Das Problem der Abgeschlossenheit des Denkens: Hegels "System der Philosophie" in den Jahren 1800–-1804 [2 ed.] 9783787329571, 9783787315017

Einleitung. A. Das Problem eines Systems der Philosophie als solchen – B. Das "System der Philosophie" von 180

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German Pages 372 [332] Year 1982

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Das Problem der Abgeschlossenheit des Denkens: Hegels "System der Philosophie" in den Jahren 1800–-1804 [2 ed.]
 9783787329571, 9783787315017

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HEGEL-STUDIEN In Verbindung mit der Hegel-Kommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft herausgegeben von Friedhelm Nicolin und Otto Pöggeler Beiheft 8

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

DAS PROBLEM DER ABGESCHLOSSENHEIT DES DENKENS Hegels »System der Philosophie« in den Jahren 1800–1804 von Heinz Kimmerle

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

Inhaltlich unveränderter Print-on-Demand-Nachdruck der 2., erweiterten Auflage von 1982, erschienen im Verlag H. Bouvier und Co., Bonn.

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-1501-7 ISBN eBook: 978-3-7873-2957-1 ISSN 0440-5927

© Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 2016. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§ 53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Gesamtherstellung: BoD, Norderstedt. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werkdruckpapier, hergestellt aus 100 % chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Printed in Germany. www.meiner.de/hegel-studien

VORWORT

Die vorliegende Abhandlung hat einen sehr speziellen Gegenstand. Sie ist historisch angelegt und sucht einen Beitrag zur Erforschung eines kurzen Zeitabschnitts in der Entwicklungsgeschichte des Hegelschen Denkens zu geben. Dabei soll die ungelöste Frage der bisherigen Hegelforschung angegangen werden, wie denn Hegel nach den theologisch-politisch-historischen Untersuchungen, die er in den Jahren 1792/93—1800 angefertigt hat, ein Jahr darauf in Jena mit einem fertigen System der Philosophie hervortreten konnte. Es wird sich zeigen, daß diese Frage von falschen Voraussetzungen aus gestellt wird. Auf der einen Seite gibt es in den Jugendschriften, vor allem seit Hegels Frankfurter Zeit, beachtliche Versuche zur philosophischen Systematisierung seines Denkens. Im letzten Frankfurter Jahr, in dem Hegel schon von seinen Hauslehrerpflichten frei war, sind wohl auch bereits zusammenhängende Entwürfe zum System, jedenfalls zu seinen grundlegenden Teilen (Logik und Metaphysik), entstanden. Auf der andern Seite hat Hegel 1801 in Jena nicht sofort ein mehr oder weniger fertiges System vorzuweisen. Er liest seit dem Wintersemester 1801/02 zunächst über Logik und Metaphysik, seit dem Sommersemester 1802 auch über Naturrecht; und er erarbeitet sich in den folgenden Jahren (bis 1804) die übrigen Teile, die zur Entfaltung seines Systems gehören. Dabei gibt es keinen Bruch, keine unerklärlichen Übergänge; alles geht Schritt für Schritt. Seit dem Frühjahr 1805 ereignet sich dann in der Tat so etwas wie eine „phänomenologische Krisis" (ROSENKRANZ) dieses Systems, die Hegel aber mit Umsicht und Konsequenz zu lösen sucht. Alle einzelnen Fragen des Systems der Jahre 1800—1804, das man nicht als Hegels erstes System, wohl aber als sein erstes in den einzelnen Teilen entfaltetes System ansprechen kann, werden in der folgenden Darstellung in ihren Voraussetzungen zu klären und auf den Stand der Forschung in diesen Fragen zu beziehen gesucht. Nun ist es aber entscheidend, daß sich in dem angegebenen eng begrenzten zeitlichen Rahmen die Grundfrage des Hegelschen Denkens, das Problem der Abgeschlossenheit des Systems der Philosophie in sich selbst, vor den Augen des Philosophiehistorikers expliziert. Indem das System

6

grundgelegt und entfaltet wird, steht ständig zugleich die Frage nrit zur Diskussion, wie das philosophisch-systematische Denken auf die Praxis des geschichtlichen Lebens zu beziehen ist. Dieses „Schlüsselthema der Philosophie nach Hegel" (K. O. APEL) ist in der hier zu behandelnden frühen Phase der Hegelschen Systementwicklung selber schon enthalten. Die Lösung Hegels, die er mit der Darstellung seines Systems der Philosophie zu geben sucht, inhaltlich zu verstehen, sie kritisch zu prüfen, heißt also, daß man die Möglichkeiten der Behandlung dieses Themas von ihren Ursprüngen her erfaßt. Es sind ursprünglich durchaus widersprüchliche Tendenzen, die sich dann allmählich dem Anspruch des Systems einfügen, als in sich abgeschlossene Theorie auch die Praxis des geschichtlichen Lebens, deren Gesetze, als ihr letztes Wirklichkeitssubstrat zu enthalten. Sofern das Hegelsche System eine Grundmöglichkeit, dieses Thema zu behandeln, darstellt, werden mit ihrer Erfassung im einzelnen zugleich die Ausgangspunkte ihrer Gegenmöglichkeit ins Blickfeld der Philosophie gerückt: daß die Theorie als gedanklich-begriffliche Rekonstruktion der Zusammenhänge der gegenwärtigen Praxis diese sowohl in ihrer Genesis aufzuklären als in ihren konkreten Zukunftsaspekten durchsichtig zu machen vermag. Es muß hier gesagt werden, daß die Voraussetzungen für die Ausarbeitung dieses Gegenstandes und des darin enthaltenen Problems nicht allein durch ein privates Studium der Quellen und eine von mir als einzelnem geleistete Auseinandersetzung mit der Literatur geschaffen worden sind. Ich habe dafür auch nicht in erster Linie bestimmten Lehrern zu danken, deren Anregungen oder Hinweisen ich gefolgt wäre. Die philologisch-historischen wie auch die philosophisch-historischen Voraussetzungen und die Grundlagen der Erörterung des darin gestellten sachlichen Problems sind vielmehr auf der Basis einer mehrjährigen Teamarbeit entstanden, an der ich im Hegel-Archiv, das bis 1968 seinen Sitz in Bonn hatte und seitdem zur Universität Bochum gehört, beteiligt gewesen bin. Der Dank gilt also den Kollegen, die neben mir in der Zeit der Entstehung dieser Arbeit im Hegel-Archiv als Mitarbeiter beschäftigt waren: HARTMUT BüCHNER, KLAUS DüSING, GISELA VON EINEM-SCHüLER, OTTO PöG-

Die Aufführung dieser Namen geschieht nicht, um damit eine konventionelle Dankespflicht zu erfüllen, sondern um die intellektuelle Redlichkeit zu ihrem Recht kommen zu lassen. GELER.

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat mir durch die Gewährung eines Habilitandenstipendiums die von den genannten Voraussetzungen

7

ausgehende Ausarbeitung der vorliegenden Sdirift ermöglicht. Es erscheint mir als angebracht, aus diesem Anlaß der Deutschen Forschungsgemeinschaft für ihre Hilfe einmal zusammenfassend zu danken. Denn sie hat für meine gesamte wissenschaftliche Arbeit seit meiner Promotion im Jahre 1957 durch verschiedene Stipendien und Sachbeihilfen die finanzielle Grundlage zur Verfügung gestellt. Der Abteilung für Philosophie, Pädagogik, Psychologie der Ruhr-Universität Bochum hat diese Abhandlung im Wintersemester 1969/70 als Habilitationsschrift Vorgelegen. Sie ist inzwischen stilistisch überarbeitet und durch einen Anhang erweitert worden. (Die Frage nach dem Verhältnis von Geschichte und Philosophie im Denken Hegels, die in diesem Anhang behandelt wird, bildet eine notwendige Ergänzung zur vorliegenden Arbeit, sofern durch sie das Problem des Systems der Jahre 1800 bis 1804 auf das Hegelsche Denken im ganzen, auf die in den verschiedenen Entwiddungsstufen dieses Denkens gleichbleibende Ausgangsfrage, beziehbar wird.) Im Inhaltsverzeichnis sind die Überschriften der einzelnen Abschnitte der Einleitung und des Schlusses, sowie die Überschriften der Exkurse kursiv gesetzt. Damit soll deutlich gemacht werden, daß in diesen Abschnitten von einem anderen Standpunkt aus argumentiert wird als in den übrigen, primär auf historisch-kritische Rekonstruktion gerichteten Teilen der Arbeit (vgl. u. 283 f.). Einige häufig herangezogenen Ausgaben der Werke Hegels werden in abgekürzter Form zitiert. Die Auflösung der Abkürzungen findet sich im Literaturverzeichnis. Um die Auffindung des Jenaer Materials zu erleichtern, das in den bisherigen Ausgaben z. T. irreführend oder unzutreffend benannt bzw. zugeordnet wird, ist im Literaturverzeichnis die Liste der Hegelschen Schriften aus der Jenaer Zeit, die zuerst in HegelStudien 4 (1967), 137—145 veröffentlicht wurde, mit einigen Verbesserungen und Ergänzungen noch einmal abgedruckt. Bonn-Bad Godesberg, den 10. März 1970 H. K.

INHALTSVERZEICHNIS Einleitung

15

A. Das Problem eines Systems der Philosophie als solchen ....

18

B. Das „System der Philosophie" von 1800 bis 1804 im Grundriß .

24

C. Methodischer Ausgangspunkt und sachliche Problematik der Darstellung dieses Systems 31 Erster Teil „Logik und Metaphysik" als Grundlegung des Systems

39

A. Die Einleitung

41

B. Die Logik

48

a) Die Konzeption der Jahre 1801/02—1802/03

48

a) Zur Methode; Reflexion und Spekulation

49

ß) Das System der Reflexion

52

aa) Die „allgemeinen Formen der Endlichkeit" (Kategorien) 52 ßß) Die „subjektiven Formen der Endlichkeit" (Verstand)

60

YY) Das Sichaufheben des „endlichen Erkennens" (Grundlegung des wissenschaftlich-philosophischen Denkens)

62

b) Die logische Grundstruktur in den Entwürfen zur Entfaltung des Systems von 1802/03—1803/04

66

Exkurs: Zur Entwicklung des Gestaltsbegriffs von 1804—1805/06

73

c) Der Neuansatz des Manuskripts von 1804

76

a) Die „einfache Beziehung" als Vorfeld der Unendlichkeit .

76

ß) Das „Verhältnis" als „logische Unendlichkeit" ....

81

aa) Das „Verhältnis des Seins"

81

ßß) Das „Verhältnis des Denkens"

83

10 Y)

Die Einheit der Verhältnisse des Seins und des Denkens im „wissenschaftlichen Erkennen" 85 aa) Die Gleichheit der Verhältnisse als „Proportion" .

.

85

ßß) Das Erkennen als „in sich zurückgehender Kreis" .

.

88

Exkurs: Zur Einführung des Zweckbegriffs in der Realphilosophie von 1805f06 93 d) Der Übergang zur Logik als einer selbst metaphysisch konzipierten Grundlegung 95 C. Die Metaphysik

99

a) Die Entfaltung des „Princips aller Philosophie" als Thema der Metaphysik nach den Äußerungen der Jahre 1800—1802/03 .

99

a) Das „System der Ideen" als übergeschichtliche Antwort auf die Fragen der Geschidite 99 ß) Die Erhebung über das „endliche Leben" in der Religion nach dem „Systemfragment von 1800" 104 Exkurs: Zur Selbstaufhebung der Philosophie durch die Erhebung zum „unendlichen Leben" in der Religion 110 b) Die „physikalische" Beschreibung der Idee in der „schellingianisierenden Periode" (1802—1803/04)

112

c) Die theosophisch-mystische Darstellung der Gotteslehre in den Fragmenten „Vom göttlichen Dreieck" (1804) ....

115

d) Der neue Entwurf einer wissenschaftlichen Metaphysik in dem Manuskript von 1804

120

a) Zur Methode: „Wissenschaftlichkeit" und „absolutes Erkennen" 120 ß) Metaphysik als Wissenschaft

122

aa) Das System der Grundsätze des Erkennens ....

123

ßß) Metaphysik der Objektivität

125

YY) Metaphysik der Subjektivität

129

e) Die Auflösung der Metaphysik durch die „Wissenschaftlichkeit" des Systems

132

11

Zweiter Teil „Philosophie der Natur" als sachlicher und methodischer Schwerpunkt der Entfaltung des Systems 135 A. Der Naturbegriff als Grundbegriff des Systems nach den Äußerungen der Jahre 1801—1802

137

B. Die zusammenhängende Entfaltung der Naturphilosophie von 1803/04 und von 1804

147

a) Die allgemeine Einleitung

147

Exkurs: Empirie und spekulative Deduktion in der Darstellung 151

der Naturphilosophie von 1801 1805/06 —

b) Das System der Sonne

155

a) Die Voraussetzungen des Übergangs der Idee zur Realität im himmlischen System (Der Äther als „absolute Materie") 155 ß) Der Übergang der Idee zur Realität in der himmlischen

Bewegung (Der Äther als „absolute Kraft")

157

Exkurs: Der Anfang der Naturphilosophie in der Realphilosophie von 1805/06 Y)

c)

162

Der Übergang vom himmlischen zum irdischen System (Die Konstruktion der Erde) 165 Die Potenzen des irdischen Systems

a) Zur Methode: Naturphilosophie und Logik

166

ß) Die Mechanik oder die „Einheit der toten Masse und der Bewegung"

(Ehe Konstruktion der Gestalt) Y)

167

Der Chemismus oder die Vielheit im lebendigen Prozeß der Elemente (Das Flüssigwerden der Gestalt) 170 aa) Die erste Entfaltung des Problems in den Fragmenten von 1803/04

170

ßß) Die Ändenmgen dieser Darstellung in dem Manuskript von 1804

178

12

Exkurs: Die spekulative Verarbeitung traditioneller und zeitgenössischer Motive in der Lehre von den Elementen 182 6) Die Physik oder die Einheit der Einheit der Gestalt und der Vielheit der Elemente (Die Idee des für sich bestehenden Körpers) 185 g) Das Organische oder der in sich unendliche Prozeß des Sichgestaltens der einfachen Einheit zur absoluten Einheit (Das sich selbst zur Totalität ausbildende Individuum) . . 189 aa) Die Einheit von Individuum und Gattung als das Zu-sich-Kommen der Idee in der Natur 189 ßß) Die Erscheinungsformen des Organischen als vegetabilischer und als animalischer Organismus .... 193 C. Die Begrenzung der systematischen Bedeutung der Naturphilosophie auf Grund ihrer zusammenhängenden Entfaltung . . .

198

Dritter Teil Die Entwicklung von der „Philosophie der Intelligenz" zur „Philosophie des Geistes" als Ausgangspunkt für den Umbildungsprozeß des Systems im ganzen 201 A. Der Plan der Philosophie der Intelligenz als in sich begrenzter Gegenseite zur Philosophie der Natur in den Jahren 1800—1801 205 B. Die Entfaltung des praktischen Teils der Philosophie der Intelligenz als „Naturrecht" (1802—1803) 211 a) Kritik und systematisches Prinzip des „Naturrechts" in dem Aufsatz von 1802/03 211 b) Die Potenzen der „absoluten Sittlichkeit" nach dem Reinschriftmanuskript von 1803 und den Vorlesungsmanuskripten von 1802/03 a) Die absolute Sittlichkeit als Natur

215

216

aa) Natürliche Sittlichkeit als Anschauung (Die praktische Potenz oder die Potenz des Tätigwerdens des Individuums 216 Exkurs; Die Arbeit als grundlegende Bestimmung des sich über die Natur erhebenden Menschen in den Jenaer Systemen (1803 bis 1807) 219

13

ßß) Natürliche Sittlichkeit als Begriff (Die Potenz der formellen Einheit der Tätigkeit der Individuen im Recht) 223 Exkurs: Das Recht als Potenz der „natürlichen Sittlichkeit" (1803) und seine Einordnung in die „Welt des Geistes" (1805106) . . . 226 ß) Die Negation der absoluten Sittlichkeit als Natur durch „die reine Freiheit oder das Verbrechen" 234 Y) Die absolute Sittlichkeit als „absolute Identität der Intelligenz" 236 aa) Zur Methode: Die „absolute Einheit" absolut Entgegengesetzter als logische Voraussetzung der „Geistesgestalt" des Sittlichen 237 ßß) Staat und Regierung (Erste Potenz: Anschauung der absoluten Sittlichkeit als solcher im „absoluten Volk") 240 YY)

Staat und Religion (Zweite Potenz: Begriff der absoluten Sittlichkeit als solcher als „absolutes Einssein der Individualitäten")

243

C. Die Entstehung der Philosophie des Geistes aus der Philosophie der Intelligenz und der Philosophie des Absoluten in den Fragmenten des Systementwurfs von 1803/04 246 a) Die „formale Existenz" des Bewußtseins als seine theoretischen und formal praktischen Potenzen in dem ältesten Kern der Fragmente zur Geistesphilosophie 246 a) Das Sicherheben über die „Einzelheit der Empfindung" in der Anschauung 246 ß) Sprache, Werkzeug, Familiengut als Formen der äußeren Existenz des Bewußtseins als Mitte 248 Exkurs: Das Verhältnis von Sprache und Arbeit in der Entstehungsgeschichte der Geistesphilosophie (1803—1805/06) . . . 252 b) Die Klärung des Bewußtseinsbegriffs als systematische Grundlegung der Geistesphilosophie 256 Exkurs: Das Bewußtsein als methodisches Organon der Philosophie überhaupt (1803/04—1807) 259 c) Das „absolut reale Bewußtsein" als „Geist eines Volkes" und als Selbstdarstellung des „absoluten Bewußtseins" in Kunst, Religion und Philosophie 262

14

Vierter Teil „Philosophie des Absoluten" als Abschluß des Systems in sich selbst 267 A. Die spekulative Erfassung der Wahrheit der Religion als Voraussetzung für die Philosophie des Absoluten (1800—1801) . . . 270 B. Die „Anschauung des sich selbst gestaltenden Absoluten" in Kunst und Spekulation im Anschluß an Schellings Systemkonzeption (1801—1803) 273 C. Das Sichbegreifen des Absoluten als „absolutes Bewußtsein" innerhalb der Philosophie des Geistes (1803/04) 278 Schluß

283

A. Das System von 1800—1804 als Entwicklung zur Abgeschlossenheit des Denkens in sich selbst 285 B. Die Philosophie als System und die Frage nach der Philosophie überhaupt 290

Anhang Zum Verhältnis von Geschichte und Philosophie im Denken Hegels Literaturverzeichnis

I. II.

301

313

Ausgaben der Werke Hegels Liste der Jenaer Schriften Hegels

III. Für Hegel in der Zeit von 1800 bis 1804 maßgebende philosophische und wissenschaftliche Werke 323

IV. Sekundärliteratur

324

Personenregister

329

EINLEITUNG

Wie bei Hegels Übergang von Bern nach Frankfurt am Anfang des Jahres 1797 sein Denken durch das Zusammentreffen mit HöLDERLIN einen ungeheuren Aufschwung nimmt, so befreit ihn beim Übergang von Frankfurt nach Jena, vier Jahre später, die Gemeinsamkeit mit SCHELLING ZU einer kaum vorstellbaren Produktivität. Die Ergebnisse dieser Arbeit, soweit sie in die allgemeine Darstellung der Geschichte der Philosophie eingegangen sind und in dieser Darstellung richtig wiedergegeben werden, lassen sich in zwei Gruppen zusammenfassen. Da sind einmal die „kritischen Schriften" aus dieser Zeit: die Abhandlung über Die Differenz des Fidite'schen und Schelling'sehen Systems der Philosophie, die Aufsätze in dem von SCHELLING und Hegel gemeinsam herausgegebenen Kritischen Journal der Philosophie ^ und die Rezensionen in der Erlanger Litteratur-Zeitung Die zweite Gruppe kann man als „historisch-politische Untersuchungen zur Verfassung Deutschlands" charakterisieren. Diese Untersuchungen beginnt Hegel bereits am Ende der Frankfurter Zeit. Ihre Hauptmasse fällt in das erste Halbjahr 1801. Hegel nimmt sie dann noch einmal auf im Herbst 1802 und fertigt eine Reinschrift an, die offensichtlich den Eindruck einer Druckvorlage macht, die aber fragmentarisch bleibt und nicht das ganze 1801 erarbeitete Material enthält. Über Hegels Konzeption des „Systems der Philosophie" in dieser Zeit, die mit den kritischen Schriften und den historisch-politischen Untersuchungen in einer engen, noch näher zu bestimmenden Weise zusammenhängt, ist indessen nur wenig historisch Zuverlässiges bekannt. Die * Neben den bekannten, mit Sicherheit Hegel zuzuschreibenden Aufsätzen wie der Krug-Rezension, dem Skeptizismusaufsatz, Glauben und Wissen und dem Naturreditsaufsatz muß man auch bei anderen Beiträgen, die z. T. in erster Linie von Schelling stammen, eine wesentliche Mitarbeit Hegels annehmen; so bei der Einleitung, bei dem Aufsatz über Rüdeert und Weiß und bei der auf den ersten Blick ganz Schelling zugehörenden Arbeit Lieber das Verhältniß der Naturphilosophie zur Philosophie überhaupt (s. Werke 4. 540—548). * In dieser Zeitung sind 1801/02 Rezensionen Hegels über Werke von Bouterwek, Werneburg, Gerstärker und Krug erschienen. Die Besprechung einer Schrift von Fisdihaber und der 2. Aufl. von Herder; Gott. Einige Gesprädie über Spinozas System (Gotha 1800), die Hegel ebenfalls angefertigt hat, sind nicht veröffentlicht worden (s. Werke 4. 95—112 und 517).

16

EINLEITUNG

kritischen Schriften gehen von einer Grundidee des Systems der Philosophie aus, in der sich Hegel am Anfang der Jenaer Zeit mit SCHELLING einig weiß. Die ausführliche und eindringende Kritik der zeitgenössischen philosophischen Literatur, die in diesen Schriften formuliert wird, läßt sich nur verstehen, wenn man sie als Anwendung dieser spekulativ-systematischen Grundidee betrachtet, die sich durch die kritische Auseinandersetzung über ihre eigenen Voraussetzungen zu vergewissern sucht. Die Kenntnis der Systemkonzeption, die bisher nur unzulänglich erarbeitet ist, bildet also eine wesentliche Vorbedingung zum Verständnis der Kritik an den Zeitgenossen. Umgekehrt läßt der Text der kritischen Schriften an vielen Stellen Rückschlüsse zu auf die spekulativ-systematische Konzeption, die ihnen zu Grunde liegt. Die historisch-politischen Untersuchungen zur Verfassung Deutschlands, die sich von der Frankfurter Zeit in die Jenaer Periode herüberziehen, lassen noch den Stil der Studien aus der Jugendzeit erkennen. Dem methodischen Vorgehen und der sachlichen Intention nach stehen sie neben den theologisdi-histoiisdien Untersuchungen der Frankfurter Zeit, die sich nicht unmittelbar als Arbeiten auf dem Gebiet der Philosophie verstehen, sondern als ein Rückgang auf Geschichtliches mit dem Ziel, die religiös-theologische Situation der Gegenwart zu deuten und Wege zur Überwindung ihrer Widersprüche aufzuzeigen. In ähnlicher Weise zielen die politisch-histonsdien Studien aus der Übergangszeit von Frankfurt nach Jena zunächst auf eine Deutung und Veränderung der bestehenden politisch-gesellschaftlichen Zustände, deren Widersprüchlichkeit und innere Unzulänglichkeit entschieden herausgearbeitet wird. Indessen, wie die theologisch-historischen Studien dieser Zeit so enthalten auch die politisch-historischen wichtige gedankliche und begriffliche Voraussetzungen für die Entwicklung eines Systems der Philosophie. Tatsächlich gehen sie im Lauf der ersten Jenaer Jahre in eine philosophischsystematische Behandlung der in ihnen enthaltenen Probleme über. Sie sind also einmal in ihrer parallelen Stellung zu den theologisch-historischen Untersuchungen zu betrachten und zum anderen von dem spekulativ-systematischen Ansatz der Hegelschen Philosophie abzuheben. Dabei gilt es vor allem, ihre Bedeutung für die gedanklich-begriffliche Grundlegung des Systems und für die Entfaltung der systematischen Aussagen zum Thema Staat und Gesellschaft zu erfassen.

Wenn die Systemkonzeption Hegels in den Jahren 1800—1804 von seinen unmittelbar philosophisch-systematisch zu verstehenden Aussagen her entfaltet werden soll, ist von der Neuordnung der Jenaer Schriften auszugehen, die sich aus einer überwiegend mit den Mitteln historisch-

EINIEITUNG

17

philologischer Untersuchung vorgehenden Arbeit des Verfassers ergeben hat. Dazu gehört, daß die Jahre 1800—1804 einen eigenen, bisher nicht als solchen erkannten Abschnitt in der Entwicklungsgeschichte des Hegelschen Denkens bilden Das große Manuskript zur Logik, Metaphysik und Naturphilosophie gehört nicht an den Anfang, sondern an das Ende dieser ersten Periode seines systematischen Philosophierens. Es stellt nicht den Hauptteil der ersten Gestalt des späteren Systems dar, das Logik, Natur- und Geistesphilosophie umfaßt; es steht vielmehr auf der Grenze zwischen der Systemkonzeption der Jahre 1800—1804 und den späteren Auffassungen Hegels über Idee und Entfaltung des philosophischen Systems. Die Konzeption des „Systems der Wissenschaft", die sich im Anschluß an das erwähnte große Manuskript zuerst in der Jenaer Realphilosophie von 1805/06, in der Wissenschaft der Phänomenologie des Geistes von 1807 und dann in der Wissenschaft der Logik von 1812116 dokumentiert, und erst recht natürlich der Systementwurf der Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse (1817, 1827 und 1830) unterscheiden sich grundlegend vom System der Jahre 1800—1804, dessen Grundzüge in der vorliegenden Abhandlung aufgewiesen werden sollen.

’ S. Zur Chronologie von Hegels Jenaer Schriften. — In: Hegel-Studien 4 (1967), 125—176; Dokumente zu Hegels Jenaer Dozententätigkeit a.a.O. 21—99; Die von K. Rosenkranz überlieferten Texte Hegels aus der Jenaer Zeit. Eine Untersuchung ihres Quellenwerts. In: Hegel-Studien 5 (1969), 83—94; Zur Entwicklung des Hegelschen Denkens in Jena. — In: Hegel-Tage Urbino 1965. Hrsg, von H. G. Gadamer. Bonn 1969. (Hegel-Studien Beiheft 4.) 33—47.

18

EINLEITUNG

A. Das Problem eines Systems der Philosophie als solchen

Eines freilich verbindet die erste zusammenhängende Systemkonzeption Hegels in den Jahren 1800—1804 mit allen späteren, daß sie nämlich Systemkonzeption ist, daß Hegel in ihr von den theologisch-politischhistorischen Untersuchungen der Jugendzeit zur Wissenschaft, zur Philosophie, zur Spekulation (das alles wird zusammengefaßt in dem Ausdruck: zum System) übergegangen ist. Daß in dem Übergang zum systematischen Philosophieren von den anders gearteten Studien des jungen Hegel eine eigene, vielleicht die zur Beurteilung des Hegelschen Denkens letztlich entscheidende Problematik zu erblicken ist, hat O. PöGGELER deutlich herausgearbeitet Damit soll nicht gesagt sein, daß der junge Hegel nicht bereits relativ früh Versuche einer philosophischen Systematisierung seiner Denkansätze unternommen hat. Ich erinnere nur an die sog. „Materialien zu einer Philosophie des subjektiven Geistes", die in Wahrheit das Bemühen Hegels bezeugen, die empirische Psychologie mit der transzendentalen Logik KANTS ZU vermitteln, und an das sog. Älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus, an dem Hegel ganz gewiß einen wesentlichen Anteil hat, wie immer man zu der Frage der eigentlichen Autorschaft dieses wichtigen und interessanten Dokuments stehen mag Aber diese Versuche bleiben vereinzelt, und wenn man in den Frankfurter Schriften Hegels die Ausführung der in jenem „Programm" abrißartig mitgeteilten systematischen Ideen sucht, so findet man, daß er seine philosophisch-systematischen Gedanken weitgehend nur implicite, im Zusammenhang theologisch- und politisch-historischer Studien entwickelt. Es ist schon mehrfach darauf hingewiesen worden, daß in den Begriffen der Liebe und des Lebens, wie Hegel sie in seinen Frankfurter Schriften ausgearbeitet hat, entscheidende Voraussetzungen für den Entwurf seines Systems der Philosophie zu erblicken sind, daß in ihnen namentlich die Dialektik in dem für Hegel charakteristischen Sinn bereits vorgeformt

■* S. Hegels Jenaer Systemkonzeption. — In: Philosophisches Jahrbuch 71 (1963/ 64), 268—318. ® S. Dokumente zu Hegels Entwicklung. Hrsg, von J. Hoffmeister. Stuttgart 1936. 195—217 und 219—221. O. Pöggeler hat in letzter Zeit die Autorschaft Hegels für das sog. „Älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus" nadizuweisen gesucht, nachdem bisher nur Schelling bzw. Hölderlin als geistige Urheber für das von Hegels Hand geschriebene Dokument in Betracht gezogen worden sind. S. Hegel-Tage Urbino 1965 a.a.O. 17—32.

A. Das Problem eines Systems

19

ist ®. Eine solche Vorform des systematischen Philosophierens ist am deutlichsten in einigen Fragmenten ausgeprägt, die NOHL im Anhang der „Theologischen Jugendschriften" veröffentlicht hat Aber auch die Auseinandersetzung mit KANT, insbesondere mit seiner praktischen Philosophie, von der ROSENKRANZ berichtet, ist in diesem Zusammenhang von großer Wichtigkeit *. Aus einer ersten größeren zusammenhängenden Arbeit, die offensichtlich starken systematischen Charakter hat, sind zwei Stücke erhalten, die NOHL als „Systemfragment von 1800" herausgegeben hat. Diese Stücke werden in der Darstellung der Metaphysik weiter unten mit herangezogen. Die entscheidende Bedeutung des Problems, daß Hegel sein sachlichdenkerisches Anliegen nicht ursprünglich, sondern erst nach dem Abschluß einer fast zehnjährigen Entwicklung entschlossen und eindeutig durch die zusammenhängende Entfaltung des Systems der Philosophie zur Geltung bringen will, bezeugt sich in der ganzen weiteren Entwicklungsgeschichte seines Denkens, die ihn nicht zu einer gültigen, zu Ende durchgeführten Darstellung seines philosophischen Systems gelangen läßt. Auch die Encyklopädie wird man nicht in diesem Sinne interpretieren können. Dieses Werk versteht sich nicht als die Ausführung des „Systems der Wissenschaft", zu dem die „Wissenschaften des realen Geistes" in dem Entwurf der Natur- und Geistesphilosophie von 1805/06 erste konkrete Ausarbeitungen bilden und das mit der Wissenschaft der Phänomenologie des Geistes seine Einleitung und seinen Ersten Teil erhalten sollte. Die Wissenschaft der Logik (1812/16) sucht noch auf dem Fundament des „Systems der Wissenschaft" weiter zu bauen. Sie gerät jedoch zur Phänomenologie in Widerspruch, sofern sie erst als Logik den Ersten Teil des Systems, die spekulativ-begriffliche Grundlegung, entwickelt. Dieser Widerspruch tritt nicht sofort offen zutage; er kündigt sich aber darin an, daß die Logik, die die eigentliche Grundlegung bildet, nicht der Phänomenologie zugeordnet wird, sondern als „erste Folge" des „Zweiten Teils" erscheint, in dem erst das System der Philosophie als solches, d. h. Logik, Natur- und Geistesphilosophie entfaltet werden soll Zu einer strengen “ Vgl. bes. H. G. Gadamer; Hegel und der gesMditliche Geist. — In: Zeitschrift für die gesamte Staatswissensdiaft 100 (1939), 25—37 und I. Landgrebe: Das Problem der Dialektik. — In: Marxismusstudien 3 (1960), 1—65. ’ S. Jschr. 347—402. ® S. K. Rosenkranz: G. W. F. Hegel's Leben. Berlin 1844. (Neudruck Darmstadt 1963.) 86 f. * S. WdL 7 f. Daß es sich der Sache nach schon in der Konzeption von 1812 (nicht erst in der Fußnote von 1831 zu dieser Stelle) um eine Begrenzung der Phänomenologie auf die Einleitungsfunktion handelt, bestätigt sich durch die Darlegung zum „Anfang der Wissenschaft" auf S. 53.

20

EINLEITUNG

Ausarbeitung der „Wissenschaften der Natur und des Geistes", die der Phänomenologie oder der Logik vergleichbar wäre, ist es auf dem Boden dieser Konzeption nicht gekommen. In der Encyklopädie werden die Systemteile insgesamt nicht in „ihrer systematischen Ableitung, welche das enthalten muß, was man sonst unter dem Beweise verstand," zur Darstellung gebracht, sondern in der Form eines Grundrisses, bei dem „mehr bloß eine äußerliche Zweckmäßigkeit der Anordnung und Einrichtung" in Betracht kommt Als Beispiel einer systematisch entwickelten „wissenschaftlichen Philosophie" wird nur noch die Logik als der „erste Teil des Ganzen", nicht mehr die einleitende, ursprünglich auch als Erster Teil konzipierte Phänomenologie gewertet. Die Schwierigkeit der Zuordnung der Phänomenologie von 1807 zum System der Philosophie nach dem Aufriß der Encyklopädie ist in der Hegelliteratur verschiedentlich bemerkt und geistreich interpretiert worden H. F. FULDA kommt im Rahmen einer gründlichen Erörterung dieser Frage zu dem Schluß, daß Hegel die Phänomenologie als Einleitung nicht zurückgenommen hat, sondern diesen ihren Charakter, abgesehen von gewissen Mängeln in der Darstellung, auch für das System auf dem Standpunkt der Encyklopädie gelten lassen will Er berücksichtigt aber dabei nicht, daß die Phänomenologie als Einleitung und Erster Teil einer Systemkonzeption entworfen worden ist, die in der Encyklopädie nicht mehr durchgehalten, sondern durch die Preisgabe des Anspruchs strenger „systematischer Ableitung" tiefgreifend modifiziert wird. Im Rahmen des „Systems der Wissenschaft" ist es richtig, daß die Phänomenologie durch die Logik von 1812/16 auf ihre Einleitungsfunktion beschränkt wird. In der Encyklopädie gibt es jedoch keine Einleitung mehr im Sinne einer selber zum System gehörenden Erhebung auf den Standpunkt des Systems. Das „Ganze der Wissenschaft" ist dem Anspruch nach ein „in sich zurückgehender Kreis", in den man nur hineinkommt durch den „freien Akt des Denkens, sich auf den Standpunkt zu stellen, wo es für sich selber ist" Entsteht nicht der Anspruch des Systems, in sich völlig autochthon zu sein, gerade daraus, daß es nicht in strenger wissenschaftlicher Form entwickelt wird? Eine Darstellung, die selber enzyklopädisch verfährt, bedarf keiner Einleitung, die systematisch ist. Sie würde ihrem eigenen methodischen Prinzip widersprechen, böte sie S. Enz. 20, auch zum folgenden. Vgl. bes. K. H. Volkmann-Schluck: Metaphysik und GesMchte. Berlin 1963. Das Problem einer Einleitung in Hegels Wissenschaft der Logik. Frankfurt/M. 1965. S. Enz. §§ 17 f.

A. Das Problem eines Systems

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vor dem Eintritt in die Sache etwas anderes als räsonnierende Erörterungen. In Hegels eigener Sicht behält die Phänomenologie ein historisches Recht. Sie war zur „Zeit ihrer Abfassung" notwendig, um das philosophierende Bewußtsein von der Unmittelbarkeit des bloßen Meinens und der verstandesmäßigen Reflexion zu der totalen Vermitteltheit des „absoluten Wissens" und damit zu der neuen Unmittelbarkeit der sich aus sich entwickelnden Wissenschaft zu führen. Im Rückblick gewinnt seine eigene Denkgeschichte systematische Bedeutung Nachdem 1812/16 in der Logik die reine spekulative Wissenschaft hervorgetreten ist, kann die Darlegung des Systems mit eben dieser Logik beginnen. Ist der „freie Akt des Denkens" einmal vollzogen, so begründet er damit den Anspruch, daß er zu jeder Zeit und von jedem erneut vollzogen werden kann. Der Stütze, die zunächst zu ihm verhelfen hat, bedarf es nun nicht mehr. Die „Phänomenologie des Geistes" bekommt ihren Platz in der „Philosophie des subjektiven Geistes", die jetzt allgemeingültig, vom Zeitpunkt des Vollzugs ganz unabhängig, die Erhebung des Bewußtseins von der ersten „Gewißheit seiner selbst" zur Wahrheit der Vernunft schildern soll Aber auch der Standpunkt der Encyklopädie (1817) ist nichts Endgültiges, obgleich ihn Hegel in seinem eigenen Selbstverständnis in den späteren Auflagen dieses Buches (1827 und 1830) beibehält. Man muß beachten: Hegel hat für sich den Übergang keineswegs bewußt vollzogen, der von der Systemkonzeption der Jahre 1800—1804, deren Umrisse hier zum erstenmal sichtbar gemacht werden, zum „System der Wissenschaft" führt, das sich in der Jenaer Realphilosophie von 1805/06, in der Phänomenologie des Geistes von 1807 und — bereits verändert — in der Logik von 1812/16 dokumentiert. Ebensowenig ist er sich über die Modifikationen klar geworden, die in dem Standpunkt der Encyklopädie gegenüber dem „System der Wissenschaft" zum Ausdruck kommen. So ist es erklärlich, daß der enzyklopädische Grundriß in den Berliner Vorlesungen über Philosophie der Geschichte, Geschichte der Philosophie, Ästhetik und Philosophie der Religion nicht nur inhaltlich ausgefüllt, sondern unter der Hand auch methodisch und dem sachlichen Gehalt nach weiter entwickelt wird Bildhaft ausgedrückt, kann man sagen, daß ** S. Hegels Notizen zur geplanten 2. Auflage der Phänomenologie von 1831 (Phän. 578). 15 S. Enz. §§ 413—439. 1® Es genügt also nicht, den vorsystematischen Hegel vom Hegel des Systems zu unterscheiden, eines Systems, dessen Grundriß in der Encyklopädie greifbar wird. Man muß innerhalb der vorsystematisdien und der systematischen Periode viel

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EINLEITUNG

diese Vorlesungen, die eine Aufarbeitung der gesamten damals bekannten geschichtlichen Wissensgebiete enthalten, einen Ausbruch aus der Enge des Schemas der Encyklopädie bilden. Es wäre eine wichtige Aufgabe, diesen Unterschied vom Methodischen her und unter Berücksichtigung der Eigenbedeutung des Geschichtlichen im einzelnen herauszuarbeiten. Die kurze Übersicht über die Stufen der Entwicklungsgeschichte des Hegelschen Denkens soll im gegenwärtigen Zusammenhang deutlich machen, daß die Entscheidung für die Philosophie im Sinne des Systems der Philosophie im Untergrund des Hegelschen Denkens das treibende Problem bleibt. K. MARX hat dies erkannt, er denkt die der Hegelschen Philosophie von ihren Anfängen her innewohnende Problematik weiter, wenn ihn seine Kritik an Hegel, den er nur als den spekulativen Systematiker kennt, dazu führt, die Aufhebung der Philosophie durch ihre Verwirklichung zu fordern Damit wird die Entscheidung Hegels für die Philosophie, seine Entwicklung „zum System", von MARX aber nicht einfach revidiert. Die theoretisch-wissenschaftliche Arbeit des jungen Hegel, die an der Aufhebung der Widersprüche im politisch-gesellschaftlichen Leben der Gegenwart mitzuwirken sucht, wird nicht aufs Neue in ihr Recht eingesetzt. Sondern der Praxisbezug wird gewissermaßen jenseits des Systems, auf der Höhe dessen, was das System der Philosophie als ganzes sagt, neu zur Geltung gebracht. Wie ist Hegel zu der Entscheidung für die Philosophie im Sinne des Systems der Philosophie, die der ersten zusammenhängenden Entfaltung des Systems in den Jahren 1800—1804 schon vorausliegt, eigentlich gekommen? Wie antwortet das System der Philosophie auf die vorphilosophische bzw. vorsystematische Problematik? Die Motivation seiner Entscheidung und in eins damit die sachliche Bedeutung des systematischen Philosophierens für sein ursprüngliches denkerisches Anliegen läßt sich vielleicht am ehesten erfassen und beurteilen, wenn man die Entstehung genauer unterscheiden, um nicht ein erdichtetes Hegel-Bild weiter auszuschmücken, auch wenn man sich in diesen Fragen auf Äußerungen Hegels selbst berufen kann, sondern um den wirklichen Hegel in den Blick zu bekommen. Innerhalb der systematischen Periode sind folgende Stufen zu berücksichtigen: (1) das System von 1800—1804, (2) das „System der Wissenschaft" (a) Jenaer Realphilosophie von 1805/06 und Phänomenologie von 1807, (b) Logik von 1812/16, (3) Encyklopädie von 1817 (und spätere Auflagen) und Rechtsphilosophie von 1820, (4) die systematischen Implikationen der Berliner Vorlesungen. S. Die Frühschriften. Hrsg, von S. Landshut. Stuttgart 1953. 215.

A. Das Problem eines Systems

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des Systems in ihren ersten Schritten möglichst genau zu rekonstruieren sucht. Das „Bedürfniß der Philosophie" entsteht nach Hegel daraus, daß die „Macht der Vereinigung aus dem Leben der Menschen verschwindet und die Gegensätze ihre lebendige Beziehung und Wechselwirkung verloren haben und Selbstständigkeit gewinnen" Der Aufweis der „Entzweiung" und „Entfremdung" des geschichtlichen Lebens in sich selbst und von sich selbst, der „Positivität" des Bestehenden in seiner Gegensätzlichkeit, die sich seiner lebendigen Weiterbildung entgegenstellt, ist das Ergebnis der theologisch-politisch-historischen Untersuchungen des jungen Hegel. Eine Überwindung der Entzweiung als Aufhebung der Entfremdung, Wiederverflüssigung der Positivität, „Versöhnung" der Gegensätze scheint nur möglich zu sein, wenn sich das Denken über die Reflexion erhebt, die die Gegensätze nur widerspiegelt, sich in ihnen „umherwirft", zu einer höheren „Sichselbstgleichheit", die dem geschichtlichen Leben der Gegenwart ebenso zu Grunde liegt wie früheren, glücklicheren Zeiten, etwa der Zeit der antiken griechischen Polisgemeinschaft, die dem jungen Hegel als Ideal vorgeschwebt hat. Nur die Philosophie als reines spekulatives Denken vermag in die Dimension dieser Einheit vorzudringen und ihre immerwährende Wahrheit zu entfalten. Dem geschichtlichen Leben der Gegenwart kann die „Macht der Vereinigung" nur zurückgewonnen werden, indem sie als die in ihr wirksame eigentliche Wirklichkeit, d. h. als Idee, philosophisch gedacht wird Genau an diesem Punkt setzt die Kritik von MARX ein. Nicht das Denken einer höheren Einheit über den Gegensätzen stellt die verlorengegangene Einheit wieder her; nur die reale Aufhebung der Gegensätze kann die „Selbstentfremdung" des geschichtlichen Lebens wieder rückgängig machen. Die theoretische Arbeit darf nicht in der Erhebung über die empirisch-geschichtliche Wirklichkeit, im reinen spekulativen Denken, zur Ruhe kommen, sich nicht als ein in sich zurückgehender Kreis von Denkbestimmungen gegenüber der Wirklichkeit abschließen. Die wissenschaftliche Theorie als ganze muß bewußt und methodisch zur politischgesellschaftlichen Praxis ins Verhältnis gesetzt werden. Das Problem des systematischen Philosophierens liegt darin, daß es als ein in sich abgeschlossenes Ganzes nicht auf seinen Ausgangspunkt (die Überwindung der „Entzweiung" als der „Not der Zeit") zurückbezogen wird.

Werke 4. 14. Vgl. M. Riedel: Theorie und Praxis im Denken Hegels. Stuttgart-Berlin-KölnMainz 1965. 18

EINXEITUNG

24 ß.

Das „System der Philosophie" von 1800 bis 1804 im Grundriß

Das Hervorgehen des systematischen Philosophierens aus den theologischpolitisch-historischen Untersuchungen, die noch auf eine Erhellung der Zeitsituation mit dem Ziel der realen Überwindung der darin enthaltenen Widersprüche gerichtet sind, spielt sich in den Jahren 1800—1804 gewissermaßen vor unseren Augen ab. Zwar ist es im Grunde von Anfang an zu erkennen, daß in diesem Vorgang die Eigendynamik des Spekulativen die Oberhand gewinnt, so daß es Hegel schließlich darum geht, „das System der Philosophie als die höchste Praxis zu ergreifen" Es wird jedoch zu prüfen sein, inwiefern diese Konsequenz in der Anlage des Systems als eines solchen steckt und auf welchem Weg es im einzelnen dazu gekommen ist. So kann auch die Gegenmöglichkeit sichtbar werden, auf welche Weise ein zusammenhängendes theoretisch-philosophisches Denken den Bezug auf die geschichtlich-gesellschaftliche Praxis durchzuhalten vermag. Das Hegelsche System geht davon aus, daß der unendliche Geist, der im geschichtlichen Leben wirksam ist, in seinen endlichen Gestalten auf jeder Stufe der Entwicklung aus der Entzweiung und Entfremdung zur Sichselbstgleichheit zurückfindet. Dies ist die Grundstruktur des Lebens überhaupt, die sich ebenso im natürlichen Leben, in den einzelnen Gestalten des Naturprozesses, geltend macht. Sie ist darin begründet, daß die endlichen Gestalten aus der indifferenten Einheit des unendlichen Geistes hervorgehen und sich nach dem Durchlaufen einer universalen Stufenfolge zu der „absoluten Identität" aller endlichen Widersprüche zusammenschließen. In der Mannigfaltigkeit der endlichen Gestalten ist dieses Absolute als die „Linie seiner Entwiklung" sichtbar, erscheint es auf jeder Stufe der Entgegensetzung „als sich bildend" Es bleibt nicht bei dem „Tod der Entzweiten", den die Reflexion der bestehenden Verhältnisse im Bereich ihrer endlichen Entfaltungsmöglichkeiten aufweist. Sie werden von der Philosophie, die sich in der Spekulation zum Unendlichen erhebt, „zum Leben" erweckt, indem eine Einheit in allen Gegensätzen gedacht wird. Als Spekulation führt die Philosophie über die endlichen Gegensätze hinaus zur unendlichen Einheit des Endlichen und Unendlichen; das bedingt, daß sie überall „nach dem Bewußtseyn dieser Identität... d. h. nach Wissen und Wahrheit strebt" S. O. Pöggeler: Hegels Jenaer Systemkonzeption a.a.O. 301. Werke 4. 91. Werke 4. 92.

B. Das System von 1800—04 im Grundriß

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Man sieht leicht, daß das System der Philosophie, durch das Hegel für seine aus den theologisch-politisch-historischen Studien entstehende Problematik eine Lösung sucht, auf dem Boden des ScHELLiNGschen philosophischen Ansatzes entworfen wird. In seiner Schrift Die Differenz des Tichte'sehen und Schelling'sehen Systems der Philosophie gibt Hegel am Ende der Schellingdarstellung dessen System mit Zustimmung wieder „Wenn daher die Wissenschaft der Natur, überhaupt der theoretische Theil, die Wissenschaft der Intelligenz der praktische Theil der Philosophie ist, so hat zugleich jede wieder für sich einen eigenen theoretischen und praktischen Theil." Diese Einteilung des Systems der Philosophie hat SCHELLING seit den Ideen zu einer Philosophie der Natur (1. Aufl. 1797) vertreten und im System des transcendentalen Idealismus (1800) zur Grundlage seiner systematischen Deduktionen gemacht. Damit wird zunächst einmal gegen FICHTES systematischen Ansatz, nach dem die ganze Philosophie als Philosophie der Subjektivität entworfen werden soll, deren theoretischer Teil die Problematik des Erkennens und deren praktischer Teil die Problematik des Handelns zu entwickeln hat, die alte noch von KANT befolgte Gliederung der Philosophie in ihr Recht wieder eingesetzt. Denn die „Kritik der reinen theoretischen Vernunft" untersucht die Voraussetzungen des Erkennens der Natur, fragt also nach der Bedingung der Möglichkeit einer „Metaphysik der Natur", und die „Kritik der reinen praktischen Vernunft" ist die entsprechende Vorarbeit für die „Metaphysik der Sitten", welche die Gestalten der menschlichen Welt zu ihrem Gegenstand hat. Das Neue gegenüber KANT liegt aber darin, daß die theoretische oder Naturphilosophie selbst einen eigenen praktischen Teil, die „Philosophie des Organischen", bekommen soll, wie umgekehrt schon bei FICHTE die praktische Philosophie oder Philosophie der Intelligenz einen theoretischen Teil, die Untersuchung der Erkenntnisproblematik als solcher, mit umfaßt. Die genaueren Ausführungen macht Hegel in der Differenzschrift — dem Schwerpunkt des ScHELLiNGSchen Denkens entsprechend — zum Aufbau der theoretischen Philosophie. Er erzählt dabei SCHELLINGS Auffassung zur Naturphilosophie keineswegs nur nach, sondern sucht das Gliederungsprinzip weiter in die einzelnen Abschnitte dieses Teils der Philosophie hinein durchzuführen und durch den Hinweis auf bestimmte Phänomene zu belegen. Der theoretische Teil der Naturphilosophie, die Philosophie des Anorganischen, entwickelt in sich — in der irdischen wie in der himmlischen Sphäre — einen eigenen praktischen Teil; zum Beleg wird auf den “ Werke 4. 72—79, vgl. auch zur ganzen folgenden Darstellung dieses Abschnitts.

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EINLEITUNG

Magnetismus mit seinem Kräftefeld und die „eliptischen Bahnen der Planeten" verwiesen. Auch im praktischen Teil der theoretischen Philosophie, in der Betrachtung der organischen Natur, interessiert vor allem das praktisch Werden der zunächst noch einmal theoretisch gefaßten Prinzipien; die Tiere vermögen sich in ihrem Handeln aufeinander zur (freilich nur bewußtlos anschauenden) Einheit von Individuum und Gattung zu erheben. Die „in objektiven Anschauungen sich producirende Intelligenz" und daneben die ihr „sich selbst Setzen" bewußt erfassende werden nach der Analogie der Systeme der Natur betrachtet. Gegen REINHOLDS Ansicht, „nach der das Subjektive" in der Philosophie „das erste" ist, die den Standpunkt FICHTES wiederholt, ohne ihn selbst abzuleiten, zitiert Hegel aus ScHELLiNGs System des transcendentalen Idealismus einen Abschnitt, in dem die systematische Vorordnung der Naturphilosophie deutlicher als irgendwo sonst herausgestellt wird: „Die Naturphilosophie ist eine physikalische Erklärung des Idealismus. . . Der Idealist hat Recht, wenn er die Vernunft zum Selbstschöpfer von allem macht; er hat die eigne Intention der Natur mit dem Menschen für sich, aber eben weil es die Intention der Natur ist — wird jener Idealismus selbst etwas Erklärbares, — und damit fällt die theoretische Realität des Idealismus zusammen. — Wenn die Menschen erst lernen werden, rein theoretisch, bloß objektiv ohne alle Einmischung von Subjektivem zu denken, so werden sie dies verstehen lernen." Theoretische und praktische Philosophie streben nach dem „Indifferenzpunkt", aus dem ihr Entgegengesetztsein hervorgegangen ist und in dem alle einzelnen Gegensätze wieder in einer „absoluten Identität" aufgehoben werden. Dieser Indifferenzpunkt muß sich „gleichfalls in eine Natur expandiren"; die darin gedachte Einheit von Natur und Intelligenz muß als Wissenschaft entfaltet werden, die wiederum eine mehr theoretische, bewußtlos-natürliche und eine mehr praktische, bewußt-intelligente Seite hat. An dieser Stelle verläßt Hegel die vorgeprägte Gedankenwelt ScHELLiNGS. In der Kunst wird nach seiner Darstellung nicht wie bei ScHELLiNG die ganze, sondern nur die eine, mehr bewußtlos-natürliche Seite der absoluten Indifferenz von Natur und Intelligenz anschaubar. Und die Kunst soll ihrerseits noch einmal einen mehr objektiven (bewußtlos-natürlichen) und einen mehr subjektiven (bewußt-intelligenten) Aspekt enthalten: die eigentlich sogenannte Kunst als Werk, „ein Produkt des Individuums, des Genies, aber der Menschheit angehörend", und die Religion, „das Produkt einer Menge, einer allgemeinen Genialität, aber auch jedem einzelnen angehörend". Mit dieser Einführung der Religion in die Philo-

B. Das System von 1800—04 im Grundriß

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Sophie des absoluten Indifferenzpunktes als eine Seite des Kunstphänomens, das bei SCHELLING rein für sich die gesamte „Identität der bewußten und der bewußtlosen Tätigkeit" zur Anschauung bringt, sucht Hegel seine Bemühung um das Problem der Religion, die in seinen Jugendarbeiten einen so breiten Raum eingenommen und die im „Systemfragment von 1800" schon einen philosophisch-systematischen Charakter angenommen hat, in dem ScHELLiNGschen Systemaufriß zur Geltung zu bringen Ferner steht der Kunst bei Hegel die Spekulation gegenüber. „In der Spekulation erscheint jene Anschauung (des absoluten Indifferenzpunktes) mehr als Bewußtseyn, und im Bewußtseyn ausgebreitetes." Aber die Spekulation „weiß sich. . . das Übergewicht, welches das Bewußtseyn in ihr hat, selbst zu nehmen", sie vermag sich selbst als „eine Seite" der wahren Indifferenz zu erkennen. In ihr sind also zwei Kräfte wirksam: eine, die ein Übergewicht des Bewußtseins entstehen läßt, und eine andere, gegenläufige, die dieses Übergewicht wieder zurücknimmt und die damit das Bewußtlose allem Bewußtwerden Vorausliegende, dieses allererst Bedingende, wieder in sein Recht einsetzt. Das Rückverwiesensein der Spekulation auf ihre materiale Seite, das darin zum Ausdruck kommt, kann man im Sinne Hegels als den religiösen Aspekt der Spekulation auffassen. Wie die Kunst hat also auch die Spekulation Anteil an der Religion, der sie erst zur Entfaltung des absoluten Indifferenzpunktes fähig macht. „Beydes, Kunst und Spekulation sind in ihrem Wesen der Gottesdienst; beydes ein lebendiges Anschauen des absoluten Lebens und somit ein Einsseyn mit ihm." Durch diesen Gedanken sucht sich die Wiedergabe des ScHELLiNGSchen Systems der Philosophie am Ende der Differenzschrift mit dem Schluß des „Systemfragments von 1800" in Übereinstimmung zu bringen, wo Hegel sagt, daß die Philosophie „mit der Religion aufhören" müsse Die Philosophie wird indessen an dieser früheren Stelle als ein Vollzug des Denkens aufgefaßt, der sich nicht von sich aus, als Spekulation, zum unendlichen Leben erheben kann, wie es in der Differenzschrift gedacht ist und wie es in den ersten Jahren der Jenaer Periode Hegels immer deutlicher herausgearbeitet wird. Nur von der Religion, nicht auch von Kunst Daß Sdielling die „Philosophie der Kunst" als „dritten Theil in einem System der Philosophie" konzipiert, erwähnt er zuerst ausdrücklich in einem Brief an Fichte vom 19.11.1800, den Hegel wohl gekannt hat (s. 7- G. Fichte: Briefwechsel. Hrsg, von H. Sdiulz. Leipzig 1930. (2. Aufl.) Bd 2. 296. Im System des transcendentalen Idealismus von 1800 erscheint die Kunst im Sedisten Hauptabschnitt als „allgemeines Organ der Philosophie". — Im folgenden Zitat ist die Einfügung von mir. S. Jschr. 347 f., vgl. auch zum folgenden.

EINLEITUNG

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und Spekulation, wird gesagt, daß in ihr die Erhebung „vom endlichen Leben zum unendlichen Leben", die Vereinigung mit diesem sich ereignet. Die Religion bedingt eine Prägung des praktischen Verhaltens, das von der Erfahrung dieses Einsseins ausgeht. Aber nicht nur der religiös-praktische Aspekt in Hegels Wiedergabe des Schellingschen Systems geht über dessen ursprünglichen Sinn hinaus. Dies geschieht ebenfalls durch die Einführung der Spekulation in die Philosophie des absoluten Indifferenzpunktes. SCHELLING findet zwar auch, daß „die Wissenschaft in ihrer höchsten Funktion mit der Kunst eine und dieselbe Aufgabe hat", aber für ihn besteht ein qualitativer Unterschied darin, daß „diese Aufgabe, wegen der Art sie zu lösen, für die Wissenschaft eine unendliche ist, so, daß man sagen kann, die Kunst sei das Vorbild der Wissenschaft, und wo die Kunst sei, soll die Wissenschaft erst hinkommen" Hegel stellt hingegen die Wissenschaft als Spekulation über die Kunst. (Und er sieht in beiden — wenn ich richtig interpretiere — die Religion als Verbindendes am Werk.) Diese unterschiedliche Einschätzung der Spekulation kommt auch darin zum Ausdruck, daß er nach dem Abschluß der in ihrem letzten Abschnitt erweiterten und modifizierten SCHELLINGdarstellung auf diese Seite der Sache noch einmal besonders eingeht. Die Spekulation als „Selbstkonstruktion des Absoluten" kann sich unter bestimmten Voraussetzungen als „Transcendental-Philosophie" entfalten. Sie kann innerhalb des Teils des Systems der Philosophie, der als ganzer die praktische Philosophie oder Philosophie der Intelligenz zur Darstellung bringt, die Philosophie des absoluten Indifferenzpunktes antizipierend entwickeln und begründen. Dies geht indessen nur, wenn sich die Transzendentalphilosophie ihrer „Gränze" bewußt ist, die in ihrer Darstellung durch KANT und FICHTE deutlich hervortritt, wenn sie sich als die Entfaltung einer Seite der SubjektObjekt-Identität begreift: der praktischen Seite, d. h. der Seite des Subjekts, der Intelligenz. Das Bewußtsein ihrer „Gränze" befähigt sie, diese Grenze „wissenschaftlich" aufzuheben, indem sie wie bei Schelling in sich auch die andere Seite setzt: die theoretische Seite, die Seite des Objekts, der Natur. Wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, kann die Transzendentalphilosophie „Totalität" für sich beanspruchen, kann sie von der Philosophie der Intelligenz aus für die ganze philosophische Wissenschaft, sofern sie Wissenschaft ist, d. h. von einem Subjekt gewußtes WisS. System des transzendentalen Idealismus. Hrsg, von R. E. Schulz. Hamburg 1957. 292.

B. Das System von 1800—04 im Grundriß

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sen, die Grundlegung erarbeiten. „Die gesammte Naturphilosophie selbst fällt als ein Wissen innerhalb ihrer Sphäre." Diese Problematik war der Gegenstand einer anhaltenden brieflichen Diskussion zwischen SCHELLING und FICHTE Diese Diskussion macht deutlich, daß FICHTE (wie auch Hegel) mit der transzendentalphilosophischen Grundlegung der gesamten Philosophie noch etwas anderes meint, als SCHELLING im Dritten Hauptabschnitt des Systems der transzendentalen Idealismus ausgeführt hat. Nach Hegel geht es nicht nur darum, daß die praktische Philosophie in, sich wiederum einen theoretischen Teil hat, in der die Natur als das Produkt der unbewußten „produktiven Anschauung" deduziert wird, sondern darum, von den Prinzipien der Transzendentalphilosophie aus eine „Wissenschaft des Wissens" zu begründen, in der die Identität als Prinzip des Wissens in der Stufenfolge seiner Formen aufgewiesen wird. So sehr also Hegel seinem Freunde SCHELLING zustimmt, daß die Transzendentalphilosophie einer Erweiterung ihres Bereichs bedarf, daß ihr eine Naturphilosophie vorangestellt werden müsse, die sie von der materialen Seite aus überhaupt erst zu etwas Erklärbarem macht, indem sie dem Bewußtsein seine Genesis vorauskonstruiert, so entschieden möchte er doch auch dem Argument FICHTES Geltung verschaffen, daß dies keine Erweiterung der transzendentalphilosophischen Prinzipien mit sich bringt, sofern in ihnen die Bedingungen des Wissens aus der Identität des Bewußtseins (Ich = Ich) entwickelt werden und damit von der formalen Seite aus die gesamte Philosophie als eine Wissenschaft ihre Grundlegung erhält. Die „transcendentale Anschauung" als der Ausgangspunkt der philosophischen Wissenschaft „kommt ins Bewußtseyn durch freye Abstraction von aller Mannichfaltigkeit des empirischen Bewußtseyns und insofern ist sie ein subjektives". Um sich „rein zu fassen.. . als Grundlage der Philosophie. .. muß sie noch von diesem subjektiven abstrahiren", d. h. sie muß sich als „Selbstanschauung des Ichs als eines Subjekt-Objekts" begreifen Hegel hat hier offensichtlich eine Grundlegung der Philosophie im Auge, die der FiCHTEschen Wissenschaftslehre verwandt ist, die sich aber ihrer Grenze bewußt ist und sich in den Rahmen einer TranszendentalDiese Diskussion ist in der Ausgabe Fichtes und Sdiellings philosophischer Briefwechsel. Hrsg, von I. H. Fichte und K. F. A. Schelling. Stuttgart-Augsburg 1859 nur unzureichend dokumentiert. Einige Briefe sind vertauscht, unvollständig abgedruckt oder aus verschiedenen Briefen kompiliert. Deshalb ist die angegebene Ausgabe J. G. Fichte: Briefwechsel zu vergleichen (Briefe Nr. 456 f., 461 f., 470, 475 f., 480 f., 483 f.). 2® S. Werke 4. 45.

EINXEITUNG

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Philosophie einfügt, die auf das größere Ganze der vollen Entfaltung der Subjekt-Objekt-Identität bezogen ist. Man muß annehmen, daß er dabei an den Ersten Teil des Systems der Philosophie denkt, wie er ihn als Logik und Metaphysik seit dem Wintersemester 1801/02 in seinen Vorlesungen vorträgt. In den einleitenden Kapiteln der Differnzschrift sind die Motive, die den Aufbau und die Konzeption dieser Logik und Metaphysik als Grundlegung des Systems der Philosophie bestimmen, bereits deutlich zu erkennen. Es heißt: „Die Philosophie als eine durch Reflexion producirte Totalität des Wissens wird ein System", indem der Verstand seine Grenze erfährt, als „Grund und Bedingung" seines sich in sich Reflektierens die „absolute Einheit" des Gesetzten und des diesem Entgegengesetzten richtig aufzeigt. Es ist von einer Logik die Rede, „welche die Vernunft in sich begreifen soll". Sie führt hin zur eigentlichen Philosophie, in der die Vernunft unmittelbar von der „absoluten Identität" der Identität und des Widerspruchs ausgeht

S. Werke 4. 23 und 18.

EINLEITUNG

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C. Methodischer Ausgangspunkt und sachliche Problematik der Darstellung dieses Systems

Aus der erwähnten Neuordnung der Jenaer Schriften (s. o. 16 f) geht hervor, daß das bisherige Bild der Entwicklung des Hegelschen Denkens in Jena von falschen Voraussetzungen ausgegangen ist. Im Zusammenhang der philologischen Arbeit sind auch bereits Hinweise für eine Neuinterpretation dieser Entwicklung gegeben worden. Für die Zeit von 1800 bis 1804 (also mit Einschluß des letzten Frankfurter Jahres) soll nun darüber hinaus aus den noch erhaltenen Manuskripten, Druckschriften und indirekten Zeugnissen zusammengestellt werden, wie das System der Philosophie aussieht, das Hegel in dieser Zeit vorschwebt und auf dessen Entfaltung und Veröffentlichung er hinarbeitet. Dieser Rekonstruktionsversuch will nicht gedanklich ausführen, was Hegel damals nicht zu denken gelungen ist. Die unklar gebliebenen, nicht zu Ende geführten Gedanken, die Verschiedenartigkeit der Ansätze, ihre innere und äußere Abhängigkeit von anderen Denkern sollen als solche stehen bleiben. Es soll nur aus der Disparatheit des Materials, das ja leider auch sehr lückenhaft ist, das sachlich Zusammengehörige herausgesucht und in seiner Zuordnung sichtbar gemacht werden. In dieser Hinsicht handelt es sich um eine historisch-philosophische Weiterführung des historisch-philologisch Begonnenen: ein weiterer Schritt, der sich folgerichtig an die vorherige Arbeit anschließt. Auf gewisse Weise ist es freilich auch eine Umkehrung des früher Geleisteten. Es soll jetzt versucht werden, die einzelnen Stücke, wie sie sich auf Grund der philologisch-analytischen Betrachtung ergeben haben, vom philosophischen Gedanken her so weit in den Zusammenhang einer Systemkonzeption zu stellen, wie es die Gesamtheit dieser Stücke zuläßt. Es ist klar, daß diese historisch-philosophische Rekonstruktion nicht dasselbe Maß an objektiver Gültigkeit beanspruchen kann wie die historischphilologische Analyse. Ich bin mir bewußt, daß vieles zunächst hypothetisch gesagt werden muß, daß erst durch die wissenschaftlich-philosophische Diskussion, durch Kritik und Gegenkritik dieses erste zusammenhängend bearbeitete System der Philosophie in der Entwicklungsgeschichte des Hegelschen Denkens in seiner wirklichen Gestalt sichtbar werden kann. Der Zweck dieser Arbeit ist es nicht, endgültige Ergebnisse vorzulegen, sondern nach Möglichkeit diese Diskussion in Gang zu bringen, die schließlich allein zur befriedigenden Lösung dieser schwierigen Aufgabe führen kann.

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EINLEITUNG

In eins mit der Rekonstruktion des Systems von 1800—1804 gilt es, die sachliche Problematik aufzudecken, die in seiner Konzeption enthalten ist und die seine geschlossene Ausführung verhindert hat. An diesem ersten Versuch Hegels, sein System der Philosophie im Zusammenhang zu entwickeln, soll auf eine ursprüngliche Weise die Schwierigkeit sichtbar gemacht werden, die darin liegt, daß dieses System sich in sich selbst abzuschließen sucht und nicht auf die Ausgangsproblematik einer unmittelbaren Einwirkung auf die Widersprüche des geschichtlich-gesellschaftlichen Lebens bezogen bleibt. Dabei soll zugleich gefragt werden, inwiefern die Tendenz der spekulativ-systematischen Arbeit, sich immer mehr in einem in sich zurückgehenden Kreis selbst abzuschließen, doch Möglichkeiten des Rückbezugs auf die empirisch-geschichtliche Wirklichkeit offen läßt, um zu erkunden, wie eine auf die gedanklich-begriffliche Erfassung der Wirklichkeit konzentrierte philosophische Theorie diesen Bezug wahren und entfalten kann, auch wenn sie in bestimmten zusammenhängenden Phasen ihren eigenen Gesetzen folgt, die mit dem Denken selbst gegeben sind. Die große Reinschrift zur Logik, Metaphysik und Naturphilosophie von 1804 läßt gegenüber dem skizzierten Systemaufbau der Jahre 1800—1804 bereits eine Wendung zu dem Systemansatz erkennen, der im weiteren Fortgang zu der Konzeption des „Systems der Wissenschaft" führt. ROSENKRANZ spricht mit Recht von dem „Fichteanismus" dieses Manuskripts, sofern darin die Reflexion auf „das Verhältniß des erkennenden Bewußtseins zu seinem Erkennen" sachlich-systematisch im Mittelpunkt steht. Dies erfaßt er als den Ausgangspunkt des Problems, das in der Phänomenologie eine „selbständige Bearbeitung" erfährt In der ersten Phase des Entwurfs des „Systems der Wissenschaft" — im Unterschied zu seiner späteren modifizierten Konzeption in der Wissenschaft der Logik — spricht sich die Nähe zu FICHTE schon in den Formulierungen deutlich aus. So heißt es in der fenaer Realphilosophie; „In der Philosophie ist es Ich als solches, welches das Wissen des Geistes ist. . . hier erkennt Ich das Absolute." Und in der Phänomenologie: Nachdem der Geist „in der absoluten Freiheit das Dasein als seinen Willen erfaßt, kehrt er somit den Gedanken seiner innersten Tiefe heraus, und spricht das Wesen als Ich = Ich aus" S. Rosenkranz: Hegel's Leben. 112. Rosenkranz geht an dieser Stelle freilich von einer viel zu frühen zeitlichen Ansetzung des Manuskripts zur Logik, Metaphysik und Naturphilosophie aus. Realph. (II) 272, Phän. 560.

C. Methodische und sadilidie Probleme der Darstellung

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Wenn man bedenkt, daß Hegel am Anfang der Jenaer Zeit sein System auf dem Boden des ScHELLiNGschen Denkens anzusiedeln sucht, dabei jedoch im Blick auf eine von der Transzendentalphilosophie ausgehende Grundlegung der Philosophie eine begrenzte Gemeinsamkeit mit FICHTEs Wissenschaftslehre festhält, muß man den seit 1804 hervortretenden „Fichteanismus" als eine erneute stärkere Orientierung an FICHTE interpretieren. Die Systemkonzeption der Jahre 1800—1804 ist von daher als eine zwischen SCHELLING und FICHTE stehende anzusehen. Nachdem das Grundproblem des Hegelschen Philosophierens — von der MARXschen Kritik aus — in der Tatsache erblickt worden ist, daß er sein sachlich-denkerisches Anliegen, die Überwindung der Entzweiung des geschichtlichen Lebens von sich selbst als einem lebendigen, durch die Aufstellung eines sich in sich abschließenden spekulativen Systems zur Geltung zu bringen sucht, zeigt es sich nun als das besondere Problem der Jahre 1800—1804, daß er seine dem FiCHTESchen Denken benachbarte Grundlegung dieses Systems durch eine weitere Ausführung zu vollenden strebt, die sich weitgehend an der Philosophie SCHELLINGS orientiert. Da dieser Ansatz, wie es scheint, auf unüberwindliche Schwierigkeiten stößt, kehrt Hegel 1804 auf gewisse Weise zu einer Konzeption zurück, in der die transzendentalphilosophisch-logische Grundlegung im KANTisdiFicHTEschen Sinne unmittelbarer zum Ausgangspunkt der Systementfaltung gemacht wird. Die Arbeit der vorhergehenden Jahre hinterläßt dabei selbstverständlich ihre Spuren, indem sie bestimmte bleibende Ergebnisse für den Aufbau des Systems der Philosophie erbringt — die Grundstruktur der dialektischen Denkbewegung und die Idee des in sich zurückgehenden Kreises treten hier zuerst deutlich hervor —, aber im ganzen schlägt Hegel mit dem „System der Wissenschaft" doch einen neuen Weg des Denkens ein, in dessen Verfolg — nach der Zurückstufung der Phänomenologie zur bloßen Einleitung — sich erst die Voraussetzungen zu einem völlig in sich abgeschlossenen philosophischen System ergeben. Die Besonderheit des Hegelschen Denkens in den Jahren 1800—1804 wird nur deutlich, wenn es einerseits in seinem Hervorgehen aus der konkreten, auf die Zeitsituation gerichteten Problematik gesehen und wenn es andererseits von den späteren Systementwürfen als ein früherer, noch wesentlich offener konzipierter Lösungsversuch dieser Problematik abgehoben wird. Das „System der Wissenschaft" soll schon nach seinen ersten umrißhaften Darstellungen am Schluß der Jenaer Realphilosophie und auf den letzten Seiten der Phänomenologie neben der „Wissenschaft der Phäno“ S. Realph. (II) 272 f. und Phän. 561—564.

EINLEITUNG

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menologie des Geistes" (wie das spätere System der Encyklopädie) drei Teile umfassen: Die „Wissenschaft der Logik" und als „Wissenschaften des realen Geistes" Natur- und Geistesphilosophie. Gegenüber dem Grundriß des Systems am Ende der Differenzschrift, dessen Wiedergabe hier zu einer ersten Orientierung diente, fällt unmittelbar auf, daß der vierte Teil, die Philosophie des absoluten Indifferenzpunktes, fehlt. Sowohl die praktische Philosophie oder Philosophie der Intelligenz als auch das Problem des absoluten Indifferenzpunktes scheinen in der Philosophie des Geistes zur Entfaltung zu kommen. Im Anschluß an die Behandlung des theoretischen und des praktischen Teils der Intelligenz (einschließlich der Probleme von Gesellschaft und Staat) mündet sie in eine Darstellung der Welt des „absolut freien Geistes", die als ihre Hauptabschnitte Kunst, Religion und Wissenschaft (Spekulation) umfaßt Das Verbindende in Kunst und Spekulation, weil es die Mitte zwischen beiden ist, bildet nicht mehr die Religion, „das lebendige Anschauen des absoluten Lebens"®^; sondern es wird nun über die Stufen: (1) Kunst imd (2) Religion zur Wissenschaft als der spekulativen Philosophie fortgeschritten. Die Religion gehört als Anschauen dem „Elemente der Vorstellung" an, sie ist noch Bewußtsein von etwas, nicht aber die „reine Innerlichkeit des Wissens" selber. Diese kann sich nur in der Entfaltung des reinen Begriffs, in der spekulativen Philosophie als solcher darstellen, in der die Voraussetzung als erfüllt gedacht wird: „das Ding ist Ich", alle Gegenständlichkeit ist in der „Tiefe der Nacht des Ich = Ich" verschwunden Die Wissenschaft der Logik, in der die spekulative Philosophie als die rein aus sich hervorgehende Bewegung des Denkens grundlegend entwickelt wird, ist definitiv über die Einseitigkeit des FiCHXEschen Standpunkts hinaus, der die Form des Wissens als Bewußtsein isoliert und von daher die Grundlagen des philosophischen Systems aufzuweisen sucht. Hegels Auffassung von 1801, in der er diesem Standpunkt ein begrenztes und in der Selbsterkenntnis seiner Grenze die Totalität der Philosophie begründendes Recht zugestanden hat, ist darin ebenfalls überschritten. Die Idee der Grundlegung des Systems der Philosophie hat einen neuen wesentlich veränderten Sinn bekommen. Die Problematik des Bewußtseins, das seinen Gegenstand, das Ansich, als sidi selbst erkennt, ist in der Phänomenologie umfassend behandelt. Sie bildet den neuen „Traktat von der Methode"; und sie leitet unmittelS. Realph. (II) 263—273. Werke 4. 76. Phän. 545 f.

C. Methodische und sachliche Probleme der Darstellung

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bar über zu dem auf diese Weise transzendentalphilosophisch begründeten „System der Wissenschaft selbst", wie es KANT und FICHTE im Auge gehabt haben, ohne zu seiner wirklichen Ausarbeitung zu gelangen Mit der Logik stellt sich dann das „System der Wissenschaft" auf seine eigene, nicht mehr formal bestimmte Grundlage, da sich das Wissen in den Formen seiner Selbstbestimmung als sein einziger Inhalt erwiesen hat. Nachdem dies einmal geleistet ist, wird die transzendentalphilosophisch-phänomologische Grundlegung überflüssig; sie behält nur die Bedeutung einer Propädeutik, eines „Voraus der Wissenschaft", das die Wissenschaft in einer bestimmten historischen Situation auf ihren eigenen absolut gültigen, über alle geschichtliche Begründbarkeit hinausliegenden Weg gebracht hat. Der dritte wesentliche Unterschied der späteren Systementwürfe gegenüber der Systemkonzeption von 1800—1804 (neben dem Zusammenwachsen von praktischer Philosophie und Philosophie des absoluten Indifferenzpunktes zur Philosophie des Geistes und dem Hinausgehen der Philosophie als reiner spekulativer Wissenschaft über die Religion) liegt also in der Verlagerung des systematischen Schwerpunktes von der Naturphilosophie zunächst auf die Geistesphilosophie und die ihr verwandte phänomenologische Problematik (Erfahrung des Bewußtseins) und späterhin auf die Wissenschaft der Logik als die eigentliche begrifflich-spekulative Grundlegung des Systems. Die Nähe zu SCHELLING bewirkt in den ersten Jenaer Jahren, daß sich Hegel intensiv mit Naturphilosophie beschäftigt, nicht nur mit der materialen Seite dieses Teils des philosophischen Systems, sondern auch mit der Frage des „Verhältnisses der Naturphilosophie zur Philosophie überhaupt" Die transzendentalphilosophisch konzipierte Grundlegung des Systems, die an FICHTE orientiert ist, tritt gegenüber einer „physikalischen" Erklärung der Idee zurück, die der Naturphilosophie einen Vorrang innerhalb des gesamten Systems verschafft. Diese für das System von 1800—1804 charakteristische Entwicklung ist in dem großen Manuskript zur Logik, Metaphysik und NaturphilosoS. 1. Kant: Kritik der reinen Vernunft. Hrsg, von R. Schmidt. Leipzig 1930. (Neudruck Hamburg 1965.) Ausg. B (1787). XXII; vgl. S. 26: „Eine solche (transzendentale) Kritik ist demnach eine Vorbereitung, womöglich zu einem Organon (aller Erkenntnisse a priori) ... nach welchem allenfalls dereinst das vollständige System der Philosophie der reinen Vernunft ... dargestellt werden könnte." (Einfügungen im Zitat von mir.) Dieser Aufsatz, der bereits oben (Anm. 1) erwähnt ist, muß als zentrales Ergebnis der Zusammenarbeit von Schelling und Hegel in den spekulativen Grundfragen angesehen werden (s. Werke 4. 265—276).

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EINLEITUNG

phie klar erfaßbar, in dem die Grundlegung des Systems wieder unabhängig von der Naturphilosophie entfaltet wird und in dem die Bewußtseinsproblematik im Sinne FICHTES erneut in den Vordergrund rückt. Das letztere ist für die Entwicklung des Hegelschen Denkens in der zweiten Hälfte seiner Jenaer Zeit (1804—1807) ganz entscheidend. Dies tritt in der Realphilosophie von 1805/06, die eine voll entwickelte Philosophie der Natur und des Geistes enthält, noch nicht offen zutage, es wird aber sichtbar in der Phänomenologie, in der die naturphilosophischen Fragen gegenüber der Problematik des Bewußtseins überhaupt und der Entfaltung seiner „konkreten Gestalten" in Sittlichkeit, Kunst, Religion usw. eindeutig systematisch abgewertet werden Durch diese Verlagerung des Schwerpunktes der Systemkonzeption schafft Hegel innerhalb seiner philosophisch-systematischen Arbeit einem Phänomenbereich wieder Raum, der in den Jugendschriften für sein System schlechthin dominierend war, dem Phänomenbereich der Geschichte. Die Natur ist nach dem Zeugnis der Jenaer Realphilosophie und der Phänomenologie ein „ruhendes Kunstwerk", „frei vom Geiste", nur erst sein „lebendiges unmittelbares Werden". Als gewordener, d. h. zu sich gekommener ist der Geist „Weltgeschichte" „eine Galerie von Bildern, deren jedes mit dem vollständigen Reichtume des Geistes ausgestattet ist". Diese Ableitung der Geschichte innerhalb des spekulativen Systems verlangt freilich, daß „das Selbst diesen ganzen Reichtum ... zu durchdringen hat", in die „Nacht seines Selbstbewußtseins" hineinnimmt. Die Frage, wie vom Standpunkt des sich in sich abschließenden Systems der Philosophie aus die Geschichte behandelt werden kann, ist von der Hegelforschung noch kaum adäquat gestellt worden. In der Phänomenologie, die zur Zeit ihrer Abfassung als selber systematische Einleitung und als Erster Teil des „Systems der Wissenschaft" verstanden wird, stellt sich der Ausgangspunkt für die Behandlung dieser Frage so dar: Aus der Geschichte „nach der Seite ihres freien in der Form der Zufälligkeit erscheinenden Daseins" und „nach der Seite ihrer begriffnen Organisation", wie sie in der „Wissenschaft des erscheinenden Wissens" entfaltet wird, formt sich in den folgenden Teilen des Systems die „begriffne Geschichte", der „absolute Begriff", der in sich den Weg zu sich hin als

In der „Beobachtung der Natur" ist die Vernunft noch „unvernünftig aufgefaßt" (Phän. 254, vgl. 185—221), der Geist noch nicht das „sich selbst tragende absolute Wesen", das erst in der „lebendigen sittlichen Welt ... in seiner Wahrheit" ist (314 f.). “ S. Realph. (II) 273.

C. Methodische und sachliche Probleme der Darstellung

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die „Erinnerung der Geister" enthält, „wie sie an ihnen selbst sind und (wie sie) die Organisation ihres Reiches vollbringen" Die universale Stufenfolge der Sichselbstgleichheit, die im System der Jahre 1800—1804 entworfen werden soll, ist demgegenüber zunächst in keiner Weise als zeitlich-geschichtliche Entwicklung gedacht. Sie liegt insgesamt in der Dimension einer Einheit, die alles Entgegengesetzte des geschichtlichen Lebens in sich vereinigt, die eben deshalb seine wahre Überwindung allererst ermöglicht. Zur Entfaltung dieser Einheit wird Hegel gedrängt, weil dies die notwendige Voraussetzung zur Überwindung der „Not der Zeit", der Positivität der bestehenden Formen des Lebens zu sein scheint. Im Vollzug der spekulativ-systematischen Darstellung der absoluten Einheit aller Gegensätze des geschichtlichen Lebens ergibt es sich, daß von hier aus der Weg zurück zur Arbeit an der realen Aufhebung dieser Gegensätze nicht mehr beschritten wird. Die Entwicklung zum System, das sich in sich selbst abschließt, führt dazu, daß dieses System sich in seinem eigenen Element, dem reinen spekulativen Denken, selbst zu begründen sucht. Sie bedingt, daß die Geschichte innerhalb des Systems ihren Ort bekommt, die Systemkonzeption bis in ihren innersten spekulativen Mittelpunkt durchdringt. Dies geschieht in der Wissenschaft der Logik, in der sich die Darstellung des „absoluten Begriffs" als seine rein aus sich hervorgehende Bewegung erweist, die an ihrem Ende von sich aus in ihren Anfang zurückgeht. Damit wird ein Geschehen gedanklich ausgedrückt, das in seinem unendlichen Kreisen zugleich die absolute Ruhe ist. Der Übergang von der geschichtlichen Bewegung zur in sich ruhenden Idee über der Geschichte wird seiner Struktur nach in der Bewegung der Idee selbst dargestellt. Von hier aus läßt sich die „begriffne Geschichte" innerhalb des Systems entwerfen, ohne daß dieser Entwurf auf die Geschichte „nach der Seite ihres freien in der Form der Zufälligkeit erscheinenden Daseins" angewiesen bleibt. Die Theorie ist in sich autochthon, sie bildet selbst die höchste Form der Praxis. Die Anfänge dieser Entwicklung, die in der vorliegenden üntersuchung aufgezeigt werden, enthalten zugleich die Bedingungen dafür, daß das gesamte „System der Wissenschaft", dessen Grundlegung die Wissenschaft der Logik bildet, ebensowenig in strenger Form entwickelt wird, wie der enzyklopädische Grundriß von 1817 (und der späteren Auflagen) den angemessenen methodischen und begrifflichen Rahmen für die in starkem Maß an der faktischen Geschichte orientierten Vorlesungen der Berliner S. Phän. 563 f., (Einfügung im Zitat von mir). — Vgl. zu dieser Problematik den Anhang der vorliegenden Arbeit.

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EINLEITUNG

Zeit bietet. Daraus geht hervor: durch das System als in sich abgeschlossene Bewegung des Denkens ist die Ausgangsfrage Hegels nach der Überwindung der Entzweiung nicht adäquat beantwortet. In der Abgeschlossenheit des Denkens liegt ein Problem, das durch den Aufweis der Bedingungen seines Entstehens die Möglichkeit einer Alternative sichtbar machen kann, wie die philosophische Theorie in angemessener Weise auf die geschichtlich-gesellschaftlich bestimmte Welt bezogen werden kann.

ERSTER TEIL „LOGIK UND METAPHYSIK" ALS GRUNDLEGUNG DES SYSTEMS

Das erste mit Sicherheit zur Logik und Metaphysik der Jahre 1800— 1804 gehörende Stück findet sich in den Referaten und Zitaten aus Jenaer Vorlesungen Hegels in der Biographie von ROSENKRANZ Es stammt aus einem „Collegium über Logik und Metaphysik", das in einem Wintersemester gehalten wurde. Dafür kommen nach den Vorlesungsankündigungen Hegels der Winter 1801/02 oder 1802/03 in Betracht Es ist nicht sicher, ob die Einleitung zu diesem Teil des Systems der Philosophie, aus der ROSENKRANZ etwas mitteilt, ebenfalls zu dieser Vorlesung gehört. Ich möchte es jedoch für wahrscheinlich halten vor allem wegen der darin behandelten sachlichen Problematik. Auf jeden Fall muß man diese Stücke aus einer Einleitung zur Logik und Metaphysik ebenfalls als frühe Dokumente des Hegelschen Denkens in Jena betrachten.

Aus der Jugendgeschichte Hegels, vor dem Beginn seiner öffentlichen Lehrtätigkeit, sind keine Ausarbeitungen erhalten, die unmittelbar zu diesem Thema passen. Der Sache nach scheint jedoch der Aufstieg des Erkennens von seinen endlichen zu seinen unendlichen Formen, der 1801— 1803 unter dem Titel der Logik behandelt wird, in der Thematik der Erhebung vom endlichen zum unendlichen Leben in einigen Fragmenten aus der Frankfurter Zeit, die NOHL im Anhang seiner Ausgabe der Jugendschriften abdruckt, und im sog. „Systemfragment von 1800" vorgebildet gewesen zu sein. Hegel sieht von Anfang an, daß eine solche Untersuchung, „wenn sie durch Begriffe gründlich geführt werden sollte, am Ende in eine metaphysische Betrachtung des Verhältnisses des Endlichen und Unendlichen übergehen" würde, daß die Problematik der Logik im beschriebenen Sinne von sich aus mit Notwendigkeit zur Metaphysik

^ Hegel's Leben. 189—193; vgl. zur folgenden Darstellung des Abschnitts A. 189 f. ^ Für alle Bezugnahmen auf die Vorlesungsankündigungen Hegels in Jena vgl. Dokumente zu Hegels Jenaer Dozententätigkeit a.a.O. 53—64, auch 76—85.

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ERSTER TEII: LOGIK UND METAPHYSIK

als der Selbstdarstellung des Unendlichen, wie es sich aus dem Endlichen erhebt, führen muß Der traditionelle Titel „Logik und Metaphysik" für die Grundlegung des Systems der Philosophie hängt wohl mit der Organisation des philosophischen Unterrichts an der Universität Jena zusammen, wo sich Hegel 1801 um eine Dozentenstelle bemüht. Dort gibt es — wie an den meisten anderen Universitäten dieser Zeit — in der Philosophie neben dem Lehrstuhl für „Moral und Politik" einen Lehrstuhl für „Logik und Metaphysik", dessen Themenbereich durch die Fragen der methodischen und sachlichen Grundlegung der Philosophie zu umschreiben ist.

® Vgl. Jsdir. 374—385, 345—351 und 146; zum folgenden Absatz M. Wundt: Die Philosophie an der Universität Jena. Jena 1932. Tabelle am Schluß des Buches. — Im zweiten Teil des Werks von K. Fischer: Hegels Leben, Werke und Lehre. Heidelberg 1911. (2. Aufl. Neudruck Darmstadt 1963.) 1201 f. wird eine briefliche Äußerung eines Schellinghörers aus dem Jahre 1830 wiedergegeben, in der es heißt, „Universitätsfreunde" hätten Hegel 1801 geraten, „die damals zu Jena vernachlässigte Logik zu lesen". Da Logik und Metaphysik zu den in dieser Zeit in Jena am meisten behandelten Themen gehört, kann nur gemeint sein, daß Hegel diesen Titel aus Universitätsrücksichten gewählt hat.

A. Die Einleitung Der wesentliche Gedanke der Hegelschen Einleitung zur Logik und Metaphysik aus dieser Zeit, der sich nicht ausschließlich auf die ersten grundlegenden Abschnitte des Systems bezieht, sondern zugleich für eine Einleitung in das System als ganzes steht, ist darin zu erblicken, daß „die Philosophie im Allgemeinen... in den Epochen des Überganges auftritt, in denen die alte sittliche Form der Völker von einer neuen völlig überwunden wird". Hegel beginnt also damals seine Darstellung der Philosophie als Philosophie der Revolution. Und er betont, daß dies nicht ein zufälliger Anfang seiner Philosophie ist, sondern von der „Philosophie im Allgemeinen" gilt. Die Überwindung der „alten Formen" scheint ihm indessen bei den Völkern der „neueren Zeit" schwieriger zu sein, langsamer vor sich zu gehen, als bei den „kleineren Völkern" früherer Epochen. Dies geht auf sein „Ideal des Jünglingsalters", die antike griechische Polis, in der es die Erstarrung der Formen des sittlidien Lebens, für die er in den Jugendschriften den Begriff der Positivität geprägt hat, noch nicht gab. In dem Fragment Sollte das politische Resultat .. ., das Hegel 1799 begonnen und 1801 überarbeitet hat, wird zum erstenmal die eigene deutsche Geschichte und ihr Prinzip, die sog. „Deutsdie Freiheit", in die Betrachtung einbezogen. Sie bewirkt eine spezifische Form der Positivität, indem jeder Teil sich vom Ganzen des Staates isoliert, die eigenen privaten Rechte gegen das Recht des Ganzen stellt. * Die Schwierigkeit einer lebendigen Entwicklung in den „Colossen" der neueren Völker führt Hegel am Anfang der Jenaer Zeit auf den Gedanken, daß ein „großer Mann", ein „großer Geist" notwendig sei, damit das Werk der Überwindung der alten sittlichen Formen „in seiner Totalität" vollbracht werden kann. Dieser Gedanke erinnert an die Entwürfe zu einer Schrift über die Verfassung Deutschlands. Am Ende der Manuskripte, die aus dem ersten Halbjahr 1801 stammen, fordert Hegel im Anschluß an die Lehre MACCHIAVELLIS einen „Theseus", der die verfassungsrechtlich obsolet gewordene Situation in Deutschland überwinden und eine neue staatliche Einheit begründen soll. Wie für seine Philosophie der Revolution die Ereignisse von 1789 und den folgenden Jahren in Frankreich von großer Bedeutung sind, so ist auch sein Postulat eines „großen Mannes" * S. Pol. 3—13 Anm. und 137; zum folgenden vgl. 135 f. Das Studium Macchiavellis wird unmittelbar bezeugt durch ein Exzerpt Hegels aus einer französischen Übersetzung von dessen Hauptwerk II principe (s. dieses Exzerpt in deutscher Übersetzung Pol. 111 f. mit Anm. 1).

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ERSTER TEIL: LOGIK UND METAPHYSIK

gewiß nicht unabhängig von dem Auftreten und der Politik NAPOLEONS, der sich anschickt, in Europa eine neue Staatenordnung zu begründen. Im Rahmen der Einleitung zur Logik und Metaphysik hält Hegel es für möglich, daß die Überwindung der erstarrten Formen „durch eine Folge einzelner" geleistet werden könne, die dieses Werk nicht „in seiner Totalität" erfassen, die insofern „einseitig" sind und es jeweils nur ein Stückweit „vorwärts bringen". Das scheint bei der Zersplitterung des Deutschen Reiches in viele kleine Fürstentümer das Wahrscheinlichere zu sein. Als das Bessere schwebt Hegel aber auch an dieser Stelle vor, daß es die „That Eines Menschen" ist. Der „große Mann", das „weltgeschichtliche Individuum", wie der spätere Hegel sagt, vermag seine Aufgabe nach der Darstellung der hier zu besprechenden Einleitung nur zu lösen mit Hilfe der Philosophie. Er muß „das Ganze erkannt und damit von aller Beschränktheit sich gereinigt haben", die das Überkommene als bestehendes für gerechtfertigt hält. Es müssen „alle fremden Stützen, in dieser Welt zu stehen, so wie alles Vertrauen auf ein festes Band in derselben, von ihm gefallen sein". Er muß aus dieser Hinsicht auf das Ganze des geschichtlichen Lebens, das als ein Allgemeines rein für sich genommen und nicht durch endliche Entgegensetzung gegen Besonderes selbst zum Besonderen wird, seine Handlungen begründen. Das bedeutet, „er muß in der Schule der Philosophie gebildet sein". Als Beispiel dafür, daß ein einzelner „großer Geist" in dieser Weise „seine Individualität in das Schicksal hineingeflochten und ihr eine neue Freiheit gegeben hat", führt Hegel hier, wie späterhin noch öfter, wenn er den Zusammenhang von Politik und Philosophie beschreiben will, „ALEXANDER den Macedonier" an, der „aus der Schule des ARISTOTELES zur Eroberung der Welt übergegangen" ist. Es klingt wie eine Vorwegnahme der Thesen von MARX, wenn Hegel sagt, daß es so gelingen könne, die „veraltete Gestalt" des geschichtlichen Lebens zu zerstören und „die noch schlummernde Gestalt einer neuen sittlichen Welt zum Erwachen emporzuheben". Auch nach MARX ist es so, daß eine „Gesellschaftsformation" untergeht, wenn die Bedingungen einer neuen höheren Stufe „im Schoß der alten Gesellschaft selbst ausgebrütet worden sind" ®. Ein wesentlicher Unterschied besteht freilich darin, daß nach Hegel die Umwälzung durch die „That Eines Menschen" oder allenfalls einer Folge von einzelnen zu weltgeschichtlich relevantem Handeln befähigten Menschen ins Werk gesetzt, nach MARX aber als der selbstbewußte Akt der Masse des Volkes vollzogen werden soll. ^ S. Zur Kritik der politischen Ökonomie (1859). Berlin 1947. 14.

A. Die Einleitung

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Diese unterschiedliche Grundauffassung bedingt eine verschiedene Einschätzung der Bedeutung der philosophischen Theorie für das politische Handeln. Bei Hegel soll der „große Mann" aufgrund seiner in der Schule der Philosophie erworbenen Bildung sein Werk in der Totalität erfassen und vollbringen können. MARX hingegen geht von der Vorstellung aus, daß der „Blitz des Gedankens" in den „naiven Volksboden" einschlagen soll, damit die Masse des Volkes selbst zum Subjekt der Geschichte, zum Täter ihrer Taten wird, um auf diese Weise aus der Entfremdung starrer Abhängigkeit zu der neuen Lebendigkeit eigener geschichtlicher Aktivität zu gelangen ®. Für Hegel ist nicht die „Wurzel für den Menschen der Mensch selbst". Auch der „große Mann" führt nur aus, was letztlich als das Werk der „Natur" zu gelten hat. Sie ist das eigentliche Subjekt der Geschichte, mit dem sich die „besonnenen" menschlichen Naturen ins Einverständnis bringen. Hegel läßt die Menschen also nicht ihr Schicksal „in die eigenen Hände" nehmen, indem sie die Naturwüchsigkeit des geschichtlichen Geschehens überwinden; er setzt ihren „großen Geistern" zum Ziel, ihre Individualität in das Schicksal hineinzuflechten, eine neue Freiheit zu gewinnen, indem sie zum Werkzeug der Natur als einer höheren, theoretisch nicht mehr faßbaren Instanz werden. In dem Fragment Der immer sich vergrößernde Widerspruch . . . vom Ende der Frankfurter Zeit (1799/1800) hat Hegel ebenfalls das für den Zusammenhang von Theorie und Praxis grundlegende Phänomen der Masse des Volkes in seine Überlegungen einbezogen, obgleich er diesen Begriff nicht ausdrücklich verwendet Deutlicher als MARX sieht er an dieser Stelle eine Beziehung zwischen der Masse des Volkes, die einen Widerspruch empfindet zwischen dem „Unbekannten", das sie „bewußtlos" sucht, und dem Leben, das ihr „angeboten und erlaubt wird", auf der einen Seite und der „Sehnsucht" von einzelnen wenigen nach Leben * S. Die Trühschriften a.a.O. 223, zum folgenden 216. ’ S. Pol. 138—141. — Das „Volk" ist für Hegel seit seinen Aufzeichnungen aus der Tübinger Zeit über „Volksreligion und Christentum" (Ischr. 1—72) ein zentraler Begriff. Im System der Sittlichkeit und in den Fragmenten zur Geistesphilosophie von 1803/04 steht er für die Anschauung der „Idee der absoluten Sittlichkeit" als solcher (s. Pol. 466, Realph. I 232). Demgegenüber charakterisiert Hegel den „großen Haufen", wie es der Auffassung seiner Zeit entspricht, als ungebildet, willenlos, einer höheren Moralität nicht fähig. Er verwendet auch den heute noch üblichen Ausdruck „Pöbel". An anderen Stellen spricht er aber auch in einem neutralen Sinn von „Menge" (vgl. Jschr. 357, 360, 398). Daß hier im Grunde zwei Aspekte desselben Phänomens zum Ausdruck kommen, das entscheidende Bedeutung für die „Ideen und Aktionen der Geschichte" hat, ist zuerst von Marx erkannt worden (s. Die Frühschriften a.a.O. 319—321).

ERSTER TEIL: LOGIK UND METAPHYSIK

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auf der andern Seite, „welche die Natur", die in der Masse bewußtlos tätig ist, „zur Idee in sich hervorgearbeitet haben". Hegel bemerkt ein „Bedürfnis jener (der Menschen in der Masse des Volkes), ein Bewußtsein über das, was sie gefangen hält, und das Unbekannte, das sie verlangen, zu bekommen" ®. Dem entspricht ein „Bedürfnis dieser", die durch theoretische Arbeit zum Bewußtsein des naturhaften Widerspruchs gekommen sind, „ins Leben aus ihrer Idee überzugehen". Die Naturwüchsigkeit des Geschehens wird also nicht als etwas Notwendiges, schicksalhaft Unabänderliches hingenommen, so daß die Freiheit einzig aus der Übereinstimmung mit der Notwendigkeit entspringen kann. Das „Bewußtsein der Schranken", die das Leben in ihm äußerliche, veraltete Formen einschließen, bedingt vielmehr ein Leiden. Hier wird die Denkrichtung HöLDERLINS im Zusammenhang der Hegelschen Argumentation sichtbar. In HöLDERLINS Empedokles leidet dieser an den Verhältnissen, „blos weil sie besondere Verhältnisse sind und, nur im großen Akkord mit allem Lebendigen empfunden ganz ihn erfüllen" könnten ®. Dies treibt EMPEDOKLES schließlich in den Tod. Er versteht diesen Tod als einen Vollzug dessen, was auch schon sein Leben und das Leben des Volkes bestimmt hat, freilich ohne daß das Volk dies ahnt, ein Bewußtsein seines Leidens hat. (zu seinem Schüler PAUSANIAS) : Du kennest mich und dich und Tod und Leben nicht. EMPEDOKLES

PAUSANIAS :

Den Tod, ich kenn' ihn wenig nur. Denn wenig dacht' ich seiner. EMPEDOKLES :

Allein zu seyn. Und ohne Götter, ist der Tod. Indem der Wissende sich opfert, gibt er dem Volk durch die Einsicht in den Sinn dieses Opfers und das Leid, das so erweckt wird, eine Ahnung des wahren Lebens, der „wirklich schönen Verhältnisse", in denen alle Einseitigkeit, Besonderheit aufgehoben ist. Er ermöglicht diesem so, trotz der Beschränkung seines „bestimmten Geschäfts" am wahren Leben Anteil zu bekommen.

® Einfügung und Hervorhebung im Zitat (s. auch den folgenden Satz) von mir. ® S. F. Hölderlin: Sämtliche Werke. Hrsg, von F. Beißner. Bd. 4. Stuttgart 1961. 145. w Ebenda 108.

A. Die Einleitung

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ihrer Gefährtin DELIA) ; Nicht in der Blüth' und Purpurtraub' Ist heilge Kraft allein, es nährt Das Leben vom Laide sich, Schwester! Und trinkt, wie mein Held, doch auch Am Todeskelche sich glücklich! PANTHEA (ZU

In dem hier zu Grunde liegenden Hegelschen Manuskript entwickelt dieser eine Alternative zur Haltung HöLDERLINS. „Der Stand des Menschen, den die Zeit in eine innere Welt vertrieben hat, kann entweder, wenn er sich in dieser erhalten will, nur ein immerwährender Tod, oder wenn die Natur ihn zum Leben treibt, nur ein Bestreben sein, das Negative der bestehenden Welt aufzuheben, um sich in ihr finden und genießen, um leben zu können." Durch die Hinwendung zum Leben, in dem Willen zur Aufhebung des „Negativen der bestehenden Welt" bringt sich Hegel in die Nähe des späteren zu HöLDERLIN und der Romantik konträren Denkers MARX. Der eigene Weg, den Hegel zwischen beiden eingeschlagen hat, wird dadurch bezeichnet, daß er die Gewalt keinesfalls als ein Mittel zur Aufhebung des Negativen gelten lassen will. „Die Bestimmtheit, die Schranke wird durch Gewalt nicht vom Leben getrennt; fremde Gewalt ist Besondres gegen Besondres, der Raub eines Eigentums, ein neues Leiden." Der Drang der Masse nach wahrem, unentfremdetem Leben, der sich „an dem Tun großer Charaktere einzelner Menschen, an den Bewegungen ganzer Völker nährt", wie das Beispiel Frankreichs und des großen Mannes, den seine Revolution hervorgebracht hat, NAPOLEONS, zeigen können, wird noch gesteigert, dem Bewußtsein näher gebracht durch die „Darstellung der Natur und des Schicksals durch die Dichter". Aber erst „durch die Metaphysik erhalten die Beschränkungen ihre Grenzen, und ihre Notwendigkeit im Zusammenhang des Ganzen". Die Philosophie vermittelt ein Bewußtsein von der wahren Situation der Zeit, in der die Positivität der besonderen Verhältnisse in gewissen Grenzen anerkannt und zugleich überwunden wird, indem sie sich über das „dürre Verstandesleben" des endlichen reflektierenden Denkens erhebt und zur Metaphysik vordringt. Damit sollen die besonderen Verhältnisse nicht im Rahmen des „bestehenden Lebens" gerechtfertigt werden, weil dieses ein „rein Negatives geworden ist". Es gibt nur den Weg, daß das Bewußtsein des Wider** Ebenda 116. ** S. Stellenangabe in Anm. 7.

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ERSTER TEIL: LOGIK UND METAPHYSIK

Spruchs und das „Bedürfnis, daß er gehoben werde", sich mit dem unbewußten Drang nach einem „besseren Leben" verbündet und so zu einer neuen „Allgemeinheit" wird, die sich an die Stelle der bestehenden alten zu setzen vermag. Die neue lebendige Allgemeinheit kann gegen die alte, entleerte, rein zur Positivität gewordene „machthabende Allgemeinheit" keine Gewalt anwenden, ohne die Lebendigkeit ihrer Allgemeinheit zu verletzen, ohne sich zur „Natur" des geschichtlichen Lebens, der sie zum Durchbruch verhelfen hat, in Widerspruch zu setzen. Sie kann jedoch rein durch sich selbst so sehr zur Macht werden, daß sie „Gewalt zu fürchten hat". Diese Besinnung auf das Phänomen der Masse und die Bedeutung der Philosophie, sofern sie Metaphysik ist, für den Vollzug der Revolution wird von Hegel in Jena nicht wieder aufgegriffen. Sie mag indessen für die philosophisch-systematische Arbeit des Jahres 1800 charakteristisch sein, die in erster Linie darauf gerichtet ist, über die Reflexion als die gedankliche Fixierung des Besonderen hinauszugelangen zu einem unmittelbar praktisch bestimmten Einssein mit dem „unendlichen Leben". Ihr Zusammenhang mit der Frage des Verhältnisses von Philosophie, Religion und „Vereinigung mit der Zeit" im sog. „Systemfragment von 1800" wird weiter unten — zu Beginn des Abschnitts C. Die Metaphysik — genauer erörtert. Hegels Studien zur Kritik der Verfassung des Deutschen Reiches als des Inbegriffs der „machthabenden Allgemeinheit", die er am Ende der Frankfurter Zeit begonnen hat, greift er unter dem Eindruck des Friedens von Luneville (9. 2.1801) wieder auf, durch den die Begründung einer neuen Friedensordnung für die Staaten Europas durch NAPOLEON verwirklicht zu werden scheint. Nunmehr wird offenbar endgültig dem „Thun großer Charaktere einzelner Menschen" die entscheidende Bedeutung für den Vollzug der Zerstörung der alten, erstarrten Formen und der Emporhebung der lebendigen Gestalt einer neuen sittlichen Welt zugemessen. Die Vereinigung der Dichter und Philosophen, die zum Bewußtsein der geschichtlichen Lage gekommen sind, mit der Masse des Volkes, die diese Lage unbewußt-naturhaft repräsentiert, wird nicht mehr erwähnt. In den Reinschriftfragmenten zur Schrift über die Verfassung Deutschlands, die aus dem Herbst 1802 stammen, wird ausdrücklich gesagt: „Denn derjenigen, die in diesen großen Begebenheiten so handeln, daß sie dieselben leiten können, sind sehr wenige; die andern aber haben den Begebenheiten mit Verstand und Einsicht in ihre Notwendigkeit zu dienen" S. Pol. 5, auch zum folgenden.

A. Die Einleitung

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Der ursprünglich demokratische Impuls, der auch für Hegel von der Französischen Revolution ausgeht und der in dem besprochenen Fragment von 1799/1800 für die Bestimmung des Verhältnisses von Theorie und Praxis spürbar ist, weicht also unter dem Eindruck der politischen Wirksamkeit NAPOLEONS in der Zeit seines Aufstiegs einem monarchistischen Staatsideal. Die philosophisch-theoretische Arbeit soll unter diesen Umständen „keinen anderen Zweck noch Wirkung haben, als das Verstehen dessen, was ist, und damit die ruhigere Ansicht sowie ein in der wirklichen Berührung und in Worten gemäßigtes Ertragen derselben zu befördern". Das heißt nicht, daß nunmehr für Hegel ein für allemal an die Stelle einer Philosophie der Revolution eine theoretische Rechtfertigung des monarchisch regierten Staates tritt. Aber seine philosophische Spekulation verliert den Bezug auf das Volk in seiner Gesamtheit, das der Träger der geschichtlichen Aktionen, das Subjekt-Objekt des geschichtlichen Lebens ist. Sie formuliert nicht mehr dessen unbewußt-naturhaftes Leiden an den erstarrten Formen des Lebens, und sie sucht sich nicht mehr mit dem darin enthaltenen Drang nach einem „besseren Leben" zu vereinigen, um geschichtlich unmittelbar wirksam zu werden. Im Fortgang der äußeren Geschichte wie auch in der inneren Entwicklung der Hegelschen Philosophie entstehen auch späterhin wieder Situationen, die revolutionäre Veränderungen ins Blickfeld treten lassen. Die geschichtlichen Voraussetzungen hierfür sind in besonderer Weise in der Zeit der SxEiN-HARDENBERGschen Reformen und des deutschen Freiheitskrieges gegen NAPOLEON gegeben. Hegels philosophisches System hat sich aber in der Zwischenheit bereits so sehr in sich abgeschlossen, daß es als revolutionäre Theorie darauf angewiesen ist, sich von sich aus in einer nicht näher zu bestimmenden Weise in der faktischen Geschichte auszuwirken. Am Ende seiner Bamberger Zeit, nach einer Periode mehr praktisch ausgerichteter Tätigkeit in der Redaktion der dortigen politischen Zeitung, begründet Hegel seine Rückkehr zur wissenschaftlichen Tätigkeit, indem er ihren Zusammenhang mit der Praxis des Lebens in dieser Form zum Ausdruck bringt; „Die theoretische Arbeit, überzeuge ich mich täglich mehr, bringt mehr zustande in der Welt als die praktische; ist erst das Reich der Vorstellung revolutioniert, so hält die Wirklichkeit nicht aus" S. Briefe von und an Hegel. Hrsg, von J. Hoffmeister. Bd 1. Hamburg 1952. 253.

B. Die Logik

a) Die Konzeption der Jahre 1801/02—1802/03 Wie im geschichtlichen Leben der Gegenwart, so soll in der Logik und Metaphysik ein „Übergang" vollzogen werden. Der Übergang der Epochen, die Wiederverflüssigung der Formen des Lebens, die rein zur Positivität geworden sind, spiegelt sich hier als der Übergang von den Formen des endlichen Erkennens, die vernichtet werden, zu denen des unendlichen Erkennens, die sich als das „Erkennen des Absoluten" über alles endliche Erkennen erheben. Was nach dem „Systemfragment von 1800" durch die Philosophie als Erhebung des „endlichen Lebens zum unendlichen Leben" vollbracht wird, geschieht hier im Bereich der Formen des Erkennens. „In dem vernünftigen Erkennen oder der Philosophie sind nun wohl auch die Formen des endlichen Erkennens gesetzt, aber zugleich ist ihre Endlichkeit dadurch, daß sie aufeinander bezogen sind, vernichtet" 15. Die Logik als die Betrachtung der Formen des endlichen Erkennens wird von vornherein unter der Perspektive der Metaphysik gesehen. Aber im endlichen Erkennen wird bewußt von der „absoluten Identität" des Erkennens mit seinem Gegenstand abstrahiert, die in der Metaphysik vorausgesetzt wird. Durch die Fixierung der „endlichen Formen als solcher", in der jedoch zunehmend ihre Bezogenheit deutlich wird, die sie als fixierte wieder vernichtet, indem sie sie verflüssigt, sollen dem unendlichen Erkennen der Metaphysik Hindernisse aus dem Weg geräumt, soll das „Erkennen des Absoluten" vorbereitet werden, indem zunächst „das Bild des Absoluten gleichsam in einem Widerschein" entworfen wird. „Von dieser spekulativen Seite aus" gesehen, kann „allein die Logik als Einleitung in die Philosophie dienen". Jede andere Einleitung, etwa das vorhin als Einleitung zur Darstellung der Logik und Metaphysik Gesagte, kann nicht als philosophische Einleitung, sondern nur als „historische und räsonnierende" Betrachtung gelten Das heißt, die Philosophie fängt mit sich selber an, auch wenn ihr „Bedürfniß" durch eine vorphilosophische Problematik, die Erfahrung der Entzweiung des c® S. Rosenkranz: Hegel's Leben. 190—192, vgl. Werke 4. 12—16, auch zum folgenden. Diese Feststellung wird Enz. § 25 (Anm.) für jede selber nicht systematische Einleitung ins System getroffen.

B. Die Logik

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geschichtlichen Lebens, entstanden ist. Als spekulativ-systematische Philosophie muß sie vom Standpunkt des Erkennens des Absoluten aus entwickelt werden, sonst vermag sie nicht über die Widersprüche des geschichtlichen Lebens hinaus die Einheit zu denken, die dem Hervortreten dieser Widersprüche schon zu Grunde liegt und darum allein ihre Überwindung möglich macht. Zwischen dem vorphilosophischen Ausgangspunkt für die Philosophie als spekulativem System und dessen Entfaltung gibt es keine unmittelbare Verbindung. Diese hat rein aus sich heraus die Sichselbstgleichheit als die „absolute Identität der Vernunft" darzustellen. a) Zur Methode: Reflexion und Spekulation In der Vorlesung über Logik und Metaphysik, deren Referat durch ROSENKRANZ der gegenwärtigen Interpretation zu Grunde liegt, führt Hegel zwei Begriffspaare ein, durch die innerhalb der philosophischen Erkenntnis zwei Stufen bezeichnet werden: eine einleitende, auf philosophische Weise zur Philosophie hinführende und eine endgültige, auf der die Philosophie völlig bei sich selber ist. Es sind die Begriffspaare Reflexion und Spekulation, sowie Verstand und Vernunft, die im Blick auf die methodische Begründung des Hegelschen Denkens eine fundamentale Bedeutung haben. Daß diese Begriffe in ihrer Gegenüberstellung derart präzise gefaßt sind, deutet darauf hin, daß es sich nicht um das erste Kolleg Hegels über Logik und Metaphysik im Winter 1801/02, sondern um das des darauffolgenden Jahres 1802/03 handelt. In der Differenzschrift von 1801 tritt diese Unterscheidung zwar schon auf, aber hier ist vor allem der Begriff der Reflexion noch sehr schillernd. Einerseits erscheint die Reflexion „als Instrument des Philosophierens". In dieser Funktion ist sie „Reflexion der Vernunft" oder „philosophische Reflexion", die selbst auch „Spekulation" oder „spekulative Reflexion" heißen kann. Sie ist zu unterscheiden von der „gemeinen Reflexion", die als „abstrahierendes Denken" ganz dem Verstand verhaftet bleibt und die zur „Philosophie" in jedem Sinn, selbst zu einer in die eigentliche Philosophie erst einleitenden Logik völlig unfähig ist S. Werke 4. 16—19. Die Unterscheidung von Reflexion und Spekulation wird auf dem Boden des für SchelUng und Hegel gemeinsamen Prinzips der „absoluten Identität von Subjekt und Objekt" entwickelt. Sie kommt zuerst bei Hegel (in der Differenzsdirift) vor, wird aber auch von Schelling übernommen, wie die Umarbeitung seiner Ideen zu einer Philosophie der Natur (1. Aufl. 1797, 2. Aufl. 1803) zeigt. Dabei ist offenbar auch Hegel nicht ohne den Einfluß Schellings zu seinem Begriff der Spekulation gekommen, der grundsätzlich über die „Reflexionsphiloso-

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Zur genaueren Bestimmung dieser Begriffe hat die Ausarbeitung des Aufsatzes Glauben und Wissen wesentlich beigetragen, den Hegel im Frühjahr 1802 niederschreibt, und in dem die idealistische Philosophie, wie sie bisher hervorgetreten ist, als „Reflexionsphilosophie der Subjektivität" charakterisiert wird. Durch den Aufweis der „Vollständigkeit ihrer Formen" soll deutlich gemacht werden, daß die „philosophische Reflexion", die vom Subjekt als der einen Seite der „absoluten Identität des Subjekt-Objekts" ausgeht, in der konsequenten Verfolgung ihres eigenen Prinzips über sich hinausführt zur Spekulation, die sich von vornherein in der Dimension dieser Einheit bewegt, da in ihr die Trennung von Erkennen und Gegenstand, die das endliche Verstandesdenken kennzeichnet, überwunden ist. KANT, JAKOBI und FICHTE bleiben nach der Darstellung Hegels je auf ihre Weise auf halbem Wege stehen; das objektive Sein ist nach ihrer Auffassung „im erkennenden Subjekt", aber dieses nicht zugleich in jenem. Die „wahrhafte Identität und Indifferenz" beider tritt bei ihnen nicht als die „absolute Mitte" heraus, als das Unendliche, das jedwede endliche Gestalt bestimmt, indem es in ihr das Gesetzte und das diesem Entgegengesetzte zur Einheit kommen läßt Demgemäß kann die Reflexion oder „endliche Erkenntnis" in der Hegelschen Logik von 1802/03 kein eigenes methodisches Recht beanspruchen. Sie ist der Spekulation oder dem „unendlichen Erkennen" nicht absolut entgegengesetzt; sie weist sich als Philosophie aus, sofern sie zur Spekulation hinführt, ihren Vor-Schein schon enthält. Die Fixierung der endlichen Formen des Erkennens begreift sich selbst als vorläufig, da diese in der Spekulation in ein unendliches Beziehungsfeld zurückgenommen werden, in dem keine einzelne Form mehr als fixierte neben einer anderen stehen bleibt. Ebenso verhält es sich mit dem Verstand als dem erkenntnistheoretischen Organ der Reflexion. Er ist nur zur Philosophie fähig, sofern er die „empirisch zusammengeraffte" Erkenntnis übersteigt, d. h. sofern er unter dem übergreifenden Anspruch der Vernunft als dem Organ des unendlichen Erkennens steht. Die philosophische Bedeutung des Verstandes liegt darin, daß er „die Vernunft nachahmt", in den „Formen der Endlichkeit" wenigstens eine „formelle Identität" hervorbringt. Die Einleitungsfunktion der Logik als Reflexionsphilosophie erfüllt sich in einer stufenweisen Hinordnung auf das unendliche Erkennen der Metaphysik. phie der Subjektivität" hinausführen soll. Vgl. K. Düsing; Spekulation und Reflexion. Zur Zusammenarbeit Sdiellings und Hegels in Jena. — In: Hegel-Studien 5 (1969), 95—128. S. Werke 4. 387.

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Die Reflexion, die sich in sich zur Spekulation entwickelt, bildet also die durchgehende Denkbewegung der Hegelschen Logik in der ersten Jenaer Zeit, die von den „allgemeinen Kategorien der Endlichkeit" (Qualität, Quantität, Relation) zu den „subjektiven Formen der Endlichkeit" (Begriff, Urteil, Schluß) fortschreitet. Das ist ein wesentlicher Unterschied gegenüber den späteren Darstellungen (vor allem gegenüber der „großen Logik" von 1812/16 und den Darstellungen der Logik in den verschiedenen Auflagen der Encyklopädie), in denen die „reine absolute Reflexion" am Beginn des Zweiten Teils eingeführt wird. Diesem geht als „objektive Logik", in der sich das Denken noch nicht in sich selbst reflektiert, die Entwicklung der Kategorien der Qualität, Quantität und des Maßes (Proportion) voraus. Die „Logik des Begriffs", die als Dritter Teil den Abschluß bildet, ist über das Setzen von Reflexionsbestimmungen hinaus; sie entfaltet von den subjektiven Formen des Denkens her (Begriff, Urteil, Schluß) das Denken rein als Denken. Die „reine absolute Reflexion" steht zwischen beiden, ihre Bestimmungen sind „Negation des Seins" und als diese Negation die Vorzeichnung der Selbstbestimmung des „Ansichseins" im Begriff. Die so zu umschreibende Reflexion kommt aber zu Bestimmungen, die nach der Logik-Metaphysik von 1804 erst in der Metaphysik zur Sprache kommen, also nicht mehr als Produkte der Reflexion, sondern der Spekulation, des unendlichen Erkennens der Vernunft gelten müssen, insbesondere die Bestimmungen der Identität, des Widerspruchs und des Grundes. Die ganze Tiefe des Unterschieds wird darin sichtbar, daß Begriff, Urteil und Schluß, die nach der Logik von 1801/02—1802/03 als Reflexionsbestimmngen erscheinen, seit der sog. „großen Logik" die Überwindung der Reflexion, das völlige Zusichkommen des Denkens begründen. Diese Unterschiede sind nur zu erklären, wenn man sieht, daß in den späteren Logikkonzeptionen die „reine absolute Reflexion", wie auch schon die Entfaltung der Kategorien des Seins im Ersten Teil der Logik, innerhalb der Spekulation als solcher vor sich gehen. Von einer vorspekulativen Reflexion, die erst allmählich, im Formellen die Spekulation nachahmend, zu dieser aufsteigt, ist darin nicht mehr die Rede. In der Encyklopädie wird im „Vorbegriff" zur „Wissenschaft der Logik" dargelegt, daß in ihr die „Verstandes-Logik" zwar enthalten, aber völlig auf das Niveau der „spekulativen Logik" emporgehoben ist. „Die abstrakte oder verständige Seite" des Logischen bildet nicht einen „Teil der Logik", sondern ein „Moment jedes Logisch-Reellen, das ist jedes Begriffes, oder je-

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des Wahren überhaupt" Es wird ausdrücklich abgewiesen: „Mit bloßen Abstraktionen oder formellen Gedanken hat es darum überhaupt die Philosophie ganz und gar nicht zu tun, sondern allein mit konkreten Gedanken" In den Jahren 1801/02—1802/03 enthält die Logik demgegenüber ein System der Reflexion, in dem die endlichen Formen des Erkennens mit den Mitteln des Verstandes dargestellt werden. Das philosophische Denken ist nicht von Anfang an über die Endlichkeit hinaus, sondern es erhebt sich nur schrittweise von der Reflexion zur Spekulation, in die es schließlich von sich aus übergeht, um sich in der Metaphysik als reines unendliches Erkennen zu entfalten. Hegels Vorlesungsankündigung für das Sommersemester 1802 bezeichnet die Logik als „systema reflexionis", während sie der Metaphysik den Titel „systema rationis" vorbehält. ß) Das System der Reflexion aa) Die „allgemeinen Formen der Endlichkeit" (Kategorien)

Die als Reinschrift erhaltene Darstellung der Logik von 1804 läßt noch erkennen, wie das „systema reflexionis" von 1802 im einzelnen ausgesehen hat, obgleich sich hier bereits der Übergang zur späteren Auffassung der Logik anbahnt, die selber metaphysisch konzipiert ist und sich von vornherein im Element der Spekulation bewegt. Ich behandle diesen Text zunächst als Quelle für die nähere inhaltliche Ausführung der Logik in den ersten Jenaer Jahren, deren Grundriß von ROSENKRANZ referiert wird. Im Anschluß daran wird zu fragen sein, in welchen Punkten sich die Logikkonzeption von 1804 bereits von diesem Grundriß unterscheidet und die Wendung zur Logik des „Systems der Wissenschaft" greifbar werden läßt. Dieses methodische Verfahren ist nur möglich, wenn die Gesamtanlage und das Prinzip der Logikkonzeption von 1801/02—1802/03, die aus der erwähnten Übersicht bei ROSENKRANZ und den einschlägigen Stellen in der Differenzschrift und in den Aufsätzen des Kritischen Journals hervorgehen, eindeutig festgehalten und als Kriterium für den ünterschied in der Ausarbeitung von 1804 geltend gemacht werden. Auf diese Weise müßte sich das Material der späteren Darstellung in den allgemeinen Rahmen der ursprünglichen Konzeption einfügen lassen. Die Logik des Systementwurfs von 1804 ist am Anfang (und an einigen anderen Stellen) ebenfalls nicht vollständig. Sie beginnt mit An“• S. Enz. § 79 (Anm.). 2» S. Enz. § 82 (Anm.).

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merkungen zur dritten Kategorie der Qualität, die offenbar durch den Begriff der „Grenze" bezeichnet wird. Als vorhergehende Kategorien lassen sich erschließen: (1) „Realität" als Qualität überhaupt, einfache Sichselbstgleichheit und (2) „Negation" als deren Vernichtung durch die bestimmte Qualität, die sich der Qualität überhaupt entgegensetzt. Realität und Negation werden miteinander vereinigt, indem die Grenze die Qualität überhaupt und die bestimmte Qualität so aufeinander bezieht, daß jene nicht als einfache Einheit gedacht wird, sondern als die andere in sich enthaltend. In der Vernichtung der „einfachen Sichselbstgleichheit" durch die bestimmte Qualität wird sie zugleich als Sichselbstgleichheit erhalten. Die bestimmte Qualität oder — wie Hegel auch sagt — „bestimmte Bestimmtheit" geht als das andere der „Bestimmtheit überhaupt" aus dieser hervor. So kann die Sichselbstgleichheit oder Bestimmtheit überhaupt sich im anderen der bestimmten Bestimmtheit als sich selbst erfassen. In der bestimmten Bestimmtheit begrenzt sich die Sichselbstgleichheit. Diese „Grenze" kann die Sichselbstgleichheit als eine selbst gesetzte überschreiten und durch die überschrittene Begrenzung zur Selbsterfassung gelangen Als ursprünglicher kritischer Bezugspunkt läßt sich in der Gedankenentwicklung dieser ersten Abschnitte der Logik die Zuordnung der drei Grundsätze am Anfang der FicHXEschen Wissenschaftslehre erkennen. Die Differenz zu FICHTE wird dabei vor allem durch den Doppelaspekt der Grenze bezeichnet, daß sie zugleich Begrenzendes und in sich Begrenztes ist. Dadurch wird angezeigt, daß hier, auf der ersten Stufe des endlichen Erkennens eine Einheit in den Gegensätzen gedacht ist, die zunächst noch rein formell und vorläufig ist, die aber doch auf die konkrete und endgültige Vermittlung alles Gegensätzlichen im unendlichen Erkennen abzielt. FICHTE spricht nicht von einer Grenze, die das Ich als sichselbstgleiches durch das Nicht-Ich als Bestimmtheit in sich errichtet, sondern vom Begriff der Schranke. Er sucht indessen ebenfalls in seiner Zuordnung der Grundsätze am Anfang der Wissenschaftslehre eine Ableitung der Kategorien der Realität und der Negation zu geben. „Etwas einschränken heißt: die Realität desselben durch Negation nicht gänzlich, sondern nur zum Teil aufheben" Der Begriff der Schranke führt also unmittelbar zu dem der Teilbarkeit, zur „Quantitätsfähigkeit". Die Erläuterung des dritten Grundsatzes, durch den die beiden ersten miteinander vereinigt wer21 Vgl. LMN 1-5. 22 S. J. G. Pichte: Grundlage der gesamten Wissenschaftslehre. Hrsg, F. Medicus. Leipzig 1922. (Neudruck Hamburg 1961.) 29, auch zum folgenden.

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den, gipfelt in der Feststellung: „Ich sowohl als Nicht-ich wird teilbar gesetzt." Dem Ich und dem Nicht-ich wird „Quantitätsfähigkeit überhaupt", nicht die Fixierung in einer bestimmten Quantität, sondern eine ins Unendliche fortgehende Teilbarkeit zugesprochen. Durch diesen Begriff ist nach FICHTE nicht nur der Gegensatz von Ich und Nicht-ich vereinigt, sondern mit dieser allen anderen zu Grunde liegenden Antithesis sind „alle Gegensätze" prinzipiell zur Synthesis gebracht. Dieser Gegensatz schließt deshalb alle anderen ein, weil das Ich, das sich „in den Begriff der Teilbarkeit herabsetzt" und damit dem Nichtich „gleich- und entgegensetzt", zugleich über diesem Gegensätze als das alle Vereinigung Tragende stehen bleibt, „als absolutes unbeschränkbares Subjekt, dem nichts gleich ist und nichts entgegengesetzt ist" In der hier zu betrachtenden Hegelschen Logik ist das Vereinigende für die Reflexion und damit für den Entwicklungsgang des Denkens in der Logik überhaupt letztlich nicht erreichbar. Die absolute Identität von Subjekt und Objekt, auf die alle vorläufigen Vereinigungen zielen, ist so sehr in die Gegensätze verstrickt, daß sie sich nur schrittweise aus ihnen zu „resümieren" und erst jenseits der Denkbewegung der Logik (in der Metaphysik) endgültig zu realisieren vermag. Der Begriff der Grenze, der den ersten Schritt auf diesem langen Weg der Vereinigung der Gegensätze bezeichnet, zeigt an, daß Hegel für die Entfaltung der logischen Problematik auf KANT selbst zurückgeht, daß er FICHTES Wissenschaftslehre gewissermaßen nur als Interpretament benutzt, um auf eigene Weise auf der Grundlage der Kritik der reinen Vernunft das „System der Philosophie der reinen Vernunft" zu entwickeln. Auch KANT führt in der Kategorientafel unter den Kategorien der Qualität neben Realität und Negation die der Limitation auf. Diese ist es, die in Hegels Begriff der Grenze wiederkehrt und eine systematische Ableitung erfährt. Mit der Entfaltung der Einheit der Grenze hält Hegel seine Aufgabe nicht bereits dem Grundsätze nach für gelöst wie FICHTE mit der Deduktion der „Quantitätsfähigkeit überhaupt" aus dem Begriff der Schranke. Er folgt vielmehr dem Leitfaden der KANTischen Kategorientafel, wenn er die Kategorien der Quantität (Einheit, Vielheit, Allheit), auf die das S. ebenda 39. Daß die Einheit selber bei Fichte im Bereich der Reflexion verbleibt, ihre Unendlichkeit nur in der immer weitergehenden Tätigkeit des Ich gesehen wird, veranlaßt Hegel schon im „Systemfragment von 1800" zu dem Einwand: „Diesem Fortgetriebenwerden ohne Ruhepunkt muß aber ein für allemal dadurch gesteuert werden, daß nicht vergessen wird, dasjenige zum Beispiel, was Verbindung der Synthesis und Antithesis genannt wurde, sei nicht ein Gesetztes, Verständiges, Reflektiertes, sondern sein für die Reflexion einziger Charakter sei, daß es ein Sein außer der Reflexion ist." (Jschr. 348.)

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Problem der Grenze führt, ebenfalls in ihrer jeweiligen Bestimmtheit zu entwickeln und in ihrer Synthesis abzuleiten sucht. In der Konzeption dieser Logik scheint das alte Programm noch durchzuschimmern, wie er es einmal von Bern aus in einem Brief an SCHELLING aufgestellt hat, daß es darum gehe, die „Prinzipien" der KANxischen Philosophie „auf alles bisherige Wissen" anzuwenden. Diese „höchste Vollendung" des „Kantischen Systems" soll nach seiner damaligen Auffassung die Philosophie aus ihrer esoterischen Situation herausführen, sie mit der Masse des Volkes in Verbindung bringen und so „eine Revolution in Deutschland" auslösen Das ist in Jena anders geworden; der Übergang von den Formen des endlichen Erkennens zu denen des unendlichen Erkennens soll diejenigen, die im politischen Bereich zu relevantem Handeln fähig sind, in die Lage versetzen, die in sich verfestigte Besonderheit der Formen des geschichtlichen Lebens in einer höheren Allgemeinheit aufzuheben. Daß Hegel die Darstellung des „Systems der Reflexion" nicht wie KANT in der Kategorientafel mit den Kategorien der Quantität, sondern wie FICHTE in seinem unterdessen hervorgetretenen Versuch, die Kategorien systematisch abzuleiten, mit denen der Qualität beginnt, bezeichnet eine Unterschiedlichkeit seines systematischen Ansatzes gegenüber KANT und wahrscheinlich auch gegenüber seinem ursprünglich noch direkter an KANT orientierten eigenen philosophischen Programm. Hier zeigt sich bereits, warum die Selbstabgrenzung Hegels gegenüber KANT schließlich zur Auseinandersetzung über die Möglichkeit eines Gottesbeweises führt. KANT hat die Kategorie der Realität nicht unmittelbar mit dem Hervorbringen der sachhaltigen Bestimmungen überhaupt durch das „Ich denke" zusammengebracht, sondern auf Grund der transzendentalen Deduktion der Kategorien insgesamt den „reinen Verstand" als den „Quell der Gesetze der Natur" erwiesen. Von den Bedingungen der endlichen Naturerkenntnis aus, die auf diese Weise allein als objektiv gesichert gelten kann, läßt sich für ein Dasein, das in die Grenzen dieser Endlichkeit nicht eingeschlossen ist, keinerlei Beweis mehr führen Damit das Unendliche, das über die in sich fixierten Besonderheiten hinausliegende Allgemeine, dem Erkennen wieder zugänglich wird, sucht S. Briefe. Bd 1. 23 f. Für den Zusammenhang von „Anwendung" der von Kant aufgestellten Prinzipien und „Vollendung" ihrer philosophisch notwendigen Entwicklung (Deduktion) vgl. die Habilitationsarbeit von O. Pöggeler (Heidelberg 1967). S. Kritik

der reinen Vernunft a.a.O. Ausg. B. 163 und 480—483; vgl. D. Henrich: Der ontologische Cottesbeweis. Sein Problem und seine Geschichte in der Neuzeit. Tübingen 1960. 194—208.

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Hegel der Philosophie einen neuen, unter dem Gesetz der Spekulation stehenden Anfang zu geben. Er beginnt sein System mit der Kategorie der Realität im Sinne von Qualität überhaupt, die er auf Grund des FicHTESchen Prinzips des transzendentalen Ich als den Grund für das Entstehen aller einzelnen Bestimmtheiten interpretiert. Der Ausgangspunkt des KANxischen Denkens von den Kategorien der Quantität muß in dieser Sicht als bloßer Standpunkt des Verstandes erscheinen, der hinter dem Ansatz FICHTES zurückbleibt, welcher das Prinzip des unendlichen Sichbestimmens einführt, wenn er es auch nicht in seiner absoluten Vermittlung mit den einzelnen Bestimmtheiten erweist. Eben dies ist das Ziel der Hegelschen Logik, das bereits in der Vereinigung der Realität mit der Negation in der Grenze aufscheint. Von dieser Position aus führt Hegel — ganz im Sinne seiner späteren Kritik an KANT — schon in Glauben und Wissen die „absolute Identität der höchsten Idee", d. h. Gottes und der „absoluten Realität" gegen Kants Widerlegung der Gottesbeweise ins Feld 26. In der Grenze kann die Realität und die Negation, die Sichselbstgleichheit und die bestimmte Bestimmtheit aber nur als vereinigt gedacht werden, wenn die Sichselbstgleichheit als Bestimmtheit überhaupt durch das Sicherfassen in der bestimmten Bestimmtheit eine Vielheit solcher Bestimmtheiten hervorbringt. Die eine Bestimmtheit und die Vielheit von Bestinuntheiten, der Gegensatz der Quantität, ist zunächst als rein Numerische Verschiedenheit aufzufassen. Als „numerisches Eins" läßt sich eine Bestimmtheit mit allen anderen, sofern sie von derselben Art sind (eine „Vielheit der numerischen Eins"), unmittelbar als vereinigt denken. In der Vielheit liegt aber auch ein negatives Prinzip gegenüber der Einheit, „sie ist in sich different, als Menge . . . gesetzt". Die Einheit, durch die quantitative Vielheit negiert, erhält dabei ihre Sichselbstgleichheit, weil auch in der Vielheit als Menge nichts anderes als die Einheit aufgehoben ist. Der Begriff dieser Sichselbstgleichheit ist die Allheit, „die negative Einheit, welche sich als Menge des Vielen ein anderes, und als Allheit wieder sich selbst wird". Wie die Einheit der Grenze in der Beziehung der für sich bestehenden Qualitäten als Beziehung auf sich selbst nicht eine endgültige, sondern eine vorläufige erste Bewährung der Einheit verwirklicht, die unmittelbar zu dem Gegensatz des Einen und der Vielen übergeht, so gilt auch die Einheit als Allheit, als Verwirklichung der „Quantität", nicht schon als Auflösung der Aufgabe, die Gegensätze zu vereinigen; sie wird sich vielmehr selbst unmittelbar ein anderes 2^. S. Werke 4. 338. Vgl. LMN 7-9.

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Im Begriff der Allheit, die als Einheit die einfache Einheit der „numerischen Eins" und die differente Vielheit als aufgehobene in sich enthält, ist ein nicht mehr quantitativ zu deutender Gegensatz zwischen beiden Einheiten mitgedacht. Unter dem Namen der „Dialektik des Quantums" wird in der Logik von 1804 im Anschluß an die Probleme der Quantität der Gegensatz des Ganzen und seiner Teile erörtert, dessen Überwindung durch die Einführung des Begriffs der Unendlichkeit zu erfassen ist. Dieser gedankliche Schritt ist im Horizont der Logikkonzeption von 1801/02—1802/03 an dieser Stelle nicht vollziehbar. Es ist anzunehmen, daß Hegel in den Vorlesungen dieser Zeit vom Begriff der Allheit zur Deduktion der Kategorien der Relation fortgeschritten ist, wie es dem Aufbau der KANxischen Kategorientafel entspricht. Die Differenz zu KANT, die dazu geführt hat, daß Hegel die Kategorien der Qualität an den Anfang stellt und den Realitätsbegriff unmittelbar vom Sichbestimmen des transzendentalen Ich aus interpretiert, kommt an diesem Punkt darin zum Ausdruck, daß die Modalitätskategorien nicht als vierte Gruppe nach denen der Relation abgehandelt werden, sondern sogleich am Anfang der Entfaltung der Relationsbegriffe zur näheren Bestimmung der Substanz im Verhältnis zu ihren Akzidenzen eingeführt werden. Bei KANT geben die Kategorien der Modalität zwar auch ein Verhältnis wieder, aber nur sofern in ihnen der Gegenstand durch das erkennende Subjekt zu diesem in ein bestimmtes Verhältnis (der Möglichkeit, Wirklichkeit, Notwendigkeit) gebracht wird. Das muß von Hegel anders konzipiert worden sein, sobald es ihm um eine systematische Ableitung der Kategorien im Blick auf eine Überwindung des endlichen Erkennens in der Einheit von erkennendem Subjekt und erkanntem Objekt geht. Das bedeutet für die Kategorien insgesamt, daß sie als „allgemeine Formen oder Gesetze . . . sowohl in objektiver als subjektiver Rücksicht, oder abstrahirt davon: ob diese Formen subjektiv oder objektiv sind, nach ihrer Endlichkeit, als Reflex des Absoluten", dargestellt werden müssen In dem Systementwurf von 1804 läßt sich m. E. noch eine Spur des Übergangs von dem Begriff der Allheit zur Entfaltung der Kategorien der Modalität als Bestimmungen des Substanzbegriffes finden. Die Allheit ist als die Einheit des numerischen Eins und der differenten Vielheit die „Möglichkeit der Vielheit", sofern diese in ihr „als aufgehoben gesetzt ist". Diese Beziehung der Quantität, in der die Vielheit als möglich, aber nur als möglich, d. h. faktisch als aufgehoben erscheint, bringt eine S. Rosenkranz: Hegel's Leben. 191.

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seinsmäßige Beziehung des Einen und der Vielen zueinander zur Geltung, die von sich aus auf die Frage nach anderen, entgegengesetzten führt Wenn untersucht wird, wie die Vielheit im Verhältnis zur Einheit nicht nur als möglich, sondern auch als wirklich, als ein nicht nur in bestimmten Formen des abstrakten Denkens, sondern konkret in bestimmten gegenstandskonstituierenden Kategorien erfaßt werden kann, ist die Dimension der „einfachen Beziehung" von Einheit und Vielheit überschritten, es wird der Problemhorizont des „Verhältnisses des Seins" beider Größen eröffnet. Nach der früheren Konzeption der Logik ist also das Verhältnis des Seins als Substantialitätsverhältnis, und zwar ohne daß das Verhältnis als in sich unendlich bestimmt wird, als ein Verhältnis der einen Substanz zur Vielheit ihrer Akzidenzen aufzufassen, in dem die Vielheit nicht nur als möglich, sondern zugleich als wirklich gedacht ist. Das Spezifische dieses Substantialitätsverhältnisses besteht nun aber darin, daß die Einheit der Substanz die Vielheit wechselnder Akzidenzen nicht nur als möglich bzw. wirklich zuläßt, sondern als notwendig braucht, damit ihre Einheit als solche hervortritt. Die eine Substanz behauptet sich in der Vielheit der Akzidenzen, indem sie mit ihr notwendig verbunden ist. Der notwendige Zusammenhang von Einheit und Vielheit, in dem das Substantialitätsverhältnis sich vollendet, läßt sich hingegen — in einem nächsten Schritt — als Kausalitätsverhältnis erfassen, das nicht mehr auf die Behauptung der einen Substanz in der Vielheit ihrer Akzidenzen zielt, sondern in dem die „Substanz zerfällt in entgegengesetzte Substanzen", die in der Form der Notwendigkeit (als Ursache und Wirkung) aufeinander bezogen sind Die Vereinigung der Entgegengesetzten geschieht durch den Begriff der Kraft, die nicht von ihrer Äußerung als verschieden, sondern als mit dieser identisch gesetzt ist. Dieses Kapitel weist in der Darstellung von 1804 bereits so deutlich auf die Konzeption der Logik als reiner spekulativer Wissenschaft voraus, die sich auch in der Ableitung der Kategorien des Seins schon ganz in den Formen des unendlichen Erkennens vollzieht, daß die Behandlung dieses Themas in den Vorlesungen der ersten Jenaer Jahre daraus kaum noch zu erschließen ist. Um diese Problematik als eine Art systematischdeduktiven Kommentars zu KANTS Kategorientafel zu erfassen, in dem das Erkennen vorerst nur eine Nachahmung, einen Reflex des unendlichen Erkennens im Bereich der Endlichkeit zustandebringt, kann man indessen auf die Darlegungen über das Problem der Kraft in der HabilitationsdisS. LMN 9. Zum Befund des Manuskripts an dieser Stelle vgl. u. Anm. 68. 3« Vgl. LMN 36-40.

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sertation vom Herbst 1801 zurückgreifen Wie sich Hegel in dieser Schrift gegen NEWTONS mathematisch-mechanistische Naturerklärung wendet/ gegen die er den Begriff der „lebendigen Kraft" ins Feld führt, so wird sich auch seine Ableitung des Kausalitätsverhältnisses gegen einen äußerlich-mechanischen Zusammenhang von Ursache und Wirkung gerichtet haben. Auf eine bestimmte Ursache folgen nicht nur bestimmte Wirkungen; der lebendige Zusammenhang zwischen beiden bedeutet, daß jene in diese übergeht und umgekehrt diese aus jener notwendig unmittelbar hervorgehen. Für den folgenden Abschnitt bietet sich dann die Logik von 1804 wieder als verläßliche Quelle der Behandlung des entsprechenden Problems in der Konzeption der vorhergehenden Jahre an. Das Verhältnis der Wechselwirkung wird noch 1804 als rein formelle Einheit gedacht, in der die Unendlichkeit gewissermaßen „paralysiert" ist Die Einheit der Ursache mit ihrer Wirkung, als die Einheit von Kraft und Äußerung gedacht, bestimmt sich als die Wechselwirkung verschiedener Kräfte, von denen jede nach „ihrem Wesen der andern gleich" ist, mit ihr eine Einheit bildet, in der sich „die Ruhe des Gleichgewichts" der Kräfte herstellt Die Ausführungen des Manuskripts von 1804 spiegeln hier noch deutlich den früheren Stand der Behandlung dieses Problems. Der Gedanke der Verdopplung der Kraft aus sich selbst, der in der Wissenschaft der Phänomenologie des Geistes zum Gedanken des „Spiels der Kräfte" führt, der absolute Ruhe und zugleich absolute Bewegtheit in sich zum Ausdruck bringt, ist noch nicht entwickelt. Er hätte schon im Manuskript von 1804 an der besprochenen Stelle stehen müssen, in dem ja die Wechselwirkung als in sich unendliches Verhältnis konzipiert wird. Er bezeichnet in der Phänomenologie zwar die spezifische Form der verstandesmäßigen Beziehung zwischen dem Bewußtsein und seinem Gegenstand, in der sich aber das Bewußtsein als sein eigener Gegenstand erkennt Zur Bedeutung der Habilitationsdissertation als Ausgangspunkt der Naturphilosophie vgl. u. im Zweiten Teil Abschnitt A. — S. K. E. Sdiorr: Hegels Konzeption der Kraft in seiner Philosophie des absoluten Geistes. Diss. phil. Kiel 1947 (MS), wo auch auf die Jenaer Texte eingegangen wird, aber ohne ihre besonderen systematischen Voraussetzungen zu beachten. Eine Untersuchung des Kraftbegriffs auf den verschiedenen Stufen des Hegelschen Denkens könnte die Verschiedenartigkeit der vorausgesetzten Systemkonzeptionen an einem zentralen Punkt deutlich machen. Vgl. LMN 64—68, 70 f. und 76. 33 S. LMN 68. 3^ Vgl. Phän. 107 f. und 128 f.

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ßß) Die „subjektiven Formen der Endlichkeit" (Verstand) Nach der von ROSENKRANZ mitgeteilten Gliederung der Logikvorlesung von 1802/03, die für die vorliegende Interpretation das Gerüst bildet, folgt auf die „allgemeinen Formen" des endlichen Erkennens oder die „Kategorien der Endlichkeit" die Behandlung der „subjektiven Formen der Endlichkeit" (des endlichen, noch immer verstandesmäßigen Denkens), die aber den zuerst behandelten als ihre Voraussetzung zu Grunde liegen. Die subjektiven Formen als Bestimmungen des Denkens sollen die allgemeinen Formen als Bestimmungen des Seins im Stufengang des Erkennens vom Endlichen zum Unendlichen hin überbieten und begründen. Der Begriff drückt als „bestimmter Begriff" in der Form des Denkens die „einfache Beziehung" aus, die Einheit der einfachen Sichselbstgleichheit und der daraus entspringenden rein quantitativen Vielfältigkeit. Als Begriff ist er aber über seinen Inhalt mit sich verständigt; er nimmt das Sicherfassen der Sichselbstgleichheit in der bestimmten Bestimmtheit nicht als unableitbare Setzung, sondern als Leistung des subjektiven Denkens Das Allgemeine des Denkens nimmt selbst die Form der einfachen Sichselbstgleichheit und des Hervorbringens einer Vielheit von Bestimmtheiten an. So begreift es sich schließlich als die „Möglichkeit der Vielheit", in der Einheit und Vielheit im Verhältnis zueinander gedacht sind. Der „bestimmte Begriff", in dem sich nicht die Neubelebung der „paralysierten Unendlichkeit" vollzieht, die im Verhältnis der Wechselwirkung die dynamische Einheit von Kraft und Äußerung in die Ruhe des „Gleichgewichts der Kräfte" überführt, kann in der früheren Konzeption mit dem Durchlaufen der Formen der Vereinigung, die als Bestimmungen des Seins gesetzt sind, auf höherer Stufe noch einmal beginnen. Es ist nicht erforderlich, daß man annimmt, die Substanz, in der Einheit und Vielheit als Verhältnis gedacht sind, sei darin „absorbiert", wie es in der Darstellung von 1804 notwendig wird, weil vom Verhältnis, das als unendliches erfaßt worden ist, nicht mehr ohne weiteres zu den Bestimmungen der „einfachen Beziehung" zurückgegangen werden kann. Hier vollzieht der Begriff im Sichbestimmen deren Bewegung aufs Neue, um sie als Bewegung des Denkens auszuweisen. Indem aber der „bestimmte Begriff" auch die „Möglichkeit der Vielheit" in sich zum Ausdruck bringt, geht er über sich hinaus. Er wird zum Urteil, das in der Zuordnung verschiedener Begriffe die Formen des Verhältnisses von Einheit und Vielheit als Hervorbringungen des Denkens verständlich macht. “ Vgl. LMN 76—80, auch zum folgenden.

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Das Urteil stellt in der Vielheit der Bestimmtheiten die Einheit wieder her, indem es sie als Subjekt und Prädikat aufeinander bezieht. Das Schema einer wechselseitigen Subsumtion von Subjekt und Prädikat untereinander, das in der Logik von 1804 zu den beiden Grundformen des hypothetischen und des disjunktiven Urteils führt, die sich ihrerseits wechselseitig untereinander subsumieren, läßt eine logische Figur erkennen, die im Grunde das Niveau des Entwurfs von 1804 nicht erreicht hat (vgl. den folgenden Abschnitt), also wohl mit Recht für eine frühere Konzeption in Anspruch genommen werden darf. Wird das Prädikat als für sich seiend gesetzt und das Subjekt muß sich näher bestimmen, so kann das Subjekt ein allgemeines, besonderes oder einzelnes sein. Damit sind veschiedene Formen des Urteils gesetzt: allgemeines, partikuläres und singuläres Urteil. Das einzelne kann dabei die Einheit des Allgemeinen und Besonderen im Urteil nur wahrhaft zum Ausdruck bringen, indem es als möglich, wirklich oder als „gesollte Notwendigkeit" gedacht wird. „Wenn dieses (A) ist, so ist (als Möglichkeit, Wirklichkeit, gesollte Notwendigkeit) B", damit dieses (A) als identisches Subjekt erhalten bleibt *®. Im hypothetischen Urteil ist also die gedankliche Form des Substantialitätsverhältnisses in seiner Einheit, die sich in der Entgegensetzung erhält, entwickelt. Sodann wird das Subjekt als für sich seiend gesetzt und auf die Formen der Subsumtion des Prädikats unter es reflektiert. Entgegen der bis ins Unendliche vorgetriebenen Negation (negatives und unendlidies Urteil) ist die Einheit des Subjekts mit sich zu behaupten. Im disjunktiven Urteil bestimmt sich das Prädikat in der Weise näher, daß das Subjekt (A) notwendig auf dieses (B) oder ein anderes (C) bezogen ist, so daß in dieser Beziehung alles andere ausgeschlossen ist „Wenn A ist, so muß notwendig B oder C sein", nicht beides zugleich und auch nicht etwas anderes. Drittes. „Durch diese Totalität des Prädikats hat sich das Subjekt (gegen seine Negation) wahrhaft erhalten oder das Prädikat zu dem gemacht, was es in diesem Verhältnisse in Wahrheit ist, ein in der negativen Einheit des Subjekts als aufgehoben gesetztes." Das macht deutlich, wie der Zusammenhang der Ursache mit ihrer Wirkung im Kausalitätsverhältnis als Einheit von Kraft und Äußerung bestimmt werden kann. Durch die wechselseitige Verbindung der beiden Grundformen des Urteils miteinander, in der von bestimmten Prämissen, die die Möglichkeit, Wirklichkeit oder die „gesollte Notwendigkeit" eines Verhältnisses ausVgl. LMN 83—88, bes. 86 (Einfügungen im Zitat von mir). Vgl. LMN 88—92, zmn folgenden bes. 92 (Einfügung im Zitat von mir.)

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drücken, zu einem Folgesatz fortgeschritten wird, der eine Beziehung als die allein notwendige festhält, wird endlich für die Wechselwirkung, durch die im Gleichgewicht aufeinander wirkende Kräfte zur Ruhe kommen, die verstandesmäßige Form aufgezeigt Diese Verbindung von Urteilen miteinander wird zum Schluß, indem der ganze Zusammenhang zwischen Prämissen und Folgesatz als eine notwendig zu vollziehende Bewegung erfaßt wird, in der die Gegensätze überwunden und die Einheit wieder hergestellt wird. YY)

Das Sichaufheben des „endlichen Erkennens" (Grundlegung des wissenschaftlich-philosophischen Denkens)

Die Behandlung des Verhältnisses des Denkens wird mit der Entwicklung der Figur des logischen Schlusses zugleich zum Abschluß gebracht und über sich hinausgeführt. Der Schluß ist nicht nur die gedankliche Begründung für das Verhältnis des Seins im ganzen. Vielmehr, weil sich in ihm die Bewegung des Denkens in ihrer Notwendigkeit begreift, gelangt er unmittelbar zu dem „höheren Standpunkt", daß er „die Identität des Verhältnisses des Seins und des Denkens ist". Das „formelle Schließen, als dem Verstand angehörig", hebt sich selbst auf, indem der Schluß spekulativ wird, sich auf den Standpunkt der Vernunft erhebt Die „spekulative Bedeutung der Schlüsse" ist Hegel grundsätzlich seit dem Beginn der Jenaer Zeit deutlich. In den Thesen für die Habilitationsdisputation im August 1801 formuliert er; „Syllogismus est principium Idealismi" Eine durchgehende Anwendung hat diese Denkfigur aber zunächst allenfalls in der Metaphysik als der spekulativen Philosophie im engeren Sinne finden können. H. SCHMITZ hat die These aufgestellt, daß sich im Naturrechtsaufsatz von 1802/03, im System der Sittlichkeit von 1803, in der Natur- und Geistesphilosophie von 1803/04 und selbst in der Naturphilosophie des großen Manuskripts von 1804 der Schluß als die Denkbewegung, welche die Gedankenentwicklung letztlich bestimmt, nur allmählich durchsetzt, daß zunächst das in SCHELLINGS systematischen Deduktionen vorherrschende „unendliche Urteil" auch bei Hegel im Vordergrund steht 59 Vgl. LMN 93-95. 5® Vgl. LMN 97, Rosenkranz: Hegel's Leben. 191. 5® S. ED 404. “ S. Hegel als Denker der Individualität. Meisenheim/GI. 1957, zum folgenden bes. 91—94. — Sdimitz geht freilich von der damals herrschenden falschen Chronologie der Jenaer Schriften aus, die er aber von der Sache her nur mit großen Schwierigkeiten einhalten kann. S. Hegel-Studien 4 (1967), 166 Anm. 79.

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Das „unendliche Urteil" versteht SCHMITZ dabei nicht im Sinne KANTS als die Verneinung des Prädikats in einem an sich bejahenden Satz („Die Seele ist nichtsterblich") sondern im Sinne Hegels, der es als eine ins Unendliche vorgetriebene Negation auffaßt, bei der nicht nur die Beziehung eines Prädikats auf ein Subjekt, sondern die ganze Sphäre der Beziehbarkeit, das Prädikat als solches, negiert werden soll Die Beispiele, die Hegel gibt, seine ganze Charakteristik des unendlichen Urteils lassen nicht erkennen, daß er selbst dieser logischen Figur eine maßgebende Bedeutung für sein Denken beigemessen hat: „das Gefühl hat nicht eine rote Farbe, der Geist ist nicht sechs Fuß lang, und was dergleichen Widersinnigkeiten sind." SCHMITZ möchte zeigen, daß Hegel in späteren Schriften — an entscheidenden Stellen in der Phänomenologie, in der Wissenschaft der Logik und in der Rechtsphilosophie — auf diese Form des Urteils zurückgreift, um in ihr „die unmittelbare Vereinigung äußerster Gegenteile" auszudrücken. Als Grundtyp der bewußten Verwendung dieser Satzform in einigen wenigen, aber offenbar sehr wichtigen Fällen gibt er an: „das Ding ist Ich". Hegels Absicht deutet SCHMITZ dabei unter Rückgriff auf eine Stelle aus Glauben und Wissen, die in der Formulierung einen Einfluß ScHELLiNGs auf Hegel zu erkennen gibt: „Hegel möchte die Entgegengesetzten, besonders Subjekt und Objekt, durch unmittelbare Vereinigung gleichsam auslöschen, damit die absolute Indifferenz hervortreten kann" Das richtige Motiv der Interpretation von SCHMITZ ist auf diese Weise durch mehrere Irrtümer und Schiefheiten verdeckt. Die „unmittelbare Vereinigung äußerster Gegenteile" in einem Satz vom Typ „das Ding ist Ich" stellt nach der Hegelschen Bestimmung dieser Urteilsform kein unendliches Urteil dar, — auch kein „positiv-unendliches", das im Unterschied zu der ins Unendliche vorgetriebenen Negation später (in der Wissenschaft der Logik) eingeführt wird und an Stelle der unendlichen Differenz zwischen Subjekt und Prädikat eine unendliche Identität setzt, so daß aus umgekehrtem Grund kein Urteil mehr bleibt: „das Einzelne ist einzeln" oder „das Allgemeine ist allgemein" Hegel sagt zwar an der genannten Stelle in Glauben und Wissen, daß es darum gehe, daß sich die Entgegengesetzten „in einer wahrhaften Identität und Indifferenz auslöschten". Es ist auch richtig, daß in dieser Formulierung ein Einfluß SCHELLINGS spürbar ist. Aber Hegels eigene Intention S. S. S. « S.

Kritik der reinen Vernunft a.a.O. Ausg. B. 97 f. LMN 90, auch zum folgenden. Schmitz a.a.O. 119; vgl. Werke 4. 387. WdL II 285.

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kommt erst in der Fortsetzung des Satzes deutlich zum Ausdruck, daß nämlich auf diese Weise erreicht werden soll, daß „die absolute Mitte hervorträte". Die damit implizierte Denkbewegung ist für die Texte aus den Jahren 1802—1804 grundlegend. Sie ist jedoch nicht als eine bestimmte Urteilsform besdireibbar, sondern als eine Verbindung von Urteilen miteinander, in der „wie in der Wediselwirkung" die Spannung der entgegengesetzten Begriffsbestimmungen in der Mitte zusammengenommen wird, die als solche im Prozeß noch nicht hervortritt, sondern zunächst in einen neuen, höheren Gegensatz auseinandergeht, um erst in der absoluten Vollendung des Prozesses als realisierte greifbar zu werden. Auslöschung der Gegensätze mit der Tendenz auf ein schließliches Hervortreten der „absoluten Mitte" liegt als Denkfigur aber nur den Texten zu Grunde, die im Umkreis der Abhandlung über Glauben und Wissen entstanden sind, nicht den späteren Schriften wie der Phänomenologie, Logik oder Rechtsphilosophie. Der Satztyp „das Ding ist Ich" stellt hier vielmehr ein „apodiktisches Urteil" dar, d. h. eigentlich einen Schluß, dessen Prämissen nicht ausdrücklich genannt sind ^®. Sofern die Verbindung von Urteilen, bei der die Möglichkeit, Wirklichkeit oder gesollte Notwendigkeit eines Verhältnisses ausgedrückt wird, zur ausschließenden Notwendigkeit dieses Verhältnisses stabilisiert wird, zielt sie auf die völlige Vermittlung der Gegensätze im Schluß. Aber sie nennt gerade nicht die zwingende Folgerung ohne die Prämissen aufzuführen, sondern läßt vielmehr in der Entfaltung der Prämissen eine gewisse Vielheit möglicher Beziehungen offen, von denen dann eine als ausschließend notwendige festgehalten wird, in der für den Fortgang des Prozesses die Tendenz auf das Hervortreten der „absoluten Mitte" am deutlichsten siditbar ist. Von der späteren Hegelschen Philosophie aus betrachtet, kann man sagen, daß sich bei dieser Form der Verbindung von Urteilen miteinander die einzelnen Urteile auf gewisse Weise noch äußerlich bleiben. Sie sind nicht wie im Schluß durchgehend notwendig miteinander verknüpft. Aus der Aufeinanderfolge solcher Urteilsverbindungen entsteht hier nicht eine in allen Stücken notwendig zusammenhängende Denkbewegung, die als Schluß aus Schlüssen schließlich einen in sich zurückgehenden Kreis bildet; der Prozeß bewegt sich vielmehr auf vielfältigen, u. U. verschlungenen Wegen auf das Ziel des Hervortretens der absoluten Mitte zu. Der Weg ist vom Ziel her nicht ausdeterminiert, das Ziel ist nicht « S. WdL II 307 f.

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als ein erreichtes oder prinzipiell erreichbares auf jedem Schritt des Weges gegenwärtig. Das Vorherrschen wechselseitiger Urteilsverbindungen bedingt nicht die Tendenz, diese Denkfigur ausschließlich zu verwenden. Einfache definitorische Bestimmungen, die in einer einzelnen Aussage die Wahrheit eines Sachverhalts zu fassen suchen, können daneben ebenso Vorkommen wie logische Schlüsse, in denen dynamische Sachzusammenhänge, Prozesse, Entwicklungsphasen oder dgl. durch die notwendige Verknüpfung mehrerer Sätze ausgedrückt werden. In der Logik von 1804 werden diese drei Formen des Erkennens als Entsprechungen der Grundformen des Denkens (Begriff, Urteil, Schluß) aufgeführt, aber so, daß das Erkennen erst im Schluß zu sich selber kommt und Wissenschaftlichkeit im strengen Sinn für sich beanspruchen kann. „Das Erkennen hat a) ein Eins, eine Definition, b) ist allgemeines, und zwar Einteilung, Construction. c) Aufhebung der Construction, Beweis" Wenn aber Hegel die Logik, die er als Erhebung von den Formen des endlichen zu denen des unendlichen Erkennens entwirft, als selber philosophische Einleitung in das System der Philosophie versteht, sie dem Ersten Teil des Systems, in dem von der Form des Erkennens her dessen Grundlegung entwickelt werden soll, im vollen Sinne zurechnet, so ist es konsequent, daß auch in der Entfaltung des Systems die Formen des endlichen Erkennens eine eigene Bedeutung haben, das System nicht rein im Medium des unendlichen Erkennens dargestellt wird. Wie in der Logik Schritt für Schritt die „formelle Identität" des Verstandesdenkens der „absoluten Identität" des spekulativen Erkennens der Vernunft nähergebracht wird und dies den ersten, wesentlichen Abschnitt des grundlegenden Teils der Philosophie bildet, so ist in der Entfaltung dieser Philosophie teils mehr äußerlich-formell, in der Form von Definitionen und Konstruktionen, teils mehr absolut-vermittelt, in der Form von Schlüssen vorzugehen. Die Unvollständigkeit der gedanklichen Vermittlung in der Konstruktion, insbesondere in der genannten Form der Verbindung von Urteilen S. LMN 115 Anm. 2 und 116 Anm. 1 und 2. Die Bedeutung der „Construction" für die wissensdiaftlidie Philosophie hat Sdielling in einem Aufsatz im Kritischen Journal deutlich unterstrichen (s. Werke 4. 277—293). Sofern Hegel das Erkennen in der Form bestimmter Urteilsverbindungen als „Einteilung" oder „Construction" beschreibt und dies in der Ausarbeitung seines Systems der Philosophie zur Geltung bringt, befindet er sich mit der Auffassung Schellings in Übereinstimmung. Sofern er aber, wie es in der zitierten Stelle des Manuskripts von 1804 eindeutig geschieht, die „Construction" aufhebt und erst im „Beweis" die Gnmdlegung des wissenschaftlichen Erkennens erblicht, ist mit dieser Position eine Kritik an Sdielling verbunden.

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miteinander ermöglicht ein stärker experimentierendes Verfahren, das sich immer wieder mit der empirischen Wirklichkeit auseinandersetzen muß und von der Erfassung dieser Wirklichkeit her bereichert und konkret gefüllt werden kann. Dabei entspricht es der Tatsache, daß die Logik (Reflexion) von Anfang an unter der übergreifenden Perspektive der Metaphysik (Spekulation) gesehen wird, wenn die Konstruktion als wechselseitige Urteilsverbindung von sich aus zum Schluß zu werden strebt. Die ideelle Form des Denkens wird der empirischen Seite des Erkennens gegenüber in einem Maße verselbständigt, daß sie sich dieser nicht hinreichend anpassen kann, um sich an ihr konkret bewähren und berichtigen zu können. b) Die logische Grundstruktur in den Entwürfen zur Entfaltung des Systems von 1802/03—1803/04 In dem Aufsatz Lieber die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts fordert Hegel gegenüber der „empirischen" und der bloß reflektierenden „formellen Behandlungsart" eine spekulativ-systematische, die von der Idee der „absoluten Sittlichkeit" ausgeht und ein „System des Sittlichen" entfaltet, das die Realisierung dieser Idee darstellt. Entsprechend dieser allgemeinen programmatischen Forderung wäre zu erwarten, daß sich 1802 in der Ausarbeitung dieses Abschnitts des Systems der Philosophie der Entwicklungsstand der Logik spiegelt, wie Hegel sie in den Vorlesungen dieser Zeit vorgetragen hat. Das ist aber merkwürdigerweise nicht der Fall, wie sich am Beispiel der Lehre von den Ständen zeigen läßt. Der Stand der „Freyen" (Adel und Aristokratie) repräsentiert nach der Darstellung im Naturrechtsaufsatz die Einheit, das Allgemeine, der Stand der „Unfreyen" (Bourgeoisie und Arbeitswelt) die Negation dieser Einheit durch die Besonderheit. Beide Stände bleiben in der höheren Einheit bzw. Allgemeinheit des Volkes vereinigt, weil der erste Stand durch seine Bereitschaft, sich für diese zu opfern, und durch den Vollzug dieses Opfers in der kriegerischen Abwehr äußerer Feinde (stellvertretend für die Gesamtheit des Volkes) die Hinsicht auf das höhere Allgemeine des Ganzen lebendig erhält In der einigenden und erhaltenden Kraft des Opfers für das sittliche Ganze des Volkes drückt sich eine Konzeption der „absoluten Idee" aus, die in Analogie zur Bedeutung der Tragödie für die griechische Polis so formuliert wird, daß sich das Absolute in den einzelnen Gestalten des Vgl. Werke 4. 455—459, auch zum folgenden.

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Weltzusammenhanges „in die Objektivität gebiert, in dieser seiner Gestalt hiemit sich dem Leiden und dem Tode übergibt, und sich aus seiner Asche in die Herrlichkeit erhebt''. Wie beim Stand der „Freyen" das Opfer für das Ganze des Volkes aus dem Tode Leben schafft, so soll der Weltzusammenhang im ganzen aus der Kraft des Opfertodes leben, durch die schließlich alle Gegensätze überwunden, miteinander versöhnt werden. Diese logische Grundstruktur, die noch einmal (wie in dem Fragment von 1799/1800 Der immer sich vergrößernde Widerspruch . . .) an HöLDERLINS tragische Weltdeutung erinnert, findet Hegel, auch in diesem Punkt mit HöLDERLINS Gedanken verwandt, in dem zentralen Satz der christlichen Dogmatik ausgesprochen, daß Gott selbst tot ist, daß er in Christus den Opfertod für die Welt gestorben ist, damit sie durch dieses Opfer leben, ihre Gegensätze überwinden kann. Die Relevanz dieses Ereignisses für die Geschichte der Menschheit und in ihr für die Geschichte jedes einzelnen wird in den Vorlesungen über Naturrecht, deren Schluß bei ROSENKRANZ überliefert ist, eindringlich entwickelt. Daß dies nicht als ein historisch-einmaliges Ereignis, sondern als logische Struktur für die systematische Erfassung des Weltzusammenhanges im ganzen zu verstehen ist, bringt Hegel am Ende des Aufsatzes über Glauben und Wissen in der Formulierung zum Ausdruck, daß es darum gehe, „das absolute Leiden oder den speculativen Charfreytag, der sonst historisch war . . . in der ganzen Wahrheit und Härte seiner Gottlosigkeit" zu begreifen, weil aus dieser „Härte allein . .. die höchste Totalität . . . allumfassend . . . in die heiterste Freyheit ihrer Gestalt auferstehen kann, und muß" Die systematische Entfaltung der „Idee der absoluten Sittlichkeit", die Hegel im System der Sittlichkeit im Frühjahr 1803 zu geben sucht, ist demgegenüber auf einer anderen logischen Struktur aufgebaut. Wenn auch die These Lassons: das System der Sittlichkeit verhalte sich zur Abhandlung über das Naturrecht „wie das eigentliche Werk zu seiner Einleitung" insofern richtig ist, als darin die im Naturrechtsaufsatz geforderte wissenschaftlich-systematische Behandlung des Problems des Sittlichen dargeboten wird, so täuscht sie doch darüber hinweg, daß in diesem Manuskript unter dem Aspekt der Logik neue Wege beschritten werden. Der Einfluß SCHELLINGS ist dabei unverkennbar. Die Erkenntnis der „Idee der absoluten Sittlichkeit" soll von der Identität von Anschauung und Begriff, d. h. gleichermaßen von physisch beWerke 4. 413 f. (Hervorhebung von mir); vgl. Rosenkranz: Hegel's Leben. 135—139. =» S. Pol. XXXVII.

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dingter sinnlicher und bewußtseinsmäßig-intellektuell vollzogener Erkenntnis aus entwickelt werden. Die systematische Entfaltung der in dieser Identität zur Einheit gebrachten Differenzen geschieht dadurch, daß jede Form der Erkenntnis einmal als allgemeine und das andere Mal als besondere betrachtet und jeweils die letzte als unter die erste subsumiert gedacht wird. In Wahrheit ist zwar das „Allgemeine . . . die Anschauung, das wahrhaft Besondere . .. der absolute Begriff", indem er die Besonderungen des Allgemeinen überhaupt erst hervorbringt. Aber auch der Begriff ist dabei nur eine Seite, „nur Ein Verhältnis, und also.. . nicht die absolute Gleichheit der Anschauung und Erkenntnis", in der das Subjekt-Objekt als absolut identisches repräsentiert ist. Darum ist die wechselseitige Subsumtion des Allgemeinen und Besonderen untereinander notwendig, wenn die besonderen Gestalten des sittlichen Geistes entwickelt werden sollen Die Totalität, zu der sich die Differenzen durch ihre vollkommen gleiche Entfaltung in beiden Hinsichten schließlich vereinigen, wird für den Bereich der Sittlichkeit als die Einheit des allgemeinen Volkes und der besonderen Individualitäten der einzelnen bestimmt. „Indem das Volk die lebendige Indifferenz, und alle natürliche Differenz vernichtet ist, schaut das Individuum sich in jedem als sich selbst an, es gelangt zur höchsten Subjektobjektivität" Hier wird im empirischen Bewußtsein angeschaut, was die logische Struktur des Ganzen der Welt bildet, daß sich Anschauung und Begriff, Allgemeines und Besonderes in der „absoluten Idee" vereinigen. Auch ScHELLiNGs Potenzenlehre wird in diese Form des logischen Deduzierens übernommen. Von der ersten Potenz der triebhaft-elementaren „natürlichen Sittlichkeit", die in ihrer Differenzlosigkeit angeschaut wird, führt die Deduktion zu der höchsten Potenz des bewußt entworfenen, in seiner Organisation begrifflich zu erfassenden sittlichen Ganzen des Staates. Im Gang dieser Deduktion kann die nächsthöhere Potenz oder Stufe jeweils nur erreicht werden durch den Übergang in ein Anderssein, „welches eine Bestimmtheit dadurch aufhebt, daß es eine andere setzt, und ... positiv immer in einem andern ist" Hegels eigene Denkvoraussetzungen kommen dabei durch die Einführung der „negativen Aufhebung" zur Geltung, in der die „Wahrheit und Härte" des Negativen, die im Naturrechtsaufsatz und in Glauben und “ S. Pol. 419. Vgl. den UnterscJiied zum Begriff des „Begriffs" in WdL II 239—264. “ Pol. 466. “ Pol. 450.

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Wisse« durch den Begriff des Opfers ausgedrückt worden ist, im Zusammenhang der wechselseitigen Subsumtion von Anschauung und Begriff untereinander in ihr Recht eingesetzt werden soll. „Dieses Negative oder die reine Freiheit geht auf die Aufhebung des Objektiven so, daß es die ideelle, in der Notwendigkeit nur äußerliche oberflächliche Bestimmtheit .. . zum Wesen macht, also die Realität (der natürlichen Sittlichkeit) in ihrer Bestimmtheit negiert." Die negative Aufhebung in diesem Sinn erscheint im Aufbau des Systems der Sittlichkeit als die reine „Freiheit oder das Verbrechen" Aber Hegel bleibt in diesem Manuskript nicht bei der Negation stehen, die — nach der früheren Auffassung — als solche bereits, durch ihre paradoxe Bejahung als Opfer, das Bestehende auf geheimnisvoll-unbegreifliche Weise im Sein erhält, mitten im Tod der Entzweiung immer aufs neue Leben entstehen läßt. Im Zuge der Herausentwicklung der „Idee der absoluten Sittlichkeit" wird das Negative selbst wieder negiert, eine „Aufhebung gegen die Aufhebung, Entgegensetzung gegen die Entgegensetzung" vollbracht Es kommt zu einer Vermittlung der Gegensätze, in der die vermittelnde Mitte die gegensätzlichen Bestimmtheiten in sich aufnimmt, um auf diese Weise am Ende selbst in ihrer Absolutheit hervorzutreten. Der Unterschied läßt sich vielleicht am besten deutlich machen, wenn man den logischen Aufbau der Ständelehre mit ihrer Exposition im Naturrechtsaufsatz vergleicht, wie dies bereits H. SCHMITZ in seiner Arbeit über den Schluß und das „unendliche Urteil" in den Jenaer Schriften getan hat Der erste Stand hält sich als „absoluter Stand" im Allgemeinen durch seine Arbeit, die eine an der Allgemeinheit orientierte ist (Schutz der Allgemeinheit gegen äußere Feinde im Krieg oder Sichbilden für ihn). Der zweite Stand oder „Stand der Rechtschaffenheit" ist demgegenüber ein anderes. Besonderes, in dem sich das Recht des Allgemeinen durch „physische Gewalt gegen die Besonderheit" geltend macht. Er ist aber auch ein Negatives, das die Allgemeinheit aufhebt: Arbeit für die besonderen Bedürfnisse, Erwerb von Eigentum. Damit das Ganze sich in seinem Bestand erhält, ist ein dritter Stand notwendig, der das Negative des zweiten wiederum negiert und so die Gegensätze zwischen diesem und dem „absoluten Stand" vermittelt. Er steht als Mitte zwischen beiden und weist auf die absolute Mitte der absoluten Sittlichkeit voraus. Die Arbeit des dritten Standes oder des „Standes der rohen Sittlich’■* Pol. 452 £. (Einfügung im Zitat von mir), s. auch zum folgenden. 55 Pol. 451. 5“ S. o. Anm. 41; zum folgenden vgl. Pol. 475—480.

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keit" geht nur mittelbar auf die „Zubereitung des Dings für das Bedürfnis" des einzelnen. Das Lebendige (Erde oder Tier), das den Gegenstand seiner Arbeit bildet, wird darin so bestimmt, daß es „für sich selbst sich produziert" und als fertiges Produkt der Allgemeinheit zur Verfügung steht. In seiner Arbeit führt der dritte Stand den ersten, zu dem er ein unmittelbares Zutrauen hat, zu seiner Totalität. Das zeigt sich auch, indem er sich „in der Gefahr des Tods" an diesen anzuschließen vermag. So hält der dritte Stand das Ganze der Gesellschaft im Gleichgewicht, das freilich auf einer höheren Stufe durch die „Systeme" der Regierung stabilisiert werden muß. Von diesen logischen Voraussetzungen aus gelangt Hegel in den Fragmenten zur Natur- und Geistesphilosophie von 1803lOd zu Denkformen, in denen schließlich seine Konzeption der Logik aus den Jahren 1801/ 02—1802/03 zur Anwendung kommt, wobei sie zugleich in entscheidenden Punkten weiterentwickelt wird. Der wesentliche Unterschied gegenüber dem System der Sittlichkeit liegt darin, daß die Differenzen, die aus der „absoluten Identität oder Indifferenz" hervorgehen, nicht mit Hilfe von Begriffen des subjektiven Erkennens (Anschauung und Begriff) deduziert und in ihrer Systematik aufgewiesen werden, sondern daß die Sache selber als Prozeß gedacht wird, indem sie sich in die Entgegensetzungen des Unbewußt-Naturhaften und des Bewußt-Intelligenten entfaltet und sich aus diesen Entgegengesetzten schrittweise wieder in die Einheit ihrer Überwindung zusammennimmt. Was im Naturrechtsaufsatz und in Glauben und Wissen als Programm auftritt und im System der Sittlichkeit der Tendenz nach vorhanden ist, sofern es im Aufbau des Ganzen und in einzelnen beispielhaften Abschnitten voll durchgeführt ist, daß das systematische Prinzip auch die Gedankenentwicklung im einzelnen bestimmt, wird nunmehr in der Entfaltung des gesamten Systems geltend gemacht. In den einzelnen Abschnitten und Unterabschnitten, soweit sie uns erhalten sind, wird die nächsthöhere Stufe jeweils durch eine „Aufhebung gegen die Aufhebung" erreicht. Die Gegensätze werden miteinander vermittelt, d. h in ihrer Überwindung wird ein Vorschein der Mitte sichtbar, die am Ende des Prozesses als die absolute Einheit aller Gegensätze erscheint. Diese Form der Vermittlung durch den Aufweis einer Mitte zwischen den Gegensätzen ist jedoch von der notwendigen, jeweils in einer eigenen Gestalt hervortretenden Vereinigung der Gegensätze im logischen Schluß zu unterscheiden, die nach der Wissenschaft der Logik von 1812/16 allein noch Vermittlung genannt werden kann. Das Aufheben dieser

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Vermittlung geschieht folgerichtig durch einen neuen Schluß, indem der Folgesatz des ersten Schlusses zur Prämisse für den neuen wird. Das Ganze der Gedankenentwicklung des philosophischen Systems stellt sich in diesem Zusammenhang als ein Schluß aus Schlüssen dar, wobei jeder einzelne Term an die Stelle des anderen treten kann, so daß schließlich „nichts an und für sich, sondern jedes nur vermittelst eines Andern ist" Im Systementwurf von 1803104 werden die Entgegengesetzten nicht auf jeder Stufe völlig miteinander vereinigt. Sie werden zumeist (vor allem in den ersten Kapiteln des „irdischen Systems" der Naturentwicklung; in der Mechanik und im Chemismus) so aufeinander bezogen, daß in ihnen ein Gemeinsames aufgewiesen wird und sie in der Hinsicht auf dieses Gemeinsame als indifferent gesetzt sind. Diese Indifferenz realisiert sich nicht als eine für sich bestehende Gestalt, sie ist als ideelle Bestimmtheit gedacht, die im Übergang von einem Gegensatz zum andern, der als „Aufhebung gegen die Aufhebung" vor sich geht, das bestimmende Prinzip für den Fortgang des Prozesses und die Richtung auf die schließliche Vollendung darstellt. Ich möchte dies an folgendem Beispiel deutlich machen. Am Anfang der „Mechanik" bildet die sichselbstgleiche Masse der Erde eine Einheit, der die einzelnen Massenpunkte als ihr Gegensatz entrissen werden. Diese Negation der Einheit wird dadurch selbst negiert, daß die Masse die ihr entrissenen selbständigen Punkte wieder an sich zieht. Die Gegensätze sind „verknüpft durch die Mitte, die in ihren beiden Seiten oder Gestalten Schwere und Bewegung ist". Die Mitte wird faßbar als die ideelle Bestimmtheit der „Linie des Falles". In der Realität ist aber im Falle bereits „unmittelbar eine der Fallbewegung entgegengesetzte Bewegung gesetzt", die Abstoßung, durch die die angezogene Masse eine gewisse Selbständigkeit behält. Daraus entsteht bei einem bestimmten Verhältnis von Anziehung und Abstoßung im einzelnen Körper eine „an ihr selbst sich bewegende Bewegung". Die Fallbewegung und die darin mitgesetzte entgegengesetzte Bewegung bilden die Voraussetzung für die Deduktion der „Wurfbewegung" Der Gegensatz der sichselbstgleichen Masse der Erde und des ihr entrissenen einzelnen Punktes läßt sich in den beiden Urteilen „Die Masse ist als anziehende ruhig tätig" und „Die Masse ist als angezogene bewegt untätig" zum Ausdruck bringen. Die Folgerung, die sich ergibt, wenn man beide Urteile wechselseitig miteinander verbindet, wird in der Schwebe gehalten. Sie bezeichnet nicht ein greifbares Phänomen, sondern S. WdL II 352. ''S S. Realph. I 18 f.

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eine Bestimmtheit, die sich von sich aus weiterbestimmt, bis in diesem Prozeß eine eigene Gestalt des der Erde entrissenen Punktes entsteht. Der Übergang von einer Bestimmtheit in die andere führt zwar auf eine höhere Stufe, zu einer neuen mechanischen oder chemischen Gesetzmäßigkeit, diese wird indessen nur als ideelle Größe aufgefaßt. Sofern die Extreme dabei als einander ausschließende Gegensätze zu erkennen sind, zeigt sich, daß ihre Vereinigung jeweils nur im Durchgang durch die „Null der Unendlichkeit" möglich wird. Eine ganze Reihe solcher Urteilsverbindungen führt dann zu einem logischen Schluß, in dem die „unendliche Einheit" der Entgegengesetzten selbst als eigene Gestalt hervortritt, die als für sich bestehend greifbar ist Die für sich bestehende Gestalt, die in sich selbst unendlich ist, wird am Anfang der „Physik" erreicht, wo die „physische Idee des Körpers" als eines in der Realität vorkommenden selbständigen Körpers entwickelt wird. Hier bekommt der Gestaltbegriff die für Hegel charakteristische dialektische Prägung, ohne welche die Darstellung der Phänomenologie des Geistes als eine Abfolge von „Gestalten des Bewußtseins" gar nicht denkbar ist. Das „Resultat der Mechanik" ist ein erster Begriff der Gestalt, des „einfachen Ineinandersetzens" der mechanischen Bestimmungen in der Sichselbstgleichheit der Erde und des ihr entrissenen Massenpunktes. Diese Gestalt ist aber nur erst „tote Gestalt". Sie ist sich noch nicht in ihrer Selbstauflösung gegenübergetreten, um sich aus ihrem Auseinandersein in eine neue lebendige Einheit zusammenzunehmen. Diese Entwicklung vollzieht sich im „Chemismus", aus dem die „physische Besonderung" hervorgeht. Die Vermittlung der Gegensätze wird absolute Vermittlung, aus der eine für sich bestehende Gestalt entsteht, indem sich die ursprüngliche Einheit in ihrer Entgegensetzung absolut negiert. Die Negation dieser Negation vollzieht sich nicht mehr als einfache Urteilsverbindung, sondern als logischer Schluß. Der Zusammenschluß der absolut Entgegengesetzten zu einer neuen Einheit ist aber „nichts als das Aufheben" ihrer selbst „oder die absolute Unendlichkeit", die ihre Gegensätze in sich aufgenommen hat. Die Einheit, die als Synthese aus der Überwindung von These und Antithese entsteht, ist selbst „unendliche Einheit" Vgl. Realph. I 33 (mit Anm. 1), 47 (mit Anm. 1) und LMN 30 f., 239. — Daß das Absolute nicht selbst als „absolut Identisches" erscheinen kann, sondern im Grenzfall durch „die bloße Null oder den absoluten Mangel an Realität bezeichnet ist", sagt auch Schelling bereits in seiner Allgemeinen Deduction des dynamischen Processes von 1800 (s. F. W. J. Sdielling: Werke. Hrsg, von M. Schröter. München 1927. Bd 2. 640). S. Realph. I 73 f., vgl. auch 62.

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Im Systementwurf von 1803104 muß man die unvollständige Form der Vermittlung durch wechselseitige Urteilsverbindungen als die eigentlich charakteristische ansehen, die nur an einzelnen herausgehobenen Stellen zu der Form einer absoluten Vermittlung durch einen logischen Schluß übergeht. In dieser Form hat die philosophische Spekulation nicht jene Apodiktizität, die durch den Aufbau aus reinen logischen Schlüssen entsteht. Sie vermag sich der empirischen Wirklichkeit gegenüber stärker offenzuhalten für die Bewährung und Berichtigung ihrer Ergebnisse. Die Vermittlung bestimmter Gegensatzreihen im logischen Schluß erweist sich schließlich — wie in jedem System der Philosophie, in dem das Ganze der Wirklichkeit deduziert werden soll — als Vorgriff auf die absolute Vermittlung aller Gegensätze am Ende des Prozesses. Diese ist auch in den vorläufigen, unvollständigen Formen der Vermittlung mit gesetzt. Das bedingt in der Ableitung der einzelnen Phänomene immer wieder schwere Unzuträglichkeiten, die sich vor allem bei der deduktiv-systematischen Entfaltung der Naturphilosophie zeigen werden. Sofern die wechselseitigen Urteilsverbindungen in der Bildung einer neuen für sich bestehenden Gestalt die stringente Form eines logischen Schlusses annehmen, stoßen wir an dieser Stelle zum erstenmal auf den Gedanken eines Kreislaufs der logischen Bestimmungen, der sich für die Entfaltung des Hegelschen Systems als der eigentlich entscheidende erweisen wird. Die Negation der Negation stellt auf gewisse Weise den Zustand vor der ersten Negation wieder her; das Denken kehrt nach dem Durchlaufen der entgegengesetzten Bestimmungen an den Anfang zurück. In diesem Sinn spricht Hegel in der Naturphilosophie von 1803/04 z. B. vom „Kreislauf der Elemente", in dem sich die Gestalt aus dem sie auflösenden Prozeß resümiert und ihre Einheit als „unendliche Einheit", die ihr Gegenteil an sich hat, wieder herstellt.

Exkurs: Zur Entwicklung des Gestaltbegriffs von 1804—1805/06 In der Naturphilosophie des großen Reinschriftmanuskripts von 1804 wird der Begriff der Gestalt als Grundbegriff der Naturentwicklung noch deutlicher herausgestellt, als es bereits in der Darstellung von 1803/04 geschehen ist. Die „Mechanik" steht in diesem Entwurf von Anfang an unter dem Thema „Konstruktion des Körpers oder der Gestalt" Im „Chemismus" wird sich die Gestalt ein anderes. Und in der „Physik" kehrt sie ** S. LMN 239. Im Manuskript ist, im Unterschied zur Ausgabe Lassons, nur das Wort „Gestalt" unterstrichen.

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zu sich zurück als die „unendliche Einheit", die im Prozeß der Natur zwar „zu Grunde aber als unendlich aus sich hervorgeht". Im Zusammenhang der naturphilosophischen Probleme werden also hier entscheidende Voraussetzungen des dialektischen Denkens entwickelt, von denen aus die Idee einer Überwindung der Entzweiung in der menschlich-geschichtlichen Welt durch das Denken vollziehbar wird. Die Dialektik gewinnt an diesem Punkt die für Hegel charakteristische Prägung, daß die Bewegung des sich realisierenden Begriffs, die zugleich die Bewegung der Sache selber ist, in der Aufhebung durch sein Gegenteil ihn nicht vernichtet, sondern erst zu seiner vollen Wirklichkeit führt. Von den „chemischen Elementen" heißt es demgemäß: „Das Aufheben ihres Bestehens ist die eigene Dialektik ihrer Natur, indem sie an ihnen selbst das Sichselbstgleiche der Flüssigkeit und die Bestimmtheit (eines für sich bestehenden Stoffes) sind.. . So ist das Aufheben für sie ein äußeres; es ist die negative Einheit oder die Gestalt, welche sie unter sich (zu sich selbst) zurückführt" ®-. Die zentrale Bedeutung des Gestaltbegriffs für die Entfaltung des Systems, zunächst vor allem der Naturphilosophie, tritt in der Realphilosophie von 1805/06 erneut zutage. „Gestaltung und Chemismus" werden zu den leitenden Prinzipien, die sich im Anschluß an die „Mechanik" ergeben und die ebenso den Aufbau der „Physik" wie den des „Organischen" bestimmen. Die Gestalt tritt sich in ihrer Auflösung als ihr absoluter Widerspruch gegenüber und resümiert sich wieder durch eine ebenso absolute Negation des Negativen zur unendlichen Einheit eines höheren Daseins. „Jedes ist selbst eine Sphäre des Außersichgehens und des Zurückkehrens in seinen Mittelpunkt." Alles Mannigfaltige steht unter diesem Gesetz; es bildet den notwendigen Zusammenhang eines Schlusses aus Schlüssen. Dies bringt freilich auch die Konsequenz mit sich, daß „man sich nicht mehr an die kleinlichen Erscheinungen, sondern an ihre Freiheit halten" muß, die mit dieser Notwendigkeit identisch ist ®®. Der „allgemeine Charakter der Gestalt" bedingt, daß die Erde als Substrat des natürlichen Prozesses so etwas wie eine Geschichte hat. Die S. LMN 274 und 272 f. — Ursprünglich bezeichnet Hegel mit „Dialektik" den Entwicklungsgang des Denkens von den Formen des endlichen zu denen des unendlichen Erkennens, d. h. die Denkbewegung der Logik, wie er sie 1801/02 — 1802/03 konzipiert. Dieser Gebrauch spiegelt sich noch in dem Manuskript von 1804: „Das Erkennen ist als in die Metaphysik übergehend das Aufheben der Logik selbst als der Dialektik oder des Idealismus." (LMN 132) Vgl. dazu Düsing a.a.O. (in Anm. 17). Die Weiterbildung der Dialektik zu dem später bei Hegel geläufigen Sinn ist offenbar in ihrer entscheidenden Phase mit der Entwicklung des Gestaltbegriffs verknüpft. S. Realph. (II) 32 f.

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„Wiederholung des Mechanischen und Chemischen im Physischen" wie auch auf einer wiederum höheren Stufe im Organischen führt zu einer „reflektierten Bewegung des Seins", die als Bewegung des „Selbsts an ihm selbst" den Begriff einer möglichen „Geschichte" der Erde wesentlich präziser faßt®^. Hegel stellt sich an dieser Stelle die Frage: „Hat die Erde eine Geschichte? Was ist Geschichte?" ®® Und am Schluß des ganzen Manuskriptes der Realphilosophie bemerkt er, daß die Entwicklung in der Natur nicht als Geschichte, sondern gewissermaßen als die bewegte Darstellung eines „ruhenden Kunstwerks" zu betrachten ist, weil diese Entwicklung nicht zugleich als eine in der Zeit verlaufende vorgestellt werden kann, wie dies bei der Geschichte der Gestalten des Bewußtseins der Fall ist, die als eine in der Zeit sich erstreckende mit Recht als „das angeschaute leere Selbst in seiner Bewegung" aufgefaßt werden kann. Die Geschichte der Gestalten des Bewußtseins bildet das begriffliche Gerüst der konkreten geschichtlichen Entwicklung, in der das Bewußtsein des Geistes, der die Geschichte trägt, schrittweise zu sich kommt. Die Bewegung des dialektischen Denkens, die an den Phänomenen der Natur als der „allgemeine Charakter der Gestalt" entwickelt worden ist, erweist sich also jetzt in der Darstellung der Naturproblematik als weniger angemessen im Vergleich zur Behandlung des Bewußtseins und seiner ideellen Geschichte, die als der „reine Begriff" der wirklichen Geschichte gelten kann. Es zeigt sich, daß die Natur im Fortgang des Hegelschen Denkens nur noch das uneigentliche Feld der Dialektik bilden wird, daß diese sich erst im Bereich des zu sich gekommenen Geistes voll zur Geltung zu bringen vermag ®®. *

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Realph. (II) 103 Anm. 5. Realph. (II) 109 Anm. 1. — In der Darstellung der Naturphilosophie von 1803/04 ist es für Hegel eindeutig, daß die Natur eine Gesdiichte hat und in ihrer Geschichte ein reales „Vorbild" für die Überwindung der Entzweiung in der menschlichen Gesdiichte ist. Das „allgemeine organische Schema der sich organisierenden Erde" steht zugleich für die Bedingungen der Entwicklung in der menschlichen Welt. Wie aus dem in sich dreifachen „Granit" der gesamte mineralogische Organismus hervorgeht, so bildet die „alte Welt" der Antike als in sich dreifache Wurzel die „vollkommene Ausbildung gegen die neue", europäische, in der die Entgegensetzung von Norden und Süden nicht durch einen „absolut festen Mittelpunkt" zu einer Einheit verbunden ist. (S. Realph. I 93—95, vgl. 90 f.) Eines solchen Mittelpunkts bedarf die neue, europäische Welt also, um die verloren gegangene Einheit wiederherzustellen. S. Realph. (II) 273, vgl. Phän. 559—564.

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ERSTER TEIL: LOGIK UND METAPHYSIK

c) Der Neuansatz des Manuskripts von 1804 Wie bei der Anwendung der logischen Grundstrukturen in den Entwürfen zur Entfaltung des Systems in den Jahren 1802/03—1803/04 so zeigt sich auch in der ausgearbeiteten Logik von 1804 eine Übergangssituation. Ein wesentlicher Einschnitt, der sich in den Manuskripten zur Natur- und Geistesphilosophie von 1803/04 schon vorbereitet hat, der sich aber erst auf Grund der Neukonzeption der Logik von der früheren Stufe deutlich abheben läßt, ist darin zu erblicken, daß nun in der Logik einerseits nicht mehr ein bloßer Aufstieg von den endlichen zu den unendlichen Formen des Erkennens dargestellt wird, der erst an ihrem Ende zu einer Selbstaufhebung der Endlichkeit und zur Grundlegung des unendlichen Erkennens der spekulativ-philosophischen Wissenschaft führt. Die neue Konstruktion bewegt sich auf der anderen Seite indessen auch nicht von Anfang an in der Dimension des Unendlichen, wie es später bei der Wissenschaft der Logik von 1812/16 eindeutig der Fall ist, so daß sie nicht schon selbst als Grundlegung des philosophischen Systems gelten kann, sondern noch als Einleitung zur Metaphysik als dem eigentlich grundlegenden Teil der Philosophie verstanden werden muß. In dem Manuskript von 1804 wird der Übergang vom Endlichen zum Unendlichen innerhalb der Logik vollzogen, aber die damit erreichte Unendlichkeit ist nur als formale, „logische Unendlichkeit" gedacht, die erst in der Metaphysik als inhaltlich bestimmte „realisierte Unendlichkeit" entfaltet wird. a) Die „einfache Beziehung" als Vorfeld der Unendlichkeit

Für den ersten Abschnitt der Logik von 1804 „Die einfache Beziehung" ist es charakteristisch, daß die Gegensätze der Qualität (Realität und Negation) und der Quantität (Einheit und Vielheit) noch nicht zu einer Vereinigung führen, die als vollständige Vermittlung in einer für sich bestehenden Gestalt hervortritt. Die Begriffe Grenze bzw. Allheit, die als Mitte zwischen den genannten Gegensätzen gedacht werden, sind ideelle Bestimmtheiten, die unmittelbar in sich einen neuen Gegensatz enthalten. Die „Grenze" ist nicht eine eigene, den Qualitätskategorien zugehörige Form des Erkennens, durch die Realität und Negation auf einer höheren Stufe miteinander vermittelt werden, wie dies durch den Begriff des „Werdens" in der späteren Nürnberger Logik im Blick auf Sein und Nichts als den ursprünglichen Gegensatz des Denkens geschieht. Sie gibt an, auf welche Weise sich Realität und Negation gegenseitig begrenzen; sie ist das „Und" zwischen den qualitativen Bestimmungen,

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das sie zu einzelnen macht, die sich in den andern auf sich selbst beziehen. Diese Beziehung wird damit als quantitative faßbar, als Beziehung des numerischen Eins auf die Vielheit einer Menge. Durch die quantifizierende Betrachtung schlagen die Qualitätskategorien unmittelbar in ihr Gegenteil um, diese Grenze selbst heißt „Quantität". Die Begriffe Sein und Nichts treten indessen in der Entfaltung dieser Beziehrmg schon hervor. Sie haben — wie es scheint — die Funktion einer rein formalen Erklärung, in der die in sich dialektische Struktur der Einheit von Realität und Negation ausgedrückt wird, ohne daß eine eigene Deduktion der dabei verwendeten Hilfsbegriffe erfolgt ist. Hegel formuliert: „In der Grenze ist das Nichts der Realität und der Negation gesetzt und das Sein derselben außer diesem Nichts." Dieser Satz besagt, wenn man ihn umkehrt, daß in der Grenze beide Bestimmtheiten, Realität als Bestinuntheit überhaupt und Negation als bestimmte Bestimmtheit „jede für sich, gleichgültig gegeneinander, außer einander bestehend gesetzt" sind, und jede zugleich als die Aufhebung der andern. „Die eine Seite ihres Inhalts ist die Realität, das Sein oder Bestehen der Bestimmtheiten." Zugleich aber ist „die Beziehung des Nichts der Qualitäten auf ihr Bestehen . .. eine solche, welche dies Sein ausschließt, d. h. nicht ein indifferentes Bestehen beider, sondern eine Negation, die sich auf sich selbst bezieht". Sie ist als Negation bereits eine „Synthese", Einheit von Realität und Negation, „in welcher zugleich beide bestehen, oder reale Qualität" Die Entfaltung des Begriffs „Allheit", durch den das numerische Eins und die Vielheit aufeinander bezogen, zu einer neuen Einheit gebracht werden, führt ebenfalls noch nicht zu einer eigenen, für sich bestehenden Denkform. Die Quantität überhaupt wird in der Allheit zur bestimmten Quantität, zur Einheit des numerischen Eins und seines Gegensatzes (der Vielheit) im Unterschied der Größe. So entsteht aus der Quantitätsproblematik unmittelbar das „Bedürfnis eines Größenunterschiedes und sie als ein Quantum zu bestimmen". Im Quantum wird die Quantität zu ihrem Gegenteil, zur rein numerischen Beziehung der vielen Eins. Im Manuskript fehlt sowohl (1) der Anfang des Absdinitts „C. Quantum", in dem der Übergang von der Quantität überhaupt zur bestimmten Quantität, dem Quantum, vollzogen wird, als auch (2) die Deduktion der Entgegensetzung, die dann im reinen Größemmterschied entsteht. Unmittelbar nacäi der zweiten Lücke ist von der Vereinigung der Entge-

” S. LMN 3-5.

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gengesetzten durch den Begriff der Zahl die Rede, die als „absolutes Maß" die Einheit jeder Art von „Größenunterschied" ist Von diesem Abschnitt her läßt sich folgendes erschließen: Nach Hegel müssen „der Grad ebensowohl als die kontinuierliche Größe . . . zur Zahl ihre Zuflucht nehmen, um als Quantum bestimmt zu sein". Zum Grad, der als „intensive Größe" sowohl das Einfache der sich äußernden Kraft als die Vielheit einer „größeren oder geringeren Menge" bezeichnet, ist als Gegensatz die Ausdehnung zu denken, die als „extensive Größe" das rein Äußerliche abzählbarer Mengen ausdrückt. Dem Grad und seinem Gegensatz, der extensiven Größe, steht als Größenbestimmung ganz anderer Art die „kontinuierliche Größe" gegenüber. Sie ist in sich einfach und hat „ihre Grenze ganz außer sich", sie ist als einzelne nicht eigentlich meßbar, sondern nur in ihrer Größe im Verhältnis zu anderen „kontinuierlichen Größen" bestimmbar. Ihr unmittelbarer Gegensatz, die „diskrete Größe", hat demgegenüber die Grenze „an ihr selbst als eine äußerliche gesetzt". So zeigt sich für den „Grad" und die „kontinuierliche Größe" von ihrem Gegensatz her: „In dem Quantum ist das Bezogensein überhaupt numerisches Eins, und die Vielen bezogenen ebenso; in der Zahl ist dieser Begriff des Quantums nicht die Form eines andern, sondern die vielen sind jedes ein numerisches Eins, und das Ganze ebenso." Später, in der sog. „großen Logik", werden diese Dinge etwas anders dargestellt: Die Begriffe „kontinuierliche" und „diskrete Größe" werden innerhalb des Kapitels „die Quantität" abgeleitet; nur der Gegensatz von „extensiver" und „intensiver" Größe erscheint in dem Kapitel „Quantum", nachdem zuvor die „Zahl" als das Prinzip des reinen Quantums entwickelt worden ist. Das Quantum wird als ein „in sich Diskretes" bestimmt, das „von der kontinuierlichen Größe zu unterscheiden" ist und das in dem Gegensatz des „extensiven" und „intensiven Quantums" auseinander geht ®®. Hier hat Hegel ein entschiedenes Bewußtsein davon, daß er mit der Dialektik der Größenunterschiede nicht mehr im Bereich der Kategorien und ihrer systematischen Ableitung bleibt, die ihr durch die KANTische „Deduction der reinen Verstandesbegriffe" vorgezeichnet ist. Er verweist in diesem Zusammenhang selbst auf die Antinomienlehre der „transzendentalen Dialektik", in der die Momente der Quantität (DisS. LMN 9—11, auch zum folgenden. Auf S. 9 fehlen in der Zeile 8 v. u. vier Manuskriptseiten, auf S. 10 in der Zeile 7 v. u. acht Manuskriptseiten, wobei die erste Lücke von Lasson überhaupt nicht kenntlich gemacht und bei der zweiten nichts über den Umfang des fehlenden Textes gesagt wird. S. WdL I 179 ff., bes. 213—217.

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kretion und Kontinuität) als der Gegensatz der zweiten kosmologischen Antinomie abgeleitet werden Da sich Hegel in Jena auf die KANTische Philosophie, gerade auch auf die Antionomienproblematik immer wieder bezieht, kann man annehmen, daß ihm dieser Zusammenhang auch bei der Konzeption des Manuskripts von 1804 bewußt gewesen ist. Dies gilt ebenso im Hinblick darauf, daß die Problematik der intensiven und der extensiven Größe bei KANT nicht in der „Analytik der Begriffe", sondern in der „Analytik der Grundsätze" behandelt wird, die den Begriffen ihre „objektive Gültigkeit" in der Anwendung auf die Gegenstände der Erfahrung sichern. Hegel kritisiert, daß bei KANT durch die „intensive Größe" der Empfindung „in das Wesen des Geistes . . . die Größenbestimmung" gebracht wird, d. h. eine äußere Bestimmung, während doch „sein Wesen vielmehr dieses ist, daß keine Bestimmtheit eine äußere, sondern eine in ihm schlechthin aufgehobene sei". Dabei kommt indessen nicht zur Geltung, daß bei KANT in diesem Zusammenhang offensichtlich von der „empirischen Erkenntnis", vom „Realen, was ein Gegenstand der Empfindung ist", nicht von der Empfindung als solcher, als einem Moment der reinen transzendentalen Apperzeption die Rede ist. Die KANTkritik tritt an dieser Stelle nur in einer Anmerkung zum Quantum (über das Problem des „absolut Kleinen") auf; sie berührt nicht den Gedankengang des Abschnitts im ganzen. Dieser führt zu dem Ergebnis: Sofern im Quantum das Ganze und die vielen einzelnen sich gleich sind, jedes ein numerisches Eins, hebt sich die darin gesetzte Grenze selbst auf. Bei der intensiven und bei der extensiven Größe ist mit der Feststellung eines bestimmten Quantums mitgedacht, daß ein unbestimmtes unendliches Quantum ausgeschlossen bleibt. Wie ferner die diskrete Größe ein „unendliches über die Grenze Hinausgehen" ist, so bedingt die kontinuierliche ein „unendliches sich in sich Teilen". Darin zeigt sich, daß die durch das Quantum gesetzte Grenze oder Bestimmtheit „keine Grenze oder Bestimmtheit ist". Somit „ist im Quantum der absolute Widerspruch" und mit der Absolutheit des Widerspruchs die Unendlichkeit gesetzt. Die Grenze oder Bestimmtheit erhält nur einen Sinn, wenn man sie nicht rein quantitativ oder äußerlich denkt, sondern in dem absoluten Sichaufheben der quantitativen Bestimmtheit im Quantum wieder ein Qualitatives am Werke sieht. Als absoluter erweist sich der Gegensatz überhaupt als das „Qualitative". Und da „er absolut ist, hebt er sich S. WdL I 183; vgl. Kant: Kritik der reinen Vernunft Ausg. B. 462—471, zum folgenden LMN 14 f. und Kant a.a.O. 202—218.

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ERSTER TEIL: LOGIK UND METAPHYSIK

an sich selbst auf, und das Absolute ist in seiner Ruhe des Aufgehobenseins ebenso absolut die Bewegung des Seins oder Aufhebens des absoluten Gegensatzes" Bei ScHELLiNG ist die „Form eines bloß quantitativen Unterschiedes" aber nicht — wie bei KANT — auf die Erscheinung begrenzt, sie soll vielmehr die Weise ausdrücken, „in welcher die Differenz überhaupt in Beziehung auf das Absolute oder an sich sei". Damit wird die Differenz, die sich der Indifferenz des Absoluten entgegensetzt, auf etwas rein Äußeres zurückgebracht, welches das Wesen nicht affiziert. „Zwischen Subjekt und Objekt ist (überhaupt) keine andere als quantitative Differenz möglich." Die Differenz als Gegensatz muß demgegenüber nach Hegel qualitativ bestimmt werden, damit sie nicht „außer dem Absoluten" bleibt, wie nichts außer diesem bleiben kann, sondern als selbst absolut begriffen wird. Es entsteht also nicht nur im Quantum ein absoluter Widerspruch, sondern in eins damit kommt es durch das Quantum zu einem Absolutwerden des Widerspruchs zwischen Qualitativem und Quantitativem, indem die Bestimmungen des Quantitativen zur absoluten Äußerlichkeit des reinen numerischen Eins zugespitzt und in dieser absoluten Zuspitzung aufgehoben werden. Das „Und" der Grenze hat auf diese Weise seine absolute Negation überschritten imd sich als die „unendliche Einheit" des Qualitativen und des Quantitativen gesetzt. Das Hindurchgehen durch die „Null der Unendlichkeit", von dem in den Fragmenten zur Naturund Geistesphilosophie von 1803104 im Hinblick auf die Vermittlung absolut Entgegengesetzter bereits die Rede war, wird jetzt so bestimmt, daß es „in keinem (Glied des Gegensatzes) stehen bleiben kann, sondern indem jedes von dem Und affiziert ist, durch dasselbe hindurch wieder zum andern getrieben wird, da die absolute Unendlichkeit . . . das absolute Und, die absolute Rückkehr der einfachen Beziehung in sich selbst oder das einfache unmittelbare Aufheben der Entgegengesetzten an ihnen selbst", damit aber ihre absolute Vermittlung zur „unendlichen Einheit" ist

” S. LMN 12 f., zum folgenden Schelling; Darstellung meines Systems der Philosophie (1801). § 28 (Werke a.a.O. Bd 3. 19). LMN 29 (Einfügung im Zitat von mir). — Ist die Unendlidikeit „an der Qualität", nicht als das Qualitative überhaupt, oder „an der Quantität", ohne den absoluten Übergang zur Qualität, gesetzt, so ist sie „schlechte Unendlichkeit", eine bloße „Menge von Qualitäten" oder ein Hinausgehen über jede angenommene Grenze „ins unendliche fort" (S. LMN 27 f.).

B. Die Logik ß)

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Das „Verhältnis" als „logische Unendlichkeit"

aa) Das „Verhältnis des Seins" In ihrer unendlichen Einheit sind Qualität und Quantität nicht mehr Bestimmungen der „einfachen Beziehung", sie bilden vielmehr die Voraussetzung zur Entfaltung der „vielfachen Beziehung und der Beziehung eines Vielfachen" Durch das absolute „Und" ergibt sich die Möglichkeit einer Zuordnung aller einzelnen Bestimmungen zur Ganzheit des sich bestimmenden Seins. Dabei können die einzelnen Bestimmungen wieder als Ganzheiten betrachtet werden, die in sich eine unendliche Vielheit zur Einheit verbinden. Das Sein erweist sich in seinen einzelnen Bestimmungen selbst als unendlich. Zwischen ihnen untereinander wie zwischen jeder einzelnen Bestimmung und dem Ganzen des Sichbestimmens besteht das Verhältnis des Unendlichen. Das zeigt sich — wie bereits früher angemerkt — besondern deutlich beim Verhältnis der Kausalität. Wenn man das Verhältnis von Ursache und Wirkung als die „unendliche Einheit" von Kraft und Äußerung denkt, ist die Ursache als Kraft gegenüber der Wirkung als ihrer Äußerung kein Inneres, das gegenüber dem Äußeren für sich bestehen kann, sondern in der Kraft ist die Äußerung (als Möglichkeit) mit gesetzt, und in der Äußerung ist die Kraft als wirkende (und damit auch als wirkliche) gegenwärtig. Beide sind eins, oder „es ist ein vollkommen leerer Unterschied, der Unterschied zwischen Kraft und ihrer Äußerung oder Innerem und Äußerem überhaupt" Die KANxisdie Kritik an HUME ist noch keine Widerlegung des empiristischen Skeptizismus, der überall nur einzelne Empfindung, aber keine Einheit, kein Verhältnis zu erkennen vermag. Die Notwendigkeit der Einheit von Ursache und'Wirkung bleibt eine subjektive; sie ist nur im Verstandesbegriff, nicht auch in der Erscheinung als solcher, so daß beide nach der KANiischen Lehre als in der Erfahrung verknüpft, aber nicht als notwendige, von Änbeginn bestehende Einheit begriffen werden. Aus dem Gesagten geht hervor, daß in der Einheit von Kraft und Äußerung auch die Verbindung von Möglichkeit und Wirklichkeit in der Notwendigkeit, die Hegel im vorhergehenden Abschnitt als die Momente des Substantialitätsverhältnisses behandelt, wieder aufgenonamen und mit dem Kausalitätsverhältnis zu einer Einheit verbunden wird. Denkt man die Kraft als Möglichkeit, ihre Äußerung als Wirklichkeit, daim ist auf Grund der Einheit von Kraft und Äußerung zugleich der S. LMN 34. ” S. LMN 44, zum folgenden 48 £.

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ERSTER TEIL: LOGIK UND METAPHYSIK

Widerspruch aufgelöst, „daß das Wirkliche ein Mögliches, oder das Mögliche ein Wirkliches ist" Wird das Substantialitätsverhältnis so als selber schon in sich unendliche Einheit bestimmt, so erweist sich das Zerfallen der Substanz in entgegengesetzte Substanzen, die zueinander im Verhältnis der Möglichkeit, Wirklichkeit oder Notwendigkeit stehen, als ein Problem des bloß reflektierenden Denkens, das sich noch nicht zur Unendlichkeit erhoben hat. Es wird in die Scheinproblematik der Frage nach der ersten Substanz als der ersten Ursache (Ur-sache) verwickelt. In Wahrheit ist im Kausalitätsverhältnis das Gegenteil unmittelbar selbst gesetzt; es sind ..nicht verschiedene Substanzen, nicht eine Ursache und ihre Wirkung in einer andern Substanz, nicht eine Entgegensetzung und unendliche sich erzeugende Beziehung, sondern eine einfache als Substanz" ^®. Die Problematik des unendlichen Sichbestimmens, die von FICHTE her für den Entwurf dieser Logik grundlegend ist, wird zurückgenommen in die Einheit einer alles umfassenden Substanz im Sinne des SPINOZA, die in sich selbst die Gegensätze der Möglichkeit und Wirklichkeit, der Kraft und Äußerung in einer notwendigen Einheit enthält. Möglichkeit und Wirklichkeit, sofern sie als Kraft und Äußerung gedacht werden, sind „nichts anderes als zwei Notwendige". Sie schließen sich im Kausalitätsverhältnis miteinander und mit den Momenten des Substantialitätsverhältnisses „in Eins zusammen". Die Einheit der Verhältnisse des Seins ist damit überhaupt als eine notwendige erfaßt. Das Kausalitätsverhältnis macht die Notwendigkeit des Verhältnisses der einzelnen Bestimmungen zueinander und zum Ganzen des sich bestimmenden Seins sichtbar. Es wäre nun konsequent, die notwendige Einheit von Ursache und Wirkung, in der auch die Einheit von Substanz und Kausalität ausgedrückt wird, als das Verhältnis der Wechselwirkung zu entfalten, wie es auf der Grundlage des Gedankens der Selbstverdopplung der Kraft, der im „Spiel der Kräfte" zugleich Einheit und Entgegensetzung, Ruhe und Bewegtheit zum Ausdruck bringt, möglich gewesen wäre Diesen Schritt vermag aber Hegel 1804 offenbar noch nicht zu vollziehen. Er bestimmt die Wechselwirkung im Sinne des Gleichgewichts verschiedener Kräfte, wie es der Logikkonzeption der vorhergehenden Jahre entspricht, so daß die Unendlichkeit als „paralysiert" erscheint. Die „Ruhe des Gleichgewichts" wrd als Übergang aus der „Tätigkeit im Kausalitätsver-

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S. LMN 39-41. S. LMN 64, zum folgenden 56. S. o. Anm. 32 und 34, auch zum folgenden.

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hältnis" zur „Nichttätigkeit" verstanden, in der sich die verschiedenen Kräfte im Grunde doch wieder als verschiedene Substanzen gegenüberstehen. Es ist jedoch wichtig, daß der Abschnitt über das Verhältnis der Wechselwirkung mit einer Anmerkung schließt, in der im Gegenzug gegen die formale Wechselwirkung von ihrem Wesen nach gleichen Kräften das Verhältnis des Seins überhaupt als „Übergehen" bestimmt wird. „Das Übergehen ist in Wahrheit die Substanzialität, die Bestimmtheit des Bestehens selbst." Das bedingt eine „Linie des Entstehens und Vergehens", die „vor- und rückwärts ins unendliche fortgeht", die in ihrer unendlichen Vielheit die Wirklichkeit als solche „zu einem entstehenden und darin vergehenden Sein der Substanz" macht Als Gegenbild zur „paralysierten Unendlichkeit" der Wechselwirkung wird das Sein als in sich dialektischer Prozeß gedacht, der in der „großen Logik" als Einheit des Seins und des Nichts im Werden von Anfang an die Kategorien des Seins als unendlich sich selbst hervorbringende erfaßbar werden läßt. ßß) Das „Verhältnis des Denkens" Im Verhältnis des Denkens, das für die „einfache Beziehung" von Einheit und Vielheit und für die Vielfachheit der Beziehung, die unendlichen Verhältnisse des Seins, die Bedingung der Möglichkeit aufzuweisen hat, müssen die Strukturen des Seins auf entsprechende Strukturen des Denkens zurückgeführt werden. Die Grundbegriffe des Verhältnisses des Denkens, das Allgemeine und das Besondere, bestimmen sich dabei nicht nur durch wechselseitige Subsumtion untereinander, wie es in der Methodik des Systems der Sittlichkeit zum Ausdruck kommt, sie müssen sich auch nicht zur „absoluten Unendlichkeit" der für sich bestehenden Einheit der Gegensätze allererst erheben wie die ersten Bestimmungen des Seins (die Bestimmungen der „einfachen Beziehung" als Qualität und Quantität). Die Formen des Denkens gehen von dem Standpunkt der Selbstentfaltung der Bestimmungen des Erkennens aus, die mit dem Abschluß der Darstellung der Formen des Seins als eines in sich unendlichen Verhältnisses erreicht ist. Das Denken ist noch als „Reflexion" bestimmt, die sich zur Spekulation erhebt, aber diese Reflexion vollzieht sich hier bereits in der Dimension der „logischen Unendlichkeit", wie sie im Verhältnis des Seins in vorläufiger Weise erreicht worden ist. Die Reflexion ist „Reflexion dieses Verhältnisses". Das Allgemeine ist „nicht reine Einheit, sondern erfüllte, das Sichselbstgleiche EinsS. LMN 71—75; vgl. zum folgenden WdL I 66—95.

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ERSTER TEIL: LOGIK UND METAPHYSIK

sein der Entgegengesetzten; das Besondere ist nicht eine Substanz (im Gegensatz zu anderen Substanzen), sondern das Unterschiedene ist als ein aufgehoben Gesetztes, seiend als nichtseiend, eine Bestimmtheit, aber nicht Bestimmtheit überhaupt, sondern sie an sich selbst, unendlich, oder gesetzt als solche" Auf Grund dieser Struktur kann der Begriff als „bestimmter Begriff" die „einfache Beziehung" und ihr Aufgehobenwerden im „Verhältnis des Seins" zum Ausdruck bringen. Der „bestimmte Begriff" geht über sich selbst hinaus, sofern in ihm die Bestimmtheit und ihre Entgegensetzung, die Reflexion, die ein Verhältnis zwischen verschiedenen Bestimmtheiten herstellt, gesetzt und beide „schlechthin eins" sind. Im Urteil wird demgegenüber eine Reflexion wiedergegeben, die „dem Begriffe selbst fremd" ist, in der die Formen der Beziehungen verschiedener Bestimmtheiten aufeinander und damit die Verhältnisse des Seins in ihrer jeweils besonderen Ausprägung artikuliert werden. Hier herrscht das Subsumtionsverfahren noch stärker vor, das für eine frühere Entwicklungsstufe der logischen Struktur des Hegelschen Denkens grundlegend war. Die so gewonnene Deduktion der Urteilsformen führt schließlich zu der gegenseitigen Subsumtion der beiden Hauptformen (hypothetisches und disjunktives Urteil) untereinander, in der Bestimmtheit und Reflexion in „einem und demselben Verhältnis sich entgegengesetzt" und zur Einheit miteinander verbunden sind In der gegenseitigen Subsumtion der Hauptformen des Urteils untereinander bleibt die Mitte zwischen den Extremen eine „leere Mitte". Die Einheit, die daraus entsteht, ist keine notwendige, wie sie im Kausalitätsverhältnis für das Verhältnis des Seins überhaupt erfaßt worden ist, sondern eine „problematische". Das „leere Ist des Urteils" wird zur notwendigen Verbindung von Subjekt und Prädikat, wenn die Mitte als „erfüllte Mitte" eine neue, für sich bestehende Einheit bildet, in der die Gegensätze absolut miteinander vermittelt sind. „Das Urteil ist zum Schlüsse geworden", der die gedankliche Grundlage für die Einheit der „einfachen Beziehung" und des „Verhältnisses des Seins" darstellt, in der das Mögliche als Kraft mit dem Wirklichen als deren Äußerung zur Notwendigkeit „in Eins Zusammengehen" Die Schlußlehre ist in der Logik von 1804 ihrer systematischen Bedeutung gemäß relativ ausführlich dargestellt. In einer Reihe von Randbemerkungen sucht sich Hegel über den Gedankengang dieses Abschnitts ™ LMN 76 (Einfügung im Zitat von mir). S. LMN 78 und 93. S. LMN 94 f.

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zu vergewissern. Der Schluß ist die logische Figur, in der das Denken „in sidi zurückkehrt", die „Einheit der Einzelheit und Allgemeinheit oder Besonderheit gegen das Allgemeine" ausdrückt, indem sie das Subsumiertsein der Extreme unter die Mitte und zugleich ihr Nichtsubsumiertsein ist. Dieser Widerspruch in der Einheit des Schlusses zeigt, daß die unendliche Einheit, wie sie auch in den Verhältnissen des Seins und des Denkens bereits auftritt, den Gegensatz zwar aufhebt, aber als aufgehoben in sich enthält. Die Einheit des Schlusses als eines absolut in sich gegründeten kommt in den Formen des „hypothetischen" und „disjunktiven Schlusses" zum Ausdurck, in denen sich die Doppelheit der Urteilsformen wiederholt. Sie führen zu der Beziehung des einzelnen durch das Besondere auf das Allgemeine Mit dieser Beziehung ist in dem Systementwurf von 1804 die höchste Stufe des reflektierenden Denkens erreicht, das sich als subjektive Begründung der Kategorien des Seins versteht und das von sich aus zur Erfassung der Einheit des Denkens und des Seins übergeht. Die Einheit der Verhältnisse des Seins und des Denkens im „wissenschaftlichen Erkennen"

Y)

aa) Die Gleichheit der Verhältnisse als „Proportion" Im Schluß realisiert sich, was als formale Struktur im „bestimmten Begriff" bereits gesetzt ist: Bestimmtheit und Reflexion bilden eine Einheit, in der die Bestimmtheiten selbst zum Verhältnis und die Verhältnisse zu Bestimmtheiten werden. Von dieser Voraussetzung aus können das „Verhältnis des Seins" und das „Verhältnis des Denkens" als einander völlig entsprechend erfaßt werden. „Und die Einheit von beiden ist die bestimmte Form, unter der sie entgegengesetzt sind, ist jedes dieser beiden, die an ihnen (d. h. an sich selbst), nämlich jedes an den andern aufgehoben sind" ROSENKRANZ stellt mit Recht heraus, daß Hegel im Begriff der „Proportion", der die „Gleichheit beider Verhältnisse" bezeichnet, an dieser Stelle den von PLATON im Philebos gebrauchten Terminus des [XETQOV aufS. LMN 97—107, bes. 97, 98 (mit Anm. 1) und 107. — Hier ist bereits angelegt, daß die Schlußlehre von Hegel in der „großen Logik" als die universale Beziehungsmöglichkeit der drei Größen E (Einzelnes), B (Besonders) und A (Allgemeines) dargestellt wird, so daß jeder Term einmal Mitte ist und einmal für eines der Extreme steht. Der Gedanke, daß das System als ganzes einen Schluß aus Schlüssen bildet (s. Enz. §§ 575—577), verlangt diese vollständige Erfassung der Schlußarten, die sich untereinander absolut notwendig zugeordnet sind, indem jede „die beiden übrigen voraussetzt". (Vgl. WdL II 308—352, bes. 324.) LMN 108 (Einfügung im Zitat von mir).

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nimmt, der die „bestimmte Einheit des Bestimmten und Unbestimmten, des n8QU5 und des uitEiQov" zum Ausdruck bringt und der in der Naturphilosophie von 1803/04 eine so entscheidende Bedeutung hat Genauer gesagt, wird in der „Proportion" folgendes als Einheit und in der Einheit als entgegengesetzt erfaßt: Die endlichen Formen der „einfachen Beziehung" (Qualität, Quantität, Quantum) und die Verhältnisse des Seins (Substantialitäts- und Kausalitätsverhältnis, Verhältnis der Wechselwirkung) auf der einen Seite, die Verhältnisse des Denkens (Formen des Begriffs, Urteils und Schlusses) auf der anderen Seite. Die Entfaltung dieser Einheit ist die Darstellung der Methode des „wissenschaftlichen Erkennens", das mit ihrer Erfassung einsetzt und sich in seinem Vollzug in dieser Dimension zu halten hat. Wie die Formen des Denkens im Gegenüber zu den Kategorien des Seins hat das „wissenschaftliche Erkennen", in dem dieses Gegenüber aufgehoben ist, drei Stufen. Es beginnt mit der „Definition", in der das Ganze des Erkennens und des zu Erkennenden „unter der Bestimmtheit der Besonderheit" gesetzt ist. Diese geht in ein Allgemeines über, das „sich in zwei aufeinander beziehende Definitionen dirimiert". Diese „Vervielfältigung der Definition" nennt Hegel „Einteilung" oder auch „Construction", denn das Allgemeine dieses Erkennens setzt seine Teile nicht für sich, wobei „es als sichselbstgleiche Einheit außer ihnen bleibt", „sondern es bleibt der Grund, die sie umfassende Sphäre, und sie schlechthin nur Teile, oder bezogen aufeinander". Die „Zurückführung der Teilung der Konstruktion zur Einheit der Definition ist der Beweis", aber so, daß das „Eins" der ursprünglichen Definition und ihrer Reflexion in sich „nicht nichts sind, sondern als aufgehobene oder als ideelle gesetzt sind". Das In-sich-Zurückgehen, das die logische Figur des Schlusses eingeführt hat, wird damit zur alles beherrschenden Denkbewegung ** Rosenkranz: Hegel's Leben. 105; vgl. Platon: Philebos 23 b — 27 b. S. u. in der Darstellung dieses Systemteils 172,178—180 und 187. S. LMN 111, 112 f. und 116 f. — In der Realphilosophie von 1805/06 ist am Ende eine Gliederung des Systems überliefert, nach der die „spekulative Philosophie" — ähnlich wie die Logik von 1804 — mit den Kapiteln „Sein" und „Verhältnis" beginnen soll. Im dritten Teil wird aber das Erkennen nicht als die zunächst noch unvermittelte Gleichheit der Verhältnisse des Seins und des Denkens eingeführt, sondern zuvor noch einmal die Objektivität im Begriff des „Lebens" als aufgehoben gedacht, damit sich dann — noch in der Logik selber — das „Erkennen" in der absoluten Einheit mit seinem Gegenstand entfalten kann. (Vgl. Realph. (II) 272.) Das führt in der „großen Logik" dazu, daß die „Methode des Erkennens" (als „synthetischen Erkennens" in den Stufen: Definition, Einteilung und Lehrsatz) selbst der inhaltliche Ausdruck der „absoluten Idee" ist (s. WdL II 450—477 und 484 bis 500). Die Phänomenologie repräsentiert in dieser Frage einen Entwicklungs-

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Die Erfassung des Ganzen des Erkennens bildet so etwas wie eine Deduktion der Deduktion, d. h. der wissenschaftlich-philosophischen Methode des Erkennens, der Spekulation, in der sich das Erkennen insgesamt zur Beweiskraft erhebt. „So ist an der Definition als solcher nicht dies, daß sie die in sich reflektierte Bestimmtheit ist, was im Erkennen sich erhält; sondern dieses ist die Reflexion und das Aufheben dieser Bestimmtheit, aber das Gewordensein einer andern, indem die aufgehobene mit ihrer entgegengesetzten ein Einfaches, die entgegengesetzte wieder außer sich Habendes wird — oder das Erkennen ist Deduktion” In der Deduktion folgt also auf die Synthese einer „in sich reflektierten Bestimmtheit" erneut eine Antithese, die dem Bewiesenen ein anderes noch zu Beweisendes entgegenhält, das mit ihr zu einer höheren Synthese vereinigt wird, usf. Diese Kette von Beweisen ist eine höhere Art des Schließens, das nicht von problematischen Urteilen allererst zu absolut in sich gegründeten Schlüssen kommt. Das deduktive Erkennen setzt von vornherein in der Dimension des absolut in sich Gegründeten ein, indem es überall die Einheit der Formen des Denkens und des Seins voraussetzt. Sofern die Unendlichkeit darin nicht mehr als formal, sondern als alles umfassende Realität gedacht wird, führt die Denkbewegung der Logik über sich hinaus zur Metaphysik. Am Schluß der Logik fehlt noch einmal ein entscheidendes Manuskriptstück, in dem das wissenschaftliche Erkennen als solches von den „drei Weisen" seines Vollzuges abgehoben wird. Hier muß sich der Sache nach die absolute Einheit des Erkennens und seines Gegenstandes (des Ansich des Erkennens) erweisen, denn es geht auf jeder Stufe der Deduktion in sich selbst zurück, erkennt sich als die Einheit des Erkennens und des Seins. Es ist als Erkennen „das Ansichselbstseiende, das Absostand der Logik zwischen der Realphilosophie von 1805106 und der Wissenschaft der Logik. Das Kapitel „Vernunft" hat einen ähnlichen logischen Status wie in dem Manuskript von 1804 die „Proportion", sofern darin von der zunächst nur formal gedachten Einheit des Seins und des Denkens zu ihrer inhaltlich vermittelten Einheit übergegangen wird. Die Phänomenologie setzt dabei freilich schon voraus, daß sich die Objektivität als „beobachtete Natur" (Leben) mit dem sich wissenden Bewußtsein (Erkennen) zur Einheit verbindet. Diese Einheit bleibt indessen noch abstrakt gegenüber ihrer absoluten Konkretion in der „sittlichen Welt", wo sich das Selbstbewußtsein in seinem anderen als sich selbst gegenübertritt (Geist). Eine unmittelbare Parallelisierung zwischen dem Kapitel „Vernunft" oder einzelnen Abschnitten daraus mit der „Proportion" und ihren Unterabschnitten aufgrund des Gleichklangs bestimmter Formulierungen (s. H. Schmitz: Die Vorbereitung von Hegels „Phänomenologie des Geistes" in seiner „Jenenser Logik" — In: Zeitschrift für philosophische Forschung 14 (1960), 16—39), übersieht den Unterschied der Konzeption, der schon ln der Realphilosophie von 1805/06 hervortritt. 8« LMN 122 f.

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lute, indem es das in sich Geschlossene, die absolute Reflexion ist, und indem es als diese Reflexion selbst die Allgemeinheit der in dieser gesetzten Gegensätze ist" Damit geht am Ende der Logik nicht wie in der Konzeption der Jahre 1801/02—1802/03 das Endliche ins Unendliche über, das im logischen Schluß zuerst die Bewegung des in seinen Anfang zurückgehenden Kreises vollzieht. Die Quantität, die sich nach dem Text von 1804 im Quantum zum absoluten Gegensatz der Qualität zugespitzt hatte, führte eben damit zu dieser zurück. Der Form nach hatte sich so die Unendlichkeit des Verhältnisses als das in der Einheit der Gegensätze der Qualität und der Quantität schon Vorausgesetzte erwiesen. Diese formale oder „logische Unendlichkeit" wird zur „metaphysischen Unendlichkeit", die „sich in das verdoppelte Verhältnis (des Seins und des Denkens) auseinander geworfen und (in der Proportion) zu sich zurückgekehrt ist" und sich dadurch realisiert hat. ßß) Das Erkennen als „in sich zurückgehender Kreis" An dieser Stelle ist ein wichtiges Fragment zu erwähnen, das der Sache nach zu dem verlorengegangenen Anfang des großen Manuskripts zur Logik, Metaphysik und Naturphilosophie von 1804 gehört, das aber wohl bereits vor dessen Niederschrift entstanden ist Die beiden Anmerkungen zum Anfang des Systems, also wohl zu einem der Logik noch vorhergehenden einleitenden Abschnitt, die in diesem Fragment überliefert sind, machen deutlich, daß die Unendlichkeit, in der das Erkennen sich mit seinem Ansich als identisch begreift, in gewissem Sinne für die Logikkonzeption dieses Manuskripts von Anfang an zu gelten hat. „Die Philosophie als das absolute Erkennen ist unmittelbar als ein solches gesetzt, welches von keinem Andern, werde dies Andere als Erkennen oder Sein gedacht, abhängt oder dasselbe voraussetzt." Das ist in einem „absolut ersten Satz" für das gesamte System der Philosophie festzulegen. Die Bewegung des Denkens, die von diesem Satz ausgeht, hat nicht die Form einer „ins Unendliche hinausgehenden geraden Linie", sondern die „einer in sich zurückkehrenden Kreislinie". Damit gilt nicht nur für den Anfang, sondern ebenso für den Fortgang LMN 128 f., s. auch zum folgenden Zitat (worin die Einfügungen von mir). Auf S. 128 sucht Lasson durch die Konjektur des Wortes „gegen" den Bruch zu kitten, der durch das von ihm nicht erwähnte Fehlen von vier Manuskriptseiten entsteht. S. Realph. I 264—268; zur Datierung vgl. Hegel-Studien 4 (1967), 162 f. Dieses Stück gehört mit dem von Hoffmeister vorher abgedruckten Fragment „C. Die Wissenschaft" (Realph. I 259—264), das eine Vorfassung des letzten Kapitels der Phänomenologie enthält, nicht zusammen.

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und das Ende, daß die Philosophie absolutes Erkennen ist, sonst „würde auch dasjenige, was der erste Satz hieße, nicht absolutes Erkennen sein". Diese Feststellung bildet einen entscheidenden Schritt in der Entwicklung des Hegelschen Systems, insbesondere in der Darlegung der Grundlegungsproblematik. Diese hat in einer ersten, gewissermaßen „reinen", d. h. von allen Fragen eines besonderen Inhalts abgesehenen Weise das Erkennen als einen sich in sich schließenden Kreis dazustellen, das am Ende in seinen Anfang zurückgeht. So wird eine völlige Selbstdurchsichtigkeit des Erkennens erreicht, weil es sich selbst als sein Ansich begreift. Hat diese Konzeption aber nicht zugleich einen äußerst problematischen Aspekt? Sie steht im Zusammenhang mit der Tatsache, daß in diesem System von einem allgemeinen Prinzip aus das Ganze der Welt erklärt werden soll, wie es durch den FiCHXESchen Grundsatz des unendlich sich bestimmenden Ich und auch durch den Aufbau des ScHELUNGschen Systems der Philosophie vorgegeben ist, nach dem sich die absolute Indifferenz von Subjekt und Objekt in eine Vielheit einzelner Gestalten differenzieren und schließlich zu der Einheit ihrer absoluten Identität zurückkehren soll. Im absoluten Erkennen im Sinne Hegels wird für diese Art von philosophischer Systematik die adäquate logische Form entwickelt. Von seiner ursprünglichen Fragestellung aus, wie die Positivität der Formen des geschichtlichen Lebens aufgehoben werden kann, hätte es für die spezifische philosophische Aufgabe, die sich daraus ergibt, zur KANxischen „Kritik" der reinen Vernunft das entsprechende „System" aufzustellen, auch andere Wege der Bearbeitung gegeben. Der Ansatz der FicHXESchen Wissenschaftslehre, aus der Einheit des Ich, das sich als Allgemeines absolut selbst bestimmt, die Vielheit des einzelnen und Besonderen abzuleiten, bildete aber auch für die Systementwürfe des jungen ScHELLiNG, auch Wenn sie diesen Ansatz zu erweitern suchten, die selbstverständliche Voraussetzung Die „Differenz" zwischen beiden hat Hegel darin erblickt, daß von SCHELLING ein Schritt getan wird, der bei FICHXE schon angelegt, aber noch nicht vollzogen ist. Die Selbstaufhebung der Reflexionsphilosophie, die bei FICHXE nur von einer Seite der absoluten Subjekt-Objekt-Identität ausgeht, sucht Hegel in ZusammenarDaß Schelling der Sache nach von Anfang an andere, von Fichtes Grundproblem unterschiedene Fragen in seiner systematischen Arbeit zu lösen sucht (s. IV. Wieland: Die Anfänge der Philosophie Schellings und die Frage nach der Natur. — In: Natur und Geschichte. K. Löwith z. 70. Geburtstag. Stuttgart-BerlinKöln-Mainz 1967. 406—440), ist ihm selbst zunächst nicht bewußt. Auch nach dem Bruch mit Fichte möchte er zunächst seine Arbeit als eine konsequente Weiterentwicklung des Fichteschen Ansatzes verstanden wissen.

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beit mit SCHELLING durch die Aufhebung dieser Einseitigkeit zu realisieren Auf diese Weise bleibt seine auf dem Boden der ScHELLiNGschen Systematik entworfene Konzeption der Philosophie an den FiCHXEschen Ansatz zurückgebunden, die Vielheit des Besonderen auf die Einheit eines Allgemeinen zurückzuführen, das, als sich selbst absolut bestimmend, die Voraussetzung der einzelnen Bestimmungen bildet.

Dadurch wird Hegel auf den Weg gebracht, die Philosophie als absolutes Erkennen aufzufassen, das an seinem Ende in den Anfang zurückläuft. Im Zusammenhang der Logikauffassung, wie er sie in den Jahren 1801/02—1802/03 vertreten oder wie er sie in den Manuskripten zur Natur- und Geistesphilosophie von 1803/04 noch angewendet hat, hätte sich ebenfalls eine Selbstdurchsichtigkeit seines Denkens in der Einheit mit seinem Gegenstand erreichen lassen, ohne daß notwendigerweise die Konsequenz eines Denkens, das sich völlig in sich abzuschließen sucht, damit verbunden gewesen wäre. Die Formen des endlichen Erkennens hätten in der philosophischen Arbeit eine bleibende Bedeutung behalten können, indem das Denken sich als Weg zum Unendlichen, als Tendenz zur Erfassung des Ganzen aus einem Prinzip, nicht als die in sich abgeschlossene Selbstdarstellung dieses unendlichen Ganzen begriffen hätte. Obgleich nach dem erwähnten Fragment zum Anfang des Systems dieses auf dem Standpunkt des absoluten Erkennens, wie er in dem Satz von der Einheit des Erkennens und seines Ansich ausgedrückt wird, einzusetzen und sich allenthalben auf diesem Standpunkt zu halten hat, bemüht sich Hegel in der ausgearbeiteten Logik von 1804, in der Kontinuität mit seinen früheren Auffassungen, zunächst einmal darum, den „Schein" zu widerlegen, der die „sogenannte Erfahrung" im Unterschied zur „wahrhaften Erfahrung" des absoluten Erkennens kennzeichnet, „daß das Erkennen in einem denkenden Subjekte an und für sich, außer ihm aber der Gegenstand des Erfahrens für sich unabhängig von demselben bestehe" In der Logik selbst soll dieser „Schein" aufgehoben, schrittweise widerlegt werden, und zwar so, daß er selbst ein notwendiges Moment der Philosophie ist und bleibt.

Damit deutet Hegel die Problematik der Schellingschen Philosophie — in Übereinstimmung mit dessen eigenem Selbstverständnis (s. vorige Anm.) — stärker in den Horizont des Fichteschen Ansatzes zurück, als dies von der Sache her möglich ist. Die wirklidien Differenzen zwischen Fichte und Schelling kommen so in der Differenzschrift gar nicht zur Sprache. Und die Gemeinsamkeit zwischen Hegel und Schelling beruht auf einer zu stark von Fichte ausgehenden Interpretation des Schellingschen Denkens. Realph. I 267 f.

B. Die Logik

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Die „einfache Beziehung" kommt als solche noch nicht zu einer für sich bestehenden unendlichen Einheit der Gegensätze der Qualität und Quantität, allenfalls zur „schlechten Unendlichkeit" des progressus ad infinitum, in der „jedes einzelne gesetzte Glied ein bedingtes bleibt" Erst durch die Erfassung der Absolutheit des Gegensatzes zwischen Qualität und Quantität im Quantum wird deutlich, daß die Unendlichkeit ihrer logischen Form nach in diesem Gegensatz schon enthalten ist. Die damit erreichte „logische Unendlichkeit" des Verhältnisses durchläuft nun die Verdopplung in das „Verhältnis des Seins" und das „Verhältnis des Denkens", sowie die Verbindung beider Verhältnisse in der Einheit des „wissenschaftlichen Erkennens", das sich selbst als sein Ansich begreift. Es wird also erst nach dieser philosophischen Widerlegung des „Scheins" der vorphilosophischen Erfahrung der Grund dafür angegeben, daß in der Philosophie „ihr Letztes ebensowohl ihr Erstes ist" ®®. Am Anfang der Metaphysik, wo sich endgültig rechtfertigt, daß die Logik als der erste Teil des philosophischen Systems mit der „Einheit als dem sich selbstgleichen" zu beginnen hat, wird verschiedentlich auf eine allgemeine Einleitung in das System der Philosophie zurückverwiesen, die diese „Rechtfertigung" in einer ersten vorläufigen Form zu erbringen hat. „Hier", am Anfang der Metaphysik, ist definitiv erwiesen, „daß das Viele an sich in der Tat nur sei als das Entgegengesetzte, nur als in Beziehung mit dem andern. Und diese Differenz ist es eigentlich, zu welcher sich das nichtphilosophische Denken aus dem Anschauen zunächst erheben, aus der Gleichgültigkeit des Vielen heraustreten muß" An einer etwas späteren Stelle heißt es dann, daß die Zerstreuung des „gemeinen Denkens" in das Viele „gleich im Anfang der Philosophie aufgehoben worden ist". Dies gilt indessen vor dem Eintritt in den Kreis des Systems der Philosophie nur „für uns". Nachdem der „Schein" des zufälligen Anfangs am Beginn der Metaphysik endgültig widerlegt worden ist, „ist es nicht nur für uns, sondern das ,uns', für die es so ist, ist jetzt der Gegenstand unserer Betrachtung selbst". Für diese Position ist, genau betrachtet, in der Voraussetzung nicht bereits das Resultat enthalten, daß das Erkennen sein eigener Inhalt ist; dieses ist vielmehr durch einen eigenen „Gang des Erkennens" hervorzubringen. Das Resultat kann umgekehrt nicht für sich stehen, ohne den Weg, der dazu geführt hat; sondern das Ganze dieses Weges „ist selbst das Resultat". Die philosophische Widerlegung der scheinbaren S. Realph. I 264; vgl. o. Anm. 72. Realph. I 266. *■* S. LMN 133 f. und 138, zum folgenden 165.

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Gewißheit des „gemeinen Denkens", das die Entgegengesetzten, Erkennen und Gegenstand, „zu substantiieren und ihnen dadurch den Schein eines besonderen Fürsichbestehens zu geben" sucht, konstituiert die Gewißheit des Wissens, daß sich das Erkennen als ein in sich zurückgehender Kreislauf zu vollziehen hat, der die Einheit von Erkennen und Gegenstand voraussetzt, und die Momente dieser Einheit als einen Kreis aus Kreisen entwickelt Diese Widerlegung des Scheins wird in der weiteren Entwicklung des Hegelschen Denkens die Aufgabe einer eigenen Wissenschaft, der „Wissenschaft der Phänomenologie des Geistes", in der das Bewußtsein von der untersten Stufe einer bloß sinnlichen Gewißheit, die keine andere Wahrheit als die des „Meinens" für sich hat, zur Wahrheit und Gewißheit des „absoluten Wissens" erhoben wird, wo es endgültig „den Schein ablegt, mit Fremdartigem, das nur für es und als ein anderes ist, behaftet zu sein" ®®. Die beiden Anmerkungen zum Anfang des Systems haben also im Rahmen der Konzeption des Manuskripts von 1804 das Thema der Phänomenologie schon anklingen lassen, das in der Folgezeit bis zum Erscheinen dieses ersten großen Werkes das Denken und die Arbeit Hegels beansprucht hat. Die allgemeine Einleitung gewinnt im Zuge dieser Arbeit immer mehr an Gewicht und wird schließlich zu einem eigenen Teil des Systems. Welche Rückwirkung es auf die Logik hat, daß die allgemeine Einleitung selbst Teil des Systems wird, für dieses eine grundlegende Bedeutung bekommt, soll hier nicht untersucht werden. Denn in dem Systementwurf von 1804 fällt die Aufgabe der endgültigen Widerlegung des „Scheins" der Verschiedenheit von Erkennen und Gegenstand und die Hervorbringung der Gewißheit des „wissenschaftlichen Erkennens", das von der Gleichheit der Verhältnisse des Seins und des Denkens ausgeht, der Logik im ganzen zu, die auf diese Weise als philosophische Einleitung in die Philosophie die Metaphysik als deren eigentliche Grundlegung in ihrer Wissenschaftlichkeit ermöglicht. Der Ansatz dieser Logik gehört also in diesen Zusammenhang der Begründung einer „rein wissenschaftlichen Bearbeitung der Philosophie", von der Hegel im September 1804 in einem Brief an Goethe spricht ®^, und er bewirkt, daß seit dem Wintersemester 1804/05 in den Vorlesungsankündigungen nicht mehr von „philosophiae systema Universum", sonS. Rosenkranz: Hegel's Leben. 189, Realph. I 266 Anm. 1 und 2, LMN 134 und Dokumente zu Hegels Entwicklung. 308 f. S. Phän. 75. S. Briefe. Bd. 1. 85.

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dem von „tota philosophiae scientia" die Rede ist. Es entsteht die Konzeption eines „Systems der Wissenschaft", in dem auf die einleitende und grundlegende „Wissenschaft der Phänomenologie des Geistes" zunächst die eigentlich grundlegende spekulative Wissenschaft (die sich von der zweigeteilten „Logik und Metaphysik" zu einer selber metaphysisch aufgefaßten „Wissenschaft der Logik" entwickelt) und dann die Entfaltung der Philosophie, die realen Wissenschaften als die „Wissenschaften der Natur und des Geistes", folgen sollen

Exkurs: Zur Einführung des Zweckbegriffs in der Realphilosophie von 1805106 Die Logik von 1804 sucht insgesamt zu begründen, was in der allgemeinen Einleitung zum System aus dieser Zeit als die Voraussetzung der Philosophie angegeben wird, daß das „wissenschaftliche Erkennen" als ein in sich zurückgehender Kreis verläuft. Die Darstellung dieser Logik zeigt aber, was in anderen Texten aus dieser Zeit ausdrücklich formuliert wird *®, daß für diese Systemkonzeption „das Resultat und der Gang des Erkennens" nicht in dem Sinne auf die Voraussetzung bezogen sind, daß sie nur entfalten, was in dieser bereits angelegt und in seinen Momenten enthalten ist. Dies wäre aber notwendig, damit das Denken wirklich als Kreisbewegung, als ein Kreis aus Kreisen vor sich gehen kann. Voraussetzung, Gang des Erkennens und Resultat lassen sich in der genannten Weise aufeinander beziehen durch die Einführung eines Begriffs, den Hegel in der philosophisch-systematischen Arbeit der Jahre 1800—1804 gerade zu vermeiden sucht. In den Vorlesungsmanuskripten von 1805106 nimmt Hegel in Verbindung mit einer neuen Rezeption und Durcharbeitung des ARISTOTELES den Zweckbegriff an zentraler Stelle in sein Denken auf. Daß er vorher diesen Begriff auch in der Entfaltung der Naturphilosophie nicht verwendet, obgleich SCHELLING unbefangenen Gebrauch davon macht liegt wohl daran, daß er das MißverständS. Hegels Selbstanzeige der Phänomenologie in der Jenaisdien Allgemeinen Literatur-Zeitung. Bd 4. Jena und Leipzig 1807. 694. Vgl. Anm. 95. S. den Bericht von G. A. Gabler: Hegel in Jena i.J. 1805/6 — In: HegelStudien 4 (1967), 71 mit Anm. 8; vgl. audi die von W. Kern veröffentlichte Übersetzung Hegels aus Aristoteles: De anima III. — In: Hegel-Studien 1 (1961), 49—55. S. Ideen zu einer Philosophie der Natur (2. Aufl. 1803). — In: Werke a.a.O. Bd 1. 704—706; vgl. u. im Zweiten Teil Abschnitt A, s. dort Anm. 29.

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nis eines ,,teleologischen Technizismus" im Sinne KANTS, der die Zweckmäßigkeit bloß in der „Einheit des Subjekts" begründet sein läßt, auf jeden Fall vermeiden möchte In den Manuskripten zur Natur- und Geistesphilosophie von 1805/06 tritt der teleologische Grundzug des Hegelschen Denkens zum ersten Mal deutlich in den Vordergrund Nach der Darstellung dieses Textes ist in der Voraussetzung bereits im einzelnen enthalten, „was werden soll", so daß die Entwicklung der Sache im Gang des Erkennens nichts anderes darstellt als ein Herausentwickeln des vorausgesetzten Zweckes Damit ist eine wesentliche Bedingung geschaffen, um die Kreisbewegung des Denkens konsequent vollziehen zu können. Der Fortgang des Hegelschen Denkens über die Jenaer Zeit hinaus, der Aufbau und Ausbau seines Systems, führt zu einer immer weitergehenden grundlegenden Verwendung des Zweckbegriffs, so daß schließlich, in der Encyklopädie der philosophischen Wissenschaften, vorzugsweise vom „Endzweck" des Geschehens in Natur und Geschichte die Rede ist. Die Möglichkeit der zusammenhängenden Entfaltung des Systems der Philosophie als ganzen scheint mit der grundlegenden Bedeutung dieses Begriffs eng verbunden zu sein. Der Systementwurf von 1804, in dem der Zweckbegriff noch nicht vorkommt, läßt sich jedenfalls nicht zu Ende durchführen. Er bricht bei dem Begriff des Organischen in der Entfaltung der Naturphilosophie ab. Die kurz vorher konzipierte mystisch-theosophische Systemkonstruktion, aus der nur Teile aus der Metaphysik erhalten sind ^®®, hat ebenfalls bis zu diesem Punkt, genau genommen: bis zum Begriff des Tieres, geführt. Eben an diesem Punkt hilft der Zweckbegriff nun weiter. „Dies Verhältnis zur unorganischen Natur (daß sie sich ihm vereinzelt) ist der allgemeine Begriff des Tieres; es ist Einzelnes, das sich zu Einzelnem als solchem verhält, eine in sich reflektierte Einheit verschiedener Einzelheiten. Es existiert als Zweck, der sich selbst hervorbringt, ist eine Bewegung, welche in dieses Individuum zurückgeht" ^®'’. In seiner Arbeit über das „unendliche Urteil" und den Schluß beim Jenaer Hegel hat SCHMITZ bereits gezeigt, daß mit dieser Konzeption 102 vVerke 4. 341 f. Vor diesem Versuch einer Abgrenzung gegen Kant, in den Jugendschriften, verwendet Hegel den Zweckbegriff ebenfalls recht unbefangen (s. Jschr. 364, 390 Anm. a, 396 f.). S. Realph. (II) 20, 54, 97, 141, 210 f., 242 u. ö. S. Realph. (II) 245 Anm. 2. S. u. Anm. 162. — Die Datierung des Fragments „Vom göttlichen Dreieck" wird in Hegel-Studien 4 (1967), 161 f. begründet. Realph. (II) 141 (Einfügung im Zitat von mir).

B. Die Logik

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die Anwendung der logischen Figur des Schlusses in der gesamten Entfaltung der realphilosophischen Teile des Systems der Philosophie einhergeht weil diese allein das Zurückkehren des Denkens in sich selbst adäquat zum Ausdruck bringt. In den genannten Manuskripten heißt es von dem Verhältnis Ich und Ding, das für alle anderen Verhältnisse grundlegend ist: „Aber gerade in ihrer Einheit und in ihrer Entgegensetzung sind sie aufeinander bezogen und indem beides ein Anderes ist als sie, ist es ihre Mitte, die sie bezieht. Es ist ihr Schluß gesetzt; sie sind, insofern sie entgegengesetzt sind, in einem Dritten eins" Indem der Schluß „in seiner Unendlichkeit" ^®® der Bewegung des Denkens an ihrem Anfang wie an jeder anderen Stelle seine Form gibt, kann und muß sie völlig in der Dimension des Unendlichen verlaufen. ■X

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d) Der Übergang zur Logik als einer selbst metaphysisch konzipierten Grundlegung Das System der Philosophie, das auf der Grundlage der Logik von 1804 aufgebaut ist, bleibt also nicht aus irgendwelchen äußerlichen Gründen fragmentarisch. Dies entspricht der Übergangsform dieser Logik. Die Kreisbewegung des Denkens wird gefordert und in ihrer wesentlichen Voraussetzung, der Einheit von Erkennen und Gegenstand, durch die Entfaltung der Logik auch begründet. Aber sie wird nicht in dieser Logik selbst von Anfang an vollzogen. Zunächst einmal gilt es, den „Schein" einer äußerlich-quantitativen Vermittlung der Gegensätze zu widerlegen, der im Bereich der „einfachen Beziehung" entsteht und der die vermeintliche Gewißheit des endlichen Verstandesdenkens zum Ausdruck bringt ^^®. die „formale Unendlichkeit" des Verhältnisses, in der die vielfache Beziehung als Beziehung Vielfacher aufgewiesen wird, ist selbst noch mit diesem „Schein" behaftet, weil sie in die entgegengesetzten Verhältnisse des Seins und des Denkens auseinandergeht. Und erst durch den Aufweis der völligen Gleichheit dieser Verhältnisse wird ihre Einheit realisiert. In dieser Systemkonzeption ist der Zweckbegriff noch nicht eingeführt; der formale Gang des Erkennens zeigt erst an seinem Ende, nicht schon auf jeder Stufe, daß sich der am Anfang vorausgesetzte Standpunkt S. Schmitz a.a.O. 96 f. und 133—137. >»8 Realph. (II) 192. »»“ Realph. (II) 193. S. LMN 12 f.

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des „absoluten Erkennens" in der Philosophie tatsächlich durchhalten läßt. Der logische Schluß ist in der Darstellung dieser Logik nicht die überall zu Grunde liegende Denkfigur. Sofern die Logik aber im strengen Sinne eine philosophische Einleitung in die Philosophie sein will, müßte sie selbst als ein Kreis aus Kreisen bzw. Schluß aus Schlüssen aufgebaut sein. Wird dies in der Logik nur gefordert, jedoch als Ergebnis ihrer Gedankenentwicklung in ihr selbst nicht verwirklicht, so ist es nicht verwunderlich, wenn diese Forderung auch in anderen Teilen des Systems, die auf der Grundlage dieser Logik aufgebaut sind, ein Programm bleibt, dessen Verwirklichung auf Schwierigkeiten stößt. Gemessen an der Logikkonzeption der Jahre 1801/02 — 1802/03 ist im Entwurf von 1804 ein wesentlicher Schritt in Richtung auf die Wissenschaft der Logik von 1812/16 getan, die selbst von Anfang an in der Dimension des Unendlichen verläuft und auf allen ihren Stufen den „Kreislauf" des wahren „wissenschaftlichen Erkennens" vollzieht, so daß zwischen der Grundlegung der Philosophie von ihrer Form her und der Entfaltung des „Ansichselbstseienden", Absoluten kein Unterschied mehr ist, sondern in den Formen des Erkennens zugleich sein absoluter Inhalt ausgedrückt wird. Auf diese Weise ist die Logik selbst nur noch Grundlegung der Philosophie, nicht mehr als logische Grimdlegung die Einleitung zur eigentlichen metaphysischen Grundlegung. Sie hat nicht mehr die Funktion, in der Entfaltung der Formen des endlichen Erkennens diese aufzuheben und zu denen des unendlichen Erkennens, die zugleich Inhalt sind, allererst hinzuführen. Daraus entsteht das Problem, wie von der „sogenannten Erfahrung" des endlichen Verstandesdenkens zu der „wahrhaften" philosophischen Erfahrung der absoluten Einheit von Erkennen und Gegenstand zu gelangen ist Je weniger dies in der Logik sich vollzieht, umso mehr wird eine andere, der Logik noch vorausgehende Wissenschaft notwendig, die das Bewußtsein auf den Standpunkt philosophischer Wissenschaft erhebt. Das ist der Ausgangspunkt für die Entstehung der „Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins", die als ein „Voraus der Wissenschaft" auf eine wissenschaftliche Weise zum absoluten Standpunkt des wahren „wissenschaftlichen Erkennens" hinführt. Wenn Hegel diese der Logik noch vorauszuschickende Wissenschaft später „Wissenschaft der Phänomenologie des Geistes" nennt, wie es dann der Titel des 1807 erschienenen Werkes wird, möchte er damit wohl die allgemeine Notwendigkeit der S. Realph. I 267 f.

B. Die Logik

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Aufhebung des „Scheins" der „sogenannten Erfahrung" betonen, die von der Erfahrung des jeweils einzelnen zur Philosophie sich erhebenden Bewußtseins unabhängig ist. Sofern die Logik von 1804 ihre Einleitungsfunktion noch behält, diese in ihren ersten Abschnitten und in ihrem ganzen Gang selbst ausübt, bildet sie keine ausreichende Grundlage für ein System, das als Kreis aus Kreisen ein in sich geschlossenes Ganzes darstellen soll. Aber sie hält auf diese Weise grundsätzlich den Raum offen für andere, nicht aus zwingenden Schlüssen aufgebaute „problematische" Formen des Erkennens, die eine weitergehende Auseinandersetzung mit den empirischen Daten zulassen, diese im Grunde sogar verlangen. Was von der weiteren Entwicklung des Hegelschen Denkens her als Unvollkommenheit, als ein Noch-nicht-Gelingen der reinen, von Anfang an in der Dimension des Unendlichen sich bewegenden philosophischen Erkenntnis erscheint, ordnet das Manuskript von 1804 einer Periode der Philosophie Hegels zu, die gerade in diesem Noch-Nicht eine eigene positive Bedeutung hat. Diese Periode wird dadurch gekennzeichnet, daß in ihr das Hervorwachsen der Philosophie als einer in sich begründeten Denkarbeit aus dem praktischen Bezug auf die Zeitsituation noch sichtbar ist, daß der Rückbezug auf die Praxis, die Bewährung des philosophischen Erkennens an ihr noch stärker möglich bleibt. Die Phänomenologie des Geistes ist auf ähnliche Weise auf die „Zeit der Abfassung bezüglich", wie Hegel kurz vor seinem Tod bei den Überlegungen für ihre Neuauflage, allerdings in einem etwas anderen Sinne, notiert hat Die Einleitungsthematik der Erhebung des Bewußtseins auf den Standpunkt des absoluten Erkennens hat hier noch grundlegende Bedeutung für das System als solches, insofern die Phänomenologie nicht nur Einleitung, sondern zugleich Erster Teil des „Systems der Wissenschaft" sein soll. Eben dies wird anders, sobald die Phänomenologie nur noch als Einleitung ins System anerkannt wird und die Logik als die Entwicklung der reinen Formen des Denkens, die zugleich absoluter Inhalt sind, die alleinige Grundlegung darstellt. Es ist klar, daß auf diese Logik keine Metaphysik mehr folgen kann, in der das Erkennen als Ansich, als sein eigener absoluter Inhalt entwickelt wird. Das Problem des Erkennens, das sein eigener Inhalt ist, die Selbstentfaltung des absoluten Erkennens wird zum Thema der Logik als solcher, wenn die Erhebung auf diesen „Standpunkt des Absoluten" von einer ihr vorausgehenden Wissenschaft übernommen wird. Die S. Phän. 578. “* S. WdL 7 f., vgl. o. in der Einleitung Aiun. 9.

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ERSTER TEIL: LOGIK UND METAPHYSIK

Logik, der eine Phänomenologie vorhergeht, ist selber metaphysisch konzipiert. Sie bietet in der Entwicklung der logischen Formen die Darstellung des absoluten Inhalts des Erkennens. Wenn Hegel späterhin den Titel „Logik und Metaphysik" für seine Vorlesung über den grundlegenden Teil des Systems der Philosophie noch verwendet, so ist dies in der Tat nur als Anlehnung an ein traditionelles Thema des philosophischen Unterrichts zu verstehen Ist aber die Logik als absolutes Erkennen, als Kreis aus Kreisen einmal hervorgetreten, so kann die Hinführung zu ihr nicht mehr denselben Grad von Wissenschaftlichkeit erhalten, welcher der Philosophie als dem Ganzen des absoluten Erkennens zukommt. Die Logik bildet allein noch die Grundlegung des Systems der Philosophie, das als ein in sich abgeschlossenes Ganzes entwickelt wird und von dem kein Weg mehr zur konkreten Problematik der Zeitsituation zurückführt. Die Überwindung der Entzweiung im Denken und durch das Denken begreift sich selber in seinem Vollzug als Denken als die höchste Praxis, die keines Übergangs zum unmittelbaren Handeln mehr zu bedürfen, sondern rein aus sich auf das geschichtliche Leben zu wirken meint.

Vgl. o. in der Vorbemerkung des Ersten Teils 40, dort auch Anm. 3.

C. Die Metaphysik

In dem „Collegium über Logik und Metaphysik" vom Wintersemester 1802/03, aus dem ROSENKRANZ Auszüge überliefert, gibt Hegel eine Zuordnung beider Abschnitte der Grundlegung des Systems der Philosophie, die diese Zweiteilung erklärt. Gegenüber der Logik, die eine philosophische Einleitung in die Philosophie ist, wird in der Metaphysik der Standpunkt der Philosophie als solcher gewonnen, sie ist „eigentliche Philosophie" Nach der Systemkonzeption der Jahre 1800—1804 bildet also die Metaphysik die „eigentliche", nicht mehr durch die Einleitungsaufgabe beschränkte Grundlegung der Philosophie, auf der als Entfaltung eine theoretische und eine praktische Philosophie, sowie deren Einheit in der Philosophie des absoluten Indifferenzpunktes aufgebaut werden soll. Nach der von ROSENKRANZ überlieferten Vorlesung faßt sich die Grundlegungsaufgabe in dem Satz zusammen: „Wir haben hier (in der Metaphysik) vor allen Dingen uns das Princip aller Philosophie vollständig zu konstruieren." a) Die Entfaltung des „Princips aller Philosophie" als Thema der Metaphysik nach den Äußerungen der Jahre 1800—1802/03 a) Das „System der Ideen" als übergeschichtliche Antwort auf die Fragen der Geschichte Das „Princip aller Philosophie", das in der Differenzschrift auch das „spekulative Princip" genannt wird, von dem die Philosophie ausgehen muß, ist nach der damaligen Auffassung Hegels der richtige Begriff der Idee als solcher. Die Metaphysik kann darum in einer knappen, aber präzisen Formulierung heißen: „Wissenschaft von der Idee als solcher" In den Habilitationsthesen vom August 1801 formuliert Hegel: „Philosophia omnis est in ideis". (Die Definition von Idee, die in dieser These vorangeschickt wird, „idea est synthesis infiniti et finiti", muß freilich von der Darstellung des Inhalts der Logik in den ersten Jenaer Jahren her, auch von der zu dieser Zeit an PLATON und SPINOZA orientierten philosophischen Grundüberzeugung Hegels her, von der noch die Rede sein wird, als merkwürdig erscheinen. Am Ende der Logik, als ihr Übergang zur Metaphysik, sollte sich das Erkennen durch das völlige Hegel's Leben. 191 f., s. auch zum folgenden (Einfügung im Zitat von mir). Ebenda 179; s. zum folgenden ED 404 f.

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ERSTER TEIL: LOGIK UND METAPHYSIK

Einswerden mit seinem Gegenstand über seine endlichen Formen hinaus zu seinen unendlichen erheben. Die „synthesis finiti et infiniti" wird man als unendliche Einheit in den Gegensätzen des Endlichen und Unendlichen deuten müssen, wie es schon im „Systemfragment von 1800" und in der Differenzschrift klar entwickelt wird wenn man Hegels Intention richtig wiedergeben will.) Der Sprachgebrauch Hegels sdieint in dieser Hinsicht am Anfang der Jenaer Zeit nicht ganz eindeutig gewesen zu sein. In der Differenzschrift und in den ersten Aufsätzen im Kritischen Journal (Einleitung, Krugrezension, Skeptizismusaufsatz) spricht Hegel im Anschluß an SCHELLING von der „absoluten Identität von Subjekt und Objekt", um das Absolute oder die Idee als Ausgangspunkt und Resultat der philosophischen Spekulation zu bezeichnen. In Glauben und Wissen sucht er seine Konzeption der „wahrhaften Vemunftidee" in der Auseinandersetzung mit KANT ZU präzisieren. Er betont hier wieder nachdrücklich, daß die Identität von Subjekt und Objekt bzw. von Subjekt und Prädikat im Urteil als die Identität des Allgemeinen und Besonderen nicht als „formale Identität" gefaßt werden darf, die „unmittelbar eine unendliche Nichtidentität gegen oder neben sich" hat, sondern als Identiät in dem Gegensatz von Identität und Nichtidentität zu bestimmen ist Das durch diese Position begründete kritische Verhältnis zur „kritischen Philosophie" kommt auch in den Habilitationsthesen deutlich zum Ausdruck, wenn es von dieser heißt, daß sie „der Ideen ermangelt". Die „kritische Philosophie" KANTS und FICHTES war nicht kritisch genug, um den Dogmatismus wirklich zu überwinden. Die Differenzschrift zeigt: In gewissen Teilen ihrer Philosophie, in der Deduktion der Kategorien bei KANT, in der Aufstellung des obersten Grundsatzes des Ich = Ich bei FICHTE, hat es den Anschein, als enthalte sie das Prinzip des „ächten Idealismus". Hegel erblickt „die Idee" durch die Unzulänglichkeit ihrer Darstellung hindurch in diesen Abschnitten der KANTischen und FICHTEschen Philosophie. Aber diese Philosophie verfällt dann doch erneut in den Dogmatismus, den sie überwinden will, auf der einen Seite durch die Hypostasierung der „absoluten Objektivität" im Ding an sich, auf der anderen Seite durch die bloße Forderung, daß das Ich mit sich als seinem andern identisch sein soll. Diese Halbheit bezeichnet Hegel in den Habilitationsthesen als „unvollständige Form des Skeptizismus". Der wahre, vollständige Skeptizismus bleibt nach Hegel nicht bei der Kritik an einer ihrer VoraussetzunS. Jschr. 347, Werke 4. 67 f. S. Werke 4. 326 ff., bes. 332, zum folgenden S ff.

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gen nicht bewußten Metaphysik stehen. Er ist ein „sich vollbringender Skeptizismus", der von den kritisch geklärten Voraussetzungen des Erkennens aus zu dem Entwurf einer Metaphysik übergeht, die diese Kritik in sich aufgenommen hat, die den Skeptizismus als absolute Negation der Metaphysik im Gebiet des endlichen Erkennens durchschritten, durch ihn hindurch zur unendlichen Einheit in den Gegensätzen des Endlichen und Unendlichen gelangt ist Hegel will in der Metaphysik als der „Wissenschaft von der Idee als solcher" zeigen, „daß es zu allen Zeiten nur Eine und eben dieselbe Philosophie gegeben hat", er verspricht „nicht nur nichts Neues" zu bieten, sondern geht mit seinen „philosophischen Bestrebungen darauf, eigentlich das älteste Alte wieder herzustellen und es von dem Mißverstände zu befreien, worein es die neueren Zeiten der Unphilosophie begraben haben" Das bedeutet, daß er von den Voraussetzungen der „kritischen Philosophie" aus die Metaphysik als eine gegen sich selbst skeptische Lehre von den Ideen restituieren will. Der Skeptizismusaufsatz zeigt, daß Hegel Skeptizismus und Platonismus in ihrer Einheit aufzuweisen sucht, um den „alten" Skeptizismus auf diese Weise gegen den neuesten, ganz unphilosophischen, weil standpunktlosen, in sein Recht einzusetzen. Der echte Skeptizismus, „der Eins ist mit der Philosophie", ist nach dieser Darstellung „in seiner reinen expliciten Gestalt" historisch im PLAXONischen Parmenides hervorgetreten, in dem das „Princip des Skepticismus: :n:avTi A,OYCO A.oyo5 loog ’avTixEirai" dazu führt, daß das Eins nicht als Eins und das Viele nicht als das Viele unvermittelt nebeneinander stehen bleiben, sondern in ihrem Gegensatz aufgehoben und zur Einheit miteinander verbunden werden In diesem Sinne versteht sich die Phänomenologie durch den Aufweis der „Vollständigkeit der Formen des nicht realen Bewußtseins", das sich schließlich selbst als seinen einzigen Gegenstand erfährt, als die notwendige negative Seite der Philosophie (s. Phän. 64 f., vgl. 154 ff.). Sie leistet also für das System, was hier als skeptisches Moment im System gefordert wird. S. Rosenkranz: Hegel's Leben. 192. S. Werke 4. 213 und 208 f. — Hegel gesteht dem Skeptizismus auch dann ein gewisses Recht zu, wenn er von der, Philosophie „losgetrennP' ist, als für sich bestehende absolute Negation des endlichen Verstandesdenkens, sofern er sich mit dieser Tätigkeit „nicht gegen die Vernunft" richtet, welche die „positive Seite" der Philosophie entfaltet. Als einen solchen berechtigten Skeptizismus, sofern „er in Beziehung aufs (endliche) Wissen eine reine Negativität behauptete", interpretiert Hegel die ersten zehn der von Sextus Empiricus überlieferten Tropen, die er auf Pyrrho zurückführt. Sie bilden gewissermaßen ein Organon der Kritik, das sich „gegen die Sicherheit der Dinge und der Thatsachen des Bewußtseyns" wenden läßt, wie sie von Reinhold und, Krug, auch von dem „Skeptiker" Schulze unkritisch als Ausgangspunkt der Philosophie angenommen werden (vgl. Werke 4. 213 ff., Einfügung im Zitat von mir).

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Aber nicht nur die „ältere Akademie und PLATO selbst", auch SPINOZA, wenn man die von ihm gedachte Einheit der Substanz nicht abstrakt auffaßt, so daß sie „einer absoluten Verknüpfung der Dinge entbehrte" und überhaupt „jedes ächte philosophische System" sind skeptisch und philosophisch zugleich. Sie werden durch die Überwindung des Widersprüchlichen zu einer höheren Einheit gekennzeichnet, die sich als Idee der absoluten Einheit oder auch als Idee des Absoluten auffassen läßt, von der alle anderen Ideen abzuleiten sind Die Idee des Absoluten, „wie seine Erscheinung, die Vernunft," sind nach Hegels damaliger Auffassung „ewig ein und dasselbe" und bilden den Inhalt der in allen Zeiten gleichen, mit sich identischen Philosophie. Bei den verschiedenen systematischen Entfaltungen der Philosophie kann „eben so wenig, als von beständigen Verbesserungen", wie die Geschichtsbetrachtung der Aufklärung meint, „von eigenthümlidien Ansichten der Philosophie die Rede seyn". Die Einheit der Philosophie mit sich läßt eine solche geschichtliche Verschiedenheit nicht zu. Die verschiedenen philosophischen Systeme sagen je auf ihre Weise absolut dasselbe. Das einzige „wahre Eigenthümliche einer Philosophie ist die interessante Individualität, in welcher die Vernunft aus dem Bauzeug eines besonderen Zeitalters sich eine Gestalt organisirt hat". Aber jede dieser Gestalten, wenn sie wirklich philosophisch ist, steht völlig für sich, ist in sich vollendet, „wie ein ächtes Kunstwerk" und stellt die Wahrheit der Philosophie in einer gültigen und vollständigen Weise dar Die Philosophie selbst hat nach der Auffassung Hegels, wie er sie in dieser Zeit vertritt, keine Geschichte. Sie ist die übergeschichtliche Antwort auf die Fragen der Geschichte. In ihrer Unendlichkeit, in der Idee der absoluten Einheit, die in allen Gegensätzen enthalten ist, und in dem daraus abzuleitenden „System der Ideen" können allein die Widersprüche einer Zeit, die Positivität der endlichen Formen und die weiterdrängende J22 ygj VVerke 4. 342.

123 Daß sich Hegel schon in Frankfurt vorwiegend an Platon zu orientieren sucht, wird von Rosenkranz mehrfach bezeugt (s. Hegel's Leben. 91, 100). Das Interesse an Spinoza, das ja einer starken Zeitströmung entspricht, dokumentiert sich in den ersten Jenaer Jahren in den Studien zur Verfassungssdirift und in dem daran anschließenden System der Sittlichkeit (s. K. H. Ilting: Hegels Auseinandersetzung mit der aristotelischen Politik. — In: Philosophisches Jahrbuch 71 (1963/64), 38 bis 58). Sie kommt natürlich auch in der Konzeption der Metaphysik als solcher zum Ausdruck. Der positiven Zuwendung zu Aristoteles (vgl. o. Anm. 100) entspricht in der politischen Philosophie die Orientierung an Hobbes in der zweiten Phase der Jenaer Zeit, wie sie vor allem in der Realphilosophie von 1805106 greifbar wird. 121 S. Werke 4. 10 und 12.

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Kraft des unendlichen geschichtlichen Lebens ihre Einheit finden. Der Sinn einer geschichtlichen Betrachtung philosophischer Systeme kann nur sein, ihre ewige Wahrheit in der eigentümlichen Gestalt der Anschauungen eines besonderen Zeitalters zu erkennen Das „System aller Ideen" ist indessen aus der Postulatenlehre, wie KANT sie am Ende der Kritik der praktischen Vernunft auf stellt, nicht in zureichender Form zu gewinnen. Dies war bereits der Ansatz eigener philosophischer Arbeit Hegels, wie er sich in dem von Bern aus geführten Briefwechsel mit SCHELLING andeutet und wie er in dem sog. „Ältesten Systemprogramm des deutschen Idealismus" zum Ausdruck kommt In der Differenzschrift läßt sich demgegenüber eine radikalere Kritik an der KANxischen Postulatenlehre aufgrund eines veränderten Ausgangspunkts der Philosophie als spekulativer Wissenschaft erkennen. Hier ist zu der Selbstkonstruktion der Vernunft, in der „sich das Absolute in eine objektive Totalität gestaltet, die ein Ganzes, in sich selbst getragen und vollendet, ist", nur die Anschauung eines besonderen Zeitalters zu postulieren, die ihr als ihr Bauzeug dienen kann. „Man sieht überhaupt, daß diese ganze Weise des Postulirens darin allein ihren Grund hat, daß von der Einseitigkeit der Reflexion ausgegangen wird; diese Einseitigkeit bedarf es, zur Ergänzung ihrer Mangelhaftigkeit, das aus ihr ausgeschlossene Entgegengesetzte zu postuliren." Denn die „Absolutheit der Vernunft" umschließt beide, die Idee und das Sein Dieses Absolute ist es, welches nach der Erhebung des Erkennens über die Formen seiner Endlichkeit in der Metyphysik in seinen unendlichen Formen zur Entfaltung kommen soll. Wenn die Vernunft der Forderung des Skeptizismus genüge getan, in der Denkbewegung der Logik „von der Subjektivität des Reflektirens sich gereinigt hat", kann sie am Beginn der eigentlichen Philosophie deren über alle endlichen Unterschiede hinaus gültiges Prinzip nicht mehr „in der Form eines absoluten Grundsatzes" aufstellen, der alles andere in sich begreift, wie es seit FICHTE im spekulativen Idealismus versucht worden ist. Die Idee der unendlichen Einheit in allen Gegensätzen des Endlichen und Unendlichen will Hegel vielmehr als Beziehung fassen, die das von vornherein zusammennimmt, was in der Reflexion, die an die Aussageform des Satzes gebunden bleibt, getrennt ist: als Antinomie im KANxischen Sinn oder daß A = A und zugleich A = B ist. 125 Vgl. Werke 4. 31. S. Briefe. Bd 1. 24 und Dokumente zu Hegels Entwicklung. 219. *27 S. Werke 4. 29 f.

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Diese Beziehung „ist der Ausdruk der Antinomie; und als Antinomie, als Ausdruk der absoluten Identität ist es gleichgültig, A=B oder A=A zu setzen." Die darin enthaltene Begründung für das Hinausgehen über die Reflexionsphilosophie und das Einsetzen der Philosophie als reiner Spekulation ist merkwürdig. Sie zeigt, daß bei Hegel offenbar nicht eine rational erklärbare These, sondern eine vorrationale Entscheidung den Ausgangspunkt für sein spekulativ-systematisches Philosophieren bildet. Der Satz der Identität „A = A" und der Satz des Widersprudis „A=B", beide Sätze sind nach seinen Worten „Sätze des Widerspruchs ... der erste der Identität sagt aus: daß der Widerspruch = 0 ist" Heißt das nicht, daß Hegel — anders als in den theologisch-politischhistorischen Jugendarbeiten, auch anders als in den Vorstudien zum System, wie er sie in Frankfurt unternommen hat — nunmehr dazu entschlossen ist, die Widersprüche in der geschichtlichen Wirklichkeit als notwendig hinzunehmen, im Denken ihrer Einheit nicht unmittelbar an ihrer Überwindung mitzuarbeiten, sondern (jedenfalls für die Allgemeinheit des Volkes) ihre Berechtigung zu erweisen? Daß er eine Umwälzung der Verhältnisse nur noch von einem „großen Geist" erwartet, das Zusammenwirken von Philosophie und den Vielen aber umgekehrt das „gemäßigte Ertragen" der bestehenden Verhältnisse befördern soll, spricht für diese Deutung. Die erste seiner zwölf Habilitationsthesen, die alle bisherige Logik auf den Kopf zu stellen scheint, kann von diesen Voraussetzungen aus verständlicher werden: „Contradictio est regula veri, non contradictio, falsi." Offensichtlich liegt dieser rein logisch formulierten These eine Entscheidung über das Verhältnis des Denkens als philosophischer Spekulation zur politisch-geschichtlichen Wirklichkeit zu Grunde. ß) Die Erhebung über das „endliche Leben" in der Religion nach dem „Systemfragment von 1800" Es ist ein großes Glück für die Hegelforschung, daß der Durchbruch des Hegelschen Denkens zur Idee in dem beschriebenen Sinne wenigstens in einem fragmentarischen Text erhalten ist. Es ist kein Zweifel, daß eben dies das Thema der beiden Fragmente ist, die NOHL als Schlußstück der „theologischen Jugendschriften" veröffentlicht hat. Offensichtlich handelt es sich in diesem Manuskript, aus dessen Schluß bzw. dessen letztem Drittel die Fragmente stammen, um das Problem der „Erhebung des endlichen zum unendlichen Leben", um die Überwindung des Ent‘28 S. Werke 4. 25 f.

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gegensetzten. Toten, in seiner Beschränkung fixierten Lebens Da es sich um ein recht umfangreiches Manuskript gehandelt haben muß, ist es sehr gut möglich, daß es eine wichtige materialmäßige Grundlage dessen enthalten hat, was Hegel im Wintersemester 1801/02 zum ersten Mal als „Logik und Metaphysik" vorgetragen hat. Diese Annahme wird auch dadurch gestützt, daß das Jahr 1801 seit der Ankunft Hegels in Jena (Ende Januar) so sehr mit anderen Arbeiten angefüllt ist, daß man sich schlechterdings nicht vorzustellen vermag, wie für die Ausarbeitung eines Vorlesungsmanuskripts über dieses Thema noch Zeit geblieben sein könnte In dem sog. „Ältesten Systemprogramm des deutschen Idealismus", dessen Entstehung wohl auf das Frühjahr 1797 anzusetzen ist geht es darum, ein „System aller Ideen" aufzustellen. Bei der Darstellung dieses Systems in Bezug auf die verschiedenen Bereiche des Seienden ergibt sich, daß von der Natur zur Menschenwelt fortgeschritten wird. Beide Bereiche sind in einem Dritten, Höchsten, in der Idee der Schönheit, miteinander vereinigt. Aber auch diese Idee ist nicht das Letzte. Ihre Verwirklichung verlangt eine „neue Religion", in der das Denken der Idee in die Unmittelbarkeit des geschichtlichen Lebens zurückmündet. Das „Systemfragment von 1800" führt in ähnlicher Weise zu einer Überwindung der Gegensätze des endlichen Lebens im unendlichen Leben, ohne daß die Entgegensetzungen seiner endlichen Gestalten „ausgeschlossen" oder übersprungen werden. Das unendliche Leben soll im dauernden „Fortgetriebenwerden" der Reflexion, wie es im Denken KANTS und FICHTES sichtbar wird und das vielleicht den Gegenstand des ersten Teils des zu besprechenden Manuskripts gebildet hat, einen „Ruhepunkt" finden, der die Gegensätze des endlichen Geschehens in sich aufnimmt, diesem selbst aber nicht verhaftet bleibt. Die Einheit oder die Verbindung, die in ihm zum Ausdruck kommt, enthält diese Gegensätze in sich, ohne ihrerseits eine Entgegensetzung oder Nichtverbindung außer sich zu Die Bezeichnung „Systemfragment" ist irreführend. Es handelt sich um zwei Fragmente einer größeren Schrift, die je einen Bogen zu vier Seiten umfassen. (Die beiden Bogen sind mit den Buchstaben hh und yy bezeichnet. Daraus folgert Nohl, daß das Manuskript 47 Bogen umfaßt hat: a—z und aa—yy. Jschr. 345 Anm.) Es ist nicht anzunehmen, daß dieses Manuskript das System im Sinne Hegels enthalten hat. Es gehört jedoch in den Zusammenhang einer Reihe von systematisierenden Studien der Frankfurter Zeit und hat vielleicht den ausgeprägtesten systematischen Charakter (vgl. in der Liste von G. Schüler in Hegel-Studien 2 (1963), 131 f. die Nummern 63—72, 77—84 und 89). 13“ S. Hegel-Studien 4 (1967), 125—128. 131 S. O. Pöggeler: Hegel als Verfasser des „Ältesten Systemprogramms ..." — In: Hegel-Tage Urbino 1965 a.a.O., zum folgenden Dokumente zu Hegels Entwicklung. 219—221.

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setzen. Sie ist das Absolute, das nur als „die Verbindung der Verbindung und der Nichtverbindung" adäquat gedacht werden kann Daß die Geschichte, die Hegel vor allem durch das Geschehen der Französischen Revolution als eine in Bewegung geratene Geschichte erfährt, nicht in sich zur Ruhe kommen, das wahre Prinzip ihres Fortschreitens entdecken kann, ist ein Gedanke, der bei Hegel schon seit den Tübinger Fragmenten deutlich ist. Er besagt: „Der Glaube an Christum als eine historische Person ist nicht ein Glauben in einem praktischen Vernunftbedürfnis gegründet"; er kann deshalb nicht beruhigen. Was in dem Glauben an Christum „den Schlußstein des ganzen Systems seiner Beruhigung — der Auflösung der für ihn wichtigen Fragen macht, hat nach dem, was die Vernunft uns hierüber sagt, sein Prinzip, sein Fundament in der Vernunft selbst, deren Entwicklung nur nötig ist, um jedem Menschen die Auflösung jener Probleme zu geben" Diese Entwicklung des in der Vernunft gelegenen Prinzips will Hegel seit 1800 in der Entfaltung seines Systems der Philosophie darstellen. Dieses System soll als die übergeschichtliche, rein aus der Vernunft begründete Antwort auf die Frage nach der Bewegtheit der Geschichte ein „System der Beruhigung" sein, das durch den Aufweis der wahren Struktur des geschichtlichen Lebens dessen Bewegtheit auffängt, indem es sie durchsichtig, verständlich und damit sachgemäß vollziehbar macht. Der Begriff des Absoluten wird zwar im „Systemfragment von 1800" im Zusammenhang der Erfassung des unendlichen Lebens nicht verwendet. Der Sache nach ist er darin aber völlig eindeutiig entwickelt. In diesem Frühstadium der Systemkonzeption am Ende der Frankfurter Zeit, das vielleicht noch ein Vorstadium ist, läßt sich der Zusammenhang der spekulativ-systematischen Grundidee mit dem Anliegen Hegels in den Jugendschriften noch besonders deutlich greifen. Die Überwindung des reflektierenden Denkens, das die fixierten Gegensätze nicht aufzuheben vermag, geschieht hier letztlich nicht im Denken selber, d. h. nicht in der Erhebung der Reflexion zur Spekulation als der wahren Wissenschaft. Der Ort dieser Überwindung ist vielmehr das Leben, in das sich das Denken als in einen es übergreifenden Zusammenhang zurücknimmt. Nach der Darstellung Hegels erhebt sich das „denkende Leben" unmittelbar bis an die Grenze des ünendlichen, es vermag auch noch den Widerspruch der „einzigen noch bestehenden Entgegensetzung" zwischen sich s. Jschr. 348. Jschr. 64; vgl. H. Schmidt: Verheißung und Schrecken der Freiheit. StuttgartBerlin 1964, auch meine Rezension dieses Buches in Hegel-Studien 3 (1965), 361 bis 369.

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und dem unendlichen Leben zu erfassen, es „fühlt" ihn, „oder wie man es nennen will" Wenn das denkende Leben aber „aus der Gestalt, aus dem Sterblichen, Vergänglichen unendlich sich Entgegengesetzten .. . das Lebendige, frei vom Vergehen, die Beziehung ohne das Tote und sich Tötende der Mannigfaltigkeit" heraushebt, in seinem Fürsichsein erfaßt, ist es „nimmer denkend, oder betrachtend (d. h. reflektierend), weil sein Objekt nichts Reflektiertes, Totes in sich trägt". In der Erfassung des unendlichen Lebens, führt das Denken über sich selbst hinaus. Wenn dieser Gedanke für eine Grundlegung der Philosophie in Anspruch genommen werden darf, würde er bedeuten, daß die Philosophie sich schließlich selbst aufhebt, einen neuen Vollzug des geschichtlichen Lebens ermöglicht. Die Entfaltung der Ideen, die zum Leben selbst zurückführt, zu einer neuen angemessenen Form seines Vollzuges, bleibt nicht im Element des Denkens oder der Reflexion, sie geht von sich aus über in das der Religion oder der Anbetung. „Diese Erhebung des Menschen, nicht vom Endlichen zum Unendlichen, denn dies sind nur Produkte der bloßen Reflexion, und als solcher ist ihre Trennung absolut — sondern vom endlichen zum unendlichen Leben — ist Religion . . . Wenn der Mensch (so) ... das unendliche Leben . . . zugleich außer sich, weil er selbst ein Beschränktes ist, setzt, sich selbst (aber auch) zugleich außer sich, dem Beschränkten, setzt, und sich zum Lebendigen emporhebt, aufs innigste sich mit ihm vereinigt, so betet er Gott an." Daß eben damit die Bewegung des Denkens ihren Abschluß findet, daß es die Philosophie ist, die im Übergang vom endlichen zum unendlichen Leben über sich hinausgelangt, in Religion übergeht, ergibt sich aus folgendem: „Das unendliche Leben kann man einen Geist nennen im Gegensatz zu der abstrakten Vielheit", in der sich das Denken als Reflektieren bewegt. „Denn Geist ist die lebendige Einigkeit des Mannigfaltigen im Gegegensatz gegen dasselbe als seine Gestalt . . . nicht im Gegensatz gegen dasselbe als von ihm getrennte, tote bloße Vielheit." Im endlichen Leben vollbringt das Denken vorläufige Synthesen der Vielheit, die aber noch nicht als eigentliche Einheiten über allen bestimmten Gegensätzen gelten können. Denn in ihnen, sofern sie Einheiten des Denkens sind, wird immer wieder ein Reflektiertes, Bestimmtes gesetzt, zu dem ein neuer bestimmter Gegensatz gedacht werden kann. Es sind Gestalten des endlichen Lebens, in denen das Denken immer höhere Einheiten des Mannigfaltigen zu erfassen sucht. Erst wenn das Denken auf diesem Weg ö. Ischr. 347.

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über sich hinausgelangt, eine unio mystica mit dem Geist eingeht, kann es jene höhere Einheit über allen bestimmten Gegensätzen erreichen Daß diese Konzeption nicht unabhängig von SCHLEIERMACHERS 1799 erschienenen Reden Über die Religion entstanden ist, zeigt sich in dem allerdings nicht ohne Vorbehalt eingeführten Ausdruck, daß der Übergang vom endlichen zum unendlichen Leben, den das Denken nicht mehr selbst vollziehen kann, „gefühlt" wird. Der Einfluß SCHLEIERMACHERS, insbesondere der für die Reden zentralen Formel „Anschauung des Universums" tritt auch in der Differenzschrift hervor, wo der „Gottesdienst", in dem Kunst und Spekulation als die Formen der Einheit von Natur und Menschenwelt selbst wieder eins sind, als ein „lebendiges Anschauen des absoluten Lebens, und somit ein Einsseyn mit ihm" beschrieben wird Diese Stelle, die in der Einleitung zu dieser Arbeit schon genauer untersucht worden ist läßt freilich auch wichtige Unterschiede zum „Systemfragment von 1800" erkennen. Hier wird in Übereinstimmung mit ScHELLiNG und im Rückgriff auf eigene frühere Auffassungen, die bei Hegel und bei SCHELLING durch HöLDERLINS Gedanken angeregt sind, die Kunst als Einheit der Gegensätze in Natur und Menschenwelt angeführt. Anders als bei SCHELLING und bei HöLDERLIN, auch anders als im „Systemfragment von 1800", aber offenbar als eine Weiterführung der darin enthaltenen Konzeption wird dabei neben der Kunst die Spekulation als die Möglichkeit der denkenden Überwindung dieser Gegensätze genannt. Die Religion ist in Kunst und Spekulation enthalten, sie ist nicht als Religion die Überwindung der endlichen Gestalten des Lebens mit ihren Gegensätzen, sondern als Kunst und Spekulation. Denn es heißt, daß diese beiden der „Gottesdienst" sind, in dem die Anschauung des Unendlichen vollzogen wird. Mit der Spekulation in diesem Sinne gewinnt das philosophische Denken bei Hegel und überhaupt eine neue Dimension, in der es als Denken über die Entgegensetzungen des endlichen Lebens hinaus ist, wie sie in der Reflexion entfaltet werden. Nun kann im Denken selber das unendliche Leben erfaßt, die Einheit mit ihm vollzogen werden. Es stehen sich nicht mehr Philosophie und Religion gegenüber wie im „SystemfragS. ebenda (Einfügungen und Hervorhebungen in den Zitaten von mir). S. F. Sdtleiermacher: Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter Ihren Veräditern. Berlin 1799. 50 und 55. (Die Seitenzahlen der Originalausgabe sind sowohl in der Ausgabe von H. J. Rothert. Hamburg 1958 als auch in der neu gedruckten von R. Otto. Göttingen 1967 mitgeteilt.) S. Werke 4. 76. 1S8 Vgl. o. Abschnitt B der Einleitung.

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ment von 1800", sondern Reflexion und Spekulation. Aus der Präzisierung dieses Gegensatzes erwächst die Unterscheidung von Logik und Metaphysik im Sinne des Systems der ersten Jenaer Jahre Die Spekulation ist das Organon der Metaphysik, der Wissenschaft von der „Idee als solcher" als der eigentlichen Grundlegung dieses Systems. Den Übergang zu dieser Änderung in der Konzeption der Idee bzw. der Möglichkeit, zu ihr zu gelangen, sehe ich in Hegels Überarbeitung des Anfangs der Schrift über die „Positivität der christlichen Religion". Diese Neufassxmg des Textes von 1795, die Hegel nodi in Frankfurt, nur zehn Tage nach dem Abschluß des „Systemfragments" anfertigt stellt heraus, daß der Religion als solcher wesensnotwendig Positivität, „die Beziehung . . . auf Zufälligkeiten" der menschlich-endlichen Geschichte zukommt Offenbar spricht sich ein höherer philosophischer Standpunkt aus, wenn die notwendig positive Religion „als fremdes Erbstück vergangener Zeiten" gekennzeichnet wird. Die alte Frage aus der Berner Zeit, ob „in der unmittelbaren Entstehung des christlichen Glaubens, in der Art, wie sie aus Jesu Mund und Leben entsprang . . . Umstände Vorkommen, welche eine unmittelbare Veranlassung zur Positivität" der christlichen Religion geben konnten, die schon bei seinen Jüngern unverkennbar ist, beantwortet sich nunmehr so, daß die Religion Jesu, die frei ist von dem am Positiven klebenden „Geiste seines Volkes", des Judentums, keine Religion als solche ist, der die Positivität wesensnotwendig wäre. Jesus war im Grunde „frei, unabhängig von Zufälligkeiten, Liebe Gottes und des Nächsten, heilig zu sein, wie Gott es ist", diese übergeschichtlichen, ewigen Prinzipien waren ihm „das einzig Notwendige". Die darin ausgedrückte „religiöse Reinheit" des christlichen Glaubens ist über den Standpunkt der „positiven Religion", der Religion als Religion hinaus. Von hier aus ist der weitere Schritt verständlich, den Hegel in der Differenzschrift tut, daß in der Religion als Kunst und Spekulation oder in diesen beiden als Religion die Einheit in allen Gegensätzen des endlich-geschichtlichen Lebens erfaßbar wird. Im Unterschied zu SCHELLING und zu HöLDERLIN ist dabei für Hegel nicht die Kunst, sondern die Spekulation das Wesentliche, die als denkende Entfaltung des Unendlichen religiös bestimmt bleibt.

iM Vgl. o. Absdcnitt B a a des Ersten Teils. S. Jsdcr. 139 (Anm.) und 345 (Anm.). JsdKr. 140, s. zum folgenden 141, 145 und 150.

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Exkurs; Zur Selbstaufhebung der Philosophie durch die Erhebung zum „unendlichen Leben" in der Religion Von dem Übergang der Philosophie in Religion aus gesehen, wie er im „Systemfragment von 1800" geschildert wird, bildet die Philosophie als Reflexion eine notwendige Stufe in der Erhebung des endlichen zum unendlichen Leben, in der die Widersprüche der Zeit, des geschichtlichen Lebens der Gegenwart, überwunden werden. Genauer gesagt, bildet sie als die Entfaltung eines Systems der Reflexion eine Stufenfolge, die von der bloßen toten Vielheit des beziehungslosen Geschehens ausgeht, und die sich schließlich selbst aufhebt, indem sie zu der Erkenntnis führt, daß die reine Beziehung, die in allen Gegensätzen enthalten ist, aber dennoch über sie hinausgeht, nicht mehr denkend, d. h. reflektierend erfaßt werden kann, sondern nur durch einen neuen, durch das Denken vermittelten, aber selbst wieder unmittelbaren Akt des Lebens. Mit dem Übergang zur Religion kehrt die Theorie zur Praxis zurück; Religion und Anbetung als Vereinigung mit dem unendlichen Leben begründen einen neuen Vollzug des unmittelbaren geschichtlichen Handelns, das die kontemplative Überwindung der Gegensätze nun auch real zu machen sucht. Noch während Hegel mit der Arbeit an dem System der Philosophie als Reflexion beschäftigt ist, stellt sich ihm die Frage, „welche Rückkehr zum Eingreifen in das Leben der Menschen zu finden ist" Was Hegel anstrebt, ist nach dem Text des „Systemfragments" eine „Vereinigung mit der Zeit", die ein Beharren auf dem Standpunkt der Reflexion, wie es bei FICHTE vorliegt, gerade nicht erreichen kann Der Schluß des „Systemfragments" ordnet die Haltung FICHTES der alttestamentlich-jüdischen Religion zu, insofern das Ich, das die Bewegung der Reflexion aus sich hervorbringt und trägt, nicht zurückfindet zum Leben, wie der Gott, der als „ein absolut fremdes Wesen . . . nicht Mensch werden kann". Es geht aber um eine Religion, die als „schöne menschliche Religion" ihre unendliche Wahrheit in der Endlichkeit der Zeit und des Raumes verwirklicht. Die daraus entstehenden Antonomien der Zeit, weil der Moment, das ewige Jetzt der Unendlichkeit, zur „Zeit des Lebens" werden soll, und des Raumes, weil „das in der Unermeßlichkeit des Raumes unendliche Wesen . . . zugleich im bestimmten Raume ist", führen im „religiösen Leben", in dem von der Erhebung zur Religion bestimmten Leben zu einem „Verhältnis zu Objekten", das „als ein Beleben derselben S. Briefe. Bd 1. 59 f. S. Jschr. 351, auch zum folgenden.

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aufgezeigt" werden kann. Im Hinblick auf den Bourgeoisgeist, das „Besondere, für sich zurückbehaltene Eigentum", wird von den Bedingungen der Religion aus verlangt, daß das „partikuläre Verhältnis des zweckmäßigen Vernichtens" der Objekte für den eigenen Genuß aufgehoben wird. Das geschieht symbolisch durch ein „Opfer", in dem der Mensch „einen Teil (des Eigentums) auch vor der Gottheit" vernichtet. „Der Vernichtung des übrigen nimmt er durch Gemeinschaftlichkeit mit Freunden die Besonderheit", soweit das irgend möglich ist, indem auf diese Weise „ein zweckloser Ueberfluß" dokumentiert wird. Durch die „Zwecklosigkeit des Vernichtens" wird die nur auf den einzelnen „bezogene Vernichtung" in „ihrer völligen Beziehungslosigkeit . . . vollendet" und mit dieser Vollendung aufgehoben. Es wird zwar „die Notwendigkeit einer (partikulären) beziehenden Vernichtung der Objekte" bleiben, aber das „zwecklose Vernichten", auch wenn es nur „zuweilen vorkommt", bei einem Gastmahl, einem Fest oder dgl. erweist sich „als das einzig religiöse zu absoluten Objekten" In dem Fragment Der immer sich vergrößernde Widerspruch . . das schon im Zusammenhang der Einleitung in die Logik und Metaphysik behandelt worden ist, zeigt sich noch ein anderer, weitergehender Weg zur Aufhebung des Negativen, des Festhaltens an der Besonderheit bestimmter Verhältnisse. Das Ich des Dichters und des Philosophen, das in sich die Idee des wahren, unentzweiten Lebens „hervorgearbeitet" hat, und die Masse, welche dieses unbewußt sucht, sollen zu einer gegenseitigen Annäherung kommen. Aus dem Zusammentreffen beider geht eine „Macht" hervor, die das bestehende, „beschränkte Leben als Macht" anzugreifen und zu revolutionieren vermag. Die Tatsache, daß die Revolutionierung der politischen Verhältnisse in den Jenaer Entwürfen zur Verfassungsschrift nicht mehr durch die zur Macht gewordene Allgemeinheit geschieht, sondern durch die Tat eines Menschen, des „großen Mannes", der allein politisch relevant zu handeln vermag, stimmt damit zusammen, daß schon im „Systemfragment von 1800" die Allgemeinheit nur „zuweilen" das religiöse Verhältnis zu Objekten als die Aufhebung des „für sich zurückbehaltenen Eigentums" realisiert. Der Zustand der Entzweiung, das Leben in den beschränkten Verhältnissen werden mehr und mehr als notwendig hingenommen. Eine Änderung scheint nicht im ganzen durch die Allgemeinheit, sondern nur unter bestimmten Voraussetzungen in bestimmten Grenzen möglich zu sein: durch den „großen Mann", der für alle anderen handelt, oder S. Jschr. 349 f. (Einfügungen in den Zitaten von mir). S. o. Abschnitt A des Ersten Teils, dort auch Anm. 7.

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in gelegentlichen Ereignissen, die auf das Leben als ganzes zurückstrahlen, es aber nicht als solches verwandeln. Es bleibt indessen nodi ein Übergang zur Praxis des geschichtlichen Lebens nach der Vollendung der philosophischen Arbeit. Die Religion, mit der die Philosophie aufhört, ist immer „irgend eine Erhebung des Endlichen zum Unendlichen, als einem gesetzten Leben". Am vollkommensten scheint Hegel dies „bei Völkern möglich, deren Leben so wenig als möglidi zerrissen und zertrennt ist, d. h. bei glücklichen", etwa bei den Griechen, die dem jungen Hegel in dieser Hinsicht als Ideal vorgeschwebt haben. Die eigene Gegenwart bewertet er demgegenüber nicht als „unglückliche", wie etwa die alttestamentlich-jüdische Zeit. Durch den Glauben an die Menschwerdung Gottes schafft das Christentum die Voraussetzung für die Überwindung des Endlichen durch das Unendliche im endlichen Leben. Hegel sieht freilich bald, daß der christliche Glaube in die Positivität der jüdischen Religion zurückfallen kann und unmittelbar nach dem Auftreten Jesu selbst zurüdcgefallen ist, daß er als Religion notwendig positiv bleibt. Darum wendet er sich der Aufgabe zu, das Unendliche im Denken, in einer wissenschaftlichen Metaphysik zu entfalten. Sie ist nicht als Theorie bereits die höchste Form der Praxis, wie das „absolute Erkennen", das als Kreis in sich selbst zurückkehrt. Das zeigt sich darin: Der „große Mann" vermag sein Werk, „eine neue sittliche Welt zum Erwachen emporzuheben", nur in seiner Totalität zu vollbringen, weim er es in seiner Totalität erfaßt hat, wenn er „in der Schule der Philosophie gebildet" ist. »

b) Die „physikalische" Beschreibung der Idee in der „schellingianisierenden Periode" (1802-1803/04) Wie Hegels Metaphysik in den ersten Jenaer Jahren ausgesehen hat, ist im einzelnen nicht mehr zu ermitteln. Am Ende der Differenzschrift beruft er sich gegen REINHOLD auf SCHELLINGS Programm einer „physikalischen Erklärung des Idealismus". Gemeinsam mit SCHELLING stellt er sich die Aufgabe, von der „eignen Intention der Natur" her, d. h. „rein theoretisch, bloß objektiv ohne alle Einmischung von Subjektivem zu denken" Es scheint das Ergebnis der gemeinsamen Diskussionen mit SCHELLING ZU sein, wenn in dem Aufsatz lieber das Verhältniß der Naturphilosophie zur Philosophie überhaupt die Naturphilosophie nicht S. Werke 4. 79.

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als bloße „Theorie der Natur" oder „speculative Physik", sondern in der reinen Darstellung ihrer Prinzipien als das Organon, die Grundlegung der Philosophie begriffen wird Diese Gemeinsamkeit mit SCHELLING kann nicht einfach als Einfluß ScHELLiNGs auf Hegel gedeutet werden; sie ist gewiß das Ergebnis gegenseitiger Anregung. In den Gedanken Hegels über die Erhebung zum unendlichen Leben, die sich als Selbstaufhebung der Philosophie in Religion vollzieht, wie er sie in Frankfurt entwickelt hat, müssen Voraussetzungen aufweisbar sein, die es zumindest nicht als unmöglich erscheinen lassen, die Erfassung der Idee als „objectives Wissen", als die Selbstdurchsichtigkeit der Natur in ihrem Sichdenken darzustellen. Diese Voraussetzungen können nur im Begriff des Lebens gesucht werden, wie ihn Hegel am Ende der Frankfurter Zeit, am deutlichsten in dem besprochenen „Systemfragment von 1800" verwendet hat. Ohne Zweifel ist dieser Lebensbegriff vom geschichtlichen Leben her, dessen Entzweiung und Zerrissenheit überwunden werden soll, gedacht. Der Begriff der Natur steht in dieser Zeit selbst für ein geschichtliches Phänomen, für das „Schicksal" als die Gesamtheit der über subjektiven Kräfte in der Geschichte, die der spätere Hegel als „objektiven Geist" zu erfassen sucht 1^®.

Indessen läßt sich dieser Lebensbegriff offenbar durch organologische Vorstellungen konkretisieren. Es ist wahrscheinlich, daß Hegel damit in Frankfurt schon begonnen hat. Die Vorarbeiten zu seiner Habilitationsdissertation, die das systematische Ziel hat, den Lebensbegriff als Grundlage der Naturbetrachtung gegen eine mathematisierte Naturwissenschaft festzuhalten, sind wohl schon vor der Jenaer Zeit entstanden Ich werde darüber im ersten Abschnitt der Darstellung der Naturphilosophie noch Genaueres sagen. Für die Jahre 1803—1803/04 ist eine Durchdringung aller Systemteile von den Prinzipien der Naturphilosophie aus zu beobachten. Nach den Ausführungen des Systems der Sittlidikeit von 1803 kehrt in der Anschauung der absoluten Sittlichkeit des Volkes die „Realisation der Idee" in Natur- und Menschenwelt zum „Äther" als ihrem ersten allgemeinsten Prinzip zurück, in dem die Idee ihren reinsten, durch keine „unorganischen", die Einheit des Allgemeinen und Besonderen durchbrechenden Momente getrübten Ausdruck findet. Das Leben erfaßt sich hier als die S. Werke 4. 265 f., auch zum folgenden. S. Pol. 139 f. und Rosenkranz: Hegel's Leben. 189 f.; vgl. auch ED 404 die IX. der Habilitationsthesen. S. Hegel-Studien 4 (1967), 148 f.

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Einheit in den Gegensätzen des Endlichen und Unendlichen, als „organische Totalität", die „alle Seiten der Einzelheit in sich begreift". In der Geistesphilosophie von 1803/04 wird das Volk (um bei diesem Beispiel zu bleiben) als das „absolut allgemeine Element", als „Äther" dargestellt, sein Leben als „ein Aus- und Einatmen", sofern es rein für sich „als Tätiges gegen sich als Passives" tritt. Vom Bewußtsein heißt es, daß es zunächst als (sprachliches) im „Elemente der Luft" existiert, sodann (als arbeitendes) „sich von der Luft in die Erde . . . versenkt, sich hierin befestigt", drittens (in der Familie) „als gewordene oder bezwungende Erde hervortritt" und sich schließlich (im Volk) der „Existenz in den bestimmten Elementen (entreißt); und sein Element ist nur das absolute Element des Äthers" i®”. Man kann annehmen, daß es dementsprechend in der Metaphysik dieser Zeit als der Grundlegung des philosophischen Systems eine „physikalische" Beschreibung der Idee gibt. Diese scheint zwar gegenüber dem Aufsatz lieber das Verhältniß der Naturphilosophie zur Philosophie überhaupt in der Abhandlung über das Naturrecht auf gewisse Weise relativiert zu sein. Aber die Natur als solche bleibt auch hier methodisches und sachliches Modell der „sittlichen Natur". Ohne Zweifel werden die Begriffe des Lebens und des Äthers, auch der des Elements in der Metaphysik dieser Zeit eine wesentliche Rolle gespielt haben. Das läßt sich aus der Darstellung der Natur- und Geistesphilosophie von 1803104 entnehmen. Darin zeigt sich auch, daß die Begriffe des Lichtes und des Tones in Hegels spekulativer Physik eine grundlegende Bedeutung haben. Der Ton ist die Versenkung des Lichts in die Materie. Wie im reinen Äther des himmlischen Systems das Licht an sich alle Gesetzmäßigkeit der Zeit, des Raumes und der Bewegung zum Ausdruck bringt, so lassen sich in der irdischen Materie die Unterschiede der Stoffe, Elemente und Körper durch ihren Ton bezeichnen. Vom dumpfen oder helleren Geräusch, das schwere oder leichtere Stoffe abgeben, läutert sich der Ton zum Klang metallischer Körper, bis er in der Potenz des Organischen zur Stimme des Tieres oder schließlich in der menschlichen Sprache zur Mitte des Bewußtseins wird. Die metaphysische Bedeutung des Tones beruht darauf, daß nach dem Zeugnis von ROSENKRANZ über die Metaphysikvorlesung in Jena „das Erschaffen des Universums" nicht nur als „Emanation" im Sinne gnostischer oder neuplatonischer Lichtmetaphysik, sondern im Anschluß an S. Pol. 468, Realph. I 232 f., 230 (Anm. 1) und 204 (Einfügung im Zitat von mir).

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die biblische, christliche Schöpfungslehre „als Aussprechen des absoluten Wortes und das Zurückgehen in sich als Vernehmen desselben" dargestellt wird In dem Systementwurf von 1804, in dem eine neue Konzeption der Metaphysik vorliegt, verlagert sich diese Darstellung, z. T. mit wörtlichen Anklängen, in die allgemeine Einleitung der Naturphilosophie. Der realen Erscheinung der Idee im Naturprozeß als solchem wird hier eine „reine Erscheinung der Natur" vorgeordnet, in der diese ursprünglich in der Metaphysik beheimatete Thematik behandelt wird. Im „metaphysischen Prozeß des Lebens" wird das „sich selbsterhaltende Leben", das im „Auseinandergehen des Realen" als das „Gemeinschaftliche" in den einzelnen erscheinenden Gestalten erhalten bleibt, als Ausdruck der „Güte Gottes" aufgefaßt In der Metaphysikvorlesung, über die ROSENKRANZ referiert, ist diese Sache im Zusammenhang des „ewigen Erschaffens des Universums" (also wohl im Welt-Kapitel der Metaphysik) behandelt worden. An dieser Stelle ist ebenfalls von der „Gerechtigkeit Gottes" die Rede, von den einzelnen (ihrer absoluten Besonderheit = Seele), endlich von ihrem Widerstreit, der ihr wechselseitiges Sichaufheben im Allgemeinen zur Folge hat. Gott selbst (der höchste Gegenstand der Metaphysik) wird als „das ewig sich gleiche Selbstbewußtsein'' dargestellt, das „nicht unmittelbar in diesen Doppelproceß des Universums als eines zugleich ruhenden und werdenden versenkt" ist. Sondern sein „Wiedererschaffen des Erschaffenen", sein Verflochtensein in den Weltprozeß behält „absolut den Charakter der Idealität". Als in sich bleibender ist Gott „ewig Weisheit und Seligkeit". Die „Realisation der Idee", die von ihm abgefallene Welt, das einzelne in seiner „relativen Totalität" kann er als die „absolut allgemeine Totalität" nicht „richten", er nimmt es in sich auf, indem er sich seiner „erbarmt" c) Die theosophisch-mystische Darstellung der Gotteslehre in den Fragmenten „Vom göttlichen Dreieck" (1804) sagt von der Metaphysik der ersten Jenaer Jahre, daß in ihr eine „völlig spekulativ theologische Haltung" zu erkennen ist und daß die „absolute Idee" in einer „noch halb theosophischen Fassung" entwickelt wird Dieser Charakter der Metaphysik tritt in einem Systementwurf sehr stark in den Vordergrund, aus dem — ebenfalls in Referaten ROSENKRANZ

S. S. S. S.

Hegel's Leben. 193. LMN 189—192, vgl. 199 f. Rosenkranz: Hegel's Leben. 192 f. ebenda.

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und Zitaten bei ROSENKRANZ — Fragmente zur Lehre von Gott erhalten sind In Ergänzung der Charakteristik durch ROSENKRANZ ist jedoch zu sagen, daß in diesen Fragmenten auch die philosophisch-spekulative Konzeption der Metaphysik deutlich ausgeprägt ist. Im Unterschied zum „Systemfragment von 1800" führt die Erfassung der Idee nicht über das Denken hinaus und damit in den übergreifenden Zusammenhang des Lebens zurück, sondern das „Leben der Idee" soll als solches denkend begriffen werden. Die merkwürdige geometrisierende Darstellungsweise des Stücks „Vom göttlichen Dreieck" ist offensichtlich durch eine Beschäftigung mit J. BöHME angeregt, die für die Zeit nach SCHELLINGS Weggang aus Jena (Frühjahr 1803) bezeugt ist. H. GRUNSKY weist in seinem Buch Jacob Böhme auf ähnliche Versuche hin, die Dreieinigkeit Gottes unter Bezug auf die Silben des jüdischen Gottesnamens Jehova als Dreieck darzustellen ROSENKRANZ berichtet nun, Hegel habe an einem einfachen Dreieck nicht genug gehabt, sondern das „Leben der Idee" oder die „Dreieinigkeit" Gottes als ein „Dreieck von Dreiecken" zu erfassen gesucht. Eine Zeichnung, die in diesen sachlichen Umkreis gehört, deren Original sich unter nachgelassenen Papieren Hegels befindet und die man deshalb wohl auch Hegel selbst zuschreiben muß, zeigt indessen nicht ein „Dreieck von Dreiecken", sondern ein Dreieck mit Dreiecken, indem vor jeder Spitze eines großen mittleren Dreieckes je ein neues kleineres Dreieck zu sehen ist. Die „trianguläre" Grundstruktur pflanzt sich also gewissermaßen fort bis in die Einzelstrukturen. Der darin ausgedrückte Gedanke einer Durchdringung aller Bereiche des Seienden von dem Prinzip der Dreiheit aus, ist gewiß für die Entfaltung der Hegelschen Philosophie von entscheidender Bedeutung. Die begriffliche Darstellung des Gehalts dieser Zeichnung, die vielleicht eine Vorarbeit zu der schriftlichen Ausarbeitung ist, wenn sie überhaupt in diesen Kontext gehört, würde aber methodisch einer „ins Unendliche hinausgehenden geraden Linie" entS. Hegel's ursprüngliches System. — In: Literarhistorisdies Taschenbuch. Hrsg, von R. E. Prutz 2 (1844), 159—164; vgl. Hegel's Leben. 101 f. S. Rosenkranz: Hegel's Leben. 198 f.; zur Datierung des Fragments vgl. o. Anm. 105. S. H. Grunsky: Jacob Böhme. Stuttgart 1956. 95 f. Dort wird verwiesen auf Von der Gnadenwahl Kap. 1 Abs. 16 (J. Böhme: Werke. Nachdruck der Ausgabe von 1730 in elf Bänden. Stuttgart 1955. Bd 6), Betrachtung der göttlichen Offenbarung gestellet in 177 Fragen Frage 2 Abs. 7 (Bd 9), sowie auf andere Stellen, wo die Trinitätsspekulation mit dem Dreieckssymbol in Verbindung gebracht wird. Vgl. auch die Zeichnungen zur Schrift Vom Dreyfachen Leben des Menschen (Bd 3 nach S. 170) und zur Schrift Beschreybung der Drey Principien Göttlichen Wesens (Bd 2 vor dem Titelblatt).

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sprechen und nicht der in sich selbst zurückgehenden Kreislinie, die im ersten Halbjahr 1804 zum ersten Mal von Hegel für die Entwicklung des philosophischen Systems als absoluten Erkennens gefordert wird Wenn nicht vor jeder Spitze eines Grunddreiecks ein weiteres steht, sondern jede Seite zur Grundseite eines neuen, völlig gleichen Dreiecks wird, wie es dem Text der genannten Fragmente entspricht, kann man das Symbol so deuten, daß die Gesetzmäßigkeit, die im inneren Dreieck herrscht, in den äußeren genauso wiederkehrt. Nach dieser Konzeption könnte man alle Einzelbereiche des (göttlichen) Seins durchschreiten und würde doch immer in der Einheit seines sich selbst gleichen Wesens bleiben. Nach dem Referat von ROSENKRANZ ist es so, daß Hegel die drei äußeren Dreiecke „sich in der Weise durcheinander hindurchbewegen ließ, daß ein jedes nicht nur überhaupt einmal Extrem und einmal Mitte wurde, sondern daß es (jedes Dreieck) auch in sich mit jeder seiner Seiten diesen Prozeß durchmachen mußte." Die in jedem Dreieck symbolisierte Denkfigur ist ein in sich zurückkehrender Kreis, sofern sich zwei Extreme in einer Mitte miteinander vereinigen; und das „Dreieck von Dreiecken" steht gewissermaßen für die Struktur eines Kreises aus Kreisen, die in logischer Hinsicht als ein Schluß aus Schlüssen zu bestimmen ist. In der Terminologie der Wissenschaft der Logik von 1812/16 ließe sich dies als die Grundfigur des Schlusses a-b-e beschreiben, die in sich die Schlüsse A-E-B; E-B-A, B-A-E; A-B-E enthält. Dabei steht der zweite Schluß (E-B-A) für das mittlere Dreieck, das von den übrigen als den drei äußeren umschlossen wird. Die Bewegung durch die Dreiecke hindurch läßt sich formal wie folgt beschreiben: Das Allgemeine ist als unentwickeltes unmittelbar das einzelne und damit auch besondere Gestalt. (Indem es sich von sich aus zu entwickeln strebt, tritt das einzelne als einzelnes hervor, das durch das Besondere mit dem Allgemeinen verbunden bleibt.) Das Besondere in seiner Einheit mit dem Allgemeinen muß sich in das einzelne verlieren; darin tritt es sich gegenüber. In der Resumtion aus der Vereinzelung entwickelt es sich zu sich als dem Allgemeinen, das durch das Besondere mit dem einzelnen vermittelt ist. In dem Text, der unter dem Titel „Vom göttlichen Dreieck" überliefert ist, bleibt es nicht bei der in sich selbst ruhenden Bewegtheit eines ewigen Kreisens, sondern die Bewegung durch die Dreiecke und durch jedes Dreieck hindurch führt zu einer noch höheren Ruhe, gleichsam zu einer S. o. Abschnitt B c y ßß des Ersten Teils (bes. Anm. 88). S. Hegel’s ursprüngliches System. 160 (Einfügung im Zitat von mir), auch zum folgenden.

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Idee über der Idee. Hegel sucht „die Totalität als über den Dreiecken und ihrem Prozeß ruhendes Viereck auszudrücken". Dieses wird aus dem ersten Dreieck zusammen mit dem mittleren als seinem symmetrischen Gegenstück gebildet. Das entspricht der Sache nach Hegels ursprünglicher Konzeption der Metaphysik, daß die geschichtliche Bewegung in der Idee und durch die Idee Ruhe, d. h. Stabilität gewinnen soll, indem sie über die Entgegensetzung des endlichen Lebens hinausgelangt. Die in sich als bewegt gedachte Idee geht noch einmal über sich hinaus zur absoluten Ruhe. Wenn man zur Interpretation dieses Sachverhalts die dritte von Hegels Habilitationsthesen: „Quadratum est lex naturae, triangulum, mentis" mit heranziehen darf, ergibt sich folgendes. Die Natur ist in Gott als Gott über Gott gedacht. Sie ist der Grund des Grundes, der Urgrund des Seins, die Quelle aller Bewegung, die selber, als das, woraus alle Bewegung quillt, unbewegt ist. Die „physikalische" Beschreibung der Idee wäre gewissermaßen nur für diese höhere Idee zutreffend. Die beiden ersten Dreiecke, die zusammen ein Viereck bilden, enthalten in sich die Bedingung der Vereinzelung (drittes Dreieck), welche aber in die Einheit mit dem Allgemeinen (viertes Dreieck) zurückgebunden bleibt. Das entspricht dem Naturbegriff der ersten Jenaer Zeit, in dem die unmittelbare Einheit des Allgemeinen und Besonderen als die Voraussetzung der Überwindung der Entzweiung in der Menschenwelt gedacht wird. Dieser Sachverhalt wird im ersten Abschnitt der Darstellung der Naturphilosophie noch im einzelnen zu entfalten sein. Das erste Dreieck symbolisiert nach Hegel das „Reich des Vaters". Sein reines Lichtgeschehen beugt das Licht unmittelbar in sich zurück. Zusammen mit dem zweiten (mittleren) Dreieck, in dem das einzelne als einzelnes gesetzt und sichtbar wird, repräsentiert es unmittelbar das Ganze, die Einheit des Allgemeinen und Besonderen, die der Entzweiung in einzelne Gestalten, in die das Allgemeine sich verliert, vorauszudenken ist. Das Viereck aus den beiden ersten Dreiecken liegt demgemäß mit diesen nicht in einer Ebene. Gegenüber dem Aufweis der Bedingungen der Vereinzelung im zweiten bildet es eine Begründung für die Einheit des ganzen, die vor alle Besonderung in einzelne Gestalten zurückgeht. Im Hinblick darauf kann man sagen, daß das zweite Dreieck mit dem ersten so verbunden ist, daß es wie „die reine Gottheit über ihm schwebt" Das zweite Dreieck, für sich genommen, steht für das „Reich des Sohnes", das in sich ein doppeltes ist. Es hat nicht nur eine besondere BezieS. ebenda, 163 £., auch zum folgenden (Einfügungen in den Zitaten von mir).

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hung zur höheren Idee der „reinen Gottheit", es muß auch „Umschlägen in sein Entgegengesetztes (das dritte Dreieck, das den äußeren Gegensatz zum ersten darstellt), der Sohn muß durch die Erde hindurchgehen, das Böse (die Endlichkeit) überwinden". Auf Grund seiner Selbstverdopplung ist das zweite Dreieck die vermittelnde Mitte, die das einzelne mit dem Allgemeinen versöhnt. „Die Mitte ist in dieser Bewegung der Geschichte die Alles wirkende Kraft der absoluten Einheit, die über dem ersten (der beiden sich gegenüberstehenden Dreiecke) schwebt, und dieses in sich aufnimmt und in sich zu einem anderen verwandelt." Aus den drei bisherigen Dreiecken hat sich das vierte (als das dritte äußere Dreieck) „unmittelbar gebildet". Es symbolisiert das „Reich des Geistes", die „Rückkehr von Allem in Gott selbst". In ihm vollendet sich das „Dreieck von Dreiecken", in dem Hegel die Dreieinigkeit Gottes nicht nur vorstellen, sondern denkend „begreifen" will. Durch seine Rückkehr in sich selbst ist das Erkennen des Seins Gottes zu einem „Selbsterkennen Gottes" geworden, zu einem „neuen mit Gott eins seienden Erkennen" und die Mitte, die absolute Einheit der Idee in ihrer höchsten Form und in ihrer irdischen Erscheinung, „eine schöne, freie, göttliche Mitte, das Universums Gottes" Indem Hegel die Idee als eine in sich lebendige und darum auch bewegte zu begreifen sucht, den Vollzug dieser Bewegung als eine Art „Geschichte" faßt, schafft er für sein ursprüngliches Problem, die Überwindung der Positivität des geschichtlichen Lebens, im Zentrum seiner theoretisch-spekulativen Arbeit eine Grundlage. Die Bewegung der Idee kann auf diese Weise nur eine solche sein, die in sich selbst auch Ruhe ist, d. h. eine in sich zurückkehrende Kreisbewegung. Daß die in sich bewegte Idee noch einmal über sich hinaus zu einer absoluten Ruhe führt, ist in die späteren Systementwürfe Hegels nicht mehr aufgenommen. Was dies für die Frage des sich in sich abschließenden Systems der Philosophie bedeutet, ist schwer zu sagen, da der auf dieser Metaphysik aufgebaute Systementwurf fragmentarisch bleibt. Die Kreisbewegung des Erkennens, das ist klar, bildet eine wesentliche Voraussetzung dafür, daß die philosophische Theorie zu einer in sich abgeschlossenen, selbst zur höchsten Form der Praxis wird. Möglicherweise liegt in dem Gedanken des über dem Prozeß ruhenden höchsten Prinzips des Ganzen eine gewisse Anknüpfung an das „Systemfragment von 1800", *** S. ebenda 161. Eine genauere Darstellung gibt Rosenkranz nur von der Gotteslehre. Die übrige „trianguläre" Konstruktion des Systems (d. h. der Naturphilosophie bis zur „Construction des Thieres") wird sehr summarisch referiert.

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das durch den Übergang der Philosophie in Religion unmittelbar auf eine reale Überwindung der geschichtlichen Gegensätze abzielt. d) Der neue Entwurf einer wissenschaftlichen Metaphysik in dem Manuskript von 1804 Es bezeichnet den neuen wissenschaftlichen Ausgangspunkt des Manuskripts zur Logik, Metaphysik und Naturphilosophie, daß das Erkennen insgesamt, von seinem ersten Anfang bis zu seinem in den Anfang zurückgehenden Ende, einen Kreis durchläuft und daß in dieser Kreisbewegung die gesamte Philosophie beschlossen ist. Eine Ruhe über der Bewegung ist von dieser Voraussetzung aus nicht mehr denkbar, nur die Ruhe in der Bewegung, die durch die Rückkehr der Bewegung in sich selbst ausgedrückt wird. So ist mit der Abwendung von der „halb theosophischen Fassung" der Metaphysik und der Hinwendung zu einer „rein wissenschaftlichen Behandlungsart der Philosophie" zugleich verbunden, daß der Begriff nun „selber der Vermittler zwischen sich und dem Leben" wird, „indem er das Leben in sich, den Begriff im Leben" findet a) Zur Methode: „Wissenschaftlichkeit" und „absolutes Erkennen" Daß der Standpunkt des absoluten Erkennens, der sich in dem Bewußtsein der Einheit von Erkennen und Gegenstand ausdrückt, zum „absolut ersten Satz" der Philosophie erklärt wird, aus dem alle anderen folgen, weil sie in ihm bereits enthalten sind hat in der Konzeption der Logik, wie ich gezeigt habe, eine tiefgreifende Umgestaltung eingeleitet. Ein Gliederungsentwurf zur Metaphysik aus dieser Zeit macht deutlich, was dieser Standpunkt für die Konzeption der Metaphysik bedeutet. „Die Idee des Erkennens ist das erste der Metaphysik". Auch „das Erkennen außerhalb des Erkennens", das „Ding an sich" ist als Erkennen zu erfassen ^®®. Hier liegt die Wurzel für den „Fichteanismus" des großen Manuskripts von 1804, den ROSENKRANZ bemerkt hat, die Reflexion auf das „Verhältniß des erkeimenden Bewußtseins zu seinem Erkennen", die später in der Phänomenologie des Geistes eine „selbständige Bearbeitung" erfährt ^®*. Diese verstärkte Orientierung an FICHTE kommt 1804 zunächst in der Bestimmung des methodischen Ausgangspunkts der Metaphysik zur Geltung. Unter Rückgriff auf eine Unterscheidung, die Hegel selbst in i“ Rosenkranz: Hegel's Leben. 182, vgl. Briefe. Bd 1. 85. S. Realph. I 264 f. S. LMN 130 Anm. 1. i*"> Hegel's Lehen. 112.

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späterer Zeit zur Kennzeichnung des Verhältnisses von Religion und Philosophie einführt, kann man seinen Ansatz einer wissenschaftlichen Metaphysik im strengen Sinne so umschreiben, daß er das Material der alten vorkritischen Metaphysik, wie sie vor allem von SPINOZA und von LEIBNIZ entwickelt worden ist, in seine Darstellung aufnimmt, dieser Darstellung aber die Form des Begriffs, des seiner selbst gewissen wissenschaftlichphilosophischen Denkens gibt. Durch die Aufnahme dieses Materials wird die Position FICHTES, die hier — wie gesagt — verstärkt im Spiele ist, von ihrer Einseitigkeit befreit, welche Hegel am Anfang der Jenaer Zeit so vehement kritisiert hat. Die vorkantische Metaphysik bildet gewissermaßen die objektive Seite der Subjekt-Objekt-Identität als ganzer, in der Hegel nach wie vor das Absolute, die Idee, erblickt. Der „kritische Idealismus", wie er bei FICSETE auftritt, die Unterscheidung in theoretisches und praktisches Ich, kommt in der Entfaltung der subjektiven Seite des Absoluten ausdrücklich zur Sprache. Indem Hegel neben die „Metaphysik der Objektivität" die „Metaphysik der Subjektivität" stellt, sucht er den Standpunkt einer kritisch gesicherten Wissenschaftlichkeit zur Geltung zu bringen. Bei dieser Gegenüberstellung gilt es freilich zu vermeiden, was bereits in Glauben und Wissen kritisiert wird, daß neben einen „Dogmatismus des Seyns" ein „Dogmatismus des Denkens" gesetzt wird, ohne daß die Einheit und die Entgegensetzung in der Einheit von Sein und Denken erfaßt ist. Deshalb ist es notwendig, am Anfang der Metaphysik die erkenntnistheoretischen Voraussetzungen, die ihre Wissenschaftlichkeit sichern, über die Behandlung der Erkenntnisproblematik am Ende der Logik hinaus, „näher" zu betrachten. Dies betont Hegel in einem Fragment, das die methodischen Grundlagen des Systems zu klären sucht. Darin wird parallel zu der zweiten Anmerkung zum Anfang des Systems das absolute Erkennen unter dem Aspekt des methodischen Selbstbewußtseins dieses Erkennens untersucht. Der methodisch-wissenschaftliche Neuansatz läßt Hegel auch eine eigene philosophische Sprache finden. Nachdem er im System der Sittlichkeit und in den naturphilosophischen Arbeiten, die er seit dem Sommer 1803 mit großer Intensität aufnimmt, sehr stark von SCHELLINGS Terminologie beeinflußt ist, gerät er in dem Systementwurf, aus dem das Stück „Vom göttlichen Dreieck" stammt, in einen „Mysticismus", den er nun als ein „trübes Mittelding zwischen dem Gefühl und der Wissenschaft” abqualifiziert. Die neue wissenschaftliche Sprache soll in der Philosophie 1“’ S. Werke 4. 412 f., zum folgenden Dokumente zu Hegels Entwicklung. 308 f. und Realph. I 266 (bes. Anm. 2) — 268, vgl. LMN 133 f.

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die „fremde Terminologie" überwinden, die Begrifflichkeit des spekulativen Denkens in der deutschen Muttersprache „einheimisch" machen. Er wendet sich in diesem Zusammenhang besonders gegen den „leeren Formalismus" der naturphilosophischen Modesprache, den er nicht so sehr bei ScHELLiNG selbst als bei denen findet, die ihm nachsprechen; auch gegen den Geniekult der Romantik, weil die „Philosophie als Wissenschaft der Vernunft durch die allgemeine Weise ihres Seins ihrer Natur nach für Alle ist", sofern sie hinreichenden Gebrauch von ihrer Vernunft zu machen wissen In diesen Zusammenhang gehört, was Hegel im Mai 1805 an Voss schreibt: er wolle wie dieser den HOMER nun auch „die Philosophie deutsch zu sprechen lehren" ß) Metaphysik als Wissenschaft Die Behandlung der erkenntnistheoretischen Problematik über das in der Logik schon Gesagte hinaus stellt Hegel unter die Überschrift „Das Erkennen als System von Grundsätzen". Aber er folgt hier nicht, wie in der Deduktion der Kategorien, dem Vorbild der KANxischen Entwicklung, der in der Kritik der reinen Vernunft im zweiten Buch der transzendentalen Analytik das „System aller Grundsätze des reinen Verstandes" aufstellt, indem er die Verbindung der Kategorien zu synthetischen Urteilen a priori, wie sie die Metaphysik enthält, auf ihre mögliche Wissenschaftlichkeit hin untersucht Sobald nicht mehr die Bedingungen des Erkennens überhaupt, sondern das Ansich des Erkennens zum Thema gemacht wird, kann Hegel dem Leitfaden der KANxischen Argumentation nicht mehr folgen, weil dies der Punkt ist, an dem KANX nach der Auffassung Hegels von der kritischen Untersuchung der apriorischen Formen des Erkennens zur dogmatischen Annahme eines „Dings an sich" übergeht, das als Substrat in der „Materie der Empfindungen" vorausgesetzt wird. Aber Hegel schließt sich auch nicht unmittelbar der Kritik FICHXES an der KANxischen Position an. Die drei „Grundsätze" am Anfang der Wissenschaftslehre sind bei Hegel offensichtlich von Motiven der LxiBNizschen Philosophie überformt, wenn für ihn das System der Grundsätze des Erkennens daraus entsteht, daß der „Satz der Identität", der zugleich als Satz des Widerspruchs gefaßt wird, dem „Satz der Ausschließung eines dritten" und beide wiederum dem „Satz des Grundes" zugeordnet werden S. Rosenkranz: Hegel's Leben. 182—188. Briefe. Bd 1. 100. S. Kritik der reinen Vernunft Ausg. B. 169—315, bes. 197 ff. 171 Vgl. o. den Schluß des Abschnitts C a a über die Verwerfung eines „absoluten Grundsatzes" im Sinne Fichtes (Werke 4. 23—27). ***

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aa) Das System der Grundsätze des Erkennens Die Logik von 1804 geht zwar an ihrem Ende in ihren Anfang zurück; aber sie wird noch nicht als die vollendete Entfaltung des Standpunkts des absoluten Erkennens aufgefaßt. Es ist vielmehr so, daß mit dem Kreislauf, der durch die Aufeinanderfolge der formalen Bestimmungen des Erkennens entsteht, nur die „logische Unendlichkeit" dargestellt wird. Wie am Ende der Entfaltung des „Verhältnisses des Seins" die Unendlichkeit in der Wechselwirkung als dem Gleichgewicht verschiedener Kräfte zur Ruhe gekommen, paralysiert war so kommt es mit der „Erfassung der Gleichheit" der Verhältnisse des Seins und des Denkens ebenfalls zu einer Paralyse der unendlichen Bewegtheit des absoluten Erkennens in sich selbst. „Das Erkennen ist absolut negative Einheit der Bewegung." Indem das Erkennen sich als seinen eigenen Inhalt begreift, muß es als „absolutes Ich" gedacht werden, das „hiemit zugleich eine andere Potenz, und das erste Moment derselben" geworden ist. Es ist nun von einem neuen zugleich inhaltlich bestimmten Ausgangspunkte her die „positive Seite" des Erkennens zu entfalten, die Identität von Erkennen und Gegenstand nicht nur formal als die „Gleichheit der Verhältnisse" des Seins und des Denkens auszudrücken. Die Gleichheit wird nicht mehr als Proportion, d. h. als ausgewogenes Verhältnis von Verschiedenen, sondern als „Vertilgung aller Verschiedenheit", als Identität an sich, aufgefaßt. Die Formel A = A bedeutet: „Nicht die Bestimmtheit A ist an sich", das wäre ein Rückfall hinter die KANxischen Erkenntnisrestriktionen, „sondern daß sie sich selbst gleich sei, dies ist an sich". Sie ist „dem Anderssein entnommen", weil sie „in der Tat", nicht nur als Sollen, „als diese Bestimmtheit vertilgt, ganz ideell ist oder gesetzt ist als ein Erkanntes", in dem ein Erkennender sich selbst erkennt Damit ist zugleich der Unterschied zur „intellektuellen Anschauung" als einem bloß formalen Ausgangspunkt der Philosophie bezeichnet, wie sie bei FICHTE vorkommt und von SCHELLING zuerst in der 1795 erschienenen Schrift Vom Ich oder über das Unbedingte im menschlichen Wissen übernommen wird. Innerhalb der Identität an sich kann keine Entgegensetzung gedacht werden, „sie ist der Dialektik entnommen". Ihr Widerspruch ist ihre absolute Selbstaufhebung. Dem Satz der Identität entspricht der Satz des Widerspruchs als seine absolute Negation. Diese Problematik (IdenS. o. Anm. 32. S. LMN 133 f., auch zum folgenden. LMN 135 audi zum folgenden.

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tität und Widerspruch) wird von Hegel unmittelbar mit der Frage nach dem Eins und dem Vielen zusammengedacht, die im PLAXONischen Parmenides als die grundlegende begriffliche Bestimmung der Idee entwickelt wird. Nach Hegel kann es immer nur die Einheit der sich selbstgleichen Beziehung (Identität) oder die Vielheit beziehungsloser einzelner (Widerspruch) geben. Wie in der Einheit der Sichselbstgleichheit nicht die Vielheit beziehungsloser einzelner gedacht werden kann, so ist umgekehrt auch die Vielheit als für sich gesetzt zu denken. Ihr Gegenteil ist die Einheit an sich als die absolute Aufhebung aller Vielheit. Ein Drittes ist ausgeschlossen. Im Ansich des Erkennens können aber nicht einmal die Einheit, das andere Mal die Vielheit als unverbundene nebeneinander stehen bleiben. Das Erkennen muß die Gegensätze in ihrer Absolutheit erfassen, sie aber dennoch als die Einheit in diesen Gegensätzen überwinden. Wie in der Logik das Sichbestimmen schlechthin das andere seiner selbst und doch eins mit diesem seinem Gegenteil ist, so erfaßt sich hier, am Anfang der Metaphysik, das Erkennen in seinem absoluten Gegensatz als sich selbst und damit als die Einheit der Einheit und des Widerspruchs. Diese Einheit ist der Grund für jede einzelne sich in sich entgegensetzende Bestimmung und ihr diese Entgegensetzung überwindendes Einssein. Die „Realisation des Erkennens" in der Sphäre des Ansich gegenüber der formalen Entfaltung der begrifflichen Bestimmungen ist als „sein zweites Werden" sein Werden zum Grunde. „Der Inhalt" des Erkennens als Erkennen, „der zum Grunde wird, ist das Werden des Erkennens innerhalb seiner selbst oder sein Werden für sich selbst." Der Grund des Erkennens ist die Reflexion des Erkennens in sich selbst Damit ist die Einheit von Erkennen und Gegenstand, die am Anfang des Systems vorausgesetzt wird, aus der Sache selbst erwiesen. Die Thematik des „Systems der Grundsätze des Erkennens" kehrt unter veränderten Bedingungen in der Logik von 1812/16 als „Logik des Wesens" wieder, in der die Seinsbestimmungen, wie sie im Ersten Teil zur Darstellung gekommen sind, vertilgt, in einem zweiten Werden als reine Reflexionsbestimmungen neu aufgestellt und damit zum Grunde der nicht in sich reflektierten Seinsbestimmungen werden. Die Reflexion, nicht als unmittelbare, äußere, die dem Endlichen verhaftet bleibt, sondern als das Insichgehen der Bestimmungen, worin sie sich selbst als sich bestimmende erweisen, macht sie zu reinen Wesenheiten, die von der Entgegensetzung des Bestimmten und Bestimmenden völlig frei sind. „Das LMN 141 f.

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Werden im Wesen, seine reflektierende Bewegung, ist daher die Bewegung von Nichts zu Nichts und dadurch zu sich selbst zurück." ßß) Metaphysik der Objektivität Als die vollendete Einheit des Erkennens mit sich selbst und seinem Widerspruch findet dieses in sich seinen Grund. „Das Ansich ist also nicht der erste, noch der zweite Grundsatz, wie sie sich ausdrückten, sondern an sich sind sie der dritte." Das ist eine deutliche Abgrenzung gegenüber FICHTE, der die Voraussetzungen für die Einheit des Bestimmenden und Bestimmten im ersten und im zweiten Grundsatz seiner Wissenschaftslehre entwickelt und im dritten nur den äußeren Vollzug ihrer Vereinigung durch ihre Teilbarkeit setzt, ohne daß dadurch eine neue, höhere Stufe erreicht wird. Die Metaphysik kann daher nicht wie bei FICHTE und in der gesamten Reflexionsphilosophie von vornherein als Metaphysik der Subjektivität entfaltet werden. Von der Einheit der Einheit und des Widerspruchs aus, die im „Satz vom Grund" als die Einheit, die sich im Erkennen realisiert, gedacht wird, muß sie von einer „Metaphysik der Objektivität" ausgehen. „Dieser Grund oder Erkennen ist das, was (in der Sprache der alten metaphysica specialis) die Seele genannt wird." Die Seele existiert als die sichselbstgleiche Einheit, die sich in die beziehungslose Vielheit verliert und sich aus diesem Sichverlieren zurücknimmt in die Einheit der Einheit und der Vielheit. Als dies sich „in sich selbst Reflektieren, das sich zu seinem ersten Momente macht und sein eigner Inhalt wird", ist sie das „Eins der Substantialität und der Subjektivität" Dieser Gedanke taucht — wie es scheint — neu auf gegenüber der Metaphysik des Systementwurfs von 1803/04, von dem nur noch Fragmente aus der Natur- und Geistesphilosophie erhalten sind. Die Idee als Subjekt-Objekt-Identität ist in dem früheren Systementwurf im Sinne SPINOZAS als „absolute Substanz" aufgefaßt, die nicht noch einmal vom Prinzip der Subjektivität aus begründet wird Die Konstruktion der Idee „gelangte" bis zur absoluten Substanz, der Einheit des Seins und des Werdens, die dann in der Natur unmittelbar „auseinanderfiel", um sich als konkrete Allgemeinheit in der Unendlichkeit ihrer Besonderungen zu realisieren. S. WdL II 13. S. LMN 139. LMN 144 (Einfügung im Zitat von mir). LMN 146. S. Realph. I 195, auch zum folgenden.

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Eine Übergangsstufe kann man in der Konzeption der Metaphysik erblicken, zu der das Fragment „Vom göttlichen Dreieck" gehört, sofern hier das Sein Gottes in seinem Werden als ein Sicherkennen Gottes dargestellt wird. Gott erkennt im Universum des Seins sich selbst als sein eigenes Ansich. Die Intelligibilität, das Sicherkennen wird zum Grundzug des Seins, der mit der Substantialität, der Einheit von Sein und Werden, unmittelbar verknüpft ist. Hier liegt die Wurzel für die stärkere Annäherung der Grundlegungsproblematik an den transzendentalphilosophischen Ansatz im Sinne FICHTES, die man angesichts der in der Einleitung dieser Arbeit erwähnten Ausführungen Hegels am Ende der Differenzschrift als eine Wiederannäherung bezeichnen muß. Nach dem Entwurf der Metaphysik von 1804 liegt die Substantialität der Seele darin, daß sie in ihrem Einssein mit sich als ihrem eigenen Ansich nicht gleichgültig gegen anderes bleibt, sondern dieses als different von sich, als Vielheit der an ihr gesetzten Akzidenzen (Attribute, Modi) bestimmt. Auf Grund ihrer Subjektivität kehrt die Seele aber aus den Differenzen, dem Wechsel der Bestimmtheiten zu sich selbst zurück als dem zugleich Bestimmenden und Bestimmten. Die in diesem Kreislauf ausgedrückte Einheit von Freiheit und Notwendigkeit „ist nicht ein Schein", wie es KANT in seiner Lehre von den „Paralogismen der reinen Vernunft" darstellt Sie erweist sich darin als real, daß die Seele im anderen bei sich selbst bleibt, weil dieses „ebenso ein sich in sich reflektierendes Ansich" ist, „ebenso eine vorstehende Monade als die Seele". Damit ist die Welt, als „eine absolute Vielheit von Monaden", in der Bestimmung der Seele als solcher gesetzt Das Sichverlieren der Seele, das zugleich ein Sichfinden oder Sicherhalten ist, bezeichnet Hegel durch einen Ausdruck, der — wie der Begriff der Monade — von LEIBNIZ übernommen zu sein scheint, als das „Verschwinden in der tätigen Kette" Daß die Seele sich verliert, tätig ist gegen anderes, dabei aber zugleich sich in sich reflektiert als einfaches, sich erhält, der Weltprozeß, ist zunächst als die Einheit des Prozesses der Gattung und des einzelnen zu erfassen. Die Freiheit bewährt sich hier in einer „höheren Sphäre", indem sich der „Selbsterhaltungsprozeß Vgl. Kritik der reinen Vernunft Ausg. B. 399 ff. S. LMN 148 f. und 151, auch zum folgenden. 183 Ygi Q IV Leibniz: Brief an Varignon. — In: Hauptschriften zur Grundlegung der Philosophie. Hrsg, von E. Cassirer. Hamburg 1966. (3. Aufl.) Bd 2. 74—78, bes. 77; vgl. Betrachtungen über die Lebensprinzipien und über die plastischen Naturen. 63—73, wo sich Leibniz auf die englischen Neuplatoniker (Cudworth, More) bezieht; deren Vorstellung der „chain of being" möglicherweise im Begriff der Kette der Monaden aufgenommen ist. 181

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der Gattung", das Werden der Seele zur Gattung, zugleich als „Erhaltungsprozeß des Einzelnen" erweist. Die Verkettung der Monaden im Weltprozeß bedeutet nicht, daß zwischen ihnen keine Differenz stattfinden kann, kein Übergang „ins absolut Entgegengesetzte", wie er „durch die Gewalt der Unendlichkeit" herbeigeführt wird. Dieser Unterschied zum LeiBNizschen Kontinuitätsprinzip wird in der Naturphilosophie von 1803/04 klar herausgestellt Die Bedingung solcher Differenz wird in der hier zu besprechenden Metaphysik durch ein Erkennen gedacht, in dem „sein es selbst Sein ein anderes ist als es selbst". Das wird zunächst gezeigt an der „Geschlechtsdifferenz", in die sich „die Gattung auseinanderreißt". Das Erkennen wird ein Anerkennen, damit die Gattung sich realisieren kann Es gibt aber auch noch weitere „Unterscheidungen der Reflexion in sich selbst", die indessen nicht „für uns" als menschlich-endliches Erkennen aus der Seele, dem Erkennen, hervorgehen, sondern nur für diese selbst. Im Weltprozeß wird die Seele Gattung, „welche, als Ganzes in ihren Momenten bleibend, sie different gegeneinander setzt und in ihnen existiert". Die Seele ist also wie bei SCHELLING im Grunde als Weltseele aufgefaßt, aber so, daß sie streng als Erkennen, als Intelligibilität gedacht wird. Hegel kommt hier zur Grundlegung eben jener Erweiterung des Bereichs der Transzendentalphilosophie, die SCHELLING im Jahre 1800 in seiner brieflichen Diskussion mit FICHTE SO nachdrücklich gefordert hat und die FICHTE selbst in einem strengeren als dem von SCHELLING angedeuteten Sinn zu entwickeln versprach In der „Entzweiung in Geschlechter" und in der „Existenz der natürlichen Dinge" ist „das reale Erkennen außer dem formalen getreten", nicht in jedem Moment des Naturprozesses ist die Gattung voll im einzelnen gegenwärtig. Aber die Totalität der „existierenden Dinge" ist aufgehoben in der Gattung, wie die Gattung ihrerseits aufgehoben ist in der Allgemeinheit der Seele als „erkennendem Erkennen". So kann man sagen: „Die Monaden als existierende Dinge drücken nur ein und ebendasselbe Allgemeine aus; ihre Vielheit sowie die Bestimmtheit ihrer Bewegung ist das schlechthin Zufällige". Nur erst die Gattung ist „dasjenige, worin die Einzelheit sich aufhebt; sie ist die differente Einheit, worin die Einzelheiten Momente sind, die selbst zur Gattung werden"

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S. Realph. I 154 f. S. LMN 152 und 154, auch zum folgenden. S. o. in der Einleitung Anm. 27. LMN 154, s. auch zum folgenden.

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ERSTER TEIL: LOGIK UND METAPHYSIK

Freiheit und Notwendigkeit fallen nicht mehr unmittelbar zusammen. Die Bewegung der einzelnen Dinge, die sich in der Zufälligkeit zu verlieren scheint, kehrt gewissermaßen von sich aus in den Kreislauf der Gattung zurück. Die Gattung „ist der Kreislauf, der sich selbst zum Kreisläufe wird"; d. h. in ihr ist die Freiheit in ihrer Einheit mit der Notwendigkeit nur als passive realisiert. Hier ist eine geheime Teleologie am Werk, die erst in den folgenden Systementwürfen Hegels deutlicher hervortritt Im Zusammenhang der Metaphysik von 1804 führt die „schlechte Notwendigkeit" der Gattung über sich hinaus zu der „absoluten" eines tätigen Wesens, in dem die Seele aus ihrem Gegensatz zurück-, wieder zu sich selber kommt. In dem Kapitel „Das höchste Wesen" nimmt Hegel sehr stark die Begrifflichkeit SPINOZAS auf, dessen Bedeutung für die Entfaltung der spekulativen Philosophie er seit der Differenzschrift immer wieder betont hat Das Sicherhalten der Seele wird gemäß der cartesianischen Tradition, in der SPINOZA steht, als res cogitans bezeichnet; das Differentwerden ihrer Momente im Gattungsprozeß tritt ihr als res extensa gegenüber. Im Zusammenhang der Hegelschen Argumentation ist demgemäß der Standpunkt SPINOZAS folgendermaßen zu formulieren: „Das höchste Wesen hat den Gegensatz des Sichselbsterhaltenden oder des Denkens und des Seins oder der Ausdehnung nur als ein Attribut, als Moment, als Ideelles in sich, nicht als Substanz, Ansichseiendes, sondern es ist vielmehr dessen Ansichsein, und die Unterschiede gehören nur der Idealität, dem Nichts an sich an." Die Spuren jener christlich gewendeten neuplatonischen oder gnostischen Spekulation, die Hegel wohl in erster Linie von J. BöHME übernommen hat und die in den früheren Entwürfen der Metaphysik für die Gotteslehre charakteristisch war, sind auch in dieser Darstellung noch sichtbar. Die „Erscheinung der Vielheit", die im höchsten Wesen nur ideell gesetzt ist, wird als dessen „Emanation" bezeichnet, in der es aber absolut sich selbst gleich bleibt. Die „Finsternis", auch das „böse Prinzip" genannt, ist „in der reinen Klarheit" des göttlichen Lichts nicht vorhanden; sie „ist das Nichts für das Licht", weil sie ihm „schlechthin als sich gleich ist". Oder umgekehrt ausgedrückt: „Ebenso ist das Licht nicht ohne Finsternis als diese nicht ist."

S. o. Exkurs: Zur Einführung des Zweckbegriffs in der Realphilosophie von 1805106. 93—95. 18» Vgl. Werke 4. 24, 71, 208, 352—359 u. ö. LMN 159 f., s. auch zum folgenden.

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Die Rätsel dieser bildlichen Ausdrudcsweise lassen sich vielleicht auflösen, wenn man voraussetzt, daß hier in den Begriffen des menschlichendlichen Erkennens die Unendlichkeit des höchsten Wesens ausgedrückt werden soll. Freiheit und Notwendigkeit, Licht und Finsternis, gutes und böses Prinzip sind in Gott zu der „ätherhellen Durchsichtigkeit und Klarheit" seines Wesens verbunden. Die Dualität dieser Prinzipien tritt nur hervor, sofern das höchste Wesen sich nicht als völlig eins mit seiner Welt erkennt, das absolute Sichaufheben der darin herrschenden Finsternis ins göttliche Licht nicht selbst denkt. Aber ohne das Hervortreten der Dualität wird sich das göttliche Erkennen seines eigenen Erkennens nicht bewußt. Die Wirklichkeit Gottes bedarf des menschlich-endlichen Erkennens, um sich als Erkennen selbst zu erkennen, um Bewußtsein zu werden. Das menschlich-endliche Erkennen erweist sich so als ein Moment im Selbsterkennen Gottes. Übersetzt man dies in die bildliche Ausdrucksweise des Kapitels über das höchste Wesen zurück, so ergibt sich etwa dies: In der Klarheit des göttlichen Lichts ist die Finsternis zwar als ein absolut aufzuhebendes, aber dennoch als ein absolut notwendiges Prinzip des Erkennens gesetzt, das sich als sein eigenes Ansich erfassen muß. Metaphysik der Subjektivität Mit der Erhebung des menschlichen Erkennens in die Wirklichkeit Gottes muß nicht die Philosophie aufhören, wie es im „Systemfragment von 1800" von der Erhebung des endlichen zum unendlichen Leben hieß. Die Idee vollendet sich auch nicht in ihrer Konstruktion zur Einheit von Sein und Werden in der „absoluten Substanz", wie es 1803/04 der Fall gewesen zu sein scheint Der „wissenschaftliche" Ansatz der Metaphysik verlangt, daß sich das höchste Wesen seiner selbst als erkennendes Erkennen bewußt wird. Das höchste Wesen kehrt „in seinen Anfang zurück, als Ich, ist in dieser Rückkehr selbst sein erstes Moment", ein Bestimmtes, „und ist es dadurch, daß es in sein Wesen", die absolute Allgemeinheit, die Bestimmtheit aufnimmt. „Oder seine Rückkehr ist sein zum Bewußtsein (Kommen), daß das Entgegengesetzte es selbst ist." Die „Metaphysik der Objektivität" geht zu ihrer kritischen Begründung und Rechtfertigung in eine „Metaphysik der Subjektivität" über. Die Bewußtseinsthematik, die hier im Zusammenhang der Metaphysik auftritt, hat schon in den Fragmenten zur Natur- und Geistesphilosophie YY)

101

Vgl. o. Anm. 180. LMN 167 (Einfügung im Zitat von mir).

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ERSTER TEIL: LOGIK UND METAPHYSIK

von 1803104 eine wichtige Rolle gespielt. Das Sichdarstellen des unendlichen Geistes in den Gestalten der Natur und der menschlichen Welt führt in dem Hervorgehen der Intelligenz aus den höchsten Formen des organisch-animalischen Daseins zum Bewußtsein, in dem sich der Naturprozeß selbst durchsichtig wird, sich in der Entgegensetzung seiner Prinzipien und der Überwindung dieser Entgegensetzung selbst erfaßt. Das zum Bewußtsein Kommen der Natur in der Intelligenz geschieht zunächst in der Sphäre des einzelnen endlichen Bewußtseins, das sich zum absoluten Bewußtsein, zur völligen Selbstdurchsichtigkeit des Weltprozesses fortentwickeln muß. Das Problem der Beziehung „des einzelnen Bewußtseins auf das absolute Bewußtsein" läßt sich im Rahmen der „Philosophie des Geistes", wie sie 1803/04 aus der „Philosophie der Intelligenz" hervorgeht, nicht zufriedenstellend lösen wie ich weiter unten noch genauer zeigen werde. In der Metaphysik von 1804, nach der Darstellung des höchsten Wesens, kann die Bewußtseinsthematik nur als eine Entfaltung des absoluten Bewußtseins Vorkommen. Dennoch ist auch hier die Frage gestellt, wie der Philosoph als menschlich-endliches Wesen mit seinem Erkennen das zum Bewußtsein Kommen des höchsten Wesens, das seine eigene Wirklichkeit als Erkennen erfaßt, seinerseits erkennen und darstellen kann. Er muß gewissermaßen davon absehen, was sich seinem Erkennenwollen immer als erstes auf drängt, daß die Gattung in ihrem Prozeß in das Momentsein der Einzelheit zurückfällt und den Gattungsprozeß (mit seiner geheimen Teleologie) als einen „ganzen Kreislauf" betrachten, der sich selbst zu einem solchen geworden ist. Die Welt oder der Gattungsprozeß ist für das Ich als absolutes Bewußtsein „ein Durchsichtiges, durch welches hindurch es sich selbst erblickt und ein Erkennendes ist, indem es darin nicht ein Reflektiertes, sondern ein sich Reflektierendes, die Bewegung anschaut, welche sein Wesen ist" Das „bestimmte Ich", in dem sich das höchste Wesen seiner eigenen Bestimmtheit als eines sich in sich entgegengesetzten bewußt wird, ist in der Sprache der idealistischen Spekulation das „theoretische Ich", das sich in seinem Erkennen als passiv erfährt. Das Ich begreift sich aber nach FICHTE zugleich als den Urheber der in ihn gesetzten Bestimmtheit, es ist „praktisches Ich". Die Entgegensetzung, die es in sich setzt, ist ihm als seine eigene Setzung bewußt. Das Ich hat damit alles Ansichsein in sich selbst zurückgenommen. Das bedeutet im Rahmen der Hegelschen S. Realph. I 269 f. Es handelt sich bei diesem Stück vermutlich um ein Fragment aus den Entwürfen zur Geistesphilosophie von 1803/04. LMN 162.

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Konzeption: „es ist der Kreis seines eigenen Kreises und des andern, oder des Ansich des Entgegengesetzten, und es bleibt für dies (das Ansich) weiter nichts übrig" An diesem Punkt ist das Erkennen „in sich gerundet, das Einzelne ist mit dem Allgemeinen zusammengeschlossen". Das Erkennen erweist sich selbst als „die Idee des Ansich oder die Idee überhaupt" Die Monade, deren Vielheit als „Kette oder Linie" den Weltprozeß ausmacht, begreift sich selbst als „praktische Monade", die ihre eigenen Bestimmtheiten selber setzt. Indem aber diese „Bestimmtheit als absolute Bestimmtheit der Idee selbst erkannt wird, so ist sie nichts anderes als die Unendlichkeit, und die praktische Monade erkennt sich wesentlich als unendlich", unendlich tätig, den Weltprozeß hervorbringend, der nun in seinen realen Gestalten der Naturentwidclung und der menschlich-sittlichen Welt betrachtet werden kaim Die Frage nach Einheit und Vielheit, die sich am Anfang der Logik als die Frage nach der Sichselbstgleichheit des Sichbestimmens im anderen der einzelnen Bestimmungen stellt, beantwortet sich am Ende der Metaphysik durch das Sicherfassen des absoluten Erkennens. Das Erkennen in seiner ganzen Bewegung, die es in dem Kreis der Kreise der logischen und der metaphysischen Unendlichkeit durchläuft, zeigt sich selbst als das Ansichseiende, als die Idee der „Einheit der Einheit und der Vielheit" Die Idee in dieser höchsten Form ist nicht als höchstes Wesen, sondern „nur als absoluter Geist" zu denken. Das höchste Wesen ist zum absoluten Geist geworden; „es ist dieses, daß er aus seiner Beziehung auf sich selbst sich ein anderes wird". Das Erkennen schließt sich als Erkennen in sich ab, es führt nicht über sich hinaus zur Religion und damit nicht zu einer neuen Vollzugsform der Praxis zurück. Die Philosophie, die auf dieser Grundlegung aufgebaut wird, nimmt das Leben in sich auf, begründet eine höhere, gedachte Wirklichkeit über der empirischen, jeweils gegenwärtigen. Wenn sie auf die empirische Wirklichkeit einwirken will, muß sie von der unbestimmten Erwartung ausgehen, diese „halte nicht mehr aus" in ihrer Entzweiung, wenn ihr in jener die Idee der Einheit vor Augen gestellt wird

LMN 171 (Einfügung im Zitat von mir). LMN 174 f. 1»’ S. LMN 178. S. LMN 182 f., auch zum folgenden. S. o. Anm. 14.

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ERSTER TEIL: LOGIK UND METAPHYSIK

e) Die Auflösung der Metaphysik durch die „Wissenschaftlichkeit" des Systems Die Logik von 1804 ist von mir als ein Dokument des Übergangs von der Systemkonzeption der ersten Jenaer Jahre zum „System der Wissenschaft" interpretiert worden. Der „rein wissenschaftliche" Standpunkt des Systementwurfs von 1804 bedingt auf der einen Seite, daß die Logik von der Voraussetzung des absoluten Erkennens ausgeht: Erkennen und Gegenstand sind eins, in der Aufhebung ihres absoluten Gegensatzes bilden sie eine unendliche Einheit. Der Gang des Erkennens führt an seinem Ende zur Voraussetzung des Anfangs zurück, schließt sich damit zum Kreis. Andererseits soll die Logik selbst „von dem Schein" ausgehen, in dem die „sogenannte Erfahrung" des „gemeinen Denkens" befangen ist, das Erkennen und sein Gegenstand seien getrennt, damit dieser Schein innerhalb der Philosophie, d. h. auf philosophische Weise aufgehoben wird. „Die Idee der Philosophie selbst ist es, in welcher diese Trennung sich vernichtet" Die Unendlichkeit, die den absoluten Widerspruch zwischen den Bestimmungen der Qualität und denen der Quantität überwindet, durch deren „absolute Reflexion in sich selbst", ist nur formale Unendlichkeit, in der die Gleichheit der Verhältnisse des Seins und des Denkens allererst erwiesen werden muß, ehe von da aus das Erkennen als sein eigenes Ansich begriffen und entfaltet werden kann. Die Metaphysik hat nun zu zeigen, daß die Überwindung des absoluten Widerspruches durch die Vereinigung der Entgegengesetzten, die eine Rückkehr des Erkennens in sich selbst ist, nicht nur für die Formen des Erkennens gilt, sondern auch für es, sofern es sich als seinen eigenen Gegenstand erfaßt hat. Diese Realisation des Erkennens als metaphysischer Unendlichkeit geschieht aber wiederum als rein begriffliche Entfaltung des „Erkennens außer dem Erkennen", nicht als das Durchlaufen der konkreten Gestalten der Naturentwicklung und der menschlich-sittlichen Welt. Es wird im Grunde noch einmal auf begrifflich-formalem Wege erwiesen, daß das Erkennen außer dem Erkennen in der Tat es selbst ist. Der Übergangsform der Logik entspricht eine innere Unstimmigkeit zwischen der Deduktion des realen Inhalts des Erkennens, der sich als das Ansich des Erkennens erfaßt, und der formalen Vorwegnahme dieser Denkbewegung. Die Grundlegung des Erkennens als Erkennens seiner selbst in begrifflich-formaler Weise ist in der Logik bereits angezielt. In S. Realph. I 267 f., auch zur ganzen folgenden Darstellung (über Anm. 201 hinaus).

C. Die Metaphysik

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der Metaphysik wird noch einmal in begrifflicher Form gezeigt, daß das Erkennen mit seinem Inhalt eins ist. Die Gedankenentwicklung der Metaphysik läuft darauf hinaus, daß die Form des unendlichen Erkennens zugleich sein Inhalt ist.

Wenn aber Form und Inhalt des unendlichen Erkennens eins sind, muß dies auch in einer einheitlichen Denkbewegung dargestellt werden. Die Logik muß in ihren Formen selber den Inhalt des Erkennens in einer grundlegenden begrifflichen Entfaltung dartun. Das bedeutet freilich, daß sie in sich den „Schein" der „sogenannten Erfahrung", das Erkennen sei im denkenden Subjekt, der Gegenstand außer ihm für sich, nicht mehr bestehen lassen kann. Sie muß unmittelbar in der Dimension des Unendlichen mit der Einheit von Erkennen und Gegenstand beginnen. So muß die Selbstvergewisserung der Wissenschaft, die Widerlegung des „Scheins" des „gemeinen Denkens", der Logik als solcher vorausgeschickt werden. Dies geschieht in der Phänomenologie des Geistes, an der Hegel seit dem Frühjahr 1805 arbeitet Um die Gewißheit der Wissenschaft gegen die des „gemeinen Denkens" durchzusetzen, muß deren Aufhebung auf wissenschaftliche Weise geleistet werden. Das Erkennen muß sich als seinen eigenen Gegenstand erkennen-, das bleibt auch jetzt ein notwendiges Thema der Philosophie. „Das In-Einssetzen beider ist nicht ein Zufälliges, sondern eben darum ein absolutes, weil beides, was wir als Erkennen und Gegenstand unterscheiden, nicht . .. auf unbekannte Weise sich verbunden" hat. Sofern die Wissenschaft der Phänomenologie des Geistes auf diese Weise der Logik die Unmittelbarkeit ihres Anfangs in der Dimension des Unendlichen ermöglicht, ist die Logik nicht mehr Einleitung zur Metaphysik als der eigentlichen Grundlegung, sondern selbst Metaphysik, eigentliche Grundlegung des Systems der Philosophie, begriffliche Entfaltung der Einheit des Erkennens mit sich selbst. Die Metaphysik hat sich in die Logik aufgelöst. Wenn die selber metaphysisch konzipierte Logik aber mit der „reinen Erfahrung" des sich erkennenden Erkennens anfängt, fällt die Bewußtseinsthematik, wie sie in der „Metaphysik der Subjektivität" vorkommt, nicht mehr in ihren Bereich. Das zum Bewußtsein Kommen des Erkennens als seines eigenen Ansich, in dem das Sicherkennen des Erkennens vom Standpunkt des endlich-menschlichen Erkennens vollzogen wird, die UnFür das Wintersemester 1806/07 verwendet Hegel in seiner Vorlesungsankündigung zum erstenmal den Titel Phänomenologie: Logicam et Metaphysicam s. philosophiam speculativam praemissa Phaenomenologia mentis. Vorher galt für das entstehende Buch der Titel: „Wissenschaft der Erfahrung des Bewußtseins"; vgl. dazu F. Nicolin in Hegel-Studien 4(1967), 113—123.

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ERSTER TEIL: LOGIK UND METAPHYSIK

terscheidung zwischen dem „für uns” des endlichen Erkennens und dem „für sich" des absoluten Erkennens gehört zur Problemstellung der Phänomenologie, die eine schrittweise Erhebung des Bewußtseins von der vermeintlichen Gewißheit des „gemeinen Denkens” zur wahren Gewißheit der Wissenschaft zu bieten sucht. Die Subjektivität als das absolute Sicherfassen des Erkennens tritt später, innerhalb der Wissenschaft der Logik, in der „Logik des Begriffs” auf. „Der Begriff, insofern er zu einer solchen Existenz gediehen ist, welche selbst frei ist, ist nichts anders als Ich oder das reine Selbstbewußtsein. Ich habe wohl Begriffe, das heißt bestimmte Begriffe; aber Ich ist der reine Begriff selbst, der als Begriff zum Dasein gekommen ist.” Die Objektivität, zu der sich der Begriff selbst bestimmt, indem sich die vollständige Vermittlung, die im Schluß erreicht wird, wiederum als Unmittelbarkeit setzt, ist „ein Sein, das ebensosehr identisch mit der Vermittlung und der Begriff ist, der aus und in seinem Anderssein sich selbst hergestellt hat” Dies Sein, das der Begriff selbst in sich schließt, kann nicht mehr in den gedanklichen Bahnen der alten metaphysica specialis entfaltet werden. Es wird schon in dem Fragment aus einer Hegelschen Logik von 1809, das O. PöGGELER veröffentlicht hat, als Naturzweck gefaßt, der sich im „organischen Individuum” als die Einheit von „Mechanismus” und „Chemischem Proceß” realisiert Auf diese Weise wird in der „Logik des Begriffs” in dem Abschnitt „Die Objektivität” Hegels Bemühung um eine begriffliche Erfassung des Naturprozesses fruchtbar, die in der Arbeit seiner ersten Jenaer Jahre einen deutlichen Schwerpunkt darstellt.

s. WdL II 220. S. WdL II 352. S. Hegel-Studien 2 (1963), 12—47, bes. 38.

ZWEITER TEIL „PHILOSOPHIE DER NATUR" ALS SACHLICHER UND METHODISCHER SCHWERPUNKT DER ENTFALTUNG DES SYSTEMS

Daß die Philosophie der Natur in der ersten Jenaer Zeit, vor allem in den Jahren 1802—1804, in der philosophischen Arbeit Hegels stärker im Vordergrund steht als in den früheren und späteren Perioden seines Schaffens, ist in der Hegelforschung bekannt. Auch die Nähe zu GOETHES und HERDERS Naturbetrachtung und der mystisch-theosophischen Beschäftigung mit der Natur, wie sie F. BAADER und in früherer Zeit J. BöHME betrieben haben, ist verschiedentlich herausgestellt worden. HOFFMEISTER sagt in seiner Monographie zu Hegels Jenaer Naturphilosophie: „Hegel, eine äußerste Möglichkeit des deutschen Idealismus, sucht alle die von HERDER, KANT, BAADER, GOETHE und SCHELLING herausgearbeiteten Züge des Naturbildes seiner Zeit in einen begrifflichen Prozeß zusammenzuziehen." ^ In dieser Bemerkung kommt als dritte wichtige Bedingung der Hegelschen Naturphilosophie dieser Zeit zum Ausdruck, daß vor allem durch SCHELLING die transzendentalphilosophische Betrachtung der Natur im methodischen Sinn richtungsweisend für Hegel geworden ist.

Es ist ferner schon erkannt worden, daß der Naturbegriff der ersten Jenaer Zeit von dem der früheren Arbeiten Hegels wie auch von dem des später entwickelten Systems grundlegend verschieden ist. K. NADLER zeigt, daß die sog. „Realphilosophie I" durchaus noch von Hegels Frankfurter Schriften her zu verstehen ist, gewissermaßen das „Frankfurter Einheitserlebnis" im Medium des „naturphilosophischen Problems" zu entwickeln sucht, während die Realphilosophie von 1805106 den „Gedanken der Verselbstung der Natur", im Naturprozeß die „begriffliche Entwicklung" hervorkehrt und so auf die „Beobachtung" der Natur durch die Vernunft in der Phänomenologie und die naturphilosophischen Abschnitte in der Encyklopädie vorausweist ^ 7. Hoffmeister: Goethe und der deutsche Idealismus. Leipzig 1932. IV. ^ K. Nadler: Die Entwicklung des Naturbegriffs in Hegels Philosophie. — In: Zeitschrift für deutsche Geisteswissenschaft 1 (1938), 129—142; s. bes. 133 und 136.

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ZWEITER TEIL; PHILOSOPHIE DER NATUR

Daß der Begriff der Natur, wie er in der Differenzschrift, in den Aufsätzen des Kritischen Journals und in der sog. „Realphilosophie I" zum Ausdruck kommt, und der davon unterschiedene der Realphilosophie von 1805106, der Phänomenologie, sowie der Encyklopädie einer jeweils verschiedenen Systemkonzeption entspricht, daß der Naturbegriff die Systemkonzeption als solche vor allem in der erstgenannten Periode wesentlich bedingt, hat M. RIEDEL treffend herausgearbeitet. Am Beispiel von Hegels Kritik des Naturrechts zeigt RIEDEL, daß der Naturbegriff in der frühen Jenaer Zeit für diesen Teil des Systems eine grundlegende Bedeutung hat, daß aber später allein der „Begriff" in seiner Freiheit das „phisophische Recht" zu begründen vermag. Dies läßt sich bereits an der kritischen Weiterentwicklung der traditionellen, von Hegel selbst zunächst im positiven Sinn gebrauchten Terminologie erkennen, wenn er seine in den Grundlinien ausgeführte Darstellung dieses Systemteils einerseits als Naturrecht und Staatswissenschaft andererseits jedoch als Philosophie des Rechts bezeichnet *.

— Den Unterschied in der Darstellung der Naturphilosophie in der Realphilosophie von 1805/06, die er auf 1804/05 datiert, gegenüber der Darstellung von 1803/04 empfindet auch Th. L. Haering. Er betont jedoch, daß dieser Unterschied nur „scheinbar" sei. S. Hegel. Sein Wollen und sein Werk. Bd 2. Leipzig-Berlin 1938. (Neudrude Aalen 1963.) 447. Zu Hegels Naturphilosophie vgl. von demselben: Hegel und die Naturwissenschaft. — In: Philosophische Hefte 3 (1931), 71—82. * S. Hegel-Studien 4 (1967), 177—204, bes. 203 f. (Auch in: Studien zu Hegels Rechtsphilosophie. Frankfurt/M. 1969. 42—74, bes. 73 f.)

A. Der Naturbegriff als Grundbegriff des Systems nach den Äußerungen der Jahre 1801—1802 Hegels Interesse an der Naturwissenschaft läßt sich bis in seine frühe Jugend zurückverfolgen. In dem ersten erhalten gebliebenen Brief vom 8. 6. 1785 an HAAG (oder HAUG) erfahren wir von der Beschäftigung mit zoologischen Problemen (Insekten) und der Physik des Himmels ROSENKRANZ berichtet von Schulheften über Mechanik und Optik, sowie von Auszügen aus SCHEUCHZERS Physica (Zürich 1729), die die Farbenlehre betreffen ®. Im Gymnasialtagebuch wird von den Gegenständen der Naturwissenschaften wiederum die Physik des Himmels besonders häufig erwähnt *. CHRISTIANE HEGEL berichtet nach dem Tod ihres Bruders an die Witwe, daß Physik seine Lieblingswissenschaft auf dem Gymnasium war, daß er in Tübingen neben seinen philosophisch-theologischen Studien die Anatomie besuchte und in Stuttgart während seiner Krankheit (1793) botanische Werke studierte In dem Brief Hegels an GOETHE von Ende Januar 1807 erwähnt er selbst frühere botanische Studien, „zu deren Behuf" er sich in der Schweiz ein Herbarium sammelte ®. Das Berner Reisetagebuch enthält schließlich einige naturphilosophische Betrachtungen, die aber keine zusammenhängende systematische Konzeption erkennen lassen ®. Hegels philosophisches Grundproblem, wie es sich im Zusammenhang seiner theologisch-politisch-historischen Untersuchungen ergeben hat führt ihn zunächst auf ein ganz anderes Gebiet des systematisch-begrifflichen Nachdenkens. In einer bestimmten geschichtlichen Situation soll die Philosophie dazu beitragen, die Widersprüche dieser Situation zu überwinden, indem sie für die Entstehung neuer Formen der menschlich-geschichtlichen Welt die Bedingungen aufzeigt. Der Begriff des Lebens, der am Beginn von Hegels philosophisch-systematischer Arbeit in der Frankfurter Zeit eine zentrale Rolle einnimmt, bezeichnet in diesem Zusammenhang zunächst die Problematik des geschichtlichen Lebens * Briefe. Bd 1. 3 f. ® Hegel's Leben. 14. ® S. Dokumente zu Hegels Entwicklung. 10 f. 40. ’’ S. ebenda 393. ® Briefe. Bd 1. 141. “ S. Dokumente zu Hegels Entwicklung. 221—244, bes. 234. S. o. in der Einleitung Abschnitt A. ** Vgl. 7. Hyppolite: Vie et prise de conscience de la vie dans la Philosophie hegelienne d'Iena. — In: fitudes sur Marx et Hegel. Paris 1955. 11—29. — In dieser Arbeit wird — irrtümlicherweise — der Lebensbegriff auch für die erste Jenaer Zeit primär als „vie de l'esprit" bestimmt (s. bes. 12 f. und 28).

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ZWEITER TEIL: PHILOSOPHIE DER NATUR

Das bedeutet aber nicht, daß dieser Lebensbegriff die menschlichgeschichtliche Welt im Gegensatz zur Natur zu erfassen sucht. In ihm ist eine Vereinigung des Getrennten gedacht, die über die Entgegensetzung von Vereinigung und Trennung hinausliegt, also auch den Gegensatz von natürlicher und menschlich-geschichtlicher Welt überwunden hat. „Das Getrennte findet nur in Einem Sein seine Vereinigung;" dies „Eine Sein" darf in keiner Rücksicht ein verschiedenes sein, weil es in eben dieser Rücksicht „nicht Vereinigung" wäre Das „Eine Sein" nennt Hegel in dem Fragment „Glauben und Sein" von 1798 auch; Natur. Dieser Begriff ist indessen hier noch nicht in erster Linie von der natürlichen Natur her konzipiert. Das wird deutlich in dem Fragment Der immer sich vergrößernde Widerspruch . . . von 1799/1800. In diesem Stück ist mit Natur offenbar eher als die natürliche die menschliche Natur gemeint, die in den Trieben als der unbewußten Seite der Bestimmung des Denkens und Handelns wirksam ist, die einen „Drang" darstellt, der über das Beschränkte, Widersprüchliche der geschichtlichen Situation hinauswill Das „Systemfragment von 1800" stellt klar: es ist nicht die natürliche Natur, aber auch nicht die menschliche Natur als solche gemeint, die sich als ein Besonderes von der natürlichen Natur unterscheiden oder abheben läßt. Die Natur bezeichnet eine Einheit, die überall zugleich Allgemeines und Besonderes, Einheit und Vielheit in sich enthält. Sie ist als Einheit „ein einziges organisiertes getrenntes und vereinigtes Ganzes." Sie ist „nicht selbst Leben", aber die Erscheinung des Lebens, die „unendliche Vielheit" seiner Gestalten, die allenthalben im Endlichen das Unendliche zum Ausdruck bringen Ein Zusammenhang zwischen Hegels naturwissenschaftlichen Studien und seiner philosophisch-systematischen Arbeit ergibt sich zu Anfang seiner Jenaer Zeit durch die Zusammenarbeit mit SCHELLING. Die Frage nach der Natur im engeren Sinne nimmt im ursprünglichen Entwurf der Philosophie SCHELLINGS eine Stelle ein, die es möglich macht, daß diese auch für Hegel und sein denkerisches Anliegen zum Grundbegriff werden kann. Nach SCHELLING zeigt sich in der natürlichen Natur, daß die Natur der Entzweiung des menschlichen Bewußtseins vorausliegt. Die natürliche Natur bringt das natürliche Bewußtsein aus sich hervor. Die in ihr tätige unbewußte Intelligenz umfaßt und trägt das bewußte menschliche Denken und Handeln. Sie nimmt diese schließlich in sich S. Jschr. 383, auch zum folgenden. »» S. Pol. 139 f. “ S. Jschr. 346 f.

A. Der Naturbegriff als Grundbegriff des Systems

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zurück, indem sie zur unbewußt-bewußten Produktion des Kunstwerks übergeht. Es trifft also zu, was WIELAND in seiner Abhandlung über Die Anfänge der Philosophie Schellings und die Frage nach der Natur sagt: „Die Subjektivität soll sich an die Natur als ihren eigenen Ermöglichungsgrund erinnern und auf diese Weise die Entzweiung überwinden" In der brieflichen Auseinandersetzung mit FICHTE 1800—1802 sucht ScHELLiNG demgemäß die Bedeutung der Naturphilosophie im Rahmen des transzendentalphilosophischen Ansatzes zur Geltung zu bringen. Es zeigen sich schon Spuren der Zusammenarbeit mit Hegel, wenn SCHELLING (im Brief vom 3. 10. 1801) FICHTE entgegenhält: „Sie geben dem Realgrund der Getrenntheit des Einzelnen den Beisatz: unbegreiflich. Unbegreiflich ist er freilich für die von unten aufsteigende Verstandesreflexion, die sich mit dem Gegensatz des Endlichen (Ihre Getrenntheit) und Unendlichen (Ihre Einheit Aller) in unauflösliche Widersprüche verwickelt (KANTS Antinomien), nicht aber für die Vernunft, welche die absolute Identität, das untrennbare Beisammenseyn des Endlichen mit dem Unendlichen als das Erste setzt und von dem Ewigen ausgeht, welches weder endlich noch unendlich sondern beides gleich ewig ist" SCHELLINGS eigene Intention kommt wieder deutlicher zum Vorschein, wenn er 1806 — noch vor dem Bruch mit Hegel und mit dessen Zustimmung — in einer Kritik der FicHTEschen Anweisung zum seligen Leben schreibt: „Ist also Philosophie Wissenschaft des Göttlichen (Ewigen) ... so ist sie Wissenschaft des Göttlichen als des allein-Wirklichen in der wirklichen oder Natur-Welt, d. h. sie ist Naturphilosophie." Das Motiv der systematischen Vorordnung der Naturphilosophie vor die Philosophie der Intelligenz auch innerhalb der identitätsphilosophischen Konzeption bricht wieder durch, sofern er „alle Heilkraft nur in der Natur" erblickt. „Diese allein ist das wahre Gegengift der Abstraction. Sie ist der ewigfrische Quell der Begeisterung und einer immer wiedergeschehenden Verjüngung" Seine eigenen Vorkenntnisse, wohl auch bestimmte Vorarbeiten auf dem Gebiet der Himmelsphysik und die systematische Bedeutung, die SCHELLING der Naturphilosophie gibt, mögen zusammen bewirkt haben, daß Hegel sich mit einer Schrift Über die Planetenbahnen in Jena habilitiert. Dieses Thema erweist sich als geeignet, das Prinzip der Natur, die „konkrete Einheit", in die alles einzelne und Besondere auf eine in sich I® S. Wieland a.a.O. (in Anm. 89 zum Ersten Teil) 406—440, bes. 426. S. Fichte: Briefwechsel a.a.O. Bd 2. 336. S. Briefe. Bd 1. 130 (Brief vom 3.1.1807). I® Schelling: Werke a.a.O. Bd 3. 624 und 613 (Einfügung im Zitat von mir).

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ZWEITER TEIL: PHILOSOPHIE DER NATUR

gegliederte, harmonische Weise eingefügt ist, beispielhaft zu entwickeln. Das System der Sonne, das die Bahnen der Planeten bestimmt, die himmlische Sphäre ist „als erste und allgemeine Sphäre der Natur selbst, als eine erste für sich wahre Natur von eigener freier Gesetzlichkeit, im Unterschied gegen die uns von Haus aus allein bekannte, vereinzelte und verendlichte Natur, in der Materie und Bewegung in Differenz und sich äußerlich erscheinen" Wenn Hegel dieses Prinzip der Einheit und Allgemeinheit, die sich mit dem einzelnen und Besonderen sinnvoll und ohne äußerlichen Zwang verbindet, im System der Sonne aufzeigt, kann er die Gesetze dieses Systems nicht rein mathematisch, formelhaft, als von außen an die Phänomene herangetragen auffassen. Auch die Prinzipien der Mechanik, Druck und Stoß, sind nicht in der Lage, den „dynamischen" inneren Zusammenhang der „realen physischen Kräfte" zu erklären. Das ist der sachlich-philosophische Hintergrund der Polemik gegen NEWTON und der positiven Einschätzung KEPLERS Nicht Mechanik, sondern allein wahre, d. h. spekulative Physik kann in der Betrachtung des Sonnensystems „pervenire ad principium identitati, quod in se ipso differentiam ponat . . . physicamque . . . philosophiae reddidit" Der Naturbegriff, den Hegel am Beispiel des Sonnensystems als einer „ersten Natur" entwickelt, ist im Grunde organologisch. Wie in einem Organismus sind darin Allgemeinheit und Einzelheit unterschieden und in ihrer Unterschiedenheit zur Einheit verbunden. Er vermeidet offenbar mit Absicht, „diese Ansicht der Natur" teleologisch zu nennen, weil er in diesem Begriff die KANxische Naturauffassung ausgedrückt findet, die nach seiner Meinung nicht wirklich über den Mechanismus der mathematischen Naturprinzipien hinausgelangt. Wenn KANT die Lehre NEWTONS dadurch philosophisch zu erweitern sucht, daß er die Materie selbst als

O. Closs; Kepler und Newton und das Problem der Gravitation in der Kantischen, Sdiellingsdien und Hegelsdien Naturphilosophie. Heidelberg 1908. 93 f. Gegen die unbestrittene Vorherrschaft der „mathematischen Prinzipien" in der Naturphilosophie, wie sie durch Newton begründet worden ist, hat sich Goethe in seiner kleinen Schrift Beyträge zur Optik (Weimar 1791/92) gewendet und damit einer mehr betrachtenden Naturforschung den Weg bereitet. ED 382. — Auf die Kritik Goethes an Newton (s. vorige Anm.) verweist auch Sdielling in Darstellung meines Systems der Philosophie von 1801 (Werke a.a.O. Bd 3. 59 f., 74). Späterhin beruft er sich im Bruno und in der Ferneren Darstellung ... von 1802 ausdrücklich auf Hegels Kritik an Newton und seine spekulative Interpretation der Keplerschen Gesetze (Werke a.a.O. Bd 3. 226, Erg.bd 1. 483—502). Seine eigene Darstellung des „Sonnensystems" folgt indessen nicht der Hegelsdien Habilitationsdissertation (s. Werke a.a.O. Bd 3. 165 ff.).

A. Der Naturbegriff als Grundbegriff des Systems

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Einheit von „Anziehungs- und Zurückstoßungskraft" bestimmt verstößt er damit gegen seinen eigenen Ansatz, alle „besonderen Erscheinungen der Natur", die ihre allgemeine mathematisch-mechanische Gesetzmäßigkeit überschreiten, nur auf Grund einer „regulativen Maxime", einer „menschlichen Betrachtungsart" zu erklären, durch die „über die Realität der Natur nichts ausgesagt seyn" soll. Er hat „mit der Armuth von Anzieh- und Zurückstoßungskräften ... die Materie schon zu reich gemacht" Dieser „rein idealistische Standpunkt", für den es außerhalb des Ich kein Inneres geben kann, „das ein äusseres producirt", wie es bei der Kraft geschieht, trifft freilich mehr für FICHTE ZU als für KANT. Das erkennt man leicht, wenn man die Äußerungen KANTS ZU diesem Problem im Opus postumum hinzunimmt, die für Hegel nicht zugänglich waren Diesem historischen Sachverhalt wird Hegel insofern gerecht, als er das „Festhalten an der Subjektivität der transcendentalen Anschauung" jedenfalls bei FICHTE stärker ausgedrückt findet Seine Übereinstimmung mit ScHELLiNG in der ersten Jenaer Zeit liegt darin, daß er die „transcendentale Anschauung" auch und zuerst objektiv setzen will. Die organische Einheit von Allgemeinem und Besonderem in der Natur ist auf jeder Stufe der Naturentwicklung als die Einheit von Innerem und Äußerem, von Erkennen und Erkanntem aufzufassen, die der Entzweiung dieser Prinzipien im menschlichen Bewußtsein vorausliegt und somit die Möglichkeit der Überwindung dieser Entzweiung verständlich macht. Die Natur ist gewissermaßen der reine Ausdruck des Absoluten, der Subjekt-Objekt-Identität, die im menschlichen Bewußtsein auseinanderzufallen scheint, so daß sie FICHTE nur im Anspruch des unendlichen Sollens als wiederhergestellt denken kann. Die Deduktion der Natur kann nach der FiCHTESchen Ansicht nur „von einem bestimmten Punkte" ausgehen, vom Ich, sofern es einen Leib hat. „Eine solche Deduktion ist ihrem Wesen nach dasselbe mit jener Ansicht, die in der Natur nur äussere ZweckI. Kant; Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft (1786). — In: Kleinere Schriften zur Naturphilosophie. Hrsg, von O. Buek. Leipzig 1907/09. (2. Aufl.) 2. Hauptstück, Erklärung 2; Lehrsätze 5 und 6. S. Werke 4. 69 f., auch zum folgenden; vgl. o. im Ersten Teil Anm. 102. S. I. Kant; Gesammelte Schriften. Hrsg, von der Preußischen Akademie der Wissenschaften. Bd 22. Leipzig und Berlin 1938. 516: „Man kann also mit aller Mathematik einem philosophischen Erkenntniß nicht im mindesten näher kommen, wenn nicht eine Causalverbindung dergleichen die der Anziehung oder Abstoßung der Materie durch ihre bewegenden Kräfte zum Voraus auf den Schauplatz gebracht und ziun Behuf der Erscheinungen postulirt wird." Vgl. auch 520 f., 543 f. u. ö. “ S. Werke 4. 48 ff., 404.

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ZWEITER TEIL: PHILOSOPHIE DER NATUR

mässigkeit anerkennt", diese als vorhanden einfach konstatiert Für beide Ansichten ist der Begriff von außen an die Natur herangetragen. Sie wird von ihm rein äußerlich bestimmt. Der Begriff bleibt der Natur fremd, er ergibt sich nicht mit Notwendigkeit aus der denkenden Entwicklung des Naturprozesses, die allenthalben in ihr Stufen organischer Einheit findet. Die Natur ist in beiden Hinsichten als ein „wesentlich Bestimmtes und Totes" und nicht in ihrer eigenen sich bestimmenden Lebendigkeit erfaßt. „Die teleologische Ansicht, welche die Natur nur nach äusseren Zwekken bestimmt, anerkennt, hat (gegenüber der ,rein idealistischen') . . . einen Vorzug, da sie die Mannigfaltigkeit der Natur, wie sie empirisch gegeben ist, aufnimmt." Das erkennt Hegel durchaus an. Es ergibt sich aus der Fassung des Naturbegriffs als solcher, in der Hegel und SCHELLING in dieser Zeit übereinstimmen, daß ihre philosophisch-wissenschaftliche Naturbetrachtung „zugleich den Weg zur Empirie freigibt" Aber da die Konstatierung äußerer Zwecke überhaupt nicht systematisch verfährt, in der Natur- und Menschenwelt kein zusammengehöriges Ganzes erblickt, werden die Objekte rein als solche genommen, die von sich aus „keines innem Zusammenhangs fähig sind". Darin liegt ein weiterer Grund für Hegel, den Begriff der Teleologie und des Zwecks zu vermeiden, die ideal-reale, zugleich innere und äußere Zweckmäßigkeit der Natur als das Einssein von Allgemeinem und Besonderem vielmehr auf S. Werke 4. 70 f., auch zum folgenden (Einfügung im Zitat von mir). S. W. Wieland a.a.O., wo aber dieser Zusammenhang nicht zum Ausdruck kommt. — In der Natur besteht nach Sdiellings Auffassung in dieser Zeit ein notwendiger, apriorischer Zusammenhang aller Erscheinungen. Die „speculative Physik" sucht der sich in ihrer Notwendigkeit „construirenden Natur" zu folgen, im Erkennen ein Bild der „construirten Natur" zu entwerfen, das mit jener völlig übereinstimmt. Dabei muß das empirische Material vollständig berücksichtigt werden. Sofern aus einer spekulativ gemachten Voraussetzung nicht „alle Naturerscheinungen sich ableiten lassen, wenn im ganzen Zusammenhänge der Natur eine einzige Erscheinung ist, die nicht nach jenem Prinzip nothwendig ist, oder ihm gar widerspricht, so ist die Voraussetzung eben dadurch schon als falsch erklärt" (s. lieber den wahren Begriff der Naturphilosophie und die richtige Art ihre Probleme aufzulösen von 1801. — In: Werke a.a.O. Bd 2. 731). Die These einer universalen Falsifizierbarkeit, durch die jede spekulative Voraussetzung von der Empirie aus widerlegt werden kann (vgl. auch Einleitung zu dem Entwurf eines Systems der Naturphilosophie von 1799. — In: Werke a.a.O. Bd 2. 275—280), übernimmt Hegel nicht in dieser Form. Er schätzt die „empirischen Kenntnisse" im Verhältnis doch von Anfang an geringer ein. In der Differenzschrift heißt es: „Es kann deßwegen nicht von einzelnen Begriffen für sich, einzelnen Erkenntnissen, als einem Wissen die Rede seyn . . . weil sie ... sich weder als nothwendige Theile eines im Bewußtseyn organisirten Ganzen der Erkenntnisse legitimiren, noch die absolute Identität, die Beziehung auf das Absolute in ihnen durch die Spekulation erkannt worden ist." (S. Werke 4. 19.)

A. Der Naturbegriff als Grundbegriff des Systems

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allen Stufen ihrer Entwicklung durch den Begriff des Organischen zu bezeichnen. Diese terminologische Zurückhaltung findet sich bei SCHELLING nicht. In den Ideen zu einer Philosophie der Natur, die in ihrer zweiten Auflage deutliche Einflüsse Hegels erkennen lassen, spricht er nach wie vor ganz unbefangenen von der „Zweckmäßigkeit" der Natur Dennoch wird man festhalten müssen, daß die transzendentalphilosophische Legitimation und damit die erkenntnistheoretische Grundlage der teleologisch-organologischen Naturauffassung zuerst von SCHELLING entwickelt worden ist. In der ersten Auflage der Ideen von 1797 gibt SCHELLING bereits eine Herleitung des Kraftbegriffs aus dem Wesen des menschlichen Geistes. Die entgegengesetzten Kräfte der Materie finden ihre Einheit in einer dritten Kraft, der Schwerkraft. Darin kommt zum Ausdruck, daß sie „Produkt der Anschauung", ihrer „Entgegengesetzten Thätigkeiten" sind. Dies ist unbewußt und gibt der Natur insofern Selbstdasein, als sie von dem bewußten Handeln der menschlichen Freiheit unabhängig ist. Der Verstand, der später eintritt als die Anschauung, faßt die Bestimmungen der Natur als objektive auf. Diese Bestimmungen können aber schließlich auf Grund einer höheren Einheit von Verstand und Anschauung als idealreal, zugleich subjektiv und objektiv begriffen werden. Diese Einheit erfaßt sich nach dem System des transcendentalen Idealismus in der Kunst, nach Hegels Darstellung am Ende der Differenzschrift in der Kunst (als eigentlichem Kunstwerk sowie als Religion) und in der Spekulation Die daraus erwachsene gemeinsame philosophische Grundeinstellung ScHELLiNGs Und Hegels, in der die „Wiedergeburt der Natur zum Symbol der ewigen Einheit" des Entzweiten erhoben wird, verstehen sie selbst als den Beginn der Einlösung ihres jugendlichen geheimen Versprechens, der Zurückführung der Religion „auf das erste Mysterium des Christenthums und Vollendung desselben" In dem Aufsatz lieber das Verhältniß der Naturphilosophie zur Philosophie überhaupt ist diese gemeinsame Grundeinstellung dokumentiert. Die Naturphilosophie ist mehr als eine besondere Potenz der Philosophie. Sie ist die notwendige „erste Darstellung des Absoluten", in der das „Princip der Philosophie" als „objectives Wissen" entfaltet wird, das jedwedes einzelne auf die AllgeZur logischen Bedeutung des Zweckbegriffs und seiner Einführung im Rahmen einer gewandelten Systemkonzeption s. den Exkurs im Ersten Teil. 93—95. S. Werke a.a.O. Bd 1. 704—706, zum folgenden Erg.bd 1. 220—234, bes. 223 und 228. S. o. in der Einleitung Abschnitt B mit Anm. 23—26. S. Werke 4. 274, vgl. Briefe. Bd 1. 18.

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meinheit des organischen Einsseins bezieht und damit zur Bedingung der Möglichkeit der Überwindung der Entzweiung wird Im Naturrechtsaufsatz wird noch einmal der Begriff des Organischen als der Grundbegriff der ganzen Natur herausgestellt, der auch die „sittliche Natur" des Menschen bestimmt Die für sich genommen unorganische Struktur des „Minerals" vermag die zugleich äußere und innere Einheit des Allgemeinen und Besonderen, des Ganzen „in jedem Theil" so nicht auszudrücken. Dies wird nur möglich, indem alle Bereiche der Natur als Erscheinungsweisen der Elemente des Wassers, des Feuers und der Luft begriffen werden, die ihrerseits an der Erde als dem „organischen und individuellen Element" schlechthin erscheinen. Die Erde breitet sich als dieses „durch das System seiner Gestalten von der ersten (scheinbar unorganischen) Starrheit und Individualität an in qualitatives und Differenz aus, und resumirt sich erst in der absoluten Indifferenz . . . in die vollkommene Gleichheit aller Theile und das absolute reale Einsseyn des einzelnen mit dem Absoluten" Diese Ausführungen zeigen, daß Hegel in der Entfaltung seiner Naturphilosophie die spekulativen Prinzipien weitgehend dem PrATONischen Timaios entlehnt, auf den er sich im vorhergehenden Abschnitt ausdrücklich beruft. Eine Kenntnis dieses Werkes ist bereits am Ende der Habilitationsdissertation bezeugt, wo Hegel die Zahlenreihe zur Berechnung der Planetenabstände dem Timaios entnimmt Im Naturrechtsaufsatz heißt es aber nun, daß die qualitativen Differenzen der Naturentwicklung „erst in der absoluten Indifferenz der sittlichen Natur" des Menschen zur Einheit gebracht werden können. Das bedeutet im Zusammenhang des Hegelschen Systems der Philosophie dieser Zeit zunächst einmal, daß beide Teile des Systems, theoretische und praktische Philosophie ihr Absolutes entfalten müssen, damit die Einheit des Ganzen als qualitativ gesetzte sichtbar wird. Es scheint indessen auch eine Linie von der Naturentwicklung über diese hinaus zur Entfaltung der Intelligenz zu führen. Die Naturentwicklung ruht nicht in sich selbst, sie verweist durch Auflösung ihrer Differenzen auf die Sphäre der Intelligenz. Das Sonnensystem, genauer gesagt: die ganze himmlische Sphäre der Mannigfaltigkeit der Sonnensysteme, welche durch das Bild der Pflanze, die als „Blume" um sich „kreisende Blätter" herS. Werke 4. 265 f. Vgl. o. 136 mit Anm. 3. “■* S. Werke 4. 462—464, auch zur folgenden Darstellung (über Anm. 35 und 36 hinaus). S. ED 398/9; vgl. u. den Exkurs: Empirie und spekulative Deduktion in der Darstellung der Naturphilosophie von 1801—1805/06. 151—154.

A. Der Naturbegriff als Grundbegriff des Systems

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verbringt^ eindeutig organologisch interpretiert wird, gilt offenbar nicht mehr als der reinste und sublimste Ausdruck der Vernunft *®. Es heißt, daß erst „in dem Systeme der Sittlichkeit die auseinandergefaltete Blume des himmlischen Systems zusammengeschlagen, und die absoluten Individuen in die Allgemeinheit vollkommen zusammengeeint" sind, „wodurch diese selbst das absolute System zu seyn vermögen". Hier ist die Vorordnung der Naturphilosophie vor die Philosophie des Praktischen, also auch des Sittlichen nicht mehr durchgehalten. Im Absoluten selbst sind „absolute Anschauung" und „Selbsterkennen" adäquatere Ausdrücke für die Attribute der einen Substanz als „unendliche Expansion" und „unendliches Zurücknehmen derselben". Die „physikalische" Beschreibung der Idee scheint sich von daher zu relativieren. Sie wird überboten durch den „unendlichen Begriff", dessen grundlegende Bedeutung deutlich macht, daß „der Geist höher ist als die Natur" Die „sittliche Natur" bleibt indessen als Natur bestimmt. Im Bereich der Sittlichkeit bleibt die Vorordnung des allgemeinen vor dem einzelnen menschlichen Individuum bestehen, das vom Allgemeinen durchdrungen und getragen wird. Die absolute Sittlichkeit kann sich als solche „nicht im einzelnen ausdrücken, wenn sie nicht seine Seele ist", ihn nicht völlig durchdringt; „und sie ist es nur, insofern sie ein allgemeines und der reine Geist eines Volkes ist". Es deutet sich jedoch schon an, daß Hegel die „Natur überhaupt" und die „sittliche Natur" unterscheiden will, daß die „Idee des Geistes" im Bereich von Anschauung und Erkennen ihre angemessene Erscheinung finden und im Blick auf die „Natur überhaupt" das „unendlich Negative" bilden wird

Es fällt auf, daß Hegel mit dem Naturbegriff dieser Zeit (1800—1802) erneut eine große sachliche Nähe zu der viel späteren Theorie von MARX bekundet, wie wir es in einer ähnlichen Form für die Bestimmung der Aufgabe der Philosophie innerhalb des geschichtlichen Lebens gesehen haben*®. Für MARX gilt: „Auch der begriffene und beherrschte Lebensprozeß der Menschen bleibt ein Naturzusammenhang." Er zeigt, daß sich „die wechselseitige Durchdringung von Natur und Gesellschaft . .. innerhalb der Natur als der beide Momente umfassenden Realität abspielt" ®®. Gewiß, eine rein ideale Darstellung des Ganzen der Welt und des Lebens ä» Vgl. ED 348/9. S. Werke 4. 464, zum folgenden 467. “ S. Realph. I 234. ä" S. o. in der Einleitung Abschnitt A und im ersten Teil Abschnitt A. S. A. Schmidt: Der Begriff der Natur in der Lehre von Marx. Frankfurt/M. 1962. 10.

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vor der realen Erscheinung in der Natur und als Natur und unabhängig von dieser Realität ist auf dem Boden des MARXschen Denkens nicht möglich. Aber in der Sphäre des realen Geistes gibt es auf Grund des Naturbegriffs zwischen Hegels Entwürfen in der ersten Jenaer Zeit und MARX eine weitgehende sachliche Übereinstimmung Das wird sich bei der systematischen Bedeutung der „Arbeit" im dritten Teil des Systementwurfs von 1803/04 noch einmal deutlich zeigen.

M. Riedel betont bereits in seiner Arbeit Grundzüge einer Theorie des Lebendigen bei Hegel und Marx die Vergleichbarkeit beider Positionen (in: Zeitschrift für philosophische Forschung 19 (1965), 577—600). Da er den Naturbegriff der ersten Jenaer Jahre Hegels noch nicht — wie in seiner späteren Arbeit (s. Anm. 3) — als einen besonderen Ansatz erfaßt, den Hegel später gerade verläßt, kommt er zu dem Ergebnis einer genauen Entgegensetzung der Theorien von Hegel und Marx (s. a.a.O. 597).

B. Die zusammenhängende Entfaltung der Naturphilosophie von 1803/04 und von 1804

Von den Manuskripten zu der Vorlesung „philosophiae speculativae systema, conplectens a) Logicam et Metaphysicam sive Idealismum transcendentalem, b) philosophiam naturae et c) mentis" vom Wintersemester 1803/04 ist die Darstellung des Ersten Teils (a) nicht erhalten. In der Naturphilosophie (b) fehlt die „allgemeine Einleitung" und das „System der Sonne". Erst zu den folgenden Abschnitten (innerhalb von b) sind Fragmente erhalten, aus denen sich erkennen läßt, wie das „irdische System" mit den Potenzen: Mechanik, Chemismus, Physik, Organisches ausgesehen hat. Es folgen Fragmente zum Dritten Teil (c), die den ersten Entwurf einer Geistesphilosophie enthalten. Innerhalb der Naturphilosophie sind wir für die zusammenhängende Wiedergabe der „allgemeinen Einleitung" und des Systems der Sonne" auf das Manuskript zur Logik, Metaphysik und Naturphilosophie von 1804 angewiesen. Ich werde versuchen, deutlich zu machen, inwieweit es möglich ist (auf Grund der früheren Behandlung der entsprechenden Probleme in Einzeldarstellungen oder auf Grund der Gesamtkonzeption des Entwurfs von 1803/04) im Text von 1804 die ursprüngliche Form dieser Abschnitte der Naturphilosophie zu erfassen. a) Die allgemeine Einleitung Die Metaphysik hat die „Idee als solche" zum Prinzip der Philosophie erhoben, die unendliche Einheit in allen Gegensätzen des Endlichen und Unendlichen. In einer Gliederung des Systems, die wohl zu dem ersten grundrißartigen Vortrag des Systems als ganzen im Sommersemester 1803 gehört, wird als Thema der Naturphilosophie angegeben: „die Realisation der Idee, die sich zunächst in der Natur ihren Leib erschafft" Wie muß man die Natur denken, damit in ihr die Idee in die Realität übergehen kann? „Ihr Wesen an ihr selbst, ihre Realität ist, daß sie lebendige Natur . . . und ihre Materie oder ihre absolute Sichselbstgleichheit das Leben ist" Das ist auch die wesentliche Bestimmung der Natur nach der Habilitationsdissertation sowie nach den übrigen S. Rosenkranz: Hegel's Leben. 179. « LMN 189.

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ZWEITER TEIL: PHILOSOPHIE DER NATUR

Äußerungen der Jahre 1801/02; und es entspricht der Konzeption der Manuskripte zur Naturphilosophie von 1803/04 Die Metaphysik des Systementwurfs von 1803104 scheint damit zu enden, daß die Konstruktion des Geistes als „Idee" in der Darstellung des „absoluten Wesens" (d. h. Gottes) zur „absoluten Substanz" gelangt, „die im Werden durch die Tätigkeit gegen die Passivität in dem unendlichen Gegensätze ebenso absolut ist, als sie wird" Diese höchste Bestimmung des Geistes entfaltet sich in der Natur, die so das „Andere seiner selbst" ist. Die äußere „Entfaltung aller Momente des Geistes", die in der Idee nur innerlich, als Erkennen des Erkennens, gesetzt sind, ist ihr Erscheinen. Aber obgleich die Momente des Geistes in der Natur als „einzelne" erscheinen, sind sie „nicht fixiert und erstarrend", sondern lebendig, „so daß keines ruht und feststeht, sondern absolut sich bewegt und verändert, aber so, daß sein Anderswerden die Erzeugung des entgegengesetzten ist" und „beide in dem allgemeinen Momente der Sichselbstgleichheit oder des Bestehens (sind), so daß jedes in seinem Anderswerden zugleich ist, und in seinem Sein zugleich vergeht" Die Natur wird nicht als ein bloß Äußerliches betrachtet, in dem man quantitative Unterschiede konstatiert. Das Erscheinen der Idee „oder diese Realität ist in der Natur selbst als ideell gesetzt; oder die Realität, das Erscheinen der Natur ist ein Erscheinen als Geist, die Realität als eines Geistes". Auch die Naturphilosophie ist spekulative Philosophie, die in ihrem Bereich die Totalität des Subjekt-Objekts zur Darstellung bringt. Indessen, „der Geist in der Natur ist ein verborgener Geist, er tritt nicht in Geistesgestalt hervor; er ist nur Geist für den erkennenden Geist". Das bedeutet nach der Differenzschrift, in Übereinstimmung mit ScHELtiNG, „die Natur ist ... das bewußtlose Produciren des Ich". Die Philosophie erfaßt die Einheit des Unbewußten, Objektiven und des sich selbst Bestimmenden, Subjektiven in der Natur sowie in der menschlichgeschichtlichen Welt gleichermaßen durch die „intellektuelle Anschauung". Nach der Auffassung Hegels ist es die Spekulation, die in allen Teilen

** Vgl. Werke 4. 73: Die „bewußtlose Entwiklung" der Gestalten der Natur „ist eine Reflexion der lebendigen Kraft, die sich endlos entzweyt, aber in jeder beschränkten Gestalt sidi selbst setzt, und identisch ist". Vgl. auch den Begriff „vis vivae" in der Habilitationsschrift (ED 356/7). S. Realph. I 133: „Diese absolute Einheit, wie wir (sie) als das Wesen des Organischen erkannt haben, ist die absolute Lebenskraft." Realph. 1195; vgl. o. im Ersten Teil Abschnitt C d ß ßß. LMN 193 (Einfügung im Zitat von mir), s. zum folgenden auch 189.

B. Die zusammenhängencje Entfaltung

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des Systems eine Selbstdarstellung des absoluten Subjekt-Objekts zu erkennen vermag Sofern jedoch der Geist nicht erst jenseits seiner Erscheinungsweise in der Natur und in der menschlichen Welt, sondern als „Geist eines Volkes" schon innerhalb der menschlichen Bewußtseinssphäre „absolutes Selbsterkennen" ist, wie es im Naturrechtsaufsatz herauskommt, wird die Selbstdarstellung des Absoluten in diesem Bereich dem Prinzip der Philosophie näher gerückt. In der Natur ist der Geist nur das andere seiner selbst, im Bewußtseins ist er selbst Geist, kann sich als Geist begreifen. Nicht im empirischen individuellen Bewußtsein, wohl aber innerhalb der menschlichen Bewußtseinssphäre überhaupt kann der Geist von sich als Geist ein adäquates Bewußtsein erlangen. Diese Fragen werden bei der Behandlung des Dritten Teils des Hegelschen Systems in dieser Zeit noch genauer zu bedenken sein. Im gegenwärtigen Zusammenhang ist wichtig, daß die Natur auf diese Weise depotenziert wird. Ihr Leben kann sieh nicht selbst als Leben erfassen. Die Einheit und Einfachheit des Organischen kann aber nicht aus einem anderen begriffen werden. „Das Leben der Natur ist sein eigener Begriff", in seinem Sichgestalten ist es die „Unmittelbarkeit der Einheit des Allgemeinen und Besonderen". Das Leben kommt demgemäß unmittelbar nicht zum Bewußtsein. Es ist zwar Geist, und als Geist ist es Erkennen. Aber das Erkennen wird nicht zum „Selbsterkennen", es ist nur in der Weise des Existierens. „Wir erkennen das Organische eben indem wir erkennen, daß es .. . das existierende Erkennen ist Dennoch vermag die Naturphilosophie nach dem Entwurf von 1803f04 ihren Schwerpunkt in der Entfaltung des Systems zu behaupten. Daß die Gestalten der Natur sich nicht gegeneinander abschließen, sondern ineinander übergehen, daß vor allem in der Mechanik und im Chemismus ihre „Unendlichkeit ... negative Einheit ... bleibt und nicht in die Existenz tritt", bildet eine Anwendung der entscheidenden Struktur, die in dieser Zeit als logisch-metaphysische Struktur für das System als ganzes entwickelt wird. Die Mitte zwischen den Entgegengesetzten ist nicht eine eigene Gestalt, in der diese absolut aufgehoben sind. Sie hat sogleich einen neuen Gegensatz in sich, der eine höhere Stufe der Vereinigung verlangt

S. Werke 4. 51, vgl. Sdielling: System des transzendentalen Idealismus a.a.O. 18 f. S. LMN 193 f. und Realph. I 133 f., auch zum folgenden. S. o. im Ersten Teil Abschnitt B b.

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ZWEITER TEIL: PHILOSOPHIE DER NATUR

Die darüber hinausgehende neu gewonnene logisch-metaphysische Position des Manuskripts von 1804 drückt sich darin aus, daß in der Natur als Leben „schlechthin Allgemeines als Besonderes" ist; dieses aber „nicht mit der Allgemeinheit durch die Einzelheit zusammengeschlossen". Die Vermittlung der Entgegengesetzten zu einzelnen für sich bestehenden Gestalten kommt nur durch den Geist zustande. Sie kommt zum Bewußtsein ihrer selbst im Ich als einer Sphäre des Geistes, in der die Natur grundsätzlich überschritten wird Das höchste Wesen als die Idee der unmittelbaren Einheit von Sein und Werden kann darum 1804 nicht den Abschluß der Metaphysik und damit den Anfang für die „Realisation der Idee" in der Natur als solcher und der sittlichen Natur des Menschen bilden, wie wir es für die Metaphysik des Systementwurfs von 1803/04 erschlossen haben. Diese an SPINOZA orientierte Konzeption muß in dem Neuansatz von 1804 entscheidend modifiziert und erweitert werden. Der Geist als Ich, der nicht in der Natur, wohl aber in der Menschenwelt existiert, muß in der Metaphysik in die ursprüngliche Einheit des Ganzen in der Idee hineingenommen, in ihr enthalten sein, wenn er sich in der Resumtion aus seinem Anderssein als Ich begreift. Das „absolute Wesen" muß sich im Durchgang durch das Ich als theoretisches und praktisches Ich zum „absoluten Geist" weiterentwickeln, der die „absolute Substanz" und das Ich, die absolute Subjektivität, in sich vereinigt. Sofern die Natur auch jetzt noch für das Ganze steht, ist sie „absoluter Geist, ist sie selbst das Ich und die Einheit des Ich" und der Substanz. Für sich genommen, ist sie aber nur „das Werden der Existenz des Geistes als Ich", ist sie nicht mehr die Verwirklichung der metaphysischen Grundform, sondern nur der „ersten metaphysischen Form", die sich zur zweiten metaphysischen Form des Ich entwickeln muß, um das Ganze des Prozesses der „Realisation der Idee" darzustellen. Dieser doppelte Naturbegriff wird, wie bereits erwähnt, zum erstenmal in der Geistesphilosophie des Systementwurfs von 1803/04 entfaltet. Jedoch, hier ist nicht das Ich der Gegenbegriff der „Natur überhaupt", sondern der „sittliche Geist", die absolute Sittlichkeit, die sich im „absolut realen Bewußtsein" des Volkes und der absoluten Einheit der Individualitäten verwirklicht. Das Bewußtsein ist zunächst noch an die physische Natur gebunden (in der Sprache an das Element der Luft, im Gebrauch des Werkzeugs an die Erde und in der Familie an die Differenz der GeVgl. LMN 194 f., audi zur folgenden Darstellung.

B. Die zusammenhängende Entfaltung

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schlechter und der physischen Reife des einzelnen Individuums). Erst im Geist des Volkes wird das Bewußtsein von der „Existenz in der Natur befreit", zu einem „absolut Allgemeinen", das auch die vorhergehenden Potenzen „mit dem Charakter des Allgemeinen" bezeichnet, der ihre Besonderheit vernichtet, sie zu ideellen Momenten an der einzelnen Gestalt erhebt, die sich in sich zur Totalität ausbildet Das Werden des Erkennens zum Selbsterkennen ist 1803/04 noch nicht „das Werden der Existenz des Geistes als Ich", sondern das Werden der absoluten Sittlichkeit des Volkes. Erst hier erkennt sich der Geist als Geist, als die Totalität seiner einzelnen Gestalten. Der „metaphysische Prozeß des Lebens" ist nicht nur „zuerst", als das „formale Erscheinen" des Geistes „das sichselbsterhaltende Leben (die Güte Gottes)" sondern als der grundlegende Lebensprozeß, der die natürliche Natur und die sittliche Natur bis hin zur Erhebung in die absolute Sittlichkeit bestimmt. Es ist darum auch wahrscheinlich, daß dieser Lebensprozeß in der früheren Darstellung nicht am Anfang der Naturphilosophie als eine erste „reine Erscheinung der Natur", sondern als „metaphysischer Prozeß des Lebens" innerhalb der Metaphysik als die Voraussetzung der Erscheinung des Geistes überhaupt in Natur und Menschenwelt entwickelt worden ist. Dementsprechend habe ich eine „physikalische" Beschreibung der Idee für die Metaphysik von 1802—1803/04 angenommen

Exkurs: Empirie und spekulative Deduktion in der Darstellung der Naturphilosophie von 1801 1805/06 —

Mit dem Wandel des Naturverständnisses, der sich 1803/04 ankündigt und der in dem großen Manuskript von 1804 eindeutig vollzogen ist, dem eine entscheidende Entwicklung in der Logik-Metaphysik entspricht, geht auch im Methodischen der Darstellung der Naturphilosophie eine grundlegende Änderung zusammen. Der Naturbegriff der ersten Jenaer Zeit hält „Erfahrung" und „Induktion" als Erkenntniswege offen, obgleich diese freilich unter der Leitung der „Philosophie" stehen sollen Um die Einheit des Allgemeinen und Besonderen überall in den Erscheinungen der Natur zu erfassen, muß die philosophische Betrachtung der empirischen Naturwissenschaft ihre Richtung weisen. Dennoch führt Hegel S. Realph. I 234 f. und 204 (mit Anm. 5). 53 S. LMN 189—192. 53 S. o. im Ersten Teil Abschnitt C b. 55 S. ED 398/9—401/2, zum folgenden 380/1 f.

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ZWEITER TEIL: PHILOSOPHIE DER NATUR

selbst in der Habilitationsschrift ausdrücklich an, was „die Erfahrung" von der Schwerkraft „lehrt", ehe er den eigentlich philosophischen Einwand gegen NEWTONS mathematisch-experimentelle Methode vorbringt. Darin wird man keine zureichende Berücksichtigung der Empirie erblicken köimen. Man muß jedoch beachten, daß in der Schrift De orbitis Planetarum der Ansatz der Naturphilosophie gegen die mathematischexperimentelle Verfahrensweise der Naturwissenschaft in erster Linie kritisch zur Geltung gebracht wird. Was hier als die Vorordnung der spekulativen Philosophie vor die empirische Wissenschaft gefordert wird, mag die Maimigfaltigkeit empirisch-positiver Forschung von voriüierein zu sehr beschneiden, es enthält die richtige kritische Einsicht, daß die Einzelforschung immer schon bewußt oder unbewußt von der Antizipation umfassender Ganzheiten geleitet ist. Die Ankündigung Hegels am Ende der Habilitationsschrift, daß man „zwischen der vierten und der fünften Stelle" der bisher bekannten Planeten keinen weiteren „zu vermissen braucht", die von der empirischen Forschung sehr bald widerlegt wird, bildet in gewissem Sinne eine Anwendung der Auffassung SCHELLINGS über das Verhältnis von Spekulation und Empirie, wie dieser es in der Einleitung zu dem Entwurf des Systems der Naturphilosophie entwickelt. Die „speculative Physik" zeigt im notwendigen Zusammenhang der Natur „fehlende Zwischenglieder" auf, die der Wissenschaft noch unbekannt sind. „Diese Zwischenglieder aufzufinden, ist das Werk der experimentierenden Naturforschung" ®®. Sofern die empirische Wissenschaft auf diese Weise daran gebunden werden soll, nur dort zu forschen, wo auf spekulativem Wege fehlende Zwischenglieder antizipiert werden, ist damit eine unzulässige Beschränkung des empirischen Erkenntnisweges ausgesprochen. Als Vorentwurf neuer Forschungsgebiete, die als fruchtbar erscheinen, wird diese Methode um so nützlicher sein, je enger sich die spekulative Erfassung eines Ganzen in einem „ins Unendliche gehenden Progressus" an die empirisch verifizierbaren Voraussetzimgen hält. In der erwähnten Ankündigung Hegels wird die ScHELtiNGSche Methode freilich nicht nur angewendet, sondern zugleich umgekehrt. Hegel sagt hier nicht, wo Zwischenglieder fehlen. Auf Grund der aus dem Timaios entlehnten, von ihm modifizierten Zahlenreihe, welche die vernünftige Naturordnung angibt, folgert er, wo es kein fehlendes Zwischenglied geben kaim. Durch diese Umkehrung der ScHELLiNGschen Methode wird deren Postulat einer aboluten Falsifikationsmöglichkeit der spekulativen S. Sdielling: Werke a.a.O. Bd 2. 279.

B. Die zusammenhängende Entfaltung

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Voraussetzungen durch die empirische Forschung preisgegeben (vgl. o. Anm. 27). Damit erhält die spekulativ-deduzierende Methode eindeutig ein Übergewicht, das für den Fortschritt der naturwissenschaftlichen Erkenntnisse nicht als förderlich erscheinen kann. In der Naturphilosophie von 1803/04 wird das empirische Material der Naturwissenschaft von Hegel ausführlich herangezogen. Er berichtet sogar von eigenen Experimenten, die er zur Klärung gewisser naturwissenschaftlicher Probleme angestellt hat Ihre philosophisch zutreffenden Ergebnisse erscheinen ihm jedoch als zufällig. Sie sind „in der Wirklidikeit" ein Sicherheben „über die Wirklichkeit" Ohne den Zusammenhang mit der philosophischen Betrachtung haben sie keinerlei Erkenntniswert. Die empirisch feststellbaren Unterschiede „bloß quantitativ ... zu nehmen, macht . .. dem Wesen des Erkennens überhaupt ein Ende, für welche der Unterschied absolute Entgegensetzung und nur darum Aufhebung des Entgegengesetzten ist ®®. Die Natur steht für das Erscheinen des Geistes insgesamt, der sich innerhalb der Welt der Erscheinung, im Bewußtsein als „absolut realem Bewußtsein", zu sich selbst erhebt. Die Naturentwicklung als solche und die an die Natur gebundenen Momente der Entwicklung des Bewußtseins bilden zusammen einen durchgehenden Prozeß, der das Allgemeine in den besonderen Gestalten immer deutlicher heraushebt, bis es im Geist des Volkes zur „absolut einfachen, lebendigen, einzigen Substanz" wird. Diesen Prozeß gilt es sichtbar zu machen und nicht einzelne Beobachtungen unverbunden nebeneinander zu stellen. „Das Leben des Prozesses ist es, was in dieser formellen (empirisch vereinzelnden) Betrachtung ganz zugrunde geht; es ist im Prozesse alles in Beziehung aufeinander" ®®. Offensichtlich wird durch die Selbsterfassung des Absoluten innerhalb der Welt der Erscheinung bedingt, daß der Weg des erscheinenden Geistes durch seine verschiedenen Gestalten bis zu diesem Punkt deutlicher und konsequenter als ein zielgerichteter Prozeß verstanden wird, dessen grundlegende Struktur und dessen wesentliche Stufen aus der Idee als solcher unmittelbar zu deduzieren sind. Das empirische Material muß sich den spekulativ entwickelten „absoluten Verhältnissen" einfügen. Diese sind „nicht an die empirische Darstellung . .. gebunden." S. Realph. I 114; audi das 1803 begonnene „Wastebook" enthält „Aufzeichnungen selbstgemachter physikalischer Experimente" (Rosenkranz: Hegel's Leben. 198). »8 s. Realph. I 65. 5» S. Realph. I 86. •“ S. Realph. I 232, 108 (Einfügung im Zitat von mir), zum folgenden 31 f.

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ZWEITER TEIL : PHILOSOPHIE DER NATUR

Das Übergewicht der philosophisch-deduktiven Betrachtung nimmt noch weiter zu, wenn sich die Sphäre des seiner selbst bewußten unendlichen Geistes in der Welt der Erscheinung ausdehnt, so daß schließlich der Bereich des menschlichen Bewußtseins (der „Geist als Ich") der natürlichen Welt (dem „Geist als Natur") gegenübersteht. Je mehr die einzelnen Gestalten des erscheinenden Geistes daraufhin schon für sich selbst ein Hervortreten der Idee als der unendlichen Einheit in den Gegensätzen des Endlichen und Unendlichen sind, um so mehr muß der Prozeß des Erscheinens des Geistes in seinem Fortgang zwingend sein und philosophisch stringent entwickelt werden. Die Naturphilosophie von 1804 wird dementsprechend rein deduktiv entwickelt; sie enthält keinerlei Bezüge mehr auf empirisch oder experimentell gefundene Wahrheiten. (Eine Geistesphilosophie ist innerhalb dieses Systementwurfs nicht geschrieben worden, weil die Frage des Zu-sich-Kommens des Geistes im menschlichen Bewußtseins auf Schwierigkeiten stößt, die sich zunächst nicht lösen lassen, für die in der „Metaphysik der Subjektivität", wie sie bisher vorliegt, keine ausreichende Grundlegung geschaffen ist.) Die Natur- und Geistesphilosophie von 1805106 ist methodisch wieder anders orientiert. Sie verfügt auf der einen Seite über neue logischbegriffliche Mittel. Die Einführung des Zweckbegriffs und die durchgängige Anwendung des logischen Schlusses sind in dieser Hisnicht besonders charakteristisch Andererseits ist aber hier auch wieder auf empirische Ergebnisse der Natur- und Geisteswissenschaften Rücksicht genommen. Hegel hat erneut auch Werke der empirischen Wissenschaft studiert und setzt sich mit ihnen auseinander ®^. Diese veränderte methodische Grundhaltung ist dadurch bedingt, daß in der Systemkonzeption als ganzer die Natur- und Geistesphilosophie nicht mehr strenge spekulative Philosophie sind wie die Logik (der in dieser Zeit bereits eine „Phänomenologie des Geistes" vorausgeschickt wird) und die Metaphysik, sondern als „Realphilosophie" bei aller begrifflichen Durcharbeitung des Materials doch eine freiere Form der Darstellung zulassen *

*

*

“ S. o. im Ersten Teil den Exkurs: Zur Einführung des Zweckbegriffs. 93—95, bes. Anm. 103 {., 106, 108 f. Vgl. Realph. (II) 62—65 (mit den Anm. des Hrsg.). Vgl. dazu Hegels Vorlesungsankündigungen von Sommersemester 1805 bis zum iVintersemester 1806/07.

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b) Das System der Sonne a) Die Voraussetzungen des Übergangs der Idee zur Realität im himmlischen System (Der Äther als „absolute Materie”) Das System der Sonne bildet die erste, reinste Erscheinung des Geistes in der Natur, weil diese Erscheinung eine Erscheinung der „absoluten Materie" des Äthers ist. Der Äther als reine Geist-Materie ist die „Idee Gottes". Das zeigt seine ursprüngliche metaphysische Qualität. Die „Idee Gottes" wird indessen noch unterschieden vom „lebendigen Gott", der als absoluter Geist „in dem Anders seiner selbst sich als sich selbst erkennt". Der „lebendige Gott" ist also die Einheit von Idee und Erscheinung. Er hat „als der sichselbstgleiche absolute Kreis der sich in sich selbst reflektierenden Totalität die Sichselbstgleichheit selbst zum Momente seiner selbst" Man muß nun sehen, daß das Sonnensystem in der Habilitationsdissertation für die Erscheinung der Idee schlechthin steht: „non alia est sublimior puriorque rationis expressio" ®®. Die übrigen Gestalten der Natur werden die Vernunft nicht mit derselben Klarheit zum Ausdruck bringen. Das Licht der Vernunft, das reine lebendige Allgemeine muß zunächst in der weiteren Naturentwicklung tiefer in die Finsternis der toten Masse mit den mechanischen Gesetzen der Bewegung versenkt werden, ehe es „in der organischen Natur" zu sich zurückfindet. Diese bringt das „innere Lichtprinzip" auch äußerlich zur Darstellung: in den Farben der Pflanze als Blume, in der Stimme des Tiers als „ein Subjektives in allgemeiner Mitteilung" ®®. Die Intelligenz erfaßt sich selbst als „subjektive Totalität". Sie nimmt jedoch die Produkte ihrer Anschauung zunächst als etwas Objektives. Auch wenn sie sich in der Potenz des Praktischen als ein sich selbst Setzendes begreift, bleibt das freie Handeln gebunden an die Bedingungen der objektiven Welt. In der Freiheit des einzelnen kommt die Natur zu ihrem Recht als die „Beschränkung der Freyheit" durch die „Freyheit vieler Vernunftwesen". Erst der „ästhetische Sinn" führt zur absoluten Einheit des Allgemeinen und erfaßt die Vollendung des „Lebenslaufs Gottes", die Totalität der Erscheinung der „Idee Gottes" in Natur und Menschenwelt. Im Systementwurf von 1803104 schließt sich der Kreis des erscheinenden Geistes bereits in der Welt der Erscheinung selbst. Das Zu-sichS. LMN 197. S. ED 348/9. Vgl. die Systemskizze am Ende der Differenzschrift (Werke 4. 73). S. Werke 4.62; vgl. auch zum folgenden.

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ZWEITER TEIL: PHILOSOPHIE DER NATUR

Kommen des Geistes im „absolut realen Bewußtsein" ist die Rückkehr zum „absolut allgemeinen Element des Äthers", die Verwirklichung der „absoluten Substanz", die in der Metaphysik als „höchstes Wesen", als „Idee Gottes" abgeleitet wird Das System der Sittlichkeit bestätigt das Erscheinen Gottes als die absolute Einheit von Allgemeinem und Besonderem im „absolut realen Bewußtsein", d. h. in erster Linie im Geist eines Volkes: „Das Besondere, das Individuum ist (im Volk) als besonderes Bewußtsein schlechthin dem Allgemeinen gleich; und dieser Allgemeinheit, welche die Besonderheit schlechthin mit sich vereinigt hat, ist die Göttlichkeit des Volkes, und dieses Allgemeine in der ideellen Form der Besonderheit angeschaut, ist der Gott des Volkes" Im Systementwurf von 1804 bildet der Äther nur noch das allgemeine Medium des erscheinenden Geistes im „Universum" als natürlicher Natur. In der Sphäre des Ich geht der Geist in eine andere Dimension über, die nicht mehr an den Äther als den „verborgenen Geist" der Natur gebunden ist. Die Deduktion des Äthers als „absoluter Materie" geschieht darum nicht in der Metaphysik, sondern erst im Anfang der Entfaltung der Naturphilosophie. Das „Sprechen des Äthers mit sich selbst" wird nicht mehr als das absolute Schöpfungswort Gottes aufgefaßt, sondern als Begründung des Kreises, den das „Universum" als natürliche Natur durchläuft Der Äther ist „als Einheit des Sichselbstgleichen und Unendlichen"; er hat in sich die Entgegensetzung des Lichts, das sich ausbreitet, und der „absoluten Nacht", in der sich das Licht zum „negativen Eins des Punkts" zusammenzieht, der als Fokus des Lichts zugleich selbst „absolut heller, durchsichtiger Tag" ist. Diese negative Einheit, die das Sein zu einem bestimmten macht, indem es alle anderen Bestimmtheiten von sich ausschließt, ist zugleich in der Negation der Negation das „Bestehen der Qualitäten als unterschiedener, das Vielesein". In der Quantität, dem Vielesein der Qualitäten, sind die „Lichtpunkte" nur „formaler Ausdruck der Unendlichkeit". Sie bleiben „ohne lebendiges Verhältnis", Sterne, die als „Selbst-Sonnen nicht Sonnen für einander und ohne Bewegung" sind Die Parallele zum Anfang der Logik ist offensichtlich. Wir haben in der Logik von 1804 in der „Totalität des Verhältnisses" nur ein „formales Modell" des unendlichen Lebens vor uns. Die „einfache Beziehung" bildet das „Vorfeld der Unendlichkeit"; die Verhältnisse des Seins und Vgl. Realph. I 232 und 195. Pol. 466 f. (Einfügung im Zitat von mir). 7» S. LMN 199 f., vgl. 193 f. S. LMN 201, vgl. 5.

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des Denkens bleiben auf gewisse Weise noch gleichgültig gegeneinander. Sie erreichen ein Gleichgewicht, das nicht als „Spiel der Kräfte", sondern als die Rückkehr in die Ruhe des Einsseins verstanden wird. Die „Totalität des Verhältnisses" wird nicht von sich aus lebendige Einheit über dem Gegensatz von Einheit und Vielheit; die Verhältnisse des Seins und des Denkens werden erst aufgehoben durch einen weiteren Schritt, in dem die Gleichheit der Verhältnisse erkannt wird. Das Erkennen, das im Denken und im Sein sich selbst erkennt, bringt beide zur absoluten Beziehung (Einheit), die zugleich absolute Entgegensetzung (Vielheit) ist. Die absolute Einheit der Idee, das „lebendige Verhältnis" erscheint als absolute Beziehung, die sich entfaltet als ein System absoluter Entgegensetzung. In dieser Entfaltung wird die Unendlichkeit selbst die Bewegung „und als Totalität ein System von Sphären und Bewegungen". Der Äther als Medium der Bewegung schließt sich unmittelbar selbst auf in seinen Momenten Raum und Zeit. Unendlichkeit und Sichselbstgleichheit sind zugleich Einheit und Entgegensetzung im Phänomen der reinen himmlischen Bewegung, die dadurch ihre Realität gewinnt, daß in ihr Zeit und Raum, als unauflöslich miteinander verbunden, gesetzt sind ß) Der Übergang der Idee zur Realität in der himmlischen Bewegung (Der Äther als „absolute Kraft") Die erste Gestalt des sich realisierenden Geistes ist die Bewegung als die Einheit von Zeit und Raum. Die Mitte zwischen diesen Extremen ist der Punkt. Das bedeutet, von den logischen Voraussetzungen des Systementwurfs von 1803/04 aus betrachtet, der Punkt ist „an beiden als Gemeinschaftliches" Wenn man diesen Voraussetzungen weiter folgt, tritt aber diese Mitte nicht selbst hervor. Sie ist ein Ideelles, das durch die philosophische Betrachtung als das Gemeinschaftliche in den Extremen aufgewiesen wird. Die Zeit nimmt ihre Erstreckungen in die Vergangenheit und in die Zukunft in das Jetzt der Gegenwart zusammen. Damit ist nicht ein Vorrang der Zukunft vor den übrigen Formen der Zeitlichkeit gedacht, wie KOYRE mit einem Hinweis auf HEIDEGGERS Analyse der Zeitlichkeit behauptet, sondern erneut eine genaue Parallele zum Anfang der Logik Die Gegenwart, als Jetzt-Punkt selber ein Nichtsein, ein reiner Übergang, ist die Grenze zwischen dem Nichtsein der Zukunft, die in der GegenLMN 201, vgl. ED 352/3. LMN 231.

S. A. Koyre; Hegel ä lena. — In: Eiudes d'Histoire de la Pensee Philosophique. Paris 1961. 135—174, bes. 151—164.

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ZWEITER TEIL: PHILOSOPHIE DER NATUR

wart wird, und dem Sein der Vergangenheit, in der die „absolut beruhigte Tätigkeit beider (der Gegenwart und der Zukunft) gegeneinander" ist Die Dimensionen des Raumes drücken in entsprechender Weise die Quantitätskategorien aus. In ihm ist die Grenze „als ihr Aufgehobensein". Da die Zeit als beruhigte außer sich ist, äußerlich anschaubar wird in den Gestalten der Vergangenheit, vermag ihre Grenze in den Raum überzugehen, ihn gestaltend zu affizieren. Durch diese Grenze wird der „absolute Raum" zum beschränkten, gestalteten Raum; seine Einheit wird zur Vielheit möglicher Schauplätze des geschichtlichen Geschehens. „Die Abstraktion des Raumbeschränkens", die ihn nicht mehr als Raum in der Totalität seiner Dimensionen betrachtet, sondern nur noch als beschränkbare Vielheit, ist die Fläche. Das Anderssein des „absoluten Raumes" in der Fläche wird wiederum aufgehoben durch die Linie, die „als Negation der Fläche" selbst noch räumlich ist, das Einfache, Formale des Raumes, der „Ausdruck der Dimension im Raume überhaupt" '®. An der Linie als der Einheit der Einheit und der Vielheit (als beschränkter Einheit) ist noch einmal die „Möglichkeit der Vielheit" gesetzt, die sich als bloße Mannigfaltigkeit von Punkten bestimmt. Dies läßt sich unmittelbar als eine erste seinsmäßige Bestimmung des Verhältnisses von Einem und Vielem deuten, dem die Wirklichkeit der Vielheit als Zerstreuung in die Mannigfaltigkeit der Punkte entspricht. Das wird in den entsprechenden Abschnitten des Anfangs der Naturphilosophie von 1803/04 in dieser Weise gedacht worden sein Daß sich die Punkte in ihrer Vielheit substantiieren, besagt im Horizont des Systems der Sonne, daß sie Sterne sind. Der Äther als verbindende Einheit in der Vielheit der Punkte, als die Notwendigkeit ihrer Beziehung aufeinander, findet seinen Ausdruck im Kausalitätsverhältnis, in dem Ursache und Wirkung nicht äußerlich-mechanistisch, sondern im Sinne einer philosophisch-dynamischen Erklärung der Natur als der Zusammenhang von Kraft und Äußerung gedacht sind. LMN 203 f. (Einfügung im Zitat von mir), vgl. o. im Ersten Teil Abschnitt B a ß aa. — M. Heidegger sagt in Sein und Zeit (Tübingen 1953. 7. Aufl.,) „daß Hegels Zeitbegriff .. direkt aus der ,Physik' des Aristoteles geschöpft ist". Den entsprechenden Abschnitt in LMN begreift er „als eine Paraphrase der Aristotelischen Zeitabhandlung" (ebenda 432 Anm. 1). Das wird man trotz der von Heidegger aufgeführten sachlichen Übereinstimmungen nicht sagen können. Denn der Zeitbegriff Hegels, der in diesem Entwurf vorgetragen wird, ist in den logischen Bestimmungen der Qualität eindeutig vorgezeichnet. Von dort her muß man ihn verstehen (vgl. u. Anm. 81). S. LMN 207—210. ’’’’ Vgl. LMN 9, in dieser Darstellung o. im Ersten Teli den Abschnitt Baß ßß.

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Es ist schon in der Habilitationsdissertation das Bestreben Hegels, die Konstruktion der Materie aus entgegengesetzten Kräften, der Attraktivund Repulsivkraft (darin dem Vorbild SCHELLINGS folgend) auf eine „lebendige Kraft" zurückzuführen Die entgegengesetzten Kräfte sind im himmlischen System Ausdruck der Kraft überhaupt, daß die Sterne als solche aufeinander Kraft ausüben, sich gegenseitig zu Wirkenden und Bewirkten machen, d. h. unter sich ein Inneres und Äußeres erzeugen. Die Bewegungsgesetze der Himmelsphysik haben die Sterne in diesem Sinn als „Kraftpunkte" aufzufassen. Sie gewinnen ihre Parameter aus der doppelten Bestimmung des Punktes als eines zeitlichen und eines räumlichen Wenn man die Darstellung des himmlischen Systems am Leitfaden der Logik, wie sie Hegel vor dem Systementwurf von 1804 konzipiert, weiterführen will, ergibt sich schließlich: im „Gleichgewicht der Kräfte" (Verhältnis der Wechselwirkung) kommt die Bewegung zur Ruhe. Es entsteht eine Bewegung, die zugleich Ruhe ist, weil sie in der Gleichförmigkeit ihres Verlaufs in sich das Moment der Ruhe hat. Dies ist die Kreisbewegung, die sich (1) als auf sich selbst bezogene, achsendrehende und (2) als auf ein anderes bezogene, als Kreislauf um einen ihr äußeren Mittelpunkt denken läßt. Beide Formen der Kreisbewegung sind in den Planeten realisiert. Der Mond indessen ist nur als die letztere bestimmt. Die Erde hat neben ihrer planetarischen Sphäre noch die kometarische als ideelles Moment an sich, „ein in sich Aufgelöstes ohne die zusammenhaltende negative Einheit der Kreisbewegung". Sie hat eine Atmosphäre. Darin steht sie unmittelbar „unter der Herrschaft der Sonne", deren Allgemeinheit der Komet keine eigene Unendlichkeit entgegensetzt. Als Bewegung ist die kometarische Sphäre „absolute Ungleichheit ihres Beziehens und ein Entfernen sowie ein Annähern", das nicht an die Gleichheit des Kreislaufs gebunden ist Der ausgeführte Entwurf dieses ersten Abschnitts der Naturphilosophie in dem Manuskript von 1804 enthält noch eine detaillierte Bewegungslehre, die man nicht für die oben rekonstruierte frühere Fassung in Anspruch nehmen kann. Darin finden sich — wie in der Darstellung des Zeitbegriffs— Anklänge an die Physik und Metaphysik des ARISTOTELES, die aber nicht S. ED 356/7; zum Vergleich mit Schelling s. o. Anm. 21 und 29. 79 Vgl. ED 388/9. s» S. LMN 234 f.

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mit Notwendigkeit auf ein Studium dieser Texte schließen lassen Vor allem die Erfassung der Bewegung als JIQCüTOV oöev im zweiten Buch der Metaphysik und die Ableitung des Vollzugs der Bewegung als Übergang aus Entgegengesetztem in Entgegengesetztes, die in der Bestimmung des Woher als areßTiaie und des Wohin als [iOQ(pf| zum Ausdruck kommt {Physik A Kap. 5), kehren der Sache nach bei Hegel wieder. Das ergibt sich jedoch, wie mir scheint, völlig eigenständig aus dem Deduktionsgang des Manuskripts von 1804. Die „reale Einheit" von Zeit und Raum als einander Entgegengesetzten, das Fürsichbestehen der Unendlichkeit, das im Ineinssein dieser Gegensätze hervortritt, ist die Bewegung. Der Punkt als die Mitte zwischen Zeit und Raum wird in der Bewegung zur vermittelnden Mitte, die sich als einzelnes, als die Vereinigung des Allgemeinen und Besonderen erzeugt. Die Bewegung als diese absolut vermittelnde Einheit von Zeit und Raum wird unmittelbar zur „erscheinenden Bewegung" Die Zeit (als Ausdruck der Qualität, des allgemeinen Sichbestimmens) und der Raum (als Ausdruck der Quantität, in der die Bestimmungen sich vereinzeln), lassen sich zunächst nur äußerlich vereinigen, insofern jedes von beiden als Mannigfaltigkeit von Punkten, d. h. als Quantum gedacht wird. Die Bewegung wird also zunächst rein als „Verhältnis der Größe" aufgefaßt. Betrachtet man sie als „diskrete Größe", so ergibt sich aus ihrem Verhältnis der Ort der Zeit- und Raumpunkte und aus der Vielheit der Orte die Richtung der sich bewegenden Punkte. Die Betrachtung der Bewegung als „kontinuierlicher Größe" ergibt die Bestimmung der Dauer, die als „ein Vielfaches" den Vergleich verschiedener Bewegungen in ihrer Dauer ermöglicht, woraus als „Verhältniseinheit" die Geschwindigkeit resultiert Die quantitative Betrachtung führt aber allenfalls zur „schlechten Unendlichkeit" der Bewegung als eines progressus ad infinitum. Die Bewegung erhebt sich zur „wahrhaften Unendlichkeit", wenn die Linie der Bewegung nicht als das geradlinige Außersichtreten des Punktes begriffen wird, sondern als die Umschließung einer Fläche, indem sie zugleich auf den Punkt als in sich bleibenden bezogen ist. „Die geradlinige Bewegung wird also, indem sie ein anderes wird, Beziehung auf den Punkt, als die Ruhe, das Gegenteil ihrer selbst", Kreisbewegung ®'*. Die mathematischen GeEine grundlegende Rezeption des Aristoteles ist erst für das folgende Jahr (1805) zu belegen; vgl. o. im Ersten Teil Anm. 100. 8* S. LMN 213-215. S. LMN 215—220, vgl. 9—11; vgl. im Ersten Teil 81 LMN 221.

Abschnitt B

c a.

6. Die zusammenhängende Entfaltung

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setze der himmlischen Bewegungen erheben deshalb die Zeit ins Quadrat, weil die Linie zur Fläche wird, den Raum jedoch in die dritte Potenz, weil die verschiedenen Bewegungsabläufe alle Dimensionen des Raumes in sich schließen. So wird die Himmelsphysik durchgängig philosophisch erklärbar. Die Materie wird nicht mehr — wie bei KANT — aus entgegengesetzten Kräften konstruiert, die dann zueinander ins Verhältnis gesetzt werden, sie ist als die Realität der Bewegung „absolute Kraft, welche in ihrer Existenz für sich als diese Kraft bleibt", absolute Bewegung, die zugleich absolute Ruhe ist. Die Kreisbewegung als das „Ruhen der Bewegung in sich selbst" ist nicht erst das Ergebnis eines „Gleichgewichts der Kräfte", wie man es für eine Konzeption zwischen der Habilitationsdissertation und dem Manuskript von 1804 annehmen muß. Sie ist das Licht als solches, das sich in sich reflektiert, der reine Ausdruck des sich in sich reflektierenden und darin als Kreis in sich zurückkehrenden Denkens der absoluten Idee, die in ihrem Erscheinen einen Raum erfüllt Nach der Ableitung der Kreisbewegung als „totaler Bewegung" mündet die Darstellung auch hier in die konkrete Bestimmung der irdischen Sphäre als der Einheit der lunarischen, auf einen fremden Mittelpunkt bezogenen und der achsendrehenden, auf den eigenen Mittelpunkt bezogenen Kreisbewegung auf der einen Seite (planetarische Sphäre) und der exzentrischen, nur auf sich bezogenen doppelten Bewegung von Annäherung und Entfernxmg der Kometen als „Selbst-Sonnen" auf der anderen Seite (kometarische Sphäre). Daß dies schon 1803/04 in derselben Weise gedacht wird, zeigen die Fragmente „Übergang zum irdischen System" und „Konstruktion der Erde", die aus dieser Zeit stammen. Indessen wird auch die „Realität der Bewegung" 1804 sehr viel strenger imd direkter von den logischen Bestimmungen her entwickelt. Der in sich geschlossene Kreis des philosophischen Denkens kann unmittelbar zum Vorbild der Gestalten des erscheinenden Geistes werden. Die Erde ist die Mitte, welche die Sonne als das Allgemeine „mit den beiden letztem", den besonderen Sphären des Planeten und Kometen, „als der Sphäre der Einzelheit" zusammenschließt. Sie drückt den Schluß aus, durch den das Allgemeine über das Besondere zur Einzelheit herabsteigt.

S. LMN 228 f., vgl. zum folgenden Realph. I 3—12, LMN 237 f.

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Exkurs: Der Anfang der Naturphilosophie in der Realphilosophie von 1805106 Daß die Naturphilosophie in der Realphilosophie von 1805106 gegenüber der Habilitationsschrift von 1801 und den Systementwürfen von 1803104 und 1804 anders beginnt^ ist ohne weiteres ersichtlich. Der Unterschied zeigt an, daß mit der Veränderung der Konzeption des Systems im ganzen, die 1803/04 beginnt, die aber 1804 noch nicht in einer abgeschlossenen Darstellung der Natur- und Geistesphilosophie geltend gemacht werden kann, ein tiefgreifender Prozeß der Umwandlung in Gang gekommen ist. Die Naturphilosophie bildet auch nicht mehr das Organon der Philosophie überhaupt. Die Einheit des Allgemeinen und Besonderen kommt in der Natur nicht mehr beispielhaft und für die menschliche Welt vorbildhaft zum Ausdruck, es ist der Begriff, das freie denkende Sicherfassen des Geistes, durch das die Einheit von Denkendem und Gedachtem erzeugt wird. Die Zusammenhänge der realen Welt erklären sich, indem der Begriff und seine Fortentwicklung ins Dasein übergehen. Die Gestalten der Natur tmd Menschenwelt sind nichts anderes als Formen des daseienden Begriffs. Daraus folgt, daß die „geistige Substanz" der menschlichen Welt die Formen des daseienden Begriffs deutlicher und adäquater zum Ausdruck bringt als die Natur. Der Naturzustand ist noch immer die erste Darstellung des erscheinenden Geistes. Die menschliche Welt bestimmt sich als eine aus dem Naturzustand hervorgehende, aber es heißt nicht mehr wie 1801 in den Habilitationsthesen: „Status naturae non est iniustus, et ob eam causam ex illo exeundum" ®®, sondern das „einzige Verhältnis" des menschlichen Selbstbewußtseins zum Naturzustand ist, „ebendies Verhältnis aufzuheben: exeundum e statu naturae"®^. Die menschliche Welt bleibt nicht an die Natur als den sie erklärenden tragenden Ursprung zurückgebunden. Sie findet ihr Erklärungsprinzip in sich selbst, in der Entsprechung der Formen ihrer „geistigen Substanz" zur begrifflichen Entwicklung der Strukturen des Denkens. Die einfache Einheit von Allgemeinem und Besonderem in der Natur bildet nicht mehr den Ermöglichungsgrund für die Überwindung der Entzweiung in der Sphäre des Bewußtseins. Die Natur ist nur ein Vorschein der mit sich vermittelten Gegensätze im menschlichen Selbstbewußsein, ED 404/5. Realph. (II) 205. — Damit kommt Hegel dem ursprünglich von Hobbes gemeinten Sinn dieser Formel von der Sache her wieder näher; vgl. o. im Ersten Teil Anm. 123.

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die durch den absoluten Widerspruch hindurch zur Einheit freier, für sich bestehender Gestalten miteinander verbunden sind. Die Neubestimmung des Verhältnisses von Natur- und Geistesphilosophie zueinander bedingt für den Anfang der Naturphilosophie, daß im himmlischen System nicht mehr die reinere Erscheinung des Geistes gegenüber allem folgenden gedacht wird. Das System der Sonne ist kein eigener Abschnitt innerhalb der Philosophie der Natur. Die Physik des Himmels wird im Rahmen der Potenzen der Mechanik abgehandelt, in welcher der Geist in seine tiefste Entfremdung hinabgestoßen ist, in der die lebendige Einheit als die Einheit in den Gegensätzen überhaupt am wenigsten deutlich ausgebildet wird. Das bedeutet zwar nicht, daß Hegel nun eine mechanistische Erklärung der Bewegungen der Gestirne geben will, wie er sie seit seiner Habilitationsschrift bei NEWTON und der rein empirischen Naturwissenschaft auf das Entschiedenste verurteilt. „Auf die himmlische Körperlichkeit müssen daher die Vorstellungen von Stoß, Druck, Ziehen u. dgl. nicht angewendet werden; sie gelten nur von einer anderen Existenz der Materie." Der Äther, die Materie des himmlischen Systems, gilt noch als die „absolute Materie". In ihr sind Kraft und Masse nicht einander fremd, sondern für die Bewegungen am Himmel gilt, daß die Kraft, die sie treibt, der ihnen innewohnende Begriff ist. Aber auch die himmlische Materie ist Materie. Sie ist nicht selbst die „absolute Kraft", sondern in ihr erscheint diese Kraft. Sie ist als Materie „Gleichgültigkeit" gegen den Begriff; „sie ist bloß die Möglichkeit" der Bewegung und der Ruhe. „Sie als Wirkliches, d. h. das Eine oder das Andere seiend, ist es durch ein Anderes", durch den Begriff, der als Kraft in ihr das Wirkende und als das Wirkende das Wirkliche ist Hegel betont für die himmlische wie für die irdische Daseinsweise der Materie oder der Masse ihren gemeinschaftlichen Charakter als Materie. Der Unterschied liegt lediglich darin, daß im Äther als solchem Begriff und Sein der Kraft sich noch nicht getrennt haben. Die Kraft erscheint als Kraft, es gibt weder „Widerstand noch Reibung", worin die Kraft sich gegen sich selber stellt, in die Materie versenkt ist. Die Äther als solcher ist das reine Sein, das als die Voraussetzung der Entfaltung der Bestimmungen des Seins selber gänzlich unentfaltet bleibt. Seine „reine, einfache Negativität" wird nicht selber schon als das Sichhervorbringen der einzelnen Bestimmungen aus der Bestimmtheit überhaupt erfaßt, sondern als ein erster, ganz abstrakter Vorschein des S. Realph. (II) 21—24, auch zum folgenden.

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sich bestimmenden Selbstbewußtseins, das erst in der Geistesphilosophie in seinen konkreten Gestalten dargestellt wird. Der Äther ist „reines Selbstbewußtsein ... als seiend überhaupt, nicht als daseiend oder reell bestimmt"; und „diese Bestimmtheit des sich daseienden Seins geht in das Dasein über ... in welchem der Geist als Natur ist" Diesem Anfang der Naturphilosophie entspricht eine Logik, die nicht die Kategorien Realität und Negation als den Inbegriff von Sachhaltigkeit überhaupt, die Qualität als freies Sichbestimmen, zum Ausgangspunkt nimmt. Die Begriffe Sein und Nichts, die hier zum Ausgangspunkt genommen werden, sind eine erste, abstrakte Vorzeichnung der Entfaltung von Bestimmtheiten überhaupt. Sie haben als diese kein eigenes Dasein; ihre einzige Bestimmtheit liegt darin, daß sie aus der bloßen Möglichkeit des Sichbestimmenkönnens ins Dasein, in die Wirklichkeit des Sichbestimmens übergehen. Der dritte Begriff dieses neu konzipierten Anfangs der Logik würde nach Sein und Nichts also Dasein heißen. Die Denkbewegung der Logik (und Metaphysik) führt dann von dem abstrakten, bloß äußerlich-formal gedachten Dasein zum sich selbst erfassenden Begriff. Die „Idee" kann „als das in seinen Begriff zurückgegangene Dasein" bezeichnet werden. Das ist ein wichtiger Schritt in der Entwicklung der Logik, durch den verständlich wird, daß in der Konzeption von 1812 mit dem Sein als dem Abstraktesten und Ärmsten an Bestimmung, der „unmittelbaren Unbestimmtheit", angefangen wird. Im weiteren Fortgang der Naturphilosophie von 1805/06 ist im Vergleich zu 1804 nicht nur die Erörterung des Raumes derjenigen der Zeit vorangestellt — wie man oft bemerkt hat —, sondern innerhalb dieser Abschnitte ist die Reihenfolge ebenfalls umgekehrt. Hegel beginnt mit dem Punkt und entwickelt daraus die übrigen Dimensionen des Raumes und der Zeit. Nach der Darstellung des reinen Seins und der „reinen einfachen Negativität", die ins Dasein übergehen, als der allgemeinen Voraussetzung der Entfaltung der Bestimmungen des Seins, beginnt diese Entfaltung mit der „absoluten Quantität" des Raumes, die sich im „reinen Selbst des Fürsichseins" der Zeit ihr erstes inneres Moment entgegensetzt. Die Bewegung „ist die Substanz beider, die Einheit, ihr Bestehen". Aber „ihre Einheit ist nur dargestellt als Bewegung des Übergehens des Einen in das Andere", so daß zunächst der Anfang, die Realisierung und das Resultat auseinandertreten. „Aber das Resultat spricht ebendies aus, was ihr Grund und ihre Wahrheit (i. e. des Anfangs und der Realisierung) ist". Damit ist die Bewegung in einer ersten realen GeS. Realph. (II) 3 f., auch zum folgenden.

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stalt „das Selbst oder das Subjekt als Subjekt. Ich ist als Ich, Subjekt . . . In-sich-Zurückgekehrtsein" *

Y)

*

Der Übergang vom himmlischen zum irdischen System (Die Konstruktion der Erde)

Das reine Bewegungsgeschehen der himmlischen Sphäre, das im Aufbau des Systems der Philosophie von 1800—1804 eine hervorgehobene sachliche und methodische Bedeutung hat, nimmt sich im irdischen System zu einer in sich konzentrierten Einheit zusammen, die der Ausgangspunkt für eine neue vielgestaltige Entwicklung wird. „Diese Einheit aber, die vereinte Macht der Sonne und ihres Gegensatzes, des Mondes und des Kometen, ist unmittelbar die lebendige Erde." Die Erde als ganze verbindet in sich die Einheit der doppelten Kreisbewegung des Planeten (um den eigenen und um einen fremden Mittelpunkt) und das Fürsichsein der Bewegung des Kometen (als eine höchst exzentrische Ausschweifung in seiner Bahn). An der Erde ist indessen zunächst nichts bewegt. Alle Punkte an der Erde sind nur dieser eine Punkt der Erde; die Bewegungen fallen nicht in jene, sondern allein in diesen. Sie sind absolute Ruhe, das Aufgehobensein der Bewegung. „Darum erscheint (die Erde) zunächst als das gerade Gegenteil dieser Lebendigkeit, nämlich als totes, in welchem die Ruhe und die Bewegung auseinanderfällt; und ihre Lebendigkeit ist gerade eine solche, welche sich aus diesem Gegensätze erhebt" Den „Übergang zum irdischen Systeme", der in den Fragmenten von 1803104 ein eigenes Kapitel ausmacht, schildert der Entwurf von 1804 durch die Feststellung, daß „der fixe Mittelpunkt der Erde . . . leer die entfaltete Unendlichkeit der himmlischen Sphäre zusammenschlägt." Diese Leere, die als Einheit keine entfaltete Beziehung mehr enthält, ist die „absolute Tiefe" der Besonderung. In ihr ist die Vielheit „in Punkte auseinanderzerstäubt, welche . .. gegeneinander gleichgültig sind". Die Rückkehr aus der absoluten Besonderung zum Allgemeinen muß die Punkte an der Erde in Beziehung setzen; sie muß von dem leeren Zusammenschlagen der himmlischen Unendlichkeit der Entfaltung einer eigenen „erfüllten Unendlichkeit" entgegenstreben

Vgl. Realph. (II) 4—21 (Einfügung im Zitat von mir). 5. Realph. I 5 (Einfügung im Zitat von mir). »2 S. LMN 239.

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ZWEITER TEIL: PHILOSOPHIE DER NATUR

c) Die Potenzen des irdischen Systems a) Zur Methode: Naturphilosophie und Logik In der Darstellung der Potenzen des irdischen Systems folge ich den Fragmenten von 1803104. Sie zeigen deutlicher als der Entwurf von 1804, auf welche Weise die Naturphilosophie im ganzen in der ersten Jenaer Zeit den Schwerpunkt des Systems bildet. Das Sicherheben der Lebendigkeit aus ihrem Gegensätze ist hier im Unterschied zur späteren Konzeption stärker als der Prozeß gedacht, der aus sich selbst die Bestimmungen hervorbringt, die im Erscheinen des Geistes die besonderen realen Gestalten bezeichnen, welche sich in einer aufsteigenden Linie mit dem Allgemeinen verbinden, bis sie schließlich in die absolute Einheit in allen Gegensätzen einmünden. Daß im Zuge der Arbeit an der Naturphilosophie des Systementwurfs von 1803/04 die logischen Voraussetzungen des Hegelschen Denkens entscheidend weiterentwickelt werden, zeigt sich in den folgenden Arbeiten zum System, vor allem in dem großen Manuskript von 1804, in dem sich Hegel auf die logisch-begriffliche Grundlegung konzentriert. Es kommt zu einer neuen Konzeption, in der sich das Verhältnis umkehrt. Die erweiterten logisch begrifflichen Voraussetzungen bestimmen ihrerseits die Deduktion der Gestalten des natürlichen Prozesses. Wenn es für die erste Jenaer Zeit (vor allem für die Jahre 1803/04) nicht ganz unzutreffend ist, was SCHELLING in einer Münchener Vorlesung von 1830 rückblickend feststellt: Hegel habe „die früher reale Form der Naturphilosophie . . . ins Denken, in den Begriff, ins Logische umgesetzt", und er habe dabei „ungefähr soviel getan, als Einer, der ein Violinkonzert für Fortepiano umsetzt" dann ist das Verhältnis seit 1804 so zu bestimmen, daß die Entfaltung der begrifflichen Voraussetzungen zum Wesentlichen wird, die in der Naturphilosophie ihre Anwendung finden. Die Gestaltenfolge des natürlichen Prozesses bildet dabei immer mehr lediglich die Vorgeschichte der Geschichte des Bewußtseins, in der die Entwicklung der reinen begrifflichen Strukturen ihre eigentliche Entsprechung findet. Das wird offenkundig in der Naturphilosophie der Realphilosophie von 1805/06, wie sich bei dem Exkurs zum Anfang dieses Entwurfs ergeben hat.

S. Schelling: Werke a.a.O. Bd 5. 196—231.

B. Die zusammenhängende Entfaltung

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ß) Die Mechanik oder die „Einheit der toten Masse und der Bewegung" (Die Konstruktion der Gestalt) Die Mechanik beginnt, als Ausdruck der Kategorien der Quantität, mit der „positiven Einheit" des „absoluten Punkts", in welcher als „negative Einheit" die „absolute Vielheit von Punkten" gesetzt ist, die aber auf die Einheit des Punktseins bezogen bleibt. Diese Beziehung als äußerlich, rein quantitativ gedacht, bedingt die Phänomene des freien Falls, der Wurfbewegung und der Pendelbewegung. Diese werden als ideelle Bestimmtheiten der Einheit beider Einheiten entwickelt. Die positive Einheit der Masse als solcher (d. h. der Schwerkraft) verbindet sich auf verschiedene Weise mit der negativen Einheit ihrer einzelnen Punkte, die, von ihr losgerissen, ihrem Mittelpunkt wieder zustreben (freier Fall) oder durch eine Gegenkraft in eine vorübergehende kurze oder länger anhaltende eigene Bahn gebracht werden (Wurf- bzw. Pendelbewegung). Auf Grund dieser mechanischen Gesetze bilden sich keine für sich bestehenden Gestalten, weil die Bewegung, die sie beschreiben, nicht zugleich Ruhe ist, wie die Kreisbewegung, sondern in der Ruhe endet, ohne darin als Bewegung weiter zu bestehen Im Hebel treten diese Bestimmungen zuerst als „einzelner Körper" hervor, werden sie auf gewisse Weise als für sich bestehende Gestalt greifbar. Der Hebel ist die zur Ruhe gekommene Pendelbewegung, in der die Beziehung des „reinen Punkts" als „numerischen Eins" auf die allgemeine Masse festgehalten wird. Aber er ist nur eine erste, der „absoluten Besonderung" verhaftete Gestalt, nur der abstrakte Ausdruck der „Differenz der Masse in der negativen und positiven Indifferenz". Immerhin, er vermag im Bereich der Quantitätsbestimmungen auf eine dauernde Weise der Schwere entgegenzuwirken, die alle Punkte an der Erde zur toten Einheit mit dem Mittelpunkt der Erde verbindet, indem er „das Schwere als Vielfaches der Masse über sich selbst erhebt". In dem Fragment, auf dessen erster Seite das Kapitel „I. Mechanik" anfängt, wird die Äußerlichkeit der Beziehung in dieser Potenz „als das Setzen eines Quantums" begriffen, das der allgemeinen Masse entgegengesetzt wird, das Unterscheiden von verschiedenen Phänomenen als das Setzen einer verschiedenen „Menge von Quantis". Aller Unterschied ist also nur „ein Unterschied der Größe". Diese Einführung der Kategorie des Quantums, die nach der vorliegenden Darstellung des Ersten Teils des Systems in der Logik von 1804 zuerst auftritt, läßt vermuten, daß es sich hier um eine spätere Überarbeitung des Anfang dieses Abschnitts S. Realph. I 12—15, zum folgenden auch 11.

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innerhalb der Entwürfe von 1803/04 handelt Der Übergang zur Schwere als der „differenten Substantialität" des irdischen Systems läßt sich auch ohne diese begriffliche Zuspitzung des Äußerlichseins der quantitativen Beziehungen denken. Der „einzelne Körper", der im Hebel, wenn auch ganz abstrakt, als bleibende Bestimmung hervortritt, „verhält sich gegen andere einzelne", die untereinander verschiedenes spezifisches Gewicht aufweisen. Diese Folge von Unterschieden nennt Hegel „Flüssigkeit", sie ist nicht rein quantitativ zu erfassen, sondern enthält eine „qualitative absolute Einheit", den „Ton". Damit ist gemeint, daß die verschiedenen Körper je nach ihrem spezifischen Gewicht, von außen angeschlagen, einen verschiedenen Ton abgeben. Im Bereich des Bestimmtseins durch denselben Ton (d. h. noch innerhalb der Mechanik) kommt es zu den Phänomenen der Kohäsion und des Magnetismus, der Anziehung bzw. der Anziehung und Abstoßimg von einander gleichen Stoffen. Ein ähnliches Übergangsphänomen an der Grenze von Mechanik und Chemismus ist die Elektrizität. Hier treten bereits Stoffe von verschiedener spezifischer Schwere, die den Inbegriff ihres Unterschiedenseins, ihren Ton, ausmacht, zueinander ins Verhältnis. Die Spannung der Elektrizität ist indessen kein realer Unterschied, sondern nur „das Ideelle oder Formale der differenten spezifischen Schweren" Durch die verschiedenen spezifischen Schweren werden aber dann die realen qualitativen Differenzen ausgedrückt, die den chemischen Prozeß bedingen. Die Substantitalität, die in der himmlischen Bewegung als das Licht, das sich in sich reflektiert, bestimmt worden ist, erweist sich nun als die Voraussetzung der qualitativen Verschiedenheit im irdischen System. Das Auftreten neuer qualitativer Unterschiede nach dem Durchlaufen der quantitativen Bestimmungen der Mechanik führt Hegel auf das Prinzip dieser Unterschiede zurück, wie es im himmlischem System entwickelt worden ist. Das Licht wird in die Einheit der irdischen qualitativen Verschiedenheit, in den Ton, „versenkt". Die himmlische Bewegung, die Darstellung der „absoluten Kraft" im reinen Element des Äthers, bildet im Vergleich zur „absoluten Quantität" der Mechanik das Qualitative, das sich nach dem Durchlaufen der Bestimmungen des irdischen S. Realph. I 16. Die Datierung auf Sommer-Herbst 1803 (s. Hegel-Studien 4 (1967), 142 und 156) würde daraufhin zu ändern sein. Für eine zeitliche Nähe zu dem Entwurf von 1804 spricht auch, daß sich dieses Fragment, zusammen mit dem anderen zum Anfang des irdischen Systems (auf diesem Gesetze ...), im Anhang von Bd 9 des Hegel-Nadilasses befindet, der als Hauptmasse die Manuskripte zur Logik, Metaphysik und Naturphilosophie von 1604 enthält. S. Realph. I 13 f. und 24 f.

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Systems der Natur, die den Quantitätskategorien entsprechen, mit diesen zur „differenten Substantialität", zum quantitativ und qualitativ bestimmten Verhältnis irdischer Körper zueinander vereinigt. In der stärker logisch-deduzierenden Darstellung der Naturphilosophie von 1804 gewinnt das gedankliche Material der Mechanik eine neue Form, die man indessen nur versteht, wenn die erste Fassung dieser Dinge im Entwurf von 1803104 als bekannt vorausgesetzt werden kann. Die Naturphilosophie überbietet an dieser Stelle den 1804 in der Logik erreichten Entwicklungsstand des Hegelschen Denkens, nach dem sich die entgegengesetzten Bestimmungen der Qualität und der Quantität im Vorfeld der Unendlichkeit noch nicht auf jeder Stufe zur unendlichen Einheit, zur Abgeschlossenheit für sich bestehender Gestalten verbinden. Nach dem Text der Naturphilosophie drücken Schwere, sich bewegende Punkte und Masse die Quantitätskategorien Einheit, Vielheit, Allheit aus, die sich als Besonderes, einzelnes und Allgemeines in einem Schluß vereinigen. Das bedeutet, daß sie in sich zu einer Einheit führen, die in bestimmten für sich bestehenden Gestalten erfaßt werden kann. Noch innerhalb der Mechanik wird die Allgemeinheit der Masse als „das in sich Fassen des andern als Quantum" bestimmt. Sie bildet in sich bestimmte „Verhältnisse" aus, die als verschiedene Bewegungsphänomene in Erscheinung treten, welche jeweils für sich ein abgeschlossenes Ganzes repräsentieren. Die Fallbewegung wird durch die logische Form B (Schwere als bestimmte Bedingung der Bewegung) — E (sich bewegender Punkt) — A (allgemeine Masse) ausgedrückt. In der Wurfbewegung wird von der Einheit der Masse mit sich ausgegangen; diese wird durch ein besonderes Tätiges aufgehoben, das durch seine Tätigkeit einen einzelnen Massenpunkt in Bewegung versetzt (A — B — E). Beide Bewegungsformen vereinigen sich in der Pendelbewegung, in welcher der sich bewegende Punkt als Mitte zwischen den Extremen der allgemeinen Masse (Trägheit) und der ihn in Bewegung setzenden Tätigkeit gedacht wird (A — E — B), und zwar so, daß die „synthetische Mitte . . . auf die beiden Seiten" tritt, die sich damit als „einander gleich" erweisen (A — E = E — B) Vgl. LMN 240—253. Die entsprechenden Syllogismen müßten also lauten: Die Schwere bildet für einzelne Massenpunkte eine bestimmte Bedingung der Bewegung. Der einzelne von der allgemeinen Masse losgerissene Punkt unterliegt dieser Bedingung. Also fällt er zur allgemeinen Masse zurück. — Die allgemeine Masse bildet in sich eine Einheit aller einzelnen Massenpunkte. Durch ein besonderes Tätiges, das als Kraft gegen die Schwerkraft auftritt, kann ein einzelner Massenpunkt von der Einheit der Masse mit sich selbst losgerissen werden. Er

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Die Einheit der mechanischen Bewegungsphänomene in der Pendelbewegung wird in der Gestalt des Hebels auf Dauer gestellt. Dieser ist „einzelner Körper oder Körper überhaupt". Als solcher kann er durch die Beziehung auf andere einzelne Körper erneut in Bewegung geraten. Die „relative Ruhe" des Hebels, der einzelner Körper ist, ist zugleich die „Möglichkeit der Bewegung". Die Möglichkeit der Bewegung bedingt für den einzelnen Körper seine „absolute Flüssigkeit". Darin bewegt er sich nicht als reiner Massenpunkt, sondern als solcher, der die Bewegung „in sich zurückgenommen" hat. „Diese als in sich zurückgenommene Bewegung sich bewegende Bewegung ist der einfache Ton." Als Totalität ist der Ton selbst wieder ein Kreislauf oder „die absolute Kreisbewegung entgegengesetzter Kreisbewegungen". Dies ist die „Idee der realen Materie" »s. Y)

Der Chemismus oder die Vielheit im lebendigen Prozeß der Elemente (Das Flüssigwerden der Gestalt)

aa) Die erste Entfaltung des Problems in den Fragmenten von 1803/04 Daß sich die „absolute Quantität" der mechanischen Phänomene mit dem Qualitativen der reinen himmlischen Bewegung vereinigt, führt nicht unmittelbar zum Verhältnis einzelner irdischer Körper zueinander. Im Chemismus wird noch nicht das Substantialitätsverhältnis als die erste Form der Verhältnismäßigkeit als solcher ausgedrückt. Die realen Gestalten, die den Kategorien Möglichkeit, Wirklichkeit und Notwendigkeit als Bestimmungen der Zuordnung einer Substanz zur Vielheit ihrer Akzidenzen entsprechen, werden erst am Anfang der nächsten Potenz, der Physik, entwickelt. Die Phänomene der Mechanik führen zwar zur Setzung des Qualitativen im bloß Quantitativen, indem das Licht, die qualitativ-quantitativ bestimmte Substanz des himmlischen Systems, in den Ton als die qualitative Bestimmung der Flüssigkeit, der durch ihre Größe unter sich verschiedenen spezifischen Schwere der einzelnen Körper, eingeht. Die Einheit der mechanischen Phänomene ist aber zunächst nur die „tote Gestalt der Erde", die sich nicht in sich zur Vielheit lebendiger Verhältnisse entbewegt sich also auf der Bahn, die durch das Verhältnis dieser Kräfte vorgezeichnet ist. — Die Einheit der Masse mit sich selbst kann einen einzelnen Massenpunkt aus sich entlassen, den sie durch die Schwerkraft wieder an sich zu ziehen sucht. Der einzelne Massenpunkt wird aber gegen die Schwerkraft durch ein besonderes Tätiges in eine vorübergehende Bewegung versetzt. Aus dem Gleichgewicht beider Kräfte muß also eine eigene Bewegungsform entstehen. »8 Vgl. LMN 253-263.

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falten kann. Wie in den besonderen Erscheinungen der Mechanik die Einheit der Gestalt für sich konstruiert worden ist, so muß nun im Chemismus die Differenz, die Vielheit als Voraussetzung des lebendigen Prozesses der Erde, für sich betrachtet und entwickelt werden. Dann erst vermag sich an der Erde die „differente Substantialität" in die verschiedenen Formen des Verhältnisses von Substanz und Akzidenz auseinanderzulegen Die besondere Betrachtung der lebendigen Vielheit im Gegensatz zur toten Einheit der Mechanik geht aus von der Einheit quantitativer und qualitativer Bestimmtheit. Diese Einheit entsteht aus der Flüssigkeit als der in sich gegliederten Größenordnung der spezifischen Schwere und dem Ton als der damit verbundenen qualitativen Verschiedenheit, die eine Auflösung der Kohäsion mit sich bringt. Die „Einheit des Tons und der Flüssigkeit" bildet sich aus als „in sich gestaltete Materie". Ihre verschiedenen Formen sind „materielle Qualitäten" oder „Stoffe". Die materiellen Qualitäten oder Stoffe sind aber „als qualitativ, als Bestimmtheiten ebenso ideal oder sich aufhebend". Sie sind nicht selbst real als für sich bestehende einzelne Körper. In der Erklärung der materiellen Qualitäten begegnen wir sehr stark der Terminologie SCHELUNGS. ES ist die „Form der formalen Indifferenz, was sie zu Stoffen, Materien, macht". Ihre Differenz untereinander ist die Verschiedenheit „mehrerer solcher Indifferenter", die sich vereinigen zu einer neuen Indifferenz. „Es ist ein absoluter Widerspruch in ihnen, daß sie Bestimmtheiten und Indifferente sind, und dieser Widerspruch ist es, der sie aufhebt." Es geht darum, die chemischen Stoffe nicht als einzelne Körper zu substantiieren, sie aber doch als Bestimmtheiten der Materie zu erklären. Den Versuch SCHELUNGS, die „Qualität der Materie" als „Intensität" zu begreifen, hält Hegel für unzureichend. Er führt über den KANxischen Standpunkt nicht hinaus, daß „in allen Erscheinungen das Reale, was ein Gegenstand der Empfindung ist, intensive Größe" hat. Eben dies wird von ScHELLiNG der Materie, wie sie aus der Einheit entgegengesetzter Kräfte konstruiert wird, als ihre „qualitative Eigenschaft" zugesprochen, ohne daß erkennbar wird, wie sich dies aus der Entwicklung des erscheinenden Geistes in der Natur ergibt Das ist indessen nach Hegel keine Erklärung, sondern nur das Setzen einer „Bestimmtheit statt der anderen". Ihre Erklärung finden die Stoffe nur als Stufe, als Potenz in der Konstruktion der lebendigen Gestalt, die aus der Einheit der Gestalt S. Realph. I 25—28, auch zum folgenden. i'*“ S. Schelling: Werke a.a.O. Erg.bd 1. 278 (., Kant: Kritik der reinen Vernunft Ausg. B. 207.

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und ihrer Auflösung durch die lebendige Vielheit als neue, höhere Einheit hervorgeht. D. h. man muß ihre Form, die eine Aufhebung der toten Gestalt der Erde mit sich bringt, selbst „wieder aufzuheben wissen". Weil diese Stoffe einfach sind, kann man sie mit Recht als Elemente bezeichnen. Sie sind die chemischen Elemente, die den Prozeß als Auflösung der Gestalt überhaupt erst setzen. Sie sind nicht Prozesse an einer bestehenden Gestalt, „nicht in sich unendlich, absolut Differente, die in ihrer Differenz ebenso die absolute Idealität und Einheit an ihnen selbst sind" Als solche wären sie physische Elemente, von denen aus das Organische als das Lebendige im eigentlichen Sinne konstruiert werden kann. Die chemischen Elemente sind nur ein Vorschein des lebendigen Prozesses, des „absoluten Verhältnisses" seiner Glieder, „das absolut durch die Idee selbst gesetzt ist" und der absoluten „Notwendigkeit ihres Übergehens ineinander". Sie sind „der chemische Lebenslauf des Toten" Das „absolute Verhältnis" ist dasjenige, welches Hegel auch (im Anschluß an PLATONS Timaios) das schöne Verhältnis bzw. das „schöne Band" zu nennen pflegt In der Trinitätsspekulation der Fragmente „Vom göttlichen Dreieck" sucht er das „Leben der Idee" als solches durch dieses Verhältnis zu bestimmen „Vater : Sohn = Sohn : Erde = Erde : Geist". Dieses Verhältnis kommt in einer abgewandelten Form in der Beziehung der chemischen Elemente zueinander zum Ausdruck (Stickstoff: —) : Kohlenstoff. Der Gegensatz zum Stickstoff als dem rein Sauerstoff Passiven ist Wasserstoff und Sauerstoff. In diesem Gegensatz ist wiederum ein Gegensatz enthalten: der Gegensatz von Wasserstoff als dem teils Passiven, teils Tätigen und dem Sauerstoff als dem rein Tätigen. Als dieses Passiv-Tätige sind diese drei der Gegensatz zum Kohlenstoff, der in sich die Kohäsion als formales Prinzip repräsentiert. Sie suchen die „formale Kohäsion" des Kohlenstoffs aufzulösen. Dieser faßt umgekehrt jene in sich zu einer „einfachen synthetischen Einheit" zusammen. Dieser ihr Prozeß, in dem sie ineinander übergehen, wird nicht durch die chemischen Elemente als solche, sondern durch ein ihnen äußeres Prinzip bedingt, durch die Wärme, die nach Hegel nicht ein besonderer Stoff ist, wie die zeitgenössische Chemie behauptet und wie es —

S. Realph. I 37. Realph. I 31 f. und 35. 103 Ygi Werke 4. 65 Anm. 1; s. Platon: Timaios 31 c — 32 b, zum folgenden o. im Ersten Teil Abschnitt C c. 1“* S. Realph. I 29.

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nach seinen Aussagen im Opus postumum — auch KANT für möglich gehalten hat 1®®. „Dieser ihr existierender absoluter Begriff oder ihre Unendlichkeit ist das Feuer ... als der Geist der chemischen Natur . . . die wahre chemische Substanz der chemischen Einfachheiten" ^*®. Das Feuer hat eine tätige und eine passive Seite an sich, wie der chemische Prozeß als ganzer, da es als oxydierend oder reduzierend in Erscheinung tritt. Es drückt aber nicht die einzelnen Momente des realen chemischen Prozesses aus, sondern als die Einheit des Tätigen und Passiven ist es die „Idee des Prozesses"; es ist die „negative Einheit" der chemischen Elemente als der Momente des realen chemischen Prozesses. Indem es die „Idee des Prozesses" ist, ist es über die Zufälligkeit des erscheinenden Feuers hinaus, das zu den chemischen Elementen hinzutritt, indem es entsteht, ist und wieder verlischt. In diesen Elementen ist es als die Totalität ihres Prozesses, und „im Kreise dieser Totalität, des in sich zurückgehenden Prozesses muß es ebenso absolut immer entstanden sein als es immer ist und immer vergeht; und es entsteht uns der Prozeß als die Momente des absoluten Prozesses oder die Momente, deren jedes selbst der ganze Prozeß ist" In dem Begriff des absoluten Prozesses denkt Hegel inmitten der Vereinzelung der irdischen Natur die vollkommene Bewegung des in sich zurückgehenden Kreises, wie sie sich im reinen Element des Äthers als unmittelbarer Ausdruck der „absoluten Kraft" ergeben hat. Damit greift er über das logische Niveau des Systementwurfs von 1803/04 hinaus. Er notiert am Rande: „Alles als Allgemeines, Mittelbegriff und Einzelnes". Die Mitte zwischen den Gegensätzen, die eine Überwindung dieser Gegensätze in einer neuen Gestalt mit neuen Gegensätzen ermöglicht, wird zum Mittelbegriff des logischen Schlusses, der in sich die Einheit der Entgegengesetzten zur Darstellung bringt ^®®. Das Feuer als das Ganze des Prozesses der chemischen Elemente ist zugleich dessen erstes Moment, die Tätigkeit, die sich „in die Passivität verliert". Es kommt im Gegensatz von Wasser- und Sauerstoff zum Ausdruck, in dem jener unter diesen subsumiert wird. Die Reduktion oder das Erlöschen des Feuers ist der Übergang in sein Gegenteil, das Wasser, das an sich Flüssige oder die reine Passivität, die aber zugleich das „absolut Mögliche" ist, die Voraussetzung aller Tätigkeit, in Differenz geS. Kant: Gesammelte Schriften a.a.O. Bd 21. Berlin und Leipzig 1936. 572. Realph. I 41. 1“’' Realph. I 43 f., s. auch zum folgenden. S. o. im Ersten Teil die Abschnitte B b, c v ßß, C c.

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setzt zu werden. Unter der Herrschaft des Wassers als Prinzip kehrt sich im Gegensatz von Wasser- und Sauerstoff das Verhältnis um, dieser wird unter jenen subsumiert. Feuer und Wasser sind in ihren Erscheinungsformen absolut entgegengesetzt. Dennoch sind sie „ihrem Wesen nach eins". Ihre Vereinigung ergibt zwar keine für sich bestehende Gestalt. Sie erfolgt im Durchgang durch die „Null der Unendlichkeit". Aber es gibt eine „erscheinende Mitte" zwischen beiden; „ihre Gemeinschaftlichkeit" ist ihre Auflösung in Flüssigkeiten von verschiedener spezifischer Schwere. Das Feuer wird zur Säure, das Wasser zur Base. Und das „leere Aufnehmen ihrer Auflösungen oder die reine Flüssigkeit selbst" ist die Luft. Die Luft ist ein Allgemeines, das als Feuer wie als Wasser besonders dargestellt werden kann. Der Gegensatz von Feuer und Wasser ist in iht aufgehoben. Sie ist als bloße Form, als Medium der Auflösung und damit des verschiedenen Sichdarstellens der Elemente. Als reine Passivität erscheint sie „vorzüglich in der Bestimmtheit der unbestimmten, indifferenten Flüssigkeit, des Stickstoffs, aber mit (näherer) Beziehung derselben auf die Differenz als Subsumtion des Sauerstoffs unter den Stickstoff", denn der Wasserstoff als Base ist selbst unbestimmt, aber so, daß „die Unbestimmtheit als different" als Bedingung der Möglichkeit, Differenzen zu setzen, aufgefaßt werden muß. Deshalb wird die Base als „in die Luft erhoben" nicht einfach unter den Stickstoff subsumiert, sondern unter den Stickstoff, der den Sauerstoff in sich aufgenommen hat; d. h. sie ist wesentlich Totalität Hegel faßt zusammen, indem er sagt, daß „das Feuer der Geist der chemischen Elemente . . . das Wasser aber das Empfinden, das ungetrennte Einssein derselben ist; was im Wasser ununterschieden ist, wird gleichsam im Raume der Luft indifferent, ideell unterschieden": sie ist das „indifferente Vorstellen" der Elemente Damit wird nicht eine Analogie zum menschlichen Bewußtsein aufgestellt, sondern das erste, zwar noch unvollständige, aber nichtsdestoweniger grundlegende Hervortreten dieser Prinzipien im Prozeß des erscheinenden Geistes entwickelt. Die Erde als das vierte der physischen Elemente ist die Einheit der drei vorhergehenden, indem diese darin sich „in sich reflektieren, sie in das allgemeine Medium Element, sie so in sich zurückgehen und in dieser Reflexion als ihrer eigenen Unendlichkeit zugleich absolut unendlich werden". Die Erde erweist sich damit als das Prinzip des Kohlenstoffs, das die Gegensätze des Stickstoffs und des Wasser- und Sauerstoffs in sich zur 109 Ygj Realph. I 44 und 47 f. (Einfügung im Zitat von mir). Realph. I 49.

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Einheit bringt. Im Blick auf die anderen physischen Elemente entsteht durch die Erde die logische Voraussetzung dafür, daß sie „jedes der ganze Prozeß" sind. „Das Einssein der physischen Elemente in der Erde macht die Erde zu ihrer wahren Substanz." Sie sind in der Erde nicht mehr bloße Abstraktionen, sondern selbst Substanzen, die sich an der Erde gegeneinander zu kehren vermögen. In der Einheit der Erde resümieren sich die physischen Elemente aus der aufgelösten Gestalt zur in sich unendlichen Gestalt, die sich in sich selbst besondert. Darin wird das Qualitative des himmlischen Systems und das Quantitative der irdischen Mechanik zu einer allgemeinen Einheit zusammengenommen. Die Erde wird ein „individuelles Organisches", ein unendlicher Kreislauf des Lebens, der seine Bestimmungen an sich selbst hervortreten läßt „Die Sonne als Licht wird in der Erde zu' Feuer ... es ist der Ton in die flüssige Erde verbreitet als Sichselbstgleiches; aber differenziert sich ebenso absolut in eine Differenz spezifischer Schweren." Das ist die Grundlage für die Unterscheidung verschiedener Stoffe, der chemischen Elemente, die unter sich in einen Prozeß eintreten. Die Prinzipien dieses Prozesses sind die physischen Elemente. Als Prozessei an der Erde als dem vierten physischen Element, das die vorhergehenden zur Einheit verbindet, bilden sie das individuelle Organische der sich belebenden Erde An diesem Punkt ist noch nicht das Organische als solches erreicht, auch nicht das Leben im engeren biologischen Sinne. Die Erde, die als Einheit die Prozesse der Elemente an sich hat, so daß sie nicht mehr als abstrakte Prinzipien, sondern als konkrete Phänomene betrachtet werden, ist eine Vorform des Organischen — wie auf früherer Stufe schon der Magnetismus, die Elektrizität und die Kohäsion. Sie ist im Hinblick auf die vorher betrachteten Erscheinungen ein Organisches. Diese sind als überwundene Stufen die „unorganische Natur" dieses Organischen. Dieser Deduktionsgang erweist sich bis in die Geistesphilosophie hinein als die kennzeichnende Denkbewegung des Systementwurfs von 1803104. Das Feuer wird „als Licht mit der Erde vermischt" zur Farbe. Die einzelnen Farben sind Mischungsverhältnisse der entgegengesetzten Prinzipien des Lichts und der Finsternis. Der qualitative Unterschied von Licht und Finsternis läßt quantitative Mischungsverhältnisse zu, die als Subsumtionen der qualitativen Unterschiede untereinander gelten müssen. Aus der Einheit von Licht und Finsternis (1), ihrer wechselseitigen SubVgl. Realph. I 50 f. S. Realph. I 63 f. (Hervorhebung im Zitat von mir).

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sumtion untereinander (2, 3) und der Resumtion ihrer Einheit aus der Verschiedenheit (4) leitet Hegel die vier Grundfarben ab: (1) gelb, (2) rot, (3) blau und (4) grün. Er stellt sich damit erneut gegen NEWTON, der eine Teilung und Auflösung des Lichts als solchen in verschiedene Bestandteile vertreten hat. Und er bezieht sich ausdrücklich auf GOETHE, dessen Farbenlehre zwar noch nicht erschienen war, der aber in seinen Beyträgen zur Optik bereits gegen die rein äußerlich-quantifizierende Betrachtungsweise NEWTONS Stellung genommen hat Als Auflösung der starren Gestalt der Erde in die Vielheit der Elemente ist das Feuer Wärme. Die genaue Darstellung der Wärmelehre ist in den Fragmenten von 1803104 nicht erhalten. Der Übergang von der Entfaltung des Feuerprozesses an der Erde zum Wasserprozeß, der erhalten ist, läßt erkennen, daß Hegel die „bestimmte Wärmeleitungsfähigkeit" und die „Wärmekapazität" als Erscheinungsweisen der Wärme an der Erde unterschieden hat. Die Einheit des Qualitativen und Quantitativen drückt sich darin so aus, daß quantitative Veränderungen der Wärme für die Elemente einen „Lebenslauf im Qualitativen" bedingen, „daß niedrigere Temperatur Erhärtung, Setzen größerer Sprödigkeit, Erhöhung derselben Differentiierung bis zu gänzlicher Entzweiung in verschiedene Flüssigkeiten" herbeiführen Das Wasser ist ebenfalls in doppelter Weise auf die Erde bezogen, als süßes und als salziges. Das „süße Wasser" ist in seinen verschiedenen Erscheinungsformen als Nebel, Wolke, Quelle, Tau in einem jeweils besonderen Spannungsverhältnis zur Erde gesetzt. Als „absolute Realität des Wassers" an der Erde ist es Meer; als solches ist es „nicht eine Vermengung des Salzes von außen her mit dem süßen Wasser, sondern ist absolutes Element". Die vielerlei besonderten Salze, die aus dem Meerwasser ausgeschieden werden können, sind ebenso viele Erden, basische und saure Auflösungen des Kalks, Kiesels, Tons und dgl. So existiert die ganze Erde als „eine Auflösung im Meer". Das Phänomen des Meerleuchtens deutet darauf hin, daß das Meer in sich eine Spannung zum Feuer entwickelt, die indessen nicht zum Feuer, sondern nur zu einer Phosphoreszenz des leuchtenden Wassers führt. Das Sichspannen und die Rückkehr zur Sichselbstgleichheit der Flüssigkeit lassen im Meer die S. Realph. I 54—56; vgl. l. Newton: Opticks, or a Treatise of the Reflexions, Refractions, Inflexions, and Colours of the Light. London 1707. (Hegel hat wohl die zweite Auflage der lateinischen Übersetzung dieses Werks — London 1719 — benutzt, wie seine Angaben Enz. § 320 Anm. vermuten lassen.) Der erste Band von Goethes Farbenlehre erschien erst 1810. Auf die Beyträge zur Optik von 1791/92, die Hegel gekannt hat, ist bereits verwiesen worden (s. o. Anm. 20). S. Realph. I 56 f., vgl. 74 f. und LMN 308 f.

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Differenzen beginnen und wieder verschwinden, die in der Erde als bleibende vorhanden sind Betrachtet man schließlich die Luft in ihrer Beziehung auf die Erde, so erkennt man, daß sie alle „irdischen Individualitäten" in Luftform auflöst. „Sie hat alle Dinge der Erde ... als aufgelöste Individualitäten, als verschiedene Gerüche — Auflösungen, worin die ganze Bestimmtheit des irdischen Individuierens bleibt." In der Luft tritt sich der Prozeß der Erde gegenüber. Sie ist die „Auflösung ihrer Gestalt". Darin zeigt sich die kometarische Natur der Erde. Würde die „versuchte Selbständigkeit" der aufgelösten Gestalt nicht wieder aufgehoben, so daß es im absoluten Prozeß der Natur an der Erde nur zu einer „momentanen Individualität der Luft in ihr selbst" kommt, so würde sie selber zum Kometen und „die Erde als einen Mond zurücklassen". In demselben Sinne wie die Erde ein Organisches ist, sind auch die Elemente in ihren Prozessen an der Erde jedes für sich selbst eine Totalität, ein Organisches. Sie lassen die frühere Stufe ihres Erscheinens als ihre unorganische Natur hinter sich zurück. Sie sind als solche gegeneinander im Prozeß begriffen. Die Erde ist nicht nur die positive Einheit ihrer untereinander indifferenten Prozesse, ihre „allgemeine Mitte, in der sie für sich sind, sich als Totalitäten für sich setzen". Sie ist ebenso ihre negative Einheit, „ihre Unendlichkeit, das worin sie sich aufheben". Als Identität der verschiedenen Prozesse ist sie der absolute Prozeß, der diese zu Momenten seiner selbst macht. Das Feuer verwandelt das Wasser in Luft. Die Luft ist gespannt gegen die Erde; als Atmosphäre ist sie „eine elektrische Seite gegen die andere als Erde". Aus diesem Prozeß der Elemente gegeneinander, der auch als „Kampf der Elemente" beschrieben werden kann, resultieren die meteorologischen Phänomene. Von der Wolkenbildung über die Entstehung des Regens bis zum Gewitter. In der Erde wird das Wasser — wiederum durch das Feuer — von ihrer starren Gestalt geschieden. Es tritt in den Quellen aus dem „Kristall der Erde" hervor. Indem es zum Meer zurückströmt, ist dann „die Kette geschlossen". Der meteorologische Prozeß ist ein Kreislauf, in dem sich das Einssein der Erde stabilisiert, indem es das Werden als sein Wesen an sich hat. Die Erde als das Eins der Elemente, ihrer wechselseitigen Subsumtionen, befruchtet sich in diesem Prozesse, sie setzt an sich ein Eins, in dem „die Elemente in eine andere Potenz übergehen". Sie sind nicht mehr „ge*** S. Realph. I 57—60 (Hervorhebung im Zitat von mir), zum folgenden 60 bis 62.

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geneinander gekehrte Substanzen", sondern jetzt „Akzidenzen der einen Substanz, welche Substanz als unendliche sich auf eine ganz andere Weise zur Totalität macht", zur physischen Totalität, die in ihren Momenten „absolut dieselbe Einheit aller Elemente bleibt" ßß) Die Änderungen dieser Darstellung in dem Manuskript von 1804 Das Ergebnis der Mechanik ist in der Naturphilosophie von 1804 die Konstruktion der Materie als „absoluter Kreisbewegung entgegengesetzter* Kreisbewegungen". Diese formalisierte begriffliche Darstellung der Einheit der mechanischen Bewegungen in der Ruhe des Hebels als einzelnen Körpers bildet den Ausgangspunkt für eine rein begriffliche Entfaltung der zweiten Potenz, die nicht mehr Chemismus, sondern „Prozeß der Materie" heißt. Dieser Prozeß wird zunächst seinen allgemeinen Prinzipien nach, als „idealer Prozeß", entwickelt. Der Einheit der Mechanik wird im Prozeß der Materie ein „absolut Vieles" gegenübergestellt. Die Gestalt des einzelnen Körpers löst sich auf, wird zur Flüssigkeit verschiedener Bestimmtheiten, die nicht als äußerlich gesetzt, sondern „als absolut Innerliches . .. der Gestalt" begriffen werden müssen. Das Licht als Wärme im einzelnen Körper löst ihn in die verschiedenen Bestimmtheiten auf Die Gestalt in ihrer Auflösung, die „Bestimmtheit gegen anderes", wie sie aus der Gestalt hervortritt, wird in der Realität zu den „chemischen Elementen". Der Prozeß der Elemente ist der „reale Prozeß", der jetzt allein als Chemismus bezeichnet wird. Von vornherein wird mit der Erkenntnis Ernst gemacht, daß die Luft die Form der Elemente ist. Deshalb wird von den Elementen als von Gasen (Stickgas, Wasserstoffgas, Sauerstoffgas und kohlensaurem Gas) gesprochen, die untereinander absolut im Verhältnis stehen und ineinander übergehen, (Stickgas : Wasserstoffgas ^ _ kohlensaures Gas. Sie heben indessen ihre SelbstänSauerstoffgas digkeit wieder auf, indem sich aus ihnen die Gestalt, als „in ihren Momenten in die Flüssigkeit ausgebreitet", resümiert. Dieses „Aufheben ihres Bestehens ist die eigene Dialektik ihrer Natur". Es führt unmittelbar zu der Einheit der Bestimmtheit und ihrer Aufhebung, des Entstehens und des Vergehens. Die einfache Einheit der Gestalt, wie sie in der Mechanik hervorgetreten ist, wird zur Einheit, die das Vielesein als ihr anderes an sich selbst hat, d. h. sie ist Totalität U« S. Realph. I 72 f. Vgl. LMN 263-268. Vgl. LMN 268—274.

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Mit dem Entstehen der „chemischen Totalität" endet die Darstellung der zweiten Potenz; und es wird unmittelbar zur dritten fortgeschritten. Die Physik beginnt bereits mit der Konstruktion der physischen Elemente, die demgemäß vorzüglich als „physikalische Elemente" bezeichnet werden. Diese geben nicht nur die realen Prinzipien an für den Prozeß der chemischen Elemente, wie in der Naturphilosophie von 1803/04, sie bilden zugleich von Anfang an eine höhere Stufe dieses Prozesses. In ihnen muß sich die Totalität „an ihr selbst konstruieren und als Totalität in ihren Teilen sich darstellen, so daß sie dieses Totalitätsein an und für sich ist, oder so, daß sie die Momente derselben als sich selbst anschaut, jedes Moment selbst diese Totalität ist" Die physikalischen Elemente erheben sich nicht erst zu eigenen Substanzen, die in sich unendlich sind und sich gegeneinander kehren. Sie sind als Momente der chemischen Totalität, die selbst Totalitäten sind, ihrem Begriff nach unendlich, „absoluter Kreislauf", in dem jedes Glied das Ganze ist, das sich in seinen Gliedern ebenso verliert wie erhält. Der Prozeß der physikalischen Elemente wiederholt den Prozeß der Materie als solcher an der Gestalt, die sich aus der Auflösung resümiert. Das „absolute Verhältnis", wie es „absolut durch die Idee selbst gesetzt ist", kehrt hier auch im Prozeß der physikalischen Elemente wieder. Dabei darf man das Verhältnis der chemischen und physikalischen Elemente nicht unmittelbar miteinander parallelisieren. Indem die physischen Elemente die realen Prinzipien des Prozesses der chemischen Elemente angeben, entsteht unter ihnen als physikalischen Elementen ein Verhältnis, das auf seine Weise als „schönes Verhältnis" (Proportion) dargestellt werden kann. Der Prozeß der chemischen Elemente stellt sich in seiner Ganzheit als Feuer dar. Aber das Feuer ist nicht selbst das erste Moment des Prozesses — wie im Systementwurf von 1803104 —, das in sein Gegenteil, das Wasser, übergeht, so daß die Luft, das Auflösen als solches, als erscheinende Mitte zwischen beiden zu vermitteln hat, sondern das Feuer ist „ausgespannt in die Differenz der Luft und des Wassers", des „reinen Aufgelöstseins" der indifferenten Flüssigkeit (Luft) und der Möglichkeit dieses Auflösens, der „Flüssigkeit als different" (Wasser). Dem Feuer als dem schlechthin Tätigen tritt als Gegensatz die doppelte Weise der Passivität des Flüssigen

S. LMN 274 f. Die Überschrift „Physik" ist allerdings im Manuskript an dieser Stelle wieder gestrichen.

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gegenüber, „und das Passive drückt die Unendlichkeit (der chemischen Totalität) nur als (diese) Verdoppelung an sich aus"

Die Erde schließlich ist das einfache Einssein des Feuers und seines in sich gedoppelten Gegensatzes. Sie ist „als ihr Nichtgetrenntsein" ihre sie zusammenschließende Mitte. Als das vierte physische Element führt es die drei ersten in ihrer Einheit darüber hinaus, die „chemische Totalität" auszudrücken. Sie sind nicht mehr Substanzen, die selbst in sich ein Prozelß sind, sondern als Prozesse, die sich gegeneinander kehren, sind sie in ihrer Einheit der absolute Prozeß oder „Prozeß an sich selbst", „Kreise innerhalb des allgemeinen Kreises" der Erde. Feuer, Luft und Wasser und die Erde stehen also fast in derselben Weise zueinander im Verhältnis, wie es PLATON für diese Elemente im Timaios vorgedacht hat. Das „schöne Band", vyelches „sich selbst und die Verbundenen eins macht", ist hier nicht das Mittlere zwischen den Extremen (im Systementwurf von 1803104 die Luft zwischen Feuer—Wasser, bei PLATON die doppelte Mitte Wasser und Luft zwischen Feuer—Erde) sondern das Dritte (die Erde), das die Gegensätze (Feuer—Luft und Wasser) aufhebt, indem es sie in einer höheren Einheit zusammenschließt Der Prozeß der physischen Elemente an der Erde, der in dem vorangehenden Entwurf der Naturphilosophie den Abschluß der zweiten Potenz, des Chemismus, bildet, wird in dem späteren Manuskript (mitten in der Physik) bedeutend kürzer und schematischer dargestellt. Vor allem fehlt der Gedanke, daß die Erde als die Einheit der Prozesse der Elemente ein Organisches ist, das seine Bestimmungen aus sich selbst hervorbringt. Die lebendige Vereinigung als die Einheit von Allgemeinem und Besonderem, die das Wesen des Organischen als solchen ausmacht, bildet 1804 offensichtlich nicht mehr das durchgängige Prinzip für die Konstruktion der Gestalten des erscheinenden Geistes in der Natur. Die Einheit wird vielmehr zunächst durch den Begriff erfaßt: als die Vermittlung des Allgemeinen und des einzelnen durch das Besondere im logischen Schluß. Von dieser begrifflichen Einheit ist dann jeweils zu den realen Gestalten als Natur herabzusteigen Vgl. LMN 275—296 (Einfügungen im Zitat von mir), auch zum folgenden. S. o. Anm. 103. — Daß Hegel jetzt auch bei den „physikalischen Elementen" die Platonische Proportion als deren „absolutes Verhältnis" herausarbeitet, diese Proportion also immer konsequenter in den Naturerscheinungen aufzeigt, paßt gut zu der Tatsache, daß er inzwischen (im Frühjahr 1804) in den Fragmenten „Vom göttlichen Dreieck" ihre grundlegende (metaphysische) Bedeutung entwickelt hat. Das organologische Denken tritt wieder stärker hervor seit der Einführung des Zweckbegriffs und der Teleologie in der Natur (s. den Exkurs im Ersten Teil). Die Encyklopädie nennt den „metereologischen Prozeß" — im Sinne der Betrach120

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Wie im Prozeß überhaupt ist das Feuer als Wärme das eigentlich Tätige im Prozeß der Elemente an der Erde. Als bestimmter meteorologischer Prozeß geht er aus der Spannung von Sprödigkeit und Flüssigkeit hervor. Als Teil des Prozesses ist das Feuer Sprödigkeit, die sich als innerlich erwärmte den doppelten Gegensatz der Atmosphäre und des Wasserwerdens (im Meer als Ausschwitzung der Gestalt, im süßen Wasser als Kristallwasser der Quellen) entgegensetzt. Die Darstellung dieser Prozesse geht unmittelbar über in die Behandlung der Meteorologie. — Im meteorologischen Prozeß haben die Elemente „die Substantialität nicht an ihnen selbst, sie sind also nicht als Substanzen mehrere, sondern nur Eine Substanz .. . An der einen Substanz der absoluten Einzelheit (der Erde) sind sie ideelle, aber eine Idealität, die sich auf ihre eigene (abgelegte) Substantialität bezieht, oder die ebensowohl als Fürsichselbstsein gesetzt (ist) und aus diesem sich in seine Besonderheit, das Sein an einer anderen Substanz zurückgenommen hat." Im meteorologischen Prozeß werden die drei ersten Elemente als Bestimmungen der vierten, der Erde, angeschaut. Weil sie dabei ihrem begrifflichen Sinne nach als ideelle Momente an einer realen Substanz erfaßt worden sind, müssen sie nun „zu ihrem Begriffe sich erheben", in ihrer Totalität Eigenschaften eines für sich bestehenden realen Körpers werden. Was in der Darstellung von 1803/04 den Prozeß des Feuers an der Erde ausmacht, daß es als Licht auf die Finsternis der Erde bezogen zur Farbe wird, als Wärme an der Erde als Wärmeleitungsfähigkeit und Wärmekapazität in Erscheinung tritt, wird hier als Eigenschaften des einzelnen Körpers dargestellt, die das Moment des Feuers, das den Prozeß hervortreibt und in Gang hält, an ihm zum Ausdruck bringen Die „Idee des einzelnen Körpers" bezeichnet im Systementwurf von 1803/04 den Übergang zur dritten Potenz der Physik. Erst an dieser Stelle, als Eigenschaften des einzelnen Körpers, gelangen dabei die physischen Elemente zu ihrer wahren, in sich unendlichen Substanz, in der sie als unendliche Totalitäten sind und untereinander eine unendliche Einheit bilden. In dieser Einheit zeigt sich, daß das Auflösen der Gestalt durch die Elemente diese zur Vereinigung zurücktreibt, daß sie im Aufgelöstwerden bei sich selber bleibt, „als unendlich aus sich hervorgeht". Dieser Begriff der Gestalt ist es, der 1804 als erstes entwickelt wird, ehe tungsweise der Fragmente von 1803104 — das „physikalische Leben der Erde" (s. Enz. § 286). 123 Vgl. LMN 296—303, bes. 303 (die beiden ersten Einfügungen im Zitat von mir). Vgl. LMN 303 f. und 307—309.

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die physikalischen Elemente als Momente der Gestalt deduziert werden. So beginnt die dritte Potenz der Physik in beiden Darstellungen damit, daß die aus der Flüssigkeit sich resümierende Gestalt begrifflich erfaßt wird. Das geschieht in der früheren Darstellung stärker induktiv, indem von der Entfaltung der physischen Elemente als der realen Prinzipien des chemischen Prozesses ausgegangen wird, in der späteren Darstellung eindeutig deduktiv, indem vom Begriff der Gestalt als der unendlichen Einheit aus zu den einzelnen Elementen als Momenten der Gestalt fortgeschritten wird 1^®. Exkurs: Die spekulative Verarbeitung traditioneller und zeitgenössischer Motive in der Lehre von den Elementen Durch R. BOYLE (1627—1691) und endgültig durch A. L. LAVOISIER (1743— 1794) hat die Chemie in ihrer Geschichte als positive Wissenschaft eine Stufe erreicht, auf der sie zuerst als exakte Wissenschaft im Sinne der modernen Naturwissenschaft angesprochen werden kann Das entscheidende Gebiet, auf dem sich diese Entwicklung in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vollzieht, ist die Lehre von den Elementen. Sie werden als einfache Stoffe, Grund- oder Urstoffe definiert, „welche die bisherige Kunst nicht weiter zerlegen kann". In der Entdeckung solcher unzerlegbaren bzw. bisher unzerlegten Stoffe hat das 18. Jahrhundert gegenüber der gesamten naturphilosophischen und alchemistischen Tradition grundlegende Fortschritte erzielt. Während man im Altertum, in der mittelalterlichen und in der frühen neuzeitlichen Chemie und Alchemie im wesentlichen an der durch PLATON begründeten und durch ARISTOTELES weiter ausgebauten Lehre von den vier Elementen (Feuer, Wasser, Luft und Erde) festgehalten hat, gelingt es im 18. Jahrhundert 22 Elemente rein darzustellen Dennoch glaubt eine Reihe von Naturwissenschaftlern, auch diese Entdeckungen mit den überlieferten Auffassungen der Alten in Übereinstimmung bringen zu können, indem sie „einen anderen Begriff von Einfachheit" einführen und die chemischen von den physischen Elementen unterscheiden Ein ähnlicher Versuch liegt bei Hegel in der spekulativen 125 S. Realph. I 73 l„ LMN 274. 12* S. H. E. Fierz-David: Die Entwiddungsgesdiidite der Chemie. Basel 1952. (2. Auf!) 15 f. und 141—181. 121 S. E. Pilgrim: Entdeckung der Elemente. Stuttgart 1950. 410 f. 12* Daß sich diese Betrachtungsweise am Beginn des 19. Jahrhunderts allgemein durchgesetzt hat, zeigt das Lehrbuch von L. Oken: Naturgeschichte für Schulen. Leipzig 1821. (S. bes. 3—9.) Vgl. auch den Art. „Elemente" in Allgemeine Deutsche

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Entwicklung seiner Lehre von den Elementen vor. Es ist unsinnig, diese Lehre an dem heutigen Stand der Naturwissenschaft messen zu wollen. Man muß sie im Rahmen der naturphilosophischen Bemühung sehen, wie sie mit BAADER, SCHELUNG, RITTER U. a. in den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts eingesetzt hat, in der die Ergebnisse der positiven Naturwissenschaften durchaus aufgenommen und in eine spekulative Konzeption des Naturgeschehens im ganzen eingefügt werden sollen. In den Fragmenten von 1803104 ist das Bemühen Hegels besonders ausgeprägt, die naturwissenschaftliche Forschung aufzunehmen und in dem spekulativen Zusammenhang der Konstruktion der Gestalten des erscheinenden Geistes geltend zu machen. Am Beispiel seiner Lehre von den Elementen läßt sich sehr schön zeigen, inwieweit dies auf der Grundlage seiner Konzeption eines spekulativen Systems der Philosophie möglich ist. An früherer Stelle habe ich auf die grundsätzliche Notwendigkeit der spekulativen Antizipation von Ganzheiten für das positiv-wissenschaftliche Erkennen hingewiesen Nun erweist sich aber hier, daß Hegel offenbar in seiner Darstellung des Systems der spekulativen Philosophie die Einzelheiten des empirischen Wissens viel zu sehr von einem vorgefaßten Schema aus beurteilt und zur Geltung zu bringen sucht. Er ist z. B. eher geneigt, die Entdeckung eines Elements, auf das sich andere chemische Stoffe als ihr Substrat zurückführen lassen, anzuerkennen und spekulativ zu verarbeiten als die Vielzahl der im 18. Jahrhundert entdeckten metallischen und nichtmetallischen Elemente als solche ernstzunehmen. Metalle, Salze, Schwefel und Erden behandelt Hegel nicht als Elemente, sondern gemäß einer älteren, alchemistischen Tradition als Bausteine, unter sich bestimmte Strukturen erzeugende Bestandteile des „einzelnen Körpers" Seine Beschränkung auf vier chemische Elemente, deren Prozeß durch die realen Prinzipien der seit dem Altertum bekannten vier physischen Elemente bestimmt wird, ist indessen noch nicht zureichend erklärt, wenn man sagt, daß er der spekulativ-naturphilosophischen Tradition Real-Encyklopädie für die gebildeten Stände. Leipzig 1827 (7. Aufl.) Bd 3. 482 bis 486, bes. 482 f. S. o. den Exkurs: Empirie und spekulative Deduktion in der Darstellung der Naturphilosophie von 1801—1805/06. 151—154. 130 Vgl. die Erwähnung des von J. J. Winterl: Prolusiones ad chemiam saeculi XIX (Budae 1800. 169 ff.) dargestellten Elements „Andronia" (Realph. I 36), das nach den Ergebnissen der späteren Chemie überhaupt nicht existiert. S. Realph. I 76 f. — Hegel denkt bei „den Altern" offenbar vor allem an Paracelsus, den er in der Encyklopädie in dem entsprechenden Zusammenhang besonders erwähnt. (S. Enz. § 316 Anm. und die Anm. der Hrsg, zur Stelle auf S. 485.)

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stärker verbunden ist als der zeitgenössischen und neueren Naturwissenschaft. Gewiß besteht so etwas wie eine Affinität zwischen seiner eigenen spekulativ-philosophischen Arbeit und den entsprechenden geschichtlichen Vorbildern. Aber es ist vor allem der bestimmte PLAXONische Gedanke des „schönen Verhältnisses", der ihm in Zusammenhang seiner eignen Systemkonzeption von 1800—1804 als wesentlich einleuchtet, den er auch in der Lehre von den Elementen zunehmend zur Geltung zu bringen sucht. In der Frage der Annahme eines Phlogiston, das den Prozeß der Verbrennung eines Stoffes als ein besonderer, darin mitenthaltener Stoff ermöglichen und sich in der Verbrennung aufzehren soll, schließt sich Hegel ebenfalls der traditionellen, von der positiven Naturwissenschaft im Grunde schon widerlegten Auffassung an, daß es einen solchen „Brennstoff" gibt. Merkwürdigerweise bezeichnet er aber nicht, wie es bei den älteren „Phlogistikern" üblich war, den Sauerstoff als Phlogiston. Vielmehr ist für Hegel im Gegensatz von Sauerstoff und Wasserstoff, der die unmittelbare Differenz des Feuers darstellt, der Wasserstoff als das Passive (dasjenige, was aufgezehrt wird) das Phlogiston, während der Sauerstoff als das Tätige (das Aufzehrende) die Flamme selber ist — Nach späteren Darstellungen der Geschichte der Chemie ist jedoch die Widerlegung der Phlogiston-Theorie durch LAVOISIER ganz unbestreitbar. Durch sie wird der entscheidende Schritt zur Begründung der Chemie als exakter Wissenschaft vollzogen, weil sie durch genaues Wiegen der Stoffe vor der Verbrennung und nachher und durch die Einführung anderer präziser Methoden eindeutig gelungen ist Umgekehrt wird Hegel beim Wärmestoff durch die spekulative Konstruktion auf den von der weiteren Entwicklung als richtig erwiesenen Weg geführt. Das kann freilich ebensowenig als Beleg für die Richtigkeit seines spekulativen Entwurfs gewertet werden wie die Widerlegung einzelner Argumente durch die empirisch-analytische Naturwissenschaft gegen diesen Entwurf angeführt werden kann. Es geht hier lediglich darum, im Rahmen der grundsätzlichen Inkommensurabilität, die als solche gegen die rein spekulativ verfahrende Naturphilosophie spricht, auch die Möglichkeit einzelner richtiger Antizipationen darzutun. Die Wärme ist für Hegel neben dem Licht eine Erscheinungsweise des Feuers, das als erstes und umfassendes physisches Element den Prozeß der chemischen Elemente erklärt. Diese These als solche läßt sich nur im spekulativen Zusammenhang seiner Naturphilosophie angemessen ver:S. Realph. I 41, vgl. 106 und LMN 278 f. und 344. S. Fierz-David a.a.O. 148—156.

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stehen und beurteilen. Die darin enthaltene Polemik gegen die „Chemiker", daß es keinen Wärmestoff in den anderen Stoffen gibt, entspricht dem inzwischen gesicherten Stand der naturwissenschaftlichen Erkenntnis in dieser Frage *

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8) Die Physik oder die Einheit der Einheit der Gestalt und der Vielheit der Elemente {Die Idee des für sich bestehenden Körpers) Die physischen Elemente vereinigen sich zur Gestalt, indem sie Akzidenzen an der Substanz des einzelnen Körpers sind, der in sich die Elemente als Momente oder Eigenschaften enthält. Das Feuer ist als Eigenschaft des einzelnen Körpers Metallität, Sprödigkeit, Spannung verschiedener sich aufeinander beziehender spezifischer Schweren, die den einzelnen für sich bestehenden Körper in seiner Beziehung auf andere ebenso für sich bestehende Körper kennzeichnen. Das Wasser, das als Element an der Erde ursprünglich Meer ist, bildet die Salzigkeit des Körpers, d. h. seine Möglichkeit, „getrennt zu werden in zwei Körper von verschiedener spezifischer Schwere". Die Salzigkeit ist Ausdruck der Neutralität des Meerwassers, das in seiner Auflösung auf der einen Seite Luft und auf der anderen fester Körper werden kann. Die Luft als Element wird zur Brennbarkeit des Körpers, durch die ebenfalls zwei verschiedene spezifische Schweren entstehen, aber nicht gleichzeitig durch Zerfallen, sondern nacheinander durch Verbrennen. Die Erdigkeit schließlich „ist die Reduktion dieser ideellen Elemente, das absolute Ineinssetzen derselben, die absolute Starrheit des Punktes", so daß sie nicht wieder aufgelöst werden, sondern als Einheit verbunden bleiben Auch als Eigenschaften des Körpers sind die Elemente unendliche Totalitäten, die „nur im Prozesse sind", was sie sind. Schon als Akzidenzen der „absoluten Substantialität" der Erde (im meteorologischen Prozeß) hat Hegel die Elemente als die „wahren Sinne" der Erde bezeichnet Durch die absolute Kohäsion des einzelnen Körpers sind sie in ihren Prozessen „so sehr in einer Einheit" verbunden, daß sie sich in sich selbst reflektieren und in einer eigentlicheren Verwendung des Begriffs die „Sinne des Körpers" heißen können. Dieser ist darin jedoch „in Beziehung auf andere 134 Vgl. o. Anm. 104 und 105. S. Realph. I 74—76. S. Realph. I 72, vgl. LMN 295. In dem Text von 1804 wird im engeren Sinn das Feuer „als Sinn der Erde" aufgefaßt, weil es sidi insofern in sich selbst reflektiert, als es sich im Verbrennen zwar selbst verzehrt, aber in der Reduktion durch den entgegengesetzten Prozeß in sich selbst zurüdckehrt (s. LMN 306 f., vgl. 299).

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und indifferent in ihm selbst". D. h. „es fehlt ihm der fünfte Sinn^ der seine Einheit (der in sich reflektierten Prozesse) ... in absolut einfache Einheit, in sich zurücknimmt .. . und sich als die (von der Beziehung auf andere in sich) zurückkehrende Einheit setzt, oder er ist nicht Stimme, Ton wohl und ebenso Klang, eine von außen erregte Stimme" Der einzelne Körper ist gewissermaßen eine Erde an der Erde. „Die Erde als die Totalität der Vereinzelung der Körper drückt an ihnen dies verschiedene Verhältnis der Momente des Prozesses aus", die in ihnen als ihre Eigenschaften gesetzt sind. Die verschiedenen irdischen Körper stellen also auch die Elemente als Momente für sich mehr oder weniger rein, ohne Vermischung miteinander dar. Das Moment der Metallität drückt sich im Metall, vor allem im edlen Metall, für sich aus. Die „Reihe der Metalle", eine Ordnung unter ihnen, ergibt sich aus der Reinheit, mit der sie für die „Totalität der Idee des Körpers" stehen. Das Fürsichbestehen des einzelnen Körpers, das die Elemente als Eigenschaften, Sinne an sich hat, ist die Grundform dieser Darstellung der Momente des Körpers als besonderer Körper. Es bildet eine Vorform des Organischen das sich selbst zur Totalität eines Individuums ausbildet Salzigkeit (Neutralität) und Brennbarkeit bilden zusammen den Gegensatz zur Einheit des Fürsichbestehens. Diese Eigenschaften des Körpers sind als eigene irdische Körper auf der einen Seite (als Salzigkeit, Neutralität) Salze, auch Säuren und Kali, Basen, die in der Beziehung auf andere das Zerfallen der Körper bewirken, auf der anderen Seite (als Brennbarkeit) Schwefel, der wie Sauerstoff als chemisches und Luft als physisches Element, „das in die irdische Form gesetzte Feuer" ist, das Tätige, das den „absoluten Gegensatz" zur Gediegenheit des für sich bestehenden Metalls ausmacht. Die Erden sind als besondere Körper „das eigentlich Konkrete, das absolut Spröde, die vernichtete innre Differenz der Brennbarkeit und der Neutralität". Unter sich stellen aber die Erden noch einmal dies Verhältnis des Auseinandertretens ihrer Einheit in die Differenz und des Sichzusammennehmens in die Einheit dar. Auch hier hat die Natur, obschon nur „im Groben, in ganz allgemeinen Zügen ein Bild der Idee darstellen können, das in der Geschichte der Erde zugleich jedesmal ... als ein Zustand muß angesehen werden". Auch den Prozeß der starren Erden muß man demgemäß als Vorform der „organischen Bildung" betrachten, aus der schließS. Realph. I 78 f. (Einfügungen im Zitat von mir). 138 Vgl. Realph. I 81—86, s. zum folgenden 86 f. — Die „Reihen der Metalle" spielen eine große Rolle in der von Hegel mehrfach herangezogenen Arbeit H. Steffens: Beyträge zur innern 'Naturgeschichte der Erde. Freyberg 1801. (S. bes. 101 bis 132 und 258 f.)

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lieh „die gemeinen Flößgebilde", das „aufgeschwemmte Land" hervorgehen, die den Mutterboden für den pflanzlichen Organismus als solchen abgeben Der Granit als der „organische Grund der Erde" hat die Dreiheit: Kiesel (Metallisches, Gediegenheit), Glimmer (Brennbares, Tätiges) und Feldspat (Salzigkeit, Auseinanderfallen) in sich. Aus ihm „wächst" das Erdige als Ton hervor. Dieser hat als in sich gedoppelten Gegensatz den Schieferton (feste Form) auf der einen, die Trappformationen (das Brennbare des Basalts) auf der anderen Seite. Beide nehmen sich zu der „unspröderen Neutralität" (relativen Flüssigkeit) der Flößgebilde zusammen, die schon den Übergang zum eigentlich Organischen in sich hat. Es wiederholt sich also hier im Mineralreich die Analogie des Organischen, die auch in den chemischen und physischen Elementen zum Ausdruck kommt. Sie bildet dasselbe „absolute Verhältnis", wie es am Anfang des Chemismus entwickelt wird, (Ton ;

’ Flößgebilde. So ist es verständlich,

wenn Hegel in dem Manuskript von 1804 neben den chemischen und physischen von den „mineralogischen Elementen" spricht Indessen, in der späteren Darstellung wird auch betont, daß die Erde als Erde keine Geschichte im eigentlichen Sinne hat, weil ihre Momente als nebeneinander bestehende auf Dauer gestellt, der Zeit entzogen sind. „Die Erde also als diese Totalität stellt nur das Bild des Prozesses ohne den Prozeß selbst dar." Die Analogie zum Organischen wird nicht mehr durchgehalten. „Der lebendige Prozeß der Erde als solcher" ist nur in den chemischen und physischen Elementen. Die Erde ist zwar durch das Feuer, welches „das Regierende oder der Begriff des Prozesses der Erde selbst ist", gerade „als diese Totalität der existierende Geist, aber . . . nicht für sich selbst . . . sondern nur für uns". Sie ist „nicht an sich Geist", sondern als Geist „das Anderssein des Geistes", dessen Momente in seinem Kreislauf sich nicht selbst bewegen, sondern als Minerale in sich erstarrte sind Damit tritt die Frage auf, ob die Erde in ihrer Geschichte überhaupt eine Entsprechung bildet zur menschlichen Geschichte. Wenn das nicht der Fall ist, kann die Rückbesinnung auf diese Geschichte, auf den Prozeß der Natur an der Erde, für die menschliche Geschichte nicht die ausgezeichnete systematische Bedeutung behalten, die Hegel ihr in der ersten S. Realph. I 89—95, bes. 95 und 91. S. Realph. I 90—92 und LMN 319. S. LMN 320 f.

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Jenaer Zeit zugesprochen hat. Die Einheit der Erde, die über dem Gegensatz der Einheit der Gestalt und der Vielheit der Elemente steht, kann nicht mehr als ausschlaggebendes Argument gegen die Entzweiung in der menschlichen Geschichte verwendet werden. Die Entwicklung der Natur kann nur noch Vorgeschichte des Bewußtseins als der eigentlichen Sphäre der Geschichte sein, somit aber nicht mehr Schwerpunkt des Systems, heile, unentzweite Geschichte, deren Einheit die Entzweiung in der Menschenwelt übergreift.

In der Realphilosophie von 1805106, in der das Mineralreich als „mineralogischer Organismus" (innerhalb der Stufe des Organischen) betrachtet wird, führt die allgemeine Einschätzung der systematischen Bedeutung der Naturentwicklung zu der Frage, die hier im Zusammenhang der Erden und ihres „Prozesses" aufgetreten ist, ob die Erde überhaupt eine Geschichte hat. Wie ich bereits in dem Exkurs zum Gestaltbegriff im Ersten Teil gesagt habe, wird diese Frage am Schluß des Manuskripts von 1805106 negativ beantwortet. Die Natur als „ruhendes Kunstwerk" ist selber von der Menschenwelt und ihrer Geschichte entzweit, kann also zur Überwindung ihrer spezifischen Formen der Entzweiung unmittelbar nichts beitragen Kehren wir zur Naturphilosophie von 1803/04 zurück: Durch die Berührung von verschiedenen für sich bestehenden einzelnen Körpern kann zwischen ihnen ein neuer, wieder mehr dynamischer Prozeß entstehen, als es das Übergehen der Erdarten ineinander ist. Es kommt zu einem chemischen Prozeß im Physischen. Er „steht niedriger" als der absolute, zuerst als Bild der Idee entwickelte chemische Prozeß der Elemente, weil er „nicht absolut in sich zurückkehrt", absolute Flüssigkeit ist. Aber aus demselben Grund „steht er auch höher, eben weil die Entgegengesetzten fähig sind, die in sie gesetzte Differenz zu tragen und in ihr sich zu individualisieren, sich ... zu erhalten" Das Feuer als die Spannung der indifferenten Körper, das „in ihnen seine Differenz verwirklicht . .. existiert auf viererlei Weise": (1) Als freies Feuer, Flamme bewirkt es von außen her die Oxydation der Körper, eine „Veränderung der spezifischen Schwere in ihnen selbst". (2) Als Säure bzw. Kaustizität (Ätzkraft), mit dem dazu gehörenden Gegensatz der Base, zersetzt es die Körper. (3) Im galvanischen Prozeß erscheint es als „eine in den Körpern selbst seiende Differenz", die sie zur Tätigkeit S. Realph. (II) 109 mit Anm. 1, 273; vgl. o. im Ersten Teil den Exkurs: Zur Entwicklung des CestaÜbegriffs von 1804—1805106. 73—75 S. Realph. I 98, zum folgenden 99—101.

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gegeneinander bringt, die Starrheit ihrer Beziehung verflüssigt. (4) In der Elektrizität geschieht dies innere Flüssigmachen, das die Sprödigkeit aufhebt, durch Einwirkung von außen (Reibung).

In der Diskussion über den Begriff der „Wahlverwandtschaft" chemisch aufeinander wirkender (physischer) Körper, in der BERGMANN und BERTHOLLET konträre Positionen einnehmen, ergreift Hegel für den letzteren Partei, weil dieser anstelle „der bloßen Tätigkeit des Einen, und des völligen Untätigwerdens des andern die Tätigkeit beider in einem Dritten behauptet und hiermit eine Vermischung beider in beiden Produkten". Darüber hinaus muß nach Hegel, ehe es zu der Vermischung in den Produkten kommt, eine „gewaltsame Diremtion", das „tätige Setzen eines Entgegengesetzten behauptet werden", denn das Feuer, die „wahre Natur des chemischen Prozesses" (auch bei den physischen Körpern), ist „ebenso absolut entgegensetzend als beziehend". Was BERTHOLLET eben-' falls nicht erkennt, ist, daß die chemische „Differentiierung eine lebendige ist", die „Verteilung der Mitte an die Seiten durch die in ihr sich realisierende Differenz der Extreme" Wenn der chemische Prozeß einzelner Körper abgeschlossen ist, entsteht zwischen den Produkten erneut eine Indifferenz gegeneinander. „Es fällt das Moment ihrer Differenz und das Moment ihrer Indifferenz auseinander." Zu dem in sich unendlichen Prozeß, in dem die Indifferenz sich selbst als herkommend aus der Differenz erfaßt und so eine neue Entgegensetzung aus sich selbst hervorzubringen vermag, kommt es erst in der höchsten Potenz der irdischen Natur, im Organischen als solchem. E)

Das Organische oder der in sich unendliche Prozeß des Sichgestaltens der einfachen Einheit zur absoluten Einheit (Das sich selbst zur Totalität ausbildende Individuum)

aa) Die Einheit von Individuum und Gattung als das Zu-sich-Kommen der Idee in der Natur Im Organischen wird das Eins des einzelnen Körpers, der als Substanz die Elemente als Akzidenzen an sich hat, aus sich selbst zu einem Allgemeinen, in dem die Vereinzelung aufgehoben ist. Und die Elemente werden Vgl. Realph. I 105—115, bes. 105, 107, 109, 113 und 115. Die Darstellung der Theorie der „Wahlverwandtsdiaft" in der Chemie findet sich bei T. O. Bergman: De attractionibus electivis. — In; Opuscula physica et diemica. Bd 3. Upsaliae 1783. 291—334. Die Kritik von C. L. Berthollet an dieser Theorie ist in Redierches sur les lois de l'affinite (Paris 1801) veröffentlicht (s. bes. Abs. 1—5). Für die Auffassungen Berthollets, die Hegel ausführlich würdigt, vgl. auch Essai de statique chimique. Paris 1803. (S. bes. Sect. II.) 1« S. Realph. I 121.

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dementsprechend Allgemeine, die als solche „ihrer Existenz als Vereinzelter" gegenübertreten, so daß sie sich als „selbständige, gegeneinander Differente" gegenüberstehen. „Als diese Selbständigen reflektieren sie sich in der (selbst zum Allgemeinen erhobenen) organischen Einheit; sie werden ideell und einzeln, aber ebenso absolut allgemein, und zwaf ideell allgemein und reell allgemein. So geht ihr absoluter Kreislauf in den Kreislauf der organischen Einheit über und zurück in jene, und das Organische ist der Kreislauf dieser beiden Kreisläufe" Die Idee, die abstrakt im Verhältnis der Elemente und, als real in Erscheinung tretend, im Verhältnis der einzelnen Körper zueinander in einem Bild anschaubar geworden ist, wird nun greifbar als die „absolute Allgemeinheit ... das absolute Einssein des Organischen (als eines Eins) und des Organischen als einer Totalität" der Elemente als Momente dieses Eins. Aber dieses Einssein zerfällt in sich selbst, es ist die „Verdoppelung der organischen Individualität". Es kehrt zu sich selbst zurück im Aufheben dieses Gegensatzes, sofern das andere ebenso organische Individualität ist wie es selbst. Es hat sein Sein in dieser Entzweiung und im Aufheben derselben. „Die Idee der organischen Individualität ist Gattung, Allgemeinheit; sie ist sich un(endlich) ein Anderes und in diesem Anderssein sie selbst" 147. Die Verdoppelung der organischen Individualität realisiert sich in der Differenz der Geschlechter. Der Gegensatz zur Einheit des organischen Eins tritt in der Natur als das Weibliche (mehr Passive, Empfangende) und als das Männliche (das „Tätige der Form") in Erscheinung. Die Entgegengesetzten finden ihre Einheit im Kind, in dem sich die geschlechtliche Differentiierung in die Indifferenz zurücknimmt. In dieser Indifferenz ist aber von Anfang an die Differenz als Möglichkeit angelegt: mit ihrer Verwirklichung durch die geschlechtliche Reife des heranwachsenden Individuums ist „der ganze Kreislauf ... in sich zurückgekehrt oder er hat keinen Anfang und kein Ende und ist derselbe ewige Kreislauf". Damit ist die Idee als solche, das (metaphysische) Prinzip aller Philosophie in der Wirklichkeit der irdischen Natur dargestellt. Die Naturentwicklung hat das ihr immanente Ziel erreicht. Das himmlische System, das sich als eine Entfaltung der logischen Begriffe bis zur Einheit von Innerem (Qualitativem) und Äußerem (Quantitativem) im Begriff der Kraft gezeigt hat, bildet das Qualitative gegenüber der „absoluten Quantität" der Mechanik, mit welcher der Naturprozeß auf der Erde beginnt. S. Realph. I 125 f. (Einfügung im Zitat von mir). '^7 S. Realph. I 130 (erste Zitateinfügung von mir), zum folgenden 130 f.

B. Die zusammenhängende Entfaltung

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In der Mechanik und im Chemismus werden die Prinzipien der Quantität, die Einheit der toten Gestalt der Erde und die Vielheit im lebendigen Prozeß der Elemente in ihren verschiedenen Hinsichten entfaltet. Daß es dabei schon zu einer Verlebendigung des Toten, zu einem Flüssigwerden der Gestalt kommt, geht auf die Wirksamkeit der qualitativen Bestimmungen des himmlischen Systems in der irdischen Natur zurück. Die Sonne, der Mittelpunkt der himmlischen Kräfte, setzt als Licht, das in den Ton der Materie versenkt ist, den Unterschied der verschiedenen Stoffe; im Feuer bringt es diese miteinander in den Prozeß. Die Physik faßt in der Substantialität der einzelnen Körper und ihrer Akzidenzen Einheit und Vielheit, die „absolute Quantität" der Mechanik und die Wirksamkeit der Qualitätsbestimmungen des himmlischen Systems im chemischen Prozeß auf eine erste vorläufige (selber noch quantitative) Weise zu einer Einheit zusammen. Als Entsprechung zur Logik der ersten Jenaer Jahre ist es wichtig, daß sich damit in den endlichen Bestimmungen der irdischen Natur vor ihrer Erhebung zum Organischen ein Vorschein des Unendlichen, des „ewigen Kreislaufs" des organischen Lebens findet. In der organischen Natur als solcher kommt dann das Unendliche als der Kreislauf des Lebens unmittelbar zum Ausdruck. Er vereinigt in sich den „Kreislauf der Selbsterhaltung", des einzelnen Individuums (um sich selbst), das den Prozeß der Elemente an sich hat, und den „Kreislauf der Gattungen", in dem die Individuen in ihrer „Entzweiung und im Aufheben derselben" (wie die Erde auf die Sonne) auf ein anderes bezogen sind. Die Prinzipien des Sonnensystems, die am Himmel in der reinen Geist-Materie des Äthers die absolute Kraft zum Ausdruck bringen, sind nun in der irdischen Natur verwirklicht. Die einfache Einheit des Organischen ist die „absolute Lebenskraft", die sich aus sich selbst zur in sich unendlichen Gestalt ausbildet. Sie ist in der Sphäre des Seins, was das unendliche Erkennen in der Sphäre des Denkens ist. Das ist nicht „aus einem Andern" als dem Erkennen ableitbar. Indem sich das Erkennen im Organischen selbst erkennt, ist dieses als ein anderes des Erkennens aufgehoben. Es ist selbst „das existierende Erkennen" In der Erhebung des Organischen zu sich als dem existierenden Erkennen wird von den Kategorien des Seins (der Qualität, Quantität, Relation) zu den Formen des Denkens fortgeschritten, die am Leitfaden der Begriffe des Allgemeinen und Besonderen entwickelt werden und die von sich aus zum vernünftigen Denken des „wissenschaftlichen Erkennens" '2 Vgl. ED 404/5. Vgl. Werke 4. 79 und 73. *■* Vgl. Briefe. Bd 1. 59. Ischr. 293.

A. Der Plan der Philosophie der Intelligenz

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ist in der „Ehrfurcht vor dem Schicksal" die Entgegensetzung von Neigung und Pflicht, von Legalität und Moralität überwunden. Die Kritik an der „bestimmten Tugend", die andere und anderes, worauf sie sich nicht richtet, von sich ausschließt, macht die Ablehnung des Tugendbegriffs als solchen verständlich, wie sie in den Thesen XI und XII ausgesprochen wird. „Die Tugenden setzen durch ihre Grenze außerhalb derselben immer noch ein Objektives, und die Vielheit der Tugenden eine umso größere unüberwindliche Mannigfaltigkeit des Objektiven." Im „Geist des Christentums" ist es die Liebe, die im Gegensatz zu den Tugenden keine Grenze hat. Subjektives und Objektives in sich vereinigt; in den Habilitationsthesen ist es die „absolute Sittlichkeit" (These XII). Aus dem Anfang des Jahres 1801 sind noch einige Notizen zur praktischen Philosophie im engeren Sinne erhalten. Sie bilden — wie es scheint — eine Art Tugendkatalog, in dem die Tugenden in der Liebe gipfeln: „§. a) Menschenliebe — Freundschaft b) Rechtschaffenheit — Revolution c) Bewußtseyn seine Pflicht erfüllt zu haben, Unschuld — Ruhm d) Dankbarkeit — Selbstständigkeit, Freyheit e) Aufklärung — Glauben f) Familie Glükseliger Stand — Gesellschafftlichkeit g) Liebe — Patriotismus" (Die durch Gedankenstrich voneinander getrennten Begriffe stehen im Manuskript jeweils untereinander.) Die einzelnen Begriffspaare bilden nicht eigentlich Gegensätze, sondern eher „Komplemente" in dem Sinne, wie nach dem „Geist des Christentums" die „Tugend das Komplement des Gehorsams gegen die Gesetze" und „die Liebe das Komplement der Tugenden" ist Der erste Begriff scheint gegenüber dem zweiten jeweils die höhere Stufe zu sein, in der die vorige zurückgelassen, überwunden ist, zugleich aber als in einer höheren Potenz mit ihr zu einer Einheit verbunden ist. Die Tugend als solche, die Unterwerfung unter ein selbst gegebenes Gesetz, ist höher als die Forderung des Gehorsams gegen äußere Gesetze. Sie überwindet das äußerliche Auferlegtsein der Gesetze, indem sie den Ursprung des Sittengesetzes im menschlichen Bewußtsein selbst entdeckt. Die Liebe, die hier als Komplement des Patriotismus an der Spitze ** S. Jschr. 293 f. und 296. S. Hegel-Nadilaß (Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Staatsbibliothek). Bd 13, Bl. 52 a. Auf demselben Notizblatt befindet sich ein später geschriebenes Exzerpt aus „Kaiserliches KommissionsDekret den 5 Apr. (1801) in Regensburg übergeben", das in den Zusammenhang der Notizen und Exzerpte zur Verfassungsdtrift gehört. S. zur Datierung Hegel-Studien 4 (1967), 138 (Nr. 7) und 147. Hoffmeister, der diese Notizen in anderem Zusammenhang beiläufig mitteilt, liest „Feindschaft" statt „Freundschaft". (S. Dokumente zu Hegels Entwicklung. 467.) S. Jschr. 295.

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DRITTER TEIL: PHILOSOPHIE DER INTELLIGENZ

der Tugenden steht, läßt nach der früheren, in Frankfurt entworfenen Konzeption die Tugenden insgesamt als ihre überwundene Stufe hinter sich zurück, macht sie zu Modifikationen ihres eigenen Seins. Die Forderung des Gehorsams gegen äußere Gesetze kennzeichnen nach den Frankfurter Schriften das Judentum. Abraham war der Stammvater der Juden, er wird als der „entzweite Mensch" schlechthin beschrieben Er löst sich von seiner Familie, lebt unabhängig, „außer Verbindung mit einem Staate", und scheut selbst jede „belebte Beziehung" zu den Dingen; „er baute den Boden nicht .. . die Haine, die ihm oft Schatten gegeben hatten, verließ er bald wieder". Er folgt ganz dem Trieb der Selbsterhaltung. Dennoch hat er die Idee einer Einheit, eines Ganzen, die ihm freilich äußerlich bleiben muß. Er verlagert sie in seine Gottheit, die ihm ohne seine Einsicht das höchste Opfer abverlangt. Das Höchste auf der Stufe des Gehorsams gegen äußere Gesetze („Abrahams Segen") ist: „Eigentum und Besitz für sich und seine Nachkommen" ®®. Dem Eigentum wird seine Partikularität genommen durch die Menschenliebe. Sie darf sich nicht als „allgemeine Menschenliebe" gegen die Menschheit überhaupt, ein nur „gedachtes Objekt", richten. Als „Liebe zu dem Nächsten" ist sie „Liebe zu den Menschen, mit denen man, so wie jeder mit ihnen in Beziehung kommt". Nur als Nächstenliebe kann die Menschenliebe wirklich Liebe sein, denn „ein Gedachtes" kann man nicht lieben Ihr gegenüber bleibt die Freundschaft abstrakt, ohne verpflichtende Bindung. Als erste allgemeinste Form der Liebe wird die Menschenliebe deshalb in dem Tugendkatalog von 1801 der Freundschaft als das Höhere vorangestellt. Wenn im nächsten Begriffspaar die „Rechtschaffenheit" der „Revolution" vorgeordnet wird, spiegelt sich darin die Reaktion auf die Schrecken der Jakobinerherrschaft, auf die Ausartung des Revolutionären. Ähnliches kehrt auf höherer Stufe (unter d) wieder, wo die Freiheit, die sich als Selbständigkeit, Unabhängigkeit von familiärer oder staatlicher Bindung versteht (vgl. die Gestalt Abrahams), als zu überwindende Vorstufe der Dankbarkeit erscheint. Hegels revolutionäre Gesinnung bildet zu dieser Zeit offenbar bereits eine überwundene Einstellung, die aber als zurückgelassene zugleich in der höheren enthalten bleibt. Das Heraufführen def „neuen sittlichen Form" eines Volkes kann nicht mehr Sache der Ge-' samtheit der Menschen sein, die ihr „beschränktes Leben" durchbrechen.

Vgl. Marsch a.a.O. 2» S. Jschr. 368—370, 371—373, 245—248. S. Jsdir. 295.

A. Der Plan der Philosophie der Intelligenz

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wie es in dem bereits mehrfach erwähnten Fragment Der immer sich vergrößernde Widerspruch . . . (1799/1800) dargestellt wird Ob dies zu dieser Zeit von Hegel schon als Sache des „großen Mannes", des politischen Genies, angesehen wird, ist nicht mit Sicherheit zu er-' mittein. Das MACCHIAVELU-Exzerpt ist vermutlich früher als die hier zu Grunde liegenden Notizen Für den „großen Mann" würde dann freilich diese Tugendlehre nicht gültig sein. Er muß unabhängig, „ohne alle fremden Stützen" in der Welt stehen, „alles Vertrauen auf ein festes Band in derselben" muß „von ihm gefallen" sein. Er stellt sich auf den Standpunkt der Philosophie d. h. auf den Standpunkt des Absoluten, das in der „Wissenschaft des Praktischen" nur in endlichen Formen seines Erscheinens sichtbar wird. Daß dem „Glauben" nicht das philosophische Wissen, die „Selbstkonstruktion des Absoluten", vorangestellt wird, sondern die „Aufklärung", daß dieses Begriffspaar überhaupt in der Tugendlehre auftaucht, macht deutlich, daß hier nicht die Problematik der Religion als solche behandelt wird. Der Begriff „Aufklärung", den Hegel dem Glauben gegenüberstellt, richtet sich wohl gegen unangemessene mythologische Glaubensformen. Er soll den Glauben nicht schlechthin negieren, sondern als Tugend, als Gesetz, das sich die Vernunft selbst gibt, verständlich machen. Zur Erläuterung des nächsten Begriffspaares dieser Tugendlehre ist zu sagen, daß hier mit „Gesellschafftlichkeit", die in der „Familie" als dem „glükseligen Stand" überwunden wird, nicht die Gesellschaft im modernen Sinn dieses Wortes gemeint ist. Die Probleme der „bürgerlichen Gesellschaft" gehören nicht auf die Stufe der Tugendlehre, sondern auf die frühere der Lehre vom Gehorsam gegen äußere Gesetze. Das entspricht der Einarbeitung dieser Probleme in die Abraham-Fragmente, wie MARSCH überzeugend nachgewiesen hat Der Begriff „Gesellschafftlichkeit" steht an dieser Stelle für die freiere, unverbindliche Form des menschlichen Miteinander, die in der Familie überwunden wird. Die „Gesellschafftlichkeit" vermag vielleicht ein vorübergehendes Vergnügen zu vermitteln, Glückseligkeit, das Korrelat der wahrhaften Tugend, findet in der Familie ihre institutionelle Basis, sofern man darin die angemessene Erscheinungsform der Einheit erblickt, die den Gegensatz der Geschlechtsdifferenz in sich begreift und die im Kind real verwirklicht ist.

Vgl. o. im Ersten Teil Abschnitt A, auch zum folgenden. Vgl. Hegel-Studien 4 (1967), 137 (Nr. 2) und 146. ^ Vgl. Werke 4. 76. “ S. o. Anm. 8.

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DRITTER TEIL: PHILOSOPHIE DER INTELLIGENZ

Der entscheidende Unterschied dieser Tugendlehre gegenüber der späteren praktischen Philosophie, der die übrigen Veränderungen nach sich zieht, besteht wohl darin, daß die Tugenden hier — ähnlich wie in den Frankfurter Schriften — in der Liebe gipfeln. Freilich, auch die Liebe wird jetzt als bestimmte Tugend gefaßt. Ihr verpflichtender Charakter mag durch den Bezug auf das Vaterland als äußerlich eingeengt erscheinen. Aber ihr konkreter, in einer bestimmten geschichtlichen Gemeinschaft zu bewährender Sinn wird erst durch diesen Bezug artikuliert. Nach den Habilitationsthesen ist es schließlich so, daß die „absolute Sittlichkeit" das Höchste der praktischen Philosophie ist. Sie bildet nicht mehr den Abschluß eines Systems von Tugenden, sondern steht zu dem von KANT her konzipierten Tugendbegriff in einem radikaleren Gegensatz als der Begriff der Liebe. Aber die Systemkonzeption von 1801/02 verlangt, daß innerhalb der Philosophie der Intelligenz ein bestimmtes Absolutes gedacht wird, damit sich dieser Teil der Philosophie wie seine Gegenseite, die Philosophie der Natur, als „relative Totalität" in sich vollendet. Wie in der Philosophie des Organischen für den Bereich der Natur die absolute Einheit des Allgemeinen der Gattung und des besonderen (tierischen) Individuums entwickelt wird, so gilt es hier, das „absolute Einssein der Individualitäten" mit der Allgemeinheit der Sitten des Volkes zu erfassen. Eine weitgehende Entfaltung dieses Teils der Philosophie der Intelligenz, die aber erst aus dem Anfang des Jahres 1803 stammt, ist erhalten im System der Sittlichkeit. Dieses Manuskript bildet die Reinschriftfassung zu den Vorlesungsmanuskripten Hegels über Naturrecht, über das er nach den Vorlesungsankündigungen im Sommer 1802, Winter 1802/03, Sommer 1803, Winter 1803/04 und noch einmal im Sommer 1805 lesen will. Der Schluß dieser Manuskripte, den Hegel nicht in Reinschrift übertragen hat, ist uns relativ vollständig bei ROSENKRANZ und HAYM überliefert ^®.

S. Rosenkranz; Hegel's Leben. 132—141, Haym: Hegel und seine Zeit, Berlin 1857. (Neudruck Hildesheim 1962.) 164 f., 414—416 und 509 Anm. 13.

B. Die Entfaltung des praktischen Teils der Philosophie der Intelligenz als „Naturrecht" (1802—1803)

Der Aufsatz Hegels lieber die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts, der parallel zu den ersten Vorlesungen über dieses Thema entstanden ist, der Reinschriftfassung des hauptsächlichsten Teils der Vorlesungsmanuskripte aber vorhergeht, setzt sich vor allem unter methodischem Aspekt mit der „empirischen" Behandlungsart in den „positiven Rechtswissenschaften" und der „rein formellen" in der „KANxischen und FicHTESchen Philosophie" auseinander. Dabei wird auch die Stelle des Naturrechts „in der praktischen Philosophie" zu ermitteln gesucht. a) Kritik und systematisches Prinzip des „Naturrechts" in dem Aufsatz von 1802/03 Hegels Kritik in dem berühmten Aufsatz über Naturrecht kann uns zeigen, wie seine eigene systematische Darstellung dieses Themas in dieser Zeit ausgesehen hat. Was den kritisierten Behandlungsarten fehlt, wird die Darstellung dieses Themas im Hegelschen System positiv enthalten müssen. Es faßt sich zusammen in dem Begriff der Einheit. Die Empirie vermag die Einheit der absoluten Sittlichkeit als das „Ganze des Rechtszustandes" ohne einen spekulativen Vorgriff nicht zu erfassen. Als bloße Empirie ist sie in die Vielheit sittlicher Phänomene verloren, sieht nicht den Unterschied des Zufälligen und Notwendigen, nimmt die „zersplitterten Momente" (Grundsätze, Gesetze usw., das Verhältnis der Subjekte zu ihnen) nicht zur „organischen Sittlichkeit" zusammen. Das „relative Recht" der Empirie kann nur gewahrt werden, wenn sie als die eine Seite einer systematischen Darstellung genommen wird, in welcher der Begriff unter die Anschauung subsumiert ist Der „KANxische oder FiCHXESche Idealismus" bringt zwar eine formelle Einheit von „Recht und Pflicht" im absoluten Subjekt zustande, hält sie aber den empirischen Subjekten in ihrer Vielheit nur als Sollen vor, indem er diese Einheit in der Moralität postuliert, aber auch ihr „Nichteinsseyn" in der Legalität für möglich hält. Das letztere führt dazu, daß — am konsequentesten in FICHXES System des Naturrechts — der „Begriff" und das „Subjekt der Sittlichkeit" durch Zwang „vereinigt werden soll" Zur Bezeichnung der absoluten sittlichen Totalität, in S. Werke 4. 417—430, bes. 424 £. und 429 f. S. Werke 4. 430—449, bes. 443—446.

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DRITTER TEIL: PHILOSOPHIE DER INTELLIGENZ

der diese Trennung wirklich — als Sein, nicht nur als Sollen — überwunden ist, führt Hegel einen Begriff ein, der in seinen frühen Jugendschriften eine große Rolle gespielt hat, der aber später zurückgetreten ist: den Begriff des Volkes Wie im Organischen der Natur ist im Volk das Allgemeine (die „absolute Sittlichkeit" als „Sitten") mit dem einzelnen (dessen Sittlichkeit die letzthin reale ist) zur Einheit verbunden. Die Gegensätze des Allgemeinen und einzelnen müssen nach der Hegelschen Konzeption zu ihrer absoluten Einheit aus einer zunächst nur einseitigen, formal bestimmten Weise der Vereinigung führen. Daß dabei von vornherein eine Beziehung des einzelnen „auf andere Intelligenzen" gedacht ist, besagt, daß Hegel hier im praktischen Teil der praktischen Philosophie einsetzt, daß das „reelle praktische" betrachtet wird, welches sich an das ideelle Praktische anschließt, in dem die Intelligenz bloß subjektiv, als reine Innerlichkeit der Natur (Empfindung und Anschauung, Verstand und Vernunft) in ihrer absoluten Vereinzelung zu behandeln ist ^®. In der Sphäre des „reellen praktischen" sucht der einzelne zunächst seine Einzelheit gegenüber den anderen Intelligenzen zu behaupten. Dies geschieht unter subjektivem Aspekt in der Befriedigung der physischen Bedürfnisse, unter objektivem Aspekt in der Arbeit, die das Naturobjekt vernichtet, zum Besitz des einzelnen, seinem Eigentum macht. Die Probleme der „bürgerlichen Gesellschaft" bilden auch hier die erste Potenz der praktischen Philosophie im engeren Sinne, wie es in ähnlicher Weise aus dem „Geist des Christentums" für die Konzeption dieses Systemteils in den Jahren 1800—1801 zu erschließen ist. Die inzwischen weitergeführte Kritik an KANT und FICHTE bedingt, daß diese Potenz nicht mehr als Erfüllung äußerer Gesetze (Legalität) aufgefaßt wird, der dann die Tugend als Befolgung eines inneren Gesetzes (Moralität) gegenübersteht, sondern als „natürliche" Form der Sittlichkeit, die ganz vom Trieb der Selbsterhaltung bestimmt ist, der das „Recht" als formaler Ausgleich der Interessen von verschiedenen einzelnen entgegengesetzt werden muß. Unmittelbare natürliche Sittlichkeit und Recht bilden die unorganische Natur, die in der absoluten Sittlichkeit des Volkes vernichtet ist und in ihrem Vernichtetsein besteht. Die Realität dieser Einheit, die „relative Totalität" des Praktischen ist „als eigener Stand constituirt", als „Stand der Freyen". Er ist „von Seiten seiner Indifferenz betrachtet der absolute lebendige Geist, von Seiten seiner Objectivität die lebendige Bewegung und der göttliche Selbstgenuß dieses Ganzen in der Totalität der Individuen als seiner Organe und Glieder". Seine Arbeit geht „nicht auf das 2» S. o. im Ersten Teil Anm. 7. S. Werke 4. 454 f., auch zum folgenden.

B. Die Entfaltung des praktischen Teils

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Vernichten einzelner Bestimmtheiten", sondern im Kampf für die Gesamtheit des Volkes „auf den Tod", ihr „Product" ist „ebenso nicht ein einzelnes sondern das Seyn und die Erhaltung des Ganzen der sittlichen Organisation" Der „Stand der nicht freyen" lebt „in der Differenz" von Bedürfnis und Genuß, Arbeit und Besitz auf der einen Seite, „im Rechte und der Gerechtigkeit des Besitzes und Eigenthumes" auf der anderen Seite. Seine Arbeit geht, wie auch die des dritten Standes, der Bauern, die noch unmittelbarer auf die Bedürfnisbefriedigung gerichtet ist, „auf die Einzelheit", und schließt „also die Gefahr des Todes nicht in sich". Es bildet sich ein „zusammenhängendes System" der Bedürfnisse und ihrer Befriedigung, das eine formelle Einheit in der Rechtlichkeit der Verhältnisse des Besitzes hat, dessen jeder fähig ist und worin er sich gegen die anderen Intelligenzen als ein Allgemeines verhält. Der einzelne ist nicht von einzelnen des Standes der absoluten Sittlichkeit abhängig, sondern innerhalb dieses Systems vollkommen selbständig. Dabei setzt aber das „System von Eigenthum und Recht" eine Welt „des Friedens und des Erwerbes" voraus. Der Bürger als „Bourgeois", der in diesem System ganz aufgeht, versinkt in „politische Nullität", weil die Sicherung des Friedens ganz von einem anderen Stand übernommen wird, der sich der „Gefahr eines gewaltsamen Todes auszusetzen" hat. Es geht darum, beide Stände bewußt zu sondern und für sich zu konstituieren. Als einzelner soll keiner mehr von einem andern abhängig, unfrei sein. Jeder soll prinzipiell im System der Bedürfnisse oder in der politischstaatlichen Sphäre seinen Platz haben können. So wird die unorganische Natur von der lebendigen absoluten Sittlichkeit „abgetrennt und als solches erkannt", eben damit aber „in die Indifferenz aufgenommen". Das Opfer der Allgemeinheit, aus dessen Kraft das Ganze lebt, hat einen merkwürdigen inhaltlichen Sinn. Der Stand der Bourgeoisie ist der relativen Allgemeinheit des Systems der Bedürfnisse anheim gegeben und damit von der politisch-staatlichen Allgemeinheit ausgeschlossen. Die Tragik der Gesellschaft liegt darin, daß der auf Eigentum und Recht gerichtete Teil nicht der höheren Gemeinschaft des politisch-staatlichen Lebens angehören kann und soll, daß er sich mit dem relativ Allgemeinen seiner begrenzten Welt zufrieden geben muß. Die Unfreiheit als Abhängigkeit einzelner von anderen einzelnen wird aufgehoben durch die Beschränkung eines Teils der Gesellschaft auf begrenzte Rechte, durch die Abtrennung vom Ganzen der absoluten Sittlichkeit. In der sittlichen Natur S. Werke 4. 455—458, auch zum folgenden.

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DRITTER TEIL; PHILOSOPHIE DER INTELLIGENZ

trennt das Lebendige einen Teil seiner selbst von sich ab und opfert es dem Tod, um aus diesem Reinigungsprozeß in einer neuen Lebendigkeit hervorzugehen. Diese Abtrennung des Unorganischen der sittlichen Totalität, das dennoch mit ihr in einer indifferenten Einheit verbunden bleibt, hat in der natürlichen Natur kein Vorbild. Sie setzt ein tätiges Erkennen des lebendigen Ganzen voraus, ein Bewußtsein von der Unterschiedenheit gegenüber der Orientierung am Partikulären, Besonderen. Indem sich „absolute Anschauung" und „Selbsterkennen" im Vergleich zu den spekulativen Prinzipien der Naturentwicklung als angemessenere Attribute der absoluten Substanz erweisen, gewinnt die praktische Sphäre, die von diesen Prinzipien ausgeht, jenen gegenüber an Bedeutung. Sie setzt in sich die Unterschiede der Potenzen, in denen der „absolute Geist" in den Formen seines Erscheinens sich selbst begreift Keiner der beiden Bereiche, der bürgerlich Gesellschaftliche und der politisch Staatliche, darf sich selbst als absolut setzen und von dem andern isolieren. In ihrer Trennung müssen sie dennoch aufeinander bezogen bleiben und zueinander im richtigen Verhältnis stehen. Hegel nimmt hier seine Untersuchungen zum Begriff der Positivität wieder auf, der in den Jugendschriften eine zentrale systematische Bedeutung hat. Trennung in der Einheit, die sich nicht zur Isolierung verfestigt, heißt im Zusammenhang der Ständelehre Überwindung der Positivität. Die Philosophie wacht darüber, daß in den „positiven Rechtswissenschaften" das „bürgerliche" und das „Staatsrecht" diesem Verhältnis entsprechend zur Geltung kommen Für diese Verhältnisbestimmung bleibt das Modell der Naturphilosophie in Gültigkeit. Wie die Philosophie in der Naturwissenschaft sicherstellt, daß jeder einzelnen dieser Wissenschaften ihr Recht zukommt und umgekehrt, daß keine die ihr bestimmten Grenzen überschreitet, soll sie dies auch im Bereich des Naturrechts tun. „Wie das Princip der Mechanik sich in die Chemie und Naturwissenschaft (überhaupt) und das der Chemie wieder ganz besonders in die letztere eingedrängt hat, so ist diß in der Philosophie des Sittlichen zu verschiedenen Zeiten mit verschiedenen Principien der Fall gewesen." Die aktuelle Form dieser Grenzüberschreitung sieht Hegel darin, daß die Monarchie, „die absolute Allgemeinheit des Mittelpunkts (der absoluten Sittlichkeit) und das Einsseyn des Besondern in ihm" in der Weise des Vertrages „als eine Sache zweyer bestimmter Vgl. Werke 4. 464. S. Werke 4. 477 f.

B. Die Entfaltung des praktischen Teils

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Partheyen" begriffen und sie damit zu etwas Endlichem herabgewürdigt worden ist b) Die Potenzen der ,,absoluten Sittlichkeit" nach dem Reinschriftmanuskript von 1803 und den Vorlesungsmanuskripten von 1802/03 Der Naturrechtsaufsatz fordert, daß an die Stelle der empirischen oder rein formellen philosophischen Behandlungsart die systematisch-spekulative tritt, die das Prinzip der „absoluten Identität" von Allgemeinem und Besonderem, von Subjekt und Objekt verwirklicht. Dieser Forderung sucht das Reinschriftfragment zu entsprechen, dem seit ROSENKRANZ der Titel System der Sittlichkeit beigelegt wird. Allgemeines und Besonderes werden hier als Anschauung und absoluter Begriff bestimmt. (Es ist, formal betrachtet, sehr verwunderlich, daß der „absolute Begriff" als das Besondere bezeichnet wird. Man muß jedoch die inhaltliche Seite von vornherein mit sehen, daß als vorausgesetzte Allgemeinheit das Volk zu denken ist, das in der Anschauung unmittelbar erfaßbar ist. Die Besonderung dieses Allgemeinen, der Aufweis des „absoluten Einsseins der Individualitäten" mit ihm in den verschiedensten Organisationsformen des Sittlichen geschieht durch den „absoluten Begriff". Der „absolute Begriff" ist die Besonderung dieses Allgemeinen.) Um ein völliges „Adäquatsein" von Allgemeinem und Besonderem zu erreichen, werden sie wechselseitig untereinander subsumiert. Dieses Verfahren wird im Blick auf die „Idee der absoluten Sittlichkeit" im ganzen und in jedem Unterabschnitt aufs Neue genauestens durchgeführt. Das Äußerliche dieser Deduktionsweise erinnert — wie man häufig bemerkt hat — an die systematischen Entwürfe SCHELLINGS. ES wird durchbrochen durch den zweiten Hauptabschnitt, der zwischen die absolute Sittlichkeit als Natur (Anschauung unter den Begriff subsumiert) und die absolute Sittlichkeit als solche (Begriff unter die Anschauung subsumiert) eingeschoben wird: „2. Das Negative oder die Freiheit oder das Verbrechen". Darin bringt Hegel die für sein Denken charakteristische Bewegung der „negativen Aufhebung" zur Geltung Im übrigen ist durchaus zu fragen, ob nicht eine solche, mehr als heuristisches Prinzip verstandene Methode gegenüber der später von Hegel entwickelten, in sich notwendig fortschreitenden auch gewichtige Vorteile bietet, weil sie sich flexibler auf die empirischen Gegebenheiten beziehen kann. In der hier praktizierten Form haftet dieser Methode S. Werke 4. 476 f. (Einfügungen in den Zitaten von mir). Vgl. o. im Ersten Teil Abschnitt B b.

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DRITTER TEIL: PHILOSOPHIE DER INTELLIGENZ

freilidi eine gewisse Künstlichkeit an, da Hegel wohl sieht, daß die Anschauung „wahrhaft das Allgemeine" und der absolute Begriff das „wahrhaft Besondere" ist, aber dennoch „jedes einmal unter der Form der Besonderheit, das andere Mal unter der Form der Allgemeinheit gegen das andere gesetzt werden muß", damit eine formale „vollkomene Gleichheit für die Erkenntnis", die „absolute Gleichheit der Anschauung und der Erkenntnis gesetzt" ist Hegel hat hier zwar, entsprechend der im Naturrechtsaufsatz zuerst ausgesprochenen Auffassung, daß der Geist „höher ist als die Natur", eindeutig erkannt, daß die Subsumtion des Besonderen (Begriff) unter das Allgemeine (Anschauung), die Darstellung der absoluten Sittlichkeit als solcher, das absolute Verhältnis ausdrückt. Er betrachtet es aber auf gewisse Weise noch als bestimmtes Absolutes, dem das entgegengesetzte Verhältnis, die Subsumtion des Allgemeinen (Anschauung) unter das Besondere (Begriff), die Darstellung der absoluten Sittlichkeit als Natur „ebenso absolut" gegenübertritt. Denn im System als ganzen gehört zur Philosophie der Intelligenz als ihr entsprechende Gegenseite die Philosophie der Natur. Obgleich im Grunde nicht mehr streng an der Entsprechung festgehalten wird, bleibt doch die allgemeine Konzeption in Gültigkeit: das bestimmte Absolute der Natur und der Intelligenz in ihrer Identität bilden erst das Absolute als solches. a) Die absolute Sittlichkeit als Natur aa) Natürliche Sittlichkeit als Anschauung (Die praktische Potenz oder die Potenz des Tätigwerdens des Individuums) Innerhalb der Subsumtion der Anschauung unter den Begriff, der absoluten Sittlichkeit als Natur, die um der formalen Vollständigkeit der Deduktion der absoluten Einheit willen gedacht wird, ist zunächst der Begriff unter die Anschauung zu subsumieren, damit in dieser Potenz eine Differenz entsteht, die sich im Prozeß der sittlichen Natur in sich zurücknimmt. Unter der Herrschaft des Besonderen tritt das Allgemeine gegen das Besondere auf, „aber so, daß dieses Auftreten selbst völlig ein Besonderes", ganz „in das Einzelne versenkt" ist. Transzendentalphilosophisch betrachtet, ist die Anschauung, die sich mit begrifflichen (in der Einzelheit verbleibenden) Mitteln gegen die Einzelheit des Begriffs zur Geltung zu bringen sucht, das „Gefühl der Trennung". Das „Gefühl der Trennung" erscheint zunächst als das physische Bedürfnis des sittlichen Subjekts, das S. Pol. 419, auch zum folgenden.

B. Die Entfaltung des praktischen Teils

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sich in der Vernichtung dieser Trennung, im Genuß des Objekts, aufzuheben sucht Der Sache nach wird also in dem nicht ohne Künstlichkeit konstruierten Deduktionsgang völlig konsequent mit der natürlichsten sittlichen Regung begonnen, die das Individuum überhaupt erst zur eigenen Tätigkeit, zum bewußten Handeln bringt, wodurch sich die praktische Potenz innerhalb der Philosophie der Intelligenz konstituiert. Das physische Bedürfnis des sittlichen Subjekts ist dabei von vornherein über den einfachen animalischen Zusammenhang von Begierde und Stillung derselben im Genuß hinaus. Als bewußtes ist es Anschauung, d. h. die Vernichtung des Objekts durch das Subjekt ist stärker gehemmt, als es auf der Stufe des Tieres denkbar ist, für das Empfindungen und Genüsse immer nur einzelne sind, ohne einen in sich differenzierten, zeitlich frei disponierbaren Zusammenhang. (Diese Unterscheidung beruht im Rahmen des Gesamtsystems auf der inhaltlichen Entfaltung des theoretischen Teils der Philosophie der Intelligenz, über die jedoch aus den Jahren 1800—1803 nichts Näheres bekannt ist. Ich stütze mich für meine Andeutungen auf die Fragmente zur Natur- und Geistesphilosophie aus dem Systementwurf von 1803/04^^). Das physische Bedürfnis des sittlichen Subjekts befriedigt sich nicht unmittelbar, es hält den Gegenstand des Genusses, auf den es sich richtet, außer sich, indem es ihn bearbeitet. Wenn im Genuß der Gegenstand ein einzelner bleibt, als solcher ganz vernichtet wird, ist seine Form rein sinnlich, „die bloße Möglichkeit, sittlich oder vernünftig zu sein". Die Arbeit führt nicht zu einem bleibenden anschaubaren Produkt; in ihr scheint lediglich die Möglichkeit auf, aus der Vereinzelung hervorzutreten 88. Auf den Zusammenhang: Bedürfnis — Arbeit — Genuß, der mit den Mitteln der Einzelheit (des Begriffs) die Allgemeinheit der Anschauung gegen den Begriff zur Geltung bringt, folgt als nächste Potenz der Zusammenhang: Arbeit — Werkzeug — Besitz, in dem das Allgemeine bereits als Allgemeines wirksam wird. Die Arbeit erhebt sich von der ganz mechanischen einzelnen Tätigkeit zur „realen oder lebendigen Arbeit", die selbst „als Totalität zu erkennen" ist, durch ihr besonderes Objekt, in dem die Natur im Sittlichen zu einer Gestalt gebildet wird, die sie von sich aus nicht hervorbringt. Die Grundformen sind „Kultur der Pflanzen" und „Bezähmung der Tiere", sowie „Assoziieren derselben für die Bewegung und Stärke". 3^ S. Pol. 421 f. 33 Vgl. Realph. I 172 f., 188, 220. 3» Vgl. Pol. 422—424.

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DRITTER TEIL; PHILOSOPHIE DER INTELLIGENZ

Die Prinzipien beider Arbeitsformen, Pflege und Anleitung auf der einen Seite, Einübung in die Kooperation auf der anderen Seite, durch die ein Besonderes zum Allgemeinen gemacht wird, indem es nicht mehr das unmittelbare Bedürfnis des einzelnen stillt, sondern einer Allgemeinheit dient, bilden auf der Stufe des Miteinanderdaseins der Intelligenzen eine eigene Totalität. Dies ist die Arbeit als Bildung, ein „absolutes Abwechseln in dem absoluten Begriff", worin jeder einzelne, „Subjekt und Allgemeines zugleich, seine Besonderheit unmittelbar zum Allgemeinen macht". Als Totalität ist die Arbeit der Bildung „selbst unter der Form der drei Potenzen" gesetzt; Gefühl der Trennung, Mittel der Vereinigung, Einheit. Die Trennung, die als Differenz der Geschlechter auftritt, wird aufgehoben durch die Liebe, in der die Gegensätze der Besonderheit des Männlichen und der Allgemeinheit des Weiblichen zum „differenzlosen Gefühl" verschmilzen. Das Selbstsein im anderen, das in den Jugendschriften, wie auch am Anfang der Jenaer Zeit, die höchste Form der Einheit des Sittlichen darstellt, wird hier als bloße „NaturIdealität" betrachtet, die „in der Ungleichheit und darum in der Begierde" bleibt. Die Einheit der Getrennten im Gefühl ist nur vorübergehend, momentan. Sie wird zur bleibenden Anschauung im Kind, an dem durch die Arbeit der Bildung das Besondere zum Allgemeinen emporgehoben wird In der Arbeit gegen die Pflanze und gegen das Tier ist die vernünftige Mitte, in der die Intelligenzen ihre versittlichende Intention vereinigen, das Werkzeug. In der Arbeit der Intelligenzen gegeneinander ist diese Mitte selbst eine lebendige, das Kind. Das Werkzeug bleibt als Mitte ein einzelnes, bloß Ideelles, das nur in seinem Gebrauchtwerden der Allgemeinheit dient. Es „steht unter der Herrschaft des Begriffs". Das Kind als Mitte ist selbst ein Reales, Allgemeines, „absolut reine einfache Anschauung". Beide Mitten vereinigen sich in der „Rede"; sie ist „das Werkzeug der Vernunft, das Kind der intelligenten Wesen." Die Rede hat in sich das Allgemeine des Kindes, das noch nicht zum eigenen Sprechen gebildet ist: die Gebärde, das Mienenspiel. Die Besonderheit der Rede, ihr Werkzeugcharakter ist das „körperliche Zeichen", die Geste. Die Gebärde ist an das Subjekt gebunden, das körperliche Zeichen objektiv. Die Identität beider „Sprachen" auf höherer Stufe, „die wahre Mitte der Intelligenzen .. . das vernünftige Band derselben", ist die „tönende Rede". Sie ist ein Sittlichwerden der Natur, in dem sie sich zum „absoluten Punkt" des Individuums verinnerlicht, um sich von hier aus als neues eigenes System zu entfalten. Sie ist die „höchste Blüte" der natür« Vgl. Pol. 424—430.

B. Die Entfaltung des praktischen Teils

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liehen Sittlichkeit als Anschauung, wo sich im Besonderen das Allgemeine gegen das Besondere auf die allgemeinste Weise geltend macht

Exkurs: Die Arbeit als grundlegende Bestimmung des sich über die Natur erhebenden Menschen in den Jenaer Systemen (1803—1807) Wie im System der Sittlichkeit ist der Begriff der Arbeit in den Geistesphilosophien der Systementwürfe von 1803104 hzw. 1805106 und in der Wissenschaft der Phänomenologie des Geistes eine grundlegende anthropologische Kategorie. In dem hier behandelten Manuskript bezeichnet er das konstitutive Merkmal des bewußten menschlichen Handelns gegenüber dem Verhalten des Tieres. Wie der Mensch im theoretischen Teil der Philosophie der Intelligenz nicht nur als empfindend wie das Tier, sondern als anschauend bestimmt wird, so kennzeichnet sein praktisches Verhalten, daß er den Gegenstand, auf den sich seine Begierde richtet, nicht unmittelbar aufzehrt, sondern bearbeitet. Die Arbeit wird dabei als umfassende Kategorie verstanden, welche die Maschinenarbeit (s. u. ßß) ebenso einschließt, wie die Arbeit der Bildung. Es ist bewußtes Handeln gegen die Natur, wodurch sich der Mensch über die Natur erhebt. Dieses Handeln steht damit zugleich auf gewisse Weise noch unter den Gesetzen der Natur. Wie bei MARX, tritt der Mensch als „Naturmacht" dem „Naturstoff" gegenüber. Indem er so „auf die Natur außer ihm wirkt und sie verändert, verändert er zugleich seine eigene Natur. Er entwickelt die in ihr schlummernden Potenzen und unterwirft das Spiel ihrer Kräfte seiner eigenen Botmäßigkeit" Diese Beschreibung ist für die Darstellung der Arbeit im System der Sittlichkeit durchaus zutreffend. In der Geistesphilosophie von 1803/04 wird die „praktische Beziehung" wie die theoretische sehr viel genauer „als eine Beziehung des Bewußtseins" beschrieben. Es gibt in ihr „die Seite dessen, das sich bewußt ist", und die Seite, dessen sich das Bewußtsein bewußt ist. In der Hemmung der tierischen Begierde muß die Begierde selbst aufgehoben, als gehemmte sich bewußt sein, und der Gegenstand muß, indem er aufgehoben wird, ideell bestehen, als Bewußtsein seines Aufgehobenseins. Auf diese Weise wird besser verständlich, wie das Werkzeug vernünftige Mitte zwischen Arbeitendem und Bearbeitetem sein kann. In ihm pflanzen sich Traditionen fort, in denen das bewußt Erfaßte festgehalten und im Äußeren „verewigt" Vgl. Pol. 430—436. S. K. Marx: Das Kapital. Ausg. Berlin 1960. Bd 1. 185.

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DRITTER TEIL: PHILOSOPHIE DER INTELLIGENZ

wird Dabei geht indessen der Aspekt der Wechselwirkung mit der Natur z.T. verloren, daß der Mensch „im Natürlichen zugleich" dessen eigenen Zweck verwirklicht, „der die Art und Weise seines Tuns bestimmt und dem er seinen Willen unterordnen muß." Der Ansatz der Realphilosophie von 1805106 beinhaltet, daß schon die mechanische Natur, die reine Bewegung, als eine Form des Ich, des Subjekts als Subjekt verstanden wird, sofern sie „In-sich-Zurückgekehrtsein" ist, im anderen sich selbst, ihr eigenes Selbst findet Hegel hat hier zwar den Begriff des Zwecks, aber dieser Begriff bezeichnet nicht den Naturzweck, sondern den Zweck des erscheinenden Geistes, der erst jenseits des Naturprozesses im Bewußtsein des Menschen zu sich selbst, zum „Wissen von sich" gelangt. „Der Mensch wird nicht Meister über die Natur, bis er es über sich selbst geworden ist. Sie ist (nur) Werden zum Geiste an sich. Daß dies Ansich da sei", seinen eigentlichen Zweck verwirkliche, „muß der Geist sich selbst begreifen" Von diesem Ansatz aus stellt sich die Arbeit zunächst als „reine Tätigkeit" dar, in der sich einzelnes auf einzelnes richtet, die aber erst wirklich Arbeit wird, in der die tierische Begierde nicht mehr das Herrschende ist, als „in sich reflektierte", die im Werkzeug ein Allgemeines hervorbringt. Die Reflexion in sich, die Selbstheit der Arbeit vollendet sich, indem sich das Werkzeug selbst in Tätigkeit versetzt, ein Besonderes, das die Einzelheit der reinen Tätigkeit und die Allgemeinheit des passiven Werkzeugs miteinander vermittelt. Aber „Ich bleibt Seele dieses Schlusses", es „läßt die Natur sich abreiben, sieht ruhig zu und regiert nur mit leichter Mühe das Ganze". Der Mensch ist nicht selbst „Naturmacht", sondern setzt die „List" gegen die Macht der Natur, die als solche „blinde Macht" ist, und die erst durch die List dazu gebracht wird, daß sie „an und für sich sich zeigt" und „eben darin sich selbst vernichtet". Die beginnende technisierte Arbeit des industriellen Zeitalters ist in diesen Begriffen treffend beschrieben. Der Bezug auf die Natur ist rein negativ; „einzelne Zwecke des natürlichen Seins" werden zur Allgemeinheit eines Systems erhoben, indem sie sich ganz dem Zweck der menschlichen Arbeit unterordnen. Der „Mensch ist so das Schicksal des Einzelnen". Das andere des Zwecks der menschlichen Arbeit wird „ins Licht des Be** S. Realph. I 220 f., vgl. 205. ** S. Marx a.a.O. 186. S. Realph. (II) 17, vgl. o. im Zweiten Teil den Exkurs: Der Artfang der Naturphilosophie in der Realphilosophie von 1805/06. 162—165 S. Realph. (II) 273 (Einfügung im Zitat von mir).

B. Die Entfaltung des praktischen Teils

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wußtseins" gebracht, wo sein ursprünglicher Zusammenhang keine Rolle mehr spielt. Dementsprechend wird das Bewußtsein von den Naturzwecken nicht beeinflußt; es folgt seinem eigenen Gesetz, in das die Macht der Natur nicht als besonderer Zweck einbezogen wird. Die Arbeit gehört nicht zur natürlichen Sittlichkeit. „Hier", in der Maschinenarbeit, „tritt der Trieb ganz aus der Arbeit zurück", er wird „als List theoretisches Zusehen"; er ist als Selbst unbeteiligt am Arbeitsprozeß. Das „nichtwissende Treiben" wird zum Wissen, zu dem die „Nichtigkeit dieses (natürlichen) Seins wissenden Ich" In der Phänomenologie von 1807 wird die Bewußtseinsproblematik überhaupt nicht im Zusammenhang mit der Natürlichkeit der objektiven Welt behandelt, über die das Bewußtsein sich erhebt. Das Gegenüber des Bewußtseins wird auf jeder Stufe als Weise des Bewußtseins, sich selbst zu erfassen, aufgefaßt. Im Bewußtsein gibt es demgemäß eine natürliche Sphäre, in der das Bewußtsein sich noch nicht als Bewußtsein erfahren hat. Die Natur außerhalb des Bewußtseins tritt nur in den Blick als „beobachtete Natur", in der sich das Bewußtsein, das sich in sich selbst bereits gefunden hat, als „beobachtende Vernunft" noch einmal findet, indem diese auf allgemeinerer Stufe „in dem Elemente der Kategorie die Bewegung des Bewußtseins" wiederholt, das innere Wesen der Gegenständlichkeit auch für die Natur als solche als das Wesen des Bewußtseins selbst erweist Das Phänomen der Arbeit wird also ganz im Horizont der Frage nach dem Bewußtsein behandelt, das sich jenseits der Natur als eigene Sphäre konstituiert. Aber die Selbstkonstitution des Bewußtsein als eines solchen läßt sich durch den Begriff der Arbeit beschreiben. Was in der Phänomenologie im Zusammenhang der Dialektik von Herrschaft und Knechtschaft vom Bewußtsein des Knechtes in Beziehung auf das „natürliche Dasein" gesagt wird, gilt in einem allgemeineren Sinne für das Bewußtsein überhaupt: „Es hebt ... in allen einzelnen Momenten seine Anhänglichkeit an natürliches Dasein auf; und arbeitet dasselbe hinweg." Die Arbeit ist nicht mehr Arbeit in der Natur und mit der Natur, sondern Arbeit gegen die Natur. Damit ist die ursprüngliche Gemeinsamkeit zwischen dem jungen Hegel und MARX in ihr Gegenteil umgeschlagen. Man kann es auch so sagen, daß Hegel die universale Bedeutung der Arbeit für die Konstitution des S. Realph. (II) 197—199 (Einfügung im Zitat von mir).