Das Problem des Einen und Vielen in Platons »Philebos« 9783666251924, 3525251920, 9783525251928

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Das Problem des Einen und Vielen in Platons »Philebos«
 9783666251924, 3525251920, 9783525251928

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HYPOMNEMATA 93

V&R

HYPOMNEMATA UNTERSUCHUNGEN ZUR ANTIKE UND ZU IHREM NACHLEBEN

Herausgegeben von Albrecht Dihle/Siegmar Döpp/Christian Habicht Hugh Lloyd-Jones/Günther Patzig

HEFT 93

V A N D E N H O E C K & R U P R E C H T IN G Ö T T I N G E N

GEBHARD LOHR

Das Problem des Einen und Vielen in Piatons „Philebos"

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

Verantwortlicher Herausgeber: Günther Patzig

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Lohr,

Bibliothek

Gebhard:

Das Problem des Einen und Vielen in Piatons „Philebos" / Gebhard Lohr. Göttingen : Vandenhoeck u. Ruprecht, 1990 (Hypomnemata ; H. 93) Zugl.: München, Univ., Diss., 1989 ISBN 3-525-25192-0 NE: GT

D 7 Göttinger philosophische Dissertation © Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1990 Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmung und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck: Hubert & Co., Göttingen

VORWORT

Vorliegende Arbeit wurde im Januar 1989 am Fachbereich Historisch Philologische Wissenschaften der Universität Göttingen als Dissertation angenommen. Mein Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. G. Patzig, für die Betreuung dieser Arbeit und des Promotionsverfahrens, sowie Herrn Professor Dr. J. Sprute für die Erstellung des Zweitgutachtens. Herrn Professor Dr. (theol.) G. Strecker danke ich für die Ermutigung zur Durchführung der philosophischen Promotion. Für die - nicht nur finanzielle - Unterstützung und Ermöglichung eines Doppelstudiums der Philosophie und Theologie geht mein Dank an meine Eltern. Den Herausgebern und dem Verlag Vandenhoeck & Ruprecht danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die Reihe 'Hypomnemata'. Außerdem danke ich für die langjährige Förderung durch die Studienstiftung des Deutschen Volkes. Gewidmet ist diese Arbeit meiner Frau Heike.

INHALT Vorwort

5

Inhalt

7

I. Einleitungsteil 1. Einleitung 2. Das Einleitungsgespräch (Phil. Ila-14c5) (IIa - d9) (lld9 - 13a5) (13a6 - d5) (13d5 - 14c5)

9 9 10 10 12 14 18

II. Erster Hauptteil: Interpretation von Phil. 14c5 - 16cl 1. Die Interpretation der "kindischen" Beispiele für ein "Εν-Πολλά-Paradox (14cll-e4) a) Das Protarchos-Beispiel Exkurs 1: Polit. 523-525 als Parallele zum 'Protarchos-Beispiel' Exkurs 2: Phaid. 102b-103a als Parallele zum 'Protarchos-Beispiel' .... b) Das Sokrates-Beispiel 2. Das ernstzunehmende Problem des Einen und Vielen Exkurs 3: Die Redeweise von 'αύτά τά δμοια' und 'αύτά τα πολλά' (Parm. 129) und von 'αύτά τά ίσα' (Phaid. 74c) 3. Die Fragen Phil. 15b - c3 4. Übergang zur 'Lehre der Alten' und den Beispielen

22

III. Zweiter Hauptteil: Die Interpretation der 'Lehre der Alten' und der sie illustrierenden Beispiele 1. Die Position von R. Hackforth Kritische Würdigung 2. Der Interpretationsansatz von G. Striker Kritische Würdigung 3. Der Interpretationsansatz von J.C.B. Gosling Kritische Würdigung 4. Zusammenfassende Bewertung: Anhang: Die Interpretation R. G. Burys 5. Der eigene Interpretationsansatz a) Das erste Beispiel (17a8 - blO) b) Das zweite Beispiel (17bll - e6) c) Das dritte Beispiel (Theuth-Beispiel) (18a6 - d5) d) Der philosophische Ertrag der drei Beispiele angesichts der 'kindischen' Beispiele aus Phil. 14cll - e4 e) Die 'Lehre der Alten' (16c5 - 17a7) f) Fazit aus der 'Lehre der Alten' und den Beispielen

22 23 29 32 36 40 42 69 95 101 102 106 Ill 115 120 128 140 141 143 143 150 165 176 178 188

Inhale

8 6. Die Bedeutung des Exkurses Phil. 14c5-18d5 für die ethische Hauptfrage 7. Piatons Stellung zur Ideenlehre im Philebos a) Piatons Ideenlehre in Phil. 14-18 (Die drei Grundpositionen) (Die eigene Auffassung) b) Piatons Ideenlehre an anderen Stellen im Philebos (Phil. 53c4 - 55c3) (Phil. 55c - 62a) (Wolff und Shiner zu Phil. 5 5 c - 6 2 a ) (Wolff zu Phil. 5 5 c - 6 2 a ) (Shiner zu Phil. 55c - 62a) (Shiner, Kap. 9: Philebus 55c - 62a (A) Knowledge ) (Shiner, Kap. 10: Philebus 55c - 62a: (B) Being and Becoming) (Die eigene Auffassung)

193 196 1% 196 201 202 202 202 204 204 206 206 211 213

IV. Schlußteil 1. Weitere Stellen aus dem 'Philebos', an denen das "Εν-ΠολΧά- Problem relevant ist (Phil. 18d - 20a) (Phil. 2 0 a - c) (Phil. 25d - 26a) 2. Die Einteilung der Formen der Freude und des Wissens a) Die Formen der Freude b) Die Formen des Wissens (Fazit)

218 218 218 225 227 243 244 254 257

Literaturverzeichnis

260

Indices

265

I. EINLEITUNGSTEIL

1. Einleitung Das Ziel der folgenden Untersuchung ist die Erklärung einer schwierigen Passage aus Piatons Spätdialog Philebos, nämlich Phil. 14-18. Nach Piatons Bekunden wird in diesem Abschnitt das Problem des Einen und Vielen behandelt. Es hat den Kommentatoren viel Mühe bereitet, den Sinn dessen, was Piaton sagt, zu ermitteln. In 14c5-16b8 legt Piaton sein Problem vor, 16cl-17b2 skizziert er seine theoretischen Auffassungen zum in Frage kommenden Sachverhalt, 17b3-18d3 versucht er, diese mit Hilfe zweier oder dreier Illustrationen zu verdeutlichen. Jedoch ist nicht auf den ersten Blick erkennbar, wieso die Beispiele als Illustrationen der theoretischen Darlegungen Piatons verstanden werden können. So hält z.B. R. Hackforth die Beispiele als Illustrationen des "EvΠολΧά-Problems für "more confusing than helpful",1 und G. Striker stellt fest: "Diese Beispiele erscheinen auf den ersten Blick eher verwirrend als erhellend."2 Besonders das sog. 'MusikbeispieP wird von ihr als "allem Anschein nach unpassend"3 beurteilt, und diese Ansicht wird von ihr auch nicht durch die Interpretation revidiert. Im folgenden soll versucht werden, durch Interpretation der entsprechenden Passagen das von Piaton gemeinte Problem zu beschreiben (erster Hauptteil der Arbeit, Interpretation von 14c5-16b8) und die Beziehung der Beispiele zu der von ihnen erläuterten theoretischen Passage der sog. Lehre der Alten (16clff.) zu verdeutlichen (zweiter Hauptteil). Dabei wird sich zeigen, ob und wie Piaton das von ihm aufgeworfene Problem zu lösen versucht. Daneben wird die genaue Interpretation des Textes ab Phil. 14c5, also die Herausarbeitung dessen, was Piaton mit dem Problem des Einen und Vielen meint und wie er es behandelt, Licht auf die immer wieder (z.B. von Wolff, Gulley, Cherniss, Guthrie und zuletzt Shiner)4 aufgeworfene Frage werfen, ob der späte Piaton seine Ide1 R. Hackforth, Plato's Examination of Pleasure (The Philebus), Indianapolis/New York 1945 (Pb. O.J.), 26. 2 G. Striker, Peras und Apeiron. Das Problem der Formen in Platons Philebos, Göttingen 1970, 23. 3 Striker, ebenda. 4 H.M. Wolff, Plato. Der Kampf ums Sein, Berkeley/Los Angeles 1957, 261ff.; Ν. Gulley, Plato's Theory of Knowledge, London 1962, 113-116; W.K.C. Guthrie, A History of

10

Einleitungsteil

enlehre, wie sie aus dem Phaidon und der Politela bekannt ist, revidiert oder gar verworfen hat. Auf dieses Problem wird die Arbeit im Rahmen der Interpretation des Textes eingehen (vgl. zweiter Hauptteil, Kap. 7). Im Anschluß daran soll erörtert werden, ob sich die Behandlung des "Εν-ΓΙολλά-Problems in Phil. 14-18 im weiteren Verlauf des Dialoges widerspiegelt (Schlußteil). Zuvor muß jedoch das Einleitungsgespräch Phil. 11-14 einer kursorischen Interpretation unterzogen werden (Einleitungsteil). Auf diese Weise kann gezeigt werden, wie es zur Aufstellung des "Εν-ΠολΧά-Problems kommt und wie es sich zum ethischen Hauptthema des Dialoges verhält. Es wird sich nämlich zeigen, daß die Beziehungen der uns interessierenden Passage sowohl zu den voraufgehenden als auch den nachfolgenden Abschnitten keineswegs unproblematisch sind. Die Interpretation des Einleitungsgespräches ist für die Auslegung von Phil. 14-18 auch deshalb von Bedeutung, weil einige der die Kommentatoren beschäftigenden Interpretationsprobleme in Phil. 14-18 nur aus dem (scheinbaren oder wirklichen) Gegensatz der Ausführungen dort zu denen des Einleitungsgespräches zu erklären sind.

2. Das Einleitungsgespräch (Phil. Ila-14c5) (IIa - d9) Das Gespräch im Philebos entzündet sich an der Frage, ob Freude, Lust und Lebensgenuß oder Denken, rechte Ansichten und Reflexion ein gutes Leben ausmachen (lla-d9). Sokrates weist seinen Gesprächspartner Protarchos darauf hin, daß dessen Auffassung, ήδονή sei, was ein Leben gut macht, die Vielfalt dessen, was so bezeichnet wird, nicht in Rechnung stellt (llc4). Denn mit dem einen Wort 'ήδονή' werden ganz verschiedene Arten von Freuden bezeichnet (llc6-8). Wie mir scheint, will Sokrates damit dessen Unterschied zu einem Namen wie 'Aphrodite' kenntlich machen:5 dieser kommt nur einem Gegenstand in gebührender

Greek Philosophy, Vol. V: The Later Plato and the Academy, Cambridge 1979 (Reprint), 232; H.F. Cherniss, The Relation of the Timaeus to Plato's Later Dialogues (1979), in: R.E. Allen, Studies in Plato's Metaphysics, London 1965, 339-378; R. Shiner, Knowledge and Reality in Plato's Philebus, Assen 1974. 5 Vgl. Friedländer, Die platonischen Schriften, Berlin/Leipzig 1930, 564.

2. Das Einleitungsgespräch (Phil. Ila-14c5)

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Weise zu, während der Begriff 'ήδονή' verschiedenen Arten von Freuden zugesprochen wird (llcl-d5). 6 Sokrates macht seinen Gesprächspartner darauf aufmerksam, daß einem Menschen unterschiedliche Beschäftigungen Freude bereiten können, etwa sowohl eine disziplinierte als auch eine zügellose Lebensweise, oder sowohl eine realistische Sichtweise der Wirklichkeit als auch eine von illusionären Hoffnungen entstellte (lld2-4). Mir scheint, Sokrates will damit zeigen, daß die Tatsache, daß jemand Freude hat oder Lust empfindet, noch kein hinreichendes Kriterium dafür ist, daß das, was er tut, auch 'gut' ist.7 Daher genügt es auch nicht, daß jemand seine Lust auf irgendeine Weise maximiert, um ein wirklich gutes Leben zu führen. Protarchos entgegnet, daß man in der Tat bei ganz verschiedenen Anlässen Freude empfinden kann (lld7f.), 8 und wie mir scheint, würde er vermutlich auch zugestehen, daß die Gelegenheiten, bei denen jemand ein Lustgefühl hat, ethisch durchaus unterschiedlich bewertet werden können. Die Freude selbst aber, die bei verschiedenen Gelegenheiten entsteht, ist immer dieselbe und Protarchos würde vermutlich darauf bestehen, daß sie uneingeschränkt gut ist (vgl. 13c5).9 Offenbar versteht er unter 'ηδονή' das angenehme Gefühl, das sich bei verschiedenen Anlässen einstellt.10 (Vielleicht würde er dafür plädieren, daß das beste Leben ein solches mit einem ständigen Glücksgefühl ist.)

6 Sokrates scheint das, was wir 'Name' und 'Begriff nennen, in folgender Weise zu unterscheiden: hinsichtlich des Namens 'weiß' Sokrates, daß dieser nur einem Gegenstand, der Göttin gebührt, die Freude aber umfaßt nach Sokrates' Wissen verschiedene Arten. Vermutlich will Piaton sagen, daß man den Wörtern nicht sozusagen schon von außen ansieht, ob es sich dabei um einen 'Namen' oder das, was wir einen 'Begriff nennen, handelt. So wird in beiden Fällen das, wofür die Wörter stehen, durch ein Substantiv bezeichnet, das flektiert werden und ein Verbum regieren kann. Vielleicht würde Piaton auch darauf verweisen, daß wir die beiden Arten von Wörtern in ihrem Gebrauch häufig nicht unterscheiden, wenn wir z.B. sagen: 'Aphrodite ist schön.' 'Freude ist gut.' In beiden Fällen wird anscheinend einem ε ν τ ι (Aphrodite, Freude) eine Eigenschaft zugesprochen (vgl. 12c6-8). 7 Vgl. auch A.E. Taylor, Plato. Philebus and Epmomis (hrg. von R. Klibansky), London 1956, z.St. 8 Hackforth, 14f. 9 Ich glaube nicht, daß I.M. Crombie, An Examination of Plato's Doctrines, Vol. II: Plato on Knowledge and Reality, London 1968, 360f., mit seiner (allerdings äußerst scharfsinnigen) Analyse recht hat. Mir scheint, daß Protarchos nicht insofern davon spricht, daß alle Freuden gut sind, weil er etwa meint, alle freudemachenden Aktivitäten seien eben deshalb gut, weil sie Freude bereiteten, und daraus folgert: alle Freuden in diesem Sinne sind gut, sondern daß er sehr wohl freudemachende Aktivität und die daraus resultierende Freude voneinander unterscheidet. Daraus ergibt sich, daß die gemeinten Aktivitäten nicht unbedingt demselben Werturteil unterliegen wie deren (emotionales) Resultat (vgl. 13c5). 10 J.C.B. Gosling, Plato. Philebus (Clarendon Plato Series), Oxford 1975, 74f.

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Einleitungsteil

(lld9 - 13a5) Ein wenig polemisch fragt Protarchos: Von allen Dingen ist doch wohl der ήδονή die ήδονή, also sich selbst, am allerähnlichsten? Mir scheint, daß Protarchos mit dieser Frage dem Sokrates vorhält: es ist eine Eigenschaft der Dinge, mit sich selbst identisch zu sein, also ist es auch die ήδονή (als angenehmes Gefühl), und es gibt daher keinen Grund, von 'verschiedenen Aspekten' der ήδονή zu sprechen, wie Sokrates es getan hat. Dieser versteht allerdings Protarchos' Einwand anders (llc3ff.). Ich bin mir nicht sicher, ob Piaton das Mißverständnis beabsichtigt hat, halte es aber für wahrscheinlich. Den Satz: "Der ήδονή ist doch wohl die ήδονή am allerähnlichsten ( = identisch)" faßt Sokrates so auf: 'was eine ήδονή ist, ist mit dem, das eine ήδονή ist, identisch', 'ήδονή' wird also von Sokrates als ein Oberbegriff verstanden, der unter ihn fallenden Arten und Einzeldingen zugesprochen werden kann (12c7). u Es ist offensichtlich absurd, zu behaupten, wenn etwas eine 'ήδονή' genannt werden kann, sei es mit jedem anderen ebenfalls als 'ήδονή' bezeichneten völlig identisch. Im Gegenteil, es ist eine Eigenschaft von Prädikaten, von ganz verschiedenen Gegenständen ausgesagt werden zu können (12c713a3). Als Illustration wählt Sokrates die beiden Begriffe 'Farbe' und 'Form' (12e3-7). Daß von zwei verschiedenen Gegenständen gesagt werden kann, sie seien farbig, schließt keineswegs aus, daß sie ansonsten völlig verschieden sind, es schließt nicht einmal aus, daß sie sich gerade in ihrer Farbe voneinander unterscheiden, der eine also rot, der andere grün ist. Daß man von zwei verschiedenen Gegenständen sagen kann, sie entsprächen in ihrem Aussehen einer geometrischen Form, schließt keinesfalls aus, daß die beiden Gegenstände verschiedenen geometrischen Formen entsprechen, etwa einer Pyramide und einem Zylinder. Sokrates fügt hinzu, daß derjenige, der daraus, daß zwei Gegenständen dasselbe Prädikat F zukommt, schließt, sie seien miteinander identisch, unzulässigerweise verschiedene Gegenstände miteinander identifiziert, also alles, sei es auch noch so verschieden voneinander, 'zu einem macht' (13a3-4). In dieses Argument fließt m.E. eine nicht ausgesprochene Voraussetzung ein, die allerdings erst im folgenden expliziert wird, die aber möglicherweise der Grund dafür ist, daß Sokrates insistiert, man solle die verschiedenen Arten der ήδονή in Betracht ziehen. Denn Sokrates meint offenkundig, daß es gerade die Artunterschiede der ήδονή sind, die für eine moralische Bewertung von Bedeutung sind. Dem Protarchos, der Π Taylor, PPE, 29; H.G. Gadamer, Plato's Dialektische Ethik, Leipzig 1931,86-87.

2. Das Einleitungsgespräch (Phil. Ila-14c5)

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ήδονή generell mit dem Guten identifizieren will, entgegnet Sokrates: wir wollen uns doch erst einmal anschauen, was die Menschen alles zu tun pflegen, wenn sie Freude empfinden. Das ethische Urteil wird sich daran zu orientieren haben, was es jeweils ist, wovon man sagt, es sei "eine Freude". Für Sokrates ist es also fragwürdig, die ethische Bewertung bereits auf der Ebene der obersten Gattung zu vollziehen ('alles, was Freude ist, ist eo ipso gut') und sich von vornherein nicht darauf einzulassen, zwischen verschiedenen Arten der Freude auch moralisch zu unterscheiden. Vielleicht will er sagen: es zeugt nicht von großer Weisheit, wenn man pauschale moralische Urteile fällt, wo eine genauere Differenzierung nach den Arten der Handlungen angebracht wäre (13c8-d2).12 Ich meine nicht, daß man sagen kann (und Sokrates will es wohl auch nicht sagen), es sei ausgeschlossen, daß es je eine ethische Bewertung, ein einheitliches moralisches Urteil, für eine ganze Gattung von Handlungen geben kann. Aber das dürfte der Ausnahmefall sein. Es gibt z.B. Menschen, die jedes Töten, unabhängig von dem Anlaß, für moralisch verwerflich halten, andere meinen, das gelte nur für das Töten von Menschen, wieder andere nehmen Notwehr und Verteidigungskrieg aus dem Tötungsverbot aus, etc. Ich glaube, wir empfinden die Haltung derjenigen, die, sozusagen auf der Ebene der obersten Gattung ansetzend, sagen würden, jedes Töten überhaupt sei verboten, als irgendwie radikal und wirklichkeitsfremd, und zwar deshalb, - so würden wir wohl sagen - , weil man unterscheiden muß zwischen Situationen, wo Töten unnötig ist und solchen, wo es, wie man so sagt, um 'höherer' Werte willen geschieht, oder wo seine Unterlassung Menschenleben kosten würde. Sokrates möchte vielleicht darauf hinweisen, daß die Auffassung, jede Freude sei als solche schon gut, von der Wirklichkeit menschlicher Freuden weit entfernt ist (vgl. 13a4-5), weil es bestimmt Freuden gibt, denen man eine positive Qualität beim besten Willen nicht zuerkennen kann. Wenn Sokrates' Argumente in diese Richtung zielen, scheint mir allerdings Protarchos' Unterscheidung der Quellen der ήδονή ( = der entsprechenden Handlungen) und dieser selbst wieder einschlägig.13 Es sind dann ja gerade die Tätigkeiten, die Freude erzeugen, und nicht diese selbst, die für die Unterschiede der moralischen Bewertung herangezogen werden. Wer z.B. Freude am guten Essen empfindet, nicht aber an philosophischer Reflexion, unterscheidet sich von dem, der Freude am Philosophie treiben hat, gerade darin, daß er viel und gut essen und ver12 Vgl. Taylor, Plato. The Man and His Work, 6. Aufl. London 1952 (Reprint), 411. 13 Siehe die Diskussion bei Gosling, 74-75.

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Einleitungsteil

mutlich weniger oft philosophisch reflektieren wird, und es ist dies, das einer ethischen Beurteilung unterliegt, und nicht die Freude, die man daran hat. Angesichts dieses Einwandes ist es m.E. von Bedeutung, daß für Sokrates folgende Begriffe in gleicher Weise 'Freude' bezeichnen: 'ηδονή', 'το χαίρειν', 'τέρψις', etc. (llb4-6). 14 M.a.W. er macht nicht den Unterschied, den wir im Deutschen zwischen 'Vergnügen' und 'Vergnügung' kennen. Das Wort 'Vergnügung' bezeichnet gerade die Aktivität, bei der man Vergnügen empfindet. Im Griechischen kann man unter 'ήδονή' offenbar auch die freudemachende Aktivität selbst verstehen (und das gilt für 'Freude', so weit ich sehe, auch im Deutschen). Als diese freudemachende Aktivität, von der der Aspekt, eine ήδονή zu sein, nicht getrennt wird wie im Deutschen der Aspekt, daß eine Tätigkeit Vergnügen bereitet, von dieser Tätigkeit als solcher unterschieden werden kann, unterliegt die ήδονή nach Sokrates' Meinung unterschiedlichen moralischen Werturteilen, während Protarchos den uns bekannten Unterschied gerade macht.15 (13a6 - dS) Protarchos zeigt, daß er sich mißverstanden fühlt, denn Sokrates hat seine Unterscheidung zwischen der ήδονή und ihren Quellen nicht aufgenommen (vgl. 13b6-c2). Doch ist er bereit, zuzugestehen, daß es entgegengesetzte Arten von Freuden gibt (vgl. 13a6). Allerdings möchte er nun von Sokrates wissen, inwiefern dieses Zugeständnis seine These beeinträchtigt, daß die Lust der entscheidende Maßstab des guten Lebens ist (13a6). Die folgende Passage (13a7-b5) ist nicht leicht zu verstehen. 16 Mir scheint, daß Sokrates meint, die Verschiedenheit der Formen der Freude müßte Protarchos dazu veranlassen, seine Position, alle Freuden seien gut, erneut zu überdenken. Die Tatsache, daß es, wie von Protarchos zugestanden, verschiedene Freuden gibt, (wobei man mit Sokrates vernünftigerweise der Ansicht sein kann, daß einige der ήδοναί bei guten, andere bei schlechten Gelegenheiten entstehen), 17 führt dazu, daß die Auffassung des Protarchos, alle Freuden seien gut und daher Maßstab des erw Vgl. die Hinweise bei R.G. Buiy, The 'Philebus' of Plato, New York 1973 (Reprint von 1897), 2. 15 Siehe Gosling, 75. ΐ ί Doch ist sie keinesfalls als interpoliert anzusehen, wie H.P. Harding, Zum Text des Platonischen Philebos, Hermes 88,1960,45f. annimmt. 17 Darauf will Sokrates auch 13c3-4 wieder hinaus. Es handelt sich daher keineswegs (gegenüber 13b3-5) um ein Rückzugsgefecht, wie R.M. Dancy, The One, the Many And the Forms, Ancient Philosophy 1984, 170, annimmt.

2. Das Einleitungsgespräch (Phil. Ila-14c5)

15

strebenswerten Lebens, mindestens fragwürdig, in letzter Konsequenz sogar widersprüchlich ist, und darauf weist Sokrates' Bemerkung hin. Denn er fragt seinen Gesprächspartner, was diesen dazu veranlaßt, alle Freuden, sowohl die guten als auch die schlechten, gut zu nennen. 18 Protarchos allerdings will nicht einsehen, daß es sowohl gute als auch schlechte Freuden gibt; er greift auf die Unterscheidung zwischen der ήδονή und ihren Quellen zurück (13b6-c2). Er nimmt also das Sokrates gemachte Zugeständnis, daß es sehr wohl verschiedene Arten von Freuden gibt, wieder zurück.19 Mir scheint allerdings, daß Piaton den Protarchos so schildert, daß er das Zugeständnis der Verschiedenheit der Freuden nur sozusagen hypothetisch gemacht hat (vgl. 13a6 ίσως), um einmal zu sehen, was dabei herauskommt hinsichtlich der These des Philebos, 'die' Lust sei Maßstab des guten Lebens. Ich glaube nicht, daß Protarchos sich auf Sokrates' These einer Vielheit der Freuden schon wirklich eingelassen hat. Als er sieht, daß der Vorrang der ήδονή durch das vorläufig gemachte Zugeständnis ins Wanken kommt, nimmt er es schleunigst wieder zurück.20 Ich verstehe die Antwort des Sokrates 13c6ff. so, daß er Protarchos die schon bekannte Auffassung zuschreibt, alles, was eine Freude sei, sei mit jedem, was eine Freude sei, identisch. Wer das behauptet, so meint Sokrates, sei doch wohl ziemlich unerfahren. 21 Ich meine aber, daß er Protarchos ein wenig Unrecht tut, denn dieser hatte recht plausibel für seine Theorie des einen freudigen Gefühls plädiert, und zwar mit dem Argument, daß man die Menschen doch nur fragen müsse, ob sie wohl die Freude für etwas schlechtes halten (13cl-2). Jeder wird, so meint Protarchos, antworten, daß die Freude gut ist, nämlich ein angenehmes Gefühl. Auf Sokrates' Vorhaltung, daß er doch gerade noch gesagt habe, die einzelnen Freuden seien einander völlig unähnlich, antwortet er: nicht, insoweit sie Freuden sind. Diese Antwort ist wohl so zu verstehen: die Aktivitäten, bei denen ich Freude empfinde, sind voneinander sehr verschieden; wenn es denn schlechte Aktivitäten geben soll, die Freude machen, so sind diese 'Freuden' nicht deshalb schlecht, weil sie Freude machen, sondern aufgrund der schlechten Aktivität, die das angenehme, 18 Vgl. Bury, 7. i» Hackforth, 15; Gosling, 78. 20 Vgl. auch Friedländer, 564. Ich glaube also nicht, daß Piaton den Protarchos durchschauen läßt, daß die Annahme verschiedener Formen der ήδονή nicht schon deren moralische Verschiedenheit impliziert, wie Dancy, 169 offenbar meint. Die moralische Verschiedenheit liegt einfach nahe, wenn man von verschiedenen Arten der Freude spricht, und das gefällt Protarchos natürlich nicht. 21 Vgl. Gosling, 78.

16

Einleitungsteil

erfreuliche Gefühl erzeugt. Dieses identische, angenehme Gefühl selber ist immer gut. Die moralisch fragwürdigen Aktivitäten werden nur in einem abgeleiteten Sinne 'Freuden' genannt, weil sie das genannte angenehme Gefühl erzeugen, aber nicht, weil sie als Aktivitäten selbst schon erfreulich sind. Aus der Antwort des Sokrates (13d3ff.) wird seine Verärgerung über die Beharrlichkeit des Protarchos deutlich.22 Er ist der Ansicht, für seine Auffassung bereits hinreichend einsichtige Beispiele angeführt zu haben ('Farbe', 'Form'), die aber bei Protarchos keinen Sinneswandel bewirkten. Also wählt er ein weiteres, sehr massives Beispiel, das die gewünschte Wirkung erzielen soll. Seine Bemerkung 13d3ff. ist offenbar wie folgt zu verstehen: wer allein aufgrund der Tatsache, daß verschiedene Freuden als 'ήδοναί' bezeichnet werden, ihre Ähnlichkeit oder Identität behauptet, muß auch zugestehen, daß allein aufgrund der Tatsache, daß Dinge als άνομοιότατον bezeichnet werden können, d.h. als einander völlig unähnlich, sie miteinander ganz ähnlich bzw. identisch sind. Das ist jedoch offenkundig absurd. 23 Im Grunde verstärkt Sokrates nur sein bereits für 'Farbe' und 'Freude' gegebenes Argument, indem er ein extremes Beispiel, den Begriff 'völlig unähnlich' (im Superlativ!) verwendet. Er sagt: Wenn ich dich, Protarchos, recht verstehe, müßtest du bereit sein, zuzugestehen, daß etwas, das völlig unähnlich ist, dem, was (gleichfalls) völlig unähnlich ist, genau deshalb gleich ist, weil du meinst, daß was immer ein F ist, mit dem, was (ebenfalls) ein F ist, identisch ist. Das ist jedoch noch absurder als im Falle der Begriffe 'Form' und 'Farbe'. Im Falle des Begriffes 'Farbe' lagen die Verhältnisse so, daß zwei Gegenständen a und b, denen der Begriff '...hat eine Farbe' oder '...ist farbig' zugesprochen werden kann, sich in anderer Hinsicht und sogar in ihren Farben unterscheiden konnten. Nur darin, daß sie eine Farbe haben, entsprechen sie einander. Von zwei Gegenständen a und b, denen jeweils das Prädikat 'völlig verschieden' zukommt, gilt jedoch nach Sokrates' (und Piatons) Auffassung, daß sie sich in keiner Hinsicht mehr ähnlich sind, denn sonst würde ihnen das Prädikat 'άνομ,οιότατον' nicht mit Recht zugesprochen. Dieser Begriff muß voraussetzungsgemäß, soll er korrekt verwendet werden, verschiedenen Gegenständen zugesprochen werden; er kann nicht die Gleichheit der so prädizierten Dinge auch nur in einer Hinsicht zur Voraussetzung haben. Es wäre, wie ich meine, ein (naheliegendes) Mißverständnis, zu meinen, daß man sozusagen die Partei des Protarchos ergreifen und in seinem 22 Vgl. Hackforth, 15. 23 Gosling, 78.

2. Das Einleitungsgespräch (Phil. Ila-14c5)

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Sinne argumentieren könnte, die zwei Dinge seien einander darin gleich, daß ihnen beiden das Prädikat 'völlig unähnlich' zukommt. Abgesehen davon, daß auf diese Weise der relationale Charakter des Prädikates mißachtet wird (das tut Sokrates im folgenden auch), hat Protarchos gar nicht damit argumentiert, daß ein Prädikat sozusagen etwas verschiedenen Dingen Gemeinsames 'aussagt', was Sokrates entsprechend mit dem Beispiel der völligen Ungleichheit widerlegen würde, denn Protarchos argumentiert überhaupt nicht mit dem, was wir Prädikate nennen, 24 sondern mit so etwas Konkretem wie einem immer wieder sich einstellenden, identischen angenehmen Gefühl. 25 Entsprechend würde Sokrates das genannte hypothetische Gegenargument nicht als reales Problem seiner Argumentation, sondern als völlig absurd ansehen. Das Prädikat 'άνομ.οιότατον' ist eben nur dann verwendbar, wenn zwei Dinge tatsächlich völlig voneinander verschieden sind. Angesichts dieses Beispiels kann Protarchos, so scheint Sokrates sagen zu wollen, mit seiner allgemeinen These (die er ihm freilich nur mehr oder weniger unterstellt), daß, was ein F ist, mit dem, was ein F ist, völlig gleich sein müsse, nicht recht haben, denn es gibt sogar einen Fall (den des Prädikates 'άνομοι,ότατον'), wo das, was ein F ist, mit dem, was ein F ist, überhaupt nichts gemeinsam hat. Man kann die Position des Sokrates auch so formulieren, daß im extremen Falle des Prädikates 'völlig ungleich' die Eigenschaft des Prädikates, verschiedenen Gegenständen a und b zugesprochen zu werden, nicht mehr äquivalent ist mit der Eigenschaft verschiedener Gegenstände a und b, in der durch das Prädikat angegebenen Hinsicht miteinander vergleichbar zu sein. Sokrates' Argumentation setzt voraus, daß der Begriff 'άνομοιότατον' als 'verschieden untereinander' verstanden wird, denn offenkundig können zwei Dinge, die von einem dritten ganz verschieden sind, sehr wohl untereinander gleich sein. Aber auch für den einzig sinnvollen Fall ist Sokrates' Behauptung bei genauerem Hinsehen wenig überzeugend. Denn einem Gegenstand a wird nicht das Prädikat 'verschieden untereinander', sondern 'verschieden von b' oder 'dem b unvergleichbar' zugesprochen, und einem Gegenstand b das Prädikat 'verschieden von a', so daß beiden Gegenständen nicht ein und dasselbe Prädikat zugesprochen wird. Vielleicht hat Sokrates aber den Fall im Auge, daß a und b gemeinsam das Prädikat 'verschieden' zugesprochen wird, wie etwa in dem Satz: 'a und b sind untereinander verschieden'. Doch ist die Schlußfolgerung unerlaubt,

24 Gegen Gosling, 78. 25 Darin scheint mir das Problem der Diskussion bei Dancy, 166ff., bes. 169, zu bestehen.

18

Einleitungsteil

daß deshalb gilt: 'a ist untereinander verschieden' und 'b ist untereinander verschieden', 26 sondern richtig muß es eben heißen: 'a ist verschieden von b und b ist verschieden von a' ist äquivalent mit 'a und b sind untereinander verschieden'. Also werden dem a und dem b nicht, wie Sokrates offenbar voraussetzt, ein identisches Prädikat 'verschieden' zugesprochen, und damit ist sein Argument auch nicht zugkräftig. Es ist in der Literatur umstritten, ob Piaton die logischen Verhältnisse bei Relationen durchschaut, oder ob er gemeint hat, eine Relation sei nichts anderes als eine Eigenschaft wie jede andere, allerdings eine solche, die etwas in Bezug auf etwas anderes hat. Mir scheint folgende Sicht die nächstliegende: Piaton hat in der Tat nur an wenigen Stellen zwischen einstelligen und mehrstelligen Prädikaten unterschieden, und zwar vielleicht deshalb, weil auch einige solcher Eigenschaften, die wir normalerweise mit Hilfe von einstelligen Prädikaten ausdrücken ('schön', 'angenehm', 'alt'), unter Umständen nur mit Hilfe zwei-oder mehrstelliger Relationen ausgedrückt werden können (z.B. 'Dies ist ein altes Haus.' 'Dieses Haus ist alt in Bezug auf das durchschnittliche Alter der Häuser in dieser Straße.') Damit scheint eine strenge Unterscheidung ein- und mehrstelliger Prädikate nicht möglich; also liegt es nahe, die Eigenschaften als solche zusammenfassend zu betrachten und davon zu unterscheiden, für welche Gegenstände und in welcher Hinsicht diese Eigenschaften ausgesagt werden. Das scheint mir der Grund dafür zu sein, daß Piaton meint, dem a und dem b komme jeweils dasselbe Prädikat 'verschieden' zu, unbeschadet der Tatsache, daß es beiden Gegenständen in verschiedener Hinsicht zugesprochen wird. (13d5 - 14c5) An der Absurdität, daß zwei völlig unvergleichbare Dinge einander ganz und gar ähnlich sind, könnte das Gespräch scheitern, soll es aber nicht (13d5f.). Sokrates lenkt Protarchos' Augenmerk auf die Tatsache, daß auch der Begriff 'έπιστήμ.η' (wie der Begriff 'ήδονή') ein Gattungsbegriff ist, nicht ein Begriff einer (untersten) Art (13e9f.).27 D.h. es gibt nicht nur verschiedene Arten von Freuden, sondern auch verschiedene Arten des Wissens. Einige von ihnen sind einander durchaus unähnlich. Daher kann nicht generell gesagt werden, daß επιστήμη 'gut' ist. Piaton 26 Die Gemeinsamkeit des Prädikates 'verschieden untereinander' hätte Sokrates wie folgt zeigen können: gegeben seien zwei Paare von Gegenständen a / b und c/d, so daß gilt: a ist verschieden von b und c von d. Dann gilt: a und b haben mit c und d gemeinsam, daß von ihnen das Prädikat 'untereinander verschieden' gilt. Diesen Fall dürfte Sokrates allerdings nicht im Blick haben. (Den Hinweis auf diese Auffassung verdanke ich Prof. G. Patzig.) 27 Friedländer, 564; Hackforth, 17.

2. Das Einleitungsgespräch (Phil. Ila-14c5)

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argumentiert dagegen, indem er das vorausgesetzte Zugeständnis des Protarchos, es gebe verschiedene Formen der ήδονή, so interpretiert: es gibt verschiedene Gründe, weshalb man sich freut, und zwar ethisch gute und schlechte. Sich über das Unglück von Freunden zu freuen ist eben nicht gut. Von einer entsprechenden Unterscheidung der Arten des Wissens ist jedoch nicht die Rede. Man könnte sich vorstellen, daß Piaton meint, das Wissen des Arztes über die Heilkunst sei gut, das Wissen etwa eines Spiones in Athen sei es nicht. Oder Piaton könnte im Sinne der später getroffenen Unterscheidung verschiedener Formen des Wissens argumentieren. Doch ist diese Aufgliederung hier nicht einschlägig, weil Piaton auch die niedersten Wissensformen nicht als 'schlecht' bezeichnet, und weil Sokrates sich an unserer Stelle dieser Aufteilung auch nicht bedient. Offenbar rät Piaton von vorschneller pauschaler ethischer Bewertung sowohl der Lust als auch des Wissens ab, bringt aber ganz deutlich sein positives Vorurteil zugunsten des Wissens zum Ausdruck, indem er nirgends von schlechtem Wissen spricht. Das positive Vorurteil durchzieht den ganzen Dialog.28 Sokrates' Argument ist also wohl so zu verstehen, daß er dem Protarchos sagt, der Begriff 'επιστήμη' ist, ebenso wie 'ήδονή', ein Gattungsbegriff, es gibt verschiedene, einander unähnliche Arten des Wissens.29 Bevor man von der 'επιστήμη' aussagt, sie sei 'gut', sollte man die verschiedenen Arten des Wissens untersuchen. Es gibt zwar unmittelbar keinen Grund, die Tatsache, daß Wissen 'gut' ist, zu bezweifeln, und keiner der beiden Gesprächspartner hat einen Fall schlechten Wissens genannt, aber die Vielheit und Verschiedenheit der Arten des Wissens läßt es geraten erscheinen, sich vor einer übereilten Zuerkennung des Prädikates 'gut' für 'επιστήμη' zu hüten. Das Argument gegen die Prädikation von 'gut' für 'Wissen' appelliert also an den Sinn für Fairness und stützt sich weniger auf vermutete Sachgründe dagegen, daß Wissen tatsächlich immer gut ist. Wenn ich es richtig sehe, versteht auch Taylor Sokrates' Argument in dieser Weise; er findet seine Strategie "unanswerable".30

28 Dancy, 185, A.37 verweist auf Beispiele schlechter Wissensformen aus dem pseudoplatonischen Alcibiades (143b-147d); es scheint mir allerdings signifikant zu sein, daß Piaton im Philebos gerade keine Beispiele für schlechte έ π ι σ τ ή μ α ι anführt. Piatons Meinung scheint die zu sein, daß Sokrates, anders als Protarchos, sich noch keineswegs geschlagen geben muß, was den Maßstab des guten Lebens angeht. Dafür die ήδονή heranzuziehen, ist wohl nach Piatons Meinung ganz erhcblich unplausibler als Sokrates' έπιστήμη: auf den ersten Blick lassen sich offenkundig nicht so einfach Fälle schlechter Wissensformen heranziehen, wie das für die Freuden möglich ist. 29 Hackforth, 17. 30 Taylor, PPE, 29-30, auch A.

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Einleitungstcil

Aus dem weiteren Verlauf des Dialoges geht nicht eindeutig hervor, ob Protarchos den Vorschlag von Sokrates verstanden hat. Mir scheint, daß Piaton ihn als kooperationswillig beschreibt, aber nur, weil der ursprünglich gegen die pauschale Zuerkennung von 'gut' für die ηδονή gerichtete Einwand nun prima facie auch gegenüber der επιστήμη gilt, weil Sokrates also beide Positionen gleich behandelt, und weniger aus sachlichen Gründen, also der Einsicht in die Unhaltbarkeit seiner ursprünglichen Position (vgl. 14a6). 31 (Man kann allerdings auch fragen, ob Protarchos aufgrund der Argumente des Sokrates, die m.E. nicht besonders stark sind, wie die Analyse zeigt, Anlaß hatte, seine Vorbehalte zurückzuziehen.) 32 Daß Protarchos wohl weniger die Beweisführung von Sokrates akzeptiert als vielmehr die gleiche Behandlung beider Positionen, geht aus der nun folgenden Textpassage hervor (14blff.). Aber auch Sokrates ist bestrebt, beiden Positionen eine faire Behandlung zukommen zu lassen: die Frage, was denn das Gute sei, Wissen, Freude oder - möglicherweise - ein drittes, soll unparteiisch untersucht werden, im Bestreben, die Wahrheit (14b7) herauszubekommen, nicht in der Absicht, selber recht zu behalten. Sokrates setzt darüber hinaus voraus, daß Protarchos einem 'Λόγος' seine Zustimmung gegeben habe (14cl), 3 3 den dieser jedoch offenkundig gar nicht kennt (14c3). Es handelt sich dabei um das Prinzip, daß das Eine Vieles und das Viele Eines ist (14c8). M.E. ist die Tatsache, daß Protarchos dieses Prinzip nicht kennt und nach Erläuterung durch Sokrates ein falsches Beispiel für ein "Εν-Πολλά-Problem anbietet ( 1 4 c l l d3), nur so zu erklären, daß die Einigung zwischen Sokrates und Protarchos 14a6 sich auf die faire Gleichbehandlung beider Auffassungen beschränkt. Vermutlich erwartet Protarchos eine Durchmusterung aller verschiedenen Arten von ήδοναί und έπιστήμαι, um festzustellen, welche Freuden und Formen des Wissens gut sind, und welche nicht. Nach der Erwiderung des Sokrates 14b4 wird er vermutlich auch den Vorschlag einer Alternative zu Lust und Wissen erwarten. E r muß also überrascht sein, daß Sokrates ihn auf ein verborgenes Grundprinzip aller Rede hinweist, dem er soeben seine Zustimmung gegeben habe. Mir scheint, daß Piaton an der genannten Stelle ein wenig Anschauungsunterricht darüber erteilt, wie man philosophische Gespräche, die sich in Rechthaberei festgefahren haben, 'retten' kann. 1. Es kann hilfreich sein, wenn einer der Gesprächspartner deutlich macht, daß er durchaus gewillt ist, die Position des anderen Gesprächsteilnehmers fair zu behandeln. So geht Sokrates vor und macht Protar31 Vgl. Hackforth, 17; Harding, 45. 32 So zu recht Harding, 45. 33 Gadamer, 91; Taylor, PPE, 30.

2. Das Einleitungsgespräch (Phil. Ila-14c5)

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chos damit deutlich, daß es ihm nicht darauf ankommt, recht zu behalten, wenn dadurch die Wahrheit verfehlt wird. Damit gewinnt er Protarchos' Bereitschaft zur Mitarbeit. 2. An dieser Stelle scheint mir Piaton auch zu demonstrieren, daß man für die Beantwortung von schwierigen Sachfragen die gewöhnliche Ausdrucksweise heranziehen kann. So verstehe ich 14c3f. Daß das Eine Vieles und das Viele Eines ist, darüber läßt sich schon deshalb eher eine Verständigung erreichen als darüber, ob 'επιστήμη' oder 'ηδονή' das Prädikat 'gut' zukommt, weil wir in unserem Sprechen ständig davon Gebrauch machen. Es ist z.B. einfach evident, daß man (im Griechischen) von 'έπιστήμ.α.ι' (im Plural) sprechen kann. Sokrates erreicht durch die Übereinkunft mit Protarchos über die identische, faire Behandlung beider Positionen, daß er im weiteren Verlauf des Gespräches von der Vielheit der Formen der Lust und des Wissens ausgehen darf, zumal ihm diese Position offenbar als die einzig vernünftige erscheint. Insofern ist also die Verständigung über die Fortsetzung des Gespräches 14a-b eine Verständigung zu den Bedingungen des Sokrates.

II. ERSTER HAUPTTEIL: INTERPRETATION VON PHIL. 14C5 - 16C1

1. Die Interpretation der "kindischen" Beispiele für ein "Εν-ΠολλάParadox (14cll - e4) Der Exkurs über das Problem des Einen und Vielen beginnt damit, daß zwei unzutreffende Möglichkeiten einer Einheit, die zugleich Vieles ist, genannt werden. Die eine Möglichkeit wird von Protarchos ins Gespräch gebracht (14cll-d3), die andere von Sokrates in seiner Erwiderung auf Protarchos' Vorschlag vorgestellt und abgewiesen (14d4-e4). Nachdem Protarchos sich selbst als Beispiel für einen Gegenstand, der zugleich Eines und Vieles ist, genannt hat, erwidert Sokrates, daß dieser Fall längst erledigt und als Beispiel für die gemeinten "Έν-ΠοΧΧά-Probleme völlig unzureichend ist. Das gilt ebenso für die zweite, nunmehr von Sokrates nachgeschobene Möglichkeit eines solchen Problems. Mir scheint, daß Piaton dadurch, daß er durch Sokrates noch ein zweites kindisches Problem dem von Protarchos genannten anfügt, eine mehr oder weniger vollständige Angabe aller sichtbare Einzeldinge betreffenden Fälle einer Einheit, die zugleich in irgendeinem Sinne Vieles ist, beabsichtigt. Das Problem der Vielheit eines sichtbaren Dinges soll den Gesprächsverlauf hinfort nicht mehr behindern.1 Obwohl Piaton nirgends ausdrücklich davon ausgeht, daß sich nun keine weiteren Fälle einer Einheit, die als Vielheit verstanden werden kann, im Bereich der sichtbaren Einzeldinge finden lassen, dürfte er doch hoffen, daß es keine Fälle gibt, die im Bereich der sichtbaren Dinge eine Auffassung erlauben, die der Formulierung des Problems in 14c8 entspricht.2 Warum aber werden die beiden genannten Fälle von Einheit und Vielheit abgewiesen? Offenkundig ist ein wichtiger Gesichtspunkt dafür die Tatsache, daß sich Einheit und Vielheit auf Gegenstände der sichtbaren Welt beziehen. Das wird aus Sokrates' Bemerkung 15a 1-7 deutlich, denn das interessante 'Έν-Πολλά-Problem bezieht sich gerade nicht auf den Bereich der werdenden und vergehenden Dinge.3 Es ist allerdings nicht 1 Friedländer, 566. 2 Wahrscheinlich hat er die damals geläufigen Beispiele eines solchen Paradoxons im Blick. Dazu unten mehr! 3 Taylor, Plato, 411.

1. D i e Interpretation der "kindischen" Beispiele

23

auf den ersten Blick ersichtlich, ob Piaton meint, die beiden Fälle seien deshalb lächerlich und kindisch, a) weil sie sichtbare Gegenstände betreffen, und sich damit zu beschäftigen ist immer philosophisch vergleichsweise nutzlos, oder b) weil kein ernsthaftes logisches Paradoxon vorliegt, oder c) weil a) gilt, und a) sich so auswirkt, daß immer b) resultieren wird. Mir scheint, daß b) gilt, und b) der Anlaß ist, a) einzubeziehen, wenigstens für die folgende Diskussion, aber Piaton sagt das nicht recht deutlich. Es findet sich allerdings der Hinweis darauf, daß b) gilt, wenn Piaton sagt, die Probleme seien leicht zu lösen (14d7). Zugleich kontrastiert Piaton werdende und vergehende mit den gleichbleibenden Gegenständen in 15a 1-2. Das läßt darauf schließen, daß auch a) seine Bedeutung hat. Die meisten Kommentatoren unterscheiden nicht so scharf, verbinden aber meist das, was mit a) und das, was mit b) gemeint ist.4 Die Interpretation der beiden Beispiele ist in der Literatur umstritten. a) Das Protarchos-Beispiel Das beginnt bereits bei der Stellung der beiden Beispiele im Kontext des Dialoges. Ich habe sie oben beschrieben und kann daher nicht der Ansicht Friedländers zustimmen, der meint, Protarchos wolle mit seinem Beispiel das Problem des Einen und Vielen "mißbrauchen". 5 M.E. beschreibt Piaton Protarchos als einen durchaus kooperativen und zur Mitarbeit bereiten Gesprächspartner des Sokrates; er kann diesem allerdings intellektuell nicht immer das Wasser reichen. Eine ähnliche Auffassung vertritt auch Hackforth. 6 Man darf das Verhalten des Philebos und das des Protarchos nicht miteinander identifizieren: Philebos ist der Dogmatiker der ηδονή, der an vielen Stellen des Dialoges beweist, daß er zur konstruktiven Mitarbeit entweder nicht fähig oder nicht bereit ist. Friedländers Meinung, Protarchos wolle das "Εν-ΠοΧΧά-Problem mißbrauchen, beruht allerdings vermutlich nicht ausschließlich auf seiner Auffassung von der Charakterisierung der Gesprächspartner durch Piaton, sondern auch auf seiner Interpretation des ersten kindischen Beispiels. Friedländer deutet es nämlich wie folgt: wenn das Eine entgegengesetzte Prädikate hat, löst sich seine Einheit in Vielheit auf. 7 Das kann man nur so verstehen, daß Protarchos auf die kynische, d.h. sophistische Logik zurückgreift, nach der ein Einzelding jeweils 'mit seinem eigenen Namen'

* So z.B. Friedländer, 566. 5 Friedländer, 566. 6 Hackforth, 19, A . l . 7 Friedländer, 566.

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Erster Hauptteil: Interpretation von Phil. 14c5 - 16cl

und keinem anderen Prädikat bezeichnet werden darf, d.h. also praktisch mit seinem Prädikat identifiziert wird.8 Werden von einem Ding mehrere, einander widersprechende Prädikate ausgesagt, zerfällt seine Einheit in eine Vielheit, weil es nicht zugleich F und non-F sein kann, wenn es jeweils mit seinem Prädikat identifiziert wird. Den 'Mißbrauch' des Protarchos sieht Friedländer also in seinem Rückgriff auf die sophistische Scheinlogik.9 Ähnlich wie Friedländer deuten das Beispiel Burnet, Ross, Striker, und Bury ( Ί am a number of opposite mes' (Sperrung von Bury)).10 Eine wichtige Voraussetzung dieser Interpretation besteht darin, daß die von Protarchos genannten Prädikate 'groß/klein', 'schwer/leicht' absichtlich in der Kombination zweier gegensätzlicher Bestimmungen aufgeführt werden, denn nur wenn einem Gegenstand zwei miteinander unvereinbare Prädikate zugesprochen werden, läßt sich die Vielheit des Einen plausibel machen. 11 Wenn etwas, das (identisch mit) groß ist, zugleich rauh und langsam ist, läßt sich dieser Fall immerhin noch so verstehen, daß das Große zugleich rauh und langsam ist, aber wenn etwas, das langsam ist, zugleich schnell sein soll, ergibt sich ein unauflöslicher Widerspruch. Ein Argument für diese Deutung 12 sind die im Text genannten Gegensatzpaare (14d2), ein mögliches Gegenargument, daß Piaton das sich aus der Gegensätzlichkeit von Prädikaten ergebende Problem der Einheit eines sichtbaren Gegenstandes an anderer Stelle als nützliche Propädeutik charakterisiert (Politela 523-525).13 Dieses Argument gegen die vorgestellte Interpretation wäre allerdings nur dann zugkräftig, wenn der Dialogtext aus sich heraus eine andere Interpretationsmöglichkeit nahelegt. Eine andere Gruppe von Kommentatoren, unter ihnen Hackforth und Gadamer, 14 meint, daß es nur auf die Mehrzahl der von einem Gegenstand ausgesagten Prädikate ankommt. Daß Piaton gegensätzliche Prädikate nennt, ist Zufall.15 Allerdings wird nicht recht deutlich, worin denn 8 Vgl. Arist. Met. 1024b32; Phys. 185b26; L. Campbell, The Sophistes and Politicus of Plato, New York 1973 (Reprint von 1867), 137; F.M. Cornford, Plato and Parmenides, 4. Aufl. London 1958, 73-74; W. Nestle (Hrg.), Die Sokratiker, Aalen 1968 (Neudruck der Ausgabe Jena 1922), 79, Fr. 5. ' Friedländer, 566. io J. Burnet, Greek Philosophy. Thaies to Plato, London 1950 (Reprint), 326; D. Ross, Plato's Theory ofldeas, Oxford 1951,130; Striker, 12-13; Buiy,xxxiv. H Vgl. Striker, 12. 12 Vgl. Striker, 12. 13 Dazu unten mehr. Vgl. die Diskussion bei Gosling, 80f. 14 Hackforth, 18; Gadamer, 92f. 15 Vgl. Hackforth, 18.

1. Die Interpretation der "kindischen" Beispiele

25

nun die Vielheit des einen Dinges besteht. Hackforth 16 verweist auf den Parmenides und den Sophistes und meint, daß Piaton sagen will, die Zuerkennung vieler Prädikate, auch einander entgegengesetzter, an ein und dasselbe Ding sei kein Problem. Warum sollte Sokrates nicht an vielen Formen teilhaben? Auch Gadamer verweist auf den Parmenides;17 er formuliert etwas undeutlich: kein Problem sei es, wenn ein Ding sich als vieles erweise durch die Vielheit der ihm zukommenden Bestimmungen bzw. durch die Vielheit der Hinsichten, in denen es angesprochen werden kann. Aber damit ist nicht erklärt, warum für Protarchos das Eine Vieles ist. Immerhin ist nicht auszuschließen, daß Piaton sagen will: in dem ersten Fall besteht der lächerliche Aspekt des Beispiels gerade darin, daß das Eine gar nicht Vieles ist, sondern ihm nur allerlei verschiedene Bestimmungen zukommen. Deshalb lohnt sich eine genauere Betrachtung dieses Falles eines "Εν-Πολλά-Problemes nicht. Eine solche Interpretation ist durchaus plausibel, nur muß dann noch erklärt werden, warum Protarchos darauf kommen konnte, der von ihm erwähnte Fall sei der eines Einen, das Vieles ist. Die originellste Interpretation des Protarchos-Beispiels bietet Taylor an. 18 Seiner Ansicht nach hat Protarchos folgendes Problem: es gab einmal eine Zeit, wo Sokrates klein und leicht war, nämlich als Kind. Als Erwachsener aber ist er groß und schwer, und doch würden wir sagen: das ist keine andere Person als vor 20 Jahren. Das scheinbare Paradox besteht also darin, daß von Sokrates offenkundig gegensätzliche Prädikate gelten. Auch Taylor verweist auf den Parmenides, wo das Problem der Partizipation eines Dinges an verschiedenen, einander ausschließenden Ideen angesprochen wird. 19 Auch er vermutet, daß Piaton den Fall als kindisch zurückweisen will, wenn jemand aus der Tatsache, daß dem Sokrates viele verschiedene Eigenschaften zukommen, die einander sogar entgegengesetzt sind, schließt, daß es mehrere Personen mit Namen Sokrates gibt, die diese verschiedenen Eigenschaften haben, daß also der eine Sokrates in Wahrheit Vieles ist.20 Eine solche Interpretation ist nur möglich aufgrund der Annahme, die oben bereits anhand von Friedländers Auffassung geschildert wurde, daß das Prädikat und das mit ihm Prädizierte in irgendeiner Weise miteinander identifiziert werden. Die Interpretation von Taylor ist immerhin darin den anderen Deutungsversuchen überlegen, daß sie ganz zwanglos die Zuschreibung verte 17 ι» 19 20

Hackforth, 18. Vgl. Gadamer, 93. Taylor, PPE, 106, A. Taylor, PPE, 31. Taylor, PPE, 30.

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Erster Hauptteil: Interpretation von Phil. 14c5 - 16cl

schiedener und dazu noch gegensätzlicher Prädikate auf Sokrates erklären kann, während die anderen Kommentatoren die gleichzeitige Zuschreibung der Prädikate 'groß' und 'klein' etc. damit erklären, daß der Vergleichsmaßstab für die jeweils verwendeten Prädikate verschieden gewählt wird.21 Davon ist im Text explizit jedoch nicht die Rede; ich vermute, daß diese Auffassung aus der von den Kommentatoren gerne angeführten Parallele Politela 523-525 eingetragen wird.22 Ich werde zu zeigen versuchen, daß die Politela-Stelle von etwas anderem spricht als das erste Protarchos-Beispiel (ohne daß allerdings völlig ausgeschlossen werden kann, daß Piaton meint, er rede von derselben Sache) und daß sie in höchstem Maße unklar ist, so daß ich es für wenig nützlich halte, sie zur Erklärung des Protarchos-Beispiels heranzuziehen. Mir scheint, daß eines der wesentlichen Kriterien für die adäquate Interpretation beider Beispiele (und damit auch des ersten!) die Erklärung der Tatsache ist, daß Piaton offenbar meint, es sei leicht, auf sie überhaupt zu kommen (denn sonst wäre der als bisweilen philosophisch ein wenig naiv charakterisierte Protarchos kaum in der Lage gewesen, das erste Beispiel anzuführen; zudem bestätigt Sokrates, daß der von Protarchos angeführte Fall einer Einheit, die zugleich Vieles ist, wie auch sein eigenes Beispiel, zu den in der Öffentlichkeit verbreiteten und bekannten Paradoxa gehört (14d4)), und es sei auch leicht, den Argumentationsfehler, der die Aufstellung des Paradoxons erst ermöglicht, aufzuzeigen (14d7). Daher bin ich mir nicht sicher, ob man Protarchos als Vertreter einer bestimmten logisch-philosophischen Schulposition betrachten sollte,23 oder nicht vielmehr als jemanden, der eine populäre Auffassung vertritt, die vielleicht aus philosophischen Schulen an die Öffentlichkeit gedrungen ist oder eine Vergröberung und Simplifizierung von Schulpositionen darstellt. M.a.W. es könnte sein, daß Friedländers (u.a.) Analyse des ersten Beispiels philosophisch korrekt ist, aber man muß zugleich erklären können, wie jemand, der nicht über philosophische Bildung verfügt, eine solche Auffassung wie die von Protarchos vertreten kann. Aus dem Text Phil. 14cll-d3 ist es nun fast unmöglich, zu einer abschließenden Deutung dieses Beispiels zu kommen, da Protarchos das Gemeinte nur andeutet. Offenbar will Piaton dem Leser des Philebos signalisieren, daß er sich auf die trivialen Fälle einer Vielheit eines einzelnen sichtbaren Gegenstandes nicht einlassen will. Ich meine jedoch, der heutige Leser hat das Recht, zu fragen, welche Position denn gemeint ist, die Piaton bzw. Sokrates so brüsk abweist. Zur Interpretation des Protarchos-Bei21 Vgl. z.B. Striker, 13. 22 Z.B. Gosling, 143. 23 ihn also als Megarikcr zu bctrachtcn hätte.

1. D i e Interpretation der "kindischen" Beispiele

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spiels scheint es mir angesichts seiner Kürze und Skizzenhaftigkeit erlaubt, Parallelen heranzuziehen, falls es solche gibt, in denen es um genau dasselbe Problem gehen könnte wie Phil. 14d. Nun scheint es tatsächlich mindestens eine Stelle im Werk Piatons zu geben, in der vom selben Sachverhalt gehandelt wird wie im ProtarchosBeispiel des Philebos. Ich meine Soph. 25135-C6.24 Der Fremde aus Elea führt ein Beispiel dafür ein, daß etwas 'mit vielen Namen' angesprochen wird. Gemeint ist der Fall, wo wir von einem Menschen sagen, daß er Farbe, Gestalt, Größe, Tugenden und Schlechtigkeiten hat: von einem solchen Menschen sagen wir nicht nur, er sei ein Mensch, sondern auch: er ist gut, etc. Die Verallgemeinerung lautet: wir nennen ein Ding vieles, das heißt: mit vielen Namen (bS).25 Der Fremde führt weiter aus, daß dieser Sachverhalt an sich nicht paradox ist, von jungen Leuten und einigen spätberufenen Philosophiegreisen jedoch als Paradox betrachtet wird, weshalb sie der Auffassung sind, man dürfe von etwas nur aussagen, daß es es selbst sei, z.B. daß der Mensch Mensch und das Gute gut sei, und nichts sonst.26 In folgenden Punkten stimmt das Beispiel aus dem Sophistes mit dem Protarchos-Beispiel überein: 1. Es handelt sich um den Fall, wo von einem Gegenstand viele Prädikate ausgesagt werden. 2. Im Protarchos-Beispiel sind alle Prädikate in Gegensatzpaaren angeordnet, im Beispiel aus dem Sophistes wird wenigstens für Tugend und Schlechtigkeit ein solches Gegensatzpaar angegeben (25la 10) (allerdings nicht für die anderen Prädikate). 3. Der eine Gegenstand, dem mehrere Prädikate zukommen, ist (in irgendeinem Sinne) vieles. 4. Als Beispiel wird in beiden Fällen ein Mensch bzw. der Mensch Protarchos gewählt. 5. Das Beispiel wird durch verschiedene Wendungen jeweils als trivial bezeichnet. Aufgrund dieser Gemeinsamkeiten scheint es mir erlaubt zu sein, den im Sophistes angesprochenen Sachverhalt als denselben wie den von Protarchos im Philebos gemeinten zu betrachten. Nun ist die Frage, wer diejenigen sind, die Piaton im Sophistes mit dem Beispiel aus 251 ein wenig verspottet, nicht unumstritten, wie man z.B. bei Cornford nachlesen kann; 27 es ist überhaupt die Frage, ob Piaton eine bestimmte philosophische Schule oder einen ihm bekannten Philosophen angreift. Einige Überlegungen laufen darauf hinaus, Antisthenes oder die megarischen 24 So auch O. Apelt, Piatonis Sophista, London 1979 (Reprint von 1897), 159; Campbell, 137; Cornford, PP, 73; ders.; Plato's Theory of Knowledge, 5. Aufl. London 1957, 253, A . 2 . 25 A.E. Taylor, The Sophist & The Statesman, London (u.a.) 1961, 54-55. 26 Vgl. Apelt, Soph., 159; Taylor, Soph., 54, Α. für eine Erörterung, wer gemeint sein könnte. 27 Cornford, PTK, 254; Taylor, Soph., 54, Α.

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Erster Hauptteil: Interpretation von Phil. 14c5 - 16cl

Logiker insgesamt könnten gemeint sein.28 Mir scheinen diese Hypothesen zu unsicher, um darauf irgendeine Deutung der Philebosstelle zu gründen. Auch wenn im Sophistes vielleicht eine philosophische Schulposition attackiert wird, könnte Phil. 14d die sozusagen popularisierte Version dieser Position Gegenstand von Sokrates' Spott sein. Ich finde aber, daß man die Stelle aus dem Sophistes dazu heranziehen darf, zu verstehen, was mit der durch Protarchos im Philebos angesprochenen Position überhaupt gemeint ist, weil der Versuch, dieses allein aus dem Philebos zu verstehen, zwar nicht völlig unmöglich ist, aber doch sehr großer Unsicherheit ausgesetzt bleibt. Soph. 251a5ff. legt nun folgendes Verständnis von Phil. 14cll-d3 nahe (ich übertrage sofort auf den von Protarchos genannten Fall): es geht um das Problem, wie ein Gegenstand etwas anderes sein kann als er selbst. Denn offenbar ist Protarchos groß. Wie kann er das sein, wenn er doch Protarchos ist? (Damit ist das gemeinte Paradox bereits beschrieben.) Nun gilt aber, daß man sich eventuell noch erklären könnte, wie etwas ein anderes ist. Denn in einem solchen Falle könnte man annehmen, daß es mit diesem anderen Gegenstand identisch ist, etwa in dem Sinne, wie wir sagen, der Premierminister von Großbritannien ist (identisch mit) Frau Thatcher. Problematisch wird der Fall jedoch, wenn ein Gegenstand nicht nur ein anderes ist, sondern wenn er Vieles ist (daher kann dieser Fall als einer des Problèmes einer Einheit, die Vieles ist, verstanden werden), und wenn dieses 'Viele' einander auch noch ausschließt. Denn ein Ding kann unmöglich identisch mit unendlich vielem anderem sein, zumal dann nicht, wenn das, mit dem es identisch sein soll, das es also ist, miteinander unvereinbar ist. Ich glaube, daß man durch solche Überlegungen bzw. die dahinterstehende, ganz naive Frage, wie etwas Vieles und dazu noch Widersprüchliches sein kann, zu der Auffassung gelangen kann, wenn wir von einem Ding viele Aussagen treffen, liege der paradoxe Fall eines "Εν-ΠολΧά-Problems vor. Die durchaus einschlägigen philosophischen Überlegungen zu einer Prädikationstheorie, die zu der im Sophistes gemeinten Auffassung führen können, und die Taylor rekonstruiert hat, 29 verwandeln sich auf der Ebene nicht-philosophischer, naiver Überlegung in die von Sokrates bzw. Piaton als etwas albern angesehene Frage: Wenn Protarchos groß ist und wenn Protarchos auch klein ist, gibt es dann viele Menschen mit Namen Protarchos? (Ich glaube, daß auf dieser Ebene 'naiven' Fragens die Überlegung, ein Gegenstand 'zerfalle' gleichsam in viele, wenn er mit mehrerem, einander ausschließendem identisch sein 28 Apelt, Soph., 159; Burnet, 282. 29 Taylor, Soph., 54f.; genetisch interessant Cornford, ΡΓΚ, 254 (auch wenn ich glaube, daß die Überlegung etwas zu kompliziert ist.).

1. Die Interpretation der "kindischen" Beispiele

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soll, nicht relevant ist. Ein Ding soll identisch sein mit mehrerem, das einander widerspricht: das ist paradox; damit ist auch schon die ganze Überlegung vollzogen.) Die logische Analyse dieses Beispiels vollzieht sich genau so, wie Friedländer, Burnet, Striker etc. gemeint haben. Sokrates/Platon halten diese Art von "Εν-ΠολΧά-Problemen für schlicht albern, weil ihnen eine unzutreffende Theorie der Prädikation zugrunde liegt. Mit nur ein wenig Überlegung läßt sich das durchschauen, es ist sozusagen 'ein alter Hut'. Der Spott Piatons über die offenbar verbreitete Version des "Εν-ΠοΧλάProblems à la Protarchos scheint mir auch darin begründet zu sein, daß eigentlich jeder, der die Sprache versteht und richtig gebraucht, ständig von etwas mehrere Aussagen trifft, also einem Gegenstand ständig viele Prädikate zuspricht, ohne doch daraus zu schließen, er habe sich nun in Widersprüche verwickelt, wenn er immer auf denselben Gegenstand Bezug nimmt, oder er habe in Wahrheit gar nicht immer denselben Gegenstand gemeint. In der Art und Weise, wie wir uns verständigen, ist dieser Λόγος des Einen, das zugleich Vieles ist, jedenfalls nicht enthalten (vgl. 14c4f.).

Exkurs 1: Polit. 523-525 als Parallele zum 'Protarchos-Beispiel' Ich wende mich nunmehr der von einigen Kommentatoren 30 zur Erläuterung des Protarchos-Beispicls herangezogenen Stelle Polit. 523-525 zu. Was Piaton sagt, scheint mir wie folgt wiedergegeben werden zu können: Es gibt Eigenschaften von Dingen, die die Wahrnehmung diesen zuschreibt, und für die es keine Probleme gibt. Es handelt sich dabei um solche Eigenschaften, von denen gilt, daß ein und dieselbe Eigenschaft verschiedenen Dingen zugeschrieben werden kann (523cll-d6), ohne daß wir diesen Fall problematisch finden. Dazu gehört z.B. die Eigenschaft, ein Finger zu sein. Ich glaube, daß Piaton für diesen Fall sagt: die Gegenstände, die wir als 'Finger' bezeichnen, können sehr verschieden sein, sich z.B. in Bezug auf ihre sonstigen Eigenschaften erheblich unterscheiden, auch kann die αίσθησις verschiedene Bestandteile eines Gegenstandes in Betracht ziehen, trotzdem ist es für die gemeinte Art von Prädikaten nicht zweifelhaft, daß sie dem betreffenden Gegenstand unzweideutig zugesprochen werden können, d.h. es gibt keine Veranlassung, dem Gegenstand seine Eigenschaft, z.B. ein Finger zu sein, aufgrund der übrigen, vielleicht von anderen so bezeichneten Gegenständen unterschiedenen Eigenschaften oder aufgrund anderer Gesichtspunkte abzusprechen. Es gibt aber solche Fälle, in denen die αίσθησις den Gegenständen Eigenschaften zuschreibt, die einander ausschließen.31 D.h. jetzt wird von Piaton der Fall betrachtet, daß einem Gegenstand verschiedene Eigenschaften zugeschrieben werden (523e3ff.). In diesem Fall muß die νόησις, also das Denkvermögen, eine Entscheidung treffen (524b3-4). Piaton meint aber nicht, daß das Denkvermögen sich zwischen den beiden verschiedenen, im äußersten 30 Vgl. z.B. J. A d a m / D A . Rees, The Republic of Plato, Vol. II, 2. Aufl. Cambridge 1963, 110; Guthrie V, 207; K.Vretska in der Politeia-Ausgabc Stuttgart 1982, 544f.,A; Gosling, 143. 31 Vgl. J. Annas, An Introduction to Plato's 'Republic', Oxford 1981, 218.

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Erster Hauptteil: Interpretation von Phil. 14c5 - 16cl

Falle sogar unvereinbaren Eigenschaften entscheidet, sondern daß es die Erkenntnis vermittelt, daß die beiden Eigenschaften Formen sind (vgl. 524cl3) und, was Piaton nicht mehr ausdrücklich ausspricht, der Gegenstand an beiden Formen partizipiert und partizipieren kann. 32 Der hier provisorisch wiedergegebene Gedankengang Piatons ist höchst undurchsichtig, so daß ich schon aus diesem Grunde zögern würde, die Textstelle zur Erläuterung des Protarchos-Beispiels heranzuziehen. Es ist z.B. eine sachlich nicht zutreffende, für das Verständnis des von Piaton Gesagten aber nicht unwichtige Auffasssung, daß das Wahrnehmungsvermögen Urteile zu fällen vermag, wie z.B. 'Dies ist ein Finger'. Die αισθησις fällt auch z.B. solche Urteile wie 'Dieser Finger ist groß und derselbe Finger ist auch klein.' 33 (Wir würden nicht sagen, daß wir mit unserem Wahrnehmungsvermögen Urteile fällen obwohl wir sagen: 'ich sehe, daß χ der Fall ist' - und wir würden auch wohl nicht sagen, daß zwischen den beiden genannten Fällen ein Unterschied besteht außer dem, daß im einen dem Gegenstand eine Eigenschaft, im anderen (unausgesprochen) eine zweistellige Relation zugesprochen wird: a ist klein in Bezug auf b, aber groß in Bezug auf c.) Im Falle des zweiten Urteils geschieht nun laut Piaton Folgendes: die 'Seele' weiß nicht, ob das, was sie vor sich hat, groß oder klein, hart oder weich etc. ist. Sie nimmt das Denkvermögen zu Hilfe und stellt fest: es müssen zwei Gegenstände vorhanden sein. 34 Diese Annahme trifft nur unter der Voraussetzung zu, daß die Prädikationskopula als Identitätszeichen mißverstanden wird. Dieser Fehler unterläuft Piaton offenbar deshalb, weil er den ersten Fall, daß etwas 'ein Finger' genannt wird, als Identifikation auffaßt, denn der Gegenstand, auf den ich zeige, ist eben als ganzer das, was ich meine, wenn ich 'Finger' sage, und nicht etwas an ihm. Also folgert er, daß dann, wenn der Finger groß ist, (d.h. das Große ist), er unmöglich zugleich klein sein kann (= das Kleine sein kann), denn sonst müßte das Große identisch mit dem Kleinen sein. Da aber die Information vorliegt: ' Der Finger ist groß'. ' Der Finger ist klein'., folgert die νόησις, daß zwei Finger vorhanden sein müssen. Neben der Auffassung der Prädikationskopula als Identitätszcichen sieht Piaton nicht, daß etwas sowohl groß als auch klein sein kann, nämlich in verschiedenen Hinsichten. Es ist im folgenden im Platon-Text nicht ganz deutlich, ob das Denkvermögen sozusagen konstatiert, daß statt eines Gegenstandes zwei Dinge vorliegen (524cl), oder ob das Denkvermögen erst ins Spiel kommt, nachdem einerseits 'immer noch' der eine Gegenstand, z.B. der eine Finger, wahrgenommen wird, zugleich aber die Folgerung, es müßten doch zwei Dinge vorliegen, geradezu unausweichlich wird, und nun das Denkvermögen den sich hier ergebenden Konflikt auflösen muß (524bl-2). M.a.W. Piaton spricht einmal so, als sei der hier vorliegende Konflikt einer innerhalb der αϊσθησις (524a2-4), und die νόησις sei sozusagen Retter in einer Not, die die α ΐ σ θ η σ ι ς nicht mehr beseitigen kann (524bl-2), oder so, als liege ein Konflikt zwischen νόησις und αίσθησις vor (das scheint mir die besser be32 Adam/Rees, 108f.; Annas, 218; die Fortsetzung des Beispiels in Polit. 524d2ff., wo von der gleichzeitigen Einheit und Vielheit eines Gegenstandes die Rede ist, beziehe ich nicht in die folgende Analyse ein, und zwar deshalb nicht, weil Piaton völlig offen läßt, warum ein Ding zugleich eines und vieles ist (vgl. 525a4). Es könnte hier darüber nur Spekulationen geben: ein Ding ist zugleich vieles, weil es aus vielen Teilen besteht, o.ä. Damit hätte dieses Beispiel prima facie eine größere Verwandtschaft zum zweiten kindischen Fall als zum ersten. Mir scheint eine Parallele, die noch skizzenhafter ist als das, was sie erläutern soll, ungeeignet, den Sachverhalt aufzuklären. Im übrigen gilt im Hinblick auf das Protarchos-Bcispiel, daß die Einheit und Vielheit eines Gegenstandes sich an der PoliteiaStelle offenbar nicht aus der Zuschreibung der gegensätzlichen Prädikate groß/klein, schwer/leicht etc. ergibt (524d9). Damit aber besteht nicht die erforderliche Parallelität zum Protarchos-Beispiel. 33 Annas, 218: "Here this is blamed on the senses..."; 220f.; Adam/Rees, 109. 34 Adam/Rees, 108; Annas, 218.

Exkurs 1: Polit. 523-525

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gründete Auffassung zu sein), daß nämlich die das Vorhandensein eines Gegenstandes konstatieren muß, während die ν ό η σ ι ς aus der Zuschreibung widersprüchlicher Prädikate folgert, es müßten zwei Dinge vorliegen (524bl0-c4). Die ν ό η σ ι ς löst den Konflikt, indem sie konstatiert, daß die gefolgerten zwei Dinge auch tatsächlich vorhanden sind, nämlich als zwei verschiedene Formen. (Es wird nicht erklärt, wie das den genannten Konflikt löst.) 3 5 Mir scheint, daß Piaton zeigen will, daß die ν ό η σ ι ς der α ι σ θ η σ ι ς überlegen ist, daß das, was mit Hilfe der Wahrnehmung allein nicht erklärbar ist, mit ihrer Hilfe aufgelöst werden kann, und daß bestimmte Sinneswahrnehmungen sozusagen von selbst zum Nachdenken Anlaß geben sollten. 36 Was trägt dieses Beispiel zur Erläuterung des Protarchos-Beispiels aus dem Philebos aus? Mir scheint, daß zwischen beiden Fällen, anders als zwischen dem Protarchos-Beispiel und dem aus dem Sophistes, erhebliche Unterschiede bestehen. Der beschriebene Fall wird im 'Staat' als eine Betrachtung vorgestellt, die als philosophische Propädeutik auf dem Wege zur Ideenschau dient. 3 7 Im Philebos ist das Protarchos-Beispiel hingegen ein lächerlicher und kindischer Fall einer Einheit, die zugleich Vieles wird.- Das Beispiel aus dem Philebos wird als ein logisches Paradoxon eingeführt: wie kann etwas, das es selbst ist, zugleich vieles andere (und einander widersprechende) sein? Philosophisch aufgelöst werden kann dieses Paradoxon mit dem Hinweis auf die falsche Theorie der Prädikation. Darin liegt seine Vergleichbarkeit mit dem Beispiel aus dem 'Staat' bzw. dessen Vergleichbarkeit mit dem Protarchos-Beispiel, die dazu geführt hat, daß die Kommentatoren Polit. 523-25 als Parallele zu Phil. 14d-e heranziehen; auch im 'Staat' wird eine falsche Prädikationstheorie vorausgesetzt. Mir ist aber zweifelhaft, ob Piaton sich dessen überhaupt bewußt war. Seine Lösung scheint mir nicht darauf hinzudeuten, vielmehr sagt er offenbar: tatsächlich kann man aus der Zuschreibung zweier verschiedener Prädikate auf das Vorhandensein von zwei Dingen schließen, nur eben nicht von Sinnesdingen, und damit wird der Sinneswahrnehmung, die nur einen Gegenstand wahrnimmt (um einmal diese Redeweise zu übernehmen), nur ein relatives Recht zugestanden. Das Denkvermögen folgert das Vorhandensein zweier Gegenstände, aber diese sind eben auch nur für die ν ό η σ ι ς vorhanden. (Das gilt jedenfalls,

35 Nicht zutreffend scheint mir die Interpretation von N.P. White, A Companion to Plato's Republic, Oxford 1979, 197f. Er beschreibt Piatons Auffassung so, daß man aufgrund der Tatsache, daß etwas F und nicht-F ist, zur Frage veranlaßt werde, was F überhaupt ist, wenn der betreffende Gegenstand uns als ein F und ein nicht-F erscheint. Daraus werde die Folgerung abgeleitet, F müsse ein nicht-sinnlich wahrnehmbarer Gegenstand sein. Als Parallele verweist er auf Polit. V, 479a-c. Doch scheint mir Piaton an beiden Stellen etwas Unterschiedliches aussagen zu wollen. Im Sinne von 479a-c ist auch der Finger aus 523cllff. ein Gegenstand aus dem Bereich des Meinens (vgl. 478c3-4). Anders ausgedrückt: relative Prädikate eignen sich zwar besser als andere dafür, den Charakter der Gegenstände der sichtbaren Welt als sozusagen zwischen Sein und Nicht-Sein hängend zu beschreiben, aber damit will Piaton nicht sagen, daß nur solche relativen Bestimmungen den genannten Charakter haben. Das Problem besteht darin, daß Piaton nicht genau zu unterscheiden vermag zwischen a) dem (Normal-)Fall, daß etwas eine ihm zukommende Bestimmung nur sozusagen in schwankendem Maße, in unreiner, unfertiger Weise hat (und das bedeutet, daß dem Ding mit seiner Eigenschaft bisweilen auch ihr Gegenteil zukommt), und b) dem Fall, daß etwas eine Eigenschaft hat und ihr (scheinbares) Gegenteil, nämlich im Falle relativer Bestimmungen. In 479a-c liegt der Fall a) vor, jedenfalls überwiegend, allerdings mischt sich ein wenig von b) hinein; in 523-24 liegt eindeutig b) vor, nicht aber a), und daher halte ich die beiden Stellen, gegen White, nicht für parallel. Das betrifft auch R.L. Nettleship, Lectures on the Republic of Plato, 2. Aufl. London 1951 (Reprint), 265 (Verweis auf Polit. 479); Annas, 219 (Verweis auf Polit. V). 3« Vgl. Adam/Rees, 112. Bury, xxxiv, A.l; Guthrie V, 207; Gosling, 143.

Erster Hauptteil: Interpretation von Phil. 14c5 - 16cl

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wenn wir nicht annehmen, daß der Konflikt in der α ΐ σ θ η σ ι ς lieg; dieser Analyse liegt also die m.E. wahrscheinlichere Interpretation der Stelle zu Grunde.) 38 Der entscheidende Punkt für das Beispiel aus dem 'Staat' scheint mir der zu sein, daß für Piaton überhaupt kein Paradoxon der Vervielfachung vorliegt (weil der gemeinte Gegenstand nicht sowohl einer als auch zwei ist), 39 sondern nur ein Konflikt, und zwar der zwischen den Informationen des Wahrnehumgs- und des Denkvermögens, daß nämlich entweder ein oder zwei Gegenstände vorhanden sind, und es ist offenbar Piatons wichtigstes Ziel, dieses Beispiel dazu zu verwenden, die Überlegenheit der νόησις über die αΐσθησις, ja sogar den Widerspruch zwischen νόησις und αΐσθησις herauszuarbeiten. Von einer falschen Theorie der Prädikation, die ja der νόησις zuzuschreiben wäre, ist nicht die Rede, und auch nicht von einer falschen Analyse zweistelliger Relationen als einstelliger Prädikate (was ebenfalls ein Fall eines Irrtumes der νόησις wäre). Währenddessen spielt der Gegensatz zwischen Denkvermögen und Sinneswahrnehmung im Protarchos-Beispiel des Philebos keine Rolle. Angesichts der Rekonstruktionsschwierigkeiten bei dem Beispiel aus dem 'Staat' sowie angesichts der großen Unterschiede zwischen beiden Fällen scheint es mir nicht ratsam, Polit. 522e-525 zur Erklärung des Protarchos-Beispiels zu verwenden. Der Aspekt, der bei der Interpretation beider Fälle als Instanzen eines Problems in den Kommentaren eine besondere Rolle spielt, 40 nämlich die falsche Analyse zweistelliger Relationen, wird m.E. von Piaton an der Stelle im 'Staat' entweder nicht durchschaut oder zumindest nicht philosophisch fruchtbar gemacht. Ähnliches gilt, wenn meine Interpretation zutrifft, auch vom Protarchos-Beispiel aus dem Philebos, so daß man beide Fälle in dieser Hinsicht nicht in Beziehung setzen sollte.

Exkurs 2: Phaid. 102b-103a als Parallele zum 'Protarchos-Beispiel' Guthrie und Gosling verweisen noch auf eine weitere Stelle, die ihrer Ansicht nach als Parallele zu Phil. 14d-e betrachtet werden kann: Phaid. 102b-103a.41 Das an dieser Stelle von Sokrates wiedergegebene Argument ist schwer zu rekonstruieren; auf die Schwierigkeiten wird im einzelnen im folgenden hingewiesen. Meiner Auffassung nach ist es wie folgt zu verstehen: Angenommen wird der Fall, daß Simmias größer ist als Sokrates, aber kleiner als Phaidon (102b4-5). Daraus folgt, daß Simmias Größe und Kleinheit 'hat', daß, wie Piaton sich auch ausdrückt, Größe und Kleinheit 'in' Simmias sind (102b5). Diese Behauptung ist nicht so zu verstehen, daß Simmias aufgrund der Tatsache, daß er Simmias ist, Sokrates an Größe übertrifft und Phaidon unterbietet, sondern aufgrund der Größe, die Simmias nun einmal hat ( τ υ γ χ ά ν ε ι έχων, 102c2), überbietet er Sokrates, und dieser unterbietet den Simmias nicht aufgrund der Tatsache, daß er Sokrates ist, sondern weil er Kleinheit hat. (Piaton hätte, und dann wäre das Argument sicher durchschaubarer, statt von Simmias' Größe gegenüber Sokrates als ein Beispiel für die rechte Rede von σμακρότης (des Sokrates) lieber von Simmias' Kleinheit gegenüber Phaidon sprechen sollen; sachlich macht das aber keinen Unterschied.) An diesem Punkt muß zum ersten Mal eine sachliche Unklarheit konstatiert werden: es ist zwischen den Kommentatoren umstritten, ob Piaton sagen will, daß Simmias bestimmte Eigenschaften nur akzidentiell zukommen, wie z.B. Größe und Kleinheit, während es andere

38 und die von den meisten Kommentatoren geteilte! 39 Anderer Meinung: Nettleship, 264; m.E. richtig: Annas, 218. 40

V g l . G u t h r i e V , 207.

41 Guthrie V, 207; Gosling, 143.

Exkurs 2: Phaid. 102b-103a

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Eigenschaften gibt, die d e m Simmias als Simmias, also essentiell z u k o m m e n ( G a l l o p ) , 4 2 o d e r ob Piaton die U n t e r s c h e i d u n g zwischen allen Ideen ( = Eigenschaften) einerseits u n d G e g e n s t ä n d e n , die an ihnen teilhaben, andererseits, festhalten will ( H a c k f o r t h ) , o h n e einen U n t e r s c h i e d innerhalb der Klasse der F o r m e n zwischen a k z i d e n t e l l e n u n d essentiellen Prädikaten zu t r e f f e n . 4 3 M e i n e r A u f f a s s u n g nach will Piaton an dieser Stelle die Beziehung, die etwas zu d e r o d e r den Eigenschaften hat, die 'in' ihm sind (in der Literatur bisweilen als ' i m m a n e n t e F o r m e n ' bezeichnet), von der Beziehung der Identität unterscheiden. D i e Beziehung zu den Eigenschaften ist eine des ' H a b e n s ' dieser Eigenschaften, trotz u n s e r e r Redeweise, d a ß etwas g r o ß o d e r klein « Λ 4 4 Platon meint, diese Ü b e r l e g u n g e n hätten B e d e u t u n g f ü r das F o l g e n d e (102d5). 4 5 Diese Feststellung aus dem M u n d e des Sokrates wird bei einigen K o m m e n t a t o r e n (Bluck, B u r n e t ) ü b e r s e h e n ; bei den K o m m e n t a t o r e n , welche sie aufgreifen, wird sie unterschiedlich verstand e n . 4 6 Piaton meint offenbar, d a ß die Beziehung des ' H a b e n s ' einer Eigenschaft insbesondere den Fall erklärt, d a ß sich etwas v e r ä n d e r t . W e n n z.B. etwas, das einmal klein war, g r o ß wird, so b e d e u t e t das nach Piatons A u f f a s s u n g weder, daß die t r a n s z e n d e n t e I d e e der Kleinheit sich verändert und etwa g r o ß wird, noch b e d e u t e t es, d a ß die Kleinheit, die der G e g e n stand hat, n u n m e h r selber groß wird, sondern die Kleinheit verschwindet ('flieht' o d e r 'vergeht'), und stattdessen nimmt die Eigenschaft der G r ö ß e ihren Platz ein. D e r g e m e i n t e G e g e n s t a n d verliert also die eine Eigenschaft und erwirbt eine andere, in diesem Fall eine

« So z.B. D. Gallop, Plato. Phaedo, Oxford 1975, 192; J. Burnet, Plato's Phaedo, O x f o r d 1959 (Reprint), 115. 43 R. H a c k f o r t h , Plato's Phaedo, C a m b r i d g e 1972 (Reprint), 154-55; D.J.O'Brien, T h e Last A r g u m e n t of Plato's P h a e d o I, C Q 17, 1967, 199. 44 Vgl. R . D . A r c h e r - H i n d , T h e P h a e d o of Plato, N.Y. 1973 ( R e p r i n t von 1894), 106; der G e d a n k e n g a n g bis zu dieser Stelle ist g e n a u e r wie folgt zu beschreiben: (102bl-2): W a s an einer F o r m teilhat, wird nach ihr b e n a n n t , steht in der Beziehung des 'Seins' (vgl. clOf.) zu der durch die F o r m bezeichneten Eigenschaft. ( D a s k ö n n t e zu der irrigen A u f f a s s u n g führen, etwas sei identisch mit der Eigenschaft, aber das sagt Piaton hier noch nicht.) (102b5f ): Im beschriebenen Falle ist in Simmias beides, G r ö ß e und Kleinheit. (102b8-cl): Dieser Fall ist a b e r nicht so zu verstehen, wie m a n das a u f g r u n d u n s e r e r Redeweise meinen k ö n n t e , (102cl-4): daß nämlich der Simmias das Ü b e r t r e f f e n vollbringt (weil in ihn sozusagen G r ö ß e ( u n d auch Kleinheit) Eingang g e f u n d e n hat). Es ist vielmehr die (von Simmias unterschiedene) Eigenschaft der G r ö ß e , mit deren Hilfe Simmias das Ü b e r t r e f f e n vollbringt, u n d so auch in den a n d e r e n Fällen. (102cl0-d2): Konsequenz: Simmias und seine Eigenschaften sind v o n e i n a n d e r zu unterscheiden, auch w e n n wir sagen, d a ß Simmias g r o ß und klein ist. (In 'Simmias ist Simmias' (102cl-2) wird das 'ist' nicht in demselben Sinne verwendet wie in 'Simmias ist groß (und klein)'. Vgl. die B e t o n u n g des ' E n c ó v u ( u a - K r i t e r i u m s bei D. Frede, T h e Final Proof of t h e Immortality of the Soul in Plato's P h a e d o 102a-107a, Phron. 23, 1978, 37.) Die Beziehung des H a b e n s einer Eigenschaft ist nicht die der Identität. Simmias ist neutral, kann aber verschiedene Eigenschaften a n n e h m e n , sich sozusagen der G r ö ß e u n d der Kleinheit zuwenden.- Piaton will d a r ü b e r hinaus vermutlich sagen, d a ß m a n komplizierte Verhältnisse wie z.B. relative Eigenschaften nur dadurch erklären kann, daß man die Beziehung zwischen dem G e g e n s t a n d , der in dieser Relation steht, und d e r Relation, als eine des ' H a b e n s ' dieser relativen Eigenschaft bestimmt, denn im a n d e r e n Falle (der Identität) w ü r d e sich das Paradox ergeben (wenigstens für Piaton), d a ß etwas mit etwas und zugleich seinem Gegenteil (z.B. groß und klein) identisch ist. D e s h a l b wählt e r wohl zur Illustration den g e n a n n t e n Fall der relativen G r ö ß e . Vgl. R.S. Bluck, Plato's Phaedo, L o n d o n 1955, 118, O'Brien, 200, A l; H a c k f o r t h , Phaedo, 154-155. 45 Zu Recht herausgestellt bei Gallop, 194; vgl. O'Brien, 200. 4« H a c k f o r t h , P h a e d o , 154f.; Gallop, 194f.

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Erster Hauptteil: Interpretation von Phil. 14c5 - 16cl

entgegengesetzte. 4 7 Den anderen Fall (daß sich die Eigenschaft sozusagen selber verändert) wählt Piaton deshalb nicht, weil er seiner Argumentationsabsicht zuwiderlaufen würde, die Unsterblichkeit der Seele zu beweisen. Deren Eigenschaft, Leben zu haben, verändert sich nicht, wenn der Tod kommt, sondern sie entweicht mitsamt der Seele, weshalb diese unsterblich ist. 48 Es ist unter den Kommentatoren umstritten, ob 'zurückweichen' und 'vernichtet werden' zwei verschiedene Fälle dessen meinen, was mit der 'immanenten Form' geschieht, oder ob für die immanenten Eigenschaften generell der Fall des 'Vernichtetwerdens' gilt und die Möglichkeit des Entfliehens und Zurückweichens nur für die Seele, die dem toten Leib entkommt, vorgesehen ist. 49 Meines Erachtens wird von Piaton die Alternative 'weichen', 'fliehen' vs. 'vernichtet werden' deshalb erwähnt, weil es nicht von vorneherein klar ist, was mit dem geschieht, das von seinem Gegenteil 'angegriffen' wird. Wenn Schnee mit Feuer zusammengebracht wird, schmilzt der Schnee, wird also als Schnee und damit als das Kalte vernichtet (103cl0ff.). Was mit einer Form wie z.B. 'Größe' geschieht, wenn sie von ihrem Gegenteil, 'Kleinheit' 'angegriffen' wird, d.h. was mit der sog. immanenten Form geschieht, wenn ein Gegenstand sich verändert, ist nicht so klar: jedenfalls verliert der Gegenstand diese Form (Eigenschaft). U m dieses Problem zu lösen, müßte man genauer verstehen, was Piaton mit dem Unterschied der 'Größe an sich' und der 'Größe in uns' meint. Wenn damit nur gemeint ist, daß ein Gegenstand an einer Form partizipiert und bei Veränderung aufhört, an ihr teilzuhaben, ist die Frage danach, ob die Form zerstört wird oder zurückweicht, sinnlos. Mir scheint aber, daß Piaton für den Fall, daß sich etwas verändert, ganz bewußt die Redeweise von der 'inseienden' Form verwendet: es dürfte sich dabei nicht um eine neue Theorie innerhalb seiner Ideenlehre handeln, 5 0 sondern ich vermute, daß Piaton die Metaphern des Eingehens einer Form (Eigenschaft) in einen Gegenstand deshalb wählt, um bestimmte philosophische Probleme besser behandeln zu können, z.B. das Problem der Veränderung eines Gegenstandes. 5 1 Die Veränderung eines Dinges läßt sich eben besser als Verlust einer Eigenschaft und Erwerb einer neuen, möglicherweise entgegengesetzten Eigenschaft beschreiben denn als Aufhören der Teilhabe an einer Form und Zuwendung zu einer anderen. 5 2 Wie problematisch die Rede von der Partizipation sein kann, hat Piaton in einem eindrucksvollen Abschnitt aus dem Parmenides gezeigt: es ist aufgrund der Teilhabe-Metaphorik schon schwer genug, zu verstehen, wie ein Gegenstand an einer Form partizipieren kann (131aff.); man kann sich vorstellen, welche Probleme auftreten können, wenn man den Veränderungsprozeß eines Dinges mit Hilfe der Methexis-Lehre beschreiben wollte (z.B. könnte man fragen, ob ein Quantum Schnee, das schon ein wenig, aber noch nicht ganz geschmolzen ist, nur noch ein wenig an der Idee der Kälte teilhat, und was das heißen könnte, während es wohl doch leichter verstehbar ist, wenn einem Gegenstand eine bestimmte Eigenschaft in größerem oder geringcrem Maße 'innewohnt', z.B. dem warm werdenden Wasser die Eigenschaft, kalt zu sein). Natürlich handelt es sich auch bei der Redeweise von den 'innewohnenden' Formen um eine übertragene, metaphorische Denk- und Redeweise; ich glaube, Piaton war sich dessen auch bewußt, aber es gibt eben gute und schlechte Metaphern, und für das hier behandelte Problem ist die Metapher des Innewohnens besser geeignet als die Rede von Teilhabe und Partizipation.

47 So auch Bluck, Phaedo, 118; D. Frede, 28. 48 Vgl. Hackforth, Phaedo, 154. 49 Vgl. Burnet, Phaedo, 116; Gallop, 195. so Gegen Archer-Hind, Phaedo, 107; Bluck, Phaedo, 17-18 u. 118; Cornford, PP, 78f.; D. Keyt, The Fallacies of Phaedo 102a-107b, Phron. 8,1963, 168.169, A . l . 51 Angedeutet bei Cornford, PP, 79-80. 52 Vielleicht handelt es sich um eine Vorform der Art von Überlegungen, die bei Aristoteles (Phys. I, 7, 189b32ff.) in der Analyse dessen, was es heißt, daß sich etwas verändert, angestellt sind.

Exkurs 2: Phaid. 102b-103a

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Was mit dem geschieht, das einem 'Angriff von etwas ausgesetzt ist, das mit ihm unvereinbar ist, muß für jeden Fall neu entschieden werden. 5 3 Vielleicht ist es für Piaton uninteressant, was mit der Eigenschaft eines Gegenstandes geschieht, wenn dieser sie verliert. Entweder sie geht fort oder sie wird vernichtet (lCBal).^ 4 Auch für den Fall, daß der Tod den lebendigen Menschen angreift, gilt: es bedarf eines zusätzlichen Argumentes, daß die Seele, die nur zusammen mit der Eigenschaft, Leben zu haben, bestehen kann, nicht nur nicht sterblich sein kann, sondern auch in dem Fall, daß der Tod kommt, nicht mitsamt ihrer 'essentiellen' Eigenschaft 'aufgehoben' wird, sondern (aus dem dem Tod unterworfenen Leib) 'entflieht' und daher unbeschädigt fortexistiert. 55 Dieses Argument, dessen Qualität freilich umstritten ist, steht Phaid. 106c9-107al. Immerhin hat Piaton die Notwendigkeit eines zusätzlichen Argumentes erkannt. O'Brien scheint mir aufgrund der vorgestellten Interpretation nicht recht zu haben, wenn er die Auffassung vertritt, daß in 102d5-103a2 für den Fall der 'Kleinheit', die 'zurückweicht' oder 'flieht', ohne zerstört zu werden, nicht der Fall gemeint ist, daß ein Gegenstand der klein war, groß wird. Es gehe hier nicht um die Analyse von Veränderung und Wechsel. Gemeint sei vielmehr, daß etwas so bleibt, wie es ist, aber sozusagen das Weite sucht mitsamt seiner ihm zukommenden Eigenschaft. 5 6 Abgesehen davon, daß ich nicht verstehe, was es heißt, daß etwas wie z.B. der große Simmias oder der kleine Sokrates oder das heiße Feuer mitsamt seiner Eigenschaft beim Angriff einer entgegengesetzten Substanz oder Eigenschaft das Weite sucht, scheint mir auch der Text folgendes zu zeigen: Piaton meint im Falle der Eigenschaften wie 'Kleinheit', 'Größe' etc. nicht, daß das, was ein solches F ist, mitsamt seinem F flieht, sondern, daß das F als immanente Form 'flieht' (102e3-103a2). Der Gegenstand selbst, dem einmal ein F zukam, kann nunmehr die Eigenschaft G annehmen, die mit F unvereinbar sein mag (102el-103a2). Im Falle der Zahl '3', einer ungeraden, spricht Piaton hingegen davon, daß diese Zahl 'untergeht' oder 'vernichtet wird', wenn die Eigenschaft 'gerade' einen Angriff startet (104cl-2). Im Falle des Schnees, der mit Feuer in Berührung kommt, erlaubt Piaton beide Möglichkeiten (103d8), das Entrinnen und das Vernichtet werden (seltsamerweise aber nicht die, daß der Schnee das Feuer löscht), aber es ist nicht recht verständlich, was es heißen könnte, daß der Schnee 'entrinnt', wenn das Feuer und die Hitze kommen; vermutlich hat Piaton beide Möglichkeiten einfach analogerweise erwähnt, ohne sich weiter Gedanken darüber zu machen, wohin der Schnee entrinnt, wenn das Feuer kommt, und was diese Metapher überhaupt bedeuten könnte. Im Falle der Seele ist wiederum nur eine Möglichkeit offen, nämlich daß die Seele dem Tod entrinnt; die andere wird explizit ausgeschlossen. 57 Ich meine also, daß man nicht, wie O'Brien, aus der Erklärung der Metapher vom Entrinnen schließen darf, daß in jedem Fall das, was eine Eigenschaft F hat, von der gesagt wird, sie könne entrinnen, auch selber entrinnt. Außerdem darf man nicht annehmen, daß für jeden der von Piaton erwähnten Beispielfälle beide Möglichkeiten, das Entrinnen und das Zerstörtwerden, zutreffen, 5 8 und zwar auch dann nicht, wenn Piaton beide Möglichkeiten offenläßt. Ihm ist es offenbar vor allem um den Fall der Seele gegangen, die entrinnt und beim Angriff des Todes nicht vernichtet wird. 5 9 Für die anderen Fälle will Piaton vermutlich nur sagen, daß immer mindestens eine Möglichkeit, entweder das Entrinnen oder

53 Richtig erkannt von Bluck, Phaedo, 118f.; viele Kommentatoren verweisen auf die Verwendung militärischer Metaphern, z.B. Burnet, Phaedo, 116; O'Brien, 204; Gallop, 195; Hackforth, Phaedo, 155. 54 D. Frede, 34-35. 55 Bluck, Phaedo, 119; D.Frede, 30-31; Gallop, 216ff., bes. 217; Hackforth, Phaedo 163' O'Brien, 213. 56 O'Brien, 203-205, bes. 204f., A.4. 57 Die Interpretation O'Briens, 208, halte ich für nicht vereinbar mit Phaid. 106e5f. 5« Hackforth, Phaedo, 148, A.3. 59 Das "respice finem" bei Hackforth, Phaedo, 154.

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Erster Hauptteil: Interpretation von Phil. 14c5 - 16cl

Vernichtetwerden, zutrifft, daß es ihn aber wenig interessiert, welche von beiden Möglichkeiten gemeint sein könnte. 6 0 Worin besteht nun die Bedeutung dieser Überlegungen für das Protarchos-Beispiel aus Phil. 14cll-d3? Mir scheint sie darin zu bestehen, daß die Abweisung des Protarchos-Beispiels als 'kindisch' und 'den Worten hinderlich' (14d7) voraussetzt, daß die Behauptung, ein Gegenstand könne nicht mehrere Eigenschaften haben, mit Hilfe der Vorstellung des 'Habens' einer Eigenschaft überzeugend abgewiesen werden kann. Es ist m.E. nicht notwendig, anzunehmen, daß Piaton sich im Philebos auf die Phaidon-Stelle direkt bezieht. 6 1 Der Fall dürfte wohl so liegen, daß Piaton Sokrates das Protarchos-Beispiel deshalb abweisen läßt, weil es längst gelöst ist, und zwar auf irgendeine Weise (die nicht unbedingt die des 'Habens' einer immanenten Form sein muß). Hätte man Piaton gefragt, warum er das Protarchos-Problem zurückweist, hätte er wohl gesagt: eine Lösung der Frage wie etwa im Phaidon ist doch ganz ausreichend, und das Problem muß hier nicht erneut diskutiert werden. Diese Überlegungen sollen natürlich der Erhellung des an der P/i/Veèos-Stelle Gemeinten dienen, aber dabei sollte Folgendes beachtet werden: 1. Ich glaube nicht, daß Piaton der Auffassung ist, man müsse diese und andere Parallelstellen im Auge haben, wenn man Phil. 14d-e liest. Ich hoffe eine Interpretation der Stelle gegeben zu haben, aus der deutlich wird, daß Piaton es offensichtlich ganz einfach für kindisch hält, unserer gewöhnlichen Rede von Dingen und ihren Eigenschaften so in die Parade zu fahren, daß unsere Art zu sprechen nicht aufgeklärt und logisch durchsichtig wird, sondern umgestürzt und aufgehoben wird - bis hin zur in bestimmten philosophischen Zirkeln angenommenen Absurdität, man könne überhaupt nicht mehr sagen als Tautologien. 2. Es scheint mir fragwürdig, eine Stelle als Erläuterung einer anderen, schwierigen Stelle heranzuziehen, die so sehr wie Phaid. 102-103 (und ff.) mit Interpretationsproblemen beladen ist und in der möglicherweise ein dem Philebos vollkommen fremdes Theorem, das der immanenten Formen eingeführt wird (was aber wiederum umstritten ist!). Eine Parallelstelle sollte zur Erhellung von etwas beitragen, das unklar ist, und zwar durch das, was klar oder wenigstens klarer ist. Das scheint mir aber für Phaid. 102ff. nicht gewährleistet zu sein. 3. Ich halte es für bedenklich, unbesehen das im Phaidon behandelte Problem für dasselbe wie das Phil. 14d-e zu halten. Im Phaidon geht es z.B. nicht um das Problem des Einen und Vielen, deswegen kann man wohl nicht wie Gosling sagen, daß die "facts in the first puzzle (i.e. dem Protarchos-Beispiel) are used...at Phaedo 102-103...",62 Demgegenüber gilt, daß es unter der Bedingung, daß die oben gegebene Interpretation zutrifft, nur ein Aspekt des Phaidon-FaWcs ist, den man mit Phil. 14cll-d3 in Beziehung setzen kann, nämlich die Prädikationstheorie, nicht aber z.B. die das Argumentationsziel von Phaid. 102-103 darstellende Analyse dessen, was es heißt, daß sich ein Gegenstand verändert.

b) Das

Sokrates-Beispiel

Das zweite lächerliche Beispiel für ein Problem des Einen und Vielen, diesmal von Sokrates selbst erwähnt, steht Phil. 14d8-e4. Sokrates sagt, auch der Fall sei lächerlich einfach, daß jemand die Glieder und Teile eines Menschen oder Gegenstandes unterscheide und behaupte, er habe die wunderliche Entdeckung gemacht, daß (ein Ding oder) Mensch "viele und unbegrenzt viele" sei (πολλά έστι xoù ίίπεψα).- Der Text ist 60 Gegen O'Brien, 204. 61 Taylor, Plato, 411. 62 Gosling, 143.

2. D a s Sokrates-Beispicl

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wiederum sehr kurz, die Darlegung skizzenhaft, was darauf schließen läßt, daß Piaton der Ansicht war, dieser Fall eines "Εν-Πολλά-Problems sei, wie der von Protarchos genannte, an anderer Stelle ausdiskutiert und philosophisch wenig interessant. Der heutige Leser allerdings muß sich dennoch um ein Verständnis bemühen, und er muß auch versuchen, herauszufinden, wo und wie Piaton das hier gemeinte Problem anderswo behandelt und gelöst hat. Zunächst ist nachzuforschen, wie die Kommentare den von Sokrates vorgebrachten Fall erläutern. Burnet gibt den Konsensus der Kommentatoren wieder, wenn er erklärt, der von Sokrates gemeinte Fall sei der, daß jedes sichtbare Ding Teile hat; in diesem Sinne sei es Eines und Vieles.63 Gosling ergänzt, man müsse sich den paradoxalen Charakter des Falles so rekonstruieren, daß den verschiedenen Teilen verschiedene Eigenschaften zugeordnet werden können, die miteinander unvereinbar sind,64 während Striker offenkundig den Fall im Auge hat, daß den Teilen verschiedene Eigenschaften zugeordnet werden, die nicht von dem Ganzen gelten.65 Gegenüber Gosling und Striker ist allerdings festzustellen, daß Sokrates nichts von verschiedenen, den Teilen oder Gliedern zuzuordnenden Eigenschaften sagt, so daß man annehmen müßte, Piaton habe das Sokrates-Beispiel nur elliptisch beschrieben. Vielleicht gibt es aber eine andere, einfachere Deutung des Beispiels, die nicht die Zuordnung von Eigenschaften zu Hilfe nimmt. In jedem Fall ist die skizzenhafte Darstellung des Gemeinten durch Piaton das besondere Problem der Interpretation, so daß nicht von vorneherein auszuschließen ist, daß man das Beispiel ergänzen muß. Meiner Ansicht nach sind wir für das Sokrates-Beispiel in der günstigen Lage, eine klare Parallele in Parm. 129c4-d6 an der Hand zu haben, von der aus es möglich sein könnte, etwas Licht auf Phil. 14d8ff. zu werfen. 66 Sokrates sagt: es ist nichts Verwunderliches dabei, wenn jemand mich, den Sokrates, der einer der sieben beim Gespräch anwesenden Personen ist, zugleich in der Weise als viele erweist, daß er rechte und linke Seite, vorne und hinten, oben und unten etc. unterscheidet. 67 Auf diese Weise sind auch Steine, Hölzer u.ä. Einheiten, die zugleich vieles sind (129d3f.). Wenn jemand dagegen die είδη als in sich inhomogen erweise, so sei das wirklich erstaunlich (129d6ff.). Die Parallelen zum Sokrates-Beispiel aus dem Philebos bestehen in folgendem: 1. Der erste Fall ist weder philosophisch interessant noch be63 Burnet, 326; Friedländcr, 566; Guthrie V, 207. « Gosling, 81. « Striker, 13. « erwähnt bei Taylor, PPE, 30; Striker, 13. «7 Cornford, PP, 71f.

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Erster Hauptteil: Interpretation von Phil. 14c5 - 16cl

sonders ernstzunehmen. 2. Das Beispiel wird an erster Stelle anhand eines Menschen entwickelt, aber auch materielle Dinge sind eingeschlossen. (Im Parmenid.es ist das klar; im Philebos scheint es mir daraus hervorzugehen, daß von den μέλη, d.h. den menschlichen Gliedmaßen, und den μέρη, d.h. beliebigen Teilen von Dingen oder Menschen, die Rede ist.68 Es besteht hier allerdings die Schwierigkeit des 'αμ.α' el. Hackforth und Gosling übergehen dieses Problem, ebenso Striker. Bury schließt sich der Konjektur Badhams an,69 der 'αΧλα' schreibt: 'wenn jemand die Glieder und anderen Teile von jemandem im Geiste unterscheidet...'. Das ist ein durchaus plausibler Vorschlag: mit 'Gliedern' wären Arme, Beine etc. gemeint; mit 'anderen Teilen' das, was im Parmenides (129c5ff.) genannt wird: Vorderseite, Rückseite, oben, unten, hinten, vorne etc., also nicht natürlicherweise unterschiedene Körperteile, sondern beliebige gedachte Bestandteile eines Dinges. Im anderen Fall ist nämlich nicht recht einsichtig, was 'ϊμα' bedeuten soll, außer möglicherweise der Trivialität, daß Glieder von einem Menschen zugleich dessen Teile sind.) 3. Das Problem ist in beiden Fällen eines des Einen und Vielen. 4. Von diesem Scheinproblem wird in beiden Fällen das wirkliche Problem unterschieden, und dieses betrifft in beiden Fällen offenbar die Formen.70 Das Parmenides-Beispiel scheint mir nun einige Hinweise auf die Interpretation des Sokrates-Beispiels aus dem Philebos zu geben. Auch im Parmenides ist nicht davon die Rede, daß den Teilen jeweils eine Eigenschaft zuerkannt wird. Dafür wird aber ganz deutlich gemacht, daß die verschiedenen Teile als Einheiten gezählt werden, die sich voneinander unterscheiden: das eine ist das, was bei mir auf der rechten Seite ist, das andere das, was auf der linken Seite ist, etc. (vgl. 129c5ff.). Auf diese Weise ergibt sich die vorausgesetzte Vielheit, aber es ist die Vielheit der Teile, nicht des ganzen Menschen. Der paradoxale, ein echtes "Εν-ΠολλάProblem vermuten lassende Aspekt des Sokrates-Beispiels scheint mir nun der zu sein, daß man sozusagen auf jeden dieser verschiedenen Teile oder Gliedmaßen des Sokrates zeigen könnte und sagen könnte: 'Hier, Sokrates.', und zwar eben der Sokrates, der ein Mensch unter vielen ist, und die Aussage, daß da, wo Sokrates' Arm ist, Sokrates ist, wäre im Regelfalle wahr. Anders ausgedrückt: das Problem besteht darin, daß genau dort, wo die Einheit, z.B. ein Stein ist, auch die Vielheit, nämlich die Vielheit seiner Teile ist. Das ist das scheinbare 'Wunder' (vgl. Phil. 14e3), das die Freunde des Paradoxes verkündigen. Diejenigen Kommentatoren, die die Auffassung vertreten, das lächerliche Problem bestehe darin, daß ein 68 Dem 'εκάστου' Phil. 14el sieht man nicht an, ob es Neutrum oder Maskulinum ist, so daß es sowohl auf Dinge wie auf Menschen bezogen werden kann. «9 Bury, 12; C. Badham, The Philebus of Plato, London u. a. 18782,9. 70 Dazu unten mehr!

2. Das Sokrates-Beispicl

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Ding viele Teile hat, treffen zwar mit ihrer Interpretation ungefähr das von Piaton Gemeinte, aber sie erläutern eben nicht, was daran, daß etwas viele Teile hat, für jemanden problematisch ist, der ein Paradox daraus erzeugt. Und dieses Paradox besteht eben darin, daß Einheit und Vielheit, obschon miteinander unvereinbar, in Bezug auf ein und denselben Gegenstand gelten, der sich zu einer bestimmten Zeit, z.B. der des Gespräches, an einer bestimmten Stelle befindet. Wie schon bei der Interpretation des ersten Beispiels ist allerdings darauf hinzuweisen, daß Piaton Sokrates diese Art von Erläuterungen (und zwar sowohl Parm. 128-129 als auch Phil. 14d8ff.) gerade nicht geben läßt, sondern den Fall einfach abtut. Wenn man ihn gefragt hätte, wie dieses scheinbare Paradox aufgelöst werden kann, hätte er vielleicht darauf verwiesen, daß er es immer als unproblematisch angesehen habe, daß ein Gegenstand an mehreren Formen partizipieren könne. Dementsprechend könne ein Ding sowohl an der Idee der Einheit als auch zugleich der der Vielheit teilhaben (vgl. Parm. 129b5-6). Was meint Sokrates Phil. 14e4 damit, daß derjenige, der ein Ding nach μέρη und μέλη einteile, sage, dieses sei vieles und απεφα? (Ein Mensch hat z.B. nicht 'unbegrenzt viele' Glieder.) Zwei Gesichtspunkte sind von Bedeutung: erstens scheint mir Piaton 'άπειρον' nicht nur im Sinne von 'unbegrenzt viel', sondern auch im Sinne von 'unbestimmt' oder sogar 'unbestimmbar' zu verwenden. Sokrates will vielleicht sagen, daß man an einem Menschen bestimmt viele Gliedmaßen und unbestimmt viele theoretisch unterscheidbare Bestandteile wie Vorder- und Rückseite, Ober- und Unterseite etc. unterscheiden kann. Vielleicht war er sogar der Auffassung, daß man theoretisch jeden Gegenstand in unübersehbar viele 'atomare' Teile aufteilen kann. Zweitens scheint mir Piaton an dieser Stelle gewissermaßen seine Erörterungen über Formen vorwegzunehmen, an denen in der Tat unendlich viele (απεφα) Einzeldinge teilhaben. Für die Formen stellt sich ein Problem des Einen, begrenzt Vielen und unbegrenzt Vielen. Für sichtbare Einzeldinge, so will Piaton vielleicht sagen, stellen sich hingegen keine ernsthaften Probleme des Einen und Vielen, weder des begrenzt noch des unbegrenzt Vielen. Ob es sinnvoll ist, hinsichtlich eines sichtbaren Dinges von unbegrenzt vielen μέρη zu sprechen, hat Piaton wohl nicht weiter beschäftigt, ihm kam es allein darauf an, zu sagen, daß ein "Εν-Πολλά-Problem als philosophische Fragestellung für sichtbare Einzeldinge in keiner der möglichen Weise aufgestellt werden kann, in der es für Formen gilt.

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Erster Hauptteil: Interpretation von Phil. 14c5 - 16cl

2. Das ernstzunehmende Problem des Einen und Vielen Das Sokrates wirklich interessierende Problem von Einheit und Vielheit betrifft nicht die veränderlichen Dinge der sichtbaren Welt, sondern Formen wie 'der Mensch', 'das Rind', 'das Schöne' oder 'das Gute' (15a4-6). Ich vermute, daß Piaton für diejenigen unter seinen Lesern, die seinen Dialog Parmenides kennen, auf das dort (130b7-d9) angesprochene Problem des Umfangs der Ideenwelt anspielt.71 Im Parmenides wird der jungen Sokrates kritisiert, weil er zwar Ideen des Gerechten, Guten und Schönen annimmt, bei der Frage aber, ob es eine Idee des Menschen oder der natürlichen Substanzen Feuer und Wasser gebe, bereits zögert und vollends in Verlegenheit gerät, als ihn Parmenides nach Ideen für Haar, Lehm und Schmutz fragt. Parmenides tadelt die Inkonsequenz, die darin besteht, daß Sokrates offenbar nicht bereit ist, seine Ideenwelt entsprechend unserer Rede von den Dingen und allgemeinen Bestimmungen, an denen diese teilhaben, einzurichten, sondern einer Theorie der Sprache fremde Geschmackswertungen einführt. Phil. 15a hingegen steht die Idee des Guten gleichberechtigt neben der des Rindes. Piaton zeigt damit, daß es ihm nicht darauf ankommt, bestimmte, besonders wichtige Formen zu betrachten, sondern er möchte ein Problem behandeln, daß alle Formen betrifft. 72 Für diejenigen seiner Leser, die den Parmenides nicht kennen, dürfte immerhin die heterogene Auswahl der beispielhaft angeführten Formen auffallend sein. Auch ein solcher Leser wird daraus wohl folgern, daß es für Piaton auf die Behandlung der gemeinten Henaden als solcher, unabhängig von deren ästhetischem oder moralischem Wert, ankommt. Die Parallelität von Phil. 15a mit dem Parmenides ist noch in anderer Hinsicht gesehen worden. So stellt z.B. Taylor in seinem Kommentar zum Philebos fest, die Parallelität komme darin zum Ausdruck, daß hier wie im Parmenides das zu behandelnde philosophische Problem von der Ordnung der sichtbaren Dinge in die der unsichtbaren Dinge versetzt werde. 73 Gosling verweist in seinem Kommentar auf Parm. 129 und meint, Piaton wolle sagen, das Problem des Einen und Vielen sei kindisch, wenn es sich auf physische Gegenstände bezieht, "but it would become critical if applied to forms."74 Burnet meint, das Problem liege Phil.

71 Taylor, PPE, 31, Α.; Guthrie V, 40, A . l ; Cornford, PP, 82. 72 D e r reife Sokrates nimmt also keine Rücksicht mehr auf die Geschmacksurteile der Menschen, sondern er vertritt die Lehre von den Formen in der sachlich gebotenen Konsequenz. Ähnlich wird er hinsichtlich der ethischen Hauptfrage des Dialoges verfahren, vgl. nur Phil. 67bl-7. 73 Taylor, PPE, 30-31. 74 Gosling, 80f.

2. D a s ernstzunehmende Problem des Einen und Vielen

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15aff. genau wie im Parmenides in der Verbindung von Einheit und Vielheit nicht in sichtbaren Gegenständen, sondern in den Formen selber.75 Die Parallele für den Übergang von sichtbaren Gegenständen zu den Formen steht Parm. 128e5-130a2, besonders also, wie von Gosling angenommen, Parm. 129. Sokrates führt die Unterscheidung zwischen Formen und Dingen, die an den Formen partizipieren, ein (128e5-129al) und erklärt, es sei kein Problem, zu verstehen, wie ein sichtbarer Gegenstand an mehreren, sogar miteinander unvereinbaren Formen teilhaben könne (129a2ff.). Er, Sokrates, könne ohne weiteres sowohl ähnlich als auch unähnlich sein. Wenn aber das, was ähnlich ist, unähnlich ist und umgekehrt, wäre das wirklich ein Problem (129b2-3). Ebenso gelte, daß ein sichtbarer Gegenstand durch Teilhabe an der Idee der Einheit und der Idee der Vielheit sowohl Eines als auch Vieles sein könne. Aber daß die Einheit selber Vieles sei und die Vielheit Eines, wäre doch verwunderlich. Mir scheint, daß in dieser letzten Formulierung (Parm. 129b6-cl) Burnet die eigentliche Parallele zu Phil. 15a gesehen hat, und in der Tat ist der Wortlaut der Philebosstelle sehr ähnlich. Ich möchte im folgenden zu klären versuchen, ob Parm. 129 wirklich dasselbe Problem behandelt wie Phil. 15a (und ff.), und ob man daher zu Recht davon sprechen kann, der Übergang von den sichtbaren Einzeldingen zu den Formen (Phil. 15) habe im Parmenides eine enge Parallele. Um sie zu erweisen, ist es notwendig, folgende, an der Philebosstelle anzutreffende Argumentationsstruktur auch an der Parmenidesstelle nachzuweisen: es gibt ein bestimmtes Problem, dieses Problem gilt a) in einem trivialen Sinne von sichtbaren Gegenständen, und b) in einem nicht-trivialen Sinne von Formen. M.E. ist ohne weiteres zuzugestehen, daß das jeweils behandelte Problem an beiden Stellen in einem trivialen Sinne von sichtbaren Einzeldingen gilt. Zu erörtern ist daher, 1. ob es sich um dasselbe Problem handelt, und 2. ob es im nicht-trivialen Sinne von den Formen gilt. Ich möchte mich zuerst der Frage zuwenden, ob das gemeinte Problem, was immer es auch sei, in beiden Dialogen für die Formen aufgestellt wird. Einigermaßen unstrittig scheint mir, daß das Problem des Einen und Vielen im Philebos von Formen gilt. Es handelt sich dabei um solche Entitäten, die nicht dem Prozeß des Werdens und Vergehens unterworfen sind (15a 1-2). (Ich möchte hier noch nicht die Frage untersuchen, ob Piaton seine Ideenlehre im Philebos modifiziert hat.) 76 Eine schwierigere Frage scheint es mir zu sein, ob an der Parmenides-SteWe tatsächlich von den Formen die Rede ist. Zwar scheint 75 Burnet, 327. 76 Dazu unten mehr!

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Erster Hauptteil: Interpretation von Phil. 14c5 - 16cl

sicher, daß das ernsthafte Problem in einer anderen Ordnung als der der sichtbaren Einzeldinge gilt, wie Taylor zu Recht gemeint hat, 77 aber welche Entitäten dieser Ordnung entsprechen, ist umstritten. Das besondere Problem besteht darin, daß Piaton bei der Beschreibung der Fragestellung sich auf die gemeinte Form nicht im Singular, sondern im Plural bezieht. So spricht er nicht von 'αύτο το δμοιον', wo es um die Idee der Ähnlichkeit geht, sondern von 'αυτά τά δμ,οια', und neben dem Ausdruck 'το πλήθος' für die Idee der Vielheit verwendet Piaton auch die Redeweise 'αύτά τά πολλά'.

Exkurs 3: Die Redeweise von 'αύτά τά ομ,οια' und 'αύτά τα πολλά' (Parm. 129) und von 'αύτά τά ίσα' (Phaid. 74c) Die genannte Stelle aus Parm. 129 wird hinsichtlich der pluralischen Ausdrucksweise meist mit Phaid. 74c verglichen, und zwar der Wendung ' α ύ τ ά τ ά Ισα' (74cl, C 4 ) . 7 8 Das Problem der Bedeutung von 'αύτά τ ά δμ.ο(.α' in Parm. 129 scheint mir am besten zusammen mit der Redewendung ' α ύ τ ά τ ά ίσα' erklärt zu werden: eine Interpretation der einen Stelle würde aufgrund der Parallelität auch für die andere gelten. In den folgenden Erörterungen möchte ich mich also auf diese beiden Stellen konzentrieren, hingegen Piatons pluralische Redeweise von Zahlbegriffen wie 'τά τρία' etc. (vgl. Phaid. 104clff.) ausklammern, da sie leicht erklärlich ist: so entspricht z.B. 'τά τρία' dem Ausdruck 'ή τ ρ ί α ς ' (Phaid. 104c5, vgl. bes. 104e3 mit e5), es handelt sich also lediglich um eine Variation des Ausdrucks. 'Τά τρία' kann nicht im Singular ausgedrückt werden, es gibt den Singular für 'τρεις, τρία' nicht, es sei denn, man verwendet, wie Piaton es tut, ein anderes Wort, nämlich 'ή τρίας'. 7 9 Für die Erklärung der pluralischen Redeweise von Parm. 129 und Phaid. 74c gibt es mehrere verschiedene Auffassungen, die ich der Reihe nach diskutieren möchte, um dann meine eigene Auffassung darzulegen. Die älteste Interpretation findet sich bei Olympiodor 80 und Damascius 81 in ihren Kommentaren zu Phaid. 74b-c. Demnach erkläre sich der Plural an dieser Stelle auf ganz natürliche Weise, es sei nämlich die Idee der Gleichheit gemeint, sofern sie von verschiedenen Leuten gedacht sei. Diese Auffassung, so abwegig sie zuerst erscheinen mag, stützt sich auf eine auch in der modernen Analyse der Phaidon-Stelle umstrittene Wendung, nämlich 74b8-9. 'Τω μ ε ν ίσα....τω δ'οϋ' wird, wie heute noch zumeist, übersetzt mit:" dem einen (erscheinen gleiche Steine und Hölzer) bisweilen gleich, dem anderen aber nicht", während allen Betrachtern das, was an Steinen und Hölzern gleich ist, immer gleich erscheint. In der modernen Auffassung von W.D. Ross 82 haben α ύ τ ά τ ά ίσα ihre Existenz nur im Denken der jeweiligen Betrachter. Die Vielheit der Betrachter führt dazu, daß es im η Taylor, PPE, 31. 78 Vgl. Cornford, PP, 71; A.T. Dale, α ύ τ ά τ α ισα, Phaedo 74cl: A Philological Perspective, AJPh 108, 2, 1987,386. 79 Vgl. P.T. Geach, The Third Man Again, in: R.E. Allen, Studies in Plato's Metaphysics, London 1965, 269; M.K. Wedin, α ύ τ ά τ ά ίσα and the Argument at Phaedo 74b7-c5, Phron. 22,1977, 195. 80 Siehe D. Tarrant, Phaedo 74a-b, JHS 77, Part I, 1957,125. 81 Vgl. L. G. Westrink, The Greek Commentaries on Plato's Phaedo, Vol. II: Damascus, Amsterdam u.a. 1977, 174f., § 302. 82 Ross, 22; vgl. K.W. Mills, Plato's Phaedo 74b7-c6, Phron. II, 1957,136f.

Exkurs 3: ' α ύ χ ά χ α ο μ ο ι α ' und ' α ύ χ ά χ ά ί σ α '

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konkreten Fall der Beurteilung von Gleichheit und Ungleichheit von Hölzern und Steinen zu unterschiedlichen Auffassungen kommt, während alle hinsichtlich der Gleichheit selbst einer Meinung sind. Eine ähnliche Auffassung hat auch Doederlein vertreten. 8 3 Doch scheint sie mir aus mehreren Gründen nicht haltbar. Erstens widerspricht der Duktus des Textes der Auffassung, Piaton wolle sagen, daß unsere Auffassung von Gleichheit oder Ungleichheit, soweit es um die Beurteilung von Dingen der sichtbaren Welt geht, eine rein subjektive Angelegenheit sei, während der exemplarische Charakter der Formen ein intersubjektives übereinstimmendes Urteil sei und die hervorgehobene Stellung der Ideen darin zum Ausdruck komme, daß sich alle Menschen über ihre Eigenschaften ohne weiteres einig sind, während das von den Dingen der sichtbaren Welt nicht gelte. Ich vermute, daß Piaton genau der gegenteiligen Ansicht war, daß es nämlich viele Menschen gibt, die keine Erkenntnis der Ideen haben, und einige, die nur so etwas wie rudimentäre Ideenerkenntnis aufweisen - der junge Sokrates im Pannemdes gehört zu letzteren. Die genannte Auffassung wäre auch nicht auf die Parmenidesstelle zu übertragen, wo es im Gegenteil den Anschein hat, daß der von Sokrates im Phaidon abgelehnte Fall, daß man miteinander unvereinbare Formen (Piaton nennt 'ähnlich'/'unähnlich'; 'Bewegung'/'Stillstand') verbinden kann, der ist, auf den er hinaus will, der aber bislang unbekannt ist. Zweitens geht auch aus der Phaidon-SlcWc eindeutig hervor, daß Piaton nicht an eine Mehrzahl von Betrachtern denkt, wenn er von ' α ύ χ ά χ ά ί σ α ' spricht. Denn er läßt Sokrates fragen: "Hat es je einen Zeitpunkt gegeben, wo α ύ χ ά χ α ί σ α dir (i.e. Simmias) ungleich erschienen sind...?" Auch wenn das 'σοι' im generischen und nicht im individuellen, d.h. auf Sokrates' Gesprächspartner bezogenen Sinne zu verstehen ist, 84 so hätte Piaton sicherlich eine andere Ausdrucksweise gewählt, wenn es ihm darauf angekommen wäre, daß α ύ χ ά χ ά ί σ α , anders als gleiche oder ungleiche Hölzer oder Steine, alten Menschen niemals ungleich erschienen sind. Drittens gilt das, was Mills zu dieser Interpretation ausgeführt h a t : " sie verwandelt die Frage des Sokrates nach dem Charakter der Formen in eine manifeste Tautologie. Denn es ist eine triviale, der Nachfrage eigentlich nicht bedürfende Aussage, daß dasjenige, was die verschiedenen Betrachter als das exemplarisch Gleiche konzipieren, nun auch exemplarisch gleich, d.h. von keiner Ungleichheit 'getrübt' ist (vgl. 74cl). Als Ergebnis dieser Überlegungen möchte ich festhalten, daß der Plural nicht durch eine Pluralität von Betrachtern der Hölzer und Steine erklärt werden kann. Zugleich erweist dieser Interpretationsversuch jedoch die Bedeutung, die die Klärung der Wendung 'χω μ ε ν . . . χ ω δ έ ' im Zusammenhang der Frage nach ' α ύ χ ά χ ά ί σ α ' Phaid. 74cl hat (74c4 ' χ α ϋ χ α χ ά ί σ α ' bezieht sich auf die gleichen Steine und Hölzer.). 86 Die traditionelle Interpretation des Plurals ' α ύ χ ά χ α ισα' und ' α ύ χ ά χ α ομ,οια' findet sich z.B. bei Burnet, Hackforth, Ross und Cornford. 8 7 Demnach handele es sich bei den im Plural erwähnten Entitäten um mathematische Gegenstände, die 'zwischen' den Formen und den sinnlich wahrnehmbaren Einzeldingen stehen, mit den Formen ihre Unveränderlichkeit und Reinheit, mit den Einzeldingen die Vielheit gemeinsam haben. 8 8 Zur Begründung verweist z.B. Ross auf Arist. Metaphys. 987bl4 8 9 und Rist, der sich allerdings von die-

83 Mills, Phron. 1957, 138. M So Mills, Phron. 1957, 129. 85 Mills, Phron 1957, 138. 86 Vgl. Mills, Phron. 1957, 133-135. 87 Burnet, Phaedo, 56; Hackforth, Phaedo, 69, A.2; Ross, 22; Cornford, PP, 75 (mit Einschränkungen: er spricht von Dingen, die nur durch Gleichheit bzw. Ähnlichkeit bestimmt sind.). 88 Hackforth, Phaedo, 75. 89 Ross, 22, A.8; vgl. auch Arist. Met. 987bl4ff. u. W.D. Ross, Aristotle's Metaphysics, Vol. I, Oxford 1924, 166-168.

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Erster Hauptteil: Interpretation von Phil. 14c5 - 16cl

ser Position distanziert, auf Met. 992bl7, wo Aristoteles die Zwischendinge als x à μ α θ η μ α τ ι κ ά bezeichnet. 90 Cornford meint, es handele sich bei α ύ χ ά x à ϊσα und α ύ χ ά x à öuLOta um 'perfect particulars', die die Eigenschaft der Gleichheit vollkommen realisieren/ 1 und Hackforth ergänzt, daß es sich dabei nur um mathematische Entitäten handeln könne. 9 2 Burnet führt als ein Beispiel für α ύ χ ά χ α ϊσα die beiden Basiswinkel eines gleichschenkligen Dreiecks an. 9 3 Zugleich verweist er auf das erste Axiom in Euklids 'Elementen' für eine Parallele zur Redeweise von ' α ύ χ ά x à ίσα'. 9 4 Malcolm Brown hat historisch zu zeigen versucht, daß Piaton durch die Wendung ' α ύ χ ά x à ίσα' (u.a.) in einem Diskussionszusammenhang über die geometrische Konstruktion einer Quadratur des Kreises mit Hilfe von dem Kreisumfang von außen umschriebenen und von innen einbeschriebenen Polyedern steht, die der Kreislinie annäherungsweise gleich werden. 9 5 Ein gewichtiges Argument der Vertreter der mathematischen Interpretation von α ύ χ ά x à "ίσα ist folgendes: 96 die Wendung steht im Zusammenhang des Anamnesis-Argumentes für die Präexistenz der Seele (vgl. 73e6,7, 10). Vor der Geburt hat die Seele bereits die ideale Gleichheit gesehen, erinnert sich ihrer beim Anblick gleicher Steine und Hölzer und konstatiert damit zugleich die Mangelhaftigkeit der Gleichheit sichtbarer Gegenstände. Offenkundig ist dieses Argument eine Parallele zu dem berühmten Beispiel aus Piatons Menon (82a-85b), wo Sokrates seine These einer Anamnesis mit Hilfe eines Sklaven demonstriert, dem er durch geschickt gestellte Fragen die Lösung einer geometrischen Aufgabe entlockt, die dieser zunächst nicht lösen konnte. Wedberg und Shorey z.B. meinen, daß auch an der Phaidon-Stelle die Erinnerung an ideale geometrische Gleichheit gemeint sein könnte. (Wedberg hält dieses Argument allerdings nicht für durchschlagend.) 97 Damit stehen wir bereits bei der Kritik dieser Position. Das Argument, Piaton könnte das Beispiel aus dem Menon im Blick gehabt haben, ist durchaus nicht ohne weiteres von der Hand zu weisen, doch zeigt ein Blick auf Menon 81-87, daß Piaton dort nie von α ύ χ ά x à ϊσα spricht, sondern dem Adjektiv "ίσος immer hinzufügt, was es denn nun ist, das 'gleich' ist, z.B. eine Linie (γραμ.|λή) (z.B. 82cl); wenn nicht, dann ist doch immer aus dem Zusammenhang deutlich, was es ist (z.B. 83b2). Zudem findet sich an der Menon-Stelle nirgends eine Aussage darüber, daß die einander gleichen geometrischen Figuren ideale/weise gleich oder 'ewig' gleich sind, auch wenn Piaton der Auffassung gewesen sein dürfte, daß ein ideales gleichschenkliges Dreieck vollkommen gleiche Basiswinkel aufweist. Das gilt jedoch sicher nicht von den in den Sand gemalten Figuren des Sokrates im Menon. Im übrigen betont dieser, daß das geometrische Beispiel nur ein - besonders anschaulicher Fall von Anamnesis ist, der sich aber z.B. auf die Tugend übertragen läßt (87b5-c7). Daher besteht keine Schwierigkeit für die Annahme, daß Piaton Phaid. 74c auf Menon 82-85 anspielt, ohne mit ' α ύ χ ά x à ϊσα' geometrische Entitäten im Blick zu haben: der Duktus der Argumentation dort erlaubt, ' α ύ χ ά x à ϊσα' hier z.B. als die Form der 'Gleichheit selbst' aufzufassen. Die Vertreter der Position, die α ύ χ ά x à ισα seien geometrische Entitäten, kommen in Schwierigkeiten angesichts von Parm. 129 ' α ύ χ ά x à δμοια'. Mir ist kein Kommentar bekannt, der ausdrücklich die Position vertritt, auch α ύ χ ά x à δμ,οια seien geometrische oder arithmetische Entitäten. Denn welche geometrischen Figuren würden ideale Ähnlichkeit

Ό J.M. Rist, Equals and Intermediates in Plato, Phron. 9,1964, 33f. Cornford, PP, 75. 92 Hackforth, 69, A.2. 93 Burnet, Phaedo, 56. 94 Burnet, Phaedo, ebenda. 95 M. Brown, The Idea of Equality in the Phaedo, AGPh 54, 1972, 33. 96 Vgl. z. Folgenden A. Wedberg, Plato's Philosophy of Mathematics, Stockholm 1955, 95; P. Shorey, What Plato Said, Chicago 1962,172. »7 Wedberg, 96.

Exkurs 3: ' α υ τ ά τ ά ομ.οι.α' und ' α ύ τ ά τ α ϊ σ α '

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(nicht: Gleichheit) exemplifizieren? 98 Cornford spricht daher auch nicht von mathematischen Entitäten, die mit ' α ύ τ ά τ α ομ,οια' gemeint sein könnten, sondern vorsichtiger von Dingen, die nur dadurch definiert sind, daß sie ähnlich s i n d . " Aber was könnten das für Entitäten sein, und wo sonst erwähnt Piaton sie? Offenbar erkaufen diejenigen Kommentatoren, die α ύ τ ά τ ά ί'σα als geometrische und arithmetische Entitäten deuten, daß die Parallelität zwischen Phaid. 74 und Parm. 129 zerbricht. Natürlich ist es denkbar, daß beide Stellen verschieden voneinander zu verstehen sind, doch scheint mir der Text dafür keinen Anhalt zu geben, und ich möchte so weit wie möglich daran festhalten, Tür beide Stücke die gleiche Interpretation zu finden. Immerhin geht es an beiden Textstellen um die Unterscheidung von Einzeldingen, die eine Eigenschaft haben, und diesen Eigenschaften selbst. Das spricht zunächst einmal dafür, daß dasselbe gemeint sein könnte, und ich werde Interpretationsansätze diskutieren, die an dieser Parallelität auch festhalten. Es gibt m.E. aber noch gewichtigere Gründe, die dagegen sprechen, ' α ύ τ ά τ α ί σ α ' auf mathematische Zwischendinge zu beziehen. Ich möchte an dieser Stelle nicht über das Gewicht des aristotelischen Zeugnisses über die Ideenlehre Piatons handeln. Allerdings scheint es mir, daß Rist recht hat, wenn er sagt, daß es in Piatons Dialogen kein eindeutiges Zeugnis dafür gibt, daß neben den Einzeldingen und den Formen die Klasse mathematischer Zwischendinge eingeführt wird. 1 0 0 Insonderheit geben die Dialoge der mittleren Schaffensperiode Piatons, zu denen auch der Phaidon gehört, keinen deutlichen Hinweis auf solche Entitäten, d.h. wir haben letztlich nur Aristoteles' Zeugnis in dieser Angelegenheit. Auch wissen wir nicht, worauf dieses sich bezieht: z.B. muß es sich keinesfalls auf Phaid. 74c beziehen. Es scheint mir daher methodisch geboten, die Phaidonstelle unabhängig vom Zeugnis des Aristoteles zu untersuchen. Was Piaton meint, mußte sich ja auch für seine antiken Leser aus dem unmittelbaren Diskussionszusammenhang des Dialoges selbst ergeben haben. Der Duktus der Argumentation legt es nun an der Phaidonstelle, aber auch an der Stelle aus dem Parmenides nahe, daß mit ' α ύ τ ά τ ά ίσα' bzw. ' α ύ τ ά τ ά ομ,οια' nicht mathematische Zwischendinge gemeint sein dürften. Denn in dem Falle würde Piaton seine Theorie der Formen um eine wichtige Komponente ergänzen, nämlich die Einführung einer dritten Art von Entitäten neben den Formen und den sichtbaren Einzeldingen, und man müßte erwarten, daß er diese Modifikation seiner Theorie anzeigt und zur Diskussion stellt und also nicht einfach von dem Vorhandensein solcher Entitäten ausgeht. 1 0 1 Das gilt erst recht, wenn man bedenkt, daß in beiden Fällen die pluralische Wendung in einem Argumentationszusammenhang auftaucht, in dem es darum geht, den Unterschied zwischen sichtbaren Einzeldingen und einer Art von höherstufigen Entitäten zu beweisen, die an der Unvollkommenheit der Einzeldinge nicht partizipieren. 1 0 2 An der Phaidon-SitWc wird gesagt, daß α ύ τ ά τ ά ίσα nicht die Eigenschaft haben, die gleiche Steine oder Hölzer haben, nämlich bisweilen gleich, bisweilen nicht gleich zu sein (74b8-c2). Daraus wird gefolgert, daß gleiche Steine oder Hölzer nicht identisch sind mit α ύ τ ά τ ο ίσον (74c4-5), dieses vielmehr die Eigenschaft der Gleichheit in unvergleichlich hervorragenderem Maße verkörpert als gleiche Steine oder Hölzer (74d5-8), man also seine Bekanntschaft nur in der unkörperlichen seelischen Existenz vor der Geburt gemacht haben kann (74b4ff.; c4-5). Im Zusammenhang der Argumentation kommt es Piaton also nur darauf an, daß es Dinge gibt, die Eigenschaften unvollkommen, und solche, die Eigenschaften vollkommen exemplifizieren und man von letzteren durch erstere nichts erfährt, sondern erstere an letzteren ständig mißt und ihnen die Eigenschaft nur sozusagen in einem abgeleite-

98 Man könnte natürlich an so etwas wie verschieden große rechtwinklige Dreiecke denken, oder verschieden große Quadrate, aber davon sagt Piaton nichts. *> Vgl. noch einmal Cornford, PP, 75. im Mills, Phron. 1957, 141; Rist, 36. ιοί Vgl. R. Loriaux, Le Phédon de Platon, Namur/Gembloux 1969, 144f. 1°2 Loriaux, 144.

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ten Sinne zuschreibt. Für eine dritte Klasse von Entitäten besteht in diesem Argumentationsgang kein Bedarf, und es finden sich auch keine (weiteren) Hinweise, daß eine solche Klasse von Entitäten eingeführt wird. Der Argumentationsgang an der Parmenides-Stelle hat folgende Struktur: Zenon hat die These vertreten, daß das Ähnliche zugleich unähnlich und das Unähnliche zugleich ähnlich sein müsse, wenn es viele gebe (127el-4). Das aber sei unmöglich, also gebe es keine Vielheit. Auf diese Weise versucht Zenon, die Argumentation seines Lehrmeisters Parmenides gegen eine Pluralität von Dingen zu unterstützen (128c6-d2): er weist nach, daß die These der Kritiker, es gebe eine Vielheit, zu absurden Konsequenzen führt (128d3-6). Sokrates nimmt dennoch an, daß es eine Vielheit von Dingen gibt. Den sich ergebenden absurden Konsequenzen versucht er zu entgehen, indem er die Unterscheidung von Ideen und Einzeldingen, die an diesen Ideen partizipieren, einführt (129al-2). Daß ein Einzelding an verschiedenen, einander widersprechenden Formen teilhat, ist nicht paradox (129a6-bl). Paradox wäre es allerdings, wenn α υ τ ά τ α ομ,οια sein Gegenteil wäre bzw. α ύ τ ά x à ανόμοια. (129bl-3). Das gleiche Paradox ergebe sich, wenn die Idee der Vielheit Eines und die der Einheit Vieles wäre (129b6-cl). Sokrates faßt den problematischen Fall mit der Bemerkung zusammen, daß es verwunderlich wäre, wenn jemand zeigen könnte, daß die Gattungs- und Artbegriffe durch mit ihnen unvereinbare Eigenschaften qualifiziert würden (129cl-3). D.h. es geht Piaton darum, daß von γ έ ν η und ε ί δ η ihr Gegenteil ausgesagt werden kann, und diese sind nicht mathematische Entitäten; also ist von diesen nicht die Rede. Schaut man sich das Argument Phaid. 74 genauer an, wird man feststellen, daß es durch die Annahme, ' α ύ τ ά x à t u a ' meine die bei Aristoteles angesprochenen mathematischen Mitteldinge, geradezu ungültig wird. Piaton argumentiert, daß Steine und Hölzer eine Eigenschaft haben, die α υ τ ά τ ά ίσα nicht haben. Daraus folgert er, daß Steine und Hölzer offenbar nicht dasselbe sind wie die Form der Gleichheit (αυτό xò ίσον). Dieses Argument hat nur dann Gültigkeit, wenn α ύ χ ά x à ίσα mit α ύ τ ό χό ίσον identisch sind, denn Platon macht keine ausdrücklichen Angaben darüber, wie α ύ χ ά x à ίσα mit α ύ χ ό xò ϊσον zusammenhängen. Prima facie wäre das Argument also ungültig, wenn nicht die Identität von α ύ χ ό xò ίσον und α ύ χ ά x à ϊσα angenommen werden kann. 0 3 (Dieser Einwand allein reicht jedoch nicht aus, diese Identität auch tatsächlich zu beweisen, denn Piaton könnte sich hinsichtlich der Gültigkeit seines Argumentes geirrt haben. Außerdem bleibt dann immer noch zu erklären, warum er die pluralische Form verwendet.) Die obige Argumentation wird auch nicht entkräftet durch den Einwand von Guthrie: 1 0 4 wenn die Einzeldinge mathematische Entitäten nachahmen, ahmen sie zugleich die Formen nach. Anders ausgedrückt: hinsichtlich des Standard-Charakters für eine bestimmte Eigenschaft unterscheiden sich Formen und mathematische Entitäten nicht. Aber auch für die Interpretation von Texten gilt das Prinzip des Occamschen Rasiermessers, daß man die Entitäten nicht vermehren sollte, wenn es nicht notwendig ist. Gibt es also eine Interpretationsmöglichkeit, für die die Annahme mathematischer Zwischendinge überflüssig ist, so wäre eine solche, umsichtig ausgeführt, der hier diskutierten vorzuziehen. Ich möchte noch einige weitere Argumente nennen, die gegen die Erwähnung der mathematischen Zwischendinge sprechen könnten bzw. eine solche Annahme doch stark modifizieren würden. Der erste Einwand stammt von Rist, der für die Stelle Arist. Met. 992bl7 darauf hinweist, daß Aristoteles ausdrücklich zwischen mathematischen Zwischendingen und geometrischen Entitäten unterscheidet. Das heißt, daß als Beispiel für α ύ χ ά χ α ϊσα nicht ohne weiteres geometrische Figuren wie z.B. die Basiswinkel eines gleichschenkligen Dreiecks oder gleiche Quadratseiten herangezogen werden dürfen, während diese Auffassung Phaid. 74cl durch-

103 R.P. Haynes, The form equality, as a set of equals: Phaedo 74b-c, Phron. 9, 1964,23, A.21; Mills, Phron. 1957,140. 104 W.K.C. Guthrie, A History of Greek Philosophy, Vol. IV, 344.

Exkurs 3: ' α ύ τ ά τ ά ομ.οια' und ' α ύ τ ά τ ά ί σ α '

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aus naheliegt (könnte nicht die gleiche Länge von Hölzern mit der ideal gleichen Länge geometrischer Strecken verglichen werden?). 1 0 5 Dieses Argument ist allerdings nur dann von Bedeutung, wenn man, wie allerdings viele Vertreter dieser Interpretation, das Zeugnis des Aristoteles zu Grunde legt und annimmt, dieser habe Piatons Denken zur Zeit seiner mittleren Schaffensperiode gemeint und korrekt wiedergegeben. Ein zweiter Einwand lautet wie folgt: 1 0 6 wäre mit ' α ύ τ ά τ ά ί σ α ' die Gleichheit zweier mathematischer, i.e. geometrischer Größen, z.B. zweier Linien oder Winkel gemeint, wie könnte die Form der Gleichheit anderen Fällen von Gleichheit in der Welt der sichtbaren Gegenstände als Standard dienen, z.B. der Gewichtsgleichheit oder gar der Charaktergleichheit zweier Menschen, etc.? Den Argumenten zur Annahme mathematischer Entitäten liegt die Voraussetzung zu Grunde, daß sich die Form der Gleichheit auf jeden Fall vollkommen realisieren, also selber gleich sein muß, um als Standard dienen zu können, und daß man sich diesen Fall nur so vorstellen kann, daß sie es anhand zweier ideal gleicher Gegenstände tut. Damit ist ein Problem angesprochen, das den Anlaß gegeben hat, eine dritte Erklärung der Verwendung des Plurals in Phaid. 74c und Parm. 129 zu versuchen. Es besteht in der Explikation der von Rist implb.it angenommenen Theorie, daß eine Form sich perfekt exemplifizieren muß, und zwar an sich selbst. Nur so läßt sich die Aufstellung des Paradoxons "vom dritten Menschen" im Pamienides (131e-132b) und seine Bedeutung für die platonische Theorie erklären. 1 0 7 Zu dem "Argument vom dritten Menschen" gibt es eine unübersehbare Fülle von Literatur. Angeregt durch den berühmten Aufsatz von G. Vlastos ist die Interpretation dieses Argumentes aus dem Parmenides geradezu zu einem Paradigma philosophischer Interpretation antiker Texte geworden."® Auf diese Diskussion kann ich hier nicht eingehen. Aus der Analyse des Argumentes ergibt sich jedoch, daß es zu dem von Piaton befürchteten infiniten Regreß nicht kommen würde, wenn die Formen nicht selbstprädikativ wären. 1 0 9 Durch das 'Argument vom dritten Menschen' wird erwiesen, daß die Annahme der Ideenlehre der klassischen Periode, die Formen seien perfekte Instanzen der Eigenschaften, die sie selbst sind, 1 1 0 diese Theorie widersprüchlich werden läßt. Die Selbstprädikationsannahme hat sich P.T. Geach in seiner Antwort auf den Aufsatz von Vlastos zu eigen gemacht, 1 1 1 er meint sogar, er nehme diese Annahme noch ernster als Vlastos. 1 1 2 Wenn ich Geach richtig verstanden habe, so differenziert er zwischen Formen für Eigenschaften von Dingen einerseits und Formen für Artefakte andererseits. 1 1 3 Für Formen von Eigenschafen scheint ihm offenbar die Selbstprädikationsannahme unbestritten; für Formen von Artefakten und natürlichen Arten verwendet Geach das Modell des Standards. 1 1 4 Eine Form ist ein Standard-F für solche Dinge, die nach ihr ' F s ' genannt werden. In gewisser Weise ist Selbstprädikation auch bei einem Standard involviert, aber, so

105 Rist, 34. 106 Rist, 32; vgl. auch K.W. Mills, Plato's Phaedo 74b7-c6, part 2, Phronesis 3, 1958, 43. 107 Vgl. Cornford, PP, 87-90. Der Name des Argumentes stammt von Aristoteles, Met. 990bl5; 1038b30; Fr.l88Rose. 108 Siehe Guthrie V, 42, auch A.2; gemeint ist der Aufsatz von G. Vlastos, The Third Man Argument in the 'Parmenides', in: R.E. Allen (Hrsg.), Studies in Plato's Metaphysics, London 1965, 231-263. 242 zeigt sich: er sieht ein Argument in zwei Versionen. il» Vlastos, 236. lio Siehe Vlastos, 249-250 für Stellenangaben. m P.T. Geach, The Third Man Again, in: R.E. Allen (Hrsg.), a.a.O., 265-277; vgl. dazu auch G. Vlastos, Postscript to the Third Man: A Reply to Mr. Geach, in: R.E. Allen (Hrsg.), a.a.O., 279-291. 112 Geach, 265. I " Geach, 267. Π4 Geach, 267.

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meint Geach, die Annahme dieser Selbstprädikation ist doch irgendwie absonderlich. So ist das Standard-Kilogramm, das normiert, was 1 kg ist, selber 1 kg schwer, aber nicht in derselben Weise, wie alle anderen 1-Kilo-Gewichte, denn das Standard-Kilogramm ist 1 kg schwer, egal wie schwer es ist, und das gilt von den anderen Gewichten nicht J 1 5 Trotzdem wäre es, so wird man Geachs Gedankengang ergänzen dürfen, absurd zu sagen: "Das StandardKilogramm ist nicht 1 kg schwer." Geach gibt noch ein weiteres Beispiel dafür, wie ein Standard implizit selbst-prädikativ ist. Wenn wir z.B. sagen, "Der Löwe hat lange Krallen, einen leichten Körperbau und eine braune Mähne", so meinen wir normalerweise nicht einen ganz bestimmten Löwen, sondern eben das, was einen richtigen Löwen überhaupt ausmacht. Wenn wir uns nunmehr durch die Rede von 'dem' Löwen dazu verleiten lassen, die Existenz eines Standard-Löwen anzunehmen, wären wir in einer ähnlichen Lage wie hinsichtlich des Standard-Kilogramms: natürlich ist der Standard-Löwe ein Löwe, aber es wäre merkwürdig, zu betonen: " 'Der Löwe' ist ein Löwe." 116 Andererseits wird man etwa dem Standard-Kilogramm nicht nur deshalb, weil es nicht in derselben Weise 1 kg ist wie die übrigen entsprechenden Gewichte, nunmehr als seine Eigenschaft zuerkennen müssen, daß es 1 kg* wiegt. 117 Sondern es entspricht unserer natürlichen Rede- und Denkweise, irgendwie davon auszugehen, daß das Standard-Kilogramm die Eigenschaft, hinsichtlich derer es andere Gewichte standardisiert, selbst in vollkommenem Maße aufweist.11® Den Plural von 'αυτά τ ά laa.' interpretiert Geach in folgender Weise: 119 die Redeweise erklärt sich aus der Konzeption der Form als Standard. Der Standard der Gleichheit muß aus einem Paar ideal gleicher Dinge bestehen. Nur auf diese Weise ist es möglich, daß Gleichheit, eine zweistellige Relation, paradigmatisch realisiert ist. Dasselbe würde auch für die Rede von ' α ύ τ ά τ ά ομ,οια' gelten, wie Parm. 129. 120 (Geach schließt in sein Argument die Rede von 'τά π ο λ λ ά ' ein, die wir hier nicht behandeln wollen: es gibt eben keinen Singular von 'πολλοί', und das allein kann schon der Grund dafür sein, daß die Form der Vielheit, für die das Adjektiv 'πολλοί, αί, ά ' verwendet wird, pluralisch ausgedrückt wird.) 121 Dieser Interpretation hat sich Vlastos zunächst angeschlossen, 122 um seine Zustimmung später wieder zurückzuziehen. 123 Einen wichtigen Grund, diese Interpretation zu akzeptieren, nennt Crombie: 124 die Pluralform wird nur verwendet, wenn es sich (neben Formen von Zahlen und der Form der Vielheit) um Formen zwei- und mehrstelliger Relationen handelt. Gegen diese sicherlich beeindruckende Interpretationsmöglichkeit sind viele Einwände erhoben worden, von denen ich hier die wichtigsten vorstellen möchte und denen ich einige eigene Einwände hinzufügen möchte, die allerdings noch nicht präjudizieren sollen, welche Interpretation von 'αύτά τ ά ϊαα.' und 'αύτά τ ά ομοια' ich in dieser Arbeit übernehmen möchte. Die Interpretationsaufgabe bei Piaton besteht u.a. darin, hinsichtlich einer Theorie wie der Ideenlehre, die selber voller Probleme ist, Interpretationsversuche zu beurteilen, weil für jeden von ihnen das Problem auftaucht, ob es sich um eine unzutreffende Interpretation handelt oder Probleme des jeweiligen Deutungsversuches darauf

Π5 Geach, 276. 116 Geach, 270. i n Geach, 276. u s Geach, 276. 119 Geach, 269. 120 ausdrücklich erwähnt Geach, 269. 121 Geach, 269. 122 Vlastos, Postscript, 287-289. Auch Mills, Phron. 1958, 51 vertritt diese Interpretation, vgl. auch 40. 123 Vlastos, Postscript, 291, Additional Note (1965). 124 Crombie, EPD II, 303.

Exkurs 3: ' α υ τ ά τ ά 'όμοια' und 'αύτά τ ά ί σ α '

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zurückzuführen sind, daß die Theorie selbst an einem oder mehreren Punkten widersprüchlich ist. D.h.: für jeden der Deutungsansätze muß eine Abwägung erfolgen, ob die Probleme, die sich aus ihm ergeben, auf Piaton oder eher auf den Kommentator zurückgehen. Ein gutes Beispiel für den Fall, daß nicht ganz deutlich ist, ob ein Argument gegen eine Interpretation des Textes dieser selbst zuzuschreiben ist oder ob es sozusagen auf Piatons Kosten geht, aber der Interpretationsauffassung nicht widerspricht, ist Blucks Einwand gegen die These von Geach und Vlastos. 125 Blucks Argument lautet wie folgt: wenn die Form der Gleichheit aus zwei (oder mehr) ideal gleichen Komponenten besteht, so instantiiert sie dennoch nicht nur ideale Gleichheit (dieser Komponenten zueinander), sondern zugleich auch Ungleichheit, nämlich insofern, als eine der Komponenten allen anderen Komponenten zusammengenommen völlig ungleich ist, oder auch, weil die Form als ganze ihren einzelnen Komponenten ungleich ist (es ist aus dem Text nicht ganz deutlich, wie Blucks Einwand zu verstehen ist.). Immerhin kann man gegen die erste Version dieses Einwandes geltend machen, daß Piaton die Relation der Gleichheit vermutlich als zweistellige Relation auffaßte, so daß die eine Komponente tatsächlich allen anderen zusammen, d.h. der einen anderen, völlig gleich ist. Jedoch gilt auch für den Fall, daß man 'Gleichheit' als eine Form auffaßt, die nicht aus mehreren Komponenten besteht, daß man damit argumentieren kann, diese Form exemplifiziere Ungleichheit, nämlich z.B. insofern, als diese Form allen sichtbaren Dingen völlig ungleich ist (Problem des Chorismos) oder allen anderen Formen (Problem der Beziehungen der Formen zueinander). D.h. es gibt in jedem Falle eine Interpretation, die Piaton der Inkonsistenz überführt, und es scheint mir, daß das damit zu tun hat, daß Piatons Ideenlehre nicht nach allen Seiten und gegen alle denkbaren Einwände abgesichert ist. Piaton hat seine Ideenlehre im Laufe seines Lebens weiterentwickelt und ist dann auch auf solche und ähnliche Einwände aufmerksam geworden. So hat er z.B. im Sophistes das hier angedeutete Problem untersucht, in welchen Beziehungen einige wichtige Formen untereinander stehen (Soph. 251c-252e). An dieser Stelle gilt gegenüber dem Einwand Blucks, daß das Prädikat ί σ ο ς ' an dieser Stelle, zumal im Plural, als elliptische Ausdrucksweise für 'einander gleich' verstanden werden kann, wenn man die Interpretation von Geach und Vlastos unterstützt. Dann wäre die Frage irrelevant, ob die beiden Komponenten der Form der Gleichheit außer zueinander noch zu irgend etwas anderem in der Relation der Ungleichheit stehen. Ein wichtiger Einwand gegen die Geach-Vlastos-Interpretation ist der von Bluck erhobene: 126 betont Piaton nicht Phaid. 78 die Unzusammengesetztheit der Formen? Sagt er nicht sogar, wie Bluck betont, 127 daß die Formen nicht nur nicht zusammengesetzt, sondern sogar ohne Teile (άμερής) sind? Damit widerspricht er der von Mills vertretenen Auffassung, daß die Formen laut Piaton zwar nicht zusammengesetzt sind, wohl aber Teile haben können. 1 2 8 · Dieser Einwand scheint mir nicht grundsätzlich zugkräftig (denn Piaton könnte seine Meinung über den unzusammengesetzten Charakter der Formen geändert haben), aber doch insofern bedenkenswert, als Phaid. 78c6ff. ausdrücklich der unzusammengesetzte Charakter der Formen betont wird. Bestünde die Idee der Gleichheit aus zwei Komponenten, so hätte Piaton diese Tatsache gegenüber der Einheit der Form abgrenzen müssen, und er hätte vermutlich gezeigt, daß beides miteinander nicht im Widerspruch steht. 129

125 R.S. Bluck, Plato's Form of Equal, Phron. 4, 1959, 5; Bluck bezieht sich auf den Aufsatz von K.W. Mills, Plato's Phaedo 74b7-c6, part 2, Phron. 3, 1958, 40ff. Mills schließt sich der Geach-Vlastos-These an. 126 R.S. Bluck, Forms as Standards, Phron. 2, 1957, 117. 120. 127 Bluck, Plato's Form of Equal, 5 (Verweis auf Tim. 35a). 128 Mills, Phron. 1958, 45f. 129 Diesen Einwand gegen seine Interpretation hat Geach offenbar vorausgesehen, denn er behandelt kurz die Frage, ob die Tatsache, daß die Form aus zwei Komponenten besteht,

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Ein anderer möglicher Einwand gegen die Auffassung von Geach und Vlastos scheint mir der zu sein, daß die Form der Gleichheit offenbar nur in der Form ihrer eigenen Instantiierung auftritt. Anders ausgedrückt: an der Form der Gleichheit, also 'α.ύτά τ ά ίσα', würde von Platon, anders als bei den meisten anderen Formen, allein durch die Bezeichnung bereits betont, daß sie sich selber vollkommen verwirklicht. Denn diese Form tritt, anders als viele andere, in der Gestalt einer vollkommenen Instanz ihrer selbst auf und nicht als Eigenschaft, die andere Gegenstände, wenn auch noch so unvollkommen, haben. Dieser mögliche Einwand ist allerdings relativ leicht aus der Welt zu schaffen, denn Piaton verwendet in der Mehrzahl der Fälle nicht die Benennung ' α ΰ τ ά l à ίσα', sondern ' α υ τ ό τ ο ίσον', (z.B. Phaid. 74allf., b2), so daß diese Form durchaus nicht ständig unter dem Aspekt ihrer eigenen vollkommenen Realisation betrachtet wird. Daraus läßt sich allerdings ein weiterer Einwand gegen die These von Geach und Vlastos entwickeln. Denn es fragt sich, warum Piaton im Zusammenhang von Phaid. 74c die Redeweise von ' α υ τ ά τ ά Ισα.' überhaupt nur ein einziges Mal verwendet (74cl), während er sonst entweder von ' ί σ ό τ η ς ' oder von ' α υ τ ό τ ο ϊσον' spricht. Wenn die vollkommene Gleichheit, wie Geach meint, überhaupt nicht anders denkbar ist als durch Realisierung an zwei perfekt gleichen Entitäten, dann dürfte die R e d e von dem 'Gleichen selbst' (74c4f.) eigentlich nicht erlaubt sein. Denn es wäre nicht verständlich, was dieses Gleiche schlechthin sein sollte, wenn es nicht mit etwas anderem schlechthin gleich wäre. Diesen Einwand gegen Geach und Vlastos kann man nicht dadurch entkräften, daß man - etwa im Sinne des vorhergehenden Einwandes - darauf hinweist, die Form der Gleichheit trete bisweilen nicht unter dem Aspekt der vollkommenen Realisierung an sich selbst, sondern als Relation, die zwischen sichtbaren Einzeldingen besteht, auf, und unter diesem Aspekt ist die Rede von der Form der Gleichheit als dem Gleichen schlechthin, an dem sichtbare Einzeldinge partizipieren, zu vertreten. Denn es ist laut Geach und Vlastos gerade die substantivierende Redeweise mit bestimmtem Artikel und Verwendung des neutrischen Adjektives gewesen, die einer der Gründe für die Annahme der Selbstprädikation der Formen gewesen ist. 1 3 0 Also hätte Piaton gerade aufgrund der Redeweise von ' α ύ τ ο το ϊσον' die Vorstellung eines ideal gleichen Dinges assoziiert und nicht nur die Vorstellung eines vielen Dingen zukommenden Attributes. U m so nachdrücklicher stellt sich die Frage, warum er den Singular und nicht den Plural verwendet.Nach Betrachtung dieser Argumente scheint mir, daß die Interpretation von Geach und Vlastos keine schlechte Figur macht. Vielleicht ist sie noch stärker hinsichtlich der Stelle aus dem Parmenides als für die I'haidon-Sldic, weil Parm. 129 ausschließlich von ' α ύ τ ά τ α δ μ ο ι α ' (pl.) die Rede ist und nirgends, wie Phaid. 74a-c, vom Singular Gebrauch gemacht wird. Eine gewisse Schwierigkeit entsteht, weil die Interpretation von Geach und Vlastos sich zwar auf die Tatsache berufen kann, daß die Formen von Relationen die einzigen Formen sind, von denen (neben den oben genannten Ausnahmen) im Plural gesprochen wird, aber nicht alle zwei- oder mehrstelligen Relationen pluralisch ausgedrückt werden. Bluck nennt z.B. die Form des 'Herrn' bzw. der 'Herrschaft' und die Form der 'Identität'. 1 3 1 Jedoch ist 'Herrschaft' nicht selber ein Herr, hat daher anderen logischen Charakter und das mag Pla-

nicht im Widerspruch zu der Annahme ihrer absoluten Einheit steht (Geach, 269-270). Geach antwortet mit der Feststellung, daß es trotz der zwei Komponenten der Form der Gleichheit nur ein Paradigma von Gleichheit gibt: dieses muß eben aus mindestens zwei Komponenten bestehen, sonst würde es kein Paradigma von Gleichheit sein. Damit scheint mir jedoch Blucks Einwand, daß Piaton die Tatsache der Unzusammengesetztheit der Formen betont, nicht widerlegt. Denn das von Geach postulierte eine Paradigma der Gleichheit ist eben zusammengesetzt. 130 Vlastos, 250. 266. 287. 131 Bluck, Forms as Standards, 121f.

Exkurs 3: 'αυτοί τ ά ομ,οια' und ' α υ τ ά τ α ί σ α '

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ton dazu veranlaßt haben, sie den übrigen Relationen nicht anzugleichen, 132 und von 'Identität' gilt: jeder Gegenstand ist identisch mit sich selbst. D.h. die Form 'Identität' wird idealerweise an der Identität eines Dinges mit sich selbst exemplifiziert werden, denn in einem solchen Falle besteht vollkommene Identität und nicht nur z.B. Identität in einer bestimmten Hinsicht (Farbe, Größe, etc.). Das aber dürfte für Piaton gerade der Idealfall von Identität sein. 1 3 3 Mein (vorweggenommenes) Urteil über den Interpretationsansatz von Vlastos und Geach lautet, daß ihre Auffassung sicherlich philosophisch besonders interessant ist; sollte es jedoch eine ebenso mit Piatons Text in Übereinstimmung stehende Deutung geben (wie ich zeigen möchte), dann würde m.E. folgende Tatsache gegen Geach und Vlastos sprechen: ihre These scheint mir einfach zu klug zu sein, nicht zu klug für Piaton, aber zu klug und zu anspruchsvoll, als daß dieser sie seinen durchschnittlichen Lesern ohne Erläuterung hätte zumuten können und zugemutet hätte. Ich glaube nicht, daß Piaton als Leser des Phaidon andere Typen von Menschen voraussetzt als die, die er dort als Gesprächspartner des Sokrates auftreten läßt, d.h. Menschen, die zwar philosophisch interessiert, aber nicht so kompetent sind wie Sokrates (Simmias, Kebes). Solchen Lesern hätte man die Redeweise ' α ύ τ ά τ ά Ισα' im Sinne von Geach und Vlastos, zumal angesichts der anderen Beispiele für die Rede von 'Gleichheit' im Phaidon (74all-12, b2, c4-5), erläutern müssen, was aber nicht geschieht. Das spricht gegen diese Deutung. Bei Bluck findet sich ein weiteres Argument gegen die Position von Geach und Vlastos, und dieses Argument leitet über zu einer vierten Interpretationsmöglichkeit der Rede von ' α ύ τ ά τ ά ί σ α ' bzw. ' α ύ τ ά τ ά ομ-οια'. Bluck stellt die naheliegende Frage: 1 3 4 Was sind das für Komponenten, aus denen nach Auffassung von Geach die Form besteht und anhand derer die vollkommene Gleichheit exemplifiziert wird? 1 3 5 Merkwürdigerweise ist diese höchst naheliegende Frage weder von Vlastos noch von Geach erörtert worden. Das angesprochene Problem ist der Grund dafür, daß verschiedene Kommentatoren eine Art von 'Mischposition' vertreten, die den zweiten und dritten Interpretationsansatz miteinander verbindet. In diesem Sinne lautet eine Antwort auf die Frage, was für Komponenten absoluter Gleichheit es denn sind, aus denen die Form ί σ ό τ η ς besteht, daß es sich um die absolut gleichen geometrischen oder arithmetischen Entitäten des zweiten Interpretationsvorschlages handelt. 1 3 ^ Wedberg erwägt eine solche Verständnismöglichkeit (um sie schließlich zu verwerfen), 1 3 7 und er weist darauf hin, daß angesichts der von Piaton angeführten Beispiele für die Gleichheit sichtbarer Dinge die Annahme, die Form bestehe aus gleichen geometrischen Komponenten, deshalb erwägenswert ist, weil auch in Bezug auf die sinnlich wahrnehmbaren Gegenstände offenbar so etwas wie mit geometrischen Mitteln erfaßbare Gleichheit gemeint sei. 1 3 8 Das scheint mir nun aber nicht sicher, Piaton macht diesbezüglich keine Angaben, und es könnte z.B. auch Gewichtsgleichheit gemeint sein, etwa für die Steine (74b7). Im übrigen würde Piaton in große Schwierigkeiten kommen, wenn er z.B. Charaktergleichheit meint, die sich wohl kaum als unvollkommene Realisation geometrischer Gleichheit auffassen läßt. Andererseits könnte Piaton entgegnen, daß es sich bei der Rede von Charaktergleichheit um einen von der ursprünglichen Verwendung für geometrische Gleichheit abgeleiteten Gebrauch von ' ί σ ό τ η ς ' handelt. Bluck zieht aus seiner Kritik an der Position von Geach und Vlastos ähnliche Konsequenzen wie die, die bei Wedberg erwogen werden, aber doch mit einer gewichtigen Modifikation. Denn Bluck erkennt, daß nicht jede Form der Gleichheit, die nicht geometrische

132 133 134 135 13« 137 138

Bluck, Forms as Standards, 121. Mills, Phron. 1958, 47. Bluck, Forms as Standards, 117. Bluck, Forms as Standards, 117f. Vgl. Bluck, Forms as Standards, 118f. und 119, A.l. Wedberg, 96. Wedberg, 95.

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Gleichheit ist, allein aus diesem Grunde schon sozusagen abgeleitete, uneigentliche Gleichheit ist. Das gilt z.B. von Temperaturgleichheit, die die Griechen noch nicht mit Hilfe einer Temperaturskala messen konnten. Bluck 1 3 9 gelangt zu folgender Interpretation von ' α υ τ ά τ ά ίσα': mit dieser Wendung bezeichne Piaton geometrische Entitäten und die Form der Gleichheit. Anders ausgedrückt: die Form der Gleichheit (mit deren Hilfe z.B. die Temperaturgleichheit zweier Flüssigkeiten erfaßt wird) ist ein Element der Klasse der ί σ α , zu der daneben auch geometrisch exakt gleiche Entitäten gehören. Diese Interpretation scheint mir nun allerdings, angesichts der Tatsache, daß Piaton die Wendung ' α ύ τ ά τ ά ί σ α ' im Phaidon nur einmal verwendet, zu anspruchsvoll zu sein. Es ist mir nicht vorstellbar, daß Piaton eine derart elaborierte Theorie sozusagen nur nebenbei erwähnt. M a n hat den Eindruck, als habe Bluck eine Ad-hoc-Theorie zur Rettung der zweiten von mir erwähnten Interpretationsauffassung vorgelegt, indem er einfach den Kreis der in Frage kommenden Entitäten erweitert hat. Schließlich gilt, was K.W. Mills gegen Blucks Interpretation einwendet: 1 4 0 sie ist nur schwer auf .die Stelle im Parmenides übertragbar. Denn dort geht es Sokrates darum, das genannte Paradox des Zeno für eine Klasse von Entitäten, nämlich die sichtbaren Einzeldinge, als nicht-paradoxal zu erweisen, für eine andere Klasse, nämlich die der Formen, als Problem aufzustellen und auf diese Weise nach dem relativen Recht seiner Position (und der des Parmenides) hinsichtlich einer Teilklasse von Entitäten zu fragen. Die Einführung einer weiteren Klasse von Entitäten, nämlich der geometrischen und mathematischen Mitteldinge, würde zu dieser Argumentationsstrategie nicht passen und ist daher m.E. von Sokrates nicht zu erwarten. 1 4 1 Mills weist darauf hin, daß für geometrische und arithmetische Mitteldinge nicht gesagt werden könne, sie seien (identisch mit) idealer Gleichheit. 1 4 2 Vielmehr gilt, daß von ihnen ideale, vollkommene Gleichheit ausgesagt werden kann. D.h.: für den Fall, daß keines der beiden 0'μ.οια eine Form (und zwar die Form der Ähnlichkeit selbst) ist, sind die beiden Komponenten nicht identisch mit 'Ähnlichkeit', sondern ihnen wird 'Ähnlichkeit' zugesprochen. In demselben Sinne kann ihnen problemlos auch Ungleichheit zugesprochen werden. Das kann aber an der Paimenides-Stelle nicht gemeint sein, denn Sokrates will gerade behaupten, daß es ein τ έ ρ α ς wäre, wenn von den δμ,οια gesagt werden könnte, sie seien α ν ό μ ο ι α . Das Modell der Partizipation, für geometrische oder arithmetische Entitäten (aber nicht die Form 'όμ,οιότης' selbst) durchaus verwendbar, gilt für den von Sokrates angesprochenen Fall gerade nicht ohne weiteres. Also kann es sich auch nicht um die mathematischen Entitäten handeln, die an der Paimenides-SteUe mit ' α ύ τ ά τ ά ο μ ο ι α ' gemeint sind. 1 4 3 Eine andere Auffassung vertritt D. Ross. 1 4 4 Ich fasse seine und andere Thesen gleichfalls unter die Überschrift 'Mischtheorien' zusammen, obwohl diese nicht im selben Sinne aus der zweiten und dritten Interpretationsauffassung 'gemischt' sind wie diejenige von Bluck und die bei Wedberg erwogene. Ross vertritt die Auffassung, daß Piaton die Existenz perfekter Entitäten, die als Beispiel vollkommener Gleichheit auftreten, nicht assertorisch behauptet, sondern sagt: wenn es ein Paar vollkommen gleicher Dinge gibt, dann würden sie niemals ungleich erscheinen. 1 4 5 In

139 Bluck, Forms as Standards, 118-119. 140 Mills, Phron. 1958, 41. 141 Mills, Phron. 1958, 41. 142 Mills, Phron. 1958,41. 143 Alles Mills, Phron. 1958, 41. 144 Ross, 22; ich habe die Theorie von Ross bereits oben unter dem Aspekt der Interpretation von 'τω μ.έν...τω δ έ ' behandelt; hier betrachte ich Ross' Auffassung unter dem Aspekt seiner Erklärung der Wendung ' α ύ τ ά τ α ί σ α ' ; Vgl. auch Mills, Phron. 1957, 136ff. 145 Ross, 60.

Exkurs 3: ' α ύ τ ά τ ά ομ,οια' und ' α υ τ ά τ ά ί σ α '

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einem solche Falle würde Platon die Existenz perfekt gleicher Dinge nicht behaupten. Die von Ross offenbar implizit gezogene Konsequenz, daß man sich keine Gedanken darüber zu machen braucht, von was für ideal gleichen Komponenten die Form 'Gleichheit' gebildet wird, scheint mir allerdings nicht unbedingt berechtigt, denn aus der Tatsache, daß Piaton sich nicht festlegt, ob die Form der Gleichheit tatsächlich aus zwei oder mehr gleichen Komponenten besteht, folgt nicht, daß Piaton keine Vorstellung davon hatte, was für Komponenten die Form der Gleichheit bilden, wenn sie denn zusammengesetzt ist. Offenbar nimmt Ross an, daß die gemeinten Komponenten gleiche Dinge sind ähnlich den sichtbaren Gegenständen, nur eben vollkommener; 1 4 6 deren Existenz würde Piaton nicht behaupten, sondern hypothetisch annehmen. Das Problem dieser Interpretation besteht darin, daß sich der hypothetische Charakter der einen Prämisse auch auf die Konklusion übertragen würde, die aber Phaid. 74c4-5 eindeutig assertorischen Charakter trägt. 1 4 7 Im übrigen wäre diese Interpretation auch nicht auf die Stelle im Parmenides zu übertragen: denn dort besteht das Problem nicht darin, ob man άνόμ,οια annehmen kann, die zugleich δμ.οι.α sind und umgekehrt, sondern vielmehr darin, daß es ανόμοια gibt, für die es ein Problem ist, ob sie ομ,οι,α sind, und umgekehrt. Mit anderen Worten: es geht nicht darum, ob man sich vorstellen kann, daß es Entitäten geben könnte, für die die Paradoxa des Zeno in Geltung sind, sondern darum, daß es Entitäten gibt, für die man sich überlegen muß, ob die Paradoxa des Zeno gelten oder nicht. Eine ganz andere Art von 'Mischposition' hat Vlastos eine Zeit lang vertreten. 1 4 8 Er meint, daß neben Argumenten, die Geach dafür angeführt hat, daß Piaton mit der pluralischen Wendung die eine Form der Gleichheit meint, dafür auch noch spricht, daß im Griechischen das Neutrum Plural dieselbe Bedeutung haben kann wie das Neutrum Singular. Die pluralische Form könne, so meint Vlastos, 1 4 9 im wesentlichen wie die singularische Form und das abstrakte Nomen verwendet werden. Als Beleg führt Vlastos eine Stelle aus dem Goivias an (454e-455a), 1 5 0 die jedoch in der Literatur nicht als Beleg anerkannt worden ist. 1 Vlastos meinte zunächst, daß diese Überlegung die These von Geach unterstützt und nicht überflüssig macht: 1 5 2 da Piaton von der einen Form mit Hilfe eines pluralisch verwendeten Adjektivs sprechen konnte, konnte er sich unter der einen Form der Gleichheit ohne Schwierigkeiten ein Paar absolut gleicher Entitäten vorstellen. 1 5 3 Später hat Vlastos dann die These von Geach, die er selber zunächst übernommen hatte, fallen gelassen 1 5 4 und die Auffassung vertreten, die austauschbare Verwendungsmöglichkeit pluralischer und singularischcr, neutrischer Adjektive im Griechischen biete eine hinreichende Erklärungsbasis für die Rede von ' α ύ τ ά τ ά ί σ α ' und ' α ύ τ ά τ ά ομ,οια'. 1 5 5 Vielleicht hat Vlastos erkannt, daß seine grammatikalische Erklärung die These von Geach doch überflüssig macht. Denn immerhin braucht man diese interessante These Piaton und damit seinen Lesern dann nicht zuzuschreiben, wenn es eine viel einfachere Erklärung für die pluralische Redeweise gibt. Gegenüber dieser Erklärung erhebt sich allerdings folgender Einwand: sie erläutert nicht ausreichend, warum Piaton gerade an den Stellen Phaid. 74cl und Parm. 129 die PluralForm verwendet, zumal ihm, wie zumindest die Rede von 'αύτό το ίσον' Phaid. 74a be-

14« Mills, Phron. 1957, 137. H7 Mills, Phron. 1957, 137. i « Vlastos, Postscript, 288ff. 149 Vlastos, Postscript, 289. 150 Vlastos, Postscript, 289. 151 Vgl. z.B. Bluck, Forms as Standards, 118, A . l . 152 Vlastos, Postscript, 289, A.2. 153 Vlastos, Postscript, 289, A.2. 154 Vlastos, Postscript, 291, Additional Note (1965). 155 Vlastos, Postscript, 291, Additional Note, bietet folgende Parallelen an: Polit. 520c56; 538c6-7; d7; e2.

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Erster Hauptteil: Interpretation von Phil. 14c5 - 16cl

weist, der Singular zur Verfügung stand. Handelt es sich einfach um eine relativ beliebige Variation der Ausdrucksweise? Auf diese Frage versucht ein dritter Interpretationsansatz eine Antwort zu geben, den man nicht eigentlich als 'Mischform' bezeichnen kann, den ich aber doch an dieser Stelle behandeln möchte, weil er im engen Zusammenhang mit der Mischform von Vlastos steht. Er findet sich bei solchen Kommentatoren wie Gallop, Bostock und Owen. Diese Kommentatoren gehen gemeinsam davon aus, daß Piaton die pluralische Redeweise aus dem Kontext der vorherigen Rede von gleichen Steinen und Hölzern übernimmt. So argumentiert G.E.L. Owen, daß Geachs Interpretation von Phaid. 74c unnötig kompliziert sei. 156 Piaton wolle nichts anderes, als das, was Steine und Hölzer gleich macht, sozusagen vorzeigen ("pointing to it"). 157 Daher greife er auf den Kontext seiner Rede von Steinen und Hölzern zurück und sage, nicht die gleichen Steine und Hölzer seien gemeint, sondern das, was diesen Steinen und Hölzern (Plural!) jeweils ihre Eigenschaft, gleich zu sein, verleiht. Den Einzeldingen wird eine Eigenschaft zugesprochen, die, da sich das Eigenschaftswort im Numerus an das zugehörige Substantiv angleicht, im Plural genannt wird, und Piaton wolle sagen, es sei eben diese (im Plural stehende) Eigenschaft der Dinge und nicht die Dinge selbst, die niemals eine gegenteilige Eigenschaft annehmen. 158 Eine sehr ausgefeilte Version dieses Argumentes findet sich bei D. Bostock. In seinem Kommentar zu Piatons Phaidon (S. 81-83) geht Bostock davon aus, daß Piaton 74c über den Bezug des Wortes 'gleich' spricht. 159 Das Prädikat 'gleich' hat dieselbe Bedeutung, unabhängig davon, ob es im Singular oder Plural vorkommt, wie es z.B. auch gleichgültig ist, ob man fragt: "What is the meaning of the verb 'to berate'?" oder "What is meant by 'berating'?". Piaton kann also über den Bezug von 'gleich' sprechen, indem er sowohl den singularischen als auch den pluralischen Ausdruck verwendet. In 74al2 wird die SingularForm aus 74al0 aufgenommen, und Piaton nennt die Form der Gleichheit 'αύτο το ϊσον', 1 6 0 in 74cl wird die pluralische Redeweise von 74b8 aufgenommen, um von der Eigenschaft der Dinge, gleich zu sein, zu sprechen. 161 Das stellt sich Bostock wie folgt vor: 1 6 2 Piaton will sagen: 'eben dieses ί σ α ' selbst, also die Eigenschaft der Steine und Hölzer, gleich zu sein, ist es dir je ungleich (άίνισον) erschienen?' Um die Antithese zwischen 'gleich' und 'ungleich' nicht zu zerstören, habe zunächst eine Angleichung des Numerus von 'άνισον' an ί σ α ' stattgefunden; sodann habe Piaton selbst oder "some copyist after him more zealous for grammar" 1 6 3 den Singular 'αύτο το' an den Plural von Τσα' angeglichen, und zwar deshalb, weil in der griechischen Sprache der Zitatcharakter von ί σ α ' nicht durch besondere Kennzeichnung, wie im Deutschen oder Englischen, sichtbar gemacht werden kann und man die Wendung 'αύτο το ίσα' daher als unerträgliche sprachliche Härte empfinden mußte. Daher sei 'αΰτό το' in den Plural gesetzt und damit an ί σ α ' angeglichen worden. 1 6 4 Gegen diese Auffassung erheben sich folgende Einwände: 1. Bostock erklärt nicht, warum Piaton aus 74b8 ί σ α ' aufgreift und nicht z.B. das dort ebenfalls stehende ίσοι'. 2. Warum wird angesichts der Ausdrücke 'αύτο το...' sowie 'ανισον' im von Bostock angenommenen 'ursprünglichen' Satz nicht ί σ α ' angeglichen und in den Singular versetzt? Zwar

156 G.E.L. Owen, Dialectic and Eristic in the Treatment of the Forms, in: ders. (Hrsg.), Aristotle on Dialectic. The Topics (Proceedings of the Third Symposium Aristotelicum), Oxford 1968, 114f. 157 Owen, Dialectic and Eristic, 115. 158 Owen, ebenda. 159 D. Bostock, Plato's Phaedo, Oxford 1986, 81. 160 Bostock, 82. 161 Bostock, ebenda. 162 Siehe Bostock, 82. 163 Bostock, 82. 164 Bostock, ebenda.

Exkurs 3: ' α ύ τ ά τ ά ομ,οια' und ' α ύ τ ά τ ά ϊ σ α '

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wäre die Aufnahme des Adjektives aus dem vorherigen Satz nicht so deutlich gewesen, aber Piaton hätte den großen Vorteil gehabt, sich auf diese Weise eindeutig auf die Idee der Gleichheit im Unterschied zu den gleichen Dingen zu beziehen und damit seine Folgerung 74c4-5 vorzubereiten. Trotz dieser Einwände ist die Interpretation nicht einfach von der Hand zu weisen, weil sie darauf aufmerksam macht, daß Piaton sich mit seiner Rede von ' α ύ τ ά τ ά ϊ σ α ' unmittelbar auf den vorangegangenen Satz von den gleichen Hölzern und Steinen bezieht. 1 6 5 Α ύ τ ά τ ά ϊ σ α wird in einer relevanten Hinsicht von gleichen Steinen und Hölzern unterschieden. Es scheint mir allerdings nicht zu genügen, in der Rede von ' α ύ τ ά τ α i s a ' gleichsam ein 'Zitat' der Pluralform aus dem vorangehenden Satz zu sehen. Es muß vielmehr in dem behandelten Gegenstand (der Ideenlehre) liegende Gründe dafür geben, daß Piaton den Plural von 'gleich' wählt bzw. beibehält. Darin besteht ein Einwand auch gegen die von Vlastos zuletzt befürwortete Interpretation. Denn selbst wenn er nachweisen könnte, daß Piaton sich auf Formen sowohl mit der singularischen Wendung '(αύτο) το....' als auch gelegentlich (anderswo als Phaid. 74 und Parm. 129) mit der Pluralform ' ( α ύ τ ά ) τά....' beziehen kann, 1 6 6 müßte er, zumindest für Phaid. 74cl, einen Grund dafür angeben, daß Piaton die pluralische Redeweise wählt, während die Conclusio seines Syllogismus den Singular ' α ύ τ ο το ίσον' verwendet, so daß der Eindruck entsteht, der Schluß sei nicht gültig. An diesem Punkt ist Vlastos' Standpunkt sogar schwächer als der von Bostock und Gallop, weil letztere begründen, warum Piaton die problematische Redeweise im Plural gewählt hat, obwohl er damit Probleme für die Gültigkeit seines Syllogismus heraufzubeschwören scheint: weil er sich auf 74b8 beziehen will. Eine fünfte Interpretationsmöglichkeit wird vertreten von Wedin und - in einem späteren Aufsatz - Bluck und kritisiert von Haynes und Rist. Ich wende mich zunächst der Position von Bluck zu, der sich auf Wedin bezieht. Bluck vertritt die Auffassung, die α ύ τ ά τ ά ϊσα seien die immanenten Charaktere (Bluck nennt sie 'Form-Kopien') aus Phaid. 102ff. 167 Für seine Auffassung argumentiert er wie folgt: 1 6 8 sowohl von den Form-Kopien als auch von α ύ τ ά τ ά ϊσα Phaid. 74c werde gesagt, daß sie nicht zwei Dinge zugleich sein könnten, z.B. groß und klein oder gleich und ungleich, während an beiden Stellen gesagt werde, daß sichtbare Gegenstände durch Teilhabe an den entsprechenden Formen an zwei einander widersprechenden Prädikaten partizipieren, also beides sein können, während das von den Form-Kopien aus Phaid. 102ff. und den ϊσα aus Phaid. 74 nicht gelte. An beiden Stellen werden die fraglichen Entitäten auch mit sichtbaren Gegenständen kontrastiert. Da es sich also an beiden Stellen nahezu um dieselbe Theorie handele, liege die Vermutung nahe, daß es sich bei α ύ τ ά τ ά ϊσα Phaid. 74cl um dieselben Entitäten handele wie Phaid. 102, also um die immanenten Formen. 1 6 9 Bluck untermauert seine Argumentation, indem er sich der zweiten Hälfte des Satzes Phaid. 74cl-2 zuwendet. 1 7 0 Dort ist eindeutig von der Form der Gleichheit die Rede, die nicht Ungleichheit sein könne. Dieser zweite Satzteil ist für Bluck der argumentativ entscheidende Teil der zweiten Prämisse des Syllogismus. 171 Indem Bluck den zweiten Satzteil in sein Argument einbezieht, hofft er offenkundig, der Kritik an der Annahme mathematischer Entitäten (daß dadurch Piatons Argument ungültig werde) zu entgehen, indem er darauf hinweist, daß in dem für das Argument entscheidenden Satzteil, dem zweiten, tatsächlich von der Fonti 'Gleichheit' die R e d e ist. 1 7 2 Der erste Satzteil hingegen hat Überleitungs-

165 166 167 168 169 no 171 172

So zu Recht Gallop, 124. Die von ihm angegebenen Textstellen sind nicht überzeugend. S. oben! Bluck, Plato's Form of Equal, Phron. 1959, 5ff. Bluck, Plato's Form of Equal, 6. Bluck, Plato's Form of Equal, 6. Bluck, Plato's Form of Equal, 7. Bluck, Plato's Form of Equal, 7: "the operative part of the second premiss". Vgl. Bluck, Plato's Form of Equal, 7.

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funktion. Nachdem Piaton bzw. Sokrates festgestellt hat, daß die gleichen sichtbaren Einzeldinge gleich, aber auch ungleich erscheinen können, weist er darauf hin, daß die an diesen Gegenständen vorkommende Eigenschaft der Gleichheit selbst sich nicht verändert oder verschieden erscheint. Der Plural für die Kennzeichnung dieser immanenten Eigenschaft erklärt sich aus der Mehrzahl der diese Eigenschaft verkörpernden Dinge. 1 7 3 Wenn aber die immanente Eigenschaft sich nicht verändert, wird - so lautet Piatons Schlußfolgerung nach Blucks Meinung - sich die Form selbst, zu der die immanente Eigenschaft (Form-Kopie) gehört, a fortiori nicht verändern. Anders ausgedrückt: jemand wird a fortiori die Form X nicht das Gegenteil von X nennen, wenn er das auch nicht bezüglich der Form-Kopie tut. 1 7 4 Damit wäre Piatons Syllogismus trotz der Einführung mittlerer Entitäten gültig. Bluck weist auch den schon genannten Einwand Mills gegen die Annahme mittlerer Entitäten zwischen den Formen und den sichtbaren Gegenständen zurück, 175 daß die Zwischendinge an der Form der Gleichheit partizipieren und sie nicht sind. Bluck erwidert, daß dieses Argument nicht für die Form-Kopien gilt, denn diese partizipieren nicht an der Form, sondern sind die Eigenschaften, die etwas hat, das an einer Form partizipiert, und diese Form wiederum kann nicht zugleich ihr Gegenteil sein. 176 Auf diese Weise läßt sich der Plural von ' α ύ τ ά τ ά ίσα' erklären, ohne daß man auf die nach Blucks Ansicht unvertretbare Auffassung zurückgreifen muß, Piaton habe in seiner mittleren Schaffensperiode die Möglichkeit zugelassen, daß eine Form aus verschiedenen gleichen Komponenten bestehe. 1 7 7 Für diese Auffassung spricht nach Blucks Meinung auch, daß diese Interpretation auf ' α ύ τ ά τ ά 0μ.οια' Parm. 129 übertragbar ist, denn auch dort unterscheidet Piaton, ähnlich wie im Phaidon, zwischen sichtbaren Einzeldingen, Formen und immanenten Charakteren oder Form-Kopien. 1 7 8 Gegenüber dieser Position scheinen mir folgende Einwände zu gelten: Ich kann mir, wie übrigens auch Rist, 1 7 9 nicht vorstellen, daß Piaton die immanenten Form-Kopien, sollte er sie angenommen haben, mit der Wendung ' α ύ τ ά τ ά ίσα' bezeichnet hätte. Allerdings meine ich nicht, wie offenbar Rist, daß Piatons Form-Kopien immer relativ auf andere Form-Kopien seien, daß also die Wendung ' α ύ τ ά τ ά Ισα' deshalb als Bezeichnung für immanente Charaktere ausscheidet, weil Piaton eine relative Eigenschaft nie mit ' α ύ τ ά τά....' bezeichnet hätte. 1 8 0 Ich meine, daß Piaton mit der Rede von den immanenten Formen (Phaid. 102ff.) eben das meint, was Bluck vorschlägt, nämlich die Eigenschaft, die etwas hat, insofern es teilhat an einer Form, unabhängig davon, ob es sich um eine bezügliche oder nicht-bezügliche Eigenschaft handeil. 1 8 1 Aber ich vermute, daß Piaton solche Charaktere, die eben nicht für sich selbst sind, sondern an einzelnen Dingen, nicht mit ' α ύ τ ά τά...' bezeichnen würde. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, daß die Wendung ' α ύ τ ά τ α ίσα' nur ein einziges Mal vorkommt, nämlich Phaid. 74cl, und ich vermute, daß Piaton eine ausgeführte Theorie mittlerer Entitäten, nämlich immanenter Formen (im Unterschied zu den 'Formen an sich selbst') erläutert hätte und nicht nur, gleichsam nebenbei, erwähnen würde. 1 8 2 Andererseits werden die 'immanenten Charaktere' aus Phaid. 102ff. auch nicht ausdrücklich eingeführt,

173 Bluck, ebenda, 7. 174 Bluck, ebenda, 7. Π5 Bluck, Plato's Form of Equal, 8. 176 Bluck, ebenda, 8. 177 Siehe Bluck, Plato's Form of Equal, 8. 178 Bluck, ebenda, 8. Als Beweis für die Annahme von Form-Kopien im Parmenides wird evtl. die von Cornford, PP, 81 erwähnte Stelle Parm. 130b4 zu betrachten sein. 179 Rist, 29. 180 Vgl. Rist, 29. 181 Vgl. Bluck, Plato's Form of Equal, 7. 182 So zu Recht Mills, Phron. 1957,143.

Exkurs 3: ' α ύ τ ά τ α 0μ.οια' und ' α ύ τ ά τ α ί σ α '

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sondern Platon verwendet sie ohne Ankündigung. Mir scheint, daß Piaton plötzlich von Form-Kopien spricht, um das Problem zu untersuchen, wie man verstehen soll, daß ein Ding eine Eigenschaft verliert und eine andere erwirbt; es dürfte sich nicht um die explizite Einführung einer weiteren Art von Entitäten handeln, sondern eher um eine nach Nützlichkeitsgesichtspunkten vorgenommene Erweiterung der Metaphorik in der Rede von den Formen. 1 8 3 Phaid. 74c ist nun allerdings nicht ausdrücklich davon die Rede, daß etwas eine Eigenschaft verliert, z.B. zwei Hölzer oder Steine. (Im Gegenteil, es wird von Piaton ausdrücklich betont, daß diese Hölzer und Steine einmal gleich, bisweilen aber auch ungleich erscheinen, obwohl sie gleich sind) Das spricht gegen die Verwendung der Rede von immanenten Charakteren in Phaid. 74cl, sollte diese nur zu dem genannten Zweck eingeführt sein. Andererseits ist es natürlich nicht ausgeschlossen, daß die Metaphorik des 'Habens' einer Eigenschaft auch für andere Zwecke verwendet werden kann als den genannten. Zwei der Argumente, die R.P. Haynes (dessen Interpretation im Zusammenhang der eigenen Position von mir noch genauer behandelt werden soll) nennt, scheinen mir erwähnenswert. 1 8 4 Das erste lautet: Form-Kopien sind sinnlich wahrnehmbar. Also kann man mit Hilfe von Form-Kopien nicht für die Realität intelligibler Formen argumentieren. Das Argument würde in einem solchen Falle nur beweisen, daß es immanente, nicht aber intelligible Formen gibtIch bin mir allerdings nicht sicher, ob Piaton ohne weiteres zugestehen würde, daß alle Eigenschaften, die die Dinge haben, sinnlich wahrnehmbar sind. (Mir scheint das auch sachlich eine unhaltbare Position zu sein, denn wie will ich z.B. ohne weiteres sinnlich wahrnehmen, ob Peter hier vor mir genau so groß ist wie John aus New York oder nicht, wenn dieser John nicht hier neben Peter steht, sondern in New York ist und vielleicht ein minimaler Größenunterschied besteht? Und doch ist Peter entweder gleich groß oder kleiner oder größer als John.) Außerdem war Piaton offenbar der Meinung, es gebe gewisse Eigenschaften, die sich allein durch Sinneswahrnehmung einem Gegenstand weder zu- noch absprechen lassen (vgl. Polit. 523-25). 185 Das zweite Gegenargument von Haynes scheint mir ebenfalls erwähnenswert: seiner Ansicht nach erklärt die These, es handele sich bei den ί σ α um immanente Charaktere, nicht den Plural statt des Singular. 1 8 6 Haynes argumentiert, daß Piaton nirgends sonst, wo er von 'immanenten Charakteren' bzw. 'Form-Kopien' spricht, also z.B. Phaid. 102ff., den Plural verwendet. 1 8 ^ Man könnte gegen Haynes einwenden, daß man schlecht einem Ding a die immanente Eigenschaft der Gleichheit zusprechen kann, wenn man nicht zugleich ein Ding b erwähnt, das ebenfalls die Eigenschaft der Gleichheit (zu a) hat, so daß es sich aufgrund des relativen Charakters der Eigenschaft der Gleichheit nahelegt, immer (mindestens) zwei Form-Kopien für jeden Fall von Gleichheit zweier Gegenstände zu betrachten und also den Plural zu verwenden.- Andererseits faßt Piaton auch die Eigenschaften der Größe oder Kleinheit in Phaid. 102 als relative Eigenschaften auf, die einem Menschen nur hinsichtlich eines anderen Menschen zukommen, und dennoch wird der Singular verwendet.- Aber 'Größe in Bezug auf etwas' und 'Kleinheit in Bezug auf etwas' sind keine symmetrischen Relationen, und das heißt, wenn ein a groß ist in Vergleich mit b, ist dieses wiederum klein im Vergleich mit dem a; in einem solchen Falle sind also keine zwei Form-Kopien der Größe vorhanden, sondern nur eine. Dadurch erklärt sich die singularische Ausdrucksweise, während im Fall der Gleichheit oder der Ähnlichkeit (ebenfalls eine symmetrische Relation) es sinnvoll ist,

Siehe oben Exkurs 2. 184 R.P. Haynes, The form equality, as a set of equals. Phaedo 74b-c, Phron. 9, 1964, 23, A.21 (von 21). 185 Siehe oben Exkurs 1. 18« Haynes, 23, A.21. i 8 7 Haynes, ebenda.

Erster Hauptteil: Interpretation von Phil. 14c5 - 16cl

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durch den Plural auszudrücken, daß gleich zwei Dingen die Eigenschaft der Gleichheit oder Ähnlichkeit zukommt. An diesem Punkt wäre nun die Frage zu erörtern, die Bluck angeregt hat, indem er die These aufstellte, daß die Form der Gleichheit vollkommen gleich sein könne, ohne auf irgendetwas bezogen zu sein: 1 8 8 Ist ein entsprechender nicht-relativer Status auch für immanente Form-Kopien anzunehmen, so daß man von einem 'αύχό το ίσον' (Sg!) sprechen könnte und damit die Eigenschaft eines Gegenstandes, (mit irgendetwas) gleich zu sein, meint? Doch ist Piatons Rede von den immanenten Charakteren theoretisch zu wenig ausgearbeitet, um für solche Überlegungen sichere Anhaltspunkte zu bieten; daher möchte ich darauf verzichten, in Erörterungen über diesen Punkt einzutreten. Rists Meinung, FormKopien seien immer relativ, scheint mir allerdings aus dem, was Piaton über immanente Formen sagt, nicht ableitbar zu sein. E s wäre zu erwarten, daß der relative oder nicht-relative Charakter der Form-Kopien aus dem entsprechenden Charakter der zugehörigen Form hergeleitet wird; für solche Formen wie 'ισότης' und 'δμ,οιότης' ist es aber problematisch, ob diese Formen von Piaton als Relationen gedacht worden sind. 1 8 9 Eine Antwort auf die Frage nach dem relativen oder nicht-relativen Charakter der Form-Kopien scheint mir nur im Zusammenhang mit einer Antwort auf die Frage nach dem Chorismos (Verhältnis der Ideen zu den Einzeldingen) und der Verknüpfung der Ideen (Verhältnis der Formen zueinander) gegeben werden zu können. Eine Variante der fünften Interpretationsmöglichkeit findet sich bei Wedin. E r argumentiert wie folgt: 1 9 0 Weil gleiche Steine oder Hölzer bisweilen gleich, aber auch ungleich erscheinen können, könnte jemand behaupten, die Eigenschaften der Steine oder Hölzer hätten sich verändert, nicht aber die Steine und Hölzer selbst. 1 9 1 Piaton will hingegen sagen, daß die Eigenschaften, die den Steinen oder Hölzern gleich sind, sich nicht verändern, sondern vielmehr die Steine oder Hölzer selbst. 1 9 2 Den Plural 'αύτά τά loa.' faßt Wedin so auf, daß er die gleichen Eigenschaften, die Dinge haben können, ausdrückt, nicht die Eigenschaft der Gleichheit, insofern sie mehreren Dingen zukommt. Wedin nimmt also drei verschiedene Kategorien von Entitäten an, nämlich Einzeldinge, Formen und immanente Eigenschaften, und wenn letztere zwei oder mehreren Dingen gemeinsam sind, sind sie die von Piaton angesprochenen ί σ α . 1 9 3 Die im zweiten Satzteil 74cl angesprochene ίσότης ist die Eigenschaft von Paaren gleicher Dinge, die gleichen Eigenschaften zu haben, sie ist also ebenfalls eine (Klassen von Dingen zukommende) immanente Eigenschaft. 1 9 4 Nach Wedins Auffassung wird das Prädikat ί σ ο ς ' in Phaid. 74 nicht Gegenständen, sondern immanenten Eigenschaften zugesprochen; entsprechend wird Parm. 129bl-3 verschiedenen Eigenschaften zweier oder mehrerer Gegenstände das Prädikat 'ähnlich' zuerkannt. 1 9 5 Die pluralische Form wird verwendet, weil zwei Gegenstände mehrere Eigenschaften gemeinsam haben können oder j e zwei Dingen, die nur eine Eigenschaft gemeinsam haben, diese als ihre Form-Kopie zukommt, man also von dem Vorhandensein zweier FormKopien sprechen kann. Im weiteren Verlauf seiner Überlegungen versucht Wedin zu zeigen, daß die Annahme immanenter Charaktere Piatons Argumentationsstruktur nicht zerstört. 1 9 6 Außerdem wehrt sich Wedin gegen den Einwand, daß die Erwähnung unveränderlicher immanenter Eigenschaften die Erwähnung der Formen für eine Erklärung dessen, was Wissen ist, überflüssig

188 189 190 191 192 193 194 195 196

Siehe Bluck, Plato's Form of Equal, 8-9. Mills, Phron. 1958, 53. Wedin, 195ff. Wedin, 198. Wedin, 198f. Wedin, ebenda. Wedin, 199. Wedin, 203f. Wedin, 200.

Exkurs 3: ' α υ τ ά τ ά δμ.οια' und ' α ύ τ ά τ ά ί σ α '

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mache. 1 9 7 Denn zwar sei mit der Unveränderlichkeit der immanenten Form-Kopien eine Bedingung erfüllt, die wahres Wissen ermögliche, jedoch noch nicht alle, wie z.B. die Ewigkeit der Gegenstände des Wissens. Dieser Bedingung aber genügen die immanenten Eigenschaften nicht, denn sie können sich zurückziehen oder einfach verschwinden. 1 9 8 Also ist nach Wedins Auffassung durch Nennung der Form-Kopien die Erwähnung der Formen selbst für eine Erklärung dessen, was wahres Wissen und seine Gegenstände sind, nicht überflüssig. 1 9 9 Zu diesem Interpretationsansatz ist folgendes zu sagen: durch Einführung immanenter Charaktere wirft Wedin das Problem auf, in welchem Sinne die Theorie unvollkommener Teilhabe auf die Form-Kopien übertragen werden kann. Muß man sagen, daß die Form-Kopien selber die Form unvollkommen verkörpern? 2 0 0 Wedin meint, das sei so, und die Gleichheit der Paare immanenter Formen bestehe u.a. darin, daß sie beide die entsprechende transzendente Form in gleichem Maße verfehlen. 2 0 1 Diese Theorie scheint mir aber am Platon-Text keinen Anhalt zu haben. Auch birgt Wedins Auffassung das Problem in sich, daß Dinge, denen gleiche Eigenschaften zukommen, gar nicht untereinander gleich sein müssen. 2 ® Zwei große Steine z.B. müssen nicht gleich groß sein, sondern sie können groß sein z.B. in Bezug auf den Betrachter oder die normale Größe von Steinen, etc. Die Wendung 74b8, daß gleiche Steine und Hölzer ungleich erscheinen können, erklärt Wedin mit Verweis auf Phaid. 102dff.: hier sei von der Veränderung der genannten Gegenstände die Rede. Damit versucht er offenkundig, zwei Annahmen auf einen Nenner zu bringen, nämlich einerseits, Piaton wolle 74b8 die Veränderung von Dingen beschreiben (aufgrund der Parallele Phaid. 102ff.); und andererseits, Piaton wolle dies für zwei Gegenstände tun, die die gleichen Eigenschaften haben. 2 0 3 Das scheint mir eine merkwürdige Deutung dessen zu sein, was Piaton zu sagen versucht; die Auffassung, Piaton wolle einen Unterschied machen zwischen zwei gleichen Dingen und der Eigenschaft der Gleichheit, scheint mir die einfachere, dem Text aber auch entsprechendere zu sein. Wie man sieht, wirft die Theorie von Wedin Probleme auf. Mir scheint, daß ihre Komplexität über das hinausgeht, was Piaton an dieser Stelle gemeint haben könnte. Ich vermute auch, daß Piaton nicht zwischen Prädikaten, die Gegenständen zukommen, und solchen, die Formen zukommen, bzw. der Verwendung von Prädikaten zum Ausdruck einer Eigenschaft von Gegenständen einerseits und Begriffen andererseits, unterscheidet, jedenfalls nicht im Phaidon,204 Er würde vermutlich, wenn man ihn fragte, sagen, zwei Dinge können gleich sein, und sie sind es dann, wenn sie gleiche Eigenschaften haben, also vermutlich nicht den Unterschied machen (den Wedin macht) zwischen der Aussage: "a und b sind gleich" und: "die Eigenschaften des a sind gleich denen des b". Im folgenden möchte ich meine eigene Auffassung zu Phaid. 74a-c und Parm. 129b darlegen. Den Anfang mache ich mit Phaid. 74b-c. Dort will Piaton m.E. sagen, daß ein prinzipieller Unterschied besteht zwischen Hölzern und Steinen, die gleich sind, und α ύ τ ά τ α ίσα. Denn Hölzer und Steine sind nur unvollkommen gleich, sie erscheinen bisweilen auch ungleich. Die Wendung 'χω μ.έν...τω δέ...' scheint mir zu bedeuten: 'für den einen...für den anderen...' Damit soll m.E. das Schwanken und die Ungenauigkeit der Bestimmung der Gleichheit von sichtbaren Gegenständen ausgedrückt werden. Daher ist die Wendung 'τω

197 198 iw 200 201 202 solche, 203 204

Wedin, 202. Wedin, 202. Wedin, 202. Wedin, 202. Wedin, 202f. Jedenfalls insofern Piaton Relationen als gewöhnliche Prädikate behandelt, freilich die etwas in Bezug auf etwas anders hat. Wedin, 199. Piaton kannte wohl kaum die Unterscheidung typenverschiedener Prädikate.

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μ.έν...τώ Sé...' ähnlich zu verstehen wie die in einigen Manuskripten des Phaidon, nämlich den Codices Τ und W (Venetus und Vindobonensis) anzutreffende Variante ' τ ό τ ε μ.έν...τότε δέ...', durch die das Schwankende der Bestimmung der Gleichheit ausgedrückt wird. Doch scheint mir diese Variante nicht die ursprüngliche Lesart zu sein, 2 0 5 denn sie würde sich mit ' ε ν ί ο τ ε ' stoßen. Man müßte den Satz dann nämlich wie folgt verstehen: 'Scheinen nicht bisweilen gleiche Steine und Hölzer einmal gleich, ein andermal ungleich zu sein?' Daraus würde folgen, daß zu einem anderen Zeitpunkt als dem durch ' ε ν ί ο τ ε ' bezeichneten die Steine und Hölzer vollkommen gleich erscheinen können. Das ist aber die Aussage, die Piaton von der Gleichheit selbst und den α ύ τ ά τ ά ίσα treffen will und nicht von den gleichen Steinen und Hölzern. 206 Daher scheint es mir, daß die ursprüngliche Lesart zu halten ist. Piaton will sagen, daß es hinsichtlich von Steinen und Hölzern Momente gibt, in denen diese dem einen Betrachter gleich, dem anderen jedoch ungleich erscheinen, weil sichtbare Gegenstände die Eigenschaft der Gleichheit so unvollkommen verkörpern, daß man zu bestimmten Zeiten nicht sicher sein kann, ob sie überhaupt als 'gleich' zu bezeichnen sind und darüber zwischen verschiedenen Betrachtern eine Meinungsverschiedenheit entstehen kann. In Bezug auf 'αύτά τ ά ίσα' gibt es jedoch keine derartige Unsicherheit. Was aber sind α ύ τ ά τ ά 'ίσα? Ich glaube nicht, wie Geach und Vlastos, daß der Grund dafür, daß Piaton den Plural verwendet, darin liegt, daß er die Form der Gleichheit meint, die aus zwei vollkommen gleichen Komponenten besteht. Vielmehr meine ich, daß eine Deutung zutrifft, die Elemente der Mischinterpretation und der Auffassung, es handele sich um die immanenten Form-Kopien, aufnimmt. Es scheint mir unbestreitbar, daß sich Piaton, wie Owen annimmt, mit der Wendung 'αύτά τ ά ϊσα' indirekt auf die Rede von den gleichen Steinen und Hölzern bezieht. Meist wird nämlich übersehen, daß Piaton ausdrücklich voraussetzt, daß diese Steine und Hölzer als gleich betrachtet werden, und als solche gleichen Dinge hinsichtlich ihrer Eigenschaft schwankend und unbestimmt sind. Die Steine und Hölzer sind also nicht gleich und bisweilen ungleich, simpliciter, sondern sie sind als gleiche bisweilen und für manchen Betrachter gleich, bisweilen und für manchen Betrachter ungleich. Piaton will nun sagen, daß die Steine und Hölzer zwar in Bezug auf ihre Gleichheit schwankend und unbestimmt sein können, aber das, was die Ursache dafür ist, daß wir ihnen die Eigenschaft der Gleichheit mit Recht zusprechen, diese Gleichheit ist und bleibt. Was schwankt und unbestimmt ist, ist der sichtbare Gegenstand, nicht jedoch die diesem zukommende Bestimmung. Auf diese Weise will Piaton einen Unterschied machen zwischen den Dingen der sichtbaren Welt und den Bestimmungen, die diesen Dingen zukommen, die diese aber nur unvollkommen verwirklichen. Offenbar greift Piaton den Plural aus 74b8 auf und drückt mit seiner Hilfe aus: Das, was immer gleich bleibt, ist das, was die genannten gleichen Steine (pl.) und Hölzer (pl.) gleich 'macht'. Daß Piaton den Plural aus der vorherigen Zeile verwendet, hat aber nicht allein einen stilistischen, sondern einen aus der Formentheorie abgeleiteten Grund. Dieser scheint mir nicht der zu sein, daß das Prädikat 'gleich' immer von mindestens zwei Dingen erfüllt wird. Der Grund dafür, daß Piaton den Plural ί σ α ' verwendet, könnte darin liegen, daß dem Paar der Steine eine andere Art von Gleichheit zukommt als dem Paar der Hölzer. So könnte die Gleichheit der Hölzer (angenommen, es würde sich um Hölzer für den Hausbau handeln) darin bestehen, daß diese gleich lang sind, die Gleichheit von Steinen darin, daß sie das gleiche Gewicht (für statische Berechnungen) oder die gleiche Form haben. Dann würde sich die Hinsicht, in der man die Steine als gleich betrachtet, von der der Hölzer unterscheiden. Vielleicht denkt Piaton auch an den Materialunterschied zwischen Hölzern und

205 Mills, Phron. 1957, 134. 206 Vgl. Mills, Phron. 1957, 134.

Exkurs 3: ' α ύ τ ά τ ά ο μ ο ι α ' und ' α ύ τ ά τ α ί σ α '

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Steinen und meint, daß an verschiedenen Materialien realisierte Gleichheit verschiedene Gleichheit ist. Für den Fall, daß Steine und Hölzer auch untereinander gleich, z.B. gleich lang sind, könnte er immer noch gemeint haben, daß Gleichheit-der-Hölzer etwas anderes ist als Gleichheit-der-Steine. Das Argument Phaid. 74 rekonstruiere ich nun wie folgt: es kann sehr wohl sein, daß die Hölzer nur ungenau längengleich sind, oder die Steine nur ungenau gewichtsgleich. Aber die Eigenschaften der Gewichtsgleichheit oder Längengleichheit verändern sich nicht, auch wenn die Dinge, denen wir diese Eigenschaften zusprechen, unseren Begriffen nicht voll genügen. Wie man sieht, besteht eine gewisse Nähe dieser Interpretation zu der Auffassung, Piaton spreche in Phaid. 74 von den immanenten Charakteren ( = Form-Kopien). Doch ist meine Interpretation mit dieser Auffassung nicht identisch. Ich meine nämlich nicht, daß Piaton die Lehre von den Form-Kopien an der Phaidon-Stelle explizit entwickelt. Die Nähe zu dieser Theorie scheint mir eher ungewollt zu sein, und sie besteht aus folgendem Grund, (der mir auch dafür maßgeblich zu sein scheint, daß eine gewisse Nähe zwischen Phaid. 74ac und Phaid. 102dff. besteht): In seiner klassischen Ideenlehre scheint Piaton nicht in der Lage zu sein, deutlich zu unterscheiden zwischen dem Fall, daß a) ein Ding eine Eigenschaft hat, und dem Fall, daß b) ein Ding eine Eigenschaft verliert und eine andere annimmt. Denn der Fall a), daß ein Ding eine Eigenschaft hat, wird beschrieben als unvollkommene Verwirklichung dieser Eigenschaft an dem Ding, als Schwanken zwischen der Eigenschaft und ihrem Gegenteil, etc. Diese Beschreibung ist aber derjenigen sehr ähnlich, die man sinnvollerweise für b), also das Verlieren einer Eigenschaft und den Erwerb einer anderen, verwenden kann. Daher wird das unvollkommene Vorhandensein einer Eigenschaft an einem Gegenstand mit Hilfe einer ähnlichen Theorie beschrieben wie der Fall, daß etwas eine Eigenschaft verliert und eine andere dafür erwirbt. 2 0 7 Man könnte also sagen, daß Piaton nicht, wie einige Kommentatoren meinen, die Gleichheit bzw. Ungleichheit allein eines Gegenstandspaares in verschiedener Hinsicht im Blick hat, sondern vielmehr verschiedene Hinsichten von Gleichheit (oder Ungleichheit), die sich auch auf verschiedene Gegenstandspaare verteilen. Damit ergibt sich aber das folgende Problem: Könnte Piaton sagen, daß diese verschiedenen Hinsichten von Gleichheit ( α ύ τ ά τ ά ϊ σ α ) niemals ungleich erscheinen? Schließlich sind sie doch untereinander ungleich! Würde Piaton verschiedene Hinsichten von Gleichheit verschiedener Dinge überhaupt als α ύ τ ά τ ά ισα bezeichnen? Das ist in der Tat ein schwerwiegender Einwand, und er bringt diese Interpretation fast zu Fall. (Ich glaube sogar, daß er sie so schwer beschädigt, daß die Auffassung von Geach und Vlastos, trotz der oben dargestellten Einwände, mit ihr gleichwertig ist.) Das Gefühl, durch diesen Einwand werde meine Interpretation sozusagen im Kern getroffen und zu Fall gebracht, scheint mir aus zwei Gründen zu entstehen: 1. Zwar gilt dieser Einwand auch gegenüber jedem der anderen genannten Interpretationsansätze. Wer z.B. die Auffassung von Geach vertritt, ' α ύ τ ά τ ά ί σ α ' meine die eine Form der Gleichheit, die aus zwei Komponenten besteht, wird sich dem Einwand aussetzen, daß diese Form als ganze gegenüber den unzählbar vielen Einzeldingen, aber auch gegenüber anderen Formen, völlig ungleich ist. Doch in diesem Fall scheint mir der Einwand entkräftet werden zu können, denn man muß eben nur ί σ ο ς ' und ' ά ν ι σ ο ς ' als elliptische Ausdrucksweise für 'untereinander gleich' bzw. 'ungleich' verstehen, und dann ist das Problem gelöst, weil andere Formen oder Einzeldinge nicht in den Blick kommen. Hinsichtlich meiner Interpretation kann man sich hingegen prima facie nicht auf diese Weise aus der

207 Außerdem ist eines der Argumentationsziele Piatons an beiden gleich, nämlich die Hervorhebung der Selbstidentität der reinen Formen.

Phaidon-Stellen

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Erster Hauptteil: Interpretation von Phil. 14c5 - 16cl

Affäre ziehen, sondern muß sich damit begnügen, zu behaupten, daß Piaton dieses Problem einfach nicht im Blick gehabt hat. Eine andere Möglichkeit, das Problem zu umgehen, ist die, daß ich nun meinerseits behaupten könnte, ί σ ο ς ' bedeute 'untereinander gleich'. Dann würde sich aber die Frage stellen, ob ich den Plural ' α υ τ ά τ ά ϊ σ α ' noch so erklären muß, wie ich es tue, nämlich mit Rückgriff auf verschiedene Arten von Gleichheit, ob also diese Erklärung nicht überflüssiger Ballast wäre angesichts der Möglichkeit, den Plural viel einfacher, nämlich in der Weise von Geach und Vlastos zu erklären. Trotzdem ist es natürlich nicht ausgeschlossen, daß Piaton ί σ ο ς ' als ΐ σ ο ς ά λ λ ή λ ο ι ς ' versteht, den Plural aber aus dem von mir angegebenen Grunde verwendet. Die beschriebene Weise, den Einwand von der Ungleichheit der Gleichheit zu entkräften, steht allerdings Vlastos (in seiner späteren Position) nicht mehr offen, wenn er behauptet, α ύ τ ά τ ά ϊ σ α sei einfach die Idee der Gleichheit. Dann fragt sich nämlich in der Tat, wieso die Idee der Gleichheit paradigmatische Gleichheit sein soll, wenn sie doch anderen Ideen gegenüber völlig ungleich ist. Einzig mögliche Antwort in diesem Fall könnte nur sein, daß Piaton dieses Problem einfach noch nicht gesehen hat, weil er die Ideen als voneinander vollkommen getrennt ansah. 2. Ein weiterer Grund dafür, daß der oben gemachte Einwand gegen meine Interpretation so durchschlagend wirkt, ist der (der mit dem ersten eng zusammenhängt), daß man sich mit Recht die Frage stellen kann, wem überhaupt eine Art von Gleichheit vergleichbar sein soll, wenn nicht einer anderen Art von Gleichheit. Anders ausgedrückt: welchen Sinn könnte die Feststellung, die Gleichheit G sei niemals ungleich (anders als G-gleiche Dinge) haben, wenn sie nicht einmal der Gleichheit F gleich ist (und erst recht nicht anderen Formen oder gar Einzeldingen)? Auch gegenüber diesem Einwand könnte ich mich dadurch retten, daß ich die Auffassung übernehme, ί σ ο ς ' bedeute 'untereinander gleich', so daß die Gleichheit G niemals mit der Gleichheit F verglichen wird, sondern nur zwei G-gleiche Dinge untereinander, der Plural ί σ α ' aber aufgrund der Tatsache verwendet wird, daß es eine G-Gleichheit und eine F-Gleichheit etc. gibt. Auf diese Weise möchte ich mich aber nicht aus der Affäre ziehen (weil es mir nicht das zu treffen scheint, was Piaton sagen will). Piaton scheint mir in etwa sagen zu wollen, daß GGleichheit und F-Gleichheit, also Gleichhei/e«, ihre Selbstidentität nicht verlieren. Dabei dürfte Piaton kaum den Unterschied gemacht haben, den wir zwischen 'Gleichheit' und 'gleich' bzw. 'das Gleiche' machen. Alle diese Ausdrücke stehen für die Form der Gleichheit. Was nicht (mehr) gleich ist, ist ungleich, es gibt kein mehr oder weniger gleich (diese Überlegung läßt sich nicht auf das ομ,οιον Parm. 129 übertragen). Insofern lag es für Piaton vermutlich nahe, der Auffassung zu sein, daß im Fall der Veränderung der Form der Gleichheit oder 'des Gleichen' das Ergebnis dieses Veränderungsprozesses (den wir als Identitätsverlust der Form betrachten können) das Ungleiche oder die Ungleichheit sein müsse, und nicht eine unvollkommene Form der Gleichheit. 'Die Gleichheit' ist also entweder 'gleich', 'das Gleiche', 'Gleichheit', oder aber, so lautet die andere, von Piaton ausgeschlossene Möglichkeit, sie ist es nicht, sondern schwankt in ihrer Bestimmung so, wie die vielen Einzeldinge, und dann ist sie aus den genannten Gründen eben 'Ungleichheit', 'ungleich', 'das Ungleiche'. Phaid. 74c scheint mir also kein Argument dafür herzugeben, daß Piaton die Selbstprädikativität der Formen annahm (obgleich diese Stelle eine entsprechende Annahme auch nicht widerlegt). Die 'Gleichheit' wird m.E. nicht als ein gleiches Ding, ein Paradigma der Gleichheit, betrachtet, obschon Piaton dieser Gedanke sicher nicht völlig fernlag. Damit aber entsteht gar nicht erst das Problem, daß F-Gleichheit diese Eigenschaft nicht im Vergleich mit G-Gleichheit hat, weil F-Gleichheit nicht unter dem Aspekt betrachtet wird, daß sie eine Eigenschaft hat, sondern daß sie eine ist. Durch meine Interpretation wird 1. der Unterschied zwischen ' α υ τ ό τ ο ίσον' und ' α ύ τ ά τ ά ϊ σ α ' erklärt, und 2. erlaubt es diese Deutung, zu verstehen, warum Piaton in der Mehrzahl der Fälle die Singularform verwendet. Denn 'αύτά τ ο ίσον' meint die Form der Gleichheit simpliciter, ohne Ausdifferenzierung in verschiedene Arten von Gleichheit, wie z.B. Längen- oder Materialgleichheit. Der Fall der Gleichheit von Hölzern ist nun ein spe-

Exkurs 3: ' α ύ τ ά τ α ομ.οια' und ' α υ τ ά τ α ί σ α '

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zieller Fall von Gleichheit, z.B. Längengleichheit. An erster Stelle geht es Piaton darum, den Unterschied zwischen gleichen sichtbaren Gegenständen und der Form der Gleichheit simpliciter zu diskutieren, aber das kann er am besten an einem Beispiel von Gleichheit, und d.h. von spezieller Gleichheit, verdeutlichen. Hauptsächlich spricht er von der Form der Gleichheit überhaupt, aber dort, wo das Beispiel gleicher Hölzer oder Steine ins Spiel kommt, bezieht er sich auf die an Holzem oder Steinen realisierten Formen von Gleichheit. Durch meine Auffassung wird übrigens Piatons Syllogismus nicht ungültig. Denn Piaton sagt, daß das, was für (in verschiedener Hinsicht) gleiche Hölzer oder Steine nicht gilt, für alle die Gleichheiten gilt, die diese Dinge nur unvollkommen verwirklichen. An diesem Punkt trifft sich meine Auffassung mit der von R.P. Haynes, der meint, mit dem Ausdruck ' α ύ τ ά τ α Ισα' sei die umfassende, völlige Gleichheit gemeint. 2 0 8 Es scheint also, daß Piaton die Gleichheit simpliciter als aus den verschiedenen Fällen von Gleichheit bestehend betrachtet. Diese Auffassung findet ihre Bestätigung, wenn wir die Stelle aus dem Patmenides betrachten. Dort sagt Sokrates, daß es ihn erstaunen würde, wenn α ύ τ ά τ α ομ,οια als α ν ό μ ο ι α und umgekehrt erwiesen würden (129bl-3), oder wenn τ α π ο λ λ ά ε ν oder ö ε σ τ ί ν ε ν π ο λ λ ά wäre (129b6-cl). Dann verallgemeinert der junge Sokrates: ein Problem wäre es, wenn jemand beweisen könnte, daß die γ έ ν η und ε ί δ η Eigenschaften annehmen könnten, die ihnen selbst widersprechen (129c2f.). Damit scheint mir nun deutlich ausgesprochen, was Piaton an der Phaidon-SteWc noch unausdrücklich zu verstehen gibt (die meisten Kommentatoren meinen, daß Piaton sich im Pamenides auf die Ideenlehrc des Phaidon bezieht). 2 0 9 Denn Piaton unterscheidet hier zwischen γ έ ν η und ε ϊ δ η . 2 1 0 Ich vermute, daß Piaton die verschiedenen Arten von Gleichheit als ε ϊ δ η (species) des γ έ ν ο ς Gleichheit interpretiert hätte. Die Species sind diejenigen Formen, an denen nur noch die Einzeldinge partizipieren. Es könnte sein, daß Piaton zur Zeit der Abfassung des Paimenides die verschiedenen 'Gleichheiten', 'Ähnlichkeiten' (und möglicherweise auch die 'immanenten Formen' aus Phaid. 102) als Species des obersten Genus, der transzendenten Formen Gleichheit, Ähnlichkeit etc. betrachtet hat. Jedenfalls geht Piaton Parm. 129c2f. offenbar von einer Einteilung solcher Formen wie 'Ähnlichkeit' und 'Unähnlichkeit' in γ έ ν η und εί'δη aus, und das scheint mir der Grund dafür zu sein, daß er im Plural von ' α ύ τ ά τ α ομ.οια' etc. spricht. Species von Ähnlichkeit könnten entsprechend denen der Gleichheit Färb- oder Formähnlichkeiten verschiedener sichtbarer Gegenstände sein. Von den 'Arten' der Ähnlichkeit bzw. Gleichheit (wie wir jetzt auch in Bezug auf den Phaidon in einem technischen Sinne sagen dürfen) unterscheidet Piaton das oberste Genus, die όμ,οιότης (Parm. 129al. 6) oder δ ε σ τ ί ν ά ν ό μ ο ι ο ν (Parm. 129a2) bzw. die ί σ ό τ η ς (Phaid. 74cl) oder α ύ τ ό το ίσον (Phaid. 74all-12). Die beiden Satzteile Phaid. 74cl-2 las-

208 Haynes, 26. 209 Vgl. repräsentativ Cornford, PP, 70ff. 210 Mit den Begriffen ' γ έ ν ο ς ' und ' ε ί δ ο ς ' meint Piaton nicht immer genau das, was wir mit der Unterscheidung von Gattung und Art ausdrücken, denn häufig werden die beiden Begriffe von Piaton nicht streng terminologisch verwendet. Z.B. kann ε ί δ ο ς durchaus auch für das, was wir einen Gattungsbegriff nennen, stehen. Beide Begriffen bezeichnen häufig einfach das, was wir am besten mit 'Form' oder 'Idee' wiedergeben. Mir scheint allerdings, daß an unserer Stelle, wo beide Begriffe nebeneinander stehen, ein Unterschied zwischen dem, was ein γ έ ν ο ς ist, und dem, was ein ε ί δ ο ς ist, besteht. Ich glaube nicht, daß Piaton an dieser Stelle bereits den strengen terminologischen Unterschied von Gattung und Art macht - dazu ist die Theorie der Dihairesis nötig, und die hat Piaton zur Zeit der Abfassung des Parmenides vielleicht noch nicht endgültig konzipiert. Aber ich bin der Auffassung, daß vielleicht an über- und untergeordnete Formen gedacht ist, wenn Piaton zwischen γ έ ν η und ε ϊ δ η unterscheidet. Die spätere Theorie scheint mir hier in nuce bereits vorhanden.

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Erster Hauptteil: Interpretation von Phil. 14c5 - 16cl

sen sich im Lichte von Parm. 129cl-3 so verstehen, daß Piaton in dem ersten sagt, alle Arten von Gleichheit könnten niemals ihr Gegenteil sein, und in dem zweiten Satzteil ausführt, daß dasselbe auch für die Gleichheit als solche, oder in der Sprache des Parmenides, für die oberste Gattung der Gleichheit, gilt. Daraus ergibt sich die Folgerung, daß es die sichtbaren Einzeldinge selbst sein müssen, die so unbestimmt sind, daß sie zugleich untereinander gleich und ungleich sind, und daß es nicht an der Eigenschaft der Gleichheit bzw. der speziellen Längen- oder Gewichtsgleichheit liegt, daß sie den schwankenden und unbestimmten Charakter haben, von dem Piaton spricht. Daraus wiederum folgt, wie von Piaton vorgesehen, daß ein Unterschied zwischen sichtbaren Einzeldingen und ihren Eigenschaften (bzw. zunächst der Eigenschaft der Gleichheit) besteht. Man kann also mit Fug und Recht behaupten, daß beide Teile des Satzes Phaid. 74cl-2, und nicht nur der zweite, wie Bluck meinte,* 11 als Prämisse des platonischen Argumentes fungieren. Und es handelt sich dabei um ein gültiges Argument.

Wir können nun die Frage zu beantworten versuchen, ob das Problem aus Parm. 129 dieselben Entitäten betrifft wie das aus Phil. 15a. Die vorstehenden Erörterungen scheinen mir nun folgendes gezeigt zu haben: Gleichgültig, ob die Interpretation von Geach-Vlastos, die Interpretation von Bluck (u.a.) oder mein eigener Vorschlag den Vorzug vor anderen Erklärungsmöglichkeiten verdient, es scheint deutlich, daß diese Interpretationsauffassungen, die allesamt darin übereinstimmen, daß Piaton die Identität der Formen mit sich selbst darlegen will, den Vorzug verdienen vor derjenigen Erklärungsmöglichkeit, die den Plural von 'αύτά τα ίσα' als Hinweis darauf verstehen will, daß Piaton die Existenz von mathematischen Zwischendingen voraussetzte. Selbst wenn also z.B. 'αυτά τά ομοκχ' so etwas wie die Gegenständen immanente Eigenschaft der Ähnlichkeit meint, so darf doch aus der Aussage, diese Eigenschaft selbst werde nie ihr Gegenteil, geschlossen werden, daß dies auch von der Form der Ähnlichkeit selbst gilt. Wenn αύτά τά ομοια eine Form der Ähnlichkeit ist, die als vollkommenes Exemplar ihrer selbst aus zwei absolut ähnlichen Komponenten besteht, gilt, daß dieses Exemplar vollkommener Ähnlichkeit, nämlich die Idee der 'όμοιότης', sich nie in einen Fall von Unähnlichkeit verwandelt. Wenn αύτά τά δμοια die Species der Gattung 'αύτο το ομοιο ν' sind, so darf aus der Unveränderlichkeit und Selbstidentität der Species auf die gleichen Eigenschaften der Gattung geschlossen werden. Dagegen würde aus der These, daß einander völlig gleiche mathematische Entitäten (z.B. die erwähnten Winkel eines gleichschenkligen Dreiecks) sich nicht verändern, nicht folgen, daß auch alle Formen niemals zu ihrem Gegenteil werden, oder daß zumindest die Form der Gleichheit nie 'Ungleichheit' wird. Denn die Behauptung, die beiden mathematica

Vgl. Mills, Phron. 1958, 43.

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sehen Entitäten könnten niemals ungleich werden, ist eine Aussage darüber, daß diesen mathematischen Entitäten - anders als den sichtbaren Einzeldingen - das Prädikat 'gleich' in eindeutiger, unveränderlicher Weise zukommt, und nicht eine Aussage über das Prädikat 'gleich' (und sein Gegenteil) selbst. Das heißt: in jedem Fall verdient eine Deutung der Parmenides-Stelle den Vorzug, die diese als eine Aussage über die Formen versteht. Denn von allen Deutungsversuchen hat derjenige, der die gemeinten Wendungen als Hinweis auf mathematische Zwischendinge versteht, am wenigsten für sich, und alle anderen Versionen können, wie gezeigt, als Argument für die Unveränderlichkeit der Formen interpretiert werden. Damit scheint mir die Frage hinreichend beantwortet, ob es sich um dieselben Entitäten handelt, die in Phil. 15b als Träger des wirklichen Problems genannt sind und die in Parm. 129b-c das Erstaunen des Sokrates hervorrufen können. Diese Frage kann mit 'ja' beantwortet werden. In beiden Fällen gilt das gemeinte Problem in einem nichttrivialen Sinne von den Formen.212 212 Diese Auffassung wird weitgehend bestätigt durch den jüngst erschienenen Aufsatz von A.T.Dale (AJPh 1987). Dale ist allerdings der Auffassung, daß Piatons Redeweise an den beiden genannten Stellen keinesfalls ungewöhnlich ist, weil man sich im Griechischen ohne weiteres auf die eine Form mit Hilfe eines pluralischen Ausdrucks beziehen konnte. Faktisch stimmt sie also G. Vlastos (Additional Note) zu, daß es sich um eine rein stilistische Variation handelt, wenn Piaton einmal von ' α ύ τ ο το ίσον', ein andermal von ' ΐ σ ό τ η ς ' oder ' α ύ τ ά τ ά ίσα.' spricht, und entsprechend an der Pomie/i/Vfes-Stelle. Die von ihr angeführten philologischen Beweise scheinen mir erheblich überzeugender als die von Vlastos, auch wenn mir scheint, daß sie - außerhalb unserer Stellen- wenig Material aus Piaton findet und gerne (387) auf die von Vlastos angeführten Passagen zurückgreift. Die Textstellen aus Heraklit, Hesiod und Homer scheinen mir gewichtig, aber das Problem von Phaid. 74cl und Parm. 129 besteht doch offenbar darin, daß die gemeinte Redeweise bei Platon ungewöhnlich ist. Dale ist der Auffassung, daß der generische Plural des Neutrums die übliche griechische Ausdrucksweise für den 'Stoff (vgl. 393) ist, der die Eigenschaft an sich hat, die mit dem Adjektiv bezeichnet wird. Mit diesem 'Stoff ist auch die Eigenschaft selbst gemeint, so daß das Adjektiv im Neutrum Plural als Ausdruck dieser Eigenschaft verwendet werden kann. Abstrakte Nomina auf - τ η ς , -σύνη (wie z.B. ί σ ό τ η ς ) , die normalerweise die Eigenschaft, aber nie den oder die Träger der Eigenschaft benennen, breiteten sich erst im Griechenland der klassischen Zeit aus, mit dem Aufkommen von Philosophie, Theologie und Technik (vgl. 394f.). Unsere Frage aus Phaid. 74cl interpretiert Dale (397) wie folgt: "Ist das Gleiche selbst - oder Gleichheit, wie wir Philosophen zu sagen pflegen - dir jemals anders erschienen als was es ist'.'"Für meine Argumentation gilt, daß Dale nicht gegen meine Auffassung spricht, die gemeinten Entitäten seien die Formen, sondern im Gegenteil diese Ansicht bestätigt. Von ihrem Standpunkt allerdings würde gelten, daß meine Untersuchung der platonischen Redeweise (und die der anderen erwähnten Autoren) sozusagen überflüssig wäre (weil sie nicht ungewöhnlich ist und daher eigentlich keiner besonderen Erörterung bedürfte) und meine Interpretation (wie auch alle anderen, außer der von Vlastos in seiner 'Additional Note') zu viel aus den Textstellen herauslesen würde, mehr, als Piaton sich dabei gedacht haben dürfte. Mir scheint allerdings, daß Dale nicht vollkommen überzeugend gezeigt hat, daß die

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Die zweite Frage ist die, ob es sich in beiden Fällen um dasselbe Problem handelt. Diese Frage scheint mir nun allerdings negativ beantwortet werden zu müssen, und zwar aus folgendem Grunde: an der ParmenidesStelle betrifft das ernstzunehmende Problem die Frage der Selbstidentität der Formen. Der Gedankengang, der sich in seiner Tendenz von der Parallele Phaid. 74a-c etwas unterscheidet, kann wie folgt zusammengefaßt werden: (Parm. 129a3-bl): Zenon hatte die These aufgestellt, daß aus der Existenz einer Vielheit von Entitäten folge, diese seien zugleich ähnlich und unähnlich. Darauf antwortet Sokrates, daß es für den Fall, daß man bereit ist, Formen für jede Eigenschaft und ihr Gegenteil anzusetzen, einen unverfänglichen Sinn gibt, in dem das Ähnliche unähnlich ist: denn für diesen Fall gilt für sichtbare Gegenstände, daß sie an mehreren, möglicherweise einander entgegengesetzten Formen teilhaben können. M.a.W. ist das Ähnliche in dem (unverfänglichen) Sinne unähnlich, daß das, was ähnlich ist, auch zugleich unähnlich sein kann. Diese Argumentation gilt umgekehrt auch für das, was unähnlich ist. (Parm. 129bl-3): Dieser unverfängliche Sinn existiert jedoch nicht für den Fall, daß das sein Gegenteil ist, was den sichtbaren Gegenständen ihre Eigenschaften verleiht, also diese Eigenschaften, d.h. Formen, selbst. Wenn z.B. die Form der Ähnlichkeit, also - nach Piatons Redeweise - das Ähnliche schlechthin, zugleich unähnlich sein würde, dann wäre das nach Piatons Auffassung ein Paradoxon. Dieses Paradoxon besteht darin, so dürfen wir mit Hilfe moderner logischer Unterscheidungen vielleicht sagen, daß die Intension des Begriffes 'ähnlich' mit der des Begriffes 'unähnlich' identifiziert wird. Mir scheint, daß Piaton an diesem Punkt seines Gedankenganges noch keine andere Möglichkeit im Auge hat, wie man die Aussage: "Das Ähnliche ist unähnlich" im Bereich der Formen verstehen könnte. 213 An diesem Punkt des Argumentationsganges kann ein solcher Satz nur als Ausdruck eines Paradoxons verstanden werden. (Parm. 129b4-6): Piaton bietet noch ein zweites Beispiel für den von ihm gemeinten Sachverhalt an: keineswegs sei es paradox, so meint er, wenn man den Satz, das Eine sei zugleich Vieles, wie folgt interpretiert: das, was Eines ist, ist zugleich Vieles, und was Vieles ist, ist zugleich Eines. Problematisch hingegen ist für Piaton die Aussage der Vielheit von der Einheit selbst und der Einheit von der Vielheit selbst. Da Piaton (zumindest an diesem Punkt) sicher nicht auf die Möglichkeit höherstufiger Prädikate reflektiert (womit dann auch das Problem, das sich hier gemeinte Redeweise auch für Piaton nicht ungewöhnlich ist, zumal er die von der allgemein üblichen Redeweise nicht gemachten Unterscheidungen zwischen Dingen und ihren Eigenschaften gerade an unseren Stellen einführen bzw. begründen will. 213 Welchen akzeptablen Sinn es für Piaton geben könnte, dazu siehe unten!

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stellt, gelöst wäre),214 darf man wohl annehmen, daß es ihm wiederum darum geht, ein Begriff, in diesem Fall der Begriff entweder der Einheit oder der der Vielheit, könnte sozusagen seine Identität verlieren, wenn er mit dem Gegenteil seiner Bedeutung (ich verwende eine Terminologie, die am Anschluß an von Kutschera nicht, wie Frege, Sinn und Bedeutung, sondern Bedeutung und Bezug voneinander unterscheidet) 215 verbunden wird. (Parm. 129c2-3): Hier wird das von Piaton Gemeinte zusammengefaßt. Die Wendung des Sokrates, jemand müsse ihm schon zeigen können, daß die Gattungen und Arten in sich selbst das Gegenteil ihrer selbst annehmen würden, scheint mir ein Hinweis darauf zu sein, daß Piaton nicht meint, von der Form der Gleichheit werde die Ungleichheit ausgesagt, sondern er meint offenkundig, die Gleichheit sei (in diesem Falle) selbst zugleich Ungleichheit. Am besten kann diese Redeweise, wie gesagt, dadurch erläutert werden, daß man die Unterscheidung zwischen der Bedeutung und dem Bezug eines Begriffes einführt und Piatons Meinung so versteht, daß er um die Identität der Bedeutung eines Begriffes besorgt ist, der mit seinem Gegenteil verbunden (πλεκομένην) wird (130al). Das Piaton ernsthaft beschäftigende Problem ist also das der (Identität der) Begriffsintensionen, wobei allerdings sofort festzuhalten ist, daß Piaton vermutlich keine klare Vorstellung von dem Unterschied von Bedeutung und Bezug eines Begriffes hatte. Mit Hilfe dieser Unterscheidung kann man jedoch meiner Ansicht nach dem, was Piaton an der Parmenides-Stelle beschäftigt, auf die Spur kommen. (Parm. 129c4-d5): In einem zweiten 'Anlauf versucht Piaton seine Position zu verdeutlichen. Als Beispiel wählt er die beiden Ideen der Einheit und Vielheit. Zunächst zeigt er, daß es sich mit Hilfe des gesunden Menschenverstandes problemlos erklären läßt, wie etwas, das Eines ist, zugleich auch Vieles ist. Als Beispiel wählt er den einen Menschen unter sieben anderen ( = Sokrates selbst), der zugleich aus einer Vielzahl von Gliedern besteht und an dem verschiedene Aspekte unterschieden werden können. Sokrates partizipiert sowohl an der Einheit als auch an der Vielheit, und das ist keinesfalls paradox, weil die Aussage der Einheit des Sokrates sich auf einen anderen Gesichtspunkt bezieht als die Aussage der Vielheit. Insofern Sokrates einer unter vielen Menschen ist, partizipiert er an der Einheit, insofern er viele Glieder hat und unter vielen Aspekten betrachtet werden kann, partizipiert er an der Vielheit. Daran ist nichts Verwunderliches. In Parm. 129d2-6 erweitert Piaton die Behauptung, die Teilhabe an verschiedenen und einander 214 Das ist die gemeinte bessere, akzeptablere Möglichkeit. 215 Begründung bei F. von Kutschera, Sprachphilosophie, München 19752, 57.

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widersprechenden Eigenschaften sei nicht paradox, auf alle sichtbaren Einzeldinge (als Beispiele nennt er Steine und Hölzer (u.ä.), ähnlich wie Phaid. 74Ò7-8). (Parm. 129d6ff.): Piaton zeigt in diesem Abschnitt, daß er es nicht von vornherein ausschließen will, daß auch die Formen miteinander direkt verknüpft werden können, nicht nur indirekt, gleichsam im Medium des sichtbaren Einzeldinges. Doch befürchtet er eine Gefährdung der Identität der Form mit sich selbst, das Entstehen von Paradoxa. Wenn man die Entstehung von Paradoxa im genannten Sinne ausschließen will, so scheint mir Piaton sagen zu wollen, dann muß man Mischungs- und Trennungsverhältnisse unter den Formen nachweisen, die mit dem Problem der Identität der Formen (ihrer Bedeutungen) mit sich selbst sozusagen nichts mehr zu tun haben. Man muß also eine nicht-paradoxale Theorie entwickeln, die die Verknüpfungen von Formen untereinander klärt. An diesem Punkt seines Dialoges kann Piaton eine solche Theorie nicht aufweisen. (Vielleicht dient der II. Teil des Parmenides dazu, einige ontologisch und logisch unabdingbare Voraussetzungen für die Entwicklung einer solchen Theorie zu klären. Von der Sache her scheint mir eine ausgebildete Theorie der Unterscheidung von Gattungen und Arten zu diesem Zweck unabdingbar; eine solche Theorie ist, trotz der Bemerkung 129c2-3, die sicher eine erste Spur darstellt, im Parmenides noch nicht nachzuweisen.) Mit Hilfe der Unterscheidung von Intension und Extension eines Begriffes läßt sich nun auch der Unterschied der Parmenides- und der Phileòo.y-Stelle verdeutlichen. Denn in Phil. 15a (und ff.) geht es eindeutig nicht um die Frage der Selbstidentität solcher Begriffe wie 'Mensch' oder 'das Gute' o.a. in dem Sinne, daß von diesen Begriffen ihr Gegenteil ausgesagt werden könnte. In die vollständige Interpretation von Phil. 15a müßte auch 15b-c3 einbezogen werden; das soll im nächsten Kapitel geschehen. Doch so viel sei hier schon gesagt: an der Philebos-Stelle geht es nicht darum, daß von einer Form das Gegenteil des Begriffes, den sie ausdrückt, ausgesagt werden oder sie mit ihrem Gegenteil identifiziert werden kann, sondern darum, daß jede Form zugleich Eines und Vieles ist. Diese Vielheit der Form meint die Vielheit der Arten, die unter ihr stehen, und der Einzeldinge, die an ihr teilhaben. Anders ausgedrückt: die Identität der Form wird an der Philebos-Stelle nicht dadurch in Frage gestellt, daß die Identität ihrer Bedeutung durch mögliche Identifikation mit dem Gegenteil dieser Bedeutung gefährdet wird, sondern dadurch, daß ihre Einheit durch die Vielheit dessen, was nach dieser Form benannt wird, scheinbar zerrissen wird (wie aus den Fragen 15b hervorgeht). Die Gefährdung der Identität der Form mit sich selbst geht also nicht von dem aus, was man in der modernen Logik die Intension eines

2. Das ernstzunehmende Problem des Einen und Vielen

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Begriffes nennt, sondern von dem, was man, wenn man die platonischen Formen den Prädikaten der modernen Logik gleichsetzt, die Extension eines Begriffes nennen könnte. Dabei ist nun allerdings noch offen, inwiefern für Piaton sowohl Arten und Unterarten einerseits als auch die an der Form teilhabenden Einzeldinge andererseits zu dem gehören, was man vielleicht die Extension eines Form-Begriffes nennen könnte. Eine weitere Präzisierung der platonischen Fragestellung im Philebos scheint mir erst dann gegeben werden zu können, wenn die Fragen Phil. 15b untersucht sind. Doch scheint mir so viel aus der vorangegangenen Diskussion deutlich geworden zu sein, daß sich das Problem in Phil. 15aff., obwohl es dieselbe Art von Entitäten betrifft wie Parm. 129b, doch von dem dort erörterten Problem unterscheidet, so daß man diese Stelle nicht als Parallele für die Philebos-Stelle heranziehen sollte. Von den Kommentatoren des Philebos wird jedoch meist noch eine andere Parmert/ifey-Stelle zur Erläuterung des "Εν-ΠολΧά-Problems genannt, an der es offenbar wirklich um das Problem der Gefährdung der Einheit der Form durch die Vielzahl der an ihr teilhabenden Einzeldinge geht, nämlich Parm. 131a4-e7. Diese Stelle soll allerdings erst nach der Interpretation von Phil. 15b-c3 untersucht werden.

3. Die Fragen Phil. 15b - c3 1. Das Interpretationsproblem der Textpassage Phil. 15b-c3 ist im wesentlichen identisch mit der Frage, wie viele Fragen Phil. 15bl-8 zu lesen sind, und wie diese Fragen zu verstehen sind. Eine G r u p p e von Kommentatoren liest zwei, eine andere G r u p p e drei Fragen. Unbestritten ist, daß die erste Frage mit 'πρώτον' anfängt und mit 'οΰσας' endet. Die zweite Frage, von Piaton mit 'είτα' ( = 'zweitens') eingeleitet, endet entweder (und zwar für die Kommentatoren, die nur zwei Fragen lesen), hinter b8 'γίγνεσθαι' oder bereits b4 mit 'μιαν ταύτην', wie in Burnets Text. Daran schließt sich die dritte Frage an, mit 'μετά 8έ τοϋτ" (von diesen Kommentatoren mit 'drittens' übersetzt) eingeleitet und mit 'γίγνεσθαι' abgeschlossen. 2. Wenden wir uns der Interpretation der ersten Frage zu. Die meisten Kommentatoren verstehen sie wie folgt: "Gibt es solche Einheiten wirklich?" D.h. es wird nach dem Vorhandensein solcher Einheiten, wie Sokrates sie im voraufgegangenen Abschnitt postuliert hatte, gefragt. Als Vertreter einer solche Interpretation seien hier Klibansky, Guthrie,

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Grube, Burnet, Shiner, Ross, Bury und Hackforth genannt. 216 Ich vermute, daß sich das hier gemeinte Verständnis dieser Frage vor allem aus einer bestimmten Interpretation des Wortes 'τοιαύτας' in b l ergibt: die gemeinten Monaden sind solche, deren Vorhandensein, wie 15a5-7 ausführt, umstritten ist,217 weil es sich um theoretische Entitäten und nicht um sichtbare Gegenstände handelt. Also ist es auch sinnvoll, zunächst einmal nach der wirklichen Existenz, d.h. dem Vorhandensein solcher Monaden zu fragen. Entsprechend wird die erste Frage interpretiert. Allerdings scheint es mir nicht ganz sicher zu sein, in welchem Sinne 'der Mensch', 'das Rind', 'das Schöne' und 'das Gute' in 15a als umstritten angesehen werden. Aus dem Text wäre durchaus auch eine Auffassung ableitbar, die das Umstrittensein der genannten Entitäten im Gegensatz zu den sichtbaren Gegenständen auf die Vereinbarkeit von Einheit und Vielheit bezieht. So hat offenbar A.E. Taylor den Text verstanden, denn er führt aus, daß die erste Frage Auskunft darüber verlangt, ob es solche Einheiten, nämlich Klassen als Einheiten, überhaupt gibt. Kann es also solche Vielheiten geben, die zugleich als ein abstrakter Gegenstand betrachtet werden können? 218 Weiter führt Taylor aus, dabei handele es sich um die Frage nach der realen Existenz einheitlicher Formen und Ideen, wie z.B. auch in Parm. 135.219 Ein Blick auf diese Stelle lehrt allerdings, daß Piaton hier (z.B. 135c9-dl) zwar die Einheit der Formen anspricht, sie aber nicht ausdrücklich thematisiert. Mir scheint, daß das Problem der Einheit der Formen im Zusammenhang von Phil. 15bl-8 tatsächlich eine gewichtige Rolle spielt, aber nicht in der ersten, sondern in der zweiten bzw. dritten Frage, in Phil. 15b5f. Also dürfte es unwahrscheinlich sein, daß Piaton dieses Problem auch schon in der ersten Frage aufgreift. Andererseits dürfte Piaton in der ersten Frage auch nicht einfach nach der Existenz der gemeinten Monaden fragen. Dagegen spricht, daß in einem solchen Falle die Frage bereits hinter 'ϋπολαμβάνειν' enden könnte. 220 Denn damit wäre alles gesagt, was mit "Soll man solche Monaden als existent annehmen?" übersetzt werden könnte. Die betonte Stellung der Wendung 'αληθώς οΰσας' 221 sowie die, vom Standpunkt der Mehrheitsposition, unnötige Verdoppelung des

216 Klibansky in Taylor, PPE, 259 (A.9); Guthrie V, 207; G.M.A. Grube, Plato's Thought, London 1958 (Reprint), 44; Burnet, 326; Shiner, 38; Ross, 131; Bury, xxxiv; Hackforth, 20, A . l . 217 Vgl. z.B. Guthrie V, 207: "Should one accept such monads as really existing...?" 218 Taylor, PPE, 31f. 219 Taylor, PPE, 32. 220 Vielleicht hat diese Tatsache Gosling zu seiner Interpretation inspiriert, 145. 221 Gosling, 145.

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'είναι.' in b l in dem 'οΰσας' b2 scheinen mir darauf hinzuweisen, daß Piaton nach mehr fragen will als nach der realen Existenz der Monaden. Der gemeinte Sachverhalt scheint mir von solchen Kommentatoren wie Apelt, Friedländer und Natorp getroffen; 222 Apelt z.B. versteht die erste Frage so: 223 Muß man die Monaden "als wahrhaft seiend" annehmen? Mit dieser Übersetzung wird der herausgehobenen Stellung der Wendung 'αληθώς οΰσας' Rechnung getragen. Piaton fragt also danach, ob den gemeinten Monaden Sein in einem höheren Grade zukommt als den sichtbaren Einzeldingen. Damit könnte gemeint sein, daß die Monaden von der Veränderlichkeit, also dem Werden und Vergehen der Einzeldinge, nicht berührt werden. Immerhin werden die sichtbaren Dinge in 15a 1-2 durch diese Eigenschaften charakterisiert. Es geht also in der Tat um die wirkliche Existenz der Monaden, aber in dem gefüllten und herausgehobenen Sinne einer Existenz jenseits von Werden und Vergehen. Auch der Gedanke der Identität der Formen mit sich selbst im Gegensatz zu den in ihrer Identität ständig bedrohten und diese Identität ständig wechselnden Einzeldingen könnte gemeint sein. Offenbar macht Piaton also mit Hilfe dieser ersten Frage einen Unterschied zwischen dem Seinsstatus der sichtbaren Einzeldinge und dem der Formen oder Monaden. Mir scheint, daß viele Kommentatoren diese Frage als die nach der Existenz der Monaden lesen und nicht so übersetzen, wie z.B. Apelt oder Friedländer, weil sie entweder implizit, oder, wie Shiner, explizit davon ausgehen, daß Piaton seine Ideenlehre zum Ende seines Schaffens hin revidiert habe. 224 Der Philebos als einer der spätesten Dialoge Piatons wird zum Beweis der These herangezogen, daß Piaton z.B. die Annahme separat existierender, wahrhaft seiender Entitäten aufgegeben habe. 225 Dem scheint eine Interpretation der ersten Frage zu widersprechen, die diese als Frage nach 'wahrhaft seienden' Entitäten auslegt. Nun könnte man allerdings, wie Shiner, argumentieren, daß die Rede von den 'wahrhaft seienden' Entitäten von Piaton als Frage formuliert wird, es also keinesfalls sicher ist, ob Piaton gewillt ist, von der Existenz solcher Entitäten auszugehen. 226 Mir scheint allerdings, daß das der Fall ist. Dafür sprechen einerseits Stellen wie Phil. 16c9 und 59c2-5, wo Piaton m.E. eindeutig den Formen einen besonderen Status zuweist, anderer222 o . Apelt, Piaton. Philebos, Hamburg 1955, 42; Friedländer, 566; P. Natorp, Piatons Ideenlehre. Eine Einführung in den Idealismus, Darmstadt 1975 4 (Nachdruck der 2. Aufl. 1922), 314. 223 Apelt, Phil., 42. 224 Dazu unten mehr! Vgl. Shiner, 35. 225 Vgl. Shiner, 67f. 226 So Shiner, 41.

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seits die im folgenden zu erörternde zweite bzw. dritte Frage Phil. 15b, die den Gegensatz zwischen der Unveränderlichkeit und Selbstidentität der Formen einerseits und der Veränderlichkeit und Vielheit der an ihnen teilhabenden Einzeldinge andererseits ausdrücklich thematisiert. Im übrigen scheint mir, daß man methodisch nicht so vorgehen sollte, daß eine allgemeine Theorie über die Entwicklung des platonischen Denkens über die Interpretation einzelner Textstellen entscheidet. Im Gegenteil sollte die allgemeine Theorie aufgrund der Analyse einzelner Texte gebildete und ständig am Textmaterial überprüft werden. Außerdem darf man m.E. nicht zu einfache Voraussetzungen hinsichtlich der Entwicklung des platonischen Denkens machen: so ist es z.B. durchaus vorstellbar, daß Piaton in verschiedenen Spätdialogen durchaus unterschiedliche Meinungen zum Status der Formen vertritt, ohne daß man daraus weitreichende Folgerungen für die zeitliche Ansetzung der Dialoge ziehen könnte. 3. Im folgenden geht es um das Problem, ob Phil. 15b2-8 eine oder zwei Fragen zu lesen sind. Wie Friedländer sagt, ist der von der Sprache gebotene Eindruck der, daß es sich um zwei weitere, also insgesamt drei Fragen handelt, die mit 'πρώτον', 'είτα' und 'μετά δε τοΰτ" im Sinne von 'erstens', 'zweitens', 'drittens' voneinander unterschieden werden. 227 Doch ergibt sich folgendes Problem für die von Friedländer vorausgesetzte zweite Frage von 'είτα' bis 'μίαν ταύτην': 228 die Aussage, daß jede der gemeinten Henaden eine sei und weder Werden noch Vergehen unterliegt, wird mit der Aussage, sie sei ganz fest diese eine, durch ein 'δμως' ( = 'dennoch', 'gleichwohl') verbunden, also kontrastiert. Es ist aber schwer vorstellbar, worin der Gegensatz zwischen der Aussage einerseits der Einheit der Henaden, die weder werden noch vergehen, und andererseits ihrer feststehenden Einheit bestehen soll. Die so ermittelte zweite Frage entzieht sich also anscheinend einer sinnvollen Interpretation. Das hat viele Kommentatoren veranlaßt, hinter 'μίαν ταύτην' ein Komma oder Semikolon, nicht jedoch ein Fragezeichen (Satzschluß) zu lesen und auf diese Weise die zweite mit der dritten Frage zu einer einzigen zu verbinden. Diese Interpretationsmöglichkeit werde ich unten genauer untersuchen. Doch auch für den Fall, daß die zweite und die dritte Frage miteinander zu einer Frage verbunden werden, bleibt das Problem des 'όμως' zunächst bestehen, dann eben für den ersten Teil der so kombinierten Frage. Viele Kommentatoren haben daher zum Mittel der textkritischen Operation durch Konjektur von möglicherweise ausgefallenen Zeilen 227 Vgl. Friedländer, 566, A.2. 228 Friedländer, 566-567, A.2.

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oder Wörtern oder durch Umstellung gegriffen, um eine sinnvolle Interpretation von 15b2-4 zu erheben. Einige dieser Versuche möchte ich im folgenden vorstellen. 4. Badham z.B. schlägt vor, vor 'είναι' b4 ein 'μή' ("nicht") einzufügen, 229 doch scheint mir die Vermutung nicht ohne weiteres berechtigt, ein philosophisch so gewichtiges Wort könne ausgefallen sein.230 Die meisten Kommentatoren versuchen, das 'δμως' zu entschärfen, indem sie es entweder ersetzen oder versetzen. Apelt und R.G. Bury z.B. schreiben statt seiner 'δντως'; 231 Bury neigt aber dazu, 'δμως' ganz zu streichen.232 Wie Stallbaum meint er, daß die zweite Frage sich mit der Ewigkeit der Monaden beschäftigt, und mit einer solchen Interpretation ist die Lesart 'δντως' vereinbar. 233 Dieser Auffassung scheint mir jedoch die betonte Stellung von 'βεβαιότατα μίαν ταύτην' entgegenzustehen, die es nicht erlaubt, das Schwergewicht der Aussage einfach in die Wendung 'αεί την αύτήν και μήτε γένεσιν μήτε δλεθρον προσδεχομένην' zu verlagern, auch wenn diese Wendung natürlich einen wesentlichen Beitrag zum Sinn des Satzes leistet. Doch in der Version von Stallbaum und Bury könnte der Satz genauso gut hinter 'είναι' b4 enden. 234 Im übrigen ist die Konjektur von 'δντως', obwohl nicht unmöglich, doch durch die Kodices nicht gestützt. A. Diès, der zwei Fragen liest, versucht das Problem des 'δμως' zu entschärfen, indem er stattdessen 'δλως' liest.235 Diese Konjektur scheint mir durchaus möglich, wenn auch, wie ich zu zeigen hoffen, nicht nötig. Doch ist die Interpretation, die Diès der so ermittelten zweiten Frage gibt, für mich nicht akzeptabel, denn er meint, Piaton wolle den Kontrast zwischen der Ganzheit der Monaden einerseits und ihrer Verteilung auf die vielen Einzeldinge andererseits herausarbeiten. 236 Ein Blick auf den zweiten Teil des Pannenides zeigt jedoch, daß es für Piaton gerade kein Problem war, wie ein Ganzes (δλον) Teile haben könne, sich also sozusagen auf viele Dinge verteilen und dennoch ein Ganzes bleiben könne. Außerdem bietet Piaton in b6ff. ab 'εΐθ' δλην....' noch eine weitere Möglichkeit an, die Aussage einer Form von vielen Einzeldingen zu verstehen, und es ist trotz der von Piaton herausgestellten Absurdität der Möglichkeit keinesfalls ausgemacht, daß Piaton diese von vorneherein

229 Badham, 10; Gosling, 146. 230 So zu Recht Gosling, 146: "But 'not' is a philosophically large word to insert." 231 232 233 234 235 23«

Apclt, Phil., 134, A . l l ; Bury, 14. Vgl. Bury, 13-14. Bury, 14. Vgl. Bury, 14. A . Diès, Platon. Oeuvres Complètes: T o m e IX, 2« Partie, Philèbe, 7. Diès, 7 , A . l .

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ausschließt.237 Der Sinn dieser Frage scheint mir der zu sein, daß die Einheit der weder Werden noch Vergehen zulassenden Henaden nicht nur mit ihrer möglichen Aufteilung auf die Vielen, sondern auch mit ihrer möglichen Trennung von sich selbst kontrastiert werden kann, der Satzteil von 'μίαν' bis 'ταύτην' (b2-4) also auf beide Möglichkeiten b4-8 und nicht nur, wie es bei Diès den Anschein hat, auf eine von beiden, bezogen ist.Ich möchte nunmehr einige Versuche behandeln, das Problem des 'δμως' durch Umstellungen zu lösen. Natorp z.B. versetzt den Satzteil 'δμως' bis 'ταύτην' b4 hinter 'χωρίς'.238 Der sich so ergebende Sinn scheint mir jedoch genau dem zu entsprechen, der sich aus dem Satz herauslesen läßt, wenn man keine Umstellungen vornimmt, die zweite und dritte Frage miteinander verbindet und 'δμως' im Sinne von Ross (s. unten!) interpretiert. D.h. aber, daß die durch die Manuskripte nicht gerechtfertigte Umstellung nicht nötig ist. Eine gleichfalls durch die Kodices nicht gestützte Umstellung nimmt Klibansky in seiner Ausgabe von Taylors PMeftos-Kommentar vor, indem er 'δμως' vor 'άεί' versetzt. 239 Er erklärt, das von Piaton angesprochene Problem bestehe darin, daß den Formen eine Eigenschaft, nämlich die ewige Existenz, zukomme, die eigentlich nur dem parmenideischen Einen Sein zukommen dürfe. 240 Piaton frage also, wie die Formen, die viele sind und von denen keine jeweils das Ganze ist, dennoch eine Eigenschaft, die der ewigen Existenz, annehmen, die eigentlich nur dem All-Einen des Parmenides zugesprochen werden könne. Mir scheint, daß diese Auffassung ein hervorragendes Argument gegen die Standard-Interpretation der zweiten (von drei) Fragen liefert, wie ich unten zeigen werde, aber sie scheint mir nicht selber eine tragfähige Auffassung von dem Sinn dieser Frage zu sein. Es scheint mir einfach eine Überforderung des Lesers zu sein, von ihm zu erwarten, daß er gleichsam die entscheidenden Punkte der parmenideisch-eleatischen uno megarischen Lehre vor Augen stehen hat, wie Klibansky annimmt. Außerdem ist die von Werden und Vergehen unberührte Existenz der Formen ein Theorem Piatons, das für ihn schon in der Ideenlehre der mittleren Dialoge feststeht, und es ist nicht zu erkennen, daß Piaton diese Annahme irgendwo im Philebos in Zweifel zieht, im Gegenteil. Eine Konjektur nimmt auch Wilamowitz-Moellendorff vor.241 Er vermutet, daß 'δμως' den Gegensatz zu etwas markiert, das ausgefallen sein 237 23β 239 240 241

Vgl. Crombic, E P D II, 362. Natorp, 314, A . l . Taylor, PPE, 258, A.9. Taylor, PPE, 258-259, A.9. U . von Wilamowitz-Moellendorff, Piaton, Bd. II, Berlin 1919, 353.

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muß. Folglich liest er drei Fragen, wobei er die zweite durch die Wendung 'έν δέ τοις πολλοίς φαι,νομένην' hinter 'προσδεχομένην' ergänzen will. Die so ermittelte zweite Frage von Wilamowitz ist de facto identisch mit der durch Verbindung der zweiten und dritten Frage ohne textkritische Operationen zustande gekommenen Frage (allerdings nicht einfach mit der dritten von drei Fragen, wie Gadamer annimmt, 242 denn die zweite Frage würde einfach das Problem der Verbindung der einen Form mit der Welt der Dinge aufzeigen, die dritte die beiden Möglichkeiten, eine solche Verbindung zu erklären). In diesem Fall liegt es nahe, die durch geringeren Aufwand an textkritischen Operationen zustande gekommene Lesart zu bevorzugen. Schließlich sei der Versuch von Zeller, J.B. Bury, R.G. Bury243 und Hackforth 244 erwähnt, sich des Problems des 'δμως' dadurch zu entledigen, daß man den Satzteil von 'όμως' bis 'ταυτην' eng an den folgenden, mit 'μετά δέ τοΰτ" beginnenden Satzteil anbindet und den durch 'ο'μως' gemeinten Gegensatz als Gegensatz zur Vervielfältigung der Form in ihren zwei Möglichkeiten, wie sie in dem 'μετά δέ τοΰτ'-Satz aufgezeigt wird, zu verstehen. Zu diesem Zweck wird angenommen, daß statt 'μίαν' 'μεν' zu schreiben ist, das durch das 'δέ' in 'μετά δέ τοΰτ" ergänzt wird. Zugleich wird konjiziert, daß hinter 'βεβαιότατα' durch Haplographie ein 'α' im Sinne von 'πρώτον' (=zuerst) ausgefallen ist, das in 'μετά δέ τοΰτ" seine natürliche Ergänzung finden würde. Diese Konjektur wird von Klibansky jedoch als ziemlich unwahrscheinlich beurteilt. 245 Mir scheint, daß die enge Verbindung der beiden gemeinten Satzteile gezeigt werden kann, ohne auf die von Zeller und Bury u.a. gemachten textkritischen Annahmen zurückgreifen zu müssen, wie ich unten ausführen werde. 5. Im folgenden möchte ich solche Interpretationsansätze vorstellen, die drei Fragen in Phil. 15b lesen, ohne jedoch zum Mittel der textkritischen Operation zu greifen. Folgende Autoren sind hier zu nennen: Anscombe, Archer-Hind, Bury, Burnet, Friedländer, Grube, Guthrie, Hardie, Schneider, Stallbaum, und Taylor.246 a) Die meisten der genannten Autoren (außer Schneider, ArcherHind und Friedländer) vertreten eine Auffassung von dem Sinn der zweiten Frage, die ich als deren 'Standard-Interpretation' bezeichnen möchte. 242 Gadamer, 94, Α . 243

Alles Bury, 215-216 ohne genauen Literaturhinweis. 244 Hackforth, 20, A l. 245 Siehe Taylor, PPE, 257, A.9. 246 G.E.M. Anscombe, The N e w Theory of Forms, The Monist 50, 1966, 406; R.D. Archer-Hind, N o t e on Plato Philebus 15 a, b, The Journal of Philology XXVII.54, 1900, 231; Burnet, 326; Bury, 13-14 (dort auch zu Stallbaum); Friedländer, 566f.; Grube, 44; Guthrie V, 207; W.F.R. Hardie, A Study in Plato, Oxford 1936, 82.120-122; G. Schneider, Die Platonische Metaphysik..., Leipzig 1884, 51 f.; Taylor, PPE, 31f..

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Entsprechend dieser Interpretation fragt Piaton in der zweiten Frage danach, wie die gemeinten Henaden, obwohl sie keinem Prozeß des gleichzeitigen Werdens und Vergehens, nämlich des Vergehens der absoluten Einheit und des Werdens einer Vielheit, unterliegen, dennoch zugleich Einheit sein können. Wie kann von den Henaden, die doch nichts anderes sind als Einheit und allein durch diesen ihren Einheitscharakter bestimmt sind, auch noch das Sein ausgesagt werden? Taylor und Guthrie z.B. verweisen auf die zweite Deduktionsreihe aus dem zweiten Teil des Dialoges Parmenides (142b-c), 247 wo Piaton aus der Tatsache, daß das Eine ist, folgert, daß das Eine ein Ganzes vieler Teile ist und nicht absolute Einheit im Sinne der ersten Deduktionsreihe. 248 Ähnliche Schwierigkeiten mit der Annahme einer Monade, von der zugleich ausgesagt wird, daß sie ist, d.h. existiert, werden in Soph. 244b-245e erörtert, und folglich wird auch diese Stelle als Parallele herangezogen, um die Bedeutung der zweiten Frage Phil. 15b zu erläutern (Hardie). 249 Besonders klar wird das Problem der Vereinbarkeit von Einheit und Sein im Hinblick auf die vorausgesetzte zweite Frage Phil. 15b2-4 von Taylor formuliert: 250 die zweite Deduktionsreihe Parm. 142b-155e beweise, daß von einem "Ev ov, d.h. von einem existierenden Einen, zwei Aussagen gemacht werden, nämlich daß es Eines ist, und daß es ist, also existiert. Aus jeder dieser beiden Aussagen ergeben sich jedoch Folgerungen, die im Widerspruch zueinander stehen. Inwiefern sind beide Aussagen, die auch im Hinblick auf die Monaden von Phil. 15a-b getroffen werden, miteinander vereinbar? Das scheint der Sinn der zweiten Frage Phil. 15b2-4 zu sein. Zur Analyse dieser Position möchte ich mich nicht darauf einlassen, ein Urteil über den Sinn der Deduktionen des zweiten Teils des Parmenides zu fällen. Die Interpretation dieses Textes gehört zu den umstrittensten Fragen der Piatoninterpretation überhaupt. Bei Durchsicht der Literatur fällt auf, zu wie verschiedenartigen Vermutungen über "den wirklichen Sinn" der Hypothesen (Deduktionen) dieser Text Anlaß gegeben hat. 251 Es scheint mir daher auf jeden Fall mißlich, eine schwierige Stelle 247 Guthrie V, 208, auch A l; Taylor, PPE, 32. 24« Vgl. Cornford, PP, 135f. 249 Hardie, 82; 120-122, vgl. Shiner, 39f. 250 Taylor, PPE, 31-32. 251 Man beachte nur die Auffassungen z.B. von Cornford, PP, 109ff.; R.-P. Hägler, Piatons 'Parmenides'. Probleme der Interpretation (Quellen und Studien zur Philosophie 18), Berlin/New York 1983, 138ff.; K.F. Johansen, T h e O n e and the Many. Some Remarks concerning Plato's Pannenkies and the Method of Collection and Division, Classica et Mediaevalia XVIII, 1957, Iff.; W.G. Runciman, Plato's Parmenides, in: R.E. Allen, Studies, 149-184; G. Ryle, Plato's Parmenides, in: R.E. Allen, Studies in Plato's Metaphysics, London 1965, 97ff.; K.M. Sayrc, Plato's Pannenides: Why the Eight Hypotheses are not Contradictory,

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(i.e. die zweite Philebos-Frage) mit Hilfe eines noch umstritteneren Textes zu beantworten, nämlich der Deduktionen des Parmenides. Nur dies sei hier als Vermutung geäußert, daß Piaton im zweiten Teil dieses Dialoges darstellt (oder 'erprobt'), welche verschiedenen Folgerungen aus der Hypothese 'εϊ εν εστίν' und ihrem Gegenteil abgeleitet werden können, und er fordert durch widersprüchliche Folgerungen aus der vorausgesetzten Einheit (z.B. am Ende 166c) seine Leser indirekt auf, sich die Voraussetzungen, aufgrund derer derart unterschiedliche Konsequenzen abgeleitet werden können (wie etwa in der ersten im Vergleich mit der zweiten Deduktion), zu verdeutlichen. Möglicherweise ist Piaton sich selber nicht ganz klar gewesen über die Gründe der Möglichkeit, derart widersprüchliche Schlußfolgerungen abzuleiten, und durch die Deduktionen wollte er sich größere Klarheit verschaffen. Insonderheit kann die Betrachtung der Deduktionsreihen zum Anlaß dienen, die verschiedenen logischen, ontologischen und sprachlichen Voraussetzungen der Deduktionen zu erheben und zu ermitteln, in welcher Weise diese in der jeweiligen Deduktion zusammenfließen. Von hier aus ergibt sich nun aber ein wichtiger Einwand gegen die Heranziehung von Parm. 142-155 zur Erläuterung des in der zweiten Frage Phil. 15b2-4 Gemeinten: immerhin könnte Piaton die Deduktionsreihen, paarweise angeordnet, 252 als reductiones ad absurdum verstanden haben. So würde beispielsweise die erste und die zweite Hypothese die Schlußfolgerungen darstellen, die man aus einem unterschiedlichen Verständnis dessen, was mit 'Einheit' und der Aussage der Existenz der Einheit gemeint ist, ziehen kann. Piaton würde dann sich selbst und seine Leser gleichsam auffordern, den Begriff der Einheit und des Seins so klar zu fassen, daß derart unterschiedliche Konsequenzen wie die der ersten und zweiten Deduktionsreihe (z.B.) nicht mehr ableitbar sein können. Versteht man Piatons Anliegen im Parmenides in dieser Weise, dann ist es nicht möglich, sich auf die zweite Deduktionsreihe zu berufen, um den in Phil. 15b gemeinten Sachverhalt zu erläutern, weil diese Deduktionsreihe Teil des auf eine Absurdität hinauslaufenden Beweisverfahrens wäre. Ich möchte noch wichtigere Argumente nennen, die m.E. dagegen sprechen, in Phil. 15b2-4 einen Bezug auf das Problem des zweiten Teils des Parmenides zu sehen. Das wichtigste Argument gegen eine solche Annahme scheint mir zu sein, daß für den Fall, daß Piaton tatsächlich auf die zweite Hypothese des Parmenides anspielt, vorausgesetzt werden müßte, daß der Leser diese Hypothese und die ihr entgegenstehende HyPhron. 23, 1978, 1331T.; R. Scoon, Plato's Pannenides, Mind LI, 1942, 115fr.; Taylor, Plato, 366, sowie die einschlägigen Kommentare z.St. und die Platon-Handbücher. 252 Zur Anordnung der Deduktionsreihen vgl. Ryle, Parm., 114.

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pothese I vor Augen hat, wenn er die Fragen Phil. 15b liest, denn aus den widersprüchlichen Konsequenzen der Annahme: "wenn das Eine ist", die in den beiden Deduktionsreihen abgeleitet werden, wird deutlich, daß die Annahme der Existenz des Einen nicht unproblematisch ist. Wenn also die zweite Frage 15b2-4 das Problem der Vereinbarkeit von Einheit und Sein anspricht, müßte sie den Beweisgang der ersten beiden Hypothesen voraussetzen, sonst ist diese Frage nicht verständlich. Das ist eine wahrhaft gewaltige Voraussetzung! Hinzu kommt, daß das Problem der Vereinbarkeit von Einheit und Sein im Philebos weder vor noch nach Phil. 15b je wieder angesprochen wird; es ist also nirgends Thema einer ausführlichen Untersuchung, wie man angesichts der Tatsache, daß die entsprechende Frage einen der Gesichtspunkte der folgenden Erörterung anspricht, doch erwarten dürfte. Es ist daher unwahrscheinlich, daß das Problem der Vereinbarkeit der Einheit der Monade mit ihrem Sein in der zweiten Frage angesprochen wird. Es gibt aber noch weitere Argumente gegen eine solche Annahme. Besonders wichtig scheint mir eins zu sein, das sich auch bei Klibansky findet, und zwar im Zusammenhang seiner eigenen, oben dargestellten Interpretation der zweiten Frage. 253 Klibansky weist zu Recht darauf hin, daß die von Piaton angesprochenen Monaden längst in dem Sinne Vieles sind, daß von ihnen mehr ausgesagt wird als nur dies, daß sie Eines sind. Die hier gemeinten Monaden sind nicht die reinen Einheiten, bei denen möglicherweise die Aussage der Existenz zu einem Problem werden könnte, sondern es handelt sich um solche Einheiten wie 'Mensch' oder 'Rind', d.h. Formen mit einem ganz bestimmten 'Inhalt', während es im Parmenides allein um die Beziehung zwischen den Eigenschaften der Einheit und des Seins geht. Das existierende Eine aus dem Parmenides und die Henaden aus dem Philebos sind also gar nicht unbedingt vergleichbar, und deshalb ist auch nicht sicher, ob ein Argument, welches hier von Bedeutung ist, dort überhaupt von Belang sein kann. Anders ausgedrückt: von der Form des Menschen gilt wenigstens diese weitere Aussage, daß sie sich in relevanter Hinsicht von der Form des Rindes unterscheidet, ohne daß Piaton diese Tatsache als Problem für die Einheit beider Formen empfunden hätte (jedenfalls nicht in Phil. 15). Also ist fraglich, ob Piaton die Aussage der Existenz als Gefährdung des einheitlichen Charakters der Henade 'Mensch' empfunden hätte (das gilt ebenso für die anderen von Piaton genannten Beispiele von Henaden). Gerade das aber ist offenkundig nicht der Fall, wie die erste Frage beweist. Die von Taylor, Guthrie, Burnet u.a. vertretene Auffassung von der Bedeutung der zweiten Frage (von dreien) hat zur Folge, daß diese letzt253 Vgl. Taylor, PPE, 258, A.9.

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lieh identisch mit der ersten Frage wird, weil genau dasselbe Problem aufgeworfen wird wie in der zweiten Frage, nämlich ob es denkbar ist, daß es Monaden gibt, denen wahres Sein zukommt. (In dieser Weise möchte ich die erste Frage allerdings nicht lesen, sondern etwas zurückhaltender interpretieren: m.E. fragt Piaton einfach danach, ob es Monaden gibt, die eine höhere Existenzform haben als die Einzeldinge; er wirft m.E. nicht das Problem der Vereinbarkeit zweier Eigenschaften auf.) Jemand, der aus der zweiten Frage das Problem der Vereinbarkeit von Einheit und Sein herauslesen will, kann sich eigentlich nicht der Erkenntnis verschließen, daß eine entsprechende Interpretation auch für die erste Frage möglich ist, ja sogar wesentlich weniger gezwungen erscheint als für die zweite. Insgesamt scheint mir die von Taylor vorgeschlagene Interpretation der zweiten Frage mit Blick auf Parm. 142ff. darunter zu leiden, daß sie das im Philebos behandelte Problem nicht korrekt erfaßt. Die in Phil. 15 erörterte Problematik besteht nicht darin, daß das Eine, also die verschiedenen Monaden, Vieles sind, weil sie existieren und damit ein Ganzes mindestens zweier Teile sind, sondern weil viele Einzeldinge an ihnen partizipieren. Daraus ergeben sich bestimmte Paradoxa, die bereits im Parmenides erörtert sind. U m die Auffassung, in Phil. 15b2-4 gehe es um das Problem, wie von einer Einheit zugleich das Sein ausgesagt werden könne, zu stützen, wird bisweilen noch auf den Sophistes verwiesen, z.B. auf Soph. 244b-245e. Doch ist diese Parallelstelle m.E. ungeeignet, um eine solche Interpretation zu rechtfertigen. Wie Shiner zu Recht meint, finden sich in diesem Textstück nämlich zwei Argumentationsgänge. 2 5 4 Im ersten Gedankengang, etwa von Soph. 244b6-dl3, werden Argumente gegen solche Leute genannt, die das All ein Eines nennen. Offenkundig ist damit der Philosoph Parmenides gemeint. 255 Es geht also nicht um eine Theorie, die m e h r e r e Monaden kennt. Die Argumente, die Piaton im folgenden entwickelt, machen sämtlich von der Tatsache Gebrauch, daß Parmenides annimmt, sein Eines sei das einzige, was es gibt. Diese Behauptung wird dadurch als widersprüchlich erwiesen, daß Piaton zeigt, wie allein schon die Annahme, dieses Eine sei, existiere also, ja sogar die Bezeichnung des Einen selbst mit einem Namen, zur A n n a h m e von mehr als einem Ding zwingt, die ursprüngliche These des Parmenides also eigentlich zur Ann a h m e zwingt, sein "Ev sei weder benennbar noch existiere es überhaupt. Diese Argumente aber kann Piaton nicht gefürchtet haben, wenn es ihm in Phil. 15b um die Existenz der Monaden, d.h. Formen, ging, denn er 254 Shiner, 39. 255 Taylor, Sophist, 39.

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setzt von vorneherein eine Vielzahl solcher Monaden an, ist also keinesfalls der Auffassung, eine dieser Monaden sei alles, was existiert. Also kann ihm auch die Vielheit, die durch die Tatsache ihrer Benennung als bestimmter Monaden vorausgesetzt werden muß, und die Vielheit, die dadurch entsteht, daß sie sind, nicht in dem Sinne von Soph. 244b6-d 13 Sorgen bereitet haben, so daß es mißlich ist, diesen Textabschnitt als Parallele zur Interpretation von Phil. 15b2-4 heranzuziehen. Der zweite Textabschnitt, in dem das Problem der Vereinbarkeit von Einheit und Sein behandelt wird, ist Soph. 244dl4-245e5.256 Doch scheint mir auch dieser Abschnitt keine interessante Parallele zu Phil. 15b2-4 zu sein, obschon eine oberflächliche Ähnlichkeit mit Phil. 15b6 dahingehend besteht, daß Piaton die Formen offenbar als Einheiten im Sinne eines δλον betrachtet, und in dem angegebenen Textstück aus Sophistes die Frage erörtert wird, ob das Sein Eines im Sinne eines δλον ist oder nicht.257 Ich bin allerdings nicht der Meinung von Shiner, daß Phil. 15b6 die Formen nur zufällig als Ganzheiten bezeichnet werden, 258 denn an dieser Stelle liegt zweifellos ein Bezug auf die mögliche, von Piaton aber offenkundig als absurd betrachtete Auffassung vor, die Formen könnten auf die Einzeldinge gleichsam aufgeteilt werden wie eine Torte an eine Kaffeegesellschaft. 259 Die Unvereinbarkeit der Sop/iwfés-Stelle mit der Phileôoj-Stelle scheint mir also nicht darin zu liegen, daß dort dem Konzept eines δλον ein größeres Gewicht beigemessen wird als hier (pace Shiner). Das von Piaton erörterte Problem in Soph. 244dl4ff. liegt m.E. darin, daß sich absurde Konsequenzen ergeben müssen, wenn man, wie Parmenides, den Piaton sogar wörtlich zitiert, ein Ding als das Sein anspricht bzw. das Sein wie ein Ding behandelt. Denn der Begriff des Seins legt die Vorstellung nahe, daß es alles umfaßt, daß es nichts gibt, das nicht unter den Begriff des Seins fällt. Die Vorstellung eines Dinges hingegen legt ein bestimmtes Individuum nahe. Aus diesen beiden Annahmen lassen sich nun, wie Soph. 244dl4-15, el-8, 245 al-3, a5-10, b7-9 und cl-3, 5f„ 8-9 zeigen, absurde Konsequenzen ziehen, so daß man schließen kann, daß diese beiden Annahmen zusammengenommen widersprüchlich sind. Piaton argumentiert also gegen eine bestimmte Vorstellung von dem, was eigentlich wirklich ist, die er bei Parmenides gefunden zu haben glaubte (244e3-5). Er verstand dessen '"0v' im Sinne einer allumfassenden Wirklichkeit, eines Dinges, das alles, was existiert, umfängt und damit den Anspruch erheben kann, daß es außer ihm nichts gibt (245b4-5). 256 257 258 259

Shiner, 39. Cornford, PTK, 223ΓΓ Vgl. Shiner, 40. Vgl. Striker, 15.

3. D i e Fragen Phil. 15b - c3

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Der Begriff des '"Ov' ist daher im Sinne von 'Realität im eigentlichen Sinne', 'das Wirkliche überhaupt' zu verstehen. An der Sophistes-Stelle untersucht Piaton, ob von dem Seienden in diesem Sinne Einheit ausgesagt werden kann, und wenn ja, in welchem Sinne. Es stellt sich schließlich heraus, daß dies, sowohl im Sinne der Einheit eines ολον als auch im Sinne absoluter Einheit, die keine Teile zuläßt, aufgrund der oben angesprochenen Annahme hinsichtlich des Charakters des "Ov nicht möglich ist (245d7-10). In diesem Sinne ist also Einheit und Sein tatsächlich nicht miteinander vereinbar. An der entsprechenden Philebos-Stelle, Phil. 15b2-4, wird 'Sein' (= είναι) nicht im Sinne von 'umfassender Wirklichkeit' aufgefaßt. Piaton vertrat eben nicht die Meinung der metaphysischen Monisten, daß die ganze Wirklichkeit als eine Monade aufgefaßt werden könne, sondern er ging von einer Vielheit solcher Monaden aus, war also 'metaphysischer Pluralist'. Das Sein, das von den Monaden Phil. 15b2-4 ausgesagt wird, wenn man denn die Frage auf die Vereinbarkeit von Sein und Einheit hin interpretieren will, meint nichts anderes als die Existenz der Monaden, und zwar ihre je partikuläre Existenz. Es ist deshalb nicht möglich, den Abschnitt Soph. 244dl4-245e5 als Parallele zur Erörterung des der Standard-Interpretation für Phil. 15b2-4 ermittelten Gedankens heranzuziehen, da an beiden Stellen von ganz verschiedenen Problemen die Rede ist. b) Folgende Autoren schlagen, ohne zum Mittel der textkritischen Operation zu greifen, von der Standard-Version abweichende Deutungen der zweiten von drei Fragen Phil. 15b2-4 vor: D.J. Casper; Archer-Hind, G.E. Moore, Friedländer und Schneider. Diese Auffassungen möchte ich nunmehr vorstellen. Beginnen möchte ich mit der Auffassung von D.J. Casper, die mir von allen Interpretationen dreier Fragen in Phil. 15b die überzeugendste zu sein scheint.260 Nach Caspers Meinung ist Piatons Problem in Phil. 15b2-4 dasselbe, welches er auf der Ebene der sichtbaren Gegenstände für gelöst hält: wie kann etwas verschiedene oder sogar miteinander unvereinbare Eigenschaften haben? Für sichtbare Einzeldinge ist dieses Problem nach Piatons Auffassung kein Hindernis mehr, da sich der Fall, daß ein sichtbarer Gegenstand verschiedene Eigenschaften hat, dadurch erklären läßt, daß er an verschiedenen Formen partizipiert. 261 Daher sei dieser Fall lächerlich einfach und nicht ernstzunehmen (Phil. 14cll-d3). Auf der Ebene der Formen stellt sich dasselbe Problem jedoch erneut, und zwar deshalb, weil die Form qua Form mehrere, verschiedene Eigenschaften 260 D J . Casper, Is There a Third One And Many Problem in Plato?, Apeiron 11, Nr. 2, 1977, 20-26. 261 Casper, 24.

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Erster Hauptteil: Interpretation von Phil. 14c5 - 16cl

hat, und diese Tatsache stehe im Widerspruch zu ihrer Einheit. 262 Das aber ist nach Caspers Meinung genau das Problem, das Piaton in der zweiten Frage aufwirft: wie kann eine Form 'eins' sein, wenn sie als Form schon die Eigenschaften der Einheit, Selbigkeit und Unveränderlichkeit hat? Gleicht sie nicht den sichtbaren Einzeldingen, deren Kennzeichen es ist, daß in ihnen die Eigenschaften miteinander vermischt vorliegen, so daß wir ein solches Einzelding - im Gegensatz zu einer Form - nie als ein "F-selbst" ansprechen würden? 2 6 3 Theoretisch müßte Piaton also eine Ebene von Entitäten über den Formen einführen, an denen die Formen wiederum partizipieren, und dasselbe würde auch für diese Einheiten gelten, usw. ad infinitum. Platon stand also vor einem Problem, das im Rahmen seiner Theorie nicht lösbar war. Casper vermutet, daß es Hinweise darauf, wie Piaton sich die Lösung des Problems gedacht haben könnte, im Sophistes gibt. 264 Wie diese Lösung aussehen könnte, gibt er allerdings nicht an. Caspers Auffassung hat gegenüber den anderen Interpretationen den großen Vorteil, daß sie den Philebos-Text so nimmt, wie er ist und keine Hypothese darüber aufstellt, was Piaton 'eigentlich' gemeint haben könnte. Das macht seinen Interpretationsversuch attraktiv. Ich kann mich dennoch nicht dazu entschließen, seiner Auffassung zuzustimmen, und zwar aus folgenden Gründen: 1. Ich halte es für eine durch den Text gut begründete Annahme, daß in Phil. 15b das Thema der folgenden Erörterungen (der 'Lehre der Alten' und der Beispiele) umschrieben wird. Ohne der Interpretation der entsprechenden Abschnitte (ab Phil. 16c5ff.) vorzugreifen, scheint es mir doch bei unbefangener Lektüre des Textes klar zu sein, daß Piaton in den genannten Abschnitten nicht das Problem behandelt, inwiefern Formen aufgrund der Eigenschaften, die ihnen als Formen zukommen, zugleich sie selbst und Vieles sind, und in welchem Sinne Formen widerspruchsfrei verschiedene Eigenschaften annehmen können, ohne ihre Einheit zu verlieren, sondern sein Problem ist eher das der Vielheit der Formen aufgrund ihrer Aufgliederung in Arten und Unterarten. Das aber bedeutet, daß die in 15b von Casper ermittelte zweite Frage weder in den folgenden Textpassagen noch irgendwo sonst im Philebos behandelt würde, sondern isoliert wäre, was mir dem Duktus des platonischen Gedankenganges im Übergang von 15b zu 16c zu widersprechen scheint. 2. Für die von Casper ermittelte zweite Frage ergibt sich der merkwürdige Sachverhalt, daß die Eigenschaften, die von Piaton (nach Caspers 262 Casper, ebenda. 263 Casper, 25. 264 Casper, 25.

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Meinung) der Form als solcher zugeschrieben werden, der vorausgesetzten Einheit der Form nicht widersprechen, sondern von ihr bedingt werden. Im Gegensatz zu den von Casper angeführten Parallelstellen aus Parmenides und Sophistes sind die den Formen qua Formen zuerkannten Eigenschaften nicht solche, die einander ausschließen und miteinander unvereinbar sind. Auch gilt nicht, was für die Beispiele aus der Welt der sichtbaren Gegenstände gilt, daß nämlich die verschiedenen Eigenschaften im Widerspruch zur Eigenschaft der Einheit stehen, im Gegenteil: eine dieser Eigenschaften ist die Eigenschaft der Einheit selbst. Wenn Piaton einen Widerspruch zwischen den Eigenschaften der Formen qua Formen und der Einheit der Formen herausarbeiten wollte, hätte er vermutlich nicht gerade solche Eigenschaften der Formen qua Formen gewählt, die mit der Eigenschaft ihrer Einheit nicht nur nicht in Widerspruch stehen, sondern von ihr entweder bedingt sind oder sie sogar selbst sind. Eher hätte er solche Eigenschaften wie die Unähnlichkeit der Formen untereinander oder deren selbstprädikative Eigenschaften gewählt, um einen wirklich deutlichen Kontrast dieser Eigenschaften zur Einheit der Formen aufzuzeigen. Daß Piaton nicht so vorgeht, ist m.E. ein Argument dafür, daß er den von Casper vorausgesetzten Gedanken nicht erwogen hat. Archer-Hind vertritt die Auffassung, in der zweiten Frage werde das Problem aufgeworfen, wie die Formen zur Einheit eines Systems zusammenfinden können. 265 Ähnlich wird diese Frage von G.E. Moore interpretiert. 266 Er meint, diese Frage beschäftige sich mit dem Problem der Verbindung der Formen (Ideen) untereinander, im Gegensatz etwa zu der dritten, die das Problem der Verbindung der Ideen zu den Einzeldingen behandelt. Er verweist darauf, daß 'ταύτην' sich im Numerus an 'μίαν' anlehnt; 'μίαν' wiederum bezieht sich zurück auf 'ταύτας', womit ein Kontrast zwischen der Vielheit der Monaden einerseits und andererseits der Tatsache, daß diese Monaden zusammen als 'eine' angesprochen werden können, intendiert sei. Offenbar meint Moore, daß die Tatsache der systematischen Einheit der Monaden insofern in einem Kontrast zu ihrer Unveränderlichkeit und Einheit stehe, als die Monaden, um miteinander in eine Beziehung der systematischen Einheit zu treten, anscheinend an sich selbst so etwas wie Werden und Vergehen zulassen müßten. Ich bin mir nicht sicher, inwiefern die Auffassung von Friedländer 267 mit der von Moore und Archer-Hind identisch ist, denn sie scheint mir schwer verständlich. Ich verstehe Friedländer so: 268 die zweite Frage wirft 265 266 267

Vgl. dazu A r c h c r - H i n d , 231; Fricdländer, 567, A . 2 ; Gosling, 146. Vgl. Bury, 215f. Friedländcr, 567, A . 2 .

268

Vgl. Shiner, 3 9

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das Problem auf, wieso die Monaden, derer es nach Piatons Auffassung offenbar eine Vielzahl gibt, dennoch zu Recht 'μόνας' genannt werden können. 269 D.h.: wie können die Formen als 'eine' angesprochen werden, wo es doch viele Formen gibt? Ich bin mir nun nicht sicher, ob Friedländer eine Antwort auf diese Frage in derselben Richtung sucht wie etwa Archer-Hind, ob er also meint, den Formen komme deshalb zu Recht das Prädikat, Eines zu sein, zu, weil sie ein zusammenhängendes System bildeten. So interpretiere ich Friedländers Satz: "Die μονάδες sind trotz ihrer Individualisierung zugleich μόνας." 270 Dieser Satz muß allerdings nicht so verstanden werden. Wenn Friedländer die Antwort auf die zweite Frage in der systematischen Einheit der Formen sucht, scheint mir Shiners Kritik, Piaton werde wohl kaum nach der Einheit der Formen fragen, wenn er sie als Einheiten postuliert hat, 271 nicht hinreichend, weil sich in diesem Falle das Problem nicht auf die sozusagen interne Einheit der Formen bezieht, sondern auf die Einheit der Formen insgesamt. Allerdings scheint es mir andere wichtige Gründe zu geben, die gegen die von den genannten Autoren vertretene Interpretation zu sprechen scheinen. Das von G.E. Moore ins Feld geführte sprachliche Argument von dem Unterschied des Numerus zwischen 'μίαν ταύτην' und 'ταύτας' ist m.E. deswegen nicht stichhaltig, weil Piaton auf eine derart genaue Übereinstimmung der attributiven Bestimmungen hinsichtlich ihres Numerus, wie Moore sie voraussetzt, oft keinen Wert legt. Das zeigt z.B. ein Blick auf die von Shiner genannte Stelle Polit. 507b7, 272 überhaupt eine enge Parallele zu unserer Stelle. In Phil. 15b4 scheint mir aber der Singular keinesfalls auf nachlässige Ausdrucksweise Piatons zurückgeführt werden zu müssen; vielmehr läßt er sich gut erklären. In 15b2 'ταύτας' bezieht sich Piaton auf alle Monaden: was er im folgenden sagen will, betrifft also alle Formen. Ab b2 'μίαν έκάστην ούσαν' bis b4 'ταύτην' hingegen betrachtet er jede dieser Monaden für sich, sozusagen unter der Lupe. Der Kontrast zwischen 'ταύτας' b2 und 'ταύτην' b4 macht darauf aufmerksam, daß das, was Piaton von jeder einzelnen Monade sagen will, daß sie nämlich ganz fest sie selbst und einheitlich bleibt, von allen Monaden insgesamt gelten soll. Die Zeilen b3ff. beschäftigen sich also gleichsam mit der Binnenstruktur einer einzelnen, exemplarischen Monade, aber in dem Sinne, daß das, was von ihr gelten soll, Allgemeingültigkeit für alle Formen besitzt. Der Gegensatz zwischen dem Singular und dem Plural scheint mir also kein Problem zu sein. 269 270 271 272

So auch Archer-Hind, 231. Friedländcr, 567, A.2. Shiner, 39. Shiner, 39.

3. D i e Fragen Phil. 15b - c3

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Gegen die beschriebene Position läßt sich des weiteren einwenden, daß der so ermittelte Sinn der zweiten Frage keinen Bezug zum Kontext des Philebos hat. Denn nirgends vor oder nach Phil. 15 wird die Frage der systematischen Einheit der verschiedenen Formen untereinander behandelt. Damit würde der hier gemeinte Gedanke völlig isoliert vom übrigen Dialog stehen, was mir nicht wahrscheinlich ist. Schließlich scheint mir der von Hackforth und Gosling genannte Einwand erwähnt werden zu müssen, daß bei der genannten Interpretation der Sinn der Wendung 'μήτε γένεσιν μήτε δλεθρον προσδεχομένην' fraglich bleibt. Warum sollte die systematische Einheit der Formen in Konflikt geraten mit ihrer Unveränderlichkeit? Vielleicht ist dazu eine Andeutung Friedländers von Bedeutung, der offenbar meint, eine Form werde gleichsam in einem Prozeß der Emanation aus sich selbst heraus viele, nämlich viele Formen. 273 Es ist nicht deutlich, ob er damit die Aufgliederung einer Form in Species und Subspecies im Blick hat. Auch Moore hat offenbar die Vorstellung, daß die Einheit der Form gefährdet ist, wenn sie mit anderen Formen in Beziehung tritt.274 Vielleicht könnte man hier den Gedanken anführen, daß man von einer Form, die mit einer anderen verglichen wird, Aussagen treffen kann, die verschiedene Aspekte dieser Form in Bezug auf die andere aufzeigen, und diese Aspekte betrachtete Piaton, wie bestimmte Stellen in seinem Parmenides zeigen, als 'Teile' (μέρη) der Form. Anscheinend würde eine Form also in Teile aufgespalten, wenn sie mit einer anderen in Beziehung gesetzt wird. Bevor man sich jedoch auf derlei Spekulationen einläßt (die ich nur sozusagen aus den Positionen von Moore und Friedländer extrapoliert habe), ist es doch einfacher und überzeugender, den wirklichen Grund für die Gefährdung der Einheit der Form, so wie er von Piaton selber genannt wird, in den Blick zu nehmen, nämlich das scheinbare Eingehen der Formen in die Vielheit der werdenden und vergehenden Einzeldinge sowie ihre Selbstvervielfältigung oder Aufspaltung und Zerstreuung. D.h. aber, daß die Aussage 'μήτε γένεσιν....προσδεχομένην' offenbar in Beziehung zu Phil. 15b5-8 zu sehen ist. Es lohnt sich daher, diejenigen Interpretationsversuche zu betrachten, die die zweite und dritte Frage zu einer einzigen verbinden. 275 Friedländer, 567, A.2. 274 Vgl. Bury, 215f. 275 Die Position G. Schneiders erscheint mir nur am Rande erwähnenswert (Bury, 13). Schneider vertritt eine subjektivistische Interpretation der ¡weiten Frage, indem er wie folgt deutet: es werde gefragt, wie jede dieser Henaden, obwohl sie weder des Werdens noch des Vergehens fähig sind (und also zu einer ganz anderen Sphäre als der des Werdens und Vergehens, in der wir Menschen uns bewegen, gehören), dennoch die eine ist, für die wir sie halten (vgl. Schneider, 51f. auch A.2). Er fragt also, wie wir zur Erkenntnis einer Idee gelangen können, obwohl wir außerhalb der Sphäre der Ideen stehen (Schneider, 51). Schnei-

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6. Folgende Kommentatoren verbinden Phil. 15b2-4 und Phil. 15b5-8 zu einem einzigen Fragesatz,276 lesen also insgesamt nur zwei Fragen in Phil. 15bl-8: Badham, Bury, Crombie, W.H. Friedrich, Gadamer, Gosling, Hackforth, Jackson, Ross, Shiner, Striker, Wolff, Apelt (s.o.), Diès (s.o.), und Natorp (s.o.). 277 Auch ich möchte mich dieser Auffassung anschließen. Ich folge W.D. Ross darin, das 'δμως' stehen zu lassen und durch einen Gebrauch zu erklären, der Liddell-Scott, s.v. 'δμως', II, S. 1230 mit den Worten: "though it (i.e. 'δμως') belongs in sense to the apoder sieht an dieser Stelle das Problem des Chorismos der Formen aus Farm. 133, also die Frage der Erkennbarkeit der Ideen, angesprochen (Schneider, 52, A.2 von 51). Wie der weitere Verlauf der Interpretation zeigen wird, ist das Problem der Erkennbarkeit der Ideen in diesem Sinne im Philebos nicht angesprochen. Außerdem scheint es mir eindeutig zu sein, daß sich die Wendung ' β ε β α ι ό τ α τ α [λίαν τ α ύ τ η ν ' nicht auf die Form, insofern wir sie erkennen, also die sozusagen von unserem Fassungsvermögen abhängige Form, bezieht, sondern eindeutig auf die Form so, wie Piaton sie immer verstanden hat: ewig sich selbst gleich, eine Einheit, die weder wird noch vergeht. Anders ausgedrückt: es scheint mir nicht korrekt, den sozusagen subjektiven Pol der Aussage gerade in die Wendung zu verlegen, die das ausspricht, was Piaton als wichtigstes Kennzeichen der von allem Erkennen unabhängigen, sozusagen 'objektiven' Vorhandenheit der Form ansieht (vgl. Schneider, 51). 276 ich möchte darauf hinweisen, daß der rein philologische Befund weder eindeutig für noch gegen die Annahme dreier Fragen spricht. Dreigliedrige Aufzählungen sind bei Piaton nicht so häufig wie zweigliedrige und werden meist wie folgt gegliedert: 'πρώτον δ ε ύ τ ε ρ ο ν - έ π ί bzw. π ρ ο ς δ ε τ ο ύ τ ο ι ς ' (Menex. 237a7-b2; Tim. 42a5-7; vgl. auch Politik. 286d7-e4); oft findet man auch 'πρώτον - ε ί τ α oder ε π ε ι τ α - π ρ ο ς δ έ τ ο ύ τ ο ι ς ' (Hippias Minor 368b6-d2; Nomoi 948al-3; Ale. I 123d5-7 (möglicherweise ist letzterer Dialog nicht von Piaton); vgl. auch Euthyd. 274b3-4); häufig findet sich 'πρώτον - ε π ε ι τ α (oder ε ί τ α ) ε π ε ι τ α (oder ε ί τ α ) usw.' (Symp. 181b3-4; Polit. 553al0-b5; Nomoi 669bU Theaet. 194d24); Tim. 69d2 findet sich 'πρώτον - ε π ε ι τ α - ε τ ι δ ' α ύ ' ; Nomoi 919c3-6 'πρώτον - ε π ε ι τ α τ ρ ί τ ο ν ' ; Nomoi 875a5-b3 findet sich zwar die Reihenfolge 'πρώτον - δ ε ύ τ ε ρ ο ν - μ ε τ ά δ έ τ ο ύ τ ο ' , doch steht ' μ ε τ ά δ ε τ ο ύ τ ο ' m.E. nicht auf derselben Stufe mit den beiden anderen Gliedern, so daß die Stelle als Parallele für unser Problem nicht geeignet ist; im Alkibiades I steht 121c5-d4, offenbar nicht nur zeitliche Abfolge, sondern auch Enumeration anzeigend, 'πρώτον - ε ί τ α - μ ε τ ά τ ο ύ τ ο ' ; dies kann man durchaus als Parallele zu unserer Stelle betrachten, doch ist die platonische Verfasserschaft des Alkibiades I nicht gesichert, anders als von den Nomoi, wo sich 762c4-7 die stärkste Parallele zu unserer Stelle findet: 'πρώτον - ε π ε ι τ α - μ ε τ ά δ έ τ α ύ τ α ' . Es ist freilich m.E. nicht ganz eindeutig, ob das letzte Glied der Aufzählung mit den anderen beiden auf einer logischen Ebene steht (das gilt ganz sicher nicht Epin. 986c5-6 :'πρώτον - ε π ε ι τ α ' ; d5 ' μ ε τ ά τ ο ϋ θ " steht logisch auf einer anderen Ebene als die Glieder in c5-6), dennoch ist Nomoi 762e4-7 ein gewisses Argument für drei Fragen in Phil. 15bl-8. Es scheint mir allerdings nicht hinreichend stark, um die Einwände gegen ein solchcs Verständnis, die oben dargestellt worden sind, zu entkräften. Auch die Stelle Nomoi 762 ist, wie gesagt, nicht ganz eindeutig, und sie steht zu vereinzelt, um darauf ein Argument für eine dreigliedrige Aufzählungsreihe 'πρώτον - ε ί τ α - μ ε τ ά δ έ τ ο ύ τ ο ' (Phil. 15b) zu gründen. Immerhin ist darauf hinzuweisen, daß diejenigen Stellen, die überhaupt als Parallelen für unser Problem in Frage kommen, überwiegend in Dialogen der späteren Periode von Piatons Schaffen zu finden sind. 277 Badham, 10; Bury, xxxiv - xxxv; Crombie, E P D II, 362; Gadamer, 94, Α.; Gosling, 147; Hackforth, 20, A.l; Η. Jackson, Plato's Later Theory of Ideas I, The Journal of Philology X, 20, 1882, 262; Ross, 131; Shiner, 38-39; Striker, 14 (bes. A.l); Wolff, 263; zu W.H. Friedrich s. Striker, 14, A.l.

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dosis, is frequently closely attached to the protasis" verzeichnet ist.278 Das gilt, obschon es sich bei unserem Satz nicht um einen Bedingungssatz handelt, für den allein Liddell-Scott, anders als Striker angibt,279 diesen Gebrauch verzeichnet. Eine Übertragung auf solche Sätze, die nicht Bedingungssätze sind, die aber miteinander kontrastiert werden, wie sie offenbar Badham und Paley für berechtigt halten,280 wird m.E. durch solche Parallelstellen wie Lysis 213a2 (nicht, wie versehentlich bei Striker, S. 14, A.l: 231a2), Phaid. 91c8, Theätet 145d5-7 nahegelegt. Ein weiteres Problem ist der Bezug von 'μετά δε τοϋτ": wie berichtet, möchte z.B. Hackforth hinter 'βεβαιότατα' ein 'πρώτον μέν' lesen, 281 auf das sich das 'μετά δέ τοϋτ" zurückbezieht. Die Begründung für eine solche Konjektur scheint mir aber aus textkritischen wie aus inhaltlichen Gründen nicht hinreichend. Die Vermutung, das 'δέ' aus 'μετά δέ τοϋτ" erfordere im Vorsatz ein μέν, möchte ich nicht übernehmen, da keinesfalls jedes 'δέ' auf ein 'μέν' bezogen sein muß. Der eigentliche Grund für diese Konjektur ist aber m.E. nicht sprachlicher Natur, sondern der Versuch, den Sinn von 'μετά δέ τοϋτ" (= danach, daraufhin) zu erklären. Kommentatoren wie z.B. Shiner, Hackforth oder Gadamer 282 vertreten die Auffassung, die zweite Frage beschäftige sich mit dem Problem, wie die Formen zuerst (= das konjizierte 'πρώτον') als sie selbst, fern jeder Art von Veränderung bestehen, danach jedoch ( = μετά δέ τοϋτ') in die vielen werdenden und vergehenden Einzeldinge hineingelangen könnten. Hackforth z.B. betont durch ein eingefügtes 'subsequently' 283 ganz deutlich den zeitlichen Aspekt dieser Frage: die Formen haben sich sozusagen unter die Einzeldinge zerstreut, nachdem sie zunächst von den Einzeldingen getrennt, "bei sich" waren, als absolute Einheiten. Diese Auffassung von der Bedeutung der zweiten Frage scheint mir aber nicht haltbar zu sein, und sie ist denn auch zu Recht, teilweise vehement, bestritten worden.284 Gegen diese Deutung sprechen vor allem folgende Gründe: das Problem des 'ομως' wäre wiederum aufgeworfen. Denn worin bestünde der durch dieses Wort angedeutete Gegensatz, wenn nur gemeint wäre, daß die Formen, nach einer Phase, in der sie Einheiten sind, die weder Werden noch Vergehen zulassen, sich schließ278 erwähnt auch bei Striker, 14, A . l . 279 Striker, 14, A . l . 280 Siehe Bury, 13; ohne genaue Stellenangabe für Paley und Badham. Badham, 2. Aufl. kann nicht gemeint sein, Badham, 1. Aufl. war mir nicht zugänglich. 281 282 283 284

Hackforth, 20, A . l . Vgl. Gadamer, 94 (A.); Shiner, 38f.; zu Hackforth siehe vorige Fußnote! Hackforth, 20. z . B . durch Klibansky, in: Taylor, PPE, 258; Friedländcr, 567, A.

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lieh in die Welt der werdenden und vergehenden Einzeldingen begeben? Das von Piaton angesprochene Paradoxon besteht gerade darin, daß die Formen Einheiten sind, die weder Werden noch Vergehen zulassen und dennoch, d.h. zugleich mit dieser Tatsache, irgendwie unter die werdenden und vergehenden Dinge gelangen. Dieses "Zugleich" des Einsseins und des (scheinbaren oder wirklichen) Zerstreutseins oder Vervielfältigtseins ist, darauf hat Klibansky aufmerksam gemacht, 285 in b7-8 ausdrücklich ausgesprochen, wo Piaton feststellt, daß dasselbe und Eine zugleich in Einem und Vielem sei (also nicht nacheinander, wie die Übersetzung von Hackforth nahelegt). Dieses Argument ist noch stärker, wenn man mit W.H. Friedrich die beiden durch 'εϊτε' eingeleiteten Satzteile als eine Parenthese zu dem übergeordneten Satzteil von 'μ.ετά δε τοϋτ" bis 'γίγνεσθαι' liest, anstatt den zweiten durch 'ειτε' eingeleiteten Satzteil (b6) bis 'γίγνεσθαι' (b8) zu lesen.286 Dadurch wird nämlich das Grundproblem, um das es Piaton geht, herausgestellt: wie die Monaden zugleich (als sie selbst) als Einheiten und andererseits verteilt auf die vielen sichtbaren Einzeldinge aufgefaßt werden können, und dieses Problem stellt sich nun wiederum in der doppelten, in der Parenthese ausgedrückten Alternative, ob die Vielheit als Aufteilung der Monaden zu verstehen ist oder als Selbstvervielfältigung und damit Identitätsverlust jeder der Formen. Der Analyse von W.H. Friedrich möchte ich mich allerdings nicht anschließen, auch wenn der dadurch gewonnene klare Aufbau des zweiten Teils der zweiten Frage (ein Problem in zwei durch 'είτε' eingeleiteten Alternativen) beeindruckt und für dieses Verständnis des Satzteiles spricht. Mir scheint jedoch, daß man Piatons Wendung 'ταύτόν και εν' in 15b7-8 besser erklären kann, wenn man den durch diese Wendung eingeleiteten Satzteil mit dem zweiten 'εΐτε'-SatzteiI verbindet. Erst so wird verständlich, warum Piaton in b7-8 meint, das Problem bestehe nicht allein darin, daß das Eine zugleich in Einem und Vielem sei, sondern daß es als solches auch noch 'dasselbe' sei: denn es ist dasselbe, obschon es sich doch - darin besteht die zweite Alternative - anscheinend vervielfältigt. In der Version von W.H. Friedrich schwebt das 'ταύτόν' gewissermaßen in der Luft, wenn man nicht schon den Obersatz durch dieses 'ταύτόν' auf die zweite Alternative ausgelegt sein läßt. Doch dann fragt man sich, warum Piaton im Untersatz noch zwei Alternativen säuberlich scheidet und gleichberechtigt auf eine Ebene stellt (das wird durch die Alternative 'εϊτε...είτε...' verdeutlicht). Ich gebe allerdings zu, daß es sich hier um sehr feine Unterscheidungen handelt, von denen ich mir nicht 285 Siehe Taylor, PPE, 258. 286 Siehe dazu Striker, 14, A . l .

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sicher bin, ob Platon sie seinem Leser zugemutet hätte; dennoch scheint mir die übliche Übersetzung zweier Fragen (etwa bei Gosling) 287 einen leichten Vorteil gegenüber der von Striker und Friedrich vertretenen Analyse zu haben. Ich möchte die zweite Frage also wie folgt übersetzen und gliedern: "...und wie diese, von denen jede eine und immer dieselbe ist, und die weder Werden noch Vergehen zuläßt, zwar ganz fest eben diese eine ist, dann (sie) aber dennoch als unter die werdenden und unbegrenzt vielen Dinge zerstreut und vervielfältigt anzusetzen ist, oder aber, was doch am allerunmöglichsten schiene, (sie) als ganze von sich selbst geschieden, als dieselbe und Eines in Einem und Vielem sich befindet." Zum einen scheint mir in dieser Übersetzung, stärker als in der von Friedrich, die doppelte Bedeutung der Wendung 'δλην αύτήν αύτής χωρίς' zum Ausdruck zu kommen. In der Version von Friedrich und Striker bedeutet diese Wendung primär, vielleicht sogar ausschließlich, die Scheidung der einzelnen in die Einzeldinge eingehenden identischen Ideen voneinander, und da jede von diesen Formen die ganze Form ist, so ist diese als ganze von sich selbst geschieden. Darin besteht die Alternative zu der Aufteilung der einen Form über viele Einzeldinge. Ich bin mir sicher, daß darin auch die Hauptaussage dieses Satzteils besteht. In der von mir vertretenen Version scheint mir in der genannten Wendung jedoch noch ein weiterer Gedanke angesprochen, daß nämlich die Form durch das Eingehen in die unbegrenzt vielen Einzeldinge in dem Sinne von sich getrennt ist, daß sie aus der Welt des Seins in die des Werdens eingeht. M.a.W. das Problem, das Piaton hier sieht, besteht u.a. darin, daß die Formen einen Chorismos zu überbrücken haben und in diesem Sinne die Form, die in ein sichtbares Einzelding Eingang gefunden hat, von sich selbst, nämlich sich als ewig gleichbleibender Form, abgetrennt ist. Denn die durch 'χωρίς' bezeichnete Trennung steht im Zusammenhang mit der Tatsache, daß die Form zerrissen ist zwischen sich selbst als ursprünglicher Einheit ('έν ένί') und den Vielen, während dieser Kontrast in der Deutung von Friedrich und Striker nicht in der Klarheit besteht, da die Wendung 'έν ένί' etc. auch (gleich gewichtig) den Gegensatz zur Aufteilung der Form b5-6 bezeichnen kann. Mir scheint, daß Piaton deutlich darüber besorgt ist, die Formen möchten durch das Werden und Vergehen der vielen Einzeldinge, die an ihnen teilhaben bzw. in die sie eingehen, gleichsam wie von einer Krankheit infiziert werden. Die Betonung, daß die Formen weder Werden noch Vergehen zulassen, zeigt m.E. an, daß Piaton die Formen vor dieser Gefahr bewahren möchte, sie also von den Einzeldingen dadurch unterscheiden 287 Gosling, 147.

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möchte, daß er ihr ewig gleiches Sein von deren Werden und Vergehen unterscheidet. Wie der Gefahr, daß die Formen gleichsam in den Bereich des Werdens und Vergehens hineingezogen werden, zu wehren ist, weiß Piaton an dieser Stelle noch nicht zu sagen. Deshalb wirft er das Problem als Frage auf, die sich im Zusammenhang des "Εν-Πολλά-Problems stellt. Die Wendung 'ολην αυτήν αυτής χωρίς' scheint mir also eine Scheidung der Henaden von sich selbst in doppelter Weise, gleichsam horizontal und vertikal, auszusagen. Dabei dürfte allerdings die 'horizontale' Scheidung der Formen von sich selbst, d.h. die durch die Vervielfältigung verursachte Vielheit der einen Form, im Vordergrund stehen. Der Gedanke der 'vertikalen' Scheidung könnte jedoch am Rande anklingen. Wie ist nun das 'μετά δέ τοϋτ" zu verstehen? In der von mir oben angegebenen Übersetzung ist deutlich, daß sich 'μετά δέ τοϋτ" auf 'θετέον' bezieht. Diese Auffassung wird auch von Klibansky vertreten. 288 Er meint, daß das 'μετά δέ τοϋτ" offenbar auf einer Metaebene der Betrachtung steht: es kennzeichne die logische Sequenz der Diskussion, denn zuerst habe Sokrates die Einheiten als für sich stehend betrachtet, nunmehr werde der zweite Aspekt, ihr Eingehen in die Welt der sichtbaren Einzeldinge, behandelt. Diese Analyse ist auch mit der von Friedrich und Striker gebotenen Interpretation der Frage vereinbar. Ich möchte den Gedanken Klibanskys allerdings etwas zuspitzen und so formulieren: Piaton meint offenbar mit 'μετά δέ τοϋτ" so etwas wie den nächsten geistigen Akt: in einem ersten 'Denkakt' werden die Formen als für sich seiende, dem Werden und Vergehen nicht unterworfene Entitäten postuliert, in einem zweiten ('daraufhin') wird gefordert, daß sie in der Welt der sichtbaren Dinge anzutreffen sind. Das ändert aber nichts daran, daß sie von der Sache her zugleich unveränderliche Einheiten sind und viele Einzeldinge an ihnen teilhaben, und darin liegt genau das Problem für Piaton. Mir scheint also, daß man die ursprüngliche (zeitliche) Bedeutung von 'μετά δέ τοϋτ" durchaus bewahren kann, 289 wenn man sich darüber im klaren ist, daß das, was in zeitlich verschiedenen Denkakten postuliert wird, sachlich zusammengehört. Ich glaube daher, daß es nicht nötig ist, mit Striker dem 'μετά δέ τοϋτ" für den hier vorliegenden Fall die zeitliche Bedeutung abzusprechen, um die Gleichzeitigkeit von Einheit und Vielheit der Formen zu bewahren. Striker argumentiert ähnlich wie Klibansky: 'μετά δέ τοϋτ" könne auch bedeuten: 'was sich daraus ergibt', und damit dürfte die logische Folgebeziehung gemeint sein. Mir scheint nun aber, daß Piatons Problem gerade darin besteht, daß sich aus der 288 Siehe Taylor, PPE, 257. 289 pace Striker, 14, A . l .

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Einheit der Formen, die weder Werden noch Vergehen zulassen, deren Vielheit nicht ergibt, diese Vielheit ihrer Einheit vielmehr widerspricht. Darin besteht das Problem, dessen Lösung Piaton sucht. Wenn sich die Vielheit aus der Einheit logisch ergibt, wäre die gleichzeitige Einheit und Vielheit der Formen kein Problem mehr. Wie bereits erwähnt, wird zu Phil. 15bl-8 als enge Parallele meist eine Stelle aus dem Pannenides herangezogen, nämlich Parm. 130e5-131e7.290 Ich möchte die beiden Stellen sozusagen 'synoptisch' miteinander vergleichen, um auf diese Weise zu ermitteln, ob es sich tatsächlich um dasselbe Problem handelt, das erörtert wird. An beiden Stellen geht es um das Problem der Beziehung der vielen Einzeldinge zu der einen Form. An der Parmenides-Stelle wird dieses Verhältnis mit Hilfe der Metapher der Teilhabe ('Methexis') beschrieben, während an der Philebos-Slelle diese Terminologie nicht verwendet wird. Daraus hat Striker geschlossen, daß es an der Philebos-Steüe nicht um dasselbe Problem gehe wie an der Parmenides-Stelle.291 Meiner Ansicht nach geht diese Schlußfolgerung jedoch zu weit, denn Piaton liebt es, ein Problem ganz verschieden auszudrücken, ohne Festlegung auf eine bestimmte Begrifflichkeit. Aus dem Fehlen der Teilhabe-Metaphern an der Philebos-Steüe kann m.E. nur geschlossen werden, daß sich für Piaton das Problem des Einen und Vielen, d.h. das Problem der Beziehung der vielen Einzeldinge zu der einen Form, nicht nur für ein bestimmtes Modell dieser Beziehung stellt, sondern sich aus der Gegenüberstellung von Einheit und Vielheit als solcher ergibt. An beiden Stellen erörtert Piaton zwei Lösungsversuche, nämlich die Aufteilung der einen Form auf die vielen Einzeldinge und die Selbstvervielfachung der Form. An der Parmenides-SteWe werden die Paradoxa, die sich aus der Aufteilungshypothese ergeben, vorgeführt (131bff.), an der Philebos-Sleüe verzichtet Piaton darauf. Mir scheint, daß die Parmenides-Stelle hinreichend beweist, daß Piaton nicht nur die Selbstvervielfachungshypothese für höchst absurd hält, wie er selbst betont, sondern für ihn auch die Aufteilungshypothese nicht in Frage kommt. 292 Wahrscheinlich war Piaton der Ansicht, daß er die sich aus der Aufteilungshypothese ergebenden Probleme im Parmenides hinreichend verdeutlicht habe und eine Rekapitulation im Philebos überflüssig sei. Die Selbstvervielfältigungshypothese betrachtete Piaton allerdings als noch absurder als die Aufteilungshypothese, denn es ist evidentermaßen unvorstellbar, daß ein und dieselbe Entität zugleich als ganze in viele Einzeldinge eingeht. Die 290 Vgl. z.B. Cornford, PP, 84, A.2; Gosling, 143-144; Guthrie V, 208; Striker, 14; Taylor, PPE, 32. 291 So Striker, 13-15. 292 Gegen Striker, 15; vgl. Parm. 131b8-cll.

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Aufteilungshypothese ist an sich nicht absurd - warum sollte es absurd sein, einen Gegenstand in Teile zu zerlegen - aber die Formen sind natürlich nicht solche Entitäten, die sich wie ein Ding aufteilen lassen. Vergleicht man die Philebos- und die Parmenides-Stelle miteinander, so zeigt sich, daß in Phil. 15b durch die Gegenüberstellung der einen Form und der vielen Einzeldinge neben der Gefährdung von Einheit und Selbstidentität der Formen noch ein weiteres Problem entsteht, von dem an der Parallelstelle aus dem Parmenides nicht die Rede ist: Piaton konfrontiert die Unveränderlichkeit der Formen mit der Veränderlichkeit der Einzeldinge (15b3.5). Offenbar befürchtet er, daß die Veränderlichkeit der Einzeldinge sich auf die unveränderlichen Monaden wie eine Krankheit überträgt, wenn diese einmal in die Einzeldinge eingehen oder die Einzeldinge an den Formen teilhaben. Daraus wird m.E. deutlich, daß Piaton an dem überlegenen Seinsstatus der Formen im Sinne seiner Ideenlehre aus den mittleren Dialogen festhält. Die naheliegende Frage, ob Piaton die von ihm aufgeworfenen beiden Fragen im weiteren Verlauf des Dialoges beantwortet, kann an dieser Stelle noch nicht abschließend beantwortet werden. Einige der auf diese Frage gegebenen Antworten können hier jedoch vorläufig erörtert werden, und ich möchte dann auch meine eigene Auffassung zu diesem Problem darlegen. Striker untersucht in ihrer Arbeit die Bedingungen, unter denen eine Antwort auf die von Piaton aufgeworfenen Fragen, zumal die zweite, zu erwarten ist, und sie entwickelt Kriterien für eine befriedigende Lösung. Sie meint, daß Piaton im folgenden nach Beispielen für Gegenstände sucht, die, als Einheiten dennoch in der für Formen geforderten Weise Vieles sind und sich zudem auch noch als Formen auffassen lassen. 293 Das noch zu erörternde Gesamtergebnis ihrer Untersuchung faßt Piatons Antwort auf die beiden Fragen als Suche nach dem Begriff der Klasse bzw. dem Aufweis der Klasse-Element-Relation auf. 294 Nun könnte es allerdings sein, daß Piaton erkennt, daß die Fragen von Phil. 15b, obschon sie von großer Wichtigkeit sind und keinesfalls umgangen werden dürfen, doch so, wie sie gestellt sind, nicht beantwortet werden können. Anders als Striker glaube ich, daß Piaton jedenfalls keine genaue Vorstellung davon hatte, wie eine befriedigende Antwort auf die in 15b gestellten Fragen auszusehen hatte. Der Nachweis dafür muß durch die Interpretation der 'Lehre der Alten' und der sie erläuternden Beispiele erbracht werden, doch scheint mir das folgende Argument meine Vermutung vorläufig plausibel zu machen: wie sollte Piaton denn 293 Striker, 16. 294 Striker, 28f.

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z.B. die erste Frage beantworten? Die von Platon gesuchten Entitäten kann man nicht vorzeigen wie einen sichtbaren Gegenstand. Daß es solche Entitäten gibt und welcher Status ihnen zukommt, kann allenfalls aus der Funktion, die sie tatsächlich erfüllen, bestimmt werden. Das wiederum scheint mir die Aufgabe des noch zu erläuternden Abschnittes Phil. 15d-16a zu sein. Einige Kommentatoren, darunter Taylor, Ross und Shiner, sind der Auffassung, daß Piaton die Fragen überhaupt nicht beantworte, sondern das Problem nur entweder abzumildern trachte (Ross) 295 oder überhaupt beseite schiebe.296 Taylor meint, daß Piaton zeigen wolle, daß die Fragen falsch gestellt sind, und das tue er, indem er in der 'Lehre der Alten' eine Methode entwickele, die diese Fragen gegenstandslos macht. 297 Diese Auffassung kommt meiner recht nahe, doch bin ich, was den Gesamtsinn der 'Lehre der Alten' betrifft, anderer Meinung als Taylor und kann mich daher auch nicht seiner Auffassung anschließen, die Fragen seien durch Phil. 16cff. einfach als gegenstandslos erwiesen. Vielmehr scheinen sie mir eindeutig das Thema der folgenden Textabschnitte zu bestimmen; ich teile jedoch Taylors Meinung, daß die Fragen, so wie sie gestellt sind, nicht beantwortet werden, weil sie offenbar so nicht beantwortet werden können. Zuletzt möchte ich mich einem Problem zuwenden, daß von Gosling recht eindrucksvoll aufgeworfen worden ist: Weshalb behandelt Piaton in Phil. 15a-b die Frage der Beziehung der Einzeldinge zu der einen Form und der Vielheit der Form, die sich (scheinbar) aus der Tatsache ergibt, daß viele Einzeldinge an ihr teilhaben, wenn doch die Ausgangsfrage des Dialoges die nach der Vielzahl von Arten unter einem Genus war? 298 Wie kann also die Frage, ob es viele Arten von Freuden oder von Wissensformen gibt, durch eine Erläuterung des Verhältnisses der Form 'ηδονή' zu den einzelnen ήδοναί geklärt werden? Auf dieses Problem gibt es m.E. mehrere, sich ergänzende Antworten: a) Mir scheint, daß der exkurshafte Charakter der Passage Phil. 14c5ff. zu beachten ist. Das Problem der Einheit und Vielheit der Form ergibt sich in der von mir analysierten Weise aus dem Problem der Formen der Lust und des Wissens, wird aber ab 14c5 nicht streng auf es bezogen. Vielmehr muß dieser Bezug ab Phil. 18e ausdrücklich wieder hergestellt werden. b) Das bedeutet jedoch nicht, daß der Exkurs über Eines und Vieles mit der Frage der Vielheit von Arten der Lust und des Wissens nichts zu 2« 2*¡ 297 298

Ross, 131. Shiner, 41. Taylor, PPE, 32. Gosling, 143f.

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tun hat. Striker hat vermutlich recht, daß Piaton die Beziehung der Einzeldinge zu der einen Form und die Beziehung der Arten und Unterarten zum Genus nicht voneinander unterschieden hat, 299 so daß er der Ansicht sein konnte, durch eine Untersuchung der Beziehung der Form zu den Einzeldingen gewinne er Aufschluß über die Art und Weise, wie ein Genus viele Arten in sich begreift. c) Auch Goslings Überlegung ist erwähnenswert. Er meint, daß die verschiedenen Species eines Genus sich in den Einzeldingen manifestieren, die spezifische Verschiedenheit sogar durch die Verschiedenheit der Einzeldinge voneinander und ihre ständigen Veränderungen geradezu verursacht wird. 300 Eine Untersuchung über das Verhältnis der Einzeldinge zu der Form gibt also Aufschluß über die innere Struktur der Form: eine Form umfaßt eine große Verschiedenheit von Phänomenen. 301 Das Insistieren des Protarchos auf der Einheit der Form 'Freude' wird also mit dem Verweis darauf beantwortet, daß wir faktisch eine Vielzahl von verschiedenen Zuständen 'Freude' nennen. 302 Auf diese Weise trägt eine Betrachtung der Einzelfälle verschiedener Freuden dazu bei, die spezifische Vielheit einer Form in den Blick zu rücken. Eine abschließende Lösung des von Gosling aufgeworfenen Problems kann ich allerdings in den drei genannten Punkten nicht erkennen, und zwar aus folgendem Grunde nicht: ich habe oben darauf hingewiesen (und werde es unten genauer nachzuweisen versuchen), daß Piaton an dem ontologischen Unterschied zwischen Formen und sichtbaren Gegenständen auch im Philebos festhält. Den Formen kommt, im Gegensatz zu den sichtbaren Einzeldingen, 'wahres Sein' zu. Deshalb erscheint es mir merkwürdig, daß Piaton ein Problem, das die Beziehung der Formen untereinander betrifft (nämlich das Verhältnis generischer zu spezifischen Formen) mit Hilfe von Betrachtungen zum Verhältnis Formen - Einzeldinge lösen will. Gerade wenn er den kategorialen Unterschied beider Arten von Entitäten betont, kann er die Beziehung von Formen untereinander nicht mit der von Formen zu Einzeldingen verwechselt haben. Mir scheint die von Gosling aufgeworfene Frage an diesem Punkt nicht endgültig beantwortet werden zu können, und ich möchte sie daher offen lassen. Sicher scheint mir, daß Piaton offenbar meinte, die Erörterung der Beziehung Form-Einzelding trage in irgendeiner Weise bei zur Lösung der Frage, wie eine Form sich in Arten und Unterarten aufgliedert. Allerdings dürfte die Beziehung beider Probleme indirekter sein als von Gosling, Striker u.a. vermutet. 299 300 301 302

Striker, 35. Gosling, 144. Gosling, 144. Gosling, 145.

4. Übergang zur 'Lehre der Alten'

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4. Übergang zur 'Lehre der Alten' und den Beispielen Der Abschnitt Phil. 15c4-16b3 gehört zu jenen Übergangsabschnitten im Philebos, über die nach Berichten aus der Antike Galen eine eigene Abhandlung geschrieben haben soll.303 Der Übergangscharakter des Abschnittes besteht darin, daß einerseits das philosophische Problem noch einmal neu formuliert wird, nämlich in 15d4-8, andererseits jedoch seine Lösung in Aussicht gestellt wird (16a6-b3). Daß die beiden Fragen aus 15b so, wie sie gestellt sind, nicht beantwortet werden können, wurde bereits oben vermutet. In 15dlff. macht Sokrates nun darauf aufmerksam, daß ein fruchtbarer Zugang zu dem Problem vielleicht in der Betrachtung unseres sprachlichen Umgangs mit Einheiten, die zugleich Vieles sein können, besteht. Der entsprechende Satz d4-6, besonders der erste Satzteil, kann allerdings verschieden übersetzt werden, wie man mit einem Blick in die Kommentare feststellt. Für die Wendung 'ταύτον εν και πολλά ύπό λόγων γιγνόμενα' sind mir drei verschiedene Übersetzungsmöglichkeiten aufgefallen: 1. Die von den meisten Kommentatoren (darunter z.B. Apelt, Diès, Gosling, Hackforth, Schleiermacher, Stallbaum, offenbar auch Friedländer) bevorzugte Übersetzung besagt, daß von der Identifikation des Einen und Vielen, die sich in der Rede vollzieht, die Rede ist.304 Das 'ταύτόν' wird als Prädikatsnomen zu 'εν και ποΧΧά ...γιγνόμενα' aufgefaßt.- Die Schwierigkeit dieser Interpretation liegt m.E. darin, daß sie voraussetzt, Piaton habe Prädikations- und Identitätsaussagen miteinander gleichgesetzt und er werde im folgenden ausführen, daß Prädikationen sozusagen eine besondere Art von Identitätsaussagen sind. Ein gewisser Anhaltspunkt für diese Auffassung könnte darin zu sehen sein, daß die im folgenden geschilderten jungen Leute aus der Identität des Einen und Vielen offenbar ihre Paradoxa ableiten. Mir scheint jedoch, daß man Piaton ein derartiges Verständnis von Prädikation nicht zuschreiben muß, weil er an anderer Stelle zeigt, daß er sehr wohl um den Unterschied von Prädikation und Identifikation weiß,305 und weil die Paradoxa der jungen Leute offenbar aus dem Mißbrauch des Logos vom Einen und Vielen entstehen. 2. Die zweite Übersetzungsmöglichkeit findet sich bei Bury, Paley und Taylor: dasselbe 'Eines- und Vieles-Problem ', welches in der Rede entsteht,

303 Vgl. Shorey, 318; Guthrie V, 202 ( A . l ) . 304 Apelt, Phil., 42; Diès, 7; Hackforth, 22; Gosling, 6; F. Schleiermacher, Piatons Werke, Teil 11,3, Berlin 18613, 98; G. Stallbaum, Piatonis Philebus, Leipzig 1826, 26 (§ 16); Friedländcr, 567-568. 305 Erinnert sei an das Einleitungsgespräch, z.B. Phil. 12e3ff., 13a7ff.

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tauche immer wieder in Gesprächen auf. 306 Die Schwierigkeit dieser Übersetzung besteht m.E. darin, daß, obschon die Möglichkeit der attractio von 'γιγνόμενα' (pl.) zu 'πολλά' (pl.) nicht ausgeschlossen werden kann, doch zu erwarten wäre, daß Piaton um der Klarheit des Satzbaus willen 'γιγνόμενον' geschrieben hätte. 3. Die dritte Möglichkeit findet sich laut Gosling bei Badham. 307 Auch er geht davon aus, daß 'γιγνόμενα' sich dem Plural von 'πολλά' angleicht. Der Satzteil ist so zu verstehen: 'Wir sagen, daß in der Sprache dasselbe Eines und Vieles wird und überall auftaucht, bei allem, was jeweils gesagt wird.' Diese Lesart entspricht genau dem, was Piaton auch an anderer Stelle sagt, z.B. 16d5-6. Ich möchte mich daher dieser Interpretation anschließen. Piaton meint offenbar, daß das Problem des Einen und Vielen in der Form, wie wir es im bisherigen Verlauf des Dialoges kennengelernt haben, auch bei einer sprachlichen Betrachtung wieder virulent wird, so daß die jungen Leute ihren Mißbrauch damit treiben können. Auch bei einer Betrachtung der Sprache wird ein und dasselbe zugleich Eines und Vieles, und zwar in dem Sinne, daß wir dasselbe Prädikat vielen Einzeldingen zusprechen. Aus diesen Überlegungen ergibt sich, daß der Mißbrauch, den die jungen Leute mit dem Logos des Einen und Vielen treiben, aus der Tatsache der Prädikation erklärt werden muß. Piaton schildert, daß die Aporie dieser Amateurphilosophen darin besteht, daß sie einerseits alles in eins zusammenfallen lassen (15e2-3), andererseits es wieder auseinanderreißen (15e3). Vielleicht wird an dieser Stelle, wie Bury vermutet, das Bild von jungen Hunden verwendet, die einen Fleischbrocken zu einer Kugel zusammenrollen und dann wieder auseinanderreißen. 308 Vielleicht ist aber, besonders wenn man an die Wendung e l denkt, an einen Mann gedacht, der einen Geldschatz aufhäuft, um seine Menge zu bewundern, ihn dann jedoch vor sich ausstreut, um die ein/einen Münzen zu zählen. 309 Mir scheint, die Paradoxa der jungen Leute (15d8-16a3), über die Piaton nur in Bildern spricht, könnten vielleicht wie folgt rekonstruiert werden: Angenommen, ein und dasselbe Prädikat 'schön' werde verschiedenen Einzeldingen zugesprochen, z.B.: "a ist schön", "b ist schön", "c ist schön", dann könnten die jungen Leute (auf der Suche nach Paradoxa) behaupten: wenn sowohl a als auch b als auch c schön ist (verstanden im Sinne von: "identisch mit 'schön' ist"), dann gilt: a = b = c . Damit wäre der Sinn der Wendung 'συμφόρων εις εν' (15e3) erklärt: alles ist miteinander gleich, dem dasselbe Prädikat zugesprochen wird. 306 307 308 309

Bury, xxxv; zu Paley s. Bury, 15 (keine genaue Literaturangabe); Taylor, PPE, 108f. Gosling, 82; vgl. Badham, 11. Bury, 15f., z.St. Bury, 16.

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Aus derselben Aussagenreihe: "a ist schön", "b ist schön", "c ist schön" läßt sich jedoch auch folgern, daß für den Fall, daß man an der Verschiedenheit von a, b und c voneinander festhält und zugleich die Prädikations- als Identitätsaussage mißdeutet, das Prädikat 'schön' in allen drei Fällen jeweils etwas Verschiedenes bezeichnet, so daß gilt: wenn a, b und c untereinander ungleich sind, dann ist auch 'schön', 'schön' und 'schön' voneinander verschieden. Damit wäre der Sinn der Wendung 'άνειλίττων και διαμερίζων' (15e3) erklärt. Wie man sieht, lassen sich diese Paradoxa einigermaßen zwanglos aus der Tatsache der Prädikation einer Henade von vielen Einzeldingen ableiten. Gosling hat nun allerdings die Auffassung geäußert, an dieser Stelle gehe es nicht um die Prädikation einer Form von vielen Einzeldingen, sondern darum, daß wir dann, wenn wir von vielen verschiedenen Einzeldingen dasselbe Prädikat aussagen, de facto auf die Artunterschiede zwischen den Einzeldingen, und damit auf die von der generischen Form umschlossenen verschiedenen Arten einer Form keine Rücksicht nehmen. 310 Die jungen Leute weisen nun einerseits darauf hin, daß allen den gemeinten Einzeldingen dasselbe Prädikat zukommt, zugleich machen sie jedoch darauf aufmerksam, daß auf diese Weise die für die Bestimmung des jeweiligen Gegenstandes relevanten Artunterschiede nivelliert werden.311 Für diese Auffassung tritt Gosling deshalb ein, weil er so einen Bezug des Exkurses zum ethischen Ausgangspunkt der Diskussion, nämlich der Frage nach der einen ήδονή und ihren verschiedenen Arten, gegeben sieht.312 Im folgenden versuche Piaton, genau dieses Problem zu lösen und damit eine Antwort auf die Frage zu finden, wieso wir, wenn wir von etwas sagen, es sei eine ηδονή, dennoch nicht die verschiedenen Arten der ήδονή unberücksichtigt lassen dürfen. 313 Ich kann Gosling allerdings nicht darin beipflichten, daß er offenkundig der Ansicht ist, die πολλά aus d4 seien nur die Arten und Unterarten, nicht aber die Einzeldinge.314 Ich habe oben die Frage offengelassen, ob Piaton die Teilhabe der Arten und der Einzeldinge an einem Genusbegriff miteinander identifiziert. Sicher scheint mir aber, daß es eine Überforderung des Lesers wäre, vorauszusetzen, daß dieser ohne einen ausdrücklichen Hinweis den Unterschied zwischen der Verwendung von 'πολλά' in b8, cl, wo eindeutig, wie auch Gosling meint, die vielen Einzeldinge gemeint sein müssen,315 und d4, wo nach Goslings Meinung die 310 311 312 313 314 315

Gosling, 149-150. Gosling, 150. Gosling, 150. Vgl. Gosling, 152. D a s scheint mir aus Gosling, 150, hervorzugehen. Vgl. Gosling, 147.

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Einzeldinge gerade nicht gemeint sind, 316 bemerkt. Also dürften auch hier die Einzeldinge gemeint sein, vielleicht zusammen mit den Arten, aber diese Auffassung sei unter den ausdrücklichen Vorbehalt gestellt, daß die Interpretation der 'Lehre der Alten' und der Beispiele verdeutlichen muß, worin Piaton die Relevanz der Betrachtung des so verstandenen "Εν-ΙΙοΧΧά-Problems für die ethische Frage sieht, oder ob der Exkurs von Phil. 14-18 nicht als Beitrag zur Beantwortung der ethischen Hauptfrage des Dialoges verstanden werden kann. Die Tatsache, daß Protarchos nach der Schilderung der jungen Leute mit einem Überfall auf Sokrates droht (16a4-6), scheint mir zu zeigen, daß er sich durch dessen Beschreibung der Amateurphilosophen getroffen fühlt. Wahrscheinlich bezieht sich Piaton auf die These des Protarchos aus dem Einleitungsgespräch, die Freude sei Eines und es gebe keine verschiedenen Arten von Freuden (vgl. 13c5). Darin dürfte ein Fall des συμφυρειν εις εν (15e3) bestehen, also das, was Sokrates den jungen Leuten vorwirft. Die Tatsache, daß Protarchos sich angesprochen fühlt, scheint mir übrigens schlüssig gegen die von Gosling erwogene Identifikation der jungen Leute mit den jungen Leuten aus Soph. 251b5 zu sprechen. 317 Dort im Sophistes waren vielleicht, wie ich oben dargelegt habe, die Leute um den Philosophen Antisthenes und dieser selbst gemeint. Von Antisthenes ist aber bekannt, daß er eine skeptische Haltung gegenüber der Lust eingenommen hat, ja sogar von Piaton des Hasses gegenüber der ήδονή beschuldigt wird. 318 Es scheint mir ausgeschlossen, daß Protarchos als Vertreter des Vorrangs der Lust für die philosophischen Auffassungen eines Mannes eintritt, der die Lust als Maßstab eines guten Lebens ablehnte. Daher glaube ich auch nicht, daß mit den Wendungen 'συμφύρων εις εν' und 'διαμερίζων' die philosophische Position des Antisthenes karikiert wird, der die Meinung vertrat, man dürfe die Dinge nur benennen, nicht aber von ihnen etwas prädizieren oder sie mit etwas anderem identifizieren, weil im anderen Fall von ihnen etwas ausgesagt wird, sie also nicht mehr (nur) sie selbst, sondern auch noch etwas anderes, 319 also mehr als Eines sind. Ich meine aber, daß Piaton sich an dieser Stelle nicht mit einer Position auseinandersetzt, die die Möglichkeit sowohl von Prädikation als auch von Identifikation leugnet, sondern mit einer Position, die die Möglichkeit der Prädikation zur Aufstellung von Paradoxa mißbraucht. Man könnte argumentieren, daß diejenigen, die die Prädikation zur Ableitung von Paradoxa verwenden, die Möglichkeit prädikativer 31« Gosling, 149-150. 317 Gosling, 148, vgl. auch Cornford, PTK, 254 (auch A.l). 318 Vgl. H.D. Rankin, Sophists, Socratics and Cynics, London 1983, 220; W. Nestle, Die Sokratiker, 11 u. 14; vgl. bes. auch Phil. 44bff.; Bury, 95f. 319 Vgl. Gosling, 148.

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Aussagen de facto leugnen, indem sie auf das Paradox, das in jeder prädikativen Aussage involviert zu sein scheint, aufmerksam machen. Ich glaube, auf einen solchen Einwand hätte Piaton geantwortet, daß die von den jungen Leute abgeleiteten Paradoxa auf dem Mißbrauch des Logos vom Einen und Vielen beruhen. Damit wird jedoch nicht die Möglichkeit der Prädikation als solcher widerlegt, auch wenn sie erst noch gerechtfertigt werden muß angesichts der Tatsache, daß ein und dasselbe zugleich Eines und Vieles ist. Ich vermute, daß die jungen Leute, von denen Piaton spricht, gar nicht so weit gedacht haben, aus der Tatsache, daß sich aus dem Logos Paradoxa ableiten lassen, die Möglichkeit dieses Logos überhaupt zu leugnen. Sie werden von dem Faktum, daß wir in der Rede das Eine zugleich Eines und Vieles machen, ausgegangen sein. Der Reiz der Paradoxa liegt für den, der die darin involvierte falsche Auffassung von Prädikation nicht durchschaut, gerade darin, daß sie unauflöslich erscheinen, weil die sprachliche Tatsache des Logos vom Einen und Vielen schlechterdings nicht geleugnet werden kann. Wären die jungen Leute Anhänger des Antisthenes, müßten sie eben auch die Möglichkeit, Prädikation als Identifikation aufzufassen, ablehnen, und nicht zur Aufstellung ihrer Paradoxa verwenden, weil Antisthenes auch die Möglichkeit von Identitätsaussagen (wegen des 'ist') leugnete. Protarchos bittet Sokrates, die Verwirrung zu beseitigen und einen besseren Weg zum Logos zu finden (16a6-b2). Striker hat die Bemerkung des Protarchos so aufgefaßt, daß dieser das Problem des Einen und Vielen ganz loswerden will.320 Ein Problem, das derart zur Verwirrung beiträgt, solle ganz beseite gelassen werden. Sokrates allerdings verstehe Protarchos so, daß er die Verwirrung der jungen Leute umgehen und das Problem lösen solle.321 Die Lösung sei nach Piatons Auffassung im folgenden Abschnitt, der 'Lehre der Alten', enthalten. 322 Diese Auffassung von Striker kann ich deshalb nicht teilen, weil ich meine, daß mit dem 'Logos' nicht die ethische Fragestellung des Dialoges gemeint ist. Wenn man 16a8 und bl mit 14cl, e6 vergleicht, liegt es näher, auch in 16a8 und bl den Logos des Einen und Vielen angesprochen zu sehen. 323 Mir scheint, daß Piaton durch die Wendung 'ευμενώς πως άπελθεϊν' in 16a8 andeuten will, daß die Verwirrung sozusagen auf sanfte und gefällige Art umgangen werden soll. Es geht Piaton darum, daß im folgenden der Logos des Einen und Vielen nicht so betrachtet wird, daß Paradoxa wie die der jungen Leute in den Blick geraten. Deren Fehler liegt darin, das Problem so zuzuspitzen, daß eine Lösung ausgeschlossen 320 321 322 323

Striker, 17. Striker, 17. Striker, 17. Gegen Striker, 17.

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Erster Hauptteil: Interpretation von Phil. 14c5 - 16cl

erscheint. Piaton deutet aber durch Protarchos an, daß der Mißbrauch vermieden werden soll, ohne daß jedoch das ursprüngliche Paradox aus dem Blick gerät. Denn dieses Problem ist echt, und es hat zweifellos paradoxalen Anschein. Der richtige Umgang mit dem Problem kann nun aber nicht darin bestehen, es auf seine Paradoxalität, die sozusagen im Hintergrund lauert, zuzuspitzen. Vielleicht will Piaton sagen, daß der richtige Umgang mit dem Problem darin besteht, die Tatsache, daß das Eine in der Sprache Vieles wird, verstehen zu lernen. Worin im einzelnen die richtige Betrachtung des Logos vom Einen und Vielen besteht, legt Piaton in der Lehre der Alten dar und illustriert es mit verschiedenen Beispielen.

III. ZWEITER HAUPTTEIL: DIE INTERPRETATION DER 'LEHRE DER ALTEN' UND DER SIE ILLUSTRIERENDEN BEISPIELE Im zweiten Hauptteil der Arbeit beschäftige ich mich mit der Interpretation von Phil. 16c-18d, also der sog. 'Lehre der Alten' und der sie illustrierenden Beispiele. In diesem Abschnitt möchte Piaton offenbar die in 14c-16b, besonders 15a-b aufgeworfenen Fragen beantworten. (Ob und in welchem Sinne die von ihm gegebenen Antworten tatsächlich befriedigen können, wird im folgenden zu untersuchen sein.) Dabei sollen zunächst einige Interpretationsansätze vorgestellt werden, die sich auf die genannte Textpassage beziehen, und zwar zuerst die von Hackforth besonders klar vertretene klassische Interpretationsauffassung zu diesem Abschnitt, die von den meisten Kommentatoren geteilt wird und in den Handbüchern zu Piaton so oder ähnlich immer wieder zu finden ist.1 Im Anschluß daran möchte ich zwei wichtige neuere Deutungen des Abschnittes darstellen, nämlich die von Striker und Gosling. Aus einigen Bemerkungen der beiden letztgenannten Autoren scheint mir hervorzugehen, daß sie ihre Interpretationsauffassung teilweise als Lösung für in der klassischen Interpretation aufgetretene Schwierigkeiten entwickelt haben. 2 Es scheint mir daher von philosophischem Interesse zu sein, die genannten Positionen zu beschreiben und daraufhin zu untersuchen, ob einer der Autoren eine befriedigende Deutung der Philebos-Passage anbietet. Der übergeordnete Gesichtspunkt dieser Untersuchung wird die Textgemäßheit des jeweiligen Interpretationsversuches sein. Ich werde methodisch so vorgehen, daß ich von der Voraussetzung ausgehe, es gebe eine befriedigende Interpretation für die genannten Abschnitte, und ich werde jeweils diejenigen Punkte der Kommentierung anführen, die mir den einen oder anderen Aspekt des Piatontextes nicht ausreichend zu erklären scheinen. Im Anschluß an diese Analyse und ein kurzes Fazit daraus werde ich meine eigene Interpretation der fraglichen Abschnitte vorstellen. Diese Interpretation will allerdings nicht die genannte Voraussetzung erfüllen, 1 D i e Auffassung Hackforths teilen - mit einige Abweichungen allerdings: Bury, Bröcker, Burnet, Friedländer, Gadamer, Grube, Guthrie, Ross, Shorey, Stallbaum, Stenzel, Taylor, u.a.m. 2 Vgl. Striker, 19, 24; Gosling, 165, auch xv.

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Zweiter Hauptteil: D i e Interpretation der 'Lehre der Alten'

es gebe eine in allen Punkten befriedigende Deutung dieser schwierigen Passage; ich hoffe allerdings, bei einigen der von Hackforth, Striker oder Gosling aufgeworfenen Schwierigkeiten der Intention Piatons gerecht zu werden. Aus meiner Interpretation möchte ich einige Schlußfolgerungen hinsichtlich der Frage, ob Piaton das Problem des Einen und Vielen 'löst', ziehen, dann die Frage erörtern, was der Exkurs zu diesem Thema mit dem ethischen Hauptproblem des Dialoges zu tun hat, und schließlich darauf eingehen, ob sich im Philebos (unter besonderer Berücksichtigung unserer Passage) Anzeichen dafür finden, daß Piaton seine Ideenlehre revidiert hat, wie einige Kommentatoren annehmen. 1. Die Position von R. Hackforth 3 Laut R. Hackforth wird in Phil. 14-18 nicht eine Lösung für das Problem des Einen und Vielen, d.h. für die Frage, wie an der einen Form viele Einzeldinge partizipieren, gefunden; das ist so lange gar nicht möglich, wie die Formen als existierende Dinge einer höheren Ordnung als die der Einzeldinge angesehen würden (22, A.l). Hackforth vertritt (anders als Wolff, Shiner, dazu s. unten) die Ansicht, daß es keinen Beweis dafür gebe, daß Piaton den theoretischen Aspekt seiner Ideenlehre in seiner Spätzeit je so modifiziert habe, daß die Annahme von Formen als Gegenständen einer höheren Seinsstufe entfallen konnte (22, A.l). Daher kann man nach Hackforths Ansicht nicht erwarten, daß das Problem des Einen und Vielen in der vorliegenden Passage gelöst werde, 4 vielmehr werde es einer 'dialektischen' Behandlung unterworfen, so daß es dem weiteren Diskussionsverlauf nicht mehr im Wege steht (22, A.l). Die dialektische Behandlung des "Εν-ΠοΧΧά-Problems werde in 15dff. vorgeführt. Sie besteht darin, die unmittelbare Entgegensetzung von Einheit und Vielheit, d.h. der einen Form und der an ihr teilhabenden, nach ihr benannten vielen Einzeldinge, aufzulösen zugunsten eines durch eine begrenzte Zahl von Arten und Unterarten vermittelten Übergangs von der Einheit der generischen Form zur Vielheit der Einzeldinge (20). Es gibt zwischen der obersten Einheit und den unendlich vielen Einzelnen eine begrenzte Zahl von Einheiten, Henaden, nämlich die Arten und Unterarten, die von der generischen Einheit umschlossen sind (20). Aufgabe

3 Im folgenden gebe ich die entsprechenden Seitenverweise, soweit ich die Auffassungen des jeweiligen Kommentars referiere, in Klammern im Text an. 4 Warum man das aus diesem Grund nicht erwarten kann, wird von Hackforth nicht erläutert; es findet sich (22, A . l ) ein Hinweis auf die Selbstprädikationsannahme, aber weshalb diese einer Lösung entgegensteht, wird nicht gesagt.

1. Die Position von R. Hackforth

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der philosophischen Untersuchung ist es, die zwischen dem Genus und den Einzeldingen vermittelnden Arten und Unterarten aufzusuchen und ihre Zahl festzustellen (21). Das Verfahren zur Ermittlung der Species und Subspecies eines Genus ist die Methode der Dihairesis, wie sie aus anderen Piatondialogen bekannt ist (21). Hier wird Dihairesis jedoch nicht (wie dort) dazu verwendet, eine Species zu definieren, sondern alle zu einem Genus gehörenden Species aufzuzählen (Verweis auf Cornford, PTK, 171). Die Dihairesis-Methode ist der von Piaton vorgeschlagene Weg, genau die objektiv vorhandenen Arten und Unterarten eines Genus zu finden (21), und Piaton legt Wert darauf, daß die genaue Zahl der Arten und Unterarten, die tatsächlich zu einem Genus gehören, eingehalten wird und niemand künstlich mehr oder weniger Arten und Unterarten in einem Genus aufsucht, als es tatsächlich gibt (21). Diese Anforderung erklärt nach Hackforths Meinung die Bemerkung Piatons, die dihairetische Methode sei zwar leicht anzugeben, aber schwer (korrekt) zu praktizieren (16b8f.) (21). Wo wird die dihairetische Methode und ihre Funktion von Piaton erwähnt? Hackforth verweist auf die 'Lehre der Alten' (21): Piaton finde den Ursprung der dihairetischen Methode in der Lehre eines Prometheus, womit nach Hackforths Ansicht Pythagoras gemeint sei (21). Doch Piaton wolle nicht behaupten, Pythagoras oder seine Schule hätten sich mit der Einteilungsmethode beschäftigt (21). Nicht einmal dem Problem des Einen und Vielen haben sich Pythagoras und seine Schüler gewidmet: Aber Piaton hat nach Hackforths Meinung eine Parallelität zwischen der dihairetischen Methode und den pythagoreischen Theoremen über πέρας und άπειρον gesehen (21): wie die Pythagoreer ontologische Betrachtungen über das Prinzip der Begrenzung (πέρας), das das ungeordnete Chaos des Unbegrenzten strukturiere, angestellt hätten, so sucht der platonische Sokrates nach der formalen Struktur der Ideenwelt, die der Welt der sichtbaren Einzeldinge zu Grunde liegt und sie für uns erkennbar macht (21). Ab 17aff. illustrieren (nach Hackforths Ansicht) drei Beispiele die dihairetische Methode (24-25). Das erste handelt von den Lauten der Sprache, das zweite vom Klang der Musik, das dritte von den Buchstaben des Alphabets. Die beiden ersten Beispiele zeigen den Übergang vom einen Genus über die begrenzte Zahl von Arten zur unbegrenzten Zahl der Einzeldinge, das dritte steht für den vermittelten Übergang von der unbegrenzten Vielheit der Einzelnen über eine begrenzte Anzahl von Species zur Einheit eines Genus (24). Das erste Beispiel - es handelt vom Laut oder der Lautäußerung in der Sprache - bereitet nach Hackforth keine Schwierigkeiten ("is straight-

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Zweiter Hauptteil: D i e Interpretation der 'Lehre der Alten'

forward", 24). Zwischen dem obersten Genus 'Laut' und der unbegrenzten Anzahl einzelner Lautäußerungen müssen als Arten Vokale, Konsonanten und Liquidae, als Unterarten der Species 'Vokal' die Elemente a,e,i,o,u (und entsprechend bei Konsonanten und Liquidae) angesetzt werden, an denen die unbegrenzte Zahl einzelner sprachlicher Laute teilhat (24, unter (1)). Hackforth räumt ein, die von ihm genannten Arten und Unterarten aus dem dritten Beispiel übernommen zu haben (24). Das zweite Beispiel handelt vom Musikklang, also vom Genus 'Ton'. Die Begriffe 'hoch', 'tief und 'όμ,ότονος' sind allerdings nicht Bezeichnungen für Species des Genus 'Ton', und sie können auch nicht in Subspecies aufgegliedert werden (24-25). Folglich ist der Begriff 'Ton' auch nicht Bezeichung eines Genus, sondern eines Kontinuums. 'Hoch' und 'tief bezeichnen bestimmte Abschnitte auf dem Kontinuum relativ zur Mittellage (= dem όμότονος) (25). Das genannte Kontinuum kann einerseits als Vielzahl musikalischer Töne betrachtet werden, die sich beiderseits des όμότονος ergeben, andererseits als das, was es ist: das eine Kontinuum musikalischen Klanges (25). Ziel der musikalischen τέχνη ist es, zu beiden Seiten des όμότονος eine bestimmte Zahl von Intervallen auf dem Kontinuum zu markieren, so daß eine Tonleiter entsteht (25). Schon die Pythagoreer hatten entdeckt, daß die Töne der Tonleiter in mathematisch bestimmbaren Relationen zueinander stehen (25). Das Eine, d.h. das Kontinuum, das zugleich eine unbegrenzte Vielzahl von Tönen (= άπειρον) enthält, ist mit Hilfe der musikalischen τ έ χ ν η genau so viele geworden, wie es die Gesetze des musikalischen Zusammenklangs und der Tonleiter erlauben (= πέρας) (25). Die begrenzte Vielheit des Einen ( = πέρας) ist also nach objektiven, mathematisch ausdrückbaren Kriterien bestimmt. Piaton scheint zu meinen, daß auch die rhythmischen Bewegungen der Tänzer, die sich zu der Musik bewegen, nach entsprechenden objektiven Kriterien bestimmt werden können (25). Hackforth merkt an, daß das zweite Beispiel nicht die dihairetische Methode illustriert (25), also keine Einteilung eines Genus in Arten und Unterarten vorführt. Hackforth erklärt sich und seinen Lesern die Funktion dieser Illustration so: Piaton will zeigen, daß die beiden Begriffe 'πέρας' und 'άπειρον' nicht nur Verwendung bei der Klassifikationsmethode finden, damit also nicht nur logische Begriffe sind; das Musikbeispiel erläutert vielmehr die typisch pythagoreische, ontologische Verwendung des Begriffspaares (25). Zudem sieht Piaton nach Hackforths Ansicht offenbar eine Analogie zwischen der Zahl der Tonschritte und der Zahl der Arten eines Genus: beide sind in gleicher Weise objektiv gegeben und hängen nicht vom subjektiven Dafürhalten des Betrachters ab (25).

1. D i e Position von R. Hackforth

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D a s dritte Beispiel bereitet nach Hackforths Meinung besondere Schwierigkeiten (25, unter (3)). Piaton stellt sich vor, daß die Menschen zwar immer schon dieselben Laute von sich geben konnten, es aber einmal eine Zeit gegeben hat, in der sie diese Laute weder genau unterscheiden noch benennen konnten (25). Der Ägypter Theuth war der erste, der in der Menge der Lautäußerungen des Menschen Vokale, Konsonanten und Liquidae unterschied (25); jede dieser Arten teilte er wiederum in Unterarten auf, bis er z.B. in der Species der Mutae die B's, T's und K's zu unterscheiden lernte. Diese (entsprechend in den anderen Species) konstituieren die 'Elemente' der Sprache (25), weshalb Theuth alle Laute mit dem gemeinsamen Begriff 'στοιχεΐον' bezeichnete (25). Dieser Begriff verbindet alle Laute, so daß es den Menschen möglich wurde, alle einzelnen Laute, die sie von sich geben, als die 'vermittelte Vielheit unter der Einheit der Sprache (φωνή)' zu verstehen (25, Hackforths Formulierung). Aus der Bemerkung 18a9 folgert Hackforth, daß Piaton das dritte Beispiel als eine Illustration des Weges von den unbegrenzt vielen Einzelnen über begrenzt viele Species zum obersten Genus betrachtet hat (25). D e facto liegt jedoch keine reine Darlegung der Methode der collectio vor, wie 18c3 beweist (26). Die Species werden nämlich bis hinunter zu den einzelnen Buchstaben aufgegliedert. Hackforth bestreitet zudem, daß Theuth ein oberstes Genus 'στοιχειον' durch Versammlung von Arten unter einem Genus 'gefunden', also entdeckt hat. Vielmehr habe der Ägypter einem Genus, das ihm von Anfang an vor Augen stand, schließlich einen Namen gegeben, eben 'στοιχειον' (26). Denn, so meint Hackforth, Einzeldinge bzw. Arten können nur zusammengefaßt werden, wenn sie als Einzeldinge oder Arten von etwas, nämlich eines Oberbegriffes, aufgefaßt werden (26). Hackforth weist darauf hin, daß Piaton in der 'Lehre der Alten' ganz zu Recht herausgearbeitet habe, daß die dialektische Methode mit der gleichzeitigen Betrachtung des Einen (Genus) und des Vielen (Einzeldinge) einsetze und den durch Arten und Unterarten vermittelten Übergang zwischen dem Einen und Vielen aufzuzeigen versuche (26). In den Illustrationen, zumal im dritten Beispiel, vermittele Piaton jedoch den Eindruck, als gebe es zwei Möglichkeiten, das Problem von Einheit und Vielheit zu betrachten: den Weg der Aufgliederung einer obersten H e n a d e bis zu den infimae species, und den Weg von den unendlich vielen Einzelnen über die infimae species bis zur Auffindung einer obersten Einheit (26). Daher beurteilt Hackforth die drei Illustrationen als eher verwirrend denn hilfreich (26): die erste müsse mit Hilfe der dritten erklärt werden, diese sei aber selber 'confused', und das zweite Beispiel illustriere nicht die dialektische Methode (26).

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Zweiter Hauptteil: D i e Interpretation der 'Lehre der Alten'

Zuerst vertritt Hackforth die Auffassung, die Vorgehensweise Theuths im dritten Beispiel sei kein Fall von collectio, da diese Methode ihren Ausgang nicht von den Einzeldingen nehme, sondern von den untersten Species (26). Er sagt außerdem, daß 'συναγωγή' ( = 'collectio') nur für die Definition einer Species verwendet werde, nicht für die Aufgliederung eines obersten Genus in alle unter es fallenden Species und Subspecies (26). Im Anhang ('Additional Note') (142-143) revidiert Hackforth seine Meinung in zwei Punkten. Er hält zwar daran fest, daß die collectio ihren Ausgang von den untersten Arten nimmt (143), diese seien jedoch wiederum durch eine collectio der an ihnen partizipierenden Einzeldinge ermittelt (143). (Also verwendet Piaton 'συναγωγή' nach Hackforths Ansicht offenbar in einem doppelten Sinn.) Eine Analyse der ersten Abschnitte des Sophistes hat nach Hackforths Auffassung zudem ergeben, daß collectio nicht nur der Dihairesis vorausgeht, sondern auch innerhalb des Prozesses der Einteilung einer Gattung eine Rolle spielt, nämlich als eine Art Beschreibung ("thinly disguised description") der durch Dihairesis gefundenen Arten (143). Welches diese Arten sind, kann offenbar in vielen Fällen nur durch collectio ermittelt werden, so daß diese Methode auf jeder Stufe der Einteilung eine Rolle spielen kann. Es geht aus Hackforths Bemerkungen nicht hervor, ob er der Auffassung ist, bei dem 'umgekehrten Weg' des Theuth-Beispiels handele es sich um collectio in diesem Sinne. Gegebenenfalls wäre zu fragen, ob Hackforth meint, daß Piaton eine andere als die Einteilungsmethode ankündigt, tatsächlich aber Dihairesis vollzieht, allerdings ergänzt durch collectio auf mehreren Stufen dieses Verfahrens. Kritische Würdigung: a) Wenn Piaton beabsichtigte, das Problem des Einen und Vielen aus 15a-b auf die von Hackforth dargestellte Weise zu behandeln, hat er sich entweder getäuscht oder er suchte nur die psychologische Barriere, die das Problem darstellt, zu überwinden. Denn es ist offenkundig, daß das Problem des Einen und Vielen auf der Ebene der untersten Arten in genau der Weise, wie es 15a-b aufgeworfen wurde, wieder auftaucht. Auf der Ebene der infimae species besteht die unvermittelte Konfrontation des Einen und des unbegrenzt Vielen weiter. Entsprechend der Auffassung von Hackforth müßte das Problem auf der Ebene der untersten Arten gelöst, zumindest aber gemildert sein. Piaton scheint jedoch, was das "Εν-ΠοΧλά-Problem angeht, offenbar keinen Unterschied zwischen Gattungs- und Art-Formen zu machen. Das zeigen die von Piaton angeführ-

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ten Beispiele solcher Formen, für die sich ein "Εν-Πολλά-Problem ergibt: 'Mensch' und 'Rind' scheinen mir eher Beispiele für eidetische, 'das Gute' oder 'das Schöne' eher Fälle generischer Formen zu sein; von beiden Arten gilt aber das Problem der Vielheit. Dieser Einwand läßt sich auch so ausdrücken: man sieht den Formen nicht sozusagen schon auf den ersten Blick an, ob sie eine generische oder eidetische Form sind. Bei generischen Formen läßt sich die Schwierigkeit, die sich aus der unmittelbaren Konfrontation der Einheit mit der unbegrenzten Vielheit ergibt, durch Aufgliederung in eine begrenzte Vielheit zwar noch psychologisch überbrücken. Wer aber an eine eidetische Form gerät, für die sich dasselbe Problem stellt, hat diesen Ausweg nicht. b) Wenn Hackforth recht hat, hat Piaton das Problem der unmittelbaren Konfrontation von Einheit und Vielheit durch die Ermittlung der begrenzt vielen Arten abzuschwächen versucht. Es scheint mir unbestreitbar, daß dem Text eine Tendenz, die Kluft zwischen εν und άπειρον durch die πολλά zu überbrücken, zu entnehmen ist. Doch es gilt: 1 + χ für χ # unendlich ergibt nie unendlich. D.h. für den Fall, daß die Menge der an einem Genus teilhabenden Gegenstände unendlich groß ist, wäre die von Piaton ermittelte Lösung rein psychologischer Natur, indem der Gegensatz von Einheit und unbegrenzter Vielheit durch etwas, das immerhin schon Vielheit, wenn auch nicht unbegrenzte, ist, nämlich die Zahl der Species, gemildert wäre, aber der unbegrenzten Vielheit kommt man durch eine noch so große begrenzte Zahl nicht näher, so daß gar keine Vermittlung zwischen Einheit und απειρία vorliegt. (Zugegebenermaßen könnte Piaton gemeint haben, der unbegrenzten Vielheit durch eine begrenzte Anzahl näher zu kommen.) Es kann natürlich sein, daß Piatons Lösung in der von Hackforth angegebenen Richtung liegt, daß er also meint, wenn uns das Problem des Einen und Vielen Schwierigkeiten bereitet, müßten wir das Eine ausdifferenzieren, und dann würde sich zeigen, daß die Einheit in sich gleichsam eine Tendenz zur Vielheit hin enthält. Ich würde dieser Lösung auch zustimmen, wenn sich nicht weitere, im folgenden genannte Schwierigkeiten ergeben würden, und wenn diese 'Lösung' für das Problem, um das es Piaton eigentlich geht, nämlich - verkürzt gesagt - das der Teilhabe von Einzeldingen und Arten an der einen Form, nicht so offenkundig unzureichend wäre. Ich bin geneigt, zu vermuten, daß Piaton das fragliche Problem nicht so nachdrücklich aufgestellt hätte, wenn er von vornherein gewußt hätte, daß es nur eine derart unzulängliche Lösung dafür gibt. c) Hackforths 'Lösung' ist vor allem dort nicht ausreichend, wo es um die Frage geht, warum Piaton nachdrücklich die Ermittlung der genauen Zahl zwischen Einheit und unbegrenzter Vielheit fordert. Übersetzt man

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diese Forderung Piatons in die Interpretation Hackforths, so geht es darum, die genaue Zahl der Arten und Unterarten zu ermitteln. Doch welche Bedeutung könnte es für das Genus 'φωνή' haben, ob es 26 oder 28 Arten umfaßt? Die Ermittlung der richtigen Zahl von Arten und Unterarten ist, wie z.B. Politikos 276c-d zeigt, für den Fall von Bedeutung, daß eine infima species definiert werden soll: in diesem Fall geht es um die Ermittlung der richtigen Zahl definitorischer Merkmale. Für die Überbrückung der Kluft zwischen Einheit und unbegrenzter Vielheit genügt es, einige der infimae species zu kennen und im übrigen einzusehen, daß sich die generische Einheit tatsächlich in eine begrenzte Vielheit zerlegen läßt. Die Kenntnis der genauen Zahl ist jedoch eine aus diesem Blickwinkel - übertriebene Forderung, die jedoch von Piaton eindeutig, und zwar gleich mehrfach (16d8, 17e5, 18a8-9, bl-2, c5-6) erhoben wird. (Eine mögliche Antwort Hackforths auf diesen Einwand könnte in dem Hinweis bestehen, daß Piaton an unserer Stelle möglicherweise die beiden Funktionen der Dihairesis miteinander verwechselt und damit auch die Rolle der Zahl aus der einen in die andere Verwendung der Einteilungsmethode überträgt.) d) Die größten Schwierigkeiten entstehen jedoch, wenn die drei Beispiele als Illustrationen der Einteilungsmethode aus 16c5ff. verstanden werden sollen. So ist in der ersten Illustration (17b3-9) nirgends von einem schrittweisen Übergang von der Einheit zur unbegrenzten Vielheit die Rede. Es wird nur gesagt, die φωνή sei eine und unbegrenzt viele, aber einen γραμματικός mache erst das Wissen um Zahl und Beschaffenheit der φωνή aus. Sogar die Rede von der bestimmten Zahl "zwischen" (16el) dem οίπει.ρον und der Einheit fehlt. Hackforth interpretiert dieses Beispiel, indem er die Details aus dem dritten Beispiel ergänzt. Offenbar meint er, daß Piaton hier nur skizziert, was er im dritten Beispiel ausführt. Das scheint mir jedoch ein nicht erlaubter Ausweg aus der Interpretationsschwierigkeit zu sein; denn Piaton wäre ein schlechter Darsteller seiner Gedanken, wenn er zunächst ein Beispiel aufgreift, dann ein zweites, das den gemeinten Sachverhalt viel klarer darlegt, einschiebt, und dann das erste zu Ende führt, jedoch mit einer anderen Methode. 5 Zur Verwirrung würde beitragen, daß alle Beispiele 'φωνή' betreffen, wenn auch in unterschiedlicher Bedeutung.6 Es scheint mir auch schwierig, die Fortsetzung des ersten Beispiels im dritten zu finden, denn obschon dieses wie das erste von der φωνή ausgeht, handelt es doch eindeutig von der Entdeckung des Begriffes 5 So auch Gosling, 164. ί Gosling, 165.

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'στοιχεϊον', während es im ersten Beispiel ebenso deutlich um Einheit und Vielheit von 'φωνή' geht. Vielleicht soll das erste Beispiel das dritte vorbereiten, Aber weil Piaton ein ganz anderes einschiebt, vermute ich, daß auch das erste Beispiel zunächst einmal für sich verstanden und interpretiert werden soll. Natürlich muß die Interpretation zeigen, inwieweit das wirklich möglich ist. Das zweite Beispiel illustriert in Analogie zur Dihairesis eines Genus die Einteilung eines Kontinuums in begrenzt Viele. Das Beispiel hat anscheinend auch keinen Bezug zur Frage der Vielheit der Arten von Lust und Wissen, wenn es auch durchaus möglich ist, daß Piaton in diesem Exkurs das ethische Hauptthema des Dialoges weniger in Betracht zieht. 7 Auffallend ist jedoch, daß Piaton das Musikbeispiel anscheinend als besonders gelungene Illustration dessen, was er zu sagen hat, betrachtet (17e7-8) und daß er sogar kundtut, gerade dieses Beispiel demonstriere, wie man hinsichtlich jeder Einheit, die Vieles ist, verfahren solle (17d6-7). Die diesbezügliche Bemerkung Piatons unterbricht sogar eine lange Periode und läßt ihren ersten Teil als Anakoluth stehen. Für Hackforth dagegen ist das Musikbeispiel vom gemeinten Sachverhalt am weitesten entfernt. 8 Es müßte zu denken geben, daß Piaton, der in anderen Dialogen keine Schwierigkeiten hat, treffende Beispiele für die Methode der Dihairesis zu finden (darauf im Einzelnen zu verweisen, erübrigt sich), an dieser Stelle ein Beispiel für das klarste und treffendste hält, daß die Einteilungsmethode gerade nicht demonstriert. 9 Die Vermutung liegt natürlich nahe, daß es Piaton auch gar nicht darum geht, Dihairesis zu illustrieren. Auch das dritte Beispiel hält Piaton (18d3-5) für sehr erhellend, zumindest für die Frage der Beziehung des Einen zum Vielen. Doch in der Interpretation von Hackforth ergeben sich auch für dieses Beispiel einige Probleme. Das wichtigste besteht wohl darin, daß Piaton eine umgekehrte Vorgehensweise gegenüber den bisherigen Fällen ankündigt: er will nicht von der Einheit progressiv zur Vielheit fortschreiten, sondern von der unbegrenzten Vielheit zur letzten Einheit. 10 Hackforth meint, daß Piaton damit den Weg von der unbegrenzten Zahl der Einzeldinge über die begrenzte Zahl der Species bis hinauf zum obersten Genus nachzeichne. Dann stellt sich aber das Problem, ob man eine unbestimmte Vielheit überhaupt auf diese Weise zusammenfassen kann, wenn man nicht schon den obersten Begriff, auf den die Zusammenfassung zielt, im Blick hat. Täuscht sich Piaton also über den Er7 So Hackforth, 25. 8 Hackforth, 26. 9 Vgl. Gosling, 164, und sehr polemisch, 162-163. 10 Vgl. Gosling, 162.

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kenntnischarakter der umgekehrten Methode? Außerdem ist es wohl in den meisten Fällen unmöglich, alle zu einem Begriff gehörenden Einzeldinge (z.B. alle einzelnen Bäume) in irgendeiner Weise zu erfassen, um sie dann einem Begriff zuzuordnen. Das übersteigt die Grenzen unseres Fassungsvermögens. Ein weiteres Problem ist, ob das, was Piaton mit Hilfe des Theuth-Beispiels beschreibt, den von ihm gemeinten Vorgang tatsächlich wiedergibt. Diese Frage verneint Hackforth (zu Recht), 11 denn de facto schildert Piaton eine Dihairesis von vier Arten in ihre Unterarten. Wenn man Hackforth folgt, kündigt Piaton also eine Methode an, die er dann aber nicht anwendet. Hackforths allerdings unausgesprochene Vermutung, es handele sich um eine durch collectio auf einige Stufen ergänzte Dihairesis, trifft den vorliegenden Sachverhalt recht gut. Doch stellt sich die Frage, wodurch sich das Theuth-Beispiel noch so entscheidend von dem Musikbeispiel unterscheidet, daß Piaton es ausdrücklich kontrastiert. Immerhin läßt sich die Ermittlung von Tonintervallen und rhythmischen Maßen ebenso als Dihairesis von 'φωνή' ergänzende collectio auffassen wie die Ermittlung der Lautgruppen durch Theuth. Eine weitere Schwierigkeit betrifft die Benennung der Gattung. Zunächst wird dieses Genus doch offenbar 'φωνή' (18b6) genannt, nach entsprechender dialektischer 'Behandlung' heißt es dann 'στοιχεΐον' (18c6). Diese Problem wird von Hackforth nicht direkt angesprochen, doch schließe ich aus seiner Bemerkung, daß Theuth das oberste Genus immmer schon im Blick gehabt haben muß, daß Hackforth die hier vorliegende Schwierigkeit erkennt. 12 Wieso also sind Buchstaben Arten des Genus 'Laut', wie Hackforth formuliert, 13 und die 18c4-5 genannten Species, also Vokale, Konsonanten und Halbvokale, solche des Genus 'στοιχείοv' (= 'Buchstabe', vgl. Phaidr. 274cff.)? Es ist offenkundig, daß Piaton einen Zusammenhang zwischen der Entdeckung der Buchstabenschrift und der Unterscheidung einzelner Laute und Lautgruppen erblickt, aber dieser Zusammenhang wird von Hackforth nicht erläutert. Es kann doch offenbar hilfreich sein, Lautgruppen und einzelne Laute zu unterscheiden, wenn man eine begrenzte Zahl von Schriftzeichen für die Laute entwickeln will. In einem solchen Zusammenhang wäre auch die Bemerkung Piatons verständlich, es komme auf die Kenntnis der genauen Zahl solcher Laute und Lautgruppen an, denn davon hängt doch offenbar die Zahl der Buchstabenzeichen ab.

π Hackforth, 26. 12 Hackforth, 26. 13 Hackforth, 25.

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Allerdings wäre damit noch nicht geklärt, warum es von Bedeutung ist, ob es 24 oder 26 Laute gibt, denn davon wäre die Möglichkeit, Buchstabenzeichen für diese Laute festzulegen, nicht berührt. Das dritte Beispiel kann also nicht, wie von Hackforth angenommen, als durch collectio begleitete Dihairesis des Genus 'στοιχεΐον' verstanden werden, denn dann bleibt unerklärt, wieso unter das Genus 'Buchstabe' Laute und Lautgruppen fallen; aber es handelt sich ebenso wenig um eine Einteilung des Genus 'φωνή', denn wie können einzelne Buchstaben an dem Genus 'Laut' teilhaben? Besonders rätselhaft ist schließlich Piatons Bemerkung, man müsse erst einmal alle einzelnen Laute ermittelt haben, um sie dann, alle zusammen und jeden einzelnen, als 'στοιχεΐον' (Buchstabe) bezeichnen zu können. Hackforth meint, es handele sich einfach um die Namensgebung für die infimae species, doch ist nicht einzusehen, warum man erst alle untersten Arten (d.h. für Hackforth: Buchstaben) kennen muß, um ein einzelnes Κ oder Β als 'στοιχεΐον' bezeichnen zu können. Wiederum gilt, daß es wohl genügt, eine gewisse Anzahl von Arten und Unterarten zu erfassen, um die entsprechende Benennung einzelner Laute oder Buchstaben, so weit sie schon ermittelt sind, vorzunehmen. Als Fazit ist festzuhalten, daß der Interpretationsansatz Hackforths einige Schwierigkeiten enthält, wobei allerdings die Frage zunächst offenbleiben muß, ob es sich um solche Schwierigkeiten handelt, die durch eine unzutreffende Interpretation des Textes bedingt sind, oder ob die Probleme auf unklaren und verwirrten Vorstellungen Piatons beruhen. Die Beweislast dafür liegt allerdings bei den Kommentatoren; daher lohnt es sich, zwei weitere Interpretationsvorschläge zu betrachten.

2. Der Interpretationsansatz von G. Striker Strikers Interpretation des uns beschäftigenden Abschnittes beginnt mit der Erörterung der Übersetzung von Phil. 16c9-10 (17f.). Offenbar hängt die weitere Interpretation der 'Lehre der Alten' von dem Verständnis dieser Zeilen ab. Sie entscheidet sich dafür, die Wendung 'των άεί λεγομένων είναι' auf die Formen zu beziehen und durch 'die Dinge, die als ewig seiend bezeichnet werden' zu übersetzen (22f.). Offenbar ist also in der 'Lehre der Alten' von den Formen die Rede (22f.). Die Probleme aus der Rede von an den Formen teilhabenden Einzeldingen (Phil. 15b) werden in der 'Lehre der Alten' allerdings nur unzureichend behandelt. Die erste Frage nach der Existenz der Formen beantwortet Piaton lediglich mit einem Verweis auf die Autorität der Götter

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Zweiter Hauptteil: Die Interpretation der 'Lehre der Alten'

(23). Der von Striker beschriebene Widerspruch in der Beschreibung der Formen, also ihre gleichzeitige Einheit und Vielheit, wird von Piaton durch die 'Lehre der Alten' nicht aufgelöst, sondern eher zugespitzt. Die 'Lehre der Alten' kann in diesem Zusammenhang lediglich als Versuch verstanden werden, die sich aus dem Paradox ergebende Verwirrung zu vermeiden (23). Die folgende Beispiele sind offenbar wenig geeignet, das in der 'Lehre der Alten' allgemein Ausgeführte zu verdeutlichen. In diesem Zusammenhang fällt das in der Einleitung erwähnte negative Urteil über das Musikbeispiel (23); Striker ist der Meinung, daß das zweite Buchstabenbeispiel nicht den Weg vom άπειρον zur obersten Einheit exemplifiziert, obwohl es das nach Piatons Ankündigung offenbar leisten soll (23). Lediglich das erste Buchstabenbeispiel scheint klar zu sein, denn Piaton führt nach Strikers Meinung am Beispiel der Buchstaben oder Laute der Sprache die Einteilung eines Genus in Species vor (23). In der Kenntnis der Species bestehe die Kenntnis des Genus (ebenda). Diese allgemeine Theorie soll auch anhand des Musikbeispiels und, in umgekehrter Reihenfolge, im zweiten Buchstabenbeispiel vorgeführt werden. Aus dem problematischen Verhältnis der Beispiele zur 'Lehre der Alten' und aus der Schwierigkeit, die Fragen 15b durch Dihairesis zu beantworten, leitet Striker den Haupteinfall ihres Interpretationsansatzes ab: die Beispiele, und insbesondere das Buchstabenbeispiel des Theuth, können nicht lediglich Illustrationen der Dihairesis-Methode sein (so auf 24). Wenn die Fragen aus Phil. 15b nicht inzwischen in Vergessenheit geraten sind, und das ist nach der Ankündigung Piatons kaum anzunehmen, wird also in den Beispielen die Frage nach der Existenz von Gegenständen, die zugleich eines und vieles sein können, beantwortet (24). Striker schlägt vor, 'φωνή' in 17b4 und 18b6 nicht mit 'Laut', sondern mit 'Sprache' zu übersetzen (24, auch A.l). Diese Bedeutung kann 'φωνή' im Griechischen bisweilen annehmen, und sie scheint sich zwanglos aus dem Kontext des ersten und dritten Beispiels zu ergeben. Für das Theuth-Beispiel nimmt Striker in Anspruch, für 'φωνή' mit 'Sprache' die einzig sinnvolle Übersetzung gefunden zu haben, denn Theuth habe sicher nicht entdeckt, daß es unbegrenzt viele Laute gebe, sondern daß die Sprache aus unendlich vielen Lauteinheiten bestehe, die sich in eine begrenzte Zahl von Lautgruppen einteilen läßt (25). Die Möglichkeit, Piaton könnte das Verhältnis der einzelnen Buchstaben zur Sprache als Analogie ihres Verhältnisses zum Genus 'Laut' auffassen, wird von Striker ausgeschlossen (26), weil Piaton in einem solchen Fall sicherlich die Vergleichspunkte beider "Εν-ΠοΧΧά-Strukturen aufgezeigt hätte. Dagegen spricht auch, daß Piaton das Musikbeispiel offenbar nicht als analogen Fall zur Einteilung eines Genus in seine Species auf-

2. D e r Interpretationsansatz von G. Striker

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faßt, sondern als diesen Fall selbst (26). Die Betonung der Zahl der Species erklärt Striker, indem sie darauf aufmerksam macht, daß man ohne die Hilfe der zahlenmäßig erfaßbaren Intervalle und Tonsysteme nicht zur Definition der einzelnen Töne gelangen kann (26f.). Doch irrt Piaton, wenn er meint, für die Feststellung des Genus komme es auf die Zahl der Species an: es ändert nichts am Charakter des Buchstaben, wenn es statt 30 nur 24 Buchstaben gibt (27). Nur in der Musik ist die Kenntnis der Zahl von Bedeutung, aber dieser Zug läßt sich nicht verallgemeinern (ebenda). Wenn das Buchstabenbeispiel nicht lediglich als Analogfall einer Dihairesis verstanden werden soll, so muß Piaton die Sprache als Genus der Laute verstanden haben (27). Dieser Überlegung liegen zwei für Strikers Interpretation wichtige Gedanken zu Grunde: 1. Piaton unterscheidet nicht zwischen 'φωνή' in der Bedeutung von 'Laut' und in der Bedeutung von 'Sprache' (vgl. 28). 2. Piaton verwechselt den die Klasse definierenden Begriff (i.e. 'Laut' = 'φωνή') und den Namen der so entstandenen Klasse, i.e. 'Sprache' ( = 'φωνή'). Diese Verwechslung ergibt sich aufgrund der erstgenannten (28). Der Gegenstand 'Sprache' ist also identisch mit dem Genus 'Laut'. Damit ist ein Gegenstand gefunden, der in der von 15b geforderten Weise zugleich eines und vieles ist und von dessen Existenz man ohne Rückgriff auf die Formen sprechen kann (28f.). Piaton beantwortet also den Einwand, daß die widersprüchliche Beschreibung der Formen deren Existenz in Frage stellt, mit dem Hinweis auf einen Gegenstand, der unbestreitbar eines und vieles ist und der sich zugleich als Form auffassen läßt (28f.). Die Sprache hat all diejenigen Eigenschaften, die Piaton 15a-b den Ideen zugeschrieben hat. Sie ist z.B. immer gleich, auch wenn sich die Zahl der Sätze ständig verändert (29). Wir sprechen ja nicht davon, eine neue Sprache vor uns zu haben, wenn jemand einen bisher nicht geäußerten Satz ausspricht (29). Den Einwand, die Sprache könne dennoch nicht als ewig seiend verstanden werden, weil sie zu irgendeinem Zeitpunkt entstanden sein muß und ausstirbt, wenn die Menschen aussterben, beantwortet Striker mit dem Hinweis, daß Piaton im Philebos die Formen im Hinblick darauf einführt, daß an ihnen Einzeldinge teilhaben (29). Daß απειρία zur Natur der Formen gehört, besagt nicht, daß zu jedem Zeitpunkt eine unbegrenzte Zahl von Einzeldingen an der Form teilhat, sondern daß die Formen ihrer Natur nach so sind, daß an ihnen Einzeldinge teilhaben können, genau wie ein Lastwagen nicht ständig Lasten transportieren muß, um ein Lastwagen zu sein (29). Wer sich nicht mit der Auskunft zufrieden gibt, daß eine Form nur im Hinblick auf partizipierende Einzeldinge existiert, wird vielleicht durch

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Zweiter Hauptteil: D i e Interpretation der 'Lehre der Alten'

das Argument überzeugt, daß auch die Sprache nicht erst entstand, als der erste artikulierte Laut geäußert wurde. Wenn es die Form 'Sprache' nicht gegeben hätte, hätte der erste Laut auch nicht als 'artikulierter Laut' bezeichnet werden können, denn das kann von ihm nur im Hinblick auf die Sprache gelten (29f.). Das oberste Genus 'Ton' (wohl im Sinne von 'Tonbereich') ist nicht wie 'Sprache' in der Umgangssprache verankert. Es dient daher nach Strikers Meinung nicht der Antwort auf die Fragen von Phil. 15b, sondern es soll die universelle Anwendbarkeit der Einteilungsmethode demonstrieren (30). Striker schließt ihre Interpretation mit einigen Überlegungen zur Natur platonischer γένη (3 Iff.). Sie verweist darauf, daß die platonische Terminologie bei Begriffsdihairesen dafür spricht, daß Piaton die obersten Genera als Klassen faßt (32). Nur so läßt sich die Redeweise von der Einheit, die Vieles ist, erklären, und die klassentheoretische Interpretation bietet auch eine zwanglose Erklärung der platonischen Rede von den Species als μέρη ( = Teilen) des Genus (32). Für die Species-Begriffe hingegen gilt umgekehrt, daß jeder von ihnen vieles ist, (weil seine Definition die der übergeordneten Begriffe enthält,) und daß der Genusbegriff Teil seiner Definition ist (32). In einigen Punkten unterscheiden sich die platonischen Genera allerdings vom modernen Begriff der Klasse. Sowohl die Genus-Klasse als auch die Species-Klassen müssen, das erweist das Dihairesis-Verfahren, durch jeweils einen Begriff definiert sein (32). Leere Klassen hat Piaton, anders als die moderne Klassentheorie, nicht gekannt (32f.) Die Klassenbzw. Unterklassenbildung hat dort ein Ende, wo die Ebene der untersten Species erreicht ist, was allerdings im Einzelfall nur schwer zu ermitteln ist (33). Klassen von Gegenständen, die nicht durch naturgegebene Unterschiede voneinander differieren (sondern z.B. nur durch ihre raumzeitliche Position), gibt es für Piaton nicht (33). Besondere Schwierigkeiten macht die Bestimmung der zu einer Klasse gehörenden απειρα. Wenn gelten soll, daß das Genus-Prädikat in gleicher Weise wie von den Species auch von den Einzeldingen ausgesagt wird, muß die übliche Vorstellung, alle an einer Form teilhabenden Einzeldinge seien die απειρα, eingeschränkt werden. Der an der Species 'weiß' partizipierende weiße Mantel gehört beispielsweise nicht zu den απειρα unter dem Genus 'Farbe', denn der Mantel ist zwar weiß, aber keine Farbe (34). Diese Einschränkung der Menge der Einzeldinge, die zu einer Klasse gehören, entspricht der Auffassung von Genus, Species und Einzelding, wie sie Aristoteles in der 'Topik' vertritt (34f.). Doch dürfte Piaton das hier bestehende Problem nicht gesehen haben, da er nicht zwischen Gegenständen und ihren Eigenschaften unterscheidet (35).

2. Der Interpretationsansatz von G. Striker

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Mit Verweis auf Soph. 254d-255d macht Striker darauf aufmerksam, daß es auch in den späteren Piatondialogen Stellen gibt, in denen 'γένος' nicht als Klasse, sondern als Begriff aufgefaßt werden muß. Vermutlich hat Piaton den Unterschied beider Verständnismöglichkeiten nicht gesehen (36). Schließlich weist die Kommentatorin darauf hin, daß Piaton offenbar der Meinung war, von einem Gegenstand könnten kontradiktorische Aussagen gelten, sofern sie nur von dem Gegenstand tatsächlich zukommenden Prädikaten impliziert würden (38f.). Der Form als solcher kommt Einheit zu, zugleich hat sie Species und Subspecies, deren Eigenschaft es ist, viele zu sein. In diesem Sinne ist die Form selber eines und vieles. Das hier gemeinte Prinzip ermittelt Striker anhand der auch in den Spätdialogen vorausgesetzten Selbstprädikativität der Formen. Der Form 'Werden' kommt qua Form Ruhe, qua Selbstprädikation aber Veränderung, eben Werden, zu, aber darin hat Piaton offenbar keinen Widerspruch gesehen (38). Kritische Würdigung:14 Die von Striker vorgeschlagene Übersetzung von Phil. 16c9f. ("...die Dinge, die als ewig seiend bezeichnet werden...") 15 scheint mir Piatons Wendung nicht passend wiederzugeben. Hätte Piaton das von Striker Gemeinte ausdrücken wollen, hätte er wohl 'των λεγομένων άεί' oder (vgl. Phil. 59a7) 'των λεγομένων είναι άεί' geschrieben. Striker liest in Phil. 14-18 einen Exkurs Piatons über die Formen. Damit die 'Lehre der Alten' auf Formen, nicht aber zugleich auf sichtbare Gegenstände bezogen werden kann, muß die einleitende Zusammenfassung dieser Lehre einen derartigen Hinweis enthalten. Trotz der philologischen Begründung scheint mir die von Striker abgelehnte Übersetzungsmöglichkeit I ("...daß alles, was jeweils als seiend bezeichnet wird...") sich zwangloser aus dem Text zu ergeben. Da zugleich aber Strikers Auffassung über den Inhalt des Exkurses und der 'Lehre' zuzustimmen ist, scheint Piaton eine umfassendere Abhandlung anzukündigen als er sie dann tatsächlich vorlegt. Mir scheint jedoch, daß der Text nicht so verstanden werden muß. Mit "dem, von dem jeweils gesagt wird, es sei" sind doch offenbar solche allen bekannten Phänomene wie die Musik oder die Sprache gemeint. Die Aussage der 'Lehre der Alten' besteht genau darin, daß diese Sachgebiete 14 Vgl. die Bemerkungen bei C.O.P. Colvin, The One/Many Problem in Plato's Philebus, Austin/Texas 1987, 93ff., bes. A.199, die jedoch sehr von dem Anliegen überlagert werden, die generelle Unangemessenheit einer analytischen Betrachtung des Pliilebos (wie sie bei Striker vorliegt) zu erweisen, is Striker, 17, 28ff.

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Zweiter Hauptteil: D i e Interpretation der 'Lehre der Alten'

durch Einheit, begrenzte und unbegrenzte Vielheit strukturiert sind. Für jedes dieser Phänomene kann daher eine oberste Idee aufgesucht werden. Auf diese Weise ergibt sich der Bezug der 'Lehre der Alten' auf die Ideen oder Formen ganz zwanglos und in Übereinstimmung mit dem Text. Die von Striker aufgestellte Alternative, entweder müsse man sich der von ihr bevorzugten Übersetzung anschließen oder die 'Lehre' als Abhandlung über Formen und Einzeldinge verstehen (wobei die Einzeldinge natürlich in einem anderen Sinne eines und vieles sind als die Formen), scheint mir nicht zutreffend. Wie andere Kommentatoren (z.B. Hackforth) merkt Striker an, daß Dihairesis als Antwort auf die Fragen 15b offenbar unzureichend ist und die Beispiele nicht zur 'Lehre der Alten' zu passen scheinen. Ihre Lösung besteht in dem entschlossenen Versuch, wenigstens die Beispiele als Antwort auf die Fragen 15b (besonders die zweite) zu interpretieren. Die 'Lehre der Alten' hat lediglich die Aufgabe, zu beschreiben, was Formen sind, und welches Problem sich hinsichtlich ihrer Beschreibung stellt. Die geschilderte Antwort auf die Frage nach der Art der Einheiten, die zugleich Vieles sein können, scheint mir nun allerdings deshalb nicht unproblematisch zu sein, weil sie gewisse Elemente aus der 'Lehre', die sich in den Beispielen wiederfinden, außer Acht läßt. Das wird durch folgende Überlegung deutlich: wenn der Begriff einer Klasse, die sich als (allen bekannter) Gegenstand auffassen läßt und zugleich in der für Formen geforderten Weise eines und vieles ist, die Antwort auf die Frage nach der Existenz von solchen Entitäten ist,16 ist die von Piaton ausdrücklich vorgetragene Forderung, man müsse innerhalb der φωνή nach einer begrenzten Zahl (offenbar von φωναί) suchen, offensichtlich überflüssig. Genau dieses Element des Buchstabenbeispiels findet sich jedoch bereits in der 'Lehre der Alten' (16d7-8) und im übrigen auch im Musikbeispiel (17e5). Die Suche nach der begrenzten Zahl wird von Piaton an mehreren Stellen sogar als Quintessenz der Beispiele dargestellt (z.B. 18b2). Mir scheint jedoch, daß dieses Element in der Interpretation Strikers nicht genügend berücksichtigt wird. Sie ist offenbar der Ansicht, daß die Suche nach der bestimmten, begrenzten Vielzahl in den Beispielen von Piaton deshalb erwähnt wird, damit diese als Illustrationen der Dihairesis-Methode aus der 'Lehre der Alten' verstanden werden können. Dihairesis ist aber, wie Striker meint, kein Beitrag zur Beantwortung der Fragen Phil. 15b. Mir scheint, eine unbefangene Lektüre des Textes, besonders der Beispiele, zeigt, daß die Einteilung der Einheit in begrenzt Viele (ob es sich dabei um Dihairesis handelt, wird noch zu untersuchen sein) Teil der von 16 Vgl. Striker, 28f.

2. D e r Interpretationsansatz von G. Striker

117

Platon gemeinten Lösung des "Εν-ΠολΧά-Problems ist, nicht lediglich seine erneute Darstellung. Zudem handelt sich Striker, nicht anders als etwa Hackforth, das Problem ein, die Beispiele als Fälle einer Dihairesis erklären zu müssen, und für diesen Zweck sind sie, wie Striker selbst sagt,17 wenig geeignet. Diesem Einwand könnte sie mit dem Hinweis begegnen, daß die Beispiele offenbar mehr als Dihairesis demonstrieren wollen und von Piaton für diesem Zweck ausgewählt sind. Doch gilt das nur für das Buchstabenbeispiel, während das Musikbeispiel, das sich am wenigsten mit der Einteilung eines Genus in seine Species und Subspecies erklären läßt, von Striker als Fall einer solchen Einteilung, ja sogar als Beispiel für die universelle Anwendbarkeit der Dihairesis-Methode, angesehen wird.18 Daß für Striker die Passagen, in denen von Einteilung die Rede ist, offenbar nur die Funktion haben, zu beschreiben, was Formen als Klassen sind, wird in den allgemeinen Anmerkungen zur Natur platonischer γένη deutlich. Striker meint, die platonische Redeweise von der Einheit, die Vielheit ist, und von den Species als den 'Teilen' des Genus lasse sich nur sinnvoll mit Hilfe der Klasse-Teilklasse-Element-Relation interpretieren.19 Denn nur eine Klasse, nicht ein Genusbegriff, ist eines und zugleich vieles (vieles ist höchstens der Begriff einer infima species, s.o.), und die Arten sind nichts anderes als Teilklassen der Genusklasse. Diese Argumentation scheint mir indes wenig überzeugend. Die Ausdrucksweise von der Einheit, die Vielheit ist, scheint Piaton, wie Phil. 15b6 zeigt, für solche Fälle zu verwenden, in denen die ursprüngliche Einheit sich vervielfältigt oder zerteilt wird. Wir würden in diesem Fall vielleicht sagen, daß die ursprüngliche Einheit aus Vielem besteht oder sich vervielfacht hat; Piaton meint zwar dasselbe, spricht aber von der Einheit, die Vieles ist. Die Rede von den Arten als den Teilen eines Genus wird, wie Striker selbst anmerkt, von Piaton im vorliegenden Abschnitt sorgsam vermieden. Piaton will, wie Striker zu Recht meint, den Eindruck vermeiden, als seien die Formen sichtbaren Gegenständen darin vergleichbar, daß sie aus einer Vielheit von Teilen bestehen. 20 Gegen Striker scheint es mir allerdings höchst unwahrscheinlich zu sein, daß Piaton für die Lösung des "Εν-Πολλά-Problems ein Lösungsmodell (Klasse-Element) eingeführt hat, das zumindest auf den ersten Blick dem eines sichtbaren Dinges und seiner Bestandteile recht nahe kommt. Dann wäre im übrigen auch zu erwarten gewesen, daß nicht nur die Spe" Striker, 23. is So Striker, 30. « Striker, 32. 20 Striker, 32.

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Zweiter Hauptteil: D i e Interpretation der 'Lehre der Alten'

cies, sondern auch die Einzeldinge als Teile einer solchen Klasse aufgefaßt worden wären. Piatons Argumentationsgang scheint mir indes zu zeigen, daß der Autor ein Erklärungsmodell ablegen möchte, das seiner Ansicht nach die Lösung des "Εν-ΠολΧά-Problems ausschließt. Im Bereich der Sprache ist es, so scheint Piaton doch zu sagen, einfach nicht angebracht, mit Erklärungsversuchen, die der Ontologie sichtbarer Gegenstände entsprechen, zu operieren. Durch diese Überlegungen wird die Heranziehung eines Klasse-Element-Modells durch Piaton natürlich nicht zwingend ausgeschlossen. Auch möchte ich nicht behaupten, daß Piaton nirgends ein solches Modell verwendet. Doch scheint es mir aufgrund des Argumentationsganges unwahrscheinlich, daß Piaton das Modell ein¿r Klasse, die aus Teilklassen und Elementen besteht, zur Lösung des "Ev-UoXká-Problems heranzieht. Auch in einigen Details vermag ich der Auffassung von Striker nicht zuzustimmen. Hinsichtlich der Interpretation der 'Lehre der Alten' vertritt Striker offenbar dieselbe Auffassung wie z.B. Hackforth. 21 Doch vermag ich nicht zu sehen, wieso es, um den Übergang von der Einheit zur Vielheit oder umgekehrt zu vermitteln, nötig sein sollte, sämtliche Arten und Unterarten eines Genusbegriffes darzustellen. Es würde genügen, einen Zweig des Gliederungsbaumes vom obersten Genus bis zur infima species zu verfolgen. Erstaunlich finde ich Strikers Bemerkung, daß von allen drei Beispielen nur das erste Buchstabenbeispiel klar ist, da Sokrates am Beispiel der Buchstaben oder Laute die Einteilung eines Genus in Species vorführe. 22 Mir scheint, daß auf den ersten Blick keineswegs klar ist, daß dieses Beispiel von Buchstaben handelt (vielmehr dürfte nur von Lauten die Rede sein), und daß Piaton eine Einteilung in Genus und Species meint, kann allenfalls aus 17b7-8 geschlossen werden, ohne daß diese Vermutung mehr als wahrscheinlich wäre. Von einer 'Vorführung' des Dihairesis-Verfahrens kann keine Rede sein. Auf S. 25 wendet sich Striker gegen die Auffassung, Theuth habe zuerst entdeckt, daß es unbegrenzt viele einzelne Laute gibt. Dazu hätte es nach Strikers Meinung nicht eines göttlichen Mannes bedurft. Doch worin besteht der entscheidende Unterschied zwischen dieser Meinung und Strikers, daß Theuths Entdeckung den unbegrenzt vielen Lauten der Sprache gilt? Ich kann Strikers Kontrast zwischen ihrer Position und der von ihr kritisierten nur als polemisch auffassen, denn selbstverständlich bleibt Theuth nicht bei der Entdeckung unbegrenzt vieler Laute stehen, sondern faßt diese zu Lautgruppen zusammen, gerade so, wie Striker es schildert. Striker hat allerdings gespürt, daß an der gemeinten Stelle ein 21 Vgl. Striker, 33, auch 23. 22 Striker, 23.

2. D e r Interpretationsansatz v o n G. Striker

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Problem vorliegt. Piatons Aussage steht offenbar in Widerspruch zu seiner sonst geäußerten Auffassung (z.B. 17e3-4), daß die Kenntnis des άπειρον nicht zum Wissen beiträgt. Ich meine, daß Piaton auch an dieser Stelle nicht sagen will, die Entdeckung, daß die Sprache unbegrenzt viele Laute enthält, trage zur Entdeckung des Begriffes 'Laut' oder 'Buchstaben' bei, wie Striker (25) offenbar annimmt. Die Kenntnisnahme vom ϊ π ε φ ο ν der φωνή setzt sozusagen nur den Rahmen, innerhalb dessen sich die folgenden, zur Entdeckung von 'στοιχεϊον' führenden Beobachtungen Theuths vollziehen. Wenn Piaton also sagt, daß Theuth die φωνή als ein απεφον erkannte, so will er damit m.E. nichts anderes sagen, als daß Theuth sich dem unbestimmten Phänomen menschlicher Laute zuwandte. Ein unfreundlicher Kritiker könnte einwenden, daß Strikers Lösungsversuch, insbesondere die von ihr vorausgesetzte Verwechslung von Klassennamen und die Klasse definierenden Begriff, 23 über den Fall der φωνή hinaus nicht verallgemeinerbar ist. Es dürfte zwar noch den einen oder anderen Begriff geben, für den Klassenname und Genus identisch sind, das gilt aber längst nicht für alle. Diesem Einwand könnte Striker jedoch mit dem Hinweis begegnen, daß Piaton der Ansicht war, wenn das Prinzip, ein Gegenstand könne als Form aufgefaßt werden und sei in dem für sie geforderten Sinne eines und vieles, anhand der φωνή überzeugend dargestellt sei, gebe es keinen Grund mehr gegen die Annahme, die Formen seien gerade in der gemeinten Weise eines und vieles. Allerdings scheint es mir fraglich, ob gerade die Sprache ein geeignetes Beispiel für einen Gegenstand ist, der sich als Form auffassen läßt. Zwar verändert sich die Sprache nicht schon deshalb, weil ständig neue Sätze in ihr gebildet werden. 24 Darin ist sie durchaus den Formen vergleichbar, an denen immer neue Einzeldinge partizipieren. Das Gegenstück zu diesem Fall scheint mir jedoch nicht, wie bei Striker, der Fall zu sein, daß eine Sprache ausstirbt. 25 Wir sprechen nämlich bisweilen auch von solchen Phänomenen wie Sprachwandel und Sprachveränderung, beispielsweise wenn sich neue grammatikalische Regeln durchsetzen oder wenn das Vokabular der einen Sprache mehr und mehr das einer anderen durchsetzt. Mir scheint es, kurz gesagt, zweifelhaft, ob Piaton von der Sprache oder einer Sprache das sagen würde, was er von den Formen sagt, also Werden und Vergehen ausschließt wie 15al-2 und 15b2-4. Das gilt auch dann, wenn Piaton nicht von irgendeiner bestimmten Sprache (z.B. Griechisch) spricht, sondern von menschlicher Sprache überhaupt:

23 24 25

Striker, 27f. S o zu Recht Striker, 29. Striker, 29.

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Zweiter Hauptteil: D i e Interpretation der 'Lehre der Alten'

auch sie ist im Laufe der Jahrhunderte und Jahrtausende dem Wandel unterworfen. Außerdem scheint mir, daß Piaton, wenn er von Sprache in diesem Sinne spricht, d.h. also im Sinne menschlicher 'Sprachlichkeit', die von Striker vorausgesetzten Schritte nicht vollzogen haben kann, denn 'Sprachlichkeit', also die Tatsache, daß Menschen artikulierte Laute äußern, läßt sich nicht im von Striker geforderten Sinne als ein Gegenstand auffassen wie etwa die 'Sprache'. Strikers Bemerkungen zum Begriff des 'γένος' dienen dazu, diesen Begriff vom modernen Begriff der Klassen zu unterscheiden. Striker geht von der Voraussetzung aus, Piaton wolle in Phil. 14-18 darlegen, was ein γένος ist.26 Diesen von Piaton entwickelten Genosbegriff möchte Striker mit Hilfe von Parallelen aus dem Sophistes, Aristoteles' Topik u.a. noch genauer herausarbeiten. Mir scheint jedoch Strikers Annahme, Piaton wolle erklären, was Genera sind, nicht zutreffend. Vielmehr geht Piaton von der Voraussetzung aus, daß wir in der Sprache ständig mit solchen Begriffen, die sich als 'γένη' und 'είδη' auffassen lassen, operieren. Was ein γένος ist, ist also durch die Sprache vorgegeben und muß nicht erst durch logische und sprachphilosophische Überlegungen ermittelt werden. Daher äußert sich Piaton auch weder zu der Frage, welche Einzeldinge zu einem γένος gehören, noch dazu, welche Art von Genosbegriffen es gibt, noch zu der Frage, ob die Genosbegriffe selbst zu den an ihnen partizipierenden Gegenständen gehören. Mir scheint, daß Piaton mehr daran gelegen ist, den faktischen Umgang mit Formen (Genera) philosophisch zu untersuchen. Dabei werden, wie die Hinweise auf die Methode der Dihairesis zeigen, auch logische Überlegungen einbezogen, doch dienen diese nicht der Festlegung, was ein γένος im logischen Sinne ist (dazu sind sie, wie Striker annimmt, ungeeignet), sondern der Untersuchung ihrer Verwendung in der Sprache. In welchem Sinne Dihairesis einen Beitrag zu dieser Untersuchung leistet, soll mein eigener Interpretationsansatz zeigen.

3. Der Interpretationsansatz von J.C.B. Gosling In der Einleitung seines Kommentars zu Piatons Philebos weist Gosling darauf hin, daß die von Piaton gewählten Beispiele nicht zur Illustrierung einer Genus-Species-Dihairesis geeignet sind (xv). Das gilt besonders von dem Musikbeispiel. 'Hoch' und 'tief bestimmen eine Tonskala, 'langsam' und 'schnell' eine rhythmische (xv). Tonlage und Tempo sind, so führt Gosling weiter aus, keine Species des Begriffes 'φωνή', aber laut Gosling 26 Striker, 81.

3. D e r Interpretationsansatz von J.C.B. Gosling

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Einteilungen von 'φωνή'. Wenn also offenkundig dihairetische Klassifikation nicht gemeint ist, was will Piaton erläutern (xv)? Worin besteht das in der 'Lehre der Alten' entwickelte methodische Programm, zu dessen Erläuterung die genannten Beispiele angeführt werden (xv)? Zur Beantwortung dieser Fragen wendet sich Gosling zuerst einigen allgemeinen Beobachtungen zum Philebos zu und verbindet sie mit historischen Überlegungen. Er ist der Meinung, daß der Philebos eine Erwiderung Piatons auf die ethischen Lehren des Eudoxos von Knidos ist, seines einstigen Schülers, der zu den berühmtesten Mathematikern seiner Zeit gehörte. Im hier gemeinten Abschnitt setzt sich Piaton möglicherweise mit den mathematischen Anschauungen des Eudoxos auseinander und wendet eigene mathematische Überlegungen auf die Frage nach dem besten Leben an (166). Offenbar stand Eudoxos in Verbindung mit den Pythagoreern, denn Diogenes Laertius berichtet über ihn am Ende seiner Aufzählung berühmter pythagoreischer Mathematiker und Philosophen. Außerdem soll Eudoxos mit dem pythagoreischen Mathematiker Archytas zusammengearbeitet haben (166). Sowohl die Pythagoreer der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts als auch Eudoxos haben sich besonders mit dem Problem der irrationalen Zahlen beschäftigt (167). Sie untersuchten die Frage, welche Seitenlänge ein Quadrat von (z.B.) 8 Flächeneinheiten haben müsse. (Für ein Quadrat von 9 Flächeneinheiten ist diese Frage einfach zu beantworten, denn die erforderliche Seitenlänge beträgt 3 Längeneinheiten.) Ein Quadrat von 2 Einheiten Seitenlänge ist zu klein, ein Quadrat von 3 Einheiten Seitenlänge zu groß (167). Man kann die genannten Seitenlängen auf einem Zahlenstrahl eintragen; die gesuchte Länge muß irgendwo zwischen 2 Einheiten und 3 Einheiten liegen (168). Durch weitere Aufteilung der Einheiten kann man sich der gesuchten Länge immer mehr annähern, ohne sie jedoch endgültig festlegen zu können (168). Der Prozeß der Annäherung an die gesuchte Seitenlänge schreitet von den beiden festgelegten, mit Hilfe der Einheit bestimmbaren Punkten, den πέρατα, fort, kommt aber nie endgültig zum Ziel (ein Fortschreiten εις ίπεφον). Immer wird die gefundene Zahl zu hoch oder zu niedrig sein, die gesuchte Zahl also über- oder unterschreiten. Diese ist den auf dem Zahlenstrahl festgelegten Zahlen und ihren Brüchen nicht kommensurabel (αμμ,ετρον), sie ist kein Vielfaches der ursprünglichen Einheit, und sie ist mit keiner anderen (rationalen) Zahl vergleichbar, weil mit der ursprünglichen Einheit nicht meßbar (όψ,μετρος) (168-169). Die Pythagoreer entdeckten also, daß der Fortschritt mathematischer Bestimmtheit eines Kontinuums an seine Grenzen kommt. Es gibt auf dem Kontinuum (Zahlenstrahl) Punkte, die mit keinem bekannten Punkt

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Zweiter Hauptteil: Die Interpretation der 'Lehre der Alten'

vergleichbar sind (vgl. 170). D.h., daß es unmöglich ist, alle denkbaren Unterteilungen eines Kontinuums mathematisch zu erfassen, also zu messen. Zwischen zwei festgelegten Punkten gibt es eine unbegrenzte (άπειρον) Zahl weiterer möglicher Einteilungen des Kontinuums. '"Απειρον', Kontinuum, 'άμμετρία' etc. stehen also 'συμμετρία', 'πέρας' und der bestimmten Anzahl mathematisch ermittelter Einheiten gegenüber. 'Συμμετρία' und 'πέρας' stehen für mathematischen Fortschritt, 'άπειρον', 'οίμμετρον' etc. hingegen repräsentieren die Grenzen mathematischer Erfassung mit Hilfe rationaler Zahlenverhältnisse (169). Das sind aber nun einerseits (z.T.) Begriffe aus dem Vokabular pythagoreischer Mathematik, andererseits durchziehen sie den Philebos (169). Aufgrund dieser Beobachtungen versucht Gosling eine Antwort auf die einleitende Frage nach Piatons methodischem Programm. Da Piaton offenbar glaubte, daß mit der Mathematisierung der τέχναι deren Präzision und deren praktischer Wert steige (vgl. 154), hat er die pythagoreischen Überlegungen zum Problem der Irrationalzahlen berücksichtigt. Das geschieht in Phil. 16-18 (und 23ff.). Am deutlichsten wird es anhand des Musikbeispiels (169). (Musik ist eine τέχνη und gleichzeitig ein wichtiges Interessengebiet der pythagoreischen Forschung, 169.) Die Pythagoreer entdeckten, daß man eine Lyrasaite genau um die Hälfte verkürzen muß, um einen um eine Oktave höheren Ton zu erhalten. Das Intervall Oktave kann also mit Hilfe des Zahlenverhältnisses 2:1 repräsentiert werden (169). In derselben Weise können auch alle anderen Tonstufen zahlenmäßig dargestellt werden. Die pythagoreische Entdeckung bestand nämlich gerade darin, daß die Tonstufen der Tonleitern alle durch rationale Zahlenverhältnisse wiedergegeben werden können (169). Folglich kann eine Tonleiter als eine Strecke, auf der eine Anzahl von Punkten markiert ist, dargestellt werden. Das scheint aber nun genau die Aussageabsicht des platonischen Musikbeispiels zu sein. 'Ton' bzw. 'Tonhaftigkeit' scheint zunächst ein Phänomen zu sein, bis man genauer hinschaut und den Unterschied von 'hoch', 'tief und der Mittellage entdeckt (170). Ein Musiker kann sich damit aber nicht begnügen, sondern er wird das vorliegende Phänomen weiter differenzieren, und zwar nach dem von seinem Ohr gegebenen Maßstab musikalisch sinnvoller Tonstufen und deren Zusammenklänge (ebenda). Zugleich wird der interessierte Musikfachmann erkennen, daß zwischen den musikalisch akzeptablen Tönen mathematisch ausdrückbare, d.h. in rationalen Zahlenverhältnissen darstellbare Beziehungen bestehen (171). Die Kenntnis des Phänomens 'Ton' macht nicht den Fachmann auf dem Gebiete der Musik aus, wohl aber die Kenntis bestimmter Tonstufen und der zwischen ihnen bestehenden Zahlenverhältnisse (170).

3. Der Interpretationsansatz von J.C.B. Gosling

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Die Darstellung einer Tonleiter als Strecke, auf der einige Punkte markiert sind, die für die Intervalle der Tonleiter stehen, macht deutlich, daß die meisten Punkte auf der Strecke nicht markiert sind. Diese Punkte stehen für solche Töne, die mit Tönen einer Tonleiter auf einer Saite nicht vereinbar sind. Sie fallen sozusagen in das απεφον der φωνή einer Lyrasaite (171). Aber nicht nur von der Seite der Töne liegt gleichsam ein Überschuß an weiterer Differenzierungsmöglichkeit vor; das gilt auch von der Seite der mathematischen Theorie. Denn es gibt wesentlich mehr rationale Zahlenverhältnisse (die z.B. Viertel- und Achteltönen entsprechen würden), die nicht für Töne einer Tonleiter stehen (170). Gosling betont ausdrücklich, daß die Beschäftigung mit φωνή in der beschriebenen Weise nicht Beschäftigung mit dem Begriff 'φωνή' ist (170). Es sei ein Fehler, so meint Gosling an anderer Stelle, die Passage als Abhandlung zur Sprachtheorie zu lesen (xv). Piaton interessiere sich weniger für den begrifflichen Apparat und mehr für die realen Phänomene, die dahinter liegen (ebenda). Es gehe ihm um Klang, nicht um den Begriff 'Klang' (xv). Das Phänomen Klang zeigt nun einerseits Unbestimmtheit, denn es gibt unendlich viele mögliche Töne auf einer Lyrasaite, andererseits aber auch mathematische Bestimmtheit, denn auf der Saite lassen sich Stufen einer Tonleiter entsprechend einzelne Töne abgrenzen. Nur insofern sich eine begrenzte Zahl solcher Einheiten innerhalb des Phänomens Ton finden läßt, ist dieses für eine τέχνη, in diesem Falle die der Musik, von Bedeutung (172 u. 178). Die mathematische Betrachtungsweise des Phänomens Ton bzw. Klang führt also dazu, dieses als ein Objekt für eine τέχνη zu konstituieren. Gäbe es keine bestimmten Töne innerhalb des Phänomens φωνή, wäre dieses auch nicht Gegenstand der musikalischen τέχνη (178 u. 172). Auch das Theuth-Beispiel lädt zu geometrischer Veranschaulichung ein (171). Wiederum geht es um das Phänomen φωνή, aber nicht als möglicher Gegenstand der musikalischen τέχνη, sondern der γραμματική τέχνη. Das Phänomen wird nicht mehr unter dem Aspekt der Tonhöhe, sondern unter dem der Lauthaftigkeit (Stimmhaftigkeit) betrachtet (172). Theuth findet Vokale, Konsonanten und Halbvokale. Sie entsprechen drei Abschnitten auf dem Lautkontinuum. Jeder dieser Abschnitte wird weiter unterteilt, bis die einzelnen Laute ermittelt sind. Gosling ist offenbar der Ansicht, daß man mit Hilfe der Einteilung des Kontinuums nicht nur die einzelnen Laute ermitteln kann, sondern auch erlaubte Kombinationen zwischen verschiedenen Lauten aufzeigen kann (172). Das Phänomen 'Laut' ist erfaßt als ein System von einzelnen Laute, die je nach Beschaffenheit miteinander kombiniert werden können oder nicht. Gosling weist darauf hin, daß naturgemäß auf dem Kontinuum nicht jeder

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Zweiter Hauptteil: Die Interpretation der 'Lehre der Alten'

Punkt markiert ist, d.h. es gibt Laute, die außerhalb jeder Systematisierung stehen, in der Sprache also nicht erlaubt sind (171). Gosling meint, Piaton bezeichne die einzelnen Laute mit dem Begriff 'Element' (= 'στοιχειον'), weil sie die Grundelemente der sprachlichen τέχνη sind, also die Gegenstände, mit denen die Sprachtechne zu tun hat (171). Diese Grundelemente stehen untereinander in einer Beziehung, die von Piaton bemerkt und mit dem Begriff des 'gemeinsamen Bandes' bezeichnet wird (172). Keines der Grundelemente ist unabhängig von allen anderen erfaßbar. Das gilt auch von den Tönen in der Musik und allen anderen Objekten einer τέχνη (172). Gosling meint, daß die Entdeckung des die Elemente verbindenden Bandes das Ziel von Piatons Darstellung ist (vgl. 172; 175). Dieses Band wird erst aufgrund der mathematisch berechneten Aufgliederung des Kontinuums erkennbar (178f.). Es spielt im Grunde keine Rolle, ob die jeweils gemeinte Einheit schon vorhanden ist, durch Systematisierung der zu ihr gehörenden Elemente aber erst als solche zu erweisen ist, oder ob die Einheit, mit Hilfe der genannten Systematisierung, erst noch entdeckt werden muß. Die gemeinte Einheit ist auf keinen Fall ein Genus, sondern ein kontinuierliches Phänomen, das als Einheit für eine τέχνη erst durch systematisierende Untergliederung erwiesen werden muß (172). Es ist, wie im Falle des Phänomens φωνή, durchaus möglich, daß es mehrere Möglichkeiten gibt, einen solchen unbestimmten Gegenstand zu systematisieren, entsprechend gibt es dann auch mehrere τέχναι (Musik und γραμματική τέχνη) für das jeweilige Phänomen (172). Das habe Piaton zeigen wollen, als er alle Beispiele auf φωνή bezog. Den Unterschied zwischen dem Musik- und dem Theuth-Beispiel erklärt Gosling so: im Musikbeispiel endet die Untersuchung mit der Entdeckung einer τέχνη, die es schon gibt, während Theuth durch die von ihm angestellte Untersuchung eine τέχνη überhaupt erst erfindet (173). Theuths Entdeckung besteht darin, daß auch ganz verschiedene, einander völlig unähnliche Elemente, durch einen (mathematischen oder andersartigen) δεσμός verbunden, zu einem Phänomen gehören, also ein Gegenstand einer τέχνη sein können (175). Das scheint aber einerseits genau das Problem der jungen Eristiker aus Phil. 15d-e zu sein (174-175), die damit argumentieren, daß das eine Prädikat 'Farbe' auf ganz verschiedene Gegenstände angewendet werden kann, z.B. schwarze und weiße, 'Farbe' also ganz Verschiedenes meint und damit zugleich Eines, i.e. 'Farbe', und Vieles, i.e. 'schwarz' und 'weiß' ist. Das TheuthBeispiel zeigt, daß ganz verschiedene Elemente in eine Kategorie gehören und als ein Gegenstand behandelt werden können, wenn sie nicht in Isolierung voneinander, sondern in ihrem systematischen Zusammenhang betrachtet werden können (175).

3. D e r Interpretationsansatz von J.C.B. Gosling

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Das Beispiel des Theuth scheint, ebenso wie auch das Musikbeispiel, Piatons Antwort auf die Hauptfrage des Dialoges zu enthalten. Diese rekonstruiert Gosling wie folgt (176-177): Protarchos hatte auf der Einheit der ήδονή bestanden, Sokrates diese aber mit guten Gründen in Zweifel gezogen. Es gibt Freuden, die einander völlig unähnlich sind. Damit aber fällt ήδονή scheinbar als Maßstab für das gute Leben aus, denn offenbar ist sie gar nicht geeignet als ein Maßstab. Mit Hilfe der Beispiele will Piaton zeigen, daß die Verschiedenartigkeit der Freuden der Verwendung von ήδονή als Maßstab bei der Ermittlung des besten Lebens nicht im Wege stehen. Durch eine Betrachtung der verschiedenen ήδοναί, entsprechend den Beispielen einer φωνή, wird ήδονή als ein Gegenstand ermittelt, für den eine Lusttechne entwickelt werden kann (177). Diese setzt ein Wissen um die verschiedenen Lüste voraus. Damit wird nach Goslings Ansicht Piatons These vorbereitet, daß nicht alle Lüste Eingang in das gute Leben finden können. Aufgrund der φωνή-Beispiele ist es auch wahrscheinlich, daß Piaton sagen will, möglicherweise gebe es hinsichtlich der ήδονή nicht nur eine, sondern mehrere τέχναι, eine für die Dauer der Freude, eine andere für deren Intensität, etc. (177). Wenn Protarchos an der Einheit der Lust festhält, so muß er nach den φωνήBeispielen die relevante Lusttechne angeben, die 'Lust' als den einen Gegenstand behandelt, von dem er spricht (176-177). Dasselbe gilt für die επιστήμη: Sokrates muß eine τ έ χ ν η der έπιστήμη suchen, die sich mit dem Problem der Dauer der Ausübung einer Wissenschaft und ihrer Genauigkeit beschäftigt (177). Die Bedeutung der Zahl ist für das Musikbeispiel evident, obwohl mir nicht ganz klar geworden ist, ob Gosling Piatons Rede von der Zahl auf die Zahlenverhältnisse bezieht, die die einzelnen Töne definieren, oder auf die Anzahl der Töne auf einem Kontinuum (173). (Beides steht natürlich in Beziehung zueinander.) Die Zahl steht jedenfalls nach Goslings Ansicht für die fortschreitende Mathematisierung der τέχναι (178; 180). Entsprechend spricht Piaton auch im Theuth-Beispiel von der Bedeutung der Zahl. Offenbar hofft Piaton, daß auch das Phänomen menschlicher Laute mathematisch strukturiert werden kann (178). Die Angaben Piatons dazu sind allerdings so wenig deutlich, daß Gosling vermutet, Piaton denke mehr an einen Prozeß fortschreitender Mathematisierung, der in dem geschilderten Beispiel über das Anfangsstadium nicht hinausgelangt ist (178). Gosling nennt andere Beispiele, in denen Piaton und Aristoteles die Anwendbarkeit der mathematischen Methode auf Alltagsphänomene beschreiben, z.B. gerechte Verteilung von Gütern, in denen 'Tugend' (άρετή) zum Ausdruck kommt (178f.). Es kann aber auch sein, so vermutet Gosling, daß Piaton übertreibt, wenn er zu verstehen gibt, die mathematische Methode lasse sich auf jedes Sachgebiet anwenden (179).

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Zweiter Hauptteil: D i e Interpretation der 'Lehre der Alten'

Gosling sieht den Vorteil seiner Interpretation darin, die Beispiele erklären zu können, die eine Interpretation wie die von Hackforth oder Striker nicht erklären kann, weil sie offensichtlich nicht Genus-SpeciesDihairesis illustrieren (174). Jene Auffassung wiederum beruft sich mit einigem Recht auf die 'Lehre der Alten'. Gosling meint, seine Interpretation sei mit der 'Lehre' mindestens ebenso vereinbar (174). Die Forderung Piatons (16dlf.), man müsse jedesmal eine Einheit suchen, interpretiert Gosling wie im Buchstabenbeispiel: man muß jedesmal ein Phänomen so systematisieren, daß es als ein Gegenstand einer τέχνη erkennbar wird. Die Wendung 16c9f. "das, wovon jedesmal gesagt wird, es sei" meint solche Phänomene wie φωνή, nicht Genera oder Einzeldinge (173). Die Erfassung der bestimmten Zahl der Elemente ist Voraussetzung für die Konstituierung des Phänomens als eines Gegenstandes einer τέχνη, aber dann kann man dieses Phänomen wieder als Kontinuum betrachten, denn man weiß jetzt, daß es nicht nur Kontinuum ist (173). Denn die für die τέχνη bedeutsame Zahl ist bekannt (vgl. 16el-2). Das Musikbeispiel zeigt besonders gut, wie die Eigenschaften der einzelnen Töne mit der zahlenmäßigen Bestimmung zusammenhängen. Insofern erklärt Goslings Interpretation die von Piaton oft wiederholte Mahnung, man müsse innerhalb der Einheit Qualität und Quantität erfassen (vgl. 17b6-9; dl; 19b3)(173). Eine gewisse Schwierigkeit stellen für Gosling die von Piaton genannten Beispiele einer Einheit in 15a-b dar. 'Gut' und 'schön', so erklärt Gosling, sind in dem Sinne Einheiten für eine τέχνη, als jede sich auf das richtet, was für den jeweiligen Gegenstand gut und schön ist (175). 'Mensch' und 'Rind' werden von Piaton genannt, weil es bei Mensch und Tier Kontinua, z.B. des Gewichtes oder der Körpertemperatur gibt, die mit Hilfe der relevanten τέχνη (z.B. der Medizin) in der Balance gehalten werden (175). Denn mittels der τέχνη ergeben sich für Mensch und Tier die Gewichtspunkte und Temperaturwerte, die für das Lebewesen angemessen und gesund sind. Gosling vermutet, man könnte seine Interpretation als Variante der Auffassung verstehen, die Bury die 'intensive' Betrachtungsweise genannt hat (177).27 Aber der Text handelt nach Goslings Meinung nicht von der Zusammensetzung von Einzeldingen, sondern von den τέχναι, und nur abgeleitet von deren Produkten (177f.). "Απειρον ist nicht Element der Konstitution eines Einzeldinges, etwa im Sinne von 'Materialprinzip', sondern das Kontinuum einer τέχνη, auf dem bestimmte Punkte in der beschriebenen Weise markiert sind (178). Mit keinem Wort spricht Piaton davon, daß etwa einzelne Töne zu den απεφα gehören, sondern 27 Vgl. Bury, xli. Siehe Anhang zu diesem Abschnitt!

3. Der Interpretationsansatz von J.C.B. Gosling

127

άπειρον ist das Phänomen φωνή, die Einheit, von der die Rede ist (ebenda). Gosling stützt seine Interpretation durch einige historische Beobachtungen. Im Philebos vertrete Piaton eine pythagoreische Sicht der τέχναι, unterscheide sich aber darin von den Pythagoreern, daß er nicht, wie diese, annimmt, πέρας und άπειρον seien Bestandteile der Gegenstände selbst (179). Das entspreche dem Bericht des Aristoteles (Met. A, 987a-b) über den Unterschied zwischen der pythagoreischen und platonischen Lehre: während die Pythagoreer glaubten, πέρας und άπειρον seien Bestandteile der Gegenstände selbst, so daß sie die Zahl als 'Substanz' aller Dinge betrachteten, hat Piaton die Zahlen von den Gegenständen unterschieden, weigerte sich also, Zahlen als Bestandteile von Dingen anzusehen (179). Die Beziehung mathematischer Erkenntnisse auf die physikalische Welt ist also indirekter als bei den Pythagoreern, und dieses Bild wird durch den Philebos bestätigt: die Zahlen sind Bestandteil der τέχναι, die mit der physikalischen Welt umgehen (179f.). Mit dem Verweis auf Met. K, 1061a28ff. argumentiert Gosling, daß die mathematische Betrachtungsweise der τέχναι für Eudoxos nichts Besonderes gewesen sein kann, denn Aristoteles berichtet von Mathematikern, die ihre geometrische Betrachtungsweise auf Eigenschaften wie Wärme, Kälte, Härte und Weichheit etc. anwenden, insofern es sich um kontinuierliche Größen handelt (180). Schließlich verweist Gosling auf den pythagoreischen Musiktheoretiker Aristoxenos, der kurze Zeit nach Piaton lebte, zunächst ein Schüler des Pythagoreers Xenophilos, dann des Aristoteles (180f., auch im folgenden). Von ihm sind Diagramme bekannt, die in der beschriebenen Weise das musikalische Kontinuum und seine Tonstufen darstellen. Außerdem beschäftigte sich Aristoxenos mit der Frage, ob der Unterschied hoher und tiefer Töne ins Unendliche (εις άπειρον) fortschreitet. Seine Antwort war, daß es für das menschliche Ohr und die menschliche Stimme eine obere und eine untere Grenze gibt, jenseits derer ein Laut nicht mehr als Ton empfunden wird, und daß es auch innerhalb des Kontinuums eine Grenze der Differenzierung von Tonschritten gibt. Gosling sieht sich durch die Auffassungen von Aristoxenos in seiner Interpretation der Schlüsselbegriffe unserer Passage, 'πέρας' und 'άπειρον', bestätigt, und er hält es aufgrund von Aristoxenos für wahrscheinlich, daß auch schon früher die Musiktheoretiker Diagramme benutzt haben, um die Beziehungen zwischen einzelnen Tönen auf dem Kontinuum der φωνή zu veranschaulichen. Möglicherweise spielt Aristoxenos sogar ausdrücklich auf den Philebos an.

128

Zweiter Hauptteil: D i e Interpretation der 'Lehre der Alten'

Kritische Würdigung: Goslings Interpretation soll vor allem unter der Leitfrage untersucht werden, ob man sie bei unbefangener Lektüre dem Text hätte entnehmen können. Einige seiner Aspekte scheinen mir von Gosling gut erfaßt, z.B. die Skizzenhaftigkeit des Musikbeispiels, in dem Piaton nur die für seinen Zweck nötigsten Angaben macht 28 (was bei der Interpretation in der Tat zu berücksichtigen ist), die Bedeutung der Zahl für die Erfassung der Untergliederungen der ursprünglichen Einheit und nicht zuletzt die Schwierigkeit einer reinen Genus-Species-Interpretation. Beim letzten Punkt muß allerdings die Kritik einsetzen. Es kann m.E. nicht geleugnet werden, daß Piaton von einer Unterscheidung vergänglicher und unvergänglicher Entitäten ausgeht und letztere einer Aufgliederung unterwerfen will.29 Bei dieser Aufgliederung hat Piaton zweifellos zunächst an Dihairesis gedacht, wie die Anspielung auf Phaidr. 265ff. (in Phil, lóbó-?) 30 sowie die ausdrückliche Verwendung des Begriffes (vgl. 15a7, 19b2-3) deutlich machen. Die 'Lehre der Alten' ist, obwohl das entsprechende Fachvokabular merkwürdigerweise (s.u.) fehlt, immer noch am besten als Darstellung der Dihairesis-Methode erklärbar. Davon bleiben die Probleme, die Beispiele als Fälle von Dihairesis zu verstehen, unberührt. Gosling legt den Schwerpunkt seiner Interpretation auf das Verständnis der Illustrationen. Er hat m.E. recht mit seiner Auffassung, daß die Beispiele kaum Dihairesis illustrieren können (oder sollen), aber das darf nicht dazu führen, gegen das unbefangene Verständnis des Textes das Vorkommen von Dihairesis auch dort zu leugnen, wo es unzweideutig ist. Dazu gehört z.B. auch, daß Gosling in seiner Aufzählung wichtiger Interpretationskriterien einen Punkt nicht erwähnt, der für das Verständnis der 'Lehre' wesentlich ist, für seine Interpretation der Beispiele aber kaum relevant: denn Piaton sagt (16d4-5), daß die durch Aufteilung der ursprünglichen Einheit gewonnenen Henaden wiederum aufgegliedert werden müßten, die so gewonnene^ wieder, etc. Damit kann nur die Aufgliederung der zunächst ermittelten Arten in Unterarten, dieser wiederum in deren Unterarten, etc. gemeint sein. Für Goslings Interpretation des Musikbeispiels ist die Bemerkung Piatons nur schwer zu erklären, denn was sollte es heißen, die auf einem Kontinuum festgelegten Tonpunkte wiederum zu unterteilen? Vielleicht ist Piatons Bemerkung auf das Musikbeispiel nicht anwendbar, aber dann hätte Gosling die Kon28 Vgl. Gosling, 176. 29 Vgl. auch O. Letwin, Interpreting the Philebus, Phron. X X V I , 1981,194-195. 30 die Gosling, 82f., in merkwürdig gewundener Weise in Frage zu stellen versucht.

3. Der Interpretationsansatz von J.C.B. Gosling

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sequenz ziehen müssen: das Beispiel erläutert nicht in jedem Punkt die 'Lehre der Alten'. Piatons Bemerkung kann durchaus auch im Rahmen des Musikbeispiels verstanden werden, nämlich als Aufgliederung der zunächst gewonnenen Unterteilungen 'hoch', 'tief und Mittellage, bis zu den einzelnen Tönen. Etwa so beschreibt Gosling den Vorgang der Einteilung der musikalischen φωνή. Die Schwierigkeit dieser Auffassung scheint mir aber darin zu bestehen, daß die Einteilung in drei Tonbereiche mit der späteren, mathematischen Ermittlung von Einzeltönen auf einer Lyrasaite sachlich nichts zu tun hat. Die Tonleiter ergibt sich bei Gosling nicht aus der weiteren Untergliederung der genannten Tonbereiche, sondern aus der konsequenten Durchführung der mathematisch-musikalischen Betrachtung. Wäre es anders, müßte jeder der zuletzt ermittelten Töne eindeutig einem der drei Bereiche zugeordnet werden. Nun scheint Piaton aber tatsächlich der Auffassung zu sein, daß sich die einzelnen Töne im Rahmen der Tonbereiche ergeben, die zunächst auf dem Kontinuum festgelegt sind (vgl. die Wendung 17cl2). Das heißt, hier besteht ein sachlicher Zusammenhang, der aber in der Interpretation von Gosling nicht erkennbar wird. Ein weiterer wichtiger Punkt, an dem die Interpretation Goslings m.E. wesentlich vom Platon-Text abweicht, ist die Beschreibung des Gesamtduktus. Gosling meint, wie dargestellt, Piaton wolle die Einheit eines Phänomens durch Aufweis eines mathematisch-systematischen Zusammenhangs einzelner Elemente feststellen. Es gehe darum, zu zeigen, wie etwas eine Einheit für eine τέχνη sei. Piaton wolle besonders darauf hinweisen, daß völlig verschiedene Dinge, durch ein gemeinsames Band verbunden, Gegenstand der einen sie betreffenden τέχνη sein können. 31 Damit argumentiere er gegen Protarchos' Annahme, nur einander ähnliche Gegenstände könnten zu einer Klasse gehören. 32 Doch der Gesamtduktus der Argumentation Piatons scheint mir eher zu sein, die Differenziertheit von 'Lust', 'Wissen' und 'φωνή' aufzuzeigen. Es geht nicht darum, disparate Elemente durch Aufweis eines systematischen Zusammenhangs als zu einem Sachgebiet gehörend zu erweisen, sondern die Vielheit und Verschiedenheit von dem, was zunächst als Einheit erscheint, zu zeigen. Entsprechend fordert Sokrates den Protarchos nicht, wie Gosling es darstellt, auf, aus der Verschiedenartigkeit des Phänomens 'Freude' die Konsequenz zu ziehen, mit Hilfe der Lusttechne ηδονή als einen Gegenstand zu erweisen, sondern er will im Gegenteil Protarchos die Verschiedenartigkeit der Freuden vorführen, damit dieser daraus die Konsequenz zieht, daß Lust doch 31 Vgl. Gosling, 177. 32 Gosling, 176.

130

Zweiter Hauptteil: D i e Interpretation der 'Lehre der Alten'

nicht so einheitlich ist, wie er zunächst behauptet hat. 33 Auch in der 'Lehre der Alten' und den Beispielen geht es nicht, wie Gosling meint, darum, die gemeinte Einheit erst noch zu finden (ich klammere an diesem Punkt das Theuth-Beispiel noch aus) oder erst herzustellen, sondern eine bestehende Einheit zu differenzieren und als Vielheit zu erweisen. Und nun zum Theuth-Beispiel: Gosling macht es offenbar zum Maßstab seiner Interpretation des Textes.34 Er meint, in diesem Beispiel werde Piatons Bemerkung von 16dlf. illustriert, man müsse nach einer Einheit suchen und werde sie dann auch finden. Damit ist eben die Suche nach der systematischen Einheit eines Sachgebietes für eine τέχνη gemeint. Diese werde im Theuth-Beispiel vorgeführt, wie die Bemerkung über 'γραμματική τέχνη' zeige.35 Die Schwierigkeit dieser Auffassung besteht offenbar darin, daß für Gosling das Theuth-Beispiel am klarsten ausdrückt, was Piaton schon in der 'Lehre' und dann in den beiden Beispielen sagen will. Das scheint mir aber im Widerspruch zur expliziten Feststellung Piatons zu stehen, im Theuth-Beispiel werde der umgekehrte Vorgang (18a9) demonstriert. Gosling erklärt diese Bemerkung Piatons mit einer Umkehrung des 'order of exposition', dann aber spricht er von einer Umkehrung des 'order of discovery'.36 Diese beiden Auffassungen sind nicht deckungsgleich. Am klarsten wird das, was Gosling meint, durch die Bemerkung, im Musikbeispiel werde gezeigt, wie eine bereits vorhandene τέχνη gefunden wird, während das Buchstabenbeispiel die Erfindung einer bislang unbekannten τέχνη schildere.37 Ich interpretiere diese Bemerkung so, daß im Musikbeispiel sozusagen noch einmal bestätigt wird, daß die Musiktechne es mit einem, systematisch zusammenhängendem Sachgebiet zu tun hat, während im Buchstabenbeispiel eine τέχνη durch Aufweis eines solchen Sachgebietes gefunden wird. Wenn diese Interpretation zutrifft, besteht offenbar kein Unterschied zwischen den Beispielen, was die Elemente der jeweiligen τέχνη betrifft, sondern nur hinsichtlich des Vorhandenseins oder Nichtvorhandenseins der τέχνη selbst. Das aber steht im Widerspruch zu Piatons Aussage, im Theuth-Beispiel werde der Übergang von der unbegrenzten Vielheit zur Einheit dargestellt, während zuvor vom Übergang von der obersten Einheit zur Vielheit die Rede war. Diese Bemerkung betrifft offenbar die Elemente eines Sachgebietes, nicht die das Sachgebiet umspannende τέχνη. 33 34 35 36 37

Vgl. meine Interpretation des Einleitungsgespräches! Vgl. Gosling, 172. Gosling, 173. Gosling, 174. Gosling, 172.

3. D e r Interpretationsansatz von J.C.B. Gosling

131

Gosling scheint mir also keine überzeugende Interpretation für Piatons Bemerkung 18a6-b4 gefunden zu haben. Das Theuth-Beispiel kann m.E. nicht Maßstab für die Interpretation der anderen Beispiele und der 'Lehre' sein (es sei denn, man kehrt es sozusagen um). Der Satzteil 16d2 darf nicht unabhängig vom Zusammenhang des ganzen Satzes 16cl0-d7 interpretiert werden. Dann aber wird deutlich, daß Piaton nicht meint, der gesamte geschilderte Prozeß müsse im Auffinden einer Einheit enden. Es ist offenkundig, daß der Aufgliederungsprozeß nach Piatons Darlegungen in 16c-d von der gemeinten Einheit ausgeht und zur Vielheit fortschreitet. Das Theuth-Beispiel schildert nicht den Regelfall, sondern die von Piaton ausdrücklich notierte Abweichung von dieser Regel. Die Suche nach der Einheit in 16d2 hingegen meint wohl das intuitive Erfassen eines Oberbegriffes für ein Sachgebiet. Dieser wird unterteilt, und dadurch wird die Struktur eines Sachgebietes deutlich. Aus dem Text ist auch nirgends zu beweisen, daß Piaton meint, die gemeinte Einheit selber sei Gegenstand einer τέχνη. Das gilt nicht einmal von der φωνή, denn Piaton nennt ausdrücklich als Objekte der μουσική τέχνη noch Takt und Rhythmus, und diese fallen nicht unter ' drei Begriffen umgeht. Det dritte Grund dafür, daß Piaton im Falle von πέρας, άπειρον und μ.εικτόν auf eine genaue Auflistung der Species und Subspecies verzichtet, scheint mir darin zu liegen, daß das jeder Klasse gemeinsame Merkmal bekannt ist, auch ohne daß eine in allen Einzelheiten η Bury, 39-40. 78 Vgl. auch die Redeweise Strikers, 67, und ihre Überlegungen auf 31-33.

1. Weitere Stellen aus dem 'Philebos'

243

ausgeführte συναγωγή vollzogen wird. Der Zweck der Herausarbeitung der genauen Zahl eines Begriffes schien mir nach Piatons Auskunft darin zu liegen, einen Einblick in das durch den Begriff repräsentierte Sachgebiet zu gewinnen. Was aber die drei Begriffe πέρας, άπειρον und μ,εικτόν angeht, so ist auch ohne die genaue Auflistung der Zwischenbegriffe deutlich, wofür diese Begriffe stehen und auf was sie anzuwenden sind. Die allgemeine Charakteristik des Begriffes 'άπειρον' steht in 24c2-6, die des πέρας 25a7-b2 und 25dl l-e2, die der gemischten Gattung 26d7-9. Piaton kann also auf die sachgerechte συναγωγή in allen Details verzichten, weil sie überflüssig wäre. Vielleicht soll die Bemerkung, daß die Menge der Elemente der dritten Gattung Protarchos daran hindern könnte, sie zu einer Klasse zu vereinen (26c8f.), zeigen, daß hier wenigstens prinzipiell das Problem der unmittelbaren Konfrontation des Einen mit dem (unbegrenzt) Vielen besteht. Im Falle der gemischten Gattung läßt sich dieses Problem, so will Piaton vielleicht sagen, aber ebenso leicht überwinden wie im Falle der beiden anderen, weil die Einsicht in das, was mit dem Gattungsbegriff gemeint ist, vorausgesetzt werden kann.

2. Die Einteilung der Formen der Freude und des Wissens In einigen Kommentaren zum Philebos wird die wichtige Frage im Zusammenhang mit dem Problem der Einheit und Vielheit der Formen angesprochen, ob Piaton seine in Phil. 31-59 vorgelegte Analyse der Formen der Freude und des Wissens als eine Dihairesis der Gattungen 'ηδονή' und 'επιστήμη' versteht. 79 Wird diese Frage positiv beantwortet, ergibt sich für die Vertreter der Auffassung, daß in der 'Lehre der Alten' eine allgemeine Darstellung der Dihairesis-Methode vorliegt, das Problem, warum Piaton einige der wichtigsten Forderungen für eine sachgerechte Durchführung der Dihairesis in der Analyse von 'ήδονή' und 'επιστήμη' nicht erfüllt. Erstaunlicherweise wird dieser zweite Punkt von den Kommentatoren nur im Ausnahmefall angesprochen. Soweit ich sehe, versuchen nur Gosling und Diès eine Beantwortung der zweiten Frage. 80 Die meisten anderen Kommentatoren, auch solche, die die 'Lehre der Alten' eindeutig als Darlegung der Dihairesis verstehen, beantworten nicht die Frage, warum Piaton in der Auflistung der Formen der ήδονή und der επιστήμη offenbar keinen Wert auf die genaue Zahl der Arten legt, warum die Art der Aufzählung und die Darlegung des gegenseitigen Verhältnisses der Species an vielen Stellen 79 Guthrie V, 216; Gosling, 211; Hackforth, 58; Taylor, PPE, 54. 80

Dies, xcviii; Gosling, 211.

244

Schlußteil

verwirrend und schwer durchschaubar sind 81 und warum Piaton, im Gegensatz zu seinem Programm, die Einteilung jeder Art nicht bis zur infima species durchführt, sondern an einigen Punkten den Vorgang der Dihairesis einfach abbricht. Ich bezweifele, daß es auf jede dieser Fragen eine befriedigende Antwort gibt, aber mir scheint, daß man diese Fragen angesichts des Nachdruckes, den Piaton auf die korrekte Durchführung der Einteilungsmethode legt (vgl. 17d6-7; 19b7-8), stellen darf, Piaton also sozusagen beim Wort nehmen darf. Ich möchte das tun, indem ich das Gerüst der Einteilung zuerst der Formen der Freude und dann der des Wissens nachzeichne und einige der Probleme, die sich aus der Einteilung ergeben, aufzeige. Dabei möchte ich nicht auf die in der Literatur z.T. extensiv behandelten Sachfragen, einige Arten der Freuden (z.B. wahre und falsche Freuden) und des Wissens (z.B. 'populäre' und 'philosophische' Arithmetik) betreffend, eingehen, sondern nur Fragen der Einheit und Vielheit behandeln. a) Die Formen der Freude Mit der überwiegenden Mehrheit der Kommentatoren bin ich der Auffassung, daß für Piaton die Behandlung der Freuden und Wissensformen eine Dihairesis darstellt. Dafür sprechen zwei Gründe: 1. Die Darlegung der Arten der Lust und des Wissens nimmt offenkundig den 20a-b vorläufig unterbrochenen Gedanken wieder auf: 82 Protarchos verlangte dort von Sokrates die Anwendung der in der 'Lehre der Alten' und den Beispielen aufgestellten wissenschaftlichen Methode auf die beiden Kandidaten für ein gutes Leben, nämlich ηδονή und επιστήμη (19b2-4). 2. Die Darlegung der Arten der Lust und des Wissens erfolgt, wenigstens zum Teil, mit Hilfe des technischen Vokabulars, das in anderen Platondialogen für Dihairesis verwendet wird, vgl. eta 32c3, 33c5, 37a 1 u.v.a.m. Die Tatsache, daß das entsprechende Vokabular im Philebos Verwendung findet, Piaton also bekannt ist, scheint mir gegen Waterfields Auffassung zu sprechen, der Philebos sei ein relativ früher Dialog, etwa gleichzeitig mit dem Gorgias, und Piaton habe zu diesem frühen Zeitpunkt die dihairetische Methode in ihrer reifen Form noch nicht entdeckt, er stehe, wie die 'Lehre der Alten' beweise, zwar an der Schwelle zur Entwicklung der Methode (wie auch der Gorgias zeige), habe sie aber noch nicht in voller Klarheit konzipiert. 83 Dem widersprechen jedoch die genannten und an-

si Immerhin geht Guthrie V, 216, kurz auf dieses Problem ein. 82 Vgl. dagegen Gosling, 211, der das bestreitet. Meine Meinung wird z.B. von Taylor, PPE, 35 geteilt, auch von Bury, 58 u. Hackforth, 58. 83 R.A.H. Waterficld, T h e Place of the Philebus in Plato's Dialogues, Phron. 25, 1980, 280-283.

2. Die Einteilung der Formen der Freude und des Wissens

245

dere Stellen, an denen Piaton das Vokabular der dihairetischen Methode in Übereinstimmung mit den Parallelen im Sophistes und Politikos anwendet. Umso bemerkenswerter scheint mir die Tatsache, daß Piaton dieses Vokabular, wie bereits festgestellt, in der 'Lehre der Alten' und den Beispielen nicht verwendet. Das spricht für die oben geäußerte Auffassung, daß es Piaton in diesem Abschnitt vermutlich nicht primär um eine theoretische Darlegung der Dihairesis-Methode ging. Das Programm für die Untersuchung der Arten der Lust und des Wissens formuliert Piaton wie folgt (31b2-4):84 er wolle wissen, worin jedes von beiden (d.i. Lust und Wissen) ist und durch welches Pathos es entsteht, wenn es entsteht. Die Frage nach dem Ort der Entstehung der Freude wird sogleich beantwortet (31c2-3): sie entsteht in der dritten Klasse, der gemischten, und damit meint Piaton: sie entsteht in der Klasse, zu der auch Gesundheit und Harmonie gehören. Die Freude entsteht dort, wo ein körperlicher Gleichgewichtszustand besteht, allerdings durch die Störung dieses Gleichgewichtszustandes, wenn man die erste Art von Freuden betrachtet. Die Frage nach dem πάθος, durch das Freude oder Schmerz entstehen, wird im folgenden mit Hinweisen auf Durst, Fieber, Jucken etc. beantwortet. Es ist übrigens nicht ganz klar, wie die Frage nach dem πάθος, die offenbar auch für die Untersuchung der Arten des Wissens gilt, im Falle der έπιστήμαι zu beantworten ist. Mir scheint, daß die Kommentatoren recht haben, wenn sie ohne weitere Erörterung davon ausgehen, daß die Angabe des Ortes und der verschiedenen πάθη auf eine Darlegung der Arten von Lust und Wissen hinausläuft, doch sollte beachtet werden, daß Piaton sich mit diesem 'Programm' seiner folgenden Untersuchung die Möglichkeit eröffnet, einzelne Arten der Freude und des Wissens über die Absicht einer möglichst vollständigen Auflistung hinaus (vgl. 55c3ff.) genau auf die Umstände ihrer Entstehung und ihres Vollzuges zu untersuchen, d.h. einzelne Arten der Freude und - in geringerem Maße - des Wissens werden zu einem Erkenntnisgegenstand über die Feststellung ihres relativen Wertes für ein aus Formen der Lust und des Wissens gemischtes Leben hinaus. Dieses Anliegen hat Diès zu Recht herausgearbeitet, indem er sagt, daß der Dialog sich sozusagen für jeden Abschnitt sein eigenes Aussagezentrum und sein eigenes Gewicht sucht85 und daß Piaton 'dialektisch' arbeite, also nicht in jedem Falle in der folgerichtigen Abhandlung eines geschlossenen Gedankengangs. 86 Aber diese Auskunft ist deshalb für unsere Fragestellung nicht ausreichend, weil gerade das Ge-

84 Vgl. auch Hackforth, 58. 85 Dies, xvi-xvii. w Diès, xvi.

Schlußteil

246

wicht, das Piaton auf die Untersuchung des Gegenstandes ήδονή offenkundig legt, es - nach eigenem Bekunden - erfordern würde, daß für die sachgemäße Behandlung des Gegenstandes eine kunstgerechte Divisio durchgeführt wird. Daher bleibt die Frage nach der Durchführung der dihairetischen Methode in Phil. 31-59 bestehen. Die Einteilung des Genus 'ήδονή' vollzieht sich wie folgt: zuerst erwähnt Piaton zwei Species reiner Freuden (32c6ff.). Ich stimme nicht mit der üblichen Meinung überein, daß die reinen Freuden erst ab 50e5 aufgezählt werden. 87 Die Feststellung des Sokrates (52clff.), daß die reinen Freuden aufgeführt und von den zuvor behandelten unreinen Freuden geschieden worden sind, bezieht sich m.E. nur auf die unmittelbar der Einteilung der reinen Freuden voraufgehende Behandlung der aus Lust und Schmerz gemischten Freuden. In seiner Behandlung der reinen Freuden betont Piaton wiederholt, daß der Reinheitscharakter dieser Freuden darin besteht, daß ihnen keine λυπη beigemischt ist. Auch für die beiden ersten Species von ήδονή stellt Piaton 32c8 ausdrücklich fest, daß sie rein und ungemischt sind, weil sie ohne λύπη vorkommen. Die Freuden der ersten Art sind solche, die aus der Wiederherstellung gestörter Harmonie körperlicher Faktoren in einem Lebewesen resultieren.88 Rodier bezeichnet diese Art der Freuden als 'plaisirs corporels', 89 Taylor spricht von den Freuden des Körpers im Unterschied zur zweiten Species, wo Freuden, die nur der Seele zukommen, genannt sind.90 Mir scheint, daß Piaton diese Unterscheidung nicht so verstanden wissen will, daß die erste Art Freuden des Körpers allein und die zweite Art Freuden der Seele allein umfaßt. 91 Aus 33d2-6, 43c4-6 scheint mir hervorzugehen, daß Piaton meint, jeder körperliche Prozeß müsse in die Seele, d.h. das Bewußtsein desjenigen Lebewesens gelangen, in dessen Körper er stattfindet, um überhaupt als Schmerz oder Freude wahrgenommen zu werden. Daher dürfte auch an den Freuden der ersten Art die Seele beteiligt sein. Im Unterschied zu dieser ersten Art von Freuden (und Schmerz) ist aber nach Piatons Auffassung bei der zweiten Art (32b-36c), nämlich den Freuden, die bei der Erwartung freudiger und dem Schmerz, der bei der Erwartung unerfreulicher Ereignisse entsteht, nur die Seele beteiligt (33c5-6), d.h. diese Freuden haben auch ihren Ursprung im Mentalen. Platonisch gesprochen hat das πάθος, das zu ihrer Entstehung führt (nämlich die Erwartung oder Befürchtung zukünftiger Ereignisse) einen seelischen Ursprung. Beide Arten von Freuden nennt Piaton 'rein', weil 87

88 89 90 91

Angedeutet wird der von mir vertretene Standpunkt bei Rodier, 95. Vgl. Gosling, 101. Rodier, 99. Taylor, PPE, 57; Taylor, Plato, 418. S o auch Rodier, 99.

2. D i e Einteilung der Formen der Freude und des Wissens

247

der Zustand der λύπη der Freude, wie im ersten Fall, entweder vorausgeht (etwa der Durst) oder nachfolgt (wie die Enttäuschung bei nicht erfüllter hoffnungsvoller Erwartung) (vgl. 32c6-dl). Nach den beiden Arten reiner Freuden wendet sich Piaton nunmehr (36c) den gemischten oder unreinen Freuden zu, um sich später wiederum den reinen Freuden zuzuwenden (ab 50e). Das gehört zu den Schwierigkeiten der platonischen Darstellungsweise, hinter denen Diès eine bewußte Verschleierungstaktik Piatons vermutet. 92 Mir scheint, daß es auch sachliche Gründe für diese Art der Darstellung gibt. Die im folgenden dargestellten falschen und gemischten Freuden können nämlich sozusagen als Degenerationsformen der beiden Arten wahrer Freuden aufgefaßt werden, zwar nicht durchgehend (z.B. schwerlich im Falle der Freuden beim Betrachten einer Komödie oder Tragödie), aber doch in vielen der aufgezählten Fälle (wie z.B. die Lust beim Kratzen einer juckende Hautstelle (46a8ff.) eine minderwertige Form der körperlichen Freude sein dürfte, und die Freuden, die sich auf die Erwartung von etwas beziehen, was dann nicht eintrifft (42b-c3), als degenerierte Form der reinen Erwartungsfreude angesehen werden können). Entsprechend kann man vermuten, daß die ab 50e behandelten reinen Freuden eine Überhöhung der ersten beiden Species der Freude sind (so kann man die Freude an Gerüchen (51b4f.) als besonders hochgestellte Form körperlicher Freude ansehen), doch wird man einschränkend sagen müssen, daß die meisten dieser Freuden, da teilweise mit besonderen Formen der επιστήμη verbunden, sich nicht aus den beiden ersten Arten der ήδονή erklären lassen. Die Möglichkeit dieser Erklärung des Verhältnisses der Arten der ηδονή zueinander ergibt sich m.E. aus 32c6-d6, wo Piaton u.a. feststellt, daß einige Arten der Freude zwar nicht gut sind, aber bisweilen die Natur des Guten annehmen können (32d5-6). Damit meint er vielleicht, daß es bestimmte Arten von Freuden in einer guten und einer degenerierten Form gibt, wobei er allerdings davon ausgeht, daß die Freuden normalerweise nicht als gut anzusehen sind. Mir scheint, daß Piaton auch die ersten beiden Arten der Freude nicht als gut bezeichnen würde, obwohl sie doch reine Freuden sind. Er würde ihnen gegenüber Vorbehalte haben, wie sich im folgenden bald erweisen wird. Andererseits unterscheidet gerade dies die ab 50e aufgezählten reinen Freuden von den hier erwähnten, daß sie nicht nur rein sind, sondern auch die 'Natur des Guten' besitzen; immerhin scheint Piaton sie als 'θείον γένος' ( 5 l e i ) zu betrachten. Wie man sieht, hat die verschränkte Darstellung der Klasse der rei-

92

Diès, xvi-xvii.

248

Schlußteil

nen Freuden bei Piaton durchaus sachliche Gründe und kann nicht nur als Verschleierungsmanöver angesehen werden. Eine weitere Art von Freuden gehört nicht mehr zur Gattung der reinen, von Schmerz freien Freuden, sondern, wie sich aber erst später herausstellen wird, zur Gattung der gemischten Freuden (vgl. 35cff.). Piaton meint damit einen Zustand, in dem jemand aufgrund seines körperlichen Befindens Schmerzen hat, aber auf Besserung oder Wiederherstellung hoffen darf und sich darauf freut. Mir scheint, daß Piaton hier eine Art von Freuden einführt, die eine Kombination der ersten beiden Arten darstellt, die aber nicht mehr zu den reinen, sondern bereits zu den unreinen Freuden gerechnet werden muß. Die Wiederherstellung der körperlichen Harmonie wird nicht vollzogen, sondern nur erwartet, bei gleichzeitig vorhandenem Schmerz. Es handelt sich also sozusagen um eine degenerierte Erscheinungsform der Erwartungsfreuden, die Erwartung aber richtet sich auf körperliche Erfüllung. Piaton nennt diese ήδονή nicht eine Art der Freude, sondern eine Lebensform ('βίος', 35el). erst später wird er sie den gemischten Freuden zuordnen (47clff.). An dieser Stelle geht es ihm darum, zu zeigen, daß die konkrete Ausprägung reiner Freuden meistens so erfolgt, daß sie als unreine Freuden in Erscheinung treten. Es wird sich schließlich herausstellen, daß der βίος in zweifacher Weise unrein ist: erstens gehört die dabei empfundene Freude zu den gemischten Freuden, zweitens ist jemand, der im Zustand körperlichen Schmerzes mit Hoffnung auf Wiederherstellung schwebt, besonders anfällig für eine Art von Täuschung hinsichtlich seiner Freude, die diese zu einer partiell falschen Freude macht (nämlich der in 42b6ff. erwähnten). Die Einteilung der unreinen Freuden beginnt mit der Einteilung verschiedener Arten von falschen Freuden (36c-38a). Das in der Literatur ausgiebig diskutierte Problem, in welchem Sinne nach Piatons Auffassung die Prädikate 'wahr' und 'falsch' auf Freuden anwendbar sind, soll hier nicht erörtert werden. Die erste Unterart falscher Freuden sind Erwartungsfreuden, die sich auf etwas richten, was nicht eintritt (40a9-12). In diesem Sinne wahre Freuden sind folglich solche, die an einer sich zukünftig erfüllenden Erwartung entstehen. Es ist deutlich, daß man die falschen Freuden dieser ersten Unterart als minderwertige Erscheinungsform der oben erwähnten reinen Erwartungsfreuden betrachten kann. Piaton betont wohl nicht zufällig, daß diese Art von Freuden vornehmlich bei schlechten Menschen angetroffen wird, während die guten, den Göttern wohlgefälligen Menschen meistens wahre Freuden empfinden (39el0-40a2). Im folgenden versucht Sokrates sogar, die Identifikation von falschen Freuden = moralisch schlechten, minderwertigen Freuden durchzusetzen (40e6-10), stößt aber bei Protarchos auf entschiedene Ablehnung (4 la 1-4).

2. Die Einteilung der Formen der Freude und des Wissens

249

Die zweite Unterart falscher Freuden entsteht aus einer falschen Einschätzung der Quantität der Freude im Vergleich mit dem gleichzeitig vorhandenen Schmerzgefühl (41b-42c). Diese falsche Einschätzung entsteht nach Piatons Auffassung besonders leicht dann, wenn sich die Freude auf die Erwartung unmittelbar bevorstehender oder ferner liegender positiver Ereignisse richtet und die zeitliche Nähe oder Ferne eines solchen Ereignisses die Intensität des freudigen Gefühls derart beeinflußt, daß es im Verhältnis zum gleichzeitig vorhandenen Schmerz entweder ungebührlich groß (vermutlich bei nahe bevorstehenden Ereignissen) oder ungebührlich gering (bei in ferner Zukunft liegenden Ereignissen) wird (41e9-42a3). Der 'Betrag' des freudigen Gefühls entspricht in beiden Fällen nicht dem Anlaß zu dieser Freude und dem Gewicht des gleichzeitig vorhandenen Schmerzes. (Ich glaube, daß es große Schwierigkeiten macht, diese Art falscher Freuden rational zu rekonstruieren, möchte aber darauf nicht eingehen.) Diese Art falscher Freuden ist eine minderwertige Erscheinungsform der reinen Erwartungsfreuden, weil die Freude aus der Erwartung eines positiven Ereignisses sozusagen den falschen 'Betrag' annimmt. Ich meine, daß Piaton darüber hinaus zugestehen würde, daß derjenige, der sich in dem oben beschriebenen Zustand der Erwartung einer körperlichen Erfüllung bei gleichzeitig vorhandenem Schmerz befindet (dem βίος), besonders anfällig für die hier gemeinte Täuschung in Bezug auf die Quantität der Freude, d.h. der zukünftigen Erfüllung, ist. Auf die dritte Unterart falscher Freuden wurde vor der Erwähnung des βίος bereits kurz angespielt (32e2-33a2), sie wird jetzt näher erläutert. Es gibt Leute, die meinen, ein Leben ohne Schmerz sei bereits ein Leben in der ηδονή (42c-44a, besonders 43aIff.). Der Fehler dieser Leute liegt darin, daß sie den mittleren Zustand, einen Zustand, in dem weder Schmerz noch Lust vorhanden sind, mit dem Zustand, in dem kein Schmerz, wohl aber Lust vorhanden ist, identifizieren (43dl0). Es fällt schwer, zu verstehen, warum Piaton diesen Zustand überhaupt als eine Art der ηδονή betrachtet: nachdem er zuvor deutlich gemacht hat, daß falsche Freuden keineswegs solche Lebenszustände sind, in denen gar keine Freude vorhanden ist, sondern auch eine falsche Freude immer noch eine Freude genannt zu werden verdient, wie eine falsche Meinung immer noch eine Meinung ist (37b2-3), besteht die Falschheit dieser dritten Art von Freuden darin, daß sie gar keine Freuden sind. Das hier gemeinte Leben ist das mittlere Leben zwischen den beiden Formen eines Lebens in der ήδονή und in der λύπη (32e9-33al). Dieser Befund scheint mir nur so erklärt werden zu können, daß zum Abschluß seiner Behandlung der falschen Freuden (von den wahren ist kaum die Rede) Piaton den gravierendsten Fall einer Täuschung nennen

250

Schlußteil

will, nämlich den, daß gar keine Freude vorhanden ist. Schon im Fall der zweiten Art falscher Freuden beruhte ein Teil der Täuschung offenbar darauf, daß gegenüber dem Schmerz ein Teil des Betrages der Freude gleichsam als irreal zu subtrahieren war. Piaton war offenbar der Ansicht, daß im Kontrast mit gleichzeitig vorhandenem, meist körperlichem Schmerz (41c) bestimmte Freuden größer erscheinen können als sie in Wahrheit sind (41e2ff.). Im dritten Fall hingegen erscheint etwas als Freude, was es gar nicht ist. Wiederum also sind sachliche Gesichtspunkte für die Aufstellung der Unterarten maßgebend, und zwar sogar derart, daß im dritten Falle der falschen Freuden die Gattung 'ήδονή' sozusagen verlassen wird. Das könnte der Grund dafür sein, daß des öfteren und auch bei der Darlegung der dritten Art falscher Freuden statt von 'Art der Freude' von 'Lebensform' ('βίος') gesprochen wird (vgl. 43e8). Die zweite Art der von Piaton behandelten unreinen Freuden sind die gemischten Freuden bzw. Zustände. "In scharfer Dihairesis"93 behandelt Piaton drei Unterarten solcher gemischter Freuden, nämlich Freuden, die ihren Ursprung im Körper, in der Seele und in Körper und Seele zugleich haben (46b8-c4). Jede dieser drei Unterarten kann wiederum eingeteilt werden unter dem Gesichtspunkt, ob die Freude überwiegt, oder der Schmerz - dann spricht Piaton verständlicherweise nicht von 'Freuden', sondern von 'Mischung' oder 'Zustand' -, oder ob beides zu gleichen Anteilen vorhanden ist (46d4-47bl). Von den gemischten Freuden werden zuerst die körperlichen Freuden behandelt. Mir scheint, daß Piaton diese als eine degenerierte Erscheinungsform der ersten Art reiner Freuden, nämlich der Freuden aufgrund der Wiederherstellung körperlicher Harmonie, behandelt. Im Unterschied zu diesen Freuden besteht aber der körperliche Unlust- und Lustzustand zugleich, so daß sich eine Spannung ergibt, die sich in von Piaton offenbar mißbilligtem Verhalten (Ungeduld, wilder Aufruhr) zeigt und entlädt (47a3-bl). Gemischte körperliche Zustände, in denen der Anteil der λύπη überwiegt, sind nach Piatons Meinung der Juckreiz bzw. das Kratzen (46d7-47al); gemischte Zustände, in denen der Anteil der ηδονή überwiegt, sind die Freuden beim Geschlechtsakt (47a5-bl). Die zweite Unterart der gemischten Freuden sind die bereits erwähnten Erwartungsfreuden, die mit einem Zustand der Entleerung und des körperlichen Schmerzes verbunden sind (47cl-d3). Piaton legt Wert auf die Feststellung, daß aus einem solchen Zustand ein Gefühl, gemischt aus Lust und Schmerz, zustande kommt (47d2-3), was deshalb von Bedeutung ist, weil man sonst argumentieren könnte, daß die Seele ja nur Lust emp93 Friedländer, 587.

2. Die Einteilung der Formen der Freude und des Wissens

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findet, das Schmerzgefühl aber körperlich ist, so daß es sich um eine reine Freude der Seele handeln würde. Diese Argumentation ist aber deshalb nicht schlüssig, weil auch die körperlichen Schmerzen in die Seele gelangen und sich mit der Erwartungsfreude der Seele zu einem Gefühl (gemischte Freude) verbinden. Die dritte Art gemischter Zustände sind die gemischten Freuden in der Seele allein (47d8ff.). Piaton meint solche Zustände wie Schadenfreude, Neid, Sehnsucht u.a. Besonders die Schadenfreude wird genauer untersucht (48bl 1-12 (ff.)). Sie richtet sich auf das Lächerliche, und lächerlich wird jemand genannt, der sich hinsichtlich seines Besitzes, seiner physischen Qualitäten oder seiner αρετή, d.h. seiner geistigen Fähigkeiten, überschätzt (48el-49c5). Von diesen Menschen sind aber nur die lächerlich, die sich gegen den Spott nicht wehren können, die anderen sind eher gefährlich (49c 1-5). Diese in scharfen Dihäresen durchgeführte Untersuchung gibt Piaton Gelegenheit, auf das Wesen von Komödie und Tragödie einzugehen. Bei der Betrachtung eines solchen Schauspiels entsteht eine Mischung aus λύπη und ήδονή aufgrund eines Gefühls der Schadenfreude (48a5ff.; 50M-4). Dieses Gefühl stellt sich manchmal, wie Piaton ausführt, auch gegenüber unseren Freunden ein, wenn sie sich selbst überschätzen. Die Mischung von Lust und Schmerz entsteht dadurch, daß wir uns aufgrund unseres Neidgefühls über das Mißgeschick unserer Freunde freuen (und Neid ist eine Form von λύπη), also ήδονή empfinden (49dll-e4). Entsprechend freuen wir uns über einen Bühnenhelden, der zu Fall kommt und dadurch lächerlich wird, weil wir uns insgeheim wünschen, einmal den Helden spielen zu können, es aber nie verwirklichen und daher mit dem Fall des Bühnenhelden, der uns nichts schaden kann, ganz einverstanden sind (49b6-c5). Bei der Untersuchung der gemischten Zustände der Seele wendet Piaton die Methode der Dihairesis des öfteren an, jedoch nicht ausschließlich auf die ήδονή, sondern auch auf die Arten des Lächerlichen bzw. der Selbstüberschätzung (48d4-49a7). Mir scheint, daß Piaton diese Art der gemischten Freuden zu einem regelrechten Exkurs über die Freude bei der Betrachtung von Schauspielen nutzt, die ihn besonders interessierte. Die vollständige Darlegung aller Unterarten von gemischten Zuständen der Seele interessierte ihn hingegen weniger. Θρήνος, φθόνος und οργή will er zwar dargelegt haben, aber φόβος, ερως und ζήλος fehlen noch, und Piaton verzichtet auch darauf, diese Arten gemischter Zustände noch ausführlich zu erklären. Darüberhinaus deutet er an, daß es noch weitere gemischte Seelenzustände gibt, die bisher noch nicht erwähnt worden sind (50b7-c3; döff.).

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Schlußtcil

Als Kontrast zu den gemischten Freuden nennt Piaton ab 51aff. die ungemischten, reinen Freuden, und zwar im Unterschied zu den beiden 31-32 erwähnten Arten solche, denen Piaton offenbar vergleichsweise positiv gegenübersteht. Diese Freuden bezeichnet Piaton, anders als die beiden erstgenannten Arten, auch als 'wahre' Freuden (51blff.), was seinen Grund aber möglicherweise nicht in einem sachlichen Unterschied zwischen den reinen Freuden von 31-32 und den ab 51a dargelegten hat, sondern daran liegt, daß die Anwendung der Prädikate 'wahr'/'falsch' erst nach der Vorstellung der ersten beiden Arten ungemischter Freuden erfolgt (52d6). Die wahren Freuden unterscheiden sich von den ungemischten Freuden aus Phil. 3Iff. dadurch, daß sie nicht nur von keinerlei Schmerzgefühl begleitet sind, sondern daß ihnen auch kein schmerzliches Bedürfnis, etwa ein Mangelgefühl, vorausgeht (51a2-9). Piaton nennt drei verschiedene Arten von wahren Freuden. Die erste Art umfaßt Freuden bei der Betrachtung geometrischer Formen, einzelner Farbtöne und die Freude, die sich beim Hören einzelner reiner Töne einstellt (51b3-7). Solche Freuden bestehen darin, daß jemand z.B. an reinen geometrischen Formen Gefallen findet, ohne sie an einem natürlichen Gegenstand oder in einer bildlichen Darstellung wiederzufinden, oder daß einer sich über einen einzelnen reinen Ton freut, ohne ihn im Zusammenhang einer Melodie zu hören, oder daß jemandem ein einzelner Farbton besondere Freude bereitet ohne den Zusammenhang eines Bildes mit Kontrastfarben, die den Farbton normalerweise erst zur Geltung bringen (51cl-d9). Mir scheint, daß Piaton die Vorstellung hat, daß z.B. ein Ton, der uns gefällt, auch ohne Teil einer schönen Melodie zu sein, eine ganz besondere Qualität haben muß, daß er durch seine Reinheit beeindruckt und daß diese Qualität sich auf die Freude an diesem Ton übertragen muß. Die zweite Art wahrer Freuden (die für Piaton nicht ganz so 'göttlich' ist wie die erste) ist die Freude an reinen Gerüchen (51el-4). Wenn wir gerade keine angenehmen Gerüche wahrnehmen (ohne daß es unangenehm riecht), empfinden wir keinen besonderen Mangel und also keine λύπη. Das Fehlen von Schmerz war aber das von Piaton angegebene Kennzeichen einer reinen Freude; also gehören Freuden bei angenehmen Gerüchen zu den reinen Freuden. Die dritte Art reiner Freuden ist die beim Erwerb von Wissen (51e7ff.). Anders als Gosling meine ich, daß Piaton sich so ausdrückt, daß auch die Freuden, die bei der Ausübung von Kenntnissen sich einstellen, in dieser Art eingeschlossen sind.94 Allerdings stellt sich bei dieser Art reiner Freuden das von Piaton angesprochene Problem ein, daß das w

Siehe Gosling, 122.

2. Die Einteilung der Formen der Freude und des Wissens

253

Nichtvorhandensein bzw. der Verlust von Wissen recht schmerzlich sein kann, ebenso das Fehlen von Wissen, wenn man es nötig hat (52a8-bl). Es gibt also im Zusammenhang mit den Freuden beim Wissenserwerb und der Wissensausübung die Möglichkeit vorausgehender oder (beim Vergessen von Wissensstoff) nachfolgender λύπη. Diesen Einwand beantwortet Piaton mit dem Hinweis darauf, daß die λύπη im Falle von Wissensmangel und Wissensverlust keinen natürlichen Schmerz bereite, sondern nur dann auftritt, wenn man darüber nachdenkt (52a8). Ich kann mir diese Auskunft Piatons nur so erklären, daß er meint, Wissensverlust bereite keinen körperlichen Schmerz. Diese Antwort Piatons scheint mir aber mehr von der Absicht diktiert, die Freude beim Wissenserwerb und -besitz den reinen, wahren Freuden zuzuordnen und keinesfalls den gemischten Freuden. Mit demselben Argument, daß kein körperlicher Schmerz vorhanden ist, könnte man nämlich auch die Schadenfreude bei der Betrachtung einer Komödie den reinen Freuden zuordnen. Allerdings ist die Schadenfreude nicht unbedingt eine, die sich durch λογισμός einstellt, also durch das Nachdenken über das, was auf der Bühne geschieht, während Piaton der Ansicht ist, daß sich der Schmerz beim Vergessen von zuvor erworbenem Wissen erst aufgrund von Reflexion darüber (λογισμός) ergibt (52a8). Doch scheinen mir Wissensmangel und Wissensverlust durchaus auch ganz instinktive Gefühle des Bedauerns hervorrufen zu können, und darin unterscheiden sie sich kaum von dem sich instinktiv einstellenden 'Neid' (φθόνος) auf Helden der Theaterbühne oder der Bühne des Lebens. Beim Überblick über die Einteilung der wahren Freuden fällt auf, daß sich, anders als bei den unreinen, falschen und gemischten Freuden, eigentlich nur die Freude bei angenehmen Gerüchen aus einer der beiden Formen reiner Freuden aus Phil. 31-32, nämlich den körperlichen Freuden, ableiten läßt. Allerdings ist die Freude bei guten Gerüchen eine höhere Form reiner Freuden als die Freuden, die aus der Wiederherstellung körperlicher Harmonie resultieren, weil ihr kein Schmerz- und Mangelgefühl vorausgeht. Die beiden anderen Arten reiner und wahrer Freuden hingegen leiten bereits über zur Darlegung der Formen des Wissens. Die reinen geometrischen Formen sowie die Farben und Töne, die ganz für sich aufgenommen werden wollen, verbinden die erste Art reiner Freuden mit der in der Einteilung der Wissensformen erwähnten Dialektik, die sich mit dem beschäftigt, was ganz für sich immer mit sich selbst identisch bleibt (59c2-4), also mit den Ideen. Die Freuden beim Wissenserwerb erinnern ganz unmittelbar an die zu erwartende Einteilung der Formen des Wissens.

254

Schlußteil

b) Die Formen des Wissens Die Einteilung der Formen des Wissens nimmt einen erheblich geringeren Raum als die Erörterung der Arten der ήδονή ein (55c-59c), wirft aber ähnlich schwer lösbare Probleme wie diese auf. Die Wissenschaften werden eingeteilt in die hervorbringenden und die auf 'Ausbildung und Erziehung' (Schleiermacher) gerichteten Wissenschaften (55dl-3). Im folgenden wird die Dihairesis der hervorbringenden Wissenschaften weiterverfolgt (55d5ff.), und es ist eines der Rätsel der Dihairesis der έπιστήμ,αι, was mit den auf Ausbildung und Erziehung gerichteten geschieht. Die hervorbringenden Wissenschaften werden eingeteilt in solche, die sich mathematischer Methoden bedienen und solche, die sich auf Schätzen, Augenmaß und Übung verlassen (55el-56al). Ein Beispiel für den ersten Fall ist die Baukunst, für den zweiten steht die Ausübung der Musik (56a3-b6). Diesen beiden Arten von Wissenschaften wird nun überraschenderweise die Mathematik selbst als eine weitere Art zur Seite gestellt (56cl0), und zwar als gewöhnliche Gebrauchsarithmetik, die mit ungleichen Einheiten rechnet, und als philosophische Mathematik, die nur mit gleichen Einheiten rechnet (56d9-e3). In der Unterscheidung zwischen gewöhnlicher und philosophischer Arithmetik entsprechender Weise stellt Piaton den Rechen- und Meßkünsten beim Bauen die philosophische Geometrie und Rechenkunst gegenüber (56e7-57a2), nachdem er zuvor (56cl-9 mit 55el-3) Arithmetik, Meßkunst etc. noch zu einer Art von έπίστήμ-η vereinigt hatte. Allen diesen Wissenschaften an Klarheit, Genauigkeit und Wahrheit weit überlegen ist jedoch nach Piatons Meinung die Dialektik (57e6ff.), die reinste aller Wissenschaften (58a4f.), die sich mit den ewig sich gleichbleibenden Entitäten befaßt, also den Ideen bzw. Formen, die von jeder Veränderung frei immer ungemischt sie selbst bleiben (58a2). Die Betrachtung der ewig sich gleichbleibenden Formen verdient denn auch eigentlich die Bezeichung 'νους' oder 'φρόνησις' (59dl-2). Bereits die hier gegebene Darstellung der von Piaton vollzogenen Dihairesis der Formen des Wissens zeigt, wie schwierig, um nicht zu sagen, verworren diese Einteilung auf den ersten Blick erscheint. Darin sind sich die meisten Kommentatoren einig.95 Es gibt allerdings, wie ebenfalls aus den Kommentaren hervorgeht, immer wieder Versuche, Piatons Vorgehen aufzuhellen. Mir scheint, daß sich vier Punkte ergeben, unter denen die Dihairesis der Formen des Wissens besser verständlich werden kann.

95 Hackforth, 114; Gosling, 222; Andeutung bei Friedländer, 592; Guthrie V, 230 (mit positiver Wertung).

2. D i e Einteilung der Formen der Freude und des Wissens

255

1. Mit den meisten Kommentatoren bin ich der Meinung, daß Piaton die Formen des Wissens in der Reihenfolge steigender Genauigkeit und Klarheit auflistet. 96 Diese Genauigkeit ist teilweise abhängig von dem Grad der Mathematisierung der jeweiligen Wissenschaft, 97 teilweise abhängig von den Entitäten, mit denen es die mathematische Komponente einer Wissenschaft bzw. die Mathematik selbst zu tun hat. Entsprechend beginnt die Einteilung bei den auf Schätzung, nicht Berechnung beruhenden Wissenschaften und endet bei philosophischer Mathematik, Meßkunst etc. Für die Einführung der Dialektik ist der überlegene Grad ihrer Genauigkeit maßgebend; vielleicht dachte Piaton aber auch daran, daß auch die Dialektik mathematisiert würde, wenn die Vorschläge aus der 'Lehre der Alten' (Ermittlung der genauen Zahl der Arten und Unterarten) konsequent verwirklicht würden (auch wenn er das hier nicht sagt). 2. Die scheinbare Vernachlässigung der Wissenschaften, die sich mit Ausbildung und Erziehung beschäftigen, scheint mir im Anschluß an diese Überlegungen wie folgt erklärt werden zu können: Piaton betrachtete diese Wissenschaften, zu denen aus der Einteilung der Wissensformen zumindest die philosophische Arithmetik und Geometrie, vielleicht, wenn Shiner recht hat, auch die auf wahre Erziehung ausgehende Dialektik (im Gegensatz zum Scheinwissen der Gorgiasschen Rhetorik) gehören, als den hervorbringenden Wissenschaften an Genauigkeit überlegen. In einer Auflistung der Formen des Wissens nach dem Grade ihrer Genauigkeit können sie also nicht zugleich mit den hervorbringenden Wissenschaften erwähnt werden und werden also später eingeführt. Andererseits entdeckt Piaton, daß die sich exakter mathematischer Methoden bedienenden Wissenschaften eine gemeinsame Aufgabe erfüllen, nämlich der Erziehung und Bildung des Menschen zu dienen, und daß sie darin der anderen großen Gruppe von έπιστήμαι, den hervorbringenden Wissenschaften, gegenüberstehen. Folglich stellt er diese beiden Arten von Wissenschaften einander als zwei εϊδη der Gattung 'μάθημα' gegenüber. Die Unklarheit, was mit den auf Bildung und Erziehung ausgerichteten Wissenschaften geschieht, entsteht also m.E. dadurch, daß eine Einteilung der Wissenschaften nach ihrem Bildungszweck von der Aufstellung eines Kontinuums immer exakterer Wissenschaften überlagert wird. Vielleicht ist das auch der Grund, warum Protarchos als höchste Form des Wissens die Rhetorik vorschlägt, denn sie dient, wie Sokrates ausführt, den praktischen Bedürfnissen des Menschen am besten. Aber die Wertskala der Wissenschaften mißt diese nicht am Maßstab der Nützlichkeit, sondern am Maßstab der Wahrheit und Genauigkeit. Ich ver96 So Guthrie V, 230; Hackforth, 114; Taylor, PPE, 83-84. 97 Gosling, 222.

256

Schlußteil

mute, daß Platon eine ihm gewohnte Einteilung der Wissenschaften in theoretische und praktische (vgl. Politikos 258dff.) mit seinem Anliegen, einen Maßstab der Genauigkeit der Wissenschaften zu finden, verbunden hat, wodurch die genannte Unklarheit über den 'Verbleib' der auf Erziehung und Ausbildung ausgerichteten Wissenschaften entsteht. 3. Eine weitere Unklarheit besteht darin, daß Piaton die Arithmetik als Art einer επιστήμη neben die Musik und die Baukunst stellt (56cl0f.), andererseits aber die Mathematik als ein Element in der Baukunst und verwandten Wissenschaften betrachtet (55el-3; 56b4-6). Dieses Vorgehen scheint den Maßstäben einer sachgerechten Dihairesis zu widersprechen und besonders deutlich zu machen, daß ein Kontinuum immer genauerer Wissenschaften in das Kleid einer Dihairesis gezwängt worden ist. Eine gewisse Parallele scheint mir Piatons Vorgehen dort zu haben, wo er die gemischten Zustände der Freude und des Schmerzes einteilt in solche, in denen der Schmerz überwiegt, in denen die Freude überwiegt und solche, bei denen Schmerz und Freude gleich stark sind (46d4-5). Diese Einteilung wird nun gleichsam über die Einteilung der gemischten Freuden in solche des Körpers, der Seele und der Seele mit dem Körper gelegt, so daß für jede der drei Unterarten gemischter Freuden unterschieden wird, wie groß der Anteil von λύπη und ήδονή in jedem Falle ist. Diese Einteilung führt dann z.B. im Bereich der gemischten körperlichen Zustände zur Unterscheidung des Kratzens beim Juckreiz als Zustand, in dem die λύπη überwiegt, von der Freude beim Geschlechtsakt (47a-b). In ähnlicher, wenn auch nicht völlig entsprechender Weise scheint mir Piaton bei der Einteilung der Wissensformen vorzugehen. Er unterscheidet zwei Arten der Mathematik, nämlich die 'populäre' oder gewöhnliche und die 'philosophische' (56d9-e3). Daneben läßt sich noch ein dritter Zustand unterscheiden, nämlich die Abwesenheit von Mathematik bzw. das Vorhandensein von Faustregel und Einübung (55e5-56al), die nicht als seriöse Variante mathematischen Wissens betrachtet werden. Diese Einteilung legt Piaton gleichsam über die hervorbringenden Wissenschaften, und er unterscheidet daher zwischen den ohne Mathematik operierenden Wissenschaften wie der Ausübung von Musik (56a3ff.) und den mathematische Methoden anwendenden Wissenschaften wie der Baukunst (56bl-c2). J e nach Art der hervorbringenden Wissenschaft zeigt sich die Mathematik in der Form der Rechenkunst, der Geometrie oder der Arithmetik. Es ist nicht ganz klar, ob Piaton neben solchen hervorbringenden Wissenschaften oder τέχναι, die die gewöhnliche Mathematik verwenden, auch noch solche anzusetzen bereit ist, die sich der philosophischen Mathematik bedienen. Ein Kommentator schlägt z.B. vor, daß Piaton der ersten Gruppe die Baukunst zugeordnet hat, die kon-

2. Die Einteilung der Formen der Freude und des Wissens

257

krete Gegenstände der Wirklichkeit ausmißt und dabei nicht den Grad der Genauigkeit der philosophischen Mathematik erreichen kann, weil sich die Dinge der Wirklichkeit nicht genau erfassen lassen und ständig ändern; der zweiten Art wäre eine Wissenschaft wie die Landvermessung zuzuordnen, die mit reinen geometrischen Figuren operiert, nach denen das Land in allerdings nur annäherungsweise entsprechender Weise eingeteilt wird. 98 Aber von einer solchen Unterscheidung sagt Piaton nichts, und so muß die Möglichkeit einer derartigen Differenzierung unentschieden bleiben. Mir scheint aber, daß Piaton schließlich auf die Idee gekommen ist, daß die Mathematik, die er zuerst nur als Element hervorbringender Wissensformen betrachtet hat, selber wiederum eine Form der επιστήμη ist, und zwar seiner Ansicht nach vermutlich eine besonders bedeutsame, und so hat er sie den bereits eingeteilten Formen der Wissenschaft als eine weitere, im Hinblick auf das Programm der Suche nach einer möglichst genauen Wissenschaft unbedingt erwähnenswerte Form des Wissens an die Seite gestellt. 4. Schließlich scheint mir der Hinweis angebracht, daß Piaton ausdrücklich sagt, die Einteilung der Formen des Wissens sei ein Gegenstück zur Einteilung der Formen der ήδονή (57bl-2). Er unterscheidet zwischen solchen Wissensformen, die diese Bezeichnung eigentlich nicht verdienen, und die er als ziemlich wertlos bezeichnet (wie z.B. die Ausübung von Musik (55e2-3)), solchen Wissenschaften, die aufgrund ihrer Mathematisierung einen gewissen Grad an Genauigkeit und damit Wissenschaftlichkeit aufweisen, und schließlich den höchsten Wissensformen, die sich mit dem befassen, was mit sich selbst identisch ist und sich nicht verändert, mit den immer gleichen Einheiten der philosophischen Mathematik oder den Ideen der Dialektik. Erst diese letzte G r u p p e von έπιστήμ,αι verdient eigentlich den vollen Namen 'νοΰς' bzw. 'φρόνησι,ς' (59dl-2). Entsprechend waren die ήδοναί eingeteilt worden in solche, die eigentlich gar keine Freuden sind (die zweite Art falscher Freuden) bis hin zu den reinen und wahren Freuden. Wenn auch eine Entsprechung der beiden Einteilungen nicht in jedem Fall herzustellen ist, so ist doch eine gewisse Ähnlichkeit des Vorgehens in beiden Fällen unverkennbar. (Fazit) Wie ist die Einteilung der Formen der ήδονή und des Wissens nun hinsichtlich des Problems des Einen und Vielen und seiner "Lösung" in der 'Lehre der Alten' und den Beispielen zu bewerten? Mir scheint, daß 98 Gosling, 222.

258

Schlußteil

deutlich geworden ist, daß Piaton sich nicht schematisch an die dihairetische Vorgehensweise gehalten hat, sondern ihn interessierenden sachlichen Gesichtspunkten wie z.B. der Genauigkeit der Wissenschaften und der Reinheit der Freuden eine das Einteilungsschema sprengende Aufmerksamkeit widmet, auch wenn er auf Befragen sicher sagen würde, daß er die ηδονή und die έταστήμ,η einer Dihairesis unterzogen hat. Offenbar kommt es ein wenig darauf an, was man erwartet, wenn man von Piaton eine Dihairesis erwartet, d.h. ob das, was Piaton mit 'Freude' und 'Wissen' tut, unseren Erwartungen an eine platonische Dihairesis entspricht. Darüber hinaus gilt, daß das, was Platon mit den Formen der Freude und des Wissens tut, in hohem Maße mit dem übereinstimmt, was er in der 'Lehre der Alten' dargelegt hat, wenn man sich nicht darauf festlegt, in der 'Lehre' eine methodische Anleitung zur Durchführung einer strengen Dihairesis zu lesen. Mir scheint jedenfalls das, was Piaton in 31-59 durchführt, an keinem Punkt im Widerspruch zu stehen zu dem, was er in der 'himmlischen Tradition' ausführt, außer an zwei Punkten: 1. Piaton führt die Dihairesis der Formen der Freude und des Wissens nicht vollständig durch (vgl. 50d5-e2), obwohl die Lehre vom Himmel dies fordert (z.B. 16d9). So werden z.B. die gemischten Freuden der Seele nicht vollständig aufgezählt (50b4). Auch die später (63e5-7) erwähnten Freuden, die der άρετή folgen, finden in dem Einteilungsschema keine Erwähnung. Und die Formen des Wissens sind nicht vollständig erwähnt, wie die Nennung anderer Wissenschaften, die wie die Arithmetik und Geometrie in eine gewöhnliche und eine philosophische Komponente auseinanderfallen, in 57d6-8 deutlich macht. Der Grund dafür, daß Piaton in diesen Fällen nicht auf Vollständigkeit achtete, scheint mir u.a. der zu sein, daß es ihn gelangweilt hätte, jede Aufgliederung bis ins Detail pedantisch durchzuführen (vgl. noch einmal 50d5-e2), und daß er diesen Schritt, der weniger philosophische Anstrengung als Geduld erforderte, getrost seinem Leser überlassen konnte. 2. Piaton gibt nicht die Zahl der Arten und Unterarten der beiden Gattungen 'ηδονή' und 'επιστήμη' an, obwohl er gerade auf der Angabe der Zahl in der 'Lehre der Alten' und den Beispielen insistiert (16d8, 17e5, 18b2). Mir scheint, daß es für das Fehlen der Angabe der Zahl der Arten drei Gründe geben könnte, von denen nicht jeder auch für Piaton maßgeblich gewesen sein muß, die aber in der Sache angeführt werden können, um das Fehlen einer Zählung der Arten zu erklären: a) Es ist im Hinblick auf den wissenschaftlichen Zweck der Ermittlung der Zahl der είδη sinnlos, die Zahl der Arten zu ermitteln, wenn diese nicht vollständig ermittelt sind. Denn die so gefundene Zahl wäre mehr oder weniger zufällig und hätte nichts mit der sachlich begründeten Aufgliederung eines Genus in Arten und Unterarten zu tun.

2. Die Einteilung der Formen der Freude und des Wissens

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b) Vielleicht befürchtete Piaton, daß durch Angabe der Zahl der είδη von 'Lust' und 'επιστήμη' sein von ihm selbst für wichtig angesehenes Anliegen, unter den Arten des Wissens solche zu nennen, die die Bezeichnung 'Wissenschaft' in höherem oder geringerem Maße verdienen, und unter den Arten der Freuden die falschen, d.h. irrealen, von den wahren und reinen zu unterscheiden, konterkariert würde. Die Angabe der Zahl der Arten einer Gattung berücksichtigt nämlich nicht, daß einige der Arten mit größerem, andere mit geringerem Recht der jeweiligen Gattung zugeordnet werden. c) Piaton fordert in der 'Lehre der Alten' die Ermittlung der genauen Zahl der Arten und Unterarten vor allem im Hinblick auf die Konfrontation der Henade mit der unbegrenzten Zahl der an ihr partizipierenden Einzelinstanzen (16d7-e2). Die Angabe der Zahl der είδη steht im Zusammenhang des Gegensatzes zwischen der Einheit und der unbegrenzten Vielheit. In Phil. 31-59 geht es jedoch um die Einteilung zweier Gattungen in ihre Arten, nicht um die Gegenüberstellung einer Gattung zu den an ihr partizipierenden Instanzen. Die unmittelbare Konfrontation von Einheit und unbegrenzter Vielheit ist daher kein Problem und die Angabe einer bestimmten Vielheit (einer Zahl), die den genannten Gegensatz mildert, unnötig.

V. LITERATURVERZEICHNIS (Die Klammern geben an, wie die Titel nach der erstmaligen Erwähnung in den Fußnoten (oder im Text) zitiert werden. Die Titel folgen in alphabetischer Folge nach den Verfassernamen.)

I. Textausgaben und Hilfsmittel 1. Textausgaben a) Aristoteles Aristoteles, Metaphysica ed. W. Jaeger, Oxford 1957 (Reprint 1978) (Arist., Met.) Aristoteles, Physica ed. W.D. Ross, Oxford 1977 (Arist., Phys.) Aristotelis Fragmenta coll. V. Rose, Leipzig 1886 (Arist., Fr...Rose) b) Piaton Piatonis Opera ed. Ioannes Burnet, Tomus I - V/2, Oxford 1899-1906, seither viele Reprints (zitiert nach dem Namen des Dialoges) Plato in Twelve Volumes, Vol. VIH: The Statesman - Philebus - Ion. Philebos und Politikos übersetzt von H.N. Fowler (Loeb Classical Library), London 1975 (Reprint) (Fowler) Piatonis Parmenides et Philebus, post Carolum Fredericum Hermannum recognovit Martinus Wohlrab, Leipzig 1889 (Wohlrab) F. Schleiermacher, Piatons Werke, Teil 11,3, Berlin 1809 1 ,1861 3 (Schleiermacher (1. Aufl.)) Anmerkung: Die Angabe sämtlicher Piaton- und Aristoteles-Stellen in der Arbeit erfolgt nach der Oxford-Ausgabe des jeweiligen Textes. c) Aristoxenos H.S. Macran, The Harmonics of Aristoxenus, Edited with Translation, Notes, Introduction and Index of Words, Hildesheim/New York 1974 R. da Rios (Hrsg.), Aristoxeni Elementa Harmonica (Scriptores Graeci et Latini, Consilio Academiae Lynceorum Editi), Rom 1954 (Aristox. El. Harmon.) d) Simplikios H. Diels (Hrsg.), Simplicii in Aristotelis Physicorum Libros Priores Commentarla, Berlin 1882 e) Diogenes Laertius Diogenes Laertius, Lives of Eminent Philosophers. In Two Volumes, ed. R.D. Hicks, Vol. II, London/Cambridge (Mass.) 19502 f) Damascius L.G. Westrink, The Greek Commentaries on Plato's Phaedo, Vol. II: Damascius, Amsterdam u.a. 1977 g) Vorsokratiker H. Diels/W. Kranz, Die Fragmente der Vorsokratiker, Bd. I-III, Berlin 1934 (DK) G.S. Kirk/J.E. Raven/M. Schofield, The Presocratic Philosophers, Cambridge 19832 (KRS) h) Sokratiker W. Nestle (Hrsg.), Die Sokratiker, Aalen 1968 (Neudruck der Ausgabe Jena 1922) (Nestle)

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Literaturverzeichnis

i) Griechische Mathematik 1. Thomas (Hrsg.), Selections Illustrating the History of Greek Mathematics, Vol. I, London/Cambridge (Mass.) 1951 2 (Thomas)

2. Hilfsmittel F. Ast, Lexicon Platonicum Sive Vocum Platonicarum Index, Vol. I-III, 19082 L. Brandwood, A Word Index to Plato, Leeds 1976 R. Kühner/B. Gerth, Ausführliche Grammatik der Griechischen Sprache. Zweiter Teil: Satzlehre, Bd. 1 u. 2, Darmstadt 1966 (Nachdruck der 3. Aufl. Hannover/Leipzig 1898/1904) H.G. Liddell/R. Scott/H.S. J o n e s / R . McKenzie, A Greek-English Lexicon, With a Supplement 1968, Oxford 1985 (Nachdruck der 9. Auflage 1940) (Liddell-Scott)

II. Kommentare,

Monographien und Aufsätze zum

Philebos

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INDICES I. Philosophische Begriffe ά π ε ι ρ α 36, 3 9 , 1 1 4 , 1 2 6 , 1 4 2 , 1 8 2 , 1 8 6 , 194, 228, 2 3 9 , 2 4 0 άπειρον 3 9 , 1 0 3 , 1 0 4 , 1 0 7 , 1 0 8 , 1 1 2 , 1 1 9 , 121, 122,123, 127, 135, 137, 138, 139, 142, 146, 147, 159, 162,165, 166,167, 179, 1 8 2 , 1 8 3 , 1 8 4 , 1 9 4 , 199, 205, 206, 220, 224, 227,228, 229, 230, 231, 232, 233, 234, 236, 237, 238, 239, 240, 242, 243 γ έ ν η 46,63,114,117,120 γ έ ν ο ς 6 3 , 1 1 5 , 1 2 0 , 1 4 2 , 1 8 0 , 237, 247 "Εν-Πολλά-Problem 9, 10, 20, 22, 23, 25, 28, 29, 3 7 , 3 8 , 39, 69, 90, 98,102, 106, 107, 117, 118,143,144, 156, 162, 163, 164, 171, 176, 178, 188, 190, 192, 193, 195, 211,215, 216, 218 διάνοια 207 δ ό ξ α 203,224 η δ ο ν ή 10, 11, 12, 13, 14, 15, 19,20, 21, 23, 93, 97, 98, 125, 129, 156, 194, 195, 218, 219, 220, 221, 223, 224, 225, 226, 227, 243, 244, 246, 247, 248, 249, 250, 251, 254, 256, 257, 258 λ ύ π η 223, 224, 225, 246, 247, 249, 250, 251, 252, 253, 256 νόησις 2 9 , 3 0 , 3 1 , 3 2 μ ε ι κ τ ά 205 μ , ε ι κ τ ό ν 205, 229, 232, 233, 236, 237, 240, 241, 242, 243 ν ο υ ς 208, 254, 257 ολον 7 3 , 8 0 , 8 1 π ά θ ο ς 245,246 π έ ρ α τ α 121, 229, 230, 232, 238 π έ ρ α ς 103,104,122,127,138,142,179, 199, 205, 227, 228, 229, 230, 231, 232, 233, 234, 235, 236, 237, 238, 239, 240, 241, 242, 243 σ υ ν α γ ω γ ή 106,182,197, 227, 228, 229, 230, 231, 232, 233, 234, 235, 236, 237, 240, 241, 243 τ έ χ ν η 104, 122, 123, 124, 125, 126, 129, 130, 131, 132, 133, 134,135, 151, 152, 154, 173, 206, 207, 208 τ έ χ ν α ι 1 2 2 , 1 2 4 , 1 2 5 , 1 2 6 , 1 2 7 , 131,132, 134, 135, 140, 151, 206, 207, 212, 225, 256 φρόνησις 203, 208, 218, 219, 220, 221, 224, 254, 257 akzidentell 32 Analogon 145, 147, 156

Anamnesis 44,197, 198 Aporie 96 Argument vom dritten Menschen 47 Arithmetik 206, 244,254, 255, 256, 258 Art 18,29, 34,36, 39, 45, 51, 53, 57, 60, 62, 63, 69, 87, 94, 95, 99, 106, 116, 120, 134, 142, 157, 159, 170, 179, 181, 187, 190,192, 193, 208, 213, 215, 216, 220, 232, 242, 243, 244, 245, 246, 247, 248, 249, 250, 251, 252, 253, 254, 256, 257 Arten 10, 1 1 , 1 2 , 1 3 , 14, 15, 18, 19, 20, 47, 62, 63, 64, 67, 68, 69, 82, 9 3 , 9 4 , 97, 98, 102, 103, 104, 105, 106, 107,108, 109, 110, 111, 117, 118, 128, 135,141, 142, 147, 151, 155, 164, 170, 174,175, 176, 177,179, 180, 181, 183, 184,185, 186, 187, 188, 189, 190, 191, 192,193, 194, 195,197, 200,203, 211, 213,214, 216, 219, 220, 221, 223, 224, 225, 226, 228, 230, 231, 232, 240, 242, 243, 244, 245, 246, 247, 248, 251, 252, 253, 254, 255, 256, 258, 259 Bedeutung 54, 67, 68, 150, 151, 188 Begriff 11, 16, 17,18, 19, 67, 77, 80, 81, 92,104, 105, 109, 110, 113, 114, 115, 116, 117,119, 120, 123, 124, 137, 138, 142, 146, 147, 148, 149, 152, 162, 163, 164, 166, 167, 168, 171, 172, 173, 174, 175, 176, 177, 181, 183, 184, 185, 186, 187, 188, 191, 192,193, 204, 207, 208, 222, 224, 226, 230, 231, 232, 233, 237, 243 Begriffsextension 187 Begriffspyramide 179,232 Begriffsumfang 187 Begriffswörter 176 Bestimmtheit 121, 123,141, 142, 163, 175 Bezug 54, 67 Chorismos 49, 58, 85, 89, 203, 214, 215 collectio 105, 106, 110, 111, 168, 197, 228, 229, 230, 231, 234, 235 Conclusio 55 das Eine 20, 21, 23, 25, 66, 76, 78, 79, 88, 99, 100, 107, 136, 149, 155,178, 186, 190, 194, 196, 217, 218 das Gute 20, 27, 40, 68, 70, 107, 125, 133, 206 das Viele 20, 21, 186 Definition 106, 113, 114, 193 Denkakt 90

266 Denken 10, 42, 45, 47,109,142,153, 162, 209, 214 Denkvermögen 29,30,31,32 Dialektik 202, 203, 204, 205, 206, 207, 208, 209, 210, 211, 212, 216, 253, 254, 255, 257 dialektisch 245 differentiae specificae 142 Dihairesis 63, 103,106,108, 109, 110, 111, 112,113,114,116,117,118, 120, 126, 128,131,141,145,147,156, 163, 169,170, 172, 173, 179,180,181,182, 183,185, 186, 188, 189,190, 191, 210, 218, 219, 220, 221, 223, 224, 225, 226, 227, 243, 244, 245, 250, 251, 254, 256, 258 Einheit 22, 23, 24, 26, 28,30,31, 38, 39, 40, 41, 46, 49, 66, 67, 68, 69, 70, 72, 74, 76, 77, 78, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 89, 90, 91, 92, 93, 94,102, 103, 105,107, 108, 109,112,114, 115, 116, 117, 118, 121, 124, 125,126,127,128, 129, 130, 131, 133, 139, 141, 142, 143,144,145, 146,147, 149, 151, 154, 156, 164, 165, 166,167,168,172, 175, 177,178, 179, 180, 181,182, 183, 184, 185,186, 187, 188, 189,190, 191, 192,193, 194,195, 196, 197,200, 202, 217, 218, 219, 220, 221, 223, 227, 243, 244, 259 Einteilung 63, 104, 106, 109, 111, 112, 116, 117,118, 123,129,139,163,164, 173, 177, 189,191, 196, 197, 216, 219, 221, 222, 223, 224, 225, 226, 243, 244, 246, 248, 253, 254, 255, 256, 257, 259 Einzelding 23, 46, 82, 89, 94,114,193 Einzelinstanzen 165,179, 222, 223, 259 Emanation 85 empirisch 200 Entität 91,201 Epistemologie 212, 214 Erfahrungserkenntnis 210 Eristiker 124, 185, 186, 187 essentiell 33 ethische Fragestellung 99, 218 Extension 68, 69, 187 Form 12,16, 33,34, 35, 36, 42, 44, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 68, 69, 73, 75, 78, 81, 82, 83, 85, 89, 90, 91, 92, 93, 94, 96, 97, 102, 107,113, 114, 115, 119, 136,142, 146, 147, 165, 175,177, 179, 180, 182, 183, 184, 186,187,188, 190, 191, 192, 194, 195,196, 201, 206,

Philosophische Begriffe 215,217, 220, 221, 222, 223, 224, 229, 242, 244,247, 251, 253, 255, 256, 257 Formentheorie 60, 214 Freude 10,11,13, 14,15,16, 20, 94, 98, 125,129,195, 222, 226, 227,243,244, 245,246, 247, 248, 249, 250, 251, 252, 253, 256, 258 Freuden 10,11,13, 14,15,16,18,19, 20, 93, 94, 98, 125,129,155, 195, 216, 221, 225,227, 244, 245, 246, 247, 248, 249, 250, 251, 252, 253, 256, 257, 258, 259 Gattung 13,63, 64,106, 110,142,147, 177, 189, 200, 206, 228, 231, 236, 237, 240, 241, 242, 243, 248, 250, 255, 259 Gattungsbegriff 18, 19, 63,177, 243 Gedankenexperiment 227 Gegenstand 10, 11, 17, 22, 24, 27, 28, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 39, 41, 51, 55, 57, 60, 61, 70, 81, 92, 93, 113,115, 116, 119,120,123,124,125,126,129, 131, 142, 148, 151, 180, 181, 184, 185,191, 192, 193, 201, 203, 213, 215, 233, 240, 242, 252 Gegenstandsbereich 203 Genera 114,120, 126, 145,181, 242 Genus 63, 93, 94, 103,104,105,106, 107, 108, 109, 110, 111, 112,113,114,117, 118, 119, 120, 124, 126, 128, 141, 142, 143,145, 147, 156,164,169, 170, 173, 181,184,186, 187,189,192, 193, 216, 219, 220, 221, 228, 231, 232, 237, 240, 241, 246, 258 Genusbegriff 97, 114, 117, 142, 164, 187, 216 gut 10,11, 13, 14, 15, 16,18, 19, 20, 21, 27, 73, 82, 84, 110, 126, 128,132, 139, 149,164,179,195, 221, 222, 233, 237, 238, 247 gutes Leben 10,11,216,244 Hedonismus 227 Henaden 40, 72, 74, 76, 78, 85, 90, 102, 128,134, 164,173, 181,190, 195, 220, 221, 222, 225 hinreichende Bedingung 148 Idee 33,34,39, 40, 41, 42, 46, 49, 55, 62, 63, 64, 85, 116,179,180,181,182,190, 200, 209, 221, 257 Ideenerkenntnis 43, 209, 211 Ideenlehre 9, 34,41, 45, 47, 48, 49, 55, 61, 63, 71, 74, 92, 102, 136, 139, 140, 146,147, 187,196, 197, 198, 199, 201, 202, 203, 204, 209, 210, 211, 212, 213, 214, 215, 216 Ideenwelt 40,103

Philosophische Begriffe Identität 16,33, 46, 50, 51, 64, 67, 68, 71, 95, 200, 221 immanente Charaktere 56, 57 immanente Eigenschaften 58 Individuum 80,200 infima species 108, 117,118, 192, 244 infimae species 105, 106, 108, 111, 141, 180, 198, 231, 232 Instanzen 32, 47, 165, 167, 168, 177, 179, 184, 186,190, 223, 228, 229, 259 intelligible Formen 57 Intension 66, 68, 187 Klasse 33, 45, 46, 52, 92, 113, 114, 115, 116, 117, 118,119, 129, 155, 163, 177, 179, 206, 224, 227, 228, 229, 230, 231, 232, 233, 234, 235, 236, 237, 238, 239, 240, 241, 242, 243, 245, 247 Konklusion 53 Konsistenz 197,213,216 Kontinuum 104, 121, 122, 123, 125,126, 127, 128, 129, 133, 139, 156, 157, 159, 163, 164, 173, 182, 208, 256 Konvention 175, 176 Lebensform 193, 227, 248, 250 Logik 23, 68, 69, 168, 177, 213 Lust 10, 11, 14, 15, 19, 20, 21, 93, 98, 109, 125, 129, 136, 137, 155, 175, 194, 195, 199, 202, 216, 218, 219, 225, 244, 245, 246, 247, 249, 250, 251, 259 Lüste 125 Materie 142 Mathematik 122, 203, 204, 205, 206, 208, 209, 254, 255, 256, 257 mathematische Gegenstände 43 Mathematisierung 122, 125, 161, 208, 255, 257 Menge 96, 105, 107, 114, 142, 155, 180, 183, 184, 185, 186, 187,188, 230, 243 Merkmal 228, 229, 230, 233, 242 Methexis 34, 91, 136, 216 Mitteldinge 46, 52 Monaden 70, 71, 73, 76, 78, 79, 80, 81, 83, 84, 88, 92,178 moralisch 13, 16, 248 Name 11,47,155,200,201 Negation 185 Oberbegriff 12, 167, 173, 181, 189, 201 Ontologie 118,211,212,214 ontologisch 68, 203, 212, 214, 216 paradigmatisch 48 Paradox 22, 25, 27, 28, 33,39, 46, 52, 99, 100, 112, 144, 146, 165, 177, 186, 189, 190, 195, 196

267 Paradoxa 26, 53, 68, 79, 91, 95, 96, 97, 98, 99,138, 146,191, 200, 217 Paradoxon 23,31,32, 66, 88,195, 196 Partizipation 25, 34, 52 Prädikat 12, 16,17, 18, 21, 24, 25, 49, 54, 58, 60, 65, 84, 96, 97, 114, 124,145, 146,149, 151,167, 178, 188, 191 Prädikation 19, 29, 31, 32, 95, 96, 97, 98, 99, 149, 150, 192 Prädikationskopula 30 Prädikationstheorie 28, 31,36 Prämisse 53, 55, 64 Problem des Einen und Vielen 9, 22, 23, 36, 39, 40, 41, 64, 91, 96, 99, 102, 103, 106, 107, 143, 145, 178, 185, 190, 192, 193, 196, 198, 213, 216, 218 recollectio 197 Relation 9, 18, 30, 33, 48, 49, 50, 57, 92, 117 Schau 209 Schein 186 Sein 9, 31, 71, 74, 76, 78, 79, 80, 81, 90, 94, 142, 200, 202, 203, 204, 205, 213 Seinsordnung 142 Selbstidentität 61, 62, 64, 66, 68, 72, 92 Selbstprädikation 47,50,115,205 Sclbstprädikationsannahme 47, 102 Selbstprädikativität 62, 115 sichtbare Dinge 162, 177 sichtbare Welt 212 Sinneserkenntnis 210,211 Sinneswahrnehmung 31,32,57 Species 63, 64, 85, 94, 103, 104, 105, 106, 107,109, 110, 112, 113, 114, 115, 117, 118, 120, 126, 128, 142, 145, 156, 170, 182, 192, 193, 197, 220, 222, 228, 237, 242, 243, 246, 247 Sprache 29, 40, 54, 64, 72, 96, 100, 103, 105, 112, 113, 114, 115, 118, 119, 120, 124, 132, 133, 144, 147, 148, 149, 154, 168, 169, 171, 174, 176, 177, 200, 201, 217 Sprachphilosophie 67, 213 Sprachtheorie 123, 144, 212 Subspecies 85, 103, 104, 106, 115, 117, 142, 156, 242 Syllogismus 55, 56, 63 System 84, 123, 157, 174 Tautologie 43 Teilhabe 34, 41, 55, 59, 67, 91, 97, 107, 190, 196, 215, 216, 239 Transzendenz 198 Unbestimmtheit 123, 141,142 Universale 155, 179, 180

268 Universalien 146,151,152 Unterarten 69, 82, 94, 97,102,103,104, 105,108,110, 111,118,128,141,142, 147, 164,174,179,180,181,184,185, 187,188,189,190,191,195, 200, 214, 219, 225, 228, 231, 240,242, 250, 251, 255, 256, 258, 259 Unveränderlichkeit 43, 59,64, 65, 72, 82, 83, 85, 92 Urteil 13,43, 51, 76,112, 183, 221 Veränderlichkeit 71, 72,92 Vielheit 15,19, 21, 22, 23, 24, 25, 26,30, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 46, 48, 66, 67, 68, 70, 72, 76, 80, 81, 82, 83, 85, 88, 90, 91, 93,94,102, 103,104, 105,107, 108, 109,112,116, 117, 118,129, 130, 131, 141,142, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 154, 156, 164, 165, 166,167, 168,169, 172,177, 178, 179, 182, 183, 184, 185,

Philosophische Begriffe 186,187,188,189, 190,191, 192, 193, 194,195, 217, 218, 219, 220, 221, 222, 227, 243, 244, 259 Wahrnehmungsvermögen 30 Werden und Vergehen 71, 74, 83, 89, 90, 119 Werturteil 11 Wissen 11,14, 19, 20, 45, 58, 59,108, 109,119,125,129, 142,143, 146,148, 149, 150,153,154, 155,158,161,162, 167,169,172,175, 183,194, 195, 199, 201, 203, 207, 211, 212, 216, 218, 219, 223, 245, 246, 252, 253, 258 Zahlenverhältnisse 122,123,125, 135, 158,159,171, 183, 228,233, 237, 238, 240, 241 Zweckursache 206 Zwischendinge 44, 45, 46, 56, 65

Behandelte Hauptstellen

269

II Behandelte Hauptstellen (außerhalb des Philebos): Aristoteles: De Caelo, 290bl2 163 Met. 987a-b 127 987b 135 987bl4ff. 43 990bl5 47 991al7 136 992bl7 44, 46 1024b32 24 1038b30 47 1061a28ff. 127 Phys. 185b26 24 11,5-7 138 203a5 138 203bl5 138 Fr.l88Rose 47 Fr. 189Rose 136 Aristoxenos El. Harmon. A, 13.31ff. 137 Platon Ale. I 123d5-7 86 143b-147d 19 Epin. 986c5-6 86 Euthyd. 274b3-4 86 Gorg. 454e-455a 53 508a 132 Hippias Minor 368b6-d2 86 Lysis 213a2 87 Menex. 237a7-b2 86 Menon 81-87 44 82a-85b 44 82cl 44 83b2 44 87b5-c7 44 Nom. 669b1 86 757 132 762e4-7 86 875a5-b3 86 919c3-6 86 948al-3 86 Pann. 127el-4 46 128c6-d2 46 128d3-6 46 128e5-130a2 41

128e5-129al 41 129 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 47, 48, 50, 53, 55, 56, 62, 64, 65 129al-2 46 129al. 6 63 129a2 63 129a3-bl 66 129a4 221 129a6 46,221 129b 59, 65, 69 129bl-3 46, 58, 63, 66 129b2-3 41 129b4-6 66 129b5-6 39 129b6-cl 41,46,63 129cl-3 46, 64 129c2-3 67,68 129c2f. 63 129c4-d5 67 129c4-d6 37 129d2-6 67 130al 67 130bl-e4 199 130b4 56 130b7-d9 40 130e5-131e7 91 131a4-e7 69 131b8-cll 91 131e-132b 47 135 43, 70 135c9-dl 70 142ff. 79 142b-c 76 142-155 77 142b-155e 76 166c 77 Phaid. 73e6,7, 10 44 74 13, 24,45, 46, 55, 58, 61 74a 42, 50, 53, 59, 61, 66 74al0 54 74all-12 51,63 74allf.,b2 50 74al2 54 74b7 42, 47, 49, 51, 68 74b8 42, 45, 54, 55, 59, 60 74b-c 42,46, 57, 59 74c 42, 44, 45, 47, 50, 54, 55, 57, 62 74cl 42, 43, 46, 50, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 63, 64, 65 74c4 43, 45, 53, 55

Behandelte Hauptstellen 74d5-8 45 78 49 91c8 87 102 36, 55, 57, 63, 160 102b-103a 32 102ff. 36, 55, 56 102b1-2 33 102b4-5 32 102b5 32 102b8-cl 33 102cl-2 33 102c2 32 102cl-4 33 102cl0-d2 33 102dff. 61 102d5 33, 35 102e-103a 223 102e3-103a2 35 103al 35 103d8 35 104cl-2 35 104c5 42 104e3 42 106c9-107al 35 106e5f. 35 Phaidr. 265ff. 128 Polii. 478e3-4 31 479a-c 31 507b7 84 509d-511d 208 511a-b7 209 511d2-5 209 517d4-5 209 518 210 520c5-6 53 522e-525 32 523-525 24, 26, 29 523-24 31 523cllff. 31 523cll-d6 29 524a2-4 30 524bl-2 30

524b3-4 29 524bl0-c4 31 524cl 30 524cl3 30 524d9 30 525a4 30 533b4 206 533d4-e2 206,207 534d 204 538c6-7 53 553al0-b5 86 Politik. 262cl0-263al 219 262cl0219b 205 262d-e 185 276c-d 108 286d7-e4 86 Soph. 244b-245e 76, 79 244b6-dl3 79,80 244dl4-245e5 80,81 244e3-5 80 245b4-5 80 cl-3, 5f., 8-9 80 245d7-10 81 250a8-9 223 251a5ff. 28 251a5-c6 27 251al0 27 251b5 98 251c-252e 49 254d-255d 115 Symp. 181b3-4 86 Theaet. 145d5-7 87 186b 205 194d2-4 86 Tim. 28-29 204 35a 49,205 42a5-7 86 69d2 86 Simplikios Phys. 455,20 138

Moderne Autoren

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III. Moderne Autoren Adam 29,30, 31 Annas 29, 30, 31, 32, 208 Anscombe 75 Apelt 27, 28, 71, 73, 86, 95, 241 Archer-Hind 33, 34, 75, 81, 83, 84 Badham 38, 73, 86, 87, 96, 151, 229, 232, 235, 238, 241 Bluck 33, 34, 35, 49, 50, 51, 52, 53, 55, 56, 58,64 Bostock 54, 55 Bröcker 101 Brown 44 Burkert 134 Burnet 24, 28, 29, 33, 34, 35, 37, 40, 41, 43, 44, 69, 70, 75, 78, 101, 194, 239 Bury 14, 15, 24, 31, 38, 70, 73, 75, 83, 85, 86, 87, 95, 96, 98, 101, 126, 141, 142, 151, 162, 165,193,194, 221, 222, 226, 228, 229, 230, 231, 232, 234, 235, 236, 238, 239, 240, 241, 242, 244 Campbell 24,27 Casper 81,82,83 Cherniss 9, 202 Colvin 115, 134, 141 Cornford 24,27, 28, 34,37, 40, 42, 43, 44, 45, 47, 56, 63, 76, 80, 91, 98, 103, 222 Crombie 11, 48, 74, 86, 145, 228, 230, 236 d a R i o s 137 Dale 42,65 Dancy 14,15, 17, 19 Diels 134, 138 Diès 73, 74,86, 95, 238, 239, 241, 243, 245, 247 Fowler 235, 236 Frede 33, 34, 35 Friedländer 10, 15, 18, 22, 23, 24, 25, 26, 29, 37, 71, 72, 75, 81, 83, 84, 85, 87, 95, 101, 226, 250, 254 Gadamer 12, 20, 24, 25, 75, 86, 87,101, 163 Gallop 33, 34,35, 54, 55 Geach 42, 47, 48, 49, 50, 51, 53, 54, 60, 61, 62, 64 Gosling 11, 13,14, 15, 16,17, 24, 26, 29, 31, 32, 36, 37, 38, 40, 41, 70, 73, 83, 85, 86, 89, 91, 93, 94, 95, 96, 97, 98, 101, 102, 108, 109, 120, 121, 122, 123,124, 125, 126, 127, 128, 129, 130, 131, 132, 133, 134, 136,137,139, 140, 141, 142, 143, 146, 151, 180,181, 185,188, 204, 207, 208, 225, 226, 229, 234, 239, 243, 244, 246, 252, 254, 255, 257

Grube 70, 75, 101 Gulley 9,196, 197,198, 201, 202, 203, 205, 210, 214, 215 Guthrie 9, 29,31, 32,37, 40, 46,47, 69, 70, 75, 76, 78,91, 95,101,166, 243, 244, 254, 255 Hackforth 9, 11, 15, 16, 18, 19, 20, 23, 24, 25, 33,34,35,38, 43, 44, 70, 75, 85, 86, 87, 88, 95, 101,102, 103, 104,105,106, 107,108, 109, 110, 111,116, 117, 118, 126,139,140,141, 156, 165, 166, 172, 182, 183, 184, 185, 186, 190,192, 193, 195, 202, 204, 205, 208, 226, 227, 229, 232, 233, 236, 238, 239, 241, 243, 244, 245, 254, 255 Hägler 76 Hardie 75, 76 Harding 14,20 Haynes 46, 55, 57, 63 Heath 134, 137 Heidel 137, 138 Hussey 138 Jackson 86,234,235 Jaeger 136 Johansen 76 Jowett 141, 142, 151 Keyt 34 Kutschera 67 Letwin 128 Liddell-Scott 86, 87, 227, 239 Loriaux 45 Macran 137 Michels 157 Mills 42, 43, 45, 46, 47, 48, 49, 51, 52, 53, 56, 58, 60, 64 Moser 157, 160 Natorp 71,74,86 Nestle 24, 98 Nettleship 31,32 O'Brien 33, 35, 36 Owen 54,60 Patzig 7, 18, 209 Poste 151,238 Rankin 98 Rees 29, 30,31 Richter, A. 157 Richter, L. 157 Rist 43, 44, 45, 46, 47, 55, 56, 58 Rodier 241, 246 Ross 24, 42, 43, 52, 53, 70, 74, 86, 93,101 Runciman 76 Ryle 76, 77

272 Sayre 76,143 Schleiermacher 95, 235,239, 254 Schneider 75,81,85 Scoon 76 Shiner 9,70, 71, 76, 79, 80, 83, 84, 86, 87, 93,102,196,198,199, 201, 202, 203, 204, 206, 207, 208, 209,210,211,212, 213,214, 215, 255 Shorey 44, 95,101,190 Stallbaum 73, 75,95,101,151, 229, 230, 235, 236,238,239,240, 241 Stenzel 101, 165, 197, 210 Striker 9,24,26,29,37,38, 80, 86,87,88, 89, 90,91,92, 94, 99,101,102, 111, 112,113, 114,115,116,117,118,119, 120,126,139,140,141, 143,148,151, 164,166,177,178, 179,183,184, 197, 205, 206, 224, 228, 230, 232, 233, 241, 242 Tarrant 42

Moderne Autoren Taylor 11, 12, 13, 19, 20, 22, 25, 27, 28, 36, 37,40, 42, 70, 74, 75, 76, 78, 79, 87, 88, 90, 91, 93, 95, 96,101,146, 226, 236, 238, 239, 241, 243, 244, 246, 255 Thomas 134,137 Trevaskis 189 v. Fritz 136, 137 Vahlen 235, 236 van der Waerden 135, 157,158 Vlastos 47, 48,49, 50, 51, 53, 54, 55,60, 61, 62, 64, 65 von Wilamowitz-Moellendorff 74 Vretska 29 Waterfield 244 Wedberg 44, 51, 52 Wedin 42, 55, 58, 59 Westrink 42 White 31 Wohlrab 235, 236 Wolff 9, 86,102,175,196,199, 200, 201, 204,205, 206, 208, 210, 215