Das Kreuz Jesu bei Paulus: Ein Versuch, über den Geschichtsbezug des christlichen Glaubens nachzudenken 9783666532887, 3525532938, 3525532881, 9783525532881

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Das Kreuz Jesu bei Paulus: Ein Versuch, über den Geschichtsbezug des christlichen Glaubens nachzudenken
 9783666532887, 3525532938, 3525532881, 9783525532881

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Hans Weder Das Kreuz Jesu bei Paulus

HANS WEDER

Das Kreuz Jesu bei Paulus Ein Versuch, über den Geschichtsbezug des christlichen Glaubens nachzudenken

G Ö T T I N G E N · V A N D E N H O E C K & R U P R E C H T · 1981

Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments Herausgegeben von Wolfgang Schräge und Ernst Würthwein 125. Heft der ganzen Reihe

CIP-Kurztitelaufnahme

der Deutschen

Bibliothek

Weder, Hans: Das Kreuz Jesu bei Paulus : e. Versuch, über d. Geschichtsbezug d. christl. Glaubens nachzudenken / Hans Weder. — Göttingen : Vandenhoeck und Ruprecht, 1981. (Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments ; H. 125) ISBN 3-525-53293-8 kart. ISBN 3-525-53288-1 Gewebe N E : GT

©Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1981. — Printed in Germany. — Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. Gesamtherstellung; Hubert & Co., Göttingen

Für Eduard

Schweizer

VORWORT

Die Situation der neuzeitlichen Theologie ist geprägt durch die Entdeckung der Geschichte als eines theologischen Grundlagenproblems. In der neutestamentlichen Wissenschaft zeigt sich dies anschaulich am Beispiel des beeindruckenden Aufstiegs der historisch-kritischen Methoden. Je entschlossener die geschichtliche Denkweise in der Exegese vorangetrieben wurde, desto deutlicher trat die Geschichtsbezogenheit christlich-theologischen Redens ins Bewußtsein. Freilich blieben auch Widerstand und Unbehagen gegenüber jener Denkweise nicht aus. Sie haben sich — wenn nicht alles täuscht — im Laufe der Zeit eher noch verstärkt. Die vorliegende Arbeit geht davon aus, daß historisches Erkennen und geschichtliches Denken für die christliche Theologie schon aus dem Grunde maßgebend sind, weil der christliche Glaube von allem Anfang an ein intimes Verhältnis zur Geschichte hatte. Im folgenden wird der Versuch unternommen, anhand der paulinischen Kreuzestheologie über den Geschichtsbezug des Glaubens nachzudenken. Dies impliziert, daß die Klärung des Stellenwerts, welchen das Kreuz Jesu als ein geschichtliches Ereignis in der Theologie des Paulus hat, eine geeignete Anleitung zu jenem Nachdenken darstellt. Im Blick auf das mit dem Geschichtsbezug des Glaubens gegebene Fundamentalproblem kommt es mE darauf an, daß einerseits die Ergebnisse historischer Arbeit nicht vorschnell verabschiedet werden zugunsten einer theologischen Deutung, und daß andererseits theologisches mit geschichtlichem Reden nicht einfach identifiziert wird. Will man die Ergebnisse historischer Arbeit angemessen würdigen, so ist jedenfalls aufmerksam auf die Bedingungen einzugehen, unter denen jene Ergebnisse zustande kommen. Deshalb ist es unumgänglich, eine Reihe von Überlegungen zum Geschichtsbegriff anzustellen. Dies erwies sich in vielerlei Hinsicht als schwierig, nicht zuletzt deshalb, weil bei der Reflexion auf den Geschichtsbegriff etwas explizit gemacht werden mußte, was im Vollzug der historisch-kritischen Arbeit am Neuen Testament weithin implizit bleibt und zumeist keiner methodologischen und erkenntnistheoretischen Grundlagenreflexion unterzogen wird. Auf diese Weise bekommen jene Ergebnisse den

6

Vorwort

Anschein prinzipieller Eindeutigkeit. Demgegenüber wird der folgende, mit vielen Schwierigkeiten belastete Reflexionsgang wenigstens zeigen, daß, wer „historisch" sagt, nicht eo ipso etwas Eindeutiges sagt. Will man andererseits theologisches von geschichtlichem Reden unterscheiden, so muß man sich vorab darum bemühen, die Verhältnisbestimmung von historischem Bezug auf Geschichte und theologischem Bezug auf Geschichte zu präzisieren. Dies geschieht im folgenden so, daß zunächst die analytische Geschichtsphilosophie als ein Denkmodell herangezogen wird, mit dessen Hilfe der historische Bezug auf Geschichte wenigstens annäherungsweise begrifflich erfaßt werden kann. Der Verfasser begibt sich damit auf ein Gebiet, das außerhalb seines bisherigen Arbeitsfeldes liegt. Der Leser sei deshalb um Verständnis dafür gebeten, daß die Literaturverarbeitung in dieser Hinsicht fragmentarisch ist. Die begriffliche Erfassung des historischen Bezugs auf Geschichte geschieht mit dem Interesse, Unterschiede und Gemeinsamkeiten des theologischen Bezugs auf dieselbe Geschichte kategorial zu erarbeiten. Als Modell für den theologischen Bezug auf Geschichte wurde in dieser Arbeit die paulinische Rede vom gekreuzigten Christus herangezogen. Dieses Vorgehen ist mE dazu geeignet, an die Aufgabe der genannten Verhältnisbestimmung heranzugehen. Es brachte freilich — so einfach es auf den ersten Blick erscheinen könnte — eine beträchtliche Vermehrung der Schwierigkeiten mit sich. Die vorliegende Arbeit versteht sich als tastenden Versuch, mit diesen Schwierigkeiten einigermaßen adäquat umzugehen. Die Arbeit ist die für den Druck leicht überarbeitete Fassung meiner Habilitationsschrift, die im Sommer 1979 der Erziehungsdirektion des Kt. Zürich eingereicht und von der Theologischen Fakultät der Universität Zürich angenommen wurde. Ich danke vor allem meinem Lehrer, Eduard Schweizer, für die Konsequenz, mit welcher er sowohl meinen Arbeitswillen gefördert als auch durch ständiges Mitdenken und entschiedene Aufmunterung die Fertigstellung der Arbeit ermöglicht hat. Sie soll ihm zum Zeichen meines Dankes gewidmet sein. Ich danke Herrn Prof. W. Schräge, der in einem ausführlichen Gutachten manchen Verbesserungsvorschlag gemacht und so einen sinnvollen Beitrag zur selbstkritischen Uberprüfung der folgenden Überlegungen geleistet hat. Ich danke Herrn Prof. H. F. Geißer, der das Korreferat erstellte und mir seine kritischen Fragen und weiterführenden Hinweise zugänglich machte. Ich danke den Herren Professoren W. Schräge und E. Würthwein, die meine Arbeit in

Vorwort

7

die FRLANT aufgenommen haben. Ich danke den Herren M. Bosshard und H. Kohler, die sich am Korrekturenlesen und Erstellen des Registers beteiligt haben. Ich danke schließlich meinem Kollegen, Herrn Fritz Gloor, für seine wertvollen bibliographischen Hinweise und seine Bereitschaft zum Mitdenken. Männedorf

H.W.

INHALT

0

Bemerkungen zur Problemstellung

11

0.1 0.2 0.3

Der Horizont der Fragestellung Zur Präzisierung der Fragestellung Eine methodologische Zwischenbemerkung

11 34 44

1

Zum analytischen Geschichtsbegriff

49

1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 1.7

Zur Frage der Objektivität der Geschichte Zum Problem der Relativität der Geschichte Das Subjekt der Geschichten Welchen Sinn hat die Rede von der Geschichte? Zur Kategorie des Einzelnen Zur Analytik der Geschichts-Erzählung Zum Gegenwartsbezug des Geschichtlichen

50 61 75 81 85 93 103

2

Das Kreuz Jesu Christi in den paulinischen Briefen . . . .

121

2.1 2.2 2.3 2.3.1 2.3.2 2.3.3 2.3.4 2.3.5 2.4 2.5 2.6 2.7 2.8 2.9 2.10 2.11 2.12 2.13 2.14

Die Grundlosigkeit des Streites (IKor 1,13) Die Aufhebung des Kreuzes (IKor 1,17) Weisheit als Torheit (IKor 1,18-25) Eine Dynamis Gottes . . . (V. 18) Die Bodenlosigkeit der Weisheit der Welt (V. 19f) Die Überraschung (V. 21) Die unterlaufene Denkweise (V. 2 2 - 2 4 ) Torheit als weisere Weisheit (V. 25) Der Verweis an die Erfahrung (IKor 1,26-31) Das Kreuz und die Existenz des Paulus (IKor 2,1—5) Von der Usurpation eines Wortes (IKor 2,6—16) Die Identität der Schwachheit (2Kor 13,4) Die neue Identität des „Ich" (Gal 2,19f; Rom 6,6) Die Öffentlichkeit des Kreuzes (Gal 3,1) Die Verfluchung des Gesetzes (Gal 3,13) Der Grund der Verfolgung (Gal 5,11) Die Kreuzigung des Fleisches (Gal 5,24) Die Wahrung des Gesichts (Gal 6,12) Die Unterbrechung des Konnexes zwischen dem Ich und der Welt (Gal 6,14) 2.15 Das Ende mythologischer Rede (Phil 2,8) 2.16 Die Feinde des Kreuzes Christi (Phil 3,18)

121 125 137 138 144 147 151 156 157 162 165 173 175 182 186 193 198 201 205 209 217

10

3

3.1 3.2 3.3 3.4 3.5 3.6 3.7

Inhalt

Der Stellenwert des Kreuzestodes Jesu als eines geschichtlichen Ereignisses in der Theologie des Paulus und die Bedeutung des irdischen Jesus für den Glauben (Zusammenfassung und Ausblick) Kreuz und Auferweckung J e s u Die Kontingenz des Kreuzes und die Freiheit zur Weltlichkeit . . Die Identität des Christus und die Identifikation des Christen . . Der Erfahrungsbezug des Glaubens und die Erfahrungsbezogenheit christlicher Existenz Die Indisponibilität der Geschichte und die Wahrhaftigkeit christlicher Existenz Das Ereignis der Ankunft Gottes in der Geschichte des Kreuzes und die Möglichkeit des Glaubens Bemerkungen zur exegetischen Methodik

225 227 233 236 240 244 245 247

Literaturverzeichnis

253

Sachregister

265

0 BEMERKUNGEN ZUR PROBLEMSTELLUNG Wenn die Frage nach der theologischen Bedeutung des Kreuzestodes Jesu bei Paulus gestellt wird mit der Absicht, dabei etwas über den Geschichtsbezug des christlichen Glaubens zu erfahren, so ist allein schon mit diesem Verfahren eine Reihe von Implikationen zur Stelle. Da diese Implikationen problematisch und umstritten sind, ist es unumgänglich, sie zumindest andeutungsweise offenzulegen. Impliziert ist bei der genannten Verfahrensweise zunächst das anscheinend Selbstverständliche, daß der christliche Glaube einen Geschichtsbezug habe. Der gegenwärtige Umgang mit jener Selbstverständlichkeit im Bereich der christlichen Theologie macht es indessen notwendig, näher darauf einzugehen. Impliziert ist ferner, daß der Bezug des Glaubens auf Geschichte in Analogie zu dem bei Paulus vorliegenden Verhältnis von kerygmatischen, christologischen Aussagen einerseits und dem Kreuzestod Jesu andererseits denkbar ist. Damit ist also vorausgesetzt, daß es in der paulinischen Christologie um jene Rede von Gott geht, die für den christlichen Glauben kennzeichnend und maßgebend ist, und weiterhin, daß Paulus sich, wenn er vom Kreuzestod Jesu spricht, auf diesen als ein geschichtliches Ereignis bezieht. Schließlich enthält unsere Verfahrensweise die hermeneutische Implikation, daß hermeneutische Grundfragen wie beispielsweise der Geschichtsbezug des Glaubens nicht einfach durch Besinnung auf philosophische, historische oder politische Hermeneutik, sondern vielmehr im Rückgriff auf den Gegenstand selbst, welcher hermeneutisch bedacht werden soll, angegangen werden müssen. Es wird also vorausgesetzt, daß theologische Hermeneutik jenen Rückgriff zu vollziehen hat, und zwar von allem Anfang an, schon dann, wenn es (erst) um ihre Formalstruktur geht; daraus ergibt sich: theologische Hermeneutik läßt sich nicht einfach einer allgemeinen Hermeneutik einordnen, obwohl sie zu dieser eine enge Beziehung hat.

0.1 Der Horizont der Fragestellung In einer ersten Annäherung an unser Thema geht es darum, die wichtigsten Problemaspekte aufzuzeigen, die mit dem Stichwort

12

Bemerkungen zur Problemstellung

„Geschichtsbezug des Glaubens" gegeben sind. Dabei kann man vorläufig unterscheiden zwischen dem Bezug auf die Geschichte, welcher mit der Entstehung des Glaubens selbst gegeben ist und also von allem Anfang an zu ihm gehörte, und dem Bezug auf die Geschichte, welcher in der geschichtlichen Situation der Neuzeit für den Glauben in eigentümlicher Weise wichtig geworden ist. Die Unterscheidung zwischen einem „innenseitigen" und einem „außenseitigen" Geschichtsbezug ist insofern als vorläufig zu betrachten, als die Frage, in welchem Maße der christliche Glaube selbst auf die Entstehung des neuzeitlichen Denkens Einfluß genommen hat, nicht hinreichend beantwortet ist. Es ist zumindest denkbar, daß der innenseitige Geschichtsbezug des Glaubens wesentlich mitbeteiligt war, als das neuzeitliche Denken aus der Wiege gehoben wurde, das nun seinerseits dem Glauben das Problem der Geschichte in besonderer Weise zu denken aufgab. Im Blick auf die Innenseite kann davon ausgegangen werden, daß der christliche Glaube ein intimes Verhältnis zur Geschichte hat. Dieses Verhältnis ist gegeben mit der Bezogenheit des Glaubens auf Jesus Christus. Der Sachverhalt, daß es dem christlichen Glauben nicht möglich ist, unter Absehung von Jesus Christus an Gott zu glauben, verweist ihn in einer Weise an die Geschichte Jesu, die weit über das hinausgeht, was üblicherweise im Rahmen der Frage nach den historischen Entstehungsbedingungen von Religionen oder Weltanschauungen verhandelt werden muß. Denn hier wird die Geschichte eines Menschen mit der Geschichte Gottes so in Zusammenhang gebracht, daß jene als erschöpfende und abschließende Darstellung von dieser geglaubt wird. 1 Der Geschichte Jesu Christi eignet Offenbarungsqualität. 2 So sehr mit diesem Satz das intime Verhältnis des Glaubens zur Geschichte ausgesprochen ist, so sehr ist auf der andern Seite in ihm etwas von der Gespanntheit jenes Verhältnisses zu vernehmen. 1

Das Kommen Jesu Christi in die Welt ist die Fleischwerdung des Logos Gottes (Joh 1,14). Jenes Kommen ist „ein für allemal" zu unserem Heil geschehen (vgl Hebr 9,12; Rom 6,10). „Das Christentum steht und fällt mit der Bindung an seinen einmaligen historischen Ursprung." Dieser Satz besagt „nicht nur, daß der historische Ursprung des Christentums die Eigenart eines primum movens am Anfang eines geschichtlichen Entwicklungsprozesses habe, sondern schreibt diesem historischen Ur-/sprung für die gesamte geschichtliche Erscheinung des Christentums schlechthin ein für allemal bleibende, normative, absolute Bedeutung zu" (Ebeling, Bedeutung WuG I 13f). Mit dieser Feststellung ist zugleich das dem Christentum eigentümliche Problem des Kanons gegeben, in welchem sich die Verhältnisbestimmung von Glaube und Geschichte wiederholt. 2 „Dem historischen Ursprung des Christentums wird Offenbarungscharakter zugesprochen" (Ebeling, aaO 14; vgl Dodd, History 1 Iff bes 22f).

Der Horizont der Fragestellung

13

Hebt nicht gerade der Glaube an Jesus Christus die Geschichtlichkeit des Seins Jesu auf, indem er dessen Kontingenz und Relativität zum Absoluten und Ewigen werden läßt? 3 Oder verstellt nicht gerade der Bezug zur Geschichte dem Glauben die Möglichkeit, wahrer Glaube zu sein, indem einerseits aus dem Glauben an Jesus ein Glaube wie Jesus wird 4 oder andererseits der Glaube an Gott in einen Glauben an geschichtliche Tatsachen verkehrt wird?5 Eben jene Spannung im Verhältnis von Glaube und Geschichte kommt in der in den letzten Jahrzehnten neu aufgebrochenen Frage nach dem historischen Jesus wiederum zum Zuge. Das äußert sich konkret so, daß von einer schroffen Ablehnung jedweder Be3

Mit diesem Problem hat die Theologie des 19. Jahrhunderts im Anschluß an die Entwürfe von Hegel und Schleiermacher heftig gerungen. Das Problem wird beispielsweise bei Schleiermacher so formuliert: „so mußte er (sc Christus als Erlöser) als geschichtliches Einzelwesen zugleich urbildlich sein, d.h. das Urbildliche mußte in ihm vollkommen geschichtlich werden, . . . " (Glaubenslehre II 34, § 93). Zum Urbildbegriff und seinen Nachwirkungen in der Christologie des 19. Jahrhunderts vgl Günther, Entwicklung 40—42.70 (zur urbildlichen und vorbildlichen Dignität des Christus bei A. Schweizer). 97—110 (zur Idee des Gott-Menschen bei Hegel). 148—154 (zum Verhältnis von Individuum und Gattung). 224f (zu Rothes „Zentralindividuum"). Im Gegenzug dazu, jedoch ohne die metaphysische Denkgrundlage zu verlassen, bestritt D. F. Strauß die christologische Exklusivität der Einheit von göttlicher und menschlicher Natur und setzte (mit Feuerbach?) an die Stelle Christi die Gattung der Menschheit als ganzer. „Das ist ja gar nicht die Art, wie die Idee sich realisirt, in Ein Exemplar ihre ganze Fülle auszuschütten, und gegen alle anderen zu geizen, sondern in einer Manchfaltigkeit von Exemplaren, die sich gegenseitig ergänzen, im Wechsel sich setzender und wiederaufhebender Individuen, liebt sie ihren Reichthum auszubreiten" (Leben Jesu II 734 vgl 735). Zu diesem Satz vgl Geißer, ZThK 69, 236 (bes Anm 2). 4 Das Stichwort lautete: Religion Jesu, nicht Glaube an Christus! (vgl Günther, Entwicklung 384). In eine ähnliche Richtung weisen Bemerkungen von E. Troeltsch, der das Wort „Erlöser" nicht auf Christus angewendet wissen will, weil es zu sehr nach kosmischer Umgestaltung schmeckt. „Besser heißt es: Jesus war die Möglichkeit der Erlösung. Der eigentliche Erlöser bleibt Gott" (Glaubenslehre 116, Hervorhebung von mir). Dasselbe christologische Verständnis findet sich auch bei Harnack: „Nicht der Sohn, sondern allein der Vater gehört in das Evangelium, wie es Jesus verkündigt hat, hinein"; und in diesem Sinne ist Jesus auch für spätere Zeiten der „Weg zum Vater" (Wesen des Christentums 91, beide Zitate gesperrt). „Wir lassen alles dogmatische Klügeln beiseite und überlassen es anderen, exklusive Urteile zu fällen; das Evangelium behauptet nicht, daß Gottes Barmherzigkeit auf die Sendung Jesu beschränkt sei; . . . " (Harnack, aaO 92). 5 Die „geschichtlichen Tatsachen" fungieren als (glaubensfremde) Sicherungen, welche ihrerseits noch einmal abgesichert werden, indem man sie als zu einer Geschichte sui generis gehörig von der „übrigen" Geschichte ablöst (vgl Ebeling, Wesen 21f; Bedeutung WuG I 45.49).

14

Bemerkungen zur Problemstellung

deutung des historischen Jesus für den Glauben bis hin zu einer „horizontalen Christologie", in welcher der Mensch Jesus die alleinbestimmende christologische Richtschnur ist, die verschiedensten Positionen vertreten werden. 6 Im Blick auf unsere Situation gilt uneingeschränkt die Feststellung Käsemanns, daß „die theologische Relevanz des Historischen in einem vorher ungekannten Ausmaße zu einem akuten und entscheidenden, aber im Grunde völlig unbewältigten Problem geworden ist" 7. Wer die uneingeschränkte Geltung dieser Feststellung akzeptiert, wird sich jedenfalls nicht dazu verleiten lassen, dem Historischen in der Theologie überhaupt den Abschied zu geben. Zwar ist das gegenwärtige Unbehagen gegenüber der historisch-kritischen Methode 8 eine unmittelbare Folge davon, daß das Historische in der Theologie ein unbewältigtes Problem darstellt. Man wird aber dem Unbehagen nicht gerecht, wenn man jene Methode übergeht und bei einer — wie immer gearteten — ungeschichtlichen, „alternativen" Methode Zuflucht nimmt, sei diese nun historisch-biblisch, tiefenpsychologisch oder struktural-analytisch. Dem Unbehagen wird man vielmehr gerecht, wenn man seine Ursache zu präzisieren versucht, dh wenn man das Problem der theologischen Relevanz des Historischen wenigstens als Problem zu umschreiben sich bemüht. Die Umschreibung kann beispielsweise so erfolgen, daß man sich fragt, in welcher Weise ,Jesus Kriterium der Christologie" 9 ist. Mit dem Bezug des christlichen Glaubens auf die Geschichte Jesu Christi steht die Frage nach seiner Wahrheit selbst auf dem Spiel. Fragen aber werden nicht aus der Welt geschafft, indem man ihnen den Abschied gibt, schon gar nicht die Frage nach der Wahrheit des lebendigen Gottes. Der Glaube ist indessen noch auf eine andere Weise mit der Geschichte verbunden. Nicht nur bezieht er sich auf die Geschichte Jesu Christi, sondern er vollzieht sich auch in einer konkreten ge6

Einen allerdings sehr knappen Uberblick über die gegenwärtigen Positionen bietet Schulz, historischer Jesus 21—23; vgl auch Lindemann, Jesus 56f; Käsemann, Sackgassen, EVuB II 31—68. 7 Käsemann, Sackgassen EVuB II 31 (das ganze Zitat kursiv). 8 „Die historisch-kritische Methode steht zwar prinzipiell, abgesehen von einigen Außenseitern, in Geltung. Aber faktisch wird sie doch weithin in Theologie und Kirche als lästige Störung empfunden. Man nimmt ihre Ergebnisse vielleicht zur Kenntnis, geht aber dann doch daran vorbei, statt durch sie hindurch." Diese Sätze Ebelings (Bedeutung WuG I 49, Hervorhebung von mir) aus dem Jahre 1949 (!) treffen mE unsere Situation genau. » Dazu Ebeling, Frage WuG I 301.

Der Horizont der Fragestellung

15

schichtlichen Situation. 10 Sofern der Glaube nur als ein von konkreten Menschen vollzogener Bezug auf die Geschichte Jesu Christi denkbar ist, geschieht in ihm so etwas wie eine Vermittlung zwischen jener Geschichte und der gegenwärtigen Situation. Der Glaube ist als der Lebensbezug Gottes zugleich der Gegenwartsbezug der Geschichte Jesu Christi. 11 Daraus ergibt sich die Frage, in welchem Zusammenhang denn die Geschichtlichkeit des Glaubens (die hier im Sinne seines jeweils gegenwärtigen, auf eine bestimmte Situation ausgerichteten Vollzuges verstanden wird) mit der Geschichtlichkeit der Offenbarung stehe. Ist es vielleicht so, daß der im Glauben vollzogene Eintritt in die Geschichte Jesu Christi mir den Austritt aus meiner Geschichte erlaubt? Dann wäre der Glaube ein Eiland, auf das man sich retten und so dem Fluß der Geschichte entrinnen kann. 12 Gott hätte sich dann gleichsam auf die Geschichte der Menschen eingelassen, um sie von ihr zu befreien. Schon das in diesem Satz begegnende Paradox muß zu denken geben. Und es muß erst recht zu denken geben, daß hier die Geschichtlichkeit des Glaubens nur noch uneigentlich verstanden wird, sofern es bei ihr nur noch um je verschiedene Weisen des Austritts aus der Geschichte geht. Indessen ist selbst in der Bedenklichkeit jenes Standpunktes noch offensichtlich, daß die Geschichtlichkeit der Offenbarung aufs engste mit der Geschichtlichkeit des Glaubens zusammenhängt. Wird nämlich das Historische (also: der irdische Jesus) ins Übergeschichtliche der Offenbarung (also: in den kerygmatischen Christus) aufgehoben, so ist die Verbindung zwischen Glaube und Geschichte auch in dem Sinne abgebrochen, daß der Glaube zum bloßen Austritt aus der gegenwärtigen Geschichte wird. 13 Wird andererseits das 10 Darum ergibt sich mit Notwendigkeit „die Frage nach Recht und Grenzen des Zeitgemäßen in der Theologie" (Ebeling, Bedeutung WuG 1 1 2 , Hervorhebung von mir). Wie verhält sich die „endgültige" Wahrheit Gottes, welche im Glauben auf die konkrete (geschichtliche) Situation b z w auf das Leben bezogen wird, zu eben dieser Situation? 11 Daran ist unbedingt festzuhalten, insbesondere im Gegenzug zur weit verbreiteten Meinung, wonach erst die Praxis des Glaubenden den Lebensbezug Gottes und also seinen Gegenwartsbezug darstellt. Zum Problem vgl Mostert, ZThK 75, 2 3 4 . 2 4 2 f . 2 4 9 . 12 Dazu vgl Ebeling, Wesen 21. Zu Unrecht wird dies oft Bultmanns Begriff der „Entweltlichung" unterschoben. 13 Dieser Zusammenhang wird anschaulich, wenn man sich die korinthischen Enthusiasten vor Augen hält: der pneumatische, von jeder historischen Existenz abgelöste Christus wurde in der Gemeinde (zB im Herrenmahl und den Geisterfahrungen) als so gegenwärtig geglaubt, daß man „am Leben des auferstandenen Herrn uneingeschränkt Anteil" zu haben meinte und der Ansicht

16

Bemerkungen zur Problemstellung

Ubergeschichtliche der Offenbarung auf das Historische reduziert, so ist der Glaube seines Gottesbezuges beraubt und der Glaubende bleibt unter dem Zwang zur Geschichte verschlossen. 14 Es wird also alles darauf ankommen, die theologische Relevanz des Historischen so zur Sprache zu bringen, daß die an Jesus orientierte Rede von Gott die Geschichte Jesu nicht dadurch überspringt, daß diese für die Rede von Gott entweder unerheblich oder zu einer bloß formalen Voraussetzung 15 gemacht wird. Dann wäre der Glaube in der Tat ein Eiland und würde insofern die Geschichte der Welt überspringen. Andererseits kommt alles darauf an, die theologische Relevanz des Historischen so zur Sprache zu bringen, daß die Rede von Gott nicht im Historischen aufgeht, indem die Geschichte Jesu

war, „daß man in diesem Geschehen schon am Ende aller Geschichte sei" (Jüngel, Schritt 270). Gegen diese Enthusiasten verkündigte Paulus den Tod des Herrn. „Wer den Tod des auferstandenen Herrn überspringt, überspringt den irdischen Jesus und damit die Geschichte der Welt" (Jüngel, ebd, zweite Hervorhebung von mir). Wer die Geschichte der Welt überspringt, indem er sich schon an ihrem Ende wähnt, ist aus ihr ausgetreten. Zum Problem vgl auch Wilckens, Weisheit 20f. 14 „Der als Ereignis der Nähe Gottes zur Geschichte verstandenen Näherung Gottes zur Geschichte der Menschen, . . . , entspricht eine Näherung der Menschen zur Geschichte, insofern die Näherung Gottes die Sünde als Zwang zur Geschichte aus dem Bezug zur Geschichte e n t f e r n t " (Jüngel, Paulus und Jesus 288, Hervorhebung von mir). Zu vergleichen sind die ebd Anm 2 gemachten Überlegungen zum Begriff der „Entweltlichung" (Bultmann). Jedenfalls ist die Befreiung vom Zwang zur Geschichte nur insofern wahr, als die Geschichte Jesu Christi „eschatologisch", dh als Geschichte der Näherung Gottes zur Geschichte verstanden wird. ls In diese Richtung weist Bultmanns Konzeption, die mit dem Stichwort „ F a k t u m " zusammengefaßt werden kann: „Man könnte sagen: dadurch, daß Paulus das Faktum der Geschichtlichkeit Jesu und seines Kreuzestodes mit dem Messiasgedanken vereinigen muß, hat er den jüdischen Messiasbegriff weiter entwickelt, umgestaltet" (Bedeutung GuV I 209, erste Hervorhebung von mir). „Paulus fand die Bereitschaft dazu (sc „ein kontingentes Faktum, eine geschichdiche Person als Messias anzuerkennen"), u n d insofern ist seine Christologie konsequent jüdisch, aber nicht als die ideelle Entwicklung des jüdischen Messiasglaubens, sondern als sein wirklicher Vollzug in der Anerkennung eines puren Faktums" (Bultmann, aaO 210, Hervorhebung von mir; vgl aaO 211: „ D a ß " ; 213: „Christi ύπακοή aber ist das Faktum seiner geschichtlichen Person zu unserem Dienst "). „Tod und Auferstehung Jesu ist also das Entscheidende, ja im Grunde das Einzige, was für Paulus an der Person und dem Schicksal Jesu wichtig ist, — einbegriffen ist dabei die Menschwerdung und das Erdenleben Jesu als Tatsache, d.h. in ihrem D a ß ; — in ihrem Wie nur insofern als Jesus ein konkreter, bestimmter Mensch, ein J u d e , war έι> όμοιώματι άνθρώπων γενόμενος και σχήματι ευρεθείς ώ ς 'άνθρωπος (Phi 2,7), •γενόμενος έκ γυναικός, γενόμενος υπό νόμος (Gl 4,4)" (Theologie 293).

Der Horizont der Fragestellung

17

zum einzig Maßgebenden für die Rede von Gott wird. Dann wäre der Glaube ein Glaube an eine Geschichte und bliebe erst recht unter dem Zwang zur Geschichte verschlossen. Mit der Näherbestimmung der theologischen Relevanz des Historischen wird es also zusammenhängen, wie die Frage nach der Distanz des Glaubens zur Geschichte und die Frage nach seiner Angewiesenheit auf Geschichte zu beantworten sein wird. Im Blick auf dieses Problem ist es lohnend, dem theologischen Stellenwert des Kreuzes Jesu bei Paulus nachzudenken. Im Anschluß an die beiden eben vollzogenen Gedankengänge ist es evident, daß Glaube und Geschichte noch auf eine dritte Weise miteinander verbunden sind. Wenn der Glaube an die Geschichte Jesu Christi als die Geschichte Gottes verwiesen und insofern auf die jeweilige geschichtliche Situation, in der er sich vollzieht, bezogen ist, dann ist der Glaube selbst als ein geschichtlich denkender bestimmt. 16 Demnach wird eine Theologie, die dem Glauben nachdenkt 17 , nicht nur die Geschichtlichkeit der Offenbarung und die Bezogenheit der Offenbarung auf die jeweilige Geschichte der Welt zu respektieren haben, sondern sie wird auch das Verhältnis zwischen dieser Bezogenheit und der Offenbarung geschichtlich denken wollen. Mit anderen Worten gesagt: der geschichtliche Charakter der Vergegenwärtigung des Offenbarungsgeschehens wirkt sich aus in einer bestimmten Grundform des theologischen Denkens. Diese Grundform ist in der Kategorie der „Auslegung"1* strukturell erfaßt. Die Kategorie 16

So wenig es eine theologia perennis geben kann (Ebeling, Bedeutung WuG I 11), so wenig gibt es eine fides perennis. „Nach reformatorischem Verständnis sind sowohl die Offenbarung wie der Glaube in ihrer echten Geschichtlichkeit entdeckt, und das heißt allerdings: Der Glaube ist der ganzen Anfechtbarkeit und Zweideutigkeit des Historischen preisgegeben. Nur so u n d nur darum kann es im Glauben und nur im Glauben zur echten Begegnung mit der geschichtlichen Offenbarung k o m m e n " (Ebeling, aaO 45). Im Sinne einer Zuspitzung des bei Ebeling Gesagten darf vielleicht ergänzt werden: weil und sofern die Offenbarung dem Menschen als geschichtliche begegnet, schafft sie bei ihm den Glauben als eine geschichtliche Weise der Entsprechung zu ihr und läßt den Menschen dadurch auch ein geschichtliches Verhältnis zu seiner Welt gewinnen. Gott selbst schafft den ihm gemäßen Bezug zu ihm und damit einen der Welt entsprechenden Weltbezug des Glaubens. 17 Zum Verhältnis von Theologie und Glaube vgl Jüngel, Gott 305—315, bes 310: „Das Denken wiederum kann, wenn es wirklich Gott denken will, nur so vorgehen, daß es dem Glauben nachdenkt" (Hervorhebung von mir). Zum Nachdenken des Glaubens gehört dann aber, daß auch dem Verweisungsbezug des Glaubens nachgedacht wird. 18 „Denn in der Kategorie der / Auslegung ist die Geschichtlichkeit der Vergegenwärtigung des Offenbarungsgeschehens strukturell e r f a ß t " (Ebeling, Bedeutung WuG I 24f, Hervorhebung von mir). 2 Weder, Kreuz

18

Bemerkungen zur Problemstellung

der „Auslegung" ist zu konkretisieren im Blick auf die Methodik theologischen Denkens, insbesondere auf die Methodik der biblischen Disziplinen. 19 Sie ist femer zu konkretisieren im Blick auf die Wahl der Sprachformen, in welchen die Auslegung der Geschichte Jesu Christi zu geschehen hat. Sofern sich bereits die Schriften des Neuen Testaments mit eben jener Auslegung beschäftigen, stellen sie gleichsam Vorlagen dar, im Anschluß an welche und in kritischer Auseinandersetzung mit welchen die gegenwärtig zu betreibende Auslegung entwickelt werden kann. Die Kreuzestheologie des Paulus wird im folgenden als eine solche Vorlage betrachtet, so daß es möglich sein wird, aus ihr auch methodologische und hermeneutische Schlüsse zu ziehen. Die Tatsache, daß nicht nur der Glaube ein intimes Verhältnis zur Geschichte hat, sondern daß auch seine Denkweise, eben die geschichtliche, nicht beziehungslos zu andern gegenwärtig vorkommenden geschichtlichen Verstehensweisen sein wird, läßt es ratsam erscheinen, sich (im exemplarischen Sinne) mit der Denkweise der sogenannten profanen Geschichtswissenschaft zu beschäftigen. Dies ist nicht nur deshalb ratsam, weil die Entstehung der historischkritischen Denkweise in der Theologie aufs engste mit der Entstehung des historischen Bewußtseins der Neuzeit verbunden ist, sondern auch deshalb, weil die Frage nach Einheit und Differenz der Weisen, in welchen sich der Theologe und der Historiker auf Geschichte beziehen, eine sowohl theologisch wie auch hermeneutisch aufschlußreiche Frage ist. Theologisch aufschlußreich ist die Frage, weil sich beim Versuch ihrer Beantwortung zeigt, inwiefern ein Bezug auf Geschichte, der zugleich die Differenz von Gott und Geschichte wahren will, sich von einem Bezug auf Geschichte 19

In diesem Zusammenhang geht es Ebeling insbesondere um die historischkritische Methode. „Es führt nur zur Verschleierung der Problemlage, wenn man die historisch-kritische Methode für eine rein formale, voraussetzungslose wissenschaftliche Technik hält, . . . " (Ebeling, aaO 28). Bei ihr handelt es sich vielmehr um eine Denkweise, die hervorgewachsen ist aus dem geistesgeschichtlichen Umbruch der Neuzeit und die „wesenhaft verbunden (ist) mit Sachkritik" (aaO 29). Sie ist insofern eine geschichtliche Denkweise, als sie nicht nur die Geschichtlichkeit ihres „Gegenstandes" respektiert, sondern auch das „Wirklichkeitsverständnis" (vgl Ebeling, ebd) der Neuzeit in die Beschäftigung mit dem Offenbarungsgeschehen einbringt (Verbindung zur Philosophie als Repräsentanz von Welt). Die historisch-kritische Methode wird verkannt, wenn sie als Angelegenheit der einzelnen (historischen) Disziplinen betrachtet wird und also nicht zu gesamttheologischer und kirchlicher Ausweitung kommt (Ebeling, aaO 49!). Zum Ganzen vgl Stuhlmacher, Historische Kritik 61.98. 101-106.113.120-125.

Der Horizont der Fragestellung

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unterscheidet, der jene Differenz per definitionem unberücksichtigt läßt. Hermeneutisch aufschlußreich ist die Frage, weil der Versuch ihrer Beantwortung auf Beziehungsbereiche zwischen theologischer und historischer Denkweise aufmerksam macht und also zur besseren Verständlichkeit der ersteren beiträgt. Kam bisher gleichsam die Innenseite des Glaubens zur Sprache, so gilt es jetzt, auch die außenseitigen Problemaspekte zu skizzieren. Die gegenwärtige geistesgeschichtliche Situation, die den christlichen Glauben gerade aufgrund seiner eigenen Bezogenheit auf sie in eminenter Weise betrifft, ist gekennzeichnet durch die neuzeitliche Religionskritik einerseits und durch das Ende der neuzeitlichen Metaphysik andererseits. Diese beiden Bewegungen geben — wie sogleich ersichtlich sein wird — dem Glauben noch einmal das Problem auf, sein Verhältnis zur Geschichte zu bestimmen. Im Blick auf die Religionskritik der Neuzeit läßt sich grundsätzlich feststellen, daß es ihr radikal um die Bestreitung der Wahrheit des Glaubens geht. Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Herkunft (also der Entstehung) des Glaubens, sondern auch hinsichtlich seiner Lebensform, dh. hinsichtlich der Existenzweise des Glaubenden. Bestritten wird also nicht nur Wahrheit, sondern auch Wahrhaftigkeit, haftigkeit. Ludwig Feuerbach, dem Theologen unter den Religionskritikern, geht es in seiner Kritik nicht um die Abschaffung der Theologie, sondern um ihre Verwesentlichung: die Theologie muß endlich zu ihrem wahren Wesen kommen. 2 0 Weil es nach Feuerbach keinen Unterschied gibt zwischen dem göttlichen und dem menschlichen Subjekt 21 , geht es ihm um den Fortschritt von der Theologie zur Anthropologie. 22 Die Rede von Gott muß zur Rede vom Menschen 20

Feuerbach, Wesen 36: „was der Mensch von Gott aussagt, das sagt er in Wahrheit von sich selbst aus" (Hervorhebung gesperrt); vgl ferner die Uberschrift zum ersten Teil: „Das wahre, d.i. anthropologische Wesen der Religion" (S 41); ferner Barth, Geschichte 485: „Das Feuerbachsche Pathos ist positiv. Ein Magnifikat will auch er anstimmen." 21 Jüngel, Gott 191. Der Unterschied zwischen göttlichem und menschlichem Subjekt ist in Wahrheit der „Gegensatz zwischen dem menschlichen Wesen und dem menschlichen Individuum" (Feuerbach, Wesen 17, Hervorhebung von mir). 22 „Der nothwendige Wendepunkt der Geschichte ist daher dieses offene Bekenntniss und Eingeständniss, dass das Bewusstsein Gottes nichts Anderes ist als das Bewusstsein der Gattung, dass der Mensch sich nur über die Schranken seiner Individualität oder Persönlichkeit erheben kann und soll, aber nicht über die Gesetze, die Wesensbestimmungen seiner Gattung, daß der Mensch kein anderes als absolutes, als göttliches Wesen denken, ahnen, vorstellen,

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werden, damit sie zeitgemäße und wahre Rede sei. Sofern in dieser R e d e v o m Menschen zwar der empirische Mensch überstiegen wird, nicht aber der Mensch als G a t t u n g s w e s e n 2 3 , k o m m t der fortschrittlichen theologischen R e d e zwar ein Extra-nos-Charakter im Blick auf den einzelnen Menschen zu, nicht aber ein solcher im Blick auf die Gattung Mensch. H a t t e die traditionelle (philosophische und christliche) Theologie G o t t als das E x t r a - n o s schlechthin verstanden, so sieht F e u e r b a c h darin die h ö c h s t e S e l b s t e n t f r e m d u n g 2 4 und insofern ein Selbstmißverständnis des Menschen, das seinesgleichen sucht. F e u e r b a c h kann daher die ganze bisherige Geschichte des Glaubens n u r als Geschichte menschlicher Selbst-Entzweiung qualifizieren. U n d folgerichtigerweise kann er einen Glauben, der G o t t e s Offenbarung mit der Geschichte J e s u Christi in Z u s a m m e n h a n g bringt, nicht anders beurteilen denn als Aberglauben und Sophi25 stik. In diesem Zusammenhang wehrt sich F e u e r b a c h gegen den kritischen, zwischen Menschlichem und G ö t t l i c h e m unterscheidend e n 2 6 Umgang mit der Offenbarungsurkunde, der Bibel, und befühlen, / glauben, wollen, lieben und verehren kann als das menschliche Wesen" (Feucrbach, aaO 325f, Hervorhebungen gesperrt). Daß der Mensch als Mensch nichts anderes kann, scheint evident zu sein; was aber, wenn Gott sich zu ihm herabgelassen hätte? 2 3 Vgl das Zitat oben Anm 22 und Feuerbach, aaO 17; sowie Jüngel, Gott 194: „Als Gattungswesen ist das Ich der Grenzwert des Denkens. Dieser Grenzwert heißt für Feuerbach Gott." 2 4 „Die Religion ist die Entzweiung des Menschen mit sich selbst·, er setzt sich Gott als ein ihm entgegengesetztes Wesen gegenüber. . . . Es muss also nachgewiesen werden, dass dieser Gegensatz, dieser Zwiespalt von Gott und Mensch, womit die Religion anhebt, ein Zwiespalt des Menschen mit seinem eigenen Wesen ist" (Feuerbach, aaO 41, Hervorhebung gesperrt). Feuerbach bestreitet das Extra-nos Gottes durch die fundamentale Bestimmung des religiösen Gegenstandes: „Der sinnliche Gegenstand ist ausser dem Menschen da, der religiöse in ihm, ein selbst innerlicher, . . . " (aaO 15, Hervorhebung gesperrt). Damit kann Gott (als religiöser Gegenstand) ein Extra-nos auch dann nicht sein, wenn er als in der Geschichte handelnder Gott geglaubt wird (vgl dazu unten S. 21 Anm 27-29). 2 5 Feuerbr\ch geht aus von der Vorstellung einer bestimmten, zeitlichen Offenbarung („ein für alle Mal anno so und so viel", aaO 253) gegenüber bestimmten, beschränkten Individuen. Das impliziert, daß die Offenbarung schriftlich aufbewahrt werden muß. Deshalb ist der Glaube an diese „zugleich, wenigstens für Spätere, der Glaube an eine schriftliche Offenbarung; die nothwendige Folge und Wirkung aber eines Glaubens, in welchem ein historisches, ein nothwendig unter allen Bedingungen der Zeitlichkeit und Endlichkeit verfasstes Buch die Bedeutung eines ewigen, absolut, allgemein giltigen Wortes hat — Aberglaube und Sophistik" (aaO 253, Hervorhebung gesperrt). 2 6 Fcuerbach, ebd: Die Unterscheidung zwischen Göttlichem und Menschlichem trägt das „Urtheil des Unglaubens, dass die Bibel kein göttliches Buch ist, schon

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zieht Stellung für die Inspirationslehre: „Aberglaube ist allerdings solcher Glaube; aber dieser Aberglaube ist nur der wahre, unverstellte, offene, seiner Consequenzen sich nicht schämende Glaube."21 Weil der Verstand eines in solcher Weise Glaubenden wehrlos dem Zufall, der „allerschlechtesten Empirie" preisgegeben ist, weil er „der gehorsame Diener des göttlichen Herrn" ist, bleibt ihm nichts übrig als „zufälliges, indifferentes, d.i. wahrheitsloses, sophistisches, intriguantes Denken" 2 8 . Bei aller hier feststellbaren Unangemessenheit des Umgangs mit der Bibel ist dennoch daraus der wichtige Hinweis zu entnehmen, daß der Glaube, der Gott mit der Geschichte Jesu Christi in Zusammenhang bringt, jedenfalls das Denken zu einer Neubewertung des Zufälligen anhält. Wer allerdings mit Feuerbach dem Zufälligen nur dann einen Sinn abgewinnen kann, wenn es ins Allgemeine aufgehoben worden ist, indem er Feuerbachs Verhältnisbestimmung von Individuellem und Allgemeinem teilt, der wird mit dem „Zufall" der Geschichte Jesu Christi theologisch wenig anzufangen wissen. Feuerbach gelingt es, seine Negation des Extra-nos Gottes 2 9 auch im Blick auf die Offenbarung als eine „äussere, historische Thatsache" 30 durchzuführen. Dies geschieht auf der einen Seite durch einen allgemeinen Begriff von Tatsache: „Thatsache ist Alles, was nicht bezweifelt wird, aus dem einfachen Grunde, weil es nicht bezweifelt wird,

in die Bibel" hinein (Hervorhebung gesperrt). Feuerbach wehrt sich hier bezeichnenderweise gegen die damalige Weise des geschichtlichen Verstehens im Interesse des Glaubens, um damit um so leichter das Thema der geschichtlichen Tatsachen beiseiteschieben zu können. Dies läßt vermuten, daß zwischen dem geschichtlichen Verstehen der Offenbarung Gottes u n d dem Glauben an diese als Extra-nos eine enge Verbindung besteht. 27 Wesen 254. Diese Stellungnahme erfolgt aufgrund eines metaphysischen Postulats, nämlich daß durch die kritische Unterscheidung von Menschlichem und Göttlichem die Bibel „verstoßen (ist) in die Klasse der profanen Bücher", sofem jedes Buch „neben oder im Menschlichen Göttliches, d.h. neben oder im Individuellen Allgemeines und Ewiges enthält". „Ein wahrhaft gutes oder vielmehr göttliches Buch ist aber nur ein solches, wo nicht Einiges gut, Anderes schlecht, Einiges ewig, Anderes zeitlich, sondern wo Alles wie aus einem Gusse, Alles ewig, Alles wahr und gut ist" (Feuerbach, ebd). Da dies im Falle der Bibel offensichtlich nicht zutrifft, wie j a gerade der kritische Umgang mit ihr vonseiten der Theologen zeigt, ist der Glaube an die Bibel im Sinne der vollkommenen Inspiration zwar ein konsequenter Glaube, aber dennoch ein Aber-Glaube. 28 Feuerbach, aaO 256. 29 In Feuerbachs Terminologie: „objectiver G o t t " (aaO 246). 30 Feuerbach, ebd.

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nicht bezweifelt werden soll." 31 „Thatsache ist sinnliche Gewalt, kein Grund, Thatsache passt auf die Vernunft, wie die Faust aufs Auge." 3 2 Feuerbach relativiert zunächst die Berufung auf Tatsachen, indem er den Blick von ihnen weg auf die Geltung der Tatsachen richtet. 33 So gesehen ist die Tatsächlichkeit selbst nicht von Bedeutung, sondern lediglich, daß die Tatsachen nicht bezweifelt werden. Erst die unbezweifelbare Geltung macht die Tatsache zu einer Tatsache. 34 Unbezweifelt gelten läßt das religiöse Gemüt 35 jedoch nur, was seine eigenen Bewegungen und Bestimmungen sind. Diese als solche zu erkennen, ist das religiöse Gemüt „seiner bisher entwikkelten Natur zufolge" 3 6 nicht in der Lage, sondern es faßt sie als Eindrücke von außen, Erscheinungen eines anderen Wesens auf. Deshalb gilt: „So geht auch in der Offenbarung der Mensch nur von sich fort, um auf einem Umweg wieder auf sich zurückzukommen! So bestätigt sich auch an diesem Gegenstand aufs schlagendste, dass das Geheimniss der Theologie nichts Anderes als die Anthropologie ist!" 3 7 Dieser Beweisgang Feuerbachs zeigt mit aller Deutlichkeit, daß ein Glaube, der sich auf die Geschichte Christi beruft, sich die Frage gefallen lassen muß, ob die Geltung, die er jener Geschichte beimißt, durch sie selbst begründet ist oder ob sie nur seinem Bedürfnis nach Sicherheit entspringt. Also: der Glaube an Jesus Christus wird sich die Frage gefallen lassen müssen — mehr noch: er wird alles Interesse an ihr haben —, inwiefern er sich zu Recht 31

Feuerbach, aaO 248. Damit wird der Tatsachenbegriff von vornherein im „Gemüthe" des Menschen verankert; er wird radikal subjektiviert. 32 Feuerbach, aaO 247. Die Tatsache wird hier als etwas Widervernünftiges definiert, damit sie mit umso größerer Leichtigkeit von der Vernunft ferngehalten werden kann. 33 Durch die mit dem Begriff der Geltung geleistete Ineinssetzung von Tatsache und Vorstellungen der Religionen (Feuerbach, aaO 247) verwischt Feuerbach die entscheidende Differenz zwischen beiden und kann dann (rhetorisch) fragen: „Galten nicht auch die lächerlichsten Mirakelgeschichten der Heiden für Facta?" (ebd). 34 Die Geltung wird daraus abgeleitet, daß eine Tatsache faktisch nie bezweifelt worden ist (Feuerbach, aaO 248). Der Geltungsbegriff wird dadurch subjektiviert, mit dem Erfolg, daß damit auch die Tatsache ihres objektiven Aspekts beraubt wird. 35 „Dem religiösen Gemüth ist eine an sich theoretische Sache eine praktische, eine Gewissenssache — eine Thatsache" (Feuerbach, aaO 247). Die Vernunft indessen beschäftigt sich per definitionem nicht mit Unbezweifelbarem. 36 Der hier anklingende Gesichtspunkt des Fortschritts (Feuerbach, aaO 248) steht im Zusammenhang mit dem „Wendepunkt" von Theologie zu Anthropologie (vgl oben S. 19f Anm 22). « Feuerbach, aaO 250.

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auf die Geschichte Jesu beruft. Mit der Antwort auf diese Frage wird zugleich über die Wahrheit der Rede vom Extra-nos Gottes entschieden. Karl Marx lieferte für die Religion eine geschichtliche Erklärung, die zugleich ihre Aufhebung bedeutet: die Religion ist der Heiligenschein des (weltlichen) Jammertales 38, ein verkehrtes Weltbewußtsein, produziert durch eine verkehrte Welt 39 , illusorisches Glück, entstanden infolge Abwesenheit von wirklichem Glück. 40 „Das Fundament der irreligiösen Kritik ist: Der Mensch macht die Religion, die Religion macht nicht den Menschen." 41 Im Unterschied zu Feuerbach, für den „der Mensch" das allgemeine, die individuellen Menschen übersteigende Gattungswesen bedeutet, denkt Marx den Menschen gesellschaftlich. 42 Die Gesellschaft produziert Religion, „ein verkehrtes Weltbewußtsein, weil sie eine verkehrte Welt" ist. 43 Die Unwahrheit der Religion besteht also nicht nur darin, daß in ihr Aussagen, die über den Menschen zu machen wären, für Aussagen über Gott ausgegeben werden, sondern darin, daß die Religion als Selbstbewußtsein und Selbstgefühl des Menschen sein verkehrtes We/ibewußtsein darstellt. Deshalb geht es nicht darum, die Anthropologie als das Geheimnis der Theologie zu entdecken; die Religion muß vielmehr, weil sie das illusorische Glück des Volkes ist, aufgehoben werden, damit die Forderung des wirklichen Glücks gestellt werden kann. 44 Die Funktion der Reli38 „Die Kritik der Religion ist also im Keim die Kritik des Jammertales, dessen Heiligenschein die Religion ist" (Marx, Kritik 379). 39 „Dieser Staat, diese Sozietät produzieren die Religion, ein verkehrtes Weltbewußtsein, weil sie eine verkehrte Welt sind" (Marx, aaO 378). 40 „Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks" (Marx, aaO 379). 41 Marx, aaO 378. 42 „Aber der Mensch, das ist kein abstraktes, außer der Welt hockendes Wesen. Der Mensch, das ist die Welt des Menschen, Staat, Sozietät" (ebd). An die Stelle des Feuerbachschen Extra-nos des Gattungswesens setzt Marx das Extranos der Verhältnisse, deren Produkt und Hersteller zugleich der Mensch ist. 43 Marx, aaO 378. 44 Damit ist die Kritk der Religion, die nach Marx für Deutschland „im wesentlichen beendigt" ist, als die Voraussetzung für die Kritik (und die Veränderung!) der verkehrten Welt herausgestellt: „die Kritik der Religion ist die Voraussetzung aller Kritik" (Marx, aaO 378). Dies gilt insofern, als der Mensch, „der in der phantastischen Wirklichkeit des Himmels, wo er einen Übermenschen suchte, nur den Widerschein seiner selbst gefunden hat", nicht mehr geneigt sein wird, „nur den Schein seiner selbst, nur den Unmenschen zu finden, wo er seine wahre Wirklichkeit sucht und suchen muß" (ebd). Aus diesem Grunde ist der „Kampf gegen die Religion . . . mittelbar (Hervorhebung von mir) der Kampf gegen

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gion besteht — etwas zugespitzt gesagt — ausschließlich in ihrer Aufhebung. Das mag für den Menschen enttäuschend sein, diese Enttäuschung aber kann ihm nicht erspart werden, damit er nicht länger an eine um ihn sich bewegende illusorische Sonne glaube und sich um sich selbst bewege. 45 Wenn der Glaube aus der Geschichte abgetreten ist, kommt diese erst zu ihrer wahren Aufgabe: „Es ist also die Aufgabe der Geschichte, nachdem das Jenseits der Wahrheit verschwunden ist, die Wahrheit des Diesseits zu etablieren." 46 An diesem in mancherlei Hinsicht überaus bemerkenswerten Satz wird mit einem Schlage deutlich, was mit der Wahrheit des Glaubens auf dem Spiele steht. Mit aller Schärfe hat Marx den Zusammenhang zwischen dem Jenseits der Wahrheit und der Wahrheit des Diesseits erkannt: sollte das Jenseits der Wahrheit, an die der Glaube glaubt, eine Illusion sein, dann bleibt dem enttäuschten Menschen nichts anderes übrig, als die Wahrheit des Diesseits zu etablieren. Der Mensch, dem der Glaube an das Jenseits der Wahrheit abhanden gekommen ist, kann sich fortan nur noch so auf die Geschichte beziehen, daß er ihr Subjekt zu sein beansprucht. Und er muß sich so auf die Geschichte beziehen, daß er sie — sich selbst und sein Diesseits zur Wahrheit bringend — zum Ort der Verwirklichung, zum Ort der Herstellung seiner eigenen Wahrheit macht. Dieser von Marx angesprochene Zusammenhang stellt sich im Blick auf unsere Fragestellung folgendermaßen dar: sollte in der Geschichte Jesu Christi, auf die der Glaube sich bezieht, Gott nicht zum Zuge gekommen sein, dann ist es um das Jenseits der Wahrheit geschehen, und es bleibt dem Glauben nichts anderes zu tun, als seine Wahrheit im Diesseits herzustellen. Der Mensch kann sich dann höchstens noch insofern auf die Geschichte Jesu Christi beziehen, als er selbst, kraft seiner eigenen Macht und Fähigkeit, jene in seiner jeweiligen Geschichte zum Leitfaden für die Hersteljene Welt, deren geistiges Aroma die Religion ist" (ebd). Vgl auch das Zitat oben S. 23 Anm 38. 45 Die Religionskritik hat die „imaginären Blumen" an der Kette zerpflückt, damit der Mensch diese Kette abwerfe. „Die Kritik der Religion enttäuscht den Menschen, damit er denke, handle, seine Wirklichkeit gestalte wie ein enttäuschter, zu Verstand gekommener Mensch, damit er sich um sich selbst und damit um seine wirkliche Sonne bewege. Die Religion ist nur die illusorische Sonne, die sich um den Menschen bewegt, solange er sich nicht um sich selbst bewegt" (Marx, aaO 379). Bemerkenswert sind hier die Anspielungen an die kopernikanische Wende im Weltbild, in Analogie zu welcher Marx offenbar die gegenwärtig ablaufenden geistesgeschichtlichen Prozesse versteht. Vgl dazu die Rede vom „Wendepunkt" bei Feuerbach, oben S. 19f Anm 22. « Marx, aaO 379.

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lung der Wahrheit des Diesseits macht. Damit bezieht sich der Mensch nicht mehr als Glaubender auf diese und jene Geschichte, sondern — auch in diesem Sinne um sich selbst kreisend — ausschließlich als Handelnder. Unsere Beschäftigung mit der Kreuzestheologie des Paulus geschieht demnach auch mit dem Interesse, den Zusammenhang zwischen dem Jenseits der Wahrheit und der Wahrheit des Diesseits noch zu präzisieren: es wird zu fragen sein, mit welchem Recht im Kreuzestod Jesu Gott verkündigt wird, welche Konsequenzen das im Blick auf die Aufgabe des Menschen in seiner Geschichte hat, und schließlich, ob der Glaube an das Jenseits der Wahrheit oder die glaubenslose Herstellung der Wahrheit des Diesseits sowohl dem Diesseits wie auch dem sich darauf beziehenden Menschen besser gerecht zu werden vermag. Sigmund Freud hat — gemäß seinem eigenen Verständnis — der Kritik seiner großen Vorgänger bloß etwas psychologische Begründung zugefügt. 47 Die neue (psychologische) Begründung der Religionskritik besteht darin, daß die Entstehung des Glaubens in einer Weise erklärt wird, die an seiner Wahrheit Zweifel aufkommen läßt: von ihrer „psychische(n) Genese" aus betrachtet sind die „religiösen Vorstellungen" „Illusionen, Erfüllungen der ältesten, stärksten, dringendsten Wünsche der Menschheit" 48 . Als Illusionen sind sie weder „Niederschläge der Erfahrung" noch „Endresultate des Denkens" 4 9 . Sie verdanken sich vielmehr dem Wunsch des Menschen, seiner Hilflosigkeit zu entrinnen. 50 Im Sinne einer präziseren Defi47

Freud, Illusion 358: „Ich habe bloß — dies ist das einzig Neue an meiner Darstellung — der Kritik meiner großen Vorgänger etwas psychologische Begründung hinzugefugt." Und etwas später heißt es: „Alles, was ich hier gegen den Wahrheitswert der Religionen gesagt habe, brauchte die Psychoanalyse nicht, ist lange vor ihrem Bestand von anderen gesagt worden" (aaO 360). Dessen ungeachtet hält Freud es für möglich, „aus der Anwendung der psychoanalytischen Methode ein neues Argument gegen den Wahrheitsgehalt der Religion" zu gewinnen (ebd, Hervorhebung von mir). 48 Freud, aaO 352. Diese Aussage stellt die religionskritische Spitze in Freuds Denken dar (dazu Scharfenberg, Freud 145). Auf sie ist auch dann einzugehen, wenn Freud später seinen eigenen Ansatz relativiert haben sollte (vgl Scharfenberg, aaO 1 5 0 - 1 5 4 ) . 49 Freud, aaO 352: „Diese, die sich als Lehrsätze ausgeben, sind nicht Niederschläge der Erfahrung oder Endresultate des Denkens, es sind Illusionen, Erfüllungen der ältesten, stärksten, dringendsten Wünsche der Menschheit; das Geheimnis ihrer Stärke ist die Stärke dieser Wünsche" (Hervorhebung von mir). Zum Zusammenhang zwischen Wunscherfüllung, Traum und Bewältigung der Sinnenwelt vgl Scharfenberg, aaO 145 f. 50 Freud bringt als Beispiel die kindliche Hilflosigkeit, welche das „Bedürfnis nach Schutz — Schutz durch Liebe —" erweckt. Die Erkenntnis, daß diese

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nition des Illusionsbegriffs setzt Freud die Illusion sowohl vom „Irrtum" wie auch von der „Wahnidee" ab: der erstere ist eine unzutreffende Annahme über die Realität, wobei in dieser Annahme die Wünsche keinen Anteil haben; die letztere ist wesentlich ein „Widerspruch gegen die Wirklichkeit", „unrealisierbar"51. Die Illusion dagegen ist gekennzeichnet dadurch, daß sich in ihrer „Motivierung die Wunscherfüllung vordrängt" und daß sie selbst auf „Beglaubigungen" anhand der Realität verzichtet, ohne jedoch notwendig im Widerspruch zu ihr zu stehen. 52 Kennzeichnend für einen solchen Glauben ist es also, daß er die Realität übergeht: dies gilt sowohl im Blick auf seine Entstehung (er verdankt sich wesentlich den Wünschen) als auch im Blick auf seine Lebensform (er läßt sich nicht auf die ihn umgebende Wirklichkeit ein, sondern vollzieht einen Rückzug aus ihr in die Welt der Wünsche 53 ). Hier wird also zuHilflosigkeit während des ganzen Lebens fortdauert, „hat das Festhalten an der Existenz eines — aber nun mächtigeren Vaters — verursacht" (aaO 352). Der nicht mit dem bittersüßen Gift der Religion versehene Mensch wird „sich seine ganze Hilflosigkeit, seine Geringfügigkeit im Getriebe der Welt eingestehen müssen, nicht mehr der Mittelpunkt der Schöpfung, nicht mehr das Objekt zärtlicher Fürsorge einer gütigen Vorsehung" (aaO 373). Die Frage ist allerdings, ob nicht gerade dieses Eingeständnis in der Gestalt eines noch subtileren, noch besser verschleierten Kraftaktes geradezu religiösen Ausmaßes des Menschen wahre Beziehung zur „Wirklichkeit" verhindern wird. Verhält sich denn die säkulare, vom bittersüßen Gift befreite Menschheit im Sinne jenes Eingeständnisses? 51 Freud, aaO 353. Es war ein Irrtum, wenn Aristoteles (?) meinte, Ungeziefer entwickle sich aus Unrat. „Dagegen war es eine Illusion des Kolumbus, daß er einen neuen Seeweg nach Indien entdeckt h a b e " (ebd). 52 Es geht hier um die Frage der Wahrscheinlichkeit: „Daß der Messias kommen u n d ein goldenes Zeitalter begründen wird, ist weit weniger wahrscheinlich (sc als daß ein Bürgermädchen von einem Prinzen gefreit wird); je nach der persönlichen Einstellung des Urteilenden wird er diesen Glauben als Illusion oder als Analogie einer Wahnidee klassifizieren" (aaO 353). Der Urteilsstandpunkt über die Wahrscheinlichkeit ist allerdings die (je gegenwärtige) Wirklichkeit bzw das Verständnis von ihr. „Wir heißen also einen Glauben eine Illusion, wenn sich in seiner Motivierung die Wunscherfüllung vordrängt, und sehen dabei von seinem Verhältnis zur Wirklichkeit ab, ebenso wie die Illusion selbst auf ihre Beglaubigungen verzichtet" (aaO 354). s3 „Uber den Realitätswert der meisten von ihnen (sc der religiösen Lehren) kann man nicht urteilen. So wie sie unbeweisbar sind, sind sie auch unwiderlegbar" (Freud, aaO 354). Diese Behauptung Freuds ist gerade auch im Interesse der Wahrhaftigkeit des Glaubenden einer Uberprüfung wert. Jedenfalls kann man sich nicht darauf einlassen, zu sagen, daß die Sätze des Glaubens gerade deshalb geglaubt werden dürfen, weil sie mit dem Verstand nicht widerlegbar sind. Hier kann man die Warnung Freuds nicht ernst genug nehmen: „Kein vernünftiger Mensch wird sich in anderen Dingen so leichtsinnig

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gleich mit der Wahrheit des Glaubens auch die Wahrhaftigkeit des Glaubenden bestritten. Die christliche Theologie wird sich mit Vorteil von Freud über diesen Zusammenhang belehren lassen. Sie wird indessen ihre Antwort auf Freud nicht dort suchen können, wo es um den Nachweis ginge, daß die Inhalte des christlichen Glaubens nun gerade nicht den Bedürfnissen des Menschen entsprechen. (Als ob ein Glaube schon deshalb unwahr wäre, weil er den menschlichen Bedürfnissen entgegenkommt! Warum sollte der lebendige Gott nicht den Bedürfnissen seiner Geschöpfe entsprechen?) Die christliche Theologie wird — von Freud lernend — einen Blick auf den Ursprung des Glaubens werfen müssen: Ist dem christlichen Glauben von vornherein abzusprechen, daß er aus der Erfahrung herkomme? Ist denn die Geschichte Jesu Christi, auf welche sich der Glaube beruft, schon von allem Anfang an von den menschlichen Wünschen vereinnahmt worden? In diesem Zusammenhang wird man an die Frage verwiesen, in welchem Sinne die Geschichte Jesu für den Glauben an Gott grundlegend ist, so daß der Glaube in gewisser Weise als Niederschlag der Erfahrung mit jener Geschichte verstanden werden kann. Und man wird ferner an die Frage verwiesen, inwiefern das Bekenntnis, daß in jener Geschichte Gott zum Ausdruck gekommen ist, sich ebenfalls der Erfahrung verdankt. 54 Diese beiden Fragen sind vereinigt, wenn der paulinischen Theologie des Kreuzes nachgedacht wird. Auf der andern Seite wird die christliche Theologie fragen müssen, ob der von Freud kritisierte Glaube in Wahrheit ein „Infantilismus" ist, der benehmen und sich mit so armseligen Begründungen seiner Urteile, seiner Parteinahme, zufrieden geben, nur in den höchsten und heiligsten Dingen gestattet er sich das" (aaO 355). Die Trennung von Glauben und Wissen, die eben durch jene Begründung des Glaubens auf die vernunftmäßige Unwiderlegbarkeit seines Gegenstandes entsteht, ist im höchsten Maße problematisch, weil in ihr der Glaube in gefährlicher Weise entweltlicht wird. 54 Interessant in diesem Zusammenhang sind Freuds Bemerkungen zum persönlichen „inneren Erlebnis": „Wenn die Wahrheit der religiösen Ideen abhängig ist von einem inneren Erlebnis, das diese Wahrheit bezeugt, was macht man mit den vielen Menschen, die solch ein seltenes Erlebnis nicht haben?" (aaO 350). Was bedeuten solche, in ekstatischem Zustand gemachte Erlebnisse für die anderen Menschen (vgl aaO 351)? Solche Erlebnisse sind zumindest der Vemunftanwendung (die von jedermann erwartet werden kann) entzogen. Was bedeutet es im Blick auf diese Überlegungen Freuds, wenn der christliche Glaube seine Wahrheit gerade nicht von inneren Erlebnissen (seien sie nun solche des Jesus oder des Paulus, vgl 2Kor 12) abhängig macht, sondern von der in aller Öffentlichkeit sich abspielenden Geschichte Jesu? Diese Frage ist mE interessant hinsichtlich der Diskutabilität des Glaubens und auch des Vernunftgebrauches im Rahmen desselben.

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im Interesse der „Erziehung zur Realität" überwunden werden muß. 55 Es ist mE eine noch offene Frage, ob der Fortschritt vom Glauben weg den Menschen der Realität zuzuführen vermag oder ob jener Fortschritt nicht zugleich ein Weggehen aus der Realität ist. Im Sinne einer Vermutung kann man sagen: der christliche Glaube war schon bei seinem Ursprung so von der Illusion zur Wirklichkeit geleitet worden, daß er diesen seinen Zug zur Realität hinfort nicht mehr verleugnen konnte, ohne sich selbst zu verleugnen. Der von Freud im negativen Sinne aufgewiesene Zusammenhang von Wahrheit und Wahrhaftigkeit dürfte in mindestens ebenso hohem Maße positiv geltend gemacht werden können. Die Religionskritik der Neuzeit, die hier in aller Kürze und gleichsam stichwortartig zu Worte gekommen ist, hat den christlichen Glauben, dem sie galt, auf vielerlei Weise an Einiges erinnert, das er zwar von allem Anfang an gewußt hatte, aber mit der Zeit zu vergessen drohte. Sie hat ihn daran erinnert, daß er dem Extra-nos, welchem er sich verdankt, die gebotene Aufmerksamkeit schenken soll. Sie hat ihn daran erinnert, daß zwischen dem Jenseits der Wahrheit und der Wahrheit des Diesseits ein enger Zusammenhang besteht. Und sie hat ihn schließlich daran erinnert, daß die Wahrhaftigkeit des Glaubenden keine Sache der Praxis des Glaubens ist, sondern daß jene sich mit der Wahrheit des Glaubens von selbst einstellt. Alle diese Erinnerungen legen es dem Glauben nahe, sein Verhältnis zur Geschichte Jesu Christi und insofern auch zur Geschichte der Welt radikal zu denken. Eben dies läßt sich von der Kreuzestheologie des Paulus lernen. Der zweite, die Gegenwart des Glaubens prägende Faktor ist gegeben durch den Niedergang der abendländischen Metaphysik. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit ist es unmöglich, eine auch nur annähernd präzise Analyse dieses für unseren Kulturkreis so entscheidenden Vorgangs zu geben. Uns interessiert nur ein einziger Teilaspekt: der Zusammenbruch des neuzeitlichen metaphysischen Denkens hat den christlichen Glauben noch einmal in einer Weise vor das Problem der Geschichte gestellt, wie dies seit dem Kreuzestod Jesu nicht mehr der Fall gewesen sein dürfte. 56 Während bis 55 Vgl Freud, aaO 373. Weil der Mensch nicht ewig Kind bleiben kann, muß er zur Realität erzogen werden; „brauche ich Ihnen noch zu verraten, daß es die einzige Absicht meiner Schrift ist, auf die Notwendigkeit dieses Fortschritts aufmerksam zu machen?" (Hervorhebung von mir). 56 Dies sei illustriert durch den folgenden Satz Jüngels (Gott IX): „Am Ende der Geschichte der Metaphysik scheint Gott undenkbar geworden zu sein."

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in die Neuzeit ein „metaphysischer und metahistorischer common sense" 57 in Geltung war, ist „für die Neuzeit alles Metaphysische und Metahistorische in die Dimension des Problematischen gerückt" 58 . Sofern „erst mit dem Zusammenbruch der traditionellen abendländischen Metaphysik, d.h. mit dem Verlust von deren Selbstverständlichkeit, die Geschichtlichkeit der Existenz voll ins Bewußtsein getreten ist" 59 , wurde der auf diese Existenz in eminenter Weise bezogene Glaube in die Lage versetzt, seine eigene Situation — nicht nur das: seine eigene Herkunft sogar — geschichtlich zu verstehen. 60 Diese geschichtliche Verstehensweise hat zwar als solche eine hervorragende hermeneutische Bedeutung, indem sie nämlich die Denkweise des Glaubens in engstem Kontakt mit der menschlichen Denkweise überhaupt beläßt, sie stellt aber zugleich den Glauben und die Theologie vor ein schwieriges hermeneutisches Problem: wie können Gott und die Geschichte zusammenDazu ist es gekommen, weil der christliche Glaube der Gefahr erlegen ist, die mit seiner (legitimen) Selbstreflexion in der Sprache der Metaphysik selbst gegeben war; der Gefahr nämlich, „unter das Diktat der Metaphysik" zu kommen (Jüngel, aaO 49). Demzufolge hat das abendländische Christentum „doch Gott in seinem Gottsein denken zu können gemeint, ohne ihn dabei zugleich als den Gekreuzigten gedacht zu h a b e n " (ebd). Der metaphysische Gottesgedanke vertrug sich nicht mit dem Gekreuzigten, und also verdeckte er dem christlichen Glauben die Sicht auf das Problem, anhand der Geschichte des Gekreuzigten Gott zu denken. 57 Ebeling, Bedeutung WuG I 16 (Hervorhebung von mir). 58 Ebeling, aaO 34. Dies stellt schon den Historiker vor ein Problem: er „kann z.B. nicht Aussagen als selbstverständlich gültig übernehmen, die metaphysische Wesen im Sinne eines vorneuzeitlichen Weltbildes als innerweltliche und innergeschichtliche Faktoren einführen, . . . " (ebd). Die neue Situation zwingt ihn, mit jenen Aussagen auch ihren Inhalt geschichtlich zu verstehen. 59 Ebeling, aaO 33. Ein Indiz für diesen Sachverhalt liefert der ungeheure Aufschwung des Historismus im 19. J a h r h u n d e r t (aaO 35). Der Prozeß der „Vergeschichtlichung der Welt" hat die Säkularisierung der Welt zur (notwendigen) Kehrseite: „Denn daß dem neuzeitlichen Menschen alles zu Geschichte wird, ist nun nur die Kehrseite dessen, daß ihm schlechthin alles zu Welt wird" (Ebeling, Welt WuG I 388). Auch dies kündet von dem engen Zusammenhang zwischen dem A u f k o m m e n des Geschichtsbewußtseins und dem Ende des metaphysischen Denkens. Löwith, Mensch und Geschichte 158—160 führt den radikalen Wandel im Selbstverständnis des Menschen der Neuzeit darauf zurück, daß beide „vormodemen Uberzeugungen" (aaO 159), nämlich die des griechischen kosmologischen und die des christlichen theologischen Verstehenshorizontes des Menschseins in der Welt, aufgelöst wurden. 60 Es ist zwar erstaunlich in der Tat, jedoch äußerst konsequent, daß „es vor allem die Theologen selbst waren, die unerschrocken und unerbittlich die historisch-kritische Methode h a n d h a b t e n " und auf verschiedenen Gebieten unaufgebbaren Erkenntnissen Bahn brachen (Ebeling, Bedeutung WuG I 35).

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Bemerkungen zur Problemstellung

gedacht werden, ohne daß in diesem Zusammendenken die für den christlichen Glauben fundamentale Unterscheidung zwischen Gott und der Geschichte aufgegeben wird? Dieses hermeneutische Problem hat zwei (komplementäre) Seiten: einerseits entsteht dabei die Frage, wie es vermieden werden kann, daß die Geschichte, auf die sich der Glaube bezieht, in eben diesem Vorgang gleichsam unter der Hand wiederum ins Metaphysische aufgehoben wird. 61 Dies setzt zunächst voraus, daß der Glaube von jener und nur von jener geschichtlichen Denkweise zu lernen bereit ist, die sich um eine unmetaphysische Betrachtungsweise der Geschichte bemüht. Eine interessante gegenwärtige Spielform dieser Betrachtungsweise ist mE die analytische Geschichtsphilosophie, sofern sie im Bereich der Geschichtsphilosophie eine Analogie zur Überwindung des metaphysischen Gottesgedankens 62 darstellt. 63 Selbstverständlich 61

Eine solche Aufhebung des Geschichtlichen ins Metaphysische stellt zB die Postulierung eines „göttlichen Plans" dar, der dann als Erklärungsgrundlage für das Eintreten und die Bedeutung bestimmter Ereignisse verstanden wird. Vgl dazu Danto, Philosophie 24, der diese Sichtweise kurzerhand als wesentlich theologische bezeichnet und darauf hinweist, daß „auch Marx u n d Engels, obschon sie Materialisten und explizite Atheisten gewesen sind, dennoch dazu neigten, die Geschichte durch im wesentlichen theologische Brillen zu betrachten, ganz so, als könnten sie zwar einen göttlichen Plan darin erkennen, jedoch kein göttliches Wesen, dessen Plan sie wäre." Ob diese Betrachtungsweise wesentlich theologisch sei, wäre wohl einer genaueren Überprüfung wert; vorderhand mag es genügen, Zweifel am Urteil Dantos anzumelden. Eine andere Gestalt der Aufhebung des Geschichtlichen ins Metaphysische ist jener „heimliche Offenbarungsdoketismus, der der Geschichtlichkeit der Offenbarung dadurch ausweicht, daß er sie zu einer Geschichte sui generis macht, von deren heiligem Raum die historisch-kritische Methode ängstlich ferngehalten werden muss" (Ebeling, Bedeutung WuG I 45, Hervorhebung von mir; zum Problem der Heilsgeschichte vgl aaO 15f). 62 Bei diesem Prozeß handelt es sich um jene Bewegung, die im Ausdruck „Gott ist t o t " ihre Klimax erreichte. Der Ausdruck ist eine „in sich paradoxe Chiffre für den Anfang des Endes der Metaphysik, die die Wirklichkeit nicht ohne Gott zu denken u n d die Einheit von Denken und Sein nicht ohne Gott festzuhalten vermochte — also einer Metaphysik, die sich selber als Theoonto-logik begriff" (Jüngel, Gott 275). Im Nihilismus Nietzsches kündigt sich das Ende der abendländischen Metaphysik an. Das ist kein von außen kommender Zufall, sondern als ein „Grundvorgang der abendländischen Geschichte zugleich u n d vor allem die Gesetzlichkeit dieser Geschichte" (Ebeling, Elementare Besinnung WuG I 361, Hervorhebung von mir). Zu vergleichen ist die ähnliche Vermutung Jüngels, daß die Metaphysik ihrer inneren Notwendigkeit folgte, als sie den Gottesgedanken seinem Ende entgegenfahrte (Gott 61, im Anschluß an Heidegger). 63 Danto vollzieht dies in seiner Unterscheidung zwischen „substantialistischer" u n d „analytischer" Philosophie der Geschichte (Philosophie 11 ff). Im Anschluß

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könnten im Blick auf das hier genannte Problem der Metaphysik auch andere Denkmodelle (wie etwa der Historismus oder gewisse Entwürfe philosophischer Hermeneutik) herangezogen werden. Dies soll im folgenden nur beiläufig und gleichsam „unter dem Strich" geschehen, und zwar einerseits aus dem Grunde der Einheit des Gedankengangs und andererseits deshalb, weil die analytische Geschichtsphilosophie — wie sich noch deutlicher zeigen wird — wesentliche metaphysikkritische Impulse des Historismus aufgenommen und weitergeführt hat. Es verspricht deshalb lehrreich zu sein, wenn sich der Glaube bei der Besinnung auf seinen Geschichtsbezug in die Auseinandersetzung mit dieser geschichtlichen Denkweise begibt. Dies geschieht im folgenden in der Weise, daß der theologische Bezug des Paulus auf den Kreuzestod Jesu in Zusammenhang gebracht wird mit der Art, wie der analytisch denkende Historiker sich auf Geschichte bezieht. Eine Besinnung auf Analogie und Divergenz dieser beiden Beziehungsweisen dürfte zur Klärung des eben angesprochenen hermeneutischen Problems beitragen. Die andere Seite des Problems wird anschaulich, sobald man sich die Frage stellt, wie denn Gott geschichtlich gedacht werden kann, ohne selbst zu einem geschichtlichen Faktor zu werden. Der Ausweg, bloß die Aussagenüber Gott geschichtlich zu verstehen, ihn an Löwith charakterisiert er die erstere als eine „systematische Interpretation der Universalgeschichte entsprechend einem Prinzip, durch welches geschichtliche Ereignisse und Abläufe vereinigt und aüf eine letztgültige Bedeutung (Sinn) gerichtet werden" (aaO 22, vgl Anm 5). Die substantialistischen Geschichtsphilosophen überschreiten das Historische insofern, als sie „nach der Bedeutung von Ereignissen" streben, „bevor (Hervorhebung von mir) die späteren Ereignisse, in Verbindung mit welchen jene allererst Bedeutung erlangen können, überhaupt geschehen sind. . . . Kurz gesagt, sie sind bestrebt, die Geschichte zu erzählen, bevor noch die Geschichte richtig erzählt werden k a n n " (aaO 28). Danto denkt dabei an Geschichtsphilosophen wie Hegel (aaO 32), Marx, Spengler, Toynbee (aaO 25), und er bezeichnet ihr Geschäft als Prophetie charakteristischer Art, weil es darin um „eine historische Feststellung über die Z u k u n f t " geht (aaO 24). Die Analogie zur Metaphysik wird hier besonders deutlich: „göttlicher Plan". Demgegenüber hat die analytische Philosophie der Geschichte eine andere Aufgabe: „Das Auffinden und Aufzeigen von Grenzen ist das allgemeine Geschäft der Philosophie, u n d das Bestimmen dieser Grenze (sc daß „unsere Kenntnis des Vergangenen sig-/nifikant eingeschränkt wird durch unsere Unkenntnis der Z u k u n f t " ) ist das besondere Geschäft der analytischen Philosophie der Geschichte, so wie ich sie verstehe" (aaO 34f, Hervorhebung von mir). Ziel des Unternehmens ist es, einer „deskriptiven Metaphysik der historischen Existenz" näher zu kommen (aaO 8, Hervorhebung von mir).

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Bemerkungen zur Problemstellung

selbst aber übergeschichtlich, ist uns schon deshalb verwehrt, weil der christliche Glaube gerade mit der Behauptung, daß Gott mit dem gekreuzigten Jesus identisch geworden sei, seinen Ursprung nahm. In diesem Sinne ist Gott in die Geschichte der Menschen eingegangen. Wie kann aber das Eingehen Gottes in die Geschichte gedacht werden, daß es nicht dem Aufgehen Gottes in jener Geschichte gleichkommt? 6 4 Sofern nach dem neuzeitlichen Geschichtsverständnis das Wesen der Geschichte die Vergänglichkeit ist, kann man die obige Frage auch so stellen: wie kann Gott mit der Vergänglichkeit in Verbindung gebracht werden, ohne daß er von dieser beherrscht und vereinnahmt und so nicht mehr als ihr Schöpfer bekannt wird? 6 5 Mit genau dieser Frage wird man durch Paulus konfrontiert: wie konnte er im Zusammenhang mit dem Gekreuzigten so von Gott reden, daß er damit nicht zugleich den Tod des lebendigen Gottes ankündigen mußte, sondern gerade den Tod des Todes verkündigen konnte (vgl IKor 15,54f)? Dabei wird darauf zu achten sein, welche Konsequenzen der theologische Bezug auf das Kreuz im Blick auf die Einstellung des in dieser Weise Glaubenden zur Vergänglichkeit der Welt und seiner selbst hat. 6 6 64

Gerade dies hat die traditionelle Metaphysik zu erreichen versucht, indem sie „Gott vom Menschen und aus der Geschichte fernhielt" (Jüngel, Gott 264, zum Problem der Unterscheidung von Gott u n d Mensch, welche der Unterscheidung von Gott und Geschichte analog ist). Demgegenüber ist die Frage berechtigt: „Ist das eigentliche crimen laesae maiestatis gegenüber der Gottheit Gottes nicht die Bestreitung seiner Menschlichkeit?" (ebd). 65 Jüngel bezeichnet „Gottes Einheit mit der Vergänglichkeit als {den) Grund der Denkbarkeit Gottes" (Gott 248, Überschrift zum § 13). Die Notwendigkeit, Gott u n d die Vergänglichkeit zusammenzudenken, „ist für die christliche Theologie doppelt gegeben: einerseits als sachliche Nötigung durch die christologische Auslegung der biblischen Überlieferung, andererseits als eine aus der neuzeitlichen Metaphysik erwachsende Konsequenz geschichtlichen Bewußtseins" (aaO 250). Schon die Tatsache dieser doppelten Notwendigkeit läßt auf einen engen Zusammenhang zwischen dem christlichen Glauben und dem Zu-Ende-Kommen der neuzeitlichen Metaphysik schließen, zumal die „Theologie schon seit Luther sich vor das Problem der Überwindung der Metaphysik gestellt sieht" (Ebeling, Verantworten WuG II 96). Dasselbe Problem, nämlich die Vergänglichkeit u n d Gott zusammenzudenken, stellt sich Bonhoeffer in seiner Forderung nach nicht-religiöser, weltlicher Rede von Gott (dazu Ebeling, „Nicht-religiöse Interpretation" WuG I 132: religiös interpretieren heißt, einerseits metaphysisch, andererseits individualistisch reden; 146: religiös ist „das Bemühen, Gott einen Raum auszusparen"; 157: „ G o t t ist mitten in unserem Leben jenseitig"). Deshalb lautet dann die entscheidende Frage, wie „wir es lernen, wahrhaft geschichtlich, wahrhaft weltlich von Gott zu reden" (Ebeling, Welt WuG I 392, Hervorhebung von mir). 66 Es gilt, das metaphysische Denken auch hinsichtlich seiner Bewertung des Vergänglichen zu überwinden. „Als die eigentliche Prämisse des letzten Ge-

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Wer das eben skizzierte, doppelseitige hermeneutische Problem zum Horizont der Frage nach der theologischen Bedeutung des Kreuzestodes Jesu bei Paulus rechnet, gibt sich jedenfalls nicht damit zufrieden, statt einer metaphysischen nun eben einer metaphysikfreien Theologie das Wort zu reden. Vielmehr geschieht der Rückgriff auf Paulus mit dem Interesse, zu einem kritischen Umgang mit der metaphysischen Tradition 67 und mit dem neuzeitlichen Wirklichkeitsverständnis zu kommen. 68 Wenn immer wahrhaft weltdankens der . . . Metaphysik enthüllt sich . . . die negative metaphysische Bewertung der Vergänglichkeit. . . . Was vergänglich ist, wird zunichte" (Jüngel, Gott 276). Im Namen des Wortes vom Kreuz ist Einspruch zu erheben „gegen die ontologische Diskreditierung des Vergänglichen" (ebd, Hervorhebung von mir). Wie dieser Einspruch des näheren aussehen kann, soll als Frage an die Kreuzestheologie des Paulus gestellt werden. 67 Dazu Geißer, ZThK 65, 250f: „Und umgekehrt: Wenn man schon heute die Verbindung zwischen bibli-/scher Offenbarungsrede und Metaphysik ohne Umschweife vollends kündigen zu müssen meint, dann werden doch nicht sämtliche Sprosse aus dieser Ehe als totgeboren gelten können und selbst ihre illegitimen Bastarde mit dieser Erbmasse zu leben haben." Die Frage, „welche Sprachgebärde" sich in „metaphysischen Absolutheitspräsumptionen" abzeichnet, „und was damit unter uns geschah, daß sie zur Kennzeichnung des endlichen Menschen von Nazareth ( . . . ) sowie der Existenzgründung auf den Glauben an ihn verwendet wurde", m u ß dazu führen, daß „christlicher Got.tesgedanke u n d christliche Gottesrede erneut ontologisch und christologisch" verantwortet werden (Geißer, aaO 251, Hervorhebung von mir). Schon deswegen, weil „dem menschlichen Geist die Idee des unendlich Absoluten" „unaufgebbar" vorschwebt, „wird die christliche Theologie ihre Miturheberschaft und Mitwisserschaft an den Problemen der Metaphysik keinesfalls aus ihrem Bewußtsein verdrängen dürfen, sondern sie im Gegenteil auch bei allem wohlbegründeten Besserwissen sich ausdrück-/lieh präsent zu halten h a b e n " (Geißer, aaO 251f). Daraus ergibt sich das Postulat eines kritischen Umgangs mit der metaphysischen Tradition, insbesondere in Gestalt eines selbstkritischen Umgangs mit der der christlichen Theologie eigenen metaphysischen Tradition. „Daß ein möglicher Abschied der christlichen Theologie von der Metaphysik jedoch nicht einfach zu einer .metaphysikfreien' Theologie fuhren kann, dürfte kritischem und selbstkritischem theologischen Bewußtsein nicht verborgen bleiben" (Jüngel, Gott 62). Vielmehr geht es um ein ambivalentes Verhältnis zu dieser Tradition (aaO 63). Immerhin stellte die metaphysische Sprache ein ausgezeichnetes Instrument dar, die Dimension des vere deus in der Christologie u n d damit ihre soteriologische Dimension zum Zuge zu bringen. Wird die Metaphysik ersatzlos gestrichen, so verliert die Rede von Gott eben diese soteriologische Dimension. Wenn Gott in der Geschichte aufgeht, m u ß die Geschichte selbst (und das heißt dann: der die Geschichte vorantreibende, in ihr handelnde Mensch!) soteriologisch bewertet werden (vgl dazu die Etablierung der Wahrheit des Diesseits als Aufgabe der Geschichte, oben S. 24f). 68 Es geht darum, „nicht einfach eine Metaphysik von gestern mit dem christlichen Glauben zu verwechseln, sondern gerade vom Glauben her dem neuzeitlichen Denken zur Wahrheit seines Wirklichkeitsverständnisses zu helfen" (Ebe3 Weder, Kreuz

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Bemerkungen zur Problemstellung

lieh von Gott geredet wird, so können Welt und Geschichte davon nicht unbehelligt bleiben, so wenig der menschliches Schicksal auf sich nehmende Gott die Menschen ihrem Schicksal überläßt.

0.2 Zur Präzisierung der Fragestellung Die Frage nach dem theologischen Stellenwert des Kreuzestodes Jesu bei Paulus will, sofern sie eine historisch-exegetische Frage ist, als Frage nach dem Verhältnis der Theologie des Paulus zum irdischen Jesus, und zwar zunächst zum Tod des irdischen Jesus, verstanden sein. Sie steht also im Kontext jener typisch neuzeitlichen Fragestellung, welche mit dem Ausdruck „Paulus und Jesus" umschrieben werden kann. 69 Infolge der Problematisierung, welche dieses Unternehmen in der Forschungsgeschichte der letzten 100 Jahre erfahren hat 70 , ist es unerläßlich, unsere spezielle Fragestellung in dem Sinne zu präzisieren, daß ihr Ort innerhalb des Fragenkomplexes Paulus und Jesus möglichst genau angegeben wird. Dies geschieht einerseits (negativ), indem sie gegenüber anderen Fragen dieses Bereichs abgesetzt wird, und andererseits (positiv), indem ihre Sachgemäßheit an der Theologie des Paulus selbst aufgezeigt wird. Zunächst ist festzuhalten: bei unserer Fragestellung geht es nicht um das historische Verhältnis zwischen dem irdischen Jesus und dem Apostel Paulus. Es geht also nicht um die Frage, ob Paulus den irdischen Jesus, sein Leben und seine Lehre, gekannt habe oder ob urchristliche Tradition über den irdischen Jesus bei Paulus vorauszusetzen seien. Was das erste anbelangt, so sind in der Forschungsgeschichte einander genau entgegengesetzte Poling, Welt WuG I 391). Diese Hilfe geschieht, wenn wahrhaft weltlich von Gott geredet wird (aaO 392). 69 Auch wenn in bestimmter Hinsicht schon Lukas eine Stellungnahme zum Problem „Paulus und Jesus" vornimmt (dazu Blank, Paulus und Jesus 61—65, zu Joh. Chrysostomus aaO 65 f), so ist die Fragestellung selbst dennoch eine typisch neuzeitliche, weil sie a) erst durch die konsequent historische Betrachtungsweise des Neuen Testaments ermöglicht worden ist und b) erst im Kontext der Frage „Glaube Jesu oder Glaube an Jesus?" ihre charakteristische Schärfe erhalten hat. 70 Zur forschungsgeschichtlichen Situation vgl Blank, Paulus und Jesus 66—126 und die an einigen instruktiven Beispielen orientierten Bemerkungen von Jüngel, Paulus und Jesus 5 — 16.

Zur Präzisierung der Fragestellung

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sitionen vertreten worden. Während auf der einen Seite festgestellt wird, daß die Theologie des Paulus ohne eine persönliche Begegnung mit dem irdischen Jesus nicht erklärt werden könne 7 1 , wird auf der andern Seite mit ebensolcher Entschiedenheit behauptet, daß das paulinische Evangelium nur unter Bestreitung jeder historischen Kontinuität zwischen Jesus und Paulus sachgemäß zu verstehen sei. 72 Demgegenüber ist festzuhalten, daß — historisch gesprochen — „Paulus zum irdischen Jesus selbst in keiner nachweisbaren positiven Beziehung stand" 73 . Daß Paulus Jesus gekannt hat, ist sehr unwahrscheinlich. 74 Was die Frage nach urchristlichen Traditionen über den irdischen Jesus angeht, die bei Paulus vorauszusetzen sind, so hat sich in der Forschungsgeschichte ein sich ständig verfeinerndes Bild des historischen Sachverhaltes ergeben. Die ursprünglich angenommene Traditionslinie ,Jesus — Urgemeinde — Paulus" 75 ist im Laufe der Zeit in erheb71

Als Beispiel für diese Position mag J . Weiß dienen, welcher die Neuordnung der bei Paulus schon vorhandenen Messiasdogmatik und deren Anwendung auf Jesus auf das Bekehrungserlebnis des Paulus zurückführt. Dieses wiederum beschreibt Weiß als „eine geistige Einwirkung Jesu auf Paulus, die nur durch eine persönliche Begegnung des Paulus mit Jesus erklärt werden k a n n " (Jüngel, Paulus und Jesus 11). 72 Diese Position nimmt zB Wrede ein, wenn er feststellt, daß Paulus gar nicht eigentlich vom geschichtlichen Menschen Jesus, sondern von einem anderen abhängig sei (vgl Jüngel, aaO 9; Blank, Paulus u n d Jesus 69). Die Verbindung der paulinischen Theologie zum irdischen Jesus besteht hier lediglich darin, daß Paulus im Augenblick seiner Bekehrung den irdischen Jesus mit jenem Himmelswesen identifizierte, an das er schon vor seinem Glauben an Jesus geglaubt hatte. Der göttliche Christus hat demnach bei Paulus lediglich eine mythologische Identität. Dieselbe Anschauung kehrt — leicht modifiziert — wieder in jüdischen Publikationen zum Problem Jesus und Paulus: sie bezeichnen Jesus „als einen der großen jüdischen Propheten und ihren Bruder, . . . während Paulus einem illegitimen, apokalyptischen und hellenisierten J u d e n t u m , erst recht aber heidnischen, griechisch-orientalischen Mythen u n d Anschauungen zum Opfer gefallen sei und damit für den verhängnisvollen Gegensatz von J u d e n t u m u n d Christentum und die gegenüber Jesu eigener Predigt und dem echten J u d e n t u m verfremdete Lehrtradition der Kirche die eigentliche Verantwortung trage" (Bornkamm, Paulus 237 im Blick auf M. Buber, L. Baeck, H. J . Schoeps, Schalom-ben-Chorin, ua). Bei aller Unangemessenheit dieser Beurteilung der paulinischen Christologie und Theologie ist hier dennoch die fundamentale Differenz zwischen der Predigt Jesu und der Christusverkündigung des Paulus scharf gesehen worden. 73 74 Blank, Paulus und Jesus 126. Bornkamm, 3 RGG V 175. 7S „Die gerade Linie: Jesus — Urgemeinde — Paulus bestimmt ja noch immer weithin das Geschichtsbild, das man sich von den Anfängen des Christentums macht. Nach heutigem Verständnis dürften die Quellen jedoch dieses Geschichtsbild in keiner Weise mehr rechtfertigen" (Blank, Paulus und Jesus 75).

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Bemerkungen zur Problemstellung

lichem Maße modifiziert worden, so daß sie nun lautet: Jesus — Urgemeinde — hellenistisches Juden- oder Heidenchristentum — Paulus. 76 Eine weitere, qualitativ verschiedene Modifikation ist in der Erkenntnis zu sehen, daß es sich bei der oben genannten Traditionslinie nicht um ein im Sinne eines zeitlichen Nacheinanders fixierbares Schema handelt, sondern daß sie nur eine Kurzformel für ein verwickeltes Netz von traditionsgeschichtlichen Sachverhalten darstellt. 77 Indessen kann die Frage nach dem Vorhandensein von Jesustradition bei Paulus dennoch gestellt werden. Immerhin beruft sich ja Paulus selbst in einigen (wenigen) Fällen auf eine solche. 78 Ferner ist eine ganze Reihe von Anklängen an (synoptisch überlieferte) Jesusworte zu finden.79 Schließlich müssen grundlegende Das hellenistische Christentum wurde zuerst als notwendiges Zwischenglied erkannt (durch Heitmüller, Bultmann, vgl Blank, aaO 75—78). Eine weitere Differenzierung lautet: , J e s u s — Urgemeinde (palästinensisches Judenchristentum) — hellenistisches Judenchristentum — hellenistisches Heidenchristentum — Paulus" (Hahn, vgl Blank, aaO 78). Zum Problem siehe auch Bornkamm, 3 RGG V 176. 76 Vgl dazu Blank, aaO 78f. Dazu kommen die Schwierigkeiten, die sich durch eine Untersuchung der religionsgeschichtlich faßbaren Faktoren in der paulinischen Theologie ergeben. Während man lange Zeit die hellenistischen Vorstellungen zum Maß des Verständnisses machte, treten in jüngster Zeit (insbesondere im Anschluß an Käsemann) die Größen „hellenistisches J u d e n t u m " und .jüdische Apokalyptik" in den Vordergrund; vgl Baumgarten, Paulus und die Apokalyptik 5 3 . 2 2 7 - 2 3 9 ; Käsemann, Gottesgerechtigkeit EVuB II 192f: „Paulus ist Apokalyptiker auch als Christ geblieben" (aaO 193). 77 Daß Paulus ausschließlich vom vorpaulinisch-hellenistischen Christentum abhängig wäre, wird schon durch die Tatsache widerlegt, daß er Traditionen aus dem heMemstisch-judenchristlichen Bereich aufnimmt (zB Rom l , 3 f , vgl Schweizer, Jesus 72f; ders, ThWNT VIII 3 6 7 , 2 6 - 3 6 8 , 1 5 ) oder sogar aus der Urgemeinde Jerusalems (zB l K o r 15,3—5, vgl dazu aber Hasenfratz, Auferstehung 165 mit Anm 501—503, der die Formel auf hellenistisch-judenchristliche Kreise zurückführt). Einen „historischen Kausalzusammenhang" in dieser Sache konstruieren zu wollen, ist durch die Quellenlage verwehrt (Blank, Paulus und Jesus 128f). 7 « l K o r 7,10f; 9,14; IThess 4,15 (vgl Kuhn, ZThK 67, 296; Blank, Paulus und Jesus 85). Dazu k o m m t wohl die Abendmahlsparadosis, welche nach dem Verständnis des Paulus auf den „ H e r r n " zurückgeht ( l K o r 11,23: „vom Herrn empfangen" . . . „der Herr Jesus, in der Nacht, da er verraten ward"; der „Herr" bezeichnet hier also den Irdischen), dh auf den irdischen Jesus, vgl den ähnlichen Gebrauch von „Herr" in l K o r 7,10; 9,14; 7,25; 7,12; IThess 4,15 (Foerster, ThWNT III 1092, 7 - 1 4 , der allerdings l K o r 11,23 nicht zu diesen Stellen rechnet; dagegen jedoch Goppelt, Theologie II 367). Zur Beurteilung dieser Herrenworte vgl Schräge, Einzelgebote 241—249; Robinson, Kerygma und Geschichte 3 8 - 4 4 ; Köster, Ein Jesus 182f. "" Vgl zB IThess 5,2 mit Lk 12,39fpar; Rom 12,14 mit Lk 6,28par; Rom 13,9f mit Mk 12,31par; Rom 16,19 mit Mt 10,16; so Kuhn, ZThK 67, 296:

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Teile der Jesustradition wie die Passionsüberlieferung und eine Grabesüberlieferung für Paulus als bekannt vorausgesetzt werden, auch wenn er nicht explizit auf sie Bezug nimmt. 8 0 Allerdings bleibt die Feststellung ungeschmälert, daß mit der Konstatierung dieses historischen Sachverhaltes das Problem des Stellenwertes der Jesustradition bei Paulus 81 in keiner Weise gelöst, sondern vielmehr verschärft ist. Es erhebt sich nämlich erst recht die Frage, warum denn Paulus so spärlich auf die Jesustradition zurückgegriffen hat. Ist für ihn vielleicht doch nur die reine Faktizität der Existenz des irdischen Jesus theologisch bedeutsam? 82 Oder hat er an Jesusworten sowieso nur Worte aufgenommen, die ihm als Worte des Erhöhten galten? 83 Oder mußte er gar um des Irdischen willen auf den Irdischen verzichten, weil die ihm begegnende Verwendung der Jesustradition gerade seiner theologia cruris widersprach? 84 Solche „Aufnahmen des evangelischen Erzählungsstoffes fehlen überhaupt bei Paulus." Zum Ganzen vgl auch Stuhlmacher, ZThK 74, 4 5 5 ; Goppelt, Theologie II 367. 8 0 Vgl I K o r l l , 2 3 f f (Passion) und 1 5 , 3 - 5 . 6 - 8 (Grab); so Stuhlmacher, ZThK 74, 454. Dies muß im Rahmen des Sachverhalts gesehen werden, daß ein expliziter Bezug auf Jesustradition im 1. Jahrhundert nChr sowieso überaus selten ist (vgl Kuhn, ZThK 67, 2 9 7 - 2 9 9 ; Goppelt, Theologie II 370). Bemerkenswert ist insbesondere, daß der l j o h geschrieben werden konnte, ohne daß in ihm Bezug auf den Stoff des Johannesevangeliums genommen wurde. 81 Etwa im Sinne Bultmanns: „Ist Paulus in seiner Gedankenbildung durch den historischen Jesus bestimmt, sei es direkt, sei es durch Vermittlung der Urgemeinde?" (Bedeutung GuV I 188, Hervorhebungen von mir); vgl auch Schräge, Einzelgebote 2 3 8 - 2 4 1 . 8 2 Dies ist die Erklärung Bultmanns, vgl Bedeutung GuV I 209—213; ähnlich Schräge, Einzelgebote 240 (nicht der Menschgewordene, sondern die Menschwerdung ist für Paulus konkret entscheidend). 8 3 „Nicht der historische Jesus, sondern Jesus Christus, der Gepredigte, ist der Herr" (Bultmann, aaO 208). 8 4 „Weil bei den Gegnern des Paulus im 1. und 2. Korintherbrief durch eine Verzeichnung des Irdischen (sc im Sinne des öeÜK ä.vr\p) der Irdische als der Gekreuzigte nicht in den Blick kommen konnte, . . . mußte Paulus auf alle Fälle — so paradox das klingt — um des Irdischen willen auf die Uberlieferungen vom Irdischen verzichten" (Kuhn, ZThK 67, 320, vgl 3 0 8 - 3 1 6 ) . Die Frage wäre aber, was es denn möglich machte, die gegenerische Predigt überhaupt als Verzeichnung wahrzunehmen. Die genannten Erklärungsversuche zeigen, daß die anstehende Frage bisher nicht eindeutig beantwortet ist (dazu Goppelt, Theologie II 370). Der Versuch, im Anschluß an 2Kor 5,16 eine Lösung zu finden, ist untauglich: „Diese Stelle ist auf die paulinische Neuerkenntnis des Christus infolge seiner Berufung zum Apostel zu beziehen und gibt für ein angebliches Desinteresse des Paulus am historischen Jesus nichts her" (Stuhlmacher, ZThK 74, 454, Hervorhebung von mir). Zum hier anstehenden Problem — soweit seine historisch-methodologische Seite in Betracht kommt - vgl unten S. 2 3 1 - 2 3 3 .

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Bemerkungen zur Problemstellung

und ähnliche Fragen markieren die Aporien, in welche das Denken gerät, sofern es der Frage nach der Bedeutung des irdischen Jesus bei Paulus auf dem Wege so verstandener historischer Kontinuität beizukommen sucht. Diese Fragestellung ist — wie gesagt — nicht die der vorliegenden Arbeit. Ferner ist festzuhalten: bei unserer Fragestellung geht es nicht um das sachliche Verhältnis zwischen der Verkündigung Jesu und der Theologie des Paulus. Auch dieses Problem ist im Rahmen des Fragenkreises „Paulus und Jesus" in jüngster Zeit intensiv bearbeitet worden. Einen Ansatz lieferte schon Bultmann, als er eine sachliche Kontinuität zwischen Jesus und Paulus im Blick auf die Lehre vom Gesetz feststellte. 85 So weitgehend nach Bultmann die Übereinstimmung in der Lehre vom Gesetz auch ist 86 , so sehr betont er auch den Unterschied, der allerdings nicht auf der Ebene der Vorstellungen, sondern auf deijenigen des Zeitverständnisses liegt: ,Jesus blickt in die Zukunft, auf die kommende Gottesherrschaft, freilich auf die jetzt kommende bzw. jetzt anbrechende. Paulus aber blickt zurück: die Wende der Äonen ist schon erfolgt."87 Daraus ergibt sich im Blick auf das Gesetz: , Jesus predigt das Gesetz und die Verheißung, Paulus predigt das Evangelium in seiner Bezogenheit auf das Gesetz, wie denn Gesetz und Evangelium eine Einheit bilden und das Gesetz nur mit der Verheißung, das Evangelium nur mit dem Gesetz richtig verstanden wird." 8 8 Die Entstehung dieses Unterschiedes erklärt sich aus der grundsätzlich neuen Weltsituation, in der Paulus sich vorfand. 89 Nach sachlichen 85

„Eine weitgehende sachliche Übereinstimmung der Theologie des Paulus mit der Verkündigung Jesu liegt auf einem Gebiet, auf dem man es zunächst nicht erwarten sollte: in der Lehre vom Gesetz" (Bultmann, Bedeutung GuV I 191). Mit der Konzentration auf die Verkündigung überwindet Bultmann die frühere religions-psychologische Vergleichungsweise, wie sie etwa bei Windisch auftritt, der Paulus und Jesus unter dem Oberbegriff des „religiösen Verkünders" verglichen hatte und zur Feststellung von beträchtlichen Analogien gelangt war (dazu Blank, Paulus und Jesus 74f). 86 Für Jesus wie für Paulus ist die Gültigkeit des Gesetzes selbstverständlich (Bultmann, Bedeutung GuV I 192.194). Beide sind „bis soweit in ihrer Auffassung des Gesetzes völlig einig, ... daß . . . das Liebesgebot der Grundinhalt des Gesetzes ist" (aaO 195). Faktisch stimmt Jesus sogar darin mit Paulus überein, daß das Gesetz den Zweck hat, den Menschen in die Sünde zu treiben (aaO 1 9 6 - 1 9 9 ) . 87 Bultmann, aaO 200. 88 Bultmann, aaO 201. 89 Bultmann wehrt sich in diesem Zusammenhang dagegen, daß das Neue bei Paulus unter dem „Entwicklungsgedanken" interpretiert werde (aaO 202). „Also nicht darum geht es primär, die Ereignisse als kausalen Faktor für die

Zur Präzisierung der Fragestellung

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Ubereinstimmungen z w i s c h e n Paulus und J e s u s fragt auch Fuchs. S o w i e der Glaube nach Paulus Heil b e d e u t e t , sofern er v o n der Furcht des Zornes G o t t e s befreit, beansprucht Jesus die Gnade G o t t e s gegenüber d e m Sünder, der u m k e h r t . 9 0 So w i e Paulus im N a m e n Christi verkündigt, die Zeit des Glaubens sei g e k o m m e n , m a c h t J e s u s die Ansage der Zeit der Gottesherrschaft zur Hauptsache seiner Verkündigung. 9 1 Schließlich ist der Glaube an J e s u s die Wiederholung der Entscheidung Jesu, daß die Zeit zur Liebe g e k o m m e n sei. 9 2 Diese Analogien rechtfertigen nach Fuchs die positive B e a n t w o r t u n g der Kontinuitätsfrage. S c h o n im V o r g e h e n ist allerdings impliziert, daß der bei B u l t m a n n n o c h sehr deutlich herausgestellte Unterschied verwischt z u w e r d e n droht. N o c h stärker ist dies in der (allerdings nicht auf d e n Vergleich v o n Paulus u n d Jesus, sondern v o n Jesus und d e m K e r y g m a bezogenen) K o n z e p t i o n Robinsons der Fall. Hier wird die K o n t i n u i t ä t hergestellt durch d e n Oberbegriff des Existenzverständnisses.93 Der historische Jesus stellt den, der i h m wirklich geschichtlich begegnen w i l l v o r die gleiche E n t s c h e i d u n g w i e das Kerygma: vor die EntLehrausbildung des Paulus zu interpretieren, sondern das sachliche Verständnis des Ereignisses selbst durch Paulus deutlich zu machen" (aaO 202). Eben dies ist allerdings die wesentliche Frage: welche inhaltlichen Folgen die Auferweckung des Gekreuzigten für die Christologie des Paulus hatte. Das sachliche Verständnis des Ereignisses .Jesus" dürfte von dem folgenden „Ereignis" der Auferweckung kaum unabhängig sein, »o Fuchs, ZThK 53, 216.219. 91 Fuchs, aaO 217.222. 92 Fuchs, aaO 227. 93 Vgl Robinson, Kerygma 149ff, zB den folgenden Satz: „Erst wenn man aus einem breiteren Traditionskomplex der Botschaft Jesu die gemeinsame Struktur der verschiedenen Logien und dadurch die innere Bewegung erschlossen hat, die zu einem begrifflichen Ausdruck des Existenzverständnisses des historischen Jesus hinführt, kann man die Frage nach der sachlichen Kontinuität dieses Existenzverständnisses mit dem des Kerygmas der Urgemeinde stellen" (aaO 151). Die gegenüber diesem Vorgehen oft erhobenen Einwände, es „verkürze" den christlichen Glauben anthropologisch, greifen m £ zu kurz. Viel bedenklicher scheint mir, daß mit diesem Vorhaben per definitionem vom Einzelnen der Verkündigung Jesu und des Kerygmas abstrahiert wird, indem ihre jeweilige Struktur erhoben wird. Ist die konkrete Sprachform der Verkündigung Jesu und des Kerygmas so ohne weiteres in eine begriffliche Sprache aufzuheben? Zum Problem des Einzelnen vgl unten S. 85—93. 94 Robinson sieht im „radikal neuen Verständnis von Geschichte und menschlicher Existenz" (aaO 83, Hervorhebung von mir) einen grundlegenden Unterschied der gegenwärtigen Frage nach dem historischen Jesus zur „gescheiterten/ Leben-Jesu-Forschung" (aaO 83f). Im neuen Geschichtsverständnis geht es wesentlich um „die Begegnung mit dem Sinn der Geschichte und dem menschlichen Dasein" (aaO 87, Hervorhebung von mir).

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Bemerkungen zur Problemstellung

Scheidung nämlich, ob er dieses Existenzverständnis übernehmen wolle oder nicht. 95 Die Problematik der so gestellten Kontinuitätsfrage wird vor allem darin offensichtlich, daß auf die Frage, was denn mit Ostern Neues im Blick auf den irdischen Jesus ins Spiel gekommen sei, keine Antwort mehr gegeben werden kann. 96 Dieses Problem vermeidet Jüngel, sofern er — gerade indem er nach der Analogie zwischen der Verkündigung Jesu und der Theologie des Paulus fragt — den Vergleich dahingehend präzisiert, daß „zwei einander folgende Sprachereignisse als Ereignisse einer Sprachgeschichte zu verstehen" gesucht werden. 97 In dem Begriff der Sprachgeschichte wird deutlich, inwiefern Jüngel der Gefahr begegnen will, die Unterschiede zwischen der paulinischen Theologie und der Verkündigung Jesu zu verwischen. 98 Durch den Oberbegriff des Sprachereignisses ist es Jüngel indessen trotzdem möglich, auch den Analogien Raum zu geben. Auf diesem Wege wird weiter gedacht werden müssen. 99 Dies aber ist nicht die Themenstellung unserer Arbeit. Uns interessiert also weder die oben skizzierte Frage nach der historischen Kontinuität zwischen Jesus und Paulus noch diejenige nach der sachlichen Ubereinstimmung beider, sondern wir stellen die Frage nach der Bedeutung des Kreuzestodes Jesu bei Paulus im Horizont der Frage, was der Glaube an Jesus Christus mit dem geschichtlichen Ereignis des Kreuzes zu tun habe. Im weiteren Sinne besteht zwischen ihr und den oben genannten Fragestellungen allerdings ein 95

„Der historische Jesus fuhrt uns genau so zu einer existentiellen Entscheidung, wie es das Kerygma tut" (Robinson, aaO 95). 96 Das geht schon daraus hervor, daß zwischen dem Kerygma und dem (im Rahmen existentialer Geschichtsauffassung verstandenen) historischen Jesus kein Unterschied besteht (vgl oben Anm 95 und aaO 137). Es zeigt sich weiterhin darin, daß Robinson nicht einmal die Äonenwende als Unterscheidungsmerkmal gelten läßt: „Das Ergebnis dieser Überlegungen (sc zur Einschätzung des Täufers durch Jesus) ist also die Feststellung, daß der Rückblick auf die Äonenwende nicht zum formalen Unterscheidungsmerkmal zwischen der Situation Jesu und der Kirche gemacht werden darf" (aaO 147). Was ist also Ostern mehr als eine formale Legitimation dessen, was in geschichtlicher Begegnung mit dem historischen Jesus erkannt werden konnte und kann? 97 Jüngel, Paulus und Jesus 263. 98 So gelingt es ihm, „auf diesem gemeinsamen Grunde erhebliche Unterschiede festzustellen" (aaO 267). „Indem Jesus als der erscheint, der Glauben gewährte, ist jedoch noch nicht erklärt, wie er selbst zum Gegenstand des Glaubens werden konnte" (aaO 278). In dieser Frage ist man auf Tod und Auferweckung Jesu verwiesen (ebd). 99 Die Kritik Blanks, Paulus und Jesus 106, wonach dieser Weg ein „Umweg" war, wird beträchtlich modifiziert werden müssen.

Zur Präzisierung der Fragestellung

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Zusammenhang: insofern nämlich, als einerseits an diesem Beispiel die Aporien hinsichtlich des (inhaltlichen) Stellenwertes der Jesustradition bei Paulus zu überwinden versucht werden und andererseits auf diese Weise auch historisch etwas über den Grund der sachlichen Kontinuität ausgesagt werden kann. Die Unterscheidung von sachlichem Verhältnis und historischer Kontinuität ist dabei im Blick auf ihr sachliches Recht einer Überprüfung zu unterziehen. Gerade im Interesse dieses Fragenkomplexes geschieht es, wenn nicht nur nach der Bedeutung der bloßen Faktizität des Kreuzestodes Jesu für Paulus und seine Theologie gefragt wird, sondern wenn vielmehr die Spuren des inhaltlichen Stellenwertes jenes geschichtlichen Ereignisses gefunden werden sollen. 100 Es wird also untersucht werden, welchen Beitrag die Geschichte des Kreuzestodes Jesu zum Selbstverständnis des Glaubens an den Gekreuzigten bei Paulus leistet. Diese Frage an Paulus wird jedoch explizit in den Horizont der gegenwärtigen Frage nach dem Verhältnis des christlichen Glaubens zur Geschichte des Kreuzes Jesu gestellt, dh sie wird gestellt in dem Bemühen, dem, was wahr zu heißen verdient, selbst auf die Spur zu kommen, nicht „nur" dem, was über Paulus an historischer Wahrheit auszusagen ist. Es soll also versucht werden, das historisch Deskriptive als einen Teil der Auslegung ernst zu nehmen. Das historisch Deskriptive soll aber zugunsten dessen erweitert werden, daß der Ausleger selbst sich mit dem paulinischen Denken einläßt, um sich von diesem auf einen Weg mitnehmen zu lassen, der nun nicht mehr einfach der Weg des Paulus, sondern eher der von Paulus gewiesene Weg ist. Deshalb wird — nach einem bestimmten Verständnis von Exegese — die „rein" exegetische Fragestellung da und dort verlassen und eine Arbeitsweise gewählt, welche Exegese, Hermeneutik und systematisches Nachdenken als ganzheitliche Denkbemühung zum Zuge bringt. Mit der angedeuteten Erweiterung hängt zusammen, daß die an Paulus gerichtete Frage auch entscheidende Aufschlüsse hinsichtlich des die gegenwärtige theologische Diskussion beschäfti100 Eine Bearbeitung dieses Problemkreises wird von U. Luz ausdrücklich gefordert: „Eine zweite offene Frage ist die nach dem Verhältnis von Kreuzestheologie zur Geschichte des Kreuzes Jesu Christi" (EvTh 34, 141). „Warum berufen sich die neutestamentlichen Kreuzestheologen auf Geschichte? Darum, weil sie als Juden oder jüdisch geprägte Theologen nicht anders können, oder darum, weil sonst ihr eigenes Gottesverständnis sich als eine selbstfabrizierte Erschleichung, die nur Kritik von Menschlichem durch Menschliches ermöglichte, erwiese?" (ebd, Hervorhebung von mir). Genau dieser Frage mit eben diesem Horizont gilt die vorliegende Arbeit.

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Bemerkungen zur Problemstellung

genden Problems der Bedeutung des historischen Jesus für den Glauben erwarten läßt. Dies gilt zunächst unabhängig davon, ob sich jenes Problem bereits bei Paulus stellt oder nicht. Allerdings ist zu beachten, daß Erweiterungen dieser Art nicht einfach beliebig sind, sondern selbst einer Legitimation durch die paulinische Theologie bedürfen. Konkret gesprochen heißt das: es muß gezeigt werden können, daß das Kreuz Jesu bei Paulus als ein geschichtliches Ereignis zur Sprache kommt und daß es zugleich im Horizont des Glaubens an Gott eine grundlegende Rolle spielt. Darauf soll jetzt eingegangen werden. Zum Ausgangspunkt nehmen wir den exegetischen Sachverhalt, wonach die Rede vom Kreuzestod Jesu zum ersten Mal bei Paulus in pointierter Weise an die Stelle deijenigen vom Tod Jesu (oder seinem Blut) gesetzt wird. 101 In dieser Hinsicht unterscheidet sich Paulus deutlich von der vorpaulinischen Gemeindetradition. 102 Besonders augenfällig wird das am Beispiel der paulinischen Korrektur des Philipperhymnus in Phil 2,8. 1 0 3 Die Eindeutigkeit des exegetischen Sachverhaltes, wie er sich in den paulinischen Briefen darstellt 104 , verbietet mE die Annahme, es handle sich bei der Ein10

» Vgl dazu Käsemann, Heilsbedeutung 67; Schneider, ThWNT VII 575,6f: „Eine Kreuzestheologie ist erst von Paulus begründet worden." Die von Schneider im folgenden Satz (aaO 575,7—9) postulierte Alternative: „Darstellung des geschichtlichen Vorganges der Kreuzigung J e s u " — „Aufweis der Heilsbedeutung des Kreuzes" ist mE falsch und irreführend, weil sie suggeriert, daß, wer sich auf das geschichtliche Ereignis der Kreuzigung beziehe, zugleich dessen Heilsbedeutung aus den Augen verliere. 102 Dies gilt zB für IKor 1 5 , 3 - 5 (άπέθανεν, έτάφη); R o m 3,25 (αίμα, vgl Käsemann, Rom 89f zum vorpaulinischen Charakter, sowie 90f zu αίμα für Tod Jesu); Phil 2,8 (μέχρι θανάτου, vgl Bornkamm, Verständnis 177f u n d unten Anm 103); siehe auch IPetr 3,18. 103 Dazu Schweizer, Ökumene 105—107; Käsemann, Kritische Analyse EVuB I 82 (im Anschluß an Lohmeyer); Bornkamm, Verständnis 178; Grundmann, ThWNT VIII 19,4f. Nach Stuhlmacher, ZThK 74, 454 machen es neuere Forschungen (Hofius?) wahrscheinlich, daß der „lange Zeit als paulinisches Interpretament geltende V. 8b (θανάτου δέ σταυρού) dem Hymnus schon ursprünglich zugehört hat". Falls sich dies als zutreffend erweisen sollte, müßte die obige Behauptung relativiert werden (dazu vgl unten S. 209—211 mit Anm 337—339). Am pointierten paulinischen Interesse am Kreuz würde freilich nichts geändert, da dieses in unzweifelhaft paulinischen Texten hinreichend gesichert ist. 104 Er wird weithin anerkannt, vgl oben Anm 101; Bomkamm, Paulus 166 („Paulus meint damit auf alle Fälle den geschichtlichen Tod Christi, den dieser, aufs tiefste erniedrigt, in Schande wie ein Verbrecher gestorben ist [Phil 2,8; 2Kor 13,4], nicht ein zeitloses, paradoxes Symbol."); Luz, EvTh 34,

Zur Präzisierung der Fragestellung

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führung des Kreuzes um eine mehr oder weniger zufällige Variation des Redens vom Tode Jesu. Die Frage ist allerdings, ob Paulus damit lediglich die Faktizität des Historischen betonen und insofern einer dieses hinter sich lassenden „doketischen" Rede vom Tode Jesu entgegentreten wollte. 105 Ganz abgesehen davon, daß die Unterscheidung von (formaler) Faktizität und inhaltlicher Bedeutung noch zu problematisieren sein wird, lassen gerade die Pointiertheit, in welcher Paulus vom Kreuz spricht, und die Zusammenhänge, in denen es bei ihm vorkommt, vermuten, daß die Betonung der Faktizität des Todes Jesu keinen zureichenden Grund für den paulinischen Rückgriff auf das Kreuz darstellen kann. Insofern entspricht unsere Fragestellung einem Grundzug des paulinischen Denkens und ist also berechtigt. Andererseits bringt Paulus ebenso pointiert, wie er auf das Kreuz als geschichtliches Ereignis zurückgreift, dessen Heilsbedeutung zum Zuge. Er will offenbar nichts anderes predigen als Christus, den Gekreuzigten (vgl IKor 2,2). 106 Daraus ergibt sich, daß der paulinische Rückgriff auf das Kreuz in eminentem Sinne mit dem Glauben zu tun hat. Paulus unterscheidet sich ja gerade darin von anderen neutestamentlichen Entwürfen, daß bei ihm das Kreuz keineswegs durch die Auferweckung überholt wird. 107 Vielmehr bleibt es als Kreuz für den Glauben bedeutsam; es geht als solches den Glauben unmittelbar an. Dies wird noch unterstrichen durch die Beobachtung, daß das Kreuz als paulinische Korrektur nur im Rahmen des Glaubens an Christus zur Sprache kommt. Die Rede vom Kreuzestod Jesu ersetzt die vorpaulinischen traditionellen Formeln nicht, sondern interpretiert sie.108 Insofern ist es also berechtigt, die paulinische Kreuzes117; Kuhn, ZThK 72, 28; Stuhlmacher, ZThK 67, 16; Brandenburger, WuD 10, 18; Kertelge, Verständnis 124f; Weber, Kreuz 105 f. los So die Position Bultmanns, vgl oben S. 16 Anm 15. Dazu hätte allerdings die Rede vom Tod Jesu vollauf genügt; siehe auch Bornkamm, Verständnis 182. 106 Vgl Barrett, lCor 63f; Baumann, Mitte 156. 107 Conzelmann, IKor 71 Anm 16: „Durch die Auferstehung ist das Kreuz nicht überholt; vielmehr ist es sagbar geworden." Vgl auch Luz, EvTh 34, 117f: „Vielmehr ist in den meisten neutestament-/lichen theologischen Entwürfen von dem durch Gottes Handeln in Christus eröffneten Heil her das Kreuz dermaßen ins Heil hineingenommen, daß es selbst — wider allen Anschein — zu einem Teil der göttlichen Herrlichkeit umgedeutet worden ist." Dies gilt für Paulus (Markus und den 1. Petrusbrief) gerade nicht. 108 Dazu Kuhn, ZThK 72 (zu Gal 3,13): „die Relevanz des Kreuzes wird in dieser Schlüsselstelle mit dem traditionellen ύπέβ der Deutung des Todes Jesu gewonnen!" (S 35). Schräge, Verständnis 60, stellt fest, daß sich die Bedeutung des (Kreuzes-)Todes Jesu erst von Ostern her erschließt. Vgl ebd Anm 32: „Es gibt zwar in der Urchristenheit eine vom Kreuz isolierte

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Bemerkungen zur Problemstellung

theologie im Blick auf die Frage nach dem Verhältnis von Glaube und Geschichte Jesu zu untersuchen.

0.3 Eine methodologische Zwischenbemerkung Wenn in dieser Arbeit nach dem Stellenwert des Kreuzestodes Jesu für die Theologie des Paulus so gefragt wird, daß diese Frage ausdrücklich in den Horizont deqenigen nach dem Verhältnis von Glaube und Geschichte gestellt wird, dann wird in einem solchen Vorgehen schon eine bestimmte Sicht geschichtlichen Verstehens vorausgesetzt. Davon soll in der folgenden methodologischen Zwischenbemerkung die Rede sein. Grundsätzlich ist vorausgesetzt, daß die exegetische Frage nach der Kreuzestheologie des Paulus keine „rein historische" in dem Sinne ist, daß in ihrem Rahmen nur historische Sachverhalte erhoben werden, sondern sie ist zugleich die Frage nach einem jenen Sachverhalten angemessenen hermeneutischen Ansatz. Dies impliziert einerseits, daß ein den neutestamentlichen Texten angemessener hermeneutischer Ansatz nicht ausschließlich durch Besinnung auf gegenwärtig greifbare (zB philosophisch erhebliche) Verstehensbedingungen entworfen werden kann. 109 So käme das Auferstehungstheologie ( . . . ) , nirgendwo aber eine von Ostern isolierte Theologie des Kreuzes." Hengel, mors 180 stellt fest, es hieße dem Speer die Spitze abbrechen, wollte man die „Redeform vom Sühnetod Jesu oder Blut Jesu von dem ,Wort vom Kreuz' abtrennen". Vgl schließlich Luz, EvTh 34, 122: „Für Paulus besteht Kreuzestheologie nicht darin, daß er das Kreuz interpretiert, sondern daß er vom Kreuz her die Welt, die Gemeinde, den Menschen interpretiert" (kursiv). In diesem Sinne werden die traditionellen christologischen Aussagen als Interpretans aufgenommen, vgl aaO 121, was zugleich eine Neuinterpretation des Interpretans (!) zur Folge hat. 109 Vgl dazu den Zusammenhang zwischen theologischem Gesamtverständnis und Hermeneutik bei Luther (Ebeling, RGG III 251f) und das Problem der Modifikation des Vorverständnisses bei Bultmann (aaO 257). Dazu auch Fuchs: „Die Frage nach uns selbst will uns von uns selbst distanzieren. Indem wir uns fremder werden, k o m m t uns Jesus näher. Dieser Komparativ: ,uns fremder werden' drückt den sogen, hermeneutischen Zirkel aus" (Hermeneutik 120). Das „uns fremder werden" geschieht im Hören: ,Jiören wir aber auf den Text, so werden wir uns fremd, ja fremder", eine Fremdheit, die allerdings „immer schon Wirklichkeit" gewesen ist, sofern der Mensch immer schon in Konkurrenz mit Gott gestanden hat (aaO 124). Eben diese Konkurrenz stellt sich hermeneutisch in der Behauptung dar, das herrschende Wirklichkeitsverständnis sei fur die Auslegung unbedingt maßgebend.

Eine methodologische Zwischenbemerkung

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herrschende Wirklichkeitsverständnis noch einmal zur Herrschaft, indem es sich auch die ihm entgegenstehenden Texte zu unterwerfen vermöchte. Vielmehr muß der hermeneutische Ansatz durch Rückbesinnung auf die Tradition gewonnen werden, welcher die Verstehensbemühung gilt. Das hier gewählte Vorgehen läßt erhoffen, daß der hermeneutische Ansatz so mit seinem Anwendungsbereich in Zusammenhang gebracht werden kann, daß die aus dem herrschenden Wirklichkeitsverständnis herkommende Verstehensweise ihrerseits eine Präzisierung erfährt. Auf der anderen Seite kann es nicht darum gehen, die paulinische Weise des theologischen Bezugs auf Geschichte einfach zur axiomatischen Grundlage des hermeneutischen Ansatzes zu machen. Es wird also nicht darauf abgezielt, so etwas wie ein paulinisches Geschichtsverständnis auszumachen und dieses dann zum exklusiven Maßstab des Auslegers zu erklären. Auf diese Weise würde der Ausleger durch seinen Ausstieg aus dem gegenwärtigen Wirklichkeitsverständnis schon von vornherein den Kontakt zu diesem verlieren. Ein so gewonnener hermeneutischer Ansatz würde dem Grundsatz, daß die Verstehensweise des Glaubens eine geschichtliche ist, insofern nicht Rechnung tragen, als er schon auf ungeschichtliche Weise gewonnen worden wäre. Vielmehr soll im folgenden eine gegenwärtige, geschichtliche Verstehensweise (unser Beispiel: die analytische Geschichtsbetrachtung) im Vollzug eines exegetischen Verstehensvorgangs mit der Denkweise des Paulus in Beziehung gebracht werden. Mit der Wahl eines derartigen Vorgehens verknüpft sich die Erwartung, daß die paulinische Rede vom Kreuzestod Jesu (schon im exegetischen Verfahren) in unsere Verstehensweisen eingebracht wird. Mit anderen Worten: in dieser Weise historisch-theologischer Interpretation des Paulus erfolgt zugleich ein Gegenwartsbezug seiner Gedanken, so daß dieser also keinen gesonderten (hermeneutisch orientierten) Arbeitsgang darstellt. Dabei muß allerdings davon ausgegangen werden, daß der Prozeß des historischen Verstehens nicht lediglich eine technisch zu handhabende Methode ist, sondern daß ihm selbst eine eminente hermeneutische Funktion zukommt. 1 1 0 Mit der Wahl eines solchen 110

Damit soll der Versuch gemacht werden, die Kategorie der Auslegung im Blick auf die Methodik (und nicht nur im Blick auf den Gegenstand derselben) zu konkretisieren (vgl auch oben S. 17f). Soll nämlich die Methodik ihrerseits im Horizont der Kategorie Auslegung verstanden werden, so muß die historisch-kritische Methode in ihrem hermeneutischen Aspekt (nämlich als eine ihren Gegenstand auf die Gegenwart des Auslegers beziehende Weise der Auslegung) wahrgenommen werden. Dann wird man ihre Ergebnisse nicht mehr bloß zur Kenntnis nehmen, um dann an ihnen vorbei zu gehen statt durch sie hindurch (vgl auch Ebeling, Bedeutung WuG I 49).

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Bemerkungen zur Problemstellung

Vorgehens verknüpft sich ferner die Erwartung, daß dadurch nicht nur die herrschenden Anschauungen, sondern auch die gegenwärtige Vers tehensw eise selbst einer Präzisierung unterzogen wird, indem diese in Entsprechung zum paulinischen Denken gebracht wird. Es gilt nämlich, dem Prinzip des „ V e r n e h m e n s " auch im Blick auf die Methodologie R e c h n u n g zu tragen. 1 1 1 Geschichtliches Verstehen heißt j a keineswegs nur, vom herrschenden Geschichtsbegriff aus die Vergangenheit als Geschichte verstehen, sondern auch von j e n e r Vergangenheit aus diesen Geschichtsbegriff neu verstehen lernen. In diesem Z u s a m m e n h a n g wird es von Bedeutung sein, daß Paulus sich theologisch a u f die Geschichte des Kreuzestodes J e s u bezieht. Daß überhaupt solches von dem besprochenen Verfahren erwartet werden kann, beruht auf der A n n a h m e , w o n a c h der historischen Methode als einer Denkweise dann und n u r dann ein relativ voraussetzungsloser Charakter z u k o m m t , wenn sie sich in d e r angedeuteten Weise auf die Voraussetzung ihres spezifischen Gegenstandes e i n l ä ß t . 1 1 2 Es ist nämlich schon in der M e t h o d e selbst beschlossen, daß sie bei ihrem Eingehen auf die Voraussetzung Zum Prinzip des „Veraehmens" siehe Stuhlmacher, NT und Hermeneutik 36, der „Vernehmen" als „notwendiges Pendant" zum „methodischen Zweifel" versteht. Das heißt dann: zum Zweifel muß „die Bereitschaft hinzukommen, den Anspruch der Tradition, ihres Wirklichkeitsgehaltes und ihrer Wirkungsgeschichte aufzunehmen und zu verarbeiten" (aaO 37). Eben dieses Prinzip muß mE schon in der Methodologie spielen, indem schon die Methoden selbst sich in gewisser Weise dem Vernehmen verdanken. 112 Diese Annahme wird hier in Analogie zu Barths Bemerkungen über die dogmatische Methode (KD 1/2 954ff) gemacht. Nach Barth besteht die Autonomie der Dogmatik in ihrer Theonomie (aaO 959). Deshalb kann die Dogmatik nicht in der Form eines Systems dargestellt werden, weil es in eben dieser Darstellungsweise (durch Implikation sachfremder Grundanschauungen) um die Freiheit geschehen wäre, „in welcher in ihr (sc der Dogmatik) Gehorsam zu üben ist, aber auch um den Gehorsam, in welchem sie ihre Freiheit zu bewähren hat" (aaO 963). „Die Wahl der dogmatischen Methode kann also . . . nur in der Absicht erfolgen, das menschliche Denken und Reden auf einen solchen Weg zu stellen, auf welchem es der Verfügungsgewalt seines Gegenstandes, dem Worte Gottes, möglichst ungesichert preisgegeben ist: auf einen um der einen Voraussetzung willen in jeder anderen Hinsicht möglichst voraussetzungslosen Weg also" (aaO 969, Hervorhebung gesperrt). Im Blick auf die hermeneutische Prinzipienlehre stellt Barth fest: sie ist schwerlich aus einer allgemeinen Anthropologie zu gewinnen (aaO 515), vielmehr muß sie von der Schrift selbst hergeleitet sein. Diese Herleitung geschieht allerdings „nicht in der Meinung, daß sie nur für die Bibelerklärung, sondern durchaus in der Meinung, daß sie, weil für die Bibelerklärung, für die Erklärung des menschlichen Wortes überhaupt Gültigkeit, daß sie also allerdings Anspruch auf allgemeine Anerkennung habe" (ebd, Hervorhebungen gesperrt). 111

Eine methodologische Zwischenbemerkung

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ihres Gegenstandes in gewisser Weise von ihren eigenen Voraussetzungen distanziert wird. Sie verspricht deshalb, eine gewisse Befreiung vom herrschenden Wirklichkeitsverständnis zu ermöglichen, sofern sie schon im Vollzug von den Denkweisen, denen sie verpflichtet war, Abschied nehmen kann. Deshalb leitet sie dazu an, nicht nur sie selbst, sondern auch den Menschen und die Welt, dh die Wirklichkeit, neu zu verstehen. Wenn in dieser Arbeit dem Geschichtsbegriff besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird, so geschieht dies im Interesse einer Explikation und kritischen Klärung der exegetischen Arbeitsweise. Ausgehend von dem Sachverhalt, daß der Exegese als einer geschichtlichen, auf die biblischen Texte ausgerichteten Verstehensweise sowieso ein Geschichtsbegriff zugrunde liegt, soll im folgenden versucht werden, diesen erneut thematisch und damit auch diskutierbar zu machen. Die Suche nach einem angemessenen Geschichtsbegriff ist schon deshalb ständige Aufgabe der Exegese, weil eine „in ihrer entscheidenden geschichtlichen Zielvorstellung richtungslos gewordene historische Exegese . . . selbst ziel- und richtungslos werden (muß)" 1 1 3 . Die folgenden Überlegungen verstehen sich demnach im Rahmen des Aufbruchs „zur Suche nach einer Sicht von Wirklichkeit und Geschichte, die unserer Arbeit wieder Richtung gibt" 1 1 4 . Daß eine solche Aufgabe in einer Arbeit wie der vorliegenden nicht hinreichend bewältigt werden kann, ist selbstverständlich. Diese Feststellung darf jedoch nicht dazu verleiten, jene Aufgabe überhaupt nicht anzupacken. Wenn die Aufgabe in Gestalt einer exegetischen Bemühung um den theologischen Bezug des Paulus auf die Geschichte des Kreuzestodes Jesu angegangen wird, so soll damit dem Grundsatz entsprochen werden, 113 Stuhlmacher, NT und Hermeneutik 32. Stuhlmacher sieht das „Hauptproblem aller gegenwärtigen Textinterpretation" darin, daß wir „derzeit weder schon einen neuen integrierenden Ansatz für eine umfassende Geschichtskonzeption noch auch wenigstens einen integrierenden Ansatz für eine maßgebende Anthropologie als Element (!) solcher Geschichtsschau" besitzen (ebd). 114 Stuhlmacher, aaO 33. Dieser Aufbruch ist notwendig geworden, weil „erstens gravierende Veränderungen in unserem Geschichts- und Wirklichkeitsverständnis zu verarbeiten und zweitens ebenso gewichtige Veränderungen in unserer Sicht der neutestamentlichen Uberlieferung eingetreten sind" (aaO 32, beides dürfte mE aufs engste zusammenhängen). Besonders ist dabei auf die „durch die existentiale Geschichtsinterpretation eine Zeitlang zurückgedrängten universalgeschichtlichen Probleme" zu achten, die sich nunmehr „mit Vehemenz und . . . unentrinnbar zurückmelden" (aaO 34, Hervorhebung von mir).

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Bemerkungen zur Problemstellung

daß ein integrierendes Geschichtsbild am ehesten „aus einer reflektierten Rückbesinnung auf unsere geschichtliche Tradition"115 resultiert. Es ist anzunehmen, daß die paulinische Rede vom Kreuz nicht nur ekklesiologische und theologische, sondern auch geschichtsphilosophische Konsequenzen hat. 116 Konkret werden wir wie folgt vorgehen: Wer fragen will, wie sich Paulus theologisch auf die Geschichte des Kreuzestodes Jesu bezieht, wird gut daran tun, zunächst einmal zu fragen, wie sich der gegenwärtige Historiker auf Geschichte bezieht. Dies geschieht hier im wesentlichen am Beispiel der Entwürfe von Danto 117 und Lübbe 118 (Teil 1). Daraus ergibt sich eine Reihe von geschichtstheoretischen Kategorien, mit denen dann exegetisch an die Kreuzestheologie des Paulus herangegangen wird (Teil 2). Im Vollzug des exegetischen Arbeitsganges werden jene Kategorien ihrerseits einer theologischen Interpretation unterzogen. Schließlich werden ansatzweise Konsequenzen gezogen im Blick auf den Bezug des Glaubens auf die Geschichte Jesu und also auch auf den integrierenden Geschichtsbegriff einer dem Neuen Testament angemessenen historischen Exegese (Teil 3). Die in der Einleitung zutage getretenen Fragestellungen (Teil 0) begleiten die Überlegungen der übrigen Teile. 115

Stuhlmacher, aaO 39 (einem Hinweis von G. Picht folgend, vgl Anm 56). Dies um so mehr, als Paulus „vom Kreuz her die Welt, die Gemeinde, den Menschen interpretiert" (Luz, EvTh 34, 122, kursiv). Das Kreuz ist insofern ein Angelpunkt der Theologie, „von dem aus theologisch Ansätze in die Anthropologie, die Geschichtsphilosophie, die Ethik etc. hinein entfaltet werden" können (aaO 116, Hervorhebung von mir). 117 A. C. Danto, Analytische Philosophie der Geschichte, Frankfurt a.M. 1974 (deutsche Ubersetzung). 118 H. Lübbe, Geschichtsbegriff und Geschichtsinteresse, Basel/Stuttgart 1977. 116

1 ZUM ANALYTISCHEN GESCHICHTSBEGRIFF In diesem Überlegungsgang soll anhand der genannten analytischen Entwürfe das Verhältnis des Historikers zur Geschichte wenigstens in Umrissen dargestellt werden. Dabei geht es nicht um eine Gesamtdarstellung der analytischen Geschichtstheorie. Vielmehr werden einige für unsere Fragestellung besonders interessante Aspekte ausgewählt und in Beziehung zu unserem Thema gesetzt. Im Sinne einer vorläufigen Abgrenzung dessen, was Geschichte ist, kann zunächst gesagt werden: Geschichte ist alles, was sich in der Vergangenheit ereignet hat. Diese noch unpräzise und naive Definition umfaßt mehr als das, was gemäß dem üblichen Sprachgebrauch unter Geschichte verstanden wird. Unter sie fallen zum Beispiel auch „Naturgeschichte", Geschichte des Universums und dergleichen mehr. Die Geschichte, für die sich der Historiker interessiert, umfaßt eingeschränkt menschliches Tun und Leiden in der Vergangenheit1 und nur insofern Ereignisse der Naturgeschichte, als Menschen an ihnen beteiligt (zB Ausrottung einer Tierart) oder von ihnen betroffen (zB Naturkatastrophen) sind. Jedenfalls ist der Begriff der Vergangenheit für die Geschichte konstitutiv.2 Im Blick auf den gewöhnlichen Sprachgebrauch ergibt sich eine weitere Differenzierung unserer Definition. Geschichte beZu dieser Einschränkung vgl Faber, Theorie 35: „Die den Historiker interessierende Geschichte umfaßt menschliches Tun und Leiden in der Vergangenheit" (kursiv). Damit ist der Einengung der Gcschichte auf die „Beschäftigung mit dem schriftkundigen Menschen" (ebd) oder auf „Geschichte als Geschichte der menschlichen Gedanken" (Collingwood, vgl Faber, aaO 35f; modifizierend auch Bultmann, Geschichte 155ff, der dieselbe Korrektur an Collingwood vornimmt: Geschichte ist nicht nur die Abfolge menschlicher Handlungen, sondern auch diejenige menschlicher Widerfahrnisse, aaO 162) entgegengetreten. Zu den mit der Bildung des Kollektivsingulars „die Geschichte" verbundenen Problemen vgl unten 1.4 und Lübbe, Geschichtsbegriff 8 2 ff. 2 Danto, Philosophie 108ff sieht deshalb die „temporale Sprache" als für die Geschichtswissenschaft grundlegend an. Zur Erläuterung des Begriffs „Vergangenheit" vgl Faber, Theorie 37—44. „Daß in den Naturwissenschaften der Zeitfaktor eine immer größere Rolle spielt, . . . sollte . . . davor warnen, das Zeitmoment als unterscheidendes Merkmal der Geschichtswissenschaft zu sehr zu betonen" (aaO 37). Der Stellenwert der Vergangenheit muß noch genauer umschrieben werden, vgl unten S. 103—119. 1

4 Weder, Kreuz

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Zum analytischen Geschichtsbegriff

zeichnet ja nicht nur menschliches Tun und Leiden in der Vergangenheit, sondern zugleich auch unser Wissen von jenem vergangenen Geschehen. 3 „Das deutsche Wort G(eschichte) . . . meint sowohl die geschehene G(eschichte) als auch das Wissen von ihr." 4 Bereits aus diesem Sprachgebrauch ergibt sich, was im Sinne einer minimalen Charakterisierung historiographischer Tätigkeit über die Aufgabe des Historikers gesagt werden kann, nämlich „daß das Unterfangen, dem Historiker sich letztendlich widmen, der Versuch ist, wahre Feststellungen über Ereignisse aus ihrer eigenen Vergangenheit zu treffen oder wahre Beschreibungen davon zu geben" 5 . Mit dieser Charakterisierung ist — wenigstens in einer Hinsicht — das Problem der Sprache bewußt gemacht, sofern es sich beim Bezug des Historikers auf Geschichte notwendigerweise um einen sprachlichen Bezug handelt. Das Problem wird genauer zu betrachten sein; für den Moment genügt der Hinweis darauf. Die angesprochene Zweideutigkeit des Wortes „Geschichte" verweist noch auf einen weiteren Problemkreis, der mit dem Verhältnis von Wissen um Vergangenes zu diesem selbst umschrieben werden kann. In welcher Weise unterscheidet sich das vergangene Geschehen von dem Wissen darum? Unter welchen Bedingungen kann überhaupt etwas vom Vergangenen gewußt werden? Wie kommt dieses Wissen zustande? Welche Rolle spielt das Subjekt des Historikers in dem Erkenntnisvorgang und der Darstellung jenes Wissens? Solche und ähnliche Fragen gelten im Grunde dem Problemkreis von Objektivität und Relativität der Geschichte. Diesem werden wir uns jetzt zuwenden.

1.1 Zur Frage der Objektivität der Geschichte Der nun folgende Uberlegungsgang interessiert insbesondere in der Hinsicht, inwiefern sich mit geschichtlichen Aussagen zugleich die 3

Vgl Faber, Theorie 23, mit Verweis auf die bisweilen angewandte sprachliche Differenzierung in Geschichte (= vergangenes Geschehen) und Historie (= Umgang mit der Geschichte). 4 Gadamer, 3 RGG II 1489. 5 Danto, Philosophie 49. Diese Charakterisierung ist eine „notwendige Bedingung, das Prädikat ,ist ein Historiker' auf ein Individuum anzuwenden", ohne daß jedoch damit gesagt ist, daß sie auch „eine zureichende Bedingung sei" (ebd). Aber diese Aufgabe beschäftigt den Historiker in jedem Falle, was auch immer er sonst noch tun mag (aaO 49f). Zugleich soll nicht gesagt werden, daß die Historiker in der so bestimmten Aufgabe erfolgreich seien, sondern lediglich, „daß sie versuchen, es zu sein" (aaO 50).

Zur Frage der Objektivität der Geschichte

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Möglichkeit ergibt, sie als Extra-nos zum Zuge zu bringen. Damit hängt ja die Frage zusammen, ob eine geschichtliche Redeweise von Gott den Extra-nos-Chrakter ihres Gegenstandes überhaupt zu wahren vermag, präziser gesagt: ob mit dem Rückgriff auf die Geschichte Jesu Christi überhaupt etwas im Interesse des Extra-nos des Heiles 6 getan ist. Zugleich steht hier zur Debatte, ob der Geschichtsbezug des Glaubens so etwas wie einen Erfahrungsbezug darstellt. Die Problematik der Objektivität der Geschichte läßt sich grundsätzlich in der Frage nach dem Gegenstandscharakter vergangenen Geschehens begreifen. Gerade dieser ist immer wieder in Zweifel gezogen worden 7 , sei es mit .Verweis auf die Unangemessenheit 6

Nach Käsemann wollen die Synoptiker — anders als Johannes —, indem sie der Vergangenheit der Geschichte u n d des Todes Jesu eine so erhebliche Eigenbedeutung belassen, „doch wohl auf den Kairos hinweisen, der mit Jesus begonnen hat, durch ihn bestimmt wird u n d jede spätere Situation u n d Entscheidung prädestiniert. Sie wollen, möchte ich formulieren, das extra nos des Heiles als Vorgegebenheit des Glaubens herausstellen" (Problem EVuB I 202, Hervorhebung von mir). 7 Die Bestreitung des Gegenstandscharakters der Geschichte konkretisiert sich in der Behauptung, daß die Geschichtswissenschaft sich dadurch von den Naturwissenschaften unterscheide, „daß sie keinen vom Erkenntnissubjekt losgelösten Gegenstand im strengen Sinne k e n n t " (Faber, Theorie 24). Faber nennt neben Heuß (aaO 24 Anm 7: „Der .Gegenstand' geschichtlichen Wissens k o m m t in der Einbildungskraft zustande.") Gadamer als radikalen Vertreter dieses Zweifels (aaO 25). Gadamer sieht in der Tat einen fundamentalen Unterschied zwischen Geistes- und Naturwissenschaften. In der Geschichtswissenschaft gilt: „Erst durch die Motivation der Fragestellung konstituiert sich überhaupt Thema und Gegenstand der Forschung" (Wahrheit und Methode 269, vgl 268). Daraus zieht Gadamer den Schluß, daß in der Geschichtswissenschaft ein „solcher Gegenstand an sich ... offenbar überhaupt nicht (existiert)" (aaO 269, Hervorhebung von mir). In ähnlicher Weise sieht Bultmann den Verlust an Objektivität gerade im Streben nach Objektivität begründet (Geschichte 129). Objektivität im herkömmlichen Sinne ist nur auf dem Gebiet einer Raum-Zeit-Bestimmung möglich (aaO 130). Damit ist jedoch Geschichte nicht ausreichend verstanden, vielmehr ist sie eine ,ßewegung, ein Prozess", u n d jedermann kann Mächte gewahren, die in diesem wirksam sind (ebd). „Endlich sind historische Ereignisse und Taten das, was sie sind, als historische, nur zusammen mit ihrem Sinn oder ihrer Bedeutung" (aaO 131). Da alle Geschichtsschreibung dort beginnt, wo das „Stadium der Chronik und Novelle verlassen ist" (aaO 132), gehört der (je und dann verschiedene) Gesichtspunkt, unter dem sie geschrieben wird, notwendig zu ihr. Das infolgedessen ins Spiel kommende Subjekt des Historikers führt zur Subjektivität geschichtlicher Aussagen, welche ein „notwendiger Faktor objektiver historischer Erkenntnis" ist (aaO 133). Sofern schon „in der Wahl eines Gesichtspunktes" das wirksam ist, was

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Zum analytischen Geschichtsbegriff

des Subjekt-Objekt-Schemas, sei es im Sinne eines generellen erkenntnistheoretischen Skeptizismus hinsichtlich des vergangenen Geschehens 8 . Die Radikalität des Zweifels an der Objektivität der Geschichte nötigt zu einer genaueren Bestimmung dessen, was mit dem Gegenstandscharakter der Geschichte gemeint sein kann. Der Geschichte kommt insofern Objektivität zu, als das vergangene Geschehen relativ abgeschlossen und festgelegt ist. Diese Abgeschlossenheit läßt es nicht zu, daß die Geschichte zur Disposition des auf sie gerichteten Erkenntnissubjekts gestellt wird. 9 Dies gilt Bultmann „die existenzielle Begegnung mit der Geschichte nennen m ö c h t e " (ebd), entsteht Objektivität nur in existenzieller Begegnung mit der Geschichte (aaO 134—136; dazu vgl Ricoeur, Histoire 34, der eine Wechselbeziehung feststellt: „L'histoire fait l'historien autant que l'historien fait l'histoire."). Die interessante Frage ist aber, in welcher Weise die vom Historiker vorgenommene Zuerteilung von Sinn zur Disposition des Erkenntnissubjekts gehört oder aber durch den Gegenstand selbst historisch begründet sein kann. Nach Bultmann geschieht die Zuerteilung von Sinn jedenfalls nicht „nach seinem (sc des Historikers) Belieben", sondern in Berücksichtigung der Tatsache, daß „zu jedem historischen Phänomen ... seine Zukunft" gehört (aaO 134f). Die „Illusion des objektivierenden Denkens" besteht demnach darin, daß es davon ausgeht, „die Phänomene in ihrem eigentlichen Selbstsein, das der Historiker in reiner Rezeptivität aufnehmen könnte", erkennen zu können (aaO 136). Demgegenüber ist festzuhalten: „Echte historische Erkenntnis verlangt gerade die persönliche Lebendigkeit des verstehenden Subjekts", und in diesem Sinne ist „die subjektivste Interpretation zugleich die objektivste" (aaO 137). 8 Danto erinnert in diesem Zusammenhang an ein Gedankenspiel Russells (Philosophie 56—58). Wenn es logisch möglich ist, daß die „Welt erst vor fünf Minuten geschaffen wurde, vollständig, mit uns darin und all unseren Erinnerungen, und daß sie all jene Stücke und Teile von Dingen enthielte, die / wir zum Beweis für eine wesendich ältere Welt heranziehen", dann wären alle Aussagen über die Vergangenheit, sofern sie sich als Verweise geben, „entweder falsch (Russell), oder die Frage nach wahr u n d falsch würde sich gar nicht erst stellen (Strawson)" (aaO 56f). In diesem (übrigens nicht einmal von Rüssel ernst genommenen) Spiel wird der temporale Skeptizismus zum Ausdruck gebracht (dazu Danto, aaO 108—146). Dieser behauptet, daß alle vergangenheitsbezogenen Sätze ohne Schwierigkeiten in tempus-ncutrale umgeformt werden können, daß also zwischen Vergangenheit u n d Gegenwart keine logisch notwendige Beziehung besteht (aaO 129f). Danto zeigt demgegenüber, „wie sehr unser Begriff der Vergangenheit mit dem Begriff der Kausalität verknüpft ist und daß unser Begriff der Kausalität zu unserer Sprache unauflöslich in Beziehung steht" (aaO 132, Hervorhebung von mir). Am Beispiel des Prädikats „ist eine Narbe" (vgl aaO 122.126f) zeigt Danto, daß der Begriff der Vergangenheit als Wirklichkeit schon mit der Sprache selbst gegeben und also nicht eliminierbar ist. 9 Zur Irreversibilität vgl die Bemerkungen Lübbes, Geschichtsbegriff 16.93. 264. Das Phänomen der Indisponibilität kann man sich an der eigenen Le-

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zunächst einmal hinsichtlich der Faktizität von Ereignissen, die durch den Historiker weder aufgehoben werden können noch allererst geschaffen werden müssen. Daran wird auch dann nichts geändert, wenn man darauf hinweist, daß das vergangene Geschehen dem Historiker zu einem großen Teil nur durch sprachliche Zeugnisse (Quellen) oder zu einem kleineren Teil durch andersartige Urkunden und also nicht direkt zugänglich ist. Der angesprochene Sachverhalt läßt sich mit Danto anhand der Gegenüberstellung von „Geschichte-als-Wirklichkeit" und „Geschichteals-Urkunde" etwas präzisieren. 10 Ein historischer Skeptiker würde feststellen, daß die Geschichte-als-Urkunde einen undurchdringlichen Vorhang zwischen uns und der Geschichte-als-Wirklichkeit darstellt, durch den hindurch zu blicken unmöglich ist. 11 Also ließen sich historische Aussagen nur über diesen Vorhang selbst machen. Demgegenüber läßt sich allerdings zeigen, daß schon der Sprachgebrauch von „ Geschichte-als-Urkunde" sich der Geschieh te-als-Wirklichkeit verdankt. 12 Wer sich nur auf Aussagen über den Vorhang, das ist über die Geschichte-als-Urkunde, beschränkt, ist einem Analphabeten vergleichbar, der einen vorliegen-

bensgeschichte klar machen: wenn es auch zutreffen mag, daß einer seine Geschichte stets in bestimmten Zusammenhängen und da je verschieden erzählt (Lübbe, aaO 171), so steht ihm diese seine Geschichte dennoch nicht zur Disposition, sofern die durch jene Geschichte zustande gekommene Identität nie „ n u r das Resultat des sozialen Drucks der Erwartungen anderer" sein kann (aaO 170). Wenn die , jeweils eigene indisponible Identität dauerhaft inakzeptabel bleibt", gibt es nur den Ausweg „ihrer Tilgung und somit der Erfindung einer ganz anderen Lebensgeschichte" (aaO 171). „Wer wir und andere sind — das also steht, so wenig wie unsere jeweiligen Vergangenheiten, nicht zur Disposition von Historikern . . . , u n d im deswegen unverzichtbaren Begriff der abgeschlossenen Vergangenheit ist das festgehalten" (aaO 218). Zum Ganzen siehe auch Faber, Theorie 38—40 (relative Unabgeschlossenheit der Vergangenheit). 10 Danto, Philosophie 147ff. Urkunden sind „Dokumente, Monumente, Symbole, Erinnerungen oder Ausschnitte und Teilstücke der gegenwärtigen Welt, die bestimmte Beziehungen zur Geschichte-als-Wirklichkeit unterhält" (aaO 147). 11 Danto, aaO 148. 12 Schon durch die Aussage „Geschichte-als-Urkunde" wird die Geschichteals-Wirklichkeit ins Spiel gebracht, andernfalls sie überhaupt nicht möglich wäre (aaO 152). Unsere Konzeption von Vergangenheit erwerben wir mit der Sprache selbst. „Niemand, . . . der seine Sprache ausreichend beherrscht, kann vollständig in der Gegenwart leben" (aaO 153, Hinweis auf Vicos Erkenntnis, daß Geschichte und Sprache hinsichtlich ihrer Entstehung in einem Begründungszusammenhang stehen).

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den Text nur als Sammlung physikalischer Objekte, dh als „Häkchen und Kringel getrockneter Tinte" betrachten würde. 13 Dieser Vergleich macht deutlich, daß jener Vorhang nicht etwa das Hindernis, sondern gerade die Bedingung der Möglichkeit historischer Erkenntnis darstellt. 14 Dazu kommt, daß sich erst im Durchblick durch jenen Vorhang allfällige Muster an ihm feststellen lassen. Unbildlich gesprochen heißt das: gerade der Blick auf die Geschichte-als-Wirklichkeit schärft seinerseits den Blick auf die Geschichte-als-Urkunde, was wiederum einen schärferen Blick auf die erste zur Folge hat. Dies ist der notwendige Zirkel historisch-kritischer Erkenntnis. Im Blick auf die neutestamentliche Exegese folgt daraus, daß die geschichtliche Hinterfragung der Texte, sofern diese nach ihrem Selbstverständnis überhaupt auf ein Geschehen verweisen, zu ihrem Verständnis als Texte unabdingbar und zugleich eine Bedingung der Möglichkeit sachkritischer Aussagen ist. Dabei kann die Differenz, welche zwischen kerygmatisch auf ein Geschehen verweisenden und berichtend auf Ereignisse bezogenen Texten besteht, zunächst außer Acht gelassen werden. Hier geht es nur um die prinzipielle Frage, ob zusammen mit einem Text auch dessen Verweisungsbezüge (oder: seine Welt) berücksichtigt werden sollen. Eine historische Rückfrage hinter das „Wort vom Kreuz" auf das geschichtliche Ereignis der Kreuzigung oder hinter die Evangelien auf den historischen Jesus trägt einerseits gerade zum besseren Verständnis jenes Wortes als eines das Geschichtliche überschreitenden bei, und andererseits ist sie eine Voraussetzung zu sachkritischer Stellungnahme. Die Objektivität der Geschichte gilt nun nicht nur hinsichtlich der Faktizität von einzelnen Ereignissen, sondern in gewisser Weise auch im Blick auf Aussagen über den Sinn oder die Bedeutung von historischen Ereignissen. Wenn es auch zutreffen mag, daß der Sinn der Geschichte erst an ihrem Ende erkennbar ist 1S , so gilt dennoch von einzelnen Ereignissen, daß ihr Sinn oder ihre Bedeutung im Kontext anderer Ereignisse gegeben ist. Gewiß handelt es sich hierbei nicht um ihren endgültigen Sinn, sondern um ihren rela13

Danto, aaO 151. Danto, aaO 148. Aus diesem Grunde ist für den Historiker der Schritt über das Bezeugte hinaus zu dem Geschehen selbst ein notwendiger Schritt (vgl Hartlich, ZThK 75, 470f, der Schritt vom „quid dictum" zum „quid verum"). 15 Vgl Bultmann, Geschichte 135; Lübbe, Geschichtsbegriff 82. 14

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tiven. 16 Diesem allerdings kommt eine gewisse Objektivität zu. 17 Die Objektivität gilt sowohl im Blick auf den Historiker selbst, sofern dieser mit seiner Bedeutungsaussage, welche durch die Verknüpfung von mindestens zwei Ereignissen zustande kommt, in den meisten Fällen nicht bei sich selbst anfängt, sondern bereits Geschichtserzählungen mit entsprechenden Bedeutungsaussagen vorfindet. 18 So wenig das Individuum die Sprache erschafft, so wenig erschafft der Historiker die Deutung von Geschichte. Die angesprochene relative Objektivität gilt aber auch im Blick auf die Ereignisse selbst. Wenn die Bedeutung eines Ereignisses E-l sich erst im Zusammenhang mit einem (späteren) Ereignis E-2 vollzieht, dann folgt daraus, daß zum Zeitpunkt des Ereignisses E-l (t-1) die ganze Wahrheit über dieses nicht ausgesagt werden kann. E-l läßt sich also zum Zeitpunkt seines 16 Dieser Sinn ist deshalb relativ, weil die Z u k u n f t jener Ereignisse nicht bekannt sein kann, da sie sich noch nicht ereignet hat (selbstverständlich nur unter Voraussetzung eines nicht-deterministischen Geschichtsbegriffs; dazu Danto, Philosophie 22f: der Unterschied zwischen einem substantialistischen und einem analytischen Geschichtsphilosophen besteht darin, daß der letztere darauf verzichtet, den endgültigen Sinn eines Ereignisses auszusagen, und also nicht so verfährt, als habe er die ganze Geschichte wie einen Roman vor sich). Zum Problem der Relativität von Sinnaussagen in der Geschichte vgl Bultmann, Geschichte 135f. 17 Die Objektivität der Bedeutung ist schon dadurch gegeben, daß sie durch eine Erzählung zustande kommt, die zwei Ereignisse E-l und E-2 miteinander verknüpft (Danto, aaO 23). Wenn ein solcher Satz wahr sein soll, dann erfordert er zumindest das Eintreten beider Ereignisse (aaO 265, vgl 213.192f). 18 Man kann diesen Sachverhalt mit dem Erlernen der Sprache vergleichen (Danto, aaO 153). Dadurch k o m m t ein das Individuum übersteigender Faktor ins Spiel, wenngleich auch zu sagen ist, daß jede Geschichtserzählung eine „narrative Organisation" voraussetzt, die der Erzähler trifft und die einen „unausrottbaren subjektiven Faktor" darstellt (aaO 230f, Hervorhebung von mir). Dabei ist es jedoch nicht notwendig, auf eine objektive Kausalität zurückzugreifen. Vielmehr ist nur eine „konstante Verbindung gleicher Ereignisse mit ähnlichen Ereignissen" anzunehmen (aaO 384). „Es ist natürlich wahr, daß wir selbst nicht erst diese Assoziationen herstellen müssen, indem wir individuell die induktiven Generalisierungen durchführen, die es uns gestatten, Kausalerklärungen zu liefern"; hier liegt so etwas wie ein „soziales Erbe" vor (ebd). Diese Weise, die Wirklichkeit zu betrachten, ist gleichursprünglich mit der Sprache und insofern relativ objektiv. 19 Danto zeigt mittels der gedanklichen Konstruktion eines sogenannten Idealen Chronisten die Problematik der Wahrheit historischer Sätze. Der Ideale Chronist ist wie folgt charakterisiert: „Was immer geschieht, er weiß es stets im selben Moment, in dem es geschieht, er weiß sogar, was in anderen Köpfen vorgeht" (aaO 241; er besitzt also einen vollständigen Querschnitt aller Ereignisse zu einem Zeitpunkt t-1). Die kontinuierliche Tätigkeit eines

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Eintretens gar nicht vollständig beschreiben. Vielmehr ist seine Beschreibung erst dem Historiker möglich, der in der Lage ist, die Z u k u n f t von E - l (in unserem Beispiel E - 2 ) zu k e n n e n . 2 0 Daraus ergibt sich weiter, daß gerade die Distanz des Historikers zu dem Ereignis, das er beschreiben will, die Bedingung der Möglichkeit einer wahren Beschreibung ist. 2 1 Der Historiker ist also dem B e o b a c h t e r , gerade indem ihm der Standpunkt des letzteren verwehrt ist, qualitativ überlegen. Bezieht m a n diese Grundbedingung historischer Wahrheitserkenntnis beispielsweise auf die synoptischen Jesuserzählungen, dann wird sofort deutlich, mit welcher Legitimität Bedeutungsaussagen über Begebenheiten und W o r t e des irdischen J e s u s so auf seinen Kreuzestod bezogen werden, daß erst von diesem her die historische Wahrheit über jene ausgesagt werden kann. Die Geschichte J e s u kann erst nach seinem K r e u z e s t o d sachgemäß erzählt werden. E b e n dies h a t das Markusevangelium vollzogen, indem es jene Geschichte als Passionsgeschichte mit ausführlicher Einleitung schrieb. 2 2 Das solchen Idealen Chronisten ergäbe eine „Ideale Chronik" (fortan: IC). Sie ist notwendig definitiv (aaO 241), eine vollständige Beschreibung der Vergangenheit, „,wie sie eigentlich gewesen ist'" (aaO 244), ein „Idealer Zeuge" (aaO 245). Hingegen könnte die IC eine ganze Klasse von Aussagen nicht machen: sie könnte keine erzählenden Sätze bilden, die ein Ereignis mit einem andern in Zusammenhang bringen (aaO 247). Beispielsweise wäre der Satz „Der dreißigjährige Krieg begann im Jahre 1 6 1 8 " unmöglich (aaO 246). Damit wäre die IC als idealer Zeuge nicht in der Lage, die ganze Wahrheit auszusagen. Sie könnte also genau das nicht, was die eigentliche Aufgabe des Historikers ist. Zum Problem vgl Fellmann, Ende 121f. 20 Dazu Danto: „Die ganze Wahrheit über ein Ereignis kann erst im Nachhinein, und gelegentlich nur lange nachdem ein Ereignis stattgefunden hat, gewußt werden, und diesen Teil der Geschichte zu erzählen, obliegt einzig den Historikern" (aaO 245). 2 1 Fellmann, Ende 132 bezeichnet dies als kopemikanische Wendung in der Geschichtsauffassung. „Die qualitative Differenz der Standpunkte äußert sich nicht darin, daß der Historiker mehr weiß, sondern daß er das Geschehen anders sieht, nämlich in seiner Kontingenz" (ebd, Hervorhebung von mir). 2 2 Diese Charakterisierung des Markusevangeliums wird gerne auf Martin Kähler zurückgeführt (vgl zB Bornkamm, 3 RGG II 761). Die Formulierung findet sich in einer Anmerkung zum Text der ersten Auflage von Kählers berühmten Vortrag über den sogenannten historischen Jesus und den biblischen Christus (s Kähler, Jesus 80 Anm 1). Sie wird dort aber auf alle (!) Evangelien bezogen: „Etwas herausfordernd könnte man die Evangelien Passionsgeschichten mit ausführlicher Einleitung nennen." Dieses wird in der dritten Auflage (München 1961, ThB 2, S 59f) etwas weniger klar ausgedrückt.

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Problem wird allerdings erheblich kompliziert durch die Tatsache, daß die Geschichte Jesu nicht nur von seinem Kreuzestod her erzählt wird, sondern im Grunde von seiner Auferweckung her. Dann stellt sich die Frage, inwiefern dadurch der Standpunkt des Historikers noch einmal transzendiert wird, indem nun jener Tod zwar als Ende, aber nicht als Vernichtung Jesu, sondern als Gottes lebendigmachende Selbstidentifikation mit dem toten Jesus und also als Tod des Todes selbst verstanden wurde. Andererseits stellt sich die Frage, ob dieses Verständnis des Todes Jesu in dem Sinne willkürlich zu heißen sei, als es nicht auf geschichtlichen Erfahrungen beruhe. Dies ist die Frage, ob die auf diese Weise bekannte Deutung Jesu und seines Todes keine historische Dimension habe. Dem wird im Zusammenhang mit der Kreuzestheologie des Paulus weiter nachgedacht werden müssen. Die Nicht-Objektivität der Geschichte wird weiterhin oft mit dem Hinweis auf die Nichtbeobachtbarkeit des (vergangenen) Gegenstandes begründet. Darin wird vielfach ein fundamentaler Unterschied zu den Naturwissenschaften gesehen, welchen im Gegensatz zu den Geisteswissenschaften ein empirischer Charakter zukomme. 23 Der Hinweis auf die Nichtbeobachtbarkeit ist allerdings nur für den tauglich, der eine beobachtende Beschreibung des Vergangenen für die Aufgabe des Historikers ansieht. Wenn demgegenüber diese Aufgabe darin ihr eigentliches Wesen hat, Ereignisse miteinander in Zusammenhang zu bringen und erst so die Wahrheit über sie zu sagen, dann ist die Nichtbeobachtbarkeit geradezu die unabdingbare Voraussetzung objektiver historischer Aussagen. „Gerade weil wir keinen direkten Zugang zur Vergangenheit besitzen, haben wir die Geschichtswissenschaft. Geschichte verdankt ihre Existenz dieser Tatsache: sie macht Geschichte erst möglich, anstatt unmöglich oder gar überflüssig." 24 Der Hinweis auf den Vorurteilscharakter, der 23

Danto verweist auf Beard, welcher erklärt, „daß im Gegensatz zum Naturwissenschaftler der Historiker seinen Gegenstand nicht beobachten könne: ,Er vermag ihn nicht objektiv zu sehen, wie der Chemiker seine Teströhrchen und Verbindungen sieht'" (Philosophie 157). Der Unterschied zwischen Natur- und Geschichtswissenschaft wurde — hinsichtlich der jeweiligen Tätigkeiten beider Wissenschaftlertypen — von Dilthey als Unterschied von „Erklären" (Naturwissenschaft) und „Verstehen" (Geschichtswissenschaft) formuliert (vgl Lübbe, Geschichtsbegriff 48—53, dem diese Unterscheidung als unzweckmäßig erscheint). 24 Danto, Philosophie 157; ganz abgesehen davon, daß etwa die Atomphysik ebenfalls mit nicht-beobachtbarem Material arbeitet (aaO 158). Genauso wie ein Nicht-Physiker Spuren in einer Nebelkammer anders sieht als ein Natur-

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sowohl den historischen Quellen wie auch dem Historiker selbst notwendig anhafte, verschlägt ebenfalls nicht, denn es ist ja die Aufgabe historischer Forschung, den Wahrheitswert der Quellen zu ermitteln. Was die Parteilichkeit des Historikers selbst angeht, befindet er sich in keiner grundsätzlich anderen Lage als andere Wissenschaftler, die ihrerseits auch von bestimmten Theorien oder Grundannahmen ausgehen. 25 Es steht dem Historiker „frei, seine Meinung zu vertreten, und es geschieht einzig auf der Grundlage der von ihm beigebrachten Beweise, daß wir uns für oder gegen seine Auffassung entscheiden" 26 . Was die Parteilichkeit der Quellen angeht, so steht diese keineswegs im Widerspruch zu ihrem histo-

wissenschaftler, sieht ein Nicht-Historiker nicht dasselbe in historischen Dokumenten wie der historiographisch Geschulte (aaO 159). 25 Vgl dazu Danto, aaO 159—162. Danto kann vielmehr zeigen, daß die Vorgabe von „Interpretationsschemata" überhaupt die Bedingung der Möglichkeit historischer Erkenntnis darstellt (aaO 182—231; vgl Baumgartner, Struktur 5 7—59), sofern die Form der Erzählung immer ein narratives Organisationsschema voraussetzt. In diesem Zusammenhang fällt auch der vielzitierte Satz: „Die Geschichte erzählt Geschichten" (Danto, aaO 184, man beachte die Hervorhebung). Ob freilich diese „Subjektivität" zu reduzieren ist auf objektive gesellschaftliche Verhältnisse (wie Schaff, Geschichte 72—75 dies tut), wage ich in aller Form zu bezweifeln. 26 Danto, aaO 162. Zum Problem des „Beweises" ist Dantos Unterscheidung zwischen begrifflichem und dokumentarischem Beweis zu berücksichtigen. Ein begrifflicher Beweis besteht wesentlich darin, daß eine Geschichte, die E-l u n d E-2 in eine Reihe stellt, aufgrund einer allgemeinen Annahme Y konstruiert wird. Dazu das folgende Beispiel: S - l : Das A u t o ist unverbeult in t-1. S-2: Das Auto ist verbeult in t-3. Annahme Y: Das Auto wird von y angestoßen in t-2. Mittels eines solchen begrifflichen Beweises ist es unmöglich zu sagen, ob der Fahrer einen Unfall hatte oder mit einem Hammer das Auto verbeulte. Auch wenn das erste wahrscheinlicher ist, bedürfte es eines dokumentarischen Beweises, damit eine zutreffende Aussage gemacht werden könnte (aaO 372—381). Begriffliche Beweise können Lücken ausfüllen, nicht aber tatsächliche Ereignisse ersetzen (aaO 361). Begriffliche Beweise können zufällig treffen, was wirklich geschehen ist. Beispielsweise ist die Aussage, daß die Sache Jesu weiter geht, eine aufgrund eines begrifflichen Beweises gewonnene Aussage, die das Leben und den Tod Jesu (E-l) mit dem Glauben an Jesus (E-2) in Verbindung bringt. Ein dokumentarischer Beweis dagegen verknüpft die beiden Ereignisse durch den Hinweis auf das leere Grab u n d die Erscheinungen ( I K o r 15,3—5; Mk 16,1—8). Zu fragen wäre freilich, ob die Aussage „Er ist auferweckt w o r d e n " ebenfalls im Rahmen begrifflichen Denkens entstanden sein kann, ob sie also ein Interpretament des Glaubens ist. Das hängt besonders davon ab, ob Ereignisse gleicher oder ähnlicher Art wie E-l und E-2 gewöhnlich auf diese Weise verknüpft worden sind (eine religions- und motivgeschichtliche Frage).

Zur Frage der Objektivität der Geschichte

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rischen Wert. 27 Daß eine Quelle eine bestimmte Sicht vertritt oder eine bestimmte Funktion für ihre Gegenwart ausübt, macht sie nicht zu einer historisch unwahrhaftigen Fiktion. Abgesehen davon, daß eine von diesen Eigenschaften freie Quelle kaum denkbar ist, kann ja eine bestimmte Sicht nur im Rekurs auf das Geschehen selbst vertreten werden. Mit d,er Vertretung einer bestimmten Sicht ist also auch schon der Rückbezug auf das Geschehen zur Stelle, im Blick auf welches jene Sicht vertreten wird. Deshalb ist in jedem Falle möglich, die Frage nach der „Begründungsobjektivität" zu stellen. 28 Nimmt man diesen Sachverhalt ernst, so ist die Frage nach dem geschichtlichen Wert beispielsweise der Evangelien neu zu stellen. Es ist jedenfalls unzulässig, schon aufgrund ihres kerygmatischen Charakters auf ihre historische Unzuverlässigkeit zu schließen. 29 27 Quellen sind deshalb parteilich, weil „die Menschen, womöglich sogar die professionellen Historiker, faktisch nicht umhin können, Darstellungen eigener und fremder Geschichten mit ihrer Subjektivität zu penetrieren" (Lübbe, Geschichtsbegriff 174, Hervorhebung von mir). Erst in dieser „pragmatischen Beschränkung" kann man überhaupt Geschichte schreiben (ebd). Im Blick auf den Historiker gilt dann: „Das methodische Postulat geschichtswissenschaftlicher Objektivität bleibt vom geschichtsabhängigen Wechsel der Interaktionspragmatik, von der in der Tat die historiographische Vergegenwärtigung eigener und fremder Identität niemals unabhängig ist, gänzlich unberührt, wie man / erkennt, wenn man, verständigerweise, .Objektivität' eine Eigenschaft historischer Behauptungen nennt, die man für diese in Anspruch nehmen kann, wenn sie nach Regeln geschichtswissenschaftlicher Forschungspraxis als begründete Behauptungen gelten k ö n n e n " (aaO 18f, Hervorhebung von mir). Das gilt mutatis mutandis auch für Quellen. Zum Problem vgl Danto, Philosophie 173f. 28 Lübbe bringt dazu das interessante Beispiel der Lutherhistoriographie (Geschichtsbegriff 176f), die einen mit der geschichtlichen Situation der jeweiligen Historiker zusammenhängenden signifikanten Wandel erfahren hat. Uberholt ist eine Darstellung nicht deshalb, weil in ihr historische Irrtümer vorkommen, sondern weil sich das Selbstverständnis der sich über sie identifizierenden Gruppen verändert hat. In diesem Fall können Darstellungen insofern „objektiver" sein, als „die in ihnen geleistete Identitätspräsentation unter Beteiligten intersubjektiv akzeptabel ist" (aaO 177). In diesem Zusammenhang geht es um die „Konsensobjektivität" (aaO 178). Davon ist die Begründungsobjektivität unberührt: „Begründungsobjektivität als gewährleistete Begründbarkeit der Behauptungen . . . ist mit der interaktionsabhängigen Pragmatik der Identitätspräsentation . . . durchaus vereinbar, u n d sie ist es im . . . Prinzip sogar dann, wenn diese Pragmatik im Extremfall die des politischen Intensive der Parteilichkeit ist" (aaO 182). 29 Es ist das Verdienst Peschs, mit allem Nachdruck auf die dringend erforderliche Neubewertung des Markusevangeliums im Gegenzug zu einer extrem kerygmatischen, das Historische für unwichtig und unzuverlässig haltenden

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Zum analytischen Geschichtsbegriff

Unzuverlässigkeit ist nur im Einzelfall und nur mittels eines dokumentarischen Beweises festzustellen. 30 Damit soll keineswegs behauptet werden, die Evangelien seien etwa prinzipiell zuverlässig. Behauptet wird lediglich, daß Urteile über die Zuverlässigkeit keine allgemeinen, sondern im einzelnen begründete, keine begrifflichen, sondern dokumentarische sein müssen. Insbesondere ist aus dem kerygmatischen Charakter der Evangelien kein allgemeiner Schluß auf ihre Unzuverlässigkeit zu ziehen, da ein Geschichtsbericht einerseits und eine kerygmatische Geschichtserzählung andererseits sich nicht dadurch unterscheiden, daß der erste Fakten darbietet, während die zweite Bedeutung aussagt, sondern dadurch, daß der Horizont der Bedeutungsaussagen bei beiden je verschieden ist. Zusammenfassend läßt sich sagen, daß die mit dem Argument der Nichtbeobachtbarkeit verbundene Begründung des historischen Skeptizismus unzulänglich ist: „Man kann nicht mit Beziehung auf die Geschichte skeptisch sein, ohne es auch hinsichtlich alles übrigen zu sein, und dies schließlich zerstört die — wie immer geartete — spezifische Macht, die man dem Relativismus im Hinblick auf die Geschichte beimessen möchte." 3 1 An die Stelle der Beobachtung tritt im Bereich der Geschichte Markusinterpretation hingewiesen zu haben (Mk 48—54). Die Alternative „kerygmatisch — geschichtlich" bzw „tendenziös — zuverlässig" ist einer kritischen Uberprüfung zu unterziehen. Die Unterscheidung von Begründungsund Konsensobjektivität ist auch auf das Markusevangelium (und erst recht auf die Kommentare dazu) anwendbar. 30 Daß der Historiker dabei eine Reihe von Voraussetzungen hat, nach denen er über die Möglichkeit oder Unmöglichkeit bestimmter Ereignisse entscheidet u n d also die Wahrheit historischer Aussagen dokumentiert, ist mit dem geschichtlichen Charakter seiner Existenz selbst gegeben (dazu Danto, Philosophie 1 7 1 - 1 8 2 ) . 31 Danto, aaO 181, vgl 182: „Geschichte unterliegt nicht mehr u n d nicht weniger relativistischen Faktoren als die Naturwissenschaft." In dieser Hinsicht ist jedenfalls die Trennung von Geschichts- u n d Naturwissenschaft unzweckmäßig. Selbstverständlich besteht zwischen Erzählungen moderner Geschichte einerseits und solchen alter, fremder Geschichten andererseits ein gradueller Unterschied, sofern im ersten Falle die zur Verfügung stehende Urkundenbasis viel breiter ist als im zweiten. Immerhin ist aber auch zu sehen, daß die relativistischen Faktoren, die aus der großen Nähe zum historischen Gegenstand herrühren, im Falle von moderner Geschichte bedeutend größer sind als bei lange zurückliegenden, fremden Geschichten, im Blick auf welche die verbreiterte historische Perspektive einen beträchtlichen Vorteil bedeutet. Zum Problem der relativen Objektivität vgl Faber, Objektivität 9—24.

Zum Problem der Relativität der Geschichte

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die historische Vernunft, welche mit dokumentarischen Beweisen arbeitet. Was mir in Geschichtserzählungen zukommt, ist also dem, was mir in der Erfahrung zukommt, durchaus analog. 32

1.2 Zum Problem der Relativität der Geschichte Es wäre höchst instruktiv, würde man die Geschichte schreiben, die der Lessingsche Satz über den Zusammenhang von zufälligen Geschichtswahrheiten und notwendigen Vernunftwahrheiten in der theologischen Literatur nach Lessing erfahren hat. 33 Dabei würde man wohl sehen, in welch hohem Maße gerade dieser Satz die Theologie davon abgehalten hat, ihre Rede von Gott exklusiv auf den „geschichtlichen Zufall" des Seins Jesu Christi zu gründen, und zwar auch dort, wo man den rationalistischen Geschichtsbegriff Lessings nicht mehr zu teilen vermochte. Und man würde womöglich weiter feststellen, daß die Antithese zu jenem Satz zu einer theologischen Denkfigur geführt hat, die in ihrem eigentümlichen antithetischen Zusammenhang mit dem Satz ihre Verhaftung mit der Denkweise Lessings nur schlecht zu verbergen vermag. Gemeint ist hier die theologische Denkfigur, daß es dem 32

Im Begriff der Erfahrung ist der Begriff der Gegenwärtigkeit angelegt (Danto, aaO 154). In diesem Sinne kann man demnach Geschichte nicht erfahren. Es wäre indessen verfehlt, wollte man daraus schließen, Erkenntnis und Erfahrung seien identisch und es könne demzufolge von der Vergangenheit nichts erkannt werden (mit Danto, ebd). Die Erkenntnis der Vergangenheit ist insofern der Erfahrung analog, als sie mit nicht mehr relativistischen Faktoren als diese belastet ist. Um diese Analogie festzuhalten, möchte ich von „geschichtlicher Erfahrung" sprechen, wobei das Adjektiv den qualitativen Unterschied zwischen geschichtlicher Erkenntnis und gegenwärtiger Beobachtung anzeigen soll. Im Begriff der Erfahrung sind Beobachtungen und Geschichtserkenntis in prinzipieller Weise aufeinander bezogen: „Wie ist es möglich, die gegenwärtige Welt so zu erfahren, wie wir es tun, wenn wir die Vergangenheit nicht erkennen? Denn in der Tat — unsere Sprache zeigt dies hinlänglich — erfahren wir die gegenwärtige Welt stets in einem logischen und kausalen Kontext, der mit vergangenen Objekten u n d Ereignissen verknüpft ist, und demgemäß in Beziehung auf Objekte und Ereignisse, die wir nicht zu dem Zeitpunkt erfahren können, in dem wir die Gegenwart erfahren" (Danto, aaO 154). 33 Zum Satz vgl O. Mann, 3 RGG IV 329; Trillhaas, 3 RGG II 1483; Ebeling, Existenz WuG II 277; ders, Wesen 22.

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Zum analytischen Geschichtsbegriff

Wesen des christlichen Glaubens widerspreche, wenn er sich auf „historische Tatsachen" gründe. 34 Diese dogmatische Abqualifizierung der geschichtlichen Vergewisserung verkennt raE, daß gerade jene Epoche, der man die Flucht in die theologische securitas vorgehalten hatte, in bisher ungekanntem Ausmaß Einblick in die Relativität alles Geschichtlichen gewährte. Was bedeutet es für das Wesen des Glaubens, daß er sich in so intimer Weise auf das historisch Relative bezieht? Im Kontext dieser Frage stehen die folgenden Bemerkungen zur Relativität der Geschichte. Bei aller Problematik, die eine derartige Unterscheidung mit sich bringt, kann man die Relativität der Geschichte nach zwei Seiten hin unterscheiden: in eine erkenntnistheoretische Relativität einerseits, die mit dem Subjekt des Historikers zu tun hat, und in eine ontologische Relativität andererseits, die mit der Geschichte selbst gegeben ist. Die erkenntnistheoretische Relativität der Geschichte ergibt sich zunächst daraus, daß die Geschichte für den Historiker prinzipiell unbeobachtbar ist. 35 Aus diesem Grunde ist er auf die Geschichteals-Urkunde angewiesen, die — im Falle von Monumenten udgl — nur einen kleinen Ausschnitt vergangener Wirklichkeit darstellen kann und die — im Falle von Quellen — die vergangene Wirklichkeit bereits in einer bestimmten (sprachlichen) Gestalt darbietet, sofern jede Quelle schon eine narrative Organisation getroffen hat, die immer mit der Auswahl relevanter Ereignisse und insofern mit der Auslassung anderer Ereignisse verbunden ist. 36 Daraus ergibt sich 34

Zu dieser Denkfigur vgl zB Robinson, Kerygma 5 8 f . 9 4 f . Es sei illegitim, „dem Aufruf des Kerygmas zu existentiellem Glauben an das Heilsereignis durch den Vcrsuch auszuweichen, sich einen objektiv verifizierbaren Beweis von der Historizität dieses Heilsereignisses zu verschaffen" (aaO 94). Das „Wesen des Glaubens ist die Zurückweisung weltlicher Sicherheit als einer Werkgerechtigkeit" (aaO 95). Geschichtliche Vergewisserung sei also „Flucht in eine theologische securitas" (aaO 95). Dieselben Vorbehalte macht auch Bultmann, Verhältnis 10—14. Zu der genannten Denkfigur siehe neuerdings wieder Hartlich, ZThK 75, 483. Demgegenüber wäre mE vielmehr zu fragen, ob nicht gerade die Berufung auf relative geschichtliche Ereignisse den Glauben davor bewahrt, sich auf sich selbst zu begründen und damit sich selbst als ein Werk zu verstehen. Es ist selbstverständlich, daß die Historie den Glauben nicht ersetzen kann. Ist es nicht ebenso selbstverständlich, daß der Glaube die Historie nicht ersetzen kann? 3s Vgl oben S. 5 7 f. 36 Danto, Philosophie 2 1 5 : jede Erzählung (und also auch jede Quelle) ist „eine den Ereignissen unterlegte Struktur . . . , die einige von ihnen mit

Zum Problem der Relativität der Geschichte

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eine Relativität, die selbst dann bestehen bleibt, wenn beim Historiker eine vollkommene Erkenntnis vorausgesetzt werden könnte. Sie ist mit der zeitlichen Relation des Erkennenden gegeben, die eben in jedem Falle die der Ungleichzeitigkeit ist. Ein zweiter erkenntnistheoretischer Faktor der Relativität ergibt sich aus den Bedingungen historischer Erkenntnis selbst. Denn auch wenn man voraussetzte, daß einem Historiker im Idealfalle sämtliche (relevanten und nicht-relevanten) Ereignisse überliefert wären, daß ihm also eine „Ideale Chronik" 37 zur Verfügung stünde, könnte der Historiker die Geschichte nur unter Zugrundelegung eines bestimmten Interpretationsschemas erzählen. 38 Auch dann würde er die Wahl eines bestimmten narrativen Organisationsschemas zu treffen haben, ohne die ihm die Erzählung von Geschichte unmöglich ist. Er unterscheidet also notwendigerweise zwischen relevanten und nicht-relevanten Ereignissen; die letzteren würde er zweifellos auslassen. Und er wird einzelne historische Ereignisse anders beurteilen als einer, der eine andere Geschichte über dieselben Ereignisse erzählt. Die narrative Organisation wird nun von verschiedenen Faktoren bestimmt, von denen im Folgenden drei näher betrachtet werden sollen. Da wäre erstens die Annahme darüber, was möglich ist, zu nennen. Das damit gegebene Problem kann man sich am Beispiel von Divergenzen unter Historikern klar machen. 39 Als Ausgangspunkt nehmen wir zwei einander widersprechende Sätze über die gleiche Reihe von historischen Ereignissen. Der Satz ,Jesus ist von den Toten auferstanden" (S-l) widerspricht dem Satz ,Jesus ist nicht von den Toten auferstanden" (S-2). Ein Historiker H-l betrachtet die Sätze S-l S-2 mit der Voraussetzungsreihe P-l, wonach S-l zulässig ist, nicht aber S-2. Ein Historiker H-2 dagegen betrachtet die Sätze unter der Voraussetzungsreihe P-2, wonach S-2 zulässig ist, nicht aber S-l. Werden die Beurteilungen in solcher Weise relativiert, dann stehen sie nicht nur in keinem logischen Gegen-

anderen gruppiert, einige andere wiederum aussondert, weil es ihnen an Relevanz mangelt". Zu vergleichen ist auch das ausführlich analysierte Beispiel aaO 3 7 9 - 3 8 4 . 37 Dazu Danto, Philosophie 185ff; Fellmann, Ende 1 2 0 - 1 2 7 . 38 Vgl Danto, aaO 17 Of (dieser Mangel kommt allerdings nicht nur der Geschichtsschreibung zu, aaO 171). Das Interpretationsschema ist zu einem gewissen Teil von allgemeinen Voraussetzungsreihen abhängig, in welchen Mögliches und Unmögliches axiomatisch definiert sind. 39 Zum Folgenden vgl Danto, aaO 175ff.

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satz zueinander, sondern sie sind beide wahr. 4 0 Die Differenz beruht nicht auf den Ereignissen selbst, sondern auf den Voraussetzungsreihen. P-l könnte in unserem Falle etwa lauten: aJesus hat gelebt. b.Jesus ist gestorben. c.Jesus ist erschienen. d.Die Erscheinungen sind Erfahrungen, die auf ein Jesus betreffendes Ereignis (nämlich seine Auferweckung) hinweisen. Die Voraussetzungsreihe P-2 dagegen würde lauten: a j e s u s hat gelebt. b.Jesus ist gestorben. c.Jesus ist erschienen. d.Die Erscheinungen sind Erfahrungen, die auf ein die Visionäre betreffendes Ereignis (nämlich die Entstehung ihres Glaubens, zB aufgrund ihrer Wünsche oder ihrer Erfahrungen mit dem irdischen Jesus) hinweisen. In Anbetracht dieser unterschiedlichen Voraussetzungsreihen ist ohne weiteres einsichtig, weshalb beide genannten Sätze (relativ zu P-l bzw P-2) wahr sein können. Diese unterschiedlichen Voraussetzungsreihen wiederum lassen sich zurückführen auf Kriterien, durch die sie bestimmt sind. 41 Relativ zu diesen sind wiederum beide Voraussetzungsreihen wahr. Die Kriterien allerdings sind Nicht-Ubereinstimmungen aus Prinzip·, sie sind Grundannahmen über die Welt, die nicht weiter rückführbar sind und beispielsweise durch Verallgemeinerung eigener Erfahrung oder überhaupt nur „axiomatisch begründet" sind. Diese Kriterien können in unserem Falle so lauten: K - l : Gott ruft das Nicht-Seiende ins Sein. K-2: Der Tod ist das vernichtende und absolute Ende menschlichen Lebens. Von entscheidender Wichtigkeit ist nun, daß solche Kriterien „in einem bedeutungsvollen Sinne willkürlich sind" 4 2 . Sie sind nämlich 40

Danto stellt fest: „Selbst wenn S-l und S-2 logisch gegensätzlich sind, stehen die Aussagen ,S-1 ist zulässig relativ zu P-l' und ,S-2 ist zulässig relativ zu P-2' nicht etwa nur in keinem logisch entgegengesetzten Verhältnis: Sie sind beide wahr" (aaO 177). Deshalb sind solche Meinungsverschiedenheiten zwischen Historikern keine echten, da sie nicht auf einem gemeinsamen Boden stehen. Denn es gilt, „daß es echte Divergenzen in den Auffassungen nur dort geben kann, wo ein gemeinsamer Boden vorhanden ist, und nur dann, wenn man Dinge in einen logischen Gegensatz zueinander bringt" (aaO 178). 41 Danto geht davon aus, daß es „genau drei Ebenen der Meinungsverschiedenheit gibt: unterschiedliche Auffassungen über historische Aussagen, über Voraussetzungen und über Kriterien für eine gegebene Reihe von Voraussetzungen" (aaO 179, Hervorhebung von mir). Eine Ebene ist jeweils auf die nächste rückführbar: die Aussagen auf Voraussetzungsreihen, diese wiederum auf Kriterien (aaO 179f). 42 Danto, aaO 181. Die Differenzen sind so grundsätzlicher Art, daß es nichts mehr gibt, wozu sie relativ zu verstehen sind. Danto bringt bezeichnenderweise das Beispiel des „sogenannte(n) Konflikt(s) zwischen Naturwissenschaft und Religion" als einer Divergenz, „die so tiefreichend ist, daß es nichts gibt,

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in dem Sinne willkürlich, daß sie nicht mehr in Beziehung zu noch grundlegenderen Annahmen gebracht werden können, sondern zur Axiomatik des Wirklichkeitsverständnisses überhaupt gehören. 43 Im Blick auf die Geschichtswissenschaft gilt: diese Kriterien sind historisch weder verifizierbar noch falsifizierbar. Dasselbe ist auch von den oben gewählten Sätzen S-l und S-2 zu sagen, sofern ihre Relativität zu den genannten Kriterien K-l und K-2 erkannt worden ist. Die Frage kann dann nur noch lauten, welche Kriterien einerseits den historischen Ereignissen selbst und andererseits der Wirklichkeit unserer Welt besser entsprechen. Die Einsicht in den willkürlichen Charakter solcher Kriterien schärft den Blick für die Relativität historischer Urteile, indem nun der Weg frei wird, jene Kriterien selbst als geschichtlich bedingte wahrzunehmen. Die Grundlagenkriterien der Historiker ändern sich mit der geschichtlichen Situation, in der sich diese vorfinden. 4 4 Sie sind kontingent. Die Einsicht in ihre historische Bedingtheit steht ihrerseits in dem Interesse, jene Kriterien einer Entmythologisierung zu unterziehen. S-l ist nur unter der Bedingung falsch, daß die gegenwärtige historische Erkenntnisweise methodologisch gesehen die Geschichte unter Absehung von Gott versteht. Diese methodologische Disposition ist „in einem bedeutungsvollen Sinne willkürlich". Dies heißt indessen nicht, daß sie für uns unerheblich oder unbesehen zu übergehen wäre. Vielmehr ist es die Aufgabe der Theologie, den Satz S-l so zu explizieren, daß die methodologische Disposition der Geschichtswissenschaft nicht übergangen, sondern daß auf sie eingegangen und gerade so über sie hinausgegangen wird. Eben dies läßt sich an der Kreuzestheologie des Paulus lernen. Ein weiterer wichtiger Faktor, der die narrative Organisation bestimmt, ist mit dem Begriff der Kausalität gegeben. Allerdings worauf diejenigen, deren Anschauungen so sehr divergieren, sich als auf das ihnen Gemeinschaftliche berufen könnten" (aaO 180). Hier wäre freilich kritisch zu fragen, ob nicht gerade der Gekreuzigte ein solches Gemeinschaftliches sein könnte, an dem die Divergenz noch einmal radikalisiert wird und dann überholt werden kann. Ferner ist noch nicht entschieden, ob es den Konflikt zwischen Naturwissenschaft und Religion tatsächlich so gibt. 43 Danto stellt ausdrücklich fest, daß diese Konstitution „für jedes kognitive menschliche Unterfangen" und also nicht nur im Blick auf die geschichtliche Erkenntnis gilt (aaO 181). 44 Vgl Danto, aaO 384; Ebeling Frage WuG I 306: „Das Moment des Relativen greift notwendig über auf die historische Erfassung selbst. Die vermeintlich objektive Erfassung erweist sich als Objektivierung und somit gerade als standpunktbedingt." 5 Weder, Kreuz

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ist dieser Begriff sofort dahingehend zu relativieren, daß es bei dem gemeinten Sachverhalt niemals um „mehr als (um) die konstante Verbindung gleicher Ereignisse mit ähnlichen Ereignissen" geht. 45 Die kausale Verknüpfung von Ereignissen (die jeder Erzählung zugrunde liegt) geschieht im Rekurs auf Generalisierungen, gemäß denen der Historiker ein Ereignis Η wählt, das eine Veränderung von „x ist F in t-1" zu „x ist G in t-3" erklären kann,46 Diese Generalisierungen sind bereits für die Suche nach einem Ereignis Η wegleitend, sofem sie den Rahmen angeben, welcher Art Ereignis das gesuchte sein muß. Nehmen wir dazu ein Beispiel aus der neutestamentlichen Exegese. Wir gehen aus von den folgenden Sätzen: S-l: Jesus ist gestorben am Kreuz in t-1. S-2: Jesus wird als der Christus geglaubt in t-3. Sollen diese beiden historischen Sachverhalte in einer beschreibenden und erzählenden Erklärung 47 vorkommen, so ist es notwendig, nach einem Ereignis Η zu suchen, das die registrierte Veränderung erklärt. Eben dies geschieht im Rückgriff auf Generalisierungen. Eine solche kann beispielsweise 45

Danto, Philosophie 384. „Zunächst einmal scheint es mir nicht erforderlich, daß wir zur Analyse der Kausalität in der Geschichte einer solchen bedürften, die von der klassischen Analyse Humes verschieden wäre" (ebd). Zum Problem siehe auch Lübbe, Geschichtsbegriff 62—68 (über die Rolle des Zufalls); Faber, Theorie 66—72; Acham, Geschichtsphilosophie 168—174. Das Problem der Kausalität spitzt sich schon im Historismus zu auf die Suche nach allgemeinen Gesetzen zur Verknüpfung von Tatsachen (vgl Bultmann, Geschichte 8 8 f . l 3 0 ) . Bei Troeltsch beispielsweise wird die Kausalität noch in der Geschichte selbst lokalisiert; vgl etwa die Vorstellung von einem „kontinuierlichen Werdezusammenhang" bzw einer „Entwicklung" (Probleme 54). Die kausalen Zusammenhänge scheinen durchwaltet von einer „Sinneinheit oder Tendenz", einer „Werde-Einheit" (aaO 54.55). Dieser Kausalitätsgedanke ist bei Danto und Lübbe aufgegeben. 46 Zur Formalisierung siehe Danto, Philosophie 375ff. Die Generalisierungen lassen schöpferische Gelegenheiten zu, denn die Klasse der Ereignisse, die sie unter sich fassen, ist offen, und zwar in dem Sinne, daß wir uns im Prinzip stets einen unter sie subsumierbaren Fall vorstellen können, der in keiner erkennbaren Weise Fällen aus der Vergangenheit ähnlich sein m u ß " (aaO 361). Danto bringt diese Generalisierungen in Zusammenhang mit Wittgensteins Begriff der „ Familien-Ähnlichkeit" (ebd). Eine Erzählung allerdings, die lediglich auf einer oder mehreren Generalisierungen beruht, ist unbefriedigend, da sie nur erzählt, was S-2 hervorgebracht haben kann (aaO 378), nicht aber, was S-2 hervorgebracht haben muß. Eine solche Erzählung liefert also im besten Fall eine zureichende, nicht aber eine notwendige Erklärung. 47 „Eine Erzählung beschreibt und erklärt ineins" (Danto, aaO 230). Mehr noch: die Erzählung als solche ist die sachgemäße Form historischer Erklärung (vgl Lübbe, Geschichtsbegriff 35—47; Danto, aaO 37 Iff und unten 1.6).

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lauten: Mit Toten geschieht nichts mehr. Daraus folgt: Der Tote muß zu seinen Lebzeiten einen derartigen Eindruck hinterlassen haben, daß S-2 daraus erklärt werden kann. Im Rahmen dieser Generalisierungen wird dann die Suche nach relevanten Ereignissen im Leben Jesu vorangetrieben, die eben jenen Glauben an Christus verständlich erscheinen lassen. 48 S-l und S-2 können aber auch 48

Dieses Erklärungsmuster scheint in neuerer Zeit wieder an Boden zu gewinnen. Als Beispiel dafür mag ein Aufsatz von Pesch dienen, welcher im Anschluß an (ein damals noch unveröffentlichtes Manuskript von) Berger den Glauben an die Auferweckung Jesu auf den Boden der Vernunft stellen will (ThQ 153, 201). Pesch geht es zunächst um die Ablehnung einer „subjektiven" Begründung des Glaubens. Wenn dieser Glaube „in der Form einer subjektiven Versicherung — und sei es auch in der Form einer subjektiven Versicherung des Subjekts .Kirche.' —" begründet wird, „ohne daß die Vermittlung dieser .Offenbarung' vernünftig ausgewiesen wird, macht sich der Glaubende letztlich selbst zum Grund des Glaubens" (aaO 202). In zwei exegetischen Gedankengängen versucht Pesch, sowohl die Tradition vom leeren Grab (aaO 204ff) als auch die Erscheinungen (aaO 209ff) hinsichtlich ihres Begriindungscharakters für den Auferstehungsglauben zu disqualifizieren. In einem weiteren Uberlegungsgang versucht er, den Beweis dafür zu erbringen, daß der Tod Jesu kein „unüberwindliches Skandalon" für die Jünger bedeutete (aaO 219ff). „Wenn die Täufeijünger das gewaltsame Todesgeschick ihres Meisters als das messianische Geschick des eschatologischen Propheten mit der Auferstehungsvorstellung interpretieren konnten, warum sollte das dann etwa den Jesusjüngern . . . nicht möglich sein?" (aaO 221). Der begriffliche Charakter dieser Beweisführung ist augenscheinlich, ganz abgesehen von der prekären Quellenlage im Blick auf die Johannesjünger. Zudem übersieht Pesch, daß der Tod Jesu erst im Rahmen der Auferweckungsaussage zum eigentlichen Skandalon werden konnte (dazu vgl unten S. 153f. 196f). Mithilfe der Vorstellung vom Martyrium eschatologisch-prophetischer Gestalten (aaO 222ff) wird die Auferstehungsaussage religionsgeschichdich abgeleitet und auf ihren Ursprung im irdischen Dasein Jesu zurückgeführt. „Die Entstehung des Glaubens an die Auferstehung Jesu kann . . . einmal durch das zeitgenössische religionsgeschichtliche Material, muß entscheidend aber durch Jesus selbst, sein Wirken, sein Geschick, seinen Tod, seine Person vermittelt sein: Durch den Glauben, den er gestiftet hat" (aaO 226). Unter der Hand ist Jesus, und zwar der irdische, zum Grund des Glaubens geworden (vgl aaO 227). Es kann hier nicht darum gehen, die exegetische und religionsgeschichtliche Problematik dieses Ableitungsversuchs aufzugreifen; im übrigen ist dazu das vorderhand Nötige schon von Kasper (ThQ 153, 229—241), Stuhlmacher (ThQ 153, 244-251), Hengel (ThQ 153, 252-269), Kremer (ThR 72, 1 - 1 4 ) und Vögtle (Osterglaube passim, bes 103—122) gesagt worden. Peschs Aufsatz dient hier lediglich als Beispiel dafür, daß die dokumentarische Evidenz zugunsten der begrifflichen Beweisführung übergangen wird, damit eine historische und religionsgeschichtliche Ableitung des Glaubens möglich wird. Dasselbe Erklärungsmuster ist von grundlegender erkenntnisleitender Bedeutung auch bei Berger, Auferstehung passim, vgl bes 146.147.231f („Wenn Jesus sich als den letzten Verkündiger des Willens Gottes begreift, der inmitten

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mithilfe einer andern Generalisierung verknüpft werden: Personen, denen göttliche Qualitäten zugesprochen werden, sind in den Augen ihrer Anhänger dem Tod überlegen. Und in diesem Rahmen beginnt die Suche nach religionsgeschichtlichen Analogien, die die Veränderung von S-l zu S-2 erklären können. Die Beispiele ließen sich ohne weiteres vermehren. Allerdings haben solche Erklärungen — zunächst einmal ganz abgesehen davon, daß die vorgebrachten nicht stimmig sind — einen prinzipiellen Mangel. Sie vermögen nur zu erklären, wie es gewesen sein kann·, sie erklären nicht, wie es gewesen ist. 49 Wie es gewesen ist, kann nicht begrifflich, sondern muß durch einen dokumentarischen Beweis ermittelt werden. Eine Erklärung darüber, wie es von S-l zu S-2 gekommen ist, müßte also von den Erscheinungen erzählen (vgl IKor 15,5f) und von dem, was die Visionäre daraus geschlossen haben, nämlich daß Jesus von den Toten auferweckt worden sei. Freilich stoßen wir hier auf ein historisches Grenzproblem. Die neutestamentlichen Zeugen, auf die S-2 zurückgeht, lassen auf ein Ereignis schließen, das von dem bereits Bekannten in qualitativer Weise unterschieden und mit ihm eigentlich unvergleichbar ist. Vergleichbar mit Bekanntem wäre, daß die Menschen nach dem Tode Jesu wie Jesus an Gott geglaubt hätten, nicht aber, daß sie an Jesus und eben so an Gott geglaubt haben. Wo etwas Unvergleichbares ins Spiel kommt, verliert der Historiker die Sprache. Denn „sollte sich einmal etwas gänzlich Unvorhersehbares und Beispielloses ereignen, etwas, das total jeder anderen Veränderung, die, soweit unser Wissen selbst im Falle menschlichen Verhaltens reicht, jemals stattgefunden hat, ungleich einer Welt des Irrtums die letzte und entscheidende Chance zum Heil anbietet und getötet wird, dann gehört nach traditioneller Erwartung eine Auferstehung notwendig zu seinem Geschick dazu [...]."). Festzuhalten ist freilich mit Pesch, daß das irdische Sein Jesu auf die konkrete Gestalt des Auferstehungsglaubens nicht ohne Einfluß war, so sehr dann gegen Pesch festgestellt werden muß, daß jener Glaube weder aus dem Sein Jesu noch aus religionsgeschichtlichen Voraussetzungen, selbst wenn diese gegeben gewesen· wären, in seinem Ensemble erklärt werden kann. 49 Angesichts kausaler Erklärungen in der Geschichte kann „das Gefühl einer gewissen Unklarheit und Ungenauigkeit zurückbleiben", weil die Notwendigkeit nur auf einer sehr allgemeinen Ebene Geltung besitzt. Daraus erklärt sich, daß wir zwar, sobald wir einmal wissen, was bei einer Sache den Ausschlag gegeben hat, sofort in der Lage sind, sie auf ein allgemeines Prinzip zu bringen, aber andererseits dieses eine so große Zahl von Fällen zuläßt, daß es uns unbegründet erscheint, warum gerade dieses Ereignis Η die Erklärung abgeben sollte (Danto, aaO 387f). Es besteht eine grundsätzliche Differenz zwischen mathematischen Deduktionen und Geschichtserzählungen (dazu aaO 395ff und unten S. 1 0 0 - 1 0 3 ) .

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und unvergleichbar ist, so wären wir . . . völlig außerstande, eine Erklärung auch nur zu versuchen, zu ,sehen', welches die Ursachen dieser Veränderung gewesen sind, solange es uns nicht gelungen ist, das Ereignis in eine allgemeine Beschreibung einzubringen und es mit ähnlichen Fällen in Beziehung zu setzen" 50 . Dieser Sachverhalt ist von den neutestamentlichen Zeugen dadurch respektiert worden, daß sie zur Erklärung von S-2 ein Ereignis anführen, das keine geschichtlichen Analogien hat, sondern auf das Ende der Geschichte vorgreift: das eschatologische Ereignis der Auferweckung Jesu von den Toten. Die Frage ist allerdings, ob es historisch berechtigt ist, durch eine Erklärung von der Art der oben angeführten diesen Vorgriff auf das Ende der Geschichte wieder rückgängig zu machen oder ob es nicht vielmehr angebracht wäre, würde der Historiker im Blick auf die dokumentarisch verbürgte Erklärung sich die eigene historische Inkompetenz eingestehen. Wird das zweite getan, so erhebt sich die Frage, in welcher Weise sich der Historiker jener Erzählung dennoch nähern kann. Dies ist die Frage, in welcher Weise das historische Dasein Jesu im Blick auf jenes singuläre Ereignis aufschlußreich sein kann und wie der Rückgriff auf eschatologische Kategorien historisch zu begreifen ist. Die historische Inkompetenz gegenüber der Erklärung, wie es von Jesus zu Christus gekommen ist, müßte sich schon aus Gründen der Relativität nahelegen. Denn bei den Generalisierungen, die bei historischen Erklärungen im Spiel sind und diese glaubwürdig erscheinen lassen, handelt es sich nicht um Naturgesetze, sondern 50 Danto, aaO 385; dies erinnert an Troeltschs Prinzip der Analogie (vgl Stuhlmacher, NT und Hermeneutik 36). Zum Problem siehe auch Hartlich, ZThK 75, 474: „Es gibt keinen andern Maßstab für die Beurteilung, ob ein in Dokumenten der Vergangenheit ausgesagtes Geschehen tatsächlich geschehen ist, als seine Einordenbarkeit in den Kontext des Erfahrungszusammenhanges, wie ihn die Wissenschaft in ihrem heutigen Erkenntnisstand konstituiert" (kursiv). Interessant ist das aaO 474—476 analysierte Beispiel von der Himmelfahrt des Augustus. Ob allerdings aus der konsequenten Handhabung der historisch-kritischen Methode folgt, daß die Auferweckung Jesu „nicht Grund sondern Inhalt des christlichen Glaubens" sei (Hartlich, aaO 478, Hervorhebung von'mir), ist raE eine noch offene Frage. Selbstverständlich läßt sich aus der historisch nachweisbaren Wirkung des Auferstehungsglaubens nicht auf die faktische Realität der Auferstehung zurückschließen (so Hartlich, aaO 477, gegen Stuhlmacher). Selbstverständlich kann es nicht darum gehen, „der radikalen Preisgabe an Gottes Gnade auszuweichen und für seinen Glauben noch eine andere (sc eine geschichtliche) Stütze zu finden" (so Hartlich, aaO 483). Ob allerdings die Gnade Gottes derart vom Geschichtlichen getrennt werden soll, daß es unerlaubt ist, nach den geschichtlich faßbaren Spuren der Auferweckung zu suchen, scheint mir indessen überaus fraglich.

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um Größen, die ihrerseits geschichtlich sind: „Hier liegt ein soziales Erbe vor, und die Masse der Generalisierung, deren wir uns bedienen, ist über Generationen akkumuliert und in Vorstellungen, Begriffe eingebaut worden, die die meisten von uns die meiste Zeit anwenden, um die Erfahrung zu organisieren und zu erklären, wie die Dinge geschehen." 51 Die Generalisierung oder die Idee der Kausalität ist mithin das zweite wesentliche Moment der Relativität, das zu narrativen Organisationen gehört. Der dritte relativistische Faktor, welcher die Gestalt der narrativen Organisation bestimmt, kann mit dem Stichwort Parteilichkeit" des Historikers umschrieben werden. Damit ist gemeint, daß der Historiker bei seiner Hinwendung zur Geschichte immer von einem bestimmten Interesse geleitet ist, dh daß seine Erzählung von Geschichte immer eine bestimmte Funktion im Rahmen seiner eigenen Existenz oder/und der seiner Zeitgenossen hat. 5 2 Dieses Interesse veranlaßt den Historiker, die Signifikanz von Ereignissen anders zu beurteilen als einer, der von einem anderen Interesse geleitet ist. Da dieser relativistische Faktor aber seinerseits die Erzählung von Geschichte allererst möglich macht, ist es unsachgemäß, ihn ausschalten zu wollen. Er muß vielmehr in den historischen Erkenntnisprozeß einbezogen werden. Dies wiederum bestätigt nur die erkenntnistheoretische Bedingtheit, welche der Relativität des Geschichtlichen zukommt. Nachdem nun die erkenntnistheoretische Seite der Relativität wenigstens skizziert worden ist, wenden wir uns der ontologischen Seite zu: der Relativität also, die mit der Geschichte selbst gegeben ist. Auszugehen ist von dem Sachverhalt, daß jedes geschichtliche Ereignis seine Bedeutung im Zusammenhang mit anderen geschichtlichen Ereignissen vollzieht. Diese Bedeutung ist insofern eine grundsätzlich relative, als die Geschichte noch gar nicht zu 51

Danto, aaO 384 (Hervorhebung von mir). Eine Erzählung, die vorab auf solchen Generalisierungen, dh also auf begrifflichen Beweisen, beruht, „hat unausweichlich einen gegenwartsbezogenen oder zeitlosen Zug, ganz so, als handele sie von Gegenwärtigem statt von Vergangenem oder nicht von einer bestimmten, sondern von jeder Zeit" (aaO 207, Hervorhebung von mir; angesprochen ist hier das Phänomen des zeitlichen Provinzialismus"). 52 Zu diesem Problem vgl Lübbe, Geschichtsbegriff 1 7 8 - 1 8 0 . 2 2 3 . Mit der Präsentation vergangener Identität ist die Identität des Historikers immer auch betroffen. Die Funktion, Identität zu vergegenwärtigen, ist zwar ein relativistischer Faktor, aber sie ist zugleich die Bedingung der Möglichkeit, Geschichte zu erzählen (Lübbe, aaO 174). Deshalb ist es schwierig, eine Erzählung zu denken, die auf Signifikanz verzichtet (Danto, Philosophie 215—230).

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ihrem Ende gekommen ist und also jedes bereits geschehene Ereignis in einem noch unvollkommenen Zusammenhang steht. Diese Relativität gilt auch unter Absehung von den erkenntnistheoretisch begründeten Faktoren, weil sie schlicht darin ihren Grund hat, daß die Zukunft noch nicht geschehen ist. 53 Daraus ergibt sich, daß über jedem vergangenen Ereignis Bedeutungsmöglichkeiten schweben, die so lange mit jenem unvereinbar sind, als eines oder mehrere Ereignisse in der Zukunft nicht eingetreten sind. 54 Mit der Kontingenz der Zukunft ist also die Kontingenz des Vergangenen notwendig gegeben. Auch in diesem Sinne gilt also, daß das Wesen der Geschichte die Wandlung ist. 55 Denn jedes zukünftige Ereignis verwandelt im Prinzip das Ganze der bisher geschehenen Geschichte. Ist es nicht bemerkenswert, daß Kol 3,3 von der Verborgenheit unseres Lebens „mit Christus in Gott" spricht? Könnte damit nicht etwas Ähnliches gemeint sein wie der hier im Blick auf die Geschichte festgestellte Sachverhalt der grundsätzlichen Kontingenz unseres Lebens? 56 In der geschichtsphilosophischen Tradition der Neuzeit sind immer wieder Versuche unternommen worden, die Relativität der Geschichte aufzuheben. Besonders folgenreich war der in verschiedenen Spielarten vorkommende Versuch, die Geschichte als einen nach bestimmten Regeln ablaufenden Entwicklungsprozeß zu bes3

Selbst der Ideale Zeuge kann die ganze Wahrheit über ein Ereignis nicht aussagen, weil er nicht in die Z u k u n f t schauen kann (Danto, Philosophie 246). Eine vollständige Darstellung der Vergangenheit müßte eine vollständige Darstellung der Z u k u n f t zur Voraussetzung haben (aaO 37). „Doch wenn die Z u k u n f t nicht gewußt werden kann, kann es auch keine vollkommene Kenntnis der Vergangenheit geben" (aaO 315). Dies ist darauf rückführbar, daß die Geschichte in einzigartiger Weise mit der Zeit zusammenhängt. Jedes geschichtliche Ereignis ist unlösbar verbunden mit dem Zeitpunkt, zu welchem es sich ereignet (vgl aaO 320, in Auseinandersetzungen mit dem logischen Determinismus, welcher einen zeitlosen Begriff von Zeit voraussetzt). s4 Danto spricht in diesem Zusammenhang von Vergangenheitskontingenzen, deren Existenz mit der Existenz von Zu&un/iikontingenzen gegeben ist. Wenn es Zukunftskontingenzen gibt, so muß es „mit der Sache unvereinbare Beschreibungen (geben), die gewissermaßen über einem gegebenen vergangenen Ereignis schweben, außerstande, definitive semantische Beziehungen zu dem Ereignis herzustellen, solange sich nicht irgendetwas in der Z u k u n f t ereignet" (aaO 312). ss Vgl dazu Bultmanns Referat über Burckhardt, bei dem diese Feststellung bezeichnenderweise damit verbunden ist, daß der Gedanke einer einheitlichen Weltgeschichte aufgegeben werden m u ß (Geschichte 85f). 56 Zur Auslegung siehe Schweizer, Kol 133f.

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greifen. 57 Jene Regeln zu kennen, hieße dann, der Relativität des Geschichtlichen entronnen zu sein. Demgegenüber ist festzuhalten, daß solche Regeln allenfalls dann und nur dann anzugeben wären, wenn die Geschichte an ihr Ende gekommen ist. 58 Bis dahin gilt: „Evolutionäre Prozesse (und die Geschichte ist ein solcher 59 ) sind gerichtet, aber ziellos, wie man erkennt, wenn man sich die Mechanismen vergegenwärtigt, die Gerichtetheit evolutionärer Prozesse bewirken." 60 Trifft man diese Annahme, so muß dem Zufall in einem solchen Geschichtsbegriff ein bedeutender Stellenwert zukommen. 61 Darüber wird noch mehr zu sagen sein. Hatte das Verständnis von Geschichte als einem teleologisch begreifbaren Entwicklungsprozeß es wenigstens ermöglicht, am Gedanken der Kontinuität unvermindert festzuhalten, so ist dies bei der zweiten Form der Aufhebung des Relativen nicht mehr der Fall. Gemeint ist hier die Vorstellung von der Geschichte als einer Wiederkehr des Gleichen im Rahmen bestimmter Gesetze. Im Anschluß an das damals herrschende Naturverständnis wurde im Bereich der Geschichtswissenschaft die Naturalisierung des Geschichtlichen radikal vollzogen. Das Historische wird insofern 57

Ein zweifellos großartiger Versuch ist die Vereinigung der formalen Sonderart der Geschichte mit der inhaltlichen Schöpfung der Geisteswerte aus der Geschichte, vorgenommen durch Hegel (vgl Schnädelbach, Geschichtsphilosophie 7—19; G. Mann, Geschichtsphilosophie 24—26; Troeltsch, Probleme 19f, zur Hegelschule 130f; dieses Verständnis ist in gewisser Weise relativiert bei Jüngel, Gott 104f). Zum Problem der aus Hegels Position resultierenden „Geistesgeschichte" vgl Löwith, Mensch und Geschichte 152f. Eine andere, sehr verwandte Spielform findet sich im dialektisch-materialistischen Geschichtsbild des Marxismus (dazu Troeltsch, aaO 149; Danto, Philosophie 24; Bultmann, Geschichte 78; zu neueren Ansätzen vgl Baumgartner, Kontinuität 26f. 30—32.85f; als Beispiel sei Kofier, Geschichte und Dialektik, genannt). Vorstufe dazu ist jedoch schon der aufklärerische Fortschrittsgedanke (Bultmann, aaO 8), der in der gegenwärtigen Fortschrittsideologie seine Fortsetzung findet. 58 Und das wäre selbst dann ein relativ sinnloses Unterfangen, weil es nicht sinnvoll ist, für den Ablauf eines singulären historischen Prozesses Gesetze anzugeben, die doch nur für diesen einen Fall (der Gesamtgeschichte) Gültigkeit besäßen (vgl Lübbe, Geschichtsbegriff 131 f). Die Angabe von Gesetzen ist also in dem Moment, wo sie möglich wäre, bereits überflüssig geworden. 59 Vgl Lübbe, aaO 16.90ff (Prozesse der Systemindividualisierung). 60 Lübbe, aaO 261 (Hervorhebung von mir), vgl passim. 61 Zufall heißt eben nicht „ursachlose Spontaneität oder ungeregeltes Geschehen. Der Begriff bezeichnet das Fehlen einer Vorwegkoordination zwischen Ereignissen und Systemen" (Lübbe, aaO 263, Hervorhebung von mir). Zum geschichtslogischen Problem, das durch das Phänomen des Zufalls entsteht, vgl Kracauer, Geschichte 45 f.

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zum E p i p h ä n o m e n der N a t u r v o r g ä n g e 6 2 , als alle Ereignisse kausal auf einen geschlossenen und in Gesetzen allgemeiner (zeitloser!) Gültigkeit formulierbaren Naturzusammenhang zurückgeführt w e r d e n . 6 3 Damit ist die K o n t i n u i t ä t der Geschichte in die Kontinuität der N a t u r aufgelöst. Mit dieser Naturalisierung, die ihre Analogie in gegenwärtigen Tendenzen zur R e d u k t i o n der Geschichtswissenschaft auf theoretische Sozialwissenschaften f i n d e t 6 4 , ist die Notwendigkeit gegeben, daß der Sinn des Geschichtlichen nur n o c h unter Absehung vom Einzelnen ausgesagt werden kann. Das Einzelne ist überhaupt nur n o c h in seiner Eigenschaft als Spielform des Allgemeinen interessant. Die Geschichte wird atomisiert; eine Kontinuität des Geschichtlichen ist nicht m e h r d e n k b a r . 6 5 In dem Maße, wie beide genannten Versuche zur Überwindung der Relativität in der Neuzeit als undurchführbar erkannt wurden, wurde die Frage nach dem Sinn der Geschichte suspekt. I m Gefolge des Entwurfs von Dilthey wird die Sinnfrage denn auch auf eine andere E b e n e verlegt: auf die E b e n e des erkennenden Subjekts. 6 6 So wird Vgl Troeltsch, Probleme 88 (Rückführung des Geistigen auf das Körperliche). 6 3 Troeltsch bezeichnet den Naturalismus als den „die gesamte Wirklichkeit umfassende(n) Zusammenhang einer von allem Qualitativen und aller unmittelbaren Erfahrung absehenden Vergesetzlichung" (aaO 103, vgl 108). 6 4 Dazu Lübbe, Geschichtsbegriff 25f, der zu dieser Tendenz kritisch Stellung nimmt. „Es soll deutlich werden, daß Forderungen von der Art, zu einer .nicht mehr narrativen Historie' fortzuschreiten oder, marxistisch, Historie als Wissenschaft ,νοη der Geschichte als einem gesetzmäßigen Prozeß' zu schreiben, die begriffliche Struktur hölzerner Eisen haben" (aaO 28, vgl Anm 2f); zum Problem vgl Schnädelbach, Geschichtsphilosophie 167f. Gegen die Versuche, den Wissenschaftscharakter von Geschichte durch (soziologisch-gesetzliche) Naturalisierung ihres Gegenstandes zu etablieren, nimmt Kracauer, Geschichte 30—60, von nicht-analytischer Basis aus Stellung. Da menschliche Verhältnisse „die Dimension von Naturkräften und kausal determinierten Mustern" transzendieren (Kracauer, aaO 43), gilt: „Wenn Geschichte eine Wissenschaft ist, dann ist sie eine Wissenschaft, die anders (sc als Natur- und Sozialwissenschaft) ist" (Kracauer, aaO 44). Mit guten Gründen könnte man die gegenwärtige Neuorientierung der Geschichtswissenschaft am Allgemeinen (dh an „Gesetzen", „Strukturen", „Trends") als Anpassung an die „Geschichtslosigkeit" der Gegenwart verstehen, was zur Folge hat, daß die in der Geschichtslosigkeit sich verbergende Auslieferung an gegenwärtige Zwänge durch die Neuorientierung der Geschichtswissenschaft noch verstärkt wird (dazu Kohli-Kunz, Erinnern 105—114). 65 Bultmann, Geschichte 96f (zu Spengler). 6 6 An die Stelle der objektiven Betrachtung tritt das Verstehen. Es gibt keine geschlossene Geschichte des objektiven Geistes, es gibt nur den Zusammenhang des Verstehens (Bultmann, aaO 140). Zu Dilthey siehe auch Schnädelbach, Geschichtsphilosophie 113—136. 62

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etwa bei Croce die Erkenntnis der Geschichte zu einem geschichtlichen Akt, zu einem Sinn urteil, das einem Einzelphänomen im Zusammenhang des Ganzen einen Platz einräumt. 67 Und bei Collingwood wird diese historische Erkenntnis zu einem existenziellen Verhältnis zur Geschichte. 68 Die Geschichte erhält ihren Sinn dadurch, daß sie den Menschen zur Selbsterkenntnis herausfordert. Ist diese sinnvoll, dann ist es auch jene. Bultmann führt diesen Ansatz weiter, indem er den Akt der Selbsterkenntnis im Sinne eines Aktes der Verantwortung für die Zukunft auslegt, der als solcher ein Akt der Entscheidung ist. 69 Die Geschichtlichkeit des menschlichen Daseins ist nicht durch seine Vergangenheit gegeben, sondern durch die Beziehung des Wollens und Denkens auf die Zukunft. Die Geschichtlichkeit des Menschen gründet in seiner Zeitlichkeit. 70 Die Vergangenheit hat die Aufgabe, den Menschen in die „Situation der Frage", in die Situation der Entscheidung zu führen, „die als Entscheidung gegenüber der Zukunft zugleich Entscheidung gegenüber der Vergangenheit ist . . 7 1 . Die Geschichte findet ihre Einheit in der Verantwortlichkeit der Existenz. Das persönliche Subjekt ist der Faktor der Konstanz.12 Dieses ist allerdings keine „Substanz", sondern auch „die Personalität ist eine zeitlich geschichtliche, und nur als Möglichkeit eine kon-

Die ganze Wahrheit liegt in der Erkenntnis des Einzelnen (Bultmann, aaO 143, vgl 145). 6 8 Nach Bultmann ist dies der beste bisherige Ansatz (aaO 155). Collingwoods Unterscheidung zwischen Wahrnehmen und Verstehen steht im Interesse, das Spezifikum der historischen Erkenntnis (im Gegensatz zu den Naturwissenschaften) zu beschreiben (aaO 156). Historische Erkenntnis beruht auf einem existentiellen Verhältnis zur Geschichte (aaO 158). 6 9 Bultmann, aaO 162. 7 0 Menschliche Handlungen sind gewollte Handlungen und also auf die Zukunft gerichtet (Bultmann, aaO 167). „Dies immer Zukünftigsein ist die Geschichtlichkeit des menschlichen Seins oder genauer: seine Zeitlichkeit, in der seine Geschichtlichkeit gründet" (aaO 168, im Anschluß an Heidegger). Die Geschichtlichkeit des menschlichen Seins ist demnach nicht dadurch konstituiert, daß der Mensch in der Geschichte ist, sondern dadurch, daß sein Dasein die Struktur der Zeitlichkeit hat. 7 1 Bultmanns Kritik am Historismus besteht denn auch wesentlich darin, daß dieser die Bestimmtheit der Gegenwart durch die Vergangenheit lediglich als kausale Determination versteht (aaO 169). Insofern verkennt der Historismus die „Gefährlichkeit, den Wagnischarakter des menschlichen Seins" (ebd). 7 2 Die Einheit der Geschichte ist weder ein Kausalnexus noch ein Fortschritt, sondern sie ist begründet in der Verantwortlichkeit des Menschen gegenüber der Vergangenheit und der Zukunft (Bultmann, aaO 172.174). 67

Das Subjekt der Geschichten

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stante" 7 3 . Das Wahrheitskriterium gegenüber den in der Vergangenheit anwesenden Möglichkeiten menschlichen Selbstverständnisses ist wiederum die Geschichtlichkeit der Existenz. Dies wird deutlich an dem folgenden, die Wahrheitsfrage im Blick auf Weltanschauungen beantwortenden Satz: „Eine Weltanschauung ist um so mehr legitimiert, je mehr sie die Geschichtlichkeit des menschlichen Seins zum Ausdruck bringt." 7 4 Allen diesen Ansätzen ist gemeinsam, daß sie den Aspekt des Relativen als Positivum zu würdigen vermögen. Die Frage ist freilich, ob dabei das Relative nicht wiederum aufgehoben, nämlich in den existentiellen Akt des Subjekts aufgehoben wird. Überdies kann in diesen Entwürfen nicht mehr im eigentlichen Sinne von der Kontinuität der Geschichte die Rede sein. Ist es auf diese Weise noch möglich, die Zeitlichkeit des Geschichtlichen in dem Sinne eines Wesensmerkmals vergangener Ereignisse zu denken? Wird sie nicht zum bloßen Akzidens des Geschichtlichen? Was spielt es für eine Rolle, daß die Offenbarung Gottes in Christus zu einem bestimmten Zeitpunkt der Geschichte sich ereignete, daß sie jedenfalls mit Vergangenem zu tun hat? Sodann kommt dazu, daß in diesen Entwürfen der Ausdruck „die Geschichte" sinnlos bzw zu einer anthropologischen Metapher geworden ist. Kann eine Theologie, die von einem Bezug Gottes zur Welt sprechen will, auf jenen Ausdruck verzichten? Ist ferner der Gegenwartsbezug des Geschichtlichen sachgemäß verstanden, wenn er als Entscheidung gegenüber der Geschichte verstanden wird? Ist der Gegenwartsbezug in dieser Weise vom erkennenden Subjekt herstellbar? Und schließlich: trifft es zu, daß der Mensch auf solche Weise Subjekt, handelndes und wollendes Subjekt der Geschichte ist? Diese Fragen werden wir im Rahmen weiterer Überlegungen zum Geschichtsbegriff und erst recht dann zur Kreuzestheologie des Paulus zu bedenken haben.

1.3 Das Subjekt der Geschichten Für den neuzeitlichen Geschichtsbegriff ist konstitutiv, daß die Antwort auf die Frage, wer das Subjekt der Geschichte sei, lautet: 73

Bultmann, aaO 175 (Hervorhebung von mir). Bultmann, aaO 178. Die Relativität des Geschichtlichen ruft gerade die Frage nach der Wahrheit wach. „Der Blick auf die verschiedenen Möglichkeiten (fuhrt nicht zum Relativismus, sondern) ruft vielmehr die Frage nach dem legitimen Selbstverständnis wach" (aaO 177). 74

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Zum analytischen Geschichtsbegriff

der Mensch. Von Geschichte „im eigentlichen Sinn reden wir nur, wo das Subjekt des Geschehens die Menschen sind, die sich als bewußte und wollende Wesen von der Natur unterscheiden" 7S. Von Subjekten spricht man gewöhnlich, wenn es um Handlungen, um bewußte und gewollte Handlungen geht. Ist der Mensch als Subjekt von Geschichten in Analogie zu seinem Subjektsein in Handlungen zu verstehen? Problematisch wird dieses Verständnis schon dadurch, daß Geschichten über Menschen ja nicht nur von ihren Handlungen, sondern auch von ihren Widerfahrnissen erzählen. 76 Und noch problematischer wird es, wenn man bedenkt, daß nicht nur Menschen, sondern auch unbewußte und nicht handelnde Phänomene wie Natur, Kategorien, Probleme und Begriffe Subjekt einer Geschichte sein können. 77 Diese Problematisierungen lassen es zweckmäßig erscheinen, die Rede vom Subjekt von Geschichten etwas zu präzisieren. Es ist trivial, festzustellen, daß die Rede vom Subjekt einzelner Handlungen sinnvoll ist. Gilt das sowieso im Blick auf individuelle Subjekte 78 , so wird daran nicht prinzipiell etwas verändert, wenn man dasselbe auch von kollektiven Subjekten wie Nationen oder Gesellschaften sagt, obwohl die Rede vom Subjektsein hier nicht mehr so selbstverständlich ist. 79 „Aber es ist nicht trivial, diese Trivialität gegen die beobachtbare Neigung festzuhalten, Geschichten nach Analogie von Handlungen Subjekte zu unterschieben,"80 Daß diese Analogie falsch sein muß, kann man sich am einfachen Beispiel einer Geschichte klar machen, die auch Handlungen enthält. Wird das Ergebnis einer solchen Handlung erklärt, dann rekurriert der Erklärende nicht nur auf die Absicht und Entscheidungsgrundlagen des betreffenden Subjekts, sondern er erzählt eine Geschichte darüber, was das Subjekt intendiert habe und was alles noch passiert sei, um eben damit zu beschreiben, wie es zu diesem Resultat gekommen ist. 81 Dies gilt erst recht in 75

Bultmann, aaO 165; Lübbe, Geschichtsbegriff 70f. Darauf weist auch Bultmann in Auseinandersetzung mit Collingwood hin (aaO 162). 77 Dazu Lübbe, Geschichtsbegriff 46f.76. Es gibt Geschichten über Phänomene mit höchst unterschiedlichem kategorialen Status. 78 Vgl Lübbe, aaO 71, im Anschluß an Kambartel. 79 Dazu Lübbe, aaO 7 lf bes 72. Die Formel „Menschheit auf dem Weg in die Subjektsposition" ist eine Verschleierung der anstehenden Probleme. 80 Lübbe, aaO 72 (Hervorhebung von mir). 81 Lübbes Beispiel von der Schaffung von Uberkapazitäten an Studienplätzen im Ruhrgebiet ist gerade dafür sehr instruktiv (aaO 72f, vgl 35—38). Wer die76

Das Subjekt der Geschichten

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den Fällen, wo eine Handlung gestört wird durch Einflüsse „Höherer Gewalt". In diesem Zusammenhang erfüllt der Rekurs auf das Handeln Gottes „traditionellerweise die Funktion, die Ableitbarkeit von Geschichten aus der autarken Subjektivität handelnder Individuen oder Institutionen zu dementieren" 82. Die Handlungsvorgänge sind demnach von Geschichten dadurch unterschieden, daß letztere die Dimension dessen, was man tut, durch die Dimension dessen, was sich ereignet, erweitern.83 „Der Unterschied zwischen einer Handlung und einem durch die Raison von Handlungen verfügten Handlungszusammenhang einerseits und einer Geschichte andererseits beruht also auf dem Unterschied zwischen dem, was man tut, und dem, was passiert, und durch das, was passiert, wird aus dem, was man tut, eine Geschichte." 84 Geschichten sind also nicht ausschließlich durch den Rekurs auf Intentionen und Projekte zu beschreiben, sie sind vielmehr durch das konstituiert, was sich mit jenen Intentionen ereignete.85 Es ist gerade das Wesen der Geschichte, daß ihre Erzählung die autarke Subjektivität der handelnden Personen überschreitet. ses Phänomen erklären will, verweist nicht nur auf die Intention von Subjekten, sondern auch auf Vorgänge und Gegebenheiten, die die Handlungsraison störten. 82 Lübbe, aaO 73, der dies auch für Hegels Philosophie der Weltgeschichte feststellt. Die die Welt beherrschende göttliche Vernunft ist gerade nicht die Vernunft eines besonderen (menschlichen) Subjekts. 83 Lübbe, aaO 74. Sofern eine historische Erklärung im Erzählen einer Geschichte mit der Struktur ,,x ist F in t-1. Η ereignet sich mit χ in t-2. χ ist G in t-3" besteht, ist jedenfalls klar, daß „x ist G " nicht schon aus „x ist F "folgen kann (Danto, Philosophie 392). Dies aber träfe in jenen Fällen zu, in denen einer tut, was er will. Solche Geschichten wären gleichsam ereignisfrei und müßten gar nicht erzählt werden; dazu Lübbe, aaO 54: „Wenn einer tut, was er will, indem er kann, was er will, so ergibt das keine Geschichte, die wir als passiert erzählen würden." Für die Geschichte ist die Differenz zwischen Erwartung u n d Erfüllung konstitutiv (vgl. Fellmann, Ende 134, im Anschluß an Dray). 84 Lübbe, Geschichtsbegriff 75. Zum Problem vgl Heuß, Anthropologie 187f. 85 Sätze, die Projektverben (zB „Rosen pflanzen") enthalten, sind nicht deshalb erzählende Sätze, weil diese Projekte in ihnen vorkommen (dazu Danto, Philosophie 259ff). Der Satz „a pflanzt Rosen" läßt sich geschichtlich nicht falsifizieren, weil er von folgenden Ereignissen unabhängig ist (aaO 262f!). Der Begriff ist nicht zukunftsbezogen, dh er ist tempus-neutral (aaO 264); dies gilt auch, wenn das Projektverb in der Vergangenheit steht. Anders ist es dagegen mit dem Satz . J o n e s pflanzte die preisgkrönten Rosen" (aaO 265ff). Dies hat seinen Grund darin, daß er als temporaler Satz seine Bedeutung im Kontext künftiger Ereignisse erlangt. Er ist also geschichtlich falsifizierbar.

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Zum analytischen Geschichtsbegriff

Dieser Sachverhalt hat nicht zuletzt im Blick auf die Geschichte Jesu eine erhebliche Bedeutung. Die geschichtliche Erklärung dessen, wie es zur Heilsbedeutung des Todes Jesu kam, kann nicht ausschließlich mit Rekurs auf das Verständnis des Todes durch Jesus selbst abgegeben werden, obwohl dieses sicher nicht einfach beliebig ist. Die Legitimität des verkündigten Kreuzes ergibt sich nicht daraus, wie Jesus seinen Tod verstanden hat. Dieses in der Exegese weit verbreitete Erklärungsmuster 86 ist revisionsbedürftig. Soll die Heilsbedeutung des Todes Jesu geschichtlich erklärt werden, so muß davon erzählt werden, wie Jesus lebte und wie er starb, aber auch was sich nach seinem Tode und unabhängig von seinen Intentionen und seinem Selbstverständnis noch ereignete. Daß Jesus sein Leben wie sein Sterben im Lichte der Nähe Gottes verstand, mag als historischer Sachverhalt gelten, erklärt aber nicht die urchristliche Behauptung, daß jenes Leben und Sterben das Ereignis der Nähe Gottes zur Welt war. Damit die Behauptung verstanden werden kann, muß von Jesu Auferweckung erzählt werden. In dieser wurde das Selbstverständnis Jesu qualitativ überschritten. Das heißt freilich nicht, es sei unerheblich geworden. Vielmehr gilt: das Verständnis des Lebens und des Todes durch Jesus ist im Blick auf das Ereignis der Nähe Gottes aufschlußreich, während dieses Rückschlüsse auf jenes notwendig macht. Deshalb mußte die Geschichte Jesu nach Ostern in einer neuen, das Faktische überschreitenden Weise erzählt werden, ohne daß sie aufhört, die Geschichte Jesu zu sein. Der Verzicht auf das in manchen historischen Urteilen implizierte Postulat der autarken Subjektivität Jesu ist gleichbedeutend mit der Respektierung seiner Menschlichkeit. Die Tatsache, daß Geschichten also Vorgänge ohne Handlungssubjekt sind 87 , macht jedoch nicht die Rede von einem Subjekt über86

Als Beispiel für dieses Erklärungsmuster mag ein Aufsatz von Marxsen dienen. Marxsen fragt nach der Legitimität des verkündigten Kreuzes (NTS 8, 204) und präzisiert diese Frage wie folgt: „Es ist zu prüfen, ob Jesus seinen Tod als Heilsereignis verstanden hat" (aaO 207). Obwohl Marxsen diese Frage negativ beantwortet („So kann der Historiker mit ganz großer Sicherheit sagen, daß Jesus seinen Tod nicht als Heilsereignis verstanden hat", aaO 209), hält er daran fest, die Legitimität des Kerygmas daran zu messen, ob dieses „einen Anhalt an dem (hat), was Jesus gewollt hat, an dem, was er gebracht hat", ob dieses also die Sache Jesu durchgehalten hat (aaO 209: „vor Gott stellen"). Besonders deutlich wird die Struktur aaO 210: „Denn das Kerygma sagt ( . . . ) als Kerygma genau das, was Jesus von Nazareth gebracht hat: Versöhnung mit Gott." Deshalb ist es legitim. 87 Lübbe, Geschichtsbegriff 69ff und passim.

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haupt verzichtbar. Sie muß lediglich insofern präzisiert werden, als bei Geschichten sinnvollerweise nur von einem Referenzsubjekt (und nicht von einem Handlungssubjekt) die Rede sein kann. „Ihr Referenzsubjekt ist das, wovon eine Geschichte erzählt wird." 8 8 Als ein solches ist es für jede Geschichte konstitutiv, indem es der Erzählung ein „gewisses Maß von Einheitlichkeit" 89 verleiht. Wie das Referenzsubjekt einer Geschichte eine gewisse Einheit verleiht, so verleiht die Geschichte ihrem Subjekt die Identität. Diese Identität hat das Referenzsubjekt nicht unter Absehung von seiner Geschichte und auch nicht durch den bloßen Rekurs auf sich selbst als Handlungssubjekt. Es ist vielmehr eine Identität, die nicht zur Disposition des Subjektes steht. 90 Sie ist „nicht aus Absichten, sondern stets nur genetisch erklärbar. Die Genesis ist dabei das, was nicht zur Disposition eines Handlungssubjekts steht, wobei es gleichgültig ist, ob die Genesis bekannten Zustandsänderungsfolgeregeln gehorcht oder ob sie eine aus solchen Regeln unableitbare Geschichte bildet." 9 1 Die Tatsache, daß sowohl von handlungskompetenten wie nicht-handlungskompetenten Subjekten Geschichten erzählt werden können, bestätigt nur die Einsicht, daß die Handlungskompetenz der Referenzsubjekte für die Anwendung des Prädikators „Geschichte" irrelevant ist. Im Wortgebrauch „Naturgeschichte" beispielsweise „spiegelt sich, daß zu Geschichten strukturell ein Referenzsubjekt gehört — nicht ein Handlungssubjekt" 9 2 . 88 Lübbe, aaO 75 im Anschluß an Stempel, der von der „Referenzidentität des Subjekts" spricht (Anm 18). 89 Danto, Philosophie 375. „Ohne daß wir hier Halt machen wollten, um uns über Substanzen Gedanken zu machen, müssen wir doch von dem Subjekt der Veränderung sprechen, welcher metaphysische Status diesem Subjekt auch immer zukommen mag" (ebd). Vgl dazu aber Fellmann, Ende 129, der gegenüber Danto präzisierend feststellt, daß nicht von der Einheit des Subjekts ausgegangen werden sollte, sondern umgekehrt davon, daß man „das Subjekt durch die Einheit der Geschichte sich erst konstituieren läßt". Die Alternative ist mE in dem Sinne aufzulösen, daß das Subjekt als Referenzsubjekt (bei Fellmann, ebd: „Bezugspunkt ihrer Synthesen") der Geschichte ihre Einheit gibt, während die Geschichte dem Subjekt seine Identität verleiht. 90 Geschichten sind Prozesse der Systemindividualisierung (Lübbe, Geschichtsbegriff 90ff) und als solche entsteht in ihnen Identität des Referenzsubjekts. „Soweit es sich um Systeme handelt, die, wie soziale Systeme und selbstverständlich Personen, auch sich selbst über ihre geschichtliche Individualität identifizieren, läßt sich diese geschichtliche Individualität als .Identität' bezeichnen" (aaO 146, vgl auch 168ff). Eben diese geschichtliche Individualität steht nicht zur Disposition des Subjekts, weil dieses den Status eines Referenzsubjekts einnimmt (aaO 76). 91 Lübbe, aaO 77 . 92 Lübbe, ebd.

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Zum analytischen Geschichtsbegriff

Mit dieser Bestimmung des Stellenwertes geschichtlicher Subjekte hängt schließlich zusammen, daß Geschichtserzählungen nicht in nutzbare Handlungsregeln transformierbar sind. Im Bereich des Geschichtlichen ist die Sprachform der Erzählung durch keine andere Sprachform zu ersetzen. Andererseits kann es sehr wohl Erzählungen von nicht-gestörten Handlungsabläufen geben. Eine genaue Erzählung darüber, wie ein Bäcker Brot backt, könnte ohne weiteres in ein Brotback-Rezept transformiert werden. 93 Das heißt: nicht-gestörte Handlungsabläufe sind ohne Schaden in tempus-neutraler Sprache darstellbar. Das hängt damit zusammen, daß es bei solchen Handlungsabläufen unwesentlich ist, ob oder wann sie sich ereignet haben: sie können sich jederzeit wieder in gleicher Weise ereignen. Geschichtserzählungen dagegen, die ein Referenz- aber kein Handlungssubjekt haben, sind nicht transformierbar, obwohl auch sie theoretisch faßbare Elemente enthalten können. „Geschichten sind . . . Handlungsabläufe in nicht-standardisierten, nicht beherrschten und entsprechend nicht gemäß standardisierten Regeln kalkulierbaren Situationen, so daß nutzbare Handlungsregeln aus ihnen insoweit nicht zu gewinnen sind." 94 Damit entfällt im Blick auf Geschichten die Möglichkeit jenes Gegenwartsbezugs, der mittels Abtraktion vom konkreten Ereignis die temporale Sprache in nicht-temporale Sprache (wie zB Theorien, Regeln, Maximen, usw) transformiert. Geschichten haben nur als vergangene einen Gegenwartsbezug, oder aber sie haben überhaupt keinen, weil sie dann zerstört werden. Geschichtliche Rede von Gott müßte dann auf jeden Fall bedeuten, daß die Temporalität des Redens von Gott unbedingt akzeptiert würde. 93

Vgl Lübbe, aaO 78. Dabei handelt es sich um den Ubergang von temporaler in tempus-neutrale Sprache, vgl Danto, Philosophie 108ff. Es muß „hinreichend klar sein, daß wir — da vergangenheits-bezogene Prädikate, sofem sie für gegebene, gegenwärtige Objekte als wahr gel-/ten, uns Informationen über Ereignisse und Gegenstände liefern, die nicht gegenwärtig sind — solche Sätze nicht bruchlos in ein tempus-neutrales Idiom übersetzen können, . . . " (aaO 125f). 94 Lübbe, Geschichtsbegriff 80. Würden geschichtliche Erzählungen in ein „Gesetz" transformiert, dann würde dabei in einer Weise von den einmaligen Umständen abstrahiert, daß das Gesetz entweder wertlos wäre oder nur für diesen Fall zuträfe, was dessen Aufhebung als Gesetz bedeutete (aaO 80f). In dieser Sache verhält sich das geschichtliche Subjekt analog einem solchen, das von der Sprache Gebrauch macht: auch wenn die Regeln des Sprachkodes endlich und gegeben sind, läßt sich aus ihnen nicht ableiten, was einer sagen wird.

Welchen Sinn hat die Rede von der Geschichte

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Mit der Unterscheidung von Referenz- und Handlungssubjekt wird jedoch auch jene andere Weise des Gegenwartsbezuges problematisiert, die davon ausgeht, daß das gegenwärtige Subjekt sich ausschließlich handelnd auf die Gegenwart und die Zukunft bezieht und gerade so den Gegenwartsbezug des Vergangenen herstellt. Ist es nicht widersprüchlich, daß der Mensch, der in den Geschichten als Referenzsubjekt thematisch ist, im Gegenwartsbezug jener Geschichten als Handlungssubjekt schlechthin in Szene tritt? Müßte er nicht vielmehr auch im Gegenwartsbezug Referenzsubjekt bleiben? Das würde jedenfalls bedeuten, daß nicht er selbst als Subjekt in Entscheidung und Praxis jenen Gegenwartsbezug vollzieht. Er müßte seine Geschichte in einer Sprachform vorfinden, die ihn Referenzsubjekt sein läßt und ihn gerade so auf die Gegenwart bezieht. Dieser Frage wird im Zusammenhang mit der Analytik der Erzählung genauer nachzugehen sein.

1.4 Welchen Sinn hat die Rede von der Geschichte? Wenn es zutrifft, daß gegenwärtig die „Frage nach dem Sinn der Geschichte" eine „sinnlose Frage geworden" ist 95 , und zwar aus dem Grunde eine sinnlose Frage, weil die Geschichte nicht mehr als einheitliche Entwicklung begriffen werden kann, dann scheint die Rede von der Geschichte überhaupt sinnlos geworden zu sein. Was steht für die christliche Theologie auf dem Spiel, wenn die Einheit der Geschichte nicht mehr denkbar sein sollte? Insbesondere für eine Theologie, die um der Einzigkeit Gottes willen von seinem Bezug auf die Geschichte zu sprechen hat? Wie soll die Universalität des Bezuges Gottes auf die Geschichte sinnvoll gedacht werden können, wenn die Geschichte jenes Bezuges nur eine Geschichte unter Geschichten ist, welche keinen Zusammenhang untereinander haben, so daß jener Zusammenhang von dem sich auf Geschichten beziehenden Subjekt allererst hergestellt werden müßte? Die christliche Theologie hat ein Interesse an der Universalgeschichte, weil damit nicht zuletzt die Einzigkeit Gottes auf dem Spiel steht. Die Unmöglichkeit, die Einheit der Geschichte als durch die Einheit eines Handlungssinns gestiftet zu denken, zwingt in keiner Weise 95

Bultmann, Geschichte 135.

6 Weder, Kreuz

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Zum analytischen Geschichtsbegriff

zur Beschränkung auf Geschichten. 96 Wenn die Einheit der Geschichte durch den Rekurs auf Geschichten deutlich gemacht wird, so geschieht dies in der Absicht, „der Verwechslung der Einheit des Begriffs der Geschichte mit der Einheit der Geschichte vorzubeugen". Es geschieht also in der Absicht, den „Kollektivsingular" Geschichte sachgemäß zu verstehen. 97 Das Verhältnis von Geschichten, ihrem Begriff und der Geschichte kann nicht in Analogie zum Verhältnis von Individuen, ihrem Begriff und ihrer Gattung verstanden werden, Vielmehr ist die Geschichte „selbst unter oder, nach Droysen, ,über' den Geschichten, eine (Geschichte) eben dieser Geschichten" 98 . Schon wenn die Rede von Geschichten sinnvoll sein soll, erfordert dies die Bildung des Kollektivsingulars Geschichte. 99 Die Geschichte ist in Analogie zu den Geschichten zu verstehen. Daraus ergibt sich, daß die Einheit der Geschichte sinnvoll nur unter Voraussetzung eines einheitlichen Subjekts der Geschichte gedacht werden kann. Entsprechend der genannten Analogie ist dieses Subjekt jedoch kein Handlungssubjekt, sondern ein Referenzsubjekt.10° Die Einheit der Geschichte ist konstituiert durch die Einheit ihres Referenzsubjekts, der Menschheit. „Die Einheit der Menschheit ist eine biologische Einheit, die Einheit der Gattung ,homo sapiens'." 101 An dieser biologisch gedachten Einheit muß festgehalten werden, damit jedwedem Anspruch einer bestimmten Gruppe der Menschheit, das einzig rechtmäßige Subjekt der Geschichte zu sein, die Spitze gebrochen werden kann. „Der äußerste Grad der Inhumanität ist der Ausschluß von Menschen von Ansprüchen der Humanität nach Graden ihrer Defizienz in der Erfüllung des Ideals der Humanität." 1 0 2 Die auf 96

Die Zersetzung der Rede von einem einheitlichen Handlungssinn als Befreiung von Illusionen darüber, „was es heißt, sich .inmitten der Geschichte' zu befinden . , . , befreit uns nicht von der Geschichte, aber von der ideologiepolitischen Zumutung, sinnunterstellend .Geschichte als Argument' anerkennen zu sollen" (Lübbe, Geschichtsbegriff 82). 97 Lübbe, aaO 83 (Hervorhebung von mir). 98 Lübbe, aaO 84. 99 Dieser Sachverhalt zeigt sich in ähnlicher Weise beim Nachweis von Troeltsch, daß der Übergang von der formalen zur materialen Geschichtsphilosophie eine Notwendigkeit ist (Probleme 67—83, bes 70,72f). 100 Vgl Lübbe, Geschichtsbegriff 84: „Auch von der Geschichte schlechthin ließe sich ja nicht einmal reden, wenn nicht gesagt werden könnte, wessen Geschichte sie sei." 101 Lübbe, aaO 85. •02 Lübbe, ebd. „Die Natur des Menschen und nicht sein Ideal ist der Berufungsgrund in der Verweigerung der Anerkennung des Rechts jener extremen Herrschaft von Menschen über Menschen, in der die Menschlichkeit

Welchen Sinn hat die Rede von der Geschichte

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dem Grunde der biologischen Einheit der Menschheit gedachte Einheit der Geschichte verwehrt es — im Gegensatz etwa dazu, wenn von der Einheit des Willens oder deqenigen eines bestimmten Bewußtseinsstandes ausgegangen würde —, „die Menschen mit politischer und rechtlicher Wirkung nach dem Entwicklungsstand ihrer geschichtsmächtigen Subjektivität einzuteilen" 103 . Die Einheit der Geschichte muß so konzipiert werden um der prinzipiellen Gleichheit der Menschen. Was hier — weltlich — zur Sprache kommt, befindet sich in einer gewissen Nähe zu dem, was Paulus im Blick auf den Kreuzestod Jesu — und insofern mit einer gänzlich anderen Begründung — zu sagen hatte: „Denn es gibt keinerlei Unterschied (zwischen Juden und Heiden). Alle haben gesündigt und gehen der Herrlichkeit Gottes verlustig" (Rom 3,22b.23). Mit der prinzipiellen Andersartigkeit der Begründung mag es zusammenhängen, daß die Gleichheit der Menschen im einen Falle ein Postulat, im andern dagegen eine Selbstverständlichkeit ist. Wenn es auch wahr ist, daß die Einheit der Geschichte auf dem Grunde der Einheit der Menschheit zu denken ist, so ist es dennoch nicht stringent, für diesen speziellen Fall der Geschichte Einheit und Identität gleichzusetzen. 104 Dies widerspricht Lübbes eigener Forderung, die Geschichte nach Analogie der Geschichten zu begreifen. Dieser Analogie zufolge muß vielmehr auch von der Geschichte gelten: das Referenzsubjekt verleiht der Geschichte ihre Einheit, während die Geschichte dem Referenzsubjekt seine Identität verleiht. 105 Wer die Menschheit als Gattung homo sapiens ist, stellt sich in ihrer Geschichte heraus. In diesem Zusammenhang dürfte es lohnend sein, zu bedenken, was es bedeutet, daß Gott in Jesus Christus in die Geschichte der Gattung homo sadefiniert wird, durch die sich der Mensch erst zum Menschenrechtssubjekt erhöbe" (ebd, Hervorhebung von mir). i° 3 Lübbe, aaO 86. 1 0 4 Dies ist kritisch gegenüber Lübbe, aaO 84f zu sagen. Warum soll es „im Falle dieser einen Geschichte" so sein, „daß ihr Referenzsubjekt nicht sel-/ber schon . . . eine geschichtliche Größe ist, sondern eine natürliche . . . " ? Was Lübbe abwehren will, ist ja die Beschränkung auf eine bestimmte Stufe des Individualisierungsprozesses (vgl aaO 85). Dies kann jedoch nicht mit Berufung auf die natürliche Identität geschehen, sondern muß gerade mit Berufung auf den geschichtlichen Charakter derselben vollzogen werden, der eine solche Beschränkung verhindert. Die Berufung auf die natürliche Einheit der Menschheit ist zugleich die Bedingung der Möglichkeit, daß ihre Identität konsequent geschichtlich, nämlich als Einheit aller „Stufen" der Individualisierung gedacht werden kann. los Vgl oben S. 79 mit Anm 90f.

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Zum analytischen Geschichtsbegriff

piens eingegangen ist, und zwar so eingegangen ist, daß er dabei nicht in ihr aufgegangen ist. Die Begründung der Einheit der Geschichte in der Einheit ihres Referenzsubjektes fordert per se den Verzicht auf das Postulat eines Handlungssubjekts. In diesem Verzicht wird die Menschlichkeit der Menschheit und die Säkularität der Geschichte gewahrt. 106 Die Geschichte — und gerade auch die gegenwärtige — zeigt indessen genügend Beispiele dafür, daß Menschengruppen oder Menschen sich als Handlungssubjekt der Geschichte aufspielen. 107 Es ist, als ob die Menschheit unter dem Zwang stände, Handlungssubjekt der Geschichte zu sein. Geradezu institutionalisiert ist dieser Zwang im eschatologischen Ideal einer Menschheit, die vom Referenzsubjekt „zum seiner selbst uneingeschränkt mächtigen Handlungssubjekt" fortgeschritten ist. 108 Kann der Zwang beseitigt werden, indem man für die Perennierung der vakanten Stelle eines Subjekts der Weltgeschichte oder für die Besetzung dieser Vakanz mit einem (inhaltsleer begriffenen) Gott eintritt? Was das letztere angeht, so bedeutet die auf diese Weise postulierte Fernhaltung Gottes von der Geschichte das crimen laesae maiestatis Gottes, weil damit seine Zugehörigkeit zum Referenzsubjekt der Geschichte übergangen wird. Denkt man dem Gott nach, der sich im Kreuzestod Jesu auf ebenso unüberbietbare Weise mit dem Referenzsubjekt der Geschichte identifiziert hat, wie er sich in der Auferweckung Jesu von den Toten von jenem distanziert hat, so wird das Sein Gottes als Handlungssubjekt der Geschichte von eben jener Identität und Differenz aus gedacht werden müssen. In diesem Nachdenken wird sich die Einsicht einstellen, daß der Eingang Gottes in die Geschichte sowohl zu einer Steigerung der Weltlichkeit der Geschichte als auch zu einer Steigerung unseres Verständnisses von der Gottheit Gottes geführt hat. 109 Die Bereicherung des Referenzsubjekts durch den 106 Zur Säkularität der Geschichte vgl Ebeling, Welt WuG I 388. Eine wahrhaft geschichtliche Rede von Gott müßte alles Interesse an der Säkularität der Geschichte haben und gerade im Eingehen auf sie von der Heiligkeit Gottes reden (vgl aaO 3 9 0 - 3 9 2 ) . 107 £)ies zeigt sich im Satz: „Wir sind die Sieger der Geschichte" (vgl Lübbe, Geschichtsbegriff 88f). 108 Lübbe, aaO 88. Vgl die Rede von der Menschheit auf dem Weg in die Subjektsposition (aaO 71) sowie das Ideal eines durch „den Bildungsprozeß . . . sich selbst erzeugenden Subjekts" (Habermas, zitiert bei Lübbe, aaO 85). Dazu Ebeling, Welt WuG I 392: „Denn in der Freiheit des Glaubens wird die Welt wahrhaft weltlich und wird die Verantwortung wahrgenommen, die das Wesen der Geschichtlichkeit ist" (Hervorhebung von mir).

Zur Kategorie des Einzelnen

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so sich mit ihm identifizierenden und darin sich von ihm unterscheidenden Gott besteht darin, daß der Verzicht auf die Selbstinszenierung als Handlungssubjekt, der weltlich nur mit gesetzlichen Mitteln aufrechterhalten werden kann, zum Selbstverständlichen wird. Selbstverständliches aber bedarf keiner Tröstungen, weder solcher eines „dialektischen Materialismus" noch solcher eines utopischen Realismus. 110

1.5 Zur Kategorie des Einzelnen Es ist die in jeder Hinsicht großartige Leistung des sogenannten Historismus, daß er im Bereich des Geschichtlichen die Einmaligkeit des historischen Gegenstandes zu würdigen und also die Würde des Einzelnen zu respektieren gelehrt hat. 111 Der Historismus geht aus vom geschichtslogischen Prinzip der Individualität, „daß die eigentliche Historie die konkrete, anschauliche Darstellung der jedesmal individuellen Gebilde der Geschichte nach allgemeiner Praxis ist und daß sich dem kein Darsteller je hat ganz entziehen können" 1 1 2 . Grundlegend für die Geschichte ist — im Gegensatz zu der an Element und Gesetz orientierten Naturwissenschaft — die „Kategorie der individuellen Totalität als Grundeinheit" 113 . Diese Kategorie faßt das Geschichtliche als jeweilige Grundeinheit auf, die nicht als Zusammensetzung verschiedener Elemente zu begreifen ist, sondern jedesmal schon zusammengeballt ist „zu einer Lebenseinheit oder Totalität" 1 1 4 . Das Einzelne als Totalität verstanden ist das „unauflösliche Geheimnis des Lebens" 115 . no Vgl Lübbe, Geschichtsbegriff 89 zu den tröstenden Ausblicken Engels' über das Ende der Geschichte hinaus. Zum Phänomen der futurologischen Rede von Universalgeschichte vgl Wagner, Universalgeschichte 217—221. m Vgl Lübbe, Geschichtsbegriff 118f; Faber, Theorie 45ff. 112 Troeltsch, Probleme 30. Bei aller Anerkennung der Bedeutung, welche die generalisierenden Disziplinen (wie Soziologie, Ethologie, Typologie) haben, ist dennoch festzuhalten, daß sie in der Geschichtswissenschaft die Darstellung des Geschichtlichen bisher nie ganz zu verdrängen vermochten (ebd). 113 Troeltsch, aaO 32 (Hervorhebung gesperrt). 114 Troeltsch, aaO 33. Diese Einheiten sind nur historisch anschaulich und also nicht aus der Psychologie oder Physik ableitbare Phänomene. Bei ihnen muß es sich nicht notwendigerweise um Individuen handeln, es können auch Kollektiv-Individualitäten wie Völker, Klassen, Kriege usw sein. Diese individuelle Totalität entspricht genau dem, was Lübbe das Referenzsubjekt der Geschichte nennt. 115 Troeltsch, aaO 37. Das Einzelne ist nicht, etwa wie das Molekül, gemäß einem Strukturprinzip auf seine Elemente rückführbar.

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Zum analytischen Geschichtsbegriff

In der Kategorie der individuellen Totalität ist ferner enthalten der „Begriff der Ursprünglichkeit und Einmaligkeit" in dem Sinne, daß das Einzelne nicht wiederum in ein Allgemeines (sei es in Kausalgesetze oder in anthropologische Theorien) aufgehoben werden darf. 116 Nach Troeltsch heißt dies allerdings nicht, daß die Rede von Gesetzen oder kausale Erklärungen in der Geschichtswissenschaft keinen legitimen Platz hätten. Ihm geht es vielmehr um den Stellenwert des Allgemeinen: es ist das proprium der Geschichtswissenschaft, daß in ihr vom Allgemeinen nur um des Besonderen willen zu sprechen ist, nämlich im Interesse der Erkenntnis des „Moment(es) der Originalität", des „Element(es) des Schöpferischen" 117 . In der Respektierung dieses propriums der Geschichtswissenschaft geschah denn auch die Feststellung, wonach sich diese Wissenschaft als eine verstehende grundsätzlich von andern Wissenschaften, denen es um das Erklären gehe, unterscheide. 118 Seit Dilthey „gelten Erklären einerseits und Verstehen andererseits für intellektuelle Tätigkeiten, die für die Naturwissenschaften einerseits und für die Geisteswissenschaften andererseits spezifisch sind" 1 1 9 . Lübbe, der seinerseits den Respekt vor dem Einzelnen für das proprium der Geschichtswissenschaft hält 120 , betrachtet die genannte Zuordnung als „unzweckmäßig", weil sie zunächst dem gewöhnlichen Sprachgebrauch Gewalt antut und ferner, weil es eine legitime Rede von historischer Erklärung gibt. 121 Bei dieser Inanspruchnahme des Bene Troeltsch, aaO 38 (Hervorhebung gesperrt). Das Einzelne ist unableitbar, es kann nur im Rekurs auf seinen Werdegang angemessen verstanden werden, der seinerseits nicht wieder nach allgemeinen Gesetzen verläuft. 117 Troeltsch, aaO 48. Die historische Kausalität beispielsweise ist „auf Verstehen des Vorganges des Neuen und der Wirklichkeitsvermehrung eingestellt" (aaO 49). 118 Vgl dazu Troeltsch, aaO 38, der den entscheidenden Gegensatz zwischen dem Verstehen und dem (kausalen) Erklären sieht; ferner Bultmann, Geschichte 138—140 (zu Dilthey); Lübbe, Geschichtsbegriff 48; Faber, Theorie 18—20. Die genannte Unterscheidung kann auch mit den Begriffen nomothetisches und idiographisches Denken formuliert werden. Lübbe, aaO 48. 120 Er verteidigt ausdrücklich diese Errungenschaft des Historismus gegenüber der Historismuskritik (vgl aaO 119.121). Instruktiv ist Ricoeurs Anwendung dieser geschichtslogischen Disposition auf die Philosophiegeschichte (Histoire 45—60; der Abschnitt steht unter dem von Spinoza zitierten Motto: „Quo magis res singulares intelligimus, eo magis Deum intelligimus."). 121 Dilthey hatte die beiden Wörter nicht etwa präzisiert, „sondern sie in ihrem gewohnten Gebrauch aufgehoben und / sie diesem Gebrauch in der zitierten exklusiven Zuordnung zu Wissenschaftssorten entfremdet" (Lübbe,

Zur Kategorie des Einzelnen

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griffs der Erklärung für die Geschichtswissenschaft kann es nicht darum gehen, die zweifellos vorhandenen Unterschiede zwischen ihr und gewissen Naturwissenschaften zu verwischen, noch etwa darum, Diltheys Erkenntnis über den subjektbezogenen Gegenstand historischer Wahrnehmung für ungültig zu erklären. Wohl aber geht es darum, die Erklärung als Tätigkeit des Historikers ins Recht zu setzen.122 Wann ist eine historische Erklärung fällig? „Sie ist, . . . mindestens unter anderem, fällig, wenn angesichts von Gegebenheiten, inbezug auf die wohl hätte erwartet werden dürfen, daß sie den Üblichkeiten und Regeln vernünftigen Handelns entsprechen, eben diese Erwartung enttäuscht wird." 1 2 3 Eine historische Erklärung ist dann und nur dann erforderlich, wenn für eine Gegebenheit „weder eine ökonomische noch eine soziologische noch eine sonstige Ereignis- oder Systemzustandsfolgeregel aus den Arsenalen theoretischer Wissenschaften angebbar ist", die eben jene Gegebenheit zu erklären vermöchte. 124 Das proprium der historischen Erklärung kann noch deutlicher erkannt werden, wenn man sich überlegt, auf welche Sachverhalte denn der Satz „Das kann man nur historisch erklären" angewandt wird. Jede Erklärung geschieht im Interesse des Verstehens.125 Die historische Erklärung geschieht im Interesse, einen historischen Sachverhalt zu verstehen. Ein Sachverhalt, der nur historisch erklärt werden kann, ist dann gegeben, wenn andere Erklärungen ihren Dienst versagen: „die historische Erklärung er-/klärt, was handlungsrational nicht erklärbar und in diesem Sinne nicht .rationalisierbar' ist" 1 2 6 . Das heißt allerdings nicht, daß eine historische Erklärung nicht auch auf handlungsrationale Elemente verweist. Diese können aber immer nur einen Teilaspekt de^ Gegebenen verstehbar machen. „Die historischen Erklärungen . . . lassen sich als Antworten auf ein Erklärungsbedürfnis lesen, das durch Konfrontation mit gestörter Funktionalität oder durch den Anblick von

aaO 48f). Die legitime Rede von historischer Erklärung zeigt sich in der Sinnhaftigkeit eines Satzes wie: Das kann man nur historisch erklären (aaO 5 0 - 5 3 ) . Vgl dazu Wimmer, Verstehen 5 9 - 1 4 0 . 122 Dazu Lübbe, aaO 50. 123 Lübbe, aaO 52. 124 Lübbe, aaO 53. Lübbe bringt dafür das Beispiel von der Schaffung von Überkapazitäten an Hochschulen im Ruhrgebiet, ferner Bauordnungen von geschichtlich gewachsenen Städten. Eben diesen Sachverhalt bezeichnet Troeltsch mit dem Ausdruck der Unableitbarkeit. ι « Vgl Lübbe, aaO 4 8 - 5 3 . 12 « Lübbe, aaO 38f.

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Zum analytischen Geschichtsbegriff

Gegebenheiten ausgelöst ist, die in ihrem Ensemble offenkundig nicht / aus der Rationalität eines in sich geschlossenen Handlungsentwurfs verstehbar sind." 1 2 7 Dabei ist von besonderer Wichtigkeit, daß ein solches Erklärungsbedürfnis nicht immer Voraussetzung für eine historische Erklärung ist, sofern nämlich — für den historisch nicht Informierten — eine scheinbare Handlungsrationalität vorliegen kann, die keiner Erklärung bedürftig scheint. Geschichten über derartige Begebenheiten erklären dann, was sie selbst uns allererst verrätselt haben. „Die Historie vergegenwärtigt uns erst die Historizität auch jener Lebens- und Handlungsbedingungen, die uns in ihrer unauffälligen Funktionalität gar nicht nach ihrer genetischen Erklärung verlangen lassen." 128 In diesem Sinne findet durch die scheinbar nicht notwendige Erklärung eine Steigerung des Verstehens statt, die zugleich eine Erhöhung der Gegenwartskompetenz des Informierten bedeutet. 129 Die spezifisch historische Erklärung beschäftigt sich also mit Sachverhalten, die weder handlungsrational noch sonst in irgendeiner Regel vollständig aufhebbar sind. Sie ist dementsprechend die Institutionalisierung des Respekts vor der Unableitbarkeit des Einzelnen. Dasselbe kann auch mit dem Begriff der „Handlungsinterferenz" zur Sprache gebracht werden. 130 „Wenn einer tut, was er will, indem er kann, was er will, so ergibt das keine Geschichte, die wir als passierte erzählen würden." 1 3 1 Geschichten sind vielmehr „Vorgänge, die der Handlungsraison der Beteiligten sich nicht fügen. Sie sind nicht handlungsrational" 132 . Das besagt nichts anderes, als daß Ergebnisse geschichtlichen Handelns nicht einfach durch den Rekurs auf Zwecke erklärbar sind, sondern daß aus der „Perspektive des jeweils dominierenden Handlungszwecks . . . die Handlungsinterferenzeffekte unbeabsichtigte Nebenwirkungen (sind)", welche ebenso zur „Resultanten" gehören wie der 127

Lübbe, aaO 4 3 f (Hervorhebung von mir). im Lübbe, aaO 44. 129 Lübbe bringt dazu das ausgezeichnete Beispiel etymologischer Erklärungen. „Die Etymologie ist in diesem Falle' die historische Disziplin, die narrativ erklärt, was funktional betrachtet zufällig ist, und die uns so erst mit der Historizität dieser semantischen Seite unserer Sprache bekannt macht, die wir nicht kennen müssen, um sprechen zu können, wenn uns natürlich auch einige zusätzliche Möglichkeiten des Sprechens erst durch diese Kenntnis zuwachsen" (aaO 44). 130 Dazu vgl Lübbe, aaO 55 (eine Metapher, die J. Burckhardt schon gebraucht hatte). " ι Lübbe, aaO 54. 132 Lübbe, aaO 55.

Zur Kategorie des Einzelnen

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eigentliche Zweck. 133 Diese Struktur der Geschichte wird von Hegel mit der Formel von der „List der Vernunft" begriffen. 134 Von dem darin implizierten Wissen um einen „höheren Endzweck" allerdings muß die analytische Geschichtsphilosophie Abstand nehmen. „Wissen kann man, daß es in der Geschichte oft anders zugeht (,) als die Beteiligten sich dachten. Handlungsinterferenz, Heterogonie der Zwecke, List der Vernunft — das sind Formeln zur Kennzeichnung dieser schlichten Struktur." 1 3 5 Aus Handlungen werden Geschichten, weil uns „widerfährt, womit wir nicht rechneten", weil sich ereignet, was wir nicht voraussehen konnten, weil es anders kommt, als wir uns denken können. 136 Im Respekt vor diesem Phänomen liegt das „proprium des Begriffs der Geschichte"; Geschichte findet ihr Eigenstes durch den Zufall, sie ist — etwas überspitzt gesagt — auf ihn gegründet. 137 Unter Zufall wird hier das verstanden, was unter keine Handlungsratio zu bringen ist, was durch keine Gesetzmäßigkeit vollständig zu erklären ist, was in keinen allgemeinen und höheren Endzweck aufzuheben ist, was schließlich selbst unsere Erwartungen und unsere Möglichkeiten des Denkens überschreitet. Der Zufall — so verstanden — ist die Bedingung der Möglichkeit historischen Redens überhaupt. In diesem Zusammenhang ist es zu überlegen, was diese eminente Rolle des Zufalls in der Geschichte für das geschichtliche Reden von Gott bedeutet. Was bedeutet es für die christliche Theologie, 133

Lübbe, aaO 56. Lübbe greift auf Wendts Formulierung von der „Heterogonie der Zwecke" zurück (ebd). Deshalb ist der Rekurs auf die Intention von handelnden Subjekten geschichtlich ungenügend (aaO 55, im Anschluß an Kempski). 134 Die Geschichten von Völkern udgl sind durchwaltet von einem besseren, höheren Zweck, indem die Handlungen der historischen Individuen durch Interferenz zu Resultaten führen, die nicht Zwecke dieser Individuen sind. Die „Zufälligkeit der Reihe der Geister (muß) als das Wesen absoluter Notwendigkeit begriffen werden" (Jüngel, Gott 105, Hervorhebung von mir). 13s Lübbe, Geschichtsbegriff 58. Vgl dazu Dantos Distanznahme zur „substantialistischen" Geschichtsphilosophie Hegels und des dialektischen Materialismus bei Marx und Engels (Philosophie 24). Zur „List der Vernunft" und ihrer Bedeutung bei Hegel vgl Löwith, Mensch und Geschichte 169f. i3« Dazu Lübbe, aaO 59f. 137 Vgl die Aussagen Schieders zum Verhältnis von Zufall und die Unberechenbarkeit in der Geschichte; sowie das Zitat R. Arons (bei Lübbe, aaO 63, Hervorhebung von mir): „le fait historique est, par essence, irreductible ä l'ordre: le hasard est le fondement de l'histoire". Zum Zufall vgl auch Troeltsch, Probleme 51; Faber, Theorie 68ff, bes 86—88; kritisch Acham, Geschichtsphilosophie 245f.333f.

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Zum analytischen Geschichtsbegriff

davon auszugehen, daß Gott im Sinne eines Zufalls der Welt zugekommen ist? Eine wahrhaft geschichtliche Rede von Gott müßte jedenfalls vom Zufall Gottes so sprechen können, daß auch in diesem Zufall in Wahrheit Gott zur Welt kommt. Sie müßte — sofern sie geschichtliche Rede sein will — sich davor hüten, jenen Zufall des Seins Christi wiederum in eine Allgemeinheit aufzuheben, sei diese nun eine heilsgeschichtliche Gesamtkonstruktion oder ein System zeitloser Wahrheit. Sie müßte andererseits — sofern sie Rede von Gott sein will — jenen Zufall so zur Sprache bringen, daß er über jeden Verdacht des „bloß Zufälligen" erhaben ist. In jedem Falle bedingt dies eine theologische Neueinschätzung des Zufalls selbst. Eine mit den genannten Präzisierungen versehene geschichtliche Rede von Gott vermag — das ist vorab zu vermuten und an der Kreuzestheologie des Paulus zu explizieren — es ausgezeichnet, die weltliche Nicht-Notwendigkeit Gottes 1 3 8 zu respektieren und auf eben diese Weise Gott von der Welt zu unterscheiden. Der im Horizont Gottes wahrgenommene Zufall ist, gerade weil er weltlich nicht als notwendig zu begreifen ist, für die Welt alles andere als belanglos. Wenn der Zufall in den Horizont Gottes gebracht wird, kann dies die Zufälle dieser Welt und auch ihre eigene Zufälligkeit nicht unbehelligt lassen. In Analogie zu den oben gemachten Beobachtungen an etymologischen Erklärungen 139 vermag gerade die geschichtliche Rede von Gott die scheinbare Funktionalität ebenso wie auch die problemlose Un-Funktionalität des Wortes Gott so zu verrätsein, daß das Wort — indem es dem Bereich des Selbstverständlichen entzogen wird — eine Steigerung des Gottesverständnisses mit sich bringen kann, die ihrerseits nicht in dem Sinne als notwendig zu begreifen ist, daß sie einem Bedürfnis entspräche. In diesem Zusammenhang wird man das Wort vom Kreuz als Ärgernis und Torheit und gerade in dieser Eigenschaft als Dynamis Gottes zu verstehen haben. Von der analytischen Einschätzung des Zufälligen im Rahmen geschichtlicher Rede aus sei es gestattet, einen Seitenblick auf die 138

Dazu Jüngel, Gott 1 6 - 4 4 . Wichtig ist der folgende Satz: „Daß Gott weltlich nicht notwendig ist, läßt sich als genuin theologische Entdeckung nur begreifen, wenn Gott dabei nicht ins Beliebige gerät" (aaO 29). Daran wird sich auch die Rede vom Zufall im Horizont Gottes zu orientieren haben. 139 Vgl oben S. 88 mit Anm 129. Wichtig dabei ist, daß durch die historische Erklärung etwas, das scheinbar nicht erklärungsbedürftig ist, allererst in seiner Rätselhaftigkeit erscheint, um dann mittels der historischen Erklärung in einem gesteigerten Sinne neu verstanden zu werden.

Zur Kategorie des Einzelnen

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Methodik neutestamentlicher Exegese zu tun. Was bedeutet es zum Beispiel, wenn die christologischen und theologischen Kategorien der Urchristenheit religionsgeschichtlich „abgeleitet" werden? Wird hier nicht im Namen der Wissenschaft das Einzelne jenes Glaubens in die Allgemeinheit religiöser Vorstellungen aufgehoben? Daran ist grundsätzlich nichts geändert, wenn — im Zuge eines immer stärker werdenden Unbehagens gegenüber den hellenistisch orientierten Ableitungsversuchen der religionsgeschichtlichen Schule — jetzt ein größeres Gewicht auf das Judentum rabbinischer und hellenistischer Prägung gelegt wird. Es ist in keiner Weise sachgemäßer, wenn nun die Christologie der christlichen Gemeinden und selbst das Bekenntnis der Auferweckung J e s u statt auf das Griechentum auf das Judentum zurückgeführt werden. Das Illegitime dieser methodologischen Disposition besteht hier wie dort darin, daß die Würde des Einzelnen verletzt wird. 1 4 0 Damit soll selbstverständlich nicht der religions- und motivgeschichtliche Vergleich als unsachgemäß abgetan werden. Aber es soll darauf hingewiesen werden, daß alle diese Vergleiche keine Erklärung des christlichen Glaubens darstellen, sondern im besten Falle Elemente einer solchen. In der Theorie scheint dies allseits anerkannt und selbstverständlich zu sein. Ganz anders sieht aber die Praxis religionsgeschichtlicher Vergleiche aus. Eine Analyse der Diskussion um die Entstehung des Kyrios-Titels oder um die Genese der paulinischen Rechtfertigungslehre vermöchte dies unschwer zu zeigen. Müßte also nicht methodisch noch deutlicher gemacht werden, daß diese Vergleiche nur im Interesse der Erkenntnis des Neuen zu geschehen haben? Neu ist dabei nicht, was in den religionsgeschichtlichen Vergleichsgrößen fehlt; neu ist vielmehr die individuelle Totalität des christlichen Glaubens selbst. Neu ist nicht das, was durch eine Subtraktion des schon Dagewesenen erkennbar würde. In gleicher Weise fragwürdig ist es, wenn Jesus schlicht ins Judentum eingeordnet oder aber wenn das Judentum lediglich als Folie für die Einzigartigkeit J e s u benutzt wird. In beiden Fällen wird die Würde des Einzelnen verletzt. Demgegenüber muß eine Form des Denkens gefunden werden, die diese Würde respektiert, ohne jenen Kontext als unerheblich zu vernachlässigen. Im Interesse, jener Dieser Ausdruck versteht sich in Anlehnung an Mostert, Z T h K 75, 246f. Was für das Externe allgemein gilt, dürfte auch für das Geschichtliche zutreffen: ,,Es muß dem konsumierenden Zugriff des sich selbst zeitigenden Menschen entzogen, muß von ihm selbst in jener Würde konstituiert werden, die ihm an sich zu eigen i s t " (S. 2 4 7 ) . 140

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Zum analytischen Geschichtsbegriff

Denkform auf die Spur zu kommen, soll jetzt an die Geschichtsphilosophie die Frage gestellt werden, in welcher Sprachform denn das Einzelne zu seinem Recht kommen könne. Welche Sprachform ist für die Erklärung eines Sachverhalts typisch, der nur historisch erklärt werden kann? Zufällige Gegebenheiten können wir „nur durch Erzählen einer Geschichte erklären" 141 . Die Erzählung ist geradezu die Sprachform historischer Erklärung 142 , wie ein Blick in fast jedes beliebig ausgewählte Geschichtswerk sofort zu zeigen vermag. Die Erzählung wahrt den Charakter des Geschichtlichen als des Einzelnen insofern, als sie keine „Wenn, dann-Sätze" enthält, sondern Aussagen vom Charakter „dann geschah, und dann geschah". Diese narrative Grundstruktur ist es auch, die historische Erklärungen von naturwissenschaftlichen Erklärungen oder von solchen innerhalb der systematischen Sozialwissenschaften unterscheidet. Während in den letzteren die Theoriebildung wenigstens der Intention nach darauf auf ist, immer umfassendere „Wenn, dann-Sätze" zu finden und so eine immer größere Invarianz der Theorie gegenüber konkreten Ereignissen herzustellen, mit dem Resultat, daß damit der Faktor Zeit eliminiert wird, gehört es zum proprium geschichtlicher Aussagen, daß sie am temporalen Charakter ihrer Sprache unbedingt festhalten müssen. 143 In der Sprachform der Erzählung wird das Einzelne 141

Vgl Lübbe, Geschichtsbegriff 53.60f; Kracauer, Geschichte 46f. »« Dazu Danto, Philosophie 192f.230.371ff, bes 404f. 143 Vgl Danto, aaO 309—311 (in Auseinandersetzung mit dem Determinismus, der die Zeit nicht ernst nimmt). 320 (zum zeitlosen Begriff von Zeit im logischen Determinismus). 322 (Erzählende Beschreibung und historische Erklärung bilden ein „unauflösbares Ganzes".). 405 („Es ist Aufgabe der Geschichte, uns diese Veränderungen [sc der Vergangenheit] offenbar zu machen, die Vergangenheit zu zeitlichen Ganzheiten zu organisieren und diese Veränderungen gleichzeitig mit der Erzählung dessen, was sich zugetragen hat, zu erklären — und sei es unter Zuhilfenahme jener Art der zeitlichen Perspektive, die linguistisch in erzählenden Sätzen widergespiegelt wird."). In der Zeitförmigkeit der Sprache spiegelt sich offenbar ein signifikanter Unterschied zwischen der Geschichtswissenschaft einerseits und den Naturwissenschaften andererseits. Dieser Unterschied zeigt sich nicht zuletzt darin, daß die Forschungsgeschichte in den zweiten einen prinzipiell anderen Stellenwert hat als in der ersten: es ist ein sekundäres Interesse, „das an den Fortschritten der Naturwissenschaft oder der Mathematik ihre Zugehörigkeit zu ihrem geschichtlichen Augenblick ins Auge faßt. Der Erkenntniswert der naturwissenschafdichen oder mathematischen Erkenntnisse selber bleibt von diesem Interesse unbetroffen" (Gadamer, Wahrheit und Methode 267). Das ist in der Nicht-Zeitförmigkeit oder temporalen Neutralität dieser Erkenntnisse begründet. Zum Problem vgl ferner Lübbe, Geschichtsbegriff 60; Fellmann, Ende 132f.

Zur Analytik der Geschichts-Erzählung

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in seinem Werdegang begriffen und insofern vor der Aufhebung ins Allgemeine bewahrt. Dies gilt auch dann, wenn historische Erklärungen von Theorien Gebrauch machen, denn gerade in solchen Fällen zeigt sich um so deutlicher die theoretische Unableitbarkeit geschichtlicher Phänomene.144 Die Sprachform ist also keine zufällige, „bloß rhetorische" Gestalt geschichtlicher Aussagen, sondern ist in eminenter Weise durch das zu Sagende bestimmt. Das Narrative ist innerhalb der Historie von einer solchen Bedeutung, daß es gerechtfertigt ist, erhebliche wissenschaftstheoretische Aufwendungen zur „analytischen Isolation dieses Elements" zu machen.145 Davon soll im nächsten Abschnitt die Rede sein.

1.6 Zur Analytik der Geschichts-Erzählung In den folgenden Überlegungen zur Analytik der Geschichts-Erzählung geht es nicht um die Herausarbeitung von linguistisch erfaßbaren Merkmalen, welche als Kriterien dafür dienen, einem bestimmten literarischen Text den Prädikator „Erzählung" zuzuschreiben.146 Im Sinne unserer Fragestellung, welche auf das Verhältnis des Glaubens zur Geschichte Jesu Christi beschränkt ist, stellt sich vielmehr die Aufgabe, die Erzählungsfunktionen in der Geschichtswissenschaft etwas genauer zu bestimmen. Schon daraus müßte eigentlich hervorgehen, daß die folgenden Überlegungen nicht im Kontext des gegenwärtigen Schlagworts von der „narrativen Theologie" zu sehen sind. 1 4 4 Daß in historischen Erklärungen theoretische Elemente vorkommen, soll nicht geleugnet werden (mit Lübbe, aaO 26f; vgl Faber, Objektivität 25f; Baumgartner, Struktur 62—66), wohl aber, daß Historie in Theorie auflösbar sei. Gerade die Verwendung theoretischer Elemente in Erzählungen zeigt ja, daß das gegebene Einzelne in seinem Ensemble nicht unter Absehung von Erzählung erklärt werden kann (vgl Lübbe, aaO 25). 145 Vgl Lübbe, aaO 30. Lübbes Arbeit „thematisiert das theorieresistente Element der Historie", dh eben ihr unersetzbar narratives. Zu vergleichen ist Lübbe, aaO 25: ein geschichtlicher Satz repräsentiert eine Behauptung über den Eintritt eines Ereignisses, ein theoretischer dagegen zusätzlich die Behauptung einer Gesetzmäßigkeit. Somit thematisiert Lübbes Arbeit „dem Begriff nach das, was in den Prozessen der Konvergenz von Geschichtswissenschaften und Sozialwissenschaften ihren fortdauernden Unterschied ausmacht" (aaO 26, Hervorhebung von mir). 146 Dazu Lübbe, aaO 78f.

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Zum analytischen Geschichtsbegriff

Die hervorragende Bedeutung der Erzählung für die Geschichtswissenschaft ist insbesondere im analytischen Entwurf Dantos erneut entdeckt worden. 147 Hier ist es geradezu ein Wesensmerkmal der Geschichtsschreibung, daß sie Geschichten erzählt. Die Grundform einer Geschichts-Erzählung besteht darin, daß sie zeit-ungleiche Ereignisse in einen zeitlich-perspektivischen Zusammenhang bringt (E-l °°E-2°°E-3 . . . „primär" im Sinne von „uns zugute", „uns zuliebe" verstehen will). 256 Zum Zitat vgl Schlier, Gal 138; Mußner, Gal 233 mit Anm 105; Hanson, Studies 4 8 - 5 0 . 257 So Lührmann, Gal 55: der Text bezieht sich ursprünglich auf die öffentliche Zurschaustellung des Leichnams; vgl Schneider, ThWNT V 38 A n m l 2 ; Oepke, Gal 107.

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Das Kreuz Jesu Christi in den paulinischen Briefen

des Gesetzes. 258 Der Sachverhalt ist mE von erheblicher Bedeutung: in ihm zeigt sich, daß die Reichweite des im ursprünglichen Sinne verstandenen Gesetzes bis zu dem geschichtlichen Ereignis des Kreuzes Jesu geht. Seine Offenbarungsmacht reicht bis genau an den Punkt, wo es den Gekreuzigten als Verfluchten offenbar werden läßt. 259 Von der andern Seite her betrachtet heißt das: das geschichtliche Ereignis des Kreuzes und dann auch das irdische Sein Jesu (vgl das yevößevov ύπό νόμον in Gal 4,4) ist der Ort, wohin das Gesetz mit seiner verfluchenden Macht gerade noch kommen kann. Wird dies beachtet, so sollte es nicht länger zweifelhaft sein, welche überragende Bedeutung das Was und das Wie des Todes Jesu und also auch die geschichtliche Existenz Jesu für Paulus hat. 260 Das geschichtliche Dasein Jesu ist der Ort, wo das Gesetz sich auswirken kann: das Gesetz hat den irdischen Jesus, für den die Liebe Erfüllung und Ende des Gesetzes zugleich war 261 , ans Kreuz gebracht und definiert ihn nun als Ver258

Es ist wahrscheinlich, daß Dtn 21,23 schon vor Paulus polemisch auf den gekreuzigten Messias bezogen worden war (mit Kertelge, Verständnis 129; Kuhn, ZThK 72, 3 3 - 3 5 [Angabe von Belegen]; Mußner, Gal 233f, der in Anm 112 die in der Literatur vertretenen Thesen diskutiert). Den mE eindeutigen Beweis (vgl Kuhn, ZThK 72, 34), daß zur Zeit Jesu die Dtn-Stelle auf die Kreuzigung als Hinrichtungsart (entgegen dem ursprünglichen Sinn der Stelle) angewendet wurde, erbringt die Tempelrolle von Qumran (Kol. 64,8f, vgl Maier, Tempelrolle 64.124f, wo die Stelle kommentiert u n d weitere Literatur angegeben wird). In ähnliche Richtung weist 4QpNah (dazu Fitzmyer, CBQ 40, 508—513, der ebenfalls auf die bereits zitierte Stelle in der Tempelrolle hinweist). 259 Dtn 21,23 vermag nur die Fluchbeladenheit Christi zu erklären, spricht aber nicht die entscheidende Pointe des Paulus an („Stellvertretung"); so Kertelge, Verständnis 129; ähnlich Mußner, Gal 233. Allerdings ist die entscheidende Pointe nicht ohne den „Beweis" des Gesetzes zu fassen. 260 Mit Hanson, Studies 51. Die Uberwindung des Gesetzes kann nur im Machtbereich desselben vorgenommen werden. Nur so hat das Gesetz Gelegenheit, zu seinem Ende zu kommen, und n u r so werden die, die unter dem Fluch des Gesetzes stehen, auch dort abgeholt, wo sie in Wirklichkeit anzutreffen sind. Daß Jesus, der Gottessohn, also yevößevo*; ύπό νόμον war, ist für Paulus von grundlegender Bedeutung (mit Bonnard, Gal 69). Das geschichtliche Sein Jesu unter dem Gesetz ermöglicht allererst einen Bezug zu den ebenfalls unter jener Bedingung existierenden Menschen. 261 Es ist unsachgemäß, die paulinische Aussage vom T o d Jesu als einer Tat der Liebe (zB Gal 2,20) so sehr von den synoptischen Aussagen wegzurücken, wonach der irdische Jesus das Gesetz im Namen der Liebe überstiegen hat (zB Mt 5 , 4 3 - 4 5 ; Lk 1 0 , 3 0 - 3 5 ) und in ihr zugleich des Gesetzes Erfüllung sieht (zB Mt 5,17, zu diesem schwierigen Vers vgl Luz, ZThK 75 , 4 0 3 - 4 0 5 . 4 1 3 417, der auch eine mögliche Jesusstufe dieses Satzes berücksichtigt; Mt 7,12; vgl Mk 1 2 , 2 8 - 3 4 ) . Zum Ganzen vgl Bornkamm, Jesus 1 0 1 - 1 0 8 ; Luz, ZThK 75, 426: Jesus dachte „von der sich im Kommen des Reiches Gottes ereig-

Die Verfluchung des Gesetzes (Gal 3,13)

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fluchten.262 Daß Paulus den Gekreuzigten nicht mehr — wie in Dtn 21,23 noch steht — als von Gott Verfluchten bezeichnen kann, ist eine Folge der Auferweckung Jesu von den Toten. Denn der, der in den Augen des Gesetzes verflucht ist, lebt nun in den Augen Gottes. Er kann also nicht von Gott verflucht sein. Paulus muß das νπό deov auslassen, weil die Verbindung von Gesetz und Gott durch die Auferweckung unterbrochen worden ist. In der Reichweite des Gesetzes liegt der Gekreuzigte, nicht aber der Auferstandene und also auch nicht Gott selbst. 263 Insofern ist im Kreuz die Reichweite des Gesetzes sowohl angegeben als auch begrenzt: das Kreuz ist der Ort, wo das Gesetz sich auswirkt und in diesem Auswirken an sein Ende kommt. In diesem Sinne ist Christus als das Ende des Gesetzes zu verstehen (Rom 10,4). Weil das Zu-Ende-Kommen des Gesetzes ein geschichtlicher Vorgang ist, kann von ihm nur in temporaler Sprache die Rede sein. Das Ende des Gesetzes hat eine geschichtliche Gestalt, die durch keine andere zu ersetzen ist. Darum kann der Glaube an Christus nicht auf die Geschichte des Kreuzes verzichten, weil das in ihr erzählte Zu-Ende-Kommen des Gesetzes zum Inhalt des Evangeliums als einer Rettungsmacht gehört. 264 Die paulinische Botschaft von der Rechtfertigung nenden schrankenlosen Liebe her", und von da aus leistete er dann auch den „Durchbruch durch den Gedanken der unbedingten Autorität der Tora wenigstens ansatzweise (Mk 7,15!)" (Hervorhebung von mir), vgl auch aaO 399. 401; zum Verhältnis Mt — Paulus siehe aaO 431—435; Goppelt, Theologie I 154: , Jesus setzt für den, der nach Gottes Willen fragt, an die Spitze des Gesetzes das Doppelgebot der Liebe, um ihn zum ,neuen Gebot' weiterzuführen." Es dürfte auch historisch zutreffen, daß Jesus infolge seiner Liebe ans Kreuz kam. Das Unberechenbare der Liebe Jesu brachte selbst erbitterte Feinde zusammen, die sich zum Ziel setzten, Jesus aus der Welt zu schaffen (vgl Mk 3,6). 262 Jesus, der unter das Gesetz getan war, verließ sich nicht auf dieses, sondern auf die Liebe (ähnlich Hanson, Studies 51). Deshalb wurde er vom Gesetz verflucht. „Die Tora selbst wies ja in Dtn 21,23 den Kreuzestod des Gesetzesfeindes Jesu (s?) als Verfluchung durch Gott (Gal 3,13) aus" (Stuhlmacher, ZThK 67, 29 vgl 33); siehe auch Bonnard, Gal 69. 263 In der Reichweite des Gesetzes liegt Jesus bis zu seinem Tode; dann aber stirbt er für das Gesetz, so daß es keinen Anspruch mehr auf ihn hat. Daß Gott ihn zum Leben rief, kann das Gesetz nur mehr unter der Bedingung „beweisen", daß es gegen seine eigentliche Intention ausgelegt wird (vgl Kertelge, Verständnis 129f; Mußner, Gal 233). Zum ganzen Problemkreis siehe Stuhlmacher, ZThK 67, 33. 264 Im Lichte der Auferweckung ist „der Fluch des Gesetzes und mit ihm das Kreuz der Bezugsrahmen, der dazu verhilft, das Evangelium inhaltlich als Rettungsmacht zu präzisieren" (Stuhlmacher, ZThK 67, 34, Hervorhebung von mir).

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Das Kreuz Jesu Christi in den paulinischen Briefen

des G o t t l o s e n allein aus Glauben hat ihren Ursprung in der Geschichte des Kreuzes J e s u , w o die verfluchende Macht des Gesetzes sich auswirken k o n n t e u n d zugleich an ihr Ende k a m . 2 6 5 Deshalb ist der Glaube an das L e b e n dieses v o m Gesetz verfluchten T o t e n inhaltlich als Glaube an den Gekreuzigten b e s t i m m t : dieser Glaube ist angewiesen auf die Geschichte des Kreuzes, weil er anhand v o n ihr u n d nur von ihr an das Ende des Gesetzes glaubt. Als ein solcher Glaube ist er der Lebensbezug der Rechtfertigung durch Gott. Dieser Glaube entspringt w e d e r theologischen Paradoxen n o c h m y t h o l o g i s c h e n Spekulationen, sondern er verdankt sich d e m B e z u g G o t t e s auf das Leb e n Jesu. D i e gesetzliche Zeichenforderung wird nicht überwunden, es sei d e n n durch das Un-Zeichen des Kreuzes; die weltliche Weisheit wird n i c h t durchbrochen, es sei denn durch die Torheit des Kreuzes. Beides: U n z e i c h e n und Torheit, liegt als geschichtlicher 26S Di e Rechtfertigungsbotschaft des Paulus kann weder von jüdischen Denkkategorien noch von einem gnostisierenden Welt(un)verständnis her hinreichend erklärt werden (dazu Lindemann, Paulus 403: „Die Botschaft des Paulus von der Rechtfertigung des Gottlosen in Christus ist . . . die angemessene begriffliche Auslegung des Glaubenssatzes, daß Gott sich im Kreuz des Menschen Jesus offenbart hat."). Sie ergibt sich also vielmehr aus dem Bezug des paulinischen Denkens auf das Kreuz Jesu, angesichts dessen die Alternative eindeutig ist: „Entweder Gottes Ehre im Gesetz — oder Gottes Schmach im Glauben an den gekreuzigten Christus!" Die Rechtfertigungsbotschaft ergibt sich, konkret gesprochen, aus der Verbindung dessen, was Paulus über den irdischen Jesus wußte, mit dem, was das christologische Kerygma bekannte und was Paulus selbst als Offenbarung widerfahren war (vgl Gal l,15f). „Die Epiphanie gerade dieses von der Tora verfluchten Gekreuzigten als des auferstandenen Gottessohnes mußte für Paulus das untrügliche Zeichen dafür sein, daß Gott selbst das Todesurteil der Tora durchkreuzt und annulliert hat" (Stuhlmacher, ZThK 67, 29f vgl 33). „Starb Jesus am Urteil des Gesetzes als .Gotteslästerer', so wird nach Paulus der Gekreuzigte in der Kraft der Auferstehung zum ,Ende des Gesetzes für jeden Glaubenden' (Rom 10,4)" (Moltmann, EvTh 33, 358). Die Offenbarung von Gal l,15f ist in dem Sinne zu verstehen, daß Paulus den Gekreuzigten als Gottessohn erkennt. „Indem Paulus Jesus als den νϊός erkennt, wird ihm offenbar, daß das Kreuz nicht Fluch ist, der den Gekreuzigten als den von Gott Verworfenen erweist (Dt 21,23 - Gal 3,13)" (Leroy, ThQ 154, 234). In diesem Zusammenhang meint Sohn Gottes „also gerade nicht die ,Entgeschichtlichung' des irdischen Jesus, sondern bezeichnet das Eingehen Gottes in die Geschichte im Juden Jesus" (Leroy, aaO 239). Zum Problem der hellenistisch-christlichen Ableitung der Rechtfertigungslehre vgl O. Betz, Paulus 63f: „Die paulinische Rechtfertigungslehre ist durchaus verständlich aufgrund der Berufung, die aus dem Pharisäer und Eiferer um das Gesetz den Apostel und Knecht Christi gemacht hat, und als Ergebnis der Reflexion, die der Theologe Paulus nach diesem Ereignis Uber das Kreuz des Messias und die Rolle des Gesetzes vollzog ( . . . ) . "

Der Grund der Verfolgung (Gal 5,11)

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Vorgang in der Reichweite der Welt, und nur deshalb hat sie Gelegenheit, alt zu werden und der neuen Schöpfung Platz zu machen. Zusammenfassend gesagt: das irdische Sein Jesu ist gleichsam eine Sackgasse sowohl für das Gesetz wie für die Weisheit, in welcher beide auslaufen können. Von hier aus erschließt sich allere^st die Wahrheit des „Schriftbeweises", in welchem es Paulus wagt, mit Gen 15,6 mehr zu sagen, als ursprünglich damit gesagt war, und die gängige Auslegungstradition von Abrahams Glauben zu widerrufen. Angesichts dessen, daß das Gesetz am Kreuz zu Ende gekommen ist, ist der an den Gekreuzigten Glaubende gerecht geworden: sein Glaube ist seine Gerechtigkeit (V. 6), und dieser Gerechtigkeit ist das Leben verheißen (V. 11, vgl V. 14b). Und weil das Kreuz nicht nur ein geschichtliches, sondern zugleich ein eschatologisches Ereignis ist, tritt es in seiner Einmaligkeit ins Gegenüber zu allen Ereignissen vorher und nachher. Die Exklusivität, mit welcher Paulus die Ankunft Gottes im Kreuz Jesu behauptet, hat die Universalität dieses Geschehens zur Entsprechung : die Exklusivität hebt die Ansprüche bestimmter Subjekte auf Geschichtsmächtigkeit auf; das Recht, ein Sohn Abrahams zu sein, leitet sich nicht aus dem geschichtlichen Zusammenhang von Geburt und Volkszugehörigkeit ab, sondern es ist dem gegeben, der an die Exklusivität der Ankunft Gottes im Kreuz glaubt. Auf diese Weise sollte in Jesus Christus der Abrahamssegen allen Völkern zuteil werden (V. 14a). Die Gottesmächtigkeit der Geschichte ist deshalb zu Ende gekommen, weil Gott im Ereignis des Kreuzes sich von aller Geschichte unterschieden hat und in dieser Unterschiedenheit in die Geschichte der Gattung homo sapiens eingegangen ist. Durch die Ankunft Gottes in der Geschichte ist die Geschichte in die Kontingenz entlassen worden. 267 2.11 Der Grund der Verfolgung (Gal 5,11) Im Abschnitt Gal 5,1—12 ist das Thema der Freiheit zentral, und zwar jener Freiheit, die nicht im Kontext der Frage: Was soll ich 266 Dazu Kertelge, Verständnis 131: „Diese im Glaubensbegriff angelegte Universalität des Heiles vermag Paulus gerade im RUckbezug auf das einmalige Kreuzesgeschehen zu entfalten und festzuhalten." Die Konzentration auf die Verkündigung des Gekreuzigten führt zum „Zuspruch der Gemeinschaft Gottes mit dem oder den Menschen, Juden und Völkern" (von der Osten-Sacken, EvTh 37, 562); vgl Klein, Individualgeschichte 206f. M7 Dazu Wittram, Möglichkeiten 56f.

IS Weder, Kreuz

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Das Kreuz Jesu Christi in den paulinischen Briefen

tun? steht, sondern im Kontext der Frage: Wer bin ich? 2 6 8 Es geht um die Alternative 269 : sind wir, wer wir sind, durch Christus oder aber durch die Beschneidung, dh durch die Praxis des Gesetzes (V. 2f)? Auf dem Spiel steht die Frage, wie die Identität des „wir" begründet sei. Nach einer Anspielung auf den, „der euch verwirrt" (V. 10), indem er die Beschneidung fordert (5,2 ) 2 7 0 und die Galater dadurch erneut in das Joch der Sklaverei einspannen will (V. 1), stellt Paulus sich selbst 271 in betonten Gegensatz zum „Verwirrenden": „Ich aber, Brüder, wenn ich noch Beschneidung predigte, . . . " (V. IIa). Der Satz macht eine irreale Annahme 2 7 2 zum Ausgangspunkt und knüpft wahrscheinlich an eine gegnerische Aussage an, in welcher sich die Gegner auf die Praxis des Paulus beriefen, um ihre eigene Beschneidungs forderung zu rechtfertigen. 273 Der Satz hat also die Gegenwart im Blick: die Gegner sagen, Paulus selbst habe ja nichts gegen die Beschneidung. 274 Paulus verschärft ihre Aussage, indem er sie mit 268

Das Stichwort „Freiheit" ist aus 4,21—31 übernommen. Auch wenn Paulus später zu ethischen Fragen kommt (5,13ff), steht hier dennoch die Frage nach dem Sein des Menschen deutlich im Vordergrund (mit Lührmann, Gal 80; bemerkenswert ist die bei Lührmann vorgenommene Abgrenzung zum bürgerlichen Freiheitsbegriff). 269 Der Abschnitt 5,1—12 drängt auf die Entscheidung: entweder von Christus geschenkte Freiheit oder aber Beschneidung (mit Mußner, Gal 342). 270 Aus V. 2 geht mit großer Wahrscheinlichkeit hervor, daß die Gegner die Beschneidung forderten (vgl Schlier, Gal 19 mit dem Hinweis auf 5,2f.6.12; 6,12f; Lührmann, Gal 81). 271 Das €JCü ist betont und zeigt an, daß Paulus jetzt in eigener Sache redet (vgl Oepke, Gal 161, übernommen durch Schlier, Gal 238). Das δέ ist adversativ und verweist auf den ταράοοων von V. 10. 272 Zur Irrealität des Satzes vgl Oepke, Gal 161. Zum ei mit Indikativ Präsens siehe Bl-Debr § 272. Der Satz hat demnach etwa den folgenden Sinn: „Wenn es zuträfe, was ihr (die Gegner) behauptet, nämlich daß ich Beschneidung predige, . . . " . Betz, Gal 268f legt freilich dar, daß sich dieses Problem wahrscheinlich nicht lösen läßt. 273 Die Gegner meinten ihre Aussage über Paulus wohl kaum als Vorwurf, obwohl Paulus jene so empfindet (vgl Schlier, Gal 238). Die Behauptung, Paulus predige die Beschneidung, dürfte eher im Interesse der Untermauerung ihrer eigenen Position aufgestellt worden sein (vgl Beyer/Althaus, Gal 43; Bonnard, Gal 106; Müller, Anstoß 115: Sentenzen wie 5,6a; 6,15a; IKor 7,19a mochte man zugunsten eines περιτομήν κηρύοσείν ins Feld geführt haben; ähnlich Schlier, Gal 239). 274 Gegen Oepke, Gal 162, der das Satzgefüge auf die Zukunft beziehen möchte. Die Argumentation des Paulus würde dann lauten: Ich kann künftig nicht für die Beschneidung eintreten, denn dann gäbe es keinen Grund mehr für meine Verfolgung. Und Verfolgung muß doch sein. In dieser Argumen-

Der Grund der Verfolgung (Gal 15,11)

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„Beschneidung predigen" wiedergibt. Damit ist die Frage nach der Beschneidung unmißverständlich aus dem bloß pragmatischen Horizont entfernt und auf die grundsätzliche Ebene der zentralen Verkündigungsinhalte gestellt: die Predigt der Beschneidung tritt jetzt in Gegensatz zur Predigt des Christus. 275 Mit der Beschneidung ist demnach für Paulus die entscheidende Frage angesprochen, ob die Identität des Christen (welche in V. 1 als Freiheit bestimmt worden ist) durch seine gesetzliche Praxis herstellbar sei 2 7 6 oder ob sie ihm aus der Geschichte des Gekreuzigten zukomme. In diesem Zusammenhang ist denn auch deutlich, daß das „noch" in V. I I a weder biographisch noch hinzufügend 277 , sondern geschichtlich zu verstehen ist: eine Predigt der Beschneidung ist angesichts des Kreuzes Christi unzeitgemäß, ein Rückfall in die Zeit vor Christus. 278 Das zeitliche Verständnis des „noch" braucht nicht zu implizieren, daß Paulus früher einmal selbst die Beschneidung gepredigt habe (obwohl dies für seine vorchristliche Zeit durchaus wahrscheinlich ist); der entscheidende Akzent liegt vielmehr darauf, daß jetzt die Predigt der Beschneidung nicht mehr an der Zeit ist. Paulus begründet die Irrealität seiner Annahme von V. I I a mit dem Hinweis darauf, daß er noch immer verfolgt werde (V. IIb). 2 7 9 Die Verfolgung ist ja dadurch bedingt, daß der Apostel die Menschen nicht auf ihr gesetzliches Sein anspricht, sofern er die Beschneidung tation hat die Verfolgung einen verifikativen Stellenwert, der ihr nicht zukommt (dazu unten S. 196 Anm 281). 275 Wahrscheinlich spitzt Paulus die Behauptung der Gegner bewußt so zu, daß dabei die eigentliche Konsequenz ihrer Einstellung zur Beschneidung zutage tritt. In der vorliegenden Formulierung erinnert man sich an das Χριστόν κηρόσσβιν (lKor 1,23; 2Kor 4,5; Phil 1,15), vgl Schlier, Gal 239. 276 Mit der πβριτομή dürfte kaum nur der Ritus der Beschneidung angesprochen sein. Sie ist das Zeichen einer sich auf das TTOietf-Prinzip (dazu Mußner, Gal 361) gründenden Denkweise. Schon im Judentum erscheint die Beschneidung „als wesensmäßiger Ausdruck der angestammten Religion" (Meyer, ThWNT VI 77,20). Die Beschneidung ist der Inbegriff des Gesetzes und dieses wiederum der Inbegriff für die heilswirksame Leistung (Schlier, Gal 240). 277 Gegen Mußner, Gal 359, der die zeitliche Bedeutung hier ausschließen möchte. 278 „Im Jetzt der Heilszeit, angesichts der durch den Tod Jesu am Kreuze bereitstehenden Freiheit vom Gesetz, noch die Beschneidung zu verkündigen, liefe auf eine Ignorierung der fundamentalen Umwälzung von Sklaverei zu Freiheit hinaus, die sich im verfluchten Sterben Jesu vollzog" (Müller, Anstoß 114). Ein biographischer Sinn muß nicht angenommen werden. Ähnlicher Gebrauch etwa in Gal 2,20; Rom 6,2. 279 So Beyer/Althaus, Gal 43; Müller, Anstoß 115; Roux, Evangile 83; Schlier, Gal 238; Mußner, Gal 359.

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als hinsichtlich des Heils unerheblich 280 verkündigt. Paulus spricht den Menschen ihr Heil mit dem Gekreuzigten zu. Eben dies erweckt ihren Widerspruch. Daß Paulus faktisch verfolgt wird, begründet nicht etwa die Wahrheit seines Evangeliums. 281 Die Verfolgung ist vielmehr die Begleiterscheinung des Evangeliums, und sie ist vom Kreuz her identifizierbar als Zeichen dafür, daß der Apostel die Menschen nicht auf ihr gesetzliches Sein anspricht. 282 Hat Paulus in V. l l a . b einen (negativen) Zusammenhang zwischen der Predigt der Beschneidung und dem Faktum seiner Verfolgung hergestellt, so knüpft er in V. 11c noch einmal an V. I I a an: mit der Predigt der Beschneidung wäre ja der Anstoß des Kreuzes aus der Welt geschafft. 283 Im Ausdruck „Ärgernis des Kreuzes" ist das nomen rectum (Kreuz) in Wahrheit das regierende: das Ärgernis hat seine konkrete Gestalt im Kreuz, nicht etwa ist das Kreuz eine bloß spezielle Form eines allgemein aussagbaren Ärgernisses.284 Methodologisch ergibt sich daraus die Konsequenz, daß das Skandalon nicht etwa von seinen motivgeschichtlichen Voraussetzungen her, sondern vielmehr streng von der Einmaligkeit des Kreuzes her verstanden werden muß. Dies ist der sprachliche Reflex des die Welt und ihre Sprache in die Kehre führenden Ereignisses der Ankunft Gottes im Kreuz. Was in der Welt als Ärgernis gelten kann, wird durch das Kreuz neu verstehbar. Das Kreuz ist deshalb das Ärgernis, weil es eine Antwort auf die Frage, wer wir sind, darstellt, die unserem Dazutun entnommen ist. In der Geschichte des Kreuzes wird uns unsere Identität präsentiert, noch bevor wir in der Lage sind, sie selbst herstellen zu können. In diesem Sinne ist das Kreuz 280 p a u i u s betrachtet die Beschneidung als ein Adiaphoron hinsichtlich des Heils (so Schlier, Gal 239). Zu vergleichen sind Aussagen wie 5,6; IKor 7,19; Rom 2,28f; Gal 6,15 vgl 3,28. 281 Die Verfolgung ist die kontingente, für Paulus zutreffende Begleiterscheinung seines Verzichts, Beschneidung zu predigen. Sie ist nicht etwa die Verifikation seines Evangeliums, sondern lediglich vom Evangelium (dh vom Gekreuzigten) her identifizierbar als Zeichen für die paulinische Wahrhaftigkeit (gegen Oepke, Gal 162) dem Kreuz gegenüber. 282 Vgl dazu Müller, Anstoß 115. 283 V. 11c greift wahrscheinlich primär auf V. IIa und erst so auf V. I I b zurück (mit Roux, Evangile 83; Müller, Anstoß 115; Schlier, Gal 238.240; Mußner, Gal 359; Bonnard, Gal 107). 284 Darauf weist besonders Mußner, Gal 360f hin: der Genetiv ist weder epexegeticus noch causae. Der Bedeutungsträger im Syntagma ist das regierte Nomen. Ähnlich stellt auch Schlier, Gal 239 fest, der Ausdruck sei als Einheit zu fassen: das ärgerliche Kreuz. Die LXX-Parallelen für OKavhakov tragen deshalb nur mittelbar etwas zur Erhellung des vorliegenden Ausdrucks bei.

Der Grund der Verfolgung (Gal 5,11)

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die konkrete Gestalt jener Freiheit, welche unsere Identität und nicht unser Handeln betrifft (vgl oben). Es ist das Ärgernis, weil es dem ποιεα'-Ρηηζίρ das sola gratia entgegenstellt. 285 Dies geschieht so, daß das Prinzip des Tuns angesichts des Unzeichens und der Torheit des Kreuzes zu Ende kommt, indem jenes Unzeichen als stärkere Stärke Gottes und jene Torheit als weisere Weisheit Gottes zur Sprache kommt (vgl IKor 1,25). Deshalb stehen sich das Kreuzesärgernis und die Beschneidung exklusiv gegenüber: meiner Identität als dem Gegenstand meiner Eigenmacht steht meine Identität als Gabe Gottes im Kreuz exklusiv gegenüber. Die Alternative lautet: entweder geschichtlich zugekommene oder aber durch die Praxis des Gesetzes herstellbare Identität. Von hier aus wird auch deutlich, daß das κατήργητat mit „aus der Welt geschafft werden", „vernichtet werden" (und nicht bloß mit „entmachtet werden") wiedergegeben werden muß 2 8 6 : Wer Beschneidung predigt, tut so, als ob es kein Kreuz gegeben habe (vgl das δωρεάν in Gal 2,21). Dabei steht das Kreuz in zweierlei Hinsicht als geschichtliches Ereignis 287 im Vordergrund: einerseits kann von dort her das Ärgernis inhaltlich bestimmt werden, und andererseits muß die zuvorkommende, unserer Handlungsmacht entzogene Präsentation unserer Identität geschichtlich zur Sprache kommen. 2 8 8 Geschichtliche Ereignisse lassen sich weder mit beliebigen Inhalten füllen, noch sprechen sie uns auf unseren Willen und damit auf unsere Handlungsmacht an. 285 D a Z u Mußner, Gal 361. In der Tat ist dann das σκάνδαλον eine von den konkreten Gegnern des Paulus unabhängige Größe. Das Kreuz selbst (nicht erst die Predigt vom Kreuz, vgl Müller, Anstoß 120) ist das Ärgernis, weil es ein Unzeichen darstellt und die eigene Gerechtigkeit des Menschen zu Ende kommen läßt (vgl Oepke, Gal 162). Es ist nicht Anstoß zur Sünde (wie etwa in den LXX, vgl Schlier, Gal 239), sondern das den menschlichen Widerspruch herausfordernde und ihn ins Einverständnis wendende Zeichen des Abschieds vom mielv-Prinzip, dem der Mensch verhaftet war. 286 So mit Recht Mußner, Gal 362 (in Anlehnung an Müller, Anstoß 117). Es geht nicht um die Macht der Machtlosigkeit des Kreuzes, sondern um die Würdigung der faktischen Existenz des Kreuzes. Derselbe Sprachgebrauch liegt auch in IKor 1,17 vor (vgl oben S. 125-137). 287 Dies betont Müller, Anstoß 119. 288 Inhaltlich erweist das Kreuz das Gesetz als „Wahn und Fluch" (Beyer/ Althaus, Gal 43). Die geschichtliche Gestalt dieses Offenbarungsvorganges gehört zu seinem Inhalt selbst und ist unersetzbar (vgl oben S. 145f, zu IKor l,19f).

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Das Kreuz Jesu Christi in den paulinischen Briefen

2.12 Die Kreuzigung des Fleisches (Gal 5,24) In 5,13—6,10 haben wir den in paulinischen Briefen an dieser Stelle üblichen „paränetischen" Teil vor uns: Paulus beschreibt das „Leben in Freiheit" nun im Blick auf konkrete Probleme des Zusammenlebens. 289 In einem ersten, grundsätzlichen Gedankengang (V.13—15) gibt Paulus das Kriterium (und nicht etwa die Einschränkung! 29°) dieser Freiheit an: die Liebe, in welcher der Glaube sich auswirkt (vgl 5,6). 291 Der auszulegende V. 24 bildet den Schluß eines Abschnitts (V. 16—24), welcher den Gegensatz von Gesetz und Geist mit demjenigen von Fleisch und Geist in Zusammenhang bringt (vgl bes 5,18f). Es werden die Werke des Fleisches (V. 1 9 - 2 1 ) der Frucht (!) des Geistes (V. 22f) gegenübergestellt.292 Zusammenfassend 293 stellt Paulus in V. 24 fest: wer Christi ist, hat das Fleisch gekreuzigt. Das Stichwort der Kreuzigung verweist auf Gal 2,19f und gestattet gleichzeitig, die Wendung „Christi Jesu sein" von dort her zu interpretieren: sie bedeutet, daß das Ich mit Christus gekreuzigt ist und also nicht mehr selbst lebt, sondern Christus in 289 Schlier, Gal 241 wählt als Uberschrift: „Der rechte Gebrauch der Freiheit vom Gesetz". Der ethische Teil ist im vorliegenden Brief relativ umfangreich. Seine Verzahnung mit dem ersten Briefteil weist darauf hin, daß die Ethik kein von der Auseinandersetzung um das Evangelium unabhängiger Teil ist (vgl Lührmann, Gal 85). 290 Deshalb ist es mißverständlich, die wahre Freiheit als „Bindung an den Gehorsam" zu bezeichnen (gegen Oepke, Gal 165). 291 Die Liebe ist nicht die Einschränkung der Freiheit, sondern die konkrete Gestalt ihres Vollzugs (ähnlich Lührmann, Gal 86). „Der echte u n d rechte Vollzug der Freiheit geschieht ja in dem gegenseitigen Dienst der Liebe" (Schlier, Gal 243). Der Antinomismus ist demnach nicht nur ein Mißbrauch der Freiheit (gegen Schlier, aaO 242), sondern er macht von ihr überhaupt keinen Gebrauch, sofern die Macht des Gesetzes einfach mit der Eigenmächtigkeit des Ich vertauscht wird. 292 V. 16—24 erläutern den Gegensatz von Fleisch und Geist im Blick auf „Laster" und „Tugenden" (vgl Schlier, Gal 247). Durch die Wendung „Werke des Fleisches" (V. 19) wird eine Beziehung mit den „Werken des Gesetzes" hergestellt (2,16; 3,2.5.10; dazu Lührmann, Gal 89f). Zum Gegensatz von Werken (Plural) und Frucht (Singular) vgl Schweizer, Gottesgerechtigkeit 467; Schräge, Einzelgebote 54f. 293 Das 6e ist fortführend u n d in leicht adversativem Sinn zu verstehen (mit Schlier, Gal 263 Anm 2; Bonnard, Gal 115; anders Mußner, Gal 390, der das adversative Moment sehr stark betont). V. 25 ist besser zum folgenden Abschnitt zu ziehen (mit Schlier, Gal 268; Lührmann, Gal 95f; anders Mußner, Gal 391 mit Verweis auf Literatur, Anm 109).

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ihm. 2 9 4 Wer Christi Jesu ist, hat im Kreuz seine Identität; er weiß, wer er in Wahrheit ist, und insofern gehört er in den Machtbereich des gekreuzigten Christus. Auf dem Hintergrund der Analogie zu 2,19f wird ferner erkennbar, daß das „Fleisch" nicht etwa im Sinne einer dualistischen oder trichotomischen Anthropologie ein (minderwertiger) Teil des Menschen ist: was in 5,24 Fleisch heißt, ist in 2,19f das „Ich" und in Rom 6,6 der „alte Mensch" 2 9 5 . „Fleisch" ist demnach der ganze Mensch, sofern er sein Vertrauen auf das Fleisch setzt und also durch es sein Ich konstituiert, indem er seine Identität in seiner eigenen Handlungsmacht begründet sein läßt. 2 9 6 Eben diese Einstellung konkretisiert sich im Verhalten des Menschen, in seinen Werken des Fleisches, die in V. 19—21 katalogartig zusammengestellt sind. 297 Auffällig gegenüber anderen Aussagen (wie zB die genannten Stellen Gal 2,19 und Rom 6,6) ist sicher die aktivische Formulierung. Indessen ist es mE unwahrscheinlich, daß sie die Entscheidung 2 9 8 , etwa anläßlich der Taufe 2 9 9 , ausdrücken will. Vielmehr zeigt die aktivische Formulierung an, daß mit der Kreuzigung des Fleisches das Verhalten 3 0 0 des Menschen im Blick ist, welches das Gekreuzigt-Sein des 294

Einen Zusammenhang mit 2,19f stellen unter anderen fest: Schlier, Gal 263; Oepke, Gal 183; Lührmann, Gal 94. Das bedeutet allerdings nicht, daß man das Χριστού Ίηοού elvai im Sinne einer ontisch-sakramentalen Zugehörigkeit zu Christus verstehen muß (gegen Schlier, ebd). Es ist weniger auf die Taufe als auf das Kreuz selbst zu beziehen u n d bezeichnet die, welche im Machtbereich des Gekreuzigten leben (mit Bonnard, Gal 115). » s Mit Oepke, Gal 184; Mußner, Gal 390. „Die σάρξ von Gl 5,24 ist also nicht ein Teil des Menschen, den er ablegen oder überwinden könnte, sondern sie ist er selbst" (Schweizer, ThWNT VII 1 3 4 , 2 4 - 2 6 ) . Zur dualistischen oder trichotomischen Anthropologie vgl aaO 102, lOff; 1 2 2 , 2 6 - 1 2 3 , 2 0 (mit Verweisen). 296 In diesem Sinne gilt dann, daß selbst das Psychische (vgl auch oben S. 172 mit Anm 190f) zum Bereich des Fleisches gehört (wie schon bei Philo, vgl Schweizer, ThWNT IX 6 6 2 , 2 2 - 3 0 ; und bei J a k 3,15; vgl aaO 6 6 4 , 1 4 - 1 8 ) . Paulus denkt allerdings diese Zuordnung viel radikaler als Philo und J a k 3,15. 297 Die „Laster" sind keine Gesinnungen oder Grundeinstellungen des Menschen; sie sind vielmehr „sein konkretes Verhalten einschließlich der daraus folgenden Konsequenzen, die mit zu verantworten sind" (Lührmann, Gal 90). Zum Problem vgl Schweizer, Gottesgerechtigkeit 466f. » 8 So Oepke, Gal 183; Schlier, Gal 263; Mußner, Gal 390; Bonnard, Gal 116. 299 So Ortkemper, Kreuz 36; Schlier, Gal 263; abgewiesen von Mußner, Gal 390 im Anschluß an Bonnard, Gal 168. 300 In diesem Sinne ist der Ausdruck analog zu den „Tugenden" (V. 22f) und gegensätzlich zu den „Lastern" (V. 19—21). Es kann damit nicht gemeint sein, der Mensch übe zwar die Werke des Fleisches immer noch aus,

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Das Kreuz J e s u Christi in den paulinischen Briefen

Ich begleitet. Wer sich darauf einläßt, daß sein Ich mit Jesus gekreuzigt worden ist, der ist dem Gesetz gestorben (Gal 2,19), der hat eine neue Identität bekommen (2,20). Dieser Identitätswechsel ist konkret in seinem Verhalten, das hier mit Kreuzigung des Fleisches umschrieben ist. Wer seine Identität aus der Hand Gottes in Empfang nimmt, auf den hat das Gesetz keinen Anspruch mehr, und deshalb braucht er seine Identität nicht mehr in den Werken des Fleisches herzustellen. Insofern ist die Kreuzigung des Fleisches keine Gesinnung 301 , sondern ein Verhalten, wie auch die in V. 22f genannten „Tugenden" nicht etwa Qualitäten oder Grundeinstellungen des Menschen sind, sondern Verhaltensweisen. 302 Gewiß hat die Kreuzigung des Fleisches auch einen Vergangenheitsaspekt, der möglicherweise sogar eine sakramentale Dimension hat, sofern die Einstimmung in die Kreuzigung des Ich mit Jesus durchaus zur Vergangenheit des Christen gehört. Dies erklärt auch die aoristische Form. Aber so wie die Kreuzigung des Ich (Gal 2,19, perfektisch) eine in der Vergangenheit begründete Signatur des Daseins ist, muß die Kreuzigung des Fleisches auch gegenwärtig konkret sein. Allerdings nicht so, daß sie in Askese und guten Werken als Kampf gegen das Fleisch ins Werk gesetzt wird 303 , sondern so, daß dem Geist Christi gegenwärtig Raum gegeben wird, damit er (!) seine Frucht hervorbringen kann: die Liebe (V. 21). 3 0 4 Die verganwisse dabei aber, daß sie von Gott nicht mehr angerechnet werden (mit Schweizer, ThWNT VII 1 3 5 , 1 - 3 ) . 301 Die Kreuzigung des Fleisches ist die Begleiterscheinung jener „Gesamthaltung", welche durch das πνεύμα statt durch die σάρξ begründet ist (vgl Schweizer, aaO 135,9—12). Dabei gilt es zu beachten, daß die Gesamthaltung nicht in Gesinnung und Handeln aufteilbar ist, sondern daß Glaube und Handeln zwei Erscheinungsformen derselben Sache sind. 302 Dazu Lührmann, Gal 93. Auf dem Spiel stehen einerseits ein Verhalten, das auf die Sicherstellung des Ich aus ist, weil es nicht an die Gabe des Lebens glauben kann, und andererseits ein Verhalten, das auf den andern u n d seine Bedürfnisse aus ist, weil es der Sicherstellung des Ich mithilfe des andern enthoben ist. Zum Problem der Selbstbestätigung in ihrem Verhältnis zur Liebe vgl Moltmann, EvTh 33, 365. 303 Darauf weist besonders Bonnard hin: „appartenir a Jesus-Christ, c'est avoir crucifie la chair (et non devoir la crucifier!), voilä ce que les Galates sont tentes d'oublier" (Gal 115). Der Gegenwartsaspekt der Kreuzigung des Fleisches ist durch die Vergegenwärtigung im seit dem Kreuz Jesu möglichen Glauben vollzogen (vgl Schweizer, ThWNT VII 1 3 5 , 2 2 - 2 4 ; ferner ders, Gottesgerechtigkeit 476f). Anders liegt der Akzent in Rom 8,13 (dazu Brandenburger, Fleisch 216f). 304 Daneben kann Paulus ganz unbefangen von „eurer F r u c h t " (Rom 6,21 f) sprechen, ohne damit den Gedanken der Selbständigkeit dieser Frucht gegenüber derjenigen des Geistes zu implizieren (vgl Schräge, Einzelgebote 73).

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gene Kreuzigung des Fleisches ist nicht zu verwechseln mit der gegenwärtigen Abtötung des Fleisches. Denn das vergangene Kreuz ist ja die Unterbrechung des Konnexes zwischen dem Ich und dem Fleisch, demzufolge eine Herstellung des Ich durch die Werke des Fleisches unnötig geworden ist, weil das Ich ja schon hergestellt ist. Diese Unterbrechung hat zwei (komplementäre) Seiten: mit dem Fleisch sind einerseits die Begierden 305 , dh das Aussein des Ich auf das Fleisch im Interesse der Selbstherstellung, und andererseits die Leidenschaften 306 , dh die ich-beeinträchtigende Macht des Fleisches, welche das selbstmächtige Ich als seinen größten Feind bekämpft, gekreuzigt worden. Die Unterbrechung hat zur Folge, daß das Ich den Bereich der Sarx nicht mehr entweder als Möglichkeit zur Selbstherstellung oder als Bedrohung seiner Selbstmächtigkeit sehen muß, sondern daß es ihn als das sehen kann, was er in Wahrheit ist: als den Daseinsraum des Ich (vgl das „Sein im Fleisch" in Gal 2,20). Das Ich muß nicht fortwährend seine Macht über das Fleisch inszenieren oder die Bedrohungen des Fleisches abwehren. Es hat vielmehr Zeit zur Liebe bekommen. Deshalb ist die Liebe die konkrete, gegenwärtige Gestalt der vergangenen Kreuzigung des Fleisches. Sie ergibt sich selbstverständlich aus dem Glauben und ermöglicht dem Ich ein ganzheitliches Dasein. 307 Der Glaube aber ist nichts anderes als die Zustimmung dazu, daß am Kreuz über die Identität des Ich entschieden worden ist.

2.13 Die Wahrung des Gesichts (Gal 6,12) Im Rahmen eines ungewöhnlich langen Schlußworts 308 (V. 11—18) kommt Paulus noch einmal auf die grundlegenden Themen der Aus305

'Επιθυμία meint nicht etwa sexuelles Verlangen, sondern sie ist das (aktive) Aussein auf das Fleisch zum Zweck der Selbstherstellung (vgl Schlier, Gal 264). 306 Die durch παθήματα umschriebene Beziehung auf die Sarx betont eher den passiven Aspekt, wie schon die Etymologie (πάσχείν ... leiden) anzeigt (vgl Schlier, ebd). 307 Vgl Lührmann, Gal 90: der Singular „Frucht" des Geistes weist darauf hin, daß die Auswirkung des Glaubens in der Liebe eine den Menschen ganz sein lassende Verhaltensweise darstellt. 308 Die Länge des Postskripts ist nach Lührmann, Gal 100 einzigartig im paulinischen Schrifttum. Es beginnt mit dem eigenhändigen Schluß (V. 11). Die Länge des Postskripts dürfte durch die Heftigkeit der Auseinandersetzung mit den Galatern bedingt sein (vgl Oepke, Gal 197).

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Das Kreuz J e s u Christi in den paulinischen Briefen

einandersetzung mit den galatischen Irrlehrern zu sprechen. 309 Die Sätze nehmen pointiert Stellung, indem sie die Hauptpunkte noch einmal in Erinnerung rufen, welche Paulus in den übrigen Briefteilen entfaltet hat. V. 12a setzt ganz allgemein ein; man denkt dabei nicht von vornherein an die Gegner 310 : „Alle, die im Fleisch ein gutes Aussehen haben wollen, . . . " . Man wird diese Verallgemeinerung kaum der „Ungeschicklichkeit" des Paulus zuschreiben können. Vielmehr bedeutet sie wohl, daß er die Gegener (welche dann in V. 12b angesprochen werden) bewußt in die allgemeine Denkweise des „Fleisches" einreiht. Die Gegner tun in ihrer Verkündigung ja nur, was alle Welt schon tut: sie sind darauf aus, ein gutes Aussehen zu haben; ihr Ziel ist es, ihr Gesicht zu wahren.311 Die Frage, ob Paulus mit dieser Einschätzung dem subjektiven Wollen der Gegner gerecht wird 312 , ist in diesem Zusammenhang nicht von Bedeutung. Mit dem „Wollen" stellt Paulus heraus, was sie unabhängig von ihren 309 „It contains the interpretative clues to the understanding of Paul's major concerns in the letter as a whole . . . " (Betz, Gal 313). 310 Nach Mußner „überrascht zunächst das verallgemeinernde όσοι (= alle, welche)" am Versanfang (Gal 411). Ob man diesen Versaufbau als „nicht ganz glücklich" (ebd) bezeichnen darf, ist mE zu bezweifeln. Die Verallgemeinerung ist wohl beabsichtigt. 311 Zur Wortbedeutung von εύπροσωπβϊν vgl Lohse, ThWNT VI 7 7 9 , 3 3 - 3 9 . Mitschwingen dürfte die Bedeutung von πρόσωπορ = Maske (aaO 770,32ff), so daß das Verbum dann heißen kann: eine gute Maske tragen, eine gute Rolle spielen (vgl die Übersetzung von Lührmann, Gal 100). Mitschwingen wird ferner πρόσωπου = Person, womit der Mensch „hinsichtlich seiner Stellung zu der ihn umgebenden menschlichen Gesellschaft" bezeichnet werden soll (Lohse, aaO 771,2—4). Das Verbum heißt dann: eine gute Stellung einnehmen, sein Gesicht wahren, eine „gute Figur m a c h e n " (so die Übersetzung von Wilckens, NT zSt). Bemerkenswert ist jedenfalls die Nuance des theatralischen Gehabes (mit Oepke, Gal 200). Sie macht deutlich, daß der Mensch beimVersuch, im Fleisch eine gute Figur zu machen, ein Drama vorführt, in welchem er gerade nicht er selbst sein kann, sondern ein anderer sein muß. Έι> οαφκί ist wohl bewußt doppelsinnig: einerseits allgemein „im Fleisch" (als Gegensatz zum „Geist") und andererseits im Fleisch der Beschneidung, sofern der Ausdruck die Gegner betrifft (Schlier, Gal 280; vgl Schweizer, ThWNT VII 1 2 9 , 2 6 - 2 8 ; anders dagegen Mußner, Gal 411 Anm 14). 312 Nach Mußner, Gal 4 1 1 „überphysiognomisiert der Apostel die Gegner wieder im Stil der .Ketzerpolemik'; denn das .Wollen' der Gegner war sicher aus anderen Motiven geboren, vor allem aus einer ganz anderen Ansicht über den Heilsweg." Ähnlich urteilt Betz, Gal 314. Man wird allerdings fragen müssen, ob die Analyse des Paulus nur polemischen Charakter habe oder ob sie nicht vielmehr das zutage bringe, was die Gegner eigentlich tun (vgl Bonnard, Gal 129).

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vielleicht ganz anders auszudrückenden Absichten und Intentionen faktisch, objektiv gesehen, erstreben. Das Kreuz (V. 12c) bringt ihre wahren Ziele zutage, mögen diese noch so geschickt verschleiert sein. Es bringt die Wirklichkeit der Welt an den Tag. Dabei geht es — wie schon an einigen andern Stellen beobachtet werden konnte — nicht um das Kreuz als eine theologische Chiffre, als ein inhaltsleeres punctum mathematicum, sondern um die konkrete, geschichtliche Gestalt des Todes Jesu: das Kreuz ist der Ort, wo Jesus — wenn die Analogie erlaubt ist — sein Gesicht verloren hat, indem er durch das Betreiben der Welt, die sich der Wahrung ihres Gesichts verschrieben hatte, getötet wurde. Dieser Tod als Gesichtsverlust vor der Welt hat indessen zur Kehrseite, daß auf dem Gesicht des Gekreuzigten die Herrlichkeit Gottes aufstrahlt (vgl 2Kor 4,6). Dadurch hatte die Welt gerade in ihrem entschlossenen Vollzug der Wahrung des Gesichts ihr Gesicht verloren, und es ist fortan nicht mehr einzusehen, warum jemand sich ein gutes Aussehen im Fleisch geben wollen sollte. In diesem Sinne gilt von den Gegnern, die zwar den Christus zu verkündigen vorgeben, daß sie in Wahrheit gar nicht so originell sind, sondern das tun, was alle Welt sowieso tut. Das Instrument zur Wahrung ihres Gesichts ist die Beschneidungsforderung 313 (V. 12b), mit welcher sie sich gleichzeitig der Verfolgung aufgrund des Kreuzes 314 entziehen. Man könnte sich fragen, vor wessen Verfolgung sie sich durch die Beschneidungsforderung schützen wollen. Sind es die Juden? Sind es die Römer? 315 Es ist wenig wahrscheinlich, daß Paulus hier so konkrete Personenkreise im Blick hat. Vielmehr spricht er den Zusammenhang von Kreuz und Verfolgung an (wie schon in 5,11), der sich nicht auf seinen religionspolitisch-pragmatischen Aspekt reduzieren läßt. 316 Das Kreuz führt ja deshalb zu Verfolgung, weil der, der es zum einzigen Inhalt seiner Verkündigung macht, die Menschen nicht mehr auf ihr Sein 313

Die Gegner „zwingen" die Galater zur Beschneidung, vgl 2,3 (Mußner, Gal 411). Die Beschneidungsforderung ist das Instrument zur Wahrung ihres Gesichts (Schlier, Gal 280), und sie hat zum Zweck, der Verfolgung zu entgehen (μόνοvi). Die Verfolgung ist Gegensatz zum βύπροσωπεϊν. Zum Problem der Beschneidungsforderung vgl Eckert, Verkündigung 31—71. 314 Der Dativ ist kausativ zu verstehen (mit zB Schlier, Gal 280 Anm 4; Mußner, Gal 41 lf; Oepke, Gal 200; Bonnard, Gal 129). 315 Eine Reihe von Auslegern denkt an die Juden, andere wiederum an die Preisgabe des Schutzes, den das Judentum (und damit auch die beschnittenen Christen) als religio licita in Anspruch nehmen konnte (die Zusammenstellung der Literatur bei Mußner, Gal 412 Anm 20). Zum Problem vgl auch Lührmann, Gal 101. «« Mit Mußner, Gal 412.

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Das Kreuz J e s u Christi in den paulinischen Briefen

nach dem Fleische ansprechen kann. 317 Wer das Un-Zeichen und die Torheit des ärgerlichen Kreuzes als Gottes Macht und Weisheit verkündigt, unterläuft die Ordnungen der Welt, weil er ihnen ihren Heiligenschein nimmt. Er muß mit Widerspruch rechnen, und zwar nicht nur vonseiten der Juden, sondern von jedem, der sich auf die Ordnungen der Welt, auf das Gesetz oder auf die Weisheit, verläßt. 318 Dieser Widerspruch ist in der Widersprüchlichkeit des Kreuzes selbst begründet, und er ist nur soweit eine notwendige Begleiterscheinung des Wortes vom Kreuz, als er von dessen Widersprüchlichkeit her identifizierbar ist. Als Argument für die Richtigkeit seiner Analyse führt Paulus ins Feld, daß es den Gegnern bei ihrer Beschneidungsforderung gerade nicht um das Halten des Gesetzes geht (V. 13a), das ja in der Liebe seine Erfüllung findet (vgl Rom 1 3 , 8 - 1 0 ; Gal 5,14). 3 1 9 Die Beschneidungsforderung dient einerseits dazu, der Verfolgung aufgrund des Kreuzes zu entgehen, und andererseits wird sie erhoben, damit die Gegner sich „an eurem Fleisch" rühmen können (V. 13b.c). Die Aussage ist doppelsinnig: auf der einen Seite sind die Galater hinsichtlich der buchstäblich verstandenen Beschneidung der Gegenstand gegnerischen Rühmens, auf der andern Seite sind sie dies auf317 Vgl oben S. 1 9 4 - 1 9 7 . Der Grund der Verfolgung liegt wirklich im Kreuz selbst u n d erst so in der Predigt des Kreuzes (gegen Bonnard, Gal 129). 318 Der Widerspruch geschieht auf dem Grunde der Weisheit dieser Welt ( I K o r 1,20), auf welchem Weise, Schriftgelehrte und andere Disputierer stehen. Die Welt hatte j a — in Gestalt ihrer Archonten — ihren Widerspruch schon ausgesprochen, als sie den Herrn der Herrlichkeit ans Kreuz geschlagen hatte ( I K o r 2,6—8). Angesichts des Heils im Kreuz ist alle Welt vereinigt (Gal 6,15), vereinigt im Widerspruch gegen es. Wie sehr gerade auch in Galatien die Maßgeblichkeit der Ordnung dieser Welt hochgehalten wurde, zeigt die Beobachtung von Tagen, Monaten, Jahreszeiten u n d J a h r e n (4,10) deutlich (dazu Lührmann, Tage 443f). Die Einordnung in den Lauf der Welt, die in 4,10 in kosmologischen Dimensionen erscheint, paßt durchaus zum zentralen Thema, dem Gesetz, des Galaterbriefs (Lührmann, aaO 431—442). 319 Paulus überschreitet hier noch einmal das subjektive Verhalten der Gegner, die sich sicher als Täter des Gesetzes verstanden haben, indem er aus seiner neuen Sicht des Gesetzes den objektiven Ungehorsam der Gegner feststellt (vgl Hübner, Gesetz 88f). Gerade als Täter des Gesetzes sind sie dessen Übertreter. Es geht also nicht nur um äußere Befolgung im Gegensatz zu innerem Nichttun des Gesetzes (gegen Mußner, Gal 413f), sondern um das neue Verständnis des in Christus erfüllten Gesetzes, angesichts dessen das Verhalten der Gegner eine „objektive Heuchelei" ist. Zum Ausdruck der objektiven Heuchelei vgl Goppelt, Theologie I 138 (dort im Blick auf die Stellung Jesu zu den Pharisäern): „Die Pharisäer sind anders, nicht nur als sie scheinen wollen, sondern als sie sein wollen" (Hervorhebung von mir).

Die Unterbrechung des Konnexes zwischen dem Ich und der Welt

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grund dessen, daß sie sich erneut den Werken des Gesetzes verschrieben haben. 320 Die Galater sind in ihrer Verzauberung (3,1) das sichtbare Zeichen dafür, daß die Gegner mit Erfolg gekrönt sind. Im Lichte dieser die wahren Ziele der Gegner entlarvenden Aussage des Paulus stellt sich plötzlich heraus, daß die Galater von den Gegnern als Material zu ihrer Selbstdarstellung mißbraucht worden sind. Das müßte den Galatern eigentlich zu denken geben. Und es stellt sich weiterhin heraus, daß es den Gegnern in Wahrheit nicht auf das Halten des Gesetzes ankommt: denn wer sich der Liebe verpflichtet weiß, kann unmöglich seine Adressaten zum Material seiner Selbstdarstellung entwürdigen. Die Gegner hatten Erfolg, weil sie den Widerspruch gegen das Kreuz nicht auszuhalten bereit waren. Sie zogen es vor, dem Sein nach dem Fleisch der Galater entgegenzukommen. Die Verzauberung gelang. Die Gegner hatten Grund zum Rühmen. Allerdings: der Widerspruch des Kreuzes, den sie übergingen, richtet sich nun gegen sie selbst.

2.14 Die Unterbrechung des Konnexes zwischen dem Ich und der Welt (Gal 6,14) Paulus dagegen 321 will keinen andern Gegenstand des Rühmens kennen als das Kreuz (V. 14a). Auffällig ist die hier vorliegende Verbindung von Kyrios und Kreuz (so nur noch in IKor 2,8!). 322 Sie zeigt an, daß der Kyrios als der erhöhte Christus 323 und der Gekreuzigte als der irdische Jesus eine Einheit sind. Wer der Erhöhte ist, ergibt 320

Zu dieser Doppelsinnigkeit vgl Oepke, Gal 202; Lührmann, Gal 101; Schweizer, ThWNT VII 1 2 9 , 2 3 - 2 5 mit Anm 251 (es geht sicher nicht um den Sieg über die Galater, wohl aber darum, daß die Gegner die Galater zu einem Wandel nach dem Fleisch verleitet haben; vgl 3,1—6). 321 Das έμοί ist betont und mit dem Se zugleich den περιτ€μνόμενοι (V. 13) gegenübergestellt (mit Oepke, Gal 202; Mußner, Gal 414). Der Gegensatz besteht alternativ zwischen dem καυχασθαι ev rf? ύμετέρφ σαρκί und dem κανχάσθαι ev τω ατανρώ (so auch Minear, World 396). 322 Die Verbindung ist für Paulus ungewöhnlich (mit Lührmann, Gal 101), vgl dazu aber Schweizer, Erniedrigung 81; ders, Jesus 69f mit Anm 4 und 59 Anm 7. Um so größeres Gewicht wird man ihr deshalb beimessen müssen. Zu IKor 2,8 vgl oben S. 1 6 7 - 1 6 9 . 323 Zu vergleichen ist die Gegenüberstellung in IKor 12,3; ferner Phil 2,9—11; Rom 10,9; 14,9. Zur Bedeutung von κύριος = erhöhter Herr siehe Foerster, ThWNT III 1 0 9 0 , 7 - 3 9 . Κύριος kann allerdings auch für den Irdischen gebraucht werden, vgl etwa IKor 11,23 und oben S. 36 Anm 78.

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Das Kreuz J esu Christi in den paulinischen Briefen

sich nicht aus den gegenwärtigen Geist-Erfahrungen, denn diese sind zumindest zweideutig324, und auch nicht aus theologischen oder mythologischen Spekulationen, denn diese sind beliebig und können bestenfalls einleuchten (vgl zu Gal 3,1), weil sie den Menschen auf sein Sein nach dem Fleisch ansprechen, sondern wer der Erhöhte ist, erschließt sich dem, der die Geschichte des Kreuzes vernimmt. Und wer der Gekreuzigte ist, ergibt sich nicht aus der Faktizität seines menschlichen Lebens, denn dieses ist grundsätzlich weltlich und kann höchstens dem zum Vorbild dienen, der es praktisch nachvollziehen will, sondern wer der Gekreuzigte ist, erschließt sich dem, der den Zeugen seiner Auferweckung Glauben schenkt. Diese Einheit von gekreuzigtem Jesus und auferwecktem Christus ist durch die Denkform der Metapher verständlich325: in der Rede vom Kreuz unseres Herrn wird eine Einheit zwischen Jesus und Christus hergestellt, die weder auf den einen noch auf den andern reduzierbar ist, obwohl sie ohne beide nicht auszukommen vermag. In der Rede vom gekreuzigten Herrn wird über die Faktizität des Gekreuzigten hinausgegangen, ohne daß diese übergangen oder hinter sich gelassen wird. Wenn Paulus nun feststellt, daß er sich nur im Kreuz dieses Herrn rühmen wolle, so ist damit ein Mißbrauch der Galater, in welchem sie der Selbstdarstellung des Paulus dienstbar gemacht werden könnten, ausgeschlossen. Das unterscheidet Paulus von seinen Gegnern. Am Kreuz Christi erhält sein Rühmen nach dem Fleisch Gelegenheit, zu Ende zu kommen, denn das Gesetz, das die Grundlage menschlichen Rühmens darstellt, ist dort selbst an sein Ende gekommen (vgl Gal 3,13). Dem Selbstruhm ist damit der Boden entzogen. Zugleich aber hat dieser sich erübrigt, weil die Armut Christi unseren Reichtum bedeutet (vgl 2Kor 8,9). Deshalb ist am Kreuz die Verbindung zwischen dem Ich und der Welt unterbrochen worden. Durch das Kreuz 326 „ist die Welt mir gekreuzigt und ich der Welt" (V. 14b). Man greift mE zu kurz, wenn man diese dialektische Interessant ist in dieser Hinsicht der unterschiedliche Stellenwert von Gal l , 1 5 f (Apokalypsis des auferweckten Gekreuzigten) und 2Kor 1 2 , I f f (Visionen); vgl Schweizer, Jesus 146f; Bornkamm, Paulus 126. 3 2 5 Jüngel, Metaphorische Wahrheit 118 bezeichnet die Identifikation des Auferstandenen mit dem Gekreuzigten deshalb als die (christlich-)theologische Grundmetapher. 3 2 6 Das δι'οϋ ist auf das Kreuz zurückzubeziehen (mit Mußner, Gal 4 1 4 ; Schlier, Gal 2 8 1 ; Bonnard, Gal 130). Es zielt auf den konkreten, geschichtlichen Tod Jesu am Kreuz (mit Tannehill, Dying 6 4 ; Minear, World 3 9 8 . 4 0 1 ) . 324

Die Unterbrechung des Konnexes zwischen dem Ich und der Welt

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Formulierung so auflöst, daß die Welt „zu meinen Gunsten" gekreuzigt worden ist und ich „zuungunsten der Welt" gekreuzigt worden bin. 327 Es deutet nichts darauf hin, daß die jeweiligen Dative verschieden verstanden werden müssen. Vielmehr ist die Aussage im strengen Sinne dialektisch zu verstehen. Daß die Welt mir gekreuzigt ist, heißt zunächst, daß die Welt keinen Anspruch mehr auf mich hat, weil mein Sinn, meine Identität, sich nicht aus ihr begründen muß, so wenig sie sich aus dem Gesetz 328 begründen muß, sondern mir von Gott zugekommen ist. Die Welt ist mir gekreuzigt, weil sie ihre definitorische Macht verloren hat, und ich hinfort nicht mehr auf meine weltliche Identität festgelegt bin. Weltlich bin ich ein Zufallsprodukt, vielleicht eine Fehlkonstruktion, vielleicht ein Zufallstreffer, verloren in einem Winkel des Universums. Diese meine weltliche Identität ist gekreuzigt, weil Gott sie im Kreuz überstiegen hat und mir eine neue zukommen ließ: mein Sein als Gegenstand seiner Liebe, mein Sein als von ihm in Liebe geschaffenes Geschöpf. Daß andererseits ich der Welt gekreuzigt bin, bedeutet zunächst, daß die Welt meinen Machtansprüchen entnommen ist. Auch wenn die Menschen immer noch von der Welt im Interesse der Selbstherstellung Gebrauch machen und sich ihrer bemächtigen, so ist dieser Machtanspruch grundsätzlich überholt, weil das Ich des Menschen im Kreuz schon hergestellt ist. Diese Kreuzigung des Ich geschieht durchaus zugunsten der Welt, sofern diese nicht länger als Material zur Selbstherstellung verwendet und damit ihrer geschöpflichen Würde beraubt werden muß. Die Welt, die Natur und die Menschen, ist um ihrer selbst willen interessant, und nicht nur, weil sie mir eine Gelegenheit zur Selbstinszenierung darstellt. Und weil mein Ich sich selbst als Geschöpf Gottes verstehen lernt, 327

Mußner, Gal 414 nimmt im ersten Fall einen Dativus commodi, im zweiten dagegen einen incommodi an. Eine gnostische Äonenspekulation als Hintergrund muß nicht angenommen werden (gegen Oepke, Gal 203). 328 Κόσμος und νόμος sind hier Korrelate. Das Gesetz ist ja schon längst als Weltordnung verstanden worden (vgl Stuhlmacher, ZThK 67, 38 Anm 50 mit Verweisen auf Literatur). ,,,Welt' ist dann die umfassende Bezeichnung für all das, was mit dem Gesetz zusammenhängt" (Liihrmann, Gal 101). „Kosmos is a realm where people set a high value on those distinctions (sc circumcision and uncircumcision)" (Minear, World 397). In dieselbe Richtung weist auch der Sachverhalt, daß Paulus die „Weisheit der Welt" und die „Werke des Gesetzes" als zwei im Blick auf das Kreuz analoge Phänomene betrachten kann (vgl IKor 1,22—24; Gal 2,19f; 3,2). Dieses das Gesetz negativ transzendierende Moment kommt in der Rede von der „neuen Schöpfung" (6,15 vgl Rom 6,6) positiv zum Zuge.

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Das Kreuz Jesu Christi in den paulinischen Briefen

wird auch die Welt in n e u e r Weise, als G e s c h ö p f Gottes, intere s s a n t . 3 2 9 In diesem Sinne spricht Paulus von „ n e u e r S c h ö p f u n g " (V. 1 5 ) . 3 3 0 I m „ R ü h m e n " ist meine M a c h t über die Welt und ihre M a c h t über mich aufs engste verschränkt: im Rühmen ereignet sich der Zusammenhang zwischen d e m Ich und der Welt zuungunsten beider: das Ich gerät in die Selbstentfremdung, weil es sich der Welt zu bemächtigen versucht, und die Welt wird zum Material verfremdet, weil sie mich auf das weltliche Sein festlegen will. 3 3 1 Das Zu-EndeK o m m e n des Rühmens am K r e u z stellt eine U n t e r b r e c h u n g zwischen d e m Ich und der Welt dar, welche zugunsten beider geschehen i s t . 3 3 2 Diese U n t e r b r e c h u n g geschah im N a m e n der Liebe, mit welcher G o t t mich geliebt hat, und insofern im Interesse der Liebe, die ich fortan der Welt entgegenzubringen vermag. Die U n t e r b r e c h u n g zwischen d e m Ich und der Welt bringt beide einander näher, als

3 2 9 „Auf die kürzeste Form gebracht lauten die anthropologische und die theologische Wahrheit der neuzeitlichen Entdeckung der Nichtnotwendigkeit Gottes: 1. Der Mensch und seine Welt sind um ihrer selbst willen interessant. 2. Gott ist erst recht um seiner selbst willen interessant. 3. Gott macht den um seiner selbst willen interessanten Menschen in neuer Weise interessant" (Jüngel, Gott 43). Dies ist die dogmatische Konsequenz der geschichtlichen Rede von Gott anhand des auferweckten Gekreuzigten. Alle drei Sätze lassen sich als Folge dessen begreifen, daß der Konnex zwischen dem Ich und der Welt durch das Kreuz unterbrochen worden ist. 330 Vgl Luz, EvTh 34, 125 (Neuwerdung von Mensch und Welt); Leroy, ThQ 154, 242; Minear, World 406f. Die neue Schöpfung ist — geschichtlich gesprochen — die den Werkzusammenhang geschichtlicher Dialektik aufhebende und die Geschichte der Welt in die Kontingenz entlassende neue Geschichte, welche Gott im Kreuz mit der Welt und dem Menschen angefangen hat: „Die Dialektik der Geschichte — und nichts anderes ist die Dialektik von Beschneidung und Unbeschnittenheit — ist überschritten oder besser: überboten durch die in keiner Dialektik mehr sich bewegende und habhafte, sondern daseiende und zu glaubende .neue Schöpfung'" (Schlier, Gal 282); vgl 2Kor 5,17. An der neuen Schöpfung sind durchaus auch die ontologischen Momente ernst zu nehmen (mit Stuhlmacher, EvTh 27, 8.10.26f, These auf S. 27). Besonders interessant sind die hier hergestellten Bezüge zur paulinischen Kreuzestheologie, vgl aaO 29f Anm 112.30.33. 3 3 1 „Welt bedeutet Drang zum Ich, und Ich bedeutet Drang zur Welt." Das ist die „unheilvolle reziproke Tendenz" (Oepke, Gal 203), welche zuungunsten von Ich und Welt besteht. 3 3 2 „Das Kreuz steht zwischen Paulus und der Welt und hebt ihr bisheriges Verhältnis völlig auf" (Beyer/Althaus, Gal 54). In diesem Zusammenhang ist das perfektische έστανρωται von größter Bedeutung (dazu Tannehill, Dying 64).

Das Ende mythologischer Rede (Phil 2,8)

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sie sich in ihrer Verschränkung je zu kommen vermochten. Die Unterbrechung war weder notwendig noch ist sie ableitbar: sie ist der Welt im Sinne einer Überraschung zugekommen, welche ihren Grund in der Liebe Gottes und nur in ihr hat. Eben von dieser Überraschung erzählt die Geschichte des Kreuzes.

2.15 Das Ende mythologischer Rede (Phil 2,8) Bei den folgenden Überlegungen gehen wir davon aus, daß in Phil 2,6—11 ein vorpaulinisches Traditionsstück vorliegt, welches formgeschichtlich als Hymnus oder Lied zu bezeichnen ist und welches von Paulus in den Kontext des Philipperbriefes gestellt worden ist. 333 Der einleitende V. 5 334 wie auch 2,1—4 und 2,12—18 zeigen eindeutig, daß Paulus den Hymnus in einem paränetischen Zusammenhang verwendet. Verklammerungen zwischen Hymnus und Kontext sind ταπεινοφροσύνη (V. 3) — έταπείνωσεν (V. 8) und ύπηκούaare (V. 12) — yevößevoq ύπήκοος (V. 8). 335 Wir halten zunächst fest, daß die Verklammerungen konkreter Art beide auf V. 8 Bezug nehmen, wo — zumindest nach dem Verständnis des Paulus — der Weg des Irdischen Thema ist. Die verschiedenen in der neueren Literatur seit Lohmeyer vertretenen Rekonstruktionsversuche des Hymnus im Blick auf seine Gliederung 336 brauchen uns hier nicht weiter zu beschäftigen. Für uns ist lediglich von Bedeutung, daß V. 8c („zum Tode am Kreuz") als paulinisches Interpretament gelten kann. 337 Wir gehen jeden333 So entscheiden sich seit Lohmeyer die meisten Ausleger, zB Käsemann, Analyse EVuB I 52; Bornkamm, Verständnis 177f;Wengst, Formeln 145; Strecker, ZNW 55, 7 l f ; ders, Freiheit 5 2 6 - 5 2 9 (Referat der neuesten exegetischen Diskussion); Stuhlmacher, ZThK 74, 454; Kertelge, Verständnis 124; Eichholz, Paulus 135; Hofius, Christushymnus 3; Brandenburger, Fleisch 228; Bartsch, Wahrheit 77; Johnston, Phil 40; Gnilka, Phil 111; weitere Literatur bei Hofius, ebd Anm 2; anders Martin, Carmen 42—62. 334 Dazu Bornkamm, Verständnis 177; Hooker, Phil 2,6—11, 152f; Käsemann, Analyse EVuB I 91. 33s Mit Gnilka, Phil 111; Hooker, Phil 2 , 6 - 1 1 , 153. Die hier genannte Verbindung von ήγήσατο (V. 6) und fjyoüßevoi (V. 3) ist indessen ziemlich formal. 336 Käsemann, Analyse EVuB I 52—65; Wengst, Formeln 144—149; Hofius, Christushymnus 12; Hooker, Phil 2 , 6 - 1 1 , 1 5 7 - 1 5 9 . 337 Dies ist die opinio communis (vgl Hofius, Christushymnus 3 mit Literatur in Anm 2).

14 Weder, Kreuz

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Das Kreuz Jesu Christi in den paulinischen Briefen

falls davon aus, daß nicht etwa der ganze V. 8 ein paulinischer Einschub ist. 338 Die neuerdings wieder stärker vertretene These, wonach der ganze V. 8 zum ursprünglichen Hymnus gehörte 339 , ändert an der unten vorgenommenen Interpretation insofern nichts, als dann einfach schon vorpaulinisch das Verständnis vorgelegen hätte, das wir hier für Paulus erheben werden. Die große Bedeutung, welche das Kreuz bei Paulus — im Gegensatz zu den übrigen urchristlichen Hymnen — hat, spricht m£ immer noch dafür, daß V. 8c historisch zutreffend als paulinisches Interpretament angesprochen werden kann. 340 Über den religionsgeschichtlichen Hintergrund und damit auch über die Herkunft des Hymnus gehen die Meinungen der Ausleger sehr weit auseinander: vom gnostischen Erlösermythos bis hin zu einem ursprünglich aramäischen Original werden die verschiedensten Schattierungen vertreten. 341 Auch dieses Problem kann und braucht hier nicht noch einmal aufgerollt und durch eine neuerliche Hypothese gelöst zu werden. Für unseren Zusammenhang ist lediglich entscheidend, daß im ursprünglichen Hymnus eine mythologische Redeweise angetroffen wird, die den Weg des präexistenten Christus in seine Menschwerdung und seinen Tod als seine Selbsterniedrigung versteht (V. 6—8) und dann von seiner Erhöhung durch Gott über die Mächte, himmlische, irdische und unterirdische, spricht und mit dem Bekenntnis zum Christus als dem Kyrios schließt (V. 9—II). 3 4 2 In religionsgeschichtlicher Hinsicht ist mE die Annahme am wahrscheinlichsten, daß hier verschiedene Vorstellungen aus dem hellenistisch338 Gegen Strecker, ZNW 55, 71; ders, Freiheit 525. Die Gegenargumente bei Wengst, Formeln 145f sind mE überzeugend. 339 So Hofius, Christushymnus 12—16. Dies wird offenbar aufgenommen von Stuhlmacher, ZThK 74, 454. Dieselbe These vertritt auch Bartsch, Wahrheit 56f; ähnlich Hooker, Phil 2,6—11, 158, die allerdings überhaupt kein vorpaulinisches Traditionsstück anzunehmen scheint. « « Mit Wengst, Formeln 147; Gnilka, Phil 135. 341 Vgl das Referat über verschiedene Ansätze bei Käsemann, Analyse EVuB I 5 2 - 6 5 ; Hooker, Phil 2 , 6 - 1 1 , 1 6 0 - 1 6 2 ; Strecker, Freiheit 5 2 6 - 5 2 9 ; Wengst, Formeln 153; Brandenburger, Fleisch 173.228; Bartsch, Wahrheit 78; Johnston, Phil 40. 342 Mit Wengst, Formeln 148f: der erste Teil beschreibt den Weg des präexistenten Christus bis zum Tod, der zweite Teil spricht von der Erhöhung dieses Wesens aufgrund (διό!) seiner Erniedrigung. Der Zeitaspekt des Schlusses (έξομολογήσηται, vgl aber die varia lectio in A, C, usw) wäre Gegenwart, nicht Zukunft (aaO 151). Dazu vgl Schweizer, Erniedrigung 156; ders, Ökumene 106 Anm 29 (frühestes Verständnis war wohl futurisch). Für Paulus ist jedenfalls futurisches Verständnis wahrscheinlich.

Das Ende mythologischer Rede (Phil 2,8)

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jüdischen und hellenistischen Raum miteinander verkoppelt worden sind. 343 Wenn man den ersten Teil des Liedes unter Absehung von der Erwähnung des Kreuzestodes in V. 8c betrachtet, so hat man ein Drama vor sich, das den Weg des präexistenten Christus in seine Menschwerdung und seinen Tod beschreibt. Gewiß läßt sich das Lied auch in dieser Gestalt in manchen Punkten vom gnostischen Erlösermythos, dessen vor- und außerchristliche Existenz immer noch fraglich ist 3 4 4 , unterscheiden. 345 Die Unterschiede gegenüber einem etwaigen gnostischen Mythos begründen allerdings die Christlichkeit dieses Liedes in keiner Weise zureichend. Auch wenn hier von einer wirklichen Fleischwerdung des Präexistenten, von seinem Gehorsam bis zum Tode und von seiner darin begründeten Erhöhung durch Gott die Rede ist, ist dennoch die mythologische Denkweise insofern nicht verlassen, als die konkrete Gestalt des Menschseins des Erlösers keine bestimmende Rolle spielt. Dementsprechend lassen sich die Ausdrücke in V. 7f im Sinne seiner bloß allgemeinen Menschwerdung und abgesehen von deren konkreter, tatsächlicher Gestalt verstehen. Die Knechtgestalt des Erlösers läßt sich ohne weiteres als sein Menschsein schlechthin auffassen. 346 Und seine Selbsterniedrigung in GehorDer religionsgeschichtliche Hintergrund läßt sich nicht als Einheit verstehen (mit Strecker, ZNW 55, 72; Ernst, Phil 77; Friedrich, Phil 151). Im ersten Teil liegt stärker hellenistisches oder vielleicht jüdisch-hellenistisches Material vor. Nach Schenke, Tendenz 365—372 ist der Hintergrund einheitlich weisheitlich. 3 4 4 Rudolph, Gnosis 136f reklamiert eine Erlöservorstellung als vom Christentum unabhängiges „konstitutives Strukturelement der gnostischen Weltauffassung" (aaO 137). Indessen ist der von Reitzenstein herausgestellte Erlösermythos nur in manichäischen Texten greifbar, wenn auch der „Grundgedanke der Gnosis nicht fremd" ist (aaO 139f). Die Beurteilung in historischer Hinsicht ist angesichts der Quellenlage schwierig. Immerhin dürfte die Historisierung der gnostischen Erlöserfiguren „vor allem mit der Einführung der Christusgestalt in die Gnosis" zusammenhängen (aaO 142), vgl zB das System Manis (aaO 362), weitere Beispiele aaO 141f. Nach Schmithals, Herkunft 404.413f ist keine der vorchchristlichen Erlösergestalten eine konkrete Person. Die Vorstellung von einem menschgewordenen Erlöser dürfte also christlichen Ursprungs sein. 345 Zu diesen Unterschieden vgl Käsemann, Analyse EVuB I 92—94.80f; Bornkamm, Verständnis 182. 3 4 6 So Käsemann, aaO 74: „Die .Knechtgestalt' meint das Dasein des Menschen, sofern es den Mächten ausgeliefert ist." Ebenso auch Brandenburger, Fleisch 173 (mit Hinweis auf die Anthropologie der dualistischen Weisheit, bes Philo); 343

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Das Kreuz Jesu Christi in den paulinischen Briefen

sam läßt sich begreifen als ein konsequentes Zu-Ende-Gehen des Weges, der mit der Inkarnation begonnen hat und mit dem Tod das Ende findet. 347 Im Blick auf seine Menschlichkeit hat also dieser Christus nur eine allgemeine Identität, sofern sein Weg sich in nichts von dem unterscheidet, der der Weg jedes Menschen in der Welt ist. Das heißt: seine Identität wird begrifflich, nicht aber geschichtlich gedacht, soweit er als Mensch infrage kommt. Die Geschichte, die von diesem Christus zu erzählen ist, ist deshalb folgerichtig ein Mythos: Christus hat eine (bloß) mythologisch zur Sprache zu bringende Identität. Von der andern Seite her betrachtet heißt das: die konkrete Gestalt des irdischen Seins Jesu wird in einem solchen Maße im Rahmen des Mythos verstanden, daß seine geschichtliche Unverwechselbarkeit dadurch aufgehoben wird. Der Mythos vom Präexistenten, Menschgewordenen und Erhöhten bemächtigt sich so sehr des Irdischen, daß dieser bloß noch in seinem Daß, nicht mehr in seinem ihn von den andern Menschen unterscheidenden Wie zur Sprache kommt. Ganz anders verhält es sich, wenn V. 8c als Interpretament zum Hymnus hinzugenommen wird. Die Erwähnung des Kreuzestodes bringt nicht nur dessen Heilsbedeutung zum Zuge 348 , sondern sie bringt die konkrete, geschichtliche Gestalt des Menschseins Jesu unüberhörbar ins Spiel. Mit dem Kreuzestod wird in äußerster Zuspitzung und Konzentration das irdische Dasein Jesu zum Ausdruck Rengstorf, ThWNT II 281,29—45. Zur notwendigen Differenzierung vgl Schweizer, Erniedrigung 97f. 347 Der Tod stellt „das heimliche Ziel und den Kulminationspunkt der Inkarnation" dar. Die einzige einigermaßen inhaltliche Aussage, die hiermit gemacht wird, ist darin zu sehen, daß der Tod „nicht nur notwendiges Widerfahrnis ist, sondern am Tatcharakter der Inkarnation festhält" (Käsemann, aaO 77). „Und es ist zu bedenken, ob unser Hymnus nicht einzig dieses Paradox herausstellt, daß der Höchste der Niedrige wird, und darin das eschatologische Wunder erblickt" (aaO 78). Es trifft zwar zu, daß das „gleich Menschen" mit einer inneren Finalität zum Tode drängt, dagegen ist unzutreffend, daß „dieses .gleich Menschen' . . . mit einer inneren Finalität zum Tode am Kreuze (drängt)" (gegen Ernst, Phil 69, Hervorhebung von mir). Im Gehorsam bis zum Tode unterscheidet sich Christus womöglich dadurch von den Menschen, daß auch sein Tod Tatcharakter hat. Erst sein T o d an diesem Kreuz und u n t e r diesen bestimmten Umständen jedoch unterscheidet den Menschen Jesus von allen übrigen Menschen. Deshalb ist ja auch für den Hymnus die Art des Todes „gleichgültig" (Käsemann, aaO 82). 348 So Käsemann, Analyse EVuB I 82 (die Heilsbedeutung des Todes Jesu als paulinische Pointe der Einfügung); ders, Heilsbedeutung 89f; Gnilka, Phil 124; Wengst, Formeln 1 4 7 ; H o f i u s , Christushymnus 17; Friedrich, Phil 149.

Das Ende mythologischer Rede (Phil 2,8)

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gebracht, sofern im Kreuzestod seine Unterschiedenheit von und Unverwechselbarkeit mit andern Menschen, welche für sein Leben auch schon galt, konkret wird. Mit der Erwähnung des Kreuzestodes wird die mythologische Identität des Christus ersetzt durch die geschichtliche Identität des Jesus von Nazareth. Die Frage, wer Christus sei, läßt sich nun nicht mehr aufgrund des mythologischen Dramas vom herabsteigenden und wieder zum Himmel auffahrenden Erlöser beantworten. Die Frage, wer Christus sei, ist mit der andern Frage, wer Jesus war unauflösbar verbunden. Die Einfügung des Kreuzestodes hat denn auch erhebliche Folgen für das Verständnis des ganzen Hymnus. Sie wird zu seiner Mitte, von der her die übrigen Aussagen in ein neues Licht treten. Einige Beispiele mögen dies erläutern. Der Gehorsam bis zum Tode (V. 8b) läßt sich jetzt nicht mehr bloß allgemein als Treue zur Menschwerdung verstehen, sondern der Gehorsam wird konkret aussagbar als die bestimmte, durch Jesus vollzogene Unterordnung unter den Willen Gottes, als sein Dasein in Armut (vgl IKor 8,9), welches Jesus an die Seite der Ausgestoßenen und Sünder wies und ihm sein Todesschicksal am Galgen brachte. Seine Selbsterniedrigung (V. 8a) läßt sich dann nicht mehr einfach als Vertauschung seines göttlichen mit dem allgemeinmenschlichen Sein in Knechtschaft verstehen, sondern die Selbsterniedrigung wird konkret aussagbar als diese bestimmte Unterordnung unter den Vater, die Jesus Gott gegenüber erneut Kind sein ließ (vgl Mt 18,4) und es ihm unmöglich machte, sich Gottes zu bemächtigen. Das και σχήμαTL evpeßek ώς άνθρωπος (V. 7d) heißt nicht mehr, daß er unter (allgemein-) menschlichen Lebensbedingungen existierte, sondern daß er als dieser konkrete Mensch zur Erfahrung kam. 349 Die Differenz, welche im ομοιώματι άνθρώπων mitschwingt 350 , ist nicht mehr darin begründet, daß er als präexistentes Wesen menschliche Gestalt annahm und mit ihr zwar gleich, aber nicht identisch wurde. Dies wäre eine bloß allgemeine Differenz, gegeben mit seiner himmlischen Herkunft, aussagbar unter Absehung vom geschichtlichen 349 Seiner Erscheinungsweise nach (σχήματί) war der Christus als Mensch (ώς άνθρωπος) identifizierbar (εύρεθβίς); vgl Käsemann, Analyse EVuB I 75f. Jemand ist als Mensch identifizierbar, ohne daß das Wie seines Daseins zur Erfahrung kommen muß. Dies ist seine allgemeine Identität. 350 Im Zusammenhang mit Rom 8,3 zeigt das ομοιώματι „eine letzte Differenz bei aller sonstigen Gleichheit" an: „Christus ist nicht einfach im ,Sündenfleisch' erschienen, sondern in .Analogie' dazu, sofern er die mit dem Fleisch gesetzte Möglichkeit der Sünde nicht realisierte" (Käsemann, aaO 75, vgl 76).

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Das Kreuz Jesu Christi in den paulinischen Briefen

Dasein Jesu. Sobald jedoch das Kreuz als dieser bestimmte, geschichtliche Tod des Jesus von Nazareth ins Spiel k o m m t , ist jene Differenz nicht mehr eine mythologisch begründete, sondern konkret aussagbar als Differenz dessen, der zwar unter das Gesetz getan war (vgl Gal 4,4), der aber im Unterschied zu den Menschen dieses Gesetz nicht zu seiner Selbstherstellung gebrauchte, sondern es in der Liebe erfüllt sein ließ, was ihm die Verfluchung des Gesetzes einbrachte (vgl Gal 3,13). Seine Knechtgestalt verliert jetzt den relativ harmlosen Charakter allgemeinmenschlichen Daseins, sie wird konkret aussagbar im Sklavendasein des Menschensohnes (vgl Mk 10, 42—45), welcher die weltliche Herrschaftsordnung unterläuft und deshalb den Sklaventod am Kreuz hinnehmen muß. Desgleichen wird die Erhöhung des Erniedrigten konkret aussagbar als Erhöhung des Gekreuzigten (V. 9f). Damit ist die Herrschaft, die dieser ausübt, von vornherein unterschieden von der Herrschaft, die in der Welt ausgeübt wird. Die Herren dieser Welt herrschen mit Macht und Stärke, dieser Herr dagegen herrscht in der Gestalt des Dienens und seine Macht ist die Ohnmacht der Liebe. Darum ist überall, wo sein Name ausgerufen wird, seine geschichüiche Identität mit zur Stelle, und deshalb geht seine Herrschaft nur so weit, wie sie die Herrschaft des Gekreuzigten ist. 351 Zusammenfassend läßt sich sagen: Mit dem Ausdruck „zum Tode am Kreuz" wird das mythologische Verständnis Christi in die Kehre gebracht und aufgebrochen. Der Mythos wird jetzt im Rahmen des Kreuzes verstanden, nicht mehr das Kreuz in die Allgemeinheit des Mythos aufgehoben. In diesem Sinne ist das Kreuz als geschichtliches Ereignis der wahre Ausgangspunkt aller Entmythologisierung, weil angesichts der Offenbarung Gottes im Ereignis des Kreuzes alle mythologische Sprache und Frömmigkeit, welche Gottes Sein ausschließlich als nicht-weltliches wahren will, selbst säkularisiert wurden 3 5 2 , indem Gott durch seine selbst351

„Nur der Gekreuzigte ist auferstanden, und die Herrschaft des Auferstandenen geht gegenwärtig so weit, wie dem Gekreuzigten gedient wird" (Käsemann, Heilsbedeutung 103). „Was gegenwärtig gilt, ist der Schatten des Kreuzes . . . " (Eichholz, Paulus 152). Die Erwähnung des Kreuzes bringt die Erfahrungsdimension ins Spiel (ähnlich Eichholz, aaO 153). Zu vergleichen ist auch Bartsch, Wahrheit 56f (allerdings für den Hymnus). „Diese Art von Konkretion des Wirkens des eschatologischen Heils auf das Kreuz aber tritt zur Christologie des Liedes in eine fühlbare Spannung" (Gnilka, Phil 124). Zum Ganzen auch Schweizer, Ökumene 105f. 352 Das Evangelium „geht auch hier in die Profanität ein, zu der nun sogar Sakral- und Mysteriensprache werden können" (Käsemann, Analyse EVuB I 92; zur Entmythologisierung siehe aaO 93).

Das Ende mythologischer Rede (Phil 2,8)

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gewählte Weltlichkeit alle sprachlichen Versuche, sich zu ihm aufzuschwingen, unterboten und so aufgehoben hat. Wird der Mythos im Rahmen des Kreuzes verstanden, so hat er den ihm angemessenen Stellenwert: er ist der hermeneutische Versuch, mit weltlicher Sprache zum Ausdruck zu bringen, daß Gott in Jesus von Nazareth in die Welt und ihre Geschichte eingegangen ist, ohne in dieser aufzugehen. Die mythologische Identität des Christus gibt also den Horizont an, in welchem seine geschichtliche Identität zur Sprache kommen muß. Die Tatsache, daß Paulus diesen Hymnus in einen paränetischen Kontext stellte, hat schon seit alters einer ethischen Interpretation des Hymnus Auftrieb gegeben. 353 Der Spitzensatz ethischen Verständnisses lautet: Christus wird hier den Christen zum Vorbild gemacht. Die Unsachgemäßheit dieses Ansatzes wurde in neuerer Zeit mehrfach und zu Recht herausgestellt. 354 Exegetisch fällt die Entscheidung bei der Ubersetzung von V. 5. Ergänzt man im zweiten Teil ein ην oder ein έφρονήθη, und versteht man das eu Χριστή) im paradigmatischen Sinne, dann ist eine primär ethische Deutung des Hymnus unausweichlich. Verzichtet man dagegen auf derartige Erweiterungen, und versteht man den zweiten Satzteil als Einleitung zum folgenden Hymnus-Zitat, dann wird man etwa wie folgt verstehen müssen: so sollt ihr untereinander gesinnt sein, wie es im Bereich des Christus angemessen ist. 355 Die Zurückweisung eines primär ethischen Verständnisses ändert allerdings nichts daran, daß Paulus mit seiner Einordnung offenbar einen ethischen Aspekt zum Zuge bringt, der dem Hymnus nicht einfach fremd ist. Die Annahme, Paulus bringe hier Christus als Vorbild zur Sprache, welchem der Christ in seinem Verhalten zu entsprechen habe, verkennt den soteriologischen und den eschatologischen Charakter des Liedes 3 5 6 wie auch die paulinische Verhältnisbestimmung von Indikativ und Imperativ (vgl Gal 5,25). 3 5 7 Paulus mahnt unzweifelhaft, aber er 353 Vgl dazu Gnilka, Phil 122; Käsemann, aaO 53; Bornkamm, Verständnis 177. Besonders deutlich durch Käsemann, aaO 81: „Er offenbart Gehorsam, aber er macht ihn nicht zur Imitation vor." Vgl Ernst, Phil 69; Bornkamm, Verständnis 177; Gnilka, Phil 111. Etwas weniger deutlich wieder bei Hooker, Phil 2 , 6 - 1 1 , 1 5 2 - 1 5 7 ; Martin, Carmen 8 4 - 8 8 . 2 8 7 - 2 8 9 . 355 Vgl die ähnliche Auffassung Käsemanns, aaO 91. Auch die Ubersetzung bei Wilckens, NT zSt sucht diesem Sachverhalt Rechnung zu tragen. Zur Bedeutung von V. 5 vgl auch Bornkamm, Verständnis 177. 356 So Käsemann, aaO 91 f. 3 " Mit Ernst, Phil 69; Jüngel, Erwägungen 2 3 7 - 2 4 5 ; Bornkamm, Paulus 1 6 0 163; zum Problem vgl auch Schräge, Barmen II 128—133 und die dort genannte Literatur. 354

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mahnt mit dem Evangelium. 358 Die ταπεινοφροσύνη welche in V. 3 gefordert wird, findet nicht ihr Vorbild, sondern ihre Ermöglichung in der Selbsterniedrigung des Erlösers (V. 8). Die ταπεινοφροσύνη ist die durch die Selbsterniedrigung des Erlösers ermöglichte Entsprechung des Menschen zu jener Selbsterniedrigung. Weil es in dieser Erniedrigung um die Erniedrigung Gottes geht und weil diese Armut Christi den Reichtum der Menschen bedeutet, deshalb ist der Mensch daraus entlassen, sich eigenen Reichtum und eigene Hoheit zu schaffen. Weil er daraus entlassen ist, ist er überhaupt in die Lage versetzt, nicht mehr auf sein eigenes Wohl zu schauen (vgl 2,4). Weil sein Heil ihm zuteil geworden ist, ist er überhaupt liebesfähig (vgl 2,2); er kann sich in der Liebe für das Wohl der Welt einsetzen, ohne diese als Material seiner Selbstherstellung mißbrauchen zu müssen (vgl zu Gal 6,14). Andererseits ist der Gehorsam, den Paulus von den Philippern fordert (2,12), begründet im Gehorsam des Gekreuzigten, der seinen Weg der Liebe unbeirrt bis zum Tode am Kreuz ging (2,8). Der geforderte Gehorsam ist keine Gesinnung, er ist vielmehr der Vollzug einer Unterstellung unter die Herrschaft des Gekreuzigten. Erst von hier aus ist der Gehorsam inhaltlich zu bestimmen, während er gleichzeitig hier seine Ermöglichung findet. Das Beugen der Knie und das Bekenntnis zum gekreuzigten Herrn (V. lOf), welches konkret im Singen des Hymnus vollzogen wird 359 , ist zugleich der Vollzug jenes Gehorsams gegenüber dem gekreuzigten Herrn, aus welchem sich die gehorsame Daseinsweise in der Welt von selbst ergibt. In diesem Sinne gilt, daß Gott das Wollen wie das Vollbringen wirkt (2,13). Gott selbst hat den Raum „in Christus" eröffnet, in welchem solcher Gehorsam überhaupt gewollt werden und ins Werk gesetzt werden kann. In diesem Zusammenhang ist es von einiger Bedeutung, daß Paulus die ethisch orientierte Verklammerung ausschließlich mit V. 8, der vom irdischen Gekreuzigten handelt, durchführt. Daraus muß m£ geschlossen werden: die konkrete und geschichtliche Gestalt der Selbsterniedrigung und des Gehorsams des Gekreuzigten macht es überhaupt möglich, ταπεινοφροσύνη und Gehorsam unverwechselbar im Sinne dieses Herrn zu vollziehen. Wer von sich selbst gering denkt, tut dies im Namen des Gekreuzigten, und deshalb ist von vornherein jede Absicht einer dadurch zu erreichenden Erhöhung ausgeschlossen; denn im Gekreuzigten ist der Mensch in seiner Niedrigkeit erhöht. Die Kehrseite dieser Niedrigkeit ist die Macht Gottes, und darum 358 Eichholz, Paulus 132; vgl Balz, ThWNT IX 2 1 0 , 1 4 - 2 1 . Vgl Käsemann, Analyse EVuB I 94f.

Die Feinde des Kreuzes Christi (Phil 3,18)

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geschieht die Niedrigkeit, wo sie im Namen des Gekreuzigten geschieht, allein um Gottes willen und also ausschließlich um des andern Menschen willen. Die Niedrigkeit als Gewand des Hochmuts ist undenkbar, die Niedrigkeit hat vielmehr die Gestalt der Liebe. Andererseits ist die konkrete Gestalt des Gehorsams, welche im Gekreuzigten geschichtlich zur Erfahrung kam, zugleich die inhaltliche Ausprägung des Gehorsams, welcher von den Christen gefordert ist. Im Gehorsam gegenüber dem Gekreuzigten ist gleichzeitig eine emanzipatorische Distanz zu dem Gehorsam impliziert, welcher in der Welt und vonseiten ihrer Machthaber gefordert wird. Deshalb impliziert dieser Gehorsam ein gespanntes Verhältnis zur Herrschaftsweise der Herrschenden und zur (damals selbstverständlichen) gesellschaftlichen Einteilung in Freie und Sklaven. 360 In summa: die im Horizont der mythologischen Identität zur Sprache kommende geschichtliche Identität des Christus befreit das Handeln aus seiner Verhaftung mit der Herstellung des Lebens (soteriologischer Aspekt) und ergibt gleichzeitig inhaltliche Bestimmungen dessen, wie der Weg des Christen in der Welt zu verlaufen hat. Daß der Weg offen ist, erkennt die Gemeinde im Lobpreis des Hymnus, daß er gegangen wird, ergibt sich von selbst daraus, sofern Gott das Wollen und das Vollbringen schenkt (V. 13).

2.16 Die Feinde des Kreuzes Christi (Phil 3,18) Die Auslegung dieser Stelle ist abhängig von einer ganzen Reihe von literarkritischen und historischen Fragen zum Philipperbrief, die hier nicht in der wünschenswerten Breite behandelt werden können und in denen alles andere als ein Konsens erreicht worden ist. Literarkritisch gehen wir davon aus, daß Phil 3,2ff tatsächlich eine gewisse Selbständigkeit — sowohl was den Ton als auch was die Thematik angeht — gegenüber den andern Briefteilen hat. Ob man nun aus dieser Selbständigkeit eine detaillierte Teilungshypothese 3 6 1 ableiten 360 Der Philemonbrief ist dafür ein deutliches Beispiel. Er dokumentiert, „daß die Lebens- und Rechtsverhältnisse der Zeit von Paulus und seinen Freunden nicht einfach religiös übersehen oder im Glauben hingenommen und sanktioniert wurden, sondern daß man sie im Dienste des Evangeliums gleichzeitig zu respektieren und so zu nutzen wußte, wie das Evangelium dies ratsam erscheinen ließ" (Stuhlmacher, Phlm 58). 361 Gnilka, BZ 9, 259 Anm 8 verweist auf neuere Literatur dazu. Abgesehen von den Unsicherheitsfaktoren, mit welchen solche Teilungshypothesen allemal

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kann oder m u ß , mag j e t z t dahingestellt bleiben. Für unsere Auslegung ist diese historische Frage v o n untergeordneter B e d e u t u n g . Wichtiger dagegen ist die Frage nach der Charakterisierung der Gegner, gegen die sich Paulus hier offensichtlich w e n d e t . In neuerer Zeit sind viele H y p o t h e s e n zur B e s t i m m u n g der Gegner vorgebracht w o r d e n 3 6 2 , die untereinander sehr divergent sind. 3 6 3 Die Quellenlage verbietet es m E , allzu genaue Charakteristika erheben zu w o l l e n . 3 6 4 Ich beschränke mich deshalb auf das, was mit einiger Wahrscheinlichkeit auszumachen ist. D a die A n n a h m e v o n zwei (oder gar drei) verschiedenen Fronten innerhalb dieses K a p i t e l s 3 6 5 s c h o n w e g e n des Fehlens v o n eindeutigen H i n w e i s e n im T e x t nicht u n z w e i f e l h a f t i s t 3 6 6 und da f e m e r die einzelnen Abschnitte in vielen P u n k t e n aufeinander B e z u g

belastet sind, läßt sich wohl so viel feststellen: in Kp 3,2ff ist eine andere Gemeindesituation als in Kp lf und 4,1 Off vorausgesetzt (mit Koester, NTS 8, 317; vgl auch Baumbach, Kairos 13, 252 mit Verweisen auf weitere Literatur). Vielhauer, Geschichte 164 rechnet 3,2—4,3 zum Briefteil C. Baumbach lehnt die konsequente Teilungshypothese ab (aaO 256); vgl auch Lindemann, Paulus 2 3 - 2 5 ; U. B. Müller, Prophetie 205-211. Die Frage ist aus dem Grunde nicht wichtig, weil die paulinische Verfasserschaft und auch Philippi als Adresse von niemandem bezweifelt wird. 362 Eine instruktive Zusammenstellung (drei Grundformen und die jeweiligen Variationsmöglichkeiten innerhalb derselben) findet sich bei Baumbach, Kairos 13, 256 in tabellarischer Form. 363 Die Palette reicht von , J u d e n " (neuerdings wieder vertreten durch Klijn, NT 7, 279.282f; Suhl, Paulus 194.197: sie streben eine Rejudaisierung der christlichen Gemeinde an, vgl die Anspielung auf die Verkündigung des Paulus bei seinem Gründungsaufenthalt in V. 18a) bis hin zur gnostischen Einheitsfront (Schmithals, Paulus 77—79). Sie reicht von der Annahme nur einer Gegnerschaft bis hin zur Aufteilung in drei verschiedene Gruppen (jüdische Agitatoren in 3,2—11; Martyriumsbewußte in 3,12—16; schließlich „lapsi" in 3 , 1 7 - 2 1 ; so Lohmeyer, Phil 126.148f.153). Zum obigen Gesamturteil vgl Vielhauer, Geschichte 164. 364 Nach Baumbach „wirken die im 3. Kapitel gemachten Aussagen recht allgemein und geradezu situationslos". Baumbach schließt anhand eines „formgeschichtlichen Gesetzes", wonach die Ankündigung von Pseudopropheten und Irrlehrern und die Warnung vor ihnen sehr oft am Ende einzelner Schriften erscheint, daraus, daß Paulus „hier nicht historisch getreu seine Opponenten schildern, sondern die eschatologische Gefährdung seiner Gemeinde zum Ausdruck bringen will" (Zukunftserwartung 445; das formgeschichtliche Gesetz im Anschluß an Bornkamm). Zum Ganzen vgl ders, Kairos 13, 256f. 365 Einige neuere Ausleger nehmen zwei Fronten an; so zB Jewett, NT 12, 390; andere dagegen nur eine; so zB Suhl, Paulus 1 9 3 - 2 0 0 ; Gnilka, Phil 21 l f ; Klijn, NT 7, 2 7 9 - 2 8 4 ; Koester, NTS 8, 3 1 7 - 3 3 1 . 366 Mit Koester, NTS 8, 317f.

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nehmen 3 6 7 , wird im folgenden so weit wie möglich eine grundsätzliche Einheit der Hauptgedanken, gegen die Paulus Stellung bezieht, vorausgesetzt. Die Annahme einer einheitlichen gegnerischen Denkweise ist zwar — historisch gesehen — nicht zwingend; sie ist indessen schon aus dem Grund gerechtfertigt, weil es in dieser Arbeit weniger um die Charakteristik der Gegner geht als um die Auslegung der paulinischen Stellungnahme zu ihnen. Und in dieser Hinsicht wird sich zeigen, daß Paulus, selbst wenn verschiedene Fronten vorliegen sollten, diese auf eine grundsätzlich einheitliche Denkweise zurückführt. Angesichts des Kreuzes werden die verschiedenen Spielarten der Aufhebung des Kreuzes in ihrer wesentlichen Einheitlichkeit erkennbar. 3 6 8 Bei der Auslegung m u ß stets im Auge behalten werden, daß es Paulus nicht um eine (historisch zutreffende bzw ihrem Selbstverständnis entsprechende) Beschreibung der Gegener geht, sondern daß es ihm darauf ankommt, ihre „objektive" Intention, das, worauf ihr Denken in Wahrheit hinausläuft, herauszustellen. 3 6 9 Dabei werden allerdings die Konturen ihres Denkens in aller Schärfe sichtbar. Deutlich ist zunächst das judaisierende Element in der gegnerischen Denkweise: die Beschneidung 3 7 0 und die geschichtliche Herkunft

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Die Verklammerungen sind namentlich: κατατομή

— πβρίτομή

(V. 2.3.5);

πεποιθότες ev σαρκί (V. 3) - δικαιοσύνη ή εκ νόμου (V. 9) — ό θεός ή κοιλία (V. 19); καυχώμβνοι ev Χριστώ (V. 3) - κατέλήμφθην ύπό Χριστού (V. 12); ήγημαι κτλ. (V. 8) - λογίζομαι (V. 13); αμεμπτος (V. 6) - τέλειος (V. 15) — τό τέλος άπώλεα (V. 19); κοινωνία παθημάτων bzw συμμορψιζόμενος τ,φ θανάτψ αύτού (V. 10) — σταυρός (V. 18); eschatologisches Thema in V. 10 und V. 20f; ιfpoveiv (V. 15) - V. 19; στοιχέίν (V. 15) - περνπατείν (V. 17f). Zu den größeren Übereinstimmungen vgl auch Koester, NTS 8, 324f, der sich gegen eine Aufteilung in verschiedene Abschnitte wendet. 368 Dies zeigt ja schon die Rückführung der Zeichenforderung und der Weisheitssuche auf die gleiche Grundform des Denkens, vgl IKor 1,18—25 und oben S. 1 7 2 - 1 7 6 . 369 Vgl Baumbach, Kairos 13, 256f; ders, Zukunftserwartung 445. Das gleiche Phänomen ließ sich schon in Gal 6,12f beobachten (vgl oben S. 232f). 370 Κατατομή (V. 2) ist — wie V. 3 deutlich zeigt — eine Paronomasie für περιτομή (mit Baumbach, Kairos 13, 258; Gnilka, BZ 9, 261; Koester, NTS 8, 320; Gnilka, Phil 213). Aus dem Schimpfwort κύνες läßt sich dagegen nichts über die Charakteristik der Gegner entnehmen (mit Koester, aaO 319; Baumbach, aaO 25 7; vgl aber Gnilka, BZ 9, 264). Die Beschneidung kommt — wie auch sonst in den paulinischen Briefen — nicht bloß als äußerer Ritus infrage, sondern in ihr zeigt sich das „Vertrauen auf das Fleisch" (V. 3f). Dies ist eine Lebenshaltung, die sowohl ethische wie auch soteriologische Aspekte umgreift.

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aus den „Hebräern" 371 spielen offensichtlich eine wichtige Rolle. Paulus stellt beides als ein „Vertrauen auf das Fleisch" dar und stellt dem das Rühmen in Christus gegenüber (3,3)· 372 Bemerkenswerterweise begegnet Paulus dieser „Gerechtigkeit aus dem Tun des Gesetzes" nicht mit quantitativen Argumenten, indem er etwa auf ein „Zu-Wenig" ihrer Gerechtigkeit hinwiese, sondern mit qualitativen: zuerst nimmt er für sich selbst die gleiche Tadellosigkeit, ja wohl eine noch größere (V. 4), in Anspruch; die Tadellosigkeit, soweit sie im Rahmen des Gesetzes verstanden wird (V. 6), geht auch Paulus keineswegs ab. 373 Allerdings kann er diese jetzt nicht mehr als Gewinn sehen, sondern vielmehr als Verlust, ja sogar als Dreck (V. 8), denn jetzt ist eine andere Zeit: die Zeit der Gerechtigkeit, welche ihm von Gott zukommt durch den Glauben an Christus. Die Zeit der Gerechtigkeit aus dem Tun des Gesetzes ist jetzt vorbei (V. 9). 3 7 4 Die Gegner verstehen demnach die Zeit nicht: sie schaffen sich ihre eigene Gerechtigkeit, statt sich diese von Gott zukommen zu lassen. Und dieses unsachgemäße Zeitverständnis ist begründet in einer unsachgemäßen Christologie, wie V. lOf zeigt 375 : die Gegner überspringen den Tod Jesu und insofern seine Auferweckung von den Toten. Verbunden mit dem falschen Zeitverständnis ist femer ein fragwürdiges Selbstverständnis·, die Gegner rühmen sich ihrer selbst, sie haben Taten vorzuweisen, die ihre Verkündigung beglaubigen sollen; sie stellen sich selbst her im Namen der Verifikation ihrer Botschaft. 376 3 7 1 Die Berufung auf die geschichtliche Herkunft, welche sich in der paulinischen Entgegnung von V. 5 widerspiegelt, erinnert an 2Kor 11,22, wo Paulus ebenfalls vom „Sich-Stark-Machen" (τοΤψαν) spricht; vgl dazu Gnilka, BZ 9, 2 6 2 ; Baumbach, Kairos 13, 2 5 8 f ; Koester, NTS 8, 3 2 0 - 3 2 2 . 3 7 2 Diese Gegenüberstellung erinnert an Gal 6,12—14. Auch hier steht die Frage nach der Gerechtigkeit aus den Werken des Gesetzes oder aber aus dem Glauben an Christus im Vordergrund (mit Baumbach, Kairos 13, 2 5 9 ) . 3 7 3 Auch dies ist eine Entsprechung zu 2Kor 11,22. Ihr jüdisch begründeter Anspruch wird prinzipiell bestritten (mit Gnilka, BZ 9, 263). 3 7 4 Die Gesetzesgerechtigkeit ist ein „standard which is out of date" (Koester, NTS 8, 323). Zum Problem vgl Stegemann, EvTh 37, 5 1 9 . 3 7 5 Die Christologie ist das Herzstück und der Kernpunkt der paulinischen Auseinandersetzung mit der Irrlehre (vgl Gnilka, BZ 9, 264f). Deshalb kommt Paulus in V. 8—11 auf die wahre Christuserkenntnis zu sprechen. Diese besteht darin, daß der Tod Jesu (und damit seine Auferweckung von den Toten) nicht übersprungen wird. Von hier aus dürfte die These, wonach die Front aus Juden bestand (vgl oben S. 2 1 8 Anm 363), erheblich an Unwahrscheinlichkeit gewonnen haben (so auch Vielhaucr, Geschichte 165). 3 7 6 Das Überspringen des Todes Jesu geht einher mit einer Verachtung des Leidens, die sich im Pochen auf Selbstmächtigkeit, im Selbstruhm zeigt

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D e s h a l b k ö n n e n sie L e i d e n u n d S c h w a c h h e i t n u r als H i n w e i s auf die U n w a h r h e i t des p a u l i n i s c h e n E v a n g e l i u m s i n t e r p r e t i e r e n . 3 7 7 Darauf a n t w o r t e t Paulus, i n d e m er auf d e n T o d J e s u h i n w e i s t , m i t d e s s e n Gestalt das G e s c h i c k des Paulus v e r b u n d e n ist, u n d auf die T e i l h a b e an Christi L e i d e n , die j e t z t a n g e m e s s e n ist, w ä h r e n d die Herrlichkeit der A u f e r w e c k u n g der Z u k u n f t v o r b e h a l t e n b l e i b t ( V . 1 0 f ) . 3 7 8 D i e G e g n e r lassen das h i n t e r sich, w a s der irdische J e s u s gerade n i c h t h i n t e r sich gelassen, s o n d e r n ausgehalten h a t : die k o n k r e t e , w e l t l i c h e Wirklichkeit des L e i d e n s u n d des T o d e s . Darin zeigt sich schließlich ihre unangemessene Eschatologie: sie sind s c h o n v o l l k o m m e n , sie sind n i c h t m e h r auf d e m W e g e , s o n d e r n sie w ä h n e n sich am Ziel (V. 1 2 — 1 6 ) . 3 7 9 D e s Paulus einzige Weise der V o l l k o m m e n h e i t dagegen ist, d a ß er v o n Christus ergriffen word e n ist, w ä h r e n d er selbst auf d e m Weg z u m Ziel ist. U n d dieser W e g ist ein Weg des L e i d e n s , ein V e r w i e s e n s e i n an die k o n k r e t e Wirklichkeit des L e b e n s , eine H i n n a h m e des T o d e s g e s c h i c k s J e s u . 3 8 0

(vgl Gnilka, BZ 9, 269). Die gegnerische Haltung ist darin mit deijenigen von 2Kor ähnlich. Möglicherweise hat das gegnerische Rühmen „of their special spiritual qualities" in diesem Falle die konkrete Ausdrucksform darin, daß die Gegner ihren Geistbesitz „demonstrated by their / complete fulfilment of the law, including circumcision as the unique sign of such fulfilment" (Koester, NTS 8, 321f). Ob die Gegner sich selbst als öeioi αυδρβς im Sinne von 2Kor 3 (so Gnilka, BZ 9, 2 7 1 - 2 7 3 ; vgl ders, Phil 216f) verstanden, bleibt unsicher. Wichtig ist auf jeden Fall, daß die Gegner ihre Identität durch 'epya (seien diese nun moralisch oder a-moralisch) herstellten. 377 Es kam ihnen darauf an, ob und wie der Missionar das Göttliche in seinem Auftreten in Erscheinung bringen konnte (vgl Gnilka, BZ 9, 269). Offenbar kamen sie sich als Vollkommene vor (V. 12—16). 378 Paulus argumentiert mit dem Kreuzestod Jesu (V. lOf vgl 18), welcher die Unterscheidung von μορφή δόξης und μορφή θανάτου in der Existenz des Christen als Unterscheidung der Zeiten unabdingbar macht (vgl Gnilka, BZ 9, 267; Koester, NTS 8, 323). Eine ähnliche Argumentationsweise findet sich in 2Kor 13,4 und Gal 2,19f. 379 Τελεως „designates the possession of the qualities of salvation in their entirety, the arrival of heaven i t s e l f (Koester, NTS 8, 322; vgl Vielhauer, Geschichte 165). Demgegenüber ist Paulus durch den Bezug auf den Kreuzestod Jesu gezwungen, den eschatologischen Vorbehalt (V. 10f.20f) anzubringen. Das Entscheidende ist, daß die gegenwärtige, konkrete Existenz in der μορφή θανάτου im Lichte der künftigen Herrlichkeit gesehen wird. Darin entspricht die Aussage über die Existenz des Christen dem Ineinander von Kreuz und Auferweckung Christi. 380 Weil das Kreuz die Macht Gottes zu seiner Kehrseite hat, hat auch die Hinnahme des Todesgeschicks, welche sich im Verzicht auf die Selbstherstellung und auf die Selbstmächtigkeit (und wohl auch ganz konkret als Martyrium) des Menschen vollzieht, die Auferstehungswirklichkeit Gottes zur Kehrseite.

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Paulus gebraucht apokalyptische Vorstellungen, um dieser „realisierten Eschatologie" 381 entgegen zu treten. Er verbreitet damit allerdings keine Apokalyptik, sondern er interpretiert das Kreuz. Zusammenfassend bezeichnet Paulus die Lebensführung 382 der Gegner als Feindschaft gegen das Kreuz Christi (V. 18). 383 Dann werden die Feinde des Kreuzes mit drei knappen Alternativen gekennzeichnet: das, was sie als ihr Ziel ausgeben, ist im Grunde ihr Verderben. 384 Das, worauf sie aus sind, findet sein Ende im Die Wirklichkeit dieses Leidens ist das Gefäß der Wahrheit Gottes (vgl 2Kor 12,9; 4 , 7 - 1 2 ; 13,4; 4,14 und Gnilka, BZ 9, 268). Dies wird in den Nachsätzen von 2Kor 6,8—10 besonders deutlich. Deshalb ist es unmöglich, die Kontingenz weltlicher Existenz durch Machttaten aufzuheben. Dazu vgl Schweizer, „Mystik" 194: „Und doch ist es so, daß sich das künftige Mitauferstehen mit Christus schon abzeichnet, gerade in diesem Leiden mit ihm, in dem die Schicksalsgemeinschaft mit dem Wege Jesu konkret wird." 381 So Koester, NTS 8, 323. Er spricht präziser noch von einer „radicalized spiritualistic eschatology" (aaO 331). Ähnlich auch Baumbach, Kairos 13, 260, nach welchem der Enthusiasmus allerdings zur Vernachlässigung der Ethik führt. Man wird hinzufügen dürfen: Die Ethik ist dann vernachlässigt, wenn sie einerseits nicht mehr im Kreuzesschicksal Jesu ihren inhaltlichen Maßstab findet, und andererseits wenn sie mehr als das sein will, was sie im Lichte des Kreuzes ist, nämlich (selbstverständliche) Folge der A n k u n f t Gottes (dazu Schräge, Barmen II 128—139). Will sie mehr sein, dann ist sie die Manifestation der A n k u n f t des (selbstgemachten) Gottes oder — was auf dasselbe herauskommt — Selbstinszenierung des Ich. 382 Die „Lebensführung" meint hier nicht bloß Handeln (etwa Libertinismus; Schmithals, Paulus 77; vgl Dibelius, Phil 93; Schneider, ThWNT VII 576,7—9), sondern vielmehr ein das ganze Leben betreffendes Selbstverständnis (das dann allerdings auch ethische Folgen zeitigt); ähnlich Baumbach, Kairos 13, 261f. 383 Es gilt zu beachten, daß hier weder einfach von Feinden Christi (also: Unglaubenden, bzw Juden) noch einfach von Feinden der Botschaft vom Kreuz (also solchen, die im Kreuz keine Heilsbedeutung erblicken) die Rede ist, sondern von Feinden des Kreuzes. Ähnlich den in IKor 1,17 angesprochenen haben diese Feinde das geschichtliche Ereignis des Kreuzes in seiner konkreten Gestalt in eine höhere Christologie aufgehoben, die aus eben diesem Grunde dann willkürlich ist. 384 Generell gilt, daß die in V. 19 vorliegenden Antithesen nicht die Feinde beschreiben wollen, sondern das, worauf ihre Lebensführung objektiv hinausläuft (mit Gnilka, BZ 9, 275). Wahrscheinlich liegt hier ein Wortspiel mit Τβλος vor (dazu J e w e t t , NT 12, 378): was sie als ihre Vollkommenheit (Ziel) ausgeben, ist, sofern es unter Absehung vom Gekreuzigten gewonnen worden ist, ihr Verderben (vgl IKor 1,18). Koester, NTS 8, 325 stellt eine Verschränkung von eschatologischer und existentieller Begrifflichkeit fest. Α π ώ λ ε ι α hat wohl eine eschatologische Nuance, obwohl das Verderben auch präsentisch nicht ohne Wirkung ist. Die Feinde des Kreuzes sind eben auch Feinde ihrer selbst, sofern sie unter der Macht der Sünde und des Todes gefangen bleiben.

Die Feinde des Kreuzes Christi (Phil 3,18)

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Verderben. Weiter: das, was sie als ihren Gott ausgeben, ist im Grunde ihr Bauch, ihr sarkisches Dasein, auf welches sie ihr Vertrauen setzen 385 und auf welches sie ihre Hörer ansprechen (vgl Gal 6,12—14). Paulus interessiert sich kaum dafür, ob nun dieses Vertrauen auf ihr weltliches Sein sich konkret in ihrem Libertinismus oder aber in asketischer Gesetzlichkeit auswirkt, beides verwechselt Welt und Gott, beides macht den Bauch zum Gott. 386 Schließlich: das, was sie als ihre Doxa ausgeben, ist im Grunde ihre Schande; ihre Herrlichkeit ist das, was ihnen zur Ungnade gereicht. 387 Denn sie tun so, als ob ihre Doxa von ihnen selbst herstellbar wäre und in ihren Besitz übergegangen sei, und übergehen damit die Doxa, welche ihnen im Gekreuzigten zugekommen ist. Feinde des Kreuzes sind sie also, weil sie ihre kontingente Existenz durch Machttaten überschreiten wollen und damit etwas tun, was der zuvorkommenden Liebe Gottes zu ihrer weltlichen Seinsweise ins Gesicht schlägt. Feinde des Kreuzes sind sie, weil sie in Leiden und Verfolgung die Gestalt des Christus nicht zu sehen vermögen und stattdessen in ihrer Selbstmächtigkeit die Manifestation des erhöhten Christus erblicken. 388 Paulus faßt ihre Lebensführung zusammen mit dem knappen Satz: nur auf das Irdische sind sie aus. 389 Oder anders gesagt: sie verwechseln Welt und Gott. Auf diese Ver385 Mit κοιλία ist schwerlich auf Libertinismus angespielt (gegen J e w e t t , NT 12, 380; Schmithals, Paulus 79; Dibelius, Phil 93). Das Wort nimmt wohl eher (wie etwa in Rom 16,18) eine durch und durch sarkische Gesinnung in den Blick (vgl zB Baumbach, Kairos 13, 262; das braucht nicht — wie Behm, ThWNT III 7 8 8 , 2 8 - 3 1 moniert - auf die .Judaisten mit ihrem Gotte Bauch" beschränkt zu sein). Zu berücksichtigen ist freilich auch IKor 6,12—14, das aber kein Gegenargument gegen die hier gewählte Interpretation zu sein braucht. 386 Libertinismus u n d Askese sind deshalb nur zwei (ethische) Spielformen desselben Vertrauens auf das Fleisch (vgl Friedrich, Phil 165). 387 Die αισχύνη darf ebenfalls nicht moralisch verstanden werden (gegen Dibelius, Phil 93; Schmithals, Paulus 80f; J e w e t t , NT 12, 381; vgl auch Bultmann, ThWNT I 190,27—31), noch im Sinne einer Beschneidung der „ S c h a m " (gegen Suhl, Paulus 199), sondern sie ist als „disgrace" das Los, das den Feinden des Kreuzes bereitet ist (mit Koester, NTS 8, 327f; Gnilka, BZ 9, 276). 388 Vgl dazu oben S. 220f Anm 376f. 389 Dazu ist Kol 3,2 zu vergleichen. Τά επίγεια φρονέιν „is an ironic twisting of their claim to be heavenly-minded, to possess το avu> φρονβιν" (Jewett, NT 12, 379; vgl Koester, NTS 8, 328f). Diese Umkehrung ist mE sehr bemerkenswert: angesichts des Kreuzes als der A n k u n f t Gottes in der Welt wird das Sinnen nach dem Himmlischen so durchkreuzt, daß dieses nunmehr als Sinnen nach dem Irdischen evident wird. Das crimen laesae maiestatis Gottes ist die Verleugnung seiner Menschlichkeit.

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Das Kreuz Jesu Christi in den paulinischen Briefen

wechslung nimmt Paulus in V. 20f mit traditioneller Sprache 390 noch einmal Bezug: in ihr liegt nämlich gleichzeitig eine Verwechslung der Zeiten vor. Die Zeit unseres weltlichen Lebens, welche uns mit dem irdischen Sein Jesu verbindet, ist nicht zu verwechseln mit der Zeit Gottes, in welcher Christus unser irdisches Dasein verwandeln und seinem Leib der Heirlichkeit gleich werden lassen wird. In dem eben ausgelegten Abschnitt ist deutlich geworden, daß das Kreuz Jesu als geschichtliches Ereignis einerseits eine ethische Dimension hat. Das Todesschicksal Jesu verweist den Glaubenden an das Leiden und an die Schwachheit, welche es im Herrschaftsbereich des Gekreuzigten ernst zu nehmen und auszuhalten gilt. Gerade die konkrete Gestalt des Todes Jesu erlaubt demnach ethische Aussagen, welche auch ihrem Inhalt nach unverwechselbar christlich sind, weil sie durch den Gekreuzigten identifizierbar sind und in seinem Namen gemacht werden können. Andererseits begegnen wir hier dem bedeutungsvollen Paradox, daß gerade die Feindschaft gegen das Kreuz zur Vergötterung der Welt führt, zur Verwechslung von Gott und Welt verleitet. Das ist deshalb so, weil Paulus die Ankunft Gottes in der Welt nur in der Gestalt des Kreuzes denken kann, welches dann zum Ereignis von Gottes nicht mehr zu unterbietender Weltlichkeit wird. Angesichts dessen, daß Gott in seinem Eingehen in die Welt sich von dieser radikal unterschieden hat, ist die Verwechslung von Welt und Gott, welche oftmals im Namen der Göttlichkeit Gottes begründet und vollzogen wird, eine unmögliche Möglichkeit geworden. Schließlich verwehrt es die im Namen des Kreuzes vorzunehmende Unterscheidung der Zeiten, die Kontingenz und Weltlichkeit unserer Geschichte zu übergehen, sei es dadurch, daß man seine geschichtliche Herkunft für heilsrelevant ansieht, sei es dadurch, daß man sein übergeschichtliches (schon erlöstes) Sein für seinen Besitz ansieht und eben so aus der Geschichte aussteigt. Vielmehr gilt: gerade das Kreuz als geschichtliches Ereignis verweist mich an meine konkrete weltliche Existenz, so wahr es als Ereignis der Ankunft Gottes und seiner Liebe zu mir mich nicht auf das fixiert, was ich weltlich bin, sondern mir beibringt, mich mit den Augen Gottes sehen zu lernen. Zum apokalyptischen Charakter vgl Koester, NTS 8, 330. Vielleicht ist sogar ein vorpaulinischer Hymnus anzunehmen (so Strecker, ZNW 55, 75f; Güttgemanns, Apostel 2 4 1 f ; Becker, Auferstehung 1 0 6 — 1 1 6 ; dagegen Baumbach, Zukunftserwartung 449). 390

3 DER STELLENWERT DES KREUZESTODES JESU ALS EINES GESCHICHTLICHEN EREIGNISSES IN DER THEOLOGIE DES PAULUS UND DIE BEDEUTUNG DES IRDISCHEN JESUS FÜR DEN GLAUBEN (ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK)

Wer sagt, für Paulus habe sich das Problem des historischen Jesus nicht gestellt, spricht eine historische Binsenwahrheit aus. Es hat sich für ihn aus dem einfachen Grunde nicht gestellt, weil es zu seiner Zeit als Problem überhaupt nicht bestand, sondern uns erst durch die Theologiegeschichte der Neuzeit aufgegeben worden ist. Wer allerdings die genannte Binsenwahrheit ausspricht, dürfte sich dann nicht davor scheuen, die Konsequenzen daraus in vollem Maße zu ziehen. Wäre er konsequent, dürfte er sich jedenfalls nicht dazu verleiten lassen, die Christologie des Paulus auf den Gegenbegriff zum historischen Jesus, nämlich auf den Begriff des kerygmatischen Christus, festzulegen. Im Blick auf die paulinische Kreuzestheologie heißt das: da die Unterscheidung zwischen dem Kreuz als einer theologischen Chiffre und dem Kreuz als einem geschichtlichen Ereignis eine neuzeitliche Unterscheidung ist, steht der Ausleger vor einer Alternative, die sich wie folgt skizzieren läßt. Er verbietet sich die Aussage, das Kreuz sei eine theologische Chiffre, und zwar deshalb, weil die genannte Unterscheidung neuzeitliche Denkvoraussetzungen in die paulinischen Texte einträgt. Damit wäre allerdings eine Forderung aufgestellt, die im Rahmen des historischen Verstehens als unsinnig erscheinen muß. Die Ausschaltung neuzeitlicher Fragestellungen hätte nämlich zur Bedingung, daß der Ausleger beim Verstehen eines historischen Phänomens wie die Paulusbriefe sein Wissen über die Zukunft desselben ausschalten könnte. Genau dies aber vermag er nicht. Also bleibt ihm nichts anderes übrig, als daß er das betreffende Phänomen mit seinen Augen, dh unter Einbezug seines Wissens über die Zukunft desselben, betrachtet. In einer solchen Betrachtungsweise ist es legitim, wenn der Ausleger die (neuzeitliche) Unterscheidung von historischem Jesus und kerygmatischem Christus ein die paulinischen Texte heranträgt, sofern 15 Weder, Kreuz

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Stellenwert des Kreuzestodes Jesu

er sich der angesprochenen Struktur des historischen Verstehens bewußt ist und darauf verzichtet, seine eigenen Unterscheidungen für die des Paulus auszugeben. Will der Ausleger dann aber nicht auf dem einen Auge blind sein, so kann er nicht kurzerhand das Kreuz als theologische Chiffre bezeichnen, ohne zugleich die Frage nach dem Kreuz als einem geschichtlichen Ereignis zu stellen. So sehr also die Feststellung, daß Paulus nicht mit dem Problem des historischen Jesus bzw mit dem Problem des Geschichtsbezugs des Glaubens konfrontiert war, zutrifft, so sehr ist die Konsequenz daraus, daß die paulinischen Texte nicht auf diese Problematik hin befragt werden dürfen, ein historisches Unding. Abgesehen davon, daß die Ausblendung der (nicht auf dem Grunde der Kausalität zu verstehenden) Wirkungsgeschichte der paulinischen Texte eine schon historisch unmögliche Forderung darstellt, muß damit gerechnet werden, daß künftige Ereignisse wahre Aussagen über ein vergangenes Ereignis zulassen, die zum Zeitpunkt seines Eintritts nicht möglich gewesen wären. Es darf nicht von vornherein ausgeschlossen werden, daß unser Wissen um die Zukunft des paulinischen Denkzusammenhangs (im vorliegenden Falle unser Wissen um das Problem des historischen Jesus) uns einen Blick auf jenen tun läßt, der uns Aspekte zu zeigen vermag, welche zur Zeit des Paulus noch nicht gesehen werden konnten und dennoch Aspekte der paulinischen Verkündigung sind. Vielleicht sind die solchermaßen gewonnenen Erkenntnisse, wonach die paulinische Kreuzestheologie einen Beitrag zum Problem des historischen Jesus darstellt, Vergangenheitskon t i n g e n z e n s o f e r n erst ein künftiges Ereignis (dh die neuzeitliche Fragestellung) es ermöglichte, daß das Problem des historischen Jesus, welches als eine Möglichkeit über dem vergangenen Ereignis (dh der paulinischen Theologie) geschwebt hatte, eine semantische Beziehung zu eben diesem Ereignis einzugehen vermochte. Die in Teil 2 durchgeführten exegetischen Untersuchungen haben jedenfalls eine ganze Reihe von Aussagen zum Problem dieser Arbeit ergeben. Sie sollen im folgenden zusammenfassend dargestellt werden. Selbstverständlich ist es unzulässig, beliebige Ereignisse der Zukunft mit beliebigen Ereignissen der Vergangenheit in Beziehung zu bringen. Der Zusammenhang zwischen zwei Ereignissen untersteht nicht der Willkür des historischen Auslegers, sondern er ergibt sich in einem gewissen Maße aus den Ereignissen selbst, sofern diese überhaupt kompatibel sein müssen. Die Begründung der Kompatibilität von 1

Zu diesem Begriff vgl oben S. 71 Anm 54.

Kreuz und Auferweckung

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neuzeitlicher Frage nach dem historischen Jesus und paulinischer Verkündigung ist schon oben in 0.2 gegeben worden, und die Resultate des exegetischen Arbeitsgangs lieferten eine mannigfache Bestätigung jener Begründung.

3.1 Kreuz und Auferweckung Jesu Die Frage nach dem historischen Jesus in seiner Bedeutung für den christlichen Glauben an Gott wurde in dieser Arbeit als Frage nach dem theologischen Stellenwert des geschichtlichen Ereignisses des Kreuzes in der Verkündigung des Paulus gestellt. Die so präzisierte Frage steht im Kontext des Problems, wie der historische Bezug auf die Geschichte Jesu sich vom theologischen Bezug auf dieselbe unterscheide. Im Laufe des exegetischen Arbeitsgangs hat sich herausgestellt, daß jenes Problem sich anhand der Verhältnisbestimmung von Kreuz (geschichtliches Ereignis) und Auferweckung (Identifikation Gottes mit dem Gekreuzigten) angehen läßt. 3.1.1 Das hervorstechende Merkmal der paulinischen Verhältnisbestimmung von Kreuz und Auferweckung ist die pointierte Betonung der Einheit beider. Diese Einheit ist festgelegt im paulinischen Ausdruck des Wortes vom Kreuz. Im Wort vom Kreuz kommt das Kreuz weder bloß als theologisches Symbol noch bloß als historisches Ereignis zur Sprache. Vielmehr sind Kreuz und Auferweckung in einer spannungsvollen Einheit aufeinander bezogen. Das Wort vom Kreuz ist als die Ansage Gottes im Ereignis des Kreuzes einerseits Torheit und Ärgernis, andererseits Goiieimacht und Goitesweisheit (vgl IKor l,18.23f; Gal 5,11). Die Ärgerlichkeit und Torheit ist konstituiert dadurch, daß angesichts des Kreuzes in seiner geschichtlichen Konkretheit als Sklaventod Jesu von Gott gesprochen werden muß. Das Ärgernis und die Torheit ergeben sich demnach daraus, daß das Wort Gott so auf diese Geschichte bezogen wird, daß dabei die Dimension des Geschichtlichen zwar überschritten, aber nicht übergangen wird. Eben dies geschieht, wenn die Macht Gottes als die Kehrseite der Ohnmacht des Gekreuzigten zur Sprache kommt. Umgekehrt ist festzuhalten, daß das Kreuz als die Ohnmacht Jesu überhaupt erst im Rahmen der Auferstehung als der lebensschaffenden Macht Gottes sagbar geworden ist. Dieser Zusammenhang zeichnet für den Tatbestand verantwortlich, daß Paulus das Kreuz nirgends

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Stellenwert des Kreuzestodes Jesu

ausschließlich geschichtlich, etwa als Martyrium des Propheten, verstanden hat. Die gleiche Einheit von Kreuz und Auferweckung kommt zum Ausdruck, wenn das Kreuz Jesu nicht bloß als Tod Jesu, sondern vielmehr als Tod des Gesetzes verstanden wird (Gal 3,13). Indem Gott von der Auferweckung her als der zur Sprache kommt, der den vom Gesetz Verfluchten zum Leben in seinen Augen rief, ist das Kreuz nicht länger das Zeichen für den Sieg des Gesetzes. Das Gesetz hat sich im Tode Jesu so „ausgewirkt", daß es dabei zu Ende gekommen und überwunden worden ist. Daraus erklärt sich die soteriologische Dimension jenes Geschehens: Christus ist nicht bloß — wie ihn das Gesetz definiert — ein Verfluchter, sondern — kraft seiner Auferweckung — der Fluch selbst, in welchen gleichsam alle vom Gesetz Verfluchten aufgenommen sind. Er ist nicht bloß ein Sünder, sondern die Sünde selbst, in welche gleichsam alle Feinde Gottes aufgenommen sind (vgl 2Kor 5,21). Die pro-nobis-Struktur des Kreuzes verdankt sich demnach der theologischen Dimension, welche dem Kreuz im Horizont der Auferweckung zukommt. So sehr das Wort vom Kreuz die Einheit von Kreuz und Auferweckung zum Zuge bringt, so wenig ist indessen sein Bezug zum konkreten Ereignis der Kreuzigung Jesu aufhebbar. Die Kreuzestheologie des Paulus ist in ihrem Zentrum ein Widerstand gegen die kerygmatische Vereinnahmung von geschichtlichen Ereignissen. Denn die geschichtliche Gestalt der Vernichtung der Weisheit, welche mit der Identifikation Gottes mit diesem bestimmten Gekreuzigten gegeben ist, ist unersetzbar, weil eben diese Vernichtung der Weisheit der Welt die konkrete Gestalt der weiseren Weisheit Gottes ist (vgl IKor 1,18—25). Die weisere Weisheit Gottes läßt sich von jenem konkreten Vernichtungsvorgang niemals abstrahieren. Die geschichtliche Gestalt jener Auswirkung des Gesetzes, welche mit dem auferweckenden Ruf Gottes an den vom Gesetz Verfluchten gegeben ist, ist unersetzbar, weil diese konkrete Auswirkung die weltliche Gestalt des Evangeliums als eines Rufs an uns in die Freiheit ist (vgl Gal 3,13). Das Evangelium ist die Botschaft von jenem Auswirken des Gesetzes; jenes ist von diesem nicht abstrahierbar. Das Wort vom Kreuz ist nicht mehr, was es ist, wenn es seines Geschichtsbezuges beraubt wird, und zwar seines Geschichtsbezuges im inhaltlichen und nicht bloß im formalen Sinne. Die Liebe Gottes kann nicht abstrakt, zeitlos, metaphysisch verstanden werden; sie ist konkret, zeitförmig, geschichtlich im Zusammenhang mit der Geschichte des Kreuzes Jesu verständlich.

Kreuz und Auferweckung

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3.1.2 Stellt man sich die Frage, wie es zu diesem Glauben an den auf dem Angesicht des Gekreuzigten aufleuchtenden G o t t gekommen ist (vgl 2 K o r 4,6), so ist man an jene „Kurzgeschichte" verwiesen, die das Kerygma erzählt (vgl I K o r 15,3—5). Erklärt werden kann dieser Glaube nur in erzählender Weise: durch die Geschichte von Tod und Begräbnis J e s u , von seiner Erscheinung vor den irritierten Jüngern (und einer großen Menge von Brüdern, V. 6) und insofern dann auch von seiner Auferweckung durch Gott. Aus dieser Kurzgeschichte geht hervor, daß das Kreuz seine wahre Bedeutung erst im Zusammenhang mit dieser seiner Zukunft vollzieht. Und diese Zukunft hat gezwungen, über die geschichtliche Wirklichkeit des Kreuzes hinauszugehen. Daß dabei jene Wirklichkeit dennoch nicht übersprungen oder aufgehoben worden ist, ist mE ein Sachverhalt von kaum zu überschätzender Bedeutung. Im Blick auf Paulus spricht vieles dafür, daß der Ursprung seiner Kreuzestheologie und mithin des Zentrums seines theologischen Denkens sich der ihm widerfahrenen Offenbarung des Gekreuzigten als des Sohnes Gottes verdankt (vgl Gal l , 1 5 f ) . Die Offenbarung des Gottessohnes bedeutete nicht die Entgeschichtlichung des Gekreuzigten, sondern „bezeichnet(e) das Eingehen Gottes in die Geschichte im J u d e n J e s u s " 2 . Die Geschichte J e s u , zusammengefaßt und konzentriert in seinem Kreuzestod, erhält im K o n t e x t der Offenbarung des Gottessohnes gerade als Geschichte eine fundamentale Bedeutung. Dies zeigt sich darin, daß die Gestalt J e s u prägend in die Sohnesaussage eingeht bzw daß die Gestalt des Gekreuzigten die paulinische Rede vom Auferweckten entscheidend prägt. Nimmt man diesen Ursprung des paulinischen Denkens ernst, so wird sowohl seine Rechtfertigungslehre als auch seine strikte Konzentration auf die Christologie begreiflich. Im Rahmen eines so gesehenen Ursprungs der paulinischen Theologie erübrigt sich deren religionsgeschichtliche Ableitung von selbst. 3.1.3 Die mit dem Wort vom Kreuz gegebene Einheit von Kreuz und Auferweckung, welche sich dem Ereignis der Vereinigung GotD a z u L e r o y , ThQ 1 5 4 , 2 3 9 vgl 2 4 9 . Dies ergibt eine anders a k z e n t u i e r t e E i n s c h ä t z u n g d e s V e r h ä l t n i s s e s v o n P a u l u s zu d e n E v a n g e l i e n : „ P a u l u s hat t h e o l o g i s c h d e n B o d e n b e r e i t e t , a u f d e m die E v a n g e l i e n erst m ö g l i c h s i n d " ( e b d ) . A u c h w e n n der s o z u g e s p i t z t e S a t z die h i s t o r i s c h e n V e r h ä l t n i s s e k a u m genau t r i f f t , ist g r u n d s ä t z l i c h an dieser A u s s a g e f e s t z u h a l t e n . Die b e i P a u l u s u n d in a n d e r n urchristlichen T r a d i t i o n s b e r e i c h e n v o r l i e g e n d e Bindung des Christus-Glaubens an das irdische Sein Jesu h a t f o l g e r i c h t i g zur E n t s t e h u n g der E v a n g e l i e n g e f ü h r t . 2

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Stellenwert des Kreuzestodes Jesu

tes mit dem Gekreuzigten verdankt, läßt sich mit den Kategorien von Wirklichkeit und Wahrheit strukturell angemessen erfassen. Dabei kommt im Kreuz die Wirklichkeit der Welt mit der Wahrheit Gottes so zusammen, daß in diesem Zusammenkommen gerade die Unterscheidung zwischen Wirklichkeit der Welt und Wahrheit Gottes allererst möglich wird. Gleichzeitig sind in jenem Zusammenkommen Wirklichkeit der Welt und Wahrheit Gottes bleibend aufeinander bezogen. In Wirklichkeit ist der Gekreuzigte der an dem weltlichen ffOtetf-Prinzip gescheiterte, der durch das Gesetz ans Kreuz gebrachte Mensch, welcher sich auf die Liebe verließ, die nicht von dieser Welt ist, und eben deshalb an der Welt scheitern mußte. In Wahrheit dagegen ist der Gekreuzigte die konkrete Gestalt der Macht Gottes in unserer Welt, und deshalb ist in seinem Scheitern nicht er, sondern das 7roieü>-Prinzip selbst gescheitert; darum ist in seinem Sterben durch das Gesetz nicht er, sondern das Gesetz selbst zu Tode gekommen. In Wirklichkeit ist der Gekreuzigte der von der Welt vereinnahmte, weil von ihr beurteilte und zu leicht befundene Mensch, der sich (im Interesse der Forderer) nicht auf ihre Zeichenforderung einlassen konnte und eben deshalb aus der Welt ausgeschlossen werden mußte, indem er ans Kreuz geschlagen wurde. In Wahrheit ist dieser Vereinnahmte die konkrete Gestalt der weiseren Weisheit und stärkeren Stärke Gottes in unserer Welt (vgl IKor 1,25). Deshalb ist in seinem Tode nicht er selbst zu Ende gekommen, sondern die Zeichenforderung und Weisheitssuche der Welt sind unterlaufen und insofern selbst zu Ende gebracht worden. Darum ist seine Schwachheit in Wahrheit Gottes Macht und seine Torheit Gottes Weisheit. In Wirklichkeit ist der Gekreuzigte das Zeichen der Ohnmacht, ein Un-Zeichen für die Welt, in Wahrheit dagegen ist dieses Un-Zeichen das Zeichen Gottes in unserer Welt, ist die Ohnmacht des Kreuzes die konkrete Gestalt der Macht Gottes. Darum ist die Macht der Mächtigen und die Herrschaft der Herrschenden unterlaufen. In dieser Weise unterscheidet sich Gott von der Welt gerade im Augenblick seiner höchsten Weltlichkeit. Also: Das Wort vom Kreuz hat eine metaphorische Struktur, sofern es die Wirklichkeit des Kreuzes mit der Wahrheit des lebensschaffenden Gottes so in Zusammenhang bringt, daß beide bleibend aufeinander bezogen sind, ohne in dieser Bezogenheit ineinander aufzugehen. Mit der geschichtlichen Rede vom Kreuz hat die theologische gemeinsam, daß sie über die faktische Wirklichkeit des Kreuzes hinausgeht. Schon die geschichtliche Rede vom Kreuz interpretiert die-

Kreuz und Auferweckung

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ses ja im Lichte künftiger Ereignisse und also in einer Weise, die dem Beobachter nicht zugänglich gewesen wäre. Von der geschichtlichen Rede ist die theologische indessen insofern unterschieden, als sie in ihrem Hinausgehen über die Faktizität des Kreuzes nicht im Bereich der Wirklichkeit und also im Bereich des eigentlichen Sprachgebrauchs verbleibt, wie dies die geschichtliche Erzählung aufgrund ihrer methodologischen Disposition tun muß, sondern daß sie vom Bereich des Wirklichen zum Bereich des Wahren fortschreitet und also von der Sprache metaphorischen Gebrauch macht. Und gerade in dieser Unterscheidung wird noch eihmal deutlich, wie viel die theologische Rede vom Kreuz der geschichtlichen Wirklichkeit des Kreuzes verdankt: so sehr der metaphorische Sprachgebrauch den eigentlichen transzendiert, so sehr kann metaphorische Sprache nur auf dem Grunde eigentlicher Sprache das sagen, was sie zu sagen hat. 3.1.4 Die paulinische Rede vom auferweckten Gekreuzigten läßt sich anhand von 2Kor 5,16 zusammenfassend darstellen. Zunächst ist festzustellen, daß diese Stelle zu Unrecht für ein angebliches Desinteresse des Paulus am historischen Jesus in Anschlag gebracht wird. 3 Zur Debatte steht hier vielmehr die angemessene Erkenntnisweise im Blick auf den historischen Jesus. Festzuhalten ist ferner, daß diese Aussage im Kontext von Jesu Tod und Auferweckung steht (vgl V.14b.l5!). Die neue Erkenntnisweise, welche Paulus hier postuliert, trägt eben jenen christologischen Grundgegebenheiten Rechnung und entspringt gleichzeitig aus ihnen. Die Erkenntnisweise „nach dem Fleisch" ist jenes Erkennen, das die Person Jesu im Rahmen des weltlichen Wirklichkeitszusammenhangs (und das heißt dann für unsere Gegenwart: rein historisch) verstehen will. Es ist die Erkenntnisweise der Welt, die in der Weisheitssuche und Zeichenforderung ihre eigentliche Gestalt hat. Diese Erkenntnisweise beschäftigt sich mit Jesus unter Absehung von seiner Aufer3

Die Stelle wurde insbesondere im Anschluß an Bultmann (vgl Theologie 293f, vgl 238f) immer wieder als Beleg für die Unerheblichkeit des irdischen Jesus im Rahmen der Theologie des Paulus verwertet (zB Schulz, Jesus 14; vorsichtiger Bornkamm, Paulus 176; zur forschungsgeschichtlichen Situation vgl Blank, Paulus und Jesus 304f mit Literaturangaben). Zum Gesamturteil siehe Stuhlmacher, ZThK 74, 454. Demgegenüber ist festzuhalten, daß es Paulus hier um die sachgemäße Erkenntnisweise geht, aber immerhin auf die Erkenntnisweise im Blick auf Christus, der den irdischen Jesus nicht bloß im Sinne eines punctum mathematicum zur Voraussetzung hat (mit Stuhlmacher, ebd; Blank, Paulus und Jesus 3 2 0 . 3 2 3 - 3 2 5 ) . Zum Problem vgl auch Schräge, Einzelgebote 238f mit Anm 229.

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Stellenwert des Kreuzestodes Jesu

weckung durch Gott. Sie ist „von nun an", dh nach der Auferweckung des Gekreuzigten bzw nach der Offenbarung des Gekreuzigten als des Sohnes Gottes, deplaziert. Sie ist „von nun an" unzeitgemäß. Zeitgemäß dagegen ist die Erkenntnisweise, die über die geschichtliche Wirklichkeit Jesu hinausgeht und ihn im Rahmen der Auferweckung als die Offenbarung der Wahrheit Gottes versteht. Im Sinne des Paulus müßte sie wohl „Erkenntnis nach dem Geist" genannt werden. Sie ist insofern qualitativ neu, als sie die Wirklichkeit Jesu im Rahmen der Wahrheit Gottes versteht. Daraus ergibt sich indessen keinesfalls, daß diese Erkenntnisweise „nach dem Geist" an der Erkenntnis Jesu „im Fleisch" desinteressiert ist. Im Gegenteil: es ist der Jesus „im Fleisch", der neu erkannt wird, und zwar nicht „nach dem Fleisch", sondern „nach dem Geist". Im Rahmen dieser Erkenntnisweise kommt das Sein Jesu in seiner Ohnmacht, Schwachheit, Armut und Niedrigkeit neu zur Erkenntis: als Gefäß der Macht Gottes, als Ort der Anwesenheit Gottes inmitten der Welt (vgl Rom l,3f; 9,5; Gal 4,4; Phil 2 , 6 - 8 ; 2Kor 13,4; 8,9). Die Neuerkenntnis Christi ist aber nicht auf den Sektor der Christologie beschränkt; sie hat Folgen für den Umgang mit Welt und Mensch überhaupt (2Kor 5,16b!). In der Offenbarung des Gottessohnes (Gal l,15f), war Paulus von dem Gekreuzigten, den er zu begreifen und zu vereinnahmen versucht hatte, seinerseits ergriffen worden. Und dieses Ergriffenwerden ließ auch sein Ergreifen neu werden. 4 Deshalb kann Paulus jetzt nicht nur Jesus nicht mehr „nach dem Fleisch" verstehen, sondern überhaupt alle Menschen: von jetzt an kennen wir niemanden mehr nach dem Fleisch. Schon diese Ausweitung auf den Umgang mit Welt und Mensch hätte davor warnen müssen, V. 16b als Beleg für die Unerheblichkeit des irdischen Jesus zu vereinnahmen. Denn es dürfte schwer fallen, Paulus ein Desinteresse an dem Sein „im Fleisch" der Menschen zu unterschieben. Gerade weil er sie nicht mehr nach dem Fleisch versteht, kann er ihre weltliche Wirklichkeit um so ernster nehmen (vgl oben zu IKor 1 , 2 6 - 3 1 ) . Die Aussage in 2Kor 5,16b besagt also, daß die rein historische Erkenntis Jesu zwar abgetan ist und einer neuen Erkenntnisweise Platz machen muß, daß diese Neuerkenntnis sich aber auf keinen andern als den Gekreuzigten und also auf den Irdischen bezieht. Die Auferweckung Jesu oder die Offenbarung des Gekreuzigten als Gottessohn ließ sein irdisches Sein in einem neuen Licht erscheinen und erforderte eine neue Erkenntnisweise. Davon, daß -» Vgl Leroy, ThQ 154, 237.

Kontingenz und Freiheit

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dadurch die geschichtliche Identität Jesu aufgegeben und durch die mythologische Identität eines präexistenten göttlichen Wesens ersetzt worden wäre, kann bei Paulus keine Rede sein.

3.2 Die Kontingenz des Kreuzes und die Freiheit zur Weltlichkeit Die paulinische Theologie nimmt ihren Ausgang von der im Wort vom Kreuz festgestellten Einheit von Kreuz und Auferweckung. Die Rede von Gott bezieht sich mithin in einzigartiger Weise auf ein geschichtliches Ereignis, und sie erhält durch eben diesen Bezug ihre unverwechselbare Gestalt. 3.2.1 Es ist das besondere Kennzeichen der paulinischen Kreuzestheologie, daß in ihr zwar das Kreuz ausschließlich im Rahmen der Auferweckung thematisch wird, daß dieses aber — und das hängt mit jener Ausschließlichkeit aufs engste zusammen — dadurch seiner Kontingenz nicht beraubt wird. Vielmehr wird im Rahmen der Auferweckung das Kreuz (und damit das irdische Sein Jesu) zum schlechthin kontingenten, in keine höhere Allgemeinheit aufhebbaren Ereignis (vgl IKor 1,17). Dieses schlechthin Kontingente wird zum Grunddatum christlicher Rede von Gott. Das Ereignis des Kontingenten hat das Ereignis des Absoluten zu seiner Kehrseite. Darum tritt es ins Gegenüber zu allen Ereignissen der Geschichte, den vergangenen wie den künftigen. Es wirft sein Licht auf die vergangenen Versuche, sich der Welt, des Kreuzes, ja sogar Gottes selbst zu bemächtigen. Es wirft sein Licht auf die künftige Verfolgung und das Leiden, welche in seinem Namen ausgehalten werden müssen. Es wirft sein Licht auf die gegenwärtigen Anstrengungen zur Wahrung des Gesichts und die gegenwärtige Lebensführung nach dem Fleisch, welche in seinem Licht als unzeitgemäß und überholt offenbar werden. Indem dieses kontingente Ereignis des Kreuzes ins Gegenüber zu allen Ereignissen der Welt tritt, stellt es diese in ein neues Licht: das ist die Neuschöpfung der Welt, soweit sie sich in dieser Welt manifestiert. Mit der Exklusivität, in welcher die Rede von Gott an das Kreuz gebunden ist, ist zugleich ihre Universalität gegeben. Wenn Gott exklusiv im Kreuz Jesu zur Welt gekommen ist und da aller Welt prinzipiell zugänglich ist, dann ist die Gottesmächtigkeit geschichtlicher Abläufe an ihr Ende gekommen, und die mit geschichtlicher

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Stellenwert des Kreuzestodes Jesu

Herkunft begründeten Heilsansprüche sind als unberechtigt aufgewiesen (vgl Gal 3,14). Die Geschichte ist in die Kontingenz entlassen. Gerade indem die Geschichte Jesu als Ort des Handelns Gottes erkannt wird, wird allen Siegern der Geschichte der Heiligenschein entzogen. Die Geschichte wird weltlich, weil Gott in sie eingegangen ist. Deshalb ist der Glaube keine bloße Hinnahme des Kontingenten, sondern die Freiheit zur Weltlichkeit. Im Lichte des schlechthin kontingenten Ereignisses der Ankunft Gottes im Kreuz Jesu werden die Erfahrungen des Menschen in der ihnen wahrhaft zukommenden Würde einsichtig. Die geschichtliche Herkunft der Mitglieder bzw die soziologische Struktur einer Gemeinde wird zum Interpretament des Wortes vom Kreuz, sofern diese Herkunft als die durch Gottes Ruf überholte Vergangenheit des Menschen erkenntlich wird (vgl IKor 1,26—31). Im Lichte des Kreuzes wird die weltliche Erfahrung von Niedrigkeit und Torheit zur Erfahrung des Gottes, der das Nichtseiende ins Sein ruft. Der Welterfahrung kommt die Gotteserfahrung als ihre Kehrseite zu. In diesem Lichte wird auch die weltliche Existenz des Apostels in Schwachheit und Ohnmacht zum Gefäß für die Macht Gottes in dieser Welt (vgl IKor 2 , 1 - 5 ; 2Kor 13,4; 12,9). Wenn das wahr ist, dann ist die Selbstinszenierung mithilfe von Krafttaten und Zeichen unsinnig geworden. Was als von Gott Überholtes zum Interpretament des Evangeliums geworden ist, braucht der Mensch nicht kraft eigener Macht zu übersteigen. Der Verzicht auf solches versteht sich fortan von selbst. Die Kontingenz des Kreuzes zieht das Bleiben in der konkreten Wirklichkeit der Welterfahrung und den Verzicht auf den eigenmächtigen Ubersprung über die Kontingenz weltlicher Existenz nach sich. Die Verwechslung von Mensch und Gott, von Welt und Gott, welche sich in eigenmächtiger Vollkommenheit und ethischem Rigorismus sowohl asketischer wie auch libertinistischer Prägung auswirkt, wird als Feindschaft gegen das Kreuz offenbar (vgl Phil 3,18). Das selbsttätige Aufschwingen zu Gott ist in Wahrheit das „Sinnen nach dem Irdischen", welches gerade nicht an sein Ziel, an das Irdische, herankommt. Die in der Feindschaft gegen das Kreuz unternommene Aufhebung weltlicher Kontingenz erscheint nun als Selbstentfremdung, in welcher der Mensch ein Ende in Verderben nimmt. 3.2.2 Indem Paulus anhand des kontingenten Ereignisses des Kreuzes von Gott spricht, gelingt es ihm, das Uberraschende der Offenbarung Gottes zur Sprache zu bringen (vgl IKor 1,21). Sofern die Ankunft

Kontingenz und Freiheit

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Gottes im Ereignis des Kreuzes zum Ausgangspunkt paulinischer Theologie wird, wird das Wort „ G o t t " dem Bereich weltlicher Notwendigkeiten entzogen, ohne indessen der Beliebigkeit des Fabulierens preisgegeben zu werden. Auf diese Weise wird die qualitative Neuheit der Ankunft Gottes aussagbar, eine Neuheit, welche die quantitativen Neuigkeiten der Welt überraschend hinter sich läßt, indem sie das quantitative Denken selbst als unangemessen erweist. Das mit der Kategorie der Überraschung gegebene Problem besteht darin, daß durch ihre Anwendung Gott insofern in ein schiefes Licht geraten könnte, als er in seiner Offenbarung gleichsam sich selbst überrascht hätte. Dieses Problem vermeidet Paulus, indem er auf die Vorstellung von der verborgenen Weisheit zurückgreift. So findet Paulus eine Sprache, in der die Überraschung als das Wesen Gottes aussprechbar ist (vgl I K o r 2,7f). In seinem überraschenden Handeln im Kreuz J e s u entzieht sich Gott der Zeichenforderung und der Weisheitssuche der Welt, indem er diesen Denkweisen mit dem Unzeichen und der Torheit des Kreuzes begegnet und sie so unterläuft. Daraus ergibt sich, daß der Mensch, der in seiner Zeichenforderung und Weisheitssuche im höchsten Maße dem Zwang unterliegt, selbst Zeichen zu geben und Weisheit zu erringen, im Blick auf Gott aus eben diesem Zwang entlassen ist. Diese Entlassung hat denn auch Folgen hinsichtlich des Verhältnisses des Menschen zur Welt: wer gelernt hat, Gott als Überraschung gelten zu lassen, wird auch bereit sein, die Welt und ihre Ereignisse in ihrem Uberraschungscharakter gelten zu lassen. Er wird weniger dazu bereit sein, das Einzelne in die Allgemeinheit aufzuheben und sich so seiner zu bemächtigen. Zeichenforderung und Weisheitssuche sind im Grunde Bollwerke, die den Menschen vor Überraschungen schützen sollen. Sind diese Denkweisen unterlaufen, wird er die Würde der Kontingenz der Welt neu respektieren wollen. Der Respekt vor der Würde des Einzelnen ist die konkrete Gestalt der Liebe zur Welt. Zu dieser Liebe ist befreit, wer aus dem Zwang der Zeichenforderung und Weisheitssuche entlassen ist. Die so bestimmte geschichtliche Rede von Gott bringt demnach eine Steigerung des Weltbezugs mit sich: dieser Weltbezug ergibt sich einzig aus der überraschenden Ankunft Gottes, er ergibt sich weder aus der Notwendigkeit der Welt noch aus der menschlichen Einbildungskraft. Geschichtliche Rede von Gott steigert die Gotteserkenntnis und bereichert gleichzeitig die Selbst- und Welterkenntnis des Menschen. Daß Gott aus dem Bereich weltlicher Notwendigkeiten entnommen ist, zeigt sich schließlich in der eigentümlichen Struktur des paulini-

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Stellenwert des Kreuzestodes Jesu

sehen Schriftbeweises. Die Verheißung der Schrift wird durch ihre Erfüllung selbst noch einmal neu erschlossen (vgl IKor 1,19; Gal 3,1—14). Mit der Erfüllung wird auch die Verheißung neu. Deshalb wird das Alte Testament nicht selten gegen oder anders als seine ursprüngliche und eigentliche Intention und vor allem als die Auslegungstradition verwendet. Dies heißt freilich keineswegs, daß die Verheißung des Alten Testaments etwa beliebig wäre. Zwar wird die ursprüngliche Intention durch das neue christologische Verständnis überholt, aber sie bleibt gerade als überholte unersetzlich. Zwar wird die Verheißung im Licht der Erfüllung neu, diese ist jedoch als Erfüllung bleibend auf die ursprüngliche Intention der Verheißung bezogen. Diese paulinische Dialektik von Verheißung und Erfüllung stellt eine weitgehende Analogie zur Dialektik von irdischem Jesus und auferwecktem Christus dar und wäre wohl ein lohnender Ausgangspunkt für den Entwurf einer biblischen Theologie, welche weder die Aussagen des Neuen Testaments einfach traditionsgeschichtlich auf jene des Alten zurückführen noch eine prinzipielle Diskontinuität zwischen beiden Testamenten behaupten will. Auf diesem Wege können beide Positionen, die, welche das Neue Testament gleichsam aus dem Alten Testament zu entwickeln versucht, und die, welche das Alte Testament zum bloßen „Interpretament" des Neuen macht, gleichermaßen überwunden werden.

3.3 Die Identität des Christus und die Identifikation des Christen Die Frage, wer der jetzt lebende Christus ist, ist für Paulus unauflöslich mit der Frage, wer der am Kreuz gestorbene Jesus war, verbunden. Die Unverwechselbarkeit der geschichtlichen Identität des Christus ist die Bedingung der Möglichkeit der Unverwechselbarkeit des christlichen Glaubens. Als solche ist sie zugleich die Bedingung der Möglichkeit der unverwechselbaren Identifikation des Christen. 3.3.1 Die Identität des jetzt lebenden, weil von Gott auferweckten Christus ist eine geschichtliche, keine mythologische. Deshalb besteht Paulus so sehr darauf, daß das Ereignis des Kreuzes weder im Glauben noch im Handeln in die Allgemeinheit einer höheren Weisheit aufgehoben werden kann. Das Kreuz Christi als die Weisheit Gottes darf nicht im Rahmen der (mythologischen) Vorstellungen über die Sophia, sondern diese muß im Rahmen des Kreuzes verstanden werden (vgl IKor 1,17). Die.Identität des Christus

Identität und Identifikation

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ist entscheidend geprägt durch das geschichtliche Sein Jesu in Armut und Schwäche. Die mythologische Bestimmung der Identität Christi ist eine Verletzung der göttlichen Majestät, weil sie diese unter Absehung von seiner konkreten Niedrigkeit zu denken versucht. Bestimmend für die Identität des Christus ist, daß Jesus durch das Gesetz ans Kreuz gekommen ist. Daß Jesus am Kreuz identifizierbar ist als ein vom Gesetz Verfluchter, läßt allererst verstehen, wer der auferweckte Christus ist: dieser vom Gesetz verfluchte Mensch lebt nun in den Augen Gottes (vgl Gal 2,19f; Rom 6,6; Gal 3,13). Erst von da her ist überhaupt aussprechbar, daß am Kreuz nicht Jesus, sondern das Gesetz zu Ende gekommen ist. Der geschichtlich identifizierte Christus ist sozusagen der lebendige Tod des Gesetzes in dieser Welt. Das Gekreuzigtwordensein Jesu und mithin das Ereignis seiner Ohnmacht und Schwäche erlaubt allererst eine inhaltliche Bestimmung jenes Ärgernisses und jener Torheit, welche im Wort vom Kreuz in aller Welt veröffentlicht wird. Daß Gott als der Gekreuzigte in die Geschichte der Gattung homo sapiens eingegangen ist, gehört zum Konstitutivum des Wortes vom Kreuz und also zum Zentrum der christlichen Rede von der weiseren Weisheit und stärkeren Stärke Gottes (vgl IKor 1 , 2 2 - 2 5 ) . Die Herstellung der mythologischen Identität Christi, welche sich in der Entleerung des Kreuzes manifestiert, ist verbunden mit einer Reduktion der geschichtlichen Identität Jesu auf sein allgemeinmenschliches Dasein (vgl Phil 2,6—8, ohne 8c). Demgegenüber bedeutet der Hinweis auf das Kreuz (V. 8c) die Aufhebung jener mythologischen Identität, indem er die geschichtliche Identität des Kyrios zum Zuge bringt. Der Hinweis auf das Kreuz geschieht gewiß auch im Interesse daran, daß Jesus unser Bruder ist, aber nicht bloß in dem allgemeinen Sinne, daß er auch ein Mensch war wie wir, sondern in dem Interesse, daß Jesus in unverwechselbarer Weise unser Bruder ist. Dann ist aber seine Niedrigkeit nicht mehr nur die relative Harmlosigkeit seines allgemeinmenschlichen Daseins, sondern sie kommt in der konkreten Gestalt seines Sklavendaseins zur Sprache. Daß Gott Mensch geworden ist, ist im Grunde eine Harmlosigkeit, die sich philosophisch bewältigen oder für die Wende von der Theologie zur Anthropologie ausbeuten läßt. Daß Gott aber in dieser Gestalt des Sklavendaseins des gekreuzigten Jesus Mensch geworden ist, ist ein Ärgernis und eine Torheit, die sich aller philosophischen Vereinnahmung und religionskritischen Ausbeutung entziehen und so diese Denkweise ihrerseits unterlaufen.

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Stellenwert des Kreuzestodes Jesu

3.3.2 Aufgrund der geschichtlichen Identität Christi ist das Dasein der Christen in mannigfacher Hinsicht überhaupt identifizierbar. Der Gekreuzigte identifiziert die Korinther als Gegenstand seiner Liebe und kommt insofern ihren Selbstidentifikationsversuchen zuvor (vgl IKor 1,13). Daraus ergibt sich die Grundlosigkeit und Unzeitgemäßheit ihres Streites, welcher auf ihrer Selbstidentifikation über Verkündiger und Verkündigungsweisen beruhte. Die zuvorkommende Identifikation der korinthischen Christen geschah konkret in der Gestalt des Rufes, in welchem Gott sie aus dem herausrief, was sie weltlich waren, um ihnen ihr neues Sein als Gerufene, als Gerechtfertigte zuzusprechen (vgl IKor 1,26—31). Der Zuspruch des neuen Seins kommt ihren Selbsterlösungsversuchen zuvor, welche darin bestanden haben mögen, praktisch — mittels pneumatischer Praxis — über das hinauszukommen, was sie weltlich waren. Im Licht des Rufes Gottes wurde ihre Vergangenheit zum Interpretament des Wortes vom Kreuz und deshalb wurde es möglich, der Vergangenheit zuzustimmen. Der Zuspruch neuer Identität implizierte zugleich das J a zur alten, aufgrund ihrer Vergangenheit zustandegekommenen Identität, weil sie jetzt gerechtfertigt war. Die im konkreten Ereignis des Kreuzes geschehene Rechtfertigung hat die Kreuzförmigkeit der apostolischen Existenz zur Folge (vgl zß IKor 2 , 1 - 5 ; Gal 5,11; 2Kor 13,4). Weil der Apostel durch die Geschichte des Kreuzes Jesu eine neue Identität, sein Sein als Mitgekreuzigter mit Christus, bekommt (vgl Gal 2,19f), kann er seine apostolische Existenz nicht mehr nach dem Fleisch vollziehen. Und weil er diese neue Identität als das jedem Glaubenden geschenkweise Zukommende verkündigt, ist er nicht mehr in der Lage, den Menschen auf sein Sein nach dem Fleische anzusprechen. Dies bringt ihm Verfolgung und Leiden ein. Weil der Apostel von der Ankunft Gottes im Gekreuzigten, in seiner Ohnmacht und Schwäche, ausgeht, kann er nicht durch eigene Vollmacht und Weisheit die Manifestation Gottes in der Welt darstellen wollen. Das bringt ihm den Vorwurf der Schwachheit ein und läßt Zweifel an der Legitimität seiner Verkündigung aufkommen. Verfolgung und Schwachheit aber sind die Begleiterscheinungen und die Folgen der paulinischen Äreuzestheologie. Sie sind aber auch — kraft der geschichtlichen Identität des Christus — identifizierbar als „in Christus". Und eben deshalb haben sie eine unverwechselbare Identität. Die weltliche, konkrete Existenz des Apostels in Schwachheit wird im Lichte der weltlichen, konkreten Existenz des Gottes-

Identität und Identifikation

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sohnes erkennbar als Gefäß der Macht Gottes. Das Wie der geschichtlichen Existenz Jesu verweist den Apostel an das Wie seiner eigenen Existenz. Das Kreuz wird zur Signatur seines Lebens. Das Ich, das sich in der Zeichenforderung und Weisheitssuche über die Identifikation dessen, woran es seine Forderungen stellt und wo es seine Suche vollzieht, selbst identifizieren will, ist durch das Unzeichen des Kreuzes entsichert und hat Gelegenheit, mit seinen Denkweisen zu Ende zu kommen. In diesem Sinne unterbricht die Ankunft Gottes im Kreuz den Konnex zwischen dem Ich und der Welt, sofern einerseits die Welt nicht mehr als Selbstdarstellungsmaterial des Ich infrage kommt und andererseits der Zwang des Ich zur Selbstdarstellung mithilfe der Welt durch den Zuspruch der neuen Identität aufgehoben wird (vgl Gal 6,14). Diese Unterbrechung zwischen dem Ich und der Welt geschieht zugunsten beider: die Welt bekommt ihre Würde zurück, weil das Ich eine neue Identität hat; dem Ich wird die Freiheit geschenkt, weil es nicht mehr unter dem Zwang steht, über das hinauszukommen, was es weltlich ist. Die Heiligkeit Gottes im Kreuz unterbietet die weltlichen Selbstheiligungsversuche durch eine noch größere Weltlichkeit Gottes. Im Licht des Kreuzes wird das Eintreten für die Nicht-Weltlichkeit Gottes, die Aufhebung der Weltlichkeit Gottes in der mythologischen Rede als das offenbar, was es in Wahrheit ist: ein „Sinnen nach dem Irdischen" (vgl Phil 3,19f; 2 , 6 - 1 1 ) . Seit der Ankunft Gottes im Kreuz Jesu besteht in der Welt eine Alternative, die ihr als Alternative (und nicht bloß als die eine Seite derselben) zugekommen ist: entweder durch Praxis in Vollmacht hergestellte oder aber durch die Geschichte des Gekreuzigten präsentierte, und zwar in der Freiheit der Liebe Gottes präsentierte, Identität. Die Identitätspräsentation durch die Geschichte des Kreuzes ist die konkrete Gestalt jener Befreiung von den Werken des Gesetzes. Die Freiheit von den Werken des Gesetzes ist die konkrete Gestalt der Einstimmung des Glaubenden in die ihm geschenkweise und ohne sein Zutun zugekommene Identität. Sie entläßt den Menschen aus seiner Subjektspose, welche er mit der Zeichenforderung und Weisheitssuche einerseits sich selbst schafft und welcher er sich andererseits darin auch unterwirft. Die neue Identität des Ich ist sein Leben in den Augen Gottes. Sie ist vermittelt durch die Geschichte von der Auferweckung des Gekreuzigten, welche den Tod des Gesetzes zur Folge hatte und deshalb den Menschen dem Anspruch des Gesetzes gegenüber sterben ließ. Die neue Identität vollzieht sich „im Fleisch" in der Kreuzesgestalt christlicher Existenz, dh im

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Stellenwert des Kreuzestodes Jesu

Verzicht darauf, das Gesicht zu wahren, im Verzicht darauf, sich der Menschen zu bemächtigen und die Welt zu vereinnahmen (vgl Gal 6,12.14).

3.4 Der Erfahrungsbezug des Glaubens und die Erfahrungsbezogenheit christlicher Existenz Der christliche Glaube bekennt, daß in der Geschichte des Kreuzes Jesu Gott selbst zur Erfahrung gekommen ist. Diese Erfahrung ist als geschichtliche Erfahrung nicht zu verwechseln mit Beobachtung. Vielmehr ist die Nicht-Beobachtbarkeit die Bedingung der Möglichkeit der geschichtlichen Erfahrung, aus welcher der Glaube herkommt: der Glaube konnte seine Erfahrung erst machen, als er das Kreuz im Licht der Auferweckung zu verstehen begann. Erst in dieser Perspektive ist geschichtliche Erfahrung möglich; dann aber sind die geschichtlichen Ereignisse der Beobachtung bereits entzogen. Daraus ergibt sich die grundsätzliche Sprachlichkeit jener geschichtlichen Erfahrung, aus der der Glaube herkommt. Dies bedeutet freilich nicht, daß der Glaube auf jene Ereignisse nicht mehr angewiesen wäre und sie durch die Rede von ihnen ersetzen könnte. Damit verlöre die Sprache des Glaubens den Boden der Tatsachen unter ihren Füßen 5 und könnte zur bloßen Fiktion werden. Dies bedeutet indessen auf der andern Seite nicht, daß die Sprache des Glaubens an der Tatsächlichkeit der Ereignisse, auf die sie sich bezieht, allein zu verifizieren wäre. Der Glaube nimmt sich das Recht heraus, im Rahmen der Auferweckung über die weltliche Tatsächlichkeit des Kreuzes hinauszugehen. In dieser Hinsicht hat die Sprache des Glaubens einen unaufhebbaren fiktionalen Zug. 3.4.1 Die geschichtliche Erfahrung des Glaubens ist ihrem Wesen nach ein Extra-nos. Sofern die Sprache des Glaubens auf das konkrete Ereignis des Kreuzes bezogen bleibt und dieses nicht vereinnahmt, braucht sie sich um die Verdächtigungen, sie sei ein Fabrikat des Wunschdenkens, nicht zu kümmern. In ihrem ständigen Rückbezug auf das Kreuz und also auf das historische Sein Jesu schützt die Sprache des Glaubens zuerst und vor allem sich selbst davor, Erfindung und Vereinnahmung zu sein. s

Vgl dazu Ebeling, Sprachlehre 1 1 6 - 1 1 8 .

Erfahrungsbezug und Erfahrungsbezogenheit

241

Das Kreuz Christi ist das Unzeichen und die Torheit, in welchen die Denkweisen der Welt von Gott selbst unterlaufen worden sind. Eben diese Denkweisen aber sind das Bollwerk des Menschen gegen seine Erfahrung, gegen die Kontingenz dessen, was ihm widerfährt, indem sie ihm die trügerische Möglichkeit zuspielen, seine Erfahrungen in höhere Zusammenhänge aufzuheben (vgl oben zu IKor 1,17). Diese Denkweisen sind im Kreuz Christi in ihrem eigenen Reich aufgesucht worden und haben so Gelegenheit erhalten, in die Kehre zu kommen. Der Gekreuzigte liegt in der Reichweite des Gesetzes, deshalb kann dieses sich auswirken an ihm und dann zu Ende kommen (vgl Gal 3,13). Daß Gott den Menschen in dem Reich seiner eigenen Denkweisen aufgesucht hat und daß er sie dort überwunden hat, ist der eigentliche Sinn des Geschichtsbezugs des Glaubens. Daß Gott sich selbst den Denkweisen der Welt ausgesetzt hat, ist seih Ja zu seinen Feinden und insofern seine Tat der Liebe zu ihnen. Das geschichtliche Sein Jesu ist darum gleichsam eine Sackgasse für die Denkweisen der Welt, in welcher sie sich auslaufen können, um in die Kehre zu kommen.

3.4.2 Die Herkunft des Glaubens aus der geschichtlichen Erfahrung des Kreuzes Christi ergibt von selbst die Erfahrungsbezogenheit christlicher Existenz. Im Lichte jener Erfahrung sind die ffe/ierfahrungen des Christen als Gotteserfahrungen ansprechbar (vgl IKor 1,26—31; 2,1—5). Damit ist die Scheidung von Welt- und Gotteserfahrung, die einem oft so selbstverständlich erscheint, in ihrer Selbstverständlichkeit erschüttert. Die Erfahrung der Verlorenheit wird zur Erfahrung der Liebe Gottes, welche das Verlorene sucht. Die Erfahrung der Sinnlosigkeit wird zur Erfahrung der Liebe Gottes, welche dem Sinnlosen Sinn gibt. Die Erfahrung der Ohnmacht und Schwäche wird zur Erfahrung der Liebe Gottes, welcher den Ohnmächtigen und Schwachen zum Gefäß seiner Auferstehungsmacht in der Welt erwählt hat (vgl 2Kor 13,4). Dieser Zusammenhang hält dazu an, sich neu dem zuzuwenden, was einem täglich widerfährt. Die geschichtliche Erfahrung des Glaubens bringt es mit sich, daß ich die Erfahrung selbst neu erfahre. Demgegenüber führt der Verlust des Erfahrungsbezug-es des Glaubens zum Verlust der Eriahmngsbezogenheit christlicher Existenz: zur „Weisheit dieser Welt", zu einer Sprache, welche die kontingente Erfahrung hinter sich läßt, indem sie sich ihrer bemächtigt und sie ins Allgemeine aufhebt. Und sogar meine eigene Geschichte kommt mir nicht zur Erfahrung, weil ich andauernd damit beschäftigt bin, 16 Weder, Kreuz

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Stellenwert des Kreuzestodes Jesu

über das hinauszukommen, was ich aufgrund meiner Geschichte bin. Der Geschichtsverlust des Glaubens führt also zum Weltverlust der christlichen Existenz. 3.4.3 Die Erfahrungsbezogenheit christlicher Existenz ist — wie wir eben sahen — gegeben durch die Herkunft des Glaubens aus der geschichtlichen Erfahrung des Kreuzes Christi: diese Erfahrung besteht darin, daß die Ohnmacht des Gekreuzigten die Macht Gottes zur Kehrseite hat. Der Glaube läßt die Schwachheit und Ohnmacht weltlicher Existenz als den Ort der göttlichen Dynamis erkennen. Daraus ergibt sich, daß ein praktisches und selbstmächtiges Uberspringen jener Existenz sich erübrigt. Das Sein nach dem Fleische, das exakt darin besteht, über das Fleischliche hinauszukommen, verwandelt sich in das Sein im Fleisch. Dieses so entstandene Sein im Fleisch ermöglicht einen neuen Realitätsbezug des Glaubenden, eine neue Sachlichkeit, die den Versuch, die Kontingenz des Weltlichen fortwährend zu überspringen, nicht mehr unternimmt. Sofern der Glaube an das Kreuz Christi eine Unterbrechung des Konnexes von menschlicher Identität und Praxis herstellt, ermöglicht er eine neue Beziehung zur Wirklichkeit: der Mensch erhält eine neue Beziehung zu sich selbst, zu den Menschen und zur Welt. Diese Beziehung ist angemessen als Liebesbeziehung zu begreifen. In der Liebe wird die Welt, werden die Menschen, werde ich selbst in einer neuen Weise ansichtig. Die Liebe sieht mit den Augen Gottes. Deshalb verzichtet sie darauf, die Wahrheit des Diesseits herzustellen. Sie verdankt sich ja der von Gott kommenden, jenseitigen Wahrheit. Statt die Welt mit der Herstellung der Wahrheit des Diesseits zu belasten, kümmert sich die Liebe um so entschlossener um die wahrheitsgemäße Gestaltung der Wirklichkeit der Welt. Dies bringt sie in eine qualitativ größere Nähe zur Welt, als die mit der Wahrheitsfrage belastete Gestaltung der Weltwirklichkeit dieser je kommen kann. Vieles spricht dafür, daß sich die christliche Praxis um so entschiedener auf die Wirklichkeit der Welt einläßt, auf die Veränderung ungerechter Verhältnisse und auf die Neugestaltung unmenschlicher Strukturen, je mehr sie darauf verzichten kann, die Wahrheitsfrage bei ihrer Gestaltung der Welt ins Spiel zu bringen. Das Jenseits der Wahrheit, an das der Glaube glaubt, verweist radikal an die Wirklichkeit des Diesseits, auf die der Glaube — in der Liebe sich auswirkend — bezogen ist. Mit der Herkunft des Glaubens aus der geschichtlichen Erfahrung des Kreuzes hängt ferner zusammen, daß der Glaubende durch sie

Erfahrungsbezug und Erfahrungsbezogenheit

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an das Nun verwiesen ist. Die Vergangenheit des Kreuzes bestimmt die Gegenwart des Christen als den Ort, wo die künftige Auferstehungswirklichkeit Gottes sich in der Kreuzesgestalt selbst zum Zuge bringt. Deshalb wird der Glaube zu einem Zeitverständnis geführt, das die Zeitförmigkeit menschlicher Existenz nicht als bloßes Akzidens derselben verharmlost. Gerade das Kreuz nötigt in seiner eigenen Zeitförmigkeit zur apokalyptischen Korrektur des enthusiastischen Denkens. Es unterbricht den Zusammenhang zwischen der Geschichte und ihrem Ende. Gegenwart und Vergangenheit werden ihrer Gottesmächtigkeit entkleidet, was sowohl die Position des Enthusiasmus wie auch die der (heils-)geschichtlich begründeten Selbstgewißheit unmöglich macht. Die dadurch hervorgerufene Unabhängigkeit von Welt und Geschichte konkretisiert sich als Einlaß des Menschen in Welt und Geschichte. Die Herkunft des Glaubens aus der geschichtlichen Erfahrung des Kreuzes Christi ermöglicht und erfordert die Usurpation weltlicher Sprache (vgl IKor 2,6—16). Weil Gott selbst in die Reichweite weltlicher Sprache gekommen ist, erhält diese Gelegenheit, verwandelt zu werden. Der herrschende Sprachgebrauch (zB von Vollkommenheit, Pneuma, Weisheit, usw) wird aufgebrochen, indem er vom Kreuz her eine neue Dimension erhält. Die Usurpation weltlicher Sprache ist die sprachliche Erscheinungsform der Erfahrungsbezogenheit christlicher Rede von Gott. Die Herkunft des Glaubens aus der geschichtlichen Erfahrung des Kreuzes Christi impliziert schließlich unverwechselbare Ansätze ethischen Handelns. Dies gilt nicht nur in dem formalen Sinne, wonach die Unterbrechung des Konnexes zwischen der Identität des Ich und seiner Praxis dessen Befreiung zur Weltlichkeit bedeutet. Es gilt vielmehr auch in dem inhaltlichen Sinne, wonach die Kreuzesgestalt des Daseins Jesu der Liebe des Menschen eine bestimmte und eindeutige Richtung weist (vgl zu Phil 2,8). Die geschichtliche Identität des Christus verweist den Christen an das Risiko des Leidens, an das Aushalten von Verfolgung, an die Praxis der Niedrigkeit, des Dienstes und der Feindesliebe. Das in den eben genannten Stichworten charakterisierte Handeln des Christen ist die konkrete Gestalt der Anerkennung der Herrschaft des Gekreuzigten in dieser Welt. Der inhaltliche Ansatz christlicher Ethik ist gegeben mit dem Skandalon des Kreuzes. Christliche Ethik ist eine am Skandalon orientierte, eine skandalöse Ethik.

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Stellenwert des Kreuzestodes Jesu

3.5 Die Indisponibilität der Geschichte und die Wahrhaftigkeit christlicher Existenz Die Indisponibilität des Kreuzes als eines geschichtlichen Ereignisses ist der Grund dafür, daß alle Christen eine gemeinsame Vergangenheit haben. Die Wahrhaftigkeit des Christen stellt sich konkret dar als der Streit um das sachgemäße Verständnis jener gemeinsamen Vergangenheit. Die Bindung der Gottesweisheit an die Indisponibilität des Kreuzes setzte überhaupt erst die Möglichkeit des angemessenen Streites um die Unterscheidung von Gottes- und Menschenweisheit in die Welt. Über Beliebigkeiten läßt sich bekanntlich nicht streiten, sie sind bestenfalls Geschmackssache. Die Auseinandersetzung über das indisponible Kreuz dagegen ist ein Streit, der zum Guten führt. Denn in diesem Streit sind die Streitenden vereinigt und so von ihren Streitereien um Prestige und persönliche Stellungnahmen abgelenkt (vgl zu IKor 1,13). Die Entscheidung zwischen wahrem und falschem Evangelium, welche sich der Bindung desselben an das Kreuz verdankt, ermöglicht dem Menschen eine Entscheidung, in welcher er nicht über Beliebiges entscheidet, und setzt ihn dadurch zur Wahrhaftigkeit frei. Die Indisponibilität des Kreuzes, auf welches sich der Glaube bezieht, bindet die Sprache des Glaubens an ihren Verweisungsbezug (vgl Gal 3,1). Die Sprache des Glaubens muß an der Geschichte des Kreuzes gemessen werden können. Damit ist einerseits die Vernunft in Gebrauch genommen, sofern es ihre Aufgabe ist, eben jene Messung zu vollziehen. Die Wahrhaftigkeit christlicher Existenz kommt in diesem Zusammenhang als grundsätzliches Interesse an der geschichtlichen Dimension des Evangeliums zum Zuge. Dies ist gleichermaßen die Bezogenheit der Wahrhaftigkeit auf die Vernunft und die Aufhebung der verzaubernden Macht des Wortes. Die prinzipielle Öffentlichkeit des Kreuzes setzt die Vernunft in Gebrauch, während die prinzipielle Intemalität persönlichen Erlebens oder persönlicher Deutung jene gerade außer Kraft setzt. Mit der Bindung an das indisponible Kreuz ist andererseits die Vernunft von ihrem Selbstbezug befreit. Sie ist befreit davon, nur das einleuchtend zu finden, was sie auf ihr Sein nach dem Fleische anspricht (vgl Gal 3,1 mit Rom 12,2; Phil 1,9). Die Wahrhaftigkeit christlicher Existenz ereignet sich demnach im sachgemäßen Gebrauch der Vernunft, in welchem die Vernunft ihre Fixierung auf

Ereignis Gottes und Möglichkeit des Glaubens

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die herrschenden Denkweisen hinter sich läßt und also von ihrer Weltbemächtigung freigesprochen wird, weil sie ihre Gottesmächtigkeit aufgeben kann. Sie wird bewahrt vor dem Griff nach den Dingen, vor der Vereinnahmung der Welt, weil sie Gott nicht mehr vereinnahmen kann. Dem Bilderverbot kann Folge geleistet werden. Die Indisponibilität des Kreuzes stellt schließlich insofern die Wahrhaftigkeit christlicher Existenz her, als es im Blick auf jene Geschichte überhaupt möglich wird, in sinnvoller Weise „Ich" zu sagen (vgl IKor 2,1). In den Aussagen über jene Geschichte erhält das „Ich" einen unaufhebbaren Stellenwert. Das geschichtlich vermittelte „es gefiel Gott" (IKor 1,21) entzieht den Sätzen mit Es-Struktur den Boden. Es verwehrt die Einordnung Gottes in das Reich allgemeiner Notwendigkeiten. Zugleich aber gibt diese geschichtliche Rede das Wort Gott nicht einfach der Beliebigkeit preis. Das „Ich" ist also gleichzeitig davon befreit, sich den Notwendigkeiten zu unterwerfen, und daraus entlassen, über Beliebigkeiten befinden zu müssen. Das „Ich" bezieht sich auf eine ihm nicht disponible Geschichte und ist eben dadurch in den Raum eingelassen, wo es wahrhaftig „Ich" sein kann. Mit der Geschichtlichkeit des Erzählten ist auch die Geschichtlichkeit des erzählenden Ich konstituiert.

3.6 Das Ereignis der Ankunft Gottes in der Geschichte des Kreuzes und die Möglichkeit des Glaubens Im Folgenden soll skizziert werden, inwiefern die durch das Eingehen Gottes in die Geschichte hervorgerufene Sprachform geschichtlicher Rede von Gott unablösbar ist vom Inhalt des Glaubens selbst. 3.6.1 Indem der Glaube sich auf die Torheit des Kreuzes bezieht, vollzieht er konkret, daß er sich nicht sich selbst verdankt. Will der Glaube also nicht sein eigener Ursprung sein, so kann er nicht unberührt sein von der Frage, wie sich seine Sicht jenes Geschehens zu den faktischen Ereignissen verhält. Die Frage nach dem Kreuz als einem geschichtlichen Ereignis und dann auch nach dem historischen Sein Jesu geschieht also zuerst und vor allem im Interesse jenes Glaubens, der ein von Gott gewirkter, nicht ein sich selbst erzeugender Glaube sein will. Indem der Glaube sich so auf die

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Stellenwert des Kreuzestodes Jesu

Tatsächlichkeit der Geschichte Jesu einläßt, kann er sich selbst als Geschöpf Gottes verstehen. Deshalb drängt sich die Frage auf, ob nicht gerade der Versuch, den Glauben von der Geschichte des Kreuzes (und insofern von der Geschichte Jesu) abzulösen, welcher nicht selten im Namen der Entsicherung des Glaubens gemacht wird, in Wahrheit eine sublime Form seiner Selbstvergewisserung darstellt. Es stellt sich mithin die Frage, ob der so entsicherte Glaube seinerseits zu jenen Denkweisen gehört, welche seit der Ankunft Gottes im Kreuz unterlaufen worden sind. 3.6.2 Der Gekreuzigte (im Sinne eines perfektischen Partizips verstanden) gehört seit dem Ereignis der Kreuzigung unwiderruflich zur Geschichte der Gattung homo sapiens. Und der Glaube, der in jenem Gekreuzigten Gottes ansichtig wird, sieht in dem Gekreuzigten das Zuvor, in welchem Gott die weltlichen Versuche, sich zu ihm aufzuschwingen, unnötig gemacht hat. Respektiert der Glaube dieses, so wird er jenes Ereignis immer wieder erzählend vergegenwärtigen. In der erzählenden Vergegenwärtigung verzichtet der Glaube darauf, sich Gottes zu bemächtigen und Gottes Zuvor sich selbst einzuverleiben. 3.6.3 Die Wahrheit, zu der sich der Glaube bekennt, ist eine prinzipiell zeitförmige. Das heißt nichts anderes, als daß sie niemals den Rang von Allgemeinheit einnehmen wird, welcher man sich nur unterwerfen kann oder aber für dumm zu gelten hat. Diese Wahrheit kommt nicht im Gewand von Notwendigkeiten, seien es solche der Vernunft oder der Praxis, sondern in der Gestalt der überraschenden Anwesenheit Gottes zur Sprache. Eben diese Sprache spricht die geschichtliche Rede von Gott. Und weil sie diese Sprache spricht, wird der Angesprochene schon im Vollzug seines Angesprochen-Werdens zu einer in Freiheit zu fällenden Entscheidung ermächtigt. Die geschichtliche Rede von Gott schafft demnach die Freiheit der Entscheidung und die Freiheit des Glaubens, indem sie die Zeitförmigkeit der Wahrheit Gottes und also Gott als Ereignis zur Sprache bringt. 3.6.4 Die Externität der Geschichte des Kreuzes ermöglicht insofern Glauben, als sie den Menschen von der Intemität seiner eigenen Weisheit ablenkt. Das Wort vom Kreuz ermöglicht die Unterscheidung zwischen menschlichem und göttlichem Geist, indem es diese Unterscheidung der Willkür des Menschen entzieht (vgl IKor 2,6—16). Im Rahmen der geschichtlichen Rede von Gott läßt sich das, was

Bemerkungen zur exegetischen Methodik

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traditionellerweise heiliger Geist heißt, konkret als Gottes Geist zum Zuge bringen. Der Glaube, der sich auf jenes Wort vom Kreuz verläßt, ist mit dem Geist Gottes begabt, sofern er die Externität des Kreuzes nicht in die Intemität seiner Verstehensweisen aufhebt.

3.7 Bemerkungen zur exegetischen Methodik Wir sind davon ausgegangen, daß das Prinzip des Vernehmens auch methodologisch konkretisiert werden soll. Es sind also die Auswirkungen dessen, was ausgelegt wird, hinsichtlich der Methodik der Auslegung zu bedenken. Es ist unmöglich, in einer Arbeit wie der vorliegenden eine Systematik exegetischer Methoden zu entwickeln. Wohl aber lassen sich einige wenige Bemerkungen dazu machen. 3.7.1 Eine Exegese, die sich mit Texten jenes Glaubens beschäftigt, der in dem oben beschriebenen Sinne einen eminenten Geschichtsbezug hat, wird nicht einfach einen beliebigen Geschichtsbegriff zur Grundlage der methodischen Arbeit machen können. Wer sich mit Texten beschäftigt, für die die Unaufhebbarkeit des Kreuzesereignisses und dann auch des irdischen Daseins Jesu kennzeichnend ist, und wer mit der von jenen Ereignissen ins Licht gestellten Einmaligkeit und Kontingenz des Geschichtlichen bekannt geworden ist, wird jedenfalls einen Geschichtsbegriff nicht übernehmen können, der nicht mehr der Würde des Einzelnen verpflichtet ist. Die Exegese wird sich prinzipiell von der historischen Methodik der erzählenden Erklärung leiten lassen, in welcher eben jene Würde respektiert wird. Bei aller Anerkennung der Notwendigkeit, nomothetische Wissenschaften wie Soziologie, Strukturalanalyse und Psychologie in den exegetischen Verstehensprozeß einzubeziehen, darf dennoch nicht vergessen werden, daß das Einzelne in seinem Ensemble nicht auf nomothetisch formulierbare Faktoren zurückgeführt werden kann. Eine Auslegungsmethodik, welche der Universalität des geschichtlichen Ereignisses der Kreuzigung Jesu zu entsprechen sucht, wird ferner keinen Geschichtsbegriff übernehmen können, in welchem der Kollektivsingular „die Geschichte" keinen Sinn mehr hat. Nimmt sie überdies die gerade im Kreuz begründete Kontingenz des Geschichtlichen ernst, so wird sie jenen Kollektivsingular als Bezeichnung für einen einmaligen, unwiederholbaren und irreversiblen Vorgang verstehen, ohne jedoch damit den Gedanken eines metaphysischen oder materialistischen, vom Menschen durchschaubaren Ent-

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Stellenwert des Kreuzestodes Jesu

wicklungsganges zu verbinden. Auf die so präzisierte Verwendung des Kollektivsingulars „die Geschichte" kann mE die exegetische Methodik nicht verzichten. 3.7.2 Ausgehend von dem Sachverhalt, daß der christliche Glaube an seinem Ursprung ein eminentes Interesse an dem geschichtlichen Verweisungsbezug seiner Sprache hat, wird die Exegese all jenen Methoden kritisch begegnen, welche die Texte selbst als Welt in sich bezeichnen, ohne ihren Verweisungsbezug, ihr Sagen von Welt, in die Auslegung einzubeziehen. Die Exegese kann nicht von einem Wahrheitsbegriff ausgehen, der die Frage nach der historischen Evidenz unberücksichtigt läßt. Die historisch-kritische Exegese ist genau jener Gebrauch der methodischen Vernunft, welcher vom Glauben selbst gefordert wird, wenn dieser auf das Extra-nos der Geschichte verweist und dazu anhält, seine Sprache eben daran zu messen. Besonders wichtig wird dies, wenn es um den angemessenen Ort von Sachkritik geht. Sachkritische Kriterien können jedenfalls nicht einfach von außerhalb, zB auf der Grundlage des herrschenden Wirklichkeitsverständnisses, an die Texte herangetragen werden. Wer sachkritische Urteile fällt, muß sich von den Texten in Anspruch nehmen lassen. Das sachkritische Kriterium, welches den neutestamentlichen Texten gegenwärtig angemessen ist, ist gegeben mit der Frage, ob in einem bestimmten Text in Wahrheit der auferweckte Gekreuzigte zur Sprache kommt. Dieses Kriterium läßt sich auch auf solche Texte anwenden, die keinen derartigen oder überhaupt keinen Verweisungsbezug haben. Für alle neutestamentlichen Texte gilt: der Ort der Sachkritik ist gegeben durch den Verweisungsbezug der Sprache des Glaubens. 3.7.3 Der sich vom historischen Bezug auf Geschichte unterscheidende theologische Bezug auf sie muß auch exegetische Folgen haben. Wenn es wahr ist, daß die Auferstehungsmacht Gottes die Kehrseite der Ohnmacht des Gekreuzigten ist und daß von da her alle Geschichte und alle Welt in ein neues Licht gestellt werden, dann kann die neutestamentliche Exegese sich jedenfalls nicht dazu hergeben, die Phänomene, die sie beschreibt, ausschließlich auf ihre weltliche Wirklichkeit festzulegen. Auch wenn das Sehen mit Gottes Augen Sache des Glaubens ist und nicht für eine säkulare Methode in Anspruch genommen werden soll, so hat dennoch die Exegese darauf zu achten, daß sie den glaubenden Zugang zu dem, was sie auslegt, nicht verstellt. Sie hat offen zu sein in Rieh-

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tung darauf hin, daß die Phänomene nicht bloß in ihrer Wirklichkeit gesehen werden müssen, sondern auch im Rahmen der ihnen von Gott zukommenden Wahrheit verstanden werden können. Ihre Weise, diese Offenheit durchzuhalten, ist, sich vor dem vereinnahmenden Zugriff zu hüten. Sie ist dazu da, dem Vernehmen Raum zu gewähren. In dieser Funktion wird in ihr das Prinzip des Vernehmens methodisch konkret, ohne daß sie damit belastet werden muß, selbst das Vernehmen zu sein. 3.7.4 In Respektierung dessen, daß Ereignisse ihre Bedeutung erst im Zusammenhang mit andern Ereignissen vollziehen, ist in der Exegese von der Fiktion Abschied zu nehmen, die Phänomene seien dann und nur dann verstanden, wenn das Wissen des Auslegers um ihre Zukunft möglichst ausgeblendet wird. Ohne Zweifel gehört die Betrachtung eines Ereignisses aus sich selbst, der Rückgang auf seine vergangene Faktizität, zum historischen Erkenntnisprozeß in der Exegese. Aber es wäre verfehlt, es dabei bewenden zu lassen. Die Zukunft, welche der Ausleger in historischer Perspektive zu erkennen vermag, gehört ebenso zur Wahrheit über jenes Ereignis wie dessen Gegenwart. Dieses Wissen des Auslegers ist aber explizit zu machen und in den Verstehensprozeß einzubeziehen, damit die Aussagen des Auslegers transparent und diskutierbar werden (ungefähr: wirkungsgeschichtliches Bewußtsein). 3.7.5 Im Wissen um die zeitliche Provinzialität von begrifflichen Beweisen und um die entscheidende Bedeutung, die das Ereignis Jesus von Nazareth als ein vergangenes Ereignis für den Glauben hat, ist die Exegese darum bemüht, begriffliche Beweisführungen so weit wie nur möglich auszuschalten oder wenigstens eindeutig ids solche zu kennzeichnen. Begriffliche Beweise berauben die Phänomene ihrer Zeitförmigkeit und sind im Grund fiktional, obwohl sie von so hoher Evidenz zu sein scheinen. Dazu kommt, daß begriffliche Beweisführungen von allgemeinen Annahmen über Wirklichkeit und Möglichkeit ausgehen, die ihrerseits geschichtlich bedingt sind. Die Exegese hat diese Geschichtlichkeit emst zu nehmen, indem sie ihre Aussagen dementsprechend relativiert. Überdies hat sie darauf zu achten, daß sie ja Texte jenes Glaubens auslegt, der die Welt nicht unter Absehung von der Wahrheit Gottes zu sehen bereit ist. Von da her wird die geschichtliche Relativierung der exegetischen Aussagen noch einmal, und zwar in einem qualitativ neuen Sinne, relativiert. Die Exegese tut deshalb in manchen Fällen besser

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Stellenwert des Kreuzestodes J e s u

daran, ihre historische Inkompetenz ausdrücklich festzustellen, statt aufgrund begrifflicher Beweise über das Geschehensein eines Ereignisses zu entscheiden. 3.7.6 Wenn jede Erzählung von Geschichte einen unausrottbaren subjektiven Faktor enhält, der sich aus der Funktion dieser Erzählung in der Gegenwart des Erzählers ergibt, dann ist die Alternative „Funktionalität bzw Parteilichkeit — historische Zuverlässigkeit" auch im Blick auf die neutestamentlichen Texte aufzugeben. Von hier aus erscheint der heutige exegetische Konsens, wonach beispielsweise im Blick auf den historischen Jesus die Echtheit zu beweisen sei statt die Unechtheit, zumindest nicht mehr selbstverständlich. Dieser Konsens beruht ja genau auf der genannten Alternative. Auch bei Texten, denen eindeutig eine interaktionelle Funktion zukommt, ist es möglich und sinnvoll, die Frage nach der Begründungsobjektivität zu stellen. Eben dieser Frage gilt ein wesentlicher Teil der historisch-kritischen Arbeit am Neuen Testament. 3.7.7 Ausgehend davon, daß der christliche Glaube sich nicht bloß im akzidentiellen Sinne auf die Geschichte Jesu Christi bezieht und daß seine Sprache wesentlich geschichtliche Rede ist, ist es mE unausweichlich, die in der exegetischen Wissenschaft verwendeten Sprachformen im Blick auf ihre Angemessenheit zu überprüfen. Sie können jedenfalls nicht mehr als beliebig bezeichnet werden. Sofern die Exegese sich auf Texte bezieht, denen es darauf ankommt, Gott als Ereignis zur Sprache zu bringen, entsteht das Problem, wie eine durch die Sprachform der Auslegung zumindest mögliche Zerstörung ihres Gegenstandes vermieden werden kann. Wenn die Exegese tempusneutrale und beschreibende Sprachformen verwendet, so ist damit die Gefahr gegeben, daß dadurch etwas ersetzt werden soll, was gerade nicht ersetzbar ist, ohne daß die Aussage selbst zerstört wird. Die Sprachformen der Exegese haben sich jedenfalls an ihrem Geschichtsbegriff zu orientieren, in welchem die Würde des Einzelnen eine fundamentale Rolle spielt. Diese Würde wird in der Sprachform der erzählenden Erklärung gewahrt. Die Exegese hätte dann den Werdegang eines Textes unter Berücksichtigung seines Referenzbezuges erzählend zu erklären. Vielleicht kann man sagen, daß in einer solchen Erklärung die Wahrheit des Textes erscheint. Diese Würde des Einzelnen droht dagegen übergangen zu werden, wenn in der Auslegung eine Sprache gesprochen wird, die sich an Denkweisen wie religionsgeschichtliche Ableitung oder Reduktion auf allgemeine Gesetze

Bemerkungen zur exegetischen Methodik

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orientiert. Auch wenn die Exegese nicht auf solche Denkweisen verzichten kann, so ist dennoch das damit gegebene Problem ständig im Auge zu behalten. 3.7.8 Das Problem der Sprachform exegetischer Arbeit spitzt sich noch einmal zu, wenn es um den exegetisch intendierten Gegenwartsbezug geht. Es gibt Sprachformen, die einen Gegenwartsbezug schon deshalb unmöglich machen, weil sie keinen ansprechenden Charakter haben. Es gibt ferner Sprachformen, die einen Gegenwartsbezug verhindern, weil sie die Vergangenheit tempus-neutral beschreiben und ihr auf diese Weise die für ihren Gegenwartsbezug unabdingbare Zeitlichkeit nehmen. Es gibt schließlich Sprachformen, die einseitig den Willen des Menschen ansprechen und diesen zur praktischen Vergegenwärtigung des Vergangenen verleiten. Wenn es dagegen zutrifft, daß der Gekreuzigte in seiner Vergangenheit von gegenwärtiger Bedeutung ist, dann ist die Auslegung auf Sprachformen aus, welche den Angesprochenen von sich selbst ablenken und in das vergangene Geschehen verwickeln, um ihn dadurch neu auf die Gegenwart zu beziehen. Es muß also schon durch die Wahl der Sprachform vermieden werden, daß das Ich als Täter seiner selbst angesprochen wird. Sonst würde ja die Unterbrechung des Konnexes zwischen dem Ich und seiner Praxis durch die Weise des Gegenwartsbezugs rückgängig gemacht. Der Gegenwartsbezug müßte sich wohl von einer — im Rahmen dieser Arbeit nicht mehr formulierbaren — geschichtlichen Hermeneutik leiten lassen. •3.7.9 Die Aufgabe der Exegese als einer geschichtlichen Disziplin im Rahmen des Ganzen theologischer Disziplinen ist es, ständig an die geschichtliche Herkunft des Glaubens zu erinnern und also in einem gewissen Sinne das immer wieder zu verrätsein, was dem Glauben selbstverständlich erscheinen könnte. So hat die Exegese zur Folge, daß der Glaube durch sie eine ständige Steigerung seines Selbstverständnisses erfährt, weil sie ihn daran erinnert, daß er sich weder menschlichen Wünschen noch weltlichen Notwendigkeiten verdankt, sondern dem alle Wünsche und Notwendigkeiten hinter sich lassenden Ereignis der Liebe Gottes, welches seine konkrete Gestalt in der Geschichte Jesu Christi hat. Dieser Glaube, welcher anhand jener Geschichte an die Ankunft Gottes glaubt und aufgrund jener Geschichte auf die Zukunft Gottes hofft, wirkt sich konkret und weltlich aus in der Liebe, zu welcher er durch seine Herkunft ermächtigt ist.

LITERATURVERZEICHNIS Die im folgenden Literaturverzeichnis und in dieser Arbeit verwendeten Abkürzungen richten sich, soweit sie nicht selbstverständlich sind, nach den Abkürzungsverzeichnissen der TRE und des ThWNT. Es wird nur Literatur angeführt, die in der vorliegenden Arbeit zitiert ist.

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SACHREGISTER Aberglaube 20ff Aber—Glaube 21 Ableitung 67 religionsgeschichtliche 67, 91, 229, 250 Absolutes 13 Aeon 147 Agenten des Aeons 147 gegenwärtiger Aeon 147 zukünftiger Aeon 147 Aegernis 154, 237 Allgemeines 86, 121 Allgemeinheit 90, 235, 241 Analogie 11, 69 geschichtliche 69 Prinzip 69 Anthropologie 19ff, 199 anthropologische Theorie 139 anthropozentrisch 153, 171 Apokalyptik 222 apokalyptisch 243 apokalyptisches Denken 180 apokalyptische Vorstellungen 222 Askese 200 asketisch 234 Auferstehung 43 Auferstehungsmacht 241 Auferstehungstheologie 44 von den Toten 220 Auferweckung 43, 57, 177, 240 Jesu 67, 91, 139 Auslegung 17f Begründungszusammenhang 149 Beliebigkeit 95 Beobachter 103, 231 Berufung 157 Beschneidung 194, 219 Besonderes 86 Beweis 58 begrifflicher 58, 68, 70, 97, 249 dokumentarischer 58f, 68, 98

Bewußtsein 18 historisches 18 wirkungsgeschichtliches 249 Bezeugung 100 geschichtliche 100 beobachtende 100 Bibel 20 Bilderverbot 245 Christologie, christologisch 91, 129, 168, 220, 229, 232 paulinische 11 horizontale 14 Sophia-Christologie 133f Christus s.a. Jesus erhöhter 223 Externität des Christus 110 Identität des Christus 2 3 6 - 2 4 0 „in Christus" 159, 174, 238 kerygmatischer 186 Mitgekreuzigtsein mit Christus 179 mythologische Identität Christi 237 mythologischer Christus 136 mythologisches Verständnis 214 Christusverkündigung 35 curiositas 112 Daß 16 Deduktion 100 logische 100 Denken 12 neuzeitliches 12 Deutung 5, 96 theologische 5 Dienst 243 Doketismus 30 Doxa 223 Echtheit 250 Eigenmacht 197 Eigentlichkeit 107 „ein für allemal" 12

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Sachregister

Einheit 83 das Einzelne 39, 8 5 - 9 3 , 121, 131, 235, 247 der Einzelne 85, 91 Würde des Einzelnen 85, 91 Entgeschichtlichung 129 Entmythologisierung 214 persönliche 176 Entscheid 163 Entscheidung 74 Entsprechung 17 geschichtliche Weise der Entsprechung 17 Enthusiasmus, enthusiastisch 180, 243 Enthusiasten 15 Entwicklung 38 Entwicklungsgedanken 38 Entwicklungsprozeß 71 Ereignis 99 Ereignisdimension 77 faktische Ereignisse 245 historisches Ereignis 54 Erfahrung 27, 157-162, 240 Erfahrungsbezug 110 geschichtliche Erfahrung 61, 176, 240, 241 Gotteserfahrung 234, 241 Welterfahrung 234, 241 Erfüllung, s.a. Verheißung, 77, 144f, 236 Erkennen historisches 5 Erkenntnis 235 Gotteserkenntnis 235 historische 103 historisch-kritische 232 Selbsterkenntnis 235 Welterkenntnis 235 Erklären 57, 86, 98, 139 Erklärung 66, 87, lOlf Erklärungsbedürfnis 88 erzählende 247 notwendige 102 zureichende 102 Erlebnis 27 Erlöser 211 Knechtgestalt 211 Menschsein 211 Selbsterniedrigung 211

Erlösung 159 Erwählungsakt 158 Erwartung 77 Erzählung 66, 92, 99, 102, 114 molekulare 102 geschichtliche 114 Eschatologie 221 eschatologische Rettung 150 ethisch 170, 178, 215, 234, 243 Evangelien 59 Evangelium 122, 126, 180, 188, 191, 196 enthusiastisches 135 narratives 155 Exegese 5, 41, 47 Geschichtlichkeit der Exegese 143 neutestamentliche 91 existential 104f existentiale Interpretation 104 existentialontologische Kategorien 155 Existenz Erfahrungsbezogenheit christlicher Existenz 240 kontingente 223 Wahrhaftigkeit christlicher Existenz 244f Existenzverständnis 39 existentielle Begegnung 103 Exklusivität 193, 223 Extemität 118, 152, 246 Extra-nos 23, 28, 51, 153, 185, 240 248 -Charakter 20 des Heils 51, 97 der Verhältnisse 23

factum 96 Faktisches 94 Faktizität 37, 97 des Historischen 43 von Ereignissen 53 Fiktion 96 Fluch 187 Form 149 Fortschritt 19 Fleisch 1 9 8 - 2 0 1 im Fleisch 180, 184, 232, 239, 242

Sachregister Kreuzigung des Fleisches 2 0 0 nach dem Fleisch 181, 184f, 2 0 4 , 2 0 6 , 23 l f , 2 4 2 , 2 4 4 Vertrauen auf das Fleisch 199, 2 0 0 Fleischwerdung 12 Freiheit 98 Dispositionsfreiheit 110 Leben in Freiheit 198 zur Weltlichkeit 2 3 3 - 2 3 6 zum Wort 9 8 f Fremdheit 113, 160 „für uns" 189

Gegenwart 180 Gegenwartsbezug 15, 75, 251 Gegner 2 0 2 , 2 1 8 Geheimnis 22, 168 Gehorsam 2 1 3 , 217 Geist 182 Geisterfahrung 135 Frucht des Geistes 198 im Geist 184 nach dem Geist 2 3 2 Gemüt religiöses 22 Generalisierung 70 Gerechtigkeit 159, 175 Gerechtmachung des Sünders 114 Gesetz 38, 80, 107, 175, 2 0 4 , 207 214, 230 Auswirkung des Gesetzes 2 2 8 Betreiben des Gesetzes 176 Ende des Gesetzes 190f Gefangenschaft unter dem Gesetz 152 Lehre vom Gesetz 38 Reichweite des Gesetzes 186, 191 Sieg des Gesetzes 2 2 8 T o d des Gesetzes 2 2 8 , 237 Tun des Gesetzes 187, 2 2 0 Überwindung des Gesetzes 1 9 0 Werke des Gesetzes 177f, 184, 186 205, 239 Gesetzmäßigkeit 105 Gesicht Wahrung des Gesichts 2 0 1 - 2 0 5 , 233, 240

267

Geschichte 5, 136 Aufgabe 24 Austritt aus der Geschichte 15 dialektisch-materialistisches Geschichtsbild 72 der Gattung homo sapiens 153, 193, 237, 2 4 6 „die" Geschichte 4 9 , 8 1 - 8 5 , 247 Gegenstandscharakter 51 Gegenwartsbezug des Geschichtlichen 1 0 3 - 1 1 9 Gott und Geschichte 9 6 Geschichte Gottes 12 Gottesmächtigkeit der Geschichte 193, 233 historischer Bezug auf Geschichte 96, 2 4 8 Indisponibilität der Geschichte 244f Interesse an der Geschichte 112 Geschichte Jesu 12, 23, 27 aus der Geschichte lernen 105 Naturalisierung der Geschichtlichkeit 72 Objektivität der Geschichte 50—61 Problem 28 Relativität der Geschichte 61—75 Säkularität der Geschichte 84 Sinn der Geschichte 73 Subjekt der Geschichten 75—81 theologischer Bezug auf Geschichte 181, 2 4 8 Universalgeschichte 81 Vergangensein des Geschichtlichen 105 Verstehensweise der Geschichte 29, 45 als Wiederkehr des Gleichen 72 Zwang zur Geschichte 16 geschichtlich geschichtliche Bemühung 117 geschichtlicher Bezug auf Geschichte 181 geschichtliches Ereignis 41 geschichtlicher Faktor 31 geschichtlich reden 156f geschichtlicher Verweisungsbezug 186 Geschichtlichkeit 2 4 5 , 2 4 9

268

Sachregister

Geschichtsbegriff 5, 47, 247, 250 Macht Gottes 139, 141, 150, 173, analytischer 49f 216, 230, 232, 234, 239, 242 Geschichtsbetrachtung Gottesmächtigkeit 243, 245 analytische 45 Liebe Gottes 116, 228, 251 Geschichtsbezug 11 Nähe Gottes 78 Geschichtserzählung 68, 80, 9 3 - 1 0 3 Stärke Gottes 197 Geschichtsphilosophie stärkere Stärke Gottes 230 analytische 6, 3 Off Weisheit Gottes 197, 230, 244 Geschichtsverlust 242 Wesen Gottes 235 Geschichtswissenschaft Zeugnis Gottes 163 profane 18 Zur-Welt-Kommen Gottes 150, Denkweise 18 169 Glaube 5, 21ff, 150, 175, 185, 220, Grundlagenreflexion 5 234, 242, 251 christlicher Glaube 12, 110 Entsicherung des Glaubens 246 Handeln 116 Erfahrungsbezug des Glaubens Handlungsführung 101 240-243 Handlungsmacht 197 Glaube u n d Geschichte 12 Handlungsrationalität 105 geschichtlich denkender Glaube 17 Handlungsregeln 80 geschichtliche Herkunft des GlauHeiden 154 bens 251 Heiligung 159 Geschichtlichkeit des Glaubens 15 Heilsgeschichte 149 Geschichtsbezogenheit des Glaubens Hermeneutik 11, 41 5, 1 2 - 1 9 allgemeine 11 an Jesus 13 geschichtliche 251 wie Jesus 13 theologische 11 hermeneu tisch 215 Unverwechselbarkeit des Glaubens hermeneutischer Ansatz 44 236 Historie 5, 14 Verhältnis zur Geschichte 5, 12, Historiker 49f, 56, 103f 150 Divergenzen unter Historikern 63 Gnosis 134, 211 Grundlagenkriterien 65 Gnostiker 134 Parteilichkeit 58, 70 gnostisch 167, 210 historisch 5 gnostischer Erlösermythos 211 historische Inkompetenz 69, 250 Gott 78 historische Perspektive 249 Ablehnung Gottes 148 Historisches 14f allgemeiner Gottesbegriff 139 theologische Relevanz des HistoriA n k u n f t Gottes in der Welt 153, schen 14 160, 166, 245 Zweideutigkeit des Historischen Dynamis Gottes 90 17 Eingehen Gottes in die Welt 224 Historismus 85f als Ereignis 246 hoffen 251 Erfahrung 181 Gott und Geschichte 96 Geschichte Gottes 118 Ich 163, 1 7 5 - 1 8 2 , 207, 239, 245, geschichtliche Rede von Gott 80, 251 89, 98, 150, 246 gerechtfertigtes Ich 116 Geschöpf Gottes 208

Sachregister rechtfertigungsunbedürftiges Ich 116

Tod des Ich 176 Identität 83, 108f, 111, 114, 116, 118, 136, 152, 179, 194ff, 199ff, 207, 242 der Christen 2 3 6 - 2 4 0 geschichtliche Identität 109 mythologische Identität 35 Identitätspräsentation 239 Imperativ 215 Implikationen 11 Illusion 26 Indikativ 215 Indisponibilität 116 Individualität 109 Individuum 54 Inhalt 149 Inkarnation 137, 212 Inspiration 21 Inspirationslehre 21 Interesse 109, 112 Internität 246 Interpretation 104 existentiale 104 Interpretationsschema 63 Jesus, s.a. Christus autarke Subjektivität 78 gekreuzigter Jesus 175 Geschichte Jesu 227 geschichtliche Gestalt des Menschseins Jesu 212 geschichtliche Identität Jesu 111, 213f, 233 geschichtliches Sein Jesu in Armut 237 Gleichnisrede Jesu 127 Herrschaft des Gekreuzigten 216 historischer Jesus 13, 54, 186, 225 irdischer Jesus 110, 231 irdisches Sein Jesu 212 Ohnmacht des Gekreuzigten 272, 242 präexistentes Wesen 213 Predigt Jesu 35 Religion Jesu 13 Selbstverständnis Jesu 78

269

Sklaventod Jesu 227, 237 Sohn Gottes 229 Sünder 228 Todesgeschick Jesu 221, 224 Verfluchter 228 Verständnis des Todes 78 judaisierend 219 Juden 154 Judentum 91 Kanon 12 Kausalität 55, 65f, 95 Kehre 196, 214, 241 Kehrseite 233 Kerygma 229 Kurzgeschichte 229 Vereinnahmung 228 Konnex 205 zwischen dem Ich und der Welt 209, 239 Kollektivsingular 82 kontingent 65 Kontingenz 13, 56, 152, 155, 208, 233, 241f Aufhebung des Kontingenten 130 des Vergangenen 71, 95, 226 weltliche 119 Kontingenzerfahrung 118 Kontinuität sachliche 41 Korinth, korinthisch 121 Anthropologie 135 Christus-Partei 122 Gruppenbildungen 121 Kephaspartei 125 Weisheitsposition 152 Kosmos 148 Denkweise 151 Krafttaten 234 Kreuz Ärgernis 196 Ankunft Gottes im Kreuz 196 Kreuz und Auferweckung Jesu 227-233 Aufhebung 1 2 5 - 1 3 7 Dynamis Gottes 138-144 Einzigkeit 154 Entleerung 126f, 132, 145, 237 Ereignis 140, 222

270

Sachregister

eschatologische Dimension 143 Externität 165 Feindschaft 222, 234 Gegenwartsaspekt 142f Geschichte 141, 146 geschichtliches Ereignis 40, 227 Gottesmacht und Gottesweisheit 227 Heilsbedeutung 43 Identität des Gekreuzigten 153 Indisponibilität 165, 180, 244 Kontingenz 162, 2 3 3 - 2 3 6 Öffentlichkeit 180, 182-186 als Symbol 132, 138 Tatsächlichkeit 240 als theologische Chiffre 225 Torheit und Ärgernis 227, 245 Unaufhebbarkeit 137 Kreuz und Verfolgung 203 Vergangenheit 165, 180 Wort vom Kreuz 96 Zeitförmigkeit des Wortes vom Kreuz 138 Kreuz Jesu 5, 17, 136 Kreuzigung 54, 129, 153, 177, 189, 228 Kreuzestheologie 5, 18 Kreuzestod 11, 42, 56 Kyrios 205, 210 Leben 177f, 187 Lebensbezug 192 Leib Christi 122f Leiden 221, 223, 238, 243 Legitimität 238 Liebe 113, 181, 190, 198ff, 204, 207, 224, 230, 235, 251 Feindesliebe 243 Macht der Liebe 214 Ohnmacht der Liebe 214 Tat der Liebe 241 zur Welt 235 Liebesbeziehung 242 Lüge 183 Markusevangelium 56, 59 Mensch 82 Einlaß in Welt und Geschichte 243 religiöse Verfassung 119

Menschensohn 214 Menschheit 82f Menschlichkeit 157 Menschwerdung 210 Metapher 206 metaphorische Struktur 230 metaphorischer Gebrauch 231 Metaphysik 28ff metaphysische Tradition 33 Niedergang der Metaphysik 28—34 Methode dogmatische 46 historische 46 historisch-kritische 5, 14 theologischen Denkens 18 Methodik 247ff der Auslegung 247 exegetische Methodik 247—251 Moral 109 Mythos, mythologisch 209ff mythologische Identität 35 mythologische Rede 134, 2 0 9 217 Name 109 Neuheit 235 Neuzeit 12 Niedrigkeit 234 Normen 106 Notwendigkeit 235, 245, 251 Objektivität der Bedeutung 55 Begründungsobjektivität 59f, 115, 250 Konsensobjektivität 59 relative Objektivität 60 Öffentlichkeit 27, 182ff, 244 öffentliches Ereignis 183 qualitative 183 quantitative 183 offen 248 Offenbarung 12, 232 Geschichtlichkeit 15 des Gottessohnes 232 Offenbarungsmacht 190 Offenbarungsqualität 12 Offenheit 249 Ohnmacht 230, 234, 238 Organisation 62 narrative 62, 94

Sachregister paräne tisch 215 Parteiung 171 Paulus Paulus und Jesus 34ff argumentativer Paulus 155 Desinteresse am historischen Jesus 231 Existenz des Paulus 162—165 Existenz des Apostels 173 Jesustradition bei Paulus 36f Kreuzförmigkeit apostolischer Existenz 238 Legitimität des Apostels 174 Rechtfertigungsbotschaft 192 sachliches Verhältnis zwischen Verkündigung Jesu und Theologie des Paulus 38f Superapostel 174 Verbindung zum irdisch Gekreuzigten 153 vorpaulinische Gemeindetradition 42 Plan göttlicher 3 Of, 149 Pneuma 171 Pneumatiker 135, 172 Poiein-Prinzip 197, 230 Praxis, praktisch 15, 28, 105, 112, 132, 136, 161, 238f, 242, 251 christliche Praxis 242 religiöse Praxis 119 Predigt 117 der Endlichkeit 117 des Gesetzes 117 der Unendlichkeit 117 Prophetie 81 Psychiker 172

Quellen Parteilichkeit 58 Rechtfertigung 191 des Gottlosen 192 Rechtfertigungslehre 229 Reden geschichtliches 5 theologisches 6 Reduktion 250

271

Regel 161 Relatives 75 Relativität 13 erkenntnistheoretische 62 ontologische 62 von Sinnaussagen 55 Relevanz theologische Relevanz des Historischen 14 Religion 23 ff Aufhebung 23 Religionskritik religionskritische Ausbeutung 237 der Neuzeit 1 9 - 2 8 psychologische 25ff Resultat 76 Retrospektive 95 Rhetorik 127 rhetorische Exzellenz 162 Rühmen 161, 205, 208 in Christus 220 Ruf 238 Sachkritik 248 Sachlichkeit 242 Säkularisierung 29 Schande 158, 223 Schriftbeweis 145, 186, 193, 236 Schwachheit 164 Christi 173 Sein 106 als Sünder 116 Selbstbewußtsein 164, 169 Selbstbezug 244 Selbstdarstellung 205f Selbstdarstellungsmaterial 239 Selbstentfremdung 2 Off Selbsterniedrigung 213, 216 Selbstheiligungsversuche 239 Selbstherstellung 207, 214, 216 Selbstidentifikationsversuche 238 Selbstinszenierung 207, 234 Selbstmächtigkeit 201, 223 Selbstruhm 159f, 162, 206 Selbstvergewisserung 246 Selbstverständnis 220 Steigerung des Selbstverständnisses 251 Sendungsformel 137

272

Sachregister

Sinn 52 Sinnlosigkeit 241 Sinnverwirklichung 116 Situation geschichtliche 14f geistesgeschichtliche 19 Skeptizismus historischer 60 Sollen 106 Soteriologie soteriologische Dimension 33 Sozialwissenschaft 73 Sprache 55 der Geschichtlichkeit 113 der Liebe 113 Problem 50 temporaler Charakter 92, 155 tempus-neutral 80, 155, 250, 251 Zeitförmigkeit 92 Sprachereignis 40 Sprachform 18, 127, 250 Sprachgebrauch 231, 243 Sprachlichkeit 240 stärkere Stärke 237 Stimmigkeit 96 Streit 1 2 1 - 1 2 5 , 171, 238, 244 Subjekt 24f Bezugssubjekt 101, 108 Einheit des Subjekts 101 erkennendes Subjekt 105, 108 subjektiver Faktor 250 Handlungssubjekt 78f, 84, 112, 117 Referenzsubjekt 79, 81, 112, 116 verstehendes Subjekt 52 Subjektivität autarke 77 Subjektpose 239 Sündersein 115 Tatsache 13 Boden der Tatsache 240 geschichtliche Tatsachen 13 historische Tatsachen 2 l f Taufe 177 Text 54 Referenzbezug 250 Verweisungsbezug 54 Werdegang 250

temporal 99 a-temporal 99 Thatsache 21 Theologie 17 biblische 5 neuzeitliche 236 Systeme 121 Theorie 92 Tod 177f, 187 Torheit 156f, 234, 237 Übergeschichtliches 15 das Uberraschende 169, 234, 246 Überraschung 209 Unabhängigkeit 136 Universalität 81, 193, 233 Unsinn 154 Unverständigkeit 182 Unverwechselbarkeit 109 Un-Zeichen 230 Ursprung historischer 12 Usurpation 1 6 5 - 1 7 3 weltlicher Sprache 243 Verderben 222 Vereinnahmung 240 Verfolgung 1 9 3 - 1 9 7 , 223, 238, 243 Verfluchter 237 Vergangenheit 49, 124 Vergänglichkeit 32, 52 Vergegenwärtigung 17, 203 praktische 251 Vergewisserung geschichtliche 62 Verhältnis 12 Verhältnisbestimmung 6 Verheißung, s.a. Erfüllung, 144f, 236 des Lebens 177 Verifikation 188 Vernehmen Prinzip des Vernehmens 46, 247 Raum gewähren 249 Vernunft 22, 244 historische 61 verrätsein 251 Verstehen 57, 87, 104 Bedingungen des Verstehens 44 geschichtliches 44, 113

Sachregister historisches 226 Steigerung des Verstehens 88 Verzauberung 205 Vollkommenheit 170, 234 Vollkommener 170 Vorurteil 57

Wahrhaftigkeit 19, 26f des Erzählers 100 Wahrheit 24f, 181, 183, 230, 242, 246 des Diesseits 24ff, 242 als Ereignis 100 geschichtliche Bezeugung 100 Geschichtswahrheiten 100 des Glaubens 19 Gottes 14 Herstellung 24 Jenseits 28 Vernunftwahrheiten 61 Wahrheitsbegriff 248 Wahrheitsfrage 97 Wahrnehmen 74 Weisheit 128, 165f, 235f, 246 Weisheit und Kreuz 128 Weisheit und Tora 136 Weisheit als Torheit 13 7 - 1 5 7 Weisheit Gottes 148, 167f Suche 151f, 154, 231, 235, 237, 239 weisere Weisheit 156f, 228, 230 Weisheit der Welt 139, 241 weltliche Weisheit 192 Wortweisheit 126 weisheitlich weisheitliches Denken 241 jüdisch-weisheitlich 138 weisheitliche Sprachform 130 Welt, weltlich 23ff, 152, 202, 204 Denkweisen der Welt 241 Entzauberung der Welt 185 Machthaber der Welt 167 Notwendigkeit der Welt 150 Reichweite der Welt 193 Vergötterung der Welt 224 Weltbemächtigung 132 Weltbewältigung 132

18 Weder, Kreuz

273

Weltbewußtsein 23ff Welttheorie 132 Weltverlust 242 Werdegang 86, 93, 102 eines Textes 250 Werdezusammenhang 66 Werke 178 Werte 156 willkürlich 64 Wirklichkeit 181, 230 der Welt 203 weltliche Wirklichkeit 248 Wirklichkeitsverständnis 65 neuzeitliches 33 Wirklichkeitszusammenhang 231 Wirkungsgeschichte 226 Wissenschaft neutestamentliche 5 Wort verzauberte Macht 244 Wünsche 241 Wunschdenken 240 Würde 160, 234 des Einzelnen 235, 250 der Welt 235

Zeichen 234 Zeichenforderung 15 l f , 154, 192, 231, 235, 239 Zeit 224 Ausschaltung der Zeit 135 des Glaubens 39, 159 Zeitdimension 94 zeitförmig 228, 246 Zeitförmigkeit 164, 243, 249 Zeitgemäßes 15 Zeitlichkeit 251 des Geschehenen 98 zeitlos 228 Zeitverständnis 38 Zufälliges 21f Zufälligkeit 175 Zufall 2 l f , 72, 89 Zusammenhang 94 Zuspruch 238 Zustimmungsfähigkeit 114 Zuvor 246

Hans Weder Die Gleichnisse Jesu als Metaphern Traditions- und redaktionsgeschichtliche Analysen und Interpretationen (Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments, Band 120). 2., durchgesehene Auflage. 312 Seiten, kartonierte Studienausgabe und Leinen „Der Ansatz der Gleichnisdeutung vom Wesen der Metapher her ist ein wirklicher Fortschritt. Sie schaltet leichter subjektive Elemente bei der Interpretation aus. Vor allem aber läßt sie das Gleichnis als Gleichnis zu seinem Recht kom-

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