Das paulinische Evangelium: Vorgeschichte
 9783666532078, 9783525532072

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Peter Stuhlmacher · Das paulinische Evangelium

PETER STUHLMACHER

Das paulinische Evangelium I. Vorgeschichte

G Ö T T I N G E N · V A N D E N H O E C K & R U P R E C H T . 1968

Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Herausgegeben von Ernst Käsemann und Ernst Würthwein 95. Heft der ganzen Reihe

Umschlag: Christel Steigemann. — © Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1968. — Printed in Germany. — Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen

MEINER

FRAU

VORWORT Vorliegende Studie ist im Wintersemester 1966/67 von der Ev. theol. Fakultät der Universität Tübingen als Habilitationsschrift angenommen worden. Für den Druck habe ich sie noch einmal durchgesehen. Die Frage nach dem paulinischen Evangelium, die mich schon bei der Niederschrift meiner Dissertation bewegte, dort aber noch offenblieb, wird hier nun thematisch aufgegriffen. Ehe wir am Wort-Begriff der Schrift und am Evangelium des Paulus kritisch vorbeischreiten und das Wagnis einer neuen Theologie der Geschichte eingehen, muß, wie ich meine, noch einmal versucht werden, jenes Evangelium in seiner Ursprünglichkeit zu vernehmen. Erst dann kann entschieden werden, ob die Rede vom Wort Gottes wirklich überboten werden kann und muß, oder ob wir uns nicht besser bemühen, die aufgebrochene Antithetik von Wort und Geschichte zugunsten einer neuen, ganzheitlichen Auffassung vom Wirken Gottes in Jesus Christus zu überwinden. Die Aufgabe ist groß, und dementsprechend weit ist der Weg. Was ich vorlegen kann, ist nur erst eine begriffs- und traditionsgeschichtliche Bestandsaufnahme über den Werdegang des Begriffes Evangelium vor Paulus. Von den polemisch-konzentrierten Thesen des Apostels in Gal. 1 und 2 her frage ich mich zurück in die Tradition und versuche dann, wieder zu Paulus zurückzukehren. Auf diesem Wege bleiben noch mannigfache Hypothesen zu überwinden, und ich bitte besonders deshalb um den kritischen Rat der Freunde und Fachgenossen. Eines freilich hat sich mir bei meinen Analysen bereits ergeben : Es ist nicht möglich, im Namen der Apokalyptik eine Theologie zu entwickeln, die dem Wort und damit dem Evangelium feind wäre. Vielmehr haben gerade das Alte Testament und dann die prophetischen und weisheitlichen Traditionen des nachbiblischen Judentums dem Urchristentum und dem Apostel entscheidend zu ihrem Evangelium verholfen. Wie Paulus selbst sein Evangelium entfaltet und wie dieses Evangelium den Apostel prägt, dies darzustellen, muß einem neuen Band vorbehalten bleiben. Hier erst ist dann die durchaus noch offene Frage zu entscheiden, ob die Botschaft des Paulus mit ihren apokalyptischen Traditionen ganz identifiziert werden darf, oder ob sie über jene Traditionen entscheidend hinausführt. Eine erste Antwort auf dieses brennende

3

Vorwort

Problem habe ich in meiner Probevorlesung zu geben versucht („Erwägungen zum Problem von Gegenwart und Zukunft in der paulinischen Eschatologie", ZThK 64, 1967, S. 423—450). Es bleibt die Verpflichtung, herzlich und aufrichtig zu danken. Zunächst meinem Lehrer Ernst Käsemann für sein Geleit in den zurückliegenden Jahren; dann den Freunden und Kollegen, ohne deren Rat, Hilfe und Aufmunterung mein bisheriger Weg nicht denkbar ist: Martin Elze, Hartmut Gese, Martin Hengel und Hans Peter Rüger. Dem Ev. Oberkirchenrat in Stuttgart danke ich für einen Zuschuß zu den Druckkosten. Die Widmung schließlich bedarf keines Kommentars, höchstens eines Ausrufungszeichens. Tübingen/Erlangen, im August 1968

Peter Stuhlmacher

INHALT Vorwort

2

Α. Auslegungsgeschichte

7

I. Evangelium als Doktrin

8

II. Der hellenistische Ableitungsversuch

11

III. Die traditionsgeschichtliche Erklärung

19

IV. Der semitische Ableitungsversuch

26

V. Auslegungstendenzen der Gegenwart 1. Rudolf Bultmann und der hellenistische Ableitungsversuch . 2. Der semitische Ableitungsversuch

VI. Zusammenfassung

41 46

53

B. Das Problem des paulinischen Evangeliums I. Der paulinische und neutestamentliche Sprachgebrauch . . . II. Exegetische Problemskizze (Gal. 1 und 2) III. Zusammenfassung

56 56 63 107

C. Die religionsgeschichtlichen Wurzeln des neutestamentlichen Evangeliums I. Das alttestamentliche und jüdische Material 1. Der Gebrauch der Wurzel a) Das Substantiv mitoS b) Das Verbum *1&3 c) Das Partizip "IÍWD d) Zusammenfassung

41

im Alten Testament

2. Der Gebrauch der Wurzel im semitisch-sprachigen, nachbiblischen Judentum a) Das Substantiv mifea α) Profane Verwendung ß) Theologische Verwendung b) Das Verbum 16?3 α) Profane Verwendung ß) Theologische Verwendimg

109 109 109 112 113 116 122 122 124 124 129 135 135 137

Inhalt

5

c) Das Partizip α) Profane Verwendung ß) Theologische Verwendung

141 142 142

d) Zusammenfassung

152

3. Die Verwendung des Stammes εύαγγελ- im hellenistischen Judentum

153

a) Die Septuaginta α) Die Substantive εύαγγέλιον und εύαγγελία β) Das Verbum εύαγγελίζεσ-9-αι γ) Das Partizip εύαγγελιζόμενος 8) Zusammenfassimg

154 155 156 159 163

b) Josephus α) Die Belege ß) Jüdische Traditionen γ) Hellenistische Aussagen 8) Zusammenfassimg

164 164 165 168 172

c) Philo α) Die Belege ß) Jüdische Traditionen γ) Hellenistische Aussagen 8) Zusammenfassung

172 173 173 174 176

d) Zusammenfassung und Ausblick

177

II. Das Material der Graecität

180

1. Die Verwendung des Wortstammes a) Das Verbum εύαγγελίζεσθ-οα b) Das Substantiv εύαγγέλιον

180 182 184

2. Der religiöse Sprachgebrauch des Hellenismus a) Evangelitim und θείος άνή ρ-Vorstellung . b) Evangelium und Popularphilosophie c) Evangelium und Kaiserkult

191 191 194 196

3. Zusammenfassung und Ausblick

204

D. Der vorpaulinisch-christliche Sprachgebrauch von Evangelium ..

207

I. Der Gebrauch von Evangelium in der palästinischen Urgemeinde und bei Jesus

209

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Die Aufgabe Ape. 14,6 und 10,7 Mt. 11,2—6 (par. Lk. 7,18—23) Lk. 4,16—30 und der lukanische Gebrauch von εύαγγελίζεσθαι Mk. 1,14f. εύαγγέλιον της βασιλείας Zusammenfassung

209 210 218 225 234 238 243

6

Inhalt

Π. Der Gebrauch von Evangelium in der hellenistisch-judenchristlichen Gemeinde 245 1. 2. 3. 4. 5. 6.

Aufgabe u n d Fragestellung Evangelium u n d Sendung: Mt. 28,16—20; Mk. 16,9—20 . . . εύαγγέλιον τοϋ θεοϋ (1.These. 1,9f.) εύαγγέλιον τοϋ Χρίστου ( l . K o r . 16,3—8) Die Vermittlung Jerusalems Zusammenfassung u n d Ausblick

245 254 258 266 282 286

Literatur

290

Register

306

Α. AUSLEGUNGSGESCHICHTE Daß das Stichwort „Evangelium" im Rahmen protestantischer Theologie hohen systematischen Ruf genießt, bedarf keines eigentlichen, theologiegeschichtlichen Beweises. Für den Exegeten wird dieser Tatbestand in dem Augenblick evident, da er sich seines auslegungsgeschichtlichen Standortes zum Thema Evangelium versichern möchte. Er stößt bei solchem Versuch auf das überaus auffällige Phänomen, daß historische Begriffsuntersuchungen über das Evangelium als Zentralbegriff neutestamentlicher Verkündigung erst seit dem letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts angestellt worden sind. Das historische Denken hat also gerade an dieser wichtigen theologischen Stelle sich erst spät eines wirklichen Mitspracherechtes versichern können, tut es aber, nachdem der Damm einmal gebrochen ist, mit einer Energie, die nur als Nachhall und geschichtliche Variation eben des systematischen Interesses, das man am neutestamentlichen Evangelium nahm, verständlich wird. Daß man auf dem neu beschrittenen historischen Wege zu einer Einigung gekommen sei, kann man nicht sagen. Bis heute liegen die zu Beginn unseres Jahrhunderts gewonnenen Herleitungen und Begriffsdefinitionen miteinander im Streit. Diese Strittigkeit verdeckt leider den geschichtlich bemerkenswerten Umstand, daß sich in dem Werdegang des Begriffes Evangelium, den dieser im Neuen Testament durchmessen hat, die entscheidenden Epochen urchristlichen Selbst- und Weltverständnisses spiegeln und somit wieder von anderer Warte aus beleuchten und darstellen lassen. Um zu dieser Sicht der Dinge durchstoßen und um möglicherweise den Streit zwischen den bislang als Alternativen erscheinenden Begriffserklärungen schlichten zu können, ist es zunächst ratsam, die entscheidenden Etappen der Forschungsgeschichte nachzuzeichnen1. Bei aller gegenseitigen Verflechtimg lassen sich zunächst vier Themenstränge wenn nicht scheiden, so doch wenigstens unterscheiden : der älteste ist durch die Gleichung Evangelium = (christliche) doctrina gekennzeichnet; der zweite durch den Versuch einer Begriffserklärung aus dem Sprachgebrauch des Hellenismus heraus ; der dritte 1 Ich gehe dabei nur auf die m.E. wichtigsten Einzelstudien ein. Unzugänglich sind mir in Tübingen leider geblieben: L. Baudimant, L'Évangile de Saint Paxil, Etudes religieuses 124, Paris 1925 und 0 . A. Petty, Did the Christian Use of the Term τό εύαγγέλιον originate with Pauli, New Haven 1925.

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Auslegungsgeschichte

durch das Bemühen, die Begriffsgeschichte aus alttestamentlichen und jüdischen Belegen zu erklären; unbeschadet von solch religionsgeschichtlicher Fragestellung kommt es schließlich zu dem Versuch, von einer bloßen Begriffs- und Worterklärung fortzuschreiten zu einer epochal gegliederten, urchristlichen Begriffsgeschichte, die weit genug ist, verschiedene religionsgeschichtliche Ströme in sich aufzunehmen.

I. Evangelium als Doktrin F. Chr. Baur interpretiert den Geist Gottes nach 1. Kor. 2, lOf. als „Prinzip des Selbstbewußtseins" und „Prinzip des Wissens" 1 . Er faßt dementsprechend den von ihm nur ganz gelegentlich gebrauchten Begriff Evangelium als Lehrbegriff auf. Jesu Reichsbotschaft ist für Baur „die Ankündigung der βασιλεία των ουρανών als einer auf der Lehre Jesu beruhenden sittlich religiösen Gemeinschaft" 2 , die pauli nische Botschaft des Evangeliums die Lehre vom Universalismus des Heils3. — Nicht anders erklärt C. Holsten, dessen Lebenswerk der genetischen Erforschung des paulinischen Evangeliums gegolten hat. In seinen unter dem Titel „Zum Evangelium des Paulus und des Petrus" 1868 erschienenen gesammelten Studien heißt es im Vorwort: Das paulinische Evangelium „(ist) eben nur das résultat einer in den kategorien der jüdisch-hellenistischen Weltanschauung sich vollziehenden, logisch consequenten reflexion des denkenden geistes auf die tatsache des kreuzestodes des Messias"4. Diese Begriffserklärung hält sich bei Holsten durch bis in die von P. Mehlhorn 1898 postum herausgegebene paulinische Theologie „Das Evangelium des Paulus" 5 . — Ganz ähnlich definiert 0 . Pfleiderer in seinem Werk „Der Paulinismus" Evangelium als Inbegriff der paulinischen Lehr Verkündigung 6 und erlaubt damit die Vermutung, daß die Gleichsetzimg von Evangelium mit der christlichen Doktrin Kennzeichen einer ganzen theologischen Epoche gewesen ist. Dieses Urteil läßt sich erhärten, wenn man die geschichtslos flächige Darlegung zum Begriff Evangelium in dem „Lehrbuch der Biblischen Theologie des Neuen Testaments" von B. Weiß liest 7 , das Referat 1 Vorlesungen über Neutestamentliche Theologie, ed. F. Fr. Baur, Bibliothek theol. Klassiker Bd. 45, 1. Teil, Gotha 1892, S. 251. 2 A.a.O. S. 159. 3 Paulus, 2. Aufl. ed. E. Zeller, Teil 1, Leipzig 1866, S. 353. 4 S. VIII, vgl. ähnlich S. 97. 110. 5 Vgl. bes. S. 42 f. 133 f. • (1. Aufl. 1873) 2. Aufl. Leipzig 1890, S. l f . 17f. u.ö. 7 Das Buch ist in l.Aufl. 1868 erschienen; ich zitiere nach der 7. Aufl., Berlin/Stuttgart 1903; vgl. hier S. 214ff. 354f.

Evangelium als Doktrin

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im „Lehrbuch der historisch-kritischen Einleitung in das Neue Testament" von H. J. Holtzmann1, die in ihrer späten, reflektierten Form auf Harnacks und Schniewinds Auslegungen bereits zurückblickenden Äußerungen A. Jülichers in seiner „Einleitung in das Neue Testament" 2 oder etwa P. Feines verschiedene Abhandlungen zum Thema Evangelium3. Das Urteil wird vollends zur Gewißheit, wenn man in der seit 1896 erscheinenden dritten Auflage der „Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche" einen Artikel „Evangelium" vergeblich sucht und statt dessen (in Band 5, S. 672) auf den dogmatischen Artikel „Gesetz und Evangelium" verwiesen wird. So gibt denn auch Th. Zahn in seiner „Einleitung in das Neue Testament" 4 eine eigentliche Begriffsgeschichte unseres Wortes nicht zu. Er stellt zwar fest, daß Jesus selbst Substantiv und Verbum εύαγγέλιον/εύαγγελίζεσ&αι aus der deuterojesajanischen Tradition übernehme®, bezeichnet dann aber im Blick auf Rom. 16,25 die Predigt Jesu als „Urgestalt des Ev(angeliums), welches darum, weil es nach seinem Hingang von den Aposteln und anderen sündigen Menschen gepredigt wird, ebensowenig aufhört und aufhören soll das Evangelium) Christi zu sein, wie das Ev(angelium) oder das Wort Gottes"®. Der Ausdruck εύαγγέλιον Χρίστου ist deshalb für Zahn im Sinne eines gen. subj. aufzufassen7, und, obwohl er sämtliche markinische Stellen für apostolische Formulierungen hält 8 , kann er dennoch zusammenfassend feststellen: „Das Wort εύαγγέλιον ist im ganzen N(euen) T(estament), auch Ap. 14,6 und Mr. 1,1, die mündliche Verkündigung des durch Jesus verkündigten und verwirklichten Heilsrates Gottes; erst seit dem Anfang des 2. Jahrhunderts finden wir das Wort auf 1 2 3

(1. Aufl. 1885) 3. Aufl. Freiburg 1892, S. 340-342. (1. Aufl. 1894) 7. Aufl. in Verbindung mit E. Fascher, Tübingen 1931, S.271f. In seinem Buch „Das Gesetzesfreie Evangelium des Paulus", Leipzig 1899, S. 54 Anm. 3 setzt sich Feine gegenüber Joh. Müllers Kritik an Holstens scholastischer Fassung unseres Begriffes ausdrücklich für eine lehrhafte Auffassung von Evangelium ein; in „Jesus Christus und Paulus", Leipzig 1902, wird Evangelium als paulinischer Begriff gesehen, welcher die Frohbotschaft bezeichnet und Jesus Christus zum Inhalt hat (S. 18); in „Der Apostel Paulus", BFChrTh II 12, Gütersloh 1927, S. 402f. 599 wehrt sich Feine ausdrücklich gegen die Harnacksche Rede von einem doppelten Evangelium, ein Protest, der in Feines „Theologie des Neuen Testaments", Leipzig 5. Aufl. 1931, in die systematische Definition zusammengefaßt wird: „Das Evangelium des Paulus handelt . . . ebenso von Gott wie von Christus. Es ist die Botschaft von der Selbstbezeugung Gottes an die Welt in Christus, und es umfaßt alle Heilswirkungen Christi an die Menschheit" (S. 425). Das Evangelium Jesu selbst und das seines Apostels unterscheiden sich nur dadurch, daß nach Ostern „der Tod, die Auferstehung und die Heilswirkung des auferstandenen Christus als Bekundungen Gottes und Christi zur Durchführung des Heilswillens Gottes an die Menschen hinzugetreten sind" (ibid.). 4 (1. Aufl. 1900) ich zitiere nach Bd. 2 der 3. Aufl. Leipzig 1924. « S. 228. « S. 169. 8 ' S. 169f. S. 241. 227.

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Auslegungsgeschichte

schriftliche Aufzeichnungen der ev(angelischen) Geschichte angewandt"1. Eine höchst wirksame Fassung erhält die doktrinäre Interpretation von εύαγγέλιον in dem Moment, als A. Seeberg unter dem Einfluß des Apostolikumsstreites das Phänomen evangelischer doctrina historisch-neutestamentlich zu erfassen sucht. In seiner 1903 erschienenen programmatischen Studie „Der Katechismus der Urchristenheit"2 stößt Seeberg bei der Analyse der Bekenntnistradition von 1. Kor. 15,3-5 auf die, wie man modern formulieren kann, (katechetisch-) formgebundene Funktion unseres Begriffes. In der von Paulus angeführten Paradosis erkennt Seeberg eine der paulmischen und apostolischen Predigt allgemein zugrunde liegende, sie wirksam normierende (katechetische) Formel, deren Inhalt er mit Hilfe von Gal. 4,4 ; Rom. 1,4; Kol. 3,1; 2,10ff.; Eph. 1,20 u.a. Stellen zu einer vollständigen Glaubensformel ergänzt3. Diese Glaubensformel ist Gegenstand des frühchristlichen Taufunterrichts und „Text" der apostolischen Missionspredigt zugleich. Ihren Inhalt führt Seeberg, wie seine weiterführende Arbeit über „Das Evangelium Christi"4 zeigt, auf Jesus selbst zurück, und zwar in allen Einzelheiten®. Der mit Evangelium verbundene Genitiv Χρίστου ist darum auch für Seeberg ein 1

S. 167. Neudruck m i t E i n f ü h r u n g von F . H a h n in der Theologischen Bücherei, B d . 26, München 1966; danach die Zitate. Zum Folgenden vgl. S. 45-58. s „Wenn tins die griechische Übersetzung des Textes in authentischer F o r m zugänglich werden würde, so böte dieselbe einen Wortlaut, der zwar nicht identisch mit folgenden Sätzen wäre, ihnen aber doch ähnlich sähe: „ Ό θεός ό ζών, ό κτίσας τά πάντα, Απέστειλε τόν υίόν αύτοϋ Ίησοϋν Χριστόν, τόν γενόμενον έκ σπέρματος Δαυείδ, δς άπέθ-ανεν ύπέρ των αμαρτιών ήμών κατά τάς γραφάς και έτάφη, δς ήγέρθη τη ήμέρα τη τρίτη κατά τάς γραφάς καΐ ώφθη Κηφα καί τοις δώδεκα, δς έκάθισεν έν δεξιοί του θεού έν τοις ούρανοϊς ύποταγεισών αύτω πασών τών άρχων καί έξουσιών καί δυνάμεων, καί έρχεται έπί τών νεφελών του ούρανοϋ μετά δυνάμεως καί δόξης πολλής" (a.a.O. S. 85). 1 Leipzig 1905. 6 Die Konstruktion ist dabei überdeutlich: Der in den Deuteropaulinen übliche Gebrauch von Mysterion = Evangelium soll sich ebenso aus dem Werdegang der Jesusbotschaft herleiten wie die Einzelaussagen. Seeberg schreibt: „Wir fassen das Resultat unserer Untersuchung über den Ursprung des E v a n geliums folgendermaßen zusammen: Jesus h a t geraume Zeit vor seinem Tode den J ü n g e r n die in Aussicht stehenden Heilstatsachen genannt u n d ihnen zur Aufgabe gemacht, dieses Evangelium zu verkündigen. Dabei h a t er ihnen genauere Verhaltungsmaßregeln f ü r ihre Missionstätigkeit gegeben. D a s Evangelium ist den J ü n g e r n so unverständlich geblieben, daß sie es als das Dunkle oder Geheimnisvolle bezeichneten. Die Bezeichnving wurde allmählich z u m festen N a m e n f ü r das Evangelium. Bevor Jesus in den Tod ging, ist er f ü r die Wahrheit seines Evangeliums mit feierlichem Zeugnis vor Pilatus eingetreten. Nach dem Tode erschien er als der Auferstandene den Jüngern, u n d n u n fiel es wie Schuppen von ihren Augen. W a s Jesus in seinen Erdentagen geredet hatte, verstanden sie jetzt, u n d den Auftrag, den sie damals vernommen h a t t e n , hörten sie n u n den Auferstandenen wiederholen. Das ist die Auffassung, die Paulus vorfand, als er im J a h r e 35 Christ wurde" (S. 59). 2

Der hellenistische Ableitungsversuch

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gen. subj. 1 , eine Erklärung, die sich mit der Fassung Evangelium = mitzuteilende Botschaft (also ausdrücklich nicht: nomen actionis2) freilich nur schwer vereinen läßt. Dies aber ist nun das eigentlich Neue an Seebergs Verständnis: εύαγγέλιον gehört um der immer wieder bei Paulus mit ihm verbundenen Aufforderungen zum Glauben willen in den Bereich der Missionssprache, εύαγγέλιον bezeichnet also zunächst die Missionspredigt. Diese ist bis in das Schema ihrer Darbietungsweise hinein von der „Glaubensformel" geprägt3. Daneben kann εύαγγέλιον bei Paulus Gegenstand des Bekenntnisses sein, haftet also an der Glaubensformel selbst. Evangelium ist darum beides : ein an die Formel gebundener wie die Form der Predigt prägender Begriff4. In dieser Eigenschaft kann der Begriff Evangelium, wie es anfänglich bereits Mk. 1,1 geschieht, übertragen werden auf die Evangelien, also „auf die Darstellungen . . ., deren Hauptinhalt das εύαγγέλιον näher ausführte. Diese Verwendung des Wortes läßt sich freilich erst am Anfang des zweiten Jahrhunderts nachweisen"5. Auf einem theologiegeschichtlich notgedrungen konstruierenden, systematisierenden Wege® gelangt Seeberg erstmalig zu einer die christliche Begriffsentwicklung als ganze umfassenden Sicht des Evangeliums und stellt der Zukunft die Aufgabe, ihre Auffassung von εύαγγέλιον traditionsgeschichtlich, formgeschichtlich und dogmatisch zugleich zu verantworten. Wir merken nur an, daß diese Aufgabe bis heute durchaus unerledigt ist, und wenden uns nunmehr dem zweiten Forschungsstrang zu, welcher die doktrinäre Auffassung der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ablöste, dem Versuch, den Begriff Evangelium von den hellenistischen Parallelen herzuleiten und seinen Gebrauch (betont) religionsgeschichtlich zu erklären.

II. Der hellenistische Ableitungsversuch Im Jahre 1899 veröffentlichten Th. Mommsen und U. v. WilamowitzMoellendorf die berühmte Kalenderinschrift von Priene, welche die Einführung des julianischen Kalenders in der (römischen) Provinz Asia und die gleichzeitige Festlegung des Neujahrstages und des 1 3

2 Evangelium Christi 8. 45. A.a.O. S. 32 Anm. 1. A.a.O. S. 43. 39 Anm. 2. * A.a.O. S. 33. 35f. 36-38. 134 u.ö. 5 A.a.O. S. 74. Seeberg hält die markinischen Belege für Zeugnisse des paulinisch-apostolischen Sprachgebrauches; in Mk. l,14f. zeichnet sich für ihn schon die dann bei Matthäus beherrschend hervortretende, s.M.n. nachösterlich-urchristliche Abflachung des Begriffes Evangelium zum bloßen Sinn von Reichspredigt ab (S. 68-72). • Vgl. dazu Hahns Einführung, Katechismus S. X l l f .

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Auslegungsgeschichte

Tages des Magistratsantritts auf den 23. September, den Geburtstag des Kaisers, propagiert und proklamiert 1 . In dieser, auf das Jahr 9 a.Chr.n. zu datierenden Inschrift heißt es Z. 40-42 2 : ήρξεν δέ τώι κόσμωι των δι' αύτόν εύανγελί[ων ή γενέθλιος (ή μέρα)] του θεοϋ Α. ν. Harnacfc, der in der „Christlichen Welt" (1899/1900) die Gebildeten von der Inschrift und ihrer Bedeutung für die religionsgeschichtliche Erforschung des Neuen Testaments in Kenntnis setzte 3 , übersetzt diesen Passus: „Der Geburtstag des Gottes hat für die Welt die an ihn sich knüpfenden Freudenbotschaften [Evangelien] heraufgeführt" 4 . Da mit ó θεός der römische Kaiser bezeichnet wird, weist die Inschrift einen sakralen Gebrauch des Substantivs εύαγγέλιον im Rahmen des hellenistisch-römischen Kaiserkults nach, und zwar in unmittelbar vor-neutestamentlicher Zeit. Nimmt man mit diesem Sprachgebrauch H. Useners Aufweis von, teilweise mit Hermes identifizierten, Euangelos- und Botschaftsgottheiten (hauptsächlich) in Kleinasien5 zusammen, so wird augenscheinlich eine religiös verwurzelte Verwendung des Stammes εύαγγελ- im Hellenismus greifbar. Daraufhin lag der Versuch nahe, den neutestamentlichen Gebrauch desselben Stammes religionsgeschichtlich von dort herzuleiten. A. v. Harnack hatte zum Sprachgebrauch der Priene-Inschrift bemerkt: „Wenn wir nachmals diese Sprache als christliche lesen und heute nur als christliche empfinden, so irren wir uns: sie ist von den Griechen geprägt und zuerst auf den Cäsar Augustus gemünzt worden. Das Christentum hat sie einfach übernommen und auf Jesus Christus übertragen. Das konnte geschehen und das durfte geschehen; denn die religiöse Sehnsucht hatte hier eine Tiefe, die religiöse Hoffnung einen Umfang, die religiöse Sprache eine Kraft gewonnen, die zum Ausdruck einer geistigen Weltreligion fähig machte" 6 . H. Useners Schüler A. Dieterich hat zunächst im ersten Jahrgang der Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft auf die Verwandtschaft zwischen dem neutestamentlichen Wortstamm εύαγγελ- und jenen Botschaftsgottheiten Kleinasiens sowie dem Wortlaut der Prieneinschrift hingewiesen7. In seinem 1903 erschienenen Buch „Eine Mithras1 Th. Mommsen-U. v. Wilamowitz-Moellendorf, die Einführung des asiani schen Kalenders, MDAI, athen. Abteilung, 24 (1899) S. 275-293. 2 Ich zitiere nach dem Abdruck bei W. Dittenberger, OGIS I I (Leipzig 1905) Nr. 458 S. 48ff. Zur Lesart vgl. auch unten S. 186. 199f. 3 „Als die Zeit erfüllet war", wieder abgedruckt in: Reden und Aufsätze, Bd. 1, 2. Aufl. Gießen 1906, S. 301-306, danach die Angaben im Folgenden. 1 A.a.O. S. 301. 6 Götternamen, 1. Aufl. 1896; ich zitiere nach der textlich unveränderten 3. Aufl. Frankfurt a.M. 1948, vgl. hier S. 266ff. « A.a.O. S. 304. ' „ΕΥΑΓΓΕΛΙΣΤΗΣ", ZNW 1 (1900) S. 336-338.

Der hellenistische Ableitungsversuch

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liturgie"1 gab er dann ein kurzes, religionsgeschichtliohes Stemma des neutestamentlichen Evangelium-Gebrauchs. Aber dies war das Erstaunliche: Der behutsame Philologe stellte alttestamentliche Verwurzelung des Sprachgebrauchs im Neuen Testament und hellenistisches Parallelenmaterial nebeneinander, ohne von einer direkten Übernahme hellenistischer Terminologie ins Neue Testament zu sprechen2! Damit stoßen wir auf ein für die hier zu skizzierende Forschungsrichtung typisches Phänomen: die tastende Unsicherheit bei dem Versuch, das neutestamentliche Evangelium aus rein hellenistischen Wurzeln herzuleiten. A. v. Harnack hat dies gesehen und ist dementsprechend alsbald von seiner anfanglich hellenistischen zu einer wesentlich differenzierteren Herleitung durchgestoßen3. Auch in J. Wellhausens „Einleitung in die drei ersten Evangelien"4 ist die Herleitung der neutestamentlichen Sprechweise aus dem Hellenismus eine vom Verfasser selbst als solche gekennzeichnete Verlegenheitsauskunft: Von Deuterojesajas Begrifflichkeit läßt sich nach Wellhausens Meinung das neutestamentliche εύαγγέλιον kaum ableiten, da I. bei Deuterojesaja das Substantiv miftD, welches εύαγγέλιον entsprechen würde, überhaupt fehlt; da 2. das nachbiblische Judentum mwa für Glücks- und Unglücksbotschaft verwendet; da 3. die Rabbinen später den griechischen Begriff, polemisch verballhornt zu dem phonetisch ähnlich klingenden p^ì = Unglücksrolle, ins Aramäische zurückübersetzen. Der Hellenismus dagegen weist im Kaiserkult eine dem technischen Begriff des Neuen Testaments wenigstens vergleichbare (technische?) Anwendimg von εύαγγέλιον auf. Wellhausen folgert: „. . . bei dem Versagen anderer Anknüpfungspunkte ist die Annahme vielleicht nicht zu kühn, daß es [sc. das Substantiv Evangelium] . . . seinen Ursprung nicht bei den Juden oder bei den 1

Zitate nach der von O. Weinreich herausgegebenen 3. Aufl., Berlin 1923. Da die von Dieterich rekonstruierte Mithrasliturgie mit dem Hinweis auf den engelischen Ursprung ihrer Botschaft einsetzt, sieht sich Dieterich S. 48 f. zu folgender Erklärung veranlaßt: „Das Motiv [sc. der Engelsbotschaft] stammt aus dem Alten Testament : nicht nur die Überbringung der Gesetzestafeln durch Mosis hat stark eingewirkt, überhaupt sind dort die Engel recht eigentlich Boten der Offenbarung. Die Urkunden des alten Christentums verwenden ausgiebig das Motiv der Engelsbotschaft, ja es beherrscht so sehr seinen Ideenkreis, daß seine Offenbarung εύαγγέλιον heißt. Das Wort und seine Verwandten (εύάγγελος, εύαγγέλιος, εύαγγελιστής) waren in anderem, aber zuweilen eigentümlich nahestehenden Sinne gerade den Griechen Kleinasiens geläuäg, die Fassung der Offenbarung als der Engelsbotschaft war auf griechischem Boden bei allerlei Kulten erst in den nachchristlichen Jahrhunderten gebräuchlich." 3 Vgl. Entstehung und Entwicklung der Kirchenverfassung und des Kirchenrechts in den zwei ersten Jahrhunderten, Leipzig 1910, S. 199-239; dazu im nächsten Abschnitt. Wenn E. Molland, Das paulmische Euangelion, ANVAO, II. Hist. Filos. Klasse 1934, Nr. 3, Oslo 1934, S. 24f. Harnack auf die hellenistische Herleitung festlegt, hat er Harnacks Standpunkt verzeichnet. * Ich zitiere nach der 2. Aufl. Berlin 1911. 2

2 6638 Stuhlmacher, Evangelium

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palästinischen Christen hat, sondern von den Griechen entlehnt ist, sei es im Wortlaut oder in Übertragung (b'sortha). Daß Jesus selber schon vom Evangelium sollte geredet haben, ist unwahrscheinlich. Es ist vielmehr . . . erst ein apostolischer Ausdruck" 1 . Ohne Ausgleich mit diesen Sätzen findet sich nun aber in den „ Nachträgen und Erläuterungen", um welche die „Einleitung" von Wellhausen 1911 vermehrt wurde, folgender Zusatz : „Das Evangelium ist seiner Wortbedeutung nach Heilsbotschaft. So im zweiten Teil des Jesaias die Ankündigung eines bestimmten Ereignisses, des Wendepunktes der Weltgeschichte, wodurch Sion gerettet und Babel gerichtet wird. Entsprechend im Neuen Testament die Ankündigung, daß Jesus, obgleich von den Juden verworfen und gekreuzigt, dennoch der Christus sei, durch die Auferstehung von Gott bestätigt und im Himmel wirksam gegenwärtig"2. Ganz diesem Zusatz entsprechend, behandelt Wellhausen Jesu Verkündigung und das paulinische Evangelium im berühmten Schlußkapitel seiner „Israelitische(n) und Jüdische(n) Geschichte"3 in bewußter Kontinuität zur israelitischen Geschichte. Man wird sagen dürfen, daß sich in der Ambivalenz der religionsgeschichtlichen Herleitung unseres Begriffes bereits bei Wellhausen jene Differenz zwischen systematisch-heilsgeschichtlicher Geschichtsschau und exegetischer Analytik erkennen läßt, die in den Studien zu εύαγγέλιον bis heute immer wiederkehrt4. Mag aber auch die Herleitung von Evangelium unsicher bleiben, fest steht für Wellhausen, daß der technische Gebrauch von εύαγγέλιον = Christusbotschaft erst nachösterlichen Ursprungs, also in die Evangelientradition erst nachträglich eingetragen worden ist 8 . Geradezu klassisch tritt jene Differenz erneut bei A. Deißmann zutage. Während es ihm gelingt, den aus der Priene-Inschrift bekannten kaiserkultlichen Sprachgebrauch bis in einen Papyrusbrief des 3. Jh.s weiterzuverfolgen®, und er den neutestamentlichen Gebrauch von Evangelium ausdrücklich von jenem hellenistischen ableitet7, pro1

A.a.O. S. 99; in der 1. Aufl. Berlin 1905 hatte es S. 109 noch geheißen: „. . . erst ein Missionsausdruck." 2 3 A.a.O. S. 147. Berlin, 5. Aufl. 1904, S. 381-394. 4 Vgl. die Bitte von W. Marxsen, Der Evangelist Markus, F R L A N T 67, 2 Göttingen 1959 S. 77, zwischen dem exegetischen und dogmatischen Aspekt bei der Erforschung des εύαγγέλιον-Problems möglichst sauber zu unterscheiden. „Das muß deswegen ausdrücklich betont werden, weil hier eine sehr häufige (oft wohl unbewußte) Grenzüberschreitung zu beobachten ist" (Aom. 1). 5 Einleitung 2 , S. 99. 101. 147ff.; Israel. Gesch.5, S. 391 f. β Licht vom Osten, (1. Aufl. 1908) Tübingen 4. Aufl. 1923, S. 313f. Der von Deißmann hier zitierte Papyrusbrief ist unter der Nr. 421 (S. 38) in Fr. Preisigkes „Sammelbuch Griechischer Urkunden aus Ägypten" Bd. 1, Straßburg 1915, mitsamt der Deißmannschen Emendation aufgenommen worden. 7 So z.B. in Deißmaims Referat „Die Botschaft der Kirche an die Welt: Das Evangelium" auf der Weltkonferenz für Glaube und Kirchenverfassung

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testiert er leidenschaftlich gegen die traditionsgeschichtliche Zweiteilung des Evangeliums in die Reichsbotschaft Jesu und das Christuskerygma der Apostel1. — P. Wendland verweist nur auf den wahrscheinlich hellenistischen Ursprung der neutestamentlichen Botschaftsterminologie2, während A. Fridrichsen diese Ableitung nur festzuhalten vermag, indem er sowohl hellenistischen Ursprung als auch Abhängigkeit vom Sprachgebrauch Jesu postuliert3. — P. Zondervan möchte solcher Doppelgleisigkeit entgehen, indem er mit der These einer wachsenden Semitisierung der ursprünglich hellenistischen Redeweise von εύαγγέλιον im Neuen Testament auszukommen versucht. Interessant an seinem Versuch ist die Tatsache, daß Zondervan vor der begriffsgeschichtlichen crux Ape. 14,6 nicht kapituliert, sondern von ihr her den Einstieg in den neutestamentlichen Wortgebrauch zu gewinnen sucht: Zum religionsgeschichtlichen Rückgriff auf hellenistisches Belegmaterial zwingt die Tatsache, daß die Septuaginta keinen der neutestamentlichen Verwendung des Substantivs analogen Sprachgebrauch aufweist. Da für Zondervan hellenistisches εύαγγέλιον, ζ. Β. in der Priene-Inschrift, auf die Ursprungsbedeutung einer allgemeinen Ankündigung „van een goddelijke openbaring aan de wereld dat haar heildag is aanbroken" zurückgeführt werden kann 4 , botschaftende Engel und Gottheiten zudem zu solcher Offenbarungskunde im Hellenismus hinzugehören, wirkt für ihn der Botschaftsengel von Ape. 14,6 nicht schlechthin unhellenistisch. Zu beachten ist ferner, wie die sibyllinischen Weissagungen vom goldenen Zeitalter im Hellenismus ähnliche Überlieferungen tradieren, wie sie in Lausanne 1927; abgedruckt in: Die Weltkonferenz für Glauben und Kirchenverfassung, ed. H. Sasse, Berlin 1929, S. 128-136. „In einer der größten Schöpfungen des griechischen Sprachgeistes hat die christliche Urzeit selbst Sinn und Wesen ihrer Botschaft zum Ausdruck gebracht: durch das Wort εύαγγέλιον, ,evangelium'. Nicht, als hätten die Apostel dieses Wort als Vokabel neu erfunden. Sie fanden es vor in ihrer Umwelt, in verschiedenartigen Analogien : von einem εύαγγέλιον sprach man gern, wenn irgendeine erfreuliche Kunde vom Kaiser oder vom Kaiserhaus in die Provinz drang. — Diesen Sinn ,frohe Kunde', ,fröhliche Botschaft' hat das Wort εύαγγέλιον auch im Sprachgebrauch der apostolischen Urkirche" (S. 130). 1 Im genannten Vortrag S. 133f.; ebenso bereits im Vorwort zur 1. Aufl. des Deißmannschen „Paulus", vgl. 2. Aufl. Tübingen 1925, S. XI; klassisch formuliert in Paulus 2 S. 199 „Das Christus-Christentum des Paulus ist . . . kein Bruch mit dem Evangelium Jesu und auch keine Verfälschung des Evangeliums Jesu. Es bedeutet die Sicherung des evangelischen Gotteserlebnisses des Einen für die Vielen durch die Verankerung dieser Vielen in der Seele des Einen". 2 Die hellenistisch-römische Kultur. Die urchristlichen Literaturformen. H N T I 2/3, Tübingen 2. u. 3. Aufl. 1912, S. 258. 3 TO ΕΥΑΓΓΕΛΙΟΝ hos Paulus, Norsk Teologisk Tidsskrift 13 (1912) S. 153-170. 209-256, vor allem S. 253ff. 4 Het Woord .Evangelium', ThT 48 (Ν. F. 6), 1914, S. 187-213; das Zitat S. 199. 2*

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ili der jüdischen Apokalyptik vorkommen; zwischen beiden Strömungen besteht also kein unüberwindlicher Gegensatz. Also läßt sich Ape. 14,6 eine beginnende Amalgamierung hellenistischen Überlieferungsgutes auf semitischem Boden feststellen. Das hier singularisch gebrauchte εύαγγέλιον ist nach Zondervan eine der Botschaften, welche die Priene-Inschrift pluralisch vermeldet. Die neutestamentliche Begriffsgeschichte beginnt also mit der Übernahme des pluralischen Sprachgebrauchs aus dem Hellenismus, sie spricht auf einer zweiten Stufe singularisch von der Botschaft της βασιλείας του θεοΰ, und erst auf einer dritten Stufe wird der Singular christologisch gefüllt und absolut gesetzt. Jesus hat nach Zondervans Meinung das Wort nicht gebraucht, während die mit der Rezeption kaiserkultücher Terminologie mitgesetzte polemische Abgrenzung des Christus vom weltlichen Kaiser s. M. n. in Lk. 2; Kol. 1,26; Rom. 16,25 u. ö. noch erkennbar ist. Auf seinem gewaltsam-konstruktiven Wege ist Zondervan bis heute niemand gefolgt ; freilich kehrte nunmehr das Problem des Sprachgebrauchs von Ape. 14,6 zurück und ist seitdem zum Schibbolet für eine genetisch behutsame und zutreffende Ableitung des neutestamentlichen εύαγγέλιον geworden: Nur wer diese Stelle in die Begriffsgeschichte miteinbeziehen kann, hat das uns beschäftigende Phänomen wirklich erklärt. Stellte Zondervan Ape. 14,6 an den Beginn seiner Ableitung, so steht derselbe Beleg bei Grete Gillet ziemlich am Ende der begrifflichen Entwicklung, noch dazu als begriffsgeschichtlich unergiebiger Ableger. In ihrer (Heidelberger) Dissertation „Evangelium. Studien zur urchristlichen Missionssprache"1 beurteilt Gillet den Wortgebrauch des Sehers Johannes als Anlehnung an das übliche, christliche Phänomen der Frohbotschaft : Auf die eschatologische Heilsbotschaft ist der alte christliche Terminus übertragen worden, weil die Endkatastrophe für die Gläubigen eine frohe Botschaft genannt werden sollte 2 . Gillet möchte zwar die Authentic der alten Belege aus Q, Mt. 11,5/Lk. 7,22, nicht bestreiten, sieht sich aber angesichts der Tatsache, daß das hellenistische Judentum keinen dem neutestamentlich-technischen Gebrauch des Substantivs analogen Sprachgebrauch von εύαγγέλιον aufweist, genötigt, das Nomen aus der Terminologie 1

Von der leider nur maschinenschriftlich vorliegenden Arbeit stand mir das vielfach durch handschriftliche Eintragungen und Streichungen redigierte Exemplar des Ev. theol. Seminars der Universität Heidelberg zur Verfügung. Ich nehme an, daß die Korrekturen von der Verfasserin stammen und notiere sie darum nicht besonders. Die Dissertation scheint bei M. Dibelius im Jahre 1924 geschrieben worden zu sein; das Heidelberger Exemplar trägt keine Jahreszahl. a A.a.O. S. 137.

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des Kaiserkults herzuleiten1. Allerdings ist festzustellen, daß im Kaiserkult die Wortgruppe εύαγγελ- nicht exklusiv gebraucht wird, sondern „auch einfaches άγγέλλω sich im Hellenismus im ähnlichen Sinn (findet)"2 — eine vorzügliche Beobachtung, die erst in K. Bultmanns Skepsis gegenüber dem geläufigen Verständnis von hellenistischem εύαγγέλιον als technischem Begriff des Kaiserkults ihr Gegenstück findet3. Das Substantiv also ist hellenistischen Ursprungs, während die Übersetzer von Q bei der Wiedergabe von Mt. 11,5 par. an die religiöse Verwendung des Verbums in der Septuaginta (Ps. 95,2 ; Jes. 60,6; Joel 2,32) und im hellenistischen Judentum (Ps. Sal. 11,2) anschließen konnten. Ursprungsort des absolut gebrauchten εύαγγέλιον = Christusbotschaft ist im Neuen Testament die vorpaulinische Missionsgemeinde Antiochiens. Paulus hat deren Terminologie übernommen und „zum Zentralbegriff seiner Predigt" erhoben4, während sich alsbald nach Paulus eine Schlüsselstellung des Evangeliumbegriffes nicht mehr nachweisen läßt. Nachdem Gr. Gillet 1. Kor. 15,1 ff. als Typos vorpaulinisch-hellenistischen Gebrauchs von Evangelium = Missionspredigt6 analysiert hat, einer Missionspredigt, in welcher 1 „Die Tatsache, daß εύαγγέλιον auf Inschriften der Kaiserzeit als sakraler Terminus bezeugt ist, während es in den L X X fehlt, reicht hin, um eine Anleihe beim Hellenismus höchst wahrscheinlich zu machen, und mehr läßt sich in solchem Fall nicht sagen" (S. 47). a A.a.O. S. 41; als Belege nennt Gillet Sib. I 377f.; V I I I 310f. und den z.B. bei Wendland a.a.O. S. 411 Nr. 14 abgedruckten Hymnus von der Himmelfahrt Trajans und der Thronbesteigimg Hadrians. 3 Vgl. die leider nicht weiter belegte Feststellung „. . . die viel verbreitete Ansicht, daß εύαγγέλιον ein sakraler Terminus des Kaiserkults gewesen sei, läßt sich nicht halten" (Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 3. Aufl. 1958, S. 89). 1 A.a.O. S. 57. 6 Gillet vollzieht diese Gleichsetzung ausdrücklich und exklusiv. Rom. 15,20 und 2. Kor. 10,16 steht das Verbum als Äquivalent für ,missionieren'; das führt sie weiter zu der These: „. . . ich (behaupte) nun allerdings, daß das Evangelium ursprünglich nur Nichtchristen zum Zweck der Bekehrung gepredigt worden ist, nicht Christen zur Erbauung" (S. 82).—Solch exklusive Beziehung der Wortgruppe auf die Missionspredigt kennzeichnet vor Gillets Dissertation A. Oepkes Studie über „Die Missionspredigt des Apostels Paulus", Missionswiss. Forschungen 2, Leipzig 1920, bes. S. 50ff., nur ist bei ihm die Exklusivität auf das Geschehnis der Predigt selbst bezogen, so daß er die Ausdehnung der Wortgruppe auf gelegentliche innergemeindliche Verkündigung durchaus zuzugestehen bereit ist: „Evangelium ist für Paulus nicht eine irgendwie hinter der mündlichen Verkündigung stehende göttliche Kundmachimg, sondern die Missionspredigt selbst. Ob die Beschränkimg auf die Missionspredigt von Paulus immer streng innegehalten wird, ist allerdings strittig. Aber selbst wenn er das Wort εύαγγελίζεσ&αι hier und da in weiterem Sinn auch von der Wortverkündigung in der Gemeinde gebrauchen sollte, so bleibt doch sicher, daß er unter Evangelium das grundlegende, zentrale Zeugnis versteht, welches die Christen zu Christen m a c h t . . . Das Evangelium umfaßt offenbar die Dinge, welche έν πρώτοις (l.Kor. 15,3) überliefert zu werden pflegten, und nur, insofern die Gemeinde fortwährend von dieser grundlegenden Botschaft lebt, wird etwa auch die spätere Unterweisung als ein εύαγγελίζεσθαι bezeichnet" (S. y^Of.).

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zentral die Rede von Tod und Auferstehung Jesu gewesen sein muß, nimmt sie von hier aus das Problem der späteren Evangelienschreibung in Angriff: „I. Cor. 15 (macht uns) verständlich, wie der Begriff Evangelium später Bezeichnung des ganzen Komplexes der Taten und Worte Jesu werden konnte"1. Der Gebrauch des Substantivs bei Markus ist also apostolischen Ursprungs, wenn auch nicht unbedingt paulinischer Herkunft2. Ebenso wie Markus in 1,14 historisiert Matthäus im Anschluß an die authentische Überlieferung von Mt. 11,5 und bildet so die Gleichung: Jesu Reichsbotschaft = apostolisches Evangelium, während Lukas noch in der Apostelgeschichte Verbum und Substantiv der Missionsverkündigung zuordnet, wie es der historischen Realität entspricht. Bei den apostolischen Vätern steht die Verwendung von εύαγγέλιον = Heilspredigt und = nova lex nebeneinander, während in den späten Evangelienüberschriften noch eine richtige Erinnerung an das ursprünglich machtgeladene Wort der Heilsverkündigung erhalten geblieben ist. Gillet schließt ihre Arbeit mit einer Würdigung des Begriffes Evangelium in seiner Bedeutung für die urchristliche Literaturgeschichte: „Weil εύαγγέλιον der grundlegende Begriff, die Keimzelle für die gesamte literarische Entwickl n gewisser Spannung dazu steht freilich dann die Feststellung, daß Evangelium gelegentlich auch den K e m der Missionspredigt bezeichnen könne, über welchen die tatsächliche, aktuelle Verkündigung überschießt (S. 66). Während Oepke die Identifikation von εύαγγέλιον mit der ergehenden Missionspredigt bis in die 2. Aufl. seines Galaterbriefkommentars „Der Brief des Paulus an die Galater" T h H K 9, Berlin 2 1957 festgehalten hat, ist dort (S. 21 f.) wie in der Studie über die Missionspredigt die rehgionsgeschichtliche Herleitung des Begriffes Evangelium unsicher und läuft auf ein Nebeneinander einer hellenistischen und einer jüdischen Linie hinaus, welche sich in der neutestamentlichen Begrifflichkeit schließlich vereinigen. — Ähnlich stellt E. Klostermann in der letzten Auflage seines Markuskommentars (Das Markusevangelium, H N T 3, Tübingen 4 1950) bei deutlicher Vorliebe für das hellenistische Belegmaterial doch alttestamentlich-jüdische und griechische Traditionsstränge nur nebeneinander dar: „Hat . . . im Neuen Testament εύαγγέλιον den Sinn .Heilsbotschaft' κατ' έξοχήν, so trifft hier die im Alten Testament nachweisbare Bedeutung mit dem sakralen Gebrauch des Hellenismus zusammen" (S. 4). 1 A.a.O. S. 74. 8 Vgl. die Fortsetzung des eben gegebenen Zitats von S. 74: „Der Gebrauch von εύαγγέλιον I. Cor 15 ist nicht paulinisch, sondern stammt wie das Kerygma selbst aus den Kreisen, denen Paulus sein Christentum verdankt, denn Paulus selbst, wo er von εύαγγέλιον ganz persönlich spricht wie Gal. 1, verbindet damit einen Sinn, der nicht an Formulierungen und Traditionen gebunden ist." Oder noch präziser: „Für die spätere Entwicklung des Begriffs Evangelium ist der gemeinchristliche Missionsgebrauch des Wortes entscheidend gewesen, vor allem im Zusammenhang mit den in der Predigt erzählten Daten des Lebens Jesu (Vgl. I.Cor. 15!), nicht der spezifisch paulinische Gebrauch" (S. 113). — Damit trägt Gillet den von M. Werner, Der Einfluß paulinischer Theologie im Markusevangelium. Eine Studie zur neutestamentlichen Theologie, BZNW 1, Gießen 1923, S. 98ff., geäußerten Bedenken gegenüber der geläufigen Gleichsetzung des markinischen εύαγγέλιον-Gebrauchs mit dem paulinischen tradjtionsgeschichtlich Rechnung.

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lung des Urchristentums ist, läßt sich an dieser Begriffsgeschichte die Geschichte der evangelischen Literatur von den ersten Anfängen evangelischer Erzählung in der Predigt bis zur Kanonisierung der vier Bücher ablesen, und darum hat die Untersuchung dieses Wortes mehr als bloß philologisches Interesse"1. Solche unbestreitbar richtige Wertung des Begriffes εύαγγέλιον für die christliche Literaturgeschichte läßt sich noch dadurch vertiefen, daß man die von Gr. Gillet angedeuteten literaturgeschichtlichen Epochen traditionsgeschichtlich in die Begebenheiten der urchristlichneutestamentlichen Historie einzeichnet. Eben dieser Versuch, der in A. v. Harnacks Darstellung gipfelt, ist gemeinsames Kennzeichen der nunmehr zu besprechenden Forschungen.

III. Die traditionsgeschichtliche Erklärung In einem Briefe an Martin Kähler hat H. Cremer es als Ziel seiner Arbeiten für das „Biblisch theologische Wörterbuch der neutestamentlichen Graecität" 2 bezeichnet, die sprachliche Eigentümlichkeit des neutestamentlich-christlichen Griechisch herauszuarbeiten3. Wie sehr für Cremer zur begriffsgeschichtlichen Arbeit die traditionsgeschichtliche Aufschlüsselung des sprachlichen Werdeganges neutestamentlicher Begrifflichkeit gehört, beweist neben seinem Wörterbuch vor allem sein 1900 in 2. Auflage erschienenes Werk „Die paulinische Rechtfertigungslehre" mit dem kennzeichnenden Untertitel: „Im Zusammenhange ihrer geschichtlichen Voraussetzungen". Die „geschichtlichen Voraussetzungen", unter denen der neutestamentliche Begriff Evangelium entstanden ist, sind nach Cremer folgende: Der zeitgenössisch-hellenistische Sprachgebrauch, besonders der Priene-Inschrift, bietet wohl wichtiges Parallelenmaterial, der Ursprung der neutestamentlichen Redeweise von Evangelium wird jedoch auf jüdischem Boden zu suchen sein, und zwar in der Wertschätzung des Verbums in der Septuaginta und der sich an Jes. 61,1 knüpfenden synagogalen Tradi1 2

A.a.O. S. 175. Ich zitiere nach der 11., durch J. Kögel mit dem leicht veränderten Titel „Biblisch theologisches Wörterbuch des neutestamentlichen Griechisch" (Stuttgart/Gotha) 1923 herausgegebenen Auflage. Die 1. Aufl. von Cremers Wörterbuch erschien 1867. 3 Der Brief stammt vom 23. Juli 1859 und ist mitgeteilt von M. Kähler in seiner Würdigimg des 1903 verstorbenen Freundes: Wie Hermann Cremer wurde, BFChrTh 8, 1904, Heft 1, S. 11: „Du wirst wissen, daß außer der Begriffsbestimmung und der Fixierung des biblischen Sprachgebrauches das mein Hauptaugenmerk ist, daß ich den Einfluß des Christentums auf die griechische Sprache richtig zu konstatieren suche, die Wandlung im Gebrauche und das auf den alten Stamm gepfropfte neue Reis des christlichen Lebenswortes hervorzuheben und möglichst vielen klar zeigen möchte."

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tion vom Freudenboten. Das Substantiv bezeichnet die inhaltlich fixierbare Heilsbotschaft, nicht die wort-mächtige Heilsverkündigung1. Der Genitiv του θεου bezeichnet als gen. auctoris die göttliche Herkunft des Evangeliums, während der mit εύαγγέλιον verbundene gen. objectivus του Ίησοΰ Χρίστου den Inhalt der Botschaft andeutet. Diese zweite Redeweise vom christlichen Evangelium „nimmt sich . . . als ein durch d(en) Gebrauch in d(er) Gem(einde) festgelegter u(nd) vor allem von Paulus her fest eingebürgerter Term(inus) techn(icus) aus"2. Wo sich dieser technische Wortgebrauch in der Evangelientradition findet, ist er mit J. Wellhausen als nachträgliche Prolepse zu beurteilen. Mit dieser Zusammenschau hat Cremer an literarisch einflußreicher Stelle, seinem Wörterbuch, einen traditionsgeschichtlichen Rahmen entworfen, innerhalb dessen sich alsbald mit Erfolg differenzieren ließ. Nachdem R. Kabisch in seiner bahnbrechenden Untersuchung über „Die Eschatologie des Paulus" 1893 herausgestellt hatte, daß 'Evangelium' bei Paulus weniger ein LehrbegrifF als vielmehr ein das eschatologische Heil umfassender Terminus sei3, gelingt es J. Weiß, den Werdegang des Wortes im Neuen Testament traditionsgeschichtlich differenziert und geschichtlich folgerichtig darzustellen. In seiner Arbeit über „Die Predigt Jesu vom Reiche Gottes"4 stößt er auf 1 Wörterbuch 1 1 S. 31; hier erweist sich Cremer also deutlich abhängig von der oben skizzierten doktrinären Begriffsauffassung. 2 A.a.O. S. 32; ebenso wie Cremer geht E. v. Dobschütz in seinem Kommentar „Die Thessalonicher-Briefe" (MeyerK. 10. Abtig., Göttingen 7. Aufl. 1909, Exkurs: Das Evangelium, S. 86) vom palästinischen Wortgebrauch aus, notiert die hellenistischen Belege nur als der paulinischen Botschaft verstehensmäßig entgegenkommende Parallelen und verficht ausdrücklich das Verständnis von εύαγγέλιον τοϋ Χριστοϋ im Sinne eines gen. obj., ein Verständnis, das er auch gegenüber Harnacks Einwänden festgehalten hat (Gibt es ein doppeltes Evangelium im Neuen Testament?, ThStKr 85, 1912, [S. 331-366] S. 359). 3 Kabisch betont, daß für Paulus Evangelium und Heil zusammengehören, ja, daß Paulus im Evangelium selbst das lohnende Motiv seines Handelns erblicken kann (S. 39ff.). σωτηρία meint die Rettung im zukünftigen Gericht, und die im Evangelium dargereichte Gabe der Gerechtigkeit hilft durch dieses Gericht hindurch, so daß sich das Evangelium nicht so sehr als Lehrbegriff, wie vielmehr als ein aus dem Weltende in die Gegenwart vorlaufender Heilsbegriff darstellt: „Wie die δικαιοσύνη als die enge Pforte blieb, und nur der Weg, sie zu erreichen, sich wandelte, so auch die σωτηρία als zusammenfassende Bezeichnung der Herrlichkeit, in die es durch jene Pforte einzutreten gilt. Und wenn nun sein [sc. des Paulus] Evangelium auch (!) ist eine Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung [Kabisch polemisiert also gegen A. Ritsehl] — in der Seele des Wandernden ist das Ziel das erste, und der Weg erst das zweite: und so besteht für den Paulus der Wert seiner Botschaft im letzten Grunde nicht in dem Weg, sondern dieser gewinnt seine Bedeutung erst durch das Ziel, dem er sicher entgegenführt: er schämt sich seines Evangeliums nicht, weil es ist eine δύναμις ·9·εοϋ είς σωτηρίαν" (64). 4 Ich benutze die 3. Aufl. Göttingen 1964; sie ist mit der 2. Aufl. von 1900 identisch.

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dasselbe Phänomen, das Kabisch an der paulinischen Botschaft aufgefallen war: „Der Grundcharakter der Predigt Jesu ist eben doch Prophetie, Evangelium. Ihre Grundstimmung ist die Hofihung, freilich die ihres Zieles gewisse Hoffnung, aber doch immer Hoffnung" 1 . Die zu dieser Sicht gehörige Darstellung der neutestamentlichen Begriffsgeschichte von Evangelium legte Weiß nach längeren Vorbereitungen 1903 in seinem Markus-Buch „Das älteste Evangelium" vor. Sein Synoptikerkommentar im Göttinger Neuen Testament führt die exegetischen Einzelanalysen vor Augen2. Weiß unterscheidet vier Traditionsstadien: 1. Jesu eigene Verkündigung vom Reiche Gottes unter Rückgriff auf die deuterojesajanische Tradition (Mt. 11,5); 2. Die christliche Verkündigimg vor Juden, die Jesus als Messias proklamiert, Apg. 9,20. 22; 10,42; 13,32 faßbar wird und am kürzesten in das Stichwort εύαγγέλιον της περιτομης aus Gal. 2,7 zusammengefaßt werden kann; 3. Die Heidenpredigt mit dem Hauptzeugen Paulus, wobei es gerade für J . Weiß kennzeichnend ist, über das unmittelbare Zeugnis der Paulusbriefe hinaus in dieser Heidenpredigt eine detaillierte Entfaltung von Jesusgeschichten anzunehmen3. Charakteristisch für Paulus selbst sind nach Weiß zwei Nuancen: die Proklamation der Gesetzesfreiheit als Element des Evangeliums und als weiteres Element des Evangeliums selbst die heilsgeschichtliche Reflexion nach dem Modell von Rom. 9-114. 4. Das Stadium der Evangelienschreibung an Hand des vom Unternehmen der Heidenmission geprägten Begriffes „Evangelium". Paulus und seine Schule gaben hierzu nur den theologisch-begrifflichen Rahmen, die Jesustradition der Urgemeinde das plastische Traditionsmaterial5. Analytisch ist es daher für Weiß ein methodisch sinnvolles Unternehmen, das Phänomen des Markusevangeliums von der (historisch durchweg als nach1 2

A.a.O. S. 71. „Die drei älteren Evangelien", SNT I, Göttingen, 3. (von W. Bousset bearbeitete) Auflage 1917. 3 „Ganz gewiß . . . konnte bei der Verkündigung vor den Heiden nicht ein etwas vollständigerer Bericht über die Person und Geschichte Jesu entbehrt werden. Wenden wir uns an die Urkunden, insbesondere an die Paulinischen Briefe, so scheint es zwar auf den ersten Blick an allen Spuren hiervon zu fehlen. Indessen, nachdem bis zum Überdruß oft von dem geringen Interesse des Paulus für den irdischen Jesus geredet worden ist, erscheint es notwendig, diesen richtigen Satz doch etwas einzuschränken oder zu ergänzen" (Ältestes Evangelium S. 33). Zur Auseinandersetzung mit J. Weiß vgl. Bultmanns Aufsatz: Die Christologie des neuen Testaments, Glaub, u. Verst. I S. 245-267. « A.a.O. S. 36f. 4 „Der Paulinismus konnte kein Lebensbild Jesu erzeugen, die Urgemeinde allein hätte uns ein wesentlich anderes Bild überliefert, als das, welches wir besitzen. Es mußte ein Schüler des Petrus und, des Paulus sein, der die konkreten und realistischen Erinnerungen der Urgemeinde im Rahmen paulini· scher Ideen zur Darstellung bringen sollte" (a.a.O. S. 40, Hervorhebung bei W.).

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trägliche Prolepse zu beurteilenden!) formgebenden Funktion des (paulinischen) Evangeliumbegriffes her aufzuschließen1. Mit dem geschulten Blick des epochale Entwicklungen sichtenden Kirchenhistorikers hat A. v. Harnack 1910 im Anhang seiner Studien über „Entstehung und Entwicklung der Kirchenverfassung und des Kirchenrechts in den zwei ersten Jahrhunderten" das neutestamentliche Material zum Thema Evangelium noch einmal ganz ähnlich wie Weiß geordnet und zugleich mit dem altkirchlich-reformatorischen Sprachgebrauch genetisch verbunden. Harnacks meisterhafte traditionsgeschichtliche Differenzierungen sind bis heute nicht wieder erreicht, vielmehr sind sie alsbald aus systematischem Protest gegen die These vom doppelten Evangelium wieder verschüttet worden2. Harnack hat die geschichtliche Notwendigkeit, die Christusbotschaft der nachösterlichen Heidenmission von der vorösterlichen Reichsbotschaft Jesu traditionsgeschichtlich und theologisch zu unterscheiden, ebenso unermüdlich betont wie die Verbindungslinien zwischen beiden hervorgehoben3. Daß für ihn das Reichsevangelium Jesu höher steht als 1 Vgl. die Programmsätze a . a . O . S. 42: „Wir wollen, durch eine eindringende Analyse der Form unsres Evangeliums es zu verstehen suchen als Aufzeichnung von εύαγγέλιον im Dienste der Missionsgemeinde aus den religiösen Ideen seines Verfassers h e r a u s " (Hervorhebung bei W.); vgl. auch J . Weiß' Artikel „Literaturgeschichte des N T " , R G G 1 I I I Sp. 2175-2215, zu Markus bes. Sp. 2190f. 2 Vgl. Ε . v. Dobschütz : Gibt es ein doppeltes Evangelium im Neuen Testam e n t ? (s. S. 20 Anm. 2); oder A. Deißmann a n den A. 46 genannten O r t e n ; aber auch J . Wellhausen, Einleitung 2 S. 153: „ . . . der angeblich von H a r n a c k getane Ausspruch: ,nicht der Sohn, sondern n u r der Vater gehört ins E v a n gelium' ist grundfalsch, wenn damit ein F a k t u m behauptet u n d nicht n u r ein Postulat ausgesprochen werden soll." 3 H a r n a c k h a t die These vom doppelten Evangelium f ü r die Öffentlichkeit provozierend vertreten in seinen Vorlesungen über „ D a s Wesen des Christent u m s " (Jubiläumsausgabe mit Geleitwort von R . Bultmann, S t u t t g a r t 1950, S. 85ίϊ. 180); er h a t über dieses Thema f e m e r gehandelt im 1. B a n d des „Lehrb u c h e s ) der Dogmengeschichte" (1885), Tübingen 5. Aufl. ( = 4 . Aufl. v o n 1909) 1931 u n d thematisch in einem Vortrag „ D a s doppelte Evangelium im Neuen T e s t a m e n t " auf dem Weltkongreß f ü r freies Christentum u n d religiösen Fortschritt in Berlin 1910 (abgedruckt in: Aus Wissenschaft u n d Leben, Bd. 2, Gießen 1911, S. 213-224). An allen drei Orten spricht er v o n notwendiger Unterscheidung, aber nicht Scheidung: Auf die berühmte These, „nicht der Sohn, sondern allein der Vater gehört in das Evangelium, wie es Jesus verkündigt h a t , hinein", folgen in den Vorlesungen die Sätze: Jesus „ist der Weg zum Vater, u n d er ist, als der vom Vater Eingesetzte, auch der Richter . . . Nicht wie ein Bestandteil gehört er in das Evangelium hinein, sondern er ist die persönliche Verwirklichung u n d die K r a f t des Evangeliinns gewesen u n d wird noch immer als solche e m p f u n d e n " (S. 86/87). I m Lehrbuch der Dogmengeschichte heißt es: „ I n das Evangelium, wie es Jesus verkündigt h a t , gehört nicht der Sohn, sondern allein der Vater. Aber es ist nicht im Sinne J e s u u n d ist zugleich eine Thatsache der Geschichte, daß er als der Weg zum Vater erlebt u n d anerkannt wird ; denn es ist seine Gotteserkenntnis, die sie erhalten, die Hingabe seines Lebens in den Tod ist die fortwirkende Begründung der Gewißheit der Sündenvergebung u n d Gott h a t ihn zu sich erhoben. I n dieser Anerkennung t r a t das Evangelium von Jesus Christus u n d damit seine Anbetung

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das bereits dogmatisierende Christusevangelium der Apostel, ist keine Frage 1 . Dennoch heißt es, Harnack mit W. Wrede zu verwechseln2, wenn — wie es schon in der zeitgenössischen Polemik gegen Harnack oft genug geschah — bei seiner Unterscheidung zweier Evangelien im Neuen Testament einseitig das Moment der Diastase hervorgehoben wird. Es ist vielmehr gerade das in sich folgerichtige, organische Kontinuum, welches Harnack an der Begriffsgeschichte von εύαγγέλιον im Neuen Testament fasziniert hat. Harnack sieht deutlich, daß die innerneutestamentliche Begriffsgeschichte die These vom hellenistischen Ursprung der Evangeliumsterminologie widerlegt: Folglich korrigiert er seinen eigenen früheren Ansatz beim Hellenismus3, zeigt, daß die Wortgruppe εύαγγελ- im Hellenismus nie große Verbreitung erlangt hat und daß man, um die Belege aus Q einordnen und den apokalyptischen Charakter des apostolischen Evangeliums als einer die Verheißung erfüllenden Botschaft verstehen zu können, alttestamentlich-jüdisch einsetzen muß. So ergibt sich dann ein innerhalb des Neuen Testaments vierfach abgestufter Traditionsweg unserer Wortgruppe: 1. Ob Jesus selbst über den Gebrauch des Verbums im Rahmen deuterojesajanischer Tradition hinaus das Substantiv mitP2 ( = εύαγγέλιον) für seine Reichsbotschaft verwendet hat, lassen die Quellen nicht mit Sicherheit erkennen. Sicher ist dagegen, „daß er das Kommen des Gottesreiches verkündet hat und daß diese Verkündigung als Freudenbotschaft gemeint war, so gewaltig ihr Ernst war und so furchtbare Schrecken dem Kommen des Reiches nach eben derselben Verkündigung vorangehen muß ten" 4 . 2. Mit Sicherheit haben (erst) die Mitglieder der Urgemeinde in Palästina die Reichsbotschaft als îinfea bezeichnet, und die Hellenisten in Jerusalem haben dafür εύαγγέλιον eingesetzt. Griechisches εύαγγέλιον bedeutet auf dieser Stufe also noch Reichsbotschaft; die markinischen Belege sind schon in der ersten Generation zu dem Evangelium Jesu hinzu" (S. 81f.). In dem genannten Vortrag betont Harnack: „Das doppelte Evangelium, wie es im Neuen Testament beschlossen liegt, ist der Gegenwart nötig, wie es zu allen Zeiten der Vergangenheit nötig war. Das .erste' Evangelium enthält die Wahrheit, das .zweite' Evangelium enthält den Weg und beide zusammen bringen das Leben" (S. 224). 1 Daß von der Wertschätzimg eben dieses undogmatischen Jesusevangeliums die gesamte wissenschaftliche Arbeit Hamacks geprägt sein dürfte, hat W. Eltester gezeigt : Über den Sinn und Wert des Philologischen in der Theologie (WZ Halle, ges. sprachwiss. Reihe, 145 1965, S. 346-352) S. 347 und Anm. S. 351 f. 2 Vgl. Wredes „Paulus", R V I 5/6, Tübingen 2. Aufl. 1907, wo S. 90 ausdrücklich gegen den Versuch, Paulus und Jesus zusammenzusehen, protestiert wird. „Paulus (ist) als der zweite Stifter des Christentums zu betrachten" (104), der aus dem sittlich-menschlichen Evangelium Jesu die sich auf christologische Heilstatsachen berufende, dogmatische Theologie der Kirche gemacht hat. 3 4 S. oben S. 12. Kirchenverfassung S. 234f.

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nach Harnack als Zeugnisse eben dieser zweiten Stufe zu werten1. 3. Im Zuge der Heidenmission, als deren Hauptzeuge im Neuen Testament Paulus erscheint, wird der singularische Übersetzungsterminus εύαγγέλιον christologisch definiert und zum technischen Inbegriff der christlich-missionarischen Heilsverkündigung erhoben. Dies scheint bereits vor Paulus der Fall gewesen zu sein. 4. Paulus selbst übernimmt den Begriff und setzt seine Verständlichkeit in seinen Briefen bereits stillschweigend voraus. Paulinisches Spezifikum ist, daß der Apostel „den Begriff εύαγγέλιον zum formalen und materialen Zentralbegriff seiner Predigt (erhebt). Er faßt ihn als die Botschaft von dem durch die Propheten verkündeten, durch den Tod und die Auferstehung Christi verwirklichten Heilsratschluß Gottes"2. Nunmehr decken sich also Evangelium Gottes und Christusbotschaft, und ebenso sind Evangelium und Heil unlösbar verknüpft, „und zwar Heil für die Einzelnen. Der Einzelne, der dem Evangelium Glauben schenkt, wird gerecht. Das ist die zweite große Wendung! Sie ist in der Verkündigung Jesu deutlich vorbereitet, aber liegt noch in der Reichspredigt eingebettet"3. 5. Da Harnack in Auseinandersetzung mit Wellhausen4 den Sprachgebrauch des Markus- und des Matthäusevaiigeliums für die unmittelbar nachösterliche Begriffsstufe ausgewertet hat, kann er sich in der nachpaulinischen Zeit nur noch von der Tatsache, daß Lukas Jesus selbst nie, wohl aber die Apostel in den Acta vom Evangelium sprechen läßt, das von ihm entworfene 1

A.a.O. S. 201 ff.; Harnack legt alle Markusstellen, in denen εύαγγέλιον vorkommt, nach 1,14f. aus und polemisiert damit zugleich gegen Wellhausens These einer apostolischen, terminologischen Prolepse. Die matthäischen Belege bestätigen ihm seine Sicht: „Matthäus hat . . . Marcus so verstanden, wie wir ihn verstanden haben, und das Wort Evangelium durch den Zusatz της βασιλείας bestimmt determiniert" (S. 207). Daß sich, wenn nicht Markus, so doch Ape. 14,6 (10,7) für die zweite Traditionsstufe reklamieren lassen, erkennt Harnack nicht; ihm bleibt der Sinn der Stelle „dunkel" (S. 220). 2 A.a.O. S. 235; das Moment der Verwirklichung und Erfüllung erkennt bereite Harnack als apokalyptisch: „Das Evangelium giebt sich als eine apokalyptische Botschaft auf dem Boden des Alten Testaments und als die Erfüllung des Gesetzes und der Propheten und ist doch ein Neues: die Schöpfung einer universalen Religion auf dem Boden der alttestamentlichen" (Lehrbuch der Dogmengeschichte I 6 S. 48). „Das Evangelium ist als eine apokalyptischeschatologische Botschaft in die Welt getreten; das Apokalyptisch-eschatologische gehört nicht nur zur Form des Evangeliums, sondern auch zu seinem Inhalte . . . das .Apokalyptische' war vor allem die Offenbarung Gottes als des Herrschers und Vaters, nicht nur die Enthüllung der Zukunft, und das Eschatologische erhielt sein Gegengewicht in der Anschauung des Heilandswirkens Jesu, in der Gewißheit der sichern Berufung in das Reich und in der Überzeugung, daß das Leben und die zukünftige Herrschaft bei Gott dem Herrn geborgen und von ihm geschützt sind" (a.a.O. S. 67). 8 Kirchenverfassung S. 236. 4 Noch 1909 hat Harnack im Lehrbuch der Dogmengeschichte I 4 S. 66 Wellhausen zugestimmt; erst die Darlegungen von 1910 korrigieren diesen consensus.

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Bild vom Werdegang unseres Begriffes historisch bestätigen lassen1 und dann weitereilen zum Sprachgebrauch der apostolischen Väter und der alten Kirche. Das Phänomen der Evangelienschreibung wird von Harnack also nicht wie bei J. Weiß als sachliche und geschichtlich notwendige Konsequenz aus dem missionarischen EvangeliumGebrauch erkannt und bedacht. Grund dafür ist u. a. sein leidenschaftliches Eintreten für die Deutung von εύαγγέλιον του Χριστοϋ/Ίησοΰ Χρίστου im Sinne eines gen. subj., eine Deutung, welche ihm die willkommene Möglichkeit bot, auch noch im paulinischen Evangelium die genuine Vater- und Reichsbotschaft Jesu wiederzufinden ! „Zwar kann ja darüber kein Zweifel sein, schreibt Harnack in der Ausein-, andersetzung mit E. v. Dobschütz2, daß Christus egregie zum Inhalte des Evangeliums gehört; aber es ist doch ein wesentlicher Unterschied, ob Paulus mit und neben Christus die Gnade und Liebe Gottes, die Sendung und das Wirken des hl. Geistes, die Rechtfertigung und das ewige Leben, ferner die Verheißung im AT, usw. direkt in den Begriff, in den Inhalt und in die Darlegung des Evangeliums mit hineingenommen hat, oder ob ihm das Evangelium strenggenommen nur die Verkündigung vom gekreuzigten und auferstandenen Christus gewesen ist" 3 . In solcher Polemik wird nun ein letzter Vorzug der Harnackschen Begriffsdeutung erkennbar: Die lehrhaft-doktrinäre Auffassung von Evangelium ist überwunden und hat einer dynamischen Wortauffassung Platz gemacht 4 . Das Hauptanliegen Schniewinds ist also auch bei Harnack sachlich bedacht und gewürdigt. Nachdem wir uns Nachteile und Vorteile der doktrinären, der hellenistischen und der traditionsgeschichtlichen Deutung unseres Begriffes verdeutlicht haben, sind wir in der Lage, auf die bis heute wirksamste und in der Tat zutreffende Herleitung des Evangeliums aus dem alttestamentlich-jüdischen Traditionsmaterial mit der nötigen kritischen Distanz einzugehen. IV. Der semitische Ableitungsversuch Um den vorerst durchgängigen Mangel an religionsgeschichtlichtraditionsgeschichtlicher Differenzierung und das ebenso auffällige Überspielen historischer Probleme im Bereich der jetzt zu skizzie1

2 Kirchenverfassung S. 215. Vgl. oben S. 20 Anm. 2. KirchenVerfassung S. 215. Auch diese Formulierungen bestätigen nochmals Harnacks Entschlossenheit, das paulinische und das vorösterliche Evangelium zu verbinden und nicht auseinanderbrechen zu lassen. 4 So ausdrücklich a.a.O. S. 214: „Εύαγγέλιον ist im paulinischen Sprachgebrauch sowohl der Inhalt der christlichen Religion als die Verkündigung dieses Inhalts." 3

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renden Forschungsrichtung verstehen und gerecht beurteilen zu können, muß man sich zweierlei vor Augen halten: Die semitische Denkwelt als Hintergrund des Neuen Testaments zu erschließen, ist zunächst Werk und Verdienst einer Anzahl von theologischen Einzelgängern gewesen. Diese Einzelgänger haben sich bei dem ihnen entgegenschlagenden Widerstand notgedrungen auf die fundamentaltheologische These von der Heilsgeschichte berufen müssen, um ihre (de facto religionsgeschichtliche) Bemühimg zu rechtfertigen und zu bestätigen. Gerade die semitische Begriffsdeutung unterliegt darum bis heute in fast noch höherem Maße als die scholastisch-lehrhafte Auffassung von Evangelium systematischen Urteilen und Vorurteilen, auf welche es von Anfang an sorgsam zu achten gilt. Im Jahre 1870 erschien die hebräische Rückübersetzung des Römerbriefes von Franz Delitzsch1, εόαγγέλιον in Rom. 1,16 -wird von ihm mit mitoa wiedergegeben. In der Erläuterung zur Stelle hebt Delitzsch den heilsgeschichtlichen Erfüllungscharakter des neutestamentlichen Evangeliums hervor: „Die Thora ist eine Gotteskraft vermöge ihres evangelischen Bestandteils (d. i. ihrer Gnadenanstalten und Gnadenverheißungen), das neutestamentliche Evangelium ist die volle entwölkte Erscheinung dieser Grotteskraft"2. Diese Sätze können, obwohl Delitzsch auf die eigentliche Begriffsgeschichte von Evangelium nicht eingegangen ist, als eine Art Vor-Wort der nun zu prüfenden Begriffserklärung gelten. An entscheidender Stelle ist Johannes Müllers Werk „Das persönliche Christentum der paulinischen Gemeinden nach seiner Entstehung untersucht" zu nennen3. Müller möchte die Grundlagen für eine Entwicklungsgeschichte des Urchristentums erarbeiten, sieht solche Entwicklung vom persönlichen, undogmatischen Christentum der Gemeinden angetrieben und setzt bei den Paulusbriefen ein, weil hier die Quellenfrage eindeutig ist. Aus den Paulinen ergibt sich, daß die apostolische Verkündigung den eigentlichen Anstoß zur Bildung von Gemeinden gegeben hat. Die Erforschung dieser Botschaft mit Hilfe des Begriffes Evangelium, „des häufigsten Ausdrucks für die Missionspredigt"4, verspricht, auch den Charakter des persönlichen Glaubens in den Paulusgemeinden deutlicher zu erschließen. Müller entwirft folgende Begriffsgeschichte: Der augenscheinlich vorpauli1 Paulus des Apostels Brief an die Römer aus dem griechischen Urtext in das Hebräische übersetzt und aus Talmud und Midrasch erläutert, Leipzig 1870. 2 A.a.O. S. 75. 3 Leipzig 1898. Die zweite Auflage ist 1911 unter dem Titel: „Die Entstehung des persönlichen Christentums der paulinischen Gemeinden" erschienen; ich zitiere nach der (bahnbrechenden) ersten Auflage. 4 A.a.O. S. 53.

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nische Begriff stammt aus Jesu eigener Verkündigung und ist über diese rückwärts auf deuterojesajanische und überhaupt alttestamentliche Wurzeln zurückzuführen1. Paulus sieht sein Evangelium als identisch mit Jesu Botschaft an und bezieht sich in Rom. l,lf. und Rom. 10,15 ebenfalls auf alttestamentliche Tradition. Evangelium ist kein dogmatisch fixierter Lehrbegriff! Wohl bietet es die christologischen Grundfakten dar, aber es ist dabei doch eine durch den Apostel auf die Hörer wirkende Wortmacht: Evangelium „bedeutet nie die Thätigkeit des Verkündigens, auch nicht 1. K. 9,14 . . aber auch nie den Inhalt der apostolischen Verkündigung als solchen, sondern immer die Veranstaltung dieser bestimmten göttlichen Kundgebung, die durch die Verkündigung der Apostel an die Menschen ergeht"2. Ein paulinisches Sonderevangelium gibt es nicht; die Frage der Geltung des Gesetzes ist ,,ein Problem der christlichen Sitte"3, ist nicht Verkündigungsgegenstand, sondern gehört zu den sich aus jener Verkündigung ergebenden Schlußfolger ungen. „Wir haben . . . als die ursprüngliche Triebkraft in der Ausbreitung des Christentums, wie sie durch Paulus geschah, die Ausrichtung einer Kundgebung Gottes an die Menschen anzusehen, die auf ihre Rettung aus dem Verderben durch Jesus Christus hinwirken sollte. Sie war durch und durch konkreter, praktischer, aktueller Natur, an sich ein Handeln und Einwirken des lebendigen Gottes durch menschliche Organe, eine objektive, bestimmte, krystallisierte Äußerung seines Willens, die in göttlichen Thaten begründet auf Ereignisse im persönlichen Leben der Menschen zielte, an sich selbst ein Werkzeug einwirkender Kraft und andringender Liebe Gottes"4. Um den Bereich des persönlichen Erlebnischristentums offenzuhalten, vollzieht Müller hiermit zwei für die Deutung von εύαγγέλιον ganz entscheidende Abgrenzungen : Gegen die Gleichsetzimg von Evangelium mit einer dogmatischen Glaubensformel5 und gegen eine zunehmende Ethisierung der Glaubensvorgänge6. Als die aus dem Alten Testament hervorwachsende, von Jesus formulierte und von Paulus aufgenommene machtvolle Selbst1 „Evangelium . . . ist im Munde Jesu dem jesaianiscben Gebrauche entsprechend die Ankündigung des endgültigen Heilsereignisses, der abschließenden Selbstoffenbarung Gottes, die hier klarer wie dort als die Königsherrschaft Gottes auf Erden und die gottgemäße Verfassung der Menschheit erscheint. Diese allerhöchste Botschaft Gottes auszurufen, war die Grundlage, sie zu verwirklichen, das Ziel des Wirkens Jesu" (S. 55). 2 3 4 A.a.O. S. 59. A.a.O. S. 74. A.a.O. S. 78. 6 Evangelium ist lebendig-neue Gottestat und „kein urkundliches Manifest mit einer stereotypen Form seines Inhalts . . ., etwa in der Art des späteren Symbolum" (S. 114). • „Nur ein religiöser Weg zur Rettimg wurde gezeigt und religiöse Errungenschaften zugesagt. Die übliche Anschauung und Redewendung, daß sich die fundamentalen christlichen Vorgänge ,auf sittlichem Wege' vollziehen, hat im Evangelium durchaus keinen Anhaltspunkt" (S. 113).

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bekundung Gottes ist Evangelium ein Wortgeschehen jenseits geläufiger moderner Fixierungsmöglichkeiten. Nachdem Paul de Lagarde in einer die Neubearbeitung des Hebräischen und chaldäischen Handwörterbuches von W. Gesenius durch F. Mühlau und W. Volck von 1883 vernichtenden Kritik1 festgestellt hatte, Π11Μ bedeute im Alten Testament durchaus nicht Frohbotschaft, sondern, wie die Notwendigkeit (z.B. adjektivischer) Näherbestimmung in 2. Sam. 18,27; 1. Kön. 1,42 und Jes. 52,7 klar erweise, „Botschaft", nachdem Gustav Dalman in seiner Untersuchung über „Die Worte Jesu" 18982 diese Argumentation aufgegriffen und mit Hilfe rabbinischer Belege noch unterstrichen, außerdem aber, trotz von ihm beigebrachter jüdischer Parallelen, den Gebrauch der Wortgruppe εύαγγελ- durch Jesus selbst sprachlich und literarkritisch in Zweifel gezogen hatte, nachdem George Milligan in seinem Kommentar „St. Paul's Epistles to the Thessalonians" (1908)3 Dalmans Argumente aufgegriffen und Müllers Herleitung von Evangelium aus alttestamentlichen Wurzeln bestätigt hatte, wurde unser Thema 1909 von A. Schlatter im ersten Band seiner Theologie des Neuen Testaments ( = 1. Teil: Das Wort Jesu) aufgegriffen4. Bereits hier, dann aber vor allem in seinem großen Matthäuskommentar, brachte Schlatter weiteres jüdisches Belegmaterial, vor allem zum Verbum bei5, schritt also auf dem von Dalman vorgezeichneten Wege fort, ohne freilich dessen Skepsis gegenüber dem Gebrauch der Wortgruppe durch Jesus zu teilen. Im Gegenteil! Jesus selbst bringt s. M. n. die Wortgruppe im Anschluß an die alttestamentlich-jüdische Redeweise ins Neue Testament ein. Zwischen Jesu Evangelium und der Botschaft des Paulus besteht strenge sachliche Kontinuität®. Während nach Ostern zunächst die apostolische Botschaft den Titel „Evangelium" trägt, geht dieser Titel dann auch auf die (nach Schlatters Ansicht sogleich nach Ostern neben der Predigt der Apostel herlaufende) Evangelientradition über7, ein Vorgang, den man noch an der mar1 2

Mittheilungen I, Göttingen 1884, Nr. 23 (S. 208-239) S. 216f. Ich benutze den Neudruck Darmstadt 1965, der mit der 2. Aufl. von 1930 identisch ist; diese ist nur um Anhänge erweitert, während S. 1-280 von 1898 an unverändert geblieben sind. Zu Evangelium vgl. S. 84ff. 3 Nachdruck Grand Rapida (Mich. USA) 1953, S. 140-144 „On the history o f εύαγγέλιον, ευαγγελίζομαι". 4

Vgl. von Schlatter ferner: Theologie des neuen Testaments, 2. Teil: Die Xiehre der Apostel, Stuttgart 1910; Die Geschichte des Christus, Stuttgart 1921 und: Die Theologie der Apostel, Stuttgart 1922, beide Bände als zweite (endgültige) Auflage der Theologie d. NT ; Der Evangelist Matthäus, Stuttgart 1929; Markus. Der Evangelist für die Griechen, Stuttgart 1935; Gottes Gerechtigkeit, Stuttgart (1935) 2. Aufl. 1952. 6 Theol. d. NT I S. 583; Matthäus S. 360f. u. ö. • Theol. d. NT II S. lôff. 203ff. = Theol. d. Apostel S. 66£f. 243ff. ' Theol. d. Apostel S. 66 Anm. 1.

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kinischen Redeweise von εύαγγέλιον, welche apostolische Terminologie ins Leben Jesu zurückträgt, erkennen kann 1 . Wichtiger aber als diese Feststellungen sind bei Schlatter drei mit äußerster Energie und rhetorischem Gewicht vorgetragene Erkenntnisse. Die eine ist bei Joh. Müller bereits vorbereitet. Evangelium ist nicht Doktrin, sondern schöpferische Gottestat: „Paulus spricht, weil er im Namen Jesu spricht und Jesu Werk durch ihn geschieht, ein wirksames, schaffendes Wort, das hervorbringt, was es sagt, die Rettung, die Bewahrung vor dem Tode, dem der verfällt, den Gottes Gericht von seinem Reich ausschließen wird. Dies erlangt der Mensch nicht durch sein Werk und seine Kraft. Da die Botschaft das Gericht verkündigt, erfährt der Mensch durch sie, in welcher Gefahr er steht, zugleich aber, daß und wie ihm geholfen und er vor dem Verlust des Lebens im göttlichen Gericht bewahrt wird" 2 . Gleiches gilt von Jesu Botschaft 3 . Gottes Werk in der Weise Jesu und seines Apostels ans Wort der Verkündigung zu binden, heißt — dies der zweite von Schlatter hervorgehobene Sachverhalt — Gott allein die Ehre zu geben und das Sola gratia zu proklamieren: „Mit dem Wort konnte nur der befriedigt sein, dem es an Gott lag, einzig an Gott; ihm war mit dem Wort, das die Berufung zu Gott erteilte, alles gegeben . . . Dadurch, daß Jesus die Verbindung des Menschen mit Gott durch das Wort bewirkte, brachte er sich mit allen egoistischen Bestrebungen in einen grundsätzlichen, iniversöhnlichen Gegensatz und stellte fest, daß sein Ziel ernsthaft und vollständig nicht die Verherrlichung des Menschen, sondern die Offenbarung Gottes war" 4 . Aus beiden Tatbeständen ergibt sich der dritte: Das Machtwort des Evangeliums ist ein die Zukunft Gottes und die Gegenwart der Gemeinde verheißungsvoll verbindendes Kontinuum, ist eschatologisches Wortereignis zwischen Jesu Kommen und Gottes Endgericht: „Aus der Weise, wie er [sc. Jesus] das göttliche Wort schätzte, folgte, daß er ihre Verkündigung im strengen Sinn als ein Versprechen gab: nicht erst später unter gewissen Bedingungen wird sich Gottes Herrschaft an denen erweisen, die er jetzt beruft ; sie haben sie für sich und nehmen an ihr teil. Sie 1

Da Schlatter das Matthäusevangelium als daa gegenüber Markus ältere und ursprüngliche ansieht, kann er den apostolisch-sekundären Sprachgebrauch von εύαγγέλιον im Markusevangelium durchaus zugestehen, vgl. seinen MarkusKommentar passim. 2 Gottes Gerechtigkeit S. 32. 3 „Jesu Wille ist die Liebe, die er auch von den Seinen verlangt, die unbeschränkte Liebe, die auch den Feind nicht hassen kann. Darum trug sein Bußruf die Anbietung der Vergebung in sich und macht offenbar, daß ,Gott der Welt die Sünde nicht anrechnet*. Deshalb ist sein Wort ,das Evangelium', die gute Botschaft Gottes und es hat die Kraft bei sich, da es Gottes Gabe nicht nur verheißt, sondern gewährt" (Theol. d. Apostel S. 244). 4 Geschichte des Christus S. 138; vgl. Theol. d. NT I S. 95, Gottes Gerechtigkeit S. 18. 3 6638 Stuhlmacher, Evangelium

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dürfen nicht bloß auf das ewige Leben hoffen ; sie haben es. Deshalb war das, was Jesus zu sagen hatte, das 'Evangelium' die Botschaft von dem, was Gott tut, und zwar, daß er das tut, was die Vollendung schafft. Darum war aber seine Botschaft zugleich auch Weissagung und erzeugte mit dem Glauben auch das Hoffen, und zwar ein vollendetes, das Gewißheit besaß . . . Weil Gottes Herrschaft besteht und kommt, so besteht, daß sie in Herrlichkeit kommt, so kommt, daß sie ihr Bestehen vollendet, deshalb besaß Jesus ein mit wirklicher Religion erfülltes Jetzt, das ihm die Verbundenheit mit Gott gewährte" 1 . Weil eben dasselbe auch für die Verkündigung des Paulus gilt, ist es nach Schlatter unmöglich, daß aus dem echten Paulusevangelium nur der Seelentrost entsteht; vielmehr ruft das Evangelium vom kommenden Gott auf zum Weg des Glaubens in tatkräftiger Liebe 2 . Bei Schlatter werden so die von Kabisch und J.Weiß aufgedeckten und von Harnack der Apokalyptik zugeordneten eschatologischen Koordinaten des Evangeliums gesehen, bedacht und theologisch ausgewertet. Nachdem James Strahan 3 und Millar Burrows 4 im angelsächsischen Bereich wiederum die Herleitung des Begriffes εύαγγέλιον aus dem semitischen Sprachraum verfochten hatten, stellte Paul Billerbeck im dritten Bande seines „Kommentars zum Neuen Testament aus Talmud und Midrasch" das rabbinische Belegmaterial nahezu erschöpfend zusammen, freilich ohne dieses Material näherhin in Traditionsströme aufzugliedern 5 . Am auffälligsten an seiner Belegsammlung war freilich die Tatsache, daß auch Billerbeck einen theologischen Gebrauch des Substantivs HUM im nachbiblischen Judentum nicht aufweisen konnte. Es ist, da der singularische term, techn. το εύαγγέλιον im Neuen Testament nun einmal beherrschend ist, das eigentliche Hauptproblem der semitischen Begriffserklärung bis heute geblieben, wie diese Lücke erklärt und ausgefüllt werden kann. J . Schniewind überbrückt zusammen mit seinem Schüler Gerhard Friedrich diese Lücke dogmatisch-sprachphilosophisch und darum noch unbefriedigend®. Doch soll dieses Urteil das hohe Verdienst beider um die 1

Geschichte des Christus S. 147f.; vgl. Theol. d. N T I S. 376f., Matthäus S. 122 f. 2 Gottes Gerechtigkeit S. 39. 3 Artikel: Gospel, Encyclopaedia of Religion and Ethics, Bd. 6 (1913) S. 333-335. 1 The Origin of the Term .Gospel', J B L 44, 1925, S. 21-33; Burrows reklamiert außer Mark. 1,1 alle markinischen Belege für Jesus selbst und meint, daß noch Jesus, der sich als der Freudenbote von Jes. 61,1 versteht, den technischen Singular einbürgern und im Laufe seines Opferganges nach Jerusalem im späteren apostolischen Sinne prägen half. 6 III S. 4—11. β In Schniewinds Artikel: άγγελία, ThWb I S. 66-71 heißt es unter Verweis auf εύαγγέλιον S. 58,24if. : „Deutlich i s t . . ., daß im N T wie in der Vorgeschichte

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Erforschung der Wurzel εύαγγελ- nicht schmälern, sondern nur von Anfang an an die heute entscheidende, bei ihnen aber noch unbeantwortet gebliebene Frage erinnern1. Schniewinds Dissertation „Die Begriffe Wort und Evangelium bei Paulus" brach 1910, noch unter arbeitstechnischem Verzicht auf Sichtimg des religionsgeschichtlichen Parallelenmaterials, dem von Müller angedeuteten und dann von Schlatter theologisch reflektierten, dynamischen Wortverständnis vollends Bahn. Seit Schniewind darf die doktrinäre Auffassung unserer Begrifflichkeit als überwunden gelten, obwohl sie bei E. Molland noch einmal wiederkehrt. Die zunächst unabhängig von Harnacks Entwurf und dann in Parallele zu ihm gearbeitete Studie sieht den neutestamentlichen Begriff Evangelium, unter dessen Einwirkung sich auch das Verbum zum ebenfalls technischen Begriff entwickelt hat 2 , als einen speziellen modus des prophetischen Gotteswortes an: Evangelium ist die spezielle Form und Erscheinungsweise des Gotteswortes, und zwar die Erscheinungsweise, für welche das apostolische Sendungsmotiv konstitutiv ist 3 . Die Botschaft des Evangeliums ist also Gottes eigene „Tatoffenbarung" und Wirksamkeit. Im Evangelium kommt der erhöhte Christus als πνεύμα selbst zu Wort und Wirkung, so daß man mit Zahn und Harnack gegen E. v. Dobschütz den Genitiv εύαγγέλιον του Χρίστου als gen. subj. aufzufassen hat 4 . Aber die verbale Ausdrucksweise die substantivische stark überwiegt. Es liegt dies im .Dramatischen' der ganzen Anschauung: sie erwächst unmittelbar aus lebendigem Tun, aus der Aktion des Verkündens." — I n G. Friedrichs Artikel: εύαγγέλιον, ThWb I I S. 705-735 wird S. 723f. das rabbinische Judentum und seine Redeweise von εύαγγέλιον abgehandelt, die Zusammenfassimg lautet: ,,. . . nirgendwo findet sich ein Anklang, daß die eschatologische Freudenbotschaft Π "WD genannt wird. Das beruht nicht auf Zufall, sondern hat seine Gründe. Bei Anbrach der Gottesherrschaft erwartet man gar nicht eine neue Botschaft. Was verkündet wird, weiß man seit den Tagen Deuteroj esajas. Daß es verkündet wird, danach sehnt man sich. Darum ist der Freudenbote und der Akt der Verkündigung wichtiger als die ΓΠ20. Das Neue liegt nicht im Inhalt der Botschaft, sondern im eschatologischen Geschehen. Die Botschaft schafft das Neue: die IVDVö. Weil alles auf die Handlung, auf das Verkündigen, auf das Gesprochen-werden des die neue Zeit heraufführenden Wortes ankommt, darum tritt ΠΊ1ίΓ3 zurück hinter "lÈD» und (S. 723,28-37). 1 Auf diese Frage weisen, wenn man nicht nur an Wellhausens Ausführungen Einleitung 2 S. 98f. erinnern will, R. Bultmann, Theologie des NTs 3 S. 89 und ΔΙΚΑΙΟΣΥΝΗ ΘΕΟΥ, J B L 83, 1964 (S. 12-15) S. 16 Anm. 9 und W. Schneemelcher, Ntl. Apokryphen I 3 Tübingen 1959 S. 41 f. hin. 2 S. 65 Anm. 1 : Sicherlich „darf behauptet werden, daß der paulinische Sprachgebrauch von εύαγγελίζεσ&αι durch den paulinischen (resp. gemeinchristlichen oder gemeinjüdischen) Begriff des εύαγγέλιον bestimmt ist, und nicht etwa umgekehrt der εύαγγέλιον-Begriff durch den feststehenden Sprachgebrauch von εύαγγελίζεσδ-αι. Denn es scheint hier ein kreisförmiger Gang der Sprache resp. Begriffsgeschichte konstatiert werden zu müssen: Jes. 52,7 das neutrale εύαγγελίζεσθαι ; daraus sich bildend die bestimmte Vorstellung eines εύαγγέλιον ; diese wiederum rückwirkend auf den Sprachgebrauch von εύαγγελίζεσθαι". 8 4 A.a.O. S. 114ff. A.a.O. S. 107-111. 3·

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auch in εύαγγέλιον του θεοϋ ist der Genitiv ein Subjektsgenitiv; mit ihm soll Gott als „Stifter und erster Veranlasser" des Evangeliums bezeichnet werden 1 . Wenn Schniewind später zur Deutung Jesu gelegentlich die Konzeption von der Autobasileia aufgreift 2 , dann deutet sich dies bei ihm bereits in seiner ersten Arbeit dadurch an, daß er die Rede vom Evangelium Gottes und Evangelium Christi aufs engste zusammenrückt. Nun wird man die Richtigkeit der Schniewindschen Sicht vom paulinischen Geistbegriff und der zugleich subordinatianischen wie Christus an die Seite Grottes stellenden Christologie des Apostels her nicht einfach bestreiten wollen. Man wird sich nur fragen müssen, ob hier nicht eine systematische Tendenz zu Wort kommt, welche das traditionsgeschichtliche Problem des Evangeliumbegriffes einmal überdecken könnte. H. J . Kraus hat gezeigt, wie sehr sich Schniewind zeit seines Lebens seinem Lehrer Martin Kahler menschlich und sachlich verbunden wußte 3 . Dies kommt in der Einleitung zu Schniewinds Doktorarbeit dadurch zum Ausdruck, daß er schreibt: „Diese Abhandlung möchte eine Vorarbeit sein zu einer Untersuchung der 'paulinischen Anschauung vom Wort Gottes'. . . Nun haben verschiedene Theologen darauf hingewiesen, daß diese große Aufgabe, die Bearbeitung der Wort-Gottes-Anschauung, speziell des NT, einmal angegriffen werden müsse. Besonderen Dank schulde ich D. Kahler. Nicht allein, daß er in seiner Dogmatik bei der Bibelfrage die Wort - Gottes-Frage in den Vordergrund gerückt hat: er hat auch direkt auf den 'biblischen Begriff des Wortes Gottes' hingewiesen, als auf den Quell seiner Überzeugung" 4 . Gerade Kähler hat aber im Gegenschlag gegen die Rede vom doppelten Evangelium das von Harnack aufgedeckte traditionsgeschichtliche Problem unseres Wortstammes wieder zugedeckt, als er wohl anerkannte, daß das Wort in Jesu Munde nicht sicher nachzuweisen, Evangelium also erst ein Begriff der christlichen Gemeinde sei, aber fortfuhr: „Indes, was liegt zuletzt an der Bezeichnung ! Es handelt sich sachlich für uns um die Verkündigung Jesu selbst!" 8 . „Wir urteilen nicht mit Harnack: was Jesus selbst in Galiläa allem Volk verkündete, war an sich nichts Neues. Das 1 2

A.a.O. S. 112. ThWb I S. 67 Anm. 16; vgl. auch „Das Evangelium nach Markus", NTD 1, Göttingen 101963, S. 122. Ferner: Messiasgeheimnis und Eschatologie, in: Nachgelassene Reden und Aufsätze, ed. E. Kähler, Berlin 1952, S. 1-15, bes. 9 ff. 3 H. J. Kraus, Julius Schniewind. Charisma der Theologie, Neukirchen 1965, S. 37ff. 64. 1 6

A.a.O. S. 7.

Gehört Jesus in das Evangelium?, Dogmatische Zeitfragen Bd. 2, Leipzig 2. Aufl. 1908 (S. 51-78) S. 56.

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Neue, was er brachte, war seine Fähigkeit, wirksam zum Vater zu führen und zur besseren Gerechtigkeit als der der Pharisäer zu helfen. Dieses Neue muß mithin auch der eigentliche Gehalt seiner Sendung und seiner Prophetie, auch des Evangeliums sein. Und dieses Neue hegt eben in seiner Person und ihrer bleibenden Bedeutung für jeden. Dann macht mithin Jesus als Gegenstand und Inhalt des Evangeliums die Verkündigung zum Evangelium. So haben seine Boten es gemeint, und deshalb gilt ihnen das Wort vom Kreuz oder von dem Gekreuzigten als das eigentliche Evangelium. In das Evangelium gehört . . . im tiefsten Grunde . . . nur das, was für das Glaubensverständnis in seiner ganzen Person begriffen ist. So zeigt sich der geschichtliche Befund" 1 . Kurz: Vor'und nach Ostern macht erst Jesus das Evangelium zum Evangelium, und darum ist das Evangelium ein einziges. Man wird es also als Kählersches Erbe ansehen dürfen, wenn Schniewind plant, im Schlußteil seines leider Fragment gebliebenen großen Werkes „Euangelion. Ursprung und erste Gestalt des Begriffes Evangelium" 2 den Nachweis zu führen, daß die Scheidung von Reichsbotschaft Jesu einerseits und apostolischem Christusevangelium andererseits eine falsche Alternative aufwerfe: „Vielmehr: Jesus ist eben als der εύαγγελιζόμενος der Χριστός. Er ist auf Erden, so sagt die Synopse, kraft seines Wortes, der verborgene Messias; er ist, nach der Verkündigung der gesamten Urgemeinde, der Erhöhte, der selbst in seinem εύαγγέλιον wirkt und handelt" 3 . Ich beurteile es als Folge solch systematisch-christologischer Zusammenschau, daß in Schniewinds Buch das religionsgeschichtliche Material wohl minutiös gesichtet, das traditionsgeschichtliche Problem selbst aber nicht mehr als gewichtig anerkannt wird. Die Grundzüge der Schniewindschen Herleitung des Begriffes εύαγγέλιον sind aus einer der ersten Lieferung von „Euangelion" vorangestellten Vorausschau auf das Gesamtwerk klar ersichtlich: Die Wurzel des neutestamentlichen Sprachgebrauchs liegt im Alten Testament und palästinischen Judentum; der Hellenismus, einschließlich von Septuaginta, Philo und Josephus, bietet nur (im Sprachgebrauch des Kaiserkults kristallartig zusammenschließendes) Vergleichs- und Kontrastmaterial. Der erste Band des Schniewindschen Werkes behandelt nach einer knappen Forschungs- und Problemgeschichte die Belege aus dem Alten Testament, das Material der Septuaginta und die Belege aus Philo und Josephus. Die zweite und letzte Lieferung behandelt den Sprachgebrauch des Hellemsmus, leider noch ohne das Material des Kaiserkults. Es fehlen ferner die 1 8 3

A.a.O. S. 71. BFChrTh 2. Reihe, Bd. 13 u. 25, Gütersloh 1927 u. 1931. A.a.O. S. 24.

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Abschnitte über die palästinisch-jüdische Tradition, Jesu Verkündigung und die der Urchristenheit. Gegenüber Dalman und Paul de Lagardes These vom neutralen Wortsinn versucht Schniewind schon im alttestamentlichen Teil seiner Untersuchung zu erweisen, daß dem Verbum und dem Substantiv gerade die Grundbedeutung von Frohbotschaft, insbesondere des erfreulichen Erstattens von Siegesnachrichten, inhärent sei. Als die den neutestamentlichen Sprachgebrauch tragende Tradition stellt Schniewind die von Deuterojesaja an sich religiös vertiefende Tradition vom Ifen», dem Freuden- und Siegesboten, heraus. Das Substantiv dagegen ist „weder im Alten Testament noch später im Judentum technischer Ausdruck für eine Gottesbotschaft geworden" 1 . Die Septuaginta versteht die Tradition vom Freudenboten nicht mehr und führt, da das Verbum εύαγγελίζεσθ-αι nur schwach religiös akzentuiert, das Nomen εύαγγέλιον vollends im Singular überhaupt nicht nachweisbar ist, religionsgeschichtlich nicht weiter. Auch Philo und Josephus helfen nicht, da sich bei ihnen nur der hellenistische Sprachgebrauch, insbesondere die Ausdrucksweise des Kaiserkultes, spiegelt. Um diese Ausdrucksweise richtig einordnen zu können, unternimmt es Schniewind, in einer von H. J . Kraus mit Recht für die Methode einer Begriffsgeschichte vorbildlich genannten Weite, das Material der Graecität im ganzen zu sichten : Das griechische Evangelium ist von der hellenistischen Sicht des (göttlichen) Boten und seiner Botschaft her zu betrachten und besitzt den schon in der Etymologie sich andeutenden Grundsinn von Frohbotschaft. Besonders häufig ist die Verwendung für Siegesbotschaft(en). Leider sind aber die so umfassend vorbereiteten Untersuchungen zum Thema Kaiserkult selbst nicht mehr erschienen, und man muß Schniewinds Stellungnahme aus gelegentlichen, vorausdeutenden Verweisen notdürftig rekonstruieren 2 . Der urchristliche Sprachgebrauch geht also über den synagogalen Gebrauch auf das Alte Testament zurück. Dies wird klar erkennbar an dem hinter der gesamten Evangelium-Auffassung der alten Gemeinde stehenden apokalyptischen Aufriß 3 , nach welchem mit der 1 A.a.O. S. 34, ebenso S. 60: „Im AT und Judentum fehlt der religiös technische Gebrauch für das Substantiv b e sorah, das den Gleichwert des Substantivs Evangelium bildet." Wenn Schniewind dennoch den neutestamentlichen Begriff vom semitischen Verbum herleiten will und in seinem Forschungsbericht „Zur Synoptiker-Exegese" (ThR N. F. 2, 1930, S. 129-189) feststellt: „Burrows sieht richtig, daß Verb und Substantiv im Aramäischen nicht zu trennen sind" (S. 179), hat er die oben S. 31 Anm. 2 angeführte These von der Definition des Verbums durch das Substantiv offensichtlich aufgegeben. 2 Vgl. die gelegentlichen Äußerungen Euangelion S. 25. 88f. 92f. 168. 181. 184. 8 A.a.O. S. 79 Anm. 1, S. 240 Anm. 3; zum Folgenden vgl. S. l f . 60f. 241 Anm. 3.

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Offenbarung des Evangeliums der neue Äon in den alten Äon hereinbricht und das Wort als solches proleptischen, die Herrschaft Gottes eröffnenden Charakter trägt. Für Schniewind ist der neutestamentliche Begriff Evangelium, wie er selbst betont, „ein Schulbeispiel für das, was man Gemeindebildung zu nennen pflegt" 1 . Aber diese Feststellung will nicht in erster Linie ein traditionsgeschichtliches Urteil bieten, sondern auf einen dogmatischen Tatbestand hinweisen: Die Gemeindebildung „Evangelium" faßt Jesu eigenes Sendungsbewußtsein als des messianischen Freudenboten nach Jes. 61,1 gültig zusammen mit dem Sprachgebrauch der palästinischen Gemeinde und dem weltweiten Kerygma des Apostels Paulus, das jenen alten Sprachgebrauch voraussetzt und weiterführt. Die Aufgabe, seine Sicht des Evangeliums im Theologischen Wörterbuch über die teilweise noch disparaten Anläufe hinauszuführen und abzurunden, hat Schniewind seinem Schüler G. Friedrich zur Ausführung überlassen müssen 2 . Friedrich ist es gelungen, die Sicht seines Lehrers in diesem Artikel so präzis und einleuchtend darzustellen, daß sie die Diskussion bis heute beherrscht 3 . Religionsgeschichtlich modifiziert Friedrich die Sicht seines Lehrers nicht, so daß sich eine nochmalige Skizze erübrigt, nur dies ist wichtig, daß sich bei Friedrich nunmehr die bei Schniewind noch fehlenden Ausführungen über den Sprachgebrauch im Kaiserkult und im palästinischen Judentum finden. Da εύαγγέλιον zum sakralen Wortschatz des Kaiserkults gehört, dieser Kult aber Exponent der Friedens- und Heilssehnsucht der hellenistischen Welt ist, kann man verfolgen, wie das neutestamentliche Evangelium in der Sprache seiner Zeit auf die Sehnsucht der Zeit eine neue Antwort bringt. Friedrich legt nun auch im einzelnen dar, wie sich von Deuterojesaja an die Tradition vom Freudenboten in Palästina fortentwickelt hat und im Neuen Testament sowohl dem Selbstverständnis Jesu entgegenkommt wie auf den Täufer und die Apostel übertragen erscheint, so daß an der konstitutiven Bedeutung jener Tradition für das Neue Testament und unsere Wortgruppe nicht mehr zu zweifeln ist. Entscheidend aber ist in unserem Zusammenhang, wie Friedrich die Tradition von εύαγγέλιον innerhalb des Neuen Testamentes selbst entfaltet. Auszugehen ist von Jesu geheim1 2

Synoptikerexegese S. 177. Vgl. ThWb II S. 705 Vorbemerkung: „Der Artikel εύαγγελ- konnte von Schniewind, der ihn zunächst übernommen hatte, aus wichtigen Gründen nicht termingemäß fertiggestellt werden. So übernahm den Artikel im Einverständnis mit Schniewind . . . Schniewinds Schüler Gerhard Friedrich. Er durfte die ungedruckten Teile von Schniewinds Euangelion-Buch im Manuskript benützen. Doch ist der Artikel in Auffassung und Gestaltung sein eigenes Werk." 3 Der Artikel ist bis in K. Barths Kirchliche Dogmatik IV 2 S. 218ff. hinein wirksam geworden.

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Auslegungsgeschichte

nisvoller Selbstidentifikation mit dem Freudenboten (Mt. 11,5 par. Lk. 7,22): Jesus selbst ist Inhalt seiner eigenen Botschaft. Darum gilt: Auch wenn die Quellen einen Gebrauch des Nomens durch Jesus nicht eindeutig belegen helfen, kann er sehr wohl jenes Nomen gebraucht haben, das dann als Wort der Gemeinde auch nur ihn selbst verkündigen will und soll. Hat man diese Wechselbeziehung zwischen Jesu Sein und dem Wort der Gemeinde erkannt, „so ist die Frage, echtes Jesuswort oder Gemeindebildung, von sekundärer Bedeutimg" 1 . Friedrich argumentiert hier also ebenso wie Schniewind und versucht, das von Harnack aufgeworfene Problem auf systematischem Wege zu lösen. Der nachösterliche Begriff Evangelium darf als Missionsausdruck gelten, wenn auch bei Paulus die Grenzen zwischen Missions- und Gemeindeverkündigung fließend sind 8 . Sicher ist der nominale Sprachgebrauch bereits vorpaulinisch. Daß das Substantiv vor allem bei Paulus „ein nomen actionis ist", „entspricht der Herkunft des Wortes aus dem a(l)t(testament)lich-rabbinischen Sprachgebrauch" 3 . Stellen wie Rom. 1,Iff. und 1. Kor. 15, Iff. „muten wie eine kurze Zusammenfassung der evangelischen Botschaft an", obwohl „beide Stellen nicht eine lückenlose Wiedergabe dessen sein (wollen), was Paulus unter Evangelium versteht" 4 . Die sich hier aufdrängende Frage nach vorpaulinischer Tradition behandelt Friedrich nicht näher. Für Paulus gilt der Satz: „Will man den Inhalt des Evangeliums kurz mit einem Wort zusammenfassen, so lautet er: Jesus der Christus" 8 . Das spätere systematische Problem von Gesetz und Evangelium kündigt sich bei Paulus nur unter den Stichworten Verheißung und Evangelium an, obgleich es faktisch von Paulus bereits energisch bedacht wird®. Friedrich schließt, ehe er zum Sprachgebrauch der alten Kirche übergeht, mit einem Hinweis auf die „in mancher Hinsicht auffällig" 7 erscheinende Redeweise von Ape. 14,6f., ohne die Stelle in die von ihm gezeichnete Entwicklung, in welche auch die Evangelienschreibung nicht ausdrücklich eingeordnet wird, einzeichnen zu können. 1

A.a.O. S. 726,3f. » A.a.O. S. 717,llff. a A.a.O. S. 727,2ff. Unter dem Stichwort „nomen actionis" wird nunmehr die von Müller, Schniewind (und Harnack) herausgearbeitete Qualität von Evangelium als dynamischem Wortgeschehen weiterdiskutiert. 4 A.a.O. 727,34f. 39f. 5 A.a.O. S. 728,24f. • „Da Paulus durch die Erscheinung des Auferstandenen den Missionsauftrag an die Heiden erhalten hat, entsteht erst bei ihm das Problem Gesetz und Evangelium, das die Urgemeinde in dieser Form nicht gekannt hat. Sie hat den νόμος als natürliche Lebensordnung beibehalten, ohne ihm soteriologische Bedeutung zuzuerkennen. Das macht sie innerlich vom Gesetz frei" (S. 732,20ff.). ' A.a.O. S. 733,6.

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Während J. Huby 1 und E. Lohmeyer2 den Schiüewind-Friedrichechen Entwurf unverändert übernehmen, differenziert ihn Einar Molland3 im neutestamentlichen und im religionsgeschichtlichen Teil: Zunächst anerkennt Molland wieder, daß „die aramäischen und hebräischen Äquivalente zu εύαγγέλιον und εύαγγελίζεσθαι von den verschiedensten Botschaften gebraucht werden (können), sogar von schlimmen Botschaften und nicht religiöse Bedeutung zu haben (brauchen)"4. Die Herleitung von der jüdischen Freudenboten-Vorstellung wird mit aller Vorsicht im Sinne einer „ideengeschichtlichen Linie" durchgeführt 5 , und die Unmöglichkeit, den hellenistischen Sprachgebrauch des Kaiserkults als Wurzelboden neutestamentlichen Evangeliums anzusprechen, wird historisch einleuchtend begründet: „Die große Ähnlichkeit läßt sich kaum dadurch erklären, daß der Christaskult seine Formen, Begriffe und Termini von dem Kaiserkult übernommen hat. Das älteste Christentum ist in einem Milieu entstanden, das noch nicht den Kaiserkult kennt"®. Eine Übernahme der Begrifflichkeit des Kaiserkults hätte ja von vornherein eine kritische Konfrontation zwischen Jesus Christus und dem Kaiser impliziert, die im Neuen Testament aber nicht nachweisbar ist: „das Problem Christus und Kaiser wird erst in der Ape. empfunden" 7 . Dem paulinischen Sprachgebrauch, dessen Eigenart Mollands Hauptaugenmerk gilt8, geht historisch Jesu Gebrauch von Jes. 61,1 vorauf und vielleicht (vgl. Harnack) der markinische Sprachgebrauch, nach welchem „Inhalt des Evangeliums sein muß, daß die Zeit erfüllt ist und daß das Reich Gottes nahe gekommen ist" 9 , wobei bereits für 1

Vgl. sein 1954 von Xavier Léon-Dufour neu herausgegebenes Buch: L'Évangile et les Évangiles (Verbum Salutis XI), S. 93-98. ! Ich benutze die 1951 von G. Saß mit Korrekturen nach Lohmeyers Handexemplar herausgegebene 11. Aufl. des Markuskommentare : Das Ëvangelium des Markus, MeyerK 1. Abtlg. 2. Bd. Die Ausführungen über Evangelium S. 7 sind gegenüber der 10. Aufl. von 1937 unverändert. Lohmeyer schließt sich hier Schniewind und Friedrich an, nachdem er 1919 noch betont hatte: „Der technisch religiöse Sinn des Wortes Evangelium geht kaum auf den jüdischen Gebrauch des Wortes zurück; vgl. dazu Wellhausen, Einleitung in die drei ersten Evangelien 2 , S. 98ff. So wird es seine besondere urchristliche Bedeutung aus hellenistischen Gedankenkreisen entlehnt haben" (Christuskult und Kaiserkult, SGV 90, Tübingen 1919, S. 54 Anm. 60). 3 Das paulinische Evangelium, ANVAO II hist, filos. Kl. 1934 Nr. 3. 6 « A.a.O. S. 29. A.a.O. S. 140. · A.a.O. S. 28. 7 A.a.O. S. 28 Anm. 1; vgl. dazu auch Lohmeyer, Christuskult S. 33. 8 Vgl. den Anfang von Mollands Vorwort : „Diese Arbeit ist als eine Vorarbeit für Studien über die Geschichte des Begriffes .Evangelium' in der Alten Kirche entstanden. Diese Geschichte beginnt mit Paulus. Zwar liegt der Ursprung des Begriffes nicht bei ihm. Aber er ist der erste Verfasser, bei dem εύαγγέλιον als christlich-technisches Wort wirklich greifbar ist, und bei dem es als Schlagwort und theologischer Begriff auftritt. Was vor ihm liegt, ist Vorgeschichte und Urgeschichte des christlichen Begriffes .Evangelium'." 9 A.a.O. S. 33

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Auslegungsgesehichte

Markus „Christus als Bringer des Reiches in das Evangelium von der Nähe des Reiches [hinein-]gehört" 1 . Im Vorgriff auf einen dann von R. Asting besonders hervorgehobenen Sachverhalt betont Molland, daß Evangelium bei Paulus „geradezu eine hypostatische Größe" sein kann, Ausdruck für „das Heilsgut . . ., das in der Verkündigung dargeboten wird" 2 . Molland sieht ferner, daß Evangelium für Paulus gleichzeitig Missions- und Gemeindepredigt meinen kann. Wenn er dann aber den Inhalt des Evangeliums streng als „das christologische Drama von dem präexistenten Christus, der Mensch wurde, der gekreuzigt, auferstanden und zur Würde des 'Herrn' erhöht ist" 3 , bestimmt, wenn er weiter unter Übernahme einer schon von A. Fridrichsen vorgetragenen (und bis zuletzt festgehaltenen 4 ) Exegese ή άλήθ-εια του εύαγγελίου Gal. 2,5. 14 als „die wahren Konsequenzen des Evangeliums" bestimmt 5 , diese Konsequenzen vom Evangelium selber scheidet und darum folgert: „Der Inhalt des Evangeliums ist . . . nicht die Lehre vom Gesetz. Und folglich auch nicht die Rechtfertigungslehre . . . Unpaulitiisch ausgedrückt heißt das, daß die Rechtfertigungslehre nicht der Inhalt der Evangelienbotschaft ist, sondern deren theologische Konsequenz" 6 , wenn er schließlich Evangelium und ethische Paränese bei Paulus voneinander trennt, wenn er vollends die Frage nach dem einen, Paulus mit seinen Gregnern verbindenden Evangelium unter Hinweis auf die christologische Fassung des Evangeliums zu lösen versucht und dementsprechend den paulmischen Ausdruck „mein" Evangelium nur als Inbegriff der Zusammengehörigkeit von Apostel und Botschaft, also unpolemisch, verstehen will7, dann bedeutet das faktisch eine Wiederaufnahme der dogmatischen Begriffserklärung im Sinne A. Seebergs. Daran ändert Mollands Hinweis, Evangelium sei eine zu aktualisierende Macht 8 , 1

2 A a.O. S. 33. A.a.O. S. 46; vgl. auch S. 53. 57. A.a.O. S. 75. 4 NTT 13, 1912, S. 212; The Apostel and his Message, U U A 1947, 3, S. 22 Anm. 22. 6 A.a.O. S. 61. • A. a. O. S. 62/63. Gegen diese Auffassung haben sich alsbald nach Erscheinen der Mollandschen Studie O. Michel, ThLZ 60, 1935, Sp. 141 f. und G. Friedrich, ThWb II, S. 729 Anm. 78 zur Wehr gesetzt. 7 A.a.O. S. 97. 8 A.a. O. S. 59, vgl. auch S. 101 : „Das Evangelium ist als Wort Gottes wirksames Wort. Als Paulus den Thessalonichem das Evangelium verkündigte, kam sein Evangelium .nicht nur in. Worten, sondern auch in Kraft und in heiligem Geist und in voller Gewißheit' (I Th. 1,5). Christus selbst wirkt durch die Evangelienverkündigung, redet durch Paulus, tut Wunder durch ihn und zeigt seine Macht durch ihn (Rom. 15,18f., vgl. auch I I Cor. 13,3). In der Verkündigung handelt Gott selbst durch Christus. Daher ist die apostolische Verkündigung eine Fortsetzung des Werkes Christi." Molland will den Genitiv in εύαγγέλιον του Χρίστου als gen. subj. bzw. auctoris fassen: „Wahrscheinlich wird der erhöhte Christus dadurch als der Urheber des Evangeliums bezeichnet" (S. lOOf.). 3

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ebensowenig wie der wichtige Aufweis des apokalyptischen Tatbestandes, daß nach Meinung des Paulus das Evangelium als das die Verkündigung Jesu fortsetzende Zwischenglied zwischen Erscheinung Jesu und Parusie aufzufassen sei1. Molland versteht seine Studie als „Vorarbeit für Studien über die Geschichte des Begriffes 'Evangelium' in der Alten Kirche" 2 ; er scheint streckenweise der Gefahr erlegen zu sein, die Sache des altkirchlichen Symbols in das paulinische Evangelium zurückzuprojizieren. R. Asting hat diesen Fehler Mollands in seinem großen Werk über „Die Verkündigung des Wortes im Urchristentum. Dargestellt an den Begriffen 'Wort Gottes', 'Evangelium' und 'Zeugnis'" 3 erkannt und es abgelehnt, Evangelium bei Paulus mit einer theologisch isolierten oder isolierbaren Doktrin zu identifizieren 4 . Sein schon 1936 fertiggestelltes, aber erst 1939 durch H. v. Campenhausen postum herausgegebenes Werk möchte, wie schon Astings Abhandlung über „Die Heiligkeit im Urchristentum" 5 , der Form- und Traditionsgeschichte entgegenwirken. Diesmal soll der die formgeschichtliche Schule leitende pauschale Begriff von urchristlicher „Verkündigung" historisch untersucht und präzisiert werden. Freilich hat solch polemische Frontstellung die unausweichliche Folge, daß Asting eine traditionsgeschichtliche Differenzierung zwischen vorpaulinischen, paulinischen und nachpaulinischen Materiahen „für die hier behandelten Begriffe nicht praktisch" findet® und ein dementsprechend flächiges Ergebnis erzielt: „Der Begriff Evangelium (ist) in erster Linie vorwärts gerichtet und nicht zurückschauend. Es ist Paulus, der vor allen anderen den Inhalt des Begriffes in diesem Sinne entfaltet hat. Aber die Auffassung, die Paulus hat, ist in der Hauptsache dieselbe, die im ganzen Urchristentum herrscht" 7 . Religionsgeschichtlich arbeitet Asting im Gefolge Schniewinds. Das Fehlen des religiös gebrauchten Nomens ΠΊ1Μ im Judentum erklärt er spekulativ-sprachphilosophisch 8 , 1

2 A.a.O. S. 102f. A.a.O. im Vorwort (vgl. S. 37 Anm. 8). Stuttgart 1939; zum Begriff Evangelium S. 300-457. A.a.O. S. 412f. bes. Anm. 73. S. 421 formuliert Asting seine Gegenthese: „. . . das Evangelium ist allumfassend, es umfaßt die Verkündigung all dessen, was Christi Heilsbedeutung klarmacht. So gehört die Verkündigung von der Lebens- und Todesgemeinschaft mit Christus, der Rechtfertigung, des neuen Wandels der Christen in Christus usw. mit [zum Evangelium] dazu." 5 FRLANT 46, Göttingen 1930. Methodisch versucht sich Asting hier mit der These von einer hellenistischen Urgemeinde auseinander- und gleichzeitig von ihr abzusetzen. 7 • A.a.O. S. 4f. A.a.O. S. 457. 8 Die Begründung für das Fehlen des religiös gebrauchten Substantivs bereits im antiken Judentum „liegt wahrscheinlich darin, daß der Israelii nicht .sachlich' und nicht .statisch' denkt. Er denkt in erster Linie nicht an eine .Botschaft', sondern an denjenigen, der die Botschaft ausrichtet und an die Wirksamkeit, die der Bote ausübt. Deswegen ist es natürlich, daß auch für den 3 4

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Auslegungsgeschichte

zwischen hellenistischem und jüdischem Evangelium-Gebrauch hilft das Phänomen der den Griechen unbekannten Eschatologie zu trennen und zu unterscheiden 1 . Im Urchristentum hat sich erst bei Paulus „nach und nach" der technische Gebrauch von εύαγγέλιον = Christusbotschaft herauskristallisiert 2 . Machen all diese Thesen Astings Untersuchung für unseren Zusammenhang im Grunde unergiebig, so liegt der Wert des Buches darin, daß hier noch einmal mit aller Energie die These von Schniewinds Dissertation aufgenommen und vertieft wird : Evangelium ist eine Weise des Wortes Gottes und als solche eine über aller Verkündigung bleibende, sich in sie hineinereignende und dennoch in ihr nie aufgehende Offenbarungs- und Schöpfermacht. Schon im Markusevangelium kann man festhalten: „Das 'Evangelium' bedeutet . . . etwas anderes und mehr als nur eine Botschaft von etwas, das stattgefunden hat oder das innerhalb dieser Welt stattfindet. Es bedeutet eine verständliche Verkündigung, in Worten geformt, aber eine Verkündigung, die eine ganz neue Wirklichkeit göttlicher Art schafft. Das Evangelium bedeutet Gottes Offenbarung, durch die er die letzte Zeit herbeiführt, seine Herrschaft verwirklicht und die Menschen errettet" 3 . Ebenso gilt für die paulinischen Belege: „Das Evangelium und die Verkündigung stehen . . . in einem unlösbaren Verhältnis. Das Evangelium begegnet den Menschen immer in Form von Verkündigung, und die Verkündigung bezeichnet demnach das Evangelium so, wie es den Menschen entgegentritt. Indessen ist es überall klar, daß diese zwei Größen nicht für gleich geachtet werden dürfen. Das Evangelium geht niemals in der Verkündigung auf. Es bewahrt immer seinen Charakter als etwas absolut Göttliches, etwas, das auf wunderbare Weise auf den Menschen zukommt, aber das trotzdem nicht in dem Menschlichen aufgeht" 4 . Astings Buch hat um seiner theologischen Frontstellung und um des zeitgeschichtlich ungünstigen Erscheinungstermines willen (1939!) jedenfalls in Deutschland keinen besonderen Nachhall gefunden. So ist auch die Frage, die Asting stellt, bis heute unbeantwortet geblieben, die Frage, wie sich Evangelium und Missionspredigt zueinander verhalten, und wie sich, wenn Astings Differenzierung zwischen beiden zutreffend sein sollte, jener Unterschied religionsgeschichtlich und theologisch begründen läßt. Damit haben wir die Auslegung der Gegenwart mit ihrer Problematik erreicht. Stamm bsr zuerst das Zeitwort (und dessen Partizip) in Betracht kommt. Erst später geht der Gedanke weiter, so daß der Inhalt der Botschaft sozusagen isoliert und für sich betrachtet werden kann. Darum wird das Hauptwort in unseren Texten noch nicht technisch religiös verwendet" (S. 305). 1 2 A.a.O. S. 307f., 313. A.a.O. S. 350. 3 4 A.a.O. S. 319. A.a.O. S. 408.

Auslegungstendenzen der Gegenwart

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V. Auslegungstendenzen der Gegenwart Wer die Bemühung um unsere Wortgruppe seit Erscheinen von Rudolf Bultmanns Theologie des Neuen Testaments (1953) skizzieren will, braucht nur noch zwei Auslegungsversuche zu unterscheiden: die hellenistische und die semitische Begriffserklärung mitsamt ihren Konsequenzen. Das bedeutet gegenüber der Anfangszeit einen Fortschritt, weil die Gleichsetzung von Evangelium und doctrina als allgemein überwunden gelten und die traditionsgeschichtliche Fragestellung als ebenso allgemein anerkannt gelten darf. 1. Rudolf Bultmann

und der hellenistische

Ableitungsversuch

Die auffällige Kürze, mit welcher Rudolf Bultmann in seiner „Theologie des Neuen Testaments" unseren Begriff Evangelium behandelt 1 , zeigt, daß er die historische und literaturgeschichtliche Bedeutung des Stammes εύαγγελ- für das Urchristentum nicht erkannt oder anerkannt hat. Dennoch sind Bultmanns Ausführungen von Bedeutung. Die Funktion der kurzen Problemskizze, die Bultmann entwirft, ist der Funktion vergleichbar, die seinerzeit Julius Wellhausens Äußerungen zu unserem Thema besaßen. Pointiert formuliert: Bultmann hat nach dem Kriege als einziger Exeget in aller Form darauf aufmerksam gemacht, daß die Traditionsgeschichte von εύαγγέλιον historisch noch ganz ungeklärt und die religionsgeschichtliche Ableitung noch immer nicht zwingend gelungen ist. Bultmann behandelt das Thema Evangelium bei der Betrachtung des Kerygmas der hellenistischen Gemeinde vor und neben Paulus 2 , ist also der Ansicht, daß jene hellenistische Gemeinde den Begriff Evangelium in der uns vertrauten Form hervorgebracht und Paulus überliefert hat, obwohl Bultmann ausdrücklich hervorhebt, daß „sich nicht mit Bestimmtheit sagen (läßt), ob der absolute Gebrauch [sc. von Evangelium] älter als Paulus ist" 3 . Zur religionsgeschichtlichen Ableitung merkt Bultmann an, daß sich in Septuaginta und bei Philo der Sinn des Wortstammes εύαγγελ- schon zu bloßem „botschaften" hin abgeflacht habe und in dieser neutralen Bedeutung auch im Neuen Testament auftauche: Lk. 3,18; Apg. 14,15; Ape. 10,7; 14,6. Entscheidend aber sind folgende das Begriffsproblem fixierende Sätze: „In strengem Sinne terminus technicus ist εύαγγέλιον (bzw. εύαγγελίζεσθ-αι) nur dann, 1 Vgl. Theol.3 S. 89/90; ferner: Der Begriff des Wortes Gottes im Neuen Testament, Glaub, u. Verst. I (S. 268-293) S.273; ΔΙΚΑΙΟΣΥΝΗ ΘΕΟΥ, JBL 83, 1964, S. 16 Anm. 9. 2 So die Überschrift des 3. Kapitels im 1. Teil der Bultmannschen Theologie. 3 Theol.3 S. 90.

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Auslegungsgeschichte

wenn e3 absolut, d. h. ohne Angabe eines sachlichen Objekts, gebraucht wird, um die inhaltlich bestimmte christliche Botschaft zu bezeichnen. Dieser bei Paulus und nach ihm ganz geläufige Gebrauch ist ohne jede Analogie sowohl im AT und im Judentum wie im heidnischen Hellenismus, und die viel verbreitete Ansicht, daß εύαγγέλιον ein sakraler Terminus des Kaiserkults gewesen sei, läßt sich nicht halten1. Der absolute Gebrauch scheint sich im hellenistischen Christentum allmählich, jedoch relativ rasch, entwickelt zu haben"2. Bultmann sagt dies, obwohl er selbst der Meinung ist, daß hinter Mt. 11,5 f., der Anwendung von Jes. 61, If. auf Jesu Verkündigung und Amt, alte Jesustradition stehen könnte3, also alttestamentlicher Einfluß auf den Gebrauch der Wortgruppe im Neuen Testament ebensowenig auszuschließen ist wie Impulse aus der Verkündigung Jesu. Das bedeutet methodisch: Nur die begriffsgeschichtliche Erklärung von Evangelium wird wirklich zwingend sein, welche sowohl jene alttestamentlichen Anfänge mitsamt der Verkündigung Jesu zu erklären und darüber hinausführen kann zu dem absolut gebrauchten τό εύαγγέλιον der vorpaulinischen Missionsgemeinden. Hat man sich dieses Erfordernis vor Augen geführt, ist es doppelt auffällig, daß Bultmann als einer der Bahnbrecher der formgeschichtlichen Arbeitsweise im Bereich des Neuen Testamentes eine eigentlich form-bestimmende Funktion des Begriffes το εύαγγέλιον nirgends, auch nicht im Zusammenhang der Evangelienschreibung, anerkennt4. 1 J B L 83, 1964, S. 16 Anm. 9 merkt B u l t m a n n an, εύαγγέλιον meine in den Inschriften der Kaiserzeit n u r allgemein „ g u t e Botschaft", sei also im Hellenismus kein term, techn. gewesen. 2 Theol. 3 S. 89 f. 3 Vgl. z . B . Glaub, u. Verst. I S. 273; Die Geschichte der synoptischen Tradition, F R L A N T 29, Göttingen 3. Aufl. 1957, S. 22 u. 135. 4 Weder in der Geschichte der synoptischen Tradition, noch in Bultmanns, die Fragestellung dieses Buches weiteren Kreisen erschließenden Studie „Die Erforschung der synoptischen Evangelien" (jetzt in: Glaub, u. Verst. IV, S. 1-41) u n d auch nicht in der „Theologie des Neuen T e s t a m e n t s " ist von einer formgeschichtlichen Relevanz des Evangelium-Begriffes die Rede. — Diese Beobachtung läßt sieh wiederholen bei K a r l Ludwig Schmidt, der in seiner Abhandlung „Die Stellung der Evangelien in der allgemeinen Literaturgeschichte" (Eucharisterion, H . Gunkel z. 60. Gebtg., Teil 2, F R L A N T 36, Göttingen 1923, S. 50-134) sogar ausdrücklich feststellt: „Mit dem Wort εύαγγέλιον ist . . . f ü r die uns beschäftigende Frage ü b e r h a u p t nichts gewonnen. D a ß wir es mit einem Begriff zu t u n haben, der auch im sakralen Gebrauch des römischen Kaiserkults seine Stelle h a t , daß das Verbum in der ApolloniusVita des Philostratus (I, 28) v o m Erscheinen des Apollonius gebraucht wird, ist nur ein leiser Hinweis darauf, d a ß wir die Evangelien-Logien, -Geschichten, -Bücher, u m die es uns hier zu t u n ist, in der religiösen, nicht in der literarischen Sphäre zu suchen h a b e n " (S. 128). — F ü r Martin Dibelius gilt unter dem Gesichtsp u n k t unserer Begriffsgruppe annähernd dasselbe : E r denkt, wie B u l t m a n n u n d K . L. Schmidt auch, an hellenistischen Ursprung des neutestamentlichen Begriffes (vgl. Die urchristliche Überlieferung von Johannes d. Täufer, F R L A N T 15, Göttingen 1911, S. 47 Anm. 2), f a ß t εύαγγέλιον selbst 1. Kor. 15, Iff. n u r als „Heils-

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Während Walter Bauer1, Ulrich Becker2, Erich Fascher3, Siegfried Schulz4 und am eindringlichsten Wilhelm Schneemelcher8 sich nach predigt" auf (Die Formgeschichte des Evangeliums, Tübingen 3. Aufl. 19S9, S. 17 Anm. 1) und bringt jenen Begriff mit der Evangelienschreibung nur so in Verbindung, daß er das Markusevangelium als eine Art Kommentar zu der noch außerhalb dieses Evangeliums zu denkenden Heilspredigt betrachtet (a.a.O. S. 264). — Auch Vincent Taylor erkennt in „The Formation of the Gospel Tradition" (London, 2. Aufl. 1949) oder in seinem Markuskommentar „The Gospel according to St. Mark" (London 2 1966) eine formgeschichtliche Relevanz oder Prägekraft unseres Begriffes nicht an. — G. H. Dodd, welcher in seinem 1932 erstmals erschienenen Aufsatz „The Framework of the Gospel Tradition" (jetzt in: New Testament Studies, Manchester 1953, S. 1-11) das später in seinen berühmten Vorlesungen über „The Apostolic Preaching and its Developments" (ich benutze den Abdruck: New York 1962) aus den Reden des 1. Teils der Apostelgeschichte ausführlich eruierte, urchristlich-apostolische Predigtschema (Hauptmodell: Apg. 10,34-43) als Rahmenplan für das Markusevangelium anspricht und gleichzeitig um eine von Markus verarbeitete Vorlage für die Darstellung der missionarischen Wirksamkeit Jesu ergänzen möchte (zur Kritik vgl. D. E. Nineham. The Order of Events in St. Mark's Gospel — an examination of Dr. Dodd's Hypothesis, in: Studies in the Gospels. Essays in memory of R. H. Lightfoot, Oxford 1955, S. 223-239), verbindet jenes Predigtschema ebenfalls nicht mit dem Begriff Evangelium (den er durchgängig mit dem hellenistischen Kerygma-Begriff identifiziert und deshalb scharf von jedem didaktisch-paränetischen Gut trennt). — S. Schulz bestreitet energisch jeden Zusammenhang zwischen Begriffsgeschichte von Evangelium und urchristlicher Evangelienschreibung (Die Bedeutung des Markus für die Theologiegeschichte des Urchristentums, Studia evangelica Bd I I , Teil 1 — TU 87, Berlin 1964, S. 135-145, bes. 135f.; vgl. ders., Die Stunde der Botschaft, Hamburg 1967, S. 34 ff.), und H. Conzelmann bemerkt ähnlich, wenn auch vorsichtiger als Schulz, daß „Etymologie und Begriffsgeschichte [von εύαγγέλιον] nicht ergiebig (sind)", wenn es um die Bestimmung von Sinn und Rang des neutestamentlichen Botschaftsbegriffes gehe (Grundriß der Theologie des Neuen Testaments, München 1967, S. 78, vgl. auch S. 115f.) —· Ich kann es kaum f ü r einen Zufall erachten, daß alle genannten Exegeten von einem hellenistisch geprägten EvangeliumBegriff ausgehen. Sollte sich damit ergeben, daß es einer der entscheidenden Mängel der hellenistischen Begriffsherleitung ist, das Phänomen der Traditionsund Evangelienbildung unter dem Obergriff εΰαγγέλιον nicht verständlich machen zu können? 1 In seinem „Griechisch-Deutschen Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der übrigen urchristlichen Literatur" (Berlin, 5. Aufl. 1958) Sp. 627-630 f ü h r t Bauer das Substantiv eindeutig und das Verbum höchstwahrscheinlich auf hellenistische Wurzeln zurück. 2 Artikel: Evangelium, Theol. Begriffslexikon zum NT, Fase. 3, S. 295-301. I n dem Artikel werden die problematischen Stellen Ape. 10,7 und 14,6 leider nicht erwähnt. 3 Artikel: Evangelium, B H H Bd. 1 (Göttingen 1962) Sp. 456/457. 4 Die Stunde der Botschaft, Hamburg 1967, S. 35. 6 Vgl. die Einleitung „Evangelium" zum Evangelienabschnitt der Neutestamentlichen Apokryphen, Bd. 1, Tübingen 3. Aufl. 1959, S. 41-44. Schneemelcher vertritt um der Fülle des hellenistischen Belegmaterials willen (bei gleichzeitigem Schweigen der jüdischen Quellen!) die Übernahme des Substantivs εύαγγέλιον durch die hellenistische vorpaulinische Gemeinde aus dem Sprachgebrauch des Kaiserkults, läßt dann aber den Begriff auch unter alttestamentlich-jüdischen Einfluß kommen, so daß er als nomen actionis bei Paulus „Das Heilsgeschehen in Christus, Gottes Heilshandeln in Menschwerdung, Tod und Auferstehung Christi" (S. 43) bezeichnet und von Markus zum interpretierenden Leitbegriff seines Evangeliums erhoben werden kann

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und neben Bultmann für eine Herleitung unseres Begriffes aus der sakralen Terminologie des Kaiserkults und des Hellenismus eingesetzt haben, helfen Willi Marxsen und Günther Bornkamm formgeschichtlich weiter. Willi Marxsen leitet in seiner Habilitationsschrift „Der Evangelist Markus" 1 das Verbum εύαγγελίζεσθ-αι aus jüdischen Wurzeln, das Nomen jedoch aus der hellenistischen Terminologie des Kaiserkultes her und meint, erst Paulus habe dieses Nomen in die urchristliche Begriffssprache eingeführt 8 . Paulus faßt in diesem Begriff nahezu formelhaft „das in Christus bereitete und durch die Verkündigung dem Hörer gebrachte Heil zusammen"3. Nach Paulus ist der Verkündigungsterminus einem zunehmenden Historisierungsprozeß unterworfen gewesen. Markus durchdringt mit Hilfe dieses Begriffes seine Tradition, und zwar vom Leitgedanken der Repräsentation her 4 : Im Evangelium, d. h. in der worthaften Weise des Evangeliums, ist der Herr (verborgen) bei den Seinen. Das eigentliche Markusevangelium ist der „Kommentar" 8 zum paulinischen Begriff Evangelium® und soll die Gemeinde in der Zeit zwischen Ostern und der Parusie der Anwesenheit des Herrn im gepredigten Evangelium versichern: „Das Evangelium ist . . . als ein Werk zwischen Ostern und Parusie zu charakterisieren. Das Euangelion repräsentiert als Verkündigung das Jesusgeschehen vom ersten öffentlichen Auftreten bis zum Kreuz. Dieses Geschehen ist seit Ostern als ein messianisches verkündbar geworden (9,9). Ostern bestimmt die Darstellung der Vergangenheit als geheime Epiphanie — und dadurch geschieht nun eben auch die Verkündigung als geheime Epiphanie — und zwar bis zur Parusie" 7 . Oder kurz zusammengefaßt : „Der Evangelist [sc. Markus] verkündigt den Dagewesenen als den Kommenden, der — in geheimer Epiphanie — in der Verkündigung präsent ist" 8 . Was hier geschieht, ist deutlich: Marxsen versucht, das Markusevangelium vom inneren (so mit G. Bornkairun). Als Inhaltsangabe für Paulus dienen Schneemelcher Rom. 1, Iff. und l.Kor. 15, Iff. 1 FRLANT 76, Göttingen (1956) 2 1959; Marxsens Sicht findet sich kurz zusammengefaßt in seiner Einleitung in das Neue Testament, Gütersloh (1963) 3 1964, S. 123ff. 2 3 Evangelist Markus2 S. 91. Einleitung 3 S. 123. 4 „Die entscheidende Feststellung ist die Beobachtung des Sachverhalts der Repräsentation im Zusammenhang mit εύαγγέλιον. Durch diesen Begriff wird die Art und Weise ausgedrückt, in der der Herr in seiner Gemeinde gegenwärtig ist. So können Stellen, die in der Tradition von Jesus reden, durch εύαγγέλιον interpretiert und dadurch auf die Situation des Markus hin umgeformt werden (8,35; 10,29). Der Streit, ob Jesus Inhalt oder Bringer des Evangeliums ist, muß für Markus dahin entschieden werden, daß beides der Fall ist" (Evangelist Markus2 S. 90). 6 Evangelist Markus2 S. 92; vgl. Einleitung 3 S. 123. • Zu der vergleichbaren Sicht von Martin Dibelius vgl. S. 42 Anm. 4. 8 ' Einleitung 3 S. 127. A.a.O. S. 129.

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Sachgehalt des Evangelium-Begriffes her zu erschließen und damit auch die berühmte markinische Theorie vom Messiasgeheimnis als Komponente eben des Begriffes Evangelium darzustellen. Offen bleibt freilich, in welchem Maße die Begriffsgeschichte von εύαγγέλιον solcher Sicht Anhalt zu bieten vermag. Bei Marxsen selbst werden hier noch keine Verbindungslinien sichtbar1. Günther Bornkamm hat sich über unseren Gegenstand nur im Rahmen von Spezialuntersuchungen zu andersartigen Themen geäußert 2 . Daher läßt sich nur folgendes erkennen: Mit Bultmann führt Bornkamm absolut gebrauchtes το εύαγγέλιον = „die Heilsbotschaft von Jesus Christus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen" 3 auf die Missionsterminologie der vorpaulinischen, hellenistischen Gemeinde zurück. Woher diese den Begriff nahm, bleibt offen. Der Herleitung aus dem Kaiserkult steht Bornkamm skeptisch gegenüber4. Bei Paulus kann das Wort als Inbegriff der mündlichen Verkündigung gelten: „Die mit dem Begriff verbundenen Ausdrücke des Redens und Hörens und die Synonyma 'das Wort' (ό λόγος) und 'die Predigt' (το κήρυγμα) zeigen, daß Evangelium hier immer die mündliche Botschaft bzw. ihren Inhalt meint . . . Inhalt des Evangeliums ist im ältesten [ = vorpaulinisch/paulinischen] Gebrauch des Wortes nicht die irdische Geschichte Jesu, sondern er selbst als Christus, Gottes Sohn, Herr und sein Tod und seine Auferstehung als eschatologisches Heilsereignis"5. Dies ändert sich nach Paulus. Markus erhebt, wie Bornkamm in der Nachfolge von M. Dibelius® hervorhebt, Evangelium zum „interpretierenden Leitbegriff" seines Evangeliums7. Das 1

Daß bei Matthäus ein anderes Verständnis von Evangelium vorliegt als bei Markus, betont Marxsen (Evangelist Markus2 S. 95) völlig zu Recht. Er sieht auch, daß bei Matthäus Evangelium in Verbindung zu Redekomplexen gesetzt werden kann (a.a.O. S. 82. 92ff.), versteht dieses Phänomen dann aber so, daß Matthäus in seinem Buche „Evangelien" darbieten wolle. Marxsen muß so konstruieren, weil ihn sein Entwurf der Begriffsgeschichte von εύαγγέλιον daran hindert zu sehen, daß Matthäus mit seiner Redeweise von Evangelium (reflektiert) wiederanknüpft an alte urchristlich-palästinische Sprechweise, wie sie z.B. Ape. 14,6 erhalten ist. 2 Der Auferstandene und der Irdische, in : Zeit und Geschichte, Dankesgabe an R. Bultmann z. 80. Gebtg., Tübingen 1964, S. 171-191, vor allem S. 176 (der Aufsatz ist erneut abgedruckt in: Überlieferung und Auslegung im Matthäus-Evangelium, WMANT 1, Neukirchen 4. Aufl. 1965, S. 289-310, vor allem S. 294); Christus und die Welt in, der urchristlichen Botschaft, in: Das Ende des Gesetzes (Ges. Aufs. I), BevTh 16, München 2. Aufl. 1958, S. 157-172; Artikel: „Evangelien, formgeschichtlich", und „Synoptische Evangelien", RGG 3 II Sp. 749-753 und 753-769. 3 RGG 3 II Sp. 760. 4 „Die Botschaft von der Herrschaft Jesu Christi ist das Evangelium von der Rechtfertigung, das Wort von der Versöhnung. Als solche ist sie nicht eine Botschaft, die sich genährt hätte an dem politischen Mythos des Imperators und des Imperiums" (Christus und die Welt, S. 168). 6 RGG 3 II Sp. 749. « Vgl. S. 42 Anm. 4. ' RGG 3 II Sp. 749. 4 5638 Stuhlmacher, Evangelium

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bedeutet, daß Markus mit Hilfe dieses Begriffes seine Geschichte Jesu „als vergegenwärtigende Verkündigung und Anrede", und zwar vor der Parusie, erscheinen lassen möchte1. Auch Bornkamms exegetischformgeschichtliche Erkenntnisse würden an Gewicht gewinnen, wenn ihnen eine Begriffserklärung zu Hilfe käme, welche die Entwicklung des Evangelium-Begriffes zum Interpretament geschichtlicher Evangelientradition als historisch folgerichtig erweisen könnte. Es ist nunmehr zu prüfen, ob sich auf seiten der semitischen Begriffserklärung ein Weg andeutet, der dazu verhilft, die im Rahmen des hellenistischen Erklärungsversuches auftretenden Aporien oder offenbleibenden Fragen zu vermeiden bzw. zu beantworten. 2. Der semitische

Ableitungsversuch

Die von Schniewind und Friedrich erarbeitete Sicht des Werdeganges von εύαγγέλιον wird ohne wesentliche Modifikationen nach dem Kriege vertreten von Martin Albertz2, Werner Schmauch3, Niels Alstrup Dahl4, Werner Georg Kümmel8 und auf katholischer Seite z.B. von Josef Schmid® und Peter Bläser7. Walter Grundmann stellt 1 A.a.O. Sp. 760f. Bornkamm setzt sich, auch wenn er in dieser Hinsicht W. Marxsen folgt, ausdrücklich zur Wehr gegen dessen These, die markinischen ( = galiläischen) Gemeinden hätten in unmittelbarer Erwartung der in Galiläa stattfindenden Parusie gelebt. 2 Die Botschaft des Neuen Testaments, 1. Bd.: Die Entstehung der Botschaft, 1. Halbbd. : Die Entstehung des Evangeliums, Zollikon-Zürich 1947, S. 164-171. »1 Artikel: Evangelium, EKL I (1956) Sp. 1213-1216. Hva betyr εύαγγέλιον i Det Nye Testamente? SvTK 36, 1960, S. 152-160. Dahl läßt zwar die detaillierteren Fragen der Entwicklung des neutestamentlichen Sprachgebrauchs bewußt offen, schließt sich aber in der Grundkonzeption S. 154f. Schniewind-Friedrich an und meint wie sie, der substantivische Gebrauch von Evangelium im Neuen Testament erwachse aus einer ursprünglicheren, semitisch-verbalen Ausdrucksweise. 5 Einleitung in das Neue Testament, Heidelberg 141965, S. 11 f.; in seinem Aufsatz „Die Eschatologie der Evangelien" (jetzt in: Heilsgeschehen und Geschichte, Ges. Aufs., Marburger Theol. Studien 3, Marburg 1965, S. 48-66) nimmt Kümmel gg. Dalman mit Schniewind an, das Verbum habe vom Alten Testament an den Grundsinn erfreulichen Botschaftens (S. 53f.). Historischeindeutige Belege für den Gebrauch des Nomens durch Jesus existieren nicht. Da Kümmel Mt. 11,2-6 gerade um der verhüllten christologischen Aussage willen f ü r historisch ursprünglich hält (ebenso z.B. auch in: Verheißung und Erfüllung AThANT 6, Zürich 3. Aufl. 1956, S. 102-104), die Perikope dazu von der Freudenboten-Vorstellung her zu verstehen ist, kann er resümieren: „Mt 11,5 zeigt also, daß Jesus diese Erwartung des Spätjudentums auf sich bezogen und sich als den Freudenboten der Endzeit gewußt hat. Bei aller Unsicherheit läßt sich also doch ziemlich sicher sagen, daß Jesus seine Predigt von der kommenden Gottesherrschaft als .Evangelium' bezeichnet h a t " (S. 53/54). • Artikel: Evangelium, LThK 3 (1959) Sp. 1255-1259 und Artikel Evangelium, Bibeltheol. Wörterbuch I, S. 369-375. ' Artikel: Evangelium, Handbuch theol. Grundbegriffe I (1962) S. 355-363 ( = eine gute Zusammenfassimg der bisherigen exegetischen Forschung!).

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unter dem Einfluß von W. Marxsens Studien zum Markusevangelium hellenistische und alttestamentlich-jüdische Wurzeln nebeneinander, wobei für ihn die zweite die wichtigere zu sein scheint1. Weiterführend ist in unserem Zusammenhang die Studie „Der Verborgene Menschensohn in den Evangelien" von Erik Sjöberg 2 . Im einleitenden Kapitel „Die urchristliche Botschaft als geoffenbartes Geheimnis" versucht Sjöberg zu erweisen, daß die neutestamentliche Botschaftsterminologie, vor allem der Begriff Evangelium, im Horizonte eines apokalyptischen Offenbarungsbegriffes zu sehen sei: „Man rechnet . . . in der Apokalyptik mit zwei Arten von Offenbarung: in diesem Zeitalter eine besondere Offenbarung an die Gerechten, wodurch sie von den göttlichen Geheimnissen Erkenntnis erhalten, während sie vor der Welt noch verborgen bleiben und bleiben sollen; in der Endzeit das In-Erscheinung-Treten der Geheimnisse vor dem ganzen Kosmos, die himmlische und die irdische und die unterirdische Welt mit einbegriffen"3. Sjöberg gewinnt so eine überraschende Möglichkeit, die sich bei Paulus schon terminologisch abzeichnende, in den Deuteropaulinen klar hervortretende Bezeichnung des Evangeliums als „Mysterion" religionsgeschichtlich zu verstehen. „Wenn das Ν. T. vom Evangelium als einem geoffenbarten Geheimnis redet, geht es vom Mysterien- und Offenbarungsbegriff der jüdischen Apokalyptik aus. Die neutestamentliche Verkündigung des Mysteriums läßt sich so gut wie vollständig von diesem Hintergrund aus verstehen. Die verschiedenen Aspekte des jüdisch-apokalyptischen Mysterienbegriffes kommen darin zum Ausdruck. Der große Unterschied gegenüber der jüdischen Apokalyptik ist aber der, daß das Ν. T. voraussetzt, daß das In-Erscheinung-Treten der bisher verborgenen Geheimnisse schon angefangen hat. Nur ganz vereinzelt kann man im neutestamentlichen Mysterienbegriff einen Einfluß der außerjüdischen Gnosis oder der Mysterienreligionen spüren" 4 . Wenn man den Begriff des Evangeliums von diesem apokalyptischen Hintergrund aus interpretieren dürfte, dann würde er, strukturell gesehen, eine aus dem Weltende schon jetzt in die Gegenwart hereinbrechende, verborgene Offenbarungsmacht bezeichnen6. Die von Schlatter geprägte Sicht des EvanDas Evangelium nach Markus, ThHK 2, Berlin 2. Aufl. 1962, S. Iff. Acta regalie societatis humaniorum Lundensis 53, Lund 1955. 3 A.a.O. S. 2. 4 A.a.O. S. 13. 5 So thetisch und ohne weitere religionsgeschichtliche Reflexion Heinrich Schlier in seiner neutestamentlichen Besinnimg „Wort Gottes", Würzburg (1958) 21962, S. 18: Im apostolischen Wort = Evangelium „offenbart sich das in einer vorläufigen Weise (έν μυστηρίω, sagt Paulus 1 Kor 2,7), was sich einmal endgültig und augenscheinlich in der Parusie Christi offenbaren wird. Das aber heißt, daß das Evangelium nichts weniger ist als das vorläufige und im Wort verhüllte Anwesen des Christus, der endgültig und unverborgen ankommen wird. Wo das Evangelium verkündet wird, da eilt der erhöhte Herr in seinem 1

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geliums, welches die Freude am Anbrach des Heils erweckt und doch zugleich zur Hoffnung auf den kommenden Gott ermutigt, ließe sich in diese apokalyptische Begriffsgeschichte ebensogut einzeichnen, wie die Versuche von W. Marxsen (und H. Conzelmann1), die markinische Theorie des Messiasgeheimnisses als christologische Punktion einer als verborgene Epiphanie zu verstehenden Botschaft aufzufassen. Sjöbergs Anregungen verdienen es also, sehr sorgsam überprüft und durchdacht zu werden. Weiterführend ist ferner der Versuch von John Wick Bowman, das bisher unter den jüdischen Belegen noch fehlende, theologisch gebrauchte Nomen mitoa auf dem Wege eines sprachlichen Rückschlusses zu ergänzen 2 . Bowman war in seinem 1955 in Philadelphia erschienenen Buch „Prophetic Realism and the Gospel" bei dem Versuche, die Substanz beider Testamente der hl. Schrift heilsgeschichtlich unter einem als prophetische Offenbarung verstandenen Begriff „Gospel" zu verknüpfen, auf die Tatsache gestoßen, daß sich wohl vom Verbum εύαγγελίζεσθαι her mit Friedrich eine derartige begriffsgeschichtliche Kontinuität aufzeigen lasse, nicht aber mit Hilfe des Nomens: „. . . the use of the noun evangelion (gospel) also indicates the influence of the Second Isaiah upon the Synoptic tradition, though admittedly we have here more of a problem than that pertaining to the use of the verbs. Mark alone of the sources of the Synoptic Gospels uses this noun as on the lips of Jesus" 3 . Bowman versucht die Lücke zu schließen, indem er die Historizität des markinischen Sprachgebrauchs postuliert: „ . . . it appears to me that the Marcan tradition as exhibited in these five passages [1,15; 8,35; 10,29; 13,10 und 14,9] is more likely than not to be authentic and so from our Lord's own lips, if for no other reason than that they appear to reflect an early period when the gospel was still something that Jesus heralded rather than something that he was himself" 4 . Bowman zitiert diesen Passus mitsamt seiner (freilich unhaltbaren) Argumentation, als er das Problem des fehlenden, theologisch gebrauchten, semitischen Nomens nun unter sprachlichem Aspekt in seinem Beitrag zu den „Studies in memory of Th. W. Manson" (1959) erneut aufgreift. Der Aufsatz trägt die Überschrift „The Term Gospel and its Cognates in Wort in Menschenmund seiner Erscheinung voraus, da nimmt er seine Zukunft in der Ansage seiner selbst als des Zukommenden vorweg". 1 Gegenwart und Zukunft in der synoptischen Tradition, ZThK 54, 1957, S. 277-297 mit der für unseren Zusammenhang wichtigen These: „Die Geheimnistheorie ist die hermeneutische Voraussetzung der Gattung ,Evangelium' " (S. 295). Ebenso jetzt: Theol. d. NTs. S. 158ff. 160ff. 2 Ein auch in der liturgischen Traditionsforschung methodisch durchaus Legitimes Verfahren. 3 4 A.a.O. S. 66. A.a.O. S. 67.

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the Palestinian Syriac"1. Nach einem nochmaligen Bekenntnis zu einer Theologie der Heilsgeschichte und einem Referat der Friedrichschen Sicht yon Evangelium versucht Bowman, das fehlende Nomen aufzuspüren. Er zeigt, daß in der christlichen palästinisch-syrischen Übersetzungstradition Alten und Neuen Testaments konstant die Wurzeln "lfea erhalten geblieben bzw. für das neutestamentliche εύαγγέλιον stets eingesetzt werde. Bowman folgert daraus: „. . . since this is so, we appear to have found in the Palestinian Syriac the 'missing link' between the OT Hebrew besorah and bisser, on the one hand, and the adoption by the NT Scriptures of the terms εύαγγέλιον and εύαγγελίζεσθαι as their proper equivalents, on the other— in accord with the thesis of Friedrich, Milligan, and Burrows"2. Bowman meint also, in dem christlichen palästinisch-syrischen Sprachgebrauch habe sich der z. Zt. des Neuen Testaments maßgebliche Sprachgebrauch des Aramäischen erhalten. Bowman hält dasselbe bei der christlich-syrischen Übersetzungstradition nicht für möglich : „. . . the Christian Syriac-speaking peoples consistently employed for the terms 'gospel' and 'to preach the gospel' (i.e. for εύαγγέλιον and εύαγγελίζεσ&αι, whereever they occur in the NT text), sebharta and sebhar — words whose etymological meaning is 'to think, hold as true, be convinced, believe, suppose', and the like. The only exceptions to this rule apparently concern the use of the term 'Gospel' in the title to the works of the Evangelists and at Mark I : I, in both of which cases the Syriac simply transliterates the Greek to read euangelion"3. J . A. Emerton hat daraufhin in JThSt N. S. 11, 1960, S. 332-334 angemerkt, daß Bowman die christlich-syrischen Übersetzungen aus seiner Argumentation nicht auszunehmen brauche. Bowman habe nämlich bei seiner zitierten etymologischen Erklärung von sebhar/sebharta die im Syrischen häufige Erscheinung der Bildung von Wurzeln durch Metathese der aus dem Hebräischen vertrauten Reihenfolge der Radikale übersehen. Die Wurzel sebhar ist also „the same as the Hebrew (and Western Aramaic) with metathesis of the first and second radical consonants" (S. 333), so daß sich Bowmans negatives Urteil in ein positives zu seinen Gunsten verwandeln läßt 4 . 1 2 3

Manson-Gedenkschrift S. 54^-67, das wiederholte Zitat S. 58. A.a.O. S. 61; zu Friedrich, Milligan und Burrows oben S. 28. 30. 35f. A.a.O. S. 58. Anzumerken ist, daß jene syrische Transliteration des griechischen Nomens nicht nur in den Evangelienüberschriften und Mk. 1,1 erscheint, sondern z. B. auch Rom. 1,1.16; l.Kor.9,18; 15,1 u. ö. 4 Zu jener Metathese vgl. C. Brockelmann, Syrische Grammatik, Lehrbücher f ü r d. Studium d. orientalischen u. afrikanischen Sprachen IV, Leipzig 10. Aufl. 1965, S. 24 § 38. Auch an der syrischen Wurzel sbr läßt sich, wie die bei C. Brockelmann, Lexicon Syriacum, Halle 2 1928, S. 457 s. ν. aufgeführten Stellen zeigen, dieselbe Ambivalenz des Sinnes beobachten, wie sie uns bei der Wurzel "IÍP3 im Alten Testament und Judentum begegnen wird. Das Nomen steht, wie Brockelmann zeigt, f ü r gute und f ü r schlimme Nachrichten, f ü r Botenlohn und als Äquivalent f ü r neutestamentliches εύαγγέλιον, das Verbum entsprechend

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Bowman selbst hat seine Argumentation noch zusätzlich durch den Hinweis zu untermauern versucht, daß auch im Targum des Jonathan ben Uzziel zu Jes. 53,1 und 61,1 ein theologisch gebrauchtes Nomen tnioa auftauche 1 . In der Tat ist dies im Targum zu Jes. 53,1 der Fall, während zu 61,1 nur der Infinitiv steht 2 . Den wichtigen Tatbestand, daß jenes ΚΊΊ03 im Targum zu Jes. 53,1 Wiedergabe eines hebräischen Π»Ί!2# ist, daß sich mit anderen Worten hier eine Auswechselbarkeit der Wurzeln und andeutet, hat Bowman nicht beachtet. Sein Verdienst bleibt es jedoch, nach langen Jahren der Unsicherheit endlich einen philologischen Versuch unternommen zu haben, das bisher fehlende, theologisch gebrauchte Nomen mifra im Aramäischen nachzuweisen. Bowmans Aufsatz ist dementsprechend der Grabgesang auf die spekulativen Versuche, die bekannte Begriffslücke sprachphilosophisch zu schließen. Otto Michel hat bereits 1935 in seiner Besprechung des Mollandschen Buches über das paulmische Evangelium3 die These verfochten, daß sich der Evangelium-Begriff bei Paulus und im Neuen Testament überhaupt nicht einseitig christologisch-dogmatisch definieren lasse: „Im neutestamentlichen Begriff von 'Evangelium' liegt als Substanz nicht nur die Geschichte, sondern auch die Wirkung, nicht nur die Würde, sondern auch das Werk des Christus"4. Nachdem Michel schon 1939, also lange vor der gegenwärtig aktuellen Debatte, die Verwurzelung der urchristlichen Missionsterminologie im Gedankengut Deuterojesajas hervorgehoben und gezeigt hatte, wie jenes prophetisch-alttestamentliche Erbe von der jüdischen Apokalyptik weitergereicht wurde an das Neue Testament 6 , hat er in seinem eben erschienenen Artikel „Evangelium" in dem Reallexikon für Antike und Christentum zusammenfassend zu unserem Thema Stellung genommen®. Religionsgeschichtlich schließt er sich der von Schniewind und Friedrich entwickelten Sicht an. Nur werden nun auch die Qumrantexte in die Erörterung mit einbezogen und wird gezeigt, wie die Anschauung vom Freudenboten in 1 QH 18,14 auf den Lehrer der für Empfang und Weitergabe einer schlimmen oder einer guten Nachricht sowie für die Predigt des Evangeliums. 1 A.a.O. S. 62: the Targum adopts the verb bsr in Isa. 41 : 27, and — contrary to the Hebrew use of the noun for .profane' purposes only . . . — the noun in 53 : 1 (lbhsortna) and 61: 1 (lbhsra)." 2 Vgl. J. F. Stenning, The Targum of Isaiah, Oxford 2 1953, S. 203. Die 2. Aufl. ist ein unveränderter, photomechanischer Nachdruck der Bowman vorliegenden 1. Aufl. von 1949. Bowmans Angabe zu Jes. 61,1 ist also zu korrigieren. 3 4 ThLZ 60, 1935, Sp. 141/42. A.a.O. Sp. 142. 5 So in dem Aufsatz: Freudenbotschaft und Völkerwelt, DtTh 6, 1939, S. 45-68. Vgl. vor allem die prägnante Formulierang S. 54: „Die Apokalyptik hat die Botschaft Deuterojesajas bewahrt, die Weisheitslehre hat sie gesetzlich aufgefaßt und verweltlicht, das Urchristentum hat sie verwirklicht." • RAC, Bd. 6, Sp. 1107-1160.

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Gerechtigkeit übertragen wird, so daß sich eine Parallelität zu Lk. 4,16ff. ergibt, wie andererseits auch der paulinische Offenbarungsbegriff von Gal. 1,12. 14f. mit dem der Sekte streckenweise parallel läuft. Wie die genannten Vorarbeiten bereits andeuteten, legt Michel allen Nachdruck darauf, herauszuarbeiten, daß der neutestamentliche Begriff Evangelium, auf deuterojesajanischer Tradition fußend, ein apokalyptisch strukturierter Botschaftsbegriff ist, aus dem heraus die aktuale Proklamation der Herrschaft Christi bei Paulus ebenso erwächst, wie die Geschichtsbezogenheit solcher Botschaft die spätere Evangelienschreibung nicht mehr unbegreiflich erscheinen läßt. Sprachgeschichtlich gehört Ape. 14,6f.; 10,7 an den Beginn der neutestamentlichen Begriffsentwicklung. Chronologisch ist die Verwendung der Wortgruppe durch Jesus selbst (Mt. 11,5 par ; Lk. 4,18 ; Mk. 1,14 f. ) der urchristlichen Redeweise vom Evangelium vorgeordnet. Bereits bei Jesus selbst werden die später noch bestimmenden Akzente gesetzt : „Jesus ist gewiß, daß die eschatologische Thronbesteigung Gottes unmittelbar bevorsteht und daß er selbst dazu gesandt ist, die Wende mit ihren Krisen heraufzuführen . . . So sind die Freudenbotschaft von der Thronbesteigung Gottes u(nd) das E(vangelium), das sich mit Jesus Christus vollzieht, unlöslich miteinander verbunden"1. Auch „der Hintergrund u(nd) die Struktur der paulinischen Botschaft werden durch die Apokalyptik bestimmt. Der Apostel weiß sich in einem bestimmten u(nd) zugespitzten Augenblick der Geschichte berufen u(nd) hat seine Aufgabe in dem eschatologischen Ablauf der Endereignisse (Gal. l,15f.)" 2 . Dem Apostel ist Evangelium ein Geschehnis der Proklamation, kraft dessen Gottes Heilswille in der Welt durchgesetzt wird. Wesentlicher, in den christologischen Schemata noch variabler (man beachte die Differenz zu Molland!) Inhalt des Evangeliums ist Jesus Christus. Das paulinische Evangelium geht für Paulus auf Gottes eigene Enthüllung zurück, ist aber offen für (christologische) Konkretion mit Hilfe von dem Apostel bereits vorgegebenen Traditionen. Substanz des Evangeliums und seine Gehorsam gebietenden Konsequenzen lassen sich nicht (mit Molland) voneinander scheiden. Der aktuale Botschaftsbegriff bleibt in der Paulusschule und bei den Apostolischen Vätern bis weit in die ersten christlichen Jahrunderte erhalten, während er sich daneben als Kunde von einem geschichtlichen Ereignis zum Kristallisationskern der urchristlichen Evangelienschreibung entwickelt. Diese wiederum wird gefolgt von der judenchristlichen und gnostischen, apokryphen Evangelientradition. Das Thema Gesetz und Evangelium ist dem Begriff von seinen alttestamentlichen Ursprüngen her inhärent, findet aber nach 1

A.a.O. Sp. 1112/13.

2

A.a.O. Sp. 1117.

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Auslegungsgesch ichte

den ersten Auseinandersetzungen im Vollzug der (pauünischen) Heidenmission seine eigentliche, terminologische Ausprägung erst bei Marcion und dessen kirchengeschichtlichen Kontrahenten. So hilft Michels Skizze insgesamt Sjöbergs Ansatz zu bestätigen: Der neutestamentliche Begriff Evangelium steht in apokalyptischem Rahmen; er ist christologisch gefüllt und darin zugleich geschichtsbezogen. Die Evangelienschreibung wird sachlich begreifbar, und Ape. 14,6 gilt nicht mehr länger als Fremdkörper unter den neutestamentlichen Belegstellen. Freilich ist dies alles ein Ansatz, welcher traditionsgeschichtlicher Konkretion dringend bedarf. Joachim Jeremias ermöglicht es, das sich nunmehr abzeichnende Bild der Begriffsentwicklung von Evangelium thetisch zusammenzufassen. Jeremias hat in seinen Franz-Delitzsch-Vorlesungen über „Jesu Verheißung für die Völker" 1 wahrscheinlich gemacht, daß in Ape. 14,6 ein vorpaulinischer Wortgebrauch von εύαγγέλιον vorliegt, der in die jüdisch-frühchristliche Hoffnung auf die endzeitliche Wallfahrt der Heiden zum Zion hineingehört, also noch ganz israelitisches Gepräge besitzt. Nicht von der Missionsbotschaft ist die Rede, sondern den Völkern der Welt wird in der letzten Stunde durch Engelmund Gottes sieghafte Ankunft ausgerichtet. Jeremias sieht mit Lohmeyer diesen Sprachgebrauch auch in dem Logion Mk. 13,10 vorliegen und hat ihn seinerzeit ebenso in Mk. 14,9 erkennen wollen2. Die Gegenargumente von F. Hahn 3 haben Jeremias jedoch davon überzeugt, daß εύαγγέλιον in Mk. 14,9 Bezeichnung für die christliche Missionsbotschaft (der hellenistischen Gemeinde!) ist. In der Neufassung seines Aufsatzes über Mk. 14,9, die jene alte Deutung korrigiert, gibt Jeremias einen Abriß der frühchristlichen Begriffsgeschichte von εύαγγέλιον. Dieser Abriß faßt das Ergebnis der vom semitischen Belegmaterial aus angestrengten Bemühungen um unseren Begriff zusammen und sucht zugleich, die Brücke zur hellenistischen Deutung zu schlagen. Ihm kommt daher ähnliche Bedeutung zu wie Bultmanns kurzer Problemskizze. Jeremias schreibt: „Im Unterschied zum Verbum hebr. "lfea/aram. "lfea/εύαγγελίζεσθ-αι, das mit Deuterojesaja religiöse Bedeutung gewonnen hatte, wird . . . das Nomen hebr. mfra (sie !)/aram. mioa/εύαγγέλιον im AT, in LXX und im gesamten rabbinischen Schrifttum ausschließlich profan gebraucht; wohl aber ist 1

Stuttgart, 2. Aufl. 1959, S. 19f. 59. Vgl. „Die Salbungsgeschichte Mk. 14,3-9" (ursprünglich in ZNW 35, 1936, S. 75-82, jetzt in:) Abba, Studien zur neutestamentlichen Theologie und Zeitgeschichte, Göttingen 1966, S. 107-115; „Markus 14,9" (ursprünglich in ZNW 44, 1952/53, S. 103-107, jetzt neubearbeitet in:) Abba, S. 115-120. Zu Mark. 13,10 vgl. Jesu Verheißung2 S. 19f. 3 Das Verständnis der Mission im Neuen Testament, WMANT 13, Neukirchen 1963, S. 101 bes. Anm. 4. 2

Zusammenfassung

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εύαγγέλιον in der hellenistischen Welt, insbesondere im Kaiserkult, als religiöser Terminus belegt. Es ist daher sehr fraglich, ob Jesus das Nomen 81103/εύαγγέλιον überhaupt gebraucht hat. Es war vielmehr dis hellenistische Gemeinde, die das Wort εύαγγέλιον aufgriff, und zwar zunächst als eschatologischen Terminus, wie Offb. 14,6f. zeigt; hier bezeichnet εύαγγέλιον αίώνιον die in der Stunde der Weltvollendung durch Engelmund verkündigte 'ewig gültige (unwiderrufliche) (Sieges-)Botschaft' vom Anbruch der ώρα της κρίσεως, die an 'alle Erdbewohner, jedes Volk, jeden Stamm, jede Zunge, jede Nation' ergeht. Diese Übernahme von εύαγγέλιον in den christlichen Sprachgebrauch muß bereits vor Paulus, also in den beiden ersten Jahrzehnten nach Jesu Tod, erfolgt sein; denn bei Paulus hat εύαγγέλιον schon im ältesten Brief eine Bedeutungsverschiebung erfahren: es ist zum Terminus für die christliche Missionsverkündigung geworden" 1 . VI. Zusammenfassung Wer auf die durchmessenen hundert Jahre Begriffsforschung zum Thema Evangelium zurückblickt, sieht die Entwicklung und den Erkenntnisfortschritt folgendermaßen verlaufen : Etwa bis zur Jahrhundertwende ist ein noch durchaus lehrhafter, doktrinärer Gebrauch des Begriffes Evangelium vorherrschend, dem historische Differenzierungen erst mühsam abgerungen werden müssen. Dies gelingt noch im Rahmen jener Gleichsetzung von Evangelium und doctrina vor allem Alfred Seeberg, seit dessen Forschungen die Fragen nach dem Formgehalt und der formgebenden Funktion von εύαγγέλιον gestellt sind, Fragen, die noch unbeantwortet offenstehen. Die um die Jahrhundertwende einsetzende, religions- und traditionsgeschichtliche Forschung zu unserem Thema ist ganz nur aus der Frontstellung zu jener dogmatischen Anschauung von Evangelium heraus zu begreifen. Da im Jahre 1899 die berühmte Kalenderinschrift von Priene veröffentlicht wird, erhält zunächst der Versuch, neutestamentliches Evangelium vom Hintergrund der hellenistischen Redeweise her zu deuten, großen Auftrieb. Jedoch erklärt bereits 1 Abba S. 119; nicht ganz deutlich ist mir, ob Jeremias die Übernahme von Evangelium durch die vorpaulinische Gemeinde aus dem Sprachgebrauch des Kaiserkults annehmen möchte, oder die kaiserkultliche Begrifflichkeit nur erwähnt, um das Problem eines Fehlens vergleichbarer Redeweise von Evangelium im Judentum aufzuzeigen. Ich halte das zweite für wahrscheinlich, da die Übernahme eines eschatologischen Begriffes Evangelium = Siegesbotschaft (aber noch nicht: Missionsbotschaft!) aus dem Kaiserkult unmöglich ist. Sollte Jeremias das erste ins Auge fassen, so würde an seinem Beitrag noch einmal die Aporie deutlich, die Bowman aus dem Wege zu räumen versucht.

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Auslegungsgesohichte

Wellhausen, angesichts des heilsgeschichtlichen Gesamtakzents, den Evangelium im Neuen Testament trägt, diesen hellenistischen Erklärungsversuch für bloßen Notbehelf, und Grete Gillet sieht sich zwanzig Jahre später gezwungen, wenn zwar nicht das Nomen, so doch das Verbum in Kontinuität zum Sprachgebrauch des Alten Testaments und der Septuaginta zu begreifen; sie stößt darüber hinaus vor zu einer Sicht von Evangelium, die dem Begriff im Rahmen der Literaturgeschichte des Neuen Testaments eine Schlüsselfunktion zuerkennt. Auf der anderen Seite sind inzwischen J . Weiß und vor allem A. v. Harnack zu einer traditionsgeschichtlich differenzierten Sicht unserer Begriffsgruppe gelangt, welche mit Jesu Reichsbotschaft einsetzt, diese vom apostolischen Christusevangelium abhebt und innerhalb des apostolischen Sprachgebrauchs noch einen palästinischen, einen vorpaulinisch-hellenistischen und einen paulinischen unterscheiden möchte. Auf Paulus folgt dann die Evangelienschreibung unter der sachlichen Nötigung, die εύαγγέλιον als christologisch gefüllter Missionsterminus ausstrahlte. Die Begriffsdeutung auf Grund semitischer Quellen sieht sich, nachdem sie von Joh. Müller psychologisch-intuitiv und von A. Schlatter vor allem systematisch-christologisch angestoßen worden war, alsbald vor das Problem gestellt, daß sich ein dem technischen Singular des Neuen Testaments το εύαγγέλιον = Christusbotschaft auch nur einigermaßen vergleichbarer, theologischer Gebrauch des hebräischen oder aramäischen Nomens ΠΊ1Μ in den Quellen nicht nachweisen läßt. Ihre historische und systematische Eindrücklichkeit erhält diese Forschungsrichtung dadurch, daß sie einerseits das Evangelium vom dynamischen Begriff des Wortes Gottes her zu erschließen vermag und andererseits das neutestamentliche Verbum εύαγγελίζεσθαι über die Verkündigung Jesu hinweg ins Judentum und Alte Testament, und hier speziell bis in die Erwartung eines (messianischen oder prophetischen) Freudenboten, zurückverfolgen kann. Die Erwartung vom Freudenboten erlaubt es dann wieder, die Brücke zum Neuen Testament und Mt. 11,2-6 par. zu schlagen. Mit den Forschungen J . Schniewinds und der Zusammenfassung, die Gerhard Friedrich den Studien seines Lehrers im Evangelium-Artikel des Theologischen Wörterbuches gab, ist die semitische Deutung von εύαγγέλιον zu der Worterklärung aufgerückt, welche die Diskussion heute beherrscht. Die Worterklärung steht freilich unter dem systematischen Vorzeichen, Verkündigung Jesu und Botschaft der Apostel sachlich sehr eng zu verzahnen, und damit zugleich in der Gefahr, die ihr noch immer innewohnende Problematik zu übersehen. Diese Problematik ist das fehlende, theologisch gebrauchte Nomen m i i i l im Bereich des

Zusammenfasst! ng

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antiken Judentums einerseits und die zunehmende traditionsgeschichtliehe Undifferenziertheit andererseits. Auf eben jene Mängel in der Gegenwart betont aufmerksam gemacht zu haben, ist das Verdienst R. Bultmanns. Da mittlerweile die sich in Mollands ehristologisch-dogmatischer Fassung des EvangeliumBegriffes bei Paulus noch einmal indirekt zu Wort meldende Identifizierung von Evangelium mit einer christologischen Doktrin als überwunden und zudem der Grundsatz traditionsgeschichtlicher Differenzierung als Allgemeingut exegetischer Methodik gelten kann, wird um den Begriff Evangelium heute nur noch in einer doppelten Front gerungen : Das Fehlen eines semitischen, theologischen, nominalen Sprachgebrauches provoziert noch immer die These von der Übernahme kaiserkultlichen Evangeliums in den Wortschatz der vorpaulinischen, hellenistischen Gemeinde. Andererseits hat jene begriffliche Lücke zu dem von J. W. Bowman •unternommenen Versuche Anlaß gegeben, das fehlende Nomen aus dem Sprachgebrauch der christlich-aramäischen Übersetzungstraditionen (auf dem Wege des Rückschlusses) zu ergänzen und damit zugleich die semitische Begriffserklärung sprachlich zu vervollständigen. Die zuletzt von W. Marxsen und G. Bornkamm wieder aufgenommene Frage nach der formprägenden Relevanz unseres Begriffes im Zusammenhang der Evangelienschreibung ließe sich in eine Traditionsgeschichte von εύαγγέλιον einzeichnen, wenn dieser Terminus tatsächlich, wie E. Sjöberg, 0. Michel und J. Jeremias annehmen, semitisch-apokalyptisch geprägt wäre, so daß das markinische Messiasgeheimnis geschichtlichchristologischer Ausdruck des Geheimnischarakters von Evangelium, das Phänomen der Evangelienschreibung bei Markus aber Ausdruck der Tatsache wäre, daß das heilsgeschichtlich-christologische Evangelium dazu nötigt, auf die Geschichte Gottes mit der Welt in Jesus Christus selbständig geschichtlich zu reflektieren. Die vorliegende Arbeit versteht sich als Versuch einer solch ganzheitlichen Begriffserklärung zunächst für die Anfangszeit der urchristlichen Überlieferung. Religionsgeschichtlich wird es ihr darauf ankommen, Bowmans Versuch zu bestätigen und auszubauen. Traditionsgeschichtlich wird es wichtig werden, den Sprachgebrauch von Ape. 14,6 exakt einzuordnen und zudem die Frage zu klären, woher der paulinische und nachpaulinische Begriff seine mysterienhaften Züge gewonnen hat. Lehrreich wäre es schließlich und für das nachpaulinische Unternehmen der Evangelienschreibung entscheidend zu wissen, in welchem Maße εύαγγέλιον traditionsbestimmt und deshalb traditionsbestimmend, formgeprägt und darum formprägend genannt zu werden verdient.

Β. DAS PROBLEM D E S P A U L I N I S C H E N EVANGELIUMS Wir stehen vor der Aufgabe, das Phänomen des paulmischen Evangeliums traditionsgeschichtlich und religionsgeschichtlich zu erhellen. Nachdem wir uns Rechenschaft über die Tendenzen der Forschung zu unserem Fragenkomplex gegeben haben und uns nunmehr der historischen Problematik zuwenden müssen, ist methodisch folgendes ratsam: Wir müssen uns zunächst einen Überblick über den paulinischen und neutestamentlichen Sprachgebrauch verschaffen. Um dann unsere religionsgeschichtliche Rückfrage ins Alte Testament, in das Judentum und den Hellenismus nicht orientierungs- und richtungslos anzusetzen, ist es erforderlich, sich der Problematik des paulinischen Evangeliums an einem möglichen komplexen Textbeispiel zunächst thetisch zu vergewissern und nunmehr erst zuzusehen, ob und in welchem Maße sich jene Sicht des Evangeliums religionsgeschichtlich und traditionsgeschichtlich gleichsam wieder „einholen" läßt und welchem überlieferungsgeschichtlichen Ort der Gebrauch des Stammes εύαγγελ- bei Paulus im Rahmen der urchristlichen Geschichte insgesamt zugehört. I. Der paulinische und neutestamentliche Sprachgebrauch 1 Der Stamm εύαγγελ- wird im Corpus Paulinum vierfach verwendet : als Substantiv εύαγγέλιον und ευαγγελιστής (dies nur Eph. 4,11; 2.Tim. 4,5); als Verbum ευαγγελίζομαι (im Medium und Passivum) und als Kompositum προευαγγελίζομαι (nur Gal. 3,8). In den Homologumena erscheint εύαγγέλιον 48mal, in den Antilegomena 2 12mal, zusammen also 60mal. Das Verbum finden wir in den echten Paulinen 19mal, in den Deuteropaulinen 2mal, zusammen also 21mal 3 . Rechnet man die zwei Belege von εύαγγελιστής und den einen des Kompositums hinzu, so kommt man auf insgesamt 84 Belege für den 1 Vgl. zum Folgenden die tabellarischen und sprachlichen Angaben bei A. v. Harnack, Kirchenverf. u. Kirchenrecht, S. 200f. ; Sehniewind, Wort u. Ev. S. 64; E.Molland, Paul.Euangelion, S. 9-13; G.Friedrich,ThWB II, S. 714,21ff.; 724,15ff. ; 735,Iff. 32ff. N . A . D a h l , SvTK 36, 1960, S. 153 und W.Bauer, Wb 6 Sp. 627-630. 2 D . h . : Kolosser-, Epheser-, 2. Thessalonicherbrief und Pastoralbriefe. 3 Wie Molland a.a.O. S. 9 nur auf 20 Belege kommt, ist mir nicht deutlich.

Der paulmische und neutestamentliche Sprachgebrauch

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Wortstamm überhaupt, eine auch dann eindrucksvolle Angabe, wenn die Fragwürdigkeit statistisch erzielter theologischer Argumente bewußt bleibt. Eindrucksvoll ist diese Zahl vor allem dann, wenn man sie mit dem sonstigen urchristlichen Gebrauch des Stammes konfrontiert. Während die Johannesbriefe, das 4. Evangelium, der Jakobus- und Judasbrief die Wurzel εύαγγελ- überhaupt nicht gebrauchen, findet sich εύαγγέλιον bei Matthäus 4mal, bei Markus 7mal (ohne 16,15), im Lukasevangelium nicht, dafür aber in Acta 2mal, im 1. Petrusbrief lmal und lmal in der JohannesoiFenbarung. Die Didache bringt es 4mal, der Barnabasbrief 2mal, 1. und 2. Klemens je lmal und Ignatius auffälligerweise 8mal ; zusammen also im Neuen Testament 15 (16)mal und bei den apostolischen Vätern 16mal = 31 (32) Belege insgesamt, außerhalb des Corpus Paulinum. Das vorwiegend medial, gelegentlich passivisch und in der Johannesapokalypse auch zweimal aktivisch gebrauchte Verbum εύαγγελίζω/ εύαγγελίζομαι ist bei Matthäus lmal, bei Markus gar nicht, bei Lukas lOmal, in Acta 15mal, im Hebräerbrief 2mal und im 1. Petrusbrief 3mal nachweisbar. Hinzu kommen 2 Belege im Barnabasbrief, zwei im 1. Klemensbrief und 1 Nachweis im Philipperbrief Polykarps. Bei Ignatius fehlt das Verb. Man kommt also auf 33 neutestamentliche und 5 Belege bei den Apostolischen Vätern, zusammen also auf 38 außerpaulinische Vorkommen. Da der Wortstamm sonst nur noch einmal im Neuen Testament auftaucht, im Substantiv ευαγγελιστής Apg. 21,8, ergibt sich, daß 70 (71) Belegen für den Stamm εύαγγελ- im urchristlichen Schrifttum überhaupt 84 im Corpus Paulinum (68 entfallen auf die Homologumena) gegenüberstehen. Da es sich bei Paulus um einen theologischterminologischen Wortstamm handelt, darf man schließen, daß εύαγγέλιον und εύαγγελίζομαι ein für das paulinische Denken überaus wichtiges Phänomen bezeichnen. Daß es sich um ein mehrschichtiges Phänomen handelt, zeigt ein Blick auf die Verwendung des Stammes bei Paulus im einzelnen. Wir wenden uns zunächst dem Substantiv zu: Absolut hervorstechendes Merkmal gerade paulinischer Sprechweise ist die singularisch-technische Verwendung von το εύαγγέλιον, die ich in den Homologumena 25mal (Rom. 1,16; 10,16; 11,28; 1. Kor. 4,15; 9,14 [2mal]; 9,18 [2mal]; 9,23; 15,1; 2. Kor. 8,18; Gal. 1,11; 2,2; 2,5; 2,14; Phil. 1,5; 1,7; 1,12; 1,16; 1,27; 2,22; 4,3; 4,15; l.Thess. 2,4; Phm. 13) finde und in den Deuteropaulinen 6mal (Eph. 3,6; 6,19; Kol. 1,5; 1,23; 2. Tim. 1,8; 1,10). Formelhaft erscheinen die Genitiw e r bindungen εύαγγέλιον του Χρίστου (Rom. 15,19; 1. Kor. 9,12; 2. Kor. 2,12; 9,13; 10,14; Gal. 1,7; Phil. 1,27; l.Thess. 3,2 = 8mal, nur in den Homologumena und sonst nirgends im urchristlichen Schrifttum) und εύαγγέ-

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Das Problem des paulinischen Evangeliums

λιον (του) θεοΰ (Rom. 1,1; 15,16; 2. Kor. 11,7; 1.Theas. 2,2; 2,8; 2,9 = 6mal, innerhalb der Paulinen nur in den echten Briefen). Wiederholt taucht die Redeweise εύαγγέλιον μου/ημών auf (Rom. 2,16; 16,25; 2. Kor. 4,3; l.Thess. 1,5; 2.Thess. 2,14; 2.Tim. 2,8 = 6mal). Die Ausdrücke εύαγγέλιον της δόξης του Χρίστου 2. Kor. 4,4, εύαγγέλιον του υίοΰ (sc. θ-εοϋ) Rom. 1,9 könnten Variationen jenes formelhaften Sprachgebrauches von εύαγγέλιον του Χρίστου sein. Ähnliches dürfte von den deuteropaulinischen Formulierungen εύαγγέλιον της σωτηρίας bzw. της ειρήνης Eph. 1,13; 6,15; εύαγγέλιον του κυρίου ημών Ίησοϋ 2.Thess. 1,8 und εύαγγέλιον της δόξης του μακαρίου θεοΰ l.Tim. 1,11 gelten. Die Ausdrucksweise εύαγγέλιον της περιτομης/της άκροβυστίας Gal. 2,7 scheint dagegen ebenso wie das zweimalige, polemische εύαγγέλιον ετερον (2. Kor. 11,4; Gal. 1,6) spontanem Interesse zu entwachsen. Bei Paulus selbst geht es, wenn man die Wortverbindungen insgesamt überblickt, bei der Rede vom Evangelium um einen relativ geschlossenen, die Offenbarung Gottes und die Christologie umfassenden Geschehenskreis. Daß es sich um einen Geschehenskreis im Rahmen der Verkündigung handelt, zeigen die vielen, mit dem Objekt Evangelium verbundenen Verba dicendi und der Mitteilung überhaupt 1 . Allen voran ist zu nennen εύαγγελίζομαι (1. Kor. 15,1. 2; 2. Kor. 11,7; Gal. 1,11), dannκηρύσσειν (Gal. 2,2; l.Thess. 2,9; Kol. 1,23), καταγγέλλειν (1. Kor. 9,14), λαλεϊν (l.Thess. 2,2), τιθέναι (1. Kor. 9,182), μεταδιδόναι (l.Thess. 2,8) und betontes γνωρίζειν (l.Kor. 15,1; Gal. 1,11; Eph. 6,19) als Offenbarungsbegriff. Während die Verbindung von άκούειν (Eph. 1,13) und προακούειν (Kol. 1,5) mit Evangelium nicht wundernimmt, ist die Verbindung mit termini technici des schulhaften Überlieferungsvorganges: παραλαμβάνειν und παραδιδόναι (1. Kor. 15,1. 3; Gal. 1,9.12), δέχεσθαι (2. Kor. 11,4) und διδάσκειν (Gal. 1,12) theologisch höchst interessant. Wie wenig es dabei möglich ist, Evangelium mit einem Verkündigungsinhalt einfach zu identifizieren, zeigt der Umstand, daß auch andere Verba mit εύαγγέλιον verbunden werden. Paulus kann von einem άφορίζειν είς εύαγγέλιον θεού sprechen (Rom. 1,1) bzw. von einem Betrautwerden mit dem Evangelium (πιστεύεσθαι το εύαγγέλιον Gal. 2,7; 1.Thess. 2,4) ; er kann reden von einem δουλεύειν είς τί> εύαγγέλιον Phil. 2,22, von πολιτεύεσ&αι άξίως του εύαγγελίου του Χρίστου Phil. 1,27, von ύπακούειν τω εύαγγελίω (Rom. 10,16; 2. Thess. 1,8), von λατρεύειν έν τω εύαγγελίω Rom. 1,9, von γεννασ&αι διά του εύαγγελίου 1 2

Vgl. G. Bornkamm, Art. Evangelien, RGG 8 II Sp. 749. τίθημι ist hier im Sinne von „darbieten" aufzufassen (vgl. Mk. 4,30; Barn. 13,6 und Lietzmann-Kümmel, I. Kor. z. St.) und nicht mit W.Bauer, Wb 6 Sp. 1615 mit „zu etwas machen" zu übersetzen.

Der paulinische und neutestamentliche Sprachgebrauch

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1. Kor. 4,15. Ja, es kann die Rede sein von einem priesterlichen Dienst am Evangelium (ίερουργεΐν τό εύαγγέλιον Rom. 15,16), von einer räumlich-zeitlichen Erfüllung (πληροϋσθαι το εύαγγέλιον Rom. 15,19) und einer räumlichen Ausrichtung des Evangeliums (φθ-άνειν εν τω εύαγγελίω 2. Kor. 10,14); von einem έ'ρχεσθαι εις το εύαγγέλιον (2. Kor. 2,12) und einem gemeinsamen συναθλεϊν im Evangelium (Phil. 4,3 vgl. 1,27). Dann wieder kann das Evangelium zur Begutachtung vorgelegt werden (άνατιθέναι Gal. 2,2), man kann, es in sein Gegenteil verkehren (μεταστρέφειν Gal. 1,7) und ihm im Wege sein (έγκοπήν διδόναι τω εύαγγελίω 1. Kor. 9,12), Ausdrücke, die einem bloßen Verkündigungsinhalt gegenüber zumindest ganz ungewöhnlich sind. Das vielschichtige Bild bestätigt sich, wenn wir noch auf die mit Evangelium verbundenen Substantive achten. Es ist die Rede von der άλήθ-εια του ευαγγελίου (Gal. 2,5. 14) bzw. dem λόγος της αληθείας του εύαγγελίου (Kol. 1,5). Es gibt eine Bereitschaft gegenüber dem Evangelium (ετοιμασία του εύαγγελίου Eph. 6,15), eine Homologie gegenüber und eine Vollmacht am Evangelium (ομολογία είς τό εύαγγέλιον 2. Kor. 9,13 und εξουσία έν τω εύαγγελίω 1. Kor. 9,18), eine Gemeinschaft am Evangelium (κοινωνία είς τό εύαγγέλιον Phil. 1,5), άπολογία und βεβαίωσις του εύαγγελίου (Phil. 1,7. 16). Der Glaube kann sich auf das Evangelium richten (πίστις τοϋ εύαγγελίου Phil. 1,27) und die Hoffnung von ihm getragen werden (Kol. 1,23: έλπίς τοϋ εύαγγελίου). Das Evangelium gilt als Mysterion (μυστήριον τοϋ εύαγγελίου Eph. 6,19; vgl. mit 1. Kor. 2,1; Eph. 3,3. 4. 9; Kol. 1,26. 27; 4,3 und die Redeweise von der satanischen Verhülltheit des Evangeliums 2. Kor. 4,3). Es schenkt Erleuchtung (φωτισμός τοϋ εύαγγελίου 2. Kor. 4,4). Es kann, erstaunlicherweise, vom Anfang des Evangeliums die Rede sein (άρχή τοϋ εύαγγελίου Phil. 4,15) oder auch von einer Förderung des Evangeliums (προκοπή τοϋ εύαγγελίου Phil. 1,12). Sowenig dies alles von einer einfach zu übermittelnden Nachricht ausgesagt werden dürfte, so deutlich ist es, daß εύαγγέλιον ein einheitliches Phänomen bezeichnet. Dies muß man im Auge behalten, wenn man sich nunmehr den verbalen Sprachgebrauch bei Paulus vergegenwärtigt. Paulus gebraucht das Verbum εύαγγελίζομαι hauptsächlich medial, einmal passivisch (Gal. 1,11), nie im Aktiv. Er konstruiert es mit persönlichem und neutrischem Akkusativ, gelegentlich auch mit dem Dativ der Person: εύαγγελίζομαι τί τινι. Auffällig ist, wie beim Substantiv auch, die absolute Redeweise von εύαγγελίζεσθαι, die Rom. 1,15; 15,20; 1. Kor. 1,17; 9,16 (2mal); 9,18; 2. Kor. 10,16; Gal. 4,13 sicher erkennbar wird. Daß sie sich aus einem neutralen Sprachgebrauch: εύαγγελίζεσ&αι = botschaften erst ergeben hat, zeigen die zwischen neutralem und dem terminologischen Gebrauch stehenden

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Stellen Gal. 1,8. 9 1 . Vor allem aber zeigt es der ganz unterminologische Satz l.Thess. 3,6 (Timotheus erscheint als ein εύαγγελισάμενος ήμίν τήν πίστιν και τήν άγάπην υμών). Auch das Zitat aus Jes. 52,7 in Rom. 10,15 (εύαγγελίζεσθαι αγαθά) u n d die verschiedenen, bei Paulus u n d in seiner Schule mit εύαγγελίζεσ&αι verbundenen Objekte (τήν πίστιν Gal. 1,23; εΐρήνην Eph. 2,17 [nach Jes. 57,19]; τό άνεξιχνίαστον πλούτος του Χρίστου Eph. 3,8 u n d schließlich τόν υίον θ-εοΰ Gal. 1,16) erklären sich ungezwungen erst dann, wenn εύαγγελίζεσθαι ursprünglich nur „botschaften" heißt u n d auch bei seiner terminologischen Verdichtung ( = das Evangelium ausrichten, proklamieren) dieser Unterton mit beibehalten worden ist. Der terminologische Gebrauch könnte sich aus der bereits erwähnten Wortverbindung ευαγγελίζεσαι τό εύαγγέλιον (1. Kor. 15,1. 2; 2. Kor. 11,7; Gal. 1,11) ergeben haben bzw. deren Abkürzung darstellen. Als Folgerung ergibt sich, daß bei Paulus die mit dem Evangelium verbundene Problematik bei der Untersuchung des Substantivs plastischer hervorzutreten verspricht als bei einer Beschäftigung mit dem Verbum, welches seine begriffliche Schärfe erst im Gefolge des absolut gebrauchten Nomens gewonnen haben dürfte. Ehe wir dem weiter nachgehen können, ist noch ein Blick auf die urchristliche, außerpaulinische Bedeweise von Substantiv und Verbum zu werfen. Ein dem absoluten Gebrauch bei Paulus analoger Sprachgebrauch des Substantivs εύαγγέλιον findet sich im Neuen Testament n u r bei Markus (1,15; 8,35; 10,29; 13,10; 14,9 [16,15]) u n d einmal in der Apostelgeschichte (15,7). Bei den apostolischen Vätern ist sicher Ignatius (Phld. 5,1. 2; 8,2; 9,2 [2mal] ; Smyrn. 5,1 ; 7,2) u n d 1.Klem. 47,2 zu vergleichen, während sich Did. 11,3; 15,3 u n d 2. Klem. 8,5 hinter dem singularischen εύαγγέλιον bereits anderer Sprachgebrauch (Evangelium = feste Überlieferungsgröße) verbirgt. Das bei Paulus begegnende εύαγγέλιον του &εοΰ findet sich noch zweim a l : Mk. 1,14; l . P e t r . 4,17. Dem paulinischen εύαγγέλιον τοϋ Χριστοί» vergleichbar sind εύαγγέλιον Ίησοΰ Χρίστου Mk. 1,1 und, wenigstens sprachlich, das εύαγγέλιον (τοϋ κυρίου) Did. 8,2; 15,4 u n d Barn. 5,9. Ohne Parallelen in den Paulinen sind das dreimalige εύαγγέλιον της βασιλείας Mt. 4,23; 9,35; 24,14, die determinierten Ausdrücke τό εύαγγέλιον τοϋτο Mt. 26,13 u n d εύαγγέλιον αίώνιον Apk. 14,6. εύαγγέλιον της κοινής ελπίδος Ign. Phld. 5,2 ist mit Kol. 1,23 vergleichbar u n d εύαγγέλιον της χάριτος τοϋ θ-εοϋ Apg. 20,24 klingt an paulmische Redeweise wenigstens an. Noch ehe wir auf weitere Wendungen achten, läßt sich eine Vermutung nunmehr schon äußern: Die determinierten Belege εύαγγέλιον τοϋτο, εύαγγέλιον της βασιλείας u n d εύαγγέ1

Vgl. Molland, a.a.O. S. 13 Anm. 1 und S. 40.

Der paulinische und neutestamentliche Sprachgebrauch

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λιον αίώνιον, die bei Paulus ohne Parallelen sind, ließen sich sprachlich am leichtesten erklären, wenn hinter ihnen ein unterminologischer Gebrauch von εύαγγέλιον = Botschaft faßbar würde, welcher die Determination möglich und nötig machte, eine Determination, welcher das terminologisch zu Christusbotschaft verfestigte τό εύαγγέλιον dann nicht mehr bedarf. Die Frage ist also, ob jene drei Wendungen traditionsgeschichtliche Rückschlüsse auf eine sprachliche Wandlung des εύαγγέλιον-Begriffes erlauben, in deren Verlauf sich neutrales εύαγγέλιον = Botschaft zu dem speziellen Sinn von „Christusbotschaft" verfestigt hat. Von den urchristlichen substantivischen Wendungen mit εύαγγέλιον erinnert αρχή του εύαγγελίου (Ίησοϋ Χρίστου) Mk. 1,1 und 1. Klem. 47,2 an Phil. 4,15, λόγος του εύαγγελίου Apg. 15,7 an Kol. 1,5, während τό δόγμα του εύαγγελίου Did. 11,3 und die Bezeichnung von εύαγγέλιον als άπάρτισμα άφθαρσίας Ign. Phld. 9,2 neue Bildungen sind. Die verbalen Verbindungen mit Evangelium : κηρύσσω τό εύαγγέλιον (Mt. 4,23; 9,35; 24,14; 26,13; Mk. 1,14; 13,10; 14,9 [16,15]; Barn. 5,9), ακούω τί> εύαγγέλιον Apg. 15,7, διαμαρτύρομαι τό εύαγγέλιον Apg. 20,24, άπειθέω τω εύαγγελίω 1. Petr. 4,17, καταγγέλλω εις τό εύαγγέλιον Ign. Phld. 5,2 (von den alttestamentlichen Propheten ausgesagt) und schließlich προσέχω τω εύαγγελίφ Ign. Smyrn. 7,2 sind uns bei Paulus bereits begegnet oder wenigstens von seiner Redeweise von Evangelium her begreiflich. Das zweimalige πιστεύω èv τω εύαγγελίω Mk. 1,15 und Ign. Phld. 8,2 erinnert an die Wendung πίστις τοϋ εύαγγελίου von Phil. 1,27, ist sprachlich aber wegen des πιστεύω h τινι unpaulinisch 1 . Das aktivische εύαγγελίζω εύαγγέλιον begegnet nur Ape. 14,6. Terminologisch ist diese Wortverbindung nicht zu verstehen, mag sie auch an das begrifflich feste εύαγγελίζομαι τό εύαγγέλιον erinnern. Wir haben hier vielmehr das griechische Äquivalent für die im Judentum häufige, unterminologische Verbindung "itos mifra 2 vor uns. In den Wendungen έκέλευσεν ó κύριος έν τω εύαγγελίω αύτοϋ Did. 8,2 und Ιχειν έν τω εύαγγελίω Did. 15,3.4 meint Evan1

Vgl. R. Bultmann, Artikel: πιστεύω, ThWb VI S. 203,28f.; W.Bauer, Wb s Sp. 1312; V. Taylor, The Gospel according to St. Mark2, S. 167. Paulus spricht nur einmal substantivisch von πίστις έν Χριστώ Ίησοϋ Gal. 3,26. Yerbales πιστεύω Iv Ttvi findet sich bei ihm nicht. 2 Zu dieser Wendung vgl. unten S. 124ff. Vergleicht man diese jüdische Redeweise mit dem Sprachgebrauch der Apokalypse und dann dem terminologischen εύαγγελίζεσθαι τό εύαγγέλιον, so liegt es nahe, folgende traditionsgeschichtliche Verbindungslinie zu ziehen: Die jüdische Formulierung spiegelt sich im Text der Johannesoffenbarung und führt weiter zu jener gebräuchlichen Wortverbindung. Genaues darüber läßt sich freilich erst unten sagen (vgl. S. 213f. 288). 5 5638 Stuhlmacher, Evangelium

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Das Problem des paulinischen Evangeliums

gelium schon eine feste (schriftlich fixierte ?) Größe, so daß es nicht verwundert, wenn beide Formulierangen bei Paulus fehlen. Abschließend ist noch der Gebrauch des Verbums im Urchristentum zu prüfen. Die uns bereits vertraute Konstruktion: ευαγγελίζομαι τί τινι taucht Lk. 1,19; 2,10; Apg. 8,35; l.Petr. 4,6; Barn. 8,3; 14,9; l.Klem. 42,1 auf; die bei Paulus nur einmal nachweisbare Verbindung mit persönlichem Akkusativobjekt (Gal. 1,9) ist bei Lukas oft nachweisbar: Lk. 3,18; 4,18; 4,43; 20,1; Apg. 8,25. 40; 13,32; 14,15. 21; 16,10 und findet sich ebenso l.Petr. 1,12; Pol. Phil. 6,3. Aktivisches εύαγγελίζω τινά findet sich einmal: Ape. 10,7, ebenso einmal εύαγγελίζω τί επί τινα: Ape. 14,6. Den bei Paulus nur Gal. 1,11 begegnenden passivischen Gebrauch des Verbums findet man häufiger (Mt. 11,5; Lk. 7,22; 16,16; Hebr. 4,2. 6; l.Petr. 1,25; 4,6; l.Clem. 42,1 mit der Konstruktion εύαγγελίζομαι άπό τίνος = das Evangelium von jem. zu hören bekommen). Absolut wird das Verbum im Medium und Passivum gebraucht: Mt. 11,5; Lk. 3,18; 4,18 (nach Jes. 61,1); 7,22; 9,6; 20,1; Apg. 8,25; 14,7 (14,15); 14,21; 16,10; l.Petr. 1,12 (vgl. ebenso Pol. Phil. 6,3 und ähnlich Barn. 8,3); 4,6; l.Clem. 42,1. Ein terminologisch verfestigter Sinn = das Evangelium proklamieren ist aber nur l.Petr. 1,12; 4,6 und Pol. Phil. 6,3 vorauszusetzen. An allen anderen Stellen kommt man mit der einfachen Wortbedeutimg „predigen" aus, wenn auch der begrifflich feste Gebrauch des Verbums in den Acta nicht unbekannt sein dürfte. Dies bedeutet insgesamt, daß im Urchristentum nichtpaulinischer Prägung εύαγγελίζομαι noch viel weniger terminologisch verfestigt ist, als es bei Paulus der Fall zu sein scheint. In der Tat weisen darauf auch die variablen Objekte, die mit εύαγγελίζομαι verbunden werden können: Lk. 1,19 nur ταϋτα; Lk. 2,10 χαράν μεγάλην; Lk. 4,43 und 8,1 (vgl. Apg. 8,12 und l.Clem. 42,3) τήν βασιλείαν του θεού, eine Konstruktion, die passivisch auch Lk. 16,16 und in Form eines A.c. I. l.Clem. 42,3 vorliegt; Barn. 14,9 χάριν (nach Jes. 61,1); Barn. 8,3 τήν άφεσιν των άμαρτιών. An Gal. 1,11 erinnert nur l.Petr. 1,25 τί> ρήμα το εύαγγελισ&έν εις υμάς. Technische Ausdrucksweise (aus dem Bereich der Heidenmission) dürfte Apg. 8,4 und 15,35 vorliegen, wenn es zweimal heißt: εύαγγελίζεσθαι τον λόγον. Die übrigen Objekte, welche in der Apostelgeschichte bei εύαγγελίζεσθ-αι stehen, fordern wieder die Wortbedeutung „predigen". Es sind dies τόν Ίησοϋν Apg. 8,35; τόν Χριστόν Ίησοϋν Apg. 5,42; τόν κύριον Ίησοϋν Apg. 11,20; τόν Ίησοϋν και τήν άνάστασιν Apg. 17,18 und είρήνην Apg. 10,36. Wir können zusammenfassen: Der Stamm εύαγγελ- wird im Corpus Paulinum' außerordentlich häufig gebraucht, häufiger als im urchristlichen Schrifttum sonst. Dem entspricht, daß die Wortgruppe in den

Exegetische Problemskizze (Gal. 1 und 2)

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Paulusbriefen, von l.Thess. 3,6 abgesehen, nur terminologisch verwendet wird, während das urchristliche Schrifttum außerhalb der Paulinen eine durchaus unterminologische Verwendung sowohl des Substantivs als auch des Verbums aufweist. Bei Paulus bezeichnet absolutes το εύαγγέλιον eine feststehende (Offenbarungs-)Größe, die, wie die mit εύαγγέλιον verbundenen Genitive του θεοϋ und του Χρίστου beweisen, Christologie und Offenbarung Gottes in ein einziges Geschehen zusammenfügt. Die mit dem Substantiv εύαγγέλιον bei Paulus verbundenen verba dicendi und tradendi machen es wahrscheinlich, daß es sich um ein Verkündigungsphänomen handelt, obwohl die vielfältigen und sachlich komplexen Wortverbindungen einer allzu raschen Identifikation von εύαγγέλιον mit einem fixierten Predigtinhalt widerraten. Das Verbum εύαγγελίζεσ&αι scheint seine terminologische Fixierung erst vom Substantiv τό εύαγγέλιον her erhalten zu haben. Damit zeichnet sich für das Verbum von Paulus her eine Begriffsgeschichte ab, welche^ einen allgemeinen Bedeutungsinhalt von „botschaften" als Vorstufe für terminologisches εύαγγελίζεσθαι vermuten läßt. Dieser Befund wird durch die außerpaulinisch-urchristliche Verwendung des Verbums ebenso bestätigt wie die nichtpaulinisch-urchristliche Redeweise von εύαγγέλιον, die erheblich weniger begrifflich verfestigt zu sein scheint als die paulinische, einen ähnlichen Werdegang auch für das Substantiv andeutet. Ehe wir der Frage nachgehen, ob sich diese Eindrücke traditionsund sprachgeschichtlich bestätigen lassen, haben wir nunmehr zu sehen, wie Paulus selbst sein Evangelium theologisch bezeichnet, verteidigt und entfaltet.

II. Exegetische Problemskizze (Gal. 1 und 2) Der Textzusammenhang, in welchem das Problem des paulmischen Evangeliums am vielschichtigsten entwickelt wird, sind die ersten beiden Kapitel des Galaterbriefes. Wir vergewissern uns deshalb unserer Aufgabe durch eine vorgreifend-thetische, exegetische Erörterimg dieser Briefpassagen. Die beiden Kapitel gehören zu den historisch umstrittensten des Neuen Testaments, die Literatur ist demzufolge nahezu unübersehbar. In unserem Zusammenhang ist es geboten und ratsam, auf die exegetischen Einzelprobleme nur insoweit einzugehen, als dies das Thema „Evangelium" erfordert. Gesamtthema der Eingangskapitel des Zirkularschreibens an die galatischen Gemeinden sind der paulinische Apostolat, das paulinische Evangelium und deren Legitimität. Paulus muß sich um diese Legitimität verkämpfen, und zwar mit äußerster 5*

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Das Problem des pauliiiischen Evangeliums

Erbitterung. Das wird formgeschichtlich bereits daran erkennbar, daß das sonst übliche, dem Briefpräskript folgende, fürbittende und für die Gemeinde danksagende Proömium im Galaterbrief fehlt. Es fehlt aber nicht nur, sondern ist ersetzt durch einen Ausdruck befremdeten Erstaunens über den Abfall der Galater vom paulinischen Evangelium, ein Erstaunen, das in eine förmliche Verfluchung aller derer ausmündet, die ein fremdes Evangelium proklamieren (1,6-9). Was ein solcher Fluch in urchristlicher Zeit bedeutet, mag man innerhalb der Paulinen an l.Kor. 5, Iff., religionsgeschichtlich an 1 QS2,4ff. ablesen: Es geht bei dem Anathema um einen im Namen Gottes vollzogenen, verbindlichen Abschiedsbescheid an häretische Elemente. Man muß sich dies in seinem ganzen Gewicht vor Augen halten, um den Ausgangspunkt und die eschatologische Position zu begreifen, von welcher aus der Apostel in Gal. 1 mid 2 argumentiert. Bereits im Präskript erklärt sich Paulus als Apostel Jesu Christi allein, ein Apostel, der weder von einer Menschengruppe noch durch einen einzelnen Menschen, sondern von Gott und seinem Christus ausgesandt ist. Praktisch dürfte dies heißen: Paulus lehnt es ab, als Sendbote nur einer Gemeinde oder auch nur eines ihrer irdischen Repräsentanten zu erscheinen. Ob sich hier mehr als eine grundsätzliche Frontstellung erkennen läßt, ist jetzt noch nicht zu entscheiden. Im Sinne jedenfalls einer grundsätzlichen Scheidung zitiert Paulus in V. 4 ihm überkommene, hymnische Tradition1: Christus ist gesandt, um die Seinen der alten Welt-Zeit zu entreißen und die neue Zeit der neuen Welt heraufzuführen. Nehmen wir diese Aussage beim Wort, so bedeutet dies, daß nach paulinischer Auffassung der Apostel und die christliche Gemeinde als Repräsentanten der durch Christus heraufgeführten neuen Zeit (und Welt) gelten, daß also Maßstäbe und Denkvoraussetzungen des Alten Äon für sie abgetan sind8. Paulus versteht sich dann also als der Sendbote der neuen Zeit, der mit seiner Botschaft aus wahrhaft eschatologischer Distanz in die alte Welt hineinruft. Solcher Sendbote muß es als Anfeindung seines Gottes auffassen, wenn die Aspekte der alten und neuen Zeit vermischt oder gar das Gewicht der apostolischen Ansage einer neuen Welt-Zeit negiert wird. Eine derartige Anfeindung Gottes und damit 1 Vgl. E. Käsemann, Artikel: Liturgische Formeln im NT, RGG 3 II Sp. 995. Die alte Bekenntnisformel wird erkennbar a) am Partizipialstil: τοϋ δόντος έαυτόν b) an ihrer geprägten, unpaulinischen Sprache: ύπέρ των αμαρτιών ήμών und έκ τοϋ αιώνος τοϋ ένεστώτος πονηρού. 2 Vgl. meine Aufsätze: Erwägungen zum ontologischen Charakter der καινή κτίσις bei Paulus, EvTh 27, 1967, S. 1-35 und: Theologische Probleme des Römerbriefpräskripts, EvTh 27, 1967, S. 374-389, bes. 378 f. Auf die Struktur der paulinischen Eschatologie im ganzen reflektiert meine Probevorlesung: Erwägungen zum Problem von Gegenwart und Zukunft in der paulinischen Eschatologie, ZThK 64, 1967, S. 423—450.

Exegetische Problemskizze (Gal. 1 und 2)

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die, wie man im Blick auf Gal. 2,21 und l.Kor. 1,17b formulieren könnte, Entkräftung des Kreuzes Christi sieht Paulus in Galatien augenscheinlich als gegeben an. Gegen wen setzt sich der Apostel zur Wehr? Vermutlich gegen eine häretische Überfremdung seiner ihm anfänglich treu anhängenden Gemeinden (vgl. das klagende οΰτως ταχέως 1,6 und die Konfession 4,12ff.). Diese werden durch ein dem paulinischen wesensfremdes Evangelium zum Abfall von Paulus und seiner Botschaft gedrängt. Man kann exegetisch noch mit allgemeiner Zustimmung rechnen, wenn man die Gegner des Paulus in Galatien als Judenchristen beschreibt, welche glaubten, ihre Christusbotschaft mit Elementen von (Tora-)Observanz verbinden zu müssen (vgl. 4,10; 5,2). Sobald man aber den Charakter solchen Judenchristentums und mit ihm die gegen Paulus erhobenen Vorwürfe näher zu charakterisieren versucht, gehen bislang die Meinungen der Ausleger noch weit auseinander. Gemeinhin nimmt man an, es handele sich um „Judaisten", welche Paulus seine faktische Angewiesenheit auf die (Lehre und Tradition der) Jerusalemer Urapostel und damit gleichzeitig die Abhängigkeit bzw. Nachträglichkeit seines Apostolati vorhielten1. Auf den logischen Widerspruch solcher Argumentation hat W. Schmithals hingewiesen2: „Es' (ist) undenkbar, daß die Jerusalemer Apostel in Galatien Paulus vorwerfen, er sei von ihnen selbst oder, falls es nur Vertreter der Jerusalemer Autoritäten sind, er sei wie sie selbst von den Aposteln in Jerusalem abhängig. Damit kann man zwar seine Autorität als Apostel herabsetzen, aber gerade nicht sein Evangelium 1 Vgl. z.B. W. G. Kümmel, Einleitung 14 , S. 194/95: „Die Gegner waren . . . zweifellos Judenchristen, die Beschneidung und Gesetzeserfüllung predigten. Daß sie mit Jerusalem in Verbindung standen, ist nun freilich nicht deutlich gesagt; immerhin scheint man doch Paulus nicht nur ganz allgemein seine bloß von Menschen abhängige Apostelwürde tadelnd vorgehalten zu haben, sondern gerade auch, daß er von den Jerusalemer Aposteln abhängig und darum kein wirklicher Apostel sei, was er als historisch unrichtig nachzuweisen sucht 1,15ff." Oder E. Haenchen, Die Apostelgeschichte, MeyerK. 3. Abtlg. 14. Aufl. Göttingen 1965 ( = 5. Aufl. der Neubearbeitung durch Haenchen), 8. 277: „Daß Paulus Gal. 1,1 bei dem Wort δι' άνθρωπου an eine judenchristliche Entstellung der Bedeutung des Ananiae gedacht hat, läßt sich freilich nicht ausschließen. Aber wahrscheinlicher ist es doch, daß man eine Abhängigkeit des paulinischen Apostolats nicht von Damaskus behauptet hat, sondern von Jerusalem". — Eine wichtige Variation dieser Sicht bietet Joachim Jeremias mit der These, Paulus sei zum Vorwurf gemacht worden, er habe den Grundbestand seines Evangeliums von Petrus übernommen und seine spezielle Deutung dieses Urkerygmas sei eine Verfälschung der echten Jerusalemer Botschaft: Chiasmus in den Paulusbriefen (1968), jetzt in: Abba [S. 276-290] S. 286. Vor Jeremias ähnlich: E. Meyer, Ursprung und Anfänge des Christentums III, Stuttgart/Berlin 1923, S. 490ff. 2 Die Häretiker in Galatien, ursprünglich: ZNW 47, 1956, S. 25-67, überarbeitet abgedruckt in dem Sammelband: Paulus und die Gnostiker, ThF 35, Hamburg-Bergstedt 1965, S. 9-46; danach die Zitate, daa folgende S. 16.

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Das Problem des paulinischen Evangeliums

verwerfen. Vielmehr wäre solche Behauptung eine Belobigung seines Evangeliums." Solange man den paulinischen Evangeliumsbegriff als Einheit betrachtet und um des eben skizzierten eschatologisch-neuen Standpunktes des Apostels und seiner Botschaft willen sich nicht ohne sehr genaue Differenzierungen mit J. Jeremias und A. Fridrichsen1 entschließen kann, zwischen einem allgemeinen gesamtkirchlichen Grundbestand des Evangeliums und seiner differierenden, juden- oder heidenchristlichen Auslegung zu unterscheiden, ist dieser Einwand zwingend. Schmithals selbst ist der Meinung, daß die Gegner dem Paulus Abhängigkeit von den Uraposteln vorwerfen, um ihrerseits statt solcher Abhängigkeit einen Gott-unmittelbaren, pneumatisch ausweisbaren Apostolat zu fordern. Sie erweisen sich nach Schmithals damit als Gnostiker, die ihre Verkündigung mit Elementen jüdischer Gesetzesobservanz (z.B. der als Initiationsakt interpretierten Beschneidung) verbinden2. Gegen diese Sicht hat W. G. Kümmel eingewandt, daß typisch gn ostische Motive sich bei den Paulusgegnem kaum nachweisen ließen3. Aber wie dem auch sei: In einem wesentlichen Punkt ist Schmithals mit den von ihm apostrophierten Gegnern durchaus noch einer Meinung, daß Paulus sich nämlich zur Wehr zu setzen habe gegen den Vorwurf einer sein Amt und seine Botschaft herabmindernden Abhängigkeit von den Jerusalemer Autoritäten. Im Verfolg dieser These ist es aber nahezu unverständlich, daß Paulus in eben dem Argumentationsgang, der die Selbständigkeit seines Apostolates erweisen will, doch wieder, wie Schmithals selbst hervorhebt, „die Gemeinschaft im Evangelium mit den Jerusalemern bezeugt" 4 (vgl. Gal. 2, Iff.). An dem genannten Widerspruch hat D.Georgi Anstoß genommen und bemerkt, man habe „Paulus nicht Abhängigkeit von Jerusalem vorgeworfen, sondern gerade Verachtung der Tradition"6. In der Tat scheint mir erst von dieser Sicht aus eine einheitliche Interpretation der paulinischen Gedankenführung in Gal. 1 u. 2 möglich zu werden. Was Georgi im Auge hat, kann ja historisch 1

Jeremias a.a.O. S. 286: „A. Fridrichsen hat überzeugend nachgewiesen, daß man bei Paulus zwischen der 'basic substance' seines Evangeliums, dem allen Sendboten gemeinsamen Kerygma, einerseits und der ihm speziell aufgetragenen Botschaft andererseits unterscheiden muß"; Jeremias bezieht sich auf: A. Fridrichsen, The Apostle and his Message, S. 8ff. Zu den Differenzierungen vgl. S. 67 Anm. 1. 2 Schmithals, a.a.O. S. 17fF. 3 4 A.a.O. S. 194. A.a.O. S. 16. 5 Die Geschichte der Kollekte des Paulus für Jerusalem, ThF 38, HamburgBergstedt 1965, S. 36 Anm. 113. — Ragnar Bring scheint ähnliches im Auge zu haben, wenn er in seinem Galaterbriefkommentar ausführt, die Judaisten hätten Paulus zum Vorwurf gemacht "that his preaching was dependent on someone else, possibly Barnabas with whom he had been in Antioch, and who had already befriended him in Jerusalem" (Commentary on Galatians, Philadelphia 1961, S. 37f.).

Exegetische Problemskizze (Gal. 1 und 2)

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nur besagen, daß Paulus mit seinem Evangelium gegen Grundsätze verstößt, die für seine judenchristlichen Gegner und ibren Glauben lebenswichtig waren, also vermutlich Grundsätze des Toragehorsams. Da nun aber, wie gleich eingehender zu zeigen sein wird, Gal. 1,13ff. beweisen, daß Paulus in das Missionswerk der hellenistischen (also gesetzesfreien!) Gemeinde berufen wurde, da der Apostel ferner als Delegat Antiochiens mit Barnabas zum Konvent nach Jerusalem zu ziehen scheint und da Paulus zuletzt noch einmal in 2,11 ff. ausdrücklich das theologische Recht der gesetzesfreien heidenchristlichen Position verficht, scheint mir folgende These vertretbar zu sein: Die Gegner haben Paulus den Vorwurf gemacht, er sei nichts als ein Gemeindeapostel der Antiochener, also Sprecher eines illegitimen (weil die Tora abrogierenden) Evangeliums. War dies die Front, gegen welche Paulus sich zu behaupten hatte, so erklären sich drei Tatbestände zwanglos: 1. Die Anschuldigung, Paulus biete ein erweichtes, nach Menschenmaß umgebogenes Evangelium (l,10f.). Sachlich ist damit die der paulinischen Evangeliumsverkündigung tatsächlich inhärente Gesetzesabrogation gemeint. 2. Die Behauptung, Paulus sei kein genuiner Apostel, sondern nur Vermittler bereits übernommener Tradition (1,12). Die Behauptung bezieht sich darauf, daß Paulus faktisch nur die „antiochenische" Botschaft bietet 1 . Gegensatzbegriffe wären also das genuine Evangelium und Apostolat der Jerusalemer. Auf solche Behauptimg reagiert Paulus mit dem Bericht von seiner Berufung, weil nur diese Berufungserzählung ihn mit den Altaposteln auf eine Ebene stellen kann. 3. Die Tatsache, daß Paulus sich gerade im Zuge des Erweises seiner Eigenständigkeit doch auf die Anerkennung durch die Jerusalemer beruft. Dies kann nur bedeuten: die Kronzeugen der Haeretiker, die Jerusalemer Autoritäten, haben ausdrücklich anerkannt, 1 Es dürfte in der Tat möglich sein, auf dem von Fridrichsen und Jeremias angedeuteten Wege a. Hd. von l.Kor. 15,3ff. eine christologisch-katechetische Tradition zu erschließen, welche den Antiochenern und Jerusalemern gemeinsam war, an welcher die Bezeichnung „Evangelium" haftete und die in sich selbst sowohl einer gesetzestreuen und einer das Gesetz abrogierenden Interpretation und Wertung offenstand. Nur darf man diese Paradosis nicht überbewerten, denn sie gibt uns nur an einer einzigen Stelle Einblick in das urchristliche und paulinische Evangelium (vgl. unten S. 266ff.). Exegetisch kommt alles darauf an, diese Tradition nicht direkt mit dem paulinischen Evangelium zu identifizieren. Paulus gliedert die Paradosis seinem Evangelium ein, scheidet aber gerade nicht zwischen Tradition und Interpretation, wie es — vielleicht — seine Gegner getan haben. Außerdem gilt es um des ούκ άπ' ανθρώπων in 1,1 und des betont in 2,1 ff. 11 ff. herangezogenen Phänomens Antiochien willen die Vorwürfe gegen Paulus auf eine breitere Basis zu stellen als nur den Gegensatz gegen den einen Apostel Paulus. Mir ist vor allem bei der Auslegung, welche Jeremias a.a.O. unseren Auseinandersetzungen gibt, nicht deutlich, ob er die Dinge in demselben Aussagegefälle zu sehen beabsichtigt, wie wir dies für nötig halten.

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Dae Problem des paulinischen Evangeliums

was ihre Gefolgsleute, die Haeretiker, anfechten, nämlich das apostolische Amt des Paulus und die ihm anvertraute Botschaft. Die Haeretiker befinden sich also, meint Paulus, in einem eklatanten Selbstwiderspruch. Gleichzeitig erklärt sich auch die Schärfe der paulinischen Darlegungen in 2,11 ff. : Paulus kann mit ihnen einleuchtend erweisen, daß auch Antiochien den Apostel nicht binden oder halten konnte, als dort die αλήθεια seiner Botschaft verleugnet wurde. Die Kritik an Petrus dient gleichzeitig dazu, eine (in den Augen der Haeretiker vorhandene ?) Würdestellung des Petrus dem Urteil des einen, wahren Evangeliums zu unterwerfen, vielleicht sogar am Verhalten des Petrus eine seit dem Apostelkonvent eingetretene Revision in der einst zustimmenden Haltung aller Jerusalemer gegenüber der paulinischen Botschaft zu brandmarken. Unsere These hat zuletzt den Vorzug, daß man judaisierende Elemente in der Lehre der Paulusgegner nicht zu bestreiten braucht, eine Hochschätzung Jerusalems bei ihnen mit der bisherigen Forschung voraussetzen darf und dabei doch eine synkretistische Beeinflussung, über die in unserem Zusammenhang nicht entschieden zu werden braucht, durchaus als Möglichkeit offenlassen kann. Entscheidend aber ist zu sehen, wie Paulus sich gegen den Vorwurf, nichts als ein Gemeindeapostel der Antiochener und damit Bote eines illegitimen, weil gesetzesfreien Evangeliums zu sein, von der Voraussetzung her verteidigt, daß einzig sein Evangelium als Gottes wahre Offenbarung der gültige Maßstab seines Handelns und der Legitimität bzw. Illegitimität seiner Gegner, ja auch der Jerusalemer Apostel sein kann. Anders formuliert: Paulus erhebt sein Evangelium zum allein gültigen, weil den Anbruch der neuen WeÜ-Zeit Gottes proklamierenden Maß alles dessen, was in Gal. 1 und 2 geschieht. Vom Standpunkt nur seines Evangeliums aus wagt Paulus es, das Handeln und Reden der Haeretiker sowohl wie das der Jerusalemer zu prüfen und gegebenenfalls auch zu verwerfen, Solche Wertschätzung seines Evangeliums und das sich in ihr bekundende eschatologische Selbst- und Amtsverständnis des Apostels erscheinen unüberbietbar und dürften den theologischen Kern des paulinischen Apostolates und des von diesem Apostolat untrennbaren Evangeliums berühren. Hält man sich dies vor Augen, so wird Ton und Argumentationsweise von Gal. l,6ff. wesentlich verständlicher : Paulus muß ja, wenn sein Evangelium allein maßgeblich ist, in 1,6 die Berechtigung eines anderen Evangeliums bestreiten, und er kann in der Verkündigung der Gegner nur eine eschatologisch anstößige Verkehrung und Verzerrung seines (also des paulinischen) Evangeliums sehen1. Wie der 1

Zu μεταστρέψαι V. 7 vgl. Jak. 4,9 ν. 1.

Exegetische Problemskizze (Gal. 1 und 2)

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Apostel in Gal. 4,13f. die alte, neutestamentlich in Ape. 14,6 begegnende, jüdische Anschauung von Engeln als botschaftenden Mandataren Gottes auf sich und sein Evangelisieren bezieht, tut er es polemisch in 1,8. Selbst wenn ein Engel mit einem un-paulinischen Evangelium auftreten würde — und dies könnte nach 2. Kor. 11,4 (einer ebenfalls gegen Häretiker polemisierenden Stelle !) nur ein satanischer Engel sein —, selbst dann wäre das Paulusevangelium das im Namen Gottes allein gültige (vgl. 2,5. 14). Der Fluch von V. 8f. erklärt sich also vom eschatologischen Alleinanspruch des paulinischen Evangeliums und vom Geltungsanspruch seines Apostolates her. Es gilt demnach für die beiden Verse bis in den Stil hinein dasselbe, was von dem Anathema der urchristlichen Abendmahlsliturgie (l.Kor. 16,22) geschrieben worden ist. „Die Formel gehört . . . in die Sphäre des heiligen Rechtes. Sie enthält keine disziplinarische Anweisung für irgendeine menschliche Instanz (die Gemeinde oder ein Richterkollegium), das Schlüsselamt gegen den oder jenen Unwürdigen zu praktizieren, den oder jenen zu bannen, sondern sie spricht für den gesetzten Fall die von Gott her fallende Entscheidung aus und überläßt den Frevler dem Strafgericht Gottes, wobei die Verantwortung ganz dem Angeredeten zufällt und das Anathema die Aufforderung zur Selbstprüfung bedeutet" 1 . Handelt es sich in Gal. l,8f. um eine sakralrechtliche Verfluchimg, so ist ein neuer Gesichtspunkt gewonnen: Paulus erfährt sein Evangelium und sein Amt als Begründung heiligen Bechtes. Evangelium und Apostolat sind in sakralrechtliche Belationen eingefügt. Nur wenn man dies bedenkt, werden m. E. die Vorgänge und Abmachungen auf dem Apostelkonvent ganz verständlich. Flucht Paulus im Namen Gottes und von der eschatologischen neuen Warte des Evangeliums her, so erklärt sich die ironische Frage von 1,10. Er würde das Wesen seines Amtes verleugnen, wollte er es wagen, die ihm aufgetragene Botschaft nach Menschenmaß oder besser: nach Maßstäben des alten Äons zu alterieren. Fundamentale Schwierigkeiten werfen V. 11 u. 12 auf. Zunächst ist V. 11 von unserem Ansatz her klar: Wenn Paulus mit seinem Evangelium aus der neuen Welt in die alte hineinruft, wenn er in diesem Dienst Sprecher Christi (Gal. 4,14), ja Gottes selber ist (2. Kor. 5,20), dann entspricht sein Evangelium nicht Menschenmaß, ist es nicht κατά άνθρωπον, sondern Verlautbarung in der Vollmacht Gottes. Das den Vers einleitende γνωρίζω wäre dann also Ausdruck für die Kundgabe eines eschatologischen Tatbestandes, es ist wie Dan. 2,23. 1

G. Bornkamm, Zum Verständnis des Gottesdienstes bei Paulus B. Das Anathema in der urchristlichen Abendmahlsliturgie, in : Das Ende des Gesetzes (Ges. Aufs. I), BevTh 16, München 2. Aufl. 1968 (S. 123-132) S. 125.

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Das Problem des paulinischen Evangeliums

28ff.; 5,8 (Theodotion); Kol. 1,27; Eph. 1,9 Offenbarungsterminus 1 . Daß wir richtig interpretieren, zeigt V. 12. Unserem Ansatz entsprechend, halte ich es f ü r denkbar, daß Paulus sich mit dem ausdrücklich hervorgehobenen: ούδε γάρ εγώ κτλ. an anderen apostolischen Gestalten und der diesen zugestandenen Unmittelbarkeit ihres Amtes mißt : Paulus weiß sich dem Petrus und den anderen Uraposteln durchaus ebenbürtig. Solche Ebenbürtigkeit gründet in der Tatsache, daß das Evangelium Paulus auf dem Wege göttlicher, Jesus Christus als Sohn Gottes präsentierender Offenbarung zugekommen ist (vgl. 1,16) und gerade nicht auf dem Wege katechetisch-unterrichtlicher Vermittlung. Aus dem Bereich solcher Übermittlung stammen die termini technici παραλαμβάνω und διδάσκω. Die mit dieser paulinischen Alternative aufbrechende Frage nach dem Verhältnis des paulinischen Evangeliums zur (christlichen) Tradition, ist hier nicht ausdiskutierbar. Nicht nur der Vergleich unseres Verses mit l.Kor. 15, Iff., wo das Evangelium, das Paulus weitergibt, ausdrücklich als Tradition gekennzeichnet wird, f ü h r t in anscheinend unlösbare Aporien 2 , sondern bereits die Spannung zwischen Gal. 1,9 und 1,12. In 1,9 erklärt Paulus ausdrücklich, die Galater hätten das Evangelium von ihm (unterrichtlich) empfangen. In V. 12 lehnt er f ü r sich und sein Amt solche Vermittlung ebenso ausdrücklich ab. Da kein Anlaß besteht, mit Kl. Wegenast das Problem durch die These zu lösen, „daß Paulus παραλαμβάνειν an unserer Stelle nicht in der sonst auch bei ihm üblichen Weise (vgl. z.B. l.Kor. 15,3) als Traditionsterminus, sondern im Gegenteil als Bezeichnung f ü r den Empfang einer Offenbarung verwendet" 3 (παραλαμβάνειν wird durch die Parallelität zu διδαχθηναι mit Sicherheit als Traditionsterminus ausgewiesen !), wird man in Übereinstimmung mit dem bisher über das paulinische Evangelium Erkannten folgende Erklärung in Erwägung ziehen: Paulus versteht sein Evangelium als Offenbarung selbst, d. h. er versteht es als traditions1 Vgl. H. Schulte, Der Begriff der Offenbarung im Neuen Testament, BevTh 13, München 1949, S. 47: „Gerade wenn die Verkündigung mit γνωρίζειν bezeichnet wird, ist sie verstanden als die Fortsetzung des offenbarenden Handelns Gottes, doch so, daß sie in dieses selbst hineingehört." K. G. Kuhn, Der Epheserbrief im Lichte der Qumrantexte, NTSt 7, 1960/61 (S. 334-346), S. 336 vergleicht 1 QH4,27f. und 1 QpHab 7,4f. — Profan verstehen das γνωρίζειν z.B. R. Bultmann, Artikel: γνωρίζω, ThWb I S. 718,19 und Dieter Lührmann, Das Offenbarungsverständnis bei Paulus und in paulinischen Gemeinden, WMANT 16, Neukirchen 1965, S. 121 Anm. 3. 2 E. Dinkier urteilt über das Verhältnis von Gal. 1,12 und l.Kor. 15,Iff. in seinem Artikel: Tradition im Urchristentum, RGG 3 VI Sp. 970-974: „Die Spannung zwischen der Aussage in Gal. 1,12 einerseits — Offenbarung und nicht menschliche T(radition) — und l.Kor. 11,23 und 16,3 andererseits — T(radition) 'vom Herrn', aber gleichwohl durch Menschen überliefert — läßt sich nicht auflösen und systematisierend klären" (971). 3 Das Verständnis der Tradition bei Paulus und in den Deuteropaulinen, WMANT 8, Neukirchen 1962, S. 44.

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Exegetische Problemskizze (Gal. 1 und 2) bejahend,

aber nicht

als an vorpaulinisch-normative

Traditionen

ge-

bunden1. Ist dies richtig gesehen, dann läßt sich die unterrichtliche Weitergabe des Evangeliums durch Paulus selbst nach V. 9 ebenso verstehen wie die Übernahme geprägten Formelgutes durch den Apostel in 1. Kor. 15, Iff. interpretieren, ohne die αλήθεια des apostolischen Evangeliums preiszugeben. Wie ist die Vermittlung des Evangeliums an Paulus δι' άποκαλύψεως Ίησοΰ Χρίστου zu denken? Auszugehen ist von der Parallelität der beiden Aussagen: άποκάλυψις Ίησοΰ Χριστοί) V. 12 und V. 16 άποκαλύψαι τόν υ ιόν αύτοΰ έν έμοί. Der Genitiv Ίησοΰ Χρίστου ist also in dem Sinne ein gen. obj., als es sich bei der Offenbarung um das Kundwerden Jesu Christi als Gottes Sohn kraft des Handelns Gottes selber handelt. Gott selbst hat Paulus den vor dem Gesetz verfluchten (Gal. 3,13), gekreuzigten Jesus als Sohn Gottes in himmlischer Vollmacht, als Gottes inthronisierten Mandatar kundgetan. Gott selbst ist also der auctor des paulinischen Evangeliums. Der (apokalyptische) Begriff άποκάλυψις deutet an, daß es sich um eine proleptische Enthüllung endzeitlicher Realitäten handelt: „Der Vorgang, den Paulus . . . beschreibt, erweist sich als ein Akt des Aufdeckens von etwas radikal Verborgenem. In der Offenbarung an den Apostel wird die eschatologische Enthüllung Christi (für den Apostel) vorausgenommen" 2 . Das paulinische Evangelium wäre demnach die worthafte Vorausdarstellung eines sich erst endzeitlich aller Welt erschließenden Tatbestandes. Doch gehen wir zunächst noch weiter der Frage der Vermittlung des Evangeliums an Paulus nach. In V. 13ff.gibt Paulus eine V. 12 begründende Darstellung der ihm zuteilgewordenen Berufung. Man kann dies mit Schlier als ein notgedrungenes Ausweichen auf eine historische Argumentation interpretieren, notgedrungen, weil sich die eigentliche göttliche Dignität des paulinischen Evangeliums, die in seiner direkten Übermittlung durch den Auferstandenen besteht, nicht in der Form eines Beweises Dritten gegenüber demonstrieren läßt. Doch dürfte dies eine moderne Argumentation sein, die für Schlier um so näher liegt, als er annimmt, daß Paulus, auf den formulierbaren Inhalt seines Evangeliums gesehen, sehr wohl mit Jerusalem und der Gesamtkirche einig ist, die Besonder1 Vgl. Wegenast a.a.O. S. 44: „Evangeliinn im Sinne des Textes Gal. If. ist der von Gott als Sohn offenbarte, gekreuzigte, gestorbene und auferstandene Jesus Christus, der die einzige Möglichkeit ist, zum Heil zu gelangen. Evangelium ist also keine Formel oder Tradition, wenn es sich auch gewisser kerygmatischer Traditionen bedienen kann (so etwa Gal. 1,4), sondern das in Jesus verkündigte Heil, der verkündigte Christus (Vgl. 1,16 ϊνα εύαγγελίζωμαι αύτόν). Evangelium ist also nach der Meinung des Paulus aller Tradition voraus." 2 H. Schlier, Der Brief an die Galater, MeyerK 7. Abtlg. 12. Aufl., Göttingen 1962, S. 55.

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heit seines Evangeliums also inhaltlich gar nicht beweisen kann. Paulus wird nach Schliers Meinung durch die ihm gewährte Offenbarung nur von Gott selbst eingereiht in das bereits in Gang befindliche, von Jerusalem ausgehende Geschehen der apostolischen Christusverkündigung. Schlier kann auf diese Weise von der Ursprünglichkeit des paulinischen Apostolates unbeschadet der Tatsache sprechen, daß die der Sendung des Paulus zeitlich vorausgehende Jerusalemer Verkündigungstradition theologisch in noch ganz anderem Maße als ursprünglich angesehen werden muß: Sie gründet in der uranfänglichen Selbstentäußerung des auferstandenen Christus ins apostolische Wort der Zeugen lind darf darum mit Recht auch einen Paulus ihren Diener nennen1. Doch dürfte diese Konzeption ein zwar geniales, aber doch modern kontroverstheologisch gedachtes Theologumenon sein. Exegetisch kommt ja, um bei unserem Text zu bleiben, bei dieser Konzeption der erstaunliche Sachverhalt keineswegs hinreichend zur Geltung, daß Paulus sich nicht mit einem chronologisch-darlegenden Bericht über seine Indienstnahme durch Gott beschränkt, sondern anscheinend höchst bewußt in das Urbild alttestamentlichprophetischer Berufungsberichte hineinstellt. Dies beweist, daß Paulus sich als Nachfahre der das Geschichte entriegelnde oder verriegelnde Wort Gottes verkündigenden Propheten des Alten Bundes versteht (vgl. Rom. 1, Iff.). Wie in den Berufungsberichten der Propheten der geschichtliche, biographische Berufungsbericht bewußt die seinsstürzende Gewalt des kommenden und zum Wort ermächtigenden Gottes anzeigt, darin zugleich aber Ausweis der Legitimität des Propheten ist, so auch bei Paulus: Seine geschichtlich biographische Argumentation ist Kennzeichen der geschichtlichen Wirksamkeit und Geschichtsnähe des ihn mit seinem Wort beauftragenden Gottes und zugleich eindeutiger Ausweis für das eschatologisch-prophetische Selbstverständnis des Apostels2. Daß Paulus sich bei seiner Darstellung 1 Vgl. Schliers Studie: Kerygma und Sophia. Zur neutestamentlichen Grundlegung des Dogmas, in: Die Zeit der Kirche (Ges. Aufs.), Freiburg 2. Aufl. 1958, S. 206-232, vor allem 214ff. 2 Wenn G. Bornkamm in seinem Paulus-Artikel, RGG 8 V Sp. 166-190 darauf aufmerksam macht, daß Paulus, „auch wenn Gal. 1,15 deutlich an Prophetenstellen anspielt (vgl. Jer. 1,5; Jes. 49,1) und P(aulus) sich selbst, sein Schicksal und seinen Verkündigungsauftrag wiederholt auch sonst mit diesen erläutert (Rom. 10,16 vgl. Jes. 53,1; Rom. 11,1-4 vgl. l.Kön. 19,10. 14), so doch nirgends nach a(l)t(licher) Prophetenart eine Berufungsvision (erzählt)" (169), so ist diese Abweichung aus dem traditionsgeschichtlichen Werdegang der prophetischen Berufungsberichte in der nachalttestamentlichen, jüdischen Tradition erklärbar. Bereits bei Deuterojesaja und Tritojesaja ist eine merkliche Zurückhaltung bei der Beschreibimg ihrer Berufung festzustellen: Vgl. Cl. Westermann, Das Buch Jesaja, ATD 19, Göttingen 1966, S. 10. 38. 290f.; ferner W. Zimmerli, Zur Sprache Tritojesajas, Ges. Aufs. ThB 19, München 1963, [S. 217-233] S. 226ff. Auch 1 QH 9, 29f. schildert keinen detaillierten Berufungsvorgang mehr, sondern begnügt sich — darin

Exegetische Problemskizze (Gal. 1 und 2)

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typologisch vor allem an Jes. 49,1 anlehnt, hat Tr. Holtz wahrscheinlich gemacht1. Freilich gilt es zu sehen, daß der Verweis auf die alttestamentliche Tradition bei Paulus nur Teil eines echten, biographisch geschichtlichen Berichtes ist. Läßt sich Gal. 1,13 ff. historisch näher konkretisieren ? Paulus hat in seinem pharisäischen Eifer2 um die Heilsgabe der Tora und das ihr angemessene Leben eine Gemeinde verfolgt, die solch eiferndem, observantem Gottesdienst ärgerlich entgegenstand. Nach allem, was wir von der Geschichte der Urchristenheit wissen, kann dies nur eine (bereits vor der Bekehrung des Paulus) das Gesetz abrogierende, also hellenistische bzw. hellenistisch-jüdische Missionsgemeinde gewesen sein. Es paßt vorzüglich zu dieser Erwägung, daß Gal. 1,17 erlaubt, die paulinische Christenverfolgung und Bekehrimg geographisch einigermaßen genau zu lokalisieren. Damaskus3 war Jes. 61, Iff. verwandt — damit, die alttestamentlichen Belegstellen aus der Tradition kommentierend aufzuführen. Ganz ähnlich verfährt Paulus selbst. Wenn wir dementsprechend im Stil von Gal. 1,15f. einen festen Überlieferungszusammenhang erkennen dürfen, wird die Beobachtung von G. Eichholz erst wirklich verstehbar, daß Paulus zwar nur höchst widerwillig und provoziert auf sich und seine Lebensumstände zu sprechen kommt, daß „die große Ausnahme" davon jedoch „das Ereignis von Damaskus zu sein (scheint)" (Prolegomena zu einer Theologie des Paulus im Umriß, in: Tradition und Interpretation, Ges. Aufs. ThB 29, München 1965 [S. 161-189], S. 175): Für einen Mann mit prophetischem Selbstverständnis steht mit seinem tatsächlichen Berufensein ebensoviel auf dem Spiel, wie die konkreten Umstände seines Lebens hinter seinem Amt zurücktreten können. 1 Zum Selbstverständnis des Apostels Paulus, ThLZ 91, 1966, Sp. 321-330 bes. 325ff. Jes. 49,1 lautet in der Septuaginta: έκ κοιλίας μητρός μου έκάλεσεν τό δνομά μου. Nebenbei sei angemerkt, daß in den Qumrantexten Jer. l,4f. ganz ähnliche Anwendung auf den Lehrer der Gerechtigkeit findet, wie hier Jes. 49,1 auf den Apostel (vgl. 1 QH 9,29f.). Es ist dies ein weiterer Fingerzeig dafür, daß Paulus in seiner Darstellung des Berufungsvorganges auf traditions· geschichtliche Vorbilder zurückblicken kann (vgl. S. 72 Anm. 2). Dieser Eindruck verstärkt sich noch, wenn man die Nähe von 1 Q H 9 , 9 ( = „Ich habe f ü r Unrecht erklärt mein Urteil und erkannte dein Gericht als gerecht an, denn ich weiß um deine Wahrheit", vgl. E. Lohse, Die Texte aus Qumran, Darmstadt 1964, S. 147) zur exhomologischen Konfession des Paulus in Phil. 3,7f. erkennt. Da Phil. 3,7f. unserem Text nahe verwandt ist, schließt sich der Kreis. Wenn sich der Apostel in solchem Sinne auf typische Traditionen bezieht, wird vielleicht auch das auffällige ήκούσατε γάρ in Y. 13, das auf Tradition hinweist, besser verständlich; daß die paulinische Berufimg Gegenstand fester Traditionsbildung gewesen ist, machen die Berichte aus der Apostelgeschichte (Apg. 9,Iff. par.) ebenso deutlich wie die stereotypen Schilderungen von Gal. 1,13ff. und l.Kor. 15,8ff. 2 Ganz im Einklang mit nachalttestamentlich-jüdischer Denkweise identifiziert Paulus in V. 14 (vgl. mit Phil. 3,6, wo statt unserem αί πατρικαί μου παραδόσεις einfach νόμος steht) die Tora mit der sie umschließenden jüdischen Auslegungstradition und erweist sich darin als klassischer Pharisäer, vgl. Schlier z. St. und W. G. Kümmel, Jesus und der jüdische Traditionsgedanke, in: Heilsgeschehen und Geschichte (S. 15-35), S. 25. 3 Vgl. E. Schürer, Geschichte des jüdischen Volkes II, Leipzig 4. Aufl. 1907, S. 150-155; H. Preisker, Jerusalem und Damaskus — ein Beitrag zum Ver-

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eine im Nabatäerreich gelegene 1 , von Herodes nach Jos. Ant. I 422 mit einem Theaterbau geehrte, also hellenisierte Stadt mit anscheinend großer jüdischer Gemeinde. Diese genoß, -wie überall in der Diaspora, juristische Selbständigkeit 2 , konnte also auch Sanktionen und Strafen gegen ihre Mitglieder verhängen. Paulus, der solche Strafen als Apostat während seiner Missionsfahrten selbst zu erdulden hatte (vgl. 2. Kor. ll,24f.), ist, wie es scheint, mit ähnlichen Mitteln gegen die zum Christentum übertretenden Angehörigen der jüdischen Gemeinde (nur ?) von Damaskus vorgegangen. Der Grund solcher Apostasie und vor allem der Beweggrund zur förmlichen Strafverfolgung kann nur in einem veränderten Standpunkt der zum Christentum bekehrten Synagogenmitglieder gegenüber der Tora gesucht werden. Paulus hat also als Jude im Bereich von Damaskus die noch immer zum Synagogenverband gehörigen Mitglieder der christlichen Gemeinde mit den juristischen Mitteln verfolgt, welche der jüdischen Diasporagemeinde zur Verfügung standen. Der Grund liegt darin, daß die zu Christen Gewordenen den Abfall vom Gesetz zu vollziehen schienen und tatsächlich vollzogen. Eine dazu provozierende christliche Gemeinde kann nur eine von der Heidenmission (Antiochiens ?) berührte, hellenistisch-judenchristliche Gemeinde gewesen sein. Was mit der Berufung des Paulus theologisch geschieht, ist also dies: Gott selbst bezeugt dem Paulus an der Gestalt des vor dem Gesetz verfluchten und dennoch zum Sohn Gottes in Vollmacht erhöhten Christus das Recht der Lehre und des Bekenntnisses eben der von Paulus verfolgten hellenistischen Gemeinde. Das bedeutet: Paulus wird von Gott selbst hineinberufen in das Missionswerk der bereits vor Paulus die Abrogation der Tora vollziehenden, hellenistischen Gemeinde, ein Missionswerk, das ebenfalls bereits vor Paulus ausgerichtet war auf die Welt der Heiden. Anders ausgedrückt : Die Antithese von Gesetz und Evangelium ist, traditionsgeschichtlich gesehen, keine spezifisch paulinische Lehre; sie ist dem Apostel bereits vorgegeben und seinem Evangelium darum wesensmäßig inhärent3. Dies ständnis des Urchristentums, ThBl 8, 1928, Sp. 49-54 (mit Vorbehalt zu gebrauchen) und vor allem K. Gallings Artikel: Damaskus, RGG 3 II Sp. 22-24. 1 Ob Damaskus dem Nabatäerreich auch zugehörte, ist umstritten: vgl. Haenchen, Apg.5 S. 282. 2 Zur rechtlichen Struktur jüdischer Diasporagemeinden vgl. Schürer, Geschichte III, Leipzig 3. Aufl. 1898, S. 38ff. 56ff. 71f.; Billerbeck IV, 1 S. 116ff. 145ff.; A. van Selms, Artikel: Jüdische Diaspora, RGG 3 II Sp. 174^176; E. Lohse, Artikel: GemeindeVerfassung des Judentums in der römischen Zeit, RGG 3 II Sp. 1346/47; H. Fr. Weiß, Zur Frage d. histor. Begegnung von Antike und Christentum, Klio 43/45, 1965, [S. 307-328] S. 320. 3 Diese Überlegung ist der entscheidende Gegenbeweis gegen Mollands These, die Frage nach dem Gesetz und damit auch die paulinische Rechtfertigungslehre lägen nur in der Konsequenz des paulinischen Evangeliums, seien

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haben R. Bultmann1, W. Schräge2 und W. Schmithals3 schon mit Recht betont und damit erwiesen, daß sich U. Wilckens bei seinem Versuch, unter Verweis auf unsere Stelle die Gesetzespolemik des Paulus aus apokalyptischen Prämissen herzuleiten und sie originär auf Paulus zurückzuführen, geirrt haben dürfte4. aber von seinem eigentlichen christologischen Inhalt abzuheben (Paulin. Euangelion S. 60ff.). 1 „Wenn sich nun P(aulus) Gal. 1,13f. als Verfolger der Gemeinde und zugleich als Eiferer f ü r das Gesetz charakterisiert, so zeige sich, daß er das Christentum in einer Form kennengelernt hat, in der es dem Gesetz schon kritisch gegenüberstand und es in irgendeinem Maße überwunden hatte. Das ergibt sich auch daraus, daß f ü r ihn die Frage nach der Annahme der christlichen Botschaft identisch ist mit dem Entweder-Oder: das Gesetz oder Jesus Christus" (Artikel: Paulus, RGG 2 IV [Sp. 1019-1045] 1021). 2 'Ekklesia' und 'Synagoge'. Zum Ursprung des urchristlichen Kirchenbegriffs, ZThK 60, 1963, (S. 178-202) S. 198: „Durch die Gesetzeskritik der 'Hellenisten' . . . wurden unüberbrückbare Gräben aufgerissen, denn Worte gegen das Gesetz und den Gesetzgeber Mose sind f ü r den Juden eo ipso Blasphemie (vgl. Apg. 6,11), die nicht ungeahndet bleiben kann. Darum wurde Paulus, der in seiner vorchristlichen Zeit zum Ισραήλ διώκων νόμον δικαιοσύνης zählte (Rom. 9,31), zum διώκων τήν έκκλησίαν (Phil. 3,6;Gal. 1,13; l.Kor. 15,9), und zwar der έκκλησία, in der der νόμος angegriffen wurde. Nicht einem apokalyptischen Koordinatensystem, das der vorchristliche Paulus mit sich herumtrug und in das er bei seiner Bekehrung die neue Wirklichkeit nur noch einzuzeichnen brauchte, verdankt Paulus die Antithese zum Gesetz, sondern der Predigt der 'Hellenisten'" (Hervorhebung bei Schräge). 3 Paulus und Jakobus, F R L A N T 85, Göttingen 1963, S. 20 und 45 Anm. 4: „Paulus hatte die Christen verfolgt, weil sie den exklusiven Heilsanspruch der jüdischen Gemeinde, der auf dem Gesetz fundiert war, verleugneten. Seine Bekehrung war eine Bekehrung zu der universalen Heilsbotschaft der christlichen Verkündigung. Paulus hat darum schwerlich erst seit dem Abkommen von Jerusalem betont, daß er fleidenapostel ist; vielmehr liegt diese betonte Tatsache den Abmachungen in Jerusalem bereits zugrunde (vgl. Gal. 2,7f.)" (Hervorhebung bei Schmithals). 4 Die Bekehrung des Paulus als religionsgeschichtliches Problem, ZThK 56, 1959 (S. 273-293) S. 285: Wilckens skizziert zunächst im Anschluß an D. Rössler (Gesetz und Geschichte, WMANT 3, Neukirchen 1960), wie im apokalyptischen Judentum die Tora zur heilsgeschichtlichen Erwählungsurkunde schlechthin wird, wie also ein apokalyptisch denkender Pharisäer den Gegensatz Christus — Tora besonders intensiv erfahren mußte. Dann folgert er: „Genau an der Stelle des Gesetzes steht f ü r den christlichen Theologen Paulus das Christusgesehehen. Eben darum aber, weil das Christusgeschehen in die apokalyptische Konzeption der göttlichen Erwählungsgeschichte voll und ganz hineingestellt ist, ergibt sich als ursprüngliche Konsequenz des Christusevangeliums der radikale Ausschluß des Gesetzes in seinem apokalyptischen Verständnis. Und diese Konsequenz des Christusevangeliums hat nach allem, was wir ermitteln können, Paulus als Apostel der Heiden im Urchristentum wohl zuerst gesehen und als erster Christ in aller kompromißlosen Schärfe herausgestellt" (285, Hervorhebungen im Original). Wilckens hat seine Sicht inzwischen (mündlich) revidiert. Zu der f ü r ihn damals maßgeblichen, religionsgeschichtlichen These eines vom Rabbinat abzuhebenden, vor allem heilsgeschichtlich bestimmten apokalyptischen Gesetzesverständnisses bei Rössler vgl. kritisch W. G. Kümmel, Jesus und Paulus, in: Heilsgeschehen und Geschichte (S. 439-456) S. 450; H . Fr. Weiß, Untersuchungen zur Kosmologie des hellenistischen und palästinischen Judentums, TU 97, Berlin 1966, S. 286-288 und O. Cullmann, Heil als Geschichte, Tübingen 1965, S. 42.

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Um auf misere Leitfrage nach der Art und Weise, auf welche Paulus zu seinem Evangelium kam, eine erste Antwort zu formulieren : Der Empfang des Evangeliums von Gott selbst bedeutet historisch, daß Gott selbst dem Paulus das Recht des gesetzesfreien Evangeliums der vorpaulinischen Missionsgemeinden bestätigt hat. Das ist keine theologische oder gar nur logische Schlußfolgerung des Apostels selbst gewesen. Eben dies zeigen, wenn irgend etwas, die Verse 15 und 16. Auf den traditionsgeschichtlichen Hintergrund des hier apostolisch aktualisierten, prophetischen Berufungsberichtes haben wir schon aufmerksam gemacht. Die Überlegungen führten auf ein augenscheinlich prophetisches Sendungsbewußtsein des Paulus. Wie es zu einem solchen gekommen ist, zeigt die andeutende Umrißzeichnung des Offenbarungsempfanges in V. 16. Zweierlei ist beachtenswert: daß dieser Offenbarungsempfang auf Gottes erwählenden Entscheid (εύδόκησεν) zurückgeführt wird und daß das eigentliche Widerfahrnis apokalyptischen Charakter und sprachlich apokalyptische Züge aufweist. Was Paulus hier unter dem Stichwort άποκαλύπτειν skizziert, skizziert er Phil. 3,8ff. unter dem Stichwort einer überwältigenden γνώσις Χρίστου Ίησοϋ, bezeichnet er 1. Kor. 9,1 als ein Sehen des Christus und in 1. Kor. 15, Iff. als Epiphanie, wie das dort gebrauchte, seit der Septuaginta zum Offenbarungsterminus verdichtete 1 Verbum οφθήναί τινι zeigt. Die Auswechselbarkeit und Vergleichbarkeit von Erscheinungs-, Enthüllungs- und Erkeimtnisterminologie erklärt sich religionsgeschichtlich am leichtesten von der jüdischen Apokalyptik her, innerhalb derer, vom Buche Daniel an, Schauung, Wandel der Erkenntnis und erwählender Zugriff Gottes zusammen mit dem Auftrag zur (eventuell verschlüsselten) Weitergabe des Offenbarten einen einzigen Phänomenzusammenhang bilden2. Die ebenfalls seit Daniel mit dem term, techn. αποκαλύπτω, aber ganz selten nur mit dem Substantiv άποκάλυψις3 beschriebene Offenbarung hat dabei die zeit1 2

Vgl. W.Michaelis, Artikel όράω etc. ThWb V, S. 333,20ff. 355ff. Vgl. A. Oepke, Artikel: καλύπτω etc. ThWb III S. 558-597, bes. S. 580f.; G. Bornkamm, Artikel: μυστήριον, μυέω, ThWb IV S. 809-834, bes. S. 821-823; O. Betz, Offenbarung und Schriftforschung in der Qumransekte, W U 6, Tübingen 1960, passim; D. Lührmann, Offenbarungeverständnis, S. 84ff. 98ff. 3 Vgl. Lührmann, a.a.O. S. 40: „In der apokalyptischen Literatur findet sich das Substantiv überraschenderweise nur einmal: syr. Bar. 76,1 'Offenbarung der Vision' . . . Die 'Offenbarung' in 76,1 ist die 'Deutung' der vorher geschilderten Vision." Diese, bei Lührmann zu weitreichenden traditionsgeschichtlichen und theologischen Schlüssen benutzte (von H. Schulte, Begriff der Offenbarung im NT S. 40 übernommene) Auffassung von syr. Bar. 76,1 ist nicht haltbar. Syr. Bar. 56,1 bittet der Seher Gott, ihm auch die Deutung eines bereits gewährten Gesichtes zu offenbaren, eine Bitte, der durch einen angelus interpres Genüge getan wird ; syr. Bar. 76,1 weist auf 56,1 zurück und lautet als Gottesrede: „Weil dir die Offenbarung dieses Gesichts gedeutet worden ist, wie du gebetet hattest, so höre das Wort des Höchsten . . . " Der syr. Text zeigt eindeutig (vgl. auch Br. Violets Anmerkung z. St. [Die Apoka-

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räumliche Grundstruktur der Prolepse, d. h. der enthüllenden Vorwegnähme endzeitlicher Geschehnisse. Eine dem apokalyptischen Seher gewährte Schau ist darum zugleich Erlaubnis, Einblick in die der Welt noch verborgenen Geschehnisse der Endzeit zu nehmen, ja sogar des kommenden Gottes selbst ansichtig zu werden. Zu diesem, christlich aus der Johannesoffenbarung allgemein bekannten Sachverhalt der proleptischen Gewähr von Gesichten und Offenbarungen tritt ein doppelter Phänomenzusammenhang hinzu, der erst das Ganze des apokalyptischen Offenbarungsverständnisses erkennen läßt : Es sind dies die Dialektik von Verborgenheit und Enthiilltheit sowie eine in dieser Dialektik verlaufende besondere Hochschätzung des Botschafts- und Verkündigungsgeschehens. Die ihm zuteil gewordene Offenbarung kann der Apokalyptiker nur so weitergeben, daß seine Botschaft den Erleuchteten zwar einsichtig, den Verblendeten dagegen uneinsichtig bleibt, eine Dialektik, welche erst das Geschehen des jüngsten Tages selber aufheben wird. Dem Apokalyptiker steht in der noch bestehenden alten Welt nur das botschaftende Wort zu Gebote, um die οπτασίαι και αποκαλύψεις Gottes (vgl. 2. Kor. 12, l 1 ) lypsen des Esra und des Baruch in deutscher Gestalt, GCS 32, Leipzig 1925» S. 315]), daß „Offenbarung dieses Gesichts" ein synonymer Doppelausdruck ist, welcher die zu deutende Vision als Offenbarung bezeichnet. Auch die erbetene Deutung ist ein Offenbarungsereignis (56,1), wird aber in 76,1 gerade nicht mit dem Substantiv pVl bezeichnet. Syr. Bar. 76,1 ist also „Offenbarung" ein Synonym zu Vision, so daß man nicht mehr mit Lührmann a.a.O. sagen kann, der synonyme Doppelausdruck δπτασίαι καΐ άποκαλύψεις κυρίου in 2. Kor. 12,1 sei „der früheste Beleg f ü r eine Verwendung von άποκάλυψις im Sinn von 'Vision'". Vielmehr nimmt Paulus hier bereits geprägte apokalyptische Redeweise auf. 1 Das Verhältnis von 2.Kor. 12,1 zu Gal. l,12ff. ist ähnlich schwer zu bestimmen wie das Verhältnis von l.Kor. 15, Iff. zu Gal. l , l l f f . Bornkamms und Lührmanns Ausführungen haben die Problematik noch wesentlich verschärft. G. Bornkamm hat, wie S. 72 Anm. 2 näher ausgeführt wurde, festgestellt, Paulus erzähle nirgends nach Art der alttestamentlichen Propheten seine Berufungsvision. Bomkamm fährt a.a.O. fort: „Ebensowenig darf seine Christus-Erscheinung nach Art der ekstatischen Offenbarungen verstanden werden, wie sie Apokalyptiker und Visionäre sonst f ü r sich beanspruchen und auch P(aulus) sie kennt (2. Kor. 12, Iff.). 'Offenbarung' im Sinn von Rom. 1,17; 3,21; Gal. 1,16 (auch 2.Kor. 4,Iff.) ist f ü r ihn von vornherein ein die Welt angehendes, seine eigene Person weit übergreifendes Geschehen, wie auch die von ihm gebrauchten christologischen Hoheitsnamen . . . den Umkreis jüdischer Erwartungen sprengen und einen Welthorizont eröffnen (vgl. auch 2.Kor. 4,6). Vor allem aber ist wesentlich, daß (Paulus) kraft dieser ChristusOffenbarung sich genötigt sah, sein bisheriges Selbstverständnis preiszugeben und diese Infragestellung und Preisgabe fortan f ü r alle Menschen in seiner Verkündigung zu fordern. Am deutlichsten spricht das Phil. 3,7-9 aus . . ." (Artikel: Paulus, RGG 3 V Sp. 169). D. Lührmann hat versucht, diese Sicht seines Lehrers noch zu intensivieren: Aus dem allgemein zugestandenen Sachverhalt, daß Paulus 2.Kor. 12, Iff. nicht sein Damaskuswiderfahrnis, sondern eine typisch apokalyptische Entrückungszene schildert, aus der Tatsache, daß Paulus im Text von sich nur in der dritten Person spricht, und schließlich auf Grund von 2. Kor. 12,6ff., wo Paulus es ausdrücklich ablehnt, f ü r die Dignität β 6638 Stuhlmacher, Evangelium

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weiterzureichen. Apokalyptisch gesprochen: Wie es schon bei den Propheten des Alten Testamentes der Fall ist1, wird auch in der nachseiner Botschaft und seines Amtes aus der ύπερβολή των άποκαλύψεων zusätzliche Legitimierung zu ziehen, zieht Lührmann weitreichende, grundsätzliche Folgerungen: 1. „Daß Paulus hier von sich in der dritten Person redet, ist nicht 'Bescheidenheitsstil' [so H. Windisch z. St.], sondern deutet an, daß f ü r ihn die Ekstase kein Offenbarungserlebnis und daher auch nicht Grundlage seiner Verkündigung ist" (Offenbarung S. 68). 2. I m Blick auf Gal. l,12ff.: „Paulus ist . . . in seinem Offenbarungsverständnis insofern von der Apokalyptik bestimmt, als er wie sie eine Offenbarung als eschatologisches Heilshandeln Gottes am Ende der Zeit e r w a r t e t . . . — Es fehlt bei Paulus das zweite Moment im Offenbarungsverständnis der Apokalyptik: er kennt keine antizipierende Enthüllung der eschatologischen Offenbarung in Visionen und Entrückungen. Daß er mit dieser Vorstellung vertraut war, zeigt sein Verweis auf eine eigene Offenbarungsvision in 2. Kor. 12, Iff.; hier begegnet ja auch der Begriff άποκάλυψις zum erstenmal als terminus technicus in diesem Sinn [zu dieser These und ihrer Begründung bei Lührmann s. S. 76 Anm. 3]. An dieser Stelle verzichtet Paulus aber, wie wir gesehen haben, gerade grundsätzlich darauf, solche Offenbarungen in seiner Theologie auszuwerten oder mit ihrer Hilfe seine Theologie zu autorisieren. — Auch das Damaskuserlebnis nach Gal. 1,12 ff. darf nicht in diesem Sinn verstanden werden, denn sein Inhalt sind nicht eschatologische, ihrer Verwirklichimg noch harrende himmlische Geheimnisse, sondern im Gegenteil bereits wirkendes Heilshandeln Gottes. Dieses Handeln Gottes am Menschen bedeutet die Gegenwärtigkeit der Äonenwende des apokalyptischen Zwei-Äonen-Schemas, mit dessen Durchbrechung Paulus der Vorstellung einer antizipierenden Offenbarung den Boden entzieht: Die πίστις (Gal. 3,23), die Bedeutung Jesu als eschatologischer Heilsbringer (Gal. 1,15f.), die Gottesgerechtigkeit (Rom. 1,17; 3,21) sind bereits jetzt offenbar" (S. 107/08). — Ich kann mich mit den hier maßgebenden Alternativen exegetisch nicht bewegen und fürchte, daß sie zu einer verzerrten Paulusdarstellung führen. — Zunächst: das Verhältnis von Gal. 1,12ff. zu 2.Kor. 12, Iff., bestimmt sich m. E. derart, daß Paulus es ablehnt, das mit seinem Amt und seinem Evangelium gegebene, von Gott ins Werk gesetzte Grundgeschehen von Offenbarung dadurch seines Entscheidimgscharakters zu entkleiden, daß es seines auf die Zukunft verweisenden Verheißungscharakters, also seiner gegenwärtigen Unscheinbarkeit und Verhülltheit ins Wort hinein, entkleidet wird. Genau dies aber würde geschehen, wollte sich der Apostel über den tatsächlich von ihm gebotenen, unscheinbaren Augenschein erheben, indem er auf die ihm gewährten, proleptischen Gesichte im Sinne zusätzlicher, die irdischen Realitäten überspielender Legitimation verweisen würde. Die paulinische Argumentation in 2. Kor. 12 f u ß t also gerade auf dem, was Lührmann bestreitet: dem proleptischen und darum in Wort hinein verhüllten, unscheinbaren Verweisungscharakter des paulinischen Evangeliums, den Paulus nicht durch antizipatorische Offenbarungen vorzeitig und enthusiastisch aufgehoben wissen möchte. Man kann ja den Ausdruck: ύπερβολή των άποκαλύψεων 12,7 immöglich negativ interpretieren, nachdem bereits E. Käsemann festgestellt hat: „ . . . unübersehbar bleibt, daß der Apostel es hier gerade nicht mit einem Phänomen der christlichen Existenz schlechthin zu tun haben will. Die Entrückung hebt ihn im Gegenteil aus dem Kreise der Bruderschaft heraus und stellt ihn an die Seite der sagenumwobenen Gottesmänner Henoch, Moses und Elia" (Die Legitimität des Apostels, Libelli 33, Darmstadt 1956, S. 56 = ZNW 41, 1942, S. 65). — Die alte crux, wie 2.Kor. 12,7 καΐ τη ύπερβολή των άποκαλύψεων sprachlich zu beziehen ist, kann man zwiefach lösen. Entweder man setzt hinter έμοϋ V. 6 einen Punkt und läßt mit dem Ausdruck dann einen neuen, anakoluthischen Satz beginnen, in dem man das διό V. 7 b gerade nicht streichen darf; so entsteht allerdings ein sprachlich äußerst hartes Gebilde. Deshalb ziehe ich folgende, zweite Beziehung vor: καΐ τη υπερβολή των άποκαλύψεων gehört noch zu dem mit φείδομαι δέ beginnenden

Exegetische Problemskizze (Gal. 1 und 2)

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biblischen Apokalyptik das Wort (Gottes und seiner Sendlinge) zum offenbarungsträchtigen Mysterium2, zur zukunftsoffenen, verheißungsSatz V. 6b und ist logisch auf λογίσηται zu beziehen; der Dativ τη ύπερβολη ist ein dativus causae (vgl. Bl. Debr. § 196). Man muß also übersetzen „ . . . ich verzichte aber darauf, damit nicht einer mir mehr anrechnet, als was er an mir gewahrt und durch mich vernimmt, und zwar (anrechnet) infolge des Übermaßes von Offenbarungen" ! So ergibt sich ein ausgezeichneter Sinn, die υπερβολή των άποκαλύψεων kann sprachlich (vgl. l.Kor. 12,31; 2.Kor. 4,7) und sachlich (vgl. l.Kor. 14,18) positiv bewertet werden. Dies empfiehlt sich um so mehr, als Paulus in V. 5f. ja sogar die Möglichkeit ins Auge faßt (aber nicht ausnutzt), sich jener Offenbarungen und jenes Entrückten zu rühmen. 2.Kor. 12,Iff. arbeitet der Apostel mit einem Höchstmaß an gedanklicher und sachlicher Dialektik, welche das Inspirationswiderfahrnis des Pneumatikers mit dem eschatologischen Verweisungscharakter seines Apostolates so auszugleichen bemüht ist, daß Gottes Gaben keinen Schaden leiden. Die Rede von sich selbst in der dritten Person ist nach äth. Hen. 71, Iff.; Ape. Abr. 10,4 und Ape. Esr. 2, 3. 5. 7. 10. 13. 18 (Rießler, Altjüd. Schrifttum außerhalb der Bibel, S. 127f.) mit Sjöberg (Verborgener Menschensohn in den E w . S. 24) als apokalyptisches Stilelement zu interpretieren, läßt sich also unmöglich mit Lührmann negativ im zitierten Sinne auswerten. Wie würde sich auch der Verzicht auf das Pneumatikertum (das nicht sogleich negativ als „Ekstase" zu apostrophieren ist!), mit l.Kor. 7,40b reimen! — Beachtet man schließlich den apokalyptischen Wortbegriff als verborgen-mächtige Botschaftsprolepse, so fällt die Antithetik dahin, mit der Lührmann in Gal. 1, Uff. noch ausstehende Zukunft Gottes und heute schon gültige Offenbarung behandelt: Christus ist für Paulus ja eben noch nicht überall anerkannter Sieger, Glaube und Gottesgerechtigkeit sind noch umkämpft, und das paulinische Evangelium verläuft noch in der (apokalyptischen) Dialektik von Weisheit und Torheit, Verborgenheit und Offenbartheit, welche im Grunde alle wichtigen paulinischen Heilsbegriffe umfaßt (vgl. l.Kor. 1,17ff.; 2.Kor. 4,Iff.). Das Zwei-Äonen-Schema ist bei Paulus nicht völlig zerbrochen, sondern christologisch so radikalisiert worden, daß der Apostel Verkünder der mit Christus verborgenen angebrochenen Neuschöpfung ist, sich aber angesichts der Tatsache noch währender Anfechtung zu einer förmlichen Ontologie des neuen Seins als eines doxologischen durch-denken muß (vgl. meinen S. 64 Anm. 2 genannten Aufsatz). 1 Vgl. K. Galling, Die Geschichte als Wort Gottes bei den Propheten, ThBl 8, 1929, Sp. 169-172, bes. 171. G. v. Rad, Theologie des Alten Testaments II, München 41965, S. 89ff.; W. Zimmerli, Artikel: Wort Gottes im AT, RGG 3 VI Sp. 1809-1812; Kl. Koch, Wort und Einheit des Schöpfergottes in Memphis und Jerusalem, ZThK 62, 1965, S. 251-293. 2 Günther Bornkamms schöner Artikel: μυστήριον etc. im ThWb IV, (S. 809834) ist in doppelter Hinsicht weiterzuführen. Maßgebend muß Bornkamms klassische Definition des apokalyptischen Geheimnisbegriffes bleiben: „Die Geheimnisse sind die für die letzte Offenbarung bestimmten Ratschlüsse Gottes, d. h. die im Himmel schon real existierenden, überschaubaren letzten Geschehnisse und Zustände, die am Ende nur aus ihrer Verborgenheit heraustreten und offen zum Ereignis werden" (S. 822,11 ff.). Eine Materialergänzimg ergibt sich jetzt durch die von Kuhn in seiner Qumrankonkordanz aufgeführten Stellen, an denen die Qumrantexte Π bieten: 1 QpH 7,5. 8. 14; 1 QS 3,23: 4,6. 18; 9,18; 11,3.5. 19; 1QM3,9. 15; 14,9. 14; 16,11.16; 17,9; 1 QH 1,11. 13. 21. 29; 2,13; 4,27; 5,25; 5,36; 7,27; 8,6. 11; 9,23; 11,10; 12,13. 20; 13,2. 3. 13; CD 3,18. Das Substantiv wird in der überwiegenden Mehrzahl dieser Stellen pluralisch gebraucht, kann aber auch im Singular erscheinen, z.B. 1 QH 5,25; 9,23; 12,13. Sachlich ist der Geheimnis-Gedanke sowohl auf Gottes (heils-) geschichtliches Walten bezogen wie auf Weltstruktur überhaupt; daher ist der Begriff Î") hauptsächlich kosmisch-zeitlich ausgerichtet. Die Einsicht in die geschichtlichen Mysterien Gottes beruht auf Gottes Offenbarung und ist 6*

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Tollen Offenbarung im Gewände eines mißverständlichen Menschenwortes. Verbindet man diese, für die Apokalyptik wesentliche Anschauung vom Wort mit der von Lührmann kürzlich gegebenen Charakteristik des apokalyptischen Offenbarungsphänomens, so steht das Ganze der Paulus sachlich und terminologisch vorgegebenen Anschauung vor unserem Blick. „Offenbarung", schreibt Lührmann1, „ist in der apokalyptischen Literatur ein eschatologisches Handeln Gottes, das den neuen Äon heraufführt, zugleich aber auch die antizipierende Enthüllung dieser eschatologischen Offenbarung in der Deutung von Träumen und Visionen, die die Hoffnung auf das eschatologisçhe Handeln Gottes und den Gehorsam gegenüber dem Gesetz bestärken soll." Das Wort der Botschaft verbindet das Geschehen des Endes mit der Offenbarung in der Gegenwart. Das offenbarende Wort ist also ein aus dem Ende der Zeiten in die Gegenwart hereineilendes und, antikem Denken entsprechend, durchaus dinglich-räumliches Geschehen, ein zeithafter „Wort-Raum". Ist dies das Paulus voralso Heilsgabe: 1 QS 11,3. 5; 1 Q H 1,21; 4,27; 7,27. Z u m Ganzen vgl. O. Betz, Offenbarung u n d Schriftforschung, S. 82 ff. — Ferner ist darauf a u f m e r k s a m zu machen, d a ß sich, wie schon B u l t m a n n (Der Begriff des Wortes Gottes im Neuen Testament, Glaub, u. Verst. I, [S. 268-293] S. 271) anmerkt, gerade in der Apokalyptik eine Rede v o m schöpferischen, durch Seher u n d Propheten proklamierten W o r t Gottes findet, welche dieses W o r t a m Geheimnischarakter der Offenbarung teilnehmen l ä ß t : Das W o r t ist j a schon bei Deuterojesaja die verborgene Macht, k r a f t deren J a h w e selbst durch den Mund seines Boten das Heil seines Volkes bereitet u n d vorbereitet (vgl. n u r Jes. 46,15; 55, lOf. m i t 4 4 , 2 4 b - 2 8 ; 51,15f.). Ebenso spricht d a n n aber auch 4. E s r a 9 , 5 f . v o m W o r t e Gottes : „ D e n n wie alles, was in der Welt geschehen ist, einen (verborgenen) Anfang h a t im Wort, aber ein offenkundiges Ende, so sind auch des Höchsten Zeiten: ihr Anfang in Wort u n d Vorzeichen, ihr E n d e aber in T a t e n u n d W u n d e r n " (Übs. nach Hl Gunkel, bei Kautzsch, Apokryphen u. Pseudepigraphen des AT, B d . 2, S. 383 ; die Übersetzung b e r u h t auf der in der äthiop. Version erhaltenen lectio difficilior der Stelle. Z. St. vgl. auch G. Lindeskog, Studien z u m neutestamentlichen Schöpfungsgedanken I , Acta Universitatis Upsaliensis 11, 1952, S. 120). D a ß es sich u m eine weitverbreitete Anschauimg der Apokalyptik handelt, zèigen syr. Bar. 21,4ff.; 5 4 , I f f . ; 81,4; Ape. Abr. 9,9; 1 Q 27 (Myst) f. 1,1,8; J u b . 12,17. 22 (ff.). H a t m a n dies erkannt, wird m a n nicht mehr mit L ü h r m a n n (a.a.O. S. 125ff.) in der Verbindung des Geheimnismotivs mit dem der Verkündigung ein n u r hellenistisches P h ä n o m e n sehen u n d Paulus nur von solch hellenistischer Tradition abhängig erklären. Die genannten Belege stehen Paulus religionsgeschichtlich ebenso nahe wie CH 1,16, auf das sich L. bezieht. W e n n m a n Paulus in K o n t i n u i t ä t zur Apokalyptik sieht, h a t dies den großen Vorteil, d a ß m a n mit B u l t m a n n (Der Begriff der Offenbarung im Neuen Testament, Glaub, u. Verst. I I I [S. 1-34] S. 18ff.) u n d G. B o r n k a m m (Taufe u n d neues Leben bei Paulus, i n : E n d e d. Gesetzes, Ges. Aufs. I [S. 34r-69] S. 45-47. 49) das Verborgenheits- u n d Verhülltheitsmoment im paulinischen Offenbarungs- u n d Verkündigungsbegriff bejahen k a n n u n d es nicht mehr mit L ü h r m a n n kategorisch bestreiten m u ß (vgl. die S. 77 Anm. 1 aufgeführten Zitate u n d Lührmanns H a u p t t h e s e : „ P a u l u s denkt in seinem Offenbarungsverständnis nicht von Dingen her, die offenbart werden — u n d also vorher verborgen gewesen wären —, sondern von dem Menschen u n t e r Gesetz u n d Sünde, den das Offenbarungshandeln Gottes jeweils b e t r i f f t " [a.a.O. 158]). 1 A . a . O . S. 104.

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liegende gedankliche Material, so ist aus der Parallelität von Gal. 1,15 f. und l.Kor. 15,8f.; 9,1 sowie Phil. 3,8ff. folgendes zu erschließen: Es handelt sich bei der Paulus gewährten Epiphanie offensichtlich nicht nur um einen innerlich ablaufenden, gedanklichen Inspirationsprozeß, sondern um ein der alttestamentlichen Jahwetheophanie vergleichbares In-Erscheinung-Treten Gottes. Mehr noch: was Paulus hier beschreibt, ist sein den Ostererscheinungen der Altapostel ebenbürtiges1 und in der Struktur analoges Gewahrwerden des Gekreuzigten als des Auferstandenen. Paulus schildert also in Gal. 1,15f. die ihm zuteil gewordene österliche Epiphanie des Gottessohnes2. Sieht man unsere beiden Verse unter solchem Gesamtaspekt, so meint das von Gott beschlossene άποκαλύψαι τον υίόν αύτοϋ das Sehenlassen des Auferstandenen als des von Gott inthronisierten und also zum Herrscher eingesetzten Gottessohnes. Wenn W. Kramer zu Recht im paulinischen υιός θεοΰ „den Heilsträger unter dem Aspekt seiner Zugehörigkeit zu Gott" benannt sieht3, so wird gerade auch 1

Die Ebenbürtigkeit erweist sieh darin, das Paulus die Ostererscheinungen der Apostel in l.Kor. 15, Iff. durchweg mit dem Begriff δφθήναί τινι beschreibt und mit demselben Begriff in 15,8 dann auch seine Damaskuserscheinung kennzeichnet. 2 Lührmann läßt in seiner Interpretation von Gal. 1,12. 16 diese Parallelität unbeachtet und kommt deshalb und wegen seines S. 76 Anm. 3 skizzierten religionsgeschichtlichen Ansatzes zu m. E. unhaltbaren Thesen: „Durch das hinzugefügte έν έμοί wird [Gal. 1,16] die Offenbarung Jesu Christi als des Sohnes auf einen bestimmten Empfänger, nämlich Paulus, bezogen. Offenbarung ist nicht das Christusgeschehen als solches, sondern eine auf den Menschen bezogene Interpretation dieses Geschehens als den Menschen angehend durch ein neu einsetzendes Handeln Gottes. Bezeichnend ist, daß Paulus diese Offenbarung auf einen zum Ratschluß bei der Sendung (4,4) parallelen neuen Ratschluß Gottes zurückführt (1,15) : Gott hat ihn — wie er im Anklang an alttestamentliche Prophetenberufungen schreibt (Jes. 49,1 Jer. 1,5) — von Mutterleib an ausgesondert und durch seine Gnade berufen. DM apokalyptische Zwei-Äonen-Schema wird also bei Paulus durch die anthropologische Beziehung durchbrochen; völlig verfehlt wäre übrigens, diese Stelle im Sinn der antizipierenden Offenbarung der Apokalyptik zu verstehen, da die Offenbarung etwas End-gültiges ist. Die Offenbarung ist also ein neu einsetzendes Gnadenhandeln Gottes, das als Deutung bezogen ist auf das in der Sendimg des Sohnes vollbrachte Heilswerk" (S. 79). Abgesehen davon, daß mit dieser Offenbarungsdefinition faktisch (und willentlich, vgl. a.a.O. S. 15f. 83 Anm. 1. 132. 137. 152) die Christologie aus dem Zentrum der Offenbarung bei Paulus herausgerückt wird, ist anzumerken, daß bereits in den Hodajot die von Lührmann als spezifisch paulinisch reklamierte anthropologisch-individuelle Zuspitzung der Offenbarung nachzuweisen ist, also bei Paulus schlecht ein Äonenschema durchbrechen kann, in dessen Rahmen sie erst aufkam! 3 Christos, Kyrios, Gottessohn, AThANT 44, Zürich 1963, § 54d = S. 185. Wenn Kramer § 12b-d = S. 48f. bestreitet, daß zwischen dem Stamm εύαγγελund der Rede vom Gottessohn ein ursprünglicher Zusammenhang besteht, so liegt das allein daran, daß er die im hellenistischen Christentum (vgl. Ps. 2,7 in der L X X ! ) bestehenden Verbindungsmöglichkeiten zwischen Christos-Christologie und Gottessohnschaft nicht frühzeitig genug ansetzt. Bei Paulus liegt diese Verbindung in Rom. 1, Iff.; l.Thess. l,9f. und auch Gal. 1,16 vor (vgl. V. 12).

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in diesem christologischen Prädikat der Zug des skizzierten Ereignisses deutlich: Von Gott beschlossen, am Christus demonstriert, den Apostel aussondernd (vgl. das betonte έν έμοί1) und, weil es sich um eine österliche Berufungserscheinung handelt, zugleich in die Mission sendend (ίνα εύαγγελίζωμαι αυτόν), ist das paulinische Evangelium die Repräsentation der geschichtswendenden Freiheit Gottes. Es geht dabei um die Freiheit, die Gott sich nimmt, um, dem weltweiten Eschaton vorweg und voraus, schon jetzt mit dem endzeitlichen Heil in die Gegenwart hereinzueilen und dieses Heil schon heute auf die Welt der Heiden zu entschränken. Für den Verfolger Paulus bedeutete die Christusoffenbarung notwendig die Offenbarung des auf die Welt der Heiden entschränkten Heiles und die Demonstration der damit zugleich gesetzten Lösimg des Heiles aus seinen Bindungen an die Tora. Paulus hat also in einem einzigen Akt 2 am Aufstrahlen des Auferstandenen den Entschluß Gottes vernommen, sein Heil, dem Ende vorweg, auf die Welt zu entschränken und in dem solches proklamierenden Wort seine endzeitliche Herrschaft schon jetzt aufzurichten. Das Evangelium ist demnach das noch ins Wort hinein verborgene Sich-selbst-Vorauseilen Gottes mit seinem in Christus herrscherlich verkörperten Heil und Recht, ein Heil und Recht, das Gott sich entschlossen hat, vorzeitig auf alle Welt hin zu entschränken. Evangelium ist, kurz gesagt, die apokalyptische Prolepse des die Welt meinenden Heiles und Rechtes Gottes ins Wort und die unscheinbare VerhülUheit einer apostolischen Botschaft hineins. 1 Lietzmann (An die Galater, Η NT 10, Tübingen »1932 z. St.) und Schlier (Gal.12 S. 55) interpretieren έν έμοί im Sinne von „in mir". Ihnen schließt sich W. Schmithals, Häretiker, S. 14 an. Da das skizzierte Ereignis aber kein innerliches ist, kann man auch mit Oepke (Gal.2 S. 33), W. Bauer (Wb.6 Sp. 518 s. ν . έν TV 4a) und Lührmann (a.a.O. S. 79 Anm. 1) an einen einfachen Dativ denken, der in der Koine oft mit έν konstruiert wird, hebräischem r ó l bzw. aramäischem mit *? zur Angabe des Offenbarungsempfängers genau entspricht (vgl. Dan 10,1; 2,19. 30) und auch sonst bei Paulus nachweisbar ist: Rom. 1,19; l.Kor. 14,11; 2.Kor. 4,3. Das έν ist dann also kein „räumliches 'in', sondern bezeichnet . . . den, auf den sich das Handeln Gottes bezieht" (G. Delling, Die Bedeutung der Auferstehung Jesu f ü r den Glauben an Jesus Christus, Schriftenreihe des Theol. Ausschusses der E K U , Gütersloh 8 1966, [S. 65-90] 73). Im Blick auf die Erscheinungsberichte von l.Kor. 15 gebe ich dieser zweiten Möglichkeit den sachlichen und sprachlichen Vorzug. Da Paulus in den Homologumena άποκαλύπτω stets mit bloßem Dativ konstruiert, ist sogar zu erwägen, ob das έν Gal. 1,15 nicht bewußt gesetzt ist: „gerade mir". 2 Es empfiehlt sich nicht, mit Lietzmann Gal.3 z. St. und Fridrichsen, Apostle S. 13 den Berufungs- und Sendungsvorgang in einzelne Stadien zu zerlegen, eine Möglichkeit, die auch noch Oepke, ThWb I I I S. 587, lOff. erwogen und erst in seinem Galater-Kommentar 2 S. 40 verworfen hat. 3 Zur Definition des Evangeliums vgl. H. Schlier oben S. 47 Anm. 5. Zu Empfang und Inhalt der Offenbarung vgl. U. Wilckens, Der Ursprung der Überlieferung der Erscheinungen des Auferstandenen, in: Dogma und Denkstrukturen, Festschrift f ü r E. Schlink zum 60. Geburtstag, Göttingen 1963 (S. 56-92) S. 86: „Zwar zeigt die knappe Charakterisierung in Gal. 1,15 und

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Mit dieser Sicht sind exegetisch zwei Fragestellungen verbunden. Einmal ist deutlich, daß wir mit unserer These die oft verfochtene Identität von Evangelium und Missionspredigt1 zwar nicht negiert, aber hinter uns gelassen haben: Evangelium ist bei Paulus allem Anschein nach eine Größe, die in der Missionspredigt nicht aufgeht; also ist das Verhältnis beider zu diskutieren. Dann ist zu klären, wie sich das apokalyptische Offenbarungsereignis „Evangelium" verhält zum Problem von Zeit und Geschichte. Denn für Paulus liegt das zu proklamierende Christusereignis ja zeitlich zurück: Rom. 5,6. Der Apostel richtet sein Wort vom Kreuz aus im Rückblick auf Kreuz und Auferstehung und in der Hoffnung auf die Parusie. Unter dem Vorzeichen der άποκάλυψις ließe sich dies nur so verbinden, daß εύαγγέλιον einen vom Wort beschlossenen Zeit-Raum, ein äonenhaftes Gebilde bezeichnen würde. Eine Sicht, die sich an Rom. 15,19; 2. Kor. 10,14; Phil. 4,15 wohl wird bewahrheiten lassen, hier aber nur erst als Frage aufgeworfen werden kann. Hat Paulus das Evangelium als apokalyptische Gottesmacht erfahren 2 , so erklären sich V. 16b. 17 nunmehr vorzüglich, bringen sie doch mit nahezu verletzender Schärfe die eschatologische Priorität des Evangeliums als Gottesoffenbarung gegenüber jedweden irdischen Instanzen zum Ausdruck. Paulus hat Offenbarung und Sendungsbefehl keiner Diskussion mit Menschen unterworfen. Die jüdische Wendung σάρξ καΐ αίμα „denotes the natural man as a frail creature in opposition to God" 3 . Wenn Paulus fortfährt: ούδέ άνήλθον εις 'Ιεροσόλυμα, liegt darin eine in den Augen seiner Gegner eventuell peinliche Zusammenordnung der Jerusalemer apostolischen Autoritäten mit bloßen Menschen. Beachtet man mit E. Schweizer, daß bei σάρξ καί αίμα „Gott selbst als der Offenbarer der Gegenbegriff" ist 4 (vgl. Mt. 16,17), erklärt sich die pauünische Redeweise: Paulus spricht· vor allem der hier gebrauchte Begriff άποκάλυψις/άποκαλύπτειν, daß das Schema der Widerfahrnisweiee dem der Tradition gesondert-individuell empfangener, vorzeitig-eschatologischer 'Offenbarung' im allgemeinen entspricht : Gott 'offenbarte' ihm, indem er ihn eschatologisch Verborgenes aufstrahlend schauen ließ. Aber der Inhalt dieser Offenbarung ist es, der den Rahmen grundsätzlich sprengt, insofern Gott ihn nicht den Lauf der Geschichte, nicht Befindlichkeiten der oberen Welt, nicht den Ausgang des künftigen Gerichtes, sondern den auferweckten himmlischen Christus sehen ließ" (Hervorhebung bei W.). 1 Vgl. A. Oepke, Missionspredigt S. 50ff.; Gal.a S. 29 u. ö.; Gr. Gillet, Evangelium, S. 82 (vgl. oben S. 17 Anja. 5). * Vgl. O.Michel, Artikel: Evangelium Sp. 1117: „Der Hintergrund u(nd) die Struktur der paulinischen Botschaft werden durch die Apokalyptik bestimmt. Der Apostel weiß sich in einem bestimmten u(nd) zugespitzten Augenblick der Geschichte berufen u(nd) hat seine Aufgabe in dem eschatologischen Ablauf der Endereignisse (Gal. 1,16f.)." s J. Jeremias, Flesh and Blood cannot inherit the Kingdom of God, in : Abba (S. 298-307) S. 299; vgl. auch Schlier, Gal." ζ. St. 4 E. Schweizer, Artikel: σάρξ, ThWb VI, S. 128,12.

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vom Standpunkt des Evangeliums, also Gottes, aus und darum aus eschatologischer Distanz zur Welt. In der Tat muß sein Evangelium als unabhängig gelten, wenn von ihm aus sogar die Jerusalemer ins eschatologische Gegenuber von Gott und Mensch verwiesen werden können ! Das tatsächliche Verhalten des Paulus nach seiner Berufung entspricht diesem absoluten Verständnis von Evangelium durchaus: Er begann sogleich im Nabatäerreich ( = Arabia) zu missionieren1. Seine spätere Besuchsreise nach Jerusalem diente nur Informationszwecken, ohne seine Eigenständigkeit einzuschränken. In den vierzehn Tagen seines Aufenthalts in Jerusalem hat er ja allein mit Petrus und Jakobus, dem Herrenbruder, (inoffiziell !) Kontakt aufgenommen. Gott selbst ist Zeuge dafür: V. 18-20. Vielleicht setzt sich Paulus mit dieser Argumentation gegen eine mißgünstige Auslegung seines ersten Jerusalembesuches zur Wehr, doch ist dies nicht sicher. Jedenfalls aber zeigen die Verse, daß Paulus bei solchem Verhalten mehr sein muß als ein bloßer antiochenischer Gemeindeapostel und daß man ihn mit den Jerusalemer Autoritäten angesichts seines Evangeliums nicht beeindrucken kann, ίστορήσαι Κηφαν bezeichnet einen Besuch zum Zweck des Kennenlernens und der gegenseitigen Information 2 . Worum es gegangen sein könnte, deutet O. Bauernfeind an: „Das zurückhaltende Wort ίστορήσαι wählt Paulus, um damit zu sagen: 'Es handelte sich nicht darum, mein Ansehen in Jerusalem zu vermehren, sondern ausschließlich um den Wunsch, den ältesten Osterzeugen selbst kennenzulernen'"3. D. h., es könnte gegangen sein a) um Tragen der missionarischen Sendung des Petrus einerseits und des Paulus andererseits; dann wäre diese Besprechung eine Art Vorspiel zum Apostelkonvent gewesen4; b) um Information über Jesu Weg und Sendung. Doch ist dies nicht deutlich erkennbar. Jedenfalls kann nach paulinischer Meinung dieser Besuch nicht meinen, daß Paulus sein Evangelium zur Begutachtung vorgelegt hat. „Sonst wäre es nämlich überflüssig gewesen, daß er bei seinem zweiten Besuch den 'Geltenden' das Evangelium vorlegte, das er 'unter den Heiden verkündete, um nicht umsonst zu laufen oder gelaufen zu sein' (Gal. 2,2)" s . 1 Vgl. Haenehen, Apg. 5 S. 281 ; ders. Petrus-Probleme, in: Gott und Mensch, Ges. Aufs., Tübingen 1965, (S. 55-67) S. 57; Schlier, Gal.12 S. 58. 2 Vgl. W. Bauer, Wb 5 Sp. 756 und G. D. Kilpatrick, Galatians 1,18 ΙΣΤΟΡΗΣΑΙ ΚΗΦΑΝ, New Testament Essays in memory of Th. W. Manson, Manchester 1959, S. 144-149. 3 Die Begegnung zwischen Paulus und Kephas Gal. 1,18-20, ZNW 47, 1956 (S. 268-276) S. 276. 4 Vgl. Haenehen, Petrus-Probleme, S. 56 f. 5 Haenehen, Apg.6 S. 405 ; vgl. auch Haenchens Aufsatz : Die frühe Christologie, ZThK 63, 1966, (S. 145-159) S. 150f„ wo er sieh gegen H. Riesenfelds Meinung zur Wehr setzt, Petrus habe Paulus bei seinem ersten JerusalemBesuch einer Prüfung über seine Kenntnis in der authentischen Jesustradition

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Paulus hat nach seinem kurzen Aufenthalt in Jerusalem in Syrien und Cilicien missioniert (V. 21) und konnte darum den christlichen Gemeinden in Judäa nicht persönlich bekannt sein, zumal auch sein Jerusalem-Besuch zu keiner offiziellen Begegnung geführt hatte. Nur seine Berufung zum Verkünder der Glaubenspredigt1 wurde in den Gemeinden bekannt und dort als Machttat Gottes gepriesen2. Wenn wir nunmehr den unendlich umstrittenen Text Gal. 2,1 ff. zu betrachten haben, ist folgendes zu beachten: Paulus hat aus der Rückschau ein Ereignis zu interpretieren, welches in stärkstem Maße für seine Gegner und zu seinen eigenen Ungunsten zu sprechen schien. Allein durch das Faktum des Konvents in Jerusalem wurde ja scheinbar unwiderleglich das Vorrecht der Jerusalemer Apostel ebenso dokumentiert wie die Tatsache des Gemeindeapostolates des Paulus mitsamt dessen verdächtigem Evangelium! Das bedeutet: Paulus gibt keinen ruhigen Begebenheitsbericht, sondern eine durchaus tendenziöse Schilderung. Die paulinische Tendenz wird vielleicht noch dadurch verschärft, daß sich die Abmachungen des Apostelkonvents alsbald als problematisch und nicht als endgültige Lösung erwiesen haben. Diese Erwägungen bedeuten methodisch, daß wir versuchen müssen, die historische Begebenheit und die paulinische Darstellung von Fall zu Fall voneinander abzuheben. Die paulinische Tendenz ist offensichtlich auch in Gal. 2 die, Eigenständigkeit und Unabhängigkeit seines Apostolates und seiner Botschaft zu erweisen. Im Rahmen dieser Tendenz lassen sich die historischen Begebenheiten durchaus unterbringen : Paulus und Barnabas ziehen nach Jerusalem hinauf als offizielle Delegaten der antiochenischen Gemeinde3. Sie ziehen hinauf κατά άποκάλυψιν, also kraft göttlicher Anweisung, d. h. praktisch : auf Anweisung eines Gemeindepropheten hin 4 . Die Antiochener werden also nicht nach Jerusalem unterworfen (The Gospel Tradition and its Beginnings, TU 73, 1959 [S. 43-65] S. 56.) 1 Zu diesem Verständnis von πίστις vgl. Bultmann, Artikel : πίστις, ThWb VI S. 214,10. 2 Dies darzustellen scheint der eigentliche Skopus jener Berufungsberichte zu sein, die in den Acta dem Paulus zugeschrieben werden. Diesen Berichten (Apg. 9,l-19a; 22,3-21; 26,9-20) dürfte eine „volkstümliche Erzählung von der Berufung des Paulus" zugrunde liegen (Haenchen, Apg.5 S. 277). Daß solche (Erzählungen) in den Gemeinden umlief(en), macht Gal. 1,13a (ήκούσατε γάρ) unzweifelbar. Ihre Fortwirkung zeigt sich in den Pastoralbriefen (l.Tim. l,12ff.). Man kann darum nicht gut mit Schmithals (Paulus und Jakobus, S. 16) aus V. 23f. heraus schließen, das paulinische Evangelium sei auch in Judäa nie strittig gewesen, denn auf die Strittigkeit der Botschaft des bekehrten Paulus ist in den umlaufenden Erzählungen gar nicht geblickt! a Vgl. Haenchen, Apg.5 (1965) S. 405ff. ; F. Hahn, Verständnis der Mission im NT, S. 66f. ; D. Georgi, Kollekte, S. 14. 16; H. Schlier, Gai.12 S. 64ff. 4 Vgl. Schlier, Gal.12 S. 66; Haenchen, Apg.5 S. 406; Lührmann, Offenbarung S. 41 f. 73.

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Das Problem des paulinischen Evangeliums

„zitiert". Wie sogleich die Rede von den Falschbrüdern zeigen wird und die Mitnahme des Titus vermuten läßt, geht es bei dem Aposteltreffen um das Recht der Heidenmission mitsamt dem Verzicht auf Beschneidung und Toraobservanz. Die Frage ist im Urchristentum eine eschatologische Frage mit soziologischen Konsequenzen: Eschatologisch ist die Frage, weil in ihr entschieden werden muß, ob die Osterereignisse dazu aufrufen, das eigentlich Gott vorbehaltene endzeitliche Werk an den Heiden von Seiten der Gemeinde in der Vollmacht des Geistes zu beginnen, oder ob es das Gebot der Stunde sei, nur erst im Rahmen des erwählten Volkes (also zugleich im Bereich der Tora) Christus als Messias zu predigen und von den Bekehrten die Beschneidung zu fordern. Soziologische Konsequenzen hat diese Frage, weil die Beibehaltung einer (gewissen) Toraobservanz die Christen(-gemeinden) weiterhin die Schutzrechte der religio licita des Judentums genießen ließ, während eine Toraabrogation eine rechtlich unsichere Stellung gegenüber Römern und Juden nach sich ziehen konnte, ja sogar mußte1. Die Antiochener vertraten auf dem Konvent die Heidenmission und standen auf dem Boden einer das Heil entschränkenden Eschatologie. Die Falschbrüder sind ihre eigentlichen Antipoden. Die „Säulen" stehen offensichtlich zwischen beiden Fronten, so daß man mit mindestens drei verschiedenen Gruppierungen in Jerusalem zu rechnen hat. Seit K. Holls berühmter Untersuchung über den „Kirchenbegriff des Paulus in seinem Verhältnis zu dem der Urgemeinde"2 ist umstritten, in welchem Maße Jerusalem als (sakral-)rechtlich ausgewiesener Vorort der Urgemeinde gelten darf, ob das auf dem Apostelkonvent vereinbarte Opfer für die „Armen" den Charakter einer Steuer besaß und welches Maß von Verbindlichkeit die Jerusalemer Abmachungen hatten. Die Frage ist bis heute nicht entschieden, noch immer von großer terminologischer Unsicherheit beherrscht, für uns aber wichtig, weil sich an ihr die bereits mit dem Fluch Gal. 1,9 aufgebrochene Frage nach sakralrechtlichen Relationen des Evangelium-Begriffes konkretisieren läßt. Grundsätzlich läßt sich nur 1 Vgl. Schmithals, Paulus und Jakobus, S. 29: „Die Frage nach ihrer Einstellung zum Gesetz war . . . für die Judenchristen in Palästina nicht allein, vielleicht nicht einmal vornehmlich, ein theologisches Problem, sondern die Frage nach der Möglichkeit ihrer gemeindlichen Existenz im jüdischen Lande." Freilich setzt Schmithals diesen richtigen Aspekt absolut und läßt über ihm die eschatologischen und heilsgeschichtlichen Komponenten des uns beschäftigenden Problems ganz außer acht: vgl. die vornehme Besprechung des Schmithalsschen Buches durch U. Wilckens, ThLZ 90, 1965, Sp. 598-601. 2 Ges. Aufsätze zur Kirchengeschichte, Bd. 2 : Der Osten, Tübingen 1928, S. 44-67; abgedruckt in dem von U. Luck und K. H. Rengstorf herausgegebenen Sammelband: Das Paulusbild in der neueren deutschen Forschung, Wege der Forschung Bd. 24, Darmstadt 1964, S. 144-178.

Exegetische Problemskizze (Gal. i und 2)

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folgendes sagen: Daß die Antiochener nach Jerusalem hinaufziehen, um, -wie Paulus ausdrücklich sagt, ihre Missionspredigt zur Begutachtung vorzulegen1, zeigt (trotz des άνέβην δέ κατά άποκάλυψιν V. 2 !), daß Jerusalem in dieser Frage nicht zu umgehen war. Trotz Tempelund Gesetzeskritik der Sieben und der gesetzesfreien Heidenmission fühlte sich also Antiochien an Jerusalem gebunden. Dies spricht für Holls Konzeption, wie auch das Verhalten der Gemeinde in Antiochien nach V. Uff. für eine Einspruchsbefugnis Jerusalems selbst in der Diaspora zu sprechen scheint2. Für die Antiochener wäre also Jerusalem immerhin der (heilsgeschichtliche?) Vorort der Kirche gewesen, und diese Auffassung hatte offensichtlich auch gewisse rechtliche Konsequenzen. Für Paulus selbst gilt Vergleichbares, aber nicht das gleiche. Sein Apostolat und seine Botschaft stehen, wie Rom. 11,25 ; 15,15-19 zeigen, in einem streng heilsgeschichtlichen Koordinatensystem und Raum 3 . Dieser heilsgeschichtliche Raum ist nach paulinischer Auffassung erfüllt und durchwaltet von Gottes Recht ( = δικαιοσύνη θεοϋ)4, worunter man nach antiker Denkweise eine Heilssphäre zu verstehen haben wird. Der heilsgeschichtliche Raum kennt aber auch, wie die Rede von einem Paulus zugemessenen κανών in 2. Kor. 10,14ff. beweist, ein rechtlich einklagbares Maß für die Zeit (zur Mission) und den Bereich (der Mission)6. Weil dies so ist, sieht sich Paulus von einem endgerichtlichen, eschatologischen „Wehe" für den Fall bedroht, daß er die Predigt des Evangeliums verweigern sollte: 1. Kor. 9,16. Es kann nach alledem kein Zweifel daran bestehen, daß für Paulus Apostolat und Evangelium in sakralrechtlichen Bin1 3

Zu άνατίθημι vgl. W. Bauer, Wb 5 Sp. 123. E. Haenchen hat in der 1. Aufl. seines Apostelgeschichtskommentars (1956) zu Apg. 8,4-25 angedeutet, daß Jerusalem über die (Samariter-)Mission des Philippus, also der Sieben, ein wachsames Auge behielt und imstande war, diese nachträglich zu legalisieren (a.a.O. S. 2(56). W. Kramer, Christos, § 7d = S. 33 spricht unter Berufung auf Haenchen von einer förmlichen „PetrusInspektion". Wie unsicher die ganze Frage ist, zeigt sich daran, daß Haenchen seine Vermutung in die neuen Auflagen seiner Apostelgeschichte nicht mehr übernommen hat. 3 Vgl. Michel, Art. Evangelium, Sp. 1117f. ; E. Käsemann, Paulus und der Frühkatholizismus, Ex. Vers. u. Bes. II (S. 239-252), S. 244; anders H. Conzelmann, Paulus und die Weisheit, NTSt 12, 1965/66, S. 231-244, bes. S. 233f. 4 Vgl. E. Käsemann, Grottesgerechtigkeit bei Paulus, Ex. Vers. u. Bes. I I S. 181-193; meine Dissertation, Gerechtigkeit Gottes bei Paulus, FRLANT 87, Göttingen a 1966. Gegen die Interpretation von δικαιοσύνη θεοϋ als Gottes Recht: R. Bultmann, ΔΙΚΑΙΟΣΥΝΗ ΘΕΟΥ, S. 12-16; D. Lührmann, Offenbarung, S. 141 ff. 175; H. Conzelmann, Paulus und die Weisheit, S. 244 Anm. 2; Theol. d. NTs. S. 237ff. und — wenig überzeugend— G. Klein, Gottes Gerechtigkeit als Thema der neuesten Paulus-Forschung, VF 12, 1967, Heft 2, S. 1—11. 5 κανών ist in Analogie zu hebräischem 1p zu interpretieren (vgl. 1 QH 1,28; 3,27; 18,11; Test. Napht. 2,3; äth. Hen. 61,"iff.) und meint das die Schöpfung von Gott her prägende Gerichtsmaß, ist also wesentlich mehr als bloß ein „Maßstab". Vgl. meinen Aufsatz EvTh 27, 1967, S. 6f.

Das Problem des paulinischen Evangeliums

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düngen stehen, daß für ihn der Raum der Heilsgeschichte ein von Gott rechtlich-verpflichtend gefügter Raum ist und daß für ihn jenes heilsgeschichtliche Strukturgesetz von Rom. 1,16 Ίουδαίω τε πρώτον και "Ελληνι, das Rom. 9-11 näher entfalten, eine bindende Verpflichtung enthält. Sieht man das paulinische Handeln von Gal. 2,1 ff. unter dem Vorzeichen des Ίουδαίω τε πρώτον καί "Ελληνι bzw. unter dem Leitfaden von Rom. 9-11, so ergibt sich, daß auch für Paulus und sein Evangelium in Jerusalem alles auf dem Spiele stand. Paulus suchte die Bestätigung dafür, daß jenes den Willen Gottes repräsentierende, heilsgeschichtliche Strukturgesetz anerkannt werde. Daß, anders formuliert, sein Evangelium in Geltung bleiben und die heilsgeschichtliche Vorrangstellung Jerusalems dabei dennoch gewahrt bleiben könne. Ging es für die Antiochener um die Bestätigung ihres Missionswerkes (im Rahmen einer bleibenden, rechtlichen Bindung an Jerusalem?), so geht es für Paulus — jedenfalls aus der Rückschau — um die Frage, ob mit der Freiheit seines Evangeliums zugleich auch die heilsgeschichtliche Treue des im Evangelium sein Heil entschränkenden Gottes Anerkenntnis und die Kirche zu ihrer Einheit fände. Für Paulus und die Antiochener aber geht es somit beide Male um sakralrechtliche Tatbestände, weil es um eschatologisch verbindliche Entscheidungen geht. Es hieße nun freilich, jene Problematik verkeimen, wenn man Paulus in Jerusalem die Bestätigimg seiner Sendung und Botschaft durch die entscheidenden Autoritäten des „früheren Evangeliums" und des „früheren Apostolates" suchen ließe, wie Schlier dies vorschlägt 1 . Paulus bewegt sich gerade nicht mehr in einem heilsgeschichtlichen Denken, das sich einfach an einer progressiven Zeitlinie orientiert. Im Rahmen eines derartigen Denkens wird freilich das Frühere eo ipso höhere Autorität genießen als das Spätere 2 . Vielmehr fragt sich der Apostel als Zeuge dej· neuen Zeit und Welt Gottes aus eschatologischer Distanz zum alten Äon in die Heilsgeschichte zurück und sieht, gewissermaßen „nachträglich", die Treue Gottes als deren einziges, wirksames Kontinuum an. Paulus denkt also auch dort, wo 1

Gal.12 S. 68. Unter diesem Aspekt kann auch die Studie von R. Bring, The Message to the Gentiles, StTh 19, 1965, S. 30-46 noch mißverstanden werden. Bring sucht das paulinische Evangelium ganz aus dem Erfüllungsgedanken heraus zu begreifen und stellt fest: "The law, which distinguished between Jews and Gentiles, became, in the form in which it was completed by Christ, nothing else than the message to the Gentiles. The law of the Old Testament, it might be said, became the gospel itself, and the Old Testament rightly served as the Bible of the first Christians. It can never loose its nature as the word of God, so long as it is read in the light of the revelation given in Christ" (S. 39). Wenn ich recht sehe, entspricht diese Einlinigkeit gerade nicht der paulinischen, dialektischen Gedankenführung. 2

Exegetische Problemskizze (Gal. 1 und 2)

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«r heilsgeschichtlich argumentiert, höchst dialektisch. Nur wenn man diese Dialektik und ihre Wurzel, die ελευθερία der neuen Zeit, sieht, kann man die Freimütigkeit verstehen, mit welcher Paulus bewußt den Titus mit hinauf nach Jerusalem nimmt, um an seiner Gestalt das Verhalten der Jerusalemer Kirche gegenüber seinem Evangelium regelrecht zu „testen" 1 . Gleichzeitig dürfte eine derartige Vorbeugungsmaßnahme andeuten, ,,daß der Anlaß der Jerusalemer Verhandlungen eine weitgespannte kirchliche Intrige war, die schon vorher in den heidenchristlichen Gemeinden Antiochiens und der Umgebung gespielt hatte und ihren Ursprung im judenchristlichen Raum besaß, vielleicht sogar in Jerusalem selbst". 2 Wie das κατ'ίδίαν andeutet, verhandelt Paulus zunächst mit den Jerusalemer Nobilitäten allein, um erst anschließend in öffentlicher Gemeindeversammlung aufzutreten. Hier trifft er dann auf die ψευδάδελφοι. Deren „Spitzelei" ( = κατασκοπεΐν) kann sich nach V. 4 nicht nur auf den Konvent selbst bezogen haben, war aber auch nicht nur auf Antiochien beschränkt. „V. 5 sieht doch wie ein persönliches Gegenübertreten aus" 3 . Sachlich handelt es sich bei den Falschbrüdern, wie F. Hahn gezeigt hat, um „streng partikularistisch eingestellte, palästinische Judenchristen" 4 , die theologisch keinen Vorgriff auf Gottes Recht, die Heiden am jüngsten Tag selbst herbeizurufen, zu richten und zu begnadigen, erlauben und deshalb Tora und Beschneidung weiterhin beachtet wissen wollten. In den ψευδάδελφοι noch ungetaufte Juden zu sehen, halte ich für falsch 6 . Bereits der Begriff „Falschbrüder" macht dies unmöglich. Falsch-Brüder sind diese Judenchristen für Paulus deshalb, weil sie sein Evangelium anfeinden und sich darum gegen die Freiheit Gottes zur Wehr setzen. Sie stehen für Paulus als Wider1 Vgl. Georgi, Kollekte, S. 16; Oepke, Gal.2 S. 44. Der Fall des Heiden Titus liegt damit ganz ähnlich wie die von L. Goppelt (Die apostolische und nachapostolische Zeit = Die Kirche in ihrer Geschichte I A , Göttingen 1962, S. 51) und K. G. Kuhn (Das Problem der Mission in der Urchristenzeit, EMZ 14, 1954, [S. 161-168] S. 162f. 166) zu unseren Auseinandersetzungen als Parallele herangezogene Bekehrungsgeschichte des Königs Izates von Adiabene bei Josephus, Aut. 20,38ff. ( = 2 0 , 2 , 4 ) . Izates wird von dem hellenistisch-jüdischen Missionar Ananias für die Verehrung des jüdischen Gottes gewonnen, aber nicht zur Beschneidimg gezwungen ; der palästinische Jude Eleazar dringt dagegen auf buchstäbliche Erfüllung des ganzen Gesetzes, also auch auf den Vollzug der Beschneidimg. Es liegt nahe, das Verhalten der jüdisch-hellenistischen, missionierenden Christen in Analogie zu dem des Ananias zu sehen und das der Falschbrüder mit der Haltung des Eleazar zu parallelisieren. Die urchristlichen Auseinandersetzungen um die Beschneidung haben also schon auf jüdischem Boden ein Vorspiel gehabt. 2 3 Georgi, Kollekte S. 15. Schlier, Gal.12 S. 71. 4 Mission, S. 66, vgl. S. 43ff. Zu den Motiven der Partikularisten auch Michel, Freudenbotschaft und Völkerwelt, S. 54. 61 Anm. 27. 6 Mit Hahn, a.a.O. S. 66 Anm. 2 gegen Schmithals, Häretiker, S. 10 und Paulus und Jakobus, S. 89f.

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sacher Gottes unter dem Fluch von Gal. 1,9 und sind für den Apostel daher nur Schein-Christen1. Wäre sein Evangelium in Jerusalem auf Ablehnung gestoßen, so müßte Paulus sich in der Tat eingestehen, umsonst gelaufen zu sein. Seine Missionsfahrt gilt ja, wie Rom. 9-11 zeigen, der einen Kirche aus Juden und Heiden, und in diesem heilsgeschichtlichen Rahmen kann die Entschränkung des Heiles auf die Welt der Heiden nicht den endgültigen Ausschluß der Juden meinen. Die Einheit der Kirche bestätigt sich aber für Paulus in den tatsächlichen Geschehnissen auf dem Konvent. Das erregte, anakoluthische Satzgefüge V. 3 ff. läßt klar erkennen, daß die Front der Partikularisten unterlag, Titus also nicht zur Beschneidimg genötigt wurde, daß vielmehr die Führer der Jerusalemer Gemeinde das Recht der antiochenischen und paulinischen Heidenmission anerkannten. Die Terminologie von V. 4 f. läßt erahnen, wie hart solcher Bescheid umkämpft gewesen ist. Wie stark auch die Partei der Partikularisten gewesen sein mag, Paulus hat ihnen nicht nachgegeben, weil, wie er sagt, die άλήθεια des Evangeliums den Galatem erhalten bleiben sollte. Denken wir an das uns bisher als apokalyptisch erscheinende Phänomen Evangelium, so erklärt sich auch dieser Begriff : Es geht um die Gültigkeit des von Gott schon jetzt auf die Welt entschränkten und vom Evangelium im wahren Sinn des Wortes (aus dem Eschaton) vor-getragenen Heiles, um die im Evangelium bereits jetzt entriegelte, endzeitliche Wirklichkeit und Vollmacht Gottes2. Eine eventuelle Niederlage der 1 Damit erledigen sich die Einwände von Schmithals, Paulus u. J a k o b u s , S. 90 Anm. 1 gegenüber KL Wegenaet, Tradition, S. 47 Anm. 1, der darauf hingewiesen hatte, daß Paulus „ J u d e n nicht als Brüder (bezeichnet), sondern höchstens als Brüder nach dem Fleisch; vgl. R o m . 9,3". Ebenso wie hier erk l ä r t sich der polemische Ausdruck ψευδαπόστολοι 2. Kor. 11,13. 2 Dem semitisch-zukunftsbezogenen Charakter von άλήθεια gemäß (vgl. dazu H . v . S o d e n , Was ist Wahrheit, i n : Urchristentum u n d Geschichte I , Tübingen 1951, S. 1 - 2 4 : „Wahrheit ist nicht etwas, was irgendwie unter oder hinter den Dingen liegt u n d durch Eindringen in ihre Tiefe, ihr Inneres gefunden würde; sondern Wahrheit ist das, was sich in der Z u k u n f t herausstellen wird. Der Gegensatz zur Wahrheit wäre sozusagen nicht eigentlich die Täuschung, sondern wesentlich die E n t t ä u s c h u n g " (S. 10); ferner: H . J . Kraus, Wahrheit in der Geschichte, in ; Was ist Wahrheit. Ringvorlesung der E v . theol. F a k u l t ä t d. Universität H a m b u r g , Göttingen 1965, S. 35-46, bes. 37; Kl. Koch, Der hebräische Wahrheitsbegriff im griechischen Sprachraum, ibd. S. 47-65, bes. S. 51) ist άλήθεια Gal. 2,5. 14 im Sinne von verheißungsvoll entriegelter, endzeitlicher Wirklichkeit zu fassen, wobei das Moment der Gültigkeit mitschwingt (dazu: R . Bultmann, Untersuchungen z u m Johannesevangelium, Z N W 27, 1928, [S. 113-163] S. 129 u n d Artikel: άλήθεια T h W b I, S. 242,40f.). Das Verständnis von άλήθεια im Sinne von „wahren Konsequenzen des Evangeliums" (Molland, Paul. Euangelion, S. 61 nach Fridrichsen, TO Ε Υ Α Γ Γ Ε Λ Ι Ο Ν hos Paulus, N T T 13, 1912, S. 212) oder „right interpretation" (Fridrichsen, Apostle a n d his Message, S. 22 Anm. 22) ist nicht haltbar (vgl. O.Michel, ThLZ 60, 1935, Sp. 141 f.; Artikel: Evangelium, Sp. 1118f.; R . Asting, Ver-

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Antiochener hätte für Paulus bedeutet, daß Menschenhände die von Gott getätigte Entschränkung des Heils wieder rückgängig zu machen versuchen (vgl. 2,20). Es hätte bedeutet, die άλήθεια του εύαγγελίου von seinen heidenchristlichen Gemeinden wieder abzuziehen. Daß sich die Jerusalemer Gemeindeleitung in dieser Auseinandersetzung auf die Seite des Paulus und nicht auf die der Partikularisten gestellt hat, hat etwas Großartiges1 und ist, so sehr hier vielleicht auch der traditionelle Gegensatz zwischen konservativer Landbevölkerung und liberaler Haltung der Jerusalemer Bürger mitspielen mag2, theologisch von größter Tragweite: Es deutet sich hier die Möglichkeit an, Jerusalem und das paulinische Missionswerk auf der Basis von Rom. 9-11 tatsächlich auch historisch zusammenzuordnen, unbeschadet der gleich noch zu erörternden Differenzen in der eschatologischen und rechtlichen Beurteilung solch ekklesiologischer Einheit3. Die Verse 6-10 sind in ihrem historischen Tatsacheñgehalt heiß umstritten und hier kaum auszuexegesieren. Leitfaden der paulinischen Darstellung bleibt die vom apostolischen Sendungsgedanken her vorgegebene, heilsgeschichtlich-rechtliche Sicht. V. 6 besagt, daß die Jerusalemer das paulinische Evangelium ohne Auflagen gelten ließen. In der Gesamtpolemik der Eingangskapitel des Galaterbriefes meint dies offensichtlich, daß die Kronzeugen der Paulusgegner ihren eigenen Schülern, den Häretikern, gleichsam im voraus die Möglichkeit der Kritik genommen haben. Historisch ist aufschlußreich, daß Paulus durchaus mit der Möglichkeit einer rechtskräftigen Auflage von Seiten Jerusalems für die Arbeit der Antiochener rechnen kann. Dies ist erneut ein Hinweis darauf, daß wir mis im Rahmen einer rechtlich orientierten Denkweise befinden. Über einer gleich auskündigung d. Wortes, S. 408ff.; G.Friedrich, ThWb II S. 729 Anm. 78 und Ν. A. Dahl, SvTK 36, 1960, S. 158f.). 1 Vgl. Harnack, Mission und Ausbreitung I 4 S. 69: „Bewundern wir die Größe des Paulus, so gilt unsere Bewunderung nicht minder den Uraposteln, die um des Evangeliums willen auf eine Lebensweise eingingen, die ihr Herr und Meister, mit dem sie gegessen und getrunken, sie nicht gelehrt hatte." Vgl. ferner Haenchen, Apg.5 S. 409: „Faktisch war diese Anerkennung der antiochenischen Heidenmission etwas Erstaunliches, das den Jerusalemern alle Ehre macht. Damit, daß sie Heiden, die nicht beschnitten wurden, als Glieder des neuen Gottesvolkes zuließen, haben sie das jüdische Denken auf alle Fälle hinter sich gelassen, wie auch die Theologie ausgesehen haben mag, mit der sie diesen Spruch rechtfertigten und die wir nicht kennen." 2 Vgl. dazu instruktiv M. Hengel, Die Zeloten, AGSUI, Leiden 1961, S. 144. 371. 380. Ob man freilich die Falschbrüder mit Vertretern der galiläischen Gemeinden identifizieren darf, ist nicht ganz sicher. 3 Die Haltung der „Säulen" gegenüber Paulus wehrt m. E. auch der fraglosen Sicherheit, mit der man gewöhnlich in dem Herrenbruder Jakobus nur den intoleranten Torarigoristen zu sehen gewohnt ist (so neuerdings vor allem K. Heussi, Petrus und die beiden Jakobus in Galater 1-2, WZ Jena, ges. sprachwiss. Reihe 6, 1956/57 [S. 147-152] S. 147).

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Das Problem des paulinischen Evangeliums

führlicher zu behandelnden Parenthese zerbricht dem Apostel in V. 6 der Satz. Es entsteht ein Anakoluth, und Paulus muß sprachlich neu einsetzen: έμοί γάρ κτλ. Mir ist durchaus zweifelhaft, ob man aus der so entstandenen betonten Stellung des έμοί schließen darf, Paulus habe Kenntnis von den Bestimmungen des Aposteldekrets aus Apg. 15 gehabt und habe hervorheben wollen, daß diese Bestimmungen sekundärer Art und ihm selbst nicht auferlegt worden seien1. Im Duktus seiner Sätze konnte Paulus kaum anders formulieren, als wir heute lesen. Das Anakoluth entsteht an der erregten Parenthese, die eine besondere Wertschätzung der Urapostel bei den Häretikern brandmarken dürfte. Da πρόσωπον ó θεός ανθρώπου ού λαμβάνει eine von der paulinischen Rechtfertigungstheologie her zu verstehende, grundsätzliche Relativierung von Vorrechten oder Würdestellungen ausspricht 2 , Paulus auch im folgenden viel daran zu liegen scheint, selbst als vertragstreu gegenüber dem Abkommen zu erscheinen, er also die Kirchengemeinschaft mit Jerusalem nicht aufhebt, beziehe ich die Parenthese zeitlich mit K. Aland 3 , Schlier4, Hahn 5 , Georgi® und Haenchen 7 gegen G. Klein8 auf die Zeit vor dem Konvent der Apostel: Nachdem Gott Paulus mit dem Evangelium betraut hat, kann Paulus nur noch die hiermit gesetzten, eschatologischen Maßstäbe gelten lassen und selbst bei den „Säulen" keinerlei andere Qualifikationen, die etwa in der Verbindung zu Jesus und der Kenntnis authentischer Jesustradition gesehen werden konnten. Genau entsprechend dieser Denkweise verhält sich Paulus dann auch in der (vor einer Kritik am ersten Auferstehungszeugen nicht zurückscheuenden!) Auseinandersetzung mit Petrus V. 11 ff. Es bestätigt sich mit dieser Gesamtauslegung erneut, daß der gedankliche Leitfaden von Gal. 1 und 2 die eschatologische Freiheit ist, in welche das paulinische Evangelium versetzt. 1 So mit vielen anderen besonders E. Klostermann, Zur Apologie des Paulus Galater 1,10-2,21 in: Gottes ist d. Orient. Festschrift f. O. Eißfeldt, Berlin 1959, (S. 84-87) S. 86 und ders., Noch einmal über Paulus zum Apostelkonvent Galater 2,1-10, WZ Halle-Wittenberg, Ges. sprachwiss. Reihe 13, 1964, (S. 149/ 50) S. 150. 2 Vgl. Rom. 2,11 (Eph. 6,2; Kol. 3,25), wo προσωπολημψία eindeutig Gerichtsterminus ist. Das Evangelium bringt mit dem Heil zugleich auch die Prolepse des Gerichts (vgl. l.Kor. 1,18ff.), so daß vom Standpunkt des Evangeliums her eine grundlegende Relativierung aller vor-gerichtlich-weltlichen Privilegien statthat, s. Schlier, Gai.12 S. 75f.; Georgi, Kollekte, S. 20 Anm. 42; G. Klein, Gal. 2,6-9 und die Geschichte der Jerusalemer Urgemeinde, ZThK 57, 1960, (S. 275-295) S. 278. 3 Wann starb Petrus? Eine Bemerkung zu Gal. 2,6, NTSt 2, 1955/56, (S. 267-275) S. 274. 4 5 Gal.12 S. 75. Mission, S. 68 Anm. 3. • Kollekte, S. 14 Anm. 10. 20. 7 Die frühe Christologie, S. 1Γ3. 8 Gal. 2,6-9, S. 275ff.

Exegetische Problemskizze (Gal. 1 und 2)

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Y. 7 f. gehen auf die eigentliche Einigung ein und bringen nach E. Dinklers These1 ein regelrechtes Zitat aus der griechischen Version des Protokolls über die in Jerusalem getroffenen Abmachungen, wobei der zitierte Satz nach Dinkier folgenden Wortlaut gehabt haben könnte : είδον oí στύλοι, &u Παύλος πιστεύει [sic! gemeint ist wohl: πεπίστευται2] τό εύαγγέλιον της άκροβυστίας καθώς Πέτρος της περιτομης, ó γάρ ένεργήσας Πέτρω είς άποστολήν της περιτομης ένήργησεν και Παύλω είς τά έθνη. Die Stärke dieser These Dinklers liegt darin, daß sie die bei Paulus sonst ungebräuchliche Bezeichnung des Petrus mit Πέτρος in V. 7 f. traditionsgeschichtlich zu erklären vermag. Eben weil es sich um ein Quellenzitat handelt, „ändert Paulus nicht den offiziellen PetrosNamen in den ihm gebräuchlichen Kephas um, sondern läßt durch die Dokumentierung die Apostolische Legitimation des eigenen Missionsauftrages neben Petrus ans Licht treten"3. Doch leuchtet dies nur auf den ersten Bück ein. U. Wilckens hat überzeugend dargetan, daß V. 7f. paulinisch formuliert sind4. Es könnte also höchstens in dem Petros-Namen eine Reminiszenz an das Protokoll stecken. Ferner hat Haenchen darauf hingewiesen, daß das klare Gegenüber Petrus-Paulus in unseren Versen eine wohl nachträgliche, paulinische 1

Der Brief an die Galater. Zum Kommentar von Heinrich Schlier, VF 1953/ 55, S. 175-183, wieder abgedruckt und mit einem Anhang versehen in: Signum Crucis. Aufsätze zum NT u. zur christl. Archäologie, Tübingen 1967, S. 270-282 (danach die Seitenzahlen). Das folgende griechische Zitat S. 280. Dinkier erläutert seine These ferner in: Die Petrus-Rom-Frage. Ein Forschungsbericht ThR 25, 1959, S. 198 und im Artikel: Petrus, RGG 3 V (Sp. 247-249) 248. Ähnlich wie Dinkier O.Cullmann, Artikel· Πέτρο;, Κηφας ThWb VI (S. 99-112) 100 Anm. 6 und: Petrus. Jünger - Apostel - Märtyrer, Stuttgart/Zürich 2 1960, S. 19. 2 Mir ist nicht völlig deutlich, wie Dinkier zu dem Wortlaut πιστεύει τό εύαγγέλιον kommt und dies dann ausdrücklich mit „glauben" übersetzen möchte (Signum Crucis, a.a.O. S. 280. 282). Die Formulierung πιστεύειν τύ εύαγγέλιον ist im ganzen Neuen Testament nicht belegt, nur Mk. 1,15 heißt es πιστεύειν έν τω εύαγγελίφ. W. Bauer, Wb. 6 Sp. 1313 f ü h r t deshalb auch im Einklang mit dem zeitgenössischen Sprachgebrauch Gal. 2,7 (und 1. These. 2,4) auf die Bedeutimg πιστεύομαι τι (Pass.) = „betraut werden m i t " zurück. Dies gibt auch f ü r das von Dinkier angenommene Protokoll einen ausgezeichneten Sinn, während die Formulierung πιστεύειν τό εύαγγέλιον im ganzen Urchristentum singular wäre und übrigens auch nicht durch die von Dinkier S. 281 zitierte Peschitta-Übersetzung zu decken ist, welche, wie der griechische Text auch, vom Betrautwerden mit dem Evangelium spricht. Handelt es eich also um ein Versehen ? Zum weiteren Wortlaut der Formel s. u. a Dinkier, ThR 25, 1959, S. 198. 1 Ursprung, S. 72 Anm. 41 : ,,πεπίστευμαι c. acc. steht nur bei Paulus — vgl. l.Thess. 2,4 l.Kor. 9,17 — und in der nachpaulinischen Tradition, vgl. l.Tim. 1,11 Tit. 1,3; άκροβυστία-περιτομή gibt es mit wenigen Ausnahmen nur im paulinischen und durch Paulus bestimmten Schrifttum als geprägtes Gegensatzpaar 1 άπάστολος steht außer Act. 1,25 nur bei Paulus; ένεργεϊν (und Derivate) ist ein spezifisch paulinischer Wortstamm." 7 6638 Stuhlmacher, Evangelium

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„Vereinfachimg" sein dürfte1. Georgi hat außerdem m. E. mit Recht bemängelt, daß, wenn schon in V. 7 f. der Protokolltext angeführt werde, es kaum erklärlich sei, „warum ausgerechnet das Abkommen [selbst] nicht aus dem Protokoll zitiert wird"2. Die Dinklersche These will also nicht recht einleuchten und mit ihr die auf ihrer Grundlage erarbeitete Sicht G. Kleins, daß seit dem Konvent in Jerusalem Machtverschiebungen stattgefunden hätten, die Petrus den Aposteltitel kosteten und ihn aus der Rolle des einen maßgeblichen Mannes in die einer „Säule" der Kirche neben anderen Säulen quasi degradierten3. Wie erklärt sich der Petros-Titel dann? Als Titel! Einen Personennamen „Petrus" hat es in vorchristlicher Zeit wahrscheinlich nicht gegeben4, vielmehr trägt die Petros-Bezeichnung in paulinischer Zeit und im hellenistischen Sprachbereich noch titularen Unterton und scheint fest „mit der Wirksamkeit dieses Apostels im hellenistischen Bereich verknüpft zu sein"6. Auch in V. 7f. geht es ja dezidiert um das apostolische Amt des Petrus. Es könnte darum sein, daß in V. 7 f. bewußt Petrus in seinem, dem paulinischen Sendungsauftrag analogen, eschatologisch-apostolischen Schlüsselamt bezeichnen soll. Man müßte dann verstehen: Petros = Petrus in seiner Eigenschaft als apostolischer Mandatar Gottes (nur!) für die Welt Israels®. In unserem 1

Apg. 6 S. 407, vgl. auch Petrus-Probleme S. 64. 3 Kollekte, S. 14 Anm. 10. Gal. 2,6-9, S. 290. 295. « Cullmann, Artikel: Πέτρος, S. 100,11 ff.; Petrus 2 S. 20; W. Bauer, Wb 5 Sp. 1298; E. Fascher, Artikel: Petrus (Jünger und Apostel Jesu Christi), P W Bd. 38 (1938) Sp. 1337. Zu den Vorkommen des Namens vgl. W. Pape, Wörterbuch der griechischen Eigennamen, Bd. 2, Braunschweig 3. Aufl. 1911, S. 1187/ 88; Fr. Preisigke, Sammelbuch, Bd. 2, Berlin/Leipzig 1922, S. 282; W. Enßlin, Artikel: Petrus, P W Bd. 38, Sp. 1319-1335; A. Nagl, Artikel: Petros, P W Bd. 38, Sp. 1281-1304; eindeutig-vorchristliche Belege finden sich hier überall nicht. Ob es sich freilich um eine spezifisch christliche Wortbildung handelt, ist unsicher, da Billerbeck I S. 530 und S. Krauss, Griechische und Lateinische Lehnwörter im Talmud, Midrasch und Targum, Bd. 2 (1899; Nachdruck Hildesheim 1964) S. 443 auf einen aramäischen Eigennamen Petros hinweisen; zu dessen möglicher Entstehimg aus ΊΒΒ = Erstgeborener, vgl. Cullmann, 2

ThWb VI S. 100 Anm. 8 ; Petrus 2 S. 20. Schwingt der Unterton von „erstgeboren" in Πέτρος bzw. dann auch Κηφας mit, würde dies überraschendes Licht auf die bisher umstrittene Redeweise von Paulus als dem letzten Offenbarungsempfänger und dem ίκτρωμα in l.Kor. 15,8 werfen. 8 Hahn, Mission, S. 68 Anm. 3. 6 Ich bin nicht sicher, ob man mit Haenchen, Petrus-Probleme, S. 64/67 die paulinischen Aussagen über den Missionar Petrus einzuschränken h a t : Von seinem Standpunkt aus kann Paulus die Parallelität zu Petrus nur nützen, weil derselbe Standpunkt die Unterstellung des paulinischen Evangeliums unter die Jurisdiktion des Jakobus a limine ausschließt. Nur wenn man den Standort des Paulus im eschatologisch-neuen Bereich des Evangeliums nicht beachtet, ist es zwingend, mit Haenchen festzustellen: „Paulus denkt nicht daran, sich mit dem Leiter einer zentralgesteuerten judenchristlichen Mission zu messen, die einem andern, nämlich dem 'Bischof' Jakobus untersteht. Wer ihn so auslegt, der mißversteht ihn und sieht nicht, mit welcher Mühe

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Briefe wäre solche Redeweise sinnvoll und verständlich, wenn die Häretiker in Petrus einen (oder den einen?) besonders legitimierten und maßgeblichen Apostel gesehen hätten, eine Anschauung, die auch die paulinische Schilderung des antiochenischen Streits mit Petrus in neues, polemisches Licht stellen könnte. Paulus würde solcher Anschauung der Häretiker gegenüber zum Ausdruck bringen wollen, daß Petrus „Fels" (πέτρος) nicht für die Gesamtkirche, sondern nur im Rahmen des ihn an Israel weisenden apostolischen Sendungsauftrages sei, während er, Paulus, von Gott mit gleichen Rechten wie Petrus für die Heidenwelt ausgestattet und in Jerusalem auch in solcher Eigenschaft anerkannt worden sei. Im Rahmen des paulinischen Selbst- und Sendungsverständnisses wäre dies ein durchaus begreiflicher Anspruch 1 . Wir mußten die Debatte um den traditionsgeschichtlichen Charakter von V. 7 f. so detailliert darstellen, weil in dem Diu kierschen „Protokolltext" zwischen einem εύαγγέλιον της περιτομης und einem εύαγγέλιον της άκροβυστίας unterschieden wird und sich damit vielleicht die Möglichkeit ergibt, den paulinischen Begriff εύαγγέλιον traditionsgeschichtlich über Antiochien hinaus bis nach Jerusalem hinein zu verfolgen 2 . Doch stellen sich dem unüberwindliche Hemmnisse in den Weg. Für das Abstraktum ή περιτομή = die Juden fehlen m. W. außerchristliche Belege vollkommen. Für ή άκροβυστία = Heidentum sind sie ganz spärlich. Billerbeck nennt „als Beispiel" nur Mischna, N e darim 3,11 : „Der Name 'Vorhaut 5 [sc. n^TSJ] dient nur zur Bezeichnung dieser [sc. Heidenvölker]" 3 . Die von K. L. Schmidt zusammengestellten Übersetzungsbelege aus L X X 4 verwenden άκροβυστία nur im naturalistischen oder übertragenen Sinne, aber nicht als soziologische Bezeichnung. Die bei Paulus gebräuchliche, technisch soziologische Verwendung hat auch im antiken Antisemitismus keine direkten Parallelen 6 . Am leichtesten wird ja auch solch distanzierte Redeweise Paulus aus einer vergangenen Situation eine Lage entnehmen möchte, die seiner Gegenwart entspricht" (S. 64). 1 Zur eschatologischen Funktion des Apostels und der Parallelität von Petrus und Paulus vgl. A. Fridrichsen, The Apostle and his Message, passim. D. Lührmann, Offenbarung, S. 96 Anm. 2 hält Fridrichsens Sicht freilich für „reine Konstruktion". 2 Wenn Dinkier (Signum Crucis S. 282) schreibt: „. . . die Unterscheidung zwischen εύαγγέλιον της άκροβυστίας und της περιτομής (weist) auf nichtpaulinischen Ursprung hin", scheint er einen vor- oder wenigstens unpaulinischen Ursprung der beiden Ausdrücke in Erwägung zu ziehen. 3 Bd. II S. 705, zitiert I S. 714. « Artikel: άκροβυστία, ThWb I S. 226/227. 5 Vgl. Th. Reinach, Textes d'Auteurs Grecs et Romains relatifs au Judaïsme, Paris 1895 (Nachdruck: Hildesheim 1963) S. Í34 (mit Zitat aus einem griech. Fragment von Josephus, Contra Apionem II § 7), S. 264 (mit lateinischem Zitat aus Persius Flaccus, 5. Satire 184), S. 292 (mit lateinischem Zitat aus Juvenal, 14. Satire 104): Überall ist nur auf den Beschneidungsbrauch ange7·

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aus einem Bewußtsein des Abstandes zu Juden und Heiden heraus begreiflich, also vom Erwählungsbewußtsein der christlich-hellenistischen Gemeinde her. Es handelt sich demnach um christliche, eventuell sogar paulinische Redeweise. Das aber bedeutet, daß εύαγγέλιον της περιτομης und της άκροβυστίας paulinische Formulierungen sind mid keine traditionellen Ausdrücke. Dies bewahrheitet sich vollends, wenn man den Versuch unternimmt, die beiden Wendlingen ins Hebräische bzw. Aramäische zurückzuübersetzen: Die möglichen Äquivalente: (xnVms?) n1ru?n/(xnV'nn) nV»n nsnatf bzw. THlfcO sind sprachliche Monstren und gegenüber den wenigen bekannten constructus-Yerbindungen von mitra und nsiötf singulär1. Fr. Delitzsch übersetzt dementsprechend in seiner hebräischen Rückübertragung des Neuen Testaments die beiden Genitiwerbindungen umschreibendmit: D^isn-Vx Π11Β3Π einerseits und η^ΙΏΠ-^Ν mitran andererseits. Damit setzt er aber einen absoluten Gebrauch von mitran = τό εύαγγέλιον = Christusbotschaft voraus, der sich sicher erst bei Paulus selbst und im hellenistischen Missionschristentum nachweisen läßt 2 . Das bedeutet im ganzen: Sprachlich und sachlich bereitet der Versuch, den von Dinkier postulierten Protokollsatz traditionsgeschichtlich zu verifizieren, größte Schwierigkeiten. Sie fallen alle dahin, wenn man mit paulinischer Ausdrucksweise rechnet. Ich nehme darum an, daß V. 7 f. von Paulus selber ohne Rückgriffe auf schriftliche Tradition formuliert worden sind. Handelt es sich also um paulinische Formulierungen, so bleibt bedeutsam genug, daß sich Paulus in der Lage sieht, seine eigene und die petrinische Botschaft linter ein und denselben Begriff zu subsumieren. Für Paulus gibt es also nur das eine, ihm von Gott eröffnete und auferlegte Evangelium. Da dieses von dem Entschluß Gottes spricht, das Heil auf die Heiden zu entschränken, aber nicht auf sie einzuschränken, hat das paulinische Evangelium kosmisch-einschließenden Charakter. Es wird nur dort zur scheidenden Größe, wo die Freiheit des im Evangelitim nahenden Gottes angetastet wird, wie z.B. bei den Falschbrüdern. Ist dies richtig gesehen, dann handelt es sich bei der Unterscheidimg zwischen einem den Juden geltenden und einem den Heiden geltenden Evangelium um eine heilsgeschichtliche Differenzierung, weil sich für Paulus die Welt unter heilsgeschichtlichem Vorzeichen in Juden und Heiden aufteilt, die zuspielt und kein abstrakter Sprachgebrauch nachweisbar. Den Hinweis auf Reinach verdanke ich M. Hengel, Tübingen. 1 S.u. S. 116 Anm. 3, S. 125 Anm. 5. 2 Auf dem griechischen Text fußen deutlich auch die Übersetzungswendungen aus der Peschitta, auf die Dinkier a.a.O. S. 281 verweist; sie lauten in hebräischer Transkription: KnVnisn srnao und « m i m xmao.

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sammen berufen werden, das neue Gottesvolk zu bilden. Daß Paulus in diesen heilsgeschichtlichen Kategorien denkt und sein Amt führt, haben wir bereits gesehen. Nach paulinischem Verständnis handelt es sich also bei dem εύαγγέλιον της περιτομης um die verheißungsvolle Botschaft von der freien Gnade Gottes in Christus an die Glieder des Volkes Israel; bei dem εύαγγέλιον της άκροβυστίας um die Botschaft von der freien Gnade desselben Gottes an die gesamte außerisraelitische Welt. Beide Weisen des Evangeliums sind nach paulinischer Sicht geeint durch die Proklamation der in Christus verwirklichten freien Gnade Gottes. Was beide nur unterscheiden, a,ber eben nicht scheiden kann, ist die Wertschätzung und Stellung der Tora auf dem sich öffnenden Heilswege1. Auch solch unterschiedliche Wertschätzung der Tora läßt sich von Paulus her ein Stück weit rechtfertigen. Paulus sieht ja in der Verleihung der Tora an Israel einen noch immer gültigen Vorzug des erwählten Volkes (vgl. nur Rom. 3, Iff.; 9,4). Die Gesetzesdialektik des Apostels zielt nicht auf eine enthusiastische totale Abrogation der Tora, sondern vielmehr auf die eschatologische Entbergung des in der Tora verhüllten guten Willens Gottes (Rom. 7,12) in Gestalt des Gesetzes Christi2. Historisch durchreflektiert bedeutet dies, daß Paulus die Tora als Erwählungsurkunde im Lichte des Gesetzes Christi gelten läßt, d. h. als οδός έκλογης, aber nicht als οδός σωτηρίας! Paulus ist von seinem Standpunkt aus also nicht gezwungen, jede Form von Gesetzesgehorsam unter jüdischen Christen als widerchristlich zu brandmarken. Er kann ihn vielmehr im Lichte des Gesetzes Christi so lange tolerieren, als er nicht in die Dämonie der καύχησις vor Gott umschlägt. Die sich hier zeigende Dialektik deckt sich mit dem Grundsatz von l.Kor. 9,20f. und dürfte den eigentlichen Kommentar zu jener umkämpften Stelle liefern. Hat man sich dies verdeutlicht, so wird zugleich einsichtig, wo und wann Paulus den status confessionis gegeben sehen muß: dort, wo die Position, die er selber einnimmt, ins Gegenteil verkehrt wird. D. h., wo sich in der Forderung der Beschneidung des Titus oder im Verhalten des Petrus in Antiochien die These von einer Heilsbedeutung der Tora im christlichen Bereich zurückmeldet. 1 So ebenfalls, wenn auch mit anderer Implikation, Schmithals, Jakobus und Paulus, S. 37 f. 2 Vgl. dazu die Skizze in meiner Dissertation, Gerechtigkeit Gottes bei Paulus 2 , S. 94-97. Ich würde heute freilich gern die seinerzeit mit D.Rössler bezogene, religionsgeschichtliche Ausgangsposition bei einem apokalyptischen und nicht rabbinischen Gesetzesverständnis revidieren. W. G. Kümmel, Jesus und Paulus, S. 450 hat mich davon überzeugt, daß man zwischen rabbinischem und apokalyptischem Toraverständnis nicht derart scharf unterscheiden darf, wie Rössler dies vorschlägt. Vgl. auch Michel, Art. Evangelium, Sp. 1117 und oben S. 75, Anm. 4.

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Hier wird nun auch das Problem des ganzen Apostelkonvents offenbar: Während sich Paulus, seiner Darstellung zufolge, mit den Jerusalemern auf dem Wege eschatologisch begründeter Toleranz und Freiheit zu einigen versucht (oder zu einigen meint), könnten die Jerusalemer erst nur der Ansicht sein, daß zwar das von Gott selbst ins Werk gesetzte Missionsunternehmen Antiochiens zu respektieren, aber daß daraus keine grundsätzliche Änderung des eigenen Selbstverständnisses zu folgern sei ! Während Paulus sich vom Standpunkt der neuen Zeit seines Evangeliums aus den Jerusalemern zuneigt, könnten diese nur erst tbereit sein, im Rahmen traditioneller Parusieerwartung das außergewöhnliche Ereignis der Heidenmission als Ausnahme und Zeichen zu tolerieren, ohne sich deshalb selbst als mit Paulus schon in der neuen Zeit und Welt des Evangeliums befindlich zu verstehen. Mir scheint, das Abkommen von V. 9f. ist auch bei einer derartigen Divergenz der Standpunkte begreiflich. Vor allem aber wird nun seine sich in V. 11 ff. dokumentierende, unterschiedliche Auslegung von dieser Divergenz aus sachlich erklärbar. In den Versen 9 f. wird das eigentliche Abkommen wiedergegeben. Die Terminologie weist auf eine sakralrechtlich verbindliche Abmachung : Die Trias der „Säulen" hat ebenso rechtliche (vgl. Dt. 19,15) wie autoritative Funktion 1 . Jakobus, Kephas und Johannes gelten als die Grundpfeiler, auf denen der Bau der Kirche ruht 2 . Sie reichen als Repräsentanten der Jerusalemer Gemeinde den Delegaten Antiochiens3, Barnabas und Paulus, die Vertrags- und Bruderhand, δεξιάς διδόναι ist nach l.Makk. 6,58; 2.Makk. 12,11 Rechtsbegriff 4 , κοινωνία meint wie Phil. 1,5 Kirchengemeinschaft in der gemeinsamen Teilhabe an dem durch das Evangelium eröffneten Raum des Heils. Es geht also um einen Vertrag zwischen zwei Gemeinden. Zwischen der Judenkirche von Jerusalem und der Heidenkirche von Antiochien wird das Missionsfeld der Welt aufgeteilt. Man denkt bei solcher Aufteilung in den alten, heilsgeschichtlichen Kategorien und spricht dementsprechend nur von Juden und Heiden. Die Antiochener sind im Rahmen ihrer άποστολή ,¿bestimmt für die Heiden(welt)", die Jerusalemer im Rahmen ihres Sendungsauftrages „bestimmt für die 1 Vgl. M. Hengel, Maria Magdalena und die Frauen als Zeugen, in : Abraham unser Vater, Festschrift für O. Michel, Leiden/Köln 1963, (S. 243-256) S. 248; C. Andresen, Zum Formular frühchristlicher Gemeindebriefe, ZNW 56, 1965, (S. 233-259) S. 236f. 2 Zu dem eschatologischen „Atlas"-Dienst der „Säulen" vgl. C. K. Barrett, Paulus and the 'Pillar' Apostles, in: Studia Paulina in honorem J. de Zwaan, Haarlem 1953, S. 1-9; Schlier, Gal.12 S. 78f.; U. Wilckens, Artikel στύλος, ThWb VII (S. 732-736) S. 734,20ff. 3 Vgl. oben S. 85 Anm. 3. 4 Vgl. W. Grundmann, Artikel δεξιός, ThWb II, S. 37-39, bes. S. 37,49-38,5.

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Beschneidung", d. h. für Israel1. Der Vertrag2 teilt die Welt unter dem Gesichtspunkt der Mission in heilsgeschichtlich bzw. erwählungsgeschichtlich bestimmte Sendlings- oder Interessensphären auf. Die im Hintergrund stehende heilsgeschichtliche und sakralrechtliche Denkweise ist dabei wohl zu beachten. Einerseits gewinnt das Abkommen auf diese Weise höchste geistliche Verbindlichkeit. Andererseits wird seine Praktikabilität höchst fraglich oder wenigstens erschwert. Es geht ja nicht einfach um eine Aufteilung von Missionsgebieten im geographischen Sinn3 oder unter ethnographischen Gesichtspunkten4. Die eine Lösung hätte entweder Antiochien oder Jerusalem ron der Mission in den Gebieten der jüdischen Diaspora ausgeschlossen, die zweite „hätte es Paulus verboten, in den Synagogen anzuknüpfen, und ihm damit den Zugang zu den am besten vorbereiteten Heiden, den σεβόμενοι, genommen. Andererseits hätte sie diese Heiden auch nicht für die jerusalemische Mission freigegeben, da sie ja Heiden waren"5. Vielmehr teilt man die zu missionierende Welt unter eschatologischen Gesichtspunkten in Sendungssphären ein6. 1 Der einzige Beleg, den Liddell-Scott, Greek-English Lexicon 9 S. 491 s. v. εις I 4a, für elliptisches εις anführen (Andocides 1,11: oí στρατηγοί oí εις Σικελίαν), weist in die oben vorausgesetzte Aussagerichtung eines Bestimmt- und Gesandtseins in eine bestimmte Region; der von Georgi (Kollekte S. 21f.) für unsere Wendung postulierte Sinn des Verantwortlichseins für . . . schwingt dabei mit. 2 Daß es sich um einen regelrechten Vertrag handelt, betonen mit Recht Schlier, Gal. 12 S. 79 und Georgi, Kollekte, S. 21f. Daß sich dies vielleicht sogar historisch genauer erweisen läßt, werden wir alsbald sehen. 3 So z.B. Schlier, Gal. 12 S. 80; Oepke, Gal. 2 S. 50. 54 und besonders prägnant Fridrichsen, Apostle, S. 12: "Through this agreement the missionsfield was divided in a strictly geographical sense : Palestine on one side, on the other side the world outside the Holy Land." 1 So etwa Cullmann, Petrus 2 S. 49. 51f. und Schmithals, Paulus und Jakobus, S. 36. 6 Haenchen, Apg. 5 S. 409. Schmithals hat das Recht solcher Argumentation bestritten (Paulus und Jakobus, S. 44ff.) und grundsätzlich bezweifelt, „daß Paulus mit seiner Predigt in den Synagogen begann" (a.a.O. S. 49). Zu beachten bleibt aber, daß Paulus in das Missionswerk einer auch Juden ansprechenden, hellenistischen Gemeinde berufen wurde, nachdem er zuvor versucht hatte, gerade jene von der Gemeinde abgeworbenen Juden zu verfolgen (Gal. 1,13ff.). Ferner: der Peristasenkatalog 2.Kor. ll,24ff. wird plastisch verstehbar nur, wenn Paulus im Zuge seiner Missionstätigkeit die jurisdiktionelle Strafgewalt der Synagoge(n) zu spüren bekam. So sehr Lukas aus jenem Missionsbeginn in den Synagogen eine Theorie macht, so wenig gibt also Paulus selbst Anlaß, einen historischen Kern dieser Theorie a limine zu bestreiten. Man darf ja nicht außer acht lassen, daß die Synagogen dem Apostel auf seinen Missionsreisen zugleich Quartier und handwerkliche Arbeitsaufträge boten (vgl. M. Hengel, Die Synagogeninschrift von Stobi, ZNW 57, 1966, [S. 145-183] 170ff. und W. Schräge, Artikel: συναγωγή, ThWb VII [S. 798-850] 824,5ff.). Auf beides konnte Paulus bei Neugründungen von Gemeinden schlechterdings nicht verzichten ! • Vgl. Haenchen, Apg. 5 S. 409, der allerdings nur von paulinischer Darstellung gesprochen wissen will; ferner Hahn, Mission, S. 69f. und Georgi, Kollekte, S. 22.

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So einleuchtend solche Einteilung für die Beteiligten im Moment sein mochte, so wenig kann nun noch von einer „grundsätzlichen Klärung der beiderseitigen Standpunkte" 1 die Rede sein. Denn je nach dem eschatologischen Selbstverständnis der Vertragspartner mußte die Rolle der Jerusalemer Mutterkirche im Rahmen des Missionswerkes verschieden aufgefaßt werden und mit ihr die Jerusalemer Lehrbefugnis. Die Frage, was zu geschehen habe, wenn Jerusalemer und Antiochener Missionare im Bereich der Diaspora zusammentrafen, blieb ebenso ungelöst wie die ekklesiologische Frage nach der Möglichkeit oder Unmöglichkeit von Mahlgemeinschaften in gemischten, d. i. aus Juden-' und Heidenchristen zusammengesetzten, Gemeinden8. Sowohl der Zwischenfall in Antiochien (V. 11 if.) und die ganze Misere, der sich Paulus z. Zt. der Abfassimg des Galaterbriefes in Galatien gegenübersieht, geht auf eben diese ungelösten Fragen zurück. Das bedeutet aber, daß das Jerusalemer Abkommen in der von Paulus V. 9 f. berichteten Form gerade um seines eschatologisch-sakralrechtlichen Charakters willen alsbald als nicht mehr praktikabel erschien. Zunächst aber geht es um feste, rechtliche Abmachungen, gerade auch bei der Vereinbarung einer Kollekte in V. 10. Es handelt sich um eine Vertragsklausel, wie das μόνον ίνα zeigt. Sie setzt die Pflicht eines μ,νημονεύειν für die πτωχοί fest, welches die Antiochener gegenüber den Jerusalemern wahrzunehmen haben. K. Holl hat gemeint, in πτωχοί eine Selbstbezeichnung der Christen (von Jerusalem) erkennen zu dürfen, welche sich an die jüdische ,,Armen"-Frömmigkeit anschloß, und er hat zugleich unsere Vertragsklausel im Sinne eines von Jerusalem (in Analogie zur jüdischen Tempelsteuer) praktizierten Besteuerungsrechtes interpretiert: „Wie jede Gemeinde verpflichtet ist, den in ihr wirkenden Apostel zu unterhalten, so sind auch die Heidengemeinden es schuldig, zum Unterhalt der Muttergemeinde beizutragen." 3 Doch ist diese Sicht Holls bis heute umstritten geblieben, wobei die Debatte noch immer unter der Ungeklärtheit des urchristlichen Rechtsdenkens leidet. Die in unserem Zusammenhang wichtigsten Einwände lauten: Von einem juridisch wirksamen Primat 1 2

Schmithals, Paulus und Jakobus, S. 42. Vom Gesichtspunkt der Ermöglichung von Mahlgemeinschaften in gemischten Gemeinden aus kann man in der Tat dem Apg. 15 angeführten, „Dekret" einen historischen Sitz im Leben anweisen. Ob man freilich Gal. 2 und Apg. 15 in der seinerzeit von E. Hirsch klassisch formulierten Art und Weise zusammenfügen kann, daß das Dekret der Acta als Antwort auf sich aus dem Konventsbeschluß von Gal. 2 ergebende Problemsituationen verstanden wird (Petrus und Paulus, ZNW 29, 1930, [S. 63-76] S. 65; heute ebenso Hahn, Mission, S. 70ff. ; Schlier, Gal.11 S. 76 [in der 12. Aufl. S. 115f. jedoch wesentlich vorsichtiger!]), kann hier offenbleiben. 3 Kirchenbegriff d. Paulus, S. 61 ( = S. 168 des S. 86 Anm. 2 erwähnten Abdrucks).

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Jerusalems über die Urkirche lassen die Texte nichts erkennen, einen solchen schließt das die Urgemeinde beseelende eschatologische Geschichtsbewußtsein sogar aus. Die Urgemeinde versteht sich nur als „alleinigen Träger der Auferstehungstradition" und beansprucht lediglich, daß diese Traditionsträgerschaft in den Gemeinden Anerkennung finde1. Die dabei mitgestellte, implizite Frage geht hier also darauf, ob heilsgeschichtliches und rechtliches Denken sich nicht letztlich ausschließen. Der zweite, gegenwärtig besonders von D. Georgi formulierte Einwand weist nach, daß sich der für ein Besteuerungsrecht wesentliche Gedanke der Wiederholbarkeit der „Armen"-Fürsorge in den Paulusbriefen nicht aufweisen lasse. Vielmehr geht es um einen einmaligen, demonstrativen, nicht rechtlich, sondern eschatologisch zu verstehenden Akt zur Wahrung der ekklesiologischen Einheit: „Die Vereinbarung, der Armen zu gedenken, das heißt, die eschatologische Demonstration der Jerusalemer Christen2 als solche zu respektieren und innerlich und äußerlich zu tragen, war ein Bekenntnis zur Einheit der Gemeinde Jesu Christi in der Hoffnung auf seine baldige Wiederkunft. Sie bedeutete keine Anerkennung einer rechtlichen Vorrangstellung der Jerusalemer"3. Der Einwand ist, was die Frage der Wiederholbarkeit anbetrifft, tatsächlich gravierend, arbeitet aber in seiner Antithese wesentlich mit der schon von Kümmel her vertrauten Frage, ob sich eschatologisches und ekklesiologisches Denken wirklich mit rechtlichen Kategorien messen lassen. Ein dritter Einwand ist jüngst vehement von L. E. Keck in der Weise vorgebracht worden, daß er, von den religionsgeschichtlichen und neutestamentlichen Belegen für πτωχός ausgehend, die Selbstbezeichnung der Jerusalemer als der „Armen" im Sinne Holls bestreitet und dadurch Holls Gesamtthese ihren Boden zu entziehen hofft4. Die Implikation ist aufs neue dieselbe wie bei Kümmel und 1 So mehrfach W. G. Kümmel, Kirchenbegriff und Geschichtsbewußtsein in der Urgemeinde und bei Jesus, SyBU 1, 1943, S. 25. S. 53f., Anm. 85; ferner: Artikel: Judenchristentum, RGG» III (Sp. 967-972) Sp. 970. s Georgi versteht diese Demonstration von der urchristlichen Parusiehoffnung und vom Selbstverständnis der Urgemeinde als des hl. Restes her: „Auf Grund einer solchen Hoffnung konnte man sich leicht dazu berufen fühlen, Jerusalem nicht den ungläubigen Juden zu überlassen, sondern selbst den Platz der Parusie besetzt zu halten, gleichsam als eschatologische Vorposten, als die Wächter auf den Zinnen der Stadt, die der Welt und insbesondere den Zerstreuten das Kommen des himmlischen Königs künden sollten, wenn es soweit war (Jes. 52,8). Dieses schwere Amt nahm man stellvertretend für alle Christen wahr. Um ihrer aller Hoflhung ging es dabei. So konnte man schon beim Apostelkonvent darum bitten, nicht vergessen zu werden" (Kollekte, S. 27). » Kollekte, S. 30. Ähnlich G. Bomkamm, Artikel: Paulus, RGG 3 V Sp. 171 f. und H. Conzelmann, Artikel: Heidenchristentum, RGG 8 III (Sp. 128-141) Sp. 136 f. * The Poor among the Saints in the New Testament, ZNW 56, 1965, S. 100129 und ZNW 57, 1966, S. 54-78, vgl. bes. die schneidende Kritik in den

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Georgi auch: Eschatologische und rechtliche Denkweise sind unvereinbar1. Im Rahmen unserer Untersuchimg ist das Gesamtproblem nicht lösbar. Es sollen auch die eigentlich exegetischen Einwände nicht beiseite geschoben werden. Auffällig ist nur, wie sich alle genannten Kontrahenten Holls in der systematischen Voraussetzimg „Conclusions" S. 7 7 f . : " T h e entire Holl theory, including its modern counterparts, results f r o m stringing together phrases without due regard t o their contexts a n d their meanings in situ. Nothing reliable is gained b y joining together all sorts of references t o ' t h e poor' which are scattered throughout all kinds of t e x t s spanning four centuries." Geht es schon u m deutliche Kritik, so wird m a n antworten dürfen : Auch eine minutiöse Einzelexegese aller πτωχόςVorkommen ist Holl noch immer unterlegen, wenn sie die Möglichkeit dialektischer Ausdrucksweise der Autoren nicht in Rechnung stellt u n d sich nicht immer wieder die Schwierigkeit vor Augen rückt, daß wir genuine sprachliche Zeugnisse der Jerusalemer selbst nicht besitzen! So h a t Keck bei seiner P r ü f u n g der Belege aus Qumran E . Bammels Satz, d a ß πτωχός im nachbiblischen J u d e n t u m u n d in den Qumrantexten „geradezu zum Leitfossil f ü r die Erhellung einer sich von einer massiven Armenideologie ablösenden Frömmigkeit w u r d e " (ThWb V I S. 896, 14f.; vgl. ferner J . Maier, Die Texte v o m Toten Meer, Bd. 2, München 1960, E x k u r s : Die Armenfrömmigkeit, S. 83-87) nicht zu widerlegen vermocht, also die Möglichkeit eines analogen Selbstverständnisses auch bei den Jerusalemern offenlassen müssen. Ferner könnte es j a sein, daß die paulinische Interpretation des Kollektenwerks nach dem antiochenischen Zwischenfall u n d bereits auf dem Konvent selber von der Auffassung der Jerusalemer abweicht: „Mögen vielleicht die Jerusalemer . . . die Kollektenvereinbarung im Sinne heidenchristlicher Anerkennung eines heilsgeschichtlich-sakralrechtlichen Vorranges Jerusalems verstanden haben, so h a t ohne Zweifel Paulus seine d a n n in allen Gemeinden durchgeführte Aktion eindeutig als eine karitative Hilfsaktion der Heidenchristen f ü r die J u d e n christen interpretiert, durch die die gleichberechtigte Zusammengehörigkeit von J u d e n u n d Heiden in einer Kirche zum Ausdruck kommen sollte" (U. Wilckens, T h W b V I I , S. 735,8ff. Hervorhebung von m i r ; vgl. ferner Georgis ähnliche Erwägungen, Kollekte S. 29). Zuletzt aber ist anzumerken, d a ß auch wenn Keck recht behalten sollte, mit dem Nachweis, daß die πτωχοί tatsächlich nur verarmte Kreise der Jerusalemer Gemeinde meinen (so ζ. B. auch G. Strecker in: W . Bauer, Rechtgläubigkeit und Ketzerei im ältesten Christentum, B h T h 10, 2 1964, S. 274), Holls Gesamtsicht mitnichten als erledigt gelten kann. 1 Das k o m m t besonders deutlich zum Ausdruck, wenn Keck zu R o m . 15,27 b e m e r k t : "Actually this is not legal b u t rhetorical language; t h e obligation is moral a n d not contractual. The Gentiles are όφειλέται toward t h e Jerusalem brothers in t h e same sense t h a t P a u l is a n οφειλέτης towards Greeks a n d barbarians (Rom. 1,14). Consequently, t h e money must not be viewed as a n obligatory offering which Gentile churches are required t o bring t o J e r u s a l e m " (ZNW 56, 1965, S. 129). Hier wird mit Antithesen argumentiert „moral a n d not contractual", „not legal b u t rhetorical language", die die urchristliche Denkweise nicht erfassen. Auch der zunächst schlagend erscheinende Einwand Kecks (a.a.O. S. 124 A n m . 82; S. 126), wenn es sich u m eine wirkliche „ S t e u e r " von Seiten Jerusalems handele, sei es absurd, sich mit Paulus R o m . 15,25-32 Sorgen darüber zu machen, ob diese Steuer auch entgegengenommen werde, ist stringent n u r solange, als m a n die mit Gal. 2, l l f f . eingetretene E n t f r e m dung zwischen Paulus u n d den J e r u s a l e m e m nicht in ihrem drohenden Gewicht reflektiert. Wie Paulus fortan die Jerusalemer beargwöhnt, ist es von ihnen her auch zu erwarten und folglich gar nicht sicher, ob sie aus der H a n d gerade des Paulus eine Kollekte anzunehmen willens waren, die aus einem dem ihren entgegengesetzten, eschatologischen Selbstverständnis erwuchs u n d dessen R e c h t bestätigen half.

Exegetische Problemskizze (Gal. 1 und. 2)

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einig sind, daß eschatologische und traditionsgeschichtlich-heilsgeschichtliche Denkkategorien sich nicht mit rechtlichen Maßstäben messen lassen. Der Gesamtskopus unserer bisherigen Feststellungen widerspricht solcher Voraussetzung durchaus. Uns war ja gerade das sakralrechtliche Denken als integrierendes Moment des erwählungsgeschichtlich-eschatologischen begegnet, und diese Denkweise schien wiederum wesentlich und konstitutiv für den paulinischen Begriff des Evangeliums zu sein. Wer aber auch immer unter den πτωχοί zu verstehen sei, die Jerusalemer Christen insgesamt oder nur die πτωχοί των άγίων των έν 'Ιερουσαλήμ 1 , der von polemischem Unterton freie, terminologisch und stilistisch als Rechtssatz ausweisbare Parallelsatz zu Gal. 2,10 in Rom. 15,27 zeigt, daß jener Gal. 2,10 ausgesprochene Verpflichtungscharakter dem verpflichtenden Charakter der paulinischen Sendung überhaupt (vgl. Rom. 1,14) analog ist und sich ihm einfügt. Es handelt sich also bei dem όφείλημα, welches die Antiochener in Jerusalem auf sich nehmen, um eine „geistliche" Verpflichtung. Aber diese Charakteristik ist noch nicht hinreichend, όφείλημα meint zunächst die einklagbare Darlehensschuld2. Der finanztechnische Begriff wird im nachbiblischen Judentum, aber z.B. auch im Vaterunser, zur Bezeichnung einer vor und von Gott einklagbaren Verschuldung, wird also eschatologisch gerahmt und interpretiert3. Positiv kann derselbe Ausdruck eine Verpflichtung bezeichnen, welche Gott auferlegt (z.B. Rom. 1,14). Sieht man den rechtlich-eschatologischen Charakter des Begriffes όφείλημα, dann fällt es leichter, auch das in Gal. 2 , 1 0 gebrauchte Verbum μνημονεύειν einzuordnen. Auch hier sind rechtliche, eschatologische und geistliche Aspekte unbezweifelbar. In der königlichen Korrespondenz der hellenistischen Zeit dient das Verbum zum Ausdruck für ein loyales Verhalten gegenüber einem Souverän, der jemanden durch Schenkungen verpflichtet hat. Ebenso gebrauchen es griechische Inschriften. Auch in Gerichtsprotokollen ist das Verbum nachweisbar4. Ins Eschatologische transponiert, finden 1 Vgl. S. 101 Anm. 4. Daß πτωχοί των άγίων των έν 'Ιερουσαλήμ (Rom. 15,26) zunächst nur einen verarmten Teil der Ürgemeinde meinen kann, ist offensichtlich. Aber weshalb sprechen dann Rom. 15,25. 27ff. nicht mehr einschränkend? 2 Vgl. Fr. Hauck, Artikel όφείλημα, ThWb V, S. 564/65 und W. Bauer, Wb6 Sp. 1186f. 3 Vgl. J. Jeremias, Das Vater-Unser im Lichte der neueren Forschung, Abba, (S. 152-171) S. 159 ( = Calwer Hefte 50, Stuttgart 1962, S. 14); Fr.Hauck, a.a.O. S. 565,Iff. 4 Für die Gerichtsprotokolle vgl. Moulton-Milligan, The Vocabulary of the Greek Testament, Fase. V, p. 415 s. v. μνημονεύω und L. Mitteis-U. Wilcken, Grundzüge und Chrestomathie der Papyruskunde, II 2, Leipzig/Berlin 1912, Nr. 96, Kol. II Z. 13, S. 118. Im Jüdischen ebenso: vgl. J. Levy, Wörterbuch über d. Talmudim und Midraschim, I 2 S. 536 s. ν. Π3Τ. — Zur königlichen

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Das Problem des paulinischen Evangeliums

wir solch rechtlichen Sprachgebrauch wieder in der jüdischen Apokalyptik1 und in der Johannesapokalypse (ron Gott ausgesagt 18,5, von Menschen, die ihrer Verfehlung ansichtig werden, 2,5 und 3,3). Hinzu tritt noch der in jüdischen Synagogeninschriften, bei Paulus (l.Thess. 2,3) und im späteren christlichen Schrifttum nachweisbare Gebrauch von μνημονεύειν im Sinne betenden Eintretens für jemanden vor Gott2. Georgi ist also durchaus im Recht, wenn er schreibt, das „Gedenken" von Gal. 2,10 impliziere „eine innere Bindung an eine durch exemplarische Leistung ausgezeichnete Person und eine entsprechende Verpflichtung"3. Paulus dürfte in jenes Gedenken sowohl Fürbitte (vgl. l.Thess. 2,3, auch Kol. 4,18) als auch materielle Versorgungsleistungen (vgl. Rom. 15,27 und 1. Kor. 9, llff.) miteinbezogen haben. Die Einheit solchen gedenkenden Betens und Versorgens bringt 2. Kor. 9,12f. aufs schönste zum Ausdruck. Nur haben wir mit alledem die Sphäre rechtlicher Verbindlichkeit keineswegs verlassen ! Abgesehen von den mit den Begriffen όφείλημα und μνημονεύω gesetzten, eschatologisch-rechtlichen Implikationen bleibt ja zu beachten, daß es in der hellenistischen Rechtssprache der neutestamentlichen Zeit die technische Rede von einer μνημονική συγγραφή = einer amtlich-notariellen Schuldverschreib\mg gab4. Korrespondenz vgl. C. Bradford Welles, Royal Correspondence in the Hellenistic Period, New Haven 1934, Nr. 15 Z. 34 und dazu die Anmerkungen S. 83, wo auf Parallelen aus dem inschriftlichen Material verwiesen wird. 1 Vgl. die (substantivische) Redeweise von μνημόσυνον in den von C. Bonner herausgegebenen griechischen Henochfragmenten (The Last Chapters of Enoch in Greek, Studies and Documents VIII, London 1937) 97,7 (p. 33 B.); 99,3 (p.43B.); 103,4 (p. 65B.). Vergleichbare rabbinische Stellen weist M. Jastrow, A Dictionary of the Targumim, Bd. 1, New York 1950, p. 400 s. v. ~DT (Hiphil) nach. 2 Vgl. einerseits den in Preisigkes Sammelbuch Bd. 1 S. 189 unter Nr. 2266 abgedruckten christlichen Brief, Z. 15f. Andererseits die sehr häufige, formelhafte, den Synagogenbesucher zu betenden Gedanken aufrufende, inschriftliche Formel: 3Ö1? T S I „es werde zum Guten gedacht" (des Stifters von . . .). Vgl. zu dieser Form synagogaler Inschriften K. Galling, Textbuch zur Geschichte Israels, Tübingen 1950, S. 82 Nr. 57; CIJ, Bd. 2 (Rom 1952), ed. J . B. Frey, Nr. 845. 854. 856. 858. 859. 971. 981. 987. 989. 1195. 1197. 1198. 1203 und J . Jeremias, Markus 14,9, S. 118 Anm. 20. Daß die jüdische Formel ein betendes Eintreten für den Stifter vor Gott bezweckt, zeigen aufs schönste die manche dieser Inschriften abschließenden Segenswünsche: „Es werde ihm (sein) Teil unter den Gerechten" ( D ^ H S 05? pVin Π1? TP Nr. 57 bei Galling = Nr. 981 Frey), oder: „Der König der Ewigkeit verleihe Segen in Ewigkeit, Amen, Amen" (J»X ρ χ n»V»3 HD13 p 1 Π»1?» Nr. 858 Frey Z. 2). 3 Kollekte, S. 27. Mir ist allerdings keineswegs sicher, ob Paulus, wie Georgi a.a.O. S. 83 meint, die Kollektenvereinbarung analog einem Grundsatz versteht, „der im hellenistischen Synkretismus für das Verhalten gegenüber Pneumatikern galt" (vgl. l.Kor. 9,11; Rom. 15,27). Aber diese Frage kann hier auf sich beruhen. 4 Vgl. den BGU, Griech. Urkunden Bd. 4 (Berlin 1912) unter Nr. 1132 veröffentlichten Darlehens-(î)vertrag aus dem Jahre 17 a. Chr. n. aus Ägypten, wo Z. 7 μνημονική συγγραφή in Parallele zu διαγραφή = Zahlungsanweisung

Exegetische Problemskizze (Gal. 1 und 2)

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Wenn wir bisher richtig exegesiert haben, dann bietet sich jener Begriff zur Interpretation von Gal. 2,10 geradezu an. Die Frage ist also, ob wir in V. 10 nicht eine von der Gemeinde Antiochiens eineingegangene, geistliche μνημονική συγγραφή gegenüber der Jerusalemer Gemeinde vor uns haben1. Dies kann jetzt nur eine Frage sein. Ließe sich unsere These halten, dann wäre sie allerdings eine schöne Bestätigung des eschatologisch-sakralrechtlichen Koordinatensystems, in welches der paulinische Apostolat und seine Botschaft einzuzeichnen sind. Ist die von uns vorgeschlagene Sicht auch historisch denkbar? Mir scheint dies der Fall zu sein. Mögen die Jerusalemer auch jene Vereinbarung als eine Auflage interpretiert haben, welche ihre geistliche Suprematie dokumentiert, Paulus kann solche συγγραφή gleichwohl anerkennen, weil sie mit dem von ihm zu proklamierenden Treuerecht Gottes und der von Gott gesetzten Realität einer Erwählungs- und Heilsgeschichte nicht kollidierte. Paulus kann also jene Verpflichtung unterschreiben und unbeschadet hinzufügen : δ καί ¿σπούδασα αύτό τοϋτο ποιήσαι. Auf den Konflikt in Antiochien V. llff. ist nur noch kurz einzugehen. In unsere heilsgeschichtlich-rechtliche Gesamtsicht ist er nahtlos einfügbar, wie von ihr aus auch die grundsätzliche Erweiterung der Darstellung von V. llff. zur polemischen Entfaltung paulinischer Rechtfertigungstheologie in V. 15-21 erklärbar wird und folgerichtig gedacht erscheint. Daß es sich um einen bloßen Freundschaftsbesuch des Petrus in Antiochien gehandelt habe2, halte ich angesichts von V. 12 für ausgeschlossen. Petrus kommt nach Antiochien in Wahrnehmung seines apostolischen Sendungsauftrages. Er erkennt zunächst die für Paulus konstitutive neue Wirklichkeit des eschatologischen Gottesvolkes aus Juden und Heiden an. Konkret geschieht dies bei der Gemeindeagape, die man sich zu jener Zeit wohl noch als gemeinsame Mahlzeit und nicht nur als isolierte, eucharistische Feier denken darf 3 . Der von eschatologischer Naherwartung geprägte Charakter steht. Derselbe Parallelismus beider Termini ebenso in dem a.a.O. Nr. 1144 abgedruckten Vertrag über Sicherung von Bürgen aus Alexandria Z. 5; dieser zweite Vertrag wird von den Herausgebern auf 13 a. Chr. n. datiert. 1 Handelt es sich um eine solche Schuldverpflichtung, dann ließe sich die von Georgi herausgestellte demonstrative Einmaligkeit der Kollekte ebenso verstehen wie die Verbundenheit von Fürbitte und Geldspenden in dem „Gedenken", weil es insgesamt um eine ekklesiologische Hilfestellung gegenüber Jerusalem geht. 2 So ζ. B. Fridrichsen, Apostle and his Message, S. 13. Zum Problem vgl, oben S. 87 Anm. 2. 8 Zu solch ganzheitlicher urchristlicher Mahlfeier vgl. G. Bornkamm, Herrenmahl und Kirche bei Paulus, in: Studien zu Antike und Urchristentum (Ges. Aufs. Bd. 2), BevTh 28, München 1959 (S. 138-176) S. 154. Anders Schmithals, Die Gnosis in Korinth, FRLANT 66, Göttingen 2. Aufl. 1965, S. 239 Anm. 1. Schmithals legt darum Gal. 2,11 if. auch ganz anders aus, meint, „daß Paulus

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Dae Problem des paulinisehen Evangeliums

•urchristlicher Mahlfeiern macht deutlich, daß Petrus sich unter eschatologischem Aspekt vom jüdischen Zeremonialgesetz emanzipiert. Gerade im Vollzug solcher Emanzipation wird er aber von den Sendboten des Jakobus, der hier deutlich als Leiter der Jerusalemer Kirche erscheint, kritisiert und zum Rückzug gezwungen. Da für Paulus die Heidenmission die Dokumentation der schon heute sichtbaren, eschatologischen Freiheit Gottes ist, ist für ihn mit solchem Rückzug der status confessionis gegeben. Es wird ja damit die verheißungsvolle Gültigkeit des Entschlusses Gottes, sein Heil bereits zeichenhaft auf die Heiden zu entschränken, also die αλήθεια des paulinisehen Evangeliums, demonstrativ angezweifelt. Ein letztes Mal bestätigt sich hier, daß Paulus allein und ausschließlich vom eschatologisch-neuen Standort seines Evangeliums aus argumentiert. Denn angesichts der Anfeindung des Evangeliums scheut er nun auch nicht die Kritik an Petrus in öffentlicher Gemeindeversammlung (εμπροσθ-εν πάντων V. 14!). Ja, Paulus wagt es, auch den sich Jakobus anschließenden Judenchristen den Brudertitel zu verweigern. Er spricht nicht mehr von οί έκ περιτομής πιστοί oder άδελφοί, sondern verächtlich von oí έκ περιτομής bzw. einfach von οί 'Ιουδαίοι (Y. 13)1. In der Konsequenz kann das nur bedeuten, daß der Fluch von l,8f. als drohende Möglichkeit auch zwischen Paulus und den Judenchristen, die Petrus bzw. Jakobus folgen, aufsteht, daß also die Kirchengemeinschaft zu zerbrechen droht. Die antiochenische Gemeinde sah sich also in die Entscheidung zwischen dem Jerusalemer und dem paulinisehen Standpunkt gestellt. Wie die Ausdrucksweise οί λοιποί 'Ιουδαίοι andeutet, entschied sich der judenchristliche Teil der Gemeinde zusammen mit Barnabas dazu, dem Beispiel des Petrus zu folgen und die Tischgemeinschaft mit den Heidenchristen abzubrechen 2 . Paulus selber hat sich also nicht öffentlich durchsetzen können. Von seinem Evangelium her konnte Paulus nun tatsächlich der Auffassung sein, „die Judenchristen hätten das Jerusalemer Abkommen gebrochen" 3 . Er zieht besonders an kultische Mahlzeiten denkt, ist . . . von ihm nicht angedeutet" (Paulus und Jakobus, S. 52 Anm. 3) und relativiert das Vorkommnis im ganzen: „Anfangs pflegte Petrus mit den Heidenchristen Tischgemeinschaft (2,12). Das war kein schweres Vergehen gegen das Gesetz. Das Alte Testament enthält keine Bestimmung, die dem Juden die Tischgemeinschaft mit den Heiden untersagt. Solche Bestimmungen kamen später auf" (a.a.O. S. 52). 1 Schmithals, Jakobus und Paulus, S. 54ff. möchte in den ol έκ περιτομής von V. 12 Juden sehen. Ich halte dies nicht für möglich. Da V. 12b und 13 unlösbar zusammengehören, οί λοιποί 'Ιουδαίοι in V. 13 aber eindeutig Judenchristen bezeichnet (so Schmithals selbst, S. 59), erweist sich οί έκ περιτομής als stilistische Variation jenes zweiten Ausdrucks und bezeichnet Judenchristen so gut wie diese Formulierung. 2 Vgl. dazu Haenchen, Apg. 6 S. 416f. 3 Georgi, Kollekte, S. 33. Wenn Kilpatrick mit seiner Deutung des (ούκ) όρθοποδοϋσιν in Gal. 2,14 = auf dem Wege zur αλήθεια des Evangeliums sein,

Zusammenfassung

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daraus eine doppelte Konsequenz: Er beginnt ein eigenes Missionswerk, führt aber dennoch, wie seine Briefe erkennen lassen, das Kollektenwerk durch, fühlt sich also im Rahmen des Jerusalemer Abkommens weiterhin hei]sgeschichtlich-sakralrechtlich gebunden. Wie immer diese Haltung näherhin interpretiert werden mag, für uns macht sie deutlich, daß Paulus bei seiner Auffassimg von Evangelium geblieben ist. Will man diese Auffassung kurz kennzeichnen, so muß man sagen, daß das paulinische Evangelium die Offenbarungsmacht und Realität des neuen Äons repräsentiert. III. Zusammenfassung Die Analyse von Gal. 1 und 2 hatte methodisch den Sinn, uns das Phänomen des paulinischen Evangeliums thetisch zu vergegenwärtigen. Folgendes hat sich uns ergeben: Paulus argumentiert in den beiden Eingangskapiteln des Galaterbriefes exklusiv vom Standpunkt seines eigenen Evangeliums her. Dieses Evangelium meint die ins Wort hinein verborgene Prolepse des Heils für alle Welt, ist also strukturell ein apokalyptisch gedachter OfFenbarungsbegrifF: Im Evangelium dokumentiert sich verheißungsvoll der Entschluß Gottes, sein Heil dem Weltende vorweg auf die Welt (der Heiden) zu entschränken, ohne damit die Juden vom Heil in Christus ausschließen zu wollen. Evangelium ist folglich, in antiken Kategorien gesprochen, ein äonenhaftes Gebilde, in welchem der neue Äon mit seiner eschatologischen Wirklichkeit schon worthaft Gegenwart wird und ist. Das Evangelium ist, so gesehen, mehr als Missionspredigt. Es ist eine sich in die Missionspredigt hineinschenkende, diese aber weit transzendierende Macht. Inhaltlich gesehen, ist das Evangelium Verkündigung der Herrschaft Christi. Der auferstandene Christus gilt Paulus als Gegenstand, Grund und himmlischer Repräsentant des Evangeliums. Im Evangelium wird der Auferstandene wirksam. Er wird es aber erst in der Weise einer Glauben fordernden, worthaften Ankunft, die auf seine den Glauben durch das Schauen ablösende, weltweit-endzeitliche Ankunft verheißungsvoll und wesensnotwendig vorausweist. Der Apostel reicht sein Evangelium seinen Gemeinden weiter, begründet damit im Namen Gottes neue Tradition, ist aber weit davon entfernt, das Evangelium mit einer vorpaulinischen Tradition zu identifizieren; er ist nur bereit und willens, überkommene bzw. nicht sein, recht hat (Gal. 2,14 όρθοποδοϋσιν, Ntl. Studien für R. Bultmann, BZ NW 21, Berlin 2 1957, S. 269-274), ist dies ein Georgia These verstärkendes Argument; gleichzeitig fügt sieh Kilpatricks Verständnis von όρθοποδεϊν ausgezeichnet in unsere apokalyptische Deutung des Evangeliumbegriffes und seiner άλήθεια ein.

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Das Problem des paulinischen Evangeliums

Lehre seinem Evangelium zu amalgamieren. Die αλήθεια des paulinischen Evangeliums meint die eschatologische Wirklichkeit und verheißungsvolle Gültigkeit des von Gott getroffenen Entschlusses zur vorzeitigen Entschränkung des Heils. Die Freiheit und das Recht, welche Gott sich zu jener proleptischen Ausweitung des Heiles nimmt, fordern nach Meinung des Apostels unbedingte Anerkennung. Das Evangelium des Paulus verkündet Gottes heilvolles Recht ( = δικαιοσύνη θεοϋ) und hat also eschatologisch verbindlichen, sakralrechtlichen Charakter. Die sakralrechtlichen Dimensionen des Evangeliums drücken sich in Gal. 1 und 2 konkret darin aus, daß Paulus vom Evangelium her und im Namen des Evangeliums verfluchen kann, daß er sich aber auch der erwählungsgeschichtlichen Realität der einen Kirche aus Juden und Heiden bis hin zu einem Abkommen über das Kollektenwerk für die Jerusalemer Urgemeinde unterwirft und einfügt. Evangelium meint also für Paulus die noch ins (Apostel-) Wort hinein verborgene, proleptische Ankunft des in Christus verkörperten Heiles und Rechtes Gottes in und über der Welt. Als solches stellt das Evangelium die erwählungsgeschichtliche Antithese zur mosaischen Tora, die Wirklichkeit der neuen Welt Gottes dar. Traditionsgeschichtlich hat sich gezeigt, daß die Antithese von Gesetz und Evangelium dem Paulus schon vorgegeben und also seiner Verkündigung wesensmäßig inhärent ist, daß es aber sprachlich nicht gelingt, den absoluten Begriff τό εύαγγέλιον auf den Sprachgebrauch der Jerusalemer Urgemeinde zurückzuführen. Der Apostel scheint vielmehr seine Botschaftsterminologie dem Begriffsschatz der (von Antiochien geleiteten?) schon vor Paulus zur Heidenmission aufgebrochenen, christlichen, hellenistisch-jüdischen Gemeinden zu entnehmen. Dies ist aus dem Umstand zu folgern, daß Paulus von Gott selbst in das Missionswerk dieser Gemeinden durch eine österliche Epiphanie des gekreuzigten Gottessohnes berufen worden ist, also zum Träger des Denkens und der Traditionen jenes Missionschristentums wurde. Es war bisher nur möglich, exegetisch argumentierend, das eschatologische Phänomen „Evangelium" bei Paulus thetisch vorzustellen. Größeres Gewicht bekäme unsere Skizze in dem Moment, in dem sie sich auch begriffsgeschichtlich und traditionsgeschichtlich bestätigen ließe. Ob dies gelingt, haben die nächsten Kapitel zu erweisen.

C. DIE RELIGIONSGESCHICHTLICHEN W U R Z E L N DES NEUTESTAMENTLICHEN EVANGELIUMS I. Das alttestamentliche und jüdische Material Die uns im folgenden leitende These sei schon zu Anfang ausgesprochen: Die neutestamentliche Redeweise von Evangelium ist aus der alttestamentlich-jüdischen heraus erwachsen und nicht aus der hellenistischen; mit dieser läuft sie streckenweise erstaunlich parallel, ohne jedoch in ein eigentliches Abhängigkeitsverhältnis zu ihr hineinzugeraten. Überzeugend läßt sich solche These nur vertreten, wenn es gelingt, über Schniewinds und Friedrichs Arbeiten hinaus im Judentum auch einen theologischen Gebrauch des Substantivs Evangelium bzw. seiner sprachlichen Äquivalente aufzuweisen. Darauf muß im folgenden der Hauptakzent liegen. Um die Entwicklung der Vorstufen des neutestamentlichen Evangeliums plastisch vorzuführen, stellen wir zunächst die alttestamentlich-jüdische Wortgeschichte geschlossen dar und vergleichen die gewonnenen Perspektiven erst anschließend mit der Terminologie des Hellenismus. Einzusetzen ist mit dem Alten Testament. 1. Der Gebrauch der Wurzel ")i£>2 im Alten

Testament1

Hält man sich an die Übersetzung der Septuaginta, so hat die Wurzel im Alten Testament als das eigentliche sprachliche Äquivalent des Stammes εύαγγελ- zu gelten: Die Septuaginta übersetzt die Wurzel nahezu exklusiv mit Wortbildungen des Stammes εύαγγελ-. Doch kann dieses Faktum nicht mehr sein als ein erster, methodischer Ausgangspunkt. Auch darf man sich durch den Befund in der Septuaginta nicht dazu verleiten lassen, von der griechischen Etymologie geleitet, ΊΪΡ2 und Derivate prinzipiell als Ausdruck für Froh- und Freudenbotschaft zu verstehen. Was die Septuaginta veranlaßt hat, "lfeO nahezu ausschließlich mit εύαγγελ- wiederzugeben, ist später ebenso zu prüfen, wie dann auch die Frage gestellt werden muß, ob 1

Vgl. zum Folgenden besonders Schniewind, Euangelion, S. 27-62; Molland, Paul. Euangelion, S. 15-18; Friedrich, ThWb II S. 705-707. 718f.; Asting, Verkündigung d. Wortes, S. 302ff.; Michel, Art. Evangelium, Sp. 1107f.

8 5638 Stuhlmacher, Evangelium

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Die religionsgeschichtlichen Wurzeln des neutestamentlichen Evangeliums

der Stamm εύαγγελ- ζ. Zt. der Übersetzung des Alten Testaments ins Griechische überhaupt noch eindeutig glückliche Botschaften auszusagen geeignet war. Zunächst jedenfalls sind die alttestamentlichen Belege ohne Seitenblick auf ihre Übersetzungen nach Sinn und Aussage zu befragen. Häufig ist die Wurzel im Alten Testament im Grunde nicht. Ausgesprochene Yerbalformen tauchen 14mal auf (l.Sam. 31,9; 2.Sam. 1,20; 18,19. 20 (2mal). 31; l.Kön. 1,42; Jes. 60,6; 61,1; Jer. 20,15; Ps. 40,10; 96,2; l.Chr. 10,9 [ « l.Sam. 31,9] und 16,23 [ « Ps. 96,2]); hinzu kommen l.Sam. 4,17; 2.Sam. 4,10; 18,26; Jes. 40,9 (2mal); 41,27; 52,7 (2mal); Nah. 2,1; Ps. 68,12, also 10 Nachweise für das Partizipium Piel. Das Verbum Ifta ist demnach insgesamt 24mal im Alten Testament nachweisbar. Die bevorzugte Stammbildung ist das Piel, einmal taucht Hitpael im Sinne von „sich melden lassen" auf: 2.Sam. 18,31. Sechsmal erscheint ΊΡ3 absolut gebraucht; konstruiert wird es mit persönlichem Akkusativ (Jes. 61,1); mit bloßem Akkusativobjekt oder ~ΠΝ· Das Partizip wird in der Mehrzahl der Fälle im Sinne eines Verbalsubstantivs = Bote gebraucht (Jes. 40,9 erscheint 2mal das Femininum im Singular, Ps. 68,12 das Femininum im Plural ; an beiden Stellen hat man mit „Botin" zu übersetzen), nur einmal, Jes. 52,7 b, herrscht der verbale Sinn vor. Das Substantiv m i f r l findet sich 6mal (2.Sam. 4,10; 18,20.22.25.27; 2. Kön. 7,9) und kann dabei sowohl den Botenlohn (2. Sam. 4,10; 18,22) als auch die vom Boten auszurichtende Botschaft meinen (2. Sam. 18,20. 25. 27 ; 2. Kön. 7,9). Einmal wird mifea adjektivisch näher bestimmt: mito! m i ü 2. Sam. 18,27; sonst finden sich keine Konstruktionen. Die Grundbedeutung der Wurzel ist bis heute umstritten. Aus der Beobachtung, daß 2. Sam. 18,27 von einer Π3Its mifeO gesprochen wird, daß 1. Kön. 1,42 und Jes. 52,7 3113 als Objekt des erscheint und daß der Bote in l.Sam. 4,17 unbestreitbar ein Unglücksbote ist, hatte Paul de Lagarde gefolgert, der Grundsinn der Wurzel könne nur „botschaften" sein, wobei der positive oder negative Akzent solcher Botschaft dann, näher hervorgehoben werden müsse 1 . Im Blick auf den eigentlich jüdischen Sprachgebrauch wurde Lagarde von Gustav Dalman unterstützt 2 . Obwohl z.B. das 1915 in der Neubearbeitung durch Fr. Buhl erschienene „Handwörterbuch über das Alte Testament" von Wilhelm Gesenius Lagarde und Dalman nicht beipflichtet und Schniewind nach Beratung mit alttestamentlichen Fachkollegen 1927 feststellte, „daß Lagardes These veraltet sei" 3 , hat sich Ludwig Koehler in seinem „Lexicon in Veteris Testamenti 1 2

Mittheilungen I, Göttingen 1884, Nr. 23, S. 217. 8 Die Worte Jesu 1 + 2 S. 84ff. Euangelion, S. 28.

Dae alttestamentliche und jüdische Material

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Libros" (Leiden) 1958 s. v. "W3 wiederum für eine neutrale Grundbedeutung der Wurzel entschieden: ,,e[ine] (gute oder schlechte) Meldung erstatten"1. Für eine ebenso neutrale Wortbedeutung ist auch Dennis J. McCarthy eingetreten2. Der Nichtfachmann wird zunächst nur diesen Dissensus konstatieren können, wird aber die Sicherheit, mit der vor allem Schniewind und Friedrich von der positiven Grundbedeutung: „Freudenbotschaft proklamieren" ausgehen, 1 A.a.O. S. 156f. — Auch in der von W.Baumgartner neu bearbeiteten 3. Aufl. 1967if. wird S. 156 als Grundbedeutung der Wurzel angegeben: gute oder schlechte Botschaft bringen, bekanntmachen. 2 Dennis J . Mc Carthy betont in seinem Aufsatz : Vox bsr praeparat vocem 'evangelium' (VD 42, 1964, S. 26-33), daß die Wurzel "Ifen im Alten Testament „ex se ipso non necessario nuntios laetos indicat", vielmehr nur den Charakter des Proklamatorischen (meist vor der und für die Öffentlichkeit) besitze (S. 32, Hervorhebung von McCarthy). Da McCarthy auch auf akkadische und ugaritische Belege der Wurzel "liZ>3 eingeht, ist darauf hinzuweisen, daß die Wörterbücher dieser semitischen Sprachen das uns beschäftigende Problem nach der Grundbedeutung von 1ÌP3 nicht lösen helfen. W. v. Soden, Akkadisches Handwörterbuch, Bd. 1, Wiesbaden 1965, s.v. bussuru(m)/bussurtu(m) gibt als Bedeutung an: „Botschaft bringen, senden/Meldung machen, erstatten" bzw. „Botschaft, Meldung" (gut und böse) (a.a.O. S. 142). J . Aistleitner dagegen notiert in seinem „Wörterbuch der ugaritischen Sprache" (Berichte über die Verhandlungen der sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, phil. hist. Kl. Bd. 106, Heft 3, Leipzig 1963, ed. O. Eißfeldt) für bsr/bsrt: „frohe Nachricht bringen" und „frohe Nachricht" (a.a.O. S. 60f. Nr. 599). I m Glossar zu C. H. Gordons „TJgaritic Textbook" (Analecta Orientalia 38, Rom 1965) wird für bsr unter Nr. 535 die Bedeutung „to get tidings (good or evil)" und „to bring tidings" notiert. — Da McCarthy, a.a.O. S. 28 auf Gordon 76: I I I : 32-37 (Ugaritic Textbook p. 183) = Driver, Baal IV: iii: 32-37 verweist und hier die Wortverbindung „bsrt il" vorkommt, diese Wortverbindung aber auf den ersten Blick als semitisches Äquivalent von neutestamentlichem εύαγγέλιον του θεοϋ erscheinen könnte, ist kurz auf Folgendes hinzuweisen (nach Auskunft von Η. P. Rüger, Tübingen) : Wenn es sich bei bsrt überhaupt um ein Substantiv und nicht um eine Verbform handelt (Aistleitner zitiert in seinem Wörterbuch die Stelle unter dem Substantiv, übersetzt aber verbal: „eine frohe Botschaft bringe ich, oh Gott" [Die Mythologischen und kultischen Texte aus Ras Schamra, Bibliotheca Orientalis Hungarica VIII, Budapest 2 1964, S. 54], so handelt es sich in keinem Fall um einen gen. subj., wie C. H. Gordons Übersetzung vermuten lassen könnte ( = "With the news of Ί1, be informed, O Baal" ! [Ugaritic Literature, Rom 1949, S. 51]). In I I I 8/9 wird Baal mit II identifiziert; eine Information Baals mit seiner eigenen Botschaft kommt in Z. 34 aber nicht in Frage. Es könnte sich höchstens um eine Botschaft für II handeln; man kann aber auch, wie Aistleitners Übersetzung zeigt, II als Vokativ auffassen. Eine letzte Übersetzungsmöglichkeit ergibt sich, wenn man II im Sinne einer superlativischen Bestimmimg von bsrt faßt = nuntius bonus (McCarthy, a.a.O. S. 28); oder = „Wondrous good tidings" (so G. R. Driver, Canaanite Myths and Legends, Old Testament Studies I I I , Edinburgh 1956, S. 119). Solch superlativischer Sinn von ΙΙ/ΟΤόΧ taucht im Alten Testament vielleicht Gen. 1,2 im Ausdruck trnVN Π1Τ auf (vgl. Ε. A. Speisers Anmerkung z. St.: "The appended 'elohim' can be either possessive f o f / f r o m God'), or adjectival ('divine, supernatural, awesome'; but not simply 'mighty')", The Anchor Bible, Genesis, New York 1964, S. 5). I n jedem Falle handelt es sich also bei dem ugaritischen Beleg nicht um eine traditionsgeschichtliche Wurzel des neutestamentlichen Begriffes εύαγγέλιον του θεοϋ, so daß wir weitere Fragen in unserem Zusammenhang auf sich beruhen lassen können.



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besser vermeiden. In solcher Vorsicht wird er bestärkt werden, wenn er die Belege, chronologisch geordnet, prüft und dabei noch auf die sprachlichen Äquivalente zur Wurzel Ί&3 achtet. Ehe wir zur Musterung der Belege im einzelnen übergehen, läßt sich noch eine Frage aus der Überschau beantworten. Schniewind und Friedrich haben gemeint, auf Grund von Ps. 40,10; 68,12; 96,2 und Jes. 60,6 von einem kultischen Sitz im Leben der Wurzel "lfoa, ja von einem „kultischen Terminus" sprechen zu sollen 1 . Die neuere Diskussion bestreitet zwar nicht, daß Sitz im Leben der in den Psalmstellen erwähnten Proklamation die kultische Versammlung gewesen sein und Jes. 60,6 eventuell in kultischem Rahmen verstanden werden könnte, vor der Identifikation von Ifen mit einem kultischen Begriff jedoch scheuen die Kommentare zurück. Das vereinfacht f ü r uns die Diskussion und nötigt aufs neue zu methodischer Vorsicht und Zurückhaltung. a) Das Substantiv mifaa Daß m i M nicht nur Botschaftsbezeichnung, sondern auch Begriff f ü r „Botenlohn" ist (vgl. 2. Sam. 4,10), verwundert im antiken Bereich, wo das Wort als sphärisch-dynamische Größe gilt, nicht, ist zudem keine semitische Eigentümlichkeit, sondern bei griechischem εύαγγέλιον ebenso festzustellen. Der Kontext von 2. Sam. 4,10 läßt miî>3 eindeutig als Lohn f ü r eine (angenommenermaßen) gute Botschaft erscheinen. Sprachliche Äquivalente f ü r mira = Botenlohn existieren 2. Sam. 4 und sonst im AT nicht. Ein zweites Mal ist von «mfoa = Botenlohn 2.Sam. 18,22 die Rede 2 ; wiederum geht es um Lohn f ü r eine dem Adressaten zwar unwillkommene, faktisch aber gute = Sieges-Botschaft. Beide Belege lassen von theologischer Wortverwendung nichts ahnen. Als Botschaftsbezeichnung treffen wir m W 3 2.Kön. 7,9. m Ifen meint hier eindeutig, ohne daß eine nähere Definition gegeben würde, gute Botschaft (von dem Abzug des feindlichen Heeres). Daß diese Botschaft eine eigene Mächtigkeit besitzt, beweist die Tatsache, daß sie nicht lange verschwiegen werden darf. Ein direktes Äquivalent 1

Schniewind, Euangelion, S. 48ff.; Friedrich, ThWb I I S. 705, 25ff. vgl. auch McCarthy, a.a.O. S. 32. Aber auch zu McCarthy ist zu sagen, was oben gegen Schniewind und Friedrich zu bemerken ist : Das Vorkommen der Wurzel Ifen in Texten mit einem kultischen Sitz im Leben beweist nichts für einen kultischen Sitz im Leben der Wurzel selbst! 2 Das Part. fem. nNSb des Textes ist mit B H 3 als part. Hoph. von Χ2Γ = riNXÖ •• \ = „ausgezahlt werden" zu interpretieren, vgl. W. Nowack, Richter, Ruth lind Bücher Samuelis, H K 1 4 , Göttingen 1902, z. St. und Koehler, Lexicon S. 394.

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hat mifea im Text nicht, wohl aber wird die Tätigkeit des Ausrichtens der m w a mit bloßem Ili (hi) bezeichnet. Die übrigen Belege von mifcD = Botschaft stammen sämtlich aus 2. Sam. 18. Immer geht es um die gute Botschaft vom Siege über Absalom, die freilich David unwillkommen ist, weil sie zugleich den Tod Absaloms meldet: V. 20. 25. Besonders interessant ist die Formulierung V. 27: s r r mit: mifea Vxi ητ aio srx Der Satz erinnert an l.Kön. 1,42, wo M. Noth eine möglicherweise geläufige Höflichkeitsformel zur Begrüßung eines Boten verarbeitet sieht1. Solche Formel könnte auch hier vorhegen. Um so näher liegt es dann, die adjektivische Näherbestimmung von miisa V. 27 als nux formelbedingt zu erklären2. Doch besagt dies nicht, daß mitoa eo ipso Freudenbotschaft bedeutet, im Gegenteil! Solche Formel ist ja nur sinnvoll, wenn die Möglichkeit einer ΠϊΠ m i M zumindest befürchtet werden kann. mi®3 scheint Y. 27 also als bloßer Botschaftsbegriff gedacht zu sein, wie Lagarde vermutet und Koehler auch angibt3. Theologisch akzentuiert ist dieser Botschaftsbegriff in 2.Sam. 18 nur durch den Zusammenhang: In V. 31 wird der zu meldende Sieg als Rechtshilfe Jahwes interpretiert. Sprachliche Äquivalente zu miiP3 bietet 2. Sam. 18 keine. Zum m Ifta-Gebrauch des Alten Testaments läßt sich also nur sagen, daß der Grundsinn „Frohbotschaft" nicht eindeutig gegeben ist, exegetisch aber an allen vier Stellen durch den Sinnzusammenhang sichergestellt wird. Die gleichzeitige Bedeutung mifra = Botenlohn erklärt sich aus dem antiken Sprachdenken. Der direkte Wurzelgrund für neutestamentliches Evangelium Hegt an unseren Stellen also nicht vor. Näher zum Neuen Testament führt uns die Reflexion über die Verbalformen. b) Das Verbum Ifta Eindeutig zur Bezeichnung für die Proklamation einer Siegesbotschaft wird Ifta l.Sam. 31,9 verwendet: Die Philister melden ihrem Volk den Sieg bei Gilboa und den Tod Sauls mit seinen drei Söhnen. Der Text wird in l.Chr. 10,9 nahezu unverändert repro1 Könige, BK 9, Fase. 1 (Neukirchen 1964) S. 27 „Adonia begrüßt ihn [sc. Jonathan in l.Kön. 1,42] bei seinem Eintreffen, wie man wohl einen Boten zu begrüßen pflegte, mit einer ehrenden Anrede und mit der Erwartung, daß er gute Nachricht bringe". 2 Dies hat Schniewind, Euangelion, S. 29 Anm. 2 gesehen, ohne daß deshalb seine Gesamtdarstellung S. 29 f. übernehmbar würde. 3 Lagarde, a.a.O.; Koehler, Lexicon S. 157. W. Baumgartner gibt in der 3. Aufl. S. 157 als Bedeutung wieder an: gute Botschaft.

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duziert, so daß hier derselbe Sprachgebrauch auftritt. Auf dasselbe Ereignis bezieht sich 2. Sam. 1,20, wo in Davids Klage über Saul und Jonathan gewarnt wird, die Nachricht vom Tode beider den Philistern zur Freude zu verbreiten. Allerdings fällt auf, daß, worauf wir schon 2. Kön. 7,9 gestoßen sind, als Äquivalent zu Ifen das Hiphil von 133 auftaucht, ohne daß ein Bedeutungsunterschied spürbar würde: pVptfx nisins i-itonn-bx n33 n n n ."ifca wird an unserer Stelle also nur sehr allgemein als Botschaftsbegriff empfunden. — In dem uns schon bekannten Kapitel 2. Sam. 18 taucht das Yerbum mehrmals auf: V. 19 einmal und Y. 20 zweimal im Sinne von (Sieg) botschaften, wobei die oben genannte Dialektik der David unwillkommenen Siegesbotschaft mitspielt. V. 21 taucht aufs neue als Parallelbegriff dazu 133 (hi) auf. V. 31 findet sich in einer formelhaft anmutenden Anrede an den König (David) hitp. von *lfe3 in reflexivem Sinne: "^"TN "itoari'' = eine (gute) Botschaft lasse sich mein Herr und König ausrichten ! "itoD hat hier wieder eindeutig den Sinn der erfreulichen Proklamation. Ebenfalls formelhaft erscheint, wie wir zu 1. Kön. 1,42 gesehen haben, Ifen l.Kön. 1,42: "ifeaxi 31151 ΠΠΧ Vn B^X. Auch hier wird man, wie eben zu ÌlIlfeD, vermuten dürfen, daß im Objekt 31tt ein mögliches Objekt ΪΠ mitgedacht ist, "!fc?3 also als neutraler Botschaftsterminus gilt. Jer. 20,15 dient Ί&3 zur Mitteilung der Geburt eines Sohnes, hat also positive Grundbedeutung, die Jeremias Fluch über den Mann, der seinem Vater solche Kunde brachte, noch ironisch verstärkt. — Zweimal erscheint das Verbum in den Psalmen, beide Male mit Objekt. Ps. 40,10 in einer Dankliturgie mit dem Objekt j?*TS = Heil, Ps. 96,2 in einem Hymnus mit dem Objekt nint^ = Heil, Hilfe. Ps. 96,2 wird fast wörtlich in l.Chron. 16,23 noch einmal geboten. Auffällig ist, daß der positive Sinn des Verbums hier überall erst durch die Objekte hervortritt. Dies zeigen eindeutig die Parallelbegriffe: Bloßes mit den Objekten Π3ΊΒΧ und nsntfn Ps. 40,11 und ISO (pi.) mit 1133 als Objekt Ps. 96,2. Damit ist uns die Einebnung eines möglicherweise positiven Sinnes von ")6?3 so oft begegnet, daß wir annehmen müssen, "W3 sei ein Verbum, dessen (ursprünglich?) guter Wortsinn nur noch gelegentlich bewußt wurde. Ein im strengen Sinn des Wortes technischer Begriff zur Proklamation einer frohen Botschaft kann nach unseren Belegen *lfr3 nicht (mehr?) gewesen sein. Die letzten beiden zu besprechenden Stellen, Jes. 60,6 und 61,1, bestätigen dies. Jes. 60,6 ist 1^3 hyperbolisch gebrauchter Begriff für Proklamation, der erst durch das Objekt ΠΊΓΡ nV?ïin einen eindeutig positiven Gehalt bekommt 1 . Jes. 61,1 möchte man 1 Deutlich ist der eschatologische Ausblick auf das Herzuströmen der Völker zur Verherrlichung des Zion (vgl.Westermann, Jesaja, z. St. und G. v. Rad, Die Stadt auf dem Berge, Ges. Stud. ζ. AT, ThB 8, München 1958, S. 217-221) ;

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gern in dem absolut gebrauchten 1É31? den Grundsinn „Heil botschaften" erkennen, mir scheint aber, daß Fohrer z. St. mit gewissem Recht solches Verständnis einschränkt1, denn parallel zu dem "ifrD1? steht K1p> (mit den Objekten: i m und Πΐρ~ΠρΒ); gleichwohl ist ein positiver Grtmdton an unserer Stelle unverkennbar. Es ergibt sich also, daß, ähnlich wie beim Substantiv ïiTlfcn, ein positiver Grundgehalt des alttestamentlichen Yerbums nicht mit Sicherheit nachgewiesen werden kann, daß vielmehr ISO stellenweise bereits nur noch im Sinne von , Botschaften" gebraucht zu sein scheint. Dennoch führt uns das Verbum Ifen erheblich näher an das Neue Testament heran als das Nomen. Uns war ja bereits bei der Übersicht über das neutestamentliche Belegmaterial aufgefallen, daß εύαγγελίζεσθ-αι im Neuen Testament keineswegs durchweg technisch gebraucht, vielmehr als Botschaftsbegriff mit verschiedenen Objekten verwendet wird. Die alttestamentlichen Objekte zu kommen nun aber den neutestamentlichen erstaunlich nahe: Jer. 20,15 ähnelt Lk. 1,19; 2,10; Jes. 61,1 wird in Lk. 4,18 wörtlich und in Mt. 11,5 par. leicht variiert zitiert; die Objekte ¡?"Γ2ί, Π57111*ΠΙ^ΠΠ klingen sachlich Apg. 10,36; Eph. 2,17; 3,8 an, und selbst der negative Sinn von "itoa (vgl. 2. Sam. 1,10) läßt sich eventuell in Ape. 14,6 wiederfinden. Die Parallelsetzung der alt- und neutestamentlichen Belege fällt um so leichter, als sich von den Psalmstellen an, wenn auch nicht eine direkt kultische, so doch eine eindeutig theologische Verwendbarkeit der Wurzel "1ÍP2 abzeichnet, die sogar im Alten Testament selbst bereits theologisch schulmäßig weitergereicht zu werden scheint. Dies zeigt die Aufnahme von Ps. 96,2 in l.Chron. 16,23, vor allem aber der Rückgriff auf deuterojesajanisches Traditionsgut in Jes. 61,Iff. 2 . Ps. 96,2 formuliert dabei in eschatologischem Weitblick auf die Israel aufgetragene Verherrlichung Gottes unter den Völkern, Jes. 61,Iff. im Blick auf ein prophetisches Trostamt 3 , wobei, auch ob freilich das Verbum 1(53 in sich selbst bedeutungsvoll ist (v. Rad, a.a.O. S. 220 Anm. 11) oder nicht erst in der Bückschau von der geprägten neutestamentlichen Begrifflichkeit her bedeutungsvoll erscheint, ist mir nicht sicher. 1 Fohrer, Das Buch Jesaja, 3. Bd. (Kap. 40-66), Zürcher Bibelkommentare, Stuttgart/Zürich 1964, S. 233 übersetzt einschränkend: „ . . . E r hat mich gesandt, den Armen eine (frohe) Botschaft zu bringen . . .". 2 Vgl. Westermann z. St. und W. Zimmerli, Zur Sprache Tritojesajas, S. 226f. ; ders., Artikel παις θεοϋ, ThWb V, S. 665 Anm. 67. 3 Vgl. P. Volz, Jesaia II, ΚΑΤ 9, Leipzig 1932; Fohrer und Westermann z. St. Vor allem aber G. ν. Rad, Theol. II 1 , S. 289: Die Berufung des Tritojesaja „spricht. . . ganz eindeutig von einem Trostamt, mit dem dieser Prophet betraut war, einem Amt von stark seelsorgerlicher Prägung, nämlich 'zu verbinden, die gebrochenen Herzens sind, auszurufen die Freilassung für die Gefangenen' (Jes. 61,1)".

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wenn hier das von Deuterojesaja angesagte, endgültige Heil wieder mehr geschichtlich verdiesseitigt werden sollte1, die Botschaft des Propheten das von Gott bereitete Heil aus der Dimension der verheißungsvollen Schau in die Geschichte und das Volksleben worthaft vor-bringt, aufs neue ein Wesenszug, der diese Stelle mit dem neutestamentlichen Evangelium verbindet. c) Das Partizip "ifraa Im Blick auf das Partizip Piel von ")fc>3 kann man von einer bereits im Alten Testament einsetzenden, eindeutig theologischen Traditionsbildung sprechen, welche für das nachbiblische Judentum und das Neue Testament bedeutungsvoll geworden ist. Einzusetzen ist mit l.Sam. 4,17: Ein Flüchtling von der Front meldet Eli die Niederlage Israels, den Tod seiner beiden Söhne und den Verlust der Lade. Der Bote wird V. 17 als "lfraan bezeichnet. Nowack merkt dazu an: ,,Ι&ΠΰΠ V. 17 bezeichnet sonst immer den Überbringer einer frohen Botschaft, nur hier ist es der Unglücksbote, vielleicht hat deshalb LXX το παιδάριον"2. Damit stellt sich zum Verbalsubstantiv dasselbe Problem wie zu Verbum und Substantiv. Interessant ist aufs neue, daß V. 13 die Tätigkeit des Boten mit "TU hi bezeichnet und für seine Botschaft in V. 19 das Substantiv ntflötf gebraucht wird3. Daß "ifcna aber auch den Glücksboten meinen kann, zeigt 2. Sam. 4,10. Hier bezeichnet David zwar selbst den Überbringer der Botschaft neutral als V i a , setzt aber hinzu: ΓΡΓΤΚΊΠΙ 1 Vgl. Westermann, Jesaja, S. 238: „ D a s von Tritojesaja angekündigte Heil ist durchaus diesseitig; d . h . die große Wende zum Heil f ü h r t einen Zustand herauf, der innerhalb der Grenzen geschichtlicher Existenz bleibt. Der Schauplatz der Wende ist das geschichtliche Jerusalem; was a n ihr verwüstet ist, m u ß wieder aufgebaut werden (61,4), auch ihre Mauern und Tore (60,10. 11. 18). Israel wird sein L a n d wieder besitzen (60,21), das Volk wird wachsen (60,22), aber es bleibt ein Volk zwischen den anderen Völkern (61,9-11) u n d es lebt von seiner H ä n d e Arbeit (62,8f. ; 65,21-23)." Vgl. ferner Fohrer, J e s a j a I I I , S. 235ff. 2 Richter, R u t h u n d Bücher Samuelis, S. 23. 3 Man k a n n unmöglich das im Alten Testament l . S a m . 2,24; 4,19; 2.Sam. 4 , 4 ; 13,30; l . K ö n . 2,28; 10,7; 2.Kön. 19,7; Jes. 28,9. 19; 37,7; 53,1; J e r . 10,22; 49,14. 23; 51,46; Ez. 7,26; 16,56; 21,12; Ob. 1; 2.Chr. 9,6; D a n . 11,14; Ps. 112,7 u n d Prov. 15,30; 25,25 auftauchende Substantiv nSJiatf mit Schniewind (Euangelion S. 29f.) in negativem Sinne, gleichsam als bevorzugten Ausdruck f ü r Unglücksbotschaft interpretieren. Vielmehr taucht bei ìlSiattf die gleiche Dialektik auf wie bei Π Ί 1 Μ : E s k a n n von einer Π1Π HBiattf die Rede sein (Jer. 49,23; Ps. 112,7) u n d von einer m i B ílSpatí (Prov. 15,30; 25,25 auch H c S i r a c h 5,11). l . K ö n . 10,7 bezeichnet Π g u t e s Gerücht, K u n d e ; J e s . 53,1 eine (unglaubliche, aber keineswegs negative) Offenbarung usw. Interessant ist, daß nSJIDtP einmal mit einem Gen. obj. konstruiert wird: n m a t f 2.Sam. 4,4 = (Trauer-)Botschaft über Saul u n d J o n a t h a n . Π lila® ist ein neutraler Botschaftsbegriff (vgl. Koehler, Lexicon s. v.), u n d die Sprachgeschichte h a t deshalb im J u d e n t u m Π5?1Ϊ2Ε> u n d ΠΊ1&3 einander völlig angeglichen (s. u.).

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Vrsa IfraöD = „der meinte, ein Freudenbote zu sein", so daß der positive Sinn für "ifratt feststeht. Derselbe positive Sinn liegt eindeutig 2.Sam. 18,26 vor, wo der Bote vom Sieg über Absalom ist. Siegesbotinnen sind wohl auch Ps. 68,12 unter den nnfoaan zu verstehen, d.h. konkret: Frauen, die eine Siegesbotschaft weitertragen, vgl. Ex. 15,20f.; Ri. 5; 11,34; l.Sam. 18,6f.1. Der *lftn» ist an allen bisher genannten Stellen ein irdischer Bote, der Glück und Unglück, Sieg oder Niederlage zu verkünden hat. Die Vorstellung vom Freuden- bzw. Siegesboten überwiegt. Sie liegt auch Nah. 2,1 vor, wo das Tun des "ièna mit QlVtf STötPa erläutert wird. Freilich ist bis heute nicht endgültig entschieden, ob Nah. 2 , 1 gegenüber Jes. 5 2 , 7 - 1 0 die Priorität beanspruchen kann2. Mir ist dies mit Fr. Horst und K. Elliger wahrscheinlich3. Die Stelle ist ein prophetisches Echo auf den Zusammenbruch des assyrischen Weltreiches 6 1 2 a. Chr. n. und meint mit D l V t f , den der Bote verkündet, die Erfüllung der alten Hoffnung auf die Wiederherstellung Großisraels4. Nahum übernimmt also das Bild des irdischen Boten in seine Sprache und läßt ihn eine der Geschichtstaten Jahwes verkünden. Mit der Aufnahme der Gestalt eines 1f2?3ö in die prophetische Verkündigung hat Nahum traditionsbildend gewirkt. Dies ergibt sich eindeutig aus den Belegen bei Deutero- und Tritojesaja. In Jes. 52,7 wird Nah. 2,1 bis in den Wortlaut hinein übernommen, nun aber als Interpretament der deuterojesajanischen Botschaft. D. h. das ehemals konkret gedachte Bild wird zur Aktualisierung eines theologisch-eschatologischen Gedankens verwendet. Der Gedanke ist die endgültige, also eschatologische Rettung Israels durch Jahwe. „Diese Botschaft vom Eintreffen des Ereignisses, nämlich der Erlösung Israels, ist in Schilderung umgesetzt: das Eintreffen der Botschaft wird geschildert. Hier kann man wirklich sagen, daß der Prophet Deuterojesaja als ein Dichter spricht; er kündigt die Stunde der Erfüllung an, indem er den Augenblick der Ankunft des Siegesboten darstellt"6. Dabei ist folgendes zu bedenken: die gegenüber der 1 Vgl. R. Kittel, Die Psalmen, Κ Α Τ 13, Leipzig 5'«1929, S. 230; H. Schmidt, Die Psalmen, HAT 15, Tübingen 1934, S. 129; wohl auch H. J. Kraus, Psalmen, B K 15, Neukirchen 1960 z. St.; anders Weiser, Die Psalmen, A T D 14/15, Göttingen 5. Aufl. 1959, S. 331. W. Baumgartner möchte in der 3. Aufl. des Koehlerschen Lexikons S. 156 s. v. "W3 den Singular lesen: ΓΠΪ2>20 und diesen

nach C. Brockelmann, Hebräische Syntax, Neukirchen 1956, S. 14 § 16f mit Th. H. Gaster, Short Notes, VT 4, 1954, [S. 73—79] S. 74 kollektiv verstehen. 2 Vgl. Schniewind, Euangelion, S. 46f. und z.B. Ch. R. North, The Second Isaiah, Oxford 1964, S. 221 (zu Jes. 52,7-10) "Nahum i. 15 (ii. 1) is probably a quotation from this passage". 3 Vgl. (Th. H. Robinson)-Fr. Horst, Die Zwölf kl. Propheten, HAT 14, Tübingen 2. Aufl. 1954, S. 159; (A. Weiser)-K. Eiliger, Das Buch der zwölf kl. Propheten, A T D 24/25, Göttingen 3. Aufl. 1956, S. 9f. 4 Vgl. Elliger, a.a.O. 5 Westermann, Jesaja S. 202.

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Nahum-Stelle etwas veränderte Terminologie; die eigentliche Botschaft selbst: "priVx "[Va; die gedankliche Dimension, in welche die Gesamtbotschaft erhoben wird. Zu reflektieren ist schließlich darüber, ob der in Jes. 52,7 mit dem Propheten identifiziert werden kann oder nicht. Die Tätigkeit des Ifoa» wird dreifach folgendermaßen erläutert: nsntf' sratf» Slö nfcaa tnVtf iratfö. Das hier zum zweiten Male im Vers auftauchende ifoa» ist, wie die Parallelformulierungen vom Part. hi. von zeigen, echtes Partizip. Mag man das Objekt 310 auf metrische Gesichtspunkte zurückzuführen und es dementsprechend sachlich für entbehrlich erklären 1 , wichtiger ist die völlige Gleichwertigkeit von »ötf hi und "ifoa pi. Sie begegnet bei Deuterojesaja ständig 2 und deutet an, daß die Botschaftsterminologie im Laufe der sprachlichen Entwicklung austauschbar wird. Inhalt der Botschaft ist der Beginn der Herrschaft Gottes, und zwar über die Welt. Deuterojesaja formuliert hier im Stil des Königspreises, d. h. der sog. Thronbesteigungslieder 3 . Aber wiederum geht es dabei um ein Interpretament seiner eigenen Botschaft: Deuterojesaja proklamiert den nimmehr endgültigen Herrschaftsantritt Jahwes über die Welt und damit zugleich die Vergebung für Israel, den neuen Exodus und die Erhebung Israels zum neuen Gottesvolk. Er tut dies in der später zur eigentlichen Denkform apokalyptischjüdischer und apokalyptisch-neutestamentlicher Theologie entwickelten Redeweise der Prolepse (die in gewissem Sinn für die prophetische Wortverkündigung überhaupt kennzeichnend sein dürfte 4 ). Das Wort des Deuterojesaja proklamiert, phänomenologisch gesehen, das Perfektum des Heils als unmittelbar zu erwartende Zukunft. Gottes schon über Israel beschlossenes Heil ist bei und vor Gott vollendete Tatsache, welche das Wort des Propheten in der Weise der Ansage aus der Verborgenheit Gottes in die irdische Welt hereinträgt. Nimmt man hinzu, daß, wie Westermann gezeigt hat 5 , Deuterojesaja erstmalig Jahwe und die Götter im Rahmen himmlischer Gerichts- und Rechtsszenen konfrontiert, so wird man sagen dürfen, daß sich bereits bei Deuterojesaja die später in der Apokalyptik vorherrschende Überlagerung zweier Realitätssphären andeutet: Die Sphäre Gottes, seiner Wirksamkeit und Vorsehung und die Sphäre der Menschen, 1 2

Schniewind, Euangelion, S. 29 Anm. 2. Das Hiphil von Sötf ist, ähnlich wie auch das Hiphil von 113, ein bei Deuterojesaja ständig auftauchender Botschaftsbegriff, vgl. nur: Jes. 41,26; 43,12; 44,8; 45,21; 48,5. 6. 20 usw. und für IM hi: Jes. 41,22. 23; 42,9; 45,19. 21; 46,10; 48,20 usw. 8 Vgl. H. Gunkel-J. Begrich, Einleitung in die Psalmen, HK Ergänzungsband zur 2. Abtlg., Göttingen 1933, S. 420; Westermann z. St.; Fohrer, Jesaja III, S. 156 Anm. 136 sieht in dem Schlußsatz von "V. 7 einen späteren Zusatz. 4 6 Vgl. oben S. 79, Anm. 1 und 2. A.a.O. S. 16.

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welchen die Welt Gottes noch verborgen ist. Deuterojesaja ist also als „Vater der Apokalyptik" anzusprechen1. Das Wort des Deuterojesaja ist ein zwischen zwei Welten vermittelndes, reales, aus der Welt Gottes in die der Menschen vorlaufendes Ereignis. Das Perfekt des Heiles, d. i. seine vollendete Wirklichkeit in der Dimension Gottes, kann und darf deshalb, von der Welt Israels her gesehen, noch als Zukunft erscheinen, ohne daß denkerisch ein Versehen vorläge2. Auf eine Identifikation des Boten mit Deuterojesaja weist unser Text nicht hin, doch könnten Ansätze dazu Jes. 41,27 vorliegen. Jes. 41,27 spricht Jahwe selbst, und zwar im Rahmen einer Appellationsrede, also auf einer himmlischen Gerichtsverhandlung : OVPITVI •jnx ΊΦ2». Sprachlich wichtig ist, daß V. 26b. 27a 3 TJ3 hi und Sötf hi erneut in engster Parallelität zur Wurzel erscheinen. Ferner dürfte, wenn man den deuterojesajanischen Berufungsbericht (Jes. 40,6-8) mit unserer Stelle vergleicht, die Auslegung Begrichs und Fohrers4 an Kredit gewinnen, daß sich Deuterojesaja selbst an unserer Stelle als Ί1Ρ3» bezeichne, bzw. seinen Auftrag in Analogie zum Ifeaa zu verstehen suche. Diese Sicht würde zwar Schniewind widerstreiten5, aber den Übergang von prophetischer Bildersprache zur Selbstidentifikation mit dem die Jes. 61,1 unbestreitbar gegeben ist, erleichtem. Daß es sich um einen Freudenboten handelt, sagt unser Text nicht ausdrücklich, es ergibt sich aber aus dem Zusammenhang (vgl. V. 25ff.). Ob man JVS mfr3ö und nVtfvr mfean Jes. 40,9 als Bote/Botin für Zion® oder als Apposition: Botin Zion/Jerusalem7 interpretieren 1

So H. Gese, mündlich. Dem entspricht dann der von Westermann herausgearbeitete Tatbestand, daß Deuterojesaja „seine Heilsbotschaft . . . in die Sprache des Gotteslobes faßt" (a.a.O. S. 15), also angesichts des bei Gott vollendeten Heils schon in den Lobpreis übergehen kann. Daß für die Gemeinde der Zukunftsaspekt dabei nicht verlorengeht, zeigt die Tatsache, „daß im Alten Testament das Gotteslob an der Stelle stehen kann, die im Neuen Testament der Glaubensbegriff einnimmt" (S. 19). 3 Zur Fassung von Y. 27a vgl. B H 3 und Westermann z. St. 4 J . Begrich, Studien zu Deuterojesaja (1938; Nachdruck ed. W. Zimmerli, ThB 20, München 1963) S. 154 und Fohrer, Jesaja I I I , S. 46f. Westermanns Auslegung der Stelle schließt solche Deutungsmöglichkeit nicht aus. 5 Schniewind, Euangelion, S. 39.42. 45 meint, die Identifikation von Freudenboten und Prophet sei bei Deuterojesaja noch nicht vollzogen und liege erst bei Tritojesaja vor. • So z.B. Koehler, Lexicon s . v . "IÍP3 (p. 157) und nachdrücklich Fohrer, Jesaja I I I , S. 22 Anm. 7: „Die Auffassung, daß Jerusalem selbst der Bote und zu den Ortschaften Judas gesandt sei, widerspricht völlig der gedachten Situation." S. Mowinckel, Religion und Kultus, Göttingen 1953, S. 109 will das Femininum pluralisch als „Schar der Verkünder der frohen Botschaft" = Schar von Kultpropheten deuten. W. Baumgartner übersetzt in der Neubearbeitung des Koehlerschen Lexicons S. 156: Freudenbotin für Zion. 7 So z.B. G. v. Rad, Theol. I I 4 1965, S. 256; Ch. R. North, Second Isaiah, S. 79 ; Westermann z. St. 2

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soll, ist bis heute umstritten. Mir ist um des Bildes willen die zweite Möglichkeit zwar wahrscheinlicher, doch kann man für die erste Deutung ins Feld führen, daß das Femininum mfcOö, wie ζ. B. auch bei m a o n und D'asn nana Esr. 2,55. 57, Amtsbezeichnung sein soll1. Solche Amtsbezeichnung könnte dann sogar pluralisch gedeutet werden, wie es im Prophetentargum z. St. tatsächlich geschieht 2 . -— Begrich sieht in V. 9-11 die Instruktion an einen Siegesboten nachgebildet 3 (vgl. l.Sam. 31,9; 2.Sam. 1,20; 18,19ff.), und Westermann ist ihm darin gefolgt: Zion/Jerusalem sollen den Advent Gottes über das Land hin ausrufen4. Ihre Botschaft entspricht sachlich dem Königsruf Jes. 52,7 und ist in der Struktur wiederum proleptisch. Die bereits vollzogene Machtergreifung Gottes wird, dem Advent Gottes in seinem Lande vorweg, worthaft verwirklicht. Daß wir an all diesen Stellen einen theologisch reflektierten, prophetischen Sprachgebrauch von 1È3» vor uns haben, ist evident. Man wird mit Friedrich feststellen dürfen: „Bei Deuterojesaja ist das substantivierte Partizipium . . . ein geprägter religiöser Terminus"5. Der "IBOH ist der Bote, der Gottes Heil zu proklamieren hat. Darüber hinaus kann man festhalten, daß sich mit der Aufnahme der von Nahum her vertrauten, prophetischen Rede vom 1ÍP30 bei Deuterojesaja die Möglichkeit abzeichnet, das prophetische Amt selbst als 1 Vgl. O. Eißfeldt, Einleitung in das Alte Testament, Neue Theol. Grundrisse, Tübingen 3. Aufl. 1964, S. 666f. zur Bezeichnung Kohelet: „ D a ß ein Mann mit einer femininen Partizipialform — zu deutsch etwa die Versammelnde — bezeichnet wird, ist merkwürdig und wahrscheinlich so zu erklären, daß das W o r t zunächst die Bezeichnung einer Tätigkeit oder eines Amtes darstellt u n d d a n n sekundär auf den I n h a b e r des Amtes übertragen ist. Eine genaue Parallele zu dieser Bedeutungsentwicklung stellen die Esr. 2,55. 57 als männliche Eigennamen überlieferten Worte ΓΠΒ0Π u n d OOSi! ΓΟΊΒ dar. Von H a u s aus offenbar Bezeichnung von Ämtern, nämlich des Schreiberamtes u n d des Gazellenpflege-Amtes, sind sie d a n n zu Bezeichnungen der Träger dieser Ämter geworden u n d konnten so geradezu als Eigennamen Verwendung finden. Ähnlich hegen die Dinge auch wohl bei dem ΓΠ&Π23 von Jes. 40,9, das m i t Mowinckel [vgl. S. 119 Anm. 6] als Schar der Verkünder der frohen Botschaft zu verstehen sein wird. Das von dem bekannten Wort *?Hp Versammlung, Gemeinde abgeleitete D^Hp bedeutet also zunächst die Tätigkeit oder das A m t der Versammlungsleitung oder des Redens in der Versammlung u n d ist d a n n auch f ü r den Versammlungsleiter oder Versammlungsredner gebraucht worden." Vgl. ferner G. Fohrer, The Personal Structure of Biblical F a i t h , F o u r t h World Congress of Jewish Studies, Papers Vol. I, Jerusalem 1967, (S. 161—166) S. 162. 2 Vgl. auch Mowinckel oben S. 119 Anm. 6. 3 A . a . O . S. 58f. 4 Westermann, J e s a j a , S. 39 möchte Zion/Jerusalem „wie auch sonst oft — als pars pro toto f ü r Israel" auffassen, doch zerbricht d a n n das Bild: Zion = Israel k a n n j a k a u m die Städte J u d a s ( = Israels!) benachrichtigen. 5 T h W b I I S. 707,12ff. (nach Schniewind, Euangelion, S. 34, 37ff.). Hervorhebung bei F r .

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Amt eines zu verstehen, eine Interpretation, die nach Jes. 41,27 schon bei Deuterojesaja einzusetzen scheint. Bei Tritojesaja liegt jene Identifikation und damit die Erhebung des "ifoa» zur prophetischen Figur eindeutig vor. Elemente der Gottesknechtslieder (Jes. 42, Iff.) und der Heilsverkündigung Deuterojesajas werden Jes. 61, Iff. mit Gedankengut vorexilischer, prophetischer Legitimation (zur Salbung vgl. 1. Kön. 19,16; zur Geistbegabung Mi. 3,8) zu einem neuen, prophetischen Sendungsauftrag vereinigt ; nun beansprucht der Prophet, das Evangelisationsamt des *lftD» (vgl. Jes. 41,27) quasi „amtlich" zu erfüllen 1 . Mit Jes. 61,Iff. ist darum eine theologisch-prophetische Konkretion des "ifraa erreicht, welche traditionsgeschichtlich für das nachbiblische Judentum und das Neue Testament von größter Bedeutung Í3t : Von Jes. 61, Iff. an gewinnt die jüdische Redeweise vom Heilsboten ihr plastisches Gewicht und ihre Heilsfunktion. Eines ist dazu freilich ausdrücklich anzumerken: Diese theologische Dichte gewinnt der Begriff des bei Tritojesaja in gewissem Gegenzug gegen den Wortstamm selbst, der spätestens von Deuterojesaja an in das Becken einer allgemeinen Botschaftsbegrifflichkeit eingeströmt ist und seinen immer wieder mitschwingenden, positiven Gehalt dabei nahezu ganz eingebüßt hat. Es hat sich uns also ergeben, daß "ifraû (bzw. das Femininum mfeaö/mfcDö) im Alten Testament Bezeichnung für den Boten und die Botin sind, Boten, die Heil und Unheil verkünden können. Da sich die Wurzel 1ÍP3 im Alten Testament immer mehr auf die Richtung bloßen Botschaftens hin abflacht, ist es nicht ratsam, den "itoaa von vornherein mit einem Freudenboten gleichzusetzen. Erst als Deuterojesaja, vorexilisch-prophetisches Material aufgreifend, die Gestalt des Itoaa zur Heroldsfigur erhebt, welche den neuen, endgültigen Herrschaftsantritt Gottes und damit das Heil zu proklamieren hat, wird der "lfcOö zum Freudenboten. Gleichzeitig wird das Fundament für neue theologische Traditionsbildung gelegt. Diese deutet sich bei Deuterojesaja selbst bereits darin an, daß der "1ÍP3D eine für den Propheten vorbildliche Figur wird. Bei Tritojesaja tritt das Ergebnis der theologischen Denkarbeit Deuterojesajas mit einem für die spätere und weitere Traditionsbildung entscheidenden Gewicht hervor: Der ist zum Inbegriff eines prophetischen Trostamtes geworden, zur Heilsfigur, deren Auftrag es ist, das verheißungsvoll-mächtige, heilende Gotteswort auszurichten. Lk. 4,18ff. und Mt. 11,2-6 par. erweisen, 1

Vgl. Fohrer und Westermann z. St.; ferner Zimmerli, Zur Sprache Tritojesajas, S. 226f. und v. Rad, Theol. II 4 S. 289.

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daß hier ein maßgebliches Ur- und Ausgangsbild für die christologische Botschaft des Neuen Testaments entstanden ist. d) Zusammenfassung Nachdem wir schon im einzelnen unsere Ergebnisse formuliert haben, ist es nur noch erforderlich, die traditionsgeschichtliche Ausgangsbasis darzustellen, die sich uns ergeben hat. Sprachlich ist mit der Wurzel 1ff3 die Bedeutung einer Frohbotschaft nicht so fest verbunden, daß nicht im Laufe der Begriffsentwicklung zu einer, dem hi. von und U1 gleichwertigen, bloßen Botschaftsbezeichnung hätte werden können. Gerade bei Deuterojesaja tritt diese Austauschbarkeit von Botschaftsbegriffen erstmalig eindeutig in Erscheinung, dort also, wo die für das Neue Testament wesentliche Traditionsbildung des Wortstammes einsetzt. — Es ist uns nicht gelungen, in dem mitoS-Gebrauch des Alten Testaments einen oder den Ursprung des neutestamentlichen εύαγγέλιον auszumachen, wohl aber entspricht der Gebrauch des Verbums "ifra im Alten Testament neutestamentlichem εύαγγελίζεσ9·αι ziemlich genau, besonders wenn man beachtet, daß die für die Eschatologie des Neuen Testaments maßgebenden Denkformen des wirksamen Gotteswortes, der Prolepse und der Überlagerung zweier realer Heils- und Geschehensbereiche schon von Deuterojesaja an mit der Wortgruppe Ifea verbunden sind. Am eindeutigsten begründet die deutero- und tritojesajanische Rede vom (prophetischen) "lfcDö die neutestamentliche Gedankenführung, zunächst in einigen synoptischen Texten. Mit der Rede vom (Freuden-) Boten ist aber ein dem neutestamentlichen εύαγγέλιον vergleichbarer Gebrauch des Substantivs finira gerade nicht verbunden. Auf der Suche nach den Wurzeln des substantivischen Wortgebrauchs des Neuen Testaments haben wir darum weiterzugehen und nunmehr die Belege aus dem nachbiblischen Judentum zu mustern.

2. Der Gebrauch der Wurzel im semitisch-sprachigen, nachbiblischen Judentum1 Die aramäischen Passagen des Alten Testaments verwenden die Wurzel nicht, wohl aber die Qumrantexte, die Targumim und das im engeren Sinne rabbinische Schrifttum. Befragt man die ein1 Vgl. zum Folgenden die Materialsammlung von Billerbeck, Bd. III, S. 5-11 und Friedrieh, ThWb II S. 712-714. 723/24. Vgl. ferner Sehniewind, Euangelion, S. 29f. 36. 60; G. Dalman, Worte Jesu, 2 1930, S. 84^87; A.Schlatter, Die Theologie des Neuen Testaments, 1. Teil: Das Wort Jesu, 1909, S. 583; ders., Der Evangelist Matthäus, Stuttgart 1929, S. 122. 360f.; ders., Das Evangelium des Lukas, Stuttgart 2 1960, S. 159.

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schlägigen Wörterbücher von J. Buxtorf1, J. Levy2, M. Jastrow3 und G. Dalmati4 über die Wortbedeutung, so stößt man auf die uns schon vom Alten Testament her vertraute Unsicherheit und das Schwanken zwischen neutraler und positiver Begriffsbestimmung. Immerhin sind die Belege für ungute Nachrichten in den Lexika gegenüber dem alttestamentlichen Befund so zahlreich, daß es sich für uns empfiehlt, nur von einem Grundsinn „botschaften" in der Zeit auszugehen, den das genannte Schrifttum umspannt. Darin kann uns unsere alttestamentliche Analyse nur bestärken und mit ihr der auffällige, bereits von Buxtorf (a.a.O.) hervorgehobene Tatbestand, daß hebräisches iiïiatf Ob. 1 vom Prophetentargum z. St. mit miD3 wiedergegeben wird, daß also die Austauschbarkeit mit anderen Verkündigungsbegriffen im Judentum auch für das Nomen zu gelten scheint. Da das Belegmaterial bisher nicht ganz konsequent und vollständig dargeboten worden ist5, ist eine neue Übersicht über die z. Zt. vorhandenen Belege erforderlich. Vollständigkeit ist dabei allerdings auch jetzt nicht erreichbar, da noch immer ein Großteil des jüdischen Schrifttums der eigentlich wissenschaftlichen Aufbereitung 1 Lexicon Chaldaicum, Talmudicum et Rabbinicum, Leipzig 2. Aufl. 1875 ed. B. Fischer (die erste Auflage ist in Basel 1639 erschienen), Bd. 1, S. 172 gibt als Bedeutung f ü r "103 a n : „nuntiare, annuntiare, praedicare, euangelizare"; f ü r 1 0 3 0 „ n u n t i u s " u n d f ü r ΠΊ103/ΠΊ1(Γ3 „nuntium, praemium nuntii". 2 1. Chaldäisches Wörterbuch über die Targumim u n d einen großen Teil des rabbinischen Schrifttums, Bd. 1, Leipzig 3. Aufl. 1881. S. 103 nennt f ü r das Verbum als Grundbedeutung „verkünden, berichten" u n d f ü g t hinzu „zumeist fröhliche Botschaft bringen, Gutes benachrichtigen". F ü r das Substantiv wird die Bedeutung „Botschaft, Nachricht, bes. von einem freudigen. Ereignis" genannt (a.a.O.). — 2. Wörterbuch über die Talmudim u n d Midraschim, Bd. 1, 2 1924 (Nachdruck D a r m s t a d t 1963), S. 274, gibt dem V e r b u m dagegen die Bedeutung „frohe Botschaft verkünden, dadurch erfreuen", während es zum Substantiv h e i ß t : „Verkündigung, gew. frohe B o t s c h a f t " . 3 A Dictionary of t h e Targumim, t h e Talmud Babli a n d Yerushalmi, a n d t h e Midrashic Literature, Bd. 1, New York (1903) 1950, S. 198 gibt an f ü r d a s Substantiv „joy, glad tiding, in gen. tidings" u n d f ü r das Verbum „ t o b e sweet, pleasant . . . t o gladden, t o bring good tidings t o ; in gen. t o a n n o u n c e " (S. 199). 4 Aramäisch-neuhebräisches Handwörterbuch zu Targum, Talmud u n d Midrasch, Göttingen 3 1938, S. 59 f ü h r t auf f ü r das Verbum "103 „benachrichtigen; frohe Botschaft melden", S. 67 aber f ü r dasselbe!) Verbum ΊΒ?3 „gute Nachricht bringen" u n d f ü r das Substantiv ΓΠΊΦ3 „gute B o t s c h a f t " (a.a.O.). 5 Schniewind versichert zwar, Billerbeck habe a . a . O . „das gesamte rabbinische Material zum Begriff Evangelium zusammengetragen. Die Sammlung deckte sich im wesentlichen mit der unsern" (Euangelion S. 19), doch h a t Billerbeck gerade die f ü r uns wichtigen Targumim nicht konsequent durchgemustert u n d auch nicht alle Belege aufgenommen, welche die in Anm. 1 3 aufgeführten Wörterbücher bringen. H e u t e führen ferner die Konkordanzen von H . J . Kassovsky zu Mischna (Concordantiae Totius Mischnae, F r a n k f u r t 1927), zu Tosephta (Thesaurus Thosephthae, Jerusalem 1932ff.) u n d bab. Talmud (Thesaurus Talmudis, Jerusalem 1954ff.) weiter.

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ermangelt. Wir müssen ferner auf eine vorgängige, grammatische Erhebung des Sprachgebrauchs verzichten, da sie nur dann von wirklichem Nutzen wäre, wenn die einzelnen aramäischen Dialekte voneinander gesondert dargestellt würden, eine Aufgabe, welche die Kenntnis eines Spezialisten erfordert. Unserer Fragestellung entsprechend, teilen wir die Darstellung unter in Belege für das Substantiv, das Verbum und das substantivierte Partizip. Unser Hauptinteresse gilt zunächst dem Substantiv. a) Das Substantiv mifcD1 Da in den Qumrantexten bisher das Substantiv m i M nicht nachweisbar ist, haben wir nur die Targumim und das rabbinische Schrifttum zu behandeln. Wir stellen die profanen Belege voran und gehen dann erst auf das eigentlich religiöse und theologische Material ein. «) P r o f a n e Verwendung Ausgangspunkt einer verzweigten talmudischen Diskussion ist Mischna, Berachoth 9,2 2 : „Bei Regengüssen und froher Botschaft (maio riVTrän *?») sagt man: Gepriesen sei der Gute, der Gutes tut. Bei schlimmer Botschaft (nisn DlllM bs) sagt man: Gepriesen sei, der nach Wahrheit richtet." Daß nnfoa hier allgemeiner Ausdruck f ü r Botschaft ist, ist evident; es erhellt überdies aus dem Umstand, daß zwei Mischnaausgaben statt nisn nniif3 lesen: n u n nisnatf 3 . Solche Auswechselbarkeit von ÏÏTIË3 und nsntttf wird uns noch mehrfach begegnen und vollends deutlich machen, „daß . . . πηέ>3 eine vox anceps ist" 4 . -— Sachlich ganz ähnlich erscheint unser Ausdruck bab. Berachoth 14a 5 : „Folgendes sagte R. Hija im Namen des R. Johanan : Wer sich zuerst mit Worten der Gesetzeslehre sättigt 1 Die Schreibungen -|03/")&η und miOn/miÉn bzw. Ί030/Ίϋ?3» usw. wechseln ständig ohne erkennbaren Unterschied. Wir schreiben daher, wo es sich nicht um ausdrückliche Zitate handelt, immer "103, mitt>3 usw. 2 Übersetzung nach O. Holtzmann in der Gießener Mischna-Ausgabe, Traktat Berakot, 1912, S. 91. Holtzmann merkt a.a.O. z. St. an: ,,. . . das Wort mitP3 ist nicht mehr wie althebräisch Freudenbotschaft I I Sam. 18,20-27 I I K ö n 7 , 9 , sondern allgemeine Nachricht." Unsere Stelle wird mehrfach zitiert und diskutiert: Gen. Rab. 13,15 und bab. Ber. S9b nur der erste Teil; bab. Ber. 60b und bab. Pes. 50a vollständig. Sachlich führen diese vier zusätzlichen Belege über die Mischna nicht hinaus. 3 Vgl. Holtzmann, a.a.O. S. 102. 4 Holtzmann, a.a.O. s Übersetzimg nach der großen Ausgabe des babylon. Talmuds von L. Goldschmidt (Berlin/Wien 1925), Bd. 1, S. 50. Eine Parallele zu Ber. 14a ist bab. Schab. 63a: „R. Henana b. Idi sagte: Wer ein Gebot nach seinem Wortlaut befolgt, dem werden keine bösen Nachreden überbracht" = WIK 1Ή2730 ΓΠ5Π ninün (Goldschmidt I S. 465).

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und dann schläft, dem verkündet man keine schlechten Botschaften" : nun nmfea WIK jnfeaö ]·Ή. Das Gegenstück zu bab. Ber. 14a ist dann der „theologische" Gebrauch Num. Rab. 14,4 1 : „Wenn du dich viel bemühst mit dem Studieren der Worte der Gelehrten, so verkündet dir Gott gute Botschaften": maiö nmfoa Tifea» n"3j?n. Bleibt hier überall der Gehalt der Botschaft(en) inhaltlich unbestimmt, so erscheint mifra auch in ganz konkreten, profanen Zusammenhängen: bab. Keth. 16b meint das Nomen die mit Hilfe eines Bechers symbolisierte Kunde von der Jungfräulichkeit einer Braut 2 , hat also positiven Unterton. Das Wort meint bab. Horaj. 10a die (nach rabbinischer Anschauung glückverheißende3) Botschaft von dem Auftauchen einer Ausscheidung, eines „Aussatzes", an einer Häuserwand im Lande Kanaan (vgl. Lev. 14,34) 4 . Mechilta, Pisha (S3) 12 zu Ex. 12,26 gilt es als Π5Γ) miff3, daß die Tora vergessen werden wird und als Π a Its m w a , daß sich Israel auf Kind und Kindeskinder freuen kann. m i M ist hier also deutlich wieder ambivalenter Botschaftsbegriff. niitoa kann sogar ohne adjektivische Näherbestimmung Trauerbotschaft meinen: Gen. Rab. 81,5 die Nachricht vom Tode Rebekkas5: „Während Jakob noch die Trauer um Debora beobachtete, erreichte ihn die Botschaft über (den Tod) seiner Mutter": Ί1? ΠΝ3 löNbtf nmifra. Sprachlich und sachlich höchst interessant ist schließlich die bab. Gittin 56ab undThren. Rab. 1,5 § 31 berichtete Begebenheit, wonach Jochanan b. Sakkai den Jerusalem belagernden Vespasian prophetisch als Kaiser begrüßt, noch ehe die Botschaft vom Tode Neros und von der Proklamation zum Kaiser durch die Römer überhaupt eingetroffen ist6, mifea ist hier also nicht bloß Botschaft vom Tode Neros7, sondern vor allem Botschaft von der Kaiserproklamation. Daß man m w a in diesem Sinne positiv interpretieren Übs. nach Billerbeck I I I S. 6. Die Parallele im Jeruschalmi, pal. Keth. 2,26b, 8f. hat in selber Bedeutung zweimal den Plural ΪΤΠΊ®3. 3 Vgl. Lev. Bab. 17,6, wo Lev. 14,34 als m i t r a ausgelegt wird, weil die Ausscheidung = Aussatz an einem Hause den einwandernden Israeliten verborgene Schätze anzeigt, welche beim Niederreißen der Gebäude zu finden sind. 4 Die positive Sinngebung von Lev. Rab. 17,6 ist bab. Hör. 10a nur eben angedeutet. 5 In der Parallele Midr. Tanhuma zu Dt. 20,1 (Χ2Π Ό, 4) heißt es abgekürzt 1ÖS HITO 1*7 fixa; wir haben hier eine der ganz seltenen constructus-Verbindungen von rnitba vor uns, und zwar im Sinne eines gen. obj. • Vgl. zu diesem Zusammenhang R. Meyer, Art. προφήτης, ThWb VI, S. 824, 27if.. Billerbeck III, S. 5 zitiert nur den Eingang von Thren. Rab. 1,5 §31. Der Textabschnitt, in welchem ΓΠ1ίΡ3 der hellenistischen Bedeutung von εύαγγέλιον als (erfreuliche) Nachricht von einer Kaiserproklamation erstaunlich nahekommt, lautet: "OTl ΤΓΪΟ^ηΧΊ ]1TJ ÍT» ΊΪΤη&3Ί m W 3 DUN. Schließt sich die rabbinische Quelle an geläufige hellenistische Redeweise an? 7 So Billerbeck a.a.O. 1

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9 5638 Stuhlmacher, Evangelium

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muß, ergibt der Fortgang der Erzählung : Vespasian ist plötzlich nicht mehr in der Lage, seinen zweiten Schuh an den Fuß zu bekommen, und läßt den Rabbi fragen, weshalb dies so sei. Dieser antwortet: „Du bist von einer guten Nachricht unterrichtet worden, denn es steht geschrieben (Prov. 15,30) : Eine gute Kunde macht das Gebein dick", nach Thren. Rab. 1,5: 3TD7 mfearrx KMö KmifcS N S S - F I H N Μ Ί Β NSNATFI. Bab.Git. 56b sagt dafür: ^ X V I N M I O NSNATF " m m n»iae?l STD "7." Aufschlußreich an diesen Aussagen ist sprachlich, daß bereits innerhalb von Thren. Rabba. 1,5 wieder Π571»© und ¡TTlfoa austauschbar bzw. gegenseitig interpretierbar sind und daß sich solche, uns nun schon vertraute Auswechselbarkeit noch einmal durch den Vergleich mit der Talmudstelle bestätigt. Vermutlich jüngeren Datums ist die in A. Jellineks Sammlung „Bet ha Midrasch" abgedruckte Geschichte Judiths. Hier heißt es einmal: rinato nafcn Iba1? mfeatf mifraai m s i a Π^τη = „und er (sc. der König) freute sich sehr über das Mädchen und über die Botschaft, welche sie dem König gebracht hatte", gemeint ist die Botschaft von der bevorstehenden Einnahme Jerusalems, also eine Siegesverheißung1. Mit Tosephta, Sota 6,7, wo 2. Sam. 18,22 zitiert wird und mifra eindeutig „Botenlohn" bedeutet 2 , sind die als „profan" zu bezeichnenden Belege aus dem rabbinischen Schrifttum erschöpft, und wir können zu den Targumim übergehen. Während sich die rabbinischen Stellen historisch mit Hilfe der zitierten Tradenten oder durch den Aufweis fester Traditionsstränge einordnen und datieren lassen, ist dies bei den Belegen aus den Targumim nicht immer möglich. Das macht jedoch die zu nennenden Belegstellen nicht bedeutungslos. Es herrscht m. W. ja Einigkeit darüber, daß das Targum Jeruschalmi I ( = Pseudo-Jonathan) und Jeruschalmi II ( = Fragmententargum) viel wesentliches, vorchristlich-palästinisches Material bieten 3 ; daß andererseits aber das Targum 1 Ich verdanke diese Stelle dem freundliehen Hinweis von Η. P. Rüger, Tübingen. Sie findet sich bei Jellinek a.a.O. Bd. 1, S. 130, Z. 21. Die unten aufgeführten Stellen: Erzählung von Abraham und Nimrod, Jellinek, a.a.O. S. 27, Z. 26 und 28; S. 28, Z. 5; Midrasch vom Ableben Moses', Jellinek, a.a.O. Bd. 6, S. X X I I , Z. 4; Targum Jer. I zu Gen. 43,14 verdanke ich. ebenso der Sammlung Rügers, wie ich ihm für fachkundige Hilfe bei der Übersetzung verpflichtet bin. 2 Derselbe Wortsinn taucht m. W. nur noch einmal in dem uns betreffenden Schrifttum auf: Targum Jonathan zu 2. Sam. 18,22. — Tosephta Sota 6,7 (p. 305 Z. 7 ed. Zuckermandel) scheint bisher noch nicht als Zitat von 2.Sam. 18,22 identifiziert worden zu sein; jedenfalls lassen die Editionen nichts davon erkennen. 3 E. Würthwein, Der Text des Alten Testaments, Stuttgart, 2. Aufl. 1963, S. 80: „Das palästinische Targum geht in seiner Grundlage wahrscheinlich auf vorchristliche Zeit zurück und ist deshalb von großer Bedeutung für die Kenntnis des Judentums um die Zeit, da das Christentum entstand." Vgl. ferner B. J. Roberts, The Old Testament Text and Versions, Cardiff 1951, S. 200ff.;

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Onkelos als offizielles, babylonisches Targum zum Pentateuch um die Mitte des 1. christlichen Jahrtausends eine Revision durchlaufen hat, die es als Zeugnis für jüdische Denk- und Sprechweise in neutestamentlicher Zeit nur bedingt geeignet macht1. Obwohl das ebenfalls offizielle Prophetentargum (Targum Jonathan) eine ähnliche Redaktion erfahren hat wie Onkelos, sind hier alte, vorchristliche Traditionen erhalten geblieben2. Dies gilt insbesondere von midraschartigen Paraphrasen zu manchen prophetischen Texten3. Das Prophetentargum kommt also unter neutestamentlichem Blickwinkel als Quelle möglichen Parallelenmaterials in Frage. Ein offizielles Targum zu den Hagiographen hat es nie gegeben. Das von P. deLagarde 1873 in Leipzig unter dem Titel „Hagiographa Chaldaice" herausgegebene Material entstammt ganz verschiedenen Zeiten und hat dementsprechend für uns auch nur sehr unterschiedlichen Quellenwert4. Die ders., Artikel: Orientalische Bibelübersetzungen, R G G 3 I, Sp. 1197/98; P . K a h l e , The Cairo Geniza, Oxford, 2. Aufl. 1959, S. 195. 197. 200ff. = Die Kairoer Genisa, Berlin 1962, S. 208. 209. 214ff. Vgl. weiter die beiden Einzelstudien von A. Diez Macho, The Recently Discovered Palestinian Targum. I t s Antiquity a n d Relationship with t h e other Targums, Suppl. Nov. Test 7 ( = Congress Volume, Oxford 1959), Leiden 1960, S. 222-245, u n d S. Schulz, Die Bedeutung der neuen Targumforschung f ü r die synoptische Tradition, i n : Abraham unser Vater (Festschrift f ü r O. Michel), AGSU 5, Leiden 1963, S. 425-436. Wenn tatsächlich die Targumim, wie B. Gerhardsson (Memory a n d Manuscript, A S N U 22, Uppsala 1961, S. 70 u n d 61) meint, in den jüdischen Elementanmterricht gehörten, werden die in ihnen dargebotenen Aussagen u n d Traditionen f ü r uns nur u m so wichtiger. — Wir zitieren J e r . I und I I nach den beiden Ausgaben von M. Ginsburger: a) Pseudo-Jonathan [ = J e r . I], Berlin 1903; b) das Fragmententhargum [ = J e r . II], Berlin 1899. 1 " . . . what we have in Targum Onqelos is an official revision of an older Targum, prepared for a specific purpose, the rendering of t h e consonantal Textus Receptus of t h e Hebrew Bible from t h e standpoint of t h e s t a n d a r d Halakhic interpretation. I t s contents a n d aims differed from t h e earlier J e r u salem a n d Palestinian Targumim, and its Aramaic dialect was artificial in t h e sense t h a t is was composed so as t o be understood by both Palestinian and Babylonian Jews, though it actually belonged to neither province" (Roberts, a . a . O . S. 206). 2 „Ganz anders als im Targum Onqelos können im Prophetentargum alte Bestandteile nachgewiesen werden, die weit in vorchristliche Zeit zurückgehen." „ I m Prophetentargum haben wir neben der Übersetzung des hebräischen Bibeltextes sehr viel Material, das dem Midrasch entnommen ist, der sehr oft interessante Auslegungen zum Bibeltext e n t h ä l t " (P. Kahle, Die Kairoer Genisa, S. 208. 209 = The Cairo Geniza 2 S. 196. 197). 3 Vgl. Kahle, Kairoer Genisa, S. 209 (zitiert in Anm. 2); Roberts, a . a . O . S. 208f. u n d Würthwein, a . a . O . S. 81. — Sowohl das Targum Onkelos als auch das Targum J o n a t h a n sind jetzt zu zitieren nach der Ausgabe von A.Sperber, The Bible in Aramaic I - I I I , Leiden 1959ff. Das Targum zu J e s a j a liegt in einer Englisch-Aramäischen Ausgabe von J . F . Stenning vor : The Targum of Isaiah, Oxford (1949) 2 1953. 4 " I t is obvious t h a t , in contrast t o t h e remainder of t h e Old Testament, there never existed a recognized and officially redacted Targum to t h e Hagiographa, a fact which m a y be due to t h e lesser veneration in which t h e Writings were held. I n conclusion, we observe t h a t t h e books v a r y from strict adherence 9*

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Stellen aus den hagiographischen Targumim sind also mit Vorsicht zu verwerten. Das „profane" Material aus den Targumim ist folgendes: Targ. Jer. I zu Gen. 49,21 wird Naphtali als rascher Bote bezeichnet, der die gute Botschaft übermittelt, daß Joseph noch am Leben ist: η··7 ηον ρΤ3 15Π Ifra ΧΊΠ ]3t5 plfoa Itpaa. Targum Jonathan übersetzt 2. Sam. 4,10 hebräisches mW3 = Botenlohn umschreibend rrrmoa NJntt (Gabe für seine Botschaft), faßt also HUM als (Freuden-) Botschaft vom Tode Sauls auf. In der Wiedergabe von 2. Sam. 18,22 meint KUOa den Botenlohn, V. 25 xmion die gute Botschaft, welche David von dem einzelnen Botenläufer erwartet, V. 27 «30 m 103 dasselbe; 2. Kön. 7,9 ΧΊ103 die Nachricht von der Aufhebung der Belagerung Samarías. An all diesen Stellen folgt das Targum dem Wortlaut des hebräischen Bibeltextes genau, übernimmt also nur die mifea-Aussagen der Tradition. Für uns von Interesse ist es, wenn das Targum 2. Sam. 4,4 die VlXtP = die (Trauer-)Botschaft vom Tode Sauls und Jonathans mit ^IXtf mtoa übersetzt, 1. Kön. 2,28 das zu Joab dringende Gerücht bzw. die Kunde vom Tode Adonias (hebr. nswtfn) mit Nnnoa wiedergibt und XTI03 auch für die schlimme nsnötf einsetzt, die Gott selbst kraft Geistes den König der Assyrer (nach 2. Kön. 19,7 und Jes. 37,7) vernehmen lassen will1. Mit diesen Stellen haben wir zwar erst, wie vorhin schon mit Num. Rab. 14,4, die Schwelle eines theologisch akzentuierten Sprachgebrauches erreicht, können aber bereits festhalten, daß auch für das Targum Jonathan m i t ü und Π5?Ί»# austauschbar gewesen sein müssen, mifra kann dann nur noch den Grundsinn von „Botschaft" gehabt haben. Dies bestätigen schließlich die beiden Stellen aus den Targumim zu den Klageliedern und zu Hiob, die noch zu nennen sind. In einem Midrasch zu Thren. 1,2 bezeichnet das Targum (p. 170 Lagarde) die Kunde, welche die vorausgesandten Botschafter den Israeliten von der Besetztheit des verheißenen Landes bringen, als Unglücksbotschaft = Ktf Ό Nnntoa. In einer ebenfalls midraschartig ausgeweiteten Paraphrase von Hiob 3,26 bezeichnet xmioa, wie schon Billerbeck hervorhebt2, dreimal (ohne adjektivische Näherbestimmung!) die Hiob erreichende Unglücksbotschaft vom Verlust seiner Herden, seiner Kinder und der Feuersbrunst, die seine Habe vernichtet hat. to the text to amplified Midrash, and that all contain a mixture of ancient and later material and that ultimately at least the majority of the books were made to conform with the Massoretic text" (Roberts, a.a.O. S. 210f.). 1 Beide Belege bieten hebräisch und aramäisch denselben Text. » Bd. III, S. 5.

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Überblicken wir diese Belege insgesamt, so dürfen wir folgern, daß mifra ganz zu einem doppeldeutig verwendbaren Botschaftsbegriff abgeschliffen erscheint, daß mifra und deshalb des öfteren ausgetauscht werden können, und daß wir es mit einem Wort zu tun haben, welches auch im nachbiblischen Judentum keine besondere Häufigkeit erlangt hat. Insgesamt bringen uns die aufgeführten Belege darum dem neutestamentlichen Begriff ευαγγέλιον auch nicht näher. Dies ändert sich freilich, wenn wir nun die religiös und theologisch akzentuierten Vorkommen prüfen. ß) Theologische Verwendung Num. Rab. 14,4 (Gott verkündet dem Rabbinenschüler mnfra imiD) und Targ. Jon. zu 2. Kön. 19,7 und Jes. 37,7 (Gott läßt «1102 = schlimme Botschaft vernehmen) haben wir schon erwähnt1. Jetzt ist zunächst auf die von Billerbeck zitierte2 alte Stelle Siphre Dt. 32,4 § 307 (Ende) hinzuweisen, wo es als mit: m Ifta gilt, am kommenden Tage in die Welt Gottes aufgenommen zu werden. Vor allem aber ist Megillath Taanith (Fastenrolle) 12 gewichtig. Der Beleg ist historisch für uns deshalb von besonderer Bedeutung, weil er sich als Bestandteil der Fastenrolle in die paulinische oder unmittelbar nachpaulinische Zeit datieren läßt3. Der Text lautet: „Am 28. des Monats [Adar] kam die gute Botschaft für die Juden, daß sie nicht von der Lehre [sc. dem Gesetz] zu weichen brauchten"4: 1

Vgl. oben S. 125 u. S. 128. Bd. I I I , S. 6, ausführlich Bd. I I S. 264: „Als beim Märtyrertode des R . Chanina b. Teradjon und seiner Frau, um 135, ein Philosoph [in der Ausgabe von Friedmann, Wilna 1864 steht p. 133a OlBIDlVö] dem Befehlshaber Vorhaltungen machte, sagte dieser zu ihm: Morgen wird der Urteilsspruch über dich dem über sie gleich sein (wirst auch du hingerichtet werden!). Da antwortete er ihm: Eine gute Botschaft hast du mir verkündet, morgen wird mein Teil bei diesen sein in der zukünftigen Welt" = Π3Ί0 Π Iii? 3 ,1Π*ΐ6?3 iV TÖN s a n Ü^I»1? DS7 •'pVn Π TP *in»y 3 Zur Diskussion um die Fastenrolle vgl. M. Hengel, Zeloten, S. 19 Anm. 2. Hengel selbst möchte die Fastenrolle zelotischen Kreisen zuschreiben: „. . . diese Sammlung jüdischer Sieges- und Festtage (ist) wahrscheinlich zu Beginn des Jüdischen Krieges entstanden und (kann) inhaltlich sehr wohl zelotischen Kreisen zugeschrieben werden" (S. 208). — Der Text ist bequem zugänglich in G. Dahnens „Aramäische(n) Dialektproben", Leipzig, 2. Aufl. 1927, S. 3 und ist kommentiert von H. Lichtenstein, Die Fastenrolle. Eine Untersuchung zur jüdisch-hellenistischen Geschichte, HUCA VIII/IX, 1931/32, S. 257-351 herausgegeben worden. 4 Übersetzung nach Lichtenstein, a.a.O. S. 279. Das Gegenstück zu der guten Botschaft für die Juden sind die nach dem (anonymen) nachtalmudischen Scholien zu Meg. Taan. 19 ( = Am 28. des Monats [Schebat] wurde König Antiochos zum Abzug aus Jerusalem veranlaßt) den Verderber der Juden ängstigenden ΓΠ5Π niBlÖtf (Lichtenstein p. 345). 2

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κηηικ ρ jnr ubi "^mrr1? xnab xmièn nns rra snam pfrsn. Welches Ereignis mit der m w a konkret gemeint ist, ist umstritten und kann hier nicht ausdiskutiert werden 1 . In Frage kommt höchstwahrscheinlich das den Juden Religionsfreiheit verbürgende Schreiben AntiochusV. (vgl. 2. Makk. 11,27-33). Bezieht man die Nachricht jedoch auf das Ende der Hadrianischen Judenverfolgung, so verschiebt sich die Datierung in den Anfang des 2. Jahrhunderts, ohne daß die Bedeutung des Belegs dadurch entscheidend gemindert würde : Die hier mitgeteilte miiP3 bedeutet für die Juden ein echtes „Evangelium", und der Vergleich mit der berühmten Kalenderinschrift von Priene drängt sich daher auf. Ist unsere jüdische Stelle ins 1. Jh. zu datieren, so sollte Meg. Taan. 12 zu nicht minder gewichtigen Folgerungen einladen wie die hellenistische Kaiserinschrift ! Der jüdische Beleg ist dem griechischen sachlich ebenbürtig und zeigt, daß im Judentum ebenso wie im Hellenismus eine geschichtlichbefreiende Nachricht als Evangelium verstanden werden konnte 2 . In der Kaiserinschrift meint Evangelium die Nachricht von Frieden und Sicherheit, die der Kaiser der Welt verschafft; hier ist es die Kunde davon, daß man unbehelligt Gott dienen darf. Zitiert wird Meg. Taan. 12 im bab. Talmud an zwei Stellen: Rosch Haschana 19a und Taanit 18 a. Zu einem theologisch akzentuierten Sprachgebrauch sind auch jene, an die lukanischen Vorgeschichten (Lk. l . l l f f . ; l,26ff.; 2,9ff.) erinnernden Belege zu rechnen, in denen Engel eine Botschaft auszurichten haben. Im Fragmententargum zu Gen. 21,7 3 ist im Cod. Vat. und Cod. Lips, von einer dem Abraham Nachkommenschaft verheißenden, glaubwürdigen Engelsbotschaft die Rede 4 . Gen. Rab. 50,2 nennt als Übermittler dieser Botschaft den Erzengel Michael: pVnon imifea ViO1» ( = Michael richtete seine Botschaft aus und entfernte sich). — Das personifizierte Erbarmen Gottes (D'am m a ) gibt in einer nicht datierten Haggada über den Tod des Mose dem Sterbenden den tröstlichen Bescheid (miü m i t a ) , eine Ausdrucks1

Vgl. zur Diskussion Lichtenstein, a . a . O . S. 279. Vgl. auch oben S. 125 Anm. 6. J e r . I, das m a n zur Erläuterung heranziehen darf, übersetzt verbal (vgl. Billerbeck I I I 6) : „Wie glaubwürdig war doch der Verkünder [gemeint ist Michael, vgl. Gen. R a b . 50,2], der dem A b r a h a m die (gute) Botschaft brachte (: ""1Î3S o m a x 1 ? -Ifcai m i z n a ρ Τ Ι Ώ n a ) u n d sprach: Sara wird dereinst Kinder säugen" (Übersetzung nach Billerbeck a.a.O.). 4 Ginsburger, Fragmententargum, S. 77 zitiert nur die beiden Varianten, die m a n sinngemäß in den Text von J e r . I wird einpassen dürfen : Cod. V a t : Ί 0 3 'Τ N I D O [für ein Substantiv X n c a = Botschaft habe ich im jüdischen Schrifttum nur diesen einen Beleg finden können; auch Levy, Wörterb. über die Targumim, I s S. 103 f ü h r t nur unsere Stelle a u f ; die übrigen Wörterbücher nennen das Substantiv überhaupt nicht] u n d Cod. Lips.: "Ι&ΠΓΡίΠ ΠΠ6?3. 2

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weise, die ebenso den Verheißungscharakter unseres Wortes belegt wie seine sprachliche Ambivalenz1. Höchst aufschlußreich ist der Sprachgebrauch des Targum Jonathan. Zunächst sind hier die Übersetzungen von Obadja 1 und Jeremía 49,14 zu nennen2. Beide Male tritt aramäisches Ν TI 03 für nsnötf des masoretischen Textes ein. Die Wiedergabe des Targums folgt jedesmal dem hebräischen Textsinn3. Die Kunde, welche der Prophet vernimmt und weiterzugeben hat, ist die Kunde vom Gericht über den Erzfeind Israels, Schreckensnachricht für den Gegner und Glücksbotschaft für das eigene Volk in einem. Im rabbinischen Schrifttum wird Obadja 1 darum auch auf die endzeitliche Rettung Israels und die Rache an Edom ausgelegt4. Belege für eine ähnliche Auslegung von der Parallele Jer. 49,14 habe ich nicht finden können®. Beide Belege zeigen, wie m 1fr2 im Judentum Ausdruck für die prophetische Botschaft wird, und zwar die Botschaft, die sowohl Gericht als auch Heil heraufzuführen eingesetzt ist. Behält man dies im Auge, so läßt 1 Das E r b a r m e n spricht zu Mose: Π3 Höfen Π3Ί0 "pferiX = ich verkündige dir gute Botschaft, über die du dich freuen sollst (Jellinek, B e t h a Midrasch VI, S. X X I I , Z. 4). 2 Der Text lautet in A. Weisers Übertragung (beide Male A T D z. St.) Ob. 1 : „Gesicht des Obadja, über E d o m . K u n d e vernahm 'ich' (hebr. : HS7ÖS? HSlÖw ΠΊΓΡ IÍX0) von Jahwe. Ein Bote ("VX) ist gesandt unter die Völker: auf, laßt uns aufbrechen, 'hinaufziehen' zum K a m p f e " ! ; J e r . 49,14 (Aus einem Spruch gegen Edom) : „ K u n d e habe ich vernommen von J a h w e (ΓΊ80 TlSJDtf HUlÖtt? ΠΊΓΡ), ein Bote ist zu den Völkern gesandt: Sammelt euch, rückt gegen es an u n d m a c h t euch zum K a m p f e auf!". Die Frage, ob Ob. 1 gegenüber J e r . 49,14 ursprünglich ist (so z.B. B. D u h m , Das Buch Jeremía, K H C 11. Abtlg., Tübingen/Leipzig 1901, S. 355; Weiser, Das Buch des Propheten Jeremía, A T D 20/21, Göttingen 4 1960, z. St.), k a n n in unserem Zusammenhang auf sich beruhen. Umstrittem ist ferner, wie der Bote zu interpretieren ist. D u h m u n d Weiser sprechen von einem Engel, ebenso E . Sellin, Das Zwölfprophetenbuch, Κ Α Τ 12, Leipzig/Erlangen 1922, S. 231. M. Bic, Zur Problematik des Buches Obadjah, Suppl. zu VT I, Leiden 1953, S. 11-25 spricht S. 14 u n d 19 nur von einem zu den Völkern gesandten „Legaten". Ablehnend interpretiert K . M a r t i , Das Dodekapropheton, K H C , 13. Abtlg., Tübingen 1904, S. 232: „ D e r Bote, der sich m i t den Völkern gegen E d o m erheben will . . ., ist nicht ein Engel; wenn die Engel gegen E d o m ziehen, brauchen sie die Hilfe der Menschen n i c h t . " Das Targum k a n n in dem Boten (aram. : *TJUt) keinen Engel gesehen h a b e n : D a s Substantiv "TJTN wird nur zur Übersetzung u n d Bezeichnimg menschlicher Boten verwandt, vgl. Levy, TargumWörterbuch, S. 17 s. v. 3 Targum J o n . zu Ob. 1 lautet: fTVtf Ι Γ » η 5 η *Τ1ΤΝ1 Τ Dil? Τ» UVKltí Χ Π 0 3 s a i p 1 ? nVs? τ η ν η η i»i¡?. T a r g u m J o n . zu J e r . 49,14 bietet folgenden Text Τ ΕΠΓ> ]» ÎT57»E> ΓΗΙΟΙ î c n p s m x V l a i p i nbi? i m o i t w s n x rrVtf i r a a s n t i h o . H . P . Rüger, Tübingen, m a c h t mich darauf aufmerksam, daß m a n nicht m i t Sperber (Bd. 3, S. 247) TPNl, sondern 1JTN1 (P. de Lagarde, Prophetae Chaldaice, Leipzig, 1872, S. 358) zu lesen h a b e ; entsprechend ist der Text oben korrigiert. 4 Vgl. Thren. R a b b a 4,22 § 25. 6 Selbst der dreibändige „Sepher Tora h a k e t h u b a we h a m a s o r a " von A. M. H e y m a n n , Tel Aviv 1936ff. f ü h r t J e r . 49,14 nicht auf.

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sich der weitere mifra-Gebrauch des Prophetentargums einordnen. Es handelt sich durchweg im Folgenden um Stellen, in denen hebräischmasoretische nviötf mit mitoa übersetzt wird. Einprägsam ist Ez. 21,12: „Du aber, Menschensohn, stöhne! Mit brechenden Hüften und bitterem Schmerz stöhne vor ihren Augen. Und wenn sie zu dir sagen: Warum stöhnst du? so sprich: Weil eine Kunde kommt . . . Siehe, es kommt und geschieht, spricht Jahwe" 1 . Das Targum übersetzt wörtlich: xrmoa -lavii mxna nx xa V» ην ]η»·>'' n x w i XTX ΉΧ. Auch hier ist also mittn die vom Propheten auszurichtende und zu erleidende, von Jahwe ausgehende und aufgegebene (Unheils-) Botschaft. Im Blick auf das neutestamentliche Evangelium ist hervorzuheben, daß an unserer Stelle wieder eindeutig die Struktur der Prolepse vorliegt und daß diese Struktur in das Targum übernommen wird. Im Rahmen prophetischer Rede wird mitra auch im Targum zu Jer. 10,22 ; 49,23 ; 51,46 (dreimal) und Ez. 7,26 für Unheilsbotschaft eingesetzt. Daß wir es bei dieser Redeweise nicht nur mit später Übersetzungssprache zu tun haben, sondern auch damit rechnen dürfen, daß sich hier altertümlicher Sprachgebrauch erhalten hat, zeigt schließlich das Targum zu Jer. 4,15. Zu dem masoretischen Text : a n s « "1Π0 px Satini ina T i s Vip Ό. (== Denn horch, man meldet von Dan, kündet Unglück von Ephraims Bergland2) gibt das Targum einen Midrasch, der sich inhaltlich aus Ri. 17/18 speist: „Denn die Stimme der Propheten, welche wider sie prophezeien, daß sie fortziehen müssen, weil sie den Kälbern in Dan gedient haben, und die Unglücksbotschaften auszurichten haben, (daß) Mörder über sie kommen werden, weil sie den Götzenbildern gedient haben, welche Micha auf dem Gebirge des Hauses Ephraims hat aufstellen lassen" = •noasi p a i χ1"?»tb inVsT V» p b n prp1?» pan» x"ai Vp> Ή κ ns'B D,px ή x'aVs1? nasneftn bv pViep prr1?» p n " i ^ a p i o a ΒΉΒΧ rr-m X-Ilöa. Die Propheten erscheinen hier als JB^a p i o a n o a a . Da man damit rechnen darf, daß gerade die midraschartigen Erweiterungen und Erläuterungen des Textes auch im Targum Jonathan alten Datums sind, dürfte die Schlußfolgerung aus den genannten Stellen erlaubt sein, daß m 1fra im nachbiblischen Judentum (u. a.) Bezeichnung für prophetische Gerichts- (und Heils-)Predigt geworden ist 3 . Daß es nicht allein um die Gerichtspredigt geht, sondern auch um die Heil erschließende Offenbarungskunde, zeigt schließlich die Inter1 2

Übersetzung von W. Zimmerli, Ezechiel, BK 13, Neukirchen 1956ff. z.St. Übersetzung von A. Weiser, Jeremía4, ζ. St. ' Die Übersicht über den theologischen Gebrauch des Verbums im Prophetentargum wird zeigen, daß man bei diesem prophetischen Gebrauch der Wurzel l6?a von einer quasi technischen Redeweise sprechen kann.

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pretation von Jes. 53,1. Auch hier setzt das Targum in seiner genauen Wiedergabe des hebräischen Urtextes1 für masoretisches = die der Gemeinde zuteil werdende und von ihr weiterzutragende Kunde2, aramäisches xmiöa ein. Das Targum übersetzt also: umioa1? fBTi p . Nmioa meint hier die von Gott eingesetzte und von der Gemeinde weiterzureichende Geschehens- bzw. Offenbarungskunde. Damit sind die mir bekannten theologisch akzentuierten Belege für m w a im nachbiblischen Judentum erschöpft: Π11Μ kairn Engelsbotschaft sein, Segensbotschaft und Trostbotschaft Gottes bzw. seines Erbarmens, eine den jüdischen Gesetzes- und Gottesdienst freigebende, konkrete geschichtliche Nachricht, prophetische Heils- und Unheilsbotschaft und schließlich von der Gemeinde aufzunehmende und weiterzureichende Offenbarungspredigt. Sprachlich ist Π11Μ dem Nomen nsiötf gleichgestellt3. Strukturell kann mwa proleptisch und 1 Cl. Westermann, Jesaja z. St. übersetzt : „Wer hat unserer Kunde geglaubt» und an wem wurde Jahwes Arm offenbar?" = ΠΊΓΓ Sinti Uíiyatf1? Γ0ΧΠ VS nnVu - a - V » . 2 Westermann interpretiert a.a.O. S. 210 diese inhaltlich von 52,14. 15 her: „Die Einleitung V. 1 schließt direkt an 52,15b an und nimmt diesen Schluß auf: Sie sagt das Unerhörte des hier zu Berichtenden noch einmal, jetzt vom Standort derer aus, die jenen Wandel (V. 14 und 15) miterlebt haben. Für sie ist das Geschehen nun eine öemü'äh = das von ihnen Gehörte (l.Sam. 2,24; 4,19), als solches eine Kunde, die sie selbst weiterzugeben haben. Für sie selbst war sie ebenso unglaublich wie für die Wahrnehmenden in V. 15b . . .". Koehler, Lexicon S. 986 faßt ΠΙΠΏΡ Jes. 53,1 ebenfalls auf als ,,d(as) von uns Gehörte, was wir offenbaren". 3 Beachtet man diese Austauschbarkeit, so ergeben sich höchst interessante Aspekte für die Traditionsgebundenheit des neutestamentlichen Evangeliums (l.Kor. 15,Iff.; Gal. 1,9. l l f . usw.): HVlDltf wird nämüch vom Siraciden an und dann in der rabbinischen Diskussion zum term, techn. für Tradition. Koehler nennt a.a.O. aus den hebräischen Sirachfragmenten zwei Belege: 5,11 und 8,9, an denen „Lehrvortrag" bedeuten soll. Für 8,9 (p. 8 bei H. L. Strack, Die Sprüche Jesus', des Sohnes Sirachs, Schriften d. Institutum Judaicum in Berlin Nr. 31, Leipzig 1903) ist dies eindeutig, nicht aber in 5,11 (p. 4 Strack), wo nSJlötf, der ursprünglichen Textlesart zufolge (zu dieser vgl. Η. P. Rüger, Text und Textform. Untersuchungen zur Textgeschichte und Textkritik der hebräischen Sirach-Fragmente aus der Kairoer Geniza, Habilitationsschrift Tübingen 1966 [Masch.], S. 45f.), „Hören" meint (LXX: άκρόασις): „Sei eilig im Hören und bedächtig mögest du antworten": ΊΠ0Ϊ3 ΓΡΠ

nis?n nw πη ηηχ^ι nsnatfa. Aus dem rabbinischen Material vgl. die interessante Stelle bab. Sanh. 88 a (VII p. 368 Goldschmidt), wo die Berufung auf Lehrtradition ( = ) vor Gericht von der Hinrichtung befreit. — Daß diese lehrhafte Entwicklung des nSlöttf-Begriffes auch auf die ΓΠΊδΠ zurückschlägt, zeigen die beiden, von G. Dalman (Worte Jesu 2 S. 85) angeführten Belege für Botschaft (sbrt) in der syrischen Baruchapokalypse: syr. Bar. 46,6 und 77,12. In 46,6 ist an die Verheißung des Anteils an der zukünftigen, unvergänglichen Welt für die Gesetzestreuen gedacht: ,,[46,5] Aber bereitet nur ihr eure Herzen, damit ihr auf das Gesetz höret und denen gehorchet, welche in Fürchtigkeit weise und verständig sind ; und bereitet eure Seele, um von ihnen nicht zu weichen ! [V. 6] Denn wenn ihr dies tut, werden die Verheißungen [sbft 1 ] zu euch kommen, die ich euch vorhergesagt habe [sc. in 44,11-14]; und ihr werdet der Qual nicht verfallen, die ich euch zuvor bezeugt habe" (Übersetzung nach Br. Violet,

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daher in der Dialektik von Verborgenheit und Offenbartheit gedacht werden. Zahlreich sind die genannten Belegstellen, aufs Ganze des jüdischen Schrifttums gesehen, zwar nicht, aber dennoch zahlreich und inhaltsschwer genug, um Schniewinds Urteil revidieren zu können, daß „im AT und Judentum der religiös-technische Gebrauch für das Substantiv besorah, das den Gleichwert des Substantivs Evangelium bildet, (fehlt)"3. Die Belege sind ferner vielfältig genug, um neben den bisher zur religionsgeschichtlichen Ableitung des neutestamentlichen Sprachgebrauches herangezogenen hellenistischen Materialien zum Substantiv εύαγγέλιον bestehen zu können. Eventuell erlauben sie sogar eine klarere Ableitung der neutestamentlichen Ausdrucksweise, als diese bisher möglich war. Auf jeden Fall ist das aufgeführte Material gewichtig genug, um die fragwürdige, sprachphilosophische Herleitung von εύαγγέλιον im Neuen Testament aus dem verbalen, dynamischen Wortgebrauch des Judentums entbehrlich erscheinen zu lassen2. Freilich muß man nun auch ganz deutlich sehen, daß wir Die Apokalypsen des Esra und des Baruch in deutscher Gestalt, S. 264; in den Patrologia Syriaca I 2, ed. R. Graf fin, Paris 1907, Sp. 1138 wird der Ausdruck neutral übersetzt: „si enim haec feceritis, advenient vobis annuntiationes, quas praedixi vobis"); 46,6 ordnet sich also ungezwungen unseren prophetischen Belegen ein. Interessant (und auch für die Frage der paulinischen Briefschreibung noch unausgewertet) ist nun aber 77,12 : ,,[77,11] D a antwortete alles Volk und sprach zu mir: So viel wir der Wohltaten, die der Gewaltige a n uns getan hat, zu gedenken vermögen, sind wir ihrer eingedenk, und deren wir nicht eingedenk sind, (die) weiß er in seiner Barmherzigkeit. [V. 12] Aber t u uns, deinem Volke, dies (zu Liebe): Schreib auch unseren Brüdern nach Babel einen Brief der Belehrung und ein Schriftstück der Botschaft ['grt' djwlpn' wkrk' dsbrt'], u m auch sie zu stärken, ehe denn du von vins scheidest." (Übs. nach Violet, a.a.O. S. 318). Baruch soll also eine lehrhafte Epistel als Vermächtnis schreiben. D a ß sbrt hier in didaktisch-traditionellem Kontext gebraucht wird, läßt sich von unserer Tradition her a m ehesten begreifen und macht H. Greßmanns Anmerkung zu unserem Text bei Violet a . a . O . S. 350 nur um so gewichtiger : „ V I I 4 , 2 [ = 77,12], Zwei wertvolle literarische Gattungsnamen: έπιστολή διδασκαλική 'Lehrbrief' und βιβλίον . . . ευαγγελικών 'Evangelienbuch'". — Von diesem Material aus geurteilt, könnte dem neutestamentlichen Evangelium bereits in der Frühzeit das Problem der Tradition und Traditionsbildung inhärent sein. 1 Euangelion, S. 60. 2 z . B . Friedrich, ThWb II, S. 723, 28ff. zum Sprachgebrauch des rabbinischen Judentums: „. . . nirgendwo findet sich ein Anklang, daß die eschatologische Freudenbotschaft m © 3 genannt wird. D a s beruht nicht auf Zufall, sondern hat seine Gründe. Beim Anbruch der Gottesherrschaft erwartet m a n gar nicht eine neue Botschaft. Was verkündet wird, weiß man seit den Tagen Deuterojesajas. Daß es verkündet wird, danach sehnt m a n sich. Darum ist der Freudenbote und der Akt der Verkündigung wichtiger als die ΓΠΪΡ3. D a s Neue liegt nicht im Inhalt der Botschaft, sondern im eschatologischen Geschehen. Die Botschaft schafft das Neue : die Ο'ΉΒ? JTDVTÎ. Weil alles auf die Handlung, auf das Verkündigen, auf das Gesprochen-werden des die neue Zeit heraufführenden Wortes ankommt, darum tritt ΓΠ1Ρ2 zurück hinter ΊΦ373 und Ί&3."

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auf eine direkte Analogie zu dem bei Paulus geläufigen, technischen το εύαγγέλιον bisher nicht gestoßen sind. Die Verwendung von ΓΠ1©3 für prophetische Botschaft nähert sich zwar im Judentum technischer Ausdrucksweise, gebraucht das Wort aber nicht in dem Sinne formelhaft wie das Neue Testament Evangelium 1 . Doch ist dies in unserem Zusammenhang kein entscheidender Einwand : Paulus steht traditionsgeschichtlich ja nicht am Anfang der neutestamentlichen Begriffsgeschichte. Wir können uns darum jetzt damit begnügen, auf Ape. 14,6 und den matthäischen Ausdruck εύαγγέλιον της βασιλείας hinzuweisen, beides Belege, denen der von uns aufgezeigte theologische Gebrauch von mifea nahestehen dürfte. b) Das Verbum "IÍP3 Das Verbum findet sich im jüdischen Schrifttum häufiger als das Substantiv „Botschaft"; es kommt auch an zwei Stellen (1 QH 18,14 und 11 QMelch) in den Qumrantexten vor. Da diese essenischen Belege aber zweckmäßigerweise erst im nächsten Abschnitt, zusammen mit der Frage nach dem Ifen» im Qumran, abgehandelt werden, haben wir jetzt wiederum nur zwischen profanen und theologisch akzentuierten Belegen sowie den Targumim einerseits und dem rabbinischen Schrifttum andererseits zu unterscheiden. α) P r o f a n e Verwendung Ganz profan ist die Verwendung des Verbums bab. Pes. 3b, wo Jochanan aus Chiqqoq Pferden und Eseln verkünden soll, daß die Gerste ( = Futtergetreide) gut geraten sei2. Ebenso profan steht "lfra für bloßes „berichten" (von unangenehmen Nachrichten) bab. Sota 10b, für „anreden" bab. Sota 13b 3 , für die Überbringung der Botschaft von der Kaiserproklamation Thren. Rab. 1,5 § 314, mehrfach für die (glückliche) Nachricht von Nachkommenschaft: bab. Baba Bathra 141b = Tosephta, Baba Bathra9,5 (part. Piel/Pael), Gen. 1

R. Bultmanns Urteil bleibt also in Kraft : Der absolute, „bei Paulus und nach ihm ganz geläufige Gebrauch [von τό εύαγγέλιον] ist ohne jede Analogie sowohl im AT und im Judentum wie im heidnischen Hellenismus . . ." (Theol. 3 S. 89). s Billerbeck Bd. III S. 6 übersetzt: „Geh hinaus und bringe die (gute) Botschaft den Pferden und Eseln"; angemessener ist die neutrale Wiedergabe Goldschmidts (Bd. II S. 348): „Geh, verkünde dies den Pferden und den Eseln . . .". 3 Die Stelle spricht in einer Gegenüberstellung von Dt. 3,26 und Num. 16,3 von zweierlei Anrede : Gottes an Mose und Mose an das Volk. Für beide Weisen der Rede wird verwendet. Unsere Stelle kann, da Mose als Prophet gilt, auch dem theologischen Sprachgebrauch zugerechnet werden. 4 Vgl. zu dieser Stelle oben S. 125 f.

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Rab. 47,2 und Pesikta Rabbathi 42 (178a) (beide Male passivisch mit Perf. Nithpeel/-pael), zweimal für eine Benachrichtigung Nimrods in der wohl jungen „Erzählung von Abraham und Nimrod"1, und wiederum ganz neutral für den Empfang einer guten und einer schlechten Nachricht Mechilta, Pisha (S3) 122 (wiederum mit Perf. Nithpeel/-pael, also passivisch). Die Ausdrucksweise der Targumim liegt auf gleicher Ebene. In den von Paid Kahle herausgegebenen Fragmenten des palästinischen Pentateuchtargums3 erscheint das Verbum zweimal. Das erste Mal, als nach der uns schon vertrauten Tradition4 Jakob die Nachricht vom Tode seiner Mutter Rebekka erhält: ΓΡΏΝ np3") nrpöl Ifcnnx. Das zweite Mal ist die Bedeutung des Verbums glückverheißend. Abraham hat sich durch die Zurichtung eines Mahles für die Boten Gottes dafür qualifiziert, die Nachricht von der Schwangerschaft Saras und der Geburt Isaaks zu empfangen (vgl. Gen. 18, Iff.) : K3T1 pn^1? ΙΠ1?'' mto ΧΓΠ N-lènnaV. Im Targum Jer. I zu Gen. 41,26f. bedeutet ")È>3 viermal in der Deutung des pharaonischen Traumes bloßes „meinen" bzw. „bedeuten" (für die im hebräischen Text entbehrliche Kopula!); Jer. I zu Gen. 46,17 und 49,21 die erfreuliche Benachrichtigung, daß Joseph noch am Leben ist (ebenso Jer. II zu Gen. 49,21). Im Propheten targum steht es zu 1.Sam. 11,12 für hebräisches 1ÖX, meint also bloßes „sagen"; steht, masoretischem ")fc>3 entsprechend und dieses vertretend, l.Sam. 31,9 ( = l.Chr. 10,9, auch nach dem Targum z. St.), 2. Sam. 1,20; 18,19.20.31 für die 1 Jellinek, Bet ha Midrasch I, S. 27, Z. 26 und 28: Nimrod erhält durch seinen Vasallen Therach die Nachricht von der (in den Sternen bereits verheißenen) Geburt Abrahams und der wunderbaren Bewahrung des Kindes vor Nimrods Anschlägen. Der gesamte Bericht erinnert stark an die Legende vom Kindermord zu Bethlehem. Eine besondere, theologische Akzentuierung des Verbums ist aber nicht festzustellen. E s geht nur u m eine öffentliche Mitteilung. — Dies zeigt sich auch daran, daß wenige Zeilen später zwar von der unerhörten Botschaft des Abraham-Kindes, daß es nur einen Gott gebe, die Rede ist, dabei aber ")B>3 in Parallele zu bloßem Ί3"Τ steht: „Der König sprach zu ihnen: H a b t ihr jemals in eüerm Leben gesehen, daß ein zwanzigtägiger Knabe auf seinen Füßen gehen, mit seinem Munde reden und mit seiner Zunge eine Botschaft verkünden und sprechen kann [[1310*731 VD3 "13*TÖ "ΠΙ1?« tf-tf 1D1X1 *lt?3Q], daß es einen Gott in den Himmeln gibt, der einzig ist, und es gibt keinen zweiten neben ihm, er sieht und wird nicht gesehen?" (Übersetzung von A. Wünsche, Aus Israels Lehrhallen, Bd. 1, Leipzig 1907, S. 19; hebr. Text bei Jellinek, a.a.O. S. 28, Z. 5). 2 Vgl. oben S. 126. 3 P . Kahle, Masoreten des Westens I I , Texte u. Untersuchungen zur vormasoretischen Grammatik des Hebräischen (BWANT 50), Stuttgart 1930. Zur Bedeutimg dieser Texte und zu ihrem Alter vgl. ferner P . Kahle, Die Kairoer Genisa, S. 206f. 210. 218ff. ( = The Cairo Geniza 2 , S. 194f. 197 und 205ff.). Die im Folgenden angeführten Stellen finden sich bei Kahle, Mas. d. W. I I , S. 13 Z. 13 und S. 49 Z. 8f. 4 S. oben S. 125.

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Proklamation von Siegesbotschaften, bzw. deren Erhalt, l.Kön. 1,42 mit dem Objekt 30 für eine erwartete gute Nachricht, Jer. 20,15 für die Mitteilung der Geburt eines Sohnes an den Vater Jeremias, und schließlich, ohne masoretisches Äquivalent, in einer midraschartigen Paraphrase zu Thren. 1,2 für den Erhalt einer unglücklichen Botschaft 1 . Der Befund besagt, daß das Verbum im Judentum ganz zum allgemeinen Botschaftsbegriff geworden ist und daß erst der jeweilige Kontext darüber entscheidet, ob die Nachricht, die man erhält oder weitergibt, erfreulich oder unerfreulich ist. Solche Doppeldeutigkeit des Verbums ist sprachlich auch dort vorauszusetzen, wo unser Verbum in religiöser Akzentuierung auftritt. ß) Theologische Verwendung Ob man die schon erwähnten Stellen Siphre Dt. 32,4 § 307 (Ende) 2 , bab. Sota 13b 3 , Haggada über den Tod des Mose4, Erzählung von Abraham und Nimrod 5 zu den eigentlich religiös akzentuierten Verwendungen auch des Verbums zu rechnen hat, mag für die beiden ersten Stellen offenbleiben, für die Haggada und die Botschaft des erst zwanzigtätigen Knaben Abraham ist es sicher. Eindeutig hierher gehört die in unserer Literatur immer wieder formelhaft auftretende, mit dem Partizip Pual -f- Form von ΓΓΠ gebildete Redeweise: „NN. möge versichert sein, daß". Als ihr Sprecher erscheint pal. Keth. 12,35a, 29f. 6 eine Himmelsstimme (bip M) und Ex. Rab. 46,1 Gott selbst. Inhalt der Formel ist Ex. Rab. 46,1 die Sündenvergebung an Mose; pal. Ber. 5,9d, 29ff. zweimal die Gebetserhöruiig; pal. Kil. 9,32b, 18; pal. Schek. 3,47c, 73ff. und pal. Keth. 12,35a, 29f. die Zusicherung der Anteilschaft am Leben in der zukünftigen Welt. Als Ausdruck für eine von Gott selbst auszurichtende Botschaft begegnet "1Β>3 überhaupt häufiger: Ex. Rabba 2,4 gibt Gott dem Mose Nachricht, daß Israel in der Wüste zu sterben habe. ~lfc?3 hat hier also negativen Sinn: Ί3*τ»3 mia·" . . . Vinter Tiferà. Num. Rab. 14,4 verkündet Gott dem bemühten Toraschüler gute Botschaften. Tosephta, Sota 4,2 gibt Gott den Nachkommen des Abraham die erfreuliche 1

2 Vgl. oben S. Í28. Vgl. oben S. 129. Vgl. S. 135 * S. oben S. 130. S. oben S. 136 Anm. 1. Billerbeck III S. 7 gibt an: pal. Keth 12,35a, 26, da er nach einer in Krakau 1609 erschienenen Ausgabe des Jeruschalmi zitiert. Die heute maßgebliche Ausgabe aus Israel, Jerusalem 1960, fußt auf der Krotoschinschen Ausgabe von 1865/66 und weicht von der Billerbeckschen nicht in der Seiten-, wohl aber der Zeilenzählung ab. Da wir unsere Angaben nach der Jerusalemer Edition geben, entstehen durchweg im Folgenden Differenzen in der Zeilenzählung gegenüber Billerbeck. 3 6 6

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Nachricht, daß in der zukünftigen Welt Israel von Königen und Fürstinnen "bedient werden wird (vgl. Jer. 49,23). An vier Stellen ist die Rede davon, wie Gott dem Abraham die gute Botschaft von der Bußfertigkeit seines Vaters (und also dessen Anteilschaft an der zukünftigen Welt) übermittelt: Gen. Rabba 30,4; 38,12, Midrasch Tanhuma matf 18 (Ende) und ebenso Tanhuma, ed. Buber, matf § 15 (5a). Hier heißt es zwar zunächst nur: „Unser Vater Abraham ist nicht gestorben, bevor ihm die frohe Botschaft vom Verhalten seines Vaters Terach gebracht wurde, daß er Buße getan habe" 1 : naitfn NFCVTF v a s m n nfewaa iframtf -JÏ i r a s a m a s na s*?i. Dies wird dann aber zwei Zèilen weiter als Botschaft Gottes selbst formuliert: „Der Heilige, gebenedeit sei er, brachte ihm gute Botschaft und sprach zu ihm : Du sollst leben,denn dein Vater hat Buße getan" — naitfn -pas nfeytf p n iV nasi n"apn Vitra, lira ist also häufige Bezeichnung für das Reden Gottes. Es kann auch Bezeichnung für prophetische Rede sein: bab. Rosch Haschana 4a steht das Part. Piel/Pael für die inspirierte Verkündigung Daniels, welche aus einer Schriftstelle zu entnehmen ist 2 . Midr. Tanh. STI 23 ( = STO 46 p. 57a Buber) von einer Prophetie Abrahams; im Midrasch Tehillim zu Ps. 68 12 § 6 steht es von der inspirierten Gesetzesverkündigung Moses und Aarons. In dem rabbinischen Schrifttum, das wir jetzt zu mustern haben, ist mir die Verwendung von *lfra im Sinne von Engelsbotschaft nur zweimal begegnet : bab. Baba Mecia 86 b von der Verkündigung Michaels an Sara 3 und Mechilta, Pisha (S3) 14 zu Ex 12,41 von der Verkündigung der sog. Dienstengel an Abraham, und zwar der Ankündigung der Geburt Isaaks. In den Targumim ist solcher Sprachgebrauch dann ganz geläufig. Mehrfach findet sich bei den Rabbinen Ifen für die Verkündigung des Ifoaa. So zunächst im Midrasch Num. Rab. 2,10 (wo der Herold anonym bleibt und nur die messianische Zeit einleitet), in der Parallele dazu: Midr. Tanh. l a i a a , 14 und dann zweimal in A. Jellineks Sammlung Beth ha Midrasch: Bd. 2, S. 56, 24ff. ( = im Sepher Zerubabel, einer alt-jüdischen Apokalypse) vom Messias und in gleicher Bedeutung viermal Bd. 3, S. 73,17fF. ( = Pirque Maschiach)4. Hervorzuheben ist, daß an all den bisher genannten Stellen, von Ex. Rab. 2,4 abgesehen, "itou positive Bedeutung hat. Doch wird dieser Eindruck durch die Belege, welche die Targumim bieten, wieder abgeschwächt. 1

Übersetzung nach Billerbeck, Bd. III S. 7. Mischna, Sota 9,6 und bab. Sota I I a erscheint "lfcD von der Botschaft des hl. Geistes ( = der Schrift). 3 Vgl. auch oben S. 130. « Vgl. zu beiden Stellen Billerbeck, Bd. III S. 10/11. 2

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Voix einer (unglücklichen) Weissagung des hl. Geistes erscheint unser Verbum im Targum Jer. I zu Gen. 43,14 1 . Jakob entläßt seine Söhne zur zweiten Reise nach Ägypten und klagt: „Und ich, siehe, längst ist mir durch den hl. Geist ausgerichtet worden, daß ich, wenn ich kinderlos geworden bin über Joseph, (nun auch) kinderlos werde über Simeon und Benjamin!" = MIS nna n-nfcan« NAA «N IONI •pana Vsn psatf V» Van·1« ηον V» n^an1« f«. Dann ist in den Targumim nunmehr mehrfach die Rede von einer durch Engel auszurichtenden Botschaft: Targum Jer. I zu Gen. 18,2 läßt drei Engel in Männergestalt zu Abraham kommen, einer davon (die spätere Tradition weiß, daß es Michael gewesen sein muß) verkündet, daß Sara übers Jahr einen Sohn gebären wird: ΓΠ1?·· mir «ΓΠ ΓΡΓ)1 N-ifraa'? «n« ΤΠ IDT TO. Targum Jer. II zu Gen. 18,2 formuliert ähnlich: „Der erste Engel war gesandt, um unserem Vater Abraham zu verkünden, daß 1 Sara gebären werde" = orna« pax ? x-i&aaV nVntf« n«a¡? «axVa mV·' mto «ΤΓΠ. Targum Jer. I zu Gen. 21,7 nennt diesen (Engels-) Boten, Jer. II zu Gen. 21,7 seine Botschaft glaubwürdig 2 . Das Targum zu Ruth 1,6 (p. 164 Lagarde) läßt Ruth durch einen Engel Nachricht davon erhalten, daß Gott sich seines Volkes erbarmt und ihm wieder Brot verschafft habe 3 = «axVa DIS mfean«. Daß diese Redeweise von ~)iP3 = Übermittlung von Gottes Botschaften alten Datums ist, zeigt Jer. I zu Gen. 22,5. Nach Jer. I zu Num. 25,12 ist Pinehas = Elia dazu ausersehen, zum Bundesengel (nach Mal. 3,1) gemacht zu werden, um am Ende der Tage die Erlösimg zu verkündigen : XlttOö1? «"•ar fpoa «nVlXJ. Mit dieser Deutung bekommen alle noch zu besprechenden Stellen, an denen Elia als Ifraa erscheint, einen altertümlichen Zug. Im Targum zu den Hagiographen begegnet unser Verbum, jeweils für hebräisches Itoa, zu Ps. 40,10 im Sinne von Heil proklamieren, zu Ps. 96,2 und l.Chr. 16,23 ( = Ps. 96,2) im Sinne von lobpreisen. Zu Ps. 68,12 findet sich erneut (vgl. Midr. Tehillim zu Ps. 68,12 § 6) die haggadische Tradition von Mose und Aaron als den Gesetzesverkündern: „Jahwe hat die Worte des Gesetzes seinem Volk gegeben, Mose und Aaron aber verkünden das Wort Gottes der großen Kriegsschar 4 Israels" = pfraa pnxi ntfa oía rrayV «nm« ••ajnD arr nw «ai mVn1? «nV« IB'B. Als letzten theologisch geprägten Beleg 1

Zu einem analogen Sprachgebrauch im rabbinischen Schrifttum vgl. S. 138 Anm. 2 und S. 128. 2 Zu den Lesarten des Fragmententargums vgl. oben S. 130 Anm. 4. Jer. I zu Gen. 21,7 liest : Wie glaubwürdig war doch der Verkünder, der dem Abraham die Botschaft brachte und sprach: Sara wird dereinst Kinder säugen = "Dma«V «nfcaa ΙΒΤΙΒ na (vgl. Biiierbeck m s. 6). 3 Vgl. Billerbeck III S. 7. 4 Zur Übersetzung vgl. Levy, Wörterbuch zu den Targumim, Bd. I 3 S. 254.

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haben "wir das Targum zu Ps.51,10 anzuführen, wo die Gebetsbitte: Laß mich vernehmen Freude und Wonne (nnöfel pfefe Wütin) wörtlich übersetzt wird: ΧΠ12Η1Κ1 Silin '•unfean (p. 29 Lagarde). Im Prophetentargum tritt "itoa für die alttestamentliche Wurzel auch in theologisch-religiösen Zusammenhängen ein. Jes. 40,9 ist zuerst zu nennen. Die „Freudenbotin Zion/Jerusalem" wird haggadisch als Mehrzahl von Propheten interpretiert, welche Zion und Jerusalem die Kunde von der Offenbarung des Gottesreiches bringen sollen: "Get ye up on a high mountain, ye prophets that bring good tidings to Zion (JVS1? p o a a t «"ai): lift up your voice with strength, ye that bear good tidings to Jerusalem (pi Dam D^Bh-p1?); lift it up, be not afraid; say to the cities of the house of Judah, The Kingdom of your God is revealed (NmaVa nx^JDN pDnVlO)"1. erscheint hier also erneut als Begriff für die prophetische (Heils-)Verkündigung; ebenso dann im Targum zu Jes. 6,11, einer Stelle, die ausdrücklich mit ΧΌ3 1öS eingeleitet, also auf den Propheten (Jesaja) bezogen wird; ferner im Targum zu Jes. 52,7 als Verkündigung des (anonymen) ")©aa. Daß hier eine nahezu technische Wortverwendung vorliegt, zeigt die Vielzahl von Stellen, an denen im Targum für hebräisches yatfn eintritt 2 , und zwar als Bezeichnung für Prophetenrede bzw. Rede Gottes durch den Propheten : Zu Am. 3,9 erscheint es als Einleitung einer Gerichtsrede über Samaria3. Gehäuft tritt solcher Sprachgebrauch im Targum zu Deuterojesaja auf: Jes. 41,22 in einer Aufforderung an die gegnerischen Gottheiten, das Kommende kundzutun; ebenso Jes. 41,26 und ähnlich 43,9. Jahwe selbst tut Zukunft und Vergangenheit verläßlich kund nach der Targumübersetzung von 42,9; 44,8; 45,21; 48,34; 48,5; 48,6. In 48,20 sollen dann die aus Babel Befreiten die ihnen zuteil gewordene Erlösung und Befreiung verkünden, wie das Targum in engem Anschluß an den masoretischen Text formuliert. Eine gewisse Häufung des Materials läßt sich auch im Targum zu Jeremía erkennen. Daß das Verbum in dem Midrasch zu Jer. 4,15 für die prophetische Unheilsproklamation vorkommt, ist uns schon 1 Übersetzung von Stenning, Targum of Isaiah 2 S. 130ff. — Jes. 52,7, wo derselbe Verkündigungsauftrag wie Jes. 40,9 erteilt wird, wird im Targum singularisch interpretiert. Vgl. S. 147 Anm. 3. 2 Bei anderen Wurzeln wie 113 (hi) oder ISO ist mir eine derartige Austauschbarkeit nicht begegnet. 3 Hebr. : „Verkündet es in den Palästen von Assur und in den Palästen des Landes Ägypten" (V» 15Γ»£Π) = V» ΤΊ03 im Targum. 4 Hier tritt interessanterweise im Targum für Jahwe seine Memra als Verkündigerin ein: "The former things from of old have I declared, and from my Memra did they go forth, and I announced them φ1ΤΠ03Ί): suddenly I did them and they came to pass" (Stenning, a.a.O. S. 162).

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bekannt 1 . Neu hinzuzufügen ist, daß sich im Rahmen prophetischer Gerichts- und Scheltrede, sowie in Völkersprüchen eine ganz ähnliche Verwendung von nachweisen läßt, das auch jetzt wieder masoretisches Hiphil von vertritt: Targum zu Jer. 4,5; 4,16; 5,20; 46,14; 48,4; 50,2; 50,29; 51,27. Es geht hier jeweils um Unheilsbotschaften, die der Prophet zu verbreiten auffordert und die er verbreiten hört. Sie werden nicht nur im masoretischen Text, sondern auch im Targum zu 4,5. 16; 5,20; 50,29 als Gottesrede formuliert, im Falle von 46,14 (vgl. V. 13), 48,4 (vgl. V. 1) und 50,2 (vgl. V. 1) sogar ausdrücklich als Wort Gottes bezeichnet und 51,27 auf Jahwes Beschluß (vgl. V. 29) zurückgeführt. Es handelt sich also u m eine an und f ü r sich profane Redeweise = Unglück verkünden etc.), die zum prophetischen Gotteswort erhoben wird. Das Targum zu Jer. 31,7 erteilt (als Wort Jahwes) den Auftrag, Jahwes Rettungstat an seinem Volk zu proklamieren, so daß das Verbum im Prophetentargum zu Jeremía nicht nur negativ, sondern auch positiv akzentuiert erscheint. Der religiös-theologische Gebrauch von lira im Judentum kennt das Verbum also f ü r Engelsbotschaft, f ü r Gottesrede und Prophetenwort, f ü r die Botschaft des endzeitlichen Gesandten Gottes und des Messias. Beherrschend und fast technisch ausgeprägt sind die Belege für Rede Gottes und der Propheten. Das Verbum erscheint dabei sowohl positiv wie negativ gefüllt und ist sprachlich ein Botschaftsbegriff neben anderen. Der Neutestamentier wird im Blick auf diesen Befund feststellen dürfen, daß es von ihm her ungezwungen möglich ist, die Verwendung des Verbums εύαγγελίζεσθ-αι bei Matthäus, in den lukanischen Vorgeschichten, im Hebräerbrief und in der Apokalypse traditionsgeschichtlich herzuleiten, daß aber die technische Verwendung von εύαγγελίζεσθ-αι = das Evangelium (bzw. Christus) proklamieren noch auf anderer Ebene liegt als der jüdische Wortgebrauch : Hier scheint es sich um eine terminologische Entwicklung und Prägung zu handeln, die erst in der Urchristenheit selbst stattgefunden hat. c) Das Partizip Nachdem wir schon im Alten Testament festgestellt hatten, daß das den Boten bezeichnende Partizip Piel von = "lfcoa eine theologische Verdichtung erfahren und von Deuterojesaja an zur titularen Bezeichnung einer (prophetischen) Heilsfigur geworden ist, ist es von hohem Interesse, wie das nachbiblische Judentum diese Traditionsbildung aufgenommen und weitergeführt hat. Bereits das statistische Ergebnis ist dafür bezeichend: Die „profane" Verwendung 1

Vgl. oben S. 132.

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Stuhlmacher, Evangelium

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von Ifea» = Bote/Verkünder tritt vollkommen in den Hintergrund, so daß sich nur einige wenige Belege nennen lassen; beherrschend ist die theologische Verwendung des Verbalsubstantivs. Es verwundert nicht, daß dieser theologische Sprachgebrauch in engster Verzahnung mit den alttestamentlichen, vom Ifcaa redenden Schriftsteilen, also Nah. 2,1; Jes. 40,9; 41,27; 52,7; 61,1 (und Ps. 68,12) auftritt. α) Profane Verwendung Die wenigen Belege sind folgende: Die beiden, schon erwähnten, parallelen Stellen1 Tosephta Baba Batra 9,5 und bab. Baba Batra 141b sehen in dem Ifra» den (profanen) Boten, der die Mitteilung von der Geburt eines Kindes bringt; doch läßt sich an beiden Stellen das Partizip eventuell auch als regelrechte Verbform auffassen, so daß der Verweis unsicher bleiben muß. So bleiben nur drei Stellen, die man als eindeutig wird bezeichnen dürfen: Targum Jonathan zu l.Sam. 4,17; 2.Sam. 4,10 und 2.Sam. 18,26. In dem den hebräischen Text wörtlich wiedergebenden Targum ist der 16?3» von l.Sam. 4,17 ein Unglücksbote, 2. Sam. 4,10 ein Bote, der wähnt, ein Glücksbote zu sein, und 2. Sam. 18,26 ein Botenläufer, von dem David gute Botschaft erhofft. Mehr Belege für eine profane Wortverwendung sind mir nicht bekannt. Im Targum Jer. I zu Gen. 21,7 ist mit dem Boten (wenn man das infoaö in diesem Sinne und nicht als substantivierte, aber noch bewußte Verbform auffassen darf 2 ), wahrscheinlich der Engel Michael gemeint, so daß wir hier bereits religiösen Sprachgebrauch vor uns haben. ß) Theologische Verwendung Die ältesten uns erhaltenen Belege stammen aus den Qumrantexten. Auf deren Sprachgebrauch ist zunächst einzugehen. Die Wurzel Ifea taucht in den Texten bisher nur 1 QH 18,14 und 11 QMelch auf 3 . Bezeichnenderweise handelt es sich beide Male um Bezugnahme oder regelrechte Exegese von alttestamentlichen Belegstellen für den Ifraa. Wir wenden uns zunächst der Hodajot-Stelle zu. Sie lautet in E. Lohses Übertragimg: „(10) [. . . Eine Qu]elle hast du aufgetan durch den Mund deines Knechtes, und durch seine Zunge (11) hast 1 2 3

Vgl. oben S. 135. Zum Text vgl. oben S. 139 Anm. 2. Herr Professor A. S. van der Woude hatte die Freundlichkeit, mir brieflich mitzuteilen, daß auch in dem von ihm zur Edition vorbereiteten Hiob-Targum von Qumran die Wurzel "Ifta nicht begegnet.

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du eingegraben nach Maß [. . . damit] er verkünde dem Gebilde aus seiner Einsicht heraus und Dolmetsch sei in diesen Dingen CpVöVl n*?N3) (12) für Staub, wie ich es bin. Und du öffnetest eine Quel[le], um dem Lehmgebilde seinen Weg zurechtzuweisen und die Verschuldungen des (13) Weibgeborenen gemäß seinen Taten und um zu öfftien [. . .] deiner Wahrheit für das Gebilde, das du stütztest mit deiner Kraft (14) [. . .] gemäß deiner Wahrheit aus dem Fleisch [. . .] deine Güte, den Demütigen zu verkündigen nach der Fülle deiner Barmherzigkeit"1. Die letzte Zeile lautet hebräisch : HDriûHD [ ]*7 HD'am an*? m i » IfeaV Π33Ί0 [ ] lira». Daß das vierte Wort als Infinitiv Piel von Ί&3 mit *? zu punktieren ist und daß man dann in dem Ausdruck „den Demütigen zu verkünden" eine Anspielung auf Jes. 61,1, ja ein förmliches Zitat sehen darf, ist deutlich2. Fraglich ist jedoch die Punktation des zweiten Wortes: "itoaa oder "ifraa? Lohse entscheidet sich zusammen mit J. Maier3, H. Bardtke 4 und J. Licht 6 für lira» (s. die Übersetzimg). A. Dupont-Sommer®, M.Mansoor7 und Th. H. Gaster8 lesen Itoaa. Da die Photographien keine eindeutige Ergänzung der Lakune hinter lira» erlauben9, muß der Entscheid offenbleiben. Der Sinnzusammenhang spricht m. E. für "ifeaa, zumal das Melchisedek-Fragment aus 11 Q jetzt zeigt, daß in Qumran Jes. 61,1 auf einen Propheten der Endzeit bezogen worden ist. Daß 1 QH 18,14 vom Lehrer der Gerechtigkeit sprechen will, scheint mir eindeutig zu sein. Fraglich ist, ob eine originale Selbstprädikation des Lehrers vorliegt, oder ob es sich um eine Prädikation durch die Gemeinde, also einen Gemeindepsalm handelt 10 . Auch dieses 1 Die Texte aus Qumran, S. 173/75; [ ] deuten Lakunen und Ergänzungen an. 2 c n i y -ítoa"? ist wörtlich aus dem hebräischen Text von Jes. 61, Iba übernommen. 3 Die Texte vom Toten Meer, Bd. 1, S. 117, Bd. 2, S. 109 (hier wird DupontSommers Lesung als möglich zugestanden). 4 Die Handschriftenfunde am Toten Meer, Berlin 1958, S. 258. 6 The Thanksgiving Scroll, Jerusalem 1957, S. 216. • Die essenischen Schriften vom Toten Meer, Tübingen 1960, S. 273. 7 The Thanksgiving Hymns, Studies on the Texts of the Desert of Judah, ed. J. van der Ploeg, Bd. 3, Grand Rapids 1961, S. 191. 8 The Scriptures of the Dead Sea Sect, London 1957, S. 196. 9 Die Faksimile-Tafel Nr. 52 bei E. L. Sukenik, Osar hamegillot ha genusot, läßt, da mehrere Fragmente zusammengefügt werden, nicht erkennen, wie groß die auszufüllende Lakune ist; Ergänzungen bleiben also in jedem Falle zweifelhaft. 10 G. Morawe, Aufbau und Abgrenzung der Loblieder von Qumran, Theol. Arbeiten 16, Berlin 1960, S. 152f. enthält sich angesichts des fragmentarischen Charakters von Kolumne 18 jeden bindenden Urteils. G. Jeremias, Der Lehrer der Gerechtigkeit, StUNT 2, Göttingen 1963 und J. Becker, Das Heil Gottes, StUNT 3, Göttingen 1964 rechnen 1 QH 18 nicht zu den Selbstzeugnissen des Lehrers.

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Problem kann hier offenbleiben. In jedem Falle ergibt sich ja, daß in der essenischen Gemeinde der Lehrer der Gerechtigkeit als eine Jes. 61,1 ausfüllende und erfüllende prophetische Gestalt gelten konnte. So rückt mit 1 QH 18,14 der Lehrer in Parallele zu dem in Lk. 4,18ff. von Jesus selbst (oder seiner Gemeinde) erhobenen prophetischen Anspruch1. Auch das zweite nun zu nennende Textstück aus Qumran ist nur sehr fragmentarisch erhalten, darum mit mannigfachen Unsicherheiten der Lesung belastet, aber für uns dennoch so entscheidend, daß wir an ihm nicht vorübergehen können. „Es handelt sich um Bruchstücke eschatologischer Midraschim, die mehrfach den Namen Melchisedek erwähnen und daher provisorisch das Siglum 11 QMelch erhalten haben"2. Melchisedek erscheint hier als himmlische Retterund Richtergestalt, welche am Ende der Tage das Gericht im Namen Gottes zu vollstrecken und Israel in die Freiheit zu führen hat. Für uns ist das Fragment wichtig, weil in Zeile 6 Jes. 61, If. zitiert wird, ohne daß sich leider das Subjekt des fraglichen Satzes : ί1ΗΠ,17Ν nafn]1? ait»1? Ί Π nanV χιρί = „er wird sie zu ihnen zurückführen und wird die Freilassung für sie ausrufen, um sie zu entlassen" etc. eindeutig bestimmen ließe. A. S. van der Woude und M. de Jonge denken an Melchisedek oder, wahrscheinlicher, an die im Text Jes. 61, If. gemeinte prophetische Gestalt3. Daß es um eine endzeitliche 1 G. Jeremias hält a . a . O . S. 259ff. die Identifikation des Lehrers mit dem endzeitlichen Propheten f ü r unbeweisbar, geht auf 1 Q H 18,14 nur einmal beiläufig ein (S. 307 Anm. 1) u n d reflektiert deshalb S. 338f., wo er auf Lk. 4 , 1 8 21 zu sprechen k o m m t , nicht auf die Parallelität beider Belege; vielmehr behandelt er Lk. 4,18ff. nur als Zeugnis f ü r Jesu „einzigartiges SenduDgsbewußtsein". 2 A. S. v a n der Woude, Melchisedek als himmlische Erlösergestalt in den neugefundenen eschatologischen Midraschim aus Qumran Höhle 11, OTS 14, Leiden 1965, (S. 354-373) S. 354. Hier auch Photographien der Fragmente, S. 358 die hebräische Umschrift u n d S. 359-360 eine erste deutsche Übersetzung des f ü r die neutestamentliche Christologie, besonders das Verständnis des Hebräerbriefes, hochbedeutsamen Textes. Nachdem v a n der Woude so freundlich war, mir brieflich mitzuteilen, daß er a n der in OTS 14 vorgeschlagenen Lesung insbesondere von Z. 18: "ΊΟΧ [Π]ΧΊΠ ΓΓ#[ηΠ ΠΝ]1Π Ί 6 η » Π 1 nicht festzuhalten gedenke, vielmehr unabhängig u n d gleichzeitig mit Y. Yadin (A Note on Melchizedek a n d Qumran, I E J 15; 1965, S. 152-154) zu der auch von Yadin vorgeschlagenen Lesung : '"lÜX [Π]Τ1Π ΓΓΕ>[73 ΠΧ]1Π "linDÍN gelangt sei, h a t er diese neue Lesung n u n auch in den mit M. de Jonge gemeinsam verfaßten Beitrag: 11 Q Melchizedek a n d t h e New Testament, N T S t 12, 1965/66, (S. 301-326) S. 302 übernommen. Die Umschrift des Gesamtfragmentes a . a . O . S. 302, die gegenüber der Editio princeps noch andere kleinere Änderungen enthält, bietet also den vorläufig endgültigen Text des Fragments. 3 Vgl. OTS 14, S. 362. 367 u n d N T S t 12, S. 306: " . . . it is not clear . who is regarded as t h e subject of "IEO a n d of t h e other verbal forms (ΠΏ^Φ''; N i p ) in 1. 6. One could t h i n k of Melchizedek (possibly, b u t not certainly, mentioned a t t h e end of 1. 5 : pT[S o V ö ] ) , b u t Τ Π naiiV s i p l must go back t o Isa. lxi. 1 (cf. a , v n t f n in 1. 4, ] Π Ί Π nitf (Isa. lxi. 2) in 1. 9 a n d D»p3 Dip·· in 1. 13, cf. Dpi OV in Isa. lxi. 2), a n d in this verse t h e liberty to t h e captives

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Proklamation geht, ist eindeutig. NachdemZeile 13-15 davon sprechen, wie Melchisedek inmitten der Engel das Gericht Gottes vollstreckt1, wird in den Zeilen 15 und 16 Jes. 52,7 zitiert und anschließend exegesiert. Als Verfasser von Jes. 5 2 , 7 -gilt ausdrücklich: N O W ΓΡ[2?®''. . .] (15). Das im hebräischen Text Jes. 52,7 abschließende "pmVN "f?» wird in 11 QMelch nicht auf Jahwe, sondern auf Sieg und Thronfahrt Melchisedeks (— Michaels?) bezogen2. Folglich ist der im Verse genannte Ί&3» weder Jesaja noòh auch Melchisedek selbst, sondern dessen prophetischer Vorläufer. Z. 18 wird dies exegetisch ausgeführt. Nach van der Woude und M. de Jonge ist in Z. 18 zu lesen3: "itoanm i t f κ [ π ] η π r r t í [ » π ν ] ί π . U n t e r d e m m i n r r t f a ist, C D 2 , 1 2 ; 6 , 1

und 1 QM 11,7 entsprechend, eine prophetische Gestalt zu verstehen. Der Textzusammenhang fordert, daß dies eine endzeitlich-prophetische Figur (der endzeitliche Prophet?4) ist. So ließe sich jedenfalls is proclaimed by a special messenger of God who in the following lines of 11 Q Melch is identified with the "ifcDÖ of Isa. Iii. 7." 1 M. de Jonge und A. S. van der Woude versuchen in NTSt 12, S. 304f. unseren Text von äth. Hen. 85-90 her, dem endzeitlichen Gericht über die (Völker-)Engel, zu verstehen und meinen, auch in 11 QMelch vollstrecke Melchisedek das Gericht an den Engeln. Ich bin nicht ganz davon überzeugt, daß m a n das Zitat von Ps. 82,1 in Z. 10: DVTÒX STIpa [VX ΧΠ]Ϊ3 3S[Î ] BIEt?"1 in solch gerichtlichem Sinne auslegen darf. Mir ist es wahrscheinlicher, daß Melchisedek mit Hilfe der Engel sein Gericht ausübt, DVTiVn 3 - | l p 3 steht ja in unzweideutiger Parallele zu dem positiven Ausdruck Vs ΓΠ573, aber da die Frage in unserem Zusammenhang nichts austrägt, mag sie auf sich beruhen. 2 Zur Identifikation Melchisedeks mit Michael (die ausdrücklich nur in mittelalterlich-jüdischen Texten vollzogen wird) vgl. A. S. van der Woude, OTS 14, S. 368ff. ; NTSt 12, S. 305f. 3 NTSt 12, S. 302 (vgl. S. 144, Anm. 2). M. de Jonge und A. S. van der Woude übersetzen S. 303: "And he t h a t bringeth good tidings; t h a t is the anointed by the Spirit, from whom He says . . .". Yadin liest a . a . O . S. 153 mtP[Q ΠΝ]1Π [Π]ΠΠ und kann dementsprechend unsere Stelle noch enger mit Jes. 61,1 verbinden, da nun keine terminologischen Schwierigkeiten entstehen, sondern reine Exegese der Stelle vorliegt. Dies spricht sehr f ü r seine Lesung. , und 1 sind bekanntlich in den Texten nicht unterscheidbar. 4 Zur Identifikation des endzeitlichen mit dem endzeitlichen Propheten (von 1 QS 9,11) vgl. van der Woude-de Jonge, NTSt 12, S. 306f. Auf diese Weise würde die zuletzt von G.Friedrich (Artikel: προφήτης, T h W B VI, S. 848,21 ff.) und F . Hahn, Christologische Hoheitstitel, F R L A N T 83, Göttingen 1963, S. 394 vorgeschlagene Identifikation der prophetischen Gestalt von Jes. 6 1 , I f . mit dem Endzeitpropheten endlich historisch exakt greifbar, und zwar im J u d e n t u m vorchristlicher Zeit ! Wie auch M. de Jonge und A. S. van der Woude a . a . O . S. 309ff. bes. 312 hervorheben, würde so die Interpretation von Mt. 11,2ff. und Lk. 4,18ff. traditionsgeschichtlich sehr erleichtert: Es ginge in der ältesten Schicht dieser Texte dann nicht so sehr u m den Messias als u m eine prophetisch-endzeitliche Deutung des Werkes Jesu. Jes. 61,1 wird in der jüdischen Literatur m. W. nur noch einmal näher interpretiert, und zwar auf den Messias: Vgl. Billerbeck I I I S. 10 = A. Jellinek, Beth h a Midrasch Bd. 2, S. 56,24ff. = Sepher Serubabel. Charakteristischerweise aber handelt es sich dabei u m eine Formulierung aus später, nachtalmudischer Zeit, wie die Messiasbezeichnimg „Menachem ben Ammiel" (vgl. dazu Billerbeck I S. 67) a . a . O . beweist.

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die in den Qumrantexten bisher analogielose constructus-Verbindung im Singular: ΠΠΠ fPtfa terminologisch am besten erklären. Daß mit den Stichworten ntfö und ΠΊΊ -wiederum auf Jes. 61,1 f. angespielt wird, ist wahrscheinlich und kann die Deutung von Z. 6 auf das Werk des endzeitlichen Propheten erhärten. Leider läßt sich aus den Zeilen 24^26 keine zusätzliche Sicherheit für solche Deutung gewinnen, da auch hier die eigentlich exegetischen Ausführungen verlorengegangen sind. Deutlich ist nur, daß das in Jes. 52,7 vom Ifen» angesprochene „Zion" auf die gesetzestreue ( Qumran-)Gemeinde bezogen wird. Den Abschluß des Fragmentes bildet ein Zitat von Lev. 25,9 : „Und das, was Er sagt, Ihr sollt im siebenten Monat die Lärmposaune erschallen lassen . . .", eine Formulierung, die unseren Text in die Nähe von Psal. Sal. 11,1 rücken könnte 1 . Psal. Sal. 11,1 lautet : Σαλπίσατε έν Σιων έν σάλπιγγι σημασίας άγιων, Κηρύξατε èv 'Ιερουσαλήμ φωνήν εύαγγελιζομένου· δτι ήλέησεν ó θ-εός 'Ισραήλ έν τη επισκοπή αύτών. In 11 Q Melch erscheint also Melchisedek ( = Michael) als endzeitlicher, himmlischer Mandatar Gottes. Der End- und Siegeskampf Michaels gegen Belial und seine himmlischen Mächte wird von der Ankündigung des endzeitlichen = endzeitlichen Propheten eingeleitet und begleitet. Als Beschreibung für das Tun dieses Propheten wird Jes. 61, If. verstanden. Da in 1 QH 18,14 der Lehrer der Gerechtigkeit als Rufer von Jes. 61,1 erscheint, liegt es nahe, die Belege miteinander zu kombinieren und zu folgern, daß die Gemeinde ihren Lehrer der Gerechtigkeit mit dem endzeitlichen Ί6?30 bzw. dem Propheten der Endzeit (vgl. 1 QS 9,11) identifiziert hat, doch kann dies an unserer Stelle nur ein vorläufiger Deutungsversuch sein2. So bedauerlich es ist, daß die besprochenen Belegstellen aus den Qumrantexten, 1 QH 18,14 und 11 QMelch, textlich und darum auch sachlich mit großen Verständnisschwierigkeiten belastet sind, so deutlich ist doch aus ihnen zu ersehen, daß bereits in vorneutestamentlicher Zeit die deutero- und tritojesajanischen Aussagen vom "ifena eine weiterführende Interpretation erhalten haben, die über die alttestamentliche Traditionsbildung hinausführt: Der Ifra» wird zu 1 Zu den Verbindungen von 11 Q Melch. 24-26 mit Psal. Sal. 11,1 vgl. M. deJonge und A. S. van der Woude, NTSt 12, S. 307f. Für uns besonders wichtig ist, daß die Verbindung beider Belege erneut für eine prophetische Interpretation des IfcDÖ in 11 QMelch. spricht. Doch ist hervorzuheben, daß die Verbindung von Psal. Sal. 11,1 und 11 Q Melch. nur motivisch zu nennen ist. Die Gestalt des εύαγγελιζόμενος = "W3Ö bleibt Psal. Sal. 11,1 anonym. 2 Zu den Schwierigkeiten, welche sich ergeben, wenn man den Lehrer der Gerechtigkeit mit dem endzeitlichen Propheten identifiziert, vgl. G. Jeremias a. S. 144 Α. 1 a.O. Ob diese Schwierigkeiten nun nicht überwindbar werden?

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einer (prophetischen) Schlüsselfigur im endzeitlichen Drama erhoben. Im Blick auf Mt. 11,2ff.; Lk. 4,18ff.ist die Einsicht in diesen jüdischen Interpretations- und Steigerungsprozeß exegetisch bedeutsam1. Auf die Belege, welche dieselbe Steigerung und Auslegung im Rahmen des rabbinischen Schrifttums und der Targumim erkennen lassen, ist nunmehr einzugehen. Da es sich ausschließlich um Nachweise handelt, die Schriftstellen interpretieren, ist es zweckmäßig, das Material nach Schriftstellen zu ordnen. Nahum 2,1, die Stelle, von der die deuterojesajanische Traditionsbildung ausgegangen ist, wird im Prophetentargum wörtlich übertragen, die Gestalt des Ifeaö bleibt unbestimmt. Auffälligerweise findet sich im jüdischen Schrifttum z. St. überhaupt keine namentliche Näherbestimmung des Boten2. Num. Rab. 2,10 heißt es nur: „Wenn der Herold erscheint, wird Juda als erstes die Nachricht erhalten, denn es heißt: (folgt Zitat von Nah. 2,1)" = m i r r "lfosan ΚΑΙΤΟΙ •pin m i r r ·ΊΠ a'ÒTF sratfa ièna 'Vn nnnn V» naiutf n^nn itoana. Dieselbe Tradition findet sich, ebenso unbestimmt, im Midrasch Tanhuma, *13T»3 14 (Ende). Unbestimmt bleibt auch der kurze Verweis auf Nah. 2,1 im Midr. Sam. 19 § 5 (p. 104 Buber). Ob der kurze unbestimmte Verweis auf den endzeitlichen Herold Thren. Rabba 5,18 § 1 an Jes. 52,7 oder Nah. 2,1 denkt, ist nicht ersichtlich: Ein Gespräch zwischen R. Gamaliel, R. Eleasar b. Asariah, R. Josua und R. Akiba vor den Trümmern des zerstörten Tempels schließt mit den Sätzen: „Akiba, du hast uns getröstet; mögest du getröstet werden durch die Füße des Herolds" = ^ n a ΒΠΗΙΠ unam N3,j?» -Ifta». Jesaja 40,9 wird im Targum nicht singularisch, sondern pluralisch interpretiert: Eine Schar von Propheten soll Jerusalem die endzeitliche Trostbotschaft übermitteln. Es handelt sich eindeutig um eschatologische Propheten3. 1 2

Vgl. S. 145, Anm. 4. Billerbeck zitiert zwar III S. 9 und IV S. 897 Pes. Rabbathi 35 als Beleg für eine Auslegung von Nah. 2,1 auf Elia, und auch in der Friedmannschen Ausgabe S. 161a wird auf Nah. 2, Í verwiesen. Doch halte ich diesen Verweis für falsch : Die Stelle läßt Elia an drei aufeinander folgenden Tagen verkünden 1 1 1

aVl»^ DlVtí X3 (1. Tag), Β ?!» ? ΠΠΧ3 Π31Β (2. Tag) und D^lï ? ÎlSnt^ ΠΠΝ3

(3. Tag). Das ist eine eindeutige Exegese der (nur!) in Jes. 52,7 genannten drei Kola: nsfltf·· SPatfa I 310 1fe3a I BlVtf -Ifena ,l ?n. Die Stringenz dieser Auslegung zerbricht, wenn man für die Aussage des 1. Tages Nah. 2,1 und nur für die des zweiten und dritten Tages Jes. 52,7 bemüht (so Friedmann und nach ihm dann Billerbeck). Ich rechne darum Pes. Rabbathi 35 zu den Jos. 52,7 aufgreifenden jüdischen Belegstellen. Zum Text der Stelle vgl. unten S. 149. 3 Zur sprachlichen Möglichkeit, das Femininum Mfc?3a pluralisch zu deuten, vgl. oben S. 120, Anm. 1. Daß es sich im Targum um endzeitliche Propheten

148 Die religionsgeschichtlichen Wurzeln des neutestamentlichen Evangeliums Jesaja 41,27 erhält im Prophetentargum eine Auslegung, die im rabbinischen Schrifttum vollständig nicht mehr erscheint, dafür aber sehr an Rom. l , l f f . erinnert. Das Targum paraphrasiert zur Stelle: „Die Worte der Tröstungen, welche die Propheten vormals über Zion gesprochen haben, siehe, sie sind eingetroffen, und Jerusalem gebe ich einen Freudenboten" = V» fmp 1 ?» « " a ï u r a m i n xnam vains jriK "ifcaa nbri-pVl inx ΧΠ ]VX. Der Freudenbote von Jes. 41,27 wird als Messias bezeichnet und verstanden: Gen. Rabba 63,8; Lev. Rabba 30,16; bab. Pesachim 5a und Pesikta (de Rab Kahana) 28,10.

Jesaja 52,7 wird vom Targum nahezu wörtlich und nur am Sdhluß leicht verändert wiedergegeben: „Wie herrlich sind auf den Bergen des Landes Israel die Füße dessen, der gute Botschaft bringt, der Frieden verkündet, Gutes ansagt, der Erlösung verkündet, sagt zur Gemeinde Zions: Die Königsherrschaft deines Gottes ist offenbar geworden" = i o a a o1?!!? »atfa -îoaa V x i ü n xsnx m » bs? xa f n V i n xmsVa nx'-Vinx j v x i xntfjaV nax jpmö yatfn ao. Die Auslegung, welche die Schriftstelle erfährt, ist mannigfaltig. Ebenso unbestimmt wie im Targum bleibt die (endzeitliche) Auslegung Thren. Rabba zu 1,22 §57 (und vielleicht auch Thren. Rabba 5,18 § l 1 ). Einmal erscheint (wie Apg. 10,36!) Gott selbst als "ifraa: Dt. Rabba 5,15 „Gott verkündet Jerusalem, daß sie [sc. die Israeliten] nur durch Frieden erlöst werden, denn es heißt: 'Der Frieden verkündet. . .'" = aiVtf sratía -laxitf aVrtfa xVx βΛ'ΧΜ rrrtf a , Vtfn'' rix ifeaa n"apn. Der Messias ist gemeint Lev. Rabba 9,9; Midr. Tanh. nnVin, 14; Pirque Maschiach ( = Beth ha Midrasch, ed. A. Jellinek, Bd. 3, S. 73,17ff. 2 ); Derech Eres Suta im Schlußkapitel 3 . Als endzeitlicher handelt, ergibt der Vergleich mit der Wiedergabe von Jes. 52,7. Die Botschaft, welcher der eschatologische Herold von Jes. S2,7 proklamieren soll, entspricht derjenigen, die nach 40,9 die Propheten auszurichten haben: Beide Male geht es um die Kunde von der Königsherrschaft Gottes. — Fragt man sich, wo die Gründe für die Erweiterung des endzeitlichen Verkündigungsauftrages auf eine Vielzahl von Propheten liegen könnten, so stößt man auf die Joel Weissagung. Vgl. die allerdings späte Tradition Num. Rabba 15,25 ( = Aussage des R. Tanhuma b. Abba, ca. 350 p. Chr. n.) : „Gott sprach: In dieser Welt haben einzelne geweissagt, aber in der zukünftigen Welt werden alle Israeliten Propheten sein, wie es heißt: Und geschehen wird es nach diesem, da will ich ausgießen meinen Geist über alles Fleisch, und weissagen werden eure Söhne und Töchter, eure alten Männer, etc. (Joel 3,1)" (Übersetzung im Anschluß an'Billerbeck I I S. 134); vgl. ferner das Targum zu Joel 3, Iff., das sich freilich sehr eng an den Urtext anlehnt und keine spezifische Auslegungstradition erkennen läßt (zitiert und übersetzt bei Billerbeck I I S. 615). 1 Vgl. oben zu Nah. 2,1 (S. 147). 2 Zitiert bei Billerbeck Bd. III S. 10f. 3 Vgl. Billerbeck III S. 9; die von Friedrich ThWb I I S. 173 Anm. 90 (im Anschluß an Schlatter und Schniewind) zitierte Stelle aus dem Midrasch

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Prophet scheint der "1Ì2DD von Jes. 52,7 (und 61,1) in 11 Q Melch. gedeutet zu werden. Auf Elia wird die Stelle gedeutet : In Jellineks Beth ha Midrasch, Bd. 1, S. 54,3ff. ( = Midrasch Yajjoscha). Dieselbe Tradition, nur vollständiger ausgeführt, erscheint Pesikta Rabbathi 35 (p. 161a Friedmann) 1 : „Drei Tage vor dem Kommen des Messias wird Elia erscheinen . . . und seine Stimme wird von einem Ende der Welt zum anderen zu hören sein ; und er wird ihnen zurufen : Heil ist gekommen in Ewigkeit, denn es heißt : Siehe, auf den Bergen die Füße des Herolds, der Heil verkündet . . . Am zweiten Tag wird er kommen und auf den Bergen Israels stehen und sagen: Gutes ist gekommen in Ewigkeit, denn es heißt: der Gutes verkündet; am dritten Tage wird er kommen und sagen: Rettung ist eingetroffen in Ewigkeit, denn es heißt: der Rettung verkündet" = BlVtf xa anV 1D1X . . . xa ^tfn a v a . . . m^tf sratfö -ifoa» 'Vn a n n n Vs nan laxjtf aVis?1? a r a mu ifea» naxití aViaV nnxa naie Ί » Ί Χ Ί Vx-itr n n V» i s i s t nsntf·» »'»tía laxjtf abiyV nsntf·· xnxa Ι Β Ί Χ Ί sa •ΊΓ^^Π. Im Lekach Tob (ed. Buber Bd. 2, p. 103a) schließlich heißt es: „Eine 7. Himmelsstimme wird laut verkündigen : Tröstet, tröstet mein Volk (Jes. 40,1), und Elias wird Israel Botschaft bringen: König geworden ist dein Gott" = Vmsr1? ifca» irrVxi -ΊΟ» iam iam n n a a rryatf Vip nat. TTlVs "jVü. Eine letzte Auslegungsmöglichkeit schließlich bietet der Midrasch Tehillim zu Ps. 147,1 § 2: Hier wird Jes. 52,7 von 52,8 her verstanden und für die Stunde der offenbaren Königsherrschaft Gottes eine Vielzahl von B^lfraa angesagt 2 . Die eben erwähnte pluralischprophetische Auslegung von Jes. 40,9 steht also auf breiterer traditionsgeschichtlicher Basis. Rabba zum Hohen Lied 2,12, in welcher Jes. 52,7 auf den Messias gedeutet wird, habe ich nicht verifizieren können, so daß ich sie nicht mitbehandeln kann. 1 Vgl. zur Einordnung der Stelle S. 147, Anm. 2. 2 Vgl. Schniewind, Euangelion, S. 36; ausführlich zitiert bei Friedrich, ThWb II S. 713,8ff. : „Jesaja hat gesagt: Wie liebüch sind auf den Bergen die Füße des "ièna. Wenn der Heilige, gebenedeiet sei er, König sein wird, werden sie alle Freudenboten sein, wie es heißt: der Gutes kündet, Frieden

hören läßt: jn Van π"apn niVa^a *itwa ^ π a n n n Vs? TIKI no irrstf·' nax WKtift aiü Ifea» laXJtf antoaa. ... Der Heilige, gebenedeiet sei er, ward König; es geziemt sieh, ihn zu rühmen. Warum? Weil sie für das Königtum (ITDVa) des Heiligen, gebenedeiet sei er, sind. I n jener Stunde jubeln alle, preisen alle, loben alle, denn sie sehen, daß er König ist. Darum heißt es: 'Der da spricht zu Zion: König geworden ist dein Gott'. Und was steht danach geschrieben Î 'Die Stimmen deiner Wächter, sie erheben ihre Stimme, insgesamt jubeln sie' (Jes. 52,8)." ·— D a Paulus Rom. 10,15 Jes. 52,7 pluralisch zitiert, obwohl weder der masoretische Text noch die Septuaginta dafür Anlaß bieten, dürfte die genannte Auslegungstradition als Erklärung in Frage kommen (vgl. Schniewind, Euangelion, S. 70f.). Vgl. auch die Auslegung von Jes. 40,9 auf eine Vielzahl von B'lfeD/b; ferner oben S. 147, Anm. 3.

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Die verschiedenen Interpretationen von Jes. 61,1 haben wir sämtlich schon berührt 1 . Wir brauchen sie daher nur noch einmal kurz zusammenzustellen: In 11 QMelch wird die Stelle auf die Verkündigung des eschatologischen Propheten hin ausgelegt, 1 QH 18,14 auf das Amt des Lehrers der Gerechtigkeit, so daß es sehr naheliegt, beides zu verbinden und von einem endzeitlich-prophetischen Amt auch des Lehrers zu sprechen. Das Targum denkt bei seiner Wiedergabe von Jes. 61,1 an Jesaja selbst als Sprecher. Die (späte) rabbinische Tradition dagegen kann die Stelle auf die Verkündigung des Messias beziehen. Ps. 68,12 erfährt im Targum eine Auslegung auf die Gesetzesverkündigung des Mose und Aaron 2 . Dieselbe Auslegung taucht noch einmal auf im Midr. Teh. Ps. 68,12 § 6 3 , verbunden mit einer zweiten, die im Blick auf die neutestamentliche Pfmgstgeschichte nicht ohne Bedeutung sein dürfte : „[Ps. 68,12] 'Der Ewige ließ ein Wort ergehen. Der Heilsbotinnen war ein großes Heer'. Als der Heilige, der gebenedeiet und dessen Name und Stärke gepriesen sei! durch das Wort redete, teilte sich die Stimme in sieben Stimmen und von den sieben in die 70 Sprachen der 70 Völker, damit alle es hören sollten. Darum heißt es: 'Der Heilsbotinnen war ein großes Heer'. Oder: 'Der Ewige ließ ein Wort ergehen', nämlich das Wort kam aus dem Munde der Allmacht und Mose und Aaron verkündigten es dem großen Heer, der Gemeinde Israel" : V m ^ nOJD1? 3Ί K3X1? Dnfra» p a m ntf»1 Die Tradition von der Sprachenteilung — gedacht ist natürlich an die Gesetzesproklamation für alle Welt 4 — taucht zu unserem Schriftvers ferner auf als Ausspruch R. Johanans (gest. 279 p. Chr. n.) bab. Schabbat 88 b 6 , erscheint noch einmal als Lehre desselben Rabbi Ex. Rabba 28,6 und als Lehre anderer Rabbinen Midr. Ps. 92 § 3. Es handelt sich also im Midrasch zu Ps. 68,12 um eine Kombination zweier Auslegungstraditionen. Beide sind bedeutungsvoll, weil sie gerade in ihrer Kombination u.U. eine traditionsgeschichtliche Möglichkeit erkennen lassen, das neutestamentliche Pfingstereignis von jüdischen Ansätzen her mit der Evangeliumsproklamation zu verbinden®. 1 8

2 Vgl. oben S. 142ff. und S. 145, Anm. 4. Vgl. oben S. 139. Übersetzung nach A. Wünsche, Midrasch Tehillim, Bd. 1, Trier 1892, S. 349. 4 Vgl.W. Gutbrod, Artikel: νόμος,ThWbIV,S. 1049,51ff. und 1042 Anm. 112. 5 „R. Johanan sagte: Was bedeutet der Schriftvers: Der Herr ließ einen Ruf erschallen, der Siegesbotinnen war ein großes Heer? — jedes Wort, das vom Mund des Allmächtigen hervorging, wurde in siebzig Sprachen geteilt" (Übersetzung nach Goldschmidt I S. 522; vgl. auch Billerbeck I 1007; III 39f.). • Vgl. Haenchen, Apg.6 S. 137f.; H. Conzelmann, Die Apostelgeschichte, HNT 7, Tübingen 1963, S. 27, die aber beide nur auf Philo (Decal. 32ff.) eingehen.

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Mit dem linguistischen Hinweis, daß sich auch in den Traditionen vom Ifraa gelegentlich die Berührung von mit der Wortgruppe ilatf nachweisen läßt1, können wir zur Zusammenfassung übergehen. Folgendes hat sich uns ergeben: Im nachbiblischen Judentum haben die alttestamentlichen, genauer: die jesajanischen Aussagen vom Ί&30 große theologische Bedeutung erlangt. Sie werden zu Interpretamenten der endzeitlichen Heilserwartung, wobei unter dem Ifta» sowohl der endzeitliche Prophet wie der Messias, Elia wie ein Ungenannter, ja sogar eine (unbestimmte) Anzahl endzeitlicher Propheten und Verkündiger verstanden werden können2. Noch einmal bestätigt sich so das schon bei der Untersuchung der Belege aus den Qumrantexten herausgestellte Phänomen der Steigerung des "lfratt zur endzeitlichen Schlüssel- und Mittlerfigur. Für den Neutestamentier ist die Einsicht in diesen Interpretationsprozeß deshalb von Bedeutung, weil sie nicht nur die Verwurzelung von Mt. 11,2 ff. par. und Lk. 4,18 ff. in jüdischer Denkweise bestätigt und die Verbindung von εύαγγελίζεσθαι und βασιλεία του θεοΰ einsichtig macht, sondern es u.U. auch ermöglicht, traditionsgeschichtliche Ansätze für die Verbindimg von Evangelium und Apostolat bei Paulus und dessen Verknüpfung des Evangeliums mit der alttestamentlichen Verheißung in Rom. 1,Iff. aufzudecken. Die Auslegung, welche Ps. 68,12 im Judentum erfahren hat, erhellt möglicherweise auch die Verbindung des Pfingstereignisses mit dem 1 Der I f t a » von 1 QH 18 verkündet nach Z. 6 Π DK1? Β niSlÖtf ( = Gottes wunderbare Botschaften), um seine Gemeinde zu erleuchten. Billerbeck (III, S. 9) und Friedrich (ThWb I I S. 714 Anm. 104) zitieren unter den Belegen für ein messianisches Verständnis des *1CDD Pesikta Rabbathi 36 (p. 162 a Friedmann), wo der Messias nach Jes. 60, If. als Bote der Erlösung erscheint: „Und er wird ihnen, den Israeliten verkünden und zu ihnen sagen : Ihr Armen, herbeigekommen ist die Stunde eurer Erlösung" = naiNl Dil1? Ν1ΠΊ v 1 Dsn^ixï ]»t s n n a U57 an ?. Hervorzuheben ist, daß sich die hier erneut zutage tretende Austauschbarkeit von mit anderer Verkündigungsterminologie nicht dahin auswirkt, daß der *W2Ö Bote des Gerichts werden könnte: Dazu bot das alttestamentliche Belegmaterial keinen Anlaß ! 2 Das Alter der einzelnen Identifikationen ist schwer zu bestimmen. Folgendes läßt sich sagen: Nach den Belegen aus 1 QH 18,14 und 11 Q Melch. ist die Auslegung auf den endzeitlichen Propheten eindeutig vorchristlich. Ebenso vorchristlich ist nach Targ. Jer. I zu Num. 25,12 (vgl. oben S. 139) auch die Auslegung auf den Elia redivivus und, wie Psal. Sal. 11,1 zeigt, die unbestimmtendzeitliche. Auch die pluralistische ist Paulus nach Rom. 10,15 schon bekannt gewesen, muß also ins 1. Jh. zurückgehen. Schwierig ist die zeitliche Einordnung der messianischen Interpretation. Nach bab. Pes. 5 a ist sie auf die Schule R. Ismaele, also bis ins 2. Jh. zurückführbar ; Lev. Rabba9,9 wird sie mit „Die Rabbinen sagen" eingeleitet, also als alte Tradition gekennzeichnet, so daß man annehmen darf, sie sei noch älter. Dies wird bestätigt durch Derech Eres Suta, Schlußkapitel, wo als Sprecher der Tradition R. Jose Hageliii (ca. 110 p. Chr.) erscheint. Von den Evangelisten Matthäus und Lukas (ob schon in Q ist mir fraglich!) wird sie Mt. l l , 2 f f . ; Lk. 4,18. vorausgesetzt; ebenso vielleicht (vgl. oben S. 148) von Paulus Rom. 1,1 ff. Vorchristliche Belege freilich fehlen.

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Die religionsgeschichtlicheii Wurzeln des neutestamentlichen Evangeliums

missionarischen Aufbruch zur Evangeliumsverkündigung in alle Welt. Zum nachbiblischen Judentum gehört auch das hellenistische Judentum. Da wir hier jedoch auch schon auf Aussagen stoßen werden, welche zur Traditionsgeschichte der neutestamentlichen Evangeliumsverkündigung nur noch indirekt beitragen, sei noch einmal kurz zusammengefaßt, welcher sprachliche und interpretatorische Traditionsprozeß sich im semitisch-sprachigen Judentum abzeichnet und inwieweit dieser geeignet ist, den neutestamentlichen Gebrauch von εύαγγέλιον traditionsgeschichtlich zu erhellen: d) Zusammenfassung Eine beträchtliche Anzahl der Belegstellen, welche sich aus den Targumim, dem rabbinischen Schrifttum und den Qumrantexten zusammenstellen lassen, erschließt sich erst, wenn man erkennt, daß im nachbiblischen Judentum die Wurzel mit sra&n und nsnatf oft identisch gebraucht wird und also austauschbar geworden ist. Sprachlich bedeutet dies, daß man für die Wurzel Ifen im Bereich des nachbiblischen Judentums nur noch die Grundbedeutung „botschaften" vorauszusetzen hat. Auf das Ganze des Schrifttums gesehen, kommen Ifra und Derivate nicht eben oft, aber immerhin häufig genug vor, um folgende Feststellungen zu erlauben: Neben einem profanen Gebrauch des Verbums läßt sich eine theologische Verwendung feststellen. wird zum fast technischen Ausdruck für Gottesund Prophetenrede, erscheint aber auch, um die Botschaft von Engeln, des Messias und des wiederkehrenden Elia zu bezeichnen. — Diesem Gebrauch des Verbums entspricht ein profaner und theologisch reflektierter Gebrauch des Nomens Π11Μ. Theologisch erscheint das Substantiv im Sinne von befreiender Heilsbotschaft überhaupt, von Engelsbotschaften, von Offenbarungspredigt und, wiederum nahezu technisch, von prophetischer Heils- und Unheilsbotschaft. Wie schon beim Verbum, so läßt sich auch bei der theologischen Verwendung des Substantivs mehrfach die vom alttestamentlichen Prophetenwort her vertraute Denkstruktur der Prolepse und die mit ihr verbundene Dialektik von Verborgenheit und Offenbartheit nachweisen. — Theologisch besonders intensiv durchreflektiert ist die Auslegungstradition der alttestamentlichen, besonders jesajanischen Aussage vom Das Partizip ist in profanen Zusammenhängen nur ganz selten nachweisbar, die Hauptmasse der Belege gehört theologischer Sprache an, und hier näherhin dem Bereich der Eschatologie. Als "ltoaa gelten Gott, dann ein Ungenannter, der endzeitliche oder eine Anzahl endzeitlicher Propheten, Elia und der Messias. Dem aus-

Das alttestamentliche und jüdische Material

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zulegenden alttestamentlichen Stellenmaterial folgend, haben alle diese Belegstellen sprachlich positiven Sinn, so daß sich Aussagen für einen Gericht proklamierenden nicht nachweisen lassen. — Im Blick auf die neutestamentliche Verwendung des Stammes εύαγγελläßt sich ohne Übertreibung sagen, daß, von der technischen (innerchristlich gewachsenen?) Verwendung von το εύαγγέλιον = Christusbotschaft und ευαγγελίζομαι = das Evangelium/Christus proklamieren abgesehen, der neutestamentliche Sprachgebrauch traditionsgeschichtlich befriedigend aus den sich im semitisch-sprachigen Judentum und Alten Testament abzeichnenden Traditionen heraus erklärt werden kann. Dies gilt auch, entgegen der bisher herrschenden Meinimg, für die Verwendung des Substantivs εύαγγέλιον, dem ein semitisches Nomen mitos durchaus entspricht. Die neutestamentlichen Belege für Evangelium sind sämtlich in originalem oder in Übersetzungs-Griechisch abgefaßt, also in der uns heute überlieferten Form an griechisch-sprachige Leser und Hörer adressiert. Es muß deshalb für uns von großem Interesse sein, zu prüfen, wie sich die uns nimmehr vertrauten, semitischen Denk- und Sprachtraditionen in den Bereich des griechisch sprachigen Judentums nachbiblischer Zeit hineinreflektiert haben. 3. Die Verwendung

des Stammes εύαγγελ- im hellenistischen

Judentum

Der Titel „hellenistisches Judentum" in der Überschrift bedarf, um nicht zu Fehlschlüssen zu verleiten, der Erläuterung. Noch immer gewöhnt, in religionsgeschichtlichen Alternativen zu denken, faßt man das hellenistische Judentum als eine geschlossene, vom palästinischen Mutterland abzuhebende Größe der Diaspora auf. Folgerichtig erscheint als Gegenbild das sog. palästinische Judentum, das man sich ebenso geschlossen und hellenistischen Einflüssen gegenüber ablehnend denkt. Historisch treffen beide Vorstellungsschemata nicht die Wirklichkeit. Das Auftauchen von Septuagintafragmenten selbst in den Höhlen am Toten Meer und die apokalyptischen Passagen in der Sapientia Salomonis, die Existenz mehrerer (hellenistischer) Synagogen in Jerusalem und die Tatsache, daß der aus Tarsus gebürtige Diasporapharisäer Paulus sich dennoch stolz Εβραίος έξ Εβραίων (Phil. 3,5) nennt und damit auf seine Hebräisch- bzw. Aramäischsprachigkeit verweist, machen es ganz unbezweifelbar, daß palästinisches und hellenistisches Judentum in neutestamentlicher Zeit eng miteinander verflochten und in sich in einer Weise vielschichtig waren, von der der genannte Schematismus nichts ahnen läßt 1 . Hans Friedrich 1

Vgl. W. G. Kümmel, Das Erbe des 19. Jahrhunderts für die neutestamentliche Wissenschaft von heute, in: Heilsgeschehen und Geschichte, S. [364-381]

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Die religionsgeschichtlichen Wurzeln des neutestamentlichen Evangeliums

Weiß hat sich darum mit Recht in seiner instruktiven Studie „Zur Frage der historischen Begegnung von Antike und Christentum"1 eben erst gegen den noch immer herrschenden Forschungsdualismus zur Wehr gesetzt und, unter Blickrichtung auf das alexandrinische Judentum, gebeten zu beachten, „daß das alexandrinische Judentum ebensowenig wie das palästinische Judentum eine in sich abgeschlossene Größe gewesen ist, daß vielmehr — und dies dürfte insbesondere für die Zeit des entstehenden Christentums gelten — zwischen dem alexandrinischen Judentum und dem Judentum in Palästina sehr enge Beziehungen bestanden'haben, die auf ihre Weise die Begegnung des auf dem Boden Palästinas entstandenen Christentums mit der Kulturmacht der Antike bereits im Laufe des 1. Jahrhunderts zumindest vorbereiten halfen"2. Dies ist besonders zu beachten, wenn wir uns nunmehr der Septuaginta, Josephus und Philo zuwenden. a) Die Septuaginta3 Über den Beitrag, welche die Septuaginta zur Erhellung des neutestamentlichen Gebrauches von Evangelium liefert, urteilen J. Schniewind und sein Schüler G.Friedrich gleichermaßen negativ: „Die Septuaginta bringt uns keinen Gewinn, den Ursprung des Begriffes 377: „Die methodische Trennung beider [sc. jüdischer u n d heidnischer] Bereiche u n d der daraus gefolgerte Gegensatz im religionsgeschichtlichen Verständnis des Neuen Testaments ist ein E r b e des 19. J a h r h u n d e r t s , das die Arbeit des 20. J a h r h u n d e r t s schwer belastet u n d behindert h a t . Wenn in den letzten Jahrzehnten deutlich geworden ist, daß auch das palästinische, vor allem aber das hellenistische J u d e n t u m offen war f ü r den Hellenismus, u n d die E n t d e c k u n g der jüdischen Sektenfrömmigkeit ebenso wie der vorchristlichen Gnosis d a s religionsgeschichtliche Bild wesentlich bunter gestaltet haben, d ü r f t e die Alternative 'jüdisch-heidnisch' endgültig als unhaltbar erwiesen sein. E s ist die Aufgabe der heutigen neutestamentlichen Forschung, hier ohne falsche Alternativen die erkennbaren religionsgeschichtlichen Zusammenhänge zur Aufhellung der neutestamentlichen Texte heranzuziehen." Vgl. ähnlich schon G. K i t t e l : Die Religionsgeschichte u n d das Urchristentum (1931), D a r m s t a d t 1959 (Nachdruck) S. 80fF. 1 Klio, 43/45 (1965) S. 307-328. 2 A . a . O . S. 309f., vgl. auch S. 307 Anm. 3; I n s t r u k t i v sind in unserem Zusammenhang auch 1. Das Buch von S. Liebermann, Greek in Jewish Palestine, New York 2. Aufl. 1965, das die sprachliche u n d kulturelle Verflechtung des in Palästina u n d in der Diaspora ansässigen J u d e n t u m s plastisch vor Augen f ü h r t ; 2. H . Hegermanns Ausführungen über „ D a s hellenistische J u d e n t u m " in: Umwelt des Christentums, ed. J . Leipoldt u n d W . Grundmann, Bd. 1, Berlin 1965, S. 292-345; u n d 3. die beiden Referate von W . D. Davies, P a u l a n d Judaism, in: The Bible in Modern Scholarship, New York 1965, S. 178186 und H . H . Koester, P a u l and Hellenism, a . a . O . S. 187-195. Beide plädieren d a f ü r , die konsequente Scheidung von hellenistischem u n d palästinischem J u d e n t u m , J u d e n t u m u n d Hellenismus aufzugeben zugunsten einer ganz neuen, religions- und formgeschichtlich bedächtigen Interpretation. 3 Vgl. zum Folgenden J . Schniewind, Euangelion, S. 63-78; G . F r i e d r i c h , T h W b I I , S. 710f. 722.

Das alttestamentliche und jüdische Material

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Evangelium zu verstehen", schreibt Schniewind1, und Friedrich pflichtet ihm bei 2 . Daß man so einseitig negativ im ganzen nicht wird zu urteilen brauchen, ist im Folgenden zu begründen. Einzusetzen ist bei dem auffälligen Tatbestand, daß die zu verschiedenen Zeiten und unter verschiedenen Bedingungen entstandenen Übersetzungsschriften der Septuaginta die Wurzel Ifra (von drei Stellen: 1.Sam. 4,17 = 1.Reg. 4,17, Jes. 41,27 und 1.Chr. 16,23 abgesehen) einhellig und ausschließlich mit Derivaten des Stammes εύαγγελ- wiedergeben. Diese Kontinuität des Sprachgebrauches bei gleichzeitiger Verschiedenheit der Übersetzungssituationen läßt auf eine einheitliche Sprachtradition schließen. Alle Stellen, an denen die Septuaginta für alttestamentliches Ifen den Stamm εύαγγελ- einsetzt, haben positiven Sinn. Wo der negative Sinn eindeutig war, z.B. l.Sam. 4,17 = l.Reg. 4,17, tritt für den Unglücksboten (hebr. Itoaa) griechisches παιδάριον ein. Das bedeutet: Erst mit der Übersetzung ins Griechische gewinnen die alttestamentlichen, an die Wurzel "lfcn gebundenen Aussagen jenen positiven Grundzug, der uns heute vertraut ist, aber von der abgeschliffenen Wurzel selbst nicht mehr sichergestellt werden konnte. Freilich entsteht so nun auch die Gefahr einer irrtümlichen Rückübertragung des griechischen Textverständnisses in die hebräischen oder aramäischen Passagen bzw. Interpretationen. Hier ist also sorgfältig zu differenzieren. Im einzelnen ergibt sich für den Wortgebrauch der Septuaginta folgendes Bild: α) Die S u b s t a n t i v e εύαγγέλιον und εύαγγελία

Das Substantiv εύαγγέλιον findet sich in der Septuaginta-Tradition insgesamt nur dreimal. Einmal im Plural, hellenistischem Wortgebrauch durchaus gemäß, für Botenlohn (hebr. mifra) 2. Sam. 4,10 = 2. Reg. 4,10. Das zweite Mal als Variante zu 2. Sam. 18,27 = 2. Reg. 18,273. Sinaiticus, Vaticanus und Alexandrinus übersetzen: Άνήρ άγαθος οδτος καί γε εις εύαγγελίαν άγαθ-ήν έλεύσεται. Die Variante hat dafür: υπέρ εύαγγελίων αγαθών οΐσει. εύαγγελία/εύαγγέλια meint hier (gute) Botschaft. Das zugesetzte Adjektiv άγαθών (άγα&ήν) ist durch den hebräischen Urtext (Nía' Π2153 mifwViO), also durch die Treue 1

Euangelion S. 78. ThWb II, S. 711,3f.: „Im ganzen muß man urteilen, daß die L X X uns dem Verständnis des n(eu)t(estament)lichen εύαγγελίζεσθαι nicht nähergebracht hat." 3 Vgl. The Old Testament in Greek, ed. Α. E. Brooke, Ν. McLean u. H. St. John Thackeray, Bd. II 1, London 1927 und Fr. Field, Origenis Hexaplorum Fragmenta, Bd. 1, Oxford 1875 z. St. Die Variante wird geboten von boc 2 e 2 (vgl. S. 156, Anm. 2). 2

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der Übersetzung und nicht sprachlich bedingt1. Das dritte Mal findet sich εύαγγέλιον wiederum in einer Variante zu 2. Sam. 18,31 — 2. Reg. 18,31, wo dieselben Handschriften wie eben ( = boc2e22) die griechischen Ohren ungewohnte, passivische Konstruktion: Εύαγγελισ&ήτω ¿ κύριος μου ó βασιλεύς (so Sinaiticus, Vaticanus und Alexandrinus) hellenisieren und übersetzen: ευαγγέλια κύριέ μου βασιλεΰ!3. An allen übrigen Stellen, wo der hebräische Text m ® 3 hat, tritt dafür das Femininum εύαγγελία ein, und zwar im Sinne von guter Botschaft: 2.Reg. 18,20 4 ; 18,22 s ; 18,25; 18,27 (s.o.) und 4.Reg. 7,9. Festzustellen ist also, daß die Septuaginta keinen theologischen Gebrauch von εύαγγέλιον aufweist®, uns also dem paulinischen und neutestamentlichen Gebrauch des Substantivs traditionsgeschichtlich nicht näherbringt. •ß) D a s V e r b u m ε ύ α γ γ ε λ ί ζ ε σ θ α ι

Die Septuaginta gebraucht das Verbum im Aktiv, im Passiv und im Medium, und zwar in profanen ebenso wie theologischen Zusammenhängen. Mehrfach tritt die Annäherung von εύαγγελίζομαι an bloßes •άγγέλλω deutlich in Erscheinung. Im ganzen läßt sich keine einheitliche, traditionelle Prägung des Verbums erkennen, wohl aber verschiedene Reflexe von Traditionsbildungen. Das Aktiv vertritt hebräisches ISO für die Verbreitung von Siegesbotschaften l.Sam. 31,9 = l.Reg. 31,9 7 und 2.Sam. 18,19f. = 2. Reg. 18,19 f. Die das hebräische Hithpael aufnehmende, passivische Konstruktion von 2. Sam. 18,31 = 2. Reg. 18,31 wird, wie wir eben gesehen haben, von einigen Handschriften der Septuaginta als fremd 1

Mit Schniewind, Euangelion S. 66 gegen Bultmann, Theol. 3 S. 89. boc 2 e 2 sind die Handschriften, die A. Rahlfs, Septuaginta-Studien, 3 . H e f t : Lucians Rezension der Königsbücher, Göttingen, 2. Aufl. 1965, S. 9ff. als Zeugen der Lukianischen Rezension verstehen gelehrt hat. 3 Vgl. Field und Brooke-McLean-Thackeray a . a . O . 4 Interessant sind die Varianten: cx lesen ούκ άνήρ άγγελείας συ und dokumentieren damit, wie nahe f ü r Septuagintahandschriften die Stämme εύαγγελund άγγελ- zusammengehören; boz(mg)c 2 e 2 haben ούκ άνήρ εύαγγελισμοϋ εί συ und gebrauchen damit ein Substantiv, das sich erst bei den Kirchenvätern im Sinne von Frohbotschaft, Evangeliumspredigt nachweisen läßt (vgl. G. W. H . Lampe, A Patristic Greek Lexicon, Fase. 2, Oxford 1962, S. 659; Liddell u. Scott führen das Wort nicht auf). 6 Die Bedeutimg „Botenlohn" des hebräischen Ϊ Π 1 Μ wird hier umschrieben m i t : εύαγγελία εις ώφέλειαν πορευομένφ. 6 Das hebräische Substantiv ¡15710$, das uns verschiedentlich als alttestamentliches Äquivalent f ü r jüdisches m i t t O begegnet ist, wird von der Septuaginta mit άγγελία, vor allem aber mit άκοή, nicht jedoch mit εύαγγέλιον übersetzt. Hier wird also deutlich, daß sich die semitische und griechische Begriffsgeschichte von εύαγγέλιον und ΠΠίίΟ nicht decken, sondern voneinander abzuheben sind! 7 Die Parallele l.Chr. 10,9 h a t dafür das gebräuchlichere Medium. 2

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empfunden und hellenisiert. 2. Sam. 18,31 = 2. Reg. 18,31 zeigt jedoch, daß in der Septuaginta das Passiv von εύαγγελίζεσθαι für den Erhalt einer (erfreulichen) Botschaft stehen kann. 2. Sam. 1,20 = 2. Reg. 1,20 erscheint das Medium, dem hebräischen Text genau entsprechend, für die Proklamation einer (nur für die Feinde Israels) erfreulichen Nachricht. Parallelausdruck ist hier άναγγέλλω (für hebräisches 1SJ hi). Dieselbe Parallelität begegnet Ps. 95 (96), 2: V. 2 b εύαγγελίζεσθ-ε . . . το σωτήριον αύτοϋ steht in Parallele zu V. 3a: αναγγείλατε . . . την δόξαν αύτοϋ. ευαγγελίζεστε steht für Π if 3, αναγγείλατε für hebräisches ΉδΟ. In l.Chr. 16,23, wo Ps. 95 (96),2 wiederkehrt, bieten Sinaiticus, Vaticanus und Alexandrinus für hebräisches VltD: άναγγείλατε, und nur eine, von Field notierte 1 Handschrift hat dafür als Randlesart εύαγγελίσασ&ε ! Der umgekehrte Vorgang findet sich Jer. 28 (51), 10. Hier hat die Septuaginta - líberlieferung für das hebräische TOD = in Zion die (erfreuliche) Nachricht vom Gericht Gottes an Babel verbreiten, einhellig άναγγέλλειν, während Aquila εύαγγελίζεσθ-αι liest 2 . Der Vorgang ist nur erklärlich, wenn ευαγγελίζομαι sich in der Wortbedeutung bloßem άγγέλλω weitgehend angenähert hat, so daß beide Stämme austauschbar werden können. Der Vorgang des Austausches begegnet noch einmal Jes. 60,6: Für das gutbezeugte εύαγγελίζεσθαι setzt eine Handschrift (147) άναγγελίζεσ&αι ein 3 . Es handelt sich dabei aber vermutlich um eine aus einem Schreibversehen heraus entstandene Variante. Mit der Übersetzung von ΉΒΟ'' ΠΊΠ1 mVnni in Jes. 60,6 durch καΐ τό σωτήριον κυρίου εύαγγελιοϋνται stoßen wir das erste Mal auf Traditionszusammenhänge, die nicht unerwähnt bleiben dürfen. Die Wiedergabe von ¡tVnn mit σωτήριον ist in der Septuaginta singulär. Die Wendung εύαγγελίζεσ&αι το σωτήριον (κυρίου) taucht aber, wie wir gesehen haben, ebenso Ps. 95 (96), 2 auf, scheint also stereotyp zu sein 4 . Diese Tatsache widerrät dem Vorschlag I. L. Seeligmanns, in der Übersetzung von Jes. 60,6 eine späte christliche Korrektur (als Weissagung auf die Magier, vgl. Mt. 2,11) zusehen 6 . Das entscheidende 1 2

Origenis Hexaplorum Fragmentai, S. 717. Vgl. Göttinger Septuaginta Bd. 15: Ieremias, ed. J. Ziegler, z. St. 3 Vgl Göttinger Septuaginta Bd. 14: Isaías, ed. J. Ziegler, z. St. 4 Hebräisches Äquivalent in Ps. 96,2 ist Π5?1ϊ#\ ein Wort, das von der Septuaginta besonders in den Psalmen und bei Jesaja mit σωτήριον wiedergegeben wird. 6 The Septuagint "Version of Isaiah, MVG Ex Oriente Lux 9, Leiden 1948, S. 28. — Seeligmanns Studie lehrt (ähnlich wie schon J. Ziegler, Untersuchungen zur Septuaginta des Buches Isaias, ATA 12,3, Münster i. W. 1934 und neuerdings der Aufsatz von Ch. T. Fritsch, The Concept of God in the Greek Translation of Isaiah, in: Biblical Studies in Memory of H. C. Alleman, Gettysburg Theological Studies, New York 1960, S. 155-169) die Jesaja-Septuaginta als Zeugnis alexandrinischer Übersetzungs- und Interpretationskunst, also als ein Dokument jüdisch-alexandrinischer Theologie zu verstehen. 11 6838 Stuhlmacher, Evangelium

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Stichwort σωτήριον spielt Mt. 2,11 gar keine Rolle ! Vielmehr ist mit L. H. Brockington anzunehmen, daß hier eine bewußte, traditionsgebundene, theologische Interpretation der Septuaginta vorliegt 1 . Die Jesaja-Septuaginta hat ein spezielles Interesse daran, (über den masoretischen Text hinaus!) das rettende und befreiende Handeln Gottes für sein Volk herauszustellen (vgl. die Übersetzungen von 33,20; 38,11 (B); 40,5 usw.) 2 . Dasselbe Interesse ist aber auch im JesajaTargum nachzuweisen, nur daß hier andere Stellen aufgegriffen und interpretiert werden. Dieses parallele sachliche Interesse bei der Septuaginta und dem Targum zum Jesajabuch führt Brockington zu dem Schluß, daß wir eine in der jüdischen Diaspora ebenso wie im Mutterland bekannte, theologische Tradition vor uns haben, welche sich an verschiedenen Orten der Überlieferung (der Septuaginta und dem Targum) parallel Ausdruck verschaffe 3 . Erst solche Sicht der Dinge wird uns die Auslegung verstehen lassen, welche in der Septuaginta die Tradition vom "ifeaa erhält. Zunächst aber sind die verbalen Belege vollends zu erörtern. l.Kön. 1,42 = 3. Reg. 1,42 folgt die Septuaginta wieder treu dem hebräischen Text, wenn sie εύαγγελίζομαι mit dem Objekt άγαθά gebraucht 4 . Auch Jer. 20,15, wo εύαγγελίζομαι für die Verkündigung der Geburt eines Sohnes eintritt, Ps. 39 (40), 10 und Jes. 61,1 geht die Übersetzung genau dem hebräischen Urtext nach. Durch die Übertragung von Ί2>3 mit εύαγγελίζεσθ-αι in Jes. 61,1 wird diese Stelle aber zu einem sprachlichen Vollklang gebracht, an welchen das junge Christentum bei seiner Übersetzung aramäischer Tradition gut anschließen konnte, sobald es den Propheten von Jes. 61 als Heils1 L. H. Brockington, Septuagint and Targum, ZAW 66, 1954, (S. 80-86) S. 81 ; die folgenden Belege nach Brockington, S. 80f. 2 Vgl. Brockington a.a.O.; ebenso Seeligman, a.a.O. S. 114f. 3 "There is no great difficulty in supposing that Jews in, say, Alexandria, would have the same exegetical traditions as those in Jerusalem. Constant contact would be maintained between Judaea and the Diaspora, for purposes of trade if for nothing else. There would inevitably be exchange of views and differences of opinion but there would be general agreement of the basic tradition which would probably be handed on orally. Thus there may well have been a fair amount of oral work before written targums, whether Greek or Aramaic, came into existence", Brockington, a.a.O. S. 83; vgl. auch S. 86. Auf teilweise enge Berührungspunkte zwischen der in den Zeugnissen des hellenistischen Diasporajudentums und im Rabbinat bezeugten exegetischen Methodik weist G. Mayer in seinem Artikel: Exegese II (Judentum), RAC VI, Sp. 1194^1211 hin; B.M.Metzger, The Formulas introducing Quotations of Scripture in the NT and the Misnah, JBL 70, 1951, (S. 297-307) 301 Aran. 8 und 305 Anm. 12 macht auf die Parallelität mischnischer und philonischer Einführungsformeln von Schriftzitaten aufmerksam. Brockingtons Sicht scheint sich also auf mehreren Wegen zu bewahrheiten. — Vgl. zu unserem Problem ferner M. H. Goshen-Gottstein, Theory and Practise of Textual Criticism, Textus 3, 1963, S. 130-158. 1 Vgl. zur Beurteilung S. 155f.

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figur verstand. Da 4.Makk. 18,23 ευαγγελίζονται offensichtlich eine im Sinaiticus verschriebene Variante für συναγελάζονται = „sie werden zugesellt" ist 1 , sind hiermit die zu nennenden Belegstellen erschöpft. Was hat sich ergeben? Sprachlich hat sich ευαγγελίζομαι teilweise an bloßes άγγέλλω/άναγγέλλω angeglichen, ohne jedoch jemals negativen Akzent zu gewinnen. Das Verbum taucht in profanen Zusammenhängen auf, wird aber auch theologisch akzentuiert für die Proklamation von Heil und Gerechtigkeit eingesetzt. Daß die Septuaginta bei solchem Wortgebrauch auch von theologischer Tendenz und palästinischer Tradition abhängig sein dürfte, hat die Übersetzung von Jes. 60,6 gezeigt. Wenn G. Friedrich vermutet, die Wiedergabe dieser Stelle könnte von einem durch das Verbum εύαγγελίζεσθαι hergestellten Sachzwang zur Heilsverkündigung diktiert sein 2 , so hat sich diese Vermutung für uns zu einer traditionsgeschichtlichen Fragestellung präzisieren lassen, der nunmehr weiter nachzugehen ist. γ) Das P a r t i z i p εύαγγελιζόμενος Daß der Unglücksbote 1.Sam. 4,17 = l.Reg. 4,17 von Septuaginta ausweichend παιδάριον genannt wird, ist uns schon bekannt. Eine negative Tendenz ließ sich mit dem Stamm εύαγγελ- nicht ausdrücken. Die eigentliche Übersetzung von in der Septuaginta ist εΰαγγελιζόμενος. Es ist wiederum höchst bemerkenswert, wie sich diese Wiedergabe durch alle verschiedenen Übersetzungsschriften durchhält. Eben damit wird die das hebräische Partizip genau ins Griechische übertragende Rede vom εύαγγελιζόμενος zu einem eigenständigen terminus technicus, der sich von dem gebräuchlichen hellenistischen Wort für den (Freuden-)Boten, εύάγγελος, abhebt und eventuell auch bewußt abheben soll. Als εύαγγελιζόμενος ( = Ί6η») erscheint 2. Sam. 4,10 = 2. Reg. 4,10 der Bote, der David die Botschaft vom Tode Sauls überbringt und ihn dadurch zu erfreuen hofft. 2. Sam. 18,26 = 2. Reg. 18,26 ist es der von David erhoffte Siegesbote ; Nah. 2,1 der Heilsbote für Juda. Septuaginta bestimmt diesen Heilsboten ebensowenig näher wie der hebräische Urtext. Bedenkt man, daß sich auch in der semitischsprachigen Auslegung von Nah. 2,1 keine Näherbestimmung des Boten zeigte, wird man vielleicht sagen dürfen, daß die Septuaginta von dieser Tatsache Kenntnis besaß. In solcher Vermutung kann die Tatsache nur bestärken, daß sich die Septuaginta auch bei der Wiedergabe von Jes. 40,9; 41,27; 52,7; Ps. 67(68), 12 und Joel 3,5 durchaus 1 Vgl. M. Hadas, The third and fourth Books of Maccabees (Dropsie College Edition, Jewish Apocryphal Literature), New York 1953, S. 242f. 2 ThWb II S. 711, If.

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im Rahmen von Auslegungstraditionen bewegt, welche uns im palästinischen Judentum zum Thema lira» begegnet sind. Das Verständnis von Joel 3,5 ist umstritten. Nach dem masoretischen Text ist zu übersetzen: „Und jeder, der den Namen Jahwes anruft, wird gerettet werden, denn auf dem Berg Zion und in Jerusalem wird Rettung sein, wie Jahwe gesagt hat, und unter den Entronnenen (Q,"r")»2'l) wird sein, wen der Herr beruft" 1 . H. W. Wolff hebt hervor, daß V. 5b ( = und unter den Entronnenen etc.) als Nachtrag wirkt, der verschiedener Deutung fähig war 2 . Septuaginta übersetzt: και εσται πας, δς αν έπικαλέσηται το ονομα κυρίου, σωθ·ήσεται· δτι έν τω βρει Σιων και έν 'Ιερουσαλήμ εσται άνασωζόμενος, καθ-ότι είπεν κύριος, και εύαγγελιζόμενοι, ους κύριος προσκέκληται. Sie könnte also statt D,"P"ltLai gelesen haben: εύαγγελιζόμενοι = Dnfraai 3 . Schniewind hält den so entstandenen griechischen Text für sinnlos4, während Friedrich erwägt, ob hier nicht „die alte Anschauung vom Freudenboten zu finden (ist)" 6 . Sinnlos ist der Text in keinem Fall, denn man kann εύαγγελιζόμενοι, allerdings gegen den terminologischen Sinn, den das Partizip in der Septuaginta gewonnen hat, als Part. Pass, auffassen und mit Billerbeck übersetzen: „die, denen die gute Botschaft [sc. vom Heil] überbracht wurde" 8 . Dies würde mit der jüdischen Auslegung von Joel 3,5 übereinstimmen 7 . Die Septuaginta hätte dann den Text im Lichte von Jes. 61,1 interpretiert und unter den εύαγγελιζόμενοι diejenigen verstanden, denen die Botschaft vom endzeitlichen Heil zuteil geworden ist. So empfehlenswert solche Auslegung sein mag, sie widerspricht dem terminologischen Sinn des Partizips. Erinnern wir uns deshalb der mehrfach bezeugten Auslegungstradition zum Thema 1ÍT30, welche für die Endzeit eine Vielzahl von (prophetischen) D'HtPaa = εύαγγελιζόμενοι verheißt 8 , so ist ganz im Sinne Friedrichs zu erwägen, ob die Septuaginta ihren Text nicht im Lichte solcher Auslegungstradition gesehen und verstanden hat. Daß diese Tradition den Übersetzern der Septuaginta bekannt gewesen ist, ergibt sich eindeutig aus der Wiedergabe von Ps. 67 (68), 12, der wir uns gleich zuwenden werden. Ob man sich aber nun für Billerbecks oder, besser, für die zweite Verständnismöglichkeit entscheidet, in jedem Fall kann man die Übersetzung von Joel 3,5 nicht dafür ins 1 a 3 5 7

Übersetzung nach A. Weiser, Kl. Propheten, z. St. Dodekapropheton, Joel, BK 14,5, Neukirchen 1963, S. 66. 4 Vgl. z.B. Wolff, a.a.O. Euangelion, S. 67. ThWb II S. 710,38f. · Bd. III, S. 7. Zu dieser vgl. Billerbeck, Bd. II S. 616f.; I S . 452. 952; ferner Midr. Tehillim, Ps. 71,3 § 3 und Mechilta, Pisha 12, Z. 58 (I p. 93 Lauterbach): Joel 3,5 wird hier regelmäßig eschatologisch interpretiert, allerdings der Text nie auf den oder die Freudenboten hin ausgelegt. » S. o. S. 149.

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Feld führen, daß die Septuaginta die Tradition(en) vom mißverstaiiden habe oder daß sie ihr sogar unbekannt gewesen sei(en). Ps. 67(68), 12 lautet in der Septuaginta: κύριος δώσει ρήμα τοις εύαγγελιζομένοις δυνάμει πολλή1. Schniewind2 und Friedrich3 sehen in diesem Text erneut mangelndes Verständnis für die "ifraa-Tradition dokumentiert, zu Unrecht. Denn wohl wird in der rabbinischen Tradition Ps. 68,12 auf das Sprachwunder am Sinai ausgelegt, aber eben auch auf Mose und Aaron 4 . Bereits deshalb darf man in der Änderung des hebräischen Part. fem. pl. in ein griechisches Maskulinum kein Mißverständnis mehr vermuten. Vor allem aber spricht die eschatologische Fassung des Verses (und Psalmes) dafür, daß Septuaginta hier gemäß der eben genannten Tradition von einer Vielzahl von Verkündigern der Grottesherrschaft in der Endzeit auslegt, sich also (bewußt!) im Rahmen der jüdischen Auslegungstradition bewegt. Hat man die erwähnte Tradition im Auge, wird Ps. 67 (68), 12 sogar als ein Hauptbeleg jener prophetisch-endzeitlichen Auslegung gelten dürfen, welche das Amt des "W3Q am Ende der Tage vervielfacht weiß. Jes. 40,9, die Aufforderung an Zion und Jerusalem zur Botschaft an das Land, wird in Septuaginta maskulinisch wiedergegeben: ζπ 0ρος ύψηλον άνάβηθι, ó εύαγγελιζόμενος Σιων δψωσον τη ίσχύι την φωνήν σου, ó εύαγγελιζόμενος 'Ιερουσαλήμ· υψώσατε, μή φοβεϊσθ-ε· είπόν ταΐς πόλεσιν Ίουδα 'Ιδού ó θεός υμών. Bedeutet dies „Erleichterung und Abschwächung" des hebräischen Textes? 5 Kaum! Zwar stellen Aquila und Symmachus die dem masoretischen Text entsprechenden Feminina wieder her, aber es bleibt ja zu beachten, daß das hebräische Partizip fem. als Amtstitel verstanden werden kann* und daß in der Septuaginta'Ιερουσαλήμ gelegentlich auch maskulin verstanden wird 7 . Der griechische Text wäre dann also einwandfreie Wiedergabe des Hebräischen. Es ist freilich auch möglich zu verstehen: Bote für Zion/Jerusalem, da εύαγγελίζεσ&αι gern mit Akkusativobjekt konstruiert wird. Auch dies würde dem Text und seiner jüdischen Auslegungstradition durchaus entsprechen8. Bedenkt man, daß die Sep1 Die Wiedergabe von X32J mit δύναμις ist in der Septuaginta gebräuchlich. Symmachus liest (vgl. Field, Hexaplorum Fragmenta II, S. 201): κύριος έδωκε ρήσεις εΰαγγελιζομένη στρατιά πολλή. 2 Euangelion, S. 67. 3 ThWb II, S. 710, 23f. 1 Vgl. oben S. 150. 6 Friedrich, ThWb II S. 710,25; vgl. auch Schniewind, Euangelion S. 67. • Vgl. oben S. 120, Anm. 1. 7 Vgl. Blaß- Debrunner § 56,4 (Anhang). 8 Daß Jes. 40,9 usw. die Tradition von der Mehrzahl endzeitlicher Verkündigungsboten, der wir Ps. 67 (68), 12 und Joel 3,5 zu begegnen meinten, nicht aufgegriffen wird, erklärt sich ungezwungen aus dem Umstand, daß die Übersetzungsschriften der Septuaginta aus verschiedener Zeit und also auch aus sich wandelndem Traditionsmilieu stammen.

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tuaginta unter dem "lfeaa Jes. 52,7 (und 41,27) Gott selbst zu verstehen scheint, gewinnt die erste der Vorgeschlagenen VerstäncLnismöglichkeiten gegenüber der zweiten an Wahrscheinlichkeit. Jes. 52,7 wird in der jüdischen Auslegungstradition auf Elia, den Messias, aber auch auf Gott selbst hin interpretiert 1 . Septuaginta scheint diese letzte Interpretationsmöglichkeit zu kennen und übersetzt den Vers: ώς ώρα έπί των ορέων, ώς πόδες εύαγγελιζομένου άκοήν ειρήνης, ώς εύαγγελιζόμενος άγαθ-ά, δτι άκουστήν ποιήσω την σωτηρίαν σου λέγων Σιων Βασιλεύσει σου ó θ-εός. Freilich ist sogleich das vergleichende ώς zu beachten: In der rabbinischen Auslegung ist Gott selbst mit dem Verkünder identisch, in der Septuaginta handelt es sich um einen Vergleich ! Der Wandel erklärt sich aber aus der transzendenten Gottesvorstellung der Jesaja-Septuaginta 2 und besagt nicht, daß sie für die Ifraa-Aussage des Textes kein Verständnis aufbrachte ! 3 Vielmehr versucht sie, in ihrer Kategorialität die jüdische Tradition zu Gehör zu bringen. Zeugnis dessen ist wohl auch die Übersetzung von Jes. 41,27. Den schwierigen masoretischen Text, den bereits die Jesaja-Rolle aus Höhle 1 von Qumran 4 änderte 6 : ]ΠΝ n^tíwVl Din Π3Π JVX1? interpretiert das Targum auf die Trostworte der Propheten und den von Gott gesandten Freudenboten, welcher in der jüdischen Tradition später auch als der Messias verstanden werden kann®. Beachtenswert ist aber, daß die messianische Interpretation des Ifaaa zu unserer und zu anderen Stellen sich höchstens bis in die neutestamentliche Zeit, aber nicht darüber hinaus zurückverfolgen läßt 7 . Historisch dürfte sie darum als Verständnishintergrund oder auch als Maßstab für Wert oder Unwert der vorchristlichen Septuaginta-Übersetzungen nicht in Frage kommen! Hält man sich dies vor Augen, kommt die Übersetzimg von Jes. 41,27 in andere Beleuchtung. Sie lautet: αρχήν Σιων δώσω και 'Ιερουσαλήμ παρακαλέσω εις όδόν. Das εις όδόν wird mit Ziegler als Einschub zu beurteilen sein8. Dann aber liegt es nahe anzunehmen, daß die Septuaginta JVX1? p t f m mit jnx verband und den Rest des Verses auf Gottes eigenes tröstliches Verhalten bezog. Man kann nicht mit Gewißheit sagen, daß sie damit aufs neue Gott selbst ausdrücklich als 1ÍT3ÍD verstand, aber, von Jes. 52,7 her geurteilt, 1

Vgl. oben S. 148 f. Vgl. Ch. T. Fritsch a. S. 157 Α. 5 a.O.; Seeligmann, a.a.O. S. 96ff. 3 So wohl Schniewind, S. 73 Anm.4 und sicher Friedrich, ThWb II S. 710,25ff. 4 Herausgegeben von M. Burrows, The Dead Sea Scrolls of St. Mark's Monastery, Bd. 1 : The Isaiah Manuscript and the Habakkuk Commentary, New Haven 1950; unsere Stelle a.a.O. Tafel 35. s Zur Lesung von 1 QIs z. St. = ΠΏΠΠ Π3Π Jltfin vgl. Ch. R. North, Second Isaiah, S. 104. • Vgl. S. 148. ' Vgl. S. 151, Anm. 2. 8 Untersuchungen zur Septuaginta des Buches Isaías, S. 72. 2

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ist dies wenigstens eine Möglichkeit, die man nicht ausschließen sollte. Freilich ist, wenn wir richtig urteilen sollten, die alte jüdische Interpretation nunmehr ganz hinter einer neuen theologischen Übersetzung verborgen. Wie immer man dies Vorgehen der Übersetzer beurteilen mag 1 , deutlich sollte sein, daß die Septuaginta auch mit dieser Übersetzung auf Wegen vorwärtsschreitet, die ihr die Tradition vorgab : Auch das Targum sah in dem rätselhaften Qlü ΓΠΠ ein Trostamt beschrieben, und Gottes Walten als das eines "ifeoa zu schildern, lag schon dem Rabbinat nicht fern 2 . Die Septuaginta deutet also, wo sie nicht nur dem biblischen Text folgt, sondern ihn zugleich mit ihrer Wiedergabe auslegt, die Aussagen des hebräischen Textes im Sinne zweier Interpretationsmöglichkeiten, die sich schon in der semitisch-sprachigen Auslegungstradition fanden : Gott selbst ist der Freudenbote, oder eine Vielzahl von Verkündigern der Gottesherrschaft wird für das Ende der Tage erwartet. So sehr dieses exegetische Vorgehen interpretatorische Veränderungen gegenüber der palästinischen Exegese mit sich bringt, so wenig kann man es als Zeichen eines grundlegenden Mißverständnisses gegenüber den alttestamentlichen Textaussagen werten. δ) Zusammenfassung Über einen profan-hellenistischen Gebrauch von εύαγγέλιον führt die Septuaginta nicht hinaus, so daß wir von ihr her dem geprägten Phänomen des paulinischen und vorpaulinischen Gebrauches von το εύαγγέλιον nicht direkt näherkommen. Bei den Belegen für das Verbum erwies sich, daß εύαγγελίζεσθ-αι in der Septuaginta weitgehend zum allgemeinen Botschaftsbegriff hin abgeflacht ist, aber nie im Sinne ausgesprochener Unheilsbotschaft gebraucht werden kann. In die Nähe neutestamentlicher Redeweise führt die Ps. 95 (96), 2 und Jes. 60,6 begegnende Formel: εύαγγελίζεσθαι το σωτήριον (κυρίου). Gerade diese Formel erweist sich Jes. 60,6 als von einer theologischen Auslegung inspiriert, welche die Übersetzer der Jesaja-Septuaginta mit den exegetischen Traditionen und Interessen des semitisch-sprachigen Judentums verbindet. Die Interpretationen, welche die alttestamentlichen Aussagen vom Ί&3» bei der Übersetzung ins Griechische erhalten, 1

Schniewind, Euangelion ( S. 67 f. urteilt von der Folie der späteren rabbinischen Interpretation her, die Septuaginta habe z. St. überhaupt nicht mehr verstanden, wer der 1(T3Ö sein soñé. 2 Als genaue jüdische Parallele zu unserem Zusammenhange erscheint es, wenn Billerbeck I S. 1004 Pesikta de Rab Kahana 28,10 folgendermaßen zitiert: ,,. . . und ich bringe euch den Ersten, das ist der Messias, s. Jes. 41,27: 'Der Erste für Zion, siehe, siehe, da ist es nun, und an Jerusalem sende ich frohe Botschaft'." Doch sind die letzten vier Worte leider nur sinngemäße Wiedergabe Billerbecks, der Text a.a.O. lautet: ]ΠΝ 1 6 n » D''Vt!?Tl,Vl, spricht also vom Freudenboten und nicht von einer Gottesbotschaft.

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stehen sogar durchweg in Kontinuität mit den Aussagen des palästinischen Judentums: Unter theologischem Aspekt spricht die Septuaginta zwar nicht von Elia oder dem Messias als vom wohl aber von Gott selbst und von der endzeitlichen Schar der Verkünder der Gottesherrschaft. Damit erhalten die neutestamentlichen Aussagen von Apg. 10,36 und Rom. 10,15 eine traditionsgeschichtliche Stütze auch aus dem Bereich des hellenistischen Judentums. Für den Neutestamentier dürfte das Hauptergebnis der Untersuchimg über die Vorkommen des Stammes εύαγγελ- in Septuaginta sein, daß deutliche traditionsgeschichtliche Verbindungen zwischen den Aussagen des semitisch- und des griechisch-sprachigen Judentums bestehen, daß man die Traditionen beider jüdischer Gruppen zusammensehen und deshalb damit rechnen darf, daß auch den griechisch sprechenden Juden Auslegungsweisen gegenwärtig sein konnten, welche uns heute nur hebräisch bzw. aramäisch überliefert sind. Auch unter diesem Aspekt ist es bedeutsam, daß die Wurzel "ifoa von der Septuaginta stets mit dem Stamm εύαγγελ- und seinen Derivaten übersetzt wird, sofern nicht der negative Sinn des Hebräischen im Griechischen ein Ausweichen auf eine andere Wortgruppe erzwang. Terminologischen Sinn gewinnt in der Septuaginta nur das f ü r 1ÍP3» eintretende Partizip εύαγγελιζόμενος, das ja in die Sprache neutestamentlicher Autoren direkt eingegangen ist (vgl. Apg. 10,36; Rom. 10,15). Die Septuaginta hat somit den griechischen Wortstamm εύαγγελ- als ein traditionsgeschichtlich schmiegsames Übersetzungsinstrument f ü r alle die (positiven) Aussagen bereitgestellt, die sich f ü r die Autoren des Neuen Testaments mit der Wurzel 1ÍP3 verbanden oder an sie gebtmden waren. b)

Josephus1

Der Stamm εύαγγελ- ist in der Septuaginta zum Medium eines f ü r unser Thema bedeutsamen traditionsgeschichtlichen Vorganges geworden, nach welchem sich hellenistisches Denken und semitische IfeO-Traditionen vereinen und überschneiden. Josephus und Philo helfen uns, diesen Amalgamierungsprozeß noch weiter in das hellenistische Judentum hinein zu verfolgen. α) Die Belege® Josephus gebraucht den Stamm εύαγγελ- insgesamt 16mal. Das Substantiv εύαγγέλιον findet sich Bell. 2,420; 4,618. 656; das Nomen 1 Vgl. zum Folgenden Schniewind, Euangelion, S. 95-112; Friedrich, ThWb I I S. 711,24£f. 723,3ff.; Michel, Art. Evangelium, Sp. 1108/09. 2 Da Herr Prof. Κ. H. Rengstorf, Münster, die Freundlichkeit hatte, mir aus der von ihm vorbereiteten Josephus-Konkordanz die vollständige Zahl

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εύαγγελία nur Ant. 18,229; alle übrigen Belege entfallen auf das (nur medial gebrauchte) Verbum εύαγγελίζεσ&αι : Bell. 1,607; 3,143.503; Ant. 5,24. 277. 282; 6,56; 7,245.250; 11,65; 15,209; 18,228. Unter traditionsgeschichtlichem Aspekt läßt sich dieses Stellenmaterial in zwei Gruppen scheiden : Belege, in denen die alttestamentlich-jüdische Tradition sprachlich und sachlich beherrschend ist, und Stellen, welche in erster Linie hellenistische Sprechweise und Denkart dokumentieren. Schon hier können wir, unbeschadet der im Werk des Josephus höchst komplizierten quellen- und traditionskritischen Frage 1 , feststellen, daß sich das jüdisch-beeinflußte Material nur in dem Teil der Antiquitates findet, welcher der Darstellung der israelitischen (Heils-)Geschichte gewidmet ist. Die hellenistischen Stellen dagegen tauchen auf im „Jüdischen Krieg" und dem Schlußteil der Jüdischen Altertümer, beides Schriftkomplexe, welche politisch bedeutsame, junge und jüngste Vergangenheit unter bewußt tendenziösem Blickwinkel darlegen wollen2. Erstaunlich ist nun aber, wie sich beide Überlieferungsströme, der jüdische und hellenistische, bei Josephus vereinen und vermischen. Diesen Vorgang zu verfolgen, ist sinnvoll, auch wenn uns das zu behandelnde Material an den neutestamentlichen Gebrauch des Stammes εύαγγελ- nicht näher heranführen sollte. ß) J ü d i s c h e T r a d i t i o n e n Wir wenden uns zunächst dem jüdisch akzentuierten Belegmaterial zu. Wie nahe sich freilich in neutestamentlicher Zeit 3 jüdische und hellenistische Rede von εύαγγέλιον, εύαγγελίζεσθαι etc. faktisch gekommen sind, erhellt bereits aus dem Umstand, daß Schniewind und Friedrich den Großteil des jetzt zu besprechenden Materials als Zeugnisse hellenistischen Denkens werten, während wir meinen, den entscheidenden sprachlichen Anstoß habe die jüdische ΊίΓ3-Tradition gegeben. Man wird solche Divergenz des Urteils positiv dahingehend auswerten dürfen, daß es im 1. Jh. ein verhältnismäßig großes sprachder Stellen mitzuteilen, an denen bei Josephus der Stamm εύαγγελ- auftritt, können wir im Folgenden das bei Josephus vorliegende Gesamtmaterial überschauen. 1 Vgl. dazu die Übersicht bei M. Hengel, Zeloten, S. 6-18. 2 Hengel bezeichnet a.a.O. S. 15 Josephus als Tendenzschriftsteller und Apologeten: „Trotz der Betonung seiner Wahrheitsliebe und seiner Fähigkeit als Historiker, war er im Grunde nicht so sehr Geschichtsschreiber als vielmehr Tendenzschriftsteller und Apologet. Seine verschiedenen Werke sind alle durch feste politische bzw. religiöse Absichten bestimmt." 3 Josephus wurde 37/38 p. Chr. n. in Jerusalem geboren, stammte aus dem Priesteradel und bezeichnet sich selbst (Vita 12 [vgl. z. St. jedoch Hengel, a.a.O. S. 378 Anm. 3]) als Pharisäer, vgl. W. Foerster, Artikel: Flavius Josephus, RGG 3 III Sp. 868/869.

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liches Feld gibt, auf welchem sich hellenistische und jüdische Redeweise vom Evangelium decken, das also Juden und Griechen gleichermaßen verstehbar war1. Ant. 5,24 stammt aus dem Bericht von der Einnahme Jerichos durch Josua (vgl. Jos. 6,1-19). In einer midraschartigen Erweiterung2 von Jos. 6,16 heißt es, daß Josua am siebenten Tage das Heer versammelt und den Fall der Stadt kraft Gottes Hilfe und Wundertat verheißt: . . . τη έβδομη το όπλιτικόν Ίησοϋς συναγαγών και τον λαόν άπαντα τήν αλωσιν αύτοΐς της πόλεως εύηγγελίζετο . . . . εύαγγελίζεσθ-αι im Sinne von verheißen, versichern, ankündigen ist uns mehrfach im jüdischen Bereich begegnet3, so daß ich keinen Anlaß sehe, mit Schniewind hier einen ausgesprochen griechischen Bedeutungssinn zu konstatieren4. Auch Ant. 5,277. 282 gehört nicht in erster Linie in die „Sphäre griechischen Empfindens"5: In einer wiederum midraschartig aufgelockerten Nacherzählung von Geburt und Taten Simeons wird der kinderlosen Frau Manoahs durch einen Engel in Jünglingsgestalt die Geburt eines schönen und starken Sohnes nach Gottes Vorsehung verkündigt (vgl. Ri. 13,2fF.). Ant. 5,277 heißt es: . . . τη γυναικί φάντασμα έπιφαίνεται του θ-εοϋ νεανία καλω παραπλήσιον μεγάλω καί εύαγγελιζόμενον αύτη παιδός γονήν κατά ·9-εοϋ πρόνοιαν καλοϋ τε καί ρώμην επιφανούς . . . . Manoah selbst zweifelt an der Verheißung® und bittet 1

F ü r die Existenz solcher gemeinsamer sprachlicher Felder u n d Begriffe vgl. Ν. P . Bratsiotis, tfBJ-ΨΥΧΗ. E i n Beitrag zur Erforschung der Sprache u n d der Theologie der Septuaginta, Suppl. zu VT 15 (Kongreß-Band, Genf 1965), 1966, S. 58-89. 2 Zu Schriftverständnis u n d Schriftgebrauch des Josephus vgl. H . St. J o h n Thackeray, Josephus t h e Man and t h e Historian, New York 1929, S. 80-93. Zum SteÜenmaterial im Folgenden ist besonders die Vermutung Thackerays bedeutsam, Josephus stütze sich bei seinem Bericht über die Begebenheiten a u s Richter, J o s u a u n d R u t h nicht auf die Septuaginta, sondern auf eine targumartige Paraphrase (S. 81). Wichtig ist ferner der Hinweis, d a ß die verschiedenen legendarischen Zusätze im Geschichtsbericht des Josephus auf Midraschim zurückgeführt werden k ö n n t e n : " H e has culled from all quarters: Alexandria and even t h e Sibylline Oracles have contributed their quota. B u t a large proportion find parallels, or partial parallels, in t h e Rabbinic works, which were not compiled until a century or more later, a n d these, with other traditions for which no parallel can be traced, m a y be regarded as a valuable collection of first century Midrash" (S. 91). Handelt es sich u m Stoffe, die vorzutragen in der hellenistischen Synagoge üblich war? 3 4 Vgl. oben S. 135f. Vgl. Euangelion S. 97f. 5 Schniewind, a . a . O . S. 98. « Das Motiv des Zweifels begegnet Lk. 1,18ff. genauso. E s d ü r f t e also kein spezifisch hellenistisches Kennzeichen unseres Textes sein, wie Friedrich T h W b l l S. 711,36ff. meint. Auch die Parallelität von ευαγγελίζεσαι m i t anderen Verba dicendi weist nicht ausschließlich in den hellenistischen Bereich. Wenn im Text schließlich von der πρόνοια die Rede ist, so wird d a m i t wohl ein ursprünglich stoischer Begriff aufgegriffen, der aber bei Josephus bereits z u m generellen Ausdruck f ü r Gottes Geschichtswalten geworden ist (vgl.

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den Engel um seinen Namen, damit man ihn nach der Geburt des Kindes durch Gaben ehren könne. Der Engel entgegnet Ant. 5,282, er habe nicht um etwaiger Geschenke willen die Geburt verheißen: . . . ουδέ γάρ κατά χρείαν ταΰτα εύαγγελίσασθ·αι περί της του παιδός γονής Jer. 20,15 und im Targum zu Jer. 20,15, sowie in den Stellen, die Abraham Nachkommenschaft verheißen 1 , war uns der hier mit εύαγγελίζεσ&αι verbundene Sinn bereits begegnet, so daß wir aufs neue mit einem Reflex jüdischer Redeweise rechnen dürfen 2 . Da im Judentum oftmals zum bloßen Verbum dicendi abgeschliffen ist, läßt es sich durchaus jüdischem Sprachempfinden einordnen, wenn es Ant. 6,56 in einem l.Sam. 9,26-10,13 reproduzierenden Bericht heißt, Saul werde am Rahelgrab einem Manne begegnen, der ihm Nachricht bringen werde, die verlorenen Esel hätten sich gefunden: . . . ήξεις εις το 'Ράχηλας καλούμενον μνημεΐον, βπου συμβάλεις τω σεσωσθαί σου τάς ονους εύαγγελιουμένω . . . . Zwar deutet der biblische Stoff deutlich Einflüsse jüdischer Tradition an, zu beachten aber bleibt, daß die Äquivalenz von εύαγγελίζεσ&αι mit bloßem άγγέλλειν nicht nur bei Josephus, sondern auch in der Septuaginta begegnet, also im Hellenismus überhaupt üblich gewesen sein dürfte. Unsere Stelle war also hellenistischen Lesern verständlich und sprachlich keineswegs befremdlich. Eben diese Äquivalenz der Verben zeigt sich auch bei Josephus Ant. 7,245ff. in der Nacherzählung von 2. Sam. 18. Der des Kapitels heißt bei Josephus άγγελος άγαθών (7,246. 249), die m w s wird zur άγγελία (7,247) und das εύαγγελίζεσ&αι von 7,245. 250 steht in Parallele zu μηνύειν uud άγγέλλειν (7,245. 248). Solche sprachliche Einebnung des ursprünglichen Sinnes von εύαγγελίζεσθ-αι zu bloßem „botschaften" ist also gemeinsames Kennzeichen hellenistischer und jüdischer Sprechweise. Hatte sich bisher ein eigentlich theologischer Gebrauch von εύαγγελίζεσθαι bei Josephus nicht gezeigt, so gewinnt die letzte der für das Verbum zu nennenden Stellen, Ant. 11,65, nun aber ähnliches Gewicht wie der semitische Beleg aus der Fastenrolle 3 . Serubbabel erhält von Darius die Zusage, daß die Exulanten heimkehren und Beihilfe für den Tempelbau erwarten dürfen; er dankt Gott für diesen Entscheid des Königs, eilt nach Babylon und berichtet den Juden: . . . ήκεν εις Βαβυλώνα καί τοις όμοφύλοις εύηγγελίσατο τα παρά του βασιλέως . . . . Quelle des Berichtes ist 3. Esra 4,58-63 4 . Das auch für hellenistische A. Schlatter, Wie sprach Josephus von Gott?, BFChrTh 14, 1910, Heft 1, S. 49f.). 1 Vgl. oben S. 135ff. 2 Vgl. auch Schniewind, a.a.O. S. 98f. 3 Vgl. oben S. Í29f. 4 Bei Rießler, Altjüd. Schrifttum außerhalb d. Bibel, S. 254.

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Ohren im Zusammenhang nicht befremdliche εύαγγελίζεσ&αι erhält freilich für jüdische Leser ein ganz anderes Gewicht, da die Nachricht Gottes erfreuliche Fürsorge über sein Volk dokumentiert. Das Proömium zu den Antiquitates läßt vermuten, daß Josephus dieser starke, heilsgeschichtliche Klang durchaus gegenwärtig war. Haben wir bisher einen Sprachgebrauch vor uns gehabt, welcher von der jüdischen Tradition her verursacht war, aber hellenistischen Adressaten durchaus verständlich gewesen sein dürfte, so läßt sich bei den folgenden Belegen wenigstens ein Stück weit der umgekehrte Vorgang verfolgen: Hellenistische Redeweise dokumentiert sich in einer Form, die auch dem Juden noch verstehbar und nachvollziehbar gewesen sein wird. γ) Hellenistische Aussagen Um einen geläufigen Sprachgebrauch scheint es sich zu handeln, wenn Ant. 15,209 und Bell. 1,607 εύαγγελίζεσ&αι verwendet wird, um Ankunft und Rückkehr zu vermelden. Ant. 15,209 teilt Herodes zuerst seiner Frau die wider alles Erwarten glückliche Rückkehr aus Rom mit 1 . Bell. 1,607 kündigt Antipater seine Rückkehr aus Rom an und berichtet, daß er vom Kaiser mit Ehren verabschiedet worden sei: . . . γράφει γοϋν άπό 'Ρώμης άφιξιν έαυτοϋ ταχεΐαν εύαγγελιζόμενος, και ώς ύπο Καίσαρος μετά τιμής άπολυθείη. Geläufiger, hellenistischer Sprachgebrauch ist es auch, wenn Bell. 3,503 Titus seinem Vater die Nachricht von der Einnahme Taricheas am See Genezareth als Siegesbotschaft übermitteln läßt: Τίτος S' έκπέμψας τινά των ιππέων εύαγγελίζεται τω πατρί τό έργον. Auch wenn man in Rechnung stellt, daß εύαγγελίζεσθ-αι im Hellenismus nur noch den Sinn von benachrichtigen haben kann, bleibt es offensichtlich ein übertriebenes Eigenlob, wenn Josephus Bell. 3,143 f. die Nachricht von seiner eigenen Ankunft in Jotapata als ein μέγιστον ευτύχημα bezeichnet, das der Jotapata belagernde Vespasian durch einen Überläufer erfährt! Der Text lautet 2 : Ούεσπα1 Ό μέν γάρ έπΐ μεγάλοις οΐς παρ' έλπίδας εύτυχήκει καταπεπλευκώς πρώτη μέν, ώς εικός, τη γυναικί περί τούτων εύηγγελίζετο. 2 O.Michel und Ο. Bauernfeind übersetzen den gesamten Passus: „Am fünften Tag •— es war der 21. des Monats Artemisios — traf Josephus gerade noch rechtzeitig von Tiberias her in Jotapata ein und richtete die verzagten Gemüter der Juden wieder auf. Ein Überläufer brachte Vespasian die gute Nachricht von der Ankunft des Josephus in Jotapata und riet ihm dringend zum Marsch gegen diese Stadt, er würde nämlich mit ihrer Einnahme, falls er dabei Josephus in seine Gewalt brächte, gleich ganz Judäa gewinnen. Vespasian griff diese Nachricht als ein glückverheißendes Geschenk auf, glaubte er doch, es sei eine Wirkung der göttlichen Vorsehung, daß der Mann, der als der klügste unter den Feinden galt, freiwillig in die Falle gegangen sei" (Bell. 3,142-144; De Bello Judaico, edd. O.Michel und O. Bauernfeind, Bd. 1, Darmstadt 1959, S. 337/339). — Zur Selbsterhebung des Josephus vgl. Michel/ Bauernfeind, a.a.O. S. 458. Anm. 48 und Hengel, a.a.O. S. 10.

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σιανώ δέ τις εύαγγελίζεται τήν μετάβασιν τοΰ ανδρός αυτόμολος και κατήπειγεν επί τήν πόλιν ώς μετ' έκείνης αίρήσοντα πασαν Ίουδαίαν, εί λάβοι τον Ίώσηπον ύποχείριον, ό δ' άρπάσας ώσπερ μέγιστον ευτύχημα τήν άγγελίαν . . . . Auch Ant. 18,228f. trägt hellenistischen Charakter: Der Freigelassene des Agrippa, Marsyas, erfährt vom Tode des Tiberius und teilt die Nachricht auf dem schnellsten Wege seinem Herrn mit (228); dieser verspricht, sich für die gute Botschaft = εύαγγελία dankbar zu erweisen, falls sie sich bewahrheitet (229) : Μαρσύας δε του Άγρίππου ó άπελεύθ-ερος πυ&όμενος τοΰ Τιβερίου τήν τελευτήν ώθεΐτο δρομαΐος τον Άγρίππαν εύαγγελιούμενος . . . ó δε . . . ,,άλλά σοι των άπάντων και της επί τώδε εύαγγελίας χάριτες έν έμοί παντοία γίνοιντο, μόνον άληθη τά λεγόμενα εΐη." εύαγγελία erscheint hier in derselben Weise gebraucht, in der das Wort für Frohbotschaft in der Septuaginta verwendet wird 1 . Von einer εύαγγελία aber als einem bloßen schönen Gerücht zu sprechen, liegt jüdischem Denken ganz fern. Zu besprechen ist nunmehr die sprachlich interessante Stelle Bell. 2,420: Die Ohren des Volkes, die der Empörung nicht mehr Herr werden können, wenden sich an den (vom Volk verhaßten) Prokurator Florus und den König Agrippa mit der Bitte um wirksame, rechtzeitige Hilfe. Florus ist diese Nachricht hochwillkommen. Josephus drückt dies so aus: Φλώρφ μέν οδν δεινον εύαγγέλιον ήν. εύαγγέλιον hat hier offensichtlich den prägnanten Sinn von Freudenbotschaft. Unsere Stelle zeigt das Bemühen um eine kunstvoll-rhetorische Erfassung der Pointe, die darin liegt, daß dem Römer die schreckliche Tatsache des Kriegsausbruches eine willkommene Nachricht bedeutet 2 ! εύαγγέλιον gehört nach unserer Stelle also in das Vokabular griechisch-hellenistischer Rhetorik. 1 Vgl. oben S. 155f. — Zur auffälligen Konstruktion: ή επί, τώδε εύαγγελία vgl. Schniewind, Euangelion, S. 101. 2 Michel und Bauernfeind übersetzen a.a.O. S. 267: „Für Florus war das eine ausgesuchte Freudenbotschaft"; H. St. John Thackeray, A Lexicon to Josephus, Paris 1930ff. p. 125 überträgt ebenso: "To Florus this was extremelygood news" (ähnlich in seiner Übersetzung d. St. im 2. Bd. der JosephusAusgabe in Loebs Classical Library, S. 487 : "To Florus the news was a wonderful godsend"). Nun hat aber Schniewind, Euangelion S. 102 festgestellt, daß sich δεινός in einem derart lobenden Sinne, wie es die Übersetzungen voraussetzen, in der Graecität nicht nachweisen lasse. Es handele sich um ein bewußt hartes Oxymoron: „ein böses Evangelium", „eine böse Freudenmär" und nur der späte Sprachgebrauch bei dem Epistolographen Phalaris (zu Phalaris ..vgl. Th. Lenschau, Artikel: Phalaris, Pauly-Wissowa Bd. 38, Sp. 1652) biete Ähnliches: Πολύκλειτος ό Μεσσήνιος, ου κατηγορείς παρά τοις πολίταις προδοσίαν, ίάσατό μου νόσον άνήκεστον, ούκ άγνοώ δέ λύπας εύαγγελίζόμενός σοι καΐ δάκρυα(Ερ. 1 bei R. Hercher, Epistolographi Graeci, Paris 1873, S. 409). Die Stelle belegt aber nur eine Verwendung von εύαγγελίζεσθαι in rhetorischironischer Antithetik: Der Briefschreiber bereitet bewußt dem Adressaten

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Historisch schwierige Probleme werfen die beiden letzten Stellen auf, die noch zu behandeln sind, Bell. 4,618 und 4,656. Bell. 4,618 spricht davon, daß sich die Kunde von der Ausrufung Yespasians zum (Gegen-) Kaiser (gegen Vitellius) wie ein Lauffeuer verbreitet1: τάχιον δ' έπινοίας διήγγελλον αί φημαι τον επί της άνατολης αύτοκράτορα, και πασα μεν πόλις έώρταζεν εύαγγέλια δέ και θυσίας ύπέρ αύτου έπετέλει. Der Ausdruck εύαγγέλια έορτάζειν meint „ein Fest für eine Freudenbotschaft feiern"2 und gehört, wie Plutarch (Phokion 23, p. 752) beweist, hellenistischer Sprache an. Es handelt sich also um eine auch anderweitig gebräuchliche Redewendung, die hier einmal in den Dienst der Kaiserverehrung gestellt wird. Insofern mag man sagen, daß hinter dieser Ausdrucksweise der Gebrauch von εύαγγέλιον als „technischer Ausdruck für Kaiserproklamation"3 stehe. Doch bleibt für Josephus zu beachten, daß er bei aller Hochschätzimg des Vespasian und des Titus den römischen Kaiser doch nicht an die Stelle des jüdischen Messias treten läßt 4 , also an unserer Stelle eigentlich mit seiner Freudenkunde Tränen und Kummer. Ähnlich ironisch k a n n schon Cicero in den Briefen an Atticus X I I I 40,1 εύαγγέλια ! gebrauchen. Doch beweisen alle diese Belege nichts f ü r unseren Zusammenhang: Hier wird das Substantiv εύαγγέλιον selbst verneint oder ironisiert! Leider passen auch Schniewinds Übersetzungsvorschläge nicht zum Kontext der Stelle und f ü r die ansprechende Übersetzung Thackerays und Michel/Bauernfeinds fehlen, wie Schniewind gezeigt hat, die Belege! Angesichts dieser Schwierigkeiten ist zu erwägen, ob unser Text überhaupt richtig verstanden ist, wenn m a n δεινόν als adjektivische Näherbestimmung zu εύαγγέλιον auffaßt. Außer Ape. 14,6 wird in der gesamten Graecität und im hellenistischen J u d e n t u m εύαγγέλιον m. W. nie mit Adjektiven verbunden, Ape. 14,6 aber reproduziert dezidiert jüdischen Sprachgebrauch! Ich schlage deshalb vor, δεινόν als Subjekt und εύαγγέλιον als Prädikatsnomen aufzufassen : F ü r Florus war etwas ganz Furchtbares eine Freudenbotschaft ! I n diesem Sinne haben bereits die Textvarianten z. St. ausgelegt, wenn sie auch sämtlich sprachlich erleichtern : C bietet το δεινόν, MVR τοϋτο δεινόν, Lat. malum istud quasi. Unser Übersetzungsvorschlag h a t den Vorteil, daß er wenigstens die genannten Schwierigkeiten meistert; sein eigener Mangel ist das Fehlen des eigentlich erforderlichen anaphorischen Artikels. 1 „Schneller als der Flug des Gedankens verkündigten die Gerüchte die Botschaft vom neuen Herrscher über den Osten, und jede Stadt feierte die gute Nachricht und brachte zu seinen Gunsten Opfer d a r " (Michel-Bauernfeind, a . a . O . Bd. 2, Darmstadt 1963, S. 97). 2 Schniewind, a . a . O . S. 105. 3 Schniewind, a . a . O . S. 105. 4 Das Verhältnis des Josephus zu Vespasian ist komplex. Diskutiert wird es bei W. Weber, Josephus und Vespasian, Stuttgart 1921, S. 34ff. ; M. Hengel, Zeloten, S. 243ff. 241 Anm. 4. Dem Urteil Webers: „Die Hoffnung auf den Messias und das Weltreich der Juden, die diese hochgepeitscht hat, ist dem Propheten des Kaisers unbequem. Wie viel mehr liegt ihm am gewaltigen Römerreich und seinem Friedenskaiser, den ihm das Schicksal im Lager a m Karmel beschied. Von diesem erwartet der Römling das Heil der Welt, an dem sein Volk teilnehmen soll. Diesen h a t er verkündet . . ." (S. 53), k a n n ich nicht ganz beipflichten. Wohl hat Josephus Vespasian (ebenso wie Jochanan b. Sakkai, s. o. S. 125f.) die Kaiserwürde verheißen: Bell. 3,350. 392-408 und ausdrücklich die messianische Interpretation der alttestamentlichen Ver-

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religiös "belastete Ausdrucksweise bewußt vermeidet ! Auch Bell. 4,656 zeigt dies: Vespasian erhält nach seiner Ankunft in Alexandria die Nachricht von Niederlage und Tod des Vitellius in Rom und wird von verschiedenen Gesandtschaften zu seiner Kaiserwürde beglückwünscht: Εις δέ τήν Άλεξάνδρειαν άφιγμένφ τω Ούεσπασιανω τα άπό της 'Ρώμης ευαγγέλια ήκε και πρέσβεις εκ πάσης της ιδίας οικουμένης συνηδόμενοι. Wiederum wird hier εύαγγέλιον nicht als term, techn. für Kaiserproklamation gebraucht, sondern, neutraler 1 , im Sinne einer aus Rom eintreffenden Siegesbotschaft. Ehe wir den sich bei Josephus ergebenden Befund zusammenfassen, ist noch auf den Plural ευαγγέλια hinzuweisen : Für hellenistische Sprachgewohnheit ist die Anwendung des Plurals fast ebenso charakteristisch wie für das Neue Testament der Gebrauch des Singulars, so daß sich hieraus bereits der Abstand zwischen der Redeweise des Josephus und der des Paulus sowie der neutestamentlichen Tradition ergibt, welche jenen Plural nie anwendet ! Sind diese hellenistischen Belege für jüdische Ohren verstehbar gewesen? In der Tat! Den Juden fehlt ja nicht einmal die Verwendung der Wurzel 1ÍP3 für Kaiserproklamation 2 . Von nVTlfra im Plural zu sprechen, ist ihnen nicht ungewohnt. Siegesnachrichten verbreiten auch sie unter dem Stichwort "ltoa = εύαγγελίζεσθ-αι, die Dialektik von Furcht der einen und Freude der anderen begegnet bei der mifcn der Propheten, "ifco kann stehen, wenn Abraham vor seinem schweren Gang auf den Berg Moria seine glückliche Rückkehr mitsamt seinem Sohne verheißt 3 . Den Tod des Feindes als Freudennachricht aufzufassen, ist bereits dem Alten Testament vertraut (vgl. 2. Sam. 4,10 u. ö.). Das rhetorische Selbstlob (Bell. 3,143f.) freilich, die Gleichsetzung von εύαγγελία mit einem sich möglicherweise nicht heißung von Num. 24,17 (vgl. dazu Hengel, a.a.O. S. 245f.) verworfen und den Spruch auf Vespasian ausgelegt: Bell. 6,312f. Aber diese ganze Sicht findet sich im „Jüdischen Krieg", einer dem Kaiserhaus gewidmeten und von ihm bestellten Tendenzschrift! In den Antiquitates, in denen Josephus später die jüdischen Hoffnungen freier darlegen konnte, hält er jedoch in einer dem Eingeweihten durchaus verständlichen, indirekten Art und Weise vor der Identifikation des Kaisers mit dem Messias zurück und daher an der alten jüdischen Zukunftshoffnung fest: Ant. 4,114. 116f. und 10,210 (dazu Hengel, a.a.O.). Josephus versteht es also, die jüdische Eschatologie mit Elementen der Kaiserideologie zu verbinden. Wenn man dabei beachtet, wie Josephus Vespasian und Titus als von Gott eingesetzte Herrscher, Züchtiger und Friedensstifter beschreibt (Bell. 3,6. 401 ; 4,622; 5,2. 367), hat die Vermutung J.Hempels, Josephus orientiere sich am Vorbild der deuteroj esajanischen Prophetie auf Kyros, viel für sich (vgl. J. Hempel, Politische Absichten und politische Wirkung im biblischen Schrifttum, AO 38, 1938, [Heft 1] S. 25f.). 1 Vgl. Schniewind, Euangelion, S. 108. 2 Vgl. oben S. 125f. 3 Vgl. oben S. 138 (Midr. Tanh. 8V1, 23).

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bewahrheitenden, schönen Gerücht (Ant. 18,229) und der Ausdruck ευαγγέλια έορτάζειν (Bell. 4,618) entsprechen nicht jüdischem Empfinden1. 8) Z u s a m m e n f a s s u n g Was hat sich ergeben? Die Belege bei Josephus führen uns dem neutestamentlichen Sprachgebrauch nicht näher, sind jedoch sprachund traditionsgeschichtlich aufschlußreich. Josephus verarbeitet in seiner Rede von εύαγγελ- sowohl jüdische wie ausgesprochen hellenistische Traditionen. In den so entstehenden, teilweise höchst bewußt rhetorisch ausgefeilten Formulierungen vereinen sich beide Traditionsströme in einer Weise, die unter neutestamentlichem Blickwinkel bedeutsam ist und demonstriert, daß hellenistische und jüdische Sprechweise von bzw. εύαγγελίζεσθαι sich in neutestamentlicher Zeit weitgehend überschneiden. Josephus bietet also ein lehrreiches Zeugnis f ü r die traditionsgeschichtliche Anpassungsfähigkeit der griechischen Worte εύαγγέλιον, εύαγγελίζεσθαι und εύαγγελία. c) Philo2 Die über dem Stellenmaterial bei Josephus gewonnenen Einsichten werden durch den Befund bei Philo bestätigt. Philo f ü h r t uns zwar noch ein Stück weiter in den Bereich rein hellenistischen Denkens hinein, als dies bei dem Jerusalemer Josephus der Fall war; zu beachten aber bleibt, daß Philo, aufs Ganze gesehen, der jüdischen Tradition in ungleich stärkerem Maße verpflichtet ist als Josephus 3 . Das Denken Philos erscheint dann als Einheit, wenn man in ihm den „jüdisch-hellenistischen Prediger und Lehrer" 4 der Alexandrinischen Judenheit zu Beginn unserer Zeitrechnung sieht. Es ist dementsprechend legitim, auch bei Philo danach zu fragen, inwieweit seine Rede von εύαγγελίζεσθαι etc. mit der semitisch-sprachigen Tradition vereinbar ist und wieweit nicht. 1 Nach jüdischem Empfinden bezieht sich die Wurzel "IÍP3 immer auf zurückliegende oder gewiß eintreffende Ereignisse ; das gilt selbst für die Stellen, wo im Targum fHlttD für hebräisches Π5?1Ώϊ7 = Gerücht eintritt. 2 Vgl. zum Folgenden Schniewind, Euangelion, S. 81-94. l l l f . ; Friedrich, ThWb II S. 711,5ff.; O. Michel, Art. Evangelium, Sp. 1109. 3 Vgl. dazu Samuel Belkin, Philo and the Oral Law, Harvard Semitic Series Bd. 11, Cambridge (Mass.) 1940. Belkin bemüht sich nachzuweisen, daß Philo detailliertere Kenntnis auch der palästinischen Halacha besaß. Dies wird zugestanden z.B. von C. Colpe, Artikel: Philo von Alexandria, RGG 3 V (Sp. 341-346) Sp. 344f. und H. Hegermann in seiner zusammenfassenden Darstellung von „Philo von Alexandria" in: Umwelt des Urchristentums (S. 326-342) S. 333. Zu Belkin vgl. das kritische Referat von L. Feldman, Studies in Judaica (Scholarship on Philo and Josephus 1937-1962) New York o. J. S. 5/6. 1 Hegermann, a.a.O. S. 332.

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α) Die Belege Das einschlägige Stellenmaterial wird von H. Leisegang in den Indices zur großen Philo-Ausgabe von L. Cohn und P. Wendland (fast 1 ) vollständig aufgeführt: Ein Substantiv εύαγγέλιον oder εύαγγελία gebraucht Philo nicht. Dreimal hat er das Kompositum προευαγγελίζομαι Abr. 153; Mut. Nom. 158 und Op. Mund. 342. εύαγγελίζεσθαι (Med.) findet sich Op. Mund. 115; Som. II 281; Jos. 245. 250; Vit. Mos. II 186; Virt. 41; Präm. Poen. 161; Leg. Gaj. 18. 99. 231,also zehnmal. Wenn der Stamm εύαγγελ- demnach im ganzen Werk Philos nur dreizehnmal erscheint, so zeigt dies, daß das Wort für Philo nicht zu den eigentlich gebräuchlichen Wortstämmen gehört hat. Unter traditionsgéschichtlichem Vorzeichen lassen sich diese Stellen folgendermaßen einteilen: 1. Belege, die mit der semitischen "ifeaTradition übereinstimmen und mit ihr zusammenhängen könnten. 2. Stellen, welche das Verbum nur rhetorisch gebrauchen oder sich an den Sprachgebrauch des Kaiserkultes anschließen. ß) Jüdische T r a d i t i o n e n Auf jüdische Tradition dürfte es zurückzuführen sein, wenn Virt. 41 von Philo im Anschluß an Num. 25,1-9 berichtet wird, einige Midianiterinnen hätten junge Israeliten verführt und zum Götzendienst verleitet. Diese Tat melden sie ihren Männern als Sieges- und Frohbotschaft: τοϋτο διαπραξάμεναι τοις άνδράσιν ευαγγελίζονται. Jos. 245 fordert Joseph seine Brüder auf, seinem Vater Jakob auf schnellstem Wege die Nachricht von seiner Wiederauffindung zu bringen, damit nicht Gerüchte den Brüdern zuvorkommen: εδ δ' αν έ'χοι και προς τον πατέρα συντεΐναι καΐ πρώτον αύτω τά περί της έμης ευρέσεως εύαγγελίσασθ-αι· φθάνουσι γάρ αί φήμαι πανταχόσε. Da uns gerade die Nachricht von der Auffindung des Joseph in der semitischen Ito3-Tradition mehrfach begegnet ist 3 , nehme ich an, daß unsere Stelle in Kontinuität zu dieser Denkweise steht, wenn auch der Ausdruck εύαγγελίζεσ&αι selbst in unserem Zusammenhang hellenistischem Empfinden durchaus entspricht. Hellenistisch wirkt 1 2

Es fehlt die das Verbum εύαγγελίζεσθ-at verwendende Stelle Leg. Gaj. 18. Es handelt sich bei allen drei Belegen um dichterische Formulierungen: Op. Mund. 34 kündigt der Morgen an, daß die Sonne bald aufgehen werde; Mut. Nom. 158 bringt das Vogeljunge durch sein Geflatter im Nest die Hoffnung zum Ausdruck, alsbald selbst fliegen zu können; Abr. 153 läßt das Auge durch sanften Blick einen nahenden Freund das für ihn gehegte Wohlwollen ahnen. προευαγγελίζεσ-9-at. meint bei Philo also „ankündigen", ohne daß eine traditionsgeschichtliche Tiefendimension des Ausdrucks erkennbar würde. Vgl. Friedrich, ThWb II S. 735,35f. und Schniewind, Euangelion, S. 135 A. 4. 3 Vgl. oben S. 128. 136. 12 5638

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es, wenn Jos. 250 die ägyptischen Höflinge die Nachricht von der Ankunft der Brüder Josephs eilends dem Pharao übermitteln und dafür εύαγγελίζεσθαι eingesetzt wird: . . . και φθάνοντας εύηγγελίζοντο τω βασιλεΐ. Jüdische und hellenistische Ausdrucksweise sind bei Philo also eine denkbar enge Verbindung eingegangen. Die dritte jüdisch beeinflußte Stelle scheint Som. II 281 zu sein, εύαγγελίζεσ&αι steht hier für die (allegoristisch verstandene) Aussage einer Schriftstelle ( = Ex. 14,30) wie "ifra in den semitischen Zeugnissen 1 . Es scheint also ein jüdisch-exegetischer Ausdruck vorzuliegen. γ) Hellenistische Aussagen Daß Philo das Kompositum προευαγγελίζεσθαι in rhetorischem Interesse für „ankündigen" gebrauchen kann, ist uns schon bekannt 2 . Rhetorische Feinheit ist es auch, wenn Op. Mundi 115 von dem aufgehenden Gestirn der Plejaden gesagt wird, άμητον ευαγγελίζονται = sie kündigen die Getreideernte an; wenn, der Mandelbaum mit seiner frühzeitigen Blüte Vit. Mos. 186 eine Fülle von Baumfrüchten ankündigt (εύαγγελιζομένη φοράν άκροδρύων); wenn es Praem. Poen. 161 in einer Allegorese von Jes. 54,1 heißt, die Hoffnung kündige im voraus das volle kommende Glück an: φΟ-άνουσα τό μέλλον και πλήρες άγαθ-òv εύαγγελίζεται. Geläufigem Sprachgebrauch entspricht es schließlich, wenn Jos. 250 das Verbum benutzt wird, um die Ankunft von Besuchern anzukündigen (s. o.)3. Geprägter Sprachgebrauch scheint in Philos Schrift „Legatio ad Gaium" vorzuliegen. Drei Stellen aus dem Bericht über die von Philo selbst angeführte Gesandtschaft an Caligula4 sind zu nennen: 1

Vgl. oben S. 128 Anm. 2. Vgl. S. 173 Anm. 2. Ob in den eben erwähnten vier Stellen ein hellenistisch-religiöser Gebrauch von εύαγγελίζεσ-9-at. = verheißen nachklingt, wie Schniewind, Euangelion, S. 83f. vermutet, ist mir nicht sicher. Die Ankündigung von Kommendem ist eine der Bedeutungen des Wortstammes εύαγγελ-, in der sich jüdischer und hellenistischer Sprachgebrauch decken, so daß man keine weiteren traditionsgeschichtlichen Verbindungslinien herstellen muß, um die Wortverwendung zu erklären. Daß bei Philo rhetorischer Sprachgebrauch vorliegt, betont auch Schniewind a.a.O. Die rhetorische Verwendung von εύαγγελίζεσθαι hat sich durchgehalten bis in die Apostolischen Konstitutionen, wo es im 8. Buch — entgegen der sonst durchweg technisch-christlichen Verwendung des Wortstammes in allen Büchern! — heißt, der Hahnenschrei kündige das Nahen des Tages an: εύαγγελίζεσθαι τήν παρουσίαν της ήμέρας είς έργασίαν των τοϋ φωτός έργων (VIII, 34,7). 4 Vgl. Ε. Mary Smallwood, Philonis Alexandrini Legatio ad Gaium, Leiden 1961, S. 24 und Colpe, a.a.O. Sp. 341. Die Schrift spiegelt bei aller Opposition gegen den Gottkaiser Caligula doch auch das Bemühen um rechte Loyalität gegenüber Rom: Zwar verstößt die Vergottung des Kaisers und die von ihm 2 3

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18. 99 mid 231. Gaj. 18: Caligula, den man als σωτήρ καί ευεργέτης anspricht und auf den man dementsprechend große Hoffnungen setzt, ist (an der Folge von Ausschweifungen) erkrankt. Es gilt als Evangelium, daß der Kaiser wieder gesundet ist; ein Freudentaumel ergreift alle Welt1. Daß das Verbum εύαγγελίζεσ&αι hier in Anlehnung an einen im Kaiserkult der hellenistischen Zeit geläufigen Sprachgebrauch eingesetzt ist, ergibt der Vergleich zweier Stellen. Gaj. 231 wird die Kunde vom Regierungsantritt des Gaius, die von Jerusalem aus in die anderen Städte „fliegt"2, wiederum mit dem Verbum εύαγγελίζεσ&αι als Freudenbotschaft gekennzeichnet. In § 356 der Legatio schließlich wird betont, die Juden hätten bereits dreimal im Tempel zu Ehren des Caligula Hekatomben geopfert: 1. Bei seinem Herrschaftsantritt, 2. bei seiner Genesung und 3. in der Hoffnung auf einen kaiserlichen Sieg in Germanien. Diese Aussage wirkt wie ein Kommentar zu dem pluralischen Sprachgebrauch der berühmten Prieneinschrift und erweist in unserem Zusammenhang, daß das § 18 und 231 auftauchende εύαγγελίζεσθ-αι im (kaiserkultlichen) Vollsinne einer Heilsbotschaft gebraucht sein muß. Sich dieses religiös-geprägten, hellenistischen Vokabulars zu bedienen, brauchte Philo solange nicht zu zögern, als er darin einen von der Tora gestatteten Loyalitätserweis erblicken konnte. Vom Zögern des Josephus an eben derselben Stelle ist bei Philo wenig zu spüren. Wohl aber opponiert auch er geforderte Anbetung gegen das Gesetz, aber die J u d e n würden g e m den Kaiser achten u n d zugleich dem Gesetz treu bleiben (Gaj. 236. 280). Vom Regierungsa n t r i t t des Caligula erhoffte m a n sich alle erdenklichen Segnungen (8ff.), dem Kaiser wird der Titel ó σωτήρ καί ευεργέτης nicht vorenthalten (22, ebenso z . B . Flacc. 74), u n d Augustus gilt f ü r Philo sogar als Ideal eines irdischen Herrschers (140-148). Dennoch ist es hier wie bei Josephus auch (vgl. oben S. 170 Anm. 4) : Der Kaiser ist der irdische Statthalter Gottes, mit dem Messias ist er aber nicht gleichzusetzen, u n d die Grenze der Loyalität ist dort erreicht, wo das Gesetz u n d damit die E h r e des einen Gottes angetastet erscheint: Vgl. E . R . Goodenough, The Politics of Philo Judaeus, New H a v e n 1938, S. 86-120. 1 I n der Übersetzung von F r . W . K o h n k e lautet die Stelle: „. . . als die K r a n k h e i t nachzulassen begann, drang die K u n d e davon schnell sogar bis ans E n d e der Welt — denn nichts ist schneller als das Gerücht —· u n d jede S t a d t lebte in Spannung u n d dürstete fortwährend nach besseren Nachrichten, bis durch Reisende die frohe Botschaft gebracht wurde, er sei völlig genesen (2ως διά των έπιφοιτώντων παντελής £ώσις εύηγγελίσθη). D a ergriff sie aufs neue derselbe Ausbruch von Freude, u n d alle Lande u n d alle Inseln hielten seine R e t t u n g (σωτηρίαν) f ü r ihre eigene" (Philo v. Alexandria, Die Werke in deutscher Übersetzung, edd. L. Cohn, I . Heinemann, M. Adler u n d W . Theiler, Bd. 7, Berlin 1964, S. 180). Zu Philos Begriff von σωτηρία vgl. W . Foerster, A r t . σώζω, T h W b V I I , S. 988,15ff. 2 K o h n k e übersetzt (a.a.O. S. 234): „Als Gaius [ = Caligula] den Thron bestieg, haben wir ihm als erste von allen Bewohnern Syriens unsere Glückwünsche dargebracht. Denn die Nachricht mit der Neuigkeit wurde Vitellius . . . in Jerusalem überbracht u n d von unserer S t a d t aus flog die Freudenkunde zu den anderen Städten (καί άπό της ήμετέρας πόλεως εύαγγελιουμένη πράς τάς άλλας ϊδραμεν ή φήμη)." 12·

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offen gegen den Anspruch des Kaisers, als Gott verehrt zu werden. Zeugnis dessen ist u. a. die letzte der drei zu besprechenden Stellen, Gaj. 99. Philo schildert in § 93 ff. die seiner Meinung nach abartige Lust des Kaisers, verkleidet als Hermes, Apoll oder Ares aufzutreten ; § 99 bringt einen Exkurs über das wahre Wesen des Hermes1, und in §§ 100-102 wird Caligula das Recht zu seiner Verkleidung und Hermes-Rolle ausdrücklich abgesprochen8. Vergegenwärtigt man sich diesen Aufbau des Berichtes, wird man den Vergleich des Kaisers mit Hermes nicht mehr Philo selbst anlasten3, sondern in ihm Tradition und u.U. einen der historischen Beweggründe vermuten, die εύαγγελίζεσθ-αι überhaupt erst zur kaiserkultlichen Terminologie haben werden lassen4. Gaj. 99 ist also nur ein indirektes Zeugnis für die Verwendung des Stammes εύαγγελ- im Kaiserkult. δ) Zusammenfassung Dem neutestamentlichen Sprachgebrauch sind wir durch das philonische Material nicht nähergekommen. Philo erweist sich gelegentlich noch als geprägt von den semitischen "ifaa-Aussagen und Traditionen5. 1

§ 99 lautet : „So bindet sich Hermes Flügelschuhe unter. Zu welchem Zwecke geschieht das? Doch nur dazu, weil er als Deuter u n d Verkünder göttlicher Befehle (τόν έρμηνέα καΐ προφήτην των θείων), Aufgaben, die ihm seine» N a m e n geben, als Bote des Guten (τά άγαθά διαγγέλλοντα) blitzschnell zu F u ß sein, j a in dringlicher H a s t unverzüglich davonfliegen m u ß . Verkünder des Schlechten nämlich will kein Gott u n d auch kein vernünftiger Mensch sein. Denn gute und nützliche Nachrichten soll m a n schnell mitteilen, wie umgekehrt mißtönende nur zögernd, falls m a n nicht ermächtigt ist, sie zu verheimlichen" = επειδή τά λυσιτελή φθάνοντας εύαγγελίζεσθαι προσήκει, καθάπερ τά παλίμφημα μέλλοντας, εί μή έπιτρέποι τις αύτά ήσυχάζεσθ-αι (Kohnke, a . a . O . S. 200). Die Stelle zeigt, d a ß das Verbum εύαγγελίζεσθαι [ = άγαθά διαγγέλλειν] hier in einem fast sprichwörtlich a n m u t e n d e n Zusammenhang steht [vgl. Schniewind, Euangelion S. 127] u n d kein direkter Begriff der Kaiserverehrung sein kann. 2 Philo formuliert massiv: „. . . Soll er [sc. Caligula] doch die Rolle eines Hermes ablegen u n d sich von dem unpassenden N a m e n feierlich lossagen, der Schwindler u n t e r falschem N a m e n ! " = άποθέσθω δή τόν Έρμήν, άφοσιωσάμενος τήν άνοίκειον κλήσιν, ó ψευδώνυμος. (§ 102, K o h n k e S. 201). 3 So Friedrich, T h W b I I S. 711,12f. u n d Michel, A r t . Evangelium, Sp. 1109; richtig dagegen Goodenough, Politics, S. 109. 4 Wie F r . Taeger, Charisma I / I I , S t u t t g a r t 1957/1960 nachweist (vgl. Bd. 1, S. 56 Anm. 16, 165. 216 Anm. 40, 426; Bd. 2, S. 188. 302 u n d zu unserem Zusammenhang speziell S. 285f.) gehört der Vergleich des Herrschers m i t Hermes oder die Hermes-Rolle sowohl in die Vorgeschichte wie die Blütezeit des Herrscherkultes hinein! Caligula scheint sich also bei seinem A u f t r i t t n u r in ein angestammtes B r a u c h t u m zu fügen. 6 Wie Philo von der semitischen Tradition Kenntnis erhalten h a t , ist umstritten. Belkin a . a . O . u n d H . A. Wolfson, Philo, 2 Bde, Cambridge (Mass.) 1947 denken a n Hebräisch-Kenntnisse Philos, also a n die Möglichkeit eigenständiger Information. H . Thyen, Die Probleme der neueren Philo-Forschung,

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Beherrschend jedoch ist bei ihm rhetorische, hellenistische Sprechweise. Daß unsere Wortgruppe im Kaiserkult der hellenistischen Zeit Verwendung fand, zeigen Leg. Gaj. 18 und 231. d) Zusammenfassung und Ausblick

Die Durchsicht des von der Septuaginta, von Josephus und Philo gebotenen Belegmaterials hat folgendes ergeben: Die semitischen, an die Wurzel IfeD gebundenen Traditionen sind in den Stamm εύαγγελ- ebenso eingegangen, wie er zum Ausdruck hellenistischer Rhetorik und Denkweise werden kann. Die Verbindung mit der semitischen Überlieferung ist in der Septuaginta denkbar eng, bei Josephus und Philo dagegen teilweise nur noch sehr lose. In den restlichen, klassischen Zeugnissen des hellenistischen Judentums findet sich unsere Wortgruppe überhaupt nicht1; hinzuweisen ist lediglich auf die noch ganz jüdisch anmutende Verwendung des Verbums in den sog. Paralipomena Jeremiae2. Der Schluß ist also unausweichlich, T h R 23, 1955, (S. 230-246) S. 235 A n m . 3 u n d C. Colpe, a . a . O . Sp. 345 bestreiten semitische Sprachkenntnisse, so daß nur eine indirekte Vermittlung in Frage k o m m t . 1 Schniewinds Urteil: „Außer Philo u n d Josephus . . . finde ich unsere Wörter im hellenistischen J u d e n t u m n i c h t " (Euangelion, S. 79), h a t sich u n s bestätigt. 2 Die Schrift ist in griechischer, äthiopischer, armenischer u n d slavischer Fassung erhalten. Der griechische Text ist kritisch ediert worden von J . R . Harris, The Rest of t h e Words of Baruch, London 1889, deutsche Übersetzung bei Rießler, Altjüdisches Schrifttum, S. 903ff. Übersetzungen des äthiopischen Textes s t a m m e n von E . König, Der Rest der Worte Baruchs, T h S t K r 50, 1877, S. 318-338 u n d F r . Prätorius, D a s apokryphische Buch Baruch im Äthiopischen, ZWTh 15, 1872, S. 230-247. E s handelt sich u m ein in der Substanz jüdisches Pseudepigraphon m i t antisamaritanischer Tendenz, das ursprünglich wohl in einer der palästinischen Landessprachen abgefaßt war, d a n n ins Griechische übersetzt wurde u n d seine heutige Gestalt, besonders den Schluß 9,10-32, christlicher Überarbeitimg verdankt. Gewöhnlich wird die Schrift auf den Anfang des 2. J h . s p. Chr. n. datiert (vgl. G. Delling, Jüdische Lehre u n d Frömmigkeit in den Paralipomena Jeremiae, B Z A W 100, Berlin 1967, bes. S. Iff. 13ff. 68ff.; O. Plöger, Artikel: Apokryphe Baruchschriften, R G G 3 I Sp. 902; R. Meyer, Artikel: Paralipomena Jeremiae, R G G 3 V Sp. 102f.; E . Schürer, Geschichte d. jüd. Volkes, I I I 4 , S. 393-395; ders., Besprechung von J . R . Harris, The Rest of t h e Words of Baruch, ThLZ 15, 1890, Sp. 8 1 83). ·—• I n den P a r . J e r . k o m m t das Verbum εύαγγελίζεσθαι a n drei Stellen vor. Deutlich christlichen Ursprungs ist 9,18, wo es heißt, Christus werde sich zwölf Apostel erwählen ίνα εύαγγελίζωνται έν τοις Ιθνεσιν. Die beiden anderen Stellen weisen auf jüdische Ursprünge, εύαγγελίζεσθαι wird hier unterminologisch im Sinne von „ b o t s c h a f t e n " verwandt. I n 3,11 erhält der Prophet Jeremía den Auftrag, mit dem Volk nach Babylon zu ziehen. Der Text f ä h r t f o r t : καΐ μεϊνον μετ' αύτών εύαγγελιζόμενος αύτοΐς. Dieses εύαγγελίζεσθαι h a t mit „weissagen" bzw. „prophezeien" nichts zu t u n , wie die äthiopische Fassung anzunehmen scheint (König, a . a . O . S. 322; Prätorius, a . a . O . S. 234), u n d auch die Übersetzung von Rießler, a . a . O . S. 906 mit „Gutes verkünden" ist

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Die religionsgeschichtlichen Wurzeln des neutestamentlichen Evangeliums

daß das hellenistische Judentum nur indirekt zur Traditionsgeschichte der neutestamentlichen Eyangeliumsverkündigung hinzuzurechnen nicht glücklich. Viel organischer erscheint es, εύαγγελίζεσ-9-αι im Sinne von Instruktion bzw. Proklamation der Gebote Gottes zu verstehen, also als griechisches Äquivalent für den jüdischen Gebrauch des Verbums ")B?3 für die Gesetzesverkündigung (vgl. oben S. 138f.). Diese Fassung des Verbums stimmt mit dem jüdischen Verständnis der Propheten als Interpreten der Tora ebenso gut zusammen, wie sie durch die Parallelen bestätigt wird, welche in den Par. Jer. selbst den Auftrag Jeremias näher umschreiben: Nach 6,21 f. soll Jeremía die Exulanten zum rechten Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes bzw. den δικαιώματα Κυρίου anhalten. Jeremía vollzieht solche Instruktion nach 7,22, und in 7,32 heißt es in für uns wünschenswerter Deutlichkeit : „ U n d er (sc. Jeremía) blieb (in Babylon) und lehrte sie, sich von den Befleckungen der Heiden Babylons zu enthalten" = Kai έμεινε διδάσκων αυτούς τοϋ άπέχεσθαι έκ των άλισγημάτων των έθνών της Βαβυλώνος. Durch diese Parallelen wird die Beziehimg von εύαγγελίζεσθαι auf die Ausrichtung des Willens Gottes in 3,11 sichergestellt. Sieht m a n dies, dann wird auch das dritte Vorkommen des Verbums in den Par. Jer. gut erklärbar. I n 5,21 ist noch einmal von dem Auftrag Jeremias an den Exulanten die Rede. Dieses Mal wird die Tätigkeit des Propheten folgendermaßen umschrieben: εύαγγελίσασθαι αύτοΐς και κατηχήσαι αύτούς τόν λόγον. Die Wendung κατηχήσαι αυτούς τόν λόγον fehlt in der äthiopischen Version (vgl. König, S. 326; Prätorius, S. 237). Sie ist aber, wie Delling, a . a . O . S. 2Iff. ausführt, in einer jüdischen Schrift gut denkbar. Schon im Alten Testament werden Ί 3 Τ und ΓΠΊΠ Jahwes zuweilen parallelisiert (z.B. Jes. 1,10; 2,3), so daß die Fassung λόγος = Tora akzeptabel erscheint. Dellings These wird als richtig erwiesen durch die Targumim. I m Targum zu Jes. 1,10 und 2,3 steht f ü r "137 aramäisches NSJfiS und für ΓΠΊΓΙ aramäisches ΝΓΡΊ1Ν. Die Übersetzung von Χ01ΠΒ mit λόγος wird durch Dan. 4,17 (Theod.) sichergestellt. Aber auch f ü r die Wendung κατηχήσαι τόν λόγον im ganzen lassen sich aramäische Äquivalente aufweisen. Wie das Targum zu Jes. 2,3; 30,10; 32,6 beweist, sind ΝΓΡΊΊΝ bzw. ΧΓΡΎΙΧ VMIIB η·"1?« ganz geläufige Wendungen f ü r die Unterweisung im Gesetz bzw. im Willen Gottes; substantivisch ist im gleichen Sinne an den genannten Stellen die Rede von ]SVlN m m NDinB oder bloßem JsVlK. Die Formulierungen gehen aber schon vor die Zeit des Prophetentargums zurück. I m Targum Jer. I I zu Dt. 32,29 meint N m i N ^V 1 · das Gesetz lernen und im Targum Jer. I und I I zu Gen. 49,10 bezeichnet ΧΓΡΉΊΝ ,BI?(N)D die Gesetzeslehrer. Überblickt man diese Belege, dann wird man sagen dürfen, daß die Beziehung der Wendung εύαγγελίσασθαι καί κατηχήσαι τόν λόγον auf die Verkündigung des (im Gesetz niedergelegten und auszulegenden) Gotteswillens gesichert ist. Wir haben also in den Par. Jer. einen von christlicher Sprechweise noch ganz unbeeinflußten Gebrauch von εύαγγελίζεσθαι f ü r die Ausrichtung der Weisung Grottes vor uns, und dieser Gebrauch hängt offensichtlich eng zusammen mit der jüdischen Lehrüberlieferung. Beachtet man diese Parallelität von εύαγγελίζεσθαι und διδάσκειν (vgl. 7,32 mit 3,11 und 5,21), so eröffnen sich höchst interessante Aspekte f ü r das Verhältnis des christlichen Evangeliums zur christlichen Lehrüberlieferung (vgl. S. 133, Anm. 3 und S. 230, A n m . 5 b ) . — Zweimal taucht in unserer Schrift auch der Ausdruck „frohe Botschaft" auf, aber leider ist über das semitische Äquivalent keine Sicherheit mehr zu gewinnen. I n 7,11 und 7,15 ist von der frohen Botschaft die Rede, daß sich den Exulanten in Babylon die Möglichkeit der Heimkehr nach Jerusalem eröffnet. 7,11 wird diese Botschaft mit ή καλή φάσις, 7,15 mit τό καλόν κήρυγμα bezeichnet. (Dem mit den orientalischen Sprachen vertrauten Fachmann m u ß ich es überlassen, folgende interessante variae lectiones zu beiden Stellen zu klären, und ich kann nur die Vermutung äußern, daß sie mit dem uns aus syr. Bar. 77,12 vertrauten Ausdruck „Botschaftsbrief" oder „Botschaftsmitteilung" zusammenhängen [vgl.

Das alttestamentliche und jüdische Material

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ist. Lediglich die Septuaginta spielt in dieser Traditionsgeschichte eine bedeutsamere Rolle. Die Septuaginta bietet den Christen den Wortstamm εύαγγελ- für die Übertragung der Wurzel einheitlich dar, aber nicht nur den Wortstamm, sondern auch das heilsgeschichtliche Medium des (prophetischen) Gotteswortes, in welches der Wortstamm eingebettet ist. Wenn die zur Mission aufbrechenden Christen den Heiden das (alttestamentliche) Gotteswort verkünden, ihre Verkündigung heilsgeschichtlich begründen und diejenigen Elemente der "lfco-Tradition, welche im aramäisch-sprachigen palästinischen Christentum lebendig waren, ihrer eigenen Missionsverkündigung nutzbar machen wollten, waren sie jedesmal auf die Septuaginta angewiesen und auf deren Gebrauch der Ausdrücke εύαγγελίζεσ&αι, εύαγγελιζόμενος etc. Die Septuaginta gehört also zum sprachlichen und sachlichen Fundamentalbestand des urchristlichen Evangeliums auch dann, wenn sie den neutestamentlichen terminus technicus το εύαγγέλιον nicht direkt belegen hilft. Bei Philo und bei Josephus sind wir auf ein neues, traditionsgeschichtlich bedeutsames Zentrum der Verwendung von εύαγγελ- im Hellenismus gestoßen, und zwar im Herrscher- und Kaiserkult. Selbst wenn die Denk- und Sprechweise des Herrscherkultes das neutestamentliche Evangelium nicht direkt erklären sollte, wäre sie für die Verkündigung dieses Evangeliums bedeutungsvoll. Für den Fall, daß der Stamm εύαγγελ- im Hellenismus fest mit dem Kaiserkult verbunden war, stießen die urchristlichen Missionare bei ihrer Rede vom Evangelium ja mit Notwendigkeit auf Verstehensassoziationen, welche dem Herrscherkult entstammten. Damit haben wir eine Leitfrage für die nun folgende Übersicht über den Gebrauch unserer Wortgruppe in der Graecität gewonnen. Sie lautet : Welche Verstehensassoziationen mußten sich für einen hellenistischen Hörer des neutestamentlichen Evangeliums einstellen und was bedeutet dies für das neutestamentliche Evangelium selbst ? Zugleich aber steht unsere anfängliche Frage noch immer zur Entscheidung, die Frage, ob sich im Hellenismus Traditionen finden, welche die neutestamentliche Verwendung des Wortstammes εύαγγελ- noch besser erhellen als die uns schon bekannten jüdisch-semitischen Zeugnisse, die uns nur Ansätze der neutestamentlichen Verkündigung begreifbar zu machen scheinen. Wir wenden uns damit den genuin griechischen Belegen zu. oben S. 133, Anm.3]: Für τό καλόν κήρυγμα, das die griechische und die äthiopische Version in 7,15 lesen, haben der Cod. Braidensis und Cod. 34 S.Sepulcri έπιστολή. Umgekehrt hat die äthiopische Version in 7,11 für den griechischen Begriff 6 χάρτης = Papyrusbrief den Ausdruck „Freudenbotschaft". Läßt sich solche Divergenz auf ein gemeinsames, semitisches Original zurückführen?).

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Die religionsgeschichtlichen Wurzeln des neutestamentlichen Evangeliums

II. Das Material der Graecität 1 Die umsichtigen und überaus gründlichen Studien Schniewinds erleichtern die sich jetzt stellende Aufgabe erheblich : Schniewind hat das Verwurzeltsein der griechischen Rede vom Stamm εύαγγελ- in der Anschauung vom Boten, seiner Botschaft und botschaftenden Gottheiten mit einer Deutlichkeit herausgestellt, die keiner Wiederholung bedarf. Leider liegt eine Darstellung der Verwendung von εύαγγελ- im Kaiserkult aus Schniewinds eigener Feder nicht mehr vor 2 und ebensowenig die Durchführung seiner These, im Neupythagoreismus begegne ein „religiöser Gebrauch von εύαγγέλιον"3. Dieser Befund ergibt unsere eigene Aufgabe: Nach einer knappen Darstellung des auf das Neue Testament hinführenden griechischen Belegmaterials haben wir Schniewinds eben genannte These zu prüfen, darzulegen, in welcher Weise εύαγγελ- vom Kaiserkult aufgenommen wird, um abschließend zu fragen, inwieweit der hellenistische Sprachgebrauch als Ursprung der neutestamentlichen Verwendung des Wortstammes angesprochen werden darf. 1. Die Verwendung des

Wortstammes

Die eigentliche Aufmerksamkeit verdient in unserem Zusammenhang das Verbum εύαγγελίζω/εύαγγελίζομαι sowie das Substantiv εύαγγέλιον. Ein Kompositum προευαγγελίζομαι läßt sich m.W. in der klassischen Graecität bis heute nicht nachweisen 4 ; für das Substantiv ευαγγελιστής liegt nur ein einziger Beleg vor 5 . Demnach ist jetzt 1 Vgl. zum Folgenden die Artikel s. ν. εύαγγέλιον, εύαγγελίζεσ&αι und ευαγγελιστής bei H. G. Liddell-R. Scott, A Greek-English Lexicon, Oxford 9. Aufl. 1961, S. 704/05; W.Bauer, Wb 5 Sp. 627-630; G.Friedrich, ThWb II S. 708710. 719-722. 734; O.Michel, Art. Evangelium Sp. 1110/11 und vor allem J. Schniewind, Euangelion, S. 114^258. 2 Das zu besprechende Material zählt Schniewind auf: Euangelion, S. 88ff.; hilfreich ist der Abschnitt „εύαγγέλιον im Kaiserkult" bei Friedrich S. 721,4722,26. 3 Euangelion S. 184; Schniewind hat dabei vor allem Heliodors Aethiopica (10, Iff.) im Auge. 4 Vgl. Friedrich, ThWb II S. 735,32ff. und Liddel-Scott, Lexicon 9 s . v . Zum Kompositum bei Philo vgl. S. 173 Anm. 2. 6 Das Substantiv ist bis heute leider nur einmal belegt, und zwar in einer noch dazu schlecht erhaltenen Inschrift aus Rhodos: IG X I I 1, Nr. 675. Hier ist in einer Grabinschrift Z. 6 von ó [ίε]ρί>ς ευαγγελιστής = einem Orakelpriester heidnischer Provenienz die Rede. Vgl. J. Schniewind, Euangelion, S. 189ff., wo die seinerzeit im ersten Band der ZNW (1900) zwischen H. Achelis (Spuren des Urchristentums auf den griechischen Inseln? S. 87-100) und A. Dieterich (Εύαγγελιστής S. 336-338) geführte Debatte um den christlichen oder heidnischen Charakter dieser Inschrift im Sinne Dieterichs entschieden wird. Schniewind schreibt: „Unser Stein gehört in die Religiosität des vorchristlichen Hellenismus, nicht ins Christentum" (S. 193).

Das Material der Graecität

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nur die Verwendung jener drei Worte zu illustrieren1. Zunächst zum Verbum. 1 Vollständigkeit erstrebe ich nur f ü r die Belege von εύαγγέλιον. — Durch das Entgegenkommen von Herrn Prof. E. Kießling, Marburg und Herrn Prof. L. Robert, Paris, gelang es, über Schniewind und Friedrich hinaus einiges — allerdings nur indirekt ertragreiches — Material zu erschließen. L. Robert machte mich freundlicherweise brieflich auf seine Stellensammlung im Bulletin de Correspondance Héllenique 60, 1936, S. 187 Anm. 2, auf IG X I I , Supplementum (1939) Nr. 168 und auf die Neubearbeitung von CIG IV 6821 durch L. Moretti in Archaeologia Classica 5, 1953, S. 245-259: „ U n nuovo proconsole d'Acaia" (vgl. dazu die zustimmende Übersicht von L. Robert, Revue des Études Grecques 68, 1955, S. 215) aufmerksam. All diese Texte sind unten erwähnt. — Der Freundlichkeit von E. Kießling verdanke ich die Kenntnis des folgenden, bisher noch nicht erfaßten Belegmaterials f ü r unseren Wortstamm aus den Papyri. Ich nenne die Vorkommen hier im Zusammenhang, um die Orientierung zu erleichtern, aber auch um die in dem neu mitgeteilten Material enthaltenen christlichen und die Namen-Belege nicht zu verschweigen. Es handelt sich um folgende Stellen:

a) Aus den Oxyrhynchos Papyri : Nr. 1830,3 = christl. Brief über das Steigen des Nils kraft der Segensmacht Christi; die Nachricht vom erhöhten Wasserstand wird mit εύαγγελίζεσθαι bezeichnet — ein interessanter Beweis dafür, daß εύαγγελίζεσθαι auch in nachneutestamentlicher Zeit nicht terminologisch verfestigt war. Nr. 1916,28; 2032,12 und 2034,11 auf Quittungen aus dem 6. J h . p.Chr. je einmal der Name: Εύάγγελος. b) Aus dem „Sammelbuch Griechischer Urkunden aus Ägypten", begonnen von Fr. Preisigke, weitergeführt von Fr. Bilabel und (jetzt) E. Kießling. Nr. 6020 (SB Bd. 111,1) auf einem Grabstein aus Sakkara der Name Εύάγγελος. Nr. 6087,18 (SB 111,1) auf einer Klapptafel die christliche Erwähnung des εύαγγελιστής Markus, des Apostels Petrus etc. Nr. 6835,3 (SB 111,2) auf einem Grabstein aus dem 1./2. J h . p.Chr. die Nennung des Namens Εύάγγελος. Nr. 9401,4 (SB VI) in einem christlichen Privatbrief aus dem 6./7. J h . die Rede von der Forderung des hl. Evangeliums: τό τοϋ άγίου [εύαγγελίου . . .]. c) Aus den „Papiri greci e Latini" ( = Pubblicazioni della Società Italiana per la ricerca dei Papiri greci e latini in Egitto). Nr. 768,8 (Bd. 7) aus dem Fragment eines staatsanwaltschaftlichen Urteils des 5. J h . von Hermopolis τά εύαγγέλια wohl = vor Gericht gemachte Zusicherungen, evtl. in Parallele zu όρκοι. Ζ. 7. Nr. 967,1.21 (Bd. 8) in einem Privatbrief aus dem 1./2. Jh. zweimal der Name Εύάγγελος. Nr. 953,82 (Bd. 8) auf einer Spesenabrechnung christlichen Ursprungs aus dem 6. J h . die Rede von einem: δ 'Ιωάννης ó εύαγγελιστής. Nr. 1041,11 (Bd. 9) in einem Brief aus dem 3./4. J h . die christliche Erwähnimg eines καθηχούμενος έν άρχη τοϋ εύαγγελίου; die Stelle zeigt, daß in der wohl aus Phil. 3,15 entliehenen Wendung έν άρχη τοϋ εύαγγελίου das τό εύαγγέλιον nomen actionis war oder wenigstens als solches verstanden wurde bis weit in die nachneutestamentliche Zeit hinein! d) Aus den „Papyri in the Princeton University Collections" (Bd. 3 edd. A. Ch. Johnson und S. P. Goodrich, Princeton 1942). Nr. 180,8 in einem christlichen Vertrag ist die Rede von τό άγιον εύανγέλιον. e) Aus P. Viereck, Griechische und griech.-demotische Ostraka der Universitäts- und Landesbibliothek zu Straßburg im Elsaß, Bd. 1, Berlin 1923.

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Die religionsgeschichtlichen Wurzeln des neutestamentlichen Evangeliums

a) Das Verbum εύαγγελίζεσΟ-αι Die Etymologie scheint klar zu sein. Das vorwiegend im Medium, gelegentlich im Passiv und erst in der späten Graecität im Aktiv gebrauchte Verbum wird von εύάγγελος hergeleitet werden müssen und hat deshalb die Grundbedeutimg „als ein εύάγγελος reden" 1 . Vom 4. Jh. a. Chr. n. an taucht als Äquivalent απαγγέλλω auf, später dann άγγέλλω, αναγγέλλω und καταγγέλλω. Die Grundbedeutung des Bringens guter, erfreulicher Botschaft hat sich also abgeschliffen, jedoch nur bis zur neutralen Botschaftung hin. Negative Botschaften werden mit dem Verbum nicht bezeichnet, wohl aber taucht es in ironischen Zusammenhängen auf. Gegenbegriff zu εύαγγελίζεσθ-αι ist κακαγγελέω2. Konstruiert wird das Verbum mit dem persönlichen und sachlichen Akkusativ, mit τί xrn, auch ως und δτι = daß, mit A. c. I. und Präpositionen : πρός c. Acc. Sofern es sich nicht um ironische Rhetorik handelt, sind die mitzuteilenden Botschaften erfreulichen Inhalts, umspannen das persönliche Leben ebenso wie politische Tatbestände. Ein im strengen Sinne technischer Sprachgebrauch läßt sich nicht nachweisen, wohl aber häufiger die Verwendung des Verbums für Siegesbotschaft. Zweierlei erscheint besonders bemerkenswert : Vom 5. Jh. a. Chr. n. an bis zum 4. Jh. p. Chr. n. läßt sich eine einschneidende Veränderung des Bedeutungsgehaltes von εύαγγελίζεσθαι nicht feststellen! Zudem taucht das Verbum ausschließlich in entweder amtlichen oder ausgesprochen literarischen Zeugnissen auf. Belege von einer Verwendimg in der Volks- und Umgangssprache fehlen. Würde es sich um ein allgemein gebräuchliches Verbum handeln, so dürfte man wenigstens in den Papyri zahlreichere Belegstellen erwarten. Wo wir solche finden, sind sie aber erst christlichen Datums und Ursprungs. Nr. 809,10 auf einem christlichen Ostrakon (R. Reitzenstein sprach seinerzeit vom, wenn man so sagen dürfe, „ersten Ave Maria": Zwei religionsgesch. Fragen nach ungedruckten griechischen Texten der Straßburger Bibliothek, Straßburg 1901, S. 112) εύαγγελίζεσθαα für die Verkündigimg des Engels an Maria. f) BOU ( = Ägypt. Urkunden aus d. Staatl. Museen zu Berlin, Griech. Urkunden Bd. 6: Papyri und Ostraka der Ptolemäerzeit, edd. W. Schubert und E. Kühn, Berlin 1922). Nr. 1229,26 und 1230,13 auf zwei Saatquittungen aus dem 3. Jh. je einmal der Name Εύάγγελος. g) Aus den Hibeh-Papyri (The Hibeh Papyri, Teil 2, ed. E. G. Turner, London 1955). Nr. 232,7 in einem ganz fragmentarisch erhaltenen Brief aus dem 3. Jh. εύα]γγέλια mit nicht näher zu bestimmender Bedeutung. 1 Vgl. Schniewind, Euangelion, S. 125 und Friedrich, ThWb II, S. 708, Iff., beide nach F. Specht. 2 Vgl. Schniewind, a.a.O. S. 126 und Liddel-Scott, Lex.» 860.

Das Material der Graecität

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Eine Übersicht über das wichtigste Belegmaterial in geschichtlicher Reihenfolge soll diese Übersicht untermauern: Für das Medium ergeben sich folgende Belege : Im 5. Jh. a. Chr. n. Aristophanes, Equit. 642 f. ironisch für die Verbilligung der Sardellen. Im 4. Jh. a. Chr. n. bei Demosthenes, Pro Corona 323 von Erfolgen der Gegner; bei Lycurg, In Leocratem 18 ironisch von der eigenen Rettung (par.: άπαγγέλλειν!); bei Theophrastus, Characteres 17,7 mit δτι von der Geburt eines Kindes und bei Menander im Georgos 83 mit πρός σε ταϋτα von einem Hochzeitsangebot. Im l.Jh. p.Chr. n. bei Plutarch, De Mario (22) 418 mit A.c. I. von der Wiederwahl zum Konsul und De Pompeio (66) 654, ebenfalls mit A.c.I., von dem erwarteten Kriegsende. Im 2. Jh. p. Chr. n. bei Alciphron in den Epistulae I I 9,2 ( = I I I 12,2 p. 72 bei Hercher, Epistolographi Graeci) mit Obj. ταϋτα und anschließendem δτι vom poetischen Kunstverstand und Kunstgenuß beim Weiden der Ziegen. Bei Lucían: Icaromenippus 34 ironisch vgn der an die Philosophen weiterzugebenden Botschaft ihrer alsbaldigen Hinrichtung; Pro Lapsu inter Salutandomi 3 mit τήν νίκην und der Parallelformulierung άγγέλλειν τήν νίκην von der Siegesbotschaft; im Philopseudes 31 mit δτι von der ruhigen Lebensmöglichkeit im Hause nach der Vertreibung von Dämonen 1 ; Tyrannicida 9 mit Objekt τήν έλευθερίαν von der Botschaft der Freiheit nach dem Tode des Tyrannen. Bei Soranus, De Muliebribus Affectionibus 21 von der Aufgabe der Hebamme, der Kreißenden τό άφοβον καΐ τήν εύτοκίαν zu verkünden, sie also alles Guten und der guten Geburt zu versichern. Bei Longus, Pastorales ( = Daphnis und Chloe) I I I 33,1 mit Objekt τόν γάμον = der Braut die Hochzeit ansagen. Bei Dio Cassius Cocceianus 60, 13, 4 mit δτι ironisch von der Rettung (ν. 1. Aktiv!). Bei Philostrat in der Vita Apollonii 1,28 mit τινί und δτι von der feierlichen Ankündigung des Eintreffens des Apollonius (par. in 1,29 άναγγέλλειν). Im 3. Jh. p. Chr. n. bei Heliodor in den Aethiopica 2,10 vom mitzuteilenden Ende der bösen Stiefmutter und 10,1 f. zweimal mit τινί τήν νίκην (par. 10,6: τήν νίκην καταγγέλλειν) von der Siegesbotschaft. Im 3.¡4. Jh. p. Chr. n. bei Jamblichus, De Vita Pythagorica 2,12 mit A.c.I. von der Prophezeiung einer großen Zukunft. Für das Passiv ist bemerkenswert die in den Kaiserkult gehörige Formulierung auf einer Inschrift aus Sardes aus dem 1. Jh. a. Chr. n. εύανγελίσθη ή πόλις von der Mündigkeitserklärung des Augustus-Enkels Gaius Julius Cäsar ( = Sohn des Agrippa und der Augustus-Tochter Julia) im Jahre 5 a. Chr. n. 2 . Das Aktiv finde ich, von den Belegen aus der 2.Reg. 18,19f.) und dem Neuen Testament (Ape. in D) abgesehen, nur in Belegen aus christlicher εύαγγελίζω τά της νίκης = Siegesnachricht geben

Septuaginta (l.Reg. 31,9; 10,7 und Apg. 16,17 v . l . Zeit: Pap. Gießen 127,6 (Anfang des 2. Jh.s); bei

1 Α. M. Harmon im 3. Bd. der Lucian-Ausgabe aus Loebs Classical Library S. 368 bezeichnet εύαγγελιζόμενος Philops. 31 als sekundäre Variante; ursprünglich sei die von Plato übernommene Formulierung: εύ άγγέλλων. 8 Veröffentlicht mit Übersetzung, Kommentar etc. durch W. H. Buckler und D. M. Robinson, Greek Inscriptions from Sardes V, AJA 18, 1914, S. 321362 (abgedruckt im Ausschnitt bei Friedrich, ThWb I I S. 721 Anm. 37; der Text findet sich ferner IGR IV Nr. 1756), unsere Formulierung Z. 14. Die Herausgeber Buckler und Robinson merken zu Z. 14 a.a.O. S. 344 an: "εύανγελίσθη. This is another illustration of the anticipation of the Christian εύαγγελίαι which prevailed in Asia Minor in the latter half of the first century B. C."

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Die religionsgeschichtlichen Wurzeln des neutestamentlichen Evangeliums

Polyaenus, Strategemata 5,7 mit ώς = daß, von der Verbreitung einer Siegesbotschaft (2. Jh.) ; bei Dio Cassius 60, 13, 14 mit δτι (in einer ν. 1. zum Medium) für Rettungsbotschaft und dann im 4. Jh. (christlich) in Pap. Amh. 2,16 mit •uvt von der Botschaft des Christus.

Von einem ausgesprochen religiösen oder theologischen Sprachgebrauch läßt keiner dieser Belege etwas ahnen. Zwar könnte hinter der passivischen Formulierung der Kaiserinschrift aus Sardes und der Nachricht vom Eintreffen des Apollonius von Tyana bei Philostrat, vielleicht auch hinter der Prophezeiung bei Jamblichus, eine religiöse Motivation sichtbar werden, aber ein ausgesprochen technischer Wortgebrauch liegt nirgends vor. Im Moment läßt sich daher nur feststellen, daß der vorliegende Gebrauch von griechischem εύαγγελίζειν/ εύαγγελίζεσθαι dem jüdischen von weithin gleicht. Da aber die an der Wurzel Itoa haftende Bedeutung von Gottes- und Prophetenrede sowie Engelsbotschaft in unserer Übersicht ganz ausfällt, dürfte es kaum möglich sein, allein von den aufgeführten hellenistischen Belegen her die neutestamentliche Verwendung der Verben zu erklären 1 . Daß auch die eventuell religiös akzentuierten Belege hier nicht weiterführen, wird sich uns noch ergeben. b) Das Substantiv

εύαγγέλιον

Etymologisch ist das Substantiv, wie das Verbum auch, von εύάγγελος herzuleiten und meint, formal gesehen, „was zu einem εύάγγελος gehört" 2 . J e nachdem ob diese Zugehörigkeit vom Boten oder vom Empfänger der Botschaft aus betrachtet wird, bedeutet das Nomen „Botenlohn" oder „Botschaft", beides als erfreuliche Phänomene! Bei dieser Doppelbedeutung und Möglichkeit der Betrachtungsweise handelt es sich, wie der ganz gleichartige Befund im Hebräischen zeigt, um ein allgemein antikes Phänomen. Charakteristisch f ü r die Verwendung des Substantivs in der Graecität ist der dem Neuen Testament unbekannte Plural: τά ευαγγέλια3. Er ist f ü r den hellenistischen Sprachgebrauch ebenso kennzeichnend, wie f ü r das Neue Testament der absolut gebrauchte Singular charakteristisch ist. Bereits diese sprachliche Beobachtung dürfte eine Wesensverschiedenheit der im Hellenismus und im Neuen Testament mit demselben 1

Auch für die bei Paulus unbestreitbare und wohl schon in die vorpaulinische Zeit zurückreichende Affinität des christlichen Evangeliums zu Lehre und Tradition bieten die genannten hellenistischen Belege keinen traditionsgeschichtlichen Hintergrund. Anders ist dies bei dem jüdischen Material, wo die Wurzel sowohl für die Gesetzesproklamation als auch im Zusammenhang mit der Gesetzesunterweisung und schulischen Traditionsbildung auftaucht (vgl. oben S. 138f. 133 Anm. 3, 177 Anm. 2). 2 Schniewind, Euangelion, S. 116 nach Fr. Specht. 3 Vgl. Schniewind, Euangelion S. 118; Molland, Paul. Euangelion, S. 21f.

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Nomen bezeichneten Phänomene signalisieren. Konstruiert wird der nur gelegentlich nachweisbare Singular von εύαγγέλιον und der gebräuchliche Plural nie mit Adjektiven 1 , wenn mit Genitiven, so nur mit Objektsgenitiven, ferner zuweilen mit Präpositionen: περί c. Gen., παρά c. Gen. ; Präpositionen, welche das Nomen selbst regieren, sind : έν, επί und εις. Formelhaft erscheint die Rede von ευαγγέλια θύειν, vielleicht ευαγγέλια στεφανοϋν und gelegentlich ευαγγέλια έορτάζειν. Wichtig erscheint mir, daß sich sowohl die Synonyme wie auch die sprachlichen Äquivalente, mit denen εύαγγέλιον ausgetauscht werden kann, zumeist an der Bedeutung „erfreuliche Botschaft" orientieren 2 . Das bedeutet, daß εύαγγέλιον in unserem Quellenbereich den von der Etymologie her festliegenden Sinn von erfreulicher Botschaft behalten hat, wenn auch das mehrfache Nebeneinander von Verben des Stammes άγγελ- und εύαγγέλιον/εύαγγέλια ohne erhebliche Verschiebung des Bedeutungsgehaltes zeigt, daß der erfreuliche Sinn der ευαγγέλια nicht immer sehr ausgeprägt seinmuß. Εύαγγέλιον wird in der Mehrzahl der Fälle absolut gebraucht, gewinnt aber, wenn ich recht sehe, nirgends einen ausgesprochen technischen, unverrückbaren Sinn : Was mit εύαγγέλιον gemeint ist, entscheidet vorwiegend der Kontext ! Das schließt nicht aus, daß sich εύαγγέλιον häufig in der Bedeutung einer Siegesbotschaft, im Sinne von Versicherung und „Prophetie" (beides auf die Zukunft ausgerichtet und in dieser zu verifizieren!) und mehrfach in Texten nachweisen läßt, die mit dem Herrscherkult in Verbindung stehen. Von einer wirklich volkstümlichen Redeweise wage ich auch beim Substantiv nicht zu sprechen, obwohl augen1 Dieser Befund ist im Blick auf Ape. 14,6 bedeutsam; zum δεινόν εύαγγέλιον bei Josephus Bell. 2,420 vgl. oben S. 169 Anm. 2. 2 Zu Synonymen vgl. Schniewind, Euangelion, S. 117 Anm. 4 und S. 141 Anm. 7. Vgl. ferner ή καλή φάσις und τό καλόν κήρυγμα Paralipomena Jeremiae 7,11.15 (vgl. oben S. 177 Anm. 2). Bei Josephus, Bell. 3,143f. und wohl auch bei Lucían, Pro Lapsu inter Salutandum 3 tritt άγγελία für εύαγγέλιον ein. Im Erlaß des Paulus Fabius Persicus (Zeit: ca. 43/45 p. Chr. n.), den Fr. K. Dörner bearbeitet, zusammengestellt und kommentiert hat (Der Erlaß des Statthalters von Asia Paullus Fabius Persicus, Diss. Greifswald 1935), heißt es in einem gegen den am Artemision in Ephesus eingerissenen Amterschacher gewandten Passus in Z. 11 ff. des 4. Bruchstückes (Dörner S. 15. 38): οσάκις τε γάρ αν άπό της 'Ρώμης ίλαρωτέρα ίλθη άγγελία, ταύτη πρός τόν ίδιον άποχρώνται πορισμόν . . . . Dörner kommentiert: „. . . es war die Unsitte eingerissen, daß, sooft von Rom eine ίλαρωτέρα άγγελία (IV 11) gemeldet wurde, also sich aus irgendeinem das kaiserliche Haus betreffenden Grunde Gelegenheit bot, ein Fest zu feiern, Priesterstellen dazu gegen Höchstangebot wie auf einer Auktion verkauft (IV 14) oder von den mit der Verleihung solcher Priesterstellen betrauten Personen gegen persönliche Vorteile vergeben wurden" (S. 44). ίλαρωτέρα άγγελία ist hier eindeutiges Äquivalent für εύαγγέλια. — In einem Brief des Septimius Severus und des Caracalla an die Einwohner von Nikopolis (Zeit: ca. 197/99 p. Chr. n.; veröffentlicht in MDAI, athen. Abteilung, 48, 1923, S. 99-102) taucht in Z. 26/27 der Plural τά εύανγέλματα als Äquivalent für εύαγγέλια = Erfolgsnachrichten (vom Siege über die Barbaren und dem wiederhergestellten Frieden) auf.

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scheinlich der als Ausruf gebrauchte Plural ευαγγέλια! und der in allen Lebensbereichen gebräuchliche Begriff der Euangelienopfer auf eine weitere Verbreitung des substantivischen Sprachgebrauches schließen lassen, als es die ausgesprochen literarischen oder offiziellen Fundstellen ahnen lassen. Diese Fundstellen sind, wenn man sie chronologisch ordnet, folgende : Der Plural εύαγγέλια findet sich: Im 4. Jh. a.Chr. n. bei Aeschines, I n Ctesiphonem 160: Opfer darbringen εις αΐτίαν δέ εύαγγελίων und ähnlich ein Jahrhundert später in einer kleinasiatischen Inschrift IG I I 2 Nr. 1224 Z. 15: [. . . εύ]αγγελίων θυσία 1 . Im 1. Jh. a. Chr. n. griechisch als Formel in Briefen Ciceros, E p . ad A t t . I I 3,1 εύαγγέλια! f ü r die Nachricht vom Freispruch des (von Cicero und Hortensius gemeinsam verteidigten) Valerius und X I I I 40,1 ironisch von einer mutmaßlichen Hinwendung Casars zu tüchtigen Männern 2 . Ein drittes Mal im selben Jahrhundert als εύαγγέλια της 'Ρω[μαίων νίκης] auf einer Ämteru n d Ehrenliste aus Mavrodilisi (IG VII, 417,67). Ferner zweimal in der berühmten Kalenderinschrift von Priene aus dem J a h r e 9 a. Chr. n . 3 : Z. 38 nach Bucklers Emendation im Sinne von Verheißungen und Z. 40 von Segensbotschaften. 1 H a t t e Schniewind, Euangelion, S. 120f. in der Aeschines-Stelle einen exegetischen Fingerzeig f ü r das Verständnis der formelhaften Redeweise von εύαγγέλια θύειν sehen und diese Wendung im Sinne eines Feierns von guter Botschaft durch Opfer interpretieren wollen, so wird dieser Deutungsversuch durch die Schniewind noch nicht vorliegende Inschrift IG I I 2 Nr. 1224 glänzend bestätigt. 2 Daß es sich u m eine formelhafte Wendung handelt, zeigt der Umstand, daß Cicero den griechischen Ausruf in seinen lateinischen Brief einsetzt. F ü r formelhaften Gebrauch spricht ferner, daß uns dasselbe εύαγγέλια! bereits in der lukianischen Version von 2. Reg. 18,31 begegnet ist (vgl. oben S. 156) und, leicht abgewandelt, bei Heliodor, Aeth. I 14, wieder begegnen wird. 3 Die bei Dittenberger, OGIS Nr. 458 abgedruckte Inschrift ist jetzt f ü r Z. 32-49 nach dem von W. H . Buckler, An Epigraphic Contribution to Letters, The Classical Review 41, 1927, S. 119-121 emendierten und im Supplementum Epigraphicum Graecum 4, 1930, S. 90 Nr. 490 abgedruckten Text zu lesen. Der Text h a t folgenden Wortlaut: Έπε[ιδή ή θείως] διατάξασα τόν βίον ήμών πρόνοια σπουδήν εΐσεν[ενκα|μ]ένη καΐ φιλοτιμίαν τό τεληότατον τώι βίωι διεκόσμη[σεν άγαθύν] | ένενκαμένη τόν Σεβαστόν, 36 δν εις εύεργεσίαν άνθρώ[πων] έπλή|ρωσεν άρετης, (ώ)σπερ ήμεϊν καΐ τοις μεθ' ή[μάς σωτήρα χαρισαμένη] | τόν παυσαντα μέν πόλεμον, κοσμήσοντα [δέ είρήνην, έπιφανείς δέ] | ό Καίσαρ τάς έλπίδας των προλαβόντων [εύανγέλια πάντων ύπερ]Ιέ-9-ηκεν, ού μόνον τούς πρό αύτοΰ γεγονότ[ας εύεργέτας ύπερβα] |λόμενος, άλλ' ούδ' 40 έν τοις έσομένοις έλπ£δ[α ύπολιπών ύπερβολης], || ήρξεν δέ τώι κόσμωι των δι' αύτόν εύανγελί[ων ή γενέθλιος ήμέρα] | τοϋ -9-εοϋ, της δέ 'Ασίας έψηφισμένης έν Σμύρνη [έπί άρχιερέως] | Λευκίου Ούολκακίου Τύλλου, γραμματεύοντος Παπ[ία, μαρτυρίαν] | τω μεγίστας γ' είς τόν ϋ-εόν καθευρόντι τειμάς είναι [στέφανον], 45 Παϋλλος Φάβιος Μάξιμος ό άνθύπατος της έπαρχήας έ[πΙ σωτηρίας] || άπό της έκείνου δεξιάς καΐ [γ]νώμης άπεσταλμένος εύ[ρήμασιν ίδί]οις εύεργέτησεν τήν έπαρχήαν, ών εύεργεσιών τά μεγέθ[η Ικανώς] | είπεϊν ούδείς αν έφίκοιτο, καΐ τό μέχρι νυν άγνοηθέν ύπό των [Έλλή]|νων είς τήν τοϋ Σεβαστού τειμήν εΰρετο, τό άπό της έκείνου γ[ενέ]|σεως άρχειν τω βίφ τόν χρόνον. δι' δ κτλ

Die Ergänzung in Ζ. 37 bringt εύανγέλια neu in den Text herein, und zwar im Sinne von „Verheißungen". Fr. Taeger, Charisma I I S. 194 Anm. 57 h a t Bucklers Lesung von Z. 37 übernommen.

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Im 1. Jh. p. Chr. n. begegnet der Plural mehrfach bei Plutarch: Artoxerxee (14) 1018 in der Wendung μισθόν ευαγγελίων == Lohn für gute Botschaft und εύαγγελίων δευτεραϊα = Zweitgabe für gute Nachricht; De Phocione (23) 752 = Siegesbotschaft; De Pompeio (41) 640 = gute, von der Tyche gelenkte Nachricht vom Tode des Mithridates (par. ist 641 άπαγγέλλειν!); Sertorius (11) 673 έπ' εύαγγελίοις = zum Zwecke von guten Ankündigungen, Prophezeiungen 1 . Im 2. Jh. p. Chr. n. sind zu nennen Aelius Aristides, Παναθηναϊκός 174 έπ' εύαγγελίοις ¿στεφανωμένος = wie zu Siegesbotschaften bekränzt und der unbestimmbare Beleg Pap. Hibeh Nr. 232,7 2 . An der Schwelle zum dritten Jahrhundert finden wir Belege bei Philostrat, Vit. Apoll. V I I I 27 ol των εύαγγελίων δρόμοι = die Boten mit guter Nachricht von der Ermordung Domitians. Apollonius hatte die Ermordung im Geiste geschaut und die Kunde vom Tode des Kaisers vorausgesagt (par. in 26 άπαγγέλλομαι!) Vit. Sophist. I 18,1 τά εύαγγέλια της νίκης = Siegesbotschaft ; I I 5,3 der einfache Plural für erfreuliche Botschaft allgemein, und schließlich in De gymnastica 7 noch einmal εύαγγέλια της νίκης für Siegesbotschaft. Im 3. Jh. p.Chr. n. auf einer Inschrift aus Athen vom Jahre 209/10 im Sinne von Freudenbotschaft über die Ernennung des Lucius Septimius Geta zum Augustus 3 . Bei Heliodor erscheint εύαγγέλια in den Aethiopica I 14 für die Nachricht vom Tode der verhaßten Stiefmutter, X 3 für Siegesbotschaft. Im 4. Jh. p. Chr. n. erscheint τά εύαγγέλια wohl von eidlichen Zusicherungen im Fragment eines staatsanwaltlichen Urteils 1 . Schließlich ist eine undatierte Inschrift aus Laodicea am Lykos zu nennen, auf welcher Κοίντος Πομπώνιος Φλάκκος, der Leiter der politischen Belange der Stadt, dafür geehrt wird, daß er die Stadt anläßlich von εύαγγέλια = Opfer- und Freudenfesten aus freien Stücken reich beschenkt hat 6 . Wir nennen den Beleg erst jetzt, 1 Vgl. z. St. Friedrich, ThWb I I S. 720,33ff. Die Verwendung von εύαγγέλια im Orakelwesen ist somit offensichtlich, daß aber εύαγγέλιον mit „Orakelspruch" zu übersetzen sei, will mir nicht ganz einleuchten. Man kommt mit der üblichen Bedeutimg „Ankündigungen" oder „Prophezeiungen" auch an unserer Stelle aus. 2 Vgl. oben S. 181 Anm. 1 unter g. 3 IG, Ed. minor Bd. I I / I I I , Teil 1, Berlin 1916 Nr. 1077. Zeile 5-7 lauten: (5) . . . βουλή συνήχθη έπΐ τοις (6) [εύαγγ]ελίοις άναδειχ&έντος [Αύτοκράτορος Καίσαρος Ποπλίου] (7) [Σεπτιμίου Γέτα Εύσεβοϋς Σεβαστού].... άναδειχ&έντος κτλ. dürfte als von εύαγγελίοις abhängiger (objektiver) Genitiv zu bestimmen sein; oder handelt es sich um einen erläuternden Gen. abs. ? 4 Ein sicheres Urteil über die fragmentarisch erhaltenen Zeilen von Papiri Greci e latini Nr. 768 (vgl. S. 181 Anm. 1 unter c) gewinne ich nicht; mir scheint nur sicher zu sein, daß τά εύαγγέλια hier vor Gericht getroffene Zusicherungen meint. Das redende Ich ist der Ικδικος von Hermopolis (zu Funktion und Anstellung solcher öffentlichen Staatsanwälte vgl. Α. Η. M. Jones, The Greek City from Alexander to Justinian, Oxford 1966 [ = Nachdruck der Erstausgabe von 1940] S. 150ff.). Der entscheidende Passus des Gerichtsurteils lautet: (7) . . .]v καταβεβλήσθαι καΐ των δρκων αύτω κατάγων (8) . . .] των εύαγγελίων παρά τε Έρμίνου καΐ Θακω#ιος (9) . . ,]λειας έπ' έμοϋ δεδ[ο]μένων περί τούτων έδικαιοϋτο κριτ[ ] . . . 5 Die Inschrift ist ohne Datierung veröffentlicht in MDAI, athen. Abteilung, Bd. 16, 1891, S. 144/145, abgedruckt IGR IV 860. Die Zeilen l l f f . lauten: . . . πρεσβεύοντα είς 'Ρώμην ύπέρ της πατρίδ[ος] παρ' έαυτοΰ καΐ έπιδιδόντα έν εύανγελίοις εύψύχω[ς].... Zum Verständnis der Stelle vgl. L. Robert, Bull, de Corr. Hell. 60, 1936, S. 187 Anm. 2.

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weil kein genaues Datum für ihn feststeht, doch dürfte vorchristlicher Ursprung wahrscheinlich sein 1 . I n der Wendung εύαγγέλια θύειν = Opfer für gute Botschaft darbringen 2 erscheint unser Plural seit dem 5. vorchristlichen Jahrhundert : Bei Aristophanes, Equités 656 ironisch anläßlich der Verbilligung von Sardellen. I n der Historia Graeca ( = Hellenica) Xenophons 16,37 : man opfert Euangelien, obwohl die Schlacht verloren ist. Im 4. Jh. a. Chr. n. ist auf dem sehr schadhaften Stein aus los die Rede von Euangelienopfern anläßlich von Wohltaten und Freiheit, welche die Stadt durch Antigonos empfangen hat (IG X I I , Supplementum, Nr. 168 Z. 5). Von den Skepsiern werden nach Dittenberger, OGIS 6,30 f. εύαγγέλια geopfert für die der Stadt durch Antigonus gemachten Zusagen von Frieden und Autonomie 3 . Nach OGIS 4,39f. bringen die Nesioten zu Ehren des Thersipp, der für seine Vaterstadt viel getan hat, Heils- und Euangelienopfer dar. Die Epheser opfern der Artemis Euangelien für die Wohltaten, die ihnen durch Demetrius Poliorketes und Apollonides zuteil geworden sind (Dittenberger, Sylloge 3 I Nr. 352,6; in Z. 12 par. wieder: άναγγέλλειν [τήν εΰνοιαν του βασιλέως]). Ironisch ist der Sprachgebrauch Isocrates, Orationes 7,10: Trotz vieler Rückschläge haben die Athener schon zweimal Euangelienopfer dargebracht. I n Menanders Periciromene 415 wird Polemon aufgefordert, für die günstige Wendung des Schicksals, die ihm die Braut zuführt, εύαγγέλια zu opfern. I n der Neubearbeitung von CIG IV 6821 durch L. Moretti (Archaeologia Classica 5, 1953, S. 255-259) Ζ. 13-16 ist die Rede von einem άρχιερεύς des Kaiserkultes, von dem es heißt: τ[ά δέ] εύανγέ[λια υπέρ] οϊκο[υ παντός] τ[ώ]ν Σεβ[β. θύσαντα]. Präzis auf das 1. Jh. p. Chr. η. lassen sich zwei Belege aus Plutarch datieren: Reg. et Imp. Apophtegmata 184 A : Antiochos opfert den Göttern εύαγγέλια für die Nachricht von der Errettung seines Bruders. Sertorius t u t dasselbe für eine ihn erreichende Siegesbotschaft (Sert. 26, 582). Im 2. Jh. p. Chr. n. heißt es in Philostrats Vita Apollonii V 8, es sollten für Neros olympischen Sieg ευαγγέλια dargebracht werden. Die bei Aristophanes begegnende, aber wahrscheinlich ad hoc gebildete Wendung στεφανόω τινά εύαγγέλια (Equités 647) und άναδέω τινά ευαγγέλια (Plutus 764-766) 4 führt hinüber zu der zweiten Bedeutimg, die εύαγγέλια haben kann: Botenlohn. Beide Aristophanes-Stellen sind auf Grund dieser Wortbedeutung gebildet. Die von Schniewind unter der Bedeutung εύαγγέλια = Botenlohn aufgeführte Stelle Plutarch, Artoxerxes 14 (1018) ist besser unter εύαγγέλια = Botschaft einzureihen 6 . 1 W. H. Buckler und D. M. Robinson a. S. 183 A. 2 a.O. S. 344 rechnen unsere Stelle zu den kleinasiatiech-vorchristlichen Evangeliumsbelegen. 2 Vgl. zum Sinn der Wendimg S. 186 Anm. 1. 3 Weil diese Zusagen in Ζ. 35f. als αί όμολογίαι und oí δρκοι bezeichnet werden, hat der Sprachgebrauch des Papyrus von S. 187 Anm. 4, wo τά εύαγγέλια auch in Parallele zu οι δρκοι erscheint, nichts Verwunderliches, sondern beweist, daß τά εύαγγέλια auch rechtliche Züge annehmen konnte. Die Euangelienopfer auf unserer Inschrift sind Folge und Echo der (rechtlichen) Zusicherungen des Antigonus. 4 Vgl. zu dieser Wendung Schniewind, Euangelion, S. 121 Anm. 1. 5 Vgl. Schniewind, Euangelion, S. 140 Anm. 1. Konrat Ziegler, Plutarch, Große Griechen und Römer, Bd. 6 (Bibliothek d. alten Welt, griech. Reihe, Zürich/Stuttgart 1965) S. 359f. übersetzt den Passus: „Als der Karer, der den Kyros in die Kniekehle getroffen und zu Fall gebracht hatte, ebenfalls ein Geschenk verlangte, hieß er [sc. Artoxerxes] die Überbringer sagen: 'Dies

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Die Wendung ευαγγέλια έορτάζειν begegnet zweimal: bei Josephus Bell. 4,618 und bei Plutarch, De Phocione (23) 752, beide Male also im 1. J h . p. Chr. und in der Bedeutung: ein Fest für eine Freudenbotschaft feiern 1 . Für uns besonders wichtig ist das Belegmaterial, das den Singular τό εύαγγέλιον aufweist. Es ist spärlich : Der älteste Beleg für τό εύαγγέλιον = Frohbotschaft ist Josephus Bell. 2,420 2 . Im 2. Jh. p. Chr. n. finden sich vier Belege : Bei Appian in den Bella Civilia Romana 3,93 τό εύαγγέλιον = die gute Nachricht vom Überlaufen zweier Legionen Casars ina republikanische Lager, eine Nachricht, die sich als bloßes Gerücht erweist; 4,20 τό εύαγγέλιον = die für Antonius hocherfreuliche Nachricht vom Tode Ciceros; 4,113 steht εύαγγέλιον für Siegesbotschaft 3 . I n Pseudo-Lukians Roman De Asino 26 meint εύαγγέλιον die von einem Esel ( = dem verwandelten Lucius) den Dorfbewohnern entgegengeschriene Siegesnachricht von der Befreiung eines jungen Mädchens aus Räuberhand. Der letzte Beleg für εύαγγέλιον = (gute) Botschaft stammt aus dem 3. Jh. p. Chr. n. Auf einem Papyrusfragment werden Festprozessionen angeordnet, weil das εύαγγέλιον von der Proklamation des Gaius Julius Verus Maximus (Sohn des Maximinius Thrax) zum Kaiser bekannt geworden ist 4 . Viermal ist εύαγγέλιον in der Bedeutung von „Botenlohn" nachgewiesen: Zweimal in Homers Odyssee 152. 166, also im 7. J h . a. Chr. n., und zweimal im 1. J h . p. Chr. bei Plutarch: De Agesilao (33) 614 und De Demetrio (17) 896.

Damit ist das mir bekannte Material erschöpft. Religiöse Komponenten sind mehrfach vorhanden : Bei den Belegen, die in Verbindung mit dem Herrscherkult stehen, zunächst, dann durchweg in dem von Euangelienopfern berichtenden Material, sicherlich auch in der Schilderung der Prophetie des Apollonius von Tyana (Vit. Apoll. 8,26/27) und, vielleicht, bei Heliodor, Aeth. 10,3. Näherer Untersuchung bedarf im Blick auf das neutestamentliche Phänomen Evangelium vor allem die Botschaft des Herrscherkultes. Da die Euangelienopfer dem Neuen Testament durchaus fernstehen, braucht diesen Belegen nicht noch weiter nachgegangen zu werden, wenn nur deutlich ist, schenkt dir der König als zweiten Preis f ü r gute Nachricht (σοΙ ταϋτα δίδωσιν βασιλεύς εύαγγελίων δευτεραΐα); denn als erster hat Artasyras, nach ihm du den Tod des Kyros gemeldet (τήν Κύρου τελευτήν άπήγγειλας)'." ι Vgl. oben S. 170. 2 Vgl. oben S. 169. 185 Anm. 1. 3 Die Formulierung der Stelle ist interessant: „Als die Reiter des Brutus kamen, um die Siegesbotschaft auszurichten" = . . . προσιόντων ές εύαγγέλιον ιππέων Βρούτου. Die Wendung ές εύαγγέλιον erinnert, wie schon W. Bauer, Wb 6 Sp. 628 anmerkt, an Rom. 1,1 und 2. Kor. 2,12 und zeigt, daß nicht nur im semitischen, sondern auch im hellenistischen Bereich εύαγγέλιον als nomen actionis verstanden werden kann. Daß εύαγγέλιον bei Paulus als nomen actionis erscheint, ist also kein besonderes Kennzeichen f ü r semitischen Ursprung des Nomens, wie z.B. Friedrich, ThWb I I S. 727,2ff. meint. 4 Der Text lautet nach Preisigkes Sammelbuch Nr. 421 = A. Deißmann, Licht im Osten, Tübingen 4. Aufl. 1923, S. 314: ΈπεΙ γν[ώ]στ[ης έγενόμην του] εύανγελ[ίο]υ περί του άνηγορεϋσ&αι Καίσαρα . . . . Die Konstruktion erinnert an Rom. 1,Iff. 13 5638 Stubimacher, Evangelium

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daß sich im lebensnahen Brauch des Opfers für gute Botschaft, so abgeflacht solche Sitte auch zuweilen sein mag, eine religiöse Ehrfurcht vor dem Phänomen der machtgeladenen, über Tod und Leben entscheidenden Botschaft ausdrückt, und zwar bis in die neutestamentliche Zeit hinein. Wo die neutestamentliche Evangeliumsbotschaft in der hellenistischen Welt ausgerichtet wurde, durfte sie also damit rechnen, als machtvolles Segenswort auch bei Menschen verstanden zu werden, welche der alttestamentlichen und jüdischen theologischen Denktradition völlig fernstanden. Haben wir diesen Denkhorizont in sein Recht gesetzt, so dürfen wir es auch in diesem Stadium unserer Untersuchung schon anzweifeln, daß die genannten Belege wirklich den Mutterboden der neutestamentlichen Rede vom Evangelium darstellen. Wohl ist die Identifikation von εύαγγέλιον mit Verheißung und Prophetie auch im hellenistischen Bereich auffällig und, religionsgeschichtlich vielschichtige Zeugnisse wie die 4. Ekloge Vergils1 zeigen, daß nicht nur die jüdische, sondern auch die hellenistische Welt der Spätantike von durchaus ernstzunehmenden und für die urchristliche Verkündigung gewichtigen Erlösungs- und Heilserwartungen erfüllt war. Dennoch ist mit Hildebrecht Hommel auf die Differenz solcher hellenistischer Heilserwartung und der urchristlichen Eschatologie hinzuweisen2 und dementsprechend hervorzuheben, daß dem hellenistischen „Evangelium" der Kontext einer geschichtlich-teleologischen Eschatologie fehlt. Mit ihm fehlen die Vorstellungen des Gottes- und Prophetenwortes sowie der Engelsbotschaft, fehlt die Glauben fordernde proleptische Ansagestruktur, die nur durch den endzeitlichen Herrschaftsantritt Gottes einlösbar ist 3 , und es fehlt mit alledem auch die Anschauung von einem einzigen, alles entscheidenden Evangelium. Doch halten wir mit einem endgültigen Urteil noch zurück, bis wir die religiös-hellenistischen Zeugnisse noch eingehender als bisher gemustert haben. 1 Der Text der 4. Ekloge ist bequem zugänglich bei Eduard Norden, Die Geburt des Kindes, Studien d. Bibliothek Warburg 3, Berlin 2 1931, S. 8ff. sowie in dem Aufsatz von Hildebrecht Hommel, Vergils 'messianisches' Gedicht, ThViat 2, 1950, (S. 182-212) 186ff. Norden und Hommel bieten gleichzeitig Übersetzungen. Ein um die Zeilen 23-30 (weshalb?) gekürzter, deutscher Auszug aus der Ekloge auch bei Ch. Κ. Barrett, Die Umwelt des Neuen Testaments, ed. C. Colpe, WUNT 4, Tübingen 1959, Nr. 4 S. 19f. 2 Vgl. Hommel, a.a.O. S. 210-212. 3 Als Verheißving versteht sich auch das hellenistische, kaiserkultliche Evangelium (vgl.die Priene-Inschrift Ζ. 37, s.o. S. 186 Anm. 3),aber diese Verheißung zielt ab auf den Anbrach des goldenen Zeitalters und seiner Wohltaten. Von einer die Hörer des Evangeliums heute mit Leib und Leben einfordernden, zum Zeugnis herausfordernden Glaubensbotschaft ist keine Rede, und der Gedanke der Gottesherrschaft oder eines endzeitlichen Bundes Gottes mit seinem Volk liegt völlig fern.

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2. Der religiöse Sprachgebrauch des Hellenismus Drei Phänomene, die uns "begegnet sind, sind noch genauer zu untersuchen: Die Verbindung von Euangelien und der θείος άνήρYorstellung, die Verwendung von εύαγγέλιον in der Popularphilosophie, besonders bei den Neupythagoräern, und schließlich, vor allem, der Sprachgebrauch von εύαγγελίζεσθαι und εύαγγέλιον/εύαγγέλια im Herrscher- und Kaiserkult. a) Evangelium und θείος άνή ρ - Vorstellung Daß die Vorstellung vom göttlichen, inspirierten und daher weisen, reinen und wundertätigen Menschen für die Spätantike hohe Bedeutung besitzt, schien bisher ein gesichertes Resultat religionsgeschichtlicher Forschung zu sein. Neuerdings werden jedoch gewichtige Gründe gegen die Geschlossenheit jener Konzeption vorgetragen und begründete Zweifel an ihrer terminologischen Verfestigung schon in der Antike angemeldetWenn es auch in unserem Zusammenhang nur darum geht, zu prüfen, ob die θείος άνήρ-Vorstellung irgendeine im Blick auf das Neue Testament religionsgeschichtlich maßgebende Verbindung mit der hellenistischen Redeweise von Euangelien aufweist, so kann doch angesichts dieser neuen Forschungslage ein Problem nicht ganz unerörtert gelassen werden : Die Frage, ob die Anschauung vom θείος άνήρ ein spezielles Kennzeichen nur der hellenistischen (Volks-)Frömmigkeit gewesen ist. Ludwig Bieler hat, wenn er auch gelegentlich hellenistisch-jüdische Belege zitiert, den θείος άνήρ als hellenistische Vorstellung erklärt 2 , und G. Haufe hat ihm darin ausdrücklich wieder beigepflichtet3. Doch sollten die von H. Windisch in seinen Untersuchungen über „Paulus und Christus" gegebenen Hinweise darauf, daß im nachbiblischen Judentum die Vorstellung des Propheten sich der des θείος άνήρ annähert 4 , in der geläufigen Einordnung der Anschauimg vom göttlichen Menschen unsicher machen s . In der Tat dürfte es sehr viel ratsamer sein, nur von einer allgemein spätantiken Anschauung zu sprechen. Dann können wir, über Windischs Hinweise hinaus, z.B. das „göttliche" Josephsbild der hellenistisch-jüdischen Missionsschrift „Joseph 1

Vgl. W. von Martitz, Artikel υίός, ThWb VIII, S. 337,24—340,12. L. Bieler, ΘΕΙΟΣ ΑΝΗΡ, Bd. 1 Wien 1935; Hinweise auf hellenistisch jüdische Anschauungen nur S. 18f. 3 Vgl. Haufes Übersicht über die „Hellenistische Volksfrömmigkeit" in: Umwelt des Urchristentums, Bd. 1, S. 68-100; zum göttlichen Menschen vgl. S. 74^77. 4 H. Windisch, Paulus und Christus, UNT 24, Leipzig 1924, bes. S. 89ff. β Vgl. auch die interessanten Hinweise auf die jüdische Anschauung von prophetischer Wirksamkeit in nachalttestamentlicher Zeit von Rudolf Meyer, Artikel: προφήτης, ThWb VI, S. 823-825. 2

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und Aseneth" 1 unbefangen der θείος άνήρ-Vorstellung subsumieren. Wir können vor allem, um bei dem uns gesteckten Rahmen zu bleiben, nur von einer gemeinantiken Vorstellung her die auffällige Parallelität erklären, in der Josephus sich selbst prophetische Kraft vor Vespasian zuschreibt 2 , in welcher ähnliche prophetische Kraft im babylonischen Talmud dem Rabbi Jochanan b. Sakkai zugeschrieben wird 8 und mit der schließlich in den griechischen Belegen auch von einer SeherBegabung des Apollonius von Tyana die Rede sein kann. Damit sind wir bei dem noch zu prüfenden Belegmaterial angelangt. Es handelt sich um die Berichte aus Philostrats Vita Apollonii 128 und VIII27. Daß Apollonius von Tyana als θείος άνήρ auftrat und in der Vita als solcher gezeichnet wurde, bedarf keines besonderen Beweises mehr 4 . Die Frage ist jetzt ausschließlich die, ob in seiner Lehre oder seinem Nachruhm der Stamm εύαγγελ- eine bedeutsame Stellung erhalten hat. Dies ist, soweit ich zu sehen vermag, nicht der Faü. In Philostrats Vita I 28 wird berichtet, Apollonius sei nach Babylon gekommen, um den König im Gebrauch der Tugenden zu unterweisen. Sein Eintreffen wird dem Herrscher als Glücksumstand gemeldet: έσέθεον οδν εύαγγελιζόμενοι πασιν, 6τι άνήρ έπί ταΐς βασιλέως θύραις έστήκοι σοφός τε και "Ελλην και ξύμβουλος άγαθός. Davon, daß in I 29 die Nachricht sogleich wieder mit άναγγέλλομαι beschrieben wird, war schon die Rede 5 . Dies ist bei der Annäherung von εύαγγελ- an die Verben des Stammes άγγελ- nicht weiter verwunderlich. Andererseits zeigt dieser sprachliche Umstand aber, daß εύαγγελίζεσθαι 128 nur in rhetorischer Absicht eingesetzt wurde, nicht aber für die Schilderung unentbehrlich schien. Belege dafür, daß das Erscheinen anderer θείοι άνδρες mit dem Stamm εύαγγελangekündigt werden, fehlen ganz. Zu nennen ist höchstens noch die durchsichtige Selbsterhebung des Josephus, Bell. 3,143f. Die Ähnlichkeit beider Belege, des jüdischen und dieses hellenistischen, weist auch unsere Stelle als rhetorische Formulierung aus. Da in der Quelle, in der man am ehesten den Stamm εύαγγελ- in Verbindung mit dem Auftreten und Wirken des Apollonius erwarten 1 Vgl. Chr. Burchard, Untersuchungen zu Joseph und Aseneth, WUNT 8, Tübingen 1965, S. llßfF. Der Text liegt griechisch z. Zt. nur in P. Batiffols Ausgabe, Studia Patristica, Fase. 1/2, Paris 1889/90 vor, deutsche Übersetzung bei Rießler, Altjüd. Schrifttum, S. 497-538. s Vgl. oben S. 170 Anm. 4, dazu R. Meyer, a.a.O. S. 824,21ff. 3 Vgl. oben S. 125f. und R. Meyer, a.a.O. S. 824,28ff. 1 Vgl. die bis heute nicht überholte und ersetzte Studie von J. Hempel : Untersuchungen zur Überlieferung von Apollonius von Tyana, Beiträge zur Religionswissenschaft 4, Leipzig/Stockholm 1920. Ferner Windisch, a.a.O. S. 70-77; Bieler, a.a.O. S. 17 und passim; Haufe a.a.O. S. 75f. s Vgl. oben S. 183.

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sollte, in den unter seinem Namen überlieferten Briefen 1 , εύαγγέλιον etc. nicht auftaucht, können wir uns sogleich der zweiten Stelle zuwenden : Vit. Apoll. VIII26. 27, welche die prophetisch-seherische Weisheit des Wundermannes dokumentiert : Apollonius weilt in Ephesus und schaut im Geiste, wie Domitian in Rom niedergestoßen wird; er kündigt dementsprechend die Glücksnachricht vom Tode des Tyrannen an, heißt aber die Opfer aufschieben, bis die Nachricht tatsächlich eingetroffen sei: (26) άφίξεται τουτί το ρήμα και δεϋρο, καΐ το μεν θ-ύειν ύμας έπ' αύτοϊς άναβεβλήσ9·ω ές καιρόν, δν άπαγγελ&ήσεται ταΰτα, έγώ δέ εΤμι προσευξόμενος τοις θεοΐς υπέρ ών είδον (27) ετ' άπιστουμένων τούτων ήλθον οι των εύαγγελίων δρόμοι μάρτυρες της σοφίας του ανδρός. Aufs neue fällt die Parallelität der Stämme άγγελ- und εύαγγελauf. Daß es sich bei der hier geschilderten prophetischen Szene2 um ein geläufiges Darstellungsschema der gesamten Spätantike zu handeln scheint, haben wir eben schon herausgestellt. Jetzt können wir nur noch, wie eben zu I 29, feststellen, daß εύαγγέλια keine besondere religiöse Bedeutung hat, sondern geläufigem hellenistischen Sprachgebrauch entsprechend verwendet wird. Auf eine dritte Stelle, welche unsere Wortgruppe mit dem Bild der göttlich-inspirierten Menschen verbindet, hat G. Friedrich aufmerksam gemacht: In der Vita Pythagorica des Jamblichos 3 2,12 sendet Thaies den jungen Pythagoras, der bei ihm Unterricht genossen hat, zu weiterer Unterweisung zu den ägyptischen Priestern und verheißt ihm, er werde im Verkehr mit diesen Männern zum überlegenen Weisen und Gottmenschen heranreifen: ώστε έκ παντός εύηγγελίζετο, έν τοις δηλουμένοις ίερεϋσι συγγένοιτο, θειότατον αύτόν καί σοφώτατον ύπερ άπαντας Ισεσθαι άν&ρώπους. So bedeutsam diese Stelle auch für das vom θείος άνήρ zu zeichnende Bild sein mag, εύαγγελίζεσθαι ist hier nur im Sinne von glückverheißender Ansage verwendet, kehrt m. W. bei Jamblichos nicht noch einmal wieder und signalisiert darum in unserem Zusammenhang keine besonders hervorgehobene Verwendung des Wortstammes. 1 Zusammengestellt bei Horcher, Epistolographi Graeci, S. 110-130; zu Echtheitsfragen vgl. Hempel, a.a.O. S. 13ff. 2 Zu dieser vgl. Bieler, a.a.O. S. 88; Friedrich, ThWb II S. 720,28ff.; aufs neue (vgl. S. 187 Anm. 1) kann ich in unserer Stelle keinen Beleg für die Spezialbedeutung von εύαγγέλιον = Orakelspruch sehen, wie Friedrich a.a.O. vorschlägt. 3 M. v. Albrecht weist in der Vorrede zu seiner neuen, zweisprachigen Ausgabe der Vita (Pythagoras. Legende, Lehre, Lebensgestaltung, ed. M. v. Albrecht, Bibliothek d. Alten Welt, Zürich/Stuttgart 1963) S. 8 darauf hin, daß die Schrift gar „keine 'Lebensgeschichte des Pythagoras', sondern eine Darstellung der 'pythagoreischen Lebensform'" bietet, der jetzige Titel „De Vita Pythagorica" also in diesem Sinne verstanden werden müsse.

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Wir kommen also, ganz abgesehen davon, daß es sich bei den aufgeführten Stellen nur tun Belege aus nachneutestamentlicher Zeit handelt, zu dem Ergebnis, daß das θείος άνήρ-Μοίϊν keine besondere religiöse Akzentuierung des Stammes εύαγγελ- hervorgerufen hat, geschweige denn von einem dem Neuen Testament parallelen technischen Gebrauch des Stammes begleitet ist. b) Evangelium und Popularphilosophie Die Fragerichtung ist uns von Schniewinds These, im Neupythagoreismus sei ein religiöser Gebrauch des Stammes εύαγγελ- nachweisbar1, gewiesen. Der Versuch, den Umkreis der Frage auf die großen popularphilosophischen Schulen der hellenistischen Zeit, die Epikureer, die Stoiker und Neupythagoreer insgesamt auszudehnen, scheitert am Material : Der Stamm εύαγγελ- ist m. W. nur im Schrifttum von Männern nachweisbar, die selbst Neupythagoreer waren oder wenigstens den Lehren der pythagoreischen Schule nahestanden. Die Belege, die sich im Traditionsbereich des Apollonius von Tyana finden, haben wir ebenso schon gemustert wie die einzige Stelle bei Jamblichos, an der das uns interessierende Wort vorkommt. Beide Male mit negativem Ergebnis. Es bleibt noch die von Schniewind und Friedrich3 hervorgehobene Überlieferung aus Heliodors Aethiopica durchzusehen. Freilich stammt diese Überlieferung erst aus dem 3. Jh., könnte aber natürlich, wenn Heliodor, wie wiederholt betont wird3, neupythagoreische oder neuplatonische Lehren aufnimmt, auf ältere Vorstufen hinweisen. Das Material ist erneut spärlich : Daß die Verwendung von εύαγγέλια (I 14) und ευαγγελίζομαι (II 10) für die Weitergabe der Glücksbotschaft vom Tode der bösen Stiefmutter kein religiös geprägter Sprachgebrauch ist, bedarf keines Beweises. Anders steht es mit X 1-3 : Der äthiopische König Hydaspes hat die Perser besiegt und schickt, ehe er selbst in seine Heimat zurückkehren kann, zwei Eilboten mit der Siegesnachricht voraus und richtet an die ihn beratenden Gymno1 2 3

Vgl. Schniewind, Euangelion, S. 184. Schniewind, a.a.O. S. 149; Friedrich, ThWb II S. 709,16ff. Vgl. K.Münscher, Artikel: Heliodoros, PW 8, Sp. 21 ; W. Schmid-O.Stählin, Geschichte d. griech. Literatur, HAW VII 2,2, München 6. Aufl. 1924, S. 821; R. Merkelbach, Artikel: Heliodor von Emesa, Lexikon d. alten Welt, Sp. 1234. O. Weinreich betont im Nachwort zur Neuübersetzung der Aethiopica durch R. Reymer (Heliodor, Aithiopika. Die Abenteuer der schönen Chariklea, Bibliothek d. alten Welt, Zürich/Stuttgart 1950) S. 359. 362, daß die Aethiopica es verdienen, „als ungemein aufschlußreiches Dokument der griechisch-orientalischen Religiosität des 3. Jh. gelesen (zu) werden" und daß Heliodor in seiner Tendenz zur Vergeistigung des Gottesdienstes selbständig Stellung bezieht gegen das ihm vertraute ungeistige syrische Brauchtum.

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sophisten ein Schreiben, worin er seinen Sieg meldet. In X 1 heißt es von der durch Reiter nach Meroe gebrachten Siegesbotschaft des Hydaspes ganz üblich: τήν νίκην εύαγγελίζεσθ-αι. Dieser geläufige Gebrauch von εύαγγελ- für Siegesbotschaften wird in X 3 noch einmal substantivisch aufgenommen: άλλά τήν πόλιν έπιόντες των εύαγγελίων έμπλήσατε. Das genannte Schreiben ist jedoch für Schniewind der Anlaß gewesen, einen betont religiösen Sprachgebrauch von εύαγγέλιον bei Heliodor zu postulieren. Das Schreiben lautet in R. Reymers Übertragung 1 : „An den hochwürdigen Großen Rat der König Hydaspes. Ich melde euch den Sieg über die Perser. Nicht um mich des Erfolges zu rühmen (denn ich will mir das rasch wechselnde Glück geneigt erhalten), sondern um euerer weisen Voraussicht, die sich wie stets auch diesmal bewährt hat, mit diesem Schreiben schon im Voraus meine Achtung zu erweisen. Ich bitte und ersuche euch, an den gewohnten Ort zu kommen, um durch eure Anwesenheit den Dankopfern zur Feier des Sieges in den Augen des Volkes größeren Glanz zu verleihen".

Zunächst bedeutet in der Eingangswendung τήν νίκην ύμίν τήν κατά Περσών ευαγγελίζομαι das Verbum wieder nur, wie oft und im Kontext eben erst „(Sieg) botschaften". Daß sich Hydaspes den Erfolg nicht selbst zuschreiben will, sondern ihn als Erfüllung der Prophetie der Gymnosophisten bezeichnet, ist in der Tat interessant, wie auch die Parenthese eine abergläubische Furcht vor den Launen der Tyche ausdrückt. Aber durch all dies wird das εύαγγελίζεσθαι und die Botschaft selbst noch zu keinem besonders geprägten Begriff und gewinnt in sich selbst keineswegs eine besondere religiöse Bedeutung 2 . Jenes εύαγγελίζεσθαι wird im Text in geläufiger hellenistischer Manier gebraucht, der Sieg selbst aber als religiöses Phänomen verstanden. Dadurch, daß gerade der am häufigsten bezeugte Wortsinn von εύαγγελ- für Siegesnachricht auch in unserem Text erscheint, wird die Formulierung des Schreibens als geläufige Stilisierung ausgewiesen. Eine Intention des Autors, hier einen geprägten Begriff ευαγγελίζεσ&αι einzuführen oder zu schaffen, ist nicht nachweisbar und bei dem völligen Fehlen von Parallelen auch nicht wahrscheinlich. So bleibt also nur erneut festzustellen, daß auch im Bereich der Popularphilosophie kein eigentlich geprägter, religiöser Gebrauch 1

A.a.O. S. 280. Griechisch: Τω θειοτάτω συνεδρίω βασιλεύς Ύδάσπης. τήν νίκην ύμΐν τήν κατά Περσών εύαγγελίζομαι, ούκ άλαζονευόμενος τό κατόρθωμα (τό γαρ όξύρροπον της τύχης ίλάσκομαι), άλλά τήν προφητείαν ύμών άεί τε καΐ τό παρόν έπαληθεύουσαν τω γράμματι προδεξιούμενος. ήκειν ούν ύμδς εις τόν είωθότα τόπον καί παρακαλώ καΐ δυσωπώ, τάς εύχαριστηρίους τών έπινικίων θυσίας εύαγεστέρας τη παρουσία τφ κοινώ τών Αιθιόπων άποφανοϋντας. 2 Gegen Friedrich, a.a.O. S. 709,22: ,,εύαγγελίζεσθαι hat hier religiöse Bedeutung".

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unseres Wortstammes nachzuweisen ist. Alles Interesse kann und muß sich darum auf die Belege, die vom Kaiserkult berührt sind, konzentrieren. c) Evangelium und Kaiserkult Die Entwicklung, welche der Kaiserkult des römischen Weltreiches genommen hat, braucht hier ebensowenig noch einmal dargestellt zu werden, wie es ebenfalls entbehrlich ist, den sich im Kaiserkult vereinigenden, ursprünglich geschiedenen Überlieferungsströmen ( = die griechische Heroenverehrung ; der griechische Epiphaniegedanke ; die Vorstellung der Repräsentation und Manifestation der Gottheit durch den Herrscher im Orient; die synkretistische Identifikation und Vertauschung der verschiedensten, regionalen Gottheiten) im einzelnen nachzugehen. Die großen Standardwerke von L. Cerfaux und J.Tondriau „Le Culte des Souverains"1 und Fritz Taeger „Charisma. Studien zur Geschichte des antiken Herrscherkultes"2 machen solche Arbeit heute entbehrlich3. In neutestamentlicher Zeit ist der Kaiserkult die nach dem Vorbild der Religionspolitik in den Diadochenstaaten gestaltete, offizielle religiöse Klammer, welche das römische Weltreich umspannt und zugleich zusammenschließt. Obwohl die Apotheose des Herrschers in der östlichen Reichshälfte sich viel besser in die religiöse Vorstellungswelt einfügte und hier darum auch viel früher üblich, also auch weniger umstritten war als im Westen, gilt für das ganze römische Weltreich doch dies : Der Kaiserkult ist die offizielle „Religion" der politischen Instanzen und nur sehr mittelbar eine der Erlösungssehnsucht breiterer Volksschichten entsprechende Glaubenswelt. Der Kaiserkult gehörte, wenn man einmal so formulieren darf, mehr zur politisch-religiösen Etikette als zum religiösen Engagement der Vielen. Dies gilt besonders für das Judentum, für welches im Mutterland und in der Diaspora der Kaiserkult solange erträglich schien, als er nicht die essentiellen Interessen des jüdischen Monotheismus tangierte4. Nur wenn man sich dies klarmacht, kann man die durchweg offiziellen Dokumente der Herrscherund Kaiserverehrung religiös richtig einordnen und zudem den auf1

Bibliotheque de Theologie, Ser. III, Bd. 5, Tournai 1967. 2 Bde., Stuttgart 1957 und 1960. Hingewiesen sei noch auf G. Herzog-Hauser, Artikel : Kaiserkult, PW, Suppl. 4, Stuttgart 1924, Sp. 806-853; M. P. Nilsson, Geschichte der griech. Religion II, HAW V. 2, München 2. Aufl. 1961, S. 132-185 und die Übersicht von G.Hansen über „Herrscherkult und Friedensidee", in: Umwelt d. Urchristentums I, S. 127-142. « Vgl. M. Noth, Geschichte Israels, Göttingen 3 1956, S. 322ff. und vor allem die profunde Überschau bei M. Hengel, Zeloten, S. 103ff. S. auch oben S. 170 Anm. 4 u. S. 174 Alan. 4. 2 3

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fälligen Tatbestand erklären, daß das junge Christentum die mit dem Kaiserkult gegebene, soteriologische Herausforderung erst z. Zt. Domitians wirklich angenommen hat. Die uns überlieferten Zeugnisse, auch wenn sie der zufälligen Auswahl unserer Begriffsuntersuchung und dem mit dieser gegebenen sprachlichen Ausleseprinzip entstammen, lassen uns den Werdegang des Herrscherkultes noch einmal nach- und mitvollziehen. Die ältesten Belege aus dem 4. Jh. a. Chr. n. gehören deutlich noch der hellenistischen Heroenverehrung zu und wollen zudem den Diadochen huldigen : Da Thersipp für seine Stadt Steuererleichterung und Minderung der offiziellen Abgaben, verbilligte Kredite, Getreideheferungen etc. erwirkt und auch selbst bereitgestellt hat, ehren ihn seine Mitbürger, die Nesioten, nach einer von Dittenberger, OGIS 4 abgedruckten Inschrift (aus Moschonisi) „mit allem, was ein griechischer Staat verleihen konnte, Atelie [ = Steuerfreiheit], Statue aus Kupfer, Speisung im Prytaneion, Prohedrie, Bekränzung und Ehreninschrift" 1 . Auch werden für die von Thersipp bewirkten Erleichterungen und Zusicherungen der Satrapen εύαγγέλια und σωτήρια geopfert. Die Inschrift betont Z. 39ff., die öffentlichen Ehrungen seien Thersipp verliehen worden: ϊνα γινώσκωισι πάντες 8τι ô δαμος ò [Να]σιώταν τοις άγάθ-οις άνδρας [κ]αί εύε[ργέ]ταις τί[μαι] και σώθεντος αΰτω έστεφα[να]φόρησεν άμέραις τρις καΐ εύαγγέλια και σωτήρια ε [θ·] υ σε και παν[άγυρ]ιν συνάγαγε δαμοτέλην καΐ νυν τίμαι δικάως. Die Doppelung εύαγγέλια και σωτήρια θ-ύειν erklärt sich bei dem pleonastischen Stil all solcher öffentlichen und der späteren KaiserUrkunden am besten aus rhetorischen Gründen : Der Stil des offiziellen Dokumentes forderte zu schwungvoller Redeweise geradezu heraus 2 ! 1

W. Schwahn, Artikel: Nesiotai, P W 33 [Sp. 70-73] Sp. 73. Den pleonaetisch-enthusiastischen Stil der Urkunden, die wir zu untersuchen haben, betont Michel, Art. Evangelium, Sp. 1111. Die neueste Untersuchung zu unserem Thema, H. Dörrie, Der Königskult des Antiochos von Kommagene im Lichte neuer Inschriften-Funde, AAG, phil. hist. Kl. III 60, Göttingen 1964 weist durch exakte philologische Studien S. 69. 139ff. 156. 181 f. nach, daß dieser Stil der offiziellen rhetorischen Hofsprache entspricht. Es handelt sich also um ein festes Stilelement unserer Quellen. Dementsprechend erübrigen sich die Versuche Friedrichs und seines Lehrers Schniewind, aus der rhetorischen Doppelung in der Thersipp-Inschrift und parallelen Beobachtungen an anderen gleichartigen Urkunden zu folgern, man habe sich aus schlechten Erfahrungen heraus im Hellenismus schließlich entschließen müssen, zwischen Botschaft und tatsächlichem Ereignis zu scheiden, man opfere nun für die Botschaft sowohl wie das Ereignis und vermeide deshalb den mißverständlichen Ausdruck εύαγγέλια θύειν. Diese Entwicklung soll dann besonders im Kaiserkult wieder rückgängig gemacht werden, andererseits aber doch an ihr Ziel kommen: „Im religiösen Sprachgebrauch schätzt man die Nachricht wieder so hoch, daß man sie der Wirklichkeit gleichsetzt. Man opfert bei dieser Botschaft nun nicht für die Botschaft (εύαγγέλια θύειν), sondern für das Ereignis, das verkündet wird. Diesen Wert einer Tatsache hat εύαγγέλιον im Orakelwesen und Kaiserkult" (Friedrich, ThWb II, S. 720, 28ff.). Ich halte 2

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In der Thersipp-Inschrift ist von einer göttlichen Verehrung des Wohltäters noch nichts festzustellen. Ebenso werden im Dekret von los (IG XII, Suppl. Nr. 168) die Euangelien1 nicht dem Antigonos selbst dargebracht, sondern nur anläßlich seiner Hilfsaktionen. Er selbst wird mit einem goldenen Kranze im Werte von 2000 Drachmen geehrt. Das Bild ändert sich bei der Antigonus und seinen Söhnen Demetrius und Philippos geweihten Inschrift aus Skepsis (OGIS 6). Für die der Stadt von Antigonus gemachten Zusagen über Frieden und Autonomie wird ihm eine Kultstätte mit Altar und Kultbild geweiht (Z. 2 Iff.) und damit „die Annäherung an die Gottheit . . . bis an die letztmögliche Grenze überhaupt vorgetrieben"2. Wenn in Z. 32f. beschlossen wird: θϋσαι δε καί [εύ]αγγέλια τήν πάλιν επί τοις ύπ' Άντιγόν[ου] άφεσταλμένοις . . ., so darf, wie Taeger feststellt3, „ευαγγέλια nicht in seinem späteren charismatischen Sinne interpretiert werden. Die Gemeinde veranstaltet das Opfer nicht, weil die Nachrichten von einem Gotte stammen und über seine Taten berichten, sondern weil ihr Inhalt glückbringend ist. Das Wort hat hier noch durchaus seine auch sonst oft belegte Bedeutung". Entscheidend ist nur zu sehen, wie konkret ein Euangelion in den beiden genannten Inschriften verstanden wird: Es ist eine Botschaft, welche irdische σωτηρία mit sich bringt und deshalb als heilsam empfunden wird. diese These f ü r entbehrlich, u n d zwar aus zwei Gründen: Handelt es sich u m offizielle, rhetorisch durchgearbeitete Dokumente, d a n n erklärt sich das verschiedentliche Fehlen des Ausdrucks εύαγγέλια θύειν ungezwungen, weil der vielseitig verwendbare Ausdruck gehobenem Stilempfinden nicht durchweg entsprach. Außerdem ist es j a durchaus nicht so, d a ß der Ausdruck im Zusammenhang m i t dem Kaiserkult gar nicht fiele! I n der Ehreninschrift f ü r einen άρχιερεύς des Kaiserkults (zu solchen άρχιερεϊς des Kaiserhauses vgl. LiddellScott, Lexicon 9 , s. ν . u n d die Priene-Inschrift, OGIS 458, Z. 31 f.) m i t N a m e n M. Aurelios Amarantos ist ja, wenn Moretti mit seiner Bearbeitung u n d L. R o b e r t mit seinem Placet zu derselben (Revue des E t u d e s Grecques 68, 1955, S. 215) recht haben, ausdrücklich von Euangelienopfer f ü r das Kaiserh a u s die Rede (vgl. oben S. 188) ! Der Tag des Opferfestes scheint εύανγέλιος ή μέρα zu heißen (vgl. die von L. Robert, Bull, de Corr. Hell. 60, 1936, S. 187 Anm. 2 zitierte Inschrift aus augusteischer Zeit I G R I V 996, Z. 5f. [Bei R . fälschlich: 989,5f.] u n d die ebendort angeführte Zeile aus einer noch unedierten Inschrift aus Thessalonich: ταϊς εύανγελίοι[ς ήμέραις?]). Ebenso redet Philostrat, Vit. Apoll. V 8 ganz unbefangen von Euangelienopfern, die Nero darzubringen verlangt (und die Sache der Euangelienopfer ergibt sich f ü r den Kaiserkult eindeutig aus Philo, L e g . G a j . 356; Josephus, Bell. 4,618; IG, E d . min. 1077,28f., ohne daß die bewußte Scheidimg von Ereignis und Botschaft auch n u r spürbar würde!). K u r z : E i n sprachlich-stilistisch erklärbarer Tatbestand wird bei Schniewind u n d Friedrich sachlich überinterpretiert. 1 Vgl. zu diesem Text, auf den mich L. R o b e r t (brieflich) hingewiesen h a t , F r . Taeger, Charisma I, S. 245 u n d zu den historischen U m s t ä n d e n Chr. Habicht, Gottmenschentum u n d Griechische Städte, Zetemata 14, München 1956, S. 6 5 73. Z. 5 des Dokumentes l a u t e t : [θϋσαι δέ καί εύα]γγέλια τούς ίεροποιούς ήδη καί στε[φα]νηφορησαι Ί ή τ α ς &[παντας . . .]. 2 8 Taeger, Charisma I S. 262. A.a.O.

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Daß man solche Botschaften (dieses Mal von einem durch Demetrius Poliorketes erfochtenen Sieg) auch direkt als εύτυχήματα der Gottheit, also als religiöse Heilsgabe, verstehen konnte, zeigt die letzte der Inschriften aus dem 4. Jh.: Dittenberger, Sylloge3 I Nr. 3521: στεφανηφορεΐν Έφεσίους και τούς κατοι[κοϋντας ένθάδε] έπί τοις εύτυχήμασιν τοις έξηγγελμένοις· [θ-ύειν δε και εύ]αγγέλια τηι Άρτέμιδι τούς έσσήνας. Die Euangelien sind hier εύτυχήματα έξηγγελμένα, wobei sprachlich die Austauschbarkeit der Stämme εύαγγελ- und άγγελ- uns nun auch in dem offiziellen Material deutlich entgegentritt. Also taucht schon hier die Frage auf, ob man „Evangelium" überhaupt als technischen Ausdruck des Herrscher- und Kaiserkults fassen darf, oder ob man nicht, vorsichtiger, von einer in den kaiserkultlichen Zeugnissen zwar häufig wiederkehrenden, aber nicht technisch verfestigten Terminologie sprechen sollte2. Aus dem 1. Jh. a. Chr. n. sind zwei gewichtige Zeugnisse zu nennen: Sie führen uns mitten in den schon bestehenden Kaiserkult hinein. Zunächst die berühmte Kalenderinschrift von Priene, die nach ihrer Veröffentlichung durch Th. Mommsen und U. v. Wilamowitz-Möllendorf3 der These, der christliche Sprachgebrauch von εύαγγέλιον/εύαγγε 1 Vgl. zur Inschrift und ihrem T e x t : Schniewind, Euangelion, S. 171 und Taeger, Charisma I S. 245. oi έσσήναι ist, wie Dittenberger z. St. anmerkt, Titel des Priesterkollegiums. Vgl. auch Liddell-Scott, Lex. 9 697 s . v . 2 J . Schniewind selbst macht in seinem Artikel : άγγελία etc. T h W b I, S. 56-71 immer wieder darauf aufmerksam, daß im Kaiserkult die Bildungen der Stämme άγγελ- und εύαγγελ- Synonyme sind: S. 57,4; 61,15f.; 66,20. 30f.; 69,6f.; vgl. auch Euangelion, S. 90, wo Schniewind selbst das eklatante Beispiel dieser Austauschbarkeit a n f ü h r t , den Gießener Hadrian-Papyrus (Griechische Papyri im Museum des Oberhessischen Geschichtsvereins zu Gießen, Bd. 1, edd. E . Kornemann und P . M. Meyer, Berlin 1910-1912, Nr. 3 S. 15ff.). Der erste Teil des Textes lautet: "Αρματι λευκοπώλωι άρτι Τραΐαν[ωι] συνανατείλας ήκω σοι ώ δήμε, ουκ άγνωστος Φοίβος θεός άνακτα καινόν Άδριανόν άγγελών, ώι πάντα δοϋλα [δι'] άρετήν καΐ πατρός τύχη ν -8-εοϋ χαίροντες. Kornemann übersetzt (a.a.O. S. 19): „Auf weißer Rosse Wagen, eben mit Traianus emporgestiegen, komm' ich, o Volk, nicht unbekannt Gott Phöbus Dir, zu künden als neuen Herrn Hadrianus, dem alles freudig Untertan sei ob der Tüchtigkeit und des Glückes des vergöttlichten Vaters." Weil hier f ü r die Kaiserproklamation einfaches άγγέλλω erscheint und sich dies in dem Beschluß von Assos aus dem J a h r e 37 p. Chr. n. (Ditt. Syll. 3 I I Nr. 797 Zeile 5, abgedruckt bei P . Wendland, Die hell. röm. Kultur, S. 410 und erneut hervorgehoben von Bousset-Greßmann, Die Religion d. J u d e n t u m s im späthellenistischen Zeitalter, H N T 21, Tübingen 4. Aufl. 1966, S. 505f.) wiederholt, empfiehlt es sich gerade nicht, mit Schniewind (Euangelion S. 89) zu sagen: „εύαγγελίζεσθ-αι bzw. εύαγγέλια (εύαγγέλιον) ist von Philos Zeiten ab stehender Ausdruck f ü r Kaiserproklamation." Es handelt sich u. E . vielmehr u m eine nicht terminologisch verfestigte, wohl plastische, aber rhetorisch bedingte, wiederholte Verwendung des vollklingenden Stammes εύαγγελ- in den Kaiserurkunden. 3 Die Einführung des asianischen Kalenders, MDAI, athen. Abteilung, 24 (1899) S. 275-293. Vom Stil sagt Wilamowitz-Moellendorf S. 292: Es handele sich u m den „ T y p der hohen Rede, die der Sieg des Classicismus hervorrief". Ähnlich urteilt Kornemann über die Sprache des Hadrian-Papyrus: „ D a s Ganze macht den Eindruck bestellter Arbeit, und deshalb suche ich den Ver-

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λίζομαι sei dem antiken Herrscherkult entlehnt, den eigentlichen, religionsgeschichtlichen Hintergrund und Anhalt geboten hat. Nach dem neuen, von Buckler emendierten Text der Inschrift 1 taucht der Plural εύαγγέλια in der Inschrift zweimal auf: Z. 37f. und Z. 40f. Die Inschrift ist bekanntlich mehrteilig 2 . In einem ersten Teil stellt der Prokonsul Paulus Fabius Maximus den Antrag, in der Provinz Asia den Kalender nach dem Vorbild des julianischen Kalendariums zu reformieren, d. h. den Jahresanfang auf den Geburtstag des Augustus zu verlegen. In einem zweiten Teil wird diesem Antrag des Konsuls stattgegeben und in einem dritten bestimmt, daß sämtliche Stadtmagistrate ihr Amt nunmehr an dem neubeschlossenen Neujahrstag, dem 23. September, anzutreten hätten. Dies alles wird in überschwenglicher, den Kaiser als Weltheiland feiernder Sprache dargelegt 3 . Wir müssen uns auf die zwei Euangelien-Belege beschränken ; sie stammen beide aus dem 2. Teil der Inschrift, welche den Antrag des Konsuls gleichsam ratifiziert. Vom Kaiser heißt es in Z. 37f., er habe die Hoffnungen all derer, die vor seiner Epiphanie Euangelien angesagt hatten, erfüllt und derart übertroffen, daß kein Raum für höhere Hoffnungen bleibe. Taeger weist in seinem Kommentar z. St. hin auf die Erwartungen der 4. Ekloge Vergils. εύαγγέλια meint in der Inschrift tatsächlich die Prophetie einer neuen (irdischen) Heilszeit 4 ! — In Z. 40f. findet sich dann die berühmte Formulierung: ήρξεν δέ τώι κόσμωι των St' αυτόν εύανγελί[ων ή γενέθλιος ήμέρα] του θεοϋ, was man mit Harnack übersetzen kann: „Der Geburtstag des Gottes hat für die Welt die an ihn sich knüpfenden Freudenbotschaften heraufgeführt" 6 . „Die fasser... in Kreisen, die solche zu liefern gewohnt sind" (a. S. 199 A. 2 a. O. S. 18). U. Wilcken, Grundzüge und Chrestomathie der Papyruskunde, Bd. I 2, Berlin/ Leipzig 1912, S. 571 Nr. 491 denkt sogar daran, der Hadrian-Papyrus solle von Schauspielern, einem Apollon und einem Demos (vgl. den zweiten Teil des Papyrus, bei Kornemann und in seiner Übersetzung S. 20), aufgeführt werden! Diese sprachlichen Beobachtungen entsprechen genau den Feststellungen, die Dörrie über den Hofstil seiner Königsurkunden getroffen hat (vgl. S. 297 Anm. 2), betreffen also sprachlich wieder den Gesamtkomplex der Zeugnisse, welche wir untersuchen. 1 Zitiert oben 8.186 Anm. 3. 2 Vgl. A. v. Harneick, Als die Zeit erfüllet war, S. 301-306. 3 Vgl. die von Harnack seinem Aufsatz vorangestellten Übersetzungsproben oder die von U. Becker, Art. Evangelium, S. 296 abgedruckte Übersetzung von E. Bloch. 1 Vgl. Taeger, Charisma II, S. 194. 5 A.a.O. S. 301. Schön auch Friedrichs Wiedergabe, ThWb II S. 721, 23f.: „Der Geburtstag des Gottes war für die Welt der Anfang der Freudenbotschaften, die seinetwegen ergangen sind." Die Übersetzung von Deißmann, Licht vom Osten4, S. 313: „Es war aber der [Geburtstag] des Gottes für die Welt der Anfang der Dinge, die um seinetwillen Freudenbotschaften] sind", hat sich ebensowenig bewährt, wie die von E. Norden zunächst schriftlich Deißmann mitgeteilte (vgl. Deißmann, a.a.O. S. 447) und dann in seiner

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εύανγέλια sind an dieser Stelle nicht das Opfer, das man zum Dank für eine gute Nachricht darbringt, sondern diese gute Nachricht selbst" 1 . Gemeint sind sie als höchst realistische Heilsbotschaften. Der Kaiser wird ja in Z. 36ff. gefeiert als Befreier aus Kriegsnot, als Stifter des Friedens und im ganzen Dokument sogar als Schöpfer einer neuen Lebenszeit. Die Nachrichten von der neuen guten Zeit, vom Ende der Kriege und vom dauernden Frieden sind also die Evangelien, die in unserer Inschrift dankbar gefeiert werden2. Schon der typisch hellenistische Plural, der hier terminologisch das mitzuteilende Heil in Einzelnachrichten vom Heilsvollzuge aufspaltet, spricht gegen die Möglichkeit, unsere Stelle zum Wurzelgrund neutestamentlicher, eschatologischer Evangeliumsbotschaft werden zu lassen. Aber halten wir mit einem endgültigen Urteil noch einmal zurück, bis wir uns noch die anderen Zeugnisse vergegenwärtigt haben. In einer Inschrift aus Sardes aus dem 1. Jh. a. Chr. n. 3 wird die Nachricht von der Mündigkeitserklärung des Augustus-Enkels Gaius Julius Cäsar, den Augustus im Jahre 17 a. Chr. n. adoptiert hatte, als Euangelion gefeiert. Sowohl der Tag der Mündigkeitserklärung selbst als auch der Tag, an dem die Nachricht Sardes erreichte und der Volksbesohluß verkündet wurde (Z. 14: έν ή τε εύανγελίσθη ή πόλις ημέρα καΐ τό ψήφισμα έκυρώθη), sollen mit Opfern und Bekränzung gefeiert werden, εύαγγελίζεσθαι (pass.) hat hier also den Sinn: benachrichtigt werden von. Eine so intensiv gefüllte Heilsbotschaft wie in der Priene-Inschrift bringt dieses εύαγγελίζεσθ-αι nicht; es handelt sich mehr um eine elegante Floskel als um die Botschaft von wirklicher σωτηρία! Hier wird sichtbar, wie der Sprachgebrauch der Kaiserurkunden zwischen rhetorischer Schmeichelei und wirklich dankerfülltem Lobpreis schwankt4. Unsere Inschrift beschließt, den Kaiser aus Anlaß der Mündigkeit seines Adoptivsohnes durch eine Gesandtschaft beglückwünschen und ihm den Wortlaut des BeStudie über „Die Geburt des Kindes", 2. Aufl. 1931, S. 157 Anm. 2 ausgeführte Deutung von εύαγγέλια Ζ. 40f. auf „Orakelsprüche". Unter den proleptischen Euangelien von Z. 3 7 f. — eine Emendation, die Norden noch nicht vorlag — mag und muß man Prophetien sehen; in Z. 40f. aber sind dann die „Erfüllungsbotschaften" jener Verheißungen zu erblicken, konkret: die Kunde vom Frieden und Heil der Welt! 1 Taeger, Charisma II S. 193 f. 2 Vgl. Philo, Leg. ad. Gajum 356 (oben S. 175), wo der Sinn des Plurals εύαγγέλια gleichsam kommentiert wird. 3 Zu Text und Edition vgl. S. 183 Anm. 2. 4 Α. Η. M. Jones, The Greek City, S. 59ff. betont, daß die Herrschaft des Kaisers für die östlichen Provinzen und besonders die Provinzstädte große, wirkliche Vorteile gebracht habe. In diesem Sinne mag manche der Kaiserurkunden einen wirklichen, tiefempfundenen Dank aussprechen. Jedenfalls gilt das für die Zeugnisse der augusteischen Zeit.

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schlusses vorlegen zu lassen. Das macht den rhetorischen, schmeichelnden Sinn von εύαγγελίζεσθαι an unserer Stelle vollends deutlich. Auch in den Philonischen Belegen, Leg. Gaj. 18. 231, die wir hier nochmals anführen 1 , ist die Ambivalenz der Euangelienterminologie im Zusammenhang mit der Kaiserverehrung zu spüren: Die Freude über die Gesundung des Kaisers, welche eine Anarchie verhindert, dürfte in 18 echt sein, und auch die Kunde vom Herrschaftsantritt, 231, mag zu echten Hoffnungen Anlaß gegeben haben. Aus der Rückschau auf Caligulas wirkliches Verhalten aber gewinnt der Gebrauch von εύαγγελίζεσΦαι bei Philo einen gewissen sarkastischen Zug, den die Paragraphen 97 ff. auch gar nicht verhehlen. Zwischen rhetorischer Kunstsprache und wirklicher Kaiserverehrung pendelt auch, wie wir sahen 2 , die Nachricht des Josephus (Bell. 4,618. 656), in ganz Ägypten seien Freudenfeste gefeiert worden, als man die Nachricht von der Proklamation Yespasians zum Kaiser erhielt, und in Alexandrien sei dann Vespasian zu seiner neuen Kaiserwürde beglückwünscht worden. Wir haben die Zeitenwende mit diesen hellenistisch-jüdischen Belegen bereits überschritten. In das 2./3. Jh. p. Chr. führt uns die Nachricht bei Philostrat (Vit. Apoll. 5,8), nach einem olympischen Sieg Neros sei Gadeira angewiesen worden, Euangelien zu opfern. Da die Gadeira benachbarten Städte nicht wissen, was ein olympischer Sieg ist, nehmen sie an, Nero habe einen militärischen Sieg erfochten und einige Olympier gefangen genommen : Das εύαγγέλια θ-ύειν ist hier also ein ganz entleerter, nur der äußeren, loyalen Etikette entsprechender Brauch ohne eigentlich religiösen Tiefgang. Nicht anders kann ich die beiden folgenden Zeugnisse verstehen. Der Rat von Athen versammelt sich nach IG Ed. min. Nr. 1077 auf die Euangelien von der Ernennung des Lucius Septimius Geta zum Augustus 3 und beeilt sich festzustellen, daß dieser überaus heilige und von allen ersehnte Tag — . . . -η ίερωτάτη και τελεω[τάτη πασ]ών ημερών και ύπο πασών έλπισθεΐσα (Ζ. 17f.) mit Festen und Opfern zu feiern sei: θ-ύ[ει]ν π«[ν]γενεί καΐ έορτάζειν έν τε κοινφ, καΐ κα[τ' ιδίαν παντί τώι βα]σιλείωι γένει (Ζ. 28f.). Offensichtlich handelt es sich um eine nur offizielle, in einem Stil abgefaßte Erklärung, welcher in Rom günstige Wirkung erzielen sollte, aber nicht mehr wirklich nachempfunden wird. Der Papyrusbrief schließlich, der nach Preisigkes Sammelbuch Nr. 421 auf Grund der Nachricht von der Ernennung des Gaius Julius Veras Maximus zum Kaiser zu Festprozessionen anhält 4 , ist seinem 1 3

Vgl. oben S. 174f. Zum Text vgl. S. 187 Anm. 3.

2 4

Vgl. oben S. 170f. Text in S. 189 Anm. 4.

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Inhalt nach ein offizielles Schriftstück und repräsentiert die Redeweise des amtlichen Schriftverkehrs. Damit können wir resümieren: Der Stamm εύαγγελ- taucht wohl in der Vorgeschichte des Herrscherkultes und in den offiziellen Dokumenten der Kaiserverehrung öfters auf 1 , entspricht hier aber einem vorwiegend rhetorischen Interesse und verdichtet sich nur vorübergehend zu einer religiös und dankbar empfundenen Heilsterminologie. Es ist beachtenswert, daß gewichtige Zeugnisse solch echter Hoffnungen auf das Heil gerade in die Jahrhunderte fallen, in denen sich das neutestamentliche Denken geformt hat. In ihrem (begrenzten) Wirkungsbereich dürften die erwähnten, kaiserkultlichen Zeugnisse also der urchristlichen Verkündigung vorgearbeitet und gewissermaßen Glacis geschaffen haben. Man darf jedoch bei alledem nicht übersehen, daß die in der Terminologie des Kaiserkults beschworene σωτηρία durchweg auf irdische Erfüllung ausgerichtet bleibt. Wo dergleichen irdisches Heil überhaupt nicht oder nicht mehr verläßlich gewährleistet wird, erstarrt die Botschaftsterminologie der Kaiserurkunden zur religiösen Rhetorik des höfischen Protokolls. Zwar ist das Haften des Stammes εύαγγελ- am Überlieferungsstrom der antiken Herrscherverehrung auffällig und zudem der stichhaltigste Erweis von religiöser Erfülltheit der Euangelienterminologie in der hellenistischen Spätantike. Von einer technischen, also unentbehrlichen und unersetzbaren Terminologie kann gleichwohl nirgends die Rede sein: Gleichberechtigt und gleichermaßen erfüllt taucht neben den Bildungen des Stammes εύαγγελ- der Stamm άγγελ- auf 2 . Die Rede von Euangelien, von Euangelienopfern und Freudenfesten hat sich also nur soweit mit der Herrscherverehrung verbunden, als dadurch das amtliche Stilempfinden befriedigt wurde. Es ist darum nicht sicher, ob der Stamm εύαγγελ- für ein hellenistisches Ohr stets und notwendig als mit dem Kaiserkult verbunden erscheinen mußte. 1 Das Haften des Stammes an den Aussagen des Herrscherkultes ist immerhin so eindeutig, daß man sich fragen muß, ob nicht auch die rabbinische ΓΠ1Μ von der Thronbesteigung Yespasians (Thren. Rabba 1,6 §31, vgl. S. 125 Anm. 6) eine Analogiebildung nach hellenistischem Vorbild ist. Es wäre dies eine positive Analogiebildung. Die rabbinische Rede von ]ΐ,Ι?Ϊ bzw. ji^S (vgl. bab. Schab. 116a, bei BiUerbeck III S. 11; Friedrich ThWbΠ S. 723,48ff.) ist dagegen jetzt von K.G.Kuhn, Giljonim und sifre minim, BZ NW 26 (Festschrift für J. Jeremias) [S. 24-61] S. 32-36. 50-68 wohl endgültig als polemische Verballhornung eines bereits fest geprägten (christlichen) Sprachgebrauchs von griechischem τό εύαγγέλιον erwiesen und in das 3. Jh. p. Chr. datiert worden. Wir haben also im Rabbinat Beispiele für eine positive Übernahme hellenistischer Formelsprache und gleichzeitig für eine abfällige Verballhornung christlicher Verkündigungssprache. 2 Vgl. S. 185 Anm. 2 und S. 299 Anm. 2.

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3. Zusammenfassung und Ausblick Unsere Durchsicht des hellenistischen Belegmaterials hat uns dem neutestamentlich-terminologischen Gebrauch des Stammes εύαγγελnicht wirklich nähergebracht. Die nächste Parallele zu diesem Sprachgebrauch stellt auf griechischem Boden die Redeweise der höfischen Rhetoren dar, wie sie sich in den Zeugnissen des Herrscher- und Kaiserkultes dokumentiert. Die Terminologie des Kaiserkultes ist von dem neutestamentlichen Evangelium jedoch durch Welten getrennt 1 : Der amtliche Charakter und die ausschließlich auf irdisches Wohl ausgerichtete Anschauung von der σωτηρία trennen das Evangelium des Kaiserkultes von der Christusverkündigung der neutestamentlichen Zeugen. Deren Verkündigung ist streng apokalyptisch-proleptisch gedacht und verheißt den Frieden und die σωτηρία zu bringen, welche die von der irdischen unterschiedene Welt Gottes durchherrschen sollen, heute aber schon im Evangelium worthaft anwesend sind und wirksam werden. Die von W. Schneemelcher geäußerte These, man habe für die traditions- und begriffsgeschichtliche Erklärung der neutestamentlichen Rede vom Evangelium „zunächst im griechischen Bereich einzusetzen . . ., speziell bei der Verwendung von εύαγγέλιον im Kaiserkult" 2 , hat sich uns also nicht bestätigt und läßt sich u. E. an den Quellen auch nicht verifizieren. Es fehlt bei den Kaiserinschriften der technische Singular το εύαγγέλιον, und es fehlt neben der volksnahen Ausdrucksweise auch die unlösbare Zusammengehörigkeit der inschriftlichen Hymnen und Dokumente mit dem einen Wortstamm εύαγγελ-. Die Übernahme kaiserkultlicher Redeweise hätte für die missionierenden Christen bedeutet, sich einer vorgeprägten Sicht des Heils adaptieren und sogleich in eine akute und explizite Auseinandersetzung mit dem Heilsangebot des Kaiserkultes eintreten zu müssen3. Zeugnisse solcher Auseinandersetzung, für welche z.B. Epiktet reizvolle Belege bietet 4 , finden sich im Neuen Testament erst zu einer Zeit, da die Evangelienterminologie schon fest ausgebildet war, das Stadium des Werdens also schon hinter sich, 1 2

Vgl. Friedrich, ThWb II S. 722,9-26. Neutestamentliche Apokryphen, Bd. I s , S. 42. E. Lohmeyer hatte seinerzeit diese These vertreten: Christuskult und Kaiserkult, S. 25. 28; sie hat sich aber nicht bewahrheiten lassen: vgl. G.Kittel, Christus und Imperator, Stuttgart/Berlin 1939, S. 34ff. G. Bornkamm, Mensch und Gott in der griechischen Antike, Studien zu Antike und Urchristentum = Ges. Aufs. II [S. 9-46] S. 42-45 und Η. H. Koester, Paul and Hellenism, S. 188. * Vgl. die schöne, von Friedrich, Art. κήρυξ, ThWb III S. 692,3ff. und Anm. 76 ausgewertete Stelle: Epiktet, Diss. III 13,9-11, wo die physischen Wohltaten der Kaiserherrschaft, Friede und Sicherheit, wohl anerkannt werden, das von den Philosophen verkündete Wort aber noch höher zu stehen kommt, weil es vermag, was die Macht des Kaisers nicht vermag: Es kann irdische Katastrophen bestehbar und seelische Not überwindbar machen. 3

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ja vielleicht sogar schon ihren kerygmatischen Höhepunkt überschritten hatte. Da Phil. 3,20 für unseren Zusammenhang noch nicht in Frage kommt1, sind erst der berühmte lukanische Synchronismus Lk. 2,1 ff.2, vielleicht die soteriologischen Titulaturen der Pastoralbriefe und dann die Johannesoffenbarung zu nennen, in welcher freilich eine terminologische Rede vom Christusevangelium schon nicht mehr anzutreffen ist. Anders formuliert: Noch ehe die junge Christenheit die Herausforderung durch den Kaiserkult annahm, hat sie ihre Evangelienterminologie ausgebildet und diese erst zu einer soteriologischen Dichte heranreifen lassen, welche die Botschaft der Christenheit den Evangelien der Kaiserverehrung kraftvoll entgegentreten ließ3. Methodisch bedeutet dies für uns folgendes: Bei der Ausdrucksweise des Kaiserkultes einzusetzen, würde uns der Möglichkeit berauben, gerade jenen Entstehungsprozeß zu verfolgen, "welchen die neutestamentliche Missionsterminologie durchlaufen hat, ehe sie dem Kult des Staates entgegentrat und entgegentreten konnte. Wenn es jenen 1 E. Lohmeyer hatte die Stelle zunächst in Antithese zur kaiserlichen σωτήρ-Titulatur verstehen wollen {Christuskult und Kaiserkult, S. 27f.), hat dann aber diese Sicht verworfen (Der Brief an die Philipper, MeyerK. 9. Abtlg., Göttingen 9. Aufl. 1953, S. 157). 2 Vgl. L. Cerfaux-J. Tondriau, Le Culte des Souverains, S. 450. Doch besteht auch bei dieser Stelle die Versuchung einer Überinterpretation. W. Foerster betont m. E. richtig: „So sehr religionsgeschichtliche Parallelen nahe liegen sowohl f ü r die Ankündigung der Geburt eines Erlösers wie f ü r die große Freude . . ., und so sehr auch dadurch der Gedanke an den Weltheiland nahe gelegt sein mag, so hat die Quelle des Lukas nichts getan, diese Assoziation wachzurufen. Der Blick ist auf Israel beschränkt, und es wird ein Retter wie einer der alten Richter verheißen" (ThWb VII, S. 1015,34ff.). Erst durch die lukanische Einleitung der Erzählung, 2, Iff., ist diese Beschränkung gelockert worden. 3 „Der Glaube der Urchristenheit an Jesus Christus, den Kyrios, dem alle Macht gegeben ist im Himmel und auf Erden, ist nicht in Protest und Gegensatz zum Kaiserkult erwachsen, er hat völlig andere Wurzeln und völlig anderen Inhalt. Aber der Glaube der Christenheit hatte sich in dieser furchtbaren Gefahr zu bewähren, in dem tödlichen Krieg, den das Tier aus dem Abgrund gegen die Heiligen Gottes eröffnete. Nun erst bekommt der Glaube an Christus, den 'König aller Könige' und 'Herrscher über die Könige der Erde', auch seine Schärfe und Kraft im Gegenüber zur Apotheose der Welt. Was diesen Glauben trägt, ist keine politisch-antipolitische Ideologie, nicht eine stoische Verachtung des irdischen Getriebes und nicht eine gnostische Abkehr von der Welt als Machtbereich der Dämonen, sondern die eine Gewißheit, daß durch Jesus Christus der durch die Sünde verlegte Weg zu Gott freigemacht und in ihm, in seiner Geschichte und Gestalt, in seinem Wort und seiner Tat, seinem Sterben und Auferstehen die Vergebung geschehen ist . . . I n dieser Gewißheit besteht die Urchristenheit auch den furchtbaren Kampf gegen die andrängende Macht des vergotteten Staats, mit nichts anderem ausgerüstet als 'Geduld und Glaube der Heiligen' (Offb. 13,10)" G. Bornkamm, a.a.O. S. 44/45; vgl. auch Born, kamms Aufsatz: Christus und die Welt in der urchristlichen Botschaft, Ges. Aufs. I, S. 157-172; ferner H. Conzelmann, Was glaubte die frühe Christenheit? SThU 25, 1955, (S. 61-74) S. 68 Anm. 6.

14 6638 Stuhlmacher, Evangelium

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Entstehungsprozeß nachzuzeichnen gilt, kommt dem bisher nur zu oft stiefmütterlich behandelten Beleg Ape. 14,6 traditionsgeschichtlich eine Schlüsselfunktion zu, und es dürfte kaum zufällig sein, daß diese Stelle in dem Aufriß der Entwicklungsgeschichte des Evangeliums, den Schneemelcher gibt, gerade nicht erscheint. Feiner: Das Fixieren nur der kaiserkultlichen Begrifflichkeit verstellt nur zu leicht den Blick für die Tatsache, daß es im Hellenismus eine Evangelienterminologie gab, die religiös durchaus ungebunden war und erfreuliche Botschaften überhaupt bezeichnete : Botschaften des Sieges, glücklicher Rückkehr und Ankunft, der Gesundung, des Kindersegens und des Endes der tyrannischen Stiefmutter. Da die Rede vom Evangelium für hellenistische Ohren nicht, wie wir zunächst vermuteten, unlöslich mit der Vorstellungswelt des Herrscherkultes verbunden war, bot der eben skizzierte Bereich mehr volkstümlicher oder wenigstens volksnaher Ausdrucksweise für die urchristlichen Missionare durchaus auch einen terminologischen Beziehungspunkt. Obs in welchem Maße und wann sie diesen Beziehungspunkt genutzt haben, ist nunmehr zu überprüfen.

D. DER VORPAULI NISCH-CH RISTLICH E SPRACHGEBRAUCH VON EVANGELIUM Seit den klassischen Entwürfen einer Traditionsgeschichte des neutestamentlichen Evangeliums von J. Weiß und A. v. Harnack 1 ist der Versuch nicht mehr unternommen worden, die vorpaulinische Entwicklung der christlichen Rede vom Evangelium traditionsgeschichtlich differenziert darzustellen. Daß solcher Versuch unterblieb, beruht, wenn ich recht sehe, auf folgenden Gründen : Der erste Beweggrund ist systematischer Art. Harnack hatte sich seinerzeit in der Auseinandersetzung mit E. v. Dobschütz2 mit allem Nachdruck dafür eingesetzt, daß der vor allem bei Paulus verwendete Begriff εύαγγέλιον του Χρίστου nicht im Sinne eines genitivus objectivus, sondern subjektiv, also als Evangelium des Christus aufzufassen sei3. J. Schniewind hat unter dem Eindruck seines Lehrers und Freundes M. Kähler diese These übernommen und von ihr aus programmatisch die Identität des irdischen und des gepredigten Christus verfochten4. G. Friedrich ist seinem Lehrer darin gefolgt6. Das aber bedeutet faktisch, daß sich von einer systematischen Voraussetzung her die traditionsgeschichtlichen Konturen der uns beschäftigenden Begrifflichkeit einzuebnen begannen und über der Frage nach der Identität der Botschaft Jesu und der Predigt von Christus die Frage nach der Differenz zwischen beiden verstummte. R. Asting hat dann in seinem Buche „Die Verkündigung des Wortes im Urchristentum" (1939) ein übriges getan, die Traditionsgeschichte unseres Begriffes zu nivellieren·. Diesen systematischen Thesen, welche die Differenzierung 1 a 4

Vgl. oben S. 20-25. 3 Vgl. oben S. 20 Anm. 2, 25. Vgl. oben S. 25. Vgl. Euangelion, S. Iff. l l f . 18ff. und die Auslegung zu den synoptischen Belegstellen in Schniewinds Kommentaren zum Markus- und Matthäusevangelium (NTD Bd. 1 u. 2). Ich zitiere den Matthäus-Kommentar nach der 4. Aufl. 1950 und den Markus-Kommentar nach der 10. Aufl. 1963. * Vgl. vor allem ThWb II S. 725,28ff. ' Vgl. a.a.O. S. 4f.: ich (behandle) jetzt das gesamte paulinische Material unter Paulus, statt noch zwischen dem, was Paulus übernommen hat, und demnach dem nebenpaulinischen Christentum zuzurechnen ist, und den original-paulinischen Elementen zu scheiden. An und für sich ist zwar eine solche Unterscheidung in den meisten Fällen geboten; aber es wurde mir nach und nach klar, daß sie für die hier behandelten Begriffe [sc. Wort Gottes, Evangelium und Zeugnis] nicht praktisch ist, da sich hier eine deutliche Verschiedenheit tatsächlich nicht feststellen läßt." 14*

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Der vorpaulinisch-christliche Sprachgebrauch von Evangelium

aufhielten, kamen auch akute, historische Probleme zu Hilfe. Die formgeschichtliche Analyse des Evangelienstoffes mitsamt der von M. Dibelius eingeleiteten kritischen Untersuchung der Apostelgeschichte ließen und lassen das Bild der neutestamentlichen Quellen wesentlich differenzierter erscheinen, als es noch Harnack und Weiß erscheinen mußte. Solche Differenzierung erschwerte freilich zugleich die Möglichkeit, klare traditionsgeschichtliche Konturen aufzuzeigen. Symptomatisch für die Schwierigkeiten, mit welchen fortan alle traditionsgeschichtliche Analyse im Rahmen des neutestamentlichen Schrifttums belastet sind, sind folgende Hinweise W. G. Kümmels : „Für die Geschichte der sog(enannten) 'Urgemeinde' und der palästinischen Kirche bis zur Zerstörung Jerusalems i. J . 70 sind wir fast ausschließlich auf Rückschlüsse aus den in der heidenchristlichen Kirche abgefaßten Schriften des NT angewiesen . . . Darum bleibt die Geschichte der palästinischen Christenheit in wesentlichen Punkten undeutlich" 1 . Was wir unter diesen Aspekten im gegenwärtigen Abschnitt unserer Untersuchung zu tun haben, ist folgendes: Es ist zu prüfen, ob die bei Paulus (wie l.Thess. 1,5; 2,Iff. und Rom. 15,14ff. beispielhaft zeigen) auf ein- und derselben Ebene gebrauchten Termini : τό εύαγγέλιον, εύαγγέλιον του θεοΰ, εύαγγέλιον του Χρίστου sich traditionsgeschichtlich noch differenziert einordnen und wie sie sich mit dem uns in den Synoptikern erhaltenen Belegmaterial zu unserem Wortstamm vereinen lassen. Der Rahmen, in den wir unser Material dabei heuristisch einzuordnen versuchen, ist das von der Tübinger Schule F. Chr. Baurs inspirierte, von Harnack für unseren Themenkreis bestätigte 2 , heute weithin anerkannte, wenn auch nicht unumstrittene 3 Bild des Ablaufs der urchristlichen Geschichte: Auf die Zeit der irdischen Wirksamkeit Jesu folgt die noch ganz auf die Volksgemeinschaft Israels konzentrierte Verkündigung der palästinischen Urgemeinde. Aus deren Reihen sondert sich aber alsbald auch ein zur Heidenmission aufbrechendes, unter der Leitung der „Hellenisten" stehendes, judenchristlich-hellenistisches Missionschristentum aus, welches in Antiochien am Orontes eines seiner wichtigsten Zentren besitzt. Dieses hellenistisch-judenchristliche Missionschristentum ist Mutterboden der 1 Artikel: Urchristentum RGG 3 VT Sp. 1188; vgl. ferner Kümmels Artikel: Judenchristentum im Altertum, RGG 3 III Sp. 967-972. 2 Vgl. neben der Untersuchung über Evangelium (Kirchenverfassung S. 199239) vor allem „Die Mission und Ausbreitimg des Christentums in den ersten drei Jahrhunderten", Bd. 1: Die Mission in Wort und Tat, Leipzig 4 1924, S. 39-79. Besonders lehrreich die Übersicht über den Werdegang der Missionspredigt S. 115 ff. 3 Vgl. gegenwärtig vor allem die Arbeiten von W. Schmithals, Paulus und Jakobus, 1963 und G. Schille, Anfänge der Kirche, BevTh 43, München 1966.

Der Gebrauch von Evangelium in der paläetinischen Urgemeinde usw.

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paulinischen Mission. Die paulinische Mission macht sich nach einer gewissen Anfangs- und Übergangszeit von Antiochien unabhängig, steht aber noch immer unter einem betont apokalyptisch-heilsgeschichtlichen Gesetz : Der Apostel versucht, mit seinen Mitarbeitern vor der alsbaldigen Parusie das von Gott bestimmte πλήρωμα der Heiden zu sammeln, und erwartet zum Ende die Bekehrung des heute verstockten Israel1. Da das paulinische Evangelium selbst jetzt noch nicht zur Debatte steht, haben wir 1. die Verkündigung der Urgemeinde und den Sprachgebrauch Jesu zu untersuchen und 2. die Botschaft der vorpaulinischen Missionsgemeinden. Leitfaden der Untersuchung muß dabei in erster Linie der Gebrauch des Substantivs εύαγγέλιον sein, und zwar aus folgenden Gründen: Noch bei Paulus selbst kann das Verbum εύαγγελίζεσθ-αι, wie l.Thess. 3,6 zeigt, unterminologisch gebraucht werden, während die technischen Ausdrücke „Evangelium Gottes", „Evangelium Christi" und „Evangelium" längst feststehen. Die Tendenz, das Verbum flexibel zu gebrauchen, verstärkt sich, je weiter wir in die vorpaulinische Verkündigung des Urchristentums zurücktragen. Es ist darum vor allem der Gebrauch des Substantivs, welcher traditionsgeschichtlich genauere Anhaltspunkte zu liefern verspricht. I. Der Gebrauch von Evangelium in der palästinischen Urgemeinde und bei Jesus 1. Die

Aufgabe

Die Kapitelüberschrift bedarf gewisser Erläuterungen : Wir wissen heute, auch wenn wir genauere Kenntnis nur von der judenchristlichen Gemeinde in Jerusalem besitzen, daß das palästinische Judenchristentum ein in sich vielschichtiges und differenziert denkendes Christentum gewesen ist. Die Frontstellungen auf dem Apostelkonvent zwischen den Antiochenern, den Jerusalemer „Säulen" und den Falschbrüdern ( = Partikularisten) machen dies unbezweifelbar. Wenn uns im Folgenden der Sprachgebrauch eben dieser Partikularisten als der älteste im Bereich des Christentums erkennbar wird, so darf dieser Sprachgebrauch nicht ohne weiteres mit dem der Jerusalemer Urgemeinde insgesamt identifiziert werden. Es spricht, 1 Vgl. Rom. 11,25; zum Gesamtrahmen vgl. die S. 208Anm. 1 genannten Artikel von W.G.Kümmel; H. Conzelmann, Artikel Heidenchristentum, RGG3 III Sp. 128-141 ; K. G. Kuhn, Das Problem der Mission in der Urchristenheit, EMZ 14, 1954, S. 161-168 und das für unseren Zusammenhang sehr hilfreiche Buch von F. Hahn: Das Verständnis der Mission im Neuen Testament, 1963.

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Der vorpaulinisch-christliche Sprachgebrauch von Evangelium

trotz Kümmels Einschränkungen1, manches dafür, daß wir hier die Sprech- und Denkweise von prophetisch geleiteten „kleinen Gemeinden des palästinisch-syrischen Grenzraumes" vor uns haben2, deren Organisationsform weithin mit der von der Johannesoffenbarung noch am Ende des 1. Jh.s bezeugten Gemeindeleitung durch Propheten identisch gewesen sein dürfte 3 . Die Art und Weise, wie die Jerusalemer Gemeinde von εύαγγέλιον gesprochen hat, ist uns nur indirekt über jenes εύαγγέλιον της περιτομης von Gal. 2,7 und über Rückschlüsse aus 1. Kor. 15, Iff. erschließbar, kann also erst später untersucht werden. Was jetzt zur Debatte steht, ist der auf der Ebene von Q ( = Logienquelle) und bei Jesus erscheinende Wortgebrauch. Die Reihenfolge in der Überschrift und im vorangehenden Satze ist bewußt gesetzt: Der Charakter der Texte, die wir im folgenden mit einiger Aussicht auf Entdeckung ursprünglichen Sprachgebrauches zu untersuchen haben, nötigt methodisch dazu, zunächst den Begriff von Evangelium der alten palästinischen Gemeinden zu eruieren und sich erst von dieser Basis aus zu Jesu eigener Sprechweise zurückzutasten. In Frage kommen folgende Texte: Ape. 14,6; 10,7; Mt. 11, 2-6 (par. Lk. 7,18-23) mitsamt dem bei Matthäus wiederholt auftauchenden Begriff εύαγγέλιον της βασιλείας; Lk. 4,16-30 mitsamt dem lukanischen Gebrauch desVerbums εύαγγελίζεσ&αι; schließlich Mk. 1,14f. Das genannte Material nötigt uns dazu, den uns gesetzten thematischen Rahmen teilweise zu transzendieren, um zu einem fundierten Urteil zu gelangen. Dies ist ebensowenig vermeidbar, wie sich auch das Recht der soeben getroffenen Stellenauswahl erst im Verlauf der gesamten Untersuchung erweisen kann. 2. Ape. 14,6 und 10,7

Einzusetzen haben wir mit Ape. 14,6 (10,7). Die Unsicherheit der Exegeten dem Sprachgebrauch dieser Stelle gegenüber ist für die gegenwärtige Forschungssituation zu unserem Thema symptomatisch : Schniewind empfindet den Gebrauch von εύαγγέλιον als singular und meint, das bereits vorliegende, urchristliche Evangelium werde hier 1 Artikel Urchristentum, Sp. 1189: „Über die Entwicklung des palästinischen Judenchristentums seit dem Apostelkonzil wissen wir aber sonst nichts Sicheres: daß es auch hier wie unter den Heidenchristen eine enthusiastische Bewegung gegeben habe (Käsemann), ist ebensowenig zu erweisen wie wir sagen können, inwieweit die jüd(ischen) Wurzeln der im Jak(obusbrief), im Hebr(äerbrief) und in der Ap(o)k(alypse) hellenisiert begegnenden Gedanken im palästinischen Judenchristentum liegen." 2 E. Käsemann, Die Anfänge christlicher Theologie, Ex. Vers. u. Bes. II (S.382-104) S. 91. Dies hat eben erst die Dissertation von Akira Satake, Die Gemeindeordnung in der Johannesapokalypse, WMANT 21, Neukirchen 1966, bes. S. 162ff. 191-195 zu erweisen versucht.

Der Gebrauch von Evangelitun in der palästinischen Urgemeinde usw.

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zur Engelsbotschaft umformuliert1. Friedrich wendet sich zwar mit Recht gegen den Versuch von P. Zondervan, hinter dem singularischen εύαγγέλιον ein einzelnes der in der Priene-Inschrift erwähnten kaiserkultlichen ευαγγέλια zu finden2, erklärt selbst aber das Phänomen der Engelsbotschaft mit Schniewind aus der Situation der Apokalypse heraus und möchte εύαγγέλιον in Analogie zu Mk. l,14f., also als Aufforderung und Einladung zu Gottesfurcht und Proskynese verstehen. Die Stelle bleibt jedoch auch für Friedrich „auffällig"3. Molland erklärt kurz, der Gebrauch des Stammes εύαγγελ- in Ape. 14,6 und 10,7 sei „nicht für den urchristlichen Sprachgebrauch charakteristisch"4, und Asting, der mit Schniewind und Friedrich beide Belege ans Ende der urchristlichen Begriffsgeschichte rückt, empfindet es als „sonderbar, daß in Verbindung mit dem Evangelium Jesu Rolle nicht betont wird"6. Nachdem Lohmeyer in seinem Kommentar z. St. angemerkt hatte, εύαγγέλιον meine hier nicht das spezifisch urchristliche Evangelium, sondern eine Gottesbotschaft überhaupt®, hat J. Jeremias mit folgenden Hinweisen aus der Verlegenheit herausgeführt: Der Sprachgebrauch von Ape. 14,6 ist nicht nach-, sondern vorpaulinisch ! εύαγγέλιον meint hier noch die zur Stunde der Weltvollendung durch Engelmund aller Welt verkündete Botschaft vom Anbruch des Gerichts. Das Adjektiv αιώνιος bezeichnet die Botschaft als ewig1

Euangelion, S. 240 Anm. 3. H e t woord 'Evangelium', S. 200-202. Freilich ist über die Ablehnung solch hellenistischer Interpretation hinaus Friedrichs Gegenthese (ThWb I I S. 733 Anm. 84) methodisch nicht glücklich. Friedrich schreibt: „ E s ist verkehrt, Ape. 14,6 zum Ausgangspunkt f ü r das religionsgeschichtliche Verstehen des neutestamentlichen Evangeliums zu nehmen, wie es Zondervan 200f. t u t . " Daß man gerade bei Ape. 14, β f ü r die Erklärung der neutestamentlichen Begriffsgeschichte einsetzen muß, versuchen wir oben zu zeigen. Hierin besteht heute Anlaß f ü r eine Modifikation auch der Harnackschen Erklärung von Evangelium, die bei Ape. 14, β ebenfalls in Schwierigkeiten gerät und die Stelle ans Ende der urchristlichen Begriffsentwicklung rücken möchte (Kirchenverfassung S. 220). Dies ist vom Text der Johannesoffenbarimg her selbstverständlich nicht anfechtbar, wohl aber von der Einsicht aus, daß die Apokalypse mit alten Traditionen arbeitet. » T h W b l l S. 733,5ff. Inwieweit sich zwischen Ape. 14,6 und Mk. l , 1 4 f . Verbindungslinien ziehen lassen, ist nachher zu prüfen. 4 Paul. Euangelion, S. 31 Anm. 4. 5 Verkündigung des Wortes im Urchristentum S. 438. Inwieweit Astings Hinweis zu Ape. 14,6: „Der Inhalt des Evangeliums h a t hier eine große Ähnlichkeit mit dem, was die Synoptiker als Inhalt der Verkündigimg Jesu (und des Täufers Johannes) charakterisieren: ' T u t Buße! Denn Gottes Herrschaft ist nahe herbeigekommen' (Mt 4,17, vgl. 3,2 u. a. St.)", f ü r uns traditionsgeschichtlich hilfreich sein kann, ist wie bei Friedrich noch zu untersuchen. β E . Lohmeyer, Die Offenbarung des Johannes, H N T 16, Tübingen 2 1953 ed. G. Bornkamm, S. 123f.: „ N u r hier findet sich in 'johanneischen' Schriften daa Wort εύαγγέλιον, und es meint nicht das Evangelium, sondern jede Gottesbotschaft" (Hervorhebung bei L.). 2

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gültig. Die vorausgesetzte Situation ist nicht die der weltweiten Heidenmission. Die Heidenvölker sind vielmehr vom Missionsruf noch gar nicht berührt. Wir befinden uns noch im Bannkreis der alttestamentlich-apokalyptischen Anschauung von der Völkerwallfahrt am Ende der Tage zum Zion und nach Israel1. Die in Ape. 14,6 geschehende „Proklamation des Anbruchs des Eschaton durch Gottes himmlische Boten ist das Signal für die Völker zur eschatologischen Wallfahrt" 2 . Anders und thetisch formuliert: In Ape. 14,6 stoßen wir auf einen im christlichen Raum ganz frühen, die Heidenmission noch Gott anheimstellenden Gebrauch von εύαγγέλιον. Evangelium ist hier Ausdruck für die von einem Engel über die Erde zu tragende Ansage des unmittelbar bevorstehenden Weltgerichtes. F. Hahn ordnet diesen Sprachgebrauch dem noch nicht zur Heidenmission angetretenen, partikularistischen Judenchristentum Palästinas in unmittelbar nachösterlicher Zeit zu. Hahn kommt nun aber selbst dadurch in Schwierigkeiten, daß er in εύαγγέλιον αίώνιον das eine Evangelium des Urchristentums sehen will und folglich die besondere, unterminologische Ausdrucksweise des Offenbarungstextes nicht mehr wirklich erklären bzw. von einem absolut gebrauchten το εύαγγέλιον etc. abheben kann 3 . In dieselben Schwierigkeiten wie Hahn dürfte aber auch J. Jeremias geraten, wenn er jetzt unter dem Einfluß der Argumentation Hahns den Sprachgebrauch von Ape. 14,6 ebenfalls erst der hellenistischen Gemeinde zuweisen möchte4. Solcher Umweg ist jedoch bei dem Bild, das wir von der Begriffsgeschichte im Judentum gewonnen haben, nicht mehr erforderlich. Gerade wo im jüdischen Bereich Π11Μ = εύαγγέλιον eine theologische Bedeutung gewann, war dies die Bedeutung einer prophetischen Ansage des Kommens Gottes zu Gericht und Heil. Mannigfach war uns auch das Phänomen einer von Engeln auszurichtenden rmfca im Judentum begegnet, eine Vorstellung, die in ihrer ursprünglichen jüdischen Gestalt im Neuen Testament noch in dem aus Täuferkreisen stammenden Wort Lk. 1,19 anzutreffen ist, 1 Vgl. Jesu Verheißung für die Völker 2 , S. 19f. 59 und den zunächst in ZNW 44, 1952/53, erschienenen, in die Aufsatzsammlung „Abba" überarbeitet aufgenommenen Aufsatz „Markus 14,9" (hier S. 115-120). 2 Jesu Verheißung 2 S. 59; zum Phänomen der Völkerwallfahrt vgl. ferner G. Fohrer, Artikel Σ ιών, ThWb VII, S. 315,3ff. und E. Käsemann, Die Anfänge christlicher Theologie, Ex. Vers. u. Bes. II, (S. 82-104) S. 87. 8 Mission S. 47 (vgl. mit S. 60f.). G. Bornkamm hat deshalb für Ape. 14,6 zum alten Lohmeyerschen Verständnis von εύαγγέλιον zurückgelenkt: Der Auferstandene und der Irdische (Bultmann-Festschrift), S. 176 Anm. 24. 4 Abba, S. 119: „Es war . . . die hellenistische Gemeinde, die das Wort εύαγγέλιον aufgriff, und zwar zunächst als eschatologischen Terminus, wie Offb. 14,6f. zeigt; hier bezeichnet εύαγγέλιον αίώνιον die in der Stunde der Weltvollendung durch Engelmund verkündigte 'ewig gültige (unwiderrufliche) (Sieges-)Botschaft' vom Anbruch der ώρα της κρίσεως, die an 'alle Erdbewohner, jedes Volk, jeden Stamm, jede Zunge, jede Nation' ergeht."

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nach Lk. 2,10 von der heüenistisch-judenchristlichen Gemeinde übernommen wurde 1 und selbst bei Paulus noch nachwirkt (vgl. Gal. 1,8; 4,14). Auch unter diesen Aspekten erscheint das Phänomen der Engelsbotschaft in Ape. 14,6f. als motivisch sehr alt. Setzen wir die beiden Momente der jüdischen m t a und ihrer himmlischen Herolde zusammen und ordnen beides dem nachweislich alten, apokalyptisch gedachten Vorstellungskreis von der Völkerwallfahrt zu, so ergibt sich, daß wir in Ape. 14,6f. die traditionsgeschichtliche Mündung des jüdisch-theologischen Sprachgebrauches von mitoa = εύαγγέλιον — Botschaft von Gottes Kommen zu Gericht und Heil ins junge Christentum vor uns haben. Es bedarf also des Umweges über die hellenistische Gemeinde an unserer Stelle nicht, und selbst die von Jeremias unter dem Eindruck des hellenistischen und des alttestamentlichen Wortgebrauches vorgeschlagene Bedeutung von εύαγγέλιον = Siegesbotschaft erscheint entbehrlich. Wenn Ape. 14,6 die traditionsgeschichtlich älteste Verwendung von εύαγγέλιον im urchristlichen Bereich repräsentiert, kommen wir mit der jüdischen Bedeutung „Botschaft", und zwar der ewig gültigen Botschaft von Gottes Kommen zum Weltgericht, durchaus aus. Da uns im hellenistischen Bereich nur an einer einzigen, noch dazu umstrittenen Stelle eine adjektivische Näherbestimmung von εύαγγέλιον begegnet ist 2 , solch adjektivische Näherbestimmung im Judentum aber gang und gäbe war, wird unsere Ableitung aus jüdischer Sprach- und Denkwelt auch durch das zu εύαγγέλιον hinzugesetzte Adjektiv αιώνιος bestätigt. Daß wir rein jüdischen, ins Christentum übernommenen Sprachgebrauch vor uns haben, zeigt schließlich die Wortverbindung εύαγγελίζειν εύαγγέλιον. Sie entspricht dem im Judentum häufigen ΠΤΐέΟ "ifea genau und gibt die jüdische 1 Daß Lk. 2,10(ff.) ursprünglich noch ganz messianisch-jüdisch aufzufassen ist, hat M. Dibelius, Jungfrauensohn und Krippenkind, Botschaft und Geschichte I (Tübingen 1953, S. 1-78) S. 61f. gezeigt. Dibelius weist die Gesamtlegende dem Milieu der hellenistischen Synagoge (Palästinas) zu: S. 73. Erkennt man dies an, wird man mit Dibelius die von Schniewind (Euangelion S. 240 Anm. 3), Klostermann, Das Lukasevangelium, H N T 5, Tübingen 2 1929, z. St. und Grundmann, Das Evangelium nach Lukas, ThHK 3, Berlin 1961, z. St. herangezogenen kaiserkultlichen Belege als interessante religionsgeschichtliche Parallelbildungen betrachten, die Stelle jedoch nicht von ihnen abhängen lassen. Andererseits aber erscheint auch der von W. Foerster, Artikel: σώζω etc., ThWb VII S. 1015,30ff. und Anm. 63 unternommen e Versuch einer Rückübersetzung ins Hebräische (dem dann der Nebensatz δς έστιν χριστός κύριος V. 11 als lukanischer Zusatz zum Opfer fällt), als ganz hypothetisch und unbeweisbar. Gerade vom Milieu der hellenistischen Synagoge her befremdet die Übernahme des σωτήρ-Prädikates keineswegs (vgl. die von Foerster selbst a.a.O. S. 1014,22ff. beigebrachten Stellen aus Josephus), und die Verflechtung des κύριος- und Χριστός-Titels war im hellenistisch-jüdischen Missionschristentum auf Grund von Ps. 109,1 (LXX) längst vor Lukas üblich. 2 Josephus, Bell. 2,420, vgl. oben S. 169.

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Formel sogar noch dadurch wieder, daß sie aktivisch von εύαγγελίζειν redet. Es liegt hier also selbständiges, vom geläufigen urchristlichen εύαγγελίζεσθαι τό εύαγγέλιον abzuhebendes Übersetzungsgriechisch vor. Wie so oft, verarbeitet also die Johannesapokalypse auch in 14,6 -f- 7 traditionsgeschichtlich ganz altes und noch ganz jüdisch empfundenes, apokalyptisch strukturiertes Material1. Wenn E. Lohmeyer und E. Lohse2 in ihren Kommentaren z. St. Anklänge an die jüdischhellenistische und urchristliche monotheistische Bekehrungspredigt konstatieren, bedeutet das nicht, daß unser Wort ganz aus solcher Quelle hergeleitet werden könnte. Bei unbefangener Lektüre hat V. 7 zunächst ja keinen werbenden oder missionierenden Klang: Was der Engel proklamiert, ist der Aufruf, dem Gerichtsherren der Welt Anerkennung zu zollen. Jener Missionspredigt und dieser Engelsbotschaft ist also nur ein apokalyptischer Topos gemeinsam, der einmal den eschatologischen Ausblick der Predigt bildet, hier aber das Zentrum ausmacht. Die bedrohliche Engelsbotschaft kann zwar als erfreulich empfunden worden sein von einer Schar, welche unter der Herrschaft der nun zur Rechenschaft gezogenen Heiden stöhnte, nämlich der Gemeinde des Sehers Johannes selbst. Ihr konnte unter dem Eindruck der geläufigen Rede vom erfreulichen Christusevangelium also auch jene apokalyptische Botschaft als Ausdruck des guten Verheißungswillens Gottes erscheinen, aber diese zweite, in die Zeit der Apokalypse führende Bedeutungsschicht unseres alten Wortes ist jetzt noch nicht ausführlich zu erörtern3. Traditionsgeschichtlich geurteilt, haben wir also in Ape. 14,6f. die älteste christliche Verwendung von εύαγγέλιον vor uns : In Übernahme des im Judentum nachweisbaren, theologischen Sprachgebrauches von mifea bezeichnet die unserer Stelle zugrunde liegende Tradition mit εύαγγέλιον die Engelsbotschaft, mit welcher Gott selbst die Völkerwallfahrt einleiten läßt, und das ihm selbst vorbehaltene Recht an den Heiden wahrzunehmen beginnt. Ob die Heiden dabei Gnade finden oder nicht, bleibt Gott anheimgestellt. In solchen Anschauungskreis läßt sich auch der zweite Beleg aus der Apokalypse, Ape. 10,7, einordnen. Wie das zehnte Kapitel der 1 Daß in Ape. 14,6f. altes Material verarbeitet wird, wird durch das (im heutigen Text auf 10,1 zurückverweisende) schon immer als schwierig empfundene, unvermittelte άλλον άγγελον ebenso signalisiert, wie durch die in der Apokalypse ungewöhnliche Ausdrucksweise von ot καθημένοι έπΐ της γης (für das gebräuchliche oí κατοικοϋντες έπΐ της γης vgl. 3,10; 6,10; 8,13 usw.). 2 Die Offenbarung des Johannes, NTD 11, Göttingen e /il960. 8 Wenn man die Endredaktion der Apokalypse ins Auge faßt, wird von 10,7 her (vgl. mit 11,16) auch die Jeremiassche Deutung von εύαγγέλιον = Siegesbotschaft durchaus akzeptabel, doch sehe ich darin schon eine gewisse Weiterentwicklung des ursprünglichen Bedeutungssinnes.

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Offenbarung im ganzen stilistisch vom Verfasser der Apokalypse geprägt ist, sind es auch die Verse 5-7. Neben Dan. 12,7 zu V. 5f. sind speziell zu V. 6 a folgende Stellen aus der Apokalypse zu vergleichen: 1,18; 4,9f.; 15,7. V. 6b hat seine nächste Parallele in 14,7. Die Formulierung von 7 a entspricht stilistisch 2,13, während sich die Rede von oí δούλοι (έαυτοΰ) oí προφήται an Am. 3,7 anlehnt, also deutlich als traditionsgebunden erscheint1. Der in Am. 3,7 selbst nicht vorhandene, eschatologische Aspekt wird durch das in der Johannesoffenbarung auch in 1,20; 17,5. 7 nachweisbare μυστήριον (τοϋ θεοϋ) hergestellt, ein Ausdruck, welcher 10,7 „den verborgenen, aber seinen Knechten und Propheten verkündigten eschatologischen Plan Gottes" bezeichnen dürfte2. Ist somit deutlich, daß wir ein literarisch spätes, aber mit traditionellem Vorstellungsmaterial arbeitendes Textstück vor uns haben, können wir uns dem aktivischen εύαγγελίζειν von V. 7 zuwenden. Daß hier das sonst im Neuen Testament ungebräuchliche, der späten Graecität entstammende Aktiv von εύαγγελίζεσθοα auftaucht, verbindet unsere Stelle aufs engste mit Ape. 14,6 und dürfte auch hier auf eigenständige (Übersetzungs-) Sprache des Sehers schließen lassen, εύαγγελίζειν erscheint als Botschaftsterminus für das von Gott selbst den urchristlichen Gemeindepropheten3 mitgeteilte Geschichtsmysterion, das in unmittelbarer Zukunft4 zu Ende gehen wird, und zwar mit dem von dem siebten Engel in 11,15 proklamierten Anbruch der βασιλεία Gottes und seines ι Vgl. Satake, a.a.O. S. 64f. 2 So G. Bornkamm, Artikel: μυστήριον, ThWb IV, S. 830,33f. Wie Bornkamm auch Lohse, anders Lohmeyer, W. Bousset (Die Offenbarung Johannis, Göttingen »1906, Neudruck 1966) und R. H. Charles (A Criticai and Exegetical Commentary on the Revelation of St. John, ICC 2 Bde., Edinburgh 1920) z. St. 3 Satake stellt a.a.O. S. 64f. 73 fest, daß man, weil unser Text sich an Am. 3,7 anschließe, also traditionelle Wendungen aufnehme, nicht mit Bestimmtheit sagen könne, ob die im Text erwähnten Propheten alttestamentliche Propheten oder christliche Gemeindepropheten seien. Stellt man aber in Rechnung, daß unter προφήται in der Johannesoffenbarung (von 10,7 und vielleicht 22,6 abgesehen) stets urchristliche Gemeindepropheten verstanden werden, dürfte es möglich sein, auch unsere Stelle in diesem Sinne zu verstehen (so mit Satake, S. 73; D. Lührmann, Offenbarungsverständnis, S. 118 Anm. 10; Lohse z. St.; Gr. Gillet, Evangelium, S. 137 und Schniewind, Euangelion S. 240 Anm. 3). Das Interesse derjenigen, die auf alttestamentliche Propheten deuten (z.B. E. Kamiah, Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zur Schlußdoxologie des Römerbriefes, Diss, theol. Tübingen 1955, [Masch.], S. 50f.; E. Sjöberg, Verborg. Menschensohn, S. 33f.) dürfte auch von unserer Sicht aus gewahrt bleiben, wenn wir Lohmeyers Satz im Kommentar zu 10,7 beachten: „der Seher betrachtet sich als letztes Glied einer langen Reihe von Propheten", eine Reihe, die ins Alte Testament zurückweist. Zum prophetischen Selbstverständnis des Sehers vgl. Satake S. 73. 4 Auf die Nähe des Heils deutet in unserem Text das ώμοσεν von V. 6, welches die „eidliche Versicherung" meint, „daß nun keine Verzögerung mehr in dem Ablauf der eschatologischen Ereignisse eintreten wird: die Stunde der Erlösung bricht a n " (J. Schneider, Art. όμνύω, ThWb V, S. 184,20f.).

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Christus. Der apokalyptische Horizont, in welchen unser Verbum eingebettet ist, ist aufs neue mit Händen zu greifen: εύαγγελίζειν meint die Mitteilung einer noch vor der Welt verborgenen Kunde an die Propheten der christlichen Gemeinde. Die vom alttestamentlichen Prophetenwort her vertraute Struktur der Prolepse begegnet uns hier auf neutestamentlichem Boden zum ersten Mal in Verbindung mit unserem Wortstamm, wobei die Verhülltheit der Kunde ins Wort hinein ihrem dynamischen Gehalt keinerlei Abbruch tut. Es ist offensichtlich, daß das Verbum in unserem Zusammenhang nur allgemein „botschaften" bedeuten kann, wie Ape. 14,6 auch 1 . Eben dieser neutrale Wortsinn mitsamt seiner Anwendung auf eine von Gott selbst auszurichtende Botschaft ist spezifisches Kennzeichen des von uns gemusterten jüdischen Materials, so daß die Übernahme jüdischer Sprech- und Denkweise auch für Ape. 10,7 nicht zweifelhaft sein kann. Der von uns zunächst zu l.Thess. 3,6 festgestellte, durch Lk. 1,19; 2,10, aber auch Lk. 3,18 und sogar noch Hebr. 4,2. 6 repräsentierte, unterminologische Gebrauch von εύαγγελίζω/εύαγγελίζομαι für „botschaften" erklärt sich von Ape. 10,7; 14,6 her ungezwungen, wenn man in ihm die Nachwirkungen eines ursprünglich jüdischen, unterminologischen Wortgebrauches von "ifca = botschaften erkeimt. Gerade Lk. 3,18 und Ape. 14,6, wo εύαγγελίζω/εύαγγελίζομαι gebraucht werden, um einen (drohenden) Bußruf zu proklamieren, sind vom hellenistischen Wortgebrauch her ja viel schwerer zu erklären als von der jüdischen Verwendung des Verbums "1ÍP2 aus, weil bei dieser die Bindimg an einen etymologisch festliegenden Grundsinn von „frohbotschaften" ursprünglich nicht gegeben ist. Ape. 10,7 (14,6) verhilft uns also dazu, das für das Substantiv bereits zu 14,6 herausgestellte Einströmen des jüdischen Wortgebrauches in die Sprache des Urchristentums auch für das Verbum εύαγγελίζειν/εύαγγελίζεσθ-αι = nachzuweisen. War die traditionsgeschichtliche Möglichkeit der Zuordnimg von Ape. 14,6 zur Sprech- und Denkweise des frühen, partikularistischen Judenchristentums Palästinas von selbst gegeben, so stellen sich dem bei Ape. 10,7 größere Hemmnisse entgegen: In diesem Text spricht ja, wie wir sahen, vor allem der Verfasser der Offenbarung zu seinen Gemeinden, die von einem ihnen unter Umständen vertrauten, urchristlich-terminologischen Gebrauch des Verbums her auch in dem neutralen εύαγγελίζειν von 10,7 eine für sie erfreuliche Kunde vom 1 Die Versuche von Lohmeyer und Lohse z. St., auch W. G. Kümmel, Einleitung in das NT 13./14. Aufl. S. 337, in εύαγγελίζειν einen positiven Grundton zu finden, entspringen weniger dem traditionsgeschichtlich-sprachlichen Befund als dem legitimen Bemühen, unseren Text aus dem Verstehenshorizont der leidenden Gemeinde des Johannes zu verstehen.

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Anbrach der ersehnten Königsherrschaft Gottes vernehmen konnten. Zwar ist die von der Apokalypse insgesamt und von unserer Stelle insbesondere vorausgesetzte Gemeindeordnung und Funktion der urchristlichen Propheten der alten palästinischen eng verschwistert1, so daß es u. U. möglich wäre, auch unser Wort unmittelbar in den Kontext des alten palästinischen Christentums zu rücken, doch wäre damit die nötige historische Behutsamkeit doch zu sehr außer acht gelassen. Wir begnügen uns deshalb mit dem Hinweis, daß uns an Hand von Ape. 10,7 ein noch ganz jüdischer, apokalyptischer Sprachgebrauch von εύαγγελίζω — aufgefallen ist, der freilich illustrieren dürfte, wie das alte palästinische Judenchristentum unser Wort verstand. Dies ist demnach das Ape. 14,6 und 10,7 traditionsgeschichtlich kennzeichnende und für unsere urchristliche Begriffsgeschichte besonders auffällige Phänomen : Wir werden eines Gebrauchs des Stammes εύαγγελ- ansichtig, der, sprachlich noch ganz jüdisch, also unterminologisch, christologisch noch durchaus unreflektiert, vielmehr nur prophetisch geprägt und in die apokalyptische Naherwartung der βασιλεία του θεού eingebettet ist. Es ist die Frage, ob sich für diese frühe Bedeutungsschicht noch weiteres Material gewinnen läßt. In der Tat ist dies dann der Fall, wenn folgende traditionsgeschichtliche Kombination erlaubt ist: Auch wenn wir „über den genauen Textumfang der [Logien-] Quelle so wenig etwas Sicheres wissen können wie über den Wortlaut im einzelnen"2, ist offensichtlich, daß die Logienquelle weithin ganz altes, palästinisch-judenchristliches Material darbietet, daß die hinter Q stehende Gemeinde „die palästinische Urgemeinde der ersten Jahrzehnte nach Jesu Tod" ist und daß in Q der Auftrag zur weltweiten Heidenmission noch nicht thematisch gegeben war3. Ist dies richtig gesehen, dann dürfte es 1

2 Vgl. S. 210 Anm. 3. Kümmel, Einleitung 13./14. Aufl., S. 35. G. Bornkamm, Artikel. Synoptische Evangelien, RGG 3 II (Sp. 753-766) Sp. 758 : vgl. ferner Η. E. Tödt, Der Menschensohn in der synoptischen Überlieferung, Gütersloh 2 1963, S. 224ff. 248f. E. Käsemann, Zum Thema der urchristlichen Apokalyptik, Ex. Vers. u. Bes. II (S. 105-131) S. 115f. Käsemann wehrt sich hier und in seinem neuen Buch: Der Ruf der Freiheit, Tübingen 3 1968, S. 64 dagegen, das nur auf die Sammlung des Zwölfstämmevolkes gerichtete jüdische Missionswerk von Q mit dem Verdikt des Partikularismus zu belegen, weil solches Prädikat a) dem universalistischen Anspruch der in Q leitenden Menschensohnchristologie ebenso widerspreche wie es b) die theologische Grundanschauung, daß die Heidenmission als Gottes eigenes Werk nicht von Menschenhand vorzeitig in Angriff genommen werden dürfe, von vornherein geringschätzen lehre. Ich erkenne dies durchaus an, sehe nur keine Möglichkeit, auf den Begriff zu verzichten, weil das universale paulinische Evangelium zu kritischer Distanz gegenüber den Paläatinem nötigt. — Anders als die genannten Exegeten ist G. Friedrich der Meinung, in Q sei die Heidenmission schon ins Auge gefaßt worden: Ein Tauflied hellenistischer Juden christen, ThZ 21, 1965, (S. 502-516) S. 515. 3

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möglich sein, den mit den Belegstellen der Johannesoffenbarung gewonnenen Aspekt für die frühchristliche Verwendung des Stammes εύαγγελ- an den Belegen für diesen Stamm aus Q zu verifizieren. 3. Mt. 11,2-6 (par. Lic. 7,18-23)

Da in Q Belege für einen Gebrauch des Substantivs εύαγγέλιον fehlen, ist sogleich auf Mt. 11,2-6 par. Lk. 7,18-23 einzugehen. Wichtig ist für uns im Augenblick nur die Fassung des Textes in Q. Um dieser ansichtig zu werden, ist vom Matthäustext allein auszugehen, da der Lukastext bereits deutlich gegenüber Mt. 11,2-6 novellistisch erweitert ist. V. 2 ist matthäische Einleitung, wie besonders der auf den „Messias der Tat" verweisende, zusammenfassende Ausdruck τά έργα του Χρίστου zeigt. Wundertaten zeichnen im Judentum den königlichen Messias nicht aus. Auf die Wunder des Χριστός zu reflektieren, ist ein spezifischer Zug der urchristlichen Messianologie und der matthäischen Christologie im besonderen. Es ist darum ratsam, unseren Text nicht sogleich von der matthäischen Frage nach der Legitimität speziell des Messias gegenüber dem Täufer her zu betrachten. Vielmehr befinden wir uns, wenn die Q-Fassung zu betrachten ist, noch im Umkreis fließender christologischer Konturen, aus denen sich nur die Menschensohnchristologie beherrschend herauszuheben beginnt. Wie jetzt das Fragment 11 QMelch exemplarisch verdeutlicht, waren im nachbiblischen Judentum die mit den rettenden Gestalten der Endzeit verbundenen Vorstellungsschemata keineswegs starr geprägt, sondern vielfältig miteinander kombinier- und austauschbar. Wenn ähnliches für die Anfänge der urchristlichen Christologie gilt, ist keineswegs anzunehmen, daß, weil in Q die Menschensohnvorstellung hervorsticht, alle christologischen Texte dieser Quellenschicht die Menschensohnchristologie repräsentieren müssen. Es dürfte dem antiken Denken durchaus genügt haben, die verschiedenen Texte von ihrer Funktion her zu ordnen. Die Menschensohnchristologie wäre dann offen, auch andere Vorstellungsweisen vom Werk des Christus in sich aufzunehmen, falls sich in ihnen eine der Figur des Menschensohnes analoge eschatologische Funktion Gehör verschafft. So ist das in Dan. 7,13 (Theod.) mit dem Menschensohn verbundene und Mt. 11,3 (par. Lk. 7,19) auftauchende Partizip έρχόμενος keineswegs ausschließlich an die Menschensohnvorstellung gebunden, vielmehr mit den verschiedensten Gestalten und Phänomenen der Endzeit verknüpfbar 1 . Beachtet man, daß Wundertätigkeit nach jüdischer Sicht zu den 1 Vgl. W. G. Kümmel, Verheißung und Erfüllung 3 , S. 103; F. Hahn, Christolog. Hoheitstitel, S. 393.

Der Gebrauch von Evangelium in der palästinischen Urgemeinde usw. 219 Beglaubigungszeichen endzeitlicher Prophetie rechnet1, unser Text aber betont und bewußt die mindermächtige Vollmacht Jesu in den Mittelpunkt stellt, so wird man sich zu fragen haben, ob wir uns nicht im Umkreis der auf Jesus übertragenen Erwartung des endzeitlichen Propheten befinden. In der Tat scheint dies der Fall zu sein: Die in V. 5 kombinierten Schriftstellen: Jes. 29,18f.; 35,5 und 61,1 werden in der jüdischen Überlieferung sämtlich auf die Endzeit bezogen und durch Jes. 61,1 thematisch der Tätigkeit und dem Amt des endzeitlichen Propheten zugeordnet2. Daß Jes. 61,1 tatsächlich Oberthema ist und das Gefalle der Aussage bestimmt, zeigt jenes ans Ende gerückte και πτωχοί εύαγγελίζονται. Es bietet in dieser Endposition nicht nur die nachdrücklichste Aussage unseres Textes, sondern verbindet diesen auch thematisch mit den Seligpreisungen (Mt. 5,5f. par. Lk. 6,20f.)3. Es ist sicher kein Zufall, daß Mt. 11,5 (par. Lk. 7,22) selbst unlöslich mit einem Makarismus verbunden ist : Mt. 11,6 (par. Lk. 7,23). Damit haben wir ein verhältnismäßig sicheres, formgeschichtliches Kriterium gewonnen, unseren Text einzuordnen. Es ist erstaunlich, wie nunmehr alle bisher gemachten Beobachtungen zusammenschießen. Wie E. Käsemann herausgestellt hat, gehören die urchristlichen Makarismen der Frühzeit in die Sprache der urchristlichen Prophetie4. Versucht man dementsprechend in unserem Textstück einen urchristlichen Prophetenspruch zu sehen, werden m. E. alle bislang noch ungelösten Schwierigkeiten dieses Textes lösbar : Unsere Perikope gehört ja, wie der Überlieferungszusammenhang Mt. ll,7ff. (par. Lk. 7,24ff.) zeigt, schon in der Logienquelle zu einer Reihe von Täufersprüchen, welche die Überlegenheit des Christus über den Täufer erweisen wollen. Dies ist mehr als ein bloß litera1

Vgl. O. Michel, Spätjüdisches Prophetentum, BZNW 21 ( = Ntl. Studien für R. Bultmann), Berlin 21957, (S. 60-66) S. 65f.; Hahn, Hoheitstitel, S.391ff.; R.Meyer, Artikel προφήτης, ThWb VI S. 826,30ff. usw. 2 Jes. 29,18f. und 35,5 werden im Targum auf die Endzeit bezogen, aber nicht mit einer konkreten Heilsperson verbunden. Auch die von Billerbeck I S. 596 angeführten Belege für eine eschatologische Deutung von Jes. 35,5 bleiben in dieser Hinsicht unbestimmt. Erst Jes. 61,1 wird in der Traditionsgeschichte auf den endzeitlichen Propheten gedeutet (vgl. 11 Q Melch und oben S. 142ff. 150). Da aber auch diese Deutung von Jes. 61,1 auf den endzeitlichen Propheten nicht eindeutig mit einer Mosetypologie oder messianischen Aussagen verbunden ist, möchte ich es noch ausdrücklich offenlassen, ob man auf Grund von Mt. 11,2-6 Jesus die Würde des messianischen Propheten zuschreiben (Friedrich, ThWb VI S. 848,22ff.) oder unseren Text der Vorstellung vom neuen Mose subsumieren darf (so F. Hahn, a.a.O. S. 393f.). 8 Auf die konstitutive Bedeutung von Jes. 61,1 f. für die Makarismen hat zuletzt G. Eichholz, Auslegung der Bergpredigt, BSt 46, 1965, S. 26ff. 38ff. aufmerksam gemacht. 4 Anfänge christl. Theologie, S. 98ff. Ebenso: Ch. Maahs, The Makarisms in the NewTestament, Diss, theol. Tübingen 1965 (Masch.) S. 157-161 ; Kl. Koch, Was ist Formgeschichte?, Neukirchen 2 1967, S. 6ff.; Eichholz, a.a.O. S. 27f.

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rischer Zusammenhang. Auf der Ebene von Q ist vielmehr die Auseinandersetzung der Christen- und der Täufergemeinde über den Rang Jesu und des Johannes noch im Gange, und diese Auseinandersetzung wird für uns um so interessanter, je deutlicher man sich vor Augen rückt, daß auch die Täufergemeinde für Johannes den Rang eines oder des endzeitlichen Propheten beansprucht zu haben scheint1. Wenn in unserem Text die Vorstellung vom endzeitlichen Propheten von Jes. 61, If. her beschworen wird, dann also mit der Absicht, im Gegenschlag gegen die Täuferanhänger Jesus als den wahren, überlegenen Propheten der Endzeit zu erweisen. Der Ausgangspunkt bei Jes. 61,1 (35,5; 29,18f.) ist dabei klug gewählt, gaben doch diese Texte im Rahmen der geläufigen, also wohl auch der Täufergemeinde vertrauten jüdischen Schriftauslegung die Möglichkeit, die wunderbaren Werke Jesu als vom Erfüllungsgedanken her getragen zu erweisen und damit in der Tat eine dem Täufer nicht nachrühmbare Aussage zu gewinnen : Es ist uns bisher kein Satz überliefert, der auch den Täufer als wundertätig (und dies im Sinne der Schrift!) ausweisen könnte oder wollte2. Beachtet man diese polemische und zugleich Jesu Werk aus österlicher Perspektive summierende Tendenz unseres Wortes, wird die 1 Vgl. Friedrich, T h W b V I S. 838-842; Ph. Vielhauer, Artikel: Johannes d. Täufer, RGG 3 I I I Sp. 804-808; ders., Tracht und Speise Johannes des Täufers, Aufsätze z. NT (ThB 31), München 1965, S. 47-54; C. H . Kraeling, John the Baptist, New York/London 1951, S. 127ff. 2 R. Meyer, Der Prophet aus Galiläa, Leipzig 1940 betont zwar, daß der Täufer selbst „bezeichnenderweise nicht an eins der Wunder an(knüpft), die den messianischen Propheten Vorbild sind, sondern an das zu seiner Zeit bereits herrschende Dogma von der Taufe der Wüstengeneration vor dem Empfang des Heiles, das in der Sinaigesetzgebung bestand" (S. 102), nimmt dann aber an, f ü r die Anhänger des Täufers habe sich mit jenem ersten Dogma leicht das zweite „vom körperlichen Idealzustand der Wüstenzeit" verbunden, so daß „Johannes in den Augen seiner Jünger als der erschien, der durch Wundertaten jenen idealen Wüstenzustand herzustellen im Begriffe sei" (S. 114/115). Seine Vermutung sieht Meyer durch Mk. 6,14 bestätigt, weil diese Stelle darauf schließen lasse, „daß man sich ursprünglich von Johannes ähnliche Wimdertaten erzählt hat, wie sie die christliche Überlieferung von Jesus berichtet" (S. 40). Aus Joh. 10,41 zu erschließen, der Täufer habe keine Wundertaten vollbracht, ist nach Meyer deshalb nicht ratsam, „da hier offenkundig antitäuferische Polemik vorliegt" (S. 142 Anm. 171 zu S. 40). Derselben Meinung ist Bultmann in seinem Johannes-Kommentar (Das Evangelium des Johannes, MeyerK 2. Abtig., Göttingen 12. Aufl. 1952, S. 300 Anm. 4). Auch f ü r Bultmann ist es durchaus wahrscheinlich, „daß von Johannes Wunder erzählt wurden" (Geschichte d. synopt. Trad. 3 S. 22), und Mk. 6,14 findet bei ihm dieselbe Erklärung wie bei Meyer (a.a.O. S. 329 Anm. 3). Die Schwierigkeit dieser ganzen Argumentation ist freilich die, daß sich f ü r die Wundertätigkeit des Täufers außer den genannten beiden Stellen keine wirklichen Belege finden. Die Exegese von Mk. 6,14 und Joh. 10,41 aber ist so umstritten, daß man die Frage in der Schwebe lassen muß und sie nicht zur Basis weiterer Theorien verwenden darf. Vgl. zum Problem auch E. Bammel, John did no Miracle, in: Miracles, ed. C. F. D. Moule, London 2 1966, S. 179—202.

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Tatsache unschwer erklärbar, daß die alttestamentliche Zitatenkombination das dritte Glied der Werke (λεπροί κα&οφίζονται) und das fünfte (νεκροί εγείρονται) gerade nicht deckt, während offensichtlich ist, daß dem irdischen Jesus die Heilung Aussätziger und die Erweckung Toter nachzurühmen war 1 . Die letzte Schwierigkeit, welche von der Annahme eines urchristlichen Prophetenspruches her lösbar wird, betrifft den Stil der Aussage2. Es handelt sich insgesamt um eine geheimnisvolle, vom Hörer selbst zu entscheidende, indirekte Aussage über die Würde Jesu. Ohne jetzt die Frage nach einem möglicherweise im Verhalten Jesu selbst vorhandenen Anhalt für die markinische Theorie vom Messiasgeheimnis hier schon entscheiden zu können, muß darauf hingewiesen werden, daß die Aussageform der indirekt offenbarenden Mitteilung Wesenszug nicht nur der alttestamentlichen, sondern auch der jüdischen und urchristlichen Prophétie bzw. ihrer Botschaft ist: Das in der Verhüllung vollmächtige Prophetenwort erschließt sich erst dem ganz, der sich ihm glaubend anheimgibt. Wir stoßen hier in ganz anderer Dimension erneut auf das Phänomen einer ins Wort der Propheten hinein verborgenen Offenbarung, das uns bei dem εύαγγελίζειν des Sehers Johannes (Ape. 10,7) schon begegnet war. Hat man also auch die indirekte Offenbarung unseres Spruches auf seinen Charakter als urchristlichen Prophetenspruch zurückzuführen, ist noch kurz zu fragen, in welcher Weise jene indirekte Offenbarung zutage tritt: Eine Verhüllung der Hoheit Jesu in eine alttestamentliche Schriftaussage hinein kommt nicht in Frage, da für jüdische und jüdisch denkende Hörer die Argumentation mit den angeführten Schriftworten keinen verbergenden Charakter besaß. Die indirekte Mitteilung dient vielmehr dazu, dem Hörer angesichts der offensichtlichen Taten Jesu über die Brücke der (prophetisch zu deutenden) Schriftworte den Entscheid über den eschatologischen Rang Jesu 1

Vgl. E. Käsemann, Artikel: Wunder im NT, RGG 8 VI Sp. 1836-37. Von diesem Gedanken her versucht W. Marxsen, Das Neue Testament als Buch der Kirche, Gütersloh 1966, S. 89f. unsere Perikope zu verstehen. Marxsen hält das Wort für ursprünglich und meint, hier werde bewußt die Frage nach der Qualifikation Jesu überholt durch die Frage nach dem, was durch Jesus und in der Begegnung mit ihm geschieht, die Erfüllung endzeitlicher Erwartung: „Die Frage zielt auf die 'Qualität' Jesu (Wer bist dut) ab. Die Antwort jedoch führt von dieser (möglichen) Qualifikation der Person zurück auf das, was sich in der Begegnung mit dieser Person ereignet: Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote stehen auf und Armen wird 'Evangelium' gebracht. Darin liegt das Eigenartige dieser Antwort" (S. 89). — Wenn freilich Mt. l l , 2 f f . in der von uns intendierten Weise von der Frage nach der Qualifikation des endzeitlichen Propheten her, also nicht losgelöst von der Interpretationsgeschichte des Jesaja-Textes gelesen werden muß, entfallen die Möglichkeit der Marxsenschen Differenzierungen und mit ihr deren systematische Konsequenzen (a.a.O. S. 90£f.). 2

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selber zuzumuten. Es ist •wichtig, sich dies zu verdeutlichen, weil durch die Einbettung in den heutigen Evangelientext der Eindruck entstehen kann, als würde hier aus dem Anstoß heraus argumentiert, den Jesu irdische Gestalt und Verhaltensweise boten 1 . Die prophetische, ursprüngliche Tradition argumentiert, wie der Makarismus V. 6 zeigt, von dem Standpunkt her, daß Jesu Würde des endzeitlichen Propheten durch seine im Einklang mit der prophetischen Verheißung Jes. 61,1 vollbrachten Werke manifestiert werde und darum nun auch in aller Form anzuerkennen sei. Sehen wir den Text so, dann wird schließlich verständlich, weshalb diese prophetische Argumentation in den Zusammenhang von Q eingegliedert wurde: Es geht in ihr um eine mit dem Amt des irdischen und himmlischen Menschensohnes vergleichbare Funktion: Die Vorläufer- und Statthalterschaft Jesu als des eschatologischen Propheten angesichts der Parusie Gottes. Damit sind wir soweit, fragen zu können, was in unserem als urchristliche Prophetenrede ausgewiesenen Textzusammenhang jenes πτωχοί ευαγγελίζονται konkret besagt: Es meint die für die „Erniedrigten und Beleidigten", die πτωχοί τω πνεύματι, heilvolle Verheißung der für sie eröffneten und nahenden Gottesherrschaft, εύαγγελίζεσ9·αι bezeichnet Mt. 11,5 (par. Lk. 7,22) die dem Propheten der Endzeit verliehene verheißungsvolle Ansage des kommenden Gottes und der heilvollen Macht seiner Herrschaft. Lassen wir die eben getroffene Feststellung von der proleptischen Struktur des urchristlichen Prophetenwortes auch für das Verbum selbst nicht außer acht, so geht es sogar um mehr als um die Ansage eines künftigen Phänomens: Indem die πτωχοί sich jener verheißungsvollen Botschaft glaubend erschließen, gewinnen sie bereits in der Gegenwart Anteil an der befreienden Segensmacht der βασιλεία Gottes. Die Botschaft ist noch nicht die βασιλεία του &εοϋ selbst, aber in ihr vollzieht sich der Advent Gottes für die Glaubenden schon in einer Weise, daß ihre Hoffnung groß und ihre Freude stark wird 2 . Hier ist die Nähe unserer Text1 So z.B. Schniewind z. St. und etwas anders auch J. Jeremias: Jesu Verheißung an die Völker 2 S. 39: „Jesus zitiert in freier Wiedergabe die prophetische Verheißung Jes. 35,5 f. (Blinde, Taube, Lahme) und fügt (wohl unter dem Einfluß von Jes. 29,18f. : Taube, Blinde, Arme und Elende) Jes. 61,1 hinzu: 'Den Armen wird die Frohbotschaft verkündigt.' An allen drei Jes.Stellen aber ist vom eschatologischen Rachetag die Rede (Jes. 35,4 : 'Euer Gott kommt zur Rache'; 29,20: 'Die Tyrannen werden ein Ende haben'; 61,2: 'Und einen Tag der Rache unseres Gottes'). Ist es Zufall, daß dieser Klang in Jesu Wort fehlt? Selig, wer sich nicht daran ärgert, daß die Heilszeit anders aussieht, als er erwartet, daß an die Stelle der Rache Gottes Sein gnädiges Erbarmen mit den Armen tritt!" 2 Wenn F. Hahn, Mission S. 107 davon spricht, die Nähe der Gottesherrschaft werde von Matthäus „so verstanden, daß sie sich im Wort und in der Verkündigimg, also in der Ansage vollzieht, dem das συνιέναι, der Glaube der

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aussagen zu den Seligpreisungen von Mt. 5, die man auch teilweise urchristlichen Propheten zuweisen wird1, ganz unmittelbar deutlich. Es wird aber nicht nur die Nähe zu den Makarismen deutlich, sondern auch die enge Verwandtschaft, die der eben skizzierte Begriff von εύαγγελίζεσθαι = verheißungsvoll-mächtige Ansage der βασιλεία Gottes mit dem vorhin erörterten Gebrauch des Stammes εύαγγελ- in der Johannesoffenbarung aufweist. Auch in Ape. 10,7 geht es ja um die verheißungsvolle Ansage der kommenden Gottesherrschaft für die Erniedrigten und Leidenden. Was aber für den Sprachgebrauch der Apokalypse galt, gilt traditionsgeschichtlich nun auch für Mt. 11,5/ Lk. 7,22 : Es liegt ein sprachlich noch ganz jüdischer Gebrauch des Wortes vor, der vom zeitgenössischen Judentum höchstens durch die Intensität der Ansage abgehoben, besser: um die Intensität der Ansage der heilsamen Ankunft Gottes vertieft ist. Das Judenchristentum z. Zt. und auf der Ebene der Logienquelle gebraucht also Nomen und Verbum des Stammes εύαγγελ- in einer, formal gesehen, noch durchaus jüdischen Art und Weise. Eine christologische Reflexion meldet sich nur erst indirekt an : In der proleptischen Intensität der evangelischen Verheißung und in der Tatsache, daß diese Intensität und Verheißung ausdrücklich Jesus, dem eschatologischen Propheten und Vorläufer Gottes, zugeschrieben wird. Nun erst ist es sinnvoll zu fragen, in welchem Maße dieser Gebrauch von "lfoa/mifcn = εύαγγέλιον/εύαγγελίζεσ&αι auf Jesus selber zurückgeführt werden kann. Gegenüber der Sicherheit, mit der dies gerade von Mt. 11,2-6 her immer wieder geschieht2, ist mit allem Nachdruck darauf hinzuweisen, daß sich dieser Text am einfachsten als urchristlicher Prophetenspruch verstehen läßt, und, wenn in ihm durch den Mund eines urchristlichen Propheten der Erhöhte spricht (vgl. Ape. 3,20f.), die historische Rückfrage zunächst nur als Frage nach Jesu Taten und Jesu Vollmacht provoziert. Erst durch die Einbettung des Textes in den Kontext eines Evangeliums und durch die historisierende Weiterbildung der Tradition im lukanischen Sondergut (Lk. 4,16-30) entsteht die Frage nach Jesu eigener Redeweise. Aber stellen wir uns den Problemen schon hier! Es ist historisch durchaus unwahrscheinMenschen, korrespondiert", „wegen der noch im Wort verborgenen Wirklichkeit des Gottesreiches" bleibe aber dennoch „das έλθάτω ή βασιλεία σου stete Bitte der Jünger", so gilt diese schön skizzierte Korrespondenz von Anbrach und Erwartung bereits für unseren Text und kennzeichnet das Wesen der mit dem Evangelium an die Menschen herangetragenen hoffnungsvollen Gewißheit. 1 Vgl. S. 219 Anm. 4. 2 Vgl. Schniewind, Euangelion, S. 25; Friedrich, ThWb II S. 715,8ff.; M. Burrows, The Origin of the Term 'Gospel', JBL 44, 1925, S. 30; Michel, Art. Evangelium, Sp. l l l l f . Dagegen sehr viel vorsichtiger z.B. Asting, Verkündigung d. Wortes, S. 326f. 16·

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lieh, daß, -wie Rudolf Bultmann meint, Mt. 11,5f. je für sich (also unabhängig von der in V. 2-4 angedeuteten Situation und Anfrage) existiert hat. Überlieferungsgeschichtlich ist es m. E. gerade nicht „einleuchtend", daß der um die Aussätzigenheilungen und Totenauferweckungen angereicherte V. 5 „eigentlich nur mit den Farben des (Deutero-)Jesaias die selige Endzeit schildern will, die Jesus jetzt anbrechen spürt, ohne daß man die einzelnen Aussagen auf einzelne schon geschehene Ereignisse beziehen dürfte" 1 . Der ursprüngliche Text handelt auch nicht vom Messias oder ist durch seine verhüllende Aussageweise singular 2 . Die Traditionsgeschichte von Jes. 61, If. bis hin zu 11 QMelch3 erlaubt es schließlich keineswegs, mit Schniewind zu postulieren: Jesus erscheine Mt. 11,5 als der Freudenbote der Endzeit in paradoxer Niedrigkeit, die im Glauben überwunden werden muß 4 . Unser Text will ja gerade Jesus als den wundertätigen Propheten der Endzeit rühmen und hält es nach V. 6 für ein Skandalon, wenn die Vollmacht und die offensichtlichen, schrift-gemäßen Taten Jesu angezweifelt werden. Sinnvoll wird eine von Mt. 11,2-6 geleitete Rückfrage nach Jesu Sprachgebrauch also nur in der Weise, daß man fragt, ob sich der in Mt. 11,2-6 anmeldende, endzeitlichprophetische Anspruch bis zu Jesus selbst hin zurückverfolgen läßt oder nicht®. Mir scheint dies in der Tat möglich zu sein: Die unter der Verwendung des Stammes εύαγγελ- = Wurzel vollzogene vollmächtige Ansage der nahenden βασιλεία του θεοϋ in der nachösterlichen urchristlichen Prophetie kann sich mit Recht auf Jesu Wort und Verhalten berufen. (Vgl. nur die matthäische Fassung des sog. Stürmerspruches, Mt. ll,12f. e , das Vaterunser, Jesu Zöllner 1 Bultmann, Geschichte d. synopt. Tradition 3 , S. 22 ; ähnlich M. Dibelius, Die urchristl. Überlieferung von Johannes d. Täufer, S. 36; G. Bornkamm, Jesus von Nazareth, Urban-Bücher 19, Stuttgart 1956, S. 61 ; Ph. Vielhauer, Tracht u. Speise Joh. d. Täufers, S. 54; ders., Gottesreich u. Menschensohn in der Verkündigung Jesu (Aufs. z. NT, S. 55-91) S. 89; W. Marxsen, a.a.O. S. 91 usw. — Die einzige, wirklich zwingende religionsgeschichtliche Parallele zu unserem Text ist Ape. Eliae 33,1-3 (vgl. Rießler, Altjüd. Schrifttum, S. 119f. u. G. Steindorf, Die Apokalypse des Elias, T U N. F. 2,2, Leipzig 1899, S. 89); aber diese Apokalypse scheint erst aus dem 3. Jh. zu stammen (vgl. F. Maass, Artikel: Eliasapokalypse, RGG 3 II Sp. 427) und unterliegt auch sachlich dem Verdacht, an unserer Stelle christlich beeinflußt zu sein (vgl. Hahn, Hobeitstitel, S. 393 Anm. 1). 2 So Kümmel, Verheißung und Erfüllung 3 S. 102ff. 3 Vgl. S. 219 Anm. 2 und oben S. 142ff. 150. 4 So besonders deutlich in dem Forschungsbericht „Zur Synoptiker-Exegese", ThR N. F. 2 (1930) S. 178, aber auch im Matthäuskommentar z. St. 5 Nur in diesem Sinne vermag ich die Intention der in Anm. 1 aufgeführten Exegeten aufzunehmen; in diesem Sinne aber melden sie einen völlig legitimen Anspruch an. • Vgl. zu diesem Wort E. Käsemann, Das Problem des historischen Jesus, Ex. Vers. u. Bes. I (S. 187-214) S. 210f.; W.G.Kümmel, Verheißung und Erfüllung 3 , S. 114f.; O. Betz, The eschatological Interpretation of the Sinai-

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gastmahle und die Gleichnisse vom verlorenen Sohn 1 , der selbstwachsenden Saat und von Pharisäer und Zöllner: Lk. 15,11-32; Mk. 4,26-29 ; Lk. 18,9-14). Aber — und das ist in unserem Zusammenhang entscheidend — begriffsgeschichtlich trägt solche Vergewisserung für uns wenig aus, weil sie terminologisch imbestimmt bleibt. Wenn sich Mt. 11,2-6 nur in seinem sachlichen Anspruch vom Verhalten und Verkündigen Jesu her rechtfertigen läßt, bedeutet das ja, daß wir auch bei Jesus nur einen Sprachgebrauch von Evangelium antreffen könnten, der mit dem schon eruierten, frühchristlich-jüdischen identisch ist ! Doch ehe wir hier ein endgültiges Urteil fällen, ist noch zu prüfen, ob uns nicht Lk. 4,16-30 und andere synoptische Stellen ein genaueres Urteil erlauben. 4. Lk. 4,16-30 und der lukanische Gebrauch von εναγγελίζεσΰαι Ein literarisch sicheres Urteil über die Predigt Jesu in Nazareth, Lk. 4,16-30, ist kaum zu gewinnen. Entweder tritt man dafür ein, unser Bericht sei eine lukanische Weiterbildung der Verwerfungsszene aus Mk. 6,1-6 2 , oder man denkt, falls man die Trage nicht in der Schwebe läßt 3 , an lukanisches Sondergut 4 . Aber auch wenn man lukanische Sondertraditionen voraussetzt, ist die Frage, ob in V. 22 b der Markuszusammenhang wiederaufgenommen und von Lukas selbst mosaikartig ergänzt wird, indem Lukas ursprünglich selbständiges Spruchgut thematisch zusammenordnet 5 , oder ob es sich auch in Tradition in Qumran and in the New Testament, RevQ 6, 1966/67, (S. 89107) 98ff. 1 Vgl. zu diesem Gleichnis jetzt die einleuchtende Interpretation von K. H . Rengstorf, Die Re-Investitur des Verlorenen Sohnes in der Gleichniserzählung Jesu Luk. 15,11-32, Arbeitsgemeinschaft f ü r Forschung de3 Landes Nordrhein-Westfalen, Geisteswissenschaften Heft 137, Köln/Opladen 1967, bes. S. 62ff. 2 So vor allem Bultmann, Syn. Trad. 3 S. 31; Klostermann, Lk. 2 S. 61 ff.; H . Flender, Heil u. Geschichte in der Theologie des Lukas, B e v i l i 41, München 1965, S. 132f. u. M. Dibelius, Formgeschichte 3 , S. 107f. 3 H. Conzelmann, Die Mitte d. Zeit, BhTh 17, Tübingen 3 1960, S. 25ff. bes. 29 Anm. 2. 4 So Grundmann z. St. ; F. Hahn, Hoheitstitel, S. 394ff. ; K. L. Schmidt, Rahmen der Geschichte Jesu, S. 38ff. ; Br. Violet, Zum rechten Verständnis der Nazareth-Perikope Lc. 4,16-30, ZNW 37, 1938, S. 251-271 und J . Jeremias, Jesu Verheißung f. d. Völker 2 , S. 37ff. 6 Vgl. W. Grundmann z. St. : „Die drei Worte, die nebeneinandergestellt einander interpretieren (V. 23. 24. 25-27), sind möglicherweise erst von Lukas so zusammengefügt worden." — A. Strobel, Kerygma und Apokalyptik, Göttingen 1967, S. lOöff. (vgl. auch Ströbele Aufsatz über „Das apokalyptische Terminproblem in der sog. Antrittspredigt Jesu (Lk. 4,16-30)", ThLZ 92, 1967, Sp. 251-254) denkt an einen von Lukas aus dem Markusstoff übernommenen Rahmen ( = Lk. 4,16 ab; 4,22b. 24), der von Lukas mit vorlukanischem Überlieferungsgut ausgefüllt worden ist ( = 4,16c-22. 23 [von Lukas leicht bearbeitet]. 25-30). Die lukanische Sondertradition soll an die Erfüllung des

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V. 22 ff. um bereits von Lukas übernommene Zusammenhänge handelt1. Nun kann nicht gut bestritten werden, daß V. 23f. und Y. 25ff. relativ selbständige Einheiten darstellen. Für eine Vorform von V. 23f. zeigt dies POxy I 6,9-14 und die Parallelüberlieferung im 31. Logion des Thomasevangeliums2. Für V. 25ff. erhellt es selbst, während V. 28-30 schon ursprünglich zur Geschichte von der Predigt Jesu gehört haben und ihren Abschluß darstellen. Die Frage ist nur, wann diese verschiedenen Einheiten zu einer großen Szene zusammengewachsen sind. Da, wie gleich anzudeuten sein wird, u. U. die Möglichkeit besteht, V. 16-30 einheitlich zu verstehen, rechne ich mit bereits vorlukanischer Zusammenfassung und versuche deshalb, mit der Unterscheidung vorlukanischer Tradition und lukanischem Verständnis derselben auszukommen. Die vorlukanische Erzählung berichtet, wie Jesus in Nazareth die Würde des eschatologischen Propheten bewußt übernommen hat, als Prophet verworfen wurde, den Nachstellungen jedoch wunderbar entging. Lukas, für den unsere Perikope thematische Bedeutimg besitzt3, versteht die Szene unter einem doppelten Aspekt : Einmal im Rahmen der Komposition seines Evangeliums, nach welcher sich Jesus nach seiner Verwerfung in Nazareth nunmehr nach Kapernaum wendet4; messianischen Jobeljahres (vgl. Lev. 25,10) denken und eventuell authentische Züge erhalten haben. Bs ist hier nicht der Ort, diese These ausführlich zu diskutieren. Ihre Schwierigkeit liegt u. a. darin, daß Jes. 61, I f . wohl in 11 Q Melch mit der eschatologischen Jobeljahrthematik verbunden ist, aber nach dem Targum z. St. nicht damit verbunden sein muß ; daß unser Text auf Lev. 25,10 nicht ausdrücklich Bezug nimmt, ja sogar in V. 18 gegen den masoretischen Text und das Targum mit der Septuaginta von Blindenheilungen spricht, und daß erst der nach Ströbele Analyse von Markus übernommene Rahmen die Möglichkeit bietet, Jesus nach dem Gebot des Gesetzes zu Beginn des Jobeljahres in seine Heimat zurückkehren zu lassen. 1 Hahn, a.a.O. S. 394f. denkt an folgende Einheiten: V. 16a-22; 22b-24; 25-27 und den wunderhaften Schluß V. 28-30. 2 In E. Haenchens Studie über „Die Botschaft des Thomas-Evangeliums, Theol. Bibliothek Töpelmann 6, Berlin 1961, S. 21: „Jesus sprach: Nicht ist ein Prophet genehm in seinem Dorfe. Nicht heilt ein Arzt die, welche ihn kennen." Vgl. zum Logion und seiner Traditionsgeschichte W. Schräge, Das Verhältnis des Thomas-Evangeliums zur synoptischen Tradition und zu den koptischen Evangelienübersetzungen, BZNW 29, Berlin 1964, S. 75-77. 3 Das hat vor allem Conzelmann, Mitte d. Zeit 3 , S. 25ff. u. passim herausgearbeitet ; vor Conzelmann vgl. bereits ähnlich H. v. Baer, Der hl. Geist in den Lukasschriften, Stuttgart 1926, S. 66. 132. 181. Vgl. auch S. 233 Anm. 1. 4 Vgl. Conzelmann, a.a.O. S. 28; ich muß gestehen, daß ich ein sicheres Verständnis von V. 23 nicht gewinne. Conzelmanns Verständnis als Prophetie, das Grundmann übernommen hat, deckt den heutigen Sinn des Verses im Rahmen der Lukaskomposition. Mir ist jedoch nicht sicher, ob das futurische Verständnis von έρεΐτε auch traditionsgeschichtlich das ursprüngliche ist. Immerhin hat Marcion auf Grund eben unseres Verses die Gesamtperikope umgestellt: vgl. K . L . S c h m i d t , a.a.O. S. 41. Es ist also sehr wohl möglich, daß die Perikope einem anderen geschichtlichen Zusammenhang (Bericht?) entstammt und daß Lukas den Vers 23 nur stehen ließ, weil er auch in dem

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zum anderen als typische, christologische Vorausdarstellung des Faktums, daß sich das von den Juden zurückgewiesene Evangelium den Heiden zuwendet (vgl. Apg. 13,46). Der ursprüngliche, vorlukanische Text läßt scharf nur die zweite Pointe erkennen: Jesus ist in seiner bewußt übernommenen Würde des endzeitlichen Propheten in Nazareth verworfen worden. Man könnte vermuten, daß die alte Aussagerichtimg etwa folgende war : In Nazareth wurde Jesus als Prophet verworfen, bei uns (sc. der Gemeinde) wird er als solcher jedoch anerkannt; aber dies bleibt Vermutung. Wichtig scheint mir nur zu sein, daß, wenn man unseren Text als vorlukanische Einheit versteht, sich viele Schwierigkeiten lösen: V. 23f. und 25-27 werden nun als stil- und sachgerechte Kommentare der Prophetengeschichte verstehbar. Deutbar wären diese „Kommentare" im Sinne einer Erwählungslehre, welche die christliche Gemeinde als erwählt, die für Jesus verschlossenen Juden jedoch nunmehr mit Recht als verworfen ansieht (vgl. l.Thess. l,15f.). Zwischen V. 22a und 22b braucht man bei unserem Verständnis nicht mehr zu trennen. Schließlich wird eine klare überlieferungsgeschichtliche Linie erkennbar, die unseren lukanischen Text mit der Q-Tradition von Mt. 11,2-6 verbindet: Aus der alten, prophetisch-polemischen Tradition ist eine novellistisch erweiterte, ideale Szene geworden, welche der missionierenden, judenchristlich-hellenistischen Gemeinde zur Begründung ihres Sendungsauftrages gedient haben könnte. Daß unser Text gegenüber Mt. 11,2-6 novellistisch weiterentwickelt ist, bedarf im Grunde keines weiteren Beweises: Der urchristliche Prophetenspruch ist Lk. 4 in eine historische Szene umgewandelt worden; der in der Q-Tradition bewußt nur verhüllt erhobene Anspruch, Jesus die Würde des eschatologischen Propheten zuzuerkennen, wird jetzt thematisch (und für heidnische Hörer verständlich) erläutert: V. 18f. zitieren neuen lukanischen Aufbau sinnvoll erschien, vgl. Hahn, a.a.O. S. 394, Klostermann und Wellhausen z. St. — Das Problem von Tradition und lukanischer Interpretation taucht ähnlich bei V. 22 auf. Jeremias (Jesu Verheißung f. d. Völker2, S. 38) schlägt vor, έμαρτύρουν αύτω im Sinne eines Dat. incommodi zu verstehen ( = semitisierendes Griechisch für aramäisches Vi? *ΤΠΟΝ), so daß man mit Grundmann im Sinne von Jeremias übersetzen muß: „Und alle zeugten gegen ihn und verwunderten sich über die Worte der Gnadenkraft, die aus seinem Munde kamen und sprachen: Ist dieser nicht der Sohn des Joseph?" So wird das Verständnis des Zusammenhangs als Verwerfungszene gewahrt. Es ist aber nicht sicher, daß Lukas selbst μαρτυρέω τινί in solch negativem Sinne verstanden wissen wollte: Apg. 10,43; 15,8 u. ö. meint μαρτυρέω mit Dat. eine positive Bestätigung (vgl. Strathmann, Artikel: μάρτυς, μαρτυρέω ThWb IV S. 501,20ff.). Man muß sich also fragen, ob in unserem Vers für Lukas nicht zugleich der Sinn der Verwerfung und die Tatsache mitschwingt, daß die Nazarener Zeugen des von Jesus übernommenen prophetischen Christusamtes sind, auf welche man verweisen kann (so Asting, Verkündigung d. Wortes, S. 595f.). Aber wie dem auch sei, die Doppelschichtigkeit unseres Textes verdient hier und überhaupt Beachtung.

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(nach der Septuaginta!) Jes. 61, If·, ergänzt durch Jes. 58,61. Der damit gesetzte prophetische Anspruch wird von Jesus in V. 21 förmlich bestätigt und übernommen. Entstand der Anstoß in Mt. 11,2 ff. nach der ursprünglichen Tradition an der Verachtung der Jesus legitimierenden Zeichen, so entsteht der Anstoß in unserer Geschichte nunmehr an der Differenz zwischen irdischer Herkunft und prophetischem Anspruch Jesu, und die einst auf Jesu Werk zurückschauende Tatenreihe wird zum prophetischen Ausblick vergeistigt und verallgemeinert. Trotz einer recht genauen Kenntnis der Vorgänge im Formular des jüdischen Synagogengottesdienstes, die unseren Text prägt2, ist somit deutlich eine idealtypische Szene entstanden, die durch prophetisches Spruchgut noch inhaltlich vertieft und zum Schluß wunderhaft abgerundet wird. Wir betrachten Lk. 4,16-30 also als novellistische Fortentwicklung der alten Q-Tradition von Mt. 11,2-6 und denken als Heimat solcher Fortentwicklung an die hellenistisch-judenchristliche Missionsgemeinde. Die Pointe des Berichtes könnte in l.Thess. l,15f. mit angedeutet sein, wobei die Tradition von l.Thess. l,15f. in dasselbe Milieu zurückverweist, in dem wir unsere Nazarethperikope entstanden denken. Aber wie dem auch sei : Selbst wenn der literarische Weg der Tradition ganz anders beurteilt werden müßte, es läßt sich kaum bestreiten, daß Lk. 4,16-30 gegenüber Mt. 11,2-6 (par. Lk. 7, 1 Auch Jes. 58,6 wird in der jüdischen Überlieferung nur allgemein auf den Propheten und sein Amt bezogen (vgl. das Targum z. St.), so daß auch unsere Perikope nicht direkt von Jesus ate neuem Mose zu sprechen scheint (vgl. S. 219 Anm. 2 und M. de Jonge-A. S. van der Woude, NTSt 12 [Í966] S. 309-312). 2 Vgl. zum Ablauf des Synagogengottesdienstes jetzt den postum herausgegebenen Aufsatz von P. Billerbeck: Ein Synagogengottesdienst in Jesu Tagen, ZNW 55, 1964, S. 143-161. Gierade angesichts solchen historischen Details bleibt jedoch Conzelmanns Kautele zu beachten, nach welcher man keineswegs „aus der Genauigkeit, mit welcher Sitten und Zustände geschildert werden, auf die Geschichtlichkeit von Ereignissen schließen könne . . . Methodisch ist zunächst geboten, aus solcher Genauigkeit der Schilderung auf Bearbeitung durch einen Kenner (der Zustände !) zu schließen" (Mitte d. Zeit 3 , S. 29 Anm. 2). Dementsprechend hat es wenig Sinn, mit A. Finkel, Jesus' Sermon at Nazareth, in: Abraham unser Vater (Festschrift f ü r O. Michel zum 60. Geburtstag), AGSU5, Leiden/Köln 1963, S. 106-115, Lk. 4,16ff. aus den Seligpreisungen heraus zu einer vollständigen Predigt zu ergänzen. Auch gibt unser Text keinen eigentlichen Anhalt dafür, historisierend anzunehmen, der Tumult sei in Nazareth entstanden, weil Jesus bei seiner Predigt nicht vom Rachetag des Herrn (nach Jes. 61,2) gepredigt, vielmehr mitten im Satz abgebrochen habe (Jeremias, Jesu Verheißung 2 , S. 38 und Strobel, Kerygma undApokalyptik, S. 111). — Auch wenn es sich also um eine idealtypische Szene handeln dürfte, bleibt auffällig, wie nahe sich in dem Lukas vorgegebenen traditionellen Material Christentum und Judentum kommen. Auch die Qumransekte scheint ja in ihrem Lehrer der Gerechtigkeit den oder einen endzeitlichen Propheten gesehen haben (vgl. 1 QH 18,14 und oben S. 142ff.). Freilich hat sie es nicht gewagt, mit derselben Eindeutigkeit vom „Heute" der Schrifterfüllung durch und in ihrem Lehrer zu sprechen, wie das Lk. 4,21 im Blick auf Jesus tut (vgl. G. Jeremias, Lehrer der Gerechtigkeit, S. 338).

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18-23) sekundär, d. h. traditionsgeschichtlich jünger ist als jener alte Prophetenspruch. Das aber bedeutet für unsere Begriffsgeschichte, daß uns Lk. 4 , 1 6 - 3 0 keine eigentliche Erweiterung des alten Belegmaterials erlaubt, sondern nur zeigt, wie die gelegentliche Verwendung von εύαγγελίζεσθαι von Q an die hellenistisch-judenchristliche Missionsgemeinde weitergereicht wurde, εύαγγελίζεσθ-αι wird in unserem LukasText deutlich unterminologisch verstanden1, meint also die verheißungsvolle, heilsame Botschaft von Gottes helfender Nähe und der Ankunft seiner βασιλεία. Mehr als einen traditionsgeschichtlichen Reflex der alten judenchristlichen Ausdrucksweise finden wir also auch in Lk. 4,16 ff. nicht. Nicht mehr als solche Reflexe bieten auch die anderen Belegstellen für unseren Stamm aus dem Lukasevangelium, die es auf der Suche nach dem traditionsgeschichtlich frühesten urchristlichen Sprachgebrauch noch zu prüfen gilt. Wir hatten uns schon verdeutlicht, daß Lk. 1,19 in Täuferkreisen formuliert und erst anschließend von Lukas in die christliche Überlieferung aufgenommen worden ist 2 . Lk. 2, lOwar der hellenistisch-judenchristlichen Gemeinde zuzuweisen3, und Lk. 3,18, wo εύαγγελίζεσθαι noch ebenso unterminologisch im Sinne von „botschaften" gebraucht wird wie Lk. 2,10 und 1,19 auch, ist lukanische Formulierung und beweist nur, daß eine sich an den jüdischen Sprachgebrauch von Ί&3 anlehnende, terminologisch nicht festgelegte Verwendung von εύαγγελίζεσθαι bis in die Zeit des Lukas hinein möglich war 4 . Lk. 4,43 ist das auf den ersten Blick altertümlich erscheinende εύαγγελίζεσθ-αι την βασιλείαν του θ-εοϋ wiederum sogar höchst reflektierte lukanische Formulierung5. Nicht anders 1 Vgl. z.B. Gr. Gillet, Evangelium, S. 130; Harnack, Kirchenverfassung, S. 201 usw. 2 Vgl. oben S. 212 und Klostermann, Lk. s S. 5; Dibelius, Jungfrauensohn u. Krippenkind, S. 3 ; Grundmann z. St. 3 Vgl. oben S. 213. 4 Zu Lk. 3,18 vgl. Dibelius, Urchristl. Überlieferung von Joh. d. Täufer, S. 53, der das Verbum εύαγγελίζεσθαι in V. 18 als widerspruchsvoll empfindet, weil 3,16f. „wahrlich keine 'Heilsbotschaft* (enthalten)". Von unserer Traditionsgeschichte her wird dieser Widerspruch lösbar, eine Lösimg, die Dibelius selbst nicht naheliegen konnte, weil er am hellenistischen Ursprung des Verbums festhielt (vgl. a.a.O. S. 47 Anm. 2). Conzelmann, Mitte d. Zeit 3 , S. 17 Anm. 1; Bultmann, Theol. d. NT 3 , S. 89; E. Lohse, Lukas als Theologe der Heilsgeschichte, EvTh 54, 1954, (S. 256-275) S. 265 Anm. 35 betonen, daß man εύαγγελίζεσθαι an unserer (und anderen) Stelle(n) nur mit „predigen" wiedergeben dürfe. Bultmann weist überdies auf jüdische Ursprünge dieses Sprachgebrauches hin. Über die Frage, ob man aus dem Gebrauch des Verbums an unserer Stelle auf die theologische Stellung des Täufers zum Evangelium Rückschlüsse ziehen darf oder nicht, s. u. S. 234 Anm. 2. 6 Vor allem Conzelmann (a.a.O. S. 33; 105 Anm. 3; 207 usw.) hat herausgearbeitet, daß Lukas, wenn er von der Verkündigung der Gottesherrschaft spricht, nicht mehr deren unmittelbar bevorstehende Nähe betont, vielmehr die Rede von der Nähe der Basileia vermeidet und an ihre Stelle Aussagen

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steht es Lk. 8, l 1 ; 9,6 2 ; 16,16 und 20, l 3 . An all diesen Stellen kommt man mit der Bedeutung εύαγγελίζεσθαι = predigen, botschaften, verkündigen aus, so daß sich unser Eindruck eines auch noch in lukanischer Zeit möglichen unterminologischen Gebrauches von εύαγγελίζεσθαι zur Gewißheit verdichtet. Es wird ferner noch einmal deutlich, in wie breitem Rahmen die neutrale Verwendung des Verbums l.Thess. 3,6 bei Paulus zu sehen ist 4 . Mag dieser Befund in unserem Zusammenhang enttäuschen, so haben wir doch ein Dreifaches gewonnen: wir sind zum ersten Male eines traditionsgeschichtlichen Kontinuums ansichtig geworden, welches uns über die Logienquelle und ihre Gemeinde (n) hinausführt in die Zeit und Sprechweise des hellenistischen Christentums, dem Lukas mit Sicherheit zugehört. Wir haben zweitens in der Lk. 8,1 und 20,1 ganz selbstverständlichen Doppelung von εύαγγελίζεσθ-αι und κηρύσσειν bzw. εύαγγελίζεσθαι und διδάσκειν eine f ü r eben' jenes Missionschristentum charakteristische Redeweise kennengelernt 5 . über Wesen und Charakter der Gottesherrschaft treten läßt. Ebenso wie Conzelm a n n z.B. E . Grässer, Das Problem der Parusieverzögerung in den synoptischen Evangelien und in der Apostelgeschichte, B Z N W 22, Berlin 2 1960, S. 213. 1 "Vgl. Klostermann, Lk. 2 z. St. ; Grundmann z. St. ; Conzelmann, Mitte d . Zeit 3 , S. 207 und Grässer, Parusieverzögerung 2 , S. 213. 2 Vgl. Klostermann, Lk. 2 und Grundmann z. St., auch Grässer, a . a . O . S. 140. 3 Vgl. Klostermann, Lk. 2 und Grundmann z. St. 4 Es ist freilich zu beachten, daß diese Ursprünge, je weiter sich das hellenistische Christentum in sich selbst fortentwickelt, desto unbewußter geworden sind. Auch im Hellenismus war ja εύαγγελίζεσ&αι öfters nur noch bloßes Äquivalent f ü r άγγέλλειν usw., so daß die griechische Sprachgewohnheit den traditionsgeschichtlichen Ursprüngen entgegenkam. 5 a) Die Doppelung von κηρύσσειν und εύαγγελίζεσθαι entspricht jüdischem und hellenistisch-jüdischem Sprachgebrauch. F ü r das aramäisch-sprechende J u d e n t u m zeigt dies der Vergleich zwischen dem von Friedrich, Artikel: κήρυξ, T h W b I I I , S. 700f. aufgeführten rabbinischen Material mit den von uns oben genannten Belegen f ü r das Verbum ")t?3 ; es ergibt sich ferner aus der von Friedrich, T h W b I I , S. 713 Anm. 90 zitierten Stelle Midr. H L 2,12, die freilich jüngeren Datums sein dürfte und mit den mir in Tübingen zur Verfügung stehenden Ausgaben des Midrasch R a b b a nicht verifizierbar ist ; es ergibt, sich schließlich aus Ps. Sal. 11,Iff. Zu beachten ist auch der von Bowman, The Term Gospel, S. 63ff. hervorgehobene Tatbestand, daß sich in der christlichen, palästinisch-syrischen Übersetzungstradition der aramäische Gebrauch von T*D durchgehalten hat. — Das hellenistische J u d e n t u m schließt sich, wie Jes. 61, Iff. (und Ps. Sal. 11, Iff.) exemplarisch zeigen, jener Synonymik an. E s unterscheidet sich mit diesem Wortgebrauch aber wiederum nicht vom zeitgenössischen Hellenismus, der Bildungen der Stämme κηρυκ- und εύαγγελöfters nebeneinanderstellt (vgl. nur die von Friedrich T h W b I I I , S. 711,16ff. aufgeführten griechischen Belege und IG, E d . min. I I / I I I Nr. 1077 Z. 6 und 22). — Wenn im Neuen Testament κηρύσσειν und εΰαγγελίζεσ&αι parallel gebraucht werden, ist dies ein sprachgeschichtlich also keineswegs auffälliger Sachverhalt. Zu traditionsgeschichtlichen Rückschlüssen bleibt infolgedessen wenig Raum. Es muß darum offenbleiben, ob der in den Zeugnissen des hellenistischen und hellenistisch-jüdischen Christentums häufiger auftauchende, synonyme Gebrauch der beiden Verben auf aramäische Ursprünge zurückgeht oder nicht (vgl. neben Lk. 8,1 die von Friedrich, T h W b I I S. 713 Anm. 90 aufgeführten Stellen). — Die wenigen Belege f ü r τό κήρυγμα im Neuen Testament ( = Mt. 12,41; Lk. 11,32; l . K o r . 1,21; 2,4; 15,14; Rom. 16,25; 2.Tim. 4,17 und Tit. 1,3) lassen sich durch Mt. 12,41 (par. Lk. 11,32) scheinbar bis

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Wir sind aber vor allem — drittens — auf ein bis heute noch nicht vollständig gelöstes Problem speziell der lukanischen Schriften gestoßen: Lukas meidet auf Q zurückverfolgen. Doch ist folgendes zu beachten: Offensichtlich steht hinter Mt. 12,41 Jona 3,2-5. Für das H t f l p des masoretischen Textes setzt das Targum z. St. ΠΝΊ32 ein, die Septuaginta dagegen übersetzt mit τό κήρυγμα. Also ist auch hier ein Rückschritt ins aramäisch-sprachige Christentum und Judentum nicht mehr möglich. Es ist darum wahrscheinlich, daß τό κήρυγμα = Predigt ein Begriff der hellenistisch-jüdischen Gemeinde gewesen ist. Dafür sprechen neben Paralipomena Jeremiae 7,15 (vgl. oben S. 177 Anm. 2) vor allem die zahlreichen Belege, die Philo bietet (vgl. Friedrich, ThWb III, S. 715, Iff.). Den terminologischen Sinn τό κήρυγμα = Christuspredigt finden wir erstmalig in den paulinischen Belegen ; man könnte darum daran denken, daß, weil die fraglichen Stellen (l.Kor. 1,21; 2,4; 15,14) nicht als Tradition ausweisbar sind, erst Paulus diese terminologische Bedeutung in den urchristlichen Begriffs schätz eingebracht hat (vgl. meinen Aufsatz: Glauben und Verstehen bei Paulus, EvTh 26, 1966, S. 344 Anm. 30). b) Fundamentale Probleme wirft die Doppelung von διδάσκειν und εύαγγελίζεσθαι auf. Die Probleme sind hier nicht entfernt ausdiskutierbar, es ist jedoch erforderlich, daß wir ihrer so früh wie möglich ansichtig werden. Belege f ü r den Doppelgebrauch beider Verben sind: Lk. 20,1; Apg. 5,42; 15,35 (17, 18f.; 20,20. 24; Mt. 4,23; 9,35). So altertümlich diese Parallelität wirkt und so sehr anzunehmen ist, daß die von B. Gerhardsson, Memory and Manuscript, S. 24-189 lehrreich dargestellte jüdische Traditions- und Lehrvermittlung hier Einfluß geübt hat, so sehr ferner die Verwendimg von "W3 f ü r Gesetzesproklamation (vgl. oben S. 138 f.) sowie die Parallelität von εύαγγελίζεσθαι und κατηχεϊν in Paralipomena Jeremiae 5,21 (vgl. oben S. 177 Anm. 2) dazu aufruft, das didaktische Element im neutestamentlichen Evangelium nicht zu unterschätzen, so auffällig bleibt es nun doch, daß sich keine der angeführten Stellen traditionsgeschichtlich weiter als bis in die (vorpaulinische) hellenistischjüdische Gemeinde zurückverfolgen läßt. Es ist also größte Zurückhaltung gegenüber den Thesen Gerhardssons über „The Origins and Transmission of the Gospel Tradition" (a.a.O. S. 324ff.) geboten, welcher den Ursprung der Evangelientradition in Jesu (schulhafter) Lehrmitteilung sehen möchte (ähnlich: H. Riesenfeld, The Gospel Tradition and its Beginnings, London 1957; ders., The Gospel Tradition and its Beginnings, in: Studia Evangelica = TU 73, Berlin 1959, S. 43-65; H . G . W o o d , Didache, Kerygma and Euangelion, in: New Testament Essays. Studies in memory of Th. W. Manson, Manchester 1959, S. 306-314). — Für die hellenistisch-judenchristliche Gemeinde und ihr lehrhaftes Verständnis von Evangelium ergibt sich folgendes, ganz rohes Schema: 1. Markus scheint die Identität von Evangeliumsverkündigung und Lehre anscheinend bereits ganz selbstverständlich vorauszusetzen : Vgl. l,14f. mit 1,21 f. 27; 2,13; 4,1; 6,2. 6 (vgl. G. Bornkamm, Enderwartung und Kirche im Matthäusevangelium, in: Überlieferung u. Auslegung im Matthäusevangelium, WMANT 1, Neukirchen 41965, [S. 13-47] S. 35 Anm. 1; John J . Vincent, Didactic Kerygma in the Synoptic Gospels, SJTh 10, 1957, [S. 262-273] S. 270ff. E. Schweitzer, Die theologische Leistung des Markus, EvTh 24, 1964, [S. 337355] S. 340 und ders., Das Evangelium nach Markus, NTD 1, Göttingen 1967, S. 27 u. ö. nimmt bewußten markinischen Sprachgebrauch an, was E. Haenchen, Der Weg Jesu, Sammlung Töpelmann I I 6, Berlin 1966, S. 106 Anm. 1 bezweifelt). — 2. Matthäus fußt auf der Identifikation von lehren und verkündigen, beginnt aber zwischen einem proklamatorischen κηρύσσειν und einem halachischen διδάσκειν bewußt zu differenzieren (vgl. Bornkamm, a.a.O. S. 35 Anm. 1; O. Michel, Artikel: Evangelium, Sp. 1114; G. Strecker, Der Weg der Gerechtigkeit, FRLANT 82, Göttingen 21966, S. 126ff.; R. Hummel, Die Auseinandersetzung zwischen Kirche und Judentum im Matthäusevangelium, BevTh 33, München 21966, S. 56ff.). 3. Paulus setzt für sich selbst und seine Gemeinden nach Gal. 1,9. 12; l.Kor. 15,Iff. unzweifelhaft eine didaktisch-

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(trotz der Markusvorlage in Mk. 1,1; 1,14f. ; 8,35; 10,29; 13,10 und 14,9!) in seinem Evangelium einen Gebrauch des Substantives εύαγγέλιον vollkommen und gebraucht es in der Apostelgeschichte nur zweimal zur Bezeichnung der apostolischen Christuspredigt (Apg. 15,7; 20,24). S t a t t dessen zeigt er in Evangelium und Apostelgeschichte eine auffällige Vorliebe f ü r das Verbum. Die Gründe f ü r diesen auffälligen Sachverhalt können jetzt noch nicht endgültig erörtert werden 1 . Beim derzeitigen Stand unserer Untersuchung katechetische Vermittlung des Evangeliums voraus, ü b t solche selbst und dürfte sich sogar als Begründer neuer Tradition verstehen. 4. F ü r die Paulusschule ist das beim Apostel gegebene Lehramt bereits ebenso eingebürgert wie die I d e n t i t ä t des Evangeliums mit der Lehrtradition (vgl. Rom. 2,16; 16,25; E p h . 4,11; 2.Tim. 1,lOf.; 2,8. Vgl. M. Dibelius, Die Pastoralbriefe, H N T 13, Tübingen 4 1966 ed. H . Conzelmann, S. 20f. und den auch in diesem Zusammenhang wichtigen Aufsatz von Conzelmann, Paulus und die Weisheit, bes. S. 233f.). — Zwischen dem Denken der Paulusschule u n d dem Sprachgebrauch, welcher bei Markus zutage tritt, besteht also eine höchst interessante Parallelität, doch haben wir darauf jetzt nicht mehr einzugehen. 1 Harnack konnte sich diesen Tatbestand theologisch noch mit der Sorgsamkeit und Geschichtstreue des Lukas erklären (Kirchenverfassung S 210f. 200. 208ff.). Dies wird heute trotz der unbestreitbar „historisch" interessierten Evangelienschreibung des Lukas nicht mehr allein angehen. Wir werden alsbald sehen, daß Lukas sich bemüht, das ihm teilweise vorgegebene Verbum εύαγγελίζεσθ-αι seiner heilegeschichtlichen Gesamtschau zuzuordnen. Aber das erklärt noch nicht das Fehlen des Lukas im MarkusstofF vorgegebenen εύαγγέλιον ! Folgendes sei dazu angemerkt : Es ist nicht Lukas allein, der in seinem Evangelium die absolute Redeweise von τό εύαγγέλιον meidet. Matthäus f ü h l t ähnlich wie Lukas die Nötigung, den markinischen Sprachgebrauch zu korrigieren, und Johannes meidet den Stamm εύαγγελ- sogar vollkommen. Das besagt, daß in allen drei nachmarkinischen Evangelien das Phänomen einer Korrektur des von Markus thematisch eingeführten Substantives greifbar wird. Bei Johannes dürfte dies an seiner distanzierten Haltung gegenüber der Großkirche liegen (vgl. dazu E . Käsemann, Jesu letzter Wille nach Joh. 17, Tübingen 1966; K . G . K u h n , Das Problem der Mission in d. Urchristenheit, S. 167f.; G. Friedrich, T h W b I I , S. 714,25ff.); über Matthäus werden wir alsbald zu sprechen haben, bleibt im Moment also noch Lukas. Harnack (a.a.O. S. 211 Anm. 1) und Conzelmann (Mitte d. Zeit 3 S. 206f.) denken mit Recht a n theologische Absicht. E . Lohse versucht, solcher Absicht K o n t u r zu geben (Lukas als Theologe der Heilegeschichte, S. 265f.): Während sich das paulinische Evangelium auf Christologie und die Wende der Zeiten konzentriert, muß Lukas, genötigt von der fortdauernden Geschichte, jenes Bild erweitern: Das paulinische „Geschichtsverständnis, das das Maß der Zeit in Christus erfüllt sieht, ist von Lukas in eine heilsgeschichtliche Schau aufgelöst worden" a.a.O.). W. Marxsen, Der Evangelist Markus 2 , S. 95f. und U. Becker, Artikel: Evangelium, S. 299f. meinen ähnlich, Lukas habe den Begriff εύαγγέλιον = Christuspredigt u m seiner heilsgeschichtlichen Gesamtkonzeption in die Acta verweisen müssen, weil f ü r ihn die Jesusbotschaft von der Christuspredigt abzuheben war. Das ganze Problem ist hier, wie gesagt, noch nicht ausdiskutierbar, doch wird man die genannten Erklärungsversuche nur abrunden können, wenn man beachtet, wie Lukas das sich in l . K o r . 15,3ff. erstmalig abzeichnende, kerygmatisch-chronologische Darbietungsschema des „Evangeliums" (Alttestamentliche Verheißung — Christuswerk — Apostelpredigt), ein Schema, das in Ape. 10,34ff.; 13,16ff.; Lk. 24,24ff., aber auch Rom. 1,Iff. wiederkehrt, nicht mehr als kerygmatisches Schema behandelt. E r legt es vielmehr seinem Geschichtswerk im ganzen zugrunde und kommt deshalb zu dem bekannten Aufriß: Vorgeschichten, Christuszeit, Aposteltaten. Ist dies richtig gesehen, dann wäre das lukanische heilsgeschichtliche Darstellungsschema die historisierende Umkehrung der alten Evangeliumskonzeption. Es scheint mir darum

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können wir nur erst folgendes sagen: Da Lk. 4,16ff. für die Anlage des lukanischen Geschichtswerkes eine beherrschende Rolle spielt, in eben diesem Text aber das Yerbum εύαγγελίζεσ&αι (in einem nach lukanischer Vorstellung von Jesus selbst gebrauchten und seine prophetisch-christologische Vollmacht bestätigenden Schriftwort: Jes. 61, If.) beherrschend hervortritt 1 , ist zu erwägen, ob der Gebrauch desselben Verbums durch Jesus in 4,43; 8,1 ; 16,16; 20,1 nicht gerade darauf verweisen will, daß Jesus in seiner Verkündigung das ihm von Gott zugewiesene inspirierte, prophetische Christus-Amt wahrnimmt. In der Predigt der Boten und Apostel Jesu würde sich dieses Amt dann fortsetzen und vervielfachen (Lk. 9,6; Apg. 5,42; 8,4. 12. 25. 35. 40; 11,20; 13,32; 14,7. 15.21; 15,(7). 35; 16,10; 17,18; (20,24); 21,8). Es wäre dies alles nur der lukanischen Formulierung des Stürmerspruches (Lk. 16,16) gemäß: Ό νόμος καΐ οί προφήται μέχρι 'Ιωάννου· άπό τότε ή β α σ ι λ ε ί α του θεοϋ ε υ α γ γ ε λ ί ζ ε τ α ι καΐ πας είς αύτήν βιάζεται2. Sehen wir richtig, so erweist sich damit das Verbum εύαγγελίζεσθαι als ein von Lukas durchaus reflektiert übernommener Begriff: Er verhilft dem Evangelisten (zusammen mit anderen Begriffen) dazu, seine heilsgeschichtliche Systematik zum Ausdruck zu bringen 3 , und ist damit in seinem des Nachdenkens wert, ob Lukas nicht vor allem um dieser Umkehrung willen den term, techn. εύαγγέλιον aus seinem Evangelium ganz herausließ und in der Apostelgeschichte nur beiläufig behandelt hat. 1 Es ist wahrscheinlich, daß Lukas selbst die Szene von 4,16 ff. als Einsetzung Jesu in die Christus-Würde betrachtet hat : Vgl. W. C. van Unnik, Jesus the Christ, NTSt 8, 1962, S. 101-116; Hahn, Hoheitstitel S. 394ff. Ähnlich hat Matthäus die prophetische Tradition von Mt. ll,2ff. seiner Christos-Christologie unter- und einordnen können: Hahn, a.a.O. S. 220. 2 Es ist längst erkannt, das die lukanische Fassung des Stürmerspruches von Lukas selbst programmatisch gegenüber der alten Matthäus-Fassung (Mt. ll,12f,) abgeändert wurde, daß also das εύαγγελίζεσθαι lukanischer Terminus ist: Vgl. Gr. Gillet, Evangelium, S. 134; Klostermann 2 und Grundmann z. St.; Conzelmann, Mitte d. Zeit 3 , S. 33. 103 Anm. 2 und passim; E. Grässer, Parusieverzögerung 2 S. 213. Setzt Lukas in den f ü r ihn heilsgeschichtlich entscheidenden Spruch selbst das Verbum ein, dann ist dies ein Fingerzeig dafür, daß jenes Verbum der lukanischen Systematik (weitgehend) integriert werden darf. Vgl. zur Sache auch W. Marxsen, Evg. Markus 2 S. 96. 8 Die Korrespondenz von Botschaft Jesu und dessen Sendboten war Lukas durch Q vorgegeben: Vgl. die Q-Fassung der synoptischen Aussendungsrede Lk. 10,9f. mit Mk. l,14f.; Mt. 4,17; ll,2£f. par. Lk. 7,18ff. Matthäus hat diese Korrespondenz noch dadurch erweitert, daß die Jünger dieselben Taten zu tun ausgesandt werden, die Jesus selbst vollbringt: Vgl. nur Mt. 9,35; l l , 2 f f . mit 10, Iff. 7ff. ; doch geschieht dies bei ihm nicht unreflektiert. Die Korrespondenz war auch von der hellenistischen Missionsgemeinde übernommen worden (vgl. Mk. 16,17f.), wirkt noch bei Paulus nach (l.Kor. 2,4f.; 2.Kor. 12,12) und dürfte vielleicht auch hinter den Legenden der Apostelgeschichte stehen (z.B. Apg. 28,6). Johannes kann die alte Korrespondenz sogar zugunsten des Werkes der Jünger verschieben (Joh. 14,12f.). Dies zeigt klar die Gefahr, welche hier drohte. Sie bestand in einem enthusiastischen Mißverständnis der den Predigern des Evangeliums verliehenen geistlichen Vollmacht. Gegen dieses enthusiastische Fehlverständnis setzt sich Matthäus energisch zur Wehr (vgl. Mt. 7,21ff.) und hat deshalb die Befähigimg zu wunderhaften Werken in seinen Auferstehungs- und Sendungsbericht (Mt. 28,16ff.) nicht (mehr) aufgenommen. — Vgl. zur Gesamtproblematik : Η. E. Tödt, Der Menschensohn in der synoptischen Überlieferung, Gütersloh 2 1963, S. 227. 248f. ; G. Bornkamm, Art. Synopt. Evangelien, Sp. 759f.; Käsemann, Urchristl. Apokalyptik, S. 115f.; Hahn, Mission S. 34f. 105f. und seinen Aufsatz:

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Der vorpaulinisch-christliche Sprachgebrauch von Evangelium

Geschichtswerk weit mehr als eine nur ehrwürdige schriftgemäße Ausdrucksweise 1 .

Halten wir also fest: Im lukanischen Gebrauch des Ver bums haben wir einen traditionsgeschichtlichen Reflex alter, judenchristlicher Redeweise von ευαγγελίζομαι = lira = „botschaften" vor uns. Die alte Ausdrucksweise ist in Lk. 1,19 und 7,22 direkt nachzuweisen; 2,10 und 4,18 zeigen, wie sie von der vorlukanischen Missionsgemeinde aus der palästinischen Überlieferung übernommen wird; für 3,18 können wir sie vermuten2, und wo Lukas selbst formuliert (4,43 ; 8,1 ; 9,6 ; 16,16 und 20,1 sowie weithin in der Apostelgeschichte3), fußt er auf diesem alten, ihm überkommenen Sprachgebrauch. Wenn uns somit das lukanische Material nur indirekte Rückschlüsse auf den palästinischen Gebrauch von Evangelium erlaubt, ist nunmehr zu prüfen, ob uns nicht die Markus-Belege, besonders Mk. 1,14f., weiterführen. 6. Mk. 1,14f. Von den insgesamt sieben Belegstellen, welche die Markus-Tradition heute für unseren Wortstamm aufweist ( = Mk. 1,1; 1,14. 15; 8,35; 10,29; 14,9 [und 16,15 = tinechter Markusschluß]), bieten fünf Stellen einen absoluten Gebrauch von τό εύαγγέλιον, welcher an das terminologische το εύαγγέλιον in den Paulusbriefen erinnert: Mk. 1,15; 8,35; 10,29; 14,9 (und 16,15). Nur an zwei Stellen wird εύαγγέλιον Die Nachfolge Jesu in vorösterlicher Zeit, in: Die Anfänge der Kirche im Neuen Testament, E v . Forum 8, Göttingen 1967, (S. 7-36) S. 31 f.; R . Hummel, Kirche und J u d e n t u m im Matthäusevangelium 2 S. 124 usw. Wenn Lukas die Reichspredigt Jesu und seiner Sendboten parallelisiert, verwendet er also eine bereits geläufige Konzeption, die er unbeschadet seiner heilsgeschichtlich-periodischen Geschichtsschau als Element der Kontinuität übernimmt. 1 Vgl. dazu Haenchen, Apostelgeschichte 5 S. 64ff. und Conzelmann, Apostelgeschichte, S. 3 f. 8 Klostermann z. St. und Grundmann S. 52 f. 105 f. schließen auf Grund des 3,18 vom Evangelisten selbst f ü r die Täuferpredigt eingesetzten εύαγγελίζεσ•9-αι, daß f ü r Lukas auch der Täufer der von Jesus begründeten Reichspredigt zugerechnet werde. Gegen diese Schlußfolgerung h a t Conzelmann, Mitte d. Zeit 3 , S. 17 Anm. 1 mit Recht eingewandt, daß sie der lukanischen heilsgeschichtlichen Gliederung insgesamt ebenso widerspreche wie den Unterschied übersehe, den Lukas durch die dem εύαγγελίζεσ-9-αι zugeordneten Objekte markiert: Jesus und die Seinen verkündigen die βασιλεία (bzw. den Christus und die βασιλεία). Vom Täufer heißt es nur erst allgemein, daß er „gepredigt" habe. Vgl. zu 3,18 auch S. 229 Anm. 4. 3 Auch in den Acta muß man zwischen lukanischer und vorlukanischer Formulierung unterscheiden. Selbst bei einer äußerst kritischen Beurteilung der Quellenlage dürften m. E . Apg. 8,35; 10,36 und 11,20 an vorlukanisches Überlieferungsgut gebunden sein. 5,42; 8,12. 25. 40; 13,32; 14,7. 15. 21; 15,35; 16,10 und 17,18 wären dann Zeugnisse lukanischer Ausdrucks weise. — Vgl. zum Problem: Hahn, Mission, S. 50 Anm. 4 und Bornkamm, Der Auferstandene und der Irdische (Bultmann-Festschrift), S. 180, Anm. 41.

Der Gebrauch von Evangelium in der palästinischen Urgemeinde usw.

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näher bestimmt. 1,1 ist die Rede vom εύαγγέλιον Ίησοΰ Χρίστου und 1,14 vom εύαγγέλιον του θεοϋ. Belege für das Verbum εύαγγελίζεσ&αι = predigen finden sich bei Markus nicht, dafür findet sich häufig das uns schon als Äquivalent vertraute κηρύσσειν1. Das Urteil der Exegeten über den markinischen Gebrauch von εύαγγέλιον ist besonders in der Gegenwart erstaunlich einhellig: Das Substantiv geht an allen Stellen, die zum ursprünglichen Bestand des Markusevangeliums gehören2, auf den Evangelisten selbst zurück. Infolgedessen ist es möglich, die genannten markinischen Belege in bevorzugtem Maße zum Entwurf einer Theologie des Evangelisten heranzuziehen3. Dieser geschlossenen Auffassung ist kürzlich vor allem F. Hahn entgegengetreten und hat energisch dazu aufgefordert, schärfer als bisher zwischen markinischer Tradition und Sprachgebrauch des Evangelisten zu unterscheiden4. Weil Hahn dies selbst nicht ausdrücklich betont, verdient es hervorgehoben zu werden, daß damit nur an Bedenken angeknüpft wird, die sich schon seit Beginn unseres Jahrhunderts an jene einhellige Erklärung aller Markusstellen geknüpft haben. Diese Bedenken sind vor allem im Rahmen der Auslegung von Mk. 1,14f. geäußert worden5. Da, wie wir noch genauer zu entfalten 1 Daß bei der Verwendung dieses Verbums ein bewußter Sprachgebrauch des Evangelisten vorliegt und daß die Tendenz dieses Sprachgebrauches die der hellenistischen Missionsgemeinde ist, h a t E . Schweizer betont: Die theologische Leistung des Markus, S. 338. Vgl. auch oben S. 230 Anm. 5 unter a. 2 Der unechte Markusschluß, Mk. 16,9ff., bleibt meistens außer acht und gehört dem Markusevangelium auch nicht ursprünglich an. Daß er f ü r uns wertvolle Tradition birgt, ist noch zu zeigen. 8 Zu nennen sind f ü r die Gegenwart vor allem: W. Marxsen, Der Evangelist Markus 2 S. 77ff.; G. Bornkamm, Art. Synopt. Evangelien, R G G 3 I I Sp. 760; Klostermann, Markusevangelium 4 1950, S. 3f. ; V. Taylor, The Gospel according to St. Mark 2 , S. 152. 166. 382 usw.; E. Schweizer, Das Evangelium nach Markus, S. 14f. 23 usw.; W. Schneemelcher, Neutestamentliche Apokryphen I 3 , S. 42f.; E . L. Keck, The Introduction to Mark's Gospel, NTSt 12, 1965/66, S. 352-370, bes. 357ff. 365f. Aus der älteren Literatur zunächst und vor allem J . Schniewind, Das Evangelium nach Markus 1 0 , S. 44 und passim; G. Friedrich, T h W b I I S. 724,28 ff. ; A. Schlatter, Markus. Der Evangelist f ü r die Griechen, passim; J . Wellhausen, Das Evangelium Marci, Berlin 2 1909 passim und ders., Einleitung in die ersten drei Evangelien 2 , S. 98ff. 4 Mission, S. 60f. 59f. 101 f. H a h n hält 1,1 und 14,9 f ü r markinisch und all© anderen Stellen f ü r traditionell. Zu l , 1 4 f . heißt es (S. 61): „. . . bei der die Verkündigung Jesu zusammenfassenden Formulierung Mk. 1,14, wo vom εύαγγέλιον τοϋ θεού gesprochen wird, liegt . . . keine markinische Bildung vor, selbst bei der wohl nachträglichen Erweiterung καΐ πιστεύετε έν τω εύαγγελίω in Mk. 1,15 ist dies nicht sicher." Inzwischen scheint H a h n seine Sicht über Mk. 1,15 geändert zu haben: „Die Schlußwendung von Mk. 1,15: " . . . und glaubet an das Evangelium' geht in der vorliegenden F o r m mit dem absoluten Begriff 'das Evangelium' und der Forderung, an dieses Evangelium zu 'glauben', auf die Verkündigungssprache der Urgemeinde zurück" (Nachfolge Jesu, S. 22 Anm. 28). 8 Vgl. vor allem H a m a c k , Kirchenverfassung S. 201 ff. ; M. Burrows, Origin of the Term Gospel, S. 23-27; Gr. Gillet, Evangelium, S. 118ff.; Lohmeyer, Markus 1 1 , S. 29-31 usw.

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haben, sowohl die Rede vom εύαγγέλιον του Χρίστου und τό εύαγγέλιον = Christusbotschaft in die jüdisch-hellenistische Gemeinde gehören, ist über die Hauptmasse der markinischen Belege erst später zu befinden. Nur Mk. 1,14f. ist um seines altertümlichen Eindrucks •willen schon jetzt unter traditionsgeschichtlichem Aspekt näher zu bedenken. Daß wir in beiden Versen ein markinisches Summarium vor uns haben, ist seit langem erkannt 1 . Fraglich ist nur, woher Markus der Stoff für dieses Summarium zugeflossen ist. Es ist ja besonders auffällig, daß in V. 14 und 15 in unterschiedlicher Weise vom Evangelium geredet wird. Die unterschiedliche Redeweise vom εύαγγέλιον του θεοϋ einerseits und το εύαγγέλιον andererseits muß jedoch nicht von vornherein auf verschiedene Traditionsstufen deuten ! Sie war uns schon als Charakteristikum der paulinischen BegrifFssprache aufgefallen. Der Apostel gebraucht die Ausdrücke: εύαγγέλιον του θ-εου, εύαγγέλιον του Χρίστου und absolutes τό εύαγγέλιον in ein- und demselben Zusammenhang, und wenn Markus das Evangelium in Parallele zu absolut gebrauchtem ó λόγος verwendet (vgl. die genannten Belege mit 2,2; 4,33 und 8,32), so findet sich derselbe parallele Sprachgebrauch beim Apostel wieder (vgl. nur 1.These. 1,6; 2,13 usw.). Das aber bedeutet für uns folgendes : Ehe wir in Mk. 1,14f. traditionsgeschichtliche Schichtungen voneinander abzuheben versuchen, ist zu fragen, ob die Doppelung von τό εύαγγέλιον und εύαγγέλιον του θεοΰ in unserem markinischen Summarium nicht einfach auf geläufige, hellenistisch(-jüdische) christliche Missionssprache hinweist und zurückzuführen ist. Diese Missionssprache war ja keineswegs auf Paulus und seine Schüler beschränkt, so daß auch die unpaulinische Wendung πιστεύειν έν τω εύαγγελίω Mk. 1,15 nicht von solcher Annahme abzuhalten braucht 2 . Es hat also den Anschein, als gebrauche der Evangelist in seinem Summarium Kategorien der ihm geläufigen, hellenistischen Missionssprache. Diesen Kategorien sind auch die beiden Ausdrücke εύαγγέλιον του θεοϋ und το εύαγγέλιον zuzurechnen. Es ist jedoch nicht ratsam, 1 Vgl. nur Schniewind, Lohmeyer, Klostermann, Grundmann, Haenchen und E. Schweizer z. St. Ferner H. Conzelmann, Die formgeschichtliche Methode, SThU 29, 1959, (S. 54-62) S. 55ff. Die Frage nach der Zugehörigkeit von 1,14f. (zu V. 1-13) ist eben erst von Keck, The Introduction to St. Mark's Gospel, S. 352ff. energisch zur Diskussion gestellt worden. 2 Das Verdienst, die These eines Paulinismus des Markusevangeliums zugunsten einer traditionsgeschichtlich breiteren Auffassung erweitert und zugleich abgebaut zu haben, ist vor allem M. Werner (Der Einfluß paulinischer Theologie im Markusevangelium, BZNW 1, Gießen 1923) zuzuerkennen. Zum Begriff Evangelium bei Markus vgl. S. 98ff. Daß πιστεύειν ίν τινι unpaulinischer Sprachgebrauch ist, hat schon Harnack, Kirchenverfassung S. 202 Anm. 1 hervorgehoben.

Der Gebrauch von Evangelium in der palästinischen Urgemeinde usw.

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die traditionsgeschichtliche Frage mit solcher Feststellung schon abzubrechen. Wir werden alsbald näher auszuführen haben, daß in vorpaulinischer und paulinischer Zeit das Stichwort εύαγγέλιον του θεοϋ u. a. an der monotheistischen Missionspredigt gehaftet hat, und zwar der Missionspredigt, welche das junge Missionschristentum bis in die Topoi der Darbietung hinein von der hellenistischen Synagoge übernehmen konnte und übernommen hat. Es ist jedoch ganz deutlich, daß Mk. l,14f. mit solcher hellenistischen „Predigt von Gott"1 nicht zu vergleichen ist. In Mk. 1,14f. ist die Rede von der Erfüllung der Zeiten, von der nahenden Basileia, von Buße und Glaube und dies alles als Kennzeichen der Predigt Jesu. C. H. Dodd hat gemeint, in unserem Summarium werde der eschatologische Rahmen für das alte Jerusalemer Kerygma von l.Kor. 15,3ff. sichtbar2. Das ist möglich, schließt aber nicht aus, daß jene Paradosis von l.Kor. 15 auch in ganz anderem Rahmen proklamiert werden konnte, und hilft uns im Augenblick traditionsgeschichtlich nicht weiter. Für jene Divergenz der Aussagerichtung zwischen dem monotheistischen Evangelium dort und der Reichspredigt hier weiß ich nur eine Erklärung : Markus hat hellenistische Missionsausdrücke mit Aussagen verbunden, die palästinischen Ursprungs sind3. Daß er bei dieser Verschmelzung von 1

Zum Verständnis der mit εύαγγέλιον verbundenen Genitive ist folgendes zu sagen: Die (wenigen!) hebräischen (vgl. oben S. 116 Anm. 3, 125 Anm. 5) und hellenistischen (oben S. 187) Genitivbildungen sind, ob diese Genitive nun persönlicher oder sächlicher Natur sind, sämtlich Objektsgenitive. Sprachlich bedeutet dies, daß man in neutestamentlichen Genitivverbindungen mit εύαγγέλιον ebenfalls zunächst Objektsgenitive zu sehen hat. Nun hat bereits Friedrich, ThWb I I S. 728,26ff., die bisherige Diskussion zusammenfassend, gezeigt, daß mit dieser rein sprachlichen Argumentation f ü r die neutestamentlichen Genitivverbindungen mit εύαγγέλιον nicht allein auszukommen ist : In je engerem Zusammenhang das neutestamentliche Evangelium mit der prophetischen Wortverkündigung gesehen und je mehr auf die Präsenz des erhöhten Christus im Geist reflektiert wird, desto eindeutiger sind die Genitive τοϋ ·9-εοϋ und τοϋ Χριστοΰ als Gen. subj. zu bestimmen. Dies läßt sich sehr schön an l.Thess. 2,2ff. 13ff. ablesen. Daß aber auch του Χρίστου ursprünglich als Gen. obj. empfunden wurde, zeigt bei Paulus noch Rom. 1, Iff., zeigt f ü r τοϋ θεοΰ m. E. l.Thess. l,9f. vgl. mit 2,2. Auch die matthäische Verbindung εύαγγέλιον της βασιλείας ist, wie der Ausdruck εύαγγελίζεσθαι τήν βασιλείαν bei Lukas nahelegt, Gen. obj. 2 The Apostolic Preaching and its Developments, New York 1962, S. 24. 3 Auf altertümliche Tradition macht vor allem das ήγγικεν ή βασιλεία τοϋ θεοϋ aufmerksam (vgl. Hahn, Nachfolge Jesu, S. 22 Anm. 28). Mitsamt dem Bußruf mußte es f ü r hellenistische Ohren befremdlich wirken, wenn es mit dem Stamm vereint auftrat (vgl. Wellhausen z. St.), während die Wortverbindung im Targum zu Jes. 52,7 schon präformiert ist (vgl. oben S. 148). Freilich bleibt zu beachten — und dies dürfte dem Evangelisten auch die Verbindung der Traditionen erleichtert haben —, daß sowohl die monotheistische Missionspredigt als auch jene Bede vom nahenden Gottesreich in apokalyptischen Koordinaten stehen; sie werden, terminologisch gesprochen, zusammengehalten unter dem Vorzeichen einer proleptischen Eschatologie, welche mit Jesus die Gottesherrschaft schon anbrechen, ihre endzeitliche Erfüllung aber noch ausstehen sieht. 16 5638 Stuhlmacher, Evangelium

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der kirchlichen Unterweisung her und der in ihrem Rahmen unter dem Thema „Evangelium" tradierten Jesusüberlieferung unterstützt •wurde, wird alsbald noch anzudeuten sein. Jetzt muß es uns genügen festzustellen, daß Mk. 1,14f. keine unmittelbar palästinische Evangelienterminologie enthält. Im Summarium des Markus deutet sich vielmehr ein interessanter Überlieferungsprozeß an : Die hellenistische Missionsterminologie wird zur Rahmung palästinischen Aussagenmaterials und Jesusgutes herangezogen und scheint solcher Verwendung durchaus offengestanden zu haben. Wenn demnach auch Mk. 1,14f. auf der Suche nach palästinischem Urgestein nicht direkt weiterhilft, ist noch zu prüfen, ob solches Urgestein in dem matthäischen Begriff εύαγγέλιον της βασιλείας zutage tritt. 6. εύαγγέλιον

της

βασιλείας

Matthäus, der das Verbum ευαγγελίζεσαι nur (in dem schon behandelten Überlieferungsstück aus der Logienquelle) 11,5 hat, bietet für das Substantiv εύαγγέλιον vier Belegstellen: 4,23; 9,35; 24,14 und 26,13. Auffällig an diesen vier Stellen ist, daß sie sämtlich den bei Markus nachweisbaren absoluten Gebrauch von Evangelium vermeiden und statt dessen das Nomen determinieren: 4,23 und 9,35 sprechen vom εύαγγέλιον της βασιλείας, 24,14 von τοϋτο τό εύαγγέλιον της βασιλείας und 26,13 nur demonstrativ von το εύαγγέλιον τοϋτο. Begriffsgeschichtlich legt sich daraufhin in unserem Zusammenhang folgende Überlegung äußerordentlich nahe: Determinieren läßt sich nur ein Substantiv, das determinierbar ist. Dies ist das semitische Nomen mifea = εύαγγέλιον in viel stärkerem Maße als griechisches εύαγγέλιον. Könnten sich also die matthäischen Determinationen sprachgeschichtlich aus dem (im ersten Evangelium gewiß nicht auffälligen) Umstand erklären, daß bei Matthäus der alte judenchristliche Sinn von εύαγγέλιον = Botschaft erneut zu Tage tritt? Die Dinge liegen jedoch komplizierter, als daß mit solch sprachlicher Argumentation allein auszukommen wäre. Es kann kaum Zweifel daran bestehen, daß der erste Evangelist, der selbst in 28,16ff. die Heidenmission programmatisch als Auftrag des Auferstandenen bezeichnet und mitvollzieht 1 , der ferner die markinischen Belege für absolutes τό εύαγγέλιον kennt und vor sich hat, mit seinem von Markus sich abhebenden Sprachgebrauch bewußt theologische Kritik anmelden will. Die Tendenzen solcher Kritik 1 Vgl. G. Bornkamm, Der Auferstandene und der Irdische, passim; R. Hummel, Kirche und Judentum im Matthäusevangelium 2 S. 167-173; G. Strecker, Das Geschichtsverständnis des Matthäus, EvTh 26, 1966, (S. 57-74) bes. S. 64f. usw.

Der Gebrauch von Evangelium in der palästinischen Urgemeinde usw.

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lassen sich vorläufig mit den Stichworten „Identifikation" und „Konzentration" umschreiben : Bei Matthäus hegt das deutliche Bedürfnis vor, das Evangelium der markinischen Belege mit der Botschaft Jesu (wie Matthäus sie darstellt und auffaßt) zu identifizieren und auf diese Botschaft zu konzentrieren. Dazu standen im Rahmen der Redaktion, welche die Evangelisten an dem ihnen vorgegebenen Material üben, hauptsächlich zwei Mittel zur Verfügung: Der Ersatz des markinischen Nomens durch eine (im Sinne des Matthäus) genauere Begrifflichkeit und die andere Möglichkeit einer genaueren Definition jenes το εύαγγέλιον der Tradition. Matthäus wendet beide Mittel an. Er streicht den Begriff το εύαγγέλιον aus seinem Material wahrscheinlich in 1,1 ( = Mk. 1,1) und sicher 16,25 ( = Mk. 8,35) sowie 19,29 ( = Mk. 10,29). Vielleicht eliminiert er den Begriff auch 28,19f., aber dies ist nicht gewiß, weil keine Sicherheit darüber besteht, ob die (Mk. 16,15f. erhaltene) Tradition des sekundären Markusschlusses eine selbständige Parallele zu Mt. 28,16ff. darstellt1. Daß Mk. 1, Iff. in den heutigen Aufbau des Matthäusevangeliums nicht einzufügen waren, ist offensichtlich. Für die Streichimg von Mk. 1,1 dürften also vorwiegend literarische Gründe ins Feld zu führen sein2. Die in 16,25 und 19,29 gegenüber der Markustradition vollzogene Konzentration auf Jesus selbst und die Präsenz Jesu in seinem Namen deutet aber bereits eine theologische Tendenz an, die Mt. 28,16ff. betont hervortritt. Die bei einem enthusiastischen Verständnis von Mk. 8,35; 10,29 mögliche Differenzierung zwischen dem, was Jesus einst verkündigte, und dem, was als Evangelium nunmehr proklamiert wird, wird von Matthäus dahingehend eingedämmt, daß es nur und ausschließlich um die Erfüllung des für alle Zeiten gültigen Willens Jesu geht 3 . Derartige Kritik an einem enthusiastischen Mißverständnis 1 Für selbständige Tradition halten Mk. 16,15 z.B. Lohmeyer, Grundmann und E. Schweizer z. St. Ferner F. Hahn, Mission, S. 53f. und O. Michel, Der Abschluß des Matthäusevangeliums, EvTh 10, 1950/51, (S. 16-26) S. 20f. Dagegen denken z.B. Schniewind und Klostermann1 z. St. an eine Bildung auf Grund des matthäischen Textes und G. Bornkamm, Der Auferstandene und der Irdische (Bultmann-Festschrift) S. 179 Anm. 39 an vulgäre, also späte und für Matthäus nicht maßgebliche Sondertradition. 2 Vgl. Strecker, Weg der Gerechtigkeit2, S. 128 Anm. 2; daß die Eliminationen bei Matthäus insgesamt „ohne Belang" seien (a.a.O.), könnte ich freilich so nicht sagen. Zu den Streichungen vgl. auch Marxsen, Evangelist Markus2, S. 95. 3 Vgl. G. Bornkamm, a.a.O. S. 187 zu Mt. 28,16ff.: der Auferstandene und Erhöhte macht das Wort des irdischen Jesus für die Kirche auf Erden für alle Zeiten bis zum Ende der Welt verpflichtend. Hier liegt der oft genug übersehene Skopus des ganzen matthäischen Textes, ausgesprochen bereits in der ihm eigenen Formulierung des Auftrages: μαθητεύσατε πάντα τά έθνη" (Hervorhebung bei Bornkamm). Sachlich gleich Strecker, Geschichtsverständnis des Matthäus, S. 71 und Weg der Gerechtigkeit2, S. 128ff.

ιβ·

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Der vorpaulinisch-christliche Sprachgebrauch von Evangelium

des hellenistischen Kerygmas und Evangeliums wird im ersten Evangelium auch Mt. 5,17ff.; 7,21ff. laut. Wir haben also bei Matthäus eine Reaktionsbewegung auf eine s.M.n. falsche, hellenisierende Ausdeutung des Evangeliums vor uns. Traditionsgeschichtlich ist diese Erkenntnis wichtig. Sollte Matthäus tatsächlich an den alten, palästinischen Gebrauch von εύαγγέλιον = Botschaft anschließen, dann wäre dies demnach ein höchst reflektierter Anschluß an alte Tradition. Anders formuliert : Auch bei Matthäus ist nur ein Reflex alter Redeweise auf theologisch neuer Ebene zu erwarten. Was wir eben die Tendenz der Konzentration und Identifikation nannten, tritt am deutlichsten — fast möchte man sagen : ingrimmig — in Mt. 24,14 in Erscheinung. Der Vers verarbeitet Mk. 13,10 und lautet: και κηρυχθήσεται τοϋτο το εύαγγέλιον της βασιλείας έν ολη τη οικουμένη εις μαρτύριον πασιν τοις εθ-νεσιν, και τότε ήξει το τέλος. Bei Matthäus geht es nicht nur wie bei Markus darum, die Proklamation des Evangeliums zwischen Auferstehung und Parusie einzuschalten, sondern es geht um die Proklamation der mit gerichtlicher Dynamik ausgestatteten Reichsbotschaft (Jesu)1. Gegenüber der Markustradition ist die antienthusiastische Frontstellung ebenso deutlich greifbar wie der Wille, das zu proklamierende Evangelium nicht von Jesu eigener Botschaft, Lehre und Prophetie zu sondern2. 1 Daß das passivische κηρυχθήσεται auf die Missions- und Verkündigungsarbeit der Gemeinde blickt, hat G. Strecker, Weg der Gerechtigkeit 2 , S. 129f. mit Recht betont. Daß man mit (modifizierter) apokalyptischer Denkweise zu rechnen hat, zeigt die nicht nur im Markustext, sondern auch bei Matthäus noch spürbare Reflexion auf die Evangeliumsproklamation als einem „Zwischenphänomen" und das drohende, weil im Endgericht dann virulente είς μαρτύριον πασιν τοις £9-νεσιν. Die Auffassung des Evangeliums als einer Botschaft zu Gericht und Heil zugleich beruht deutlich auf apokalyptisch-jüdischer Denkweise. Dennoch kann ich mich ebensowenig wie z.B. F . Hahn, Mission, S.104ff. oder G. Bornkamm, Der Auferstandene und der Irdische (Bultmann-Festschrift), S. 175 Anm. 22 dazu entschließen, J . Jeremias zuzustimmen, der in Mt. 24,14 eine gegenüber Mk. 13,10 ursprüngliche, judenchristliche und Ape. 14,6 verwandte Tradition sehen möchte, so daß man übersetzen m ü ß t e : „ U n d dem ganzen Erdkreis wird die Siegesbotschaft von der Herrschaftsergreifung Gottes proklamiert werden zum Zeugnis f ü r alle Völker, und dann wird die Endvollendung eintreten" (Jesu Verheißung f ü r d. Völker 2 S. 20; mir ist allerdings nicht sicher, inwieweit Jeremias an seiner Auffassung festzuhalten gedenkt, nachdem er in „ A b b a " S. 119 von seinem im selben Zusammenhang vorgetragenen Verständnis von Mk. 14,9 abgerückt ist). H a h n betont a . a . O . S. 105 Anm. 5, Matthäus setze bei Evangelium demonstratives τοΰτο „wo nicht von Jesu eigener Verkündigung, sondern von der Verkündigimg durch andere gesprochen wird". Jeremias dagegen hält τοϋτο f ü r ein „überflüssiges Demons t r a t i v " und Kennzeichen semitischen Sprachempfindens (a.a.O. S. 20 Anm. 84 und S. 17 Anm. 70). 2 Vgl. G.Strecker, Weg der Gerechtigkeit 2 , S. 129f.; ders., Geschichtsverständnis des Matthäus, S. 6Iff.; M. Burrows, Origin of the Term Gospel, S. 28f. u n d U.Becker, Artikel Evangelium, S. 299: „ I m Vordergrund steht hier [sc. im Matthäusevangelium] Jesus als der Bringer, als Verkündiger des Evangeliums. Was Evangelium ist, zeigt sich vor allem in der Lehre, in der Jesus seine Jünger unterweist."

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Der durch das Demonstrativpronomen τοϋτο noch verstärkte Ausdruck τό εύαγγέλιον της βασιλείας ist also matthäische Bildung. Freilich war solche Wortbildung nur mit Hilfe eines Begriffes von εύαγγέλιον möglich, welcher terminologisch nicht auf die Bedeutung „Christuspredigt" festgelegt war. Einen solchen Begriff des Evangeliums bot nur die palästinische und jüdische Tradition, wie Tg Jes 52,7 lehrt. Daß Matthäus noch in seiner Zeit auf einen solch traditionellen Evangeliumsbegriff zurückgreifen konnte, ist traditionsgeschichtlich ungemein aufschlußreich, beweist es doch, daß sich die Terminologie der hellenistischen Missionsgemeinde, in welcher absolutes το εύαγγέλιον = Christusbotschaft heimisch gewesen sein dürfte, keineswegs das gesamte kirchliche Terrain erobert hat. Aber bleiben wir bei unserem Zusammenhang : τό εύαγγέλιον της βασιλείας ist ein vom Evangelisten Matthäus selbst geprägter Ausdruck zur Bezeichnung der Verkündigung und Lehre Jesu. Der Ausdruck wirkt und ist sprachgeschichtlich alt, aber dennoch eine Wortbildung erst einer Zeit, für welche die Situation und Sendung der Logienquelle schon Vergangenheit war. Als Bildung des Evangelisten tritt uns derselbe Terminus auch in den beiden matthäischen Summarien 4,23 und 9,35 entgegen. Mt. 4,23 nimmt die Tradition von Mk. 1,14f. auf, differenziert sorgsam zwischen halachischer (Gesetzes-)Lehre Jesu und der Proklamation der nahenden Gottesherrschaft 1 und begrenzt den Sinn dessen, was mit Recht Evangelium heißt, erneut auf Jesu eigenes Wort 2 . Wie die beiden Summarien, 4,23 und 9,35, die im Wortlaut nahezu übereinstimmen, die Darstellung umspannen, die Matthäus von Wort und Tat des Messias gibt, ist von Schniewind einleuchtend gezeigt worden und braucht hier nicht wiederholt zu werden3. 9,35 leitet zugleich die matthäische Instruktions- bzw. Aussendungsrede ein (9,35-11,1). In dieser Aussendungsrede wird, der Tradition von Q analog4, an die Jünger der Auftrag zur Verkündigung der nahenden Gottesherrschaft erteilt: 10,7. Da dieser Auftrag im Rahmen der Instruktionsrede inhaltlich nicht näher bestimmt, vielmehr als Gegebenheit vorausgesetzt und nur von der Situation her, in die solche Verkündigung bringen kann, ins Auge gefaßt wird, ist es nicht ratsam, mit W. Marxsen und G. Bornkamm εύαγγέλιον (της βασιλείας) bei Matthäus speziell den großen Redekomplexen zuzuordnen5, εύαγγέλιον της βασιλείας meint 1

Vgl. G. Bornkamm, Enderwartung und Kirche im Matthäusevangelium, S. 36 Anm. 1. 2 Vgl. Strecker, Weg der Gerechtigkeit2, S. 128f. und Burrows, a.a.O. S. 29. 3 Vgl. Matthäus4, S. 36f. 124f. 4 Vgl. oben S. 233 Anm. 3. 5 W. Marxsen, Evangelist Markus2, S. 92ff. und nach ihn» G. Bornkamm, Art. Synopt. Evangelien, RGG 3 II Sp. 760. Dagegen auch Strecker, Weg der Gerechtigkeit2, S. 129 Anm. 2.

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für Matthäus die Lehre Jesu insgesamt, wie sie sich u. a. in der Bergpredigt, der eschatologischen Rede, aber auch in den Gleichnissen niedergeschlagen hat. Gegen die genannte Identifikation spricht ferner, daß Matthäus, über Q hinausgehend und seinem Verständnis des Stürmerspruches (11,12f.) entsprechend, auch die Predigt des Täufers jenem ήγγικεν ή βασιλεία των ουρανών ein- und unterordnen kann (vgl. 3,1 f.), welches für ihn das εύαγγέλιον της βασιλείας summarisch umschreibt. Es ist also wenigstens zu fragen, ob nach matthäischem Verständnis nicht auch die Predigt des (von Jesus nach l l , 1 2 f . legitimierten) Täufers zu illustrieren vermag, welches das wahre εύαγγέλιον της βασιλείας ist. Daß wir uns schon im Rahmen recht weit fortgeschrittener christlicher Traditionsbildung befinden, also bei dem matthäischen Sprachgebrauch von εύαγγέλιον nicht mehr direkt mit alter Überlieferung zu rechnen haben, zeigt schließlich Mt. 26,13. Wiederum liegt eine „Identifikation" gegenüber Markus vor. Mk. 14,9 setzt zwar, wie noch genauer zu zeigen sein wird, voraus, daß zum Evangelium bereits geschichtliche Erzählungstradition hinzugehört, doch läßt Markus wiederum offen, inwieweit das Evangelium an solche Erzählungstradition gebunden und nur im Zusammenhang mit ihr als authentisch betrachtet werden kann. Um solche Authentie aber geht es Matthäus! Auch er denkt, wie 26,13 eindeutig zeigt, an weltweite (also missionarische) Ausrichtung des Evangeliums, möchte dieses Evangelium aber, wie das demonstrative τοϋτο lehrt, an die authentische Tradition der Lehre und Geschichte Jesu binden. Unsere Stelle beweist aufs schönste, daß Matthäus den absoluten, missionstechnischen Gebrauch von τό εύαγγέλιον kennt, ihn aber bewußt umformt und seiner theologischen Intention einfügt, το εύαγγέλιον τοϋτο kann in unserem Zusammenhang nur heißen „eben diese Botschaft" und also die (matthäische) Passionsgeschichte bezeichnen 1 . Da Matthäus εύαγγέλιον und sein Evangelium insgesamt nicht identifiziert, vielmehr in seinem Evangelium über das εύαγγέλιον της βασιλείας, das der Täufer, das vor allem aber Jesus selbst verkündigt hat und das die Jünger weiterhin verkündigen sollen, geschichtlich referiert, ist εύαγγέλιον (τοϋτο) an unserer Stelle nicht mit dem Matthäusevangelium in eins zu setzen 2 . 1 So z.B. G.Strecker, Weg der Gerechtigkeit2, S. 129; E. Haenchen, Der Weg Jesu, S. 467; E. Molland, Paulinisches Euangelion, S. 34; U.Becker, Artikel Evangelium, S. 299 u. a. 2 So Michel, .Artikel Evangelium, Sp. 1114; M. Dibelius, Formgeschichte3 S. 264 Anm. 1; Asting, Verkündigung d. Wortes, S. 322f.; Schniewind, Matthäus 4 , S. 241 usw.

Dor Gebrauch von Evangelium in der palästinischen Urgemeinde usw.

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Für uns genügt es im Augenblick festzustellen, 1. daß Matthäus eine auf der hellenistischen Missionssprache fußende und von ihr sich kritisch abgrenzende Redeweise von Evangelium aufweist, und 2. daß der altertümlich wirkende Ausdruck εύαγγέλιον της βασιλείας matthäische Bildimg ist, sprachlich aber an alte jüdische und judenchristliche Ausdrucksweise anschließt. Also kann dieser Ausdruck nur eine nachträgliche Überschrift und Zusammenfassung dessen sein, was das partikularistische Judenchristentum Palästinas (und vielleicht Jesus selbst) unter Evangelium verstanden haben. 7. Zusammenfassung Damit können wir unsere Überlegungen zum Gebrauch von εύαγγελίζεσθαι und εύαγγέλιον bei Jesus und in der alten, palästinischen Gemeinde zusammenfassen: In Ape. 14,6; 10,7; Mt. 11,2-6 par. Lk. 7,18-23 läßt sich eine früh judenchristliche Verwendung von εύαγγέλιον, εύαγγελίζω/εύαγγελίζομαι nachweisen, nach welcher „Evangelium" die Botschaft vom Kommen Gottes zu Gericht und Heil bedeutet. Damit wird nachweislich jüdische Denk- und Sprechweise übernommen. Der Horizont, in welchem diese alte, nur gelegentlich gebrauchte, christologisch noch kaum reflektierte Evangeliumsterminologie steht, ist streng apokalyptisch strukturiert. Die Botschaft selbst stellt, wie das alttestamentliche und apokalyptisch-jüdische Prophetenwort auch, eine verborgene Offenbarung dar, die sich erst dem erschließt, der sich ihr im Glauben ergibt. Als Sprecher der Botschaft erscheinen sowohl Engel wie vor allem (urchristliche) Propheten, die im Namen des erhöhten Christus sprechen. Dies und die Tatsache, daß solcher Gebrauch des Stammes εύαγγελ- noch nicht thematisch in den Zusammenhang der Heidenmission gestellt, vielmehr nur der Mission Israels durch Christen zugeordnet wird (während gleichzeitig Bekehrung und Verurteilung der Heiden Gott selbst überlassen bleiben), berechtigt dazu, die genannte Redeweise traditionsgeschichtlich der Logienquelle und den prophetisch geleiteten, alten palästinischen Gemeinden zuzuweisen. Reflexe jener alten Ausdrucksweise haben sich in Lk. 4,16-30, in der bei Lukas immer wiederkehrenden Wendung εύαγγελίζεσθαι την βασιλείαν του θεου, sowie in dem markinischen Summarium Mk. l,14f. erhalten. Ob sich Jesus selbst einer entsprechenden Ausdrucksweise bedient hat, ist historisch nicht mehr sicher nachzuweisen, wenn auch Gewißheit darüber besteht, daß die urchristlichen Propheten sich in ihrer vollmächtigen und proleptischen Ansage der Königsherrschaft Gottes mit Recht auf Jesu Botschaft und Verhalten berufen konnten. Wenn

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Jesus die Wurzel "lfea bzw. den Stamm εύαγγελ- überhaupt zur Bezeichnung seiner Reichsbotschaft verwendet hat, so nur in Kontinuität zu der alten, unterminologischen, jüdischen Ausdrucksweise. Direktes Vorbild für die universale Missionsterminologie der hellenistisch-jüdischen Gemeinde dürfte demnach Jesu Sprachgebrauch nicht gewesen sein, und es muß offenbleiben, inwieweit die palästinischen Gemeinden an Jesu eigenem Wortgebrauch angeknüpft haben. Die urchristliche Evangeliumsterminologie ist also, soweit es uns unsere Quellen erkennen lassen, im wesentlichen eine Bildung der Gemeinde, bei welcher Sache und Person Jesu homologisch zur Entscheidung standen. Wer sich mit größerem Recht auf Jesu Botschaft und Heilswerk berufen kann und konnte, die Partikularisten Palästinas oder die Universalisten Antiochiens, ist jetzt nicht zu entscheiden. Es mag und muß der Hinweis genügen, daß sich formal beide Parteien durchaus auf Jesus berufen konnten: Die Partikularisten auf Jesu begrenztes Wirken in Israel, die Universalisten auf seine universale Botschaft vom nahen und fernen Gott. Als ein die alte Anschauung vom Evangelium zusammenfassendes Stichwort prägt Matthäus auf Grund von sprachgeschichtlich alter Überlieferung den Ausdruck εύαγγέλιον της βασιλείας. Dieses Stichwort ist treffend, gehört selbst aber nicht mehr der alten Überlieferungsschicht an, sondern entspringt einer bereits historisierenden und ekklesiologisch interessierten Reflexion des ersten Evangelisten. Wir haben damit unseren ersten Untersuchungsgang abgeschlossen, sind aber noch nicht auf die eigentlichen Wurzeln des paulinischen Gebrauchs von Evangelium durchgestoßen. Diese Wurzeln sind nunmehr zu suchen, wobei wir uns methodisch nun auch in größerem Maße, mehr als dies bei dem bisherigen synoptischen Material möglich war, der Rückfrage aus den paulinischen Texten heraus bedienen werden und können. Daß wir bisher nicht direkt auf paulinische Terminologie gestoßen sind, bedeutet freilich, daß die Ursprünge dieser Terminologie nicht in der Sprech- und Denkweise der judenchristlichen, palästinischen Gemeinden, sondern im judenchristlichhellenistischen Missionschristentum zu suchen sind. Noch einmal sei freilich darauf aufmerksam gemacht, daß die Stellung Jerusalems zwischen den Partikularisten einerseits und den die beiden missionierenden Hellenisten andererseits noch unbestimmt geblieben ist. Welches Evangelium Paulus in Jerusalem vorausgesetzt hat, ist also im folgenden mit zu bedenken und nach Möglichkeit ebenfalls zu eruieren.

II. Der Gebrauch von Evangelium in der hellenistischjudenchristlichen Gemeinde 1. Aufgabe und

Fragestellung

Wie schon bei dem vorangehenden Abschnitt sind wir auch jetzt zu einer historischen und methodologischen Vorbesinnung auf den im Folgenden zu behandelnden Bereich und Gegenstand genötigt. Solche Vorbesinnung betrifft die zu behandelnden Texte sowohl wie das Phänomen der urchristlichen Heidenmission und schließlich die Frage nach der begriffsgeschichtlichen und sachlichen Kontinuität zwischen den missionierenden Gemeinden und ihrer neuen Ausdrucksweise einerseits und dem Sprachgebrauch und Denken der partikularistischen Judenchristen andererseits. An Quellen stehen uns, von einigen Stellen aus der Apostelgeschichte, Mt. 28,16ff. und Mk. 16,9-20 abgesehen, nur die Paulusbriefe zur Verfügung. Wir sind also auf traditionsgeschichtliche Rückschlüsse aus dem paulinischen Material heraus angewiesen. Einige zusätzliche Sicherheit ist aus dem Umstand zu gewinnen, daß die nun zu untersuchende Evangelienterminologie eng mit dem Werdegang der urchristlichen Christos-Christologie verbunden ist. Nun ist leider aber auch der Entwicklungsprozeß, den diese Christos-Christologie durchlaufen hat, z. Zt. derart umstritten1, daß wir über den hypothetischen Charakter des ganzen folgenden Versuches nicht wirklich hinaus1 Neben O. Cullmann, Die Christologie des Neuen Testaments, Tübingen 2. Aufl. 1958, bes. S. l l l f f . sind zu vergleichen: F . H a h n , Christologische Hoheitstitel § 3 (8. 133ff.), die kritische Stellungnahme zu Hahns Thesen von Ph. Vielhauer, Ein Weg zur neutestamentlichen Christologie?, Aufs. z. NT, S. 141-198, S. 167ff. 175ff. W. Kramer, Christos. Kyrios. Gottessohn, S. lß-60. 203ff. L. Cerfaux, Christus in der paulinischen Theologie, Düsseldorf 1964, vor allem S. 318ff. und N. A. Dahl, Die Messianität Jesu bei Paulus, in: Studia Paulina in honorem J . de Zwaan, Haarlem 1953, S. 83-95. Überblickt man die genannte Literatur, so wird man zwar mit F. Hahn feststellen können, „daß der Titel 'Christos' geradezu 'Kristallisationspunkt f ü r alle neutestamentlichen christologischen Anschauungen' werden konnte" (Hoheitstitel, S. 212), aber mit eigenen traditionsgeschichtlichen Vorschlägen sehr zurückhaltend sein. Daß die Anfänge der Reflexion über Jesus als Messias ins palästinische Milieu zurückverweisen (vgl. vor allem den Titulus am Kreuz!), daß eine interpretatio Christiana und damit schließlich totale Metamorphose des Messiastitels vor allem mit und seit Ostern einsetzte, daß die nunmehr christliche Anschauung vom Χριστός auf hellenistisch-jüdischem Boden der dort beherrschenden Kyrioschristologie (u. a. mit Hilfe von Ps. 109,1 LXX) funktional weitgehend angeglichen wurde und in dieser Form dann auf Paulus gekommen ist, dürfte alles sein, was man z. Zt. mit einiger Hoffnung auf weitere Zustimmimg feststellen darf. Ich würde zwar auch noch zu behaupten wagen, daß die Christos-Christologie bei Paulus beherrschende Funktion hat und daß bei Paulus eine feste motivische Verbindung der Christos-Aussagen mit dem Heilswerk und also der Soteriologie zutage tritt, aber dies kann im Augenblick auf sich beruhen.

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gelangen und uns denselben infolgedessen von vornherein eingestehen wollen. Wir sind auf der Suche nach Sinn und Ursprung der von Paulus schon vorausgesetzten und sich beim Apostel immerfort überschneidenden drei Ausdrücke: τό εύαγγέλιον του θ-εοϋ, εύαγγέλιον του Χρίστου und absolutem τό εύαγγέλιον. Mit diesen drei Ausdrücken ist aufs engste ein ebenfalls terminologischer Gebrauch von εύαγγελίζεσ&αι = das Evangelium proklamieren verbunden. Es ist uns bisher noch nicht gelungen, die Bildung auch nur eines dieser Begriffe zu erklären oder ihren Ursprungsort festzustellen. Nur der unterminologische Gebrauch des Verbums bei Paulus: l.Thess. 3,6 ließ sich über die hellenistisch-judenchristliche Redeweise in Lk. 2,10, den lukanischen Gebrauch des Verbums, die Täufertradition von Lk. 1,19 und die einer idealen Szene entstammende Charakteristik der Predigt Jesu in Lk. 4,18 ( = Jes. 61, If.) bis hin zur Logienquelle und der apokalyptisch gerahmten Prophetenrede der palästinischen Urgemeinde(n) verfolgen (vgl. Ape. 10,7 und Mt. 11,2-6). Da aber auch der zeitgenössische Hellenismus eine unterminologische Verwendung von εύαγγελίζεσθαι im Sinne erfreulicher Mitteilung kennt und es u. U. auch möglich erscheinen könnte, l.Thess. 3,6 von hier aus zu erklären, taucht die methodische Frage nach den Gründen auf, die uns berechtigten, eine terminologische Kontinuität zwischen der palästinischen Urgemeinde und den Missionsgemeinden zu erwarten, die Paulus tragen. Es führt an diese Frage heran, wenn wir uns vergegenwärtigen, in welcher Weise Paulus selbst eine traditionsgeschichtliche Rückfrage nach dem Ursprung seiner Evaaigelienterminologie nahelegt. Es sind in unserem Zusammenhang folgende Texte und Zusammenhänge zu untersuchen: l.Thess. l,9f.; 1.Kor. 15,Iff.; 1.Kor. 9,14; das Phänomen des paulinischen Apostolates ; die bei Paulus fraglos gegebene, immittelbare Verbindung von Schau des auferweckten Christus und Sendung in die Mission (Gal. 1,16; 1. Kor. 9,16); schließlich die vom Apostel selbst gewählte Möglichkeit, in Gal. 2,7 das Stichwort εύαγγέλιον zur Charakteristik seiner eigenen und der judenchristlichen Missionsverkündigung zu verwenden. All diese Texte und Zusammenhänge weisen uns zurück in die Sphäre und Atmosphäre jüdischen und judenchristlichen Denkens, nicht aber in die Welt eines paganen Hellenismus. l.Thess. 1,9f. führt uns auf die monotheistische Bekehrungspredigt der Diasporasynagoge; 1. Kor. 15,Iff. will thematisch die Brücke zwischen Paulus m d der von Jerusalem inspirierten und vertretenen Verkündigung schlagen; Gal. 2,7 versteht das Evangelium als eine die Jerusalemer Gemeinde und die antiochenische Heidenmission einende Größe;

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l.Kor. 9,14 weist uns sogar zurück in die Jüngerinstruktion von Q: Lk. 10, Iff.; die nahtlose Verbindung von paulinisch-österlicher Epiphanie und Sendung in die Mission hat ihre engste Parallele in der Osterzeugenschaft und apostolischen Mission des Petrus, mit welchem Paulus sich in Gal. 2 und l.Kor. 15,81 nicht umsonst mißt und parallelisiert8. Die Konzeption des paulinischen Apostolates schließlich, die sich von seiner österlichen Vision nicht trennen läßt, ist, wie Rom. 10,15 noch erkennen läßt, der jüdischen Anschauung von der großen, inspirierten Schar der prophetischen ΒΉ2>30 in der Endzeit innig verpflichtet3, und, wenn wir auch nicht genau wissen, ob die Jerusalemer Apostel sich ähnlich verstanden wie Paulus, auf jeden Fall in einen apokalyptischen Rahmen von Sendung in die Völkerwelt und Heimkehr Israels zu Gott gestellt, der sich nur aus jüdischen eschatologischen Hoffnungen speist und diese modifiziert. Wir sind also nicht nur berechtigt, sondern von Paulus her sogar verpflichtet, nach der begriffsgeschichtlichen und theologischen Kontinuität seiner Botschaftsterminologie mit der Predigt der Urgemeinde(n) zu fragen. Nun sind wir einer Vorform des eben skizzierten Rahmens, in welchem das paulinische Apostelamt steht und in welchen es sich nach Rom. 11,25ff. ; 15,14ff. bewußt einordnet, schon einmal begegnet. Ape. 14,6 erwies sich als abhängig von der alten jüdisch-eschatologischen Schau der Völkerwallfahrt zum Zion; die Gemeinde(n) der Logienquelle wußten sich vor der Parusie des himmlischen Menschensohnes und vor dem von Gott selbst ins Werk zu setzenden Wunder der Völkerwallfahrt (nur erst) gesandt, den Ernst und die Gnade der nahenden Gottesherrschaft den verlorenen Schafen aus dem Hause Israel zu verkünden. So unterminologisch ihre Redeweise vom Evangelium und von der ihnen aufgegebenen Botschaft auch war, schon auf der Ebene von Q deutet sich also eine Verflechtung des Wortstammes εύαγγελ- bzw. der Wurzel mit dem Gedanken missionarischer Sendung an, die man nicht außer acht lassen darf, wenn erklärt werden soll, wie derselbe Wortstamm in den zur Heidenmission aufbrechenden, hellenistisch-judenchristlichen Gemeinde(n) heimisch werden konnte. Damit soll freilich nicht in Abrede gestellt 1 Zu der Korrespondenz von Petrus als dem „ersten" und Paulus als dem „letzten" Apostel vgl. S. 94 Anm. 4., 2 Während E. Haenchen, Petrus-Probleme, passim, eine missionarische Tätigkeit des Petrus völlig bestreiten möchte (wie aber sind dann Gal. 2,7f.; l.Kor. 9,6; 1,12 erklärbar?), entwirft F. Hahn, Mission, S. 37ff. ein detailliertes Bild der petrinischen Mission und kommt damit m. E. dem historischen Sachverhalt näher als Haenchen. 3 Vgl. oben S. 149. 160. Nur die Verbindung des paulinischen Apostolates mit dieser endzeitlich-prophetischen Tradition des palästinischen (und hellenistischen) Judentums vermag bisher befriedigend die konsequente Verbindung von Evangelium und Apostolat bei Paulus zu erhellen.

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werden, daß die uns bei Paulus begegnende, terminologische Prägung des Wortsta'mmes auf ein eigenständiges theologisches Sprachvermögen jener die Heiden missionierenden Gemeinde(n) schließen läßt. Anders formuliert: Die die Heiden missionierende Gemeinde gebraucht den Wortstamm εύαγγελ- gegenüber der jüdischen Tradition und hellenistischen Sprachgewohnheit höchst eigenwillig und eigenständig, könnte bei solchem Sprachgebrauch aber beeinflußt sein von einer eschatologischen Konzeption, welche denselben Wortstamm bereits dem Gedanken der Mission zugeordnet hat. Ist es nachweisbar, daß die Heidenmission jenen alten apokalyptischen Rahmen von der Völkerwallfahrt voraussetzt und aufsprengt? Diese Frage ist identisch mit der Frage nach den theologischen Motiven der Heidenmission überhaupt. Leider sind wir gerade hier fast ganz auf Vermutungen angewiesen, und es ist kaum mehr möglich, ein auch nur einigermaßen historisch abgesichertes Bild der Vorgänge zu gewinnen. Die Apostelgeschichte läßt noch erkennen, daß der Auftrag der Heidenmission bestimmend wurde für den Kreis der sog. Hellenisten in Jerusalem, daß die Hellenisten (nicht aber die Apostel selbst !) alsbald — man wird sagen dürfen : um dieser Missionskonzeption willen, die mit Notwendigkeit zu einer Kritik zumindest am jüdischen Zeremonialgesetz führte — von einer Verfolgung durch die Juden betroffen wurden, bei welcher einer der Hellenisten, Stephanus, den Märtyrertod erlitt ; daß sie sich daraufhin zerstreuten, in Samaria missionierten, schließlich in Antiochien festen Sitz bezogen und diese Stadt zu einem Zentrum der Mission unter den Heiden ausbauten. In Antiochien ist den Christen dann zuerst der Name Χριστιανοί = Christusleute beigelegt worden1. Dieser Titel gibt die Möglichkeit, zu den theologischen Motiven der Mission jener Hellenisten vorzudringen2. 1 Vgl. zu diesem Namen,: Haenchen, Apg. 5 S. 311 Anm. 2; Hahn, Hoheitstitel, S. 222 Anm. 1 und Conzelmann, Apg. S. 68. Zu den historischen Angaben über die Sieben und ihren Werdegang vgl. Apg. 6 f. ; 8,4 ff. ; 11,19 ff. und dazu Haenchen, a.a.O. S. 92. 257. 315; Kümmel, Art. Urchristentum, Sp. 1189f.; Hahn, Mission, S. 48ff. und M. Simon, St. Stephen and the Hellenists in the primitive Church, London 1958, S. Iff. S. 9 äußert Simon die Vermutung, die „Sieben" seien schon vor den sich in Apg. 6f. spiegelnden Auseinandersetzungen und vor ihrem Übertritt zum Christentum eine Art Synagogenvorstand im Bereich eines aufgeklärten Reformjudentums gewesen, ähnlich S. 78£f. 94. Zu solchen Synagogenvorständen aus sieben Mitgliedern vgl. G. Bornkamm, Artikel: πρέσβυς etc. ThWb VI S. 660,44ff. * Theologische Versuche, die Ursprünge der Heidenmission zu reflektieren, sind m. W. selten. Haenchen, Apg. 5 S. 315 bemerkt überaus vorsichtig: Wie Barnabas den Schritt in die Heidenmission „begründete — ob etwa damit, daß die Endzeit angebrochen sei und deshalb die Zeit für die Heidenmission gekommen — wissen wir nicht." Hahn, Mission, S. 31 sagt zu dem auch Samaritaner in das Heil einbeziehenden Verhalten und Verkündigen Jesu: „Jesu Botschaft und Handeln in Israel i s t . . . zum Zeugnis unter den Heiden geworden ;

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Auszugehen ist von der alten Konzeption einer eschatologischen Wallfahrt der Heiden zum Zion, eine Konzeption, welche die Hellenisten in der ursprünglichen Form nicht mehr geteilt haben können. Denkt man an Ape. 14,6, so muß man sagen, daß die dort dem Engel zugewiesene Botschaft von den Hellenisten selbst verkündet wird, und zwar nicht mehr als Gerichtsdrohung, sondern als Einladung. Solche Delegation der Botschaft für die Heiden von Gottes Engeln an Menschen setzt voraus, daß diese Menschen aus einer pneumatischen Vollmacht heraus zu handeln ermächtigt sind oder ermächtigt zu sein meinen, welche sie den Engeln ebenbürtig erscheinen läßt. Anders ausgedrückt : Ein gewisses enthusiastisches Selbstverständnis ist Voraussetzung für die neue missionarische Haltung. Wo kann dieses mehr noch : da sich das eschatologische Geschehen bereits zu realisieren beginnt, ist das Heil f ü r die Heiden in unmittelbare Reichweite gerückt." Das hellenistische Judenchristentum knüpft s. M. n. sachlich (auch traditionsgeschichtlich?) an dieses Heilverständnis Jesu an (S. 57). Nim kann gar kein Zweifel daran bestehen, daß Lukas die Anklage und Hinrichtung des Stephanus in Apg. 6,8-7,1 und 7,55-60 typologisch am Prozeß und Tode Jesu ausgerichtet hat, also selbst eine Kontinuität zwischen Jesus und Stephanus behauptet (im Sinne wahrer Jüngerschaft?). Inwiefern freilich wirkliche traditionsgeschichtliche Verbindungslinien zwischen der Botschaft Jesu und den Hellenisten wirksam sind, ist schwer zu erhellen, weil die Analysen der Stephanusrede durch Haenchen und Conzelmann z. St. sowie, die große Untersuchimg zur Stephanusgeschichte von J . Bihler (Die Stephanusgeschichte, Münchener Theol. Studien I 16, München 1963) die Möglichkeit historischer Rückschlüsse durch den Aufweis lukanischer Komposition und Tendenz in Apg. 7 weitgehend ausgeschaltet haben. Wir müssen es also zunächst bei der Feststellung einer faktischen Kontinuität der Heilspredigt der Sieben zu gewissen Zügen der Verkündigung Jesu belassen. Es bleibt darum leider eine Vermutung, wenn Simon a.a.O. S. 96 schreibt: "If this assumption [sc. daß Stephanus von Jesu Tempel-kritischen Worten Kenntnis besaß] is right, we shall be led to the conclusion that Stephen understood the message of Jesus more completely and more accurately than the first disciples, who 'continued daily with one accord in the Temple'." — H. Schlier nennt als theologischen Grund f ü r die Heidenmission die Auferstehung und Himmelfahrt Jesu Christi als das die Heimholung der Völker ermöglichende, weil begründende Ereigris der Besitzergreifung der Welt durch den Messias Jesus" (Die Entscheidung f ü r die Heidenmission, Zeit d. Kirche 2 [S. 90-107] S. 99). — Am deutlichsten äußert sich E. Käsemann (Zum Thema der urchristlichen Apokalyptik, S. 122): „An die Stelle des verborgenen, in Wahrheit erst designierten Weltenherrn, auf dessen Wiederkunft in Herrlichkeit zur irdischen Machtergreifung die Gemeinde noch wartet, tritt [sc. in der hellenistischen Gemeinde] der, welcher bereits jetzt über die Mächte und Gewalten und so über die bislang von diesen beherrschte Welt regiert. Die Aufgabe der Gemeinde ist es, den im Weltregiment vollzogenen Wechsel der Ökumene zu proklamieren, wie das exemplarisch etwa in l.Tim. 3,16 geschieht." Zu beachten ist dabei der gerade f ü r die Anfänge des hellenistischen Christentums entscheidende Zusatz: „Daß Christus die Mächte und Gewalten entthront hat, ist . . . f ü r die hellenistische Gemeinde ein zunächst himmlisches Geschehen, das noch nicht überall auf Erden kundgeworden, nicht überall verifiziert ist, noch auf Vollendung wartet und eben deshalb die irdische Gemeinde in die Sendung stellt. Die faktische Lage ist trotz aller Missionserfolge f ü r die hellenistische Christenheit noch nicht von der Lage auf palästinischem Boden grundverschieden" (a.a.O. S. 123).

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Selbstverständnis seinen Anhalt gehabt haben? Wiederum führt uns der alte Rahmen weiter. In ihm galt Christus vor allem als der nach seinem Kreuzestode zu Gott erhobene und mit himmlischen Vollmachten ausgestattete Menschensohn, der kommen wird, um das Gericht an der Welt im Namen Gottes zu vollstrecken. Nur die irdische Schar des Menschensohnes konnte solchem Gericht leuchtenden und hoffenden Angesichts entgegengehen. Den Hellenisten haftet nun aber nicht mehr der Name des Menschensohnes an, sondern der Name Χριστιανοί. Wie immer der Werdegang der Christos-Christologie zu denken sein mag und so sehr hinter der Bezeichnung Χριστιανοί schon die Gleichsetzung des Christos-Titels mit einem Eigennamen steht, in solchem, den Christen beigelegten Namen deutet sich unzweideutig ein Wandel der christologischen Konzeption an: Jesus von Nazareth ist nicht mehr in erster Linie der himmlische Menschensohn, sondern der Christus Gottes, der von den Juden erwartete, aber den Christen offenbarte, mit seiner Auferweckimg zu Gott erhobene wahre Heilsund Weltenkönig. Seit W. Boussets berühmtem Buch „Kyrios Christos"1 wissen wir, daß die hellenistische Urchristenheit sich um das Panier des Kyrios Christos ebenso geschart hat, wie die judenchristliche Gemeinde sich dem himmlischen Menschensohn zugehörig wußte. Nun haben schon auf jüdisch-apokalyptischem Boden Verbindungslinien zwischen Menschensohnerwartung und Messianologie bestanden2. Auf dem Boden der Septuaginta waren andererseits Verbindungslinien zwischen Messiastitulatur und Kyrios-Würde auf Grund von Ps. 110,1 ( = 109,1 LXX) eindeutig gegeben. Sowenig eine reflektierte, christologische Interpretation ron Ps. 110,1 bei den Hellenisten von vornherein vorausgesetzt werden kann, so deutlich ist doch, daß sich schon aus den angegebenen Belegen heraus eine entwicklungsgeschichtliche Brücke von der Menschensohnchristologie zur Kyrioschristologie der hellenistischen Gemeinde errichten läßt. Wichtig und interessant ist dabei, daß das Χριστός-Prädikat selbst Zeichen solchen Brückenschlages ist, daß es, anders formuliert, als traditionsgeschichtlicher Leitbegriff auf jenem Entwicklungswege gelten kann. Die angedeutete Linie ist die einer Intensivierung des Eigengewichts der Christologie. Man kann auch sagen: Es ist die Linie der immer höheren Bewertung und Vergegenwärtigung jener Funktionen, mit denen Gott den Auferstandenen ausgestattet hat. Als himmlischer Menschensohn war der Auferstandene vor allem der zukünftige und kommende Gerichtsherr; als Kyrios und Christus Gottes ist er der himmlische 1 2

Neudruck der 2. Aufl. Göttingen 1965. Vgl. F. Hahn, Hoheitstitel, S. 158 mit Hinweis auf die Bilderreden des äth. Henoch (c. 37-71).

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Statthalter Gottes schlechthin, der schon heute auf die Welt einen universalen Machtanspruch anmeldet1. Eine Schar, die sich diesem himmlischen Kyrios zugehörig weiß, dürfte ein pneumatisches Erwählungsbewußtsein an den Tag gelegt haben, welches jener christologischen Gewichtsverlagerung korrespondiert: Wenn dem Kyrios Christos heute schon die Welt zu Füßen hegen sollte, dann könnten sich die zur Heidenmission aufbrechenden Hellenisten eben als Sendboten jenes himmlischen Christus verstanden haben, welche den weltweiten Herrschaftsanspruch ihres Kyrios proklamieren und darüber auf die Einhaltung (zunächst) des jüdischen Zeremonialgesetzes verzichtet haben2. Wir wissen über all 1 I n welcher Weise hier die κυριότης Jesu gedacht wird, beschreibt lehrreich H . Conzelmann, Was glaubte die frühe Christenheit?, S. 65: „Jesus heißt 'der Herr', Kyrios. F ü r den hellenistischen J u d e n ist dies der Würdetitel Gottes selbst. Wird er nun auf Jesus übertragen, so geschieht dies mittels eines bezeichnenden Zwischengedankens. Man reflektiert nicht über die metaphysische 'Natur', wie das spätere Dogma . . .; κύριος Ίησοϋς meint nicht, daß Jesus όμοούσιος τω πατρί sei. Sondern man versteht so: Gott h a t seine Würde als Kyrios, als Weltherr, Regent, f ü r eine bestimmte Aufgabe und f ü r einen bestimmten Zeitraum an den auferweckten, in den Himmel erhöhten Jesus delegiert. Jesu κυριότης ist also zeitlich begrenzt, nämlich durch die Auferweckung und die Durchführung des Weltgerichts; seine Aufgabe in diesem Zeitraum ist die Durchführung des Heilswerkes, die Unterwerfung aller Mächte unter Gottes Herrschaft." Es f ü h r t demnach theologisch völlig irre, wenn D. Georgi zum Kyrios-Bekenntnis des Philipperhymnus sagt: „Die christliche Gemeinde behauptet also, Jesus sei J a h w e geworden" (Der vorpaulinische Hymnus Phil. 2,6-11; in: Zeit u. Geschichte, Dankesgabe an R . Bultmann, [S. 263-293] S. 289); eine derartige „Gotteslästerung" ist gerade auf dem Boden jenes hellenistisch-jüdischen Denkens, auf welches Georgi den Philipperhymnus zurückführen will, schlechterdings undenkbar! Daß jenes neue, funktionale Verständnis der Weltherrschaft Jesu notwendig zur Mission f ü h r t , betont Conzelmann, a . a . O . S. 67: „Die Anerkennimg des Kyrios als des einzigen Herrn schließt eo ipso Mission in sich, Verzicht auf sektenhaften Abschluß; denn der Herr ist der Kosmokrator, der herrscht, indem er von den Seinen bekannt wird . . . Daher ist es der Kirche versagt, verborgen zu existieren und in Verfolgung dem Bekenntnis auszuweichen; sie h a t nicht die Möglichkeit, sich 'in s t a t u confessionis' in innerliche Übung von Religiosität zurückzuziehen." Hier wird n u n auch deutlich, weshalb die Hellenisten die Verfolgung auf sich nahmen und durch dieselbe von ihrer Predigt nicht abzuschrecken waren. 2 Ob im Stephanuskreis an eine prinzipielle Abrogation des Gesetzes gedacht war (so W. Schräge, 'Eklesia' und 'Synagoge', ZThK 60, 1963, S. 178-202, bes. S. 196ff. und zustimmend G. Bornkamm, Der Auferstandene und der Irdische, S. 183f.), ist mir angesichts der Reaktion der antiochenischen Judenchristen auf die Intervention des Jakobus (Gal. 2,13) nicht völlig sicher. Mir scheint, daß erst Paulus selbst die Tora f ü r prinzipiell abrogiert erklärt hat, während die Hellenisten mit einer pneumatischen Suspension zunächst des Zeremonialgesetzes ausgekommen sein könnten. Daß auch solche Suspension faktisch bereits Abrogation der gesamten Tora war, ist nicht zu bestreiten. Die Frage ist nur, inwieweit solche Abrogation von Anfang an gewollt und reflektiert gewesen ist. Die in der Stephanusrede verarbeiteten Traditionen weisen, sofern sie aus Kreisen des aufgeklärten, kosmopolitisch eingestellten hellenistischen Judentums stammen, in die von uns angedeutete Richtimg

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dies nichts Genaues, und der Text der Rede des Stephanus aus Apg. 7,2ff., der hier noch nähere Aufschlüsse versprechen könnte, hat sich in letzter Zeit immer mehr als lukanische Komposition und damit als historisch unsichere Quelle erwiesen1. Nur auf zweierlei sei dementsprechend noch hingewiesen: Das eben rekonstruierte, schematische Bild steht im Einklang mit denjenigen neutestamentlichen Texten, welche den weltweiten Missionsauftrag an den Sendungsbefehl des Auferstandenen binden (vgl. vor allem Mt. 28,16ff.). Ob diese Tatsache besagt, daß die Hellenisten ihren Auftrag unmittelbar aus ihrer Auffassung und Erfahrung der österlichen Epiphanie des Auferstandenen herleiten, daß also, was uns heute als eine Entwicklung von der Menschensohnchristologie zur Kyrioschristologie erscheinen kann, zeitlich und sachlich sehr nahe beieinanderlag und sich aus den gleichen österlichen Erfahrungen herleitete, wissen wir nicht genau. Wie gleich noch auszuführen sein wird, dürften allerdings Gal. 1,16; 1. Kor. 15,3ff.; Mk. 16,9ff. usw. in solchem Sinne zu deuten sein. Ehe wir dies näher darlegen, ist noch folgendes zu sagen: Eine Gemeinde, welche aufbricht, um die Welt von der befreienden Herrschaft des himmlischen Kyrios Christos zu benachrichtigen, hat bereits ein Zeitverständnis, welches sich von der Gerichts- und Parusieerwartung der Palästiner abhebt. Deren Erwartung erlaubt es nur noch, die Botschaft des Menschensohnes einem Teil Israels auszurichten. Jetzt bricht man zur Missionierung der Heiden auf und setzt dabei voraus, daß der herrschende Christus, der solche Mission zuläßt und befiehlt, auch die Zeit gewährt, deren dieser Dienst bedarf2. (vgl. Simon, St. Stephen, S. 84ff. ; Haenchen, Apg. 5 S. 239ff.; Conzelmann, Apg. S. 50f.), doch ist, wie gesagt, nicht mehr sicher, inwieweit der lukanische Stephanusbericht überhaupt historische Rückschlüsse erlaubt (vgl. S. 248 Anm. 2). 1 "Vgl. S. 248 Anm. 2 und folgende Zitate aus dem Ergebnis der Arbeit Bihlers über die Stephanusgeschichte : „Der Stephanusbericht mag zwar an eine alte Überlieferung vom Tod des Stephanus anknüpfen, aber diese Tradition ist in der Komposition des Lukas gänzlich aufgegangen. Die Parallelen zu Jesusworten bzw. zur lukanischen Leidensgeschichte sind deutlich erkennbar. Darin äußert sich die besondere Tendenz des Lukas, Stephanus als Jünger Jesu herauszustellen." „Trotz ihres besonderen Charakters muß auch diese Rede [sc. die Stephanusrede in Apg. 7], wie dies allgemein von den Reden der Apostelgeschichte gilt, als eine Komposition des Lukas verstanden werden. Denn die Grundgedanken stimmen völlig mit typisch lukanischen Motiven und Vorstellungen überein." „Die Frage nach dem geschichtlichen Sachverhalt, der dem Bericht in Apg. 6-7 zugrunde liegt, läßt sich . . . nicht mehr mit letzter Sicherheit beantworten, und wir bewegen uns hier zumeist auf dem Boden von mehr oder weniger wahrscheinlichen Hypothesen" (a.a.O. S. 249/50). 2 Das h a t H . Schlier, Die Entscheidung f ü r die Heidenmission in der Urchristenheit, S. 103ff. treffend herausgearbeitet. O. Cullmann, Eschatology and Missions in the New Testament, (in : The Background of the New Testament and its Eschatology, Festschrift f ü r C. H . Dodd, Cambrigde 1956, S. 409-421) versucht zwar die Ansicht, die christliche Weltmission sei ein Resultat der Parusieverzögerung, durch die These zu widerlegen, daß nach urchristlichem

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Ob dieser notgedrungen hypothetische und dazu schematische Rekonstruktionsversuch einen für die Interpretation der Texte brauchbaren Rahmen darstellt, muß sich nunmehr zeigen. Dabei wird sich gleichzeitig ergeben, inwieweit die Ursprünge der uns beschäftigenden Evangelienterminologie unter den gegebenen Voraussetzungen noch aufgehellt werden können. Wir hatten bereits gesehen, daß Paulus selbst in Gal. l,15f. die ihm zuteil gewordene Epiphanie des Gottessohnes nahtlos mit seinem apostolischen Predigtamt verbindet. Die Parallelität von Gal. 1,15 f. und 1. Kor. 15,8 ff. (auch 9, lf.) legt es nahe anzunehmen, daß Paulus die in 1. Kor. 15,3-8 aufgezählten Ostererscheinungen im Sinne seiner eigenen, also als Berufungsepiphanien, verstanden wissen wollte, ohne daß uns freilich dadurch deutlich würde, in welchem geschichtlichen Sinne die über fünfhundert Brüder von V. 5 als berufen gelten konnten. Daß es jedoch um Berufungserscheinungen geht, legt auch der Reflex derselben Ereignisse in Apg. 10,40-43; 13,31 nahe. Es wird schließlich nahegelegt durch den programmatischen Schluß des MatthäusevanVerständnis "'missions' are an essential element in the eschatological divine plan of salvation" (S. 409), doch differenziert er dabei zwischen den verschiedenen urchristlichen eschatologischen Entwürfen viel zu wenig als daß a) die (in seine These ja schon aufgenommene!) Sicht Schliers getroffen und b) das Problem deutlich würde, wie es zu jener Einordnung der Heidenmission in den Vollzug der Eschatologie überhaupt kommen konnte, nachdem man zuvor darauf verzichtet hatte, die Heiden missionarisch anzusprechen! Wie richtig Schliers These ist, zeigt sich in unserem Zusammenhang an drei neutestamentlichen Belegstellen: Nach Rom. 11,25-32 ist auch das paulinische Evangelium deutlich ein in eine apokalyptische Geschichtsschau eingebettetes „Zwischen" Phänomen (womit nicht gesagt sein kann, daß die Aussagen des Evangeliums selbst überholbar wären!). Dieselbe Reflexion auf das Evangelium als eine apokalyptische Botschaft zwischen Auferstehung und Parusie zeigt sich Mk. 13,10 und selbst noch Mt. 24,14, also bis weit in die nachpaulinische Zeit hinein. Diese Tatsache zwingt zu der Überlegung, was unter diesem Aspekt das Evangelium strukturell eigentlich ist. Es ist eine Botschaft, die unter eschatologischem Aspekt Endgültiges auszusagen hat, die diese Aussage aber in einer zeitlich überholbaren Weise der Darbietung äußert und die zudem auf den Glauben der Angesprochenen angewiesen ist, um in jener „Zwischenzeit" auch zum Ziel zu kommen. Die Folgerung ist eindeutig und gliedert das hellenistische Evangelium erneut jüdischer und palästinisch-judenchristlicher Denkweise an : Jenes Phänomen des vorläufigen, dabei doch inhaltlich endgültigen und auf den Glauben abzielenden Evangeliums hat seine einzige und zwingende Analogie im alt testamentlichen und spätjüdischen proleptischen Prophetenwort, wie 4.Esra 9,5f. aufs deutlichste zeigt (vgl. auch oben S. 79 Anm. 2). Die apokalyptische Eingliederung der Heidenmission in den eschatologischen Geschichtsablauf und damit die apokalyptische Rahmung auch der Evangeliumsverkündigung f ü h r t zu einem apokalyptischen Verständnis des Evangeliums selbst: Es ist ein aus dem Ende der Welt bereits in die Gegenwart heilserfüllt vorlaufendes, in jener Zwischenzeit, welche der Mission gewährt ist, noch ins menschliche Wort der Apostel und Verkündiger verborgenes Wortgeschehen. Daß Paulus selbst in starkem Maße von einer derartig apokalyptischen Auffassung des Evangeliums beseelt ist, habe ich EvTh 26, 1966, S. 342-246 zu zeigen versucht; es ergibt sich auch aus Gal. 1, löf (s. oben S. 81f.). 17 5638 Stuhlmacher, Evangelium

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geliums und Mk. 16,9 ff. Beide Texte gehören, historisch gesehen, keineswegs zu den ältesten des Neuen Testaments, sind aber sachlich für unseren Zusammenhang so bedeutsam, daß wir es wagen, sie an den Anfang unserer Erwägungen zu rücken. In beiden Texten wird der weltweite Missionsauftrag direkt vom Auferstandenen hergeleitet. 2. Evangelium und Sendung : Mt. 28,16-20; Mk. 16,9-20 In welchem Maße Mt. 28,16-20 speziell matthäische Reflexion und Theologie voraussetzt, haben G. Strecker 1 und G. Bornkamm 2 gezeigt. Die literarische Frage, inwieweit der Text matthäische Komposition ist und in welchem Maße er bereits bestehende Einheiten (besonders in V. 18-20) voraussetzt 3 , braucht uns jetzt weniger zu interessieren als folgende drei Fragen : Das schon immer als schwierig empfundene οί δέ έδίστασαν, dexm es scheint der Zusammengehörigkeit von Erscheinung des Erhöhten und Aussendung zu widersprechen ; die Frage, gegen welche Denkweise und Terminologie sich Matthäus in dem thematischen μαθητεύσατε in V. 19 zur Wehr setzt; die Bestimmung schließlich, welche die unseren Text leitende Christologie erfahren muß. 0 . Michel hat wahrscheinlich gemacht, daß das Zweifelsmotiv in V. 17 erst der Reflexion der späteren Gemeinde entstammt, für welche die Ostergeschichten bereits zur Tradition gehören und die ihre Gewißheit allein noch in dem V. 18 ff. hervorgehobenen Wort des Erhöhten ( = Wort der Kirche) finden kann 4 . G. Bornkamm hat dem zugestimmt und davor gewarnt, angesichts solch fortgeschrittener Tradition und Reflexion unseren Evangelienschluß (wie E. Lohmeyer 6 ) mit einer der alten Erscheinungsgeschichten noch ohne weiteres zu identifizieren®. G. Strecker hat zudem gezeigt, daß in V. 17 die Hand des Matthäus selbst spürbar ist 7 . V. 17 widerspricht also der Zusammen1

Weg d. Gerechtigkeit 2 , S. 208-214. Der Auferstandene und der Irdische, passim. Vgl. ferner G. Barth, Das Gesetzesverständnis des Evangelisten Matthäus, in: G. Bornkamm-G. Barth H. J. Held, Überlieferung und Auslegung im Matthäus-Evangelium, WMANT1, Neukirchen 4 1965, S. 126-128. 3 O.Michel, Der Abschluß des Matthäusevangeliums, S. 19ff.; F . H a h n , Mission, S. 52 ff. und G. Bornkamm, Der Auferstandene und der Irdische (Bultmann-Festschrift), S. 173f. denken bei V. 18-20 an eine matthäische Komposition ursprünglich selbständiger Einzellogien. Ebenso analysiert G. Barth, a.a.O. S. 124f., während G. Strecker, Weg der Gerechtigkeit 2 , S. 210 vormatthäische Zusammenhänge vermutet. 4 A.a.O. S. 17ff.; G.Barth, a.a.O. S. 123f. schließt sich Michel an. 6 Mir ist gegeben alle Gewalt, in: In memoriam E. Lohmeyer, Stuttgart 1951, S. 22-49, bes. S. 26-28. « A.a.O. S. 171f. 7 A.a.O. S. 208; ebenso G.Barth, a.a.O. S. 134. 8

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gehörigkeit von Erscheinung und. Sendung in alten Texten nicht, signalisiert aber, daß diese alte Identität für die Kirche später interpretationsbedürftig war. In dem Matthäustext ist das Hauptanliegen jener alten Identität, daß nämlich die Botschaft selbst zum Wort des Auferstandenen wird, bejahend aufgegriffen worden. Aufgegriffen worden freilich in der reflektierten Form, daß die österliche Proklamation ausdrücklich an die Lehre des Irdischen gebunden wird. Es ist das uns schon vertraute Interesse der Identifikation kerygmatischer Aussagen durch die Bindung an die Lehre Jesu, welche unseren Text beherrscht und Matthäus jenes programmatische μαθητεύσατε κτλ. in die Feder drängt 1 . Die Polemik und Besorgnis solcher Tendenz sind deutlich spürbar. Es könnte also tatsächlich sein, daß Matthäus sich auch in unserem, für sein Evangelium entscheidenden Text gegen ein enthusiastisches Verständnis der kirchlichen Verkündigung (d. h. des Evangeliums) zur Wehr setzt 2 . In unserem Zusammenhang besonders interessant ist es schließlich, daß dieser traditionsgeschichtlich junge Text christologisch noch in dieselben Zusammenhänge weist, innerhalb derer sich die hellenistisch-judenchristliche Rede vom Evangelium entwickelt haben dürfte: Die Menschensohnerwartung steht vielleicht im Hintergrund des Vollmachtswortes V. 18b (vgl. Dan. 7,14), ist aber mit ihren eschatologischen Implikationen einer der Mission zuvorkommenden Parusie nicht mehr beherrschend3. Bestimmend ist vielmehr das Erhöhungs- und Inthronisationsmotiv, das uns klassisch in Phil. 2,9-11 oder auch l.Tim. 3,16 begegnet, das von Ps. 109,1 (LXX) her auch die hellenistische Version der ChristosChristologie prägt und diese zugleich der Kyrios-Christologie strukturell weitgehend angleicht4. Im Philipperhymnus sowohl wie in dem Inthromsationshymnus von l.Tim. 3,16 ist mit der Erhöhung und Inthronisation die Proklamation der neuen Herrscherwürde verbunden. Werden im Philipperhymnus zunächst die himmlischen und irdischen Mächte als Adressaten solcher Proklamation genannt, l.Tim. 3,16 aber schon die έθνη, so sendet auch in unserem Matthäustext der Erhöhte Christus seine irdischen Sendboten in der Vollmacht des Geistes zu den Völkern der Welt. Christologisch gehört unser Text also in die Sphäre des hellenistischen Christentums und der sich dort vollziehenden Verflechtung von Christos- und Kyrios-Vorstellungen5. 1

2 Vgl. oben S. 238ff. Vgl. oben S. 239. Vgl. Bornkamm, a.a.O. S. 174f. Gegen eine Rückbeziehung unseres Textes auf Dan. 7,14 scharf Κ. H. Rengstorf, Old and New Testament Traces of a Formula of the Judaean Royal Ritual, NovTest 5, 1962, (S. 229-244) 239. 4 Vgl. Bornkamm, a.a.O. und Hahn, Mission, S. 64-56. 6 Auch das υίός θεου-Prädikat aus Gal. l,15f. dürfte, wenn man Ps. 2,7 (LXX) und Kramers Definition der Funktion des Gottessohnbegriffes bei Paulus ,,υίός αύτοΰ (sc. τοΰ θεού) im paulinisehen Gebrauch (ist) die Bezeichnimg 3

17*

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Unser Text gibt Bomit wenigstens eine modellartige Vorstellung von dem christologischen, pneumatischen und zugleich österlichen Geschehenskreis, aus welchem die hellenistische Evangelienterminologie zu stammen scheint 1 . Daß wir mit dieser These nicht auf reine Vermutungen angewiesen sind, zeigt ferner der unechte Markusschluß. Da uns die sachliche Frage nach dem Ursprung des Evangeliums im Moment stärker beschäftigt als die analytische, können wir hier erneut die schon gestreifte Frage nach dem literarischen Charakter von Mk. 16,9-20 weitgehend auf sich beruhen lassen 2 . Daß wir eine sehr späte und als ganzes auch sekundäre Komposition vor uns haben, zeigt schon der textgeschichtliche Befand. In dreierlei Hinsicht wirkt diese Komposition sachlich älter als der Matthäustext: In V. 12-14 wird das Zweifelsmotiv noch vom Auferstandenen selbst überwunden, wie es den älteren Auferstehungsgeschichten entspricht 3 . Das die Botschaft der Auferstehungszeugen legitimierende Motiv pneumatischer Zeichen ist im Matthäustext eliminiert, hier aber tritt es in V. 17ff. noch betont hervor und weist unseren Text dadurch in den Bereich des hellenistischen Enthusiasmus, den Matthäus bereits kritisch einzudämmen sucht. Ein letztes Zeichen vormatthäischer Beflexionsstufe ist die Tatsache, daß der Sendungsbefehl des Auferstandenen nur auf die weltweite Proklamation des Evangeliums zielt, ohne daß eine Nötigimg zu näherer Identifikation dieses Evangeliums spürbar wäre. Es heißt in V. 15 nur: πορευ&έντες εις τον κόσμον άπαντα, κηρύξατε το εύαγγέλιον πάση τη κτίσει. Genau gegen diese (möglicherweise zum Enthusiasmus verführende) Evangeliumsverkündigung hat Matthäus dann bewußt Front gemacht. des Heilsträgers unter dem Aspekt seiner Zugehörigkeit zu Gott" (Christos, Kyrios, Gottessohn, § 54 d = S. 185) beachtet, unschwer der paulinischen Christos-Christologie zuzuordnen sein, die sich mit der hellenistischen KyriosChristologie beim Apostel untrennbar verbunden hat. Die hellenistisch-judenchristliche Christos-Christologie ist also der einheitliche Horizont, unter welchem die neue Verwendung des Stammes εύαγγελ- gesehen werden muß. Es dürfte darum kein Zufall sein, wenn in Mk. 16,9 ff. das zu dieser Christologie gehörige Inthronisationsschema in V. 19 noch „gewissermaßen 'nachgetragen'" wird (Hahn, Mission, 8. 54 Anm. 4) ; damit wird auch dieser Text an unseren christologischen Traditionsstrom angeschlossen. 1 U. Luck hat eben erst darauf hingewiesen, daß ein Text wie Mt. 28,16-20 ein sehr reflektiertes, geschichtstheologisches Urteil impliziert und voraussetzt, weil er einerseits die Differenz zu dem alten partikularistischen Missionsgedanken zu überwinden und zudem solche Überwindung noch mit der Realität der Verheißungs- und Offenbarungsgeschichte Gottes zu versöhnen hatte: Herrenwort und Geschichte in Matth. 28,16-20, EvTh 27, 1967, S. 494-508, bes. 497ff. Dies gilt natürlich nicht nur für unseren Text allein, sondern für die Konzeption der Heidenmission überhaupt (vgl. oben S. 252 Anm. 2). 2 Vgl. oben S. 239 Anm. 1. 3 Vgl. Bornkamm, a.a.O. S. 172 mit Verweis auf Lk. 24,41ff.; Joh. 20,24ff. und Mk. 16,14ff.

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Nun soll mit diesen sachlich vormatthäischen Elementen der MarkusÜberlieferung nicht nachträglich doch behauptet werden, daß der Text als ganzer vormatthäischen Charakter hätte. Vielmehr können wir uns darauf beschränken festzustellen, daß sich Matthäus in seinem Sendungstext von einer Mk. 16,15 if. analogen Tradition abzugrenzen scheint. Diese Tradition enthält in Y. 15 programmatisch das Stichwort το εύαγγέλιον. Daß es sich um eine bereits terminologisch feststehende und geprägte Formulierung handelt, zeigt der Artikel. Auch wenn Mk. 16,15 ff. textgeschichtlich jung ist und auf die neutestamentlichen Auferstehungsgeschichten schon zurückblickt, wird zum Thema εύαγγέλιον aus der Kompilation noch folgendes deutlich : Im Evangelium ist nach V. 20 der Auferstandene präsent; das Evangelium wird also christologisch verstanden und definiert. Es proklamiert die Weltherrschaft des Christus und bietet den Glaubenden, welche sich dem κύριος 'Ιησούς, dem neuen himmlischen Weltenherrn, unterwerfen, das Heil an. το εύαγγέλιον ist also in viel dezidierterem Sinne als jenes εύαγγέλιον της βασιλείας der Logientradition Heilsbotschaft, und zwar Botschaft von einem in der Gegenwart schon auf die ganze Welt hin sich öffnenden und auf sie zu entschränkten Heil. Damit stoßen wir auf ein wichtiges Kennzeichen, das die neue Evangelienbotschaft der hellenistischen und hellenistisch-judenchristlichen Gemeinde von der palästinisch-christlichen Verwendimg der Wurzel "Ifen abhebt: Die ausdrückliche Wahl des Stammes εύαγγελ- für die eschatologische Proklamation der Christusbotschaft bedeutet im hellenistischen Sprachraum (der jenen Stamm nur für die Ausrichtung von erfreulicher, höchstens aber wertneutraler Botschaft kennt), daß der Gedanke der Rettung und der eschatologisch begründeten Freude in weit stärkerem Maße hervortritt und für die neue Verkündigung konstitutiv wird als vordem. Weshalb die Wahl der hellenistischen Gemeinde gerade auf diesen Wortstamm fiel, läßt unser Text selbst nicht klar erkennen. Die von dem apokalyptischen „Evangelium" der Palästiner her vertraute, nun aber geschichtstheologisch neu reflektierte Zusammengehörigkeit von Botschaft Gottes und missionarischer Sendung, die griechische Fassung von Mt. 11,2-6 und ihre Weiterbildung in Lk. 4, die in hellenistisch· judenchristliches Milieu gehörige lukanische Geburtsgeschichte, vor allem aber die an semitische Ursprünge anschließende Zusammengehörigkeit von εύαγγελίζεσθαι und διδάσκειν in der hellenistischjudenchristlichen Gemeinde 1 nötigen zu der Annahme, daß der Stamm εύαγγελ- für die hellenistisch-judenchristliche Gemeinde nicht nur ein neuer, proklamatorischer Wortstamm war, sondern daß er in ähnli1

Vgl. S. 230 Anm. 5 unter b.

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chemMaße auch Übersetzungs-und Traditionsstamm gewesen ist. Schon mit der Wahl der Worte schließt man sich also an die (heils)geschichtlich vorgegebene jüdische und palästinisch-christliche ~)®3-Tradition an. Sicherlich hat die Septuaginta den Vermittlungsprozeß gefördert 1 . Nur begnügt man sich nicht damit, die alte apokalyptische Sprechweise ins Griechische zu transponieren, sondern schreitet zu begrifflichen Neuprägungen weiter. Eine, wenn nicht die gewichtige Neuprägung ist der in Mk. 16,15 begegnende, absolut gebrauchte, singularische Terminus: το εύαγγέλιον. Das junge Missionschristentum definiert mit diesem Ausdruck die jüdische und palästinisch-christliche nnif3 vom Kommen Gottes eindeutig christologisch : Der Herrschaftsantritt Gottes vollzieht sich in der Herrschaft des Christus. Wie damit die jüdische und judenchristliche Botschaft aufgenommen und zugleich abgelöst wird, so werden für die unter dem einen Evangelium von Jesus Christus stehenden Gemeinden auch die vielen Evangelien des Hellenismus zugunsten der einen, alles entscheidenden Heilsbotschaft entbehrlich. So scheint also die terminologische Rede von dem einen (Christus-) Evangelium eine sprachliche Neuschöpfung des hellenistisch-jüdischen Missionschristentums zu sein, welche durch den ihr zugehörigen eschatologischen Horizont unzweifelhaft mit der jüdischen Tradition und der Verkündigung der palästinischen Urgemeinde verbunden ist, welche aber zugleich Antwort gibt auf die auch die hellenistische Welt durchherrschende Sehnsucht nach σωτηρία. Zwei weitere Textgruppen erlauben es, die Entstehung und Ausbildung der neuen Missionsterminologie noch etwas genauer zu verfolgen. Es handelt sich um l.Thess. l,9f. und l.Kor. 15, Iff. 3. εύαγγέλιον τον &εον (1. Thess.

l,9f.)

Man wird sich die Mannigfaltigkeit der vorpaulinischen Missionspredigt nicht groß genug vorstellen können 2 . Man wird ferner anzunehmen haben, daß die Missionspredigt je nach ihren Adressaten verschiedene Stoß- und Aussagerichtung besaß. Schließlich gilt es zu bedenken, daß gerade in der hellenistischen Gemeinde, von der wir 1 Vgl. oben S. 163 f. 177 ff. Das Substantiv εύαγγέλιον konnte die Septuaginta freilich nicht bereitstellen. Ihm steht traditionsgeschichtlich die jüdische und judenchristliche ΓΠΐίΡ3 vom Kommen Gottes am nächsten, τό εύαγγέλιον erscheint unter diesem Aspekt als Herübernahme und endgültige, christologisch eschatologische Definition jener Botschaft in einem. 2 Einen Eindruck von solcher Mannigfaltigkeit vermittelt die Studie von Ν. A. Dahl, Formgeschichtliche Beobachtungen zur Christusverkündigung in der Gemeindepredigt, Ntl. Studien für R. Bultmann, BZNW 21, Berlin 2 1957, S. 3-9. Den Zusammenhängen des von Dahl hier im Anschluß an Bultmann (Theologie d. NT 3 , S. 107) eruierten sog. „Revelationsschemas" ist jetzt D. Lührmann weiter nachgegangen (Offenbarungsverständnis, S. 124ff.).

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sprechen, Verkündigung und Lehre, Predigt und (Tauf-)Unterricht aufs engste miteinander verbunden waren, so daß Topoi der Missionspredigten im Taufunterricht wiederzuerwarten sind und umgekehrt 1 . Erst wenn man sich dies alles vor Augen geführt hat, ist es möglich, die Verbindung des Wortstammes εύαγγελ- mit der urchristlichen Missionsverkündigung ohne die Gefahr von Verkürzungen näher ins Auge zu fassen. Bei der Suche nach traditionsgeschichtlichen Haftpunkten der Paulus schon vertrauten Evangelienterminologie kann die alte Frage, ob und in welchem Maße Paulus in Rom. 1,18 ff. ein Beispiel seiner eigenen Heidenmissionspredigt vorlege, auf sich beruhen. Terminologisch ist in diesem Abschnitt der Begriff εύαγγέλιον nicht führend. Ein anderes Bild ergibt sich bei l.Thess. 1,9f. Es steht seit langem fest, daß Paulus an dieser Stelle in formelhafter Sprache Inhalt und Schema der hellenistisch-christlichen, monotheistischen Missions- und Bekehrungspredigt wiedergibt 2 . Paulus reproduziert aber sicher nicht nur geläufige Tradition, sondern bietet zugleich ein Summarium der von ihm selbst vorgetragenen Verkündigung (vgl. το εύαγγέλιον ημών in V. 5!). Der Text von V. 9b. 10 lautet: έπεστρέψατε προς τον ·9·εον άπο των ειδώλων δουλεύειν θ-εώ ζώντι καί άληθ-ινφ, και άναμένειν τον υίον αύτοϋ έκ των ούρανών, δν ήγειρεν έκ των νεκρών, Ίησοϋν τον ρυόμενον ημάς έκ της οργής της έρχομένης. Der Apostel bezieht sich auf diese Verkündigung und solches Schema nicht nur in 1,5, sondern auch in 2,2ff. unter den Stichworten εύαγγέλιον του θεοΰ und το εύαγγέλιον. Ist es erst der Apostel, der diese Stichworte für jene Missionspredigt einsetzt? Das wird man kaum behaupten dürfen. In den nächsten Parallelen zu unserem Predigtsummarium, der in den christlichen Taufunterricht weisenden Stelle Hebr. 6, l f . 3 und der Predigt Apg. 14,15ff. 4 , taucht Apg. 14,15 das Verbum εύαγγελίζεσθαι erneut auf, ohne daß man für diese Stelle eine spezielle Abhängigkeit von paulinischer Sprache voraussetzen dürfte. Wenn in ein und demselben Aussagezusammenhang an zwei 1

Vgl. oben S. 230 Anm. 5 Abschnitt b. Vgl. nur: M. Dibelius, An die Thessalonicher, H N T 11, 3 1937, S. 6f.; U. Wilckens, Die Missionsreden der Apostelgeschichte, WMANT 5, 2 1963, S. 81ff.; G. Bornkamm, Glaube u. Vernunft bei Paulus, in: Studien zu Antike u. Urchristentum, Ges. Aufs. II, (S. 119-137) S. 121ff.; R. Bultmann, Theol. d. NT 3 , S. 71f. und B. Rigaux: Saint Paul. Les Épîtres aux Thessaloniciens, Études Bibliques, Paris 1956, S. 392ff. 3 Vgl. H. Windisch, Der Hebräerbrief, H N T 14, 2 1931, S. 49; O.Michel, Der Brief an die Hebräer, MeyerK. 13.Abtlg. 12 1966, S. 238f.; E. Käsemann, Das wandernde Gottesvolk, FRLANT 55, Göttingen 2 1957, S. 119f.; A. Seeberg, Katechismus d. Urchristenheit, S. 248ff. und Wilckens, a.a.O. S. 82f. 4 Es dürfte sich in Apg. 14,15ff. um lukanische Formulierungen handeln, vgl. Bauernfeind und Conzelmann z. St., ferner Wilckens, a.a.O. S. 86ff. 2

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überlieferungsgeschichtlich verschiedenen Orten derselbe Wortstamm auftaucht, ist es berechtigt, nach den Wurzeln solcher Parallelität zu fragen. Kann also l.Thess. l,9f. Anhaltspunkte für die Entstehung der vorpaulinischen Evangelienterminologie bieten? Folgende Erwägungen sprechen für diese Annahme : Die traditionsgeschichtlichen Wurzeln der Bekehrungspredigt nach dem Schema von l.Thess. l,9f. führen, wie ebenfalls schon längst bekannt ist, zurück auf die monotheistische Missionspredigt der hellenistischjüdischen Synagoge 1 . Vergleicht man aus der Fülle des sich anbietenden Parallelenmaterials auch nur die von W. Nauck für unseren Zusammenhang ausgewerteten Fragmente aus den Sibyllinen 2 mit der zwar auch schon von Nauck herangezogenen, aber kürzlich erst von Chr. Burchard im eigentlichen Sinne für die religionsgeschichtliche und neutestamentliche Diskussion zurückgewonnenen, jüdisch-hellenistischen Missionsschrift „Joseph und Aseneth" ( = JA) 3 , so ergeben sich erstaunliche Parallelitäten. Sie betreffen alle für die Missionspredigt der Christen wichtigen Motive und Aussagen: den Monotheismus mitsamt der Abkehr von den (als nichtig gebrandmarkten) Götzen 4 ; das Angebot der μετάνοια, welche auf dem Hintergrund von Gerichtsdrohungen gegenüber den Unbußfertigen um so heller erscheint 6 ; die eschatologische Hofíhung auf eine für die Bekehrten nach dem Tode bereitete, paradiesische Ruhe und Glückseligkeit". Die Parallelität, ja sogar Identität dieser Aussagen in völlig verschiedenen Schriften des hellenistischen Judentums deutet darauf hin, daß wir vor ganz geläufigen Topoi des jüdisch-hellenistischen Denkens stehen, sofern dieses Denken für die Heiden offen war. Auch wenn 1 Vgl. die S. 259 in Anm. 2 genannte Literatur, insbesondere Bornkamm und Bultmann; ferner W. Eltester, Gott u. die Natur in der Areopagrede, Ntl. Studien f. R. Bultmann, BZNW 21, 2 1957, S. 202-227; ders., Schöpfungsoffenbarung und natürliche Theologie im frühen Christentum, NTSt 3, 1956/57, S. 93-114; W. Nauck, Die Tradition und Komposition der Areopagrede, ZThK 53, 1956, S. 11-52 (mit schönen Quellenbeigaben S. 46-52); H. Conzelmann, Apg. S. 102-104 (mit bequem zugänglichen Quellenstücken im Anhang S. 156) und Haenchen, Apg. 5 S. 461 Anm. 3. 464ff. 2 A.a.O. S. 26f. (Übersetzung S. 51f.); vgl. dazu Bornkamm, a.a.O. S. 122f. In der Ausgabe der „Sibyllinische(n) Weissagungen" durch A. Kurfess (Tusculum-Bücherei) 1951 finden sich die beiden Fragmente S. 66ff. (danach die folgenden Angaben). 3 Vgl. Nauck, a.a.O. S. 39f. und Chr. Burchard, Untersuchungen zu Joseph und Aseneth, WUNT 8, Tübingen 1965. Maßgeblich ist immer noch die griechische Textausgabe von P. Battiffol, Studia Patristica 1/2, Paris 1889/90; deutsche Übers, bei Rießler, Altjüd. Schrifttum, S. 497ff. . 4 Sib. fr. I 7f. 32-34 und III 3f. vgl. mit JA 12, Iff. ( = 54,21ff. Batiffol); ferner JA 12,5 (55,9 B.), auch 11,7f. (53,24ff. B.) vgl. mit Sib. fr. III 21f. 25ff. 6 Sib. fr. I 25ff. vgl. mit JA 15,4-8 (61,2ff. B.). • Sib. fr. III 43f. 46ff. vgl. mit JA 15,4; 22,13 (61,2ff.; 73,19f. B.). Zur Gerichtsdrohung gegenüber den Unbußfertigen vgl. Sib. fr. III 43f. und JA 11,7 (53,24ff. B.).

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•wir keine der synagogalen Missionspredigten im Original überkommen haben 1 , kann also kein Zweifel daran bestehen, daß die genannten Topoi in der jüdisch-hellenistischen Mission zur Sprache gekommen sind. Beachtet man schließlich, daß in JA die heidnische ägyptische Priestertochter Aseneth förmlich als „das gottgewollte Urbild und damit die theologische Rechtfertigimg der Proselyten"2 dargestellt und die von Aseneth kraft ihrer Bekehrung zum Judentum gewonnene leibliche und geistliche Schönheit in den leuchtendsten Farben gepriesen wird, wird man es sogar wagen können zu sagen, daß die jüdisch-hellenistische Missionssprache insgesamt durchaus auf den Ton der Werbung, der Freude und Befreiung ausgerichtet war 3 . Wenn die hellenistisch-jüdischen Christen beim Aufbruch zur Heidenmission sich an geprägte Vorbilder anlehnen und auf geprägte Materialien zurückgreifen wollten, so waren es diese Materialien aus der hellenistisch-jüdischen Synagoge. Der Rückgriff auf das synagogale Material lag schon deshalb nahe, weil die christliche Heidenmission in den um die Synagoge versammelten σεβόμενοι τον θεόν ihre ersten Adressaten und am besten vorbereiteten Hörer gefunden haben dürfte 4 ! Es ist also wahrscheinlich, daß die Hauptmotive und einige der Hauptaussagen der hellenistisch-judenchristlichen Missionspredigt dem Begriffs- und Vorstellungsschatz der hellenistischen Synagoge entstammen. Hat man sich dies vergegenwärtigt, so fallen die Unterschiede zwischen der christlichen Missionspredigt und jener der Synagoge um so stärker ins Gewicht. Sie betreffen drei Punkte. Einmal kann von einer Naherwartimg in den synagogalen Ansprachen keine Rede sein, während diese z.B. l.Thess. 1,9f. beherrschend ist. Dann fehlt in den von uns verglichenen und vergleichbaren jüdischen Texten m. W. eine messianologische Aussage vollkommen, während sie für 1. Thess. 1,9f. wiederum konstitutiv genannt werden muß 5 . Schließlich 1 Vgl. H. Thyen, Der Stil der Jüdisch-Hellenistischen Homilie, F E L A N T 65, Göttingen 1955, S. 7. Zu Thyens Buch insgesamt vgl. E. Käsemanns Besprechung in VF 1960/62, S. 87f. 2 Burchard, a.a.O. S. 117. 3 Vgl. JA 15,4-7. l l f . (61,2ff.; 62,7ff. B.) und Sib. fr. I 26ff.; III 34f. 4 Vgl. Haenchen, Apg. 5 S. 409; vgl. ferner oben S. 99 Anm. 5. 5 W. Kramer, Christos. Kyrios. Gottessohn, § 280 = S. 123 hält den in l.Thess. 1,9 f. gegebenen Zusammenhang von Parusieaussage und Gottessohn titel für sekundär; das liegt jedoch nur daran, daß er unseren Text nur unter dem Aspekt seiner Zugehörigkeit zum christologischen Formelgut betrachtet und auf die in der hellenistisch-judenchristlichen Christos-Christologie (Ps. 2,7 !) von vornherein gegebene funktionale Verbindung zwischen Gottessohn- und Christos -Titulatur nicht reflektiert. Betrachtet man unseren Text von der S truktur der hellenistisch-judenchristlichen Christos-Christologie aus, welche noch bei Paulus beherrschend zu sein scheint, ordnet sich die Aussage über die Parusie auch unter dem Aspekt des Gottessolmtitels ohne weiteres ein. Vgl. Hahn, Hoheits-

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ist der von der Synagoge angepriesene Monotheismus essentiell an die Tora gebunden gewesen und bezieht sich vor allem auf das erste Gebot, in welchem die ganze Tora enthalten ist. Das Fest, das die Heiden (!) nach dem Aristeasbrief anläßlich der Septuagintaübersetzung für die jüdischen Übersetzer geben, beleuchtet — gerade weil es sich um eine ideale Szene handelt — die gesamte Szenerie1. Der Proselyt, den die Synagoge wirbt, soll unter dem Schutz und der Anleitung des mosaischen Gesetzes die Höhe und Freiheit wahren Glaubens an den einen Gott erklimmen können. Von alledem ist in der christlichen Missionspredigt nicht mehr viel spürbar. Der Ton liegt in l.Thess. l,9f. statt auf der Tora auf der Christologie und dem durch Christus (ohne Beschneidung und Gesetz) eröffneten Zugang zu Gott. Das aber dürfte bedeuten, daß wir in l.Thess. l,9f. auf eine implizite Form jener die Hellenisten der Apostelgeschichte in die Verfolgung reißenden und andererseits den Juden Paulus zur Verfolgung der Hellenisten hinreißenden Gesetzesabrogation vor uns haben2. Ist dies im Ansatz richtig gesehen, so ist es um so interessanter, daß der Stamm εύαγγελ- gerade an dieser Form der christianisierten Missionspredigt zu haften scheint ! Ob es schon innerhalb der Synagoge titel, S. 288-290 und, trotz Kritik an H a h n , in der f ü r unseren Zusammenhang entscheidenden Tendenz ebenso: Vielhauer, Ein Weg zur ntl. Christologie, S. 189f. Vgl. auch oben S. 255 Anm. 5. 1 Aristeasbrief 180 ff. 2 K . G. K u h n , Das Problem der Mission in der Urchristenheit, S. 162. 165 vergleicht die christliche Heidenmissionspredigt u n d ihre Gesetzesabrogation mit der durch Josephus, A n t . 20, 2,4 ( = 20,38ff.) f ü r das hellenistische J u d e n t u m bezeugten Möglichkeit, bei der Bekehrung des Königs Izates von Adiabene (zunächst) auf die Beschneidung zu verzichten; mit dem Unterschied freilich, d a ß in der hellenistisch-christlichen Mission zugunsten des Glaubens an Jesus n u n m e h r ü b e r h a u p t auf die Beschneidung verzichtet wird: „. . . die hellenistische Gemeinde (knüpft) in der S t r u k t u r ihrer Mission an die Tradition der hellenistischen Synagoge an. Wie diese sagt sie: D u brauchst nicht notwendig erst J u d e zu werden durch den "Übertritt als Proselyt, das heißt durch Beschneidung, u m Gott wohlgefällig sein zu können u n d das Heil zu erlangen; wichtig ist allein, daß du ein wahrer Verehrer des einen, wahren Gottes wirst, ein σεβόμενος τόν θεόν. Die christliche hellenistische Gemeinde sagt das n u n so: Auch dir, dem Nichtjuden, gilt die Heilsbotschaft; du brauchst nicht erst notwendig J u d e zu werden, vielmehr gilt auch f ü r dich, daß du durch den Glauben an Jesus als den demnächst kommenden himmlischen Weltenrichter u n d Bringer der Heilszeit f ü r die Seinen Teilhaber der eschatologischen R e t t u n g w i r s t " (S. 165). Zum Problem, inwieweit die mit solcher Predigt gesetzte Abrogation der Tora prinzipieller u n d grundsätzlicher N a t u r genannt werden k a n n , vgl. S. 251 Anm. 2. Immerhin ist ja auch zu fragen, inwiefern der von Josephus geschilderte Fall typischen Charakter besaß! Beachtenswert f ü r dieses Problem ist es auch, daß K u h n a . a . O . S. 162f. das Insistieren auf der Einhaltung der gesamten Tora (einschließlich des Zeremonialgesetzes!) als spezifisches Kennzeichen palästinisch-jüdischer Observanz anspricht; dadurch gerät die Tatsache der Verfolgung der Hellenisten in Jerusalem u n d des Protestes der Falschbrüder auf dem Apostelkonvent ebenfalls in Jerusalem in ein höchst interessantes Licht.

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für die Missionspredigt einen festen term, techn. gegeben hat, ist uns nicht bekannt. Es dürfte aber eine jedenfalls diskutable Hypothese sein, anzunehmen, daß sich bereits im jungen Missionschristentum jener Predigttypus vor allem mit dem Stichwort εύαγγέλιον του θεοΰ verbunden hat, das noch Paulus selbst ihm beilegt, εύαγγέλιον τοΰ θεού wäre dann, sprachlich völlig korrekt, die Bezeichnung für die neue christlich-monotheistische Predigt gewesen, die im polytheistischen Milieu mit Fug und Recht unter dem Stichwort der „Freudenbotschaft von Gott" oder auch nur der „Botschaft von Gott" auftreten konnte 1 . In dem Maße freilich, in welchem sich die ersten Missionare als inspirierte, prophetische Boten Gottes und seines Christus wußten, also als die eschatologischen εύαγγελιζόμενοι wie Paulus auch 2 , war für sie jenes εύαγγέλιον τοϋ θεου zugleich inspiriertes Gotteswort. Es war nicht mehr nur Botschaft von und über Gott, sondern άληθώς λόγος θεοΰ, wie man mit l.Thess. 2,13 formulieren könnte. Ihre neue Botschaft nannten jene Missionare εύαγγέλιον τοΰ θεού, vielleicht auch schon, sofern die Missionsverkündigung vom Heilskönig Jesus sprach, εύαγγέλιον Χρίστου. Abgekürzt konnte man für beides technisch einfach sagen : το εύαγγέλιον. Mit dieser auf religionsgeschichtlichem Gebiet analogielosen, neuen Terminologie war, sofern das Evangelium die eine wahre rettende Kunde von Gott und seinem Christus zu sein beanspruchte, eine Kritik an der jüdischen Torafrömmigkeit und der von dieser getragenen Bekehrungspredigt der Synagoge gegeben. Gerade weil die Parallele zu l.Thess. l,9f., Hebr. 6, lf., in den Taufunterricht weist 3 und sich damit wie sogleich auch bei der Betrachtimg von 1. Kor. 15, Iff. Berührungen des Wortstammes εύαγγελ- mit der Unterweisung der jungen christlichen Missionsgemeinden ergeben, läßt sich das Phänomen jener von uns notierten Kritik an der jüdischen Gesetzesfrömmigkeit noch ein Stück weiter verfolgen. 1 Die mit εύαγγέλιον verbundenen Genitive sind sprachlich zunächst als Objektsgenitive aufzufassen. Vgl. dazu oben S. 237 Anm. 1. 2 Es ist nicht völlig gewiß, ob die Bezeichnung des Philippus als ευαγγελιστής in Apg. 21,8 ein (auf diesen Zusammenhang zurückführender?) traditioneller Titel ist (so z.B. Harnack, Kirchenverfassung, S. 213 Anm. 2; Bauernfeind und wohl auch Conzelmann z. St.), oder ob man in dieser (Eph. 4,11 und 2.Tim. 4,5 deutlich nachpaulinischen) Bezeichnung nicht mit W. Kramer, Christos § 13a = S. 151 eine späte Titulatur für den Missionar zu sehen hat, die eingesetzt wurde, weil sich der Aposteltitel bereits auf einen festen Kreis bezog, also als Bezeichnung nicht mehr in Frage kam. Diese zweite Auffassung ist die wahrscheinlichere, weil sie a) vorzüglich in die lukanische Theologie paßt und b) den Tatbestand zu erklären vermag, daß der Titel nicht (alttestamentlich) εύαγγελιζόμενος, sondern ευαγγελιστής heißt, also auf einen rein griechischen Ausdruck zurückgreift (vgl. Friedrich, ThWb II S. 734ff.). 3 Vgl. oben S. 259 Anm. 3.

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Uns war die Zusammengehörigkeit der Wurzel mit der Gesetzespromulgation öfters begegnet1, und der jüdische Übersetzer der Perilipomena Jeremiae stellte 5,21 εύαγγελίζεσθαι und κατηχήσαι τον λόγον als zwei Parallelbegriffe nebeneinander, um durch beide die Belehrung der Exulanten im (Tora-)Gehorsam gegenüber Gott zu bezeichnen. Wenn nun das junge Missionschristentum seine eigene Lehre mit demselben Wortstamm bezeichnete, und es wagte, ihren eigenen τύπος διδαχής (Rom. 6,17) an die Stelle jener synagogalen Unterweisung in der Tora zu rücken, so war dadurch ein hohes Maß an Kritik an der Geltung der Tora gegeben, ein so hohes Maß, daß es durch die Herübernahme gewisser Elemente der synagogalen Paränese in die der Christengemeinden nicht wettgemacht werden konnte2. Hier war vielmehr die neue, evangelische Lehre von Gott und seinem Christus auf dem Plan, und diese neue Lehre, das Evangelium, machte der alten Lehre, dem Gesetz, den Platz und den Rang streitig. Mit alledem kann nicht gesagt sein, daß der Begriff des εύαγγέλιον του θεοϋ ausschließlich an diesem einen Schema monotheistischer Missionspredigt gehaftet hat 3 . Es kann nur festgestellt werden, daß wir hier einen freilich ungewöhnlich wichtigen Haftpunkt der neuen 1

Vgl. oben S. 138f. 133 Anm. 3, 177 Aura. 2, 230 Anm. 5 u n t e r b. D a es jetzt nicht tun Einzelnachweise, sondern u m einen Überblick geht, sei dieser T a t b e s t a n d nur mit einem Zitat belegt : „ D i e urchristlichen Gemeinden waren auf das Vergehen dieser Welt u n d nicht auf das Leben in ihr eingerichtet ; so waren sie auf die Notwendigkeit keineswegs gerüstet, paränetische Losungen f ü r den Alltag hervorzubringen. Aber das J u d e n t u m h a t t e vorgearbeitet : seine Proselytenbelehrungen, ihrerseits häufig wieder von hellenistischen Vorbildern abhängig, b e d u r f t e n o f t n u r leiser U m t ö n u n g oder christlicher Ergänzung, u m auch u n t e r Christen brauchbar zu werden" (M. Dibelius, Formgeschichte® S. 241). 3 So z . B . U . Wilckens, Ursprung der Überlieferung der Erscheinungen des Auferstandenen, S. 58f. Man wird vielmehr (z. B. mit Dibelius, Formgeschichte 3 S. 19 oder Dahl, Formgeschichtliche Beobachtungen zur Christusverkündigung in der Gemeindepredigt [vgl. oben S. 258 Anm. 2]) d a m i t zu rechnen haben, daß es im Urchristentum eine Vielzahl von kerygmatischen (Darbietungs-) Schemata gegeben h a t , in denen allen das Evangelium mitteilbar war (zu solchen Schemata u n d ihrer Variabilität vgl. auch Eltester, Gott u n d die N a t u r in der Areopagrede, S. 227). Gerade diese Variabilität m a c h t es schwer, die Frage exakt zu beantworten, in welchem Maße zwischen dem „ E v a n g e l i u m " u n d dem Predigtschema von 1. These. 1,9 f. formgeschichtliche u n d formprägende Beziehungen bestehen. A. Seeberg, Katechismus der Urchristenheit, S. 65f.; H . Conzelmann, Apg., S. 103 u n d E . Käsemann, Artikel: Liturgische Formeln im NT, R G G 3 I I Sp. 995 sehen unseren Text, besonders V. 10, in Zusammenhang mit alten frühchristlichen Credoformulierungen. Über die formgeschichtliche Prägekraft der Evangeliumsvorstellung läßt sich angesichts solchen Befundes im Moment nur erst sagen, daß 1. die mit εύαγγέλιον verbundene Christos-Christologie u n d 2. die damit zugleich gegebene Sicht eines heils- u n d erwählungsgeschichtlichen Handelns Gottes vor Christus u n d durch Christus auch f ü r die kerygmatische u n d die katechetische Darbietung des Evangeliums gewisse motivische Verbindungen von Gotteshandeln u n d Christologie nahegelegt haben dürfte. Ähnliche u n d einige weiterführende Beobachtungen zu diesem Thema lassen sich a n l . K o r . 15, Iff. machen. — F ü r ein „Tauflied 2

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Missionsterminologie vor uns haben. Der Festlegung auf dieses eine Schema widerrät auch die Beobachtung, daß von dem wahren, durch Christus vermittelten Glauben an den einen Gott nicht nur in der Predigt selbst, sondern eben auch im Katechumenenunterricht die Rede gewesen ist (vgl. Hebr. 6,2). Wir werden noch sehen, daß auch Paulus in 1. Kor. 15, Iff. Traditionen, welche ihren heute erkennbaren Sitz im Leben vor allem im (Tauf-)Unterricht der jungen Christenheit gehabt haben, durchaus mit dem Stamm εύαγγελ- verbinden konnte, und tun deshalb gut daran, uns für diese Weite der Ausdrucksweise schon jetzt offenzuhalten. Die bei Paulus begegnende Variabilität der Evangelienterminologie in l.Thess. 1 und 2 ist also eventuell schon f ü r die Frühzeit zu erwarten, unbeschadet der Erkenntnis, daß es für die einzelnen Ausdrücke traditionsgeschichtlich bevorzugte Kristallisationszentren gegeben hat. Ob diese Variabilität und Weite der Ausdrucksmöglichkeiten eventuell darin begründet war, daß man den Stamm εύαγγελ- enger mit der eschatologischen Wortoffenbarung Gottes in Christus verbunden sah als mit der missionierenden Einzelpredigt, ist eine erst bei der Durchsicht des gesamten paulmischen Materials zu beantwortende, aber hier wenigstens schon anzureißende Frage. Jetzt läßt sich zunächst nur noch sagen, daß das Verbum εύαγγελίζεσθαι seine terminologische Verdichtung zum Sinn von „das Evangelium (Gottes bzw. des Christus) proklamieren" nur erst im Zusammenhang mit jenen neuen substantivischen Bezeichnungen für die Offenbarungspredigt gewonnen haben kann. Wenn Apg. 8,35 und 11,20 aus vorlukanischem (antiochenischem?) Überlieferungsgut stammen sollten, läßt sich der Prozeß der terminologischen Ausbildung des Verbums noch deutlich verfolgen: Am Anfang steht die jüdische Wendung ÏTTlfoa "W3 bzw. εύαγγελίζειν εύαγγέλιον (vgl. Ape. 14,6). Das Verbum verbindet sich dann, wie jene beiden Belege aus den Acta zeigen, mit dem Gedanken der Proklamation und heilsgeschichtlichen Verkündigung des κύριος Ίησοϋς Χριστός. Die christologische Definition des Evangeliums in den hellenistischen Missionsgemeinden führt weiter zu der Wortverbindimg εύαγγελίζεσ&αι τό εύαγγέλιον, die sprachlich an die alte jüdische Formel anschließt, aber inhaltlich neugeprägt erscheint (vgl. z.B. l.Kor. 15,1; 2. Kor. 11,7; Gal. 1,11 usw.). Die Selbstverständlichkeit, mit welcher Paulus sich dieser Redeweise bedient, zeigt, daß es sich um bereits vor Paulus hellenistischer Judenchristen", bestehend aus zwei Strophen: a) V. 9b + 10a und b) 10b kann ich unseren Text nicht halten; V. 9b und 10a sind Prosa; πώς έπεστρέψατε läßt sich im Rahmen des l.Thess. gut, aber m. E. kaum als ein traditioneller Zuruf an Täuflinge verstehen, und nur V. 10b enthält formuliertes Formelgut. Vgl. zu jener Sicht des Textes G. Friedrich, Ein Tauflied hellenistischer Judenchristen, ThZ 21, 1965, S. 502ff.

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eingebürgerte Sprechweise handeln dürfte. Am Ende der Entwicklung steht das jene Wendung abkürzende, terminologisch-absolute εύαγγελίζεσθ-αι von 1. Kor. 9,16; Gal. 1,16 usw. Auch hier liegt es nahe, aus denselben Gründen wie eben vorpaulinischen Sprachgebrauch zu postulieren. Was besagt also „Evangelium" und „Evangelium Gottes" in der Missionssprache der jungen Missionsgemeinden? Es ist Bezeichnung für eine den Glaubenden als Gottes eigener Advent begegnende Offenbarungskunde von dem durch Christus schon jetzt auf die Welt der Heiden entschränkten Heil Gottes. Die neue Botschaft nennt sich mit Recht εύαγγέλιον = Heilsbotschaft, weil sie von der endzeitlichen σωτηρία spricht und diese nicht mehr an Gesetz und Beschneidung gebunden sieht, vielmehr diese σωτηρία für alle Glaubenden schon heute eröf&iet weiß. Wovon die den Heiden zugewandte Synagogenpredigt in der Diaspora nur im Sinne eines letzten Ausblicks sprach und was diese jüdische Predigt fest an die Ergebenheit gegenüber der Tora Gottes gebunden glaubte, das Heil des jüngsten Tages, davon sprach die Evangeliumspredigt der missionierenden Christen heute schon, und zwar in einer sich vom jüdischen (Zeremonial-) Gesetz emanzipierenden Weise. Freilich war das neue Evangelium der Christen eine Offenbarungskunde, welche jüdisch-apokalyptischem Denken in hohem Maße verpflichtet blieb: Es geht im Evangelium um eine Offenbarung des endzeitlichen Heiles, welche heute noch ins Wort der Prediger hinein verborgen und auf den Glauben ihrer Adressaten angewiesen ist, welche also auf den weltweiten Advent Gottes erst verheißungsvoll vorausweist. Anders formuliert: Das Evangelium hatte noch keinen allgemein evidenten Sachverhalt zu demonstrieren, sondern eine Botschaft zu verkünden, welche die Horizonte der alten Weltzeit zwar bereits endgültig aufsprengte, aber gerade damit die Hoffnung auf die weltweite Gottesherrschaft, welcher das heute schon verkündete Heil zugehören soll, wachrief und wachhielt. Wenn wir demnach im neuen Evangelium der Christen die ins Wort hinein verborgene Offenbar\mg von dem aller Welt in Christus bereiteten Heil sehen dürfen und außerdem gelernt haben, die Begriffe το εύαγγέλιον und εύαγγέλιον θεοΰ als christliche Sprachbildungen sui generis anzusprechen, können wir uns l.Kor. 15, Iff. zuwenden. 4. εύαγγέλιον του Χρίστου (1. Kor. 15,3—8) l.Thess. l,9f. bot uns die Möglichkeit, wenigstens hypothetisch einen vorpaulinischen Haftpunkt des Paulus bereits ganz geläufigen, aber vorpaulinischen Ausdrucks εύαγγέλιον του θεοΰ in der christlich-

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monotheistischen Missionspredigt festzustellen. Ebenso wie εύαγγέλιον τοϋ θεοϋ scheint der hei Paulus mehrfach erscheinende Ausdruck εύαγγέλιον τοϋ Χριστοΰ vorpaulinischen Ursprungs zu sein1 und mit ihm die systematische Abbreviatur το εύαγγέλιον. Im Rahmen der Paulusbriefe bietet sich ein zweiter Text ganz besonders an, um dem vorpaulinischen Werdegang der Evangelienterminologie im allgemeinen und dem Ausdruck εύαγγέλιον τοϋ Χριστοΰ im besonderen traditionsgeschichtlich nachzugehen. Es handelt sich um 1. Kor. 15,3ff. Da die Einleitung zu 1. Kor. 15,3ff., V. 1 + 2, unstrittig von Paulus selbst formuliert ist, ist der Zusammenhang des in Y. 3 ff. dargebotenen Formelgutes mit dem Ausdruck το εύαγγέλιον in V. 1 traditionsgeschichtlich nicht völlig gesichert2. Zur traditionsgeschichtlichen Rückfrage ermutigt erst die Feststellung, daß in dem strukturell ganz ähnlich wie 1. Kor. 15,3ff. gegliederten Redestück aus den Acta ( = Apg. 10,34ff.) in V. 36 der Wortstamm εύαγγελ- erneut auftaucht3. Damit gewinnt unsere Rückfrage an Sicherheit. Was für Zusammenhänge vorliegen, kann jedoch nur deutlich werden, wenn wir drei Fragen geklärt haben: Wie ist die Paradosis in V. 3ff. textlich abzugrenzen; welchem urchristlichen Überlieferungskreis gehört die Paradosis an; welchen formgeschichtlichen Charakter hat der Text. Die Mehrzahl der Forscher schließt in der Nachfolge A. Seebergs4 aus dem stilistischen Bruch zwischen V. 5 und 6 (bis einschließlich V. 5 von V. 3 a abhängige, referierende δτι-Sätze, mit V. 6 Wechsel zu selbständigen Hauptsätzen), daß der Wortlaut der von Paulus referierten Paradosis5 nur bis V. 5 reiche und von Paulus selbst in V. 6ff. mit Nachträgen versehen werde. Dabei wird ausdrücklich offengelassen, daß auch die Aussagen dieser Nachträge dem Paulus 1

Vgl. Kramer, Christos. Kyrios. Gottessohn, § 12a = S. 46f. Vgl. Kramer, a . a . O . § 12b = S. 47. 3 Vgl. ferner Apg. 13,16ff. bzw. 13,32. I n Apg. 10 und 13 handelt es sich u m lukanische Redekompositionen, die aber, wie ich meine, nach einem bereits in l . K o r . 15,3ff. greifbar werdenden, also vor-lukanischen und chronologisch gedachten Schema aufgebaut sind; dieses Schema könnte am Stamm εύαγγελgehaftet haben; vgl. dazu unten S. 277 Anm. 2, 279 Anm. 1. 4 Katechismus der Urchristenheit, S. SOff. 6 Daß es sich u m regelrechten, bis in den Wortlaut hinein verbindlichen Überlieferungsstoff handelt, signalisieren die technischen Begriffe f ü r den Überlieferungsvorgang : παραλαμβάνω und παραδίδωμι in V. 1—3 a. Angesichts der durch Gal. 1,12 dokumentierten Tatsache, daß Paulus mit einer didaktischen Vermittlung des Evangeliums selbst zu rechnen vermag, empfiehlt es sich nicht, in 1. Kor. 15,1—3 hinter εύαγγέλιον nur die „Heilspredigt" und erst in dem λόγος, welcher ausgerichtet wird, die Bezeichnung f ü r die Tradition zu suchen, wie dies M. Dibelius, Formgeschichte 3 S. 17 Anm. 1 vorschlägt. Das mit jenem Logos verbundene εύαγγελίζεσθαι m ü ß t e dann ja auch n u r „predigen" heißen, während es Dibelius a. a. O. als Bezeichnung f ü r „überliefern" verstehen will ; was dem Verbum recht ist, ist aber auch dem Substantiv billig. 2

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eventuell schon bis in den Wortlaut hinein überkommen sein könnten. Diese Gesamtsicht unseres Textes ist in der jüngeren Literatur am eindringlichsten von J . Jeremias 1 entfaltet worden. Wir schließen uns dieser Sicht jedoch nicht an. Zwar ist der stilistische Übergang von V. 5 zu V. 6 offenkundig, er allein aber bietet noch keinen zwingenden Anhalt für die These, daß mit V. 6 a bereits paulinisches Referat beginnt. Nur V. 6b (έξ ών οί πλείονες μένουσιν κτλ.) könnte als paulinische Formulierung anzusprechen sein2. V. 6a aber spricht unpaulinische Sprache: Das επάνω im Sinne von „mehr als" ist bei Paulus hapax legomenon. εφάπαξ gebraucht Paulus zwar auch Rom. 6,10, hier aber in der Hebr. 7,27; 9,12; 10,10 nachweisbaren Bedeutung von „ein für alternai". Diese Bedeutung paßt aber für V. 6agerade nicht, so daß έφάπαξ = „auf einmal" ebenfalls unpaulinische Formulierung ist. Das Argument schließlich, so schwebend wie V. 6 a spreche eine geprägte Paradosis nicht 3 , ist nur solange zwingend, wie man unsere Überlieferung einfach als „Bekenntnis" anzusprechen versucht. Da wir dies nicht tun, vielmehr in V. 3 ff. ein katechetisches Summarium zu sehen versuchen, fällt (für uns) dieser Einwand dahin. Y. 6 a ist sprachlich jedenfalls unpaulinisch bzw. vorpaulinisch formuliert. Der paulinische Zusatz V. 6b besagt, daß die Mehrzahl jener fünfhundert Brüder für die Auferweckimg Jesu noch immer bürgen können, will also eine ψευδομαρτυρία für unmöglich erklären 4 . Interessant ist der geschichtlich-referierende Stil dieses (paulinischen) Halbverses. Auf ihn werden wir nachher zurückkommen. Daß auch V. 7 schon vor Paulus formuliert worden sein dürfte, hat zuletzt G. Klein zwingend dadurch dargetan, daß er οί άπόστολοι πάντες als Rede von einem geschlossenen Apostelkreis sehen lehrte, welchem Paulus noch nicht angehörte und dem er sich deshalb selbst mühsam in V. 8ff hinzuzufügen suche 5 . Was von der Formulierung οί άπόστολοι πάντες gilt, gilt vom gesamten Vers; dieser ist ja so streng in Parallele zu Y. 5 gehalten, daß man von stilistischer Absicht wird sprechen müssen®. Daß Paulus in V. 8 (ff.) selbst auf sich selbst zu sprechen 1

Die Abendmahlsworte Jesu, Göttingen 3 1960, S. 95ff., 4 1967, S. 95ff. Sehr wichtig ist ferner in demselben Zusammenhang der Aufsatz von Jeremias in ZNW57, 1966, S. 211-215: Artikelloses Χριστός. Zur Ursprache von I Cor 15,3b-5. Die hier von Jeremias vorgetragenen Modifikationen seiner bisherigen Auffassung der Paradosis sind in die 4. Aufl. seiner Abendmahlsworte aufgenommen worden, werden jedoch im Rahmen des Aufsatzes betonter vorgetragen als im Zusammenhang des Buches. 2 Vgl. G. Klein, Die zwölf Apostel, FRLANT 77, Göttingen 1961, S. 39 Anm. 160, der sich gegen E. Bammel, Herkunft und Funktion der Traditionselemente in 1.Kor. 15,1-11, ThZ 11, 1955, (S. 401-419) S. 402 Anm. 5 zur Wehr setzt, welcher auch V. 6 b als sprachlich unpaulinisch bezeichnet. s 4 So U. Wilckens, Ursprung, S. 63. Vgl. Bammel, a.a.O. S. 404f. 6 A.a.O. S. 38ff. · Vgl. Wilckens, a.a.O. S. 70ff.

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kommt, ist eindeutig. Zu fragen ist freilich, ob der Parallelität von V. 5 zu Y. 7 nicht eine zweite Parallelität von V. 6 zu V. 8 entspricht, aber diese für die geschichtliche Deutung des Gesamttextes wichtige Frage kann im Moment außer acht bleiben. Wir meinen also, daß in V. 3-7 insgesamt und zusammenhängend vorpaulinisches Traditionsgut referiert wird, welches Paulus selbst in V. 6 b argumentierend erweitert und in Y. 8 ff. um den Bericht seiner eigenen Christusepiphanie bereichert1. Haben wir uns über die Abgrenzung der von Paulus unter das Stichwort „Evangelium" gerückten Paradosis Rechenschaft gegeben, können wir uns nimmehr der Frage nach ihrem überlieferungsgeschichtlichen Ort zuwenden. Dieser überlieferungsgeschichtliche Ort läßt sich am leichtesten feststellen, wenn wir uns über den sprachlichen sowohl wie den christologischen Charakter der Tradition klar werden. Über den sprachlichen Charakter der Tradition (von V. 3-5) ist eben erst eine überraschende Einigung erzielt worden. In den unpaulinischen Wendungen υπέρ των άμαρτιών ήμών V. 3, κατά τάς γραφάς V. 3 und 4, auferstanden am dritten Tage (τη ημέρα τη τρίτη mit unpaulinischer Nachstellung der Ordinalzahl), in dem ώφθ-η V. 5 (ff.) statt έφάνη und schließlich in dem Ausdruck oi δώδεκα für ein bei Paulus häufigeres oi άπόστολοι, hat J. Jeremias sichere Kennzeichen vorpaulinischer Formulierimg erkannt. Er hat darüber hinaus „wenn auch keine strikten Beweise, so doch Anzeichen" dafür feststellen zu können gemeint, daß man aus diesen unpaulinischen Wendungen auf einen semitischen Urtext schließen und diesen nach V. 11 der ältesten christlichen Gemeinde, also den Jerusalemern, zuweisen dürfe, weil sich diese Wendungen in einem Kontext finden, welcher alle Anzeichen eines semitisierenden Griechisch aufweist2. Es handelt sich 1 Mit vorpaulinischem Überlieferungsgut in V. 3-7 rechnen z.B. K. Holl, Kirchenbegriff, S. 46ff. ( = S. 146ff. im Sammelband über „Das Paulusbild in d. neueren deutschen Forschung"); O. Cullmann, Die ersten christlichen Glaubensbekenntnisse, ThSt 15, Zürich 1943, S. 18; Bammel, a.a.O.; wenn ich recht sehe W. Baird, What is the Kerygma, JBL 76, 1957, S. 181-191, bes. 186f.; Wilckens, a.a.O. S. 56ff., der allerdings Paulus selbst für die Kompilation der Verse 3-7 verantwortlich macht; E. Käsemann, Konsequente Traditionsgeschichte, ZThK 62, 1965, (S. 137-152) S. 140f.; W. Marxsen, Die Auferstehung Jesu als historisches und als theologisches Problem, Gütersloh 1964, S. 13. 21 ( = S. 17. 25 in dem Abdruck des Vortrages, der zusammen mit Erwiderungen von U. Wilckens und G. Delling in der Schriftenreihe des theol. Ausschusses der E K U unter dem Gesamttitel: Die Bedeutung der Auferstehungsbotschaft für den Glauben an Jesus Christus, Gütersloh 3 1966 [S. 9-39] erschienen ist). 2 Abendmahlsworte« S. 96f. Bei dem a.a.O. S. 97 und in ZNW 57, 1966, S. 213 Anm. 15 erstmalig von Jeremias als Semitismus reklamierten „monotonen viermaligen δτι" ergibt sich ein besonderes Problem. Jeremias gibt keine Parallelen aus dem semitischen Schrifttum an. Ich selbst habe, abgesehen

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nach Jeremias um folgende Anzeichen: Synthetischer Parallelismus membrorum; das monoton wiederholte δτι; das Fehlen aller Partikeln außer καί; die Umschreibung des Gotteshandelns und Gottesnamens durch das Passiv έγήγερται; die aramäische Namensform Κηφας ; die Nachstellung der Ordinalzahl mit Artikel (s. o.); die Unabhängigkeit der Bezugnahme auf den Septuagintatext von Jes. 53 in der Wendung υπέρ των άμαρτιών ημών usw. Dieser weithin übernommenen These ist kürzlich vor allem H. Conzelmann energisch entgegengetreten1. Conzelmann plädiert wie ζ. B. auch E. Schweizer2 und vordem schon W. Heitmüller3, W. Bousset4, M. Dibelius6 und H. Schlier6 für einen im semitisierenden Griechisch der frühen hellenistisch-judenchristlichen Gemeinde abgefaßten Originaltext, der zu Rückübersetzungsversuchen und -hypothesen keinen Anhalt biete, weil alle wesentlichen, von Jeremias angeführten sprachlichen Besonderheiten mit Einschluß des V. 3-5 beherrschenden Parallelismus membrorum sich in frühchristlich-liturgischen Texten (z.B. Rom. 4,25; Kol. l,15ff.) ebenso fänden wie in vergleichbaren hellenistischen und hellenistischjüdischen Schriften7. Angesichts des unbestreitbar hellenistischjüdischen) κατά τάς γραφάς, des Septuagintazitats von Hos. 6,2 in von der etwa aus den Midraschim allgemein vertrauten Häufung eines in Texten, die auch nur einigermaßen mit l.Kor. 15,3ff. im Charakter vergleichbar sind, keine Parallelen finden können. Solche aber brauchte man, um die sich an jenem (καί) δτι gegenwärtig entzündende Streitfrage abschließend zu beantworten. Entweder erklärt man das wiederholte δτι mit A. Seeberg, Katechismus, S. 67 (als Vermutung); Kramer, Christos, S. 15 Anm. 9; Conzelmann, Zur Analyse der Bekenntnisformel l.Kor. 15,3-5, EvTh 25, 1965, (S. 1-11) S. 4 Anm. 20 und G. Delling, Die Bedeutung der Auferstehung Jesu f ü r den Glauben an Jesus Christus, in: Die Bedeutung der Auferstehungsbotschaft f ü r den Glauben an Jesus Christus, Schriftenreihe des theol. Ausschusses der E K U , Gütersloh 3 1966, (S. 65-90) S. 70 Anm. 11 u. 12 f ü r eine Akzentsetzimg des Paulus im Sinne unseres deutschen „erstens", „zweitens" usw. Oder man empfindet mit U. Wilckens, Missionsreden 2 , S. 76 Anm. 1; ders., Ursprung, S. 73; F. Hahn, Hoheitstitel, S. 210; Vielhauer, Ein Weg zur ntl. Christologie, S. 179 diese erste Auskunft als unbefriedigend und vermutet dann hinter dem wiederholten (καί) δτι kompilatorische Nahtstellen (vgl. etwa auch 1. These. 4,15f.). Die erste Auffassung ist zwar einfacher, die (geschichtliche) Akzentsetzung f ü g t sich in unsere Erklärung der Paradosis als eines von Paulus vorgetragenen katechetischen Summariums sehr gut ein, aber die zweite Sicht der Dinge bleibt solange unwiderlegt, bis sichere semitische Parallelen vorliegen. 1 Zur Analyse der Bekenntnisformel 1. Kor. 15,3-5, S.4-6; Theol. d. NTs. S. 84ff. 2 Erniedrigung und Erhöhimg bei Jesus und seinen Nachfolgern, AThANT 28, Zürich 2 1962, S. 89 Anm. 352. 8 Zum Problem Paulus und Jesus, ZNW 13, 1912, (S. 320-337) S. 331 ( = S. 136f. in: Das Paulusbild in der neueren deutschen Forschung, Wege der Forschung 24, Darmstadt 1964, edd. U. Luck und K. H. Rengstorf). 4 Kyrios Christos 3V S . 76. 6 Formgeschichte , S. 17 Anm. 2. • Kerygma und Sophia, Zeit d. Kirche 2 , S. 216 Anm. 17. ' A.a.O. S. 4ff.

Der Gebrauch von Evangelium in der heilenist.-judenchristl. Gemeinde

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V. 4 1 ; angesichts des schon in der Septuaginta zum Offenbarungsbegriff erhobenen δφθήναί τινι2 und angesichts der noch zu besprechenden christologischen und kompilatorischen Struktur unseres Textes, halte ich Conzelmanns Thesen für überzeugend. Jeremias hat Gonzelmann auch insofern recht gegeben, als er, seine eigenen Thesen bewußt kritisch differenzierend, neuerdings dazu auffordert, „scharf . . . zwischen dem Aufweis von Semitismen und dem Schluß auf eine semitische Ursprache" zu unterscheiden und hinfort „die Frage nach einem semitischen Urtext nicht an den uns heute vorliegenden Text des alten Bekenntnisses zu richten . . ., sondern an die hinter diesem liegende ältere Gestalt der Überlieferung"3. Anders formuliert: Jeremias erkennt ausdrücklich an, daß die heutige Form des Textes im semitisierenden Griechisch der frühen Gemeinde abgefaßt ist und daß nur Vorformen des vorhegenden Textes in. rein semitisches Sprachmilieu zurückzuführen sein dürften4. Der heutige Text — und mit 1

Angesichte der hellenistisch-jüdischen Ausdrucksweise der Paradosis und des Verweises auf die Schrift, sehe ich keinen Anstand darin, in V. 4 ein förmliches Zitat von Hos. 6,2 nach der Septuaginta ( = έν τη ήμέρα τη τρίτη άναστησόμεθαι) zu2 erkennen; vgl. ähnlich Η. Graß, Ostergeschehen und Osterberichte, Göttingen 1962, S. 136; Wilckens, Missionsreden2, S. 79 Anm. 1; Conzelmann, Theol. d. NTs. S. 85 f. ; anders H. v. Campenhausen, Der Ablauf d. Osterereignisse und das leere Grab, SHA, phil. hist. Kl. 1968, 2, Heidelberg 3 1966, S. 11 Anm. 18 mit Hinweis darauf, daß Hos. 6,2 sonst nirgends als alttestamentliche Begründving f ü r Jesu Auf erweckung am dritten Tage zitiert werde. Dies ist freilich richtig, doch ist darauf hinzuweisen, daß die jüdische Überlieferung eine Anwendung von Hos. 6,2 auf die eschatologische Totenauferstehung sehr wohl kannte (vgl. Billerbeck I S. 747 und besonders Gen. Rabba 66,1 = Esther Rabba 9,2 und bab. Sanh. 97a). Bedenkt man, daß es urchristliche Anschauung war, in Jesu Auferweckung die Prolepse der allgemeinen eschatologischen Totenauferweckung zu erblicken (Rom. 1,4), dann wird ein Schriftbeweis f ü r Jesu Auferweckung von den Toten auf Grund von Hos. 6,2 nicht mehr als ganz unwahrscheinlich betrachtet werden können. 2 Vgl. W. Michaelis, Artikel: όράω etc., ThWb V, S. 324ff. und im Rahmen des Neuen Testaments selbst l.Tim. 3,16. 8 Artikelloses Χριστός, S. 213/14. Ahnlich Abendmahlsworte 4 S. 97f. Jeremias rechnet also mit einem ursprünglich aramäisch (die halachische Sprache war doch aber das mischnische Hebräisch?) abgefaßten, dann ins Griechische übersetzten und hier noch um Zusätze wie κατά τάς γραφάς erweiterten Text der Paradosis. * Vgl. Jeremias a.a.O. S. 215: „Zusammenfassend möchte ich bei der vorsichtigen Formulierung bleiben, daß 'wenn auch keine strikten Beweise, so doch Anzeichen* dafür vorliegen, daß das Bekenntnis I Cor 15,3-5 — jedenfalls in seiner XJrgestalt — auf einen semitischen Urtext zurückgeht." Freilich bleibt jene Urgestalt des Bekenntnisses nun ganz hypothetisch. Wie hypothetisch jene Rekonstruktion bleibt, zeigt beispielhaft Jeremias' Versuch a.a. O., gegenüber Conzelmanns Einwänden (Analyse S. 5) die Abhängigkeit der Wendung ύπέρ των αμαρτιών ήμών vom Targum zu Jes. 53,5 b zu erweisen. Das Targum hat S i m i a Τ00ΠΧ, welches jenem παρεδόθη 8ιά τά παραπτώματα ήμών von Rom. 4,25 genau entspricht. Rom. 4,25 aber ist mit l.Kor. 15,3b eng verwandt. Nur darf man doch nicht übersehen, daß sich die Wendung im Targum auf das um unserer Übertretungen willen preisgegebene Heiligtum, 18·

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ihm allein haben wir es zu tun — weist also sprachlich in den Bereich des frühen, hellenistischen Judenchristentums. Das paßt mit dem (nach Damaskus oder Antiochien weisenden) δ και παρέλαβον des Paulus in V. 3 a ausgezeichnet zusammen. Freilich sollte man wegen V. 11 die Möglichkeit nicht ganz ausschließen, daß die Hauptdaten der Paradosis in vorpaulinischer Zeit von Jerusalem aus an die Gemeinden in Antiochien oder Damaskus vermittelt worden sind. Damit stehen wir vor dem weiteren Problem, ob sich solch sprachliche Einordnung der Überlieferung auclj. christologisch verifizieren läßt. Diese Frage ist identisch mit der Frage nach Herkunft und Ort des artikellosen Christos, mit welchem die Paradosis in V. 3 beginnt. Daß artikelloses Χριστός bzw. in Palästina titularen Sinn bereits in der jüdischen Überlieferung gehabt hat, hat zunächst F. Hahn im Anschluß an Κ. H. Rengstorf 1 herausgestellt 2 , und J . Jeremias ist Hahn jetzt darin mit detaillierten Stellenangaben zu Hilfe geeilt 3 , so daß die gegen Hahn in dieser Frage erhobenen kritischen Anfragen Ph. Vielhauers4 als erledigt gelten können. Damit wäre für unseren Text ein erster terminus a quo festgelegt: Es könnte sich um den Sprachgebrauch bereits der palästinischen, aramäisch-sprachigen Urgemeinde(n) handeln, wenn, wie anzunehmen ist, das Χριστός in der Überlieferung von 1. Kor. 15,3ff. zunächst titularen Sinn gehabt hat. Der terminus ad quem liegt bei Paulus selbst, der einen sicher titularen Sinn von Χριστός nur noch Rom. 9,5 (vielleicht auch l.Kor. 11,3) aufweist, den Titel in der Mehrzahl aller Fälle schon im Sinne eines Eigennamens verwendet, obwohl ihm als Judenchristen die titulare Tiefendimension jenes Χριστός stets bewußt geblieben sein dürfte 6 . 1. Kor. 15,12 ff. legen es sehr nahe anzunehmen, daß für Paulus den Tempel, bezieht und gerade nicht auf den Gottesknecht oder den Messias ! Deshalb ist mir das von Jeremias a.a.O. S. 215 vorgebrachte und von B. Klappert, Zur Frage des semitischen oder griechischen Urtextes von I Kor. XV, 3-5, NTSt 13, 1966/67, S. 168-173 gegen Conzelmann gewandte Argument insgesamt sehr fraglich, es sei denn, der Grundsatz einer (zuweilen) atomistischen Exegese des Rabbinats gelte auch noch gegenüber der Überlieferung aus den Targumim. Ich kann deshalb nur mit Conzelmann urteilen, daß l.Kor. 15,3b dem Septuagintatext von Jes. 53,5: μεμαλάκισται Stà τάς αμαρτίας ήμών und 53,12: διά τάς αμαρτίας αύτών παρεδόθη näher steht als dem Targum (dessen grundsätzlichen Wert für die neutestamentliche Exegese Conzelmann a.a.O. S. 5 Anm. 29 gar nicht, wie Jeremias, a.a.O. S. 215 meint, bestritten hat). Zum Ganzen wäre zu bemerken, daß die die Debatte leitende Voraussetzung, in der Jerusalemer Urgemeinde sei zunächst nur eine aramäisch-sprachige Formel zu erwarten, m. E. dringend der Revision bedarf. 1 Die Auferstehung Jesu, Witten 4 1960, S. 130f. 2 Hoheitstitel, S. 208f. 3 Artikelloses Χριστός, S. 211-213. 4 Ein Weg zur ntl. Christologie, S. 180f. 5 Dies zeigt z.B. der Vergleich zwischen Rom. l , 3 f . und Rom. 15,8. Zur Sache vgl. die erhellenden Ausführungen von Kramer, Christos, S. 203-214.

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Χριστός auch in V. 3 ff. zunächst den Sinn eines Eigennamens gehabt hat, und für seine hellenistischen Adressaten dürfte das sicher der Fall gewesen sein. Zwischen dem palästinisch-titularen Gebrauch von Χριστός und dem Verständnis von Χριστός als bloßem Eigennamen bei Paulus und seinen Gemeinden hegt also der traditionsgeschichtliche Ort unserer Paradosis. Sie erweist sich damit als in die Entwicklungsgeschichte der Christos-Christologie des Urchristentums hineinverflochten. Ist unser Text in der heutigen Gestalt griechisch verfaßt und weisen höchstens Vorformen ins Semitische selbst zurück, so dürfte unsere Paradosis dem frühen, hellenistisch-judenchristlichen Missionschristentum zuzuweisen sein, in welchem Χριστός noch als Titel fungieren konnte 1 . Für diese Ansetzung des Textes erst im judenchristlich-hellenistischen Bereich sprechen noch zwei weitere Beobachtungen. Einmal: In unserer Paradosis sind mit dem Christos-Titel bereits Elemente der Passionsüberlieferung und der kirchlichen Auferstehungsbotschaft verbunden und werden zudem mit dem Motiv des Schriftbeweises verwoben, während in vergleichbaren Kurzformeln bei Paulus sowohl der Verweis auf die Grablegung Jesu wie das Motiv des Schriftbeweises noch fehlen (vgl. z.B. Rom. 4,25; l.Thess. 4,14; 2. Kor. 5,15 usw.). Traditionsgeschichtlich ergibt sich daraus, daß unsere Paradosis „eine nicht ganz kurze Vorgeschichte hat" 2 , also überlieferungsgeschichtlich auch nicht das früheste Stadium christologischer Reflexion repräsentieren dürfte. Der Verweis auf die (paulinischen) Kurzformeln, in welchen weithin ebenfalls vorpaulinisches Material zu erblicken sein wird, führt zum Zweiten. Gegenüber jenen zweigliedrigen Kurzformeln sind die Verse 3-5 bereits zu einer Art von viergliedriger Formulierung erweitert ; die Erweiterungen betreffen den Hinweis auf Jesu Begräbnis und seine (Erst-)Erscheinung vor Petrus. Auf diese Ersterscheinung vor Petrus wird in l.Kor. 15,5 ähnlich Bezug genommen wie in der Parallele zu unserem Vers, Lk. 24,34. In Lk. 24,34 dürfte eine alte Bekenntnisformel vorliegen, welche von der Auferweckung Jesu und (beglaubigend) von der Erscheinung vor Petrus spricht. In unserem Text steht die Notiz von der Erscheinung vor Petrus im Parallelismus zu jenem geschichtlich referierenden καΐ δτι ετάφη und soll deshalb wohl auch als geschichtliche Beglaubigung wirken. Nur um dieser Wirkung willen war es ja möglich, dem Text in V. 6 ff. wohl schon in vorpaulinischer Zeit weitere geschichtlich-referierende Daten hinzuzufügen. Damit sind wir 1 Vgl. Kramer, Christos § 7d = S. 33 sowie die in S. 270 Anm. 2-6 aufgeführte Literatur. 2 Vielhauer, Ein Weg zur ntl. Christologie, S. 180; Hahn, Hoheitstitel, S. 211 denkt an palästinische Traditionsbildung in mehreren Etappen.

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•wieder bei der Ausgangsfrage nach der Abgrenzung unserer Überlieferung angelangt. Die Paradosis hat ganz deutlich kompilatorischen Charakter, hat also sachlich und literarisch schon mehrere Überlieferungsstadien durchlaufen, ehe sie zu Paulus kam1: Am Anfang könnte eine zweigliedrige Kurzformel gestanden haben, welche von Sühnetod und Auferweckung Jesu sprach. Diese Kurzformel wird erweitert 1. um das Element des Schriftbeweises bereits in grundsätzlicher Form2, obwohl im einzelnen Jes. 53,4 und Hos. 6,2 gemeint sein dürften; 2. um die Aussagen von Jesu Begräbnis und seiner Ersterscheinung vor Petras; 3. um die Nachricht von einer Reihe von Erscheinungen vor den maßgeblichen Autoritäten und Gremien der frühen Christenheit; schließlich 4. um den Hinweis auf die Erscheinung des Christus vor Paulus selbst. Nur in 4. ist deutlich die Hand des Apostels spürbar. Der Parallelismus von V. 3-5 und 5/7 (6/8) weist auf bewußte Stilisierung des Gesamttextes hin; nur in der Parallelität von V. 6 zu V. 8 aber ist paulinischer Einfluß sicher. Fragt man, nachdem wir die hellenistisch-judenchristliche Gemeinde als vermutliche Tradentin und Bildnerin des Textes eingesetzt haben, nach dem konkreten Sitz im Leben dieses Langtextes (ohne V. 6 b und 8ff.), so braucht man nicht mehr mit 0. Cullmann nur pauschal auf Gottesdienst, Predigt oder Katechumenenunterricht zu verweisen3, sondern wird präzis auf einen katechetischen Sitz im Leben schließen dürfen. Als Bekenntnis im Sinne einer Homologie kommt der Langtext überhaupt nicht in Frage ; eher schon als Credo4, welches 1 Zu dem eventuell kompilatorische Nahtstellen andeutenden wiederholten (καΐ) δτι und seiner Problematik vgl. S. 269 Anm. 2. 8 Da im Urchristentum die Rede von αί γραφαί sowohl als Hinweis auf eine einzelne Schriftstelle (Mt. 21,42) wie auf das Alte Testament als heilige Schrift im ganzen (Mt. 26,54; Joh. 5,39; Apg. 17,2f. usw.) verstanden werden kann (vgl. G. Schrenk, Artikel: γραφή, ThWb I S. 751,34ff.) und da zweitens der urchristliche Schriftbeweis bis hin zu Rom. 1,1 f. und 2.Kor. 1,20 meint, daß Gott selbst in seiner Verheißungstreue auf dem Plan ist, halte ich die neuerdings von H. Ulonska, Paulus und das Alte Testament, Diss, theol. Münster 1964, S. 121 fF. und A. Suhl, Die Funktion der alttestamentlichen Zitate und Anspielungen im Markusevangelium, Gütersloh 1965, S. 38 vertretene These, das κατά τάς γραφάς wolle in l.Kor. 15,3ff. nur Hinweis auf den Bereich sein, in welchem auf Jesu Tod und Auferstehimg reflektiert werden müsse, sei also im Sinne nicht des Erfüllungsgedankens, sondern nur einer Schriftgemäßheit zu verstehen, f ü r historisch abwegig! — Gerade weil der pluralische Ausdruck αϊ γραφαί im angegebenen Sinne doppelsinnig war, ist es möglich, das grundsätzliche κατά τάς γραφάς mit dem Spezialverweis auf Jes. 53,4 und Hos. 6,2 zu verbinden. 3 Glaubensbekenntnisse, S. 18. 4 Vgl. zu diesen Unterscheidungen die Definitionen von H . Conzelmann, Theol. d. NTs. S. 8Iff. und ders., Was glaubte die frühe Christenheit, S. 67und 68 : „Die Homologie ('wenn du bekennst: κύριος Ίησοϋς'): Ihr Wesen ist die Akklamation der versammelten Gemeinde an den im Himmel thronenden Kyrios. Genannt wird nichts als dieser sein Titel; das genügt. Dieser Anruf ist das Konstitu-

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einen Katechumenenunterricht abschließt. Denn dies ist ja das all die in V. 3-7 aufgeführten Daten Einende, daß sie in höchster Abbreviatur von dem Geschichte gewordenen Heilswerk Gottes in Christus sprechen. Anders formuliert: Der Langtext bietet offenbar ein Summarium von geschichtlichen Nachrichten, die mis in ihrer historischen Konkretion zwar weithin dunkel bleiben, deshalb aber der frühen Gemeinde selbst nicht dunkel gewesen sein müssen, weil sie wußte, worauf jene Abbreviaturen sich bezogen! Unser Text, den Paulus selbst als übernommene und in ihrem Wortlaut wichtige Überlieferung, als didaktisches Heilsgut, beschreibt, läßt uns ein Stück weit hineinsehen in den urchristlichen Katechumenenunterricht : In ihm dürfte ausführlicher von jenen Ereignissen gehandelt worden sein, die unser „Credo" — am Abschluß des Katechumenenunterrichtes in seiner Abbreviatur völlig sinnvoll — zu einem „Hauptstück" zusammenfaßt. So gesehen, ist in unserem Text der erzählende Stil von V. 6 a und das „pedantische und zugleich ganz unpräzise επάνω πεντακοσίοις"1 nicht mehr befremdlich und zudem verständlich, weshalb Paulus selbst diesen Text erweitert und ergänzt. Denn f ü r die Gemeinden, in denen sein apostolisches Wort Autorität besaß, ist die Geschichte Gottes mit dem Apostel Paulus eben Teil der Geschehnisse, die es als konstitutiv zur Kenntnis zu nehmen galt 2 . Wir sehen jetzt von dem höchst nachdenkenswerten F a k t u m ab, daß ein so verstandener Überlieferungstext von V. 3-7 zwingend darauf f ü h r t , daß Paulus selbst in seiner Didache eine breitere Kenntnis der „Evangelientradition" vermittelt haben dürfte, als die wenigen Zitate in seinen Briefen ahnen lassen 3 . Wir fragen statt dessen gleich, was ierende, das den Kult als solchen qualifiziert, vor Gott rechtsgültig macht" (67). Das Credo, »bildet ein kurzes Summarium der Lehre mit dem Hauptbestandteil : Er ist gestorben und auferweckt, bzw. erhöht. Dieser Inhalt wird natürlich nicht akklamatorisch gerufen; er wird gelehrt und etwa bei der Taufe abgefragt. Inhalt sind ja zwei — im Sinne der Aussage selbst — historische Tatsachen, welche zu wissen und für wahr zu halten sind" (S. 68). — Darauf, daß l.Kor. 15,3ff. seinen Sitz im Leben im Rahmen dei katechetiechen Unterweisung hat, wird immer wieder hingewiesen: Seeberg, Katechismus, S. 50; E. Schweizer, Gemeinde und Gemeindeordnung im NT, § 27b = S. 202 Anm. 876;E.Käsemann, Konsequente Traditionsgeschichte, S. 141; Kl. Wegenast, Tradition, S. 51; Wilckens, Ursprung S. 76 usw. 1 G. Klein, Die zwölf Apostel, S. 39 Anm. 160; vgl. ferner Wilckens, Ursprung S. 63. 74f. 80f. 2 Dieser Tatbestand vermag eventuell die auffällige Tatsache zu erklären, daß die Bekehrung und Berufung des Paulus in der Urchristenheit in stereotyper Form berichtet und tradiert wurde. Vgl. l.Kor. 15,8ff. mit Gal. 2,13ff. (man beachte das auffällige ήκούσατε γάρ in V. 13!);Eph. 3,1-12; l.Tim. l,15f. und die legendarischen Berichte in den Acta: 9,1-30; 22,1-23 und 26,9-20. Zur Sache auch oben S. 72 Anm. 2, 73 Anm. 1. 3 B. Gerhardsson, Memory and Manuscript, S. 299 möchte l.Kor. 16,3-8 in aller Form als „a series of simanim" = Reihe stichwortartiger Anspielungen

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1. Kor. 15,3 ff. für ein traditionsgeschichtliches Verständnis von Evangelium auszusagen vermag. Es ist dies, wenn ich recht sehe, ein dreifacher Tatbestand. Zunächst wird im Rahmen der durch das urchristliche Schrifttum abgesteckten Möglichkeiten nunmehr ganz deutlich, daß der Stamm εύαγγελ- nicht nur mit der aktuellen, missionarischen Proklamation verbunden war und zusammengesehen werden darf, sondern daß er auch zu haften scheint an der jene ersten Proklamationen vertiefenden und einprägenden, katechetischen Didache. Unter diesem Aspekt wird auch der markinische Verweis auf ein die Passionsgeschichte oder Elemente aus ihr enthaltendes „Evangelium" in Mk. 14,9 unschwer erklärbar und zudem verstehbar, wie Mt. 26,13 den ihm vorgegebenen Hinweis von Mk. 14,9 vollends ganz auf die von ihm dargebotenen Passionserzählungen einschränken konnte. auf Aussagen der Tradition nach rabbinischem Vorbild (vgl. a.a.O. S. 143ff. 153ÍF.) verstehen: "each individual part is a short, heading-like designation for some passage of the tradition about Christ." Dies ist natürlich Konstruktion, signalisiert aber denselben Tatbestand, den auch wir ins Auge fassen. I n unserem Zusammenhang auffällig ist, daß Paulus, wo er auf Jesus-Tradition anspielt, entweder direkt von der Traditionsvermittlung spricht (l.Kor. 11,23; l.Thess. 4,16) oder durch Formen von είδέναι u. ä. Ausdrücke auf ein in der Gemeinde vorauszusetzendes Wissen anspielt (l.Kor. 9,13; l.Kor. 7, lOf. vgl. mit den allerdings möglicherweise redaktionellen Stellen: l.Kor. 7,17b und 4,17); vgl. dazu C. H . Dodd, The Primitive Catechism and the Sayings of Jesus, in: New Testament Essays. Studies in memory of Th. W. Manson, Manchester 1969, S. 106-118, bes. 108. Die sich damit konkret abzeichnende Möglichkeit, daß Paulus in seinen Gemeinden auf einen breiteren Ausschnitt der heutigen Evangelientradition rekurrieren kann, als die wenigen direkten Zitate in den Paulinen ahnen lassen, widerrät dem Versuch von W. Sehmithals, Paulus und der historische Jesus, ZNW 53, 1962, S. 145-160, (vgl. schon Paulus und Jakobus, S. 24f. 97f.), der auch von E. Haenchen, Die frühe Christologie, ZThK 63, 1966, S. 145-159 aufgegriffen wird, die Evangelien und ihre Tradition als gleichsam „apokryphe Literatur" gegenüber den Briefen zu betrachten. Solches Urteil ist deshalb unzureichend, weil es nicht genügend mit der Möglichkeit rechnet, daß die katechetische Unterweisung des hellenistischen Missionschristentums Traditionsstoffe tradierte, welche in der neutestamentlichen Briefliteratur nur noch stellenweise zutage treten. Sollte l.Kor. 16,3-8 ein katechetisches Summarium sein, wäre jenes Urteil sogar falsch. Man könnte dann auch nicht mehr mit S. Schulz, Die Stunde der Botschaft, Hamburg 1967, S. 37 feststellen: „Das vorpaulinische, hellenistisch-judenchristliche wie -heidenchristliche Kerygma der syrischen Sphäre einschließlich des Paulus hat . . . Jesustradition weder gekannt noch kerygmatisiert." Die ganze Frage bedürfte dringend einer neuen umfassenden Untersuchung. Diese müßte neben der positiven Verbindungslinie zwischen Paulus und der Evangelientradition auch den auffälligen negativen Tatbestand bedenken, daß, wie es E. L. Allen formuliert hat, das Überlieferungsmaterial von l.Kor. 15,3ff., welches in die heutigen Evangelien so gut wie keine Aufnahme mehr gefunden hat, als „lost kerygma" gelten muß (vgl. Allens Aufsatz : The Lost Kerygma, NTSt 3, 1956/57, S. 349-353 und zum Problem im ganzen auch die schöne Studie von U. Wilckens, Jesusüberlieferung und Christuskerygma — Zwei Wege urchristlicher Überlieferungsgeschichte, ThViat 10, 1965/66, S. 310-339).

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Sodann: In der Paradosis von l.Kor. 15,3ff. ist der Christos-Titel führend, und es besteht für die vorpaülinische Auffassung unserer katechetischen Überlieferung die Wahrscheinlichkeit, daß jenes artikellose Christos in V. 3 titular gemeint war. Wenn man den Zusammenhang des Wortstammes εύαγγελ- mit der Paradosis auswerten darf, so bedeutet dies, daß jenes Paulus schon so vertraute εύαγγέλιον του Χρίστου ursprünglich das Evangelium vom Messias, die Heilsbotschaft von der (wahren) Messiaswürde Jesu gewesen ist. Die wie alle mit εύαγγέλιον verbundenen Genitive zunächst im Sinne eines Objektsgenitivs zu verstehende Wortverbindung ist traditionsgeschichtlich singular. Darin, daß man nicht von einem εύαγγέλιον κυρίου o. ä., sondern von einem εύαγγέλιον του Χρίστου spricht, macht sich deutlich eine heilsgeschichtliche Denkweise bemerkbar 1 und faktisch jedenfalls eine tiefe Verschiedenheit vom Kaiserevangelium des Hellenismus. Die neue „Heilsbotschaft vom Messias" wurde für Hörer und Verkünder zur „Botschaft des Messias" in dem Maße, wie auf die Präsenz des auferstandenen Christos im Geiste reflektiert und darum auch die Botschaft von seiner neuen Würde als von seinem Geiste erfüllt empfunden wurde. Um das εύαγγέλιον του Χρίστου näher und faßlich zu explizieren, bedurfte es freilich einer anderen Argumentation und Stoffdarbietimg, als wir sie in dem Predigtschema von l.Thess. l,9f. vor uns haben. Dort konnte sich die Missionsgemeinde an das Vorbild und Material der Synagoge halten. Hier mußte sie nun Eigenes bieten und entfalten. Wie sie das tat, läßt 1. Kor. 15,3 ff. im Vergleich mit anderen neutestamentlichen Texten noch erkennen. Sie bediente sich zur Explikation der Heilsbotschaft vom Messias eines heilsgeschichtlich gerahmten und gemeinten, chronologischen Darbietungsschemas, welches drei Motivkomplexe einander zu- und zugleich nachordnete: 1. den Gedanken an Gottes heilsgeschichtliche Erwählung, die im Christusgeschehen dokumentiert und von der her die Sendung des Christus erst verstehbar wird. 2. die Reflexion auf die Christustat selbst, wobei zunächst eine Konzentration auf die Aussagen von Jesu Tod und Auferweckung spürbar ist. 3. die Darstellung und Erfahrung, daß mit den österlichen Erscheinungen Jesu die missionarische Sendung der Apostel möglich und zugleich unausweichlich wurde 2 . 1 Von solcher, in der christologischen Titulatur sich andeutenden heilsgeschichtlichen Reflexion her ergeben sich Verbindungslinien unserer Paradosis und ihres Evangeliums zu der in apokalyptischen Koordinaten erscheinenden Missionsbotschaft, vgl. S. 252 Anm. 2, 256 Anm. 1. 2 Wir finden diese drei Motive in l.Kor. 15,3ff. Wir finden sie wieder bei Paulus selbst im Präskript des Römerbriefes (Rom. 1,Iff.). Wie finden sie aber auch in den lukanischen Passionssummarien (Lk. 24,44ff.), ganz deutlich in der Petrus-Rede Apg. 10,34—43 und schließlich im Aufriß des lukanischen

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An dieser Motivgruppierung wird deutlich, wie das heilsgeschichtliche εύαγγέλιον του Χριστοί» von der Missionsgemeinde ausgesprochen geschichtlich konkretisiert und expliziert wurde, so daß die aus den Evangelien bekannte Form des erzählenden Kerygmas entstand. Diese Möglichkeit einer geschichtlich-berichtenden Explikation heilsgeschichtlich formulierter Glaubenssätze erklärt sich nur, weim wir auf die jüdische Traditionsgeschichte und ihren Gebrauch der Wurzel Ifen zurückblicken. Sie erklärt sich aber nur schwer bei einer Herleitung der Evangelienterminologie des Neuen Testaments aus der Redeweise des religiösen, paganen Hellenismus. Es ist wichtig, sich dies klar zu verdeutlichen. Geschichtswerkes im ganzen, das, wie wir sahen (vgl. oben S. 232 Anm. 1), aus heilsgeschichtlich reflektierenden Vorgeschichten, Jesusgeschichte und dem Bericht von der Mission der Apostel besteht. Bemerkenswert ist, wie deutlich dabei immer wieder die katechetische Abzweckung der ganzen Darstellung hervortritt. In l.Kor. 15,3ff. ist uns dies schon deutlich geworden. In Apg. 10,34ff. verweist das schon immer als crux interpretum empfundene ύμεΐς οϊδατε V. 37 auf bereits bekannte Daten (vgl. dazu U. Wilckens, Kerygma und Evangelium bei Lukas, ZNW 49, 1958, [S. 223-237] 226ff.; ders., Missionsreden 2 , S. 65 f. und E. Haenchen, Apg. 6 S. 297: „Vorausgesetzt wird, daß sogar jeder 'Gottesfürchtige' in Palästina von dem Jesusgeschehen weiß, das sich in ganz Judäa zugetragen hat, anfangend von Galiläa,, nach der Taufe, die Johannes verkündete. Als bekannt wird also ein Bericht angenommen, der wie daa Markusevangelium mit der Verkündigung des Täufers anhebt, nicht mit den Kindheitsgeschichten" !). Die Gesamtkomposition des lukanischen Geschichtswerkes ist durch den dem Evangelium vorangestellten Prolog ausdrücklich als historische Begründung und Erläuterung eines schon katechetisch mitgeteilten Wissens (περί ών κατηχήθης λόγων Lk. 1,4) ausgewiesen (vgl. dazu Wilckens, Missionsreden 2 , S. 68f. und G. Klein, Lukas 1,1-4 als theologisches Programm, in: Zeit u. Geschichte, Dankesgabe an R. Bultmann, Tübingen 1964, S. 193-216, bes. S. 213f.). Beachtet man diese Zusammenhänge, dann wird man nicht mehr mit der von M. Dibelius (Formgeschichte 3 , S. 8-34, bes. S. 16ff. ; ders., Die Bekehrung des Cornelius, in: Aufsätze zur Apostelgeschichte, F R L A N T 6 0 , Göttingen 2 1953, [S. 96-107] S. 97f. und dazu Wilckens, Missionsreden 2 , 8. 13ff.) und C. H. Dodd (The Apostolic Preaching and its Developments, New York 1962, S. 7-35, bes. S. lOff. und dazu kritisch Wilckens, Missionsreden 2 , S. 13ff. sowie C. F. Evans, The Kerygma, JThSt 7, 1956, S. 25-41) an den Tag gelegten Sicherheit urteilen, hier liege ein oder sogar das eine, entscheidende urchristliche Predigtechema, vor. Man wird auch nicht mit U. Wilckens, a.a.O. S. 69 leugnen dürfen, daß Apg. 10,34ff. nach einem schon vor Lukas geläufigen Darbietungsschema aufgebaut ist. Man wird vielmehr feststellen müssen, daß die von Lukas selbst zusammenfassend konzipierte Rede demonstriert, wie sich aus dem in l.Kor. 15,3ff. erstmalig in Erscheinung tretenden katechetischen und heilsgeschichtlich-chronologischen Darbietungsschema schließlich die Evangelienschreibung entwickelt haben könnte, eine Evangelienschreibung, auf welche die lukanische Petrusrede freilich schon zurückblickt! (Zu traditionellen Elementen in Apg. 10,34ff. vgl. die folgende Anmerkimg). Sind diese Zusammenhänge richtig gesehen, so f ü h r t der von uns skizzierte Überlieferungsweg zu der Möglichkeit, die Evangelienschreibung der Urchristenheit aus katechetischen Wurzeln heraus, also als ekklesiologisch motiviertes Phänomen zu erklären : I n einer bestimmten Phase ihrer Geschichte und Predigt bedurfte die Kirche einer geschichtlich christologischen Identifikation ihrer Verkündigung und Lehre.

Der Gebrauch von Evangelium in der heilenist.-judenchristl. Gemeinde

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Es ist ebenfalls entscheidend, sich schon jetzt vor Augen zu führen, daß die mit einem Evangelium vom/des Messias gegebene christologische Denkweise durchaus anpassungsfähig und strukturell nicht festgelegt war: In 1. Kor. 15,3-7 ist von einer Präexistenzchristologie noch ebensowenig die Rede wie in Apg. 10,34ff.1. Bei Paulus selbst und in seinem Evangelium ist der Präexistenzgedanke eindeutig vorauszusetzen, aber schon in dem unter das Leitmotiv und Stichwort εύαγγέλιον gestellten Markusevangelium tritt er wieder nicht mehr eindeutig in Erscheinung. Im Rahmen der urchristlichen Messianologie waren offensichtlich verschiedene christologische Denkstrukturen vereinbar und kombinierbar. Eben dieser Sachverhalt tritt uns nun vom Stamm εύαγγελ- her, welcher der Christos-Christologie eng verbunden war, entgegen und widerrät dem Versuch E. Mollands, das (paulinische) Evangelium fest an eine dem späteren Apostolikum im ganzen 1 Zum wahrscheinlich bereits vorlukanischen Aufbauschema dieser Rede vgl. die vorige Anmerkung. Daß Lukas inhaltlich in Apg. 10,34ff sehr selbständig formuliert, möchte ich keineswegs bestreiten (vgl. den lehrreichen Vergleich zwischen Apg. 10,34ff. und l.Kor. 15,3ff. bei Wilckens, Missionsreden 2 S. 73ff.). Dennoch bleibt darauf hinzuweisen, daß sich auch inhaltliche Berührungspunkte mit alter Tradition ergeben. Nur der Verweis auf eine l.Kor. 15,3ff. nahestehende Überlieferung vermag m. E. befriedigend zu erklären, weshalb Lukas innerhalb der Acta-Reden nur Apg. 10,36 den Christustitel gebraucht; nur in 10,40 von der Auferweckung am dritten Tage spricht; statt des sonst in den Reden üblichen abschließenden Heilsrufes eine an das κατά τάς γραφάς der alten Paradosis erinnernde summarische These über den Schriftbeweis vorträgt (V. 43); schließlich, wie Wilckens selber schreibt, seine ganze Rede als Summarium eines f ü r die innerchristliche Verkündigung maßgebenden Evangeliums konzipiert (a.a.O. S.70 und ders., Kerygma und Evangelium bei Lukas, S. 236), und dies in einer Weise, die nicht einfach eine Zusammenfassung seines eigenen Evangeliums darstellt (vgl. die S. 277 Anm. 2 zitierten Hinweise E. Haenchens, Apg 5 . S. 297) ! — Unter traditionsgeschichtlichem Aspekt muß man schließlich fragen, was Lukas genötigt hat, in V. 36 den Stamm εύαγγελ- in einer Weise zu gebrauchen, die bei ihm ebenfalls einzigartig genannt werden muß. Es hat ja den Anschein, als greife Lukas hier zurück auf die uns aus dem Judentum bekannte Tradition von Gott als dem "1IP3Ö = εύαγγελιζόμενος (vgl. oben S. 148. 162), um so den Gedanken der heilsgeschichtlichen Kontinuität des Evangeliums auf eigene Weise zu betonen. Auch dieser Gedanke kaum Lukas nur von der Tradition her zugekommen sein (vgl. Rom. 1,1 f.). V. 36 ist dann folgendermaßen zu verstehen: „Das Verheißungswort, das Gott den Kindern Israels gesandt hat, (hat Gott in Erfüllung gehen lassen) als Verkünder des Friedens durch Jesus Christus; dieser ist der Herr aller." Zum Verständnis von λόγος im Sinne von Verheißungswort vgl. 13,26. 32. Der Gedanke der Erfüllung der Verheißung ist zwar im Text nicht (mehr?) ausgedrückt, aber durch den Gebrauch jener alten Tradition aus der Septuaginta u. U. vorausgesetzt. — Das betont schwierige Relativpronomen δν mit Haenchen, Apg. 5 S. 297 Anm. 1 als Dittographie aus dem vorangehenden λόγον zu betrachten und dementsprechend zu eliminieren, kann ich mich ebensowenig entschließen wie Wilckens, Missionsreden 2 , S. 46 Anm. 1. Die Streichung wird für Haenchen dadurch erleichtert, daß er auf jene alte Auslegungstradition von Gott als dem εύαγγελιζόμενος an unserer Stelle nicht aufmerksam wird.

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Der vorpaulinisch-christliche Sprachgebrauch von Evangelium

und dem zweiten Artikel im besonderen analoge Christologie zu binden 1 . Schließlich erlaubt uns unser Text, der, wie wir sahen 2 , heilsgeschichtlich gedachten, aber in der Formulierung paulinischen Differenzierung zwischen einem εύαγγέλιον της περι,τομής und einem εύαγγέλιον της άκροβυστίας in Gal. 2,7 sachlich noch etwas näherzukommen. Paulus betont ja in l.Kor. 15,11, die von ihm dargebotene Überlieferung stimme sachlich mit derjenigen der alten (Jerusalemer) Apostel überein. Es ist also der Apostel selbst, welcher einen sachlichen und inhaltlichen Vergleich von Gal. 2,7 und 1. Kor. 15,3ff. nahelegt. Dieser führt auf Folgendes: In dem (katechetischen) Darbietungsschema der Paradosis wird primär geschichtliches Material dargeboten und zusammengefaßt, ohne daß dabei auf den Deutungsund Bedeutungshorizont abgehoben wird, in welchem die Aussagen über den Messias Christus zu sehen und zu interpretieren sind. Anders formuliert: Es ist durchaus möglich, daß man sich in Jerusalem und Antiochien über die den Glauben und die Kirche begründenden christologischen und geschichtlichen Urdaten (bis in Formulierungen hinein) einig weiß, ohne daß man dabei die eschatologische Bedeutsamkeit jener Urdaten gleich mit zur Diskussion stellt und auch in ihrer Sicht einig sein müßte (oder könnte). Aussagen der flexiblen urchristlichen Messianologie fügten sich ebensogut dem ganz neuen eschatologischen Erwählungsbewußtsein der Missionsgemeinde ein wie der Konzeption vom heiligen Rest in Jerusalem. Das war deshalb so, weil eine christologische Überlieferung nach Art von 1. Kor. 15,3ff. die Frage nach Recht und Grenze der Tora nicht unbedingt sogleich kritisch zu reflektieren zwang. Bei dem Predigtschema von l.Thess. l , 9 f . war die polemische Abgrenzung gegenüber der monotheistischen und auf die Heilsbedeutung der Tora abzielenden Synagogenpredigt mit der Rolle, welche plötzlich die Messianologie einnahm, gegeben. Eine katechetische Überlieferung, wie 1. Kor. 15,3ff. sie bietet, erlaubt, gerade wenn es sich um eine eigenständig christliche Paradosis ohne jüdisches Vorbild handelt, die Frage nach der Heilsbedeutung der Tora offenzulassen, und sie kann eben deshalb im Rahmen von eschatologisch ganz unterschiedlichen Konzeptionen gleichermaßen gelten. Jene gemeinsame „basic substance", von welcher A.Fridrichsen 1947 bei der Reflexion auf das Gemeinsame und das Trennende des petrinischen und paulinischen Evangeliums zu sprechen empfahl 3 , 1 Vgl. Molland, Das paulinische Euangelion, S. 69 f. Dagegen betont Michel, Artikel Evangelium, Sp. I l í 9 f . , daß sich das Evangelium bei Paulus mit verschiedenen christologischen Entwürfen verbinden kann. 2 Vgl. oben S. 95 ff. 3 The Apostle and his Message, S. 11 und passim. Zustimmend dazu J. Jeremias, Chiasmus in den Paulusbriefen, S. 286.

Der Gebrauch von Evangelium in der hellenist.-judenchristl. Gemeinde

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umfaßt also einen unter dem Vorzeichen urchristlicher ChristosChristologie zusammenschaubaren Komplex heilsgeschichtlich gerahmten, geschichtlichen Faktenmaterials. Konkret waren dies Aussagen über Jesu Sühnetod, Jesu Auferweckung von den Toten und Nachrichten über die zur Mission ermächtigenden Ersterscheinungen des Auferstandenen. Wir wissen nicht, ob das petrinische Evangelium της περιτομης nur von diesen Fakten sprach. Wahrscheinlich ist dies nicht, denn solche Fakten bedurften im Rahmen jeder eschatologischen Gesamtsicht einer deutenden und vergegenwärtigenden Interpretation. Wir wissen hingegen sicher, daß Paulus selbst sein Evangelium nicht nur als Darbietung solcher Fakten verstand, sondern als Offenbarung des Gottes, der sich entschlossen hat, in Christus sein Heil (unter Absehung von der Tora!) schon jetzt auf die Welt der Heiden zu entschränken. M. a. W. : wir wissen, daß Paulus selbst die Rede von der das Heil entschränkenden Gerechtigkeit Gottes als ureigensten Gegenstand seines Evangeliums empfand und sich gerade in Gal. 1 und 2 leidenschaftlich dagegen wehrt, seine Predigt von solchem Recht Gottes und der allen Glaubenden eröffneten Rechtfertigung als bloße Interpretation vorgegebener Überlieferung bagatellisieren zu lassen 1 . Um es noch einmal frei und unter Verwendung der urchristlichen Terminologie zu sagen : Antiochien und Jerusalem konnten sich in dem das εύαγγέλιον του Χρίστου konstituierenden Fakten- (und Formel-?)Bestand durchaus einig sein und sich dennoch fundamental unterscheiden in der Auffassung und Predigt davon, was εύαγγέλιον selbst meint. Von daher ist es sehr wohl möglich, daß es zwischen Juden- und Heidenchristen zu (erbitterten) Auseinandersetzungen um eben das im εύαγγέλιον proklamierte und zu proklamierende Heil kam. Was den einen als illegitime Interpretation erscheinen konnte, war für die anderen die άλήθ-εια Gottes und Offenbarung selbst. Was den Heidenchristen Gottes ureigenste Offenbarung war, konnte den Judenchristen als Lästerung des sich in Christus nur erst Israel ganz schenkenden Gottes erscheinen. Wir haben damit die oben bereits diskutierte Ebene der Auseinandersetzungen auf dem Apostelkonvent und in Gal. 1 und 2 wieder erreicht und können darum vorerst zusammenfassen. Während der Ausdruck εύαγγέλιον του θ-εοϋ u. a. an der monotheistischen, christlichen Missionspredigt zu haften scheint, ist der Begriff εύαγγέλιον του Χρίστου eng mit der katechetischen Überlieferung der hellenistisch-judenchristlichen Gemeinden verflochten, 1 Wenn Molland a.a.O. S. 63 formuliert: „. . . die Rechtfertigungslehre (ist) nicht der Inhalt der Evangelienbotschaft, sondern deren theologische Konsequenz", versteht er Paulus aus der polemischen Perspektive seiner Gegner, nicht aber den Apostel von dessen apostolischem Selbstverständnis aus.

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Der vorpaulinisch-christliche Sprachgebrauch von Evangelium

ohne ausschließlich an solche Darbietungsweise gebunden zu sein. Im Ausdruck εύαγγέλιον του Χρίστου zeigt sich eine doppelte, heilsgeschichtliche Tendenz. Sie ist einmal gegeben in dem Christos-Titel und damit in jener heilsgeschichtlichen Reflexion, welche die Übertragung jenes Titels auf den Gekreuzigten und Auferstandenen herausfordert und impliziert. Eine heilsgeschichtliche Tendenz liegt aber auch darin, daß die „Botschaft vom Messias" alsbald ein chronologisches Darbietungsschema erforderte, mit dessen Hilfe man Gottes Walten in und mit seinem Christus erzählend und katechetisch wirksam darlegen konnte. Hier, wo das εύαγγέλιον του Χρίστου ein eigenes kerygmatisches Berichtsschema hervorruft, wird eine über bloße Motivkombination hinausgehende, formgebende Kraft und Funktion des Evangeliums spürbar. Es ist theologisch und traditionsgeschichtlich wichtig, sich zu verdeutlichen, daß das skizzierte, heilsgeschichtlich-geschichtliche Gefalle des Begriffes εύαγγέλιον του Χρίστου vom Sprachgebrauch des paganen Hellenismus her ganz unverständlich bleiben muß, während der jüdischen "Ito3-Tradition der geschichtliche Spannungsbogen von prophetischer Verheißung und geschichtlicher Erfüllung durch Gott von Anfang an inhärent gewesen ist. Gerade die geschichtliche Struktur des εύαγγέλιον του Χρίστου erweist also, daß wir für jenen Begriff jüdische Ursprünge anzunehmen haben. Jedoch ist der Ausdruck εύαγγέλιον του Χρίστου eine christliche Neuprägung. Eine Neuprägung freilich, welche in ihren theologischen Auswirkungen und der Wahl des Christos- statt des Kyrios-Titels einen Brückenschlag zwischen jüdischer, palästinisch-christlicher und hellenistisch-christlicher Denk- und Überlieferungsweise darstellt. Das Stichwort des Brückenschlags erinnert uns an die noch offene Frage nach der Rolle Jerusalems bei der Ausbildung der neuen Terminologie. 5. Die Vermittlung

Jerusalems

Für das Judentum der neutestamentlichen Zeit war Jerusalem der Vorort des Heils1. Auch für das junge Christentum ist bis in die nachpaulinische Zeit hinein Jerusalem „der Mittelpunkt der ältesten Christenheit" geblieben 2 . Man kann dabei eine doppelte Vorrangstellung der Jerusalemer Gemeinde beobachten: Jerusalem genießt einen heilsgeschichtlichen und sakralrechtlichen Vorrang vor seinen Tochtergemeinden 3 , es ist aber auch zugleich damit Hüterin der 1 2 8

Vgl. E. Lohse, Artikel: Σιών, ThWb VII, S. 322-325. Lohse, a.a.O. S. 333,15. Ganz anders Schille, Anfänge der Kirche, S. 137ff. Vgl. oben S. 86ff.

Der Gebrauch von Evangelium in der heilenist.-judenchristl. Gemeinde

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authentischen Auferstehungs- und wohl auch Jesustradition 1 . Beide Komponenten der Hochschätzung Jerusalems sind in unserem Zusammenhang bedeutsam. Unsere bisherigen Untersuchungen zu Herkunft und Aussagegehalt der urchristlichen Evangelienterminologie hatten uns die Jerusalemer Tradition nur erst streifen lassen. Das partikularistische εύαγγέλιον της βασιλείας der palästinischen Gemeinde(n) kann nach den Vorgängen auf dem Apostelkonvent nicht mit dem der Jerusalemer identifiziert werden. Das in den Missionsgemeinden gebräuchliche εύαγγέλιον (του Χρίστου) ließ sich allenfalls bis in den Kreis der sog. Hellenisten zurückführen, ist also auch keine Bildung der Jerusalemer Urgemeinde selbst. Nicht anders steht es mit dem als Abbreviatur gebrauchten τό εύαγγέλιον und einem diesem Evangelium entsprechenden, absoluten Gebrauch des Verbums. Nur bei der Analyse von 1. Kor. 15,3 ff. stießen wir auf Rudimente von Jerusalemer Tradition. Charakteristischerweise betrafen diese Rudimente aber nicht den Begriff εύαγγέλιον του Χρίστου als solchen, sondern nur die Paradosis, mit welcher jener Begriff in den Missionsgemeinden u. U. verbunden war. Da dem so bestimmten Evangelium vom/des Messias ein torakritischer Zug nicht von vornherein anhaftete, wird man annehmen dürfen, daß es auch in Jerusalem bekannt gewesen ist. Ähnlich dürfte es mit dem Verbum εύαγγελίζεσ&αι stehen, sofern dieses Verbum für die Übermittlung von Lehrüberlieferung gebräuchlich war und solche Lehrüberlieferung aus Jesus- oder Passionstradition bestand wie etwa in der Abendmahlstradition2. Wiederum aber ist anzumerken, daß sich eine begriffliche Parallelität von Evangelium und Didache sicher erst im Missionschristentum nachweisen läßt. Wenn man die überlieferungsgeschichtliche Vielgestaltigkeit des Urchristentums nicht vorzeitig nivellieren will, führt diese Überschau zu dem Ergebnis, daß der Beitrag der Jerusalemer Urgemeinde zu der Traditionsgeschichte des neutestamentlichen Evangeliums nicht eigentlich in der Ausprägung von Begriffen, sondern vielmehr in der Vermittlung von Traditionen und im Ausgleich divergierender Evangelienauffassungen gelegen haben dürfte. Für die Vermittlerrolle Jerusalems bietet der sog. Konvent der Apostel den besten Beweis. Das christologisch noch recht unreflektierte und zudem die Heidenmission bewußt ausgrenzende εύαγγέλιον της βασιλείας der palästinischen Gemeinde(n) wird mit dem εύαγγέλιον (του Χρισΐοϋ) der Missionare Antiochiens in einer Weise versöhnt, die 1 Vgl. dazu W. G. Kümmel, Kirchenbegriff und Geschichtebewußtsein in der Urgemeinde und bei Jesus, S. 7ff. 25. 47 Anm. 22 und U. Wilckens, JesusÜberlieferung und Christuskerygma, S. 321. 329. a Vgl. l.Kor. ll,23ff. bes. V. 26 mit l.Kor. 16,Iff.; 9,14; Phil. l,16f.

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theologisch einen Kompromiß und traditionsgeschichtlich einen Brückenschlag bedeutet : Die Heidenmission wird anerkannt, aber die damit verbundene Gesetzesabrogation nur als Ausnahme zugestanden1. Der damit eingeschlagene theologische Mittelweg mußte für die Jerusalemer um so näher liegen, je genauer man die tatsächlich bestehenden Gemeinsamkeiten zwischen dem Evangelium der Partikularisten und der Antiochenischen Delegation ins Auge faßte: 1. Das Evangelium gilt für die Partikularisten sowohl wie für die hellenistischen Judenchristen als eine noch ins Wort hinein verborgene Ankunft Gottes. Damit ist die Kontinuität zum alttestamentlichen und jüdischapokalyptischen Verständnis des Grotteswortes gewahrt. Im Alten Testament, im Judentum, in der Urchristenheit und noch bei Paulus gelten somit nicht zufällig Propheten oder prophetisch inspirierte Apostel als Verkünder der endzeitlichen Botschaft von der Herrschaft Gottes. 2. Auf beiden Seiten steht die Evangelienverkündigung in einer zwar flexiblen, aber ohne die Apokalyptik gar nicht denkbaren geschichtlichen Umrahmung: Es handelt sich bei dem Evangelium der palästinischen Gemeinde(n) ebenso wie bei den Hellenisten, bei Paulus (vgl. Rom. 11,28; 1. Kor. 11,26) und über ihn hinaus bei Markus (Mk. 13,102) und selbst noch bei Matthäus (Mt. 24,14) um die Botschaft (vom Heil) zwischen Auferweckung und einer die Geschichte beschließenden Parusie des Christus. 3. Daß die sich in l.Kor. 15,3ff. zeigenden katechetischen Traditionen die Jerusalemer und Antiochener verbanden, haben wir uns schon verdeutlicht. Ob dasselbe Traditionsgut auch die Jerusalemer mit den palästinischen 1

Vgl. oben S. 98 ff. Wir haben schon gesehen, wie sich in Mk. 1,14f. die hellenistische Redeweise vom εύαγγέλιον und εύαγγέλιον τοϋ &εοϋ nachträglich mit alter Tradition vom Nahen der Basileia verbunden hat und haben den Evangelisten selbst für diese Verschmelzung verantwortlich gemacht (vgl. S. 234ff.). Ebensowenig wie zu dieser Stelle kann ich mich zu Mk. 13,10; 8,35 und 10,29 davon überzeugen, daß tatsächlich, wie Hahn, Mission S. 60ff. will, vormarkinisches und damit in unserem Rahmen bereits zu diskutierendes Traditionsgut vorliegt. Daß Formulierungen wie Mk. 8,36 und 10,29 bereits in vormarkinischer Zeit möglich waren, bestreite ich keineswegs. Ich sehe nur nicht, daß sie im Zusammenhang des zweiten Evangeliums tatsächlich vormarkinisch sind. Dies gilt auch für den in den Text der apokalyptischen Rede eingesprengten Vers Mk. 13,10. Hahn meint, die Stelle sei vormarkinisch, weil der Vers apokalyptischer denke als der Evangelist selbst; aber ist dies beweisbar? Die Tradition gab Markus eine apokalyptische Betrachtung des Evangeliums als „Zwischenphänomen" vor (vgl. nur Rom. 11,28). Daß man diese Betrachtimgsweise noch bis in die Zeit des Matthäus festzuhalten vermochte, beweist Mt. 24,14. Weshalb sollte es dann Markus unmöglich sein, das Evangelium ähnlich zu betrachten? Ich kann Mk. 13,10 darum nur mit Klostermann, Haenchen, Schweizer, Lohmeyer und Grundmann z. St., femer mit Marxsen, Evangelist Markus 2 S. 80f., H. Schlier, Entscheidung für die Heidenmission, S. 105, Grässer, Parusieverzögerung 2 S. 159, Conzelmann, Geschichte und Eschaton nach Mc 13, ZNW 50, 1959, (S. 210-221) S. 219 u. a. für markinische Bildung halten. 2

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Gemeinden verband, ist nicht mit letzter Sicherheit auszumachen. Die Worte vom leidenden und auferstehenden Menschensohn sind ja nicht mehr in die Logienquelle aufgenommen worden. Da sie aber palästinischen Ursprungs sind, könnte hier ein verbindendes Element liegen. Zum mindesten machen diese Worte wahrscheinlich, daß die palästinischen Gemeinden mit der Passions- und Auferstehungstradition vertraut waren1. Eine Verbindung dieser Tradition mit unserem Wortstamm ist zwar erst von 1. Kor. 15,3ff.her zu erschließen, liegt aber in Mk. 14,9 und dann vor allem in Mt. 26,13 eindeutig vor. Da die authentische Passions- und Auferstehungstradition zum speziellen Überlieferungsschatz der Jerusalemer Gemeinde gehört haben, ergibt sich, daß man auf Grund der genannten Belege mit einer Vermittlung von Jerusalemer Traditionen an die Missionsgemeinden rechnen muß und darf. Ohne diese Übermittlung von Traditionen und die damit notwendig verbundene Übersetzung der aramäisch- bzw. hebräisch-sprachigen Jesusüberlieferungen ins Griechische wäre die nach Paulus hervortretende Evangelienschreibung im hellenistischjudenchristlichen Raum gar nicht denkbar gewesen. Der in Jerusalem erfolgende Brückenschlag hat also der Botschaft von der freien Gnade Gottes in Christus den Halt und Anhalt an der Jesusüberlieferung bewahrt, eine Tatsache, die theologiegeschichtlich gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann und sogar den theologisch undeutlichen Kompromiß auf dem Apostelkonzil geschichtlich neu zu würdigen hilft2. 1

Vgl. zum Problem H. E. Tödt, Der Menschensohn in der synoptischen Überlieferung 2 , S. 131-203, bes. 197ff.; F . H a h n , Hoheitstitel, S. 46-53; E. Lohse, Die Geschichte des Leidens und Sterbens Jesu Christi, Gütersloh 1964, S. 9-25. 2 Abgesehen davon, daß bereits katechetische Zusammenfassungen von Elementen der Passions- und Erscheinungstradition den Namen „Evangelium" tragen konnten, läßt die von uns bisher skizzierte Entwicklung des Evangeliuroebegriffes f ü r die eigentliche Evangelienschreibung eine doppelte Möglichkeit: Es ist a) die Möglichkeit einer konsequenten historisierenden Darstellung der Ereignisse, eine Möglichkeit, bei welcher freilich das kerygmatische Element am „Evangelium" und damit zugleich die Angewiesenheit des ausgerichteten Wortes auf den Glauben der Adressaten ins Hintertreffen gerät. Lukas hat in seinem Geschichtswerk Vor- und Nachteile dieser Möglichkeit dokumentiert, b) Die andere Möglichkeit war die, in den apokalyptischen Gedanken des Evangeliums als einer ins Wort hinein verborgenen Offenbarung Gottes die überlieferten christologischen Traditionen einzupassen. Diese zweite Möglichkeit hegt bei Markus vor und f ü h r t ihn zu der christologischen Theorie des Messiasgeheimnissee. Diese ist die christologische Funktion eines Evangeliums, welches apokalyptisch als „verborgene Epiphanie" Gottes betrachtet wird. Es ist hier nicht mehr der Ort, diesen Zusammenhängen traditionsgesehichtlich nachzugehen. Wir müssen uns damit begnügen festzustellen, daß der von uns aufgezeigte Werdegang des Begriffes Evangelium auch die Evangelienschreibung verstehbar zu machen verspricht. Vgl. oben S. 232 Anm. 1, 277 Anm. 2 und meinen Aufsatz über Theologische Probleme des Römerbriefpräskripts, EvTb 27, 1967, S. 374-389, bes. 386ff. 19 5638 Stuhlmacher, Evangellnm

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Der vorpaulinisch-christliche Sprachgebrauch von Evangelium

Will man sich die Mittlerrolle der Jerusalemer Urgemeinde f ü r unseren Sachzusammenhang einmal heuristisch mit Hilfe der uns vertrauten Begriffe verdeutlichen, so wird man folgendes sagen können, ohne die geschichtliche Problematik der Bildung jener Begriffe außer acht zu lassen: Der von uns skizzierte Brückenschlag wurde in Jerusalem möglich, weil die Gemeinde weder das christologisch noch kaum reflektierte εύαγγέλιον της βασιλείας der Partikularisten noch auch das Evangelium von der neuen Weltzeit der Hellenisten ihr eigen nannte, sondern jenes Evangelium von der Gottesherrschaft im Lichte der Messianität Jesu reflektiert und vertieft hat. Prägnant formuliert: In Jerusalem ist das εύαγγέλιον της βασιλείας der Partikularisten dergestalt christologisch vertieft und reflektiert worden, daß ein f ü r die hellenistische MissionsVerkündigung tragendes und maßgebendes Fundament entstand. Es hat also den Anschein, daß, wenn nicht der Ausdruck, so wenigstens die Sache des εύαγγέλιον του Χρίστου bereits in Jerusalem gegeben war. Ohne diese Sache war und wäre auch das paulinische Evangelium undenkbar. Haben wir uns dies verdeutlicht, können wir zu einer allgemeinen Zusammenschau der vorpaulinisch-christlichen Evangelienverkündigung übergehen. 6. Zusammenfassung und Ausblick Die auf urchristlichem Boden zuerst faßbar werdende Konzeption von Evangelium ist die der Gemeinde(n) der Logienquelle. Hier wird der Stamm εύαγγελ- bzw. die Wurzel nur gelegentlich gebraucht, und zwar in einem noch ganz jüdischen und christologisch unreflektierten Sinn: Evangelium ist die Botschaft vom Kommen der Gottesherrschaft, welche den Bußfertigen ( = der Gemeinde des Menschensohnes) das Heil, den Unbußfertigen dagegen das Unheil und Gericht bringen wird. Eine missionarische Zuwendung zu den Heiden ist noch nicht ins Auge gefaßt; die Heiden bleiben Gottes eigenes Eigentum, und die Gemeinde weiß sich nur gesandt, vor dem Kommen des Menschensohnes zum G e r i c h t das εύαγγέλιον της βασιλείας den verlorenen Schafen aus dem Hause Israel in derselben Weise weiterzusagen, wie es Jesus nach Auffassung jener Gemeinde bereits zu seinen Lebzeiten getan hatte. Träger solcher Verkündigimg sind vor allem urchristliche Propheten. Strukturell ist die Botschaft ebenso apokalyptisch-prophetisch gedacht, wie der sie umgebende Rahmen eschatologischer Anschauungen apokalyptisch geprägt ist : Es ist der Rahmen brennender Naherwartung, also der Hoffnung auf das Kommen des Menschensohnes und das Eintreten der Völkerwallfahrt zum Zion. Die Botschaft von der βασιλεία gibt den Erniedrigten und Beleidigten im voraus, in

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worthaft verborgener Weise, Kunde von dem ihnen bereiteten Heil und ermutigt sie, auf das Kommen Gottes auszuschauen. Ob Jesus selbst den Stamm εύαγγελ- gebraucht hat, ist nicht mehr mit Sicherheit festzustellen. Deutlich ist nur, daß die Gemeinde, welche in Jesus den endzeitlichen Propheten = εύαγγελιζόμενος = "ifraa von Jes. 61, If. erblickt, sich in ihrer Auffassung und Proklamation der heilsamen Botschaft für die Armen durchaus auf Jesus berufen kann, wenn auch die partikularistische Rahmung solcher Botschaft dem innersten universalen Zug der Verkündigimg Jesu widersprechen dürfte. Die eigentliche Wurzel der für Paulus maßgeblichen Evangelienterminologie liegt in der zur Heidenmission aufbrechenden hellenistischjudenchristlichen Gemeinde. Sie behält, wie Rom. 11,28; Mk. 13,10 und Mt. 24,14 noch aus der Rückschau zeigen, die apokalyptische Rahmung des Evangeliums durchaus bei, aber unter neuen christologischen und damit auch eschatologischen Aspekten. Die Menschenßohnchristologie wird abgelöst von einer die weltweite Herrscherwürde des Christus bereits in die Gegenwart hereintragenden Christosund Kyrioschristologie, und damit ändert sich zugleich jener um die alte palästinische Anschauung vom Evangelium noch fest geschlossene, jüdisch-partikularistische, eschatologische Rahmen: Der Kyrios der Himmel verlangt schon heute, daß die Welt (und damit die Heiden) von seiner Würde- und Mittlerstellung erfahren, und er räumt auch die zu solcher Mission noch erforderliche (kurze!) Zeitspanne ein. In Anknüpfung an das palästinische Erbe, getragen vom theologischen und sprachlichen Impuls der Septuaginta und angespornt von der wohl schon christologisch reflektierten (Evangeliums-)Yerkündigung der Jerusalemer Urgemeinde, prägt das junge Missionschristentum eine eigenständige Terminologie : το εύαγγέλιον meint die rettende Heilsbotschaft, die das von Gott durch seinen Christus auf die Welt schon heute entschränkte Heil lautbar und erfahrbar macht, erfahrbar freilich erst in der Weise einer Glauben fordernden, ins missionarische Wort der Zeugen verborgenen, vollmächtigen Gottesrede. Die apokalyptische Struktur des Evangeliums bleibt also über dem Umbruch, den die Aufnahme der Heidenmission und die Entstehung eines Heidenchristentums heraufführen, erhalten. Das Evangelium wird jetzt aber (nach Jerusalemer Vorbild?) entschlossen christologisch reflektiert und ebenso entschlossen als ein aus der Zukunft in die Gegenwart herein- und andrängendes Heilsgeschehen verstanden. Noch immer ist also die Naherwartung der Parusie des Christus der Rahmen, in den das Evangelium hineingehört. Der griechische Begriff εύαγγέλιον will jetzt aber dezidiert eine Heils- und Rettungsbotschaft proklamieren. Terminologisch schlägt sich die neue Auffassimg in folgenden Wortbildungen nieder: εύαγγέλιον του &εοϋ, εύαγγέλιον του 19·

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Der vorpaulinisch-christliche Sprachgebrauch von Evangelium

Χριστού, beides in einen terminus technicus zusammenraffend: τό εύαγγέλιον, und schließlich terminologisches εύαγγελίζεσθαι für die Ausrichtung des neuen Christusevangeliums. Die Wortverbindung εύαγγελίζεσθοα το εύαγγέλιον zeigt an, daß wir uns im Einflußbereich jüdischer Überlieferung befinden, entspricht diese Verbindung doch sprachlich der geläufigen jüdischen Formel mifra "ifra, ohne daß man von direkter Übersetzung wird sprechen dürfen. Eine Übersetzung jener jüdischen Formel bietet vielmehr Ape. 14,6 mit dem Ausdruck εύαγγελίζειν εύαγγέλιον. Erst dieser Ausdruck ist Vorbild des terminologischen εύαγγελίζεσ&αι τό εύαγγέλιον geworden. Religions- und traditionsgeschichtlich sind alle aufgeführten Wendungen demnach sprachliche Neubildungen der Missionegemeinde und damit zugleich Ausdruck für eschatologisch neue Sachverhalte. Traditionsgeschichtlich läßt sich noch eruieren, daß der Ausdruck εύαγγέλιον τοϋ θεοϋ an der monotheistischen Missionspredigt der christlichen Missionare gehaftet haben wird und daß der Terminus εύαγγέλιον του Χρίστου eng verflochten ist mit der heilsgeschichtlich-geschichtlich reflektierenden kirchlichen Unterweisung über das Heilswerk Gottes in Christus. Im Rahmen dieser Unterweisung scheint es zur Ausprägung von heilsgeschichtlich-chronologischen Darbietungsschemata für Christologie und Erscheinungstraditionen gekommen zu sein, welche der Jesusüberlieferung einen festen Rahmen und der späteren Evangelienschreibung zugleich einen traditionsgeschichtlichen Kristallisationspunkt boten. Die urchristliche Messianologie ist die christologische Tradition, mit welcher der neue Wortstamm εύαγγελ- am engsten verbunden ist. Freilich sind im Rahmen dieser Messianologie verschiedene christologische Schemata denkbar, und es läßt sich nicht nachweisen, daß das Evangelium an ein einziges davon unlösbar gekettet gewesen wäre. In der Struktur seiner christologischen Aussagen ist also das Evangelium im Rahmen der urchristlichen Messianologie variabel geblieben. Das für Paulus konstitutive Element der durch und im Evangelium selbst von Gott gesetzten Abrogation der Tora wird traditionsgeschichtlich weniger bei dem Ausdruck εύαγγέλιον τοϋ Χρίστου als bei jenem εύαγγέλιον τοϋ θεού greifbar, welches als Heilsbotschaft von dem jetzt sich in Christus (und nicht in der Tora!) der Welt zuneigenden Gott in Gegensatz steht zur Missions- und Gesetzespredigt der hellenistischen Synagoge. Gleichwohl scheint es erst das Verdienst des Apostels Paulus zu sein, daß er jenen Gegensatz zwischen einem in Christus von Gott für die Welt entschränkten Heil und einem auf mad durch die Tora beschränkten Heil prinzipiell erkannt, als eine vom Evan-

Der Gebrauch von. Evangelium in der heilenist.-judenchristl. Gemeinde

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gelium als der Offenbarung Gottes selbst gesetzte eschatologische Differenz reflektiert und dies zugleich auch proklamiert hat. Das Spezifikum des Paulus wäre es dann also, das Wunder des sich der Welt schon heute in der verborgen-offenkundigen Weise des Evangeliums schenkenden Gottes selbst erfahren und zum Gegenstand prinzipieller Reflexion erhoben zu haben. Anders formuliert: Das Eigene des Paulus scheint darin zu bestehen, daß er die ihm überkommene Evangeliumsanschauung der hellenistisch-judenchristlichen Gemeinde prinzipiell reflektiert, im Sinne eines Offenbarungsgeschehens verstanden und zur Offenbarungsterminologie erhoben hat. Wie sich dieser Interpretations- und Überhöhungsprozeß im einzelnen darstellt, ist später darzustellen. Im Moment müssen "wir uns damit begnügen, auf die Kontinuität der oben zu Gal. 1 und 2 vorgeschlagenen apokalyptischen Deutung des paulinischen Evangeliums zur urchristlichen Evangeliumstradition im ganzen hinzuweisen. Die paulinische Begrifflichkeit wird nur verstehbar, wenn man in ihr das jüdische Traditionsmaterial mit dem Überlieferungsgut der den Apostel tragenden Missionsgememden zusammenströmen sieht. Anders formuliert: Nur die Erklärung der Begriffsgeschichte von εύαγγέλιον im Neuen Testament aus jüdischen Anfängen vermag zu erklären, daß und warum das paulinische Evangelium, wie wir thetisch dargestellt haben, der Wesensvollzug der paulinischen Eschatologie ist, einer Eschatologie, welche man abgekürzt als geschichtliche Verwirklichung der δικαιοσύνη &εοΰ, des Versöhnungswillens Gottes in Werk und Herrschaft des Christus, bezeichnen könnte. Wie sich das paulinische Evangelium im einzelnen darstellt und welche Nachwirkungen von ihm ausgegangen sind, dies auszuführen, erfordert eine neue, umfassende Studie. Im Moment mag es genügen, für eine solche Entfaltung eine erste Grundlage erarbeitet zu haben.

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STELLENREGISTER Altes E x 14,30 174 171A N u m 24,17 173 25,1-9 146 Lev 25,9 226A 25,10 98 D t 19,15 166 R i 13,2ff. 1. Sam (l.Reg) 4,17 116,155 9,26-10,13 167 31,9 113, 156 2. Sam (2. Reg) 1,10 115 1,20 114, 157 4,10 112,116,155, 159, 171 18 113, 167 18.19 114,156 18.20 113 18.21 114 18.22 112 18.25 113 18.26 117,159 18.27 28, 113, 155 18,31 113, 114, 156, 157, 186A 1.Kön 1,42 28, 113, 114 19,16 121 2. Kön 7,9 112,114 l.Chr 10,9 113 16,23 155, 157 16,23 114, 115 Esr 2,55 120 2,57 120

Ps 2,7 255A, 261A 40,10 114 67 (68), 12 117, 142, 150f., 160 f. 95 (96), 2 17, 114f. 157, 163 95 (96), 3 157 109(110), 1 245A, 250, 255 Jes 1,10 2,3 29,18f.

178A 178A 219,220, 222 A 35,5 219,220 35,5f. 222 A 40,1 149 40,6-8 119 40,9 120A, 142,147, 149 A, 161 40,9-11 120 41,26f. 119 41,27 119, 121, 142, 155, 162, 163A 42, Iff. 121 45,15 80A 49,1 73, 81A 52.7 28, 31 A, 117, 118, 120, 142, 145, 146, 147, 149, 162 52.8 149 53,1 50, 116A, 133 53,4 270, 274 54,1 174 55, lOf. 80 A Neues

Mt 1,1 2,11 4,23 5,17£f. 7,21 ff. 9,35

239 157 238, 241 240 240 238, 241

Testament 58,6 228 60, I f . 151A 60,6 17, 114,157,163 61,1 19, 35, 37, 50, 115, 119, 142, 143, 144, 145 A, 150, 160, 219, 220, 222 61, I f . 42, 144, 146, 220, 222A, 224, 226A, 228,233,246 61, Iff. 73A, 121, 230A Jer l,4f. 73A 1,5 81 20,15 114,115,167 28(51),10 157 Dan 2,19 2,23 2,28£f. 2,30 4,17 5,8 7,13 10,1

82 A 69 70 82A 178 70 218 82 A

Hos 6,2 270,271 A, 274 Joel 2,32 17 3,5 159, 160, 161A A m 3,7 215 J o n a 3,2-5 231A Mi 3,8 121 N a h 2,1 117,118,142, 147, 159

Testament

10,7 241 11,2-6 46 A, 54,121, 145 A, 147, 151, 210, 218-225, 227, 228, 243, 246, 257

11,5

16, 17, 18, 21, 51, 115, 238 42 11,5f. 233A, 242 11,12f. 12,41 230A 239 16,25

Stellenregister 19,29 24.14

239 238, 240, 241, 253A, 284, 287 26,13 238, 242, 276, 285 28,16-20 238f., 245, 252, 254-258 Mk 1,1 1,14f.

9,11,49 18,48,51, 93 A, 210, 211, 231A, 234r-238, 241, 243, 284A 6,14 220A 8,35 44A, 48, 234, 239, 284A 9.9 44 10,29 44A, 48, 234, 239, 284A 13,10 48,52,240, 253A, 284, 287 14,9 48, 52, 234, 240A, 242, 276, 285 16,9-20 245, 252, 254-258 16.15 234,239

Lk 1,18ff. 166A 1,19 115,212,216, 229, 234, 246 2.10 115,213,216, 229, 234, 246 3,18 41,216,229 4,16-30 51, 210, 225234, 243 4,18 51, 115, 144, 145A, 147, 151, 234, 246 4,43 229, 233, 234 7,18-23 210,218225, 228f., 243 7,22 16, 234 8,1 230, 233, 234 9,6 230,233,234 10,1fr. 247 16.16 230,233,234 20,1 230,231A, 233, 234 24,34 273 24,44 ff. 277 Joh 10,41

220A

93A Apg 1,25 231A 5,42 265 8,35 85A 9, l~19a 10,34ff. 267, 279 10,34^43 277A, 279A 10,36 115, 148, 164 10,40-43 253 10,43 227A 11,20 265 13,16ff. 267A 13,31 253 13,32 267A 14,15 41 14,15ff. 259 15,8 227A 15,20. 29 100 15,35 231A 17,18f. 231A 20,20 231A 20,24 231A 21,8 57, 263A 22,3-21 85A 26,9-20 85 A Rom 1,1 189 A l,lf. 27, 279A l,lff. 36, 72, 148, 151, 237 A, 277 A 1,4 10 102, 103 1,14 1,16 26 1,18fF. 259 1,19 82 A 92A 2,11 4,25 271 A, 273 6,10 268 7,12 97 9,5 272 9-11 21, 88, 91 10,15 27,, 151 A, 164, 247 11,25-32 247, 253A 11,28 284, 287 15,14ff. 208, 247 15,18f. 38A 15,20 17A 15,27 103, 104 15,25ff. 103A 16,25 16 l.Kor 1,17b 65 1,17ff. 79A 1,18ff. 92A

307 2, lOf. 5, Iff, 9,1 9, I f . 9, l l f f . 9,14 9,16 9,17 9,20 f. 11,3 11,26 14,11 15 15,1 15, I f . 15, Iff.

8 64 76, 81 253 104 27,246,247 87, 246, 266 93 A 97 272 284 82 A 18, 82 A 265 267 17, 36, 70, 76, 77A, 81 A, 210, 231A, 246, 263, 264A, 265 15,3 70 15,3-8 10, 67A, 232A, 237, 252f., 266-282 15,8 94A, 247 15,8f. 81 15,8ff. 73A, 253 15,11 280 15,12ff. 272 16,22 69 2.Kor 2,12 189A 4,3 82 A 5,15 273 5,20 69 9,12f. 104 10,14ff. 87 10,16 17A 11,4 69 11,7 265 ll,24ff. 99 A 12, Iff. 77, 78A, 79A 13,3 38A Gal 1 63-107, 281, 289 67A 1,1 64 1,4 65 1,6 1,6-9 64, 68 213 1,8 l,8f. 69, 106 1,9 70, 71 , 90, 231A 1,10 69 67 l,10f.

308

Stellenregister

1.11 1, U f f . 1.12

69, 265 77A, 79A 51,67, 71, 231 A, 267 A l,12ff. 77A, 78A l,13a 85 A 1,13ff. 71-75 l,14f. 51 1,15f. 51, 72A, 73A, 76, 81, 82A, 253, 255A 1.16 70, 71, 76-81,83, 84, 246, 252, 266 1.17 73,83,84 1,18-20 84 1,21 85 l,23f. 85 2 63-107, 247, 281, 289 2, Iff. 66,67A, 85-90 2,3ff. 90 2.4 89 2,4f. 90 2.5 38, 69, 89 2.6 91, 92 2,6-10 91 2.7 2 1 , 2 1 0 , 2 4 6 , 2 8 0 2,7f. 93-97 2,9f 98, 99, 100 2.10 Γ • .Λ 100-105 2.11 ff. Ρ" 67, 68, 87, 92, 98, 102Α, 105-107 2,14 38, 69 2,21 65 3,8 56 3,13 71 4,4 10 4,10 65

4,12ff. 4,13f. 4,14 6,2

65 69 69, 213 65

E p h 1,20 2,17 3,8 4,11

10 115 115 56

Phil 1,5 2,9-11 2,11 3,6 3,7f. 3,7-9 3,8ff.

98 255 251A 73A 73A 77 76, 81

Kol 1,26 2, lOff. 3,1 4,18

16 10 10 104

38A, 208, 259 l,9f. 237A, 246, 258-266, 280 227, 228 l,15f. 2, Iff. 208 2,2ff. 237A, 259 2,3 104 2,4 93A 2,13 263 2,13ff. 237A 3,6 63,209,216,230, 246 4,14 273

l.Thess 1,5

l . T i m 1,11 3,16

93A 249A, 255

2. Tim 4,5

Apostolische Barn 5,9 8,3 14,9

Did 8,2 11,3

60, 61 62 62

60,61 60,61

15,3 15,4 firtff. Ign Phld 5,1 8,2 9,2

56

Tit 1,3 93 A Hebr 4,2 216 4,6 216 6, I f . 259, 263 6,2 265 7,27 268 9,12 268 10,10 268 J a k 4,9 v.l. 68A Ape 1,18 215 1,20 215 104 2,5 2,13 215 104 3,3 214A 3,10 4,9f. 215 214A 6,10 214A 8,13 214A 10,1 215 10,5 f. 10,7 41 , 51, 210218, 221, 223, 243, 246 11,15 214A, 215 14,6 9, 15, 16, 41, 52, 55, 61, 62, 69, 115, 185A, 206, 210-218, 243, 247, 249, 265, 288 14,6f. 36,51,53,214 215 15,7 215 17,5 17,7 215 104 18,5 Apokryphen Ε ν . Thom. Log. 31 226 POxy I 6,9-14 226

Väter 60,61 60, 61 60f. 60f. 60f.

Smyrn5,l 7,2 l . K l e m 42,1

60 60f. 62 ου1,

2.Klem8,5 Pol Phil 6,3

60 62

Stellenregister

309

Judentum 80A Ape. Abr. 9,9 79A 10,4 79A Ape. Esr. 2, 3. 5. 7. 10. 13. 18 80A syr. Bar. 21,4ff. 133 A, 134A 46,6 80A 54, Iff. 76A 56,1 76 A 76,1 77,12 133A, 134 A, 178A 80A 81,4 167 3.Esra 4,58-63 80 A 253A 4.Esra 9,5 f. 87A äth. Hen. 61, Iff. 79A 71, Iff. Jes. Sir. 5,11 116 A, 133A 133A 8,9 191f. Jos. u. Asen. 260f. llf. 15 260f. 22,13 260 J u b . 12,17. 22ff. 80 98 1.Makk. 6,58 98 2.Makk. 12,11 177f. Par. Jer. 3,11 178A, 231A, 264 5.21 178A 6,21 f. 178A, 179A, 185A 7,11 178A, 179A, 185A, 7,15 231A 7.22 178A 178A 7,32 177A 9,18 Ps. Sal. 11,Iff. 17, 146, 151 A, 230A 260f. Sib. fr. I. I I I Test. Napht. 2,3 87A Qumran CD 2,12 3,18 6,1 1 Q 27 (Myst) f. 1, 1, 8 1 Q H 1,11.13 1,21 1,28 1,29 2,13

145 79A 145 80A 79A 80A 87A 79A 79A

3,27 87A 4,27 70A, 79 A, 80A 5,25 79A 5,36 79A 7,27 80A 8,6. 11 79A 9,9 73A 9,23 79A 9,29f. 72A, 73A 11,10 79A 12,13 79A 13,2. 3. 13 79A 18,6 151A 18,11 87A 18,14 135, 142-144, 146, 150, 151A, 228A 162A 1 QJs zu Jes. 41,27 1 QM 3,9. 15 79A 14,9. 14 79A 16,11. 16 79A 17,9 79A 70A 1 QpH 7,4f. 79A 7,5. 8. 14 64 I QS 2,4ff. 79A 3,23 79A 4,6 79A 4,18 145 A, 146 9,11 79A 9,18 79A, 80A 11,3. 5 79A 11,19 I I QMelch 135, 142, 144—147, 149f., 151 A, 218, 224 Mischna 124 Berachot 9,2 Nedarim 3,11 95 Sota 9,6 138A Tosephta Sota 4,2 137 6,7 126 142 Baba Batra 9,5 Talmud pal. Ber. 5,9d, 29 ff. Kil. 9,32b, 18 Schek. 3,47c, 73ff. Keth. 2,26b, 8f. 12,35a, 29f.

137 137 137 125A 137

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310 bab. Ber. 14 a 59b 60b Schab. 63 a 88b 116a Pes. 3 b 5a 50a Rosch. Hasch. 4 a Keth. 16b Git. 56ab Sota 10b IIa 13b BabaMec. 86 b B a b a B a t r a 141b Sanh. 88a Hör. 10a Derech Eres Suta 11

124 f. 124A 124A 124A 150 203A 135 148. 151A 124A 138 125 125 f. 135 138A 135, 137 138 135, 142 133a 125 148, 151A

Midrasch Mechilta Pisha (S3) 12 zu Ex 12,26 125, 136 14 zu E x 12,41 138 Siphre Deuteronomium zu Dt. 32,4 § 307 Gen. Rab. 13,15 30,4 38,12 47,2 50,2 63,8 81,5 Ex. Rab. 2,4 28,6 46,1 Lev. Rab. 9,9 17,6 30,16 Num. Rab. 2,10 14,4 15,25 Dt. Rab. 5,15 Teh. zu Ps. zu Ps. zuPs. Schir. Rab.

68,12 § 6 92 § 3 147,1 §2 2,12

129, 137 124A 138 138 136 130 148 125 137, 138 150 137 148, 151A 125A 148 138, 147 125, 128f., 137 148 148 138, 150 150 149 149A, 230A

Thren. Rab. 1,5 §31

125 , 126, 135, 203A 1,22 §57 148 4,22 §25 131A 5,18 § 1 147, 148 Pes. Rabbathi 35 147 A, 149 36 151A 42 136 Pes. Rab. Kah. 28,10 148, 163 Tanhuma S T I 23 138 n n V w 14 148 mm? 18 138 1 2 1 0 3 14 138, 147 X2tri Ό 4 125A Tanh. ed. Buber S T I 46 138 138 niair 15 Haggada Beth ha-Midrasch 136 f. I Abraham u. Nimrod 149 Yajjoscha Ableben Moses 130, 137 126 I I Geschichte Judiths Sepher Zerabbabel 138, 145A 138, 148 I I I Pirke Maschiach 130 f. VI Ableben Moses 129, 130 Meg. Taan. 12 129A 19 149 Lekach Tob Targum Targ. Jer. I zu Gen. 18,2 21,7

139 130 A, 139, 142 139 22,5 41,26f 136 43,14 126A, 139 46,17 136 178A 49,10 49,21 128, 136 zu Num. 25,12 139, 151A Targ. Jer. I I zu Gen. 18,2 139 21,7 130, 139 49,10 178A 49,21 136 zu Dt. 32,29 178A Targ. Jon. zu 1. Sam. 4,17 142 11,12 136 31,9 136

Stellearegister zu 2. Sam. 1,20 136 4,4 128 4,10 128, 142 136 18,19 18,20 136 18,22 126A, 128 18,25 128 142 18,26 128 18,27 136 18,31 zu l.Kön. 1,42 137 2,28 128 zu 2.Kön. 7,9 128 19,7 129 zu Jes. 1,10 178A 178A 2,3 140 6,11 29,18 f. 219A 30,10 178A 178A 32,6 35,5 219A 37,7 129 40,9 140, 147 41,22 140 41,26 140 41,27 148 42,9 140 43,9 140 44,8 140 45,21 140 48,3 140 48,5 140 48,6 140 48,20 140 45,21 140 52,7 140,148A, 237A, 241 53,1 50, 133 53,5 271A, 272A 58,6 228A 61,1 50, 150 zu Jer. 4,5 141 4,15 132 4,16 141 5,20 141 10,22 132 20,15 137, 167 31,7 141 46,14 141 48,4 141 49,14 131 49,23 132

311 50,2 50,29 51,27 51,46 z u E z . 7,26 21,12 zu Joel 3, Iff. zu Ob. 1 zu Nah. 2,1

Targ. Keth. zu Ps. 40,10 51,10 68,12 96,2 zu Hi. 3,26 zu R u t h 1,6 zu Thren. 1,2

141 141 141 132 132 132 148A 123, 131 147 139 140 139, 150 139 128 139 128, 137

Josephus, Ant. 1,422 74 4,114. 116f. 171A 5,24 165, 166 5,277 165, 166 5,282 165, 166 6,56 165, 167 7,245 165, 167 7,250 165 10,210 171A 11,65 165, 167 15,209 165, 168 18,228f. 165, 169 18,229 165, 172 20,38ff. 262 Bell. 1,607 168 2,420 164, 169, 189 3,6 171A 3,143 f. 165, 168, 171, 185A, 192 3,350 170A 3,401 171A 3,392-408 170A 3,503 165, 168 4,618 164, 170, 172, 189, 198A, 202 4,622 171A 4,656 164, 170, 171, 202 5,2 171A 5,367 171A 6,312f. 171A c. Ap. 11,7 95 Vit. 12 Philo, Abr. 153 Decaí. 32ff.

165A 173 150A

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312

Jos. 245 173 250 173f. Leg. Gaj. 18 173,175,177,202 99 173, 175 f. 231 173,175,177,202 356 198A, 175 Mut. Nom. 158 173

Op. Mund. 34 115 Praem. Poen. 161 Som. Π 281 Vit. Mos. I I 186 Virt. 41

eimecne

Inschriften 3

Assos (Ditt., Syll. I I 797) 199A Athen (IG Ed. min. 1077) 187, 198A, 202, 230A Ephesus (Ditt., Syll.® I 352) 188, 199 los (IG X I I , Suppl. Nr. 168) 188, 198 Laodicea (IGRom IV 860) 187 Mavrodilisi (IG V I I 417) 186 Moschonisi (OGIS 4) 188, 197 Priene (OGIS 458) 11 f., 130, 186, 190 A, 199ff. Rhodos (IG X I I 675) 180A Sardes (IGRom IV 1756) 183, 201 188, 198 Skepsis (OGIS 6) 198A Thessalonich Papyri BGU 1229 BGU 1230 Pap. Amh. 2 Pap. Gieß. I 3 I 27 Pap. Greci e Latini 768 953 967 1041 Pap. Hib. 232 Pap. Oxy. 1 1830 1916 2032 2034 Pap. Princ. 180

182A 182A 184 199A 183 181A, 187 A 181A 181A 181A 182 A, 187 226 181A 181A 181A 181A 181A

173 173 f. 173f. 173f. 173 f. 173

acnrijien

Sammelbuch (Preisigke) 421 189, 202 f. 6020 181A 6087 181A 6835 181A 9401 181A Ostr. Straßb. 809 182A Aelius Aristides Παναθηναϊκός 174 187 Aeschines In Ctesiphonem 160 186 Alciphron Epistulae I I 9,2 183 Appian Bell. Civ. Rom. 3,93 189 4,20 189 4,113 189 Aristophanes Equités 642 f. 183 647 188 656 188 Plutus 764ff. 788 Cassius Dio 60, 13, 4 183 184 60, 13, 14 Demosthenes Pro Corona 323 183 Epiktet Diss. I I I 13,9—11 204 Heliodor Aethiopica I 14 186A, 187, 194 I I 10 183, 194 X 1—3 183, 194f X 3 187, 189, 195 Homer Odyssee 152 189 166 189

Stellenregister Jamblichus Vit. Pyth. 2,12 183,193 Isocrates Orationes 7,10 188 Longus Pastorales I I I 33,1 183 Lucían Icaromenippus 34 183 Pro Lapsu inter Salutandum 3 183, 185A Philopseudes 31 183 Tyrannicida 9 183 (Ps.)Lucian De Asino 26 189 Lycurg In Leocratem 18 183 Menander Georgos 83 183 Periciromene 415 188 Philostrat 187 De gymnastica 7 183, 192 Vit. Apoll. I 28 192 f. 129 188, 198A, 202 V8 V I I I 26 f. 187, 189, 192 f. 187 Vit. Sophist. I 18,1 187 115,3 Plutarch 189 Ages. (33) 614

Artox. Demetr. Mar. Phoc. Pomp.

(14) 1018 (17) 896 (22) 418 (23) 752 (41) 640 (66) 654 Sert. (11) 573 (26) 582 Apophth. 184A

313 187f. 189 183 170, 187, 189 187 183 187 188 188

Polyaenus Strategemata 5,7

184

Soranus Mul. Affect. 21

183

Theophrastus Charact. 17,7

183

Xenophon Hellenica I 6,37

188

Corpus Hermeticum I 16

80A

Cicero Ep. ad. Atticum II, 3,1 XIII,40, 1 Juvenal Sat. 14, 104 Persius Flaccus Sat. 5, 184 Vergil Eel. IV

186 186 95 95 190, 200

(Abkürzungen entsprechend RGG 3 , Theol. Wörterbuch und H. G. Liddell u. R. Scott, A Greek-English Lexicon, Oxford 3 1961)

STUDIEN ZUR UMWELT DES NEUEN TESTAMENTS Herausgegeben von Karl Georg Kuhn Band 1

KLAUS BEYER

Semitische Syntax im Neuen Testament I. Satzlehre, Teil 1. 2. verb. Aufl. 1968. 324 S., Ln. 38,— DM „Das Buch hat durch sein semitisches Vergleichsmaterial nicht nur für eine Reihe von neutestamentlichen Stellen eine bessere oder sichere Auslegung ermöglicht, sondern auch auf Grund seines grammatischen Ausschnitts wichtige Resultate erzielt." Theol. Rundschau Band 2

GERT JEREMIAS

Der Lehrer der Gerechtigkeit 1963. 376 S., kart. Band δ

32,—DM

JÜRGEN BECKER

Das Heil Gottes Heils- und Sündenbegriffe in den Qumrantexten und im NT 1964. 301 S., kart. 32,—DM Band 4

HEINZ-WOLFGANG KUHN

Enderwartung und gegenwärtiges Heil Untersuchungen zu den Gemeindeliedern von Qumran mit einem Anhang über Eschatologie und Gegenwart in der Verkündigung Jesu 1966. 242 S., kart. 39,— DM Band 5

REINHARD DEICHGRÄBER

Gotteshymnus und Christushymnus in der frühen Christenheit Untersuchungen zu Form, Sprache und Stil der frühchristlichen Hymnen 1967. 251 S., kart. 22,50 DM Eine durch die Klarheit der Gedankenführung und ihre nüchtern-sachliche Art der Darstellung faszinierende Arbeit von systematischer und praktischer Relevanz. Band 6

PETER VON DER OSTEN-SACKEN

Gott und Belial Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zum Dualismus in den Texten aus Qumran 1968. Etwa 235 S., kart, etwa 29,80 DM Die in den Schriftrollen thematisch zentrale Tradition wird in ihrer ursprünglichen Gestalt bestimmt und auf ihre variierende Auslegung in den Qumrantexten und verwandter spätjüdischer Literatur hin befragt. VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN UND ZÜRICH

LEONHARD GOPPELT

Christologie und Ethik Aufsätze zum neuen Testament 1968. 276 Seiten, engl, brosch. 18,80 DM „Christologie und Ethik", der Sinn der Sendung Jesu und die Gestaltung menschlichen Lebens durch sie, ist das heute viele bewegende Thema, dem diese Beiträge gelten. Überall steht im Hintergrund dieser Aufsätze die theologische Schlüsselfrage unserer Zeit, die Frage nach Gott; denn nur von ihr her bietet das Neue Testament die Lösung an. Der Band enthält u. a. Aufsätze über die Bergpredigt, das Ostergeschehen, die Herrschaft Christi über die Welt, und den Frieden, den Christus bringt. JOACHIM JEREMIAS

Abba Studien zur neutestamentlichen Theologie und Zeitgeschichte 1966. 371 Seiten, 4 Tafeln, Leinen 34,— DM „Der vorliegende Band vereinigt fünfunddreißig ζ. T. an sehr entlegener Stelle veröffentlichte ,Studien' aus den Jahren 1928—1964. In der Mehrzahl handelt es sich um minutiöse Einzeluntersuchungen, die vielfach nur eine einzige Vokabel oder einen einzigen Vers zum Gegenstand haben. Achtzehn Beiträge gelten allein der Person Jesu, weitere vier der Urgemeinde, sieben Paulus, zwei dem Hebräerbrief und vier der Palästinakunde . . . Indem der Band zu kritischem Nachdenken anregt, erweist er sich als aktuelles exegetisches Rüstzeug, dem im Arsenal moderner Exegese ein fester Platz gebührt." Theologische Literaturzeitung AUGUST STROBEL

Kerygma und Apokalyptik Ein religionsgeschichtlicher und theologischer Beitrag zur Christusfrage 1967. 206 Seiten, kart. 19,80 DM „Die Bedeutung dieses Buches kann man darin sehen, daß es den Gegensatz zwischen der Eschatologie und der Apokalyptik als falsch aufweist. Was die Eschatologie ist, läßt sich nur ,durch den dauernden Rückgriff auf die apokalyptischen Vorstellungen des spätjüdischen Messianismus verdeutlichen'. Daraus folgt, daß das Wesensmerkmal der neutestamentlichen Eschatologie nicht der Entscheidungsruf, sondern die gerade verschmähte futurisch-endzeitliche Komponente ist." Theol. Zeitschrift, Basel VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN UND ZÜRICH