangsarbeit sich als Teil der rassistischen Neuordnungspolitik des NS -Regimes darstellen ließ. Dies geschah durchaus im Einklang mit Teilen der amerikanischen Anklage, die unter dem Einfluss von Raphaël Lemkins weitem Genozid-Begriff slave labor gleichermaßen als Ziel wie als Mittel des Angriffskrieges und der europäischen Hegemoniebestrebungen interpretierten. »The use of vast numbers of foreign workers, most of whom were impressed as slaves«, hielten Anklagevertreter fest, »was planned before Germany went to war and was an integral part of the conspiracy for waging aggressive war.« Das Ziel dieser Politik war demnach »[…] the strengthening of the Nazi war machine by supplying the manpower required for German war production« und »the depopulation and impoverishment of the rest of Europe, the destruction of people deemed inferior by the Nazis and the permanent weakening of potential enemies.« Zwangsarbeit erschien somit als integraler Bestandteil des nationalsozialistischen Angriffs- und »Rassenkrieges«.25 Und während die US -Anklage, welche die ILO -Studie gleich komplett als Beweismaterial einreichte, die deutsche Planung in großen Zügen umriss, leuchtete die sowjetische Delegation die Praxis der Zwangsarbeit aus, um gezielte Unterversorgung, Misshandlungen und tödliche Folgen zu belegen und keine Zweifel daran aufkommen zu lassen, welche fundamentalen Unterschiede zur klassischen Arbeitsmigration bestanden hatten.26 Angesichts dieser Ausmaße galten die Verurteilungen Sauckels und Speers nicht wenigen Anklägern als sicher und die Todesstrafe für beinahe unausweichlich. Der Prozessverlauf jedoch sollte bald zeigen, wie rasch und gründlich sich die Wege der beiden Angeklagten schieden. In 24 Vgl. mit weiteren Verweisen Marc Buggeln: Unfreie Arbeit im Nationalsozialismus. Begrifflichkeiten und Vergleichsaspekte zu den Arbeitsbedingungen im Deutschen Reich und in den besetzten Gebieten, in: ders./Michael Wildt (Hg.): Arbeit im Nationalsozialismus, München 2014, S.231-252. 25 The Slave Labor Program, the Illegal Use of Prisoners of War, and the Special Responsibility of Defendants Sauckel and Speer, therefor, o.D., TDRC , Thomas Dodd Papers, Box 288, F. 7347. 26 IMT , Bd.3, S.402-493; IMT , Bd.7, S.370-402, 470f.; IMT , Bd.10, S.434-438; siehe ebenfalls TDRC , Thomas Dodd Papers, Box 282, F. 7360.

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der Tat hatten die zwei Männer schon vor Anklageerhebung begriffen, dass ihre beste Chance zu überleben darin lag, dem jeweils anderen die Hauptverantwortlichkeit für die radikalisierte Zwangsarbeiterpolitik der zweiten Kriegshälfte zuzuweisen. Noch während seiner kurzen Flensburger Haft hatte etwa Speer in Interviews seinen Gegenübern den distinkten Eindruck vermittelt, dass ein möglicher Kriegsverbrecherprozess an Sauckels Person kaum vorübergehen könne. Sorgsam darauf bedacht, die eigene Tätigkeit erst als bürgerlich sozialisierter Architekt und Künstler, dann als Organisator und Technokrat habituell und inhaltlich vom Plebs der kleinbürgerlichen Parteispitze abzugrenzen, war es vor allem Sauckel, der gleichsam als Kontrapart Speers erschien: der eher rudimentär gebildete und schlicht daherkommende, nach wie vor das Hitlerbärtchen tragende GBA , zudem mit dem als besonderen Malus betrachteten Gauleitertitel versehen, war gleichsam die ideale Folie für Speers Versuche, sich selbst in ein günstigeres Licht zu rücken und zugleich die Hauptlast der Verantwortung für den Zwangsarbeitereinsatz abzuwälzen.27 In mehreren Befragungen und Memoranden, die Speer im Sommer 1945 für das alliierte Vernehmungspersonal erstellte, zeichnete er Sauckel quasi als seine eigene Fehlentscheidung, hatte er dessen Ernennung doch selbst empfohlen, um die deutsche Arbeitseinsatzpolitik in firmere Hände als jene Seldtes zu geben. Doch nach gutem Beginn habe sich Sauckel als »illoyal und unzuverlässig«, gar als »oft recht gehässig« erwiesen und habe Speers Ziel einer rationaleren Verwendung der Arbeitskraftressourcen auf allen Ebenen konterkariert. Eine Unterstellung unter Speers Rüstungsministerium wie auch die Zentrale Planung, ein interministerielles Lenkungsgremium, das in der zweiten Kriegshälfte als Clearingstelle die ökonomischen Ressourcen kalkulierte und allozierte, habe er konsequent verweigert. Lediglich die Bemühungen Sauckels, die Behandlung der ausländischen Arbeitskräfte zu verbessern, gestand Speer ihm zu, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass Sauckels Ausweitung der Zwangsrekrutierung diese Versuche selbst untergraben habe.28 Die Gefahr, die ihm durch Speers geschicktes Auftreten und eloquente Autohistorisierung drohte, entging, ungeachtet seiner intellek27 Martin Kitchen: Albert Speer. Hitler’s Architect, New Haven 2015, S.285303; Priemel: The Betrayal (Anm.5), S.138-141. 28 Interrogation Albert Speer, 4.7.1945, BA rch N  1340/466; sowie Zur Vorgeschichte des Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz, 24.8.1945, BA rch N 1340/466.

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tuellen Grenzen, auch Sauckel nicht. Der vormalige Hitler-Vertraute versuche, »in Bezug auf Fremdarbeiter den Nichtmitzutunhabenden [sic] zu spielen«, ließ er Servatius wissen und sandte diesem eine Reihe von Notizen, in denen er durchweg betonte, in seiner Funktion als GBA Speer untergestellt gewesen zu sein und stets dessen  – immer massiver werdende – Anforderungen erfüllt zu haben. Dass Speer von Umfang und Umständen des Zwangsarbeitereinsatzes nicht unterrichtet gewesen sein wolle, sei schlicht falsch.29 Zwar bemühten sich Servatius und sein Kollege in Speers Diensten, Hans Flächsner, eine direkte Konfrontation vor Gericht, die beiden Angeklagten nur schaden konnten, zu vermeiden,30 doch das grundsätzliche Dilemma Sauckels war damit nicht behoben: Im unmittelbaren Vergleich mit dem allseits als einzig reflektiertem und zumindest teilweise als einsichtigen Angeklagten wahrgenommenen Rüstungsminister a.D. hatte der Bilderbuchnazi wenig zu bestellen. Auch seine Bemühungen, gegenüber den alliierten Offizieren und Juristen, die ihn 1945 und 1946 wiederholt vernahmen, einen offenherzigen und kooperativen Eindruck zu hinterlassen, vermittelten einen erbärmlichen Eindruck. Sauckels Auftreten im Verhör – im September 1945, noch vor Anklageerhebung, wurde er täglich vernommen – wie auch sein schriftlicher Stil waren von Unterwürfigkeit geprägt, während seine inhaltlichen Einlassungen gewissermaßen von der eigenen Schlichtheit zu profitieren hofften. Sauckel zeichnete sich als einfachen Mann, der, mit geringem sozialem und kulturellem Kapital ausgestattet, stets das Wohl der arbeitenden Bevölkerung – gleich welcher Nationalität und Herkunft – im Auge gehabt und seine patriotische Pflicht erfüllt habe. Fehler mochte er rückblickend nicht ausschließen, sei er doch ebenfalls der nationalsozialistischen Propaganda aufgesessen (statt diese selbst verbreitet zu haben, wie seine Gegenüber meinten). In Anbetracht der ans Licht gekommenen, auch für ihn neuen Verbrechen des Regimes bereue er dies aufrichtig, wie Sauckel ein ums andere Mal mit dem Versuch eines treuherzigen Augenaufschlages versicher-

29 Eidesstattliche Erklärung Sauckel, 29.6.1946, BA rch AllProz 3/203; Zitat: handschriftliche Notiz Sauckel, o.D., BA rch AllProz 3/201. 30 IMT , Bd.14, S.617; IMT , Bd.15, S.54; IMT , Bd.16, S.438, 447, 465f., 478480; Motion of Evidence, 25.2.1946, TDRC , Thomas Dodd Papers, Box 315, F. 8046; Flächsner an IMT , 28.3.1946, TDRC , Thomas Dodd Papers, Box 315, F. 8046.

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te: »Then I regret from the bottom of my heart having become and having been a Nazi.«31 In der Sache ließ Sauckel keinen Zweifel daran, dass er der Getriebene gewesen sei. Hitlers Wünschen habe er sich ebenso wenig entziehen können wie Speers Forderungen, selbst wenn er diese für falsch und kontraproduktiv gehalten habe. Sauckel reklamierte, entschieden für einen Rückgriff auf weibliche deutsche Arbeitskräfte plädiert zu haben, damit jedoch an Speer gescheitert zu sein (tatsächlich beanspruchte Speer fast zeit- Fritz Sauckel in seiner Nürnberger Zelle, 1945 gleich dasselbe Argument, nur mit umgekehrten Rollen). »Those were fearful days for me«, versicherte der Gauleiter und Generalbevollmächtigte dem vernehmenden Offizier, und verwies darauf, dass Speer die Unterstützung nicht nur Hitlers, sondern auch Goebbels’ und Himmlers gehabt habe.32 Das Gros seiner Bemühungen, an der freiwilligen Rekrutierung festzuhalten und das Los der »Fremdarbeiter« zu verbessern, sei daher auf Widerstand konkurrierender bzw. ihm übergeordneter Stellen gestoßen, ob in sicherheitspolizeilicher Hinsicht oder bei der Erhöhung der Nahrungsrationen.33 Am Ende, so Sauckel, sei es so gewesen, wie es ein geflügeltes Wort noch während des Krieges formuliert habe: »den letzten beißen die Hunde, und das ist Sauckel«.34 Die Vernehmungen nahmen indes nicht den von Sauckel gewünschten Gang. Hatte Major John J. Monigan, der im September und Oktober 1945 alle interrogations führte, den Beschuldigten anfangs weitgehend frei erzählen lassen  – nicht unähnlich einem ungeleiteten, lebensgeschichtlichen Interview –, wandelte sich das Gespräch zuneh31 Testimony of Fritz Sauckel, 11.9.1946 [1945], 20.9.1945 und 25.9.1945, sowie Zitat: Sauckel to Interrogator [Monigan], 14.10.1945, NARA, M 1270, Roll 18. 32 Testimony of Fritz Sauckel, 15.9.1945 und 13.10.1945, NARA , M 1270, Roll 18; Interrogation Albert Speer, 4.7.1945, BA rch N 1340/466. 33 Testimony of Fritz Sauckel, 28.9.1945 und 8.10.1945, NARA , M 1270, Roll 18. 34 Testimony of Ernst Friedrich Christoph Sauckel, 13.9.1945, NARA , M 1270, Roll 18.

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mend zum Verhör. Monigan konfrontierte Sauckel mit anderen Aussagen und Dokumenten, die den Behauptungen des GBA teils eklatant widersprachen. Insbesondere dann, wenn die Vernehmung die Ermordung der europäischen Juden berührte und dabei Belege auftauchten, die auch Sauckel inkriminierten, reagierte dieser regelrecht panisch; dass jegliche Nähe zum Holocaust wie auch zum Konzentrationslagersystem ihn einen Schritt näher zum Galgen brachte, stand Sauckel ganz offensichtlich vor Augen. Seine Antworten, es sei ihm ein Rätsel, wie seine Unterschrift unter entsprechende Dokumente gekommen sei, waren indes kaum dazu angetan, den Multifunktionär zu entlasten.35 Sauckels Unfähigkeit, sich auf derartige Vorwürfe vorzubereiten oder einigermaßen spontan zu reagieren, sollte ihm auch vor Gericht zum Nachteil gereichen. Im Kreuzverhör der französischen und sowjetischen Ankläger geriet Sauckel von einer Notlage in die nächste, stammelte und verwickelte sich in Widersprüche, ehe ihm der amerikanische Richter schließlich, in mustergültiger Demonstration eines scharfen Verhörs, den letzten Rest von Glaubwürdigkeit nahm. Als Sauckel den Zeugenstand verließ, konnten wenige Beobachter Zweifel daran hegen, wohin sein Weg führen würde.36 Welche Hoffnungen dem GBA und seinem Anwalt auch immer blieben, sie mussten sich zentral auf dessen ehemalige Mitarbeiter richten, hatte doch Sauckel Zuflucht zu einem interessanten Argument gesucht. Mehrfach in seinen Vernehmungen hatte der GBA   – ungeachtet des Umstandes, dass sein Amt ein Prototyp der im »Dritten Reich« so verbreiteten Sondergewalten gewesen war37  – dargelegt, dass er keineswegs das Reichsarbeitsministerium ausgeschaltet, sondern vielmehr aufs Engste mit dessen Beamten zusammengearbeitet habe. Anders als Speer, unzufrieden mit der behäbigen Arbeit der Ministerialbürokratie, dies gewünscht habe, sei er beeindruckt von der Kompetenz der von ihm übernommenen Mitarbeiter gewesen und habe selten Differenzen mit diesen gehabt:

35 Testimony of Fritz Sauckel, 11.10.1945, NARA , M 1270, Roll 18. 36 IMT , Bd.15, S.106-108, 125-268, 186-207. Sauckels Verhör ist als Audioversion zugänglich und vermittelt den desaströsen Eindruck, den er vor Gericht hinterließ: Die NS -Führung im Verhör. Original-Tondokumente der Nürnberger Prozesse, dokumentiert v. Ulrich Lampen, eingel. v. Peter Steinbach, 8 CD s, Berlin 2006, CD 7. 37 Vgl. dazu Rüdiger Hachtmann/Winfried Süß (Hg.): Hitlers Kommissare. Sondergewalten in der nationalsozialistischen Diktatur, Göttingen 2006.

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»Er [Speer] hatte erwartet, dass ich mich vom Arbeitsministerium vollständig fern halte und nur mit ihm zusammenarbeiten würde. Das konnte ich nicht aus der Überzeugung heraus, weil ich im Arbeitsministerium einige hochqualifizierte Beamte vorfand, die nicht etwa rückständige Bürokräfte gewesen sind, sondern von denen einige der tüchtigsten aus der Wirtschaft selbst stammten. Denen habe ich meine Gedanken gesagt, und wir haben festgestellt, dass wir mit den Ansichten einig sind und so kam es, dass ich sehr mit diesen Herren zusammenarbeitete.«38 Für die von Servatius Ende Mai und Anfang Juni 1946 in den Zeugenstand gerufenen Timm, Hildebrandt und Stothfang bedeutete diese Verteidigungslinie, dass sie selbst einen Balanceakt zu vollbringen hatten. Einerseits galt es, Sauckels Argumentation zu bestätigen, das Amt des GBA  – in dem sie schließlich selbst gearbeitet hatten – habe eine vernünftige und konstruktive Politik der freiwilligen Arbeiteranwerbung sowie der Partnerschaft mit den Kollaborationsregierungen verfolgt, sei aber immer wieder von anderen Stellen überstimmt worden. Andererseits musste eine Linie zwischen dem aus dem Reichsarbeitsministerium übernommenen Personal und Sauckels eigenem, innerem Kreis gezogen werden. Entsprechend kennzeichnete Timm den GBA zwar auf der einen Seite als starken Mann, der im Chaos der deutschen Arbeitsverwaltung habe aufräumen sollen  – »ein sehr energische[r], arbeitsfreudige[r] Mensch, der zum Teil zuweilen erregbar war und auch wohl zu Zornesausbrüchen kam, der von seinen Mitarbeitern viel forderte, aber auch an sich selbst hohe Anforderungen stellte« – und der auf die aus der thüringischen Gauverwaltung mitgebrachten Vertrauten gebaut habe. Auf der anderen Seite bestätigten seine Kollegen und er aber die Unterordnung unter die Speerschen Rüstungsbehörden und verwiesen auf fortwährende Konflikte mit SS und DAF , wenn es um die Behandlung und Versorgung der »Fremdarbeiter« ging.39 Aus den Aussagen der drei Ministerialbeamten – Servatius hatte die Einvernahme weiterer Mitarbeiter aus dem Reichsarbeitsministerium und vom GBA beantragt, aber wegen Redundanz zahlreiche Streichungen in seiner Zeugenliste hinnehmen müssen40 – war deutlich heraus38 Vernehmungen Fritz Sauckel, 15.9.1945 und 21.9.1945, NARA , M 1270, Roll 18; Zitat: Vernehmung Fritz Sauckel, 6.9.1946, NARA , M 1019, Roll 61. 39 IMT , Bd.15, S.208-210, 216, 218f., 222-224, 237f., 243-245, Zitat, S.230. 40 Die von der Verteidigung beantragten Vernehmungen Seldtes und Rudolf Peuckerts (der sich wenig später in der Dachauer Haft das Leben nahm)

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zulesen, dass diese weniger an der Entlastung ihres ehemaligen Vorgesetzten als vielmehr daran interessiert waren, die eigene Beteiligung am Zwangsarbeitsprogramm in möglichst harmlosem, wenn nicht gar freundlichem Lichte erscheinen zu lassen. Entsprechend wenig halfen ihre Informationen Servatius’ Bemühungen, seinen Mandanten doch noch vor der Todesstrafe zu bewahren. Als die acht alliierten Richter im Spätsommer 1945 zusammentraten, um Urteile und Strafmaße zu diskutieren, galt der GBA als einfacher Fall: gemeinsam mit Hans Frank, Wilhelm Frick, Hermann Göring, Alfred Jodl, Ernst Kaltenbrunner, Wilhelm Keitel, Alfred Rosenberg, Arthur Seyß-Inquart und Julius Streicher wurde er einstimmig zum Tode verurteilt. Speer hingegen, obschon in vergleichbarer Weise belastet, entging dem Galgen mit einer zwanzigjährigen Zuchthausstrafe, sehr zum Unbill einiger Ankläger, die den Rüstungsminister für nicht minder schuldig hielten als den Generalbevollmächtigten.41 Und während Sauckels Strafe zwei Wochen nach Prozessende vollstreckt wurde, blieb Speer als Zeuge für weitere Verfahren einstweilen im Nürnberger Gefängnis. Nicht anders erging es Sauckels früheren Mitarbeitern, die noch für viele Monate im Nürnberger Zeugenflügel Quartier nehmen mussten.

Von der Anklagebank in den Zeugenstand: die Ermittlungen für die Nuernberg Military Tribunals Dass mit dem Prozess vor dem Vier-Mächte-Tribunal die juristische Abrechnung mit dem NS -Staat nicht beendet sein würde, stand seit Ende 1945 fest. Bereits parallel zu den Nürnberger Verhandlungen hatten die alliierten Mächte in ihren jeweiligen Zonen Ermittlungen aufgenommen und erste Verfahren gegen mutmaßliche Kriegsverbrecher angestrengt, die überwiegend dem jeweiligen nationalen Kriegsstrafrecht folgten.42 Die Zahl der Fälle, die in Nürnberg nach Kontrollratsgesetz Nr.10 verhandelt wurden, fiel hingegen weitaus geringer aus, und nur diese  – zwölf Prozesse unter amerikanischer Ägide, einer in französischer Verantwortung  – knüpften unmittelwurden als kumulativ abgelehnt; andere Mitarbeiter des Reichsarbeitsministeriums konnten nicht ausfindig gemacht werden. Siehe IMT , Bd.8, S.579-584; BA rch AllProz 3/215 und 223. 41 Priemel: The Betrayal (Anm.5), S.145f. 42 Vgl. die Überblicke in Norbert Frei (Hg.): Transnationale Vergangenheitspolitik. Der Umgang mit deutschen Kriegsverbrechern in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, Göttingen 2006.

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bar an das IMT an.43 Im Falle der Nuernberg Military Tribunals war dies in jeder Hinsicht offenkundig, blieben doch der Justizpalast der Verhandlungsort und überdies ein Teil des Personals identisch. Zwar kehrten das Gros der amerikanischen Ankläger sowie sämtliche Richter 1946 in ihre Heimat zurück, doch eine kleine Kerngruppe um Jacksons Mitarbeiter Telford Taylor und Drexel Sprecher blieb vor Ort. Signifikant war auch die Kontinuität unter den Verteidigern – mehr als zwei Drittel übernahmen Mandate in den NMT   – sowie unter Angeklagten und Zeugen.44 Der Schwerpunkt der Planungen lag zunächst auf ökonomischem Terrain, hatten doch hier die Ausfälle von Ley und Krupp große Lücken in die IMT -Anklage gerissen; zudem hatte Taylor schon 1945 angemahnt, mehr (private) Wirtschaftsvertreter in den Blick zu nehmen. Einige andere Kandidaten hatten sich während ihrer Zeugenaussagen förmlich selbst aufgedrängt, darunter Reichsbankdirektor Emil Puhl, der seinen Chef Walter Funk ebenso wie sich selbst mit der Ausplünderung der KZ -Opfer belastet hatte, und Erhard Milch, der als Multifunktionär für Rüstung, Zwangsarbeit und Menschenexperimente mitverantwortlich zu sein schien. Aus den Lücken und offenen Fragen, den Restbeständen und unbefriedigt verhandelten Fällen des IMT  – zu Letzteren zählte etwa die Wehrmachtsgeneralität  – formten Taylor und sein Stab im Spätsommer und Herbst 1946 ein erstes Programm, das vier Kategorien von Verfahren avisierte: (Privat-)Wirtschaft, Militär, SS und Ministerialverwaltung. Welche konkreten Fälle vor Gericht gebracht werden sollten, war indes weit weniger klar. Gerade mit Blick auf die Ministerien galt es zunächst, das verfügbare Quellenmaterial zu sichten und herauszufinden, wo die stärksten Anklagen lagen. Zudem war über mehrere Monate offen, ob eher Verbrechenskomplexe – etwa Verbrechen an Kriegsgefangenen oder Zwangsarbeit45 – oder einzelne Tätergruppen die Prozessserie strukturieren sollten. So optierte Sprecher im Herbst für einen Zwangsarbeitsprozess, der separat von den Industriellenverfahren stattfinden, »far more bestiality than 43 Der britische Manstein-Prozess in Hamburg folgte zwar inhaltlich dem Nürnberger Modell, basierte aber auf einem Royal Warrant von 1945. Umgekehrt berief sich die sowjetische Besatzungsmacht für die in ihrer Zone verhandelten Fälle auf das Kontrollratsgesetz, wich aber inhaltlich wie auch durch die Nichteinhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien erheblich davon ab. 44 Vgl. Priemel: The Betrayal (Anm.5), S.158-161. 45 Inter-Office Memorandum, Subject: Slave Labor, 14.10.1946, Columbia University, Rare Books and Manuscripts Library, Norbert Barr Papers, Box 3, F. Memoranda 1946.

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even Case 1 [der Ärzteprozess; K.C.P.]« dokumentieren und unter anderem Timm, Kimmich und Hildebrandt auf der Anklagebank sehen sollte.46 Klar war allerdings, dass selbst im Rahmen eines ausführlichen Programms von 20 oder mehr Prozessen, wie es Taylor ursprünglich vorschwebte, nicht alle Ministerien und obersten Reichsbehörden berücksichtigt werden konnten.47 Im Laufe des Sommers 1946 begann Taylors Stab im Office Chief of Counsel for War Crimes (OCCWC ) damit, die Materialmassen zu sichten, die in verschiedenen Sammelstellen zusammengetragen wurden. Keineswegs waren nach Kriegsende alle Akten in alliierte Hände gefallen (oder wurden etwa von den sowjetischen Behörden nicht freigegeben); nicht selten war der Verbleib infolge der chaotischen letzten Kriegstage schlicht ungeklärt. Entsprechend war eine der ersten Fragen, die Franz Seldte im Herbst 1946 gestellt wurden, wo die Akten des Reichsarbeitsministeriums zu finden seien  – eine Information, die der ehemalige Ressortchef, wie so viele andere auch, nicht zu geben vermochte.48 Die Frage deutete indes an, dass Seldte – der vor dem Internationalen Militärtribunal nicht einmal als Zeuge vernommen worden war  – und mit ihm der Komplex aus Reichsarbeitsministerium und GBA nun auf der amerikanischen Agenda auftauchten. Im September machte sich die Berliner Dependance von Taylors Stab daran, die auf dem Tempelhofer Flughafen gesammelten Akten der Berliner Behörden zu durchforsten, auf der Suche nach einschlägigen Dokumenten insbesondere zu den Reichsministerien. In der Liste jener Ämter, über die erste Dossiers erstellt wurden – darunter Auswärtiges Amt, Besetzte Ostgebiete, Bildung, Finanzen, Inneres, Justiz, Propaganda, Rüstung, Vierjahresplan und Wirtschaft –, fiel das Reichsarbeitsministerium aber nur durch Abwesenheit auf.49 Dies war durch die nach wie vor fehlenden Akten zu erklären, denn zeitgleich begannen in Nürnberg Verhöre jener Beamten aus der Behörde, die bereits für den IMT -Prozess vorgeladen worden waren, während weitere Angehörige des Ministeriums und aus dem Stab des GBA angefordert 46 Inter-Office Memorandum, 30.11.1946, JFKL , Drexel  A. Sprecher Papers, Box 51, F. Trial Preparation. 47 Zu den frühen Planungen siehe Kevin Jon Heller: The Nuremberg Military Tribunals and the Origins of International Criminal Law, Oxford 2011, S.43, 83. 48 Vernehmung Franz Seldte, 11.10.1946, NARA , M 1019, Roll 68. 49 Progress of Work of the Berlin Branch, OCCWC an Taylor, 21.9.1946, NARA , RG 238, Entry 202, Box  2, F.  Various Correspondences August 1946-January 1947.

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wurden. Seldte selbst avancierte nun zum Gegenstand der Ermittlungen, auch wenn unter den Anklägern offenbar wenig Zweifel bestand, dass er eine eher marginale Rolle in der Formulierung der Politik seines Ressorts gespielt hatte. Doch Taylors Mitarbeiter orientierten sich an einer theoretischen Handreichung, die als institutional approach im OCCWC kursierte und der zufolge Organisationen umfassend zu untersuchen und dann erst die Verantwortlichkeiten einzelner Angehöriger zu bestimmen waren. Diesem Ansatz zufolge war »the agency […] subject to prosecution, thus including several defendants who may easily be joined, rather than simply attacking the one who happened to hold the highest post when the war ended, and who is no more criminal than his predecessors in office or those who formulated the details. Criminality may depend not upon the individual’s conduct, but upon his position in the agency whose role in world affairs was criminal, and the picture of the agency may have more significance than an attack primarily aimed against the individual.«50 In einer solchen Prozessanordnung war Seldte gesetzt, und so bemühte sich das amerikanische Verhörpersonal redlich, den ehemaligen Minister zu fassen zu bekommen. Die 1946 geführten Vernehmungen trugen indes dazu wenig bei, denn Seldte verwies zum einen darauf, dass sein Zuständigkeitsbereich stetig von Sauckel, Speer und Ley beschnitten worden und insbesondere der Kernvorwurf der Zwangsarbeit nicht in sein Ressort gefallen sei; zum anderen zeigte er sich von bemerkenswerter Unkenntnis über die Geschehnisse nicht nur im NS Staat, sondern auch im eigenen Hause. In oft plapperndem Tonfall gab Seldte Gemeinplätze zum Besten, konnte sich weder an Namen noch an Zusammenhänge erinnern und vermittelte ganz den Eindruck, er habe zwölf Jahre lang im Büro Zeitung gelesen  – oder nicht einmal das. Er pries seine Staatssekretäre, die ganz wunderbare Arbeit geleistet hätten (»Syrup ist der beste Arbeitsmann, den es gibt, und Engel ist der beste Sozialpolitiker«51) und zeichnete sich als milden, bürgerlich sozialisierten und kaufmännisch ausgebildeten Kopf, der zwar »sehr national, […] aber tolerant« eingestellt gewesen sei. Mit dieser Haltung habe er es nicht leicht gehabt und sei im Regime isoliert gewesen. »Sie müssen bedenken«, erläuterte er seinem Vernehmer, »ich war im50 Ebd.; siehe auch Intra-Office Memorandum, 2.10.1946, NARA , RG 238, Entry 202, Box 2, F. Various Correspondences August 1946-January 1947. 51 Vernehmung Franz Seldte, 1.11.1946, NARA , MF 1019, Roll 68.

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mer in starken Kämpfen. Ich hatte keinen Freund in der Welt. […] Ich war gefesselt. Ich war bespitzelt und bewacht.«52 Die Fragesteller ließen derartige Antworten wenig überraschend »nicht recht befriedigt« zurück, zumal sie Seldte mehr als einmal bei Inkonsistenzen ertappten und Dokumente fanden, die seine Involvierung in den »Fremdarbeitereinsatz« vor März 1942, das Datum von Sauckels Berufung, belegten.53 Doch Seldte vermochte sich auch nach Dokumenteneinsicht nicht zu erinnern, verwies auf seine Staatssekretäre, die vermutlich für ihn gezeichnet hätten, und gab überdies zu Protokoll, mit Spitzenvertretern aus der Wirtschaft praktisch keinen Kontakt gehabt zu haben  – »[v]ielleicht wenig, denn sonst könnte ich mich ja erinnern. Der Vorsitzende vom Kleinhändlerverband hat mir öfters Besuch gemacht und dann erinnere ich mich an den Kleingärtnerverband.«54 Derartiges verschlug den amerikanischen Ermittlern mitunter die Sprache, doch sahen sie sich mit dem Problem konfrontiert, dass zahlreiche Zeugen Seldtes Selbstporträt – mehr und minder gewollt – bestätigten. Ein Stahlindustrieller etwa bekundete brüsk auf die Frage, ob er den Minister je besucht habe: »Ich? Nicht einmal! Der Mann war mir viel zu unwichtig.«55 Seldtes eigene Mitarbeiter beschrieben ihn als eine Mischung aus fachunkundig und faul, zeichneten ihn aber zugleich als randständige Figur des Regimes und letztlich harmlos. »Persönlich war der Mensch nicht bösartig«, meinte etwa Letsch, »sondern er war gutmütig. Er war ein anständiger Charakter.«56 Kimmich ergänzte derweil, sein Chef sei »parteipolitisch außerordentlich schwach« gewesen und »von jedem Gauleiter überrannt« worden.57 Schacht untermauerte, dass Johannes Krohn »der eigentliche Manager im Reichsarbeitsministerium« gewesen sei und das Ressort gemeinsam mit Syrup effektiv geleitet habe. Und selbst Konstantin Hierl, Seldtes alter Rivale um die Kompetenz für den Reichsarbeitsdienst und dem Minister nicht unbedingt in Sympathie zugetan, fand wenig Schlechtes zu sagen. Nicht einmal als überzeugten Nationalsozialisten oder An52 Vernehmungen Franz Seldte, 29.10.1946 und 23.10.1946, NARA , MF 1019, Roll 68. 53 Vernehmung Franz Seldte, 23.10.1946, NARA , MF 1019, Roll 68 (Zitat). 54 Ebd. 55 Vernehmung Friedrich Flick, 3.12.1946, StAN, Rep.502, KVA , Interrogations, F-47. 56 Vernehmung Walter Letsch, 27.1.1947, NARA , M 1019, Roll 41. 57 Vernehmung Wilhelm Kimmich, 7.11.1946, StAN, Rep.502, KVA , Interrogations, K-60.

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tisemiten mochte er Seldte bezeichnen, eine Charakterisierung, die auch verschiedene Beamte aus dem Ministerium stützten.58 Mochte manches gelogen sein und viele Aussagen der eigenen Entlastung so sehr wie jener Seldtes dienen, so setzte sich bei den Anklägern doch rasch der Eindruck durch, mit dem Minister nicht die wichtigste Person im Reichsarbeitsministerium im Blick zu haben und überdies am Fakt der Inthronisierung Sauckels als GBA kaum vorbeizukommen. 1947 gelangte ein internes Memorandum daher zu dem Schluss, »Seldte Franz Seldte in seiner cannot be held responsibile for the Nürnberger Zelle, 1946 deportation of foreign laborers, organized by Sauckel in 1943«.59 Damit war Seldte allerdings noch nicht aus dem Kreis der Anklagekandidaten entlassen. Auf einer Liste von Beschuldigten tauchte sein Name Mitte März 1947 noch immer auf,60 und die Vernehmungen seiner Mitarbeiter konzentrierten sich nun erkennbar darauf, Seldte in seiner Funktion als Behördenchef haftbar zu machen: Selbst wenn er faktisch wenig zur Arbeit des Ministeriums beigetragen habe, so sei er als Mann an der Spitze doch für alles verantwortlich gewesen, was sein leitendes Personal veranlasst habe. Letschs Entgegnung, dies sei »eine stark juristische« Überlegung  – was die Frage aufwarf, zu welchem Zweck der Ministerialrat eigentlich glaubte, in Nürnberg zu sein  –, wurde von seinen Kollegen ganz ähnlich formuliert. Unter dem Strich aber bejahten alle Seldtes grundsätzliche Verantwortung.61

58 Eidesstattliche Erklärung [Schacht], September 1946, StAN, Rep.502, KVA , Interrogations, S-203; Vernehmung Constantin Hierl, 19.2.1947, StAN, Rep.502, KVA , Interrogations, H-130. 59 Ministries Division Research Section, o.D. [1947/48], StAN, Rep.502, KVA , Interrogations, S-203. 60 Heller (Anm.47), S.70. 61 Vernehmung Max Timm, 10.10.1946, NARA , M 1019, Roll 73; Vernehmung Wilhelm Kimmich, 18.11.1946, StAN, Rep.502, KVA , Interrogations, K-60; Vernehmungen Hubert Hildebrandt, 11.10.1946 und 31.10.1946, NARA ,

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Und doch sollte bereits die nächste, zusammengestrichene Anklageliste vom Mai 1947 den Arbeitsminister nicht mehr nennen  – Seldte starb im April in der Haft. Für Taylors Team wuchs damit das Dilemma, waren doch bereits zwei von drei Staatssekretären (Syrup und Hans Engel) verstorben; Krohn hatte das Ressort im Herbst 1941 verlassen und war somit in der Hochphase von Zwangsarbeiterrekrutierung und -einsatz nicht mehr beteiligt gewesen. Ein separates Verfahren gegen Mitarbeiter des Reichsarbeitsministeriums und vom GBA war jedoch ohne eine einigermaßen prominente Gallionsfigur wenig wahrscheinlich. Was blieb, war die Möglichkeit, die Gruppe der Beamten um Max Timm in ein größeres Verfahren gegen Angehörige der Ministerialbürokratie zu integrieren, das sich Mitte 1947 abzeichnete. Unter dem Druck aus Washington, die sich länger als erwartet hinziehenden Verfahren zu einem Ende zu bringen, musste Taylor sein ehrgeiziges Programm mehrfach beschneiden und fusionierte in diesem Zuge diverse, ursprünglich separate Fälle. Eine Berücksichtigung auch der Beamten aus dem Reichsarbeitsministerium war ohne eine attraktive Führungsperson nicht unbedingt wahrscheinlich, aber durchaus möglich, zumal angesichts des Umstandes, dass die Zwangsarbeitsanklagen aus der OCCWC -Sicht in den bereits abgeschlossenen Verfahren relativ gute Ergebnisse, d.h. Verurteilungen zu mehrjährigen Haftstrafen, erzielt hatten. Entsprechend defensiv gingen die Ministerialbeamten weiterhin in ihre Vernehmungen, auch als längst absehbar war, dass es nicht mehr um ihr eigenes Schicksal ging.62 Die Leitlinien ihrer Argumentationen hatten Timm, Hildebrandt und Kimmich bereits während des IMT entworfen, und ihre Kollegen Stothfang und Letsch sowie, mit Abstrichen, Börger (der als Haushaltschef einerseits weniger unmittelbar in die Zwangsarbeiterrekrutierung involviert gewesen war, andererseits als ausgesprochener Parteivertreter im Ministerium galt und entsprechenden Rechtfertigungsbedarf verspürte63) nahmen diese sehr weitgehend auf. Was sich in den Befragungen zwischen Herbst 1946 und Sommer 1947 herauskristallisierte, M  1019, Roll 27; Zitat: Vernehmung Walter Letsch, 27.1.1947, NARA , M 1019, Roll 41. 62 Attorney’s Request for Interrogation, 25.2.1947, StAN, Rep.502, KVA , Interrogations, L-40. So etwa die Bemerkung des Ermittlers, es gehe nicht um Letschs »alte Sache«, sondern nur um Informationen zur IG Farben; Vernehmung Walter Letsch, 23.5.1947, NARA , M 1019, Roll 41. 63 Vernehmung Wilhelm Börger, 30.4.1947, StAN, Rep.502, KVA , Interrogations, B-115. Seldte bezeichnete Börger als »mir zu radikal«; Vernehmung Franz Seldte, 31.10.1946, NARA , M 1019, Roll 68.

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war eine gleich doppelte Abgrenzungsstrategie – zum einen intern von Sauckel und seinen Thüringer Vertrauten, zum anderen extern von jenen Dienststellen, die auf die Ausweitung und Radikalisierung des »Fremdarbeitereinsatzes« gedrängt hätten, namentlich aus Privatwirtschaft und Rüstungsorganisation. Im Kern stellte dies eine Gratwanderung dar: Die Beamten suchten Distanz zu Sauckel und beharrten auf ihrer Identität als Mitarbeiter des Reichsarbeitsministeriums auch nach der Abstellung zum GBA . Zugleich aber galt es, den GBA  – Personal wie Apparat gleichermaßen – in nicht zu schlechtem Lichte dastehen zu lassen, war doch die eigene Tätigkeit für Sauckel unbestreitbar. Diese doppelte Maßgabe wurde von den Mitarbeitern des Reichsarbeitsministeriums mit großer Konsistenz verfolgt. Dabei half, dass die Beamten – wiederum mit Ausnahme Börgers – große biografische Ähnlichkeiten aufwiesen: zwischen 1888 und 1903 geboren, Studium der Volkswirtschaftslehre oder der Rechtswissenschaft, Promotion, Laufbahnen in der Reichsanstalt seit den 1920er-Jahren und anschließende Übernahme ins Ministerium.64 Dies bedeutete gleichwohl nicht, dass es keine Interessenskonflikte gab. Insbesondere wenn es darum ging, Abstand von der Praxis der Zwangsarbeit zu wahren, mithin von konkreten Fällen, in denen Unternehmen Zwangsarbeiter angefordert und eingesetzt hatten, war ein jeder der befragten Ministerialräte, -direktoren und -dirigenten sichtlich bemüht, die eigene Unzuständigkeit zu betonen und die Ermittler an seine Kollegen oder an den verstorbenen Syrup zu verweisen. Die zirkuläre Weiterreichung entging den amerikanischen Ermittlern natürlich nicht, die entnervt auf Beantwortung ihrer Fragen drangen: »Wenn wir Timm fragen, dann sagt er, die Leute kamen zu Letsch und wenn wir diesen fragen, dann sagt er, dass er die Leute zu Ihnen [Hildebrandt] geschickt hat. Wir wollen jedenfalls jetzt von den Leuten hören, die zu Ihnen kamen.«65 Falls die Staatsanwaltschaft aber darauf gehofft haben sollte, dass sich die potenziellen Angeklagten wechselseitig belasten würden, so sah sie sich enttäuscht. Vielmehr herrschte große Einigkeit darin, die Fortsetzung traditioneller ministerialer Routinen und das Beharren auf »vernünftigen« Maßstäben von Arbeitsmigration und -einsatz durch 64 Kimmich (geb. 1888) war älter als seine Kollegen aus der Hauptabteilung VI , die zwischen 1895 und 1902 geboren waren; Timm (geb. 1898) hatte nach 1933 rasch mehrere Karrierestufen erklommen und die etwas älteren Letsch und Hildebrandt überrundet. Stothfang war der Jüngste im Nürnberger Kreis. 65 Vernehmung Max Timm, 3.10.1946, NARA , M 1019, Roll 73; Vernehmung Hubert Hildebrandt, 22.1.1948, NARA , M 1019, Roll 27; Zitat: Vernehmung Hubert Hildebrandt, 10.1.1947, NARA , M 1019, Roll 27.

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die Sauckel zugewiesenen Hauptabteilungen des Reichsarbeitsministeriums zu betonen. Inhaltlich und sprachlich beschrieben die Beamten ein ums andere Mal ihre Tätigkeit im Modus ordentlicher Verwaltung, erprobter Behördenroutinen und des Rechtsweges. Anders als Sauckel, der »über die Verwaltungsdinge keine Vorstellung« gehabt und »als Arbeitseinsatz im wesentlichen nur die Hereinholung von Menschen« gesehen habe, hätten die Experten des Ministeriums in ihrem Auftrag »in erster Linie eine Bewegungsaufgabe des inneren Marktes, eine Ordnungsaufgabe« gesehen, so Hildebrandt. Ihr Ziel sei es stets gewesen, die verfügbare Arbeitskraft  – nicht zuletzt jene der nicht erwerbstätigen Frauen  – durch Umschichtungen zwischen verschiedenen Branchen, »durch betrieblichen Ausgleich« sowie durch »Fluktuationslenkung« zu gewinnen, »da ja Ausländer niemals die Kräfte ersetzen konnten, die wir durch die Bewegung des Marktes im Inland gewannen«. Hildebrandts erkennbares Bemühen, mit einer scheinbar technischen Sprache die Zwangselemente des Ausländereinsatzes zu verbergen, wurde auch dadurch deutlich, dass er Sauckels Linie nicht etwa als Zwangsmaßnahmen markierte, sondern vielmehr euphemistisch zur »Anreicherungspolitik« umdeutete. Die Linie zwischen GBA und Reichsarbeitsministerium sollte nicht so sehr zwischen Zwang und Freiwilligkeit verlaufen, sondern zwischen Ausländer- und Inländerarbeit.66 Die »Grundlage absoluter Freiwilligkeit« des Arbeitseinsatzes vor 1942 wurde unisono betont, und dort, wo dies argumentativ schwer durchzuhalten war, insbesondere beim Einsatz von Kriegsgefangenen, wurde auf militärische Zuständigkeiten verwiesen.67 Auch mit Blick auf die Behandlung der »Fremdarbeiter« beanspruchten die Ministerialbeamten, im Einklang mit dem hingerichteten GBA , stets für eine adäquate, gute Versorgung eingetreten zu sein; wo dies nicht umgesetzt worden sei, machten sie die SS , die DAF oder die Arbeitgeber verantwortlich, freilich meist ohne konkrete Namen und Fakten zu nennen. Insbesondere wurde immer wieder auf die Gesetzeslage verwiesen. Großzügig darüber hinweggehend, dass Papier bekanntlich geduldig ist, leitete das Quintett aus dem Wortlaut 66 Vernehmung Hubert Hildebrandt, 10.10.1946, NARA , M  1019, Roll 27; ähnlich Vernehmung Max Timm, 10.10.1946, NARA , M 1019, Roll 73. Zur Reorganisation des Ministeriums 1942 vgl. die Beiträge von Swantje Greve und Ulrike Schulz in diesem Band. 67 Vernehmung Hubert Hildebrandt, 10.10.1946, NARA , M 1019, Roll 27; Vernehmung Walter Letsch, 24.1.1947, und Interrogation Summary No. 1129, Walter Letsch, 27.1.1947, NARA , M 1019, Roll 41; Zitat: [Stothfang], unbetiteltes Memorandum, 7.9.1947, StAN, Rep.502, KVA , Interrogations, S-318.

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Hubert Hildebrandt (geb. 10.9.1897 im niederschlesischen Sabinengrund [Radosławice], Kreis Freystadt) besuchte zunächst die Mittelschule und das Lehrerseminar. Mit 17 meldete er sich zum Militär und nahm bis 1918 am Ersten Weltkrieg teil. Nach Kriegsende schloss Hildebrandt eine Lehrerausbildung ab und studierte von 1919 bis 1923 Psychologie und Staatswissenschaften in Berlin. Nach seiner Promotion zum Dr. phil. 1923 war er als Werkschullehrer bei Borsig tätig, ehe er 1928 in die Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung eintrat, zunächst als stellvertretender Leiter des Arbeitsamts Bochum, später als Leiter der Ämter Hagen (1930) und Frankfurt/Oder (1932). 1936 folgte seine Verbeamtung als Regierungsrat, 1938 die Beförderung zum Oberregierungsrat und die Berufung in die Zentrale der Reichanstalt, wo Hildebrandt für Arbeitsvermittlung, Berufsberatung und Lehrstellenvermittlung zuständig war. Mit der Überführung der Reichsanstalt ins Reichsarbeitsministerium 1939 wurde er der Hauptabteilung V (Arbeitsvermittlung und -verwaltung ) zugeordnet und befasste sich unter anderem mit der Beschaffung von Arbeitskräften für die Eisen- und Metallindustrie sowie die Textil- und Chemiebranchen. Infolge der Unterstellung seiner Abteilung unter den GBA wurde Hildebrandt, seit 1941 Ministerialrat, zum Leiter der Hauptabteilung VI b (»Arbeitseinsatz« in Westeuropa) ernannt. Hildebrandt trat im Mai 1933 der NSDAP sowie im November desselben Jahres der SA -Reserve bei und war zudem Mitglied im NS Rechtswahrerbund, im Luftschutzbund und im Beamtenbund. Hildebrandt war Träger des Verdienstkreuzes und des Ritterkreuzes zum Verdienstkreuz. Quellen: Ernennungsvorschläge 1936 und 1938, Bundesarchiv R 601/466 und R 601/2103.

von Verordnungen ab, dass dies die faktische Gleichbehandlung von »Fremd«- und insbesondere auch von »Ostarbeitern« bedeutet habe. Befragt, ob er tatsächlich den Eindruck gehabt habe, dass »Ostarbeiter« genauso behandelt würden wie alle anderen auch, antwortete Letsch in formalistischer Manier: »Im Frühjahr 1945 ist die totale Gleichstellung der Ostarbeiter gesetzlich in einer Verordnung angeordnet worden. […] In unserem Hause war es so, dass der Ostarbeiter genauso behandelt wurde, wie der andere Arbeiter. Der Reichsarbeitsminister hat sich ständig darum bemüht, eine Aufbesserung zu erreichen, mit dem Ziele, dass die Gleichstellung angestrebt wurde. Die Widerstände lagen beim Reichsführer SS .« Dass »Ostarbeiter« in hohen Zahlen auf den Transporten oder in den Arbeitslagern gestorben waren, davon wollte Letsch nur »in Einzelfällen« gehört haben. Und wann immer man von Missständen Kenntnis

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Wilhelm Kimmich (geb. 25.6.1888 in Kleinsachsenheim) besuchte zunächst das Volksschullehrerseminar, ehe er auf der Oberrealschule die Reifeprüfung ablegte. Auf das Studium der Germanistik, Volkswirtschaftslehre und Rechtswissenschaft folgte die Promotion zum Dr. rer. pol. Im Ersten Weltkrieg war Kimmich im württembergischen Arbeitsministerium für das Flüchtlingswesen zuständig und blieb nach Kriegsende im Ressort tätig, nun im Bereich der Kriegsversehrtenfürsorge. In den 1920er-Jahren schlug er eine erfolgreiche Schlichterlaufbahn ein und avancierte 1928 zum Vorsitzenden des Schlichtungsausschusses für Württemberg, Baden und Hohenzollern; Zuständigkeiten für Hessen und Niedersachsen kamen später hinzu. Kimmich blieb auch nach 1933 im Amt und firmierte nun als Reichstreuhänder der Arbeit, in eigener Darstellung als einziger »Fachmann unter den Treuhändern« und »schwarzes Schaf« im Reichsarbeitsministerium, in das Franz Seldte ihn 1939 holte. Dort wurde Kimmich mit der Leitung der Hauptabteilung III b (Arbeitsrecht und Sozialpolitik) betraut und Ministerialdirektor Werner Mansfeld unterstellt. Nach einer kurzen Zwischenstation in Stuttgart, angeblich infolge eines Konflikts mit der DAF , kehrte Kimmich 1942 in das Reichsarbeitsministerium zurück und leitete bis Kriegsende als Mansfelds Nachfolger und Ministerialdirektor die Hauptabteilung III (Arbeitsrecht und Lohnpolitik). Kimmich gehörte seit Mai 1933 der NSDAP an und war u. a. Mitglied im Nationalsozialistischen Rechtswahrerbund und in der Nationalsozialistische Volkswohlfahrt. Literatur: Das Deutsche Führerlexikon 1934/35, Berlin 1934, S. 229; Cuno Horkenbach: Das Deutsche Reich von 1918 bis heute. Jahresband 1932, Berlin 1933, S. 534.

erhalten habe, habe man sich selbstredend um sofortige Abstellung bemüht.68 In ihren Schilderungen sprachen Letsch und seine Kollegen nicht selten und entgegen den längst bekannten Tatsachen von unter dem Strich guten Bedingungen des »Fremdarbeitereinsatzes«. Angesichts der kriegsbedingten Probleme sei natürlich das System überlastet gewesen, konzedierte Kimmich  – »der Apparat konnte diese Mengen nicht verschlucken. Es war einfach eine Überbelegung« –, aber er habe »an und für sich kaum einen bösen Willen oder gar Lässigkeit feststellen können« und überdies wiederholt »Lager angetroffen, in denen die Leute sich wohl fühlten und gerne da waren.«69 Letsch erinnerte sich 68 Vernehmung Walter Letsch, 27.1.1947, NARA, M 1019, Roll 41; [Stothfang], unbetiteltes Memorandum, 7.9.1947, StAN, Rep.502, KVA, Interrogations, S-318. 69 Vernehmung Wilhelm Kimmich, 8.11.1946, StAN, Rep.502, KV -Interrogations, K-60.

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ebenfalls an Betriebe, »wo die Sache ganz tadellos gestaltet war« und bedauerte, dass man rückblickend »sehr stark die negative Seite« sehe. Sein Argument, der Krankenstand der »Ostarbeiter« etwa sei nur halb so hoch wie jener der Deutschen ausgefallen, veranlasste den Verhörenden zur irritierten Replik, auf dem Papier sehe »das ganz nett aus, aber die Wirklichkeit war doch anders.«70 Die Argumentation der Beamten war jener, die Sauckel vor und während des Verfahrens vor dem Internationalen Militärtribunal vorgetragen Wilhelm Kimmich im Zeugenhatte, in vielerlei Hinsicht ähnlich, stand während des Nürnberger und in der Tat wurde in den Schil- Prozesses, 1947 derungen seiner früheren Mitarbeiter überraschend wenig Kritik am GBA geäußert. Kimmich bescheinigte ihm, ein »an und für sich nicht unanständige[r] Mensch« gewesen zu sein, der (darin Seldte nicht unähnlich) seiner Aufgabe schlicht nicht gewachsen gewesen sei: »Er war mehr in Worten hart als in Taten. Er hat sich natürlich aufgeblustert [sic]« und sei von Minderwertigkeitskomplexen gegenüber seinen akademisch gebildeten Mitarbeitern geplagt gewesen.71 Dennoch insistierten die aus dem Reichsarbeitsministerium zum GBA abgestellten Beamten, dass sie zu keiner Zeit in die Entscheidungsfindung Sauckels einbezogen worden seien. Dieser habe alle zentralen Dinge nur mit seinen Vertrauten aus dem »Thüringenhaus«, d.h. Sauckels Gauverwaltung, besprochen, und ihnen lediglich Ergebnisse übermittelt und Anweisungen erteilt, so Timm.72 In der abgestuften Verantwortungshierarchie, welche die Ministerialbeamten ihren Nürnberger Vernehmern darlegten, war Sauckel somit weitaus direkter an den eigentlich kriminellen Entscheidungen 70 Vernehmung Walter Letsch, 11.3.1947, NARA , M 1019, Roll 41. 71 Vernehmung Wilhelm Kimmich, 8.11.1946, StAN, Rep.502, KVA , Interrogations, K-60. 72 Vernehmung Max Timm, 10.10.1946, und Interrogation Summary No. 268, Max Timm, 19.10.1946, NARA , M  1019, Roll 73. Genauso Letsch in: Das Reichsarbeitsministerium und der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz beim Ausländereinsatz im Zweiten Weltkrieg, 14.5.1947, StAN, Rep.502, KVA , Interrogations, L-40.

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und Handlungen beteiligt, aber keineswegs die zentrale Instanz, der die Verantwortung zugewiesen wurde. Diese wurde vielmehr in zwei Richtungen verteilt: für konkrete Missstände bei Unterbringung, Verpflegung und Behandlung am Arbeitsplatz seien die DAF und die Unternehmen, namentlich die Betriebsführer, in Haftung zu nehmen, die zudem entweder direkt oder über ihre Interessenverbände ganz massiv auf die Ausweitung der Ausländerrekrutierung gedrungen und dabei anders als das Reichsarbeitsministerium klare Präferenzen für die unfreiwilligen Arbeitskräfte aus dem Osten gezeigt hätten. Nicht wenige Arbeitgeber, so Kimmich, hätten »Ostarbeiter« vorgezogen, weil diese »williger und auch zufriedener« gewesen seien: »Sie haben sich auch einfach behandeln lassen und keinen Widerstand geleistet, während die Holländer und Norweger immer Schwierigkeiten gemacht haben. Die Ostarbeiter waren eben anders erzogen.«73 Allerdings vermieden es die Ministerialen nahezu durchweg, einzelne Firmen oder gar Manager zu nennen. Nur widerwillig wurden Namen konzediert, wenn diese in den Akten ohnehin auftauchten oder die Ermittler besonders hartnäckig darauf drangen, während in der Mehrheit der Fälle Unwissenheit und Erinnerungslücken vorgeschützt wurden. Lediglich die IG Farbenindustrie, über welche das OCCWC bereits gut informiert war und deren Vertreter im Vierjahresplan, namentlich der Generalbevollmächtigte für Sonderfragen der chemischen Erzeugung, Carl Krauch, immer wieder in die Kompetenzen des Ministeriums eingegriffen und »äußerst radikal[e]« Forderungen gestellt hatten, wurden mit großer Häufigkeit und bemerkenswerter Bereitwilligkeit genannt.74 Ihre Forderungen hätten die Unternehmen aber zunehmend sowohl am Ministerium als auch am GBA vorbei lanciert, weil sie mit der angeblich »ruhige[n] Linie« der Arbeitsverwaltung unzufrieden gewesen seien. Die Ansprechpartner der Großindustrie seien anderswo zu finden gewesen, vor allem in der beständig expandierenden Speerschen Rüstungsverwaltung.75 Damit hatte die Verteidigungslinie eine zweite 73 Vernehmung Wilhelm Kimmich, 7.11.1946, StAN, Rep.502, KV -Anlage, Interrogations, K-60; siehe auch Hubert Hildebrandt, Erklärung unter Eid, o.D., StAN, Rep.502, KVA , H-132. 74 Zitat: ebd.; Walter Letsch, Erklärung unter Eid, 21.3.1947, StAN, Rep.502, KVA , Interrogations, L-40; Vernehmung Walter Letsch, 3.11.1947, NARA , M 1019, Roll 41; Vernehmungen Hubert Hildebrandt, 10.10.1946, 10.1.1947 und 22.1.1947, NARA , M 1019, Roll 27. 75 Zitat: Vernehmung Hubert Hildebrandt, 15.4.1947, StAN, Rep.502, KVA , Interrogations, H-132; Vernehmung Hubert Hildebrandt, 10.10.1946, NARA , M 1019, Roll 27.

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Richtung ausgemacht, in welche die Verantwortung abgeschoben werden konnte. Wiederum im Einklang mit Sauckels früheren Einlassungen wurden seine Unterstellung unter Speers Weisungsbefugnis betont und die fortwährenden Eingriffe der Rüstungsbehörden in Arbeitssachen beklagt. Der Druck auf sein Ressort, so Timm, sei seit 1941 fortwährend gestiegen, und dies »immer über das Rüstungsministerium, weil dort ja die starken Männer saßen, das war ja schon vor [Fritz] Todt so, die Männer konnten häufiger an Hitler herankommen«, und dies niemand mit größerem Erfolg als Speer.76 Neben dem Rüstungsminister trat zunehmend eine zweite Figur in den Vordergrund, Erhard Milch. Angeregt durch die Fragen der Staatsanwälte, die Ende 1946 und Anfang 1947 nach belastenden Aussagen im »Fall 2« gegen Milch suchten, nahmen die Ministerialvertreter den Ball gerne auf und verwiesen auf die Zentrale Planung, jenes Lenkungsgremium, das in den letzten Kriegsjahren die ökonomische Ressourcenallokation dominiert hatte. In diesem »Triumvirat Speer-Milch-Körner« seien alle Entscheidung getroffen worden und die Arbeitsverwaltung habe »nur noch den technischen Vollzug« zu leisten gehabt. Wie viele Arbeitskräfte kamen und wohin sie gingen, all dies sei vollständig außerhalb des Arbeitsministeriums- und GBA -Apparates entschieden worden.77

Epilog In ihren Aussagen zu konkurrierenden Instanzen, namentlich dem Verwaltungsapparat von Albert Speer, aber auch den Ämtern von Erhard Milch und Paul Körner, sowie zu großindustriellen Komplexen wie den Reichswerken »Hermann Göring«, erwiesen sich die in Nürnberg versammelten Führungskräfte des Reichsarbeitsministeri76 Zitat: Vernehmung Max Timm, 3.10.1946, NARA , M 1019, Roll 73; [Stothfang], unbetiteltes Memorandum, 7.9.1947, StAN, Rep.502, KVA , Interrogations, S-318; Vernehmung Hubert Hildebrandt, 10.10.1946, NARA , M 1019, Roll 27; Vernehmung Walter Letsch, 4.2.1947, NARA , M 1019, Roll 41. 77 Hildebrandt an Myers, 1.1.1947, StAN, Rep.502, KVA , Interrogations, H-132; Interrogation Summary No. 77; Vernehmung Max Timm, 4.9.1946, NARA , M 1019, Roll 73; Zitat: [Letsch], Das Reichsarbeitsministerium und der Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz beim Ausländereinsatz im Zweiten Weltkrieg, 14.5.1947, StAN, Rep.502, KVA , Interrogations, L-40. Ähnlich auch schon Sauckel in zahlreichen Vernehmungen, die zwischen Verhandlungsende und Urteilsverkündung geführt wurden; siehe bspw. Vernehmungen Fritz Sauckel, 6.9.1946 und 11.9.1946, NARA , M 1019, Roll 61.

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ums als profunde Quellen und bereitwillig Auskunft erteilende Insider. Die Unterschiede betrafen vor allem den Grad der Präzision: der bereits verurteilte Speer, der aussichtslose Generalfeldmarschall Milch und der von allen Seiten desavouierte Reichswerke-Vorstand Paul Pleiger wurden persönlich belastet. Die privaten Unternehmen hingegen erschienen eher als amorphe Masse denn als konkret identifizierund inkriminierbare Akteure, und in ihren Auftritten vor Gericht hielten sich die Beamten  – möglicherweise eingedenk ihrer unklaren beruflichen Perspektiven  – weiterhin zurück.78 Dennoch ließen sich unvereinbare Deutungen nicht immer überdecken, insbesondere dort, wo die Unternehmer bemüht waren, ihren vermeintlichen Kampf »gegen die Sauckel-Methoden« zur eigenen Entlastung ins Feld zu führen, woran die GBA -Mitarbeiter kaum interessiert sein konnten.79 Den Anklägern war dieser Interessengegensatz durchaus recht, und in der zweiten Jahreshälfte 1947 zeichnete sich ab, dass sich der Status von Hildebrandt, Kimmich, Letsch, Stothfang und Timm gewandelt hatte. Von potenziellen Angeklagten avancierten sie nun zu sachverständigen Zeugen, auf deren Expertenwissen in der Prozessvorbereitung gegen die Industriellen aus Privat- und Staatswirtschaft, aber auch gegen Wehrmachts- und SS -Angehörige (mit Blick auf den Einsatz von Kriegsgefangenen) immer wieder zurückgegriffen wurde. Bis ins Frühjahr 1948 hinein dauerten daher die Befragungen an, in denen auf das Insiderwissen der Ministerialbeamten zurückgegriffen wurde.80 Zu diesem Zeitpunkt stand längst fest, dass keiner der Mitarbeiter aus dem Reichsarbeitsministerium und vom GBA eine Anklage zu befürchten hatte. Mitte November 1947 hatten die OCCWC -Anwälte das Indictment im Fall 11, dem vorletzten Verfahren des Nuernberg Military Tribunals, eingereicht. Darin fand sich eine eklektische Mischung aus 78 Vgl. die Auftritte von Kimmich, Stothfang und Letsch im Fall 5: StAN, Rep.501, KV -Prozesse, Fall 5, S.2586-2699, 5822-5938, 7774-7835. Gleichwohl waren auch diese Aussagen, insbesondere jene Kimmichs, den angeklagten Industriellen ein Dorn im Auge, wie die rückblickenden Schmähverse eines angeklagten Managers illustrieren: Military Tribunal Case V. Nürnberg 1947, o.D., Landesarchiv Nordrhein-Westfalen  – Abteilung Rheinland  – RWB 27820/46, Bl.44. 79 Information Steinbrinck, Gedanken zur Verteidigung PP , 17.3.1948, BA rch AllProz 3/93. 80 Siehe beispielhaft die Vernehmungen Max Timms für OCCWC s Economics, Ministries, SS und Military Divisions am 15.6., 19.6., 22.7., 6.8., 8.9., 15.9., 19.9. und 23.9.1947 sowie am 27.1., 4.2. und 16.2.1948, NARA , M 1019, Roll 74.

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Angehörigen verschiedener Ministerien, Unternehmen, der Reichsbank und SS -Dienststellen versammelt, welcher das WilhelmstraßenVerfahren den spöttischen Beinamen Omnibusprozess zu verdanken hatte. Doch während die Anklageschrift einer ganzen Reihe von Männern die Mitwirkung am Zwangsarbeitseinsatz zur Last legte  – darunter Körner und Pleiger  –, blieben die Beamten des Reichsarbeitsministeriums ungenannt. Und da im parallelen Fall  12 ausschließlich Wehrmachtspersonal angeklagt war, konnten Timm und seine Mitarbeiter endlich aufatmen. Der Kelch eines Strafverfahrens war an ihnen vorbeigegangen und dies, wie es schien, dauerhaft. Wäre es indes nach Telford Taylor gegangen, so hätte die Nürnberger Haftzeit für das halbe Dutzend Beamte ein Nachspiel gehabt. Taylor hatte infolge der Streichungen in seinem Prozesstableau 1948 eine neue Abteilung ins Leben gerufen, die sogenannte Special Projects Division, um Belastungsmaterial für jene Fälle zu sammeln, die nicht vor alliierte Gerichte gebracht werden konnten. Auf der rasch wachsenden Liste standen zahlreiche Ministerialvertreter aus dem Vierjahresplan, dem Ost- und dem Außenministerium – sowie ein projektiertes Verfahren gegen jene Angehörigen der Arbeits- und Rüstungsressorts, die das Zwangsarbeitsprogramm maßgeblich organisiert hatten. Dazu zählte die Special Projects Division neben Gustav Schlotterer, Walther Schieber und Karl-Otto Saur dezidiert auch Ernst Letsch, Hubert Hildebrandt und Max Timm.81 Das belastende Aktenmaterial übergab Taylors Stab nach Beendigung der Nürnberger Verfahren den Justizministerien der westdeutschen Länder in der Hoffnung, dass diese Ermittlungen aufnehmen und Strafprozesse anstrengen würden. In der ganz überwiegenden Zahl der Fälle blieben diese Erwartungen unerfüllt. Im Klima der ersten Nachkriegsdekade bestand kein Interesse an einem bundesdeutschen Epilog zu den enorm unpopulären, von Bonner Politikern wie von der seriösen Tages- und Wochenpresse gleichermaßen angefeindeten Nürnberger Prozessen. Auch als mit der Etablierung der Ludwigsburger Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen 1958 die westdeutsche Strafverfolgung eine neue Dynamik erhielt, spielte die Arbeitsverwaltung des »Dritten Reiches« keine nennenswerte Rolle. Die Zahl der Ermittlungen sollte über eine knappe Handvoll nie hinausgehen und betraf ausschließlich Behördenvertreter aus dem besetzen Polen und den sowjetischen Gebieten; zu einem Hauptverfahren kam es of81 Memorandum Herman Lang, 9.1.1948, Towson University, Paul Gantt Papers, Box 32, F. 6.

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fenbar in keinem einzigen Fall.82 In der sowjetischen Besatzungszone sowie vor DDR -Gerichten musste sich eine Handvoll lokaler Akteure verantworten, deren prominentester Vertreter der Posener Gauarbeitsamtsleiter Ernst Kendzia war. Im Zuge der – rechtsstaatlichen Ansprüchen nicht genügenden – Waldheimer Prozesse wurde Kendzia 1950 zum Tode verurteilt und im selben Jahr hingerichtet.83 Für die Nürnberger Gruppe der Beamten aus dem Reichsarbeitsministerium bedeutete dies, dass sie in ihre bürgerlichen Leben  – allerdings nur zum Teil auch in die Arbeitsverwaltung84  – zurückkehren konnten und dies offenbar nicht nur im Frieden mit der eigenen Vergangenheit, sondern mit einiger Befriedigung über das Geleistete. Schon während der Nürnberger Vernehmungen war bei aller Defensive immer wieder ein gewisser Stolz durchgeklungen, etwa wenn Stothfang zu Protokoll gab, »[d]urch das Vorhandensein einer ständig ausgebauten und verbesserten Arbeitseinsatzverwaltung sowie durch die Einführung des Arbeitsbuches nebst der zugehörigen Arbeitsbuchkartei der Arbeitsämter hatte sich Deutschland nicht nur ein schlagkräftiges Instrument für die Regelung des Arbeitseinsatzes im Frieden geschaffen, sondern gestützt auf die negativen Erfahrungen des ersten [sic] Weltkrieges stand damit gleichzeitig für etwaige kriegerische Auseinandersetzungen ein staatliches Lenkungsinstrument für den Arbeitseinsatz zur Verfügung.«85 82 Vgl. die Ermittlungsunterlagen in BA rch B 162/7683, 20847, 27146 und 27227. Ferner wurde gegen eine Reihe von RAD -Angehörigen ermittelt. 83 Vgl. etwa Christiaan F. Rüter/Laurenz Demps (Hg.): DDR-Justiz und NSVerbrechen. Sammlung ostdeutscher Strafurteile wegen nationalsozialistischer Tötungsverbrechen, Bd.12, Amsterdam 2008, S.445-464. Zu Kendzia siehe Michael Alberti: Die Verfolgung und Vernichtung der Juden im Reichsgau Wartheland 1939-1945, Wiesbaden 2006, S.60, 252, 377; Bernd Withöft: Die Todesurteile der Waldheimer Prozesse, Universität Wien, Diss., Wien 2008, S.21, 90-93. 84 Timm setzte seine Karriere in Schleswig-Holstein fort; zu Stothfangs Übernahme in die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vgl. den Beitrag von Martin Münzel in diesem Band; sowie Klaus-Detlev Godau-Schüttke: Die Heyde/Sawade-Affäre. Wie Juristen und Mediziner den NS -Euthanasieprofessor Heyde nach 1945 deckten und straflos blieben, 3. Aufl., Baden-Baden 2010, S.126f. 85 [Stothfang], unbetiteltes Memorandum, 7.9.1947, StAN, Rep.502, KVA , Interrogations, S-318. Bereits im Kriege hatte sich Stothfang ganz ähnlich geäußert; vgl. Karsten Linne: Von der Arbeitsvermittlung zum »Arbeitseinsatz«.

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A R B E I T S V E R WA LT U N G V O R G E R I C H T

Damit befand sich Stothfang ganz auf der Linie seines ehemaligen Chefs, der sich noch in Nürnberg dazu beglückwünscht hatte, die deutsche Sozialpolitik entscheidend vorangebracht zu haben. Er sei, so Franz Seldte, stets der Mann des sozialen Ausgleichs gewesen, habe die industriellen Arbeitsbeziehungen erfolgreich befriedet und dauerhaft harmonisch gestaltet und nicht zuletzt dem britischen Wohlfahrtsstaat ein Beispiel gegeben. Dessen Vater, William Beveridge, resümierte Seldte mit von Faktenwissen unberührter Selbstgewissheit, habe »manches von unserem Plan aufgenommen«. Darauf immerhin dürfe man trotz allem doch stolz sein.86

Zum Wandel der Arbeitsverwaltung 1933-1945, in: Buggeln/Wildt (Anm.24), S.53-73, hier S.63. 86 Vernehmung Franz Seldte, 23.10.1946, NARA , M 1019, Roll 68.

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Neubeginn und Kontinuitäten Das Spitzenpersonal der zentralen deutschen Arbeitsbehörden 1945-1960

Martin Münzel

Am 12.  Juli 1950 wurde der junge Deutsche Bundestag zum Schauplatz einer hitzigen Debatte über die Grundsätze des Berufsbeamtentums und die personelle Neubesetzung der westdeutschen Behörden. Dabei warnte der SPD -Abgeordnete Adolf Arndt, »daß ein stillschweigender Zusammenschluß ehemaliger Parteigenossen sich zur erneuten Machtergreifung in der Personalpolitik« dränge, und verwies im Besonderen auf das wenige Monate zuvor gegründete Bundesministerium für Arbeit. Gerade hier, so Arndt, sei es »wohl der Aufmerksamkeit des Herrn Bundesministers [Anton] Storch entgangen, daß eine Gruppe ehemaliger Parteigenossen aus Ressentiment eisern entschlossen ist, keinen Unbelasteten oder gar Verfolgten in ihren Kreis aufzunehmen. […] Wir hören dann immer den beliebten Vorwand, es sei keiner da, und wenn einmal eine Referentin namhaft gemacht wird, die unbelastet ist, dann bedarf es erst wiederholter Vorstellungen bei dem Herrn Minister persönlich und bei seinem Staatssekretär, weil sonst diese Bewerbung bzw. dieses Aktenstück unauffindbar ist. Dabei handelt es sich beileibe nicht um Sozialdemokraten, sondern auch bei Angehörigen […] der FDP […] oder der CDU ist eine Beförderung dort nahezu ausgeschlossen, wenn jemand unbelastet ist.«1 Mit seinen Vorwürfen rückte Arndt öffentlich eine Behörde ins Zwielicht, deren Bedeutung beim Aufbau der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft angesichts ihres breiten Spektrums staatlicher Aufgaben kaum überschätzt werden kann. Die Zuständigkeit des haushaltsstärksten Bonner Ministeriums erstreckte sich etwa auf die Bereiche Arbeitsmarktpolitik, Arbeitsrecht, Arbeitsschutz, Lohn- und Tarifwesen, Sozialversicherung, Kriegsopferversorgung und internationale Sozialpolitik sowie auf die Aufsicht über zahlreiche nachgeordnete 1 Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht, 73. Sitzung, 12.7.1950, Plenarprotokoll 01/73, S.2631f.

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NEUBEGINN UND KONTINUITÄTEN

Behörden. Während jedoch die Rolle des Bundesarbeitsministeriums bei der Ausgestaltung der Arbeits- und Sozialpolitik Gegenstand intensiver Forschungen geworden ist,2 haben seine Personalstrukturen aus historischer Perspektive bisher wenig Beachtung gefunden. Insgesamt hat die personelle Zusammensetzung der bundesdeutschen Ministerien über ein halbes Jahrhundert lang erstaunlich geringe Aufmerksamkeit erfahren, umso stärker ist sie allerdings in den letzten Jahren im Zuge der Erforschung deutscher Behörden in den Fokus der Geschichtswissenschaft gerückt.3 Für das Bundesministerium für Arbeit (BMA ) liegt gleichwohl nach wie vor im Dunkeln, welche Rückwirkungen die Jahre 1945 und 1949 auf die Zusammensetzung des Mitarbeiterstabs hatten und inwieweit sich für das Personal Zäsuren und Kontinuitätslinien ausmachen lassen. Kamen gerade im BMA ehemalige NSDAP -Mitglieder zu Positionen und Einfluss, wie es ihm von Adolf Arndt zur Last gelegt wurde? Verbunden mit einem knappen Überblick über die behördlichen Grundstrukturen soll im Folgenden erstmals systematisch und auf Basis umfangreicher Quellenauswertungen das Spitzenpersonal des Bundesministeriums für Arbeit und seiner Vorgängerbehörden auf diese Fragen hin untersucht werden. Unter Verknüpfung empirischer Erhebungen und exemplarischer Fallbeispiele wird dabei die obere Mitarbeiterebene in den Jahren 1945 bis 1960 in den Blick genommen, mithin im ersten Jahrzehnt bundesdeutscher Arbeits- und Sozialpolitik, in dem das Bundesarbeitsministerium wegweisende Reformen auf den Weg brachte. Sozialstrukturelle Merkmale werden dabei ebenso berücksichtigt wie die NS -Vergangenheit der leitenden Ministeriumsbeamten. Einen in der bisherigen Forschung vernachlässigten Schwerpunkt bei der Analyse personeller Kontinuitäts- und Diskontinuitätsentwicklungen bilden die Ämter in den Besatzungszonen, die zwischen 1945 und 1949 eine wichtige Scharnierfunktion als »Statthalter« des Reichs- und zugleich als Vorläufer des Bundesministeriums besaßen. Die arbeits- und sozialpolitischen Sachentscheidungen und Inhalte selbst, mit ihren möglichen Kontinuitätsbezügen zu der Zeit vor 1945, können im vorgegebenen Rahmen nur am Rande angesprochen wer2 Vgl. insbesondere die vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung und dem Bundesarchiv 2001-2008 herausgegebene elfbändige Darstellungsund Dokumentenreihe Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Baden-Baden. 3 Vgl. als jüngsten Überblick Christian Mentel/Niels Weise: Die zentralen deutschen Behörden und der Nationalsozialismus. Stand und Perspektiven der Forschung, München/Potsdam 2016.

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MARTIN MÜNZEL

den. Gleiches gilt für die eigentliche Organisationsgeschichte des Ministeriums. Einbezogen werden dagegen auch die zentralen Arbeitsbehörden in Ostdeutschland und damit ein Gebiet, das in den jüngeren Ministeriumsstudien zumeist stiefmütterlich behandelt wird. Auch wenn die Quellenlage vorerst keine vergleichbare Darstellungstiefe ermöglicht, weitet die ergänzende Einbeziehung der sowjetischen Besatzungszone und der DDR den Blick auf konträre Entwicklungen, aber auch mögliche Parallelitäten. Bis zur Auflösung des Ministeriums für Arbeit und Berufsausbildung 1958 wird ein Zeitraum fokussiert, in dem sowohl die weitreichende Entfernung ehemaliger NSDAP -Mitglieder aus dem öffentlichen Dienst als auch die Beeinflussung der Personalrekrutierung durch eine wachsende Dominanz der SED und ihre Kaderpolitik deutlich andere zeithistorische Bedingungen darstellten.4

Behördliche Kontinuitätslinien in Westdeutschland 1946-1960 Das Kriegsende in Europa am 8.  Mai 1945 bedeutete auch den endgültigen Untergang des Reichsarbeitsministeriums als Behörde, nach außen hin symbolisiert durch die schweren Zerstörungen am Ministeriumsgebäude in der Berliner Saarlandstraße. Waren es in allen westlichen Besatzungszonen dann zunächst die einzelnen Länder, die die Aufgaben des Ministeriums fortführten, entstand einzig in der britischen Zone bald eine zentrale oberste Arbeitsbehörde, die sich in organisatorischer und personeller Hinsicht zur »Keimzelle« des Bundesministeriums für Arbeit entwickelte, das im Oktober 1949 seine Arbeit aufnahm. In der amerikanischen Besatzungszone blieb die Aufsicht über die Arbeitspolitik in den Händen der Länderministerien, die Militärregierung behielt sich lediglich ein Vetorecht vor. Als koordinierendes Gremium mit Gesetzgebungskompetenz diente allerdings ab Oktober 1945 der Länderrat, dessen Abteilung für Sozialpolitik, Wohlfahrtspflege und Flüchtlingswesen von Ludwig Preller geleitet wurde. Preller war von 1926 bis 1933 als Regierungsrat im Reichsarbeitsministerium und im Sächsischen Arbeits- und Wohlfahrtsministerium tätig gewe4 Für ihre Unterstützung bei der Erstellung des Beitrags, wichtige Hinweise und Kritik gilt den studentischen Hilfskräften im Forschungsprojekt zur Geschichte des Reichsarbeitsministeriums sowie meinen Kolleginnen und Kollegen in der Forschungsgruppe mein herzlicher Dank.

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NEUBEGINN UND KONTINUITÄTEN

Der zerstörte Gebäudekomplex des ehemaligen Reichsarbeitsministeriums in der Saarlandstraße in Berlin, Juni 1946. Fotograf: Erich O. Krueger

sen. Auch in der französischen Besatzungszone dominierte eine – von den Alliierten gleichwohl eng kontrollierte  – föderale Konstellation. Die Zentralstelle für wirtschaftliche und soziale Organisation bzw. das Zentralamt für Wirtschaft und Arbeit blieben zwischen 1945 und 1947 wenig wirksame Beratungsorgane.5 Nur eine nachgeordnete Rolle kam den Ländern hingegen in der britischen Besatzungszone zu. Maßgebliche Verwaltungsbehörden waren vielmehr zehn ab Sommer 1945 errichtete Zentralämter, deren Zuschnitt sich an den früheren Reichsministerien orientierte und die mit ihren immer stärkeren Weisungsbefugnissen und den erheblichen Kompetenzen der Leiter selbst Ministerialcharakter besaßen, ohne demokratisch legitimiert zu sein.6 Das Zentralamt für Arbeit 5 Vgl. u.a. Udo Wengst: Staatsaufbau und Regierungspraxis 1948-1953. Zur Geschichte der Verfassungsorgane der Bundesrepublik Deutschland, Düsseldorf 1984, S.20-23; Walter Vogel: Westdeutschland 1945-1950. Der Aufbau von Verfassungs- und Verwaltungseinrichtungen über den Ländern der drei westlichen Besatzungszonen, Teil 3: Einzelne Verwaltungszweige: Finanzen; Post und Verkehr; Arbeit und Soziales; Flüchtlinge, Suchdienst und Kriegsgefangene; Justiz; Inneres, Boppard am Rhein 1983, S.390-392. 6 Vgl. u.a. Ilse Girndt: Zentralismus in der britischen Zone. Entwicklungen und Bestrebungen beim Wiederaufbau der staatlichen Verwaltungsorganisation auf

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MARTIN MÜNZEL

Präsident

Stellv. Präsident

HA III HA I

HA II

Allgemeine Verwaltung, ärztliche Angelegenheiten, Statistik, Presse, Dolmetscherdienst

Arbeitsvermittlung, Berufsberatung und Lehrstellenvermittlung, Arbeitslosenhilfe

Arbeitsrecht, Sozialverfassung, Tarifwesen, Lohnüberwachung, Arbeitsgerichtsbarkeit, Arbeitsschutz, Gewerbeaufsicht

HA V HA IV Sozialversicherung

Landesplanung, Städtebau- und Wohnungswesen

Struktureller Aufbau des Zentralamts für Arbeit, 1947

(ZfA) ging dabei auf die Beratungsstelle für Arbeit, Siedlungs- und Wohnungswesen zurück, die im März 1946 auf Veranlassung der Kontrollratskommission gegründet wurde und zumindest mit ihrer Lage im ostwestfälischen Bad Oeynhausen und ab Juli 1946 in der Spiegelberg-Kaserne im benachbarten Lemgo als manifester Bruch mit dem Behördenapparat in der Reichshauptstadt Berlin erschien. Begleitet von stetigen Konflikten um Zentralisierung und Kommunalisierung wurde die Beratungsstelle Anfang August 1946 zum Hauptamt für Arbeitsverwaltung in der britischen Zone erweitert und firmierte ab November 1946 als Zentralamt für Arbeit. Trotz allen Neubeginns ließ die Gliederung des Zentralamts mit seinen fünf Hauptabteilungen unschwer die Anlehnung an den »klassischen« Aufbau des Reichsarbeitsministeriums bis Ende der 1930erJahre erkennen. Zu den Aufgaben des ZfA zählte, die Militärregierung zu unterstützen und in Abstimmung mit der Manpower Division der britischen der Ebene oberhalb der Länder 1945-1948, Universität Bonn, Diss., Bonn 1971, S.92-123; Tilman Pünder: Das bizonale Interregnum. Die Geschichte des Vereinigten Wirtschaftsgebiets 1946-1949, Köln/Berlin 1966, S.43-46. Siehe zu Aufbau und Aufgaben des Zentralamts für Arbeit im Folgenden Das Zentralamt für Arbeit in der Britischen Zone. Bericht über die Tätigkeit von Juli 1946 bis Juli 1948, in: Arbeitsblatt für die Britische Zone 2 (1948), H.78/8 (Sonderbeilage); Aufgaben des Zentralamts für Arbeit in der britischen Zone, in: Arbeitsblatt für die britische Zone 1 (1947), H.12, S.427-429; Tätigkeitsbericht Julius Scheuble, 16.6.1947, Bundesarchiv (BA rch) Z 40/319; Udo Wengst: Sozialpolitische Denk- und Handlungsfelder, in: ders. (Hg.): Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bd.2/1: 1945-1949. Die Zeit der Besatzungszonen. Sozialpolitik zwischen Kriegsende und der Gründung zweier deutscher Staaten. Darstellung, Baden-Baden 2001, S.77-149, hier S.143-145; Vogel: Westdeutschland, Teil 3 (Anm.5), S.392, 422-431.

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NEUBEGINN UND KONTINUITÄTEN

Kontrollkommission bei der Ausarbeitung von Gesetzen und Verordnungen mitzuwirken und deren Durchführung in den Ländern zu koordinieren sowie eigene Vorschriften zu erlassen. Bei der Ernennung, Beförderung, Versetzung und Entlassung von Mitarbeitern des höheren Dienstes war die Zustimmung des Zentralamts einzuholen, es überwachte die Haushalte, prüfte die Geschäftsbetriebe und führte die Arbeitsmarkt- und Beschäftigtenstatistik. Mit der Bildung des Vereinigten Wirtschaftsgebiets, der sogenannten Bizone, durch die Fusion von US - und britischer Besatzungszone am 10. Juni 1947 verband sich die Einrichtung von fünf gemeinsamen Fachverwaltungen, die durch ein eigenes Personalamt ergänzt wurden. Bedingt durch taktische Erwägungen der Alliierten und Vorbehalte einiger Länderminister dem ZfA gegenüber kam erst am 13. September 1948 auch die Verwaltung für Arbeit des Vereinigten Wirtschaftsgebiets (VfA) in Frankfurt am Main hinzu.7 In ihr ging das endgültig am 1.  April 1949 aufgelöste ZfA auf. Während damit das räumliche Zuständigkeitsgebiet ausgeweitet wurde, blieb die Struktur der behördlichen Geschäftsbereiche weitgehend unverändert. Eine Ausnahme bildete die ehemalige Hauptabteilung V des ZfA, die als selbstständige »Zonale Beratungsstelle für Wohnungs- und Siedlungswesen, Stadtund Landplanung« in Lemgo verblieb. Im Zuge der Diskussionen über die Anzahl und das Profil der zukünftigen Bundesministerien war – anders als 1919 – die Notwendigkeit eines eigenen Arbeitsministeriums unbestritten.8 Zum Gegenstand von Kontroversen wurde allerdings die Frage, ob ein reines Arbeitsministerium gebildet oder weitere Befugnisse für Soziales und Wohlfahrt 7 Siehe zur VfA Vogel: Westdeutschland, Teil 3 (Anm.5), S.393-401, 444-454; Kurt Oppler: Die Zuständigkeit des Vereinigten Wirtschaftsgebietes auf dem Gebiete der Arbeit, in: Recht der Arbeit 1 (1948), S.18-20. 8 Vgl. zu Entstehung und Aufbau des BMA Friedrich  P. Kahlenberg/Dierk Hoffmann: Sozialpolitik als Aufgabe zentraler Verwaltungen in Deutschland, in: Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung/Bundesarchiv (Hg.): Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bd.1: Grundlagen der Sozialpolitik, Baden-Baden 2001, S.103-182, hier S.116-119; Hans Günter Hockerts: Sozialpolitische Entscheidungen im Nachkriegsdeutschland. Alliierte und deutsche Sozialversicherungspolitik 1945 bis 1957, Stuttgart 1980, S.110-118; Maximilian Sauerborn: Das Bundesministerium für Arbeit, in: BAB l.1 (1950), Nr.1, S.4-6; Bundesarchiv/Institut für Zeitgeschichte (Hg.): Akten zur Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945-1949, Bd.5: Januar-September 1949, München u.a. 1981, S.665f., 733-738, 818-824; Die Tätigkeit des Bundesministeriums für Arbeit in den Jahren 1949-1952, BA rch B 106/4102.

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Gebäude des Bundesministeriums für Arbeit in Bonn, 1960er-Jahre

integriert werden sollten. Mit der Durchsetzung der ersten Variante stellte das Bundesministerium für Arbeit eine direkte Fortführung der VfA dar. Anfangs mit einem kleinen Mitarbeiterstab in einer ehemaligen Polizeischule und dann in Gebäuden der Troilokaserne in Bonn untergebracht, gliederte sich die Behörde in die Hauptabteilungen Allgemeine Verwaltung, Arbeitsmarktpolitik, Arbeitsrecht und Sozialversicherung sowie elf Unterabteilungen; die Anzahl der Referate erhöhte sich zwischen November 1950 und November 1960 von 61 auf 69. Die Verantwortung für Fürsorge und Gesundheit ging auf Referate des Bundesministeriums des Innern über, für die Belange der Vertriebenen wurde ein gesondertes Ministerium geschaffen. In offener Diskontinuität zu den arbeitsministeriellen Traditionen stand die bereits angebahnte Abtrennung des Ressorts für Städtebau- und Wohnungswesen. Angesichts der immensen Herausforderungen, die die Kriegszerstörungen mit sich brachten, und parteipolitischer Proporzerwägungen der Koalitionäre CDU , CSU und FDP fiel die Entscheidung zugunsten eines eigenständigen Bundesministeriums für Wohnungsbau.9 Mit der Verlagerung der arbeitsmedizinischen und sozialärztlichen Angelegenheiten aus der Hauptabteilung I sowie der Kriegsopferver9 Dazu ausführlich Günther Schulz: Wiederaufbau in Deutschland. Die Wohnungsbaupolitik in den Westzonen und der Bundesrepublik von 1945 bis 1957, Düsseldorf 1994, S.175-202; Wengst: Staatsaufbau (Anm.5), S.171f. Vgl. auch den Beitrag von Karl Christian Führer in diesem Band.

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NEUBEGINN UND KONTINUITÄTEN

Minister

Staatssekretär

Abt. I Allgemeine Verwaltung, internationale Sozialpolitik, volkswirtschaftliche Angelegenheiten, Presse, Statistik

Abt. V Abt. III Abt. II Arbeitsmarktpolitik

Arbeitsrecht, Lohn-, Tarif- und Schlichtungswesen, Arbeitsschutz

Abt. IV Sozialversicherung

Versorgung der Kriegsopfer, arbeitsmedizinische, versorgungs- und sozialärztliche Angelegenheiten

Struktureller Aufbau des Bundesministeriums für Arbeit, 1955

sorgung aus der Hauptabteilung  IV in die neu geschaffene Hauptabteilung V erfuhr das BMA am 1. Januar 1955 eine Modifizierung seiner Grundstruktur, die dann annähernd 15 Jahre weitgehend unverändert blieb. 1957 erfolgte die Umbenennung des Ministeriums in Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung.

Personeller Neubeginn in der britischen Besatzungszone und der Bizone 1945-1949 Die umweglose Anknüpfung an die traditionellen Organisationsstrukturen innerhalb der Arbeitsbehörden fand keine unmittelbare Entsprechung in der Entwicklung ihrer personellen Zusammensetzung. Vielmehr zog das Kriegsende tiefgreifende Folgen für die Führungsspitze des ehemaligen Reichsarbeitsministeriums nach sich: Ressortchef Franz Seldte wurde von den Alliierten festgesetzt und starb im April 1947 in Fürth in Haft; Staatssekretär Friedrich Syrup, zuvor langjähriger Präsident der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, wurde im Juni 1945 verhaftet und verstarb wenige Wochen später im sowjetischen Lager OranienburgSachsenhausen. Im Oktober 1945 fand hier auch Ministerialrat Oskar Karstedt den Tod, der seit 1919 im Reichsarbeitsministerium unter anderem ein wichtiger Spezialist für internationale Sozialpolitik gewesen war. Staatssekretär Hans Engel starb vermutlich im gleichen Jahr ebenfalls in sowjetischer Internierung.10 10 Hans Engel wurde offenbar zunächst in den Lagern Weesow und Sachsenhausen interniert, nach seiner Verlegung in das Speziallager in Landsberg an der Warthe im Juli 1945 verliert sich seine Spur. Dieter G. Maier: Friedrich

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Darüber hinaus bedeutete das Jahr 1945 für rund drei Viertel der Beamten aus der oberen Ministeriumshierarchie insofern einen tiefen Einschnitt, als sie danach in keiner der zentralen deutschen Arbeitsbzw. Wohnungsbaubehörden jemals wieder beruflich Fuß fassten. Selbst unter den Regierungs- und Oberregierungsräten, die im Schnitt erst 45 Jahre alt waren, kehrte weniger als ein Drittel zurück. Sofern sie sich nicht zur Ruhe setzen konnten, dürften viele dauerhaft etwa in Tätigkeiten in der freien Wirtschaft ausgewichen sein. Anderen gelang es, in den weitverzweigten nachgeordneten Behörden, etwa den Arbeitsämtern, der Bundesanstalt für Arbeit, den Sozialversicherungen oder der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit unterzukommen; Schlupflöcher boten schließlich die Arbeits- und Sozialverwaltungen der Länder. Aus dem Kreis der nach 1933 aus dem Reichsarbeitsministerium vertriebenen jüdischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurde allein Ministerialrätin Dorothea Hirschfeld wieder beruflich aktiv. In der Weimarer Republik für den Bereich der Wohlfahrtspflege verantwortlich, hatte sie das Ghetto Theresienstadt überlebt und stellte sich 1945 im Alter von 68 Jahren der Hauptverwaltung für das Gesundheitswesen der sowjetischen Besatzungszone (SBZ ) als Referentin zur Verfügung. Der zum 1. April 1933 zwangsweise in den Ruhestand versetzte einflussreiche Arbeitsrechtler und langjährige Hauptabteilungsleiter im Reichsarbeitsministerium, Ministerialdirektor Oscar Weigert, trat hingegen im Zusammenhang mit seinem Anspruch auf Wiedergutmachung und Ruhegehaltsbezüge von den USA aus mit dem Bundesarbeitsministerium in Kontakt. Die Korrespondenz mit Weigert, der nach einer Beratertätigkeit beim US -Arbeitsministerium und im türkischen Wirtschaftsministerium seit 1938 als Wissenschaftler und Mitarbeiter des US -Arbeitsministeriums in Washington tätig war, verlief im Ton versöhnlich, ohne dass von einem weitergehenden fachlichen Austausch die Rede war.11 Syrup (1881-1945). Von der Gewerbeaufsicht an die Spitze der Arbeitsverwaltung, in: ders./Jürgen Nürnberger/Stefan Pabst: Vordenker und Gestalter des Arbeitsmarktes. Elf Biografien zur Geschichte der deutschen Arbeitsverwaltung, Mannheim 2012, S.115-140, hier S.140; freundliche Auskünfte von Annette Karstedt-Meierrieks, Werner Peycke, Dr.Enrico Heitzer und Holm Kirsten. 11 Christine Fischer-Defoy (Red.): Vor die Tür gesetzt. Im Nationalsozialismus verfolgte Berliner Stadtverordnete und Magistratsmitglieder 1933-1945, Berlin 2006, S.229f.; Elisabeth Lembeck: Die Partizipation von Frauen an der öffentlichen Verwaltung in der Weimarer Republik 1918-1933, Universität Hannover, Diss., Hannover 1991, S.198-210; Korrespondenz zwischen Oscar Weigert und dem BMA zur Wiedergutmachung, BA rch B 149/7444.

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Für die aus dem Staatsdienst entlassenen und als Angehörige des höheren Dienstes von einem automatischen Arrest betroffenen Ministeriumsmitarbeiter begann eine Zeit der Ungewissheit und des Kampfes um die bürgerliche Existenz. Viele von ihnen empfanden die Erfahrungen der Deklassierung und Repression und die Konfrontation mit drohenden Sanktionen und Sühnemaßnahmen subjektiv als Schock – Erfahrungen, die mit der Entrechtung und Verfolgung jüdischer Beamter im NS -Staat freilich nicht vergleichbar waren.12 In eindringlichen Worten hielt etwa der einstige Staatssekretär Johannes Krohn die Eindrücke aus seiner knapp einjährigen Internierung im Zuchthaus Bayreuth und im bayerischen Lager Moosburg 1945/46 fest und berichtete von Unterernährung, Depressionen und bis hin zu Todessehnsüchten reichender völliger Verzweiflung.13 Aus der Perspektive der Betroffenen mochte allein der berufliche Bruch zu Verunsicherungen, Erschütterungen und Zukunftsängsten führen, deren vielleicht längerfristig prägende Wirkung schwer einzuschätzen bleibt. Mitunter für Jahre sahen sich auch zahlreiche spätere Beamte des Bundesarbeitsministeriums dazu gezwungen, Tätigkeiten in Rechtsanwaltspraxen, Steuerberatungsbüros und Versicherungen, in Handwerksbetrieben und im Brauereigewerbe oder als Hilfstischler und Wald- und Sägewerksarbeiter zu übernehmen. Gleichzeitig machten sich die Westalliierten selbst unmittelbar nach der deutschen Kapitulation die Fachkenntnisse der deutschen Verwaltungselite zunutze. Mehr als 1200 ehemalige Ministerialangehörige, darunter 14 Spitzenbeamte des ehemaligen Arbeitsressorts, wurden in das Ministerial Collecting Center in Hessisch Lichtenau südöstlich von Kassel verbracht. Auf dem Gelände einer früheren Munitionsfabrik wurden die Internierten mit der Sichtung und Ordnung von 1250 Tonnen Akten und der Erstellung hunderter Denkschriften und Gutachten beauftragt, Befragungen durch Besatzungsoffiziere unterzogen und als 12 Hierzu allgemein Konrad Jarausch: Die Umkehr. Deutsche Wandlungen 1945-1995, Bonn 2004, S.66-70; Ulrich Herbert: Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft, 1903-1989, Bonn 1996, S.434f.; zur rechtlichen Stellung entlassener Beamter Wolfgang Langhorst: Beamtentum und Artikel 131 des Grundgesetzes. Eine Untersuchung über Bedeutung und Auswirkung der Gesetzgebung zum Artikel 131 des Grundgesetzes unter Einbeziehung der Position der SPD zum Berufsbeamtentum, Frankfurt am Main 1994, S.21-30. 13 Tagebuchähnliche Aufzeichnungen Krohns aus der Internierung im Zuchthaus Bayreuth und im Lager Moosburg, 1945-1946, BA rch NL 430/3; Lebenslauf Krohn, 4.1.1947, BA rch NL 430/5.

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Julius Scheuble (geb. 23.5.1890 in Lienheim [Baden], gest. 22.12.1964 in Freiburg im Breisgau) wurde nach einer Tätigkeit als Schreiner und im Zentralverband christlicher Holzarbeiter 1928 Direktor des Versicherungsamts der Stadt Köln und am 15. August 1930 Präsident des Landesarbeitsamts Rheinland in Köln. Nach seiner Entlassung durch die Nationalsozialisten war er ab 1933 zunächst mehrere Jahre erwerbslos und arbeitete ab 1937 in einer Versicherungsgesellschaft. 1945 stand Scheuble zunächst an der Spitze des Arbeitsamts Köln und des Landesarbeitsamts Nordrhein-Provinz, bevor er am 23. Juli 1946 als Präsident des Zentralamts für Arbeit in der britischen Besatzungszone eingesetzt wurde. In der Nachfolgebehörde der Bizone, der Verwaltung für Arbeit, amtierte Scheuble ab dem 10. September 1948 als Vizepräsident. Mit Gründung der Bundesrepublik wurde er im Januar 1950 Leiter der Abteilung II im Bundesarbeitsministerium und hatte als deren erster Präsident vom 1. Mai 1952 bis zum 31. Juli 1957 die Leitung der neu gegründeten Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg inne. Quellen und Literatur: Lebenslauf Scheuble, 16.6.1947, Bundesarchiv Z 40/319; Hans-Walter Schmuhl: Arbeitsmarktpolitik und Arbeitsverwaltung in Deutschland 1871-2002. Zwischen Fürsorge, Hoheit und Markt, Nürnberg 2003, S. 362 f.; Anton Storch: Der erste Präsident der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung Dr. h. c. Julius Scheuble trat in den Ruhestand, in: BAB l. 7 (1957), Nr. 13, S. 437.

Fachberater eingesetzt. Und vermutlich war es ebenso die Festigung zukunftsweisender Kontaktnetzwerke, die aus dem gemeinsamen Lageraufenthalt resultierte.14 In der britischen Zone agierten die Besatzer zunächst mit einem großen Stab eigener Verwaltungsbeamter, bevor sie zur Besetzung der zonalen Ämter auch auf sachverständige Mitarbeiter der früheren Reichsverwaltung zurückgriffen und dabei deutlich unbefangener vorgingen als die US -Amerikaner.15 Die Zusammensetzung des Zentralamts für Arbeit signalisierte indes zumindest hinsichtlich der Behördenleitung einen klaren Neuanfang mit dezidiert politisch unbescholtenen und zugleich fachlich erfahrenen Persönlichkeiten. 14 Zur vorgesehenen Errichtung einer deutschen Zentralverwaltung wurde das Ministerial Collecting Center Ende Januar 1946 nach Berlin-Tempelhof verlagert, wo es dann jedoch eine immer geringere Rolle spielte. Lester K. Born: The Ministerial Collecting Center Near Kassel, Germany, in: The American Archivist 13 (1950), S.237-258; Walter Vogel: Westdeutschland 19451950. Der Aufbau von Verfassungs- und Verwaltungseinrichtungen über den Ländern der drei westlichen Besatzungszonen, Teil 2: Einzelne Verwaltungszweige: Wirtschaft, Marshallplan, Statistik, Boppard am Rhein 1964, S.11f. 15 Wengst: Staatsaufbau (Anm.5), S.23.

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Die Entscheidung, Julius Scheuble zum Präsidenten zu ernennen, wurde durch den Eintritt von Vizepräsident Walter Auerbach in das ZfA im Oktober 1946 verstärkt.16 Auerbach gehörte nach Studium und Promotion von 1930 bis 1933 dem Hauptvorstand eines Arbeitnehmerverbands an. Als jüdischer Emigrant schloss er sich dann zunächst in Amsterdam und mit Kriegsbeginn in London der Internationalen Transportarbeiter-Föderation an, wo er sich auch für eine politische und soziale Neuordnung Deutschlands nach dem Krieg enDer Präsident des Zentralgagierte. Die Leitung des ZfA lag damit amts für Arbeit und erste in der Hand zweier Männer mit GePräsident der Bundesanstalt werkschaftsvergangenheit und war zu- für Arbeitsvermittlung und gleich dahingehend paritätisch besetzt, Arbeitslosenversicherung dass Scheuble aus der christlichen Ge- Julius Scheuble, ca. 1950erwerkschaftsbewegung kam und CDU - Jahre Mitglied wurde, während Auerbach der sozialistischen Gewerkschaftsbewegung entstammte und seit 1926 der SPD angehörte. Was das übrige, für ein von über 22 Millionen Menschen bewohntes Gebiet zuständige Personal anging, wies Scheuble bei einer Pressekonferenz des ZfA im Sommer 1946 darauf hin, dass für die entlassenen ehemaligen NSDAP -Mitglieder 80% neue Mitarbeiter hätten eingestellt werden müssen, die sich nur langsam einarbeiteten.17 In der Tat hatte das Zentralamt angesichts eklatanter Personalnot und eines Mangels an spezialisierten Fachkräften den Charakter eines heterogenen Mikrokosmos (siehe Grafik S. 507).18 Weniger als ein Viertel der 16 Siehe zur Biografie Auerbachs Ellen Babendreyer: Walter Auerbach. Sozialpolitik aus dem Exil, Universität Duisburg-Essen, Diss., Duisburg-Essen 2007, bes. S.242-250, 257-259; Lebenslauf Auerbach, 11.6.1947, BA rch Z 40/319. 17 Mit warmem Herzen, in: Der Spiegel, 6.7.1947, S.6. 18 Erfasst wurden für alle folgenden statistischen Auswertungen insgesamt 141 verschiedene Personen der obersten Behördenhierarchien. Für das ZfA und die VfA wurden dabei sämtliche identifizierbaren Mitarbeiter ab der Referentenebene berücksichtigt (60 bzw. 44 Personen), für das BMA wurden alle Beamten ab der Ebene der Regierungsdirektoren aufgenommen (96 Personen),

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Abteilungsleiter und Referenten waren zuvor im RAM , etwas mehr in seinen nachgeordneten Behörden beschäftigt gewesen. Bei fast 45% handelte es sich hingegen um temporäre Quereinsteiger, lokale Experten und andere von außen kommende Beschäftigte, die aus dem Verbandswesen und aus Berufsgenossenschaften stammten und zu denen Architekten und Unternehmer ebenso gehörten wie Mitarbeiter von Einrichtungen wie dem Berliner Institut für Wirtschaftsforschung. Nicht vertreten waren  – mit Ausnahme des aus Graz stammenden Abteilungsleiters Rudolf Petz, der ab 1938 dem Reichsministerium des Innern angehört hatte – ehemalige Beamte anderer Reichsministerien. Insgesamt zeigten sich somit deutliche Abweichungen zur traditionellen Personalrekrutierung und -zusammensetzung des Reichsarbeitsministeriums.19 Mit 49 Jahren war das Durchschnittsalter aller Mitarbeiter relativ niedrig, zugleich waren 65% von ihnen promoviert. Das Personaltableau umfasste den 65-jährigen früheren Oberbürgermeister von Ratibor (Racibórz) und Referenten in der Abteilung I Adolf Kaschny ebenso wie etwa den Architekten und Bauforscher Hans Steckeweh als Leiter der Abteilung  V bzw. der Zonalen Berasodass die Werte für die Besatzungszeit und für die Bundesrepublik nicht vollständig miteinander vergleichbar sind. Die Quellenlage stellt sich insofern als prekär dar, als ein großer Teil der Personalakten des BMA trotz intensiver Nachforschungen unauffindbar geblieben ist und nach bisherigem Wissensstand nicht ausgeschlossen werden kann, dass diese durch das Ministerium vernichtet wurden. Im Bestand B  149 (Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung) des Bundesarchivs Koblenz sind überdies einige der zentralen Akten zur Gründungsphase des Bundesarbeitsministeriums verschollen. Ein Teilbestand an Personalakten wird zurzeit im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie in Berlin verwahrt, ihre Abgabe an das Bundesarchiv ist beabsichtigt. Zu den wichtigsten weiteren Beständen gehören im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde R3901 (Personalakten), R601/464-466, 2091-2110, und die Akten des ehemaligen Berlin Document Center, im Bundesarchiv Koblenz Z 40, Z 11, B 126/16930-17061, PERS 101 und die Organisationsund Geschäftsverteilungspläne des BMA 1949-1960 sowie im Landesarchiv (LA rch) NRW , Abt. Rheinland in Duisburg, Entnazifizierungs- und Personalakten (NW -Bestände); vgl. außerdem Organisations- und Geschäftsverteilungspläne des BMA im Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde und Mappe »Organisationspläne des Bundesministeriums für Arbeit/Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung 1953-1998« im Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Berlin sowie die Personalmitteilungen in Dienstliche Mitteilungen über die vorläufige Regelung des Geschäftsbetriebes der Verwaltung für Arbeit bzw. des Bundesministeriums für Arbeit (und Sozialordnung) 1948-1960 und in Arbeitsblatt für die britische Zone/Arbeitsblatt/BAB l.1947-1960. 19 Vgl. den Beitrag von Ulrike Schulz in diesem Band.

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Behördliche Herkunft des Spitzenpersonals des Zentralamts für Arbeit, der Verwaltung für Arbeit und des Bundesministeriums für Arbeit, 1946-1960 (in %)

tungsstelle in Lemgo. Wie Steckewehs Vorgänger Philipp Rappaport waren verschiedene Referenten nur nebenamtlich für das ZfA tätig. Rappaport war 1933 als Direktor des Siedlungsverbands Ruhrkohlenbezirk in Essen entlassen und 1945 wieder in dieses Amt eingesetzt worden. Im ZfA führte seine Doppelfunktion jedoch zu Spannungen, sodass er im Juni 1947 um seine Ablösung bat.20 Auch der Generaldirektor der Westfälischen Heimstätte GmbH in Münster, Heinrich Vormbrock, fungierte nur zusätzlich als Referent für Organisation und Finanzierung des Wohnungswesens, und ebenso führte im Falle anderer Mitarbeiter deren Rückkehr in ihr ursprüngliches Berufsfeld zu Verschärfungen der angespannten Personallage. Die Überleitung des Zentralamts für Arbeit auf die Verwaltung für Arbeit in Frankfurt am Main ging ab Herbst 1948 mit einer weitgehenden Übernahme des Personalbestands einher. Knapp 70% der Referenten waren zuvor im ZfA beschäftigt gewesen, und nur einzelne Mitarbeiter wechselten vom Länderrat der US -Zone in die bizonale Verwaltung.21 Zugleich zeichnete sich aber auch eine verstärkte Präsenz ehemaliger Beamter des Reichsarbeitsministeriums und seiner 20 BA rch Z 40/312. 21 Hierzu zählte neben dem langjährigen Ministerialrat im Reichsarbeitsministerium Heinrich Goldschmidt der frühere Präsident der Landesarbeitsämter Bayern und Ostpreußen Anton Kerschensteiner, der nach 1933 als einer der wenigen Behördenleiter nicht der NSDAP beigetreten war und sich schützend vor seine Münchener Mitarbeiter gestellt hatte. Ich danke Henry Marx für diesen Hinweis.

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nachgeordneten Behörden ab (siehe Grafik S. 507), die durch die allgemeine parteipolitische Abkehr von einem SPD -CDU -Proporz hin zu einem Führungsanspruch der CDU /CSU verstärkt wurde.22 Die »gemeinsamen, sich über Monate hinziehenden Versuche, wenigstens die Verwaltung für Arbeit aus dem parteipolitischen Konflikt herauszuhalten und zur Allparteigewerkschaft eine wirklich über den Parteien stehende Verwaltung für Arbeit treten zu lassen«, seien gescheitert, stellte Walter Auerbach resigniert fest und verzichtete auf eine Weiterarbeit, nachdem ihm in der VfA nur eine »voellig einflusslos[e]« und »ungefaehrliche […] Stellung« angeboten worden war.23 Auch Julius Scheuble als Vertreter des linken CDU -Flügels, dem insbesondere aus den süddeutschen Ländern Vorbehalte entgegenschlugen, büßte an Einfluss ein. Am 10.  September 1948 wurde er als Vertreter von Anton Storch nur zum Vizepräsidenten der Verwaltung für Arbeit und entgegen seiner festen Erwartung – und zum äußersten Missfallen der christlich organisierten Arbeiterschaft – nicht zum Staatssekretär im neuen Bundesarbeitsministerium ernannt, sondern auf Drängen der Koalitionspartner FDP und DP mit der Leitung der Abteilung  II abgefunden.24

Rekonstruktionen im Bundesarbeitsministerium 1949-1960 Bei Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 war der vermehrte Rückgriff auf Beamte aus der NS -Zeit endgültig unübersehbar. Eine kleine Gruppe ehemaliger Mitarbeiter des Reichsministeriums des Innern erstellte, nicht zuletzt im Sinne Konrad Adenauers, Personallisten mit dem Ziel, Vertreter der alten Beamtenschaft an die Bonner Ministeriumsspitzen und in wichtige Schlüsselpositionen zu lancieren. Zugleich galt es, vermeintlich mithilfe des Personalamts der 22 Hockerts: Sozialpolitische Entscheidungen (Anm.8), S.109. 23 Auerbach an Anton Storch, August 1948, Archiv der sozialen Demokratie (AdsD), Nachlass Walter Auerbach, Mappe 198; sowie Auerbach am 17.10.1948, zit. nach Babendreyer (Anm.16), S.258. 24 Vogel: Westdeutschland, Teil 3 (Anm.5), S.394, Wengst: Staatsaufbau (Anm.5), S.164f.; Hans Günter Hockerts: Anton Storch (1892-1975), in: Jürgen Aretz/Rudolf Morsey/Anton Rauscher (Hg.): Zeitgeschichte in Lebensbildern, Bd.4: Aus dem deutschen Katholizismus des 19. und 20.  Jahrhunderts, Mainz 1980, S.250-266, hier S.258f.; Kommentare/Empfehlungen von Hermann Pünder zu einzelnen Ministerien (Durchschlag, undatiert [Oktober 1949?]), BA rch Z 11/104, Bl.33-36.

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Bizone gefestigte sozialdemokratische Einflüsse zurückzudrängen. In der Folge kamen im August 1950 fast 43% aller Abteilungsleiter aus den ehemaligen Reichsministerien, über die Hälfte von ihnen waren Mitglieder der CDU /CSU , gut 9% der SPD .25 Auch innerhalb der zentralen Arbeitsbehörden griffen die schlagartige Vergrößerung des Mitarbeiterkorpus und eine sprunghafte personelle Rekonstruktion ineinander. Insgesamt stieg die Zahl der Beamten, Angestellten und Arbeiter bis 1952 schnell und in den Folgejahren langsamer an, allein in seine Dezemberausgabe 1950 vermeldete das Bundesarbeitsblatt 98 Ernennungen, Übernahmen in das Beamtenverhältnis und Einberufungen (siehe Grafik S. 510).26 Unter Fortführung eines Großteils der Beschäftigungsverhältnisse aus der Vorgängerbehörde VfA erhöhte sich der Anteil derjenigen Spitzenbeamten, die bereits im Reichsarbeitsministerium beschäftigt gewesen waren, im Laufe des Jahres 1950 auf 52,2% (siehe Grafik S.507). In einem nicht unerheblichen Grad handelte es sich jedoch dabei um einen nur temporären Effekt. Denn bei einem Durchschnittsalter, das mit 59 Jahren rund vier Jahre über dem des Leitungspersonals im Reichsarbeitsministerium bei Kriegsende lag, gehörte fast ein Drittel (1950) bzw. immerhin ein Viertel (1951) dieser Beamten noch den Geburtsjahrgängen vor 1890 an. So schieden schon im Sommer 1953 mit den Ministerialräten Heinrich Goldschmidt und Michael-Josef Bauer sowie dem Ministerialdirigenten Kurt Classen zur gleichen Zeit drei leitende Beamte aus, die bereits seit den Jahren 1919-1921 dem Reichsarbeitsministerium angehört hatten. Insgesamt entsprach der Grad der Personalkontinuität gegenüber der früheren Reichsbehörde zwischen 1950 und 1960 mit 27,4% etwa demjenigen, wie ihn das Bundeswirtschaftsministerium (BMW i) aufwies; unter 98 Angehörigen des höheren Auswärtigen Dienstes kamen zwischen 1949 und 1955 25 Wengst: Staatsaufbau (Anm.5), S.89-96; Rudolf Morsey: Personal- und Beamtenpolitik im Übergang von der Bizonen- zur Bundesverwaltung (19471950). Kontinuität oder Neubeginn?, in: ders. (Hg.): Verwaltungsgeschichte. Aufgaben, Zielsetzungen, Beispiele. Vorträge und Diskussionsbeiträge der verwaltungsgeschichtlichen Arbeitstagung 1976 der Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer, Berlin 1972, S.191-243; Langhorst (Anm.12), S.153-183. 26 BAB l.1 (1950), Nr.12, S.438-439. Mitarbeiterzahlen 1948-1960 nach Wirtschaft und Statistik NF 1 (1950), H.10, Januar 1950, S.722; Übersicht über die Zahl der Mitarbeiter in den Ämtern der Bizone, 20.1.1950, BA rch B 106/45734; Bundeshaushaltspläne für die Haushaltsjahre 1950-1960, Berlin/ Bonn 1950-1960.

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Anzahl der Beamten, Angestellten und Arbeiter in der Verwaltung für Arbeit und im Bundesministerium für Arbeit, 1948-1960

hingegen nahezu zwei Drittel aus dem alten Auswärtigen Amt.27 Bis 1960 relativ konstant blieb der bei etwas über einem Drittel liegende Anteil der Mitarbeiter aus den ehemaligen nachgeordneten Behörden des Reichsarbeitsministeriums. Dies deutet darauf hin, dass sich in der Bundesrepublik gleichermaßen die übliche Praxis fortsetzte und jüngere Nachwuchskräfte im Laufe ihres Berufswegs in die Mutterbehörde überwechselten. Was die konfessionelle Zusammensetzung betraf, machte zwar auch die oberste Mitarbeiterebene des BMA bei der vorherrschenden Überrepräsentation der Protestanten innerhalb der Ministerien im Prinzip keine Ausnahme (siehe Grafik S. 512). Offizielle Konfessionserhebungen förderten allerdings zutage, dass der Anteil der katholischen Mitarbeiter im BMA mit 40% (1950) bzw. 38,3% (1960) erheblich über den Durchschnittswerten in den Ministerien insgesamt (26%/26,9%) lag; an der Spitze des Bundesarbeitsministeriums überwog 1952 sogar kurzzeitig die Zahl der Katholiken.28 Die vergleichbare Beamtengrup27 Die Angaben zum BMW i beziehen sich auf 204 Beamte des höheren Dienstes mit hervorgehobenen Funktionen zwischen 1949 und 1963; für das Auswärtige Amt ist zu berücksichtigen, dass dieses über keine nachgeordneten Behörden verfügte. Vgl. Bernhard Löffler: Soziale Marktwirtschaft und administrative Praxis. Das Bundeswirtschaftsministerium unter Ludwig Erhard, Stuttgart 2002, S.166; Eckart Conze/Norbert Frei/Peter Hayes/Moshe Zimmermann: Das Amt und die Vergangenheit. Deutsche Diplomaten im Dritten Reich und in der Bundesrepublik, München 2010, S.493f. 28 Auch wenn die Protestanten bald mit annähernd 60% dominierten, war die Frage der konfessionellen Zusammensetzung des BMA nicht ohne Brisanz, hatten doch Presseberichte über die angeblich einseitig pro-katholisch orien-

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Durchschnittsalter des Spitzenpersonals im Zentralamt für Arbeit, in der Verwaltung für Arbeit und im Bundesministerium für Arbeit, 1946-1960 (in %)

pe im Reichsarbeitsministerium hatte sich durchschnittlich zu etwa drei Vierteln aus Protestanten zusammengesetzt, sodass nach 1949 von einer Verschiebung der Konfessionsprägung gesprochen werden kann. Ein wichtiger Zusammenhang bestand hier mit der geografischen Herkunft, denn rund ein Fünftel der leitenden BMA -Mitarbeiter stammte aus der katholisch geprägten ehemaligen Rheinprovinz, in den Anfangsjahren des Ministeriums zudem mehrere von ihnen aus Bayern und Baden. Erst 1953 rückten dann in stärkerem Maße als in anderen Bundesbehörden Beamte nach, die im (eher protestantischen) BerlinBrandenburg geboren waren.29

tierte und selbst vor Bürodienern und Reinemachefrauen nicht haltmachende Zusammensetzung der Bundesbehörden Unruhe hervorgerufen. Wolfgang Zapf: Die Verwalter der Macht. Materialien zum Sozialprofil der höheren Beamtenschaft, in: ders. (Hg.): Beiträge zur Analyse der deutschen Oberschicht, 2. Aufl., München 1965, S.77-94, hier S.84; Wengst: Staatsaufbau (Anm.5), S.181f.; vgl. die Korrespondenz und Unterlagen zur Konfessionserhebung durch das Bundesinnenministerium in BA rch B 102/16737, 32215. Nach Zapf schlug sich 1950 die Präsenz katholischer Gewerkschafter im BMA nieder; der 1970 in das Bundesarbeitsministerium eingetretene Dieter Marschall erinnerte sich daran, dass zahlreiche Nachwuchskräfte im damaligen Ministerium katholischen Studentenverbindungen angehört hatten. Mündliche Mitteilung von Ministerialrat a.D. Dr. Dieter Marschall an den Autor, 18.2.2016. 29 Siehe zur Geburtsortverteilung der Beamten und Angestellten der obersten Bundesbehörden im April 1950 Löffler (Anm.27), S.157, Tabelle 2.

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Konfessionszugehörigkeit des Spitzenpersonals im Zentralamt für Arbeit, in der Verwaltung für Arbeit und im Bundesministerium für Arbeit, 19461960 (in %)

Wiederum ganz in der Tradition des Reichsarbeitsministeriums stand das BMA schließlich hinsichtlich der Qualifikationsstrukturen. Hervorstechendes Merkmal war wie in anderen Ressorts zwar das klassische Juristenmonopol, in den Bereichen wie Versicherungen, Arbeitsschutz und Medizin war die Behörde aber auf ein breit gefächertes Fachspezialistentum angewiesen. Ökonomen, Ingenieure und Naturwissenschaftler, die schon im ZfA und in der VfA relativ stark vertreten gewesen waren, gewannen mittelfristig an größerer Bedeutung. Auch unter den Angehörigen des höheren Dienstes wies das BMA im Vergleich mit den übrigen Bundesministerien mit 29% (1958) den bei Weitem höchsten Anteil nicht juristisch ausgebildeter »Außenseiter« auf.30 Gleichzeitig nahm die Präsenz von Mitarbeitern ohne Studium innerhalb der obersten Ebene ab, und eine Promotionsquote von 56,3% (1950-1960) belegte den insgesamt hohen Qualifikationsgrad.

Personelle Einblicke: Bundesminister, Abteilungen und Mitarbeiterinnen Bei einer exemplarischen Ausleuchtung des Spitzenpersonals des Bundesministeriums für Arbeit scheint zunächst die Übernahme der 30 Zapf (Anm.28), S.90f.; Soziale Struktur der Angehörigen des höheren Dienstes in den Ministerien, in: Monatsschrift der Vereinigung deutscher Auslandsbeamten 25 (1962), S.357f.

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Anton Storch (geb. 1.4.1892 in Fulda, gest. 26.11.1975 in Fulda) machte nach einer Tischlerlehre und Tätigkeit als Tischlergeselle innerhalb des Christlichen Holzarbeiterverbands Karriere. Seit 1919 war er Mitglied der Zentrumspartei. 1931 wurde Storch Vorsitzender des Dachverbands der Christlichen Gewerkschaften für die Provinz Hannover. Nach seiner Entlassung 1933 arbeitete er als Versicherungsvertreter und wurde 1939 bei der Feuerschutzpolizei Hannover dienstverpflichtet. 1946 übernahm Storch die Leitung der sozialpolitischen Abteilung des Gewerkschaftsbundes der britischen Besatzungszone und gehörte seit 1947 dem Wirtschaftsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes (»Bizone«) an; am 20. August 1948 wurde er zum Direktor der Verwaltung für Arbeit im Vereinigten Wirtschaftsgebiet gewählt. Als erster Bundesminister für Arbeit gehörte Storch vom 20. September 1949 bis zum 29. Oktober 1957 der Bundesregierung an, war von 1949 bis 1965 Mitglied des Deutschen Bundestags (CDU ) und von 1958 bis 1965 des Europäischen Parlaments. Literatur: Hans Günter Hockerts: Anton Storch (1892-1975), in: Jürgen Aretz/Rudolf Morsey/ Anton Rauscher (Hg.): Zeitgeschichte in Lebensbildern, Bd. 4: Aus dem deutschen Katholizismus des 19. und 20. Jahrhunderts, Mainz 1980, S. 250-266; Anton Storch: Lebenserinnerungen. Erfahrungen und Erlebnisse, in: Deutscher Bundestag (Hg.): Abgeordnete des Deutschen Bundestages. Aufzeichnungen und Erinnerungen, Bd. 2: Curt Becker, Franz Marx, Ernst Paul, Hans Schütz, Elisabeth Schwarzhaupt, J. Hermann Siemer, Anton Storch, Boppard am Rhein 1983, S. 313-344; Wolfgang Stump: Anton Storch (1892-1975), in: Vierteljahresschrift für Sozialrecht 4 (1976), S. 129-139.

Ressortleitung durch den ersten Bundesarbeitsminister Anton Storch nach außen Diskontinuität zu demonstrieren  – zumal im direkten Vergleich mit der Person des Reichsarbeitsministers Franz Seldte.31 Denn der 1892 in Fulda geborene Katholik Storch (und auch sein von Adenauer schon 1949 als Minister favorisierter Nachfolger Theodor Blank) war ein profilierter Gewerkschaftsvertreter. Zwar entsprach er mit seinem Lebenslauf Forderungen seitens der Union und Konrad Adenauers selbst nach einer Persönlichkeit, die in enger Beziehung zur Arbeiterschaft und zu den Gewerkschaften stehen müsse. Schon seine Wahl zum Direktor der VfA am 20. August 1948 jedoch ließ sich nur gegen Widerstände durchsetzen, und schließlich war es Storchs Nominierung für das Ministeramt, die im September 1949 angesichts 31 Vgl. zur Person Storchs vor allem Hockerts: Anton Storch (Anm.24); siehe außerdem Anton Storch: Lebenserinnerungen. Erfahrungen und Erlebnisse, in: Deutscher Bundestag (Hg.): Abgeordnete des Deutschen Bundestages. Aufzeichnungen und Erinnerungen, Bd.2: Curt Becker, Franz Marx, Ernst Paul, Hans Schütz, Elisabeth Schwarzhaupt, J. Hermann Siemer, Anton Storch, Boppard am Rhein 1983, S.313-344.

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massiver Vorbehalte und Gegenkräfte von Vertretern der Wirtschaft und anderer Interessengruppen, vonseiten der FDP und der DP , aber auch aus Reihen der CDU /CSU die Bildung der ersten Bonner Koalition gefährdete.32 Auch im Laufe seiner Amtszeit blieb Storch umstritten. Dies mochte bei manchem durch den Umstand verstärkt werden, dass er sogar als Ressortleiter noch wirkte »wie ein Mann der Hobelbank«, der sich per Fahrrad durch die Hauptstadt bewegte,33 vor allem waren es aber Zweifel an seiner zielbewussten Lenkung der Arbeitsbehörde und eine immer schärfer werdende öffentliche Kritik an seiner fehlenden Initiative bei der Reform der Sozialpolitik, die laut wurden. Die frühesten und heftigsten Ablehnungsreflexe löste indes Storchs Offenheit gegenüber der Idee einer Einheitsversicherung aus. Im Hintergrund stand, dass insgesamt die Abteilung  IV (Sozialversicherung) den Kristallisationskern des jungen Ministeriums bildete und im Besonderen dem geradezu mit missionarischem Eifer geführten Kampf gegen eine Einheitsversicherung und für eine Selbstständigkeit der einzelnen Versicherungszweige und eine Vielfalt von Versicherungsträgern identitätsstiftende Bedeutung zukam. Dies zumal es sich im Selbstverständnis ihrer Verfechter gerade bei der »klassischen« Sozialversicherung um ein von NS -Einflüssen kaum infiltriertes Feld handelte.34 Storchs Plädoyer für eine Zusammenlegung aller Versicherungsträger und die Errichtung einheitlicher Landesversicherungsanstalten ließ ihn angesichts dieser Prämissen in den Augen mancher als ein »verkappter Sozialist« erscheinen, dem der Zugriff auf die So32 Vgl. hierzu Hockerts: Sozialpolitische Entscheidungen (Anm.8), S.112-118; ders.: Anton Storch (Anm.24), S.257-259; Auftakt zur Ära Adenauer. Koalitionsverhandlungen und Regierungsbildung 1949, bearb. v. Udo Wengst, hg. v.d. Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der Politischen Parteien, Düsseldorf 1985, Dok. 17a, 28, 37, 58, 83, 86, 87. 33 Hockerts: Anton Storch (Anm.24), S.250 (Zitat); Walter Henkels: 99 Bonner Köpfe, Düsseldorf/Wien 1963, S.299. 34 Hierzu grundlegend Hockerts: Sozialpolitische Entscheidungen (Anm.8), bes. S.47-50, 114-117. Auf die historische Substanz der zeitgenössischen Behauptungen kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Vgl. bezeichnend Helmut Köhrer: Die Geschichte der Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung e.V. (GVG ), in: Michael Jung/Helmut Köhrer/Volker Leienbach: Im Dienste freiheitlicher Sozialpolitik. 40 Jahre Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung (GVG ), Bergisch Gladbach 1987, S.18-72, bes. S.20; vgl. zur Sozialversicherung im NS den Beitrag von Alexander Klimo in diesem Band.

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zialversicherung entzogen werden musste, und sei es durch die Errichtung eines eigenständigen Sozialministeriums.35 Sichern ließ sich die Akzeptanz Storchs als Bundesarbeitsminister schließlich dadurch, dass ihm mit Maximilian Sauerborn ein »sattelfeste[r] Staatssekretär« an die Seite gestellt wurde, der schon bei der Wahl des VfA-Direktors Der erste Bundesarbeitsminister Anton als Gegenkandidat Storchs Storch (rechts) bei der Verabschiedung von aufgestellt und 1949 selbst Staatssekretär Maximilian Sauerborn, 1957 als möglicher Minister ins Spiel gebracht worden war. Mit seiner Zugehörigkeit zur Sozialversicherungsabteilung des Reichsarbeitsministeriums seit Juli 1923 zählte Sauerborn zur großen Zahl bundesdeutscher Staatssekretäre der ersten Generation, die eine Verwaltungslaufbahn absolviert oder Erfahrungen in einem Reichsministerium gesammelt hatten. Und ihm wurde zugeschrieben, als einer der Hüter der traditionell gegliederten Sozialversicherung par excellence mitgeholfen zu haben, diese während der NS -Zeit dem missbräuchlichen Zugriff der Machthaber zu entziehen. Schon 1946 war Sauerborn in der US -Zone als Gutachter herangezogen worden, und nicht ohne Grund schob das BMA seine für August 1954 anstehende Pensionierung bis 1957 dreimal hinaus.36 35 Anton Storch: Was erwarten die Arbeitnehmer von der Neuordnung der deutschen Sozialversicherung?, in: Arbeitsblatt für die britische Zone 1 (1947), Nr.4, S.139-141; Hockerts: Sozialpolitische Entscheidungen (Anm.8), S.112f. 36 Hockerts: Anton Storch (Anm.24), S.258f.; ders.: Die sozialstaatlichen Grundentscheidungen in der frühen Bundesrepublik, in: Peter Masuch/ Wolfgang Spellbrink/Ulrich Becker/Stephan Leibfried (Hg.): Grundlagen und Herausforderungen des Sozialstaats. Denkschrift 60 Jahre Bundessozialgericht. Eigenheiten und Zukunft von Sozialpolitik und Sozialrecht, Bd.1, Berlin 2014, S.139-159, Zitat S.147 (aus einer vertraulichen Notiz von Robert Pferdmenges an Konrad Adenauer, 31.8.1949); Bundesarchiv/Institut für Zeitgeschichte (Hg.): Akten zur Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945-1949, Bd.1: September 1945-Dezember 1946, München u.a. 1976, S.773; PA Sauerborn, BMW i, BA rch R3001/73522.

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In den Sog der Auseinandersetzungen um die Sozialversicherung geriet ebenfalls der Mathematiker Wilhelm Dobbernack, der zwar seit 1927 im Reichsarbeitsministerium beschäftigt gewesen war, als Leiter der Hauptabteilung  IV des ZfA aber mit sozialversicherungsrechtlichen Reformbestrebungen und einer engen Verbindung zu den Gewerkschaften sympathisierte.37 Dobbernack sah sich als Opfer einer »Fülle von Taktlosigkeiten und Nadelstichen« und wechselte im Herbst 1952 zur International Labour Organization (ILO ) nach Genf, nachdem verhindert worden war, dass ihm die Leitung der Abteilung  IV des BMA übertragen wurde. Verbittert sprach er von einer »kleinbürgerlichen, teils sogar recht reaktionären Politik der phantasielosen Restauration auf meinem Fachgebiet« und einer »Personalpolitik, die mir den freien Atem zu nehmen drohte und jedenfalls Leute meines Schlages in die Zange nimmt und unten hält«.38 Leiter der Sozialversicherungsabteilung wurde 1949 vielmehr mit Josef Eckert ein enger Freund Sauerborns, der seit 1920 als Referent im Reichsarbeitsministerium gewirkt hatte und auch mit publizistischem Eifer die klassische Sozialversicherung verteidigte.39 Mit seiner »hochgradige[n] Immobilität«40 versperrte Eckert indes bis zu seiner Pensionierung Ende 1954 den Weg für dringende programmatische Reforminitiativen. Erst mit der Etablierung des »Generalsekretariats für die Sozialreform« gelang der Durchbruch für fundamentale sozialpolitische Weichenstellungen, in deren Zentrum die Rentenreform von 1957 stand und die wesentlich zur Festigung der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft beitrugen. An die Spitze des Generalsekretariats wurde gleichwohl wiederum ein früherer Sozialversicherungsreferent des Reichsarbeitsministeriums gestellt, der 1908 geborene Kurt Jantz. Unter seiner Leitung fanden sich Beamte der Jahrgänge 19011928 zusammen, darunter eine neue Generation reformfreudiger Akademiker, durch die das Generalsekretariat, so Hans Günter Hockerts, zum Modell »für eine frühzeitige Regeneration der Ministerialbeamtenschaft in der Ära Adenauer« und zum Ausgangspunkt einer bis in 37 PA Dobbernack, BA rch R3901/102369; Lebenslauf Dobbernack, 11.6.1947, BA rch Z 40/319; Hockerts: Sozialpolitische Entscheidungen (Anm.8), S.24, 114. Vgl. u.a. Johannes Krohn an Rudolf Wissell, 30.10.1947, und Wissell an Krohn, September (?) 1949, BA rch NL 430/6. 38 Dobbernack an Walter Auerbach, 14.2.1950 und 8.8.1952, AdsD, Nachlass Walter Auerbach, Mappen 34 und 193. 39 Josef Eckert: Schuldig oder entlastet?, 2. Aufl., München z.Zt. Schliersee 1948, S.196-202. 40 Hockerts: Anton Storch (Anm.24), S.264.

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Maximilian Sauerborn (geb. 28.8.1889 in Montabaur, gest. 17.5.1963 in Bonn) arbeitete nach dem Studium der Rechte und der Teilnahme am Ersten Weltkrieg ab 1920 im Justizdienst in Düsseldorf und Frankfurt am Main. Von Juli 1923 bis 1945 war er als Referent im Reichsarbeitsministerium beschäftigt. 1931 zum Ministerialrat ernannt, war er durchgängig in der (Haupt-) Abteilung II insbesondere für die Krankenversicherung zuständig und stieg einige Jahre vor Kriegsende zum Abteilungsleiter auf. Nach Internierung und freiberuflicher Tätigkeit wurde Sauerborn, der nicht der NSDAP beigetreten war, im Dezember 1947 Mitarbeiter im Bayrischen Staatsministerium für Arbeit und soziale Fürsorge und amtierte 1949 für einige Monate als Präsident des Bayerischen Versicherungsamts. Vom 28. Oktober 1949 bis zum 28. Februar 1957 war Sauerborn der erste Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und von 1954 bis 1958 auch Mitglied des Verwaltungsrats der International Labour Organization. Quellen und Literatur: Personalakte Maximilian Sauerborn, BMW i; Staatssekretär Dr. h. c. Maximilian Sauerborn im Ruhestand, in: BAB l. 7 (1957), Nr. 7, S. 297-299; Eintrag »Sauerborn, Maximilian« in Munzinger Online/Personen – Internationales Biographisches Archiv, www.munzinger.de/document/00000003024 (7.9.2016).

die 1980er-Jahre reichenden Kontinuität der Spitzenbeamtenschaft des BMA wurde.41 Auch der hochrangigste überlebende Repräsentant des ehemaligen Reichsarbeitsministeriums, Johannes Krohn (dessen persönlicher Referent Jantz zeitweilig gewesen war), stieg ab den späten 1940er-Jahren erneut zu einer Schlüsselfigur auf.42 »Vor 13 Jahren wurde ich Staatssekretär«, notierte er im Februar 1946. »Was liegt alles dazwischen.«43 An der Spitze des 1948 in Bayern gegründeten Beamtenschutzbundes stieg Krohn zum Vorkämpfer gegen Reformkonzepte empor, die die Grundfesten des deutschen Beamtentums zu erschüttern drohten. Denn nicht nur in weiten Teilen der Bevölkerung herrschten beamtenkritische Ressentiments, auch die Alliierten verfolgten Pläne, die Beamtentraditionen mittels Schaffung eines weisungsunabhängigen Personalamts, 41 Siehe zum Generalsekretariat Hockerts: Sozialpolitische Entscheidungen (Anm.8), S.117f., Zitat S.118; zur Bedeutung der Sozialpolitik als Konsensstifterin und Integrationsklammer innerhalb der frühen Bundesrepublik ebd., S.435; Edgar Wolfrum: Die geglückte Demokratie. Geschichte der Bundesrepublik Deutschland von ihren Anfängen bis zur Gegenwart, Bonn 2007, S.88-95. 42 Vgl. zur Rolle Krohns vor 1945 den Beitrag von Ulrike Schulz in diesem Band; Lebensläufe Krohns u.a. in BA rch NL 430/5. 43 Tagebucheintragung Johannes Krohn, 24.2.1946, BA rch NL 430/3, S.42.

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der Durchbrechung des Juristenmonopols und der Laufbahnöffnung für Angestellte und andere Bewerber zu zerschlagen. Die erfolgreiche Lobbyarbeit Krohns und anderer führte nicht nur zur Abwendung solcher Absichten, sondern sicherte auf Grundlage von Artikel 131 des Grundgesetzes zugleich die Rückkehr solcher »verdrängter Beamter« in den Staatsdienst, die zuvor als Vertriebene ihre Position verloren hatten oder als Folge alliierter Entnazifizierungsmaßnahmen entlassen worden waren. Von den frühen 1950er-Jahren bis 1961 mussten die Verwaltungen 20% ihrer Planstellen mit »131ern« besetzen, von denen so mindestens 430000 wieder in den öffentlichen Dienst gelangten.44 Damit war der »unheilvolle Zustand« mit einer »Fülle von Elend, Not, Verbitterung« abgewendet, den Krohn im Juni 1949 beklagt hatte. »Deutschland kann es sich nicht mehr leisten, auf die Arbeitskraft bewährter und treuer Beamter, die ihr Leben der Allgemeinheit gewidmet haben, zu verzichten.«45 Mindestens ebenso gewichtig war Krohns Rolle als zentraler Hoffnungsträger für die »Rettung« der Sozialversicherung, wie sie bis dahin bestanden hatte. Noch während seiner Internierung hielt er hierzu Vorträge und verfasste nach seiner Entlassung zahlreiche Denkschriften, Gutachten und Aufsätze. In ausdauernden Korrespondenzen und bei persönlichen Treffen etwa mit hochrangigen Vertretern der Besatzungszonen und Gewerkschaftern, aber auch mit Julius Scheuble und Wilhelm Dobbernack in Lemgo, sowie im Rahmen von Einladungen durch Verbände und Versicherungsträger setzte sich Krohn mit großer Energie für sein Anliegen ein. »Ich glaube mit Ihnen, daß es sich lohnt, weiterhin alles zu versuchen, um von unserer bewährten Sozialversicherung Unheil abzuwenden«, unterstrich Krohn im April 1947 gegenüber dem früheren SPD -Arbeitsminister Rudolf Wissell, der Krohns Sache prestigeträchtig unterstützte. »Warum soll nur immer wieder alles von Grund auf geändert werden! Wir kommen ja vor lauter Reformen nie zur sachlichen Arbeit. Aber ich hoffe doch, daß die Vernunft noch siegt.«46 Dass an die Rückkehr Krohns in eine ministerielle Position nicht mehr zu denken war, wurde durch sein Wirken auf Verbandsebene bis ins hohe Alter hinein kompensiert. 44 Grundlegend hierzu Udo Wengst: Beamtentum zwischen Reform und Tradition. Beamtengesetzgebung in der Gründungsphase der Bundesrepublik Deutschland 1948-1953, Düsseldorf 1988; Langhorst (Anm.12), bes. S.183195; Norbert Frei: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS -Vergangenheit, München 2012, S.69-100. 45 Krohn an Hermann Pünder, 27.6.1949, BA rch Z 11/247. 46 Krohn an Wissell, 16.4.1947, BA rch NL 430/6.

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Mit seiner Wahl zum Vorsitzenden der im Mai 1947 gegründeten Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung e.V. in Köln übernahm Krohn im Juni 1953 für sechs Jahre die Führung eines auch auf europäischer Ebene äußerst einflussreichen Spitzenverbands der Versicherungswirtschaft, der vor dem Hintergrund einer engen Verknüpfung der deutschen Versicherungen mit der Politik die Belange verschiedener Interessengruppen vertrat.47 Im Kontrast zum Sozialversicherungszweig und zum Selbstbild ihrer Vertreter galt das Gebiet des Arbeitsrechts als besonders stark von nationalsozialistischen Einflüssen unterminiert. Und es war gerade der an der Spitze der Abteilung  III des BMA (Arbeitsrecht, Lohn-, Tarifund Schlichtungswesen, Arbeitsschutz) stehende Wilhelm Herschel, der den außergewöhnlichsten Fall eines von außen kommenden Abteilungsleiters des BMA verkörperte. Eher widerstrebend hatte der über keinerlei Ministerialerfahrung verfügende Professor für Arbeitsrecht im Oktober 1946 die Leitung der Hauptabteilung  III des ZfA übernommen und diese Position in der VfA und dem BMA bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand 1960 behauptet. An Gewicht gewann seine Ausnahmestellung durch die Tatsache, dass über die Abteilungsleitung hinaus nur wenige Vorgänge an das Ministeramt weitergeleitet wurden.48 Anders als Herschel hatte jedoch sein Amtsnachfolger Günther Schelp seit 1934 dem Reichsarbeitsministerium angehört und sich dem Rechtsamt der Auslandsorganisation der NSDAP als Berater zur Verfügung gestellt.49 Darüber hinaus entwickelte sich gerade die von ihm geführte Unterabteilung  III a (Arbeitsrecht) zum Sammelbecken ehemaliger Mitarbeiter der 1933 geschaffenen Reichstreuhänderverwaltung; diese machten 1960 die Hälfte der acht Referenten aus.50 An Komplexität ge47 Vgl. die für die Perspektive der Einheitsversicherungsgegner aufschlussreiche Selbstdarstellung der Organisation von Köhrer (Anm.34). Für Hinweise danke ich Heike Wieters. 48 PA Herschel, BMW i; Lebenslauf Herschel, 9.6.1947, BA rch Z  40/319; Hockerts: Anton Storch (Anm.24), S.262. 49 Siehe Vorschlag des Reichsarbeitsministers zur Ernennung Schelps zum Regierungsrat, 24.9.1938, BA rch R601/2104. 50 Ulrich Witting (Berlin 1936-1945), Hans Joachim Reichel (verschiedene Wirtschaftsgebiete 1935-1945), Werner Libbert (Berlin-Brandenburg 1937-1945), Karl Andres (Mitteldeutschland 1934-1945). Hinzu kamen der Leiter der Unterabteilung  III b (Arbeitsschutz und Gewerbeaufsicht) Hans Stephany, der in der Unterabteilung Kriegsopferversorgung beschäftigte Walter Hennig und Walter Kobe, Referent in der Arbeitsgruppe »Sonderprobleme der Sozi-

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Wilhelm Herschel (geb. 17.10.1895 in Bonn, gest. 7.1.1986 in Bad Honnef) war nach einem Studium der Rechtswissenschaft, Staatswissenschaft und Philosophie in Bonn beim Gesamtverband der christlichen Gewerkschaften Deutschlands tätig und ab 1925 Mitarbeiter der Staatlichen Fachschule für Wirtschaft und Verwaltung Düsseldorf. Seit 1931 lehrte er als Professor am staatlichen Berufspädagogischen Institut in Köln bzw. ab 1940 in Frankfurt am Main. Von 1944 bis 1946 hatte er eine ordentliche Professur für Arbeitsrecht an der Universität Halle inne. Seit dem 23. Oktober 1946 amtierte Herschel, der nie Mitglied der NSDAP gewesen war, als Leiter der Hauptabteilung III (Arbeitsrecht) im Zentralamt für Arbeit der britischen Besatzungszone. Im September 1948 wurde er in gleicher Funktion in die Verwaltung für Arbeit der Bizone übernommen und stand, zum Ministerialdirektor ernannt, mit Gründung des Bundarbeitsministeriums bis zu seinem Ruhestand 1960 an der Spitze der Abteilung III (Arbeitsrecht, Lohn-, Tarif- und Schlichtungswesen, Arbeitsschutz). Quellen und Literatur: Personalakte Wilhelm Herschel, BMW i; Lebenslauf Herschel, 9.6.1947, Bundesarchiv Z 40/319; Biogramm Wilhelm Herschel, www.catalogus-professorum-halensis. de/herschelwilhelm.html (7.9.2016).

wann die Gemengelage personeller Kontinuitäten und Diskontinuitäten dadurch, dass mit Franz Ringer und Karl Fitting auch zwei politisch bzw. »rassisch« Verfolgte beschäftigt wurden. Und gerade der 1933 zum Abbruch seines Jurastudiums gezwungene Fitting war es, der maßgeblich an der Formulierung des Montanmitbestimmungsgesetzes (1951) und des Betriebsverfassungsgesetzes (1952) mitwirkte, zwei frühen Meilensteinen auf dem Weg der bundesrepublikanischen Verankerung von Partizipationsrechten der Arbeitnehmer. Richtet man den Blick schließlich auf die Rolle der Mitarbeiterinnen, ist zu konstatieren, dass die obersten Hierarchien der zentralen westdeutschen Arbeitsbehörden männliche Domänen blieben. Mit Marie Schulte Langforth und Maria Tritz gelangten bis 1960 nur zwei Frauen in höhere Positionen des Bundesarbeitsministeriums.51 Die promoalordnung«. Vgl. zu den Reichstreuhändern den Beitrag von Sören Eden in diesem Band. 51 Hinzu kamen unter Einschluss von ZfA und VfA die promovierte Volkswirtin Hildegard Wicht, die mit beruflichen Erfahrungen in der Arbeitsverwaltung, als Statistikerin und im Personalwesen aus der VfA als Angestellte in das BMA übernommen wurde; die Statistikerin Margarete Lichey, die 1927 über »Sozialismus und Frauenarbeit« promoviert wurde, langjährige Mitarbeiterin des Berliner Instituts für Wirtschaftsforschung gewesen war und nach ihrer Beschäftigung im ZfA, in der VfA und im BMA 1952 ebenso zur Bundesan-

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vierte Juristin Schulte Langforth arbeitete von 1929 bis 1945 in der Frankfurter Lobbyorganisation »Archiv deutscher Berufsvormünder« (heute Deutsches Institut für Jugendhilfe und Familienrecht) und nach Kriegsende in der ostdeutschen Gesundheitsverwaltung. Von hier aus wechselte sie in die Abteilung III des BMA . Mit Maria Tritz stieß 1950 eine Referentin zum Ministerium, die zuvor in der Arbeitsverwaltung des Rheinlands, 1940/41 beim Reichskommissar für die besetzten niederländischen Gebiete in Den Haag und 1945 im Landesarbeitsamt Nordrhein-Westfalen als Spezialistin für den weiblichen Arbeitseinsatz tätig gewesen war. Beide waren damit 1950 die ersten Referatsleiterinnen in der Geschichte des Bundesministeriums für Arbeit, zuständig für Frauen-, Kinder- und Jugendschutz (Schulte Langforth) bzw. Frauenerwerbsarbeit (Tritz). In der Einstellung Marie-Elisabeth Wendlands lag 1956 insofern eine Besonderheit, als es sich bei ihr um die 1914 geborene Tochter Johannes Krohns handelte. Sie wurde 1941 über »Staat und Sozialversicherung in Großbritannien und Deutschland« promoviert und war zwischen 1947 und 1949 auch im ZfA mit der Sozialversicherung befasst. Nach ihrem beruflichen Neueinstieg 1956 machte Wendland in der Abteilung  IV Karriere, stieg 1966 zur Referatsleiterin im Bereich Unfallversicherung auf und wurde 1967 – wie 44 Jahre zuvor ihr Vater – zur Ministerialrätin ernannt.52

Entnazifizierung und Defensive unter den Westalliierten 1945-1949 Ein gewichtiger Aspekt, der sich mit der Frage der personellen Kontinuitäten über das Jahr 1945 hinaus verbindet und einer gesonderten Analyse bedarf, liegt in jenen »Belastungen«, die sich über die biografischen Verbindungen in die Zeit der nationalsozialistische Diktatur ergaben, und darin, wie mit diesen umgegangen wurde. Den Ausgangspunkt bildet dabei in Westdeutschland zunächst der Prozess der sogenannten Entnazifizierung. Obschon dieser schließlich in der stalt für Arbeit abgeordnet wurde wie die Juristin Maria Lohmann, 1938-1941 Angestellte in Arbeitseinsatzverwaltung in Bregenz, Linz und Wien; die Diplomingenieurin Margarete Raffloer war bis 1948 als Referentin in der Abteilung V des ZfA beschäftigt. 52 Siehe zu Schulte Langforth, Tritz und Wendland die Prüfung von Ernennungsvorschlägen im Bundesministerium der Finanzen, BA rch B 126/17039, 17047, 17055; sowie zur Kündigung Schulte Langforths als Hauptreferentin im Ministerium für Arbeit und Gesundheitswesen der DDR die Aufstellung vom 5.12.1949, BA rch DQ 2/1344, Bl.38.

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faktischen Rehabilitierung von 90% aller Erfassten mündete, waren ab 1945 auch die ehemaligen Mitarbeiter der Reichsministerien und die Bewerber um Stellen in den neu entstehenden Behörden einer umfassenden Überprüfungsprozedur mit ungewissem Ausgang unterworfen. Im Zentralamt für Arbeit war diese ebenfalls mit aufwändigen Verfahren verbunden, und generell stellten eine abgeschlossene Entnazifizierung und die Einstufung in die Kategorie V (»Entlastet«) die Voraussetzung für eine Einstellung dar.53 Aber auch nach einer Klassifizierung als »Mitläufer« (Kategorie IV ) boten sich gute Chancen, in einem Berufungsverfahren Verweise auf eine mindestens apolitische, wenn nicht antinationalsozialistische Haltung und entsprechende Zeugenaussagen erfolgreich für sich zu nutzen. So vermochte der seit 1947 im ZfA beschäftigte Ministerialrat Fritz Paetzold den Überprüfungsausschuss davon zu überzeugen, dass sein Eintritt in die NSDAP 1940 »nur auf schärfsten Druck des damaligen, als brutalen Parteifunktionär bekannten, Personalchefs« des Reichsarbeitsministeriums Wilhelm Börger erfolgt sei. Paetzolds langjähriger Vorgesetzter Prof. Otto Martineck attestierte ihm zudem eine »hohe ethische ärztliche Berufsauffassung, erfüllt von einem tatbereiten ärztlichen Helfertum«.54 Aus der Ungewissheit der ersten Nachkriegsjahre heraus setzten die mit der Entnazifizierung verbundenen intensiven Bemühungen um die Aufbringung von Entlastungszeugnissen innerhalb der Gruppe ehemaliger hoher Beamter des Reichsarbeitsministeriums eine Reaktivierung und Festigung kollegialer Solidarisierungsnetzwerke in Gang. Wie andere auch konnte etwa Johannes Krohn auf die Ausstellung zahlloser »Persilscheine« bauen, in denen ihm Rudolf Wissell, Maximilian Sauerborn oder Dorothea Hirschfeld eine untadelige, wenn nicht widerständige Haltung in den Jahren der Diktatur bescheinigten. Im Juni 1946 ließ Krohn denn auch den früheren Ministerialdirigenten des Reichsarbeitsministeriums Alexander Wende wissen, er sei »stolz darauf, dass meine

53 Vgl. die Korrespondenz und Aufstellungen zu verschiedenen Entnazifizierungsvorgängen im ZfA in BA rch Z 40/313, 6; siehe zur Überprüfungspraxis innerhalb der VfA u.a. BA rch Z 11/548. 54 Paetzold an den Überprüfungsausschuss in Kiel (Anlage), 20.2.1948, und Zeugnis für Paetzold von Martineck, 14.11.1947 (Abschrift), LA rch NRW , NW 1072-LB , 842. Selbst die Fälle der in die Kategorie  III (»Minderbelastet«) eingereihten Heinrich Pelzer und Hans Linthe erwiesen sich als kaum problematisch. Nach einer Neueinstufung in die Kategorie  V erfolgte ihre Einstellung als BMA -Referenten 1952 bzw. 1955.

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früheren Mitarbeiter so treu zu mir stehen, und ihre Anerkennung für meine Amtsführung bereitet mir eine grosse Genugtuung«.55 Josef Eckert brachte seine Ansichten darüber hinaus in einer zuerst 1947 erschienenen Rechtfertigungsschrift zum Ausdruck. Darin verband er die Verteidigung der Personalpolitik des Reichsarbeitsministeriums und der Haltung des Berufsbeamtentums nach 1933 mit dem Mahnruf, Deutschland dürfe nun »nicht innerlich daran zugrunde gehen, daß es in Pg.s und Nichtpg.s zerrissen wird«. Bestraft werden dürften nur diejenigen, »die sich als ›politische Schweine‹ benommen oder Verbrechen begangen haben«, einem »Reinigungsprozess« sollten nur jene unterzogen werden, die »echte ›Nazi-Beamte‹« gewesen seien.56 Im Kern unterschied sich Eckerts Argumentation wenig von derjenigen Julius Scheubles, der im Februar 1946 vor dem Hintergrund der Personalengpässe, aber auch seines Selbstverständnisses als Verwaltungsbeamter gegen »eine schematische, nach äusseren Merkmalen arbeitende Entnazifizierung« plädierte. Denn gerade in der Arbeitsverwaltung habe es kaum einen höheren Beamten gegeben, »der nicht Parteimitglied gewesen ist. Diese bedauerliche Tatsache ist darauf zurückzuführen, dass von den Nazis die Arbeitsbehörden als besondere Werkzeuge ihrer Politik missbraucht worden sind. Rücksichtsloser Druck ist zur Anwendung gebracht worden, um die Beamten zum Eintritt in die Partei zu veranlassen. Der deutsche Beamte war politisch wenig geschult. Zum Gehorsam erzogen, hat er nach 1933 den Weisungen seiner Nazi-Vorgesetzten leider allzu sehr Folge geleistet. Wenn es dem Soldaten nicht nachgetragen wird, dass er auf Befehl schiessen und vernichten musste, warum soll es dem Beamten vergolten werden, dass er auf dienstliche Weisung hin verwaltet hat, was die Soldaten mit Waffengewalt erobert haben.« Scheuble warnte davor, dass »weite Kreise des Volkes dem politischen Radikalismus verfallen und damit für den friedlichen Aufbau eines neuen Staates verloren gehen«, und schlug als pragmatische Lösung vor, zwischen 1933 und 1937 in die NSDAP eingetretene Mitarbeiter als Angestellte unter politisch unbelasteten höheren Beamten oder Angestellten zu beschäftigten.57 55 Krohn an Ministerialdirigenten Dr. A. Wende, 20.6.1946, BA rch NL 430/5 (hier auch zahlreiche Entlastungszeugnisse). 56 Eckert (Anm.39), Vorwort S.4, S.76f., 100. 57 Julius Scheuble an das Hauptquartier der Militärregierung für die Nordrheinprovinz, 19.2.1946, BA rch Z 40/312.

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Was die tatsächliche formale NS -»Belastung« anging, so war mindestens die Hälfte aller Abteilungsleiter und Referenten des ZfA nie der NSDAP beigetreten, ein Anteil, der sich in der VfA eher noch vergrößerte, während ehemalige Parteimitglieder rund ein Drittel ausmachten (siehe Grafik S. 527 oben). Eine gewisse Anzahl möglicher Mitarbeiter sah unter den gegebenen Bedingungen offenbar vorerst von einer Bewerbung ab, auch wenn sich gerade die Entnazifizierungspraxis in der britischen Zone durch eine pragmatische Handhabung auszeichnete und Ausnahmen für solche Personen gewährte, die zur Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit in Wirtschaft und Verwaltung als unverzichtbar angesehen wurden. Dass Einzelfälle dennoch Konfliktpotenzial bargen, zeigte unter anderem die Beschäftigung des früheren Leiters des Reichsverbands des deutschen gemeinnützigen Wohnungswesens Julius Brecht, dessen NSDAP -Vergangenheit es unmöglich machte, ihm die stellvertretende Leitung der Hauptabteilung II zu übertragen. Auch der im Mai 1933 in die NSDAP eingetretene Jakob Käfferbitz, dessen Degradierung vom Oberregierungsrat zum Regierungsinspektor vorgesehen war, konnte von Julius Scheuble nur mit Mühe als Leiter der Hauptabteilung Ib des ZfA gehalten werden. In der Verwaltung für Arbeit scheiterte dann das Ansinnen, Käfferbitz als Personalreferenten einzusetzen, er musste auf das Haushaltsreferat ausweichen und darauf warten, dass man ihn am 1. Februar 1950 zum Unterabteilungsleiter im Bundesarbeitsministerium ernannte.58

NS-»Belastungen« im Bundesarbeitsministerium 1949-1960 Ab 1949 trug auch das Bundesministerium für Arbeit dazu bei, die »stille, allmähliche, schleichende, unaufhaltsame Wiederkehr der Gestrigen« zu fördern, die der Publizist und Politikwissenschaftler Eugen Kogon 1954 in einer pointierten Abrechnung als Schicksal der Bundesrepublik und als Sieg der »131er« über die »45er« beklagte.59 Mehr noch: Das BMA übernahm bei der Unterbringung »verdrängter Beamter« gemäß Artikel 131 des Grundgesetzes eine Vorreiterrolle, 58 Vermerk Wilhelm Melohn, 2.7.1947, Bescheinigung Scheuble für Käfferbitz, 10.5.1947, Scheuble an den Herrn Arbeitsminister des Landes NordrheinWestfalen, 19.5.1947, alle BA rch Z 40/312; Aktennotiz Regierungsrat Oel zur Besprechung am 8.9.1949, 9.9.1949, BA rch Z 11/548. 59 Eugen Kogon: Beinahe mit dem Rücken an der Wand, in: Frankfurter Hefte 9 (1954), H.9, S.641-645, Zitat S.641.

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denn schon am 1. Juli 1951 lag der Anteil von einem Drittel der besetzten Beamtenplanstellen deutlich über dem Gesamtanteil von 23,7%; bis zum 30.  September 1953 waren 39,1% (gegenüber 23,3%) der Stellen mit »131ern« besetzt.60 Bereits Ende September 1949 zeigte sich Walter Auerbach alarmiert, man müsse damit rechnen, »dass auch die ›Braune Garde‹ in das kommende Bundesarbeitsministerium als Beamte übernommen wird. Unter Umständen müssen die Bundestagsabgeordneten darauf aufmerksam gemacht werden.«61 Wie sich erweisen sollte, hatten Auerbachs Befürchtungen ihre Berechtigung, überwog unter den Spitzenbeamten der neu entstandenen Behörde doch schon 1953 der Anteil derjenigen, die der NSDAP angehört hatten, denjenigen der Nicht-Parteimitglieder; 1955 hatte sich dieser auf zwei Drittel erhöht und stieg bis 1960 auf 70,1% an (siehe Grafik S. 527 oben). Nur 19 von 67 Beamten hatten zu Beginn der 1960er-Jahre kein Parteibuch besessen, im Gesamtzeitraum 1950-1960 setzte sich die führende Mitarbeiterschaft des Bundesarbeitsministeriums zu etwa 60% aus ehemaligen NSDAP Mitgliedern zusammen. Horizontal gesehen zeigten sich dahingehend deutliche Unterschiede, dass 1960 drei von fünf Abteilungsleitern in der Partei gewesen waren, während auf der nächsten Ebene der Unterabteilungsleiter dieser Anteil schon 1950 bei der Hälfte lag und 1956 mit 92,3% einen Höchstwert erreichte. Vertikal differenziert war 1960 das gesamte Leitungspersonal der Abteilung  V (Kriegsopferversorgung, Sozial- und Arbeitsmedizin) in der NSDAP gewesen, ebenso mit Ausnahme des Abteilungsleiters dasjenige der Abteilung I (Allgemeine Verwaltung). Bei der Berücksichtigung des Parteieintrittsdatums liegt die Vermutung nahe, dass das Nachrücken jüngerer Beamter eine Rolle spielte, die erst ab 1937 in die NSDAP eingetreten waren, nachdem das Deutsche Beamtengesetz vom 1.  Juli 1937 der Partei verstärkte Mitwirkungsrechte an Ernennungen und Beförderungen gesichert hatte. Hingegen wurden im BMA zunehmend gerade solche Beamte beschäftigt, die bereits 1933 NSDAP -Mitglied geworden waren.62 1953 erhöhte sich ihr Anteil abrupt auf ein Drittel (10 Personen) und stieg bis 1960 auf knapp 43% (20 Personen). Viele von ihnen hatten innerhalb der Partei außer60 Zahlen bei Langhorst (Anm.12), S.186-195. 61 Auerbach an Staatsminister Halbfell, Landesregierung Nordrhein-Westfalen, 30.9.1949, AdsD, Nachlass Walter Auerbach, 9/1/126. 62 In ZfA und VfA wurden mit Jakob Käfferbitz, Fritz Molle und Walter Stothfang drei Referenten beschäftigt, die schon 1933 der NSDAP beigetreten waren.

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dem ein Amt übernommen, ein Drittel aller Spitzenbeamten hatte 1960 zudem eine SA -Vergangenheit (siehe Grafiken S. 527). Ein besonders starkes Gewicht kam bei diesen Entwicklungen den Beamten des ehemaligen Reichsarbeitsministeriums zu, deutlich geringere Bedeutung hatten demgegenüber auch nicht aus den nachgeordneten Behörden kommende »externe« Mitarbeiter. Gerade die heterogene Zusammensetzung der Letzteren erschwert einen systematischen Vergleich. Greift man sich für einen Erklärungsansatz die zuvor im Reichsarbeitsministerium beschäftigten sechs Spitzenbeamten des Ministeriums im Jahr 1960 heraus, die bereits seit 1933 der NSDAP angehörten, ergibt sich hingegen das Bild einer sehr homogenen Gruppe. Sie gehörten fast sämtlich den Jahrgängen 1902-1908 an und befanden sich 1933 in der juristischen Ausbildung oder auf dem Sprung zu einer Laufbahn in der Arbeitsverwaltung, sodass anzunehmen ist, dass Karriereerwägungen die Entscheidung für den Parteibeitritt mindestens mit beeinflussten. Alle traten dann 1938/39 in das Reichsarbeitsministerium ein und hatten bei ihrer Einstellung in das BMA bis 1954 ein Alter erreicht, in dem sich persönliche Erfahrung und Zukunftspotenzial für das Ministerium optimal miteinander verbanden. Dass im Reichsarbeitsministerium bis 1937/38 nicht von einer durchgreifenden »Nazifizierung« der oberen Mitarbeiterebene gesprochen werden konnte, spiegelte sich im Übrigen in der Tatsache, dass bei den vor 1900 geborenen BMA Beamten die NSDAP -Mitgliedsquote weit geringer war und auch die Parteieintritte deutlich später erfolgt waren. Eine Einordnung dieser Zahlen im Vergleich mit anderen Bundesbehörden ist naheliegend, aber nicht unproblematisch, beziehen sich doch die entsprechenden Erhebungen meist auf anders strukturierte Personensamples und abweichende Zeiträume. Zumindest tendenzielle Parallelen lassen sich zum Bundesinnenministerium ziehen, in dem sich der Anteil ehemaliger NSDAP -Mitglieder unter den leitenden Beamten im September 1953 bzw. 1961 auf 61% bzw. 66% belief.63 Im Bundesjustizministerium hingegen war dieser unter den Beschäftigten ab der Referatsleiterebene 1957 mit 76% zwar besonders hoch, sank bis 1963 jedoch wiederum auf 55% ab, im Auswärtigen Amt betrug er 63 Frank Bösch/Andreas Wirsching: Abschlussbericht der Vorstudie zum Thema »Die Nachkriegsgeschichte des Bundesministeriums des Innern (BMI ) und des Ministeriums des Innern der DDR (MdI) hinsichtlich möglicher personeller und sachlicher Kontinuitäten zur Zeit des Nationalsozialismus 2015«, Ms., Stand: 29.10.2015, S.31, 33, http://www.ifz-muenchen.de/fileadmin/user_upload/Neuigkeiten%202015/BMI _Abschlussbericht%20der%20 Vorstudie.pdf (7.9.2016).

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Anteil ehemaliger NSDAP -, SA - und SS -Mitglieder am Spitzenpersonal im Zentralamt für Arbeit, in der Verwaltung für Arbeit und im Bundesministerium für Arbeit, 1946-1960 (in %)

Zeitpunkt des Parteieintritts sowie Amtsausübung in der NSDAP beim Spitzenpersonal des Zentralamts für Arbeit, der Verwaltung für Arbeit und des Bundesministeriums für Arbeit, 1946-1960 (in %)

Anfang 1952 unter den Mitarbeitern des höheren Dienstes nur gut ein Drittel.64 Klar abzugrenzen ist das Bundesarbeitsministerium von seiner Personalstruktur her von nach 1945 geschaffenen Organisationen wie dem Bundesamt für Verfassungsschutz, dem Bundeskriminalamt 64 Manfred Görtemaker/Christoph Safferling: Die Akte Rosenburg. Das Bundesministerium der Justiz und die NS -Zeit, München 2016, S.260-264; Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (Anm.27), S.493f.

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und dem Bundesnachrichtendienst, die zum Teil von ehemaligen Angehörigen der Gestapo, der SS oder des Reichssicherheitshauptamts durchsetzt waren und in denen sogar Behördenleitern schwere Belastungen vorzuwerfen waren.65 Über die empirischen Erkenntnisse hinaus lässt sich auf Grundlage der verfügbaren Quellen schwerlich ausmachen, inwiefern die Personalpolitik des Bundesministerium für Arbeit mit Blick auf mögliche Außenwirkungen von Indifferenz dominiert oder strategisch bestimmt war bzw. die NS -Vergangenheit Einzelner bewusst ausgeblendet wurde. Zu vermuten ist jedoch, dass sie von öffentlichen Auseinandersetzungen, wie sie etwa der Wiederaufbau des Auswärtigen Amtes hervorrief, nicht unberührt blieb.66 Nicht ohne Unruhe wurden wohl die Attacken von DDR -Seite registriert, vor allem die »Blutrichter«Kampagne ab Mitte der 1950er-Jahre und das erstmals 1965 aufgelegte »Braunbuch«, in dem  – auf Basis größtenteils korrekter Informationen  – auch die NS -Vergangenheit zahlreicher Ministerialbeamter angeprangert wurde.67 Aufgeführt wurde hier beispielsweise Staats65 Constantin Goschler/Michael Wala: »Keine neue Gestapo«. Das Bundesamt für Verfassungsschutz und die NS -Vergangenheit, Reinbek bei Hamburg 2015; Imanuel Baumann/Herbert Reinke/Andrej Stephan/Patrick Wagner: Schatten der Vergangenheit. Das BKA und seine Gründungsgeneration in der frühen Bundesrepublik, Köln 2011; Christoph Rass: Das Sozialprofil des Bundesnachrichtendienstes. Von den Anfängen bis 1968, Berlin 2016, bes. S.170-185, 223-231. 66 Durch eine Anfang September 1951 erschienene Artikelserie der Frankfurter Rundschau über die Personalpolitik des Auswärtigen Amtes war es zur Einsetzung eines Untersuchungsausschusses und einer Bundestagsdebatte gekommen, in der im Oktober 1952 die »Mißstände im Auswärtigen Dienst« thematisiert wurden. Conze/Frei/Hayes/Zimmermann (Anm.27), S.471-487; Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht, 234. Sitzung, 22.10.1952, Plenarprotokoll 01/234, S.10720-10750. 67 Marc von Miquel: Ahnden oder amnestieren? Westdeutsche Justiz und Vergangenheitspolitik in den sechziger Jahren, Göttingen 2004; Norbert Podewin (Hg.): Braunbuch. Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik und in Berlin (West), Reprint d. Ausg. 1968, Berlin 2002. Unter den im Zuge der »Blutrichter«-Kampagne genannten Juristen waren Joseph Schneider (1939-1942 Sozialversicherungsreferent im Protektorat Böhmen und Mähren, bis 1945 Leiter der Sektion Sozialversicherung im Ministerium für Wirtschaft und Arbeit in Prag, ab November 1950 Leiter der Abteilung I des BMA , 1954 erster Präsident des Bundessozialgerichts) und Alois Lentz (1944/45 Richter am Sondergericht beim Landgericht Berlin, 1948-1950 VfA, 1950-1953 Referent im BMA ). Lentz’ Amtsnachfolger im BMA, Wilhelm Ansorge, war seit 1940 im Reichsjustizministerium tätig gewesen, wo Ministerialdirektor Gün-

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sekretär Wilhelm Claussen, der im November 1957 dem kurzzeitig amtierenden Hans Busch im Amt folgte. Claussen wurde überdies zum Ziel von »Hetzschriften der Sowjetzone« und sah sich als einer von 15 Staatssekretären mit einer vorgeblich »schwerbelastete[n] Nazivergangenheit« Vorwürfen ausgesetzt, in Serbien während des Kriegs ein System der Sklavenarbeit organisiert zu haben.68 Auch der Staatssicherheitsdienst der DDR nahm leitende Mitarbeiter des BMA wie Kurt Jantz ins Visier, der »der Durchführung und Erläuterung der faschistischen Sozialgesetzgebung« und damit der indirekten Beteiligung am Raub- und Eroberungskrieg beschuldigt wurde.69 In der Praxis der Personalrekrutierung verband sich die Einstellung im BMA jedenfalls selbst dann mit einem raschen Wiederaufstieg innerhalb der Beamtenhierarchie, wenn es sich wie bei Walter Stets um einen wegen seiner NSDAP -Zugehörigkeit herabgestuften Beamten handelte. Als »Spitzenkraft mit Ministerialformat« unter anderem von Julius Scheuble empfohlen, wurde der Berufsberatungsexperte bei seiner endgültigen Übernahme im März 1954 wieder zum Ministerialrat befördert.70 Bedenken wurden allerdings Ende 1950 laut, als der Referent für Unfallversicherung Hans Schraft zum Ministerialrat ernannt werden sollte.71 Denn Schraft war, obschon früheres Mitglied der NSDAP und des Ski-Sturms der SA , erst im Jahr zuvor zum Oberregierungsrat aufgestiegen, was nun das Bundesinnen- und das Bundesfinanzministerium auf den Plan rief. Jedoch konnte auf vergleichbare Beförderungsfälle verwiesen werden, und sowohl Staatssekretär Sauerborn als auch der Leiter der Hauptabteilung I Joseph Schneider intervenierten und hoben die Kenntnisse und Erfahrungen Schrafts und das »dienstliche Interesse« des BMA hervor. Das Arbeitsministerium konnte sich durchsetzen, Schraft wurde am 1. Februar 1951 zum

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ther Vollmer 1943 unter anderem dessen Mitarbeit in »Todesurteilssachen« bestätigte und Ansorge attestierte, »politisch […] zuverlässig« zu sein. Report von Ministerialdirektor Dr.  Vollmer im Reichsjustizministerium, 9.8.1943, LA rch NRW , NW Pe/3946. BA rch N 1299/3; hier auch das Zitat: Hans Globke an Claussen, 17.4.1963. Vgl. zu Claussen PA Claussen, BMW i; Vorwort Findbuch zum Bestand BA rch N 1299 – Claussen, Wilhelm. Bundesbeauftragte(r) für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BS tU), MfS HA IX /11 PA , 20, Bl.16. PA Stets, BMW i; hier auch das Zitat: Leiter der Abteilung II [Rudolf Petz] an den Leiter der Abteilung I [Joseph Schneider], 2.2.1953. Vgl. zum Folgenden die Prüfung von Ernennungsvorschlägen im Bundesministerium der Finanzen, BA rch B 126/17038.

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Wilhelm Claussen (geb. 5.8.1901 in Husum, gest. 4.8.1980 in Niederaula) studierte Philosophie in München und Erlangen und wurde 1924 promoviert. Auf knapp drei Jahre Lehrtätigkeit an der Evangelisch-Sozialen Schule der Christlichen Gewerkschaften in Berlin-Spandau folgten Anstellungen als Referent im Zweigamt Berlin des Internationalen Arbeitsamtes Genf und nach dessen Auflösung 1934 als Korrespondent für Deutschland bei der International Labour Organization. 1937 wechselte Claussen in die wirtschaftspolitische Abteilung der IG Farben, bevor er 1939 in die Wehrmacht eingezogen wurde. Nach einer schweren Verwundung ging er 1942 als Sachbearbeiter zum Generalbevollmächtigten für die Wirtschaft nach Serbien. Nach Kriegsende bekleidete Claussen leitende Positionen im Seeschifffahrtsamt Hamburg und bei den See-Berufsgenossenschaften, bevor er 1951 in die Abteilung Seeverkehr im Bundesverkehrsministerium wechselte. Mit der Ernennung zum Ministerialdirektor wurde ihm 1953 die Leitung der Zentralabteilung des Ministeriums übertragen. Von 1957 bis 1965 amtierte Claussen als Staatssekretär im Bundesministerium für Arbeit und war schließlich als Generalbevollmächtigter für wirtschaftspolitische Fragen in der Versicherungswirtschaft tätig. Quellen: Nachlass Wilhelm Claussen, Bundesarchiv NL 1299; Personalakte Wilhelm Claussen, Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Berlin.

Ministerialrat ernannt und wechselte im Juli 1954 als Richter an das Kasseler Bundessozialgericht. Zur gleichen Zeit setzte sich der Referatsleiter der Abteilung Arbeitsmarktpolitik Josef Siemer gegen eine Einstufung als »Alter Kämpfer« zur Wehr.72 Als einer von zwei Spitzenbeamten des BMA war Siemer schon vor 1933 der NSDAP beigetreten, und brisanterweise tauchten nun Dokumente von 1936 auf, die seine seinerzeitige Begeisterung für die Nationalsozialisten zusätzlich unterstrichen. Die unklaren Zusammenhänge und widersprüchlichen Angaben über die angebliche Unterbrechung von Siemers Parteimitgliedschaft führten zu ausgedehnten Briefwechseln, an deren Ende das Urteil des zuständigen Referenten Jakob Käfferbitz stand, Siemer habe sich nach 1945 als zuverlässiger Demokrat erwiesen und sich »auch sonst persönlich wie fachlich in jeder Hinsicht bewährt«.73 Das Bundesinnenministerium 72 Vgl. zum Folgenden PA Siemer, BMW i; Prüfung von Ernennungsvorschlägen im Bundesministerium der Finanzen, BA rch B  126/17029; Korrespondenz Siemers mit der NSDAP , BA rch VBS 1/1110055607. 73 Der Bundesminister für Arbeit, Referent Käfferbitz, an den Bundesminister des Innern, 7.12.1951 (Entwurf), PA Siemer, BMW i.

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verzichtete auf weitere Einwendungen, im April 1952 konnte Siemer zum Oberregierungsrat, drei Jahre darauf zum Ministerialrat befördert werden. Nimmt man eine vorangegangene Mitgliedschaft bzw. Anwartschaft in der SS als Indiz einer NS -Belastung, so zeigt sich, dass diese im BMA bis 1960 offenbar auf wenige Einzelfälle beschränkt blieb. Es handelte sich zum einen um den aus dem Reichsversicherungsamt kommenden und seit Juli 1952 als Referatsleiter in der Unterabteilung  IV a zum BMA abgeordneten Alfred Theile. Ungeachtet seines Eintritts in die Reiter-SS zwanzig Jahre zuvor wurde Theile nicht nur Anfang 1953 zum Ministerialrat ernannt, sondern zwei Jahre nach Beginn seines Ruhestands nochmals als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung  IV reaktiviert. Zum anderen blieb auch die Einberufung Hans Reichels in die Arbeitsrechtsabteilung des BMA am 1.  Mai 1954 von dessen Vergangenheit als SS -Anwärter unberührt.74 Erreicht wurden die Grenzen stillschweigender Toleranz jedoch im Sonderfall des Ministerialrats M.75 Der Jurist M., vor 1945 im höheren Dienst in verschiedenen Landratsämtern im Protektorat Böhmen und Mähren tätig, wurde Anfang der 1950er-Jahre im Bundesministerium für Arbeit angestellt, obwohl es ihm an Erfahrungen auf dem Gebiet der Arbeits- und Sozialverwaltung mangelte, und auf persönlichen Wunsch von Abteilungsleiter Josef Eckert der Sozialversicherungsabteilung zugeteilt. Noch im selben Jahr wurde M. zum Oberregierungsrat und innerhalb kurzer Zeit zum Regierungsdirektor sowie zum Ministerialrat mit Referatsleitungsfunktion ernannt. 14 Jahre nach Kriegsende kam M.s steiler Aufstieg innerhalb der Behördenhierarchie jedoch ins Stocken, als man im Mai 1959 bei einer Überprüfung darüber stolperte, dass er im April 1931 und damit sechs Jahre früher als von ihm angegeben der NSDAP beigetreten war und die Funktion eines Schulungsleiters ausgeübt hatte. Seine Mitgliedschaft in der SA zwischen 1930 und 1933 und in der SS ab 1933 hatte M. verschwiegen und überdies falsche Angaben zu seinen Examensnoten gemacht. Nachdem sowohl das BMA als auch das zu Rate gezogene Bundesinnenministerium Bedenken gegen eine Entlassung M.s vor74 Siehe zu Theile und Reichel die Prüfung von Ernennungsvorschlägen im Bundesministerium der Finanzen, BA rch B 126/17045, 17021; NSDAP -Fragebogen, 1.7.1939, BA rch R9361-I/3624; Dienstliche Mitteilungen BMA 12/1959, 11.9.1959. Vgl. zu Walter Stothfang das nachfolgende Kapitel. 75 Vgl. zum Folgenden vor allem PA M., BMW i.

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brachten, wurde ein förmliches Disziplinarverfahren eingeleitet, an dessen Abschluss das Urteil einer Bundesdisziplinarkammer stand, die feststellte, M. »habe sich als Prototyp eines durch und durch opportunistisch eingestellten Nutznießers der Konjunktur gezeigt, die sich bei dem Aufbau der Bonner Bundesbehörden ergeben habe«.76 Durch ein Berufungsurteil des Bundesdisziplinarhofs zwei Jahre darauf wurde die empfindliche Degradierung M.s zum Oberregierungsrat in eine Rückversetzung in das Amt eines Regierungsdirektors abgemildert. Das BMA bewies im Falle M.s seine Bereitschaft, persönliche NS Vergangenheiten seiner Mitarbeiter endgültig ad acta zu legen, in besonders ausgeprägter Weise. Denn das Ministerium hielt nicht nur den »Sühnezweck« des Urteils 1969 für erfüllt und »den Zeitpunkt für gekommen, unter das Geschehene einen sichtbaren Strich zu ziehen«, woraufhin es die erneute Beförderung M.s zum Ministerialrat erwirkte.77 Schon zuvor hatte man gerade M. die Zuständigkeit für die gesetzlichen Regelungen zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung übertragen.

Der Fall Walter Stothfang Mit dem Ministerialrat Walter Stothfang soll gesondert eine Biografie beleuchtet werden, in der sich auf markante Weise die Möglichkeiten und Grenzen personeller Kontinuitätsbestrebungen widerspiegeln und der im Kontext der Frühgeschichte der westdeutschen Arbeitsbehörden ein besonderes Konfliktpotenzial innewohnte.78 Der 1902 im westfälischen Burgsteinfurt geborene Stothfang, ein promovierter Volkswirt, übernahm am 1. April 1935 die Position des persönlichen Referenten des Präsidenten der Reichsanstalt Friedrich Syrup und hatte diese auch nach der Ernennung Syrups zum Staatssekretär im 76 Zit. im Berufungsurteil des Bundesdisziplinarhofs 1962, PA M., BMW i. 77 Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, Zentralabteilung, 25.7.1969, und Leiter der Abteilung IV und Generalsekretär für die Sozialreform, Jantz, an den Leiter der Zentralabteilung, 2.6.1969/4.5.1971, PA  M., BMW i. 78 Vgl. im Folgenden Unterlagen und Lebensläufe Privatarchiv Stothfang (PAS ); PA Stothfang, BA rch R3901/109969; Vorgang zur Versetzung Stothfangs in das BMA 1959, BA rch B 126/17044; NSDAP -Fragebogen, 29.6.1939, BA rch R9361-I/3520; Entnazifizierungsakten, LA rch NRW , NW 1067/2973 und NW 1037-AV /45. Ich danke Frau Gisela Stothfang und Herrn Jan Stothfang (Nürnberg) für die Zurverfügungstellung verschiedener privater Unterlagen sowie Frau Yasuna Hashimoto (Tokyo) für wertvolle Informationen.

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Reichsarbeitsministerium 1939 inne. Am 19.  April 1943 wurde Stothfang, der am 1.  Mai 1933 der NSDAP beigetreten und ein Jahr darauf Förderndes Mitglied der SS geworden war, in gleicher Funktion zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz (GBA ) Fritz Sauckel abgeordnet. Ihm unterstand im »Thüringenhaus«, der Berliner Zentrale Sauckels, die Büroverwaltung, Stothfang war bei den Stabsbesprechungen anwesend und nahm an Inspektionsreisen mit Besuchen der jeweiligen Gauleiter teil.79 Darüber hin- Walter Stothfang, aus zeugen diverse Veröffentlichungen ca. 1950er-Jahre von der intensiven Beschäftigung Stothfangs mit den Herausforderungen, denen sich der Arbeitseinsatz in Deutschland aus seiner Sicht zu stellen hatte, »gerade im Kriege« zähle dessen »planmäßige Regelung […] zu den wichtigsten Aufgaben der Staatsführung«.80 Nach Kriegsende aus dem Internierungslager Neumünster und dem Ministerial Collecting Center entlassen, in denen er als adviser zahlreiche schriftliche Gutachten anfertigte, verdingte sich Stothfang zeitweise als landwirtschaftlicher Gehilfe, bevor er ab Februar 1948 in der Hauptabteilung  II des Zentralamts für Arbeit insbesondere mit der Planung und Durchführung von Sonderaufgaben der Arbeitsvermittlung und der Arbeitslenkung betraut wurde. Stothfang hatte bereits im Herbst 1946 Julius Scheuble persönlich aufgesucht, seinen früheren Vorgesetzten im Landesarbeitsamt Rheinland, und um seine Wiederverwendung in der deutschen Arbeitsverwaltung gebeten. Dabei hatte 79 So Stothfang in seiner Vernehmung in Nürnberg am 1.6.1946, in: Der Prozeß gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof. Nürnberg, 14.  November 1945-1.  Oktober 1946, Bd.15: Verhandlungsniederschriften 29. Mai 1946-10. Juni 1946, München/Zürich 1984 (Nachdr. d. Ausg. Nürnberg 1948), S.266-274. Siehe auch Stothfang an Gerhard Erdmann, 8.12.1957, und Stothfang an den Bundestagsabgeordneten Direktor Gassmann [Walter Gaßmann], 12.2.1958, PAS . 80 U.a. Walter Stothfang: Der Arbeitseinsatz im Kriege, Berlin 1940; Walter Stothfang: 5 Jahre Arbeitseinsatz im Kriege, in: RAB l.V (1944), S.264-267, Zitat S.264; vgl. auch Anlage 9 zum Lebenslauf Stothfang, 8.8.1947, LA rch NRW , NW 1067/2973; Presseartikel in BA rch R8034-III /450, Bl.138-146.

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er seine Sachorientierung und sein Pflichtbewusstsein als Beamter ähnlich miteinander in Verbindung gebracht wie einige Monate später auch im Zuge seines Entnazifizierungsverfahrens. Dieses endete – trotz Intervention des nordrhein-westfälischen Innenministers  – im März 1948 mit der endgültigen Einstufung Stothfangs als »Mitläufer«.81 Dass Stothfang zugleich als integre Persönlichkeit und ausgewiesener Fachmann auf der einen sowie als Sauckel-Referent mit Positionierung an einer zentralen Schaltstelle des NS -Staates auf der anderen Seite wahrgenommen wurde, schlug sich in seiner auffallend häufigen Heranziehung als Zeuge in den Nürnberger Prozessen nieder.82 Zum Ausdruck kam dieser Zwiespalt aber auch innerhalb des ZfA, als Stothfangs Einstellung zu einer heftigen Konfrontation mit Vizepräsident Walter Auerbach führte. Auerbach hegte keine persönlichen Aversionen gegen Stothfang, warnte aber vor schärfster Kritik in der deutschen Öffentlichkeit und in den ehemals besetzten Ländern und vor einem möglichen Vertrauensentzug der Alliierten dem Zentralamt gegenüber. Am Tag der Einstellung Stothfangs bat Auerbach Scheuble dann »in einem sehr erregten Zustande« um seine eigene sofortige Entlassung, stellte Stothfang für ihn doch ein »Symbol Sauckelscher Methoden« dar, durch das »die Auffassung wachgerufen werden könnte, dass sich das Zentralamt für Arbeit auf dem Gebiete der Arbeitslenkung mit der Machtpolitik des Dritten Reiches identifiziere«. Wenig später bekräftigte Auerbach, dass Stothfangs fachliche Qualifikation zwar außer Frage stehe, dieser aber »durch seine enge Zusammenarbeit mit Sauckel zu einem Symbol des Menschenrechte und internationales Recht mit Fuessen tretendes System geworden« sei und Stothfang bei einer Änderung der Behördenleitung auf dem Gebiet der Arbeitslenkung sehr rasch wieder in eine Schlüsselstellung kommen könne.83 Auch anderweitig wurde schnell »stärkste[s] Mißfallen« über die Tätigkeit Stothfangs für das ZfA laut, und selbst der ehemalige Hauptabteilungsleiter des Reichsarbeitsministeriums Werner Mansfeld zeigte 81 Stothfang an Scheuble, 17.9.1946, 26.9.1946, BA rch Z  40/312; Lebenslauf Stothfang, 8.8.1947, LA rch NRW , NW 1067/2973; Stothfang an Gerhard Erdmann, 8.12.1957, PAS ; Der Innenminister des Landes Nordrhein-Westfalen an den Sonderbeauftragten für die Entnazifizierung Landgerichtspräsidenten Dr. Kremer, 27.2.1948, LA rch NRW , NW 1037-AV /45. 82 Vgl. den Beitrag von Kim Christian Priemel in diesem Band. 83 Auerbach an Scheuble, 31.1.1948, Vermerk Scheuble, 4.2.1948, Auerbach an Herrn Karl (?), 7.2.1948, alle BA rch Z 40/312. Auerbach blieb zunächst im Amt und wurde im November 1948 Staatssekretär im niedersächsischen Arbeits- und Sozialministerium.

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sich erstaunt, dass man »[s]ehr zu Unrecht […] der Zusammenarbeit [Stothfangs] mit Sauckel keine sonderliche Bedeutung beizumessen« scheine. »Ich persönlich halte die Frage der Justizverwaltung nach einer solchen Mitarbeit für durchaus angemessen und die Entscheidung über St[othfang], so sehr ich ihn persönlich und sachlich auch schätze, für fehlsam.«84 Doch änderte sich die Situation für den umstrittenen Referenten erst, als es im November 1948 um seine Übernahme in die Verwaltung für Arbeit ging. Denn nicht zuletzt sein Fall führte nun zu einer kritischen Presseberichterstattung und einer öffentlichen Durchleuchtung der Personalpolitik des Direktors Anton Storch und drohte insgesamt die Maßstäbe bei der Auswahl der Beamten in der britischen Zone in Verruf zu bringen. Vor der Vollversammlung des Wirtschaftsrates musste sich Storch hartnäckiger Vorwürfe erwehren; er warf der Presse »Brunnenvergiftung« vor und nahm Stothfang in Schutz, entschied jedoch letztlich, dessen Abordnung vom ZfA zur VfA nicht in eine dauerhafte Übernahme umzuwandeln. Zugleich machte er Stothfang Hoffnung, »dass für die Beschäftigung in den zukünftigen Ministerien andere politische Gesichtspunkte gelten werden als in der Vergangenheit«.85 Nach einer Zeit freiberuflicher schriftstellerischer Tätigkeit und als Angestellter einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft eröffnete sich für Walter Stothfang eine Rückkehrmöglichkeit in die Arbeitsverwaltung, die ihm Anton Storch bereits im August 1949 in Aussicht gestellt hatte: Eine Beschäftigung in der am 1.  Mai 1952 errichteten Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung. Am 1. Oktober 1953 wurde Stothfang als Leiter der Unterabteilung »Arbeitsmarktpolitik« in die der Rechtsaufsicht des BMA unterstellte Nürnberger Behörde berufen, stieg zum Direktor und schließlich zum Leitenden Verwaltungsdirektor auf und übernahm am 1. März 1957 die kommissarische Leitung der Abteilung 1. Einmal mehr erwies sich jedoch seine frühere GBA -Funktion als Barriere, brachten doch Vorstandsmitglieder der Bundesanstalt im Zusammenhang mit Stothfangs möglicher Ernennung zum Abteilungsleiter Bedenken vor, dass diese Tatsache

84 Niederschrift über die Sitzung des Beratenden Ausschusses beim Landesarbeitsamt Hamburg am 27.5.1948, BA rch Z 40/312; Mansfeld an Rechtsanwalt und Notar Dr. O. Kunze, Halle, 30.5.1948, BA rch DC 1/115. 85 Institut für Zeitgeschichte/Deutscher Bundestag (Hg.): Wörtliche Berichte und Drucksachen des Wirtschaftsrates des Vereinigten Wirtschaftsgebietes 1947-1949, Bd.3: 23.-40. Vollversammlung, München/Wien 1977, S.1128; Zitat: Storch an Stothfang, 23.8.1949, PAS .

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»bei Verhandlungen mit ausländischen Staaten evtl. zu politischen Komplikationen führen könne«.86 Knapp eineinhalb Jahre später, im September 1959, war es schließlich Bundesarbeitsminister Theodor Blank, der die Zeit für gekommen hielt, keine weiteren politischen Bedenken wegen der Vergangenheit Stothfangs zu erheben, und der Stothfang als Ministerialrat und Leiter der mit der Aufsicht über die Bundesanstalt beauftragten Unterabteilung  II a in das Bundesarbeitsministerium versetzte.87 Stothfang blieb jedoch Ziel von Angriffen, was zeigt, dass es im Falle seiner spezifischen formalen Belastung nicht gelang, die Aufmerksamkeit allein auf sein anerkanntes Expertentum zu lenken.88

Behördliche und personelle Strukturen in der sowjetischen Besatzungszone 1945-1949 Um die Entwicklungen der behördlichen und personellen Strukturen der zentralen Arbeitsbehörden beider deutschen Staaten zumindest partiell gegenüberstellen zu können, gilt es, die bisher auf Westdeutschland bezogene Untersuchung durch eine quellenbedingt verknappte Darstellung für Ostdeutschland zu ergänzen. Dabei fallen zunächst grundsätzliche Parallelen im administrativen Aufbau ins Auge. Auf Befehl der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD ) vom 17.  Juli 1945 wurden elf jeweils von einem Präsidenten angeführte Zentralverwaltungen geschaffen, die über ihre anfängliche fachliche Beratungsfunktion hinaus zunehmend eigene hoheitliche Befugnisse erhielten und Weisungsrechte gegenüber den Ländern ausübten. Als Arbeitsressort fungierte dabei die Zentral86 Stothfang an Bundestagsabgeordneten Direktor Gassmann [Walter Gaßmann], 12.2.1958, PAS . 87 Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung, gez. Blank, an den Staatssekretär des Bundeskanzleramtes, 16.9.1959, BA rch B 126/17044. 88 Vor seinem frühen Tod Ende 1961 wurde Stothfang noch einmal zum Ziel öffentlicher Auseinandersetzungen, als das SED -Zentralorgan Neues Deutschland einen Bericht der DGB -Wochenzeitung Welt der Arbeit aufgriff und Parallelen zwischen der Position Stothfangs im GBA und seiner Beteiligung an der Ausformulierung eines Entwurfs für ein Notdienstgesetz zog, einem Vorläufer der späteren Notstandsgesetze. NS -Spezialist für Zwangsarbeit entwarf Notdienstgesetz, in: Welt der Arbeit, 10.6.1960; Urnazi macht in Bonn Gesetze. Sauckels rechte Hand – Autor der Notdienstpflicht, in: Neues Deutschland, 10.6.1960, S.2 (mit mehreren Folgebeiträgen); Entwürfe und Korrespondenz zum geplanten Notdienstgesetz, BA rch B 106/28223-28224.

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verwaltung für Arbeit und Sozialfürsorge (ZVAS ), die am 15.  August 1945 ihre Tätigkeit aufnahm und in deren Gründungsverordnung zunächst die Abteilungen für Arbeit und Löhne, Soziale Fürsorge, Arbeitseinsatz und Zählung der Bevölkerung und für Arbeit an den Massen und eine Juristische Abteilung festgeschrieben wurden. Am 14.  Juni 1946 wurde der Name in Deutsche Verwaltung für Arbeit und Sozialfürsorge (DVAS ) umgewandelt, und im Zuge eines verstärkten Zentralisierungsprozesses wurde die Behörde am 12. Februar 1948 als Hauptverwaltung für Arbeit und Sozialfürsorge (HVAS ) mit den meisten übrigen Zentralverwaltungen der SBZ in die Deutsche Wirtschaftskommission (DWK ) eingegliedert.89 Über eine koordinierende Funktion hinaus konnte die Arbeitsverwaltung anfangs nur geringe Impulse setzen, und es schwelten Konflikte mit den – im Juli 1952 aufgelösten – Ländern, die sich in ihren Kompetenzen eingeschränkt sahen. Zunehmend wurden ZVAS , DVAS und HVAS aber mit Vollmachten und Gesetzgebungsrechten ausgestattet und verfügten über eine wachsende Zahl nachgeordneter Ämter. Zuschnitt und Bezeichnung der einzelnen Abteilungen erfuhren hierbei in relativ kurzen Abständen diverse Modifizierungen. Dessen ungeachtet entsprachen die Arbeitsverwaltungen mit der zusätzlichen Zuweisung der Aufgabenbereiche Ausbildung und Umschulung, Arbeitsschutz, Wohnungs- und Siedlungswesen, Sozialversicherung und Statistik weitgehend dem traditionellen Arbeitsressort.90 Auf Personalebene konnte die Zunahme der Beschäftigten – ca. 80 bzw. 113 Mitarbeitern der ZVAS im August bzw. Dezember 1945 standen 142 Angestellte der DVAS am 12. August 1947 gegenüber – nicht darüber hinwegtäuschen, dass die zentralen Arbeitsbehörden unter 89 Kahlenberg/Hoffmann (Anm.8), S.108-110; Bernd Niedbalski: Deutsche Zentralverwaltungen und Deutsche Wirtschaftskommission (DWK ). Ansätze zur zentralen Wirtschaftsplanung in der SBZ 1945-1948, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 33 (1985), H.3, S.456-477; Wolfgang Zank: Wirtschaft und Arbeit in Ostdeutschland 1945-49. Probleme des Wiederaufbaus in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, München 1987, S.86-96; Dierk Hoffmann: Sozialpolitische Neuordnung in der SBZ /DDR . Der Umbau der Sozialversicherung 1945-1956, München 1996, S.23-28; Marcel Boldorf: Sozialfürsorge in der SBZ /DDR 1945-1953. Ursachen, Ausmaß und Bewältigung der Nachkriegsarmut, Stuttgart 1998; S.128f.; Einleitung, in: Bundesarchiv. Online-Findbuch, Ministerium für Arbeit und Berufsausbildung, DQ 2, 1948-1955, bearb. v. Chris Fengler, Koblenz 2005, http://startext.net-build. de:8080/barch/MidosaSEARCH /DQ 2-28582/index.htm (7.9.2016); Angaben zur Abteilungsgliederung in der ZVAS bzw. DVAS in BA rch DQ 2/588. 90 Verordnung vom 22.9.1946, zit. in Boldorf (Anm.89), S.134f.

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einem akuten Personalmangel zu leiden hatten, der sich insbesondere auf dem Gebiet der Sozialversicherung bemerkbar machte.91 Stärker als in den westlichen Besatzungszonen, zumal der britischen, war hierfür die Entnazifizierung mitverantwortlich, die erheblich konsequenter und radikaler durchgeführt wurde und nicht allein einer personellen »Säuberung« entsprach, sondern systemverändernden Charakter hatte.92 Mit der Entfernung aller ehemaligen NSDAP -Mitglieder aus dem öffentlichen Dienst und aus höheren beruflichen Positionen verlor mehr als eine halbe Million Ostdeutscher ihren Arbeitsplatz. Und auch unter Inkaufnahme administrativer Ineffizienz wurde gerade die Verwaltung als ein Schlüsselsektor der Entnazifizierung angesehen, obwohl durch Ausnahmeregelungen für Fachkräfte nach Auflösung der Entnazifizierungskommissionen 1948 wieder ehemalige Parteiangehörige in den Verwaltungsdienst eingestellt wurden, sofern sie keine aktiven Mitglieder gewesen waren. Hinzu kam im Übrigen mit der Beseitigung des Berufsbeamtentums ein Systemwechsel, der auch für die Arbeits- und Sozialverwaltung einen Traditionsbruch mit sich brachte. Obgleich es für präzise Quantifizierungen der Personalstrukturen der zentralen ostdeutschen Arbeitsbehörden und für Aussagen über die Rekrutierungswege noch zu früh ist, zeigt ein Blick auf die Besetzung der Leitungs- und Referentenebene, wie stark zumindest hier die Ansprüche einer durchgreifenden Entnazifizierung ernst genommen wurden.93 Mit 91 Manuskript Gustav Gundelach zu seinem Lebenslauf, Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (SAPMOBArch ) NY 4066/3, Bl.278; Aufstellung zum Personalbestand der ZVAS am 13.12.1945, BA rch DQ 2/588, Bl.18-24; Liste der Angestellten der DVAS am 12.8.1947, BA rch DQ 2/1300; Kahlenberg/Hoffmann (Anm.8), S.176. 92 Vgl. insgesamt Helga A. Welsh: »Antifaschistisch-demokratische Umwälzung« und politische Säuberung in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands, in: Klaus-Dietmar Henke/Hans Woller (Hg.): Politische Säuberung in Europa. Die Abrechnung mit Faschismus und Kollaboration nach dem Zweiten Weltkrieg, München 1991, S.84-107; siehe zur Entnazifizierung in der Sozialversicherungsverwaltung Hoffmann: Sozialpolitische Neuordnung (Anm.89), S.99-104. 93 Umfangreichere Unterlagen zum Personalwesen der zentralen ostdeutschen Arbeitsbehörden konnten für den Beitrag noch nicht genutzt werden. Auf der Grundlage unter anderem von Personallisten in BA rch DQ 1/1344 sowie BA rch DQ 2/588, 1272, 1300 und einzelner Kaderakten ließen sich für den Zeitraum 1945-1958 jedoch bisher 65 Mitarbeiter von der Referentenebene aufwärts erfassen. Vgl. für biografische Informationen www. bundesstiftung-aufarbeitung.de/wer-war-wer-in-der-ddr-%2363%3b-1424. html (8.10.2016); Gabriele Baumgartner/Dieter Hebig (Hg.): Biographisches

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ihrem ersten Präsidenten Gustav Gundelach gehörte die ZVAS /DVAS zu den wenigen Zentralverwaltungen, denen bereits bei der Gründung ein KPD -Mitglied vorstand. Gundelach war schon in der Weimarer Republik kommunistisch aktiv gewesen und 1945 mit der Gruppe um Walter Ulbricht aus Moskau nach Deutschland zurückgekehrt. Auch wenn Gundelach aufgrund seiner »früheren Erfahrungen in der Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit gewisse Voraussetzungen für die Ausübung dieser Funktion« mitbrachte, war es letztlich seine politische Vergangenheit, die ihn, den sowjetischen Besatzern von Ulbricht und Wilhelm Pieck vorgeschlagen, für die Übernahme der Amtsleitung prädestinierte.94 Nachdem er nach Hamburg berufen und daraufhin als Abgeordneter in den ersten Deutschen Bundestag gewählt wurde, folgte Gundelach im April 1946 Gustav Brack nach, der als Sozialdemokrat gewerkschaftlich tätig gewesen und in der NS -Zeit verfolgt worden war. Bei Vizepräsident Max Herm handelte es sich um einen ehemaligen KPD -Reichstagsabgeordneten, und auch die 1904 geborene Jenny Matern hatte sich schon früh in der Kommunistischen Partei engagiert und war 1934 zunächst nach Prag und dann in die UdSSR emigriert. Hier als Funktionärin geschult, kehrte Matern 1946 als Vizepräsidentin und Hauptabteilungsleiterin der Arbeitsverwaltung nach Deutschland zurück und wirkte 1950-1959 als Staatssekretärin im Ministerium für Gesundheitswesen.95 Etwas anders gelagert war der Fall bei Helmut Lehmann, der stärker wegen seiner fachlichen Kenntnisse als 1. Vizepräsident der ZVAS zwischen August 1945 und April 1946 zum eigentlichen Kopf der Behörde avancierte. Lehmann war in der NS -Zeit als SPD -Mitglied und Widerstandskämpfer wiederholt inhaftiert worden, brachte als langjähHandbuch der SBZ /DDR , München u.a. 1996; Martin Broszat/Hermann Weber (Hg.): SBZ -Handbuch. Staatliche Verwaltungen, Parteien, gesellschaftliche Organisationen und ihre Führungskräfte in der Sowjetischen Besatzungszone Deutschlands 1945-1949, 2. Aufl., München 1993; Hinweise auch in Dierk Hoffmann: Netzwerke und Sonderinstanzen. Die Marginalisierung der Länder bei der Vereinheitlichung der Sozialversicherung in der SBZ (1945-1949), in: Annette Schuhmann (Hg.): Vernetzte Improvisationen. Gesellschaftliche Subsysteme in Ostmitteleuropa und in der DDR , Köln/Weimar/Wien 2008, S.43-56, hier S.44-47; Zank: Wirtschaft (Anm.89), S.92f.; Erich W. Gniffke: Jahre mit Ulbricht, Köln 1966, S.338f. 94 Manuskript Gustav Gundelach zu seinem Lebenslauf, SAPMO-BArch NY 4066/3, Bl.277-279, Zitat Bl.277. Persönlicher Referent Gundelachs war der spätere DVAS -Abteilungsleiter Jakob Schlör, den Gundelach aus der Zusammenarbeit im Zentralvorstand der KPD -Organisation »Rote Hilfe« kannte. 95 Hier und im Folgenden Gniffke (Anm.93), S.338f., 97f.; Hoffmann: Netzwerke (Anm.93), S.44-46.

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riger geschäftsführender Vorsitzender des Hauptverbands deutscher Krankenkassen96 aber zugleich die berufliche Expertise mit, um nach Kriegsende nicht nur in kürzester Zeit zum unangefochtenen Sozialpolitikexperten der SED aufzusteigen, sondern außerdem die ostdeutsche Sozialversicherung maßgeblich nach seinen Vorstellungen zu organisieren. Kern der schon im Sommer 1945 begonnenen Konzeptionen war die Orientierung am Gedanken einer zentralen Einheitsversicherung, deren Errichtung nach ihrem Aufbau in den Ländern im Januar 1947 auch auf zonaler Ebene eingeleitet wurde. Dabei ließen die sowjetischen Alliierten den deutschen Stellen relativ große Handlungsspielräume. Als »Gründungsvater der Einheitsversicherung« verantwortete Lehmann damit, gestützt auf ein kleines informelles Berliner Netzwerk sozialpolitischer Akteure, ein Projekt von konstitutiver gesellschaftlicher Bedeutung, das diametral zu denjenigen Zielvorstellungen stand, die in den westlichen Besatzungszonen und noch in der Gründungsphase des Bundesarbeitsministeriums von ehemaligen und kommenden Repräsentanten der Arbeitsverwaltung vehement verfochten wurden. Anders als bei Lehmann scheinen fachliche Erfahrungen bei der allgemeinen Personalrekrutierung zumindest in der Frühzeit in der Regel deutlich geringere Priorität als im Zentralamt für Wirtschaft und Arbeit sowie in der Verwaltung für Arbeit des Vereinigten Wirtschaftsgebietes gehabt zu haben. Mitarbeiter mit akademischem Abschluss oder gar einer Promotion waren ebenfalls erheblich seltener, und es bildete sich auch kein Juristenmonopol aus. Zu den Ausnahmen gehörte der Leiter der Abteilung Arbeitsschutz und Unfallverhütung der DVAS , der habilitierte Arbeitsmediziner Ernst Holstein, der von 1928 bis 1945 als staatlicher Gewerbearzt gearbeitet hatte. Mit Hans Thalmann wurde in der DVAS am 1. Januar 1947 zudem ein promovierter Wirtschaftswissenschaftler und späterer Professor für Sozialpolitik bzw. Arbeitsökonomik als Hauptreferent eingesetzt, die Leitung der Rechtsabteilung der ZVAS /DVAS lag von Januar 1946 bis November 1947 in den Händen des Rechtsanwalts Rolf Helm.97 Auch war unter den Hauptver96 Kollegen Lehmanns waren dort die wie Lehmann 1933 entlassenen Karl Litke, ein gelernter Steindrucker und ehemaliger Reichstagsabgeordneter, der 1945/46 als Ministerialdirektor die ZVAS -Verwaltungsabteilung leitete, und Fritz Bohlmann, der von 1945 bis 1950 leitende Positionen in der ostdeutschen Arbeitsund Sozialverwaltung innehatte. Vgl. Lebensläufe und Fragebögen zu Litke und Bohlmann, SAPMO -BA rch NY 4073/1 und DY 34/28122. 97 Vgl. u.a. Lebensläufe und Personalfragebögen Ernst Holstein und Hans Thalmann, SAPMO -BA rch DR 3-B/15340 bzw. DR 3-B/15209; Rolf Helm: Anwalt des Volkes. Erinnerungen, Berlin 1978, S.146-158.

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waltungen der Deutschen Wirtschaftskommission gerade in der HVAS der Anteil solcher Beschäftigten, die in ehemaligen Reichsbehörden leitende Stellungen bekleidet hatten, besonders gering.98 Bezogen auf das Durchschnittsalter von rund 50 Jahren unterschied sich die Gruppe der erfassten knapp 50 Mitarbeiter überwiegend der Referentenebene allerdings nicht wesentlich von den Altersstrukturen der Beschäftigten in den vergleichbaren Ämtern der westlichen Besatzungszonen. Mehr und mehr stand nicht allein die Auswahl »unbelasteter« Mitarbeiter mit antifaschistisch geprägten Biografien im Vordergrund, immer stärker schlug sich auch innerhalb der ZVAS /DVAS -Spitze eine zunehmende SED -Durchdringung nieder: Waren die drei Vizepräsidentenposten zunächst mit einem SPD - (Helmut Lehmann), einem KPD - (Max Herm) und einem CDU -Mitglied (Albert Voss) besetzt, wurde die Parität aufgegeben, als Lehmann im April 1946 durch Jenny Matern ersetzt wurde und nach dem Ableben des christlichen Gewerkschafters Voss im November 1947 Willy Donau nachrückte.99 Sowohl Herm als auch Matern und Donau, der von 1925 bis 1933 die Leitung der Berliner Niederlassung der International Labour Organization (ILO ) übernommen und danach bis 1939 bei der ILO in Genf gearbeitet hatte,100 wurden nach der Vereinigung von SPD und KPD im April 1946 SED -Mitglieder und blieben auch in der HVAS in führenden Positionen. Unter den 102 Angestellten der ZVAS gehörten am 1.  Mai 1946 bereits über drei Viertel der Staatspartei an, den Blockparteien CDU und LDP knapp 10,8% bzw. 1%, nur rund 12% der Mitarbeiter waren parteilos. Unter den Beschäftigten der DVAS erhöhte sich zwischen April und Dezember 1947 der Anteil der SED Mitglieder von 67,1% auf 70,5%, analog sank der Anteil von Mitgliedern der übrigen Parteien von 17,1% auf 12,9%.101 98 Jens Kuhlemann: Braune Kader. Ehemalige Nationalsozialisten in der Deutschen Wirtschaftskommission und der DDR -Regierung (1948-1957), Universität Jena, Diss., Jena 2005, Internetausgabe 2012, S.136, Anm.621. 99 Auch der aus der Gewerkschafts- und Genossenschaftsbewegung kommende Voss war 1933 aus seinen Funktionen entlassen worden und stand in Verbindung mit dem deutschen Widerstand. Jakob Kaiser: Albert Voß †, in: Neue Zeit, 11.11.1947, S.1f.; Vizepräsident Albert Voß †, in: Arbeit und Sozialfürsorge 2 (1947), Nr.21/22, S.469. 100 Lebenslauf und Personalfragebogen Willy Donau, SAPMO -BA rch DY 34/28189; siehe zu Donau auch den Hinweis im Beitrag von Kiran Klaus Patel und Sandrine Kott in diesem Band. 101 Aufstellung zur parteipolitischen Zusammensetzung der Angestellten der ZVAS am 1.5.1946, BA rch DQ 2/588, Bl.9; Übersicht über die Anzahl und

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Zu mutmaßen ist, dass bei Durchsetzung der Sach- und Personalpolitik auch Konflikte aufbrachen. Ein Hinweis hierauf ist die Entlassung des früheren Syndikus, Justiziars und Devisenberaters Franz Hirschfeld, der seit September 1945 die Juristische Abteilung der ZVAS leitete, dem aber bald zum Vorwurf gemacht wurde, ohne Gründe oder Beweise »in ganz unverantwortlicher Weise Mißtrauen gegen die Leitung der Zentralverwaltung ausgestreut« und diese »kapitalistische[r], nazistische[r] Methoden« bezichtigt zu haben.102

Das Arbeitsministerium in der Deutschen Demokratischen Republik 1949-1958 1949 wurde in der DDR , wie in der Bundesrepublik, auf die Behördenstrukturen der Besatzungszeit aufgebaut. Nach der Staatsgründung am 7.  Oktober 1949 erfolgte weitgehend die Übernahme der bestehenden Hauptverwaltungen der DWK ; im neuen Ministerium für Arbeit und Gesundheitswesen ging allerdings nicht nur die HVAS auf, sondern zugleich die Hauptverwaltung Gesundheitswesen, woraufhin zunächst die vier Hauptabteilungen Arbeit, Sozialfürsorge, Gesundheitswesen sowie Mutter und Kind gebildet wurden.103 Auch wenn die Zuständigkeit für die – gleichwohl stark kommunal beeinflusste – Wohnraumlenkung weiterhin beim Arbeitsministerium lag, wurde ebenso wie in Westdeutschland mit dem Ministerium für Aufbau ein separates Wohnungs- und Städtebauressort geschaffen. Dieses ging auf die Hauptverwaltung Bauwirtschaft zurück, deren Gründung innerhalb der DWK im Mai 1949 durch Planungs- und Ko-

die Gewerkschafts- und Parteizugehörigkeit der DVAS -Angestellten AprilDezember 1947, BA rch DQ 2/1300. 102 Aktenvermerk Gundelach (?), 14.12.1945, BA rch DQ 2/588, Bl.17. Hirschfeld wurde 1946 Syndikus des Bezirksamts Berlin-Schöneberg und 1951 Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses. 103 Vgl. hier und zum Folgenden Hoffmann: Sozialpolitische Neuordnung (Anm.89), S.171-175; Kahlenberg/Hoffmann (Anm.8), S.169-173; Jay Rowell: Wohnungspolitik, in: Dierk Hoffmann/Michael Schwartz (Hg., im Auftrag d. Instituts für Zeitgeschichte München-Berlin): Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bd.8: 1949-1961. Deutsche Demokratische Republik. Im Zeichen des Aufbaus des Sozialismus, Baden-Baden 2004, S.699-726, hier bes. S.707-710. Zur Abteilungsstruktur im November 1949 siehe BA rch DQ 1/1344, Bl.2-29.

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ordinierungsprobleme in der Bauindustrie angestoßen worden war und die Kompetenzen aus mehreren Hauptverwaltungen auf sich vereinte. Die nur wenige Jahre währende Geschichte des Ostberliner Arbeitsressorts war bestimmt von unübersichtlichen Umstrukturierungen der Abteilungen und mehrfachen Veränderungen der Zuständigkeitsbereiche. Dazu gehörte im November 1950 die erneute Abtrennung des Bereichs Gesundheitswesen und dessen Übertragung auf ein eigenständiges Fachministerium. 1952 gliederte sich die nunmehr als Ministerium für Arbeit firmierende Behörde in die beiden Hauptabteilungen Arbeit und Arbeitsschutz, die durch fünf separate Abteilungen, die Allgemeine Verwaltung und das Hauptreferat Schulung ergänzt wurden.104 Einen weiteren Einschnitt markierte im November 1954 der Zusammenschluss des Ministeriums mit dem bis dahin eigenständigen Staatssekretariat für Berufsausbildung. Das so entstandene Ministerium für Arbeit und Berufsausbildung wurde mit weiteren Ministerien der DDR im Juli 1958 aufgelöst. Der Berufsausbildungszweig wurde dem Ministerium für Volksbildung zugeschlagen, die übrigen Abteilungen wurden auf das neu gegründete Komitee für Arbeit und Löhne übertragen, welches wiederum, selbst mehrfach umgebildet, in den Zuständigkeitsbereich der Staatlichen Plankommission überging, die im Rahmen der zentralstaatlichen Planung immer mehr Verwaltungskompetenzen an sich zog. Anders als im westlichen Teil Deutschlands ging damit die 1919 begründete Tradition eines selbstständigen zentralen Arbeitsministeriums zu Ende und wurde erst 1989 mit Gründung des Ministeriums für Arbeit und Löhne wiederbelebt. Die Personaldecke des Arbeitsministeriums wurde in den ersten Jahren nach Gründung der DDR nur langsam dicker, sodass das breite Aufgabenspektrum die stete Gefahr einer Überforderung des Mitarbeiterstabs mit sich brachte. Nach Ausgliederung des Gesundheitswesens lag die Zahl der Mitarbeiter im November 1950 bei 204, wobei die Abteilungen für Planung und Statistik sowie für die Verwaltung am personalintensivsten waren.105 Die Besetzung der Behördenspitze wich dabei 1949 in mehrerer Hinsicht von den allgemeinen Rekrutierungsmustern ab: Zum einen wurde keiner der Leiter der Hauptabteilungen für Arbeits- und Sozialfürsorge bzw. für Gesundheit übernommen, sondern mit Luitpold Steidle ein Minister ins Amt gehoben, der zum 104 Kahlenberg/Hoffmann (Anm.8), S.169. 105 Hoffmann: Sozialpolitische Neuordnung (Anm.89), S.172; Übersicht über Planstellen vom 13.11.1950, BA rch DQ 2/1404; siehe auch die Listen in BA rch DQ 2/1272 und BA rch DQ 1/1344.

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Minister

Staatssekretär

Bereich I

Bereich II

HA Arbeitsproduktivität und Löhne

HA Allgemeine Grundsätze und Methoden der Berufsausbildung

HA Lenkung der Arbeitskraft

HA Ausbildungsberufe und Inspektion

Bereich III

HA Arbeitsschutz und Sicherungstechnik

Wissenschaftliche Beiräte

Lohnpolitik

Berufsausbildung

Abt. Erziehungsarbeit und kulturelle Arbeit

Struktureller Aufbau des Ministeriums für Arbeit und Berufsausbildung, Frühjahr 1956

anderen kein SED -Mitglied war, sondern zu den obersten CDU -Repräsentanten gehörte und offenbar versuchte, Einflüsse der Staatspartei abzufedern. Mit seiner für sein Ministeramt gänzlich fachfremden Tätigkeit als Gutsbesitzer und Landwirt in den 1920er-Jahren wies Steidle außerdem eine für seine Position atypische Vergangenheit auf, und er war am 1. Mai 1933 in die NSDAP eingetreten (und 1934 wieder ausgeschlossen worden). Den Behörden gegenüber hatte Steidle seine Parteizugehörigkeit verschwiegen.106 Nach der kurzen Amtszeit Steidles, der 1950 die separierte Abteilung Gesundheitswesen als eigenständiges Ministerium weiterführte, entsprach der bis 1953 amtierende Arbeitsminister Roman Chwalek mit seinem Lebenslauf wieder stärker dem politischen Idealbild. 1898 geboren, hatte Chwalek als ausgebildeter Maschinenschlosser von 1930 bis 1933 die KPD im Reichstag vertreten und musste während der NS Diktatur wegen illegaler politischer Betätigung und »Vorbereitung zum Hochverrat« mehrere Jahre in Haft verbringen.107 Im Zuge eines erneuten Revirements wurde 1953 nach dem Wechsel Chwaleks in das Ministerium für Eisenbahnwesen mit dem erst 31-jährigen SED 106 Kuhlemann (Anm.98), S.167f., 213, 240f., 261f. 107 Lydia Dollmann: Chwalek, Roman (1898-1974), in: Siegfried Mielke (Hg.): Gewerkschafter in den Konzentrationslagern Oranienburg und Sachsenhausen. Biographisches Handbuch, Bd.1, Berlin 2002, S.44-55.

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Frieda (genannt Friedel) Malter/Apelt (geb. Raddünz, verh. Franz, geb. 1.11.1902 in Breslau (Wrocław), gest. 15.12.2001 in Berlin) arbeitete zunächst als Hausangestellte und Weberin, bevor sie von 1926 bis 1933 dem Provinziallandtag Schlesien angehörte und seit 1927 innerhalb der KPD aktiv war. 1932 wurde sie als Abgeordnete in den Preußischen Landtag gewählt. Im Jahr darauf wegen illegaler Tätigkeiten verurteilt, verbrachte sie die Jahre bis 1938 in Zuchthäusern, arbeitete danach unter anderem als Kontoristin und überlebte nach ihrer erneuten Verhaftung 1944 die Konzentrationslager Ravensbrück und Sachsenhausen. Ende 1945 wurde sie in Berlin Abteilungsleiterin für Frauenfragen im Zentralkomitee der KPD , war unter anderem Volksrats- und Volkskammerabgeordnete und hatte in den kommenden Jahrzehnten hohe Funktionen im FDGB und von 1959 bis 1990 den Vorsitz des DDR -Komitees für Menschenrechte inne. Von 1950 bis 1956 amtierte Frieda Malter als Staatssekretärin und stellvertretende Ministerin im Ministerium für Arbeit (und Berufsausbildung). Literatur: Katharina Barnstedt/Katja Scheel: Apelt, Frieda (Friedel Malter) (1902-2001). Vom Webstuhl ins Ministerium. Oder: »Wenn die Partei ruft, geht man.«, in: Siegfried Mielke (Hg.): Gewerkschafterinnen im NS -Staat. Verfolgung, Widerstand, Emigration, Essen 2008, S. 60-71.

Mitglied Friedrich Macher ein ehemaliger Telegrafenbauarbeiter Ressortchef.108 Die Biografien des Staatssekretärs Paul Peschke (1949/50) und seiner Nachfolgerin Friedel Malter (1950-1956) deuten ebenfalls darauf hin, dass weiterhin eher der Herkunft und einer antinazistischen Vergangenheit als dem vorherigen Durchlaufen einer Behördenlaufbahn Relevanz zugemessen wurde. Denn während der Maschinenschlosser und Werkzeugmacher Peschke 1946 aus der schwedischen Emigration nach Berlin zurückgekehrt war, hatte die 1932 als KPD -Abgeordnete in den Preußischen Landtag gewählte Malter unter nationalsozialistischer Herrschaft mehrere Jahre in Zuchthäusern und Konzentrationslagern verbringen müssen.109 Dem von November 1950 bis zur Vereinigung mit dem Ministerium für Arbeit im November 1954 bestehenden Staatssekretariat für die Berufsausbildung stand der bei seiner Ernennung erst 23-jährige ausgebildete Feinmechaniker Rudolf Wießner vor. 108 Fritz Macher zum Minister für Arbeit berufen, in: Neues Deutschland, 10.12.1953, S.1. 109 Katharina Barnstedt/Katja Scheel: Apelt, Frieda (Friedel Malter) (19022001). Vom Webstuhl ins Ministerium. Oder: »Wenn die Partei ruft, geht man.«, in: Siegfried Mielke (Hg.): Gewerkschafterinnen im NS -Staat: Verfolgung, Widerstand, Emigration, Essen 2008, S.60-71.

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Wie das Neue Deutschland verkündete, wurden damit »[z]um erstenmal in der Geschichte Deutschlands […] Jugendliche mit der Leitung von Staatssekretariaten und Ministerien betraut«.110 Gleichzeitig gewann an Gewicht, dass nun zur Lenkung der Ministerien die wesentlichen Personalentscheidungen vom Politbüro bzw. dem Sekretariat des Zentralkomitees der SED getroffen wurden. Auch im Ministerium für Arbeit erfolgte die Besetzung der Hauptabteilungs- und zum Teil auch der Friedel Malter, 1950 bis 1956 Abteilungsleiterstellen nach kaderStaatssekretärin im Ministerium für Arbeit (und Berufsausbildung) politischen Gesichtspunkten mit zentraler Steuerung von Ausbilder DDR , als Rednerin auf dem Parteitag der SED , 22. Juli 1950. dung, Auswahl und Einsatz gerade Foto: Hans-Günter Quaschinsky führender Mitarbeiter.111 Als ein Resultat der Personalpolitik blieb der Mangel an Fachwissen und Verwaltungserfahrungen offenbar nicht ohne Rückwirkung auf die Qualität der Behördenleitung, und das Ministerium wurde für Fehler verantwortlich gemacht.112 Ein Schlaglicht auf die Situation in der Behörde warf im April 1950 ein Hilferuf von Staatssekretär Paul Peschke. Das Ministerium für Arbeit und Gesundheitswesen sei »[b] ei der gegenwärtigen Besetzung der einzelnen Abteilungen […] nicht imstande, die ihm zufallenden Aufgaben bei der Erfüllung der Wirtschaftspläne und der Regierungsaufgaben durchzuführen«, und auch Minister Steidle falle »für eine praktische Arbeit in unserem Ministerium fast völlig« aus. Wie Peschke zu berichten wusste, standen einzelne Mitarbeiter angesichts fehlender »fachlich 110 Freie Deutsche Jugend verkörpert die große Zukunft unseres Volkes, in: Neues Deutschland, 9.3.1951, S.4.; vgl. auch Zwei junge Minister – eine Sensation?, in: Neues Deutschland, 20.9.1958, S.14. 111 Christoph Boyer: Kaderpolitik und zentrale Planbürokratie in der SBZ /DDR (1945-1961), in: Stefan Hornbostel (Hg.): Sozialistische Eliten. Horizontale und vertikale Differenzierungsmuster in der DDR , Opladen 1999, S.11-30; Kahlenberg/Hoffmann (Anm.8), S.177f. 112 Peter Joachim Lapp: Der Ministerrat der DDR . Aufgaben, Arbeitsweise und Struktur der anderen deutschen Regierung, Opladen 1982, S.225.

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und politisch einigermassen ihrem Aufgabenkreis gewachsene[r] Leiter« vor einem physischen Zusammenbruch, und insbesondere in der Hauptabteilung Gesundheitswesen habe deren Leiter Karl Linser ein »völliges Wirrwarr« entstehen lassen und mangele »es unseren Akademikern völlig an den organisatorischen Fähigkeiten, selbst gute Pläne organisatorisch zu verwirklichen«.113 Hier wirkte sich auch aus, dass in vollkommenem Kontrast zum bundesdeutschen Arbeitsministerium fast alle personellen Verbindungen zur Referentenebene des Reichsarbeitsministeriums unterbrochen blieben. Zu den kurzzeitigen Ausnahmen zählten Ernst Knoll und Fritz Förster: Der seit 1924 im Reichsarbeitsministerium beschäftigte Knoll, ein Schwager Johannes Krohns, war am 1. September 1939 als Ministerialdirektor und Hauptabteilungsleiter zunächst in den Wartestand und am 1. November 1940 zum Kammergericht Berlin versetzt worden. Ab 1945 amtierte er als Leiter des »Abschnitts Siedlungsund Wohnungsbetreuung« innerhalb der Abteilung Sozialfürsorge der ZVAS . Etwa zur gleichen Zeit war Ministerialrat Förster, Knolls früherer Amtskollege im Ministerium, in der ZVAS als Referent für die Invalidenbetreuung zuständig. Nicht zufällig hatten beide nicht der NSDAP angehört, Knoll war 1939 vielmehr offenbar aufgrund von Konflikten mit der Partei aus dem Amt gedrängt worden.114 Darüber hinaus fehlen aber jegliche Hinweise auf solche Kontinuitäten, die sich in den Arbeitsbehörden der britischen Besatzungszone schon 1946 wieder auszubilden begannen.115 Keine berufliche Zukunft in der Arbeitsverwaltung wartete auf den prominentesten Repräsentanten des ehemaligen Reichsarbeitsministeriums, der die Aufmerksamkeit der ostdeutschen Behörden weckte. Gegen Werner Mansfeld, der im Mai 1933 vom Rechtsanwalt zum 113 Peschke an den Parteivorstand der SED , Abt. Arbeit und Sozialfürsorge, zu Hd. Max Herm, 27.4.1950, SAPMO -BA rch DY 30/IV 2/2.027/2. 114 Vermerk und Urkunde zur Versetzung Knolls in den Wartestand, 14.[?]7. und 1.8.1939, BA rch R43 II /1138b, Bl.34f.; Aufstellung Personalbestand der ZVAS am 13.12.1945, BA rch DQ 2/588, Bl.21; Erklärung Foerster, 1.2.1946, BA rch NL 430/5; vgl. auch oben den Hinweis auf Dorothea Hirschfeld. 115 Der hochrangigste Fall eines Ost-West-Wechsels in das bundesdeutsche Arbeitsministerium betraf den vormaligen CDU -Minister für Arbeit und Sozialwesen in Brandenburg, Fritz Schwob. Schwob floh im Februar 1950 nach Westberlin, woraufhin ihn das BMA mit der Leitung seiner Berliner Vertretung betraute und ihn 1952 zum Ministerialrat machte. PA Schwob, BA rch PERS 101/43030; Vorschlag zur Ernennung Schwobs zum Ministerialrat und Aktenvermerk, 6.11. bzw. 4.12.1952, BA rch B 126/17041.

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Leiter der Hauptabteilung  III aufgestiegen war und der sich nach der kriegsbedingten Verlagerung und schließlich Abwicklung des Salzdetfurth-Kalikonzerns, dessen Vorstand er seit Oktober 1943 angehörte, in Halle an der Saale niedergelassen hatte, schwebte vielmehr seit 1947 ein Ermittlungsverfahren. Ihm drohte eine Inhaftierung und Aburteilung als Kriegsverbrecher, und obwohl ihn zunächst sein »in jeder Beziehung […] gutes Gewissen« veranlasste, in Ostdeutschland auszuharren, ließ er sich 1949 in Westberlin nieder. »Die ewige Ungewissheit«, stellte Mansfeld im Mai 1948 fest, »[hat] doch ziemlich an meiner seelischen Konstitution gezehrt. Ich wäre froh, wenn ich nun wieder ganz ruhig schlafen könnte.«116

Schluss Die Geschichte des Spitzenpersonals der zentralen deutschen Arbeitsbehörden zwischen 1945 und 1960 lässt sich nicht mit einfachen Kontinuitäts- und Diskontinuitätsbegriffen fassen. Nicht nur fielen nach der Zäsur des Jahres 1945 west- und ostdeutsche Entwicklungen auseinander. Vor allem für die frühe Bundesrepublik wird deutlich, dass sich personelle Rekonstruktionsprozesse mit generationellen Umbrüchen verbanden und Einflüsse auf personelle Weichenstellungen stets auch vom Kontext abteilungsbezogener Traditionen und Selbstverständnisse beeinflusst waren. Und während sich im Fall der aus der NS -spezifischen Reichstreuhänderverwaltung kommenden Referenten eine Fortsetzung des Berufswegs als weitgehend problemlos erwies, schienen, wie sich am Fall von Walter Stothfang aufzeigen lässt, bei früheren Verbindungen zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz die »Grenzen der Integration« auf.117 116 Mansfeld an Rechtsanwalt und Notar Dr. O. Kunze, Halle, 30.5.1948, BA rch DC 1/115. Im Februar 1949 ließ sich Mansfeld im Westteil Berlins nieder und musste sich hier vor seinem Tod im Februar 1952 einem Entnazifizierungsverfahren stellen, in dem er seine Rolle im Reichsarbeitsministerium und beim Einsatz von Zwangsarbeitern erläutern und rechtfertigen musste. Vgl. Korrespondenz, Protokolle, Unterlagen und ausführliche Lebensläufe Mansfelds im Rahmen seiner Verteidigung und des Entnazifizierungsverfahrens in BA rch DP 1/20617, LA rch Berlin, B-Rep.031-01-02, 2198, BS tU, MfS BV Halle/Ast 7473. 117 So der Titel eines auf das Beispiel des ehemaligen Leiters der Hauptabteilung Arbeit in der Regierung des Generalgouvernements in Krakau, Max Frauendorfer, bezogenen Aufsatzes von Thomas Schlemmer: Grenzen der Integra-

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Die Rückkehr von Fachpersonal aus der NS -Zeit in die Führungsebene des Bundesarbeitsministeriums entsprach vom Ausmaß her den prinzipiellen Trends innerhalb der jungen westdeutschen Verwaltungsapparate. Besonders sichtbar wurde die Wiedereinsetzung zahlreicher Beamter des alten Reichsarbeitsministeriums und seiner nachgeordneten Behörden jedoch vor dem Hintergrund, dass sich in den Jahren der Besatzungszeit in kleinerem Maßstab alternative Ansätze der Personalrekrutierung abgezeichnet hatten. Als ein frappantes Ergebnis der Untersuchung lässt sich festhalten, dass das Bundesarbeitsministerium seit Mitte der 1950er-Jahre zumindest an seiner Spitze zu den am stärksten mit ehemaligen NSDAP -Mitgliedern durchsetzten Bundesministerien gehörte – ein Befund, den es für die mittleren und unteren Mitarbeiterebenen, das breite Feld der nachgeordneten Behörden und externe Experten und Beratungsgremien noch zu prüfen gilt. Die Behörde wurde für viele eine berufliche Heimat, die sich rasch mit dem Nationalsozialismus arrangiert hatten, sei es aus Karrieregründen oder innerer Überzeugung schon 1933 der NSDAP und SA beigetreten waren oder sich darüber hinaus zu Handlangern des Regimes gemacht hatten. Dies bleibt auch dann herauszuheben, wenn man einen Begriff der »Belastung« einfordert, der über den hier im Vordergrund stehenden formalen Parteieintritt hinaus konkrete Denk- und Verhaltensmuster einbezieht: Welche Einstellungen und Überzeugungen artikulierten die Beamten nach 1933, welche tatsächlichen individuellen Einflussmöglichkeiten hatten sie in einer Position und welches Maß an Mitwisserschaft oder gar persönlicher Schuld und Täterschaft war ihnen anzulasten?118 NSDAP -Zugehörigkeit und vorangegangene Karrieren unter der nationalsozialistischen Herrschaft lassen freilich keine vereinfachenden Rückschlüsse auf die inhaltliche Ausgestaltung der Ministeriumspolitik sowie die arbeits- und sozialpolitischen Initiativen des Arbeitsressorts ab 1949 zu. Wie es für viele Vertreter von Verwaltung und Beamtenschaft galt, dürften auch im Bundesarbeitsministerium unter den Vorzeichen des Antikommunismus als tragfähiger Integrationsideologie, einer materiellen Absicherung und neuer Aufstiegschancen

tion. Die CSU und der Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit – der Fall Dr. Max Frauendorfer, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 48 (2000), H.4, S.675-742. 118 Vgl. zur Diskussion u.a. Bösch/Wirsching (Anm.63), S.7f.; Langhorst (Anm.12), S.182f.

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die demokratischen Spielregeln von vielen wenigstens hingenommen, wenn nicht akzeptiert worden sein.119 Dessen ungeachtet wirft aber allein das Ausmaß der Bereitwilligkeit, des Stillschweigens und der Geräuschlosigkeit, mit der das Bundesministerium für Arbeit Beamte mit NSDAP - und SA -Vergangenheit rekrutierte, einen Schatten auf die Frühgeschichte des Hauses. Das geringe erkennbare Maß an kritischer Reflexion und Umsicht bei der Einstellungspraxis erscheint umso denkwürdiger, als sich diese unter der Ägide der Minister Anton Storch und Theodor Blank vollzog, die selbst zu den Leidtragenden der nationalsozialistischen Diktatur gehörten. Neben dem Selbstverständnis vieler Ministeriumsbeamten als unpolitisch agierende Verwaltungsexperten waren es augenscheinlich effektive Interessensnetzwerke, die hier ihre Wirksamkeit entfalteten und auf die Adolf Arndt schon 1950 mahnend die Aufmerksamkeit des Bundestags gelenkt hatte. Zwänge und eingeengte Spielräume, so ist zu konzedieren, erwuchsen seit den Anfängen im Zentralamt für Arbeit aus den permanenten Engpässen bei geschultem Personal. Während in Westdeutschland der Rückgriff auf altgediente Fachkräfte fraglos zur Sicherung von behördlicher Effizienz und Leistungsfähigkeit beitrug, entwickelten sich aber auch in der SBZ und der DDR funktionsfähige Arbeitsbehörden, obwohl, jedenfalls bei der Besetzung der Spitzenpositionen, die Ansprüche eines personellen Neuanfangs ernst genommen wurden. Hier bleibt wiederum näher zu hinterfragen, mit welchen tatsächlichen Folgewirkungen versucht wurde, das traditionell geforderte Fachwissen und formale Qualifikationen zu kompensieren, und inwieweit die Mitarbeiterzusammensetzung auf niedrigeren Rangstufen eine geringere Diskontinuität aufwies. Nicht ausgesetzt sah man sich zumindest jenen immer wieder gegenüber der Bundesrepublik laut gewordenen Vorwürfen, dass sich die restaurativen Personalstrukturen und die Belastung der Behördenapparate als schwere Hypothek für die Nachkriegsgesellschaft erwiesen hätten und mit einem Verlust an moralischer Glaubwürdigkeit bezahlt worden seien.

119 Vgl. Wolfrum (Anm.41), S.58.

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Dank

Der vorliegende Band ist das Produkt eines mehrjährigen Forschungsvorhabens, an dem neben den Autorinnen und Autoren zahlreiche Personen mitgewirkt haben. Von großer Bedeutung war die Mitarbeit der studentischen Hilfskräfte, insbesondere für die Erschließung und Aufarbeitung der umfangreichen Archivquellen und die Literaturbeschaffung. Wir danken Celeste Copes, Alexander Dietz, Johan Moosleitner, Julian Nindl, Viktoria Peymann, Lisa-Maria Röhling, Hannes Schrader, Daniel Stienen und Mischa Weber für die tatkräftige Unterstützung in unterschiedlichen Phasen des Projektes. Sehr profitiert haben wir ferner von der kompetenten Beratung und Unterstützung durch Archivoberrat Matthias Meissner (Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde), Dieter G. Maier und Stefan Pabst (SEAD-BA – Sammlung der Bundesagentur für Arbeit zur Entwicklung der Arbeitsverwaltung in Deutschland) sowie Andreas Grindau (Bundesministerium für Wirtschaft und Energie). Zahlreiche externe Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben dem Projekt beratend zur Seite gestanden. Besonderer Dank gebührt Prof. Dr. Johannes Bähr, Prof. Dr. Karl Christian Führer, Prof. Dr. Ute Frevert, Prof. Dr. Neil Gregor, Prof. Dr. Ulrich Herbert, Prof. Dr. Hans Günter Hockerts, Prof. Dr. Jürgen Kocka, Prof. Dr. Stefan Kühl, Dr.  Daniela Liebscher, Dr.  Karsten Linne, Dr.  Stefanie Middendorf, Dr.  Jörg Raab, Dr.  Sabine Rudischhauser, Prof. Dr.  Carola Sachse, Prof. Dr.  Wolfgang Schieder, Dr.  Christine Schoenmakers, Prof. Dr. Wolfgang Seibel, PD Dr. Winfried Süß. Andreas Mix, Dr. Martin Münzel, Prof. Dr. Kim Christian Priemel und Paul Rehfeld gebührt unser Dank für ihre Mitarbeit bei der Anfertigung der Vorstudie, die am Lehrstuhl für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der Humboldt-Universität zu Berlin erstellt wurde. Für Archivrecherchen in nichtdeutschen Archiven haben Aurélie Denoyer, Dr. Andrej Doronin, Dr. Nicola D’Elia, Dr. Ralf Futselaar, Ákos Kárbin, Iryna Kashtalian, Vlad Paşca, Charel Roemer, Christine Strotmann und PhDr.  Radka Šustrová wichtige Vorarbeiten geleistet. Frau Dr. Jutta Mühlenberg sei für ihre große Sorgfalt bei der Lektorierung dieses Bandes gedankt, Hajo Gevers für die Betreuung der Schriftenreihe beim Wallstein Verlag. Unser Dank gebührt nicht zuletzt Annette Schicke. Sie hat das Projekt im Bundesministerium für

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Arbeit und Soziales von Beginn an mit viel Engagement und großer Kompetenz begleitet. Die gute und produktive Zusammenarbeit zwischen Ministerium, Historikerkommission und Forschungsgruppe ist auch ihr Verdienst. Berlin, Januar 2017

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Alexander Nützenadel (im Namen der Kommission)

Abkürzungsverzeichnis AdsD AN AOG AVAVG AWI BAB l. BA rch BBG

BdS BGB l. BLHA BMA BMW i BS tU CDAVO

CDU CLS CSU DAC hO DAF DDR DGB DNVP DP DVAS DVP DWK FDGB FDP GBA GBW

Gestapo GLAK HS tA HVAS ILO ILOA IMT ITS JFKL

Archiv der sozialen Demokratie Archives Nationales, Paris Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung Arbeitswissenschaftliches Institut der DAF Bundesarbeitsblatt Bundesarchiv Berufsbeamtengesetz (Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums) Befehlshaber der Sicherheitspolizei Bundesgesetzblatt Brandenburgisches Landeshauptarchiv Bundesministerium für Arbeit Bundesministerium für Wirtschaft und Energie Bundesbeauftragte(r) für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR Central’nyi deržavnyj archiv vyščych orhaniv vlady i upravlinnja Ukraïny (Zentrales Staatsarchiv der obersten Staatsorgane und Verwaltungen der Ukraine) Christlich Demokratische Union Deutschlands Columbia Law School Christlich-Soziale Union in Bayern Deržavnyj archiv Charkivs’koï oblasti (Staatsarchiv der Oblast Charkiw) Deutsche Arbeitsfront Deutsche Demokratische Republik Deutscher Gewerkschaftsbund Deutschnationale Volkspartei Deutsche Partei Deutsche Verwaltung für Arbeit und Sozialfürsorge Deutsche Volkspartei Deutsche Wirtschaftskommission Freier Deutscher Gewerkschaftsbund Freie Demokratische Partei Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz Generalbevollmächtigter für die Wirtschaft Geheime Staatspolizei Generallandesarchiv Karlsruhe Hauptstaatsarchiv Hauptverwaltung für Arbeit und Sozialfürsorge International Labour Organization International Labour Organization Archives, Genf Internationales Militärtribunal International Tracing Service John F. Kennedy Presidential Library

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Kommunistische Partei Deutschlands Landesarchiv Liberal-Demokratische Partei Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt LoC Library of Congress MfS Ministerium für Staatssicherheit NLA Niedersächsisches Landesarchiv NMT Nuernberg Military Tribunals NRW Nordrhein-Westfalen NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei OCCWC Office of Chief of Council for War Crimes OKW Oberkommando der Wehrmacht PA Personalakte PAAA Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes Berlin PAS Privatarchiv Stothfang PG Parteigenosse RAB l. Reichsarbeitsblatt RAM Reichsarbeitsministerium RGB l. Reichsgesetzblatt RJM Reichsjustizministerium RM Reichsmark RMW i Reichsminister für Wirtschaft RVA Reichsversicherungsamt SBZ Sowjetische Besatzungszone SD Sicherheitsdienst der SS SEAD -BA Sammlung der Bundesagentur für Arbeit zur Entwicklung der Arbeitsverwaltung in Deutschland SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Sipo Sicherheitspolizei SMAD Sowjetische Militäradministration in Deutschland SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands SS Schutzstaffel StA Staatsarchiv StAN Staatsarchiv Nürnberg TDRC Thomas J. Dodd Research Center ThHS tAW Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar USHMM United States Holocaust Memorial Museum VfA Verwaltung für Arbeit des Vereinigten Wirtschaftsgebiets WiRüAmt Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt des Oberkommandos der Wehrmacht ZfA Zentralamt für Arbeit ZRBG Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto ZVAS Zentralverwaltung für Arbeit und Sozialfürsorge KPD LA rch LDP LHASA

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Bildnachweise Wir haben uns bemüht, die Rechteinhaber der Abbildungen ausfindig zu machen. In Fällen, in denen weder der Rechteinhaber noch der Rechtsnachfolger ermittelt werden konnte, möchten wir den Rechteinhaber auffordern, ggf. mit dem Herausgeber in Kontakt zu treten. Sollten trotz der sorgfältigen Prüfung Rechte Dritter verletzt werden, bitten wir die Rechteinhaber, sich bei dem Herausgeber zu melden. Schulz

S. 43: Bundesarchiv, Bild 116-306-02 S.51: Georg Hartrodt: Die Ausstellung. Die Arbeitsgebiete des Reichsarbeitsministeriums, Berlin 1929, S.14 S.63: ullstein bild – Heinrich Hoffmann S.64: Bayerische Staatsbibliothek München/Bildarchiv S.73: Privatbesitz Röhling

S. 109: Hans Völter: Die deutsche Beamtenbesoldung, Leipzig 1932, S.94 Hachtmann

S.139: Bayerische Staatsbibliothek München/Bildarchiv S.147: Bundesarchiv, Bild 183-2004-0816-503 S.155: Bundesarchiv, Plak 003-017-061 Führer

S.187: akg-images/Peter Weiss S.195: Geschichtswerkstatt Wilhelmsburg & Hafen Klimo

S.220: Das Deutsche Führerlexikon 1934/35, Berlin 1934, S.111 S.223: ullstein bild – ullstein bild S.237: Stadtarchiv Karlsruhe, 8/PBS oXIV a 511 Eden

S. 257: Berliner Morgenpost, 29.11.1933 – ullstein bild – Max Ehlert Marx

S.285: ullstein bild – ullstein bild S.287: akg-images/Imagno/Austrian Archives (S) Patel/Kott S.329: VG Bild-Kunst, Bonn 2016

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Harvey

S.367: Bundesarchiv, Bild 183-2004-1209-503 S.377: CEGES/SOMA – Brüssel, Image no. 4780 S.379: CEGES/SOMA – Brüssel, Image no. 32062 Greve

S.393: Bayrische Staatsbibliothek München/Bildarchiv S.415: Bundesarchiv, Bild 183-B25444 Wildt

S.428, 429 (oben und unten): United States Holocaust Memorial Museum, courtesy of Robert Abrams S.451: United States Holocaust Memorial Museum, courtesy of Pola Musel Priemel

S.473: ullstein bild – Imagno/Votava S.481: © bpk S.487: Landesarchiv Nordrhein-Westfalen  – Abteilung Rheinland  – RWB 27820/46 Münzel

S.497: Landesarchiv Berlin, F Rep.290-02-01 Nr.1227 S.498: Bundesarchiv Z 40/310 S.500: Stadtarchiv und Stadthistorische Bibliothek Bonn, Postkartensammlung S.501: Bundesarchiv B 149/Org 1955 S.505: SEAD -BA , Mannheim S.515: BAB l.7 (1957), Nr.7, S.297 S.533: Privatbesitz S.544: Friedrich P. Kahlenberg/Dierk Hoffmann: Sozialpolitik als Aufgabe zentraler Verwaltungen in Deutschland, in: Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung/Bundesarchiv (Hg.): Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bd.1: Grundlagen der Sozialpolitik, BadenBaden 2001, S.103-182, hier S.169 S.546: Bundesarchiv, Bild 183-S99197

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Autorinnen und Autoren S ÖREN E DEN , erstes Staatsexamen in Geschichte und Germanistik an der Ludwig-Maximilians-Universität München; 2010 bis 2013 studentische und 2013/14 wissenschaftliche Hilfskraft am Institut für Zeitgeschichte im Projekt »Hitler, Mein Kampf. Eine kritische Edition«; seit März 2014 Doktorand an der Humboldt-Universität zu Berlin und Mitarbeiter (Stipendiat) im Projekt der Unabhängigen Historikerkommission zur Aufarbeitung der Geschichte des Reichsarbeitsministeriums in der Zeit des Nationalsozialismus mit einer Studie über die Treuhänder der Arbeit. K ARL C HRISTIAN F ÜHRER , Dr. phil.; Professor für Deutsche Geschichte an der Universität Hamburg und 2016 Gastprofessor an der HumboldtUniversität zu Berlin auf Einladung der Unabhängigen Historikerkommission zur Aufarbeitung der Geschichte des Reichsarbeitsministeriums in der Zeit des Nationalsozialismus. Veröffentlichungen u.a.: Die Stadt, der Markt und das Geld. Immobilienspekulation in der Bundesrepublik 1960-1985, München 2016; Das NS -Regime und die »Idealform des deutschen Wohnungsbaues«. Ein Beitrag zur nationalsozialistischen Gesellschaftspolitik, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 89 (2002), S.141-166; Mieter, Hausbesitzer, Staat und Wohnungsmarkt. Wohnungsmangel und Wohnungszwangswirtschaft in Deutschland 1914-1960, Stuttgart 1995. S WANTJE G REVE , M.A.; Studium der Geschichte und Kulturanthropologie an der Georg-August-Universität Göttingen; 2010-2014 wissenschaftliche Volontärin bzw. Mitarbeiterin bei der Stiftung Topographie des Terrors in Berlin; seit März 2014 Doktorandin an der Humboldt-Universität zu Berlin und Mitarbeiterin (Stipendiatin) im Projekt der Unabhängigen Historikerkommission zur Aufarbeitung der Geschichte des Reichsarbeitsministeriums in der Zeit des Nationalsozialismus mit einer Studie zum Generalbevollmächtigten für den Arbeitseinsatz 1942-1945. Veröffentlichung: Werner Finck und die »Katakombe«. Ein Kabarettist im Visier der Gestapo, Berlin 2015. R ÜDIGER H ACHTMANN , Dr. phil.; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam, apl. Professor an der Technischen Universität Berlin und Mitglied der Unabhängigen Historikerkommission zur Aufarbeitung der Geschichte des Reichsarbeitsministeriums in der Zeit des Nationalsozialismus. Veröffentlichungen u.a.: Wirtschaftsimperium der Deutschen Arbeitsfront, Göttingen 2012; Wissenschaftsmanagement im »Dritten Reich«. Geschichte der Generalverwaltung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, 2 Bde., Göttingen 2007; Berlin 1848. Politikund Gesellschaftsgeschichte der Revolution, Bonn 1997.

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AUTORINNEN UND AUTOREN

E LIZABETH H ARVEY , Ph.D.; Professorin für Geschichte an der University of Nottingham (GB ) und Mitglied der Unabhängigen Historikerkommission zur Aufarbeitung der Geschichte des Reichsarbeitsministeriums in der Zeit des Nationalsozialismus. Veröffentlichungen u.a.: Housework, domestic privacy and the »German home«. Paradoxes of private life during the Second World War, in: Rüdiger Hachtmann/Sven Reichardt (Hg.): Detlev Peukert und die NS -Forschung, Göttingen 2015, S.115-131; »Der Osten braucht Dich!« Frauen und nationalsozialistische Germanisierungspolitik, aus dem Engl. v. Paula Bradish, Hamburg 2010; mit Johanna Gehmacher/ Sophia Kemlein (Hg.): Zwischen Kriegen. Nationen, Nationalismen und Geschlechterverhältnisse in Mittel- und Osteuropa 1918-1939, Osnabrück 2004. A LEXANDER K LIMO , M.A.; Studium der Neueren und Neuesten Geschichte, Politikwissenschaft und Philosophie an der Universität Augsburg; seit März 2014 Doktorand an der Humboldt-Universität zu Berlin und Mitarbeiter (Stipendiat) im Projekt der Unabhängigen Historikerkommission zur Aufarbeitung der Geschichte des Reichsarbeitsministeriums in der Zeit des Nationalsozialismus mit einer Studie zur Rentenversicherungspolitik des Reichsarbeitsministeriums. Veröffentlichung: An Unhappy Return: German Pension Insurance Policy in Alsace, in: Sandrine Kott/Kiran Klaus Patel (Hg.): Fascist Internationalism (im Erscheinen). S ANDRINE K OTT , Dr. phil.; Professorin für moderne Europäische Geschichte an der Universität Genf. Veröffentlichungen u.a.: mit Stefan-Ludwig Hoffmann/Peter Romijn/Olivier Wieviorka (Hg.): Seeking Peace in the Wake of War. Europe, 1943-1947, Amsterdam 2015; Sozialstaat und Gesellschaft. Das deutsche Kaiserreich in Europa, Göttingen 2014; mit Joëlle Droux (Hg.): Globalizing Social Rights. The International Labour Organization and Beyond, London 2013. H ENRY M ARX , M.A.; Studium der Geschichte, Romanistik und Erziehungswissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin und der Universidad Complutense de Madrid; seit März 2014 Doktorand an der Humboldt-Universität zu Berlin und Mitarbeiter (Stipendiat) im Projekt der Unabhängigen Historikerkommission zur Aufarbeitung der Geschichte des Reichsarbeitsministeriums im Nationalsozialismus mit einer Studie zur Geschichte der deutschen Arbeitsverwaltung 1927-1945. Veröffentlichung: The German labour administration in the »Protectorate Bohemia and Moravia«, in: Jakub Rákosník/Radka Šustrová (Hg.): Social Policy in Occupied Europe, 1939-1945 (im Erscheinen). M ARTIN M ÜNZEL , Dr. phil.; seit 2014 wissenschaftlicher Mitarbeiter im Projekt der Unabhängigen Historikerkommission zur Aufarbeitung der Geschichte des Reichsarbeitsministeriums in der Zeit des Nationalsozialismus sowie seit 2008 verantwortlicher Redakteur der Fachzeitschrift »Ar-

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AUTORINNEN UND AUTOREN

chiv und Wirtschaft«. Veröffentlichungen u.a.: »Finanzmänner im neuen Feld«. Deutsche Bankiers als Emigranten in New York City, in: Ursula Seeber/Veronika Zwerger/Claus-Dieter Krohn (Hg.): »Kometen des Geldes«. Ökonomie und Exil, München 2015, S.55-72; Tempelhof–Manhattan und zurück. Ullstein und der Einfluss der Emigration, in: David Oels/Ute Schneider (Hg.): »Der ganze Verlag ist einfach eine Bonbonniere«. Ullstein in der ersten Hälfte des 20.  Jahrhunderts, München 2015, S.388-406; Die jüdischen Mitglieder der deutschen Wirtschaftselite 1927-1955. Verdrängung – Emigration – Rückkehr, Paderborn u.a. 2006. A LEXANDER N ÜTZENADEL , Dr. phil.; Professor für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin und Sprecher der Unabhängigen Historikerkommission zur Aufarbeitung der Geschichte des Reichsarbeitsministeriums in der Zeit des Nationalsozialismus. Veröffentlichungen u.a.: Stunde der Ökonomen. Wissenschaft, Expertenkultur und Politik in der Bundesrepublik 1949-1974, Göttingen 2005; mit Wolfgang Schieder (Hg.): Zeitgeschichte als Problem. Nationale Traditionen und Perspektiven der Forschung in Europa, Göttingen 2004; Landwirtschaft, Staat und Autarkie. Agrarpolitik im faschistischen Italien 1922-1943, Tübingen 1997. K IRAN K LAUS P ATEL , Dr. phil.; Jean Monnet Professor für europäische und globale Geschichte an der Universität Maastricht in den Niederlanden und Mitglied der Unabhängigen Historikerkommission zur Aufarbeitung der Geschichte des Reichsarbeitsministeriums in der Zeit des Nationalsozialismus. Veröffentlichungen u.a.: The New Deal: A Global History, Princeton 2016; mit Sven Reichardt (Hg.): Special Section: The Dark Side of Transnationalism: Social Engineering and Nazism, 1930-40s, in: Journal of Contemporary History 51 (2016), Nr.1; »Soldaten der Arbeit«. Arbeitsdienste in Deutschland und den USA , 1933-1945, Göttingen 2003. K IM C HRISTIAN P RIEMEL , Dr. phil.; Associate Professor of Contemporary European History, University of Oslo; wissenschaftliche Beratung des Projektes der Unabhängigen Historikerkommission zur Aufarbeitung der Geschichte des Reichsarbeitsministeriums in der Zeit des Nationalsozialismus. Veröffentlichungen u.a.: The Betrayal. The Nuremberg Trials and German Divergence, Oxford 2016; mit Stefanie Middendorf: Jenseits des Primats. Kontinuitäten der nationalsozialistischen Finanz- und Wirtschaftspolitik, in: Birthe Kundrus/Sybille Steinbacher (Hg.): Kontinuitäten und Diskontinuitäten. Der Nationalsozialismus in der Geschichte des 20. Jahrhunderts, Göttingen 2013, S.94-120; Flick. Eine Konzerngeschichte vom Kaiserreich bis zur Bundesrepublik, Göttingen 2007. L ISA -M ARIA R ÖHLING , M.A.; Bachelorstudium Anglistik/Amerikanistik und Geschichte sowie Masterstudium in Geschichtswissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin; 2014-2016 studentische Mitarbeiterin im

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AUTORINNEN UND AUTOREN

Projekt der Unabhängigen Historikerkommission zur Aufarbeitung der Geschichte des Reichsarbeitsministeriums in der Zeit des Nationalsozialismus; seit September 2016 Volontärin beim Weser-Kurier in Bremen. U LRIKE S CHULZ , Dr. phil.; seit 2014 wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt der Unabhängigen Historikerkommission zur Aufarbeitung der Geschichte des Reichsarbeitsministeriums in der Zeit des Nationalsozialismus. Veröffentlichungen u.a.: The First Takeover. The Implementation of Social Policy Measures in Austria by the Reich Labour Ministry after the Anschluss, in: Sandrine Kott/Kiran Klaus Patel (Hg.): Fascist Internationalism (im Erscheinen); mit Stefanie Middendorf/Corinna  R. Unger (Hg.): Institutional History Rediscovered: Observing Organizations’ Behavior in Times of Change, in: Comparativ 24 (2014), Nr.1; Simson, 1856-1993. Vom unwahrscheinlichen Überleben eines Unternehmens, Göttingen 2013. M ICHAEL W ILDT , Dr. phil.; Professor für Deutsche Geschichte im 20.  Jahrhundert mit Schwerpunkt Nationalsozialismus an der HumboldtUniversität zu Berlin und Mitglied der Unabhängigen Historikerkommission zur Aufarbeitung der Geschichte des Reichsarbeitsministeriums in der Zeit des Nationalsozialismus. Veröffentlichungen u.a.: mit Marc Buggeln (Hg.): Arbeit im Nationalsozialismus, München 2014; (Hg.): Geschichte denken. Perspektiven auf die Geschichtsschreibung heute, Göttingen 2014; Volksgemeinschaft. A Modern Perspective on National Socialist Society, in: Martina Steber/Bernhard Gotto (Hg.): Visions of Community in Nazi Germany. Social Engineering and Private Lives, Oxford 2014, S.43-59.

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Register Verweise in Fettdruck beziehen sich auf Abbildungen, Grafiken und Organigramme. Verweise in Kursiv beziehen sich auf Erwähnungen ausschließlich in Fußnoten. Beiläufige Erwähnungen und kürzere Stellen sind konsistent nicht berücksichtigt.

Abkommen Gegenseitigkeitsabkommen 242-244 Londoner Schuldenabkommen (1953) 454-455 siehe auch Verträge Abteilung Arbeit siehe Generalgouvernement Adenauer, Konrad 508 Agrarwirtschaft siehe Landwirtschaft Akten (Nachkriegszeit-Verbleib) 478479, 503-504, 505-506, 538 »Aktionen« »Bandenbekämpfungsaktionen« 420 »Jahrgangsaktionen« 370-371, 382, 383, 415-416 »Säuberungsaktionen« 449 Alberti, Michael 431, 432-433 Alliierte siehe Besatzungszonen Alte Menschen, Ermordung jüdischer 436 Alters- und Invaliditätsversicherung 214-215, 318-319 siehe auch Rentenversicherung Altersstruktur in Arbeitsbehörden (1946-1960) 506, 509, 511 in ostdt. Arbeitsbehörden (Nachkriegszeit) 541 im RAM 48, 49 Amerika siehe USA »Amt für Arbeitseinsatz« (DAF ) 230231 Ämter siehe einzelne Ämter, Behörden und Ministerien Amtsblätter siehe Zeitschriften Angestellte in Arbeitsbehörden (Anzahl, 19481960) 510 Besoldungsgruppen 109 Entlassungen (1933) 86 Frauenerwerbsarbeit 154-156 im Generalgouvernement (Anzahl) 438 Lohnkürzungen (Notverordnung) 59

im RAM 50 siehe auch Arbeitskräfte; Reichsversicherungsanstalt für Angestellte Der Angriff 265-266 Anordnungen zu Arbeitsvertragsbruch und Abwerbung (GBA , 1942) 248, 277-278 zu Arbeitsvertragsbruch-Verhinderung (1936 u. 1938) 270-271, 273 zur DAF (1936) 150 zur Ermordung jüdischer Menschen (1942) 436 zu Plakaten (1933) 85-86 zu »Reichskommissar für das Siedlungswesen« (1934) 190 zu Werbekommissionen (1942) 412 siehe auch Verordnungen Ansorge, Wilhelm 528-529 Antisemitismus siehe Ausgrenzung und Verfolgung Anwärter siehe Beamtenanwärter Anwerbung siehe Rekrutierungen AOG siehe Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit Apelt, Frieda siehe Malter, Friedel Arbeiter und Arbeiterinnen in Arbeitsbehörden (Anzahl, 19481960) 510 Frauenerwerbsarbeit 154-156 Ley im Gespräch mit 139 Lohnkürzungen (Notverordnung) 59 in Radom 367 im RAM 50 siehe auch Arbeitskräfte Arbeiter- und Soldatenräte 38-39 Arbeiterschutz Internationale Vereinigung für gesetzlichen 319-320 Konferenz (1890) 318-319 »Mutterschutzgesetz« (1942) 156 siehe auch Arbeitsschutz »Arbeiterwohnhäuser« siehe Wohnungsbau und -politik

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REGISTER

Arbeitgeber bei Arbeitsvertragsbrüchen 250, 254, 270-271, 273, 275, 279-280 Zwangsarbeitslager-Bedingungen durch 440 Arbeitgeberverbände, in Reichsanstalt (Weimarer Republik) 284 Arbeitnehmer siehe Arbeitskräfte Arbeitsämter Anzahl 284 Arbeitsplatzwechsel-Zustimmungsnotwendigkeit der (1939) 276, 366-367 in Arbeitsverwaltung (Organigramm, 1936-1939) 289 Aufgaben 282, 285-289, 294, 295-296, 302-303, 304 zu ausländischen Arbeitskräfte im Dt. Reich (Anzahl) 358-359 in Bełchatów 433 in Belgien 373-374, 375, 379, 383 Beteiligung bei Ermordung jüdischer Bevölkerung 444-445, 453-454 im Generalgouvernement 364-366, 367, 383, 438-439, 440 im Ghetto Kaunas 447-448 internationales (ILO ) 320-321 in Jasło 445 im Krakauer Ghetto 441-442, 445 in Ostpreußen 287 in Polen 370-371 im RAM (Organigramm, 1929) 51 als Reichsbehörden 298 Strafverfahren wg. Arbeitsvertragsbrüchen durch 276-277 in Ukraine 403, 405, 407, 408-409, 421 Zwangsarbeitsorganisation 423-424, 432-433, 443 siehe auch Arbeitskräftelenkung; Ausweise und Kennkarten; Dienstverpflichtungen; Landesarbeitsämter Arbeitsausweise siehe Ausweise und Kennkarten Arbeitsbehörden (Nachkriegszeit) in britischer Besatzungszone 496 in DDR 542-548, 550 siehe auch Bundesministerium für Arbeit; Verwaltung für Arbeit; Zentralamt für Arbeit Arbeitsbelastung (Beamte) 56, 115, 117, 131-132 Arbeitsbeschaffungsprogramme 58, 190 Arbeitsbeschaffungsprojekte (Italien) 324

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Arbeitsbuch und -kartei 84, 264-265, 270-271, 288, 293, 492 Arbeitsdienst siehe Reichsarbeitsdienst Arbeitseinsatzstäbe 419, 420, 421 siehe auch Werbekommissionen »Arbeitsfähigkeit«, als Arbeitseinsatzoder Ermordungs-Kriterium 423, 424, 434-436 Arbeitsfront siehe Deutsche Arbeitsfront Arbeitsgemeinschaften (hauswirtschaftliche) 155 Arbeitsgerichte 51, 161-162, 498 Arbeitsgesetze siehe Arbeitsrecht Arbeitskarten siehe Ausweise und Kennkarten Arbeitskräfte Arbeitsgerichts-Verfahren 161-162 ausländische im Dt. Reich (Anzahl) 358-359, 388 Dienstverpflichtungen 84, 289, 302, 357, 376, 378 Frauenerwerbsquote 309-310 Freizügigkeitsbeschränkungen 264, 270-271, 286-287, 311-312 Hierarchisierung (NS -Rassenpolitik) 357-358, 372, 384-385, 386 Himmler zu jüdischen 444 Lebensbedingungen ziviler im Dt. Reich 411 Letsch zu Rekrutierungen 348 Löhne ausländischer 410 Lohnkürzungen (Notverordnung) 59 »Reichsausgleich« 302, 305-309 Rekrutierungen belgischer 352, 375385, 377, 379 Rekrutierungen in besetzten Gebieten 356-358 Rekrutierungen polnischer 365-371, 383-385, 437 Rekrutierungen sowjetischer 403, 407-422, 415 Rekrutierungsnarrative 351-352 Rentenempfänger als 228-234 Studien zu ausländischen 348-349 Timm zu Rekrutierungen 352, 366 Verträge zu (bilaterale) 317, 326-328, 340, 350 Werbekommissionen 370, 403, 408416, 419 siehe auch Arbeiter und Arbeiterinnen; Arbeitsvertragsbrüche; Zwangsarbeiter und -arbeiterinnen

REGISTER

Arbeitskräftelenkung zur Aufrüstungs-Sicherstellung 287289 Fallbeispiel 305-309 in Kriegswirtschaft 300-303, 305, 311-312, 412 in Landwirtschaft 285-286 bei Umstellung auf Kriegswirtschaft 84, 90-91, 283-284, 292-294 Arbeitskräftemangel Frauenerwerbsarbeit wg. 155 im Generalgouvernement 368-370 in Landwirtschaft 252 in Metallbranche 287-288 Rentenbezug und 215-216, 218, 229230 Rentenentzug wg. 214 1941/42 356-357, 390, 407-408 Arbeitskräftepolitik involvierte Behörden und Dienststellen 391 Sauckel zu 386 siehe auch Besatzungspolitik und -verwaltungen; Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz; Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung Arbeitskraftlenkung (HA ), in Ministerium für Arbeit und Berufsausbildung (Organigramm, 1956) 544 Arbeitslager siehe Zwangsarbeitslager Arbeitslosenhilfe 498 Arbeitslosenversicherung Beiträge an Reichsstock 299-300 Gesetz über (1927) 291 in RAM -Organigramm (1929) 51 siehe auch Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung; Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung Arbeitslosigkeit in Belgien (1940) 374-375 in besetzten Gebieten 356, 365 bei Kriegsbeginn 299 Unterstützung bei 187, 285, 290, 293294, 299-300, 365, 378 in Wirtschaftskrise (Weimarer Republik) 57 Arbeitsmarktpolitik, in BMA -Organigramm (1955) 501 Arbeitsminister siehe Bundesarbeitsminister; Reichsarbeitsminister

Arbeitsnachweise (kommunale Ämter) 284 Arbeitsordnungsgesetz siehe Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit Arbeitsorganisationen siehe International Labour Organization Arbeitspflicht siehe Zwangsarbeit Arbeitsplatzwechsel nur mit Arbeitsamt-Zustimmung (1939) 276, 366-367 siehe auch Arbeitskräftelenkung; Arbeitsvertragsbrüche Arbeitsproduktivität und Löhne (HA ), in Ministerium für Arbeit und Berufsausbildung (Organigramm, 1956) 544 Arbeitsrecht bei Arbeitsvertragsbrüchen 248-251, 253-254, 256-257, 265-271, 272-281 im BMA (Abt. III ) 519-520 in BMA -Organigramm (1955) 501 bei Kündigungsfrist-Missachtung 246 in RAM -Organigramm (1929) 51 Treuhänder der Arbeit-Beeinflussung des 262-263, 265-270, 278-281 in Wirtschaftskrise (Weimarer Republik) 59-60 in ZfA-Organigramm (1947) 498 siehe auch Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit »Arbeitsschlacht« 83-84 Arbeitsschutz in Ministerium für Arbeit und Berufsausbildung (Organigramm, 1956) 544 in RAM -Organigramm (1929) 51 in ZfA-Organigramm (1947) 498 siehe auch Arbeiterschutz Arbeitsvermittlung Gesetz über (1927) 291 in RAM -Organigramm (1929) 51 in ZfA-Organigramm (1947) 498 siehe auch Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung; Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung Arbeitsversicherung, Leitfaden (1893) 319 Arbeitsvertragsbrüche Anordnung (GBA , 1942) 248, 277-278 Anordnungen (1936 u. 1938) 270-271, 273 Arbeitgeber bei 250, 254, 270-271, 273, 275, 279-280

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Arbeitsrecht bei 248-251, 253-254, 256-257, 265-271, 272-281 Gründe für 249-253 Konflikte um 246, 247-248, 265-268 als Landwirtschafts-Problem 251-252, 263-265 Lohndruck durch 257-258 Ordnungsstrafen bei (1939) 276 Reichsnährstand zu 254 Strafgesetzbuch-Aufnahme von 268 Strafverfahren wg. 266-267, 273-278 Urteile zu 274-275, 276-277 Arbeitswissenschaftliches Institut (DAF ) 159, 208, 330, 344 Arbeitszeitstatistik 155 Architektur 187, 195 »Ariernachweis« 121, 158 »Arierparagraph« 197 Arndt, Adolf 494-495, 550 Arrest (automatischer) 462, 503 Ärzte 224-225 »Asoziale« 196, 375, 376, 378, 381, 384 Atheisten 512 Auerbach, Walter 505, 508, 524-525, 534 Aufbaugesetz (1934) 82-83, 218, 222223, 224 Aufrüstung Arbeitskräftelenkung zur Sicherstellung der 287-289 Arbeitslosenversicherungs-Finanzierung der 299-300 Wohnungsbau und -politik wg. 211212 siehe auch Kriegswirtschaft Aufsichtsrecht 221-224 siehe auch Organigramme Aus- und Weiterbildung der Beamtenanwärter 111-112, 115, 125-126 Beamtenanwärter-Mangel (1940) 133-134 der mittleren Beamtenschaft 103, 124, 128-129, 134-136 an Verwaltungsakademien 127-131 siehe auch Ministerium für Arbeit und Berufsausbildung Auschwitz (Konzentrations- und Vernichtungslager) 370, 380-381 Auseinandersetzungen siehe Streit und Konflikte Ausgrenzung und Verfolgung Arbeitskräfte-Hierarchisierung 357358, 372, 384-385, 386

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»Ariernachweis« 121, 158 »Arierparagraph« 197 von Gewerkschafts-, KPD - und SPD Mitgliedern 66, 256 jüdischer Versicherter durch Rentenversicherungsträger 235-245 siehe auch Besatzungspolitik und -verwaltungen; Deportationen; Gesetze; Zwangsarbeit Ausland Arbeitsdienstmodelle 341 dt. Sozialpolitik in Schulbüchern 347 zu Ley auf Internationaler Arbeitskonferenz (1933) 324-325 Sicht auf dt. Sozialpolitik (bis 1933) 318-322 Sicht auf dt. Sozialpolitik (1930er) 332-337 siehe auch einzelne Länder Aussiedlungen 369-370 siehe auch Ghettos »Aussiedlungskommission« 436 Auswärtiges Amt 526-527, 528 Ausweise und Kennkarten Arbeitsbuch und -kartei 84, 264-265, 270-271, 288, 293, 492 im Generalgouvernement 365-366 für Juden 444-445, 449 in Ukraine 404 Automatischer Arrest 462, 503 Bach, Otto 346 Bad Oeynhausen 498 Baden Deportationen 235-238, 240, 241 Landesversicherungsanstalt 214, 227, 235-237, 237 »Bandenbekämpfungsaktionen« 420 Banken 205, 212 Bauer, Gustav 38, 43 Bauer, Michael-Josef 509 Bauernschaften 264-265 Bauwesen siehe Wohnungsbau und -politik Bayern (Landesarbeitsamt) 295-296 Bayreuth (Zuchthaus) 503 Beamte Arbeitsbelastung 115, 117, 131-132 Besoldungsgesetze (1920 u. 1927) 110 Besoldungsgruppen 109, 110-111 Besoldungskürzungen (Notverordnungen) 117

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Deutsches Beamtengesetz (1937) 111, 125-126 Diensteid 72, 108 Entlassungen 63-64, 119 Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums (1933) 63-64, 66, 86, 119 Handlungsspielräume 99-102 NSDAP -Mitgliedschaft von 122, 172173, 494 Reichsanstalts-Mitarbeiter als 290291, 300 Status 85-86, 103-104, 107, 108-110 in Versorgungsämtern (Konflikte) 116-117 »131er« 518, 524-525 siehe auch Besatzungspolitik und -verwaltungen; Höhere Beamtenschaft; Mittlere Beamtenschaft; Personalpolitik und -struktur Beamtenanwärter 111-115, 121-126, 128, 133-134 Beamtenjahrbuch 103 Beauftragte siehe Sonderbeauftragte und -kommissare Beauftragter für den Vierjahresplan 412 siehe auch Göring, Hermann Beckurts, Karl 395 Befehle Beratungsprozesse für 76 zur Ermordung polnischer Juden (1942) 443 zu KZ -Einrichtung in Litauen (1943) 451 siehe auch Anordnungen; Erlasse; Verordnungen Beförderungen (Beamte) siehe Laufbahnstruktur Behörden siehe einzelne Ämter, Behörden und Ministerien Belarus 354, 358 »Belastungen« (Nachkriegszeit) siehe Personalpolitik und -struktur Bełchatów 433 Belgien Arbeitsämter 373-374, 375, 379, 383 Arbeitskräfte im Dt. Reich (Anzahl, 1941) 359 Arbeitskräftepolitik (Erster Weltkrieg) 354, 360-362 Arbeitskräfterekrutierung 352, 375385, 377, 379 Arbeitslosigkeit (1940) 374-375

Besatzungspolitik 371-385 Deportationen 371-372, 380-381 Deportationen (Erster Weltkrieg) 354, 361-362 Dienstverpflichtungen 376, 378 »Jahrgangsaktionen« 382, 383 Kollaboration und Kooperation 372373, 375, 380, 385 Proteste 381 Widerstand 382-383 Zwangsarbeit (Verordnungen, 1942) 378-380 Bełżec 443 Beratungsstelle für Arbeit, Siedlungsund Wohnungswesen 498 Bergbau 271-272 Berichte siehe Rechenschaftsberichte; Tätigkeitsbericht Berlin (Abb.) 43, 223, 257, 497 Berufsausbildung siehe Aus- und Weiterbildung Berufsbeamte siehe Beamte Berufsbeamtengesetz siehe Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums Berufserziehung 154 Berufsgenossenschaften 51 Berufsunfähigkeitsrente siehe Renten und Ruhegehälter Berufswettkampf 143-144, 154 Berufungsverfahren, wg. Renten-Streitsachen 214, 220-221, 226 Besatzungspolitik und -verwaltungen in Belgien 371-385 im besetzten Europa (allgemein) 9395, 353-358 im Ersten Weltkrieg 354-355, 360-362 GBA -Zuständigkeiten 311 im Generalgouvernement 363-371, 383-385, 436-445, 452-453 in Osteuropa 423-424, 452-454 im Reichsgau Wartheland 424-436, 452 in Sowjetunion 400-422, 446-452 in Ukraine 400-422, 407, 421 Besatzungszonen (Nachkriegszeit) amerikanische 496 Bizone 499 britische 496, 497-499, 504, 524, 535, 538, 547 französische 497 Kontrollratsgesetz Nr.10 (1945) 465 sowjetische 492, 529, 536-542, 550 US -amerikanische 499

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siehe auch Entnazifizierung; Nürnberger Prozesse Besoldungsgesetze (1920 u. 1927) 110 siehe auch Deutsches Beamtengesetz Besoldungsgruppen 109, 110-111 siehe auch Löhne Besoldungskonflikt 291 Betriebe siehe Firmen und Betriebe »Betriebsführer« 143, 156, 247, 250, 263, 488 »Betriebsgemeinschaft« 80, 246-248, 250, 256-257 Betriebsrätegesetz (1920) 39 Betriebsverfassungsgesetz (1952) 520 Beveridge Report 343-344 Beveridge, William 343-344 Bevölkerung siehe Jüdische Bevölkerung; Sinti und Roma; einzelne Länder Bevollmächtigte siehe Generalbevollmächtigte … Bewaffnung und Munition (Reichsministerium) 303 Bezirksknappschaften 51 Bieberstein, Marek 440-441 Biebow, Hans 428, 430 Bismarck, Otto von 318-319 Bizone 499 Blank, Theodor 536, 550 »Blutrichter«-Kampagne 528-529 BMA siehe Bundesministerium für Arbeit BMW i siehe Bundesministerium für Wirtschaft und Energie Bogs, Walter 241, 242, 243 Bohlmann, Fritz 540 Böhmen siehe Reichsprotektorat Böhmen und Mähren Bolt (Ingenieur) 450-451 Börger, Wilhelm 68, 70, 462-464, 482483 Bormann, Martin 390 Brack, Gustav 539 Brandenburgischer Treuhänder der Arbeit 265-266 Brandt, Karl 463 Brandt, Willy 213 »Braunbuch« 528-529 Brauns, Heinrich 43-44, 45-46 BRD siehe Bundesrepublik Deutschland Brecht, Julius 524 Britische Besatzungszone 496, 497-499, 504, 524, 535, 538, 547 siehe auch Großbritannien

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Broszat, Martin 72, 85, 168, 170 Brotrationen (Warschauer Ghetto) 442-443 Browning, Christopher 369 Brüning, Heinrich 183-185, 188-189 Brüssel (Werbestelle für Arbeitskräfte) 377 Bühler, Theodor 170 Bundesamt für Verfassungsschutz 527528 Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung 535-536 siehe auch Scheuble, Julius Bundesarbeitsminister Blank, Theodor 536, 550 siehe auch Reichsarbeitsminister; Storch, Anton Bundesinnenministerium 526 Bundesjustizministerium 526 Bundeskriminalamt 527-528 Bundesministerien (Personalstruktur) 508-510 Bundesministerium für Arbeit (BMA ) Arbeitsrecht (Abt. III ) 519-520 Aufgaben 494-495 Gebäude Bonn 500 Generalsekretariat für Sozialreform 516-517 Mitarbeiterinnen 520-521 Organigramm (1955) 501 Organisationsstruktur 500-501 Personalstruktur 494, 509-512, 522, 524-536, 549-550 Personalstruktur (Statistiken) 507, 510, 511, 512, 527 Reichstreuhänder-Mitarbeiter im 519-520 Schwob im 547 Sozialversicherungs-Konflikt 514-517 Stothfang im 536 Umbenennung 501 siehe auch Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung; Storch, Anton; Verwaltung für Arbeit; einzelne Mitarbeiter Bundesministerium für Arbeit und Soziales 457 Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung 501 siehe auch Blank, Theodor Bundesministerium für Soziale Verwaltung (Österreich) 93

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Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMW i) 505-506, 509-510 Bundesministerium für Wohnungsbau 500 Bundesnachrichtendienst 527-528 Bundesrepublik Deutschland (BRD ) NMT -Verfahrensübergabe an Justiz 491-492 Wohnungsbau und -politik 212-213 siehe auch Deutscher Bundestag Bundessozialgericht 457 Bundestag siehe Deutscher Bundestag Bürckel, Josef 92-93, 151, 339 Burgenland 435 Bürgschaften (für Baukredite) 180, 186, 202 Butler, Harold 326 Calais (Departement) siehe Militärverwaltung Belgien und Nordfrankreich CDU (Christlich Demokratische Union Deutschlands) 507-508 Chamberlain, Neville 336 Chanoch, Uri 456 Charkow 402, 411 Chełmno 436 Christen siehe Konfessionszugehörigkeit Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU ) 507-508 Christlich-Soziale Union in Bayern (CSU ) 507-508 Chwalek, Roman 544-545 Classen, Kurt 259, 260, 509 Claussen, Wilhelm 528-529, 530 Clique (Waldbröler) 169-170 Collecting Center 503-504 CSU (Christlich-Soziale Union in Bayern) 507-508 Daeschner, Leon 265-266 DAF siehe Deutsche Arbeitsfront Dammer, Günther 447 Dänemark 317, 337 Danner, Julius 214, 215, 216 DDR siehe Deutsche Demokratische Republik Deklaration (Moskau, 1943) 464 Departements Nord und Pas de Calais siehe Militärverwaltung Belgien und Nordfrankreich Deportationen aus Baden 235-238, 240, 241 aus Belgien 371-372, 380-381

aus Belgien und Nordfrankreich (Erster Weltkrieg) 354, 361-362 GBA -Verantwortung bei 388 aus Ghettos 443, 445 der jüdischen Bevölkerung 425, 427, 435 in Konzentrationslager 370, 380-381 von Roma und Sinti 425, 435 Dersch, Hermann 261-263 Deutsche Arbeitsfront (DAF ) »Amt für Arbeitseinsatz« 230-231 Der Angriff 265-266 Anordnung zu (1936) 150 AOG -Abfassungsbeteiligung 145 Arbeitswissenschaftliches Institut 159, 208, 330 Aufgaben 143-148, 165-166, 167-168, 172 außenpolitische Initiativen 153-154 Frauenamt der 163 zu Frauenerwerbsarbeit 154-156 »Freude und Arbeit« (Zentralbüro, 1936) 330 vor Gericht 465-466 Gesetz über die (Planung) 150-151 Gründung (1933) 141-143 Hupfauer in 168-171 als Interessenvertretung der Arbeitskräfte 251 Jugendamt (Werbeplakat, 1938) 155 Konferenz zu Sozialpolitik (1944) 344 zu »Kriegsgesetz« 230-232 Neue Internationale Rundschau der Arbeit 341, 343 Organisationsstruktur 148-153 Personalstruktur 149, 152, 153, 163, 166-167, 172 Printmedien der 144-145 RAM , Kommunikationsstruktur mit 79-80, 168-170 RAM , Konflikte mit 160, 164, 173, 197-199, 206-211, 212 Rechenschaftsbericht (1939) 157-158 Rechtsberatung durch 160-162 »Reichsheimstättenamt« 157, 195, 197, 202, 208, 209 Reichstagung (1935) 147 Revierdiensthelferinnen und -helfer 163 »Schönheit der Arbeit« 144, 163 »Siedlungswerk des Vierjahresplans« an 158-159 Sozialpolitik, Konflikte um 328-329 »Sozialwerk« (Planung) 153

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Unfallvertrauensmänner, Zusammenarbeit mit 163 Unternehmen der 143 Verbot (1945) 153 Verordnung zu (1934) 146-148 Wohnungsgenossenschaften an (1933) 158 Wohnungsgesellschaften (Bestand) 159 Zwangsarbeiter-Betreuung 152, 341 siehe auch »Kraft durch Freude«; Ley, Robert Deutsche Bau- und Bodenbank 212 Deutsche Demokratische Republik (DDR ) Arbeitsbehörden 542-548, 550 »Blutrichter«-Kampagne und »Braunbuch« 528-529 Staatssicherheitsdienst 529 Deutsche Partei (DP ) 507-508 Deutsche Verwaltung für Arbeit und Sozialfürsorge (DVAS ) 537-541 Deutsche Wirtschaftskommission (DWK ) 537, 542-543 Deutsche Zentrumspartei 46-47, 183185 Deutscher Bundestag Beamten-Personalstrukturdebatte 494 zu Ghettorenten 457 ZRBG -Verabschiedung 455 Deutscher Gewerkschaftsbund 536 siehe auch Gewerkschaften »Deutscher Gruß« 85 Deutsches Beamtengesetz (1937) 111, 125-126 siehe auch Besoldungsgesetze Deutsches Reich (1871-1918) Invaliditäts- und Altersversicherung 214-215, 318-319 Sozialpolitik 318-321 Wohnungspolitik 182 Deutsches Reich (1918-1933) siehe Weimarer Republik Diätarprüfung 112-113 Diensteid 72, 108 Dienstverpflichtungen (Arbeitskräfte) 84, 289, 302, 357, 376, 378 siehe auch Zwangsarbeit Dierl, Florian 355 Diskriminierung siehe Ausgrenzung und Verfolgung Distrikte (Generalgouvernement) 364 siehe auch einzelne Distrikte

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Dobbernack, Wilhelm 516 Dolmetscherdienst, in ZfA-Organigramm (1947) 498 Don-Donez (Wirtschaftsinspektion) 404, 417 Donau, Willy 321, 541 »Doppelstaat« 298 Doppelverdiener-Kampagne 64, 154155 Dorpmüller, Julius 468 DP (Deutsche Partei) 507-508 Dringlichkeitsstufen (Kriegswirtschaft) 301, 302, 304-305 Duell 137, 138, 139 Durchführungserlasse siehe Erlasse Durchführungsverordnungen siehe Verordnungen Durst, Karl 296 DVAS (Deutsche Verwaltung für Arbeit und Sozialfürsorge) 537-541 DWK siehe Deutsche Wirtschaftskommission Eckert, Josef 516, 523 Ehlert, Max 257 Ehre siehe Duell Ehrengerichte (Soziale) 266-267 Ehrhard, Ludwig 345-346 Eid (Dienst-) 72, 108 Einheitsversicherung 514-517, 540 Einstellungsvoraussetzungen siehe Personalpolitik und -struktur Eisenach (Landgericht) 275 Elkes, Elkhanan 452 Engel, Hans zu AOG 267 auf Arbeitskonferenz (1933) 324 zu Arbeitsvertragsbrüchen 268 Ernennung Leiter HA  II 65-66 Kurzbiografie und Abb.219, 220, 342 zu Sanierungsgesetz 219-220 zu »Vertrauensärztlichem Dienst« 224-225 Engel, Johannes 257 Engergie siehe Bundesministerium für Wirtschaft und Energie Entlassungen von Beamten 63-64, 119 von Juden sowie Gewerkschafts-, KPD - und SPD -Mitgliedern 66, 197 von NSDAP -Mitgliedern (Nachkriegszeit) 505, 538

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aus RAM (1933) 86 aus Reichsanstalt (1933) 66, 285 Entlastungszeugnisse 522-523 Entnazifizierung von Arbeitsbehörden-Mitarbeitern in Westdeutschland 521-536 in britischer Besatzungszone 524 Scheuble zu 523 in sowjetischer Besatzungszone 538 Entschädigungsleistungen 454-457 Erholung siehe Weltkongress für Freizeit und Erholung Erholungsheime (Rentenversicherungsträger) 227 Erlasse zu Beamtenanwärtern 123-124 Beratungsprozesse für 76 zu GBA (1942 u. 1943) 398, 417 zu »Kriegsgesetz« (1941) 231-232, 233 »Polenerlasse« (1940) 366 zu polnischen Arbeitskräften (1939) 366 zu Zwangsarbeit von Juden (1938) 427-428 siehe auch Anordnungen; Befehle; Verordnungen Ermächtigungsgesetz 73-75 Ermittlungsverfahren, geg. Mansfeld 547-548 Ermordungen Arbeitsämter-Beteiligung bei 444-445, 453-454 bei »Arbeitsunfähigkeit« 423, 424, 434-436 Handlungsoptionen bei 424, 453-454 in Litauen 446, 451, 452 polnischer Juden (Befehl, 1942) 443 im Warthegau 435-436 Ernährung siehe »Hungerpolitik«; Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft Erster Weltkrieg 182, 354-355, 360-362 Erwerbslosigkeit siehe Arbeitslosigkeit Erwerbsminderung 225 Erwerbstätige siehe Arbeitskräfte Erziehung (Berufs-) 154 Escher, Walter 395 Etats siehe Haushalte Europa Besatzungspolitik (allgemein) 93-95, 353-358 Besatzungspolitik (Erster Weltkrieg) 354-355, 360-362

»Neuordnung« 344, 353-354 siehe auch einzelne besetzte Gebiete und Länder Europaamt für den Arbeitseinsatz 398399 siehe auch Hildebrandt, Hubert; Letsch, Walter; Timm, Max Evangelen siehe Konfessionszugehörigkeit EVZ (Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft) 455 »Fachämter« (DAF ) 149 Fachkräfte siehe Arbeitskräfte Falange 335 Falkenhausen, Alexander von 371, 373, 382-383 Fallbeispiel, Arbeitskräftelenkung in Kriegswirtschaft 305-309 Familienverbände (Rekrutierungen) 420 FDP (Freie Demokratische Partei) 507-508 »Feder-Geld« 190 Feder, Gottfried 190-192, 197-198, 201, 209 Fernsprech- und Fernschreibleitungen 294-299 Fiehler, Karl 194 Finanzministerium siehe Reichsfinanzministerium Firmen und Betriebe Arbeitskräftelenkung (Fallbeispiel) 305-309 in Kriegswirtschaft 300-305 »Leistungskampf der Betriebe« 144, 154 Lohnzahlung an jüdische Arbeitskräfte 442 vor NMT 489-491 »R-Betriebe« 301 Sammelklagen gegen 455 Fischer-Dieskau, Joachim 210, 211, 212, 339 Fitting, Karl 520 Flächsner, Hans 472 Flandern siehe Belgien Flughafen Kaunas 450 Förster, Fritz 547 »Fort Radziwill« (Arbeitslager) 433 Fortbildung siehe Aus- und Weiterbildung Fraenkel, Ernst 297-298

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Frank, Hans zu Arbeitseinsatz-Organisation 367, 368, 371, 438, 441 Arbeitspflicht für Polen (1939) 365 »Arbeitszwang«-Verordnung für Juden (1939) 365 als Generalgouverneur 363, 367, 427, 452 Verurteilung 476 Frankfurter Rundschau 528 Frankreich 317, 469 siehe auch Militärverwaltung Belgien und Nordfrankreich; Nürnberger Prozesse Franz, Frieda siehe Malter, Friedel Französische Besatzungszone 497 Frauen im BMA 520-521 Doppelverdiener-Kampagne 64, 154155 Erwerbsquote 309-310 in »Fort Radziwill« (Arbeitslager) 433 im RAM 47, 64 Schwangerschaftsverbot für Jüdinnen 450 in VfA 520-521 Werbeplakat (DAF , 1938) 155 in ZfA 520-521 siehe auch Arbeitskräfte; GenderAspekte; Jüdische Bevölkerung; Versorgungsberechtigte Frauenamt (DAF ) 163 Frauendorfer, Max 364, 367-368, 438, 442 Freie Demokratische Partei (FDP ) 507-508 »Freiwilligkeit« (Arbeitseinsatz) in Belgien 375-376, 377-378 Letsch zu 348 vor NMT 484 in Polen 366, 437 Timm zu 352 in Ukraine 410-411, 413-414 als ZRBG -Kriterium 456 Freizeit (Weltkongress, 1936) 329, 329-330, 335 siehe auch »Kraft durch Freude« Freizügigkeit (für Arbeitskräfte) 264, 270-271, 286-287, 311-312 »Fremdarbeiter« siehe Arbeitskräfte »Freude und Arbeit« (DAF -Zentralbüro) 330 Frick, Wilhelm 76, 476 »Führerprinzip« 72, 81, 172, 250

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Funk, Walter 467, 477 Fürsorge 51 siehe auch Sozialfürsorge Galizien (Distrikt) 445 Galopin, Alexandre 372 Gau (Reichsgau Wartheland) 424-436, 452 Gau Thüringen 395, 417-418, 487, 533 Gauarbeitsämter 350 Gauwaltungen (DAF ) 148-149 GBA siehe Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz GBW (Generalbevollmächtigter für die Wirtschaft) 301, 303 Gebietskommissare 405, 406, 407, 409, 421 Gebrüder Junghans (Firma) 308 Gebrüder Thiel (Firma) 306-307 Gefängnisse 473, 481, 503 Gegenseitigkeitsabkommen 242-244 Gehälter siehe Löhne Geheime Staatspolizei siehe Gestapo Geib, Hermann 44-46, 60 Gemeinden (Besoldungsgruppen) 109 Gemeindeverbände (Besoldungsgruppen) 109 Gemeinnützige Wohnungsunternehmen 196-197, 198 Gender-Aspekte 64, 133, 154-156, 163, 358, 384-385 Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz (GBA ) Arbeitseinsatzstäbe 419, 420, 421 zu Arbeitsvertragsbruch und Abwerbung (Anordnung, 1942) 248, 277-278 Aufgaben 311, 388-389 Beauftragte des 356-357, 417-421, 422 in Besatzungsverwaltung Ukraine (1943) 421 Deportationsverantwortung des 388 Einsetzung (1942) 89 Europaamt für den Arbeitseinsatz 398-399 Hitler zu (Erlasse, 1942 u. 1943) 398, 417 Letsch zu (Rechenschaftsbericht, 1947) 461 Organisationsstruktur (Dienststelle) 91, 390-394, 421-422 Personalstruktur (Dienststelle) 394-398 Stothfang beim 533

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Stothfang zu (Memorandum, 1947) 462 siehe auch Sauckel, Fritz Generalbevollmächtigter für die Wirtschaft (GBW ) 301, 303 Generalgouvernement Arbeitsämter 364-366, 367, 383, 438439, 440 Arbeitskarte 365-366 Besatzungspolitik 363-371, 383-385, 436-445, 452-453 Deportationen von Juden ins 427 Distrikte 364 Krohn im 364, 438, 452-453 Zwangsarbeit von Juden im 363-364, 369 Zwangsarbeitslager 439-440 Generalgouvernement Belgien 354, 360-362 Generalgouvernement Warschau 354, 360-362 Generalkommissare 405, 406, 407, 409, 414, 421 Generalsekretäre (Belgien) 372, 375, 379-380, 381, 385 Generalsekretariat für die Sozialreform 516-517 Generalstaatsanwaltschaften, zu Arbeitsvertragsbrüchen 274-275 Genewein, Walter 428, 429 Genossenschaften 51, 158 Gerichte Arbeitsgerichte 51, 161-162 Bundessozialgericht 457 IMT 388, 462-476 Landgericht Eisenach 275 NMT 462-464, 476-491 Soziale Ehrengerichte 266-267 Sozialgerichte 456, 457 Gerichtsurteile siehe Urteile Geschäftsgruppe Arbeitseinsatz des Vierjahresplans bei Arbeitskräfterekrutierungen 377, 391, 409 in Arbeitsverwaltung (Organigramm, 1936-1939) 289 Einrichtung (1936) 87-88, 287-288 an GBA (1942) 392 siehe auch Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz; Mansfeld, Werner; Syrup, Friedrich Gesellschaft für Soziale Reformen 319320

Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung e.V. 519 Gesellschaften, Wohnungsgesellschaften der DAF (Bestand) 159 Gesetz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (1927) 291 Gesetz über die Deutsche Arbeitsfront 150-151 Gesetz über die Treuhänder der Arbeit (1933) 81, 255 Gesetz über die Versorgung der Kämpfer für die nationale Erhebung (1934) 123 Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit (AOG ) Abfassungsbeteiligungen 81-82, 145 Arbeitsbedingungs-Ausgestaltung durch 80, 250, 251, 256-257 DAF -Aufgaben durch 145-146 Engel zu 267 Rechtsberatung an DAF durch 160-162 Reformplanungen 271 »Vertrauensräte« 143 Gesetz zur Sicherung der Einheit von Staat und Partei 73, 77-78 Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums (1933) 63-64, 66, 86, 119 Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG ) 455-457 Gesetze Aufbaugesetz (1934) 82-83, 218, 222223, 224 Besoldungsgesetze (1920 u. 1927) 110 Betriebsrätegesetz (1920) 39 Betriebsverfassungsgesetz (1952) 520 Deutsches Beamtengesetz (1937) 111, 125-126 Ermächtigungsgesetz 73-75 Grundgesetz (Art. 131) 518, 524-525 Kontrollratsgesetz Nr.10 (1945) 464 »Kriegsgesetz« (1941) 228-235, 245 Mitbestimmungsgesetz (1951) 520 Montanmitbestimmungsgesetz (1951) 520 »Mutterschutzgesetz« (1942) 156 Reichsbürgergesetz 239-240, 241 Reichsmietengesetz 182, 188, 199, 206 Sanierungsgesetz (1933) 82-83, 218-223 zu Wohnungsunternehmen (1934) 198 Gesetzgebungsverfahren 73-76, 77-78 Gestapo 256, 433, 527-528

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Gewerbeaufsicht 163-164, 498 Gewerkschaften Arbeitsbehörden-Mitarbeiter aus 505, 511 Entlassungen von Mitgliedern der 66, 197 als Interessenvertretung 38-39 in Reichsanstalt (Weimarer Republik) 284 Verfolgung von Mitgliedern der 256 Wohnungsgenossenschaften an DAF (1933) 158 Zerschlagung 81, 250-251, 466 Ghetto Kaunas 446, 447-452, 451 Ghetto Krakau 440-442, 445 Ghetto Litzmannstadt (Łódź) Bevölkerung (Anzahl) 426-427 Deportationen ins 435 Ermordung Bevölkerung 436 Lebensbedingungen 433-434 Rentenzahlungseinstellung ins 240-241 Werkstätten 428, 429 Zwangsarbeit-Organisation 428, 430-431 Zwangsarbeiter und -arbeiterinnen (Anzahl) 431, 436 Ghetto Lublin 443, 445 Ghettorenten 454-457 Ghettos Arbeitseinsatz-Organisation 437, 439, 441-442 Auflösung 451 Brotrationen 442-443 Einrichtung 425, 426-427 Selbstverwaltungsstrukturen 428-429, 442, 450 SS -Übernahme in Sowjetunion der 451 siehe auch einzelne Ghettos Gisbertz, Wilhelm 193 Glauben siehe Konfessionszugehörigkeit Glaubenslose 512 »Gleichschaltungen« 75, 196-197 Globocnik, Odilo 370, 440 Glühlampen- und Röhrenfabrik Osram 257 Goebbels, Joseph 436-437 Goetz, Carl 395 Goldschmidt, Heinrich 69, 507, 509 Göring, Hermann zu Arbeitskräftepolitik 391 zu Arbeitskräfterekrutierungen 377 als Beauftragter für den Vierjahresplan 87-88

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GBA -Aufgabenübertragung durch 392

zu Lohngestaltung (Verordnung, 1938) 272 zu polnischen Arbeitskräften (Erlass, 1939) 366 bei Seldtes Ernennung 60 »Siedlungswerk des Vierjahresplans« an DAF 158-159 zu Syrups Besoldung 291 Verurteilung (IMT ) 476 Goschler, Constantin 454 Gottgläubige (im RAM ) 49 Greiser, Arthur 430, 432, 435, 452 Grieser, Andreas 60, 64, 322 Gringauz, Shmuel 448-449 Grohé, Josef 373 Großbritannien 336, 343-344 siehe auch Britische Besatzungszone; Nürnberger Prozesse Grün und Bilfinger (Firma) 450-451 Grundgesetz (Art. 131) 518, 524-525 Gundelach, Gustav 538-539 Haager Landkriegsordnung 360-361 Haffner, Sebastian 468 »Halbjuden« 69 Hamburg (Weltkongress für Freizeit und Erholung, 1936) 329, 329-330, 335 Hamburg-Wilhelmsburg 195 Hamilton, Alice 334 Handbuch der Reichsversorgung 117 Handlungsoptionen, bei Ermordungen 424, 453-454 Handlungsspielräume, von Beamten 99-102 Handwerk siehe Werkstätten Hannover 63 Hannover (Oberstaatsanwaltschaft) 275 Hansestädte (Besoldungsgruppen) 109 Hantelmann, Hans 445, 453 Harlander, Tilmann 157 Hartrodt, Georg 50 Haupt, Matthias G. 359 Hauptabteilung Arbeit siehe Generalgouvernement Hauptabteilung für Arbeitseinsatz (V) 283-284, 300-303, 305-309, 311, 398-399 siehe auch Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz; Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung

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Hauptabteilung für Arbeitsrecht und Lohnpolitik (III ) 259-260, 268-269, 272, 277-278, 311, 387 siehe auch Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz; Kimmich, Wilhelm; Mansfeld, Werner Hauptabteilung für Haushalt (I) 300 siehe auch Börger, Wilhelm Hauptabteilung für Sozialversicherung (II ) 222-223 siehe auch Engel, Hans; Grieser, Andreas; Krohn, Johannes Hauptabteilung für Wohnungs- und Siedlungswesen (IV ) 198 siehe auch Knoll, Ernst Hauptabteilung (VI ) 398-399 siehe auch Hildebrandt, Hubert; Letsch, Walter; Timm, Max Hauptabteilungen (BMA ) 501 Hauptabteilungen (Ministerium für Arbeit und Berufsausbildung) 544 Hauptabteilungen (ZfA) 498 Hauptamt für Arbeitsverwaltung (1946) 498 Hauptämter siehe Reichssicherheitshauptamt Hauptversorgungsämter 51, 105, 117 siehe auch Versorgungsämter Hauptverwaltung für Arbeit und Sozialfürsorge (HVAS ) 537, 540-541 Hausärzte 225 Haushalte für Versorgungsberechtigte (1927) 106 Verwaltungsakademie-Zuschüsse (1937 u. 1938) 129 in Wirtschaftskrise (Weimarer Republik) 57-58 für Wohnungsbau 185-186, 187, 203-205 Hauswirtschaft 155 »Hauszinssteuer« 179-180, 181-182, 183, 185 Heilmann, Georg 193 »Heimstättenamt« siehe »Reichsheimstättenamt« Heinel, Jürgen 347 Helm, Rolf 540 Hendriks, Frits-Jan 374, 379 Herbert, Ulrich 98-99, 348-349 Herm, Max 539, 541 Herrmann, Volker 289-290 Herschel, Wilhelm 519, 520 Heydrich, Reinhard 369, 425

Hierl, Konstantin 331, 480-481 Hildebrandt, Hubert bei IMT 475-476 Inhaftierung Nürnberg 462-464 Koordination zw. GBA -Stab und RAM 396 Kurzbiografie 485 vor NMT 478-479, 482-491 Hilfspolizei (Ukraine) 414-415 Himmler, Heinrich 369, 435, 443, 444, 451 Hindenburg, Paul von 142 Hinterbliebende (von Kriegsbeschädigten) siehe Versorgungsberechtigte Hirschfeld, Dorothea 47, 502 Hirschfeld, Franz 542 Hirtsiefer, Heinrich 183-185 Hitler, Adolf zu »Arbeitsschlacht« 83-84 zu Belgien 371 bei DAF -Gründung (1933) 142-143 zu DAF (Verordnung, 1934) 146-148 zu GBA (Erlasse, 1942 u. 1943) 398, 417 in Gesetzgebungsverfahren 73-75 Immediatzugang zu 76-77, 96, 151 zu »Lebensraum«-Gewinnung 424 Porträt 393 Sauckels Ernennung als GBA 387-388 Seldtes Ernennung als Reichsarbeitsminister 60-61 zu Sozialpolitik 323 auf »Stahlhelmtag« (1933) 63 »Testament« 171 zu Wohnungsbau (Rede, 1936) 177 »Hitler-Gruß« 85 Hitlerjugend (HJ ) 123-124 Hockerts, Hans Günter 516-517 Hoffmann, Heinrich 393 Höhere Beamtenschaft Arbeitsbelastung 56 in automatischem Arrest 503 Besoldungsgruppen 109, 111 im BMA 494, 509-512, 524-536 in Bundesministerien 508-510 Kritik an Aufstiegsbestrebungen mittlerer Beamter 127-128 Nachkriegs-Tätigkeiten 502, 503-504, 505 im RAM 43-50 Status 108-109 in VfA 507-508, 512 im ZfA 504-507, 512

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siehe auch Nürnberger Prozesse; Statistiken; einzelne Minister und Beamte Hohlwein, Ludwig 329 Holstein, Ernst 540 Holzschuhwerkstatt 428 Höppner, Rolf-Heinz 434 Hörmann, Gustav 447-448, 449, 450451, 452, 453-454, 457 Horsky, Charles 466-467 Hugenberg, Alfred 63 Hühnlein, Adolf 63 »Hungerpolitik« 310, 402, 410-411, 433-434, 446 Hupfauer, Theodor 168-171 HVAS (Hauptverwaltung für Arbeit und Sozialfürsorge) 537, 540-541 Hypothekenbanken 205 IG Farbenindustrie 488 ILO siehe International Labour Orga-

nization Immediatzugang (zu Hitler) 76-77, 96, 151 IMT (Internationales Militärtribunal) 388, 462-476 Industriearbeiter und -arbeiterinnen siehe Arbeiter und Arbeiterinnen Infrastruktur (Kommunikationswege) 294-299 Inhaftierungen siehe Nürnberger Prozesse Innenministerien 180 siehe auch Reichsministerium des Innern Inspektorenprüfung 113 Institute siehe Arbeitswissenschaftliches Institut International Labour Organization (ILO ) Austritt Dt. Reich (1933) 325 und bilaterale Verträge 327-328 Gründung 320-321 Konferenz zu Sozialpolitik 344 Kontakte nach Austritt 326 Krohn in 324-325 Übereinkommen 24 322 Zwangsarbeits-Studie 464-465, 470 Internationale Arbeiterschutzkonferenz (1890) 318-319 Internationale Arbeitskonferenz (1933) 324-325 Internationale Rundschau der Arbeit 341, 343

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Internationale Vereinigung für gesetzlichen Arbeiterschutz 319-320 Internationales Militärtribunal (IMT ) 388, 462-476 Internierung 462, 503 Internierungslager Moosburg 503 Invalidenstraße (Berlin) 43 Invalidenversicherung 38, 215, 220, 225 siehe auch Renten und Ruhegehälter Invaliditäts- und Altersversicherung (1889) 214-215, 318-319 Italien 324, 334, 342 Jackson, Robert H. 466-467, 469 Jahrbücher siehe Zeitschriften »Jahrgangsaktionen« 370-371, 382, 383, 415-416 Jantz, Kurt 516, 529 Japan 335 Jasło 445 Jodl, Alred 476 Jordan, Fritz 447 »Jordanscheine« 449 Juden (im RAM ) 49 »Judenpolitik« (NS ) siehe Ausgrenzung und Verfolgung Judenräte Arbeitseinsatz-Organisation in Ghettos 437, 439 im Ghetto Krakau 440-441 im Ghetto Litzmannstadt 428, 431 in Lemberg 439 Lohnverteilung durch 443 in sowjetischen Gebieten 448 Jüdische Bevölkerung Ausweise und Kennkarten 444-445, 449 Deportationen 425, 427, 435 Deportationen aus Baden 235-238, 240, 241 Entlassungen (1933) 66, 197 Himmler zu Arbeitskräften in Polen 444 in Krakau (Anzahl, 1940) 441 Rentenversicherungsträger, Diskriminierung Versicherter 235-245 Rentenzahlungen an ausländische Juden 242-243 Staatsangehörigkeitsentzug 239-240, 241 siehe auch Ermordungen; Ghettos; Zwangsarbeit Jugendamt (DAF ) 155

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Junghans (Firma) 308 Justizministerien (Westdeutschland), NMT -Verfahrensübergabe an 491492 Justizministerium siehe Reichsjustizministerium Käfferbitz, Jakob 524 Kaiserreich siehe Deutsches Reich Kalckbrenner, Otto 271 Kaltenbrunner, Ernst 476 Kampagnen 64, 154-155, 528-529 »Kämpfer für die nationale Erhebung« siehe Gesetz über die Versorgung der Kämpfer für die nationale Erhebung Karlsruhe (Landesversicherungsanstalt) 237 Karrieren siehe Personalpolitik und -struktur Karstedt, Oskar 70, 71, 73, 99, 342-343, 501 Karteien siehe Ausweise und Kennkarten Kaschny, Adolf 506 Katholiken siehe Konfessionszugehörigkeit Kaukasus (Wirtschaftsinspektion) 404, 417 Kaunas 446, 447-452, 451 Keitel, Wilhelm 390, 467, 468 Kendzia, Ernst 430, 432, 435-436, 492 Kennkarten siehe Ausweise und Kennkarten Keppler, Wilhelm 339 Kerschensteiner, Anton 507 Kiehl, Walter 137-138 Kimmich, Wilhelm 462-464, 478-479, 480-491, 487 Kinder 428, 429, 436 Klagen (Sammel-), gegen Unternehmen 455 Kleinwohnungen und -siedlungen 183187, 189, 190, 193-202, 203, 207, 209 Knappschaften 51 Knoll, Ernst 193-194, 196, 200, 547 Koch, Erich 401, 420 Kogon, Eugen 524 Kollaboration und Kooperation in Belgien 372-373, 375, 380, 385 während Besatzung (allgemein) 341, 345, 355-356 Komitee für Arbeit und Löhne 543 Kommandos »Sonderkommando Lange« 436

Sperrversuchskommando Kiel 305-309 siehe auch Oberkommando der Wehrmacht; Wirtschaftskommandos »Kommissare« siehe Sonderbeauftragte und -kommissare Kommissionen »Aussiedlungskommission« 436 Deutsche Wirtschaftskommission 537, 542-543 Kontrollratskommission 498-499 Staatliche Plankommission 543 siehe auch Werbekommissionen Kommunen, Wohnungsbau-Förderung 179-189 Kommunikations- und Weisungsstrukturen zw. DAF und RAM 79-80, 168-170 des GBA (Dienststelle) 390-394, 421-422 zw. GBA -Stab und RAM 396-397, 419-420 zu Hitler (Immediatzugang) 76-77, 96, 151 zu ILO 326 Lobbyarbeit 264-265, 517-519 zw. NSDAP und RAM 77-80 RAD -Unterstellung (1934) 331 im RAM 50, 52-56, 72-73, 82 zw. RAM und Reichsversicherungsamt 221-224 von Rentenversicherungsträgern 235, 245 der Sonderbeauftragten und -kommissare 88-91 in Ukraine 406-407, 409, 412-414, 417, 418, 419-422 der Versorgungsämter 105 des Wirtschaftsstabs Ost 404, 406 siehe auch Organigramme Kommunikationswege (Infrastruktur), bei Umstellung auf Kriegswirtschaft 294-299 Kommunistische Partei Deutschlands siehe KPD Konferenzen Arbeiterschutzkonferenz (1890) 318319 der DAF (1944) 344 DAF -Gründung (1933) 141-143 DAF -Reichstagung (1935) 147 der ILO 344 Internationale Arbeitskonferenz (1933) 324-325

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der Landesbauernschaften (1936) 265 zu Sozialversicherungen (1936) 328 »Stahlhelmtag« (1933) 63 Weltkongress für Freizeit und Erholung (1936) 329, 329-330, 335 zu Wohnungsbau (1935) 326 Konfessionslose 512 Konfessionszugehörigkeit in Arbeitsbehörden (1946-1960) 510511, 512 im RAM 48, 49 Konflikte siehe Streit und Konflikte Kongresse siehe Konferenzen Königin-Augusta-Straße (Berlin) 223 Konkurrenzen siehe Streit und Konflikte Kontakte siehe Kommunikations- und Weisungsstrukturen Kontingente (Werbekommissionen) 370, 411, 413, 414 Kontraktbrüche siehe Arbeitsvertragsbrüche Kontrollratsgesetz Nr.10 (1945) 464 Kontrollratskommission 498-499 Konzentrationslager 370, 380-381, 451-452 Kooperationen (internationale) 317, 334-337, 350 siehe auch Kollaboration und Kooperation Körner, Paul 489, 491 Körperschaften des öffentlichen Rechts, Reichsanstalt als 284, 290, 295, 297 KPD (Kommunistische Partei Deutschlands) 66, 197, 256 »Kraft durch Freude« (DAF -Freizeitorganisation) 143, 149-150, 172, 329 Krakau 440-442, 445 Kranke Menschen, Ermordung jüdischer 436 Krankenhäuser 225 Krankenversicherung 224-225, 318-319, 322 Krauch, Carl 488 Kreisverbände (Besoldungsgruppen) 109 Krieg siehe Erster Weltkrieg Krieg (Haager Landkriegsordnung) 360-361 Kriegsbeschädigte 106, 120-121, 124, 127 Kriegsgefangene belgische, im Dt. Reich (1940) 373 im Dt. Reich (Anzahl) 359, 364, 388

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französische, im Dt. Reich 469 Rekrutierungen als Arbeitskräfte 408 sowjetische 310, 469-470 »Kriegsgesetz« (1941) 228-235, 245 Kriegsopfer siehe Versorgungsberechtigte Kriegswirtschaft Arbeitskräftefrage als Problem der 390 Arbeitskräftelenkung bei Umstellung auf 84, 90-91, 283-284, 292-294 Arbeitskräftelenkung (Fallbeispiel) 305-309 Arbeitskräftelenkung (Organisation) 300-303, 305, 311-312, 412 Dringlichkeitsstufen 301, 302, 304-305 Kommunikationswege bei Umstellung auf 294-299 Programme 303-305 Reorganisation 310-311 »Sonderstufen« 304 Krisen siehe Wirtschaftskrise Krohn, Johannes zu Aufbaugesetz 83 zu bilateralen Verträgen 327-328 zu DAF 147-148 DAF -Kontakte von 170 im Generalgouvernement 364, 438, 452-453 in ILO 324-325 zu Internierung (1945/46) 503 Kurzbiografie und Abb. 64, 65 Ley, Konflikt mit 325-326 Lobbyarbeit von 517-519 »Persilscheine« für 522-523 RAM -Personalpolitik durch 68 als Reichskommissar für die Behandlung feindlichen Vermögens 139 Schmeer, Konflikt mit 137-141 zu Sozialversicherung 215-216 als Staatssekretär im RAM 64 Krosigk, Lutz Graf Schwerin von 468 Krueger, Erich O. 497 Krüger, Friedrich Wilhelm 443-444 Krupp von Bohlen und Halbach, Gustav 467, 469 »Kulmhof« 436 Kündigungen (Arbeitskräfte) siehe Arbeitsvertragsbrüche Kündigungsschutz (Mieter) 182, 188, 199 Kurzarbeit 58 Lager Rentenzahlungen an Juden in 237

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siehe auch Konzentrationslager; Zwangsarbeitslager Lager Moosburg (Internierungs-) 503 Lammers, Hans Heinrich 67, 76, 78, 129, 130, 390 Lampenfabrik Osram 257 Landarbeiter und -arbeiterinnen siehe Arbeiter und Arbeiterinnen Länder (Weimarer Republik), Wohnungsbau-Förderung 179-180 Länderrat 496-497 Länderregierungen (»Gleichschaltung«, 1933) 75 Landesarbeitsamt Bayern 295-296 Landesarbeitsamt Südwest 227 Landesarbeitsämter Anzahl 284 bei Arbeitskräftelenkung (Fallbeispiel) 305-309 in Arbeitsverwaltung (Organigramm, 1936-1939) 289 im RAM (Organigramm, 1929) 51 als Reichsbehörden 298 in Ukraine 408-409 Umbenennung zu Gauarbeitsämtern 350 siehe auch Arbeitsämter Landesbauernschaften 264-265 Landesjustizverwaltungen (Zentrale Stelle der) 491-492 Landesplanung siehe Wohnungsbau und -politik Landesversicherungsanstalt Baden 214, 227, 235-237, 237 Landesversicherungsanstalt Sudetenland 226 Landesversicherungsanstalten 220, 221, 224, 229, 328 Landgericht Eisenach 275 Landkriegsordnung (Haager) 360-361 Landwirtschaft Arbeitskräftelenkung in 285-286 Arbeitskräftemangel 252 Arbeitsvertragsbrüche als Problem der 251-252, 263-265 in Kriegswirtschaft (Steuerung) 301 Löhne in 257-258 siehe auch Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft Laufbahnstruktur (Beamte) Dreiteilung 108-109 Konflikte um Beförderungen 129, 130-131

der mittleren Beamtenschaft 111-115, 118 ab 1933 121-126 siehe auch Personalpolitik und -struktur Lebensbedingungen im Ghetto Kaunas 448-450, 451 im Ghetto Litzmannstadt 433-434 ziviler Arbeitskräfte im Dt. Reich 411 in Zwangsarbeitslagern 411, 433, 440 Lebensmittel 257-258, 442-443 siehe auch »Hungerpolitik« »Lebensraum« 424 Leemans, Victor 373 Lehfeld, Bernhard 69 Lehmann, Helmut 322, 539-540, 541 Leipzig 147, 187 »Leistungskampf der Betriebe« 144, 154 Leitfaden, zur Arbeitsversicherung (1893) 319 Lemberg 439 Lemgo 498, 499 Lemkins, Raphaël 469 Lentz, Alois 528 Leo XIII . (Papst) 319 Letsch, Walter zu Arbeitskräfterekrutierung 348 Inhaftierung Nürnberg 462-464 Koordination zw. GBA -Stab und RAM 396, 419-420 Kurzbiografie 397 vor NMT 478-479, 480-491 Rechenschaftsbericht (1947) 461 Lettland 358 Ley, Robert AOG -Abfassungsbeteiligung 145 zur DAF (Anordnung, 1936) 150 bei DAF -Gründung (1933) 142-143 auf DAF -Reichstagung (1935) 147 Fischer-Dieskau zu (1943) 211 bei GBA -Organisation 390 Hitler, Immediatzugang zu 151 vor IMT 467 auf Internationaler Arbeitskonferenz (1933) 324-325 zu Kleinstwohnungen 207 Krohn, Konflikt mit 325-326 Kurzbiografie und Abb.138, 139 als »Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau« (ab 1940) 89, 152, 156-158, 209-210 als »Reichswohnungskommissar« (ab 1942) 89-90, 152, 156-157, 209, 211

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zu »Volkswohnungen« (1944) 159-160 Waldbröler Clique von 169-170 zu Wohnungsbau (1936 u. 1944) 177, 211 Lichey, Margarete 520 Linser, Karl 547 Linthe, Hans 522 Linz (Generalstaatsanwaltschaft) 274275 Litauen 354, 360, 446-452 Litke, Karl 540 »Litzmannstadt« siehe Ghetto Litzmannstadt Lobbyarbeit 264-265, 517-519 siehe auch Kommunikations- und Weisungsstrukturen Łódź siehe Ghetto Litzmannstadt Lohmann, Maria 521 Löhne für Arbeitskräfte aus besetzten Gebieten 410 Besoldungsgruppen 109, 110-111 für jüdische Arbeitskräfte 442, 443 Kürzungen (Notverordnungen) 59, 117 Niveau der 249-250, 257-258, 264 trotz Rentenzahlung 228-234 »Treueprämien« 263 Lohnpolitik in BMA -Organigramm (1955) 501 in Ministerium für Arbeit und Berufsausbildung (Organigramm, 1956) 544 in RAM -Organigramm (1929) 51 Verordnung zu (1938) 272 in ZfA-Organigramm (1947) 498 Lohse, Hinrich 448 Londoner Schuldenabkommen (1953) 454-455 Lublin 369-370, 440, 443, 445 Lücke, Paul 213 »Lücke-Plan« 212-213 Ludendorff, Erich 360-361 Ludowici, Wilhelm 195, 197 siehe auch »Reichsheimstättenamt« Ludwigsburger Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen 491-492 Lutze, Viktor 63 M. (Ministerialrat) 531-532 Macher, Friedrich 544-545 Mähren siehe Reichsprotektorat Böhmen und Mähren

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Malter, Friedel 545, 546 Männer siehe Arbeitskräfte; GenderAspekte; Jüdische Bevölkerung; Versorgungsberechtigte Manpower Division (Kontrollratskommission) 498-499 Mansfeld, Werner AOG -Abfassungsbeteiligung 81-82, 145 auf Arbeitskonferenz (1933) 324 zu Arbeitsvertragsbrüchen 274, 276 zu DAF 147 DAF -Kontakte von 170 Ermittlungsverfahren gegen 547-548 Ernennung Leiter HA  III 65-66 in Geschäftsgruppe Arbeitseinsatz 287-288 zu Gewerkschafts-Zerschlagung 81 Kurzbiografie 259 zu Rechtsberatung der DAF 162 zu Stothfang 534-535 Marine, Sperrversuchkommando Kiel 305-309 Marrenbach, Otto 139-140, 161, 164, 169-170 Marschall, Dieter 511 Martineck, Otto 522 »Maßnahmenstaat« 298 Matern, Jenny 539, 541 Medien (DAF ) 144-145 Mehlhorn, Herbert 435 Meincke (Oberregierungsrat) 417, 419 Melker (Arbeitskraft), Verfahren wg. Arbeitsvertragsbruch 266-267 Memorandum von Shea (1944) 467-468 von Stothfang (1947) 462, 492-493 siehe auch Rechenschaftsberichte Metallbranche (Arbeitskräftemangel) 287-288 Metallwarenfabrik Gebrüder Thiel 306-307 Metallwerkstatt 429 Mieten und Mieter 182, 188, 199, 206, 213 Milch, Ehrhard 463, 477, 489-490 Militär- und Versorgungsanwärter siehe Beamtenanwärter Militärverwaltung Belgien und Nordfrankreich 354, 361-362, 371-385, 379 Militärverwaltung »Ober Ost« 354, 360-362

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Militärverwaltung Ostukraine 404 Militärverwaltungen siehe Besatzungspolitik und -verwaltungen Ministerial Collecting Center 503-504 Ministerium für Arbeit und Berufsausbildung 543-546, 544 Ministerium für Arbeit und Gesundheitswesen 542, 546-547 Ministerium für Arbeit und Löhne 543 Ministerium für Arbeit und soziale Wohlfahrt (Belgien) 374 Ministerium für Volksbildung 543 Ministerium für Wohnungsbau 212-213 Mitbestimmungsgesetz (1951) 520 Mittlere Beamtenschaft Anzahl 104, 107 Aufstiegsbestrebungen und mangelnde Vorbildung 127-128 Aus- und Weiterbildung 103, 124, 128-129, 134-136 Besoldungsgruppen 109, 110-111 Laufbahnstruktur 111-115, 118 im RAM 50 Status 109, 120, 134 Monigan, John J. 472-473 Montanmitbestimmungsgesetz (1951) 520 Moosburg (Internierungslager) 503 Mord siehe Ermordungen Moser, Walter 430-431 Moskauer Deklaration (1943) 464 Munition und Bewaffnung (Reichsministerium) 303 Münz, Ludwig 189-190 Musterungen (Arbeitskräfte) siehe »Jahrgangsaktionen« Mutschmann, Martin 147 »Mutterschutzgesetz« 156 Nahrungsmittel 257-258, 442-443 siehe auch »Hungerpolitik« Namensänderungen siehe Umbenennungen Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei siehe NSDAP Nationalversammlung (Weimarer) 35, 39, 40 Netzwerke siehe Kommunikations- und Weisungsstrukturen Neue Internationale Rundschau der Arbeit 341, 343 Neues Deutschland 536, 546 Neumann, Franz 99

»Neuordnung« (Europas) 344, 353-354 Nihon kôsei kyôkai 335 NMT siehe Nuernberg Military Tribunals Nord (Departement) siehe Militärverwaltung Belgien und Nordfrankreich »Normenstaat« 298 Notverordnungen Lohnkürzungen 59, 117 Rentenkürzungen 218-219 zu Wohnungsbau 180-181, 182, 184185 Novemberrevolution (1918) 38 NSDAP (Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei) Arbeitsbehörden-Mitarbeiter in 522, 523, 524-536, 527, 549 Beamte in 122, 172-173, 494 Beamtenanwärter in 125 Bundesministerien-Mitarbeiter in 526 DAF -Mitarbeiter in 172 Entlassungen von Mitgliedern (Nachkriegszeit) 505, 538 Gesetz zur Sicherung der Einheit von Staat und Partei 73, 77-78 Mitgliederbevorzugung 130 Parteikanzlei 67, 78, 390 RAM , Kommunikationsstruktur mit 77-80 RAM -Mitarbeiter in 67-68, 69 zu Wohnungsbau 185 zu Zwangsarbeit ausländischer Arbeitskräfte 310 siehe auch SA ; SS Nuernberg Military Tribunals (NMT ) 462-464, 476-491 Nürnberger Prozesse IMT 388, 462-476 Kimmich im Zeugenstand 487 Letsch (Rechenschaftsbericht, 1947) 461 NMT 462-464, 476-491 »Ober Ost« siehe Militärverwaltung »Ober Ost« Oberkommando der Wehrmacht (OKW ) zu »Kriegsgesetz« 234 Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt 301, 303 Werbekommissions-Arbeit 408 siehe auch Keitel, Wilhelm

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Oberschlesien 357, 431, 443 Oberstaatsanwaltschaften, zu Arbeitsvertragsbrüchen 275 Oberversicherungsämter 220-221, 225, 226 Öffentliche Förderung (Wohnungsbau) siehe Wohnungsbau und -politik Office Chief of Counsel for War Crimes (OCCWC ) 478-479, 482, 488, 490491 Office National du Travail (ONT ) 374, 375, 376, 379-381, 384, 385 Okkupationspolitik siehe Besatzungspolitik und -verwaltungen OKW siehe Oberkommando der Wehrmacht Ordnungsstrafen, bei Arbeitsvertragsbrüchen 276 Organigramme Arbeitsverwaltung (1936-1939) 289 Besatzungsverwaltung Ukraine (1941 u. 1943) 407, 421 BMA (1955) 501 Ministerium für Arbeit und Berufsausbildung (1956) 544 RAM (1929) 51 ZfA (1947) 498 siehe auch Kommunikations- und Weisungsstrukturen »Organisation Schmelt« 431 Organisation Todt 379, 380, 470 Organisationen siehe International Labour Organization Osram 257 Ost-West-Wechsel 547 »Ostarbeiter« siehe Arbeitskräfte Österreich 92-93, 242-243, 339 Osteuropa Besatzungspolitik 423-424, 452-454 Besatzungspolitik (Erster Weltkrieg) 354-355, 360-362 Europaamt für den Arbeitseinsatz 398-399 siehe auch einzelne besetzte Gebiete und Länder »Ostland« (Reichskommissariat) 357358, 448 Ostpreußen (Arbeitsamt) 287 Ostpreußischer Treuhänder der Arbeit 266-268, 273 Overy, Richard 293 Paetzold, Fritz 522

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Palemonas 450 Papen, Franz von 60 Papst Leo XIII . 319 Parlamente siehe Deutscher Bundestag Parteien 507-508 siehe auch KPD ; NSDAP ; SED ; SPD ; Zentrumspartei Parteikanzlei 67, 78, 390 Parteitage (SED , 1950) 546 Partisanenbewegungen 416, 420 Pas de Calais (Departement) siehe Militärverwaltung Belgien und Nordfrankreich Peckert, Heinrich 306, 307, 308 Pelzer, Heinrich 522 Pensionen siehe Renten und Ruhegehälter »Persilscheine« 522-523 Personalakten 505-506 siehe auch Akten Personalpolitik und -struktur im Auswärtigen Amt 528 Beamtenabordnungen (ab 1937) 131134 Beamtenanwärter 111-115, 121-126, 128, 133-134 im BMA 494, 509-512, 522, 524-536, 549-550 im BMA (Statistiken) 507, 510, 511, 512 in Bundesministerien 508-510 der DAF 149, 152, 153, 163, 166-167, 172 GBA (Dienststelle) 394-398 im Generalsekretariat für Sozialreform 516-517 Gewerbeaufsicht 163 in ILO 320-321 im Ministerium für Arbeit und Berufsausbildung 543-546 im Ministerium für Arbeit und Gesundheitswesen 546-547 in ostdt. Arbeitsbehörden (Nachkriegszeit) 537-544 im RAM (1933-1945) 63-71, 95, 98-99 im RAM (Statistiken) 49, 52, 69 im RAM (Weimarer Republik) 41, 43-50, 97-98 »Reichskommissar für das Siedlungswesen« 191-192 der Treuhänder der Arbeit 255-256 in Versorgungsämtern 104, 106-107 in VfA 507-508, 512, 524, 525-526

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in VfA (Statistiken) 507, 510, 511, 512, 527 im ZfA 504-507, 512, 522, 524, 525526, 550 im ZfA (Statistiken) 507, 510, 511, 512, 527 siehe auch Laufbahnstruktur Peschel, Martin 453 Peschke, Paul 545, 546-547 Petz, Rudolf 506 Peuckert, Rudolf 395, 417-418, 419, 420-421 Pfandbriefe 205 Pflichtversicherungen 318-319 Pieck, Wilhelm 539 Plakate 85-86 siehe auch Werbeplakate Pleiger, Paul 490, 491 Podolien 414 Pohl, Wolfgang 145, 146, 170, 330 Polen Arbeitskräfte im Dt. Reich (Anzahl, 1941) 359 Arbeitskräftepolitik (Erster Weltkrieg) 354, 360-362 Arbeitskräfterekrutierung 365-371, 383-385, 437 Arbeitspflicht (1939) 365 »Jahrgangsaktionen« 370-371, 383 Reichsgau Wartheland (Besatzungspolitik) 424-436, 452 Verträge mit (bilaterale) 317 Widerstand in 370-371 siehe auch Generalgouvernement; Ghetto Litzmannstadt »Polenerlasse« 366 Politbüro 546 Polizei, »Säuberungsaktionen« im Ghetto Kaunas 449 Post 294-299 Preissteigerungen (Lebensmittel) 257258 Preller, Ludwig 496-497 Presse in BMA -Organigramm (1955) 501 in ZfA-Organigramm (1947) 498 Preußen (Arbeitsamt) 287 Preußische Innenverwaltung 37-38 Printmedien (DAF ) 144-145 Probedienst (Beamtenlaufbahn) 112 Proksch, Alfred 93 Propaganda »Arbeitsschlacht« 83-84

Versorgungsberechtigte im Fokus der 124 siehe auch Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda Protektorat Böhmen und Mähren siehe Reichsprotektorat Böhmen und Mähren Protestanten siehe Konfessionszugehörigkeit Proteste (Belgien) 381 siehe auch Widerstand Provinzialverbände (Besoldungsgruppen) 109 Prozesse Waldheimer Prozesse 492 siehe auch Nürnberger Prozesse Prüfungen (Beamtenlaufbahn) 112-113 Prützmann, Hans-Adolf 420 Pryll, Walter 322 Puhl, Emil 477 Qualifikationsstrukturen siehe Personalpolitik und -struktur Quaschinsky, Hans-Günter 546 Quoten Arbeitsvertragsbruch-Urteile 274 Erwerbsminderungs-Anerkennung 225 Frauenerwerbsquote 309-310 Ghettorenten-Anerkennung 456 siehe auch Kontingente »R-Betriebe« 301 Rabenberger (Fotograf) 415 Rabinovič, Isaac 447-448 Rachner, Günther 407, 447, 453 RAD (Reichsarbeitsdienst) 330-332, 341 Raddünz, Frieda siehe Malter, Friedel Radom 364, 367, 438, 440 Raffloer, Margarete 521 RAM siehe Reichsarbeitsministerium Rappaport, Philipp 507 Rassenpolitik (NS ) Arbeitskräfte-Hierarchisierung 357358, 372, 384-385, 386 »Neuordnung« Europas 353-354 Rechenschaftsberichte der DAF (1939) 157-158 von Letsch (1947) 461 siehe auch Memorandum Rechtsberatung (DAF ) 160-162 Rechtswesen Aufsichtsrecht 221-224

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Fraenkel zu 297-298 Staatsangehörigkeitsentzug 239-240, 241 siehe auch Arbeitsrecht; Gerichte; Gesetze; Reichsversicherungsordnung; Spruchverfahren; Strafverfahren; Urteile; Zivilrecht Reden Hitler und Ley bei DAF -Gründung (1933) 142-143 Hitler zu Wohnungsbau (1936) 177 Sauckel über RAM (1943) 387 Reeder, Eggert 372, 379 Reformen des AOG (Planung) 271 Generalsekretariat für Sozialreform 516-517 Gesellschaft für Soziale Reformen 319-320 siehe auch Verwaltungsreformen Reformwohnungsbau 181 Rehabilitierung, bei Entnazifizierung 521-522 Reich, Wilhelm 333-334 Reichel, Hans 531 Reichsamt des Innern 37-38 Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung Arbeitskräftelenkung bei Umstellung auf Kriegswirtschaft 292-294 in Arbeitsverwaltung (Organigramm, 1936-1939) 289 Eingliederung ins RAM (1939) 283, 290-299 Entlassungen (1933) 66, 285 Gründung (1927) 284-285 als Körperschaft des öffentlichen Rechts 284, 290, 295, 297 Selbstverwaltungsstrukturen 285 Verbeamtung von Mitarbeitern 290291, 300 zu Zwangsarbeit von Juden (Erlass, 1938) 427-428 siehe auch Syrup, Friedrich Reichsarbeitsamt 37-41 Reichsarbeitsblatt über ausländische Sozialpolitik 323 Münz zu Sozialpolitik 189-190 Seldte zu Sozialpolitik 317 über Wohnungsbau 192 Reichsarbeitsdienst (RAD ) 330-332, 341 Reichsarbeitsminister Bauer, Gustav 38, 43

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Brauns, Heinrich 43-44, 45-46 Schäffer, Hugo 60 Schlicke, Alexander 43 Stegerwald, Adam 60, 183-185 Syrup, Friedrich 60 Umbenennungen 75 Wissell, Rudolf 60, 518 siehe auch Bundesarbeitsminister; Seldte, Franz Reichsarbeitsministerium (RAM ) in Arbeitsverwaltung (Organigramm, 1936-1939) 289 Aufgaben (dauerhafte) 80-87 Gebäude in Berlin 43, 497 Gründung (1919) 35-36, 97 Organigramm (1929) 51 Organisationsstruktur (1942) 393 Organisationsstruktur (Weimarer Republik) 41-42, 50-54 Personalstruktur (1933-1945) 63-71, 95, 98-99 Personalstruktur (Statistiken) 49, 52, 69 Personalstruktur (Weimarer Republik) 41, 43-50, 97-98 Sauckel über (1943) 387 Sozialpolitische Weltrundschau 342 Speer über 89 siehe auch Besatzungspolitik und -verwaltungen; Hauptabteilungen …; Kommunikations- und Weisungsstrukturen; Reichsarbeitsblatt; Streit und Konflikte; einzelne Mitarbeiter und nachgeordnete Bereiche »Reichsausgleich« (Arbeitskräfte) 302, 305-309 Reichsbahn (Rentenversicherungsträger) 220 Reichsberufswettkampf 143-144, 154 Reichsbetriebsgemeinschaften (DAF ) 148-149 Reichsbürgergesetz 239-240, 241 Reichsfinanzministerium 51, 185, 186, 204, 208, 291 Reichsgau Wartheland 424-436, 452 Reichshaushalte siehe Haushalte »Reichsheimstättenamt« (DAF ) 157, 195, 197, 202, 208, 209 Reichsjustizministerium 51, 275-276, 277 Reichskanzlei in Gesetzgebungsverfahren 74-75 siehe auch Lammers, Hans Heinrich

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Reichsknappschaft 51 »Reichskommissar für das Siedlungswesen« 190-192, 197-198, 209 »Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau« 89, 152, 156-158, 209-210 siehe auch »Reichswohnungskommissar« Reichskommissar für die Behandlung feindlichen Vermögens 139 Reichskommissariat »Ostland« 357-358, 448 Reichskommissariat Ukraine 401, 405, 407, 421 Reichsmietengesetz 182, 188, 199, 206 Reichsministerium des Innern zu Beamtenanwärtern 123-124 zu Doppelverdiener-Kampagne 64 in Gesetzgebungsverfahren 74-75 zu »Hitler-Gruß« 85 RAD -Unterstellung unter (1934) 331 Reichsbürgergesetz des 239 Reichsministerium für Bewaffnung und Munition 303 Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete in Polen 452 Rachner im 447, 453 in Ukraine 405, 406, 407, 421 Zwangsarbeits-Verordnung (1941) 448 Reichsministerium für Ernährung und Landwirtschaft 264-265, 274, 301 Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda 202 Reichsnährstand 254, 264-265, 301 Reichspostministerium 294-299 Reichsprotektorat Böhmen und Mähren 94-95, 238-239, 356-357 Reichssicherheitshauptamt 436, 527-528 Reichssparkommissar 219 Reichsstatthalter Thüringen siehe Sauckel, Fritz Reichsstatthalter Warthegau 430, 432, 434, 435, 452 Reichsstock für den Arbeitseinsatz 299-300 Reichstagungen (DAF , 1935) 147 Reichstreuhänder der Arbeit BMA -Mitarbeiter aus 519-520 Engel, Johannes 257 Strafverfahren wg. Arbeitsvertragsbrüchen durch 274-277 siehe auch Treuhänder der Arbeit

Reichsverband Deutscher Landesversicherungsanstalten 229, 328 Reichsversicherungsamt als Aufsichtsbehörde 319 Gebäude in Berlin 223 Kommunikations- und Weisungsstrukturen 221-224 zu »Kriegsgesetz« 231-232, 233-234 zu Nachuntersuchungen 226-227 in RAM -Organigramm (1929) 51 zu Rentenentzug 214, 230 Reichsversicherungsanstalt für Angestellte zu »Kriegsgesetz« 232 in RAM -Organigramm (1929) 51 zu Rentenzahlungen an ausländische Juden 242-243 zu Rentenzahlungen an Juden 236, 241 Rentenzahlungen an Juden (1942) 238-239 Rentenzahlungseinstellung ins Ghetto Litzmannstadt 240-241 Reichsversicherungsordnung 236-237, 240, 241 Reichsversorgung Handbuch der 117 Organisationsstruktur und Haushalt (1927) 105-106 im RAM 40-41 in RAM -Organigramm (1929) 51 siehe auch Hauptversorgungsämter Reichsverteidigungskommissare 90 Reichswehrministerium 51 Reichswerbekommissionen siehe Werbekommissionen Reichswerke »Hermann Göring« 489490 Reichswirtschaftsamt 37-38, 39 Reichswirtschaftsministerium 51 siehe auch »Reichskommissar für das Siedlungswesen« »Reichswohnungskommissar« 89-90, 152, 156-157, 209, 211 siehe auch »Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau« Rekrutierungen (Arbeitskräfte-) in Belgien 352, 375-385, 377, 379 besetzte Gebiete 356-358 von Familienverbänden 420 von Kriegsgefangenen 408 Letsch zu 348 Narrative 351-352 in Polen 365-371, 383-385, 437

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Sauckel zu 386 Sowjetunion 403, 407-422, 415 Timm zu 352, 366 Verträge (bilaterale) 317, 326-328, 340, 350 Werbekommissionen 370, 403, 408416, 419 Religion siehe Konfessionszugehörigkeit Renten und Ruhegehälter Arbeitskräftemangel und Bezug von 215-216, 218, 229-230 trotz Arbeitstätigkeit (»Kriegsgesetz«, 1941) 228-234, 245 Aufbaugesetz (1934) 82-83, 218, 222223, 224 Engel zu Sanierungsgesetz 219-220 Entzugsverbot 228, 232-233 Ghettorenten 454-457 an Juden (Entzug und Zahlung) 235245 Kürzungen 218-219 Nachuntersuchungen 219-222, 224227, 229-230 Rentenreform (1957) 346, 516 Sanierungsgesetz (1933) 82-83, 221223 von Soldaten 234 Urteile zu Entzug von 214 Verfahren wg. Streitsachen über 214, 220-221, 226, 230-231 »Vertrauensärztlicher Dienst« 224-225 ZRBG 455-457 siehe auch Versorgungs … »Rentendörfer« 370 Rentenversicherung als Invalidenversicherung 215 Invaliditäts- und Altersversicherung (1889) 214-215, 318-319 Rentenzahlungen und Gegenseitigkeitsabkommen 242-244 Rentenversicherungsträger Aufsichtsrecht für 221-224 Diskriminierung jüdischer Versicherter 235-245 Erholungsheime 227 Kommunikationsstrukturen 235, 245 »Kriegsgesetz«-Erlass für (1941) 231232, 233 der Reichsbahn 220 Rentenzahlungen an ausländische Juden 242-243 Selbstverwaltungsstruktur-Zerschlagung 222, 224

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Verband Deutscher 232-233 ZRBG -Umsetzung durch 456, 457

Reparationen 454, 465 Restitution (Vermögens-) 454 Rettig, Hermann 68 Revierdiensthelferinnen und -helfer (DAF ) 163 »Richtlinien für Neusiedlungen« 158 Ringer, Franz 520 Ritter, Hubert 187 Rivera, Pilar Primo de 335 Röhm, Ernst 63 Röhrenfabrik Osram 257 Roma und Sinti 425, 435, 446 Romsée, Gerard 373 Roosevelt, Franklin D. 337 Roosevelt, Theodore 320 Rosenberg, Alfred 447, 452, 476 Ruhestand siehe Renten und Ruhegehälter Rumkowski, Chaim 428 Runderlasse siehe Erlasse Rundfunkreden, Hitler zu Wohnungsbau (1936) 177 »Rundling«-Siedlung 187 Rundschauen siehe Zeitschriften Rüstungswirtschaft siehe Aufrüstung Rutschke, Wilfriede 246, 247, 248, 278 SA (Sturmabteilung der NSDAP ), ehem.

Angehörige in Arbeitsbehörden (1946-1960) 526, 527, 531 Saarlandstraße (Berlin) 497 Saemisch, Friedrich 219 Sammelklagen, gegen Unternehmen 455 Sanierungsgesetz (1933) 82-83, 218-223 Sattlerei 429 »Säuberungsaktionen« (Ghetto Kaunas) 449 Sauckel, Fritz zu Arbeitskräftepolitik 386 GBA -Ernennung 387-388 vor IMT 467, 470-476 Inhaftierung Nürnberg 462-464 Kimmich zu (1946) 487 Kurzbiografie und Abb.389, 393, 473 über RAM (Rede, 1943) 387 Seldte, Konflikt mit 398-399 zu Speer 474-475 Verurteilung (IMT ) 388, 476 siehe auch Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz

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Sauerborn, Maximilian 515, 515, 517, 522, 529 Saur, Karl-Otto 491 SBZ siehe Sowjetische Besatzungszone Schacht, Hjalmar 147, 194, 467 Schäffer, Hugo 60 Scharnhorststraße (Berlin) 43 Schaub, Julius 63 Scheel, Walter 213 Schelp, Günther 519-520 Schermer, Anna 445 Scheuble, Julius 504, 505, 505, 508, 523 Schieber, Walther 491 Schlegelberger, Franz 463 Schleicher, Kurt von 188 Schlesien 357, 431, 443 Schlichtungswesen in BMA -Organigramm (1955) 501 in RAM -Organigramm (1929) 51 Schlicke, Alexander 43 Schlör, Jakob 539 Schlotterer, Gustav 491 Schmeer, Rudolf 137-141, 145, 169-170 Schmelt, Albrecht 431 Schmid, Carl 441 Schmitz, H. (Gestapochef) 449 Schmuhl, Hans-Walter 289-290 Schneider, Joseph 528, 529 »Schönheit der Arbeit« (DAF -Amt) 144, 163 Schraft, Hans 529-530 Schreiber, Hans 266-268, 269, 270, 273 Schroeder (Ministerialrat) 124 Schuhwerkstatt 428 Schulbücher 347 Schuldenabkommen (1953) 454-455 Schulte Langforth, Marie 520-521 Schultze, August 373, 376-377, 378, 381, 384, 385 »Schutzmannschaften« (Ukraine) 414415 Schutzstaffel siehe SS Schwangerschaftsverbot 450 Schweden 335 Schwerbeschädigte siehe Versorgungsberechtigte Schwob, Fritz 547 SED (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) 536, 539-540, 541, 546, 546 Seitz (Oberstaatsanwaltschaft Hannover) 275

Selbstverwaltungsstrukturen in Ghettos 428-429, 442, 450 in Reichsanstalt 285 in Sozialversicherung 222, 224 Seldte, Franz zu Arbeitskräfterekrutierungen 351 auf DAF -Reichstagung (1935) 147 Ernennung 60-61 Hitler-Zugang von 76-77 bei IMT 467-468 Inhaftierung Nürnberg 462-464, 481 Italienreise 324 zu Konflikt zw. DAF u. RAM 197 Kurzbiografie 61-62 vor NMT 478-482 RAM -Personalpolitik durch 68-71 Sauckel, Konflikt mit 398-399 zu Sozialpolitik 317, 332-333, 493 Speer zu 468 auf »Stahlhelmtag« (1933) 63 zu Wohnungsmangel (1935 u. 1936) 178, 200 Selektionen 370, 423-424, 449, 453-454 Serbien 352 Servatius, Robert 469, 472, 475-476 Service du Travail Obligatoire 469 Seyß-Inquart, Arthur 476 Shea, Francis 467 Shea-Memorandum (1944) 467-468 Siedlungswesen siehe Wohnungsbau und -politik Siemer, Josef 530-531 Simon, Heinrich 139, 169-170 Sinti und Roma 425, 435, 446 Sitzler, Friedrich 330, 331, 338, 346-347 Slave labor 465, 470 siehe auch Zwangsarbeit SMAD (Sowjetische Militäradministration in Deutschland) 536-537 Soldaten, Renten und Ruhegehälter von 234 Soldaten- und Arbeiterräte 38-39 Sonderbeauftragte und -kommissare Beauftragter für den Vierjahresplan 412 GBA -Beauftragte 356-357, 417-421, 422 Generalbevollmächtigter für die Wirtschaft 301, 303 Kommunikations- und Weisungsstrukturen 88-91 Reichskommissar für die Behandlung feindlichen Vermögens 139 Reichsverteidigungskommissare 90

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siehe auch Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz; Reichskommissare …; »Reichswohnungskommissar« »Sonderkommando Lange« 436 »Sonderstufen« (Kriegswirtschaft) 304 Sowjetische Besatzungszone (SBZ ) 492, 529, 536-542, 550 Sowjetische Militäradministration in Deutschland (SMAD ) 536-537 Sowjetunion Arbeitskräfterekrutierung 403, 407422, 415 Besatzungspolitik 400-422, 446-452 Besatzungsverwaltung Ukraine (Organigramme, 1941 u. 1943) 407, 421 Kriegsgefangene 310, 469-470 Zwangsarbeiter und -arbeiterinnen 469-470 siehe auch Nürnberger Prozesse Sozialdemokratische Partei Deutschlands siehe SPD Soziale Ehrengerichte 266-267 Soziale Praxis 338 »Sozialer Wohnungsbau« siehe Wohnungsbau und -politik Sozialfürsorge DVAS 537-541 HVAS 537, 540-541 ZVAS 536-542, 547 siehe auch Sozialpolitik Sozialgerichte 456, 457 Sozialisationen siehe Personalpolitik und -struktur Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED ) siehe SED Sozialpolitik in BMA -Organigramm (1955) 501 Hitler zu 323 Münz zu 189-190 Reichsarbeitsblatt über ausländische 323 in Schulbüchern 347 Seldte zu 317, 332-333, 493 Sitzler zu 338 Streit und Konflikte um 328-329, 332, 343-345 bis 1933 318-322 bis 1938 323-332 1938-1945 338-345 nach 1945 345-347 Sozialpolitische Weltrundschau 342 Sozialreform, Generalsekretariat für 516-517

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Sozialversicherung Beiträge jüdischer Arbeitskräfte 442 bilaterale Verträge zu Arbeitskräften 326-328, 340, 350 in BMA -Organigramm (1955) 501 als Einheitsversicherung 514-517, 540 Konferenz zu (1936) 328 Konflikt um 514-517, 518 Krohn zu 215-216 als Pflichtversicherung 318-319 in RAM -Organigramm (1929) 51 Selbstverwaltungsstrukturen der 222, 224 »Sozialwerk« der DAF (Planung) 153 Verträge zu Arbeitskräften (bilaterale) 317 in ZfA-Organigramm (1947) 498 siehe auch einzelne Sozialversicherungen »Sozialwerk« (DAF ) 153 Spanien 335 Sparkommissar (Reichs-) 219 SPD (Sozialdemokratische Partei Deutschlands) 66, 197, 256, 507-508 Special Projects Division 491 Speer, Albert vor IMT 467, 470-472 als Nachfolger Todts 311 über RAM 89 Sauckel zu 474-475 zu Seldte 468 Verurteilung (IMT ) 476 Sperrversuchskommando Kiel (Fallbeispiel) 305-309 Sprecher, Drexel 466, 477-478 Spreti, Graf von (Regierungsrat) 409 Spruchkammern und -ausschüsse 51 Spruchverfahren, wg. Renten-Streitsachen 214, 220-221, 226, 230-231 SS (Schutzstaffel der NSDAP ) ehem. Mitglieder in Arbeitsbehörden (1946-1960) 527, 531-532 ehem. Mitglieder in Bundesbehörden (Nachkriegszeit) 527-528 Ghetto-Übernahme in Sowjetunion 451 »Säuberungsaktionen« 449 zu Zwangsarbeit ausländischer Arbeitskräfte 310 Zwangsarbeitssystem-Übernahme 443-445 Staatliche Plankommission 543 Staatsangehörigkeitsentzug 239-240, 241

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Staatsanwaltschaften, zu Arbeitsvertragsbrüchen 274-275, 276 Staatssekretariat für Berufsausbildung 543, 545 Staatssicherheitsdienst (DDR ) 529 Staatsverträge siehe Verträge Städtebau siehe Wohnungsbau und -politik »Stahlhelmtag« (1933) 63 Statistik Arbeitszeit 155 in BMA -Organigramm (1955) 501 in ZfA-Organigramm (1947) 498 Statistiken Arbeitsbehörden-Mitarbeiter (19461960) 507, 510, 511, 512, 527 RAM -Mitarbeiter 49, 52, 69 Steckeweh, Hans 506 Stegerwald, Adam 60, 183-185 Steidle, Luitpold 543-544 Steiermark 435 Stellenausschreibungen (Arbeitsamt Ostpreußen) 287 »Stellvertreter des Führers« (Dienststelle) 68, 229 siehe auch Lammers, Hans Heinrich Stets, Walter 529 Steuern (»Hauszins-«) 179-180, 181182, 183, 185 Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft (EVZ ) 455 Storch, Anton 346-347, 494, 512-515, 515, 550 Stothfang, Walter Biografie und Abb.532-536, 533 bei IMT 475-476 Inhaftierung Nürnberg 462-464 Memorandum (1947) 462, 492-493 vor NMT 478-479, 482-491 Strafgesetzbuch, ArbeitsvertragsbruchAufnahme in 268 Strafverfahren 161-162, 266-267, 273278 siehe auch Nürnberger Prozesse Streicher, Julius 476 Streiks, wg. Preissteigerungen 257-258 Streit und Konflikte wg. Abordnungen von Beamten 131134 um Arbeitskräftelenkung (Fallbeispiel) 305-309 wg. Aufstiegsbestrebungen mittlerer Beamter 127-128

um Beamten-Beförderungen 129, 130-131 »Blutrichter«-Kampagne und »Braunbuch« 528-529 zw. DAF und RAM 160, 164, 173, 197-199, 206-211, 212 »Hetzschriften« in SBZ 529 um Kommunikations- und Weisungsstrukturen in Ukraine 406-407 zw. Krohn und Schmeer 137-141 um Ley auf Internationaler Arbeitskonferenz (1933) 324-325 zw. Ley und Krohn 325-326 um Ministerium für Arbeit und Gesundheitswesen-Personalpolitik 546-547 zw. RAM und Versicherungsträgern 321-322 zw. Reichsanstalt und Reichspost 294-299 zw. Seldte und Sauckel 398-399 um Sozialpolitik 328-329, 332, 343-345 um Sozialversicherung 514-517, 518 um Stothfang 534-535 um Syrups Besoldung 291 in Versorgungsämtern 116-117 um VfA-Personalstruktur 507-508 um Zivilanwärter-Ausbildung 128 in ZVAS 542 siehe auch Arbeitsvertragsbrüche Struve, Wilhelm 364, 370 Stuckrad, Ernst von 202 Studien zu ausländischen Arbeitskräften 348349, 352 der ILO zu Zwangsarbeit 464-465, 470 Studienabschlüsse (Höhere Beamtenschaft) 48, 49, 512 Sveriges Nationella Förbund 335 Syrup, Friedrich zu Arbeitskräfterekrutierungen 351 Besoldungskonflikt 291 in Geschäftsgruppe Arbeitseinsatz 287-288 Kurzbiografie und Abb. 286, 287, 501 als Reichsarbeitsminister 60 zu Zwangsarbeit von Juden (Erlass, 1938) 427-428 zu Zwangsmaßnahmen in Polen 367 »System Sauckel« siehe Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz Szepessy, Adalbert 445, 453

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Tagungen siehe Konferenzen Tarifverträge (Besoldungsgruppen) 109 Tarifvertragswesen in BMA -Organigramm (1955) 501 in RAM -Organigramm (1929) 51 in ZfA-Organigramm (1947) 498 Tätigkeitsbericht, von GBA -Beauftragtem Peuckert (1943) 420 Taylor, Telford 477-479, 482, 491 Telekommunikation 294-299 »Testament«, von Hitler 171 Thalmann, Hans 540 Theile, Alfred 531 Thiel, Jens 381-382 Thiel, Reinhold 306-307 Thomas, Albert 44 Thüringen 306, 395, 417-418, 487, 533 Timm, Max zu Arbeitskräfterekrutierungen 352, 366 bei IMT 475-476 Inhaftierung Nürnberg 462-464 Koordination zw. GBA -Stab und RAM 396 Kurzbiografie 463 vor NMT 478-479, 481-491 Todesurteile (IMT ) 388, 476 Todt, Fritz 310-311 siehe auch Organisation Todt Tooze, Adam 293 Torulf, Nora 335 Traulsen, Bernhard 131 Travail siehe Office National du Travail; Service du Travail Obligatoire Treblinka 443 Treueeid (Beamte) 72, 108 »Treueprämien« (für Arbeitskräfte) 263 Treuhänder der Arbeit Arbeitsrecht-Beeinflussung durch 262-263, 265-270, 278-281 Aufgaben 255, 257, 258, 261-264, 272-274 Gesetz über die (1933) 81, 255 Organisationsstruktur 260 Personalstruktur 255-256 Umbenennung 272 siehe auch Reichstreuhänder der Arbeit Tritz, Maria 520-521 Tschechoslowakei 317 Uebelhoer, Friedrich 435 Uhrwerkskonstrukteure (Fallbeispiel) 305-309

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Ukraine 400-422, 407, 421 Ulbricht, Walter 539 Umbenennungen BMA 501 Landesarbeitsämter 350 Reichsarbeitsminister 75 Treuhänder der Arbeit 272 Umsiedlungen 369-370 siehe auch Ghettos Unfallversicherung 318-319 Unfallvertrauensmänner 163 Unternehmen der DAF 143 gemeinnützige Wohnungsunternehmen 196-197, 198 siehe auch Firmen und Betriebe Unternehmer siehe Arbeitgeber Unterricht (weltanschaulicher), an Verwaltungsakademien 130 Urteile zu Arbeitsvertragsbrüchen 274-275, 276-277 des IMT 388, 476 zu Rentenentzug 214 US -amerikanische Besatzungszone 496, 499 USA 320, 337, 343 siehe auch Nürnberger Prozesse Veranstaltungen siehe Konferenzen; Wettkämpfe Verband Deutscher Rentenversicherungsträger 232-233 Verbände (Besoldungsgruppen) 109 siehe auch Reichsverband Deutscher Landesversicherungsanstalten Verbeamtung, von Reichsanstalts-Mitarbeitern 290-291, 300 Verbote Arbeitsplatzwechsel (1939) 276, 366-367 der DAF (1945) 153 Duellverbot 138 im »Mutterschutzgesetz« 156 des Rentenentzugs 228, 232-233 der Schwangerschaft von Jüdinnen 450 Vereinigtes Wirtschaftsgebiet 499 siehe auch Verwaltung für Arbeit Vereinigungen, Internationale Vereinigung für gesetzlichen Arbeiterschutz 319-320 Verfahren siehe Gesetzgebungsverfah-

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ren; Nürnberger Prozesse; Spruchverfahren; Strafverfahren Verfassungsschutz (Bundesamt) 527528 Verfolgung siehe Ausgrenzung und Verfolgung Vergütung siehe Löhne Verhöre und Vernehmungen siehe Nürnberger Prozesse Vermögensrestitution 454 Vernichtungslager 380-381, 436, 443 Verordnungen zu Arbeitsplatzwechsel (1939) 276 »Arbeitszwang« für Juden (1939) 365 Beratungsprozesse für 76 zur DAF (1934) 146-148 über Lohngestaltung (1938) 272 zum Reichsbürgergesetz (1941) 239240, 241 zu Strafantragstellung von Reichstreuhändern (1941) 277 zu Zwangsarbeit in Belgien (1942) 378-380 zur Zwangsarbeit in Sowjetunion (1941) 448 siehe auch Anordnungen; Befehle; Erlasse; Notverordnungen Versicherungen Arbeitsversicherung (Leitfaden, 1893) 319 siehe auch Landesversicherungsanstalten; Reichsversicherungsamt; Reichsversicherungsanstalt für Angestellte; einzelne Sozialversicherungen Versicherungsämter 34, 51 siehe auch Oberversicherungsämter Versicherungsträger RAM , Konflikte mit 321-322 in RAM -Organigramm (1929) 51 siehe auch Rentenversicherungsträger Versicherungswirtschaft, Gesellschaft für Versicherungswissenschaft und -gestaltung e.V. 519 Versorgungsämter Arbeitsbelastung der Beamten 115, 117, 131-132 Aufgaben 105-106, 116, 124, 126-127 Beamte (Anzahl) 104, 106-107 Entlassungen 119 Konflikte in 116-117, 131-134 Laufbahnstruktur (Beamte) 111-115 in RAM -Organigramm (1929) 51 Schließungen (Weimarer Republik) 117

Versorgungsanwärter siehe Beamtenanwärter Versorgungsberechtigte 106, 120-121, 124, 127 Versorgungsschein-Berechtigte 113-114 Versorgungswesen in BMA -Organigramm (1955) 501 an RAM (1919) 40-41 in RAM -Organigramm (1929) 51 Verteidiger (IMT und NMT ) 469, 472, 475-476, 477, 488-489 Verträge bilaterale zu Arbeitskräften 317, 326328, 340, 350 Haager Landkriegsordnung 360-361 siehe auch Arbeitsvertragsbrüche »Vertrauensärztlicher Dienst« 224-225 Vertrauensmänner (Unfall-) 163 »Vertrauensräte« 143 Verurteilungen (IMT ) 388, 476 Verwaltung für Arbeit des Vereinigten Wirtschaftsgebietes 540 Verwaltung für Arbeit (VfA) Auerbach zu 508 Gründung 499 Mitarbeiterinnen 520-521 Personalpolitik und -struktur 507-508, 512, 524, 525-526 Personalstruktur (Statistiken) 507, 510, 511, 512, 527 siehe auch Bundesministerium für Arbeit; Zentralamt für Arbeit; einzelne Mitarbeiter Verwaltungen 33-35, 101-102, 107 siehe auch Besatzungspolitik und -verwaltungen; einzelne Ämter, Behörden und Ministerien Verwaltungsakademien 127-131 Verwaltungsreformen Beamtenjahrbuch-Diskussion über (1928) 103 Reichsanstalts-Eingliederung in RAM (1939) 283, 290-299 Rentenreform (1957) 346, 516 siehe auch Sonderbeauftragte und -kommissare Verwilghen, Charles 374, 378 VfA siehe Verwaltung für Arbeit Vierjahresplanbehörde zu Arbeitsverhältnissen (Anordnung, 1936) 270-271 in Arbeitsverwaltung (Organigramm, 1936-1939) 289

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Aufgaben 87-88 »Siedlungswerk des Vierjahresplans« an DAF 158-159 zu Werbekommissionen (Anordnung, 1942) 412 siehe auch Geschäftsgruppe Arbeitseinsatz des Vierjahresplans Völkerbund siehe International Labour Organization Völkischer Beobachter 185 »Volksgemeinschaft« Arbeit als Dienst an 217-218, 253, 273 »Betriebsgemeinschaft« als Fundament der 247-248 »Volkswohnungen« 159-160, 201-202 Vollmer, Günther 528-529 Völtzer, Friedrich 257 Vorbereitungsdienst (Beamte) siehe Laufbahnstruktur Vormbrock, Heinrich 507 Voss, Albert 541 Wächter, Otto 441 Wagner, Robert 339 Währungen (»Feder-Geld«) 190 Waldbröler Clique 169-170 Waldheimer Prozesse 492 Wallonien siehe Belgien Warschau (Generalgouvernement) 354, 360-362 Warschauer Ghetto 442-443 Wartestandbeamte 114, 128 Wartheland 424-436, 452 Weber, Alfred 33, 34 Weber, Heinz 439, 453 Weber, Max 33-35, 101-102, 107 Wehrmacht siehe Besatzungspolitik und -verwaltungen; Kriegswirtschaft; Oberkommando der Wehrmacht Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt 301, 303 Weigert, Oscar 64, 66, 502 Weimarer Republik Arbeiter- und Soldatenräte 38-39 Beamten-Diensteid 108 Besoldungsgesetze (1920 u. 1927) 110 Besoldungsgruppen 109 mittlere Beamtenschaft (Anzahl) 107 Nationalversammlung 35, 39, 40 Novemberrevolution (1918) 38 Reichsamt des Innern 37-38 Reichsanstalts-Gründung (1927) 284-285 Reichsarbeitsamt 37-41

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Reichsversorgung 105-106 Reichswirtschaftsamt 37-38, 39 Sozialpolitik 320-322 Wirtschaftskrise 57-60, 116, 117, 180-181 Wohnungsbau und -politik 40, 179189, 203 Weiß, Peter 457 Weisungsstrukturen siehe Kommunikations- und Weisungsstrukturen Welt der Arbeit 536 Weltanschaulicher Unterricht, an Verwaltungsakademien 130 Weltkongress für Freizeit und Erholung (1936) 329, 329-330, 335 Weltkrieg siehe Erster Weltkrieg Weltwirtschaftskrise siehe Wirtschaftskrise Wendland, Marie-Elisabeth 521 Werbekommissionen 370, 403, 408-416, 419 siehe auch Arbeitseinsatzstäbe Werbeplakate 155, 329 Werbung (Arbeitskräfte) siehe Rekrutierungen Werkstätten 428, 429, 449-450, 451 Westeuropa Besatzungspolitik (Erster Weltkrieg) 354, 360-362 Europaamt für den Arbeitseinsatz 398-399 siehe auch einzelne Länder Wettkämpfe 143-144, 154 Wicht, Hildegard 520 Widerstand 370-371, 382-383 Wiedergutmachungspolitik 454-457 Wiesel, Karl Heinrich 269 Wießner, Rudolf 545-546 Wilhelm II . 318-319 Wilhelmsburg 195 Wirtschaft siehe Bundesministerium für Wirtschaft und Energie; Kriegswirtschaft Wirtschaftsführungsstab Ost 404, 406, 407 Wirtschaftsinspektion Süd 404, 407, 420, 421 Wirtschaftsinspektionen Don-Donez und Kaukasus 404, 417 Wirtschaftskommandos 404, 407, 409, 421, 447 Wirtschaftskrise (Weimarer Republik) 57-60, 116, 117, 180-181

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Wirtschaftsstab Ost 404, 406, 407, 421, 447, 453 Wissell, Rudolf 60, 518 Witwen siehe Versorgungsberechtigte Wochenzeitungen siehe Zeitungen Wohlfahrt siehe Sozialpolitik Wohlfahrtspflege, in RAM -Organigramm (1929) 51 Wohnungsbau und -politik Arbeitswissenschaftliches Institut zu 208 Aufrüstungs-Einfluss auf 211-212 im Ersten Weltkrieg 182 Fischer-Dieskau zu (1943) 211 Förderungen (öffentliche) 179-189, 194-195, 200, 202-211 Haushalte 185-186, 187, 203-205 Hitler zu (Rede, 1936) 177 Kleinwohnungen und -siedlungen 183-187, 189, 190, 193-202, 203, 207, 209 Knoll zu (1935) 200 Konflikte zw. DAF und RAM um 160, 197-199, 206-211, 212 Kongresse (1935) 326 Ley zu (1936 u. 1944) 177, 211 Notverordnungen zu 180-181, 182, 184-185 in RAM -Organigramm (1929) 51 Reformwohnungsbau 181 Reichsarbeitsblatt über 192 »Reichsheimstättenamt« 157, 195, 197, 202, 208, 209 »Reichskommissar für das Siedlungswesen« (1934) 190-192, 197-198, 209 »Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau« (ab 1940) 89, 152, 156-158, 209-210 »Reichswohnungskommissar« (ab 1942) 89-90, 152, 156-157, 209, 211 »Richtlinien für Neusiedlungen« (1933) 158 Seldte zu (1935 u. 1936) 178, 200 Siedlungen 187, 195 »Siedlungswerk des Vierjahresplans« 158-159 »Sozialer Wohnungsbau« als »Kampfbegriff« 157-158 Völkischer Beobachter über 185 »Volkswohnungen« 159-160, 201-202 in Weimarer Republik 40, 179-189, 203 Wohnungsbauten (Anzahl, 1936 u. 1937) 199

in ZfA-Organigramm (1947) 498 Zonale Beratungsstelle 499 1933-1939 189-206 nach 1949 212-213 Wohnungsgenossenschaften, an DAF (1933) 158 Wohnungsgesellschaften (DAF ) 159 Wohnungsmangel 178, 183-184, 188189, 200, 204 Wohnungsunternehmen (gemeinnützige) 196-197, 198 »Wohnungszwangswirtschaft« 182-185, 188-189, 206, 212 Wolhynien 414 Wölz, Otto 181 Wouters, Nico 381-382 Württembergisches Innenministerium 180 Zamość 369-370 Zeitschriften Beamtenjahrbuch 103 Internationale Rundschau der Arbeit 341, 343 Neue Internationale Rundschau der Arbeit 341, 343 Soziale Praxis 338 Sozialpolitische Weltrundschau 342 siehe auch Reichsarbeitsblatt Zeitungen Der Angriff 265-266 Frankfurter Rundschau 528 Neues Deutschland 536, 546 Völkischer Beobachter 185 Welt der Arbeit 536 Zentralamt für Arbeit (ZfA) Aufgaben und Gliederung 497-499 Mitarbeiterinnen 520-521 Organigramm (1947) 498 Personalpolitik und -struktur 504-507, 512, 522, 524, 525-526, 550 Personalstruktur (Statistiken) 507, 510, 511, 512, 527 Stothfang im 533-535 siehe auch Scheuble, Julius; Verwaltung für Arbeit; einzelne Mitarbeiter Zentralamt für Wirtschaft und Arbeit 540 Zentralämter (britische Besatzungszone) 497 Zentralämter (DAF ) 148-149 Zentralbüro »Freude und Arbeit« (DAF ) 330

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REGISTER

Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen 491-492 Zentralverwaltung für Arbeit und Sozialfürsorge (ZVAS ) 536-542, 547 Zentrumspartei 46-47, 183-185 ZfA siehe Zentralamt für Arbeit »Zigeuner« siehe Sinti und Roma »Zivil-Arbeiter-Bataillone« 361 Zivilanwärter 111-113, 128 Zivilarbeiter und -arbeiterinnen siehe Arbeitskräfte Zivilrecht 248, 253-254, 273 Zivilverwaltungen siehe Besatzungspolitik und -verwaltungen »Zonale Beratungsstelle« 499 Zonen siehe Besatzungszonen ZRBG (Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto) 455-457 Zschucke, Martin 292 Zuchthaus Bayreuth 503 Zuschüsse (Verwaltungsakademien) 129 ZVAS (Zentralverwaltung für Arbeit und Sozialfürsorge) 536-542, 547 Zwangsarbeit in Belgien (Verordnungen, 1942) 378-380 im Ersten Weltkrieg 354-355, 360-362 im Ghetto Kaunas 450-451 im Ghetto Litzmannstadt 428, 430431 »Jahrgangsaktionen« 370-371, 382, 383, 415-416 von Juden (Erlass, 1938) 427-428 von Juden im »Altreich« (Planung) 432 von Juden im Generalgouvernement 363-364, 369 von Juden (Verordnung, 1939) 365 Organisation 310, 340, 423-424, 431433, 437-439, 441 in Polen (Arbeitspflicht, 1939) 365, 437-438

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in Sowjetunion 447-452 SS -Systemübernahme der 443-445

in Ukraine (Arbeitspflicht, 1941) 403 Zwangsarbeit (vor Gericht) ILO -Studie 464-465, 470 vor IMT 469-476 Letsch (Rechenschaftsbericht, 1947) 461 vor NMT 477-491 Stothfang (Memorandum, 1947) 462, 492 Zwangsarbeiter und -arbeiterinnen Anzahl 432-433 »Arbeitsfähigkeits«-Kriterium 423, 424, 434-436 DAF -Betreuung der 152, 341 französische, im Dt. Reich 469 im Ghetto Kaunas 449-450, 451 im Ghetto Litzmannstadt (Anzahl) 431, 436 Ghettorenten 454-457 Kimmich zu (1946) 488 Letsch zu (1946) 485-487 Löhne jüdischer 442, 443 sowjetische 469-470 Zwangsarbeitslager Anzahl 432-433 »Fort Radziwill« 433 im Generalgouvernement 439-440 rund um Kaunas 450 Lebensbedingungen 411, 433, 440 der »Organisation Schmelt« 431 der Organisation Todt 379, 380 SS -Übernahme in Sowjetunion der 451 Zwangsrekrutierungen (Arbeitskräfte) siehe Rekrutierungen »131er« 518, 524-525