Das Management der sozialen Verantwortung [1 ed.] 9783428475957, 9783428075959

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Das Management der sozialen Verantwortung [1 ed.]
 9783428475957, 9783428075959

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ELISABETH GÖBEL

Das Management der sozialen Verantwortung

Betriebswirtschaftliehe Forschungsergebnisse Begründet von

Prof. Dr. Dres. h. c. Erich Kosiol t Freie Universität Berlin

lIerausgegeben von

Prof. Dr. Ralf·Bodo Schmidt t

Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br.

und

Prof. Dr. Marcell Schweitzer Eberhard-Karls-Universität Tübingen

in Gemeinschaft mit

Prof. Dr. Franz Xaver Bea Eberhard-Karls-Universität Tübingen

Prof. Dr. Knut Bleicher Hochschule SI. Gallen

Prof. Dr. Klaus Chmielewicz Ruhr-Universität Bochum

Prof. Dr. Günter Dlugos Freie Universität Berlin

Prof. Dr. Erich Frese Universität zu Köln

Prof. Dr. Oskar Grün Wirtschaftsuniversität Wien

Prof. Dr. Jürgen Hauschildt Christian-Albrechts-Universität Kiel

Prof. Dr. Wilfried Krüger Justus-Liebig-Universität Gießen

Prof. Dr. Hans·U1rich Küpper Ludwig-Maximilians-Universität München

Prof. Dr. Siegfried Menrad Eberhard-Karls-Universität Tübingen

Prof. Dr. Dieter Pohmer

Eberhard-Karls-Universität Tübingen

Prof. Dr. Henner Schierenbeck Universität Basel

Prof. Dr. Norbert Szyperski Universität zu Köln

Prof. Dr. Ernst Troßmann Universität Hohenheim

Prof. Dr. Dres. h. c. Eberhard Witte Ludwig-Maximilians-Universität München

Prof. Dr. Rütger Wossidlo Universität Bayreuth

Band 100

Das Management der sozialen Verantwortung Von Dr. Elisabeth Göbel

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Göbel, Elisabeth: Das Management der sozialen Verantwortung / von Elisabeth GÖbe!. Berlin : Duncker und Humblot, 1992 (Betriebswirtschaftliche Forschungsergebnisse ; Bd. 100) Zug!.: Tübingen, Univ., Diss., 1991 ISBN 3-428-07595-1 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1992 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0523-1027 ISBN 3-428-07595-1

~leitwort

des Herausgebers

Das Verhältnis von Unternehmensführung und Moral beschäftigt in zunehmendem Maße Wissenschaft und Praxis. Unter Praktikern ist dieses Thema geradezu Mode geworden, eine Entwicklung, die Zweifel an der Ernsthaftigkeit und Betroffenheit nährt. Unter den Wissenschaftlern haben sich vermehrt Nichtökonomen zu Wort gemeldet, da es offensichtlich schwer fällt, dieses Thema mit den herkömmlichen ökonomischen Instrumentarium in den Griff zu bekommen. Angesichts beider Phänomene ist es zu begrußen, daß sich Prau Göbel zur Aufgabe gemacht hat, mit Hilfe des Instrumentariums der strategischen Planung das Verhältnis von Unternehmens führung und Ethik zu analysieren und Vorschläge für eine konzeptionelle Erfassung des Problems zu erarbeiten. Dabei geht die Verfasserin von der Vorstellung aus, daß es einer Vermittlung bedarf zwischen dem persönlichen Verantwortungsbewußtsein der Entscheidungsträger in der Wirtschaft (Individualethik) und ihrem Entscheidungsfeld (Unternehmensethik). Der persönliche Wille zur sittlichen Verantwortung wird also vorausgesetzt. Es geht letztendlich darum, organisatorische Bedingungen dafür zu schaffen, daß sich diese Grundintension im Unternehmen realisieren läßt. Diese Problematik kommt im Titel der Arbeit plastisch zum Ausdruck: Das Management der sozialen Verantwortung. Aufgrund der Reduktion der Problemstellung auf eine Umsetzungsproblematik (= Implementierungsproblematik) kann die Verfasserin wertfrei argumentieren und sich auf die Entwicklung eines technologischen Aussagensystems konzentrieren. Damit bewegt sie sich auf traditionellem und insofern sicherem betriebswirtschaftlichem Terrain.

Tübingen, im Juli 1992

Pranz Xaver Bea

Vorwort

Nach Jahrzehnten "ethischer Abstinenz" der Betriebswirtschaftslehre hat in den letzten Jahren eine umfangreiche Auseinandersetzung der Betriebswirtschafstlehre mit der Ethik stattgefunden. Wirtschaftsethik wird dabei zunehmend als Kooperationsmodell verstanden, d. h. man will nicht länger eine Ethik, die von außen und sachfremd gegen die ökonomische Rationalität ankämpfen muß, sondern strebt das Ziel einer umfassenden ökonomischen Vernunft an, die Sachgerechtigkeit und Menschengerechtigkeit integriert. Auf der Basis eines solchen Kooperationsmodells kann auch der Betriebswirtschaftier sinnvolles zur Wirtschaftsethik beitragen. Geht man etwa davon aus, daß der Wille zum umfassend vernünftigen Handeln in den Unternehmungen vorhanden ist, kann weiterhin problematisiert werden, wie dieser gute Wille im Unternehmensalltag tatsächlich zu Handlungskonsequenzen führen könnte. Aufgrund empirischer Forschungsergebnisse wird nun in der vorliegenden Arbeit die Voraussetzung getroffen, daß viele Führungskräfte in der Wirtschaft eine soziale Verantwortung der Unternehmung anerkennen. Die ausdrücklichen Bekenntnisse zur sozialen Verantwortung der Unternehmung werden als strategische Zielsetzung interpretiert, welche es in der Unternehmung zu implementieren gilt. Dabei wird das bewährte Konzept des strategischen Management zur Grundlage einer "Unternehmensethik" gemacht, welche das Ziel verfolgt, durch entsprechende betriebliche Prozesse, Systeme und Strukturen dem Willen zur sozialen Verantwortung zur Entfaltung im unternehmerischen Alltag zu verhelfen. Die vorliegende Untersuchung wurde von der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen im Sommersemester 1991 als Dissertation angenommen. Meinem verehrten Lehrer, Herrn Professor Dr. Franz Xaver Bea, danke ich sehr für die wissenschaftliche Betreuung der Arbeit. Seine konstruktive Kritik und sein Rat haben viel zum Gelingen beigetragen. Großen Dank schulde ich auch Herrn Professor Dr. Marcell Schweitzer für die Übernahme der Zweitberichterstattung.

8

Vorwort

Für ihre stetige Diskussionsbereitschaft und viele wertvolle Anregungen gilt mein Dank weiterhin meinen Kollegen am Lehrstuhl, insbesondere Herrn Dr. Alfred Kötzle. Frau Ruth Dominik: und Frau Claudia Brandstetter danke ich für die geduldige und engagierte Hilfe bei der Erstellung des Manuskripts, Herrn Alexander Bassen für die sorgfältige Erstellung der Druckvorlage.

Tübingen, im Juli 1992

Elisabeth Göbel

Inhaltsverzeichnis A. Einführung ............................................................................. 17 I. Das Konzept ........................................................................ 17 11. Methodisches Vorgehen .......................................................... 23 rn.Gang der Untersuchung ........................................................... 27

B. Verhältnis von Wirtschaft und Gesellschaft ................................... 31 I. Der Wirtschaft zugeschriebene Probleme .................................... 31 11. Gewandelte Einstellungen gegenüber der Wirtschaft ....................... 36 rn.Bekenntnisse der Wirtschaft zur sozialen Verantwortung ................. .43 IV. Ungelöste Spannungen ............................................................ 47

c.

Verhältnis von Wirtschaft und Ethik ............................................ 51 I. Das Problem der Wertfreiheit ................................................... 51 11. Das Ziel der sozialen Verantwortung .......................................... 57 1. Beispiele für die Interpretation des Ziel der sozialen Verantwortung ................................................................. 57 2. Versuch einer allgemeinen Definition des Ziels der sozialen Verantwortung ...................................................... 60 rn.Soziaie Verantwortung und Gewinnziel ....................................... 64 IV. Mittel zur Durchsetzung einer sozialen Verantwortung der Unternehmung ................................................................ 71 1. Marktwirtschaftliche Ordnung .............................................. 71 2. Staatliche Regulierung ....................................................... 77 3. Individualethik ................................................................. 82 4. Unternehmensethik ........................................................... 88

D. Strategisches Management und soziale Verantwortung ..................... 93

10

Inhaltsverzeichnis

I. Kennzeichnung der strategischen Management .............................. 93 1. Entwicklung des strategischen Management. ............................ 93 2. Merkmale des strategischen Management ................................ 96 11. Die Verbindung von strategischem Management und sozialer Verantwortung ........................................................... 100

1. Anknüpfungspunkte für eine solche Verbindung ....................... 100 2. Vorläufer einer systematischen Verknüpfung von strategischem Management und sozialer Verantwortung .............. 103 3. "Responsiveness" versus "Responsibility" ............................... 106

E. Zielbildung und soziale Verantwortung ......................................... 109 I. Bedeutung und Ablauf der Zielbildung ........................................ 109 11. Die Teilnehmer am Zielbildungsprozeß ....................................... 117 rn.Das Ziel der sozialen Verantwortung in Kodizes, Leitbildern und Grundsätzen ................................................................... 120 IV. Probleme im Zusammenhang mit dem Ziel der sozialen Verantwortung ..................................................................... 129 V. Zusammenfassende Überlegungen ............................................. 133

F. Strategische Analyse und soziale Verantwortung ............................. 135 I. Umweltanalyse und soziale Verantwortung .................................. 135 1. Die Umwelt im strategischen Management. ............................. 135 2. Das Stakeholderkonzept als Grundlage derUmweltanalyse ........... 140 3. Der Ablauf der Umweltanalyse auf Stakeholderbasis .................. 145 a) Wahrnehmung der Stakeholder ........................................ 145 b) Stakeholderanalyse ....................................................... 152 c) Prognose von Stakeholderanliegen .................................... 167 d) Der Dialog mit den Stakeholdern als Datenquelle für Analyse und Prognose .................................................. 170 4. Das Stakeholderkonzept und das Konzept der Früherkennung .............................................................. 172 a) Die besondere Eignung des Stakeholderansatzes für die Früherkennung ....................................................... 172 b) Beispiel: Früherkennung durch Verbraucherabteilungen ......... 184 11. Unternehmensanalyse und soziale Verantwortung .......................... 188

Inhaltsverzeichnis

11

1. Die Unternehmensanalyse im strategischen Management ............. 188 2. Analyse der grundsätzlichen Fähigkeit zur Implementierung sozialer Verantwortung im Unternehmen ................................ 190 a) Grundsätzliche Einstellung gegenüber der sozialen Verantwortung ............................................................ 190 b) Die Stakeholder-Management-Kapazität ............................. 195 3. Analyse von Stärken und Schwächen im Hinblick auf bestimmte Stakeholderanliegen aus der Sicht der Unternehmung ................................................................. 197 a) Der Sinn einer solchen Stärken-Schwächen-Analyse .............. 197 b) Unterstützende Techniken .............................................. 201 rn.Strategic Issues und soziale Verantwortung ................................... 216 1. Die Issue-Analyse ............................................................. 216 2. Die ethische Problematik der Issue-Analyse ............................:221 G. Strategieformulierung und soziale Verantwortung ........................... 231 I. Die Strategiearten ............................................................... 231 II. Die Strategietypen ............................................................ 242 rn.Beispiel: Umweltschutzstrategien .......................................... 249 IV. Situative Bedingungen für die Auswahl "verantwortungsorientierter" Strategien ....................................................... 260 H. Ausbau der Stakeholder-Management-Kapazität ............................ 267

I. Die Implementierungsproblematik ............................................. 267 II. Die Aufgabe der Führungskräfte ............................................... 271 rn.Die Struktur ......................................................................... 275 1. Die Strukturdimensionen .................................................... 275 2. Spezialisierung ................................................................. 276 3. Konfiguration .................................................................. 282 4. Koordination ................................................................... 287 5. Formalisierung ................................................................ 290 6. Entscheidungsdelegation und Partizipation .............................. 293 IV. Das Motivations- und Anreizsystem ........................................... 303

12

Inhaltsverzeichnis

V. Die Fähigkeiten .................................................................... 310 VI. Die Kultur .......................................................................... 317

J. Mögliche Einwände gegen das Konzept.. ....................................... 323 I. Kurze Einführung ................................................................. 323

II. Elitärer Managerialismus ........................................................ 325 rn.Schädigung der Wirtschaft ....................................................... 329 IV. Marketing mit anderen Mitteln ................................................. 337 V. Macht und Verantwortung ....................................................... 340 K. Schlußbemerkungen .................................................................. 347 I. Zusammenfassung ................................................................. 347

II. Wertende Stellungnahme ......................................................... 350 Literaturverzeichnis ...................................................................... 353 Sachregister ......... ........................................................................ 391

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1

Mögliche Zielbeziehungen .............................................. 64

Abb. 2

Beispiele einer Zielhierarchie für das Ziel der sozialen Verantwortung ............................................................ 114

Abb. 3

Davoser Manifest ......................................................... 121

Abb. 4

Verhaltenskodex für das Schweizer Management. ................. 122

Abb. 5

Tutzinger Erklärung ..................................................... 124

Abb. 6

Stakeholder Map of a Very Large Organization ................... 150

Abb. 7

Stakeholder-Konkurrenz- und Koalitionsanalyse ............. 160-161

Abb. 8

Hierarchie derUmweltebene (Levels of Environment) ............ 176

Abb. 9

Entwicklung eines Stakeholderanliegens ............................. 180

Abb. 10

Analyse der Werte in der Unternehmung ............................ 192

Abb.11

Produktlebensphasen-Stakeholder-Matrix ........................... 207

Abb. 12

Unternehmensaktivitäten-Stakeholder-Matrix ....................... 209

Abb. 13

Checkliste für die Unternehmensanalyse ...................... 210-213

Abb. 14

Beispiele einer Produktbewertung mit Hilfe einer Checkliste .................................................................. 214

Abb. 15

Checkliste zur Erfassung des Bedrohungs- bzw. Chanchenpotentials und des Grades der Betroffenheit des Stakeholders ......................................................... 217-219

Abb. 16

Philosophie-Strategie-Matrix ........................................... 236

Abb. 17

Strategiearten ........................................................ 240-241

Abb. 18

Arten von Anreizen ...................................................... 306

Abkürzungsverzeichnis AlESEC

Association Internationale des Etudiants en Sciences Economiques et Commerciales

AMJ

Academy of Management Journal

AMR

The Academy of Management Review

ASQ

Administrative Science Quarterly

bdvb

Bundesverband Deutscher Volks- und Betriebswirte e.V.

BFuP

Betriebswirtschaftliehe Forschung und Praxis

CMR

California Management Review

DB

Der Betrieb

DBW

Die Betriebswirtschaft

DU

Die Unternehmung

ECOSOC

Economic and Social Council

FAZ

Frankfurter Allgemeine Zeitung

FCKW

Fluorchlorkohlenwasserstoff

gdi

Gottlieb-Duttweiler-Institut

HBR

Harvard Business Review

HWB

Handwörterbuch

n..O

International Labour Organisation

io

Management-Zeitschrift industrielle Organisation

IWD

Informationsdienst des Instituts der deutschen Wirtschaft

LRP

Long Range Planning

MM

Manager Magazin

OECD

Organization for Economic Cooperation and Development

SMJ

Strategie Management Journal

UNCTAD

United Nations Conference on Trade and Development

WiSt

zm

Wirtschaftswissenschaftliches Studium Zeitschrift für Betriebswirtschaft

15

Abkürzungsverzeichnis

ZtbF

Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliehe Forschung

ZFO

Zeitschrift für Führung und Organisation

A. Einführung I. Das Konzept Im Bereich der Wirtschaft begegnet man neuerdings gehäuft Begriffen wie Wirtschaftsethik 1 , Unternehmensethik2 , ethische Ökonomie3 und Führungsethik. 4 Die "Moral der Manager" wird zum Titelthema einer Managementzeitschrift5 , Ethik immer häufiger zum Tagungsthema für Wirtschaftstheoretiker und -praktiker (z. B. stand die bdvb-Fachtagung 1989 unter dem Motto "Wettbewerb und Moral"). Die Führungskräfte der Wirtschaft sind zunehmend verunsichert, ob alles, was ökonomisch zweckmäßig erscheint, auch in einem umfassenderen Sinne vernünftig und richtig ist. Nun ist das Interesse an einer Verbindung von Unternehmensführung und Moral zwar neu erwacht, aber nicht neu. Der älteste Ansatz in dieser Richtung ist wohl die Idee von der sozialen Verantwortung der Untern ehmensjahrung6 , der auf eine moralische Selbstverpflichtung der Manager hinausläuft und der heftig kritisiert wurde als substanzlos und naiv 7 , als "pseudo-normative Leerformel "8, als schlichter Appell an das Verantwortungsgefühl. 9 Fraglich erscheint vor allem, ob diese Selbstverpflichtung nicht nur Lippenbekenntnis ist und - falls der Wille zur Verantwortung tatsächlich da ist - ob der einzelne Manager überhaupt wissen kann, was das für seine täglichen Entscheidungen bedeutet.

1) Vgl. z. B. Rich, 1987 2) Vgl. z. B. Steinmann / Löhr, 1987a; Rebstock, 1988 3) Vgl. z. B. Koslowski, 1988 4) Vgl. z. B. Schmidt, 1986 5) Vgl. Wittenzellner, 1988 6) Vgl. z. B. Heald, 1957; Hunziker, 1980 7) Vgl. Ulrich, 1981, S. 63 ff. 8) Steinmann, 1973, S. 470 9) Vgl. Oppenrieder, 1986, S. 2 2 Göbel

18

A. EinIlihrung

Vom Ansatzpunkt her ähnlich ist die in den USA verbreitete "Managerethik" . Auch hier steht die Moral der Führungskräfte im Vordergrund. KonsequentelWeise folgt daraus die Anstrengung, Manager und solche, die es werden wollen, in Ethik, speziell in Wirtschaftsethik, zu schulen. 1O Meist durch eine Mischung von ethischer Theorie und Fallbeispielen aus der Wirtschaftspraxis versucht man, die moralische Kompetenz der (zukünftigen) Wirtschaftsführer zu verbessern. Damit führt dieser Ansatz über einen bloßen Appell an das Verantwortungsgefühl hinaus. Zweifelhaft bleibt aber, ob das modellhaft Gelernte in der Praxis auch seinen Platz finden kann. Der ebenfalls in den USA entstandene Ansatz der "sodal responsiveness" geht dagegen nicht davon aus, daß der einzelne Manager die ökonomische Rationalität durch seine persönliche Moral "bändigen" muß, sondern versucht zu zeigen, daß ein Reagieren auf gesellschaftliche Entwicklungen und Anliegen eine originäre wirtschaftliche Aufgabe ist. II Durch diese Sichtweise gelang eine Verbindung von "responsibility" und bewährtem Managementinstrumentarium, was sicher viel zur raschen Rezeption dieses Ansatzes durch die Wirtschaft in den USA beigetragen hat. Kritisch einzuwenden ist gegen diesen Ansatz, daß die Idee der Verantwortung nur allzu leicht verlorengeht und daß es dann nur noch darauf ankommt, effektiv mit "social pressures" umzugehen. Geschicktes Abblocken moralisch berechtigter Kritik gilt dann ebenso als Erfolg wie eine konkrete Problemlösung. 12 Als Konkretisierung des Responsiveness-Ansatzes könnte man den "Stakeholderansatz"13 betrachten. Indem er fordert, zunächst alle von der Wirtschaftstätigkeit Betroffenen und ihre Anliegen zur Kenntnis zu nehmen, bannt er die Gefahr, daß nur auf großen gesellschaftlichen Druck starker Gruppen hin "responsiveness" gezeigt wird. In seiner unternehmensspezifischen Ausgestaltung kann aber auch dieser Ansatz von einer moralisch gefärbten "social responsibility" bis zu einem bloß strategischen

lO)Vgl. z. B. Laczniak / Murphy, 1985a; Powers / Vogel, 1980 11) Vgl. z. B. Ackerman / Bauer, 1976 12) Vgl. Frederick, 1986, S. 130 ff. 13) Vgl. z. B. Freeman, 1984

I. Das Konzept

19

"external affairs management" alle Gestalten annehmen, weil beispielsweise bei der Bewertung der Anliegen und bei der Auswahl der Strategien keine ethischen Kriterien einfließen müssen. Im deutschsprachigen Raum wird vor allem die Diskursethik als mögliches Konzept für eine Wirtschaftsethik betrachtet. So entwickelt Ulrich 14 die Idee einer "kommunikativ-ethischen Vernunft" für die Wirtschaft, was bedeutet, daß alle von der Unternehmenstätigkeit Betroffenen gemeinsam mit den Unternehmensführern in einem unverzerrten "idealen" Dialog Lösungen finden, die alle akzeptieren können. Ihren institutionellen Ausdruck könnte die Diskursethik in .einer "offenen Unternehmensverfassung"15 finden. Kritisiert wird an diesem Ansatz vor allem, daß die Anwendungsbedingungen der Kommunikationsethik auch nicht im entferntesten gegeben sind und daher hier und heute andere Lösungen gefunden werden müssen. 16 Ein solcher praktikabler, "historisch-relativer" Lösungsvorschlag ist der Ansatz einer erweiterten Unternehmensverfassung . 17 Danach sollen ähnlich der schon praktizierten Arbeitnehmermitbestimmung auch Konsumentenvertreter und Vertreter des öffentlichen Interesses in die Unternehmung inkorporiert werden. Gegen diese Idee wäre einzuwenden, daß eine solche Lösung notwendig äußerst selektiv wäre, zu umfangreichen Regulierungen führen würde und nur schwer und langwierig umzusetzen wäre. Die erhöhte Regelungsdichte könnte zudem jede Initiative zu eigenverantwortlichem Handeln ersticken, eine feindselige und kleinliche Auslegung der Gesetze ihre Wirkung erheblich herabsetzen. Auch die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit dem Problem der Verbindung von Unternehmensführung und Moral. Es sollen möglichst konkrete Vorschläge entwickelt werden, wie und wo Überlegungen zur Verantwortung im Unternehmensalltag ihren Platz finden können, um sachgerechte und menschengerechte, u.E. "umfassend vernünftige" wirtschaftliche Entscheidungen zu ermöglichen. Der leitende Grundgedanke ist, daß es einer Vermittlung bedarf zwischen dem persönlichen Verantwortungsbewußtsein der Entscheidungsträger in 14) 15) 16) 17) 2"

Vgl. Ulrich, 1986 Ulrich, 1986, S. 420 Vgl. Apel, 1988, S. 9 ff. und passim. Vgl. Stein mann / Löhr, 1987b, S. 451 ff.; Steinmann / Gerum, 1988, S. 182 ff.

20

A. Einführung

der Wirtschaft (Individualethik) und ihrem Entscheidungsumfeld (Unternehmensethik). Die Wahrnehmung sozialer Verantwortung wird als Aufgabe betrachtet, die im Unternehmen zu "managen" ist. Diese integrative Perspektive kommt im Titel programmatisch zum Ausdruck: Das Management der sozialen Verantwortung. 18 Die Arbeit greift dabei die schon vorhandenen, zuvor kurz beschriebenen Ansätze auf, läßt sie aber nicht isoliert nebeneinander stehen, sondern fügt sie zu einem Gesamtkonzept zusammen, "in a way that gives shape and coherence, as a tree gives meaning to its leaves. "19 Dies geschieht mit dem Ziel, die Schwächen der bisher entwickelten Ansätze auszugleichen und ihre Stärken zu kombinieren. Der erste Anknüpfungspunkt für unser Konzept ist die Idee von der sozialen Verantwortung der Unternehmensführung. Die personale Verantwortungsübernahme durch die Unternehmensführung ist der Ausgangspunkt für alle folgenden Überlegungen, weil wir der Ansicht sind, daß der Wille zu moralisch richtigem Handeln eine unabdingbare Voraussetzung ist, wenn man von der Wirtschaft "ethischere" Handlungsweisen erwartet. Praktische Urteilsfähigkeit, ein Gewissen, haben zunächst einmal die Menschen in der Unternehmung, und wegen ihrer Leitungskompetenz sind es besonders die Führungskräfte, die mehr Moral in die Unternehmung bringen könnten. 20 Der Wille zur sozialen Verantwortung bei den Führungskräften ist eine notwendige, allerdings alleine nicht hinreichende Bedingung. Damit die Manager im Unternehmen überhaupt moralisch handeln können, muß in einem weiteren Schritt soziale Verantwortung im Unternehmen verankert werden. Hier wird, in gewisser Analogie zum Responsiveness-Ansatz, die Verantwortungsübernahme als strategische Neuorientierung verstanden und überlegt, durch welche Maßnahmen eines strategischen Management diese Neuorientierung gelingen kann. Wir wollen die Schritte im strategischen Prozeß - die Zielbildung, die Umwelt- und Unternehmensanalyse, die Issue-Analyse, die Strategiegenerierung und -

18) Management meint in diesem Zusammenhang die Tätigkeit, den Prozeß des Managens, nicht den Personenkreis der Manager. 19) Kahn, 1990, S. 311 20) Zur Verbesserung ihrer moralischen Sensibilität und Kompetenz könnte man die Erfahrungen der amerikanischen Managerethik nutzen.

I. Das Konzept

21

auswahl - jeweils speziell im Hinblick auf die soziale Verantwortung untersuchen und Vorschläge zur Implementierung entwickeln. Bei der Umweltanalyse wird dabei der Gedanke des Stakeholderansatzes aufgegriffen. Dieser Ansatz erscheint geeignet, die zu analysierende Umwelt abzugrenzen und so die Voraussetzung zu schaffen, um "die Betroffenen", für die wir verantwortlich sein wollen, genauer kennenzulernen. Responsiveness- und Stakeholder- Ansatz bergen die Gefahr, zum bloßen Management von "pressure-groups" zu werden und damit unter der Hand ihre ethische Komponente zu verlieren. Um dem vorzubeugen setzt unser Konzept den persönlichen Willen zur sittlichen Verantwortung voraus und läßt in der Konsequenz normativ ethische Überlegungen in die Zielbildung, die Bewertung der Anliegen nach Dringlichkeit und die abschließende Strategieauswahl einfließen. Ob etwa ein Problem als "strategie issue", also als dringend zu lösen, eingestuft wird, darf nicht nur an der Macht der Interessengruppen liegen, sondern muß auch durch eine ethische Güterabwägung begründet werden. Erst die explizite Einbeziehung der normativen Ethik scheint uns die pragmatischen amerikanischen business ethics-Ansätze voll tragfähig werden zu lassen für eine Verbindung von Verantwortung und Unternehmensführung. Vom kommunikativ-ethischen Ansatz kann die Idee übernommen werden, daß ein direkter Dialog mit den Betroffenen für eine unverzerrte Information nützlich und auch ethisch wünschenswert ist. In der Umweltanalyse sowie bei der Frage, wie man die Idee der sozialen Verantwortung strukturell verankern kann, wird der Gedanke aufgegriffen. 21 Mit der möglichen Kodifizierung der Partizipation ergibt sich ein Anknüpfungspunkt zum Ansatz der erweiterten Unternehmensverfassung. Gelingt die Implementierung der Idee der sozialen Verantwortung im Unternehmen, entwickelt sich eine Kultur der sozialen Verantwortung, dann kann man in gewisser Hinsicht auch davon reden, daß das Unternehmen ein Gewissen bekommt. 22 Gemeint ist damit, daß sich im Unternehmen eine Wirklichkeit entwickelt, die von Individuen geprägt und gelebt

21) Die Diskursethik ist bei uns aber nicht der ethische Basisansatz wie bei Ulrich, 1986 und Steinmann und Löhr, 1987, S. 15 f. 22) Vgl. Goodpaster, o.J.

22

A. Einilihrung

wird, die dann aber auch unabhängig von den einzelnen besteht und formend und handlungsregulierend auf sie zurückwirkt. Es ist dann eben nicht mehr der Willkür einzelner überlassen, ob verantwortliche Entscheidungen getroffen werden oder nicht, sondern Verantwortung ist institutionalisiert. Ein solches "Gewissen", quasi die Summe aller materialen und prozessualen Normen zur Umsetzung der sozialen Verantwortung im Unternehmen, müßte genauer als Unternehmensethos 23 bezeichnet werden. Zum Gewissen gehört nämlich neben den Prinzipien und dem Ethos (den konkreten Normen, der Erfahrung, dem Handlungswissen) immer auch die Urteilsinstanz, die Prinzipien und Normen aufgrund ihres Wissens und ihrer Erfahrung situativ richtig anwenden kann und nicht nur blindlings Normen erfüllt. Dieses Urteilen kann nicht an "die Unternehmung" delegiert werden, sondern bleibt den Menschen in der Unternehmung überlassen. Nach unserem Konzept sind persönliche Moral und Unternehmensethos (bzw. Individualethik und Unternehmensethik) also keine Alternativen, sondern sich gegenseitig bedingende, ergänzende Teile eines Ganzen.

23) Steinmann und Löhr sprechen im gleichen Zusammenhang von einer "Unternehmensethik" , vgl. Stein mann und Löhr, 1987a, S. 20. Da mit Ethik gemeinhin eine wissenschaftliche Disziplin bezeichnet wird, erscheint uns der Begriff Ethos hier besser am Platze.

ll. Methodisches Vorgehen Ausgangspunkt unserer Untersuchung ist die Hypothese - hier im Sinne einer Aussage über einen vermuteten Einzelsachverhalt1 - , daß heute von Unternehmen auch das Ziel verfolgt wird, sozial verantwortlich handeln zu wollen. Als Existenzsatz2 kann diese Hypothese durch die empirische Feststellung verifiziert werden, daß zumindest einige Unternehmensführer mündlich oder auch schriftlich das Ziel der sozialen Verantwortung zu ihrem Ziel bzw. zum Unternehmensziel erklären. Die Zahl solcher Erklärungen nimmt tendenziell zu, was ebenfalls empirisch belegt werden kann. Unsere zweite Hypothese (wiederum eine Vermutung über einen Einzelsachverhalt) besagt nun, daß bis jetzt die Umsetzung dieses Ziels in den Unternehmungen noch nicht in befriedigender Weise erfolgt ist. Auch diese Hypothese läßt sich durch empirische Daten zumindest stützen. Erstens sind die Kritiker der Wirtschaft, die ihr Verantwortungslosigkeit vorwerfen, nach wie vor unzufrieden, ja, laut Umfrageergebnissen nimmt die Unzufriedenheit mit dem Handeln der Wirtschaft sogar zu. Zweitens sprechen zahlreiche Fakten dafür, daß von der Wirtschaft mit zu verantwortende Probleme (z.B. Umweltverschmutzung), tatsächlich nach wie vor in weiten Bereichen ungelöst sind. Und drittens schließlich, suchen die Verantwortlichen in der Wirtschaft selbst noch nach Lösungen, was sich etwa an dem anhaltenden und umfassenden Interesse der Praktiker an Veranstaltungen über Wirtschaftsethik ablesen läßt. Gerade im Zusammenhang mit letzterer Aussage, nämlich daß die Verantwortlichen in der Wirtschaft selbst nach Lösungen suchen, scheint uns der Schluß erlaubt, daß die mangelnde Umsetzung des Ziels der sozialen Verantwortung im Unternehmen nicht am fehlenden Willen der Verantwortlichen scheitert, sondern am fehlenden Können. Ausgehend von der allgemeineren Hypothese, daß jedes für die Unternehmung wichtige Ziel im Unternehmen quasi institutionalisiert werden muß, will man seine dauerhafte Verfolgung und Verwirklichung erreichen, bilden wir die dritte Hypothese: Wenn die Unternehmung das Ziel der sozialen Verantwortung ernsthaft verfolgen will, dann ist es nötig, Implementationsmaßnahmen zu 1) Vgl. Seiffert, 1973, S. 161 f. 2) Vgl. Seiffert, 1973, S. 171

24

A. Einführung

ergreifen, welche das Ziel in der Unternehmung institutionalisieren. Diese Hypothese scheint plausibel3 wegen ihrer Beziehung zu bisherigem Wissen, hier namentlich den Erfahrungen aus dem Bereich des strategischen Management. Im Analogieschluß werden diese Erfahrungen auf das Ziel der sozialen Verantwortung übertragen, welches als strategisches Ziel größter Reichweite aufgefaßt wird. Im Rahmen einer in der Arbeit zu generierenden "Unternehmensethik" werden dann Vorschläge entwickelt, wie im einzelnen die Umsetzungsmaßnahmen aussehen könnten, d.h. das Wissenschaftsziel ist in erster Linie ein pragmatisches. 4 Problematisieren könnte man an diesem Vorgehen, daß die Ziel-MittelÜberlegungen nicht auf einer Realtheorie aufbauen, wie es dem Ideal wissenschaftlichen Arbeitens entsprechen würde. Nach diesem Ideal ist die Technologie lediglich die Umformung einer gesetzmäßigen Ursache-Wirkungs-Beziehung in eine Ziel-Mittel-Beziehung. 5 Technologie ist "Anwendung gegebener Realtheorien " .6 Da jedoch nach weit verbreiteter Meinung die Betriebswirtschaftslehre noch sehr wenig Realtheorie, d.h. empirisch wahre und gut bestätigte Gesetze, hervorgebracht hat7 , wird es als zulässig angesehen, die Eignung von Mitteln zur Zielerreichung auch ohne explizite Theorie zu erörtern. 8 Die Anwendung der "Lösungsidee"9 strategisches Management kann auch plausibel begründet werden: Zunächst erscheint es intuitiv einleuchtend 10 , daß beispielsweise ein Ziel nicht verfolgt werden kßnn, wenn nicht die entscheidungsnotwendigen Informationen erhoben werden oder daß ein Ziel nicht verfolgt werden wird, wenn die Anreizsysteme ein entgegengesetztes Verhalten belohnen. Weiterhin lassen sich die Erfahrungen zahlreicher Unternehmen - wenn man so will "induktiv" - dahingehend zusammenfassen, daß jede strategische Neuorientierung flankierender Maßnahmen bedarf, daß Ziele nur verfolgt und erreicht werden, wenn sie nicht isoliert im Raum stehen, sondern bewußt implementiert werden. Schließlich sprechen auch praktische Bei3) 4) 5) 6) 7)

VgI. Schanz, 1975, S. 46 VgI. Schweitzer, 1978, S. 2 VgI. Schweitzer, 1978, S. 6 Kosiol, 1978, S. 142 VgI. Wild, 1976, Sp. 3892; Chmielewicz, 1982, S. 455; Schweitzer, 1978, S. 10; Eichhorn, 1979, S. 86 8) VgI. Wild, 1976, Sp. 3905 f. 9) Schneider, 1981, S. 54 f. 10) VgI. Schanz, 1975, S. 62 f.

11. Methodisches Vorgehen

25

spiele dafür, daß dieser Lösungsansatz angemessen ist. Zur Umsetzung des Zieles Umweltschutz im Unternehmen hat sich beispielsweise ein offensives, integriertes strategisches Management, hier: Umweltschutzmanagement ll , gut bewährt. Für einen begrenzten Ausschnitt aus dem gesamten Programm der sozialen Verantwortung, den Umweltschutz, ist also durch konkrete Anwendung und Bewährung das Idealmodell gewissermaßen schon zum Realmodell geworden. 12 Eine weitergehende empirische Validierung ist erst in der Zukunft möglich, da "Konzepte für neue Realitäten ... vor ihrer Realisierung"13 nicht empirisch zu testen sind. Das "schöpferische Entwerfen neuer Konzepte" 14 steht jedoch gleichberechtigt neben der empirischen Forschung, wird doch gerade durch neue Konzepte neben der pragmatischen auch die kritische Funktion der Wissenschaft erfüllt und zwar in einer besonders wirksamen, weil konstruktiven Form. 15 Mit Heinen l6 könnte man sagen, dieser Ansatz ist zugleich wertfrei, da er das Ziel der sozialen Verantwortung als empirisch gegeben unterstellt und es nicht normativ empfiehlt und auch "praktisch-normativ", da Empfehlungen abgeleitet werden, "wie das Entscheidungsverhalten der Menschen in der Betriebswirtschaft sein soll, wenn diese bestimmte Ziele (hier das Ziel soziale Verantwortung, Anm. d. Verf.) bestmöglich erreichen wollen." Möchte man den Begriff des Normativen ganz vermeiden, weil die Wertfreiheit sich sowohl auf Ziele als auch auf Mittel erstrecken soll17, dann kann man statt von "Empfehlungen" auch von "Informationen über prinzipielle Handlungsmöglichkeiten"18 sprechen, welche zunächst rein technologische Aussagen darstellen. Dieser Sprach regelung wollen wir uns anschließen und die Ziel-Mittel-Überlegungen wertneutral als "Möglichkeitsanalyse"19 bezeichnen. Wenn trotzdem in den Ausführungen immer wieder präskriptive Prädikate vorkommen, der Art, daß man etwas 11) Vgl. z.B. Winter, 1988 12) Vgl. Kosio1, 1978, S. 153 13) Chmie1ewicz, 1982, S. 461 14) Chmie1ewicz, 1982, S. 461 15) Vgl. Schanz, 1975, S. 109 16) Vgl. Heinen, 1969, S. 209 17) Vgl. Schweitzer, 1978, S. 7 18) Schanz, 1975, S. 122 19) Vgl. Schanz, 1975, S. 122

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A. Einführung

tun "soll" oder "muß" , so handelt es sich in der Regel um "Scheinimperative"20, welche durch Umformulierungen vermieden werden könnten. Inhaltlich geht es in erster Linie um entscheidungslogische Rationalität, d.h. um die Aufforderung: "handele vernünftig bei gegebenen Zwecken (Zielen)"21. Da das Ziel in diesem Fall ein solches ist, welches auch die Ethik als ihr zugehöriges Ziel betrachtet, werden die Mittel konsequenterweise teilweise auch dem Bereich der Ethik entnommen. So wird etwa zur Lösung von Interessenkontlikten - immer unter der Voraussetzung des Ziels der Verantwortung - eine Güterabwägung nach dem Kriterium der Betroffenheit als Mittel beschrieben. Rein formal lassen sich auch solche Ziel-Mittel-Überlegungen unseres Erachtens als wertneutrale Möglichkeitsanalyse auffassen. Wo dagegen explizit zur Vernünftigkeit des Ziels der sozialen Verantwortung selbst Stellung genommen wird, dieses Ziel etwa als "umfassend vernünftig" charakterisiert wird, kommen persönliche Wertungen hinzu22 , welche sicher nicht völlig zu vermeiden sind, dann aber auch als solche offengelegt werden. Unser Vorgehen will damit der Forderung Poppers genügen, Wertvermischungen bloßzulegen. 23

20) Schanz, 1975, S. 120 21) Schneider, 1981, S. 63 22) Vgl. Schneider, 1981, S. 63 23) Vgl. Popper, 1962, zitiert nach Chmielewicz, 1982, S. 468

m. Gang der Untersuchung Im Teil B der Arbeit wird versucht zu rekonstruieren, wie es zum neuerwachten Interesse an der Wirtschaftsethik gekommen ist. Von der Wirtschaft verursachte Probleme sowie ein Wertewandel begründen eine kritischere Einstellung gegenüber den Unternehmen, die sich in neuen Anforderungen an die Unternehmung niederschlägt. Wohl teils aufgrund dieses äußeren Drucks, aber sicher auch aufgrund eigener Einsicht bekennen sich immer mehr Unternehmensführer zu einer sozialen Verantwortung. Und doch scheint die Dissonanz zwischen den Ansprüchen der Gesellschaft an die Unternehmen und deren Handeln eher noch deutlicher zu werden, anstatt sich in Harmonie zu verwandeln. Woran liegt das? Den Grund dafür sehen wir nicht im fehlenden guten Willen der Entscheidungsträger in der Wirtschaft; wir stellen die These auf, daß eher das mangelnde Können im Umgang mit dem noch ungewohnten Problemkomplex "soziale Verantwortung" moralisch fragwürdige Entscheidungen verursacht. Aufgrund dieser These kann die Umsetzung sozialer Verantwortung im unternehmerischen Alltag als ungelöstes Managementproblem angesehen werden, womit zugleich zweierlei abgesichert wird: Zum ersten erscheint auf dieser Basis ein weitgehend wertfreies Forschungsprogramm möglich. Nachdem wir aufgrund empirischer Daten festgestellt haben, daß Unternehmer soziale Verantwortung als Ziel haben, dürfen wir uns weiter fragen, wie dieses Ziel von ihnen und anderen konkretisiert wird und wie es sich zu weiteren Zielen - etwa dem Gewinnziel - verhält. Auch können wir untersuchen, welche Mittel zur Erfüllung des Ziels sozial verantwortlicher Unternehmensführung geeignet erscheinen. Mit aller gebotenen Vorsicht kann man - Max Weber folgend - davon ausgehen, daß Fragen solcher Art "wertfrei" beantwortet werden können. Zum zweiten läßt es die oben genannte These von der sozialen Verantwortung als Managementaufgabe legitim erscheinen, daß eine betriebswirtschaftliche Arbeit sich mit dem Thema der sozialen Verantwortung der Unternehmensführung beschäftigt, setzen doch die Entscheidungsträger in der Wirtschaft sich selbst das Ziel, sozial verantwortlich zu handeln.

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A. Einführung

Der Sinn einer spezifisch betriebswirtschaftlichen Betrachtung des Verhältnisses von Wirtschaft und Ethik: muß aber zusätzlich noch gegen Einwände abgesichert werden, die sich zwar nicht gegen das Ziel einer sozial verantwortlichen Unternehmensführung an sich wenden, die aber die Mittel zur Verwirklichung dieses Ziels nicht auf der Ebene der einzelnen Unternehmen sehen. Die Makrostrukturen der Wirtschaftsordnung und! oder der Gesetzgebung sind für die einen die einzig möglichen Ansatzpunkte, sozial verantwortliches Handeln in den Unternehmen durchzusetzen. Andere bauen wiederum ausschließlich auf die Mikrostrukturen einer Individualethik: im Unternehmen. Wir argumentieren dagegen, daß es im Rahmen einer durch Gesetze regulierten, sozialen Marktwirtschaft strategische Spielräume für die einzelnen Unternehmen gibt, die mehr oder weniger verantwortlich ausgenutzt werden können. Die Individualethik ist dabei unabdingbare Voraussetzung für eine "moralische" Unternehmensführung; sie darf aber nicht zum heroischen "ohnmächtigen" Kampf gegen die in der Unternehmung bestehenden Prozesse, Strukturen und Überzeugungen verurteilt werden. Vielmehr sollen im Rahmen einer speziellen, noch zu generierenden Unternehmensethik Vorschläge entwickelt werden, wie die Idee der sozialen Verantwortung der Unternehmensführung so in die Unternehmung zu implementieren ist, daß die Unternehmung selbst quasi ein Gewissen bekommt. Im Teil C haben wir somit unser Forschungsprogramm als weitgehend wertfrei, betriebswirtschaftlich sinnvoll und innovativ legitimiert. Als Rahmenkonzept für eine Unternehmensethik dient im folgenden das strategische Management, weIches zur Umsetzung der sozialen Verantwortung im Unternehmen besonders fruchtbar erscheint. Dies wird im Teil D der Arbeit systematisch begründet. Das Hauptgewicht der Arbeit liegt dann darauf, die Phasen im Managementprozeß Zielbildung, strategische Analyse (Umweltanalyse, interne Anal yse, Issue-Anal yse) , Strategieformulierung (Strategiealternativen, Strategieauswahl) und Implementierung daraufhin zu untersuchen, auf weIche Art und Weise sich der Gedanke sozialer Verantwortung in ihnen niederschlagen könnte (Teil E, P, G und H). Dabei wird eine Verbindung von normativ ethischen und strategischen Überlegungen versucht mit der Intention, Moral pragmatisch umsetzbar zu machen, ohne sie zugleich der Pragmatik zu opfern.

III. Gang der Untersuchung

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Natürlich bietet gerade ein solcher Integrationsversuch Angriffsfläche von verschiedenen Seiten. Den einen wird die strategische Perspektive zu stark dominieren; sie werden unser Konzept als "Marketing mit anderen Mitteln" ansehen. Den anderen werden dagegen die moralischen Ansprüche an die Wirtschaft zu weit gehen mit der Konsequenz, daß sie eine "Schädigung der Wirtschaft" erwarten werden. Schließlich werden sich Verfechter makrostruktureHer Regelungen dagegen wenden, den Individuen in der Unternehmung bzw. den einzelnen Unternehmen überhaupt "soziale Kompetenz" zuzutrauen und ihnen damit eine "elitäre RoHe" und "zusätzliche Macht" einzuräumen. Diese möglichen Einwände gegen das Konzept eines "Managements der sozialen Verantwortung" werden im Teil J antizipiert und kritisch diskutiert.

In der Schlußbemerkung werden die Ergebnisse der Arbeit noch einmal zusammengefaßt und (wertend) für die soziale Verantwortung der Unternehmung Partei ergriffen.

B. Das neue Verhältnis von Wirtschaft und Gesellschaft J. Der Wirtschaft zugeschriebene Probleme "Ist es nicht erstaunlich, daß Unternehmer in der gesellschaftlichen Rangskala nur einen bescheidenen Platz einnehmen, obwohl sie das Gesicht der modemen Welt geprägt haben? Und obwohl die materielle Existenz und die Freiheit der Völker heute wesentlich auch von ihrer Tatkraft und ihrem Einfallsreichtum abhängt?"1 Warum eigentlich befinden sich die Unternehmen seit einiger Zeit moralisch in der Defensive trotz ihrer unübersehbaren Erfolge bei der "Verbesserung der allgemeinen Lebensverhältnisse"? Die Kritiker der Wirtschaft werden darauf antworten, daß in ihren Augen die Unternehmer schon längst auch zu einer Verschlechterung der allgemeinen Lebensverhältnisse beitragen, daß sie genausoviele Probleme schaffen wie sie lösen und insgesamt die Lebensqualität eher verschlechtern als verbessern. Primär die Gefährdung unseres Lebensraums durch Umweltverschmutzung gilt vielen als ein hauptsächlich durch die Wirtschaft verursachtes Problem. 2 In den Medien oft genannte, dringliche Probleme sind etwa: - Die Zerstörung der Erdatmosphäre mit katastrophalen Auswirkungen für das Klima auf der Erde. Immer alarmierender werden z. B. die Meldungen über das sog. Ozonloch, das in erster Linie durch Treibgase (Fluorchlorkohlenwasserstoffe), aber auch andere Abgase verursacht wird. FCKW wird u.a. als Treibmittel, Lösungsmittel und Aufschäummittel industriell genutzt. - Die Zerstörung der Regenwälder. Jahr für Jahr werden riesige Flächen (mehr als 200.000 Quadratkilometer) tropischen Urwaldes abgeI) ASV, 1990, S. 7 2) Vgl. Koblitz, 1987, S. 383; Galbraith, 1974, S. 229 ff.,; Vtz, 1978, S. I; Biervert / Held, 1987, S. 7; Meffert, 1980b, S. 60; Enderle, 1987, S. 433; Kiuxen, 1986, S. 15 ff.; Krelle, 1986, S. 41 ff.

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B. Das neue Verhältnis von Wirtschaft und Gesellschaft

holzt, z. B. um Weidetlächen für Rinder zu gewinnen, deren Fleisch exportiert werden kann. Dem kurzfristigen wirtschaftlichen Erfolg folgt die Versteppung und Erosion der Böden. - Die Vergiftung des Wassers. Das Lebenselexier Wasser, einstmals ein sog. freies Gut, wird immer teurer. Immer aufwendiger wird die Reinigung des Wassers zur Trinkwasserqualität, die Alarmmeldungen über Ungenießbares aus dem Wasserhahn häufen sich. Bäche und Flüsse tragen tonnenweise Schmutz in die Meere, sei es Salz aus Kaliwerken, Abwässer der chemischen Industrie oder ausgewaschener Dünger von den Feldern. Die Meere werden zusätzlich als Mülldeponien betrachtet, auf deren Grund hochgiftige Abfälle in rostenden Fässern wie Zeitbomben ticken. - Die Vergiftung der Böden. Die Gefährdung unserer Trinkwasserversorgung hängt eng mit der Vergiftung der Böden zusammen, denn ein Großteil der Chemikalien, die z. B. von der Agrarindustrie auf den Boden ausgebracht werden, sickern nach und nach in das Grundwasser ein. - Das Aussterben biologischer Arten. Man rückt dem Unkraut und dem Ungeziefer mit Herbiziden, Pestiziden und Fungiziden zu Leibe. So sehr der unmittelbare Erfolg oft einleuchtet, die Rechnung wird später präsentiert. Mit den Schädlingen sterben oft auch die Nützlinge, mit den Unkräutern die Heilkräuter. Ist das natürliche Gleichgewicht einmal zerstört, werden immer größere Mengen von Giften nötig, die immer mehr Arten gefährden. Abgesehen von der ästhetischen Verarmung, die bei entsprechenden Ausmaßen sicher viele Menschen bedauern, ist auch zu bedenken, daß jedes Lebewesen ein einmaliger "Genpool " ist. Von vielen Organismen wissen wir heute noch gar nicht, ob sie nicht eines Tages von großer Bedeutung sein könnten etwa für die Herstellung von Medikamenten oder den biologischen Schadstoffabbau . Ein zweiter Problemkomplex kann unter dem Stichwort "Überjlußgesellschajt" zusammengefaßt werden. Hinter diesem Stichwort stecken Vorwürfe wie die künstliche Erzeugung von überflüssigen Bedürfnissen, Anheizen der Konsumhysterie, Erziehung zur Wegwerfmen-

I. Der Wirtschaft zugeschriebene Probleme

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talität. 3 Obwohl es äußerst problematisch sein dürfte, allgemein verbindlich festzulegen, welche Produkte "überflüssig" bzw. "human relevant"4 sind, gibt es doch einige Anhaltspunkte für eine KostenNutzen-Abwägung. Die gesamtwirtschaftlichen Kosten sind etwa um so höher zu veranschlagen, je mehr nicht erneuerbare Ressourcen eingesetzt werden müssen, je stärker die Umwelt durch die Produktion belastet wird, je mehr schwer abbaubarer Abfall anfällt. Der gesamtwirtschaftJiche Nutzen kann tendenziell um so niedriger angesetzt werden, je mehr Produkte mit gleichem Produktnutzen schon auf dem Markt sind, je weiter die Qualität von der bestmöglichen Qualität entfernt ist - etwa durch künstliche Alterung - und je weniger das Produkt wirklich lebensnotwendig ist. Ein Indiz für die mangelnde Nützlichkeit kann darin gesehen werden, daß ein Produkt nur mit enormem Aufwand an Werbung in den Markt "gepullt" bzw. "gepusht"S werden kann. Die schädlichen Folgen der Überflußgesellschaft bestehen in der Ressourcenverschwendung, der Umweltverschmutzung, aber auch in menschlichen Problemen, wie Neid und Unzufriedenheit der relativ Ärmeren, die nicht selten kriminell werden, um im Konsum mithalten zu können, oder die sich hoffnungslos überschulden. Nicht zuletzt wird als Folge der Überfluß- bzw. Konsumgesellschaft gewertet, daß die Menschen ihren natürlichen Bedürfnissen6 entfremdet werden, daß passiver Konsum die eigene Kreativität verdrängt und der Sinn des Lebens nur noch darin besteht, Konsumziele zu erreichen. Die Arbeitswelt ist ein drittes Thema, das Anlaß zur Kritik an der Wirtschaft gibt. Kein Unternehmen kann heute mehr eine größere Anzahl von Mitarbeitern entlassen, ohne allgemeine Entrostung und Protest herauszufordern. Für die hohe Arbeitslosigkeit wird in erster Linie die Wirtschaft verantwortlich gemacht7 , der man z. B. vorwirft, Arbeitsplätze aus Gewinnsucht wegzurationalisieren und bestimmten Gruppen - Behinderten, Jugendlichen ohne Ausbildung, Langzeitarbeitslosen - keine Chance zu geben. Aber auch wer Arbeit hat, ist nicht immer zufrieden. Ungerechte Entlohnung (z. B. niedrigere Bezahlung von Frauen bei gleicher Arbeit), 3) 4) 5) 6)

Vgl. Utz, 1978, S. 54 ff. Vgl. Korff, 1986, S. 79 Vgl. Meffert, 1980a, S. 397 f. Es ist allerdings ohne Zweifel sehr problematisch, die "authentischen" Bedürfnisse der Menschen zu benennen, vgl. Hondrich, 1975, S. 52 f. 7) Vgl. Utz, 1978, S. 1; Biervert / Held, 1987, S. 7 f.; Enderle, 1987, S. 433 3 Göbel

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B. Das neue Verhältnis von Wirtschaft und Gesellschaft

inhumane Arbeitsbedingungen (Lärm, Staub, Hitze, Monotonie), Streß, Leistungsdruck, Aggressionen und Konkurrenzkampf um den Aufstieg, zu wenig Mitspracherechte, zu wenig Eigenverantwortung, Diskriminierung von Frauen und Minderheiten sind Vorwürfe, die von Arbeitnehmern erhoben werden. Vor allem die "Multis" werden häufig pauschal für Hunger und Armut in den Entwicklungsländern verantwortlich gemacht. Der Raubbau an den Bodenschätzen dieser Länder ohne angemessene Gegenleistung, die Ausbeutung der Ärmsten durch die Zahlung von Hungerlöhnen, der Export nicht angepaßter Technologie in diese Länder, der fehlende Know-howTransfer , die Strangulierung durch den Schulddienst und die Abschottung der Industrieländer gegen Importe aus der Dritten Welt gelten vielen als die eigentlichen Ursachen der zunehmenden Verelendung. Auch wenn viele dieser Vorwürfe ideologisch verzerrt sind und den heutigen Verhältnissen nicht mehr entsprechen (Joint Venture als häufige Form der Zusammenarbeit, local-content-Vorschriften, festgelegte Preise, Anstreben von Export, Know-how-Transfer und Ausbildung usw.)8, auch wenn viele der Probleme aus der Innenpolitik dieser Länder entstehen (Bürgerkriege, Korruption, persönliche Bereicherung der Herrschenden), so sind wir doch weit von einer "gerechten" Verteilung der Güter auf der Erde entfernt. Solange noch Millionen Menschen elend dahinvegetieren oder sogar verhungern, obwohl die weltweite Nahrungsmittelproduktion für alle ausreichen könnte, so lange müssen wir über eine gerechtere Verteilung der Güter nachdenken. 9 Im Zusammenhang mit den Multis, also den großen multinationalen Unternehmen, wird weiterhin Kritik geübt an der zu großen Macht der Konzerne. Macht im Markt führt dazu, daß die Unternehmen Konsumenten und Lieferanten ihre Bedingungen aufzwingen und unliebsame Konkurrenten ausschalten können. Die Macht zur Disposition über Menschen und Sachen im Unternehmen selbst könnte dazu verleiten, die Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter zu verschlechtern und Kritik und Mitbestimmung zu unterdrücken. Die politische Macht in der Gesellschaft könnte z.B. dazu verführen, bestimmte unliebsame Gesetze zu verhindern oder zumindest zu verwässern, bestimmte Politiker und Parteien massiv zu 8) Vgl. Ahn, 1981; Oman, 1984; Pausenberger, 1982 9) Vgl. Korff, 1986, S. 80; Enderle, 1985b

I. Der Wirtschaft zugeschriebene Probleme

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unterstützen (was zumindest in den USA ganz entscheidend für den Wahlsieg ist) oder selbst quasi Politik zu machen, indem man bestimmte Branchen oder Regionen gezielt fördert oder vernachlässigt. Daß die multinationalen Konzerne weltweite Synergieeffekte anstreben, führt außerdem zu einer globalen Standardisierung der Produkte. Für diese "kulturelle Macht" sind Coca-Cola und McDonald's die am häufigsten beklagten Beispiele. 10 Last but not least wird das Image der Wirtschaft durch die eigentliche Wirtschaftskriminalität geschädigt. Betrügerische Bankrotte, Steuerhinterziehung großen Ausmaßes, Bestechungsskandale, Preisabsprachen, verbotene Insidergeschäfte, giftiges Olivenöl, Hormone im Kalbfleisch sind nur einige der kriminellen Vorkommnisse, die in letzter Zeit durch die Presse gingen. Dazu kommt der unangenehme Verdacht, daß nur ein Bruchteil dieser Machenschaften publik wird und die meisten der dunklen Geschäfte im Dunkeln bleiben. Wenn damit auch noch längst nicht alle Vorwürfe aufgezählt sind, die heute gegen die Wirtschaft erhoben werden, so sollte doch deutlich geworden sein, daß die Zeiten des selbstverständlichen Einvernehmens zwischen Wirtschaft und Gesellschaft vorbei sind. Die Bewunderung für die "Macher" ist jedenfalls bei vielen einer skeptischen bis feindlichen Einstellung gewichen, und das durchaus auch bei Normalbürgern. Der Satz: "Früher wollte man, daß die Schornsteine ra~chen, heute protestiert man, weil sie rauchen", steht beispielhaft dafür, daß sich die Anforderungen der Gesellschaft an die Wirtschaft geändert haben.

10) Vgl. auch die Explikation des Machtbegriffs bei Pohmer I Schweitzer, 1974, S. 80 . 3·

ll. Gewandelte Einstellungen gegenüber der Wirtschaft Viele Umfrageergebnisse unterstützen die These, daß sich in breiten Kreisen der Bevölkerung in den letzten Jahren ein Einstellungswandel vollzogen hat. 1983 legte der "Stern" die Ergebnisse einer Infratest-Analyse vor, die ergab, daß 93 % der Bundesbürger Umweltschutz als wichtiges Ziel einstufen.! Dabei wird die Zuständigkeit für die Lösung dieses Problems in erster Linie bei der Wirtschaft gesehen, aber, und das ist für die Unternehmung wichtig zu wissen, die Bürger sind auch zu eigenen Opfern bereit. Nach einer Umfrage des Institutes für Demoskopie in Allensbach achten 40 % der Verbraucher beim Kauf bestimmter Produkte auf Umweltverträglichkeit. Sogar 65 % der Bevölkerung erklärten sich nach einer im Jahre 1985 von den "Wirtschaftsjunioren Deutschland" in Zusammenarbeit mit dem EMNID-Institut Bielefeld durchgeführten Befragung bereit, höhere Preise für umweltfreundliche Produkte zu zahlen. 2 Eng damit zusammen hängt die Einstellung zum Ziel des Wirtschaftswachstums . Während nach wie vor etwa 70 % der Bevölkerung Wachstum als allgemeines Ziel positiv bewerten, entscheidet sich andererseits eine klare Mehrheit für den Vorrang des Umweltschutzes, falls Wachstum und Umweltschutz in einen Zielkonflikt geraten. 3 Eine ebenso deutliche Mehrheit würde jedoch den Konflikt mehr Arbeitsplätze gegen Umweltschutz zugunsten der Arbeitsplätze lösen wollen. 4 Diese Dissonanz zeigt deutlich, daß wir uns heute in einer Umbruchphase befinden. Positive Folgen wirtschaftlichen Wachstums, wie ein gesicherter Arbeitsplatz mit gutem Einkommen, werden nach wie vor eindeutig gewünscht, die assoziativ damit verbundenen negativen Folgen wie Umweltverschmutzung, Übermacht der Technik und Streßs werden ebenso deutlich abgelehnt. Die Ratlosigkeit, die zwiespältigen Gefühle sowie der Eindruck der Undurchschaubarkeit wirtschaftlicher Prozesse könnten allerdings auf die Dauer zu einer deutlichen Ablehnung des Wachstumsideals führen. Dafür spricht auch, daß die ausgesprochenen WachsI) 2) 3) 4) 5)

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Stern, 1983 Liese, 1986, S. 24 Klipstein, 1985a, S. 13, !6 Klipstein, 1985a, S. 17 Klipstein, !985a, S. 16

11. Gewandelte Einstellung gegeüber der Wirtschaft

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tumsgegner vor allem unter den jüngeren Leuten bis 35 Jahre zu finden sind. 6 Ähnlich zwiespältig - oder positiv gewendet differenziert - stehen die Bürger der Technik gegenüber. 1981 schätzten nur noch 30 % die Technik eindeutig als "Segen für die Menschheit" ein, gegenüber 50 % 1976 und 72 % 1966. Ein Fluch ist sie allerdings auch nur für 13 % der Bevölkerung. Über die Hälfte der Befragten entschloß sich zu dem Urteil "weder Segen noch Fluch".1 Darin druckt sich sicher aus, was eine genauere Untersuchung zutage brachte, nämlich daß technische Großprojekte wie Flugzeugbau, Großkliniken und Raumfahrt viel negativer bewertet werden als etwa die Förderung von Sonnen- und Windenergie oder die Entwicklung benzinsparender Autos. 8 Statt von Technikfeindlichkeit spricht Klipstein9 daher lieber von Technikskepsis. Daß die Menschen heute große Probleme haben, sich für oder gegen die Technik zu entscheiden, ist leicht verständlich. Während auf der einen Seite argumentiert werden kann, daß die Technik zur Umweltzerstörung und Arbeitsplatzvernichtung beigetragen hat, kann mit dem gleichen Recht darauf hingewiesen werden, daß nur neue Techniken die Umweltprobleme lösen und neue Arbeitsplätze schaffen werden. Die Kritik an Wachstum und Technik kann letzten Endes ebenfalls als Ausfluß des Umweltschutzgedankens interpretiert werden, denn beides wird nur insofern kritisiert, als es die Umwelt zerstört. Eine unkritische Fortschrittsgläubigkeit jedenfalls gehört der Vergangenheit an; Unbehagen, Sorgen, ja Angst machen sich breit. lo Will man die Weiterentwicklung dieses Trends abschätzen, muß man auch hier - wie beim Wachstum - beachten, daß vor allem die Jüngeren ihre Einstellung zur Technik massiv geändert haben. Während sie 1966 die Technik positiver beurteilten als der Durchschnitt der Bevölkerung und 83 % die Technik für einen Segen hielten, nahm dieser Wert bis 1981 um ganze 60 %-Punkte ab. Mit nur 23 % Technikbefürwortern sind die Jugendlichen jetzt unterrepräsentiert. 11

6) Vgl. Klipstein, 1985a, S. 22 7) Vgl. Klipstein, 1985a, S. 46 8) Vgl. Rosenstiel, 1987, S. 41 9) Vgl. Klipstein, 1985b, S. 45 10) Vgl. Scheuten, 1983, S. 15 ff.; Utz, 1978, S. 30 11) Vgl.Klipstein, 1985b, S. 46; eine Angst der Jugend vor der Technik stellen auch andere fest; vgl. Lüders, 1986; o.V., 1982, S. 34

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B. Das neue Verhältnis von Wirtschaft und Gesellschaft

Im Hinblick auf die Zukunft läßt das eine steigende Technikfeindlichkeit erwarten. Festgestellt bzw. beklagt wird auch eine veränderte Einstellung der Bürger zur Arbeit. Zu Beginn der 80er Jahre wurde von Elisabeth NoelleNeumann, Michael von Klipstein und Burkhard Strümpel eine demoskopische Untersuchung mit dem Thema "Arbeitspolitik und Öffentlichkeit" durchgeführt. 12 Diese Untersuchung war zugleich in eine international vergleichende Untersuchung einbezogen. 13 Die Befunde signalisieren eine insgesamt abnehmende Arbeitszufriedenheit. Im einzelnen äußert sich das in dem Wunsch, weniger zu arbeiten, selbst wenn das zu einem geringeren Verdienst führt, in der Wertschätzung der Freizeit, in der Angst vor Gesundheitsschäden durch Berufsstreß, dem Wunsch, die Arbeit dürfe das "übrige Leben nicht stören" und einer geringeren Verbundenheit mit dem Arbeitgeber. Auffallend ist die besonders kritische Haltung der Deutschen im internationalen Vergleich. Während die gewandelten Einstellungen zum Umweltschutz und damit auch zum Wirtschaftswachstum und zur Technik noch relativ schlüssig mit den drängenden Problemen zu erklären sind, die fast für jeden persönlich spürbar werden, ist die Arbeitsunzufriedenheit nicht so leicht zu erklären. Tatsächlich haben sich die Arbeitsbedingungen nämlich in vieler Hinsicht weiter verbessert; das sagen die Befragten sogar selbst. Vergleicht man die Einschätzungen von 1964 und 1983, dann sagen heute beispielsweise mehr Berufstätige, daß sie sich im Betrieb wohl fühlen, daß sie gut mit dem Chef auskommen und daß der Betrieb viel für seine Leute tut. 14 Auch die Zufriedenheit mit dem Einkommen hat zugenommen. 1S Eine häufig herangezogene Hypothese zur Erklärung des Phänomens zunehmender Unzufriedenheit bei objektiv besseren Bedingungen ist die Wertewandelshypothese. 16 Danach hat sich nicht in erster Linie die Situation verändert, sondern die Menschen haben heute andere Wertvorstellungen als früher.

12) Vgl. Klipstein und Strümpel, 1985; Strümpel, 1987; Noelle-Neumann I Strümpel, 1984; Strümpel, 1985b 13) Vgl. Yankelovich et. w., 1985 14) Vgl.Klipstein I Strümpel, 1985, S. 301 f. 15) Vgl.Klipstein I Strümpel, 1985, S.306 16) Vgl.Strümpel, 1985a, S.43

11. Gewandelte Einstellung gegeüber der Wirtschaft

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Werte sind innere Führungsgrößen des menschlichen Tuns und Lassens. Dabei sind sie aber nur innere Dispositionen; das tatsächliche Verhalten wird zusätzlich von Trieben, Zwängen oder rationalen Nutzenerwägungen mitbeeinflußt. Als innerer Maßstab für das Wichtige und Wünschenswerte sind aber immer auch Werte im Spiel, wenn man Güter, Ziele, Situationen, Verhaltensweisen usw. beurteilt. Man sollte also die Werte als Steuereinheiten individuellen Präferenzverhaltens auch nicht unterschätzen. I7 Die These lautet also, daß die Menschen heute andere Vorstellungen darüber haben, was wichtig und wünschenswert ist. Klages hat aufgrund seiner Forschungen einen "Wertwandlungsschub" zwischen 1963 und 1975 festgestellt, den er mit der Formel "von den Pflicht- und Akzeptanzwerten hin zu den Selbstentfaltungswerten " beschreibt. Konkret bedeutet das, daß Werte wie Unterordnung, Disziplin, Gehorsam, Pflichterfüllung, Fleiß, Bescheidenheit, Selbstbeherrschung, Anpassungsbereitschaft und Enthaltsamkeit unwichtiger, Werte wie Emanzipation von Autoritäten, Gleichbehandlung, Demokratie, Autonomie, Genuß, Abwechslung, Kreativität, Selbstverwirklichung, Ungebundenheit und Eigenständigkeit dagegen wichtiger geworden sind. 70 % der Berufstätigen in der Bundesrepublik Deutschland erwarten z.B. einen Beruf, in dem sie ihre eigenen Fähigkeiten und Neigungen völlig entfalten, d.h. sich selbst verwirklichen können. I8 Gemessen an den veränderten Ansprüchen empfinden viele die herrschenden Bedingungen als unbefriedigend und klagen über zu geringe Entscheidungsfreiheit I9 , über verstärkten Leistungsdruck, zu viel Arbeit und Gehetze. 20 Einen etwas anderen Akzent setzt Ingleharts griffige These, daß ein Wandel von den materiellen zu den nichtmateriellen Werten hin stattgefunden habe. Er sieht darin nicht weniger als eine stille Revolution hin zur postmaterialistischen Gesellschaft. In Vereinfachung der Maslow'schen Bedürfnispyramide2I unterteilt er die Bedürfnisse in die materiellen Grundbedürfnisse wie Nahrung, Schlaf, Sicherheit und die höheren nichtmateriellen Bedürfnisse wie Selbstverwirklichung, Anerkennung, intellektuelle Befriedigung. Klages kritisiert Ingleharts Formel mit dem Hinweis, 17) Vgl.Klages, 1984, S.9f.; Stachowiak u.a., 1982; Fleischmann, 1979; Klages, 1987; Windhorst, 1985, S. 191 18) Vgl. Klages, 1987, S.6 19) Vgl. Klipstein I Strümpe1, 1985, S. 292 20) Vgl. Klipstein I Strümpe1, 1985, S.303, 305 21) Vgl. Ing1ehart, 1977, S.22 u. Anmerkung 1; Baumgarten, 1975

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B. Das neue Verhältnis von Wirtschaft und Gesellschaft

daß es keine deutliche Abwendung von den materiellen Wünschen wie gutes Einkommen oder hoher Lebensstandard gegeben hätte. 22 Man kann Inglehart aber auch so interpretieren, daß die Postmaterialisten auf der soliden Basis ihrer befriedigten materiellen Bedürfnisse zusätzlich ihre höheren Bedürfnisse befriedigen wollen. Für die Mehrheit der Bevölkerung dürfte gelten, daß sie mit dem erreichten materiellen Lebensstandard zufrieden ist und so - jenseits von drängenden Alltagssorgen - andere Ziele anstrebt. Dafür sprechen auch die Umfrageergebnisse. Immerhin 77 % der Bundesdeutschen erklärten sich 1981 für zufrieden, wenn sie ihren Lebensstandard in den nächsten 10 Jahren so halten können. 71 % bevorzugen das Prinzip Konsumeinschränkung gegenüber nur 26 %, die Konsumsteigerung bevorzugen. 23 In dieser Interpretation - Postmaterialisten sind zufriedene Materialisten, die nach zusätzlicher Lebensqualität durch die Befriedigung höherer Bedürfnisse streben - paßt Ingleharts Formel auch zu den Befunden von Klages. Als wichtige Ursache des Wertewandels identifiziert Klages nämlich die wirtschaftliche Prosperität und den Wohlfahrtsstaat, also im Grunde die gesicherte Existenz des einzelnen. 24 Daß man durch die Betonung postmaterieller Bedürfnisse wie vermehrte Freizeit, wenig Leistungsdruck, Genuß, naturgemäßes Leben zumindest teilweise den materiellen Wohlstand aufs Spiel setzt, der eine Beschäftigung mit diesen neuen Werten zuallererst ermöglichte, wird vielen Postmaterialisten gar nicht bewußt sein. Daß es daneben aber sicher auch Postmaterialisten gibt, die den Materialismus vehement ablehnen und in ihm nicht die Basis für, sondern den eigentlichen Hinderungsgrund gegen die Selbstentfaltung sehen, soll dabei nicht übersehen werden. Diese eigentlichen Aussteiger, die zu großen Verzichten im Lebensstandard bereit sind, dürften aber eine kleine Minderheit sein. Nehmen wir den eingängigen Begriff des Postmaterialismus als zusammenfassenden Oberbegriff für verschiedene Wertewandeltrends, so kann man als postmaterielle Werte z. B. bezeichnen:

22) Vgl. Klages, 1987, S. I 23) Vgl. Klipstein / Strümpel, 1985, S. 306; "demonstrative Vernunft" beim Konsum, was u.s. Konsumeinschränkungen bedeutet, ist geradezu zum neuen Statussymbol der oberen Mittelschicht geworden (vgl. Heller, 1980). 24) Vgl. K1sges, 1987, S. 5

11. Gewandelte Einstellung gegeüber der Wirtschaft

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- eine menschlichere Gesellschaft - ein naturgemäßes Leben, Umweltschutz - mehr soziale Gerechtigkeit - Entfaltung der Persönlichkeit - mehr Lebensgenuß, weniger Leistungsdruck - Gleichberechtigung - intensivere soziale Beziehungen - Suche nach dem Lebenssinn - Schutz der Schwachen - Ablehnung von Großtechnologie - Ablehnung des quantitativen Wirtschaftswachstums .25 So schwierig die Operationalisierung und Messung von Werten sein mag, so leicht gerade bei diesem Thema eine ideologische Verzerrung möglich ist, so grobschlächtig die Zweiteilung in Materialisten und Postmaterialisten erscheint, die angesprochenen Änderungen bei Einstellungen und Werten sind sicher nicht aus der Luft gegriffen. Die Gesellschaft ist kritisch geworden, auch , ja besonders, gegenüber der Wirtschaft. Die neuen Bedürfnisse werden häufig unter dem Schlagwort "mehr Lebensqualität" zusammengefaßt. 26 Von den Unternehmen erwarten die Bürger eine "soziale Einstellung" (82 % der Bevölkerung nach einer Allensbach-Umfrage von 1983)27 bzw. mehr soziale oder gesellschaftliche Verantwortung. 28 Die Unternehmung braucht eine neue Legitimationsbasis; mehr Wohlfahrt statt mehr Wohlstand lautet die Devise. 29 Der reine, in Geldeinheiten gemessene Unternehmenserfolg gilt nicht mehr als ausreichende Gegenleistung dafür, daß die Unternehmung durch den Staat ge25) Vgl. Scholz, 1985, S.145 f.; Silberer, 1985; Weinhold-Stünzi, 1985; Klipstein / Strümpel, 1984 26) Vgl. Jehle, 1980, S. 44; Utz, 1978, S. 63; Liese, 1986, S. 22,45 27) Vgl. Rosenberger, 1985, S.35 28) Vgl. Meffert, 1980b, S. 75; Küng, 1981, S. 88 f.; Hartmann / Furch, 1974 29) Vgl. Brauchlin, 1986, S.30

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B. Das neue Verhältnis von Wirtschaft und Gesellschaft

schützt und gefördert wird30 und daß die "externen Effekte" unternehmerischen Handeins regelmäßig die Lebensqualität unbeteiligter Dritter beeinträchtigen. 31 Unternehmen werden zunehmend als sozio-ökonomische Institutionen gesehen, die ihre Daseinsberechtigung durch ihre Integrierbarkeit in die Gesellschaft erst nachweisen müssen. 32 Abstrakte Wünsche wie Konsumentensouveränität, Humanisierung der Arbeitswelt, Abbau von Machtmißbrauch, ökologisches Bewußtsein konkretisieren sich z.B. in den Forderungen nach ehrlicher Werbung, flexibleren Arbeitszeiten, staatlicher Kontrolle der Großunternehmen und Abfallvermeidung, um nur einige wenige zu nennen. Auf die Einsicht und freiwillige Mitarbeit der Wirtschaft mögen dabei nur wenige setzen. Nur 22 % der Bevölkerung trauen den Unternehmen eine soziale Einstellung zu. 33 Auch nach einer Marplan-Umfrage, bei der 20 Großunternehmen nach 11 Kriterien beurteilt werden sollten, gab es die schlechtesten Noten für das gesellschaftliche Verantwortungsbewußtsein der Unternehmen. Gegenüber früheren Umfragen (1973, 1979) rallt das Urteil 1981 sogar deutlich schlechter aus. 34 In dieses Bild paßt auch, daß die meisten Menschen der Überzeugung sind, die Industrie werde nur wenig zur Lösung von Umweltproblemen beitragen. 35 Die Schere zwischen den Bedürfnissen und den wahrgenommenen Befriedigungsmöglichkeiten scheint also eher immer weiter auseinanderzuklaffen. Entsprechend steigt die Unzufriedenheit und der Druck auf die Unternehmungen wird größer. Hinzu kommt ein Mißtrauen in die konventionelle Politik, gekoppelt mit der zunehmenden Bereitschaft zu unkonventionellen politischen Aktionen. 36 Bürgerinitiativen wird mehr Kompetenz zur Lösung von Umweltproblemen zugetraut als Regierungen und Parteien. 37 Es ist also nicht unwahrscheinlich, daß unzufriedene Bürger sich mit Demonstrationen, Boykotten, im Extremfall sogar Anschlägen gegen die Wirtschaft wenden werden. Haben die Unternehmen diese Entwicklung noch nicht als unternehmerisches Problem erkannt? 1.30) 31) 32) 33) 34) 35) 36) 37)

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Jehle, 1980, S.118 f. Ulrich, 1987b, S. 137; Utz, 1978, S. 118 Utz, 1978, S. 93. Rosenberger, 1985, S. 35 o.V., 1982 Kessel/Tischler, 1984, S. 194 Klages, 1987, S. 9 Kessel/Tischler, 1984, S. 191 ff.

ill. Bekenntnisse der Wirtschaft zur sozialen Verantwortung "Wirtschafts unternehmen sind mehr als Instrumente einer partikularen Verstandesleistung von Technokraten. Der Zweck ihres Handelns muß moralisch verstanden und darf moralisch, nicht nur wirtschaftsstatistisch bewertet werden." Dieses Zitat ist nicht die Bemerkung eines welt- und wirtschaftsfremden Moralapostels, sondern stammt von Edzard Reuter, dem Vorstandsvorsitzenden der Daimler-Benz AG. 1 Ähnlich äußerte er sich auch in seinem Referat "Ethik und technologische Innovation und die Perspektive unternehmerischer Verantwortung" beim 18. internationalen Managementgespräch in St. Gallen 1988. 2 Zahlreiche andere Topmanager tun es ihm gleich und bekennen sich ausdrücklich zur Verantwortung der Wirtschaft gegenüber der Gesellschaft. Heini Lippuner, Mitglied der Konzernleitung von Ciba Geigy3, Herbert Grünewald, Aufsichtsratsvorsitzender der Bayer AG4, Hans Joachim Langmann, Vorsitzender der Geschäftsleitung der Unternehmung Merck5 , Reinhard Mohn, Aufsichtsratvorsitzender bei der Bertelsmann AG6, Rolf Rodenstock, vormaliger Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie7 , Daniel Goeudevert, vormaliger Vorstands vorsitzender der Ford-Werke AG8 sind nur einige aus der Gruppe prominenter Wirtschaftsrepräsentanten, die sich wohl hinter den Satz von Mark Wössner stellen würden: "Geschäft ist nicht nur Geschäft, sondern auch eine gesellschaftliche Veranstaltung. "9 Nach Umfrageergebnissen bei schweizerischen Führungskräften werden Umweltschutz, Konsumentenschutz und Produkthaftpflicht weitgehend als berechtigte Anliegen anerkannt, die traditionelle Gewinnorientierung als 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7) 8) 9)

Vgl. Reuter, 1986a, S. 212 Vgl. Biallo, 1988, S. 83 Vgl. Koblitz, 1987, S. 384 Vgl. Grünewald, 1987, S. 14 ff. Vgl. Langmann, 1987, S.6 ff.; Langmann, 1985 Vgl. Mohn, 1986 Vgl. Rosenberger, 1985, S. 33 Vgl. Goeudevert, 1988 Vgl. Rosenberger, 1985, S. 33; Mark Wössner ist Vorstandsvorsitzender des Medienhauses Bertelsmann.

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B. Das neue Verhältnis von Wirtschaft und Gesellschaft

Unternehmensziel löst auch bei Führungskräften "gemischte Gefühle" aus. 10 Doch nicht nur persönliche Bekenntnisse signalisieren ein Umdenken in der Wirtschaft. Es gehört heute zum guten Ton, sich in den schriftlich fixierten Grundzügen der Unternehmenspolitik (Leitbild, Grundsätze, Verhaltenskodex oder Glaubenssätze genannt), zur sozialen Verantwortung zu bekennen. Von 31 größeren Unternehmen hatten 1980/81 mehr als 60 % Unternehmensgrundsätze, in denen das Verhältnis zur Gesellschaft thematisiert wird. 11 Eine Befragung von Managern über die relevanten Ziele von Industrie- und Handelsunternehmen brachte außerdem zutage, daß das Gewinnziel keinesweg mehr das allein dominante Unternehmensziel ist, sondern nur eines unter mehreren. Das Ziel "soziale Verantwortung" rangiert in der Einschätzung der Wichtigkeit sogar vor Zielen wie Umsatz, Wachstum und Marktanteil. Dabei zeigt es sich auch, daß vor allem große Unternehmen ihre soziale Verantwortung wahrnehmen wollen. 12 Da gerade die großen Unternehmen heute fast alle weltweit tätig sind, darf man wohl auch amerikanische Untersuchungsergebnisse zu diesem Thema heranziehen. Nach einer 1984 bei den 500 größten US-Unternehmen durchgeführten Umfrage verfügen schon mehr als 90 % über einen "Code of Conduct" .13 Wie umfangreich und weitgehend diese Kataloge von Handlungsmaximen sein können, zeigen die Beispiele von Caterpillar, IBM, Johnson Wax und ITT.14 Nun könnte man natürlich einwenden, daß solche Bekenntnisse leicht von den Lippen gehen und daß eine Verhaltensänderung nicht zwingend daraus folgen muß. Ein Indiz für die Ernsthaftigkeit der Bekenntnisse könnte man allerdings darin entdecken, daß auch schon organisatorische Schritte zur Implementierung sozial verantwortlichen Verhaltens unternommen wurden. Mehr als 80 % der 500 größten US-Unternehmen haben ein Public Affairs Office, Ethikkommissionen oder Ombudsmänner. 15 Einige Unternehmen sind gerade durch ihr gesellschaftliches Engagement bekannt geworden. So verzichtet die Einkaufsgenossenschaft Migros in 10) 11) 12) 13) 14) 15)

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Ulrich / Probst, 1982, S.62 f., 91 Gabele / Kretschmer, 1985, S.67 ff. Fritz, Förster, Raffee, Silberer, 1985, S.379 f., 386 Staffelbach, 1988, S. 29 Laczniak / Murphy, 1985a, S. 111 ff. Useem, 1984, S. 141; Staffelbach, 1988, S. 29

III. Bekenntnisse der Wirtschaft zur sozialen Verantwortung

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der Schweiz auf den Verkauf von Alkohol und Tabak in ihren Läden, weil diese Produkte gesundheitsschädlich sein können. Eine eigens angestellte Ernährungsberaterin untersucht das Lebensmittelsortiment ständig auf seinen gesundheitlichen Wert. Auch die ökologischen Folgen von Waschund Putzmitteln sowie Verpackungsmaterialien werden untersucht. 16 Ganz auf Umweltschutz eingestellt ist die Firma Winter & Sohn, Hersteller von Diamantenwerkzeugen in Hamburg. Ein Umweltbeauftragter und Umweltausschüsse koordinieren die zahlreichen Umweltschutzaktivitäten im Unternehmen, als da sind: Umweltorientierte Mitarbeiterschulung, Umweltberatung in den Mitarbeiterhaushalten, umweltorientierte Produktund Verfahrensentwicklung, Entsorgung und Recycling nach dem letzten Stand der Technik, umweltorientierte Standortentscheidung und Materialbeschaffung, Unterstützung von Innovationen auf dem Gebiet Umweltschutz und vieles mehr. 17 Auf Betreiben der Fa. Winter wurde auch der bundesdeutsche Arbeitskreis für umweltschonende Materialwirtschaft (B.A.U.M.) gegründet. Mit Unterstützung des Umweltbundesamtes in Berlin wollen die angeschlossenen Unternehmen ihre Materialwirtschaft immer stärker am Kriterium der Umweltverträglichkeit ausrichten. 18 Auf dem Gebiet des Umweltschutzes scheint das soziale Engagement überhaupt am verbreitetsten zu sein. Nach einer im Auftrage der F AZ vom Institut für Demoskopie in Allensbach bei 116 selbständigen oder angestellten Unternehmern durchgeführten Umfrage geben 78 % an, in ihren Unternehmen Maßnahmen zum Umweltschutz getroffen zu haben. 19 Seit 1985 vergibt der "Bund junger Unternehmer" jährlich einen Umweltschutzpreis an umweltbewußte Unternehmen, 1986 wurde ebenfalls von früheren B.J.U.-Mitgliedern der Förderkreis Umwelt-Future e.V. gegründet, dessen Mitglieder sich zu ökologiebewußtem Management verpflichten. 20 Zahlreiche Firmen unterstützen schließlich den Natur- und Artenschutz (Dralle, Metro, Tengelmann, Spar, Alpirsbacher Klosterbräu, u.a.).21

16) Vgl. 17) Vgl. 18) Vgl. 19) Vgl. 20) Vgl. 21) Vgl.

Holliger, 1985, S. 296 ff. Winter, 1988, S. 53 ff. Winter, 1988, S. 53; Spieker, 1985, S. 284 Jeske, 1988 Lülsdorf, 1988, S. 222 ff. Liese, 1986, S. 92 ff.

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B. Das neue Verhältnis von Wirtschaft und Gesellschaft

Daß dies alles eine Reaktion auf die neuen Anforderungen der Gesellschaft ist, scheint aufgrund folgender Tatsachen plausibel: Es sind vor allem große Unternehmen, die sich zur gesellschaftlichen Verantwortung bekennen. Sie sind der Kritik aber auch am meisten ausgeliefert, weil sie natürlich im Guten wie im Schlechten viel mehr bewirken können, weil von ihrem Tun und Lassen in den Medien viel öfter die Rede ist und weil sie für viele Menschen "die Wirtschaft" schlechthin verkörpern. Auch sind es auffallend oft gerade die führenden Manager, die eine gesellschaftliche Verantwortung bejahen. 22 Sie stehen als Repräsentanten der Wirtschaft ganz besonders im Kreuzfeuer der Angriffe. Zum dritten spielt die Branche offensichtlich eine Rolle. Chemie- und Nahrungsmittelbranche zeigen nach einer - allerdings schon älteren - Untersuchung in den USA23 die größte Bereitschaft zur sozialen Verantwortung. Es liegt nahe, bei diesen Branchen auch besonders massiven Druck zu vermuten, z.B. wegen der Gefährlichkeit der Chemie und der unmittelbaren negativen Folgen für den Verbraucher bei belasteten Nahrungsmitteln. Und letztlich läßt sich auch die relativ große Bereitschaft zum Umweltschutz damit erklären, daß gerade dieses Thema von einer überwältigenden Mehrheit für ein großes Problem gehalten wird. 24 Man kann also die am Ende von Abschnitt B.II gestellte Frage bejahen; die gewandelten Bedürfnisse werden von der Wirtschaft - jedenfalls von einem großen Teil der Wirtschaft - wahrgenommen und sie signalisiert erstaunlich große Bereitschaft, sich darauf einzustellen. Wie kommt es also, daß Wirtschaft und Gesellschaft noch längst nicht wieder in alter Harmonie leben, daß heute nur noch 27 % an eine soziale Einstellung der Unternehmen glauben gegenüber noch 41 % 1980?25

22) 23) 24) 25)

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Fritz, IFörster I Raffee, I Silberer, 1985, S. 387 Shetty, 1979, S. 76 Kessel I Tischler, 1984, S. 210 Jeske, 1988

IV. Ungelöste Spannungen Zwei Thesen könnten zur Begründung der offensichtlich ungelösten Spannungen zwischen Wirtschaft und Gesellschaft aufgestellt werden: 1. Die vollmundigen Bekenntnisse zur sozialen Verantwortung sind gar nicht ernst gemeint. Sie sind lediglich eine PR-Maßnahme, um die kritische Öffentlichkeit zu beruhigen. Tatsächlich wollen die Unternehmer als "Wolf im Schafspelz" möglichst ungestört weiterhin den Gewinn maximieren.

2. Die Bekenntnisse sind ernst gemeint, die Unternehmer sind ehrlich daran interessiert, der Gesellschaft zu dienen und mit ihr in Frieden zu leben. Sie sehen sich dabei aber vor schwierige Probleme gestellt, weil sie z. B. nicht genau genug wissen, was man von ihnen erwartet, weil sie entgegengesetzten Interessen dienen sollen, weil keine entsprechenden Prozesse, Strukturen und Systeme im Unternehmen vorhanden sind. Nach den Umfrageergebnissen scheinen viele Menschen die Beteuerungen der Wirtschaft einfach für unglaubwürdig zu halten. Tatsächlich gibt es große Unterschiede zwischen den Werten eines repräsentativen Querschnitts der Bevölkerung und denen der Manager" Manager sorgen sich weniger um die Ressourcenknappheit und akzeptieren weiteres Wachstum mehr als die Bevölkerung. Sie setzen ihre Hoffnung stärker auf die Fortschritte von Wissenschaft und Technik und haben weniger Angst, die Kontrolle über technische Prozesse zu verlieren. Auch in der Einstellung zum Umweltschutz, in der stärkeren Befürwortung der Leistungsgesellschaft und der materiellen Werte unterscheiden sie sich vom Durchschnittsbürger. Die Dringlichkeit einer Verhaltensänderung der Wirtschaft dürfte also von den Managern tatsächlich geringer eingeschätzt werden als von der restlichen Bevölkerung. Man muß jedoch auch sehen, daß die Werte der Führungskräfte sich immerhin nicht unerheblich geändert haben. Früher dominierte das Gewinnziel wie selbstverständlich2 , nur noch 10 % mögen heute ihr Haupt1) Vgl. Fietkau I Ullman, 1984, S. 194 ff. 2) Vgl. Fritz, IFörster, I Raffei I Silberer, 1985, S. 284

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B. Das neue Verhältnis von Wirtschaft und Gesellschaft

motiv in der Gewinnerzielung sehen. 3 Besonders der Führungsnachwuchs leidet offensichtlich unter der Diskrepanz zwischen dem gewünschten Sollziel für die Unternehmung und den tatsächlich verfolgten Istzielen. Nicht weniger als 46 % der Nachwuchskräfte zählen sich selbst zum Typ der alternativ Engagierten. 4 Wirtschafts studenten fordern von ihren zukünftigen Arbeitgebern "gesellschaftliche Exzellenz "5 , Manager der chemischen Industrie leiden nach eigenen Angaben darunter, "daß wir hier Dinge herstellen, die der Menschheit keinen Nutzen bringen, sondern ihr nur schaden".6 Will man nicht alle diese Äußerungen als zynische Zwecklügen abtun, dann liegt es ganz offensichtlich nicht am mangelnden Willen, daß die Wirtschaft es bis heute noch nicht geschafft hat, ihrer sozialen Verantwortung in allgemein akzeptierter Form nachzukommen. Auch die Tatsache, daß nicht Unerhebliches von vielen Unternehmen schon geleistet wurde (die Industrie hat von 1982 bis 1986 über 100 Millarden DM für den Umweltschutz aufgewendet, der Energieverbrauch ging bei 45 % Produktionsanstieg im selben Zeitraum um 15 % zurück) 7 , spricht für die zweite These. Die gute Absicht stößt auf Grenzen. Viele Manager glauben z. B., daß sie selbst höhere ethische Standards haben als ihre Vorgesetzten. Sie sehen sich oft gezwungen, gegen ihr Gewissen zu tun, was "man" von ihnen erwartet. 8 Dabei reicht schon, wenn die Führungskräfte nur den Eindruck erwecken, bestimmte Praktiken stillschweigend gutzuheißen. 9 Daß die Haltung der Topmanager erheblichen Einfluß auf das Verhalten der Untergebenen ausübt, bestätigen auch andere Untersuchungen. 10 Es nimmt auch nicht weiter Wunder, hängen doch Karriere und Einkommen oft von der Beurteilung durch den Vorgesetzten ab und die traditionelle Karriereorientierung bei Führungskräften ist weiterhin 3) 4) 5) 6) 7) 8)

Vgl. Jeske, 1988 Vgl. Rosenstiel, 1986, S.89 ff. Vgl. Schmitz-Dräger, 1984, S. 14 Vgl. Rosenstiel, 1987, S. 38 Vgl. Liese, 1986, S. 33 Vgl. Ferrell, 1985, S. 36; Laczniak / Murphy, 1985b, S. 100; Hämmerle, 1972, S. 197 f. Solche Konflikte sind in der Zukunft noch verstärkt zu erwarten, denn 86 % der BWL-Studenten bezeichnen sich selbst als "umwe1tbewußt" oder sogar "sehr umweitbewußt" . Den Führungskräften - ihren zukünftigen Vorgesetzten also - bescheinigen sie dagegen nur ausreichendes bis mangelhaftes Umweltbewußtsein; vgl. o.V., 1989b. 9) Vgl. GelIerman, 1986, S.88 f. 10) Vgl. Useem, 1984, S. 145

IV. Ungelöste Spannungen

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stark ausgeprägt. 11 Sei es mehr die Angst vor persönlichen Nachteilen, sei es mehr eine starke Loyalität gegenüber der Unternehmung, bei des sind nur zu verständliche Grunde für die Entscheidung gegen die eigenen Werte. Viele Führungskräfte fühlen sich auch schlicht überfordert, wenn sie ihre Entscheidungen auf einmal nach völlig anders gearteten Kriterien treffen sollen. Die Rendite einer Investition abzuschätzen, fällt ihnen viel leichter, als die "Sozialverträglichkeit" zu beurteilen. Häufig haben sie ja auch noch einen Konflikt zu lösen, etwa die schon klassische Frage, ob Arbeitsplätze oder Umweltschutz wichtiger sind. Nach einer amerikanischen Umfrage haben 65 bis 75 % aller Manager selbst ein ethisches Dilemma erlebt. 12 Die auf diesem Gebiet empfundenen Defizite drucken sich deutlich in der stark gestiegenen Nachfrage nach Vorträgen und Seminaren zum Thema Management und Ethik aus. Der Frankfurter Philosophieprofessor und Jesuitenpater Rupert Lay führt jedes Jahr 30 Seminare zu diesem Thema durch und ist auf Jahre ausgebucht. 13 Georges Enderle, Leiter der St. Gallener Forschungsstelle für Wirtschaftsethik, referierte 1987 vor 200 BMW-Führungskräften. 14 Auf dem Management-Symposium an der Universität St. Gallen diskutierten 1984 über 800 Manager über die Frage einer neuen Ethik für die Wirtschaft. 15 Auch 1987 und 1988 waren Ethik und Verantwortung die zentralen Begriffe des st. GallenSymposiums 16 , der Bundesverband Deutscher Volks- und Betriebswirte e.V. bot 1989 eine Fachtagung "Wettbewerb und Moral" unter der Schirmherrschaft des Bundesfinanzministers an. Natürlich kann man 'dies alles als Modewelle und ethischen Schick abtun. Die breite und anhaltende Nachfrage nach Hilfe auf diesem Gebiet spricht dagegen. Und schließlich, Manager sind ja nicht ausschließlich Manager, sondern auch Ehemänner, Familienväter, Konsumenten, Einwohner, Freunde usw. Als solche werden sie täglich selbst mit den negativen Folgen der Wirtschaft konfrontiert, oft sogar persönlich angegriffen. Nimmt man an, daß jeder Mensch unter starken Rollenkonflikten 11) Vgl.Einsiedler / Rau / Rosenstiel, 1987, S. 179 12) Vgl. Carroll, 1975 13) Vgl. Gatermann / Klein, 1986, S. 210 14) Vgl. Koblitz, 1987, S. 380 15) Vgl. Rosenberger, 1985, S. 34 16) Vgl. Biallo, 1988, S. 83 ff. 4 Göbel

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B. Das neue Verhältnis von Wirtschaft und Gesel\schaft

leiden würde, daß jeder nach Identität strebt und sich Anerkennung durch die Umwelt wünscht, dann muß man dies auch den Managern zubilligen. 17 Man darf also durchaus von der Ernsthaftigkeit des Wunsches ausgehen, die eigene Arbeit wieder deutlicher als Dienst an der Gesellschaft verstehen zu dürfen und so mit Sinn anzureichern. Man kommt also zu dem Fazit, die zweite These über die Ursache der ungelösten Spannungen für wahrscheinlicher zu halten. Die Manager und Unternehmer möchten schon mehr soziale Verantwortung zeigen, aber sie stehen vor zu vielen ungelösten Fragen. Was erwartet man eigentlich von uns? Wer stellt welche Anspruche an uns? Wessen Interessen sind im Konfliktfall berechtigter? Gibt es Lösungen, die allen gerecht werden? Ist man nicht in erster Linie zur Loyalität gegenüber dem Unternehmen verpflichtet? Wer ist überhaupt zuständig? Wird mehr soziales Engagement bei den Vorgesetzten schaden? Ist es denn so schlimm, was wir machen? Eine weitgehende Umsetzung des guten Vorsatzes im Alltagsgeschäft ist nur zu erwarten, wenn die oben genannten Fragen im Unternehmen so gut wie möglich gelöst werden können. Dazu braucht man Prozesse, Strukturen und Systeme, die eine solche Verbindung von ethischen und ökonomischen Fragen im Unternehmen herzustellen in der Lage sind. Mit diesem Problem will sich die Arbeit im folgenden auseinandersetzen. Zunächst aber muß geklärt werden, ob und wie sich die Ökonomie mit ethischen Problemen beschäftigen kann.

17) Nach einer Studie am Universitiitsseminar der Wirtschaft erleben Manager zunehmend solche Rol\enkonflikte, weil sie von Freunden und Kindern wegen ihrer Tätigkeit angegriffen werden; vgl. Gatermann, 1986

C. Das Verhältnis von Wirtschaft und Ethik I. Das Problem der Wertfreiheit Wortbildungen wie "Unternehmensethik" oder "gesellschaftliche Verantwortung der Unternehmung" werden nicht wenigen Menschen als Widerspruch in sich erscheinen. Wirtschaftskritikern etwa, weil sie es für ausgeschlossen halten, daß "die Kapitalisten" überhaupt eine Moral haben, oder Wirtschaftswissenschaftlern, weil sie die "wertfreie Betriebswirtschaftslehre"· von "unwissenschaftlichen normativen Aussagen" freihalten wollen. Kann man sich also als Betriebswirt überhaupt nicht wissenschaftlich mit dem Thema Unternehmensethik auseinandersetzen? Ziehen wir zur Beantwortung dieser Frage den oft als Kronzeugen der Wertfreiheit genannten Max Weber heran. 2 Zunächst erstaunt, wie außerordentlich skeptisch er selbst die Möglichkeit einer wertfreien, objektiven ökonomischen Wissenschaft beurteilt. Jede Art von wissenschaftlicher Arbeit bringt nach seiner Meinung eine ganze Reihe unvermeidlicher Wertungen mit sich. Zunächst ist" ... alles Handeln, und natürlich auch, je nach den Umständen, das Nicht -Handeln, in seinen Konsequenzen eine Parteinahme zugunsten bestimmter Werte und damit - was heute so besonders gern verkannt wird - regelmäßig gegen andere. "3 Irgendeine wertfreie menschliche Handlung ist also undenkbar. Der Wissenschaftler "wertet" schon, wenn er die komplexe Wirklichkeit unter dem einen einseitigen Erkenntnisinteresse seiner Wissenschaft betrachtet. Sobald er die Wirklichkeit "als Ökonom" betrachtet, wählt er schon bewußt oder unbewußt aus, was ihm wissenswert erscheint. 4 Weitere Wertungen fließen natürlich in die Arbeit ein, wenn man ein bestimmtes Thema behandelt. "Gewiß: ohne Wertideen des Forschers gäbe es kein Prinzip der Stoffauswahl .... "5 Max Weber

I) 2) 3) 4) 5) 4·

Vgl. Wöhe, 1978, S. 45 Vgl. Weber, 1904, 1917 Weber, 1904, S. 150 (kursive Schrift im Original gesperrt) Vgl. Weber, 1904, S.170; 1917, S. 512 Weber, 1904, S. 182

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C. Das Verhältnis von Wirtschaft und Ethik

empört sich geradezu über das "unendliche Mißverständnis "6 , ihm zu unterstellen, er hielte eine wertfreie Auswahl des Stoffes für möglich. Auch die Begriffe, mit denen man wissenschaftlich arbeitet, sind nicht einfach objektive Darstellungen der Wirklichkeit, sondern Gedankengebilde, Idealtypen. 7 Das muß nicht einmal heißen, daß aus dem logischen Idealtyp unter der Hand ein praktischer Idealtyp, d.h. ein Vorbild wird, obwohl auch dies außerordentlich häufig geschieht. 8 Schon die logischen Idealtypen - Weber nennt etwa die Begriffe "der Produzent" und "der Konsument" - sind bloße Fiktionen, die theoretisch möglicherweise nützlich 9 , aber nicht objektiv richtig sind. Für die Versuche, die Phänomene des wirtschaftlichen Lebens in Analogie zu den exakten Naturwissenschaften zu erforschen, hat Weber nur Spott übrig. "Phantastisch" nennt er die Idee, man könne für die Wirtschaft "... nach - angeblicher - Analogie physikalischer Lehrsätze, ... , aus gegebenen realen Prämissen quantitativ bestimmte Resultate - also Gesetze im strengsten Sinne - mit Gültigkeit für die Wirklichkeit des Lebens deduzieren, ... ."10 Der Basisirrtum besteht dabei seiner Meinung nach darin, unter Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten gebildete Begriffe wie "Erwerbstrieb" unversehens als empirische Tatsachen zu begreifen. 11 Schlußendlich ist auch Max Weber schon klar gewesen, was später häufig gegen ihn eingewendet wurde: daß eine Kritik an Wertungen selbst eine Wertung darstellt. 12 Was ist nun überhaupt noch einer rein objektiven, wissenschaftlichen Betrachtung zugänglich? Wir können " ... unbedingt die Frage der Geeignetheit der Mittel bei gegebenem Zwecke"13 untersuchen, d.h., ob ein Zweck mit bestimmten zur Verfügung stehenden Mitteln überhaupt erreichbar scheint. Weiter können wir," ... , natürlich immer innerhalb der Grenzen unseres jeweiligen Wissens, '" "14 die nicht beabsichtigten Nebenfolgen feststellen, die sich bei Anwendung des Mittels einstellen können und die andere Zwecke verletzen. Es ist die wesentlichste 6) Weber, 1917, S. 499 7) Vgl. Weber, 1904, S. 190 f. 8) Vgl. Weber, 1904, S. 199 9) Vgl. Weber, 1917, S. 527 f. 10) Weber, 1904, S. 188 (kursive Schrift im Original gesperrt) 11) Vgl. Weber, 1904, S. 188 ff. 12) Vgl. Weber, 1917, S. 499 13) Weber, 1904, S. 149 14) Weber, 1904, S. 149

I. Das Problem der Wertfreiheit

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Funktion der Wissenschaft, dem Menschen zu dem Bewußtsein zu verhelfen, daß er ein aufgrund seiner Werte angestrebtes Ziel nur mit bestimmten Mitteln erreichen kann, daß diese Mittel möglicherweise Nebenfolgen haben und also andere Werte verletzen können und daß er als verantwortlich handelnder Mensch darum Zweck und Folgen seines Handelns gegeneinander abwägen muß.15 Ihre Hilfe kann die Wissenschaft auch weiter anbieten, indem sie den Menschen seine eigenen Zwecke besser verstehen lehrt. Man kann aus den Zwecken logisch die letzten Wertmaßstäbe, die Ideen ableiten, von denen der Wollende bewußt oder unbewußt ausgeht. Und man kann Widerspruche zwischen den verschiedenen Zwecken aufdecken. 16 Welche Werte und Zwecke ein Mensch haben soll, und welche Mittel er also anwenden soll, das allerdings ist nicht mehr Sache einer empirischen Wissenschaft. 17 Das eindeutige richtige Mittel kann wissenschaftlich nur unter äußerst einschränkenden Bedingungen bestimmt werden. Die "ökonomische Richtigkeit" eines Mittels kann nur dann behauptet werden, wenn ein einziger, ausschließlich ökonomischer Zweck eindeutig feststeht, wenn die sozialen Strukturbedingungen fest gegeben sind, wenn die verschiedenen Mittel nur im Hinblick auf den ökonomischen Zweck verschieden " ... , in jeder anderen für menschliche Interessen möglicherweise wichtigen Hinsicht aber völlig identisch funktionieren" .18 Solche Vorausssetzungen sind aber nur " . .. zu theoretischen Zwecken nützliche Fiktionen ... " und können nicht " ... zur Grundlage von praktischen Wertungen realer Tatbestände gemacht werden" .19 Nach all dem scheint es Max Weber vor allem darum gegangen zu sein, die Wissenschaftler zur Ehrlichkeit gegenüber sich selbst und den anderen aufzufordern. Sie sollen zwar nach möglichst großer Objektivität streben, dürfen dabei aber ihre unvermeidbaren Basiswerturteile nicht einfach ignorieren. Wie leicht wird vergessen, daß etwa die Disziplin der "rationalen Kalkulationslehre" dogmatisch und ebensowenig empirisch ist wie die normative Ethik. 20 Der typische Hergang der Problemverschlin15) Vgl. Weber, 1904, S. 16) Vgl. Weber, 1904, S. 17) Vgl. Weber, 1904, S. 18) Weber, 1917, S. 529 19) Weber, 1917, S. 529 20) Vgl. Weber, 1917, S.

150; 1917, S. 508 150 f. 151 536

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C. Das Verhältnis von Wirtschaft und Ethik

gung21 zeigt sich in der Ökonomie etwa am homo oeconomicus, der vom theoretisch nützlichen Idealtyp zum wirklichen Menschen mutierte und schließlich sogar zum Vorbild avancierte. Kehren wir zur Ausgangsfrage nach der Möglichkeit wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit dem Bereich der Unternehmensethik zurück. Was wir objektiv untersuchen können, sind zunächst die Werte etwa der Konsumenten, Unternehmer oder Manager. Als Untersuchungsobjekte sind subjektive Wertungen selbstverständlich zugelassen. 22 Weiterhin können wir natürlich erforschen, welche Zwecke von Individuen und Gruppen verfolgt werden und welche Wertbasis zugrundeliegt. Die in Teil B gemachten Aussagen sind also in diesem Sinne wertfrei. Wenn wir im folgenden untersuchen, wie das Ziel soziale Verantwortung definiert wird, wie sich verschiedene Zwecke zueinander verhalten etwa Gewinnziel und soziale Verantwortung - und welche Mittel für die Erreichung des Zieles der sozialen Verantwortung geeignet erscheinen, wenn wir weiter fragen, welche unbeabsichtigten Nebenfolgen die Anwendung dieser Mittel haben könnte, dann befinden wir uns immer noch auf dem Boden der objektiven Wissenschaft. Da es aber "rein ökonomische Handlungen" und "rein soziale Handlungen" in der Wirklichkeit nicht gibt, sondern nur als theoretische Fiktion, werden wir die eindeutig richtigen Mittel nicht bestimmen können. Was im Konfliktfall wichtiger ist: den Gewinn zu mehren und damit z. B. Arbeitsplätze zu erhalten, oder die Umwelt zu schützen, kann nur auf der Basis persönlicher Wertungen entschieden werden. Solche Werturteile kann man vermeiden oder, wenn man sie abgibt, als persönliche Meinung kennzeichnen. Nicht vermeiden lassen sich natürlich die Basiswerturteile, die zur Beschäftigung gerade mit diesem Thema geführt haben. Das gilt aber für jedes andere Thema auch. 23 Ist das Thema der sozialen Verantwortung der Unternehmung denn dem Fach Betriebswirtschaftslehre adäquat? "Die Betriebswirtschaftslehre befaßt sich mit dem Wirtschaften in Betrieben unter Berücksichtigung der Wechselbeziehungen zu anderen Betrieben und zu den sie umgebenden

21) Vgl. Weber, 1917, S. 536 22) Vgl. Weber, 1917, S. 499 f. 23) Vgl. Staehle, 1973, S. 191; Raff6e I Specht, 1974, S. 373

I. Das Problem der Wertfreiheit

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Wirtschaftsbereichen" , definiert z. B. Schweitzer. 24 Zu den Betrieben gehören neben den Haushalten die Unternehmen. "Ein Unternehmen ist eine technische, soziale und wirtschaftliche Einheit mit der Aufgabe der Fremdbedarfsdeckung, mit selbständigen Entscheidungen und eigenen Risiken" .25 Wenn Unternehmen sich selbst das Ziel setzen, gesellschaftliche Verantwortung zu zeigen, dann sind die Maßnahmen, Vorgehensweisen und Strategien, die dieses Ziel erfüllen könnten, aber genauso Gegenstand der Betriebswirtschaftslehre wie Gewinnmaximierungsstrategien. Wie Heinen26 ausführt, müssen die Ziele der Unternehmer und Manager empirisch festgestellt werden und dürfen nicht aus Normen oder ideologischen Vorstellungen abgeleitet werden. Wertfreiheit heute bedeutet also gerade, die neuen Zielvorstellungen der Unternehmen so zu akzeptieren, wie sie sind. 27 Dies sollte als Nachweis genügen, daß man sich sehr wohl im Rahmen der Betriebswirtschaftslehre wissenschaftlich objektiv mit dem Thema der sozialen Verantwortung der Unternehmung auseinandersetzen kann. Daß es daneben auch noch die eindringlichen Plädoyers für die explizite Einbeziehung von Werturteilen in die Betriebswirtschaftslehre gibt, ist angesichts der drängenden Probleme, die die Wirtschaft mitverursacht hat, nur zu verständlich. Es wird eine generell verbindliche wissenschaftliche Rechtfertigung der Ziele der Unternehmung gewünscht. 28 Die Wirtschaft soll sich z.B. an den Prinzipien der Solidarität und Subsidiarität orientieren. 29 Sie soll gesellschaftliche Anliegen bewußt akzeptieren. 30 Sie muß die Behandlung von Entscheidungsproblemen verschiedener Interessenten der Unternehmungskoalition zulassen. 31 Sie darf nicht der Frage ausweichen, wo Beruhrungsflächen zwischen wirtschaftlichem Verhalten und

24) 25) 26) 27)

Vgl. Schweitzer, 1988, S. 11 Vgl. Schweitzer, 1988, S. 15 Vgl. Heinen, 1966, S. 17 f Auch Schweitzer, 1988, S. 35 ff. ist der Ansicht, daß das Ergiebigkeitsprinzip als Identitätsprinzip zur Auswahl des Erkenntnisgegenstandes der Betriebswirtschaftslehre ebenso auf soziale und ökologische Ziele angewendet werden kann wie auf die im engeren Sinne wirtschaftlichen Ziele. 28) Vgl. Steinmann I Braun, 1976, S. 464 29) Vgl. Staehle, 1973, S. 195 30) Vgl. Dyllick, 1986, S. 389 31) Vgl. Sieben I Goetzke, 1975, S. 49

56

c.

Das Verhältnis von Wirtschaft und Ethik

Ethik liegen. 32 Gerade wenn man davon ausgeht, die Betriebswirtschaftslehre sei eine Wissenschaft mit großer praktischer Relevanz, deren theoretische Aussagen als Endziel in eine praktisch unmittelbar anwendbare technologische Form transformiert werden sollen, dann kann man sich für den Verwertungszusammenhang seiner Forschungsergebnisse besonders verantwortlich fühlen. Der Wunsch, etwas subjektiv Wertvolles zu leisten, färbt auf das Forschungobjekt ab; leisten die Unternehmen etwas in umfassendem Sinne Nützliches, dann ist auch der Betriebswirtschaftier legitimiert. Nach Max Weber sind letztere Wünsche nun wissenschaftlich nicht wahrheitstähig. Man könnte sich aber doch fragen, woher der in Wissenschaft und Praxis breite Konsens kommt, es gehöre zum Wesen der Wirtschaft dazu, etwas gesellschaftlich Nützliches zu leisten. Außer einigen extremen Kritikern hält wohl niemand das Wesen der Wirtschaft für ausreichend und umfassend beschrieben mit den Worten "Veranstaltung zur hemmungslosen gegenseitigen Ausbeutung". Es gibt eine Idee vom "richtigen" Wirtschaften, vom "vernünftigen" Wirtschaften, das dem Menschen nützt und nicht schadet. Zur Vernunft gehört aber nach Kant nicht nur die theoretische Vernunft, die sich mit dem beschäftigt, "was da ist", sondern auch die praktische Vernunft, die fragt, "was da sein soll" .33 In dieser Arbeit steht die theoretische Vernunft insofern im Vordergrund, als wir das Vorhandensein des Zieles der sozialen Verantwortung in den Unternehmen als Tatsache voraussetzen können. "Vernünftiges Wirtschaften" ist für uns ohne die Maxime, daß die Wirtschaft dem Menschen dienen soll, aber letztlich auch nicht denkbar.

32) Vgl. Angehrn, 1974, S. 27 33) Vgl. Kant, 1956, S. 598 (A633, 8661)

11. Das Ziel der sozialen Verantwortung 1. Beispiele für die Interpretation des Ziels der sozialen Verantwortung Gesellschaft und Unternehmen sprechen gleichermaßen davon, eine "soziale" oder "gesellschaftliche" Verantwortung sei nötig. Auch von "gesellschaftlicher Exzellenz" I, "neuer Legitimationsbasis "2, "mehr Moral"3 und "mehr ethisch-praktischer Vernunft"4 ist im gleichen Zusammenhang die Rede. Was genau ist eigentlich damit gemeint? Wie wird das Ziel einer sozialen Verantwortung der Unternehmung spezifiziert von den Anspruchsgruppen einerseits und den Unternehmen selbst andererseits? Eine Wirtschaft, die sich "an die umfassendere Frage ihrer moralischen Vernunft im Gesamtkontext menschlichen HandeIns zucückgebunden" sieht, sollte z. B. nach KorffS folgende fünf Problemkreise aufarbeiten: 1) Wie können Ökonomie und Ökologie ins Gleichgewicht gebracht werden? 2) Kann man das Ausmaß technischen Könnens zum Richtmaß des Dürfens machen? 3) Sind die Bedürfnisse, die wir befriedigen (oder evtl. zuvor erst wek-

ken), human relevant?

4) Finden die Fähigkeiten des Menschen in den ökonomisch organisier-

ten Formen der Arbeit eine zu humaner Entfaltung führende Entsprechung? Hat jeder Mensch die Chance, eine Arbeit zu finden, die ihm zugleich eine angemessene Teilhabemäglichkeit an der Fülle der Güter sichert?

I) Schmitz-Dräger, 1984, S. 14 2) Brauchlin, 1986, S. 30 3) Enderle, 1987, S. 434 4) Ulrich, 1987a, S. 409 5) Vgl. Korff, 1986, S. 67, S. 78 ff.

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c.

Das Verhältnis von Wirtschaft und Ethik

5) Wie kann durch ein differenziertes Gefüge individueller wie sozialer Anspruchs-, Teilhabe-, Verfügungs- und Mitbestimmungsrechte das Recht auf Eigentum mit dem Anspruch menschlicher Würde verknüpft werden? Wie können die Güter der Erde am Ende allen Menschen zugute kommen? Ergänzend zu solchen globalen "Orientierungslinien" für eine verantwortlichere Gestaltung der Wirtschaft gibt es eine Fülle ganz konkreter Ziele für die Wirtschaft: Das Marketing soll ehrlicher sein, Aus- und Weiterbildung im Unternehmen sollen verbessert werden, Sicherheit und Verträglichkeit von Produkten sollen erhöht werden, die Werksanlagen sollen sicherer werden u. a. mehr. 6 Manche sehen die Verantwortung der Unternehmen nicht nur darin, von ihnen selbst verursachte Probleme zu beseitigen bzw. solche Probleme vorausschauend zu vermeiden. Für sie umfaßt die soziale Verantwortung der Unternehmen auch die Aufgabe, aktiv den sozialen Fortschritt zu fördern. 7 Konkret sollen die Unternehmen z. B. Randgruppen der Gesellschaft unterstützen und bei der Sanierung der Städte mithelfen. 8 Andererseits wird die soziale Verantwortung der Unternehmen auch viel enger interpretiert, nämlich in erster Linie als Verantwortung gegenüber den Belegschaftsmitgliedern und ihren Angehörigen. 9 Wie wird auf der anderen Seite das Ziel einer sozialen Verantwortung in den Unternehmen konkretisiert? Als Quelle lassen sich die schriftlich formulierten Unternehmensgrundsätze heranziehen, wobei zunächst solche Grundsätze besonders relevant erscheinen, die sich explizit an die "Gesellschaft" bzw. "Öffentlichkeit" wenden. Unter dieser Rubrik bekennen sich die Unternehmen etwa zu folgenden Grundsätzen: - Schutz der Umwelt, - loyale Zusammenarbeit mit staatlichen, kommunalen, kulturellen Institutionen, - Eintreten für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Ordnung,

6) 7) 8) 9)

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Jehle, 1980, S. 3 Ansoff, 1979b, S. 35 Jehle, 1980, S. 3 Heinen, 1966, S. 81

11. Das Ziel der sozialen Verantwortung

59

- Achtung der Gesetze, - energie- und rohstoffsparendes Verhalten. IO Wie eine nähere Analyse von Grundsatzdokumenten ergibt, sind daneben aber auch zahlreiche andere Grundsätze eindeutig "ethisch gefärbt", d.h. auch sie können als Konkretisierungen des allgemeinen Zieles einer sozialen Verantwortung interpretiert werden. Generelle Maximen wie - Achtung vor den Rechten und der Würde jedes Menschen, - Ehrlichkeit und Vertrauenswürdigkeit sind die Basis aller Beziehungen, werden für einzelne Bezugsgruppen spezifiziert durch Grundsätze der Art: - Versorgung der Kunden mit nützlichen, gesunden und sicheren Produkten, - umfassende Förderung und leistungsgerechte Entlohnung der Mitarbeiter, - keine Herabsetzung der Konkurrenz. 11 Die Unternehmen greifen also in ihren Zielen Forderungen ihrer Kritiker auf, wenn auch nicht immer unter dem Oberbegriff der "gesellschaftlichen bzw. sozialen Verantwortung". Dabei akzeptieren sie eine Verantwortung eher für ihre originäre, wirtschaftliche Arbeit, weniger für "allgemeine Menschheitsfragen" wie die nach den Grenzen der Technik, nach der weltweit gerechten Verteilung der Güter oder nach der humanen Relevanz von Bedürfnissen. Die Bandbreite dessen, was unter der sozialen Verantwortung der Unternehmen verstanden wird, variiert aber nicht unerheblich, und zwar nicht nur zwischen den Kritikern und den Kritisierten, sondern auch innerhalb der beiden Gruppen. Die Interpretation des Ziels der sozialen Verantwortung durch die Praxis kann uns also nur einen ersten Eindruck vermitteln, was der Inhalt eines solchen Zieles sein könnte. Zusätzlich bedarf es einer allgemeinen Definition, die wir im folgenden zu generieren versuchen wollen. 10) Vgl. Gabele / Kretschmer, 1985, S. 68 11) Vgl. Gabele / Kretschmer, 1985, S. 245 ff.; Laczniak / Murphy, 1985a, S. 107 ff.

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C. Das Verhältnis von Wirtschaft und Ethik

2. Versuch einer allgemeinen Definition des Ziels der sozialen Verantwortung Das Wort "sozial" kann in verschiedener Weise benutzt werden. Im soziologischen Sinne bedeutet es zunächst wertneutral "die Gesellschaft betreffend". Wenn von "sozialem Verhalten" die Rede ist, schwingt aber fast immer die normative Bedeutung mit, die da meint, mit den geltenden Wertvorstellungen und Verhaltensnormen in Einklang stehen, gemeinnützig handeln, auf das Wohl der Mitmenschen bedacht sein. 12 In dieser normativen Interpretation kommt zum Ausdruck, daß kein Miteinander von Menschen, keine Gesellschaft, kein System funktionierend gedacht werden kann, ohne daß der einzelne sich "sozial" verhält, d. h. sich in die gesellschaftliche Ordnung fügt und an einer guten Gesellschaft mitarbeitet. So kann auch die Definition der Unternehmung als "soziales System"13 zunächst wertneutral gedacht werden in dem Sinne, daß es sich um ein aus verschiedenen Gruppen und Individuen zusammengesetztes Ganzes handelt, das selbst wiederum nur ein Bestandteil des umfassenden Systems "Gesellschaft" ist. In der Erkenntnis aber, Teil eines Ganzen zu sein, durch Interdependenzen mit diesem Ganzen verflochten zu sein, Einfluß nehmen zu können auf andere Elemente des Systems, liegt zugleich die normative Forderung, sich "sozial" zu verhalten, also das Wohl des Ganzen im Auge zu behalten. Ethik ist die Wissenschaft vom moralischen, d.h. sittlich guten Handeln. 14 Die Ethik in ihrer normativen Ausprägung (daneben gibt es noch die deskriptive Ethik und die Metaethik) versucht, allgemeingültige Prinzipien des guten und gerechten Handelns zu finden. Ihre leitende Idee ist die eines sinnvollen menschlichen Lebens. 15 Man könnte auch sagen, die Ethik fragt nach dem schlechthin richtigen Handeln und eine richtige Handlung ist eine Handlung, die gerechtfertigt oder verantwortet werden kann. 16 Wer sagt, daß er Verantwortung wahrnehmen will, wird damit i2) i3) 14) 15) 16)

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Knospe, i969, S. 948 ff. Ulrich, 1968 Pieper, 1985, S. 13 Höffe, 1980a, S. 53 ff. Ricken, 1983, S. 11

11. Das Ziel der sozialen Verantwortung

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also zum "moralischen Subjekt" .17 Manche Philosophen möchten den Begriff der Verantwortung sogar "ins Zentrum der Ethik"18 stellen, d.h. zum leitenden Prinzip erheben. Verantwortung wahrnehmen heißt, für sein Handeln und dessen Folgen einzustehen.l 9 Verantwortung als nwralisches Prinzip bedeutet dabei natürlich mehr als daß man "überführt" und "zur Verantwortung gezogen wird". Eine Grundbedingung sittlicher Verantwortung ist der Selbsteinsatz, das " ... Übernehmen der eigenen Verantwortung. "20 Zur Verantwortung gehört aber auch die "kausale Macht". Verantwortlich ist man nur für das, was in der eigenen Macht steht. Dies ist in einer Hinsicht eine Entlastung, bedeutet andererseits aber auch eine Verpflichtung, denn wer viel M~cht hat, hat auch große Verantwortung. Gerade die enorme Zunahme von Wissen und Macht mit der Möglichkeit globaler Folgen unserer Handlungen ist es ja, die Verantwortung heute wichtiger werden läßt denn je. 21 Insbesondere die großen, mächtigen Unternehmen fühlen daher heute die Last der Verantwortung besonders deutlich. Zur Verantwortung gehört drittens noch die Instanz, vor der man sich verantwortet. 22 "Zur Verantwortung gehören zwei oder mehr Personen" .23 In einem sehr umfassenden Sinne könnte man also die soziale Verantwortung der Unternehmung so definieren: Die Unternehmung verpflichtet sich gegenüber der Gesellschaft, d. h. allen Mitmenschen, alles in ihrer Macht stehende zu tun, um aktiv durch richtiges Handeln die Idee eines sinnvollen menschlichen Lebens zu fördern. In einem sehr eingeschränkten Sinne könnte dagegen gemeint sein: Die Unternehmung anerkennt ihre Verpflichtung gegenüber dem Staat als Ordnungsmacht, für eindeutig von ihr verursachte Schäden zu haften. Grundsätze wie Eintreten für die gesellschaftliche Ordnung oder Achtung der Gesetze und Verordnungen lassen vermuten, daß letztere Auffassung vom Inhalt der sozialen Verantwortung von den Unternehmen geteilt wird. Aber die Unternehmen gehen doch in aller Regel über diese 17) Vgl. Höffe, 1980f, S. 258 f. 18) Jonas, 1979, S. 9; Schulz, 1972, S. 630 ff. 19) Vgl. Höffe, 1980f, S. 258 20) Vgl. Schulz, 1972, S. 712 21) Vgl. Jonas, 1979, S. 26 ff. 22) Vgl. Höffe, 1980f, S. 258 23) Schulz, 1972, S. 711

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C. Das Verhältnis von Wirtschaft und Ethik

"Minimalverantwortung" weit hinaus mit Grundsätzen wie: Jedem Mitarbeiter zur vollen Entfaltung seiner Fähigkeiten zu verhelfen,24 die Umwelt aktiv zu schützen25 oder die internationale Verständigung zu verbessern. 26 Hat die Unternehmung sehr viel geschäftlich mit der Dritten Welt zu tun, wird auch das Thema Entwicklungshilfe z.B. durch Know-how-Transfer angesprochen. 27 Es wird sogar explizit gesagt, daß man eine moralische Verpflichtung empfindet, die über "Gesetzestreue" hinausgeht. 28 Damit ist aber noch nicht gesagt, daß von den Unternehmen die erstgenannte, umfassende Art der Verantwortung anerkannt wird. Ja es ist nicht unumstritten, ob sie das überhaupt sollte. Bei so weitgehenden Forderungen besteht die Befürchtung, die Levitt schon 1958 aussprach, daß die Unternehmung unversehens die Rolle einnimmt, die die Kirche im Mittelalter beanspruchte. 29 Die vorliegenden Grundsätze und Aussagen der Unternehmen weisen auf eine mittlere Position zwischen den Extremen hin, die sich - explizit formuliert - etwa so darstellt: Sozial verantwortliche Unternehmen verpflichten sich gegenüber allen Individuen und Gruppen, die ein Recht an der Unternehmung haben 30 , alle ihre Handlungen daraufhin zu überprüfen, ob die Handlungen von ihren Folgen her gerechtfertigt werden können. Es sind nur solche Handlungen erlaubt, die nach Abwägung der Folgen als richtig erkannt wurden. Ein Recht an der Unternehmung haben im weitesten Sinne alle, deren Leben von der Tätigkeit der Unternehmung beeinflußt wird, deren Wohlergehen in irgendeiner Weise von der Unternehmung abhängt. Im letzten Satz steckt die Idee, daß Verantwortung immer ein nichtreziprokes Verhältnis impliziert, daß " ... Kontrolle darüber zugleich ... Verpflichtung dafür einschließt. "31 In diesem Sinne hat eine Unternehmung gegenüber ihren Mitarbeitern mehr Verantwortung als gegen24) Vgl. Gabele I Kretschmer, 1985, S. 251 25) Vgl. Gabele I Kretschmer, 1985, S. 252 26) Vgl. Laczniak I Murphy, 1985a, S. 125 27) Vgl. Laczniak I Murphy, 1985a. S. 113 f.; dies gilt rur die z.B. rur die Caterpillar Tractor Company 28) Vgl. Laczniak I Murphy, 1985a, S. 112; Gabele und Kretschmer, 1985, S. 278 ; dies gilt z.B. für IBM 29) Vgl. Levitt, 1958, S. 41 30) Vgl. Schulz, 1972, S. 711 31) Ionas, 1979, S. 176

11. Das Ziel der sozialen Verantwortung

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über einem ebenbürtigen Konkurrenten und sie hat mehr Verantwortung für die Folgen von Handlungen, die sie gänzlich kontrolliert (etwa die Gestaltung des Produktionsprogramms) als für die Folgen der Weltwirtschaftsordnung für die Dritte Welt. Nicht alle Unternehmen verstehen ihre soziale Verantwortung im Sinne der ~ritten Definition. Für manchen, der sich dazu bekennt, wird es nicht mehr bedeuten, als legal zu handeln. Aber auch für ein ausgesprochenes Sendungsbewußtsein gibt es Beispiele wie den Gründer des MatsushitaElectric-Konzerns, der das hehre Ziel auf seine Fahnen geschrieben hat, "Frieden, Glück und Wohlstand für die ganze Welt zu bringen".32 Die dritte Version der sozialen Verantwortung scheint uns aber mit dem, was die Unternehmen wollen und können, am besten übereinzustimmen.

32) Referat von Dr. S. Kawakatsu, Geschäftsführer der Panasonie Deutschland GmbH, Hamburg, anläßlich des AIESEC-Symposiums Unternehmensethik vom 5.-6.6.1986 in Bonn-Bad Godesberg.

ill. Soziale Verantwortung und Gewinnziel Nachdem wir als erstes versucht haben, das Ziel der sozialen Verantwortung genauer zu beschreiben, wollen wir zweitens untersuchen, ob dieses Ziel nicht mit anderen Zielen der Unternehmung im Widerstreit liegt. Besonders kritisch ist die Beziehung zwischen sozialer Verantwortung und Gewinnziel. Grundsätzlich sind fünf verschiedene Zielbeziehungen denkbar: l

Konkurrenz Antinomie

Komplementarität

< ------------------------------0--------------------------- > Identität Neutralität

Abb. 1: Mögliche Zielbeziehungen

Die Meinung, beide Ziele würden sich gegenseitig ausschließen (Antinomie), wird mit zwei Begründungen vertreten. Die erste Begründung bezieht sich auf das vorgebliche Faktum, jeder einzelne Unternehmer, der unter Konkurrenzbedingungen besonders verantwortlich handelte, wäre binnen kurzer Zeit ruiniert und aus dem Markt verdrängt. 2 Diese These geht von der falschen Voraussetzung aus, verantwortliches Handeln müßte immer und ausschließlich zu erhöhten Kosten führen. Dabei gibt es mittlerweile genug Beispiele dafür, daß etwa Umweltschutz sogar zu unmittelbaren Kosteneinsparungen führen kann. Und daß man Sozialleistungen für die Mitarbeiter, die zunächst natürlich Kosten verursachen, als Investitionen begreift, die sich durch erhöhte Motivation und Loyalität

1) Vgl. Wild, 1982, S. 63 2) Vgl. Koslowski, 1988, S. 215

III. Soziale Verantwortung und Gewinnziel

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später auszahlen, das kann geradezu als unternehmerische Binsenweisheit gelten. Die zweite Begründung für die Antinomiethese ist nicht so leicht zu widerlegen. Sie geht - vereinfacht gesagt - davon aus, eine mit Vorteilen in Form von Gewinn verbundene Handlung könne von vorneherein nicht als moralische Handlung gewertet werden. Als einwandfrei moralisch will ihren Vertretern nur gelten, was mit Gewinnverzicht verbunden ist. 3 Konstruieren wir dazu ein Beispiel: Ein Hersteller von Kühlschränken stellt seine Produktion ein, weil er es nicht für verantwortbar hält, die Atmosphäre weiterhin mit dem als Kühlmittel eingesetzten F1uorchlorkohlenwasserstoff zu belasten. Seine Mitarbeiter muß er natürlich entlassen und auch er selbst muß in Zukunft auf seine Unternehmergewinne verzichten. Ein anderer Kühlschrankproduzent entwickelt aus dem gleichen Problembewußtsein eine neue Kühlmethode, die ohne FCKW auskommt. Die Atmosphäre wird genauso entlastet wie im ersten Fall, die Verbraucher kommen weiterhin in den Genuß eines Kühlschrankes und die Arbeitsplätze der Mitarbeiter sind gesichert. Will man letzteres Handeln allen Ernstes als weniger verantwortlich einstufen, nur weil es dem Produzenten bei diesem Handeln auch finanziell besser geht? Diese Überlegungen führen zu einer ersten Einschränkung der absoluten Antinomiethese. Es kann schon mal geschehen, daß sich verantwortliches Handeln auch günstig auf den Gewinn auswirkt, aber es darf auf keinen Fall die Absicht der Gewinnerzielung dahinterstecken. 4 Unternehmen, die explizit auch das Ziel der Gewinnerzielung verfolgen, sind damit von vornherein im Verdacht, gar nicht "richtig moralisch" handeln zu wollen. An dieser Stelle sei noch einmal daran erinnert, daß unser zentraler ethischer Begriff die Verantwortung ist. Die Unternehmen handeln sittlich richtig, wenn sie die Folgen ihrer Handlungen gegenüber den Betroffenen verantworten können. Die Folgen für alle Betroffenen bleiben aber im zweiten Fall günstiger, auch wenn der Kühlschrankproduzent von vorneherein auch die Absicht hatte, durch seinen genialen Einfall reich zu werden. Nur ein reiner "Gesinnungsethiker" 5 könnte darauf bestehen, die zweifache

3) Vgl. Steinmann / Oppenrieder, 1985, S.l71, 176; Oppenrieder, 1986, S. 3 4) Vgl. Steinmann / Oppenrieder, 1985, S. 173; Steinmann / Löhr, 1988a, S.308 f. 5) Vgl. Rich, 1987, S. 34 f. 5 Göbel

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c.

Das Verhältnis von Wirtschaft und Ethik

Motivation verhindere wahre Moralität. Als "Verantwortungsethiker"6 muß man dagegen nicht davon ausgehen, daß das Gewinnziel auf jeden Fall das Ziel der sozialen Verantwortung konterkariert. Wenn wir also im folgenden davon ausgehen wollen, daß Gewinn und Verantwortung nicht grundsätzlich antinomisch sind, geraten die weiteren Zielbeziehungen wieder ins Blickfeld. Sicher von hervorragendem Interesse ist die Konkurrenzbeziehung , die häufig als die eigentliche Bewährungsprobe der Moral gilt. Gewinn und Verantwortung schließen sich als Ziele nicht gegenseitig aus, aber die Verfolgung des einen Zieles hat negative Auswirkungen auf die Erreichung des anderen Zieles. Als Beispiel nehmen wir an, ein Unternehmen investiert freiwillig große Summen in 6) Vgl. Rich, 1987, S. 35 ff.; die aufMax Weber (Weber, 1919) zurückgehende Unterscheidung in Gesinnungs- und Verantwortungsethik meint - kurz gesagt - folgendes. In der Gesinnungsethik kommt es nur auf die innere Motivation des Handelnden, auf seinen guten Willen an, woraus sich die Gefahr ergibt, "Gesinnungstäter" , deren Handeln schreckliche Folgen haben kann - man denke etwa an Terroristen - ethisch zu rechtfertigen. Die von Weber favorisierte Verantwortungsethik beurteilt dagegen die Handlungen von den Folgen her. Man kann auch sagen, die Gesinnungsethik fragt eher, was "gut" ist, die Verantwortungsethik dagegen, was "richtig" ist. Nun haben solche scharf abgegrenzten Idealtypen ja immer den Sinn, Unterschiede pointiert hervorzuheben. Man kann aber auch beide Typen einander annähern und Verbindungen herstellen. Konkretisiert man z. B. inhaltlich, was ein guter Wille sein soll, so läßt sich dieser wohl schlecht als Verantwortungslosigkeit denken. Deutlicher sind die Zusammenhänge noch bei der Verantwortungsethik, die sich für uns nicht ohne Gesinnung, ohne einen guten Willen denken läßt, als Anstoß, um überhaupt verantwortlich handeln zu wollen, als Beurteilungsinstanz bei der Abwägung von Folgen und auch als Rechtfertigung, wenn trotz allen redlichen Bemühens um die richtige Entscheidung, sich die getroffene Entscheidung im nachhinein als falsch herausstellen sollte. Man könnte also sogar sagen, daß beide Typen nicht eigentlich Gegensätze sind, sondern daß die Verantwortungsethik die Gesinnungsethik umfaßt und darüber hinausgeht. Was den Typus der Verantwortungsethik gerade im Bereich der Wirtschaftsethik besonders geeignet erscheinen läßt ist, daß die meisten Entscheidungen in der Wirtschaft heute weitreichende Folgen haben und das Schicksal vieler tangieren, daß es darum immer wichtiger wird, die voraussehbaren Folgen des wirtschaftlichen HandeIns abzuschätzen und sich soviel Wissen wie möglich über die Folgen zu beschaffen. Bei einer reinen Gesinnungsethik rechtfertigt das Subjekt sich vor sich selbst; es handelt gut, solange es seinen Prinzipien folgt, ob diese nun situativ in die Welt passen oder nicht. In der Verantwortungsethik rechtfertigt sich das Subjekt vor den von seinen Handlungen Betroffenen; es muß sich immer wieder neu darum bemühen, daß seine Handlungen in die Welt passen. Dies ist der komplexen, sich wandelnden Wirtschaft viel gemäßer, weil es pragmatischen und flexiblen Lösungen Raum läßt.

III. Soziale Verantwortung und Gewinnziel

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Umweltschutzmaßnahmen, was in absehbarer Zeit nur Kosten verursacht. Ein solcher Fall erlaubt wohl den Schluß, daß das Unternehmen seine Verantwortung ernst nimmt und die Folgen seines Handelns ernsthaft abwägt. Die gute Gesinnung tritt durch das Opfer in besonderer Klarheit hervor. Man darf aus diesem Fall aber nicht den Umkehrschluß ziehen, nur im Falle der Zielkonkurrenz könnte sich Verantwortung zeigen, indem auf Teile des Gewinns verzichtet wird. Auch im Falle der Zielharmonie ist verantwortliches Handeln möglich. Zielharmonie bedeutet, daß die Verfolgung des einen Zieles zugleich positive Auswirkungen auf die Erreichung des anderen Zieles hat. Zwar könnte ein mißtrauischer Mensch sich fragen, was denn wohl letzten Endes den Ausschlag gegeben hat: Der Gewinn oder die Verantwortung? Daß die soziale Verantwortung nur ein tarnendes Mäntelchen für eine nach wie vor einseitige Profitorientierung sei, unterstellen z. B. Fischer-Winkelmann und Rock7 den Unternehmern. Eine " ... profitable Vermarktung von Verbraucherkritik ... "8 ist für sie ein äußerst fragwürdiges Unterfangen. Da wir aber von den Folgen und nicht von der Gesinnung her argumentieren, ist im Falle der Zielharmonie die Frage nach dem wichtigeren Motiv nicht so entscheidend. Außerordentlich wichtig für.die Glaubwürdigkeit des Bekenntnisses zur sozialen Verantwortung ist es dagegen, daß man in jedem Fall konsequent zu dieser Selbstverpflichtung steht, auch bei Zielkonflikten. Würde man die soziale Verantwortung nach Belieben akzeptieren, wenn es sich gerade mal auszahlt, und ablehnen, wenn es was kostet, dann wäre sie in der Tat nur eine hohle Phrase. Verschiedene Nuancen der Zielharmonie sind denkbar: Man will in erster Linie sozial verantwortlich sein, als unbeabsichtigter Nebeneffekt stellt sich auch eine Gewinnsteigerung ein. Man verfolgt beide Ziele gleich stark und ist in der glücklichen Lage, beides gleichzeitig verwirklichen zu können. Man verfolgt in erster Linie das Gewinnziel und erkennt als geeignetes Mittel dazu z.B. eine umweltschützende Produktinnovation. Im letzten Fall fällt es sicher am schwersten, von sozial verantwortlichem Handeln zu sprechen. Nach Steinmann und Oppenrieder dürfen ethische Überlegungen " ... nicht apriori in einer Mittel-Zweck7) Vgl. Fischer-Winke1mann / Rock, 1977, S. 136, 140 ff. 8) Fischer-Winke1mann / Rock, Anmerkung 55, S. 140 f.

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C. Das Verhältnis von Wirtschaft und Ethik

Beziehung zum Gewinnprinzip stehen ... "9. Bleibt man aber konsequent dabei, daß in erster Linie die Folgen und nicht die Gesinnung über die Richtigkeit einer Handlung entscheiden, dann ist auch die dritte Handlung sozial verantwortlich. Dabei gehen wir allerdings davon aus, daß der Handelnde zwar den Gewinn als Ziel hat, aber bewußt nach "guten" Mitteln sucht. Es darf nicht der pure Zufall sein, ob er aus Gewinnbestreben etwas Gutes oder etwas Verwerfliches tut. Diese "Gleichgültigkeit" von Gewinn und Verantwortung gilt aber selbstverständlich nur im Falle der Zielkomplementarität. Man kann nun die zuletzt genannte Ziel-Mittel-Beziehung auch genau umgekehrt sehen. Nicht die Moral ist Mittel zur Gewinnerzielung, sondern der Gewinn ist Mittel, um soziale Verantwortung überhaupt wahrnehmen zu können. Weil dieses Argument gerne von den Unternehmern vorgebracht wird, könnte man den Verdacht haben, es handele sich hierbei nur um ein willkommenes Scheinargument, um die "einseitige Profitorientierung"IO zu rechtfertigen. Wer die Gewinnerzielung so diskreditiert, muß sich aber doch fragen lassen, wo das Geld denn herkommen soll, das die Unternehmen in schenkender Nächstenliebe großzügig verteilen sollen. Gerade wenn man Verantwortung nur im Sinne des völlig uneigennützigen Opferns von Gewinn verstehen mag, muß es ja irgendwo eine Quelle geben, die diese ständigen Opfer speist. 1986 hat die deutsche Industrie z.B. 7 MilIarden DM für Umweltschutzinvestitionen aufgebracht, die laufenden Betriebskosten betragen ein Vielfaches. ll Die absolut desolate Lage beim Umweltschutz in den Ostblockstaaten ist ein Indiz dafür, daß der gute Wille durchaus an den fehlenden Mitteln scheitern kann. Auch zeigt sich, daß der Wille der Unternehmung, auf soziale Forderungen positiv zu reagieren, positiv mit der ökonomischen Leistungsfähigkeit der Unternehmung korreliert ist. 12 Selbstverständlich ist es dabei alles andere als gleichgültig, wo die Mittel herkommen. Niemand wird einen Unternehmer als sozial verantwortlich bezeichnen wollen, nur weil er mit Gewinnen aus verbotenen Waffengeschäften ein Waisenhaus unterstützt. Da auf der anderen Seite auch ein bankrottes Unternehmen nicht mehr sozial verantwortlich handeln kann, wäre das 9) Steinmann / Oppenrieder, 1985, S. 173 10) Vgl. Fischer-Winkelmann und Rock, 1977, S. 136 11) Vgl. IWD, 1988 12) Vgl. Jeh1e, 1980, S. 148

III. Soziale Verantwortung und Gewinnziel

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Optimum ein Unternehmen, das auf sozial verantwortliche Weise Gewinn erwirtschaftet und diesen einsetzt, um weiterhin auf sozial verantwortliche Weise Gewinn erwirtschaften zu können. Eine solche Handlungsweise ist verantwortlicher, hat bessere Folgen für alle Betroffenen, als das Unternehmen untergehen zu lassen. Zusammenfassend stellen sich die Beziehungen zwischen den Zielen "soziale Verantwortung" und "Gewinn" so dar: Ein Unternehmen, das sich ernsthaft zur sozialen Verantwortung verpflichtet, - muß bei einer eindeutigen Zielantinomie auf den Gewinn verzichten. - muß bei einer Zielkonkurrenz sehr sorgfältig abwägen, ob der Verzicht auf Teile des Gewinns insgesamt bessere Folgen für alle Betroffenen zeitigt. Hierher gehört z.B. das klassische Dilemma, daß gewinnschmälernde Umweltschutzmaßnahmen Arbeitsplätze gefährden können. Und - nicht zu vergessen - gehören natürlich auch die Kapitalgeber, beispielsweise die Aktionäre, zu den Menschen, die "ein Recht an der Unternehmung" haben. Ihr berechtigtes Interesse ist gerade, daß sich ihre Kapitaleinlage durch Gewinn verzinst. Der Gewinnverzicht ist also durchaus nicht selbstverständlich die verantwortungsvollere Lösung, muß aber akzeptiert werden, wenn es nach ehrlicher Abwägung richtig erscheint. - sollte nach einer Harmonisierung der Ziele streben, denn unter dieser Bedingung sind allseits verantwortbare Handlungen am einfachsten. Da nur eine wirtschaftlich gesunde Unternehmung die Mittel aufbringen kann, etwa um humane Arbeitsplätze bereitzustellen, sinnvolle Produkte herzustellen, neue, ökologisch bessere Technologien zu entwickeln, ist ein angemessener Gewinn als Ziel nicht unverantwortlich. Wird dieser Gewinn auf verantwortliche Weise erwirtschaftet, kann Verantwortung gar als Mittel eingesetzt werden, um Gewinn zu erzielen, dann ist ein positiver Kreislauf in Gang gesetzt, der allen nur nützen kann. Daß gerade die Zielkomplementarität als erstrebenswerte Ziel beziehung betont wird, hat auch den Sinn, die Zwei-Welten-Konzeption von reiner Ökonomie auf der einen Seite und reiner Moralität auf der anderen Seite

70

c.

Das Verhältnis von Wirtschaft und Ethik

zu übelWinden. 13 Nach dieser Konzeption würden die Unternehmen nach einer rein ökonomischen Sachlogik zu führen sein, die auch inhumane Praktiken zuließe, sofern sie nur ökonomisch rational seien. Die Ethik hätte dann die undankbare Aufgabe, von außen und sachfremd gegen die ökonomische Rationalität anzukämpfen. Offensichtlich wollen die Unternehmer selbst mittlelWeiie nach einer anderen Konzeption wirtschaften, die man als "ökonomische Vernunft" bezeichnen könnte. 14 Nach ihren Bekenntnissen zu urteilen wollen sie das "Menschengerechte" mit dem "Sachgerechten" verbinden, vielleicht weil sie in ihrer Praxis zunehmend erfahren, " ... , daß nicht wirklich menschengerecht sein könne, was nicht sachgemäß ist, und nicht wirklich sachgemäß, was dem Menschengerechten widerstreitet" .15 Wo aber zeigt sich diese Verbindung klarer als bei der Harmonisierung der Ziele Gewinn und Verantwortung? Handlungen, die beide Ziele verbinden können, haben sicher auch die größte Chance, sich durchzusetzen, denn werden "... die Handlungsbedingungen verharmlost und der Mensch zu einem absolut freien Wesen emporstilisiert, verlangt man damit eine heroische Ethik, wonach sich der Mensch angeblich über alle Grenzen hinwegsetzen könne, wenn er nur wolle. Eine solche idealistische Ethik kann aber leicht dazu führen, daß wegen des bestimmt eintretenden Scheiterns jegliche Ethik über Bord geworfen wird" .16

13) 14) 15) 16)

Vgl. Ulrieh, 1987b, S. 122 ff. Ulrieh, 1986 Rieh, 1987, S. 81; Enderle, 1987, S. 438

IV. Mittel zur Durchsetzung einer sozialen Verantwortung der Unternehmung 1. Marktwirtschaftliehe Ordnung Am Ende des Teils B waren wir zu dem Schluß gelangt, die praktische Umsetzung sozialer Verantwortung scheitere nicht am mangelnden Willen, sondern am fehlenden Wissen um das Wie. Diese Frage nach den möglicherweise geeigneten Mitteln zur Erreichung eines Zieles war der dritte Punkt unseres Forschungsprogramms und soll uns im folgenden ausführlich beschäftigen. Der erste Lösungsvorschlag scheint auf den ersten Blick geradezu bestechend, stellt er doch ganz auf die so erwünschte Zielharmonie von Gewinn und Verantwortung ab. Die Zauberformel heißt Markt. Nach den Modellbedingungen des vollkommenen Marktes herrscht sogar Zielidentität zwischen den Zielen der Verantwortung und der Gewinnmaximierung. Es wäre also falsch, den Verfechtern dieser Idee vorzuwerfen, sie plädierten für Verantwortungslosigkeit. Sie haben lediglich andere Vorstellungen über die Mittel, mit denen "das größte Glück der größten Zahl" und damit, nach der utilitaristischen Ethik!, das moralisch richtige erreicht werden kann. Übersetzt man Glück mit Lust und Lust mit Konsum und Bedürfnisbefriedigung, dann wäre der Markt wahrhaft eine ethische Institution, insofern er der beste Mechanismus zur Bedürfnisbefriedigung sein sollte. Marktwirtschaft nach der klassischen Ordnungstheorie von Adam Smith soll auch keineswegs heißen, daß jeder in anarchistischer Freiheit hemmungslos seinen Egoismus auslebt. Zunächst ist das in der klassischen Theorie wichtige Selbstinteresse nicht identisch mit dem negativen Begriff des Egoismus. Das Selbstinteresse ist die Antriebsfeder für den einzelnen, sich zu entfalten und zu entwickeln. 2 Versteht man Selbstinteresse als Entfaltung des Individuums zur vollen Humanität, fallen Selbstinteresse

1) Vgl. Höffe, 1975 2) Vgl. Recktenwald, 1985, 5.145

72

C. Das Verhältnis von Wirtschaft und Ethik

und Sittlichkeit gar in eins. 3 Aber auch wenn man nur sein Glück verfolgt, handelt man nicht automatisch egoistisch, d.h. ohne Rücksicht auf die Interessen und Rechte der Mitmenschen. Ein "aufgeklärtes Selbstinteresse" erkennt, daß man auf seine Mitmenschen in vielfältiger Form angewiesen ist und daß es darum auch im eigenen Interesse liegt, ehrlich, rücksichtsvoll, hilfsbereit, zuverlässig usw. zu sein. 4 Weiterhin forderte Smith, das Selbstinteresse müsse durch vier Kräfte kontrolliert werden, damit es wirklich zum Gemeinwohl führt. Die erste Kraft ist Mitgefühl (fellowfeeling, sympathy), was bedeutet, daß der Mensch sich in seine Mitmenschen hineinversetzen kann und daß er sich mitfreut, wenn sie glücklich sind und mitleidet, wenn sie Schmerz empfinden. Nach Möglichkeit handelt der Mensch also so, daß seine Mitmenschen zufrieden sind, auch wenn er nichts davon hat, außer der Freude, es zu sehen. 5 Die zweite kontrollierende Kraft sind die Regeln, Sitten und Gebräuche, die gewöhnlich eingehalten werden, weil ihre Verletzung zu öffentlicher Mißbilligung führen könnte. 6 Als dritte Kraft sind zusätzlich positive Gesetze notwendig, deren Beachtung der Staat durch seine Macht zur Bestrafung erzwingen kann.? Und schließlich ist viertens der Wettbewerb ein effizienter Mechanismus, der egoistisches Verhalten laufend, unverzüglich und wirkungsvoll in Schach hält. 8 Diese vierte Kraft ist es, die im allgemeinen Bewußtsein mit der "invisible hand" identifiziert wird, die den Eigennutz auf wunderbare Weise in das Gemeinwohl transformiert. Vor allem die frühen Neoklassiker, die bezeichnenderweise ihre Wurzeln nicht mehr in der Philosophie hatten, sondern die Mathematik als Basiswissenschaft betrachteten (z.B. Walras, Jevons, Gossen), sahen im funktionierenden Markt eine "selbstregelnde Maschine "9, die mit quasi physikalischer Präzision das Gemeinwohl herstellt. Die Kräfte der Sympa3) 4) 5) 6) 7) 8) 9)

VgJ. Höffe, 198Od, S. 216 VgJ. Höffe, 1980d, S. 215 f. VgJ. Recktenwald, 1985, S. 148 VgJ. Recktenwald, 1985, S. 148 ff. VgJ. Recktenwald, 1985, S. 150 VgJ. Recktenwald, 1985, S. 150 f. Hampicke, 1987, S. SO. Die Faszination der inneren Logik und mathematischen Stringenz des klassischen Modells verleitet zu dieser "technischen Wirklichkeitsflucht" , wie Galbraith, 1988, S. 340, es nennt. Aus dieser "geschlossenen intellektuellen Übung" sind aber nicht nur Fachfremde ausgeschlossen, sondern auch "das wirkliche Wirtschaftsleben" (ebenda) .

IV. Mittel zur Durchsetzung einer sozialen Verantwortung der Unternehmung

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thie und des Ethos spielen in diesem Modell gar keine Rolle mehr, der Staat hat nur noch die Aufgabe, für die freie Entfaltung der Marktkräfte Sorge zu tragen. Der Gedankengang ist kurz gesagt folgender: Der Markt führt als Koordinationsmechanismus für die wirtschaftlichen Einzelpläne unter gewissen Voraussetzungen zu einem Gleichgewichtszustand, in dem Angebot und Nachfrage zum Gleichgewichtspreis genau ausgeglichen werden. Dieser Gleichgewichtszustand ist zugleich sehr erwünscht, weil alle Wirtschaftsteilnehmer ihre Pläne verwirklichen können. Wohlfahrtstheoretisch ausgedrückt ist er pareto-optimal, d.h. jeder andere Zustand würde wenigstens ein Subjekt schlechter stellen. lO Daß der Marktmechanismus zum Gleichgewicht und damit zu einer bestimmten Art allgemeiner Wohlfahrt führt, gilt aber nur in der Modellwelt, wo vollständiger Wettbewerb auf einem vollkommenen Markt herrscht. Auf einem vollkommenen Markt - fehlen sachliche, persönliche, räumliche und zeitliche Differenzierungen; Anbieter und Nachfrager reagieren einzig auf Preisunterschiede. - herrscht vollkommene Markttransparenz, d.h. alle Marktteilnehmer sind über alle gesetzten Bedingungen vollständig infonniert. II Es gilt außerdem als selbstverständliche Voraussetzung, daß alle Marktteilnehmer völlig freiwillig am Marktgeschehen teilnehmen. Jedes autonom gebildete Bedürfnis hat freien Zugang zum Markt. 12 Und weiterhin muß man unterstellen, daß die Unternehmer ihren Gewinn maximieren wollen und die Konsumenten ihren Nutzen. 13 Gewinnmaximierendes Verhalten der Unternehmer ist unter diesen Prämissen nicht nur legitim, sondern geradezu moralische Verpflichtung. Wie Milton Friedman sagt " ... there is one and only one social responsibility of business - to use its resources and engage in activities designed to increase its profits ... " .14 Der Fehlschluß liegt hier in der "Problem verschlingung " , wie Max Weber es nennt. 15 Er wirft der reinen ökonomischen Theorie vor, ihr als Hilfsmittel nützliches Modell unter der Hand zum Abbild der Wirklichkeit 10) VgI. Böventer, 1982, S. 239 ff., 273 ff. 11) VgI. Ott, 1984, S. 32 ff. 12) VgI. Steinmann I Gerum, 1978, S. 47 f.; Steinmann, 1973, S. 468 13) VgI. Böventer, 1982, S. 22 14) Friedman, 1962, S. 133 15) VgI. Weber,I917, S. 536 f.

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gemacht zu haben. Adam Smith konnte die Einheit von Theorie, Wirklichkeit und Vorbild noch ohne weiteres vertreten. Er war überzeugt, daß seine Theorie zugleich die natürliche Ordnung abbildet, wie sie ist und daß diese Ordnung gut und gottgewollt ist. 16 Theorien, die bewußt von Idealtypen ausgehen, um so zu besonders logischen, eindeutigen und widerspruchsfreien Aussagen zu kommen, dürfen aber eine solche Problemvermischung nicht vornehmen, besonders nicht, wenn sie objektiv und wertfrei zu sein vorgeben. Nun ist aber der vollkommene Markt ohne Zweifel ein Idealtyp, der brauchbar und wertvoll ist, um die empirische Wirklichkeit mit ihm zu vergleichen, nicht um sie abzubilden,l7 Der Markt, wie wir ihn in der Realität vorfinden, weist gegenüber dem Modell vielerlei Defekte auf: - Weder Produzenten noch Konsumenten kennen die Marktbedingungen genau. Eine auch nur annähernde Markttransparenz zu erreichen, wäre für den einzelnen nur mit sehr hohem Informationsaufwand möglich. Zudem haben die Unternehmen häufig die Möglichkeit, die Transparenz selbst zu verschleiern, z. B. durch irreführende Werbung. 18 - Es bestehen selbstverständlich sachliche und persönliche Präferenzen. Die gesamte Präferenzpolitik der Unternehmen wäre ja sinnlos, würden sich die Konsumenten tatsächlich nur an marginalen Preisunterschieden orientieren. Auch die weiteren Voraussetzungen sind nur im Modell gültig: - Weder Produzenten noch Konsumenten verhalten sich im engen Sinne der Modellprämissen immer rational. Unternehmer wollen ja auch was unser Ausgangspunkt ist - sozial verantwortlich handeln. Konsumenten kaufen spontan aus einer Laune völlig nutzlose Dinge oder sie kaufen etwas, weil andere es auch haben. Jedenfalls haben sie keine genau definierte kardinale Nutzenfunktion, nach der jede Kauthandlung gelenkt wird. - Auch die These der Freiwilligkeit der Marktteilnahme ist nicht immer richtig. Man muß vielleicht ein Auto kaufen, weil es keine öffentlichen Verkehrsmittel gibt für die Fahrt zum Arbeitsplatz, man 16) Vgl. Ulrich, 1986, S. 188; Rothschild, 1987, S.l3 f. 17) Vgl. Weber, 1917, S. 535 18) Vgl. Beier, 1973, S. 29 f.

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muß billige Lebensmittel statt Reformkost kaufen, weil man nicht viel Geld zur Verfügung hat. Schwache Persönlichkeiten können von hartnäckigen Vertretern buchstäblich zum Kauf genötigt werden. Ausgeklügelte Werbemaßnahmen haben ausdrücklich den Sinn, die Konsumentenentscheidungen zu beeinflussen. - Schließlich funktioniert der Wettbewerb nicht so, wie es im Idealfall sein sollte. Große Unternehmen können monopolistische Spiel räume nutzen. 19 Konkurrenten sprechen sich ab, um den Wettbewerb bewußt auszuschalten. Für den Konsumenten ist aufgrund der weltweiten Verzweigungen in großen Konzernen oft gar nicht mehr ersichtlich, welche Produkte wirklich gegeneinander konkurrieren. Es werden aber auch noch andere, grundsätzlichere Kritikpunkte gegen die Idee vorgebracht, der Markt könne allein das Gemeinwohl garantieren: - Selbst ein gut funktionierender Markt bringt nur die privaten Kosten und Nutzen der Tauschpartner zum Ausgleich. Unbeteiligte Dritte, die von sog. "externen Effekten" des Geschäftes betroffen werden, werden unentgeltlich und gegen ihren Willen in Anspruch genommen. 20 Anlieger einer Kokerei müssen z. B. mit der starken Luftverschmutzung leben, auch wenn sie selbst mit Erdgas heizen. Gerade die enorme Zunahme solcher schädlichen externen Effekte, deren Beseitigung die Öffentlichkeit Milliarden kostet, hat ja mit zur Kritik an der Wirtschaft beigetragen. - Im Marktsystem werden nur Güter vermittelt, die einen quantifizierbaren Marktpreis haben. 21 Bedürfnisse wie Zuwendung, Geborgenheit, Anerkennung, Bewährung, Kreativität können durch Gütertausch nicht wirklich befriedigt werden, auch wenn die Produktwerbung solche subjektiven Erlebnisqualitäten als "Zusatznutzen"22 verspricht. Nur wenn man Nutzen und Glück eng und eindimensional mit Verfügung über kommerzielle Güter gleichsetzt, kann also materieller Wohlstand mit Gemeinwohl identifiziert werden.

19) Vgl. 20) Vgl. 21) Vgl. 22) Vgl.

Böventer, 1982, S. 311 ff. Reuter, 1986b; Böventer, 1982, S. 313 ff.; Kötz1e, 1980, S. 38 ff. Ulrich, 1980a, S. 35 Nieschlag, I DichtlI. Hörschgen, 1975, S.181 f.; Meffert, 1980a, S. 366 f.

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- Zu den gesellschaftlichen Grundwerten zählt auch die Gerechtigkeit, die zu einem umfassender verstandenen Begriff von Gemeinwohl wohl dazu gehört. Der Markt führt im besten Falle zu einer ausgleichenden Gerechtigkeit (iustitia commutativa), d. h. daß getauschte Dinge den gleichen Wert haben. 23 Auch davon kann man allerdings nur ausgehen, wenn z.B. der Konsument nicht bewußt über den Wert eines Produktes getäuscht wird. 24 Ob die austeilende Gerechtigkeit (iustitia distributiva) durch den Marktmechanismus erreicht werden kann, ist zweifelhaft. In der Form "jedem das gleiche" mit Sicherheit nicht, denn der wesentliche Antrieb im freien Wettbewerb ist ja gerade, daß Leistung sich auszahlt. Aber auch eine Gerechtigkeit, die jedem nach seiner Leistung zuteilt, ist nicht unbedingt verwirklicht. Der Markt verteilt die Güter nämlich nach Kaufkraft, und daß Kaufkraft nicht immer durch eigene Leistungen erworben ist, wird schon am einfachen Beispiel der Erbschaft klar. Ebenso kann ein Monopolist nicht leistungsbezogene Übergewinne erwirtschaften. 25 Weil nur kaufkräftige Nachfrage zum Zuge kommt, ist schließlich auch der Gerechtigkeitsmaßstab "jedem nach seinen Bedürfnissen" durch den Markt nicht immer erfüllt. Den schmerzhaften Gegensatz zwischen Bedürfnissen und Kaufkraft spüren die Armen auf der Welt jeden Tag. Die vorgetragenen Argumente sollten ausreichen, um zu zeigen, daß der Marktmechanismus nicht der "magische Trichter"26 ist, der die Gewinnmaximierung wie durch Zauberei ins Gemeinwohl verwandelt. Es macht also durchaus Sinn, wenn die Unternehmer die soziale Verantwortung als eigenes Ziel verfolgen. Es soll damit keineswegs die Marktwirtschaft als Wirtschaftsordnung angegriffen werden. Ohne dies ausführlich diskutieren zu wollen, sind wir der Meinung, daß der Marktmechanismus die Grundwerte Freiheit, Wohlstand und Leistungsgerechtigkeit sehr viel besser verwirklicht, als die zentrale Plan23) Vgl. Priddat / Seifert, 1987, S. 55; Höffe, 1980b, S. 76 24) Wenn jemand z. B. Wein mit Frostschutzmittel kauft, sind Kosten und Nutzen nicht durch den freiwilligen Kauf ausgeglichen worden. 25) Vgl. Herdzina, 1984, S. 28 f. 26) Vgl. Ulrich, 1983, S. 77 f.; Ulrich, 1986, S. 199; Röpke geißelt das ausschließliche Vertrauen auf die freien Kräfte des Marktes als "liberalen Anarchismus", "moralisch abgestumpften Ökonomismus" und "Irrtum des liberalen Immanentismus" , 1961, S. 184, S. 187.

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wirtschaft.27 Als einziges Mittel, um die besten Folgen für alle Betroffenen zu erzielen, reicht der Markt jedoch nicht.

2. Staatliche Regulierung Wie wir gesehen haben, hat schon Adam Smith staatliche Gesetzgebung als kontrollierende Kraft neben dem Wettbewerb für notwendig gehalten. Das Prinzip der "government - assisted invisible hand"28 ist also nur neu im Vergleich zu einer naiven Neoklassik, die alles der "Marktmaschine" zu überlassen können glaubte. Tatsächlich haben wir ja in Deutschland das Konzept einer sozialen Marktwirtschaft, das dem Staat wirtschaftspolitische Aufgaben überträgt. Im wesentlichen setzt man zwar auf die dezentralen Entscheidungen der Marktteilnehmer, überläßt aber nicht alles dem freien Spiel der Kräfte. Soziale Marktwirtschaft ist nun aber kein fest umrissenes Konzept, sondern zunächst nur die Leitidee eines dritten Weges zwischen Liberalismus und Sozialismus, zwischen Sicherheit und Freiheit. 29 Nach der ordoliberalen Konzeption hätte der Staat vor allem die Aufgabe, eine Ordnung zu schaffen, innerhalb derer der Marktmechanismus sich ungestört entfalten kann. Der Staat ist vor allem ein Wächter über den möglichst vollständigen Wettbewerb, über Privateigentum und Vertragsfreiheit. Dahinter steckt also im Grunde die klassische Idee, der Marktmechanismus tendiere von selbst zum Gleichgewicht, wenn nur die Erfüllung der o.g. Prämissen sichergestellt werden könnte. Müller-Annack30 , dem man die Wortkombination soziale Marktwirtschaft zuschreibt, verlangt vom Staat ausdrücklich mehr, als der Produktion freien Spielraum zu geben. Der Staat soll gemeinsam mit der Wirtschaft bewußt gesellschaftspolitische Ziele verfolgen und die Wirtschaftspolitik zur Gesell27) Als empirischer Beleg dafür mag die vom größten Teil der Bevölkerung gewünschte und teilweise schon durchgesetzte Ablösung der zentralen Verwaltungswirtschaft durch die Marktwirtschaft in vielen Ländern Osteuropas gelten. 28) Vgl. Hampicke, 1987, S. 81 29) Vgl. Blum, 1988, S. 153 f. 30) Vgl. Müller-Armack, 1974a-e

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schaftspolitik elWeitern. Ziele der sozialen Marktwirtschaft in ihrer "zweiten Phase" sind z. B. Steigerung des Bildungsniveaus, ElWeiterung der Handlungsspielräume für Arbeiter und Angestellte im Betrieb, Verbesserung der Arbeitsbedingungen, Reinhaltung von Luft und Wasser, menschlicherer Städtebau, Hilfe für Entwicklungsländer und anderes mehr. "Der Stil der Sozialen Marktwirtschaft liegt darin, jenseits der Lösungen einer restaurativen Politik, die das Vergangene konserviert, oder eines Sozialdirigismus, der die freien Initiativen der Gesellschaft verkümmern läßt, oder einer ungesteuerten, unkontrollierten Marktmechanik eine gesellschaftliche Lösung zu produzieren, in der alle Ziele einen möglichen realistischen Ausgleich finden. "31 Gemeinsamer Grundgedanke beider Konzeptionen ist, daß der Koordinationsmechanismus "Markt" durch staatliche Maßnahmen kontrolliert und ergänzt werden muß. Tatsächlich hat der Staat durch zahlreiche Gesetze für mehr Wettbewerb, mehr soziale Gerechtigkeit i.S. der Bedürftigkeit, mehr Ausgleich von externen Effekten, mehr Markttransparenz und mehr Machtgleichgewicht gesorgt. Die zu Beginn der Arbeit beschriebenen Probleme und Unzufriedenheiten sind aber im Verlaufe von nunmehr 40 Jahren sozialer Marktwirtschaft entstanden, was zur Genüge beweisen sollte, daß auch die Formel "Markt + Staat" noch nicht garantiert, daß die Wirtschaft zum umfassenden Gemeinwohl führt. Daraufhin könnte man ja auch auf die Idee kommen, daß es einfach noch zu wenig Staat in der Wirtschaft gibt, daß es umfangreicherer und schärferer Gesetze bedarf, daß viel mehr zentrale Steuerung nötig ist. Tatsächlich spricht für gesetzliche Regelungen, daß jeder von Gesetzen in gleicher Weise betroffen ist und die Durchsetzung durch Androhung von Strafen unterstützt werden kann. Es gibt aber auch eine Reihe gewichtiger Bedenken gegen eine zentralistische Lösung der durch die Wirtschaft verursachten Probleme, die man vielleicht zusammenfassend als "Komplexitätsproblem der Gesetzgebung" bezeichnen könnte. Gesetze müssen immer in einem gewissen Umfang vom Einzelfall abstrahieren. Abstrahieren sie zu stark, dann hat man es mit "Leerformeln" oder "Gummiparagraphen" zu tun, die auf vielfache Weise ausgelegt werden können. Die Steuerungseffizienz des Rechts leidet dann durch eine zu große Rechtsunsicherheit. Gehen die Gesetze dagegen 31) Müller-Armack, 1974d, S. 151

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zu stark auf jeden Einzelfall ein, wird das Recht zu sehr aufgebläht, so daß die Effizienz unter der Unübersichtlichkeit leidet. Außerdem sind es wahrscheinlich die präzisen Einzelfallbestimmungen, die relativ schnell obsolet werden. Auch inhaltlich dürfte es oft Probleme geben, denn die Basis jeder gesetzlichen Regelung sollte umfassende Sachkenntnis sein. Um richtige Umweltschutzgesetze zu verabschieden, braucht man z.B. Erkenntnisse aus der Chemie, der Medizin, der Biologie, der Soziologie usw. Und was macht man, wenn die Experten sich gegenseitig widersprechen? Zudem müßte jede einschlägige neue Erkenntnis zu Gesetzesanpassungen führen. Das führt uns zu dem weiteren Problem, daß die Gesetzgebung ein äußerst langwieriges und schwerfälliges Verfahren ist. Es kann sein, daß Gesetze erst in Kraft treten, wenn sie eigentlich schon wieder überholt sind. Dieses Problem wird durch den Willen zur Rechtsharmonisierung in der EG noch potenziert, weil der Weg durch die Instanzen noch länger wird. 32 Weiterhin bringt die Sanktionierung von Gesetzesverstößen ungeheure Probleme mit sich. Wenn eine Unternehmung illegales Verhalten nicht von vornherein aus Überzeugung ausschließt, sondern einen KostenNutzen-Kalkül aufstellt, dann "lohnt" es sich noch viel zu häufig, die Gesetze zu übertreten. Illegales Verhalten muß nämlich entdeckt, angeklagt und empfindlich bestraft werden; nimmt man an, daß nur ein Bruchteil der Wirtschafts vergehen entdeckt wird, von den entdeckten Vergehen nur ein Bruchteil eine Gerichtsverhandlung zur Folge hat und nur ein Bruchteil der dort ausgesprochenen Strafen eine empfindliche Höhe erreichen, dann ist die abschreckende Wirkung von Gesetzen insgesamt sehr gering zu bewerten. 33 Alle diese Probleme verschärfen sich durch die zunehmende Komplexität und Dynamik der Wirtschaft34 , was bedeutet, daß eine Vielzahl verschiedenster Faktoren zu beachten ist, die sich auch noch rasch, und oft genug unvorhergesehen, ändern. Eine richtige Gesetzgebung wird dadurch 32) Vgl. Spieker, 1986, S.32 f.; er beschreibt den jahrelangen Prozeß einer gesetzlichen Erweiterung der Publizitätspflicht; ähnlich auch: Steinmann und Oppenrieder, 1985, S. 178

33) Vgl. Steinmann / Oppenrieder, 1985, S. 178; Rückle / Terhart, 1986 34) Zu diesen Begriffen vgl. Duncan, 1972; Lawrence / Lorsch, 1967; Dill, 1958

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ohne umfassende Infonnation unmöglich; langwierige Expertenanhörungen verzögern andererseits Gesetzesänderungen, was bei zunehmender Dynamik gerade kontraindiziert ist; aus Infonnationsmangel rasch hingeworfene Gesetze führen zu Rechtsunsicherheit, wodurch auch der Wille zur Beachtung der Gesetze untergraben wird. Zur Durchsetzung der Gesetze muß der Kontrollapparat weiter aufgebläht werden und weitergehende, präzisere Durchführungsvorschriften wären nötig. Dies erfordert mehr Zeit und Personal. Der Staat ist einfach überfordert, wenn man von ihm erwartet, er könne aufgrund eines umfassenden Nutzenkalküls ein Regelwerk schaffen, das ein für allemal die allgemeine Wohlfahrt schafft. Schließlich wird der Staat von Menschen repräsentiert, die u.U. engem Ressortdenken verhaftet sind oder in erster Linie ihre politische Karriere im Auge haben, die ihre Vorurteile hegen und selbst beim besten Willen nicht alles wissen können. Und, last but not least, die zentralistische Koordination durch den Staat ist ja gerade das Gegenmodell zur dezentralen Koordination durch den Markt. Das muß durchaus nicht heißen, daß beide Konzepte sich von vorneherein ausschließen; sie sind im Gegenteil bis zu einem gewissen Grad komplementär. Staatliche Ordnung verhindert Freiheit nicht, sondern ennöglicht sie. "Eine Gemeinschaft von Menschen, ... , ist frei, wenn das äußere Verhältnis der Mitglieder zueinander nicht durch Willkür und Anarchie (Naturzustand), sondern durch streng universalisierbare Gesetze bestimmt ist. "35 Wer also nicht mehr dem metaphysischen Traum anhängt, ein freier Markt werde auf natürliche Weise zu einer natürlichen Hannonie und größtmöglicher Wohlfahrt führen, der muß gesetzliche Regelungen auch für die Wirtschaft akzeptieren. Die entscheidende Frage ist dann nicht mehr: Staat oder Markt, sondern: wieviel Staat und wieviel Markt. Ab einer (un-) gewissen Intensität staatlicher Eingriffe wird die Wirkung nämlich nicht mehr komplementär sein, sondern konkurrierend. Die Marktwirtschaft erstickt am Interventionismus. Beim Staat ist es eben schwer zu verwirklichen, daß Verantwortlichkeit, Interesse, Betroffensein und Entscheidungskompetenz übereinstimmen. 36 Zusammenfassen könnte man diese Überlegungen in der von Wirtschaftsminister Karl Schiller geprägten Fonnel: "Wettbewerb soweit wie 35) Höffe, 1980g, S. 64 36) Vgl. Hesse, 1988, S. 61

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möglich, Planung soweit wie nötig. "37 Natürlich kann man sehr unterschiedlicher Meinung darüber sein, wieviel Wettbewerb möglich und wieviel Planung nötig ist. Dieses Thema kann und soll hier nicht ausführlich diskutiert werden. Wer an die Effizienz- und Freiheitsvorteile des Marktsystems glaubt und diese Vorteile erhalten möchte, kann jedenfalls nicht bei jedem Problem sofort nach dem Staat rufen, was sogar einige Unternehmer erstaunlicherweise tun. 38 Man könnte sogar den Verdacht hegen, daß solche Unternehmer geradezu darauf hoffen, die Gesetze würden auf ihrem langen Weg durch die Instanzen verzögert, verwässert oder ganz aufgegeben. Zugleich können sie sich moralisch entlastet fühlen, weil sie ja legal handeln wollen. 39 Eine solche Haltung könnte aber auf die Wirtschaft zurückfallen. Grundsätzlich ist eine bürokratisch-zentralistische Aushöhlung der Grundlagen einer freiheitlich-dezentral organisierten Gesellschaft zu befürchten. Weiterhin sind Gesetze, die vielleicht rasch unter politischem Druck durchgebracht wurden, oft aus eingeschränkter Kompetenz nicht sachgerecht. 40 Gesetze haben außerdem den Nachteil der mangelnden Flexibilität im Einzelfall, weil sie ja bewußt für längere Zeit und eine Vielzahl von Fällen konstruiert werden müssen. Schließlich lähmen sie u. U. die Eigeninitiative der Unternehmer. Die Mehrzahl der Unternehmer spricht sich daher auch gegen mehr staatliche Eingriffe aus. 41 Wenn aber der Koordinationsmechanismus "Markt" Mängel hat, ebenso wie die zentrale Steuerung durch den Staat, dann muß man nach einem ergänzenden dritten Mittel Ausschau halten, daß den vom Markt zugelassenen Handlungsspielraum i.S. des Gemeinwohls reguliert, ohne ihn damit gleich abzuschaffen. Dieses dritte Mittel ist die Individualverantwortung. Während der Staat die sog. Makrorelationen steuert und Regeln schafft und überwacht, die über längere Zeit mit großer Allgemeinverbindlichkeit Geltung beanspruchen können, sollte die Feinsteuerung dem Markt und der Individualverantwortung überlassen werden.

37) Blum, 1988, S. 161 38) Vgl. Schmitz-Dräger, 1984, S. 16 39) Vgl. Steinmann / Oppenrieder, 1985, S. 177 40) Vgl. Plesser, 1975, S. 123; Hampicke, 1987, S. 89 f. 41) Vgl. Kessel/Tischler, 1984, S. 141; Brunowsky / Kleinert, 1988, S. 74; Krauer, 1988, S. 8; P1esser, 1975 6 Gäbel

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3. Individualethik Individualverantwortung als Korrektiv und Ergänzung zum Marktmechanismus ist genausowenig neu wie staatliche Regeln. Um wieder auf Adam Smith zurückzugreifen: Schon er hielt Mitgefühl und Wohlwollen für notwendige und auch vorhandene regulierende Kräfte. Zudem erkennt der Mensch LS. eines aufgeklärten Selbstinteresses, daß enger Egoismus das eigene Glück eher verhindert als sicherstellt. 42 Das Bild vom Menschen, der jederzeit bedenkenlos nur seinen persönlichen Nutzen maximiert, ist ebenso ins Reich der Fabel zu verweisen, wie das Bild vom Altruisten, der sich in schenkender Nächstenliebe aufzehrt. Daß Menschen unter HintansteIlung des eigenen kurzfristigen Vorteils fair, pflichtgemäß, verantwortlich für andere, sittlich richtig handeln, ist eine Alltagsbeobachtung und auch in Experimenten nachgewiesen. 43 Dieses Handeln wird z.T. in Richtung des aufgeklärten Selbstinteresses erklärt, d.h. man nimmt an, daß auch solches Handeln letzten Endes einen Nutzen für das Individuum bringen soll. Damit läßt sich aber nicht ohne weiteres erklären, warum Menschen auch bei völliger Gefahrlosigkeit nicht stehlen oder warum sie anonym für wohltätige Zwecke spenden. 44 Es ist anzunehmen, daß der Mensch in der Lage ist, bis zu einem gewissen Grad von sich selbst abzusehen und über die sittliche Richtigkeit seines Tuns zu reflektieren. So kann er beispielsweise zu dem Schluß kommen, daß Personen bestimmte unveräußerliche Rechte haben und daß man daher - um es mit Kants kategorischen Imperativ auszudrücken - einen Menschen niemals nur als Mittel gebrauchen darf. 45 Nur eine sehr weite Auslegung des Selbstinteresses, etwa LS. einer vollen Entfaltung der Humanität46 , würde auch solche Handlungsmotive noch umfassen. Ob eine solche Auslegung im Sinne einer möglichst eindeutigen Verständigung sinnvoll ist, darf allerdings bezweifelt werden.

42) 43) 44) 45) 46)

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Höffe, 198Od, S. 215 f. Hampicke, 1987, S. 88 Windisch, 1985, S. 203 f. Windisch, 1985, S. 204 Höffe, 1980d, S. 216

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Halten wir fest, daß die Menschen im allgemeinen eine Eigenverantwortung akzeptieren, die ein richtiges Handeln gegenüber den Mitmenschen erfordert. Als Motive kommen nicht nur reine Klugheitserwägungen in Frage, sondern auch die Anerkennung unbedingter sittlicher Pflichten. 47 Der Wille zu einer Eigenverantwortung, die über das legale Verhalten hinausgeht, wird von einigen Unternehmen in den Grundsätzen und persönlichen Statements von Führungskräften ausdrücklich bejaht. 48 "Aber das Gesetz ist nur eine Mindestforderung. Darüber hinaus müssen wir uns auch moralisch einwandfrei verhalten. "49 Die schon erwähnte lebhafte Nachfrage nach Ethikseminaren, Ethiktagungen und -kolloquien stützt die These vom Willen zur Eigenverantwortung. Auch aus der Wirtschaftstheorie kommt Unterstützung für den Gedanken, persönliche Moral sei eine notwendige (und i.a. vorhandene) Grundlage für das Funktionieren der Wirtschaft. Müller-Armack betont die Bedeutung von "Stil" und "Gesinnung" in der sozialen Marktwirtschaft. 50 Röpke macht die moralische Verantwortung zum entscheidenden Überlebensfaktor der Marktwirtschaft: "Selbstdisziplin, Gerechtigkeitssinn, Ehrlichkeit, Fairneß, Ritterlichkeit, Maßhalten, Gemeinsinn, Achtung vor der Menschenwürde des anderen, feste sittliche Normen - das alles sind Dinge, die die Menschen bereits mitbringen müssen, wenn sie auf den Markt gehen und sich im Wettbewerb miteinander messen." "Sie sind die unentbehrlichen Stützen, die beide vor Entartung bewahren. So ergibt sich, daß auch die nüchterne Welt des reinen Geschäftslebens aus sittlichen Reserven schöpft, mit denen sie steht und fällt ... " .51 Welche Pflichten das Individuum gegenüber sich selbst und den Mitmenschen hat, wie die Individualverantwortung genau aussieht, mit diesen

47) Vgl. Forschner, 1980, S. 189 ff. 48) Vgl. Krauer, 1988, S. 8; Plesser, 1975, S. 124; Goeudevert, 1988; Gabele / Kretschmer, 1985, S. 278; Laczniak und Murphy, 1985a, S. 112, 135 49) Gabele / Kretschmer, 1985, S. 278 50) Vgl. Müller-Armack, 1974d, S. 148 ff., 1969, S. 133; 1974b, S. 119 f. 51) Röpke, 1961, S. 185, 186

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Fragen beschäftigt sich die Individualethik .52 Ihr Pendant ist die Sozialethik, die nach den richtigen Strukturen und Grundordnungen des menschlichen Zusammenlebens fragt. 53 Als "gesellschaftsstrukturelle Ethik"54 beschäftigt sie sich z.B. mit den Problemen sinnvoller und sittlich angemessener Ordnung für Wirtschaft und Recht. Die Bedeutung der Marktwirtschaft und der Gesetze für die soziale Verantwortung waren in diesem Sinne sozialethische Themen. Nun wird die gesamte Wirtschaftsethik manchmal zum Bereich der Sozialethik gerechnet55 , was dem Irrtum Vorschub leisten könnte, innerhalb gerechter Wirtschaftsstrukturen sei persönliche Verantwortung überflüssig. Rich betont daher nachdrücklich, daß sozialethisch richtige Strukturen nur dann wirkungsvoll sein können, wenn die Individuen diesen Rahmen individualethisch ausfüllen. 56 Auch gute Gesetze können z.B. nur dann wirksam werden, wenn sie befolgt werden. Insofern ist die Individualethik auch in der Wirtschaft zweifellos erforderlich, ja von manchen wir die Individualethik sogar als die einzige oder zumindest die wichtigste Komponente sozialer Verantwortung gesehen. "Ein verantwortliches Handeln kann nur von Individuen ... erwartet werden" .57 Wie aber könnte eine "individuelle Wirtschaftsethik" aussehen? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir uns zunächst noch einmal mit der Ethik an sich auseinandersetzen. Häufig unterscheidet man idealtypisch zwei Arten der Begründung von Normen. Die deontologische Ethik geht von Maximen aus, die in sich gut sind und daher unbedingt sittlich geboten sind. Die reinste Form solcher deontologischen Normen sind göttliche Gebote. Aber auch Maximen, die dem Anspruch des 52) Rich (1987, S. 58 ff.) versteht dagegen Individualethik als "den verantwortlichen Umgang des 'Ich' mit seinem 'Selbst' '. Weiter unterscheidet er Personalethik, worunter er die interpersonelle Humanität versteht, Umweltethik, d.h. die Verantwortung der Menschen für die Sache der Natur und schließlich die Sozialethik als Verantwortung für das Wie der strukturellen Ordnung der Institutionen des gesellschaftlichen Zusammenlebens. 53) Vgl. Höffe, 1980e, S.227 f.; Pieper, 1985, S. 58 f., akzentuiert wiederum etwas anders. Ihr Begriff der Sozialethik kommt dem nahe, was bei Rich als Personal ethik bezeichnet wird, nämlich die Rechte und Pflichten des einzelnen gegenüber seinen Mitmenschen. 54) Vgl. Rich, 1987, S. 65 55) Vgl. Rich, 1987, S. 67; Pieper,I985, S. 59 56) Vgl. Rich, 1987, S.65 f. 57) Utz,1978, S.l04; ähnlich auch Cadbury, 1987, S.70; Wolf,I986

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kategorischen Imperativs entsprechen, können als "unbedingt richtig" angesehen werden. Nach Kants berühmtem Beispiel darf man nie lügen, auch wenn man dadurch einen Menschen retten könnte. 58 Die teleologische Ethik argumentiert dagegen von den Folgen her, d.h. man muß jeweils so handeln, daß die Folgen gut sind. Richtige Handlungen können also je nach Situation anders aussehen; unter Umständen ist es z.B. richtiger, zu lügen. Natürlich hat diese Unterscheidung ihre Tücken, denn auch wer die Folgen seines Handelns beurteilen will, braucht letzten Endes ein verbindliches Prinzip als Maßstab. Und anders herum wird man als unbedingt verbindliche Normen nur solche akzeptieren, die wenigstens im Normalfall gute Folgen haben. Die umfangreiche Diskussion dieses diffizilen Themas kann hier nicht aufgegriffen werden. Im Bewußtsein des Idealtypischen der Unterscheidung wollen wir uns zunächst mit einer eher deontologischen individuellen Wirtschaftsethik beschäftigen. Sie versucht, Pflichtenkataloge, Sammlungen konkreter Normen aufzustellen,die den Manager bei seiner Arbeit leiten sollen. So geht W. Schmidt in seiner "Führungsethik"S9 von den Kardinaltugenden der Klugheit, der Gerechtigkeit, der Tapferkeit und der Mäßigung aus und entwickelt daraus konkrete Anleitungen wie: Kritik soll immer sachlich sein und darf nie persönlich verletzen, Arbeit soll human sein und gerecht bewertet werden, maßloses Machtstreben und Geltungssucht müssen vermieden werden. Ähnlich gelagert sind die "Mußbedingungen beim Führen" von Hey und Schröter. 60 Am Ende ihres Aufsatzes präsentieren sie 11 Fragen zur Selbstkontrolle, die fast an einen Beichtspiegel erinnern. (Beispiele: Zeige ich privates Interesse für die Mitarbeiter? Bin ich ein gutes Vorbild? Fördere ich die Eigeninitiative?). Auch Laczniak61 ist wohl in diese Kategorie einzuordnen, wenn er die von Ross entwickelten sechs prima facie duties auf das Marketing anwendet. Aus der Pflicht zur Aufrichtigkeit läßt sich z.B. ableiten, daß alle Produktversprechen wirklich eingelöst werden müssen. Die Pflicht zur Gerechtigkeit verbietet die Diskriminierung einzelner Kundengruppen. Als letztes Beispiel seien die Regeln von Goodpaster6 2 genannt, die die General Manager beachten sollen, 58) Vgl. Kant, 1970, S. 635 ff., insbesondere S. 639 59) Vgl. Schmidt, 1986 60) Vgl. Hey und Schröter, 1985 61) Vgl. Laczniak, 1985, S. 14 ff., vgl. dazu auch Ross, 1930 62) Vgl. Goodpaster, 1984

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C. Das Verhältnis von Wirtschaft und Ethik

beispielsweise "lüge und betrüge nicht", "hilf denen in Not", "sei gerecht" . An Goodpaster anknüpfend kann aber sogleich eine Kritik an solchen Katalogen angebracht werden. Wie er selbst ausführt, können einzelne Regeln miteinander in Widerspruch geraten oder sie sind im Einzelfall schwer interpretierbar. Wie soll ich z.B. die Regel "vermeide es, anderen zu schaden" auslegen, wenn ich gerade vor dem Dilemma stehe, ob ich eine Fabrik im Interesse der Aktionäre schließen oder im Interesse der Arbeitnehmer weiterführen soll? Es ergeben sich hier ähnliche Probleme wie bei der Gesetzgebung; sehr allgemeine Regeln lösen die Einzelprobleme nicht eindeutig, eine umfassende, detaillierte Regelsammlung für jeden Einzelfall ist nicht praktikabel, weil in unserer differenzierten Wirtschaft tausende von spezifischen Konstellationen vorkommen können. So angenehm es wäre, eindeutige und griffige, möglichst noch operationale Normen zu haben, man muß sich wohl damit abfinden, daß einem das "critical thinking"63, das Durchdenken der Folgen, nicht erspart bleibt.

Damit werden wir auf die teleologische Ethik zurückverwiesen, die ja auch mit der von uns vertretenen Verantwortungsethik besser harmoniert. Der Vorteil größerer Flexibilität, d.h. bessere Anpassung an den speziellen Einzelfall, muß erkauft werden mit dem Problem der Uneindeutigkeit. Wird dem Manager als Handlungsprinzip vorgegeben: Handle so, daß die Folgen für alle von deiner Handlung Betroffenen möglichst gut sind, dann kann man sich leicht ausmalen, daß eine solche Regel den Manager häufig ratlos macht. Hilfestellung gibt hier eine Managerethik, die auf die Schärfung der praktischen Urteilskraft abzielt, also wenn man so will, Gewissensbildung betreibt. 64 Dieses Vorgehen ist z.B. in amerikanischen Veröffentlichungen zum Thema "business ethics" verbreitet. Anband von case studies oder konstruierten Szenarien werden Fälle untersucht, die ethische Probleme aufwerfen: Soll eine Werbeagentur eine Kampagne zur Unterstützung eines südamerikanischen Militärdiktators durchführen oder den finanziellen Ruin hinnehmen? Darf eine Supermarktkette in ärmeren Bezirken qualitativ schlechtere Produkte verkaufen, weil dort auch die Kosten z. B. aufgrund von Vandalismus, 63) Vgl. Goodpaster. 1984

64) Vgl. Oppenrieder. 1986. S. 4

IV. Mittel zur Durchsetzung einer sozialen Verantwortung der Unternehmung

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höher sind?65 Die Lösungen sind nicht vorgegeben, sondern sollen durch kritische Diskussionen selbst herausgefunden werden. 66 Nun ist der persönliche Wille zur Verantwortung ohne Zweifel die unentbehrliche Basis für richtige Handlungen. Wenn jemand fest entschlossen ist, bei jeder sich bietenden Gelegenheit Gesetz und Moral über Bord zu werfen, um sich persönliche Vorteile auf Kosten anderer zu verschaffen, wird man das trotz Polizei und Justiz nie ganz verhindern können. Das gilt umso mehr in der Grauzone zwischen illegalem und "nur" unmoralischem Verhalten. Speziell den Unternehmern trotz ihrer gegenteiligen Beteuerungen aber einen solchen guten Willen abzusprechen, hieße einen ganzen Berufsstand diskriminieren. Man darf wohl schon davon ausgehen, daß der Wille zum richtigen Handeln vorhanden ist. Die Frage ist nur, ob die Gewissensbildung und moralische Sensibilisierung schon ausreicht, um die praktische Umsetzung des Grundsatzes der sozialen Verantwortung im Unternehmen zu garantieren. Hier sei an die Aussage von Rich 67 erinnert, die die Interdependenz von Sozialethik und Individualethik, von Gewissen und Rahmenbedingungen, herausstellt. Es hieße den guten Willen außerordentlich stark zu belasten, wenn er ständig gegen die Sachzwänge vorgegebener Ordnungen ankämpfen müßte. Heroische Selbstverleugnung ist bei Managern ebensowenig an der Tagesordnung wie bei allen anderen Menschen. Wenn sich soziale Verantwortung im untemehmerischen Alltag wirklich durchsetzen soll, dann brauchen die Manager Unterstützung durch Prozesse, Systeme und Strukturen. Was man aufgeben muß ist die "Zwei-Welten-Theorie", in der die Ökonomie rein sachgerecht und die Ethik rein menschengerecht ist, so daß der Manager sich ständig im Dilemma befindet, ob er nun ökonomisch oder menschlich richtig handeln soll.68 Zu suchen ist dagegen nach der Möglichkeit einer systematischen Verbindung des Sachgerechten mit dem Menschengerechten, die Ulrich 65) Vgl. Lacznillk, 1985, S. 10 f.; Dubinsky, 1985, S. 41; Lacznillk / Murphy, 1985a, S. 137 ff.; Hofer u.a. 1980, S. 362ff. u.a. Case study-Bücher 66)Die Idee, daß man zukünftige Manager zur Ethik erziehen sollte, steckt ebenfalls hinter den meisten Kursen in business ethics, die mittlerweile 92 % der anerkannten amerikanischen Business-Schools anbieten. Die Ausbildung des wirtschaftswissenschaftlichen Nachwuchses in ethischen Fragen wird auch in Deutschland für sinnvoll und notwendig gehalten. Die Arbeitsgruppe Wirtschaftswissensehaft und Ethik des Vereins für Socialpolitik schlägt den Bundesländern dringend die Einrichtung von Lehrstühlen für Wirtschaftsethik vor (Vgl. Koblitz, 1987, S. 380; ähnlich Hesse, 1988, S. 6) 67) Vgl. Rich, 1987, S. 65 f. 68) Vgl. Ulrich, 1987b, S. 122 ff.

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c.

Das Verhältnis von Wirtschaft und Ethik

als "ökonomische Vernunft" bezeichnet. 69 Unter dem Begriff der "Unternehmensethik" sollen nun im folgenden Vorschläge gemacht werden, wie die Idee der sozialen Verantwortung in die Unternehmenspraxis umgesetzt werden könnte, damit ökonomische Vernunft möglich wird.

4. Unternehmensethik Da die Idee der gesellschaftlich verantwortlichen Unternehmensführung mit der im vorherigen Abschnitt beschriebenen Managerethik häufig identifiziert wird70 , müssen zu Beginn einige begriffliche Abgrenzungen durchgeführt werden. Zugrundegelegt wird eine Dreiteilung der Handlungsebenen, wie sie z.B. Thommen71 und Enderle72 vertreten. Auf der Makroebene geht es um die Gestaltung des Wirtschaftssystems, um die Frage nach den richtigen gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Die ethische Relevanz der reinen oder der sozialen Marktwirtschaft sind z. B. Fragen der Wirtschaftsethik auf dieser Ebene. Auf der Mikroebene sind die Handlungen der Individuen Beobachtungsgegenstand (Managerethik) . Auf der dazwischen liegenden Mesoebene rücken nun die Unternehmen in den Mittelpunkt des Interesses. Enderle und Thommen sehen diese Mesoebene eher in der Nähe der Mikroebene, Unternehmen sind für sie "moralischer Akteur" 73 , "moralische Person"74 ähnlich wie Individuen. Wir möchten dagegen die Nähe zur Makroebene betonen und unter dem Begriff der Unternehmensethik (corporate ethics) die institutionelle Umsetzung der Idee der sozialen Verantwortung im Unternehmen behandeln. Der Begriff Unternehmensethik grenzt dabei für uns ein bestimmtes Problemgebiet ab. Es geht um die Verantwortung im Kontext der Unternehmung, um die in diesem Sinne relevanten Folgen unternehmerischen HandeIns und um Ansatzpunkte für die Implementierung verantwortlichen 69) Vgl. Ulrich, 1986 70) Vgl. Steinmann I Löhr, 1988a, S. 300 71) Vgl. Thommen, 1988, S. 44 f. 72) Vgl. Enderle, 1988, S. 55 ff. 73) Enderle, 1988, S. 56 74) Thommen, 1988, S. 44

IV. Mittel zur Durchsetzung einer sozialen Verantwortung der Unternehmung

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Handelns im Unternehmen und nicht darum, dem Unternehmen als solchem moralische Kompetenzen zuzusprechen, wie es Thommen und Enderle vorschlagen. Der gelegentlich gegen Begriffe wie "soziale Verantwortung der Unternehmen" oder "Unternehmensethik" erhobene Vorwurf, eine Unternehmung könne nicht moralisch handeln, das sei Individuen vorbehalten75 , wird damit entkräftet. Verantwortungslos oder verantwortungsvoll handeln auch u. E. letzten Endes immer die Menschen in den Unternehmen. Daraus nun aber zu schließen, eine spezielle Unternehmensethik sei überflüssig, wie es Wolf in seiner Kritik an Steinmann und Oppenrieder andeutet76 , ist nicht zwingend, denn Handeln im Kontext der Unternehmung bringt ganz andere Probleme mit sich als ein Handeln bspw. im Kontext einer Zweierbeziehung. Handeln im Unternehmen hat in der Regel tiefgreifendere, weitreichendere, mehr Menschen betreffende Folgen, es ist mit größerer Unsicherheit über die Folgen behaftet, es ist viel stärker mit anderen Handlungen - auf anderen hierarchischen Ebenen, zeitlich vor- oder nachgelagert, in vor- oder nachgelagerten Produktionsstufen, in anderen Unternehmensbereichen usw. verflochten, es ist in vorgegebene Strukturen eingebettet, wird von zahlreichen (vermeintlichen oder tatsächlichen) Sachzwängen geformt. Es ist demnach auch sinnvoll, sich speziell darüber Gedanken zu machen, was sozial verantwortliches Handeln im Unternehmen bedeuten könnte. Davon abgesehen ist vollauf der Meinung zuzustimmen, daß Unternehmen "als Unternehmen" eine eigene Realität haben, daß sie ein Ganzes bilden, das mehr ist als eine Menge von Individuen. Es wird ja in der Betriebswirtschaftslehre häufig von der Unternehmung wie von einer Person gesprochen: das Unternehmen setzt sich Ziele, ergreift Strategien, erobert neue Märkte usw. Darin kommt zum Ausdruck, daß es im Unternehmen Strukturen gibt, formale Regeln, vorgeschriebene Techniken, genau festgelegte Aufgaben, Systeme, Prozesse, eine Art "Maschinerie", die quasi automatisch, losgelöst von den Menschen Entscheidungen "produziert". Der einzelne kann sich durchaus als Rädchen im Getriebe fühlen und sich moralisch entlasten, indem er die Verantwortung von sich auf "die Unternehmung" abwälzt. Grundsätzlich muß man aber doch sehen, daß die vorhandene Unternehmenswirklichkeit auch Ausfluß menschlicher Entscheidungen ist, daß sie geformt und verändert werden kann und auch 75) Vgl. Utz, 1978, S. 104, Goodpaster / Matthews, o. J., S. 9 f. 76) Vgl. Wolf, 1986, S. 656

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c. Das Verhältnis von Wirtschaft und Ethik

dies verantwortlich geschehen muß, so daß der institutionelle Rahmen individualethisches Handeln zuallererst erlaubt77 . Im Sinne solcher institutioneller Vorkehrungen, wie sie im weiteren Verlauf der Arbeit noch besprochen werden (bspw. einer systematischen Stakeholderanalyse), könnte man dann auch vom "Gewissen der Unternehmung" sprechen78. "Die Unternehmung" wird von Menschen konstituiert und geprägt, was verantwortungsvoll geschehen sollte, weil die so entstandene Wirklichkeit selbst wieder Menschen in ihren Handlungen prägt und leitet und sie verantwortlich oder unverantwortlich handeln läßt. Daß Wirtschaft zum größtmöglichen Gemeinwohl führt, d.h. die besten Folgen für alle Betroffenen hat, ist nur dann zu erwarten, wenn es auf allen vier Ebenen stimmt, wenn eine freie Marktwirtschaft, ergänzt, ermöglicht und reguliert durch sinnvolle Gesetze den Rahmen bildet, innerhalb dessen Manager und Unternehmer auch persönlich verantwortlich handeln wollen, was von entsprechenden Prozessen, Strukturen und Systemen im Unternehmen ermöglicht wird. Analytisch kann man diesen Zusammenhang in einer Gleichung erfassen: Gemeinwohl = f (Markt, Gesetze, Individualethik, Unternehmensethik) Solange man nicht annimmt, daß eine der unabhängigen Variablen perfekt funktioniert (z.B. vollkommener Markt oder allgemeiner Altruismus), so lange wird ein ausgewogenes Zusammenspiel aller Kräfte die besten Ergebnisse bringen. Die Unternehmensethik stellt das bisher vernachlässigte Bindeglied dar zwischen den ganz großen Organisationseinheiten (Markt, Staat) und dem Individuum. Den Manager aufzufordern, er solle "etwas für die Gesellschaft tun", ist so unbestimmt und abstrakt, daß er sich kaum angesprochen fühlen wird. Daß es in Kleingruppen, wie der Familie, dem Freundeskreis, viel selbstverständlicher ist, sich füreinander verantwortlich zu fühlen, liegt auch daran, daß man sehr viel mehr übereinander weiß. Man redet miteinander, fragt, wünscht, fordert und antwortet. 79 Auch fallen Interesse, Betroffensein und die Macht, etwas zu ändern, leichter in eins als bei Großgruppen. Jonas betont, Verantwortung 77) Vgl. dazu auch Oppenrieder, 1986, S. 4 78) Vgl. Goodpaster I Matthews, o.J.; sie sprechen ganz ausdrücklich davon, ein Unternehmen könne und solle ein Gewissen haben (S. 10), wobei sie wohl auch auf die institutionellen Regelungen reflektieren. 79) Vgl. Schulz, 1972, S. 791 ff.

IV. Mittel zur Durchsetzung einer sozialen Verantwortung der Unternehmung

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sei eine Funktion von Wissen und Macht. 80 Der einzelne Manager kann also nur dann seine Verantwortung richtig wahrnehmen, wenn er weiß, welche Folgen sein Handeln für alle Betroffenen hat und wenn er die Macht hat, im Unternehmen Änderungen herbeizuführen. Er ist in eine Organisation eingebunden, die handlungsleitende Wirkungen hat. 81 Daß er sieht, welche Verantwortung er innerhalb der Unternehmung wahrnehmen könnte und daß er diese Verantwortung auch wahrnehmen darf und kann, das ist Aufgabe einer Unternehmensethik. Die Regelungen auf der Makroebene fallen eher in die Zuständigkeit der Volkswirte bzw. Juristen, die Entwicklung von Prinzipien und Maximen für die Individualethik eher in die Kompetenz der philosophischen oder theologischen Ethik - abgesehen von allen bestehenden Interdependenzen. Welche Prozesse, Systeme und Strukturen auf der Ebene der Unternehmung besonders geeignet sein dürften, das Ziel einer sozial verantwortlichen Unternehmensführung (optimal) zu erreichen, dies nun ist eine Frage, die dem Erkenntnisgegenstand der Betriebswirtschaftslehre82 adäquat erscheint und die folglich im Mittelpunkt der Arbeit steht. Als Gerüst für die Generierung einer "Unternehmensethik" dient das Konzept des strategischen Management, dessen besondere Eignung für diesen Zweck im Teil D gezeigt werden soll. Die in eben diesem Teil unterschiedenen 4 Phasen im Managementprozeß (Zielbildung , strategische Analyse, Strategieformulierung und Implementierung) bilden in der Folge die Hauptgliederungspunkte (Teile E,F,G und H), wobei jeweils untersucht wird, wie sich speziell das Ziel einer sozial verantwortlichen Unternehmensführung in den einzelnen Phasen niederschlagen könnte.

80) Vgl. Jonas, 1979, S. 222 81) Vgl. Oppenrieder, 1986, S. 7 82) Vgl. Schweitzer, 1988, S. 29 ff., insbesondere S. 36 f.

D. Strategisches Management und soziale Verantwortung I. Kennzeichnung des strategischen Management I. Entwicklung des strategischen Management Der Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen ist die Frage, wie in der Unternehmung durch entsprechende Prozesse, Systeme und Strukturen Verantwortungsbewußtsein ennöglicht und unterstützt werden kann. Nun haben sich neue Konzepte der Unternehmensführung immer schon dann herausgebildet, wenn Umweltänderungen neue Aufgaben an die Unternehmung stellten. Es muß eine neue Basis gefunden werden, auf der die Beziehungen zwischen Unternehmung und Umwelt wieder besser geregelt werden können. Ansoffl stellt die Entwicklungsstufen beispielhaft dar: Die industrielle Revolution legte mit ihren Basiserfindungen im Bereich der Produktionstechnik den Grundstein für die "mass production era" . Es wurden möglichst große Mengen von standardisierten Einheitsgütern produziert; der Preis stand als Wettbewerbsfaktor im Vordergrund, die Produktionseffizienz war das wichtigste Ziel im Unternehmen. Da die Konsumenten von den Unternehmen nur erwarteten, möglichst billig mit Konsumgütern versorgt zu werden und auf diesem Gebiet enonne Fortschritte erzielt wurden, konnte ein Präsident von General Motors in dieser Zeit zu Recht behaupten: "What is good for General Motors is good for the country".2 Meffert3 sieht diese Phase der Produktionsorientierung in den 50er Jahre zu Ende gehen. Wachsendes Güterangebot bei wachsendem frei verfügbaren Einkommen führten zur ersten großen Umorientierung der Wirtschaft. Die Kunden kaufen nicht mehr nur nach dem Preis, sondern auch nach I) Vgl. Ansoff, 1979b, S. 33 ff. 2) Vgl. Ansoff, 1979b, S. 32 3) Vgl. Meffert, 1980b, S. 60

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D. Strategisches Management und soziale Verantwortung

Design, Image, Zusatznutzen. Das ist der Beginn der "mass marketing era", die nach Meffert4 nochmals in zwei Phasen zu unterteilen ist, die Phase der Verkaufsorientierung und die der Kundenorientierung. Letztere Phase wird gewöhnlich mit dem Begriff des Marketing verbunden. 5 Der entscheidende Wandel liegt in der Orientierung der Unternehmung "nach außen", d. h. der Ausgangspunkt aller unternehmenspolitischen Erwägungen wird der Markt. Obwohl der Markt im engeren Sinne, d.h. der Käufer, lange Zeit die Hauptrolle spielt, wird in der Theorie der Blickwinkel erweitert: Die Auseinandersetzung mit der Umwelt wird zum entscheidenden Erfolgskriterium, wobei dieser Prozeß durch die zunehmende Komplexität und Dynamik der Umwelt erschwert wird. Zunehmende Komplexität bedeutet, daß es immer mehr verschiedenartige Gruppen sind, die zur Umwelt der Unternehmung gezählt werden müssen. Während in der einfachsten denkbaren Umwelt nur die Lieferanten und Kunden eine Rolle spielen (production view of the firm)6, kommen in größeren Unternehmen noch die Aktionäre und Mitarbeiter dazu (managerial view of the firm) 7 . Mindestens der Staat und die Konkurrenten sind weitere Umweltelemente, die allgemein als relevant angesehen werden. 8 Zunehmende Dynamik bedeutet, daß die Umwelt sich häufiger und schneller ändert. Sind diese Änderungen zudem noch gänzlich neuartig und daher schwer vorhersehbar, hat man es mit einer turbulenten Umwelt zu tun. 9 Die Umweltbedingungen liefern entscheidende Anstöße für die Entwicklung entsprechender Managementsysteme. Kann man die Umwelt als gegeben und bekannt voraussetzen und geht man weiterhin davon aus, daß sie sich nicht ändert oder zumindest nur entsprechend dem Vergangenheitstrend weiterentwickelt, dann genügt eine Langfristplanung. 10 Die strategische Planung geht dagegen von der Voraussetzung aus, daß die Umwelt der Unternehmung sich grundlegender ändern kann und daß sich dadurch Chancen und Bedrohungen ergeben, auf die die Unternehmung 4) VgJ. Meffert, 1980b, S. 60 5) So auch Meffert, 1980a, S. 34 6) VgJ. Freeman, 1984, S. 5 7) VgJ. Freeman, 1984, S. 6 8) VgJ. Freeman,I984, S. 13 ff.; Uirich,I978, S. 67; Bircher, 1976a, S. 42 f. 9) VgJ. Ansoff, 1979a, S. 10 ff. 10) VgJ. Ansoff, 1984, S. 15

I. Kennzeichnung des strategischen Management

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gezielt reagieren muß. Außerdem rückt das aktive Moment mehr in den Vordergrund, d.h. die Unternehmung stellt selbst langfristig die Weichen und entscheidet, ob sie in neue Märkte einsteigen soll, andere Märkte aufgeben soll, das Wachstum in einzelnen Bereichen forcieren soll usw. l1 Strategische Planung setzt einen relativ großen Entscheidungs- und Aktionsspielraum der Unternehmung voraus, d.h. sie analysiert ihre Umwelt zwar sorgfältig, ist ihr aber dann nicht ausgeliefert, sondern kann sie - in gewissen Grenzen - aktiv beeinflussen, wählen oder fallen lassen. 12 Diese Freiheitsgrade bestehen insbesondere bei der Corporate Strategy, der Strategie auf Unternehmensebene. 13 Neuartige und schnelle Änderungen im Umfeld erfordern zudem entsprechende Managementsysteme, die als "Strategie Issue Management", "Week Signal Issue Management" und "Surprise Management" bezeichnet werden. 14 Alle drei Ansätze gehen von dem Problem aus, wie man Änderungen in der Umwelt möglichst früh erkennen und wie die Unternehmung schnell und flexibel darauf reagieren kann. Unter dem Begriff der Frühwarnung bzw. Früherkennung haben diese Ideen weite Verbreitung gefunden. Der Anstoß zur Entwicklung des strategischen Management kam allerdings nicht aus der Umwelt, sondern aus den Unternehmen selbst, die nach einer anfänglichen Euphorie schnell ernüchtert waren wegen der mangelnden Umsetzbarkeit der strategischen Planung in die Praxis. Man hatte die Trägheitsmomente und Widerstände im Unternehmen bei weitem unterschätzt, die neuen Weichenstellungen im Wege standen. Eine kulturelle Transformation muß die strategische Neuorientierung unterstützen, d.h. das Motivations- und Anreizsystem, die Organisationsstruktur, die Fähigkeiten, die Ressourcen, die persönlichen Werte, der Führungsstil und anderes mehr müssen geändert werden, wenn die Strategie erfolgreich implementiert werden sol1. 15 Dieser Gedanke war auch nicht ganz neu, denn schon 1962 hatte Chandler seine berühmte These aufgestellt " ... that structure follows strategy ... " 16, daß also eine Strategieänderung eine Strukturanpassung nach sich ziehen sollte. Ein 11) Vgl. Klausmann, 1983a, S. 223 ff.; Sehendei! Hofer, 1979, S. 8 ff.; Ansoff, 1979a, S. 15 ff. 12) Vgl. Schreyögg, 1984, S. 7 13) Vgl. Hofer! Schendel,I978, S. 27, 69 ff., 181 ff. 14) Vgl. Ansoff, 1984, S. 20 ff.; Ansoff, 1980; Ansoff, 1976 15) Vgl. Ansoff! Declerck! Hayes, 1976, S. 39 ff., besonders S. 45 ff. 16) Chandler, 1962, S. 14

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D. Strategisches Management und soziale Verantwortung

neuer Gedanke aber war die umfassende Integration aller relevanten Dimensionen, der "Fit" zwischen allen Prozessen, Strukturen und Systemen, die ganzheitliche Ausrichtung der Unternehmung an eine bestimmte Denkhaltung, dem "entrepreneurial mode"17. Es liegt nahe, Ansoff bei seiner Darstellung der Entwicklungsgeschichte des strategischen Management eine allzugroße Vereinfachung vorzuwerfen. 18 Es gibt weder so sauber unterscheidbare Stufen der Umweltentwicklung noch der Theorieentwicklung. Der Grundgedanke aber ist einleuchtend und wird weitgehend akzeptiert, nämlich daß die Unternehmung auf ihre Umwelt angewiesen ist und nur dann florieren kann, wenn sie ihre Beziehungen zur Umwelt zur beidseitigen Befriedigung lösen kann. Wird diese gemeinsame Basis von seiten der Umwelt in Frage gestellt, muß die Unternehmung, die im Markt bleiben will, nach einem neuen Gleichgewicht suchen, und zwar sowohl in ihren externen Relationen als auch - in der Folge - im internen System. Das Konzept des strategischen Management hat sich aus der Auseinandersetzung mit diesem Grundgedanken entwickelt und da genau dies auch unser Problem ist - die Gesellschaft möchte die Aufgaben der Wirtschaft neu definieren - scheint das Konzept geeignet, zur Lösung des Problems beizutragen. Wir wollen uns daher im folgenden näher mit dem strategischen Management beschäftigen.

2. Merkmale des strategischen Management "Strategic Management is a systematic approach to a major and increasingly important responsibility of general management: to position and relate the firm to its environment in a way which will assure its continued success and make it secure from surprises" definiert Ansoffl9 . Die Spannung zwischen aktiver Gestaltung einerseits und Anpassungs-

17) Vgl. Galbraith / Nathanson, 1978, S. 90 ff.; Ansoff, Declerck / Hayes, 1976; Schendei /. Hofer, 1979, S. 11 ff. 18) Vgl. Newman, 1979, S. 47 19) Ansoff, 1984, S. XV

I. Kennzeichnung des strategischen Management

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bedarf andererseits kommt in der Definition von Kirsch und Trux 20 gut zum Ausdruck, die im strategischen Management eine "geplante Evolution" der Unternehmung sehen. Die geplante Evolution soll "CoEvolution" mit dem Umfeld sein21 , d.h. die Entwicklung der Unternehmung wird zwar gezielt gesteuert, die Ziele sind aber nicht beliebig wählbar, sondern müssen der grundsätzlichen Leitidee entsprechen, " ... , einen Fortschritt in der Befriedigung der Bedürfnisse und Interessen der von den Unternehmensaktivitäten direkt oder indirekt Betroffenen zu erreichen" .22 Sharplin nähert sich einer Definition, indem er die Begriffe "strategisch" und "Management" zunächst getrennt betrachtet und dann wieder zusammenfügt. Die Managementkomponente besagt, daß es um die Formulierung, Implementierung, Ausführung und Kontrolle von Aktivitäten geht, strategisch heißt, daß es sich dabei um wichtige, vitale Interessen der Unternehmung handelt mit umfangreichen und lang dauernden Folgen. 23 Die möglichst frühzeitige Entdeckung künftiger Chancen und Probleme, die Frühaufklärung, gehört für zahlreiche Autoren ebenfalls zum Wesen des strategischen Management. 24 Noch detaillierter läßt sich das Wesen des strategischen Management über einen Katalog von Merkmalen erschließen, die ihm zugeschrieben werden. Das sind z.B.: - Orientierung an langfristigen Zielen, - Orientierung am Gedanken eines umfassenden Fits zwischen Umwelt und Unternehmung sowie innerhalb der Unternehmung zwischen den Subsystemen, - Offenheit gegenüber der Umwelt, - Sensibilität für Umweltänderungen, - große Bereitschaft zu Änderungen, Lernbereitschaft, - Risikobereitschaft, - systematische Informationsgewinnung, 20) 21) 22) 23) 24)

Vgl. Kirsch /Trux, 1981, S. 322 Vgl. Kirsch / Trux, 1981, S. 349 Kirsch / Trux, 1981, S. 324 Vgl. Sharp1in, 1985, S. 6 Vgl. Kirsch / Trux, 1981, S. 350 ff.; Ansoff, 1984, S. XVI; Müller, 1981, S. 7

7 Gäbel

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D. Strategisches Management und soziale Verantwortung

- Ausnutzung von Handlungsspielräumen durch antizipatives Agieren statt bloßer Reaktion. 25 Das strategische Management ist im Kern eine präskriptive Theorie, d.h. es werden praktische Handlungsprinzipien für die Unternehmung entwickelt, die eine rationale Handhabung der beschriebenen komplexen Problematik ermöglichen sollen. 26 Der Anspruch auf Rationalität steckt in Attributen wie "systematisch", "zielgerichtet" , "geplant". Empfohlen wird z.B. immer ein systematischer Prozeß, eine geordnete Folge von Einzeischritten, deren Ergebnis ein hierarchisch integrierter, umfassender, zielgerichteter Gesamtplan sein soll, der durch abgestimmte Änderungen in allen Subsystemen auch implementiert werden kann. 27 Wie der Prozeß aussehen soll, darüber bestehen allerdings - jedenfalls auf den ersten Blick - erhebliche Meinungsverschiedenheiten. Schendei und Hofer schlagen z. B. 6 Schritte vor: I. Goal Formulation

2. Environmental Analysis 3. Strategy Formulation 4. Strategy Evaluation 5. Strategy Implementation und 6. Strategie Control. 28 Nur 5 Schritte unterscheiden dagegen Hofer, Murray, Charan und Pitts29 , bei denen die Umweltanalyse als gesonderter Schritt wegfällt und Teil der Strategieformulierung wird. Ebenfalls 5 Schritte unterscheidet Hinterhuber, aber diese sind völlig anders abgegrenzt als bei den bei den vorhergehenden Modellen. Zielbildung, Umwelt- und interne Analyse bilden gemeinsam den l. Schritt, im 2. Schritt werden Strategien formuliert und bewertet. Die nächsten 3 Schritte sind alle der Implementierung ge25) Vgl. Kirsch / Trux, 1981, S. 307 ff.; Schreyögg, 1984, S. 80; Tabatoni / Jarniou, 1976, S. 34 26) Vgl. Schreyögg, 1984, S. 77 27) Vgl. Schreyögg, 1984, S. 133 ff. 28) Vgl. Sehende! / Hofer, 1979, S. 14 29) Vgl. Hofer u. a., 1980, S. 7

I. Kennzeichnung des strategischen Management

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widmet. 30 Schreyögg31 geht von 3 großen Phasen aus, der Zielbildung, der Strategieformulierung und der Implementierung. Sogar nur 2 Phasen sind für Sharplin relevant, die Strategieformulierung und die Strategieimplementierung .32 Bei näherem Hinsehen stellt sich heraus, daß trotz aller Unterschiede in den Abgrenzung zwischen den Schritten inhaltlich eine relativ große Übereinkunft herrscht, d.h. man scheint ziemlich sicher, welche Aufgaben überhaupt wahrzunehmen sind. Die Problematik der richtigen Abgrenzung rührt natürlich daher, daß solche Modelle idealtypischen Charakter haben. Tatsächlich sind alle diese Aufgaben interdependent und in verschiedenen Situationen von unterschiedlicher Wichtigkeit. Man denke nur an die Frage, ob man zuerst Ziele braucht, damit man Probleme überhaupt erkennen kann oder ob die Ziele sich aus der Problemanalyse ergeben. Da es also die richtige Abgrenzung nicht zu geben scheint, werden wir den Modellen, die es schon gibt, ein weiteres hinzufügen, das uns einleuchtend und zweckmäßig erscheint. Nach diesem Prozeßmodell gibt es 4 Phasen: Zielbildung, strategische Analyse (Umweltanalyse, interne Analyse, IssueAnalyse), Strategieformulierung (Strategiealternativen, Strategieauswahl), Implementierung. Dieses Prozeßmodell wird den folgenden Ausführungen zugrunde liegen.

30) Vgl. Hinterhuber, 1980, S. 29 ff. 31) Vgl. Schreyögg, 1984, S. 85 32) Vgl. Sharplin, 1985, S. 10

ll. Die Verbindung von strategischem Management und sozialer Verantwortung der Unternehmung I. Anknüpfungspunkte für eine solche Verbindung Das strategische Management gilt Ulrich als bloße technische Vernunft, als technisch-ökonomische Rationalität, die sich als irrational in bezug auf die Lebenspraxis erweist. I Er macht dabei allerdings zwei Voraussetzungen, die mit unserem Verständnis von strategischem Management nicht übereinstimmen. Zum einen nimmt er an, Ziele und Zwecke des Handeins würden im Rahmen des strategischen Management nicht diskutiert, sondern als gegeben vorausgesetzt und nur noch erfüllt. Zum zweiten geht er davon aus, Interaktion und Verständigung würden im strategischen Management keine Rolle spielen. Zutreffend ist der erste Kritikpunkt nur für eine eng gefaßte strategische Planung, die sich im wesentlichen auf die Festlegung von Produkt-Markt-Kombinationen und anzuwendenden Fertigungstechnologien im Hinblick auf vorgegebene Ziele beschränkt. 2 Im strategischen Management spielt dagegen die Diskussion der langfristigen Ziele eine große Rolle. Auch der zweite Kritikpunkt, die Objektivierung und Verfügbarmachung von Subjekten als Ziele des strategischen Managements, kann so nicht hingenommen werden, wenn man bedenkt, daß im Rahmen des strategischen Management Konzepte entwickelt wurden wie die Sinnvermittlung durch die Unternehmenskultur, partizipatives Management, organische Unternehmensstrukturen, um nur einige Stichworte zu nennen. In all diesen Ansätzen geht es um menschengerechtere Formen, um mehr freien Entfaltungsraum für den einzelnen. Natürlich ist das Unbehagen von Ulrich völlig verständlich, denn schließlich sind die zu Beginn beschriebenen Probleme entstanden, obwohl (oder weil?) das strategische Management schon länger praktiziert wird. Hieße es da nicht, die Kausalität auf den Kopf stellen, wenn nun ausgerechnet die Unternehmungen mit den für sie entwickelten Instrumenten die 1) Vgl. Ulrich. 1983. S. 70 ff. 2) Vgl. Lehnert. 1983. S. 28 f.

11. Verbindung von strategischem Management und sozialer Verantwortung

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Probleme lösen bzw. in Zukunft vermeiden sollen, die sie selbst zum großen Teil mitverursacht haben? Man darf nicht vergessen, daß das strategische Management ein Rahmen ist, der völlig verschieden ausgefüllt werden kann. Wenn Unternehmen durch eine rücksichtslose Gewinnmaximierung vielen Menschen schaden, dann ist es den entsprechenden Personen anzulasten, nicht dem theoretischen Konzept, das möglicherweise zugrundeliegt. Innerhalb des gleichen theoretischen Konzepts läßt sich genausogut ökonomische Vernunft verwirklichen. 3 Einige mögliche Anknüpfungspunkte für eine Verbindung von sozialer Verantwortung und strategischem Management sollen zur Verstärkung dieser These aufgezeigt werden. Erstens wurde dargestellt, daß die Ziele "Gewinn" und "soziale Verantwortung" sehr wohl miteinander harmonieren können. Es kommt nur darauf an, wie der Gewinn erwirtschaftet wird und wofür er verwendet wird. Wenn also das strategische Management konzipiert wurde mit dem Ziel, das langfristige Überleben der Unternehmung zu sichern oder den Erfolg oder das Wachstum, so ist dies alleine noch kein Indiz dafür, daß damit soziale Verantwortung ausgeschlossen wird. Tatsächlich scheinen die Unternehmen ja kein Problem darin zu sehen, das Ziel der sozialen Verantwortung in ihr Zielsystem aufzunehmen. Zweitens wurde strategisches Management entwickelt als Antwort auf Herausforderungen durch die Umwelt. Der Entwicklungsprozeß wurde getragen von der Grundidee, daß die Unternehmung nach einer Verständigung mit der Umwelt suchen sollte, d.h. die Ansprüche der Umwelt befriedigen muß, wenn sie Erfolg haben will. Man kann also die Forderung der Gesellschaft, die Unternehmung solle mehr soziale Verantwortung zeigen, ohne weiteres als Umweltwandel interpretieren, der eine "strategische Herausforderung" darstellt. Den dritten Anknüpfungspunkt bietet die Definition des strategischen Management von Kirsch und Trux . Wenn strategisches Management einen Fortschritt in der Befriedigung der Bedürfnisse aller direkt und indirekt von der Unternehmenstätigkeit Betroffenen erreichen soll, dann kommt diese Aufgabe unserer Definition von sozialer Verantwortung sehr nahe. 3) "Wenn Du das Werkzeug geschickt benützt, ist es geschickt; wenn Du aber ungeschickt bist, nimmt es an Deiner Ungeschicklichkeit teil, obwohl es selbst nichts dafür kann". Klemens von Alexandrien zitiert nach Lachmann, 1988, S. 287, Anmerkung 12

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D. Strategisches Management und soziale Verantwortung

Nach der Definition von Kirsch und Trux ist die soziale Verantwortung geradezu die originäre Aufgabe des strategischen Management. Viertens läßt sich schließlich an die Merkmale des strategischen Management anknüpfen. Die Offenheit gegenüber der Umwelt bedeutet z.B., daß sich die Marketingsicht, die die Beziehungen zwischen Unternehmung und Käufer in den Vordergrund stellt, praktisch beliebig auf andere "Koalitionsteilnehmer"4 bzw. "die Öffentlichkeit"5 erweitern läßt. Die Sensibilität für Umweltänderungen schließt ein, daß man auch neuartige Anliegen und neue Anspruchsgruppen wahrnimmt. Orientierung an langfristigen Zielen impliziert die Bereitschaft, zugunsten langfristiger Erfolgspotentiale auch kurzfristige Gewinneinbußen hinzunehmen. Dies ist genau die Situation, die wahrscheinlich häufig auftaucht, wenn man soziale Verantwortung wahrnimmt; die Erfolge stellen sich langfristig ein. Die große Bereitschaft zu Änderungen sowie die Risikobereitschaft sind nötig, weil man den Mut zum Neuen braucht, wenn man die Weichen für die Unternehmung neu stellen will. Systematische Informationsgewinnung ist geradezu eine unabdingbare Voraussetzung zur Wahrnehmung von Verantwortung. Wie Jonas 6 schreibt "... wird Wissen zu einer vordringlichen Pflicht ... , ... , und das Wissen muß dem kausalen Ausmaß unseres Handelns größengleich sein." Die konzeptionelle Qesamtsicht soll dazu beitragen, daß die vielen Einzelpläne und -ziele zu einem Ganzen zusammengefügt werden, daß man sich des systemhaften Zusammenhangs zwischen den Elementen bewußt wird. Diese Sichtweise kann leicht um den Gedanken erweitert werden, daß die Unternehmung sich selbst als Element des Supersystems Gesellschaft begreift, in die sie sich sinnvoll integrieren sollte. Daß man beim strategischen Management von relativ großen Handlungsspielräumen der Unternehmung ausgeht, paßt ebenfalls gut zur sozialen Verantwortung, denn nur wo es Handlungsspielräume gibt, ist Platz für ethische Orientierungen. Endlich ist der Basisgedanke des strategischen Managements gerade der einer Harmonisierung zwischen Umwelt und Unternehmung, was schon beim Entwicklungsprozeß herausgestellt wurde. Dies sollte genügen, den Versuch zu rechtfertigen, das Konzept der sozialen Verantwortung in das Konzept des strategischen Management ein4) Vgl. Stachle, 1969, S. 389 5) Vgl. Haedrich I Kreilkamp, 1983, S. 433 6) Jonas, 1979, S. 28

11. Verbindung von strategischem Management und sozialer Verantwortung

103

zubetten. Es bleibt zu hoffen, daß dadurch die Umsetzbarkeit des Konzeptes der sozialen Verantwortung im Unternehmen erleichtert wird, vielleicht kann sogar die Effektivität der Unternehmung in zweifacher Hinsicht verbessert werden, nämlich indem sie die wirtschaftlich richtigen Dinge tut (doing weil) und die ethisch richtigen (doing good) J

2. Vorläufer einer systematischen Verknöpfung von strategischem Managementansätzen und sozialer Verantwortung Als erster Vorläufer einer solchen systematischen Verknüpfung von strategischem Management und sozialer Verantwortung könnte der Human Relations-Ansatz betrachtet werden, der 1939 mit den berühmten Hawthorne-Experimenten begründet wurde. 8 Er war der Anstoß zur Erforschung der Arbeitszufriedenheit und zu Arbeiten über die Humanisierung des Arbeitslebens. Da Arbeitszufriedenheit zugleich als Motivationsfaktor für bessere Leistungen im Unternehmen gesehen wurde, geriet der ganze Ansatz schnell in den Verdacht, nur "Droge", "Schmieröl" und "Seelentängerei"9 zu sein, um die Arbeitnehmer in dumpfer Lethargie zu halten. Man kann daran gut sehen, wie außerordentlich mißtrauisch man sozialen Verbesserungen im Unternehmen begegnet, sobald sie sich mit einem Vorteil für die Unternehmung verbinden. Aber flexiblere Arbeitszeiten, mehr Mitspracherechte, weniger Lärm, Staub, Hitze usw. sind ohne Zweifel Verbesserungen, die auch dadurch nicht geschmälert werden, daß eventuell dadurch der Krankenstand gesenkt werden kann. Der Marketing-Ansatz kann ebenfalls als Vorläufer des "Management der sozialen Verantwortung" angesehen werden. Nimmt man nämlich den Anspruch des Marketingkonzeptes ernst, ein Instrument zu sein, um die Wünsche und Bedürfnisse der Kunden optimal zu befriedigen, dann müßte gerade durch das Marketing eine partielle Harmonie zwischen Umwelt (hier: Verbraucher) und Unternehmung möglich sein. Natürlich war das 7) Vgl. Miles / Cameron, 1982, S. 21 8) Vgl. Kieser / Kubicek, 1983, S. 40 ff. und weitere Lite raturangaben dort 9) Vgl. Neuberger, 1985, S. 186, 200

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D. Strategisches Management und soziale Verantwortung

Marketing in der Praxis oft genug weit davon entfernt, diesem Anspruch zu genügen. Überhöhte Preise, irreführende Werbung, gesundheitsschädliche Produkte, gezielte Obsoleszenz lO dürften kaum im besten Interesse der Verbraucher sein. Aber auch hier muß man unterscheiden zwischen theoretischem Konzept und praktischer Umsetzung. Es gibt auch Bemühungen, dem ursprünglichen Konzept der Befriedigung der Kundenbedürfnisse näher zu kommen, z.B. mit der Zufriedenheitsforschung. Die Unternehmung soll nach dieser Idee sehr offen sein für alle Unzufriedenheitsäußerungen in Verbindung mit ihren Produkten, sie sollen geradezu eine Beschwerdemaximierung anstreben, um so ein möglichst genaues Bild über die Bedürfnisse ihrer Kunden zu erhalten. 11 Es handelt sich dabei nicht um die übliche Marktforschung, wo die Verbraucher nur Forschungsobjekte sind, sondern um einen Dialog, in dem die Verbraucher ihre Interessen fonnulieren können. 12 In den USA wird ein ähnlicher Ansatz als "Marketing by Consumerism" propagiert. Verbraucherabteilungen und Verbrauchervertreter in den Unternehmen setzen sich mit Käufern und Vertretern von Verbraucherorganisationen zusammen, um deren Beschwerden und Wünsche kennenzulernen und an die Unternehmensführung weiterzugeben. 13 Daß durch ein solches Vorgehen mit ziemlicher Sicherheit langfristig und häufig sogar kurzfristig Umsatz und Gewinn gesteigert werden können 14, gibt Anlaß zur Problematisierung. Mancher wird es empörend finden, daß "jetzt auch noch aus den Beschwerden der Verbraucher Profit geschlagen werden soll." Sind aber haltbarere Produkte, deutlichere Preisauszeichnung, genaue Angabe von Inhaltsstoffen, großzügige Reklamationsbearbeitung l5 nicht immer noch von Vorteil für den Verbraucher, auch wenn die Unternehmung dafür kein finanzielles Opfer bringen muß, das ihre moralische Motivation zweifelsfrei beweisen würde? Vom Marketingkonzept gehen auch Murray und Montanari aus, das sie als eine Heuristik für die Entwicklung eines "social responsibility mana-

10) Vgl. 11) Vgl. 12) Vgl. 13) Vgl. 14) Vgl. 15) Vgl.

Fischer-Winkelmann / Rock, 1977, S. 131 Wimmer, 1985; Meurer, 1985, S. 287 f. Wikström, 1985, S. 177 Hansen / Schoenheit, 1985b; Hansen / Schoenheit, 1986; Moeller, 1979 Hansen, 1979; Wikström, 1985, S. 187; Moeller, 1979, S. 168, 171 f. Moeller, 1979

11. Verbindung von strategischem Management und sozialer Verantwortung

105

gement" benutzen. 16 Sie gehen von der partiellen Beziehung Kunde - Unternehmung ab und erweitern den Ansatz zu einem "management of exchanges between the firm and its environment. "17 Ihren Ansatz nennen sie "marketing approach to responsive management (MARM). "18 Der MARM-Prozess soll folgendermaßen ablaufen: In der ersten Phase identifiziert die Unternehmung die "social interest groups" und ihre Werte, Bedürfnisse, Interessen, Meinungen usw. Man sucht in der Umwelt nach Segmenten gleicher Werte und Anliegen und versucht sie dann danach zu bewerten, wie dringend und wichtig ihre Anliegen sind. Im zweiten Schritt legt die Unternehmung ein Programm sozialer Aktivitäten fest unter Berücksichtigung der technologischen Fähigkeiten, der Managementkapazitäten, der Kosteneffizienz, der strategischen Bedeutung. Die Marketingabteilung soll in der dritten Phase diese Programme implementieren und kontrollieren. 19 Die Autoren gehen dabei von Überlegungen aus, die auch von uns geteilt werden; sie stellen z.B. heraus, daß Wirtschaft und Gesellschaft wechselseitig aufeinander angewiesen sind und daher solche Konzepte den meisten Erfolg versprechen, die mit den Interessen beider Seiten in Einklang stehen. Ebenfalls wird die strategische Relevanz solcher Fragen von ihnen betont. Im Vergleich zum strategischen Managementprozeß ist ihr Ansatz jedoch stark verkürzt. Die Zielbildung fehlt ganz, an Strategien werden nur reine Marketingmaßnahmen vorgeschlagen, die Implementierungsproblematik wird mit dem Hinweis abgehandelt, die Marketingabteilung sei dafür gut gerüstet. 20 Der Gedanke des Dialogs mit den Betroffenen 21 kommt nicht vor. Es könnte sich auch als Handicap erweisen, daß der Begriff des Marketing im Vordergrund steht. Für viele Menschen verbindet sich damit assoziativ, daß ihnen etwas verkauft werden soll, was sie eigentlich weder brauchen noch wollen. 22 Der MARM-Ansatz gehört zu einer Forschungsrichtung, die Mitte der 70er Jahre an der Harvard Business School unter der geistigen Leitung 16) Vgl. Murray / Montanari, 1986, S. 815 17) Murray / Montanari, 1986, S. 815 18) Murray / Montanari, 1986, S. 817 19) Vgl. Murray / Montanari, 1986, S. 821 ff. 20) Vgl. Murray / Montanari, 1986, S. 824 21) Vgl. Ulrich, 1980a,b; 1983, 1986 22) Vgl. Ulrich, 1980b, S. 35

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D. Strategisches Management und soziale Verantwortung

von Raymond Bauer begründet wurde. Statt von social responsibility sprachen sie von social responsiveness und stellten das pragmatische Problem einer managementbezogenen Bewältigung gesellschaftlicher Anliegen in den Vordergrund. 23

3. "Responsiveness" versus "responsibility" Während "social responsibility" soziale Verantwortung mehr im moralischem Sinne meint, bezeichnet man mit "social responsiveness" die Fähigkeit der Unternehmung, für die Präferenzen der vom unternehmerischen Handeln Betroffenen empfänglich zu sein und ihnen zu entsprechen. Mit der Idee der "social responsiveness" wurde die Verbindung von sozialer Verantwortung und traditioneller Managementlehre möglich, was sicher viel zur enormen Verbreitung dieses Gedankengutes an amerikanischen Business Schools beigetragen hat. 24 Von ihrer Ausrichtung her scheint diese Forschungsrichtung bestens als Basis einer Verknüpfung von sozialer Verantwortung und strategischem Management geeignet. Die Nähe des responsiveness-Ansatzes zum Marketing bzw. zum herkömmlichen strategischen Management birgt aber auch die Gefahr, daß die ethische Komponente unter der Hand völlig verschwindet oder nur den anderen, z. B. den Kunden, zugeordnet wird. Es wird daher im folgenden darauf zu achten sein, responsiveness wirklich im Sinne einer ethischen Orientierung zu interpretieren, was z. B. bedeutet, daß die Unternehmen auch ihre aktive Verantwortung für die Entwicklung vernünftiger Produkte wahrnehmen und dies nicht auf "den Markt" abschieben. Andererseits liegt es auch in der Verantwortung der Gesellschaft, daß moralisch richtiges Handeln zur Bedingung unternehmerischen Erfolgs wird und sich

23) Vgl. Dyllick, 1986, S. 375; Ackermann / Bauer, 1976; besonders S. 6 ff. 24) Vgl. Dyllick, 1986, S. 375 f.; Freeman, 1984, S. 39

11. Verbindung von strategischem Management und sozialer Verantwortung

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ökonomisch und moralisch richtiges Handeln zur ökonomischen Vernunft verbinden können. 25 Richtig verstanden handelt es sich bei den responsiveness-Ansätzen weder um moralischen Rigorismus noch um herkömmliches strategisches Management, sondern um Orientierungshilfen für pragmatisches, realitätsgerechtes und sozial verantwortliches Handeln. 26 Eine solche Integration von strategischem Management und sozialer Verantwortung, die weder die ethische Komponente noch die Managementpraxis vernachlässigt, ist unser Programm. Zugrundegelegt werden die 4 Phasen des strategischen Management, wie sie am Ende von Abschnitt D.1.2. beschrieben wurden. Im Sinne der Integration der sozialen Verantwortung in das Rahmenkonzept des strategischen Management wird untersucht, wie sich der Wille der Unternehmung zur sozialen Verantwortung in den einzelnen Prozeßphasen niederschlagen könnte, um so die Umsetzung in die Praxis zu unterstützen. In der Zielbildungsphase wird es darum gehen, ob und wie das Ziel der sozialen Verantwortung in das Zielsystem der Unternehmung aufgenommen werden soll, wie es sich in Grundsätzen, Leitbildern und Verhaltenskodizes niederschlagen könnte. Die strategische Analyse wird durch eine erweiterte Umweltanalyse eingeleitet, die sich am Stakeholder-Konzept27 orientiert. Im Zusammenhang damit wird auch auf den Früherkennungseffekt einer solchen erweiterten Sichtweise eingegangen. Die interne Analyse wird sich mit den Stärken und Schwächen der Unternehmung beschäftigen, die sie in bezug auf die Wahrnehmung sozialer Verantwortung aufweist. Externe und interne Analyse bilden die Basis für die Erkennung besonders dringender Anliegen, der "strategic issues" .28 Die Phase der Strategieformulierung umfaßt die Schritte der Strategiealternativengenerierung und -auswahl. Hier wird sich die Frage stellen, ob 25) Vgl. U1rich, 1987b, S. 140; U1rich, 1983, S. 79 f.; Utz, 1978, S. 117 ff.; Picot, 1977, S. 45; Drucker, 1984, S. 54; Kirsch / Trux, 1981, S. 379; Meffert u.a., 1986, S. 157; Miles, 1987, S. 74; Thommen, 1988, S. 50 26) Vgl. U1rich, 1987b, S. 139; Brauchlin, 1986, S. 31 27) Vgl. Freeman, 1984 28) Vgl. Ansoff, 1980

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D. Strategisches Management und soziale Verantwortung

es eigene, neuartige "societal strategies"29 gibt oder ob die soziale Verantwortung sich mehr in der Phase der Strategieauswahl niederschlägt, die nach neuen Kriterien erfolgt. In der Phase der Implementierung stellt sich schließlich die Frage nach den Bedingungen, die erfüllt sein müssen, um einen solchen Prozeß erfolgreich durchführen zu können. Genauer untersucht werden: die Rolle der Führungskräfte, die Struktur, das Motivations- und Anreizsystem, die Fähigkeiten und die Kultur. Im Rahmen dieses Kapitels wird auch die Problematik aufgegriffen werden, ob Untemehmensethik ohne direkte Beteiligung der Betroffenen als "elitäre Schiedsrichterfunktion"30, "paternalistisch-elitäre Interessenberücksichtigung"31 überhaupt möglich ist oder eine echte Partizipation32 , ein dialogischer Interessenausgleich mit den Betroffenen33 unabdingbare Voraussetzung der sozialen Verantwortung ist. 34

29) 30) 31) 32) 33) 34)

Vgl. Ansoff, 1983 Vgl. Ulrich, 1980, S. 3S Vgl. Ulrich, 1983, S. 83 Vgl. U1rich, 1980, S. 36 Vgl. U1rich, 1983, S. 83 Zu diesem Problem vgl. auch Stein mann / Löhr, 1988, S. 308; Steinmann / Gerum, 1978, S. 473 f.; Steinmann, 1973, S. 471; Oppenrieder, 1986, S. 9

E. Zielbildung und soziale Verantwortung I. Bedeutung und Ablauf der Zielbildung Während es beim Konzept der strategischen Planung noch umstritten war, ob die Zielbildung eine zugehörige Phase ist oder nicht}, ist man sich weitgehend einig darüber, daß sie zum strategischen Management unbedingt dazu gehört und zwar meist als erste Phase im Managementprozeß. Es ist ein konstitutives Merkmal der Organisation Unternehmung, daß sie ein Ziel oder Ziele verfolgt, d.h. es gibt keine Unternehmung ohne Ziele. 2 Ziele als " ... Aussagen über erwünschte Zustände ... "3 haben vielerlei Funktionen. Sie sind die Grundlagen der Steuerung und Koordination, sie geben Richtung und Sicherheit und sind Ausgangspunkt der Planung. Sie motivieren die Mitarbeiter, leiten ihr Verhalten, geben der Unternehmung Identität nach innen und außen und Kontinuität im Verhalten. 4 Ohne Ziel kann der Entscheidungsprozeß nicht ablaufen, weil man weder Probleme erkennen noch Lösungsalternativen finden und bewerten könnte. Auch Kontrolle wäre ohne Ziele unmöglich und schließlich kann man die Relevanz von Informationen nur im Zusammenhang mit bestimmten Zielen beurteilen. 5 Ziele sind zu kennzeichnen durch den Zielinhalt, den Zeitbezug, den sachlichen Geltungsbereich und das Zielausmaß. 6 Während man früher mit einiger Selbstverständlichkeit davon ausging, daß der Unternehmer eine kurzfristige Gewinnmaximierung als einziges Ziel verfolgt, sieht man heute die Zielbildung als differenzierten Prozeß, an dem viele Personen beteiligt sind und an dessen Ende eine Vielzahl von Zielen steht. 7 1) 2) 3) 4) 5) 6) 7)

Vgl.Hofer / Sehendei, 1978, S. 18 f. Vgl. Szyperski, 1971, S. 651; Richards, 1986, S. 15 Bea, 1988, S. 273 Vgl. Richards, 1986, S. I ff. Vgl. Szyperski, 1971, S. 650 f. Vgl. Bea, 1988, S. 273 f. V gl. Schweitzer, 1987, S. 20 f.

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E. Zielbildung und soziale Verantwortung

Die Unternehmen verfolgen inhaltlich verschiedene Ziele nebeneinander, die Ziele sollen kurzfristig oder langfristig erreicht werden, es gibt verschiedene Ziele in verschiedenen Geltungsbereichen, z.B. in den verschiedenen Sparten und man strebt nicht grundsätzlich eine extremale Zielerreichung an. Um so wichtiger wird es, diese Ziele systematisch zu ordnen und ein konsistentes Zielsystem zu formen, in welchem die Ziele außerdem operational formuliert, aktuell, vollständig, durchsetzbar, transparent, überpcütbar und organisationskongruent sein sollen. 8 Ein systematischer Zielbildungsprozeß mit den Phasen Zielsuche, Realisierbarkeitspcüfung, Operationalisierung und Zielordnung soll dabei helfen. Führt man sich die zahlreichen Funktionen von Zielen noch einmal vor Augen, so ist es zweifellos die erste unabdingbare Voraussetzung zur Durchsetzung der sozialen Verantwortung im Unternehmen, dieses Ziel explizit in das Ziel system aufzunehmen. Nur so kann man die damit zusammenhängenden Probleme überhaupt erkennen und zu lösen versuchen, nur dadurch wird das Handeln aller Mitarbeiter auf dieses Ziel hin koordiniert, gesteuert und motiviert. Die Einbeziehung des Ziels der sozialen Verantwortung in das Zielsystem der Unternehmung kann auf zwei Arten gefördert werden. Erstens kann die Umwelt verstärkten Druck auf die Unternehmung ausüben, so daß die Unternehmung quasi gezwungen wird, darin ein relevantes unternehmerisches Problem zu erblicken, das systematisch zielgerichtet zu lösen ist. Dies kann u.U. relativ überraschend dann geschehen, wenn die Unternehmung in neue Branchen und Märkte diversifiziert, die bedeutend exponierter sind, was solche Probleme angeht, als die traditionellen Geschäfte. 9 Zweitens kann versucht werden, die Werte und Einstellungen der Führungskräfte zu verändern. Kulturelle Maßstäbe, Ideale 10 , Leitideen", Werte und Ziele der obersten Ebene l2 , Topmanagement-Philosphie 13 , values and norms 14 gelten vielen Autoren als wichtiger Einflußfaktor bei der 8) Vgl. Wild, 1982, S. SS ff. 9) Vgl. Miles, 1987, S. 3S 10) Vgl. Hinterhuber, 1980, S. 39 11) Vgl. Kirsch / Trux, 1981, S. 324 12) Vgl. Schreyögg, 1984, S. 8S 13) Vgl. Mi1es, 1987, S. S ff., 28 ff. 14) Vgl. Ansoff / Declerk / Hayes, 1976, S. 61

I. Bedeutung und Ablauf der Zielbildung

111

Zielfindung. Hierin zeigt sich auch das eigentlich kreative Moment bei der Zielfindung, daß man aktiv nach wünschenswerten Zielen sucht. In begrenztem Umfang kann man Werte und Einstellungen durch Sozialisation beeinflussen. Innerhalb der Unternehmung könnten Seminare, Schulungen, Kolloquien o. ä., Anreiz- und Motivationssysteme sowie die vorhandene Unternehmenskultur formend wirken. Da die Führungskräfte aber auch durch persönliche Erfahrungen, durch ihren familiären und religiösen Hintergrund und die Ausbildung schon geprägt sind, bringt manchmal erst ein Wechsel in der obersten Führung den entscheidenden Anstoß dafür, das Ziel der sozialen Verantwortung in das Zielsystem aufzunehmen. 15 Die Realisierbarkeitsprüfung 16 ist nach der Zielsuche ein weiterer entscheidender Schritt bei der Zielbildung, weil nur realistische Ziele Aussicht auf Verwirklichung haben. Zu dieser Prüfung gehört die Analyse der Zielbeziehungen, denn es muß z.B. ausgeschlossen werden, daß zwei Ziele im Zielsystem anti no misch sind, d.h. sich gegenseitig ausschließen, was vor allem bei den Zielen Gewinn und soziale Verantwortung vermutet wird. Wie bereits ausgeführt, kann u. E. von einer grundsätzlichen Antinomie zwischen diesen Zielen keine Rede sein; im Gegenteil wird eine Komplementarität häufig vorkommen. 17 Ausreichender Gewinn wird gebraucht, um gesellschaftliche Anliegen erfüllen zu können und die Wahrnehmung sozialer Verantwortung kann ein Mittel zur Erreichung des Gewinnzieles sein. Eine Komplementarität zwischen den Zielen ist allerdings vor allem dann zu erwarten, wenn das Gewinnziel nicht als kurzfristige Gewinnmaximierung formuliert ist. Typische strategische Ziele, wie die Erzielung eines langfristig angemessenen Gewinns, einer dauerhaft guten Ertragskraft oder des langfristigen Unternehmensbestandes 18 harmonieren besser mit dem Ziel der sozialen Verantwortung. Wichtig ist allerdings in diesem Zusammenhang, daß damit nicht einer Zweck-Mittel-Beziehung zwischen Gewinn und sozialer Verantwortung das Wort geredet werden soll, bei der die soziale Verantwortung nur noch ein Aktionsparameter wäre zur besseren Erreichung des Gewinnzieles. Die 15) Vgl. Miles, 1987, S. 36 16) Vgl. Wild, 1982, S. 61 ff. 17) So auch Wellmann, 1988, S. 580 18) Vgl. Gabele I Kretschmer, 1985, S. 83 ff., 249, 261, 269, 285

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E. Zielbildung und soziale Verantwortung

soziale Verantwortung muß als originäre Zielgröße angesehen werden, damit im Falle eines Zielkonfliktes eine sorgfältige Abwägung der Folgen stattfindet. Stellt sich bei dieser Abwägung heraus, daß eine Gewinneinbuße insgesamt bessere Folgen hat, dann muß auch der Gewinnverzicht akzeptiert werden. 19 Insofern ist auch die Frage nach einer Priorität von Gewinnziel oder sozialer Verantwortung schon beantwortet, denn wer die soziale Verantwortung als originäres Ziel neben das Gewinnziel stellt, akzeptiert es offensichtlich schon als gewisses Korrektiv zum Gewinnziel und damit als im Zweifelsfall übergeordnet. Tatsächlich wird von den Unternehmen sogar eher ein solcher Zweck-Mittel-Zusammenhang hervorgehoben, der das Gewinnziel als Mittel zur Erfüllung ihrer sozialen Verantwortung legitimiert. 20 Weitere Realisierbarkeitskriterien wie das Vorhandensein ausreichender Ressourcen und Kompetenzen lassen sich erst im Hinblick auf konkrete EinzeImaßnahmen überprüfen, also erst in einer späteren Phase des Managementprozesses . Auf Zielfindung und Realisierbarkeitsprüfung folgen noch zwei weitere wichtige Schritte im Zielbildungsprozeß, die eng miteinander zusammenhängen: Die Operationalisierung und die Ordnung der Ziele. 21 Grundlage der Ziel ordnung ist wiederum - wie bei der Realisierbarkeitsprüfung - die Analyse der Zielbeziehungen, wobei besonders die Zweck-Mittel-Beziehungen von Bedeutung sind. Die Ziele zu ordnen bedeutet nämlich, eine mehrstufige Zielhierarchie aufzubauen, d.h. man sucht systematisch nach Unterzielen, die im Hinblick auf die übergeordneten Ziele als Mittel fungieren. Ergebnis soll ein Zielsystem sein, in dem die langfristigen Ziele über mittel- und kurzfristige Ziele und die Unternehmensziele über Bereichs- und Stellenziele angestrebt werden. 22 Je tiefer man in dieser Hierarchie hinabsteigt, desto stärker sind die Ziele normalerweise operationaIisiert, d.h. desto präziser sind Zielinhalt, Ausmaß, Termin und Zuständigkeitsträger festgelegt. 23 In der amerikanischen Literatur kommt eine solche Hierarchie schon dadurch zum Ausdruck, daß es sehr viele verschiedene Ausdrücke für unser Wort Ziel gibt. Obwohl keineswegs sauber abgrenzbar, schält sich 19) Vgl. 20) Vgl. 21) Vgl. 22) Vgl. 23) Vgl.

Budäus, 1976, S. 239 Gabele / Kretschmer, 1985, S. 84 Wild, 1982, S. 57 Wild, 1982, S. 59; Berthel, 1973, S. 4 ff. Wild, 1982, S. 58; Berthe1, 1973, S. 24 ff.

I. Bedeutung und Ablauf der Zielbildung

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in etwa heraus, daß "purpose" , "mission" und "airn" die obersten Unternehmensziele sind, die der Unternehmung die grundlegende Richtung weisen. 24 Manchmal wird "mission" mehr marktbezogen definiert25, während "purpose" mehr die Beziehungen zur Umwelt allgemein meint (wir wollen anerkannt sein als eine Unternehmung, die der Öffentlichkeit nutzt, die ehrlich und integer ist).26 Beide Begriffe werden aber auch synonym verwendet:

" ... mission will be taken to mean the organizations's continuing purposes with regard to certain categories of persons - in short. what is to be accomplishedfor whom ?"27 Weiter unten in der Hierarchie angesiedelt sind die goals und objectives, die als Synonyme verwendet oder auch als hierarchische Abstufungen verstanden werden. Die goals sind im letzten Fall zwar stärker konkretisiert als die mission, aber sie sind auch noch vergleichsweise wenig operational, langfristig und offen. Die objectives sind dagegen mittel- bis kurzfristig, operationalisiert und geschlossen. 28 Man kann die Unterscheidung noch weiter verfeinern, indem man die Ziele für die Gesamtunternehmung (corporate goals/objectives), für die einzelnen Geschäftsbereiche (business goals/objectives) und die einzelnen Funktionsbereiche (functional goals/objectives) betrachtet. Nun sind alle diese Zielebenen in gleichem Maße wichtig, denn ohne strategische Entwicklungsziele verliert man sich leicht im Alltagsgeschäft und ohne operationale Bereichs- und Stellenziele sind präzise Steuerung und genaue Kontrollen unmöglich. Auf das Ziel der sozialen Verantwortung übertragen könnte dann die Hierarchie etwa wie folgt aussehen. Auf der obersten Ebene wird als purpose festgelegt: Wir verpflichten uns zu sozial verantwortlichem Handeln, d.h. wir wollen alle unsere Handlungen daraufhin überprüfen, ob sie von ihren Folgen für die Betroffenen her gerechtfertigt werden können. Alle von unserem Handeln Betroffenen haben ein Recht, gehört zu werden. Als goals könnte man beispielsweise 24) Vgl. Shetty, 1979, S. 71 f.; Wheelen / Hunger, 1983, S. 123 f.; Sharplin, 1985, S. 49 25) What is our business? What is the common thread through out our activities? (Dies nennen Abell / Hammond, 1979, S. 9 f. "defining the business"); Wheelen und Hunger, 1983, S. 123 f. 26) Vgl. Steiner / Miner, 1977, S. 157 27) Sharplin, 1985, S. 49 28) Vgl. Richards, 1986, S. 12 ff.; Hofer u.a., 1980, S. 9 f. 8 Göbe!

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E. Zielbildung und soziale Verantwortung

formulieren, daß man die Mitarbeiter fördern will, den Umweltschutz verbessern, die Lieferanten fair behandeln, die Kunden ehrlich informieren usw. Ein objective wäre schließlich, innerhalb eines Jahres den Anteil von Kohlenmonoxyd in der Abluft um die Hälfte zu verringern oder innerhalb der nächsten 3 Monate eine Stelle zur Verbraucherberatung zu schaffen.

purpose

Wir verpflichten uns zu sozial verantwortlichem Handeln

goals

Kunden

/

I

Lieferanten

I~

\

Mtarbeiter

\

Wir wollen die Kunden ehrlich und umfassend informieren. objectives

I~

Wir wollen innerhalb des nächsten Quartals eine Stelle für Verbraucherberatung schaffen.

Abb. 2: Beispiel einer Zielhierarchie soziale Verantwortung

Es stellt sich nur die Frage, ob man ein solches umfassendes, tief gegliedertes und möglichst weit operationalisiertes Zielsystem tatsächlich zu Beginn der Planung bereits aufstellen kann. Hier gehen die Meinungen auseinander; während es für Hofer u.a. 29 der typische erste Schritt im strategischen Management ist, ein " ... set of goals and objectives ... " zu entwickeln, ordnen Wheelen und Hunger in ihrem strategischen Managementmodell sogar die Bestimmung der mission der strategischen Analyse

29) Hofer

U.Il.

1980, S. 9

I. Bedeutung und Ablauf der Zielbildung

115

von Umwelt und Unternehmung nach. 30 Einen guten Ansatzpunkt zur Versöhnung dieser beiden Standpunkte bietet Sharplin an; die obersten Unternehmensziele (purpose, mission, goals) kann man zu Beginn bestimmen, die spezifischen objectives ergeben sich erst im weiteren Verlauf des Managementprozesses aufgrund genauerer Analysen. 31 Dies gilt sogar in besonderem Maße für das Ziel der sozialen Verantwortung, weil man es nicht mit bekannten, definitionslogischen Zielbeziehungen zu tun hat wie etwa in einem Kennzahlensystem. Was soziale Verantwortung im einzelnen bedeutet ist für jedes Unternehmen individuell verschieden, es kann alle Bereiche betreffen oder nur einzelne, es kann gravierende Änderungen erfordern oder nur Modifikationen, die Anstöße können von Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten, staatlichen Einrichtungen usw. kommen. Dieser letzte Punkt deutet schon an, daß beispielsweise die Stakeholder-Analyse, die bei uns im Rahmen der Umweltanalyse behandelt werden wird, eigentlich eine unabdingbare Voraussetzung zur Festlegung operationaler, präziser objectives ist. Es ist ja gerade der Sinn des gesamten Managementprozesses, den zunächst sehr vieldeutigen Begriff der sozialen Verantwortung in konkretere Ziele und einzelne Maßnahmen umsetzen zu können. Man hat hier wieder das gleiche Problem wie bei den Gesetzen und moralischen Normen, nämlich die richtige Balance zu finden zwischen nichtssagenden Allgemeinplätzen und einer unendlichen Kasuistik. Social responsiveness soll richtiges Handeln möglich machen; es list eine Metaregel, die eine realistische Einschätzung der Situation der Betroffenen ermöglichen soll, aber persönlichen Handlungsspielraum läßt. Andererseits wäre es im Interesse der Durchsetzung der Ziele wünschenswert, möglichst genaue, gut kontrollierbare und eindeutige Ziele zu haben. Man sollte also versuchen, soweit wie es apriori möglich und sinnvoll ist, das Ziel der sozialen Verantwortung zu präzisieren und verbindlich festzuschreiben. Das ist ein sehr wichtiges Signal für die Ernsthaftigkeit, mit der dieses Ziel verfolgt wird und zwar nach außen und nach innen. In der ersten Phase des Managementprozesses, in der wir uns ja nach unserem Prozeßmodell befinden, wird es aber höchstens möglich sein, "missions" und "goals" festzulegen, während die "objectives" erst das Ergebnis 30) Vgl. Wheelen / Hunger, 1983, S. 8, Figure 1.3 31) Vgl. Sharplin, 1985, S. 49; ähnlich auch Wild, 1982, S. 65 8"

116

E. Zielbildung und soziale Verantwortung

genauer Analysen sein können. Beispiele für solche Ziele der oberen Ebene sollen im folgenden noch besprochen werden.

11. Die Teilnehmer am Zielbildungsprozeß Vor allem Cyert und March l haben viel zur Verbreitung der heute gängigen Sichtweise beigetragen, daß Ziele der Unternehmung sich als Kompromisse aus den Interessen verschiedener Koalitionsteilnehmer , wie Unternehmensleitung, Belegschaft, Anteilseigner usw. ergeben. Solche durch Verhandlungen erreichten Kompromißzieie haben den enormen Vorteil besserer Durchsetzbarkeit im Unternehmen2 , nach Wild3 erübrigt sich sogar ein besonderer Durchsetzungsprozeß, wenn alle Planerfüllungsträger schon an der Zielbildung beteiligt werden. Ein weiterer Vorteil wäre die bessere Informationsbasis. Daraus ergibt sich der Vorschlag, alle von der Unternehmenstätigkeit Betroffenen, alle Stakeholder bzw. Koalitionsteilnehmer, schon an der Zielbildungsphase zu beteiligen. Dies käme auch dem Gedanken des Dialogs mit den Betroffenen entgegen; das Rede- und Antwortstehen, die Anerkennung der Betroffenen als mündig, die Bereitschaft zu direkter Kommunikation werden häufig als konstitutives Element sozialer Verantwortung gesehen. 4 Über die Einflußmöglichkeiten von Personen oder Gruppen auf die Unternehmung werden ja auch offen oder versteckt ethische Werte zum Tragen gebracht. Vorteilhaft ist schließlich, daß durch solche Verhandlungen Zielkonflikte frühzeitig aufgedeckt werden. Auf der anderen Seite stehen einer solchen Lösung praktische Nachteile gegenüber. Zum einen weiß man in dieser ersten Phase ja häufig noch gar nicht, wer alles "Betroffener" ist; dies stellt sich erst im Verlauf weiterer Analysen heraus und dürfte auch grundsätzlich veränderlich sein. Zweitens haben die verschiedenen Gruppen nur ihr eigenes Anliegen im Auge, d.h. es fehlt ihnen der für die Planung auf der oberen Ebene so entscheidende Überblick über das Gesamtsystem.

1) 2) 3) 4)

Cyert I March, 1963 Vgl. Bamberger, 1977, S. 96 Vgl. Wild, 1982, S. 65 Vgl. U1rich, 1980a,b, 1983, 1986, 1987a,b; Thommen, 1988; Kappier, 1977

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E. Zielbildung und soziale Verantwortung

Drittens kann die Fülle von EiDZelinteressen zu endlosen Diskussionen führen, in deren Verlauf sich die Fronten mehr verhärten als auflösen können. Kompromisse auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner können viertens genausogut zu allgemeiner Unzufriedenheit wie zu allgemeiner Zufriedenheit führen und fünftens kann ständiges Infragestellen der Ziele ihre motivierende und steuernde Kraft zermürben. Es gilt also, einen praktikablen Mittelweg zu finden zwischen autonomer und kooperativer Zielsetzung5 oder wie Bamberger ausdrückt, eine Mischung von Konsens und Macht. 6 Während das Topmanagement die größte Macht und damit die größte Verantwortung für die Zielsetzung behält, sollten zugleich Möglichkeiten zur Kooperation geschaffen werden, die zumindest alle diejenigen einschließen, die schon Macht und Einfluß im Unternehmen haben. Dazu zählen auf alle Fälle die mittleren und unteren Manager, Mitarbeitervertreter, Eigenkapital- und Fremdkapitalgeber. Gibt es schon Stellen im Unternehmen, die weitere Einflußgruppen repräsentieren, z.B. ein Beauftragter für Verbraucheranliegen, so sind auch diese hinzuzuziehen. Während die Beteiligung solcher unternehmensinterner Gruppen im Hinblick auf die spätere Durchsetzung unerläßlich erscheint, kann der lnjormationsbedaif bis zu einem gewissen Grad auch ohne direkte Beteiligung der Betroffenen gestillt werden, z. B. durch Befragung. Dies gilt besonders in der hier behandelten ersten Phase, in der ja zunächst sowieso nur recht allgemeine Ziele aufgestellt werden können. Wie es mit einer Beteiligung der Betroffenen in den weiteren Phasen aussieht, ist ein anderes Problem. Es ist jedoch durchaus möglich, daß sich im Verlaufe des Managementprozesses, besonders in der Implementierungsphase, herausstellt, daß es sinnvoll wäre, weitere Einflußgruppen in das Unternehmen zu internalisieren. Diese hätten dann bei zukünftigen Zielbildungsprozessen ebenfalls Mitspracherecht. Man sollte nicht vergessen, daß Ziele sich genetisch entwickeln und immer wieder revidiert und angepaßt werden müssen. 7 Bei einem so neuartigen Ziel, wie es die soziale Verantwortung immer noch darstellt, scheint 5) Vgl. Szyperski, 1971, S. 654 ff. 6) Vgl. Bamberger, 1977, S. 95 f. 7) Vgl. Szyperski, 1971, S. 667 f.; Wild, 1982, S. 45 f., 65

11. Die Teilnehmer am Zielbildungsprozeß

119

es zunächst mal wichtig, überhaupt einen ersten "heuristischen Wurf'8 zu wagen und im übrigen für Zieländerungen aufgeschlossen zu sein. Bei dem Versuch, schon in dieser Phase einen umfassenden Konsens mit allen Betroffenen herbeizuführen, dürfte man bereits in der Zielproblematik steckenbleiben.

8) Szyperski, 1971, S. 667

ill. Das Ziel der sozialen Verantwortung in Kodizes, Leitbildern und Grundsätzen Wie bereits dargelegt wurde, scheint es wenig sinnvoll, einen allgemeinverbindlichen Katalog präziser Unterziele zum Oberziel der sozialen Verantwortung entwickeln und vorschreiben zu wollen; ein solches Vorgehen könnte der Heterogenität und Differenziertheit der Wirtschaft niemals gerecht werden. Auf der anderen Seite gibt das abstrakte Prinzip "Handle verantwortlich!" so wenig Anhaltspunkte für die Gestaltung der Zielinhalte, daß eine exemplarische Darstellung präziser Zielvorstellungen als Hilfestellung für die Ziel formulierung zweckmäßig erscheint. Aus diesem Grunde werden im folgenden einige der Zielvorstellungen wiedergegeben, wie sie sich in Dokumenten finden lassen, die als Basic Mission, Company Creeds, Purpose of the Organization, Fundamental Principles, 1 Unternehmensphilosophie, Verhaltens normen , Grundsätze, Absichten2 , Kodex 3 , Leitbild4 bezeichnet werden. Eine Abgrenzung der Begriffe soll derart vorgenommen werden, daß wir den Begriff Kodex für Verhaltensleitlinien verwenden, die außerhalb der Unternehmung entwickelt wurden und große Allgemeingültigkeit in Anspruch nehmen. Ein Leitbild ist dagegen unternehmensbezogen; es legt die große Linie der Unternehmenspolitik fest und soll einen gleichzeitig idealen wie realistischen Entwurf der Unternehmung darstellen. 5 Das entspricht in etwa dem amerikanischen "pu rpose " oder "mission". Die Grundsätze schließlich füllen das Leitbild konkreter aus. Sie beziehen sich auf einzelne Gruppen (Mitarbeiter, Kunden usw.) und Funktionsbereiche (Marketing, Forschung usw.) und entsprechen damit eher den "goals". 6 Das Davoser Manifest von 1973 ist wohl eines der bekanntesten Beispiele für einen allgemeinen Kodex (vgl. Abb.3)

1) 2) 3) 4) 5) 6)

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Gabele I Kretschmer, 1985, S. 28 Kreikebaum, 1987, S. 46 f. Staffelbach, 1987, S. 475 Bemet, 1982, S. 137 ff. Ulrich, 1978, S. 91 Shetty, 1979, S. 73

III. Kodizes, Leitbilder und Grundsätze

121

Davoser Manifest Am Schlußtag des Dritten Europäischen Management Symposiums in Davos (Febr.

1973) wurde der Entwurf eines Kodex des ethischen Wohlverhaltens für die Unternehmensführung vorgelegt, dessen deutsche Version folgenden Wortlaut hat: A. Berufliche Aufgabe der Unternehmensführung ist es, Kunden, Mitarbeitern, Geldgebern und der Gesellschaft zu dienen und deren widerstreitende Interessen zum Ausgleich zu bringen. B.l. Die Unternehmensführung muß dem Kunden dienen. Sie muß die Bedürfnisse der Kunden bestmöglich befriedigen. Fairer Wettbewerb zwischen den Unternehmen, der größte Preiswürdigkeit, Qualität und Vielfalt der Produkte sichert, ist anzustreben. Die Unternehmensführung muß versuchen, neue Ideen und technologischen Fortschritt in marktfahige Produkte und Dienstleistungen umzusetzen. 2. Die Unternehmensführung muß den Mitarbeitern dienen, denn Führung wird von den Mitarbeitern in einer freien Gesellschaft nur dann akzeptiert, wenn gleichzeitig ihr Interessen wahrgenommen werden. Die Unternehmensführung muß darauf abzielen, die Arbeitsplätze zu sichern, das Realeinkommen zu steigern und zu einer Humanisierung der Arbeit beizutragen. 3. Die Unternehmens führung muß den Geldgebern dienen. Sie muß ihnen eine Verzinsung des eingesetzten Kapitals sichern, die höher ist als der Zinssatz auf Staatsanleihen. Diese höhere Verzinsung ist notwendig, weil eine Prämie für das höhere Risiko eingeschlossen werden muß. Die Unternehmens führung ist Treuhänder der Geldgeber. 4. Die Unternehmens führung muß der Gesellschaft dienen. Die Unternehmensführung muß für die zukünftigen Generationen eine lebenswerte Umwelt sichern. Die Unternehmensführung muß das Wissen und die Mittel, die ihr anvertraut sind, zum Besten der Gesellschaft nutzen. Sie muß der wissenschaftlichen Unternehmensführung neue Erkenntnisse erschließen und den technischen Fortschritt fördern. Sie muß sicherstellen, daß das Unternehmen durch seine Steuerkraft dem Gemeinwesen ennöglicht, seine Aufgabe zu erfüllen. Das Management soll sein Wissen und seine Erfahrungen in den Dienst der Gesellschaft stellen. C. Die Dienstleistung der Unternehmensführung gegenüber Kunden, Mitarbeitern, Geldgebern und der Gesellschaft ist nur möglich, wenn die Existenz des Unternehmens langfristig gesichert ist. Hierzu sind ausreichende Unternehmensgewinne erforderlich. Der Unternehmensgewinn ist daher notwendiges Mittel, nicht aber Endziel der Unternehmensführung. Abb. 3: Davoser Manifest, Quelle: Steinmann 1973, S. 472 f.

122

E. Zielbildung und soziale Verantwortung

Zum Nutzen des Unternehmens, der Mitarbeiter und der Öffentlichkeit wollen wir leitende Männer und Frauen der Schweizer Wirtschaft und der öffentlichen Verwaltung unsere berufliche Tätigkeit nach folgenden Grundsätzen richten:

1. Wir treten rur eine vielgestaltige Wirtschaft und Gesellschaft ein und berücksichtigen dabei die Interessen unseres Unternehmens, unserer Mitarbeiter, unserer Region und der Länder, in denen wir tätig sind. 2. Wir setzen uns rur eine leistungs- und konkurrenzfähige Wirtschaft ein und fOrdern die internationale Zusammenarbeit. 3. Wir sind bestrebt, zur Sicherung des Fortbestandes des von uns geruhrten Unternehmens einen ausreichenden Gewinn zu erwirtschaften. 4. Wir verpflichten uns, situationsgerechte Führungsmethoden sachkundig anzuwenden und die Selbständigkeit unserer Mitarbeiter zu fördern. 5. Wir pflegen die gute Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer und helfen mit, stufengerechte Lösungen rur Mitwirkung und Mitverantwortung zum Wohle unseres Unternehmens weiterzuentwickeln. 6. Wir beachten in unseren Dispositionen die Interessen unserer Kapitalgeber . 7. Wir informieren wahrheitsgetreu, klar und rechtzeitig. 8. Wir schaffen ein Vertrauensverhältnis zu unseren Kunden und Lieferanten. 9. Wir übernehmen Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit und stellen einen Teil unserer Arbeitskraft rur öffentliche Aufgaben zur Verrugung. 10. Wir gehen mit Energie und Rohstoffen haushälterisch um und setzen uns rur eine Verbesserung der Lebensqualität ein.

Abb. 4: Verhaltenskodex rur das Schweizer Management, Quelle:Staffelbach 1987, S. 475

III. Kodizes. Leitbilder und Grundsätze

123

Soziale Verantwortung äußert sich hier in der grundsätzlichen Bereitschaft, alle Interessen an dem Unternehmen zu beachten und zum Ausgleich zu bringen, sowie in der Einordnung des Gewinns als Mittel, um den Interessenten dienen zu können. Ein weiteres typisches Beispiel für einen Kodex ist der Verhaltenskodex für das Schweizer Management, der von der Schweizerischen Gesellschaft für Management (ASOS) entwickelt wurde (vgl. Abb. 4). Ansätze für die soziale Verantwortung in dem hier vertretenen Sinne sind dabei keineswegs nur in Punkt 9 zu sehen, der eine "Verantwortung gegenüber der Öffentlichkeit" postuliert. Der Wille, gegenüber allen Betroffenen (moralisch) richtig zu handeln, äußert sich auch in Maximen wie die Selbständigkeit, Mitwirkung und Mitverantwortung der Mitarbeiter zu f"ördern, die Interessen der Kapitalgeber zu achten, wahrheitsgetreu zu informieren, vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Kunden und Lieferanten zu suchen, Energie und Rohstoffe sparsam einzusetzen und die Lebensqualität zu verbessern. Die oben dargestellten Kodizes sind sehr global (Kritiker sagen: leerformelhaft), was sich quasi notgedrungen aus ihrem Anspruch ergibt, "ethisches Wohlverhalten" ganz allgemein für die Unternehmensführung zu definieren. Präzisere Zielvorstellungen werden in themenspezifischen Kodizes entwickelt, etwa in der OECD-Erklärung von 1976, die sich speziell mit internationalen Investitionen multinationaler Unternehmen befaßt? Die europäischen Industriestaaten, USA, Kanada und Japan bekennen sich in dieser Erklärung zu Maximen wie wirtschaftlichen und sozialen' Fortschritt in den Gastländern, besonders in Entwicklungsländern zu fördern, offen, ehrlich und großzügig über ihre Tätigkeit Auskunft zu geben, bei der Besetzung von Stellen niemand zu diskriminieren, die Arbeitnehmer nach den gleichen Standards zu behandeln, die im Stammland der Unternehmung gelten, für einen ausreichenden Technologietransfer zu sorgen und anderes mehr. Noch spezialisierter ist die "dreigliedrige Grundsatzerklärung über multinationale Unternehmen und Sozialpolitik", die 1977 von der internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ausgearbeitet wurde und die sich besonders mit den Arbeits- und Ausbildungsverhältnissen von multi7) Vgl. OECD-Ministerrat. 1976

124

E. Zie1bi1dung und soziale Verantwortung

nationalen Unternehmen in ihren Gastländern beschäftigt. 8 Weitere Kodizes beschäftigen sich genauer mit dem Technologietransfer (UNCTAD) oder dem Korruptionsproblem (ECOSOC).9 Zehn Gebote für den Umweltschutz 1. Eine umweltorientierte Unternehmenspolitik ist ein Beitrag zur Sicherung der Zukunft von Umwelt und Unternehmen.

2. Umweltschutz ist Teil der Unternehmenspolitik. 3. Umweltschutz ist eine Aufgabe der Unternehmensführung. 4. Umweltorientierte Unternehmenspolitik betrifft alle Unternehmensbereiche. 5. Umweltorientierung im Unternehmen hat zum Ziel, durch intelligente Lösungen Umweltbelastungen möglichst niedrig zu halten oder ganz zu vermeiden. 6. Umweltorientierte Unternehmenspolitik bezieht die Mitarbeiter(innen) ein. 7. Umweltorientierte Unternehmenspolitik verlangt nach innen und außen Glaubwürdigkeit. 8. Umweltorientierte Unternehmenspolitik nutzt die Marktchancen eines wachsenden Umweltbewußtseins. 9. Umweltorientierte Unternehmenspolitik ist Teil der unternehmerischen Eigenverantwortlichkeit in der sozialen Marktwirtschaft. 10.Umweltorientierte Unternehmenspolitik wird unterstützt durch das Vorantreiben einer internationalen Harmonisierung von Umweltanforderungen und durch eine nationale Politik, die den Spielraum für umweltinnovative Lösungen der Unternehmen erweitert. Abb. 5: Tutzinger Erklärung, Quelle: Brunowsky / Kleinert, 1988, S. 74

Ein themenspezifischer Kodex ist auch die "Tutzinger Erklärung" zum Umweltschutz, die auf einer Tagung in der Evangelischen Akademie 8) Vgl. Albert, 1980, S. 6 f. 9) Vgl. Pausenberger, 1980, S. 138

III. Kodizes, Leitbilder und Grundsätze

125

Tutzing von Managern, Wissenschaftlern, Studenten und Mitgliedern von Umweltschutzorganisationen gemeinsam verabschiedet wurde. Kein geringerer als Tyll Necker, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, empfiehlt die "10 Gebote für den Umweltschutz" allen Unternehmen in der Bundesrepublik. (Vgl. Abb.5) Selbst für einzelne Funktionsbereiche wurden schon Kodizes entwickelt. In einem "Marketing Creed" genannten Kodex erstellte die World Marketing Contact Group einen Katalog mit 11 persönlichen Verpflichtungen (I hereby acknowledge ... ) der Art: die Souveränität der Konsumenten anzuerkennen, zu ihrem besten Nutzen zu handeln, den höchsten ethischen Standard anzulegen beim Umgang mit Kunden, Kollegen, Konkurrenten usw., die Preise am wirklichen Wert des Gutes auszurichten, nur absolut sichere Produkte zu verkaufen und den Kunden bestmöglich zu informieren, die Umwelt zu schützen, wahr, klar und "in good taste" zu werben. 10 Speziell für die Marktforschung wurde ein besonderer "Marketing Research Code of Ethics" von der American Marketing Association entwickelt. Dem Schutz des Befragten dienen Regeln wie Marktforschung und Verkauf nie miteinander zu verbinden und die zugesicherte Anonymität des Befragten auf jeden Fall zu bewahren. Dem Schutz des Auftraggebers dient es, wenn niemals gleichzeitig für zwei Konkurrenten geforscht wird und jeder Interviewer sich verpflichtet, absolut ehrlich bei der Datenerhebung zu sein. ll Man kann diese Kodizes als hilfreiche Anregung, als heuristisches Potential verstehen, um daraus im nächsten Schritt ein individuelles unternehmerisches Leitbild und Grundsätze zu entwickeln. Das Leitbild wird häufig mit der Sammlung der Unternehmensgrundsätze identifiziert. 12 Wir wollen unter Unternehmensleitbild im engeren Sinne zunächst nur die allgemeinsten Richtlinien (purposes/mission) verstehen, bei denen es darum geht, das Verhältnis der Unternehmung zu und ihr Verhalten in ihrer Umwelt festzulegen. Als Hilfe und Anregung kann man sich Fragen stellen wie: "WeIche Elemente, Eigenschaften und Beziehungen sind für die Umwelt relevant? Was für eine Haltung soll die Unternehmung diesen Umweltelementen gegenüber einnehmen? WeIche Beziehungen soll sie anstreben, weIche gesellschaftlichen, sozialen, politischen oder sonstwie ge10) Vgl. Laczniak und Murphy, 1985, S. 109 f. 11) Vgl. Tull / Hawkins, 1985, S. 58 f. 12) Vgl. Gabele / Kretschmer, 1985, S. 31 f.; Bernet, 1982, S. 137

126

E. Zielbildung und soziale Verantwortung

arteten Werte befolgen?"\3 "Welche Grundsätze sollen unser Verhalten gegenüber unseren Marktpartnern ... bestimmen? WeIches sind unsere grundsätzlichen Zielvorstellungen bezüglich Gewinnerzielung und Gewinnverwendung?" ... "Wie sind wir eingestellt gegenüber wesentlichen gesellschaftlichen Anliegen?"14 "WeIche Verpflichtungen will die Unternehmung übernehmen gegenüber ... ökologischen und energiepolitischen Problemen? Wie kann der technische Fortschritt genutzt werden, um entsprechend den technischen Möglichkeiten Umweltbelastungen weiter zu verringern?"15 Ergebnis sind oberste Grundsätze wie: "As a multinational company, we are committed to fundamental principles of service to the customer and a positive contribution to the quality of Iife of the societies in which we operate. "16 "Wir wollen uns als verantwortungsbewußtes Glied der Gesellschaft verhalten. "17 "We seek long-Iasting relationships based on integrity - with all whose activities touch upon our own. "18 "The sincerity of this belief encourages us to act with integrity at all times, to respect the dignity of each person as an individual human being, to assume moral and social responsibilities early as a matter of conscience, to make an extra effort to use our skills and resources where they are most needed, and to strive for excellence in every thing we do." 19 Die BASF ist sich" ... ihrer vielfältigen Verantwortung gegenüber ihrer Umwelt bewußt. Sie ist bemüht, sich überall als zuverlässiger und loyaler Partner zu erweisen, der gute Zusammenarbeit sucht, die Gesetze achtet und in sozialer Verantwortung handelt. "20 Solche generellen Aussagen sind bei allen Unternehmen relativ ähnlich; allenfalls ließe sich feststellen, daß amerikanische Unternehmen weniger Hemmungen zu haben scheinen, von Ethik und Moral zu reden. 21 Der spezielle Charakter der Unternehmung zeigt sich schon eher in den Grundsätzen, die das Leitbild konkretisieren und ausfüllen. ChemieUnternehmen betonen die Verantwortung gegenüber der ökologischen \3) Sernet, 1982, S. 137 14) Ulrich, 1978, S. 91 f. 15) Hinterhuber, 1980, S. 66 16) Shetty, 1979, S. 72 f. 17) Grundsatz der Ciba-Geigy AG, vgl. Hunziker, 1980, S. 158 18) Grundsatz der Caterpillar Tractor Company, vgl. Laczniak / Murphy, 1985a, S. 112 19) Grundsatz der Johnson Wax Company, vgl. Laczniak / Murphy, 19858, S. 125 20) Grundsatz der BASF, vgl. Gabele / Kretschmer, 1985, S. 261 21)VgI.Shetty, 1979,S. 72; Laczniak/Murphy, 1985a,S.112, 117, 125, 135

III. Kodizes, Leitbilder und Grundsätze

127

Umwelt (Höchst, BASF), Unternehmen, die viel in Entwicklungsländern engagiert sind, gehen auf Technologietransfer, Verrechnungspreise und lokale Rechtsprechung ein (Caterpillar), große Unternehmen beschäftigen sich mit der Problematik ihrer Macht (IBM). Es gibt aber auch hier noch große Ähnlichkeiten, wie z.B. die Ausrichtung an bestimmten Adressaten (Mitarbeiter, Kunden, Aktionäre/Eigentümer, Gesellschaft/Öffentlichkeit, Lieferanten, Konkurrenz, Betriebsrat, Gläubiger, Verbände). Eigentümer, Kunden und Mitarbeiter sind die traditionellen und in Deutschland und in den USA am häufigsten genannten Adressaten. 22 Ihre Verantwortung gegenüber diesen Gruppen sehen die Unternehmen z. B. in: - der angemessenen Verzinsung des Kapitaleinsatzes, - hoher Produktqualität, gutem Service und eingehender Beratung, ehrlicher sachlicher Information, hoher Produktsicherheit, ständiger Suche nach verbesserten Produkten, Aufgeschlos'senheit für Beschwerden, niedrigen Preisen, - gezielter Förderung der Fähigkeiten, größtmöglicher Selbstentfaltung, gerechter Entlohnung, hoher Arbeitsplatzsicherheit, Würdigung und Anerkennung von Leistungen. Gegenüber Lieferanten und Konkurrenten beschränkt man sich häufig auf den vagen Begriff der "fairen Behandlung" .23 Die selteneren genaueren Bestimmungen beinhalten z. B. den Wunsch, dauerhaft mit den Lieferanten zusammenzuarbeiten, die Verpflichtung, alle Lieferanten gleich zu behandeln sowie den Verzicht auf Gegengeschäfte, die den Lieferanten unter Druck setzen könnten. Gegenüber der Konkurrenz gibt es Verpflichtungen, den freien Wettbewerb nicht durch Absprachen und dergleichen zu behindern sowie ein Verbot, der Konkurrenz Aufträge abzunehmen. 24 Anlaß zu Mißverständnissen könnte geben, daß häufig zusätzlich zu all diesen Grundsätzen noch gesondert von einer gesellschaftlichen Verantwortung oder social responsibility die Rede ist. 25 Nach unserem Verständnis besteht die soziale Verantwortung der Unternehmung schon darin, die 22) 23) 24) 25)

VgI. VgI. VgI. VgI.

Gabele I Gabele I Gabele I Gabele I

Kretschmer, Kretschmer, Kretschmer, Kretschmer,

1985, 1985, 1985, 1985,

S. S. S. S.

53; Sharplin, 1985, S. 49 ff. 65, 69 f. 281 f.; Laczniak I Murphy, 1985a, S. 113, 119 67 ff.; Shetty, 1979, S. 73

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E. Zielbildung und soziale Verantwortung

Grundsätze gegenüber allen Betroffenen (den Kunden, Mitarbeitern, Lieferanten usw.), wie sie oben beispielhaft dargestellt wurden, einzuhalten. Wer wäre nicht hoch zufrieden mit der Moral der Unternehmen, wenn alle diese Grundsätze jederzeit beachtet würden? Eine gesonderte gesellschaftliche Verantwortung wäre dann so zu verstehen, daß "der Staat" bzw. "die Öffentlichkeit" eigene Ansprüche an die Unternehmung stellt. In diesem Sinne fassen die Unternehmen die gesellschaftliche Verantwortung anscheinend auch auf und verpflichten sich z.B., für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Ordnung einzutreten, Gesetze und Verordnungen zu beachten, ein öffentliches Engagement der Mitarbeiter zu unterstützen. Gegenüber "der Öffentlichkeit" fühlen die Unternehmen sich verantwortlich für Umweltschutz, Energie- und Rohstoffersparnis.2 6 Die Grundsätze können schließlich durch noch genauere Bestimmungen in Handbüchern, Ausführungsrichtlinien usw. ergänzt werden. So legt IBM in seinem Einkaufshandbuch fest, daß kein Lieferant mehr als 30 % seiner Kapazität durch IBM-Aufträge auslasten darf. 27 Mit dieser Regelung soll verhindert werden, daß ein Lieferant zu abhängig von IBM wird. Johnson Wax bestimmt in einem Manual zur Wertepolitik u.a., daß man keine Spots in Programmen schaltet, die Gewalt verherrlichen. 28 Auch organisatorische Zuständigkeiten werden angesprochen. Solche Regelungen sind somit ein weiterer Zwischenschritt zu den präzisen "objectives", d.h. sie sind schon teilweise operationalisiert.

26) Vgl. Gabele / Kretschmer, 1985, S. 68 27) Vgl. Gabele / Kretschmer, 1985, S. 231 28) Vgl. Laczniak / Murphy, 1985a, S. 129 ff.

IV. Probleme im Zusammenhang mit dem Ziel der sozialen Verantwortung Das Ziel der "sozialen Verantwortung" wirft einige Probleme auf, die teils grundsätzlicher Art sind, teils mehr die Einzelheiten der Ziel bildung betreffen. Grundsätzlich könnte man einwenden, die Entwicklung von relativ genauen, unternehmensspezifischen Grundsätzen widerspräche unserem Ansatz einer teleologischen Ethik. Aber auch wer von den Folgen her definiert, was richtig ist und damit die Normen nicht absolut setzt, kann sich überlegen, welches Verhalten wohl im Normalfall die besten Folgen hat. Die Norm bezieht ihre Gültigkeit dann aus der Förderung des Telos, z. B. Gemeinwohl, und steht zur Disposition, wenn sie in einer konkreten Situation dem Ziel einmal nicht dienen sollte. Das kritische Durchdenken und Abwägen der Folgen soll also keineswegs durch einen Katalog von Normen ersetzt werden, aber auch eine "abstrakt konzipierte, rein auf Folgen abgestellte Verantwortungsethik wird praktisch kaum das Programm durchführen können, das sie sich stellt". 1 Es bedarf einer Vermittlung zwischen dem allgemeinen Prinzip und dem konkreten Handeln in partikulären Verhältnissen; man braucht eine handlungsleitende Wertorientierung, ein Ethos. 2 Konkrete Grundsätze können der Entwicklung eines solchen Ethos dienlich sein, ohne daß die Ethik sich in der Beachtung der Grundsätze erschöpft. Als grundsätzliches Problem könnte man zweitens ansehen, das Ziel der sozialen Verantwortung präziser zu bestimmen. Wie kann man überhaupt Grundsätze finden? Ausgangspunkt für den Inhalt der Grundsätze könnte die Kritik Betroffener oder auch - allgemeiner - die Kritik an "der Wirtschaft" sein. Daraus ergibt sich, welche Ziele für die Unternehmung gefordert werden. Umweltschutz- und Konsumerismusbewegung haben z. B. deutlich formu-

1) Kluxen, 1986, S. 18 2) Vgl. Kluxen, 1986, S. 19 9 Göbel

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E. Zielbildung und soziale Verantwortung

liert, wie sie die Verantwortung der Unternehmung sehen3 • Der direkte Dialog mit Betroffenen bzw. deren Vertretern kann dabei eine wichtige Hilfe sein. Anhaltspunkte für die Formulierung der Grundsätze kann man daneben auch aus der theologischen und philosophischen Ethik gewinnen. Schmidt entwickelt seine Führungsethik etwa aus der Tugendlehre des Thomas v. Aquin 4 , Rebstock gründet seine Normen für die Unternehmung auf den sogenannten Grundwerten wie Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit. 5 Man könnte sich weiterhin, entsprechend der "goldenen Regel" Kants fragen, wie man selbst als Kunde, Mitarbeiter, Lieferant, Anwohner, Konkurrent usw. behandelt werden möchte (Was Du nicht willst, das man Dir tu', das füge keinem anderen zu). Schließlich kann man die bereits entwickelten Grundsätze, Leitbilder und Kodizes analysieren und daraus Anregungen für die Gestaltung eigener Grundsätze gewinnen. Man darf jedoch nicht erwarten, ein Unternehmen, das sich soziale Verantwortung zum Ziel setzen will, könnte am grünen Tisch zuerst mal ein vollständiges, operationales , organisationskongruentes Zielsystem entwerfen, in dem alle Interessen von vorneherein vollkommen aufeinander abgestimmt sind. Was Verantwortung im Einzelfall heißt, wird man immer wieder neu diskutieren müssen. Welche Wirkung es hat, das Ziel der sozialen Verantwortung in das Zielsystem der Unternehmung aufzunehmen, ist das dritte grundsätzliche Problem. Steinmann etwa befürchtet, durch solche ''pseudo-nontUltive(n) Leerformel(n),1(; solle nur ein Machtmißbrauch ideologisch verschleiert werden. Allerdings bezieht sich seine Kritik explizit auf das "Davoser Manifest", einen der ersten Entwürfe eines Ethik-Kodex überhaupt, der sich zudem in seiner Allgemeinheit an alle Unternehmer wendet. Werden dagegen im Unternehmen präzise Grundsätze für verantwortliches Handeln entwickelt und sieht man diese Ziel bildung nur als ersten Schritt in einem Managementprozeß an, der die Verantwortung im Unternehmen 3) Die Konsumerismusbewegung etwa ftihrte 1962 unter J.F. Kennedy zur ·consumer's bill of rights· mit den Grundrechten: Recht auf Sicherheit der Produkte, Recht auf ehrliche Information, Recht auf Auswahl zu fairen Preisen und angemessener Qualität, Recht auf Anhörung (vgl. Carusgil / Kaynak, 1981, S. 76 f.) 4) Vgl. Schmidt, 1986, S. 40 ff. 5) Vgl. Rebstock, 1988, S. 100 ff.; Hoffmann und Rebstock, 1989, S. 674 ff. 6) Vgl. Steinmann, 1973, S. 470 (kursive Schrift im original fett)

IV. Probleme im Zusammenhang mit dem Ziel der sozialen Verantwortung

131

"institutionalisieren" soll, dann ist u. E. die Wirkung des Ziels der sozialen Verantwortung eine vierfach positive: Erstens wird damit eine grundlegende Orientierung, ein innerer Kurs, vorgegeben, der die Mitarbeiter verpflichtet, aber auch entlastet, weil sie ein "Außengeländer"7 für ihre Handlungen haben. Mit einer solchen Orientierung gibt man die gewünschte Denk- und Lösungsrichtung an. Mitarbeiter, die sich aus persönlicher Überzeugung schon immer Gedanken über die Folgen ihres Tuns gemacht haben, brauchen nicht mehr zu befürchten, damit grundsätzlich gegen die. Interessen ihres Unternehmens zu handeln. Zweitens hat ein solches Ziel Signalwirkung nach außen. Es kann Verständigungspotentiale eröffnen und Mißtrauen abbauen und es bietet den Betroffenen eine legitime Basis für Forderungen und Kontrollen. 8 Drittens ist es ein erster Schritt auf dem Weg zu einer "kulturellen Transformation". Grundsatzdokumente stellen symbolisch die gewünschte Sollkultur dar und haben die Aufgabe, alle Tätigkeiten auf dieses Ziel hin zu steuern. Es gibt insofern eine Wechselwirkung zwischen Managern und Kultur: Die Manager können die Kultur in gewisser Weise zielgerichtet entwickeln, sie werden aber auch selbst von der vorhandenen Kultur geformt. Der Begriff Transformation bringt auch zum Ausdruck, daß es sich bei der Zielsetzung nur um eine Initialzündung für weitere Aktivitäten handeln kann. Diese Sichtweise tritt auch in der vierten Funktion zutage; die Grundsätze sind Basis und Input der strategischen Planung, also der folgenden Prozeßschritte. Sieht man es grundsätzlich als sinnvoll und machbar an, das Ziel der sozialen Verantwortung unternehmensspezifisch zu präzisieren, dann ergibt sich aus dem Zielbildungsprozeß ein weiteres Problem. Je genauer die Grundsätze und Richtlinien ausgeführt werden, desto besser ist ihre Steuerungs- und Kontrollwirkung. Auf der anderen Seite dürfte es mit wachsender Präzision und Ausführlichkeit der Zielsetzungen immer schwieriger werden, diese ohne vorhergehende Umwelt- und Unternehmensanalyse festzulegen. Wir dürfen nicht vergessen, daß wir von einem idealtypischen Modell ausgehen, in dem sich ein Prozeßschritt sauber an den nächsten reiht. Tatsächlich dürfte es eher so sein, daß man sich iterativ an die Unternehmensziele herantastet. Man braucht apriori 7) Oppenrieder, 1986, S. 21 8) Vgl. Schreyögg, 1985, S. 206 9'

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E. Zie\bildung und soziale Verantwortung

gewisse Vorstellungen über die Ziele, damit eine genauere Analyse überhaupt "zielgerichtet" sein kann. Man braucht z. B. Vorstellungen darüber, wer von der Unternehmung "betroffen" ist. Andererseits kann eine UmweItanalyse neue Stakeholdergruppen enthüllen, eine Unternehmensanalyse neue regelungsbedürftige Bereiche; das Zielsystem ist ständig in der Entwicklung. Die Offenheit und Allgemeinheit der obersten Ziele ist auch durchaus sinnvoll. Da sie meist für lange Zeit gelten, ist eine gewisse Interpretationsbreite für Anpassungen von Vorteil. Auch lassen sich solche Ziele leichter in ein ZieIsystem integrieren, da z. B. nicht von vornherein eine vollständige Abstimmung mit allen anderen Zielen nötig ist. Sie sind darum auch leichter durchsetzbar. 9

9) Vgl. Cyert I March, 1963, S. 32

V. Zusammenfassende Überlegungen Abschließend wollen wir die vorangegangenen Ausführungen noch einmal kurz in einigen "Grundsätzen" zusammenfassen, die uns für den ersten Schritt im "Management der sozialen Verantwortung" besonders beachtenswert erscheinen: - Die soziale Verantwortung sollte als originäres Ziel in das Zielsystem aufgenommen und zunächt in allgemeiner und offener Form umschrieben werden etwa in der Art: Wir verpflichten uns, gegenüber allen von unseren Handlungen Betroffenen verantwortungsvoll zu handeln, d.h. die Folgen unseres Handeins daraufhin zu überprüfen, ob sie gerechtfertigt werden können. - Eine Mitwirkung der Betroffenen sollte explizit ermöglicht werden, z.B. durch Formulierungen wie: Alle Betroffenen haben das Recht gehört zu werden. Die Betroffenen sollen so weit wie möglich einbezogen werden in die unternehmenspolitischen Entscheidungen. Eine kommunikative Konfliktlösung ist wünschenswert. - Die Beziehung zum Gewinnziel sollte geklärt werden. Am besten mit dem Ziel der sozialen Verantwortung vereinbar ist es, den Gewinn als Mittel zur besseren Erfüllung der vielfältigen Ansprüche zu verstehen. Zumindest sollte man vermeiden, die kurzfristige Gewinnmaximierung neben das Ziel der sozialen Verantwortung zu stellen. Das dürfte unüberwindliche Konflikte geben. Als Input für die strategische Planung sowie als Denk- und Lösungshilfe erscheint es sinnvoll, die ständige Suche nach Möglichkeiten zielharmonischer Lösungen zum Grundsatz zu erheben, was nicht bedeuten darf, Harmonie herbeizureden, wo es keine gibt. - Die Beziehung zu gesetzlichen Regelungen sollte geklärt werden. Soziale Verantwortung muß auf jeden Fall mehr bedeuten, als sich an Gesetze und Verordnungen zu halten. Das ist nur die selbstverständliche Basis. Verantwortung entfaltet sich nur dort, wo es Handlungsspielräume gibt und es ist ja auch ein Sinn der Unternehmensverantwortung, diese Handlungsspielräume zu erhalten. Wo Gesetzgebung die beste Lösung zu sein scheint, sollte man diese nicht systematisch

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E. Zielbildung und soziale Verantwortung

torpedieren, sondern nach besten Kräften zu vernünftigen Gesetzen beitragen. - Das Ziel der sozialen Verantwortung sollte soweit wie sinnvoll und möglich genau bestimmt werden. Es bietet sich an, zunächst nach Gruppen von Betroffenen (Kunden, Mitarbeiter, Aktionäre usw.) zu definieren, welche Verantwortlichkeit man ihnen gegenüber empfindet. Ausführliche Handbücher können die Grundsätze sinnvoll ergänzen und eine bessere Steuer- und Kontrollbasis sein. Auf der Basis der langfristig gültigen Leitbilder, Grundsätze und Handbücher sind letzten Endes immer genaue, operative, kurzfristige Einzelziele zu entwickeln, die bestimmten Stellen als Vorgaben dienen können. Dies geschieht jedoch erst im Verlaufe des weiteren Managementprozesses. - Die grundsätzliche Offenheit gegenüber allen Betroffenen und neuen Anliegen sollte betont werden und somit das Erfordernis zu ständiger Aktualisierung der Ziele. - Es sollte betont werden, daß die Zielsetzung der sozialen Verantwortung auf jeder Managementebene und bei jedem Schritt im Managementprozeß explizit einzubeziehen ist, damit sie kein Bekenntnis auf dem Papier bleibt. Die Einbeziehung der Führungskräfte aller Ebenen schon bei der Zielbildung kann die praktische Umsetzung sehr erleichtern. - Die Grundsätze können ihre Wirkung nach innen und außen nur dann entfalten, wenn sie bekanntgemacht werden. Eine Geheimhaltung der Grundsätze, die manchmal noch praktiziert wird, erscheint völlig kontraindiziert. Man sollte im Gegenteil ständig bemüht sein, die Grundsätze neuen Mitarbeitern und Außenstehenden bekannt zu machen. 1 - Man sollte nicht zuviel versprechen. Zu enthusiastische Bekenntnisse sind unrealistisch. Frustrationen der Erwartungen sind unvermeidlich und die Unternehmung verliert nach innen und außen an Glaubwürdigkeit. Man sollte nur das als Ziel formulieren, was man wirklich ernsthaft anstrebt.

I) Zu den Techniken der Bekanntmachtung vgl. Stamminger, 1985, S. 279; vgl. auch die Erfahrungen der Hoechst AG; vgl. Oehler, 1990, S.1I3 ff.

F. Strategische Analyse und soziale Verantwortung I. Umweltanalyse und soziale Verantwortung I. Die Umwelt im strategischen Management Wenn heute von Umwelt gesprochen wird, denken viele wohl automatisch an die ökologische Umwelt, die Natur. Im strategischen Management umfaßt der Begriff Umwelt aber viel mehr; im Sinne der Systemtheorie ist damit das gesamte Umsystem der Unternehmung gemeint, mit dem die Unternehmung in vielfältiger Weise verbunden ist. Die Umwelt gibt Anstöße, sie setzt Restriktionen und sie ist zugleich das Tätigkeitsfeld der Unternehmung. Die engen wechselseitigen Beziehungen zwischen Unternehmung und Umwelt treten beim Konzept der strategischen Planung bzw. des strategischen Management in den Vordergrund der Betrachtung. Die Unternehmung paßt sich an die Umwelt an, aber sie beeinflußt auch ihrerseits die Umwelt und kann attraktive Umwelten (z.B. Branchen) wählen und unattraktive verlassen. 1 Basis jeder strategischen Entscheidung ist aufgrund dieser Abhängigkeiten eine sorgfältige Umweltanalyse. Was aber ist die Umwelt bzw. das Umsystem der Unternehmung? Ulrich definiert ein System als " ... eine geordnete Gesamtheit von Elementen, zwischen denen irgendwelche Beziehungen bestehen oder hergestellt werden können."2 Nach dieser sehr dehnbaren Definition kann man unterschiedlich enge oder weite Begriffsfassungen zugrunde zu legen, je wie es nach Fragestellung sinnvoll erscheint. Am weitesten steckt die Koalitionstheorie die Grenzen für das System Unternehmung ab. Zum System Unternehmung gehören danach alle, die ein Interesse an ihrer Erhaltung und Effizienzsteigerung besitzen. 3 Mit 1) Vgl. Krüger, 1977, S. 62 ff. 2) Vgl. Ulrich, 1968, S. 105 3) Vgl. Cyert / March, 1963

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F. Strategische Analyse und soziale Verantwortung

dieser Definition verschwindet das Umsystem der Unternehmung fast völlig und geht beinahe vollkommen im System Unternehmung auf, jedenfalls insofern es irgendeine Relevanz für die Unternehmung besitzt. Zum System Unternehmung gehören nach diesem Verständnis z. B. auch Kapitalgeber, Kunden und Lieferanten. Intuitiv naheliegender ist die Abgrenzung, nach der die Unternehmung ein Kollektiv von Entscheidungsträgern und Handlungsträgern mit einheitlicher Planung ist; Mitarbeiter gehören zum System, Kunden und Lieferanten zum Umsystem. 4 Schließlich gibt es noch die Sichtweise, daß auch die Mitarbeiter zum Um system der Unternehmung gehören und zwar nicht nur im Sinne potentieller Mitarbeiter (Arbeitsmarkt). Verbreitet ist diese Sichtweise besonders in der Literatur zum strategischen Management. 5 Im Zusammenhang mit dieser Abgrenzung ist auch von Stakeholdern (Sharplin, Dill) oder Claimants (Grant und King) die Rede, so daß diese sehr weite Auffassung vom Umsystem der Unternehmung für unsere Zwecke geeignet erscheint. Bezugseinheit wäre dann nur noch die Gruppe von Führungskräften, die in erster Linie die strategischen Entscheidungen trifft. Das Management, die Entscheidungsträger sind unsere "focal organization". 6 Auf diese Weise können die Mitarbeiter ebenfalls in den Kreis der Betroffenen aufgenommen werden, gegenüber denen die Unternehmung eine soziale Verantwortung hat. Wenn wir uns daran erinnern, daß Verantwortung von Macht und Wissen abhängt, daß es gerade der Entscheidungsspielraum ist, der Verantwortung mit sich bringt, dann scheint es sinnvoll, vor allem von den Führungskräften soziale Verantwortung zu verlangen. Sie geben schließlich auch für alle anderen Mitarbeiter die Ziele, Prozesse, Systeme und Strukturen vor, durch die sich die Mitarbeiter entmutigt oder ermutigt fühlen werden, ihrerseits verantwortlich zu handeln. Mit ihrem persönlichen Engagement kann verantwortliches Handeln im Unternehmen so institutionalisiert werden, daß es zu einer Eigenschaft der Unternehmung, zu einem selbstverständlichen Teil ihrer Kultur wird. 4) Vgl. Kubicek I Thom, 1976, Sp. 3982 f. 5) Vgl. Ulrich, 1978, S. 67; Wheelen I Hunger, 1983, S. 9; Sharplin, 1985, S. 29; Grant I King, 1982, S. 121; Dill, 1976, S. 127 f. 6) Freeman, 1984, S. 209 f.

I. Umweltanalyse und soziale Verantwortung

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Natürlich ist eine Abgrenzung von Entscheidungsträgern und Betroffenen im Hinblick auf die Mitarbeiter nicht unproblematisch, denn Mitarbeiter sind keine homogene Gruppe. Als Stabs mitarbeiter können sie großen Einfluß haben, auch ohne offIzielle Entscheidungskompetenz und bei einem bewußten Management by Delegation haben fast alle Mitarbeiter Entscheidungsbefugnisse. Sie haben eine Art Doppelrolle; sie stellen eigene Ansprüche an die Unternehmung und können natürlich von Entscheidungen im Unternehmen selbst stark betroffen werden (z.B. durch Entlassung). Als Vertreter des Unternehmens treten sie ihrerseits aber auch anderen Anspruchsgruppen gegenüber, z.B. den Kunden und Lieferanten. Wir wollen aber davon ausgehen, daß die Nicht-Führungskräfte normalerweise relativ enge Vorgaben für ihr Verhalten haben. Die meisten Unternehmen scheinen dies auch so zu sehen, betonen sie doch in ihren Grundsätzen besonders die Verantwortung gegenüber den Mitarbeitern. Neben der Grenzziehung zwischen System und Um system ist ein weiteres Problem, wie man das Um system für eine systematische Analyse zunächst einmal ordnen könnte. Die kasuistische Auflistung von sozialen Einheiten wie Kunden, Lieferanten, Aktionäre, Mitarbeiter, Gläubiger, Konkurrenten, Staat, Gewerkschaften, Wissenschaftler, Nachbarn, Verbraucherorganisation usw. 7 ist eine Möglichkeit. Eine Gliederung nach Sachgebieten ist eine zweite, häufig verwendete Möglichkeit. KotierS unterscheidet z.B. Wirtschaft, Technologie, Politik und Kultur, Ulrich 9 zählt die soziale, die ökonomische und die technologische Sphäre sowie die ökologische Umwelt als Umweltkomponenten auf. Daraus könnte man als zusammenfassenden Ordnungsrahmen für die Umwelt ableiten: Wirtschaft, Technologie, Politik/Recht, physische Umwelt, sozio-kulturelle Umwelt. Einen dritten Systematisierungsvorschlag machen Fahey und Narayanan. Nach der Enge der Beziehung zu einem speziellen Unternehmen unterscheiden sie " ... three levels of environment: task environment, competitive or industry environment, and general environment. "10 Zur Aufgabenumwelt gehören die Gruppen, mit denen die Unternehmung direkt im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit zu tun hat, 7) Vgl. Plesser, 1974, S. 144 8) Vgl. Kotler, 1974 9) Vgl. Ulrich, 1978, S. 67 10) Fahey / Narayanan, 1986, S. 25.

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F. Strategische Analyse und soziale Verantwortung

also z. B. Kunden, Mitarbeiter, Lieferanten. In der Branchenumwelt sind die Faktoren relevant, die alle Unternehmen der Branche gleichermaßen betreffen, etwa Substitutionsprodukte, neue Konkurrenten, Grad der Rivalität. 11 Die generelle Umwelt oder Makroumwelt enthält alle Bedingungen, die in einem geographischen Raum z. B. der Bundesrepublik Deutschland alle Unternehmen betreffen, etwa Zinserhöhungen, Inflationsraten, veränderte Wirtschaftspolitik, neue Technologien. Sie ist nur insofern eingeschränkt, als die Bedingungen überhaupt für die Unternehmung relevant sein müssen. 12 Auch von anderen Autoren gibt es solche hierarchischen Stufungen der Umwelt I3 , die allerdings nicht so sehr auf die Anzahl der betroffenen Unternehmen abstellen, sondern vielmehr darauf, ob Umweltelemente aus der Sicht der Unternehmung "nah" oder "fern" sind. Die Definition von Wheelen und Hunger gibt uns dafür Anhaltspunkte: "The societal environment includes more general forces - ones that do not directly touch upon the activities of the organization but that can, and often do, influence its decisions. "14 Erstens wird hier die Unterscheidung in direkte und indirekte Umweltbeziehungen angesprochen. Der generellen Umwelt werden eher indirekte Transaktionsbeziehungen zugeordnet, die über vermittelnde Zwischenstufen an das Unternehmen herangetragen werden. So wirken z. B. Verbraucherberatungen durch die Käufer indirekt auf die Unternehmung ein. Zweitens gibt es in der generellen Umwelt eher Kräfte, die nur potentiell relevant sind gegenüber aktuellen Beziehungen in der Aufgabenumwelt. 15 Die nähere Umwelt wird auch als die bekannte, familiäre Umwelt, zu der etablierte Kommunikationskanäle bestehen, interpretiert, während die weitere Umwelt die unbekannte, ungewohnte, schwer zu verstehende Umwelt ist. 16 Die Grenzen zwischen diesen Umweltstufen sind durchlässig; potentielle Beziehungen können aktuell werden, indirekte

·11) In Anlehnung an Porter, 1983 12) VgJ. Fahey / Narayanan, 1986, S. 25 ff. 13) Wheelen / Hunger unterscheiden z.B. auch task environment, socital environment, 1983, S. 7 f. Jehle unterscheidet nähere und weitere Umwelt, 1980, S. 149 f. Dawson unterscheidet proximate und ultimate environment, 1969, S. 32 14) Wheelen / Hunger, 1983, S. 7 15) VgJ. Kubicek /Thom, 1976, Sp. 3985 f. 16) VgJ. Jehle, 1980, S. 149

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direkt, ungewohnte Beziehungen können sich etablieren, generelle Entwicklungen in die Branchen- und Aufgabenumwelt diffundieren. Der generellen Umwelt werden häufig die Sachgebiete (Ökonomie, Technologie, Politik usw.) zugeordnet,17 der Aufgabenumwelt dagegen soziale Gruppen (Aktionäre, Konkurrenten, Abnehmer usw.). Oder man ordnet bestimmte soziale Gruppen der weiteren Umwelt zu (Konkurrenten, Verbraucherverbände, Staat, Massenmedien, Bürgerinitiativen usw.) und andere der näheren Umwelt (Mitarbeiter, Lieferanten, Kreditgeber, Kunden, Aktionäre).l8 Beide Einteilungen erscheinen nicht ganz sauber. Die Ordnung nach Sachthemen und Gruppen spielt sich auf der gleichen Ebene ab, d. h. sie beleuchtet nur je verschiedene Facetten und muß zusammen gesehen werden. Jede Gruppe vertritt irgendein Sachthema und jedes Sachthema muß von irgendeinem Interaktionspartner an die Unternehmung herangetragen werden. Ein Kunde kann der Unternehmung mit ökonomischen Forderungen gegenübertreten (z. B. niedrigere Preise), mit technologischen (z. B. modernste Technik), mit rechtlichen (z. B. einer Schadenersatzklage), mit politischen (z. B. kein Engagement in Südafrika), mit die physische Umwelt betreffenden (z. B. keine Verwendung von Treibgasen) und mit sozio-kulturellen (z. B. keine Werbung, die sich direkt an Kinder wendet). Natürlich wird die politisch-rechtliche Komponente eher vom Staat, die technologische Komponente eher von den Wissenschaftlern, die ökonomische eher von Kunden, Lieferanten und Aktionären repräsentiert usw. Auf jeden Fall aber muß ein solches Sachthema von Interaktionspartnern gegenüber der Unternehmung vertreten werden. Insofern scheint es wenig sinnvoll, z.B. die ökologische Umwelt als "Betroffene" neben die Betroffenen Konsumenten und Gesellschaft zu stellen und die Ökologie der generellen Umwelt zuzurechnen, die Konsumenten aber der Aufgabenumwelt. Umweltschutzanspruche werden erst von Kunden, Bürgerinitiativen, Parteien und anderen Gruppierungen an die Unternehmung herangetragen und können sie dann sehr wohl direkt und aktuell betreffen. Aber auch die zweite Einteilung, wonach bestimmte Gruppen der generellen und andere der Aufgabenumwelt zugeordnet werden, hat ihre Probleme, denn es kann durchaus sein, daß z.B. eine Bürgerinitiative der 17) Vgl. z.B. Hammer, 1982, S. 102; Wheelen I Hunger, 1983, S. 9 18) Vgl. lehle, 1980, S. 149 f.

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F. Strategische Analyse und soziale Verantwortung

Unternehmung "viel näher tritt" als irgendein Kleinaktionär. Welche Gruppen in der Aufgabenumwelt sind und welche zunächst "nur" in der generellen Umwelt, ist nur situationsbezogen zu beantworten. Die Umweltanalyse könnte sich also von den Fragen leiten lassen: WeIche Gruppen treten mit welchen sachlichen Forderungen aktuell und potentiell, direkt und indirekt an uns heran? Müssen wir uns mit diesen Forderungen unmittelbar auseinandersetzen, weil sie die Unternehmenstätigkeit akut berühren oder handelt es sich eher um generelle Entwicklungen, die möglicherweise in der Zukunft einen Einfluß haben werden?

2. Das Stakeholder-Konzept als Grundlage der Umweltanalyse Eine sorgfältige Umweltanalyse ist eine conditio sine qua non der sozialen Verantwortung, denn man muß wissen, wer die Betroffenen überhaupt sind und welche Anliegen sie haben. Ohne die entsprechenden Informationen aus der Umwelt kann man richtige, verantwortliche Entscheidungen nicht treffen. Eine Unternehmung, die soziale Verantwortung als Ziel verfolgt, muß zuallererst völlig offen werden für alle Anliegen und sich von ihrer traditionellen Umweltsicht lösen. Als Basis für eine solche neue, erweiterte Umweltanalyse bietet sich das in den USA entwickelte Stakeholder-Konzept an. Mit gleicher Bedeutung werden auch die Begriffe claimants oder clientele groups19 verwendet, aber der Begriff Stakeholder hat sich besonders eingebürgert. Zum ersten Mal erwähnt wurde das Wort 1963 in einem internen Papier des Stanford Research Institute. Es war bewußt in Anlehnung an das Wort "stockholder" gebildet worden, sollte somit deutlich machen, daß man von der traditionellen Sichtweise abwich, bei der von den Managern nur gegenüber den Eigentümern eine Verantwortung empfunden wurde. Als Stakeholder bezeichnete man "those groups without whose support the organization would cease to exist" .20 James Thompson21 definiert "clientele" als "those groups which

19) Vgl. King / Cleland, 1978

20) Freeman, 1984, S. 31

21) Vgl. Thompson, 1967, S. 28

I. Umwe1tanalyse und soziale Verantwortung

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make a difference"; für Dill22 sind die Stakeholder "people outside ... who have ideas about what the economic and social performance of the enterprise should include". Mehr aus der Sicht der Stakeholder als "Betroffene" ist Rhenmans 23 Definition gebildet: Stakeholder sind "individuals or groups which depend on the company for the realization of their personal goals and on whom the company is dependent. " Aus letzterer Definition könnte man herauslesen, daß eine wechselseitige Abhängigkeit zwischen Stakeholdern und Unternehmen vorliegen muß. Damit werden nach Freemans Ansicht wichtige Gruppen ausgeschlossen, die zwar ihrerseits von der Unternehmung betroffen werden, von denen die Unternehmung aber nicht abhängt. Aus diesem Grunde ändert er die Definition etwas ab: Stakeholder sind " ... groups or individuals, who can affect, or are affected by, the achievement of an organization's mission. "24 Zwar wird in den weitaus meisten Fällen eine wechselseitige Abhängigkeit vorliegen (typisch z.B. Mitarbeiter, Kunden, Lieferanten), wenn sie auch nicht gleichgewichtig auf bei den Seiten sein muß, aber Freemans Begriff enthält doch eine wichtige Nuance: Wenn die Unternehmung als Stakeholder nämlich nur diejenigen anerkennt, von denen sie unmittelbar abhängig ist, dann hat man im Grunde wieder die soziale Verantwortung zum bloßen Mittel der Gewinnerzielung degradiert. Stakeholder sollten aber alle sein, die einen "stake", ein Interesse, ein Anliegen gegenüber der Unternehmung haben, egal welchen Druck sie auf die Unternehmung ausüben können. Es gehört zum Wesen der sittlichen Verantwortung, wie schon erwähnt wurde, daß man sie freiwillig übernimmt; wer immer nur auf massiven Druck reagiert, kann nicht mehr von sozialer Verantwortung sprechen. Auf der anderen Seite ist es nur realistisch anzunehmen, daß ganz automatisch solche Gruppen mehr ins Blickfeld rucken, die ihre Anliegen deutlich formulieren, Forderungen an die Unternehmung stellen und diese mit Nachdruck verfolgen. Es ist auch sinnvoll, daß die Unternehmung, die nur über begrenzte Ressourcen verfügt, ihre verschiedenen Stakeholder bewertet und ihre Anliegen nach Dringlichkeit einstuft. Die

22) Vgl. Dill, 1975, S. 126 23) Vgl. Rhenman, 1968, S. 25 24) Freeman, 1984, S. 52

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F. Strategische Analyse und soziale Verantwortung

Unternehmung muß aber zunächst für alle Bezugsgruppen offen und auch zu einer fairen Verständigung mit ihnen bereit sein. 25 In Anlehnung an Freeman und Rhenman, aber etwas deutlicher im Hinblick auf die soziale Verantwortung formuliert, sollen Stakeholder von uns definiert werden als alle Individuen und Gruppen, die von der Unternehmenstätigkeit betroffen sind und die daher ein berechtigtes Interesse am Verhalten der Unternehmung haben. Zwei Begriffe müssen dabei näher betrachtet werden. "Betroffen" ist jemand dann, wenn er sich in der Erreichung seiner (persönlichen) Ziele von der Unternehmenstätigkeit beeinflußt fühlt. Damit die Unternehmung einen Betroffenen überhaupt als solchen erkennt, ist es natürlich von Vorteil, wenn die Stakeholder ihre Anliegen, Wünsche, Kritiken explizit gegenüber der Unternehmung äußern. Dies muß nicht durch jeden Betroffenen persönlich, sondern kann auch durch Institutionen geschehen, die individuelle Anliegen bündeln und auch anstelle der Betroffenen sprechen, die sich gar nicht äußern (z.B. Verbraucherverbände, Gewerkschaften).26 Als "berechtigt" sollte ein Interesse dann eingestuft werden, wenn man die Legitimität zumindest ansatzweise einsehen kann und die Vertreter dieses Interesses grundsätzlich auch zu einer fairen Verständigung bereit sind. Damit sollen z.B. Terroristen als Stakeholder ausgeschlossen werden. Freeman zählt auch diese zu den Stakeholdern, mit der Begründung, daß sie Einfluß auf die Unternehmung nehmen können. 27 Das ist selbstverständlich richtig, würde aber die an sich sehr sinnvoll erscheinende Kopplung von sozialer Verantwortung und Stakeholder-Konzept (die auch Freeman selbst sieht)28 unmöglich machen, denn niemand kann von der Unternehmung erwarten, gegenüber diesen Gruppen offen und zu fairer Verständigung bereit zu sein, da dies von der anderen Seite in keiner Weise zu erwarten ist. Im Hinblick auf die soziale Verantwortung geht unsere StakeholderDefinition auch bewußt von den Betroffenen und nicht von der Unternehmung aus. Dies geschieht allerdings mit der Annahme, daß alle 25) Vgl. Ulrich, 1987a, S. 420 26) Vgl. Hansen, 1985, S. 115; problematisch kann dabei allerdings sein, ob die Verbände wirklich im Sinne und im Auftrag der von ihnen Vertretenen sprechen. 27) Vgl. Freeman, 1984, S. 53 28) Vgl. Freeman, 1984, S. 38 ff.

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Stakeholder letzten Endes ihrerseits einen Einfluß auf die Unternehmung haben, daß die Unternehmung auf ihre Unterstützung angewiesen ist, daß sie "einen Unterschied machen". Ohne diese implizite Annahme wäre das ganze Stakeholder-Konzept wohl kaum entwickelt worden. Wieso bietet sich das Stakeholder-Konzept für eine Umweltanalyse im Zusammenhang mit der sozialen Verantwortung besonders an? Sowohl das Stakeholder-Konzept als auch das Konzept eines Management der sozialen Verantwortung gehen erstens von den "Betroffenen" aus; das Betroffensein von der Unternehmenstätigkeit reicht aus, um eine Beziehung herzustellen zwischen den Elementen des Um systems und der Unternehmung. Einmal geschieht dies mehr aus sittlichen Überlegungen (wem gegenüber sind wir verantwortlich?), einmal mehr aus strategischen Überlegungen (wer stellt mit welchem Nachdruck welche Forderungen an uns?), aber im Grunde müssen in beiden Fällen ähnliche Informationen erhoben werden. Es erweist sich auch zweitens als günstig, daß das Stakeholder-Konzept von Interaktionspartnern ausgeht (Kunden, Mitarbeiter, Bürgerinitiativen) und nicht von Sachthemen (Technologie, Politik, Ökonomie). Damit ist eine Basis für eine Verständigung geschaffen; man hat von Anfang an mit Personen oder Personenmehrheiten zu tun, mit denen man einen Dialog führen kann. Die "regulative Idee des unternehmungspolitischen Dialogs" ist für Ulrich29 die "Grundvoraussetzung der sozialökonomischen Rationalität der Unternehmensführung selbst." Eine soziale Verantwortung, die auf ein mündiges Mitentscheiden der Betroffenen setzt, wird durch das Stakeholder-Konzept potentiell möglich. 30 Zum dritten kann die sehr weite und offene Sichtweise, die dem Stakeholder-Konzept eigen ist, als Vorteil gewertet werden, ist es doch auch für die "social responsiveness" von entscheidender Bedeutung, offen für alle Betroffenen zu sein. Durch die Grundfrage: Wer fühlt sich von unserem Handeln eigentlich betroffen? entdeckt man möglicherweise neue Gruppen, die man bisher 29) Vgl. U1rich, 1987, S. 138 30) Anders als bei U1rich, 1987, S. 141, ist soziale Verantwortung für uns der Oberbegriff, der sowohl ein Entscheiden für die Betroffenen (monologische Verantwortung) als auch ein Entscheiden mit den Betroffenen (dialogische Verantwortung) umfaßt.

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nicht beachtet hat wie Umweltschutz- und Verbraucherverbände, Bürgerinitiativen, Kirchen, politische Gruppierungen. Und auch wenn man sich fragt, welche Anliegen vertreten werden, kann man Überraschungen erleben, denn es kann durchaus vorkommen, daß z.B. Kunden ihr Interesse nicht nur auf das Preis-Leistungs-Verhältnis der Produkte richten, sondern von den Unternehmen etwa Artenschutz (z.B. kein Verkauf von Schildkrötensuppe) oder politische Signale (z.B. kein Engagement in Südafrika) erwarten. Das Stakeholder-Konzept trägt dazu bei, daß man sich aus traditionellen Sichtweisen löst, Wahrnehmungsbarrieren abbaut und auch Gruppen in der Umwelt entdeckt, die den Unternehmen kritisch bis feindlich gegenüberstehen. Gerade diese sind es, die ihr Anliegen bisher noch nicht genügend beachtet finden, die mehr soziale Verantwortung fordern und den meisten Druck auf die Unternehmung ausüben werden. 31 Der vierte Vorteil des Stakeholder-Konzeptes ist darin zu sehen, daß die Unternehmung allen Stakeholdern ein legitimes Interesse an der Unternehmung zubilligt. Legitim bedeutet dabei nicht unbedingt, die Unternehmung würde die Anliegen voll und ganz als richtig akzeptieren, sondern heißt zunächst nur, daß es sinnvoll erscheint, sich damit auseinanderzusetzen, Zeit und Geld darauf zu verwenden, und daß ein Ausgleich der Interessen möglich erscheint. 32 Auch diese "Legitimität" ist schon eine bessere Basis für Verständigung als gegenseitiges Ignorieren. Außerdem gibt man so Signale nach innen, so daß die Mitarbeiter ermutigt werden, sich im Interesse der Unternehmung mit den Anliegen zu beschäftigen. Zuletzt kann fünftens noch ein wichtiger Vorteil des Stakeholder-Konzeptes genannt werden, nämlich die Aufdeckung von Konflikten zwischen verschiedenen Interessengruppen. Als ein großes Problem bei der praktischen Umsetzung der sozialen Verantwortung haben wir erwähnt, daß die Unternehmung sich widerstreitenden Anliegen gegenübersieht und nicht weiß, wie diese gegeneinander abgewogen werden sollen. Für die einen sind Produkt oder Arbeitsplatz unentbehrlich, für andere sind die Nebenfolgen der Produktion unerträglich. Deckt nun die Stakeholder-Analyse solche Interessengegensätze auf, kann man z.B. dafür sorgen, daß ein Stakeholder vom anderen weiß und erkennt, daß sein Interesse zunächst 31) Vgl. Freeman, 1984, S. 52 ff. 32) Vgl. Freeman, 1984, S. 45

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auch nur ein isoliertes Einzelinteresse ist, dessen Durchsetzung neue Probleme mit sich bringen kann. Der Stakeholder-Ansatz kann aufgrund dieser Überlegungen als geeignetes Gerüst angesehen werden, um die Umweltanalyse im Management der sozialen Verantwortung zu unterstützen. Soziale Verantwortung ist" ... the implied, enforced or feit obligation of managers, acting in their official capacities, to serve or protect the interests of stakeholder groups ... " .33

3. Der Ablauf der Umweltanalyse auf Stakeholder-Basis a) Wahrnehmung der Stakeholder Der erste Schritt in der Umweltanalyse auf Stakeholder-Basis besteht darin, möglichst alle Stakeholder zu identifizieren, auch die, die auf den ersten Blick nebensächlich erscheinen. Dies mag trivial wirken, ist aber aufgrund von Wahrnehmungsbarrieren längst nicht so selbstverständlich, wie man vermuten könnte. Selektive Wahrnehmung kann erstens durch die persönlichen Werte und Einstellungen der Manager verursacht werden. 34 Wer z. B. selbst materiellen Wohlstand in den Vordergrund stellt, wird mit Appellen für eine neue Bescheidenheit wenig anfangen können. Zweitens hat die in der Unternehmung vorherrschende Ideologie oder Kultur einen großen Einfluß auf die Wahrnehmung. 35 Es kann sein, daß der Manager in seiner Rolle als Manager die Dinge ganz anders sieht als er sie "privat" wahrnimmt. Wird ihm von der Unternehmung aber der Eindruck vermittelt, nur das Wohl der Aktionäre sei entscheidend und vielleicht noch, als Mittel zum Zweck, das Wohl der Kunden und Mitarbeiter, wird es ihm schwer fallen, andere berechtigte Anliegen zu erkennen. "Generations of experience ... " haben die Manager darauf 33) Vgl. Sharplin, 1985, S. 25 34) Vgl. Jehle, 1980, S. 151 35) Vgl. Jehle, 1980, S. 151 f. 10 Gäbel

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gedrillt, Profit zu machen und die freie Wirtschaft nach allen Seiten zu verteidigen. 36 Gewohnheit und der Druck des Rollenkonflikts können den Manager außerdem nach und nach so sozialisieren, daß er auch persönlich die Werte der Unternehmung vertritt, so daß der Wahrnehmungsfilter noch enger wird. Außerdem ist drittens der "outside-in approach" wie Fahey und Narayanan37 es nennen, für viele Manager eine ungewohnte Perspektive, weil man erst die Umwelt unvoreingenommen und offen wahrnehmen soll, ehe in einem zweiten Schritt die Einengung auf besonders relevante Stimuli erfolgt. Diese outside-in-Perspektive ist aber gerade im Hinblick auf den Stakeholder-Ansatz unerläßlich, geht es doch darum, die Individuen und Gruppen zu ermitteln, die sich von der Unternehmenstätigkeit betroffen fühlen und nicht nur die, von denen die Unternehmung sich unmittelbar bedroht fühlt. Die Manager müssen lernen, die Unternehmung mit den Augen der Stakeholder wahrzunehmen. Natürlich fallt es leichter, die gewohnten und stabilen Beziehungen wahrzunehmen, etwa zu Kunden und Mitarbeitern38 , indirekte Beziehungen werden leichter übersehen als direkte und konkrete Forderungen geraten eher in den Blick als abstrakte. 39 Sollen die Vorteile des Stakeholder-Konzeptes besonders im Hinblick auf die noch zu behandelnde Früherkennung aber voll ausgenutzt werden, ist es gerade wichtig, auch die ungewohnten, indirekt vermittelten, potentiellen und abstrakten Anliegen wahrzunehmen. Durch die outside-in Sichtweise werden blinde Flecken vermieden und Trends früher wahrgenommen. 40 Will man die Wahrnehmungsbarrieren abbauen, sollte man damit beginnen, die Werte und Einstellung der Manager sowie die bestehende Kultur genauer zu erforschen. 41 Stehen diese einer offenen Wahrnehmung aller Sl'keholder entgegen, kann man versuchen, durch eine kulturelle Trans-

36) Ansoff, 1983, S. 24 37) Fahey / Narayanan, 1986, S. 46 ff. 38) Soziale Verantwortung gegenüber Mitarbeitern wird viel deutlicher gesehen, als gegenüber anderen Gruppen; vgl. Bircher, 1976a, S. 232, 234 39) Vgl. Jehle, 1980, S. 150 40) Vgl. Fahey / Narayanan, 1986, S. 46 41) Siehe auch den Teil Unternehmensanalyse und soziale Verantwortung; vgl. Freeman, 1984, S. 98.

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formation die Sensibilität nach und nach zu erhöhen. 42 Es wird ganz wesentlich sein, daß die Unternehmensleitung selbst die Legitimität aller Stakeholder anerkennt, zumindest in dem schon erwähnten Sinn, daß es sinnvoll ist, Zeit und Geld auf sie zu verwenden. Wichtig ist schließlich, ein entsprechendes Informationssystem zu schaffen und die organisatorischen Zuständigkeiten zu regeln. 43 Der Etablierung eines formalen Informationssystems steht allerdings entgegen, daß dieser erste Schritt der Umweltanalyse, das "scanning", wie Fahey und Narayanan44es nennen, " ... the nwst ill-structured and ambiguous environmental analysis activity" ist. 45 Die potentiell relevanten Daten sind unendlich, sie sind verstreut, vage und unpräzise und können aus vielen verschiedenen, teils ganz unerwarteten Quellen kommen. Es ist eine sehr schwierige Aufgabe für den Analysten, die Datenquellen zu bestimmen, die Daten zu interpretieren und miteinander zu verbinden sowie die Daten herauszufiltern, die eine genauere Analyse lohnen. Es kommt dabei sehr auf die Sensibilität, das Fingerspitzengefühl, das breite Wissen und die Unvoreingenommenheit des Analysten an. Als Quellen werden empfohlen: "Broad reading" und "Consulting many types of experts inside and outside the organization" .46 Um überhaupt einen Einstieg zu finden, gibt es verschiedene mögliche Anknüpfungspunkte. Freeman47 schlägt z. B. eine "social issue analysis" vor, d. h. eine Analyse der wichtigsten Anliegen, die die Gesellschaft zur Zeit bewegen. (Er benutzt diese Analyse zwar in einem anderen Zusammenhang, u. E. kann man damit aber auch Stakeholder identifizieren.) Die Umwelt wird nach Sachgebieten gegliedert (Ökonomie, Technologie, Politik/Recht, physische Umwelt, sozio-kulturelle Umwelt)48 und in jedem Sachgebiet werden die umstrittenen Themen identifiziert. Die Liste dringender gesellschaftlicher Fragen könnte z. B. - stark verkürzt - wie folgt aussehen:

42) Vgl. Ansoff, 1983, S. 25; vgl. auch den Teil Implementierung, S. 43) Vgl. Ansoff, 1983, S. 25 f. 44) Vgl. Fahey / Narayanan, 1986, S. 37 ff. 45) Fahey / Narayanan, 1986, S. 38 46) Vgl. Fahey und Narayanan, 1986, S. 37 ff. 47) Vgl. Freeman, 1984, S. 99 ff. 48) Freeman, 1984, S. 100 gliedert etwas anders.

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1. Ökonomie - Arbeitslosigkeit - Verschuldung der Dritten Welt - Wirtschaftswachstum 2. Technologie - Gentechnik - künstliche Intelligenz - Kerntechnik 3. Politik/Recht - Bestechungsaffären - Verständigung zwischen Ost und West - Reform des Gesundheitswesens 4. Physische Umwelt - Ozonloch - Wasserverschmutzung - Belastung von Lebensmitteln 5. Sozio-kulturelle Umwelt - neue Armut - Überalterung der Bevölkerung - Orientierungslosigkeit der Jugend Bei all diesen Fragen und Problemen könnte die Unternehmung sich selbstkritisch die Frage stellen, ob sie als Mitverursacher angesehen werden könnte (z.B. Arbeitslosigkeit) bzw. ob es ihr möglich erscheint, einen positiven Beitrag zur Lösung zu leisten (z. B. durch neue Umweltschutztechnologie). Daraus ergibt sich, wer sich von der Unternehmung beeinträchtigt fühlen könnte, bzw. wessen Situation durch entsprechendes Verhalten verbessert werden könnte, also wer als (potentieller) Stakeholder in Frage kommt.

I. Umwe1tanalyse und soziale Verantwortung

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Ein anderer Anknüpfungspunkt für die Wahrnehmung von Stakeholdern ist der Produktlebenszyklus. Utz49 schlägt vor, in den fünf Phasen des Produktlebenszyklus, die da sind Produktentwicklung, -erstellung, Nachfragebeeinflussung, Produktverwendung und -beseitigung, nach möglichen externen Effekten zu suchen. Fragt man sich z. B., wer bei der Produktverwendung Beeinträchtigungen erfahren könnte, kommt man auch auf Stakeholder, die man sonst leicht übersehen würde. Vom Individualverkehr, d.h. also von der Verwendung des Produktes Auto betroffen sind etwa auch Kinder, die nicht mehr ungefährdet spielen können, Anlieger, die Lärm und Abgase ertragen müssen. Als drittes Hilfsmittel zur Ermittlung der Stakeholder kommen Stakeholderlisten in Frage, die in der Literatur als typische Beispiele angeführt werden. Sie könnten als eine Art Checkliste dienen, wenn sie natürlich auch recht grob sind und der unternehmensspezifischen Verfeinerung bedürfen. Ein Beispiel zeigt Abb. 6. Diese Listen sind nicht mehr als ein erster Anhaltspunkt, denn "Activist Groups" sagt z. B. noch recht wenig aus. Je nach Unternehmung können das Gruppen sein, die um den Erhalt von Arbeitsplätzen kämpfen, die Umweltverschmutzung anprangern, die Qualität der Produkte bemängeln, die das Verhalten der Unternehmung in der 3. Welt anklagen usw. Auch können scheinbar homogene Gruppen wie die Eigentümer ganz verschiedene Anliegen haben, je nachdem, ob sie mehr an kurzfristigem Kursgewinn interessiert sind oder am langfristigen Bestand der Unternehmung. Schon in dieser allerersten Phase sollte man sich daher soweit wie möglich an eine spezifischere Stakeholder-Landkarte50 herantasten, wenn auch zum Teil erst die folgende Analyse-Phase endgültig Aufschluß darüber gibt, welche Gruppen unterschieden werden müssen.

49) Vgl. Utz, 1978, S. 243 ff. Utz interpretiert den Begriff des Produktlebenszyklus anders, als es üblich ist. Während i.a. nach der Marktreaktion im Zeitablauf die Phasen Einführung, Wachstum, Reife, Sättigung und Verfall unterschieden werden (vgl. z.B. Meffert, 1980, S. 340 ff.), geht Utz wohl mehr vom "Leben" der einzelnen Produkte aus. 50) Stakeholder-Map, vgl. Freeman, 1984, S. 56 ff.

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Abb. 6: Stakeholder Map of a Very Large Organization, Quelle: Freeman 1984, S.55

Auch die schon angesprochene "Politik der Beschwerdemaximierung" kann schließlich helfen, Stakeholder zu entdecken. Wer bewußt Beschwerdekanäle öffnet und geradezu darum wirbt, alle Unzufriedenheiten zu

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äußern, der erhält eher Hinweise darauf, wie die Unternehmung nach außen hin wirkt. 51 Als einziges Instrument würde eine solche Beschwerdepolitik aber nicht ausreichen, weil das passive Abwarten, bis jemand sich beschwert, zu viele Unzufriedenheiten unentdeckt ließe (nach Untersuchungen in den USA unterlassen bei Verbrauchsgütern ca. 55 % der unzufriedenen Kunden eine Beschwerde).52 Der größte Vorteil des ungerichteten "scanning" nach dem "outside-in approach", nämlich die Breite und Fülle der Informationen, ist zugleich das größte Problem des Ansatzes. Selbst wenn man die Stakeholder-Maps für einzelne Sparten erstellt, was natürlich bei sehr verschiedenartigen Sparten unbedingt sinnvoll ist, können noch hunderte spezieller Stakeholder entdeckt werden, wie eine Fallstudie zeigt. 53 Um die Komplexität überhaupt zu bewältigen, bleibt nur übrig, schon in dieser Phase auch eine gewisse Bewertung vorzunehmen und "von innen nach außen" (inside-out approach)54 aufgrund der speziellen Beschaffenheit der Unternehmung eine Vorauswahl der besonders relevanten Stakeholder zu treffen. Man steht also vor dem Dilemma, Entscheidungen ohne ausreichende Information treffen zu müssen, weil es ja gerade unmöglich ist, hunderte von Stakeholdern der folgenden ausführlichen Analyse zu unterziehen. Hier zeigt sich im übrigen das Problematische an dem vorliegenden (und jedem) Phasenmodell; die einzelnen Schritte sind nicht so sauber zu trennen, wie es postuliert wird. Man nimmt z.B. etwas wahr, weil es einem wichtig erscheint und es erscheint wichtig, weil man eine - noch so verkürzte - Analyse und Bewertung vorgenommen hat. Wegen der Übersichtlichkeit der Darstellung und auch weil es sinnvoll erscheint, zumindest schwerpunktmäßig den vorgeschlagenen Ablauf einzuhalten, soll das Modell trotz der Einwände beibehalten werden.

51) 52) 53) 54)

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Wimmer, 1985 Wimmer, 1985, S. 230 Freeman, 1983, S. 52 Fahey I Narayanan, 1986, S. 48 f.

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b) Stakeholder-Analyse In dieser zweiten Phase geht es darum, gezielt und strukturiert möglichst viele Informationen über die Stakeholder zu sammeln, die nach der ersten Vorauswahl wichtig genug erscheinen, um den Aufwand an Zeit und Geld zu rechtfertigen. Man könnte sich dabei von Fragen leiten lassen, die im folgenden den einzelnen Abschnitten vorangestellt werden sollen. (1) Welche Anliegen haben die Stakeholder? Was erwarten sie von uns? Was werfen sie uns vor? Nachdem man eine Liste der Stakeholder erstellt hat, ist der nächste Schritt, sich über ihre Ansprüche klar zu werden. Dabei geht es vor allem darum, unvoreingenommen und offen zu sein und nicht zu denken, daß man schon weiß, was z.B. die Kunden und Mitarbeiter wünschen. Die Spannungen zwischen Stakeholdern und Unternehmung entstehen ja gerade daraus, daß die Unternehmen die Änderungen in den Anliegen nicht wahrnehmen. Daß Kunden z.B. ehrliche Werbung und gute Qualität zum niedrigen Preis wünschen, dürfte bekannt sein. Daß sie aber Kosmetika ohne Tierversuche wollen, Eier aus artgerechter Tierhaltung, Produkte aus Südafrika ablehnen, in aufwendigen Verpackungen nur unnötigen Abfall sehen, Fleisch nicht essen, weil durch die Tiermast Nahrungsmittel in der Dritten Welt fehlen und vieles andere mehr, sind neue Anliegen. 55 Auch die Mitarbeiter wollen heute nicht nur höhere Löhne. Sie haben vielleicht Angst vor den Folgen der Technik, an der sie selbst mitarbeiten56 , sie wollen freier über ihre Zeit verfügen57 und Mitsprache bei Innovationen58 , sie wünschen, die Unternehmung würde mehr für

55) Zur Unterstützung einer Bewegung, die sich "Shopping for a beUer world" nennt, wurde in Amerika ein 500 Seiten starkes Buch herausgegeben, in dem zahlreiche Unternehmen genau unter die Lupe genommen werden nach 7 Kriterien wie z.B. Vertretung von Frauen und Minderheiten in der Geschäftsführung, Engagement in Südafrika, Beteiligung an Waffengeschäften. Der Titel des Buches ist "Rating America's Corporate Conscience"; vgl. Enderle, 1987, S. 447; vgl. auch Windhorst, 1985 56) Vgl. Müller-Go1chert, 1984 57) Vgl. Mahler, 1986 58) Vgl. Hettlage, 1983, S. 406

I. Umweltanalyse und soziale Verantwortung

153

Umweltschutz und Arbeitsplatzsicherung tun 59 und legen größeren Wert auf kommunikative Tugenden60 . Selbst die Eigentümer sind nicht mehr nur am finanziellen Ergebnis interessiert. Seit den 70er Jahren gibt es in den USA die Bewegung des ethischen Investierens. Kapitaleigentümer wollen soweit wie möglich ihre eigenen Wertvorstellungen in der Unternehmung geltend machen bzw. kaufen bewußt keine Aktien von Firmen, die in ihren Augen unmoralische Geschäfte machen. Zur informationellen Unterstützung dieser Anleger sind zahlreiche Organisationen gegründet worden, von denen zwei bekannte das Investor Responsibility Research Center in Washington D.C. und der Council on Economic Priorities in New York sind. 61 Die Zahl der von Aktionären eingebrachten, sozialorientierten und gegen die Unternehmenspolitik gerichteten Resolutionen hat sich von 1975 bis 1980 mehr als verdreifacht. 62 Beachten sollte man auch die Anliegen, die nicht unmittelbar an die spezielle Unternehmung gerichtet sind, sondern in denen eher allgemeine Kritik an der Wirtschaft zum Ausdruck kommt. Die Frauenbewegung beklagt Diskriminierung von Frauen im Beruf, Arbeitsloseninititativen werfen den Unternehmen rücksichtsloses Wegrationalisieren von Arbeitsplätzen vor, Konsumentenorganisationen wollen bessere allgemeine Geschäftsbedingungen durchsetzen, Umweltschutzverbände klagen die Wirtschaft wegen der Zerstörung der Natur an usw. Solche Anliegen können zwar zunächst noch in der weiteren Umwelt der Unternehmung angesiedelt sein, werden aber leicht akut, wenn aufgrund bestimmter Ereignisse die Unternehmung auf einmal ins Kreuzfeuer gerät. Vorwürfe und Appelle, die sich an "die Wirtschaft" richten, sollten allemal Aufmerksamkeit erregen. Um die einzelnen Schritte im Analyseprozeß zu verdeutlichen, sollen die zu Beginn jedes Abschnittes gestellten Fragen im folgenden immer an einem Beispiel beantwortet werden. Wir wählen dazu die Stakeholdergruppe der Nichtraucher, die der Zigarettenindustrie seit einiger Zeit mehr Aufmerksamkeit abnötigt als die eigentlichen Kunden, die Raucher. Sie werfen der Zigarettenindustrie vor:

59) 60) 61) 62)

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Rosenstiel, 1986, S. 91 f. Schanz, 1985, S. 564 Enderle, 1987, S. 446 Useem, 1984, S. 147

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F. Strategische Analyse und soziale Verantwortung

- Daß sie Profite machen mit Produkten, die die Gesundheit von Rauchern und Passivrauchern massiv gefährden, - daß sie die Gefahren bewußt herunterspielen, - daß sie mit großem Werbeaufwand Menschen zum Rauchen verführen. (2) Welche Nah- und Fernziele verfolgen die Stakeholder? Die Anliegen und VOlWÜrfe sind zunächst oft noch recht pauschal, besonders wenn sie sich an die Wirtschaft allgemein richten. Es ist aber für mögliche Reaktionen wichtig, möglichst genau zu ergründen, ob und wenn ja welche konkreten Zielvorstellungen die Stakeholder haben, was sie in naher und ferner Zukunft an (meßbaren) Ergebnissen erwarten. Sehr konkrete Forderungen werden oft als aggressiv und bedrohlich empfunden, aber im Grunde ist viel leichter damit umzugehen. Man nimmt sie eher wahr, man kann gezielter reagieren und Erfolge besser kontrollieren. Man kann auch besser darüber diskutieren und dagegen argumentieren, wenn sie unrealistisch und überzogen erscheinen. Die Unternehmen sollten ein Interesse an der Konkretisierung der Ziele haben, weil pauschale VOlWÜrfe der Art "die Multis beuten die Dritte Welt aus" das Klima vergiften, ohne daß sie eine Chance hätten, in sachlicher Auseinandersetzung manche VOlWÜrfe zu entkräften, andere zu akzeptieren und Änderungen einzuleiten. Auch den Stakeholdern selbst sollte daran liegen, ihre Anliegen möglichst präzise und operational zu formulieren, weil konkretere Forderungen viel durchsetzungsf"ahiger sind. 63 Um zu unserem Beispiel zurückzukommen, könnten die Nichtraucher etwa folgende Nahziele haben: - Verbot von Zigarettenwerbung in Kinos; - Verbot des Rauchens in öffentlichen Verkehrsmitteln; - auffälligere Warnhinweise auf jeder Packung. Als Fernziele könnte man annehmen: - Verbot jeglicher Werbung für Zigaretten; - Verbot des Rauchens in der Öffentlichkeit; - Verbot des Rauchens überhaupt. 63) Vgl. Stauss, 1985, S. 74 f.

I. Umweltanalyse und soziale Verantwortung

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(3) WeIche Werte und Motive stecken hinter diesen Zielen? Der nächste Schritt im Analyseprozeß ist, die Anliegen und Ziele der Stakeholder nicht nur festzustellen, sondern sie auch besser zu verstehen. Freeman nennt diese Aufgabe "Stakeholder Behavior Explanation". Jedesmal, wenn man in Versuchung ist, die Stakeholderanliegen einfach als "irrational" abzutun, sollte man sich fragen, ob es nicht sinnvoller ist, zu sagen, daß man die Anliegen nicht versteht. Ob man nun mit den Zielen sympathisiert oder nicht, es ist Aufgabe der Manager, das Verhalten der Stakeholder soweit wie möglich zu verstehen. 64 Nur im Zusammenhang mit den Motiven, die letzten Endes hinter der Verfolgung eines Anliegens stecken, kann man nämlich die Fernziele richtig einschätzen und das zukünftige Verhalten abschätzen. Um es an unserem Beispiel zu erläutern, macht es einen Unterschied, ob das Hauptmotiv der Nichtrauchergruppen ist, - die Verführung insbesondere von Jugendlichen zum Rauchen zu verhindern; - das Passivrauchen zu verhindern, weil niemand gegen seinen Willen geschädigt werden soll;

- das Rauchen überhaupt zu verhindern, weil es gesundheitsschädlich ist und die Volkswirtschaft die Folgekosten tragen muß. Im ersten Fall dürfte die Stakeholdergruppe zufriedengestellt sein, wenn z. B. die Werbung für Zigaretten eingeschränkt wird, wenn man keine Direktwerbung mehr in typischen Jugendtreffs durchführt, keine Zigarettenautomaten in der Nähe von Schulen aufgestellt werden. Im zweiten Fall wäre wohl das Hauptziel, nach und nach das Rauchen an allen Plätzen zu verbieten, wo Nichtraucher geschädigt werden könnten. Wenn jeder Nichtraucher überall die Möglichkeit hat, sich dem Rauch zu entziehen, dürfte das Problem für die so Motivierten erledigt sein. Die dritte Gruppe wird der Unternehmung dagegen erst dann verantwortliches Verhalten bescheinigen wollen, wenn die Produktion und Vennarktung von Zigaretten völlig eingestellt wird.

64) Vgl. Freeman, 1984, S. 133

156

F. Strategische Analyse und soziale Verantwortung

(4) Wie verhalten sich die Stakeholder? Welche Strategien verfolgen sie? Den Stakeholdern stehen viele verschiedene Mittel zur Verfügung, um ihr Anliegen durchzusetzen. Jehle unterscheidet z. B. nach der Intensität des Protestes eine Skala von 11 Verhaltensweisen: "(1)

Kritik am gesellschaftsbezogenen Verhalten der Unternehmen

(2)

Anmeldung von Forderungen nach Sozialinnovationen

(3)

Beteiligung an Unterschriftensammlungen

(4)

Teilnahme an genehmigten Demonstrationen

(5)

Aufklärungsarbeit an Informationsständen und Verteilung von Flugblättern

(6)

Beteiligung an Boykotts

(7)

Mietstreiks

(8)

Aufhalten des Verkehrs

(9)

Wilde Streiks

(10) Besetzung von Gebäuden und Fabriken (11) Gewalt gegen Sachen und Personen. "65 Diese Aufzählung erscheint etwas willkürlich, weil einerseits Verhaltensweisen aufgezählt werden, die nur in ganz speziellen Fällen auftreten werden, wie Mietstreiks oder Aufhalten des Verkehrs und andererseits wichtige Verhaltensweisen fehlen, wie Anrufung der Gerichte und Mobilisierung von Politikern. Wichtiger als die vollständige und überschneidungsfreie Aufzählung der möglichen Verhaltensweisen, die ohnehin kaum gelingen dürfte, ist die Idee, die Verhaltensweisen nach der "Intensität" zu skalieren. Eine ähnliche Idee liegt Freeman's Zweiteilung des Verhaltens in "Negotiate" und "Play Hard Ball" zugrunde66 , wobei "Intensität" hier vielleicht genauer mit "Grad der Feindseligkeit" übersetzt werden müßte. Zu der Verhandlungsstrategie gehören für ihn Verhaltensweisen wie Darstellung der Anliegen, Treffen mit den Unternehmensrepräsentanten, Zusammenarbeit, um einen Kompromiß auszu65) lehte, 1980, S. 127 66) Freeman, 1984, S. 75

I. Umwe1tanalyse und soziale Verantwortung

157

handeln. Zu einer "Play Hard Ball"-Strategie zählt er u.a. die Anrufung der Gerichte, Beschwerde bei Politikern, Gesetzesvorlagen, um ein Produkt zu verbieten. 67 Wir wollen diese Einteilung von Freeman durch die Einführung einer dritten Intensitätsstufe etwas verfeinern und unterscheiden 1. direkte Verhandlungen, 2. Mobilisierung der Öffentlichkeit, 3. harte Bandagen. Auf der ersten Stufe tragen die Stakeholder ihre Anliegen der Unternehmung vor und versuchen, durch Verhandlungen einen Kompromiß zu erzielen. Auf der zweiten Stufe wird die Öffentlichkeit mobilisiert, z.B. durch Unterschriftensammlungen, F1ugblattaktionen, Informationsstände, Demonstrationen, Veröffentlichungen aller Art. Auf dieser Stufe ist man immer noch für Verhandlungen offen, fühlt sich aber von der Unternehmung nicht genug gewürdigt und möchte dem Anliegen Nachdruck verleihen. Wird dagegen mit harten Bandagen gekämpft, hat man fürs erste die Verhandlungsbereitschaft aufgegeben und versucht z.B. durch die Justiz oder über die Politik die Unternehmen zum Nachgeben zu zwingen. Natürlich gibt es fließende Übergänge zwischen diesen Stufen. Boykottund Streikaufrufe könnten am unteren Ende der Stufe 2 oder am oberen Ende der Stufe 3 angesiedelt sein. Auch können u.U. Verhaltensweisen der verschiedenen Stufen parallel auftreten. Das wesentliche bei diesem Analyseschritt dürfte sein, sich ein zumindest grobes Bild davon zu machen, wie aus der Sicht der Stakeholder die Basis für den Umgang miteinander aussieht. Diese Sichtweise wird eng damit zusammenhängen, wie die Stakeholder die Unternehmung wahrnehmen und was sie über sie glauben. 68 Und dies wird wiederum davon abhängen, wie die Unternehmung in der Vergangenheit reagiert hat und wie sie aktuell reagiert. Hat sie ihrerseits immer mit "harten Bandagen" gekämpft bzw. droht sie sofort mit gerichtlichen Klagen, dann ist der Umgang miteinander einmal auf "feindselig programmiert". Von dieser Ebene wieder zu einer vertrauensvollen Zusammenarbeit zurückzufinden, dürfte schwierig und langwierig sein.

67) Vgl. Freeman, 1984, S. 7S 68) Vgl. Freeman, 1984, S. 134

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F. Strategische Analyse und soziale Verantwortung

Beispiele für die verschiedenen Typen von Verhaltensweisen könnten im Fall der Nichtraucher sein: - Appelle an die Unternehmensführung, Direktwerbung in Jugendlokalen zu unterlassen, - großangelegte Aufklärungskampagnen über die Gefahren des Rauchens in Schulen und Jugendtreffs; Unterschriftenlisten z.B. von Eltern an die Unternehmung schicken, - Gesetze forcieren, die jede Werbung verbieten, die Jugendliche zum Rauchen verführen könnte. (5) Wie verhalten sich verschiedene Stakeholdergruppen zueinander? Zu Beginn haben wir bereits davon gesprochen, daß ein großes Problem für die Unternehmung sein kann, daß sie widersprüchlichen Interessen ausgesetzt ist. Solche widerstreitenden Anliegen sollte man mit einer Konjliktanalyse aufzudecken versuchen. Ebenso kann es sein, daß verschiedene Stakeholder harmonierende Interessen haben und sich daher gegenseitig unterstützen, was mit einer Koalitionsanalyse zu klären wäre. Sowohl Konflikte als auch mögliche Koalitionen sind natürlich am leichtesten an den Zielen der Stakeholder festzumachen; aber auch eine ähnliche oder sehr verschiedene Einstellung gegenüber der Unternehmung, ähnliche oder sehr verschiedene Vorstellungen über die richtigen Verhaltensweisen können eine eher feindliche oder eher harmonische Grundstimmung zwischen zwei Stakeholdergruppen erzeugen. 69 So können zwei Stakeholdergruppen, die beide gegen eine bestimmte Art der Umweltverschmutzung - z. B. durch Abwassereinleitung in einen Fluß - kämpfen, völlig verschiedener Meinung über die zu verwendenden Mittel sein und sich daher gegenseitig die Unterstützung verweigern. Andererseits kann die gemeinsame Grundüberzeugung, eine Unternehmung handle unsozial, unter Umständen Koalitionen zwischen Gruppen fördern, die verschiedene Ziele verfolgen. Koalitionen werden meist mit dem Ziel gebildet, gemeinsam die eigenen Ziele besser durchsetzen zu können, als alleine. Größere Gruppen verfügen über mehr Ressourcen und mehr Einfluß. Häufig sucht man auch bewußt die Zusammenarbeit mit Gruppen, die der eigenen Strategie am 69) Ähnlich auch Freeman, 1984, S. 135

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meisten nützen, z. B. Vertreter bekannter Medien, wenn man die Öffentlichkeit mobilisieren will, bzw. Politiker, wenn man Gesetze durchbringen will. Am wahrscheinlichsten sind Koalitionen zwischen Gruppen, die das gleiche Ziel mit ähnlichen Mitteln und aus einer ähnlichen Grundüberzeugung heraus verfolgen. Die Koalition setzt sich manchmal bewußt recht allgemeine Ziele, um kleinere Zieldifferenzen zu überspielen und so die Unterstützung aller Mitglieder zu erhalten.1° Selbst bei z. T. widersprüchlichen Zielen sind noch Koalitionen auf Zeit möglich, wenn man sich nur einigen kann über ein gemeinsames Ziel, das bei allen momentan Priorität hat. 71 Es gibt verschieden intensive Formen der Zusammenarbeit, die von bloßem gegenseitigem Wohlwollen bis hin zu gemeinsamen Plänen und Aktionen gehen können. Eine Konkurrenz zwischen den Stakeholdern entsteht in erster Linie dann, wenn sie diametral entgegengesetzte Ziele haben oder zu haben glauben. Die Intensität der Konkurrenz kann ebenfalls verschieden sein, von gegenseitiger Antipathie bis hin zu offener Feindschaft. Für die Unternehmung sind konkurrierende Stakeholder von Interesse, weil sie möglicherweise die Basis für eine Koalition zwischen der Unternehmung und einer der Stakeholdergruppen darstellen. Koalitionen von Stakeholdern untereinander sind wichtig für die Unternehmung, weil dadurch Macht und Einfluß der Stakeholder rapide steigen können. Ansoff schlägt ein Schema für eine kombinierte Konkurrenz- und Koalitionsanalyse vor72 , das wir - leicht abgewandelt - unserem Beispiel zugrundelegen wollen. Das Ziel, um das es geht, lautet: Abschaffung der Zigarettenwerbung .

70) Vgl. MacMillan, 1978, S. 57 ff. 71) Vgl. MacMillan, 1978, S. 61 72) Vgl. Ansoff, 1983, S. 21

160

F. Strategische Analyse und soziale Verantwortung

Mitarheiter

Anteilseigner

a)

b)

+++

Mitarbeiter

Nichtraucher

Gesundheitsministed) c) e) h) i) f) rium gegen gegen gleich- kämpfeGesund- Zigag) Passiv- Aktiv- gültig rettenheit risch rauchen rauchen werbung

0

-

0

++

0

-

++

-

--

0

++

0

-

++

+

-

--

++

++

Anteilseigner

+++

Nichtraucher gegen Passivrauchen

0

-

Nichtraucher gegen Aktivrauchen

-

--

Raucher gleichgültig

0

0

-

Raucher kämpferisch

++

++

--

---

+

Gesundheitsministerium

O

0

++

++

-

--

Medien für die Gesundheit

-

-

++

++

0

- - +++

++

++

-

--

0

Medien für Zigarettenwerbung

--

+

- - - ++ +

Abb. 7: Stakeholder-, Konkurrenz- und Koalitionsanalyse

++

-

++

--

-

0

0

--

--

++

+++

--

--

0 0

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161

Als mögliche Koalitionspartner für ein Verbot der Zigarettenwerbung kann man demnach vorsehen: Nichtraucher, die das Rauchen ganz verbieten möchten, Gesundheitsministerium, Medien mit Gesundheitsthemen, evtl. Nichtraucher, die nur das Passivrauchen ablehnen. Koalitionen gegen ein Verbot der Zigarettenwerbung bilden möglicherweise: Mitarbeiter, Anteilseigner , kämpferische Raucher, Medien mit viel

Legende zu Abb. 7:

+ = Unterstützungspotential - = Oppositionspotential o = neutrales Verhältnis

a) Mitarbeiter einer Zigarettenfirma b) Anteilseigner einer Zigarettenfirma c) Nichtraucher, die vor allem sich selbst und andere Nichtraucher vor dem Passivrauchen bewahren wollen. Wenn Raucher sich selbst schädigen, ist ihnen dasgleichgültig. d) Nichtraucher, die das Rauchen als gesundheitsschädlich ganz verbieten möchten. e) Raucher, denen ein Werbeverbot gleichgültig ist, weil sie keinen Zusammenhang sehen zwischen ihrem" Privatvergnügen" und einem Werbeverbot. 1) Raucher, die in einem Werbeverbot den ersten Schritt zu weiteren Verboten sehen. Sie bekämpfen ein Werbeverbot mit dem Hinweis auf die persönliche Freiheit der Rauchenden. g) Gesundheitsministerium, das die Zahl der Raucher aus gesundheitspolitischen Gründen senken will. h) Medien, die viel über das Thema Gesundheit bringen und z. B. Reportagen über die Gefahren des Rauchens verbreiten. i) Medien. die hohe Einnahmen aus der Zigarettenwerbung verbuchen.

11 Göbel

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F. Strategische Analyse und soziale Verantwortung

Zigarettenwerbung. Evtl. können auch die gleichgültigen Raucher als Koalitionsteilnehmer gewonnen werden. Die größten Interessengegensätze werden zwischen kämpferischen Rauchern und absoluten Rauchgegnern bestehen. Natürlich sind in diesem Schema noch längst nicht alle enthalten, die sich für dieses spezielle Anliegen interessieren könnten. Beispielsweise könnten auch Aufsteller von Zigarettenautomaten, Elternverbände, einzelne Politiker oder Parteien sich für oder gegen ein Werbeverbot engagieren. Man kann auch sicher darüber streiten, ob die Beziehungen zwischen den Stakeholdern genau der Darstellung entsprechen, ob z. B. - wie unterstellt - militante Nichtraucher negativer gegenüber den Anteilseignern als gegenüber den Mitarbeitern eingestellt sind. Des weiteren könnten auch die Gruppen der Anteilseigner und Mitarbeiter durchaus noch in sich inhomogen sein und z. T. mit den Nichtrauchern sympathisieren. Schließlich sind die Gruppen nicht so sauber zu trennen, wie es das Schema vermittelt, denn ein Mitarbeiter kann z. B. gleichzeitig noch Anteilseigner und passionierter Raucher sein. Trotz dieser Einwände gibt das Analyseschema erste Anhaltspunkte, wo die größten Gemeinsamkeiten und Gegensätze liegen, wo Koalitionen wahrscheinlich sind. Ein solches Schema ist auch heilsam in der Diskussion mit einzelnen Stakeholdergruppen, die oft genug auch nicht über ihr eigenes Anliegen hinausschauen und entgegengesetzte Interessen nicht akzeptieren wollen. (6) Welche Arten von Einfluß haben die Stakeholder auf die Unternehmung? Aus der Sicht der Unternehmung eine der wichtigsten Fragen ist sicher, welchen Einfluß die Stakeholder möglicherweise auf die Unternehmung ausüben können. Die Abschätzung des Einflusses insgesamt wird daher auch noch einmal Gegenstand der folgenden Phase der Bewertung sein. Ein Baustein zur besseren Einschätzung des Einflusses ist die Art der Beziehungen zwischen Stakeholder und Unternehmung oder anders ausgedrückt, die Einflußbasis. Freeman73 unterscheidet die drei Beziehungsarten equity, market und kibbitzer. Aktionäre haben Einfluß durch ihren Kapitalanteil, der ihnen Mitspracherecht einräumt (equity), Kunden und Lieferanten haben Einfluß über die Markttransaktionen (market). Mit 73) Vgl. Freeman, 1984, S. 60; in Anlehnung an Dill, 1976

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"kibbitzer" wird dann die Restmenge all derer zusammengefaßt, die außerdem noch einen Einfluß haben. Diese große Gruppe könnte man noch etwas genauer unterteilen in: Weitere Personen mit offIziellen Mitspracherechten, z. B. im Aufsichtsrat, Personen, deren Einflußbasis die Mitarbeit im Unternehmen ist, Personen, die das Unternehmen über die Gesetzgebung beeinflussen können und schließlich Personen, deren Einfluß darauf beruht, daß sie Meinungsmacher sind. Man kann nicht eindeutig festlegen, welche Beziehung den größten Einfluß vermittelt. Ein offIzielles Mitspracherecht ist zwar die Einflußmöglichkeit schlechthin, aber es kommt auch noch auf die dazugehörige Macht an. Ein Kleinaktionär hat de facto sicher viel geringeren Einfluß auf die Unternehmung als ein wichtiger Kunde. Selbst Stakeholder , die nur die öffentliche Meinung mobilisieren können, haben unter Umständen einen großen Einfluß auf die Unternehmung, meist indem sie über die Kunden indirekt auf das Unternehmen einwirken. Ein offiZielles, verbrieftes Mitspracherecht hat zwar aus der Sicht des Stakeholders den Vorteil, sicher und einklagbar zu sein; tatsächlich entscheidet die reale Macht mehr als die Einflußbasis darüber, ob der Stakeholder sein Anliegen durchsetzen kann. Neben der Frage, worauf der Einfluß des Stakeholders basiert, kann man weiterhin untersuchen, auf welchen Gebieten er sich zeigen könnte. Freeman unterscheidet ökonomische, technologische, politische und soziale Effekte. 74 Als Beispiel soll uns das "Surgeon General's Advisory Committee on Smoking and Health" dienen, das 1962 in den USA gebildet wurde auf Anregung des damaligen Präsidenten John F. Kennedy.7 5 Seine Aufgabe war, einen objektiven und durch Expertenwissen fundierten Untersuchungsbericht über die möglichen schädlichen Folgen des Rauchens zu erstellen. Die Einflußbasis war zunächst die Möglichkeit, die öffentliche Meinung in die eine oder andere Richtung zu ändern. Durch die Nähe des Komitees zur Regierung war zudem - zumindest indirekt - ein gesetzgeberischer Einfluß vorhanden. Die Arbeit des Komitees, insbesondere die Veröffentlichung des "Surgeon General's Report" 1964, hatte auf den vier oben unterschiedenen Gebieten folgenden Einfluß: 74) Vgl. Freeman, 1984, S. 92 ff. 75) Vgl. zum folgenden Miles I Cameron, 1982, S. 39 ff. jj*

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F. Strategische Analyse und soziale Verantwortung

Ökonomische Effekte: - ein scharfer, wenn auch kurzlebiger Rückgang im Zigarettenkonsum , - ein Sturz der Aktien der Tabakindustrie. Technologische Effekte: - Anstoß zur Entwicklung leichterer Zigaretten, - stärkere Produktion von Filterzigaretten. Politische Effekte: - Gesetz, das einen Warnhinweis auf jeder Zigarettenschachtel vorschreibt (1965), - Verbot von Werbung in Schulen (1965), - zahlreiche Gesetze zum Schutz der Nichtraucher, z. B. durch Rauchverbot in öffentlichen Räumen und Verkehrsmitteln. Soziale Effekte: - Raucher werden immer mehr als unsozial abgestempelt; Nichtraucher bestehen immer offener und vehementer auf ihren Rechten. Die von Freeman des weiteren genannten unternehmerischen Effekte, worunter er versteht: " ... to change its management systems and processes, and even its managerial style and values"76 treten nach unserem Schema erst im Verlauf des weiteren Managementprozesses auf. Sie sind Ausfluß der strategischen Reaktionen der Unternehmung und stehen im jetzigen Stadium der Analyse noch nicht fest. (7) Welche Macht haben die Stakeholder?

Will man den möglichen Einfluß einer Stakeholdergruppe auf die Unternehmung abschätzen, ist die Frage nach der Macht dieser Gruppe von äußerster Wichtigkeit, wie schon im letzten Abschnitt kurz angesprochen wurde. Die Macht der Stakeholder " .. to make an event actually happen"77 hängt wiederum von verschiedenen Einflußgrößen ab, von denen wir die wichtigsten kurz erläutern wollen. Zunächst spielt der Grad der Organisation eine große Rolle, denn formale Gruppen setzen sich leichter durch als informale78 . Gut organisisierte

76) Freeman, 1984, S. 93 77) Freeman, 1984, S. 61 78) Vgl. Jeh1e, 1980, S. 176

I. Umwe1tanalyse und soziale Verantwortung

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Gruppen treten nach außen geschlossen auf und bedienen sich technokratischer Mittel, was ihnen mehr Überzeugungskraft und Ansehen verleiht.19 Oft genügt ein einzelner, charismatischer Führer, ein "politischer Unternehmer", um eine bis dahin informale Gruppe straff zu organisieren. 80 Zweitens ist die Zusammensetzung der Gruppe äußerst wichtig. Mehr noch als die Anzahl der Mitglieder dürfte die Art der Mitglieder entscheidend sein. Gelingt es, Personen für ein Anliegen zu mobilisieren, die ihrerseits über einen hohen Bekanntheitsgrad, Macht und Ansehen verfügen und deren Meinung hoch geschätzt wird, steigt auch der Einfluß der ganzen Gruppe erheblich. Besonders interessant dürfte es für die Stakeholdergruppe sein, solche Personen für ihr Anliegen zu gewinnen, die ihrerseits über eine sehr gute Einflußbasis im Unternehmen verfügen, wie etwa wichtige Kunden. Zum dritten ist zu beachten, über welche Ressourcen die Stakeholder verfügen. Eine solide finanzielle Basis erlaubt nämlich Maßnahmen, die sonst gar nicht in Frage kämen, wie groß angelegte Informationskampagnen oder langwierige Prozesse. Die Ausstattung mit Ressourcen ist nicht unabhängig von den ersten beiden Punkten, denn straffe Organisation (z.B. mit offiziellen Mitgliedsbeiträgen) sowie Anzahl und Art der Mitglieder entscheiden über die potentiellen Mittel mit. Viertens schließlich ist ein Machtfaktor , über welches Ansehen die Stakeholder in der Öffentlichkeit verfügen. Eine große Akzeptanz hängt wiederum davon ab, ob die Stakeholder zentrale gesellschaftliche Werte vertreten, ob sie sich legitimer Mittel bedienen, ob sie über Mitglieder verfügen, die ihrerseits großes öffentliches Ansehen genießen, und ob die Medien ihnen wohlgesonnen sind. 81 Eine breite öffentliche Anerkennung ist außerdem umso wahrscheinlicher, je größer das Koalitionspotential der Stakeholder ist, bzw. je weniger ihr Anliegen mit dem anderer Stakeholder konkurriert. Die Macht der Nichtraucherbewegung in den USA stieg z. B. rapide an, als sich mit dem "Surgeon General's Advisory Committee of Smoking and Health" eine gut organisierte und mit technischen und finanziellen 79) VgJ. Jehle, 1980, S. 129 80) VgJ. MacMillan, 1978, S. 72 81) VgJ. Stauss, 1985, S. 92

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F. Strategische Analyse und soziale Verantwortung

Mitteln ausgestattete Gruppe des Anliegens annahm, die außerdem durch die Art ihrer Mitglieder (unabhängige Experten) und die Unterstützung durch den Präsidenten großes Ansehen genoß. Die Ergebnisse wurden von der Öffentlichkeit als objektiv richtig akzeptiert und von den Medien intensiv verbreitet. Mit dem Thema Gesundheit wird außerdem ein zentraler gesellschaftlicher Wert angesprochen. Gebremst wird die Macht der Nichtraucher allerdings dadurch, daß relativ viele Stakeholder konkurrierende Interessen haben. Dazu gehören die Anteilseigner, die Mitarbeiter in der Tabakindustrie einschließlich der Zulieferindustrie (z.B. Tabakfarmen) sowie natürlich die Raucher. Auch sie könnten sich auf zentrale gesellschaftliche Werte berufen, wie das Recht auf Arbeit oder das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Die auf den vorstehenden Seiten behandelten sieben Fragen zur Stakeholderanalyse geben die wichtigsten, wenn auch mit Sicherheit nicht alle Punkte an, die einer näheren Betrachtung bedürfen. Die so zusammengetragenen Informationen bilden den Input für die Prognose der Anliegen, die Feststellung dringender Anliegen (Issue-Analyse) und geben Anhaltspunkte für die Auswahl der Strategie. Man kann die Fragen wahrscheinlich nicht so säuberlich getrennt und hintereinander abarbeiten, wie es vielleicht durch die vorstehenden Ausführungen suggeriert wird. Vielmehr wird man häufig nur Einzelinformationen haben, die wie Teile eines Puzzles erst nach und nach zu einem klaren Bild zusammengesetzt werden können. Aber wie bei einem Puzzle ist auch hierbei sehr hilfreich, wenn man eine Vorstellung vom herzustellenden Gesamtbild hat, wenn man also vorab einen Rahmen für die Analyse entwirft, wie es hier vorgeschlagen wurde. Die Analyse entspricht in etwa der von Fahey und Narayanan 82 beschriebenen Phase des "monitoring" . Im Gegensatz zum breiten, ungerichteten scanning geht es dabei um viel speziellere und detailliertere Informationen, die systematisch und strukturiert erhoben werden sollten. Als dritte Phase folgt das "forecasting" , die Prognose, die ganz wesentlich auf den Daten des "monitoring" beruht und von dieser Basis ausgehend versucht, "to lay the evolutionary path of anticipated change. "83

82) Vgl. Fahey I Narayanan, 1986, S. 36 ff. 83) Fahey I Narayanan, 1986, S. 41

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c) Prognose von Stakeholder-Anliegen

Gerade für die strategische Planung ist es unerläßlich, sich Vorstellungen über die Zukunft zu machen. "Thus, forecasting is an essential element in environmental analysis. "84 Es geht darum, plausible Prognosen über Richtung, Umfang und Geschwindigkeit von Umweltveränderungen zu machen. Jede Prognose basiert zunächst auf den Daten der Vergangenheit und Gegenwart. Je besser diese Basis aufgrund der Analyse, desto leichter wird es fallen, die Entwicklungen der Zukunft zu schätzen. Betrachten wir zunächst die sogenannten quantitativen Prognosemethoden, z. B. die Regressionsrechnung. 85 Die erste Aufgabe ist es, ein Prognosemodell zu entwickeln, d. h. zunächst die Größen herauszufinden, die in erster Linie die Entwicklung vorangetrieben haben und weiter vorantreiben werden. Im zweiten Schritt wird man die im Modell als Hauptursache identifizierten Größen prognostizieren, um daraus die Entwicklung der abhängigen Größe abzuschätzen. Das größte Problem bei dieser scheinbar so einfachen Methode liegt natürlich im Modellbau, denn es dürfte außerordentlich schwierig sein, alle unabhängigen Variablen zu identifizieren und die Art der Beziehungen zur abhängigen Variablen exakt zu quantifizieren. Gerade im Falle der Prognose von Stakeholderanliegen scheinen qualitative Prognosemethoden besser geeignet zu sein, die zwar natürlich auch implizit von Vergangenheitsdaten und Hypothesen über kausale Zusammenhänge ausgehen müssen, die aber nicht zu einer exakten Quantifizierung zWingen und dem Fingerspitzengefühl mehr Raum geben. 86 Solche qualitativen Prognosetechniken sind z.B. die Delphi-Methode87 oder die Szenario-Methode. 88 Auch Analogieverfahren89 dürften brauchbar sein; sehr viele Bewegungen (z. B. Konsumerismus, Fitnesswelle)

84) 85) 86) 87) 88)

Fahey u. Narayanan, 1986, S. 41 Vgl. Schütz, 1975, S. 84 ff. Vgl. Schreyögg, 1984, S. 102 ff. Vgl. Albach, 1970; Schöllhammer, 1970; Wechsler, 1978 Vgl. Gabus I Escher, 1982; Geschka I Reibnitz I Seibert, 1982; Knauer, 1978; Leemhuis, 1985; Ansoff entwickelt vier Szenarios, wie sich die Ansprüche der Gesellschaft im großen und ganzen weiterentwickeln könnten, 1983, S. 11 f. 89) Vgl. Schütz, 1975, S. 80

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kommen etwa aus den USA mit einiger Verzögerung auch zu uns und entwickeln sich ähnlich. Prognosen von Stakeholder-Anliegen kann man nicht aus Theorien ableiten, aber man kann zur Begründung solcher Prognosen zumindest "sog. Vernunftgründe (induktive Begründungen)"9o anführen. Plausible hypothetische Zusammenhänge sind z. B.: Eine Weiterentwicklung des Anliegens ist umso eher zu elWarten - je größer die Unzufriedenheit des Stakeholders ist; die Unzufriedenheit wird vermutlich größer sein, wenn es sich um eine Abnahmedeprivation 91 handelt, d. h. wenn die Bedingungen sich tatsächlich verschlechtert haben, wenn die Stakeholder direkte und gravierende negative Folgen befürchten und wenn sie wenig oder keine Ausweichmöglichkeiten haben. - je besser die Stakeholder ihre Erfolgsaussichten einschätzen; die Erfolgsaussichten werden umso positiver beurteilt werden, - je größer die Macht der Stakeholder ist und umso mehr positive Erfahrungen sie bereits mit Protestaktionen gemacht haben. - je schwächer die Legitimation der Unternehmung ist; die Unternehmung ist umso weniger legitimiert, je eindeutiger sie für einen konkreten Mangel verantwortlich ist, je weniger überzeugende Gründe sie für ihr Handeln vorbringen kann und je weniger sie in der Vergangenheit zu Zugeständnissen bereit war. - je mehr das Anliegen von anderen Trends unterstützt wird; Änderungen in der Arbeitsmotivation können z. B. zusammenhängen mit demographischen, wirtschaftlichen, technologischen und gesetzlichen Entwicklungen sowie umfassenderen Einstellungsänderungen. 92 Zum Teil bestimmt die Unternehmung durch ihre strategischen Reaktionen die Weiterentwicklung auch mit. Lehnt sie z. B. von sich aus jede Zusammenarbeit mit den Stakeholdern ab, obwohl ihr Anliegen von vielen 90) Wild, 1976, Sp. 3899; Schanz nennt nicht theoriegestützte Voraussagen Projektionen und verwendet den Begriff Prognosen nur für die explizit auf Theorien beruhende Vorausagen. Aber er räumt solchen Projektionen speziell in der Betriebswirtschaftlehre große Bedeutung ein, vgl. Schanz, 1975, S.85, 94 91) Vgl. Gurr, 1972, S. 54 92) Vgl. Fahey / Narayanan, 1986, S. 54 f.

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als berechtigt angesehen wird, könnte dieses Vorgehen erst recht die aHgemeine Solidarität mit den Stakeholdern fördern und zudem feindlichere Verhaltensweisen provozieren. Greifen wir auf unser Beispiel aus der Analyse-Phase zurück und versuchen wir, anband der vorstehenden Ausführungen abzuschätzen, wie sich das Nichtraucheranliegen weiterentwickeln wird. Für eine weitere Forcierung des Anliegens spricht, daß es mit gravierenden negativen gesundheitlichen Folgen verbunden wird (z. B. Lungenkrebs), daß auch Nichtraucher durch Passivrauchen gefährdet sind, daß die Nichtraucherlobby über große Macht verfügt und bereits zahlreiche Erfolge zu verbuchen hat, daß die Zigarettenproduzenten eindeutig verantwortlich gemacht werden können und daß ein aHgemeiner Trend zu Gesundheit und Fitness verstärkend wirkt. Gegen eine weitere Forcierung spricht, daß auch die Raucherlobby mächtig ist, daß die Unternehmen gute Gründe für die Weiterproduktion angeben können (Arbeitsplätze, Freiheit des Konsumenten), daß sie bereits viele Zugeständnisse gemacht haben (Verzicht auf Fernsehwerbung, leichtere Zigaretten) und daß hedonistische Trends und die Emanzipationsbewegung (immer mehr Frauen rauchen) gegen den Verzicht auf die Zigaretten wirken. SoHte es gelingen, die Nichtraucher vor den negativen Folgen des Rauchens zu schützen, z. B. durch Rauchverbote in der Öffentlichkeit, durch Nichtraucherzonen in Verkehrsmitteln, Restaurants, Büros usw. oder auch durch die Entwicklung einer rauchlosen Zigarette, dürfte das Anliegen zumindest für die Stakeholdergruppen erledigt sein, die vor aHem sich selbst als Nichtraucher schützen woHen. Die Gruppe, deren Anliegen "Volksgesundheit" ist, wird sich weniger durchsetzen, weil für dieses Anliegen nicht nur die Zigarettenindustrie verantwortlich gemacht werden kann, sondern z. B. auch Alkohol- und Süßwarenindustrie. Solange die Nichtraucher geschützt sind, faHen außerdem die Schäden nur bei denen an, die freiwillig zur Zigarette greifen. Wissen sie um die Schädlichkeit des Produktes (z. B. durch Warnhinweise und genaue Angaben der Inbaltsstoffe) und werden sie nicht durch Werbung zum Rauchen manipuliert (z. B. durch einen Verzicht auf Fernsehwerbung), faHen die meisten Angriffspunkte weg. Ein aHgemeines Rauchverbot ist sehr unwahrscheinlich.

170

F. Strategische Analyse und soziale Verantwortung

Als vierte Phase der Umweltanalyse - nach scanning, monitoring und forecasting - folgt die Bewertung (assessment)93, die folgende Fragen beantworten soll: "What are the key issues presented by the environment? What are the implications of the issues for our organization?"94 Eigentlich finden auch zwischen den vorhergehenden drei Phasen schon jeweils Bewertungen statt, denn man braucht ja irgendeinen Anhaltspunkt für die Auswahl der Anliegen, die nach dem scanning noch weiter beobachtet und schließlich auch noch prognostiziert werden sollen. Während der Schwerpunkt in den ersten drei Phasen aber darauf liegt, die Umwelt zu verstehen, liegt er in der vierten Phase darauf, zu evaluieren, was die Analyse der Umwelt für die Unternehmung bedeutet. Diese Phase leitet über zu der Auswahl der passenden Strategie. Eine solche Bewertung kann aber erst zusammen mit einer Analyse der Unternehmung (vgl. Abschnitt F.I1) vorgenommen werden, weshalb die Bewertungsphase nach unserer Vorstellung mit der Identifikation der strategie issues zusammenfällt.

d) Der Dialog mit den Stakeholdern als Datenquelle für Analyse und Prognose

Als Datenquellen für die Analyse und Prognose der "Makro-Umwelt" schlagen Fahey und Narayanan95 vor: gezieltes Lesen (der Printmedien), Interviews mit Individuen und Gruppen, Umfragen, interne und externe Datensammlungen. Freeman schlägt weiterhin die Anhörung interner und externer Stakeholderexperten vor. 96 Als beste Stakeholderexperten dürften sich die Stakeholder selbst erweisen, die ergiebigste Datenquelle ist demnach der offene Dialog mit den Betroffenen. Aus drei weiteren Gründen sollte man dieser Quelle den Vorzug geben. Der Wunsch zur Mitentscheidung entspricht einem allgemeinen Trend. 97 Kommt man diesem Wunsch entgegen, kann man damit seinen Willen zu 93) Vgl. Fahey / Narayanan, 1986, S. 42, 56 94) Fahey / Narayanan, 1986, S. 42 95) Vgl. Fahey / Narayanan, 1986, S. 37, S. 45 96) Vgl. Freeman, 1984, S. 95, S. 114 97) Vgl. Dill, 1976, S. 126

I. Umweltanalyse und soziale Verantwortung

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einer fairen Interessenabwägung signalisieren und so den Boden für Kooperation und Konsens bereiten. 98 Wie die Alltagserfahrung lehrt, ist es wichtig für eine friedliche Verständigung, daß man möglichst viel übereinander weiß und sich persönlich, sozusagen von Mensch zu Mensch, kennt. Feindbilder können so am leichtesten demontiert werden. Zweitens bietet der Dialog beiden Seiten eine gewisse Gewähr für die Objektivität der Daten. Gerieren sich die Manager ohne Informationen aus erster Hand als Experten für alle Betroffenen, dann ist die Gefahr sehr groß, daß sie zumindest partiell ihren eigenen Wahrnehmungsverzerrungen erliegen. Das Denken in traditionellen Bahnen kann vor allem bei den Anliegen gefährlich werden, die sich gerade durch ihre Neuigkeit auszeichnen. 99 Das gleiche gilt für die Stakeholder, die häufig auch blinde Flecken bei der Wahrnehmung der Unternehmung haben. Drittens schließlich hat der Dialog auch ethische Relevanz. Vor allem Ulrich weist immer wieder eindringlich darauf hin, daß soziale Verantwortung den Diskurs mit den Betroffenen wo immer möglich beinhalten sollte. 1OO Er bezieht sich dabei auf die kommunikative oder Diskursethik, wie sie unter anderem von Habermas vertreten wird. 101 Verkürzt gesagt vertritt Habermas die Auffassung, richtige Normen könnten nur durch einen Konsens aller Betroffenen gefunden werden. Damit der faktische Konsens aber zugleich als sittlich richtig gelten darf, muß er in einer "idealen Sprechsituation" zustandegekommen sein. Eine solche Situation ist u. a. dadurch gekennzeichnet, daß alle Diskursteilnehmer kommunikative Kompetenz haben, daß sie die gleichen Chancen erhalten, wahrhaftig, vernünftig und guten Willens sind. 102 Bei der kommunikativen Ethik geht es also nicht darum, einzelne Normen konkret inhaltlich festzulegen, sondern darüber nachzudenken, wie man vorgehen könnte, um überhaupt zu verbindlichen Normen zu gelangen. Der Wille zur Verständigung und menschenwürdigen Konfliktlösung ist in diesem Sinne selbst eine "universale Minimalethik" .103 98) Vgl. Utz, 1978, S. 206 99) Vgl. Freeman, 1984, S. 95, 134 f. 1(0) Vgl. U1rich, 1987b, S. 140 f.; 1980b, S. 37; 1983, S. 72 ff.; 1987a, S. 420 ff.; 1980a, S. 30,42 ff.; 1986, S. 431 ff. 101) Vgl. Ulrich, 1986, S. 269 ff. 102) Vgl. Habermas, 1973b, S. 255 f.; Pieper, 1985, S. 121 ff. 103) Vgl. Apel, 1976, S. 239

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F. Strategische Analyse und soziale Verantwortung

Wenn es in der Unternehmung auch nicht darum gehen kann, allgemeingültige ethische Normen herauszufinden, sondern in der Regel nur Kompromisse ausgehandelt werden können 104 und wenn auch der reale Diskurs immer mehr oder weniger weit von der idealen Sprechsituation entfernt sein wird, so ist die Idee des Dialoges als regulatives PrinziplOS doch einsichtig. Ein zwangloser Dialog ist z. B. die beste Voraussetzung, unverzerrte Informationen über die Bedürfnisse der Betroffenen zu erhalten; wie wir schon früher gesagt haben, eine unabdingbare Voraussetzung für die Wahrnehmung sozialer Verantwortung. Das stete Bemühen der Unternehmung, der idealen Sprechsituation besser zu entsprechen, kann daher auch schon als Ausdruck sozialer Verantwortung bewertet werden.

4. Das Stakeholder-Konzept und das Konzept der Früherkennung a) Die besoruiere Eignung des Stakeholder-Ansatzes jar die Früherkennung Bei der Kennzeichnung des strategischen Management haben wir bereits erwähnt, daß vor allem von Ansoff die Notwendigkeit hervorgehoben wurde, Umweltänderungen, die Chancen oder Risiken für die Unternehmung implizieren, möglichst frühzeitig zu erkennen. Dies ist eine Konsequenz aus der Vorstellung, daß die Unternehmung sich strategisch verhalten sollte, also immer wieder einen "fit" mit der sich verändernden Umwelt suchen sollte. Da strategische Handlungen wie die Erschließung eines neuen Marktes, Produktinnovationen, Unternehmenszusammenschlüsse, Internationalisierung, der Ausstieg aus einem Markt usw. sehr langwierig, kostspielig und nicht so leicht revidierbar sind, ist es eine Notwendigkeit, so früh wie möglich strategischen Handlungsbedarf zu entdecken, was den Anstoß gab zur Entwicklung sogenannter Frühwarnoder Früherkennungssysteme. 104) Vgl. Habermas, 1983, S. 82 f. 105) Vgl. UIrich, 1983, S. 75

I. Umweltanalyse und soziale Verantwortung

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Frühwarnsysteme der ersten Generation I 06 , die innerjährlich das voraussichtliche Ist zum Periodenende mit dem Plan zum Periodenende vergleichen, sind für die Aufgabe der strategischen Frühwarnung ungeeignet, weil sie weder genügend Vorlauf bieten noch gänzlich neuartige Entwicklungen signalisieren, die bisher noch gar nicht in die Planung Eingang gefunden hatten. Sehr viel besser geeignet sind schon die Frühwarnsysteme der zweiten Generation 107 , die auf sog. Indikatoren basieren. Die Grundüberlegung ist dabei, daß sich die eigentlichen Gefahren, z. B. ein hoher Verlust, über längere Zeit entwickeln und dabei eine Kette von Kausalbeziehungen durchlaufen. Der Verlust ist z. B. auf einen starken Umsatzrückgang in einem zentralen Bereich zurückzuführen, dieser wiederum auf die Entwicklung eines besseren Substitutionsproduktes , weIches auf einer ganz neuen Technologie beruht. Die Anmeldung eines Patents für das Substitut oder, noch früher, erste Veröffentlichungen über die neue Technologie, wären vorauseilende Anzeichen gewesen, die die künftige Gefahr frühzeitig indiziert hätten. Man geht folgendermaßen vor l08 : Es werden Beobachtungsbereiche festgelegt (z. B. Märkte, Technologiebereiche), man sucht nach Indikatoren, die man möglichst quantifizieren können sollte (z. B. Auftragseingang), fixiert kritische Werte für diese Indikatoren (z. B. Aufträge sinken um mehr als 20 % unter die des Vormonats) und legt fest, wer den Indikator beobachten soll und an wen die Informationen weiterzugeben sind. Für eine spezifisch strategische Früherkennung scheint auch dieser Ansatz in mancher Hinsicht ungeeignet. Diese Art der Früherkennung nimmt z. B. ihren Ausgang immer in den bekannten Unternehmensbereichen und beruht überwiegend auf Erfahrungen aus der Vergangenheit. Sie entspricht also dem "inside-out-approach", der eher die Gefahr blinder Flecken mit sich bringt, weil die Sichtweise von vornherein verengt ist. 109 Das Bedürfnis, die Indikatoren zu quantifizieren und 106) Vgl. Klausmann, 1983b, S. 41 f.; er spricht bewußt von Frühwarnsystemen, weil die Erkenntnis künftiger Gefahren nach seiner Erfahrung die weitaus größte Rolle in der Unternehmung spielt. Simon, 1986, S. 31, bevorzugt dagegen den weiter gefaßten Begriff der Früherkennung, der sich auch auf die Erkenntnis von Chancen bezieht. 107) Vgl. Klausmann, 1983b, S. 42 f. 108) Vgl. Hahn / Klausmann, 1983, S. 252 ff. 109) Vgl. Fahey / Narayanan, 1986, S. 48

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F. Strategische Analyse und soziale Verantwortung

Toleranzgrenzen apriori festzulegen, führt außerdem dazu, daß solche Indikatoren relativ "nah" bei der eigentlichen Gefahr liegen müssen, wodurch der Vorlauf des Indikators natürlich gesenkt wird. Obwohl besser als die Früherkennungsinformationen der ersten Generation, sind auch diese Informationen noch wenig geeignet, völlig neuartige Situationen zu erkennen, bzw. überhaupt Veränderungen früh genug anzuzeigen. lIO Aus dieser Kritik heraus wurden die Frühwarnsysteme der dritten Generationili, die speziell für die strategische Planung Informationen liefern sollten, entwickelt. 112 Ein Unterschied zum Indikatoransatz im engeren Sinne ist eine sehr breite und offene Umweltanalyse, die eher dem "outside-in-approach" ähnelt. 1I3 Statt gezielt bestimmte, vorher festgelegte Indikatorgrößen abzuarbeiten, nimmt man Informationen zunächst einmal zweckfrei wahr und entscheidet erst später, ob sie als relevant anzusehen sind. Kirsch und Trux 1l4 bildeten dafür den bildhaften Vergleich vom "Aufwirbel-Ansaug-Filter-System". Der Vorteil gegenüber dem Indikatoransatz liegt vor allem darin, daß auf diese Art und Weise auch völlig neue Entwicklungen im Ansatz erkannt werden können. Der große Nachteil ist die Ineffizienz eines völlig ungerichteten "Herumstocherns im Nebel". Ja, kennzeichnet man Information als "entscheidungsrelevantes Wissen"lI5, dann kann man gar nicht ungezielt nach Informationen suchen, weil erst die Entscheidungsrelevanz Daten zu Informationen macht. Es muß also irgendeine Einengung und Ausrichtung der Infonnationssuche geben, ohne daß man gleich wieder zu stark dem bisherigen Unternehmens geschehen verhaftet bleibt. Eine Analyse der Aufgabenumwelt, d. h. der Beziehungen, die die einzelne Unternehmung zur Zeit zu ihrer speziellen Umwelt hat, " ... the set of customers, suppliers, competitors, and other environmental agencies ... directly related to the finn"1I6 wäre zwar effizient, aber sehr eng. 110) Vgl. auch Kritik bei Klausmann, 1983b, S. 44; Simon, 1986, S. 46 ff. 111) Generation kann man nicht unbedingt chronologisch verstehen, wie es Simon tut (vgl. Simon, 1986, S. 28 ff.) 112) Vgl. Klausmann, 1983b, S. 43 f. 113) Vgl. Fahey I Narayanan, 1986, S. 46 ff. 114) Vgl. Kirsch I Trux, 1981, S. 359 115) Vgl. Schweitzer, 1987, S. 17; Erichson I Hammann, 1987, S. 154 116) Fahey I Narayanan, 1986, S. 25

I. Umwe1tanalyse und soziale Verantwortung

175

Die Branchenumwelt (competitive or industry environment) enthält darüber hinaus alle Beziehungen, die in der Branche insgesamt Einfluß haben, wie z. B. die Macht der Lieferanten oder des Handels. 1I7 Im Hinblick auf die Frühwarnung ist besonders wichtig, daß auch potentielle Bedrohungen, z. B. durch den Eintritt neuer Wettbewerber oder durch die Entwicklung von Ersatzprodukten analysiert werden. Darin liegt schon eine erweiterte Perspektive. Als besonders geeignet für die strategische Früherkennung aber wird die Analyse der generellen Umwelt gehalten; sie gilt als brauchbare Quelle für die schwachen Signale, die zukünftige Chancen und Gefahren vorauseilend ankündigen. 118 Mit der Aufforderung, die generelle, globale oder Makroumwelt der Unternehmung zu analysieren, hat man aber das obengenannte Problem noch nicht gelöst, nämlich daß eine sinnvolle Analyse den Analysebereich vorab einschränken muß. Fahey und Narayanan l19 behelfen sich mit dem Begriff der "relevanten Umwelt", die enger ist als die generelle Umwelt, aber weiter als die Branchenumwelt und die - wenig erhellend - definiert wird als "the environment deemed relevant" (Vgl. Abb.8). Analysiert man die Abbildung näher, stößt man bald auf Schwierigkeiten. Wird die generelle Umwelt so definiert, daß die in ihr stattfindenden Entwicklungen alle Unternehmen betreffen (wie z. B. die Inflationsrate oder eine Zinsänderung)120, dann sind diese Entwicklungen auch für alle Unternehmen relevant, d. h. die Menge genereller, aber irrelevanter Entwicklungen wäre leer. Legt man den Begriff der generellen Entwicklungen so aus, daß sie zumindest nicht nur für eine einzige Branche relevant sind, kann man sich dagegen leicht Beispiele vorstellen. Die Fitnesswelle könnte z. B. als solcher allgemeiner Trend gelten, der etwa für die Sportartikelbranche, die Nahrungsmittelbranche und die Zigarettenindustrie relevant ist, für einen Hersteller von Werkzeugmaschinen aber uninteressant.

117) Vgl. die Branchenstrukturanalyse bei Porter, 1980 118) Vgl. Hahn / Klausmann, 1983, S. 262; Klausmann, 1983b, S. 44; Battelle, 1978; Wiedmann, 1985, S. 319; zum Begriff schwache Signale vgl. Ansoff, 1976 119) Vgl. Fahey / Narayanan, 1986, S. 26 f. 120) Fahey / Narayanan, 1986, S. 25 f.

176

F. Strategische Analyse und soziale Verantwortung

General Environment

,----------------, Relevant Environment

Competitive or Industry Environment (s)

L ________________

~

Abb. 8: Hierarchie der Umweltebenen (levels of environment), Quelle: Fahey / Narayanan, 1986, S. 27

Wenn aber die Fitnesswelle für die Sportartikelhersteller äußerst relevant ist, warum gehört sie dann nicht zur Branchenumwelt? Die Tatsache, daß auch andere Branchen vom gleichen Trend betroffen werden, ist aus der Sicht der Unternehmung völlig nebensächlich; was für die Branche relevant ist, sollte auch Gegenstand der Branchenanalyse sein. Erweitert man die Branchenanalyse um eine "Analyse der Gesellschaft" - sofern sie

I.

Umwe1tanalyse und soziale Verantwortung

177

relevant ist - , wie es Porter anregtl21, aber dann nicht ausführt, dann löst sich die "generelle Umwelt" gänzlich auf in einen irrelevanten Teil und einen Teil, der mit Fug und Recht auch als Branchenumwelt bezeichnet werden könnte. Die Grenzziehung zwischen den Umwelten nach der Anzahl der betroffenen Unternehmen bringt aus der Sicht der einzelnen Unternehmung offensichtlich nicht viel. Was als Idee dahintersteckt - und durch Begriffsbildungen wie Makroumwelt oder weitere Umwelt auch eher suggeriert wird - ist, daß es Entwicklungen gibt, die zunächst noch weiter von der Unternehmung entfernt sind (Makroumwelt), dann aber über die Mediumumwelt (Branche) in die Mikroumwelt (Unternehmung) diffundieren. 122 Wenn man also die Makroumwelt beobachtet, erhält man Fcühwarninformationen bezüglich der Unternehmensumwelt. Schaut man genauer hin, ist aber auch in dieser Hinsicht die Einteilung in Makro-, Branchen- und Aufgabenumwelt wenig ergiebig. Eine Information aus der sog. Makroumwelt wie z. B. ein Gesetz, das die Zigarettenwerbung in Funk und Fernsehen verbietet l23 , ist für eine Unternehmung der Zigarettenindustrie keine Fcühwarninformation mehr, sondern ein akutes Problem. Es gibt - noch einmal zusammengefaßt - also zwei wichtige Anliegen bei der Analyse der Umwelt, um Frühwarninformationen zu erhalten: Erstens muß man vorab Vorstellungen entwickeln, was aus der Sicht der Unternehmung überhaupt relevant sein könnte. Zweitens muß man relevante Entwicklungen möglichst schon dann erkennen, wenn sie erst im Entstehen sind. Wie wir gezeigt haben, löst die Aufforderung zur Analyse der Makroumwelt diese Anliegen nicht ein. Die Stakeholderanalyse wäre dagegen für beide Anliegen vorteilhaft. Relevant sind alle Personen oder Gruppen, die sich von der Unternehmung betroffen fühlen, wobei auch jene zu berücksichtigen sind, die indirekt betroffen werden bzw. solche, die sich potentiell betroffen fühlen könnten, auch wenn sie ihr Anliegen noch nicht konkret formuliert haben. Diese Sichtweise entspricht dem outside-in-approach, insofern sie die Sichtweise der Außenstehenden nachzuempfinden versucht. Sie entspricht aber auch dem inside-out-approach, insofern nicht generell alles 121) Vgl. Porter, 1983, S. 18 ff. 122) Vgl. Hansen, 1985, S. 121 f. 123) Regu1atory environment; vgl. Fahey / Narayanan, 1986, S. 29 12 Göbe!

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F. Strategische Analyse und soziale Verantwortung

untersucht wird, sondern gezielt nur das, was überhaupt in einem erkennbaren Zusammenhang mit der Unternehmung steht. Die Stakeholderanalyse wäre demnach sowohl weit als auch gezielt genug. Für prognostische Zwecke besonders hilfreich wäre es, wenn sich die Stakeholderanliegen nach einem zuverlässigen und damit vorhersehbaren Muster entwickelten, also die direkte Bedrohung der Unternehmung quasi die verzögerte endogene Variable eines Prognosemodells wäre, in welchem das Stakeholderanliegen die exogene Variable ist. 124 . Nun läßt sich im Falle der Entwicklung von Stakeholderanliegen kaum ein exaktes mathematisches Prognosemodell im strengen Sinne aufstellen. Nur ein erkennbares Entwicklungsmuster, eine Art "Lebenszyklus" der Anliegen, wird von verschiedenen Autoren postuliert. Postl 25 unterscheidet z. B. vier Phasen " .. .in the life cycle of a public issue". Die erste Phase beginnt, wenn die Vorstellungen über den Erfolg der Unternehmung (performance) zunehmend divergieren. Nimmt sich ein charismatischer Führer des Anliegens an, der über Einfluß und Beziehungen zu den Medien verfügt, kann sich das Anliegen bis zum öffentlichen Druck weiterentwickeln. Die zweite Phase sieht Post dann gekommen, wenn die Anliegen politisiert werden, d. h. wenn Politiker sich für das Anliegen stark machen und Gesetzesänderungen fordern. Die dritte Phase ist die Gesetzgebungsphase. Man kann zwar noch über Einzelheiten diskutieren, aber "in effect, the rules of the game have been changed. "126 Die vierte und letzte Phase ist schließlich die Prozeßphase. Die Prozesse können auf die Initiative der Unternehmung zurückgehen, die die geänderten Gesetze so nicht akzeptieren oder von den Stakeholdern eingeleitet werden, die Verstöße gegen die neuen Gesetze schnell und streng geahndet sehen möchten. Ganz ähnlich unterscheidet Utz l27 eine Phase der Bewußtwerdung, der Politisierung, der normativ-gesetzlichen Fixierung und der praktischen Verwirklichung. 128 Den genannten vier Phasen könnte man sogar noch eine Phase vorschalten, nämlich die der "Bewußtwerdung" im Unternehmen selbst. Die Er124) Vgl. Brockhoff, 1989, s. 417 f. 125) Post, 1978, S. 22 ff. 126) Post, 1978, S. 24 127) Vgl. Utz, 1978, S. 33 f. 128) Vergleichbare Phasenmodelle entwickelten auch Ackerman, 1975; Krüger, 1974, S. 63; Hansen, 1985, S. 117; Marx, 1986, S. 143 ff.

I. Umweltanalyse und soziale Verantwortung

179

kenntnis des möglichen negativen Einflusses auf Stakeholder durch bestimmte Verhaltensweisen könnte Unzufriedenheit und Probleme schon ahnen lassen, bevor sie überhaupt explizit von Stakeholdem formuliert werden. Abbildung 9 soll die Entwicklung eines Stakeholderanliegens sehr vereinfacht darstellen. Nehmen wir an, daß die Unternehmen in den meisten Fällen nicht so genau vorhersehen können, wer aus welchen Gründen Kritik an ihrem Verhalten üben wird. Das gilt besonders dann, wenn eine Verhaltensweise lange Zeit hindurch problemlos akzeptiert wurde. In solchen Fällen können sie die Entstehung eines neuen Anliegens erst erkennen, wenn die Unzufriedenheit artikuliert wird. Dabei muß sich die Unzufriedenheit gar nicht explizit auf ein spezielles Unternehmen beziehen. Die Unternehmung muß nur erkennen, daß sie ebenfalls Ziel dieser Kritik sein könnte, weil sie die angesprochenen Probleme mitverursacht. Häufig sind es zu Beginn nur wenige, verstreute Signale, die auf ein neues Anliegen hinweisen, aber nach der Diffusionstheorie durchläuft jedes Anliegen eine Art "Ansteckungsprozeß", wobei es ganz typisch ist, daß sich in der ersten Phase des Wandels nur wenige "Wandlungspromotoren"129 dafür einsetzen. Typische Wandlungspromotoren sind Utopisten, Experten und Wissenschaftler verschiedener Disziplinen, die sich in Science-fiction, Gutachten, Vorträgen, Fachzeitschriften usw. äußern. 130 Diesen ersten Trägem des Wechsels folgt die Gruppe der Innovatoren, die Gruppe der frühen und der späten Adaptoren, schließlich die Gruppe der Schwerfälligen. Eine Gruppe der Nichtadaptoren macht den Wechsel nie mit. 131 Wer also im Rahmen der Signalexploration schwache Signale orten und erfassen will, sollte schon erste Unzufriedenheitsäußerungen sorgfältig beobachten und überlegen, ob eine neue Stakeholdergruppe im Entstehen ist bzw. ob bekannte Stakeholdergruppen neue Anliegen haben.

129) Vgl. Utz, 1978, S. 33 130) Vgl. Krampe / Müller, 1981, S. 397 131) Vgl. Krampe / Müller, 1981, S. 392 12"

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F. Strategische Analyse und soziale Verantwortung Unternehmung verursacht • • Wertewandel (teils durch Probleme" . / die Probleme induziert, ,,/' teils autonom)

,

Unzufriedenheit (ausgelöst durch neue/neu erkannte Probleme, die durch die Unternehmung verursacht werden und/oder durch neue Erwartungen an die Unternehmung) Äußerungen von Unzufriedenheit, relativ ungezielte Kritik, alte Paradigmen werden in Frage gestellt kritische fragestellung breitet sich'aus, Forderungen werden konkreter, Empfänglichkeit fIlr kritische Ereignisse wächst, erste Abwanderungen, falls diese leicht möglich sind Macht der Gruppe wächst, Medien nehmen verstärkt Anteil, Forderungen werden nachdrücklicher, Strategien nehmen an Feindseligkeit zu, Koalitionen formieren sich, Politisierung setzt ein, weitere Abwanderungen Immer mehr Institutionen, Medien und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens engagieren sich ftlr das Anliegen, Gesetzesvorlagen werden eingebracht und diskutiert, die Fronten verhärten sich, die Chance kooperativer Konfliktlösung wird kleiner, die Strategien werden feindseliger

+

Gesetz wird verabschiedet; je nach Inhalt des Gesetztes Unzufriedenheit einer der beiden gegnerischen Seiten, häufig beider, Gesetz wird evtl. bekämpft; erneute Unzufriedenheit, evtl. von Anfang an feindseliger als die ursprünglich auslösende

Abb. 9: Entwicklung eines Stakeholderanliegens Natürlich ist es sehr schwierig, im voraus eine Diffusionsfunktion abzuschätzen sowie möglicherweise auch noch die Geschwindigkeit zu prognostizieren, mit der sich ein Anliegen durchsetzt. Manche Ideen kommen nie über den kleinen Kreis der ersten Träger des Wechsels hinaus und verschwinden sang- und klanglos, andere verbreiten sich sehr schnell und überzeugen innerhalb kurzer Zeit fast die gesamte Bevölkerung. Als Anhaltspunkte für den weiteren Verlauf neuer Anliegen geben Krampe und

I. Umweltanalyse und soziale Verantwortung

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Müller zwei "Infektionsarten" an. l32 Erstens können über die Massenmedien allen potentiellen Stakeholdern ständig Informationen zugeführt werden, die sie nach und nach immer mehr von der Dringlichkeit und Rechtmäßigkeit des Anliegens überzeugen. Zweitens erfolgt eine "Infektion" von Subjekt zu Subjekt, d. h. je mehr Subjekte schon heute das Anliegen vertreten, desto sicherer werden auch die übrigen damit in Kontakt kommen und eventuell überzeugt werden. Wird ein Anliegen in den Medien häufig aufgegriffen, nehmen Personen oder Institutionen positiv Stellung, die eine große öffentliche Wirkung haben, dann ist es sehr wahrscheinlich, daß der Diffusionsprozeß sich weiter fortsetzt. 133 Die Veränderungen werden aber nur zum Teil von Menschen und deren Interessen bewußt gelenkt. Unvorhergesehene Ereignisse, z. B. Unfälle wie in Tschernobyl oder bei Sandoz, können den weiteren Verlauf stark beschleunigen, einmal, weil natürlich die Aufmerksamkeit der Medien erregt ist, zum anderen, weil dadurch oft die zweite Phase, die Politisierung, ausgelöst wird. Wird ein Anliegen von der Unternehmung erst in dieser zweiten Phase erkannt, kann man schon kaum noch von Frühwarnung sprechen. Daß Politiker ein Anliegen aufgreifen, ist schon als Indiz zu werten, daß bereits ein relativ großes Potential hinter diesem Anliegen vermutet wird. Politiker können als Meinungsführer über die Medien ihrerseits zur weiteren Verbreitung der Ideen beitragen. Außerdem verpflichten sie sich oft öffentlich zur Unterstützung des Anliegens und setzen sich dabei selbst unter Druck, auch wirklich etwas zu tun, wollen sie nicht ihre Glaubwürdigkeit - und damit vielleicht die nächste Wahl - verlieren. Trotzdem gibt es auch in dieser Phase noch strategischen Spielraum für die Unternehmung, insbesondere wenn die Stakeholderanalyse ergibt, daß das Anliegen unter den verschiedenen Stakeholdergruppen sehr kontrovers ist und mindestens soviel Unterstützung dafür wie dagegen mobilisiert werden kann. Spätestens zu diesem Zeitpunkt ist es aber für die Unternehmung, die soziale Verantwortung ernst nehmen will, an der Zeit, vorurteilslos und offen die Positionen der verschiedenen Stakeholder 132) Vgl. Krampe / Müller, 1981, S. 392 ff. 133) Das Segment der "sozialbewußten" Verbraucher setzt sich vor allem aus jungen und überdurchschnittlich gebildeten Personen zusammen. Dies sind auch die typischen Meinungsführer, so daß eine Diffusion ihrer Ideen wahrscheinlich ist. Vgl. Meffert / Bruhn, 1978, S. 376, 378 f.

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F. Strategische Analyse und soziale Verantwortung

abzuwägen. Wer offensichtlich ohne Verständigungsbereitschaft nur seine Macht in die Waagschale wirft, um Gesetze zu verhindern, zu verzögern oder zu verwässern, könnte gerade durch diese Reaktion den letzten strategischen Handlungsspielraum, nämlich einen konstruktiven Beitrag zu einer sinnvollen Gesetzgebung zu leisten, verspielen. Ist das Gesetz erst einmal verabschiedet, bleiben nur noch Reaktionen übrig; für antizipatives, strategisches Handeln ist es zu spät. Je früher man Probleme erkennt und ernst nimmt, desto länger ist die zur Verfügung stehende Zeit für die Entwicklung einer Problemlösung , die "Zone of Discretion" .134 Fassen wir noch einmal zusammen, warum die Umweltanalyse nach dem Stakeholderansatz so besonders günstige Früherkennungseigenschaften hat: 1. Sie bemüht sich um eine Sichtweise "von außen nach innen"; die leitende Frage ist, wer sich von der Unternehmung betroffen fühlen könnte. Die frühesten Ansatzpunkte sind die Probleme, die die Unternehmung verursacht und der Wertewandel, der hinsichtlich seiner möglichen Folgen für die Unternehmung untersucht werden sollte. 135 So können Anliegen schon vorhergesehen werden, bevor sie explizit von Stakeholdern formuliert werden. 2. Hat die Unternehmung die Anliegen noch nicht im voraus erkannt, kann sie spätestens beim Scanning darauf stoßen, wenn sie alle Unzufriedenheitsäußerungen sorgfältig und vorurteilslos wahrnimmt. Neue Stakeholder bzw. neue Anliegen bekannter Stakeholder werden so schon im Ansatz bekannt. 136 Gegenüber einer herkömmlichen Marktforschung hat der Stakeholderansatz die Vorteile - daß er sich nicht nur an den bereits vorhandenen und "lohnenden" Käufersegmenten orientiert. Minoritäten, die oft die Themen von morgen ansprechen, werden nicht übersehen oder bewußt ausgeblendet. - daß ganz neuartige und vor allem auch kritische Fragen an die Unternehmung herangetragen werden, während die Marktforschung 134) Vgl. Ackerman I Bauer, 1976, S. 39 135) Vgl. zum Wertewandel als Frühwarnindikator auch Silberer, 1985, S. 120 136) Vgl. Freeman, 1984, S. 224

I. Umweltanalyse und soziale Verantwortung

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ja vorgibt, was sie überhaupt untersuchen will. Die untersuchten Kriterien sind dabei die, die die Unternehmung für entscheidend hält (Packungsformat, Farbe, Slogan), während sich vielleicht zunehmend mehr Leute für das Problem der Recyclingtähigkeit der Verpackung interessieren. - daß man sich weniger an statistisch meßbaren Größen orientiert und damit von vornherein mehr Chancen hat, sogenannte schwache Signale, d. h. relativ vage und unpräzise Informationen überhaupt wahrzunehmen. 137 3. Die Stakeholderanalyse stellt genau die Informationen zur Verfügung, die gebraucht werden, um abzuschätzen, wie weit eine Entwicklung vorangeschritten ist, ob sie - um mit den üblichen Begriffen zu arbeiten - noch in der Makroumwelt ist (relativ ungezielte ÄUßerungen von Unzufriedenheit) oder die Unternehmung unmittelbar beeinflußt (z. B. drohende Produktionsverbote). 4. Der Dialog mit den Stakeholdern im Rahmen der Stakeholderanalyse bietet gute Fruherkennungsmöglichkeiten. Besonders wer den Dialog mit Organisationen sucht, die quasi berufsmäßig unzufrieden sind und Beschwerden vieler Stakeholder sammeln, wie Betriebsräte und Gewerkschaften für die Arbeitnehmer 138 oder Verbraucherorganisationen für die Konsumenten 139, hat gute Chancen, Kritik fruhzeitig zu erfahren, weil viele Leute - wahrscheinlich geprägt durch entsprechende Erfahrungen - keinen Nutzen darin sehen, sich direkt an die Unternehmung zu wenden. Im Dialog sind auch die Chancen viel besser, etwas über die Ziele und Beweggrunde sowie das künftige Verhalten der Stakeholder zu erfahren. Die Informationen stammen aus erster Hand, ohne Wahrnehmungsfilter und -verzerrungen, und man nimmt auch so etwas wie Stimmung oder Atmosphäre auf, was für den weiteren Verlauf der Auseinandersetzung sehr wichtig sein kann. 140

137) Vgl. Stauss, 1985, S. 76 f. 138) Vgl. zur Früherkennung von Personalrisiken durch Gespräche mit dem Betriebsrat und den Gewerkschaften Knebel, 1981, S. 257 139) Vgl. Hansen, 1985, S. 115 140) Zu den Frühwarneigenschaften des Dialogs vgl. auch Hansen und Schoenheit, 1985b, S. 15; Raabe, 1985, S. 56 f.

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F. Strategische Analyse und soziale Verantwortung

Anhand eines Beispiels wollen wir die Fruherkennungseigenschaften des Stakeholderansatzes zusätzlich belegen.

b) Beispiel: Früherkennung durch Verbraucherabteilungen

Einige Unternehmen machen sich die hier entwickelten Gedanken schon ansatzweise zunutze, indem sie Verbraucherabteilungen einrichten. 141 Überwiegt dabei der Gedanke der Reklamationsverarbeitung, Typ "Meckerkasten"142, dann ist der Fruhwarncharakter der Information allerdings sehr fraglich, denn Beschwerden, die man womöglich noch in keiner Weise ermutigt hat, sind ein äußerst starkes Signal, wobei wahrscheinlich schon im Vorfeld einiges an Schaden angerichtet wird. Nach den bisherigen Ergebnissen der Beschwerdeforschung sind direkte Beschwerden nämlich nur die Spitze eines Eisberges. 143 Ob jemand seiner Unzufriedenheit Ausdruck verleiht, hängt unter anderem davon ab - ob es sich um ein hochwertiges Produkt handelt, das den Haushalt deutlich belastet; - ob die Mängel sich beheben lassen; - ob eine Abwanderung zu einer anderen Unternehmung leicht möglich ist und - ob die Betroffenen einer höheren sozialen Schicht angehören. l44 Ein erster Schritt, um aus einer Verbraucherabteilung ein echtes Fruhwarninstrument zu machen, Typ "Sensor" 145 , wäre also, Beschwerden auf alle erdenkliche Weise zu ermuntern und zu erleichtern. Maßnahmen wären z. B. gebührenfreie telefonische "hot Iines", Hinweise in der Werbung und auf der Verpackung, Zusammenarbeit mit dem Handel, der häufig 141)

Beispiele finden sich in Hansen und Schoenheit, Hansen ISchoenheit, 1986 142) Vgl. Hansen I Schoenheit, 1986, S. 21 143) Vgl. Wimmer, 1985, S. 230 ff. 144) Vgl. Hansen, 1985, S. 118 f. 145) Vgl. Hansen I Schoenheit, 1986, S. 22 f.

1985R, V.R.

Kap. F, S.

277

ff.,

I. Umweltanalyse und soziale Verantwortung

185

Ansprechpartner für die Kunden ist.l 46 Dazu ist eine Grundhaltung nötig, die dem Stakeholderansatz entspricht, d. h. man muß den Kunden als Person akzeptieren, die durch den Kauf des Produktes "betroffen" ist von den Handlungen der Unternehmung und daher ein legitimes Interesse an der Handlungsweise der Unternehmung hat. Nur eine solche Denkhaltung wird auf die Dauer so glaubwürdig sein, daß die durch die Konsumenten selbst initiierte Kommunikation deutlich zunehmen könnte. Mißt man eine gute Frühwarninformation daran, daß sie eindeutig, frühzeitig, vollständig und ökonomisch vertretbar sein sollte l47 , so ist die Eindeutigkeit der Beschwerde durch einen Dialog mit dem Beschwerdeführer wohl zu gewährleisten, aber Frühzeitigkeit und Vollständigkeit könnten noch zu wünschen übrig lassen. Mehr Vollständigkeit könnte man erreichen, wenn man den Begriff Verbraucherabteilung nicht so eng auslegt, daß nur Kunden ein Recht haben, sich an diese Abteilung zu wenden, sondern auch und gerade die Personen, die zwar das Produkt selbst nicht konsumieren, aber damit unzufrieden sind, daß es überhaupt in dieser Form angeboten wird. Ein typisches Beispiel sind Initiativen gegen die Fast-Food-Kette McDonald's, die der Unternehmung z. B. vorwerfen, FCKW-haltige Verpackungen zu benutzen, Abfallberge zu produzieren, durch exzessive Rindermast in der Dritten Welt die Urwälder zu zerstören und besonders Jugendliche zum Konsum minderwertiger Nahrungsmittel zu verführen. Diese Vorwürfe sind keine Kundenreklamationen, denn die Vertreter dieser Anliegen würden nie einen Fuß über die Schwelle eines McDonald's-Restaurants setzen, aber sie fühlen sich trotzdem durch den Verbrauch der angebotenen Lebensmittel betroffen. Man müßte also den Begriff "Verbraucherabteilung" so weit interpretieren, daß dort alle Anliegen erfaßt werden, die mit dem Verbrauch/Gebrauch des Artikels überhaupt zusammenhängen, wollte man die Palette der möglichen Kritikpunkte einigermaßen vollständig erfassen. Die Frühzeitigkeit könnte verbessert werden, wenn man nicht nur auf Information von außen wartet, sondern aktiv danach sucht, z. B. durch Gespräche mit Verbraucherorganisationen sowie Lektüre in- und ausländischer Konsumentenpresse, wie es etwa in der Abteilung für Konsumenten146) Vgl. Hansen, 1985, S. 119 147) Vgl. Hahn / Krystek, 1979, S. 81

186

F. Strategische Analyse und soziale Verantwortung

fragen der Migros üblich ist. 148 Gerade das Beispiel Migros zeigt, daß eine hohe öffentliche Akzeptanz der Verbraucherabteilung dazu führt, daß diese Abteilung nach und nach immer mehr Funktionen erfüllen kann. Bei Migros suchen die Konsumenten aktiv nach Rat, was die persönlichen Präferenzen für die Unternehmung stark festigen kann 149 und geben Anregungen für Verbesserungen und Innovationen. lSO Die Konsumentenabteilung engagiert sich auch in vielfältiger Hinsicht öffentlich, z. B. mit der Herausgabe einer Ernährungsbroschüre und Videotextprogrammen für die gesunde Ernährung, mit Mitgliedschaft in Organisationen, die der Volksgesundheit, dem Umweltschutz oder allgemein dem Konsumenteninteresse dienen wollen. lSI Insofern entspricht sie auch dem Typ "Diplomat" IS2, womit sie ihre Glaubwürdigkeit für die Öffentlichkeit noch weiter untermauert und damit auch die Chancen erhöht, frühzeitige und vollständige Information zu bekommen. Die ökonomische Vertretbarkeit einer solchen Informationserhebung hängt davon ab, was die Unternehmung mit den Informationen anfängt. Nach dem von uns unterstellten Verlauf eines Stakeholderanliegens ist bei Nichtreaktion durch die Unternehmung mit einer Eskalation zu rechnen, die unmittelbare ökonomische Folgen hat. Konsumenten wandern ab und bewegen andere dazu, Zuwanderungen zu unterlassen. Wenn das Problem durch die eigene Abwanderung nicht vollständig gelöst werden kann (wie z. B. im oben beschriebenen Fall von McDonald' s oder bei den Nichtrauchern), dann werden auch die Beschwerden sich verstärken.l S3 Je früher man die Probleme erkennt und darauf reagiert, desto eher kann man Abwanderungen und negative Propaganda verhindern. Auch gewinnen die Reaktionen an Glaubwürdigkeit und verbessern das Image, wenn sie nicht ganz offensichtlich in letzter Minute auf massiven Druck hin erfolgen. Eine früh erkannte Drohung kann sogar u.U. noch in eine Chance, einen Wettbewerbs vorteil verwandelt werden, z.B. indem man als erstes Unternehmen Alternativprodukte zu umstrittenen Produkten bietet, sich

148) Vgl. Holliger, 1985, S. 298 149) Das entspricht dem Typ "Berater"; vgl. Hansen / Schoenheit, 1986, S. 20 150) Das entspricht dem Typ "Innovator"; vgl. Hansen / Schoenheit, 1986, S. 23 f. 151) Vgl. Holliger, 1985, S. 298 f. 152) Vgl. Hansen / Schoenheit, 1986, S. 21 f. 153) Vgl. Wimmer, 1985, S. 240 ff.

187

I. Umweltanalyse und soziale Verantwortung

frühzeitig alternative Rohstoffe sichert und/oder lungsvorsprung bei alternativen Techniken erreicht.

einen

Entwick-

11. Unternehmensanalyse und soziale Verantwortung 1. Die Unternehmensanalyse im strategischen Management In der Literatur zum strategischen Management werden in aller Regel die Phasen der Umweltanalyse und der Unternehmensanalyse unterschieden, wobei fast immer die Unternehmensanalyse der Umweltanalyse zeitlich nachgeordnet wird. 1 Die Umwelt stellt Chancen und Risiken bereit, die Unternehmensanalyse läßt erkennen, ob man die Chancen wahrnehmen bzw. die Probleme abwehren kann. 2 Diese für analytische Zwecke hilfreiche Trennung der beiden Phasen ist aber nicht unproblematisch, weil Unternehmung und Umwelt so eng miteinander verzahnt sind, daß eigentlich eine Analyse ohne die andere undenkbar ist. So hatten wir bei der Umweltanalyse schon festgestellt, daß jede sinnvolle Informationssuche den Suchraum vorab zumindest grob einschränken muß. Diese Beurteilung der Relevanz von Informationen erfolgt natürlich aus der Sicht der Unternehmung. Für die These, daß die Unternehmung vor der Umweltanalyse aufgrund einer Unternehmensanalyse Vorstellungen über die relevanten Umweltinformationen entwickelt, spricht auch, daß je nach Branche und Größe der Unternehmung verschiedene Informationskategorien als besonders wichtig angesehen werden. 3 Probleme dürfte es auch bereiten, aus einer "reinen" Umweltanalyse Chancen und Risiken für die Unternehmung abzuleiten, denn ein und diesselbe Umweltentwicklung kann für die eine Unternehmung eine Chance, für die andere ein Risiko darstellen. Welche Bedeutung eine Umweltentwicklung tatsächlich hat, ist daher nur im Zusammenhang mit einer Unternehmensanalyse sinnvoll zu beurteilen. 4 Aber auch eine "reine" Unternehmensanalyse wäre sehr wenig informativ. Strategische Bedeutung haben nur Vergleichsinformationen, wobei als Basis des Vergleichs häufig die Umweltanforderungen (Schlüsselan1) Vgl. Hinterhuber, 1980, S. 41 ff.; Hammer, 1982, S. 37 ff.; Schreyögg, 1984, S. 100 ff.; Kreikebaum, 1987, S. 32 ff.; Bircher, 1976, S. 163 ff. 2) Vgl. Schreyögg, 1984, S. 111; Hinterhuber, 1980, S. 46 3) Vgl. Bircher, 1976, S. 171 ff. 4) Vgl. Hammer, 1982, S. 42, Abb. 1.20; er stellt diesen Zusammenhang her

11. Unternehmensanalyse und soziale Verantwortung

189

forderungen, strategische Erfolgsfaktoren) und die stärkste Konkurrenzunternehmung vorgeschlagen werden. 5 Rein innerbetrieblich wäre allenfalls ein Vergleich mit den Planwerten möglich, aber auch die Planwerte sind ja ein Ausfluß vorheriger Umwelt- und Unternehmensanalysen, so daß letztlich jede strategische Information auf die beiden Dimensionen Umwelt und Unternehmung bezogen ist. Die Begriffspaare Stärken und Schwächen bzw. Chancen und Risiken implizieren genau diese Beziehung zwischen Umwelt und Unternehmung. Aus diesen Interdependenzen ist es auch zu erklären, daß im Kapitel Umweltanalyse schon Informationen vorausgesetzt werden, die strenggenommen zur internen Analyse gehören. Vor einer Umweltanalyse müßte man beispielsweise untersuchen, wie die Werte der Führungskräfte, die offIziellen Ziele und Grundsätze sowie die vorhandenen Pläne die Wahrnehmung beeinflussen. Auch die Entdeckung möglicher Stakeholder, z. B. durch Anknüpfung an den Produktlebenszyklus, ist eher der internen als der externen Analyse zuzurechnen. Die bei der Frühwarndiskussion erwähnten frühesten Signale stammen ebenfalls aus solchen eher intern orientierten Analysen, die aus der Sicht der Unternehmung mögliche Probleme aufdecken. Schließlich ist das stufenweise Aussieben von relevanten und weniger relevanten Umweltinformationen nur möglich, wenn man sich zumindest ansatzweise Gedanken darüber macht, was diese Informationen potentiell für die Unternehmung bedeuten. Umwelt- und Unternehmensanalyse sind also nicht präzise zu trennen, sondern haben nur je verschiedene Schwerpunkte. Im Hinblick auf unser Thema "soziale Verantwortung" ging es in der Umweltanalyse in erster Linie darum festzustellen, wer die Stakeholder sind, was sie erwarten und in welchem Entwicklungsstadium ihr Anliegen ist. In der Unternehmensanalyse stehen die Fragen im Mittelpunkt, wie man im Unternehmen mit Stakeholderanliegen grundsätzlich umgehen will, wo tatsächlich Stärken und Schwächen im Hinblick auf die soziale Verantwortung vorhanden sind und wie es insgesamt mit der Fähigkeit bestellt ist, Stakeholdermanagement zu betreiben. Da Werte und Einstellungen eine starke Bedeutung für das tatsächliche Verhalten der Unternehmung haben, gehören sie zu den Größen, die in der Unternehmensanalyse

5) Vgl. Schreyögg, 1984, S. 112; Hinterhuber, 1980, S. 46 f.; Hammer, 1982, S. 40

190

F. Strategische Analyse und soziale Verantwortung

unbedingt - und zwar zu Beginn - zu untersuchen sind6 , weshalb im folgenden zunächst die "grundsätzliche Einstellung gegenüber der sozialen Verantwortung" Gegenstand der Analyse ist. Wir wenden uns mit diesen Fragen speziell der sozialen Dimension zu, während die üblichen Unternehmensanalysen ihren Schwerpunkt in der finanz- und leistungswirtschaftlichen Dimension haben. 7 Die hier beschriebene Art der Unternehmensanalyse ist aber auch nicht als Ersatz, sondern als Ergänzung anders orientierter Unternehmensanalysen gedacht, denn z. B. eine genaue Analyse der vorhandenen Ressourcen 8 ist unbedingt erforderlich, um den strategischen Handlungsspielraum abzuschätzen. Wie wir schon zu Beginn betont haben, müssen für Strategien, die der sozialen Verantwortung dienen und die kurzfristig, möglicherweise auch mal langfristig, Kosten verursachen, die entsprechenden Ressourcen bereitgestellt werden können.

2. Analyse der grundsätzlichen Fähigkeit zur Implementierung sozialer Verantwortung im Unternehmen a) Grundsätzliche Einstellung gegenüber der sozialen Verantwortung

Werte, so haben wir an anderer Stelle schon definiert, sind innerer Maßstab für das Wichtige und Wünschenswerte, innere Führungsgrößen des menschlichen Tuns und Lassens. Die Werte und Einstellungen der Beteiligten durchdringen alle Phasen des Managementprozesses, filtern die Wahrnehmung, steuern die Bewertung und Auswahl, oft ganz unbewußt. 9 6) So auch Ansoff, Declerck / Hayes, 1976, S. 55 ff.; Kreikebaum, 1987, S. 39 f.; Bireher, 1976, S. 218 ff.; Hinterhuber. 1980, S. 57 ff.; Hinterhuber zählt diese Analyse zwar nicht zur Unternehmensanalyse. sie bestimmt aber den sog. strategischen Ausblick mit, der Grundlage der Strategieformulierung ist. 7) Vgl. Bircher, 1976, S. 293 8) Vgl. z. B. Schreyögg, 1984, S. 112 f. 9) Vgl. Bühner, 1985, S. 92

11. Unternehmensanalyse und soziale Verantwortung

191

Untersuchungen haben ergeben, daß es vor allem die Werte der obersten Führungsgruppe sind, die sich im Unternehmen durchsetzen. Der faktische Einfluß auf die obersten Führungsentscheidungen spielt dabei eine größere Rolle als die formale Macht, d. h. auch Stabsmitarbeiter verfügen über einen großen Einfluß. 10 Die persönlichen Werte der Führungskriljte haben demnach eine große Bedeutung auch für die Durchsetzung des Ziels der sozialen Verantwortung im Unternehmen. Andererseits sind die Führungskräfte nicht völlig autonom in ihren Entscheidungen; aus tatsächlichen und vermeintlichen Sachzwängen heraus können sie sich zu Entscheidungen gezwungen sehen, die ihren eigenen Wertvorstellungen widersprechen. Dies gilt besonders für das mittlere und untere Management. Die faktisch realisierten Werte, hergeleitet aus den vorhandenen Plänen 11, können also von den persönlichen Werten abweichen. Dabei dienen den Führungskräften i. a. die offiziell autorisierten Werte, wie sie sich in Zielen, Grundsätzen und Leitbildern der Unternehmung niederschlagen I 2 , als Richtschnur für ihre Entscheidungen. Im Idealfall stimmen alle drei Arten von Werten überein, fließen die persönlichen Werte der Führungskräfte in die Grundsätze und Ziele ein und werden in den Entscheidungen faktisch realisiert. Tatsächlich treten zwischen diesen Werten - wie oben schon erläutert - Diskrepanzen auf. Da alle drei Arten von Werten externe und interne Bedeutung für die Umsetzung des Ziels der sozialen Verantwortung haben, muß eine "Wert-Analyse" u.E. auch alle drei Wertarten umfassen. Nehmen wir vereinfachend an, daß die "Einstellung gegenüber der sozialen Verantwortung" entweder eindeutig positiv oder negativ ist, dann ergeben sich durch die schematische Kombination der drei Wertarten (persönliche, offizielle und realisierte Werte) mit den jeweils zwei Ausprägungsformen (positiv, negativ) acht mögliche Konstellationen, wie es das Analyseschema in Abb 10 zeigt.

10) Vgl. Hage I Dewar, 1973, S. 279 ff.; zum Einfluß der Führungspersönlichkeit auf Strategie, Kultur und Struktur vgl. auch Kets de Vries I Miller, 1986 11) Vgl. Bircher, 1976, S. 222 f. 12) Vgl. Kreikebaum, 1987, S. 39; Bircher, 1976, S. 215 f.

192

F. Strategische Analyse und soziale Verantwortung

Persönliche Werte offizielle Werte Realisierte der Führungskriifte der Unternehmung Werte

Beurteilung

positiv

negativ

negativ

internal stress I external stress

2

(negativ)

positiv

positiv

Internal stress I extern konsistent

3

negativ

negativ

negativ

intern konsistent I external stress

4

positiv

positiv

positiv

intern konsistent I extern konsistent

5

negativ

positiv

negativ

bewußte Täuschung oder mangelnde Implementierung I external stress

6

positiv

positiv

negativ

mangelnde Implementierung I external stress

7

positiv

negativ

positiv

mangelhafte Darstell ung

8

negativ

negativ

positiv

"Zufallstreffer"

Abb. 10: Analyse der Werte in der Unternehmung

Wie sind diese Konstellationen im Hinblick auf die Durchsetzung des Ziels der sozialen Verantwortung im Unternehmen jeweils zu beurteilen? Im ersten Fall wollen die Führungskräfte persönlich gerne soziale Verantwortung wahrnehmen, sie sehen sich aber einer negativen offiziellen Einstellung gegenüber, die sich dann auch durchsetzt. Eine solche Dissonanz zwischen den Zielen der Individuen und den Zielen der Organisation führt zu "internal stress" 13 , weil die Führungskräfte dadurch in Loyalitätsund Gewissenskonflikte geraten. Solche Konflikte dürften heute häufiger anzutreffen sein, weil sich die Werte der Führungskräfte, insbesondere die der jüngeren, in letzter Zeit geändert haben. Sie fordern z. B., daß die 13) Freeman, 1984, S. 101

11. Unternehmensanalyse und soziale Verantwortung

193

Unternehmung sich um Umweltschutz und Arbeitsplatzsicherheit kümmert, sie beurteilen Wachstum negativer und wünschen eine menschlichere Arbeitswelt ohne erbitterte Karrierekämpfe. 14 Auch dem Gedanken einer Rechenschaftslegung gegenüber der Öffentlichkeit sowie dem Vorhaben eines verstärkten Konsumentenschutzes und einer verschärften Produzentenhaftung stehen Führungskräfte positiv gegenüber. 15 Dieser interne Stress könnte abgebaut werden, indem die Führungskräfte sich schließlich an die Unternehmung anpassen und deren Ziele übernehmen. 16 Der gleiche interne Stress ist im übrigen bei der entgegengesetzten Konstellation (Fall 2) zu erwarten, wenn sich die Führungskraft entgegen ihrer eigenen Überzeugung verpflichtet sieht, soziale Verantwortung wahrzunehmen. In bei den Fällen könnte eine verminderte Arbeitsmotivation die Folge sein, so daß diese Befunde als problematisch anzusehen sind. Sozialisieren sich die Führungskräfte, resultieren die Konstellationen 3 bzw. 4, die rein intern betrachtet die besten sind, weil alle Werte harmonieren. Den Befund 5 könnte man so interpretieren, daß intern insoweit Konsistenz besteht, als die Führungskräfte ihre eigenen Werte in den Plänen realisieren können. Die offIziell positive Einstellung gegenüber der sozialen Verantwortung wird ignoriert und als "PR-Trick" interpretiert. Sind die offiziellen Unternehmenswerte aber verbindlich und ernsthaft positiv gemeint, dann hätte man es mit einem Implementierungsproblem zu tun, das besonders hartnäckig sein dürfte, weil die Führungskräfte die Umsetzung der offiziellen Unternehmenspolitik nicht mittragen wollen. Ein solches Implementierungsproblem hat man auch im sechsten Fall, der wohl der für die heutige Zeit typische sein wird. Die Führungskräfte möchten ernsthaft soziale Verantwortung wahrnehmen, und sie werden darin auch durch die offIziellen Grundsätze und Leitbilder bestärkt, aber die konkrete Umsetzung in die Unternehmensplanung gelingt nicht, weil die internen Systeme, Prozesse und Strukturen noch nicht entsprechend weiterentwickelt wurden.

14) Vgl. stiel, 15) Vgl. 16) Vgl. 13 Gäbel

Rosenstiel, 1987, S. 43 ff.; Rosenstiel, 1986, S. 89 ff.; Einsiedler / Rau / Rosen1987 Probst, 1981, S. 42 f. die Sozialisationshypothese von Einsiedler, Rau / Rosenstiel, 1987, S. 180

194

F. Strategische Analyse und soziale Verantwortung

Die siebte Wertkonstellation erscheint ungewöhnlich, ist aber denkbar, wenn man "negativ" so interpretiert, daß es überhaupt keine offiziellen Grundsätze oder dergleichen zum Thema "soziale Verantwortung" gibt. Das Problem wäre aus der Sicht der Unternehmung darin zu sehen, daß sie eine Möglichkeit zur positiven Selbstdarstellung nicht nutzt. Daß entgegen den Überzeugungen der Führungskräfte und der offiziellen Unternehmenspolitik in der Planung soziale Verantwortung umgesetzt wird (Fall 8), dürfte kaum vorkommen. Es könnte sich allenfalls um eine Art "Zufallstreffer" handeln, aber nicht um eine dauerhafte Konstellation. Vergleicht man nun die unternehmensinterne Einstellung mit den Erwartungen der Umwelt, so ist wohl überall dort "external stress"17 zu erwarten, wo die Unternehmung soziale Verantwortung nicht realisiert. Befürwortet die offizielle Unternehmenspolitik in diesen Fällen soziale Verantwortung (Fall 5 und 6), könnte dies von seiten der Stakeholder sogar besonders negativ als Heuchelei vermerkt werden. Vielleicht kann man die Stakeholder aber auch von seinen Implementierungsproblemen und seinem grundsätzlich guten Willen überzeugen. Im Hinblick auf die Verwirklichung des Ziels der sozialen Verantwortung optimal ist natürlich der Fall 4, der intern und extern zur Harmonie führt. Beinahe genauso positiv ist der Fall 7 zu beurteilen. Gute Aussichten, sich zum Optimum weiterzuentwickeln, hat auch die 6. Konstellation, weil Manager soziale Verantwortung wünschen, dies auch offIZiell unterstützt wird und Druck von außen und innen die Implementierung vorantreiben wird. Der Fall 2 hat ebenfalls die Tendenz zu einer kompletten Harmonisierung, denn wenn offizielle Unternehmenspolitik und Planung soziale Verantwortung schon befürworten, muß ein großer Teil der Führungskräfte positiv eingestellt sein. Fall 2 ist also nur für einzelne Manager denkbar, die durch den internen Druck auf die Dauer in Richtung sozialer Verantwortung sozialisiert werden können. Wenig Aussicht auf Realisierung der sozialen Verantwortung hat man in den Fällen 3 und 8 und dem Fall 5, wenn die offizielle Unternehmenspolitik nicht ernstgemeint ist. Es ist nach dieser Interpretation vor allem die positive oder negative GrundeinsteIlung der Führungskräfte, die darüber entscheidet, ob das Ziel der sozialen Verantwortung in der Unternehmung erfolgreich verfolgt wird. Insofern ist sogar im Fall 1 mit einer insgesamt 17) Vgl. Freeman, 1984, S. 101

11. Unternehmensanalyse und soziale Verantwortung

195

positiven Entwicklung zu rechnen, wenn man die Konstellation als historisch gewachsen begreift und die neuen Werte der Führungskräfte als ersten Schritt eines Unternehmenswandels ansieht. Der externe Druck könnte eine solche Wandlung beschleunigen. Ansatzpunkt jeglicher Versuche zur Umsetzung der sozialen Verantwortung in der Unternehmung müssen demnach die Einstellungen des Managements sein. Eine untergründig abwehrende Haltung gegen den Stakeholdergedanken wird die Wahrnehmung ihrer Anliegen verhindern oder verzerren, eine rationale Bewertung erschweren und eine Vielzahl von Strategien von vornherein ausschließen. 18 Aber auch wenn einzelne Manager persönlich durchaus aufgeschlossen sind, was die soziale Verantwortung angeht, darf nicht übersehen werden, wieviel Standvermögen es erfordert, gegen die Branchengewohnheiten anzukämpfen. Neben der persönlichen Überzeugung sind unbedingt Mitstreiter nötig, die den Rücken stärken.· Einen solchen Rückhalt könnte die offIzielle Unternehmenspolitik bieten. Durch die Unternehmensanalyse festgestellte Schwächen in einem der drei Bereiche (persönliche Einstellungen, offtzielle Unternehmenspolitik, realisierte Werte) geben Hinweise auf intern notwendige Maßnahmen, was die Beeinflussung der Werte der Führungskräfte l9 , eine Änderung der Grundsätze und Ziele oder die Verbesserung der Stakeholder-Management-Kapazität angeht, um das Ziel der sozialen Verantwortung tatsächlich realisieren zu können.

b) Die Stakeholder-Management-Kapazität

Kann bei grundsätzlich positiver Einstellung gegenüber der sozialen Verantwortung das Ziel nicht realisiert werden, so muß genauer nach den Gründen für die bestehenden Schwächen geforscht werden, um so konkrete Anhaltspunkte für Maßnahmen zu erhalten. Als interne Ursache für Schwächen gegenüber Stakeholdern kommt etwa in Frage, daß man im Unternehmen 18) Vgl. ähnlich Stauss, 1985, S. 80 ff. 19) Vgl. Bircher, 1976, S. 221 f. 13"

196

F. Strategische Analyse und soziale Verantwortung

- nicht ernsthaft in stakeholder serving terms denkt, - die Stakeholder bisher nicht richtig kennt, - erkannte Anliegen ignoriert, - Anliegen falsch einschätzt, - neue Anliegen nicht frühzeitig wahrnimmt, - keine Prozesse installiert hat, die es erlauben, die Anliegen in den Managementprozeß einzubauen, - keinerlei organisatorische Umsetzung des Stakeholdermanagements hat (z. B. gesonderte Stellen wie ein public affairs-Manager), - falsche Anreize gibt - keine angemessenen Ressourcen bereitgestellt hat, um Strategien auch umzusetzen (nach einer Untersuchung von Emshoff2o werden häufig selbst für die Stakeholder, die man im Unternehmen für die allerwichtigsten hält, keine Ressourcen bereitgestellt). Das Grundübel wäre in diesen Fällen, daß die "stakeholder management capability"21 nicht genügend ausgeprägt ist. Wer soziale Verantwortung ernst nimmt, muß versuchen, alle Anliegen so objektiv wie möglich festzustellen, den Willen haben, sich fair damit auseinanderzusetzen, Prozesse, Systeme und Strukturen zur Umsetzung installieren, entsprechende Maßnahmen planen und Ressourcen zur Realisierung bereitstellen. Eine Schwäche in einem dieser Bereiche könnte der Grund sein für eine mangelnde Umsetzung sozialer Verantwortung und somit ein Anhaltspunkt für die Maßnahmenplanung .22 Eine Gefahr bei der Analyse der Gründe für Schwächen ist, daß die Unternehmung sich viel zu schnell auf Sachzwänge zurückzieht und damit eigene Unzulänglichkeiten ausschließt. Wenn der Druck durch die Öffentlichkeit nur groß genug wird, stellt sich oft erstaunlich schnell heraus, daß

20) Vgl. Emshoff, 1980 21) Vgl. Freeman, 1984, S. 53 f.; 78 ff. 22) Wie man die Stakeholder-Management-Kapazitiit verbessert, soll Gegenstand des Kapitels "Implementierung" sein.

11. Unternehmensanalyse und soziale Verantwortung

197

Technologien, Verfahren oder Produkte doch zu verändern sind, nicht selten kostenneutral oder sogar billiger als bisher. 23 Die Manager sollten sich daher kritisch fragen, ob nicht in vielen Fällen letztlich doch nur die mangelnde Stakeholder-Management-Kapazität schuld ist, wenn es scheinbar keine Lösungen gibt. Wer rasch zu dem Urteil kommt, daß man ja doch nichts machen kann, bringt sich vielleicht um Chancen, die aufgeschlossene Unternehmen gerne wahrnehmen.

3. Analyse von Stärken und Schwächen im Hinblick auf bestimmte Stakeholderanliegen aus Sicht der Unternehmung a) Der Sinn einer solchen Stärken-Schwächen-Analyse Schwächen in der grundsätzlichen Fähigkeit zur Umsetzung des Ziels der sozialen Verantwortung sollten in den beiden ersten Schritten der Unternehmensanalyse festgestellt werden. Ziel war, eine eventuell vorhandene grundlegende "Implementierungsschwäche" zu erkennen. Im dritten Schritt der Unternehmensanalyse gilt es nun herauszufinden, wo die Unternehmung aus eigener Sicht in ihrer (geplanten) Tätigkeit gegen bestimmte Stakeholderanliegen verstößt und damit spezifische "soziale Schwächen" aufweist, die es ex ante zu verhindern bzw. ex post zu beheben gilt. Von ebenso großem Interesse ist aus der Sicht der Unternehmung daneben eine Analyse "sozialer Stärken", welche evtl. zur Gewinnung von Wettbewerbsvorteilen genutzt werden können. Betrachten wir zunächst die "übliche" Stärken-Schwächen-Analyse, wie sie im Prozeß des strategischen Management den Kern der Unternehmensanalyse bildet. Sie beginnt in der Regel mit einer systematischen Bestands-

23) Jüngstes Beispiel ist ein neu entwickelter Insulin-Qualitätstest. Bisher waren dafür Tierversuche vorgeschrieben. Forscher, die Tierversuche für moralisch bedenklich halten, entwickelten jetzt eine Testapparatur, die mit gleicher Zuverlässigkeit schneller und billiger arbeitet, ohne Tierversuche.

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F. Strategische Analyse und soziale Verantwortung

aufnahme der in der Unternehmung vorhandenen Ressourcen24 bzw. Potentiale25 , wobei die Ressourcenanalyse nach Hofer und Schendei stark quantitativ orientiert ist (wieviel cash flow ist vorhanden, Alter der Produktionsanlagen, Zahl und Alter des Schlüsselpersonals usw.), während die Potentialanalyse auch eher qualitativen Bewertungen Raum läßt (Inwieweit löst unser Produkt die Kundenprobleme? Wie gut ist unsere Werbekonzeption? Wie hoch ist die Arbeitsfreude?). In einem zweiten Schritt findet ein Vergleich der ermittelten Ressourcen und Potentiale mit den Anforderungen im jeweiligen Markt statt. Dahinter steckt die Idee, daß z. B. ein Forschungs- und Entwicklungspotential, ein Produktprogramm, ein Automatisierungsgrad der Fertigung usw. nur in Relation zu diesen Anforderungen als Stärke oder Schwäche bezeichnet werden kann. Ist in einem Markt z. B. ein guter Kundendienst ein sehr wichtiger Entscheidungsfaktor für den Abnehmer, kann ein nur mäßiger Kundendienst eine gravierende Schwäche sein. 26 Als dritter Schritt folgt der Vergleich mit der stärksten Konkurrenzunternehmung. Dies relativiert zum einen nochmals die eigene Position im Hinblick auf die strategischen Erfolgsfaktoren und bietet zum anderen Ansatzpunkte für die Wahl der Wettbewerbsstrategie. 27 Versucht man die Vorgehensweise der Stärken-Schwächen-Analyse auf unser Thema soziale Verantwortung zu übertragen, liegt nahe, als Vergleichsgröße die Anforderungen der Stakeholder an die Unternehmung heranzuziehen. Eine Stärke wäre eine gute, eine Schwäche eine schlechte Erfüllung eines Stakeholderanliegens. Eine solche systematische Analyse der "areas of interaction between business and its constituencies" ist langfristig sinnvoll "for understanding the evolving corporate role" and kurzfristig nützlich "in considering immediate problems of corporate responsiveness" .28 24) Vgl. Hofer ISchendel, 1978, S. 144 ff. 25) Vgl. Kreikebaum, 1987, S. 41 ff. 26) Hinterhuber verbindet die zwei Schritte zu einem. Er ermittelt zunächst die strategischen Erfolgsfaktoren und macht dann nur im Hinblick auf diese Faktoren seine Unternehmensanalyse. Erhebung und Bewertung der Potentiale als Stärken oder Schwächen fallen praktisch in eins. Vgl. Hinterhuber, 1980, S. 46 ff. 27) Comparative advantage, distinctive competence, vgl. Grant I King, 1982, S. 40; Christensen , Andrews and Bower, 1973, S. 37, Porter, 1983, 1985 28) Ackerman I Bauer, 1976, S. 15

11. Unternehmensanalyse und soziale Verantwortung

199

Nun könnte man einwenden, die Stakeholder-Analyse habe doch bereits die "sozialen Schwächen" der Unternehmung offengelegt und zwar "objektiver" als es aus Sicht der Unternehmung möglich ist, nämlich aus Sicht der Betroffenen selbst. Gegen diesen Einwand lassen sich jedoch mehrere gute Grunde für eine Stärken-Schwächen-Analyse aus der Sicht der Unternehmung ins Feld führen: In der Unternehmung können erstens "soziale Schwächen" bereits in der Planungsphase vorhergesehen werden. Indem man ex ante überlegt, wie sich das Handeln der Unternehmung auf verschiedene Stakeholder voraussichtlich auswirken wird, kann negative Betroffenheit quasi vorweggenommen und evtl. von vorneherein verhindert werden. Eine solche ex ante-Analyse erscheint besonders sinnvoll bei größeren Projekten mit weitreichenden Folgen, etwa bei der Entwicklung einer neuen Technologie, der Entwicklung neuer Produkte oder der Standortwahl für eine neue Niederlassung. 29 Eine Stakeholder-Analyse, welche rein nach dem "outside-in-approach" erfolgt, bringt zweitens wahrscheinlich soziale Schwächen der Unternehmung lediglich partiell zutage, weil nur explizit und mit großem Nachdruck vorgetragene Anliegen wahrgenommen werden. Zur Vermeidung solcher "blinder Flecken" wurde bereits bei der Stakeholder-Analyse vorgeschlagen, zusätzlich nach dem "inside-out-approach" die Unternehmung daraufhin zu untersuchen, welche Stakeholder sich auf welche Weise durch die Unternehmenstätigkeit beeinträchtigt fühlen könnten (vgl. Abschnitt F.1.3.a). Durch den Einsatz von bestimmten Techniken (z.B. Matrix, Checkliste) kann die Problemanalyse zusätzlich systematisiert werden, so daß die Vollständigkeit der Problemerfassung wahrscheinlicher wird. Die Stakeholder-Analyse basiert drittens La. auf Unzufriedenheitsäußerungen, stellt also in erster Linie die Schwächen der Unternehmung fest, nicht die Stärken. Für die Unternehmung ist es aber auch wichtig, systematisch ihre "sozialen Stärken" zu analysieren. Es ist zwar häufig so, daß die "Stärken" einer Stakeholdergruppe zugute kommen (bspw. erhalten die Mitarbeiter vorbildliche Sozialleistungen), die "Schwächen" aber andere Stakeholdergruppen belasten (bspw. müssen die Anwohner Umweltver29) Die "soziale Analyse" für diese drei Projektarten wird im folgenden ausführlicher untersucht;

200

F. Strategische Analyse und soziale Verantwortung

schmutzung hinnehmen), so daß durch solche Stärken Schwächen nicht etwa kompensiert werden können. Es sollte auch Ziel der sozial verantwortlichen Unternehmung sein, Schwächen nach Möglichkeit durch gezielte Maßnahmen zu beseitigen und nicht Schwächen durch Stärken "aufzurechnen". Dennoch ist es legitim und nützlich für die Unternehmung, wenn sie auch weiß, was sie "sozial leistet" , weil - durch die Darstellung der Stärken nach innen und außen glaubhaft gemacht werden kann, daß die Unternehmung sich um sozial verantwortliches Handeln bemüht; - es motivierender für die Mitarbeiter ist, wenn ihnen nicht nur die Schwächen der Unternehmung vor Augen geführt werden; - Fortschritte in der Umsetzung des Ziels der sozialen Verantwortung dokumentiert werden können; - unzufriedenen Stakeholdern gezeigt werden kann, daß evtl. zur Berücksichtigung ihres Anliegens fehlende Ressourcen anderweitig auch "sozial nützlich" gebunden sind; - Stärken die Basis sind für die Gewinnung von Wettbewerbs vorteilen (z.B. durch Differenzierung gegenüber den Wettbewerbern als besonders umweltbewußtes Unternehmen). Schließlich hat eine Stärken-Schwächen-Analyse aus der Sicht der Unternehmung viertens den Sinn, die Kritik der Stakeholder sachlich zu überprüfen. Eine schonungslose und objektive Beantwortung der Frage nach der Berechtigung der Kritik ist z.B. sehr wichtig für die Abschätzung der Weiterentwicklung eines Stakeholderanliegens. Auch können Maßnahmen zur Behebung von Schwächen gezielter ansetzen, wenn die Unternehmung pauschale Vorwürfe aus eigener Sicht konkretisiert. Und nicht zuletzt können durch eine solche kritische "Selbstprüfung" der Unternehmung sicher auch manche Vorwürfe ganz entkräftet oder doch relativiert werden. Zumindest aber kann die Auseinandersetzung versachlicht werden, wenn die Unternehmung aus eigener Sicht ihre "sozialen Stärken und Schwächen" kennt. Wie die vorstehenden Ausführungen zeigen, sind Stakeholderanalyse (Umweltanalyse) und Stärken-Schwächen-Analyse (Unternehmensanalyse) eng miteinander verflochten. Eine systematische Unternehmensanalyse hilft dabei, Stakeholder und ihre Anliegen zu entdecken, liefert somit

11. Unternehmensanalyse und soziale Verantwortung

201

einen Input für die Umweltanalyse. Die Umweltanalyse wiederum soll die "kritischen Erfolgsfaktoren " feststellen und damit als Input für die Unternehmensanalyse aufzeigen, wo Schwächen besonders gravierend wären. Ob ein Stakeholderanliegen aber "kritisch" wird, liegt u. a. daran, ob die dem Anliegen zugrundeliegende Kritik objektiv zutreffend ist oder nicht, was wiederum die Unternehmensanalyse an den Tag bringen soll. Erst Umwelt- und Unternehmensanalyse zusammen geben ein umfassendes Bild davon, wo Handlungsbedarf besteht. Aus bei den Analysen gemeinsam gewinnt man die nötigen Informationen für die im nächsten Schritt folgende Issue-Analyse und zusammen mit der Ressourcen- und Potential-Analyse kann der strategische Handlungsspielraum abgesteckt werden. Nachdem der Sinn einer unternehmerischen Stärken-Schwächen-Analyse im Hinblick auf die soziale Verantwortung aufgezeigt wurde, soll im folgenden dargestellt werden, wie eine solche Analyse im einzelnen durchgeführt werden könnte und welche Techniken die Analyse unterstützen könnten.

b) Unterstützende Techniken

Als ersten Vorteil einer Stärken-Schwächen-Analyse aus Unternehmersicht haben wir die Möglichkeit genannt, bereits im Planungsstadium "soziale Schwächen" vorherzusehen und sie nach Möglichkeit erst gar nicht entstehen zu lassen. Der große Aufwand einer um soziale Aspekte erweiterten Entscheidungsvorbereitung kann besonders dann gerechtfertigt werden, wenn es um Projekte mit weitreichenden und gravierenden Folgen für die Unternehmung geht. Als Beispiele für solche Projekte sollen näher untersucht werden: die Einführung einer neuen Technologie, die Entwicklung eines neuen Produktes und die Standortwahl. Zur vorausschauenden Bewertung einer neuen Technologie kann man auf ausgereifte und erprobte Techniken zurückgreifen, wie das Technolo-

202

F. Strategische Analyse und soziale Verantwortung

gie-Assessment bzw. die Technologiefolgenbewertung oder Technologiewirkungsanalyse (TWA).30 Die vorausschauende TWA31 soll systematisch ex ante die erwünschten und nicht gewollten, direkt und indirekt, kurzfristig und langfristig auftretenden Auswirkungen auf die Gesellschaft bei Einführung, Ausdehnung oder Verlinderung einer Technologie identifizieren. Bezeichnenderweise entstand der Gedanke eines solchen Verfahrens zur Feststellung und Bewertung der sozialen Auswirkungen einer technologischen Neuerung im politischen Bereich. Seit Beginn der 70er Jahre gibt es in den USA ein Amt für technology assessment, um politischen Entscheidungsträgern Informationen über die "Gesellschaftsfreundlichkeit" technologischer Verfahren zu liefern. 32 Bezeichnend ist der politische Ursprung deshalb, weil er die für selbstverständlich gehaltene Arbeitsteilung widerspiegelt zwischen Unternehmung und Politik. Die Unternehmen beurteilen ihre Projekte rein ökonomisch, z. B. durch eine klassische Investitionsrechnung, die Politik muß sich Gedanken machen über die soziale Beherrschung der technologischen Entwicklung. Wird diese Zwei-Weiten-Theorie des rein Sachgerechten auf seiten der Wirtschaft und des rein Menschengerechten auf seiten der Politik aber aufgegeben, wie es unserer Idee der sozialen Verantwortung entspricht, dann gehört es selbstverständlich zum Aufgabenfeld der Unternehmung, möglichst alle Folgen ihres Handeins für alle Betroffenen abzuschätzen und die Ergebnisse dieser Analyse in die Entscheidung einfließen zu lassen. Auch unter strategischen Gesichtspunkten ist eine solche TWA höchst sinnvoll, weil die frühzeitige, vorausschauende Erkenntnis sozial problematischer Implikationen eine rechtzeitige Alternativenentwicklung mit entsprechenden Wettbewerbsvorteilen ermöglicht. 33 Für den Ablauf der TW A werden verschiedene Prozeßmodelle vorgeschlagen. 34 Inhaltlich geht es im wesentlichen darum

30) Vgl. Haas, 1974; Dierkes / Staehle, 1973; Hinterhuber / Kritzler, 1979

31) Daneben gibt es noch die gegenwartsbezogenelbegleitende und vergangenheitsbezogene TWA; vgl. Hinterhuber / Kritzler, 1979, Sp. 1931 32) Vgl. Haas, 1974, S. 77 33) Vgl. Hinterhuber / Kritzler, 1979, Sp. 1932 34) Vgl. z. B. Dierkes / Stachle, 1973, S. 8 ff.; Hinterhuber / Kritzler, 1979, Sp. 1934

11. Unternehmensanalyse und soziale Verantwortung

203

- die TWA-Aufgabe abzugrenzen (Definition der Technologie, beabsichtigte Anwendungsbreite, Umfang der Untersuchung: Vollständigkeit, Zeitraum, Meßgenauigkeit); - alle quantitativen und qualitativen Effekte entsprechend dem gewünschten Untersuchungsumfang zu erheben - und in positive und negative Effekte zu unterteilen, wobei auch auf Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Effekten zu achten ist. Problematisch ist allerdings die von Hinterhuber und Kritzier vorgeschlagene Aufrechnung der Effekte "... in allen betrachteten Sphären für alle berücksichtigten Gruppen ... "35 zu einem Nettoeffekt, ausgedrückt in einem eindeutigen Analyseurteil wie z. B. einem Gesamtnutzwert. Diese sehr subjektiv gefärbte Verdichtung einer Vielzahl mit multidimensionalen Meßkriterien erfaßter, indirekter und direkter, sofortiger und verzögerter, qualitativer und quantitativer Effekte führt zu einem hohen Informationsverlust, statt - wie suggeriert wird - die Präzision des Urteils zu erhöhen. Statt Vor- und Nachteile, Stärken und Schwächen gegeneinander aufzurechnen und so eventuell "wegzurechnen ", müssen die Maßnahmen gerade bei den einzelnen Effekten ansetzen, um positive Auswirkungen verstärken und negative verringern oder beseitigen zu können. Eine sorgfältig durchgeführte TWA ist sehr aufwendig und muß aus Kostengründen eventuell in der einen oder anderen Art eingeschränkt werden. Die vorgeschlagenen Vereinfachungen wie z. B. keine Erhebung indirekter und verzögerter Folgen, Einbeziehung nur der wichtigsten Betroffenen, Einschränkung des Prognosezeitraums 36 führen aber alle zu einer Verschlechterung der Früherkennung, was man bei der Kosten-NutzenAbwägung nicht vernachlässigen sollte. In Anlehnung an das Technologie-Assessment wurde das Marketing-Assessment entwickelt, das die "Auswirkungen vorhandener neuer Produkte auf alle Bereiche der Wirtschaft, der Umwelt und auf allen Gebieten sonstiger gesellschaftlicher Aktivitmen"37 erfassen soll. Eine solche Analyse sollte insbesondere dann durchgeführt werden, wenn ein neues Produkt 35) Hinterhuber I Kritzler, 1979, Sp. 1.934 36) Vgl. Hinterhuber I Kritzler, 1979, Sp. 1.936 37) Wolff, 1975, S. 27; bei Dierkes I Stachle, 1973, umfaßt Technologie Assessment auch Untersuchungen bei der Einführung neuer Produkte sowie bei Änderungen der Marketingpolitik; ein eigenes Marketing Assessment ist nach dieser Auffassung überflüssig.

204

F. Strategische Analyse und soziale Verantwortung

entwickelt wird. 38 Bei der Entwicklung und Planung sollte ex ante abgeschätzt werden, wessen Interessen durch das Produkt positiv oder negativ tangiert werden, um so das produktbezogene Konfliktpotential zwischen Unternehmung und Gesellschaft abzuschätzen. Dabei entstehen die Probleme der Vollständigkeits-, der Kausalitäts- und der Relevanzbeurteilung. 39 Vollständig wäre eine solche Analyse nur, wenn es gelänge, alle positiven und negativen, quantitativen und qualitativen, direkten und indirekten, . unmittelbar und verzögert auftretenden Wirkungen der Entscheidung für oder gegen das neue Produkt festzustellen. Dies wird, ebenso wie beim Technologie Assessment, eine nie zu erreichende Idealnorm bleiben, die trotzdem so gut wie möglich angestrebt werden sollte. Der Wirkungsanalyse liegen Ursache-Wirkungs-Hypothesen zugrunde; insofern sind Vollständigkeits- und Kausalitätsproblem nicht zu trennen. Die Unternehmung könnte sich aber zusätzlich fragen, ob z. B. eine negative Nebenwirkung des Produktes - direkt oder indirekt von ihr verursacht wird. Viele Produkte führen erst durch unsachgemäßen Gebrauch zu unerwünschten Folgen, so daß der Konsument der eigentliche Verursacher der Schäden ist. - von ihr alleine oder von vielen verursacht wird. Vor allem die großen Probleme mit der Umweltverschmutzung können fast nie einem Unternehmen alleine angelastet werden, sondern sind die Folge des Zusammenwirkens vieler Faktoren. So berechtigt es aber im Einzelfall sein mag, die Urheberschaft für negative Folgen ganz oder teilweise auf andere abzuwälzen, so sinnvoll bleibt es trotzdem, sich Gedanken über eine mögliche Behebung der nega38) Natürlich wäre ein solches Marketing Assessment auch für alle vorhandenen Produkte denkbar sowie vor jeder geplanten Produkteliminierung. Bei den eingeführten Produkten haben sich jedoch meist schon von selbst die Problemfelder herauskristallisiert, die einer näheren Beachtung bedürfen und eine geplante Produkteliminierung wird normalerweise bereits das Ergebnis drängender Probleme sein, so daß es vor allem die Aufgabe der Neuproduktplanung sein dürfte, die durch dieses Instrument verbessert werden könnte. Hier besteht auch der größte strategische Handlungsspielraum sowie der größte Analysebedarf, weil das Schicksal der Unternehmung durch neue Produkte auf Jahre und Jahrzehnte geprägt werden kann. 39) Vgl. Utz, 1978, S. 213 ff.

11. Unternehmensanalyse und soziale Verantwortung

205

tiven Folgen eines Produktes zu machen. Was sich durch die Wirkungsanalyse möglicherweise ändert, ist der Ansatzpunkt für die Strategie (z.B. Aufldärung der Verbraucher, branchenweite Zusammenarbeit zur Lösung von gemeinsam verursachten Problemen). Die Beurteilung der Relevanz einzelner Folgen ergibt sich aus den vorhergehenden Analyseschritten. Eine "soziale Schwäche", d. h. negative Folgen des Produktes, ist umso bedrohlicher - je mehr Personen negativ betroffen werden, - je gravierender die negativen Wirkungen sein können, - je eindeutiger das Unternehmen Verursacher der negativen Folgen ist. Zusätzlich könnte man durch einen Konkurrentenvergleich feststellen, ob deren Produkte eine gravierende Schwäche nicht haben; dies würde die eigene Schwäche nochmals verschärfen. Als dritte projektbezogene Analyse soll die Standortanalyse betrachtet werden, die ebenfalls ohne weiteres um sozial relevante Kriterien erweitert werden kann. Wie viele Unternehmer in den letzten Jahren erfahren mußten, geht heute zumindest bei Großprojekten nichts mehr ohne eine Umweltverträglichkeitsprufung. 40 Die andere außerordentlich wichtige Komponente ist die Schaffung von neuen Arbeitsplätzen sowie eventuell die Vernichtung von Arbeitsplätzen an anderen Standorten. 41 Bei Standorten im Ausland sind eventuell auch politische Kriterien relevant, was sich zur Zeit besonders deutlich am umstrittenen Standort Südafrika zeigt. Will man als Standort ein Entwicklungsland wählen, könnte die einzelwirtschaftliche Feasibility-Studie durch eine volkswirtschaftliche Kosten-Nutzen-Analyse erweitert werden, die z. B. bewertet, wie sich das Pro-Kopf-Einkommen ändert, die Einkommensverteilung, die außenwirtschaftliche Verflechtung, die Infrastruktur, die Devisensituation usw. 42 Umstritten ist dabei, inwiefern man den volkswirtschaftlichen Nutzen auch 40) Eine deutlich stärkere Gewichtung von Umwe1tfaktoren bei Standortentscheidungen im Vergleich zu den 60er und frühen 70er Jahren vermuteten Bea I Kötzle schon 1979, S. 12. 41) William C. Norris, Gründer und langjähriger Leiter von Control Data, hat z. B. eine Niederlassung bewußt in den Slums von Minneapolis plaziert, um den Unterprivilegierten dort zu helfen; vgl. Houston, 1987, S. 7 42) Vgl. UNlDO, 1978, S. 189 ff.

206

F. Strategische Analyse und soziale Verantwortung

in Entwicklungsländern an Indikatoren messen kann, die in den modernen Industrieländern üblich sind, etwa das Bruttosozialprodukt oder Zivilisationskennzahlen wie Autodichte, Stromverbrauch pro Kopf. Kritiker dieser Art der Bewertung argumentieren, sehr viel wichtiger seien andere Kriterien: Werden durch die Ansiedlung einer multinationalen Unternehmung in einem Entwicklungsland die Kernbedürfnisse nach Lebensgütern für die Mehrheit besser befriedigt? Führt die Ansiedlung zu verstärkten Disparitäten zwischen sozialen Gruppen und Regionen? Zerstören die Aktivitäten der ausländischen Unternehmung die nationale Identität des Gastlandes?43 Diese Andeutungen über die Möglichkeiten einer erweiterten Standortanalyse müssen an dieser Stelle genügen. Die grundsätzliche Vorgehensweise sowie die zu lösenden Probleme (Vollständigkeit, Kausalität, Relevanz) sind nicht anders, als bei Technologie und Marketing-Assessment. Bei der Durchführung der beschriebenen systematischen Verfahren zur Erkennung zukünftiger "sozialer Schwächen" bedient man sich zur Lösung einzelner Teilaufgaben weiterer Techniken. Um das Problem nach Ursachen und Ausmaß genauer zu diagnostizieren, könnten z.B. Methoden der Ordnung und Kombination44 wie Matrizen und Checklisten verwendet werden. Als Analysehilfe innerhalb des Marketing-Assessment schlägt Utz z.B. vor, sich an den Lebensphasen des Produktes zu orientieren und zu überlegen, welche Stakeholder in welcher Weise durch die Produktentwicklung, Produktion, Marktbeeinflussung, Ge- und Verbrauchsphase und die Beseitigung des Produktes beeinflußt werden. 45 Um die Analyse weiter zu systematisieren, könnte man eine Matrix bilden, in der man die Lebensphasen mit den Stakeholdern verbindet, die von vornherein feststehen. Zu diesen grundsätzlich Betroffenen gehören etwa die Kapitalgeber, die Lieferanten, die Kunden, die Mitarbeiter, die Konkurrenten. Die "Gesellschaft" als Stakeholder könnte provisorisch alle die Anliegen vertreten, für die man zunächst keinen konkreteren Vertreter benennen kann (Vgl. Abb.11).

43) Vgl. Kumar, 1982 44) Vgl. Wild, 1982, S. 146 ff. 45) Vgl. Utz, 1978, S. 244 f.

207

11. Unternehmensanalyse und soziale Verantwortung

~

Stakeholder

Kapitalgeber Lieferanten Kunden Mitarbeiter Konkurrenten Gesellschaft

phase

Produktentwickhmg

Produkterstellung

Nachfragebeeinflussung

Produktbeseitigung

I 11 III IV V VI

Abb.11 : Produktlebensphasen-Stakeholder-Matrix, Quelle: Utz, 1978, S.244 (abgeändert)

Als nächstes wären die einzelnen Zellen der Matrix daraufhin zu untersuchen, welche Anliegen welcher Gruppe in welcher Phase auftreten könnten. Für die Phase der Produktentwicklung sollen beispielhaft mögliche Anliegen genannt werden: 1. Bei der Produktentwicklung könnte es ein Anliegen der Kapitalgeber sein, daß ihr eingesetztes Kapital nicht riskiert wird, daß die Rentabilität des Produktes möglichst schon feststeht, bevor die Entwicklungskosten anfallen. 2. Die Lieferanten werden Interesse daran haben, daß sie weiterhin zuliefern können. Dieses Anliegen wird besonders dringlich, wenn die Lieferanten sehr abhängig von der Unternehmung sind. 3. Die Kunden werden darauf achten, ob ihre Bedürfnisse durch das neue Produkt wirklich besser befriedigt werden, ob eventuell hoher Entwicklungsaufwand die Preise hochtreibt ohne angemessene Verbesserungen, ob durch das neue Produkt andere Produkte verdrängt werden, die auch bestimmte Vorzüge hatten. 4. Für die Mitarbeiter ist wichtig, ob durch die Entwicklung Arbeitsplätze gesichert oder gefährdet werden, ob sich die Arbeitsumstände verbessern oder verschlechtern. 5. Die Konkurrenten werden vor allem Absatzeinbußen befürchten.

208

F. Strategische Analyse und soziale Verantwortung

6. Die Gesellschaft könnte die kritischen Fragen stellen, ob ein großes kollektives Bedürfnis für das neue Produkt vorliegt, ob es zur Lösung von gesellschaftlichen Problemen beiträgt (z. B. durch Einsparung wertvoller Rohstoffe, Verminderung des Energieverbrauchs, Verbesserung der Gesundheit, Bereithaltung und/oder Sicherung von Arbeitsplätzen), ob in der Entwicklungsphase hohe Risiken auftreten (z.B. bei der Genforschung), ob Tierversuche notwendig sind, ob es Auswirkungen auf die Dritte Welt hat (z. B. Substitution von Importen aus der Dritten Welt) usw. Bei der Formulierung der gesellschaftlichen Anliegen kann kritisch hinterfragt werden, ob diese Anliegen nicht ebenso den Kunden, Mitarbeitern, oder sogar den Kapitalgebern zuzuordnen sind. Wie an anderer Stelle schon festgestellt wurde, steigt der Druck auf die Unternehmung zur Wahrnehmung sozialer Verantwortung gerade dadurch, daß bestimmte Anliegen wie etwa Umweltschutz heute von einer breiten Koalition von Stakeholdern getragen werden. Während eine problemlose Entsorgung durch Wegwerfen früher von den Konsumenten als Vorteil gewertet wurde, kann es heute durchaus sein, daß die Konsumenten lieber die größere Mühe eines Pfandsystems auf sich nehmen, in dem Bewußtsein, so ihren Teil zum Umweltschutz beitragen zu können. Wenn auch nicht alle Zellen der Matrix sinnvoll ausgefüllt werden können, am Ende eines solchen Prozesses sollte man einen ersten Überblick gewonnen haben, wie viele verschiedene Anliegen im Zusammenhang mit der Einführung eines neuen Produktes auftauchen können. Eine derartige Matrix kann natürlich nicht nur zur ex ante-Analyse in der Planungsphase von Projekten Verwendung finden, sondern auch zur Diagnose bestehender Probleme. Außerdem kann sie erweitert werden. Ackerman und Bauer schlagen als Schema für die Unternehmensanalyse z.B. eine Matrix vor, die den Stakeholdern (bei ihnen "constituencies" genannt) sämtliche Aktivitäten der Unternehmung gegenüberstellt (Vgl. Abb. 12)

11. Unternehmensanalyse und soziale Verantwortung

209

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zur

bel den ersten Anzeichen für ein Anliegen

Abb.17: Die Strategiearten

9. Ansprechpartner

Inhalte

7. Verbindung zum Sachzlel 8. StrategIe-

6. Ver hai ten der Wet t bewer ber untereinander

5. Ausführungsnähe 'reden' oder 'tun'

4. Reaktlonszel t pun k t

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11. Die Strategietypen Um der analytischen Klarheit willen wurde im letzten Abschnitt versucht, nach jeweils einem Klassifikationskriterium möglichst sauber verschiedene Strategiearten zu unterscheiden. Die tatsächlich ausgeführten Strategien sind natürlich gleichzeitig verschiedenen Klassen zuzuordnen. In der Abb. 16 wurde beispielsweise schon dargestellt, daß eine Inaktivität aus freundlicher Grundhaltung anders zu bewerten ist als eine Inaktivität aus feindlicher Grundhaltung, nämlich als abwartendes "noch nicht aktiv werden" im Gegensatz zum "bewußten Ignori~ren". Andere Kombinationen sind beispielsweise antizipative, faktische Problemlösungsstrategien, ökologische, inputorientierte Einkaufsstrategien, branchenweite Politikerstrategien usw. Kombiniert man die verschiedenen Einteilungen miteinander, ergeben sich außerordentlich viele verschiedene Handlungsmöglichkeiten für die Unternehmung. Aber nicht alle denkbaren kombinierten Handlungsmöglichkeiten dürften praktische Relevanz haben. Vielmehr gibt es zwischen den verschiedenen Klassen gewisse Affinitäten, es bilden sich wahrscheinlichere Kombinationen heraus, die man als "setting" oder auch "Typen" bezeichnet. 1 . Aufgrund ihrer empirischen Forschungen in der US-Tabakindustrie fanden Miles und Cameron2 drei Typen strategischen Verhaltens gegenüber der Herausforderung durch den Vorwurf, die Zigarette sei ein gesundheitsschädliches und daher sozial unverträgliches Produkt. Der Typ "domaine defense" ist in erster Linie widerstandsorientiert, aus der Grundhaltung heraus, daß die Berechtigung der Vorwürfe massiv angezweifelt werden kann. Ansprechpartner sind in erster Linie Politiker und Öffentlichkeit, die Unternehmen der Branche arbeiten partiell zusammen. Im Hinblick auf die Problemlösung sind die meisten Maßnahmen eher als symbolisch einzustufen, der Reaktionszeitpunkt ist früh. Faktische Strategien kommen in Form minimaler Zugeständnisse vor und zwar erst dann, wenn ein Handeln unausweichlich wird. Einzelne Maßnahmen waren z.B.: 1) VgI. Hambrick, 1983. Beispiele für solche Typen im Sinne von bestimmten 'Paketen von Attributen" sind die Organisationstypen (zwei Typen: mechanistischlbürokratisch von Bums I Stalker, 1961; fünf Organisationstypen von Mintzberg, 1979a), die Umwelttypen (fünf Umweltzustände nach Ansoff, 1979a) und die Strategietypen (vgI. Miles I Snow, 1978, vier Strategietypen: defender, prospector, analyzer, reactor). 2) VgI. Miles I Cameron, 1982, S. 50 ff.

11. Die Strategietypen

243

Gründung des Tobacco Industry Research Committee (1954), eines Zusammenschlusses verschiedenster, von der Tabakindustrie lebender Unternehmen (Tabakfarmer , Zigarettenhersteller , Tabakwarenhändler und andere), das Forscher finanziell unterstützt, um die Zusammenhänge von Rauchen und Gesundheit zu ergründen; hohe finanzielle Zuwendungen an die American Medical Association durch die sechs größten Tabakfirmen (Big Six); Gründung des Tobacco Institute (1958) durch die Big Six mit dem Ziel des direkten Lobbyismus bzw. der Mobilisierung aller interessierten Kräfte gegen Gesetzesvorhaben, die den Tabakkonsum beeinträchtigen könnten; Verzicht auf Werbung, die sich explizit an Jugendliche wendet sowie Aktivierung der Werbebranche als Antwort auf ein drohendes Werbeverbot; Verstärkung der Werbung in den Printmedien sowie an Plakatwänden nach dem Verbot der Fernsehwerbung. 3 Der zweite Typ strategischen Verhaltens, "domaine offense" genannt, ist eher individuell wettbewerbsorientiert. Das Verhalten ist weiterhin als stakeholderfreundlich einzustufen, weil das Problem der Gesundheitsgefährdung durch Rauchen grundsätzlich akzeptiert und nach faktischen Problemlösungen gesucht wird. Zielgruppe der Maßnahmen sind in erster Linie die Raucher, erst in zweiter Linie Öffentlichkeit und Politiker. Die Entwicklung der Filterzigaretten sowie der sog. Leicht-Zigaretten mit niedrigerem Nikotin- und Teergehalt sind die wichtigsten, diesem Typ zuzurechnenden Maßnahmen. Da die leichteren Zigaretten zugleich weniger Kosten pro Stück verursachen, ergibt sich ein unmittelbarer wirtschaftlicher Vorteil. 4 Als dritten Typ unterscheiden Miles und Cameron schließlich die "domaine creation". Die Tabakfirmen versuchen, durch Diversifikation ihre ursprünglich fast hundertprozentige Abhängigkeit von den Tabakprodukten zu senken, um dort zu erwartende Verluste besser auffangen zu können. Daß diese Rückzugsstrategie nicht unbedingt aus der Einsicht erfolgte, daß Tabakprodukte wirklich problematisch seien, dafür spricht das gleichzeitige Bemühen der Big Six, international mehr Zigaretten abzusetzen, sowie auch der vergleichsweise zu den anderen Strategietypen späte Zeitpunkt der Rückzugsstrategie. Hauptmotiv dürfte in diesem Fall die Ri-

3) Vgl. Miles I Carneron, 1982, S. 58 ff. 4) Vgl. Miles I Carneron, 1982, S. 92 ff. 16*

244

G. Strategieformulierung und soziale Verantwortung

sikostreuung gewesen sein, weil man offensichtlich damit rechnete, daß die Nichtraucherziele sich zum Teil durchsetzen lassen würden. 5 Ebenfalls drei Typen strategischen Verhaltens unterscheidet Post, nämlich adaptive, proactive and interactive patterns of response. 6 Auch diese Typenbildung beruht auf verschiedenen Klassifikationskriterien. Sie enthält zum einen eine zeitliche Komponente. Eine adaptive Antwort auf soziale Anliegen erfolgt spät, wenn das Anliegen voll entwickelt ist, eine proaktive Antwort greift ein Anliegen dagegen früh auf, wenn es noch im Entstehen ist. Überlagert wird diese Klassifikation von einer weiteren: der proaktive Handlungstyp ist gleichzeitig widerstandsorientiert, die Umwelt soll geändert werden. Das adaptive Handeln ist dagegen auf die Problemlösung gerichtet, aber erst wenn der Druck auf die Unternehmung schon sehr groß geworden ist. Der interaktive Strategietyp wird vor allem dadurch charakterisiert, daß die Unternehmung soziale Anliegen als berechtigt akzeptiert und zusammen mit den Vertretern des Anliegens aktiv nach einer Lösung sucht. Hier steht die Einstellung also im Vordergrund. Für Post ist alleine der interaktive Handlungstyp strategisch effektiv. Adaptives und proaktives Verhalten sind dagegen höchstens taktisch sinnvoll. Nach unserer Auffassung lassen sich adaptives und proaktives Verhalten zu einem Typ zusammenfassen; die Verhaltensweisen zeigen sich nacheinander, nicht nebeneinander. Weil die Unternehmung das Anliegen nicht als berechtigt akzeptiert, versucht sie es solange wie möglich abzuwehren und die Öffentlichkeit bzw. die Politiker zu ihrer Einstellung zu bekehren (proaktives Handeln). Erst wenn der Druck auf die Unternehmung zu groß wird, paßt sie sich notgedrungen an (adaptives Handeln). Die entscheidende Trennungslinie zwischen den Verhaltenstypen ist nach unserer Auffassung also nicht, ob das Handeln früh oder spät erfolgt, gemeinsam mit anderen oder individuell, ob die Unternehmung sich zurückzieht aus einem umstrittenen Bereich oder Innovationen entwickelt usw., entscheidend ist die Einstellung, aus der heraus überhaupt gehandelt wird. Sie prägt ganz entscheidend den Typ des Verhaltens. 7 Nach diesem Kriterium wollen wir zwei Idealtypen strategischen Verhaltens unterscheiden, die anband "typischer" Strategiearten bzw. 5) Vgl. Miles I Cameron, 1982, S. 117 ff. 6) Vgl. Post, 1978, S. 38 ff. 7) Vgl. auch Miles, 1987, S. 5 ff.

11. Die Strategietypen

245

"typischer" konkreter Ausprägungen der Strategiearten charakterisiert werden sollen. Eine Unternehmung, die soziale Verantwortung ablehnt, wird keine Stakeholder Management Kapazitäten entwickeln (enterprise strategy) und auf sämtlichen Strategieebenen ausschließlich nach dem maximalen finanziellen Erfolg entscheiden. Die Wahl der Produkt-Markt-Kombination, die Ausrichtung der Forschung und Entwicklung, die Art des Einkaufs, die Produktionstechnik, die Kommunikation, alles unterliegt ausschließlich Renditeüberlegungen. Regionale Diversifikation kommt vor in der Form der Abwanderung in Länder, wo das Problem noch nicht so akut ist. 8 Das Verhalten gegenüber sozialen Anliegen besteht vor allem in einem bewußten Ignorieren und - falls das nicht ausreichend ist - in aktivem Widerstand. Der Widerstand bezieht sich dabei weniger auf sachliche Einwände als vielmehr auf die grundsätzliche Überzeugung, jede Einschränkung der freien Wirtschaft sei illegitim. Ein Rückzug aus einem umstrittenen Bereich erfolgt nach dem Prinzip der verbrannten Erde. Politiker und Öffentlichkeit werden für alle negativen Folgen verantwortlich gemacht (blame the stakeholder) .9 Problemlösungsmöglichkeiten werden lange geleugnet und erst wenn ein Handeln unausweichlich wird, macht man minimale Zugeständnisse. Überhaupt reagiert die Unternehmung spät. Anliegen werden - schon wegen mangelnder Kapazitäten erst wahrgenommen, wenn sie bereits weit fortgeschritten sind. Mit der Reaktion wartet man bis zum letztmöglichen Zeitpunkt. Symbolische Strategien signalisieren die ablehnende Haltung. Man hält Information zurück, setzt sich bewußt nicht mit seinen Gegnern an einen Tisch und droht mit feindseligen Handlungen, z. B. mit Gerichtsverfahren. Falls ein Nachgeben unausweichlich zu werden scheint, werden zunächst symbolische Strategien als Ersatz für faktisches Handeln ausprobiert, im Sinne einer bewußten Täuschung und Hinhaltestrategie. Minimale, auf massiven Druck hin zugestandene faktische Änderungen werden als Kompromiß verkauft. Zu branchenweiter/übergreifender Zusammenarbeit kommt es im Sinne eines Zusammenhaltens gegen den gemeinsamen äußeren Feind. Dominierendes Thema ist der finanzielle Erfolg, Ansprechpartner sind in erster Linie die Eigentümer; andere Stakeholder, insbesondere Kunden und Mitarbeiter, werden insoweit als wichtig 8) Vgl. Jehte, 1980, S. 138 9) Vgl. Freeman, 1984, S. 23

246

G. Strategieformulierung und soziale Verantwortung

erachtet, als sie den finanziellen Erfolg stark beeinflussen, der als das Hauptziel der Eigentümer gesehen wird. Politische Strategien sind vor allem darauf ausgerichtet, als "unternehmensschädlich " eingestufte Gesetzesvorhaben zu verhindern, wobei Politiker unter Druck gesetzt werden. Der Idealtyp des sozial verantwortlichen Unternehmens baut seine Stakeholder Management Kapazitäten gezielt aus (zu den Maßnahmen vgl. Teil H). Die klassischen Strategien auf den verschiedenen hierarchischen Ebenen werden bewußt unter dem Gesichtspunkt ausgewählt, ob sie mit dem Ziel vereinbar sind, sozial verantwortlich zu handeln. Das gilt für die Wahl von Produkt-Markt-Kombinationen bis hin zur Gestaltung des Marketing-Mix. Im Vordergrund der Bemühungen stehen die faktischen Problemlösungsstrategien, die aktive Suche nach ethisch tragbaren Kompromissen, die möglichst viele, auch gegensätzliche Interessen berücksichtigen. Eine Rückzugsstrategie wird gewählt aus der Überzeugung, daß eine Problemlösung nicht möglich ist, deshalb auch ein Weitermachen wie bisher unverantwortlich wäre. Die Unternehmung bemüht sich, die negativen sozialen Folgen des Rückzuges, z. B. Arbeitsplatzverluste bei Aufgabe eines Geschäftszweiges, in Grenzen zu halten und durch flankierende Maßnahmen zu mildem. Äußerliche Inaktivität kommt in der Form des "noch nicht aktiv werdens" vor, in erster Linie in den frühen Stadien der Entwicklung eines Anliegens, wenn es noch sehr wenig eindeutige Informationen gibt und eine Güterabwägung wirklich noch besonders schwierig ist. Die externe Passivität bedeutet aber nicht, daß man intern das Anliegen nicht zumindest wahrnehmen und beobachten würde. Widerstandsstrategien sind ebenfalls möglich, nämlich dann, wenn keine Problemlösung in Sicht ist und ein Rückzug zu viele negative Folgen hätte; mit anderen Worten, wenn sich die Erhaltung des Status Quo nach sorgfältiger Interessenabwägung als der verantwortlichste Modus darstellt. Damit die Widerstandsstrategie nicht als feindlich empfunden wird, braucht die Unternehmung ein erhebliches Vertrauenspotential. Dies wird von der sozial verantwortlichen Unternehmung systematisch aufgebaut durch symbolische, vertrauensbildende Maßnahmen. Die Unternehmung zeichnet sich durch eine große Offenheit und Informationsbereitschaft aus,

11. Die Strategietypen

247

sie nimmt alle Möglichkeiten wahr, sich auch kritischen Diskussionen zu stellen. Sie signalisiert, daß sie ihre Kritiker ernst nimmt und hütet sich vor pauschalen Diffamierungen. Zusätzliche Glaubwürdigkeit gewinnt sie durch ihr im allgemeinen frühes, aktives Aufgreifen von sie betreffenden Anliegen. Außerordentlich wichtig ist es auch, daß sie wo immer möglich der faktischen Problemlösung den Vorzug gibt und niemals eine bewußte Täuschung durch Scheinlösungen versucht. Branchenweite/übergreifende Zusammenarbeit sucht die Unternehmung vor allem mit dem Ziel, gemeinsam Problemlösungen zu entwickeln. Auch das Motiv, möglichst viele Unternehmen von der Idee der sozialen Verantwortung zu überzeugen, spielt eine Rolle. Der finanzielle Erfolg ist natürlich auch für die sozial verantwortliche Unternehmung ein Thema, da sie - wie schon des öfteren betont - ökonomischen Erfolg braucht, um weiterhin handlungsfähig zu sein. Gleichzeitig werden aber auch andere, gesellschaftlich brisante Themen als gleichberechtigt angesehen, wobei vor allem die Offenheit der Unternehmung typisch ist, mit der sie akzeptiert, von diesen Themen wirklich betroffen zu sein. Typisch ist schließlich auch die Offenheit für eine Vielzahl von Ansprechpartnern. Es wird weder von vornherein definiert, welcher Ansprechpartner Priorität haben soll, noch werden den Ansprechpartnern von vorneherein bestimmte Ziele unterstellt. Politische Strategien werden von der Idee getragen, den Politikern mit Sachverstand bei ihrer Aufgabe zu helfen, sie auf Fehler, Lücken und Probleme ehrlich hinzuweisen. Ziel ist ein gutes und brauchbares Gesetz, nicht die Minimierung von Zugeständnissen. Strategien, die aus der Grundüberzeugung einer sozialen Verantwortung der Unternehmung entstehen, - sind eher problemlösungsorientiert, - sind eher antizipativ, - suchen womöglich einen faktischen Kompromiß, - dienen als symbolische Strategien der Vorbereitung und Begleitung faktischer Strategien, - dienen als branchenweite und übergreifende Strategien eher der gemeinsamen Problemlösung als dem gemeinsamen Widerstand,

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G. Strategieformulierung und soziale Verantwortung

- beruhen auf umfangreichen Analysen und Kontakten mit verschiedenen Ansprechpartnern, - wollen als politische Strategien vor allem offen informieren und beraten. Für das Unternehmensziel "Umweltschutz" wird im folgenden diese "typische" Verhaltensweise konkretisiert. Dieses Beispiel soll zum einen zeigen, daß ein solches "typisches" Vorgehen, bei dem die verschiedenen Strategien integriert und konsistent am Gedanken der sozialen Verantwortung (hier konkret des Umweltschutzes) orientiert sind, sehr sinnvoll ist, weil dadurch Synergieeffekte entstehen und isolierte Einzelrnaßnahmen oft nicht einmal durchführbar sind. Zum anderen kann an diesem Beispiel verdeutlicht werden, daß es problematisch wäre, wollte man bestimmte Strategieklassen von vorneherein als verantwortungslos bzw. verantwortungsvoll einordnen. Ob Produktinnovation oder -eliminierung, ob Widerstand, Problemlösung, Inaktivität oder Rückzug, ob individuelle oder branchenweite, ob symbolische oder faktische Strategien, ob Kunden-, Mitarbeiter-, Eigentümer-, oder Politikerstrategien, alle diese Verhaltensweisen können die Konsequenz aus der Grundüberzeugung sein, ein Unternehmen habe sozial verantwortlich zu handeln. Ein ökologisch orientiertes Unternehmen hat die gleichen strategischen Entscheidungen zu treffen wie jedes andere Unternehmen auch - Standortwahl, Wahl von Produkt-Markt-Kombination, Investition oder Desinvestition, Beschaffung, Marketing usw. - und das bedeutet, es wäre wenig sinnvoll, ein Bündel von "Sozialstrategien" neben die "normalen Unternehmens strategien " stellen zu wollen. Nicht daß die Unternehmung außerhalb von ihrem Managementalltag wirtschaftsfremde Sonderleistungen erbringt, macht die soziale Verantwortung im hier vertretenen Sinne aus, sondern daß die "klassischen" Managemententscheidungen selbst geprägt werden von der Überzeugung, sie seien in einem umfassenden Sinne verantwortungsvoll zu treffen. Was das konkret bedeutet, kann das folgende Beispiel zeigen.

ill. Beispiel: Umweltschutzstrategien Das Beispiel Umweltschutzstrategien wurde nicht ohne Grund gewählt, ist es doch der Problemkomplex Ökologie/Ökonomie, der die Unternehmer in den letzten Jahren bei weitem am meisten von allen denkbaren Problemkomplexen sozialer Verantwortung beschäftigt hat. Nach einer Umfrage durch den Bundesverband junger Unternehmer im Sommer 1984 haben 75 % der Unternehmer den Willen, in Zukunft ihre Produktion stärker auf den Umweltschutz auszurichten. 1 Ausgangsbasis für die ökologischen Strategien ist die GrundeinsteIlung des "offensiven Umweltschutzmanagement".2 Damit ist gemeint, daß man frühzeitig agiert, nach Problemlösungen sucht und im Umweltschutz eine unternehmerische Chance sieht und keine Bedrohung. Es handelt sich um ein präventives, konzipierendes, evolutionäres Konzept. 3 Daß man eine Harmonisierung von Gewinnziel und sozialer Verantwortung - hier Umweltschutz - für möglich hält, darf aber nicht zu einer völligen Instrumentalisierung des Umweltschutzgedankens führen. Vielmehr sollte das Umweltschutzdenken zu einer echten Überzeugung werden4 , so daß eine allfällige Güterabwägung auch zu gewinnmindernden Entscheidungen führen kann. Zum Konzept des offensiven Umweltschutzmanagement gehört weiterhin die Integration des Umweltschutzgedankens in alle Bereiche und Funktionen des Unternehmens. 5 Die GrundeinsteIlung findet ihren Niederschlag in Leitbildern, Grundsätzen und Zielen und erhält so offizielle, nach außen und innen dokumentierte Verbindlichkeit. 6 Auf der Ebene der enterprise strategy werden Maßnahmen ergriffen, um den Ökologiegedanken in der Unternehmung 1) 2) 3) 4)

Vgl. Gege, 1988, S. 77 f. Vgl. Wicke, 1988, S. 21 ff. Vgl. Seidel und Menn, 1988, S. 67 f. Dies ist für Liese, 1986, S. 106 ff., die vierte - höchste - Stufe der UmweltschutzeinsteIl ung. 5) Vgl. Wicke, 1988, S. 21 6) Vgl. die Beispiele in Seidel / Menn, 1988, S. 170 f.; McDonald's hat Anfang 1989 eine Grundsatzerklärung herausgegeben, in die Verpflichtung eingegangen wird, kein Fleisch aus Regenwaldgebieten zu verwenden, um so die Regenwälder vor Rodung zu schützen.

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G. Strategieformulierung und soziale Verantwortung

zu implementieren. Durch Signale der Führungskräfte und Schulungen der Mitarbeiter wird der Umweltschutzgedanke in der Unternehmenskultur verankert. Es müssen die notwendigen Informationssysteme geschaffen werden (z. B. ein ökologisch orientiertes Rechnungswesen)7 und die Motivations- und Anreizsysteme sind so einzurichten, daß ökologisch sinnvolles Verhalten auch unternehmensintern honoriert wird. Die Zuständigkeiten für Steuerung und Kontrolle ökologieorientierter Maßnahmen werden geklärt, evt. werden neue Stellen (z. B. Umweltschutzbeauftragte) bzw. neue Gremien (z. B. Umweltausschüsse) geschaffen. 8 Auf der Ebene der Gesamtunternehmung werden die Weichen gestellt, auf welchen Märkten, mit welchen Produkten die Unternehmung tätig sein will. Ein "umweltfreundliches Portfolio" kann die Unternehmung nach und nach entwickeln, indem sie besonders umweltgefährdende strategische Geschäftseinheiten ganz aufgibt (z. B. Einstellung der Produktion von FCKW durch Johnson-Wax)9 oder versucht, den Markt über neue umweltfreundliche Produktentwicklungen zu halten (z. B. Spraydosen ohne FCKW). Bereits bestehende ökologisch orientierte strategische Geschäftseinheiten werden besonders gefördert; man versucht, weitere Märkte für die Produkte zu erschließen. Durch horizontale verbundene Diversifikation kann die Unternehmung anstreben, ein umfassendes Programm ökologisch orientierter Güter anzubieten. DUrch vertikale Integration kann sichergestellt werden, daß Inputfaktoren umweltfreundlich hergestellt werden oder daß Verpackung und Distribution so ökologisch wie möglich gestaltet werden. Die Standortwahl kann auch nach ökologischen Kriterien erfolgen, ebenso wie der Bau von Industrieanlagen. 10 Überhaupt sollten bei allen Investitionsentscheidungen, insbesondere bei den umfangreichen mit langfristigen Folgen, unbedingt Umweltschutzkriterien ins Kalkül gezogen werden. Auf der Geschäftsbereichsebene bietet sich vor allem die Differenzie,hlngsstrategie als Wettbewerbs strategie an, d. h. die Unternehmung versucht, ein von den Wettbewerbern deutlich abgesetztes, einzigartiges 7) Vgl. Seidel / Menn, 1988, S. 126 f. 8) Vgl. Winter, 1988, S. 61 f. 9) Vgl. Stauss, 1985, S. 94 f. 10) Vgl. Winter, 1988, S. 64 ff.

III. Beispiele: Umweltschutzstrategien

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Profil gerade durch ihr besonders umweltbewußtes Verhalten zu erarbeiten. Dies gelingt sogar in Branchen, die durch die Art ihrer Produkte keineswegs in besonderem Maße "ökologisch exponiert" sind, wie das Winter-Modell zeigt.l1 Im Hinblick auf die übergeordnete Corporate Strategy ist es hilfreich, wenn der Geschäftsbereich in ein ökologisch vertretbares Gesamtportfolio eingebettet ist; andernfalls könnten ökologisch bedenkliche Geschäftsbereiche negativ auf den Versuch einer ökologischen Differenzierung durchschlagen. Die Differenzierung wird häufig gleichzeitig eine Nischenstrategie sein, d. h. die Unternehmung konzentriert sich auf eine bestimmte Abnehmergruppe, das Marktsegment der ökologisch bewußten Konsumenten. 12 Hat das ökologisch verantwortliche Vorgehen der Unternehmung beispielsweise in der Produktpolitik für den Konsumenten weder Kosten- noch Funktionsnachteile, ist jedoch auch mit branchenweiten Absatzmöglichkeiten zu rechnen. Damit die Differenzierung überzeugt, ist ein integriertes Vorgehen wichtig, d. h. alle Funktionsbereiche sollten je innerhalb ihrer Möglichkeiten den Umweltschutzgedanken aufgreifen. Im Beschaffungsbereich kann z. B. der gesamte Einkauf nach ökologischen Beschaffungsrichtlinien abgewickelt werden. Dazu sind im Vorfeld erhebliche Anstrengungen nötig, um die nötigen Informationen zu bekommen. Man braucht sowohl Umweltverträglichkeitskriterien zur Beurteilung der Einsatzstoffe als auch detaillierte Stofflisten, wobei man häufig auf die Mithilfe der Lieferanten angewiesen ist. Sind Umstellungen bei den eingesetzten Stoffen nötig, so zieht das u. U. Produkt- und Verfahrensänderungen nach sich. 13 Auch den Einsatz von Sekundärrohstoffen kann man forcieren, indem man flächendeckende und praktikable Erfassungssysteme für die anfallenden potientiellen Sekundärrohstoffe entwickelt, wie das die Glasund Papierindustrie beispielsweise getan hat. 14 Die Praxis zeigt, daß eine ökologische Materialwirtschaft trotz aufwendiger Vorarbeiten häufig auch

11) Vgl. Winter, 1988, S. SS f. 12) Vgl. Meffert u.a., 1986, S. 142 13) Vgl. Troge, 1988, S. 108. Beim Philips-Konzern bedurfte es jahrelanger Anstrengungen, um einen vorgeschriebenen Bann von Cadmium zu realisieren; vgl. Essen, 1989, S. 88 14) Vgl. Troge, 1988, S. 106 f.

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G. Strategieformulierung und soziale Verantwortung

ökonomische Vorteile in Form von Kosteneinsparungen bringt.l5 Außerdem sind die indirekten Effekte nicht zu unterschätzen, die ein Industrieunternehmen durch seine Nachfragemacht bei den Lieferanten auslöst. Daß die Forschung und Entwicklung ganz entscheidenden Einfluß im Dienste des Umweltschutzes hat, ist eine schon beinahe triviale Feststellung, wenn man bedenkt, daß jede ökologische Produkt- und Verfahrensänderung vorbereitender Forschung und Entwicklung bedarf. Zum offensiven Umweltschutzmanagement gehört auf jeden Fall die strategische Ausrichtung der Forschung und Entwicklung am Gedanken des Umweltschutzes. Langwierige und kostspielige Entwicklungen, die schon morgen aufgrund schärferer Umweltschutzgesetze obsolet sind, sind auch wirtschaftlich sinnlos. 16 Bei der Produktion entstehen Lärm, Staub, Abwärme, Abwässer, Abgase, Abfälle, und es werden Ressourcen verbraucht. Die Art und Weise der Produktion ist also entscheidend bei den Umweltschutzaktivitäten der Unternehmung. Verfahrens verbesserungen und -innovationen wie die Optimierung der Reaktionsbedingungen oder die Gestaltung der Anlagen als geschlossene Systeme in der chemischen Industrie l7 , eine weitgehend staubfreie Kunststoffpulververarbeitung l8 , eine abwasserfreie Galvanik 19 sowie zahlreiche weitere Beispiele20 zeigen, daß sehr oft auch Kosteneinsparungen mit solchen Verfahrensänderungen zu bewirken sind. Beim offensiven Umweltschutzmanagement ändert sich auch die Stoßrichtung der Abfallwirtschaft. Die Abfallvermeidung hat Priorität und zwar nicht nur die Abfallvermeidung im Unternehmen selbst, sondern auch die beim Kunden. Sowohl die ökologisch orientierte Beschaffungspolitik als auch die von der F + E entwickelten Produkt- und Verfahrensverbesserungen tragen ihren Teil dazu bei, Abfälle gar nicht erst entstehen zu lassen. Wo Abfälle unvermeidlich sind, sollen sie nach Möglichkeit wiederverwertet werden. Ist das innerbetrieblich nicht möglich, kann eine

15) Vgl. Winter, 1988, S. 65; Troge, 1988, S. 108; Günther, 1988, S. 127 16) Im Philips-Konzern wird jeder Produktentwicklung eine Checkliste zur Sicherstellung von Umwe1taspekten zugrundegelegt; vgl. Essen, 1989, S. 87 17) Vgl. Futterknecht, 1987, S. 18 18) Vgl. Winter, 1988, S. 63 19) Vgl. Troge, 1988, S. 113 20) Vgl. Troge, 1988, S. 110 ff.; Winje I Lorenz, 1988, S. 130 ff.

111. Beispiele: Umweltschutzstrategien

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branchenweite oder -übergreifende Recyclingstrategie helfen, wie erfolgreiche Beispiele zeigen. 21 Die Abfallbeseitigung als letzte Option sollte selbstverständlich so umweltschonend wie möglich erfolgen. Billige Lösungen sind oft nur kurzfristig billig, was die enormen Kosten für die sog. Altlastensanierung belegen. Auch hier bieten sich überbetriebliche Strategien an, z. B. gemeinsame Verbrennungsanlagen für Sondermü1l22 , die durch viele Benutzer intensiver und gleichmäßiger ausgelastet werden können. Mit der Ausrichtung der Abfallwirtschaft an der Maxime "Abfallvermeidung geht vor Abfallverwertung, Abfallverwertung vor -beseitigung" können neben ökologischen gleichzeitig häufig ökonomische Vorteile erzielt werden. 23 Schließlich bietet der gesamte Absatzbereich zahlreiche Möglichkeiten für ökologisch orientiertes Management. Innerhalb des vorgegebenen Rahmens der strategischen Geschäftseinheit ist zunächst das Produktprogramm festzulegen. Produktinnovationen, -variationen und -eliminierungen können nach ökologischen Gesichtspunkten erfolgen. Als Hilfe bieten sich Checklisten für umweltfreundliche Produkte an24 , die als Leitfaden sowohl für die Bewertung der vorhandenen Produkte als auch für die Entwicklung von Produktvariationen und -innovationen taugen. Wegweisend ist dabei der Gedanke der Problemlösung, d. h. man versucht den Funktionsnutzen für den Verbraucher zu erhalten und gleichzeitig schädliche Auswirkungen zu vermindern. Lassen sich die Umweltprobleme nicht lösen, sollte das Produkt eliminiert werden. 25 Die Verpackungspolitik ist weiterhin ein beachtenswerter Faktor für die umweltorientierte Absatzpolitik. So sollten überdimensionierte Verpackungen vermieden, Mehrwegsysteme und Recycling gefördert sowie problemlos zu entsorgende Materialien bevorzugt werden. 26 Der Kundendienst kann spezielle Service- und Beratungsleistungen anbieten, wie z. B. Umweltberater, die die Kunden über die richtige, umweltschonende Verwen21) Vgl. Meiler, 1988, S. 154 ff. 22) Vgl. Futterknecht, 1987, S. 21 23) Vgl. dazu die Beispiele bei Meiler, 1988, S. 165 ff. 24) Vgl. Hertz, 1973; Utz, 1978, S. 273 25) Vgl. Futterknecht, 1987, S. 23. Selbstverständlich gilt das nur, insoweit nicht andere, wichtigere Interessen dagegenstehen, wie es z. B. bei medizinisch notwendigen Produkten sein kann. 26) Vgl. Schafbausen, 1988, S. 286 f.

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G. Strategieformulierung und soziale Verantwortung

dung der Produkte aufklären oder die Umweltfachseminare für den Handel durchführen. 27 Mit der Preispolitik kann die Unternehmung ökologisch verträgliche Produkte bewußt fördern. Zum einen sollten Kosteneinsparungen, die sich durch den Umweltschutz viel häufiger ergeben, als man gemeinhin annimmt, an den Kunden weitergegeben werden. Bei höheren Kosten für die Öko-Produkte kann eine Mischkalkulation die Preise an die der gängigen Produkte angleichen. Schließlich lassen sich auch höhere Preise für umweltverträglichere Produkte durchsetzen, vor allem, wenn bei gleichem Funktionsnutzen für den Käufer die Umweltverträglichkeit als Zusatznutzen glaubhaft dargestellt werden kann. 28 Im Rahmen einer Differenzierungsstrategie ist es ja sowieso ein strategisches Ziel, die Preisempfindlichkeit der Abnehmer zu senken. 29 Auch die Distribution bietet die Möglichkeit zur ökologischen Profilierung. Die Gewährleistung des Rückflusses von verbrauchten Produkten durch den Absatzkanal - die sog. Retrodistribution - ist eine der denkbaren Maßnahmen. 30 Praktisches Beispiel aus jüngerer Zeit ist die Rücknahme von verbrauchten Batterien durch die Industrie. Ziel ist entweder die Wiederverwendung oder die fachgerechte Beseitigung problematischer Abfallstoffe. Die Retrodistribution ist zugleich häufig nur als branchenübergreifende Strategie möglich, beispielsweise in Zusammenarbeit mit dem Handel und abfallverwertenden Unternehmen. Weitere Maßnahmen sind die Umstellung des Fuhrparks auf Autos mit Katalysator3 1 und/oder die Umstellung der Distribution von der Straße auf die Schiene. 32 In der chemischen Industrie ist es vor allem die Vermeidung von Lagerung und Transport großer Mengen gefährlicher Stoffe, was als umweltschützende Distributionsstrategie in Frage kommt. 33 Für die Kommunikationspolitik werden Leitlinien aufgestellt, wie Offenheit, Ehrlichkeit, Sachlichkeit, Überprufbarkeit. 34 Die Produktwerbung 27) 28) 29) 30) 31) 32) 33) 34)

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Meffert u. a., 1986, S. 154 Schafhausen, 1988, S. 289 ff. Porter, 1983, S. 66 Meffert u.a., 1986, S. 155 Günther, 1988, S. 123 Schafhausen, 1988, S. 292 f. Futterknecht, 1987, S. 19 f. Schafhausen, 1988, S. 302 f.; Schulz, 1988, S. 314; Futterknecht, 1987, S. 23

111. Beispiele: Umweltschutzstrategien

255

kann etwa auf die Ergebnisse unabhängiger Testinstitute zurückgreifen, die insbesondere auch eine ökologische Beurteilung von Produkten vornehmen. Seit 1985 ist beispielsweise die Zeitschrift Ökotest auf dem Markt; ebenfalls überwiegend auf die Umweltfreundlichkeit der Produkte achtet das Berliner Umweltbundesamt bei der Vergabe der Auszeichnung "Blauer Engel". 35 Da vergleichende Warentests eine ganz erhebliche Umsatzwirkung haben,36 sollte eine strategisch handelnde Unternehmung aber nicht einfach abwarten, wie sie wohl abschneidet, sondern die Testkriterien aktiv zur Beurteilung der eigenen Produkte (StärkenSchwächen-Analyse) und als Leitfaden für Produktverbesserungen und -innovationen ansehen. Eine Kooperation mit den Testinstituten könnte Probleme der Testpraxis wie z. B. eine relativ hohe Fehlerquote oder die unzureichende Innovationsorientierung zudem schneller lösen als eine "Antiteststrategie " .37 Für die Öffentlichkeitsarbeit gilt als Maxime, den offenen Dialog mit den Interessengruppen, bewußt auch mit den Kritikern, zu suchen. 38 Bisher wurde PR hauptsächlich mit der Widerstands strategie in Verbindung gebracht39 , d. h. man wollte die Öffentlichkeit so beeinflussen, daß sie ihre Forderungen gegenüber der Unternehmung zurückzieht bzw. erst gar keine neuartigen Forderungen an die Unternehmung stellt. Argumentiert wurde beispielsweise mit der großen Leistungsfähigkeit der kapitalistischen Wirtschaftsweise, die einen steigenden Lebensstandard, sichere Arbeitsplätze, viel Freizeit und hohe Steuerauflcommen garantiere. Solche "Legitimationsstrategien"40 wirken wenig glaubwürdig auf die Kritiker, wenn damit in erster Linie von den Problemen abgelenkt werden soll (Negation und Umleitung). Langfristig katastrophale Auswirkungen dürfte es haben, die PR als Verdeckungsstrategie zu benutzen, d. h. faktische Handlungen vorzutäuschen. Der schlechte Ruf der PR als "Etikettenschwindel" , "Trick-Kiste" und "Schönfärberei "41 rührt von einem solchen Mißbrauch der Öffentlichkeitsarbeit her. Da die mit dem Thema Ökologie angesprochenen kritischen Verbraucher besonders mißtrauisch 35) Vgl. Rosenberger, 1985a, S. 113 ff. 36) Vgl. Fritz, 1985, S. 614 ff. 37) Vgl. Fritz, 1985, S. 624 ff. 38) Vgl. Schulz, 1988, S. 309; Haedrich / Kreilkamp, 1983, S. 433 39) Vgl. Feldmann, 1971, S. 58 f. 40) Vgl. Stachle, 1985, S. 229 41) Schulze-Fürstenow, 1988, S. 10, 12

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G. Strategieformulierung und soziale Verantwortung

gegenüber Informationen der Unternehmung sind42 , herkömmliche PR in Zukunft immer weniger nutzen.

dürfte

die

Neben dieser alten PR, die eher einer verantwortungsablehnenden Grundhaltung zu entstammen scheint, gibt es aber eine völlig andere Auffassung von den Aufgaben der Öffentlichkeitsarbeit. So sieht die Wissenschaftliche Gesellschaft für Marketing und Unternehmensführung den neuen Kern der PR in einem aktiven und antizipativen Interessenausgleich zwischen Unternehmung und Gesellschaft. 43 Nicht mehr die einseitige Beeinflussung der Öffentlichkeit im Sinne der Unternehmung ist die Aufgabe, sondern die Arbeit, der Dialog mit den Interessenvertretern. 44 Als symbolische Strategie dient sie in erster Linie der Vorbereitung sowie der Begleitung/Erklärung faktischer Problemlösungsstrategien. Eine so verstandene PR kann als "ethisches Frühwarnsystem "45 dienen. Typisch für die neue PR ist auch frühzeitiges und kontinuierliches Handeln statt des früher üblichen, nachträglichen Beschwichtigens in Krisenfällen. Eine wirklich glaubwürdige, von einer verantwortungsbejahenden Grundhaltung getragene PR wird es auch bedeutend leichter haben, eine aus einer Güterabwägung heraus notwendige Widerstandsstrategie überzeugend zu begleiten. Offensives Umweltschutzmanagement könnte sich in der PR beispielsweise so niederschlagen, daß man den Dialog mit Umweltschutzverbänden und örtlichen Bürgerinitiativen sucht, daß man gezielt bestimmte, das Unternehmen betreffende Umweltforschungs vorhaben finanziell fördert, daß man Umweltschutzpressekonferenzen durchführt und Umweltbilanzen veröffentlicht. 46 Bisher haben wir vor allem Strategien betrachtet, die direkt bei der Umweltbelastung durch das Unternehmen ansetzen. Eine ganze Reihe von Maßnahmen der Industrie sind aber auch indirekt dem Umweltschutz gewidmet, d. h. sie setzen nicht im Unternehmen selbst an. Solche Maßnahmen sind z. B. "Groschen für den Naturschutz", die vom Verkaufspreis des Produktes abgeführt werden (Beispiele: Dralle GmbH, Holsten Brauerei AG, Diamant Weizenmühle Georg Lange), "Baumaktionen" (wie 42) Vgl. Meffert / Bruhn, 1918, S. 311 43) Vgl. Schubert, 1986, S. 255 f. 44) Vgl. Haedrich / Kreilkamp, 1983, S. 431 f.; Schulze-Fürstenow, 1988, S. 9 f.; Raffee/ Wiedmann, 1985a, S. 664 45) Oeckl, 1988, S. 26 46) Vgl. Schulz, 1988, S. 315 ff.

III. Beispiele: Umweltschutzstrategien

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die Verteilung von jungen Bäumen an die Kunden gegen eine Schutzgebühr von 1,- DM (durch die RHG Leibbrand OHG), Gründung gemeinnütziger Stiftungen zum Naturschutz (Schweiß furt GmbH & Co.) sowie Stiftung von Naturschutzpreisen (Brauerei Feldschlößchen AG)47 und Förderung nicht unternehmensbezogener Umweltforschung (z. B. Infratest-Untersuchungen über die Auswirkungen des modemen Tourismus auf die Natur, gezahlt von der Alpirsbacher Brauerei). 48 Der Einsatz von Umweltberatern für die privaten Haushalte und Kommunen, die Unterstützung von Bürgerinitiativen gegen umweltwidriges Verhalten eines anderen Unternehmens, die gezielte Förderung von Innovationen auf dem Gebiet des Umweltschutzes durch die Erfinderbörse Umweltschutz sind weitere indirekte Umweltschutzstrategien, wie sie z. B. zum WinterModelI gehören. 49 Solche und ähnliche PR-Aktionen (zur PR gezählt werden sie bei Liese5 0) wirken allerdings nur überzeugend im Kontext eines konsequenten, integrierten Umweltschutzmanagement. 51 Beispiele für branchenübergreifende Strategien sind die Gründung des Förderkreises Umweltfuture e. V. 52 sowie des Bundesdeutschen Arbeitskreises für umweltbewußtes Management (BAUM e.V.).53 Zu den BAUM-Aktivitäten gehören Seminare und Weiterbildungskurse auf dem Gebiet der umweltbewußten Unternehmensführung, Arbeitskreise für den zwischenbetrieblichen Erfahrungsaustausch auf Teilgebieten umweltbewußter Unternehmens führung , Entwicklung von Fallstudien zum umweltbewußten Management in Zusammenarbeit mit der TU Berlin, Erstellung eines Informationsdienstes mit Berichten über Umwelttechnik, umweltfreundliche Produkte, Umweltschutzgesetze und vieles andere mehr. Obwohl ohne Zweifel öffentlichkeitswirksam, sollten diese Strategien aber nicht als PR-Strategie eingeordnet werden, sondern als branchenübergreifende enterprise strategy, geht es doch in erster Linie darum, 47) Vgl. Liese, 1986, S. 92 ff. 48) Vgl. Liese, 1986, S. 107 49) Vgl. Winter, 1988, S. 59 ff., 67 ff. 50) Vgl. Liese, 1986, S. 43; auch Schulz, 1988, S. 316 f. 51) Eine Unternehmung, die ihr Geld beispielsweise mit der Dünnsäureverklappung in der

Nordsee verdient, dürfte helle Empörung auslösen mit einer Aktion "Groschen für das Wattenmeer" . 52) Vgl. Lülsdorf, 1988 53) Vgl. Gege, 1988, S. 85 ff. 17 Göbel

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G. Strategieformulierung und soziale Verantwortung

in den Mitgliedsfirmen die Voraussetzungen für ökologisches Management zuallererst zu schaffen (z. B. durch Information). Nach dem Kriterium des Ansprechpartners wenden sich die bisher vorgestellten Strategien vor allem an Kunden und Öffentlichkeit. Speziell an die Mitarbeiter wenden sich Strategien wie Schulungen, Seminare, Bildungsausflüge, betriebs interne Veröffentlichungen zum Thema Umweltschutz sowie Umweltberatung in den Mitarbeiterhaushalten. 54 Ähnliche Überzeugungsarbeit könnte gegenüber den Eigentümern geleistet werden, wobei besonders auf die vielfältigen Möglichkeiten einer Harmonisierung von Gewinn- und Umweltzielen hingewiesen werden könnte. Eine Reihe potentieller Investoren legt sogar besonderen Wert darauf, nur in Unternehmen zu investieren, die ein positives Sozialverhalten, z. B. im Bereich Umweltschutz, an den Tag legen. 55 Alle ökologischen Strategien würden sich in diesem Fall gleichzeitig an die "potentiellen Eigentümer" wenden. Mit besonderem Mißtrauen werden häufig die politischen Strategien der Unternehmung betrachtet, weil man darunter typischerweise das "Self-Defeating Lobbying"56 versteht, d. h. den Widerstand gegen Gesetzesvorhaben, die den Unternehmenszielen (scheinbar) entgegenstehen. 57 Auch andere politische Strategien neben dem klassischen Lobbyismus, d. h. der direkten Beeinflussung von Politikern, wie z. B. das "constituency building", das "advocacy advertising" und das "coalition building"58 dienten in der Vergangenheit in erster Linie der Mobilisierung von Widerstand gegen politische Initiativen. Solche Strategien erwachsen oft aus der Grundüberzeugung, jede staatliche Einmischung in das freie Unternehmertum sei von Übel.59 Unternehmer, die sich zur sozialen Verantwortung bekennen, denken auch in diesem Punkt anders. Ihre politische Strategie zielt auf Problemlösung gemeinsam mit den Politikern. 60 Stellen sie ihre Fachkompetenz in den Dienst der Politik und wirken mit z. B. bei der Entwicklung und Gestaltung ökologisch effizienter Besteuerung und

54) Vgl. Winter, 1988, S. 58 f. 55) Vgl. Hartmann, 1974, S. 343; Enderle, 1987, S. 446; Koblitz, 1987, S. 380 56) Maitland, 1986, S. 67 57) Vgl. auch Stachle, 1985, S. 228; Feldmann, 1971, S. 58 f. 58) Vgl. Keim / Zeithamel, 1986, S. 829 f. 59) Vgl. Miles, 1987, S. 47 ff. 60) Vgl. Heitzer, 1987, S. 15 f.; Futterknecht, 1987, S. 24

III. Beispiele: Umweltschutzstrategien

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Finanzierung61 , so können die Ergebnisse für beide Seiten praktikabler und befriedigender sein. Freilich bedarf es auch hier noch großer Anstrengungen seitens der Unternehmung, um als problemlösungsgewillter, objektiver Berater anerkannt zu werden, haben sie sich doch allzulange mit der Rolle der Kritiker und Bremser begnügt. Die Situation gerade im Bereich des Umweltschutzes ist zudem als eine "Salient Issue, Voter Consensus"62-Situation einzuschätzen (d. h., das Thema ist von großer Dringlichkeit für die Wähler und es besteht weitgehende Einigkeit zwischen den Wählern darüber), was bedeutet, daß eine Widerstandsstrategie sowieso wenig erfolgversprechend ist. Verweigert die Unternehmung in einer solchen Situation die konstruktive Zusammenarbeit mit den Politikern, muß sie später wahrscheinlich mit schlechteren Gesetzen leben. Ökologisch orientierte Unternehmen, die aus Umweltschutzgründen selbst Kostennachteile in Kauf nehmen, werden außerdem selbst daran interessiert sein, daß ihr hoher Standard auf politischem Wege für alle Konkurrenten verbindlich gemacht wird. 63 Nach Maitland sind schließlich branchenweite-/übergreifende politische Strategien besonders erfolgversprechend. 64 Dies dürfte auch für den Bereich des Umweltschutzes gelten, sind doch in den seltensten Fällen nur einzelne Unternehmen von einem Umweltproblem betroffen.

61) Vgl. Seidel und Menn, 1988, S. 128 62) Keim I Zeithamel, 1986, S. 838 63) In den USA ist ein solches Verhalten bekannt als "elevating the level playing field"; vgl. o.V., 1988 64) Vgl. Maitland, 1986, S. 68 ff. 17*

IV. Situative Bedingungen für die Auswahl "verantwortungsorientierter" Strategien Unter welchen Voraussetzungen ist damit zu rechnen, daß die Unternehmung in ihre Strategienwahl Kriterien sozialer Verantwortung einfließen läßt? Welche situativen Bedingungen begünstigen die Auswahl "verantwortungsorientierter" Strategien? Eine ganz entscheidende Rolle spielt u.E. die Einstellung der Entscheidungsträger im Unternehmen. Erkennen sie die Forderungen der Umwelt nicht als berechtigt an oder sehen sie die Zuständigkeit für die Lösung beim Staat, sind Verhaltensweisen besonders wahrscheinlich, die als verantwortungsablehnend charakterisiert wurden, z. B. Widerstand in der Form von Umleitung und Negation, Rückzug in der Form belastender Substitution, Inaktivität in der Form der Ignoranz, symbolische Verdeckungsstrategien und Vermeidungsstrategien. Oder umgekehrt: Verantwortungsorientierte Strategien sind dann zu erwarten, wenn die Entscheidungsträger selbst von der Verpflichtung zu sozialer Verantwortung überzeugt sind. 1 Eine positive Einstellung gegenüber Anliegen von Stakeholdern ist wiederum eher zu erwarten, - wenn die Forderungen mit marktwirtschaftlichen Ordnungsvorstellungen kompatibel sind, - wenn die Lösung des anstehenden Problems tatsächlich in den Zuständigkeitsbereich der Unternehmung fällt, - wenn die Artikulatoren der Forderung den Managern in ihrem Status, den Werten und Verhaltensweisen nicht zu unähnlich sind. 2 Zweitens ist eine verantwortungsorientierte Handlungsweise umso eher zu erwarten, je früher, realitäts näher und vollständiger die entsprechenden Stimuli aus der Umwelt erkannt werden. Ja, nur wer sich darüber informiert, wer, wie stark, in welcher Weise durch welche Handlungsfolgen betroffen wird, kann überhaupt im vollen Sinne verantwortlich handeln. 3

I) Vgl. Stauss, 1985, S. 83 ff. 2) Vgl. Stauss, 1985, S. 83 ff.; leble, 1980, S. 159 3) Vgl. dazu aucb leble, 1980, S. 149

IV. Bedingungen für die Auswahl "verantwortungsorientierter" Strategien

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Drittens steigt die Wahrscheinlichkeit einer positiven Reaktion auf Stakeholderforderungen proportional mit der verteilungstähigen Wertmenge in der Unternehmung. Diese wiederum korreliert positiv mit der ökonomischen Leistungstähigkeit der Unternehmung. Dieser Zusammenhang könnte aus zwei Gründen auftreten: Zum einen spielt hier u.U. die Einstellung der Manager eine Rolle, die von vorneherein einen negativen Zusammenhang zwischen Gewinn und sozialer Verantwortung vermuten und daher jede Forderung abblocken, solange sie meinen, es sich nicht leisten zu können, darauf einzugehen. Zum anderen erweitert sich der Handlungsspielraum der Unternehmung natürlich tatsächlich; es sind auch solche Strategien denkbar, die (kurzfristig) nur höhere Kosten verursachen. Bei einer hohen verteilungstähigen Wertmenge führt dies nicht zwangsläufig zum Konflikt mit anderen sozialen Zielen, z. B. der Erhaltung von Arbeitsplätzen. Zusammenfassend: sozial verantwortliches Handeln ist von den Unternehmen dann zu erwarten, wenn sie Fall 1: - so handeln wollen, - wissen, was getan werden sollte, - und glauben, entsprechend handeln zu können. Umgekehrt kann unverantwortliches Handeln also vorkommen: Fall 2: - weil man so handeln will, obwohl man weiß, daß man anders handeln sollte und es auch könnte, Fall 3: - weil man zwar verantwortlich handeln will, aber die richtige Handlungsweise nicht erkennt, Fall 4: - weil man zwar verantwortlich handeln will und im Grunde auch weiß, was zu tun wäre, aber meint, nicht anders handeln zu können. 4

Betrachten wir zunächst den unproblematischen Fall 1, in dem die Unternehmung sozial verantwortlich handeln will und weiß, was zu tun ist und solches Handeln auch möglich ist. Dies ist sicher immer dann der 4) Vgl. Martin, 1985, S. 3

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G. Strategieformulierung und soziale Verantwortung

Fall, wenn sozial verantwortliches Handeln auch ökonomische Vorteile mit sich bringt. Eine solche Situation ist etwa dadurch gekennzeichnet, - daß unmittelbare Kosteneinsparungen erzielt werden (wie z. B. bei zahlreichen Umweltschutzmaßnahmen), - daß Produktvariationen oder -innovationen ohne großen Aufwand und ohne Beeinträchtigung des Funktionsnutzens möglich sind, wobei der Zusatznutzen (z. B. Umweltfreundlichkeit) den Konsumenten überzeugend dargestellt werden kann, - daß ohne großen Aufwand neue Märkte mit erheblichem Marktpotential erschlossen werden könnens, - daß gerade über die soziale Verantwortung eine Differenzierung gegenüber der Konkurrenz gelingt. Dies ist wiederum dann zu erwarten, - wenn die Unternehmung wirkliche Problemlösungen anzubieten hat, - diese eindeutig der Unternehmung zugerechnet werden - und kein "Trittbrettfahren" von anderen Unternehmen möglich ist. - daß die Unternehmung selbst auf das sozial verantwortliche Handeln anderer Unternehmen angewiesen ist. Viele Unternehmen sind etwa auf eine intakte Umwelt angewiesen (z. B. Brauereien auf sauberes Wasser, die Textilfaserindustrie auf saubere Luft).6 Vor allem indirekte Strategien dürften auf dieses Motiv zurückzuführen sein. Der Vorteil sozial verantwortlichen Handelns kann sich aber auch daraus ergeben, daß die Unternehmung bei unverantwortlichem Handeln mit Nachteilen zu rechnen hätte. Nicht das aktive Wahrnehmen von Chancen, sondern das Vermeiden von Risiken ist also das Motiv. Solche Risiken könnten etwa sein: massive Käuferboykotte7 oder auch allmähliche Umsatzeinbußen ohne Boykottcharakter , hohe Folgekosten (etwa zur Altlastensanierung), persönliche Haftung von Managern (Verschärfung des Haftungsrechts) bis hin zu Freiheitsstrafen, verschärfte gesetzliche Auflagen, auf die man nicht vorbereitet ist (kann in der Folge sogar BetriebsS) Der Markt für Diokost wurde für 1988 beispielsweise auf 5,6 Mrd. $ geschätzt; vgl. Liese, 1986, S. 52. 6) Vgl. Liese, 1986, S. 26 f., 31 f., 105. 7) Vgl. dazu auch Hummel-Liljegren, 1985

IV. Bedingungen für die Auswahl "verantwortungsorientierter" Strategien

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schließungen mit sich bringen), Verlust von Marktanteilen an die Konkurrenz, mangelnde Ausrichtung der F + E an zukünftigen KäufelWÜnschen und damit schleichender Verlust der Wettbewerbstähigkeit, Imageverluste, Motivationsverluste nach innen usw. Besonders risikoreich ist eine Situation für die Unternehmung dann, - wenn ihr Verhalten gravierende negative Folgen für die Betroffenen hat, - wenn die Folgen direkt spürbar sind, - wenn diese Folgen einwandfrei feststehen, - wenn sie eindeutig dem Unternehmen zugerechnet werden können, - wenn die Konkurrenz Problemlösungen anbietet, - wenn besonders öffentlichkeitswirksame Folgen auftreten. Unter diesen Bedingungen ist nämlich damit zu rechnen, daß auch die Macht der Betroffenen besonders schnell anwächst und damit auch der Druck auf die Unternehmung steigt. Typisches Beispiel: Lebensmittelskandale mit einwandfrei erwiesenen schweren gesundheitlichen Schäden. "Unpr~blematisch" sind die geschilderten Situationen in dem Sinne, daß es keinen Zielkonflikt zwischen sozial verantwortlichem Handeln und ökonomischer Zielsetzung gibt, jedenfalls keinen endgültigen. Im letzteren Fall - dem Vermeiden von Risiken - kann es natürlich sein, daß man kurzfristig auch ökonomische Einbußen hat, aber nur, weil man damit zugleich noch gravierendere negative Folgen für die Zukunft vom Unternehmen abwenden kann.

Was aber geschieht, wenn es keine Zielharmonie gibt, wenn in einer bestimmten Hinsicht verantwortliches Handeln (z. B. Umweltschutz) ökonomische Nachteile mit sich bringt? Nehmen wir an, die Käufer schätzen den Nutzen eines Produktes sehr hoch, die schädlichen Nebenwirkungen sind dagegen für den einzelnen abstrakt (z. B. Kühlschränke mit dem für die Ozonschicht schädlichen FCKW, billiges Rindfleisch, für dessen Erzeugung in der Dritten Welt Regenwälder abgeholzt wurden). Eine Produkteliminierung ist unter diesen Umständen unwahrscheinlich und die Unternehmung wird auch Aufwendungen für Problemlösungen unterlassen (z. B. Forschung und Entwicklung für FCKW-Ersatzstoffe), wenn die Aufwendungen hoch, das Käuferinteresse aber gering eingeschätzt wird.

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G. Strategieformulierung und soziale Verantwortung

Die Unternehmung sieht also keine Chance in besonders verantwortlichem Handeln. In einer solchen Situation wird als Normstrategie die defensive Strategie empfohlen, was bedeutet, daß nicht mehr getan wird, als gesetzlich vorgeschrieben ist. 8 Häufig genug muß sie auch kein Risiko befürchten, wenn sie wenig verantwortlich handelt, weil es lange Zeit geheimgehalten werden kann, weil es keine gesetzliche Handhabe dagegen gibt, weil Käufer nicht auf andere Produkte ausweichen können, weil negative Folgen unternehmerischen Handeins sich nicht beweisen lassen, weil es die Käufer nicht interessiert usw. In all diesen Fällen steht der Manager vor einem Konflikt, wenn er verantwortlich handeln will. Zum einen ist es in einer solchen Situation besonders schwierig zu erkennen, welches Handeln richtig ist, wenn man mal den Fall des eindeutig illegalen Handeins um ökonomischer Vorteile willen außer Betracht läßt. 9 Schließlich ist die Unternehmung gegenüber diversen Stakeholdern verantwortlich, deren Interessen sich nicht unbedingt harmonisieren lassen. Massive ökonomische Nachteile einer Handlungsweise gefährden u. U. Arbeitsplätze, verletzen die Interessen der Eigentümer und der Standortgemeinde. Je schlechter es der Unternehmung ökonomisch geht, desto mehr verschärfen sich solche Interessenkollisionen. Da es für solche Konflikte keine Pauschallösungen gibt, kann es besonders leicht zu unabsichtlich falschem Handeln (Fall 3) kommen. Soziale Verantwortung zeigt sich in einer solchen Konfliktsituation vor allem darin, ob die Unternehmung sich nach Kräften um das notwendige objektive Wissen überhaupt bemüht, das Grundlage richtigen Handelns ist. Verschließt die Unternehmung dagegen bewußt die Augen vor unliebsamen Standpunkten, hat sie sich im Grunde schon für eine Ignoranzstrategie entschieden, womit auch der Wille zur sozialen Verantwortung nicht mehr glaubhaft wäre. Ohne Zweifel gibt es solche Fälle, wo Manager sich nach bestem Wissen und Gewissen für die sittlich falsche Alternative entscheiden. Daraus 8) Vgl. Steger, 1988, S. ISO 9) Es soll nicht übersehen werden, daß manchmal auch illegales Handeln zugleich ethisch richtig ist; vgl. Henderson, 1982, S. 42. Wir wollen aber im folgenden unterstellen, daß die Verletzung von Gesetzen als Handlungsalternative von vornherein ausscheidet für einen Unternehmer, der verantwortlich handeln will. Gesetzestreue gilt als notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung verantwortlichen Handeins.

IV. Bedingungen für die Auswahl "verantwortungsorientierter" Strategien

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kann ihnen niemand einen Vorwurf machen. Weitaus häufiger hat man es aber nach Meinung von Martin 10 mit dem Fall 4 zu tun, in dem die Manager im Grunde wissen, daß ihr Handeln unverantwortlich ist. Sie bekennen sich aber nicht offen dazu (Fall 2), sondern rechtfertigen ihre Handlungsweise gegenüber sich selbst und anderen, sie "rationalisieren" sie nachträglich. Gellerman 11 nennt vier solcher Rationalisierungen: 1. Die Handlungsweise kann nicht wirklich falsch sein, weil meine Vorgesetzten sie ja von mir erwarten. 2. Ich muß vor allem die kurzfristigen Erfolge der Unternehmung im Auge haben. Dafür werde ich schließlich bezahlt. 3. Es wird ja doch nie entdeckt und kann der Unternehmung somit nicht schaden. 4. Es ist eine Frage der Loyalität gegenüber dem Unternehmen, das mich notfalls ja auch beschützt. In allen vier Rechtfertigungen erkennt man das gleiche Grundmotiv wieder, nämlich die Idee, vor allem dem Unternehmen gegenüber - genauer wohl den Eigentümern gegenüber - verantwortlich zu sein und zwar im Sinne des kurzfristig größtmöglichen ökonomischen Erfolges. Auf der Basis einer solchen Überzeugung wird man sich natürlich nie für eine Strategie entscheiden, die ökonomische Nachteile mit sich bringt, ja nicht einmal für eine Strategie, die nur langfristig Vorteile verspricht. "Wir würden ja gerne anders, aber wir können doch nicht", lautet das Credo, mit dem sich selbst eindeutig illegales Handeln noch als "im besten Interesse des Unternehmens" rechtfertigen läßt. Die situativen Bedingungen für sozial verantwortliches Handeln sind zum Teil von der Unternehmung selbst zu beeinflussen. Den Willen zum sozial verantwortlichen Handeln kann die Unternehmung stärken, indem sie ganz eindeutig signalisiert, daß sie nur verantwortliches Handeln als "im besten Interesse des Unternehmens" ansieht. Das Vorbild der obersten Führungskräfte, die Ausgestaltung der Anreizsysteme, der deutliche Wille, unverantwortliches Handeln aufdecken und zu sanktionieren, sind Ansatzpunkte für eine solche Stärkung des Willens zur sozialen Verant10) Vgl. Martin, 1985, S. 3 11) Vgl. Gellerman, 1986, S. 88 ff.

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G. Strategieformulierung und soziale Verantwortung

wortung. Zugleich können dadurch die genannten "Rationalisierungen" verhindert werden. Auch das zur Wahrnehmung sozialer Verantwortung notwendige Wissen kann sich die Unternehmung - jedenfalls zum großen Teil - durch den Aufbau eines entsprechenden Informationssystems verschaffen. Es ist somit der im folgenden Teil noch näher zu behandelnde Ausbau der Stakeholder-Management-Kapazität, wodurch sich die Unternehmung selbst die Voraussetzungen für alle weiteren Maßnahmen zur Umsetzung sozialer Verantwortung zuallererst schafft, jedenfalls was das "Wollen" und "Wissen" betrifft. Wie aber sieht es mit dem "Können" aus? Die oft beschworenen Sachzwänge, der Mangel an Handlungsspielraum, sie verhindern u.E. nicht verantwortliches Handeln, sondern nur u. U. ein Handeln, das allen Betroffenen gleichermaßen zugute kommt. Wer argumentiert, er könne nicht verantwortlich handeln, hat im Grunde nur eine andere, nach unserer Meinung überzogene Vorstellung davon, was verantwortliches Handeln bedeutet, insofern ihm als Verantwortung nur gelten mag, was allseitige Harmonie hervorbringt. Statt sich darauf zurückzuziehen, nicht verantwortlich handeln zu können, sollte man ganz im Gegenteil erkennen, daß man immer verantwortlich handeln kann in dem Sinne, die Folgen von Handlungen nach bestem Wissen und Gewissen abzuschätzen und sich ein Urteil darüber zu bilden, ob man diese Folgen für verantwortbar hält, wobei völlig unhinterfragt sei, daß man nicht immer alle Folgen, für jeden Betroffenen, mit allen Sekundär- und Tertiäreffekten kennt. Selbstverständlich ist es auch nach unserer Ansicht erstrebenswert, Problemlösungen zu finden, die möglichst allen Betroffenen gleichermaßen nützen. Da Interessengegensätze um so schärfer zutage treten werden, je stärker soziale Forderungen von einzelnen Stakeholdern und ökonomischer Erfolg konkurrieren, sind die besten Problemlösungen die, welche Gewinn und soziale Verantwortung harmonisieren. Daß es der Unternehmung nützt und nicht schadet, sozial verantwortlich zu handeln, liegt insofern im Interesse (und in der Verantwortung) aller Betroffenen.

H. Ausbau der Stakeholder-ManagementKapazität J. Die Implementierungsproblematik Den Übergang von der strategischen Planung zum strategischen Management haben wir dadurch gekennzeichnet, daß der Managementansatz sich auch mit den Fragen der Implementierung von Strategien beschäftigt. Dies geschah aus der Erfahrung heraus, daß jede größere Richtungsänderung im Unternehmen zahlreicher flankierender Maßnahmen bedarf, um erfolgreich durchgesetzt werden zu können. Zunächst waren es nur Strategie und Struktur, die aufeinander abgestimmt werden sollten; man denke etwa an Chandlers These "Structure follows Strategy".1 Nach und nach kamen zahlreiche neue Faktoren hinzu, die passend zur Strategie gestaltet werden sollten, bis hin zum sog. 7-S-Ansatz von McKinsey.2 Nach diesem Ansatz ist ein umfassender "fit" nötig zwischen shared values (Kultur), style (Führungsstil), staff (Personen), systems (Systeme), structure (Struktur), skills (Fähigkeiten) und der Strategie. Aber ob man nun sieben oder mehr oder weniger Faktoren unterscheidet, die aufeinander abzustimmen sind, es steckt immer die Idee dahinter, daß eine gravierende strategische Umorientierung zwangsläufig Umorientierungen auch in anderen Bereichen der Unternehmung mit sich bringt. Nun bedeutet die Entscheidung, das Unternehmen in Zukunft sozial verantwortlich zu führen, ohne Zweifel eine erhebliche Umorientierung für die meisten Unternehmen. Nicht daß sie in der Vergangenheit absichtlich unverantwortlich gehandelt hätten (obwohl auch das selbstverständlich vorkommt); die entscheidende Umorientierung besteht vielmehr darin, soziale Verantwortung ausdrücklich als Ziel zu formulieren und diese Grundhaltung dann auch in alle Entscheidungen einfließen zu lassen. Bedenkt man, wie lange und allseitig akzeptiert die Gewinnmaximierung als I) Vgl. Chandler, 1962 2) Vgl. Waterman / Peters / Philipps, 1980

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H. Ausbau der Stakeho1der-Management-Kapazität

alleiniges Ziel der Unternehmung galt, wie exotisch noch vor einigen Jahren Forderungen nach z. B. ökologischer Verantwortung der Unternehmung wirkten, dann wird klar, wie einschneidend diese Richtungsänderung tatsächlich ist. Zu Beginn sprachen wir davon, daß die Unternehmensethik zum Ziel hat, soziale Verantwortung im Unternehmen zuallererst zu ermöglichen, durch entsprechende Prozesse, Systeme und Strukturen. Den Prozeß des Management der sozialen Verantwortung haben wir auf den vorhergehenden Seiten zu erhellen versucht. Zur Implementierung dieses Prozesses braucht man zusätzlich eine "ethics strategy"3, die es dem Unternehmen überhaupt möglich macht, sich mit ethischen Problemen zu beschäftigen. In der Hierarchie der Strategien haben wir im gleichen Zusammenhang von der "enterprise strategy" gesprochen, was bedeutete, die StakeholderManagement-Kapazität aufzubauen. Diese "enterprise strategy" kann man also gewissermaßen als "Implementierungsstrategie" bezeichnen, d. h. als ein langfristig orientiertes, integriertes Maßnahmenbündel zur Verankerung des Zieles der sozialen Verantwortung im Unternehmen. Damit wird zugleich der Boden bereitet für die entsprechenden Strategien (z. B. ökologische Strategien) auf allen anderen Hierarchieebenen. Wie aber ist dieses Maßnahmenbündel zu schnüren? Große Einigkeit besteht in der überragenden Rolle des obersten Management. Die Persönlichkeiten an der Spitze der Unternehmung müssen selbst von Sinn und Zweck des neuen Ziels überzeugt sein und dies eindeutig und konsequent nach innen und außen vertreten. Dies ist die erste Maßnahme und sozusagen die Initialzündung für eine Veränderung im Unternehmen. 4 Die Umsetzung des Ziels wird letztlich aber nur gelingen, wenn diese Überzeugung von oben nach unten weitergegeben werden kann, an das mittlere und untere Management, das sie ins operative Tagesgeschäft einfließen

3) Frederick, 1986, S. 137 4) Vgl. zur Rolle des obersten Management auch Jeh1e, 1980, S. 153; Freeman, 1984, S. 243 ff.; Oppenrieder, 1986, S. 43; Anshen, 1980, S. 145 ff., Laczniak I Murphy, 1985b, S. 104

I. Die Implementierungsproblematik

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lassen muß. "Die Aufgabe der Führungskräfte" soll als erster Baustein der Implementierungsstrategie untersucht werden. 5 Ein zweiter wichtiger Baustein ist die Schaffung einer entsprechenden Struktur. Ohne die Klärung organisatorischer Zuständigkeiten und Kompetenzen kann die Umsetzung des neuen Ziels ebensowenig gelingen, wie ohne die Überzeugung von Mitarbeitern. Eventuell müssen sogar ganz neue Stellen oder Abteilungen geschaffen werden. Verschiedene Vorschläge zur strukturellen Unterstützung des Ziels der sozialen Verantwortung sollen im folgenden vorgestellt werden, womit der Implementierungsfaktor "structure" abgedeckt wird. Wie können die Mitarbeiter motiviert werden, in ihrem Tagesgeschäft sozial verantwortlich zu handeln? Die Vorbildfunktion der Führungskräfte wurde bereits erwähnt; für den einzelnen Mitarbeiter sollte sich aber auch in seiner Beurteilung niederschlagen, daß sozial verantwortliches Handeln honoriert wird, sonst muß man zu sehr auf eine idealistische Gesinnung setzen. Das Motivations- und Anreizsystem ist also umzugestalten, damit auch von daher die richtigen Signale gesetzt werden. Dies ist die wichtigste Implementierungsmaßnahme bei den "systems". Weiterhin sind ganz bestimmte Fähigkeiten ("skills") im Unternehmen nötig, und zwar zum einen im Sinne persönlicher Fähigkeiten der Manager wie Dialog- und Kompromißtähigkeit, aber auch im Sinne von technischen Fähigkeiten, d. h. von Know-how, z. B. auf dem Gebiet der Informationsgewinnung über Stakeholder . Als wichtigster Implementierungsfaktor wird schließlich die Unternehmenskultur ("shared values") genannt6 , das "Glaubens- und Ideologiesystem"7, die" Normen, Wertvorstellungen und Denkhaltungen .. .informellen Regelungen und Verhaltenserwartungen"S im Unternehmen. Die Unternehmenskultur wirkt als Perzeptionsfilter , man nimmt nur wahr, was ins eigene Bild paßt oder interpretiert mißliebige Informationen 5) Von den zu Beginn vorgestellten Implementierungsfaktoren des 7-S-Ansatzes werden damit "staft'" hier im Sinne von Führungskräften und "style" hier im Sinne von Führungsstil, Verhalten abgedeckt. Gewöhnlich wird "staft'" etwas weiter interpretiert, nämlich als "Mitarbeiter", "Personen" (vgl. auch Pascale, 1984, S. 67 ff.). 6) Vgl. Oppenrieder, 1986, S. 23; Wartick I Rude, 1986, S. 132 7) Jehle, 1980, S. 151 8) Oppenrieder, 1986, S. 36

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H. Ausbau der Stakeholder-Management-Kapazität

um. 9 Die Kultur beeinflußt die Entscheidungen über das Verhalten in der Umwelt und die Strategie. 10 Ohne Zweifel bedarf es also einer "Kultur der sozialen Verantwortung", soll das ethische Ziel fest im Unternehmen verankert werden. Aber kann man die Kultur einer Unternehmung zielgerichtet verändern, kann man sie instrumentalisieren? Dieser Frage wird im folgenden noch nachzugehen sein. Für Oppenrieder ll gibt es nur drei wirksame Aspekte der Durchsetzung von Unternehmensethik: Struktur, Kultur und die Persönlichkeit der Manager; für Ackerman und Bauer l2 sind es die Überzeugungen der Topmanager (Commitment to Respond), die Fähigkeiten (Specialized Skills and Knowledge) und die Systeme (Institutionalization of Purpose), die vor allem der Implementierung dienen. Uns erscheinen alle diese Faktoren gleichermaßen wichtig, und die Aufzählung ist sicher nicht einmal vollständig, weil bei einer so gravierenden strategischen Um orientierung die gesamte Unternehmung quasi umgebaut werden muß.13 Selbst wenn man sich aber aller Implementierungsverfahren bewußt ist, wird es sicher nicht möglich sein, der Unternehmung diese Maßnahmen einfach aufzuoktroyieren. Überzeugungen, Fähigkeiten, Stil, Motivation, Kultur, das alles muß sich entwickeln, nach und nach wachsen. Nichtsdestotrotz braucht man eine Vorstellung, wo diese Entwicklung hingehen soll, wie eine Unternehmung aussehen müßte, die soziale Verantwortung als Unternehmensziel verfolgen will. Im folgenden wollen wir eine solche Vorstellung entwickeln.

9) Vgl. Oppenrieder, 1986, S. 41 f. 10) Vgl. Lorsch, 1986, S. 95 11) Vgl. Oppenrieder, 1986 12) Vgl. Ackerman / Bauer, 1976, S. 123 ff. 13) Nach empirischen Untersuchungen in den USA dauert es dementsprechend sechs bis acht Jahre, bis ein solcher Lernprozeß als abgeschlossen betrachtet werden kann; vgl. Bircher, 1976, S. 199

ll. Die Aufgabe der Führungskräfte Immer mehr Führungskräfte der Wirtschaft bekennen sich ausdrücklich zur sozialen Verantwortung im Unternehmen. Daß dieser Wille ernsthaft vorhanden ist, ist Voraussetzung und Ausgangspunkt aller unserer Überlegungen gewesen, und auch die Basis und der Beginn jeglicher Implementierungsbemühungen ist die persönliche Überzeugung der Topmanager. Das Topmanagement beeinflußt stark den Grundcharakter einer Unternehmung 1 , setzt die Ziele, trifft weittragende Entscheidungen, prägt das Verhalten. Dabei kommen neben wirtschaftlichen und technologischen Fakten immer auch Werthaltungen zum Tragen2 , denn jede Person verkörpert auch Einstellungen, Neigungen und Überzeugungen. Kraft ihrer Autorität, sei sie nur aus der hierarchischen Steilung oder auch aus ihrer Persönlichkeit geboren, prägen die Führungskräfte nun ihre Einstellungen und Werte der gesamten Unternehmung auf: Eine "wertfreie" Unternehmensführung ist gar nicht denkbar. Was bisher mit einer gewissen Selbstverständlichkeit als wertfreie, rationale, rein wirtschaftliche Unternehmensführung angesehen wurde, nämlich " ... maximizing the shortterm economic performance of the corporation under competitive market conditions and within existing legal constraints ... "3 , ist auch Ausdruck einer bestimmten "Management Philosophy"4, die nur so in Fleisch und Blut übergegangen ist, daß die impliziten Wertungen gar nicht mehr wahrgenommen werden. Erst die radikale Umorientierung in der Managementphilosophie, der krasse Bruch der Traditionen, bringt die versteckten Wertungen ans Tageslicht und führt zu ihrer Diskussion. Und was vorher quasi automatisch und kaum wahrnehmbar an lenkender Wirkung von diesen Wertungen ausging, sollte in der Phase der Neuorientierung ganz bewußt und gezielt eingesetzt werden. Das bedeutet im einzelnen für die obersten Führungskräfte, explizit und wahrnehmbar, eindeutig und konsequent, in allen Entscheidungen das neue Ziel geradezu zu verkörpern, Prinzipien und Ziele zu artikulieren, Prioritäten zu setzen und den Weg freizumachen für neue, offensive Strategien; Beispiel zu 1) Vgl. Shetty, 1979, S. 73 2) Vgl. Probst, 1981, S. 25; Andrews, 1989, S. 103 f. 3) Miles, 1987, S. 7 4) Vgl. Miles, 1987, S. 5 ff.

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geben, zu instruieren, zu überzeugen und zu beraten; das mittlere Management anzuleiten und zu "erziehen", mit ihnen über die Umsetzung des neuen Ziels ins Tagesgeschäft zu reden, neue Standards, neue Aufgaben und Prozeduren mit ihnen zu entwickeln. Es bedeutet auch, mit Skepsis, Kurzsichtigkeit und Opposition fertig zu werden und sich mit Kritik auseinanderzusetzen, aber auch klarzurnachen, daß anfängliche Probleme verstanden und nicht übelgenommen werden. Ferner sollten sich die Führungskräfte die Unterstützung aller Mitarbeiter, insbesondere aller Manager, erwerben, sie um Rat und Hilfe bitten, um sie so bewußt zu integrieren; und sie sollten diejenigen sein, die als Bindeglied zwischen Unternehmung und Gesellschaft als erste die Möglichkeiten entdecken, um Unternehmens- und Gesellschaftsinteressen zu harmonisieren. 5 Diese Überzeugungsarbeit kann auf verschiedene Art und Weise unterstützt werden. Da ist zunächst die bewußte Selbstdarstellung in Form von Reden, Büchern, Aufsätzen, Interviews, Diskussionsbeiträgen usw. In den letzten Jahren mangelte es nicht an solchen öffentlichen Bekenntnissen von Führungskräften zur sozialen Verantwortung der Unternehmung. Wenn auch von vielen mißtrauischkritisch als "Sonntagsreden" apostrophiert, haben sie doch ohne Zweifel eine Signalwirkung nach innen, in die Unternehmung hinein, und nach außen, an die Gesellschaft. Das öffentlich gesprochene bzw. geschriebene Wort solcher exponierter und bekannter Persönlichkeiten, wie es die Topmanager der Wirtschaft sind, kann nicht ohne Konsequenzen bleiben. Die bewußten Selbstdarstellungsmaßnahmen wirken bedeutend glaubwürdiger und überzeugender, wenn der gesamte "Stil" dazu paßt. Damit ist nicht nur der Führungsstil im engeren Sinne einer " ... spezifischen Form der Verhaltensbeeinflussung ... "6 gemeint. Die kontinuierliche und gewöhnliche Grundhaltung des Führenden, die im Führungsstil zum Ausdruck kommt1, offenbart sich vielmehr auch in diversen anderen Verhaltensweisen. Für welche Aufgaben nimmt sich der Manager wieviel Zeit? Worüber äußert er sich bewundernd oder verächtlich? Mit wem hat er direkten Kontakt? Wie trifft er seine Entscheidungen? Was motiviert ihn persönlich? Solche Fragen muß stellen, wer den "style" in einem Unternehmen erfassen will. Durch nonverbale Kommunikation kann ein 5) Vgl. Anshen, 1980, S. 146 ff. 6) Vgl. Kupsch / Picot, 1973, S. 374 7) Vgl. Hentze / Brose, 1986, S. 95 f.

11. Die Aufgabe der Führungskräfte

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Vorgesetzter seinen Mitarbeitern signalisieren, ob er tatsächlich hinter der Idee der sozialen Verantwortung steht. Wer schon im Unternehmen selbst nicht dialog- und kompromißfähig ist, kann andere kaum von der Notwendigkeit eines umfassenden, offenen Dialogs zwischen Unternehmung und Gesellschaft überzeugen. Anders gewendet: Wer soziale Verantwortung im Unternehmen durchsetzen will, sollte einen dazu passenden Stil pflegen. Soweit dies möglich ist, muß man dazusetzen, denn ein Stil im hier beschriebenen Sinne läßt sich sicher nicht beliebig instrumentalisieren, ist er doch der - teils unbewußte - Ausdruck persönlicher Werthaltungen und Einstellungen. Nach innen und außen größte Überzeugungskraft dürften vor allem faktische Entscheidungen haben, besonders bei Kritikern und Skeptikern. Entsteht der Eindruck, daß bei Entscheidungen letzten Endes doch wieder alle ethischen Überlegungen zurückstehen, verliert das Unternehmen umso mehr an Glaubwürdigkeit, je stärker es sich offiziell für die soziale Verantwortung engagiert. 8 Aufgabe der Manager ist es insbesondere, strittige Entscheidungen transparent und den Entscheidungsprozeß nachvollziehbar zu machen. Nur so kann man hoffen, auch die Stakeholder von der Verantwortlichkeit der Entscheidung zu überzeugen, deren Wünsche durch eben diese Entscheidung nicht berücksichtigt wurden. Nach innen signalisiert das Entscheidungsverhalten stärker als alle offiziellen Unternehmensgrundsätze, welche Ziele in welchem Maße als wichtig erachtet werden. Schließlich können die Führungskräfte ihre Entschlossenheit zur Durchsetzung des neuen Ziels demonstrieren, indem sie konkrete Implementierungsschritte einleiten. Dazu zählen etwa die Erarbeitung und schriftliche Fixierung von Unternehmensgrundsätzen zum Thema soziale Verantwortung. 9 Weiterhin ist der strategische Planungsprozeß in der vorgestellten Art und Weise zu erweitern, neue Prozeduren und Instrumente sind zu entwickeln, neue Stellen sind zu schaffen bzw. neue Aufgaben und Zu8) "The way the chief executive exercises moral judgment is universally acknowledged to be more influential than written policy .... Policy is implicit in behavior." Andrews, 1989, S. 102 9) Den Mitarbeitern kann zusätzlich schriftlich versichert werden, daß sie keinerlei Nachteile zu fürchten haben, wenn sie unverantwortliches Handeln der Unternehmung anprangern. Eine solche schriftliche Sicherheit gibt z. B. die AT&T-Corporation allen neuen Mitarbeitern; vgl. Laczniak / Murphy, 1985b, S. 102 18 Göbel

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ständigkeiten sind zu verteilen. Da das mittlere und untere Management in der Regel sehr erfolgs- und karriereorientiert ist, ist insbesondere das Motivations- und Anreizsystem so zu gestalten, daß Maßnahmen, die aus sozialer Verantwortung ergriffen werden, als Erfolg verbucht und nicht bestraft werden. 10 In Seminaren und Arbeitsgruppen können die Mitarbeiter z. B. anband von Fallstudien für ethische Fragen sensibilisiert werden. ll Endlich kann man auch durch die Einstellungspolitik die Unternehmung nach und nach umbauen, nämlich indem man ganz bewußt auch solche Führungsnachwuchskräfte einstellt, die sich selbst als "alternativ engagiert" einstufen. Das sind mittlerweile immerhin 42,1 % des Führungskräftenachwuchses. 12 Nur wenn Selbstdarstellung, Stil, Entscheidungsverhalten und Einleitung konkreter Implementierungsmaßnahmen übereinstimmend das Engagement der Topmanager für das Ziel der sozialen Verantwortung unter Beweis stellen, können auch das mittlere und untere Management und schließlich alle Mitarbeiter überzeugt werden, und ohne diese breite Unterstützung kann soziale Verantwortung nicht verwirklicht werden. "An ideological reorientation" 13 , in die Wege geleitet von den obersten Führungskräften, kann als entscheidender erster Schritt der Implementierung angesehen werden. 14 "The attitudes and involvement of top management are the most important things" .15

10) Vgl. Anshen, 1980, S. 172 ff. 11) Vgl. Kehoe, 1985, S. 79 f.; auch Laczniak / Murphy, 1985b, S. 103 f. 12) Vgl. Einsiedler, Rau / Rosenstiel, 1987, S. 180 13) Ansoff, 1983, S. 25 14) So auch Ackerman / Bauer, 1976, S. 123; Lorsch, 1986, S. 98; Freeman, 1984, S. 89 ff.; Anshen, 1980, S. 145 f. 15) Miles, 1987, S. 165

ill. Die Struktur 1. Die Strukturdimensionen Unternehmen sind Organisationen, die dauerhaft ein Ziel (Ziele) verfolgen und eine formale Struktur aufweisen, mit deren Hilfe die Aktivitäten der Mitglieder auf das verfolgte Ziel (die Ziele) ausgerichtet werden sollen. Die Organisationsstruktur ist mit anderen Worten ein Mittel der Verhaltenssteuerung im Hinblick auf die Organisationsziele. 1 Wenn sich also die Ziele der Organisation ändern, indem neue Ziele verfolgt werden, alte Ziele in Frage gestellt oder weniger gewichtet werden, dann muß sich das zwangsläufig in der Struktur der Unternehmung niederschlagen, weil z. B. neue Ziele auch neue Aufgaben nach sich ziehen, für die man evtl. neue Stellen schaffen muß. Die Notwendigkeit einer Anpassung der Struktur an Strategieänderungen wurde vielfach untersucht und belegt. 2 So muß auch die Umorientierung hin zu einer bewußt sozial verantwortlichen Unternehmungsführung strukturelle Konsequenzen haben. Durch die vorhandene Struktur wird nämlich das Ziel der sozialen Verantwortung nicht nur nicht unterstützt, sondern u. U. sogar konterkariert. Durch die Arbeitsteilung fühlt sich kein Ressort letztlich verantwortlich, Spezialistentum verengt den Blickwinkel, Fachwissen und Entscheidungskompetenz sind in Stab und Linie getrennt, es fehlt an "boundary activities", um die Interessen der von den unternehmerischen Handlungen Betroffenen kennenzulernen. Ein striktes Einliniensystem, verbunden mit einer grundsätzlich ablehnenden Haltung der Vorgesetzten gegenüber dem Ziel der sozialen Verantwortung verhindert zusätzlich die Weitergabe und Verarbeitung kritischer Information. 3 Die Struktur kann somit Grund für unethisches Verhalten sein: Die kognitive Basis für verantwortliche Entscheidungen fehlt und man kann unethisches Verhalten damit rationalisieren, daß man sich für letztlich unzuständig erklärt. In welcher Form aber könnte sich das Ziel der sozialen Verantwortung im Unternehmen strukturell niederschlagen? Orientiert man sich an den 1) Vgl. Kieser I Kubicek, 1983, S. 1 f. 2) Vgl. Galbraith I Nathanson, 1978; Galbraith I Kazanjian, 1986 3) Vgl. Oppenrieder, 1986, S. 24 ff. 18"

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fünf Strukturdimensionen, die Kieser und Kubicek4 zur Charakterisierung von Organisations strukturen benutzen, als da sind: 1. Spezialisierung (Arbeitsteilung), 2. Konfiguration (Leitungssystem), 3. Koordination, 4. Formalisierung, 5. Entscheidungsdelegation (Kompetenzverteilung , Partizipation), so kommt man durch Kombination der verschiedenen Ausprägungen dieser Dimensionen leicht zu einer Fülle von unterschiedlichen Organisationsmöglichkeiten. Wenden wir uns zunächst den einzelnen Strukturdimensionen zu.

2. Spezialisierung Unter Spezialisierung verstehen wir eine bestimmte Form der Arbeitsteilung. 5 Aus dem Ziel der sozialen Verantwortung ergeben sich nun eine ganze Reihe von neuen Aufgaben, die auf die Mitglieder der Unternehmung verteilt werden müssen. Die erste Möglichkeit besteht darin, diese Aufgaben den Managern zusätzlich zu übertragen. In die Struktur müßte dann so gut wie gar nicht eingegriffen werden; lediglich die Stellenbeschreibung würde etwas verändert (Formalisierung). Den geringen Änderungsaufwand könnte man als Vorteil dieser Lösung ins Feld führen. Einen weiteren Vorteil könnte man darin sehen, daß die Manager durch ihr operatives Tagesgeschäft nah an den Problemen sind und am besten konkrete, praktikable Lösungen entwickeln und auch durchsetzen können. Die gleichen Fakten könnte man aber auch als Nachteile ansehen, etwa daß es gerade das operative Tagesgeschäft ist, was den Managern gar keine Zeit läßt, über soziale Verantwortung und ihre Folgen nachzudenken, daß sie "zu nah" nur an 4) Vgl. Kieser / Kubicek, 1983, S. 79 f. 5) Vgl. Kieser / Kubicek, 1983, S. 80

III. Die Struktur

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ihren Problemen interessiert sind und keine integrative Perspektive entwickeln können, daß sie weder Zeit noch Gelegenheit haben, sich die nötigen Informationen zu verschaffen. 6 Auch daß sich an der Struktur so gut wie nichts ändert, ist im Hinblick auf eine Signalwirkung nach innen und außen eher kontraproduktiv. Außer bei einer sehr starken persönlichen Überzeugung der Manager von der Relevanz des neuen Ziels bleibt einfach alles beim alten. Den Nachteil schlechter Signalwirkung hat auch die Lösung, die neuen Aufgaben der PR-Abteilung zu übertragen'? Die PR-Abteilung wird von der Umwelt zu stark mit der Unternehmung identifiziert und als "Schönfärberei" und "Trickkiste" äußerst kritisch betrachtet. 8 Und auch im Unternehmen selbst wird die PR-Abteilung häufig nicht sehr ernst genommen. 9 Innerhalb und außerhalb der Unternehmung könnten sich durch diese Aufgabenverteilung viele in der Meinung bestärkt sehen, das Bekenntnis zur sozialen Verantwortung diene einzig und allein als wohlfeiles Mittel, das Image der Unternehmung "aufzupolieren". Andererseits ist die PR-Abteilung in mancher Hinsicht vertraut mit den neuen Aufgaben. Sie ist traditionell extern orientiert, sie hat sich immer schon insbesondere mit kritischen Stimmen auseinandersetzen müssen und eine Verständigung mit der Öffentlichkeit gesucht. Auch eine gesamtunternehmerische Perspektive kann man von ihr erwarten. Von den traditionellen Abteilungen erscheint sie in der Tat besonders geeignet, die "boundary activities" zu gestalten, konkreter, die Umwelt nach neuen Stakeholdern und Issues abzutasten lO und die Unternehmensziele mit den Interessengruppen abzustimmen. 11 Allerdings müßten ihre Aufgaben dann deutlich erweitert und neu definiert werden. Eine höhere hierarchische Einstufung (Konfiguration) z. B. direkt unter einem Vorstandsmitglied l2

6) Vgl. Freeman, 1984, S. 223 7) Diese Lösung schlagen etwa Haedrich / Kreilkamp, 1983, S. 431 f., vor, ebenso die Wissenschaftliche Gesellschaft für Marketing und Unternehmensführung; vgl. Schubert, 1986; Schulze-Fürstenow, 1988; Oeckl, 1988; Burson, 1974 8) Vgl. Schulze-Fürstenow, 1988, S. 10 9) Vgl. Freeman, 1984, S. 219 f. 10) Vgl. Freeman, 1984, S. 221 11) Vgl. Haedrich / Kreilkamp, 1983, S. 432 12) Vgl. Haedrich / Kreilkamp, 1983, S. 441

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könnte zusätzlich unterstreichen, daß die neuen Aufgaben als wichtig angesehen werden und damit die Abteilung auch nach innen aufwerten. Besser symbolisiert wird die Umorientierung, wenn neue spezielle Abteilungen und Stellen geschaffen werden. Solche Spezialisten haben außerdem nicht mit überkommenen Vorurteilen zu kämpfen und sie können sich vollständig auf die neuen Aufgaben konzentrieren. In der Praxis häufiger anzutreffen sind spezielle Stellen für bestimmte, einzelne Probleme aus dem Gesamtspektrum der sozialen Verantwortung, so z. B. Umweltbeauftragte 13 , Frauenbeauftragte, Ombudsmänner für Mitarbeiter. Denkbar ist aber auch eine Stelle, die im Prinzip alle Aufgaben abdecken soll, die aus dem Ziel der sozialen Verantwortung entstehen, etwa in der Art eines "corporate responsibility officers".1 4 Besonders in den USA sind in den letzten Jahren von vielen Unternehmen neue Abteilungen eingerichtet worden für "public affairs" oder "external affairs". Das Aufgabenspektrum ist allerdings sehr unterschiedlich; in der Regel ist es eher eine Mischung aus traditioneller PR und Lobbyismus als wirkliches Stakeholdermanagement. 15 Es gibt aber auch schon Abteilungen, die eher auf die Aufgaben eines Stakeholdermanagement in unserem Sinne spezialisiert sind, also z. B. - wie Freeman es vorschlägt - neue Stakeholder identifizieren oder die Aufmerksamkeit auf Stakeholder lenken, die bisher vernachlässigt wurden, - neue "Issues" aufdecken, - Verhandlungen mit den Stakeholdern führen und ihre Anliegen integrieren, - Strategien vorschlagen, - und den Funktionsbereichen Hilfestellung bei der Umsetzung leisten. 16

13) Betriebsbeauftragte für den Umweltschutz sind unter bestimmten Voraussetzungen sogar vorgeschrieben, so z.B. Gewässerschutzbeauftragte, Immissionsschutzbeauftragte und AbfaIlbeauftragte; vgl. Gawlinski / Stabs / Wagner, 1986, S. 227 ff. 14) Vgl. Oppenrieder, 1986, S. 35 15) Vgl. z. B. Useem, 1984, S. 148; Freeman, 1984, S. 221 f. 16) Vgl. Freeman, 1984, S. 222

III. Die Struktur

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Die Spezialisierung kann noch weitergetrieben werden, indem die neu definierten Aufgaben auf mehrere zusätzlich geschaffene Abteilungen verteilt werden. Die ursprünglich wichtigsten Aufgaben der Public- oder External-Affairs-Abteilung im Bereich der Politik werden dabei beispielsweise zu der neuen organisatorischen Einheit "Government Affairs" oder "Government Relations" zusammengefaßt. Eine Abteilung für "Public Policy Issues Analysis" beschäftigt sich insbesondere mit der Aufdeckung und Analyse von Anliegen und berät die Manager, eine "Corporate Social Responsibility Unit" soll soziale Verantwortung im Unternehmen etablieren und kontrollieren, eine Abteilung für "Corporate Communications" übernimmt eine Art PR-Funktion und vertritt die Unternehmenspolitik nach außen. I7 Neben dieser funktionalen Spezialisierung ist genausogut eine Objektspezialisierung möglich, wie das Beispiel einer anderen amerikanischen Versicherung zeigt, zu deren "Corporate External Affairs Department" beispielsweise gesonderte Einheiten für "Consumer Affairs", "Community Affairs" und "Corporate Contributions" gehören. 18 Theoretisch besonders ausgereift und in der Praxis am meisten verbreitet sind spezielle Abteilungen für Verbraucherfragen. In den USA wurden schon in den 70er Jahren schätzungsweise mehr als 1.000 Verbraucherabteilungen eingerichtet, aber auch in Europa sind entsprechende Institutionen entstanden, insbesondere in Frankreich, in Schweden und in der Schweiz. I9 Was Umfang, Ausstattung, Kompetenzen und Aufgaben angeht, sind sie allerdings außerordentlich verschieden. Die Typen "Berater" und "Meckerkasten"20 scheinen noch zu überwiegen; d. h., die Hauptaufgaben sind die Information der Verbraucher über das Produkt, die Entgegennahme und Überprüfung von Beanstandungen, die Sammlung und Weitergabe von Verbrauchermeinungen. 21 Als Marktforschung, Imagepflege und After-Sales-Service kann man darin ganz normale

17) So sieht z. B. die Organisation der Aetna Versicherungsunternehmung aus; vgl. MiIes, 1987, S. 134 f. 18) Vgl. Miles, 1987, S. 152 f. 19) Vgl. Hansen, 1985, S. 111 20) Vgl. Hansen / Schoenheit, 1986, S. 20 f. 21) Vgl. Wikström, 1985, die Kundenkontaktfunktionen in Schweden; Stamminger, 1985, die Schiedsstelle bei der Bosch-Siemens Hausgeräte GmbH; Gerecht, 1985, das Verbraucher-Referat der Braun AG; Meurer, 1985, die Quelle-Kundenbetreuung.

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H. Ausbau der Stakeholder-Management-Kapazität

Marketinginstrumente sehen, was durch die organisatorische Einordnung in den Marketingbereich bestätigt wird (Konfiguration). Mehr im Sinne eines strategischen Stakeholdermanagement arbeiten Verbraucherabteilungen vom Typ "Diplomat", "Sensor" und "Innovator" , die nicht ex post und fallweise Verbraucherprobleme lösen (Beschwerdebearbeitung) , sondern aktiv und präventiv nach Lösungen verbraucherpolitisch umfassender Probleme suchen (Selbstregulierungsfunktion), zukünftige Anliegen noch vor der massiven Artikulation durch Verbraucher vorhersehen (FTÜhwarnfunktion) und Impulse für verbraucherfreundliche Innovationen im Unternehmen geben (Impulsfunktion).22 Im Idealfall werden natürlich alle genannten Funktionen von der Verbraucherabteilung wahrgenommen. 23 Den zahlreichen genannten Vorteilen der Bildung spezieller neuer Stellen! Abteilungen stehen aber auch Nachteile gegenüber. Es handelt sich erstens um eine ziemlich aufwendige Lösung; spezielle Abteilungen für verschiedene Stakeholdergruppen etwa sind nur in großen Unternehmen möglich. Zweitens kann gerade eine neue Stelle!Abteilung wie ein Fremdkörper in der Unternehmung wirken. Zusammen mit den ungewohnten Aufgaben, die auch noch häufig mit einer Kritik an den bestehenden Organisationseinheiten verbunden sind, kann es so leicht zu einer Isolierung kommen. Eine neue Stelle! Abteilung muß sicher außerordentlich sorgfältig in die bestehende Struktur integriert werden. Drittens ist die Gefahr größer, daß das Problem der sozialen Verantwortung auf die "Spezialisten" abgeschoben wird. Diese hätten dann eine Alibi- und Entlastungsfunktion mit der möglichen Folge, daß die Manager sich bei ihrem operativen Alltagsgeschäft noch weniger Gedanken machen über die mögliche ethische Problematik ihres Handelns. Entschließt man sich nach Abwägung der Vor- und Nachteile zur Bildung spezialisierter neuer Stellen! Abteilungen, so taucht als nächstes die Frage nach der Art der Spezialisierung auf. 24 Nach Verrichtungen könnte man beispielsweise Stellen bilden, die auf das "Scanning" der Umwelt spezialisiert sind und damit auf die FTÜhwarnfunktion, solche, die insbesondere einzelne Anliegen tiefergehend analysieren, andere, die mit den 22) Vgl. Hansen / Schoenheit, 1986, S. 21 ff. 23) Vgl. zu den Funktionen auch Hansen / Stauss, 1985, S. 151 ff. 24) Vgl. Kieser / Kubicek, 1983, S. 92 ff.

III. Die Struktur

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Stakeholdern verhandeln und schließlich solche, die Strategien entwickeln. Bei der Spezialisierung auf Objekte bietet es sich an, alle Aufgaben, die mit einem Anliegen zusammenhängen, einer Stelle/Abteilung zuzuordnen. Vieles spricht für die letztere Lösung. Nach dem Kriterium der Ähnlichkeit25 ist die Lösung vorteilhafter, weil die größere Unähnlichkeit zwischen den verschiedenen Anliegen zu vermuten ist. Und auch nach dem Kriterium der entstehenden Interdependenzen26 hat die Objektzentralisierung Vorteile, denn Analyse von Anliegen, Verhandlungen mit den Vertretern des Anliegens und Entwicklung von Strategien hängen sehr eng zusammen. Als weitere Vorteile einer spezifischen organisatorischen Einheit für eine bestimmte Stakeholdergruppe - hier für die Verbraucher, aber die Vorteile sind grundsätzlich auch auf andere Gruppen übertragbar - nennen Hansen und Stauss27 , - daß durch die Zentralisierung aller Verbraucheranliegen an einer Stelle ein hohes Maß an Kenntnissen und Professionalität entsteht, - daß die Zuständigkeit nach innen klar geregelt ist, - daß die Zuständigkeit nach außen klar geregelt ist, d. h. die Verbraucher haben einen eindeutigen Ansprechpartner. Einwenden könnte man gegen eine solche Art der Spezialisierung, daß damit zwangsläufig bestimmte Anliegen vor anderen ausgezeichnet werden (für alle Stakeholder eigene Einheiten zu schaffen, ist praktisch nicht möglich), was eigentlich mit dem Gedanken der grundsätzlichen Offenheit gegenüber allen Anliegen nicht mehr vereinbar ist. Als Komprorniß wäre denkbar, das Abtasten der Umwelt und die Stakeholderanalyse als zentrale Funktion zu organisieren (etwa in der Art der "Public Policy Issues Analysis" bei Aetna) und daneben objektspezifische Einheiten für solche Anliegen einzurichten, deren (dauerhafte) Relevanz bereits erkannt worden ist. Die Idealvorstellung der Spezialisierung, nämlich daß eine Oberaufgabe vollständig in Teilaufgaben zerlegt wird und diese wiederum möglichst überschneidungsfrei auf verschiedene organisatorische Einheiten verteilt 25) Vgl. Kieser / Kubicek, 1983, S. 100 f. 26) Vgl. Kieser und Kubicek, 1983, S. 101 f. 27) Vgl. Hansen / Stauss, 1985, S. 153, S. 157 f.; Zugangs- und Rationalisierungsfunktion der Verbraucherabteilung

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werden, ist beim Management der sozialen Verantwortung besonders schwierig zu verwirklichen, weil die Teilaufgaben kaum ex ante genau festgelegt werden können. Nehmen wir nur das Beispiel des Umweltschutzes. Vertreter dieses Anliegens ist in einem Fall der Staat, im anderen Fall eine Gemeinde, im dritten eine Umweltschutzorganisation, oder im vierten eine Konsumenteninitiative. Änderungen werden erwartet bei der Produktion, bei der Entsorgung, beim Einkauf, bei der Lagerhaltung, beim Transport, bei der Verpackung, bei der Werbung usw. Will man nicht nur aktuelle Mißstände im eigenen Unternehmen beheben, sondern für den Umweltschutzgedanken betriebs intern und auch überbetrieblich werben, dann ergeben sich so neuartige Aufgaben wie Umweltberatung in den Mitarbeiterhaushalten oder das Erarbeiten von Fallstudien für Studenten der Wirtschaftswissenschaften. Es wird daher auch empfohlen, den inhaltlichen Zuständigkeitsbereich der spezialisierten Stellen! Abteilungen nicht zu genau festlegen zu wollen. 28 Ungenauigkeiten bei der Abgrenzung der Verantwortungsbereiche und Redundanzen werden bewußt in Kauf genommen, weil Flexiblität in diesem Fall wichtiger ist als Effizienz. 29 Der optimale Umfang und die beste Art der Spezialisierung müssen sich in einem Erfahrungsprozeß in jeder Unternehmung nach und nach herausbilden. Was immer gilt, ist, daß sich das Fachwissen der Spezialisten am besten mit der Überzeugung aller Mitarbeiter paart, selbst auch für die Umsetzung sozialer Verantwortung im Unternehmen zuständig zu sein.

3. Konfiguration Als Konfiguration bezeichnen wir die äußere Form des Stellengefüges. 30 Da die Entscheidungs- und Weisungskompetenzen dabei besonders wichtig sind, spricht man auch vom Leitungssystem. 31

28) 29) 30) 31)

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Hansen I Stauss, 1985, S. 162 Mi1es, 1987, S. 140 Kieser I Kubicek, 1983, S. 132 Rühli, 1980

III. Die Struktur

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Zum Bereich der Konfiguration gehört als erstes die Frage, ob die mit dem Ziel der sozialen Verantwortung verbundenen Aufgaben Linien- oder Stabsstellen übertragen werden sollen. 32 Hat man sich bei der Spezialisierung dafür entschieden, die neuen Aufgaben den Managern zusätzlich zu übertragen, ist damit die Entscheidung für die Linie schon gefallen. Bildet man dagegen neue Stellen, steht die Möglichkeit noch offen, die Aufgaben Leitungshilfsstellen (Stabsstellen im engeren Sinne oder Dienstleistungsstellen) zuzuordnen. Reine Stabs stellen lassen sich dadurch kennzeichnen, daß sie einer bestimmten Instanz zugeordnet sind und dieser assistieren, indem sie die Entscheidungsprobleme analysieren, das zur Lösung erforderliche Informationsmaterial zusammentragen und Lösungsvorschläge unterbreiten. Dienstleistungsstellen sind dagegen mit der Beschaffung und Transformation von Informationen beschäftigt, die sich nicht auf eine bestimmte Entscheidung einer einzelnen Instanz beziehen, sondern unterschiedlichen Instanzen bei den verschiedensten Entscheidungsprozessen dienen können. 33 Man kann den Leitungshilfsstellen also immer nur einen Teil der Aufgaben übertragen, denn die abschließende Entscheidung und daraus resultierende Anordnungen bleiben Aufgabe der Instanz; im Falle der Dienstleistungsstelle fällt zusätzlich die unmittelbare Entscheidungsvorbereitung noch in den Aufgabenbereich der Instanz. Insofern sind bei der Umsetzung der sozialen Verantwortung in konkrete Entscheidungen immer Instanzen involviert, die nur ihre eigene begrenzte Kapazität durch die Zuarbeit der Stäbe erweitern können. Die Übertragung eines Teils der Aufgaben auf Stellen ohne eigene Entscheidungs- und Weisungsbefugnisse ist also nicht zwangsläufig ein Zeichen dafür, daß diese Aufgaben weniger ernstgenommen würden. Problematisch wäre allerdings, wenn die Leitungshilfsstellen von den Linienmanagern gar nicht genutzt würden, wenn sie isoliert im Elfenbeinturm Informationen zusammentrugen und Vorschläge entwickelten, die in keine Entscheidung und Weisung einflössen. Ignorieren kann man eine Stelle ohne eigene Entscheidungs- und Weisungsbefugnisse natürlich bedeutend leichter.

32) Zum Begriff der Linien- und Stabsstellen vgl. Kieser / Kubicek, 1983, S. 143 ff. 33) Vgl. Grochla, 1972, S. 69 ff.

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H. Ausbau der Stakeholder-Management-Kapazität

Die typische Problematik einer Art Rivalität zwischen den Spezialisten des Stabes und den Managern34 wird beim Thema soziale Verantwortung noch durch den kritischen, "umstürzlerischen" Inhalt der Stabs vorschläge verstärkt. Andererseits sind es die Stäbe, die sich frei vom Druck des operationalen Tagesgeschäftes, frei von engem Ressortdenken, frei auch von der unmittelbaren Entscheidungs- und Realisierungsverantwortung, mit der nötigen Offenheit und Zeit Gedanken über die Umsetzung der sozialen Verantwortung im Unternehmen machen können. Von ganz entscheidender Bedeutung ist daher die enge, vertrauensvolle Zusammenarbeit von Stab und Linie. Treffen "high staff sophistication" und "high line manager involvement" aufeinander, so daß weder die Linie, noch der Stab dominiert, sondern eine Balancesituation entsteht auf einem insgesamt hohen Niveau des Engagements für die soziale Verantwortung, dann ist die beste Voraussetzung für die Erreichung des Zieles geschaffen. 35 Ansatzpunkte, um ein hohes Engagement der Linienmanager zu erreichen, sind - das Vorbild des Top-Management (Aufgabe der Führungskräfte, Kul-

tur),

- die Integration von Zielen und Strategien der sozialen Verantwortung in das Planungs- und Kontrollsystem (Systeme), - die Gestaltung des Motivations- und Anreizsystems derart, daß sozial verantwortliches Handeln belohnt wird (Systeme), - Seminare/Schulungen über die Bedeutung der Stabsarbeit (Fähigkeiten). Miles 36 schlägt sogar vor, alle Linienmanager für begrenzte Zeit in den Stabsabteilungen arbeiten zu lassen, um so mehr Verständnis bei den Managern zu wecken für die Ziele und Aufgaben der Stabsmitarbeiter . Die gewünschte Zusammenarbeit von Stab und Linie kann schließlich strukturell festgeschrieben werden durch die Bildung von solchen Kollegien37 , die sich aus Stabs- und Linienmanagern zusammensetzen. In 34) 35) 36) 37)

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

Grochla, 1972, S. 186 f. Miles, 1987, S. 13 f. Miles, 1987, S. 14 Grochla, 1972, S. 72 f.

III. Die Struktur

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Komitees, Ausschüssen, Arbeitskreisen, Besprechungen, Konferenzen und ähnlichem, kann das Spezialwissen der Stäbe mit den praktischen Erfahrungen der Linienmanager kombiniert werden zur gegenseitigen Unterstützung. Für die offenen, neuen und fast immer ressortübergreifenden Fragen im Zusammenhang mit der sozialen Verantwortung scheinen solche Gremien besonders geeignet. In der Form variieren die Kollegien erheblich. Sie können fallweise für bestimmte Einzelprobleme gebildet werden (das ist für Grochla38 sogar ein typisches Kennzeichen eines Kollegiums); dann hat man es mit einer Form des Projektmanagements zu tun. 39 Ein Beispiel wäre die Teilnahme des Umweltbeauftragten an einem Planungsausschuß für ein neues Werk. Ausschüsse können aber auch ständige Einrichtungen sein, etwa in der Form eines regelmäßig tagenden Marketingausschusses, zu dem dann auch ein Verbraucher- und ein Umweltberater gehören könnten. Die zu lösenden Probleme können genau vorgegeben sein, oder man sieht den Sinn mehr in einem offenen Gedankenaustausch. Vorstellbar wäre z. B. ein "Arbeitskreis Ethik", in dem als erste Stufe der Implementierung Linien- und Stabsmitarbeiter der verschiedensten Ressorts Vorschläge entwickelten für Ziele und Form der sozialen Verantwortung in ihrer Unternehmung. Schließlich kann auch der Modus der Entscheidungsfindung innerhalb dieser Gremien variieren. Bei den hier zur Diskussion stehenden Kollegien aus Linien- und Stabs mitarbeitern bleiben im Normalfall die Entscheidungs- und Weisungsbefugnisse in der alten Form erhalten, also bei der Linie. Es bleibt bei der eindeutigen Arbeitsteilung zwischen Stabs- und Linienstellen, wobei man gleichzeitig versucht, den möglichen negativen Folgen dieser Trennung entgegenzuwirken. Denkbar wäre aber auch, daß alle Mitglieder des Gremiums gleichberechtigt mitentscheiden dürften, wodurch man allerdings das Stab-Linie-System in der Reinform schon aufgegeben hätte und zu den teamorientierten Organisationsstrukturen übergehen würde, etwa in der Art des "Colleague Model" von Golembiewski. 4O Dabei entstünden Zwitter zwischen Stab und Linie, nämlich Stellen, die als Teil einer Pluralinstanz zwar Entscheidungsbefugnisse besäßen, die aber keine Entscheidung all eine fällen könnten. 38) Vgl. Grochla, 1972, S. 72 39) Vgl. Kieser 7 Kubicek, 1983, S. 146 f. 40) Vgl. Grochla, 1972, S. 220 ff.

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Natürlich könnten Kollegien ihre Mitglieder auch nur aus Linien- bzw. Stabs mitarbeitern rekrutieren und damit ebenfalls eine Koordinations- und Informationsfunktion erfüllen. Die so wichtige Integration von Stab und Linie fällt dabei aber weg. Als zweite Frage der Konfiguration ist noch zu behandeln, an welcher Stelle in der Hierarchie die Aktionseinheiten angesiedelt werden sollen, die sich speziell mit Fragen der sozialen Verantwortung befassen. Insbesondere ist zu fragen, wem die eventuell eingerichteten Stabsstellen zugeordnet werden sollen. Das ist - selbstverständlich, möchte man sagen - nur in Abhängigkeit von den diesen Stellen zugeteilten Aufgaben sinnvoll zu beantworten. Können die Aufgaben relativ eng mit bestimmten Funktionen in Verbindung gebracht werden und sind eher operativer Natur, dann sind sie den entsprechenden Funktionsmanagern zuzuordnen. Eine Verbraucherabteilung, die in erster Linie Kundenbeschwerden entgegennimmt und Marktforschung betreibt, ist z. B. dem Marketingmanager zu unterstellen, eine Frauenbeauftragte, die auf Gleichberechtigung bei Einstellung und Bezahlung achten soll, könnte dem Personalleiter zugeordnet werden. 41 Es gibt daneben zahlreiche Aufgaben, die funktionsunabhängig sind wie die Aufdeckung und Bewertung neuer Issues, die Überarbeitung der Unternehmenspolitik, die Entwicklung von Unternehmensstrategien, die Kommunikation mit der Öffentlichkeit, die Implementierung der sozialen Verantwortung im Unternehmen. Dabei ist die Zusammenarbeit mit Managern verschiedener Bereiche nötig, was eine Einordnung als Zentralabteilung auf höchster Ebene nahelegt. Die hohe Stellung im Hierarchiegefüge hat außerdem eine Signalfunktion; sie unterstreicht die Wichtigkeit, die der Stelle/Abteilung zugemessen wird. 42 Dies könnte insbesondere eine Kontrollfunktion des Stabes erleichtern und seinen Vorschlägen mehr Nachdruck verleihen. Sieht man die Grundfunktion der organisatorischen Einheit gar nicht in der Unterstützung des Managements, sondern betont den Aspekt der direkten Beteiligung Betroffener (Partizipation), dann ist ein hierarchisch 41) Vgl. Schreyögg, 1985, S. 198 f.; Ackerman I Bauer, 1976, S. 320 42) Vgl. Anshen, 1974, S. 36 f.; IBM hat bspw. 1989 einen Unternehmensbevollmächtigten an die Spitze von 68 hauptamtlichen Mitarbeitern im Umweltschutz gesetzt und damit den Umweltschutz innerbetrieblich aufgewertet.

III. Die Struktur

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hoher und autonomer Status angemessen. 43 In US-Unternehmen gibt es beispielsweise sogenannte "Public Interest Directors", die als Vertreter unternehmensexterner Interessengruppen Sitz und Stimme im Board haben. 44 Ihr Einfluß kann noch verstärkt werden, indem ihnen eigene Stäbe zugeteilt werden, die die nötigen Informationen sammeln, Vorschläge entwickeln und Ergebnisse kontrollieren.

4. Koordination Die beiden bisher behandelten Strukturdimensionen behandelten das Problem der Teilung: Teilung von Stab und Linie, Teilung von Hierarchieebenen, Teilung der Aufgaben zwischen verschiedenen Spezialisten. Diese Teilungen erzeugen Koordinationsbedarf, d. h. man muß sich gegenseitig zuarbeiten und zusammenarbeiten, wenn die vielen Einzelaktivitäten schließlich zur Erreichung des Organisationszieles führen sollen. Auch gibt es unterschiedliche Ziele und eigene, partikuläre Interessen, die einer gemeinsamen Zielerreichung im Wege stehen können. Wie löst man dieses Problem? Ein Koordinationsinstrument (Selbstabstimmung durch institutionalisierte Interaktion) haben wir bereits bei der Konfiguration besprochen, nämlich die Kollegien. Geht man davon aus, daß die im Zusammenhang mit dem Ziel der sozialen Verantwortung abzustimmenden Aufgaben häufig neuartig sind, viele verschiedene Bereiche berühren und manchmal zusätzlicher Motivation bedürfen, dann scheint dieses Koordinationsinstrument besonders geeignet. Es können flexibel, je nach Problem, die verschiedensten Spezialisten zusammenarbeiten; in persönlichen Gesprächen kann Überzeugungsarbeit geleistet werden, gemeinsam können neuartige und zugleich praktikable Lösungen gefunden werden. Auch wird die Durchsetzung solcher gemeinsam entwickelter Lösungen leichter sein, was den hohen Zeitbedarf dieser Koordinationsform wieder ausgleicht. Schließlich ist das Demokratisierungspotential ein weiterer Pluspunkt, 43) Vgl. Schreyögg, 1985, S. 199 ff. 44) Vgl. Sullivan, 1974, S. 168 ff.; Sullivan selbst ist Vertreter der Farbigen bei General Motors.

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H. Ausbau der Stakeholder-Management-Kapazität

denn wo es inhaltlich um eine umfassende Verständigung zwischen Unternehmung und Betroffenen geht, ist der Dialog auch innerhalb der Unternehmung die angemessene Form der Abstimmung. Diese Vorteile gelten auch dann noch, wenn nicht alle Mitglieder des Kollegiums gleichermaßen entscheidungsberechtigt sind, also keine Selbstabstimmung im strengen Sinne vorliegt. Eine gewisse Bestätigung dieser Überlegungen kann man darin sehen, daß in der Praxis - d. h. noch überwiegend in US-Unternehmen - die Form des Kollegiums sehr häufig anzutreffen ist, wenn es um die "public affairs" geht. Ein "Corporate Responsibility Committee", gebildet aus dem Chief Executive Officer, dem Chief Operating Officer, fünf Executive Vice Presidents und zwei External Affairs Officers hat beispielsweise bei den Saint Paul Companies ein "Statement of Corporate Responsibility" entworfen und gibt monatliche Berichte über die anstehenden issues an die Mitglieder weiter. Einzelne issues werden bei sogenannten "interface meetings" zwischen Stabs- und Linienmitarbeitern diskutiert. 45 Bei der Aetna Corporation gibt es zwei ständige Komitees. Die "Environmental Analysis Group" erfüllt Aufgaben der Stakeholderanalyse, die "Marketing Study Group" entwirft Strategien für die Gesamtunternehmung. Auch in dieser Unternehmung werden fallweise "task forces" aus Stabs- und Linienmitarbeitern gebildet für besonders wichtige issues. 46 Andere Koordinationsinstrumente - etwa die Planung - treten ergänzend hinzu. Bei General Motors müssen beispielsweise 19 Stabseinheiten, die auf verschiedene "social issues" spezialisiert sind (z. B. Umweltschutz, Verbraucherschutz, Apartheidsproblematik in Südafrika, Stimmrechte der Aktionäre), einen eigenen Fünfjahresplan entwerfen, aus dem zusammen mit den anderen "business plans" ein konsolidierter Gesamtplan erstellt wird. Diesen Stabseinheiten wird von gemischten Stabs-Linien-Kollegien, den "issue management teams", zugearbeitet. 47

45) Vgl. Miles, 1987, S. 164 ff. 46) Vgl. Miles, 1987, S. 135 f.

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Auf persönliche Weisung als Koordinationsinstrument wird man nie ganz verzichten können, schon alleine deshalb, weil die Vorauskoordination nie so perfekt sein wird, daß nicht doch Diskrepanzen in den Aktivitäten verschiedener Einheiten auftreten, die ad hoc gelöst werden müssen. 48 Bei dieser Koordinationsform kommt es stark auf die Einstellung der Instanz an; ist ihr eigenes Engagement für das Ziel der sozialen Verantwortung hoch, kann sich die Koordinationsform als ziel fördernd erweisen. Das vierte Koordinationsinstrument, Programme, kann in den Fällen angewendet werden, wo sich die Aufgabenerfüllung für einzelne Problemklassen standardisieren läßt. 49 Die Gleichberechtigung von Mann und Frau als ein Ziel der Unternehmung kann sich z. B. in Verfahrensrichtlinien für die Auswahl von Bewerbern niederschlagen. Eine eventuell vorhandene Frauenbeauftragte müßte dann nur noch die Einhaltung dieser Regeln überwachen, sich aber nicht mehr bei jeder Stellenbesetzung persönlich einschalten. Wird auf diese Art und Weise soziale Verantwortung zur "Routine", ist sehr sicher mit der Zielerfüllung - für ein spezielles Teilziel - zu rechnen. Nur wenige Probleme der sozialen Verantwortung sind allerdings so statisch und unumstritten, daß sie sich zur Programmierung eignen. Zumindest braucht es einige Zeit und Erfahrung, bis sich Ergebnisse des Stakeholder-Management auch in Programmen niederschlagen können. Koordination kann schließlich auch dadurch erreicht werden, daß alle Organisationsmitglieder an gleichen Zielen und Normen orientiert sind und dadurch zu koordinierende Diskrepanzen gar nicht erst entstehen. Ouchi50 hat diese Koordinationsform als "Clan-Mechanismus" bekannt

47) Vgl. Marx, 1986, S. 146 f. Nach Kieser / Kubicek, 1983, S. 124, darf nicht von einer Koordination durch Pläne gesprochen werden, wenn die Pläne das Ergebnis einer Selbstabstimmung sind. In der hier vorliegenden Form, wo die Selbstabstimmungsergebnisse verschiedener Gremien einen Teil des Inputs für die institutionalisierte Planung bilden, darf man aber u. E. durchaus von einer Koordination durch Pläne als Ergänzung einer Koordination der Se1bstabstimmung sprechen. 48) Vgl. Kieser / Kubicek, 1983, S. 113 49) Vgl. Kieser / Kubicek. 1983, S. 119 ff. 50) Vgl. Ouchi, 1980 19 Göbel

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gemacht. Unter dem Begriff der "corporate culture"51 wurde der Gedanke mit der Intention weiterentwickelt, herauszufinden, ob und wie man solche gemeinsamen Orientierungen im Unternehmen erzeugen und nutzen kann. Im Zusammenhang mit der sozialen Verantwortung ist dieses Koordinationsinstrument wichtig, weil die Interpretationsspielräume oft besonders groß sind und ein engagiertes Mitdenken und Mithandeln unabdingbar ist. Stehen sich dabei die Werte und Überzeugungen verschiedener Organisationsteilnehmer unversöhnlich gegenüber, wird auch eine erzwungene Zusammenarbeit, z. B. zwischen Stab und Linie, keine wirkliche Abstimmung bringen. Auch werden die Lücken, die die strukturelle Koordination notgedrungen läßt, weil detaillierte Pläne und Programme (noch) nicht erstellt werden können, nur dann eigenständig ziel gerichtet gefüllt, wenn das Ziel der persönlichen Überzeugung der Aktionsträger entspricht. 52 Wegen seiner besonderen Wichtigkeit wird der Komplex Unternehmenskultur nochmals in einem eigenen Abschnitt behandelt werden.

5. Formalisierung Jehle53 stellt die These auf, daß eine komplexe, dezentralisierte und wenig formalisierte Organisations struktur sich verstärkend auf die "soziale Reaktionsbereitschaft" auswirkt, technokratische Strukturen - im Gegenzug die Reaktionsbereitschaft herabsetzen. Auch Oppenrieder5 4 erscheint eine organische Struktur5 5, die sich neben anderen Eigenschaften durch ein geringes Ausmaß an Formalisierung auszeichnet, zur Implementierung der sozialen Verantwortung besser geeignet als ihr Gegenmodell, die mechanistische Struktur. Soll man also in Bezug auf die Strukturdimension Formalisierung raten, sie in Ausmaß und Genauigkeit so gering wie möglich zu halten, will man die soziale Verantwortung fördern?

51) 52) 53) 54) 55)

Vgl. Vgl. Vgl. Vgl. Vgl.

u. a. Deal / Kennedy, 1982 auch Dill / Hügler, 1987, S. 147 ff. Jehle, 1980, S. 161 Oppenrieder, 1986, S. 35 Burns / Stalker, 1961

III. Die Struktur

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Klären wir zunächst, was Formalisierung bedeutet. Kieser und Kubicek56 unterscheiden die Strukturformalisierung, worunter die schriftliche Fixierung von organisatorischen Regeln in Schaubildern, Handbüchern, Richtlinien und ähnlichem zu verstehen ist, die Formalisierung des Informationsflusses oder Aktenmäßigkeit (schriftliche Weisungen, Protokolle, Mitteilungen usw.) und die Leistungsdokumentation (schriftliche Leistungserfassung und -beurteilung). Eine starke Formalisierung impliziert, daß es sehr viele, detaillierte und relativ stabile formale Regeln in der Unternehmung gibt, was sich u. U. als strukturelle Barriere gegen ethisches Handeln erweisen kann, beispielsweise dadurch, daß die vorgeschriebene schriftliche Kommunikation auf dem Dienstweg kritische Information besonders stark blockiert. 57 Es wäre aber falsch, Formalisierung aus diesem Grund pauschal abzulehnen, denn die Regeln können ja auch ein Handeln im Sinne der sozialen Verantwortung festschreiben. Man denke etwa an die schon angesprochenen Verfahrensrichtlinien für die Personalauswahl, die eine Chancengleichheit gegen eventuell vorhandene persönliche Vorurteile formal erzwingen. Die schriftliche Fixierung des Ziels der sozialen Verantwortung, die Ausarbeitung von entsprechenden Grundsätzen, Richtlinien und detaillierten Anweisungen, die Erweiterung von Stellenbeschreibungen, die Erarbeitung von Programmen, die Dokumentation von Fortschritten, all dies kann durchaus zu mehr sozialer Verantwortung im Unternehmen führen, gerade weil dadurch der Interpretationsspielraum kleiner wird. Für die ausführenden Stellen kann die Formalisierung das deutlichste Signal sein, daß die Unternehmensleitung ernst machen will mit dem Ziel der sozialen Verantwortung. Daß eine starke Formalisierung neben anderen Eigenschaften mechanistischer Strukturen, wie z. B. einer ausgeprägten Hierarchie, zur Zeit noch eher hinderlich bei der Umsetzung sozialer Verantwortung ist, liegt wohl daran, daß es die alte Denkweise ist, die sich in diesen Formen verfestigt hat. Und die positive Stabilität, die eine Formalisierung erzeugt, wird eben dann zur negativen Starrheit, wenn eine Neuorientierung erforderlich ist. Ganz unabhängig von den Zielen, die sich in den formalen Regeln zum Ausdruck bringen lassen, kann man gegen die starke Formalisierung an 56) Vgl. Kieser / Kubicek, 1983, S. 165 ff. 57) Vgl. Oppenrieder, 1986, S. 30 19"

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sich weiterhin den Einwand erheben, daß sie den Bedürfnissen der Mitarbeiter nach Selbstbestimmung und Selbstkontrolle nicht gerecht wird. Immer mehr Mitarbeiter wünschen sich z. B., ihre Zeitbereiche eigenverantwortlich bewirtschaften zu können; die "Zeitsouveränität" wird als Fortschritt in der Humanisierung der Arbeit gesehen. 58 Geht man von einem Menschenbild aus, das den Mitarbeitern Freude an der eigenen Verantwortung und den Wunsch zur Selbstentfaltung in der Arbeit zuschreibt wie es etwa der Theorie Y von McGregor5 9 entspricht - wäre also eine starke Formalisierung schon in sich ein gewisser Widerspruch zum Ziel, den Bedürfnissen der Stakeholder - hier der Mitarbeiter - zu entsprechen. Aus dem bisher Gesagten läßt sich demnach zweierlei für die Strukturdimension Formalisierung schließen: Erstens kann es geboten sein, vorhandene Formalisierung da abzubauen, wo sie Ausdruck des Mißtrauens gegenüber den Mitarbeitern ist und ihre Selbstbestimmung unnötig eingeschränkt wird. Zweitens können aber auch neue Formalisierungen helfen, das Ziel der sozialen Verantwortung im Unternehmen zu implementieren. Gerade in den verwirrenden Zeiten des Umdenkens stellen formale Regeln ein festes Außengeländer dar, das den Mitarbeitern die nötige Sicherheit und Stabilität verleiht. Um die ebenso nötige Flexibilität nicht allzusehr einzuschränken, sollten die formalen Regeln aber auch wirklich nur den Rahmen, das Gerüst bilden, innerhalb dessen noch Handlungsspielraum verbleibt. Um ein Beispiel zu nennen: Die Unternehmung bekennt sich schriftlich zum Umweltschutz, leitet daraus Grundsätze für eine ökologisch orientierte Materialbeschaffung ab und verpflichtet den Einkauf, bei allen größeren Investitionen den Rat des Umweltbeauftragten einzuholen. In der Stellenbeschreibung der Einkaufsmitarbeiter wird zum Ausdruck gebracht, daß die Verbesserung des Umweltschutzes ein Ziel der Stelle ist. Protokolle der regelmäßigen Sitzungen eines offiziell eingerichteten Umweltausschusses dokumentieren bereits Geleistetes und neue Vorschläge.

58) Vgl. Schanz, 1985, S. 610 f. Die flexible Arbeitszeit ohne formale Leistungskontrolle mit Hilfe von Stechuhren wird von den Mitarbeitern als soziale Leistung anerkannt, wie das Beispiel Hewlett Packard zeigt; vgl. Mahler, 1986, S. 133. 59) Vgl. McGregor, 1960, S. 47 ff.

111. Die Struktur

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6. EntscheidungsdelegationlPartizi pation Bei der Entscheidungsdelegation geht es um die umfangmäßige Verteilung der Entscheidungsbefugnisse in einer Organisation, wobei von einer starken Delegation dann gesprochen wird, wenn viele Entscheidungsbefugnisse offIZiell auf die unteren Hierarchieebenen verteilt sind. 60 D~rin vergleichbar einer geringen Formalisierung kann eine stark dezentralisierte Entscheidungsstruktur selbst schon Ausdruck einer sozialen Verantwortung im Sinne der Mitarbeiterorientierung sein, wobei man davon ausgeht, daß die Mitarbeiter Selbständigkeit und Entscheidungsfreiheit in der Arbeit wünschen. 61 Gewisse autonome Spielräume und Bereiche der Selbstverantwortung gehören zur SubjektsteIlung des Menschen und sind Teil einer Humanisierung der Arbeitswelt. 62 Ob sich die größere Handlungsfreiheit der Mitarbeiter auch so auswirkt,

daß sie nun ihrerseits verantwortungsvoller handeln, liegt wohl zum

großen Teil an ihrer persönlichen Überzeugung. Nach ihren eigenen Angaben empfinden viele Mitarbeiter eine Diskrepanz zwischen dem, was die Unternehmung nach ihrer Meinung tun sollte, und dem, was sie tut. Sie erfahren so ethische Konflikte in ihrer Arbeit, weil sie sich gezwungen fühlen, Dinge zu tun, die sie persönlich ablehnen. 63 Könnten sie also freier entscheiden, könnte dies der sozialen Verantwortung zugute kommen. Dabei ist es aber sicher nicht damit getan, rein formal Entscheidungskompetenzen zu verteilen, denn unterschwellig kann trotzdem sehr deutlich vermittelt werden, was "man" erwartet. Es liegt in der Führungsverantwortung der Vorgesetzten, die Mitarbeiter nicht zu entmutigen, ihren ethischen Standards auch in der Arbeit zu folgen. Außerdem könnten Schulungen die Sicht der Mitarbeiter für die ethischen Implikationen ihrer Entscheidungen schärfen.

60) Vgl. Kieser / Kubicek, 1983, S. 158, 162 61) Im Zuge des Wertewandels hat der Wunsch nach Autonomie in der Arbeit noch zugenommen; vgl. Rosenstiel, 1986, S. 95. 62) Vgl. Hettlage, 1983, S. 401 f. 63) Vgl. Laczniak / Murphy, 1985b, S. 97,100; Ferrell, 1985, S. 36; Rosenstiel, 1987, S. 38 f., 43 f.

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H. Ausbau der Stakeholder-Management-Kapazität

Zur Gestaltung der Entscheidungsstruktur gehört neben dem Umfang der Delegation als zweiter wichtiger Parameter der Grad der Partizipation. Partizipation bedeutet, daß an den Entscheidungen mehrere Stellen beteiligt sind. In der konkreten Ausgestaltung kann dies sehr verschiedenes bedeuten: daß man andere Stellen anhört, gemeinsam mit ihnen berät oder gemeinsam entscheidet, auf freiwilliger Basis oder aufgrund einer Vorschrift. Beteiligt ein Vorgesetzter freiwillig seine Untergebenen an "seinen" Entscheidungen, dann spricht man von einem partizipativen Führungsstil, wobei dies im einzelnen wiederum unterschiedliches bedeuten kann, von einer Anhörung der Untergebenen bis zu einer reinen Gruppenentscheidung durch die Untergebenen, bei der der Vorgesetzte nur noch als Koordinator fungiert. 64 Da es sich dabei jedoch um Regelungen handelt, die in die bestehende Organisationsstruktur nicht eingreifen, ist die Partizipation in diesem Sinne eigentlich keine Strukturdimension, sondern berührt eher den Bereich, den wir mit "Aufgabe der Führungskräfte" bezeichnet haben. 65 Partizipation kann sich aber auch in der Organisation niederschlagen, z.B. in der schon besprochenen Fonn der institutionalisierten Selbstabstimmung, durch Kollegien. Der Übergang zwischen Führung und Organisation ist in diesem Bereich, je nach konkreter Ausgestaltung, fließend. Da die Partizipation den Mitarbeitern mehr Mitgestaltungs- und Mitentscheidungsmöglichkeiten einräumt, gelten die hinsichtlich der Entscheidungsdelegation festgestellten Vorteile auch für diesen Parameter. Den Mitarbeiterbedürfnissen kommt zusätzlich noch entgegen, daß mit der Partizipation der wachsenden Bedeutung von kommunikativen Aspekten Rechnung getragen wird. "Kommunikative Tugenden" wie "ein guter Partner im Team sein", "sich gegenseitig gut infonnieren", "zuhören, was andere sagen", "seine eigene Meinung deutlich machen", lassen sich durch partizipative Entscheidungsstrukturen am besten verwirklichen. 66 Als Vorteil für die Umsetzung sozialer Verantwortung durch die Mitarbeiter könnte sich die Partizipation erweisen, weil eine gewisse gegensei64) VgI. Baumgarten, 1977, S. 33 65) VgI. auch Kieser / Kubicek, 1983, S. 163 f. 66) VgI. Schmidtchen, 1984

III. Die Struktur

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tige Kontrolle stattfindet. Selbst wenn man nur verpflichtet wird, seine Entscheidungen anderen gegenüber zu begründen, kann dies schon zur Folge haben, daß man Pro und Contra sorgfältiger abwägt. Schließlich hat man es im Bereich der sozialen Verantwortung oft mit schwierigen Ermessensfragen zu tun, bei deren Beantwortung es nur hilfreich sein kann, das fachliche Expertenwissen sowie den persönlichen Standpunkt möglichst vieler Personen einfließen zu lassen. Besonders "externe" Mitglieder solcher Kollegien könnten aufgrund ihrer Unabhängigkeit ganz andere Sichtweisen ins Spiel bringen als die möglicherweise betriebsblinden Mitarbeiter. Ist in der Organisationsliteratur von Entscheidungsdelegation und -partizipation die Rede, so wird in der Regel stillschweigend die Voraussetzung gemacht, daß die Entscheidungsgewalt letztlich den Eigentümern gebührt, von denen sie an die Instanzen delegiert wird, die wiederum andere Stellen an der Entscheidung partizipieren lassen können. Diese Sichtweise ist in der geltenden Unternehmensordnung rechtlich kodifiziert; das Eigentum legitimiert die Herrschaft in der Unternehmung. Spricht man von Partizipation, könnte man aber auch gerade diese interessenmonistische Unternehmensordnung in Frage stellen und meinen, an der Herrschaft im Unternehmen müßten verschiedene Interessen verfassungsmäßig beteiligt werden. 67 Ulrich z. B., dessen wirtschaftsethische Überlegungen auf dem Dialogprinzip als ethischem Grundwert basieren, fordert ein "partizipations-philosophisches Leitbild der Unternehmung als pluralistisch legitimierter und multifunktionaler, quasi-öffentlicher Institution, deren gesellschaftliche Verantwortung im Rahmen eines zu schaffenden Unternehmensverfassungsrechts zu institutionalisieren ist" .68 Da die Entscheidungen der Unternehmung eine immer größere Zahl von Personen beträfen, sei die Entscheidungsbefugnis in ihrem quasi-öffentlichen Charakter nicht mehr allein aus dem privaten Kapitaleigentum abzuleiten. Vielmehr seien Entscheidungen grundsätzlich durch alle von der Entscheidung Betroffenen in einem idealen Dialog zu fällen, wobei eine rechtswirksame, pluralistische Unternehmensverfassung eine notwendige Voraussetzung sei. Diese Verfassung sei vollständig offenzuhalten für alle Gruppen oder Personen, die von den Unternehmensentscheidungen betrof67) Vgl. Steinmann / Gerum, 1988, S. 181 ff. 68) Ulrich, 1981, S. 57

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fen werden, weil nur dies dem formal-prozeduralen Grundprinzip der Diskursethik entspricht, Interessenkonflikte durch einen - in einem idealen Diskurs erzielten - Konsens aller Betroffenen zu lösen. 69 Nur diese partizipative Konzeption erscheint Ulrich geeignet, umfassende unternehmenspolitische Vernunft zu erreichen, während er die Idee der "sozialen Verantwortung" des Managements als funktionsuntähig und elitär ablehnt.1° Im Modell Ulrichs sind Partizipation und das Konzept der sozialen Verantwortung also Alternativen. Wir gehen dagegen davon aus, daß die Unternehmung sich ernsthaft zum Ziel der sozialen Verantwortung bekennt und nun nach Mitteln und Wegen sucht, wie dies praktisch umzusetzen ist. Dies genau ist der Gegenstand der Unternehmensethik, nämlich Vorschläge zu machen, welche Systeme, Prozesse und Strukturen in der Unternehmung zur Erreichung des Ziels beitragen könnten. Ethisches Grundprinzip ist die Verantwortung, was bedeutet, bei allen Entscheidungen auch die Folgen für die Betroffenen zu sehen und ihre möglicherweise divergierenden Interessen zu berücksichtigen. Daraus ergibt sich als ein Kernproblem der Unternehmensethik die richtige, authentische Erfassung der Folgen des Handeins und der Interessen der Betroffenen. Folgt man nun Ulrich, scheint es zur Interessenberücksichtigung nur zwei alternative Möglichkeiten zu geben: Entweder soll der Manager ohne operationale Handlungsregel, nur aufgrund seiner persönlichen Präferenzen, einsam, kriterienlos und willkürlich, monologisch und elitär über die Interessen der Betroffenen entscheiden oder alle Betroffenen verständigen sich in einem rechtlich kodifizierten idealen Diskurs über ihre Interessen, bis sie zu einem Konsens kommen. 71 Dieser Konsens beinhaltet, daß die " ... Folgen und Nebenwirkungen, die sich aus einer allgemeinen Befolgung der strittigen Norm für die Interessen eines jeden Einzelnen voraussichtlich ergeben, von allen zwanglos akzeptiert werden können. "72 Die Verantwortungsethik wäre in diesem Idealfall quasi in der Diskursethik aufgehoben, es gäbe keinerlei Spannungen mehr zwischen der Handlungsrationalität des einzelnen und der Systemrationalität der Wirtschaft.

69) Vgl. U1rich, 1981, S. 62,68; Ulrich, 1986, S. 424 ff. 70) Vgl. U1rich, 1981, S. 63 ff.; Ulrich, 1980a, S. 39 ff. 71) Vgl. U1rich, 1981, S. 63 ff. n) Habermas, 1983, S. 103

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In diesem Modell sind aber " ... geradezu ungeheuerliche(n) Idealisierungen ... "73 impliziert; man kann und darf nicht von der Unterstellung ausgehen, die Anwendungsbedingungen der Kommunikationsethik seien schon realisiert. Man kann die Herstellung der Anwendungsbedingungen als Höchstwert und Telos betrachten, ist aber zugleich " ... zur radikalen Reflexion des kontrafaktischen Charakters der Fiktion des Ideals ... "74 aufgerufen. Es wäre geradezu unverantwortlich, die Anwendungsbedingungen des Diskursprinzips als gegeben zu unterstellen. 75 Auch Ulrich seihst spricht von einer märchenhaften Utopie, einem naiven Ideal, einer regulativen Idee, einem Leitbild76 , womit wir für die" ... prinzipiell niemals völlig zu überwindende Ära der Differenz zwischen realen und idealen Anwendungsbedingungen der Kommunikationsethik ... "77 auf weniger anspruchsvolle, aber machbare Lösungen angewiesen sind.78 Partizipation der Betroffenen - in der Praxis wohl immer advokatorische Partizipation - hat nun zweifellos einiges für sich, weil die Interessen authentisch, ohne verzerrende Interpretation vertreten werden können, weil die Betroffenen sich ernster genommen fühlen und auch ernster genommen werden müssen, insbesondere wenn sie mitentscheiden dürfen, weil man sich in der argumentativen Auseinandersetzung besser kennenund verstehenlernt. Wie könnte die Partizipation praktisch aussehen? In vielen US-amerikanischen Unternehmen wird die Partizipation in der Position von speziel73) Apel, 1988, S. 297 74) Apel, 1988, S. 304 75) Vgl. Apel, 1988, S. 10 f. 76) Vgl. Ulrich, 1980a, S. 32 ff.; 1981, S. 72; 1986, S. 420 ff. 77) Apel, 1988, S. 10 78) Nehmen wir beispielsweise an, Frauen fühlten sich durch die Unternehmenspolitik: betroffen, weil sie bei Einstellung, Entlohnung und BefOrderung diskriminiert werden. Die Unternehmung könnte nun Gleichberechtigung als Unternehmensgrundsatz formulieren, könnte durch pädagogische Maßnahmen Problem- und Verantwortungsbewußtsein beim Management schulen, könnte operationale Ziele, z. B. als Quoten, vorgeben und formale Richtlinien des Inhalts "gleicher Lohn für gleiche Arbeit" erlassen, könnte "Experten", in unserem Fall z. B. Frauenrechtlerinnen, anhören und mit ihnen über Fördermaßnahmen für Frauen nachdenken, könnte schließlich die Betroffenen advokatorisch internalisieren, etwa indem einer Frauenbeauftragten Partizipation an allen Personalangelegenheiten eingeräumt würde.

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len Boardmitgliedern, den "Public Interest Directors" verwirklicht, die beispielsweise die Interessen der Schwarzen, der Frauen oder der Konsumenten vertreten. Sie sammeln die nötigen Informationen, machen Verbesserungsvorschläge, kontrollieren die Fortschritte und sind Ansprechpartner bei einschlägigen Problemen. 79 Auf deutsche Verhältnisse übertragen könnte verschiedenen Interessenvertretern Sitz und Stimme im Aufsichtsrat eingeräumt werden, vergleichbar der bereits bestehenden Mitbestimmung der Arbeitnehmer. Aber selbst eine so tiefgehende Umgestaltung der Unternehmensordnung kann die InteressenbefÜcksichtigung keineswegs garantieren. Betrachtet man die Praxis der Aufsichtsratsarbeit, so ist häufig zu bemängeln, - daß die Aufsichtsratmitglieder das Überwachungsobjekt Unternehmen nur sehr begrenzt kennen, - daß sie aufgrund einer Mandatsakkumulation sehr wenig Zeit für eine intensive Überwachung haben, - daß die Sitzungsfrequenz zu gering ist, - und daß eine reine ex-post-Sanktionierung der Vorstandsarbeit stattfindet. 80 Anders gewendet ist von einer angemessenen Interessenvertretung nur dann auszugehen, - wenn die Repräsentanten fachlich und persönlich qualifiziert, - hochmotiviert und engagiert, - und bestens über die Unternehmung informiert sind, - wenn sie weiterhin in die strategische Unternehmensplanung eingebunden werden - und die Unternehmenspolitik kritisch-konstruktiv mitbestimmen können. 81 Wegen der Mitwirkung bei der strategischen Planung müßte allerdings die saubere Trennung von Geschäftsführung und -überwachung im klassi79) Vgl. Su\1ivan, 1974, S. 169 ff. 80) Vgl. Bleicher I Paul, 1986, S. 284 f. 81) Vgl. Bleicher I Paul, 1986, S. 284 f.

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schen deutschen Aufsichtsratssystem teilweise aufgegeben werden zugunsten einer Regelung, die eher dem einstufigen Boardsystem ähnelt. Wie amerikanische Beispiele zeigen, stecken aber auch die prinzipiell besseren Mitwirkungsmöglichkeiten des Boardmodells nur einen weiteren Rahmen ab, der in der Praxis völlig verschieden ausgefüllt wird. Nach Anshen82 ist das typische Boardmitglied vom Chief Executive Officer ausgewählt und von ihm abhängig, bekommt Tagesordnungen und Pläne fertig vorgelegt und soll die Geschäftsführung aufgrund komprimierter, finanzieller Größen möglichst fraglos ex post sanktionieren. Sullivan83 hat als Interessenvertreter der Schwarzen bei General Motors nach eigenem Bekunden dagegen sehr viel mehr bewirken können, seit er dem Board angehört. Letztlich, das zeigen die Erfahrungen, kann keine institutionelle Regelung die persönliche Überzeugung von der Berechtigung einer pluralistischen Interessenvertretung völlig ersetzen, es sei denn, man wollte keinerlei Handlungsspielräume zulassen, was wiederum eindeutig der Forderung nach "Offenheit" und "Flexibilität" der Unternehmensordnung widerspräche. Es ist überhaupt fraglich, ob sich die Vorstellung einer völlig offenen, situativ pragmatischen Lösungen zugänglichen 84 und zugleich rechtlich kodifizierten Unternehmensverfassung auch nur annähernd verwirklichen läßt. Zur Unternehmensverfassung gehört unabdingbar die Frage, wessen Interessen als "verfassungsrelevant" auszuzeichnen sind;85 man kommt um eine "a priori-Selektion"86 der zu berücksichtigenden Interessen keinesfalls herum, auch wenn es sich nur um eine historisch-relative, in die Zeit hinein offene Selektion handelt. 87 Wie die Unterschiede zwischen der Bundesrepublik und den USA in der Einschätzung der Verfassungsrelevanz der Arbeitnehmerinteressen beleuchten, werden auf diese Weise

82) 83) 84) 85) 86) 87)

Vgl. Anshen, 1980, S. 122 ff. Vgl. Sullivan, 1974 Vgl. Ulrich, 1986, S. 424 f. Vgl. Steinmann / Gerum, 1988, S. 182 ff. Ulrich, 1980a, S. 42 Vgl. Steinmann / !.öhr, 1987b, S. 452

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Werturteile festgeschrieben, was ja eigentlich vermieden werden soll.88 Die Schwerfälligkeit und Starrheit des Instrumentes "Gesetz" macht es als Basis für eine offene, flexible Verständigungsordnung wenig geeignet. Eine hohe Regelungsdichte erweist sich außerdem als kontraproduktiv im Hinblick auf kreative Lösungen, die der eigenen Initiative der Unternehmung entwachsen. Auf freiwilliger Basis hat sich in US-Unternehmen sehr viel mehr geändert in Richtung auf eine interessenpluralistische Zusammensetzung des Board als in deutschen Aktiengesellschaften, die in der Regel lediglich die Außenvorgaben des Mitbestimmungsrechts umsetzen. 89 Die Forderung nach gesetzlichen Regelungen entspringt wohl einem tiefen Mißtrauen gegenüber dem Willen und den Möglichkeiten der Unternehmensführung, sozial verantwortlich zu handeln und das nicht ohne Grund, wie die eingangs beschriebenen Probleme zeigen. Aber was kann ein per Gesetz im Aufsichtsrat sitzender Verbrauchervertreter ausrichten, wenn er isoliert wird, wenn man ihn nicht ernst nimmt, nicht informiert, nicht einbezieht? Selbst wenn er offiziell mit umfangreichen InformationsKontroll- und Mitentscheidungsrechten ausgestattet wird, dann hat er doch letztlich nur eine Stimme in einer Pluralinstanz, und da Konflikte bei uns in der Regel nach dem Abstimmungsprinzip gelöst werden, gemäß dem die Mehrheit Recht bekommt, wird er ohne die Überzeugung der Unternehmensführung nie etwas durchsetzen können. Bleibt als Alternative also doch nur der willkürliche, elitäre Managerialismus, wie Ulrich ihn beschreibt? Zunächst ist dagegen einzuwenden, daß Verantwortung des Management und Unternehmens verfassung überhaupt keine einander ausschließenden Alternativen, sondern sich gegenseitig er88) Betrachtet man die Vorschläge für eine pluralistische Unternehmensverfassung, die in

den vergangenen drei Jahrzehnten in der Literatur gemacht wurden, dann zeigen die Differenzen zwischen diesen Vorschlägen sehr deutlich, daß es keine objektiv richtige Lösung rur Art und Umfang der Interessenvertretung in der Unternehmung gibt. Umstritten ist bspw., ab welcher Unternehmensgröße eine erweiterte Unternehmensverfassung notwendig ist, wessen Interessen zu vertreten sind, wer die Interessenvertreter entsenden soll, wieviele Vertreter der verschiedenen Gruppierungen mitbestimmen sollen, in welcher Form sie mitwirken sollen (vgl. Weitzig, 1979, S. 18 ff.). Man kommt auch bei der Erweiterung der Unternehmensverfassung offensichtlich nicht um Wertungen herum, die dann auch noch für eine große Zahl von Unternehmen und für lange Zeit starr vorgegeben sind. 89) Vgl. Bleicher I Paul, 1986, S. 284 f.

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gänzende Lösungen sind. Sogar in der kontrafaktischen Welt des idealen Diskurses muß man ja unterstellen, daß die Teilnehmer moralische Subjekte sind mit einem unbeschränkten Willen zur Vernunft, d. h. der Bereitschaft zu einer wahrhaftigen, offenen, zwanglosen Verständigung und der Anerkennung transsubjektiver Interessen. Insofern wäre es von vornherein unsinnig, institutionelle Regelungen als einen vollständigen Ersatz für Moral zu begreifen. Dies gilt umso mehr in der faktischen Welt des Hier und Jetzt, wo die institutionellen Regelungen - z. B. die Unternehmensverfassung - notwendig selektiv sind und breiten Interpretationsund Handlungsspielraum lassen. Man bleibt also auf jeden Fall auf die persönliche Verantwortungsbereitschaft der Manager angewiesen, womit natürlich nicht ausgeschlossen wird, daß auch die Unternehmensverfassung, etwa im Hinblick auf eine Vertretung des öffentlichen Interesses, geändert werden könnte. 9o Weiterhin kann der Wille zur Verantwortung im Unternehmen auf vielerlei Art gefördert und unterstützt werden. Ist die soziale Verantwortung offizielles Unternehmensziel, kann sich der Manager genausowenig willkürlich darüber hinwegsetzen, wie bei anderen Unternehmenszielen auch, denn dann gibt es Grundsätze, formale Richtlinien, Berichtspflichten, Kontrollgrößen, Sanktionen usw., die der persönlichen Willkür Zügel anlegen. Schließlich sind auch ohne Verfassungsänderung zahlreiche Formen der freiwilligen Partizipation Betroffener denkbar, sei es in Beiräten, Kommissionen oder Arbeitsgruppen, als ständige Einrichtung oder für einzelne Projekte, in Form der Anhörung oder der Mitentscheidung. Flexible, situativ angepaßte pragmatische Lösungen können so viel eher erreicht werden, als durch Gesetzgebung. Zugleich wird dem Gedanken Rechnung getragen, als Legitimationsbasis für die Partizipation den Grad der Betroffenheit heranzuziehen. Unterstellt man, daß das Gefühl starker Betroffenheit auch ein starkes Engagement auslöst, die Betroffenen also ihre Forderungen gegenüber dem Unternehmen mit großem Nachdruck vorbringen, dann wird das Anliegen wahrscheinlich auch als "strategie issue" bewertet, was wiederum eine Partizipation der Betroffenen zwecks besserer Information und gemeinsamer Erarbeitung von Lösungen nahelegt. Insofern könnten die Betroffenen selbst sich über ihre "Partizipa90) Dies entspräche dem Modell von Steinmann/Löhr, 1987b, S. 456; generalisierbare Dauerkonflikte könnten per Verfassung gelöst werden, nicht generalisierbare Konflikte wären auf eine Lösung durch die Unternehmensethik: angewiesen.

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tionsinitiative"91 in der Unternehmung Gehör verschaffen. Damit entfiele das Problem, den Grad der Betroffenheit (ex ante und) starr definieren zu müssen. Zusätzlich ist in der Issue-Analyse vorgesehen, daß die Manager sich selbst Gedanken machen über den Grad der Betroffenheit und sich nicht von außen, durch den Druck mächtiger Gruppen Verständigung quasi abnötigen lassen. Vermutlich würde Ulrich hier die Manager wieder in der Rolle des elitären, monologischen Schiedsrichters sehen, aber durch diese persönliche Verantwortung wird eine wichtige Lücke geschlossen, die dadurch entstehen kann, daß die Betroffenen sich lange Zeit gar nicht betroffen fühlen, einfach weil ihnen die Sachinformationen fehlen (z. B. über die schädlichen Folgen des FCKW) und sich für eher abstrakte Probleme niemand zuständig fühlt. Schon in der Entwicklungs- und Planungsphase könnte nun das Unternehmen vermutete Folgen antizipieren und beispielsweise durch die Partizipation einschlägiger Experten im Vorfeld beurteilen und eventuell ausräumen lassen, bevor überhaupt Betroffenheit entsteht. Fassen wir unsere Überlegungen noch einmal kurz zusammen: Basis und Ausgangspunkt ist der Wille zum verantwortlichen Handeln in der Unternehmung, wobei - neben anderen Maßnahmen der Unternehmensethik - die Partizipation der Betroffenen hilfreich ist für die authentische Erfassung der Folgen des Handeins. Insofern eine Teilnahme am unternehmerischen Entscheidungsprozeß durch die Unternehmensverfassung rechtlich kodifiziert ist, besteht die Verantwortung darin, diese Teilnahme nicht nur dem Buchstaben nach, sondern dem Sinne nach zu ermöglichen, d. h. den Auftrag des Interessenvertreters anzuerkennen und ihn engagiert zu unterstützen. Daneben können die Interessen - auch nur potentiell - Betroffener auf freiwilliger Basis internalisiert werden, was frühere und situativ angepaßtere Partizipation bedeuten kann. 92 Partizipation ist nach diesem Modell keine Alternative zum Konzept der sozialen Verantwortung, sondern ein Mittel zu ihrer Implementierung im Unternehmen.

91) Ulrich, 1986, S. 427 92) Vgl. z. B. zur Partizipation von Kunden das Konzept des "interaktiven Marketing", Fischer, 1982

IV. Das Motivations- und Anreizsystem "No strategy is ever implemented without capable, motivated people from the key decision makers of the firm down through those at the operational and technical levels of the organization whose specific actions move the firm towards attaining its goals". 1 Je stärker die Mitarbeiter motiviert sind, je leichter sie die Ziele der Unternehmung und ihre eigenen Ziele in Einklang bringen können, desto einfacher wird auch die Implementierung der sozialen Verantwortung im Unternehmen gelingen. Die Motivation des Top-Managements müssen wir dabei als gegeben voraussetzen, denn ohne diese "Initialzündung" sind tiefgreifende Umorientierungen im Unternehmen gar nicht möglich. Aufgrund der zahlreichen persönlichen Bekenntnisse von Führungskräften sowie angesichts der verbreiteten Unternehmensgrundsätze zur sozialen Verantwortung darf man diese Voraussetzung wohl machen. Aber zur Umsetzung des Ziels der sozialen Verantwortung sind eben auch das mittlere und untere Management, letztlich alle Mitarbeiter nötig, und je weniger man die Aufgaben präzise und operational vorgeben kann, desto mehr kommt es darauf an, daß die Mitarbeiter motiviert sind, eigenständig das Ziel anzustreben und Handlungsspielräume zieladäquat zu nutzen. Dazu soll das Anreizsystem beitragen, d. h. "die Summe aller bewußt gestalteten Arbeitsbedingungen, die bestimmte Verhaltensweisen durch positive Anreize, Belohnungen etc. verstärken, die Wahrscheinlichkeit des Auftretens anderer dagegen mindern (negative Anreize, Sanktionen)". 2 Nach Anshen3 reagiert gerade das mittlere und untere Management skeptisch bis feindlich auf das Ziel der sozialen Verantwortung, ignoriert es oder vergrößert absichtlich die Probleme bei der Umsetzung, um zu beweisen, daß es nicht machbar ist. Dies kann man damit erklären, daß sie nicht so hautnah mit der gesellschaftlichen Kritik in Berührung kommen, wie die Führungskräfte. Eventuelles Unbehagen bei ethisch problematischen Entscheidungen können sie viel leichter damit rationalisieren, daß sie eben "ihren Job machen" und letztlich nicht verantwortlich sind. 1) Galbraith / Kazanjian, 1986, S. 91 2) Wild, 1973, S. 47 3) Vgl. Anshen, 1980, S. 171 ff.

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Außerdem sind sie in der Regel sehr eingespannt im operativen Tagesgeschäft und werden schon deshalb alles ablehnen, von dem sie vermuten, daß es ihre Arbeit noch komplizierter und umfangreicher machen könnte. Schließlich sind gerade die Manager, die (noch) nicht ganz oben sind, sehr erfolgs- und karriereorientiert und das Anreizsystem der meisten Unternehmen war bisher in erster Linie auf (kurzfristigen) finanziellen Erfolg ausgerichtet, womit Maßnahmen aus sozialer Verantwortung, die zumindest kurzfristig den Gewinn schmälern können, das eigene Fortkommen behindern würden. 4 Man kann nun von den Managern nicht erwarten, daß sie sich heroisch über ihre eigenen Interessen hinwegsetzen. Stattdessen muß das Motivations- und Anreizsystem so gestaltet werden, daß sozial verantwortliches Handeln nicht bestraft wird. Das Motivations- und Anreizsystem wird bestimmt von den beiden Grundentscheidungen - wie Erfolg definiert werden soll, - und wie dieser Erfolg belohnt werden soll. Erfolg kann man qualitativ oder quantitativ definieren. In den meisten Unternehmen dominieren quantitative finanzielle Erfolgsgrößen wie earnings per share, return on investment oder profit5 , die den Vorzug haben, objektiv und eindeutig zu sein. Sie können außerdem aus sowieso vorhandenen Unterlagen übernommen werden, müssen also nicht eigens zum Zweck der Mitarbeiterbewertung erzeugt werden. Maßgrößen des Erfolges sind Endresultate, meist bezogen auf relativ kurze Zeitspannen, beispielsweise Quartale. 6 Diese Art der Erfolgsmessung ist auf das Ziel der sozialen Verantwortung dann übertragbar, wenn es präzise, operationale Plan- und Kontrollgrößen gibt, denkbar etwa für die Reduktion von Schadstoffemissionen oder den Ersatz umweltschädlicher Rohstoffe. In der überwiegenden Zahl der Fälle wird sich sozial verantwortliches Handeln aber nicht so exakt in Plan- und Kontrollgrößen abbilden lassen. Erfolge müssen dann eher qualitativ definiert werden, bestimmte Verhaltensweisen werden bewertet, nicht nur Endresultate, und Basis für die Bewertung sind persönliche Beurteilungen durch die Vorgesetzten! Kollegen an Stelle von reinem Zahlenmaterial. Auch müssen Erfolge über 4) Vgl. Anshen. 1980. S. 172 ff.; Hochstätter. 1990, S. 38 5) Vgl. Rappaport. 1983a 6) Vgl. Lorange. 1980

IV. Das Motivations- und Anreizsystem

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längere Zeiträume gemessen werden, da sie sich meist nicht so rasch einstellen. Basis für die Erfolgsbeurteilung kann beispielsweise ein "Stakeholder Review" sein; die Manager müssen Bericht erstatten über die aktuellen und potentiellen Stakeholder, ihre Anliegen und deren Entwicklung, die Kontakte, die man mit ihnen hat, geplante und eingeleitete Strategien im Hinblick auf die Anliegen. 7 Als Erfolg gilt dabei die Stakeholderorientierung an sich, nicht etwa, daß man es schafft, viele Anliegen (vorübergehend) abzuwehren. Der Erfolg von Stabseinheiten mit der Aufgabe der Implementierung des Ziels der sozialen Verantwortung im Unternehmen könnte daran gemessen werden, wie viele ihrer Vorschläge von den Managern akzeptiert und verwirklicht werden. 8 Stabseinheiten mit der Aufgabe der Stakeholderanalyse arbeiten dann erfolgreich, wenn sie viele Stakeholderbeziehungen aufdecken und in ihrer Relevanz richtig einschätzen. Man muß also jeweils überlegen, welches Handeln erwünscht ist und genau dieses Handeln als Erfolg definieren. Dies muß mit dem nötigen Nachdruck geschehen, denn die häufig weniger präzisen und ungewohnten ethischen Erfolgskriterien müssen sich auch im Bewußtsein der Mitarbeiter erst einmal neben den gewohnten, exakten, formal verankerten quantitativen Erfolgsgrößen behaupten, sonst bleibt im Zweifelsfall die soziale Verantwortung doch wieder etwas minder Wichtiges, "secondary to the 'real work' ofthe business".9 Steht die Beurteilungsbasis für den Erfolg fest, ist weiterhin die Art der Erfolgsvergütung zu bestimmen. In Anlehnung an Rosenstiel lO und Hoffmann ll kann man unterscheiden:

7) Vgl. Freeman, 1984, S. 242 f. 8) Vgl. Miles, 1987, S. 136 f. 9) Anshen, 1980, S. 150 10) Vgl. Rosenstiel, 1975, S. 231 11) Vgl. Hoffmann, 1980, S. 523 ff. 20 Göbel

H. Ausbau der Stakeholder-Management-Kapazität

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Immatcrielle Anreize

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extrinsische Anreize

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