Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland [1. Aufl.] 978-3-663-19617-4;978-3-663-19666-2

515 10 63MB

German Pages XII, 630 [636] Year 1963

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Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland [1. Aufl.]
 978-3-663-19617-4;978-3-663-19666-2

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XII
Einführung (Thomas Ellwein)....Pages 1-363
Quellenbuch (Thomas Ellwein)....Pages 365-581
Back Matter ....Pages 583-630

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DIE WISSENSCHAFT VON DER POLITIK Erster Band

DIE WISSENSCHAFT VON DER POLITIK Herausgegeben von den Professoren Dr. Ossip Flechtheim und Dr. Otto Heinrich von der Gablentz in Verbindung mit Prof Dr. Hans Reif im Auftrage des Otto-Suhr-Instituts an der Freien Universität Berlin (vormals Deutsche Hochschule für Politik) Redaktion: Ossip K. Flechtheim

1. Band

Professor Dr. Thomas Eilwein

Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland

SPRINGER FACHMEDIEN WIESBADEN GMBH

Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland Von

Thomas Ellwein

LEITFADEN UND QUELLENBUCH

SPRINGER FACH11EDIEN WIESBADEN G11BH

ISBN 978-3-663-19617-4

ISBN 978-3-663-19666-2 (eBook)

DOI 10.1007/978-3-663-19666-2

©

Verlags-Nr. 053101 1963 Springer Fachmedien Wiesbaden

Ursprünglich erschienen bei Westdeutscher Verlag· Köln und Opladeo 1963 Softcoverreprint of the bardeover 1st edition 1963 Gesamtherstellung: Gerhard Stalllog AG, Oldenburg (Oldb) Schuttumschlag und Einband; Werner Scheuer, Leverkusen

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Zur Erinnerung

an Theodor Eilwein

INHALT

LEITFADEN Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

1. Kapitel: Aufgaben und Aufbau der Bundesrepublik Deutschland . . . . . . . . . . . .

7 8 15 24

1. Fragen des Sozialstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Aufgabenteilung zwisdten Gemeinden und Staat...................... 3. Einheit und Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

2. Kapitel: Politische Willensbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 1. Meinungsäußerungen in der öffentlidtkeit und Meinungsbildung . . . . . . . . . . . . 35 a) Zur Freiheit der öffentlidten Meinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 b) Presse und Funk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 c) Einflüsse auf die Meinungsbildung und Meinungsforsdtung . . . . . . . . . . . . . . 46 2. Formen und Einflüsse der Verbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 a) Grundlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 b) Einzelbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 c) Verbandstypen und Formen des politisdten Einflusses . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 d) Verfassung und Verbandseinfluß in der Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 3. Die Parteien ....................................................... . a) Funktionen und Redttsstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 b) Mitglieder, Organisation, Finanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 c) Die Programme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 4. Die Wahlen ..........•............................................. a) Wahlredtt und Kandidatenaufstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 b) Wahlkampf und Wahlentsdteidung .................................. 102 3. Kapitel: Parlamente und Regierungen .................................... 1. Abgeordnete und Fraktionen ......................................... . a) Der Abgeordnete im Parlament des Parteienstaates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zusammensetzung und Stellung der Fraktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gesetzgebung und Kontrolle der Regierung durdt das Parlament .......... . a) Faktoren der Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Kontrolle der Regierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Haushaltsberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Kabinette ...................................................... a) Ministerien und Minister ........................................... b) Die Regierungsbildung ............................................ c) Kabinettsstruktur und Ministeramt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

113 114 120 127 135 141 144 145 148 155

Inhalt

VII

4. Regierungschef und Staatsoberhaupt ................................... . a) Die Sonderstellung des Bundeskanzlers .............................. 160 b) Der Bundespräsident- Amt und Politik ............................. 167

5. Der Bundesrat ....................................................... 172 6. Machtverschiebung und Stilprobleme .................................. . a) Faktoren der Machtverschiebung .................................... 182 b) Zum politischen Stil .............................................. 189 4. Kapitel: Die Verwaltung als Teil des Regierungssystems ................... . 1. Verwaltung und Verwaltungslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Verwaltungsaufbau in der Bundesrepublik .......................... a) Zum Organisationsstatus ........................................... b) Organisations-, Aufsichts- und Weisungsgewalt ........................ c) Personalhoheit und Ämterpatronage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ober den inneren Befund ............................................ . a) Fragen des öffentlichen Dienstes ..................................... b) Hierarchie und Verantwortung ..................................... c) Verwaltung und politische Willensbildung ............................

198 204 204 209 216 221 228 233

5. Kapitel: Rechtsordnung und Rechtsprechung ............................. . 1. Regierungssystem und Rechtsordnung ................................. . a) Bestandteile der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Politik und Rechtsordnung ......................................... 2. Die Rechtsprechung ................................................. . a) Organisation und Aufgabenverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der Machtzuwachs der dritten Gewalt ............................... c) Das Bundesverfassungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Bundesrepublik als Rechtsstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

254 262 267 278

6. Kapitel: Jfußere und innere Legitimation des Regierungssystems ............. . 1. Das Grundgesetz als Transitorium .................................... . a) 1945-1948 und 1949-1955 ......................................... b) Das geteilte Deutschland .......................................... c) Verfassungsrecht der BRD und Wiedervereinigung .................... 2. Rechtsstaat und Sozialstaat als ungelöste Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Chancen der Demokratie in der Bundesrepublik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anmerkungen ...........................................................

286 291 296 300 310 317

240 248

QUELLENBUCH Vorwort ............................................................. .. 367 I. TEIL

Politische Willensbildung A. Presse und Funk 1. Remdime Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Artikel 5 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das hessisme Gesetz über Freiheit und Remt der Presse, 1949 ............ c) Aufgaben des Rundfunks in der Simt des Bundesverfassungsgerimtes . . . . .

369 369 369 371

2. Aus dem Ansta!tsremt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 a) Satzung der Organe des Bayerismen Rundfunks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 b) Der Staatsvertrag über das zweite Fernsehen ......................... 373

8. Verbände 1. Gewerksmaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mitglieder der einzelnen Bundsorganisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Satzung der IG Metall, 1960 .................................... c) Zweck und Aufgaben des Deutsmen Gewerkschaftsbundes . . . . . . . . . . . . . . .

378 378 378 379 383

2. Unternehmerverbände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Satzung des Vereins Deutsmer Masminenbau-Ansta!ten e. V., 1961 ....... b) Mitgliedsverbände des Bundesverbandes der Deutschen Industrie ........ c) Förmlime Eingaben des Bundesverbandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

384 384 387 389

Artikel9 GG

3. Die Lokalisierung des Verbandseinflusses (Aus der Geschäftsordnung der Bundesministerien) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391

C. Parteien 1. Die Stellung der Parteien nam dem Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Artikel 21 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Aus einem Urteil des Bundesverfassungsgerimtes ...................... 2. Parteisatzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Statut der Christiim-Demokratischen Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Organisationsstatut der Sozialdemokratismen Partei Deutschlands ........

393 393 393 399 399 403 407 407 413 421

3. Parteiprogramme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Hamburger Programm der Christlim-Demokratismen Union ........ b) Grundsatzprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands ..... c) überblick über die Programme der FDP und der CSU ................. 4. Aufgaben der Oppositionspartei an einem Beispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 423

Inhalt

IX

D. Wahlrecht und Wahlergebnisse 1. Das Bundeswahlgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 2. Grundzüge des d'Hondtsdten Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 3. Wahlergebnisse ..................................................... a) Sitze der Parteien in den Länderparlamenten 1957-1962 .............. b) Ergebnisse der Landtagswahlen 1957-1960 ........................... c) Ergebnisse der Wahlen zum Bundestag bis 1961 ....................... d) Sitzverteilung im Bundestag auf Grund der Wahlergebnisse ............. e) Wahlbeteiligung und Stimmabgabe derMännerund Frauen bei der Bundestagswahl 1957 nadt Alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

437 437 438 440 442 444

E. Die Bundesgesetzgebung 1. Die Gesetzgebungskompetenz

445

2. Das Gesetzgebungsverfahren nadt dem Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 3. Gesetzgebung in der ersten und zweiten Wahlperiode des Bundestages

450

F. Der Bundestag 1. Bestimmungen des Grundgesetzes ...................................... 451

2. Gesetz über die Entsdtädigung der Mitglieder des Bundestages . . . . . . . . . . . . 453 3. Fraktionen ......................................................... a) Bestimmungen der Gesdtäftsordnung des Bundestages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Arbeitsordnung der CDU/CSU-Bundestags-Fraktion ................... c) Gesdtäftsordnung der Fraktion der SPD im Bundestag .................

454 454 455 460

4. Aus der Gesdtäftsordnung des Bundestages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ständige Aussdtüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorlagen und Anträge ............................................ c) Haushalts- und Finanzvorlagen ..................................... d) Das Interpellationsredtt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Plenarsitzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

464 464 466 470 471 472

5. Aus der Regelung für besondere Verfahren .............................. 477 a) Empfehlungen für das Enqueteredtt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 b) Regelung von Wahlvorgängen im Bundestag .......................... 479 c) Das Wahlprüfungsredtt ............................................ 481 6. Tätigkeit des Bundestages in den ersten drei Wahlperioden . . . . . . . . . . . . . . . . 482

G. Bundesrat und Vermittlungsausschuß 1. Der Bundesrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Entscheidung des Parlamentarisdten Rates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Bestimmungen des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Gesdtäftsordnung des Bundesrates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) übersidtt über die vom Bundesrat beratenen Gesetzesvorlagen . . . . . . . . . .

483 483 484 484 486

2. Aufgaben und Verfahren des Vermittlungsaussdtusses .................... 489

X

Inhalt

H. Die Bundesregierung 1. Die Entsdleidung des Parlamentarisdlen Rates

492 2. Die Bestimmungen des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493

3. Gesdläftsordnung der Bundesregierung .................................. 494 4. Die Gesetzesinitiative der Bundesregierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499

I. Der Bundespräsident 1. Die Bestimmungen des Grundgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502

2. Überblilk über die Bundessymbole . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504

li. TEIL

Aufgabenvollzug und Rechtsprechung A. Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern - Einzelne Aufgabenbereiche in Zahlen 1. Bestimmungen des Grundgesetzes über Bund und Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . 507

2. Die sozialen Leistungen der Bundesrepublik Deutsdlland . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Beitrag der Bundesrepublik zur Entwilklungshilfe ................... 4. Staatlidle Subventionen des Bundes (1959-1961} ........................ 5. Darlehensgewährungen der öffentlidlen Haushalte an Dritte . . . . . . . . . . . . . . 6. Der Staat als Unternehmer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

509 512 515 524 525

B. Zur Finanzverfassung 1. Voraussetzungen: a) Bruttosozialprodukt und volkswirtsdlaftlidle Gesamtredlnung . . . . . . . . . . . b) Nettovermögensbildung in der BRD (1950-1960) ..................... c) über Millionäre .................................................. 2. Bestimmungen des Grundgesetzes über das Finanzwesen . . . . . . . . . . . . . . . . . .

526 531 532 534 3. Steueraufkommen und Sozialprodukt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538 4. Die Verteilung des Steueraufkommens nadl Gebietskörpersdlaften und nadl Steuergruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 540 5. Bundeshaushalt 1962 ................................................. 541 6. Die Entwilklung der Steuereinnahmen des Bundes für die Redlnungsjahre 1950 bis 1962 im einzelnen ........................................... 545 7. Der Finanzausgleidl unter den Ländern ................................ 547

C. Zum Verwaltungsaufbau 1. Bestimmungen des Grundgesetzes über die Verwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549 2. Das Personal der öffentlidlen Verwaltung .............................. 553 3. Referatsverteilung der Verwaltung der Stadt Hof ....................... 554

Inhalt

XI

4. Referatsverteilung im hessischen Kultusministerium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555 5. Gliederung des Bundesministeriums für Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563 6. Gliederung des Bundesministeriums der Finanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 564

D. Verfassungsgerichtsbarkeit 1. Bestimmungen des Grundgesetzes über das Bundesverfassungsgericht und das Bundesverfassungsgerichtsgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 565 2. Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht 1951-1962 .................. 568 3. Das Recht der Verfassungsbeschwerde .................................. 569

E. Verwaltungsgerichtsbarkeit 1. Verwaltungsgerichtsordnung .......................................... 571 2. Geschäftsverteilung 1963 beim Bundesverwaltungsgericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577 3. Beispiele verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen ........................ 580

ANHANG A. Militärische Kapitulationsurkunde vom 8. Mai 1945

583

B. Die Erklärungen der Alliierten vom 9. Mai 1945 ..................... 584

C. Amtliche Verlautbarung über die Konferenz von Potsdam vom 17. Juli bis 2. August 1945 .................................................. 586 D. Leistungen zur Tilgung der Hypothek des verlorenen Krieges und der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594 E. Frankfurter Dokumente vom 1. Juli 1948 ............................ 598 F. Der Deutschlandvertrag vom 26. Mai 1952 nach den Änderungen vom 23. Oktober 1954 ................................................... 600

REGISTER Register für die Artikel des GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 605 Personen- und Autorenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 609 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 615

Aus

DEM GRUNDGESETZ FÜR DIE

BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND

Artikel! (1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt. (2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt. (3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

Artikel2 (1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit,

soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden. Artikel20 (1) Die Bundesrepublik Deutschland ist em demokratischer und sozialer Bundesstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durd1 besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtspredmng ausgeübt. (3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht

gebunden.

Einführung Als ich das Angebot der Herausgeber annahm, für die Reihe >>Die Wissenschaft von der Politik« den Band über das westdeutsche Regierungssystem zu schreiben, mußte ich mit einigen sachlichen und persönlichen Schwierigkeiten rechnen. Von ihnen soll in der Einführung kurz die Rede sein.

1. Die anderen Darstellungen der Regierungssysteme in dieser Reihe schildern >>nationale>deutschen>Deutschland>in den Grenzen vom 31. 12. 1937« gesprochen 1 • Innerhalb dieser Grenzen liegen heute: 1. Das nördliche Ostpreußen, welches vorbehaltlich einer endgültigen Regelung durch den Friedensvertrag unter sowjetischer Verwaltung steht. 2. Die übrigen deutschen Provinzen jenseits der Oder-Neiße-Linie und ein Teil Vorpommerns westlich der Oder, welche vorbehaltlich der endgültigen Regelung im Friedensvertrag unter polnischer Verwaltung stehen. 3. Das Gebiet der sowjetischen Besatzungszone, in welcher die Deutsche Demokratische Republik (DDR) errichtet worden ist. 4. Das Gebiet von Groß-Berlin, welches einen rechtlichen Sonderstatus hat, dessen sowjetischer Sektor jedoch praktisch zur DDR gehört. 5. Die Bundesrepublik Deutschland (BRD) 2 • Unabhängig von den völkerrechtlichen Grundlagen gilt für diese fünf Gebiete, daß in den unter fremder Verwaltung stehenden Ostgebieten das sowjetische und das polnische Regierungssystem eingeführt sind. In der DDR und im Sowjetsektor der ehemaligen Reichshauptstadt besteht ein Regierungs-

2

Einführung

system, das nominell von Deutschen geleitet wird, nach den tatsächlichen Machtverhältnissen aber weitgehend fremder Führung folgt. Die deutsche Überlieferung wird dabei nach Möglichkeit ausgeschaltet, so sind z. B. alle ehemaligen Landes-, Provinz-, Regierungsbezirks- und Kreisgebiete aufgelöst worden. Und obgleich die DDR überall dort, wo es ihr angebracht erscheint, die Rechtsnachfolge des ehemaligen Deutschen Reichs beansprucht, ist territorial, verfassungsmäßig, wirtschaftlich, rechtlich und kulturell eine so eindeutige Abkehr von den früheren Gegebenheiten erfolgt, daß es sachlich und politisch unangebracht ist, die besonderen politischen Gewaltverhältnisse in diesem Teil Deutschlands unter dem Titel >>deutsches Regierungssystem« einzubeziehen3 • Anders liegt es mit der Bundesrepublik Deutschland, dem größeren deutschen Teilstaat, der ebenfalls die Rechtsnachfolge des Deutschen Reiches beansprucht, dessen Gesamtordnung aber im Gegensatz zu der der DDR weitgehend auf deutscher Überlieferung beruht und mit Zustimmung und freier Beteiligung der Bürger geschaffen worden ist. Politisch ist eng mit der BRD verbunden BerlinWest, wenn es auch rechtlich eine Sonderstellung hat und weltpolitisch die >>Berlin-Frage« ein eigenes Problem darstellt. Das Regierungssystem der Bundesrepublik gemeinsam mit dem von Berlin-West ist demnach »ein« deutsches Regierungssystem, dessen Verständnis aber abhängig ist von der Gesamtsituation Deutschlands, weltpolitisch also von der >>Deutschland-FrageRegierung>Regierung von OberfrankenObrigkeit« schlechthin, was wiederum der wissenschaftlichen Unterscheidung zwischen der Regierung als Exekutivgewalt, wobei das Prinzip der Gewaltenunterscheidung zugrunde gelegt wird, oder der Regierung als >>Überleitung und Aufsicht über die Staatsverwaltung und (als) Lenkung der Gesamtpolitik des Staates4 >Regierungssystem>government>das Wesentliche« herausgearbeitet werden könnte. Daß zugleich in diesem neuen Regierungssystem mannigfache Bestandteile der deutschen Tradition spürbar sind und die neue Form mit der Tradition immer wieder im Widerstreit steht, erschwert den Vergleich mit anderen strukturell ähnlichen Regierungssystemeno und verlangt stets von neuem ein sorgfältiges Abwägen der faktischen Gewichte. Deshalb muß deutlich gesagt werden, daß Regierungssystem wenigerumfaßt als die gesamte Verfassungswirklichkeit, also aus dieser nur ein Ausschnitt dargestellt wird. Dieses Verfahren ist legitim und notwendiger Ausfluß wissenschaftlicher Arbeitsteilung. Es wird aber in unserem Falle deshalb fragwürdig, weil der weitere Bereich der westdeutschen Verfassungswirklichkeit mindestens ebenso »im Fluß« ist wie der engere des Regierungssystems. Unter anderen Verhältnissen mag es denkbar sein, das Regierungssystem getrennt von den sozialen und außenpolitischen Aufgaben eines Landes darzustellen; in der Bundesrepublik ist es dagegen offenkundig, daß sich der Ausbau der staatlichen Institutionen im engen Verbund mit gesellschafts-, wirtschafts- und außenpolitischen Entscheidungen vollzogen hat. Die im Rahmen des Grundgesetzes erfolgte Machtverschiebung vom Parlament zum Kanzler ist nur verständlich, wenn man die außenpolitische Dimension mitbedenkt; die Einflußrichtung der Verbände ist nur verständlich, wenn man die sozialstaatliehen Realitäten mitbedenkt; die Situation unserer Parteien ist nur verständlich, wenn man die geistige und ideologische Situation mitbedenkt. In der Darstellung müssen mithin immer wieder fachliche Grenzen berührt oder überschritten werden, während an anderer Stelle vieles nicht einmal anzudeuten ist, was für das Verständnis des realen Befundes an sich unerläßlich ist. Ich wiederhole: Schwierigkeiten solcher Art sind der Darstellung eines jeden Regierungssystems immanent, fallen aber für die Bundesrepublik besonders auf. Das gilt auch, wenn man davon ausgehen muß, daß die Form, in der ein Gemeinwesen lebt, immer im Fluß ist, da es einen erheblichen Unterschied ausmacht, ob man langfristige Entwicklungstendenzen verfolgen kann oder es nur mit einem schmalen Zeitraum zu tun hat.

4

Einführung

In einem solchen Zeitraum des Oberganges ist es vor allem schwierig, sich als Betrachter zu distanzieren, und wohl unmöglich, sich von Werturteilen und normativen Vorstellungen frei zu halten 7 •

3. Damit taucht eme nächste Dimension sachlicher Schwierigkeiten auf. Das Regierungssystem eines Landes läßt sich wissenschaftlich nicht von einem einzigen Blickpunkt aus darstellen. Alle Sozialwissenschaften im weiten Sinne dieses Wortes haben es mit ihm zu tun. Eine Darstellung, welche im Sinne der Wissenschaft von der Politik erfolgt, muß also in ihrer Besonderheit gesehen und gelesen werden. Diese besteht im methodischen Bereich, vor allem aber darin, daß die Wissenschaft von der Politik in vieler Hinsicht von der Arbeit anderer Wissenschaften abhängig ist. Eine besonders enge Beziehung besteht zur Wissenschaft vom öffentlichen Recht, zur Geschichtswissenschaft, zur Soziologie und zu den Fragestellungen anderer Wissenschaften, die sich auf das Gemeinwesen und das Verhalten der Menschen in ihm beziehen. In der Bundesrepublik bedeutet das zunächst, daß die Wissenschaft von der Politik >>betroffen« ist von den Obergangsschwierigkeiten anderer Wissenschaften. Obergangsschwierigkeiten sind z. B. dort vorhanden, wo es an empirischer Sozialforschung fehlt oder wo es etwa die Wissenschaft vom öffentlichen Recht noch mit eigenen Unklarheiten zu tun hat. Die umfassende Deutung des geltenden Rechtes hat in Deutschland in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen Höhepunkt gefunden, der noch weite Teile unseres staatsrechtlichen Begriffsapparates bestimmt. Dieser unterscheidet sich deutlich von der westeuropäischen und angelsächsischen Begrifflichkeit, weil er von den Besonderheiten der damaligen deutschen Situation bestimmt ist. Zu ihr gehört etwa die von Hegel beeinflußte Trennung von Staat und Gesellschaft, die ständige >> Verdinglichung>politologisch>das Ganzewestliche Verteidigungssystem>an sich« systemwidrig, abgesehen von der damit verbundenen Möglichkeit eines Vetos der Regierung. Wer den Gang der Gesetzgebung an Hand der Geschäftsordnungen der Regierung und der gesetzgebenden Körperschaften verfolgt, berücksichtigt einige wichtige Faktoren der Gesetzgebung nicht. Das gilt zum einen für die Fraktionen, bei denen aber immerhin deutlich ist, daß die von ihnen entsandten Ausschußmitglieder faktisch Delegierte sind, denen gegenüber ein mehr oder minder ausgeprägtes Weisungsrecht der Fraktion besteht. Auch in den Ausschüssen wird in der Regel >>geschlossen« abgestimmt. Zum anderen ist die immerwährende Wirksamkeit der Verbände nicht recht faßbar. Liegt deren Schwergewicht auch im Einfluß auf die Bürokratie, so werden selbstverständlich doch auch die Parlamentsverhandlungen aufmerksam verfolgt. Da dies legal zumeist durch verbandsangehörige Abgeordnete geschieht und da es in allen Fraktionen Brauch ist, bei der Vergabe von Ausschußsitzen solche Verbandszugehörigkeit zu respektieren, gibt es hier für die Verbände keine größeren Schwierigkeiten. In einigen Fällen wurde die >>Verbandsfärbung« des Parlaments derart offenherzig auch in den Ausschüssen sichtbar, daß dagegen entschiedener, freilich wirkungsloser Protest laut wurde. Das gilt z. B. gegenüber Fritz Hellwig, der als Direktor des Industrieinstituts der Arbeitgeberverbände Vorsitzender des Wirtschaftsausschusses wurde, oder gegenüber dem kulturpolitischen Ausschuß des Bayerischen Landtags, der bevorzugt von Lehrern aller Schularten beschickt ist, die gemeinsam mit Ministerialbeamten, welche

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zugleich Abgeordnete sind, ihren Vorgesetzten, den Kultusminister, beaufsichtigen sollen22 • Endlich ist nicht deutlich genug hervorzuheben, welche weitreichenden Mitwirkungsrechte die Regierung über ihr erhebliches Initiativrecht hinaus hat und wie sehr diese Mitwirkungsrechte dadurch noch unterstrichen worden sind, daß in Einzelfällen die Verkündigung eines vom Parlament beschlossenen Gesetzes unterblieben ist. Insgesamt zeigt sich der Prozeß der Gesetzgebung schon von den Bestimmungen her als derart vielschichtig, daß er keinesfalls auf die Formel von der Gewaltenteilung oder auf die vom Obergewicht der Exekutive oder des Parlaments gebracht werden kann.

b) Die Kontrolle der Regierung Im überlieferten System spielte neben den legislatorischen Vorrechten des Parlaments seine Kontrollfunktion eine erhebliche, wenn nicht die entscheidende Rolle. Im parlamentarischen System sind dafür einige Voraussetzungen entfallen: Wenn die Mehrheit eines Parlaments selbst- und aus ihren Reihendie Regierung wählt und wenn sie dadurch auf Gedeih und Verderb im Hinblick auf die künftige Wahl mit der Regierung verbunden ist, erlahmen Wille und Möglichkeiten zur Kontrolle ohnehin. Daß die Kontrollfunktionen deshalb auf die Opposition übergegangen seien, ist ein Ammenmärchen, das unberücksichtigt läßt, wie auch zu effektiven Kontrollmaßnahmen zum Schluß ein Mehrheitsentscheid nötig ist, den die Opposition eben gerade nicht herbeiführen kann. Zudem - worüber noch zu sprechen sein wird - ist der Wille zur Kontrolle auch in dem Maße vermindert, in dem der Wille zur Einflußnahme wächst. Für die Parteien erscheint es interessanter, in hohen Beamtenpositionen Anhänger unterzubringen, als dualistisch dem Ministerium gegenüberzustehen und es aus der Distanz des Unbeteiligten zu kontrollieren. Im Effekt sind einige Kontrollmöglichkeiten aus früherer Verfassungstradition überliefert und werden auch heute noch benutzt, ohne daß hier wesentlich mehr bewirkt wird, als daß der natürliche Kontrast zwischen Regierungsmehrheit und Opposition zum Ausdruck kommt. An dieser Stelle wird ein Mißverständnis deutlich, das in der Bundesrepublik verbreitet ist. Es kommt in einer gewissen Minderachtung der Opposition zum Ausdruck, die es zunächst einmal den jeweiligen Oppositionsparteien erschwert, ihre »Rolle>Die staatliche Ordnung der freiheitlichen Demokratie muß demgemäß systematisch auf die Aufgabe der Anpassung und Verbesserung und des sozialen

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Kompromisses angelegt sein; sie muß insbesondere Mißbräuche der Macht hemmen. Ihre Aufgabe besteht wesentlich darin, die Wege für alle denkbaren Lösungen offenzuhalten, und zwar jeweils dem Willen der tatsächlichen Mehrheit des Volkes für die einzelnen Entscheidungen Geltung zu verschaffen, aber diese Mehrheit auch zur Rechtfertigung ihrer Entscheidungen vor dem ganzen Volke, auch vor der Minderheit zu zwingen.... Was die Mehrheit will, wird jeweils in einem sorgfältig geregelten Verfahren ermittelt. Aber der Mehrheitsentscheidung geht die Anmeldung der Forderungen der Minderheit und die freie Diskussion voraus, zu der die freiheitliche demokratische Ordnung vielfältige Möglichkeiten gibt, die sie selbst wünscht und fördert, und deshalb auch für den Vertreter von Minderheitsmeinungen möglichst risikolos gestaltet. Da die Mehrheit immer wechseln kann, haben auch Minderheitsmeinungen die reale Chance, zur Geltung zu kommen. So kann in weitem Maße Kritik am Bestehenden, Unzufriedenheit mit Personen, Institutionen und konkreten Entscheidungen im Rahmen dieser Ordnung positiv verarbeitet werden. In die schließlich erreichte Mehrheitsentscheidung ist immer auch die geistige Arbeit und die Kritik der oppositionellen Minderheit eingegangen.« Deshalb setzt die demokratische Ordnung voraus, »daß im politischen Bereich die Möglichkeit eines >relativen Vernunftgehalts< aller politischen Meinungen anerkannt und die Vereinfachung der Auseinandersetzungen durch Diskreditierung der gegnerischen Anschauungen und wirkliche Unterdrückung vermieden wird«. Im Kern handelt es sich mithin um den Gegensatz zwischen freiheitlichem und totalitärem Regierungssystem, wie er eben darin besteht, daß in dem einen die politischen Entscheidungen aus wechselnden Mehrheitsverhältnissen folgen, während sie in dem anderen mindestens dem theoretischen Anspruch nach aus einer unumstößlichen Ideologie hervorgehen und an ihr zu messen sind. Die wechselnden Mehrheitsverhältnisse setzen die Meinungsfreiheit voraus; das Tun der Mehrheit in den politischen Institutionen wird von der Kritik begleitet, und es besteht die Möglichkeit, nach Abwägen zwischen dem einen und dem anderen sich zu entscheiden. Die primäre Funktion der parlamentarischen Opposition besteht daher darin, institutionalisierte Kritik zu sein, die neben dem weniger institutionalisierten Ausüben der kritischen Funktion in der sogenannten Öffentlichkeit zu sehen ist. Wenn Waldemar von Knoeringen am 15. Januar 1963 als Landesvorsitzender der Oppositionspartei im Bayerischen Landtag in der Erwiderung auf die Regierungserklärung zitierte, die Opposition sei der »letzte uns verbleibende Wächter der Freiheit«, dann bezieht sich dies auf die »Kontrolle« und ist insoweit einseitig, als diese Kontrolle vom ganzen Parlament auszuüben ist. Hinsichtlich der Kontrolle des Parlamentes gegenüber der Regierung wird man die Opposition als unentbehrliche motorische Antriebskraft ansehen müssen, die aber zum Scheitern verurteilt ist -

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weil sie nicht beschließen kann -, wenn sie nicht auf >>das Parlament« ausgerichtet wird. Anders liegt es mit der kritischen Funktion, durch die das dialektische Verhältnis von Mehrheits- und Minderheitsmeinungen lebendig gemacht wird. Die Verständnisschwierigkeiten, denen die Opposition in der Bundesrepublik ausgesetzt ist, hängen weniger mit der Kontrollfunktion zusammen als mit der Aufgabe der Kritik. So gilt es jedenfalls, wenn wir in der Kontrolle vorwiegend die konkrete oder gelegentlich auch prinzipielle Auseinandersetzung mit den Formen des Handhabens politischer Macht verwirklicht finden. Wer am Einzelfall Fehlentscheidungen, Mißbrauch der Personalpolitik, Korruption oder ähnliches aufdeckt, kann mindestens einer gewissen Zustimmung sicher sein. Kritik jedoch, jedenfalls in einem grundlegenderen Sinne verstanden, die es mit den Entwicklungslinien der Politik zu tun hat, die Alternativen aufzeigt, die also ganz schlicht das vorgetragene Konzept des politischen Gegners in Frage stellt, ist unbeliebt. Es ist leider keines Nachweises bedürftig, daß in der Bundesrepublik kein sonderliches Bedürfnis danach besteht, jeweils mehrere Seiten einer Angelegenheit zu sehen; die ausschließliche Betonung einer Seite allein, die eine lineare und insoweit >>klare>Intellektuellen>Opposition ohne Alternative>Mitläufereffekt>schwadte>Kleine>Große« Anfrage vorkommt. Anfragen, die in der Fragestunde ohne weitere Debatte beantwortet werden, kann jeder Abgeordnete einbringen; Kleine Anfragen erfordern meist die Unterschrift von so vielen Abgeordneten wie zur Mindeststärke einer Fraktion gehören, im Bundestag müssen es also 15 sein. Große Anfragen erfordern noch mehr Unterschriften; im Bundestag müssen es 30 sein. Nur über Große Anfragen erfolgt regelmäßig eine Debatte, gleichgültig ob die Regierung ausreichend antwortet oder nicht. Kleine Anfragen werden schriftlich beantwortet; die Fragesteller können, wenn sie mit der Antwort nicht zufrieden sind, darauf noch einmal in der Fragestunde zurückkommen. Im einzelnen gibt es hier Unterschiede zwischen den Geschäftsordnungen der verschiedenen westdeutschen Parlamente. Bei der Anwendung dieser Kontrollmittel unterscheidet Eschenburg zwischen »Leistungs- und Sachkontrolle einerseits und Richtungskontrolle andererseits«. In dem ersten Fall geht es um Sachfragen, häufig um Beschwerden eines Bürgers gegenüber der Verwaltung, die ein Abgeordneter als Anfrage vorbringt und die auf diese Weise rasch auf >>höchster Ebene« geklärt werden. Bei den Richtungskontrollen geht es um die politische Haltung, die durch eine Anfrage angegriffen oder geklärt werden soll. Weil nur sie diskutiert wird, ist dabei die Große Anfrage besonders wichtig. Sie ist in der Hauptsache Instrument der Opposition, da sich kaum ein Minister weigern kann, eine solche Anfrage zu beantworten. Daß dies zu Jahresbeginn 1962 der Bundesarbeitsminister zweimal tun mußte, wurde allenthalben als eine Art Niederlage empfunden. Im übrigen bedienen sich selbstverständlich auch die Regierungsparteien der Großen Anfrage, um mit ihrer Hilfe Dinge auf die Tagesordnung zu bringen und entsprechende Erklärungen abgeben zu können. Man hat errechnet, daß die Opposition etwa doppelt so viele Große Anfragen einbringt wie die Regierungsparteien, und man glaubt weiterhin nachweisen zu können, daß in den kleineren Parlamenten die einzelnen Abgeordneten relativ mehr von den gebotenen Kontrollmöglichkeiten Gebrauch machen, wobei sehr viele Verwaltungsfragen zur Debatte stehen und häufig auf eine anschließende Debatte verzichtet wird2 4 , Es ist nach bisheriger Praxis nicht anzunehmen, daß Richtungskontrollen in den genannten Formen sonderlich wirksam sind. Die Bedeutung dieser Kon·

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trolltätigkeit liegt wohl mehr darin - und das gilt vor allem für die Landtage -, daß eine zusätzliche Möglichkeit geschaffen ist, die Tätigkeit der Verwaltung öffentlich zur Sprache zu bringen, also Leistungs- und Sachkontrolle vorzunehmen. Wesentlich ist aber, daß jenseits von Mehrheitsbeschlüssen und ihren oppositionshindernden Gefahren auch der Minderheit und selbst dem einzelnen Abgeordneten die Chance gegeben ist, etwas auf die Tagesordnung zu bringen, was sonst untergehen würde. Im Zeitalter der Pressefreiheit wird man das nicht überschätzen; weil es wenigstens etwas die Parlamentsarbeit verlebendigt, wird man es auch nicht unterschätzen. Zwei weitere formelleKontrollmöglichkeiten sind mit dem Recht der Herbeiholung eines Ministers und mit dem Mißtrauensvotum gegeben. Von ersterem wird kaum Gebrauch gemacht und höchst selten in der Form eines Rechtsanspruches - der Ausschuß bittet dann -, das Mißtrauensvotum ist nur in Händen der Mehrheit und im Bund auch nur gegenüber dem Kanzler ein wirksames Instrument, die davon aus naheliegenden Gründen keinen Gebrauch machen kann. Von den Ausnahmefällen ist im nächsten Abschnitt die Rede. Ein einerseits sehr effektives, andererseits aber auch sehr problematisches Kontrollrecht ergibt sich aus der Möglichkeit, Untersuchungsausschüsse einzusetzen. Der entsprechende Antrag muß von einer qualifizierten Zahl von Abgeordneten - meistens von einem Viertel - eingebracht werden, wobei eine Aussprache nicht stattfindet. Das Parlament muß daraufhin den Untersuchungsausschuß einsetzen, >>der in öffentlicher Verhandlung die erforderlichen Beweise erhebt«. Während des Verfahrens wird die Strafprozeßordnung »sinngemäß>sinngemäße>politische« Untersuchungsausschüsse gewesen, die

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die Fragwürdigkeit des Verfahrens deutlich gemacht haben. Dabei stehen im Vordergrund der sogenannte »Spielbankausschuß« des Bayerischen Landtages, in dem Geldzuwendungen an die Bayernpartei untersucht wurden und dessen Verhandlungen mehrere Meineidsverfahren zur Folge hatten, und der sogenannte Fibag-Ausschuß des Bundestages, in dem Beziehungen zwischen Bundesverteidigungsminister Strauß und einem gescheiterten Bauprojekt untersucht wurden. In dem Spielbankenausschuß wurde offenbar, daß die Strafprozeßordnung vor allem im Hinblick auf die Zeugenvereidigung problematisd1 ist, da vor einem solchen Ausschuß faktisch nur Zeugen vernommen werden, auch wenn es sich eigentlich um Angeklagte handelt. Im Fibag-Ausschuß zeigte sich, daß in hochpolitischen Fragen die beteiligten Abgeordneten nicht unabhängig genug sind, um eine ordnungsgemäße Verhandlung durchzuführen27 • Reformvorschläge sind von der Konferenz der Landtagspräsidenten erarbeitet worden (Frühjahr 1962), sie zielen vor allem darauf ab, Untersuchungsausschüsse nur dann einzusetzen, wenn sie dem Parlament Grundlagen für eine Beschlußfassung »im Rahmen seiner verfassungsmäßigen Zuständigkeit« vermitteln können. In Bayern hat man beschlossen, auf die obligatorische Zeugenvereidigung zu verzichten. Im übrigen wird es der· Einsicht der Fraktionen überlassen bleiben müssen, von dem einmal gegebenen Recht nur sparsamen Gebrauch zu machen und sich vor allem auf Fragen zu konzentrieren, die eher Sachergebnisse zeitigen können und nicht so sehr dem Meinungsstreit unterworfen sind.

c) Die Haushaltsberatung Einen Sonderfall parlamentarischer Kontrolle der Regierung stellt die jährliche Beratung des Staatshaushaltes dar. Nach deutscher Oberlieferung muß dieser durch das sogenannte Haushaltsgesetz verabschiedet werden, das den gesamten Plan einschließlich der letzten Planstelle für eine Sekretärin umfaßt. Dabei wird nicht zwischen den verschiedenen Ausgabearten unterschieden, vor allem sind die Ausgaben, die auf Grund zwingender Rechtsverpflichtungen anfallen, nicht ausgeklammert. Faktisch geschieht folgendes: Im Frühsommer melden die Ministerien ihre Bedarfsanforderungen an das Finanzministerium. Dieses verhandelt mit den Ministerien und versucht, einen ausgeglichenen Haushalt dem Kabinett vorzulegen. Nach dem Kabinettsbeschluß wird der Plan als Entwurf gedruckt und dem Parlament zugeleitet, dessen Haushaltsausschuß den Plan nun getrennt nach Einzelplänen berät. Bei den Ausschußberatungen sind die Beamten der betreffenden Ressorts anwesend, während der 2. und 3. Lesung in aller Regel auch die Minister. In den Verhandlungen entscheidet wie immer die Mehrheit; dennoch ergeben sich für die Minderheit relativ mehr, propagandistisch wirksamere und tatsächliche Kontrolle einschließende Mög-

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lichkeiten. Dies wiederum hängt mit der (notwendigen) Genauigkeit der Plangestaltung zusammen. Sie besteht vor allem bei Personal- und sachlichen Verwaltungskosten. Beide sind daher relativ leicht überprüfbar. Schwieriger steht es bei den Sachausgaben. Unter ihnen finden sich neben zahllosen Titeln geringeren Umfanges andere, bei denen ziemlich lakonisch große Summen für einen mehr oder minder genau bestimmten Zweck genannt sind, z. B Kapitel 25 02 Titel 582 des Bundeshaushaltsplanes, auf dem 1961 724 713100 DM verzeichnet waren, die als Darlehen zur Förderung des Wohnungsbaues unter bestimmten Voraussetzungen vergeben werden durften. Umgekehrt sind in Kapitel 12 10 Titel 310 2,1 Mrd. DM als >>Aufwendungen für den Straßenbau« genannt, es findet sich aber in der Anlage der Straßenbauplan für 4 Jahre, so daß doch ziemlich ins einzelne gehende Unterlagen vorhanden sind. Da insgesamt die Bundesregierung und jede Landesregierung im Haushaltsplanentwurf umfassend über denjenigen Teil der Politik, der Geld kostet, Auskunft geben müssen, hat das bewilligende Parlament durchaus die Möglichkeit, sich in Einzelheiten zu vertiefen. Der Haushaltsausschuß kann in einer kleineren, überschaubaren Behörde eine dort neu vorgesehene Ministerialdirigentenstelle streichen und dadurch verhindern, daß Herr XY befördert wird. Der Ausschuß kann sich genau ansehen, welche Straßen gebaut werden sollen, er kann sich mit den Kosten einer öffentlichen Anstalt beschäftigen, kann neu geplante Universitätslehrstühle streichen oder andere Ausgaben zusätzlich zu den Vorschlägen der Regierung bewilligen. Wenn bei alldem auch die größere Gestaltungsfreiheit bei der Regierung bleibt, ergibt sich doch ein höchst wirksames Kontrollrecht, das bis in Einzelheiten hineinreicht. Wieweit dieses Recht genutzt wird, läßt sich nur schwer sagen. Bekanntlich ist es so, daß die Parlamente oft weniger die Geldausgaben der Regierung kontrollieren und selbst auf weitere Ausgaben drängen2s. In der Zeit nach 1949 haben noch fast allemal die Haushaltsausschüsse der Parlamente einige Haushaltsausätze wesentlich erhöht, so zwar, daß vielfach die Finanzminister bei der Haushaltsvorbereitung an bestimmten Punkten schon zusätzliche Bewilligungen des Ausschusses einkalkuliert haben. Die sich so ausbildende Tradition wurde zum erstenmal bei der Beratung des Bundeshaushalts für 1962 durchbrochen, während derer der Haushaltsausschuß 1115 Millionen DM strich und dabei z. B. grundlegend in die Verkehrspolitik eingriff, deren Finanzbedarf um 330 Millionen DM gekürzt wurde. Es ist dem Parlament also möglich, neben den Anträgen, durch die die Regierung aufgefordert wird, Gesetzesentwürfe oder Pläne vorzulegen, über die Haushaltsbewilligung direkte Weisungen zu erteilen oder doch unmittelbar in den exekutiven Bereich einzuwirken. Daß von dieser Möglichkeit häufiger bei überschaubaren Kleinigkeiten Gebrauch gemacht wird, während große, nicht mehr übersehbare Summen anstandslos

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passieren, ist bekannt und entspricht einem »Parkinsonschen Gesetz«. Tatsächlich dürfte die Haushaltskontrolle in den Landtagen effektiver sein als im Bundestag, weil sie sich am meisten in Zusammenhang mit Personalfragen auswirkt und in den Landeshaushalten ein relativ weit höherer Anteil für Gehälter und Löhne benötigt wird. Im Ergebnis werden die Haushaltsausschüsse überall zu den nahezu wichtigsten Ausschüssen und die Haushaltsexperten der Parteien haben besonderen Einfluß. Sie stehen in latentem Kampf mit den Ministerialbeamten, die ihrerseits eine wachsende Kunstfertigkeit entwickeln, für kleine Beträge fast lyrische Erläuterungen zu schreiben, während große Beträge oft nur obenhin in einem Nebensatz oder überhaupt nicht begründet werden. Beamte und Abgeordnete haben es aber gemeinsam mit der Schwierigkeit zu tun, daß von Jahr zu Jahr die gesetzlich abgesicherten Haushaltsposten anwachsen und der Teil des Haushaltes, mit dem Politik gemacht und über den so oder so entschieden werden kann, immer kleiner wird. Dadurch und durch einige Tabuzonen des Haushalts schwindet die Kontrollmöglichkeit des Parlaments wieder, die aber wichtig genug bleibt, sofern sie vernünftig wahrgenommen wird. Die Opposition aber hat den Vorteil, daß sie zwar auch hier mit ihren Anträgen und Vorschlägen nur selten durchdringt, wenigstens aber die beteiligten Beamten und Minister ansprechen und zur Rechenschaft ziehen kann. Soweit Respekt vor dem Parlament besteht und die Verwaltung sich deshalb bemüht, Streit zu vermeiden, ist das ein gewichtiges Machtmittel der Opposition. Es könnte gewichtiger sein, wenn man sich vom Prinzip des jährlichen Haushaltes in größeren Bereichen abwenden und wenn das Parlament jeweils nur Teilbereiche einer gründlicheren Diskussion unterziehen würde, wie das Fritz Neumark vorgeschlagen hat29 • Von der Struktur der Haushaltspolitik ist im übrigen hier nicht weiter die Rede. Sie ist wesentlich durch die Artikel 109-115 GG bedingt, außerdem durch die Reichshaushaltsordnung aus dem Jahre 1922. Beides steht weithin in der Tradition des 19. Jahrhunderts und läßt unberücksichtigt, daß die öffentlichen Haushalte inzwischen zum bestimmenden Wirtschaftsfaktor geworden sind, die Aufgaben des Gemeinwesens sich erheblich erweitert haben und spezifische Schutzrechte des Parlamentes nicht mehr - wie früher - ein Parlament betreffen, das vorwiegend darum bemüht ist, die öffentliche Hand »kurz zu halten«. Insofern ist eine Reform des Haushaltsrechtes notwendig, die einerseits langfristige Planung erlaubt und andererseits konjunkturbewußte Politik. Die Bindung an das Haushaltsgesetz führt häufig zu überstürzten Ausgaben; die zuständigen Ressorts können nicht damit rechnen, daß Gelder, die sie in einem Jahr »VerfallenDas Grundgesetz hat hier eine interessante Kombination von Kollegialsystem und Einzelführung geschaffen. Durch diese Verbindung sollen die Mängel jedes Systems sich gegenseitig einschränken«, meint Th. Eschenburg. Und: >>Gleichgültig, ob der Bundeskanzler die Richtlinien selbst bestimmt oder sie von anderen übernimmt, ob er sich dem Mehrheitsbeschluß des Kabinetts fügt oder diesen umstößt: immer trägt er allein die

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Verantwortung. Wird der Bundeskanzler überstimmt, so muß er sich, symbolisch ausgedrückt, aus der Kabinettssitzung in sein Arbeitszimmer zurückziehen und noch einmal die Entscheidung für sich fällen, die dann die endgültige ist. >Einsame Entschlüsse< sind also nicht nur aus der Eigenheit Adenauers zu erklären, sondern werden durch den Artikel 65 GG geradezu verlangt; allerdings muß eine Beratung und Beschlußfassung der Bundesregierung vorangegangen sem.« Die Sonderstellung des Bundeskanzlers wird dann noch durch den Vergleich mit den Prinzipien einiger Landesverfassungen deutlich, in denen das kollegiale Element weit nachdrücklicher gesichert ist. Auch die Landesverfassungen weisen dem Regierungschef den Vorsitz im Kabinett zu und lassen ihn die Richtlinien der Politik bestimmen. Im übrigen ist vorwiegend von der Regierung die Rede und die Minister führen zwar die Geschäfte ebenfalls gemäß den Richtlinien der Politik, aber- wie es in der Bayerischen Verfassung heißt- »Unter eigener Verantwortung gegenüber dem Landtag48 «. Diese Verantwortung gegenüber dem Landtag gilt implicite auch in den anderen Landesverfassungen, sofern sie die Entlassung eines Ministers von der Zustimmung des Parlaments abhängig machen, also den Regierungschef hier weniger freistellen, als es das Grundgesetz tut. Die Frage bleibt offen, was nach den Grundsätzen der Landesverfassungen zu geschehen hat, wenn die Landesregierung Beschlüsse faßt, die nach Meinung des Regierungschefs nicht mit seinen Richtlinien übereinstimmen. In der Staatspraxis wird das von den Beteiligten abhängig sein, insgesamt ist die Situation des Ministerpräsidenten aber rechtlich schwächer. Sie ist es auch deshalb, weil keinem Ministerpräsidenten derartige faktische Mittel in die Hand gegeben sind wie dem Bundeskanzler. Dieser könnte seine Machtfülle nicht bewältigen, wenn er nicht das Bundeskanzleramt zur Seite hätte. Von ihm ist in der Verfassung nicht die Rede4 u, auch die Geschäftsordnung der Bundesregierung führt nicht mehr aus, als daß der Staatssekretär des Bundeskanzleramtes zugleim Staatssekretär der Bundesregierung ist. Einer ausdrücklichen Verfassungsgenehmigung bedarf es schon deshalb nicht, weil im Grundgesetz ja audl die Einrichtung der Ministerien dem Ermessen des Kanzlers anheimgestellt ist. Dem Bundeskanzleramt fallen nach der bisherigen Entwicklung wesentliche Funktionen zu. Im Bundeshaushaltsplan wird ausgeführt, das Amt habe »den Bundeskanzler über die laufenden Fragen der allgemeinen Politik und die Arbeit in den Bundesministerien zu unterridlten. Es hat die Entscheidungen des Bundeskanzlers vorzubereiten und auf ihre Durdlführung zu achten. Aufgabe des Bundeskanzleramtes ist es auch, die Arbeiten der Bundesministerien zu koordinieren.« Der Staatssekretär dieses Amtes ist u. a. auch »für die Vorbereitung der Sitzungen des Kabinetts und der Kabinettsausschüsse sowie der Beschlüsse der Bundesregierung verantwortlich«. Nach dem

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Haushaltsplan waren 1961 für dieses Amt neben dem Staatssekretär 2 Ministerialdirektoren, 3 Ministerialdirigenten, 10 Ministerialräte, 10 Oberregierungsräte und 11 Regierungsräte vorgesehen. Nach dem Geschäftsverteilungsplan gab es einige Referate für die innere Verwaltung des Amtes und für allgemeine Fragen. Die Mehrzahl der Referate war einem oder mehreren Ministerien und obersten Bundesbehörden zugeordnet. Der Bundeskanzler hat auf diese Weise in seinem eigenen Hause ständige Beobachter dessen, was in den Ministerien vor sich geht. Das erst ermöglicht es ihm, aus seinem Recht auf regelmäßige Unterrichtung effektive Folgerungen zu ziehen. Mehr noch: Der Bundeskanzler darf nicht einen Minister umgehen und in dessen Geschäftsbereich eingreifen. Praktisch ist aber nicht zu verhindern, daß irrfolge des regelmäßigen Kontaktes auf Referentenebene zwischen Bundeskanzleramt und Ministerium ersterem ein gewisser Einfluß gesichert wird, ohne daß die Formvorschriften verletzt zu werden brauchen. Unter diesen Voraussetzungen und dank der Unterstützung der sehr geschickten ersten beiden Staatssekretäre Dr. Lenz und Dr. Globke bekam das Bundeskanzleramt einen faktischen Rang, angesichts dessen von einer Hilfsbehörde des Bundeskanzlers keine Rede mehr sein kann. Das Bundeskanzleramt ist wichtiger und politisch entscheidender als die Mehrzahl der Ministerien5°. Zu der Macht des Amtes trägt bei, daß neben dem hier nicht zu erwähnenden Bevollmächtigten der BRD in Berlin, der Mitglied des Amtes ist, unter unmittelbarer Aufsicht des Bundeskanzlers das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung und der Bundesnachrichtendienst stehen. Das Presseamt ist wesentlich, weil es die Nachrichtenpolitik der Bundesregierung koordiniert und hier ähnliche Funktionen gegenüber den Pressereferenten der Ministerien hat wie das Bundeskanzleramt gegenüber den Ministerien. Außerdem ist es faktisch das Werbebüro der Regierung und des Kanzlers, das teils vor aller Öffentlichkeit arbeitet, teils versteckte Informationspolitik mit Hilfe der parlamentarischen Kontrolle entzogenen Verfügungsmittel betreibt. In der hier vorgelegten Darstellung der Macht und Möglichkeiten eines Bundesministers und der Macht und Möglichkeiten des Bundeskanzlers steckt kein unaufhebbarer Widerspruch. Obgleich die Verfassungssituation des Bundeskanzlers weit stärker ist als die eines Ministerpräsidenten, sind doch auch die Rechte und Mittel eines Bundesministers alles andere als geringfügig. Die Verfassung gibt auf diese Weise einen Rahmen, der so oder so auszufüllen ist. Erst an dieser Stelle wird der eigentliche Beitrag Dr. Adenauers für die Entwiddung der Staatspraxis sichtbar. Die »Kanzlerdemokratie« ist durch die Verfassung möglich geworden, daß sie entstanden ist, liegt am Wirken Dr. Adenauers. Der Vorrang des Bundeskanzleramtes ist durch die Verfassung nicht verhindert, daß

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er sich entwickelt hat, liegt wiederum ganz ausschließlich bei Dr. Adenauer, der z. B. seit 1949 keinen tatsächlichen Stellvertreter neben sich geduldet und die Regierung statt dessen durch den Vorrang des ihm persönlich unterstehenden Amtes funktionsfähig gemacht hat. Weil in der Dialektik von Kollegialsystem und Einzelführung die letztere stärker betont wurde, hat sich also die Kanzlerdemokratie entwickelt. Zu ihr gehört auch, daß gegenüber den Ministern die Möglichkeiten der Geschäftsordnung sehr weitgehend ausgenutzt wurden, die Geschäftsordnung aber umgangen wurde, wenn sie dem persönlichen Regierungsstil des Kanzlers hinderlich war. So heißt es in § 10 dieser Geschäftsordnung, daß Abordnungen »in der Regel« von dem federführenden Fachminister, vom Bundeskanzler dagegen »nur in besonderen Fällen« empfangen werden sollen. Der Empfang beim Kanzler ist aber für die führenden Interessenverbände die Regel. Wenn immer Wünsche nicht erfüllt werden, wenden sich die Vorsitzenden des Beamtenbundes, des Bauernverbandes oder der Arbeitgebervereinigungen an den Kanzler und werden von ihm häufig ohne Hinzuziehung des Fachministers empfangen. Dadurch gelten die Minister als »überspielbar«, und selbst gegenüber Mehrheitsbeschlüssen des Kabinetts läßt sich nicht nur im Parlament, sondern auch in der Regierung selbst etwas tun. Dr. Adenauer hat auf diese Weise die Autorität der Ministerien zweifellos untergraben und die eigene Autorität vermehrt und herausgestellt51 • Daß Minister unter Dr. Adenauer leicht als Untergebene wirken, hängt natürlich auch damit zusammen, daß der Kanzler in Personalunion Vorsitzender und ziemlich unbeschränkter Chef der wählerstärksten Partei jedenfalls in den entscheidenden Jahren war und keine sonderlichen Koalitionsmühen hatte, nachdem einmal 1949 die Entscheidung gegen eine »große Koalition« gefallen war. So fehlte 1949-1959 die Fraktion als Stätte, an der Differenzen zwischen Kanzler und Minister mit gleicher Parteizugehörigkeit ausgetragen werden können. Zu der kunstvollen Personalpolitik des Kanzlers gehörte außerdem, Politiker mit starkem Anhang nach Möglichkeit nicht ins Kabinett zu nehmen oder sie dort systematisch zu »verbrauchen«. Auch andere Eigenschaften des Kanzlers, die ganz unabhängig von den Aufgaben und Möglichkeiten des Amtes zu sehen sind, haben konstituierende Bedeutung gehabt. Dazu gehört die Fähigkeit, sich auf wenige Grundsatzfragen zu konzentrieren, aus diesen den Führungsanspruch zu bestreiten und die Mitarbeiter in den übrigen Gebieten doch relativ freizustellen. Je ferner den Interessen des Kanzlers ein Amt war, desto eher hatte es die Chance zu eigener politischer Entfaltung. Von Beginn der vierten Legislaturperiode des Bundestages an liegen die Dinge allerdings anders. Im September 1961 ist nicht zu Unrecht von der »Kanzlerdemokratie in der Sterbestunde« gesprochen worden, als es Adenauer offensichtlich nicht gelang, seinen Stil den neuen Verhältnissen ganz anzupassen.

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Daraus wird sichtbar, wie wenig von der Person Dr. Adenauers und von seinem alleinigen Beispiel aus die Verfassung interpretiert werden kann. Sie bietet vielmehr verschiedene Möglichkeiten für die Regierung selbst und für das Verhältnis zwischen Regierung und Parlament. Eine Koalition, in der der kleinere Partner nicht gänzlich willenlos dem größeren folgt, wertet selbsttätig die Stellung des Parlaments gegenüber der Regierung auf. Ein Finanzminister, der nicht der gleichen Partei angehört wie der Kanzler und der gegen Entlassung weithin geschützt ist, hat ungleich größere Möglichkeiten, die ihm eingeräumten Vorrechte zu praktizieren. Eine Opposition, die sich einer nicht ganz einheitlichen Mehrheit gegenübersieht, kann vergleichsweise leichter ihre Kontrollmöglichkeiten ins Spiel bringen. Eine Trennung der Ämter des Kanzlers und des Parteivorsitzenden der stärksten Partei verselbständigt die Partei und konzentriert die Regierung in anderer Weise auf den Gesprächspartner im Parlament als das bisher der Fall war. Der Regierungsstil der Zeit von 1949 bis 1961 hat eine Möglichkeit voll verwirklicht, die im Rahmen der Verfassung neben anderen zulässig ist, keineswegs ist für alle Zeiten eine verbindliche Tradition entstanden.

b) Der Bundespräsident- Amt und Politik So wie Dr. Adenauer dem Amt des Bundeskanzlers sein Gepräge gegeben hat, das dazu verführt, dieses Amt einseitig unter den Voraussetzungen jener Zeit zu sehen, so ist auch das Amt des Bundespräsidenten durch Theodor Heuss in einer sehr bestimmten Weise geprägt worden. Auch hier gilt es deshalb zu unterscheiden, welches der diesem Amt gesteckte Rahmen ist und welche Tradition Theodor Heuss begründet hat. Die Verfassung der Bundesrepublik wurde 1948/49 so stark unter dem Eindruck der Erfahrungen beraten, die mit der Verfassung von Weimar gesammelt worden sind, daß fast zwangsläufig die Liebe des Verfassungsgebers der Regierung gehörte, mit Sorge an das Parlament gedacht wurde und Mißtrauen vor allem gegenüber dem Staatsoberhaupt zum Ausdruck kam. Mit Liebe wurde die Macht der Regierung angereichert, mit einiger Sorge wurde die Freiheit des Parlaments so beschnitten, daß dieses Organ nicht über die Regierung triumphieren und sie arbeitsunfähig machen kann, und voller Mißtrauen wurde das Amt des Bundespräsidenten auf ein Minimum von Macht reduziert. Als erstes wurde die unmittelbare Volkswahl abgeschafft und die etwas umständliche Konstruktion der Bundesversammlung erfunden, um eine Wahl vorzunehmen, aus der sich kein überparteilicher Führungsanspruch ableiten läßt. Als zweites wurde die Bundesregierung vom Vertrauen des Bundespräsidenten unabhängig gemacht: Der Vorschlag des Präsidenten für die Wahl des Bundeskanzlers bedeutet in der

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Regel nur em nominelles Recht. Lediglich in einer sehr unklaren Mehrheitssituation oder beim offenbaren Fehlen einer Mehrheit könnte es sein - das bleibt aber bloße Spekulation -, daß der Präsidentenvorschlag konstituierend wirkt, weil anders die Parteien sich nicht zu einigen vermögen. Als drittes wurde für den Normalfall dem Bundespräsidenten jede unmittelbare Mitwirkung bei der Leitung der Staatsgeschäfte entzogen. Die völkerrechtliche Vertretung des Bundes, die sich im Beglaubigen eigener und im Empfangen fremder Diplomaten sowie in der Unterzeichnung von Verträgen äußert, wurde ebenso an die Vorschläge und Vorarbeit der Regierung und - bei Verträgen - des Gesetzgebers gebunden wie die Ausfertigung von Gesetzen, die Ernennung von Beamten und die Bestallung der Minister. In normalen Zeiten bleibt dem Präsidenten demnach nur ein Minimum gestaltender Funktionen. Seine Rechte sind weitgehend prohibitiv. Von wenigen Ausnahmen abgesehen -Ernennung des Bundeskanzlers, Auflösung des Bundestages nach Artikel 63 GG und Bitte gemäß Artikel 69/3 GG 52 - , ist für Anordnungen und Verfügungen des Bundespräsidenten die Gegenzeichnung des Bundeskanzlers oder (und) des zuständigen Ressortministers notwendig. Das bedeutet, daß Kanzler oder Minister, nicht aber der Bundespräsident politische Verantwortung haben. Wie weit seine rechtliche Verantwortung reicht, läßt sich schwer sagen, in ihr liegt aber jedenfalls eine prohibitive Wirkung: Der Bundespräsident kann von sich aus nichts tun, er kann keinen Beamten ernennen und keinen völkerrechtlichen Vertrag schließen, sondern wird tätig erst, wenn andere entsprechende Vorarbeit geleistet haben. Ob er dann tätig werden muß, ist eine offene Frage, die aus der Verfassung nicht schlüssig zu beantworten ist. Unzweifelhaft muß der Bundespräsident ein Gesetz, das nach den Vorschriften der Verfassung zustande gekommen ist, ausfertigen. Hier ist der Wortlaut des Artikels 82 eindeutig. Unter diese Bestimmung fallen auch die völkerrechtlichen Verträge, welche nach Artikel 59/2 der Mitwirkung der gesetzgebenden Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes bedürfen. Unklar ist dagegen, wieweit der Bundespräsident berechtigt oder sogar verpflichtet ist, zu überprüfen, ob ein Gesetz tatsächlich verfassungsgemäß ist. Nicht ganz klar ist, ob er wegen Verfassungsverletzung belangt werden kann, wenn er ein verfassungswidriges Gesetz unterzeichnet hat. Unklar ist weiter, ob der Bundespräsident verpflichtet ist, einen ihm nicht genehmen Beamten zu ernennen oder einen Diplomaten zu beglaubigen, den er für ungeeignet hältss. Daß die Verfassungsbestimmungen hier unklar sind, ist kein Zufall. Das Grundgesetz weist dem Bundespräsidenten keine starke Stellung zu, sieht ihn aber doch nicht als reines Repräsentationsorgan. Zu den Pflichten seiner Amtsführung gehört im Regelfall deshalb eigene Prüfung der vorzunehmenden Amtshandlun~?;en, zu denen der Bundespräsident mithin- wieder im Regelfall-auch

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nicht gezwungen ist. Da der Bundespräsident im Gegensatz zu den Mitgliedern der Bundesregierung laut Artikel 61 wegen Grundgesetz- oder Gesetzesverletzung vor dem Bundesverfassungsgericht angeklagt werden kann, besteht notwendig eigene Verantwortung. Aus ihr heraus kann er es ablehnen, ein Gesetz zu unterfertigen, das er für verfassungswidrig hält5 4, oder einen Beamten zu ernennen, dessen Ernennung er nicht für gerechtfertigt hält. Der Präsident wird von solchen Rechten sparsamen Gebrauch machen, er wird als »Hüter der Verfassung« nur in Ausnahmefällen auftreten, die Möglichkeiten dazu hat er aber. In der staatsrechtlichen Diskussion kann man verfolgen, wie diese Möglichkeit extensiver oder enger ausgelegt wird. In der Staatspraxis ist durch Theodor Heuss zweifellos eine starke Zurückhaltung des Präsidenten begründet worden. Dem Vernehmen nach sind von ihm lediglich in Ernennungsfragen gelegentlich Vorbehalte gemacht worden. Sie können von der Regierung dadurch überspielt werden, daß die betreffenden Kmter zunächst nur mit Angestellten besetzt werden55 • Stärker ausgeprägt sind die Rechte des Präsidenten, wenn in der Verfassungspraxis Schwierigkeiten entstehen. Es wurde bereits darauf verwiesen, daß bei unklaren Mehrheitsverhältnissen im Parlament dem Vorschlagsrecht des Präsidenten größere Bedeutung zukommen wird. Vor allem wirkt dann das natürliche Vorrecht des Präsidenten, die Fraktions- und Parteiführer zu sich zu bitten und sich ihre Auffassungen anzuhören, mehr und gibt stärkeren Einfluß, als wenn die Mehrheitsverhältnisse völlig überschaubar sind. Frei ist der Präsident auch in der Entscheidung nach Artikel 63/4: Hat ein vom Bundestag gewählter Bundeskanzler nicht mehr die Mehrheit der Stimmen erhalten, dann entscheidet der Präsident, ob er den betreffenden Kandidaten ernennen oder den Bundestag auflösen will. Dies ist eine politische Entscheidung: Der Bundespräsident gibt damit zu erkennen, ob er eine neue Wahl für geeignet hält, die Verhältnisse zu klären, oder ob er annimmt, daß im Parlament eine gewisse Beruhigung eintritt und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit wächst. Ahnlieh wirkt das Recht des Bundespräsidenten, nach Artikel 68/1 auf Vorschlag des Bundeskanzlers den Bundestag aufzulösen, wenn dem Bundeskanzler nicht das Vertrauen ausgesprochen worden ist. Die freie Entscheidung des Präsidenten ist erst möglich nach dem Vorschlag des Bundeskanzlers, dann aber votiert der Präsident zwischen dem amtierenden Kanzler und der Parlamentsmehrheit, wenn diese nicht in der Lage ist, sich auf einen neuen Bundeskanzler zu einigen. In einem solchen Fall arbeitet die Bundesregierung weiter, und damit die Staatsmaschinerie nicht zum Erliegen kommt, gibt es den sogenannten Gesetzgebungsnotstand nach Artikel 81. Ihn kann der Bundespräsident für eine bestimmte Vorlage erklären, die die Regierung für dringlich hält, die der Bundestag aber abgelehnt hat. Lehnt nach der Erklärung des Präsidenten der Bundestag die

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Vorlage erneut ab, so kann das Gesetz dennoch verkündet werden, wenn der Bundesrat zustimmt. Ist der Gesetzgebungsnotstand einmal erklärt, kann er sechs Monate lang weitergehen, so daß die Regierung, wenn sie die Zustimmung des Bundesrates hat, noch weitere Gesetze verabschieden kann, die der Bundestag nicht mit Mehrheit beschlossen hat. Das Recht des Bundestages, auch diese Gesetze wie sonst zu beraten, bleibt davon unberührt, insofern ist auch die Frist von sechs Monaten nicht so übermäßig lang, wie das zunächst erscheinen mag. Entscheidend ist aber auch hier wieder: Der Bundespräsident beurteilt allein, ob er den Gesetzgebungnotstand verkündet oder nicht; seiner Pflicht zur Oberprüfung der unter dem Notstand zustande gekommenen Gesetze wird man noch größeres Gewicht beimessen müssen als in normalen Zeiten. Ein weiteres wesentliches Ausnahmerecht ist dem Bundespräsidenten mit Artikel 59a zugewachsen, nach dem er mit Gegenzeichnung des Bundeskanzlers den Verteidigungsfall verkünden kann, wenn Gefahr im Verzug ist und der dafür zuständige Bundestag nicht mehr zusammengerufen werden kann. Alle diese Ausnahmemöglichkeiten des Bundespräsidenten haben sich bisher noch nicht ergeben. So hat sich auch in der politischen Öffentlichkeit das Bild befestigt, welches die Stellung des Bundespräsidenten in normalen Zeiten bietet und welches vor allem durch Theodor Heuss geprägt worden ist. Dieser sagte nach seinem Amtsantritt 1949 im Bundestag u. a.: >>In den Zeitungen habe ich in diesen letzten Tagen allerhand seltsame Dinge von mir lesen können- nette Sachen -, aber daß mir die >Ellbogenkrafl:< fehle, die zum Politiker gehöre. Ich selber habe das Gefühl: von der Ellbogenpolitik haben wir reichlich genug gehabt ... mir scheint, daß dieses Amt, in das ich gestellt bin, keine Ellbogenveranstaltung ist, sondern daß es den Sinn hat, über den Kämpfen, die kommen, die nötig sind, die ein Stück des politischen Lebens darstellen, nun als ausgleichende Kraft vorhanden sein.>Hof«, und in einem Amt auf Zeit läßt sich eine Stellung nicht erringen, wie sie etwa die Queen Victoria oder einige ihrer Verwandten auf dem belgischen Thron gehabt haben. Dies schließt aber nicht aus, daß das Amt des Präsidenten in normalen Zeiten in größerer Nähe oder eben auch in größerem Abstand zur Politik wahrgenommen werden kann. Der zweite Präsident, Dr. Heinrich Lübke, ist offenbar der Politik näher als es der erste war. In den Ländern hat die Frage eines eigenen, von der Exekutive oder vom Parlamentspräsidium abgelösten Staatsoberhauptes nie eine Rolle gespielt. Lediglich in Bayern war davon 1945/46 die Rede; der Antrag auf Einrichtung des Amtes eines Staatspräsidenten wurde aber während der Verfassungsberatung abgelehnt. Damit vertritt der Ministerpräsident das Land >>nach außen« und hat so einen Teil der Funktionen, die der Bundespräsident für den Bund hat, soweit sie in den Ländern überhaupt anfallen. Auf Grund mangelnder staatlicher Tradition einiger Länder ist auch die Protokollfrage nicht einwandfrei beantwortet, denn an sich müßten die Ministerpräsidenten je für sich im Protokoll des Bundes unmittelbar nach dem Bundespräsidenten rangieren, während man sich in Bonn nur zu der Kompromißlösung verstanden hat, den jeweiligen Präsidenten des Bundesrates auf diesen Platz zu lassen und so zum Ausdruck zu bringen, daß >>der Staat>Der Bundesrat beschließt: 1. über die dem Reichstage zu machenden Vorlagen und die von demselben gefaßten Beschlüsse; 2. über die zur Ausführung der Reichsgesetze erforderlichen allgemeinen Verwaltungsvorschriften und Einrichtungen, sofern nicht durch Reichsgesetz etwas anderes bestimmt ist ... >Präsidium des Bundes>nach Art>Führen die Länder die Bundes-

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gesetze als eigene Angelegenheit aus, so regeln sie die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren, soweit nicht Bundesgesetze mit Zustimmung des Bundesrates etwas anderes bestimmen.« Außerdem fällt quantitativ noch Artikel 105/3 ins Gewicht: »Bundesgesetze über Steuern, deren Aufkommen den Ländern oder den Gemeinden (Gemeindeverbänden) ganz oder zum Teil zufließt, bedürfen der Zustimmung des BundesrateS.>daß der Bundestag mit der Bundesregierung an dem baldigen Zustandekommen der von ihm beschlossenen Gesetze lebhaft interessiert ist und daß andererseits der Bundesrat den überwiegenden Teil der Vermittlungsfälle durch ein bloßes Votum zum Scheitern bringen kann«. Deshalb >>kommt man dazu, dem Bundesrat die bei weitem bessere Verhandlungsposition zuzugestehen. Bei zustimmungsbedürftigen Gesetzen werden sich die Vertreter des Bundestages sehr genau überlegen, ob sie nicht lieber weitreichende Zugeständnisse in Kauf nehmen sollen, ehe sie eine Ablehnung riskieren66 .« Außerdem ist nicht von der Hand zu weisen, daß die Mitglieder des Bundesrates im Ausschuß denen des Bundestages möglicherweise aus äußerlichen Gründen bessere Vorbereitung durch die unterstellten Beamten - oder auch aus solchen des Verhandlungsgeschickes etwas überlegen sind. Wie dem auch immer: Bis

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zum Sommer 1955 scheiterten von 91 Gesetzen, die in den Vermittlungsausschuß kamen, zum Schluß nur fünf. Seither hat sich diese Zahl kaum vermehrt. Dabei ist nicht zu übersehen, daß sich das Verfahren bewährt hat, weil der Vermittlungsausschuß mit einem guten Schuß Geheimniskrämerei arbeitet. Er verhandelt nicht öffentlich, Zuhörer sind praktisch nicht zugelassen, Bindungen sind weithin ausgeschaltet. Neunreither spricht von dem Versuch, >>im kleinen Gremium das zu verwirklichen, was ursprünglich dem Parlament selbst vorbehalten sein sollte«. Endlich ist festzuhalten, daß die günstige Position des Bundesrates im Vermittlungsausschuß zwar durch die Zustimmungserfordernis vieler Gesetze bewirkt wird, daß aber durch den einmal funktionierenden Ausschuß die Autorität des Bundesrates insgesamt, also auch hinsichtlich der nichtzustimmungsbedürftigen Gesetze wächst. Der Anteil des Bundesrates in der Gesetzgebung ist dadurch so gewachsen, daß man von einem nahezu gleichberechtigten Partner der Gesetzgebung sprechen kanns7. Nur am Rande ist das technische Problem der Fristen zu erwähnen. Zu Vorlagen der Bundesregierung muß der Bundesrat binnen drei Wochen Stellung nehmen, zu Gesetzesbeschlüssen des Bundestages muß er es innerhalb von zwei Wochen. Kommt im Vermittlungsausschuß keine Einigung zustande oder lehnt der Bundestag den Vorschlag ab, muß der Bundesrat binnen einer Woche Einspruch erheben, wenn er das tun will. Diese Fristen muß man in Verbindung mit den Sitzungen des Bundesrates sehen, die in der Regel alle 14 Tage stattfinden; sehr viel öfters ginge das gar nicht, weil die Bundesratsmitglieder ja auch in den Ländern engagiert sind. Es muß nun so verfahren werden, daß z. B. ein Entwurf beim Bundesrat eingeht und sogleich dem zuständigen Ausschuß und den Länderregierungen weitergegeben wird. Ausschuß und Regierungen müssen bis zur nächsten Sitzung ihre Stellungnahme vorbereitet haben. Das bedeutet, daß vor jeder Bundesratssitzung die Kabinettssitzung im Land zu einem erheblichen Teil für Bundesratsangelegenheiten benötigt wird. Es bedeutet weiter, daß etwaige Änderungsvorschläge einer Landesregierung keine erhebliche Chance haben können, weil in der nachfolgenden Bundesratssitzung, an der ja von ihren Regierungen instruierte Minister teilnehmen, die von der Instruktion normalerweise nicht abweichen können, bestenfalls über die Stellungnahme des Ausschusses abgestimmt werden kann, die vorher schon bekannt war. Auf diese Weise sind die Ausschüsse fast noch mächtiger als im Bundestag. Sie formulieren vor, die Regierungen in den Ländern beschließen ihr Ja oder Nein zum Ausschußvorschlag, und in der Bundesratssitzung läßt sich sinnvoll über abweichende Meinungen eines Landes nicht diskutieren, weil die Abstimmung durch Instruktion bereits festliegt.

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Trifft dies alles nun mehr oder minder die Rechtslage und die in ihr ruhenden Möglichkeiten der Machterweiterung und -aufgabe, so muß nach den bisherigen Erfahrungen der Bundesrat noch unter einigen anderen Aspekten gesehen werden. Diese Aspekte ergeben sich aus der Stellung eines Bundesratsmitgliedes: Jedes Mitglied des Bundesrats ist Fachminister und Chef einer mehr oder minder großen Verwaltung, Regierungsmitglied eines Landes, Mitglied einer Partei und Mitglied des Bundesrates. Als Fachminister hat er Teil am oder repräsentiert zumindest den Fachverstand seiner Behörde. Als Regierungsmitglied ist er spezifischen Interessen seines Landes verpflichtet, in gewisser Weise vom Landtag abhängig und an die Kabinettsbeschlüsse gebunden. Als Mitglied einer Partei bestehen Bindungen gegenüber der Mehrheit im Bundestag und damit gegenüber der Regierung oder gegenüber der Opposition. Als Bundesratsmitglied endlich partizipiert er an den Vollmachten eines Bundesorgans, denn der Bundesrat ist nicht die Vertretung der Länder im Bund- auch wenn er faktisch so wirken kann-, sondern das Bundesorgan, in dem in besonderer Weise die Anliegen der Länder berücksichtigt werden. Vom einzelnen Bundesratsmitglied aus gesehen, sind diese vier Aspekte einer Funktion zunächst nicht so deutlich, weil die Stimmen eines Landes - mindestens drei, höchstens fünf - nur einheitlich abgegeben werden können. So gesehen ist das Mitglied primär Regierungsmitglied und an die Instruktionen der Regierung gebunden. Da es seinerseits aber wiederum an der Abfassung dieser Instruktionen beteiligt ist, kann dieser Einwand zunächst unberücksichtigt bleiben. In der Praxis ist der erste Aspekt am deutlichsten hervorgetreten. In der Gesetzgebung und in der Beteiligung an der Verordnungsgewalt der Regierung hat der Bundesrat zuvörderst seine Verwaltungserfahrung - und den jeweiligen Ressortegoismus - eingebracht. Der Bund hat sich zwar einige Verwaltungseinrichtungen geschaffen, über die manche überzeugte Föderalisten nicht recht glücklich sind6S, im großen und ganzen hat aber der Bundesrat das Aufblähen der Bundesverwaltung verhindert und damit die Verwaltungsmacht der Länder verteidigt. Zugleich konnte in der Gesetzgebung selbst, in der Teilnahme an Ausschußsitzungen des Bundestages, in der Auseinandersetzung über Verwaltungsverordnungen und bei anderen Gelegenheiten wirksam das Gewicht der Landesbürokratie ins Spiel gebracht werden. Die verwaltungstechnische Brauchbarkeit unserer Gesetzgebung ist dadurch zweifellos verbessert worden. Dabei hatte der Bundesrat keinen Anlaß, darauf hinzuwirken, daß insgesamt nur sparsam Gesetze gemacht werden sollten. Wird der Bundestag entscheidend nur tätig, wenn er es »in der Form« des Gesetzes wird, so gilt das ähnlich auch für den Bundesrat, obgleich sich dieser seinen Einfluß auch auf die Verordnungspraxis gesichert hat und deshalb für ihn nicht die nämlichen Argumente gelten wie für den Bundestag.

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Der zweite Aspekt ist immerhin noch deutlich genug. Der Bundesrat verteidigt die Interessen der Länder. Das gilt rechtlich: Der Bundesrat hat ziemlich argwöhnisch darüber gewacht, daß z. B. durch Bundesgesetze nicht in das Kommunalverfassungsrecht eingegriffen wird. Sorge gegenüber dem Ausweiten der Bundeskompetenz war also bestimmendes Anliegen. Und es gilt faktisch: Der Bundesrat ist z. B. hinsichtlich der Änderung der Finanzverfassung zuungunsten der Länder kaum geneigt, auf vorhandenen Besitzstand zu verzichten, während er selbst oder die Landesvertretungen sich stets bemüht haben, Bundesmittel in das eigene Land zu schleusen. In diesen Dingen wirkt der Bundesrat gelegentlich durchaus nach der Art einer lnteressenvertretung. Die Bundesratsmitglieder tun das im Blick auf ihren Landtag, dem im übrigen in keinem Land auf die Kabinettsentscheidung in Bundesratsangelegenheiten nennenswerter und spürbarer Einfluß zukommt. Man muß sich jedoch rechtfertigen und der Hinweis auf gute Kontakte zur Bundesregierung und anderen Stellen in Bonn fehlt nach Möglichkeit in keinem Rechenschaftsbericht. Strukturell wirkt der Bundesrat, soweit die beiden genannten Aspekte hervortreten, in Bonn weit weniger als zweite Kammer und viel eher als zweite Regierung. Er hat mit dem Typ der zweiten Kammer nur gemein, daß er wenig politische Initiative entwickelt und daß er besondere Wünsche, z. B. hinsichtlich der Gesetzgebung, meist der Bundesregierung übermittelt und erst, wenn diese sich versagt, selbst einen Entwurf vorlegt. Im Zusammenspiel mit dem Bundestag aber, der - auch nach dem Eingangswortlaut unserer Gesetze69 - der >>eigentlicheMachtverschiebungwas er für richtig hält, und unterbreitet der Wählerschaft seine Entscheidung, nachdem er mit dem Instinkt, der allein den großen Politiker bezeichnet, festzustellen versucht hat, mit welcher List man die Öffentlichkeit für seine Entscheidung günstig stimmen kann.KanzlerdemokratieUnsere Verbündeten wissen jetzt, daß es in der Bundesrepublik leider nur eine Partei gibt, auf die sie sich wirklich verlassen können.>die Vereinfachung der Auseinandersetzung durch Diskreditierung der gegnerischen Anschauungen« vermieden wird, wird man hier wie in all den F~llen, in denen behauptet wird, der politische Gegner arbeite »dem Osten« in die Hände, Stilwidrigkeit feststellen können. Jede Form der Diffamierung läßt sich aus dem moralischen Fundus heraus als solche erkennen und stilkritisch würdigen. Näher betrachtet spielt die Diffamierung auch eine erhebliche Rolle; so ungeschützt von der »Diffamierung der Opposition«, der Intellektuellen usw. zu reden, wie es des öfteren geschieht, ist allerdings kaum möglich, da hier weit eher Niveaulosigkeit als Stilwidrigkeit vorliegt. Auch das Abgleiten der Diskussion ins Persönliche ist angreifbar und es ist moralisch eindeutig zu würdigen, wenn etwa die politische Vergangenheit unsachlich in der Debatte als Argument gegen einen Gegner verwandt wird. Andererseits kann es ganz sicher nicht um einen Persönlichkeits- und um den Schutz der privaten Sphäre in der Politik gehen, sondern das primäre Postulat ist das nach dem moralisch einwandfreien Ruf von Politikern. Moralische Integrität ist in der Politik notwendig, weil anders man verletzlich und auf den Takt

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anderer angewiesen ist. Die Verletzlichkeit bliebe, auch wenn man durch besondere Gesetze mehr geschützt wäre als bisher. Mit anderen Worten: Von der politischen Diskussion ist Sachlichkeit zu erwarten; wer diffamiert oder unwahre persönliche Angriffe startet oder überhaupt lügt, verfügt entweder nicht über sachliche Argumente oder er verachtet seinen Gegner und seine Wähler. Hier liegen also die Maßstäbe ziemlich fest, die Schwierigkeit besteht darin, sie im einzelnen richtig anzuwenden. Stilwidrig waren zahlreiche Behauptungen über den Spiegel kurz nach Beginn der Spiegel-Affäre; am erschreckendsten war sicher, was Dr. Adenauer am 7. 11. 1962 im Bundestag erklärte, ohne daß zu dieser Stunde irgendein Beweis für seine Behauptung vorlag:» Nun meine Damen und Herren, wir haben einen Abgrund von Landesverrat im Lande. (Abg. Seuffert: Wer sagt das?) Ich sage das. (...) Denn, meine Damen und Herren, wenn von einem Blatt, das in einer Auflage von 500 000 Exemplaren erscheint, systematisch, um Geld zu verdienen, Landesverrat getrieben wird- ... « >>Aber sehen Sie, in der Person Augsteins sind zwei Komplexe drin. Auf der einen Seite verdient er am Landesverrat, und das finde ich einfach gemein .... « Die Spiegel-Affäre ist natürlich überhaupt zu einer Fundgrube für derartige Fragen geworden. Dabei liegen aber doch die wesentlichen Teilfragen im rechtlichen Bereich und sind an Hand des Strafrechtes, des Prozeßrechtes, der Auslieferungsverträge und dergleichen mehr zu beantworten. Stilrügen sind vor allem möglich angesichts der Art, in der die Öffentlichkeit durch die Bundesregierung unterrichtet wurde und in der die Regierung die Fragen der Opposition im Parlament beantwortete. Daß hierbei offenkundig - bereits wenig später nachweisbar - die Unwahrheit gesagt wurde, ist kaum weniger schlimm als die Tatsache, daß man sich nach dem Eingeständnis des Bundesinnenministers Höcherl >>etwas außerhalb der Legalität« bewegt hat. Alle diese Beispiele zeigen freilich nur, daß meist hilfsweise zur Beurteilung Kategorien herangezogen werden, die aus Bereichen stammen, auf die auch der politische Stil bezogen sein muß, daß es diesen Stil in einer einigermaßen verbindlichen Form aber noch nicht gibt. Das gilt sowohl äußerlich hinsichtlich des Verfahrensstiles als auch normativ hinsichtlich der Verhaltensmaßstäbe. Für das erstere fehlen weithin noch die jeweiligen Amtstraditionen - das wird besonders an der Bundesregierung, ihrer Kollegialität und dem Einstehen des Bundeskanzlers für seine Minister deutlich -, für das letztere fehlt es an bündigen Regeln, wann z. B. der Rücktritt eines Ministers notwendig wird oder wann ein Abgeordneter aus der »Gemeinsamkeit mit den Gutgesinnten>SeinGewaltenteilung>verwaltete« Bürger sich als >>Verwaltungskunde>anständigen und sauberen>des StaateS>Dienstherren« als Abwehrmaßnahme der Gewaltunterworfenen nicht einkalkuliert zu werden braucht. Einige Bereiche bilden hier Ausnahme: Wechsel erfolgen nicht selten von der Steuerverwaltung, insbesondere von der Steuerprüfung in die Privatwirtschaft; auch von einer gewissen Auswechselbarkeit zwischen Ministerialreferenten und Verbandsgeschäftsführern ist die Rede. Für die Masse der Beamten des mittleren, gehobenen und höheren Dienstes gilt es aber als schwierig, in die Privatwirtschaft überzuwechseln. Mit der Kündigungsmöglichkeit verliert der Beamte daher faktisch einen wirksamen Schutz, der durch das Beamtenrecht nur teilweise und kaum innerbetrieblich kompensiert wird. Die Personalhoheit hat demgemäß ihren Machtcharakter weniger dort, wo es um die Einstellung von Beamten geht und mehr in der Versetzung und Beförderung. Hier wirkt sie als Allmacht - trotz der Personalräte. Während in der Wirtschaft Gehaltserhöhung oft von finanziell meßbarer Leistung abhängig ist, ist in der Verwaltung Beförderung mehr von dem Verhalten gegenüber dem zur Beförderung Berechtigten oder sie Vorschlagenden abhängig. Sofern - und das ist meist der Fall - Beförderungsrecht, also Personalhoheit, mit Aufsichtsund Weisungsgewalt verbunden sind, wird durch diese Kombination die Hierarchie in der Verwaltung am Leben erhalten. Auch aus diesem Grund hat es stilprägende Kraft, wenn die Einheit von Personal- und Organisationsgewalt sowie Aufsichts- und Weisungsbefugnis im Verhältnis von Bund und Ländern und in dem von Ländern und Kommunen durchbrachen ist. Im übrigen gibt es charakteristische Unterschiede. Es kommt in der Bundes-

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republik immerhin vor, daß ein Wissenschaftler auf Grund selbständiger Publikationen ohne Habilitation Universitätsprofessor wird. Es kommt auch vor, daß ein laufbahnfremder Beamter es bis zum Ministerialdirektor bringt oder daß ein schlecht qualifizierter Beamter auf Grund politischer Beziehungen in diesen Rang aufsteigt. Demgegenüber ist es ausgeschlossen, daß jemand ohne erstes und zweites Staatsexamen Studienrat, Amtsrichter oder Volksschullehrer wird. Ohne die geforderte Prüfung wird praktisch auch niemand Inspektor, jedenfalls nicht im staatlichen Dienst. Das bedeutet, daß es für weite Beamtenkategorien möglich ist, Laufbahnvoraussetzungen gesetzlich zu formulieren, die dann auch eingehalten werden. Für eine Reihe von Sonderbereichen gilt das ungleich weniger, hier wirkt sich die Personalhoheit infolgedessen bereits bei der Einstellung aus. Die Beförderung jedoch ist dann allemal Sache der Verwaltung selbst. Man macht eine Beförderung zwar in der Regel von Prüfungsnoten und Beurteilungsergebnissen abhängig; beides läßt sich aber umgehen, und günstige Beurteilungsergebnisse lassen sich immer herbeiführen. Damit soll nicht gesagt werden, daß häufig manipuliert wird, wesentlich ist, daß sich dies nicht ausschließen läßt. Weil es sich nicht ausschließen läßt, können verwaltungsfremde Gesichtspunkte die Personalpolitik bestimmen und z. B. Partei- oder Konfessionszugehörigkeit unabdingbare Voraussetzungen für eine Beförderung wer· den. Es können aber auch durchaus verwaltungseigene, jedoch negative Gesichtspunkte eine Rolle spielen, z. B. erkennbare Fügsamkeit, die u. U. durchaus das Gegenteil von Verantwortlichkeit bedeutet. Je nachdem wird dann über die Personalhoheit die innere Machtstruktur der Verwaltung noch stärker ausgeprägt oder aber es werden äußeren Einflüssen auf die Verwaltung die Türen geöffnet. Geschieht letzteres, dann gibt der Einflußheischende seine Hochachtung vor der Verwaltungsmacht zu erkennen - sofern es nicht einfach um Versorgung verdienter Parteifreunde oder dergleichen geht32 - , um sich zugleich seinen Anteil an dieser Macht zu sichern, womit er sie möglicherweise nicht vermindert, wohl aber wieder auflockert und differenziert. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist es von hohem Nutzen, daß die Personalhoheit strukturell auf drei Ebenen und faktisch dadurch auf eine Fülle handelnder Personen aufgeteilt ist. Je einheitlicher ein Verwaltungsbereich geführt wird, desto einseitiger kann auch die Personalpolitik sein. Das wird am Schulbereich deutlich. Die Einstellung von Lehrern ist noch keine Personalpolitik. Ministerium und Einstellungsbehörden müssen die ernennen, welche sich melden. Politik beginnt erst bei den Beförderungsstellen, also im Volksschulbereich bei den Rektoren und Schulräten. Bei der Rektorenernennung haben oft die Gemeinden ein gewisses Mitspracherecht, so daß sich hier noch ein Ausgleich ergibt. Bei den Schulräten, soweit sie nicht im städtischen Dienst stehen, gilt das nicht. Deshalb ist es in einer Reihe von Ländern so, daß parteipolitische und kon-

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fessionelle Gesichtspunkte bei der Schulratsernennung eine erhebliche Rolle spielen oder sogar ausschlaggebend sind. Im richterlichen Dienst wird die Beförderung dagegen weithin von den Examensnoten abhängig gemacht, und einseitige Personalpolitik ist schwieriger. Im allgemeinen Verwaltungsdienst wird man erhebliche Unterschiede feststellen, insgesamt aber einen Ausgleich konstatieren können. Ministerien sind eher parteipolitisch oder konfessionell homogen zusammengesetzt, in den Mittelbehörden kann aber oft ein Gegengewicht festgestellt werden, weil aus den Laufbahnbestimmungen heraus der einseitigen Personalpolitik stärkere Schranken gezogen werden. Die verwaltungsfremden Einflüsse auf die Personalpolitik müssen unter dem Gesichtspunkt der Macht unterschieden werden: Auf der einen Seite steht die von der Verwaltungsleitung ausgehende Ämterpatronage, durch die z. B. Angehörige der Partei des Ministers bevorzugt werden. Der >>Patron>Partei- und Gesangbuchbeamten>gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt>BändigungDritten Reich< eine tiefgehende, sein Wesen berührende Umgestaltung erfahren hat8 7 «. Die Umgestaltung wird dann ausführlich beschrieben, wobei sicher nicht unbeabsichtigt Rechtsgelehrte zitiert werden, deren Auffassung von dem unwandelbaren Bestand des Berufsbeamtenturns nach 1945 mit ihren .itußerungen aus den Jahren vorher kaum zu vereinbaren istas. Als Ergebnis stellt das Gericht fest: »Die am 8. Mai 1945 bestehenden Beamtenverhältnisse zum Deutschen Reich, den Ländern, Gemeinden und anderen Dienstherren sind mit dem an diesem Tage eingetretenen Zusammenbruch des Reiches erloschen.« Damit wurde jener Teil der Entnazifizierung legalisiert, durch den Beamte Gehaltsanspruch und Dienststellung verloren haben. Das war allerdings nur für Angehörige z. B. der Gestapo eine endgültige Strafe, im übrigen sind wie in anderen Bereichen auch in der Verwaltung und im gesamten öffentlichen Dienst im großen und ganzen die meisten Personen wiedereingestellt worden, denen unmittelbar nach 1945 zu starkes Bekenntnis zum Nationalsozialismus in Theorie und Praxis vorgeworfen worden ist. Unabhängig von diesen zeitgeschichtlichen Besonderheiten, die in sich freilich eine Fülle noch immer ungelöster Fragen bergen, ergibt sich die Obergangssituation des öffentlichen Dienstes noch aus anderen, z. T. ganz allgemeinen Entwicklungstendenzen39, So war der Beamtenstatus nach deutscher Oberlieferung bis vor kurzem mit relativ geringem Lohn und relativ hohem Sozialprestige verbunden. Das letztere ergab sich z. B. aus der mit der Pensionsberechtigung verbundenen sozialen Sicherheit, aus der Nähe zur staatlichen Autorität oder aus der gesellschaftlichen Sonderstellung40 • Sie äußerte sich nicht zuletzt im Titel des Beamten und in der inner- und außerdienstlichen Anrede mit dem Titel, die der Beamte erwarten durfte. Diese vielbelächelte Erscheinungsweise deutscher Verwaltung ist auch außerhalb des staatlichen Bereichs oft mit Erfolg kopiert worden. Industriefirmen z. B. haben die streng hierarchische Ordnung und das Titelsystem übernommen41 • Es kann hier unberücksichtigt bleiben, wieweit das bloße obrigkeitsstaatliche Tradition ist und wieweit deutsche Eigentümlichkeit42 • Die gegenläufige Tendenz besteht heute darin, die Beamtengehälter an denen der Wirtschaft zu messen, umgekehrt durch den Prozeß der

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öffentlichen Rentensicherung jedes Arbeitnehmers die soziale Sicherheit allgemein zu gewährleisten und endlich die gesellschaftlichen Unterschiede einzuebnen. Zu letzterem trägt die Einsicht bei, daß die außerdienstliche Titelanrede jedenfalls problematisch und die innerdienstliche nicht notwendig ist. In dem Maße, in dem die Rechtsgleichheit verwirklicht wird und in das allgemeine Bewußtsein eindringt, muß ein natürlicher Nivellierungsprozeß stattfinden. Eine zweite Entwicklung führt dazu, das Sonderethos des Beamten abzubauen. Es hat früher einmal den Vorzug des deutschen Beamtenturns mitbegründet, beruhte aber zweifellos auf dem eigentümlichen Dualismus von Staat und Gesellschaft, in dem der Staat über der Gesellschaft stand und »das Allgemeine« repräsentierte, während die Gesellschaft als Inbegriff mehr oder minder egoistischer Einzel- und Gruppeninteressen gedacht wurde. Dem Staatsdiener gewährte man mithin besondere Rechte, erwartete von ihm aber auch ein besonderes Dienstethos. Davon ist dem Wesen nach auch heute noch die Rede, jedoch nicht mehr im Sinne eines Herausstellens. Zwischen einem Staatsbürger, der Gesetze beachtet, Steuern redlich bezahlt und Ehrenämter übernimmt, und einem Beamten wird man keinen grundlegenden Unterschied mehr sehen. Tätigkeit im öffentlichen Dienst ist demgemäß heute viel weniger unter dem Signum der Zugehörigkeit zu einem Orden zu sehen als früher, ähnlich wie mindestens der Tendenz nach der »Bürger in Uniform« den Soldaten aus derBesonderungvon der übrigen Gesellschaft herausführen soll. Wird dennoch in der Bundeswehr gelegentlich eine Besonderung gefordert, dann leider oft unter Hinweis auf die Bereitschaft, »sein Leben einzusetzen«. Dies ist anachronistisch, weil es die Realität des modernen Krieges verkennt, der hinsichtlich des Oberlebens Militär und Zivil chancengleich stellt. Eine dritte Entwicklung ist mehr soziologischer Art. Bis 1914 war das Beamtenturn auf bestimmte Gesellschaftsschichten bezogen. Den unteren, mittleren und gehobenen Dienst besetzten Beamte, die selbst Beamtensöhne waren, aus der Armee kamen oder den Eintritt in das Beamtenverhältnis als sozialen Aufstieg betrachteten. Der gesamte höhere Dienst rekrutierte sich dagegen ziemlich ausschließlich aus der sogenannten guten Gesellschaft. Als hoher Beamte mußte man möglichst Reserveoffizier sein und einer angesehenen studentischen Korporation angehören. Nur soweit es einem Sohn minderbemittelter Eltern damals möglich war zu studieren, hatte er demnach die Chance, in den höheren Dienst zu gelangen. Der Aufstieg dort war ihm aber weitgehend verwehrt. Ganz ausgeschlossen war, wer »links« stand. Von dieser starren soziologischen Bindung kann heute keine Rede mehr sein. Es gibt faktisch keine »Schicht« mehr, aus der der Eintritt in das Beamtenverhältnis als Aufstieg zu werten ist. Auch von einer Entsprechung zwischen höherem Dienst und einigermaßen übersehbaren Gesellschaftsschichten ist nicht mehr in gleichem Maße die Rede.

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Diese nur angedeuteten Entwicklungstendenzen werden häufig aus der besonderen deutschen Geschichte verständlich. Zwei Erscheinungen, die den heutigen öffentlichen Dienst charakterisieren, sind jedoch allgemeiner Natur: das ungeklärte Führungsproblem und die Folgen der zunehmenden Spezialisierung. Die Führungsproblematik ergibt sich für den auf Lebenszeit eingestellten Beamten daraus, daß der oberste Vorgesetzte, der Minister, nur Vorgesetzter auf Zeit ist und durch einen Minister ganz anderer politischer Richtung ausgewechselt werden kann. Das bringt vor allem für die höhere Bürokratie Schwierigkeiten, weil sie dem Führungsanspruch eines Ministers direkter unterworfen ist, ohne ihn als dauerhaft ansehen zu können. So fällt es schwer, sich >>einzurichtenDie Koordinierung ist eine der wichtigsten Aufgaben, die die höheren Dienststellen in Anspruch nimmt 43 .>dem ganzen Volk, nicht einer Partei« zu dienen, als >>Diener der GesamtheitBetriebsklima>VerwaltungskundenDürfen und Müssenin Vertretung>den natürlichen Egoismus des einzelnen ins Spiel. Sie verläßt sich darauf, daß der Betroffene die ihm zur Verfügung gestellten Handhaben, um gegen einen fehlerhaften Verwaltungsakt vorzugehen, auch ergreifen wird. Gewiß geschieht das nicht immer. Es ist keine Seltenheit, daß ein an sich rechtswidriger Verwaltungsakt unangefochten vollzogen wird. . . . Die Wahrnehmung der individuellen Interessen durch den Betroffenen im Wege des ihm gewährten Rechtsschutzes dient damit zugleich dem Verwaltungsinteresse«. Allerdings gerät der einzelne immer mehr gegenüber der Verwaltung in Abhängigkeit und für ihn »kann es weniger wichtig sein, im Einzelfalle einer Kollision Recht zu behalten, als auf die Dauer in spannungslosen, durch Konflikte nicht belasteten Beziehungen zur Verwaltung zu stehen55 «. An faktischen Möglichkeiten sind dem Bürger drei der Natur nach verschiedene Wege eröffnet. Der erste ist der der Dienstaufsichtsbeschwerdeli&, die sich gegen das Verhalten eines Beamten, nicht gegen eine Verwaltungsmaßnahme richtet. Der zweite ist der des Widerspruchs. Der dritte ist dann der Verwaltungsrechtsweg, der mit dem Einbringen einer Klage beim Verwaltungs- oder Finanzgericht beginnt. Das Recht des Widerspruchs ist durch die Verwaltungsgerichtsordnung vom 21. 1. 1960 bündig geregelt. Der Widerspruch muß der Klage vorausgehen. Besondere Formvorschriften bestehen nicht, als Frist ist ein Monat bestimmt. Die Behörde hilft selbst ab, wenn sie den Widerspruch für begründet hält. Hilft sie nicht ab, so erläßt die nächsthöhere Behörde den Widerspruchsbescheid. Letzteres gilt nicht, wenn die nächsthöhere Behörde eine oberste Bundes- oder Landesbehörde ist, und in der Regel nicht, wenn die ursprünglich erlassende Behörde eine Selbstverwaltungsbehörde ist. Einschränkungen bestehen gegenüber dem Widerspruch nicht. Offenkundig dient diese sehr großzügige Regelung vor allem dazu, den Rechtsweg, also die Verwaltungsgerichte, zu entlasten. Das

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frühere Beschwerderecht ist durch die angeführte Verwaltungsgerichtsordnung aufgehoben. Wieweit von den genannten Möglichkeiten sinnvoll und erfolgreich Gebrauch gemacht wird, läßt sich nicht sagen. Bekannt ist, daß die Verwaltungsgerichte überlastet sind, deshalb sehr langsam arbeiten und oft den gewünschten Rechtsschutz so spät gewähren, daß er wirkungslos bleibt. Im übrigen stellt die Finanzverwaltung einen Sonderfall dar, da in ihr sehr viele Einsprüche vorkommen und auch einkalkuliert sind als zusätzliche Kontrolle. Die unmittelbare Beschwerde über einen Beamten soll dem Vernehmen nach selten sein, wird in der Verwaltung aber zumeist beachtet, hat also Wirkungen, die allerdings meist dem Beschwerdeführenden nichts nützen. Die ganze Regelung läßt sicher auch die wünschenswerte Klarheit vermissen, da sie nur den untersten Instanzen gegenüber wirklich wirksam ist. Der normale Widerspruchsweg hört bei den Mittelinstanzen praktisch auf. Eine Dienstaufsichtsbeschwerde über das Regierungspräsidium an das Ministerium ist zwar möglich, aber wohl selten erfolgreich. Dem Ministerium gegenüber ist der einzig wirksame Weg der, welcher zum Minister selbst führt. Im Effekt gilt deshalb, daß sich auf dem vorgeschriebenen Weg vorwiegend beschwert, wer keine andere Möglichkeiten hat. Erfolgreicher sind die, die den Minister kennen, einen Abgeordneten einschalten können oder als Verhandlungsmacht im Ministerium auftreten. Der Unterschied zwischen den Ebenen der Verwaltung wird hier wohl am deutlichsten sichtbar. Er verweist auf die Zwischenstellung des Ministeriums zwischen Regierung und Verwaltung und darauf, daß erst die Mittel- und die Unterbehörden vorwiegend Vollzugseinrichtungen sind, innerhalb derer die Rechtsbindung entsprechend ausgeprägt ist und sich Rechtskontrolle daher auch mehr lohnt. Als Verwaltungsphänomen schlechthin verbleibt also die Dialektik zwischen Hierarchie und Verantwortung, die sich zuerst in einer jeden Behörde bemerkbar macht, sodann im Verhältnis der nachgeordneten zu den vorgesetzten Behörden57, endlich im Verhältnis der Verwaltung insgesamt zur Regierung. Dabei ist erkennbar, daß das System der parlamentarischen Verantwortlichkeit des Ministers ganz erheblich zur Zentralisierung und Hierarchisierung der Verwaltung beigetragen hat. Vorher gab es wohl den Dienstweg von unten nach oben, aber nicht auch den umgekehrten Gang. Im Ausnahmefall konnte sich der König einen lokal zuständigen Beamten zur Berichterstattung holen und ihm unmittelbar Weisungen erteilen. Heute ist all dies zweckmäßiger und reibungsloser geordnet, die parlamentarische Verantwortlichkeit ist formal gesichert, die Haushaltskontrolle erfolgt davon unabhängig, und die Rechtmäßigkeit der Verwaltung kann wenigstens vom betroffenen Bürger im Einzelfall nachgeprüft werden. Was bleibt, erscheint zunächst als Frage des subjektiven Urteils; bleibt eine unheimliche, der Sache nach kaum zu kontrollierende Macht in Händen des

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Ministers und derer, die Einfluß auf ihn haben? Bleibt eine unheimliche, praktism nicht kontrollierbare Macht in Händen der führenden Beamten? Ist die notwendige Macht sorgfältig genug auf drei verschiedene Verwaltungsträger aufgeteilt und durch Machtrivalisierung erreicht, daß sinnvoller Mamtgebrauch gewährleistet, Machtmißbraum aber verhütet ist?

c) Verwaltung und politische Willensbildung Wir haben vorstehend einige Merkmale genannt, nach denen sidJ.Machtfragen beantworten lassen, die im Gebiet der Verwaltung gestellt werden. Verwaltung kann dabei insofern als etwas dem Begriffe nach Einheitlimes behandelt werden, wenn umgekehrt Regierung in dem engeren Sinne des Kabinetts verstanden wird. Diese derart einheitliche Verwaltung ist dann in sich gegliedert, es gibt Leitung und Vollzug, engere oder losere Beziehungen zur Regierung und auch stärkere oder geringere Bindung an Gesetz und Vorschrift. Realiter stellt sich die Verwaltung in der Bundesrepublik aber nimt als einheitlidJ.es Gebilde dar, sondern als ein polykratisdJ.es System. Daß die Organisationsgewalt für die Bundes-, Landes- und Gemeindeverwaltung unterschieden ist, daß parlamentarische oder politische Verantwortung auf den Bundestag, die Landesparlamente und die Gemeindevertretungen bezogen ist und daß verwaltungsfremde Einflüsse vorwiegend die Personalpolitik mitbestimmen, aber aum auf Sachentscheidungen einwirken können, führt den Betramter vor eine Fülle von Machtpotenzen. Sie wirken auf die Verwaltung ein, rivalisieren im Einfluß und stehen gemeinsam der Potenz gegenüber, die die Verwaltung aus sich heraus setzt. Der Führungsanspruch der leitenden Organe des Gemeinwesens gegenüber der vollziehenden Verwaltung bewährt sich nicht mehr in der politismen Verantwortlichkeit der Verwaltungsmefs und der rechtsstaatliehen Bindung der Verwaltung an das Gesetz allein, sondern macht sich in einer Fülle von Einflußversuchen bemerkbar, denen die Verwaltung mehr oder minder gekonnt ihre Eigenständigkeit entgegensetzt. Ob unter solchen Umständen die Verwaltung in der Bundesrepublik zweckmäßig arbeitet, läßt sich nur schwer beantworten. Die tatsächlichen, oft bewunderungswürdigen Verwaltungsleistungen fallen hierbei zwar ins Gewimt, zu bedenken ist jedoch auch, ob Gleiches nicht mit geringerem Aufwand an Zeit und Kosten erreicht worden wäre. Man wird häufig geneigt sein, letzteres zu behaupten, kann dafür allerdings nur punktuelle Erfahrungen als Beleg anführen, da über die Rationalisierung der Verwaltung zwar viel gesprochen wird, ihre Möglichkeiten praktisch aber kaum untersucht sind. Ein Beispiel jedom für viele: Wer einen Wagen kauft und die behördlime »Zulassung« durchführt, hat es dabei mit der örtlidJ.en (kommunalen) Kraftfahrzeugzulas-

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Die Verwaltung als Teil des Regierungssystems

sungsstelle zu tun. Sie teilt die Zulassungsnummer zu und füllt den KrafHahrzeugschein, ggf. auch den Kfz.-Brief aus. Um diesen Verwaltungsvorgang zu beenden, muß der Bürger aber in kleineren Amtern regelmäßig eigens zu einer Kassenstelle, die die Gebühren einstreicht, zum Finanzamt, das die erste Kfz.Steuer einzieht, und möglicherweise noch zu einer vierten Stelle, die die Nummernschilder verkauf!:. Endlich ist es nötig, diese Schilder montieren zu lassen. Gebühren und Steuern sind gerrau festgelegt, es wäre also ohne weiteres möglich, sie von der Zulassungsstelle selbst kassieren zu lassen. Man brauchte dazu nur eine Registrierkasse wie sie ein Tankstelleninhaber hat, der in einer Kasse getrennt verrechnet, was er auf Rechnung der Benzingesellschaft und auf eigene Rechnung verkauf!:. Die Tageseinnahmen würden dann der eigenen Amtskasse und dem Finanzamt übergeben werden. Der Autoinhaber hätte es nur mit einem Büro statt mit vieren zu tun, der Vorgang könnte rund gerechnet in einem Drittel der jetzt benötigten Zeit erledigt werden. Ein anderes Beispiel: Wird irgendwo ein Hochschulinstitut eingerichtet, dann stellt es einen Antrag, in dem es die Einrichtung anfordert, die Universitätsverwaltung nimmt Stellung, das Kultusministerium äußert sich gutachtlich, das Finanzministerium prüf!: und zum Schluß wird ggf. ein eigenes Landesbeschaffungsamt beauftragt, das sich örtlich des Staatsbauamtes bedient. Die sich ergebenden Fristen sind errechenbar, in welcher Weise sie zu verkürzen wären und dennoch die Richtlinien eingehalten werden könnten, läßt sich leicht klären. Gehört endlich zur Zweckmäßigkeit das Kostensparende, dann ist unschwer nachzuweisen, daß die Formen der Kostenprüfung und -kontrolle zwar am Ende ofl: zu billigen Anschaffungen usw. führen, der Verwaltungsaufwand aber in keinem rechten Verhältnis zu den erzielten Einsparungen steht. Daß unsere Verwaltung im großen und ganzen erfolgreich ist, bedeutet jedenfalls nicht, daß sie deshalb schon zweckmäßig ist. Ob unter den gegebenen Verhältnissen die Verwaltung rechtmäßig arbeitet, läßt sich weit entschiedener beantworten, selbst wenn auch dies nicht generell nachgewiesen werden kann. Zur Rechtmäßigkeit gehört primär, daß Maßnahmegesetze in der in ihnen vorgesehenen Weise vollzogen und im übrigen die bestehenden Gesetze und die ihnen vergleichbaren Verordnungen eingehalten werden. Dabei verbleibt dem das Gesetz vollziehenden Beamten zwar häufig ein erheblicher Ermessensspielraum, dies aber beeinträchtigt auch dann nicht die Gesetzmäßigkeit, wenn sich daraus sehr viele Verwaltungsstreitverfahren ergeben. überall wo enge Bindung an das Gesetz vorliegt und es sich damit im engeren Sinne um Hoheitsverwaltung handelt, wird in der Regel rechtmäßig verwaltet. Die Verwaltung irrt häufig, aber sie tut selten Unrecht. Verwaltet wird aber in erheblichem Umfang auch im gesetzesfreien Raum. Man kann sich der Einsicht nicht verschließen, >>daß der Durchnormierung der Verwaltung

Ober den inneren Befund

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natürliche Grenzen gesetzt sind, daß die Verwaltung, um ihre Aufgaben erfüllen zu können, eines Spielraums bedarf, daß sie kein bloßer Subsumtionsapparat sein kann, daß eine unvermeidliche Spannung, ja eine Art >Antagonie zwischen Recht und Verwaltung< herrscht 58 Gesetzesfrei>Gesetz und Recht>biologistischvitalistische>Wenn gleichwohl ganz unbedenklich, als ob sie sich von selbst verstände, von der >Privatautonomie< der Verwaltungsträger gesprochen wird, wenn man ihr, jedenfalls im rein fiskalischen Bereich, grundsätzlich den gleichen Umfang zuerkennt wie der echten Privatautonomie der Bürger, wenn man sich darüber wundert, warum >ausgerechnet< - dem Bunde etwas (nämlich das Betreiben eines Rundfunkunternehmens) versagt wird, was (angeblich) jede private physische oder juristische Person darf - und das alles trotz Anerkennung der Identität von Staat und Fiskus -, so zeigt sich darin, daß man die Konsequenzen dieser Identität nicht zu Ende gedacht hat und ... nach wie vor mit der Vorstellung operiert, der Staat verwandele sich, wenn er fiskalisch handelt, in eine andere, eine private Person59 .>freie>von unten>VOn oben>bundesunmittelbare juristische Person des öffentlidJ.en Rechts>freiheitlich-demokratischen Grundordnung« nur sehr allgemeine Prinzipien ableiten, so das des Gleichheitsgrundsatzes, der die Verwaltung zur Neutralität ähnlich wie den Richter - >>ohne Ansehen der Person«- gegenüber dem Verwaltungskunden zwingt, oder das des Freiheitsschutzes, der etwa den Grundrechtsbereich umfaßt. Ansonsten ist es Sache der politischen Führung, die Verwaltungstradition abzuwandeln oder beizubehalten, den Organisationsstatus so oder so zu gestalten, die Personalpolitik zu binden oder freizugeben und die Verwaltungstätigkeit weitgehend zu programmieren oder aber nur an allgemeine Prinzipien anzulehnen. Daß in diesem Sinne nur wenig Verwaltungspolitik seit 1945 in der Bundesrepublik stattgefunden hat,

V ber den inneren Befund

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dürfte kaum bestritten werden können und unterscheidet diesen Staat wenig von anderen. Nur deshalb kann der Betrachter die Verwaltung ziemlich unangefochten unter obrigkeitsstaatliehen oder demokratischen, vollzugsneutralen oder parteienstaatlichen, die Macht problematisierenden oder Rationalität und Zweckmäßigkeit bevorzugenden Aspekten sehen und jeweils zu verschiedenen Ergebnissen kommen. Keiner dieser natürlich nicht vollzählig genannten Aspekte ist ungerechtfertigt. An der Verwaltung wird in besonderer Weise deutlich, welche Strukturfragen unseres Gemeinwesens noch beantwortet werden müssen und wie sehr es noch am staatlichen Selbstverständnis fehlt, von dem aus die Antworten erst möglich werden. Der durch die Grundordnung gebotene Rahmen muß noch mit eindeutigen Inhalten gefüllt werden. Dies versteht sich freilich von selbst: Nach 1945 mußte die Tätigkeit der Verwaltung im Vordergrund stehen, während ihre Struktur und Funktion erst allmählich ihr endgültiges Gesicht gewinnen können62 • Fraglos sollte nur sein, daß man gerade dies nicht der Verwaltung überlassen darf und kann. Man darf es nicht, weil Eigenständigkeit und Eigengesetzlichkeit der Verwaltung diese zu eigener Zielsetzung zwingen, und man kann es nicht, weil unter den gegebenen Verhältnissen Grundlegendes auf diesem Gebiet von den Parteien und ihrer Bereitschaft, auf Macht oder Einfluß zu verzichten und zusammenzuarbeiten, abhängt. Man sollte freilich auch nicht versäumen hinzuzufügen, daß in den Parteien der wählende Bürger wirksam werden oder auf entsprechende Teilhabe verzichten kann.

S.KAPITEL

Rechtsordnung und Rechtsprechung 1. Regierungssystem und Rechtsordnung

a) Bestandteile der Rechtsordnung Im modernen Verfassungsstaat - und aus historischen Gründen gilt das für die Bundesrepublik in besonderem Maße - werden die wesentlichen Beschlüsse, durch die die Ordnung des Gemeinwesens ausgestaltet wird, »in der Form« des Gesetzes gefaßt. Jedes Gesetz wiederum ist Teil der gültigen Rechtsordnung. Die Rechtsordnung umschließt auch das Verfassungsrecht. Ihre einzelnen Bestandteile haben ein sehr unterschiedliches Geschick. Das deutsche Strafrecht und weite Teile des bürgerlichen Rechts sind noch im vorigen Jahrhundert konzipiert, das Verfassungsrecht dagegen ist vergleichsweise »jung«. Für alle Teile der Rechtsordnung haben wir es aber vorwiegend mit einer Begrifflichkeit zu tun, die ihrerseits mit der heutigen Wirklichkeit oft nicht mehr übereinzustimmen scheint1 • Diese gemeinsame Begrifflichkeit verdeckt den Tatbestand, daß die »Verrechtlichung« des öffentlichen Lebens jüngeren Datums ist. Sie hängt mit dem Rechtsstaatsprogramm zusammen. Als im 18. Jahrhundert die »Politik« als Lehre noch in voller Blüte stand und in der europäischen Wissenschaftssystematik einen unangefochtenen Platz hatte, umfaßte sie mit dem weiten Bereich der Staatswissenschaften auch das, was wir heute als öffentliches Recht zu bezeichnen gewohnt sind, nicht dagegen die Jurisprudenz im engeren Sinne!. Diese war vielmehr dem Privat- und dem Kriminalrecht zugewandt, wohingegen sich noch nach der Auffassung Savignys das Staatsrecht »nicht in den Begriff der Jurisprudenz« bringen ließs. Zu jener Zeit sollte aber der Staat nach Kant eine rechtliche Vereinigung der Bürger sein und seine Zwecke in den Formen und in den Schranken des Rechtes verwirklichen. Diese Forderung beruhte auf dem Glauben daran, frei sei, wer nicht Personen, sondern nur Gesetzen gehorchen müsse. Deshalb mußte der erstrebte Rechtsstaat formal ein Gesetzesstaat sein. Und wenn mehreren Generationen der Rechtsstaat eben darin zu bestehen schien, daß in ihm Gesetze vereinbart werden und auch die staatlichen Organe an sie gebunden sind, dann ließ sich nicht mehr länger zwischen Recht und Politik wissenschaftlich so trennen, wie man das vordem jedenfalls teilweise zu tun gewohnt war. In Deutschland entstand eine einheitliche Jurisprudenz, die sich mit der Unterscheidung von privatem und öffentlichem Recht - bis in die heutige Juristenausbildung mit eindeutigem Schwergewicht bei ersterem - über die Schwierigkeiten hinweg-

Regierungssystem und Rechtsordnung

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half, die entstehen müssen, wenn man das Feld der Politik primär unter den Gesichtspunkten von Rechtsnormen betrachten will. Die Politik als Lehre trat zurück, die staatsrechtliche Betrachtungsweise des politischen Geschehens trat in den Vordergrund. Philosophische, ethische oder politische Gesichtspunkte schieden vielfach aus, damit auch die Frage nach dem Staatszweck und nach den Prinzipien, die vor- und überstaatlich gelten. In einiger Vollkommenheit hat der Rechtspositivismus vor allem in Deutschland dieses Programm erfüllt. Seine begriffliche Systematik hat zu einer klärenden Ordnung des geltenden Rechts beigetragen, hat freilich auch das Recht auf das begrenzt, was im Gesetz enthalten ist, und die Maßstäbe verkümmern lassen, die gegenüber jedem geltenden Recht bestehen müssen. Abgesehen von der möglichen Pervertierung solcher Denkweise dort, wo dem einmal erlassenen Gesetz gegenüber keine Kritik mehr nötig und möglich war und Gesetzesgläubigkeit umschlagen mußte in blinden Gehorsam gegenüber dem Gesetzgeber, selbst wenn er Hitler hieß, hatte diese Denkweise verbunden mit der tatsächlichen Entwicklung des modernen Gesetzesstaates einschneidende Folgen. Das Postulat des Rechtsstaates wurde in einer Zeit erhoben, in der man sich allgemein die Tätigkeit des Gemeinwesens im Vergleich zum freien Lebensraum der Bürger relativ begrenzt vorstellte. Nur deshalb war es auch möglich, Merkmale des Gesetzes aufzustellen, die vorwiegend in seinem generellen Charakter und in der schon erwähnten Formel von Freiheit und Eigentum bestanden. Die technischen und sozialen Wandlungen seit 1880 haben aber überall den Umfang der Staatstätigkeit sprunghaft vermehrt. Konnte man früher die rechtssetzende Tätigkeit des Staates vornehmlich im Bereich des privaten und des Strafrechts, in der Steuer- oder in der Wehrpflichtgesetzgebung sehen, so machen derartige Gesetze heute nur einen geringen Teil der tatsächlich gültigen Gesetze aus. Heute trifft deshalb weder die Freiheits- und Eigentumsformel zu, noch gilt grundsätzlich der generelle Charakter: Eine Unzahl von Gesetzen ist vielmehr für einen bestimmten Personenkreis gedacht, ordnet nur mehr einige wenige Maßnahmen an, versteht sich zeitlich befristet und dergleichen mehr. Nach wie vor gehört aber jedes Gesetz wie auch jede Rechtsverordnung in den Bereich des geltenden Rechts, ist also Teil der Rechtsordnung. Diese, bestehend zu einem kleineren Teil aus dem privaten, dem Straf- und Prozeßrecht und zu einem weit größeren aus dem sogenannten öffentlichen Recht, ist dadurch unüberschaubar geworden und schon deswegen für den Bürger kaum mehr mit >>Recht>Der Grundsatz der Unverletzlichkeit gilt nur für Privatrechte, insbesondere Vermögensrechte, und auch hier nur als gesetzgeberisches Prinzip, nicht als formelle Schranke der staatlichen Tätigkeit. öffentliche Rechte dagegen unterliegen unbedingt der Aufhebung und Umgestaltung im Wege der Gesetzgebung; ... 4 « Mit den Erfahrungen unserer Generation wäre dies nicht mehr zu vereinbaren. >>Für die in der Bundesrepublik geltende Rechtsordnung ist davon auszugehen, daß die Rechtsnorm den Bewertungsmaßstab für den durch sie geordneten Lebensbereich stets der im Gewissen des abendländischen Menschen lebendigen Gerechtigkeitsidee entnimmt. Dabei darf allerdings nicht jede isolierte Einzelvorschrift als Rechtsnorm verstanden werden. Die Rechtsnorm erschließt sich vielmehr erst aus der Betrachtung zusammengehöriger Bestimmungen des materiellen und des Verfahrensrechts, also einem Inbegriff von Sollenssätzen, die in ihrer Gesamtheit einen Lebensbereich ordnen5 .>freiheitliche demokratische Grundordnung>Vorstellung zugrunde, daß der Mensch in der Schöpfungsordnung einen selbständigen Wert besitzt und Freiheit und Gleichheit dauernde Grundwerte der staatlichen Einheit sind. Daher ist die Grundordnung eine wertgebundene Ordnung. Sie ist das Gegenteil des totalen Staates, der als ausschließliche Herrschaftsmacht Menschenwürde, Freiheit und Gleichheit ablehnt6 .>ein klares und grundsätzlich kompromißloses Bekenntnis zu einem unmittelbar geltenden und verpflichtenden Recht überpositiver Natur>GesetZ>Abwehrrechtedie nicht nur für den einzelnen, sondern für das gesamte, insbesondere das staatliche Gemeinschaftsleben bedeutsam sind 13 Einzelausgestaltungletzten Grenzen der Gerechtigkeit> Wesensgehalt>EinzelausgestaltungMänner und Frauen sind gleichberechtigt>christlichen Staat>Verfassung in Kurzform20 >das Recht>Notstand>Maßnahmen>Stilwandel« bezeichnet worden, obgleich es nur realistische Politik ist, da es zu dieser Gesetzgebung einer Verfassungsänderung bedarf, die vor und nach 1961 nur mit den Stimmen der SPD möglich war und ist 31 • Offenkundig wird die Frage des Notstandes neuerdings zu einem Prüfstein für das Selbstverständnis unserer Demokratie. Dabei ist jedenfalls bedenklich, daß eine einschlägige Gesetzgebung nur von >>konservativen« Kreisen gefordert wird und andere Gruppen mindestens überlegen müssen, ob die hier zu schaffenden Möglichkeiten dann eingesetzt werden sollen, wenn ein politischer Besitz bedroht ist. Es gehört zu den Insignien der >>Bonner DemokratieAusnahmezustand« her zu interpretieren versucht worden. Wie sich die Politik zur Rechtsverordnung verhält, das muß aber aus dem täglichen Umgang mit ihr abzulesen sein, muß sich in Respekt vor dem Gesetz ausdrücken und in dem Bemühen sichtbar werden, dem geltenden Recht zu dienen und ihm sich auch dort zu beugen, wo es zielstrebiger Politik hinderlich wird. Nun ist es deutlich, daß hierüber wissenschaftlich kein Urteil möglich ist. Die bekannten Fakten erlauben keine Feststellung darüber, ob die Politik >>dem Recht« im höheren Sinne dient oder es nicht tut. Der Einzug des

Regierungssystem und Rechtsordnung

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Pragmatismus in die Politik ist so eindeutig nicht, als daß er schon als Beweis für die Nichtanerkennung einer höheren Rechtsidee gewertet werden könnte. Er ist so eindeutig vorwiegend deshalb nicht, weil andererseits ja sehr häufig in Richtung auf überpositive Prinzipien argumentiert wird und manchen politischen Entscheidungen in der Bundesrepublik etwa die Berufung auf christliches Gedankengut vorweggeht. So bliebe nur die Möglichkeit, als Leporello eine Liste all der Vorkommnisse anzulegen, aus denen Mißachtung des geltenden Rechts und seiner tragenden Prinzipien zu beweisen wäre. Diese Liste könnte höchst umfangreich sein: Sie würde von der grundgesetzwidrigen konfessionellen und parteipolitischen .Ämterpatronage bis zu den erstaunlich ungeschickten .Äußerungen eines Bundesministers reichen, der etwa wegwerfend von >>rechtsstaatlichen DetailsMächtigkeit>Wahrspruch« nur durch einen ordnungsmäßig bestallten Richter erfolgen kann39 • Der Abschnitt über die Rechtsprechung, den die Artikel 92 bis 104 des Grundgesetzes bilden, geht weit über die entsprechenden Bestimmungen der Weimarer Verfassung hinaus. Er weicht von diesen sachlich und systematisch grundsätzlich ab. >>Es ist der Versuch unternommen, die Organisation der gesamten Gerichtsbarkeit in den Grundzügen verfassungsrechtlich zu bestimmen und gleichzeitig in einigen grundrechtsartigen Normen das Verhältnis des einzelnen zur rechtsprechenden Gewalt zu regeln. In der Literatur heißt es mit Bezug auf diese Entwick)ung, das Grundgesetz erhebe die Gerichtsverfassung in organisatorischer Hinsicht wie überhaupt den sachlichen Bereich der rechtsprechenden Gewalt in die Verfassungsrechtssphäre und gewähre so zugleich die Einheit und Einheitlichkeit der Rechtspflege40 .> Gesetzesanwendung zur Entscheidung eines Rechtsstreites, d. h. eines Streites um geltend gemachtes und bestrittenes Recht, oder einer Strafsache in einem gesetzlich geregelten Verfahren durch ein am Streit unbeteiligtes und unabhängiges Staatsorgan42 justiziabeloberster Rechtsgrundsätze>in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt>gestaltenden>Gewaltenteilung>realenwerden später die Grenzen Deutschlands oder irgendeines Teiles Deutschlands und die rechtliche Stellung Deutschlands oder irgendeines Gebietes, das gegenwärtig Teil deutschen Gebietes bildet, festlegen>DeutschlandVertrag«, der in der Fassung des Protokolls vom 23. 10. 1954 »über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland« gilt. Auf Grund dieses Protokolls wurde am 5. Mai 1955 durch Proklamation der Hohen Kommissare das Besatzungsstatut aufgehoben. »Die Bundesrepublik erhielt die volle Macht eines souveränen Staates. Vorbehalten blieben jedoch den Drei Mächten ihre bisherigen Rechte und Verantwortlichkeit in bezug auf Berlin, Deutschland als Ganzes und eine friedensvertragliche Regelung. Bis zum Abschluß des Friedensvertrages wirken die Unterzeichnerstaaten des Pariser Vertragswerkes (Deutschland-Vertrag) nach ihrer feierlichen Erklärung zusammen, um mit friedlichen Mitteln ihr gemeinsames Ziel zu verwirklichen: >Ein wiedervereinigtes Deutschland, das eine freiheitlich-demokratische Verfassung, ähnlich wie die Bundesrepublik, besitzt und in die europäische politische Gemeinschaft integriert ist.< Aus der Eigenart der Deutschlandfrage ist es erklärlich, daß die Drei Mächte auch ihre Rechte hinsichtlich der Vierten Besatzungsmacht sich vorbehalten haben6 .« Die hier in Grundzügen geschilderte Entwicklung von der deutschen Kapitulation 1945 bis zur anerkannten Souveränität der Bundesrepublik hat zwei besondere Merkmale: Das eine ist das Fehlen eines Friedensvertrages, das andere die vergleichsweise rasche europäische Integration, an der die Bundesrepublik beteiligt ist. Daß ein Friedensvertrag zustande kommt, gilt als Aufgabe der vier Alliierten; in ihm muß die »Deutschlandfrage« geregelt werden. Bis das geschieht, dauert ein Obergangsstadium an, in dem die Bundesrepublik überall als souveräner Staat anerkannt wird, weitreichende völkerrechtliche Verpflichtungen eingehen und eigene Souveränitätsrechte an supranationale Organisa-

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Äußere und innere Legitimation des Regierungssystems

tionen abtreten kann. Einige Ausnahmeregelungen, wie z. B. die, daß die Bundesrepublik nicht Mitglied der Vereinten Nationen ist, gehen auf die eigene Politik der Bundesrepublik, weniger auf rechtliche Hindernisse zurück. Darüber ist noch zu sprechen. Die weitreichende europäische Integration ist durch die Kriegserfahrungen bedingt, die den Gedanken einer engen europäischen Zusammenarbeit vorbereitet haben. Zu dieser Zusammenarbeit ist es zunächst auf wirtschaftlichem und militärischem Gebiet gekommen. Den Beginn machte die Montan-Union zwischen der Bundesrepublik, Frankreich, Italien und den sog. Benelux-Ländern. Diese Union wurde 1952/53 gegründet; ihre Ziele wurden ergänzt durch die Europäische Atomgemeinschaft, die 1958 ihre Tätigkeit begann, und dann vor allem durch die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, die ebenfalls 1958 konstituiert wurde. Eine ähnlich klare militärische Integration wurde anfangs der 50er Jahre vorbereitet, scheiterte aber am Widerspruch Frankreichs. Die Bundesrepublik wurde daraufhin 1954 in den Brüsseler Pakt aufgenommen, dieser wurde in die Westeuropäische Union umgewandelt und mit der Nordatlantikpaktorganisation verbunden. 1962 befand sich die Politik der europäischen Integration in einer übergangssituation: Es fanden Verhandlungen über den Beitritt weiterer Mitglieder in die EWG statt und die Bemühungen um eine politische Integration, die seit 1948 durch den »Europarat« vorbereitet wird, gerieten in ein durch die engere Verständigung zwischen Frankreich und der Bundesrepublik hervorgerufenes neues Stadium. Aus ihm heraus wird nur die Einigung darüber führen, ob die wirtschaftliche und die politische Gemeinschaft die nämlichen Länder umfassen soll oder das nicht unbedingt nötig ist und ob die politische Gemeinschaft mehr einem engen Bündnis der europäischen Staaten gleichen oder in einer tatsächlichen bundesstaatliehen Vereinigung bestehen soll7 • Die staatliche und politische Ordnung der heutigen Bundesrepublik ist von der Entwicklung seit 1945 nachhaltig beeinflußt worden. Daß der deutsche staatliche Organisationsaufbau in den Gemeinden begann, hat diesen ein kräftiges Selbstbewußtsein gegeben, das sich bemerkbar macht, obgleich auch hier die politische Führung weithin in Händen von Politikern liegt, die von den Parteien nominiert sind. Ähnliches gilt für die Länder, welche vor dem Bund ihre Verfassungs- und politische Form gefunden hatten und sie in mancher Hinsicht seit 1949 noch verstärken konnten. Diese Form ist in Bund und Ländern bestimmt durch die deutschen Oberlieferungen und durch die Erfahrungen, die vor und nach 1933 mit der Weimarer Verfassung gesammelt worden sind. Das hat zu einem neuen dialektischen Verhältnis von Volkssouveränität und Rechtsstaatlichkeit, von Liberalismus und Demokratie geführt. Daneben sind Einflüsse der Besatzungsmächte auf die deutsche Rechtsentwicklung spürbar, die sich teils durch Entscheidungen der ersten Besatzungszeit, teils auch während der

Das Grundgesetz als

»Transitorium~

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Beratungen des Grundgesetzes ausgewirkt haben. Daß die Politik der Bundesregierung und der sie stützenden Bundestagsmehrheit frühzeitig auf die europäische Integration gerichtet war, hat sich ebenfalls in der Gestaltung der Form des westdeutschen Gemeinwesens bemerkbar gemacht. So ist die westdeutsche Staats-, Rechts- und Wirtschaftsordnung von verschiedenen Kräften geprägt und hat sich - schneller als 1945 zu erwarten - verfestigt. Auch das hängt mit der Teilung Deutschlands zusammen.

b) Das geteilte Deutschland Es scheint kein vernünftiger Zweifel darüber möglich zu sein, daß für die sowjetische Besatzungszone bereits 1945 klare Vorstellungen darüber bestanden, wie auch sie ein Teil des durch den gewonnenen Krieg erweiterten sowjetrussischen Machtbereiches werden könnte. Seitens der sowjetischen Militärverwaltung war dafür von vornherein ein Bündnis mit einer deutschen politischen Partei gegeben, deren Führung in der UdSSR zusammengestellt war und die nach 1945 mit allen erdenklichen Mitteln gefördert wurde. Zunächst wurde allerdings eine Politik versucht, die gewisse Parallelen zu der in den Westzonen aufwies, vermutlich um so Ansatzpunkte für einen möglichen weiteren Vorstoß nach dem Westen zu gewinnen. Deshalb wurde auch bereits im September 1946 eine Diskussion über eine neue deutsche Verfassung begonnen und im November 1947 ein >>Deutscher Volkskongreß>Deutschen Volksrat>für eine Übergangszeit« eine neue Ordnung im Grundgesetz geschaffen. »Es hat auch für jene Deutschen gehandelt, denen mitzuwirken versagt war. Das gesamte Deutsche Volk bleibt aufgefordert, in freier Selbstbestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands zu vollenden.« Diesem Schluß der Präambel des Grundgesetzes entspricht dessen letzter Artikel, in dem es heißt, das Grundgesetz verliere seine Gültigkeit, wenn »eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen ist«. Beide Äußerungen im Grundgesetz haben keinesfalls nur deklamatorische Bedeutung oder geben nur eine allgemeine Weisung an die jeweilige Regierung, sondern es gehen von ihnen tiefgreifende praktische Wirkungen aus. Das Selbstverständnis eines Gemeinwesens muß davon beeinflußt sein, ob seine Ordnung nur als Obergang anzusehen ist und ob es selbst eine Tradition fortsetzt oder sich als ein novum begreift. Seit 1945 gibt es die Diskussion über die >>Rechtslage Deutschland 15 «. In ihr ging es zunächst darum zu klären, ob 1945 der deutsche Staat zu bestehen aufgehört oder ob er trotz Handlungsunfähigkeit weiterbestanden habe. Im ersteren Falle wird angenommen, daß die Besatzungsmächte auf deutschem Gebiet je ihre Staatsgewalt ausgeübt und dann die Errichtung eines neuen deutschen Staatswesens zugelassen hätten. Im letzteren Falle wird angenommen, daß der deutsche Staat, obzwar handlungsunfähig, nicht aufgelöst sei und daß die Alliierten ersatzweise die Staatsgewalt ausgeübt hätten. Mit dem Entstehen neuer staatlicher Organe sei dann die Handlungsfähigkeit des deutschen Staates wiedergewonnen worden. Nachdem 1949 in zwei Teilen des ehemaligen deutschen Staatsgebietes eigene und voneinander völlig getrennte Staatsgewalten eingerichtet worden sind, war weniger vom Fortbestand des deutschen Staates die Rede und mehr von der Kontinuität. Die Kontinuitätsfrage geht dahin, ob eines der beiden Staatsgebilde allein Nachfolger des früheren deutschen Staates ist oder ob sie es beide gemeinsam sind oder ob sie es beide nicht sind, vielmehr das Reich trotz Handlungsunfähigkeit noch immer fortbesteht. Im letzteren Falle hätte man »die Existenz von drei deutschen Staaten an-

Das Grundgesetz als :.Transitorium«

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nehmen müssen: des (weiterexistierenden, aber handlungsunfähigen) Deutschen Reiches, der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik 16 «. Man konstruierte nach 1949 also verschieden: Erstens gilt das Deutsche Reich als untergegangen; auf seinem Gebiet sind zwei neue Staaten entstanden, die je für sich Rechtsnachfolger geworden sind. Dies ist heute wesentlich die Argumentation der DDR-Regierung. Zweitens gilt ein >>Reichsrahmen« als weiterhin existent, innerhalb dessen die Bundesrepublik und die DDR nur Teilordnungen sind. Von dieser Sicht aus wird das Vorläufige beider Teilordnungen betont. Drittens gilt die Bundesrepublik allein als derzeitige Erscheinungsform des Deutschen Reiches und insoweit als mit ihm identisch. Das ist die Rechtsauffasung der Bundesregierung. Es heißt: >>Die Bundesrepublik ist die legitime Gestalt des Deutschen Reiches. Sie ist identisch mit dem deutschen Staat, wie er 1867 in der Gestalt und unter dem Namen des Norddeutschen Bundes, 1871 als Deutsches Reich und 1919, in einem tiefgreifenden Wandel in der Verfassung, in der Weimarer Republik in Erscheinung getreten ist. Allerdings kann die deutsche Staatsgewalt, repräsentiert durch die Verfassungsorgane der Bundesrepublik, zur Zeit nur in einem Teil des deutschen Gebietes geltend gemacht werden17 .>ist>innerdeutsche>Befreiung« ausgeht. Für das Regierungssystem in der Bundesrepublik ist ein anderes gravierender: Der Auftrag des Verfassungsgebers ist im Grundgesetz ziemlich eindeutig ausgesprochen. Man hat ihn unter die Formel von der >>Wiedervereinigung in Freiheit« gefaßt. Um seinetwillen sollte das Grundgesetz eine provisorische Ordnung geben. Dies hat manchen gestört, und der Ausdruck >>Provisorium>Transitorium«. Im Auftrag eingeschlossen war eine Politik der Bundesrepublik, die die Wiedervereinigung herbeiführen kann. Da dies nur im Zusammenhang mit dem Friedensvertrag zu denken ist, ließ sich eine Linie solcher Politik leicht finden. Für den Friedensvertrag mußten zunächst weiterhin die vier Besatzungsmächte als zuständig erklärt werden, denen dann >>Deutschland>Integration« stetig voranschreitet und von Bereich zu Bereich in verschiedenen Zeiträumen Stufen erreicht, in denen es auf die ursprüngliche Vertragslage nicht mehr wesentlich ankommt, weil die Lebensverhältnisse selbst integriert sind. Wenn aber faktisch eine Wiedervereinigung nur noch so erfolgen kann, daß Mitteldeutschland in

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Äußere und innere Legitimation des Regierungssystems

die westdeutsroen Verhältnisse und Ordnungen einbezogen wird, dann läßt siro insofern keine Politik mehr maroen, als Politik versroiedene Lösungsmöglirokeiten voraussetzt. Bei all dem verläuft die Entwicklung in der DDR mindestens gleiro rasro und in vielem radikaler in Rirotung einer Integration in den Ostblock. Die Bundesrepublik und ihre westliroen Verbündeten stehen damit vor der Frage, ob die Wiedervereinigungspolitik nirot grundlegend geändert werden muß. Diese Frage ist im Zusammenhang mit Berlin aktuell. Daß sie beantwortet werden muß, marot eine wesentliroe innere Belastung der Bundesrepublik und ihres Regierungssystems aus. Sie wird nur deshalb wenig sirotbar, weil deutliroe Tabuzonen errirotet worden sind, also nirot öffentliro diskutiert wird. Daß außerdem nirot einmal Lösungsmöglimkeiten in Rirotung größerer Freiheit Mitteldeutsrolands, die gegen eine Wiedervereinigung aufzuwiegen wären, sirotbar werden, kommt hinzu.

2. Rechtsstaat und Sozialstaat als ungelöste Aufgaben Soweit die Deutsroen naro 1945 in den Stand gesetzt wurden, ihre Lebensverhältnisse frei ZU gestalten, mußten sie das stets im Blick auro auf jene Deutsroen tun, denen diese Freiheit versagt war. Das hat den Aufbau der Bundesrepublik namenlos ersrowert. Es ist Meinung, nirot begründbares Urteil, wenn gesagt wird, man sei in Westdeutsroland vorwiegend den eigenen Bedürfnissen gefolgt und habe deshalb im Grunde ein srolerotes Gewissen. Daß die deutsroe Frage die Deutsroen nirot mehr erregt, wundert viele Ausländer, die siro der Zusammenhänge nirot bewußt sind, daß nämliro Tabuzonen der öffentliroen Diskussion nirot nur durro »konformistisroe« Meinungsmaroe entstehen, sondern es auro mit srolerotem Gewissen zu tun haben. Im inneren Aufbau der Bundesrepublik braurote es derartige Gewissensfragen nirot zu geben, soweit es jedenfalls um die Zukunft und nirot um die »Bewältigung der Vergangenheit« ging. Für die staatliroe Ordnung kam als Ausgangspunkt der öffentliroen Gewalt nur das souveräne Volk in Frage, als Verfahrensprinzip stand nur das der Mehrheitsherrsroaft zur Debatte. Die Erfahrungen der Zeit vor 1945 zwangen allerdings dazu, die Grenzen des Mehrheitsprinzips zu sehen und dem Rerotsstaat eine wirkliroe Chance zu geben. Die Notlage naro 1945 zwang andererseits dazu, den Staat als Sozialstaat aufzufassen und ihm sehr unvermittelt viele neue Aufgaben zu übertragen. Sind die ursprüngliroen Staatszwecke Ordnung, Siroerheit und Wohlfahrt, so waren naro 1945 roarakteristisroe Akzente gesetzt: Rerots- und Sozialstaat waren zunärost auf den einzelnen Bürger oder auf Gruppen von Bürgern bezogen. Im Rerot mußte in Reaktion auf Vorangegangenes das individuelle Rerot besonders betont werden; im sozialen Bereiro konnte man siro nirot mit der Sorge um das Wohl der Volksgemeinsroaft be-

Rechtsstaat und Sozialstaat als ungelöste Aufgaben

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gnügen, sondern mußte primär individuelle Hilfe leisten. Dies galt vor allem in den ersten Jahren sehr konkret, als Obdachlose zu beherbergen, Arbeitslose zum Verdienst zu führen, Kranke und Verletzte zu versorgen und alle zu ernähren waren. All das mußte rasch getan werden. Man stand unter dem Zwang der Not und erhielt von ihr das Konzept. Deshalb konnten die Formen des Rechtsstaates übernommen und in vieler Hinsicht den neuen Gegebenheiten angepaßt werden, während sich der Sozialstaat reaktiv und programmlos entwickelte. Das gilt weithin bis heute. Zwar besteht größere Klarheit über einige Notwendigkeiten, die etwa aus den Schlagworten »Gleichheit der Bildungs- und Ausbildungschancen«, »Schutz des Arbeitnehmers« im Sinne einer zeitgemäßen »Arbeitsverfassung« und »soziale Sicherung« des einzelnen sichtbar werden, indessen ist es weder gelungen, bündig zu erschließen, was Sozialstaat ist, noch dieses vielschichtige und widersprüchliche öffentliche Aufgabengebiet richtig mit dem Rechtsstaatsprinzip zu vereinbaren19. Nun findet allerdings in jedem Gemeinwesen ein ständiger dialektischer Entwicklungsprozeß statt, in dem sich die gegebenen Strukturen der politischen Ordnung und die gestellten gemeinsamen Aufgaben gegenseitig anpassen müssen. Zur gleichen Zeit aber mit einer Fülle neuer Aufgaben fertig zu werden und Strukturen zu schaffen und mit Leben zu füllen, das erfordert Voraussetzungen, die in der Bundesrepublik offenkundig nicht vorhanden waren. Einige Gefahrenpunkte treten dabei besonders deutlich hervor: 1. Zunächst fällt ins Auge, wie in der Bundesrepublik offenkundig noch stärker als im übrigen» Westen« eine Art von Konzeptionslosigkeit zum Programm erhoben wird. Aus dem Erlebnis der totalen Ansprüche sich selbst verabsolutierender Ideologien und ihrer Anhänger ist nicht nur Ideologienkritik, sondern verbreitet Mißtrauen gegenüber weitreichender Planung entstanden. Der »Gefälligkeitsstaat« hat auch hier, also in Unsicherheit und Ziellosigkeit, eine Wurzel, nicht nur in der Verantwortungslosigkeit derer, die durch »Wahlgeschenke« ihre gegebene Machtposition erhalten wollen. So wird in deutschen Wahlversammlungen besonders gern zitiert, daß »Politik die Kunst des Möglichen« sei, jungen Politikern wird als Kompliment nachgesagt, sie verhielten sich pragmatisch, und der »angewandten sozialen Phantasie« wird in der öffentlichen Diskussion kaum Platz eingeräumt20 • Das gilt zunächst vor allem für den wirtschaftlichen und sozialen Bereich. Weil es für ihn keine Planvorstellungen gibt, können sich ohne ernstliche Kritik Entwicklungen vollziehen, innerhalb derer zwar augenblicklich erfolgreiche Einzelentscheidungen getroffen werden, deren weiterer Verlauf aber bedrohlich sein muß. In der Bundesrepublik wird kaum politisch dagegen angegangen, daß von 1950 bis 1962 die Kaufkraft der Währung um 33,2°/o zurückgegangen ist. Das bedeutet u. a., daß ein 1950 eingezahltes Sparkapital, das in der Zwischenzeit an Industrie oder Handwerk

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verliehen diesen hohe Gewinne gebracht hat, heute trotz des Zinsgewinnes nur gerade noch den gleichen Wert darstellt wie im Jahre seiner Einzahlung. Besonders hart sind davon die Bausparer getroffen: Die faktischen Baukosten haben sich von 1950 bis 1962 verdreifacht21 • Ähnlich alarmierend ist die Entwick.lung des öffentlichen Haushalts. Er nimmt seit Jahren progressiv zu; seine Zuwachsrate beginnt, die Zuwachsrate des Sozialproduktes zu übersteigen. Im Sommer 1962 errechnete das Bundesfinanzministerium, daß die öffentlichen Ausgaben von 1962 bis 1970 um jährlich 4,50/o anwachsen würden. Dabei würden sich allein die Staatszuschüsse zu den Sozialversicherungen, zur Arbeitslosenhilfe und für das Kindergeld von 1962 7,4 Mrd. DM auf 1970 11,1 Mrd. DM vermehren, selbst wenn keine Verbesserungen in den Leistungen vom Gesetzgeber beschlossen werden würden. Der Sozialhaushalt fällt auch sonst neben dem Verteidigungsaufwand ganz erheblich ins Gewicht; das 1957 eingeführte Prinzip der »dynamischen Rente>Politik aus einem Guß>stückweise« erkennen kann2 6, also >>unterwegs>richtig>geläutert>mächtigen>Nonkonformisten>Einzelgänger>Betrachtungen eines Unpolitischen>daß im politischen Bereich die Möglichkeit eines >relativen Vernunftgeha!ts< aller politischen Meinungen anerkannt und die Vereinfachung der Auseinandersetzungen durch Diskreditierung der gegnerischen Anschauungen und wirkliche Unterdrückung vermieden wird 27Gespräch>gegen>durch>Der Begriff des Rechtsstaats verkörpert ... eine materiale Idee, zu der vor allem die Unantastbarkeit des Kernbereiches der personalen Freiheit gehört. Diese Freiheit wird nicht um ihrer selbst willen gefordert, sondern um der Personalität des einzelnen willen, die allein der Ursprung von Sittlichkeit und Kultur in dieser unserer Welt ist ... Soziale Fürsorge, soziale Vorsorge und soziale Befriedung sind nur Mittel des Sozialstaats; der Sinn der Sozialstaatlichkeit, in dessen Dienst diese Mittel stehen, aber ist die Wiederherstellung der Grundlagen eines daseinswerten Daseins der einzelnen innerhalb der industriellen Welt. Das aber heißt nichts anderes als: der Sinn der Sozialstaatlichkeit ist gleichfalls Schutz der Personalität, und zwar Schutz der Personalität des einzelnen im Rahmen der industriellen Gesellschaft und unter den besonderen Bedrohungen des industriellen Zeitalters. Nun wissen wir nach tausendfachen leidvollen Erfahrungen, daß der Sozialstaat dieses Ziel, die Sicherung eines daseinswerten Daseins der Person, nur erreichen kann, wenn er sich selbst gegen die ihm immanente Gefahr der Kollektivierung abschirmt. Das aber ist nur möglich, wenn er auch die Sicherung der formalen Rechtsstaatlichkeit gegen Staatseingriffe und Staatsübergriffe in sich aufnimmt ... Der Sozialstaat ist in unserer Zeit nur, wenn er zugleich Rechtsstaat ist, sinnvoll und möglich.>das Soziale erst in der Durchdringung mit personaler Freiheit, das Personale erst in der Durchdringung mit sozialer Bindung einen guten und gerechten Sinn. Das Soziale, für sich allein gesetzt, entartet, ist

Rechtsstaat und Sozialstaat als ungelöste Aufgaben

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Kollektiv; das Personale, für sich allein gesetzt, löst sich in Anarchie auf29 .>das Soziale« ebenso wie über das Personale verschieden gedacht, innerhalb eines Gemeinwesens aber muß stets neu ve~:sucht werden, ein Mindestmaß an Übereinstimmung zu erzielen. An diesem Versuch sind vordergründig die Gruppen beteiligt. Sie werden in vielfältiger Weise durch Verbände, Vereinigungen, Parteien, >>Richtungen>gemeinsame>sozial>Ebene>in einer bestimmten geschichtlichen Situation die dieser mitgegebenen Wahrheit, das Notwendige nämlich, das, was zuträglich ist, das Heilsame, das Rettende, Bergende, Leben Ermöglichende zu vernehmen 30 Aussterben« verurteilt. Hierzu gehört z. B. das Problem der ungleichmäßigen und daher ungerechten Entnazifizierung, die derart unvollständig war, daß immer wieder und immer noch entscheidende politische Positionen in die Hände ehemaliger Nationalsozialisten oder solcher Politiker und Beamten geraten, die im Dritten Reich an dessen Unrecht unmittelbar mitschuldig waren. Zeitbedingt ist auch der Vorwurf, der Föderalismus oder andere Teile der verfassungsmäßigen Ordnung seien von den Besatzungsmächten importiert. In anderem Sinne zeitbedingt ist das ungeklärte Verhältnis des deutschen Volkes zu seiner Geschichte und das tabuisierte Verhältnis weiter Bevölkerungsteile in der Bundesrepublik zum »Vaterland«, zur Oder-NeißeLinie und zu anderen vergleichbaren Fragen unserer politischen Existenz. Man muß deren Ungeklärtheit mitbedenken, wenn man nach den Denkstrukturen fragt, die den Weg zur Demokratie erschweren. Auf einige von ihnen ist kurz hinzuweisen: 1. Ein erstes Hindernis ist die obrigkeitsstaatliche Tradition33 • Das deutsche Volk hat sich des Staates nie bemächtigt. Im deutschen Absolutismus hat eine Entwicklung eingesetzt, innerhalb derer der Staat als Eigenpersönlichkeit verstanden werden konnte. In der zeitlich daran anschließenden Geistesgeschichte Deutschlands wurde das in der Weise unterstrichen, daß der Staat als von der Gesellschaft getrennt, als sittliche Instanz ihr aber überlegen galt. Das führte zu einer Trennung des staatlichen und des gesellschaftlichen Bereiches und zu einer eigentümlichen Alternativhaltung gegenüber dem Staat. Das Bürgertum stand ihm einerseits abwehrend gegenüber und verteidigte den autonomen gesellschaftlichen, im wesentlichen also privaten Bereich. Andererseits unterwarf man sich der politischen Führung und war im politischen Bereich zu Treue und Gehorsam bereit, was letztlich weltanschaulich motiviert wurde. In der Demokratie kann diese Denkweise gefährlich sein, weil sie der Gleichzeitigkeit von »regieren und regiert werden« nicht gerecht wird und die Repräsentation auf Zeit mißversteht, d. h. sie entweder als Obrigkeit im überkommenen Sinne versteht oder sie mißtrauisch ablehnt. Vor allem wird, wer sich dualistisch dem Staat gegenüber sieht, nur schwer Mitverantwortung empfinden; er wird »den Staat« als Inbegriff von Einrichtungen und Personen verstehen, denen gegenüber die verschiedensten Verhaltensweisen nötig sind, welche nicht aus Zugehörigkeit erwachsen. Die Komplexität der modernen Staatlichkeit ist der Oberwindung jener Grundhaltung hinderlich. Das gilt weltweit; deutsches Sonderproblem ist, daß nicht nur die demokratische Oberlieferung fehlt, sondern eine obrigkeitsstaatliche Oberlieferung vorhanden ist. Sie hat nach 1945 erlaubt, daß teilweise eine Art patriarchalischen Regiments

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möglich wurde und insgesamt die obrigkeitsstaatliehen Verhaltensweisen innerhalb der einzelnen Staatsorgane nur sehr allmählich abgebaut werden. Bedrohlich ist jene Grundhaltung vor allem dann, wenn es zu wirtschaftlichen oder anderen Schwierigkeiten kommt, weil in diesem Fall nicht nur die Politiker betroffen sind, die gerade die Macht ausüben, sondern das System in Frage gestellt werden kann. 2. Mit der obrigkeitsstaatliehen Tradition ist das Mißverständnis der Politik verbunden. Es führt vorwiegend dazu, daß der Kampf der Gegner abgelehnt, daß die »Parteilichkeit« als übel betrachtet wird und daß die aktiven Politiker in erheblichem Maße mit Vorbehalten und Vorurteilen rechnen müssen. Im deutschen Sprachgebrauch ist es bis heute üblich, einen Politiker mit Autorität als »Staatsmann« zu apostrophieren oder von >>Parteipolitik«, Interessenpolitik«, »Tagespolitik« und »Kommunalpolitik« wegwerfend zu sprechen, so als ob nicht jeder Politiker Partei, nicht jede Politik interessengebunden und mit dem aktuellen Geschehen verbunden sein müßte, und so, als ob nicht auch in den Kommunen lebenswichtige Aufgaben des gemeinsamen Lebens bewältigt würden. Mit Leitvorstellungen von »Überparteilicher« Politik läßt sich aber allenfalls ein konservativer Obrigkeitsstaat konstruieren oder die Parteiherrschaft der Experten begründen, niemals lassen sich indessen die vielschichtigen Vorgänge der Meinungs- und Willensbildung verstehen, die in der rechtsstaatliehen Demokratie die Mehrheitsansicht zu ermitteln und sie zu verwirklichen haben. 3. Obrigkeitsstaatliche Tradition und Mißverständnis der Politik führen verbreitet zu einem dumpfen Unbehagen und zu einer Art mißtrauischer Passivität. Sie äußert sich nicht nur in dem Schlagwort von der Politik als »schmutzigem Geschäftdoch nichts tun könne«. Das »Tun« ist dabei auf die Ebene höchster Entscheidungen reduziert, was sonst getan wird, wird nicht als Beitrag zur Meinungs- und Willensbildung verstanden. Die vorhandenen Verhaltensmöglichkeiten werden deshalb unzureichend genutzt; das Management in Parteien und Verbänden wirkt unkontrolliert. Auch in der politischen Bildungsarbeit wird offenkundig die Aufgabe nicht erfüllt, dem einzelnen seine tatsächliche Mitwirkung bewußt zu machen und ihm seine Verhaltensmöglichkeiten aufzuzeigen34 • Der demokratische Rechtsstaat bedarf aber einer breiten Schicht von Bürgern, die sich nicht hilflos und machtlos fühlen, ohne deshalb selbst schon gleich »aktiv« in die Politik einzusteigen. 4. Teils traditionell und teils strukturell bedingt sind sodann einige Mißverständnisse der modernen Demokratie überhaupt. Sie hängen mit dem Problem

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des Pluralismus zusammen, demgegenüber oft die »Gemeinschaft« apostrophiert wird, weiter mit der Unklarheit, die hinsichtlich der durch die Volkssouveränität geforderten Identität von Regierten und Regierenden besteht, oder auch mit der Verschwommenheit des Denkens über die Repräsentation. Auch hier wirkt die Lehre von Carl Schmitt nach, der einerseits einer starken Staatsgewalt huldigte und andererseits kritisch überspitzt aus der Volkssouveränität weitreichende Konsequenzen zog. Ihm folgend und dem prinzipiellen Denken verhaftet ist bis heute auch in der politischen Theorie eine gewisse Neigung vorhanden, die Struktur der Demokratie aus einem »einheitlichen Grunde« zu erfassen85 . Von ihm aus müssen dann erhebliche Widersprüche feststellbar sein. So wird z. B. den Parteien vorgeworfen, daß sie nicht selbst demokratisch seien, obgleich sie doch das Volk repräsentieren8 6 • Oder es wird dem Staat eine Integrationsaufgabe zugesprochen, der die politische Wirksamkeit der Verbände widerspricht87 . Tatsächlich sind in den modernen demokratischen Rechtsstaat die verschiedenen Elemente konstruktiver und faktischer Art eingeflossen, die miteinander konkurrieren, die aber keine Konstruktion des Staates im früheren Sinne mehr zulassen. So ist »oberste Gewalt« ebenso fragwürdig wie die »Souveränität«, und es wird ernstlich zu fragen sein, ob man an Stelle von »Staat« mit einem weniger belasteten Begriff wie »Gemeinwesen« nicht weiterkommt. Repräsentative und plebiszitäre Elemente stehen nebeneinander, Volkssouveränität und Begrenzung der staatlichen Gewalt widerstreiten sich, liberale Elemente und solche des Parteienstaates scheinen sich auszuschließen. Demgegenüber haben eindeutige Konstruktionsprinzipien nur noch den Nutzeffekt, den Widerspruch zwischen Verfassungstheorie und Verfassungswirklichkeit deutlich zu machen. Aufgabe der Theorie muß es heute aber viel eher sein, das Nebeneinander der verschiedenen Konstruktionselemente zu klären und nach den unabdingbaren Mindestforderungen zu fragen, welche um der »Würde« des Menschen vorausgesetzt werden müssen. Vielfach ist es auch so, daß heute nur die Irrealität idealtypischer Vorstellungen deutlicher geworden ist: Die »Einheit des Volkes« und die »Einheit der staatlichen Gewalt« hat es nie gegeben. Vermutlich wird zukünftig der wesentliche Integrationsfaktor im Gemeinwesen auch nicht mehr in der nationalen Tradition oder in einem verbindlichen Staats- oder Rechtsbegriff zu finden sein, sondern mehr in den gemeinsamen Aufgaben und Interessen. Gerade hier ist der Befund aber noch zu wenig empirisch untersucht, als daß sich schon deutliche theoretische Ansätze finden ließen. 5. In diesem Zusammenhang ist auf eine letzte Schwierigkeit noch hinzuweisen, die es zu überwinden gilt: Der in der Bundesrepublik vorherrschende Freiheitsbegriff zeigt Mängel. Das gilt weniger spekulativ als praktisch. So wird deutlich, daß die in jeder Vorstellung von Freiheit mitgegebenen Gren-

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zen oft verkannt werden oder aber umgekehrt die Freiheit des einzelnen nur von diesen Grenzen her anerkannt wird. Das erstere birgt Elemente der Anarchie in sich und mißachtet die Solidarität mit denen, auf die man angewiesen ist. Das letztere kann zur Beeinträchtigung der Freiheit werden, die gefährdet wird, wenn man sich auf sie nur berufen darf, indem man gleichzeitig ein Bekenntnis darüber ablegt, >>WOZU« man frei sein will. Praktisch noch gefährlicher ist die Fehlvorstellung, die Freiheit sei »gewährt« oder- wo das im einzelnen nicht der Fall zu sein scheint - eben nicht gewährt. Auch der unter den heutigen Verhältnissen denkbar beste Staat könnte aber nicht mehr tun, als die Freiheit zu ermöglichen. Ob von ihr Gebrauch gemacht wird, hängt immer vom Bürger ab. In der Bundesrepublik wirkt deprimierend nicht so sehr, daß sich wenige politisch engagieren, sondern vielmehr dies, daß so wenig von ihren Möglichkeiten, die Freiheit zu bewähren, Gebrauch machen. Das gilt sowohl für die freiwillige Obernahme von Verantwortung, was oft nichts anderes meint als Tun des Selbstverständlichen, als auch für die Abwehr freiheitsbedrohender Geschehnisse. Daß dies mit Risiken verbunden sein muß, ist zutiefst unklar. Das Versorgungsdenken verwehrt den Bli>Die persönliche Schärfe der Auseinandersetzungen in der Anfangszeit des deutschen Bundestages liegen nicht zum geringsten darin begründet, daß Adenauer und Schumacher sich weniger als Repräsentanten zeitweilig entgegengesetzter Meinungen und Funktionen ansahen, sondern in ihrem Gegenüber mehr eine gegensätzliche Klassenlage und die daraus resultierende Ideologie vermuteten .... Der Bundeskanzler hat auch im letzten Wahlkampf (1961) mit Nachdruck den Standpunkt vertreten, eine Opposition sei zwar nützlich, sie dürfe aber aus Gründen der Staatsräson unter keinen Umständen an die Regierung kommen. Die berüchtigte Formel, daß ein Wahlsieg der SPD den Untergang Deutschlands bedeute, ist deshalb auch nicht eine momentane Entgleisung. Sie ist der Ausdruck eines ideologischen Vorurteils gegen den politischen Gegner, der seinerseits mit einer zuweilen hemmungslosen Polemik gegen den restaurativen Staat seine prinzipielle Andersartigkeit betonte. Die Bundesrepublik hat ihre Staatlichkeit als das im Wechsel der Parteien Gleichbleibende erst noch zu erweisen. Erst wenn auch im Wählerbewußtsein die Opposition die potentielle Regierung ist, wird sie wirklich funktionsfähig 40 .>Binnenstruktur>an sich