Das Konfessionalisierungsparadigma - Leistungen, Probleme, Grenzen 340212923X, 9783402129234

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Das Konfessionalisierungsparadigma - Leistungen, Probleme, Grenzen
 340212923X, 9783402129234

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Title
Inhalt
Vorwort
Thomas Brockmann / Dieter J. Weiß; „Konfessionsbildung“ und „Konfessionalisierung“ – Einleitung
Dieter J. Weiß: Die Große Bamberger Fronleichnamsprozession und das Konfessionalisierungsparadigma
Harm Klueting: Glaubensspaltung – Konfessionsbildung –Konfessionalisierung
Robert Bireley: Katholische Konfessionalisierung oder frühmoderner Katholizismus?
Wolfgang Brückner: Konvergenzen und Divergenzen der Konfessionalisierung in vergleichendem Blick
Günter Dippold: Gescheiterte Koexistenz. Kommunale Kirchenpolitik im katholischen Fürstentum vor der Gegenreformation
Stefan Ehrenrpreis: Mischkonfessionalität und Konfessionalisierungsforschung
Andreas Holzem: Der „katholische Augenaufschlag beim Frauenzimmer“ (Friedrich Nicolai)
Josef Johannes Schmid: ‘No bishops, no King’ –die «religio monarchica» als unbeachtetes Element der Konfessionalisierungsdebatte
Thomas Nicklas: Politik, Konfession, Konfessionalisierung. Frankreich, der Kardinal von Lothringen und die religionspolitischen Optionen der 1560er Jahre
Ludolf Pelizaeus: Die Iberische Halbinsel und die Kolonien zwischen Konfessionalisierung und Sonderweg
Dirk Pfeifer: Arminianismus in England und den Niederlanden (1590-1650)
Thomas Brockmann: Konfessioneller Fundamentalismus und Konfessionalisierung der Aussenpolitik?
Martin Friedrich: Die frühneuzeitliche Konfessionalisierung und das 19. Jahrhundert
Diskussionsbericht
Diskussionsteilnehmer
Autoren

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Brockmann/Weiß (Hrsg.)

Im Jahr 2008 jährte sich das Erscheinen des wegweisenden Aufsatzes von Ernst Walter Zeeden über Konfessionsbildung zum fünfzigsten Mal. Sein Ansatz, die Entstehung und Entwicklung der Konfessionskirchen und -kulturen in vergleichender Perspektive zu betrachten und damit auch die Ähnlichkeiten und Parallelitäten der Formierungsvorgänge im nachreformatorischen Katholizismus, Luther- und Reformiertentum in den Blick zu rücken, hat sich in der deutschen Geschichtswissenschaft als außerordentlich wirkmächtig erwiesen – besonders in der mit dem Terminus „Konfessionalisierung“ bezeichneten Weiterentwicklung. Thomas Brockmann und Dieter J. Weiß stellten deshalb das 20. Bayreuther Historische Kolloquium unter das Thema „Das Konfessionalisierungsparadigma – Leistungen, Probleme, Grenzen“. Dabei wurden vor allem jene Aspekte thematisiert, die in der aktuellen geschichtswissenschaftlichen Debatte strittig diskutiert werden.

18 Das Konfessionalisierungsparadigma

BAND 18 BAYREUTHER HISTORISCHE KOLLOQUIEN

ISBN 978-3-402-12923-4

Das Konfessionalisierungsparadigma Leistungen, Probleme, Grenzen Herausgegeben von Thomas Brockmann und Dieter J. Weiß

Bayreuther Historische Kolloquien Herausgegeben von Ralf Behrwald, Franz Bosbach, Hermann Joseph Hiery, Ludger Körntgen, Achim von Oppen, Dieter J. Weiß Band 18

Das KonfessionAlisierungsparadigma – Leistungen, Probleme, Grenzen Herausgegeben von THOMAS BROCKMANN UND DIETER J. WEISS

Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar

Umschlagbild: Einblattdruck (hier Ausschnitt), Radierung „Geistlicher Rauffhandel: O schaw doch wunder mein lieber Christ/ Wie der Bapst/ Luther und Calvinist/ Einander in die Haar gefallen/ Gott helffe den Verirrten allen“, 1619, Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Signatur: IH 11 (VD17 1:089474V).

© 2013 Aschendorff Verlag GmbH & Co. KG, Münster Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Die Vergütungsansprüche des § 54 Abs. 2 UrhG werden durch die Verwertungsgesellschaft Wort wahrgenommen. Gesamtherstellung: Aschendorff Druckzentrum GmbH & Co. KG, Münster, 2013 Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier oo ISBN 978-3-402-12923-4

Inhalt Vorwort ........................................................................................................ VII Thomas Brockmann / Dieter J. Weiß „Konfessionsbildung“ und „Konfessionalisierung“ – Einleitung .............. 1 Dieter J. Weiß Die Große Bamberger Fronleichnamsprozession und das Konfessionalisierungsparadigma – Überlegungen zum Geschichts- und Kirchenbild ..................................... 23 Harm Klueting Glaubensspaltung – Konfessionsbildung – Konfessionalisierung. Theologische und historische Perspektiven ................................................ 45 Robert Bireley Katholische Konfessionalisierung oder frühmoderner Katholizismus? ............................................................ 67 Wolfgang Brückner Konvergenzen und Divergenzen der Konfessionalisierung in vergleichendem Blick auf die populäre praxis pietatis ........................... 87 Günter Dippold Gescheiterte Koexistenz. Kommunale Kirchenpolitik im katholischen Fürstentum vor der Gegenreformation – am Beispiel fränkischer Städte ................... 101 Stefan Ehrenpreis Mischkonfessionalität und Konfessionalisierungsforschung. Konzeptionelle Überlegungen ................................................................... 117 Andreas Holzem Der „katholische Augenaufschlag beim Frauenzimmer“ (Friedrich Nicolai) – oder: Kann man eine Erfolgsgeschichte der „Konfessionalisierung“ schreiben? ..................................................... 127

VI Josef Johannes Schmid ‘No bishops, no King’ – die «religio monarchica» als unbeachtetes Element der Konfessionalisierungsdebatte ................... 165 Thomas Nicklas Politik, Konfession, Konfessionalisierung. Frankreich, der Kardinal von Lothringen und die religionspolitischen Optionen der 1560er Jahre ....................................... 183 Ludolf Pelizaeus Die Iberische Halbinsel und die Kolonien zwischen Konfessionalisierung und Sonderweg ...................................... 203 Dirk Pfeifer Arminianismus in England und den Niederlanden (1590–1650) – Ein Beitrag zur Konfessionalisierungsdebatte? ........................................ 221 Thomas Brockmann Konfessioneller Fundamentalismus und Konfessionalisierung der Außenpolitik? Überlegungen zur Politik Ferdinands II. 1618-1630 ..... 235 Martin Friedrich Die frühneuzeitliche Konfessionalisierung und das 19. Jahrhundert ..... 265 Dirk Pfeifer Diskussionsbericht ...................................................................................... 283 Diskussionsteilnehmer................................................................................. 299 Autoren......................................................................................................... 300

Vorwort Im Jahr 2008 jährte sich das Erscheinen des wegweisenden Aufsatzes von Ernst Walter Zeeden über Kon­­fes­sions­bil­dung in der Historischen Zeitschrift zum fünfzigsten Mal. Zeedens An­satz, die Entstehung und Ent­ wick­ lung der Konfessionskirchen und -kulturen in ver­ glei­ chen­ der Perspektive zu betrachten und da­mit auch die Ähnlichkeiten und Parallelitäten der For­mierungsvorgänge im nachreformatorischen Ka­tho­li­zis­ mus, Luther- und Reformiertentum in den Blick zu rücken, hat sich in der Geschichtswissenschaft, vor al­lem der deutschen, ein halbes Jahrhundert lang als außerordentlich wirkmächtig erwiesen – besonders in der mit dem Ter­minus „Konfessio­nali­sie­rung“ bezeichneten Weiterentwicklung. Das 20. Bayreuther Historische Kolloquium fand aus diesem Anlaß vom 22. bis 24. Mai 2008 in den Räumen der Regierung von Oberfranken und der Universität Bayreuth statt. Ohne die Bereitschaft der Referenten, die Fragestellung nach dem Erklärungswert des Konfessionalisierungsparadigmas vor dem Hintergrund ihrer Disziplinen und Forschungen zu beleuchten, hätte das Kolloquium nicht stattfinden können. Deshalb sei ihnen an dieser Stelle herzlich gedankt – auch für ihre Geduld, die sie bis zum etwas verspäteten Erscheinen dieses Bandes gezeigt haben. In diesen Dank sollen auch die engagierten Diskussionsteilnehmer eingeschlossen sein. Der vorliegende Tagungsband präsentiert die Beiträge, Ergebnisse und Diskussionen des Kolloquiums. Das Zustandekommen der Tagung ermöglichte die großzügige Unterstützung durch die Forschungsstiftung bayerische Geschichte. Der Universitätsverein Bayreuth erleichterte in altbewährter Weise das Zustandekommen dieses Bayreuther Historischen Kolloquiums, weshalb ihm und seinem Ersten Vorsitzenden, Herrn Dipl.-Ing. Wolfgang Ramming, für seinen Einsatz ebenfalls herzlicher Dank gilt. Leider ist Wolfgang Ramming am 14. November 2009 verstorben, weshalb auch an dieser Stelle seine langjährige Unterstützung für die Bayreuther Historischen Kolloquien mit tiefem Dank erwähnt sei. Zu Dank sind die Herausgeber außerdem Magnifizenz Herrn Präsident Prof. Dr. Dr. h.c. Helmut Ruppert, Frau Bürgermeister Dr. Beate Kuhn, Stadt Bayreuth, und Herrn Prof. Dr. Ludger Körntgen, Facheinheit Geschichte, für ihre Ansprachen zur Eröffnung des Kolloquiums verpflichtet. In diesen Dank sind auch die Kollegen, welche die Leitung der Sektionen übernahmen, eingeschlossen: der Ehrendoktor unserer Fakultät Prof. Dr.

VIII Dr. h.c. Konrad Repgen, Prof. Dr. Ralf Behrwald, Prof. Dr. Ludger Körntgen und Prof. Dr. Franz Bosbach. Die Regierung von Oberfranken stellte ihren prächtigen Landrätesaal für die öffentlichen Vorträge zur Verfügung, die Stadt Bayreuth, vertreten durch Frau Stadträtin Sigrid Engelbrecht, gab am Abend des 23. Mai einen Empfang, wofür ihnen ebenfalls herzlich gedankt sei. Für wertvolle Hilfe bei der Vorbereitung und Durchführung des Kolloquiums und seines Rahmenprogramms gilt besonderer Dank den Damen Claudia Ficht und Gertrud Ziegler sowie Nora Thielert M.A., Beate Oehmichen M.A., Iris von Dorn M.A. und den Herren cand. phil. Björn Thies und Daniel Wolfrum M.A. Abschließend sei noch die gute Zusammenarbeit mit dem Verlag Aschendorff, Münster, und Herrn Dr. Dirk F. Paßmann dankbar erwähnt. Die Herausgeber möchten mit dem vorliegenden Sammelband auch an den Begründer der modernen, vergleichenden Erforschung der frühneuzeitlichen Konfessionsbildung, Ernst Walter Zeeden, erinnern, der am 5. September 2011 in Tübingen verstorben ist. Bayreuth, im September 2012

Th. B. u. D. W.

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„Konfessionsbildung“ und „Konfessionalisierung“ – Einleitung Thomas Brockmann und Dieter J. Weiß I. Zur Entstehung und Charakteristik des Konfessionalisierungsparadigmas Der konfessionelle Blick, der Blick der Konfessionen selbst auf Reformationszeit und Glaubensspaltung nimmt wohl naturgemäß vor allem oder doch zuerst das Besondere der Konfessionen und ihrer jeweiligen (katholischen, lutherischen, reformierten) Konfessionskulturen wahr, von denen her sich in Aneignung oder Distanznahme die je eigene religiöse Identität bestimmt. Man kann daher einen Akt der wissenschaftlichen Entkonfessionalisierung darin sehen, dass der Historiker Ernst Walter Zeeden dieser Perspektive 1956/58 einen Ansatz hinzugesellte, der nicht nur auf das entstandene Konfessionell-Besondere sah, sondern in den Entstehungsprozessen der drei Konfessionen und Konfessionskulturen das Vergleichbare und Ähnliche entdeckte und nicht zuletzt auch auf die Interdependenz der verschiedenen Konfessionsbildungsprozesse verwies. In einem Vortrag auf dem Ulmer Historikertag von 1956, dessen erweiterte Fassung vor gut fünfzig Jahren, 1958, in der Historischen Zeitschrift im Druck erschien,1 handelte Zeeden die Entstehung der neuzeitlichen Konfessionskirchen und -kulturen statt unter einer der traditionellen Kombinationen konfes-­ sions- beziehungsweise religionsparteispezifischer Begriffe – Reformation und Gegenreformation; Reformation, katholische Reform und Gegen­re­ 1

Ernst Walter Zeeden, Grundlagen und Wege der Konfessionsbildung in Deutschland im Zeitalter der Glaubenskämpfe, in: Historische Zeitschrift 185, 1958, S. 249– 299. Der Aufsatz ist wieder abgedruckt in: Ders., Konfessionsbildung. Studien zur Reformation, Gegenreformation und katholischen Reform (Spätmittelalter und Frühe Neuzeit. Tübinger Beiträge zur Geschichtsforschung 15), Stuttgart 1985, S. 67–112. – Eine stark erweiterte Fassung in monographischer Form hat Zeeden 1965 vorgelegt: Die Entstehung der Konfessionen. Grundlagen und Formen der Kon­ fessionsbildung im Zeitalter der Glaubenskämpfe, München/Wien 1965.

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Thomas Brockmann / Dieter J. Weiß

formation – unter dem programmatischen Kollektivsingular „Kon­fessi­ ons­bildung“ ab. Er sah – ohne freilich dabei die ebenfalls vorhandenen konfessionellen Besonderheiten auszublenden oder kleinzureden2 – allgemeine, konfessionsübergreifend wirksame „Gestaltungsprinzipien“ der Konfessionsbildung am Werk, sah die Protagonisten der Konfessionsbildung in allen Lagern vielfach „formal vor die gleichen Aufgaben gestellt“3 und oft gleiche oder ähnliche Mittel und Methoden im Spiele.4 Zugleich verwies Zeedens Konzeption, anders als das traditionelle, dem Sukzessivschema von Aktion und Reaktion folgende Begriffstandem von „Reformation und Gegenreformation“,5 schon vom Ansatz her darauf, dass es sich bei den konfessionellen Formierungsprozessen des 16. und frühen 17. Jahrhunderts über weite Strecken auch zeitlich um Parallelgeschehen und um in der gegenseitigen Abgrenzung wechselseitig komplementäre Vorgänge handele. Klassisch geworden ist Zeedens Definition der Konfessionsbildung von 1958: „Unter Konfessionsbildung sei also verstanden: die geistige und organisatorische Verfestigung der seit der Glaubensspaltung auseinanderstrebenden verschiedenen christlichen Bekenntnisse zu einem halbwegs stabilen Kirchentum nach Dogma, Verfassung und religiös-sittlicher Lebensform. Zugleich ihr Ausgreifen in die christliche Welt des frühneuzeitlichen Europa; ihre Abschirmung gegen Einbrüche von außen mit den Mitteln der Diplomatie und Politik; aber auch ihre Gestaltung durch außerkirchliche Kräfte, insonderheit die Staatsgewalt.“6 Schon Ernst Walter Zeeden hatte auf den doppelten Konnex zwischen Obrigkeit und Konfessionsbildung hingewiesen: einerseits – die Obrigkeit als entscheidender Agent der Konfessionsbildung im Dienste des wahren Glaubens; andererseits – die Konfessionsbildung als gern und bewusst in Dienst genommenes Instrument der Staatsvereinheitlichung und Herrschaftsintensivierung.7 Hier knüpften in den 1970er und 1980er Jahren die Historiker Wolfgang Reinhard8 und 2 3 4 5

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Vgl. dazu Zeeden, Grundlagen und Wege (wie Anm. 1), S. 263f. Zeeden, Grundlagen und Wege (wie Anm. 1), S. 286. Zeeden, Grundlagen und Wege (wie Anm. 1), S. 286–288, 292–296. Vgl. noch Heinrich Lutz, Reformation und Gegenreformation, 5. Auflage, durchgesehen u. ergänzt v. Alfred Kohler (Oldenbourg Grundriß der Geschichte 10), München 2002. Zeeden, Grundlagen und Wege (wie Anm. 1), S. 251f. Zeeden, Grundlagen und Wege (wie Anm. 1), S. 253–259. Wolfgang Reinhard, Gegenreformation als Modernisierung? Prolegomena zu einer Theorie des konfessionellen Zeitalters, in: Archiv für Reformations­geschichte 68, 1977, S. 226–252; ders., Konfession und Konfessionalisierung in Europa, in: ders. (Hg.), Bekenntnis und Geschichte. Die Confessio Augustana im historischen Zusammenhang [...] (Schriften der Philosophischen Fakultäten der Universität Augs-

Einleitung

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Heinz Schilling9 an, die Zeedens Konzeption weiterentwickelten. Statt „Konfessionsbildung“ verwendeten sie den Terminus „Konfessionalisierung“, der stärker auf die sozusagen außerkirchlichen gesellschaftlichen Folgen der Formierung gerichtet war. Noch expliziter als Zeeden hoben Reinhard und Schilling auf die (weit­gehende) zeitliche und sachliche Parallelität der einschlägigen konfessionellen Formierungsprozesse ab; auch wurde der Prozess der Herstellung und Vereinheitlichung der konfessionellen Großgruppen nun noch systematischer analysiert und erfasst. Als Methoden der Herstellung konfessioneller Geschlossenheit unterschied Reinhard 1981/83 die Entwicklung distinkter konfessioneller Doktrinen (Bekenntnisse) und Normen; die Implementierung und Geltendmachung der derart geklärten Normen durch geeignete Institutionen und Akteure, einschließlich der entsprechend in die Pflicht genommenen kirchlichen und gesellschaftlichen Funktionsträger und Multiplikatoren; die planvolle Propaganda der eigenen sowie die Unterbindung der Verbreitung konkurrierender Lehren; die „Internalisierung“ des neuen Normsystems „durch Bildung“; die konfessionelle Disziplinierung der Gläubigen durch Zwangs- und Kontrollmaßnahmen, insbesondere auch durch die Verpflichtung auf die konfessionsspezifischen Riten und Frömmigkeitsformen; schließlich die konfessionsspezifische Prägung der Sprache.10 In die politische Geschichte über Zeedens Ansatz hinaus führte Reinhard und Schilling aber vor allem das Interesse an der Funktion des Konfessionellen und der Konfessionalisierung im Prozess der frühmodernen Staatsbildung. Beide sahen den Staat beziehungsweise die fürstliche Obrigkeit als einen Hauptakteur und -profiteur der Konfessionalisierung: Der Staat habe durch ein einheitliches konfessionelles Gepräge seine Identität nach innen und außen profilieren, die Kontrolle über die Territorialkirche gewinnen und damit die Kirche als potenzielle Konkurrentin der weltlichen Obrigkeit ausschalten, die Hand auf die kirchlichen Ressourcen legen und nicht

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burg 20), München 1981, S. 165–189; ders., Zwang zur Konfessionalisierung? Prolegomena zu einer Theorie des konfessionellen Zeitalters, in: Zeitschrift für Historische Forschung 10, 1983, S. 257–277. – Nachdrucke in: ders., Ausgewählte Abhandlungen (Historische Forschungen 60), Berlin 1997, S. 77–101, 103–125, 127–147. Heinz Schilling, Die Konfessionalisierung im Reich. Religiöser und gesellschaft­ licher Wandel in Deutschland zwischen 1555 und 1620, in: Historische Zeitschrift 246, 1988, S. 1–45. Vgl. auch bereits Schillings große Monographie: Konfessionskonflikt und Staatsbildung. Eine Fallstudie über das Verhältnis von religiösem und sozialem Wandel in der Frühneuzeit am Beispiel der Grafschaft Lippe (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 48), Gütersloh 1981. Reinhard, Konfession (wie Anm. 8), S. 179–188; ders., Zwang (wie Anm. 8), S. 263– 267, Zitat S. 263.

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Thomas Brockmann / Dieter J. Weiß

zuletzt einen besseren Durchgriff auf den konfessionell disziplinierten und homogenisierten Untertanenverband erzielen können.11 Auf diese Weise verband sich das Reinhard-/Schillingsche Konfessionalisierungsparadigma zwanglos mit anderen, in den 1960er und 1970er Jahren diskutierten historischen Paradigmata. Wenn die Konfessionalisierung die genannten reglementierenden und disziplinierenden Effekte auf die Untertanenschaft und die entsprechenden herrschaftsertüchtigenden Effekte auf die konfessionalisierende Obrigkeit hatte, lag es in der Tat nahe, sie einerseits als Teil und „erste Phase der von Gerhard Oestreich so genannten absolutistischen ‚Sozialdisziplinierung‘“ (Wolfgang Reinhard) aufzufassen.12 Andererseits bot es sich an, sie als Etappe auf dem Wege zu moderner Staatlichkeit und überhaupt als Phase im Prozess frühneuzeitlicher und neuzeitlicher Modernisierung zu verstehen – einer Modernisierung, die den Staat in ihrem weiteren Verlauf zwar rasch wieder auf Distanz zu Religion und Konfession gehen ließ, die der Konfessionalisierung aber in einer kritischen Übergangsphase bedurfte, weil der werdende Staat eigene, säkulare Instrumentarien der Sozialdisziplinierung und Integration noch nicht in hinreichendem Maße besaß und diesbezüglich zeitweilig auf die Indienstnahme von Kirche und Konfession angewiesen war. Dementsprechend definierte Heinz Schilling 1988 „Konfessionalisierung“ als ­„einen gesellschaftlichen Fundamentalvorgang, der das öffentliche und private Leben in Europa tiefgreifend umpflügte, und zwar in meist gleichlaufender, bisweilen auch gegenläufiger Verzahnung mit der Herausbildung des frühmodernen Staates und mit der Formierung einer neuzeitlich disziplinierten Untertanengesellschaft, die anders als die mittelalterliche 11

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Diese „Konfessionalisierungsgewinne“ nennt Reinhard, Zwang (wie Anm. 8), S. 268 unter der Rubrik „Konfessionalisierung im Dienst politischen Wachstums“. Reinhard, Zwang (wie Anm. 8), S. 268. Reinhard bezog sich hier auf Gerhard Oest­ reich, Strukturprobleme des europäischen Absolutismus, in: ders., Geist und Gestalt des frühmodernen Staates. Ausgewählte Aufsätze, Berlin 1969, S. 179–197; s. hier S. 187–196. Schon Heinrich Richard Schmidt, Sozialdisziplinierung? Ein Plädoyer für das Ende des Etatismus in der Konfessionalisierungsforschung, in: Historische Zeitschrift 265, 1997, S. 639–682, hier S. 641 hat allerdings darauf hingewiesen, dass „Oest­reich selbst [...] die Kirchendisziplin nur am Rande“ erwähne – konzeptbedingt, weil er „die ‚Sozialdisziplinierung‘ zeitlich und sachlich als ein Gegengewicht zum Konfessionalismus“ definiere. – Vgl. zum Themenkomplex „Konfessionalisierung – Kirchenzucht – Sozialdisziplinierung“ auch Heinz Schilling, Die Kirchen­zucht im frühneuzeitlichen Europa in interkonfessionell vergleichender und interdisziplinärer Perspektive – eine Zwischenbilanz, in: ders. (Hg.), Kirchenzucht und Sozialdisziplinierung im frühneuzeitlichen Europa (Mit einer Auswahlbibliographie) (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 16), Berlin 1994, S. 11–40.

Einleitung

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Gesellschaft nicht personal und fragmentiert, sondern institutionell und flächenmäßig organisiert war“.13 Vor allem die Verortung der Konfessionalisierung als Agens im neuzeitlichen Modernisierungsprozess wirkt sich, konsequent zuende gedacht, potenziell tiefgreifend auf das Geschichtsbild aus: Zum einen wird hier die Konfessionalisierung insgesamt, jedenfalls für eine bestimmte Entwicklungsphase, modernisierungstheoretisch positiv konnotiert; und zum anderen wird die verbreitete Sichtweise in Frage gestellt, der zufolge die frühneuzeitlichen Formierungsprozesse im katholischen Lager zur Entwicklungsgeschichte der Moderne schlechterdings nicht gehörten, während der Protestantismus als die einzig zukunftswirksame und zukunftsrelevante Form frühneuzeitlicher Religiosität zu betrachten sei.14 Seit Anfang der 1990er Jahre hat Heinz Schilling das ursprünglich als binnenstaatliches Erklärungsmodell entwickelte Konfessionalisierungsparadigma dann noch einmal grundlegend erweitert und die Konfessionalisierung zu einem Schlüsselinterpretament auch der Entwicklungsgeschichte der frühneuzeitlichen Staatenbeziehungen gemacht. Auch in mächtepolitischer Hinsicht wurde die Konfessionalisierung nun gewissermaßen als Katalysator in der frühneuzeitlichen „Modernisierungskrise“ vorgestellt. Schilling beschrieb den Faktor Konfession als jenes Element aus dem Ensemble der in der frühneuzeitlichen Mächteinteraktion wirksamen Kräfte (Dynastie, Konfession, Staatsinteresse, Tradition), das „von Mitte des 16. bis gegen Mitte des 17. Jahrhunderts“ – mit allerdings schon im Laufe des Dreißigjährigen Krieges abnehmender Bestimmungsmacht – als Leitkategorie der Außenpolitik fungiert habe. Dabei fasste er die Konfession als Agens auf, das die bis dahin regionalen europäischen Mächtekreise in einem großen, gesamteuropäischen, bipolaren katholisch-protestantischen Blockantagonismus zusammengeführt habe – einem Antagonismus, der sich schließlich nur durch eine säkulare Gleichgewichtsordnung der europäischen Mächte habe auflösen lassen, und der deshalb in einer Art „dialektischem“ Umschlag das frühmoderne Staatensystem des späteren 17. und 18. Jahrhunderts freigesetzt habe.15 13 14

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Schilling, Die Konfessionalisierung im Reich (wie Anm. 9), S. 6. Die modernisierende Funktion der Gegenreformation wurde vor allem von Reinhard früh betont; vgl. ders., Gegenreformation (wie Anm. 8), bes. S. 230–236, 239–247, 251 (Thesen 2 und 3); ders., Zwang (wie Anm. 8), S. 259, 261f., 274f. Die vorstehende Skizze fasst in notgedrungen sehr summarischer Verkürzung Überlegungen zusammen, die Heinz Schilling in einer ganzen Reihe von Studien ent­faltet, weiterentwickelt und modifiziert hat: Heinz Schilling, Formung und Gestalt des internationalen Systems in der werdenden Neuzeit – Phasen und bewegende Kräfte, in: Peter Krüger (Hg.), Kontinuität und Wandel in der Staatenord-

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Thomas Brockmann / Dieter J. Weiß

II. Die christentumsgeschichtlichen Implikationen des Paradigmas Das Konfessionalisierungsparadigma hat die Frühneuzeitforschung (die deutsche mehr als die gesamteuropäische) in den letzten Jahrzehnten entscheidend geprägt und vorangebracht16 – geprägt und vorangebracht freilich nicht nur im Modus der Aneignung und Verifizierung am historischen Material, sondern auch als Gegenstand der Kritik, der Modifizierung und konzeptionellen Fortentwicklung.17 Im Folgenden sollen kurz einige der wichtigsten Kontroversen um das Konfessionalisierungsparadigma vorgestellt und damit zugleich einige jener „Baustellen“ bezeichnet werden, mit denen sich unsere Tagung beschäftigt hat. An erster Stelle zu nennen sind hier zunächst die Debatten, die um die christentumsgeschichtlichen Implikationen des Konfessionalisierungsparadigmas geführt worden sind. Kaum irgendwo wird bestritten, dass in der Bewusstmachung der prozeduralen Ähnlichkeiten bei der Formierung der Konfessionskirchen und

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nung der Neuzeit. Beiträge zur Geschichte des internationalen Systems (Marburger Studien zur Neueren Geschichte 1), Marburg 1991, S. 19–46 (Zitat 2: S. 22); ders., Kon­fessionalisierung und Formierung eines internationalen Systems während der frühen Neuzeit, in: Hans R. Guggisberg/Gottfried G. Krodel (Hgg.) unter Mitarbeit von Hans Füglister, Die Reformation in Deutschland und Europa: Interpretationen und Debatten [...] (Archiv für Reformationsgeschichte, Sonderband), Gütersloh 1993, S. 591–613; ders., Die Konfessionalisierung und die Entstehung eines internationalen Systems in Europa, in: Irene Dingel/Volker Leppin/Christoph Strohm (Hgg.), Reformation und Recht. Festgabe für Gottfried Seebaß zum 65. Geburtstag, Gütersloh 2002, S. 127–144; ders., Gab es um 1600 in Europa einen Konfessionsfundamentalismus? Die Geburt des internationalen Systems in der Krise des konfessionellen Zeitalters, in: Jahrbuch des Historischen Kollegs 2005, S. 69–93; ders., Konfessionalisierung und Staatsinteressen. Internationale Beziehungen 1559–1660 (Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen 2), Paderborn u.a. 2007, vgl. bes. S. 36–40, 149f., 395–400, 416–418 (Zitat 1: S. 417; Zitat 3: S. 418). Zu würdigen sind nicht zuletzt auch die Erkenntnisgewinne, die vom Konfessio­ nalisierungsparadigma aus für die frühneuzeitliche Geschichte jeder der einzelnen Konfessionen und Konfessionskulturen erzielt worden sind; erinnert sei nur an die drei großen einschlägigen Dokumentationen: Heinz Schilling (Hg.), Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland – Das Problem der „Zweiten Reformation“ [...] (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 195), Gütersloh 1986; HansChristoph Rublack (Hg.), Die lutherische Konfessionalisierung in Deutschland [...] (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 197), Gütersloh 1992; Wolfgang Reinhard/Heinz Schilling (Hgg.), Die katholische Konfessionalisierung [...] (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 198), Gütersloh 1995. Einen Überblick über die einschlägigen Debatten bieten etwa: Stefan Ehrenpreis/ Ute Lotz-Heumann, Reformation und konfessionelles Zeitalter (Kontroversen um die Geschichte), Darmstadt 2002, S. 67–79.

Einleitung

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-kulturen im katholischen, lutherischen und reformierten Bereich eine der großen und bleibenden Leistungen des Konfessionalisierungsparadigmas liegt. Weniger konsensfähig ist allerdings die bevorzugte, sozusagen vereinseitigte Ausrichtung der Forschung und Historiographie zu den frühneuzeitlichen Konfessionen auf das Ähnliche, also auf die in den jeweiligen Formierungsvorgängen zutage tretenden Strukturkonvergenzen und auf die funktionalen Übereinstimmungen in Hinblick auf die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungsprozesse. Seit einiger Zeit wird dementsprechend, auch von evangelisch-theologischer Seite, die Erforschung der konfessionellen Besonderheiten, der konfessionsspezifischen Profile und Selbstverständnisse wieder stark gemacht – ein komplementärer Ansatz, für den sich der Leitbegriff der „Konfessionskultur“ einzubürgern scheint.18 In der Kritik stand und steht aber nicht nur die durch das Konfessionalisierungsparadigma potenziell beförderte Tendenz zur Absehung vom Konfessionell-Besonderen; beklagt wird auch, dass die Fixierung auf die strukturellen Aspekte und auf die gesellschaftlich-politische Funktion der einschlägigen Formierungsprozesse mit einer Ausblendung der genuin religiösen Dimension der Glaubenskämpfe des 16. und 17. Jahrhunderts einhergehe. Prägnant formuliert hat diese Problematik schon 1997 Anton Schindling: „Das Defizit des Konfessionalisierungskonzepts in der Geschichte von Theologie, Frömmigkeit und Spiritualität ist sehr deutlich – es werden nur Außenschalen wahrgenommen, nicht der Kern, das innere kirchliche Leben, nicht die Erlebnisse, Wahrnehmungen und Deutungen der handelnden und betroffenen Menschen, nicht der subjektiv gemeinte und erfahrene Sinn“.19 18

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Vgl. zum Forschungskonzept „Konfessionskultur“ insbes. Thomas Kaufmann, Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. Kirchengeschichtliche Studien zur lutherischen Konfessionskultur (Beiträge zur historischen Theologie 104), Tübingen 1998, S. 7–9. Anton Schindling, Konfessionalisierung und Grenzen von Konfessionalisierbarkeit, in: ders./Walter Ziegler (Hgg.) unter Mitarbeit von Franz Brendle, Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650, Bd. 7: Bilanz – Forschungsperspektiven – Register (Ka­ tholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 57), Münster 1997, S. 9–44, hier S. 12f., Zitat S. 12. – S. etwa auch Walter Ziegler, Kritisches zur Konfessionalisierungsthese, in: Peer Frieß/Rolf Kießling (Hgg.), Konfessionalisierung und Region (Forum Suevicum. Beiträge zur Geschichte Ostschwabens und der benachbarten Regionen 3), Konstanz 1999, S. 41–53, hier S. 45f. Nachdruck in: Walter Ziegler, Die Entscheidung deutscher Länder für oder gegen Luther. Studien zu Reformation und Konfessionalisierung im 16. und 17. Jahrhundert. Gesammel-

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Thomas Brockmann / Dieter J. Weiß

Des Weiteren stellt sich die Frage nach der Bedeutung des Konfessiona­ lisierungsparadigmas für die kirchen- und christentumsgeschichtliche Pos­itionierung der Konfessionen. Auf die Frage nach dem christentumsgeschichtlichen Ort der Konfessionen gaben und geben die konfessionsgebundenen Theologien je eigene Antworten, die meist auf die mehr oder minder große Devianz der anderen Konfessionen und die fundamentale Wahrheitskontinuität der eigenen Konfession hinauslaufen.20 Der Theologe freilich kann diese Kontinuität mithilfe von Theologumena und von theologischem Vorzugswissen denken, während der Historiker nach den Kontinuitäten und Diskontinuitäten der Konfessionen im Verhältnis zur älteren Christentumsgeschichte in der quellenmäßig zwar „sichtbaren“, aber auch einigermaßen unübersichtlichen geschichtlichen Welt der vorletzten Dinge fahnden muss. Zwei kontroverse Antworten auf die Kontinuitätsfrage hat die spezifisch historische Diskussion um das Konfessionalisierungsparadigma hervorgebracht. Die eine, die von Johannes Burkhardt formuliert worden ist, sieht alle drei frühneuzeitlichen Konfessionen in gleichsam äquidistantem Abstand zur mittelalterlichen Kirche. „In Wahrheit“, hat Burkhardt 2002 sehr zugespitzt festgestellt, seien „alle drei Konfessionen faktisch gleichermaßen Neugründungen des 16. Jahrhunderts, die gleichwohl auf unterschiedliche Traditionsbestände der mittelalterlichen Christenheit zurückgriffen. Die evangelische Konfessionsbildung setzte stärker am alten Text und an Bekenntnissen an und errichtete Organisationen zu ihrer Pflege, die katholische Konfessionsbildung knüpfte an Teile der alten Organisation an und gab ihr ein einheitliches Bekenntnis“.21 Die Gegenposition sieht die frühneuzeitliche römisch-katholische Konfession strukturell-organisatorisch wie theologisch-bekenntnismäßig in ungebrochener Kontinuität zur mittelalterlichen Kirche oder jedenfalls in engerer Affinität zu ihr als die protestantischen Konfessionen.22 Diese Position wird durch die Beobachtung gestützt, dass gerade auch wesentliche Reformimpulse im Rahmen des frühneuzeitlichen katholischen Formierungsprozesses ihre Wurzeln in spätmittelalterlichen

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te Aufsätze (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 151), Münster 2008, S. 173–188. Zur (heils-)geschichtlichen Selbstverortung der deutschen Protestanten im kon­ fessionellen Zeitalter s. jetzt Thomas Brockmann, Vorbild, Lehrer, Prophet der letzten Zeit. Luthermemoria und Lutherrezeption 1546–1617, in: Historisches Jahrbuch 129, 2009, S. 35–64, hier S. 40–49. Johannes Burkhardt, Das Reformationsjahrhundert. Deutsche Geschichte zwischen Medienrevolution und Institutionenbildung 1517–1617, Stuttgart 2002, S. 79. Vgl. etwa Ziegler, Kritisches (wie Anm. 19), bes. S. 42, 46–48.

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Reformansätzen haben und nicht als reine Neuentwicklungen der Gegenreformation aufzufassen sind.23 Schließlich wird kontrovers diskutiert, ob das Konfessionalisierungsparadigma die Reformation in ihrer Bedeutung als historische Zäsur nicht unangemessen relativiert. Tatsächlich tendiert das Konfessionalisierungskonzept ja zu einer Verschiebung der Gewichte zu Lasten der Reformation, und zwar in zweierlei Hinsicht: Zum einen ordnet es, in seiner modernisierungstheoretisch aufgeladenen Ausgangsfassung, nicht nur die konfessionellen Derivate der Reformation, sondern – darauf ist schon hingewiesen worden – auch die katholische Konfession dezidiert in eine gesellschafts- und politikgeschichtliche Fortschrittsperspektive ein und desavouiert damit die traditionelle Vorstellung von der exklusiven Zukunftsbedeutung der reformatorischen Spielarten des Christentums; „die modernisierende Wirkung“ wird, mit anderen Worten, „nicht mehr bei der Reformation bzw. im Protestantismus verortet, sondern für alle Konfessionskirchen wird im Zeitalter der Konfessionalisierung seit dem späten 16. Jahrhundert eine vergleichbare Rolle in der Hervorbringung der Moderne postuliert“ (Stefan Ehrenpreis/Ute Lotz-Heumann).24 Zum anderen legt das Paradigma die Schlussfolgerung nahe, dass im langen sechzehnten Jahrhundert mit der Konfessionalisierung noch ein zweiter religionsbasierter Hauptimpuls bestimmend gewesen sei, der dem der Reformation gleichkomme, ja, in seinen gesellschaftlich-politisch fortschrittstreibenden Wirkungen eher noch bedeutender sei. Mit dieser vom Konfessionalisierungsparadigma per se ausgehenden Relativierung der Reformation konvergiert in der neueren Forschung ein Trend, die Reformation nicht als solitären Umbruch, sondern vielmehr eher als Teil, „Etappe“ oder Höhepunkt einer schon spät­mittelalterlich einsetzenden Reformepoche zu interpretieren und somit in einen längeren, die konventionelle Epochenschwelle zwischen Spät­mittelalter und Früher Neuzeit übergreifenden Reformprozess relativierend „einzubetten“.25 Ob eine derartige Relativierung der Reformation allerdings angängig ist, darüber wird in der Forschung kontrovers debattiert. Gegen eine Positionierung der Reformation als Endpunkt „eines Zeitalters der Kirchenreform“ und für ein Festhalten am 23

24 25

Vgl. dazu etwa Dieter J. Weiß, Katholische Reform und Gegenreformation. Ein Überblick, Darmstadt 2005, bes. S. 16, 18–30. Ehrenpreis/Lotz-Heumann, Reformation (wie Anm. 17), S. 23. S. dazu Heinz Schilling, Reformation – Umbruch oder Gipfelpunkt eines Temps des Réformes?, in: Bernd Moeller (Hg.) in Gemeinschaft mit Stephen E. Buckwalter, Die frühe Reformation in Deutschland als Umbruch. Wissenschaftliches Symposion des Vereins für Reformationsgeschichte 1996 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 199), Gü­tersloh 1998, S. 13–34.

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„epochalen Umbruchcharakter der Reformation“ hat insbesondere Thomas Kaufmann votiert: „Angesichts der [...] unabweisbaren gesellschaftsgeschichtlichen Wirkungen der Reformation von den 1520er Jahren an muß ein ‚universalgeschichtliches‘ Periodisierungskonzept, das den Einschnitt der 1570/80er Jahre stärker betont als die Veränderungsschübe seit 1520, aus kirchen- und sozialhistorischer Perspektive unbefriedigend bleiben.“26 III. Konfessionalisierung, Sozialdisziplinierung, Staatsbildung Die ursprüngliche, Reinhard-/Schillingsche Konzeption des Kon­fessio­ nalisierungs­ paradigmas betont, das wurde schon hervor­ gehoben, die herr­schafts­intensivierende, die Entwicklung der Staatlichkeit bedienende Funktion des Konfessionalisierungsprozesses. Zugleich sieht sie den Staat als einen, wenn nicht als den Hauptprotagonisten der Konfessionalisierung an; sie fasst die Konfessionalisierung als einen – jedenfalls meist und vorwiegend – von „oben“ nach „unten“ verlaufenden Formierungsvorgang auf, als dessen wichtigste Subjekte in der Regel eben der Fürstenstaat selbst sowie die je nachdem ebenfalls mehr oder minder stark von ihm kontrollierten kirchlichen Instanzen fungieren, während die Gemeinden und Untertanen auf der gesellschaftlichen Mikroebene im wesentlichen bloße Objekte der Konfessionalisierung sind. Grundsätzlich in Frage gestellt wurde diese doppelt staatsbetonte Problemperspektive in Heinrich Richard Schmidts 1997 in der Historischen Zeitschrift publiziertem, vielbeachtetem Aufsatz „Sozialdisziplinierung? Ein Plädoyer für das Ende des Etatismus in der Konfessionalisierungsforschung“.27 Darin kritisierte Schmidt vehement die starke Fokussierung auf Fürst und Staat als Hauptakteure der Konfessionalisierung, wie sie für Heinz Schillings und noch mehr für Wolfgang Reinhards Ansatz charakteristisch sei: „Das etatistische Element ist ein Akzidenz, kein Essentiale, kein Strukturmerkmal – wo es überhaupt zur Konfessionalisierung dazukommt. Damit ist die Verengung, die das Konfessionalisierungs-Paradigma durch seine Zwangsvereinigung mit Oestreichs ‚Sozialdisziplinierung‘ erfuhr, ein Irrweg.“28 Schmidt wies zum einen darauf hin, dass es Konfessionalisierungsvorgänge ohne staatliche Beteiligung oder maßgebliche staatliche Initiative gegeben 26

27 28

Thomas Kaufmann, Die Konfessionalisierung von Kirche und Gesellschaft. Sammelbericht über eine Forschungsdebatte (Teil 2), in: Theologische Literaturzeitung 121, 1996, Sp. 1112–1121, hier Sp. 1118f. Schmidt, Sozialdisziplinierung (wie Anm. 12). Schmidt, Sozialdisziplinierung (wie Anm. 12), S. 660.

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habe,29 und hob das Moment der „Selbstregulierung“ und „Selbstkonfessionalisierung“ auf lokaler und gemeindlicher Ebene hervor.30 Zum anderen schlug er zur Beschreibung der Interaktion von Obrigkeit und kommunaler Ebene bei der Konfessionalisierung ein „Wechselwirkungsmodell“ vor, das die Rolle und den „Beitrag“ der Basis hinreichend berücksichtigen sollte. Die kommunale Basis, so Schmidt, brachte sehr oft ein eigenes, persönlich, gruppenspezifisch, gemeinschaftlich und religiös begründetes Interesse an konfessioneller Kirchenzucht mit ein und fragte, komplementär zur kommunalen Selbstregulierung, bestimmte regulierende obrigkeitliche „Dienstleistungen“ gewissermaßen nach, so dass die konfessionalisierende und disziplinierende Regulierung „von oben“, durch Staat und kirchliche Obrigkeit, nicht ohne weiteres auf ihren Zwangscharakter reduziert werden dürfe; auch sei die Umsetzung der obrigkeitlichen Konfessionalisierung in den Gemeinden gemäß den Interessen der relevanten Gruppen „selektiv“ erfolgt.31 Schmidts Grundsatzkritik hat nicht zu einem kommunalistischen „Paradigmenwechsel“ innerhalb des Konfessionalisierungsparadigmas geführt, wohl aber den Blick für die Unterschiedlichkeit der Konfessionalisierungsprozesse geschärft und insofern zur „Verflüssigung“32 und Flexibilisierung des Paradigmas beigetragen: der Terminus „Konfessionalisierung“ wird in der Forschung mittlerweile als ein Oberbegriff verwendet, der staatsdominierte und andere Typen konfessioneller Formierung gleichermaßen deckt; aus der definitorischen Zwangsbindung an Theoreme wie „Staatsbildung“, „Sozialdisziplinierung“ und „Modernisierung“ hat er sich im Grunde gelöst33 und dadurch zwar an analytischer Prägnanz 29 30 31 32

33

Schmidt, Sozialdisziplinierung (wie Anm. 12), S. 643f., 660. Schmidt, Sozialdisziplinierung (wie Anm. 12), S. 643f., 647. Schmidt, Sozialdisziplinierung (wie Anm. 12), S. 658–660, 680, 682. Die Metapher stammt von Michael G. Müller, Diskussionsbilanz, in: Joachim Bahlcke/Arno Strohmeyer (Hgg.), Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa. Wirkungen des religiösen Wandels im 16. und 17. Jahrhundert in Staat, Gesellschaft und Kultur (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 7), Stuttgart 1999, S. 413–418, hier S. 413. Müller konstatiert, dass „das Paradigma der Konfessionalisierung im Zuge der kritischen Forschungsdiskussion erheblich differenziert und sozusagen verflüssigt wurde“, so dass es „für die vergleichende Betrachtung anderer europäischer Geschichtsregionen [sc. als dem Reich und dem westeuropäischen Raum, T.B./D.W.] auch anschlußfähiger geworden“ sei. Die These, dass es sich bei Böhmen um den „Fall einer (katholischen) Konfessionalisierung mit weitgehend verhinderter Modernisierung und mit verzögerter Herausbildung von Elementen des modernen Staates“ gehandelt habe, in Stefan Plaggenborg, Konfessionalisierung in Osteuropa im 17. Jahrhundert. Zur Reichweite eines Forschungskonzeptes, in: Bohemia 44, 2003, S. 3–28, hier S. 18; vgl. auch insgesamt ebd., S. 15–18. – Auf Distanz zur Vorstellung eines einfachen Junktims

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verloren, aber Integrationspotenzial gewonnen, weil er ein weiteres Spektrum von Phänomenen und Fallbeispielen zu fassen vermag. Auch bei differenzierter Betrachtungsweise behält allerdings für viele territoriale Konfessionalisierungen im Reich – für jenes Feld also, von dem aus Reinhard und Schilling ihr Konzept ursprünglich in erster Linie entwickelt haben – der Faktor „Obrigkeit“ sein Gewicht. In diesem Sinne hat etwa der Kirchenhistoriker Andreas Holzem mit Blick auf das von ihm untersuchte Fürstbistum Münster betont, dass die Implementierung der Konfession durch die politisch-obrigkeitlichen Instanzen an sich gar nicht zu leugnen sei: „Es kann kein unangemessener ‚Etatismus‘ sein, auf der (wie immer gearteten und welche Konsequenzen jeweils auch zeitigenden) Beteiligung politischer Instanzen an der katholischen Konfessionalisierung als einer Voraussetzung ihrer Breitenwirksamkeit zu bestehen“. Auch für die Konfessionalisierung in den Territorien lutherischer Reichsfürsten sieht Holzem die zentrale Rolle der staatlichen Obrigkeit durch die Befunde der neueren Forschung eindeutig belegt. Allerdings ist damit nach Holzems Auffassung noch nicht gesagt, dass sich die Konfessionalisierung in den katholischen und lutherischen Territorien des Reiches ausschließlich als staatliche oder staatlich forcierte Implementierung von oben nach unten beschreiben lässt – und ebensowenig, dass sie ausschließlich eine disziplinierende Zwangsveranstaltung gewesen ist: Die Konfessionalisierung „von oben“ habe in den lokalen Gesellschaften je nachdem auch Prozesse der „Selbstkonfessionalisierung“ und gegenseitiger „horizontaler“ Kontrolle in Gang setzen können; zumal im katholischen Bereich hätten geistliche Reformgruppen und kirchliche Instanzen oft in relativer Unabhängigkeit vom Staat und in Wahrnehmung eigener Interessen und Ziele konfessionalisiert; es habe nicht nur den Typ der zwangsweisen Konfessionalisierung gegen Widerstände, sondern auch Überzeugungsvorgänge und die freiwillige Annahme und Aneignung der konfessionellen Sinnstiftungs- und Lebensbewältigungsangebote gegeben. Skeptisch ist Holzem überdies, was die Reduzierung der obrigkeitlichen Konfessionalisierung auf den Aspekt der Herrschaftsintensivierung anbetrifft – oft habe der Fürst die Förderung der wahren Religion zumindest auch als pflichtgemäße herrscherliche cura animarum zum Wohle der Untertanen und des Gemeinwesens aufgefasst und als zwischen katholischer Konfessionalisierung und Modernisierung geht allgemein jetzt auch Wolfgang Reinhard in seinem Besprechungsartikel: Barockkatholizismus statt Konfessionalisierung?, in: Historische Zeitschrift 291, 2010, S. 419–429, hier S. 426f. Reinhard berücksichtigt hier die Kritik des besprochenen Werkes von Peter Hersche, Muße und Verschwendung. Europäische Gesellschaft und Kultur im Barockzeitalter, 2 Bde., Freiburg/Basel/Wien 2006, am Konnex von katholischer Konfessionalisierung und Modernisierungstheorie; vgl. insbes. Hersches Bemerkungen in Bd. I, S. 47f., 57–63.

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solche betrieben; die „staatsbildenden“ und herrschaftsintensivierenden Wirkungen der Konfessionalisierung belegten noch nicht per se eine entsprechende herrscherliche Intention.34 Die neuere Forschung hat freilich nicht nur ein differenzierteres Bild von den Konfessionalierungsprozessen mit starken obrigkeitlichen Akteuren entwickeln können, sondern den Blick darüber hinaus auch auf Formen und Fälle relativ oder weitgehend staatsferner Konfessionalisierung gelenkt. Es muss an dieser Stelle genügen, statt anderer auf einige wenige einschlägige Studien und Fallbeispiele hinzuweisen: Oliver Becher hat in seiner Untersuchung zu der (mehrkonfessionellen) Grafschaft Mark ein Territorium behandelt, in dem, so Becher, „der Konfessionalisierungsprozess bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhundert[s] von Geistlichen, Adeligen, Städten und dem Kirchenvolk autonom und teilweise auch konträr zu herrschaftlichen Interessen getragen“ worden ist.35 Für das benachbarte, ebenfalls konfessionsgemischte Herzogtum Berg spricht Stefan Ehrenpreis von einer „konkurrierende[n] Konfessionalisierung von unten“ mit einer relativ autonomen Entwicklungscharakteristik besonders hinsichtlich der beiden protestantischen Konfessionen.36 Eine relativ selbständige, von lokalen Faktoren und Interessen mitbestimmte, dabei späte und langsame Formierung katholischer Konfessionskultur und katholischen Konfessionsbewusstseins auf Gemeindeebene hat für das Bistum (Hochstift) Speyer auch Marc Forster ausgemacht. Dieser konfessionell-identitäre Formierungsprozess an der Basis war, Forster zufolge, in erster Linie weder das Produkt dominanter staatlicher oder kirchlich-institutioneller Intervention „von oben“ noch das Resultat einer ungefiltert wirksamen tridentinischen Gegenreformation; er verdankte sich vielmehr zu einem Gutteil einem traditionsorientierten „non-Tridentine process of ­Catholic renewal“ in den Gemeinden selbst.37 34

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Andreas Holzem, Die Konfessionsgesellschaft. Christenleben zwischen staatlichem Bekenntniszwang und religiöser Heilshoffnung, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 110, 1999, S. 53–85, bes. S. 67–85, Zitate S. 69–71. – Vgl. zur Konfessionalisierung im Fürstbistum Münster auch Holzems große Studie: Religion und Lebensformen. Katholische Konfessionalisierung im Sendgericht des Fürstbistums Münster 1570–1800 (Forschungen zur Regionalgeschichte 33), Paderborn 2000. Oliver Becher, Herrschaft und autonome Konfessionalisierung. Politik, Religion und Modernisierung in der frühneuzeitlichen Grafschaft Mark, Essen 2006, Zitat S. 12; s. auch das Fazit, S. 221. Stefan Ehrenpreis, Konfessionalisierung von unten. Konzeption und Thematik eines bergischen Modells?, in: Burkhard Dietz/Stefan Ehrenpreis (Hgg.), Drei Konfessionen in einer Region. Beiträge zur Geschichte der Konfessionalisierung im Herzogtum Berg vom 16. bis zum 18. Jahrhundert (Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte 136), Köln 1999, S. 3–13, hier S. 8–11, Zitat S. 8. Marc R. Forster, The Counter-Reformation in the Villages. Religion and Reform in the Bishopric of Speyer, 1560–1720, Ithaka/London 1992, s. bes. S. 2–9, 245–247, Zitat S. 2.

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IV. Reichweite und Grenzen der Konfessionalisierung Das 16. und das frühe 17. Jahrhundert werden auch in der neueren Forschung zu Recht als eine Epoche intensiver bzw. intensivierter (und dabei weiter „verchristlichter“38) Religiosität betrachtet – die Schwelle zur Neuzeit steht, trotz des Einflusses der Renaissance, noch nicht oder jedenfalls nicht einseitig unter dem Vorzeichen von Individualisierung und Säkularisierung, und ebensowenig ist sie bereits durch eine avancierte Autonomie des Politischen geprägt. Gerade in der Fragmentierung und Konfrontation der Konfessionen und Konfessionskulturen steigerte sich hier vielmehr noch einmal die Bedeutung von Religion und Frömmigkeit. Im Hinblick auf das Verhältnis zwischen Religion und Politik sieht Heinz Schilling das ausgehende 16. Jahrhundert und „das erste Viertel des 17. Jahrhunderts“ sogar explizit von einem „christlichen Konfessionsfundamentalismus“ bestimmt, der in allen Konfessionen innen- wie außenpolitisch wirkmächtig und dessen Grundcharakteristik die „bedingungslos auf gewaltsame Durchsetzung der jeweils eigenen religiösen Wahrheit“ gerichtete Zielsetzung gewesen sei.39 Man kann allerdings fragen, ob die Rede vom konfessionellen Fundamentalismus nicht doch eine übertrieben große und exklusive Bestimmungsmacht des Konfessionellen im Hinblick auf die politischen Akteure suggeriert – wie überhaupt die Frage nach den Grenzen der Konfessionalisierung auch über den politischen Bereich hinaus berechtigt und forschungsstrategisch wichtig ist. Anton Schindling hat schon 1997 für eine derartige „Gegenkontrolle“ unter der Leitfragestellung nach den „Grenzen der Konfessionalisierung“ und der „Konfessionalisierbarkeit“ plädiert;40 in seiner grundlegenden Studie weist er auf Phänomene und Felder hin, die jenseits der Konfessionskulturen standen oder sich ihnen zumindest nicht vollständig ein- und unterordneten (bestimmte Bereiche der Volksreligion und magische Praktiken, mystische Traditionen, Humanismus und Antike-Rezeption); ferner erinnert er daran, dass die Konfessionalisierung je nach territorialen Gegebenheiten bis weit ins 17. Jahrhundert und gar bis zur Jahrhundertmitte auch ganz oder teilweise ausbleiben („konfessionelle Niemandsländer“, „Mischformen“) und mangels Akzeptanz an der Basis minder erfolgreich verlaufen konnte.41 38

39 40 41

S. dazu Schindling, Konfessionalisierung (wie Anm. 19), S. 17 mit Hinweisen auf die einschlägige französische Forschung (Jean Delumeau, Louis Châtelier). Schilling, Konfessionalisierung und Staatsinteressen (wie Anm. 15), S. 416. Schindling, Konfessionalisierung (wie Anm. 19), S. 11f. Schindling, Konfessionalisierung (wie Anm. 19), S. 14–17, 20–29, Zitate S. 24f.

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In Übereinstimmung mit Schindlings Befunden42 ist außerdem und insbesondere festzuhalten: Auch Recht und Politik blieben im konfessionell­en Zeitalter letztlich doch Größen von eigenem Gewicht; sosehr sie im Einzelfalle der Konfessionalisierung unterlagen – sie wurden, aufs Ganze gesehen, nicht einfach zur bloßen Funktion der Konfession.43 Die Reichsverfassung etwa blieb auch im späteren 16. und frühen 17. Jahrhundert eine Grundnorm: sie wurde zwar in bestimmten Hinsichten je nach politischem oder konfessionellem Interesse verschieden interpretiert, aber als solche von den Religionsparteien in der Regel und im Allgemeinen nicht offen in Frage gestellt. Auch die konfessionellen Auseinandersetzungen wurden im Reich vielmehr zu einem Gutteil als Streit um die Interpretation des (überkonfessionellen) Reichskirchenrechts von 1555 geführt; zur Charakteristik der jeweiligen Forderungen gehörte dabei auf allen Seiten eben nicht nur der konfessionelle Auslegungs-Bias, sondern auch die prätendierte (Reichs-) Rechtsförmigkeit.44 Selbst das Restitutionsedikt Kaiser Ferdinands II., eines Herrschers mit unbezweifelbar großen konfessionellen Ambitionen, war kein „konfessionalistisches Maximalprogramm“45, sondern blieb auf das (mit dem kanonischen Recht inkompatible) Reichskirchenrecht von 1555 bezogen, indem es in ausgewählten – wiewohl gewichtigen – Streitfragen um dessen Auslegung die „katholische“ Rechtsauffassung für den von Anfang an klaren, authentischen Rechtssinn erklärte.46 Die Konfessionalisierung der Politik stieß auch im sogenannten Konfessionellen Zeitalter offenkundig immer wieder an Grenzen, die sich aus der Wahrung und Wahrnehmung entgegenstehender anderweitiger Interessen der Herrscher und Dynastien, der Gemeinwesen und ihrer Eliten ergaben. Deutlich wird dies etwa, wenn man auf ein Phänomen schaut, das von der Forschung erst in jüngerer Zeit verstärkt in seiner epochalen, gesamteuropäischen Dimension gewürdigt worden ist: die konfessi42 43

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Schindling, Konfessionalisierung (wie Anm. 19), S. 32–35. Diesen Befund erhebt, trotz der prononcierten Rede vom „konfessionellen Fundamentalismus“, übrigens auch Heinz Schilling selbst; vgl. Schilling, Konfessionalisierung und Staatsinteressen (wie Anm. 15), S. 419: „Auch auf dem Höhepunkt der Verkopplung von Religion und Politik blieben beide Bereiche prinzipiell unterscheidbar [...]“. S. dazu Martin Heckel, Deutschland im konfessionellen Zeitalter (Deutsche Geschichte 5), 2. Aufl. Göttingen 2001, S. 67–71. Diese Charakterisierung des Restitutionsedikts bei Schindling, Konfessionalisierung (wie Anm. 19), S. 33. S. zum Restitutionsedikt jetzt Thomas Brockmann, Dynastie, Kaiseramt und Konfession. Politik und Ordnungsvorstellungen Ferdinands II. im Dreißigjährigen Krieg (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte, Neue Folge 25), Paderborn u.a. 2011, S. 359–389.

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onellen Koexistenzordnungen („Religionsfrieden“).47 Zwar gehörte zum Motivtableau der Religionsfrieden auf allen Seiten oft auch eine konfessionelle Binnenmotivik – retten und sichern, was für die eigene Konfession zu retten und zu sichern ist – ; aber im Spiele war zumeist auch eine Art politisch-interessenmäßig orientierter „gesunder Menschenverstand“, dem gemäß der konfessionelle Kampf nicht sozusagen etsi pereat mundus, nicht bis zum vollständigen Ruin des Gemeinwesens oder etwa des Herrscherhauses fortgeführt werden dürfe. In ihrem Wunsch, derartige Koexistenzordnungen abzuschließen, bevor das Staatswesen ganz zerbrach oder sich die Folgen der Konfliktfortsetzung für Herrscher und Dynastie politisch gänzlich katastrophal auswirkten, setzten die politischen Akteure die beratenden Theologen, so scheint es, mitunter durchaus unter erheblichen, ergebnisorientierten Erwartungsdruck. Für das Erfordernis, heterodoxiebegünstigende Koexistenzregelungen zu rechtfertigen, waren die Theologen nämlich in allen Lagern gleichermaßen schlecht gerüstet – und mussten die Erwartungen dann doch nicht selten mit notrechtlichen Argumentationen bedienen, die in der jeweiligen zeitgenössischen theologischen Binnenperspektive nicht anders als prekär zu bezeichnen waren.48

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S. zu den Religionsfrieden und konfessionellen Koexistenzordnungen der Frühen Neuzeit jetzt vor allem: Olivier Christin, La paix de religion. L’autonomisation de la raison politique au XVIe siècle, Paris 1997; Jean Bérenger, Tolérance ou paix de religion en Europe centrale (1415–1792) (Bibliothèque d’histoire moderne et contemporaine 3), Paris 2000; Eike Wolgast, Religionsfrieden als politisches Problem der frühen Neuzeit, in: Historische Zeitschrift 282, 2006, S. 59–96; Armin Kohnle, Konfliktbereinigung und Gewaltprävention: Die europäischen Religionsfrieden in der frühen Neuzeit, in: Irene Dingel/Christiane Tietz (Hgg.), Das Friedenspotenzial von Religion (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz. Abteilung für Abendländische Religionsgeschichte, Beih. 78), Göttingen 2009, S. 1–19; Thomas Brockmann, Die frühneuzeitlichen Religionsfrieden – Normhorizont, Instrumentarium und Probleme in vergleichender Perspektive, in: Christoph Kampmann/Maximilian Lanzinner/Guido Braun/Michael Rohrschneider (Hgg.), „L’art de la paix“. Kongresswesen und Friedensstiftung im Zeitalter des Westfälischen Friedens (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte 34), Münster/Westf. 2011, S. 575–611. Vgl. dazu etwa die Vorgeschichte der niederösterreichischen Religionskonzession vom 11. Juli 1620, dargestellt in Brockmann, Dynastie (wie Anm. 46), S. 109–138.

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V. Konfessionalisierung als gesamteuropäischer Prozess? Mit dem Konfessionalisierungsparadigma verband sich von Anfang an ein gesamteuropäischer Geltungsanspruch.49 Im europäischen Maßstab ist seine Tragfähigkeit gleichwohl erst mit einiger Zeitverzögerung erprobt worden, und das Konfessionalisierungsparadigma hat in den nationalen Forschungsdiskursen außerhalb des deutschen Sprachraumes und in der internationalen Forschung auch keine mit der Prägewirkung im deutschen Bereich entfernt vergleichbare Bedeutung erlangt.50 Daraus resultiert ein bis heute fühlbarer forschungsstrategischer „Nachholbedarf“, der die Frage nach dem gesamteuropäischen Erklärungswert des Kon­ fessionalisierungsparadigmas und nach der Modellierung des Paradigmas in gesamteuropäischer Perspektive zu den dringendsten aktuellen Aufgaben der Konfessionalisierungsforschung macht. Inhaltlich konvergieren die bislang vorliegenden Ergebnisse in einem zentralen Punkt mit denen der Forschung zur Konfessionalisierung im deutschen Raum: sie bedienen insgesamt den Trend zur Differenzierung und „Verflüssigung“ des Paradigmas. Es muss an dieser Stelle genügen, exemplarisch auf einige wichtige einschlägige Befunde und Studien zu verweisen. Für die an der westlichen Peripherie des Reiches gelegenen und im konfessionellen Zeitalter im Zuge ihres Staatsbildungsprozesses aus dem Reich herauswachsenden (Nord-)Niederlande hat Olaf Mörke betont, dass der Calvinismus im Zuge der Staatsbildung zwar zeitweilig eine Leitfunktion („wichtigste[r] Ideologieträger des neuen Staates in der ersten Phase seiner Entstehung“) gehabt und in Gestalt der reformierten Öffentlichkeitskirche auch eine „bevorrechtigte“ Position im Spektrum der vorhandenen Konfessionen errungen habe, aber (trotz entsprechender, aus dem konfessionellen Absolutheitsanspruch resultierender Ambitionen des Reformiertentums selbst) im dezentralen politisch-gesellschaftlichen System der Niederlande nicht zu einer „einheitlichen und verbindlichen ‚Staatsreligion‘“ mit tatsächlichem Monopolcharakter geworden sei; deshalb füge sich der Fall der Nordniederlande in das Konfessionalisierungsparadigma Reinhardscher und Schillingscher Prägung mit seinem Junktim von Konfessionalisierung und frühmoderner Staatsbildung und dem 49 50

Vgl. etwa Reinhard, Zwang (wie Anm. 8), S. 256, 269. Zur Rezeption des Konfessionalisierungsparadigmas in der internationalen Historiographie und Forschung s. auch die Stichworte in Philip Benedict, Confession-­ alization in France? Critical Reflections and New Evidence, in: Ders., The Faith and Fortunes of France’s Huguenots, 1600–85 (St Andrews Studies in Reformation History), Aldershot u.a. 2001, S. 309–325, hier S. 309; ferner die Hinweise in Ehrenpreis/Lotz-Heumann, Reformation (wie Anm. 17), S. 62f.

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Strukturprinzip einer „Einheit von Glaube und politischem Raum“ nicht wirklich problemlos ein.51 In seiner Studie „Confessionalization in France?“ unterscheidet Philip Benedict zwischen Reinhards und Schillings „strong theory of confessionalization“, die konfessionelle Identitätsbildung, Sozialdisziplinierung und Staatsbildung verknüpfe, und einer „weak theory of confessionalization“, bei der der Terminus nur für die Etablierung der konfessionellen Orthodoxie- und Orthopraxiesysteme, die Identitätstiftung und die Abgrenzung der Bekenntnisse selbst stehe und nicht mit weiteren theoretischen Implikationen befrachtet sei (Zeeden; Gregory Hanlon). Was die Brauchbarkeit der „strong theory“ als Interpretament für die französische Geschichte angeht, ist er skeptisch und betrachtet nur die „weak theory“ als für den französischen Fall interessante konzeptionelle Option.52 Unter dem Stichwort „doppelte Konfessionalisierung“ hat Ute LotzHeumann die besondere irische Entwicklung im 16. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts thematisiert. Hier konkurrierten „Versuche der protestantischen Konfessionalisierung ‚von oben‘ in Allianz mit dem Staat“ und eine „katholische Konfessionalisierung ‚von unten‘ in Opposition zum Staat“, ohne dass die englische Krone und die protestantische Religionspartei auf der einen oder die Katholiken auf der anderen Seite ihre konfessionelle Alleingeltungsabsicht realisieren konnten. Die Arbeit steht unter dem Anspruch einer „gleichberechtigten“ Analyse beider Konfessionalisierungstypen, die nicht einseitig von der „erfolgreiche[n]

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Olaf Mörke, ‚Konfessionalisierung‘ als politisch-soziales Strukturprinzip? Das Verhältnis von Religion und Staatsbildung in der Republik der Vereinigten Niederlande im 16. und 17. Jahrhundert, in: Tijdschrift voor sociale geschiedenis 16, 1990, S. 31–60, Zitate S. 34, 59. – Vgl. dazu auch ders., Die politische Bedeutung des Konfessionellen im Deutschen Reich und in der Republik der Vereinigten Niederlande. Oder: War die Konfessionalisierung ein „Fundamentalvorgang“?, in: Ronald G. Asch/Heinz Duchhardt (Hgg.), Der Absolutismus – ein Mythos? Strukturwandel monarchischer Herrschaft in West- und Mitteleuropa (ca. 1550–1700) (Münstersche historische Forschungen 9), Köln/Weimar/Wien 1996, S. 125–164. Benedict, Confessionalization (wie Anm. 50), bes. S. 313–325, Zitate S. 313. – Vgl. zu Frankreich auch Mack P. Holt, Confessionalization beyond the Germanies: The Case of France, in: John M. Headley/Hans J. Hillerbrand/Anthony J. Papalas (Hgg.), Confessionalization in Europe, 1555–1700. Essays in Honor and Memory of Bodo Nischan, Aldershot 2004, S. 257–273 (mit weiteren Literaturhinweisen). Ausgehend vom Fallbeispiel Dijon kommt Holt ebenfalls zu der Einschätzung, dass für Frankreich eher der Rückgriff auf den älteren Zeedenschen Ansatz als die Anwendung der von Schilling und Reinhard entwickelten Spielart des Konfessionalisierungsparadigmas in Frage komme; vgl. bes. das Resümee, ebd., S. 272f.

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Durchsetzung eines konfessionellen Monopols und [der] Verknüpfung mit der Staatsbildung als ‚Norm‘“ ausgeht.53 Für den ostmitteleuropäischen Raum wird mit guten Gründen ebenfalls die Auffassung vertreten, dass ein „etatistisch“ enggeführtes Kon­fessio­ nalisierungsmodell ohne erhebliche Erweiterungen und Anpassungen die Verhältnisse nicht adäquat zu fassen vermag.54 Wolfgang Reinhard hat daher angesichts der für Ostmitteleuropa gewonnenen Erkenntnisse (ein wichtiges Stichwort ist hier bekanntlich die „Adelskonfessionalisierung“) zwar an der These festgehalten, „daß Konfessionalisierung im Regelfall nur im Bündnis mit weltlichen Obrigkeiten Erfolg haben konnte“, aber zugleich vorgeschlagen, den Kreis der in Frage kommenden Obrigkeiten über den „werdenden modernen Staat“ hinaus zu erweitern: „Stadt- und Landgemeinden kommen ebenso in Frage wie ständische Gemeinwesen oder adelige Herren“.55 Bei den bislang genannten Ländern handelt es sich durchweg um Staaten und Regionen, die zur breiten, von Polen und Siebenbürgen bis zu den britischen Inseln reichenden, unmittelbaren konfessionellen Konfliktzone zu zählen sind. Freilich ist der Blick auch auf die Tatsache zu richten, dass vor allem der weitgehend romtreu gebliebene italienische und iberische Süden nicht in gleicher Weise zur Konfliktzone zählte, so dass sich die Frage nach der Geltung und Bedeutung des Konfessionalisierungsparadigmas für den „konfliktperipheren“ Süden Europas stellt. Anton Schindling hat das Problem schon 1997 thematisiert und vorgeschlagen, „Konfessionalisierung […] im präzisierten Sinne“ als auf eine „mitteleuropäische und westeuropäische Kernzone“ beschränktes „Phänomen der konfessionellen Grenz- und Konflikträume“ zu betrachten, „wo das Erlebnis, die Wahr53

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Ute Lotz-Heumann, Die doppelte Konfessionalisierung in Irland. Konflikt und Koexistenz im 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts (Spätmittelalter und Reformation. Neue Reihe 13), Tübingen 2000, bes. S. 15 (Zitate), 428–435. Winfried Eberhard, Voraussetzungen und strukturelle Grundlagen der Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa, in: Joachim Bahlcke/Arno Strohmeyer (Hgg.), Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa (wie Anm. 32), S. 89–103, bes. S. 94, 97, 101–103; Jörg Deventer, ‚Confessionalisation‘ – a Useful Theoretical Concept for the Study of Religion, Politics, and Society in Early Modern East-Central Europe?, in: European Review of History – Revue européenne d’Histoire 11, 2004, S. 403– 425, hier S. 416–420; ders., Forschungen zur Konfessionalisierungsthese am Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas an der Universität Leipzig (GWZO), in: zeitenblicke. Online journal für die Geschichtswissenschaften 6, 2007, Nr. 2 , hier Abschnitt . Wolfgang Reinhard, „Konfessionalisierung“ auf dem Prüfstand, in: Joachim Bahlcke/Arno Strohmeyer (Hgg.), Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa (wie Anm. 32), S. 79–88, hier S. 87f.

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nehmung und die Deutung der Nachbarschaftskonkurrenz zu außergewöhnlichen Anstrengungen führten“.56 Eine derartige Zurücknahme und Begrenzung des Konzepts auf die Konfrontationsräume scheint auf den ersten Blick erwägenswert; es bleibt aber zu fragen, ob sie angesichts der offenkundigen Wechselwirkungen zwischen Konflikt- und Nichtkonfliktzonen auch tatsächlich zu rechtfertigen ist: Einerseits war der Süden unzweifelhaft ein Hauptreservoir der in der Konfliktzone aktiven Kräfte der katholischen Reform und Gegenreformation (und die römische Kurie ein Hauptakteur);57 und andererseits wirkte sich die durch Glaubensspaltung und protestantische Bekenntnisbildung erzwungene Klärung des katholischen Dogmas auch auf die Kirche, ihr Denken und ihre Praxis in dem vom Protestantismus selbst weitgehend unbehelligten Süden aus. Zum Themenbereich „europäische Aspekte der Konfessionalisierung“ gehört schließlich auch die Frage nach der außenpolitischen Relevanz des Faktors Konfession im 16. und 17. Jahrhundert. Heinz Schillings Thesen haben dazu beigetragen, dass darüber seit geraumer Zeit intensiv diskutiert wird; die Debatte zeigt allerdings auch, dass eine derart starke Betonung des Konfessionellen als Leitmotiv der europäischen Außenpolitik im späteren 16. und frühen 17. Jahrhundert, wie Schilling sie vertritt, nicht auf ungeteilte Zustimmung stößt.58 *** Die in der vorstehenden, knappen Skizze zur Forschungs- und Problemgeschichte des Konfessionalisierungsparadigmas angesprochenen Fragestellungen und Positionen gehören nicht abgeschlossenen Diskursen an, sondern sind Teil eines nach wie vor hochaktuellen Forschungsgeschehens, das beständig neue Fallbeispiele, Regionen, Konstellationen einbezieht und zugleich „Arbeit am Paradigma“ im Sinne der Weiterentwicklung, Modifizierung, Entfaltung und Kritik des Konzepts „Konfessionalisierung“ betreibt. Die Beiträge des vorliegenden Tagungsbandes ordnen sich

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Schindling, Konfessionalisierung (wie Anm. 19), S. 18–20, Zitate S. 20. S. dazu Weiß, Katholische Reform (wie Anm. 23), bes. Kap. V, VI, VIII. Vgl. dazu etwa (ohne explizite Nennung Schillings) Winfried Schulze, Resümee, in: Friedrich Beiderbeck/Gregor Horstkemper/Winfried Schulze (Hgg.), Dimensionen der europäischen Außenpolitik zur Zeit der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert (Innovationen. Bibliothek zur Neueren und Neuesten Geschichte 10), Berlin 2003, S. 337–350, hier S. 345–350; Sven Externbrink, Rez. zu Heinz Schilling, Konfessionalisierung und Staatsinteressen [...], Paderborn 2007, in: H-Soz-u-Kult .

Einleitung

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in dieses Forschungsgeschehen ein, wobei ein breites Spektrum an Aspekten und Zugängen vertreten ist. Einen ersten Schwerpunkt bilden die historiographischen und konzeptionellen Grundfragen. In seiner Analyse der Entwicklung im Fürstbistum Bamberg verweist Dieter Weiß auf das hohe Maß an katholischer Kontinuität vom Spätmittelalter bis ins 17. und 18. Jahrhundert hinein und nimmt von diesem Befund aus Stellung gegen die Vorstellung, dass der nachreformatorische Katholizismus – ganz wie die beiden protestantischen Bekenntnisgruppen – als eine von drei gleichermaßen „neuen“ Nachfolgekonfessionen der mittelalterlichen Christianitas zu betrachten sei. Harm Klueting zeichnet die Geschichte des Konfessionalisierungsparadigmas nach und formuliert Thesen zu den Zukunftsperspektiven der historischen und der theologischen Konfessionenforschung. Robert Bireley interpretiert die Geschichte der katholischen Kirche in der frühen Neuzeit als Akkommodationsgeschehen unter den spezifischen Adaptionsanforderungen im Übergang vom Spätmittelalter zur Moderne und schlägt als begrifflichen Schlüssel dafür statt „katholische Reform“, „Gegenreformation“, „Konfessionsbildung“ oder „Konfessionalisierung“ die Bezeichnung „frühmoderner Katholizismus“ vor. Andreas Holzem diskutiert in einer umfassenden Bestandsaufnahme die zentralen Beiträge zur Konfessionalisierungsdebatte; er präsentiert das Konfessionalisierungskonzept als entwicklungsfähiges, „mitlernendes Paradigma“ und plädiert in eigener Akzentsetzung für eine verstärkte Ausrichtung der Forschung auf die Praxis des kirchlichen und religiösen Lebens im sozialen und politischen Kontext unter dem Stichwort der „Konfessionsgesellschaft“. Eine zweite Gruppe von Studien nimmt die Konfessionalisierung auf der Mikroebene in den Blick. Wolfgang Brückner untersucht in volkskundlich-vergleichender Perspektive die Konvergenzen und Divergenzen in der Frömmigkeitspraxis der Konfessionen. Günter Dippold geht den Spielräumen für protestantische Glaubenspraxis und gemischtkonfessionelle Koexistenz in Kommunen der Fürstbistümer Bamberg und Würzburg im konfessionellen Zeitalter nach. Stefan Ehrenpreis befasst sich unter dem Stichwort „Mischkonfessionalisierung“ ebenfalls mit den besonderen Formen und Auswirkungen konfessioneller Koexistenz und Konkurrenz auf der gesellschaftlich-politischen Mikroebene, im dörflichen und gemeindlichen Raum. Einen dritten Schwerpunkt bilden die europäischen Aspekte der Konfessionalisierung. Josef Schmid befasst sich mit der sakralen Monarchie­ tradition in Frankreich und England, der er eine eigenständige Bedeutung im konfessionellen Feld zuspricht. Mit der französischen Geschichte in

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der konfessionellen Formierungsphase befasst sich in Form einer biographischen Fallstudie auch Thomas Nicklas, der den Weg Charles’ de Guise (1525–1574), des „Kardinals von Lothringen“, vom moyenneur zum Konfessionalisten nachzeichnet. Thomas Brockmann geht am Beispiel Ferdinands II. der Frage nach dem Stellenwert und den Grenzen von Konfession und Religion im innen- und außenpolitischen Zieltableau des habsburgischen Kaisertums nach. Dirk Pfeifer untersucht, ob der Arminianismus in den Niederlanden und in England mit dem Instrumentarium der Kon­fessionalisierungsforschung beschrieben werden kann. Ludolf Pelizaeus geht der Frage nach, ob und gegebenenfalls in welcher Weise sich das Konfessionalisierungsparadigma auf die außerhalb der unmittelbaren mitteleuropäischen Konfliktzone liegende Iberische Halbinsel anwenden lässt. Einen Bogen vom Konfessionalisierungsdiskurs der Frühneuzeithistoriker zur aktuellen Debatte um die Funktion des Konfessionellen in der Moderne schlägt schließlich Martin Friedrich, dessen Beitrag sich mit der These vom 19. Jahrhundert als „Zweitem Konfessionellen Zeitalter“ auseinandersetzt.

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Die GroSSe Bamberger ­FRONleichnamsprozession und das Konfessionalisierungsparadigma – Überlegungen zum Geschichts- und ­Kirchenbild Dieter J. W e i ß Am heutigen Vormittag zog wieder die große, barock anmutende Fronleichnamsprozession durch Bamberg.1 Abgesehen von den der sogenannten Liturgiereform nach dem letzten Konzil geschuldeten Änderungen des Ablaufs und der Paramente scheint es sich um eine katholisch-konfessionelle Demonstration zu handeln. Zu ihrem besonderen Erscheinungsbild tragen die Laienbruderschaften bei, die reich geschmückte Reliquiare, bekleidete Heiligenfiguren und Prozessionsstangen mitführen.2 Viele der Träger haben, wie früher sogar die Priester, einen Kranz von Kunstblumen3 auf dem Kopf, die Teilnehmer sind nach Ständen, Bruderschaften und Pfarreien gegliedert. Damit drängt sich das Bild ungebrochener katholischer Konfessionalität auf, wie sie vermeintlich eine Folge des Tridentinums bildete. Das Konzil von Trient behandelte während seiner zweiten Tagungsperiode 1551/52 das Eucharistiedekret.4 Die Väter berührten in ihrer Debatte 1

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Der Beitrag folgt dem öffentlichen Vortrag zur Eröffnung der Kolloquiums, der am 22. Mai 2008 (Fronleichnam) gehalten wurde. – Luitgar Göller, Fronleichnam in Bamberg, Bamberg 2000 (S. 28–38 Dokumentation der mitgeführten Figuren, Stäbe und Gegenstände). – Vgl. Bruno Neundorfer, Die Fronleichnamsprozession. Zu ihrer Geschichte in Stadt und Bistum Bamberg, in: St.-Heinrichs-Kalender 59, 1984, S. 34–41; Angela Treiber, Die Bamberger Fronleichnamsprozession. Beharrung im Wandel, in: Jahrbuch für Volkskunde 27, 2004, S. 95–118. Vgl. Werner Scharrer, Laienbruderschaften in der Stadt Bamberg vom Mittelalter bis zum Ende des Alten Reiches. Geschichte – Brauchtum – Kultobjekte, in: Bericht des Historischen Vereins Bamberg (künftig BHVB) 126, 1990, S. 25–292. Treiber, Fronleichnamsprozession (wie Anm. 1), S. 101. Hubert Jedin, Geschichte des Konzils von Trient 3, Freiburg i.Br. u.a. 1970, S. 268– 291, hier: Mysterium fidei: Das Eucharistiedekret der Sessio XIII. – André Duval O.P., Le concile de Trente et le culte eucharistique, in: Studia Eucharistica DCCi

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vier Problemkreise, die teilweise Angriffe der Reformatoren beantworte­ ten: 1. die Realpräsenz (gegen die Schweizer Reformatoren), 2. die Transsubstantiation (gegen Martin Luther), 3. die Aufbewahrung sowie der Kult der Eucharistie und 4. die Kommunion unter beiderlei Gestalt. Als Ergebnis der Generaldebatte wurde die katholische Eucharistielehre zusammengefaßt.5 In Kapitel 5 werden die Verehrung des Altarsakraments an einem eigenen Festtag und Prozessionen durch öffentliche Straßen und Plätze unterstützt, der Charakter des Fronleichnamsfestes als Triumph der siegreichen Wahrheit über Lüge und Häresie betont. Damit scheint die große Form der Fronleichnamsprozession Ausfluß der Konzilsdebatte oder der katholischen Konfessionalisierung oder – einen älteren Begriff aufgreifend – der Gegenreformation, weniger der katholischen Reform zu sein. Im folgenden wollen wir diese verschiedenen Epochenbegriffe vorstellen und versuchen, ihre Brauchbarkeit und besonders das Konfessionalisierungsparadigma an der Entwicklung in Bamberg6 und am Beispiel seiner Fronleichnamsprozession zu überprüfen und zu veranschaulichen. Reformation – Gegenreformation – katholische Reform oder Konfessionalisierung Bereits der österreichische Kirchenhistoriker Karl Eder (1889–1961) verwendete 1949 das Adjektiv konfessionell im Zusammenhang mit einer Epochenbezeichnung. Er benützte den Begriff des konfessionellen Absolutismus, um für den Zeitraum von 1555 bis 1648 das enge Bündnis der Religion mit dem frühmodernen, zum Absolutismus tendierenden Staat zu betonen, der die Konfessionshoheit usurpiert hatte.7 Der Begriff Konfessionsbildung wurde von Ernst Walter Zeeden geprägt. Entscheidend wurde sein Vortrag auf dem Historikertag 1956 in Ulm über „Grundlagen und Wege der Konfessionsbildung in Deutschland im Zeitalter der Glau-

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anni a condito Festo Sanctissimo Corporis Christi 1246–1946, Antwerpen 1946, S. 379–414; Dieter J. Weiß, La dévotion eucharistique dans l’Eglise après le Concile de Trente, in: La Liturgie Trésor de l’Eglise. Actes du premier colloque d’études historiques, théologiques et canoniques sur le rite catholique romain, hg. v. Centre International d’Etudes Liturgiques, Paris 1995, S. 141–162. Heinrich Denzinger, Enchiridion symbolorum definitionum et declarationum de rebus fidei et morum, hg. v. Peter Hünermann, Freiburg i.Br. u.a. 371991, Nr. 1635– 1661, S. 527–536. Dieter J. Weiß, Bamberg im konfessionellen Zeitalter. Ein Beitrag zur Konfessionalisierungsdebatte, in: Historisches Jahrbuch 124, 2004, S. 409–433. Karl Eder, Die Kirche im Zeitalter des konfessionellen Absolutismus (1555–1648) (Kirchengeschichte III/2, hg. v. Johann Peter Kirsch†), Freiburg i.Br. 1949.

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benskämpfe“, aus dem sein wegweisender Aufsatz8 und sein Werk über die „Entstehung der Konfessionen“9 hervorgingen. Er versteht unter Konfessionsbildung „die geistige und organisatorische Verfestigung der seit der Glaubensspaltung auseinanderstrebenden christlichen Bekenntnisse zu einem halbwegs stabilen Kirchentum nach Dogma, Verfassung und religiössittlicher Lebensform“. Darauf aufbauend entwickelten Wolfgang Reinhard10 und Heinz Schilling11 das Modell der Konfessionalisierung. Es rückt den Prozeßcharakter der Ausbildung der Konfessionen in den Mittelpunkt. Für die Geschichtswissenschaft der Frühneuzeit bildete sich die Konfessionalisierung darauf zu einem Forschungsschwerpunkt aus. Kirchen- und Profangeschichte, Verfassungs-, Sozial- und Kulturgeschichte wie der Mentalitätenwandel können damit unter einer gemeinsamen Fragestellung untersucht werden.12 Für Deutschland erwies sich dieser Ansatz als besonders fruchtbar, weil er die Verknüpfung von Reichs- und Landesgeschichte ermöglicht. Wolfgang Reinhard überwand die Gegenüberstellung von Reformation und Gegenreformation als aufeinanderfolgende Epochen und versteht den Zeitraum ab den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts über die alte Epochenscheide 1555 hinweg bis nach der Mitte des 17. Jahrhunderts als „konfessionelles Zeitalter“. Der Prozeß der Konfessionalisierung wird dabei als Modernisierung begriffen, und zwar nicht nur in der Tradition Max Webers für den Calvinismus, sondern auch für das Luthertum und den tridentinisch erneuerten Katholizismus.13 Heinz Schilling versteht Konfessionalisierung als gesellschaftlichen Fundamentalvorgang, der parallel zur Ausbildung des frühmodernen Staates mit der Formierung einer neu8

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Ernst Walter Zeeden, Grundlagen und Wege der Konfessionsbildung im Zeitalter der Glaubenskämpfe, in: Historische Zeitschrift 185, 1958, S. 249–299. Ernst Walter Zeeden, Die Entstehung der Konfessionen, München/Wien 1965, folgendes Zitat S. 9f. Wolfgang Reinhard, Konfession und Konfessionalisierung in Deutschland, in: ders. (Hg.), Bekenntnis und Geschichte, Augsburg 1981, S. 165–189; ders., Zwang zur Konfessionalisierung?, in: Zeitschrift für Historische Forschung 10, 1983, S. 257– 277. Nachdrucke in: ders., Ausgewählte Abhandlungen (Historische Forschungen 60), Berlin 1997, S. 103–125, 127–147. Heinz Schilling, Konfessionskonflikt und Staatsbildung, Gütersloh 1981; ders., Die Konfessionalisierung im Reich. Religiöser und gesellschaftlicher Wandel in Deutschland zwischen 1555 und 1620, in: Historische Zeitschrift 246, 1988, S. 1–45. Forschungsüberblick: Stefan Ehrenpreis/Ute Lotz-Heumann, Reformation und konfessionelles Zeitalter (Kontroversen um die Geschichte), Darmstadt 2002, S. 62–71. Wolfgang Reinhard, Gegenreformation als Modernisierung? Prolegomena zu einer Theorie des konfessionellen Zeitalters, in: Archiv für Reformationsgeschichte 68, 1977, S. 226–252. Nachdruck in: ders., Abhandlungen (wie Anm. 10), S. 77–101.

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zeitlich disziplinierten Untertanengesellschaft verlief.14 Diese Modernisierungsthese besagt in Weiterführung von Gerhard Oestreichs Begriff der Sozialdisziplinierung,15 daß die breite Bevölkerung erst durch die Konfessionalisierung des 16. und 17. Jahrhunderts für das Christentum mit seinen selbstdisziplinierenden ethischen Attitüden gewonnen worden sei.16 Eine Reihe von Lokal- und Spezialstudien haben die Fruchtbarkeit der Fragestellung unter Beweis gestellt.17 Der Blick aufs Detail zeigt aber, wie wenig systematisch die Entwicklung verlief. Während viele Forscher den Begriff Konfessionelles Zeitalter aufgriffen,18 wurde von ganz verschiedenen Seiten Kritik am Konfessionalisierungskonzept geübt.19 Heinrich Richard Schmidt bemängelt seine Zentrierung auf die Obrigkeit wegen der Verwendung normativer Quellen, während das Verständnis für die mangelnde Durchsetzung der Sozialdisziplinierung und die Vielfalt in den Gemeinden verloren zu gehen drohe.20 In eine ähnliche Richtung argumentiert Walter Hartinger, der für das Herzogtum Bayern – den Musterstaat katholischer Konfessionalisierung – den Erfolg einer Sozialdisziplinierung bestreitet; das Verbot des Fluchens, die Abstinenzgebote, die Sonntagsheiligung, all dies ließ sich nur begrenzt durchsetzen und mußte stets neu eingeschärft werden.21 Er be14 15

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Schilling, Konfessionalisierung im Reich (wie Anm. 11), S. 6. Gerhard Oestreich, Strukturprobleme des europäischen Absolutismus, in: ders., Geist und Gestalt des frühmodernen Staates. Ausgewählte Aufsätze, Berlin 1969, S. 179–197, hier S. 188. Wolfgang Reinhard, Sozialdisziplinierung – Konfessionalisierung – Modernisierung. Ein historiographischer Diskurs, in: Nada Boškovska Leimgruber (Hg.), Die Frühe Neuzeit in der Geschichtswissenschaft. Forschungstendenzen und Forschungsergebnisse, Paderborn 1997, S. 39–55. Peer Frieß/Rolf Kießling (Hgg.), Konfessionalisierung und Region (Forum Suevicum. Beiträge zur Geschichte Ostschwabens und der benachbarten Regionen 3), Konstanz 1999. Ehrenpreis/Lotz-Heumann, Reformation (wie Anm. 12), S. 71–79. – Maximilian Lanzinner, Konfessionelles Zeitalter 1555–1618 (Gebhard Handbuch der deutschen Geschichte, 10. Auflage, hg. v. Wolfgang Reinhard), Stuttgart 2001; Harm Klueting, Das Konfessionelle Zeitalter. Europa zwischen Mittelalter und Moderne. Kirchengeschichte und Allgemeine Geschichte, Darmstadt 2007. Beste Zusammenfassung: Peter Hersche, Muße und Verschwendung. Europäische Gesellschaft und Kultur im Barockzeitalter, 2 Bde., Freiburg i.Br. 2006, Bd. 1, S. 55–64. Heinrich Richard Schmidt, Konfessionalisierung im 16. Jahrhundert (Enzyklopädie Deutscher Geschichte 12), München 1992. – Dazu Wolfgang Reinhard, in: Zeitschrift für Historische Forschung 22, 1995, S. 267–269. Walter Hartinger, Konfessionalisierung des Alltags in Bayern unter Maximilian I., in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte (künftig ZBLG) 65, 2002, S. 123– 156.

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tont, daß die Formen der praxis pietatis, wie sie ein Kurfürst Maximilian I. (1597/98–1651) vorlebte und sie von vielen Laien aufgenommen wurden, bereits im Spätmittelalter ausgebildet worden seien.22 Dies verdeutlichen Frömmigkeitsformen wie das Rosenkranzgebet oder die Verwendung von Agnus Dei23 – oder eben auch die Fronleichnamsprozession. Gerade diese liefen aber der mit dem Konfessionalisierungskonzept verbundenen Modernisierung zuwider. Der Blick auf die europäische Gesamtentwicklung wie verschiedene Regionalstudien relativieren ebenfalls das Modell. Einen zentralen Ansatz zur Kritik scheint mir das dahinter stehende Kirchenbild zu bieten. Die radikal zugespitzte Konfessionalisierungsthese, nach der aus der mittelalterlichen gemeinsamen abendländischen Christenheit durch die Reformation und ihre Folgen im 16. Jahrhundert drei völlig neue, durch spezifische Lehrgebäude und Lebenshaltungen festgefügte Konfessionen entstanden seien, ist nur innerhalb eines protestantischen Kirchenbildes vertretbar. Besonders deutlich wird diese Sichtweise etwa in den Arbeiten von Gottfried Maron, der eine Verengung des Katholizismus durch die Gegenreformation als Konfessionalisierung versteht.24 In stark trivialisierter Form vertritt etwa Johannes Burkhardt diese Auffassung.25 Die Frage nach der Konfessionalisierung ist also auch vom Kirchenund Geschichtsbild abhängig. Die katholische Kirche versteht unter Kirche etwas anderes als die Glaubensgemeinschaften der Reformation.26 Der damalige Professor Joseph Ratzinger hat 1966 im Hinblick auf eine lange vorherrschende Sichtweise formuliert, daß „sich die katholische Ge22 23 24

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Hartinger, Konfessionalisierung (wie Anm. 21), S. 148. Hartinger, Konfessionalisierung (wie Anm. 21), S. 137–140. Gottfried Maron, Das Schicksal der katholischen Reform im 16. Jahrhundert. Zur Frage der Kontinuität in der Kirchengeschichte, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 88, 1977, S. 219–229; ders., Katholische Reform und Gegenreformation, in: Theologische Realenzyklopädie 18, Berlin/New York 1989, S. 45–72; ders., Die nachtridentinische Kodifikationsarbeit in ihrer Bedeutung für die katholische Konfessionalisierung, in: Wolfgang Reinhard/Heinz Schilling (Hgg.), Die katholische Konfessionalisierung. Wissenschaftliches Symposion der Gesellschaft zur Herausgabe des Corpus Catholicorum und des Vereins für Reformationsgeschichte 1993 (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 198), Münster 1995, S. 104–124. Johannes Burkhardt, Das Reformationsjahrhundert. Deutsche Geschichte zwischen Medienrevolution und Institutionenbildung 1517–1617, Stuttgart 2002, S. 77–135. Zum katholischen Kirchenbild vgl. Katechismus der katholischen Kirche, München u.a. 1993, v.a. S. 226–281; Kongregation für die Glaubenslehre, Erklärung „Dominus Jesus“ über die Einzigartigkeit der Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche, Rom 2000 (http://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/ documents/rc_con_cfaith_doc_20000806_dominus-iesus_ge.html; letzter Zugriff: 26. Februar 2009).

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schichtsbetrachtung von selbst auf den Nachweis der Identität zwischen der Kirche der Gegenwart und der Kirche der Apostel verwiesen [sah], d. h. zugespitzt gesagt: Der Sinn katholischer Geschichtsschreibung wurde es in gewissem Maß zu beweisen, daß keine Geschichte stattgefunden hatte, sondern alles von den Anfängen her immer gleichgeblieben war“.27 Das Schlüsselwort für diese Auffassung ist Kontinuität, während evangelische Kirchenhistoriker – besonders natürlich für die Ereignisse des 16. Jahrhunderts – die Umbrüche und Wandlungen und die parallele Ausbildung einer römischen oder tridentinischen und evangelisch-reformierter Konfessionen betonen.28 Anton Schindling hat darauf hingewiesen, daß das Konzept der Konfessionalisierung die Frage schon der Zeitgenossen nach der theologischen Wahrheit verdränge.29 Walter Ziegler betont in seinen Arbeiten, daß die katholischen Territorien im konfessionellen Zeitalter weitgehend unverändert – also in Kontinuität – altgläubig geblieben seien.30 Ein Bruch in Dogma und Struktur, in Sakraments- und Amtsverständnis der katholischen Kirche vom Mittelalter in die Neuzeit ist nicht erfolgt. Sie hat vielmehr die Kontinuität der Lehre, der Hierarchie, des sakramental geweihten Priestertums und des kanonischen Rechts gewahrt. In diesem Zusammenhang seien die ebenfalls in Abhängigkeit von unterschiedlichen Kirchen- und Geschichtsbildern entstandenen Begriffe Reformation, Gegenreformation und katholische Reform angesprochen.31 Im allgemeinen Bewußtsein wird unter Reformation die Ausbildung der evangelisch-lutherischen und reformierten Konfessionen verstanden. Für diese Entwicklung hat sich als Epochenbezeichnung der deutschen Geschichte seit dem 18. Jahrhundert der Begriff Reformation verfestigt, der durch 27

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Joseph Ratzinger, Das Problem der Dogmengeschichte in der Sicht der katholischen Theologie (Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen, Geisteswissenschaften Heft 139), Köln/Opladen 1966, S. 11. Maron, Schicksal (wie Anm. 24), S. 218f. Anton Schindling, Konfessionalisierung und Grenzen der Konfessionalisierbarkeit, in: ders./Walter Ziegler (Hgg.), Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650, Bd. 7 (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 57), Münster 1997, S. 9–44. Walter Ziegler, Kritisches zur Konfessionalisierungsthese, in: Frieß/Kießling (Hgg.), Konfessionalisierung (wie Anm. 17), S. 41–53. Nachdruck in: ders., Die Entscheidung deutscher Länder für oder gegen Luther. Studien zu Reformation und Konfessionalisierung im 16. und 17. Jahrhundert. Gesammelte Aufsätze (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 151), Münster 2008, S. 173–188, ebenda weitere Aufsätze dazu. Eike Wolgast, Reform, Reformation, in: Geschichtliche Grundbegriffe, hg. v. Otto Brunner†, Werner Conze, Reinhart Koselleck, Bd. 5, Stuttgart 1984, S. 313–360.

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Leo­pold von Ranke (1795–1886) für die Zeit zwischen 1517 und 1555 festgeschrieben wurde.32 Evangelische Autoren begriffen die Reformation Martin Luthers (1483–1546) als Rückkehr zum ursprünglichen Christentum und interpretierten die Erneuerung der katholischen Kirche nur als eine Antwort darauf.33 Deshalb erhielt die Reformation den Charakter einer Epochengrenze zwischen Mittelalter und Neuzeit, worüber sich eine bis in die Gegenwart reichende Forschungskontroverse entspann.34 Berndt Hamm beschreibt die Entwicklung von der spätmittelalterlichen reformatio zur Reformation als Prozeß normativer Zentrierung von Religion und Gesellschaft in Deutschland.35 Er betont den systemsprengenden Charakter der Reformation Luthers, die nicht mehr „als eine ausgefallene Position innerhalb der Variationsbreite kirchlich tolerierter mittelalterlicher Theologien, Frömmigkeitsformen und Reformmodelle und ihres deutenden Umgangs mit der Hl. Schrift erklärbar ist.“ Ihr Ergebnis bildete eine neue Konfession, die sich von der bestehenden Kirche abgrenzte. Auch Heinz Schilling will an der Reformation als Umbruch festhalten, aber gleichzeitig „die Geschichte des Mythos »Reformation als Umbruch« reflektieren“.36 Die Antithese Gegenreformation – ursprünglich im Plural verwendet – kam im 18. Jahrhundert auf, zunächst 1776 bei dem Göttinger Staatsrechtslehrer Johann Stephan Pütter (1725–1807). Der Begriff setzte sich mit dem Gebrauch durch Leopold von Ranke durch.37 Dieser verstand darunter die gewaltsame Rückführung eines protestantisch gewordenen Gebietes zur altgläubigen Religionsausübung beziehungsweise das kämpferische Vorgehen der katholischen Kirche und katholischer Fürsten gegen die evangelische Reformation. Moriz Ritter (1840–1923) kennzeichnete damit die Reichsgeschichte zwischen dem Augsburger Religionsfrieden

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Leopold von Ranke, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation, 6 Bde., Berlin 1839–1847. Gottfried Seebaß, Reformation, in: Theologische Realenzyklopädie 28, Berlin/New York 1997, S. 386–404. Ehrenpreis/Lotz-Heumann, Reformation (wie Anm. 12), S. 17–29. Berndt Hamm, Von der spätmittelalterlichen reformatio zur Reformation: der Prozeß normativer Zentrierung von Religion und Gesellschaft in Deutschland, in: Archiv für Reformationsgeschichte 84, 1993, S. 7–81, hier S. 7. Heinz Schilling, Reformation – Umbruch oder Gipfelpunkt eines Temps des Réformes?, in: Bernd Moeller (Hg.), Die frühe Reformation in Deutschland als Umbruch (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 199), Gütersloh 1998, S. 13–34, hier S. 34. Forschungsüberblick: Ernst Walter Zeeden (Hg.), Gegenreformation (Wege der Forschung 311), Darmstadt 1973.

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und den Westfälischen Friedensschlüssen.38 Noch Heinrich Lutz (1922– 1986) hat im Jahr 1979 in seinem Band für die Reihe Grundriß der Geschichte die Zeit zwischen Luthers Reformation und dem Jahr 1648 unter den Titel „Reformation und Gegenreformation“ gestellt.39 Das dahinter stehende Geschichtsbild scheint stark von kirchengeschichtlichen Vorstellungen geprägt. Im deutschen Sprachraum verschränkte sich dies mit einer nationalen Sichtweise, in der Martin Luther zum Nationalhelden und Begründer der Reformation und damit einer neuen Epoche avancierte. Die Reformation wurde in dieser Sichtweise zu einem Grundereignis der Neuzeit.40 Allerdings ereigneten sich in diesem Zeitalter auch andere prägende historische Entwicklungen wie die europäischen Hegemonialkämpfe, der innere Staatsausbau, die Ständekriege oder der Aufbau der Kolonialreiche. Es bedurfte einer längeren Entwicklung, bis man in der katholisch geprägten Wissenschaft das Etikett Gegenreformation aufgriff und daneben die kirchliche Selbsterneuerung mit dem Begriff katholische Reform positiv besetzte. Grundlegend für die Begriffsdifferenzierung wurde der Beitrag des katholischen Kirchenhistorikers Hubert Jedin (1900–1980) „Katholische Reformation oder Gegenreformation?“ aus dem Jahr 1946.41 Mit einer prägnanten Formulierung schuf er Klarheit: „Die katholische Reform ist die Selbstbesinnung der Kirche auf das katholische Lebensideal durch innere Erneuerung, die Gegenreformation ist die Selbstbehauptung der Kirche im Kampf gegen den Protestantismus.“ Die Vorstellung einer zeitlichen Abfolge von Reformation und katholischer Reform respektive Gegenreformation als Reaktion darauf war damit überholt. Die Bewegungen liefen nicht zwangsläufig nacheinander, sondern oft parallel. Verstärkt wurde nun in der Forschung der Akzent auf die innerkirchliche katholische Erneuerung gelegt.42 Das Mittelalter verstand Reform als Rückkehr zu einem verlorenen Idealzustand (bona et antiqua consuetudo).43 Die Bezeichnungen Reform und Reformation wurden un38

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Moriz Ritter, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Gegenreformation und des Dreißigjährigen Krieges (1555–1648), 3 Bde., Stuttgart 1889–1908. Heinrich Lutz, Reformation und Gegenreformation, 5. Auflage, durchgesehen u. ergänzt v. Alfred Kohler (Oldenbourg Grundriß der Geschichte 10), München 2002. Vgl. zur Forschungsdiskussion zusammenfassend Klueting, Zeitalter (wie Anm. 18), S. 144–156. Hubert Jedin, Katholische Reformation oder Gegenreformation?, in: Zeeden (Hg.), Gegenreformation (wie Anm. 37), S. 46–81 (Erstdruck 1946), hier S. 80. Massimo Marcocchi, La Riforma cattolica. Documenti e testimonianze. Figure ed istituzioni dal secolo XV alla metà del secolo XVII, 2 Bde., Brescia 1967/70. Johannes Spörl, Das Alte und das Neue im Mittelalter. Studien zum Problem des mittelalterlichen Fortschrittsbewußtseins, in: Historisches Jahrbuch 50, 1930,­­S.

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terschiedslos gebraucht. Konrad Repgen hat der Entwicklung des Reformbegriffs bis in die Gegenwart eine eindringliche Studie gewidmet, die auch die aktuelle, sinnentstellende Verwendung für beliebige Veränderungen berücksichtigt.44 Mittelalterliche Reformbemühungen gab es in mehreren Wellen, zu denen verschiedene Reformkongregationen, Ordensgründungen sowie die Konzilien von Konstanz, Basel und das Lateranum V zu rechnen sind. Der jüngere Wilhelm Durandus (um 1266–1330) hatte die griffige Formel von der reformatio ecclesiae in capite et membris geprägt, welche die Diskussion im Spätmittelalter bestimmte. In den Niederlanden entstand gegen Ende des 14. Jahrhunderts die religiöse Erneuerungsbewegung der Devotio moderna, die durch ein Streben nach Christozentrik und Innerlichkeit geprägt war. In vielen italienischen Städten bildeten sich im Laufe des 15. Jahrhunderts aus dem Zusammenschluß von Priestern und Laien Oratorien oder Hieronymus-Bruderschaften, die sich sozialkaritativen Aufgaben widmeten. In Spanien erfolgte zu Beginn des 16. Jahrhunderts eine vom Geist des kirchlichen Humanismus getragene Universitätsreform. Die „katholischen Könige“ Ferdinand von Aragón (1479– 1516) und Isabella von Kastilien (1474–1504) betrieben die Erneuerung der Kirche, die sie in den Dienst der Einheitlichkeit ihres Reiches stellten. Das Fronleichnamsfest im Mittelalter Überhaupt bildete das Spätmittelalter eine Epoche intensivierter Frömmigkeit, wie sie sich in zahlreichen Altar- und Meßstiftungen und einer Steigerung der guten Werke äußerte.45 Wichtig wurde die sinnliche Erfahrbarkeit der Sakramente, die Betonung der Schau, die bei Sakramentsandachten und Prozessionen zum Ausdruck kam.46 Die Visionen der hl. Juliana von Lüttich (†1258) hatten aus Dankbarkeit für die Einsetzung der Eucharistie zur Einführung des Fronleichnamsfestes zunächst in ihrer Heimat geführt. Theophorische Prozessionen, bei denen der eucharistische Heiland in der Monstranz sichtbar durch die Straßen getragen wird, waren allerdings kein 44

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297–341, 498–524. Konrad Repgen, „Reform“ als Leitgedanke kirchlicher Vergangenheit und Gegenwart, in: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 84, 1989, S. 5–30. Klaus Schreiner (Hg.), Laienfrömmigkeit im späten Mittelalter. Formen, Funktionen, politisch-soziale Zusammenhänge (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 20), München 1992. Dieter J. Weiß, Prozessionsforschung und Geschichtswissenschaft, in: Jahrbuch für Volkskunde 27, 2004, S. 63–79.

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ursprünglicher Bestandteil. Auch die hohen Feste des Kirchenjahres und Gebete in Notzeiten konnten mit eucharistischen Prozessionen verbunden werden. Die Einführung des Fronleichnamsfestes erfolgte in den einzelnen Diözesen, Kirchen und Orden zu unterschiedlichen Zeitpunkten.47 Weitere Verbreitung gewann es seit der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. In der Bischofsstadt Bamberg wird eine Fronleichnamsprozession erstmals für das Jahr 1390 genannt.48 Bischof Lamprecht von Brunn (1374–1399) verfügte in Statuten, daß das Fronleichnamsfest jährlich mit entsprechender Feierlichkeit mit einer Prozession und anschließendem Hochamt im Dom unter Beteiligung des gesamten Klerus der Stadt begangen werden solle.49 Er verband dies mit einer Weinstiftung an die Kanoniker, Vikare und Mönche und weitere Teilnehmer. In seinem Testament setzte er eine Geldzahlung für die Teilnahme an Prozession und Hochamt aus.50 Für das späte 15. Jahrhundert erhalten wir im Direktorium der Domkirche eine ausführliche Schilderung der Feierlichkeiten.51 Zunächst wurden alle vorhandenen Reliquiare am Altar des Peterschores52 der Kathedrale ausgesetzt. Die vornehmsten Reliquien bildeten die Häupter des Kaiserpaares Heinrich und Kunigunde. Diesen Heiltumsschatz führten die Kleriker im Anschluß bei der Prozession mit. Daneben gehörten Fahnen, Vortragkreuze sowie Leuchter und Laternen vor dem Traghimmel zum festen Bestandteil. Neben Klerikern des Domes, der Nebenstifte und der beiden Pfarrkirchen nahmen unter anderen Buben und Mädchen mit Fahnen und Kerzen, Kinder in Engelskostümen, die Stuhlbrüder, Musikanten, zwei Edelleute mit den Fahnen der Heiligen Georg und Heinrich sowie Buben, die Rosenblätter streuten, teil. Die Prozession bewegte sich 47

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Alois Mitterwieser, Geschichte der Fronleichnamsprozession in Bayern, durchgesehen und ergänzt von Dr. Torsten Gebhard, München 21949. Xaver Haimerl, Das Prozessionswesen des Bistums Bamberg im Mittelalter (Münchener Studien zur historischen Theologie 14), München 1937 (Nachdruck Hildesheim 1973), S. 37; Treiber, Fronleichnamsprozession (wie Anm. 1), S. 98. 1390 August 5: Staatsarchiv Bamberg (künftig StAB), Hochstift Bamberg, Urkunden 4262. – Johann Looshorn, Das Bisthum Bamberg von 1303–1399 (Die Geschichte des Bisthums Bamberg 3), Bamberg 1891, S. 475–479; Haimerl, Prozessionswesen (wie Anm. 48), S. 37. 1391 November 30, Insert in 1392 November 19: StAB, Hochstift Bamberg, Urkunden 4357. – Looshorn, Bisthum Bamberg 3 (wie Anm. 49), S. 481–483. Directorium Missae et Breviarii ecclesiae cathedralis Bambergensis / Pars aestivalis, 1499–1507 (?): Staatsbibliothek Bamberg, Msc.Lit.117, zum Fronleichnamsfest fol. 10v–13v, Prozessionsordnung fol. 10vf., 12vf. – Haimerl, Prozessionswesen (wie Anm. 48), S. 37–41; Mitterwieser, Geschichte (wie Anm. 47), S. 29–31. Hochaltar des Peterschores: Renate Baumgärtel-Fleischmann, Die Altäre des Bamberger Domes von 1012 bis zur Gegenwart (Veröffentlichungen des Diözesanmuseums Bamberg 4), Bamberg 1987, S. 89 und 134f.

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zwischen den Chören der Kathedrale und im Freien wohl innerhalb der Domburg.53 Im Anschluß fand das vom Bischof oder einem Kanoniker zelebrierte Pontifikal- oder Hochamt statt. Auch die beiden Bamberger Stadtpfarreien St. Martin und die Obere Pfarre veranstalteten am Festtag und in der Oktav mehrere Umgänge.54 Für den Oktavtag hat sich eine vom Rat wohl um 1440/50 erlassene Prozessionsordnung erhalten.55 Danach mußte sich die gesamte Handwerkerschaft beteiligen. Bis ins 19. Jahrhundert war die Teilnahme in den Handwerksordnungen festgelegte Berufspflicht.56 Die von St. Martin ausgehende Prozession führte um den Markt und ist über die Reformation hinweg für die Jahre 1503, 1547 und 1598 bezeugt, wird aber sicher auch dazwischen durchgeführt worden sein. Lediglich für das Jahr 1522 erfahren wir, daß die Zünfte die Fronleichnamsprozession boykottierten.57 Eine Institutionalisierung der eucharistischen Frömmigkeit erfolgte in Bamberg in den ebenfalls bereits im Spätmittelalter greifbaren Engels- oder Corporis-Christi-Bruderschaften an den beiden Pfarrkirchen.58 Katholische Konfessionalisierung in Bamberg? Doch kehren wir nochmals zur katholischen Reform zurück. Darunter wird die im Spätmittelalter einsetzende Selbsterneuerung der Kirche verstanden.59 Der humanistisch geprägte Reformkreis in Venedig konnte mit der Berufung von Gasparo Contarini (1483–1542) ins Kardinalskollegium 1535 an der päpstlichen Kurie Fuß fassen. Verschiedene Strömungen ver53 54

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Neundorfer, Fronleichnamsprozession (wie Anm. 1), S. 36. Looshorn, Bisthum Bamberg 3 (wie Anm. 49), S. 477, 488; Karl Schnapp, Fronleichnams-Oktavprozession bei Alt-St.-Martin. Ein Beitrag zur Geschichte der Bamberger Fronleichnamsprozession, in: Fränkische Blätter für Geschichtsforschung und Heimatpflege 4, 1952, S. 47–53, hier S. 48. – Vgl. auch Karl Schnapp (†), Stadtgemeinde und Kirchengemeinde in Bamberg vom Spätmittelalter bis zum kirchlichen Absolutismus (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Bamberg 5), Bamberg 1999, hier v.a. S. 316–327. Stadtarchiv Bamberg, Rep. B 4, Nr. 34 (Angabe nach Schnapp und Scharrer, Laienbruderschaften [wie Anm. 2], S. 167) – Schnapp, Fronleichnams-Oktavprozession (wie Anm. 54), S. 48. Schnapp, Fronleichnams-Oktavprozession (wie Anm. 54), S. 49; Treiber, Fronleichnamsprozession (wie Anm. 1), S. 110f. Werner Zeißner, Altkirchliche Kräfte in Bamberg unter Bischof Weigand von Redwitz (1522 – 1556) (Historischer Verein Bamberg Beiheft 6), Bamberg 1975, S. 79. Scharrer, Laienbruderschaften (wie Anm. 2), S. 84. Klueting, Zeitalter (wie Anm. 18), S. 137–143.

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dichteten sich im 16. Jahrhundert zu einem breiten Strom, den das Konzil von Trient kanalisierte.60 Das Tridentinum ist, wie Hubert Jedin betont, nach Vorgehensweise wie inhaltlicher Festlegung in der Tradition der ökumenischen Konzilien zu sehen.61 Viele der hier vertretenen Überlegungen wurzeln in der Reformbewegung des Spätmittelalters. Die Beschlüsse des Konzils bilden die Gesetzesfassung von Ideen, die weit zurückreichen. Es bedeutete die dogmatische Festigung der kirchlichen Lehre und gleichzeitig einen Neuaufbruch. Maßgeblich zu seiner Umsetzung trugen das erstarkende Papsttum, die reformierte Kurie mit ihren Kongregationen und Nuntiaturen sowie die Reformorden bei.62 Für die Umsetzung der katholischen Reform wie die Erfassung und Kontrolle aller Bevölkerungsschichten mit religiösen Vorschriften und Normen, für die Verfestigung des Dogmas und der durch das tridentinische Glaubensbekenntnis neuerlich gewonnenen Sicherheit der katholischen Kirche kann auch der Begriff katholische Konfessionalisierung verwendet werden.63 Wolfgang Reinhard versteht diesen Vorgang als ein tendenziell konservatives Einschmelzen von unvermeidlichen Innovationen in ein gegebenes System. Irenische Strömungen und humanistische Traditionen bei der Kirchenreform wurden dabei in den Hintergrund gerückt. Allerdings war es ein langer Prozeß, bis sich die so verstandene Konfessionalisierung durchsetzen konnte. Wir wollen wieder die Entwicklung in Bamberg in den Blick nehmen, um Kriterien für die katholische Konfessionalisierung64 zu gewinnen. Eigenständige Reformansätze vor Trient wie die Teilnahme am Kongreß von Landau 1526, die Besetzung der Domprädikatur, die Synodalstatuten von 1534, Versuche, die Domvikare zum Empfang der Priesterweihe zu bewegen, oder die Abhaltung einer Reformsynode 1548, bei der die im Zusammenhang mit dem Augsburger Interim erlassene formula reformationis 60

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Klaus Ganzer, Aspekte der katholischen Reformbewegungen im 16. Jahrhundert (Akademie der Wissenschaften und der Literatur. Abhandlungen der geistes- und sozialwissenschaftlichen Klasse, Jahrgang 1991, Nr. 13), Mainz 1991. Hubert Jedin, Geschichte des Konzils von Trient, 4 Bde., Freiburg i. Br. u.a. 1949– 1975 (Bde. 1–3 in Neuauflagen). Dieter J. Weiß, Katholische Reform und Gegenreformation. Ein Überblick, Darmstadt 2005. Reinhard/Schilling (Hgg.), Konfessionalisierung (wie Anm. 24); Klueting, Zeitalter (wie Anm. 18), S. 137f. Zur Problematik des Begriffs Walter Ziegler, Typen der Konfessionalisierung in katholischen Territorien Deutschlands, in: Reinhard/Schilling (Hgg.), Konfessionalisierung (wie Anm. 24), S. 405–418. Nachdruck in: ders., Entscheidung (wie Anm. 30), S. 129–143.

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verkündet wurde, griffen nur sehr zaghaft.65 Vor der Verkündigung der Professio fidei tridentina bildete die Abgabe geistlicher Steuern und damit die Anerkennung der Jurisdiktion des Diözesanordinarius ein, wenn nicht das Kriterium für die Katholizität.66 Was sind denn nun die Kriterien der tridentinischen Konfessionalisierung? Das Konzil von Trient hatte alle Inhaber kirchlicher Jurisdiktionsgewalt verpflichtet, auf der ersten nach Konzilsende stattfindenden Provinzial- und Diözesansynode seine Beschlüsse öffentlich anzunehmen. Als erstes Merkmal der tridentinischen Reform muß somit ihre Promulgation gelten. Zwar erklärte sich das Bamberger Domkapitel 1571 mit der Publizierung der Konzilsbeschlüsse für das Bistum einverstanden, doch liegen für eine Veröffentlichung keine Belege vor.67 1572 beschloß das Kapitel, daß seine Mitglieder künftig vor Erhalt ihrer Präbenden das tridentinische Glaubensbekenntnis zu leisten hätten.68 Später dehnte es diese Bestimmung auf alle Kapitulare aus.69 1586 vertrat das Kapitel dann allerdings eine gegenteilige Position und beharrte darauf, daß die Konzilsbeschlüsse in der Diözese „nicht publicirt“ seien.70 Und noch als Fürstbischof Peter Philipp von Dernbach (1672–1683) im Jahr 1680 das Dekret Tremendum Missae Sacrificium71 gemäß den Bestimmungen des Tridentinums erließ, verweigerte das Domkapitel seine Annahme. Es vermutete den Versuch, die gesamten Beschlüsse des Konzils von Trient zum Präjudiz in den beiden Hochstiften Bamberg und Würzburg einzuführen. Die Domkapitulare waren also noch im späten 17. Jahrhundert überzeugt, daß 65

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Dieter J. Weiß, Das exemte Bistum Bamberg 3/1. Die Bischofsreihe von 1522 bis 1693 (Germania Sacra NF 38), Berlin/New York 2000, S. 115–121. – Vgl. auch Hansgeorg Molitor, Die untridentinische Reform. Anfänge katholischer Erneuerung in der Reichskirche, in: Ecclesia militans. Studien zur Konzilien- und Reformationsgeschichte. Remigius Bäumer zum 70. Geburtstag gewidmet, Bd 1: Zur Konziliengeschichte, hg. v. Walter Brandmüller u.a., Paderborn u.a. 1988, S. 399– 431. Weiß, Bistum Bamberg (wie Anm. 65), S. 122f. 1571 März 5: StAB, B 86, 10, fol. 186r. – Johannes Kist, Bamberg und das Tridentinum, in: Das Weltkonzil von Trient. Sein Werden und Wirken 2, hg. v. Georg Schreiber, Freiburg i.Br. 1951, S. 119–134, hier S. 121. 1572 September 22: StAB, B 86, 10, fol. 451r. 1572 Dezember 2: StAB, B 86, 10, fol. 465vf. 1586 April 3: StAB, Rep. B 86, 17, fol. 361r. – Vgl. Hans Schieber, Die Vorgeschichte des Bamberger Priesterseminars, in: Seminarium Ernestinum. 400 Jahre Priesterseminar Bamberg, hg. v. Michael Hofmann, Wolfgang Klausnitzer, Bruno Neundorfer, Bamberg 1986, S. 17–86, hier S. 21. 1680 Mai 25: StAB, B 86, 43, fol. 196v–197v; B 26c, 130II; Druck: Ignaz Gropp, Collectio novissima scriptorum et rerum Wircebvrgensivm, 4 Bde., Frankfurt u.a. 1741–1750, hier Bd. 2, S. 516.

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dessen Reformbestimmungen für Bamberg keine Gültigkeit besäßen. Also kann man keine tridentinische Konfessionalisierung konstatieren. Als weitere Merkmale einer tridentinischen Konfessionalisierung können die Einrichtung von Priesterseminaren und die Durchführung von Visitationen dienen, um den Zustand des religiösen Lebens festzustellen. Da man in der Reichskirche dazu häufig wenig Neigung zeigte, versuchte das erneuerte Papsttum die Reform selbst anzustoßen. Bamberg bildete ein exemtes Bistum, erste Reformansätze in der Regierungszeit Bischof Veits II. von Würtzburg (1561–1577) gingen von der Kurie aus. Die Tätigkeit von Nikolaus Elgard als Beauftragter des päpstlichen Nuntius Kaspar Gropper im Jahr 1574/75 markiert mit der schonungslosen Bestandsaufnahme und der Vorlage von Reformvorschlägen den Beginn der Erneuerung.72 Der Jesuitenschüler Bischof Ernst von Mengersdorf (1583–1591) ließ eine Reformordnung für den Klerus aufstellen und 1586 ein Priesterseminar einrichten.73 Bischof Ernst sorgte auch für die zügige Umsetzung des tridentinischen Ehedekrets Tametsi, wobei er vom Domkapitel unterstützt wurde.74 Die römische Congregatio Germanica erarbeitete einen umfassenden Plan zur Rekatholisierung des Bistums, den Papst Clemens VIII. (1592–1605) 1593 Bischof Neithard von Thüngen (1591–1598) überreichen ließ.75 Als wichtigstes Werkzeug drängte der Papst zur Durchführung einer Diözesanvisitation, auf die Verbesserung der Lebensweise des Domkapitels und die Einsetzung eindeutig katholischer Priester. Erst der Jesuitenschüler Johann Gottfried von Aschhausen76 (1609– 1622) setzte kompromißlos die römischen Vorstellungen durch. Er berief 1610 den Jesuitenorden in die Diözese Bamberg,77 dem er das Gymnasium78 72 73 74 75

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Weiß, Bistum Bamberg (wie Anm. 65), S. 180–186. Weiß, Bistum Bamberg (wie Anm. 65), S. 246, 249–251. Weiß, Bistum Bamberg (wie Anm. 65), S. 247f. 1593 August 20: StAB, Rep. B 84, 13. – Druck: Georg Zagel, Die Gegenreformation im Bistum Bamberg unter Fürstbischof Neithard von Thüngen 1591–98, in: Archiv für Geschichte von Oberfranken 21, 1899, S. 19–128, hier S. 123–127. Weiß, Bistum Bamberg (wie Anm. 65), S. 346–401. Vgl. Bernhard Duhr, Geschichte der Jesuiten in den Ländern deutscher Zunge, 4 Bde., Freiburg i.Br. u.a. 1907–1928, hier Bd. II/1, S. 164–169; Stephan Renczes, Die Seelsorge der Jesuiten in Stadt und Bistum Bamberg, in: 300 Jahre Jesuitenkirche St. Martin Bamberg 1693–1993, hg. v. Renate Baumgärtel-Fleischmann und Stephan Renczes (Veröffentlichungen des Diözesanmuseums Bamberg 5), Bamberg 1993, S. 30–40. 1611 Mai 11: StAB, Rep. A 149, L. 451, Nr. 983. – Druck: Heinrich Weber, Geschichte der gelehrten Schulen im Hochstift Bamberg von 1007–1803. I, in: BHVB 42, 1879, S. 1–312, II, in: BHVB 43, 1880, S. 313–582, Beilagen BHVB 44, 1881, S. 583–782, hier Beilagen, Beilage II, S. 584f. – Vgl. Weber, ebenda I, S. 82–87, 94–97.

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und das Priesterseminar79 anvertraute. Sein wichtigster Mitarbeiter war dabei der Generalvikar und Weihbischof Friedrich Förner80 (1570–1630). Die Ergebnisse der 1611 von ihm durchgeführten Visitation des Hochstifts erbrachten aber noch ein schonungsloses Bild des religiösen Niedergangs.81 Die Sakramentenspendung wurde in den meisten Pfarreien vernachlässigt, manchen Pfarrern waren sogar das Tauf- und Bußsakrament unbekannt. Mit Ausnahme der Hochstiftsstädte war seit Menschengedenken keine Firmung mehr gespendet worden. Die Mehrzahl der Geistlichen lebte im Konkubinat, zahlreiche Kirchen waren baufällig, liturgische Geräte und Paramente schadhaft. Bis zu diesem Zeitpunkt war also keine umfassende Reform erfolgt. Also kann man wieder keine tridentinische Konfessionalisierung konstatieren. Im Anschluß an die Bestandsaufnahme von 1611 sorgte Friedrich Förner für die bleibende Institutionalisierung der Reformmaßnahmen durch die Einrichtung eines Geistlichen Rates und von Landkapiteln.82 Wohl auch auf den Einfluß Förners geht zurück, daß bereits 1609 die an den Bamberger Pfarrkirchen bestehenden Corporis-Christi-Bruderschaften der römischen Erzbruderschaft bei S. Maria sopra Minerva aggregiert wurden.83 Die religiösen Eliten wurden damit näher an Rom herangeführt. Als zentrales Merkmal der Konfessionalisierung muß noch die Durchsetzung einer einheitlichen Konfession in einem Territorium angesprochen werden. Die territorialstaatliche Gegenreformation84 ist dabei zur weltlichen Seite des Amtes eines Fürstbischofs zu rechnen. Sie setzte in Bamberg unter Fürstbischof Neithard von Thüngen ein, der dazu von den Herzögen Wilhelm V. (1579–1597, †1626) und Maximilian von Bayern und dem Würzburger Fürstbischof Julius Echter von Mespelbrunn (1574–1617) 79

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1611 Mai 16: StAB, A 149, L. 451, Nr. 984. – Druck: Weber, Geschichte (wie Anm. 78), Beilagen, Beilage III, S. 585–587. Lothar Bauer, Die Bamberger Weihbischöfe Johann Schöner und Friedrich Förner, in: BHVB 101, 1965, S. 305–528, hier S. 361–372, 410–471, 495–516. Zusammenstellung im „Pflichtenbuch“ Förners: Archiv des Erzbistums Bamberg (künftig AEB), Rep. I, 343a, fol. 30v–37v. – Druck der Mängelliste: Max Lingg, Geschichte des Instituts der Pfarrvisitation in Deutschland, Kempten 1888, S. 66–68. – Vgl. Georg Denzler, Die religiöse Entwicklung Deutschlands im Dreißigjährigen Krieg, verdeutlicht am Beispiel des Bistums Bamberg, in: BHVB 104, 1968, S. 383– 405, hier S. 395–404. AEB, Rep. I, 343a, fol. 8r–11r, 37v–45r. – Vgl. Georg Kanzler, Die Landkapitel im Bistum Bamberg I, in: BHVB 83, 1931, S. 1–71, II, in: BHVB 84, 1934, S. 1–119, hier II, S. 39–45. Scharrer, Laienbruderschaften (wie Anm. 2), S. 85f. Zu Franken: Ernst Schubert, Gegenreformationen in Franken, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 28, 1968, S. 275–307.

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nachhaltig angetrieben wurde. Mit dem Religionsmandat von 1594 ordnete er die Rückkehr aller Andersgläubigen zur katholischen Kirche an.85 Als Maßstab diente die Erfüllung der Osterpflicht, mit deren Kontrolle der Pfarrklerus betraut wurde. Bischof Johann Gottfried von Aschhausen vollendete die Gegenreformation. Mit dem Religionsmandat von 1609 beauftragte er alle Pfarrer, die Protestanten binnen Monatsfrist unter Strafandrohung zur Annahme der katholischen Konfession zu ermahnen.86 In mehreren Mandaten schärfte er die Überwachung der Osterpflicht ein. Die Gegenreformation begann in der Regel mit dem Versuch der Einsetzung eines katholischen Pfarrers, dem die protestantisch gewordenen Untertanen teilweise mit Ablehnung oder Gewalt begegneten. Die Ausführung zog sich oft über Jahre hin, einmal getroffene Entscheidungen konnten auch rückgängig gemacht werden. Es zeigt den geringen Organisationsgrad des Hochstifts, wie lange Maßnahmen der Obrigkeit schlicht durch Nichtbeachtung oder bloß formale Gehorsamserklärungen ins Leere laufen konnten. Die Westfälischen Friedensschlüsse sicherten den fränkischen Hochstiften im wesentlichen den status quo ante bellum und beendeten die Gegenreformation. Für die katholische Reform aber stellt 1648 keine Epochengrenze dar. Die Durchsetzung der tridentinischen Reformbestimmungen erfolgte meist erst in der anschließenden Friedenszeit. Ihren Höhepunkt fand sie nach Wolfgang Brückner in Franken erst im Zeitraum etwa von 1720 bis 1740.87 Dies stimmt mit den Beobachtungen von Andreas Holzem für das Fürstbistum Münster überein.88 Mit dem Rituale Romano-Bambergense von 1724 bemühte sich Fürstbischof Lothar Franz von Schönborn (1693– 85

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1594 März 29: StAB, Rep. ex J 3, 108. – StAB, Rep. B 26c, 1IV, fol. 95v–98r. – Teildruck: Michael Pfister, Schirnaidel bis auf die Gegenwart, in: BHVB 53, 1891, S. 1–308, hier S. 294. – Vgl. Johann Looshorn, Das Bisthum Bamberg von 1556–1622 (Die Geschichte des Bisthums Bamberg 5), Bamberg 1903 (Nachdruck Neustadt a.d. Aisch 1980), S. 248f.; Zagel, Gegenreformation (wie Anm. 75), S. 46f. 1609 September 6: StAB, B 26c, 1VI, fol. 12v–13r. – Weiß, Bistum Bamberg (wie Anm. 65), S. 381. 1725 März 22: StAB, B 4, Codex decretorum I, Nr. 39, zitiert bei Karl-Sigismund Kramer, Volksleben im Hochstift Bamberg und im Fürstentum Coburg (1500– 1800). Eine Volkskunde auf Grund archivalischer Quellen (Beiträge zur Volkstumsforschung 15, Veröffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte IX/24), Würzburg 1967, S. 262. – Wolfgang Brückner, Zum Wandel der religiösen Kultur im 18. Jahrhundert. Einkreisungsversuche des „Barockfrommen“ zwischen Mittelalter und Massenmissionierung, in: ders., Frömmigkeit und Konfession. Verstehensprobleme, Denkformen, Lebenspraxis (Volkskunde als historische Kulturwissenschaft 10), Würzburg 2000, S. 411–430, hier S. 414. Andreas Holzem, Religion und Lebensformen. Katholische Konfessionalisierung im Sendgericht des Fürstbistums Münster 1570–1800 (Westfälisches Institut für Re-

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1729) um die Reduzierung sinnenfrohen Brauchtums.89 Erst diese zweite Welle der kirchlichen Reform setzte endgültig die Bestimmungen des Konzils durch, die sich mit Forderungen, wie sie in der katholischen Aufklärung erhoben wurden, durchaus überschneiden konnten. Dies zeigen die Förderung des Priesterseminars wie die Vereinheitlichung der Liturgie und die Betonung der Katechese durch die Schönbornbischöfe.90 Von einer erfolgreichen katholischen Konfessionalisierung kann man im Hochstift Bamberg also eigentlich erst nach dem Dreißigjährigen Krieg sprechen. Was sind die Gründe für diesen langwierigen Prozeß? Die Beharrungskraft der bestehenden kirchlichen Verhältnisse sollte nicht aus dem Blickwinkel der nachtridentinischen Entwicklung ausschließlich als Mißstand gebrandmarkt, sondern als reichskirchlicher Traditionalismus begriffen werden. Viele Entwicklungslinien des 16. und auch des 17. Jahrhunderts können damit erfaßt werden. In diesen Bereich fallen die reichskirchlichen Strukturen, die weitgehende Beschränkung der Domkapitel auf den Adel, die Wahlkapitulationen, das Streben nach Mitregierung im Hochstift, die Art und Form der Bischofswahlen und die verbreiteten Personalunionen. Zu diesem Traditionalismus ist der Widerstand des Bamberger Domkapitels gegen die Forderungen der Reformation, aber auch gegen die tridentinische Reform, gegen den Zölibat,91 gegen die Stiftung eines Prie­ sterseminars und besonders gegen die Einführung von Reformorden wie der Societas Jesu einzuordnen.92 Man wird die Kraft dieses Beharrungsvermögens auf überkommenen Rechten und Bräuchen kaum hoch genug veranschlagen können. Einen anderen Punkt, welcher der Umsetzung der tridentinischen Erneuerung konträr lief, bildete das jahrelange Fehlen eines geweihten Bischofs in der Diözese Bamberg. In dem Jahrhundert zwi-

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gionalgeschichte, Landschaftsverband Westfalen-Lippe Münster, Forschungen zur Regionalgeschichte 22), Paderborn 2000, S. 14, 455–470. Wilhelm Schonath, Die liturgischen Drucke des Bistums und späteren Erzbistums Bamberg, in: BHVB 103, 1967, S. 387–418, hier S. 399–401 und 414; Hermann Reifenberg, Lothar Franz von Schönborn und die Liturgie im Bistum Bamberg. Ein Vergleich zum erneuerten Liturgie-Verständnis, in: BHVB 103, 1967, S. 419–446, hier S. 421–438. Dieter J. Weiß, Franken – Die «Geistliche Regierung», in: Handbuch der bayerischen Kirchengeschichte 2. Von der Glaubensspaltung bis zur Säkularisation, hg. v. Walter Brandmüller, St. Ottilien 1993, S. 417–455, hier S. 428–439. Versuch Bischof Neithard von Thüngens, den Zölibat im Domkapitel durchzusetzen, 1598 März 5: StAB, B 86, 22, fol. 321r–323r. Dieter J. Weiß, Widerstände gegen die Niederlassung der Jesuiten in den fränkischen Diözesen, in: Archivum Historicum Societatis Iesu 69, 2000, S. 205–221, hier S. 212–218.

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schen 1561 und 1661 war die Diözese 60 Jahre ohne konsekrierten Bischof, die Lücken konnten nur teilweise durch Weihbischöfe ausgefüllt werden.93 Aber auch, wenn man die Bevölkerung in den Blick nimmt, fällt die Beharrungskraft der überlieferten Lebensweise auf. Die meisten Gläubigen werden sicherlich spätestens seit 1609 die Osterpflicht erfüllt haben, auch wenn mir dazu keine Unterlagen vorliegen. Ein Grundproblem bleibt die zu vermutende Diskrepanz einerseits zwischen den Normen der kirchlichen Gesetzgebung und dem Eifer religiöser Eliten im Umfeld der Reform­orden, in den Kongregationen und Bruderschaften, und andererseits der tatsächlich praktizierten Frömmigkeit der Laien. Wieweit mit der Konfessionalisierung tatsächlich eine „Sozialdisziplinierung“ einherging, muß fraglich erscheinen. Wie Hartinger für Kurbayern gezeigt hat, so wurden auch in Bamberg wiederholt Mandate erlassen, in denen Bestimmungen etwa gegen Gotteslästerer, Zauberei und abergläubische Bräuche94 oder ausufernde Feiern und Zutrinken95 oder Ehebruch96 erneuert wurden. Auch der Besuch des Katechismusunterrichts dürfte nicht überall mit gleichem Eifer erfolgt sein.97 Die Bamberger Fronleichnamsprozession in der frühen Neuzeit Betrachten wir dazu wieder die Bamberger Fronleichnamsprozession, für deren Ablauf sich zunächst keine Veränderungen durch die tridentinische Reform feststellen lassen. Im Spätmittelalter stellten die Zünfte lebende Bilder.98 Die Mitführung von Heiligenfiguren, wohl die Patrone der Handwerkerzünfte und Bruderschaften, ist erst ab etwa 1700 belegt, dürfte aber schon älter sein.99 Ab 1617 ist die häufige Teilnahme des Fürstbischofs 93

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1561 bis 1566, 1577 bis 1584, 1591 bis 1597, 1599 bis 1609, 1623 bis 1637, 1643 bis 1661: Weiß, Bistum Bamberg (wie Anm. 65), S. 36, Liste der Weihbischöfe ebda., S. 598–607. Weiß, Bistum Bamberg (wie Anm. 65), S. 377. Weiß, Bistum Bamberg (wie Anm. 65), S. 486f., 555, 588. Weiß, Bistum Bamberg (wie Anm. 65), S. 514. Heinrich Weber, Geschichte des Christenlehr-Unterrichtes und der Katechismen im Bisthum Bamberg zur Zeit des alten Hochstifts, Regensburg 1882. Scharrer, Laienbruderschaften (wie Anm. 2), S. 219. Schnapp, Fronleichnams-Oktavprozession (wie Anm. 54), S. 50 (Angabe nach Pfarr­archiv St. Martin, Bamberg, Fabrikrechnung St. Martin 1702/03, fol. 53v); Treiber, Fronleichnamsprozession (wie Anm. 1), S. 111. – Verzeichnis und Beschreibung der Prozessionsfiguren in Scharrer, Laienbruderschaften (wie Anm. 2), S. 219–229.

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nachweisbar.100 Bereits Bischof Lamprecht von Brunn hatte bei seiner Stiftung eine Bewirtung der Funktionsträger vorgesehen.101 Natürlich hatten auch alle Helfer, die bei den Pfarrprozessionen zum Schmuck der Kirchen und des Weges beitrugen, Anspruch auf eine Verehrung: Süßigkeiten und Eierringe für die Engelkinder, Getränke und Speisen für die Kleriker, Gastmähler für die Kirchendiener und Handwerker. 1549 entschuldigte der Messner von St. Martin die Menge des ausgeschenkten Bieres, weil „derselbe Tag gantz hitzig“ war.102 1580 wurde fast ein Zentner Fleisch verbraucht, der Konsum an Bier und Wein wird entsprechend gewesen sein. Die Träger der schweren Figuren werden sich auch schon damals während der Prozession mit Bier gestärkt haben.103 Ab 1587 ließ der Bamberger Rat Einschränkungen vornehmen, 1595 wollte Weihbischof Johannes Ertlin (1580–1607) Mißbräuche abschaffen. Natürlich gehörten aber Essen und besonders Getränke zu den wesentlichen Bedingungen der Teilnehmer, die ja schwere Lasten zu tragen hatten. 1630 bedrohte Weihbischof Friedrich Förner die Bäcker und Bader, die eine Verbesserung ihrer Mahlzeit gefordert hatten, mit der Abschaffung der Verteilung von Speisen und Getränken. Wenn man den sonstigen Reformeifer dieses Weihbischofs und seine Schriften betrachtet, liegt es nahe, daß die weltliche Seite des Prozessionswesens seinen tridentinisch geprägten Vorstellungen zuwider lief. Vermutlich sorgte Förner dafür, daß als Alternative zu den Festmählern an den Nachmittagen Andachten stattfanden.104 Dies wird man als Zeichen einer versuchten Konfessionalisierung werten können; wieweit diese Maßnahme allerdings erfolgreich war, entzieht sich unserer Kenntnis. Peter Hersche hat für den italienischen Raum ebenfalls auf die Diskrepanz zwischen asketischen Vorstellungen religiöser Eliten und den Frömmigkeits- und Lebensformen vieler Laien hingewiesen.105

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Schnapp, Fronleichnams-Oktavprozession (wie Anm. 54), S. 49; Schnapp, Stadtgemeinde (wie Anm. 54), S. 324. Schnapp, Fronleichnams-Oktavprozession (wie Anm. 54), S. 50. Schnapp, Fronleichnams-Oktavprozession (wie Anm. 54), S. 51. Schnapp, Fronleichnams-Oktavprozession (wie Anm. 54), S. 50f. – Zu Konflikten mit den Gärtnern und Häckern Treiber, Fronleichnamsprozession (wie Anm. 1), S. 114–118. Schnapp, Fronleichnams-Oktavprozession (wie Anm. 54), S. 51. Peter Hersche, Italien im Barockzeitalter (1600–1750). Eine Sozial- und Kulturgeschichte, Wien 1999, S. 197–212.

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Erst Subcustos Johannes Graff106 (1682–1749) lieferte 1730 in seinem Zeremonienbuch und der Gottesdienstordnung des Domes107 eine genaue Handlungsanweisung für die Durchführung und den Ablauf der Domprozession zum Fronleichnamsfest in 72 Abteilungen, besonders stark waren Bruderschaften und Handwerker vertreten.108 Die Prozession, während der Evangelienperikopen an vier Altären gelesen wurden, fand vor dem Pontifikalamt in der Kathedrale statt. An der Spitze ging ein Kirchner mit Szepter, gefolgt von Kindern im Engelskostüm mit Tragekreuzen, Schülern in Chorkleidung mit Fahnen und der Ordensgeistlichkeit.109 Die einzelnen Abteilungen wurden durch „Engel“ mit Kreuzen getrennt. Kleriker und Bürger trugen zahlreiche Heiligenfiguren. Als Gruppen zogen die Ritter- und Stuhlbrüder, die Domvikare und das Domkapitel mit. Weitere Kleriker führten einen Tragaltar und zwei Evangelienbücher auf einer Bahre (feretrum) sowie die Heinrichs- und Kunigundenreliquiare und andere Reliquien mit. Auf weitere Geistliche und Blumen streuende „Engel“ folgte das in der Regel vom Fürstbischof getragene Allerheiligste unter dem von Räten gehaltenen Himmel. Kerzen- und Laternenträger begleiteten die Gruppe. Die Fronleichnamsprozession – Zeichen der Kontinuität Wir kommen zum Schluß. Von einer katholischen Konfessionalisierung im Bamberg des 16. Jahrhunderts kann kaum die Rede sein. Wesentliche Elemente der tridentinischen Reform wurden erst im frühen 17. Jahrhundert verankert, ihre dauerhafte Umsetzung scheint erst im 18. Jahrhundert geglückt zu sein. Im Heiligen Römischen Reich konnten tridentinische Forderungen im Hinblick auf die Priesterausbildung und auf das Bischofs­ ideal erst im Zusammenhang mit der katholischen Aufklärung verwirklicht werden. Peter Hersche vertritt für Italien, das in der Regel als Muster 106

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Ein Leben für den Bamberger Dom. Das Wirken des Subkustos Graff (1682–1749), hg. v. Renate Baumgärtel-Fleischmann (Veröffentlichungen des Diözesanmuseums Bamberg 11), Bamberg 1999. Observationes et Caeremoniae ordinariae, imperialis et immediatae Ecclesiae Bambergensis, sedulo congestae a Joanne Graff, ejusdem Ecclesiae Subcustode 1730: AEB, Rep. I, Nr. 1313. – Vgl. Dieter J. Weiß, Zeremonienbuch / Gottesdienstordnung des Bamberger Domes, in: Wirken des Subkustos Graff, hg. v. BaumgärtelFleischmann (wie Anm. 106), Nr. 9, S. 56f. AEB, Rep. I, Nr. 1313, p. 90–94. – Scharrer, Laienbruderschaften (wie Anm. 2), S. 167. AEB, Rep. I, Nr. 1313, p. 126–130 (Beschreibung der theophorischen Prozession am Oktavtag des Heinrichsfestes).

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der erfolgreichen katholischen Erneuerung gilt, sogar die provokante These vom Scheitern der tridentinischen Reformbewegung.110 Er begründet dies mit weltlichen Motiven zum Eintritt in den geistlichen Stand, der Refeudalisierung der Adelskirche, päpstlichem Nepotismus und mit Diözesan- und Pfarrstrukturen besonders in Süditalien, die nicht den römischen Vorschriften entsprachen. Für die radikal zugespitzte These, nach der aus der mittelalterlichen gemeinsamen abendländischen Christenheit durch die Reformation und ihre Folgen im 16. Jahrhundert drei völlig neue, durch spezifische Lehrgebäude und Lebenshaltungen festgefügte Konfessionen entstanden seien, vermag ich keine Indizien zu erkennen. In einem Territorium der Reichskirche wie Bamberg läßt sich eine erfolgreiche katholische Konfessionalisierung erst im 17. Jahrhundert nachweisen; die Durchsetzung römisch-tridentinischer Vorstellungen gelang überhaupt erst im Zusammenhang mit der katholischen Aufklärung im 18. Jahrhundert. Trotzdem blieb die Glaubenspraxis in ihren Inhalten und Formen weitgehend unverändert, wurde freilich besonders durch die Aktivitäten der Reformorden allmählich stärker nach tridentinischen Vorstellungen akzentuiert. Auch wenn man die Entwicklung im übrigen Europa in den Blick nimmt, vermag ich keine grundsätzlich neue tridentinisch-römische Konfession, sondern auch in den Ländern der Romania eine zwar in unterschiedlichem Maße reformierte und intensivierte, aber eben letztlich traditionell katholische Glaubenspraxis zu erkennen. Diese Punkte, die Kontinuität aus dem Spätmittelalter über das Tridentinum hinweg und die durchaus einer tridentinischen Askese zuwiderlaufende praxis pietatis vieler Prälaten und Gläubiger können am Beispiel der Bamberger Fronleichnamsprozession illustriert werden. Sie war schon im Spätmittelalter ausgeprägt, wurde durch die Reformation allenfalls geschwächt, wurde im 16. Jahrhundert in der alten Form begangen und wurde in ihren weltlichen Erscheinungsformen nur zeitweilig durch tridentinische Vorstellungen in die Zucht genommen. Vereinfachungen ihrer Erscheinungsweise erfolgten durch die Aufklärung und durch die Säkularisation, ihr theologischer Gehalt aber blieb vom Spätmittelalter bis in die Gegenwart unverändert. Dabei wurde die große Gesamtprozession in ihrer heutigen Form erst unter staatsbayerischem Druck, um die Vielzahl von Prozessionen in der Bischofsstadt zu beenden, im Jahr 1808 eingeführt.111 Als ihr Vorbild dien110 111

Hersche, Italien (wie Anm. 105), S. 183–196. Schnapp, Fronleichnams-Oktavprozession (wie Anm. 54), S. 51; Treiber, Fronleichnamsprozession (wie Anm. 1), S. 99f. – Vgl. auch Angela Treiber, Prozession

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te die Prozession der Pfarrei St. Martin vom Sonntag in der Fronleichnamsoktav, der Dom als einziger Ausgangspunkt wurde auf Vorschlag des Domkapitels erst 1822 durchgesetzt.112 Schon im 19. Jahrhundert wurden zahlreiche Fremde von dem altertümlich barock anmutenden Bild der Prozession angezogen.113 Besonders während des Kulturkampfes reisten dann Katholiken aus überwiegend protestantischen Städten wie Nürnberg oder Bayreuth mit Sonderzügen an, um in Bamberg traditionelle katholische Kultur demonstrieren zu können.114 Damit können wir eine zweite vermeintliche Konfessionalisierung im 19. Jahrhundert andeuten. Die Bamberger Fronleichnamsprozession existierte jedenfalls in ihrer feierlichen Form schon über ein Jahrhundert vor dem Tridentinum, wurde dadurch kaum verändert und taugt somit wenig als Merkmal einer katholischen Konfessionalisierung in der frühen Neuzeit. Doch über all diese Punkte wollen wir im Laufe des Kolloquiums diskutieren.

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und Ordnung. Zu Spannungsverhältnissen öffentlich-religiöser Repräsentation im Bamberg des 19. Jahrhunderts, in: Recht und Religion im Alltagsleben. Perspektiven der Kulturforschung. Festschrift für Walter Hartinger zum 65. Geburtstag, hg. v. Manfred Seifert u. Winfried Helm (Neue Veröffentlichungen des Instituts für Ostbairische Heimatforschung der Universität Passau 56), Passau 2005, S. 283–303. Schnapp, Fronleichnams-Oktavprozession (wie Anm. 54); Neundorfer, Fronleichnamsprozession (wie Anm. 1), S. 39f.; Treiber, Fronleichnamsprozession (wie Anm. 1), S. 100. Treiber, Fronleichnamsprozession (wie Anm. 1), S. 101. Treiber, Fronleichnamsprozession (wie Anm. 1), S. 102–104.

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Glaubensspaltung – Konfessionsbildung – Konfessionalisierung. Theologische und historische Perspektiven Harm K l u e t i n g Einleitung

In diesen Tagen1 jährt es sich zum fünfzigsten Mal, dass Ernst Walter Zeeden einen Aufsatz veröffentlichte, der damals wenig Aufsehen erregte, aber heute als Beginn eines Forschungsparadigmas gelten kann. Ich meine seinen Aufsatz „Grundlagen und Wege der Konfessionsbildung in Deutschland im Zeitalter der Glaubenskämpfe“ von 1958.2 Der Titel dieses Aufsatzes erschien 1965 als Untertitel von Zeedens schon lange vergriffenem Buch „Die Entstehung der Konfessionen“.3 Zeeden, der vor wenigen Tagen seinen 92. Geburtstag beging,4 war in Tübingen gemeinsam mit Josef Engel Träger des Arbeitskreises „Spätmittelalter und Frühe Neuzeit“, dem während seiner Tübinger Jahre5 auch der evangelische Theologe Heiko Augustinus Oberman verbunden war – ein Niederländer, der 2001 als

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Der Vortrag, auf den dieser Beitrag zurückgeht, wurde am 23. Mai 2008 gehalten. Die Vortragsform wurde beibehalten, der Text aber um die Textabschnitte erweitert, die beim Vortrag aus Zeitgründen entfallen mussten, und um Anmerkungen ergänzt. Ernst Walter Zeeden, Grundlagen und Wege der Konfessionsbildung in Deutschland im Zeitalter der Glaubenskämpfe, in: Historische Zeitschrift (künftig HZ) 185, 1958, S. 249–299, wieder in: ders., Konfessionsbildung. Studien zur Reformation, Gegenreformation und katholischen Reform (Spätmittelalter und Frühe Neuzeit 15), Stuttgart 1985, S. 67–112. Ernst Walter Zeeden, Die Entstehung der Konfessionen. Grundlagen und Formen der Konfessionsbildung im Zeitalter der Glaubenskämpfe, München 1965. Geb. am 14. Mai 1916 in Berlin, gest. am 5. September 2011 in Tübingen. Heiko Augustinus Oberman, geb. 1930 in Utrecht, war von 1966 bis 1984 Professor in Tübingen.

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Professor der University of Arizona starb.6 1980 stieß der 1993 verstorbene Volker Press7 hinzu. Aus dem Tübinger Arbeitskreis gingen wichtige Arbeiten hervor. Doch gab es zwischen Zeedens Forschungen zur „Konfessionsbildung“ und den bald nach 1980 einsetzenden Forschungen zur „Konfessionalisierung“ keine direkte Verbindung. Zeedens „Konfessionsbildungs“-Forschung war von Allgemeinhistorikern betriebene Kirchengeschichte. Die spätere „Konfessionalisierungs“-Forschung war Sozialgeschichte, bezogen auf gesellschaftliche Folgen kirchlicher oder religiöser Veränderungsprozesse. Wie kam es dazu? Ich möchte zunächst [I.] kurz Entstehung und Entwicklung des Konfessionalisierungsparadigmas darstellen. Dann gehe ich [II.] auf das „Konfessionelle Zeitalter“ als Epochenbegriff ein. Danach sollen uns [III.] „Katholische Reform“, „Gegenreformation“ und „Katholische Konfessionalisierung“ beschäftigen, wobei mit wenigen Worten auch auf die Stellung Luthers in der Kirchengeschichte und auf Perspektiven der französischen Forschung einzugehen ist. Fragen möchte ich [IV.] nach dem Konfessionalisierungsparadigma nach seiner Lösung vom Paradigma „Frühmoderner Staat“, um schließlich [V.] als Theologe und als Historiker Perspektiven aufzuzeigen, wie es weitergehen könnte.8 In 30 Minuten kann das alles natürlich nur in wenigen Stichworten geschehen. 6

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Oberman verdanken wir die beiden wichtigen Werke „Der Herbst der mittelalterlichen Theologie“ (Heiko Augustinus Oberman, The Harvest of Medieval Theol­ ogy. Gabriel Biel and late medieval nominalism, Cambridge, Mass. 1963, 2. Aufl. Grand Rapids, Mich. 1967, 3. Aufl. Durham, N. C. 1983, dasselbe dt.: Der Herbst der mittelalterlichen Theologie [= H. A. Oberman, Spätscholastik und Reformation 1], Zürich 1965) und „Werden und Wertung der Reformation“ (Heiko Augustinus Oberman, Werden und Wertung der Reformation. Vom Wegestreit zum Glaubenskampf [= H. A. Oberman, Spätscholastik und Reformation 2], Tübingen 1977, 2. Aufl. Tübingen 1979, 3. Aufl. Tübingen 1989). Siehe auch ders., The Two Reformations. The Journey from the Last Days to the New World, New Haven, Conn./ London 2003, dasselbe dt.: Zwei Reformationen. Luther und Calvin – Alte und Neue Welt, Berlin 2003. Volker Press, Calvinismus und Territorialstaat. Regierung und Zentralbehörden in der Kurpfalz 1559–1619 (Kieler Historische Studien 7), Stuttgart 1970. Die Ausführungen knüpfen an die unveröffentlichte Antrittsvorlesung des Verfassers an der Theologischen Fakultät der Universität Fribourg (Schweiz), die dort am 22. 11. 2007 unter dem Titel „Katholische Reform – Reformation – Konfessionalisierung. Überlegungen zur Geschichte der Kirche vom 15. bis 17. Jahrhundert“ gehalten wurde, und an folgende Beiträge an: Harm Klueting, Die Reformierten im Deutschland des 16. und 17. Jahrhunderts und die Konfessionalisierungsdebatte der deutschen Geschichtswissenschaft seit ca. 1980, in: Matthias Freudenberger (Hg.), Profile des reformierten Protestantismus aus vier Jahrhunderten (Emder Bei-

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I. Zwischen 1965, dem Abschlussjahr des II. Vaticanums, in dem Zeedens „Entstehung der Konfessionen“ erschien, und 1980 lagen politisch und gesellschaftlich tiefgreifende Veränderungen – Stichwort: „1968“ – , die eine Rolle spielten, weil der Paradigmenwechsel der Geschichtswissenschaft von der Politik- zur Sozialgeschichte damit zusammenhing. Unterhalb dieser Ebene lassen sich innerwissenschaftliche Vorgänge analysieren, die sich nicht in der theologischen Disziplin der Kirchengeschichte – weder in der evangelischen noch in der katholischen – abspielten, sondern in der allgemeinen Geschichtswissenschaft und hier in dem Bereich, den man seit etwa 1970 „Geschichte der Frühen Neuzeit“ nannte.9 Diese Wandlungsvorgänge begegnen in der heute fast vergessenen Auseinandersetzung westdeutscher Historiker mit der marxistischen DDR-Geschichtswissenschaft und ihrer Identifikation von Reformation und „frühbürgerlicher Revolution“.10 Sie begegnen auch in den Forschungen zum Bauernkrieg von 1525 rund um das 1975 in den beiden damaligen deutschen Staaten begangene Bauernkriegsjubiläum.11 Außerordentlich wichtig waren die Forschungen zur Entstehung des „frühmodernen Staates“ und zur „Sozialdisziplinierung“ der Frühen Neuzeit – beides Begriffe, die Gerhard

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träge zum reformierten Protestantismus 1), Wuppertal 1999, S. 17–47; ders., Zur reformierten Konfessionalisierung des 16. Jahrhunderts in Westfalen, in: Reimund Haas / Reinhard Jüstel (Hg.), Kirche und Frömmigkeit in Westfalen. Gedenkschrift für Alois Schröer (Westfalia Sacra 12), Münster 2002, S. 130–154; ders., „Zweite Reformation“ – Konfessionsbildung – Konfessionalisierung. Zwanzig Jahre Kontroversen und Ergebnisse nach zwanzig Jahren, in: HZ 277, 2003, S. 309–341; ders., Problems of the Term and Concept Second Reformation: Memories of a 1980’s Debate, in: John M. Headley / Hans J. Hillerbrand / Anthony J. Papalas (Hgg.), Confessionalization in Europe, 1555–1700. Essays in Honor and Memory of Bodo Nishan, Aldershot 2004, S. 37–49; ders., Reformierte Konfessionalisierung in Westund Ostmitteleuropa, in: Volker Leppin / Ulrich A. Wien (Hgg.), Konfessionsbildung und Konfessionskultur in Siebenbürgen in der Frühen Neuzeit (Quellen und Studien zur Geschichte des östlichen Europa 66), Stuttgart 2005, S. 25–55. Rudolf Vierhaus, Vom Nutzen und Nachteil des Begriffs „Frühe Neuzeit“. Fragen und Thesen, in: ders. (Hg.), Frühe Neuzeit – frühe Moderne? Forschungen zur Vielschichtigkeit von Übergangsprozessen (Veröffentlichungen des Max-PlanckInstituts für Geschichte 104), Göttingen 1992, S. 13–25; Renate Dürr / Gisela Engel / Johannes Süßmann (Hgg.), Eigene und fremde Frühe Neuzeiten. Genese und Geltung eines Epochenbegriffs (HZ, Beiheft NF 35), München 2003. Auf Titelangaben wird hier verzichtet. Der Verfasser hat sie in den in Anm. 8 genannten Beiträgen angeführt. Hier gilt dasselbe, was schon in Anm. 10 gesagt wurde.

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Oestreich 1969 prägte.12 Mit diesen Interpretamenta – „frühmoderner Staat“ und „Sozialdisziplinierung“ – wurde Oestreich der „Vater“ der „Konfessionalisierungs“-Forschung. Die Geburtsklinik, in der sie geboren wurde, war die Stadtgeschichtsforschung. Seit 1976 bestand in Münster das Institut für „Vergleichende geschichtliche Städteforschung“. Thema des ersten Kolloquiums war 1976 „Kirche und gesellschaftlicher Wandel in Städten der werdenden Neuzeit“.13 Hier ergaben sich Übergänge zur Reformationsgeschichtsforschung evangelischer Theologen wie Bernd Moeller, dessen Buch „Reichsstadt und Reformation“ schon 1962 eine sozialgeschichtliche Wende der evangelischen theologischen Reformationsforschung angekündigt hatte.14 Ein Projekt galt dem „Sozial- und Aktionsprofil calvinistischer Presbyterien in der Frühneuzeit und während des Übergangs zur modernen Welt“.15 Es ging dabei um die reformierten Presbyterien der Städte Emden, Groningen und Leiden.16 Leiter dieses Projekts war Heinz Schilling, der sich 1978 in Bielefeld habilitierte. Die 1981 veröffentlichte Habilitationsschrift trug den Titel „Konfessionskonflikt und Staatsbildung“.17 Mit diesem Werk wurde die „Konfessionalisierungs“-Forschung geboren. Gegenstand des Buches war die Stadt Lemgo und ihr Widerstand gegen die Einführung des Reformiertentums in der Grafschaft Lippe. Schilling verstand unter „Konfessionalisierung“ den Prozess der „Verdichtung der Staatlichkeit“ und 12

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Gerhard Oestreich, Strukturprobleme des europäischen Absolutismus, in: ders., Geist und Gestalt des frühmodernen Staates. Ausgewählte Aufsätze, Berlin 1969, S. 179–197. Auf die Auflistung der inzwischen kaum noch überschaubaren Literatur zu den Themata „frühmoderner Staat“ und „Sozialdisziplinierung“ wird hier verzichtet. Der Verfasser hat zahlreiche wichtige Titel in den in Anm. 8 genannten Beiträgen angeführt. Franz Petri (Hg.), Kirche und gesellschaftlicher Wandel in deutschen und niederländischen Städten der werdenden Neuzeit (Städteforschung, Reihe A 10), Köln/Wien 1980. Bernd Moeller, Reichsstadt und Reformation (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte [künftig SVRG] 180), Gütersloh 1962, Neubearbeitung Berlin 1987. [DFG-]Sonderforschungsbereich 164. Vergleichende geschichtliche Städteforschung. Annotierte Gesamtbibliographie 1976–1988, Münster 1989, S. 163–176. Heinz Schilling, Calvinistische Presbyterien in Städten der Frühneuzeit – eine kirchliche Alternativform zur bürgerlichen Repräsentation? (Mit einer quantifizierenden Untersuchung zur holländischen Stadt Leiden), in: Wilfried Ehbrecht (Hg.), Städtische Führungsgruppen und Gemeinde in der werdenden Neuzeit (Städteforschung, Reihe A 9), Köln/Wien 1980, S. 385–444. Weitere Literatur in: Klueting, „Zweite Reformation“ (wie Anm. 8), S. 318f., Anm. 40. Heinz Schilling, Konfessionskonflikt und Staatsbildung. Eine Fallstudie über das Verhältnis von religiösem und sozialem Wandel in der Frühneuzeit am Beispiel der Grafschaft Lippe (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 48), Gütersloh 1981.

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der „inneren Integration der Territorialgesellschaft“ durch konfessionelle Homogenisierung.18 Hier schloss sich die Kategorie „Konfession“ den Kategorien „frühmoderner Staat“ und „Sozialdisziplinierung“ an, was der „Konfessionalisierungs“-Forschung die Richtung vorgab – und zu deren Etatismus führte, den Heinrich Richard Schmidt 1997 kritisierte.19 Schilling hielt „Konfessionalisierung“ als Mittel zur „frühmodernen Staatsbildung“ im Wesentlichen für ein reformiertes Spezifikum und sprach, weil in Lippe und in anderen deutschen Territorien das Reformiertentum auf das Luthertum folgte, von „Zweiter Reformation“ – ein Begriff, der stark kritisiert wurde20 und heute auch wohl von ihm nicht mehr verwendet wird. Doch lag dieses Konzept der Tagung „Zweite Reformation“ zugrunde, die Schilling 1985 veranstaltete und deren Beiträge seit 1986 in einem Aufsatzband vorliegen.21 Schilling konnte keinen Monopolanspruch auf die These vom Zusammenhang von Konfessionalisierung und Territorialstaatsbildung erheben. Wolfgang Reinhard vertrat dieselbe These – bezogen auf die katholische Seite. Ich nenne seine Aufsätze „Gegenreformation als Modernisierung?“22 von 1977, „Konfession und Konfessionalisierung in Europa“23 von 1981 und „Zwang zur Konfessionalisierung?“24 von 1983. Während Schilling 18

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Zitate: Heinz Schilling, Die ‚Zweite Reformation‘ als Kategorie der Geschichtswissenschaft, in: ders. (Hg.), Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland – Das Problem der ‚Zweiten Reformation‘ (SVRG 195), Gütersloh 1986, S. 387–437, hier S. 430. Heinrich Richard Schmidt, Sozialdisziplinierung? Ein Plädoyer für das Ende des Etatismus in der Konfessionalisierungsforschung, in: HZ 265, 1997, S. 639–682. Auch vom Verfasser: Harm Klueting, „Zweite Reformation“ oder reformierte Konfessions- und Kirchenbildung? Zum Problem von Politik und Religion im Konfessionellen Zeitalter, in: Monatshefte für evangelische Kirchengeschichte des Rheinlandes 34, 1985, S. 19–40; ders., Gab es eine „Zweite Reformation“? Ein Beitrag zur Terminologie des Konfessionellen Zeitalters, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 38, 1987, S. 261–279; ders., Das Konfessionelle Zeitalter 1525–1648 (UTB 1556), Stuttgart 1989, S. 224f. Heinz Schilling (Hg.), Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland – Das Problem der ‚Zweiten Reformation‘ (SVRG 195), Gütersloh 1986, S. 387–437, hier S. 430. Wolfgang Reinhard, Gegenreformation als Modernisierung? Prolegomena zu einer Theorie des konfessionellen Zeitalters, in: Archiv für Reformationsgeschichte 68, 1977, S. 226–251. Wolfgang Reinhard, Konfession und Konfessionalisierung in Europa, in: ders. (Hg.), Bekenntnis und Geschichte. Die Confessio Augustana im historischen Zusammenhang, München 1981, S. 165–189. Wolfgang Reinhard, Zwang zur Konfessionalisierung? Prolegomena zu einer Theorie des konfessionellen Zeitalters, in: Zeitschrift für historische Forschung 10, 1983, S. 257–276.

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von der „Verbindung zwischen Zweiter Reformation“ – also Reformiertentum – „und Territorialstaatsbildung“ sprach, betonte Reinhard, dass die Konfessionalisierung „in allen drei konfessionellen Bereichen, bei Calvinisten, Katholiken und Lutheranern, sachlich weitgehend und zeitlich einigermaßen parallel“25 stattgefunden habe. Deshalb musste Schillings Konzept der „politischen Konsequenz der Zweiten Reformation“ als Frage nach der politisch-sozialen Dynamik der Konfessionen überhaupt neu gestellt werden. So kam es zum Wandel des Tagungstitels „Zweite Reformation“ von 1985 zum Tagungsbandtitel „Reformierte Konfessionalisierung“ von 1986 und zu Folgetagungen,26 deren Tagungsbände über „Die lutherische Konfessionalisierung in Deutschland“27 und über „Die katholische Konfessionalisierung“28 1992 bzw. 1995 erschienen. Damit war der „Konfessionalisierungs“-Begriff etabliert. Evangelische Theologen waren an den beiden ersten Tagungen beteiligt, katholische29 an der dritten zur „Katholischen Konfessionalisierung“. Doch blieb die „Konfessionalisierungs“-Forschung vorerst Sache der Historiker. 1996 übte der evangelische Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann grundsätzliche Kritik an der „Konfessionalisierungs“-Forschung.30 Er warf Schilling vor, dieser maße sich eine sozialgeschichtliche „Universalkompetenz“31 über die Kirchengeschichte an, und kritisierte dessen „funktional-reduktionistische Betrachtung der Religion in ihrem gesellschaftlichen Kontext und die damit ursächlich verbundene methodische Ausklammerung der Wahrheitsfrage“.32 Reinhard gestand er zu, der theologischen Kirchengeschichtswissenschaft „das spezifische Frageinteresse kirchenhistorischer Forschung [...] komplementär zur sozialgeschicht-

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Ebd., S. 259. Dazu Klueting, „Zweite Reformation“ (wie Anm. 8), S. 324, Anm. 75. Hans-Christoph Rublack (Hg.), Die lutherische Konfessionalisierung in Deutschland (SVRG 197), Gütersloh 1992. Wolfgang Reinhard / Heinz Schilling (Hgg.), Die katholische Konfessionalisierung (SVRG 198 = Reformationsgeschichtliche Studien und Texte [künftig RGST] 35), Gütersloh/Münster 1995. U.a. Klaus Ganzer (Würzburg), Robert Bireley SJ (Chicago), Marc Venard (Paris), Heribert Smolinsky (Freiburg/Brsg.). Thomas Kaufmann, Die Konfessionalisierung von Kirche und Gesellschaft. Sammelbericht über eine Forschungsdebatte, in: Theologische Literaturzeitung 121, 1996, Sp. 1008–1025 u. 1112–1121. Ebd., Sp. 1115. Ebd., Sp. 1121.

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lichen Konfessionalisierungsforschung“33 einzuräumen.34 Auf katholischer Seite war es eigentlich erst Andreas Holzem, der in seinem Werk „Religion und Lebensformen. Katholische Konfessionalisierung im Sendgericht des Fürstbistums Münster“35 von 2000 den Konfessionalisierungsbegriff aufnahm. Als einer der ersten wies Martin Heckel 1995 auf die notwendige, aber bei manchen zwischenzeitig in Vergessenheit geratene Unterscheidung von „Konfessionsbildung“ und „Konfessionalisierung“ hin,36 die auch Reinhard 1997 zum Ausdruck brachte, als er bemerkte: „Im Gegensatz zur ‚Konfessionsbildung‘ wird [...] ‚Konfessionalisierung‘ nicht mehr als partieller kirchengeschichtlicher, sondern als universaler sozialgeschichtlicher Prozeß verstanden“.37

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Ebd., Sp. 1115. Später entwickelte Kaufmann den Begriff „Konfessionskultur“, mit dem er im Unterschied zur „Konfessionalisierungs“-Forschung nach den Selbstdeutungen der Konfessionen fragen wollte. Dazu: Thomas Kaufmann, Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. Kirchengeschichtliche Studien zur lutherischen Konfessionskultur (Beiträge zur historischen Theologie 104), Tübingen 1998; ders., Konfession und Kultur. Lutherischer Protestantismus in der zweiten Hälfte des Reformationsjahrhunderts (Spätmittelalter und Reformation [künftig SuR] NR 29), Tübingen 2006. Andreas Holzem, Religion und Lebensform. Katholische Konfessionalisierung im Sendgericht des Fürstbistums Münster 1570–1800 (Forschungen zur Regionalgeschichte 33), Paderborn 2000. Dazu auch Harm Klueting, Reformatio vitae. Johann Jakob Fabricius (1618/20–1673). Ein Beitrag zu Konfessionalisierung und Sozialdisziplinierung im Luthertum des 17. Jahrhunderts (Historia profana et ecclesiastica [künftig HPEE] 9), Münster 2003, S. 22 u. 269f. Martin Heckel, Die katholische Konfessionalisierung im Spiegel des Reichskirchenrechts, in: Reinhard / Schilling (Hgg.), Katholische Konfessionalisierung (wie Anm. 28), S. 184–227, dort S. 186: „‚Konfessionalisierung‘ meint zwar mehr und anderes als die ‚Konfessionsbildung‘: ‚Konfessionsbildung‘ umschreibt die Ausbildung von dogmatischen Lehrsystemen und Bekenntnisdokumenten. [...] ‚Konfessionalisierung‘ hingegen bezeichnet die nachfolgende Durchdringung und Ausformung des gesamten Lebens – der Kirche und Kultur, Politik und Staatlichkeit, Gesellschaft und Wirtschaft, Familie, Sitte und Sittlichkeit – im Sinne bzw. mit Hilfe bzw. unter dem Einfluß und den Auswirkungen der Konfessionen“. Wolfgang Reinhard, Sozialdisziplinierung – Konfessionalisierung – Modernisierung. Ein historiographischer Diskurs, in: Nada Boškovska Leimgruber (Hg.), Die Frühe Neuzeit in der Geschichtswissenschaft. Forschungstendenzen und Forschungserträge, Paderborn 1997, S. 39–55, Zitat S. 46.

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Harm Klueting

II. Zeedens „Konfessionsbildung“ bezeichnet den kirchen- und theologiegeschichtlichen Vorgang der Ausbildung von dogmatischen Lehrsystemen. „Konfessionalisierung“ steht für den politik- und sozialgeschichtlichen Vorgang der Durchdringung von Politik, Staat, Gesellschaft und Kultur durch die konfessionellen Gegensätze, nicht nur in den Ländern der Reformation, in jener Epoche, die man deshalb auch das „Konfessionelle Zeitalter“ nennt. Der traditionell-katholische Epochenbegriff lautet „Zeitalter der Glaubensspaltung“. Dem Begriff „Konfessionelles Zeitalter“ stand auf katholischer Seite lange entgegen, dass sich die Kirche des Tridentinums und des I. Vaticanums dogmatisch nicht als Konfessionskirche begriff, sondern als „die Kirche“, wie sich die Kirche des II. Vaticanums als „Subsistentia“ oder deutsch als „Verwirklichung“ der Kirche Christi versteht,38 wie das auch noch „Dominus Iesus“ von 2000 beansprucht.39 Deshalb lehnt Walter Ziegler den Konfessionalisierungsbegriff für die katholische Seite mit dem Hinweis auf die Kontinuität der Kirche in ihrer katholischen Gestalt ab.40 Kirchengeschichtlich aber gilt etwas anderes als dogmatisch. Kirchengeschichtlich gilt die Faktizität des Konfessionskirche-Werdens, die Konrad Repgen deutlich macht: „Nur so, nur durch das ebenfalls Konfessionskirche-Werden, vermochte der Katholizismus sich in West-, Mittel- und Osteuropa zu stabilisieren. [...] Die posttridentinische Kirche war [...] de facto eine Konfessionskirche, auch in Spanien oder Italien“.41 Deshalb kann der 38

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Lumen gentium. Dogmatische Konstitution über die Kirche des Zweiten Vatikanischen Konzils vom 21. 11. 1964, Art. 8. Erklärung „Dominus Iesus. Über die Einzigkeit und die Heilsuniversalität Jesu Christi und der Kirche“ der Kongregation für die Glaubenslehre vom 6. 8. 2000 (Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls 148), Bonn 2000, S. 21–24. Walter Ziegler, Typen der Konfessionsbildung in katholischen Territorien Deutschlands, in: Reinhard / Schilling (Hgg.), Katholische Konfessionalisierung (wie Anm. 28), S. 405–418, hier S. 417: „Der Begriff ‚Katholische Konfessionalisierung‘ [...] ist jedoch offensichtlich nicht in der Lage, die fundamentalen Unterschiede der religiösen Auffassungen, die sich damals herausbildeten, zu erfassen, ja negiert diese bewußt. [...] Das betrifft im Bereich der katholischen Kirche besonders die (auch für den Profanhistoriker feststellbare) sehr weitgehende Kontinuität mit der mittelalterlichen Kirche, wie solche bei den protestantischen Konfessionen nicht gegeben war“. Dasselbe jetzt auch in: ders., Die Entscheidung deutscher Länder für oder gegen Luther. Studien zu Reformation und Konfessionalisierung im 16. und 17. Jahrhundert. Gesammelte Aufsätze (RGST 151), Münster 2008, S. 129–143, Zitat dort S. 142. Konrad Repgen, Der Bischof zwischen Reformation, katholischer Reform und Konfessionalisierung (1515–1650), in: Peter Berglar / Odilo Engels (Hgg.), Der Bi-

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Epochenbegriff „Konfessionelles Zeitalter“ auch von katholischen theologischen Kirchenhistorikern übernommen werden. Aber auch die protestantisch dominierte klassische deutsche Geschichtswissenschaft kannte kein „Konfessionelles Zeitalter“ – und konnte es wegen ihrer Fixierung auf Martin Luther als „Beginn der Neuzeit“42 auch nicht kennen. Sie kannte für die Zeit bis 1555 das „Zeitalter der Reformation“, und zwar seit Leopold von Ranke und seiner „Deutsche[n] Geschichte im Zeitalter der Reformation“ aus den Jahren 1839 bis 1847.43 Moriz Ritter fügte seit 1889 den Epochenbegriff „Gegenreformation“ hinzu.44 Damit erschien die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts als protestantisches und die zweite nach 1555 als katholisches Zeitalter. Wegen des hohen Ansehens, das die deutsche Geschichtswissenschaft vor dem Ersten Weltkrieg international genoss, wurde das von anderen Wissenschaftskulturen – teilweise bis heute – übernommen.45 Doch blieb dabei undeutlich, dass der Zeitraum nach 1555 auch von der Ausbreitung des Calvinismus oder des Reformiertentums geprägt war – auch in Deutschland. Der Heidelberger Katechismus stammt von 1563. Und die Fürstenübertritte zum Reformiertentum fanden zwischen 1561 und 1613 statt.46 Zugleich erschienen so Trient und die innerkatholischen Entwicklungen als bloße Reaktion auf die protestantische Reformation. Die alternative Epochenbezeichnung „Konfessionelles Zeitalter“ stammt von Ernst Troeltsch, der aber an allem Katholischen gänzlich uninteressiert war. In seinem im Geist des Kulturprotestantismus stehenden Aufsatz „Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der mo-

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schof in seiner Zeit. Bischofsideal und Bischofstypus im Spiegel der Kölner Kirche. Festschrift Joseph Kardinal Höffner, Köln 1986, S. 245–314, wieder in: ders., Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Frieden, Paderborn 1998, S. 183–259, Zitat dort S. 184. Stephan Skalweit, Der Beginn der Neuzeit. Epochengrenze und Epochenbegriff (Erträge der Forschung 178), Darmstadt 1982, darin das Kapitel „Das ‚Morgenrot‘ der Reformation“ (S. 76–122). Ranke führte den Begriff „Reformation“ als Epochenbegriff und als Name des Zeitalters bis 1555 ein und übernahm auch den 1776 von Johann Stephan Pütter verwendeten Begriff „Gegenreformation“. Siehe auch Albert Elkan, Entstehung und Entwicklung des Begriffs Gegenreformation, in: HZ 112, 1914, S. 473–493. Moriz Ritter, Deutsche Geschichte im Zeitalter der Gegenreformation und des Dreißigjährigen Krieges, 3 Bde., Stuttgart 1889–1908, Nachdruck Darmstadt 1962. Französisch „Contre-Réforme“, englisch „Counter-Reformation“, italienisch „Contra-riforma“. 1953 sprach Otto Brunner (Das Konfessionelle Zeitalter 1555–1648, in: Peter Rassow [Hg.], Deutsche Geschichte im Überblick. Ein Handbuch, Stuttgart 1953, 2. Aufl. Stuttgart 1962, S. 284–316) für die Zeit von 1555 bis 1648 vom „Konfessionellen Zeitalter“. Er suchte so dem Calvinismus Rechnung zu tragen.

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dernen Welt“47 unterschied er 1906 zwischen „Altprotestantismus“ und „Neuprotestantismus“. Die Zeit des Altprotestantismus, also das 16. und grosse Teile des 17. Jahrhunderts, sei – so Troeltsch – nicht mehr Mittelalter, aber auch noch nicht Neuzeit. Es sei das „Konfessionelle Zeitalter der europäischen Geschichte“.48 Die Integration des Katholischen in den Epochenbegriff „Konfessionelles Zeitalter“ findet sich erst bei Wolfgang Reinhard. Sein Ansatz war, die Antithetik einer als fortschrittlich konnotierten Epoche der Reformation und einer als reaktionär verstandenen Epoche der Gegenreformation zu überwinden. Außerdem bezog er im Gegensatz zu Troeltsch Luther und die Reformation bis zu den ersten Anfängen der Konfessionsbildung und der „Verstaatlichung“ der Reformation durch die Landesfürsten nicht in das „Konfessionelle Zeitalter“ ein. In seinem Aufsatz von 1983 steht der Schlüsselsatz: „Zutreffender erscheint heute die Unterscheidung einer relativ kurzlebigen ‚evangelischen Bewegung‘, die aber den Kulminationspunkt von zwei Jahrhunderten voller Reformstreben darstellt, von einem ebenfalls rund zwei Jahrhunderte anhaltenden Prozess der ‚Konfessionalisierung‘, der bereits in den zwanziger Jahren des 16. Jahrhunderts einsetzt und seine letzten Ausläufer im frühen 18. Jahrhundert hat“.49 Die Unterscheidung eines „Konfessionellen Zeitalters“ hat eigentlich nichts mit dem Konfessionalisierungsparadigma zu tun. Deshalb ist der Streit, ob dieses Zeitalter in den 1520er oder erst in den 1570er Jahren beginnt, ebenso müßig, wie Heinz Schillings Polemik50 gegen diejenigen51 überflüssig war und an der Sache vorbeiging, die dieses Zeitalter um 1525 oder 1530 beginnen lassen.52 47

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Ernst Troeltsch, Die Bedeutung des Protestantismus für die Entstehung der modernen Welt, in: HZ 97, 1906, S. 1–66. Siehe auch Luise Schorn-Schütte, Altprotestantismus und moderne Welt. Ernst Troeltschs „liberale“ Deutungsmuster der nachreformatorischen Geschichte, in: dies. (Hg.), Alteuropa oder Frühe Moderne. Deutungsmuster für das 16. bis 18. Jahrhundert aus dem Krisenbewußtsein der Weimarer Republik in Theologie, Rechts- und Geschichtswissenschaft, Berlin 1999, S. 45–54; Werner Elert, Im Kampf um die Reformation, in: Der Alte Glaube 13, 1911/12, S. 104–108 u. 123–128; Thomas Kaufmann, Werner Elert als Kirchenhistoriker, in: Zeitschrift für Theologie und Kirche 93, 1996, S. 193–242. Troeltsch, Bedeutung des Protestantismus (wie Anm. 47), S. 29. Reinhard, Zwang zur Konfessionalisierung? (wie Anm. 24), S. 258f. Heinz Schilling, Die Konfessionalisierung im Reich. Religiöser und gesellschaftlicher Wandel in Deutschland zwischen 1555 und 1620, in: HZ 246, 1988, S. 1–45, bes. S. 19–24. Die Polemik richtete sich gegen Klueting, Das Konfessionelle Zeitalter 1525–1648 (wie Anm. 20). Schilling ließ Wolfgang Reinhard unerwähnt, obwohl diesem die Polemik ebenso und eigentlich sogar an erster Stelle hätte gelten können. Klueting, „Zweite Reformation“ (wie Anm. 8), S. 325.

Glaubensspaltung – Konfessionsbildung – Konfessionalisierung

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III. Viel interessanter ist der Stellenwert des Katholischen, zumal seitdem Wolfgang Reinhard nur noch von „Katholischer Konfessionalisierung“ und gar nicht mehr von „Gegenreformation“ und auch nicht mehr von „Katholischer Reform“ sprechen möchte.53 Der Begriff „Katholische Konfessionalisierung“ vermag aber gar nicht die ganze Fülle dessen in sich aufzunehmen, was der Begriff „Katholische Reform“ abdeckt. Deshalb gebrauche ich in meinem neuen Buch vier Begriffe, von denen keiner dasselbe bezeichnet: „Katholische Konfessionsbildung“, „Katholische Konfessionalisierung“, „Gegenreformation“54 und „Katholische Reform“.55 Es bleibt die Frage, wann die „Katholische Reform“ begann. Eine Antwort gibt Konrad Repgen: Die „Anfänge der katholischen Reform [lagen] im frühen 15. Jahrhundert“.56 „Katholische Reform“ wäre damit ein viel umfassenderer Prozess als „katholische Konfessionalisierung“. Die „Katholische Reform“ hätte auch lange vor Luther begonnen und wäre nicht – oder nicht nur – als Reaktion auf die Reformation zu verstehen. Die Bezeichnung „Katholische Reform“ meint dabei – und meint bei mir – die 53

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Das wird deutlich in Wolfgang Reinhards Rezension zu Dieter J. Weiß, Katholische Reform und Gegenreformation, Darmstadt 2005, in: HZ 281, 2005, S. 461f. Als Hubert Jedin 1946 den Doppelbegriff „katholische Reformation und Gegenreformation“ kreierte (Hubert Jedin, Katholische Reformation und Gegenreformation. Ein Versuch zur Klärung der Begriffe nebst einer Jubiläumsbetrachtung über das Trienter Konzil, Luzern 1946, wieder in: Ernst Walter Zeeden [Hg.], Gegenreformation [Wege der Forschung 311], Darmstadt 1973, S. 46–81), nahm er die 1880 von Wilhelm Maurenbrecher verwendete Bezeichnung „katholische Reformation“ auf (Wilhelm Maurenbrecher, Geschichte der katholischen Reformation, Nördlingen 1880). Maurenbrecher war evangelisch – um so bemerkenswerter im Vorwort seines Buches „Geschichte der katholischen Reformation“ der Satz: „dass die Wurzeln der Gegenreformation schon in die ersten Zeiten der Reformation hinaufreichen, ja dass einzelne ihrer Keime schon in dem Menschenalter vor der [Reformation] gepflanzt sind: neben der evangelischen oder protestantischen Reformation gilt es, eine katholische Reformation anzuerkennen“, die somit vor Luther zurückreichte. Maurenbrecher verstand unter „katholischer Reformation“ die hauptsächlich von Italien und Spanien ausgehende Erneuerung innerhalb der Kirche. Für Jedin war „katholische Reform(ation)“ die „Selbstbesinnung der Kirche auf das katholische Lebensideal durch innere Erneuerung“ (Jedin, Katholische Reformation, S. 80f.), während er in der „Gegenreformation“ den katholischen Gegenangriff auf den Protestantismus in der Zeit nach Trient, also nach 1563, sah. „Katholische Reform“ ist also auch bei Jedin älter als „Gegenreformation“ und geht dieser zeitlich voraus. Harm Klueting, Das Konfessionelle Zeitalter. Europa zwischen Mittelalter und Moderne. Kirchengeschichte und Allgemeine Geschichte, Darmstadt 2007, S. 137f. Repgen, Bischof (wie Anm. 41), S. 188.

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Reformenbestrebungen, die in der ecclesia catholica blieben und nicht aus ihr herausführten. Ich selbst gehe sogar noch weiter und noch vor das frühe 15. Jahrhundert zurück. Rechnet man Reinhards „Zwei Jahrhunderte voller Reformstreben“57 von 1517 aus zurück, so ist man im Jahre 1317. Ich beginne zeitlich mit der Verlegung der Papstresidenz von Rom nach Avignon 1309 und mit dem „Schwarzen Tod“, der ersten großen Pestwelle, 1348 bis 1352. Das Avignoneser Papsttum weckte Reformforderungen: Dante, Brigitta von Schweden, Katharina von Siena. Während des „Schwarzen Todes“ suchten sich Teile des hohen Klerus der Gefahr für das eigene Leben durch Flucht zu entziehen. Aus Angst vor Infektion reichten Priester den Todgeweihten die Sterbesakramente nicht mehr, während Notordinationen als Folge des pestbedingten Priestermangels Unwürdige ins Priesteramt brachten. Der Glaubwürdigkeitsverlust des Klerus konnte durch die vielen Beispiele aufopferungsvollen Einsatzes von Bettelmönchen, von Nonnen oder von Laienbruderschaften wie der „Scuola della Carità“ in Venedig nicht wettgemacht werden. Zugleich führten die Pest und ihre Wahrnehmung als Strafgericht Gottes zu einer Steigerung der Religiosität in Pestmessen und Pestgebeten, in der Verehrung der Muttergottes als Schutzmantelmadonna und Pestheiliger wie des hl. Sebastian. So stand auch der „Schwarze Tod“ am Beginn des Zeitalters der Reform, das in den Bettelorden der Franziskaner, Dominikaner, Karmeliten und Augustiner-Eremiten als Bewegung der Observanz, der Rückbesinnung auf die alten Ordensideale, begann. Die „zwei Jahrhunderte vor der Reformation“ sahen die Diskreditierung des Papsttums durch das Schisma seit 1378, die Reformkonzilien von Konstanz und Basel, den Konziliarismus, das Scheitern der Union mit den Griechen und die „Devotio Moderna“, alles eingelagert in politische Vorgänge wie das Vordringen der muslimischen Türken im Südosten, die 1453 Konstantinopel eroberten, und das Erstarken der weltlich-staatlichen Mächte, in kulturelle Transformationen – Humanismus und Renaissance – und in wirtschaftliche und soziale Entwicklungen wie der Verbreitung der Geldwirtschaft, die das Mendikantentum überhaupt erst ermöglichte, der Urbanisierung oder der Ablösung des klerikalen Bildungsmonopols. Hierher gehören John Wiclif in England und Jan Hus in Böhmen, die als katholische Priester und Theologieprofessoren begannen. Beide endeten als verurteilte Häretiker, doch erörterten sie Fragen, die auch andere Reformer beschäftigten. Beide nahmen Elemente von Luthers Reformation voraus: Wiclif mit seinen Einwänden gegen den Ablass, seiner Ablehnung der Heiligen- und Reliquienverehrung, des Zölibats und des Mönchtums, 57

Wie Anm. 49.

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seiner Kritik an der Eucharistielehre, seiner Hochschätzung der Predigt, der er sakramentalen Charakter zuerkennen konnte, und mit seiner Haltung gegenüber dem Papsttum, Hus mit seiner Ablasskritik, mit den Ansätzen des Schriftprinzips (in „De Sanguine Christi glorificatio“ von 1405), mit seiner den Unterschied von Klerus und Laien aufhebenden Ekklesiologie und mit seiner Papst- und Hierarchiekritik (in „De ecclesia“ von 1413). Luthers Rechtfertigungslehre hatten Wiclif und Hus noch nicht. Aber hatte nicht schon Bernhard von Clairvaux 400 Jahre vor Luther das „iustificare sola fide“ vertreten können? Albrecht Ritschls wichtige Schlussfolgerung lautete: „Es ist also eine falsche Ansicht, dass der lateinische Katholicismus des Mittelalters in der Pflege der Werkgerechtigkeit und Verdienstlichkeit aufgeht“.58 War nicht auch der 1308 gestorbene Joannes Duns Scotus Luthers Auffassung schon nahe kommen? Und hatte nicht Gasparo Contarini in der Osterbeichte von 1511 in Venedig sein – wie Jedin, Contarini mit Luther in Parallele setzend, sagte – „Turmerlebnis“ gehabt, dass keine menschliche Bußleistung dem Menschen vor Gott Gerechtigkeit verschaffen könne, sondern nur das Sühneleiden Christi, das als Gnade Gottes im Glauben zu empfangen sei?59 Jedin stellt auch die Differenzen heraus (bei Luther „Glaube“, bei Contarini „Glaube, Hoffnung und Anfang der Liebe“)60 und erklärt auch den Contarini von 1523, der Luthers Schriften gekannt haben müsse, für katholisch, weil er seine Erkenntnis von 1511 „katholisch deutete“.61 In meinem neuen Buch steht der Satz: „Nicht Luthers Rechtfertigungslehre war das epochale Ereignis, sondern ihr Widerhall“.62 Und dann die Observanzbewegungen der Bettelorden! Bei einer Doktordisputation in Köln behauptete einer meiner Kollegen, Spezialist für Stadtgeschichte des Mittelalters, nach dem Ende des Konzils von Basel, endgültig also nach 1448, habe es bis zur Reformation keine Reformansätze mehr gegeben. Stimmt das? Es stimmt nicht. Zum Beispiel nicht bei den Karmeliten. Auch die Karmeliten waren im 14. Jahrhundert durch Verfall 58

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Albrecht Ritschl, Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung, Bd. 1, 2. Aufl. Bonn 1882, Nachdruck Hildesheim 1978, S. 114–117, Zitat S. 117. Hubert Jedin, Ein „Turmerlebnis“ des jungen Contarini, in: Historisches Jahrbuch 70, 1951, S. 115–130. Ebd., S. 119. Ebd., S. 128. Klueting, Das Konfessionelle Zeitalter (2007) (wie Anm. 55), S. 145. Auf weitere Literaturhinweise zu diesem Abschnitt wird hier verzichtet und stattdessen verwiesen auf Harm Klueting, Das Konfessionelle Zeitalter, Bd. 2: Anmerkungen – Literatur. Europa zwischen Mittelalter und Moderne. Kirchengeschichte und Allgemeine Geschichte (HPEE 17), Münster 2009.

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der Ordensdisziplin in den Widerspruch zwischen Ideal und Wirklichkeit geraten. 1432 baten sie den Papst um Milderung ihrer Regel, die Eugen IV. gewährte. Jetzt kamen Reformkräfte auf, darunter die observante Kongregation von Mantua, die der Regelmilderung widersprach. Eine zentrale Gestalt war Johannes Soreth, seit 1451 Generalprior. 1453 reformierte er die Karmelitenklöster der Ordensprovinzen Nieder- und Oberdeutschland. 1456 wurde sein Reformdekret vom Generalkapitel in Paris angenommen und im folgenden Jahr von Calixtus III. bestätigt. Damit teilten sich die Karmeliten, mehr als 100 Jahre vor Teresa von Ávila, in Observante und Konventuale. Soreths Erfolge waren am größten in der niederdeutschen Provinz, doch schlossen sich auch in Oberdeutschland Karmelklöster der Observanz an, ebenso in der Provinz Francia. Die Reform des Kölner Karmels folgte kurz nach seinem Tod 1471. Dennoch ist auffällig, dass die Observanzbewegung der Karmeliten in Italien, Deutschland und Frankreich nach Soreths Tod ins Stocken geriet. Doch hörte sie deshalb nicht auf. Mit der Reform des Karmels von Albi in Südfrankreich 1499 und mit der Entstehung der observanten Kongregation von Albi 1502 reichte die karmelitische Observanzbewegung in das 16. Jahrhundert hinein und mit der Reform des 1524 als Generalprior an die Spitze des Ordens getretenen Nikolaus Audet über die Reformation Luthers hinaus. Audet reformierte karmelitische Konvente in Italien und in Frankreich, aber auch in Portugal und 1531 in der niederdeutschen Provinz. Oder die Augustiner-Eremiten: Ihre Observanzbewegung begann 1387 in Lecceto bei Siena, bevor Neapel 1421 zum zweiten Zentrum der Erneuerung wurde. In Deutschland fand die Observanz zunächst in Bayern Eingang. Unter Andreas Proles, seit 1461 Generalvikar der observanten Kongregation von Sachsen und Thüringen, und seinem Nachfolger Johann von Staupitz breitete sich die Reform über die Konvente der Provinz aus. Eines der 30 Klöster, die sich in Sachsen-Thüringen der Observanz angeschlossen hatten, war der Konvent in Erfurt. Das war das Kloster, in das Luther 1505 als Novize eintrat. In Staupitz, der – seit 1503 Generalvikar der observanten Kongregation – in seinen Schriften die augustinische Betonung der erwählenden Gnade Gottes vertrat, so dass man darin Luthers Rechtfertigungslehre antizipiert sehen kann, begegnete dem jungen Luther ein Ordensreformer als Lehrer und Freund.63 63

Auch zu diesem Abschnitt wird auf Literaturangaben verzichtet und stattdessen auf das in Anm. 62 genannte Werk verwiesen. – Die Frage der Herkunft Martin Luthers und der Reformation aus der Observanz der Augustiner-Eremiten und aus der vorreformatorischen Katholischen Reform wird aufgegriffen und weiter verfolgt bei Harm Klueting, Luther und die Neuzeit, Darmstadt 2011; ders., Martin

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Hierher gehört nun auch die Frage nach der Stellung Luthers in der Kirchengeschichte. Luther begann als katholischer Priester, Mönch und Theologieprofessor und kam aus der Observanzbewegung seines Ordens, der Augustiner-Eremiten, die wie alle Observanzbewegungen der Bettelorden des 15. Jahrhunderts Teil der vorreformatorischen „Katholischen Reform“ war. Ich antworte mit Zitaten einiger evangelischer Kirchenhistoriker und einer katholischen Ordenshistorikerin. Ulrich Köpf schrieb 1994: „Ich bin der Meinung, dass man Luthers Reformation in gewisser Hinsicht als Höhepunkt und Vollendung der monastischen Reformen des Mittelalters betrachten kann“.64 Bernd Moeller vertrat 1998 die Ansicht, das monastische Erbe habe auf verschiedene Weise in der Reformation weitergewirkt.65 Inge Mager fügte 2001 ihre These hinzu, dass das Leben der Familie Luther von Kontinuitäten zum Klosterleben geprägt war, besonders durch Katharina von Bora, die ehemalige Zisterzienserin und seit 1525 Ehefrau Luthers.66 Hans Schneider charakterisierte Luthers Reformation 2007 als „Auseinandersetzung [...] um die rechte ‚observantia religiosa‘“ in Fortsetzung der Ordensreform im Orden der Augustiner-Eremiten.67 Und nun die katholische Ordenshistorikerin mit Sätzen von 2005: „Der AugustinerEremit Martin Luther ist in seinen Anfängen Teil einer Observanzbewegung und Reform der Augustiner-Eremiten. Die Reformation ist eine aus dem Ruder gelaufene Ordensreform und letztlich eine an Radikalität nicht zu überbietende Observanzbewegung im Sinne einer Aufgabe der evangelischen Räte und damit einer Aufgabe des anscheinend nicht reformierbaren Religiosentums“.68

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Luther zwischen Mittelalter und Neuzeit, in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte 104, 2010, S. 437–457. Ulrich Köpf, Heilige und Modelle des Verhaltens in der protestantischen Gesellschaft, in: Giulia Barone (Hg.), Modelli di santità e modelli di comportamento, Torino 1994, S. 243–262, Zitat S. 246. Bernd Moeller, Die frühe Reformation in Deutschland als neues Mönchttum, in: ders., Die frühe Reformation in Deutschland als Umbruch (SVRG 199), Gütersloh 1998, S. 76–91, hier S. 88. Inge Mager, Vom Mönchs- und Nonnenkloster zum Wittenberger Familienkloster, in: Rezeption und Reform. Festschrift Hans Schneider, hg. von Wolfgang BreulKunkel u. Lothar Vogel, Darmstadt/Kassel 2001, S. 35–48. Hans Schneider, Contentio Staupitii. Der „Staupitz-Streit“ in der Observanz der deutschen Augustinereremiten 1507–1512, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte (künftig ZKG) 118, 2007, S. 1–44, hier S. 44. Edeltraud Klueting, Monasteria semper reformanda. Kloster- und Ordensreformen im Mittelalter (HPEE 12), Münster 22011, S. 5. Siehe auch Christoph Bultmann / Volker Leppin / Andreas Lindner (Hgg.), Luther und das monastische Erbe (Spätmittelalter, Humanismus, Reformation 39), Tübingen 2007.

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Aber warum lief die Reform bei Luther „aus dem Ruder“? Weil er sich unter dem Druck des Ketzerprozesses radikalisierte – von seinem noch in konziliaristischem Geist erfolgten Appell an ein Konzil beim Verhör durch Cajetan 1518 in Augsburg über die Verwerfung der Konzilsautorität in der Leipziger Disputation mit Eck 1519 bis zum Antichrist-Vorwurf an den Papst in seiner Schrift „Von dem Papsttum zu Rom wider den hochberühmten Romanisten zu Leipzig“ von 1520. Weil er von den Humanisten, die in ihm einen der Ihren sahen, unterstützt wurde und weil ihm durch den Buchdruck ein Publikationsmedium zur Verfügung stand, das Hus noch unbekannt war. Weil er früh die Unterstützung deutscher Territorialfürsten fand, denen die von ihm losgetretene Bewegung die Chance des Zugriffs auf Kirche und Kirchengut und politische Vorteile beim Ausbau ihrer territorialen Landeshoheit bot.69 Und weil Luther mit seiner Ablasskritik und mehr noch seit seinen Schriften „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ und „An den christlichen Adel deutscher Nation“, beide 1520, auf den Antiklerikalismus in Adel, Stadtbürgertum und Bauernschaft stieß und dadurch breite Resonanz fand. Doch soll hierher nun auch ein vergleichender Blick auf die französische Forschung geworfen werden, der mir besonders naheliegt, weil man in Fribourg Wand an Wand mit Vertretern der französischen Forschung lebt. Frankophone Historiker und Kirchenhistoriker kannten nie eine durch Luther markierte Epochengrenze zwischen Mittelalter und Neuzeit. Die Periodisierungsdebatte um die Epochengrenze zwischen Mittelalter und Neuzeit, zu der seit Troeltsch die Frage nach dem „Konfessionellen Zeitalter“ gehört, ist eine deutsche Debatte. Man denkt dabei natürlich zu-

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Der Verfasser teilt nur begrenzt die Sicht Walter Zieglers, wonach „für einen Übertritt zu der von Luther initiierten Religionspartei diejenigen Territorien [= Reichsstände oder Fürsten] prädestiniert waren, die relativ klein waren im Umfang, keine bedeutende Stellung in der Reichshierarchie innehatten“. Von den beiden früh für die Reformation optierenden Fürsten war der seit 1525 regierende Johann der Beständige von Sachsen einer der Kurfürsten des Reiches, während Landgraf Philipp von Hessen – neben dem Herzog von Bayern – der mächtigste Fürst des Reiches unterhalb der Hierarchieebene der Kurfürsten war. Siehe das Zitat bei Walter Ziegler, Territorium und Reformation. Überlegungen zur Entscheidung der deutschen Länder für oder gegen Luther, in: Ecclesia militans. Studien zur Konzils- und Reformationsgeschichte. Festschrift Remigius Bäumer, Paderborn 1988, Bd. 2, S. 161– 177, Zitat S. 176, wieder in: ders., Die Entscheidung deutscher Länder für oder gegen Luther. Studien zu Reformation und Konfessionalisierung im 16. und 17. Jahrhundert. Gesammelte Aufsätze (RGST 151), Münster 2008, S. 61–77, Zitat S. 76.

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erst an Pierre Chaunu und sein Buch „Le temps des Réformes“70 von 1975, in dem er für die Zeit seit dem 13. Jahrhundert vier Reformen unterschied: „la prémiere Réforme“, „la Réforme protestante“, „la Réforme catholique“ und „la quatrième Réforme“, diese vierte für die häretischen Bewegungen der Frühen Neuzeit. Ich denke aktuell an das in Deutschland wenig bekannte Buch des französischen Dominikaners und Kirchenhistorikers Guy Bedouelle – bis Anfang des Jahres 2008 Professor in Fribourg und seitdem Rektor der Université Catholique in Angers in Frankreich –, „La Réforme du catholicisme“71 von 2002. Auch Bedouelle kennt vier Reformen, die sich aber von dem Modell Chaunus deutlich abheben: „la réforme déclamée“, „la réforme revendiquée“, „la réforme préparée“ und „la réforme amorcée“ („la réforme conciliaire“). Er unterscheidet überdies zwischen „La Réforme du catholicisme“, mit der er bis 1308, bis zur Einberufung des Konzils von Vienne, zurückgeht, und „La réforme catholique“ nach Trient.

IV. Das Konfessionalisierungsparadigma hat sich seit den 1980er Jahren wesentlich verändert. Es hat die Kleinwelt der deutschen Fürsten- und Grafenterritorien – Stichwort: Lemgo und Lippe – verlassen, sich europäisiert und sich vom Paradigma „frühmoderner Staat“ gelöst. Es hat sich partiell ent-etatisiert. Dafür zwei eindrucksvolle Beispiele: Krista Zach hat das Fürstentum Siebenbürgen 1999 als „Antimodell“ der Konfessionalisierung herausgearbeitet72 – Antimodell zu dem Schillingschen Modell der Verbindung von Konfessionalisierung und frühmoderner Staatsbildung. In Siebenbürgen gab es keine – wie Krista Zach formuliert – „Staatskonfessionalisierung“73 und auch keine konfessionelle Homogenisierung auf der Ebene der Besitzungen grosser Grundherren. Hier 70

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Pierre Chaunu, Le temps des Réformes. Histoire religieuse et système de civilisa­ tion. La crise de la chrétienté, l’éclatement (1250–1550), Paris 1975. Guy Bedouelle, La Réforme du catholicisme (1480–1620), Paris 2002. – Guy Bedouelle verstarb am 22. Mai 2012 in Fribourg. Krista Zach, Stände, Grundherrschaft und Konfessionalisierung in Siebenbürgen. Überlegungen zur Sozialdisziplinierung (1550–1650), in: Joachim Bahlcke / Arno Strohmeyer (Hgg.), Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa. Wirkungen des religiösen Wandels im 16. und 17. Jahrhundert in Staat, Gesellschaft und Kultur (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 7), Stuttgart 1999, S. 367–391, dort S. 391: „Antimodell“. Ebd., S. 391.

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gab es „Gruppenkonfessionalisierung“74 entlang der Sprachgrenzen – und die Sprachgrenzen verfestigend – , indem die Deutschsprachigen für das Luthertum und die Ungarischsprachigen für das Reformiertentum optierten,75 was sich mit dem Sprachwechsel konfessionell anders optierender Einzelner verband.76 Das andere Beispiel: Von „Verdichtung der Staatlichkeit“77 kann im Zusammenhang mit Konfessionalisierung auch am anderen Ende Europas nicht die Rede sein. Das zeigt Ute Lotz-Heumann, eine Schülerin Heinz Schillings, mit ihrer bei ihm entstandenen Dissertation über Irland: „In Irland kam es [...] weder dazu, dass eine der beiden Konfessionen ihr religiöses Monopol durch [...] erfolgreiche Konfessionalisierung durchzusetzen vermochte, noch kann man von einem Ineinandergreifen und einer gegenseitigen ‚positiven Verstärkung‘ von Konfessionalisierung und Staatsbildung sprechen. Vielmehr sind im irischen Kontext gegeneinandergerichtete Konfessionalisierungsansätze und -ziele zu betrachten, die aneinander scheiterten“.78 Wie Krista Zach von einem „Antimodell“ der Konfessionalisierung, so spricht Ute Lotz-Heumann von „doppelter Konfessionalisierung“, womit sie das Neben- und Gegeneinander „der protestantischen Konfessionalisierung ‚von oben‘ in Allianz mit dem Staat“ und „der katholischen Konfessionalisierung ‚von unten‘ in Opposition zum Staat“79 auf den Begriff bringt. Überall in Europa war Konfessionalisierung ein Integrationsprozess. Das reichte von der Integration der Territorialgesellschaft im Dienst frühmoderner Staatsbildung in einer Reihe deutscher Territorien – das ursprüngliche Schillingsche Modell – über Integration zur Behauptung nationaler Eigenständigkeit wie in Schottland seit der Personalunion von 74 75

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Ebd., S. 390. Siehe auch Krista Zach, Religiöse Toleranz und Stereotypenbildung in einer multikulturellen Region. Volkskirchen in Siebenbürgen, in: Konrad Gündisch u.a. (Hgg.), Das Bild des Anderen in Siebenbürgen. Stereotypen in einer multiethnischen Region (Siebenbürgisches Archiv 33), Köln/Weimar/Wien 1997, S. 109– 154. Klueting, Reformierte Konfessionalisierung (wie Anm. 8), S. 54. Siehe auch ders., Der Calvinismus im Reich und in Europa, in: Udo Wennemuth (Hg.), Reformierte Spuren in Baden (Veröffentlichungen des Vereins für Kirchengeschichte in der Evangelischen Landeskirche in Baden 57), Karlsruhe 2001, S. 10–39. Schilling 1981 bzw. 1986 (siehe oben bei Anm. 18). Ute Lotz-Heumann, Die doppelte Konfessionalisierung in Irland. Konflikt und Koexistenz im 16. und in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts (SuR NR 13), Tübingen 2000, S. 15. Ebd., S. 15.

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1603 mit England oder städtischer Autonomie wie in Danzig80 bis zur Integration von Sprachgruppen und damit zur Segmentierung einer territorialen Gesellschaft wie in Siebenbürgen.81 Doch ist damit die Palette der Integrationsprozesse, die man als Konfessionalisierung in Anspruch nehmen kann, noch nicht erschöpft. Das zeigt Andreas Holzem in seiner schon genannten Untersuchung über das Fürstbistum Münster, der uns damit ein drittes Beispiel der Konfessionalisierung nicht im Dienst „frühmoderner Staatsbildung“ liefert, indem er vorführt, dass katholische Konfessionalisierung im geistlichen Territorium eher im Dienst der Verchristlichung als in dem der Verstaatlichung stand.82 Aber auch unabhängig von der Frage seiner Verbindung mit dem Konzept „Frühmoderner Staat“ stellt sich das Konfessionalisierungsparadigma heute anders dar als in den 1980er oder 1990er Jahren. In der jüngsten Forschung werden historische Gegebenheiten wie Interkonfessionalität, Transkonfessionalität oder binnenkonfessionelle Pluralität – das ist der Titel eines Aufsatzbandes von 2003 – deutlich.83 Deutlich wird auch, dass die konfessionellen Heiratsschranken in den Grenzbereichen zwischen verschiedenkonfessionellen Territorien keineswegs so trennscharf waren, wie man das lange angenommen hat.84 Das alles weist ebenso wie „Irenik und 80

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Michael G. Müller, Zweite Reformation und städtische Autonomie im Königlichen Preußen. Danzig, Elbing und Thorn in der Epoche der Konfessionalisierung (1557-1660), Berlin 1997; ders., Zur Frage der Zweiten Reformation in Danzig, Elbing und Thorn, in: Schilling (Hg.), Reformierte Konfessionalisierung (wie Anm. 21), S. 251-265; ders., Unionsstaat und Region in der Konfessionalisierung. Polen-Litauen und die großen Städte des Königlichen Preussen, in: Bahlcke / Strohmeyer (Hgg.), Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa (wie Anm. 72), S. 123-137. Klueting, „Zweite Reformation“ (wie Anm. 8), S. 336f. Holzem, Religion und Lebensform (wie Anm. 35). Siehe auch ders., Der Konfessionsstaat 1555-1802 (Geschichte des Bistums Münster 4), Münster 1998; ders., Die Konfessionsgesellschaft. Christenleben zwischen staatlichem Bekenntniszwang und religiöser Heilshoffnung, in: ZKG 110, 1999, S. 53-85; ders., Bedingungen und Formen religiöser Erfahrung im Katholizismus zwischen Konfessionalisierung und Aufklärung, in: Paul Münch (Hg.), „Erfahrung“ als Kategorie der Frühneuzeitgeschichte (HZ, Beiheft NF 31), München 2001, S. 317-332. Kaspar von Greyerz / Manfred Jakubowski-Tiessen / Thomas Kaufmann / Hartmut Lehmann (Hgg.), Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese (SVRG 201), Gütersloh 2003. Joachim Rüffer, Die Disziplinierung des Glaubens. Frömmigkeitsempfinden im Grenzbereich zwischen geistlichen und weltlichen Territorien Westfalens um 1700, in: Bettina Braun / Frank Göttmann / Michael Ströhmer (Hgg.), Geistliche Staaten im Nordwesten des Alten Reiches. Forschungen zum Problem frühmoderner Staatlichkeit (Paderborner Beiträge zur Geschichte 13), Köln 2003, S. 233-252.

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Antikonfessionalismus“ des 17. Jahrhunderts85 auf das Gegenteil von Konfessionalisierung hin, wie neuerdings sogar für die Außenpolitik Philipps II. von Spanien gegenüber Frankreich das Konfessionelle als „zu keiner Zeit handlungsleitend“86 bezeichnet wird.

V. Wie kann, wie könnte die Forschung weitergehen? Ich möchte dazu zwei Thesen aufstellen. Von den Historikern, die sich mit dem Phänomen der Konfessionen in der frühneuzeitlichen Geschichte Europas und überhaupt mit Fragen der Kirchen- oder Religionsgeschichte befassen, ist die Re-Theologisierung ihrer Frageansätze zu erwarten. Es muss wieder mehr nach den Inhalten der Glaubensbekenntnisse und auch nach der rituellen Seite der Glaubensvollzüge gefragt werden. Ich weiß, dass das schwerfällt in einer säkularisierten Gesellschaft, in der auch viele Historiker eher in der Kategorie der Emanzipation von kirchlichen Macht- und Herrschaftsansprüchen denken als in der Kategorie der Erlösungsbedürftigkeit des Menschen. Aber ohne diese Re-Theologisierung werden wir in einschlägigen Arbeiten immer häufiger aberwitzige Urteile finden. Von den theologischen Kirchenhistorikern ist zu erwarten, dass sie endlich aufhören, nur die Kirchen- und Theologiegeschichte ihrer eigenen Konfession in den Blick zu nehmen. Hier müssen wir endlich zu einer allgemeinen Christentumsgeschichte kommen, die mit der Kompetenz des Theologen und des Historikers das gesamte Spektrum in den Blick nimmt. Ich bin beides, Allgemeinhistoriker und theologischer Kirchenhistoriker. Es gibt aber auch Allgemeinhistoriker, die nicht zugleich Theologen sind, aber zumindest den ersten dieser beiden Punkte – der zweite dürfte für Allgemeinhistoriker ohnehin selbstverständlich sein – ähnlich sehen. Ein solcher ist der britische Historiker Derek Beales. Er beklagt in seinem 2003 erschienenen Werk „Prosperity and Plunder. European Catholic Monasteries in the Age of Revolution 1650-1815“ das Desinteresse der meisten Historiker an Mönchtum und Klosterwesen der nachreformatorischen Jahrhunderte und schreibt: „Im All85

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Harm Klueting (Hg.), Irenik und Antikonfessionalismus im 17. und 18. Jahrhundert (Hildesheimer Forschungen 2), Hildesheim 2003. Markus Reinbold, Jenseits der Konfession. Die frühe Frankreichpolitik Philipps II. von Spanien 1559-1571 (Francia, Beiheft 61), Ostfildern 2005, S. 221.

Glaubensspaltung – Konfessionsbildung – Konfessionalisierung

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gemeinen liegt das Problem darin, dass die meisten zeitgenössischen Historiker der Religion wenig Bedeutung beimessen und sich daher schwer vorstellen können, dass Menschen zu irgendwelchen Zeiten wahrhaftig durch religiöse Motive bewegt werden konnten. Wenn sie offensichtlich religiösen Phänomenen begegnen, grenzen sie diese aus, vermindern ihre Bedeutung oder suchen eine säkulare Erklärung dafür zu finden“.87

87

Zitiert nach der deutschen Übersetzung, Derek Beales, Europäische Klöster im Zeitalter der Revolution 1650-1815, Köln/Weimar/Wien 2008, S. 10.

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Katholische Konfessionalisierung oder frühmoderner Katholizismus? Robert Bireley Der Begriff der Konfessionsbildung, den Ernst Walter Zeeden vor fünfzig Jahren eingeführt hat, hat die Forschungen zum frühmodernen Europa zuhöchst bereichert. Vor allem zeigte er die Parallelen in der Entwicklung der verschiedenen Konfessionen auf, die mit der Reformation entstanden sind: die lutherische, calvinistische, katholische und sogar anglikanische und diverse freikirchliche Konfessionen. Man möchte diesen Begriff als Beitrag zur ökumenischen Bewegung betrachten, die damals vor allem in Deutschland eine starke Entwicklung erfuhr. Zeeden sah Konfessionsbildung als „die geistige und organisatorische Verfestigung der seit der Glaubensspaltung auseinanderstrebenden verschiedenen christlichen Bekenntnisse zu einem halbwegs stabilen Kirchentum nach Dogma, Verfassung und religiös-sittlicher Lebensform.“ Dazu kam, was man später als Konfessionalisierung bezeichnet hat: das „Ausgreifen [der Bekenntnisse] in die christliche Welt des frühneuzeitlichen Europas; ihre Abschirmung gegen Einbrüche von außen mit den Mitteln der Diplomatie und Politik; aber auch ihre Gestaltung durch außerkirchliche Kräfte, insonderheit die Staatgewalt.“1 Heinz Schilling und Wolfgang Reinhard sowie andere haben Zeedens Ansatz zum Konfessionalisierungsparadigma weiterentwickelt, oft aufklärend, was den Konfessionen gemeinsam und was jeder Konfession eigen gewesen sei.2 Die Tatsache, daß die Konfessionen gemeinsame Merkma1

2

Ernst Walter Zeeden, Grundlagen und Wege der Konfessionsbildung in Deutschland im Zeitalter der Glaubenskämpfe, in: Historische Zeitschrift 185, 1958, S. 249– 299, hier S. 251; Nachdruck, ausgenommen S. 276–286, in: Ernst Walter Zeeden (Hg.), Gegenreformation (Wege der Forschung 311), Darmstadt 1973, S. 88. Wolfgang Reinhard / Heinz Schilling (Hgg.), Katholische Konfessionalisierung. Wissenschaftliches Symposium der Gesellschaft zur Herausgabe des Corpus Catholicorum und des Vereins für Reformationsgeschichte 1993 (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 135), Münster, 1995; siehe hier besonders Wolfgang Reinhard, Was ist katholische Konfessionalisierung?, S. 419–452. Zur neueren Literatur vgl. Ute Lotz-Heumann, Confessionalization, in: David M. Whitford (Hg.),

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le aufwiesen, sollte uns nicht überraschen, besonders wenn wir uns daran erinnern, daß die Konfessionen alle miteinander wetteifernde Antworten auf die tiefgründigen Änderungen des langen sechzehnten Jahrhunderts gewesen waren. Alle sind sie aus den Wurzeln des späten Mittelalters erwachsen. Aber man darf die Frage aufwerfen, ob der Ausdruck „katholische Konfessionalisierung“ oder sogar die älteren Ausdrücke „Katholische Reform“ und „Gegenreformation“ den Katholizismus der Zeit angemessen bezeichnen. Die Frage verdient diskutiert zu werden; Bezeichnungen weisen auf Deutungen hin. Meine Absicht in diesem Referat ist es, den Katholizismus der frühen Neuzeit genau als Antwort auf die sich ändernde Welt des sechzehnten Jahrhunderts zu betrachten. So trete ich in die Fußstapfen des Cambridger Historikers H. Outram Evennett, der in einer Vortragsreihe schon im Jahr 1951 dieses Verständnis der Gegenreformation vorgeschlagen hat.3 Ich möchte den Katholizismus des sechzehnten Jahrhunderts innerhalb der langen, mit der Urkirche beginnenden Tradition der Begegnung des Christ­entums mit der jeweiligen Kultur und Gesellschaft sehen. Diese Begegnung findet notwendigerweise dann statt, wenn die Kirche die Menschen ansprechen und Einfluß auf die Zeit ausüben will; und manchmal ist das Ergebnis eine Neugestaltung der Kirche. Diese regelmäßige Akkommodation führt oft zu Konflikten innerhalb der Kirche wie im sechzehnten Jahrhundert, zwischen jenen, die jede Änderung als einen Ausverkauf ansehen, und jenen, die Modifikationen in kirchlicher Lehre oder Praxis fördern, damit die Kirche die Menschen einer bestimmten Zeit wirksamer ansprechen könne. Dieser Prozeß nahm seinen Anfang in neutestamentlicher Zeit mit der Frage, ob nicht-jüdische Konvertiten zur Beachtung des jüdischen Gesetzes verpflichtet werden sollten; dies ist ein Hauptthema der Apostelgeschichte. Später wurde das Christentum aufgefordert, gegenüber der herrschenden Kultur der griechisch-römischen Zeit Stellung zu nehmen. Was hat Jerusalem mit Athen zu tun? Viel später, im sechzehnten Jahrhundert, als die Europäer in ersten Kontakt mit den hochentwickelten und auch mit primitiven Kulturen in Asien und Amerika kamen, mußte die Kirche entscheiden, wieweit sie Elemente dieser fremden Kulturen übernehmen könnte; daraus entstand, was wir den Ritenstreit nennen.4 In

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4

Reformation and Early Modern Europe: A Guide to Research, Kirksville MO 2008, S. 136–157. Henry Outram Evennett, The Spirit of the Counter-Reformation, hg. v. John Bossy, Cambridge 1968. Vgl. Nicolas Standaert, Christianity Shaped by the Chinese sowie Ines G. Županov und Ronnie Po-Chia Hsia, Reception of Hinduism and Buddhism, in: The Cambridge History of Christianity 6, Reform and Expansion 1500–1660, hg. v. Ronnie

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unseren Tagen, in denen sich alles viel schneller als in der Vergangenheit ändert, verschärft sich die Auseinandersetzung, was als gesundes Aggiornamento anzusehen sei, wie zum Beispiel in der Frage der Rolle der Frauen in der Kirche. Ich benütze hier den Ausdruck „Katholizismus“ genauso wie „Kirche“, um zu zeigen, daß wir nicht nur von Päpsten und Bischöfen, sondern auch von Laien, Klerikern und Ordensleuten sprechen, manchmal Menschen von charismatischen Gaben, die zu Führern in der Kirche aufgestiegen sind. Man denke, zum Beispiel, an Ignatius von Loyola oder Franz von Sales, an Teresa von Avila oder Jeanne Françoise de Chantal, und wir wollen nicht Fürsten wie Kurfürst Maximilian von Bayern oder Kaiser Ferdinand II. ausschließen. Nach der neueren Literatur haben einfache Katholiken öfters Einfluß vor allem auf der Ebene der Pfarrei ausgeübt. Diese Neugestaltung der Kirche war weder einfach passiv oder einfach aktiv. Der Katholizismus hat sich selbst neugestaltet und wurde auch von Einflüssen aus der damaligen Kultur und Gesellschaft neu gestaltet. Ich folge, mit einigen Modifikationen, Theodore K. Rabb in seinem klassischen Werk „The Struggle for Stability in Early Modern Europe“, wenn ich die fünf wichtigsten Änderungen nenne, die den Übergang vom Mittelalter zur frühen Neuzeit ausmachten: die Entstehung des modernen Staates; die demographische und wirtschaftliche Expansion mit gesellschaftlichen Veränderungen; die europäische Expansion nach Asien und Amerika; die intellektuelle und kulturelle Ausrichtung der Renaissance mit der Sehnsucht nach neueren Formen des Christentums; und die Reformation.5 Dieses sind die Hauptänderungen, auf welche der Katholizismus in der frühen Neuzeit reagieren mußte. Zwei allgemeine Merkmale, die seine Antwort charakterisierten und die auch Entwicklungen in den evangelischen Konfessionen markierten, bildeten der Versuch, den Gläubigen eine zeitgemäßere Form des Christentums anzubieten, und die Schaffung von Ordnung innerhalb und außerhalb der Kirchen. Allerdings ließen sich diese beiden Ziele oft nicht leicht versöhnen. Die fundamentale Institution der westlichen Welt, die wir den Staat nennen, hat ihre Wurzeln im Mittelalter und entwickelte sich bis ins neun-

5

Po-Chia Hsia, Cambridge 2007, S. 558–576 und 577–597; zu den chinesischen Riten siehe auch den ausgeglichenen Beitrag von Francis A. Rouleau, Chinese Rites Controversy, in: New Catholic Encyclopedia 3, Washington 1967, S. 611–617. Theodore K. Rabb, The Struggle for Stability in Early Modern Europe, Oxford 1975; Eugene F. Rice, Jr. / Anthony Grafton, The Foundations of Early Modern Europe, New York 21994; vgl. auch Philip Benedict / Myron Gutman (Hgg.), Early Modern Europe: From Crisis to Stability, Newark DE 2005.

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zehnte Jahrhundert fort. Der Staat hat eine wichtige Stufe seiner Entwicklung in der ersten Hälfte des sechzehnten Jahrhunderts mit den drei großen Monarchen Franz I. von Frankreich, Heinrich VIII. von England und Kaiser Karl V. respektive Karl I. von Spanien erreicht. Aber lange vor dieser Zeit waren Konflikte zwischen dem Papsttum und verschiedenen Staaten ausgebrochen, gewöhnlich über Steuern, die Besetzung kirchlicher Stellen oder gesetzliche Jurisdiktion. Als die Staaten allmählich ihre Autorität über ihre Territorien ausdehnten und zentralisierten, riefen sie päpstlichen oder kirchlichen Widerstand hervor. Zur selben Zeit arbeitete das Papsttum selbst darauf hin, seine Autorität im Kirchenstaat sowie in der universalen Kirche zu konsolidieren und zu zentralisieren. So verfolgte auch das Papsttum die Tendenzen der Zeit. Im Jahr 1450 etablierte Papst Nikolaus V. die päpstliche Residenz wieder in Rom. Er begann, ein Programm der Konsolidierung des Kirchenstaates und der Entwicklung von Rom zu einem Mittelpunkt der europäischen Kultur durchzuführen, das bis weit ins siebzehnte Jahrhundert andauern sollte.6 Ein wohlorganisierter Kirchenstaat war notwendig, wenn das Papsttum im Wettbewerb um Macht unter den italienischen Staaten überleben sollte und wenn es den Verlust von Einkommen aus den europäischen Staaten mit der Auflegung von Steuern im Kirchenstaat ausgleichen wollte. Die Reintegration von Bologna in den Kirchenstaat im Jahr 1506 und von Ferrara 1598 markiert die Eckpunkte bei der Konsolidierung des Kirchenstaats zu Beginn und zu Ende des sechzehnten Jahrhunderts. Nach Jean Delumeau regierten die Päpste bis 1600 mit einer Verwaltung, die sich wenigstens auf derselben Ebene wie irgend ein anderer Staat und vielleicht sogar auf einem höheren Niveau befand.7 Neben anderen italienischen Staaten bildete das Papsttum mit den Nuntien, die ihm regelmäßig Bericht erstatteten, die Form einer ständigen diplomatischen Vertretung an den europäischen Höfen aus.8 Aber im Laufe des siebzehnten Jahrhunderts konnte der Kirchenstaat mit der allgemeinen Entwicklung nicht mehr Schritt halten, wegen des Fehlens einer ausreichenden Förderung der Wirt-

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Paolo Prodi, The Papal Prince, One Body and Two Souls: The Papal Monarch in Early Modern Europe, übersetzt von Susan Haskins, Cambridge 1987, bes. S. 41– 58, 159f. Jean Delumeau, Rome: Political and Administrative Centralization in the Papal State in the Sixteenth Century, in: The Late Renaissance, 1525–1630, hg. v. Eric Cochrane, New York 1970, S. 302. Pierre Blet, Histoire de la Représentation diplomatique de la Sainte-Siège, Città del Vaticano 1982.

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schaft und der zunehmenden Besetzung der meisten Verwaltungspost­en mit Klerikern, so daß kompetente Laien ausgeschlossen wurden.9 Es ist dem Papsttum gelungen, die Herausforderung des Konziliarismus zu überwinden und die päpstliche Autorität innerhalb der Kirche zu bekräftigen. Paul III. richtete im Jahr 1542 die römische Inquisitionsbehörde neu ein. Obwohl ihre tatsächliche Jurisdiktion nicht über Italien hin­ ausreichte, wuchs ihr als Heiligem Offizium allmählich die Vollmacht zu, die Normen der Orthodoxie für die Universalkirche zu setzen. Das Konzil von Trient hatte es vermieden, Stellung in der heiklen Frage des Verhältnisses zwischen dem Papst und dem Kollegium der Bischöfe zu nehmen. Das Konzil hatte am letzten Tag durch seine Bitte an den Papst, seine Dekrete zu bestätigen, dessen Autorität anerkannt. Als Pius IV. in der Bulle Benedictus Deus die Dekrete des Konzils bestätigte, behielt er gleichzeitig dem Papsttum das Recht vor, die Dekrete zu interpretieren, und gründete eine Kongregation zu diesem Zweck. Unter Papst Gregor XIII. steigerte sich der Einfluß der Nuntien auf den geistlichen Bereich. Sixtus V. reorganisierte die päpstliche Regierung mit fünfzehn Kongregationen, sechs für den Kirchenstaat und neun für die universale Kirche. Außerdem bestand er auf der Pflicht der Bischöfe zu regelmäßigen Ad limina-Besuchen in Rom. Wenn es dem Papsttum auch wenigstens für eine gewisse Zeit gelungen war, den Kirchenstaat zu stärken und seine Rolle in der Universalkirche zu steigern, so hat es den Streit mit den neuen Staaten doch verloren. Die Päpste waren sich wohl der Notwendigkeit der Unterstützung durch die Staaten bei kirchlichen Angelegenheiten bewußt, zunächst gegen den Konziliarismus und dann gegen die Reformation. Die Fürsten haben oft bereitwillig die Verantwortung für kirchliche Reformen auf sich genommen, besonders wenn sie die Bischöfe für nachlässig hielten. In Frankreich hat die Pragmatische Sanktion im Jahr 1438 den Grund für die Gallikanische Kirche gelegt; das Konkordat von Bologna von 1516 hat ihre Vereinbarungen modifiziert, aber immer noch dem französischen König das Recht zugesichert, die Kandidaten für alle wichtigen Benefizien im Lande zu nominieren.10 Lange vor der Reformation hatten deutsche Fürsten weitreichende geistliche Macht über ihre Territorialkirchen in Anspruch genommen. Der Herzog von Kleve sah sich als „Papst“ in seinem Land, wo er kirchliche Privilegien verkürzte und monastische Reformen durchführte.11 Nach der Reformation gab der Papst den Fürsten noch mehr nach, 9 10

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Prodi, Papal Prince (wie Anm. 6), S. 49, 104. Hans Erich Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte: Die katholischen Kirche, Köln 5 1972, S. 481, 486, 493, 496. François Rapp, Les caractères nationaux au sein de la chrétienté occidentale: L’Allemagne, in: Histoire du Christianisme 7, De la réforme à la Réformation 1450–

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oder wurde gezwungen nachzugeben. Als der heilige Karl Borromäus, Erzbischof von Mailand, im Streit mit König Philipp II. von Spanien über kirchliche Rechte lag, neigte Papst Gregor XIII. auf die Seite des Königs.12 Im Münchener Konkordat von 1583 konzedierte die kirchliche Seite Herzog Wilhelm V. von Bayern weitreichende Rechte: die Besteuerung kirchlichen Besitzes, die Nomination von Kandidaten für kirchliche Stellungen und die Überwachung der Verwaltung vieler kirchlicher Besitzungen.13 So wurde der Weg zum Staatskirchentum des achtzehnten Jahrhunderts geebnet. Beginnend am Anfang des sechzehnten Jahrhunderts haben katholische Denker eine Philosophie des neuen Staates aus dem intellektuellen Arsenal der Scholastik erarbeitet. Der Dominikaner Francisco de Vittoria und die Jesuiten Francisco Suarez und Robert Bellarmin, aufbauend auf Thomas von Aquin, legten die Grundsteine für eine internationale Gemeinschaft von souveränen Staaten einschließlich der Territorien in Asien und Amerika, die neu in den europäischen Einflußbereich gekommen waren. Ihr Denken übte entscheidenden Einfluß auf die Entwicklung des internationalen Rechts aus.14 Demographisches Wachstum und wirtschaftliche Expansion charakterisierten die Jahrzehnte nach 1500. Wachstum und Expansion war vor allem in den Städten zu sehen, wo sowohl die Reformation wie auch die Gegenreformation zunächst Wurzeln geschlagen hatten; in Antwerpen zum Beispiel sprang die Bevölkerungszahl zwischen 1500 und 1560 von 40000 auf 100000 Einwohner.15 Die kapitalistische Wirtschaftsweise nahm zu. Aber das Wachstum kam nicht allen zugute und die Zahl der Armen stieg vor allem in den Städten. Schon im dreizehnten Jahrhundert mit der Erscheinung einer kommerziellen Wirtschaft in den italienischen Stadtstaaten hatten einige Theologen begonnen, die traditionelle kirchli12

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1530, hg. v. Marc Venard u.a., Paris 1994, S. 313. John B. Tomaro, San Carlo Borromeo and the Implementation of the Council of Trent, in: San Carlo Borromeo: Catholic Reform and Ecclesiastical Politics in the Second Half of the Sixteenth Century, hg. v. John M. Headley und John B. Tomaro, Washington 1988, S. 74–77. Dieter Albrecht, Gegenreformation und katholische Reform, in: Handbuch der bayerischen Geschichte II. Das alte Bayern, begründet v. Max Spindler, hg. v. ­And­r­eas Kraus, München 21988, S. 714–735, hier S. 720. Pierre Mesnard, L’essor de la philosophie politique au xvie siècle, Paris 31969, S. 463–472, 652–662; Franz Xaver Arnold, Die Staatslehre des Kardinals Bellarmin: ein Beitrag zur Rechts- und Staatsphilosophie des konfessionellen Zeitalters, München 1934. Guido Marnef, Antwerp, in: Encyclopedia of the Renaissance, hg. v. Paul F. Grendler, New York 1999, 1, S. 80.

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che Lehre vom Wucher neu zu durchdenken. Wucher bedeutete damals jeden Zins auf eine Anleihe, nicht nur übermäßigen Zins wie heute. Eine Rechtfertigung, auf die man sich damals bezog, war der „Verlust des Gewinns“ (lucrum cessans), das heißt, wenn ein Geschäftsmann, statt seine Gelder irgendwo zu investieren, um Waren zum Verkauf zu kaufen, sie an einen andern als Darlehen gab, durfte er Zins nehmen, um den Verlust auszugleichen. Das Papsttum selbst unterstützte neben anderen italienischen Staaten die monti di pietà, kleine Banken, die verschiedene Arten von Darlehen an die Armen ausgaben. Durch die Franziskaner verbreiteten sich die Banken überall in Europa mit der Ausnahme von England.16 Luthers erster ­He­r­ausforderer, der Theologe Johannes Eck, der im Einverständnis mit der Fugger-Bank in Augsburg stand, billigte im Jahr 1515 Anleihen bis zu fünf Prozent, wenn beabsichtigt war, damit ein einwandfreies Geschäft zu fördern. Aber er stieß auf Widerstand. Der belgische Jesuit Leonard Lessius, nach einer gründlichen Beobachtung der Antwerpener Börse, erlaubte in seinem Traktat „De lege et justitia“ von 1605 eine weite Deutung des Begriffs lucrum cessans. Bis zu dieser Zeit hatten viele Moraltheologen die Vergabe von Krediten bei einwandfreien Geschäften gebilligt, solange die Höhe der Zinsen bescheiden blieb. Aber der Widerstand gegen diese Praxis dauerte an.17 Man hat Bruderschaften „den führenden organisierten Ausdruck des religiösen Lebens der katholischen Laien vom dreizehnten bis zum achtzehnten Jahrhundert“ genannt.18 Während sie nach Bedeutung und Mitgliederzahl im sechzehnten Jahrhundert fortwährend wuchsen, setzten sie einen neuen Akzent auf wohltätige Aktivitäten, zum Teil als Antwort auf die zunehmende Zahl von Armen und Bedürftigen. In Italien offenbarten die Bruderschaften am Ende des fünfzehnten Jahrhunderts, vielleicht wegen der Kriege, einen neuen aktiven Geist, als sie für Kranke und Waisenkinder Sorge übernahmen.19 Man schätzt, daß in den italienischen Städten ein Viertel bis ein Drittel aller Männer, wenigstens zu einem Zeitpunkt

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Norman L. Jones, Usury, in: Encyclopedia of the Renaissance (wie Anm. 15) 6, S. 198–200. John T. Noonan, The Scholastic Analysis of Usury, Cambridge 1957, S. 208–211, 262–264. Nicholas Terpstra, Confraternities, in: Encyclopedia of the Renaissance (wie Anm. 15) 2, S. 65. Marc Venard / Bernard Vogler, Les formes collectives de la vie religieuse, in: ­Histoire du Christianisme 8, Les temps des confessions 1530–1620/30, hg. v. Marc Venard u.a., Paris 1992, S. 975–979.

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ihres Lebens, einer Bruderschaft angehört habe.20 Die Marianische Kongregation der Jesuiten, die in Rom 1563 ihren Anfang nahm und sich über viele Länder des katholischen Europas ausdehnte, verlangte von ihren Mitgliedern Hilfe für die Armen, die Kranken und die Gefangenen.21 Mitglieder der neuen Orden und Kongregationen sorgten für die Kranken und Unglücklichen, wie wir sehen werden. Die europäische Expansion nach Afrika, Asien und nach dem bisher unbekannten Amerika, die im späten fünfzehnten Jahrhundert begann, hat eine Welt-Hegemonie begründet, die bis ins zwanzigste Jahrhundert andauern sollte. Dabei kam vielleicht die eifrigste Missionierung zum Evangelium seit apostolischen Zeiten zustande. Allein in Amerika haben ungefähr zehn Millionen Menschen bis 1550 die Taufe empfangen.22 In den Augen vieler Katholiken bedeutete diese wunderbare Ernte Gottes Ausgleich für die Verluste an die Protestanten im Norden Europas und an die Türken im Südosten.23 Der Katholizismus war im Begriff, eine Weltreligion zu werden, und das Bewußtsein dieser Entwicklung erfüllte die Katholiken in ganz Europa. Die Briefe von Franz Xaver wurden in ganz Europa gelesen, und sein berühmter Brief aus Japan brachte im Jahr 1546 die ersten Nachrichten über dieses geheimnisvolle Land nach Europa.24 Im allgemeinen glaubten die Protestanten dagegen, der große missionarische Auftrag am Ende des Matthäusevangeliums sei nur an die apostolische Generation gerichtet. So unternahmen sie erst am Ende des achtzehnten Jahrhunderts ernsthafte missionarische Tätigkeiten in Übersee.25 Mit der Ankunft einer Gruppe von Franziskanern auf den AntillenInseln im Jahr 1500 begann der erste eigentliche missionarische Einsatz 20

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Christopher Black, Italian Confraternities in the Sixteenth Century, Cambridge 1989, S. 54, 270. Louis Châtellier, The Europe of the Devout: The Catholic Reformation and the Formation of a New Society, übersetzt von Jean Birrell, Cambridge 1989. Alain Milhou, L’Amérique, in: Histoire du Christianisme 8 (wie Anm. 19), S. 694. Christoph Nebgen, Canisius und Indien – Kompensation und Erbauung, in: Konfessionskonflikt, Kirchenstruktur und Kulturwandel, hg. v. Rolf Decot (Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz, Abteilung für abendländische Religionsgeschichte, Beiheft 77), Mainz 2007, S. 99–112; Ronnie Po-chia Hsia, Society and Religion in Münster, 1535–1618, New Haven 1984, S. 117f. Francis Xavier to his Companions in Europe, Cochin, 1552 Januar 29, in: The Letters and Instructions of Francis Xavier, hg. v. M. Joseph Costelloe, S.J., St. Louis 1992, S. 326–343. Alistair McGrath, Christianity’s Dangerous Idea: The Protestant Revolution. A History from the Sixteenth Century to the Twenty-First, New York 2007, S. 175– 177, 203f.

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in Amerika. Santo Domingo und Concepcion de la Vega auf Hispaniola und San Juan auf Puerto Rico, jeweils in den Jahren 1508 und 1511, w ­ aren die ersten Diözesen, die in Amerika errichtet wurden.26 Kurz nach der Eroberung des Azteken-Reiches durch Cortez kamen zwölf Franziskaner in Mexico an, durch ihre Zahl auf die zwölf Apostel hinweisend, und fingen die systematische Missionierung der Unterworfenen an. Die Dominikaner folgten im Jahr 1528 und die Augustiner drei Jahre später. Fragen entstanden bezüglich der Behandlung der Indianer durch die spanischen Siedler, und öfters dienten die Missionare als Advokaten für jene.27 Im Jahr 1537 veröffentlichte Papst Paul III. die Bulle Sublimis Deus, welche die Behandlung der Einheimischen als unverständige Sklaven im Dienste der Spanier stark verurteilte, und stellte fest, daß sie wirkliche Menschen und zur Annahme des katholischen Glaubens fähig seien. Auch wenn sie nicht Chri­sten geworden wären, dürfe man ihnen nicht die Freiheit und ihr Eigentum nehmen.28 Ob Indianer zu Priestern geweiht werden sollten, wurde eine strittige Frage, und nach einer Experimentierphase verbot die erste Provinzsynode von Mexiko-Stadt im Jahr 1555 die Weihe von Indianern sowie von Schwarzen und von Mestizen. Dies war eine folgenschwere Entscheidung für die Kirche in Amerika.29 Inwieweit sind die Indianer tatsächlich echte Christen geworden? Bis heute streitet man sich darüber. Ein Grund für das Verbot der Weihe war Zweifel an der Tiefe ihrer Glaubensüberzeugung. Aber manchmal legten sie Heroismus beim Bekenntnis ihres neuen Glaubens an den Tag, und es ist schwer zu glauben, daß sie weniger Christen gewesen seien als die Einwohner der abgelegenen Gebiete Europas. Als Franziskaner 1518 in Goa in Indien landeten, begann die missionarische Tätigkeit dort unter den Portugiesen selbst wie unter den einheimischen Indern. Mehr als irgend ein Anderer pflanzte dann der Jesuitenmissionar Franz Xaver die Saat des Evangeliums in Indien, dem Malaysischen Archipel und in Japan ein. Er kam am 6. Mai 1542 in Goa an. Der Kontakt mit den fortgeschrittenen Zivilisationen in Asien warf viele Fragen bezüglich des Verhältnisses des Christentums zu diesen Kulturen auf. Die Meinungen unter den Missionaren und unter den Orden gingen auseinander. Der italienische Jesuit Alessandro Valignano trat nach seiner 26 27

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Das genaue Datum der Errichtung dieser Diözesen ist nicht klar. Alain Milhou, Découvertes et christianisation lontaine, in: Histoire du Christianisme 7 (wie Anm. 11), S. 606–614. 1537 Mai 19, Papal Encyclicals Online, http.www.papalencyclicals.net/Paul03/ p3subli.hrm, Zugriff am 4.3.2008; Lewis Hanke, Aristotle and the American In­di­a­ns: A Study in Race Prejudice in the Modern World, Bloomington 1959, S. 19. Robert Ricard, The Spiritual Conquest of Mexico, übersetzt von Lesley Byrd Simp­son, Berkeley 1966, S. 217–235.

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Ankunft in Goa im Jahr 1574 als Vertreter des Ordensoberen kräftig für die Akkommodation an die asiatischen Kulturen ein. Er übte einen tiefen Einfluß auf die jesuitischen Missionen für die nächsten 32 Jahre aus.30 Aber die Frage blieb umstritten, und im achtzehnten Jahrhundert traf das Papsttum eine Entscheidung in Sachen der chinesischen und indischen Riten durch das Verbot von vielen Arten der Akkommodation. Aber die Kirche hatte sich kräftig in Asien etabliert. Die Missionen in Asien und Amerika sowie in Afrika dehnten sich unter dem Schutz der iberischen Kolonialmächte, Spanien und Portugal, aus, aber die Kontrolle durch die Regierungen brachte Nachteile wie Vorteile mit sich. Die päpstliche Kongregation Propaganda Fide wurde 1622 mit dem Ziel eingerichtet, die Aufsicht über die weit ausgedehnte kirchliche missionarische Tätigkeit auszuüben. Sie entstammte dem neuen kirchlichen Universalismus. Aber niemals konnte sie in den spanischen oder portugiesischen Kolonien, wegen des Widerstands der Regierungen, wirkliche Bedeutung gewinnen. Die Kongregation bemühte sich aber unter anderem um die bessere Vorbereitung der Missionare, trat für die Ausbildung indigener Priester ein und versuchte, die Rivalität unter den Orden zu vermindern.31 Schon vor längerer Zeit, im Jahr 1929, hat Lucien Febvre festgestellt, man könne die religiöse Umwälzung der Reformation nicht durch die Opposition zu den kirchlichen Mißbräuchen ausreichend erklären. „Die Reformation“, schrieb er, „war das äußere Zeichen und die Wirkung einer tiefen Revolution im religiösen Gefühl.“32 Man kann bestimmt dasselbe von den Entwicklungen innerhalb der katholischen Kirche sagen. Die religiösen Laieneliten sehnten sich in den Städten, wo die Reformation und die katholische Reform entstanden sind, nach einer Form des Chri­ st­entums, die sie mehr ansprach. Diese neue religiöse Mentalität läßt sich mit der kulturellen und intellektuellen Bewegung, die wir die Renaissance nennen, in Einklang bringen. Sie hatte ihren Ursprung im Italien des vierzehnten Jahrhunderts und kam in bedeutender Form erst um 1490 über die Alpen. Jakob Burckhardt hat den Geist der Renaissance in den bekannten Worten von der „Entdeckung der Welt und des Menschen“ zusammenge30

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Franz Josef Schütte, Valignano’s Mission Principles for Japan 1, übersetzt von John J. Coyne, St. Louis 1980. Zu den frühen Jahren der Propaganda Fide siehe Sacrae Congregationis de Propaganda Fide memoria rerum 1/1, hg. v. Josef Metzler, Rom 1971; Francesco Ingoli, Relazione delle quattro parti del mondo, hg. v. Fabio Tosi, Rom 1999. Lucien Febvre, The Origins of the French Reformation: A Badly-put Question?, in: ders., A New Kind of History and Other Essays, hg. v. Peter Burke, übersetzt von K. Folca, New York u.a. 1973, S. 44–107, hier S. 59.

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faßt.33 Diese Worte gelten noch heute, wenn wir sie nicht im heidnischen Sinne oder als eine ganz neue Entwicklung verstehen. „Entdeckung des Menschen“ verweist auf einen neuen Individualismus, ein neues Selbstbewußtsein und die Anerkennung der einzigartigen menschlichen Persönlichkeit und ihrer Möglichkeiten. Das Porträt, zum Beispiel, oder das Selbstporträt wurden beliebte Arten der künstlerischen Darstellung, welche die Individualität der Persönlichkeit ausdrückten. „Entdeckung der Welt“ bringt eine neue Einschätzung der Natur zum Ausdruck, aber auch der verschiedenen Weisen des Lebens in der Welt wie etwa eines Politikers oder eines Geschäftsmannes. Entsprechend diesem Individualismus entwickelten sich, beginnend mit den Traditionen der Kartäuser sowie der Franziskaner und mit der Devotio Moderna, neue, systematische Formen des geistigen Gebets und der Betrachtung für den Einzelnen.34 In dieser Beziehung kann das „Ejercitatorio de la vida espiritual“ des Benediktinerabtes Garcia Cisneros für viele Werke stehen; es beeinflußte die „Geistlichen Übungen“ von Ignatius von Loyola.35 Ein Hauptzweck der „Geistlichen Übungen“ bestand in der Auffindung des Willens Gottes für den Einzelnen. Durch sie und durch weitere geistliche Schriftsteller wie den Theatiner Lorenzo Scupoli oder Franz von Sales ging diese Art von Gebet auf die Laieneliten über.36 Der regelmäßige Empfang der Beichte machte einen anderen Ausdruck dieses Individualismus aus. Am Anfang des siebzehnten Jahrhunderts gingen die Frommen einmal im Monat oder wenigstens viermal im Jahre zur Beichte. Man beichtete in der Zurückgezogenheit des Beichtstuhles, eines kastenartigen Gestells, das Erzbischof Karl Borromäus von Mailand eingeführt hatte. Der Beichtstuhl erleichterte ein Privatgespräch zwischen dem Priester und dem Beichtenden, und dazu förderte er den Gebrauch des Sakramentes im Dienste der geistlichen Führung des Einzelnen und die Anwendung sittlicher Normen auf einzelne Fälle, so die Kasuistik.37 Außerdem entstand zu dieser Zeit der Brauch der Generalbeichte, der scheinbar auf Cisneros zurückgeht. Bei dieser Form des Sakramentes blickte der Beichtende auf sein ganzes Leben zurück, um seine sündhaften Gewohnheiten und Neigungen festzustellen, und er beichtete noch einmal Sünden, die schon vergeben worden waren. Diese Übung zielte darauf ab, 33

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Jacob Burckhardt, The Civilization of the Renaissance in Italy, übersetzt von S.G.D. Middlemore, London 41951. Evennett, Spirit of the Counter-Reformation (wie Anm. 3), S. 32–42. Evennett, Spirit of the Counter-Reformation (wie Anm. 3), S. 35f. Louis Cognet, La spiritualité moderne, 1: L’essor 1500–1650, Histoire de la spiritualité chrétienne 3, Paris 1966, S. 163, 223, 274–309. Venard, Histoire du Christianisme 8 (wie Anm. 19), S. 955f., 967–969.

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eine tiefere Reue und größere Selbsterkenntnis hervorzubringen. Ignatius von Loyola machte die Generalbeichte zum Bestandteil der „Geistlichen Übungen“ und verlangte sie von allen, die in die Gesellschaft Jesu eintraten. Auf die Dauer weitete sich der Brauch der Generalbeichte durch die Marianischen Kongregationen und die Predigt der Jesuiten auf die ganze katholische Welt aus.38 In der regelmäßigen Beichte und Generalbeichte gelangte der Einzelne durch die Gewissenserforschung zu einer größeren Selbsterkenntnis. In seinem Werk „Il Principe“ hat Machiavelli kühn behauptet, ein ernster Christ könne nicht in der Politik erfolgreich sein, das heißt, einen mächtigen Staat schaffen und aufrechterhalten.39 Die erfundene Figur Raphael Hythloday in der „Utopia“ von Thomas Morus hat die gleiche Position verteidigt.40 Aber die Hauptströmung katholischen Denkens in dieser Zeit verwarf unter dem Einfluß der im Grunde optimistischen Theologie des Thomas von Aquin diese Anschauung nachdrücklich und hielt noch einmal die Position des vor-machiavellistischen Renaissance-Humanismus aufrecht, daß nämlich das aktive Leben und besonders das politische Leben eine hohe christliche Berufung ausmache. Die meisten Christen konnten den praktischen Ausschluß vom politischen Leben nicht akzeptieren. Bald veröffentlichten viele Schriftsteller antimachiavellistische Werke, die im Detail zu demonstrieren versuchten, wie der christliche Politiker, Fürst oder Rat, Erfolg erreichen könnte. Darüber hinaus, Cicero in „De officiis“ folgend, führten sie oftmals optimistisch aus, der sittliche und religiöse Politiker würde gewöhnlich über den zwielichtigen und brutalen siegen. Giovanni Boteros „Ragione di stato“, die 1589 herauskam, hat so argumentiert; er zeigte, wie der Fürst, der die wirtschaftliche Entwicklung seines Landes fördert, seinem eigenen Interesse sowie dem Gemeinwohl dient und wie er sich dann nicht der betrügerischen Methoden bedienen mußte, die Machiavelli für notwendig hielt.41 Das bonum honestum und das bonum utile gingen Hand in Hand zusammen. Die Antimachiavelli­ sten hatten es manchmal nötig, sich auf eine komplizierte Kasuistik zu berufen, um in der Behandlung von heiklen Fragen wie der Benützung von Täuschung in der Außenpolitik konsequent zu bleiben. Das weitverbreite38

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Michael Maher, S.J., Confession and Consolation: the Society of Jesus and its Promotion of the General Confession, in: Penitence in the Age of Reformations, hg. v. Katherine Jackson Lualdi und Anne T. Thayer, Aldershot 2000, S. 184–200. Niccolò Machiavelli, The Prince, hg. v. Quentin Skinner und Russell Price (Cambridge Texts in the History of Political Thought), Cambridge 1988, S. 54f. (c.15). Thomas More, Utopia, hg. v. Clarence H. Miller, New Haven 2001, S. 35–50. Robert Bireley, The Counter-Reformation Prince: Anti-Machiavellianism or Cath­ olic Statecraft in Early Modern Europe, Chapel Hill 1990, bes. S. 45–71.

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te Jesuiten-Theater, wie es sich entwickelte, betonte den christlichen Wert des politischen Lebens.42 Viele andere Bücher zielten darauf ab, mehr im allgemeinen zu zeigen, wie man ein christliches Leben in der Welt führen könne. Die „­Introduction à la vie dévote“ des heiligen Bischofs von Genf, Franz von Sales, die im Jahr 1609 herauskam, übte vermutlich den größten Einfluß aus, und sie ist bis zum heutigen Tag ein christlicher Klassiker geblieben. Franz hat die „Introduction“ für Philothea geschrieben, das heißt für eine weibliche oder männliche Seele, die in Gott verliebt ist und ein tieffrommes Leben führen will. Bis zum Tode des Franz von Sales 1622 sind über vierzig Ausgaben der „Introduction“ erschienen, und sie ist in die ­europäi­schen Hauptsprachen übersetzt worden.43 Andere Autoren schrieben im gleichen Sinne wie Franz, wenn auch nicht so elegant. Der Jesuit Johannes Busaeus diskutierte in seinem posthum erschienenen Werk „De statibus hominis“ aus dem Jahr 1613 unter anderem das Leben eines Soldaten und eines Arztes und ein anderer Jesuit, Nicolas Caussin, zeigte in dem weitverbreite­ten „La Cour Sainte“ von 1624, wie auch in der Atmosphäre des Hofes der Mensch heilig werden könne. Beginnend im dritten Jahrzehnt des sechzehnten Jahrhunderts entstanden neue Frauen- und Männerorden sowie Kongregationen. Man kann sie als schöpferische Antworten auf die sozialen Krisen des frühen sechzehnten Jahrhunderts interpretieren sowie als Ausdruck des Verlangens nach einer Form des Ordenslebens in der Welt. Viele von diesen sollten das Evangelium nach Asien und Amerika bringen, und viele würden sich dem verhältnismäßig neuen Dienst der Erziehung widmen, die auf der Ebene des Jesuitenkollegs eine humanistische Form annahm. Wie John W. O’Malley geschrieben hat: „Obwohl er bestimmt eine negative Seite gehabt hatte, ist der Dienst in der katholischen Kirche des sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts vielleicht der schöpferischste und erstaunlichste in der Geschichte“.44 Die Jesuiten und die Ursulinen waren am Anfang die wichtigsten und mitgliederstärksten der vielen neuen Orden und Kongre42

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André Stegmann, L’héroisme cornelien: Genèse et signification, Paris 1968, S. 61; Jean-Marie Valentin, Gegenreformation und Literatur: Das Jesuitendrama im Dienste der religiösen und moralischen Erziehung, in: Historisches Jahrbuch 100, 1980, S. 240–256. Francis de Sales, Introduction to the Devout Life, übersetzt und hg. v. John K. Ryan, New York 1989. John W. O’Malley, Tradition and Transition: Historical Perspectives on Vatican II, Wilmington DE 1989, S. 146; dieses Kapitel ist ein Nachdruck von ders., Priesthood, Ministry, and Religious Life: Some Historical and Historiographical Consid­ erations, in: Theological Studies 49, 1988, S. 223–257.

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gationen, aber es gab viel mehr: die Theatiner, die Kamillianer, die Barnabiten, die Piaristen, die Doktrinarier, und bei den Frauen die Visitandinnen (Salesianerinnen) und die Filles de la Charité (Barmherzige Schwestern). Im allgemeinen wurden die neuen Orden und Kongregationen durch charismatische Figuren wie Ignatius von Loyola oder Angela Merici gegründet. Die meisten Gruppen entstanden ursprünglich in Südeuropa, ohne Beeinflussung durch die Reformation im Norden. Die Männerorden widmeten sich der Evangelisation in Amerika und in Asien sowie in Europa, und sie stellten sich auf den traditionellen Dienst der Predigt ein. Sie entwickelten auch neue Formen der Predigt wie die Volksmissionen, die im siebzehnten Jahrhundert zu „Happenings“ in der katholischen Welt wurden.45 Männer- und Frauenorden versuchten, für Kranke und Sterbende zu sorgen und den wachsenden Problemen von Landstreicherei, Prostitution und verlassenen Kindern abzuhelfen. Vor allem aber nahmen die neuen Orden und Kongregationen den Dienst an der Erziehung auf, besonders auf den Ebenen von Schule und Gymnasium. Dies ergab sich aus der weitverbreiteten Einsicht, daß die Predigt, so wirksam sie war, nicht zur Ausbildung von echten Christen genügte. Notwendig war systematische, religiöse Erziehung, und das bedeutete Schulen. Weder die Jesuiten noch die Ursulinen wurden mit dem Ziel der Erziehung von Jugendlichen gegründet, aber beide kamen schnell in die Lage, weit ausgedehnte Netzwerke von Schulen und Kollegien in ihrer Verantwortung zu haben. Nach Papst Pauls III. Gründungsbulle von 1540 für die Gesellschaft Jesu „Regimini Militantis Ecclesiae“ war ihr Zweck, „den Fortschritt von Seelen im christlichen Leben und in der Lehre sowie die Ausdehnung des Glaubens durch den Dienst des Wortes, geistliche Übungen, Werke der Liebe, den Unterricht in Christentum von Kindern und Ungebildeten, Beichthören der Gläubigen, in allen suchend ihre geistliche Tröstung“46 zu fördern. Dabei ist das Fehlen einer Erwähnung des Protestantismus zu beachten. Um ihre seelsorgliche Tätigkeit und apost­olische Mobilität zu erleichtern, verzichteten die Jesuiten auf regelmäßiges Chorgebet und bestimmte Stunden für das Gebet; dazu schafften sie auch verbindliche Fasten und andere Bußübungen sowie das 45

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Louis Châtellier, The Religion of the Poor: Rural Missions in Europe and the Foundation of Modern Catholicism, übersetzt von Brian Pearce, Cambridge 1997. John C. Olin, The Catholic Reformation: Savonarola to Ignatius Loyola, New York 1969, S. 204. Die Bulle „Exposcit Debitum“ von Julius III., 1550, bestätigte die Gründung der Jesuiten und fügte als ein Ziel der Gesellschaft die „Verteidigung“ sowie die Ausdehnung des Glaubens hinzu; vgl. St. Ignatius Loyola, The Constitutions of the Society of Jesus, hg. v. George E. Ganss, S.J., St. Louis 1970, S. 66.

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Tragen einer kennzeichnenden Ordenstracht ab. Dies waren bedeutende Änderungen von traditionellen Formen des Ordenslebens. Ignatius wollte für die Jesuiten nicht nur einen neuen Ausgleich von Kontemplation und Tätigkeit, sondern eine Integration beider als „in actione contemplativi“. Die ersten Jesuiten haben keinen Dienst in Schulen und Kollegien vorgesehen, aber bis zum Tode des Ordensgründers entstanden 33 Kollegien, und bis zur Mitte des achtzehnten Jahrhunderts zählte das Netzwerk 669 Kollegien in Europa, Amerika und Asien.47 Frankreich erlebte im siebzehnten Jahrhundert eine „Feminisierung“ des Ordenslebens, insofern die Zahl der Ordensfrauen die der Männer übertraf.48 Inwieweit man von einer vergleichbaren Entwicklung in anderen Regionen sprechen kann, ist unklar, aber der Trend weist in eine ähnliche Richtung in den spanischen Niederlanden, im Rheinland und in Norditalien. In Frankreich traten in großer Zahl Frauen aus den mittleren und niederen Schichten in Orden und Kongregationen ein, und auf die Dauer bildeten sie eine neue berufliche Klasse von Frauen, die sich Tätigkeiten in der Welt als Fürsorgerinnen und vor allem als Schulmeisterinnen widmeten. So hat das weibliche Ordensleben einen neuen Stil und eine neue apostolische Spiritualität bekommen, die mit denen der Jesuiten verwandt waren, mit denen diese Frauen oftmals in Verbindung standen.49 Dies hat alles stattgefunden trotz der Anstrengungen vieler kirchlicher Autoritäten, ihnen eine strengere Klausur aufzuerlegen.50 Die Ursulinen nahmen ihren Ursprung mit Angela Merici, einer unverheirateten Laiin aus Brescia, die nicht die Absicht verfolgte, eine Kongregation von Lehrerinnen zu gründen, als sie in Brescia eine Bruderschaft ins Leben rief, die 1544 von Papst Paul III. approbiert worden ist. Angela antwortete auf die Forderungen der Zeit, als sie Frauen um sich sammelte, um zunächst in der weiblichen Abteilung des Ospedale degli Incurabili in Brescia zu wirken und dann für Waisenkinder zu sorgen und Familien zu besuchen. Erzbischof Karl Borromäus holte die Ursulinen 1567 nach Mailand, um dort Mädchen Religionsunterricht zu geben, und führte sie 47

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William V. Bangert, A History of the Society of Jesus, St. Louis 1972, S. 25, 28; Syn­ opsis Historiae Societatis Jesu, Louvain 1950, S. 314. Elizabeth Rapley, The Dévotes: Women and Church in Seventeenth-Century France, Montreal 1990, S. 20f., 193. Rapley, Dévotes (wie Anm. 48), S. 1–25, 142–157, 248. Nach Rapley, S. 8, „bestand ein Verhältnis zwischen Gebieten von weiblicher Schulung und der Praxis eines reformierten Katholizismus“. Raimondo Creytens, La riforma dei monasteri femminili dopo I decreti tridentini, in: Il Concilio di Trento e la riforma tridentina: Atti del convegno storico internazio­nale, Trento 2–6 Settembre 1963, Rom 1965, Bd. 1, S. 50–78.

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so in die Richtung der Erziehungstätigkeit.51 Am Anfang des siebzehnten Jahrhunderts kam die Kongregation nach Frankreich, und dort widmete sie sich stärker der Arbeit der Erziehung. Im Jahr 1612 nahm die Pariser Kommunität aber strenge Klausur an, und andere Konvente folgten ihr. Diese Neuerung ergab sich zum Teil wegen des Druckes der französischen Bischöfe und der Gesellschaft, die ehelose Frauen ungern außer Haus sahen, aber auch wegen des Verlangens der Frauen selbst, an der Erneuerung der Kirche in Frankreich mitzuwirken, wobei man das Klosterleben sehr hochschätzte.52 Aber die Schulen blieben und nahmen zu. In Frankreich, wo sie am zahlreichsten zu finden waren und wo die Ursulinen zur „weiblichen lehrenden Kongregation par excellence“ wurden, zählte die Kongregation im Jahr 1750 gegen zehntausend Mitglieder in 350 Häusern.53 Die neuen Orden wurden gewöhnlich durch ihre je eigene Spiritualität – wie die Gesellschaft Jesu durch die jesuitische Spiritualität – charakterisiert. Mit den Observanzen der alten Orden wie der Benediktiner oder Franziskaner boten sie den Gläubigen eine Pluralität von Formen, ein christliches Leben zu führen. In Guadalajara, Mexico, befanden sich zum Beispiel im siebzehnten Jahrhundert Ordenshäuser von Dominikanern, Franziskanern, Augustinern, Karmeliten, Mercedariern und Oratorianern (des Heiligen Philipp Neri), und die Barmherzigen Brüder und die Bethlehemiten leiteten Krankenhäuser.54 Viele Orden unterstützten Bruderschaften oder andere Organisationen von Laien, die sie ihrerseits förderten, und die sogenannten dritten Orden der älteren Ordensgemeinschaften blieben ebenfalls lebendig.

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Teresa Ledechowska, Orsoline, in: Dizionario degli Istituti di Perfezione 6, Rom 1980, Sp. 834–844; Philipp Annaert, Les colleges au féminin: les Ursulines au 17e et 18e siècles, Namur 1992, S. 21f. Ledechowska, Orsoline (wie Anm. 51), Sp. 846f.; Annaert, Les colleges au féminin (wie Anm. 51), S. 36. Rapley, Dévotes (wie Anm. 48), S. 48 (Zitat); Annaert, Les colleges au féminin (wie Anm. 51), S. 26. Die Ursulinen waren keine zentralisierte Kongregation, und nicht alle ihre Klöster in Frankreich haben die Klausur angenommen; vgl. Anne Conrad, Zwischen Kloster und Welt: Ursulinen und Jesuitinnen in der katholischen Reformbewegung des 16./17. Jahrhunderts, Mainz 1991, S. 65–74. Leon Lopetegui / Felix Zubillaga, Historia de la Iglesia en la América española desde el Descubrimiento hasta comenzios del Siglo XIX. Mexico, América Central (Biblioteca de Autores Cristianos), Madrid 1965, S. 846f. Die Bethlehemiten, die sich der Krankenpflege widmeten, wurden zunächst 1663 in Guatemala-Stadt als eine Bruderschaft gegründet, wurden 1667 zu einer Kongregation und 1710 zu einem Orden umgewandelt.

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Die protestantische Reformation bedeutete die weitreichendste und tiefgreifendste Herausforderung für die katholische Kirche im langen sechzehnten Jahrhundert. Stellte sie selbst eine Antwort auf die Sehnsucht nach einer zeitgemäßeren Form des Christentums dar, verstärkte und intensivierte sie gleichzeitig die vorhandenen Reformimpulse in der katholischen Kirche. Diese verursachten dann Wirkungen, die gewöhnlich mit der Konfessionsbildung im engeren Sinne verbunden werden, wie die vom Konzil von Trient unternommene Klärung der Glaubenslehre. Sie erzeugten aber auch einen militanten Geist, der zu den Religionskriegen der frühen Neuzeit wesentlich beitrug. Wie Hubert Jedin vor langer Zeit geschrieben hat, glichen die Reformbestrebungen innerhalb der katholischen Kirche vor den 95 Thesen von Luther Bächen, die zum Strom eines großen Flusses, der erst nach dem Schock der Reformation bis zum Papsttum reichte, anschwollen.55 Interessanterweise endet der siebte Band „De la réforme à la réformation 1450–1530“ der unlängst erschienenen, mehrbändigen französischen „Histoire du Christianisme“ im Jahr 1530 und nicht 1517. So findet sich Luther am Ende der lang andauernden Reformbemühungen der katholischen Kirche, und die neue Zeit der Konfessionsbildung fängt mit der Confessio Augustana an.56 Wie wohlbekannt ist, haben sich Stimmen für eine „Reform an Haupt und Gliedern“ wenigstens seit dem Konstanzer Konzil von 1414 bis 1418 erhoben, und man hat sie noch zur Zeit des Fünften Laterankonzils am Vorabend der Reformation gehört. In der Tat hat das Lateranum V viele Reformmaßnahmen verabschiedet.57 Erwähnenswert in diesem Zusammenhang ist der Trend zur Gründung von Observantenzweigen vieler Orden im fünfzehnten Jahrhundert, und dann nahm im Jahr 1524, ohne Beziehungen zur Reformation, das neue Glied der Franziskanerfamilie, die Kapuziner, seinen Anfang.58 Die spanische Kirche, unter dem Königspaar Ferdinand und Isabella, unternahm 1478 mit dem Nationalkonzil von Sevilla eine große Reforminitiative, die auf die Abschaffung vieler Mißbräuche abzielte, und in demselben Jahr ent-

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Hubert Jedin, Katholische Reform oder Gegenreformation? Ein Versuch zur Klärung der Begriffe nebst einer Jubiläumsbetrachtung über das Trienter Konzil, Luzern 1946, S. 38 (Nachdruck in: Zeeden, Gegenreformation, wie Anm. 1, S. 46–81). Siehe Anm. 11 und 19. Katholische Reform und Konfessionalisierung, hg. v. Albrecht P. Luttenberger (Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe. Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit 17), Darmstadt 2006, S. 7–9, 15–23. François Rapp, Réformes et inerties, in: Histoire du Christianisme 7 (wie Anm. 11), S. 159–177; Cuthbert of Brighton, The Capuchins: A Contribution to the History of the Counter-Reformation 1, London 1929.

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stand die Spanische Inquisition, die als ein Instrument der Reform sowie der Staatsbildung aufgefaßt werden kann.59 Sicherlich bildete das Konzil von Trient eine der größten Leistungen des frühmodernen Katholizismus und förderte viele der Entwicklungen, die wir unter Konfessionsbildung begreifen. Vor dem Konzil, im Jahr 1542, hatte Papst Paul III. die römische Inquisition begründet, eine wiederbelebte Version der mittelalterlichen Institution, die über das ganze Christentum Jurisdiktion haben sollte.60 Das Konzil markiert den Punkt, als die meisten Katholiken die Hoffnung auf Versöhnung mit den Protest­anten aufgaben, und es versuchte, eine klare Grenze zu ihnen zu ziehen. Es klärte viele umstrittene Lehren. Dem Konzil folgte die Festlegung auf das tridentinische Glaubenbekenntnis, das in der Folge alle Bischöfe, Pfarrer und Theologieprofessoren unterschreiben mußten. Das Dekret über die Rechtfertigung betonte die Bedeutung von Werken und bestätigte so den neuen Aktivismus und widersprach der protestantischen Auffassung. Das Konzil schrieb regelmäßige Diözesan- und Metropolitansynoden vor, um seine Lehren zu verbreiten und um die Reformmaßnahmen zu überwachen, und sah regelmäßige bischöfliche Visitationen der Pfarreien vor. Die seelsorgerliche Rolle von Bischöfen und Pfarrern wurde hervorgehoben; sie galten hauptsächlich als Hirten, nicht als Pfründeninhaber, die unter ihren Schafen wohnen und ihnen an Sonn- und Feiertagen predigen sollten. Nach dem Konzil erschien der Katechismus des Trienter Konzils, der beabsichtigte, die tridentinische Theologie vor allem an die Pfarrer zu vermitteln, aber dazu kamen viele andere Katechismen für die verschiedenen Stände, für Pfarrer, Studenten und Kinder, wie die Katechismen von Petrus Canisius, alle eine Antwort auf die erkannte Notwendigkeit des religiösen Unterrichts. Weitere Konzilsdekrete schrieben die Gründung von Priesterseminaren zur Erziehung des Klerus in jeder Diözese und die Abschaffung von Mißbräuchen vieler Art wie zum Beispiel beim Ablaßhandel vor.61 Aber ein Dekret zur Reform der Fürsten hat das Konzil nach einer Debatte nicht zustandegebracht, das die Fürsten aufgerufen hätte, ihre Privilegien in kirchlichen Angelegenheiten aufzugeben, weil die Konzilsväter die Notwendigkeit ihrer Unterstützung beim Werke der Reform erkann-

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Henry Kamen, The Spanish Inquisition: A Historical Revision, New Haven 1997. L’Inquisizione: Atti del simposio internazionale, Città del Vaticano, 29–31 Ottobre 1998, hg. v. Agostino Borromeo, Città del Vaticano 2003. Robert Bireley, The Refashioning of Catholicism, 1450–1700, Basingstoke/Wash­ ington 1999, S. 45–69. – Für die Formulierung dieses Absatzes danke ich Jared Wicks S.J.

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ten.62 Zwei wichtige Entwicklungen des frühmodernen Katholizismus hat das Konzil kaum angesprochen, die Gründung der neuen Orden und Kongregationen und ihren weiten missionarischen Einsatz in Übersee. Die Reformation erzeugte unter Katholiken einen neuen militanten Geist, der im Wort Gegenreformation zum Ausdruck kam und der zu den Religionskriegen der Zeit wesentlich beitrug, dem Schmalkaldischen Krieg, den französischen Religionskriegen, dem Krieg um die niederländische Unabhängigkeit, der spanischen Armada und dem Dreißigjährigen Krieg. Fürsten wie König Philipp II., Kurfürst Maximilian von Bayern und Kaiser Ferdinand II. verkörperten diesen Geist. Eine Rekatholisierung fand, oft unter beträchtlichem Druck, in einigen Territorien statt, vor allem in der Habsburgermonarchie, wo sie bis ins achtzehnte Jahrhundert andauerte. Wie sollen wir dann den Katholizismus von 1450 bis 1700 benennen? Sicherlich weisen die Ausdrücke „Katholische Reform“ oder „Gegenreformation“ auf wichtige Merkmale hin. Aber sie entsprechen nicht der vollen Wirklichkeit. „Katholische Reform“ setzt eine besondere Notwendigkeit der Reform am Vorabend der Reformation voraus, während die neuere Forschung dazu übergegangen ist, die Lage der Kirche in dieser Zeit positiver zu beurteilen. „Konfessionsbildung“ und „Konfessionalisierung“ heben die gemeinsamen Merkmale der Konfessionen hervor, die aus der Reformation entstanden sind, aber der Gebrauch des Terminus „Konfession“ bindet den Katholizismus zu eng an die Ereignisse der Reformation. Wie Walter Ziegler festgehalten hat, mindert seine Verwendung die Kontinuität des Katholizismus mit der mittelalterlichen Kirche, die ein wesentliches Element seiner Identität ausmache.63 Man kann nicht von Konfessionsbildung oder Konfessionalisierung vor der Reformation sprechen und so diese Begriffe auf die volle Antwort der Kirche auf die neue Zeit anwenden. Vielleicht ist der einfache Ausdruck „frühmoderner Katholizismus“ die angemessenste Bezeichnung für diese Zeit in der Ge-

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Paolo Prodi, Einleitung, in: Das Konzil von Trient und die Moderne, hg. v. Paolo Prodi und Wolfgang Reinhard (Schriften des Italienisch-Deutschen Historischen Instituts in Trient 16), Berlin 2001, hier S. 19. Walter Ziegler, Kritisches zur Konfessionalisierungsthese, in: Peer Frieß / Rolf Kießling (Hgg.), Konfessionalisierung und Region (Forum Suevicum. Beiträge zur Geschichte Ostschwabens und der benachbarten Regionen 3), Konstanz 1999, S. 41–53, hier 46–50; Nachdruck in: ders., Die Entscheidung deutscher Länder für oder gegen Luther. Studien zu Reformation und Konfessionalisierung im 16. und 17. Jahrhundert. Gesammelte Aufsätze (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte 151), Münster 2008, S. 173–188.

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schichte der katholischen Kirche, wie John O’Malley vorgeschlagen hat.64 Er läßt sich für die ganze Wirklichkeit der Antwort der Kirche auf die Veränderungen des langen sechzehnten Jahrhunderts anwenden und er reiht diese Periode in die lange Geschichte der Bemühungen der Kirche ein, sich zeitgenössischen Kulturen und Gesellschaften anzupassen.

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John W. O’Malley, S.J., Trent and All That: Renaming Catholicism in the Early Modern Era, Cambridge MA 2000, S. 119–143.

Konvergenzen und Divergenzen der ­Konfessionalisierung in vergleichendem Blick auf die populäre praxis pietatis Wolfgang Brückner Die Formulierung „populäre praxis pietatis“ steht gegen „Volksfrömmigkeit“, von der wir inzwischen wissen, daß diese einen Euphemismus der Aufklärer des späten 18. Jahrhunderts und der nachfolgenden Pastoraltheologen bis in unsere Tage für „Aberglauben“ darstellt.1 Die Wissenden jener verbreiteten Meinung über sogenanntes Volk befinden sich mit dem Konstrukt Volksfrömmigkeit in den Denktraditionen ahistorischer Ursprungsfragerei und simplifizierter Kontinuitätsvorstellungen der drei überwundenen Theoriesysteme eines Urtümlichkeits-Mythologismus, des fortschrittsgläubigen Kulturevolutionismus und der stammeskundlichen wie völkischen Biologismen. Darum meint die Formulierung „populär“ eben nicht „volkstümlich“ im Sinne der älteren volkskundlichen und der jüngeren sozialhistorischen Langzeit-Volkskultur-Theoretiker, und „praxis pietatis“ lautet der mittelalterliche und barocke Quellenbegriff für die kirchlich geprägte Ausübung von Religion. Theologie ist religiöse Theorie, Frömmigkeit hingegen die dazugehörige religiöse Praxis aller Gläubigen (christlich gesprochen: des gesamten Volkes Gottes). Aberglaube aber setzt normierte Glaubenspositionen, welcher Art auch immer, voraus. Es gibt ihn nicht ohne solche sehr dezidierten Bezugssysteme. Er stellt die superstitiöse Abweichung von ganz bestimmten, jeweiligen, genau definierten theoretischen Glaubensüberzeugungen dar, ist also keine Form von Volksglaube oder Volksfrömmigkeit, sondern eine höchst relative Rechtssetzung für unterschiedlich (zum Beispiel konfessionell) sanktionierte Gebrauchsformen religiöser Praxis. Die historische Verbalkonstellation des 18. Jahrhunderts: „Aufklärung“ als „Vernunftreligion“ stehe gegen „Aberglauben“, bestätigt lediglich die Existenz der für wissenschaftlich ausgegebenen Glaubensüberzeugun1

Der Beitrag folgt der Vortragsform und verzichtet deshalb auf ständige Fußnoten. Der Hinweis auf die einschlägigen Arbeiten des Verfassers findet sich am Ende in einem eigenen Literaturverzeichnis.

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gen höchst wandelbarer scientistischer Weltbilder, nach deren Dogmen im späten 19. Jahrhundert Rudolf Virchow für deutsche Professoren den Atheisteneid verlangen wollte. Die einstige volkskundliche Enzyklopädie „Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens“ (HDA) trug 1927 diesen pathetisch zu verstehenden Titel aus dem universitären Geist atheistischen Herrschaftswissens der nationalen Kulturelite.2 Heute dient das Nachschlagewerk bei in der Regel falscher Benutzung dem wissenschaftlichen Aberglauben von angeblich gebildeten Journalisten und Publizisten. Soviel der notwendigen Vorrede, notwendig, weil ich nun für unseren Zusammenhang einen Autor heranziehe, von dem in vorangehenden Referaten mehrfach schon, aber nur kurz die Rede gewesen ist: Peter Hersche, der als einer der wenigen Historiker das global-anthropologische Zitierkartell überspringt und die reiche volkskundliche Literatur der letzten Jahrzehnte zur Erforschung des süddeutschen Barocks in aller Breite rezipiert. Sein voluminöses Werk ist betitelt: „Muße und Verschwendung. Europäische Gesellschaft und Kultur im Barockzeitalter“, Freiburg 2006.3 Was soll der kuriose Haupttitel, vielleicht vom Lektor erfunden für das soeben gescholtene Feuilleton? Angesichts der Schweizer Herkunft des Autors erinnert mich „Muße und Verschwendung“ jedoch an fachspezifische Pflichtlektüre vor über einem halben Jahrhundert, als uns der große Schweizer Volkskundler Richard Weiß die einheimischen Meinungen über konfessionsverschiedene Landschaften lehrte, daß nämlich „nach protestantischer Auffassung die katholischen Nachbarn meist als ärmer und schmutziger angesehen werden“,4 weil sie weniger arbeiteten und dafür mehr feierten. Dieses Negativstereotyp wendet nun Peter Hersche ins Positive, Kreative, Kulturschaffende und hebt es zu oberst auf den Sockel seiner Erkenntnisse für Europa insgesamt. Der Titel erinnert zugleich an ein vor zwanzig Jahren erschienenes Werk des britischen Historikers in den USA Simon Schama „Überfluß und schöner Schein. Holländische Kultur im Goldenen Zeitalter“,5 dessen Originaltitel 1987 allerdings in hintergründig angelsächsischer Anspielung lautete „The Embarrassment of Riches“,6 wörtlich: Die Verlegenheit der 2

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Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, hg. v. Hanns Bächtold-Stäubli u.a., 10 Bde., Berlin/Leipzig 1927–1942 (Nachdruck Berlin/New York 2000). Peter Hersche, Muße und Verschwendung. Europäische Gesellschaft und Kultur im Barockzeitalter, 2 Bde., Freiburg i. Br. 2006. Richard Weiß, Volkskunde der Schweiz. Grundriß, Erlenbach-Zürich 1946, S. 310. Simon Schama, Überfluß und schöner Schein. Holländische Kultur im Goldenen Zeitalter, München 1988. Simon Schama, The Embarrassment of Riches. An Interpretation of Dutch Culture in the Golden Age, New York 1987.

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Reichen, oder freier: Die Peinlichkeit des Reichtums, nämlich für Calvinisten, weil der Wohlstand zwar von Gott gegeben, aber nicht zum Verschwenden geschenkt ist. Also läßt sich niederländischer Kulturprotz, zum Beispiel des exzessiven privaten und gesellschaftlichen Malereikonsums, nur mit schlechtem Gewissen außerhalb der Kirchen und scharf getrennt von aller konfessionellen Doktrin öffentlich leben. Hersche sucht nach der im gegenwärtigen Diskurs „verlorengegangenen“ Thematik des „Barockkatholizismus“. In der frühen „Volksfrömmigkeitsforschung“ vor einem halben Jahrhundert sind viele Erscheinungen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gerne als „barockfromm“ bezeichnet worden, bis damals das verachtete 19. Jahrhundert durch die ThyssenStiftung wissenschaftlich genauer in den Blick kam, und da stellten sich jene für typische barock gehaltenen Traditionen in den Kunst- und Kulturwissenschaften als originäre Errungenschaften des 19. Jahrhunderts heraus. Nun gebraucht Hersche dafür seinen Begriff eines „Neobarock“, weil er nicht nur formale Zusammenhänge und innere Verwandtschaften sieht, sondern ein katholisches Lebensprinzip der Frühen Neuzeit, das für ihn nicht im gegenwärtigen Historiker-Paradigma des Konfessionalismus aufgehe. Dieses wird inzwischen auch, wenngleich kontrovers diskutiert, für die konfessionelle Milieuausbildung im 19. Jahrhundert in Anspruch genommen. Hersche benennt darum die Haltungsbeschreibungen und Handlungskonstrukte des Barockkatholischen in Opposition zu dem in der deutsch-protestantischen Forschung allein für ehrbar konnotierten Fortschrittsbegriff als ein aufzuwertendes gesellschaftliches und kulturelles Ergebnis, nämlich: „positive Rückständigkeit“.7 Es gehe schließlich um die gesamtgesellschaftlichen Folgen der konfessionellen Spaltung Europas für das profane Leben höchst unterschiedlicher Regionen. Und da besitzt er für Italien und Frankreich gute Argumente gegenüber unserem mitteleuropäisch eingeengten Blick auf die Konfessionsverschiedenheiten. Sein Beitrag in der Historischen Zeitschrift von 1996 „Klassizistischer Katholizismus. Der konfessionsgeschichtliche Sonderfall Frankreich“ ist hierfür besonders hervorzuheben.8 Er macht im Ergebnis für mich einsichtig, warum es bei aller mentalitätsgeschichtlichen Stoffhuberei französischer Studien dort immer nur auf die „Dechristianisierungsthese“ mit dem Zielpunkt der Französischen Revolution hinausläuft, und 7

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Vgl. Peter Hersche, Intendierte Rückständigkeit: Zur Charakteristik des geistlichen Staates im Alten Reich, in: Georg Schmidt (Hg.), Stände und Gesellschaft im Alten Reich (Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz, Abteilung Universalgeschichte, Beiheft 29), Stuttgart 1989, S. 133–149. Peter Hersche, „Klassizistischer“ Katholizismus. Der konfessionsgeschichtliche Sonderfall Frankreich, in: Historische Zeitschrift 262, 1996, S. 357–389.

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ich verstehe jetzt, warum es für uns in Frankreich kaum etwas von einer süddeutschen Reichsklöster-Verhältnissen vergleichbaren frommen ländlichen Barockkultur zu beobachten gibt, was bei uns gerne als eine pure Folge der Französischen Revolution und deren Ausrottungswahns erklärt worden ist. Dabei zeigt sich schon die Andersartigkeit in den katholischen Teilen des Elsaß, das eben auch kirchlich strukturell deutsch geprägt war. Die Ergebnisse der breiten französischen Forschung sind mithin nicht generalisierbar für das übrige Europa. Hersche ist ein dezidierter Kritiker vor allem von Wolfgang Reinhards Konfessionalisierungsthese für den Katholizismus, weil er sich an deren Verwendung als Modernisierungstheorie stößt, und er fragt deshalb wörtlich: „Warum muss denn eigentlich der Katholizismus der Frühneuzeit um jeden Preis ‚modern‘ gesehen werden?“9 Das sei doch ein verspäteter Modernistenstreit und damit werde aus einer gescheiten Hypothese ein untragbares Dogma.10 Ich darf allerdings festhalten, daß meine eigenen Erkenntnisse zu konfessionellen Konvergenzen im fränkischen Frömmigkeitsleben des späten 16. und gesamten 17. Jahrhunderts auf der Einsichtigkeit der strukturell ähnlich prägenden mentalen Kräfte der römischen wie der lutherischen Konfession beruhen und zwar in Hinblick auf die Ausbildung bürgerlicher Tugenden im Verlaufe des Säkularisationsprozesses. Aber Hersche hält den tridentinischen Disziplinierungsversuch theologisch für gescheitert und sieht dafür im Alltag und Festwesen das katholische Barock als lebensweltliches Ergebnis triumphieren. Für meine genauere Kenntnis der fränkischen Verhältnisse läßt sich festhalten, daß wir unterscheiden müssen zwischen Konfessionalisierung als kirchenrechtlicher Reformierung der Immunitätsprivilegien von säkularklerikalen und monastischen Stiften, vor allem aber den Domkapiteln innerhalb der reichskirchlichen Adelsverfassung auf der einen Seite, was sich für einzelne Regionen bis ins 18. Jahrhundert hinzog, und auf der anderen Seite der dennoch viel früher gelingenden Neumissionierung des breiten Kirchenvolks.11 Letztere erfolgte über die weltliche Amtsgewalt des geistlichen Fürsten, zum Beispiel im Hochstift Würzburg schon um 1600 durch die staatliche Domestizierung des Parochialklerus. Insofern konnte es zeitliche Verschiebungen zwischen jurisdiktionalen und pastoralen Erfolgen in Würzburg und Bamberg geben. Die katholische Konfessionalisierung als Erneuerung der praxis pietatis ist aufs Ganze aber eine 9 10 11

Hersche, Muße und Verschwendung 1 (wie Anm. 3), S. 63. Hersche, Muße und Verschwendung 1 (wie Anm. 3), S. 63, Anm. 10. Vgl. dazu zuletzt Wolfgang Brückner, Frommes Franken. Kult und Kirchenvolk in der Diözese Würzburg seit dem Mittelalter, Würzburg 2008.

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planmäßig ins Werk gesetzte katholische Reform und das Ergebnis eines länger andauernden und von den weltlichen Regierungsorganen in Gang gehaltenen Organisationsprozesses, vor allem aber vieler und beständiger katechetischer Schulungsbemühungen. Dieses bewußt und hartnäckig auf der spirituellen Grundlage jesuitischer Anthropologie erarbeitete System war schließlich so erfolgreich, daß es auf den verschiedenen sozialen Ebenen der Gesellschaft zu einer aktiv gelebten religiösen Überzeugungseinheit von Herrschaft und Untertanen führte. Sie war nach zweihundert Jahren so fest verankert in der breiten Bevölkerungsbasis, daß es zu Ende des 18. Jahrhunderts mit der abrupten Einführung grundlegender Neuerungen durch die kirchliche Aufklärung zu der ganz und gar nicht verwunderlichen „Widerständigkeit“ gegen neue Gesangbücher, Katechismen, Verbote paraliturgischer Gewohnheiten, Verordnung neuer ästhetischer Normen etc. kam, die heute bei uns vor einem Vierteljahrhundert den sich für progressiv haltenden Jungforschern und ihren ideologiegeleiteten Förderern Tränen der Rührung in die verquollenen Augen trieb. Was aber wirklich passiert war, ist eine neuerliche Totalübereinstimmung von kirchlicher und weltlicher Herrschaft. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts vermochten sich zum Beispiel in Altbayern Domkapitel und andere geistliche Behörden mit bisweilen modern werdenden theologischen (also noch theoretischen) Anliegen gegenüber barocken Hypertrophien kirchlicher Feste und Feiern von Städten, Ständen, Bruderschaften etc. nicht durchzusetzen, weil die weltlichen Amtsleute, Hofräte etc. die hergebrachten Riten, Ritte, Umgänge etc. für nicht so sehr althergebracht, sondern für angemessen und darum pflegenswert hielten. Erst in dem Moment, als naturwissenschaftliche Aufklärung zum Staatsziel erklärt wurde, konnte kirchliche Reform als massiver Abbau bisheriger Strukturen und Überzeugungen greifen. Das ist der Punkt, den Hersche für den erst nachträglichen Sieg des Tridentinums hält, wo doch mit dessen zumindest indirekter Hilfe, sprich dogmatischer Rückendeckung, zweihundert Jahre lang in die Leute hin­ eingepredigt worden ist, was diese nun zu verteidigen suchten, weil es ihre zweite Natur geworden war. Die elitären Schreibtischtäter aber dekretierten jetzt, das sei nicht das einstige Werk ihrer geistlichen Vorgänger, sondern vielmehr nur Duldung alten Aberglaubens gewesen, eben Volksfrömmigkeit. Protestantischerseits ließ sich das sogar mit falschem Wörtlichnehmen von metaphorischer Rede Martin Luthers gegen sogenanntes römisches Heidentum begründen. Jetzt aber waren die Werke der päpstlichen Konfession auf einmal nicht nur verbal des Teufels, sondern stammten angenommenerweise tatsächlich aus dessen eigentlicher Vorzeit, dem

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angeblich kontinuierlich tradierten heimischen Heidentum der eigenen Vorfahren, also der Kelten, Germanen, Slawen. Bis auf den heutigen Tag vertreiben die Medien zu allen Jahresfesten wieder solche Meinungen aus dem unkritisch zitierten „Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens“. Es gibt nach zweihundert Jahren der staatlichen Zwangsunionen in evangelischen Territorien unter heutigen Normalgebildeten bezeichnende Selbstwahrnehmungsprobleme der einstigen protestantischen Konfessionalisierung, insgesamt vor allem mental überblendet durch den akademischen Kultur- und Neuprotestantismus seit Ende des 19. Jahrhunderts (Ernst Troeltsch etc.). Im 17. und frühen 18. Jahrhundert aber bildeten klare konfessionelle Unterscheidungen existenzielle Überlebensfragen vor Ort, und noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts wußten die Gläubigen durchaus sehr genau davon, auch wenn sie sich bisweilen mit satirischen Gesängen davon ironisch abzusetzen suchten. In der mehrkonfessionellen Pfalz lachten die aufmüpfigen Jugendlichen des Biedermeier über folgende nicht schlecht informierten Verslein: „Die Kalvinisten / Sind gar keine rechten Christen; / Die Katholiken / Stecken voller Ränk und Tücken; / Und die größten aller Ochsen / Sind die lutherischen Orthodoxen“.12 Man muß dazu wissen, daß damals in der 1814/15 endgültig bayerisch gewordenen Rheinpfalz stets die Befürchtung bestand, das protestantische Oberkonsistorium des neuen Königreiches in München wolle die in der Mehrzahl reformierten Pfälzer lutherisch machen, so daß es nach der Revolution von 1848 zur offiziell bekenntnismäßigen Trennung in eine „Protestantische Kirche Bayerns“, wie es wörtlich hieß, „links des Rheins“, also die Pfälzer Union, und „rechts des Rheins“, die heutige „Evangelisch lutherische Kirche in Bayern“, kam. Wilhelm Heinrich Riehl, das nassauische Nordlicht in der Tafelrunde König Maximilians II. von Bayern, hat das zitierte Lied überliefert. Von ihm stammt auch die gültige psychologische Beobachtung zum Ernstnehmen konfessioneller Sozialisation: „Und selbst der kraft wissenschaftlicher Überzeugung Glaubenslose, welcher nach seinem Taufschein Katholik ist, glaubt in ganz andrer Weise gar nichts, als der Protestant, welcher nichts zu glauben behauptet. Auch der Unglaube bleibt verschieden gefärbt durch die, wenngleich noch so verblaßte, religiöse Tradition, in welcher das Individuum aufgewachsen ist“.13 Was also waren im weitgefaßten Zeitalter des praktizierten Konfessionalismus zwischen circa 1550 und 1750 die verbindenden und die tren12

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Wilhelm Heinrich Riehl, Die Pfälzer. Ein rheinisches Volksbild, Stuttgart/Augsburg 1857 (Nachdruck Kaiserslautern 1964), S. 381. Wilhelm Heinrich Riehl, Land und Leute, Stuttgart/Berlin 111908 (Erstauflage Stuttgart 1861), S. 396.

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nenden, kurz die signifikanten Objekte und Objektivationen kirchlicher Praxis, also des Frömmigkeitslebens? Und welches waren die prägenden Strukturen jener symbolischen Welten und ostentativen Emblematisierungen und worin waren sie sich bei den unterschiedlichen Konfessionen ähnlich und darum ähnlich mentalitätswirksam für die spätere Ausbildung oder Akzeptanz moderner Strukturen? Ich benenne vier Kategorien: 1. Beibehaltene mittelalterliche Ritualtraditionen in ihren dinglichen Zeichen für die kirchlichen Kasualien der Lebenslaufstationen, 2. Symbolische Bedeutungsverschiebungen konkreter Utensilien im Kirchenraum, 3. Strukturelle Konvergenzen der Handhabung von Katechese und Kirchenzucht, 4. Dogmatische Divergenzen der Sakramentenverwaltung und der Organisations-Hierarchien. Ad 1: Beibehaltungen mittelalterlicher Gottesdienstritualien und regionaler Brauchtümlichkeiten. Vor Jahrzehnten habe ich für derlei Phänomene das Schlagwort geprägt: „Reform als selektive Tradition“. Quellen sind die auf Seiten des lutherischen Protestantismus im Verlaufe der herrschaftlich organisierten Konfessionsentstehung erlassenen Kirchenordnungen seit dem 2. Viertel des 16. Jahrhunderts und in der zweiten Jahrhunderthälfte die nachfolgende Einsetzung von Konsistorien als territorialstaatliche Verwaltungsorgane. Neu hinzugekommen sind mit meiner jüngsten Monographie über die Augustana-Gemälde erzählende bildliche Zeugnisse vornehmlich des frühen 17. Jahrhunderts,14 als mit dem Vordringen des reformierten Bekenntnisses, bisweilen als „zweite Reformation“ apostrophiert, und der lutherischen Verfolgung von Kryptocalvinisten die Orthodoxie nicht bloß dogmatisch, sondern vor allem lebenspraktisch im Gottesdienst feste Gestalt angenommen hatte. Der adiaphoristische Streit aus der Mitte des 16. Jahrhunderts, der sich an Rekatholisierungsängsten über die Wiederherstellung einstiger für äußerlich ausgegebener Paramentengebräuche entzündet hatte, war um 1600 längst gegen calvinistischen Bilderfluch und sogenannte „Ceremonienstürmerei“ gerichtet. Die lutherische Geistlichkeit trug wieder oder immer noch im Kirchenraum den weißen Chorrock als ärmelloses Hemd über der schwarzen Schaube und das Humanisten-Barett dazu im Unterschied zum katholischen Birett. Zum Abendmahlsgottesdienst verwendete sie meist die Kasel, wie heute noch in Skandinavien, in den deutschen Quellen weiterhin Meßgewand geheißen.

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Wolfgang Brückner, Lutherische Bekenntnisgemälde des 16. bis 18. Jahrhunderts. Die illustrierte Confessio Augustana (Adiaphora. Schriften zur Kunst und Kultur im Protestantismus 6), Regenburg 2007.

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Zwar waren jene lutherisch-melanchthonischen Adiaphora oder Mitteldinge weder gut noch böse, jedenfalls nicht heilsnotwendig und darum ins Belieben gestellt, so daß es unterschiedliche Gebrauchsweisen geben konnte, doch erst das späte 18. Jahrhundert hat, wie bei den Katholiken, in einstigen Äußerlichkeiten verborgene Machenschaften gesehen und alten Ungeist gewittert. So ist auch hier, oft gegen energischen Widerstand der Gläubigen, im protestantischen Franken durch die Bayern der nackte preußische Calvinisten-Talar zu Beginn des 19. Jahrhunderts eingeführt worden, der erst in unserer Zeit wieder, seit dem letzten halben Jahrhundert, zumindest durch den Gebrauch der Stola als Gebetsschal geschmückt werden kann. Hierher gehört auch der überlieferte Kerzengebrauch im lutherischen Gottesdienst, der unter Reformierten bis auf den heutigen Tag völlig verfemt ist. Im Katholischen gab es von alters her als Hauptopfergabe die Wachsspende, die Zinskerze mit eingedrückter Münze, die wächsernen Votivgaben als bildhafte Gebete. Auch der protestantische Kerzengebrauch war in der Regel abhängig von Stiftungen für das teure Wachs. Das galt neben den offiziellen Altarkerzen auch für die durchgängig bis ins 18. Jahrhundert belegte und heute wieder üblich werdende private Taufkerze, in Skandinavien fest installiert beim Taufbecken wie der moderne Gebrauch einer offiziösen Osterkerze. Früher war auch das Taufkleid (Westerhemd = vestis baptismalis) weiterhin in Gebrauch. Beim Abendmahl gab es die Vorhaltetüchlein durch Chorknaben und das einst dazugehörige Knie­n. Die vorangehende persönliche Absolution wenigstens einmal im Jahr zur österlichen Zeit entsprach katholischer Sitte. Der Bilderschmuck war zwar ausschließlich biblisch erzählend oder emblematisch verrätselt und bestand meist in der Funktion von gestifteten Gemäldeepitaphien, so daß auch mittelalterliche Bildnisstiftungen nicht angetastet wurden und erst ab 1800 in die Museen wanderten. Kreuze mit Corpus und der Gebrauch von Vortragkreuzen, voran bei Beerdigungen, entsprachen und entsprechen völlig dem katholischem Usus, doch nichts davon war von Anfang an bei den Reformierten geblieben oder es wurde mit deren „zweiter Reformation“ gewaltsam entfernt, aber auch innerhalb des Luthertums in pietistischen Kreisen seit dem späten 17. Jahrhundert in Frage gestellt. Vor allem in Südwestdeutschland fundamentalisierte spätestens im 19. Jahrhundert der Pietismus zu Konventikeln mit neuen minimalistischen Traditionen. Ad 2: Symbolische Bedeutungsverschiebungen. Sie betreffen im Kirchenraum vor allem Altar, Taufstein, Kanzel, Beichtstuhl, Bänke und Herrschaftsgestühl, außerhalb des Kirchengebäudes die Anlage des Friedhofs. Damals bildeten sowohl im Erfahrungshorizont wie im konfessionel-

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len Bewußtsein der Gläubigen weder die Kanzel noch das Kirchengestühl Errungenschaften und zentrale Attribute protestantischer Kirchenausstattung, obgleich das aus jüngerem ideologisierten Bildungswissen meist so angenommen wird. Vielmehr waren die ins Auge springenden Unterscheidungsmerkmale gegenüber katholischen Gottesdiensträumen je nach Luther oder Calvin streng geschieden und sind daher bis auf den heutigen Tag sofort erkennbar. Der lutherischen Realpräsenzauffassung des Abendmahls entspricht auch optisch die Bedeutung des Altares, der eben nicht wie bei den Schweizern, in den Niederlanden und der Kurpfalz ein fast versteckter hölzerner Beistelltisch ist. Desgleichen gibt es dort keinen Taufbrunnen. Calvin erachtete beides für heidnische Kultsteine. Demgegenüber scheint mir das Kelchproblem ein ambivalentes Indiz für symbolische Bedeutungsverschiebungen. Zunächst bleibt gegenüber allen vorwissenschaftlich ignoranten Meinungsbehauptungen festzuhalten, daß hier weder ein dogmatischer noch liturgischer Generaldissens bestand. Also konnte dem im 16. Jahrhundert allgemein gewordenen Verlangen nach sichtbarer Veränderung in Form der Kommunion sub utraque specie von Seiten Roms ohne weiteres nachgegeben werden. Unter anderem gab es für Bayern und Böhmen, wo letztlich die „Kelchler“ schon mit Hus ihren Ausgang genommen hatten, römische Dispensen von der katholischen Norm. Dies findet sich daher noch in Leisentritts gedruckter „Christlicher Formula“ für die Oberlausitz von 1567 sogar im Holzschnitt vorgeführt. Doch der Bayernherzog wies die Jahrzehnte zu spät erlassene kuriale Erlaubnis zurück, weil der Empfang des Sakraments unter beiderlei Gestalt inzwischen zum untrüglichen Abzeichen der Protestanten geworden war. In Franken galt zu Ende des 16. Jahrhunderts bei der Rekatholisierung des Hochstifts Würzburg die öffentliche Verweigerung der alleinigen katholischen Hostie als casus belli, dem die Ausweisung aus dem Territorium auf dem Fuß folgte. Und dennoch ist die demonstrative Darstellung des Abendmahlsempfangs am zentralen Kreuzaltar in lutherischen Bekenntnisgemälden seit 1599 in Franken nicht das symbolische Hauptmerkmal lutherischer Konfession, sondern der Altar selbst und zwar mit dem Erlöser am Kreuz und dessen sichtbar werdendem Blut, das in Kelch und Taufstein fließt. Dies steht gegen die schweizerische Sakramentsauffassung und die calvinistische Gnadenwahl. Das Antependium ist schriftlich mit einer Bibliographie von Luthers Streitschriften gegen Zwingli zwischen 1525 und 1529 bestückt, und auf die Mensa geschrieben sind die wichtigsten Schriftbelege. Paulus und die Synoptiker halten zu Füßen des Kreuzes mit den Himmelsschlüsseln die Einsetzungsworte auf einer Abendmahlstafel monumentiert vor

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sich, wie wir sie als konkrete Realie im süddeutschen Gottesdienstgebrauch bis ins 18. Jahrhundert hinein kennen. Die Traditionen von Kanzeln und Gestühl stammen aus den Predigtstiftungen des 15. Jahrhunderts, waren also längst geläufig und erhielten herausragenden Symbolwert nur im reformierten Bet- oder Predigtsaal und erst im 18. Jahrhundert für eine geraume Zeit mit dem bald wieder (aus dogmatischen Gründen) zurückgedrängten lutherischen Kanzelaltar eine im Wortsinne übergeordnete Gestalt, die um jene Zeit allerdings auch mit den doppelten Emporenkonstruktionen der Opernränge korrespondierte. Es gab Beichtgestühle oder besondere Beichtkammern, solange noch nicht die erst zum Beginn des 19. Jahrhunderts eingeführte allgemeine Absolution vor dem Abendmahl existierte und damit das Ende der verpflichtenden Einzelbeichte kam. Das freiwillige Beichtgespräch hat sich in Franken dennoch bis heute erhalten. Am lutherischen Beichtstuhl ist besonders interessant, daß er die mittelalterliche Gewohnheit des Nebeneinandersitzens oder der offenen Kniefallabsolution weiterführte, während die katholisch-tridentinische Reform das Borromäische Beichthäuslein mit dem verborgenen Beichtvater für das quasi unsichtbare Einzelsündenbekenntnis 1614 verbindlich einführte und damit dieser Form der Beichte zugleich ein konfessionell unverwechselbares symbolisches Gerät verschaffte. Den gemeinsamen pastoralpragmatischen Akzent bildete die Form des Glaubens- und Reue-Bekenntnisses als Voraussetzung für die auf beiden Seiten dogmatisch notwendige Absolution. Die vergleichbare sozialdisziplinierende Funktion lag beim katholischen Usus im ausdrücklichen Einzelschuldbekenntnis, bei der lutherischen Ordnung in der konkreten Glaubensprüfung, oft genug als Katechismusabfrage gestaltet. Die unterfränkische Besonderheit von evangelischen Friedhofskanzeln aus dem 17. Jahrhundert hängt mit der Verlegung der Kirchhöfe außerhalb der Ortschaften zusammen, die jedoch in großen Städten wie Nürnberg schon vor der Reformation stattgefunden hatte, andererseits in katholischen Weltstädten wie Wien erst mit dem Josephinismus möglich wurde. Im gemischtkonfessionellen Franken folgten auf dem Lande bisweilen katholische Ortschaften dem Beispiel der protestantischen, so daß hier nur das große Friedhofskreuz und der Karner als Armenseelengebetsgelegenheit anstelle von Kanzeln zu überdachten Gaden oder Laubengängen traten. Den grundlegenderen konfessionellen Unterschied bildeten neben den einsamen Judenfriedhöfen und ihren ewigwährenden Steinsetzungen draußen im Feld bis ins 19. Jahrhundert hinein zum Beispiel in der Pfalz die überwachsenen, unbesuchten, ohne Grabpflege belassenen reformierten Gottesäcker, denen nach Calvin wie den jüdischen kein besonderer To-

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tenkult zukommen sollte, weshalb auch kein eigenes, am besten überhaupt kein Beerdigungsritual existierte. Nicht einmal das Gebet eines Geistlichen am Grabe war ursprünglich intendiert. Ad 3: Strukturelle Konvergenzen. Bei der Erwähnung der Beichtstühle ist schon einiges davon angeklungen und soll unten beim Katechismusunterricht weiter ausgeführt werden. Hier muß zunächst wieder mit der Predigt begonnen werden, deren Geschichte und Existenz in der evangelischen Kirche zu einem historisch blindmachenden deutschen Mythos geworden ist. Die zahlreichen städtischen Prädikaturstiftungen des 15. Jahrhunderts, voran in Süddeutschland und in der Regel für Doktortheologen ausgeschrieben, gehören bekanntermaßen zur sogenannten Vorreformation mit umfangreichem Concursus populi, so daß die Gewohnheit, den Predigern nachzulaufen, überhaupt kein neues Phänomen darstellte. Auch und gerade die protestantischen Prädikanten waren auf Dauer humanistisch gebildete Akademiker, die wie die katholischen Kleriker selbstverständlich lateinisch sprachen und schrieben und also auch so ihre Predigten bis ins 18. Jahrhundert hinein konzipierten. Das war kürzer und prägnanter als die deutschsprachige Umschweifigkeit und läßt auch verstehen, warum in Nürnberg der liturgische Begleitgesang des Gottesdienstes durch eine lateinische Schola bis ins 18. Jahrhundert üblich blieb. Was die Anzahl der Predigten und ihre Dauer anbetrifft, so standen sich die Konfessionen in nichts nach. Die protestantischen Sanduhren auf den Kanzeln mit darin vier Halbstundengläsern wie auf damaligen Universitätslehrstühlen sind darauf abgestellt, aber auch katholische Pfarrer mußten im Mainzischen vom Ordinariat ermahnt werden, vor allem zur Winterszeit keineswegs bis zu zwei Stunden an einem Stück auf der Kanzel zu verbringen, weil sich die frierenden Gläubigen, zumal die ärmlichen auf dem Lande ohne Mäntel und wollene Tücher, beschwert hatten. Andererseits boten die Missionspredigten von Jesuiten und Bettelmönchen viel Volk anziehende geistliche Events. Kurz: eine ausufernde Homiletik, vor allem beim Sonntagsgottesdienst (natürlich in größeren potenten Gemeinden) war schon immer gemeinchristliche Übung und eine Stunde Mindestdauer für eine Predigt die spätmittelalterliche Norm bei Kanzelstiftungen. Das gleiche gilt von der Christenlehre, Sonntagsschule oder Katechismuskirche, die es bisweilen sogar als eigenen Veranstaltungsort für nicht nur sonntäglichen Kindergottesdienst gab. Beide großen Konfessionen wetteiferten neben ihrer Pflege des lateinischen wie deutschen Grundschulunterrichts, der eine für Buben, der andere für Mädchen, darin, die Fragen und Antworten des lutherischen oder des canisianischen Katechismus immer und immer wieder neu einzupauken, und zwar in zeitlicher

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Regelmäßigkeit wie in formaler Aufführungspraxis, wie man das öffentliche Abfragen bezeichnen darf. Es hat sich völlig parallel bei Jesuiten und Protestanten etabliert mit dem gleichen dafür erfundenen Mobiliar und der gleichen öffentlichen Demonstration zur Teilnahme der Erwachsenen und deren dadurch erinnernder Fortbildung. Das System war spätestens um 1600 voll ausgebildet und ist uns auch bildlich für beide Konfessionen aus dieser Zeit schon gut überliefert. Es handelt sich um einen bühnenartigen Aufbau mit zwei Ambonen unter einer Lehrkanzel und einer kleinen Empore für die Warteschlange der Aufzubetenden, das heißt derer, die zum Aufsagen oder Abfragen bestimmt waren. Dies entspricht ungefähr den Aufbauten der frühmittelalterlichen Schola cantorum im Chorraum, bevor sich die Lettner entwickelten, doch das System der dazugehörigen Wechselrede stammt aus der Universitätsdidaktik des Disputierens mit Quaestio und Advocatus diaboli. Erhalten hat sich dieses öffentliche Fragetheater im letzten Prüfungsakt der seit dem späten 18. Jahrhundert in den lutherischen Gemeinden eingeführten Konfirmation, nämlich der Vorstellung der Konfirmanden vor deren Einsegnung und dem ersten Abendmahl in der Pfarrkirche, dem sogenannten Aufbeten. Die Jesuiten praktizierten das bei ihren Missionen oder in ihren stationären Kirchen in größeren Städten, wozu dann sonntagnachmittags auch viele schaulustige Erwachsene kamen. Kurz: der ständige systematische Katechismusunterricht der gesamten Bevölkerung von Kindesbeinen an stellt meiner Ansicht nach die eigentliche „Schule der Nation“ dar, sozusagen vor Einführung der allgemeinen Wehrpflicht und der nach Konfessionen gegliederten Volksschule mit im 19. Jahrhundert ständigem, bisweilen fast täglichem Religionsunterricht zur moralischen Reglementierung: lesen und rechnen, beten und arbeiten. Ad 4: Noch kurz zu den dogmatischen Divergenzen, die den theologischen, also theoretischen Überbau aller praxis pietatis darstellen. Es ist die Wahrheitsfrage, die allein wechselseitigen Häresieverdacht auslösen konnte und damit das eigentliche theologische Problem bis heute bildet. Die Adiaphora-Praxis der lutherischen Orthodoxie stand in sich ausschließendem Gegensatz zur calvinistisch-reformierten Ablehnung jeglicher Ritualien. Sie kannte nicht deren grundsätzliche Verteufelung der jesuitischen religio carnalis, der sinnenhaften Verleiblichung von Kommunikationsversuchen mit der Überwelt, sondern eiferte an diesem Punkt nur gegen die den römischen Katholiken polemisch unterstellten Verdienstlichkeitshoffnungen und, theologischer argumentierend, gegen den dort tatsächlich vertretenen Opfercharakter der Messe sowie die Anbetung des Brotes. Die beim katholischen Altarssakrament dauernd bleibende Transsubstan-

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tiation der Species führte in Mitteleuropa zum ostentativen Triumph der Eucharistie in theophorischen Prozessionen, voran auf Fronleichnam als öffentlicher Bekenntnisdemonstration. Doch Martin Luthers Grundsatz – nicht die Dinge an sich sind bös, sondern erst deren falscher Gebrauch wird superstitiös – , das war und ist auch eine gut katholische Ansicht. Die fundamentalen Unterschiede der drei mitteleuropäischen Bekenntnisse des konfessionellen Zeitalters bestanden vielmehr in der Sakramentsauffassung des Abendmahls: das „hoc est corpus meum“, hundertfach auch bildlich erläutert mit der dreifach möglichen Ausdeutung von Papst, Luther und Calvin: „das ist, das wird, das bedeutet mein Leib“. Römischerseits damit verbunden ist der sakramental und ausschließend verstandene Priesterordo, sprich ein global agierendes päpstliches Lehramt mit entsprechenden hierarchischen Nachordnungen auf der einen Seite und auf der anderen Seite Kirche als Gemeindebekenntnis samt staatskirchlich geregelter Ordination von Predigern oder gar das calvinistische Presbyterium, das vor Ort über alles und jedes allein entscheidet und damit zur Entstehung unendlich vieler selbständiger kirchlicher Gemeinschaften geführt hat, von den Großkirchen abwertend Sekten, im angelsächsischen Vereinsregister neutral Denominationen genannt. Dagegen ganz anders die ostkirchliche Orthodoxie, die sich in ihren autokephalen Patriarchaten mit je nationalen Sprachgruppen der Griechen, Russen, Serben etc. quasi völkisch identifiziert und dadurch eine unbeweglich konservative, daher antiwesteuropäisch gesinnte und zugleich in der Wolle profanpolitisch gefärbte byzantinisch-christliche Kulturform darstellt. Das aber geht nun längst über mein kleines Thema der kleingläubigen Alltagschristen der Frühen Neuzeit weit hinaus.

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Literaturhinweise (außer der Standardliteratur zum Gesamtphänomen, die in allen Beiträgen des Symposions aufscheint) Brückner, Wolfgang, Frömmigkeit und Konfession. Verstehensprobleme, Denkformen, Lebenspraxis (Veröffentlichungen zur Volkskunde und Kulturgeschichte 86. Volkskunde als historische Kulturwissenschaft. Gesammelte Schriften von Wolfgang Brückner X), Würzburg 2000. Ders., Ketzer im Kirchenraum. Öffentlicher Bilderspott aus dem Zeitalter des Konfessionalismus, in: Jahrbuch für Europäische Ethnologie 3. F. 1, 2006, S. 121–149. Ders., Lutherische Bekenntnisgemälde des 16. bis 18. Jahrhunderts. Die illustrierte Confessio Augustana (Adiaphora. Schriften zur Kunst und Kultur des Protestantismus 6), Regensburg 2007. Ders., Konfessionalisierung über den Katechismusunterricht. Das „Aufbeten“ der Kinder bei Jesuiten und Lutheranern, in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 69, 2007 (Festgabe Klaus Ganzer zum 75. Geburtstag), S. 35–48. Ders., Lebensstile calvinistisch-reformierten Kirchenvolks. Vorüberlegungen und Beispiele zur kulturprägenden Kraft von Konfession, in: Rheinisch-westfälische Zeitschrift für Volkskunde 54, 2009, S. 13–41. Riehl, Wilhelm Heinrich, Die Pfälzer. Ein rheinisches Volksbild, Stuttgart/ Augsburg 1857 (Nachdruck Kaiserslautern 1964). Ders., Nord und Süd in der deutschen Kultur. Zwei Vorträge, in: Ders., Freie Vorträge. Zweite Sammlung, Stuttgart 1885, S. 1–129. Ders., Religiöse Studien eines Weltkindes, Stuttgart 51900 (1. Aufl. 1894).

Gescheiterte Koexistenz Kommunale Kirchenpolitik im ­katholischen Fürstentum vor der Gegenreformation – am Beispiel fränkischer Städte Günter Dippold Drei Schlagworte gehören zum langen 16. Jahrhundert: Frühabsolutismus, Kommunalismus, Konfessionalismus. Der Begriff des Absolutismus mag derzeit umstritten sein:1 Unstrittig ist ein Eindringen herrschaftlichen Handelns in ihm bis dahin entzogene Sphären. Zum Abschluss kam die Bildung von Gemeindestrukturen,2 und die Städte pochten letztmals auf ihr althergebrachtes Recht, das die Macht des Stadtherrn über den einzelnen Bürger minimierte, das die gesamte Stadt, die communitas civium, zum Gegenüber des Fürsten machte. Wenngleich städtische Vorrechte mancherorts – deutlich zu erkennen im Würzburgischen – nach dem Bauernkrieg von 1525 geschmälert wurden,3 so wurde doch zugleich bürgerliches Leben unter dem Einfluss der alltäglich gewordenen Antikenrezeption überhöht. Die gerade im Würzburgischen anzutreffenden stattlichen Rathäuser des 16. Jahrhunderts4 oder die Blüte des Schützenwesens5 zeugen vom Repräsentationswillen des Rates und der Bürgergemeinde. 1

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Hans-Wolfgang Bergerhausen, Über die Schwierigkeit, den Absolutismus zu verabschieden. Anmerkungen zu Heinz Duchhardt: Barock und Aufklärung. R. Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH (Oldenbourg Grundriss der Geschichte 11), München 2007, in: Mainfränkisches Jahrbuch für Geschichte und Kunst 59, 2007, S. 156–166. Peter Blickle, Kommunalismus. Skizzen einer gesellschaftlichen Organisationsform, Bd. 1: Oberdeutschland, München 2000. Hans-Christoph Rublack, Landesherrliche Stadtordnungen und städtische Gravamina der Stadt Würzburg im 16. Jahrhundert, in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 39, 1977, S. 123–138, hier S. 123–132. So in Dettelbach, Karlstadt und Ochsenfurt. Fränkische Beispiele: Karl-Sigismund Kramer, Bauern und Bürger im nachmittelalterlichen Unterfranken. Eine Volkskunde auf Grund archivalischer Quel-

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Ein Widerspruch tritt uns also in der zu betrachtenden Epoche in den landsässigen Städten gegenüber: ein Verlust an städtischer Autonomie durch die zunehmende Verdichtung des landesherrlichen Regiments einerseits, die Pflege städtischen bzw. bürgerlichen Selbstwertgefühls andererseits. In diesem Spannungsfeld bewegte sich, was katholische Territorien anging, das kirchliche Leben in der Stadt zwischen Reformation und landesherrlicher Gegenreformation. Hans-Christoph Rublack6 sieht in geistlichen Residenzstädten nach der gescheiterten frühreformatorischen Bewegung der 1520er Jahre Bestrebungen der mehrheitlich evangelischen, genauer: lutherischen Bürgerschaft bzw. ihrer Repräsentanten während der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, Strukturen für ein kirchliches Leben zu schaffen – Bemühungen, die freilich nicht sehr weit gediehen. In welchem Umfang es Städten gelang, protestantische Gemeindestrukturen im katholischen Fürstentum zu schaffen, das hing, wie Johannes Merz7 zu Recht betont hat, vom Grad ihrer Eigenständigkeit ab, auch vom mehr oder weniger entschiedenen kirchenpolitischen Handeln der Obrigkeit. Die erheblichen Möglichkeiten, wie sie die Bürger von Hammelburg besaßen und nutzten – sie setzten sogar evangelische Pfarrer ein und gewährten ihrem Landesherrn, dem Fürstabt von Fulda, nicht ohne weiteres den Zutritt in die Kirche –, resul-

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len (Beiträge zur Volkstumsforschung 11; Veröffentlichungen der Gesellschaft für fränkische Geschichte, künftig VGffG, IX/12), Würzburg 1957, S. 216–220; ders., Volksleben im Hochstift Bamberg und im Fürstentum Coburg (1500–1800). Eine Volkskunde auf Grund archivalischer Quellen (Beiträge zur Volkstumsforschung 15; VGffG IX/24), Würzburg 1967, S. 71–74; ders., Das Scheibenbuch des Herzogs Johann Casimir von Sachsen-Coburg. Adelig-bürgerliche Bilderwelt auf Schießscheiben im frühen Barock, Coburg 1989, S. 11–13. Hans-Christoph Rublack, Gescheiterte Reformation. Frühreformatorische und protestantische Bewegungen in süd- und westdeutschen geistlichen Residenzen (Spätmittelalter und Frühe Neuzeit 4), Stuttgart 1978; ders., Zur Sozialstruktur der protestantischen Minderheit in der geistlichen Residenz Bamberg am Ende des 16. Jahrhunderts, in: Wolfgang J. Mommsen (Hg.), Stadtbürgertum und Adel in der Reformation. Studien zur Sozialgeschichte der Reformation in England und Deutschland (Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts London 5), Stuttgart 1979, S. 130–148. Johannes Merz, Die Landstadt im geistlichen Territorium. Ein methodischer Beitrag zum Thema „Stadt und Reformation“ am Beispiel Frankens, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 46, 1994, S. 55–82; ders., Landstädte und Reformation, in: Anton Schindling / Walter Ziegler (Hgg.), Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500– 1650, Bd. 7: Bilanz – Forschungsperspektiven – Register (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 57), Münster 1997, S. 107–135.

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tierten weniger aus der Stärke der Stadt als aus der Schwäche des Fürsten.8 Auch das Kondominat mehrerer Stadtherren, etwa der Umstand, dass die würzburgische Stadt Münnerstadt bis 1585 ein stolbergisches Stadtviertel hatte,9 vergrößerte die Chancen für ein autonomes Handeln des Rats in kirchlichen Fragen. Doch beides sind Ausnahmen. Welche Handlungsspielräume durchschnittliche Kleinstädte hatten, soll an fränkischen, besonders bambergischen Beispielen dargetan werden. Im Mittelpunkt steht dabei Staffelstein, eine Stadt im Hochstift Bamberg, in der sich das Bamberger Domkapitel während des Spätmittelalters eine quasi-landesherrliche Stellung geschaffen hatte.10 Dank der beinahe lückenlos erhaltenen Rezessbücher des Domkapitels und mehrerer Ratsprotokollbände sowie etlicher kommunaler Rechnungen formt sich hier am ehesten ein Bild. Konfessionelles Bewusstsein und kirchliches Handeln Während der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, als sich in den Bürgerschaften durchaus ein konfessionelles Bewusstsein ausmachen lässt, prägte es nicht jedes kirchliche Handeln. Zumal der Kirchenbesuch war nicht zuletzt ein sozialer, weniger ein bekenntnishafter Akt. Wenn 1577 das Würzburger Domkapitel bei der Berufung des Händlers Balthasar Rueffer (1534–1599)11 in den Rat bemerkte, dass er „mit weib und haußgesindt 8

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Johannes Merz, Georg Horn (1542–1603) und seine Historia über die Reformation in Hammelburg. Studien zu Leben, Werk und Umwelt des Autors und Edition der Historia (VGffG I/5), Neustadt a. d. Aisch 1992, bes. S. 68–113. Karl Dinklage, Fünfzehn Jahrhunderte Münnerstädter Geschichte. Die Entwicklung von Verfassung und Wirtschaft in Dorf und Stadt Münnerstadt namentlich im Mittelalter, fortgeführt bis 1983, 2. Aufl., Bad Königshofen 1983, S. 156f. Günter Dippold, Staffelstein zur Zeit von Adam Ries, in: Adam Rieß vom Staffelstein, Rechenmeister und Cossist (Staffelsteiner Schriften 1), Staffelstein 1992, S. 39–86, hier S. 44–47; ders., Bad Staffelstein. Kleinod im Gottesgarten am Obermain, Stuttgart 2001, S. 19–24. – Eine ähnliche Rechtssituation finden wir in Ochsenfurt. Vgl. hierzu Siegfried Wenisch, Ochsenfurt. Von der frühmittelalterlichen Gemarkung zur domkapitelschen Stadt (Mainfränkische Studien 3), Würzburg/ Schweinfurt 1972; Georg Knetsch, Verwaltung der Stadt Ochsenfurt zwischen domkapitelscher Herrschaft und Bürgergemeinde (vornehmlich im 16. Jahrhundert) (Mainfränkische Studien 45), Würzburg/Schweinfurt 1988. Über ihn Gerd Wunder, Das Büchlein von Balthasar Rüffer, in: Mainfränkisches Jahrbuch für Geschichte und Kunst 39, 1987, S. 45–57; Frank Fätkenheuer, Lebenswelt und Religion. Mikro-historische Untersuchungen an Beispielen aus Franken um 1600 (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 198), Göttingen 2004, S. 89–108.

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vleissig zu kirchen gienge“,12 dann war der häufige Besuch des Protestanten Rueffer im katholischen Gottesdienst gemeint.13 Anlässlich seiner Aufnahme in den Rat wurde ihm durch das Domkapitel aufgetragen, er solle sich „die catholische relligion [...] wol bevolhen sein lassen, vleissig zu kirchen gehn und andern gut exempel geben“.14 Doch beides – der demonstrative Kirchgang und die Konversion – war, so scheint es, nicht eins. Auch was 1619 der aus dem würzburgischen Gerolzhofen stammende evangelische Pfarrer Kaspar Klee (1565–1652) berichtete, ist erst in seinem Rückblick ein kurioser Widerspruch in sich. Er habe als Kind an liturgischen Prozessionen teilgenommen, bei denen ein evangelisches Kirchenlied von Paul Speratus (1484–1551) gesungen worden sei, das eben solches Tun verurteilte: „Es ist das Heil uns kommen her von Gnad und lauterer Güte, die Werk die helfen nimmermehr, sie mögen uns nicht behüten“.15 Diese Geschichte ist als Beleg für konfessionelle Mischformen, letztlich für mangelnde konfessionelle Identität interpretiert worden.16 Freilich mag die Sicht nicht minder berechtigt sein, dass die Teilnahme an der Prozession Ausfluss des Gehorsams gegenüber obrigkeitlichen Geboten oder des Festhaltens am alten Herkommen war, dass sich im Lied aber evangelisches Bewusstsein spiegelte – ohne dass damit ein förmlicher Protest gegen die gleichzeitig vollzogene Handlung beabsichtigt war. Schließlich muss im Aufwand der mehrheitlich evangelischen Bürgergemeinde für ihre katholische Pfarrkirche nicht mangelnde konfessionelle Eindeutigkeit gesehen werden. Der Einsatz diente doch immerhin der städtischen Repräsentation. Hätte sonst der evangelische Rat von Staffelstein 1580 voller Stolz geschrieben, die städtische Hauptkirche St. Kilian sei dank kommunaler Anstrengungen „inwendig mit der orgel, neuen pörkirchen,

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Staatsarchiv Würzburg, Dkp 33, fol. 267v. Abzulehnen ist die Interpretation von Fätkenheuer, Lebenswelt (wie Anm. 11), S. 90: Er versteht die Formulierung so, dass Rueffer „häufig die Kirche besuchte, auch wenn es der protestantische Gottesdienst war“. Den Besuch einer evangelischen Kirche durch den neuen Ratsherrn hätte das Domkapitel aber schwerlich als Positivum genannt. – Richtig interpretiert ist der Beleg bei Rublack, Gescheiterte Reformation (wie Anm. 6), S. 70f. Staatsarchiv Würzburg, Dkp 33, fol. 267v. Kaspar Klee, Wegweiser zum ewigen seligen Leben, Straßburg 1619, S. 141f.; zitiert nach Hermann Beck, Kaspar Klee von Gerolzhofen. Das Lebensbild eines elsässischen evangelischen Pfarrers um die Wende des 16. zum 17. Jahrhundert, Halle 1901, S. 3f. Ernst Schubert, Gegenreformationen in Franken, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 28, 1968, S. 275–307, hier S. 289.

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schönen gemell und andern [...] also geziret, das kaumb uff ettlich meyl wegs ires gleichen“?17 Wirkungsfelder städtischer Kirchenpolitik Die Reaktion der Obrigkeiten auf die Reformation war in den fränkischen Hochstiften über Jahrzehnte von einer tiefen Sorge um Rechtspositionen bestimmt. Waren Rechte des Fürstbistums oder geistlicher Institutionen in Gefahr, verletzt zu werden, so schritt die weltliche Gewalt ein. Andernfalls ließ man, jedenfalls von den 1530ern bis in die 1580er Jahre, den Dingen zumeist ihren Lauf. Angesichts dessen ist beim Ausloten der städtischen Spielräume nach den Rechten des Rats bzw. der Stadt zu fragen. Welche Möglichkeiten besaß sie von vornherein – ohne andere Rechtssphären zu berühren oder gar in sie einzudringen –, um kirchliches Leben auf örtlicher Ebene zu beeinflussen? Bürgermeister und Rat hatten in den meisten Städten das Patronatsrecht über wenigstens eine Pfründe am Ort inne. Zwar gab es in der ganzen Diözese Bamberg keine Pfarrei, deren Patronat bei einer landsässigen Stadt gelegen hätte, doch auf die Besetzung von Inkuratbenefizien hatten Kommunen Einfluss. Auffällig oft konnten Bürgermeister und Rat den Inhaber der Engelmesspfründe präsentieren, der alldonnerstäglich ein Votivamt zu Ehren des Leibes Christi zelebrierte und im Anschluss eine theophorische Prozession durchführte.18 Weiterhin lag bei den Laien die wirtschaftliche Verantwortung für die Kirchenbauten und deren Ausstattung. In aller Regel verwalteten zwei vom Rat benannte Bürger die Kirchenstiftung, sie führten also die „Gotteshausrechnung“.19

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Staatsarchiv Bamberg (künftig StAB), B 86, Nr. 13, fol. 462v. Erich Frhr. von Guttenberg / Alfred Wendehorst, Das Bistum Bamberg. Teil 2: Die Pfarreiorganisation (Germania Sacra 2, 1, 2), Berlin 1966, S. 127 (Ebermannstadt), 134 (Hollfeld), 144 (Pottenstein), 164 (Weismain), 169f. (Burgkunstadt), 192 (Bayreuth), 304 (Hersbruck), 316 (Lauf); Alfred Wendehorst, Der Archidiakonat Münnerstadt am Ende des Mittelalters, in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 23, 1961, S. 5–52, hier S. 15 (Baunach), 31 (Münnerstadt), 41 (Königsberg). Die vielfachen Beziehungen zwischen der Bürgerschaft und „ihren“ Kirchen behandelt Karl Schnapp, Stadtgemeinde und Kirchengemeinde in Bamberg vom Spätmittelalter bis zum kirchlichen Absolutismus (Veröffentlichungen des Stadtarchivs Bamberg 5), Bamberg 1999, hier bes. S. 53–74.

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Schließlich wirkte der Rat maßgeblich bei der Bestellung der Lehrer mit, freilich zusammen mit dem Pfarrer.20 Wer bei der Auswahl den Ausschlag gab, hing wohl sehr von der Konstellation im Einzelfall, von der Persönlichkeit des Pfarrers und der Ratsherren ab. Jedenfalls wurde die Entscheidung vor Ort gefällt. Ein Eindringen der geistlichen Regierung des jeweiligen Fürsten in dieses Feld ist meist erst im späten 17. Jahrhundert zu beobachten.21 Auch die Schulaufsicht lag zugleich bei Pfarrer und Rat; der Weismainer Schulmeister etwa musste im ausgehenden Mittelalter geloben, „das er woll getreu und gewar sein dem pfarher und auch einem rat und der gemain“.22 Inkuratpfründen, Kirchengebäude, Schule – das sind die Wirkungsfelder der städtischen Gewalten, und selbst hier waren sie nicht eigenständig. Der Erfolg der Präsentation auf eine Pfründe hing vom Plazet des Bischofs ab, und in Kirche und Schule war ein Einvernehmen mit dem Pfarrer vonnöten. Dass in den fränkischen Hochstiften eine Bürgerschaft darüber hinausgehende Befugnisse auf kirchlichem Feld gegen ihre andersgläubige Obrigkeit usurpierte, war selten. Eher gelang es einigen Dörfern und Marktflecken, das Besetzungsrecht für die Pfarrei an sich zu bringen und evangelische Geistliche zu installieren.23 In der Stadt, die ja durchweg Sitz fürstlicher Beamten war, glückte dies kaum einmal. Zwar wirkten in manchen Städten evangelische Pfarrer, über Jahrzehnte hinweg etwa in Teuschnitz im Frankenwald, an der nördlichen Peripherie des Hochstifts Bamberg. Doch er war als katholischer Geistlicher dorthin gekommen und erst danach konvertiert.24

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Rudolf Endres, Das Schulwesen in Franken im ausgehenden Mittelalter, in: Bernd Moeller / Hans Patze / Karl Stackmann (Hgg.), Studien zum städtischen Bildungswesen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften, Philol.-Hist. Kl. 3, 137), Göttingen 1983, S. 173–215, hier S. 175f. Beispielsweise in Weismain. Dazu Günter Dippold, Die Weismainer Schulen in bambergischer Zeit, in: ders. (Hg.), Weismain. Eine fränkische Stadt am nördlichen Jura, Bd. 2, Weismain 1996, S. 7–24, hier S. 11f. Stadtarchiv Weismain, B 1, fol. 123r; auch Dippold, Weismainer Schulen (wie Anm. 21), S. 8. Beispiele bei Günter Dippold, Konfessionalisierung am Obermain. Reformation und Gegenreformation in den Pfarrsprengeln von Baunach bis Marktgraitz (Einzelarbeiten aus der Kirchengeschichte Bayerns 71), Staffelstein 1996. Friedrich Wachter, General-Personal-Schematismus der Erzdiözese Bamberg 1007– 1907, Bamberg 1908, Nr. 11500; Johannes Kist, Die Matrikel der Geistlichkeit des Bistums Bamberg 1400–1556 (VGffG IV/7), Würzburg 1965, Nr. 6945.

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Evangelischer Glaube im katholischen Fürstentum Die nach 1520 einsetzende reformatorische Begeisterung drückte sich in Residenzen, Landstädten und selbst in Dörfern auf ähnliche Weise aus: Katholische Gottesdienste wurden gestört, Spottlieder gesungen, liturgische Handlungen parodiert, die Abgabe des Zehnten und die Zahlung von Zinsen an geistliche Institutionen verweigert, und die Gläubigen liefen in nahe Kirchen, wo ein Geistlicher im Sinne der Reformatoren predigte.25 Ende der 1520er Jahre erlahmte der Elan offenbar, und in der Folge, bis nach der Jahrhundertmitte, beobachten wir keine konfessionelle Identität – wohl aber ein antikonfessionelles Bewusstsein, das sich darin ausdrückte, bestimmte Dinge zu unterlassen. Einige Staffelsteiner Beispiele mögen genügen: Die im Bauernkrieg zerstörte Adelgundiskirche auf dem nahen Staffelberg blieb Ruine,26 und als im Markgräflerkrieg 1553 die Kreuzkirche außerhalb der Stadtmauer zerstört wurde, regte sich keine Hand für ihre Wiederherstellung.27 Die Orgel der Pfarrkirche blieb ab 1535 für Jahrzehnte defekt, wohl gar unspielbar.28 Im selben Jahr angeschaffte Glocken standen über Jahre ungeweiht im Kirchhof.29 Die Handwerkerzünfte, einst zugleich Bruderschaften, setzten Bußen nicht mehr in Wachs, sondern in Geld fest30 und sorgten nicht mehr für die feierliche Beleuchtung des Kirchenraums.31 In den Landstädten ebenso wie in Residenzen kann erst nach der Jahrhundertmitte vom Erwachen eines evangelischen Bewusstseins die Rede sein. Der Anteil von Protestanten in den fränkischen Städten war in der Folge hoch, wenngleich tragfähige Zahlen in aller Regel erst dann erhoben wurden, als die landesherrliche Gegenreformation im Gange war. Was die Stärke der katholischen Minderheit anging, scheinen erhebliche Unterschiede bestanden zu haben. Dass die Katholiken aber in der Minderheit waren, bildete offenbar die Regel.32 25

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Beispiele bei Werner Zeißner, Altkirchliche Kräfte in Bamberg unter Bischof Weigand von Redwitz (1522–1556) (Historischer Verein Bamberg, Beiheft 6), Bamberg 1975, S. 42, 79f.; Dippold, Konfessionalisierung (wie Anm. 23), S. 118. Franz und Margarita Machilek, Die Adelgundiskapelle auf dem Staffelberg. Entstehung, Ausstattung, Förderer, in: Günter Dippold (Hg.), Der Staffelberg, Bd. 1, Lichtenfels 1992, S. 55–70, hier S. 57f. StAB, B 86, Nr. 12, fol. 131v, 270r; Nr. 25, fol. 30r. Archiv des Erzbistums Bamberg (künftig AEB), Rep. I, PfA 440, Prod. 9. StAB, B 86, Nr. 4, fol. 159v, 253r. StAB, A 38, L. 391, Nr. 483; StAB, B 86, Nr. 221, fol. 104r–107r. StAB, B 86, Nr. 6, fol. 199r. Georg Zagel, Die Gegenreformation im Bistum Bamberg unter Fürstbischof Neithard von Thüngen 1591–1598, in: Archiv für Geschichte und Altertumskunde von

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Das Zusammenleben zweier Konfessionen scheint unproblematisch gewesen zu sein; innerstädtische Konflikte sind, wie schon Rublack bemerkt hat, nicht auszumachen.33 Mischehen kamen nicht selten vor, wobei wir aus Würzburg von Eheverträgen hören, die beiden Partnern ihre Glaubensfreiheit garantierten.34 In den Jahren einer sich ankündigenden gegenreformatorischen Politik erzogen evangelische Eltern durchaus Kinder katholisch.35 Die einzelnen evangelischen Bürger zeigten ihre Glaubenshaltung, ohne sie ausdrücklich anzugeben, in ihren Testamenten: Sie trugen nicht nach katholischem Muster Sorge für ihr Seelenheil durch die Stiftung eines Jahrtags oder die Bestellung von Seelmessen. Vielmehr vermachten sie nach antikem Vorbild Geld für den gemeinen Nutzen, errichteten Stiftungen für Arme36 oder riefen, wie es 1592 in Weismain heißt, „auß sonderbarer lieb und wolmeinender affection und zuneigung zu den freien kunsten und derselben studiosis“37 eine Stipendienstiftung ins Leben. Im Alltag lebte ein protestantischer Bürger sein Bekenntnis durch das Auslaufen in evangelische Kirchen. Auf diesen Weg machte er sich freilich nicht an jedem Sonntag, sondern nur zum Empfang des Abendmahls. So heißt es in der Leichenpredigt auf Johann Weinman, 1557 in Staffelstein geboren und 1622 in Leipzig gestorben, seine Eltern seien „der reinen Lutherischen Lehre [...] allezeit zugethan verblieben / vnd anderer Orter auff ein oder zwey Meilweges sich der rechten Communion gebraucht“.38 Genauer noch sagte es eine 1564 geborene Bürgerstochter im Rückblick:

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Oberfranken 21, 1, 1899, S. 19–128, hier S. 48. – Im würzburgischen Karlstadt waren 1585, nach Beginn der Gegenreformation, 72 Haushaltsvorstände katholisch, aber 319 evangelisch. Johannes Meier, Die katholische Erneuerung des Würzburger Landkapitels Karlstadt im Spiegel der Landkapitelsversammlungen und Pfarreivisitationen 1579 bis 1624, in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 33, 1971, S. 51– 125; Werner Zapotetzky, Karlstadt. Geschichte einer Stadt in Franken, 3.  Aufl. Karlstadt 1994, S. 118f. Rublack, Gescheiterte Reformation (wie Anm. 6), S. 91; ders., Sozialstruktur (wie Anm. 6), S. 146f. Rublack, Gescheiterte Reformation (wie Anm. 6), S. 62f. So hielt der evangelische Kürschner Ott Schönfelder in Weismain bereits vor der Gegenreformation „seine kinder all zur catholischen religion“; sein Sohn Peter, am Collegium Germanicum ausgebildet, wurde Abt des Zisterzienserklosters Langheim. StAB, Hochstift Bamberg, Geistliche Regierung, Akten und Bände Nr. 4323, fol. 118v. Hans Liermann, Handbuch des Stiftungsrechts, Bd. 1: Geschichte des Stiftungsrechts, Tübingen 1963, S. 163. Stadtarchiv Weismain, B 2, fol. 67r. Thomas Weinrich, Christliche Leich Predigt [...] Bey dem ehrlichen Begräbnüß / des weiland Ehrnvesten vnd fürnehmen Herrn Johann Weinmans / Bürgers vnd Handelsmannes in Leipzig [...], Leipzig o. J. [1622], fol. G1v.

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„Seie anfenglichen bei der lutterischen religion erzogen und allwegen am palmsontag entweder zu Herreth oder Brun zugangen“, also in die beiden nächstgelegenen evangelischen Pfarrkirchen.39 War ein Protestant krank, holten die Angehörigen einen evangelischen Pfarrer. Dies erregte 1580 den Ärger des Staffelsteiner Pfarrverwesers, was aber wohl eher daher rührte, dass er mit dem Rat auf Kriegsfuß stand: Das Gremium als Patronatsherr hatte ihn nicht, wie gewünscht, auf ein Benefizium präsentiert. Die Frau, zu der im konkreten Fall ein evangelischer Pfarrer gekommen war, war ausgerechnet die Schwägerin eines einflussreichen Ratsherrn. Der Ortsgeistliche warf dem Mann der Kranken vor, „er hab in seinem hauß ein neue kirchen gepauet“, prangerte ihn in der Sonntagspredigt an und meldete die Angelegenheit dem Pfarrer, einem Domherrn. Das Domkapitel verbot darauf, dass ein „confessionistischer lerer oder prediger“ den Bürgern predige oder das Abendmahl reiche. Zuwiderhandelnden drohe Stadtverweis. Die Ratsherren entgegneten, es sei doch seit Jahrzehnten üblich, dass zu Kranken und Schwangeren, die nicht mehr in eine auswärtige Kirche gehen könnten, evangelische Geistliche geholt würden. Dies sei „in der haubtstatt Bamberg und andern des stieffts steten, unter den furnembsten dienern, burgern und sunsten andern orten, bei edel und unedel“ Brauch40 – eine Behauptung, die einer Überprüfung durchaus standhält.41 Nicht anders war es in Würzburg.42 Die Pfarrverweser, so der Staffelsteiner Rat weiter, hätten stets von den Besuchen evangelischer Pfarrer gewusst, zuweilen hätten sie sogar selbst einen geeigneten Pfarrer der anderen Konfession vorgeschlagen. Evangelische Tendenzen der Ratspolitik Protestanten dominierten den Rat. Das zeigte sich in den Residenzstädten,43 und in Staffelstein gehörte dem Gremium, als das Domkapitel 1598 die Gegenreformation durchführte, kein einziger Katholik an.44 39 40 41 42 43

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StAB, L 47 Staffelstein, Nr. 6, fol. 68v. StAB, B 86, Nr. 13, fol. 461r. Rublack, Gescheiterte Reformation (wie Anm. 6), S. 85f. Ebd., S. 71. Ebd., S. 52, 88f.; Rublack, Sozialstruktur (wie Anm. 6), S. 135; Marco Eckerlein, Die bürgerliche politische Führungsgruppe in Bamberg zu Beginn der Frühen Neuzeit, in: Mark Häberlein / Kerstin Kech / Johannes Staudenmaier (Hgg.), Bamberg in der Frühen Neuzeit. Neue Beiträge zur Geschichte von Stadt und Hochstift (Bamberger Historische Studien 1; Veröffentlichungen des Stadtarchivs Bamberg 11), Bamberg 2008, S. 77–112, hier S. 106–108. StAB, B 86, Nr. 22, fol. 314r. – In Münnerstadt zogen bei der Gegenreformation neun der zwölf Ratsschöffen fort, und nur einer der 24 Verordneten aus der Ge-

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In Würzburg wurde die Berufung von Protestanten in den frühen 1580er Jahren bemängelt, im Einzelfall auch verhindert, und 1587 schließlich wurden die evangelischen Ratsherren aus ihrem Amt entfernt.45 Ein knappes Jahrzehnt später wurde auch im Bambergischen das katholische Bekenntnis zur Voraussetzung für einen Verbleib im Rat gemacht, nachdem die Neuaufnahme von Protestanten bereits untersagt war.46 Das heißt: Die Obrigkeit schritt erst gegen lutherische Ratsmitglieder ein, als auch die Spitzenbeamten des Landesherrn zur Konversion genötigt oder durch Katholiken ersetzt wurden. Bis 1595 war der Bamberger Kanzler evangelisch,47 und zum Nachfolger des 1594 scheidenden (evangelischen) Syndikus des Domkapitels hätten die Bamberger Domherren einen Protestanten ernannt, wenn der Bischof nicht lautstark widersprochen hätte.48 Ähnlich bei den Beamten auf dem Land: Von neun Domherren argumentierte bei der Besetzung der Kastnerstelle in Staffelstein 1579 nur einer mit der Konfession der einzelnen Bewerber; den Zuschlag erhielt der in den Augen der Stadtherren fähigste Bewerber, ein Protestant.49 Warum hätte man also eine entsprechende Haltung bei der Kooptation neuer Ratsherren unterbinden sollen? Man legte allerdings seitens der Obrigkeit Wert darauf, dass die in den Rat Berufenen keine Eiferer waren. So erschien es dem Würzburger Domkapitel akzeptabel, Balthasar Rueffer in den Rat der Residenzstadt aufzunehmen, weil er in Glaubensdingen „kein disputator und ein eingezogener man“ war.50 Der evangelisch dominierte Rat berief im Einvernehmen mit dem katholischen Ortsgeistlichen Protestanten als Lehrer, wie sich in etlichen Städten zeigen lässt,51 und diese Lehrer unterrichteten nach evangelischen Grundsätzen. In Staffelstein wurde ab etwa 1540 der Religionsunterricht

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meinde blieb. Dinklage, Münnerstädter Geschichte (wie Anm. 9), S. 157. – Siehe auch Anm. 81 zu Dettelbach. Rublack, Gescheiterte Reformation (wie Anm. 6), S. 53f., 65–68. Ebd., S. 88; Rublack, Sozialstruktur (wie Anm. 6), S. 145. Rublack, Gescheiterte Reformation (wie Anm. 6), S. 89. StAB, B 86, Nr. 21, fol. 99r, 118r–v, 119v–120v. StAB, B 86, Nr. 13, fol. 423r. Nur ein Domherr hatte eingewandt: „Wer gutt, das einer da wer, der der religion wer“. Die Stelle erhielt jedoch ein Protestant, der nach Ansicht eines anderen Domherren „das ansehen und den verstandt dazu“ besaß. Staatsarchiv Würzburg, Dkp 33, fol. 267v. Dazu mit Einzelbelegen Günter Dippold, Schulen, Lehrer und Universitätsbesucher in Kleinstädten des Hochstifts Bamberg, in: Harald Dickerhof (Hg.), Bildungs- und schulgeschichtliche Studien zu Spätmittelalter, Reformation und konfessionellem Zeitalter (Wissensliteratur im Mittelalter 19), Wiesbaden 1994, S. 129–200.

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nach Luthers kleinem Katechismus erteilt, was auch in Dettelbach nachzuweisen ist.52 Erst 1580 beschwerte sich in Staffelstein der Pfarrverweser darüber; Auslöser war seine schon angesprochene Kontroverse mit dem Rat, den er daraufhin – gewissermaßen wegen unkatholischer Umtriebe – in Bamberg anschwärzte. Der eigentliche Pfarrer, ein Domherr, befahl, den Katechismus Luthers ab- und den des Canisius anzuschaffen, was das Domkapitel bekräftigte. Der Rat, der den zu befürchtenden Weggang der Lehrer und das mutmaßliche Ausbleiben auswärtiger Schüler ins Feld führte, bat, es beim Alten zu lassen, zumindest aber, wenn das nicht sein könne, den Religionsunterricht auf ein konfessionell neutrales Minimum zu beschränken: Die Lehrer sollten „die schulkinder das vatter unser, den christlichen glauben, die zehen gebott gottes und waß sunsten, nemlich den Donat, die gramatica, sintax und andere zulessige authores, die notturft erfordert, mit vleiß [...] leren“.53 Das Kapitel freilich ging hierauf nicht ein.54 Ob der Befehl umgesetzt wurde, muss offen bleiben. Nicht angetastet wurde jedenfalls der Lehrer, dessen Bekenntnis nicht einmal expressis verbis thematisiert wurde. In der nahen Stadt Weismain hingegen machte der Pfarrer 1580 die beiden evangelischen Lehrer für das Vordringen der „lutherana haeresis“ verantwortlich. Aufgrund seiner Beschwerde scheint der Fürstbischof den örtlichen Beamten befohlen zu haben, die Lehrer abzusetzen. Doch die Beamten unternahmen offenbar nichts. Als der Pfarrer den Rat drängte, die Lehrer zu entlassen, entgegneten dessen Mitglieder, „weil wider den schulmeister sonsten keine klag fur einen erbarn rhat sey khomen und auch an sie kein furstlich bevelch sey geschickt worden, so soll der schulmeister seinen dienst wie bisher also noch lenger versehen, sintemal er sich erpoten, er wölle unsere catholische lehr in allen ungethadelt lassen und sich catholisch erweisen“. Der Cantor – so die übliche Bezeichnung des zweiten Lehrers – werde Weismain ohnehin bald verlassen.55 Der Schulmeister blieb im Amt, bis er 1588 zum Stadtschreiber aufstieg. Erst als solcher nahm er im Zuge der landesherrlichen Gegenreformation den katholischen Glauben an. Sein Nachfolger als Lehrer war ebenfalls evangelisch.56 52

53 54 55

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Herrmann Hoffmann, Der Visitationsbericht über das Landkapitel Dettelbach von 1576, in: Würzburger Diözesangeschichtsblätter 39, 1977, S. 139–166, hier S. 145. StAB, B 86, Nr. 13, fol. 463r. Ebd., fol. 461r. StAB, Hochstift Bamberg, Geistliche Regierung, Akten und Bände Nr. 4323, fol. 105r–v. Dippold, Schulen, Lehrer und Universitätsbesucher (wie Anm. 51), S. 154f., 178f.; ders., Weismainer Schulen (wie Anm. 21), S. 10.

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Den Umstand, dass in den meisten bambergischen Landstädten die Lehrer evangelisch waren, wird man nicht durchweg als Ausdruck dezidiert evangelischer Ratspolitik interpretieren können. Oftmals kam es den Ratsherren wohl nicht so sehr auf die Konfession als auf die Kompetenz an. Bildungseifer wog gewiss schwerer als Bekenntnistreue, zumal Gelehrte untereinander ohnehin bis in die Zeit der landesherrlichen Gegenreformation hinein einen überkonfessionellen Freundschaftskult pflegten.57 1577 wurden in Ochsenfurt Klagen laut, „wie das der schulmaister [...] gar lutterisch sey, verfuhre die leuth, so noch der alten catholischen religion sey[n] gewessen“. Der Würzburger Domdekan beruhigte seine Mitkapitulare: Der Pfarrer habe ihm geschrieben, der Lehrer sei „in verrichtung seiner geschefften im chor vleisig“; es gebe keinen Mangel an ihm, außer dass er das Abendmahl unter beiderlei Gestalt empfange. Man könne ihn entlassen – wenn es einen qualifizierten Ersatz gebe. Und daran mangelte es offenbar.58 Gerade humanistisches Bildungsstreben mag auch für einen weiteren Aspekt der landstädtischen Ratspolitik bestimmend geworden sein. In den evangelischen Fürstentümern waren nach Einführung der Reformation Inkuratbenefizien verwandt worden, um die Bezüge des Pfarrers oder seiner Hilfsgeistlichen aufzubessern, oder der Landesherr hatte ihre Erträge kommunalen Zwecken zugeführt, der Schule oder dem Unterhalt öffentlicher Bauten. Diesem Vorbild eiferte der Rat in mehreren bambergischen Städten nach. Einst gestiftet, um die Zahl der Messen zu mehren, sollten diese Pfründen auf unterschiedliche Weise der Bildung der Bürgerssöhne dienen. Immerhin fanden sich selbst in Kleinstädten Ratsherren, die studiert hatten und von humanistischem Gedankengut nicht unberührt geblieben waren. Die genannten Bestrebungen setzten an mehreren Orten um 1560 ein. Bürgermeister und Rat von Kronach erwähnten 1561 in einem Schreiben an den Bamberger Fürstbischof, der Ertrag des Sebastians-Benefiziums werde „zu stattlicher erpauhung, zucht und erbarkait der jugent“ verwandt. Konkret diente es – abzüglich einer Entschädigung für den früheren Benefiziaten – dazu, die Besoldung des Schulmeisters aufzubessern.59 57

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Fränkische Beispiele bei Ernst Schubert, Conrad Dinner. Ein Beitrag zur geistigen und sozialen Umwelt des Späthumanismus in Würzburg, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 33, 1973, S. 213–238, hier S. 229–231; Stefan W. Römmelt, Erasmus Neustetter, genannt Stürmer (1523–1594), in: Fränkische Lebensbilder 18 (VGffG VIIa/18), Neustadt a. d. Aisch 2000, S. 33–54, hier S. 46–48. Staatsarchiv Würzburg, Dkp. 33, fol. 313r. StAB, Hochstift Bamberg, Geistliche Regierung, Akten und Bände Nr. 2417, Schreiben vom 14.2.1561.

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Dies scheint freilich nur vorübergehend so gewesen zu sein; bald hatte wieder ein Geistlicher die Pfründe inne. Als er 1563 auf das Benefizium verzichtete, präsentierte der Rat als Patronatsherr den örtlichen Pfarrer, der sich im Gegenzug verpflichtete, einen Teil des Pfründeinkommens dem Schulmeister zu geben.60 Ein anderes, das Katharina-Benefizium erhielt um dieselbe Zeit ein Kronacher Bürgerssohn,61 gewiss zur Finanzierung seines Studiums. In Staffelstein verfuhr der Rat so schon seit einigen Jahren, erstmals wohl 1558.62 Die Kronacher Katharina-Pfründe wurde 1568 vollends zweckentfremdet, und zwar mit bischöflicher Zustimmung: zur Unterhaltung des städtischen Organisten.63 1576 gestattete der Bischof, das Benefizium endgültig umzuwidmen; fortan lebte vom Pfründeinkommen der einige Jahre zuvor zusätzlich eingestellte dritte Lehrer (Succentor).64 Als die Staffelsteiner zwei Jahre darauf den Ertrag einer Pfründe zur Besoldung ihres Organisten (der zugleich dritter Lehrer war) verwenden wollten,65 unterstützte das Bamberger Domkapitel den Wunsch, da es in Kronach ebenso gehandhabt werde und da „solches werckh nit weniger zu Gottes ehr und lob raichet“.66 Knapp zehn Jahre früher, Anfang 1569, hatte sich das Domkapitel mit einer ähnlichen Entscheidung noch schwer getan. Dem Plan, das Einkommen zweier Pfründen studierenden Bürgerssöhnen zuzuwenden, hatten die Domherren nur mit „allerhand bedenckens“ zugestimmt.67 Wenn Bischof und Domkapitel in solche neue Zweckbestimmungen für geistliche Pfründen einwilligten, dann anfangs bloß befristet. Als 1564 der Inhaber des Weismainer Spitalbenefiziums gestorben war, erlaubten sie dem Rat, den Pfründertrag „uff zwei oder drei jar lang zur schull zu verwenden“.68 Der Zustand währte aber nicht nur wenige Jahre: Noch 1617, nach einem 60

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StAB, Hochstift Bamberg, Geistliche Regierung, Akten und Bände Nr. 2415, Schreiben vom 17.4.1563. Ebd., Schreiben vom 20.9.1563. Günter Dippold, Das Testament des Staffelsteiner Altaristen Johann Pharr († 1561), in: 129. Bericht des Historischen Vereins Bamberg, 1993, S. 91–107, hier S. 99. StAB, Hochstift Bamberg, Geistliche Regierung, Akten und Bände Nr. 2415, Schreiben vom 22.11.1651; auch Georg Fehn, Chronik von Kronach, Bd. 2, Kronach o. J., S. 218. Ebd., S. 221; Georg Fehn, Chronik von Kronach, Bd.  3, Kronach o.  J. [1953], S. 179f. AEB, Rep. I, PfA 440, Prod. 9. StAB, B 86, Nr. 13, fol. 135r. StAB, B 86, Nr. 9, fol. 447v. Ebd., fol. 83r.

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halben Jahrhundert, zog der Rat die Einkünfte des Spitalbenefiziums ein, um davon den Schulmeister und den Cantor zu besolden.69 In evangelischen Fürstentümern wurden Nebenkirchen nicht selten profaniert oder, um Baumaterial zu gewinnen, abgebrochen. Auch in diese Richtung lassen sich in fränkischen Städten unter katholischer Landesherrschaft Bestrebungen ausmachen. Meist beschränkten sich die Verantwortlichen, normalerweise wohl die Kirchenpfleger, darauf, die Bauten leer stehen zu lassen. Die Kronacher Martinskirche, mitten auf dem Marktplatz, wird 1597 als „ödt und wust“ beschrieben.70 Gelegentlich dienten die Kirchen als Lagerraum. So befand 1576 ein Visitator des würzburgischen Landkapitels Dettelbach, die dortige Spitalkirche werde „nit wie ein gottshauß gehalten. Sind darin kufen, faß, räif etc.“71 Am weitesten gingen die Staffelsteiner mit der Corporis-ChristiKapelle, die nahe dem Marktplatz an einer Hauptstraße stand. „Machen sie ein kaufhauß auß irer capellen“, empörte sich 1580 der Pfarrverweser in seinem bereits mehrmals zitierten Brief, „lassen nichts darinnen singen, celebriren oder predigen, sonder alle jarmerckt haben die schreiner darinnen fail, liegt darzu voller kueffen, faß und flachs“.72 Zwar bestritt der Rat den Vorwurf,73 doch er scheint zugetroffen zu haben. So war 1586/87 der Keller der Kapelle nachweislich an einen Seiler vermietet,74 und 1592 wies der Rat die Kapelle zwei Frauen als Wohnung zu, die dafür kein Bestandgeld bezahlen, sich aber zur Armen- und Krankenpflege verpflichten mussten.75 Noch mindestens 17 Jahre, also weit über die Gegenreformation hinaus, diente die Kapelle als Wohnung.76 Grenzen und Ziele der Ratspolitik Die evangelischen Ratsgremien konnten lediglich auf schmalen Feldern wirken. Am ehesten konnten sie mit dem Einverständnis der Obrigkeit rechnen, wenn sie geistliche Pfründen für Bildungszwecke opfern wollten. Letztlich handelte ja auch ein Julius Echter von Mespelbrunn nicht anders, 69 70 71 72 73 74 75 76

AEB, Rep. I, PfA 569, Fasz. 8, fol. 24r. StAB, Hochstift Bamberg, Geistliche Regierung, Akten und Bände Nr. 2426. Hoffmann, Visitationsbericht (wie Anm. 52), S. 144. StAB, B 86, Nr. 13, fol. 452r. Ebd., fol. 462r. StAB, L 47 Staffelstein, Gotteshausrechnung 1586/87, fol. 9r. StAB, L 47 Staffelstein, Nr. 4, fol. 368v. StAB, L 47 Staffelstein, Nr. 5, fol. 217v.

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um seine Universität (und das Juliusspital) zu finanzieren,77 wobei aber seine Motive anders gelagert waren: Ihm ging es nicht primär um zweckfreie Gelehrsamkeit, ihm war Bildung Mittel der Kirchenpolitik. Wenn ein Stadtrat Nebenkirchen vernachlässigte oder gar für säkulare Zwecke umnutzte, wenn er evangelische Lehrer beschäftigte und sie Luthers Katechismus verwenden ließ, dann durfte die Obrigkeit entweder gar nicht davon erfahren, oder die Angelegenheit durfte wenigstens kein Ärgernis erregen. Anders gesagt: Gestört wurde das Handeln des Rates nur, wenn – wie 1580 in Staffelstein geschehen – beispielsweise der katholische Ortsgeistliche sich beschwerte. Stand man aber mit ihm in gutem Einvernehmen, dann erweiterten sich die Spielräume des Rats. Wo ein gentlemen’s agreement getroffen wurde, geschah das in der Regel wohl stillschweigend, oder es blieb bei mündlichen Vereinbarungen. Nur selten wurde Derartiges protokolliert, wie 1592 in Staffelstein geschehen. Der Pfarrverweser Dr. Gabriel Hartmann genannt Emzesfelder erschien vor dem versammelten Rat und richtete an ihn eine Reihe von Bitten: Das „fluchen und gottslestern in wirthsheusern“ sei zu unterbinden. Den Wirten sei das Ausschenken nach dem Läuten der Schlafglocke zu verbieten. „Die gebottenen feiertag und fastag“ seien zu halten, und an Fasttagen solle „kein fleisch öffentlich über die gaßen“ getragen werden. Seinem Knecht solle der Rat das Bürgerrecht verleihen. Und schließlich sei die profanierte, für Wohnzwecke genutzte Corporis-Christi-Kapelle „zu saubern und ohne alle einsizen rein zu halten“.78 Der Pfarrverweser machte ein Gegenangebot: Falls der Rat seinen Bitten nachkomme, „seie er erbu­ttig, do mandata oder bevelch […] der religion halber heraußer komen, dieselben also zu moderirn, das der öbrigkeit ein genuegen gescheen, auch ein erbarer rath und gemein burgerschaft in ruhwiger ainigkeit der religion halber, wie bißhero bescheen, erhalten werden sollen“. Der Rat ging darauf ein: Er nahm des Pfarrers Knecht als Bürger auf und gebot den Metzgern bei Strafe, sie sollten ihre Kunden an Freitagen und anderen Fastenterminen auffordern, das Fleisch „nit öffentlich, sonder 77

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Ernst Schubert, Materielle und organisatorische Grundlagen der Würzburger Universitätsentwicklung 1582–1821. Ein rechts- und wirtschaftshistorischer Beitrag zu einer Institutionengeschichte (Quellen und Beiträge zur Geschichte der Universität Würzburg 4), Neustadt a. d. Aisch 1973; Überblick bei Peter A. Süß, Grundzüge der Würzburger Universitätsgeschichte 1402–2002. Eine Zusammenschau (Quellen und Beiträge zur Geschichte der Universität Würzburg 10), Neustadt a. d. Aisch/ Rothenburg o. d. Tauber 2007, S. 52. Zum Juliusspital: Friedrich Merzbacher, Das Juliusspital in Würzburg, Bd. 2: Rechts- und Vermögensgeschichte, Würzburg 1979. StAB, L 47 Staffelstein, Nr. 4, fol. 369v.

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verdecket“ heim zu tragen. Dafür möge der Pfarrverweser seinen „zusagen [...] nachkomen und sovill mueglich gantze gemeine burgerschaft mit [...] annehmung einer andern religion verschonen“.79 Die Formulierung des Ratsprotokolls verrät letztlich wohl das Ziel der Ratspolitik, in Staffelstein und anderswo: Nicht gegen die Obrigkeit eindeutig evangelisches Gemeindeleben durchzusetzen, war ihr Ziel, sondern ein Gemeinwesen zu schaffen, in dem Bildung gedieh und in dem die Konfessionen „in ruhwiger ainigkeit“ nebeneinander leben konnten. Das Bekenntnis galt unter dem Einfluss antiken Gedankenguts mehr denn je als Angelegenheit des Einzelnen, wie 1586 die Bürgerschaft der würzburgischen Amtsstadt Gerolzhofen ihrem Fürstbischof vorhielt: „Es stirbt keiner für den andern, so wird auch keiner für den andern selig oder unselig, sondern Gott will jeden richten, wie er ihn findet.“80 Aus dem Bemühen um religiösen Frieden heraus verfügte der mehrheitlich evangelische Rat von Dettelbach81 vor 1576, wer sich „zu der zeyt der predig auf dem mark, wirtzheuser oder dergleichen ort finden lest“,82 werde bestraft. Ob man daheim saß oder zur Kirche ging, blieb aber jedem selbst überlassen. In Staffelstein ahndete der evangelische Rat eine Störung des katholischen Sonntagsgottesdienstes 1586 streng83 und unterband 1590 an Markttagen Geschäfte vor dem Ende der Predigt84. Es ging um religiösen Frieden. In dem Maße, in dem die Obrigkeit eine dezidiert gegenreformatorische Politik vertrat, wurde das Handeln der kommunalen Gremien als einseitig konfessionell geprägt verstanden und schließlich unterbunden. Es scheiterte damit nicht so sehr der Versuch der städtischen Entscheidungsträger, das Gemeinwesen schleichend zu reformieren, sondern eher ihr Bestreben, bürgerschaftliches Nebeneinander beider Konfessionen zu ermöglichen.85

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Ebd., fol. 370r. Siegfried Kadner, Drei Aktenstücke zur Geschichte der Gegenreformation in Unterfranken, in: Beiträge zur bayerischen Kirchengeschichte 6, 1900, S. 270–273, hier S. 272. Hoffmann, Visitationsbericht (wie Anm. 52), S. 143: „hat nit mehr dann 166 communicanten und zwen auß dem rat.“ Ebd., S. 143. StAB, L. 47 Staffelstein, Nr. 4, fol. 91r. Ebd., fol. 230r. In diese Richtung weist bereits Rublack, Sozialstruktur (wie Anm. 6), S. 146f.

Mischkonfessionalität und Konfessionalisierungsforschung. Konzeptionelle Überlegungen Stefan Ehrenpreis Die Frage nach den langanhaltenden Folgewirkungen der konfessionellen Kämpfe seit der Reformationszeit war es wohl auch, die Ende der 1970er Jahre eine gesellschaftsgeschichtliche Interpretation des Konfessionellen Zeitalters herausforderte und Wolfgang Reinhard und Heinz Schilling zu einem funktionalistischen Entwurf bewegte. Es galt, und dies haben beide mehrfach beschrieben, den Faktor Religion als eine für die Modernisierungsleistungen frühneuzeitlicher Staats- und Gesellschaftsentwicklung positive Kraft darzustellen, und dies in doppelter Frontstellung: einerseits gegen eine ältere Sicht, die auf den Absolutismusbegriff fixiert war und moderne Staatsentwicklung erst um 1650 ansetzte. Zum anderen gegen einen „sozialwissenschaftlichen Reduktionismus“, der religiösen Entwicklungen höchstens noch eine sekundäre Bedeutung für gesellschaftliche Prozesse zuwies. Trotz enger Verbindung mit der reformationsgeschichtlichen Forschung haben sowohl Reinhard als auch Schilling immer darauf bestanden, sich mit dieser Einbeziehung der Religion als gesellschaftsgeschichtlichem Faktor auch von theologiegeschichtlichen Fragestellungen („idealistischer Reduktionismus“) zu lösen. Thomas Brady hat an diesen historiographischen Kontext der Entstehung der Konfessionalisierungsthese in der Festschrift für Heinz Schilling erinnert.1 Letzteres erscheint uns heute, wo wir mit neuen Perspektiven nach konfessioneller Identität in der Frühen Neuzeit oder nach der Entstehung von spezifischen Konfessionskulturen

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Thomas Brady, „We Have Lost the Reformation“ – Heinz Schilling and the Rise of the Confessionalization Thesis, in: Wege der Neuzeit. Festschrift für Heinz Schilling zum 65. Geburtstag, hg. von Stefan Ehrenpreis, Ute Lotz-Heumann, Olaf Mörke und Luise Schorn-Schütte (Historische Forschungen 85), Berlin 2008, S. 33– 56.

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fragen, als einseitig. Die modernisierungstheoretische Antwort ist keine mehr, da viele ihrer Prämissen zumindest fragwürdig geworden sind.2 Überblickt man die Entwicklung der Konfessionalisierungsforschung der vergangenen fast dreißig Jahre, so lassen sich deutliche Schwerpunkte ablesen: in den 1980er und 1990er Jahren dominierten Arbeiten, welche die Konfessionalisierung anhand einzelner Fallbeispiele für deutsche Reichsterritorien nachzeichneten. In zweiter Linie entstanden Arbeiten, die an der Verbindung von Konfessionalisierung und Sozialdisziplinierung interessiert waren, wie etwa von Gerd Schwerhoff über Köln.3 In jüngster Zeit kamen schließlich Untersuchungen hinzu, die sich den Folgen der Konfessionalisierung für die Kultur widmen.4 Überraschenderweise hat sich jedoch keine systematische Einbeziehung der im 16. Jahrhundert mischkonfessionellen Gebiete Europas in diese Forschungsrichtungen ergeben. Zwar ist für das Reich an die Untersuchungen Paul Warmbrunns über gemischtkonfessionelle Reichstädte, insbesondere Augsburg, zu erinnern.5 Europäisch-vergleichend können die Arbeiten Randolph Heads über Graubünden oder von Ute LotzHeumann über Irland sowie Untersuchungen der gemischtkonfessionellen südfranzösischen Regionen genannt werden.6 Aber die mischkonfessionelle Situation in Gebieten Österreichs, Polen-Litauens oder Siebenbürgens 2

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Einen Forschungsüberblick liefert Jörg Deventer, „Confessionalization“ – A Useful Theoretical Concept for the Study of Religion, Politics, and Society in Early Modern East-Central Europe?, in: European Review of History 11, 2004, S. 403– 425. Vgl. auch Stefan Ehrenpreis und Ute Lotz-Heumann, Reformation und Konfessionelles Zeitalter (Kontroversen um die Geschichte), Darmstadt 2000. Gerd Schwerhoff, Köln im Kreuzverhör, Köln/Wien 1992. Vgl. auch Jörg Deventer, Adelskonfessionalisierung? Überlegungen zum Rollenspiel katholischer Adels­ eliten im Milieu der Bikonfessionalität, in: Bündnispartner und Konkurrenten der Landesfürsten? Die Stände in der Habsburgermonarchie, hg. von Gerhard Ammerer u.a. (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 49), Wien/München 2007, S. 442–460. Jens Baumgarten, Konfession, Bild und Macht. Visualisierung als katholisches Herrschafts- und Disziplinierungskonzept in Rom und im habsburgischen Schlesien (1560–1740) (Hamburger Veröffentlichungen zur Geschichte Mittel- und Osteuropas 11), Hamburg 2004; Peter Burschel, Sterben und Unsterblichkeit. Zur Kultur des Martyriums in der frühen Neuzeit (Ancien Régime, Aufklärung und Revolution 35), München 2004. Paul Warmbrunn, Zwei Konfessionen in einer Stadt. Das Zusammenleben von Katholiken und Protestanten in den paritätischen Reichsstädten Augsburg, Biberach, Ravensburg und Dinkelsbühl von 1548 bis 1648 (Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz, Abteilung Universalgeschichte 111), Wiesbaden 1983. Randolph Head, Orthodoxies and Heterodoxies in Early Modern German Culture. Order and Creativity 1500 – 1750, Leiden u.a. 2007; Ute Lotz-Heumann, Die doppelte Konfessionalisierung in Irland. Konflikt und Koexistenz im 16. und in der

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um 1600 ist erst jüngst in das Bild der Konfessionalisierungsforschung integriert worden. Auch der die Bedeutung einer Minderheit weit übersteigende Bevölkerungsteil der Katholiken in der niederländischen Republik ist weit mehr unter dem Vorzeichen der politischen Religionstoleranz als unter der Frage des alltäglichen Zusammenlebens behandelt worden. Dieser Befund zur Forschungsgeschichte ist überraschend, könnten doch die genannten Fallbeispiele als Lackmustest für die Grenzen der Konfessionalisierungsthese und ihrer Erklärungskraft gelten, Probleme der konfessionellen Identitätsverankerung in den Blickpunkt rücken oder Abgrenzungsstrategien der Konfessionen detailliert verorten. Am Beispiel Augsburg ist dies vielfach demonstriert worden: nicht nur die politischrechtliche Situation, sondern das alltägliche Zusammenleben, die bikonfessionelle Besetzung des öffentlichen Raumes und Fragen symbolischer Anerkennung wurden untersucht.7 Mischkonfessionelle Räume in Europa Das Phänomen gemischtkonfessioneller Räume im frühneuzeitlichen Europa war weit verbreitet, allerdings nicht immer langfristig und ohne Brüche. In den letzten Jahren ist in der Forschung die großräumige mischkonfessionelle Sonderrolle Ostmitteleuropas dargestellt worden.8 Staatli-

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ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts (Spätmittelalter und Reformation, Neue Reihe 13), Tübingen 2000. Wolfgang Wüst, Die Pax Augustana als Verfassungsmodell: Anspruch und Wirklichkeit, in: Das Friedensfest. Augsburg und die Entwicklung einer neuzeitlichen Toleranz-, Friedens- und Festkultur, hg. von Johannes Burkhardt und Stephanie Haberer (Colloquia Augustana 13), Berlin 2000, S. 43–60. Bis heute wegweisend Bernd Roeck, Eine Stadt in Krieg und Frieden. Studien zur Geschichte der Reichsstadt Augsburg zwischen Kalenderstreit und Parität, 2 Bde. (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 37), München 1989. Insbesondere Forschungen am Leipziger Forschungszentrum zur Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas haben unsere Kenntnis der Konfessionalisierungsgeschichte dieser Großregion geprägt. Siehe (ohne Anspruch auf Vollständigkeit): Konfessionelle Pluralität als Herausforderung. Koexistenz und Konflikt in Spätmittelalter und Früher Neuzeit. Winfried Eberhard zum 65. Geburtstag, hg. von Joachim Bahlcke, Karen Lambrecht und Hans-Christian Maner, Leipzig 2006; Stefan Plaggenborg, Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa im 17. Jahrhundert. Zur Reichweite eines Forschungskonzeptes, in: Bohemia 44, 2003, S. 3–28; Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa. Wirkungen des religiösen Wandels im 16. und 17. Jahrhundert in Staat, Gesellschaft und Kultur, hg. von Joachim Bahlcke und Arno Strohmeyer (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa

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che Einheiten wie Polen-Litauen, wo Katholiken und Protestanten, aber im ukrainischen Landesteil auch Orthodoxe und Juden in großen Bevölkerungsgruppen miteinander lebten, geben ein Beispiel für langandauernde gemischtkonfessionelle Gesellschaftsstrukturen. In kleinerem räumlichen Maßstab gilt dies auch für das Fürstentum Siebenbürgen.9 In Ostmitteleuropa war die multikonfessionelle Situation allerdings kaum verfassungsrechtlich abgesichert. Dies galt jedoch für drei andere europäische, föderativ organisierte Staaten: die schweizerische Eidgenossenschaft, die niederländische Republik und das Heilige Römische Reich deutscher Nation. In diesen waren im 16. Jahrhundert gemischtkonfessionelle Verhältnisse religionspolitisch festgeschrieben und rechtlich beschlossen worden. Die Zulassung der Konfessionen wurde jedoch in der Schweiz und im Alten Reich an die gesamtstaatliche Ebene gebunden und nicht auf die Ebene der Kantone bzw. Reichsterritorien übertragen, d.h. diese waren überwiegend unikonfessionell geprägt. Mit den Religionsverträgen des 16. Jahrhunderts waren allerdings Kämpfe um den politischen und religiösen Einfluss nicht ausgeschlossen, die das Kräfteverhältnis der Konfessionen zu verändern suchten. In der niederländischen Republik waren zwar alle Provinzen dauerhaft gemischtkonfessionell, die niederländische reformierte Nationalsynode beanspruchte jedoch den politisch abgesicherten Status der Staatskirche, obwohl in einigen Provinzen die Katholiken in der Mehrheit waren. Die reformierten Gemeinden und ihre Mitglieder besaßen also kirchliche und rechtliche Privilegien, bis hin zu einer Monopolisierung öffentlicher Ämter. Trotz dieser Einschränkungen erlaubte die verfassungsrechtliche Mischkonfessionalität in diesen drei europäischen Staaten vielfältige interkonfessionelle Erfahrungen, jedenfalls verglichen mit den unikonfessionellen Königreichen Skandinaviens, den italienischen Staaten, Frankreich nach 1685 oder Spanien. Die Deutungen des politischen, rechtlichen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Zusammenlebens von Angehörigen verschiedener Konfessionen eröffnen ganz unterschiedliche Perspektiven auf Räume des Religiösen: politische Gemeinschaftsbildungen, kirchliche

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7), Stuttgart 1999. Vgl. auch Confessional Identity in East-Central Europe, hg. von Maria Craciun, Ovidiu Ghitta und Graeme Murdock (St. Andrews Studies in Ref­ ormation History), Aldershot 2002. Márta Fata, Ungarn, das Reich der Stephanskrone, im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Multiethnizität, Land und Konfession 1500–1700 (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 60), Münster 2000.

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Institutionen, öffentliche Orte wie Plätze, Rathäuser, Friedhöfe oder Kirchengebäude.10 Eine Typologie In der Frühen Neuzeit spielten konfessionell bestimmte Formen des religiösen Lebens und der religiösen Erfahrung eine wichtige Rolle, sowohl für individuelle als auch für kollektive Repräsentationen und Handlungen. In der Auseinandersetzung mit dem Judentum und dem Islam, um 1600 in der europäischen Expansion auch mit dem Buddhismus und Hinduismus, waren christliche Europäer interreligiöse Kontakte gewöhnt, allerdings tangierten diese nicht das Selbstverständnis und die eigenen gesellschaftlichen Ordnungsvorstellungen. Erst ab der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wurde mit dem Anwachsen einer Skepsis gegenüber der Heilsgewissheit der Konfessionskirchen die außereuropäische Erfahrung in eine vergleichende Religionssicht überführt, und dies auch nur bei einer kleinen Schicht vorwiegend protestantischer Gelehrter. Ob die mittelalterliche außerchristliche Erfahrung Auswirkungen auf den Umgang mit innerchristlicher Andersgläubigkeit hatte, ist eine noch offene Frage. Der Hinweis etwa auf die Praktiken der Inquisition ist nur für die Verfolgungsperspektive interessant, nicht jedoch für andere Fragen nach dem alltäglichen Umgang, den individuellen Beschreibungen und Deutungen von Beobachtungen etc. Anders als bei der Erfahrung außerchristlicher Religion fanden gemischtkonfessionelle Verhältnisse im Raum der eigenen Gesellschaft statt und konnten nicht ohne weiteres als Erfahrung eines Fremden interpretiert werden. Seit der Bildung unterschiedlicher Konfessionskirchen in der Reformationszeit mit jeweiligem eigenständigen Dogma, eigener Kirchenorganisation und eigenen Ansprüchen auf die sittliche Lebensführung des Einzelnen stellte sich auch die Frage des Umgangs mit dem oft nur konfessionell Anderen, der jedoch als Person der Nachbarschaft, der Kommune, der Landsmannschaft, der Nation begriffen und zugeordnet wurde.11 Zunächst ein Phänomen der reformatorischen Wandlungszeit, als Altgläubige und Reformorientierte nebeneinander agierten, wurde Bi- oder sogar

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Otto Kramer, Kirchliche Simultanverhältnisse. Rechtsgeschichtliche Untersuchung mit besonderer Berücksichtigung der württembergischen Kirchensimultaneen, München 1968. So nach der klassischen Definition der Konfession bei Zeeden.

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Trikonfessionalität dann eine dauerhafte Realität, die sich in unterschiedlichen Konstellationen manifestierte; dazu zählten etwa • interkonfessionelle Beziehungen und Beobachtungen anderskonfessionellen Lebens auf Reisen; • durch politische Grenzziehungen hervorgerufene gemischtkonfessionelle Nachbarschaften, die regionale interkonfessionelle Kontakte beiderseits der Grenzen mit sich brachten; • lokal verankerte politisch-religiöse Minderheitensituationen in Kommunen; • die Entwicklung lokal verankerter gemischtkonfessioneller Strukturen in ganzen Regionen oder Territorien. Will man diese Phänomene methodisch in den Blick nehmen, erscheint mir zunächst eine begriffliche Schärfung notwendig. Im Gegensatz zu einer staatsrechtlich verfassten Bikonfessionalität, wie sie etwa die Schweizer Eidgenossenschaft, das Alte Reich oder Frankreich 1598–1685 kennzeichnet, würde ich die Entstehung oder das Überleben heimlicher konfessioneller Minderheiten analytisch abtrennen, da wir hier zwar auch Phänomene des Zusammenlebens studieren können, nicht aber den Kampf um politisch-rechtliche Anerkennung. Die Bezeichnung „Mischkonfessionalität“ sollte ferner definitorisch auf Gebiete beschränkt werden, in denen sich die konfessionelle Durchmischung unter der Herrschaft einer gemeinsamen Obrigkeit auf der Ebene der Gemeinden vollzog und sich aus wilder Wurzel meist schon im 16. Jahrhundert entwickelte. Damit ließe sich die Frage an das Phänomen analytisch zuspitzen: nicht jede interkonfessionelle Begegnung, sondern nur langdauernde, im Raum gemeinsamer politischer Kommunikation befindliche Beziehungen zwischen Konfessionsparteien in einem Herrschaftsgebiet repräsentieren mischkonfessionelle Strukturen. Die markantesten Beispiele aus dem Alten Reich bilden in dieser Hinsicht nach wie vor die im Augsburger Religionsfrieden 1555 in einem eigenen Paragraphen aufgeführten bikonfessionellen Reichsstädte.12 Im Umfeld dieser Reichsstädte entwickelte sich auch ein eigener Diskurs, der späthumanistisches und konfessionelles Denken in der charakteristischen 12

Vgl. Rolf Kießling, Vom Ausnahmefall zur Alternative: Bikonfessionalität in Oberdeutschland, in: Als Frieden möglich war – 450 Jahre Augsburger Religionsfrieden, hg. von Carl A. Hoffmann u.a., Regensburg 2005, S. 119–130; Sabine Ullmann, Zwei Konfessionen in einer Gemeinde – Stabilisierung oder Dekonstruktion der Religion?, in: Die Säkularisation im Prozess der Säkularisierung Europas, hg. von Peter Blickle und Rudolf Schlögl (Oberschwaben – Geschichte und Kultur 13), Epfendorf 2005, S. 95–111.

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Verbindung des späten 16. Jahrhunderts zeigt. Man hat gemeint, hier den Grundzug einer ideengeschichtlichen Entwicklung zur Toleranz sehen zu können, was aber wohl eine zu optimistische Annahme darstellt.13 Mischkonfessionalität und konfessionelle Identitätsbildung Seit der These Thomas Kaufmanns von der besonderen, gegenüber der Polemik skeptischen Konfessionskultur des deutschen Luthertums spielt die Frage nach konfessionell abgrenzbaren sozialen Repräsentationen und Alltagskulturen in der Forschung eine hervorragende Rolle.14 Zwar war auch schon in der neueren Reformationsforschung die kulturelle Dimension der Deutungskämpfe erkannt und beispielsweise in den populären Formen des Antiklerikalismus nachgewiesen worden.15 Erst in der Sicht auf Phänomene langer Dauer wird jedoch die konfessionelle Identitätsbildung erkennbar, die Erfahrungen und Praktiken über Generationen in sozialen Gemeinschaften, kirchlichen Gemeinden, Nachbarschaften und Familien tradiert. Im Folgenden will ich auf einige wenige Beispiele aus dem Raum des Alten Reiches verweisen und dies thesenartig zuspitzen. 1. Das Selbstverständnis als konfessionell zusammengehörige Gemeinschaft wird in den Konflikten um die konfessionelle Repräsentation in den politischen Entscheidungsgremien deutlich. In den bikonfessionellen Reichsstädten war die Frage der Parität hoch umstritten, insbesondere wenn sich im Laufe demographischer Verschiebungen zwischen den Konfessionsgruppen die Repräsentativität der Ämtervergabe und der Ratszusammensetzung änderte. In Ravensburg eröffneten die Katholiken noch

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Magnus Ulrich Ferber, „Cives vestros sine controversia habeo pro Germaniae cultissimis.“ Zum Verhältnis von Späthumanismus und Konfessionalisierung am Beispiel der bikonfessionellen Reichsstadt Augsburg, in: Humanismus und Renaissance in Augsburg. Kulturgeschichte einer Stadt zwischen Spätmittelalter und Dreißigjährigem Krieg, hg. von Gernot Michael Müller (Frühe Neuzeit 144), Berlin/New York 2010, S. 409–420; Winfried Schulze, Pluralisierung als Bedrohung – Toleranz als Lösung. Überlegungen zur Entstehung der Toleranz in der frühen Neuzeit, in: Der Westfälische Friede. Diplomatie, politische Zäsur, kulturelles Umfeld, Rezeptionsgeschichte, hg. von Heinz Duchhardt, München 1998, S. 115–140. Thomas Kaufmann, Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. Kirchengeschichtliche Studien zur lutherischen Konfessionskultur (Beiträge zur historischen Theologie 104), Tübingen 1998. Vgl. Bob Scribner, For the Sake of Simple Folk. Popular Propaganda for the German Reformation, Oxford 2004.

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1747 eine eigene Apotheke und wehrten sich mit einer Klage gegen das Monopol der beiden protestantischen Apotheker.16 Allerdings war die Frage der politischen Vertretung keineswegs immer konfessionell aufgeladen. So hat man etwa für Münster nachgewiesen, dass im 16. Jahrhundert einige protestantische Ratsherren gewählt werden konnten, weil sie soziale Anerkennung in ihren Handwerksgilden besaßen und ihre Konfessionszugehörigkeit nicht als Bedrohung wahrgenommen wurde. Erst im Dreißigjährigen Krieg wurde die Zugehörigkeit zur Konfession des katholischen Landesherrn lokal Voraussetzung der Wahl.17 Andreas Holzem hat kürzlich festgestellt, am Beispiel Ravensburg sei abzulesen, dass die gemischtkonfessionelle Stadt nicht mehr zu religiöser Selbstkonzeption und Selbstrepräsentation in der Lage gewesen sei. Der Rat versuchte, Religionskonflikte durch eine strikte Neutralisierung des öffentlichen Raumes zu vermeiden. Konfessionelle Zwistigkeiten seien selten ratsnotorisch geworden.18 Dies wäre an anderen Beispielen zu prüfen. 2. Viele Konflikte um die Nutzung des öffentlichen Raumes belegen, dass Fragen der Anerkennung eine große Rolle spielten. Naturgemäß wurden konfessionstypische Praktiken wie katholische Prozessionen, protestantische Gebetszeiten oder die protestantischen Feiern zum Reformationsjubiläum und zur Erinnerung an den Augsburger Religionsfrieden und den Westfälischen Frieden zu Konfliktanlässen, aber auch regelmäßige Veranstaltungen wie die Gottesdienste. So gebot in Ravensburg der Rat 1585 in einem Mandat, dass jeder bei Besuch anderskonfessioneller Predigten sich ruhig zu verhalten und ärgerliche Reden oder Schreien zu unterlassen habe.19 Als es 1628 zum Konflikt um die Nutzung einer Kanzel außerhalb des den Katholiken eingeräumten Chores in der simultan genutzten Karmelitenkirche kam, wurde den Protestanten das Absingen gehässiger Lieder („Erhalt uns Herr bei Deinem Wort“) vorgeworfen.20 16

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Beate Falk, Ausdrucksformen des katholischen und evangelischen Lebens in Ravensburg, in: Hahn und Kreuz. 450 Jahre Parität in Ravensburg, hg. von Andreas Schmauder (Historische Stadt Ravensburg 4), Konstanz 2005, S. 75–126, hier S. 105. Helmut Lahrkamp, Über Münsters Protestanten im konfessionellen Zeitalter (1560–1620), in: Westfälische Zeitschrift 142, 1992, S. 119–152. Andreas Holzem, Konfessionskampf und Kriegsnot. Religion und Krieg in Ravensburg 1618–1648, in: Hahn und Kreuz (wie Anm. 16), S. 41–74, hier S. 44– 47. Holzem, Konfessionskampf (wie Anm. 18), S. 45. Holzem, Konfessionskampf (wie Anm. 18), S. 49–55.

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Es lassen sich jedoch auch positive Beispiele finden. Die von allen Bürgern genutzte Spitalskapelle in Ravensburg zeigte seit 1605 Kreuz und Hahn als Symbole beider Konfessionen.21 3. Gemischtkonfessionelle Verhältnisse lassen neben Gemeinsamkeiten auch die konfessionsspezifischen Kulturen gut hervortreten. In Ravensburg lassen sich unterschiedliche Formen nachvollziehen, wie die Konfessionen Bildungsbemühungen verfolgten. Während sich die Katholiken auf Stipendienstiftungen zur Studienförderung konzentrierten, eröffneten die Protestanten im 17. Jahrhundert eine öffentliche Leihbibliothek.22 Der prominente protestantische Bürger Morell schlug 1646/48 zur protestantischen Identitätssicherung vor, eine eigene Lateinschule für die evangelische Jugend zu gründen. Langfristig entwickelten sich daraus getrennte kommunale Schuleinrichtungen zur höheren Bildung.23 Auch das Brauchtum wurde zur Kreation identitätsstiftender Milieus genutzt. Seit dem frühen 18. Jahrhundert findet sich die Verbreitung katholischer barocker Weihnachtskrippen mit Großfiguren durch die Jesuiten, die im protestantischen Bereich kein Pendant haben.24 Zusammenfassung Mir erscheint es mit Blick auf gemischtkonfessionelle Verhältnisse sinnvoll, an der Fragestellung der Konfessionalisierungsforschung zum Zusammenhang von konfessioneller Entwicklung und herrschaftlicher Politik festzuhalten. Auch die mischkonfessionellen Gebiete, die ich hier in meine Überlegungen einbeziehen konnte, zeigen eine konfessionalisierte politische Identität der herrschenden politischen Elite sowie eine mit Sprache und Kultur verbundene Kirchlichkeit der Gemeinden an, die zu Abgrenzungen führte. Allerdings lassen sich auch Fälle und Zeiten finden, in denen konfessionalisierte Politikmodelle gegenüber konfessionsübergreifenden politischen Zielsetzungen zurücktraten. Nur letztere lassen die Grenzen der Konfessionalisierungsthese hervortreten. In gemischtkonfessionellen Gebieten existierten konfessionsneutralisierende Ideen und gesellschaftliche Praktiken, die Duldung der Religionsdifferenz und Umgang im Alltag erlaubten, was allerdings oft spezifische Konflikte hervorrief. Die Formen und Grade öffentlicher Anerkennung der Religionsausübung 21 22

23 24

Falk, Ausdrucksformen (wie Anm. 16), S. 76–79. Falk, Ausdrucksformen (wie Anm. 16), S. 80–85; Holzem, Konfessionskampf (wie Anm. 18), S. 59. Falk, Ausdrucksformen (wie Anm. 16), S. 56. Falk, Ausdrucksformen (wie Anm. 16), S. 114–119.

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und der Kampf um konfessionskulturelle Symbole und Traditionen waren vielfältig – wie wir dies auch aus Gesellschaften des 21. Jahrhunderts kennen!

Der „katholische Augenaufschlag beim Frauenzimmer“ (Friedrich Nicolai) – oder: Kann man eine Erfolgsgeschichte der „Konfessionalisierung“ schreiben? Andreas Holzem 1. Ein „ekelhaftes uninteressantes Schauspiel“: Der ethnologische Blick auf den Katholizismus im aufgeklärten Reisebericht „Die Glocken wurden geläutet, und wir erblickten eine große Wallfahrt von mehr als 2.000 Personen beiderley Geschlechts, die sich dem Stifte näherten.“ – „Die Hülfe der Heiligen ist sehr sichtbar. Den Pilgern wird geholfen, daß sie nun müßig gehen, zum Theil betteln, schwelgen, huren und buben können, aber doch dabey, nach abgelegter Beichte, eine recht kräftige Absolution erhalten, welche alle Sünden gut macht. Es sind da viele Wunder geschehen, wovon ein eigenes Büchlein oft gedruckt ist, und immer wieder gedruckt wird. Damit ist den Leuten geholfen, die gern Wunder haben mögen, noch mehr ist damit dem Buchdrucker und Buchhändler geholfen; den Mönchen zu Langheim wird am meisten geholfen, denn diese haben nun schon seit länger als 300 Jahren die besten Einkünfte von den Wallfahrten und Wundern, womit sie ihren Körper gar wohl pflegen; denn für die Nahrung desselben wollen sie, wie man mich versichert hat, viel, und für die Nahrung ihres Geistes wenig sorgen, und hierin stehen sie mit den Benediktinern zu Banz im umgekehrten Verhältnisse. […] Der Anblick der Wallfahrt war für uns ganz neu. Ein Franziskaner, dem eine große Fahne vorgetragen ward, führte sie an. Die Wallfahrter giengen in zwey Linien hintereinander, die etwa 12 Fuß voneinander entfernt waren, beide Geschlechter untereinander, die Weiber meist sehr hässliche Gesichter, und durch ein um das Haupt geschlagenes weisses Tuch noch hässlicher, die Männer hingegen mit bloßem Kopfe. Jede Dorfschaft hatte ihre Fahne, auf deren verschiedenen die 14 Heiligen abgemahlt waren die, wenn nicht der Schein um das Haupt gewesen wäre, eher wie FreffelKönige, als wie Heiligen aussahen. Hin und wieder zwischen den Linien

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sah man Waldbrüder, Taugenichtse, die unter dem Scheine der Heiligkeit müßiggehen, schmarotzen, huren, und zuweilen stehlen, und die daher bey Wallfahrten niemals zu fehlen pflegen. Auch erschien hin und wieder ein Bauer, der lesen konnte, als Vorsänger, der aus seinem Buche immer den anderen eine oder ein paar Zeilen vorschrie, und so sang der ganze Haufen in einer simplen, aber nicht kräftigen Melodie. Die Kirche ward geöffnet, der ganze Haufen zog hinein, so dass alles vollgestopft war. Es ward ein Gesang gesungen, der Segen gegeben, viele beichteten, was sie vor oder unter der Wallfahrt gesündigt hatten, viele käueten Gebete zwischen den Zähnen, viele bettelten, viele gafften herum, oder liefen heraus und hinein; dieß alles untereinander machte ein ekelhaftes uninteressantes Schauspiel, das gar kein Ansehen der Andacht oder Erbauung hatte. […] Man kann sich leicht vorstellen, wie viel Zeit auf solchem elenden frömmelnden Müßiggange verloren gehet, und wie es hergehen muss, wenn ein paar tausend Menschen gegen die Nacht in ein Dorf einfallen, und beiderley Geschlechte in Scheunen, in Häusern, in Büschen und unter freyem Himmel untereinander liegen. Aber eben dieser Müßiggang und diese Ausschweifungen sind Ursache, warum die Leute durch alle Verbote von solchen Wallfahrten nicht abzubringen sind. Die Wallfahrt ist doch immer nicht Arbeit, sondern Spaziergang. Die Sünden, die sie dabey begehen, machen ihnen nicht den geringsten Kummer; denn sie können unterwegs in allen Kirchen, wo sie durchgehen, beichten und sich absolvieren lassen. Sobald sie die Absolution empfangen haben, betrachten sie die Sünde als nicht geschehen; und so meinen sie das Vergnügen des Müßiggangs und das Vergnügen der Sünde ohne Gewissensbisse und ohne andere schlimme Folgen zu genießen. Die Mönche, besonders diejenigen, welche wunderthätige Bilder haben, begünstigen diese schändlichen Ausbrüche des Aberglaubens, der Dummheit und der Zügellosigkeit. Andere dürfen wenigstens öffentlich nichts dagegen sagen.“1 Wenn der protestantische Berliner Aufklärer Friedrich Nicolai am Ende des 18. Jahrhunderts eines bezeugt, dann dass jener Prozess, den ein bestimmtes Paradigma jüngerer Geschichtsschreibung als „Konfessionalisierung“2 1

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Friedrich Nicolai, Beschreibung einer Reise durch Deutschland und die Schweiz im Jahre 1781. Nebst Bemerkungen über Gelehrsamkeit, Industrie, Religion und Sitten, Bd. 1, Berlin/Stettin 1783, in: Bernhard Fabian/Marie-Luise Spieckermann (Hgg.), Friedrich Nicolai, Gesammelte Werke 15, Stettin 1994, S. 108–113. Grundlegend zur Konzept- und Methodendiskussion, m.E. nach wie vor aktuell, Andreas Holzem, Die Konfessionsgesellschaft. Christenleben zwischen staatlichem Bekenntniszwang und religiöser Heilshoffnung, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 110, 1999, S. 53–85; Ders., Katholische Konfessionalisierung – ein

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bezeichnet, auf einer bestimmten Ebene unbestritten erfolgreich war. Es entstanden im Verlauf der frühen Neuzeit extrem distinkte Konfessionsprofile, welche auf wenige Distanzkilometer absolute Fremdheit produzierten, gleichzeitig aber auch den für die Reiseliteratur des 18. Jahrhunderts typischen ethnologischen Blick auslösten, mit dem aufgeklärte Protestanten auf die Entfaltungsräume katholischer Barockreligiosität herabschauten. Wolfgang Reinhard hat unter den Dimensionen der Konfessionalisierung das klare Glaubensbekenntnis und die Ausmerzung von Unklarheiten sowie die Intensivierung der Riten und die Betonung von Unterscheidungsriten als zentrale Verfahren der Konfessionalisierung beschrieben. Konfessionalisierung meint bei Reinhard, anders als bei Heinz Schilling, einen „genau definierten und beschriebenen, von den Obrigkeiten betriebenen Prozess“. Er will, über Zeeden hinaus, Konfessionsbildung als „sozialwissenschaftlich angereicherte Variante der Deutung des Phänomens“ beschreiben, fokussiert die Gesellschaftsentwicklung aber faktisch doch stark auf die Staatsentwicklung.3 Auf der anderen Seite beschrieb Heinz Schilling, weit offener, Konfessionalisierung als „einen gesellschaftlichen Fundamentalvorgang, der in meist gleichlaufender, bisweilen auch gegenläufiger Verzahnung mit der Herausbildung des frühmodernen Staates, mit der Formierung einer neuzeitlich disziplinierten Untertanengesellschaft, die anders als die mittelalterliche Gesellschaft nicht personal-fragmen-

3

Epochenphänomen der Frühneuzeit zwischen Spätmittelalter und Aufklärung, in: Helmut Neuhaus (Hg.), Die Frühe Neuzeit als Epoche (Historische Zeitschrift, Beiheft 49), München 2009, S. 251–290; Thomas Kaufmann, Die Konfessionalisierung von Kirche und Gesellschaft. Sammelbericht über eine Forschungsdebatte, in: Theologische Literaturzeitung 121, 1996, S. 1008–1025 und 1112–1121. Jüngere Konzepte werden im folgenden diskutiert. Wolfgang Reinhard, Gegenreformation als Modernisierung? Prolegomena zu einer Theorie des konfessionellen Zeitalters, in: Archiv für Reformationsgeschichte (künftig ARG) 68, 1977, S. 226–252; Ders., Zwang zur Konfessionalisierung? Prolegomena zu einer Theorie des konfessionellen Zeitalters, in: Zeitschrift für Historische Forschung (künftig ZHF) 10, 1983, S. 257–277; Ders., Reformation, Counter-Reformation, and the Early Modern State. A Reassessment, in: Catholic Historical Review 75, 1989, S. 383–404; ders., Die lateinische Variante von Religion und ihre Bedeutung für die politische Kultur Europas, in: Saeculum 43, 1992, S. 231–255; ders., Was ist katholische Konfessionalisierung? in: Wolfgang Reinhard/ Heinz Schilling (Hgg.), Die katholische Konfessionalisierung. Wissenschaftliches Symposion der Gesellschaft zur Herausgabe des Corpus Catholicorum und des Vereins für Reformationsgeschichte (Reformationsgeschichtliche Studien und Texte [künftig RST] 135), Münster 1995; zugleich erschienen in der Reihe: (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte [künftig SVRG] 198), Gütersloh 1995, S. 419–452.

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tiert, sondern institutionell-flächenmäßig organisiert war, sowie parallel zur Entstehung des modernen kapitalistischen Wirtschaftssystems das öffentliche und private Leben in Europa tiefgreifend umpflügte. […] Dabei wirkten die kirchlich-religiösen, politischen, sozialen und ökonomischen Kräfte nach Art eines Syndroms […] von an sich jeweils originären Wirkfaktoren, die in wechselseitiger Beeinflussung gemeinsam die Gesamtrichtung des Wandels bestimmen.“4 Folgt man Friedrich Nicolai, wird man unabhängig von der Entscheidung zwischen der etatistisch-geschlossenen Perspektive Wolfgang Reinhards und der offener mehrdimensionalen Perspektive Heinz Schillings formulieren müssen, dass das Konfessionalisierungsparadigma mit Blick auf die gesellschaftlichen und kulturellen Umbrüche um 1800 nicht sonderlich gut funktioniert. Konfessionalität wirkt für Nicolai als Marker einer eindeutig erkennbaren, wenn auch defizitären Lebensform.5 Und die Haltung, mit der die katholischen Brüder und Schwestern in Christus beschrieben werden, ist für eine allgemeine Durchsetzung weder von 4

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Heinz Schilling, Die Konfessionalisierung im Reich. Religiöser und gesellschaftlicher Wandel in Deutschland zwischen 1555 und 1620, in: Historische Zeitschrift (künftig HZ) 246, 1988, S. 1–45; ders., Die Konfessionalisierung von Kirche, Staat und Gesellschaft – Profil, Leistung, Defizite und Perspektiven eines geschichtswissenschaftlichen Paradigmas, in: Reinhard/ders. (Hgg.), Katholische Konfessionalisierung (wie Anm. 3), S. 1–49, hier S. 4. Jüngste Sammelpublikation zur Germania Sacra im 18. Jahrhundert: Bettina Braun/ Mareike Menne/Michael Ströhmer (Hgg.), Geistliche Fürsten und Geistliche Staaten in der Spätphase des Alten Reiches, Epfendorf 2009. Vgl. weiter: Volker Himmelein/Hans Ulrich Rudolf (Hgg.), Alte Klöster – Neue Herren. Die Säkularisation im Deutschen Südwesten 1803, 2 Bde., Ostfildern 2003; Peter Blickle/ Rudolf Schlögl (Hgg.), Die Säkularisation im Prozess der Säkularisierung Europas (Oberschwaben – Geschichte und Kultur 13), Epfendorf 2005, darin u.a. Andreas Holzem, Säkularisation in Oberschwaben. Ein problemgeschichtlicher Aufriss, S. 261–299, mit Überlegungen zur Struktur- und Religiositätsgeschichte der Säkularisation jenseits des regionalgeschichtlichen Aspekts; Harm Klueting (Hg.), 200 Jahre Reichsdeputationshauptschluss. Säkularisation, Mediatisierung und Modernisierung zwischen Altem Reich und neuer Staatlichkeit. Tagung der Historischen Kommission für Westfalen vom 3. – 5. April 2003 in Corvey (Schriften der historischen Kommission für Westfalen 19), Münster 2005; Rolf Decot (Hg.), Kontinuität und Innovation um 1803. Säkularisation als Transformationsprozeß: Kirche – Theologie – Kultur – Staat (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abteilung für abendländische Religionsgeschichte 65), Mainz 2005; Rudolf Vierhaus, Säkularisation als Problem der neueren Geschichte, in: Irene Crusius (Hg.), Zur Säkularisation geistlicher Institutionen im 16. und im 18./19. Jahrhundert, Göttingen 1996, S. 13–30; Kurt Andermann, Die geistlichen Staaten am Ende des Alten Reiches, in: HZ 271, 2000, S. 593–619.

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Toleranz noch von Säkularität noch von gesamtdeutscher Modernisierung beanspruchbar. Anders der ursprüngliche Ansatz der Konfessionalisierungsforschung: Es ging darum, den Erfolg des Paradigmas nicht allein, ja nicht einmal vorrangig an der klaren Unterscheidbarkeit der Konfessionen festzumachen, sondern an der trotz dieser Unterschiede funktional relativ ähnlichen Modernisierungsleistung für Staat, Gesellschaft und Wirtschaft. Mit Nicolais Beobachtungsgabe, aber ohne seine religionspsychologische Arroganz ließe sich sagen: Ein Prozess, der konfessionell induzierte Glaubenshaltungen und Lebensformen gesellschaftlich ausprägt, wird an seinem Ende als offenkundig wirksam greifbar. Offenkundig ist aber auch die gerade in dieser Wahrnehmung liegende Grenze eines Konfessionalisierungsparadigmas, das gerade unter Absehung von solchen unterscheidbaren Glaubenslehren, Mentalitäten und sozialen Dispositionen parallel verlaufende Prozesse der Modernisierung beschreiben wollte. Ob man eine Erfolgsgeschichte der Konfessionalisierung schreiben kann, hängt daher wesentlich von der Perspektivierung ab.

2. Konfessionalisierungsforschung: Urmodelle und ihre Bestreitung 2.1 Der eigene Weg in die Archive: Erträge der Konfessionalisierungsforschung Was findet man, wenn man sich mit dem Merkmalsraster der Konfessionalisierer in die Archive begibt?6 Man findet zunächst eine intensive Konfes6

Ich beziehe mich hier weitgehend auf eigene Archivforschung, ausführlich dargelegt in: Andreas Holzem, Religion und Lebensformen. Katholische Konfessionalisierung im Sendgericht des Fürstbistums Münster 1570–1800 (Forschungen zur Regionalgeschichte 33), Paderborn/München/Wien/Zürich 2000. Soweit die knappen Umfangsvorgaben und Manuskripteingriffe des Verlags dies zuließen, wurden weitere Regionalstudien einbezogen in: Andreas Holzem, Konfessionelle Kulturen in katholischen Territorien, in: Thomas Kaufmann/Raymund Kottje/Bernd Moeller/Hubert Wolf (Hgg.), Ökumenische Kirchengeschichte, Bd. 2: Vom Hochmittelalter bis zur Frühen Neuzeit, Darmstadt 2008, S. 405–419 (explizite Verweise freilich weitgehend getilgt). Wichtige regional focussierte Veröffentlichungen: Marc R. Forster, The Counter-Reformation in the Villages. Religion and Reform in the Bishopric of Speyer (1560–1720), Ithaca/London 1992; Werner Freitag, Pfarrer, Kirche und ländliche Gemeinschaft. Das Dekanat Vechta 1400–1803 (Studien zur Regionalgeschichte 11), Bielefeld 1998; Alexander Jendorff, Reformatio catholica. Gesellschaftliche Handlungsspielräume kirchlichen Wandels im Erzstift Mainz 1514–1630 (RST 142), Münster 2000; Frauke Volkland, Konfession und

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sionalisierung des Pastoralklerus. Visitationen des späten 16. Jahrhunderts, oft bis weit in das 17. Jahrhundert hinein, erwiesen den Bildungsmangel der Kuratgeistlichen als eine der eklatantesten Strukturschwächen der spätmittelalterlichen Kirche mit weitreichenden langfristigen Folgen. Visitatoren und Prüfungskommissionen förderten eine Mischreligiosität zu Tage, in der katholische Geistliche zwar ihren Willen kundgaben, ihr Amt im Sinne ihrer Kirche zu verwalten, über deren Lehre, Glaubensbekenntnis, Rituale und Liturgien sie aber im Einzelnen wenig wussten. Kontroverstheologische Fragen konnten sie kaum angemessen behandeln, und unter den wenigen Büchern, die sie überhaupt besaßen (durchschnittlich zwei bis fünf Bücher für einen einfachen Kuratgeistlichen auf dem Land um 1600), unterschieden sie nicht zwischen katholischen und protestantischen Autoren. Das tridentinische Corpus von Lehren und Disziplinarvorschriften war dem Seelsorgeklerus lange Zeit völlig unbekannt, weil in manchen Diözesen die Dekrete nicht oder nur unvollständig publiziert worden waren und weil lateinische Druckausgaben ebenso unerschwinglich wie unverständlich blieben. Bohrende Fragen tridentinischer Funktionseliten offenbarten, dass die Priester vom katholischen Glauben oft wenig verstanden, ohne





Selbstverständnis. Reformierte Rituale in der gemischtkonfessionellen Kleinstadt Bischofszell im 17. Jahrhundert (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte [künftig MPIG] 210), Göttingen 2005; Christian Plath, Konfessionskampf und fremde Besatzung. Stadt und Hochstift Hildesheim im Zeitalter der Gegenreformation und des Dreißigjährigen Krieges (ca. 1580–1660) (RST 147), Münster 2005; Gottfried Seebaß, Geschichte des Christentums III: Spätmittelalter – Reformation – Konfessionalisierung (Theologische Wissenschaft 7), Stuttgart 2006; Renate Dürr, Politische Kultur in der Frühen Neuzeit. Kirchenräume in Hildesheimer Stadt- und Landgemeinden 1550–1750 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte 77), Gütersloh 2006. Sammelpublikationen mit wichtigen Einzelstudien: Peer Frieß/Rolf Kießling (Hgg.), Konfessionalisierung und Region (Forum Suevicum 3), Konstanz 1999; Norbert Haag/Sabine Holtz/Wolfgang Zimmermann (Hgg.), Ländliche Frömmigkeit. Konfessionskulturen und Lebenswelten 1500–1850, Stuttgart 2002; Rudolf Leeb/Martin Scheutz/Dietmar Weikl (Hgg.), Geheimprotestantismus und evangelische Kirchen in der Habsburgermonarchie und im Erzstift Salzburg (17./18. Jahrhundert) (Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 51), Wien/München 2009. Einzelbeiträge zur Forschungsdebatte: Bernhard Jussen/Craig Koslofsky, „Kulturelle Reformation“ und der Blick auf die Sinnformationen, in: dies. (Hgg.), Kulturelle Reformation. Sinnformationen im Umbruch 1400–1600 (MPIG 145), Göttingen 1998, S. 13–27; Rudolf Schlögl, Differenzierung und Integration: Konfessionalisierung im frühneuzeitlichen Gesellschaftssystem. Das Beispiel der habsburgischen Vorlande, in: ARG 91, 2000, S. 238–284; Berndt Hamm, Wie innovativ war die Reformation?, in: Andreas Holzem (Hg.), Normieren – Tradieren – Inszenieren. Das Christentum als Buchreligion, Darmstadt 2004, S. 141–155.

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ihn bewusst zu verleugnen.7 Breviere, Katechismen und liturgische Bücher fehlten entweder oder wurden nicht gelesen und nur mangelhaft begriffen. Grundlagen für Katechese und Gewissenserforschung der Laien, teils selbst Zahl, Art, Materie und Form der Sakramente und Sakramentalien oder das tridentinische Glaubensbekenntnis und die Kirchengebote – überall lagen ausgedehnte Felder essenziellen religiösen Berufswissens brach. Dementsprechend verkürzt wurde religiöses Wissen weitergegeben: Manche Priester predigten niemals und verzichteten auf die sonntägliche Katechese, sich entschuldigend, sie besäßen die Gabe der Beredsamkeit nicht: Sie wussten, dass ihnen jede Befähigung dazu abging. Diese Schwächen darf man nicht moralisieren. Sie hingen wesentlich mit den Schwierigkeiten der Priester zusammen, eine geeignete Ausbildung zu erhalten. Nur die wenigsten hatten eine Universität besuchen und dort gar über das philosophische Grundstudium hinaus Theologie studieren können. Die meisten Pfarrer waren lediglich an Lateinschulen, Domschulen oder Gymnasien im Lesen, Schreiben und den Anfangsgründen des Lateinischen unterrichtet worden und hatten dann bei einem – womöglich verwandten – Pfarrer eine Lehrzeit absolviert, bevor sie sich dem Bischof auf Betreiben eines oft weltlichen Patronatsherrn und oft ohne gründliche Prüfung zur Weihe vorstellten. Das Ende des 16. Jahrhunderts prägte noch eine Kirchlichkeit, die in einem schleichenden Wandel und aus Mischformen lebte, mit einer großen Bandbreite an Praktiken, mit viel Gewöhnlichkeit und Herkommen, oft ohne strenge theologische Rechenschaft, mit individuellen Anpassungen an den Willen und die Bedürfnisse der Pfarrei-Eingesessenen, der Patronatsherren oder der lokalen Adelsund Honoratiorengeschlechter. Eine generelle Opposition gegen den ‚alten Glauben‘ oder gegen den Bischof und seine Vertreter war selten, denn durchweg bekannten die Geistlichen ihren Visitatoren, als unkatholisch erkannte Meinungen und Riten aufgeben und sich den neuen tridentinischen Amtsvorstellungen fügen zu wollen. Das hing freilich auch wesentlich damit zusammen, dass sie nur unter dieser Bedingung den Verbleib im Amt und die Sicherung ihres Lebensunterhaltes gewärtigen konnten. Wenige Generationen später war das weitestgehend verschwunden. Theologische Grundbildung, liturgische Sorgfalt, Buchbesitz, eine disziplinierteingezogene, sich von den Laien bewusst absetzende Lebensform, alles das prägte bis auf wenige Ausnahmen den Diözesanklerus des späten 17. und 18. Jahrhunderts. Die Konfessionalisierung der Multiplikatoren und der Funktionsträger von Kirche und Staat war die Voraussetzung für Konfessionalisierung und 7

Belege: Holzem, Religion und Lebensformen (wie Anm. 6), S. 155–236.

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Selbstkonfessionalisierung der Laien. Vergleichbare Wandlungsprozesse lassen sich daher auch für die Laienreligiosität nachzeichnen. Die zunächst noch weit verbreitete religiöse Unwissenheit betraf zentralste Aspekte, die Zahl der Sakramente oder Anzahl und Inhalt der fünf Kirchengebote als Mindeststandard dessen, was zur Erlangung des Heils unabdingbar war. Weil die sonntägliche Liturgie als ‚äußerliches Glaubensbekenntnis‘ (externa fidei professio) gewertet wurde, konnten sich die Gläubigen der gemeinschaftlichen Teilnahme kaum noch verweigern. Die Erfüllung der Sonntagspflicht wurde scharf kontrolliert.8 Gerade weil Visitationen in der zweiten Hälfte des 16., häufig auch noch in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts eine Situation ins Bewusstsein hoben, in der den allermeisten Menschen ein klares Konfessionsbewusstsein fehlte, wurde Identifikationswissen zu einer neuen Anforderung an die Gläubigen: zunächst über innere Einstellungen und äußeres Verhalten, die zur Gewinnung des ewigen Heils unabdingbar waren, erst nachgeordnet über die Kontroverslehren. Religiosität war vor allem öffentlich und am Akt, an der liturgischen Praxis orientiert; die Zusammenhänge der Klerusreform wirkten hier tiefgreifend auch auf die Laienkonfessionalisierung ein. Das Leben in Haus, Dorf und Stadt kannte oft allein aufgrund der Wohnbedingungen und der Arbeitsorganisation keine Privatheit, keine Trennung von Individualität und Öffentlichkeit, sondern vornehmlich die Eingebundenheit in eine „Lebensordnung“ als Bestandteil der genossenschaftlichen wie der herrschaftlichen Welt. Religion als Handlung war vornehmlich eine Partizipation am Ereignis einer gleichsam als kosmisch gedachten Ordnung. Da der private Raum als Voraussetzung einer differenzierten Ausarbeitung des Ichs kaum existierte, blieb auch die Frömmigkeit wenig auf Intellektualisierung, verfeinerte Erfahrung oder inneren Nachvollzug ausgerichtet. Auch die Gottesbegegnung also geschah in den Formen, die von lebensweltlichen Vollzügen mitgetragen waren: öffentlich, rituell, korporativ. Dementsprechend geschah die Alltagseinfügung der christlichen Botschaft in konfessionellem Gewand unter einer Flut von Edikten und Verordnungen über die Kirchen, das Kirchengut und seine Verwaltung, die Gestaltung von Sonn- und Festtagen und von Buß- und Fastenzeiten, die Bruderschaften, über Gotteslästerung, Fluchen, Schwören und Teufelsbannen, aber auch über Brautwirtschaften, Kindelbiere, Fastnachtsgelage, Vogelschießen, Osterfeuer, Begräbnisse, Schwelgereien und Branntweinbrennen. Keineswegs waren alle diese Vorschriften in die gesellschaftlichen Handlungsräume der Gemeinden integrierbar. Überall dort, wo die obrigkeitlichen Regelungen die symbolische Kommunikation der Festkultur 8

Belege: Holzem, Religion und Lebensformen (wie Anm. 6), S. 285–454.

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und des ritualisierten Austausches von Ehre und Rang, nicht zuletzt eingewurzelte Freizeitgestaltungen in Frage stellten, regte sich zäher, in der Regel auch auf Dauer unüberwindlicher Widerstand. Das Teilnahmeverhalten der Gläubigen während der liturgisch geschlossenen Zeiten entsprach mehr und mehr den geistlichen Erwartungen tridentinischer Reformer, und heilige und profane Zeiten wurden stärker als bislang voneinander getrennt. Darüber hinaus aber hatte und behielt die Versammlungs-, Kommunikations-, Fest- und Handelskultur der Laien ihre eigenen Regeln und angelagerten gesellschaftlichen Bedeutungen. Vergleichbare Spannungsmomente zwischen dem Ideal der religiös verdichteten Konfessionsgesellschaft und den Erfordernissen und Zwängen des Alltags zeigten sich auch in den Strukturveränderungen von Ehe, Familie und Nachbarschaft.9 Geistliche Erziehung der Laien in Predigt, Katechese, Andachtsbuch und Beichtrat reichte bis tief in die häuslichen Verhältnisse hinein. Eine christliche Familienvorstellung und die Stabilitätsbedürfnisse und Versorgungsinteressen frühneuzeitlichen Hauslebens stützten sich wechselseitig, um Rollen, Rechte und Pflichten, Ansprüche und Verbindlichkeiten auszuhandeln. Solche Hausgemeinschaften waren in sich keineswegs harmonisch und mussten sich, bedingt durch Tod, Krankheit, Berufs- und Statuswechsel oder Verarmung, stetig neu konstituieren. Das Verhältnis der Hauseltern zu alten Leuten und Kindern, der Ehefrieden und die Verantwortung für Mägde und Knechte, nicht zuletzt die Aufrechterhaltung von Nachbarschaftsfrieden und -hilfe – alle diese Momente des sozialen Ausgleichs beruhten nicht auf Familiarität und Intimität in geschlossenen vier Wänden, sondern auf der Teilhabe der Gemeinde und der Kirche an allem Geschehen. Neben Familie und Verwandtschaft besaß die Nachbarschaft als symbolisch gestaltetes Gegenseitigkeitsverhältnis an der Grenze von Brauchtum und Recht eine existenzsichernde Funktion als Nothelfer, die bei Katastrophen und Krankheit unterstützte, bei Hausbau und Ernte half, Geburt, Taufe und Tod begleitete. Die Konfessionsgesellschaften der frühen Neuzeit fassten das Nachbarschaftsrecht als verbindliche officia vicinitatis caritativa, als nachbarschaftliche Liebespflichten. Katholische Sittenzucht und geistliche Obrigkeiten verteidigten die ethischen Standards des Zusammenlebens zwischen den Generationen, zwischen Ehepaaren, aber auch zwischen Herren und Gesinde, zum Teil 9

Jüngst: Andreas Holzem, Familie und Familienideal in der katholischen Konfessionalisierung. Pastorale Theologie und soziale Praxis, in: ders./Ines Weber (Hgg.), Ehe – Familie – Verwandtschaft. Vergesellschaftung in Religion und sozialer Lebenswelt, Paderborn/München/Wien/Zürich 2008, S. 243–283.

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auch durch strenge Strafen, gegen die allgegenwärtige Tendenz zur Hartherzigkeit – auch dort, wo die Hartherzigkeit selbst der Spiegel periodisch wiederkehrender Not war, in der jeder sich selbst zum Nächsten wurde. Schlichtung, Befriedung, Ahndung von Gewalt, Regelung gedeihlichen Zusammenlebens, alles das begriffen die um die Kirche gruppierte Dorfgemeinde und die sie in diesem Fall vor allem unterstützende geistliche Gerichtsbarkeit als ihre unmittelbare Aufgabe. In kaum einem anderen Feld hingen Konfessionalisierung und Selbstkonfessionalisierung so eng zusammen und führten zu einer öffentlich gelebten kollektiven Konfessionsidentität, die sich langsam und teils unvollständig den strikt religiösen Anforderungen fügte und sie gleichzeitig als Quelle individuellen und gemeinschaftlichen Selbstverständnisses ausschöpfte. 2.2 Wolfgang Reinhard und Heinz Schilling: Dimensionen der Konfessionalisierung In diesen Prozessen der Klerus- und Laienkonfessionalisierung, in denen es einerseits um Professionalisierung und geistlichen Habitus, andererseits um Glaubenswissen, Laienbildung und Elementarschule, den Sonntag und die Partizipation am Heiligen, Ehe, Familie und Nachbarschaft und um den Hang zu Streit und Gewalt ging, in diesem langfristigen Entwicklungsbogen vollzog sich geradezu ein Wandel des inneren Menschen. Wenn also Wolfgang Reinhard und Heinz Schilling die Formulierung eines klaren Glaubensbekenntnisses und die Ausmerzung von Unklarheiten, die Reorganisation und Monopolisierung der Bildung, die Versorgung mit geeigneten Multiplikatoren in Geistlichkeit und Beamtenschaft, die Intensivierung der Riten und die Betonung von Unterscheidungsriten als zentrale Dimensionen der Konfessionalisierung beschrieben, in weitgehender Fortschreibung des Konfessionsbildungskonzeptes, das man bereits bei Ernst Walter Zeeden und seinen von Walter Ziegler angeführten Vorläufern findet,10 wird man nicht bestreiten können, dass sich zentrale Entwicklungsprozesse der frühen Neuzeit in allen Konfessionen mit diesen Dimensionen sinnvoll zusammenfassen lassen. Konfessionalisierung insbesondere als eine breite Bildungs- und Professionalisierungsgeschichte zu schreiben kann man m. E. nicht sinnvoll bestreiten. Freilich waren hier unterschiedlichste Akteure am Werk: für die Errichtung von Schulen, Universitäten und geistlichen Ausbildungsstätten zeichneten in evangeli10

Zur Forschungsgeschichte vgl. Holzem, Konfessionsgesellschaft (wie Anm. 2), S. 56–61.

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schen wie katholischen Territorien nicht allein Landesherren und ein sich verdichtender Staat, sondern im katholischen Bereich in einem hohen Maß auch die mit ihm zusammenarbeitenden Orden verantwortlich, insbesondere die Jesuiten, die Benediktiner, im Bereich der Volks- und Frauenbildung auch andere: Franziskaner, Kapuziner, Ursulinen usw.11 Der insbesondere von Heinrich Richard Schmidt in die Diskussion eingeführte Begriff der „Selbstkonfessionalisierung“ zeigt, dass dieser aufspaltende Umbau des alteuropäischen Christentums nicht als ein kultureller Sedimentierungs- und Disziplinierungsprozess von oben nach unten verstanden werden darf.12 Auf allen Ebenen wirkten die Eigengesetzlichkeiten, Interessen und Identitäten der betroffenen Menschen und ihrer Lebensbereiche mit, ließen „Konfessionalisierung“ zu einem vielschichtigen Prozess der Integration, Abstoßung und einverleibenden Anverwandlung werden und markierten darin auch die „Grenzen der Konfessionalisierbarkeit“.13 11

12

13

Vgl. Friedhelm Jürgensmeier (Hg.), Orden und Klöster im Zeitalter von Reformation und katholischer Reform, 3 Bde. (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung [künftig KLK] 65–67), Münster 2005–2007 (Lit.); Anne Conrad (Hg.), „In Christo ist weder man noch weyb“. Frauen in der Zeit der Reformation und der katholischen Reform (KLK 59), Münster 1999; Dies., Mit Klugheit, Mut und Zuversicht. Angela Merici und die Ursulinen, Mainz 1994; Dies., Zwischen Kloster und Welt. Ursulinen und Jesuitinnen in der katholischen Reformbewegung des 16./17. Jahrhunderts (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz: Abteilung Religionsgeschichte 142), Mainz 1991. Zur seinerzeitigen Diskussion zwischen Heinrich Richard Schmidt und Heinz Schilling vgl. Schmidt, Konfessionalisierung im 16. Jahrhundert (Enzyklopädie deutscher Geschichte 12), München 1992; Ders., Dorf und Religion. Reformierte Sittenzucht in Berner Landgemeinden der Frühen Neuzeit (Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte 41), Stuttgart/Jena/New York 1995; Ders., Gemeinde und Sittenzucht im protestantischen Europa der Frühen Neuzeit, in: Peter Blickle (Hg.), Theorien kommunaler Ordnung in Europa (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 36), München 1996, S. 181–214; Ders., Sozialdisziplinierung? Ein Plädoyer für das Ende des Etatismus in der Konfessionalisierungsforschung, in: HZ 265, 1997, S. 639–682. Vgl. dazu Heinz Schilling, Rez. „Heinrich Richard Schmidt, Konfessionalisierung im 16. Jahrhundert“, in: ZHF 22, 1995, S. 267–269; Ders., Disziplinierung oder „Selbstregulierung der Untertanen“? Ein Plädoyer für die Doppelperspektive von Makro- und Mikrohistorie bei der Erforschung der frühmodernen Kirchenzucht, in: HZ 264, 1997, S. 677–690. Kommentar und Weiterführung: Holzem, Konfessionsgesellschaft (wie Anm. 2), S. 62–68. Vgl. Anton Schindling, Konfessionalisierung und Grenzen der Konfessionalisierbarkeit, in: Ders./Walter Ziegler (Hgg.), Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650, Bd. 7: Bilanz – Forschungsperspektiven – Register (KLK 57), Münster 1997, S. 9–44.

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In diesen Feldern und im Strukturgitter des Umbaus von Bildungssystem, Elitenverständnis, Religiosität und Alltagskultur hat sich im Paradigma der Konfessionalisierungsforschung in den letzten zwanzig Jahren eine derart erfolgreiche regionale Detailforschung entwickelt, dass das Paradigma allein wegen seiner inspiratorischen Kraft und seiner forschungsleitenden Perspektivierung als überaus erfolgreich gewertet werden muss, auch und gerade deswegen, weil es sich durch die dabei zutage geförderten Ergebnisse teils selbst korrigierte, teils modifizierte, teils seinen Geltungsanspruch einschränkte. Die Konfessionalisierungsforschung hat sich dabei als ein geradezu mitlernendes Paradigma erwiesen, welches sich von den vergleichsweise engen Strukturen seiner Anfangsphase differenzierend entfernte; der dynamische Zusammenhang von Konfessionalisierung und Selbstkonfessionalisierung, der Gegensatz konfessionalisierbarer und nicht konfessionalisierbarer gesellschaftlicher, kultureller und politischer Räume, schließlich der Zusammenhang von Konfessionalisierung und Region, von territorialer Großräumigkeit und geschachtelter politisch-konfessioneller Kleinkammerigkeit sind nur die wesentlichsten Aspekte dieses Fortentwicklungs- und Differenzierungsprozesses. Dass die Konfessionalisierung in ihrem strukturellen Zusammenhang mit der spätmittelalterlichen Dynamisierung religiöser Auffächerung und der Reformation selbst unabweisbar epochenbildend gewirkt hat, dürfte ein weit reichender Konsens geworden sein.14 Demgegenüber ist zu fragen, welche argumentative Valenz den Einwänden zukommt, die teils seit längerem, teils erst jüngst, nicht selten aber mit Vehemenz gegen diesen Forschungsansatz erhoben werden. 2.3 Die „theologische Wahrheitsfrage“ und die „Parallelität der Hauptkonfessionen“ Friedrich Nicolai beobachtete, selbstverständlich wiederum mit dem ihm eigenen Zungenschlag, eine Eigentümlichkeit katholischer Literatur, die mit dem Problem der Wahrheitsfrage engstens verknüpft war. „Giebt es denn, möchte man sagen, eigentliche eine andere Litteratur für das katholische, eine andere für das protestantische Deutschland? Giebt es eine katholische Jurisprudenz, eine katholische Historie, oder gar eine katholische Medicin und Physik? Es sollte wohl nicht. Gleichwohl findet sich, wenn man die Sache aufmerksam betrachtet, dass das Katholische, das Allgemeine, das Ausschließende, das Unfehlbare, welches der Geist 14

Vgl. Holzem, Katholische Konfessionalisierung (wie Anm. 2).

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der katholischen Confeßion ist, nicht nur auf Theologie und Religion, sondern auch auf Sitten und Wissenschaften den unmittelbarsten Einfluss hat, und allem eine Farbe giebt, die dem Sinne derer, die nicht katholisch, nicht allgemein, nicht ausschließend, nicht unfehlbar seyn, sondern beständig fortschreiten wollen, in der That ganz entgegengesetzt ist. Hierdurch nimmt bey den Römisch-Katholischen die Denkungskraft in vielen Fällen einen ganz andern Weg. Alles nimmt eine andere Gestalt an, wenn man im Denken nicht weiter gehen darf, als es Superiorum permissione geschehen kann; und Geist und Hand sinken, sobald man auf einen von der unfehlbaren Kirche für ausgemacht ausgegebenen Satz stößt, der also, man sey überzeugt oder nicht, stehen bleiben muss. Außerdem erzeugt die katholische Confeßion verschiedene literarische Bedürfnisse, welche die unsrige nicht kennet. Ein weitläufiges Jus canonicum voll positiver Gesetze, die weder in der Natur des Menschen, noch in der Natur der Gesellschaft einigen Grund haben; eine Geschichte und Alterthumsforschung, welche besonders darauf eingerichtet sind, die Behauptung zu befestigen, dass diese (obgleich so heilig gehaltene, doch im Grunde sehr willkührliche Gesetze) beständig in der christlichen Kirche wären beobachtet worden; und eine theologische Philosophie, die keine Spitzfindigkeiten spart, um Sätze, welche die unfehlbaren Bäbste, oder die unfehlbaren Concilien schon vorher als unumstößlich festgesetzt hatten, noch hinterher zu beweisen. Alles dieses und mehreres macht in der That eine ganz besondere Litteratur für das katholische Deutschland aus, von welcher im protestantischen so wenig bekannt ist, dass viele Protestanten sich gar nicht einbilden können, dass so etwas noch existire.“15 Nicolai stellt es also gleichsam als Konsequenz des frühneuzeitlichen konfessionellen Dissoziationsprozesses dar, dass theologische Wahrheitsfragen bis zum Ende des 18. Jahrhunderts im Katholizismus in Geltung blieben, während der Protestantismus, durch die Aufklärung hindurchgegangen, das Wahrheitsproblem in die Relativität wissenschaftlichen Fortschritts und aufgeklärter Zeitbildung hinein aufgelöst habe. Nicolai ist damit im Grunde nicht weit entfernt von der derzeit, soweit ich sehe, striktesten Bestreitung der Konfessionalisierungsthese in der gegenwärtigen Wissenschaftslandschaft: Auf katholischer Seite nämlich will, nun freilich in negativer Wendung, Walter Ziegler festgehalten wissen, dass die Reformation als Epochenschnitt die Einheit der mittelalterlichen ecclesia univer-

15

Nicolai, Reise durch Deutschland (wie Anm. 1), S. 100–102.

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salis gezielt „zerstört“ habe.16 Die in der Konfessionalisierungsforschung weithin behauptete strukturelle Parallelität der frühneuzeitlichen Konfessionskirchen mit ihren Zentren in Rom, Wittenberg und Genf lasse das strikt unterschiedliche Verhältnis, dass diese Christentümer zur mittelalterlichen Tradition einnähmen, in einem unterschiedslos Neuen aufgehen; denn „die Frage nach der Wahrheit der Religion“, für die Zeitgenossen des 16. Jahrhunderts so offenkundig zentral, verschwinde hinter einem dem Strukturalismus und der sogenannten ‚zweiten Aufklärung‘ verpflichteten Relativismus, der sich nur noch für die „Ausprägung von Gesellschaft, Staat, Kultur und Brauchtum durch eine beliebige der Konfessionen“17 interessiere. Ziegler postuliert, aufgrund der dogmatischen Wahrheitsfrage „einen Hauptstamm und Abzweigungen davon“18 in der abendländischen Christentumsgeschichte unterscheiden zu können: „Denn wer sich nur ein wenig mit den konkreten Entwicklungen der Reformationszeit beschäftigt hat, weiß, dass das Luthertum und der Calvinismus durch einen tiefen Bruch mit dem alten Kirchenwesen entstanden sind, während die katholische Kirche auch der Neuzeit in Kontinuität zur mittelalterlichen Kirche steht. Der von Vertretern der Konfessionalisierungsthese betonten Ähnlichkeit in den Entwicklungen der Konfessionen widerspricht die konkrete geschichtliche Entwicklung allenthalben: Luthertum und Calvinismus verwarfen die Grunddogmen der mittelalterlichen Kirche (wie die Siebenzahl der Sakramente oder die Eucharistie als Opfer), zerstörten die kirchliche Hierarchie, hoben die Klostergelübde und damit die Grundlagen des gesamten Klosterlebens auf, wandten sich schließlich aufs heftigste gegen das mittelalterliche Papsttum. […] Damit zeigt sich, anders als die Konfessionalisierungsthese es will, ein völlig verschiedenartiges Verhältnis der Konfessionen zur mittelalterlichen Tradition. […] Gegenüber der konkreten Realität stellt sich also die Behauptung der Konfessionalisierungsthese, alle drei Konfessionen seien von der mittelalterlichen Kirche 16

17 18

Walter Ziegler, Kritisches zur Konfessionalisierungsthese, in: Frieß/Kießling (Hgg.), Konfessionalisierung und Region (wie Anm. 6), S. 41–53 (Nachdruck in: Ders., Die Entscheidung deutscher Länder für oder gegen Luther. Studien zu Reformation und Konfessionalisierung im 16. und 17. Jahrhundert. Gesammelte Aufsätze [RST 151], Münster 2008, S. 173–188), hier S. 46/180. Diese Kritik wurde auch in früheren Publikationen weitgehend unverändert vorgetragen, vgl. ders., Typen der Konfessionalisierung in katholischen Territorien Deutschlands, in: Reinhard/Schilling (Hgg.), Katholische Konfessionalisierung (wie Anm. 3), S. 405–418 [im o.g. Nachdruck S. 129–143]; Ders., Altgläubige Territorien im Konfessionalisierungsprozeß, in: Schindling/Ders. (Hgg.), Territorien des Reichs 7 (wie Anm. 13), S. 67–90 [im o.g. Nachdruck S. 145–171]. Ziegler, Kritisches zur Konfessionalisierungsthese (wie Anm. 16), S. 42f./175–177. Ebd., S. 42/175.

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gleich weit entfernt, völlig irreal dar – nur erklärbar aus dem Systemzwang des Strukturvergleichs […].“19 Nun wird man einerseits sagen müssen, dass diese Behauptung die genaue Struktur der Konfessionalisierungsthese nicht trifft. Darüber hinaus freilich ist für die Einschätzung dieser Fundamentalkritik entscheidend, wie man sich entschließt, die Reformation aufzufassen. Ich kann hier nur andeuten, in welchem Maß die jüngere Spätmittelalter- und Reformationsforschung diese in allem Bewertungsstreit doch einmütige Haltung, die Reformation als Zäsur und als Beginn der Neuzeit zu betrachten, aufgelöst hat. Dabei spielt es praktisch kaum eine Rolle, ob man mit Berndt Hamm die Tendenzen zur „normativen Zentrierung“ von Religion und Gesellschaft zur Frömmigkeitstheologie analysiert und dennoch das „Systemsprengende“ bzw. den „Systembruch“ der Reformation festhält,20 ob man mit Bernhard Jussen und Craig Koslofsky nach der Auflösung und Neukonstituierung von Sinnformationen fragt, welche „das Ineinander von religiösen und moralischen Vorstellungen und sozialer Ordnung“ repetieren und bestätigen,21 oder wie Thomas Lentes die produktive Kraft der spätmittelalterlichen Frömmigkeitstransformation besonders betont, die dazu führte, „dass die Positionen, die im späten Mittelalter nebeneinander standen und durchaus fruchtbar aufeinander einwirkten, sich im Laufe des 16. Jahrhunderts von einander trennten.“22 Überall wird die Theologie und die religiöse Kultur der Reformation zum 19 20

21 22

Ebd., S. 45f./180f. Vgl. Berndt Hamm, Reformation als normative Zentrierung von Religion und Gesellschaft, in: Jahrbuch für Biblische Theologie 7, 1992, S. 241–279; Ders., Von der spätmittelalterlichen reformatio zur Reformation. Der Prozeß normativer Zentrierung von Religion und Gesellschaft in Deutschland, in: ARG 84, 1993, S. 7–82; Ders., Bürgertum und Glaube. Konturen der städtischen Reformation, Göttingen 1996, S. 73–76 und passim (Lit.); Ders., Normative Zentrierung im 15. und 16. Jahrhundert. Beobachtungen zu Religiosität, Theologie und Ikonologie, in: ZHF 26, 1999, S. 163–202; Ders., Was ist Frömmigkeitstheologie? Überlegungen zum 14. bis 16. Jahrhundert, in: Hans-Jörg/Marcel Nieden (Hgg.), Praxis Pietatis. Beiträge zu Theologie und Frömmigkeit in der Frühen Neuzeit. FS Wolfgang Sommer, Stuttgart 1999, S. 9–45. Aber von Seiten der Reformationsforschung wird hier keineswegs einheitlich argumentiert, vgl. Berndt Hamm/Bernd Moeller/Dorothea Wendebourg, Reformationstheorien. Ein kirchenhistorischer Disput über Einheit und Vielfalt der Reformation, Göttingen 1995. Jussen/Koslofsky, „Kulturelle Reformation“ (wie Anm. 6), S. 13–27. Vgl. Thomas Lentes, „Andacht“ und „Gebärde“. Das religiöse Ausdrucksverhalten, in: Jussen/Koslofsky (Hgg.), Kulturelle Reformation (wie Anm. 6), S. 29–67, hier S. 65. Vgl. weiter Arnold Angenendt/Thomas Braucks/Rolf Busch/Thomas Lentes/Hubertus Lutterbach, Gezählte Frömmigkeit, in: Frühmittelalterliche Studien 29, 1995, S. 1–70.

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Ergebnis spätmittelalterlicher Formierungsprozesse. Die entscheidende Gemeinsamkeit der Argumentation lässt sich zusammenfassen in der Einsicht, dass die diskursive und praktische Pluralität der spätmittelalterlichen Theologie und Religiosität ihren Spannungsreichtum in miteinander konkurrierende religiöse Gemeinschaften hinein entlud, welche theologisch wie institutionell in sehr unterschiedlichem Ausmaß an die divergierenden Kontinuitätslinien zum Mittelalter anknüpften, um sie in Abgrenzung und Anverwandlung als reformierend, d.h. die unverfälschte Urkirche wiederherstellend zu begreifen, zu proklamieren und zu verteidigen. Eine so perspektivierte Geschichte der Reformation – samt allen ihren sozial- und politikgeschichtlichen Implikaten – muss den Zäsurcharakter der Jahre 1500/1517 erheblich relativieren. Darum ist es für unseren Fragezusammenhang müßig, die teils heftigen internen Debatten dieser Forschungsansätze mit abzubilden.23 Entscheidend ist, dass sie alle aus der Perspektive einer Religiositäts- und Kulturgeschichte des Spätmittelalters heraus die Epochenzäsur um 1500 in Frage stellen: Berndt Hamm: „Von der Passionstheologie eines Johann von Staupitz führt die Linie unmittelbar weiter zur Kreuzestheologie Luthers.“24 Bernhard Jussen deutet die Reformation als „das konfliktträchtige gesellschaftliche Aushandeln neuer begrifflicher Standardisierungen“ und als einen Prozess, in dem „eine immer schon an den Rändern präsente [religiöse und gesellschaftlich-kulturelle, A.H.] Argumentationsfigur als dominante Formel durchgesetzt wurde. Auf diese Weise findet auch die große Offenheit für die reformatorischen Lehren und die allgemeine Verunsicherung, die Angst und der Hunger nach Sicherheit eine plausible Erklärung: [... nämlich] dass über viele Generationen keine dominante Formel für die Formulierung moralischer und religiöser Ordnung zu erkennen war.“25 Thomas Lentes schließlich verweist darauf, dass der vermeintliche reformatorische „Durchbruch“ in der „Eigendynamik und Innovation der spätmittelalterlichen Frömmigkeit begründet“ sei und „die produktive Kraft der Interiorisierungs- und Rationalisierungsprozesse der spätmittelalterlichen Frömmigkeit“ zur konsequenteren Um- und Neugestaltung des religiösen Selbst nutze – mit entsprechenden Konsequenzen für die theologische Durchdringung und Ausformulierung wie für die liturgische Praxis und die Einbindung der Religion in die politischen, sozialen und kulturellen Sphären der Gesellschaft. „Insofern bricht die reformatorische Bewegung 23

24 25

Vgl. Berndt Hamm, Wie innovativ war die Reformation?, in: Holzem (Hg.), Normieren – Tradieren – Inszenieren (wie Anm. 6), S. 141–155. Hamm, Normative Zentrierung (wie Anm. 20), S. 200. Jussen/Koslofsky, „Kulturelle Reformation“ (wie Anm. 6), S. 26.

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nicht mit den spezifischen Koordinaten der spätmittelalterlichen Frömmigkeit; vielmehr zieht sie einlinig jenen Strang aus, der das Innere zunehmend vom äußeren Verhalten löst und den inneren Menschen fern seines äußeren Ausdrucksverhaltens zum eigentlichen Träger des religiösen Subjektes – wenn nicht des Menschseins überhaupt – erklärt.“26 Allen Modellen ist – bei aller Kontroverse im Einzelnen – die Einsicht gemeinsam, dass die reformatorische Theologie nur deshalb gruppenbildend wirksam werden konnte, weil sie den religiösen Verinnerlichungsprozess des Spätmittelalters voraussetzen konnte. „Wenn dies alles zutrifft, dann wäre die Reformation zu allererst als ein Produkt zu begreifen, das am Ende des beschriebenen Transformationsprozesses des religiösen Ausdrucksverhaltens steht und in diesem auch zutiefst gründet.“ Erst in den Legitimitäts- und Rechtsdiskursen, die diese Entwicklung begleiten und begründen sollten, d.h. in der Erfahrungsgeschichte und in der Geschichte der religiös-sozialen Selbstpositionierung der entstehenden Konfessionsgruppen, entstanden jene Vorstellungen, welche bis in die Nationalgeschichtschreibung hinein 1500 als Epochenzäsur und die Reformation als Beginn der (frühen) Neuzeit erscheinen ließen. Deren Dekonstruktion fasste Heinz Schilling in die provozierende Frage: „Ist damit ... die Reformation abhanden gekommen, zerrieben zwischen vorreformatorischer ‚gestalteter Verdichtung‘ des späten Mittelalters einerseits und nachreformatorischem ‚eigentlichen‘ Formierungs- und Modernisierungsschub im konfessionellen Zeitalter andererseits?“27 Man muss diesem Schluss Heinz Schillings, welche die Reformationsepoche in eine „Temps des réformes“ auflöst, nicht zwingend folgen. Berndt Hamm hat in klugen Entwürfen Kontinuitäts- und Umbruchelemente der Reformationsgeschichte voneinander abgehoben, indem er Typen reformatorischer Innovation unterschied und sie gleichzeitig in die Wahrnehmung eines langfristigen Wandels integrierte.28 Die aus konfessionellen Selbstbildern gewonnenen historischen Kontinuitätsbehauptungen 26

27

28

Vgl. Lentes, „Andacht“ und „Gebärde“ (wie Anm. 22), S. 65; das folgende Zitat ebd. Vgl. weiter Angenendt u.a., Gezählte Frömmigkeit (wie Anm. 22), S. 66. Vgl. auch Thomas Lentes, Auf der Suche nach dem Ort des Gedächtnisses. Thesen zur Umwertung der symbolischen Formen in Abendmahlslehre, Bildtheorie und Bildandacht des 14.–16. Jahrhunderts, in: Klaus Krüger/Alessandro Nova (Hgg.), Imagination und Wirklichkeit. Zum Verhältnis von mentalen und realen Bildern in der Kunst der frühen Neuzeit, Mainz 2000, S. 21–46. Heinz Schilling, Reformation – Umbruch oder Gipfelpunkt eines Temps des Réformes?, in: Bernd Moeller (Hg.), Die frühe Reformation in Deutschland als Umbruch (SVRG 199), Gütersloh 1998, S. 13–34, hier S. 14. Vgl. Hamm, Wie innovativ (wie Anm. 23), S. 145–150.

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jedoch müssen alle jene Impulse spätmittelalterlicher Religiosität, Gesellschaft und politischer Kultur unberücksichtigt lassen, die nicht in den tridentinischen Reformkatholizismus der frühen Neuzeit einflossen, sondern in den europäischen Protestantismen ihre Wirkungsgeschichte fanden. Man wird mit Ziegler nicht bestreiten wollen, dass die antagonistische Beantwortung der Wahrheitsfrage das 16. und 17., ja noch das frühe 18. Jahrhundert zutiefst prägte, dass der Mittelalter-Bezug in der katholischen Konfessionalisierung ein weitgehend positiver, in den protestantischen Denominationen hingegen ein weitgehend negativer war. Aber es bleibt eben auch zu berücksichtigen, dass der Identitätsausgriff auf die Urkirche und das Christentum der Antike allen Konfessionen gemeinsam war und damit keine von ihnen in ihren identitätskonkreten Ursprungsvorstellungen den Gedanken zulassen konnte, etwas mit dem 16. Jahrhundert beginnendes „Neues“ zu sein. Alles das kann im Grunde nur für eine verstärkte Berücksichtigung von Theologie-, Religiositäts- und kirchlicher Institutionengeschichte im bleibend wichtigen sozial-, mentalitäts- und kulturgeschichtlichen Rahmen der Konfessionalisierungsthese sprechen – der Abgleich von Unterschieden wird dabei an Gewicht gewinnen. Denn die von Ziegler faktisch vollzogene, von Dieter J. Weiß jüngst mit identischen Begründungen nachvollzogene Rückkehr zu Konzeptionen Hubert Jedins (‚Katholische Reform und Gegenreformation‘)29 nimmt zu den in der Forschungsgeschichte begründet liegenden konzeptionellen Grenzen und Problemen dieser Ansätze und zur Kritik, die seit den 1960er Jahren30 zu Recht daran geübt worden ist, nicht Stellung. Bei der Anwendung und Beurteilung des Konfessionalisierungsmodells kommt es also darauf an, den Kategorienfehler der Verdinglichung zu vermeiden. Struktur-, mentalitäts-, kultur- und religiositätsgeschichtlich einen Prozess der Konfessionalisierung zu beobachten und distinkt zu beschreiben setzt eben nicht voraus, dass die Akteure ihrerseits in ihrem Selbstverständnis und ihren Zielvorgaben „Konfessionalisierung“ beabsichtigt hätten. Alle Vertreter vielmehr beanspruchten, die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche nicht nur zu sein, sondern in ihr auch eine durch die konfessionelle Konkurrenz – zeitgenössisch würde man sagen: durch die Ketzerei – abverlangte Reform als Wiederherstellung ursprünglicher Reinheit und Einheit induzieren zu müssen. Es war gerade dieses theologische Wahrheitspostulat und der in ihm zwingend enthaltene Al29

30

Vgl. Dieter J. Weiß, Katholische Reform und Gegenreformation. Ein Überblick, Darmstadt 2005, S. 9–17. Zur Forschungsgeschichte nochmals instruktiv: Harm Klueting, Das konfessionelle Zeitalter. Europa zwischen Mittelalter und Moderne. Kirchengeschichte und Allgemeine Geschichte, Darmstadt 2007, S. 27–30.

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leinvertretungsanspruch, Kirche Jesu Christi zu sein, welche die Parallelität konfessionellen Handelns und die von der Konfessionalisierungsthese behauptete Dynamisierung funktional ähnlicher Problemlösungsstrategien begründeten. Je intensiver freilich diese funktionalen Parallelitäten in ihrer Beziehung auf theologische Grundlagen untersucht wurden, um so mehr traten eben auch jene Distinktionen ins Blickfeld, die die religionskulturellen Verschiedenheiten Alteuropas begründeten, Friedrich Nicolai einen grundlegenden Modernitätsvorsprung des Protestantismus annehmen ließen und noch im 19. Jahrhundert die enorme soziopolitische und religionsmentale Fraktionierung der deutschen Gesellschaft begründeten. Zukunftsfähige Konfessionalisierungsforschung wird also beides miteinander zu erklären haben: Die Wirkungsgeschichte funktionaler Parallelität ebenso wie die Wirkungsgeschichte der Unterschiede in Theologie und Lebensform. 2.4 „Holz- und Königswege“: Eine Max-Weber-Variante der Sozial- und Kulturgeschichte der Religion Von ganz anderer Seite und mit ganz anderen Begründungen ist das Konfessionalisierungsparadigma jüngst durch die monumentale europäische Gesellschafts- und Kulturgeschichte des Barockzeitalters in Frage gestellt worden, die Peter Hersche unter dem programmatischen Titel „Muße und Verschwendung“ 2006 in zwei Bänden publiziert hat. Von einem gleichsam katholisch gewendeten Max Weber her fragt Hersche „nach den Folgen der konfessionellen Spaltung für das profane Leben“31 und kritisiert die Historische Sozialwissenschaft Hans-Ulrich Wehlers und der „Bielefelder Schule“, deren Modernisierungsemphase den „Weg zur Erkenntnis des ‚Ganz anderen‘ in der Frühneuzeit versperrt“.32 Nicht Modernisierung, sondern die Suche nach Stabilität sei deren Lebenskonzept und Strukturprinzip; die Gesellschaftsgeschichte sei „der penetrante protestantisch geprägte Borussizismus redivivus, der [...] eine angemessene Würdigung [...] des Katholizismus insgesamt verunmöglicht“.33 In dieser Kritik der „Fortschrittsgeschichte“ der „modernisierungstheoretischen Schulen“ steht nun auch die Konfessionalisierungstheorie. Es sei schlechterdings unmöglich, „sich auf dem Pfad der Modernisierungs31

32 33

Peter Hersche, Muße und Verschwendung. Europäische Gesellschaft und Kultur im Barockzeitalter, 2 Bde., Freiburg/Basel/Wien 2006, S. 28. Ebd., S. 40. Ebd., S. 45.

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theorie der historischen Erscheinung des Katholizismus zu nähern“.34 Ein Blick ins Inhaltsverzeichnis klärt, dass diese Kulturgeschichte des (katholischen) Barock, nicht ohne Schärfe, gerade von der Nicht-Modernität der Barockkultur her geschrieben ist: Das Konzil von Trient: Anspruch und Wirklichkeit – Katholische Reform als Erfolgsgeschichte – Hektik und Ermattung: der zeitliche Ablauf der Reform – Widerstand gegen die Durchführung der Konzilsbeschlüsse – das Scheitern der Priesterseminare – das Versagen der Kontrollinstitutionen – die Mängel in der Pfarreiorganisation – die ambivalente Rolle der Jesuiten. Die Großkapitel zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte führen unter den „Eigenheiten der katholischen Gesellschaft“ nicht nur den „geistlichen Stand“ und „das Kloster als spezifisch katholische Lebensform“ vor, sondern auch einen „katholischen Wirtschaftsstil“ mit einem eigenen „Kreditwesen und Investitionsverhalten“, gekennzeichnet durch: ostentative Verschwendung – Mußepräferenz – erfolglose Disziplinierung – Leben ohne Plan – und religiöses Freizeitvergnügen; der entzauberten protestantischen Welt Max Webers stellt er eine „verzauberte Welt“ gegenüber. Einer der Hauptgründe seiner Kritik ist die Kombination der Konfessionalisierungsthese mit dem Sozialdisziplinierungsparadigma Gerhard Oestreichs. „Die Sozialdisziplinierung, wenn sie denn stattfand, war eine Angelegenheit des protestantischen, insbesondere kalvinistischen Europa.“35 Für den Katholizismus lasse sich eine vergleichbare Sozialdisziplinierung schlechterdings nicht nachweisen – im Gegenteil. Dieses Verdikt bezieht zweitens die Tendenzen bei Wolfgang Reinhard und Heinz Schilling ein, das Konfessionalisierungsparadigma europäisieren zu wollen. Nicht nur die strikte Unterscheidung zwischen Protestantismen und Katholizismus, sondern auch die Differenzierung unterschiedlicher europäischer Katholizismen nährt Hersches Skepsis bis Ablehnung. So unterscheidet er einen mediterranen Katholizismus nicht nur vom deutschsprachigen Raum der konfessionellen Spaltung mit ihren Folgen für die katholische Kirche, sondern daneben auch noch einen „klassizistischen“ Katholizismus im „Sonderfall Frankreich“ sowie schließlich als vierten Typ die Minderheitskatholizismen und Grenzgebiete in den westund osteuropäischen Ländern. Sein Fazit ist ebenso kurz wie radikal: „Die Konfessionalisierungsthese in der Reinhardschen Formulierung erweist sich als das größte Hindernis zur adäquaten Erkenntnis des frühneuzeitlichen Katholizismus im Barockzeitalter.“36 34 35 36

Ebd., S. 48. Ebd., S. 62. Ebd., S. 63.

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Will man als jemand, der – in freilich erheblich modifizierter Form – mit dem Konfessionalisierungsbegriff arbeitet, mit Hersche ins Gespräch kommen, wird man zunächst an seiner, um es vorsichtig zu sagen, mutig-entschlossenen Weber-Rezeption nicht vorbei kommen. Ich stimme Hersche in jeder Hinsicht zu, dass Weber das „stahlharte Gehäuse“ der modernen industriekapitalistischen Bürgergesellschaft des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts weitgehend negativ bewertete.37 Auf der anderen Seite sind die Spuren, die sich im Oeuvre Webers für das von Hersche behauptete positive Gegenbild des frühneuzeitlichen Katholizismus finden sollen, doch ausgesprochen dünn und bedürfen in einem so hohen Maß der Interpolation, dass man eben nicht sicher sein kann, ob Weber tatsächlich „in Italien […] einer ganz anderen und im Vergleich zu derjenigen seiner Herkunft offenbar eher positiv gewerteten Kultur“ begegnete und er darin „ein Gegenbild seiner persönlichen unglücklichen Situation erblickte“,38 ob Weber also tatsächlich jenen Kulturvergleich anstrebte, der Hersche vermuten lässt, „dass die ‚protestantische Ethik‘ von vornherein ‚doppelgleisig‘ angelegt war, vorerst aber auf den protestantischen Teil beschränkt blieb“.39 Jedenfalls hat Hersche zu schreiben versucht, was Max Weber faktisch nicht geschrieben hat: eine Sozial-, Mentalitäts- und Kulturgeschichte des katholischen Barock, in dem sich insbesondere im Blick auf die nichtdeutschen Katholizismustypen so gut wie nichts modernisierungstheoretisch lesen lässt. Implizite, unbeabsichtigte, faktisch jedoch wirksame Modernisierungsleistungen des tridentinischen, aber auch des vor- und außertridentinischen Katholizismus sieht er nirgends: sein Weg führte an die Grenze der Moderne, aber nicht auf sie zu, schon gar nicht in sie hinein. In zwei Hinsichten stimme ich Hersche ausdrücklich zu: Erstens muss der Versuch, das Konfessionalisierungsparadigma zu europäisieren, als gescheitert angesehen werden; die Bedingungen, unter denen sich konfessionelle Pluriformität in den unterschiedlichen Regionen und Staaten Europas mit Politik und Gesellschaft vernetzte, waren schlechterdings zu unterschiedlich. Aus der typisch deutschen Struktur des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, des Reichsreligionsrechtes und der deutschen Konfessionsentwicklung heraus erarbeitet, sollte auch ein modifiziertes Konfessionalisierungskonzept in dem Raum belassen werden, auf den hin es Erklärungskraft beanspruchen kann. 37

38 39

Vgl. Andreas Holzem, Katholizismus als „Ethik des Vormodernen“? Max Webers Blick auf die Konfessionen und die Katholizismusforschung heute, in: zur debatte. Themen der Katholischen Akademie in Bayern 35, 2005, Heft 3, S. 26–28. Hersche, Muße und Verschwendung (wie Anm. 31), S. 99. Ebd., S. 100.

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Weiterhin stimme ich Hersche zu bei der Markierung eines großen Forschungsdefizites, das im Grunde noch an die alte Weber-Problematik anknüpft: Die Klärung der Frage nach den enormen wirtschaftsgeschichtlichen Unterschieden zwischen den deutschen Konfessionsterritorien sollte in Zukunft ein wesentlicher Faktor der Konfessionalisierungsforschung werden, ohne dass ich derzeit sehe, wo solche Studien konsequent in Angriff genommen würden. Welche erhebliche Rolle das gespielt hat, dafür wird man problemlos nochmals Friedrich Nicolai beanspruchen dürfen: „Wir waren in einem geistlichen Lande“, formuliert er über das Hochstift Bamberg, „wo die Natur die Menschen ohne viele Mühe ernähret.“40 Auf der anderen Seite kann ich Hersche nicht folgen, wenn aus der europäischen Perspektive heraus das Grundanliegen der Konfessionalisierungsforschung verworfen wird. Die aus dem Zusammenwirken von Konfession, Landesherrschaft, Bildungsinstitutionen und religiösen Amtsträgern oder Ordensangehörigen entfaltete Wandlungsdynamik für den Katholizismus weitgehend zu leugnen und mit dem Begriff der „intendierten Rückständigkeit“ eine Kulturgeschichte des europäischen Katholizismus generell von den zeitgleichen Protestantismen abzugrenzen, geht kaum an. Dass diese enorme Wandlungsdynamik nicht automatisch auf die Kriterien zulaufen musste, die wir nach der Sattelzeit um 1800 der europäischen Moderne zuschreiben, ist völlig unstrittig. Aber die Dynamik als solche in Abrede zu stellen, fängt das detailreiche und differenzierte Wissen der Einzelforschung, das unter dem Signet der Konfessionalisierung erarbeitet wurde, ebenfalls nur sehr unvollständig ein. Man wird daraus schließen dürfen, dass die radikalen Verabschiedungen unseren Systematisierungsversuchen im Grunde nicht dienlicher sind als die modernisierungsfunktionalen Engführungen des Konzepts in seiner Frühphase der achtziger Jahre. Das führt naturwüchsig dazu, sich mit Modifizierungsversuchen zu befassen, wie sie u. a. von Thomas Kaufmann und mir selbst vorgelegt worden sind.

40

Ebd., S. 117.

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3. Nochmals das „Konfessionelle Zeitalter“, „Konfessionelle Kulturen“ und die „Konfessionsgesellschaften“: Modifizierte Konfessionalisierungskonzepte als Zugang zu einer Religions- und Kulturgeschichte der frühen Neuzeit Das zentrale Problem bei dem Versuch, die frühe Neuzeit religionsgeschichtlich als Epoche zu charakterisieren, liegt darin, wie Religion, Politik und Gesellschaft bzw. Kultur zueinander ins Verhältnis gesetzt werden. Michael Prinz formulierte noch Anfang der 90er Jahre, die Konfessionalisierung rücke „von einem Nebenschauplatz des Rationalisierungs-, Disziplinierungs- und Zivilisationsprozesses gleichsam in die Mitte jenes Weges, der zur ‚Entstehung des modernen Menschen‘ [...] führte“, indem ‚Konfessionalisierung‘, ‚Staatsbildung‘ und ‚Modernisierung‘ als „Bestandteile eines einzigen Diskurses“, gleichsam als „verschiedene Aspekte derselben Sache“ erschienen.41 Das hat sich geändert; mehr und mehr ist die Religion der frühen Neuzeit nur noch im Kontext der Staats- und Nationsbildungsprozesse Europas von Interesse. Das 1648-Jubiläum hat zu dieser Perspektivverschiebung erheblich beigetragen. Immer weniger gilt der Faktor „Religion“, näherhin der Christentumsfaktor „Konfession“, als das spezifisch Unterscheidende. Aus dem Religionskrieg wird ein Staatenkrieg des sich formierenden nationalen Mächteeuropa; Friedensverhandlungen und Friedensschluss eliminierten den Wahrheitsanspruch konfessioneller Christentümer aus dem Bereich des Politischen (wenn auch im Prozess der Konfessionalisierung nicht aus der Gesellschaft). Der Religions- und Konfessionskrieg und die Moderne – das gilt implizit als unvereinbar und mit 1648 überwunden: ein epochaler Durchbruch auf dem Weg zur Modernisierung Europas. An dieser Stelle müssen zwei Beispiele für diese Denkform als Hinweis hinreichen.42 Heinz Schilling und Johannes Burkhardt 41

42

Michael Prinz, Sozialdisziplinierung und Konfessionalisierung. Neuere Fragestellungen in der Sozialgeschichte der frühen Neuzeit, in: Westfälische Forschungen 42, 1992, S. 1–25, hier S. 14. Ausführlich in Andreas Holzem, Gott und Gewalt. Kriegslehren des Christentums und die Typologie des „Religionskrieges“, in: Dietrich Beyrau/Michael Hochgeschwender/Dieter Langewiesche (Hgg.), Formen des Krieges. Von der Antike bis zur Gegenwart (Krieg in der Geschichte 37), Paderborn/München/Wien/Zürich 2007, S. 371–413 (Lit.). Zur Religiositätsgeschichte des Dreißigjährigen Krieges vgl. weiter Anton Schindling, Das Strafgericht Gottes. Kriegserfahrungen und Religion im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges. Erfahrungsgeschichte und Konfessionalisierung, in: Matthias Asche/Ders. (Hgg.), Das Strafgericht Gottes. Kriegserfahrungen und Religion im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation im Zeitalter des Dreißigjährigen Krieges, Münster 2001, S. 11–51.

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haben die Friedenspotentiale Europas nicht in der Religion, sondern gerade in ihrer Überwindung als politischem Faktor gesehen.43 Das Verhältnis von Christentum und Politik sei im Verlauf der frühen Neuzeit in Auflösung begriffen; sei zu begreifen als ein solches der Entkoppelung. 1648 sei deshalb zäsurbildend, weil es Religion in der Gesellschaft, aber nicht mehr in den sich bildenden Staaten gebe. Konfessionalisierung wird im Prozess der Modernisierung eine immer marginalere Größe, tauglich für Legitimationen und Ideologisierungen, aber im eigentlichen Strukturgeschehen eigentümlich bedeutungslos. Gleichzeitig aber zeigen die Studien, die den Prozess der Konfessionalisierung von ihrem religiösen Kerngeschehen her aufrollen, mindestens für den katholischen Bereich ein Bedingungsgeflecht, in dem diese Separierungsprozesse gar nicht stattfinden durften und auch faktisch nicht stattfanden, sollte „Konfessionalisierung“ denn irgend Platz greifen.

43







Vgl. Johannes Burkhardt, Die Friedlosigkeit der frühen Neuzeit. Grundlegung einer Theorie der Bellizität Europas, in: ZHF 24, 1997, S. 509–574; Heinz Schilling, Krieg und Frieden in der werdenden Neuzeit – Europa zwischen Staatenbellizität, Glaubenskrieg und Friedensbereitschaft, in: Klaus Bußmann/Ders. (Hgg.), 1648. Krieg und Frieden in Europa, Textband I: Politik, Religion, Recht und Gesellschaft, München 1998, S. 13–22. Diese Positionen haben eine Debatte ausgelöst; vgl. kritisch Axel Gotthard, Der deutsche Konfessionskrieg seit 1619. Ein Resultat gestörter politischer Kommunikation, in: Historisches Jahrbuch (künftig HJ) 122, 2002, S. 141–172. Die Replik: Johannes Burkhardt, Auf der Suche nach dem Dissens. Eine Bemerkung zu einer kritischen Auseinandersetzung mit meinem „Dreißigjährigen Krieg“, in: HJ 123, 2003, S. 357–363. Kommentar und Weiterführung: Holzem, Gott und Gewalt (wie Anm. 42) sowie ders., Krieg und Christentum – Motive von der Vormoderne zur Moderne, in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 25, 2006, S. 15–30. Vgl. auch Franz Brendle/Anton Schindling, Religionskriege in der Frühen Neuzeit. Begriff, Wahrnehmung, Wirkmächtigkeit, in: Dies. (Hgg.), Religionskriege im Alten Reich und in Alteuropa, Münster 2006, S. 15–52 sowie Schindling, Strafgericht Gottes (wie Anm. 42); Edgar Wolfrum, Krieg und Frieden in der Neuzeit. Vom Westfälischen Frieden bis zum Zweiten Weltkrieg (Kontroversen um die Geschichte), Darmstadt 2003; Horst Carl, Zeitalter der Religionskriege? Konfessionelle Kriegslegitimationen und ihre Wahrnehmungen von der Reformation bis zum Dreißigjährigen Krieg, in: Andrej J. Prokopjev (Hg.), Konfessionalisierung in West- und Osteuropa in der Frühen Neuzeit. Deutsch-russische Konferenz vom 14.–16. November 2002, St. Petersburg 2004, S. 105–116. Ausführlich zur Gesamtproblematik: Andreas Holzem, Kriegstheorien im Christentum: Religiöse Gewalttheorien in der Geschichte des Westens. Einführung, in: Ders. (Hg.), Kriegserfahrung im Christentum. Religiöse Gewalttheorien in der Geschichte des Westens (Krieg in der Geschichte, Bd. 50), Paderborn/München/Wien/ Zürich 2009, S. 13-104.

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3.1 Reform und Reformation, Konfessionsbildung und Konfessionalisierung: Sozial-, Politik- und Kulturgeschichte der frühen Neuzeit als Summe von Einzelprozessen Harm Klueting greift in seiner eindrucksvollen Überblicksdarstellung über „Das konfessionelle Zeitalter“ die jüngeren Theoriedebatten über das Konfessionalisierungsparadigma insofern auf, als er seine Darstellung vom Spätmittelalter bis zur Aufklärung ganz bewusst als europäische Epoche „zwischen Mittelalter und Moderne“ überschreibt, für die zum Modernisierungspotenzial religionsgeschichtlicher Tendenzen der frühen Neuzeit also explizit Stellung genommen werden muss. Europa, erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zu einer „Chiffre eines politischen Raumes“ geworden, wird hier bewusst weit gefasst und im Grunde mit den spätmittelalterlichen Begriffen der christianitas oder des christianus orbis identifiziert, zu denen Silvio Piccolomini oder Dante Alighieri selbstverständlich auch noch das byzantinische Reich zählten, während die Zugehörigkeit Russlands umstritten blieb. In allen diesen Regionen blieb, so Klueting, der Anfang der Neuzeit „undeutlich“, und der weite Europabegriff führt automatisch weg von einer Vorstellung, welche den Beginn der Neuzeit mehr oder minder umstandslos mit dem Beginn der Reformation identifiziert.44 Weil Klueting die kritische Diskussion um die Validität der Epochengrenze um 1500 durchaus positiv aufnimmt und den Zäsurcharakter der Sattelzeit um 1800 stärker zu gewichten geneigt ist als derjenigen um 1450/1500, wird im Rahmen der europäischen Religionsgeschichte natürlich insbesondere das Verhältnis von Mittelalter, Reformation und – ein Begriff, den Klueting weiterverwendet – „Katholischer Reform“ zu klären sein. Das Charakteristische des 16./17. Jahrhunderts sieht er vor allem im „Gegenüber konkurrierender christlicher Glaubensformen“, die es in dieser Form der konfessionellen Polarisierung weder zwischen den religiösen Bewegungen des 15. noch im zunehmend aufgeklärten Kontext des späten 17. und 18. Jahrhunderts gegeben habe. Auf längere Sicht habe die als „Verchristlichung“ intendierte Konkurrenz der Konfessionen zur „Verweltlichung“ beigetragen; die innere Verflechtung von Religion und Politik, Kirche und Staat, Krieg und Frieden sei Schritt für Schritt abgebaut worden. 44

Harm Klueting, Das Konfessionelle Zeitalter. Europa zwischen Mittelalter und Moderne. Kirchengeschichte und Allgemeine Geschichte, Darmstadt 2007, S. 22– 27.

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Bedeutet dies also ein Ende des konfessionellen Zeitalters „in der Mitte und in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts mit Nachwirkungen bis ins 18. Jahrhundert“, entscheidet sich Klueting auch für eine individuelle Abgrenzung des konfessionellen Zeitalters gegenüber der Reformation und dem Spätmittelalter, insbesondere im Gespräch mit Wolfgang Beinert, Heinz Schilling und Pierre Chaunu. Das 14. und 15. Jahrhundert werden betrachtet als „Vorraum von Reformation und konfessionellem Zeitalter“ und als Phase einer frühen „katholischen Reform“, die keineswegs erst als Antwort auf Luthers Kirchenkritik einsetzte, sondern in den Reformkonzilien von Konstanz und Basel, in der Mystik, in der Devotio moderna und in den Observanzbewegungen der Bettelorden eigenständige Wurzeln hatte;45 mit der Konsequenz, dass „das konfessionelle Zeitalter […] nicht scharf abgehoben von der frühen Reformation und überdies mit dieser zusammen mit den Reformbewegungen des 14. und 15. Jahrhunderts verbunden und somit als Teil einer Großepoche zu sehen [ist], deren Anfang im sogenannten Spätmittelalter liegt und deren Ende in der sogenannten frühen Neuzeit zu suchen ist.“46 Vorsichtig herausgehoben – gegen Heinz Schilling und dessen Rezeption von Pierre Chaunus Konzept „Le temps des Réformes (1250–1550)“47 – wird die Phase einer „relativ kurzfristigen evangelischen Bewegung“ zwischen 1517 und 1529/30; die Marburger Religionsgespräche und der Augsburger Reichstag von 1530 führten bereits zu entscheidenden Verfestigungen theologischer Lehrentscheidungen. Dieses Periodisierungskonzept führt zu dem Versuch, auch alle bisherigen Forschungskonzepte nach Möglichkeit mindestens terminologisch zu integrieren. Neben der Reformation gibt es daher für Harm Klueting weiterhin auch „Gegenreformation“, also jene teils gesetzgebende, teils gewaltsame Rekatholisierungspolitik weltlicher und geistlicher Obrigkeiten, die als in den Konfessionalisierungsprozess „eingelagert“ beschrieben wird. Darüber hinaus und davon abgegrenzt gibt es aber auch „Konfessionsbildung“ als faktischen Entstehungsprozess von Konfessionskirchen 45 46 47

Ebd., S. 112. Ebd., S. 31. Vgl. Schilling, Reformation (wie Anm. 27), S. 13–34. Vgl. auch Heinz Schilling, Die Konfessionalisierung des lateinischen Christentums und das Werden des frühmodernen Europa – Modernisierung durch Differenzierung, Integration und Abgrenzung, in: Richard Schröder/Johannes Zachhuber (Hgg.), Was hat uns das Christentum gebracht? Versuch einer Bilanz nach zwei Jahrtausenden (Religion – Staat – Kultur 2), Münster/Hamburg/London 2003, S. 97–115, hier S. 112–115. Er beschreibt hier die Folgen der Konfessionalisierung als Differenzierung, welche Integration und Separation und darin Partikularisierung und Autonomisierung beförderte; am Modernisierungs- und Staatsbildungspotential dieser Prozesse wird hier freilich entschieden festgehalten.

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(unabhängig von ihrem bleibend universalistischen Selbstverständnis) und eben auch „Konfessionalisierung“ als vorwiegend sozialgeschichtlichen Veränderungsprozess in einer katholischen, lutherischen und reformierten Variante, deren Dimensionen freilich um so schwieriger angebbar sind, als von allen diesen frühneuzeitlichen Projekten, Programmen und Entwicklungsprozessen schließlich die „katholische Reform“ nochmals abgegrenzt wird, welche, im Spätmittelalter einsetzend, Reformation und Konfessionsbildung/Konfessionalisierung zeitlich übergreifend, Reformbewegungen theologisch-spiritueller, aber auch organisatorisch institutioneller Art umfassen soll. Nur – wenn alle diese Aspekte terminologisch ausgesondert werden – was ist dann Konfessionalisierung? Und wie kann der innere Zusammenhang dieser Entwicklungen, und zwar sowohl in der programmatischen Akteursperspektive als auch in der sozial- und kulturhistorischen Retrospektive, analytisch genau herauspräpariert und zur Darstellung gebracht werden? In Kluetings Darstellung hat sich das Problem insbesondere in zahlreichen „und“-Formulierungen niedergeschlagen (Katholische Reform und Gegenreformation, Katholische Gegenreformation und Konfessionalisierung, gar: Konfessionsbildung und Konfessionalisierung). Konfessionsbildung wird zur Angelegenheit der Theologen, Konfessionalisierung hingegen zum Teil der Politik, der Staatsbildung und der (Bürger-)Kriegsgeschichte.48 Besonders intensiv zu diskutieren wäre aber die Konsequenz, die dieses Modell für die von Klueting herausgearbeitete „Dialektik von Konfessionalisierung und Säkularisierung“ haben muss.49 Diese Wechselwirkung sieht er darin gegeben, dass die Permanenz der religiösen Auseinandersetzungen „durch eine politisch-säkulare Friedensordnung überdeckt“ wurde, Gegenreformation und Konfessionalisierung also letzten Endes eine Säkularisierung heraufgeführt haben (und zwar zunächst des politischstaatlichen Bereiches). Weil die „Politisierung und Militarisierung der konfessionellen Gegensätze“ und die teils mehrfachen Konfessionswechsel „Kirche und Religion diskreditiert“ hätten, sei „aus der Konfessionalisierung auf längere Sicht die Weltlichkeit der Moderne hervor[gegangen]“. Für den Charme seiner Lösung, mindestens terminologisch alle in der Forschungsgeschichte in Rede stehenden Ansätze integrieren zu können, wird hier freilich ein hoher Preis bezahlt: die „Steigerung der Religiosität“, welche die Konfessionalisierung „zunächst“ gebracht habe, muss gleichsam als eine Kinderkrankheit Europas „zwischen Mittelalter und Moderne“ betrachtet werden. Das produktive Potenzial der religiösen Intensivierung 48 49

Vgl. Klueting, Das konfessionelle Zeitalter (wie Anm. 44), S. 137f., S. 184. Vgl. ebd., S. 200 und S. 32f.

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ist hier nur sehr bedingt zur Sprache gebracht, ebenso wie das Selbstverständnis der Akteure, insbesondere der diese Prozesse initiierenden und tragenden kirchlichen und politischen Eliten, aber auch der tiefgreifende Wandel im Selbstverständnis von Dorf- und Stadtgemeinschaften, religiösen Vergemeinschaftungen vom Reformorden bis zu pietistischen Hauskreisen. Hier stellt sich die Frage, aufgrund welcher Kriterien die „Neuzeit“ oder die „Moderne“ gefasst werden kann und wie man sie zu den anderen überlieferten oder nach wie vor eingeführten Epochenbegriffen wie „Katholische Reform“, „Gegenreformation“, „Konfessionsbildung“ und/ oder „Konfessionalisierung“ in Beziehung setzen kann. Denn wollte man tatsächlich „Neuzeit mit Säkularisierung des Denkens und Mittelalter mit undifferenziertem religiösem Weltbild gleich[setzen]“,50 wie Klueting das vorschlägt, werden Mediävisten möglicherweise die Differenzierungsfähigkeit der mittelalterlichen Wissensgesellschaft unterschätzt sehen, Frühneuzeithistoriker hingegen darauf verweisen, welches Rationalisierungspotenzial nicht nur dem säkularen, sondern auch dem religiösen Denken und den Konkurrenzkämpfen um seine Wahrheitsansprüche ihrerseits innewohnte. Toleranz, Säkularität und systemische Wissensdifferenzierung, die wir in unseren neuzeitlichen Selbstzuschreibungen als wesentliche Elemente der westlichen Wissensgesellschaft der Moderne wahrnehmen, das sei konzediert, können keinesfalls in allen Phasen der Vormoderne bereits vorgefunden werden. Aber der Toleranzgedanke hat kaum entstehen können, ohne dass die Normierung von religiösem Wissen an die Grenze des gruppengebundenen Widerspruchs oder der Individualisierung stieß. Säkularität und systemische Ausdifferenzierung von Wissensbereichen wiederum konnten nicht definiert und ausgebildet werden, ohne dass – vor dem Hintergrund eines durch und durch religiös geprägten Weltbildes – bestimmte Wissensbereiche sich der Erschließung vom religiösen Gedanken her als sperrig erwiesen und daher die Eigenständigkeit von Denksystemen und Handlungsräumen postulierten. Es war das religiöse Wissen selbst, welches bereits im Laufe des Mittelalters Institutionen und Herrschaftsträgern ihre eigenständige Sakralität bestritt: Ohne sie (freilich) zu profanieren, wurden sie doch systemischer Zergliederung unterworfen. Solche Bruchstellen wurden in der europäischen Vormoderne nicht allein als Säkularisierung eines religiösen Weltbildes wirksam, sondern im größeren Handlungsrahmen des Transfers und der Transformation des religiösen Wissens selbst verhandelt und durchgestritten. Auch der Raum des religiösen Wissens und der religiösen Praxis müsste sich da50

Ebd., S. 23.

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her als eben jener Raum erweisen lassen, in dem die durchgreifende Normativität religiöser Weltdeutungen zwar behauptet und konstruiert, aber gleichzeitig bestritten und relativiert wurde. Es scheinen diese differenzierten Prozesse zu sein, die als zentrale Anwege vom Mittelalter in die Moderne zu beschreiben wären. Religiöse Reflexion und Praxis als zentrale Experimentierfelder, Verhandlungsräume, aber eben auch Konfliktherde wahrzunehmen, deren Diskursivität ihrerseits als Motor der Rationalisierung, der Emotionalisierung und Individualisierung wirkte; eine solche Perspektivierung der Religion in der europäischen Vormoderne lässt sich aus der hier angebotenen Konstruktion nicht gewinnen. Diese folgt vielmehr weithin der Priorität jener aus der Politik- und Staatengeschichte gewonnenen Perspektive, die Friedensschlüsse zur Beendigung der europäischen Religionskriege insbesondere in Deutschland und Frankreich als Profanisierung oder Säkularisierung zu deuten, obwohl sie sich faktisch als „christliche“ Friedensschlüsse verstanden und ihre langfristige Bedeutung insbesondere darin lag, dass sie Auseinandersetzungen um das Bekenntnis und das Religionsrecht aus dem Katalog der iustae causae im Rahmen der Theorie des gerechten Krieges eliminierten.51 Wiederum also bleibt die Frage zu debattieren, wie die spezifischen religions- und kulturgeschichtlichen Aspekte des Konfessionalisierungskonzeptes mit den anderen Faktoren der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Entwicklungsdynamik so vernetzt werden können, dass sie weder die Binnenperspektive der Konfessionskirchen selbst verdoppeln noch als separate Prozesse der Reform/ Reformation und Konfessionsbildung ausgelagert werden müssen. 3.2 Konfessionelle Kulturen: eine Erfahrungsgeschichte der konfessionellen Christentümer Der wesentliche Beitrag Thomas Kaufmanns zur Theoriedebatte der frühneuzeitlichen Religions- und Kirchengeschichte ist zusammengefasst in seinem Band „Konfession und Kultur. Lutherischer Protestantismus in der zweiten Hälfte des Reformationsjahrhunderts“.52 Wie schon in den früheren Publikationen Kaufmanns wird hier eine reine Theologiegeschichte überschritten hin zu subtilen Analysen des gesamtgesellschaftli51

52

Vgl. Holzem, Gott und Gewalt (wie Anm. 42), S. 381–410, sowie ders., Kriegstheorien (wie Anm. 43), S. 42–56 und S. 70-79. Thomas Kaufmann, Konfession und Kultur. Lutherischer Protestantismus in der zweiten Hälfte des Reformationsjahrhunderts (Spätmittelalter und Reformation: Neue Reihe 29), Tübingen 2006.

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chen, insbesondere auch konfessions- und reichspolitischen Settings von Theologie unter den Bedingungen des konfessionellen Zeitalters. In diesem Sinne formuliert Kaufmann einleitend seine Absicht, „weder primär von seinen theologischen Lehrgehalten, noch von seinem institutionellen Lebensgestalten auszugehen, sondern bei den Kontexten und Konflikten, in denen er sich ‚behauptete‘ und ‚entwickelte‘“, anzusetzen.53 In diesem Zusammenhang hat Kaufmann seinen Grundansatz, Kirchengeschichte als „unveräußerlichen Beitrag zu jeder Kulturgeschichte des vormodernen Europa“ zu formulieren, sowohl theoretisch wie exemplarisch genauer entfaltet. Dies geschieht in einer subtilen Adaption der und Auseinandersetzung mit der „Konfessionalisierungsthese“. Kaufmann ist der Hinweis wichtig, dass die im Konfessionalisierungsbegriff eingefangenen formalen Parallelitäten zwischen den Konfessionen, insbesondere auch im Hinblick auf Staatsbildung und gesellschaftliche Modernisierung, keineswegs einheitliche Formen und Dynamiken sozialen und religiösen Lebens, sondern sehr distinkte Identitäten aus sich entließen. Der Begriff der „Konfessionskultur“, den er neben Ansätzen aus der katholischen Forschung mitgeprägt hat und der derzeit breit rezipiert wird, hebt darauf ab, dass sich interne und externe Lehrauseinandersetzungen, Liturgien, Kenntnisse und Symbole der Konfessionen tief in das soziale und politische Leben einschrieben, die kardinalen Unterschiede der konfessionellen Christentümer bis weit in die Zeitgeschichte hinein also auch hier ihre Wurzel hatten. Kaufmann geht es dabei darum, durchaus nicht ohne identitätspolitische Implikationen, den kulturellen Zusammenhang von Reformation und konfessionellem Zeitalter sichtbar zu machen, um einerseits die „in der öffentlichen memorialkulturellen Praxis vor allem Deutschlands [noch immer intakte] reformationsgeschichtliche Meistererzählung“ abzulösen, andererseits aber auch ihren Rang als „Grunddatum der deutschen Geschichte“ und „maßgeblichen Prozess historischen Wandels und grundstürzender Veränderungen“ nicht „gegenüber dem strukturprägenden, nachhaltig wirksamen Konfessionalisierungsvorgang in ihrer Bedeutung nivelliert“ zu sehen.54 Weil die Reformation sich „in Gestalt der Tradierung und Aktualisierung prägender Vor- und Feindbilder, verbindlicher Texte, autoritativer Symbole und eingeübter Rechtsnormen und ritueller Praktiken“ nicht nur ereignete, sondern im konfessionellen Zeitalter fortsetzte, müssten sie als „zwei zwar zu unterscheidende, aber untrennbar miteinander verbundene historische Etappen innerhalb der ei53 54

Ebd., S. VII. Ebd., S. 5f.

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nen Epoche der frühen Neuzeit behandelt werden“55 – und, so würde ich im Hinblick auf die oben erörterte Frage, was Reformation eigentlich ist, hinzufügen: In diese Debatte müsste, ohne völlige Einebnung zu einer unterschiedslos durchlaufenden Reformzeit, als drittes wesentliches Element Pluralisierung und Wandel der spätmittelalterlichen Frömmigkeitskultur hinzugenommen werden. Zudem lagen die Modernisierungs- und Befriedungspotenziale Europas zwischen 1555 und 1648 keineswegs ausschließlich in der Tendenz zu säkularisierender Staatlichkeit; ebenso wenig haben die Konfessionen ausschließlich fanatisierend gewirkt. Die „begriffliche Verbindung des ‚harten‘ Konfessions- und des ‚weichen‘ Kulturbegriffs“ ermöglicht es, hier stimme ich Kaufmann vollkommen zu, sowohl die Politik- und Staatsbildungs-, als auch die Gesellschafts- und Institutionenverdichtungsgeschichte als „konfliktreiche theologische Auslegungs- und Aneignungsarbeit“ zu interpretieren, die sich als Konfiguration von Anwendungsbedürfnissen, situativen Kontexten und gesellschaftlichen Tätigkeitsbereichen und somit als „diskursive Strategien“, die „auf Daseinsdeutung oder soziale Lebensregulierung“ abzielten, interpretieren.56 In diesem Sinne sind die Konfessionskulturen „die historisch dominanten frühneuzeitspezifischen Realisierungsformen des Christentums bzw. der christlichen Religionskultur. […] Die Persistenz und nachhaltige Prägekraft des Konfessionellen ist ein gewichtiges Argument gegen das etatistisch geprägte Konfessionalisierungskonzept, das die Konfessionen in funktionstheoretischer Perspektive primär als integrationsstiftende und sozialdisziplinierende Momente im Prozess frühmoderner Staatsbildung analysiert hat.“57 Die Re­kon­str­uk­tion der Konfessionalisierung als kulturelle Praxis ermöglicht es auch, „die humanisierenden und friedensfördernden Momente und Entwicklungen insbesondere im alten Reich […nicht] allein einem ‚lernfähigen‘ Staat zuzuschreiben, sondern einem höchst dynamischen und komplexen Wirkungsgeflecht, in dem auch die Konfessionskulturen selbst eine entscheidende Rolle spielten“. Nur so könne man „der historischen Bedeutung der christlichen Religion für den lateineuropäischen, insbesondere aber den deutschen Kontext gerecht werden und dem unproduktiven Mythos einer irreversiblen, modernisierungsinhärenten Säkularisierungsdynamik produktivere Theorien einer permanenten, dynamischen Transformation des Religiösen bzw. des Konfessionellen entgegensetzen“.58 55 56 57 58

Ebd., S. 7. Ebd., S. 10f. Ebd., S. 13. Ebd., S. 14f.

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In allen diesen Ausarbeitungen protestantischer Konfessionskultur geht es Kaufmann also wesentlich darum, funktionalistische Reduzierungen bei der Betrachtung der Religion in ihrem gesellschaftlichen Kontext zu überwinden, welche als latente Gefahr des zunächst vorwiegend allgemeingeschichtlich gefassten Konfessionalisierungsparadigmas bereits mehrfach an verschiedenen Stellen angemeldet wurden. In alledem wird die Tendenz zu einer theoriegesättigten „Erfahrungsgeschichte“ der konfessionellen Christentümer erkennbar, welche zwar stark von den Problemkonstellationen und Debatteninhalten akademischer Theologie ausgeht, ihre gesellschaftliche und politische, nicht zuletzt religiös-mentale Wirkungsgeschichte jedoch in höchst innovativer Weise anleuchtet. Das alles ist, unverkennbar, auf die lutherische Konfessionskultur hin geschrieben, lässt sich aber problemlos auf den katholischen Bereich übertragen, von dem ich mit ähnlichen Zielsetzungen als sogenannten „Konfessionsgesellschaften“ gesprochen habe. 3.3 Konfessionsgesellschaften als entwicklungsoffene dynamische Strukturen religiösen und sozialen Wandels Wie Thomas Kaufmann geht es auch mir darum, im Begriff der „Konfessionsgesellschaft“ kirchliches und religiöses Leben in sozialen und politischen Erfahrungs- und Handlungsräumen in den Mittelpunkt zu stellen. Konfessionalisierung in allen ihren Dimensionen vollzog sich insbesondere durch neue Plausibilitäten, die aus der Mitte der religiösen Praxis hervorwuchsen. Sie setzte sich nicht allein durch, weil sie das Sozialleben regulierte, sondern weil sie darüber hinaus neue Erfahrungen ermöglichte: Intensivierte Christlichkeit wurde – in aller Ambivalenz – selbst zum Katalysator intellektuellen und gesellschaftlichen Wandels und einer Geschichte des individuellen und sozialen ‚Ich‘.59 Konfessionalisierung ist als gelebtes Leben zu entfalten, als sinnstiftende Praxis für die Individuen und die Gemeinschaften. Wolfgang Reinhard, an dieses Desiderat vornehmlich von Kirchenhistorikern erinnert, hat stets im Sinne einer sozial- bzw. ideengeschichtlichen „Arbeitsteilung“ die Bearbeitung dieser Fragen im Rahmen des Konfessionalisierungsparadigmas ausgeklammert.60 Das scheint um so weniger statthaft, je deutlicher wird, 59

60

Vgl. Richard van Dülmen (Hg.), Entdeckung des Ich. Die Geschichte der Individualisierung vom Mittelalter bis zur Gegenwart (Publikation der Arbeitsstelle für Historische Kulturforschung, Universität des Saarlandes), Darmstadt 2001. Reinhard, Katholische Konfessionalisierung (wie Anm. 3), S. 435.

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in welchem Ausmaß die frömmigkeitsgeschichtlichen Inhalte und die glaubensgeleitete religiöse Praxis Richtung und Eindringungstiefe des Prozesses bestimmt haben. Wenn, wie plausibel gezeigt wurde, Theologie und Alltag eng verflochten waren,61 muss in der Konfessionalisierungsforschung zunächst „der Glaube der Gläubigen zum Thema“ werden, und zwar in allen sozialen Feldern.62 Konfessionalisierungsforschung hat am Aufweis von Lebensintensitäten zu arbeiten, die aus religiöser Intensivierung hervorgewachsen sind, mindestens haben hervorwachsen können. Dadurch könnte sich zeigen, dass vergleichbare funktionale Prozesse und Verfahren durchaus nicht „dasselbe sozialgeschichtliche Ergebnis hervorbringen“.63 Denn die Frage nach der Entstehung des modernen Menschen verliert nur dann ihre zu Recht beargwöhnte entwicklungsgeschichtliche Einlinigkeit, wenn unter mindestens partiellem Absehen von den letztlich auch identitätsgeleiteten Kategorien der Modernität nach den Christen gefragt wird, die in geschichtlicher Kontingenz ihre Hoffnung gelebt haben. Was ich mit der Begrifflichkeit der „Konfessionsgesellschaft“ meine, lässt sich (m.E. nach wie vor) am ehesten erläutern, wenn die in den Konfessionalisierungsdebatten der letzten Jahre virulenten Faktoren als offener Merkmalscluster dynamischer Wandlungsprozesse visualisiert werden (Abb. S. 160). Dieses Schnittmengenmodell variabel verknüpfter Entwicklungsdimensionen versteht sich als Versuch, möglichst umfassend die in der derzeitigen Diskussion benannten Faktoren zueinander in Beziehung zu setzen und dabei die „enge Verzahnung von Religion und Gesellschaft bzw. Staat und Kirche“64 zu visualisieren. Dennoch müssen die drei Hauptdimensionen als einander flexibel zugeordnet, d.h. bildlich jeweils nochmals wie „Drehscheiben“ vorgestellt werden: Sie erlauben dann jeweils neue Bezüge zwischen den prinzipiell als gleichrangig wirksam zu verstehenden „Feldern“ neuzeitlichen Wandels. Die komplexe Pluriformität der Akteure und Handlungsebenen sollte gerade nicht zur Verabschiedung, sondern zur Verfeinerung und Differenzierung der Konfessionalisierungsforschung genutzt werden. Denn mit einem solcherart gestalteten Raster kann man neben der Parallelität auch Unterschiede der Konfessionen und europäi61

62

63 64

Vgl. Sabine Holtz, Theologie und Alltag. Lehre und Leben in den Predigten der Tübinger Theologen 1550–1750 (Spätmittelalter und Reformation: Neue Reihe 3), Tübingen 1993. Schmidt, Konfessionalisierung (wie Anm. 12), S. 1; Ders., Sozialdisziplinierung (wie Anm. 12), S. 658f. Reinhard, Katholische Konfessionalisierung (wie Anm. 3), S. 423f., S. 435. Schilling, Konfessionalisierung von Kirche, Staat und Gesellschaft (wie Anm. 4), S. 41.

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Andreas Holzem

Sozialdisziplinierung

„Stabsdisziplinierung“: - Beamtenschaft

- Finanzen, Steuern, Verwaltung - Gerichtswesen - Merkantilismus, Wirtschaft, Peuplierung

Hof

„Fundamentaldisziplinierung“: Landes-, Zucht-, Polizeiordnungen

Ämter, Geistlichkeit (prot.) + Institutionen, z.B. Landeskirche/Konsistorium (prot.)/ Ämter, Klerus + Geistlicher Rat (kath.) (kath.) + Institutionen: Weltkirche, Bistum, Orden (kath.)

Kirchenzucht: Visitation, Synode, Send, Chorgericht, Konvent, Presbyterium etc.

lokale Autorität, Hierarchie, Honorabilität

Gottesbild Moraldiskurs Ewigkeit

kommunales Recht, Gericht

Schuld Sünde Gewissen

„horizontale Sozialkontrolle“: Rüge, Ehre, Schande

Familie, Nachbarschaft

religiös geprägte Elementarbildung lokale Kirche

Theologie

Predigt Liturgie Kult

Kunst: Architektur, Bilder, Musik

Konfessionalisierung

Angst, Heilshoffnung

„moral economy“ Wirtschaft, Arbeit

religiöse Erfahrung

Kommunalität lokale Lebenswelt

schen Staatsbildungen und gesellschaftlichen Prozesse erfassen – und: begründen, und zwar innerhalb einer Konfession wie interkonfessionell! In diesem Modell erweist sich als bestimmend, dass die Religion im Kontext der Reformation und der frühen Neuzeit – weit bis ins späte Mittelalter hinab reichenden Wurzeln – in stärkerem Maße als je auf Stützmittel zurückgriff, die sie selbst institutionell nicht produzieren konnte. Diese Stützmittel waren vor allem zwei: die Intensivierung religiös motivierter Gruppenbildungen auf der einen Seite, auf der anderen Seite die konfessionelle Legitimierung von Institutionalisierungs- und Verstaatlichungsprozessen, die mit einer enormen Bildungsbewegung einhergingen. Diese Konstellation erst räumte der Religion und ihrem ethischen System ganz ungewöhnliche Zugriffsmöglichkeiten auf Gestalt und Selbstbild der Gesellschaft als ganzer, in Teilen oder selbst in dissidentischen Gruppen ein. Die Reformation in Deutschland verlief selbst als ein solcher Doppel-Prozess, um dann in Europa sehr differenzierte Folgeprozesse dieser beiden Typen auszulösen. Und erst diese Gemengelage – nicht allein der

Der „katholische Augenaufschlag beim Frauenzimmer“

161

Staatsbildungsprozess, nicht allein der religiöse Intensivierungsprozess einer „temps des réformes“ – erklärt die Konfliktträchtigkeit der frühen Neuzeit ebenso wie die weit über die Mitte des 17. Jahrhunderts hinaus führenden religiösen und sozialethischen Anstrengungen. Diese Perspektive erlaubt, die Konfessionalisierung von der Staatsbildung (und implizit: Modernisierung) so weit abzutrennen, dass die in europäischer Perspektive höchst fragmentierten Träger dieses Stützungsprozesses angemessen berücksichtigt und nicht als Störfälle eliminiert werden müssen: neben dem entstehenden Staat, teilweise in konfessionellen Mischregionen hart konkurrierend, waren das neue oder erneuerte geistliche Institutionen, Adelsgruppierungen oder Stände, städtische und dörfliche Kommunen, religiöse Bewegungen, alle sie auch mit spezifischen sozialen und politischen Zielsetzungen etc. Kennzeichnende Voraussetzung für die frühe Neuzeit ist also die aus dem Spätmittelalter herauswachsende Konkurrenz religiöser Gruppenbildungen, die, anders als in den häretischen Bewegungen des Mittelalters, sich als auf Dauer unüberwindbar erwies. Die Entstehung und Verdichtung von Konfessionen konnte sich so nicht nur punktuell, sondern dauerhaft mit sozialen und politischen Strukturmerkmalen der Staaten- und Territorienbildung und – wichtig – den ihr entgegengesetzten Kräften verbinden. Beides führte zu einer Verzahnung von religiösen Bewegungen und religiösem Streit mit staatlichen und kirchlichen Institutionenbildungen; und eben auch deren Gegnern. Nur auf der Ebene des Reiches aber führte das dazu, die politischen Folgen konfessioneller Konkurrenz dissimulierend auszuschalten – bei aller Verzweiflung in der Rechtstheorie. Ansonsten blieb Konfessionalisierung als religiöser Formierungsprozess von oben und von unten mit engen Verflechtungen in Gesellschaft, Kultur und eben auch Politik ein bestimmendes Signet der Frühen Neuzeit; über das „bis“ ließe sich nun gruppenspezifisch und regionalgeschichtlich trefflich streiten. Daher ist das „Epochale“ der Christentumsgeschichte in der frühen Neuzeit nur unvollständig erfasst, wenn die Religion nur als Kitt institutionell unfertiger Staaten beschrieben wird. Fragt man nach Funktionslücken und Passungenauigkeiten des Konfessionalisierungskonzepts in den Studien der letzten fünf Jahre, gerade auch auf europäischer Ebene, drängt sich die Einsicht auf: „It’s the state – stupid!“65 Auch in meinen eigenen 65



Vgl. die genaueren Analysen zum Verhältnis von Konfessionalisierung und Staatsbildung und zu einer differenzierten Kriteriologie solcher Überlagerungsprozesse frühneuzeitlicher Entwicklungslinien in Holzem, Konfessionsgesellschaft (wie Anm. 2). Für das Verständnis der o.g. Debatte um den ‚Etatismus‘ in der Konfessionalisierungsforschung (vgl. Anm. 12) vgl. auch Dietmar Willoweit, Katholischer Konfes-

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Andreas Holzem

Untersuchungen hat die Zusammenführung von Konfessionalisierung und Staatsbildung besonders schlecht funktioniert;66 im Ergebnis sind die Träger und institutionellen Stützen der Konfessionalisierung äußerst vielfältig. Und damit rückt neben der Staatsbildung die kirchliche Institutionenverdichtung und -vervielfältigung, die religiöse Praxis und ihre kulturelle und mentale Eigenlogik, aber eben auch die Gesellschaftsformierung und die (möglicherweise konkurrierende) regionale und lokale Identitätsbildung in den Vordergrund der Konfessionalisierungsforschung.67 Nur wenn so ge-

66

67

sionalismus als politisches und rechtliches Ordnungssystem, in: Reinhard/Schilling (Hgg.), Katholische Konfessionalisierung (wie Anm. 3), S. 228–241, hier S. 232. Er fasst Konfessionalisierung zugleich als „Reform des politischen Gemeinwesens“ und „Stabilisierung des Obrigkeitsstaates“, welche Entwicklung des Fundamentes der „alle Untertanen in gleicher Weise verpflichtenden Religion“ unabdingbar bedurfte. Allerdings sieht er diese Tendenz als Fortschreibung spätmittelalterlichlandesherrlichen Engagements für kirchliche Reform und Disziplin und fragt hypothetisch, „ob nicht eine entsprechende Entwicklung auch unter den Bedingungen einer fortbestehenden Einheitskirche hätte ablaufen müssen.“ Daher erhält bei ihm „religionspolitische Territorialisierung“ den Vorrang vor „Konfessionalisierung“. Das bestätigt Alexander Jendorff, Reformatio catholica (wie Anm. 6), S. 16–18, für das geistliche Kurfürstentum Mainz: „Weiterführender aber als die zunehmend schärfer werdende Diskussion historischer Schulen muß dagegen die Frage nach dem immer noch gängigen Staatsbild und ‑verständnis erscheinen. Denn allen Konzessionen zum Trotz bleibt das Bild des werdenden starken Staates im Hintergrund beinahe unversehrt bestehen. […] „Staat“ und staatliche Verwaltung [sind] nicht eo ipso als starke und ebensowenig automatisch gleichgesinnte Elemente zu begreifen. […] Die Auswirkungen auf das teleologische Epochenverständnis der Konfessionalisierungsforschung sind nicht zu unterschätzen. Während sie nämlich auf die Ausbildung neuer bürgerlich dominierter Großgruppen durch den Territorialstaat vor dem Hintergrund der Konfessionalisierung hinwies, übersah sie sowohl die Entwicklung der traditionellen Beziehungsgeflechte als auch deren soziale Mechanismen im Umgang mit Wandel jeder Art und insbesondere mit kirchlich-religiösem Wandel.“ Vgl. ebd., S. 19: „Nicht der sich monarchisierende, monodynastisch regierte, protoabsolutistische Fürstenstaat, sondern der in seinen klientelistisch-korporativen Bezugsweisen nach anderen Mechanismen funktionierende geistliche Staat, der sich vom säkularen Fürstenstaat in Dynamik und Wirkkraft unterschied, war der eigentliche Träger der kirchlich-katholischen Reform. Er besaß darüber hinaus den strukturellen Vorteil der ‚natürlichen‘ Identität von Land und Kirche/Konfession, das durch ein theoretisches Expansionspotential innerhalb der Bistumsgrenzen erweitert wurde. Daraus resultiert die Frage, ob für die katholische Konfessionalisierung der Aspekt der Staatswerdung generell unter denselben Prämissen beurteilt werden darf, wie dies für die protestantischen Fürstenstaaten der Fall ist, oder ob nicht die Entwicklung hin zum modernen Macht- und später Nationalstaat nur einen spezifischen Zwang für den im 16. Jahrhundert noch nicht hinreichend gefestigten und deshalb unter Rechtfertigungs- und Weiterentwicklungsdruck stehenden säkularen, monodynastischen Fürstenstaat ausdrückt.“

Der „katholische Augenaufschlag beim Frauenzimmer“

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arbeitet wird, ist die Konfessionalisierungsthese nicht unterkomplex und einseitig. Diese drei Hauptdimensionen sind als prinzipiell gleichrangig wirksame Felder neuzeitlichen Wandels zu verstehen. Zudem behalten sie eine von den jeweils anderen Feldern nur bedingt beeinflussbare Eigengesetzlichkeit und Eigendynamik. Gegen den Vorwurf einer teleologischen Fixierung auf ‚Staat‘ und ‚Moderne‘ ist das Konfessionalisierungsparadigma nur durch einen ergebnisoffenen Ansatz zu sichern,68 welcher der Christentums- und Religiositätsgeschichte einen gleichsam ‚entfunktionalisierten‘ Eigenraum zugesteht. Das heißt nicht, dass ein solcher Ansatz – wie bei Ziegler postuliert – die Binnenlogik der jeweiligen konfessionellen Christentümer fortzuschreiben hätte, derzufolge der Katholizismus als Hauptstamm, die Protestantismen als Abzweigungen zu gelten hätten.69 Kann man eine Erfolgsgeschichte der Konfessionalisierung schreiben?, habe ich eingangs gefragt. Fazit nun: Man kann keine Erfolgsgeschichte der Konfessionalisierung schreiben, wenn man sie vorrangig als Gründungsgeschichte der europäischen Modernisierung versteht. Aber man kann sehr erfolgreich eine Geschichte der Konfessionalisierung schreiben, wenn man sich multiperspektivisch für eine Gesellschaftsgeschichte der christlichen Religion (im deutschsprachigen Raum) interessiert. Die differenzierende Interpretationsleistung des Konfessionalisierungsparadigmas wächst, wenn „Ursprünge der notorischen Kardinalunterschiede zwischen Protestanten und Katholiken im 19. Jahrhundert“ nicht zu einer Irritation hervorrufenden Sorge um die Geschlossenheit des Konfessionalisierungsbegriffs führen, sondern vielmehr zu einer Forschung, die sich nicht nur auf den Verlauf und die Medien des Prozesses, sondern auch auf seine Inhalte und sein Ergebnis bezieht. Eines dieser Ergebnisse führt mich wieder zu Friedrich Nicolai. Er beobachtete eine regelrechte konfessionelle Religionsphysiognomie: nicht nur „eine besondere Falte des Mundes, und ein[en] gewisse[n] Zug des Halses, den man an niemand als an eifrigen Katholiken bemerkt“, welche er auf das „beständige Murmeln der Gebete in der Kirche“ zurückführte. Erwähnenswert erschien ihm auch der „katholische Augenaufschlag beym Frauenzimmer“: „Es ist darinnen etwas Sanftes, etwas Verschämtes, etwas Starres, etwas 68

69

Anhand der 1999 vorgetragenen These der ‚Ergebnisoffenheit‘ deckt sich meine Konzeption mit der nachfolgenden Interpretation Schlögls, der am Beispiel der Habsburgischen Vorlande ‚Konfessionalisierung‘ behandelt als „offenes Geschehen [...], das multizentrisch ablief und auf unterschiedlichen Ebenen der sozialen Ordnung auch unterschiedliche Erfahrungswirklichkeiten produzierte“; Schlögl, Differenzierung (wie Anm. 6), S. 281. Vgl. Ziegler, Kritisches zur Konfessionalisierungsthese (wie Anm. 16), S. 42/175.

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Inniges. Daher sehen katholische Mädchen ceteris paribus verliebter aus, als andere. Ihre Andacht hat etwas Verliebtes, so wie ihre Liebe etwas Andächtiges. Bey Erinnerung an ihre Sünde schlagen sie vor einem Marienbilde die Augen zärtlich nieder, wie eine Geliebte vor ihrem Liebhaber, gegen den sie eine Schwachheit begangen hat, und den sie noch liebet; und ihr Liebhaber ist ihnen, wie ihr Heiliger, gegen den sie sich in zärtlicher Andacht verlieren.“70

70

Nicolai, Reise durch Deutschland (wie Anm. 1), S. 95–97.

‘No bishops, no King’ – die «religio monarchica» als unbeachtetes Element der Konfessionalisierungsdebatte Josef Johannes Schmid Einleitung Inmitten der Kernfrage nach der theologisch-dogmatischen Realität vergangener Epochen bleiben, im strengen Gefüge der als hermetisch angesehenen konfessionellen Gegensätze, Nuancierungen und konzeptionelle Erweiterungen weitgehend ausgeblendet. Konnte die jüngere Forschung sehr wohl einen gewissen Beitrag zur Spezifizierung der konfessionellen Ideenwelten liefern, so blieb die säkulare Bedeutung des Fürsten innerhalb des kirchlich-theologischen Form- und Entscheidungsfindungsprozesses nahezu vollkommen ausgeklammert. Diese Vernachlässigung unterstützt generelle Bedenken gegen die Konfessionalisierungsdebatte an sich, denn „allerdings verdrängt das Konzept der Konfessionalisierung die Frage nach der theologischen Wahrheit. Spiritualität und gelebte Frömmigkeit können damit nicht erfasst werden“;1 mehr noch, „es werden nur Außenschalen wahrgenommen, nicht der Kern, das innere kirchliche Leben…“.2 Echtes Kind ihrer Zeit, erscheint die moderne Historiographie als Illustrator des fundamentalen Grundsatzes vermeintlich aufgeklärter Neuzeit von der strikten Trennung von Kirche und Staat, von spiritualia und temporalia/ saecularia, von geistlicher und weltlicher Zuständigkeit, meist als ‘Macht’ apostrophiert.3 1

2

3

Dieter J. Weiß, Katholische Reform und Gegenreformation. Ein Überblick, Darmstadt 2005, S. 15. Anton Schindling, Konfessionalisierung und Grenzen der Konfessionalisierbarkeit, in: ders./Walter Ziegler (Hgg.), Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650, Bd. 7 (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung. Vereinsschriften der Gesellschaft zur Herausgabe des Corpus Catholicorum 57), Münster 1997, S. 9–44, hier S. 12. Vgl. die Ausführungen in: Gilbert Dagron, Empereur et prêtre. Etude sur le ‘césaropapisme’ byzantin, Paris 1996, S. 18–29.

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Josef Johannes Schmid

Diese Sichtweise ignoriert in anachronistischer Weise die Gegebenheiten des Ancien Régime, welche in Bezug auf Monarchie und Konfession weit über die offensichtliche Stellung des Fürsten4 hinausreichen. Das als Ausbund einer laizistischen Geschichtsschreibung gelten könnende Gegensatzpaar von ‘Staat und Kirche’ selbst verstellt hier die Betrachtung: „Quelques banalités sont bonnes à rappeler. Le couple «Église et État» ne peut opposer ou faire dialoguer qu’un pouvoir temporel plus ou moins laïcisé et limité à une nation, et une Église s’identifiant à ses clercs. Il trahit ce qui fait l’originalité d’un Empire chrétien: son universalité au moins théorique, sa place – comme structure politique, comme société et comme his­toi­re – dans une économie de salut.“5 Dieser Realität sollte auch die Geschichtsbetrachtung Rechnung tragen, ihre Anwendung auf die Konfessionalisierungsdebatte ist Gegenstand dieser Zeilen.6

I. Die Vorbilder: Byzanz und Frankreich 1. Grundlagen Bereits an anderer Stelle haben wir auf die fundamentale Bedeutung des römisch-byzantinischen Reiches für die heilsgeschichtliche Sicht der mon­ archischen Tradition sowie Interfunktion und Ideentransfer mit der gallisch-französischen Überlieferung hingewiesen.7 4

5

6

7

„Le roi a une réalité sociale, politique, religieuse: la monarchie est le régime qui connut la plus large faveur – et de loin – depuis les origines des temps jusqu’à nos jours [Herv.d.d.Verf.]“ (Jean-Paul Roux, Le Roi. Mythes et symboles, Paris 1995, S. 11). Dagron, Empereur (wie Anm. 3), S. 303. Dagron führt, zwar für den byzantinischen Kontext, aber auch für die allgemeinen Gegebenheiten absolut treffend, weiter aus: „Loger dans ces deux mots [Église et État] tous les rapports mutuels ou les difficiles chevauchements qui peuvent mettre aux prises l’empereur byzantin avec la hiérarchie ecclésiastique est évidemment une faute de méthode“ (dto.). „Au fil des siècles, le débat sur le pouvoir unique ou double, sur le roiprêtre, le prêtre-roi ou le roi et le prêtre s’est enrichi d’histoire, rationalisé, politisé. Rendonslui enfin la forme pure, c’est à dire mythique, qui fut longtemps la sienne et que la «modernité» a occultée“ (Dagron, Empereur, wie Anm. 3, S. 323). Josef J. Schmid, Rex Christus – die Tradition der französischen Monarchie als ­Brü­cke zwischen Ost und West (5.–19. Jh.), in: Peter Bruns/Georg Gresser (Hgg.), Vom Schisma zu den Kreuzzügen: 1054–1204, Paderborn 2005, S. 205–234.

‘No bishops, no King’ – die «religio monarchica»

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Die pneumatische Sicht des basileus als vom Heiligen Geiste unmittelbar bewohnter geistiger Mittelpunkt des Reiches und damit der christlichen Welt findet ihre unmittelbare Anwendung mit der seit Konstantin nachweisbaren Anerkennung des Kaisers als ‘Bischof von außen’, welche dann in der gallikanischen Tradition des Königs als ‘evêque de dehors’8 ihre theologische Kulmination erfahren wird. Faktisch aber sind die Monarchen von Anfang an wesentlich mehr als ein rein supplementärer, akzidentieller Faktor des kirchlichen Lebens. In der aufgezeigten universalen Sicht der Dinge kommt ihnen als Haupt der gesamten oikumene zwangsläufig eine die ‘rein staatlich-weltliche’ Sphäre übergreifende heilsgeschichtliche Rolle, jene des Priesterkönigs,9 zu, gelten sie doch als „investis d’une mission: gérer ce double héritage, davidique et lévitique, que le Christ a revendiqué en venant au monde dans la chair, lors de sa premiè­ re «parousie». La royauté sacerdotale ... prolonge l’esprit messianique dans cet entre-deux, qui est très exactement le temps de l’Empire chrétien.“10 Als Garant und Repräsentant der christlichen Wahrheit beruft der Kaiser die Konzilien ein, wacht er über deren Ablauf und Abschluß sowie über die Umsetzung der Dekrete.11 Kaiserliche Maßnahmen, wie beim Streit um die Bilderverehrung deutlich erkennbar, bestimmen das Leben der Kirche, ihre Liturgie, Spiritualität und auch – und darum geht es dem Konfessio­ nalisierungsparadigma je zuvorderst – ihr Dogma.12 Als Sachwalter des ewigen Heiles steht der basileus an der Spitze der Glaubensgemeinschaft, seine Rolle als erster Bischof des Reiches legt die Verfaßtheit der Kirche und ihre synodale Struktur fest.13 8

9

10 11

12 13

Ernest Ch. Babut, Evêque du dehors, in: Revue critique d’histoire et de littérature 68, 1909, S. 362–364. Garth Fowden, Empire to Commonwealth. Consequences of Monotheism in Late Antiquity, Princeton 1993, S. 80–99. Dagron, Empereur (wie Anm. 3), S. 328. Harold A. Drake, The Impact of Constantine on Christianity, in: Noel Lenski (Hg.), The Cambridge Companion to the Age of Constantine, Cambridge 2006, S. 111–136. André Grabar, L’iconoclasme byzantin, Paris 21984. Der Vorrang des Kaisers bleibt dabei unbestreitbar, vgl. die Ausweise als archiereus basileus für Theodosius II., oder sacerdos imperator für Markian, vgl. Christoph Link, Staatskirche/Staatsreligion, II: Im Christentum, in: Theologische Realenzyklopädie 32, Berlin 2001, S. 66–73, hier S. 67; zum Gesamtkomplex s. Jeremy M. Schott, Christianity, Empire, and the Making of Religion in Late Antiquity, Phil-

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Wie gezeigt, konnte dieses Konzept nahezu ungebrochen auf Frankreich übertragen werden, wo mit der Tradition der Allianz Gottes, sichtbar in den zwangsläufig als christologisch gesehenen Vorgängen um die Taufe Chlodwigs 499, in der Hl. Ampulle bleibend manifestiert, ein entscheidendes Element zur religion monarchique hinzukam.14 Der König erfährt hier, unabhängig von der allgemeinen christlichen Sendung, vor allem aber unabhängig und – wie die späteren Zeiten zeigen sollten – in unübersehbarer Konkurrenz zur römisch-petrinischen Tradition, eine unmittelbare heilsgeschichtliche Position, welche seine Stellung zumal innerhalb der französischen Kirche grundlegte.15 Von der gallikanischen Theologie- und Rechtsüberlieferung als ‘pre­ mier euesque de son royaume’, ja recht eigentlich Patriarch von Frankreich gesehen, untersteht ihm die gallische Kirche – auch in dogmatischer, liturgischer und spiritueller Hinsicht. Nur von daher ist es zu verstehen, daß Glaubensdinge, in quasi königlicher Delegation, entweder im parlement oder aber an der theologischen Fakultät der königlichen Universität zu Paris entschieden, die Publikation und Akzeptanz etwa der Dekrete des Tridentinums abgelehnt und dem König auch in personeller und disziplinärer Hinsicht, etwa durch das schon in der Deklaration von Bourges (1438) postulierte und schließlich im Konkordat zu Bologna von 1516 von Rom anerkannte volle Besetzungsrecht auf alle Bischofssitze und Prälaturen des Landes, Fakultäten zugewiesen werden, welche weit über allgemein monarchische Privilegien hinausgehen.16

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15

16

adelphia 2008; zur Kirchenverfassung und ihrer theologischen Begründung s. Oli­ vier Clément, L’église orthodoxe, Paris 41991, S. 70–72. Jean Goy, La Sainte Ampoule du Sacre des Rois de France. Histoire et Légendes, Reims 1994; Josef J. Schmid, Sacrum Monarchiae Speculum. Der Sacre Ludwigs XV. 1722: monarchische Tradition, Zeremoniell, Liturgie, Münster 2007, S. 35–57. Frantz Funck-Brentano, Le Roi (Coll. L’ancienne France), Paris 1915; Schmid, Sa­ crum (wie Anm. 14), S. 149–193. Pierre Dupuy, Commentaire de M. Dupuy sur le „Traité des libertez de l’église gallicane“ de M. Pierre Pithou, ... avec trois autres traitez. I. De l’origine et du pro­ grés des interdits ecclesiastiques. II. Des informations de vie et moeurs des nommez aux éveschez par le roy. III. L’histoire de l’origine de la pragmatique sanction du roy Charles VII. & des concordats. Nouvelle édition revuë, corrigée & augmentée de notes, & d’une preface historique, dans laquelle on donne la maniere d’étudier le droit canonique, par rapport aux usages du royaume; & l’on fait connoistre les livr­es les plus necessaires pour cette science. Avec un receüil de preuves, qui contient les pragmatiques et le concordat; les édits, déclarations et ordonnances des roys de France sur la discipline ecclesiastique, 2 Bde., Paris 1715.

‘No bishops, no King’ – die «religio monarchica»

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Im Hinblick auf den Konfessionalisierungsansatz aber erscheint es geboten, aus diesem großen Rahmen einige konkrete Tatsachen der Zeit nach 1500 herauszugreifen. 2. Die Liturgie Unzweifelhaft sind Liturgie und Gottesdienst Hauptausweise jeder ‘Konfession’. Gerade für Frankreich aber ist hier kein Bruch feststellbar, akzentuierte die gallikanische Tradition der nachtridentinischen Zeit doch vielmehr die Etablierung einer eigenständigen liturgischen Landschaft, welche bis zum Ende des 18. Jahrhunderts in einer Vielzahl von unterschiedlichen Diözesanliturgien, Ritualien und Gebetsformen ihren Niederschlag fand.17 Sie war Ausdruck einer postulierten und im Neuhumanismus verstärkten Anbindung an alte Freiheiten, wie sie in den altgallikanischen Formen der vorkarolingischen Zeit erkannt wurden. Damit tritt die gallikanische, in ihrem Wesen ohne die Rückbindung an das konstitutive Königtum undenkbare Tradition als nicht nur gleichberechtigt, sondern im Vergleich zu den tridentinisch-römischen und reformiert-calvinistischen Tendenzen dominierend hervor. Ihre Strahlkraft und Ambition reichten, immer durch massive königliche Initiative grundgelegt, weit über das rein Textlich-Rituelle bis in den Bereich etwa der liturgischen Musik hinein, ohne sich auch hier mit den ‘konfessionellen Zeitströmungen’ zu decken.18 3. Kirchenstruktur In äußerer Anlehnung an Sprache und Forderungen des Konziliarismus, innerlich aber der byzantinischen Sphäre einer kaiserlich regierten Reichskirche weitaus mehr verbunden, regelte die der östlichen Synodalpraxis nicht unähnliche Assemblée du clergé die wesentlichen Aspekte des kirchlichen Lebens. Sie unterstand dem König unmittelbar und definierte – unter Hinzuziehung der Sorbonne – Stellung, Anspruch und Lehre der französischen Kirche.19 Disziplinäre Dinge und Nominationen, etwa die 17

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19

F. Ellen Weaver, The Neogallican Liturgies Revisited, in: Studia Liturgica 16, 1987, S. 54–72; Gaston Fontaine, Les missels diocésains français du XVIIe au XIXe siècle, in: La Maison-Dieu 141, 1980, S. 97–166. Josef J. Schmid, Die Messes Royales von Henri Du Mont – Kulturpolitik, Choralreform und Kirchenmusik vom Grand Siècle bis ins 20. Jahrhundert, in: Kirchenmusikalisches Jahrbuch 91, 2007, S. 63–82, v.a. S. 64–76. Pierre Blet, Le Clergé de France et la Monarchie: étude sur les assemblées générales du Clergé de 1615 à 1666 (Analecta Gregoriana, Ser. Facult. Hist. Ecclesia­

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Auseinandersetzungen mit dem Jansenismus (bis hin zur Zerstörung von Port Royal 1711) oder die Bischofsernennungen, kamen dem König zu und wurden im conseil de conscience entschieden.20 Die päpstlichen Verurteilungen blieben demgegenüber zweitrangig und hatten allenfalls sekundierenden Charakter. Ebenso spielten die zahlreichen Regionalkonzilien und -synoden eine gegenüber der Assemblée untergeordnete, meist lokale Rolle. Wirkliche Weichenstellungen, wie etwa die umstrittene Definition der Vier Artikel von 1682, erfolgten auf der Assemblée, ihre schließliche Zurücknahme wurde durch den König angeordnet.21 Von einer tridentinischen Erneuerung kann hier also allenfalls in Einzelfragen, etwa den Seminargründungen, die Rede sein; Berührungspunkte mit der völlig anders gelagerten calvinischen Theologie lagen nicht vor. 4. Glaubensstreit und Konfessionspolitik Diese Vorgaben ekklesialer Selbständigkeit konnten nicht ohne Auswirkungen auf die religiösen Konfrontationen des 16. Jahrhunderts bleiben, wo auch in der Tagespolitik deutlich eine unabhängig von den rivalisierenden Konfessionen agierende königliche Kraft festzustellen ist, etwa anläßlich der Vorgänge um die sogenannte ‘Bartholomäusnacht’.22 Es sei hier nicht unerwähnt, daß die königlichen Regalien zu Reims nicht etwa von den Calvinisten, sondern programmatisch durch die Anhänger der spanisch-römisch orientierten Ligisten zerstört wurden, um so eine theologisch-nationale Alternative innerhalb des konfessionellen Gefüges im Mark zu treffen.23 Letztlich triumphierte aber in der Konversion Henris IV und seinem Sacre – und der damit implizit einhergehenden Anerkennung der confession royale – die königliche Tradition und machte aus dem Multikonvertiten erst einen legitimen König.24

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21

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23 24

sticae, Sectio A 107), 2 Bde., Rome 1959; ders., Le Clergé du Grand Siècle en ses assembl­é­es: 1615–1715 (Histoire religieuse de la France 7), Paris 1995. Raymond Darricau, Art. ‘Conseil de conscience’, in: François Bluche (Hg.), Dic­ tionnaire du Grand Siècle, Paris 1990, S. 390. Pierre Blet, Quatre articles, déclaration des, in: Bluche, Dictionnaire (wie Anm. 20), S. 1286f. Niemand würde heute mehr ernsthaft der königlichen Partei die Alleinverantwortung für die Eskalation zuschreiben, diese lag vielmehr bei der vorwiegend ligi­ stisch geprägten Stadtbevölkerung von Paris, vgl. Barbara B. Diefendorf, Beneath the Cross. Catholics and Huguenots in Sixteenth-Century Paris, New York/Oxford 1991, S. 93–106. Schmid, Sacrum (wie Anm. 14), S. 97. Ebd., S. 91–102, mit Bibliographie und Diskussion des ‘Sacre’ von 1594.

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Diese äußeren Auseinandersetzungen sollten aber nicht über tiefergehende Initiativen der Monarchie hinwegtäuschen, welche den Primat der monarchischen Konfession vor den zeitgenössischen Parallelmodellen deutlich zum Ausdruck brachte und im König, wie einst im basileus, die Garantie kirchlicher Einheit gewährleistet sah. Hier ist in erster Linie – im Bezug auf die lutherische Lehre – an die mehrmalige Aufforderung François’ Ier an den Wittenberger Mönch zu denken, seinen Standpunkt nicht etwa zu Rom oder auf einem der immer wieder rhetorisch angemahnten Konzilien, sondern unmittelbar vor einer Kommission der Sorbonne zu vertreten, welche dann über Rechtgläubigkeit oder Anathema entscheiden solle.25 Ebenso appellierte die Pariser Universität zweihundert Jahre später an den russischen Zaren, er möge doch in einem Glaubensgespräch während seines Aufenthalts an der Seine 1717 die leidige Kirchenspaltung in westliche und östliche Hemisphäre endgültig beenden.26 Wiewohl beiden Initiativen aus unterschiedlichen Gründen letztendlich kein Erfolg beschieden war, belegen sie doch, welche über die reinen Gallicana hinausgreifende Bedeutung der königlichen Konfession und ihren Organen in Anspruch und Wirklichkeit zukam – zuviel jedenfalls, um sie in einer auf das pure Gegensatzpaar katholisch-protestantisch reduzierten konfessionshistorischen Debatte unter den Tisch fallen zu lassen.

II. England und die angelsächsische Hemisphäre Wiewohl im konfessionellen Kontext nahezu gänzlich – und unzureichend – als ‘protestantisch’ apostrophiert,27 gelten die Church of England, ihr 25

26

27

Am 15. April 1521 verurteilte die Sorbonne 25 propositiones der Thesen Luthers, vgl. Jean Jacquart, François Ier, Paris 1981, S. 110. Josef J. Schmid, Imperator Russiae – monarchische Traditionsstiftung in vermeintlich anti-traditioneller Umbruchszeit, in: Ludolf Pelizaeus (Hg.), Wahl und Krönung in Zeiten des Umbruchs (Mainzer Studien zur Neueren Geschichte 23), Frankfurt/Main u.a. 2008, S. 157–173, hier S. 166f. Eine starke Beeinflussung der anglikanischen Geisteslandschaft durch diverses ‘protestantisches’ Gedankengut zu gewissen Epochen ihrer Entwicklung ist evident, doch ist der Begriff als alleiniges Etikett diffus und unausreichend. Er verdankt seine starke Verwendung v.a. der anti-päpstlichen und anti-französischen Propaganda unter dem House of Hanover des 18. Jahrhunderts, vgl. Nicolas Pocock, The History of the Reformation of the Church of England, 7 Bde. (1765), ed. Gilbert Burnet, Oxford 1865 (Nachdruck Farnborough 1969). Dies wurde von allen Klassikern übernommen, etwa: John H. Blunt, The Reformation of the Church of England: Its History, Principles and Results A.D. 1547–1662, I: Its History, Principles and Results A.D. 1547–1662, 2 Bde., London u.a. 1878 (Nachdruck Whitefish 2006);

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Wesen und ihre Genese weithin als Akt eines königlichen Willens des 16. Jahrhunderts – ohne jedoch deren säkulare Vorgeschichte und damit den spezifisch ‘königlichen’ Charakter des Prozesses genügend zu berücksichtigen. 1. Papa alterius orbis Just in die Zeit der sich behauptenden kirchlichen Souveränität und Erneuerung und der damit einhergehenden Zurückweisung königlich-sakramentaler Ansprüche reicht jene Überlieferung zurück, nach welcher Papst Urban II. Erzbischof Anselm von Canterbury als „papa alterius orbis“ bezeichnete.28 Diese Apostrophierung zu diesem Zeitpunkt kann in ihrer Bedeutung nicht hoch genug eingeschätzt werden. „A phrase much quoted by Anglicans“29, ist sie nicht nur richtungsweisend für die spätere Etablierung einer eigenen Landeskirche, sondern vor allem auch für die besonders in geistlicher Hinsicht eigenständige Rolle der britischen Monarchie. Wenn der Primas von England wirklich das geistliche Oberhaupt einer eigenen Hemisphäre (‘orbis’) ist, welche folglich außerhalb der bekannten Ökumene des bewohnten klassischen Erdkreises liegt, so ist der Monarch dieses Sprengels ergo imperator alterius orbis.30 Die Herleitung einer spezifischen Eigenständigkeit erfolgt hier also – dies ist ein Spezifikum der gesamten angelsächsischen Tradition – nicht in Konkurrenz zum Hl. Stuhl innerhalb der theoretisch selben Zuständigkeitsbereiche, was in Frankreich durch die Besonderheit der alliance spéciale postuliert wurde, sondern au-

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Philip Hughes, The Reformation in England, 3 Bde., London 1950–1954; Peter Marshall, Reformation England 1480–1642, London 2003. Sicher unzureichend ist die Verkürzung in: Doreen Rosman, From Catholic to Protestant: Religion and the People in Tudor England (Introductions to History), London 1996. Nicht nur aufgrund dieser Einschränkungen ist die immer noch beste Darstellung von Zeit und Gegenstand: James Gairdner, The English Church in the Sixteenth Century from the Accession of Henry VIII to the Death of Mary, London 1912. Im ganzen Zitat kommt die Gleichrangigkeit der beiden Kirchenfürsten noch deutlicher zum Ausdruck, wenn Urban II. Anselm als „patriarchus, apostolicus, aut Papa alterius orbis“ anspricht (Richard W. Church, Saint Anselm, London 21870, S. 230). Herbert Thurston, England (Before the Reformation), in: The Catholic Encyclo­ ped­ia 5, 1909, S. 431–445, hier S. 434. „If the Archibischop of Canterbury were a second pope, the king might well be a second emperor“ (Leopold J. Wickham Legg, The Sacring of the English Kings. A Paper read before the Royal Archaeological Institute at Westminster Abbey on Wednesday, July 12, 1893, London 1894, S. 15).

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ßerhalb der eigentlich ‘römischen’ Sphäre, jedoch mit Zustimmung durch dessen traditionelles Oberhaupt, den Papst. So wichtig dieser Aspekt für das Selbstverständnis der britischen Monarchie – hier nicht unser Thema – werden sollte, sowenig sollte man ihn im Kontext der immer mehr dem königlichen Führungsanspruch unterworfenen ecclesia anglicana vernachlässigen. Der Ausbau der Residenz London etwa, mit der programmatischen Doppelanlage in Bürger- (‘City’) und Königsstadt (Westminster), unter dem nicht minder programmatischen Doppelpatrozinium der beiden Hauptkirchen Saint Peter und Saint Paul spricht hierbei eine beredte Sprache.31 Die Tatsache, daß Saint Peter für den königlichen Sektor beansprucht wurde, sollte den Weg der ‘königlich englischen Kirche’ weisen.32 2. Lord Paramount of the West Im Zuge des Ausbaus der oben skizzierten Idee wurde der englische Mon­ arch immer mehr zum eigentlichen Allherrscher der westlichen Sphäre stilisiert, ein Vorgang, welcher in Titel und Anspruch des deutlich an die Pantokrator-Analogie des byzantinischen Basileus gemahnenden Lord Paramount of the West zum Ausdruck kam.33 Wenngleich dem englischen König die unmittelbare, in der Hl. Ampulle zum Ausdruck gebrachte Komponente des sakramentalen Hohepriestertums seines französischen Pendants – noch – fehlte, so zeigen Genese und Entwicklung etwa der Weiheordines bis zum 13. Jahrhundert34 deutlich die zunehmend nicht nur sakrale oder sakramentale Note des Monarchen („not a mere lay man“35), sondern durchaus auch seinen umfassenden universalen christologischen Anspruch, der die Kirche nicht ausklammern konnte.36 Bei der Krönung 31

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Nikolaus Pevsner, The Buildings of England - London I: The Cities of London and Westminster, 2. Auflage (durch Bridget Cherry), Harmondsworth 1983. Ein Übriges tat die Gründungslegende, vgl. Henry Keepe, Monumenta Westmona­ s­teriana, or an Historical Account of the Original, Increase and Present State of St. Peter’s or the Abbey Church of Westminster ..., London 1683. Es bezieht sich auf die Regierung einer „dominion looked upon in those early ages as stretching over a second world, even as the dominion of the Roman emperor extended over the world known to the ancients“ (Legg, Sacring, wie Anm. 30, S. 15). Leopold G. Wickham Legg, English Coronation Records, Westminster/London 1901. Basierend auf William Lyndewode (1375–1446): „Quod Rex unctus non sit mere persona laica, sed mixta“ (Gulielmus Lyndewode, Provinciale lib. III, tit. II, ed. Oxford 1679, S. 126). Zu den facultates des englischen Königs gehörte spätestens seit dem 13. Jh. die theo­retische Wahrnehmung priesterlicher Vollmachten, darunter „remitting sin and

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Richards I. 1189 kam dieses ‘byzantinische’ Selbstverständnis in der östlichen Vorbildern folgenden Selbstaufnahme der Krone durch den König ebenso zum Ausdruck37 wie in der schon länger – und bis heute – gebräuchlichen Verwendung der drei Zeremonialschwerter, deren eines unzweifelhaft die geistlich-spirituelle Oberhoheit des Monarchen in seinem Reiche (‘realm’) bezeichnet(e).38 Es kann nicht Aufgabe dieser konfessionsorientierten Studie sein, diesen Prozeß en détail nachzuzeichnen, es genügt, auf seine Ergebnisse hinzuweisen. Zu den äußeren und materiellen Zeugnissen dieser Entwicklung gesellte sich für England das Festhalten an der Chrisamsalbung während des königlichen Initiationsritus, welcher somit diese Monarchie auch nach dem offiziellen diesbezüglichen päpstlichen Verbot von 1215 über andere europäische Reiche hinaushob.39 Die Bischöfe mit ihrem Sitz im Oberhaus unterstanden weitgehend der Führung und Ernennung durch die Krone40 und auch rituell hatte die Dominanz des ‘Sarum Rite’, des liturgischen Usus der Kirche von Salisbury, zumal England ziemlich weit von römisch-zentralen Ansprüchen entfernt.41

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reconciling sinners“ (Leopold J. Wickham Legg, King and Priest, in: Crown and Empire: the Coronation of King George VI, London 1937, S. 73–76, hier S. 73). 1377 sprach der Erzbischof von Canterbury den König in eindeutig christologischer Analogie als ‘Mediator’ an („the mediator of your people as you sit on your kingdom’s throne“) (Thomas Walsingham, Chronica Majora, ed. und übers. v. D. Preest, Woodbridge 2005, S. 42). John Gillingham, Richard I, New Haven/London 1999, S. 107; Quelle: Roger of Howden, Gesta Henrici II & Ricardi I, ed. W. Stubbs (Rolls Series), 2 Bde., London 1867, hier II, S. 80–83. „… one, blunted, is the sword of mercy; another, borne on the right hand of the king, shows his claim to spiritual jurisdiction; a third, borne on the left, shows his claim to temporal authority [Herv. d. d. Verf.]“ (Legg, Sacring, wie Anm. 30, S. 3); zur Datierung des Brauches auf Richard I. s. Chronica Magistri Rogeri de Houedene (ed. William Stubbs) (Rolls Series), Bd. 3, London 1870, S. 9. Der englische König wurde zunächst an den beiden Händen, auf der Brust, auf den Rücken, zwischen den Schulterblättern, an den Schultern selbst, schließlich an beiden Ellenbogen mit normalem Katechumenenöl («Holy Oil») gesalbt, ebenso ein erstes Mal auf das Haupt – dann aber nahm der konsekrierende Prälat den Heiligen Chrisam und zeichnete damit ein zweites Kreuz auf das Haupt (Legg, Sacring, wie Anm. 30, S. 6). Frank Pakenham, 7th Earl of Longford, A History of the House of Lords, Gloucestershire 21999. Philip Baxter, Sarum use: the development of a medieval code of liturgy and customs, Salisbury 1994; Charles Walker, The liturgy of the Church of Sarum, together with the Kalendar of the same Church. Translated from the Latin …, London 1886.

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3. Oleum S. Thomae Paradoxerweise erhielt die geistliche Position des englischen Königs ihre letztendliche traditionelle Untermauerung just durch jenen Prälaten, welcher sein Leben – im wahrsten Sinne – für die Freiheit der Kirche eingesetzt hatte. Gemäß einer seit dem Ende des 14. Jahrhunderts virulenten Überlieferung war Thomas Becket nämlich während seines Exils in Frankreich die Gottesmutter erschienen und hatte ihm ein in Adlerform gehaltenes Gefäß gefüllt mit Öl überreicht, womit fürderhin die englischen Könige gesalbt werden sollten. Wiewohl die Anfänge dieser Tradition obskur bleiben müssen, kann ihre Bedeutung spätestens ab dem 15. Jahrhundert nicht mehr geleugnet werden. Bis ins 20. Jahrhundert und über die Umbrüche des 16. wie des 17. Jahrhunderts, also auch des puritanischen Commonwealth hinweg, hat dieses Öl, beziehungsweise seine Nachfolgephänomene, Rang, Anspruch und Selbstverständnis des britischen Monarchen bezeugt, ein von Gott unmittelbar und sakramental auserwählter Fürst seines Reiches und Lenker seiner Kirche zu sein.42 4. Henry VIII Somit konnte die englische Monarchie des 16. Jahrhunderts bereits auf eine weitgehende Souveränität in Glaubensdingen verweisen. Nur von daher sind die nun folgenden Vorgänge zu verstehen, welche in ihrem Wesen nichts anderes denn eine, wiewohl zugespitzte und endgültige Festschreibung zuvor existierender oder zumal postulierter Fakten bedeuteten. Daß bei diesem Schritt die Loslösung von der universalen Kirche in Kauf genommen wurde, ein Schritt, welchen etwa die französische Monarchie offiziell niemals vollzogen hatte, ist unleugbar und folgt dem byzantinischautokephalen Vorbild.43 Wiewohl das Eigeninteresse des respektiven Monarchen bei Henry VIII deutlich ausgeprägter gewesen sein dürfte als jenes des basileus im Jahre 1054, sind die Analogien einer längst nicht mehr auf die Umstände des Augenblicks zu reduzierenden Auseinanderentwicklung beide Male zu konstatieren; vor allem hatten sie – zunächst – nichts mit 42

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Thayron A. Sandquist, The Holy Oil of St Thomas of Canterbury, in: ders./­Michael R. Powicke (Hgg.), Essays in Medieval History presented to Bertie Williamson, Toronto 1969, S. 330–344; Arthur Taylor, The Glory of Regality: an Historical Treat­ ise of the Anointing and Crowning of the Kings and Queens of England, London 1820, S. 59f. George W. Bernard, The King’s Reformation: Henry VIII and the Remaking of the English Church, New Haven 2005 (Nachdruck 2007).

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der individuellen Rechtgläubigkeit (‘Orthodoxie’) der Protagonisten zu tun. Diese hatte Henry VIII mit seiner 1521 erschienenen Assertio septem sacramentorum gegen die Irrlehren Luthers unter Beweis gestellt und dafür vom Papste den Titel eines defensor fidei erhalten.44 Hinsichtlich seiner Eheauflösung aber schien er ebenso aufrichtig sowohl von der Problematik der Verbindung wie auch von seiner ganz in der Tradition eines Henry II und der oben aufgezeigten königlichen Stellung gelegenen facultas regalis in spiritualibus als hohepriesterlicher König überzeugt.45 Entsprechend hatte der König auch 1530, also vor der ‘offiziellen Loslösung von Rom’, den Vorsitz in einer aus geistlichen und gelehrten weltlichen Vertretern zusammengesetzten Versammlung zu Westminster – das nationalkirchliche Vorbild Frankreichs ist hier unübersehbar – geführt, um die häretischen Schriften der Zeit, zuvorderst jene William Tyndales, zu verurteilen und dem Feuer zu übergeben. Der zu diesem Behufe und Anlaß von Henry VIII promulgierte, 252 Positiones umfassende Syllabus glaubensfeindlicher Stellen und Werke belegt deutlich die bereits zu diesem Zeitpunkt unumstrittene geistliche Leitungsfunktion des Monarchen.46 In die gleiche Richtung wies der im selben Jahr gegen den einstigen Lord Chancellor Thomas Cardinal Wolsey geführte Prozeß. Niemand störte sich daran, daß diesem wiewohl politisch sehr engagierten Prälaten eine Anklage wegen Hochverrats vor einem ‘weltlichen’ Gericht vorgelegt wurde.47 Ganz im Sinne der eingangs aufgezeigten Einheit der Sphären beanspruchte der König unwidersprochen die Universalität der facultas monarchica.48 Dieser Vorgabe entsprachen dann auch alle königlichen Erlasse jener Zeit, als klar geworden war, daß eine gütliche Einigung mit Rom in der strittigen Eheangelegenheit nicht erzielt werden konnte. 1532 wurden die Abgaben nach Rom untersagt, im gleichen Jahr der Klerus durch den ‘Submission of the Clergy Act’ formell dem König als oberstem Leiter der eng44

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Assertio septem sacramentorum adversus Martinum Lutherum, hg. und eingeleitet von Pierre Fraenkel (Corpus catholicorum 43), Münster 1992. Nicholas Harpsfield, A Treatise on the Pretended Divorce between Henry VIII. and Catharine of Aragon. Now first printed from a collation of four manuscripts by Nicholas Pocock (Camden New series 21), London 1878; Gairdner, English Church (wie Anm. 27), S. 83–99. Zu diesem Komplex vgl. Bernard David Loades, Henry VIII: Court, Church and Conflict, London 2007; Gairdner, English Church (wie Anm. 27), S. 41–58. Peter Gwyn, The King’s Cardinal: The Rise and Fall of Thomas Wolsey, London 1992; Derek Wilson, In the Lion’s Court: Power, Ambition, and Sudden Death in the Reign of Henry VIII, New York 2002. Zusammengefaßt in: Stephen Gardiner, De vera obediencia, London 1535 (englische Übersetzung ebd. 1553); zu Gardiner immer noch: James A. Muller, Stephen Gardiner and the Tudor Reaction, New York 1926.

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lischen Kirche unterstellt.49 1534 folgte der ‘Act of Supremacy’,50 welcher den Monarchen explizit als ‘Supreme Head of the Church of England’ bezeugte und so formell die säkulare Eigenständigkeit der englischen Kirche definitiv festschrieb. Die Aufhebung der Klöster infolge einer königlichen Visitation 1535/1536 setzte diesen Anspruch dann sofort, nunmehr ausschließlich aus fiskalischem Interesse, um.51 In dogmatischer Hinsicht – und dabei geht es in der Konfessionalisierungsdiskussion ja zuvorderst – hatte der König seine Position durch sein Einwirken auf die verschiedenen von den nun zunehmend unter reformierten Einfluß gelangenden englischen Kirchenmännern formulierten Glaubenbekenntnisse (‘Confessions of Faith’) geltend gemacht. Hatte die Unterschriftsverweigerung unter das 1537 entstandene ‘Bishops’ Book’ aufgrund von dessen lutherischen Tendenzen den Weg gewiesen52 – vor allem, da die schließlich 1543 genehmigte Fassung den bezeichnenden Titel ‘The King’s Book’ tragen sollte53 –, so sprachen die am 28. Juni 1539 erlassenen ‘Six Articles’ eine eindeutige Sprache: unter Androhung härte­ster geistlicher und Körperstrafen wurde das Festhalten unter anderem an der Transsubstantiation, der Kommunion sub una specie, der Ohrenbeichte, dem Zölibat und der Privatmesse als verbindlich für das Königreich erklärt.54 Jedermann weiß, daß diese Maßgaben die Ereignisgeschichte der anglikanischen Kirche nicht unbeschadet überstanden. Jedoch hatte die schein49

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25 Hen. 8, c. 19 [offizielle Zählung der engl. Staatsgesetze] (16. Mai 1532). – Der Anspruch völliger Kirchenleitung durch den König anstelle des Papstes kam deutlich in der Eröffnungsansprache Henrys VIII an die beschließende Klerusversammlung zum Ausdruck: „Welbeloved subjects, we thought that the clergy of our realm had been our subjects wholly, but now we have well perceived that they be but half our subjects, yea, and scarce our subjects; for all the prelates at their consecration make an oath to the Pope, clean contrary to the oath that they make to us, so that they seem to be his subjects, and not ours. The copy of both oaths I deliver here to you, requiring you to invent some order, that we be not thus deluded of our spirit[u]al subjects“ (zitiert nach: Sir Henry Ellis (Hg.), Hall’s Chronicle, London 1809, S. 788). 26 Hen. 8, c. 1 (3. November 1534). Die Aufhebung erbrachte der Krone jährlich £ 120.000 (entspricht heute ungefähr £ 4 Mio.), ein Fünftel der Landerträge des Königreichs (Alison Weir, Henry VIII – King and Court, London 2001, S. 393). Blunt, Reformation I (wie Anm. 27), S. 444f. Thomas A. Lacey, The King’s Book or a Necessary Doctrine and Erudition for any Christian Man 1543, London 1932. Glyn Redworth, A Study in the Formulation of Policy: The Genesis and Evolution of the Act of Six Articles, in: Journal of Ecclesiastical History 37/1, 1986, S. 42–46; Diarmaid MacCulloch, Thomas Cranmer: A Life, London 1996, S. 213–221.

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bar ambivalente, im Kern aber traditionell-kohärente Vorgabe des Königs den Weg der royal confession gewiesen.55 Alle folgenden Richtungswechsel blieben an Person, Haltung und Position(en) des jeweiligen Monarchen, Edward VI,56 Mary I57 und Elizabeth I,58 gebunden, unabhängig davon, welche vorherrschende theologische Strömung beziehungsweise welcher bedeutende Theologe dahintergestanden sein mochte. 5. No bishops, no King Die Folgezeit der religiösen Entwicklung der britischen Inseln, welche es hier nicht im einzelnen darzustellen gilt, hatte unzweifelhaft einen erhöhten Anteil neugläubigen Ideengutes erbracht. Jedoch mag die Qualifikation etwa jener unter Elizabeth I verabschiedeten ‘39 Articles’ von 1571 mit „sie atmeten reformierten, nicht lutherischen Geist“59 eventuell den spezifischen Sachverhalt, nicht aber die generelle Genese der ecclesia anglicana bezeichnen.60 Deren hervorstechendes Hauptmerkmal blieb als eine der wenigen Kontinuitäten die wiewohl unterschiedlich akzentuierte Leitungsposition des Königs. Diese aber setzte, gemäß der monarchischen Tradition, ein spezifisches Mindestmaß an traditioneller Theologie, Sakramentenlehre und Kirchenverfassung voraus, welches seinerseits mit einer Vielzahl wirklich reformierter Positionen schlecht oder gar nicht zu vereinbaren war.61 55

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Diarmaid MacCulloch, The Later Reformation in England 1547–1603, Houndmills u.a. 22001 (deutsch: Die zweite Phase der englischen Reformation [1547–1603] und die Geburt der anglikanischen Via Media [Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 58], Münster 1998); Felicity Heal/Rose­mary O’Day (Hgg.), Church and Society in England – Henry VIII to James I, London 1977. – Als Quelle: A ‘Journall’ of Matters of State Happened from Time to Time as well within & without this Realme from and before the Death of King Ed­w[ard] the 6th until the Yere 1562, in: Ian Archer u.a. (Hgg.), Religion, Politics, and So­ciety in Sixteenth-Century England (Camden Fifth Series), Cambridge 2004, S. 18–34. Diarmaid MacCulloch, The boy king: Edward VI and the Protestant Reforma­tion, Berkeley 22008 (orig. Tudor Church Militant, London 1999); Gairdner, English Church (wie Anm. 27), S. 240–315. Gairdner, English Church (wie Anm. 27), S. 316–392. Patrick Collinson, The Religion of Protestants, Oxford 1982. Hubert Jedin (Hg.), Handbuch der Kirchengeschichte IV: Reformation, Katholische Reform und Gegenreformation, Freiburg 1985 (Nachdruck 1999), S. 354. Vgl. dazu das Vorwort Elizabeth’ I bezüglich ihrer königlichen Stellung, in: The Book of Common Prayer, ed. London [John Baskerville, N° 19] 1762, s.p. Offensichtlich ist die nicht zufällige Orientierung an byzantinisch-ostkirchlichen Gegebenheiten. So konnte man auf die sakramentale Form der Bischofswei-

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An erster Stelle ist hier die episkopale Verfaßtheit der Kirche zu nennen, welche schon in der erwähnten Sammlung von 1571 festgeschrieben worden war und auch fürderhin zum Eckstein werden sollte.62 Weniger als Versorgungs- oder Verwaltungsinstitution gedacht, ermöglichte diese bischöfliche Hierarchie erst den Rang des Königs als ‘premier euesque de son royaume’. Würde diese gemäß calvinisch-presbyterianischer Überzeugung wegfallen, wäre die Monarchie in ihrem Kern getroffen und mit ihr die ganze ecclesia anglicana. Wenn dem König als Oberbischof die unumschränkte Leitung seiner Landeskirche entfiel, beziehungsweise diese Leitungsfunktion sogar dogmatisch aufgrund einer Verurteilung jeglicher Hierarchie als dem Glauben konträr und folglich als unmöglich festgeschrieben würde, so würde die gesamte Genese der anglikanischen Kirche, welche ja nur ein Produkt eben genau jener Sicht war, obsolet. In diesem Punkt liegt der eigentliche und einzige Kern der Auseinandersetzungen des 17. Jahrhunderts, welche im Konflikt der Stuart-Könige mit den puritanisch-parlamentären Gruppierungen63 vom Festschreiben des konsequenten Prinzips ‘No bishops, no King’ unter James I/VI64 bis zum Martyrium Charles’ I am 28. Januar 164965 für diese Glaubensüberzeugung reichen. Äußeres Zeichen dieses Ringens nicht nur um den königlichen Primat, sondern zuvorderst um das Wesen des Monarchen – und damit der Kir-

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he durch Salbung verzichten, da auch die frühe und bis heute die östliche Kirche diese nicht kennt, trotzdem aber Status und Anspruch einer episkopalen Kirchenverfassung und apostolischer Sukzession aufrechterhält. Die Königsweihe behielt darüber hinaus die Salbung bis heute bei, um den unmittelbaren Anspruch des Mon­archen zu betonen. Bezeichnend war für den östlichen Vorbildcharakter bereits die Formulierung in den 39 Articles, wo es (Art. XIX) heißt, „as the Church of Jerusalem, Alexandria, and Antioch have erred: so also the Church of Rome hath erred“. Von den fünf altklassischen Patriarchaten bleibt also im Hinblick auf Irrtum und Irrtumsfähigkeit nur Konstantinopel bewußt ausgespart. Die ‘Form of Ordaining or Consecrating of an Archbishop or Bishop’ ist Teil des Book of Common Prayer (Version 1662, authorized by H.M. The Queen 1958, ed. London 2004, zit.: BCP 1662), S. 289–293, wobei, der via media-Idee folgend, bewußt beide Formulierungen verwandt werden, „ordain“ und „consecrate“: „Reverend Father in God, we present unto you this godly and well-learned man, to be Ordained and Conse­ crated Bishop“ (BCP 1662, S. 290). Vgl. die ‘Preface’ „Bishops, Priests and Deacons according to the Order of the Church of England“ zur Bischofs-, Priester- und Diakonenweihe, in: BCP 1662, S. 274; vgl. Francis Procter/Walter H. Frere, A New History of the Book of Common Prayer, London 31961, S. 669–673. Hugh Trevor-Roper, Catholics, Anglicans and Puritans, Glasgow 1989. Alan Stewart, The Cradle King – a Life of James VI & I, London 2003, S. 186–205. Richard Ollard, The Image of the King – Charles I and Charles II, London 22000, S. 37–52 („The Trial of Faith“).

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che – selbst waren die Diskussionen um die Festlegung einer definitiven Bibelübersetzung,66 welche 1611 durch die Promulgation der ‘King James’ Bible’ zunächst abgeschlossen wurde,67 wie auch einer verbindlichen Gottesdienstagenda in Form des ‘Book of Common Prayer’.68 Am deutlichsten hatten sich die Fronten in Schottland gezeigt, wo die im Book of Common Prayer festgeschriebenen Grundüberzeugungen von Sakrament und Bischofsamt auf den unbedingten Widerstand der presbyterianischen Kirk trafen.69 In allen Fällen konnte die Monarchie, wiewohl im Falle des Book of Common Prayer endgültig erst nach der Zäsur des Commonwealth im Jahre 1662 und in Schottland erst in den Pazifikationen des 18. Jahrhunderts, ihre Suprematie durchsetzen und den Rang der Church of England als ‘königliche Konfession’ aufrechterhalten.70

III. Ausblick Es kann nicht im Sinne dieser kleinen Besinnung über Methode und Kriterien des Konfessionalisierungsparadigmas sein, hier einen detaillierten Überblick über alle europäischen Monarchien zu geben. Vor allem die skandinavischen Monarchien, mit ihrem der englischen Entwicklung so 66

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„One of the King James Bible’s most consistent driving forces is the idea of majesty. Its method and its voice are far more regal than demotic“ (Adam Nicolson, Power and Glory. Jacobean England and the Making of the King James Bible, Hammer­ smith 2003, S. 189). Am umstrittensten waren v.a. jene Stellen, an denen deutlich von der königlichen Autorität die Rede war, besonders Ex 1,19 oder 2 Chron 15,16, vgl. hierzu: William Barlow, The Summe & Substance of the Conference, which it pleased His Maj­estie to have with the Lords, Bishops & other Clergie …, London 1604, G4r/v; vgl. ­Nicolson, Power (wie Anm. 66), S. 58f.; Stewart, Cradle King (wie Anm. 64), S. 201f. Felix Makower, The Constitutional History and Constitution of the Church of England, London 1895 (Nachdruck New York 1960), S. 163–168 (§ 15: The Book of Common Prayer) mit allen Quellen und Drucken; Procter/Frere, New History (wie Anm. 62), S. 136–205. William Perry, The Scottish Prayer Book, its Value and History, Cambridge 1929; Procter/Frere, New History (wie Anm. 62), S. 143–151. Wirkliche Gefahr drohte diesem Gebilde erst 1689, beziehungsweise 1714, als mit ausländischen Monarchen deren reformierte respektive lutherische Geisteshaltungen ein Vakuum des königlichen Bewußteins entstehen ließen. Doch die Krise des enlightenment wurde, ausgehend von einer Wiederbesinnung auf die Grundlagen von Monarchie und Kirche in der Weihe George II 1727 bis hin zum ‘catholic revival’ der Oxford- und Cambridge-Movements, überwunden. Dieses für unseren Kontext zu weit führende Sujet sei einer anderen Veröffentlichung vorbehalten.

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verwandten Festhalten an Sukzession, Bischofsamt und Weihekönigtum, seien einer späteren Erörterung vorbehalten. An unserem daher vorläufigen Ende mag sich der Leser vielleicht fragen, worin denn der fundamentale Unterschied der religio monarchica zu anderen, etwa reichischen Bedingungen bestand. Hier bestimmte doch auch, spätestens seit der Durchsetzung der Maxime ‘cuius regio et ejus religio’, der Fürst über die Religion des Landes. Dieser aber hatte nur zwischen den vorgegebenen Fronten der diversen Glaubensbekenntnisse durch seinen Entscheid zu wählen, während in Byzanz, Frankreich, England und Skandinavien das Wesen der Monarchie selbst, ihre Traditionen sowie Akzente und Initiativen des jeweiligen Monarchen Dogma, Form und Spiritualität der je spezifischen Bekenntnisse amalgamartig ausbildeten und sie so zu singulären Phänomenen der christlichen Bekenntnisgeschichte werden ließen. Für eine seriöse konfessionalisierungstheoretische Beschäftigung mit der eingangs postulierten „Frage nach der theologischen Wahrheit, Spiritualität und gelebte(r) Frömmigkeit“ ist folglich die verstärkte Berücksichtigung der confession royale unentbehrlich.

Politik, Konfession, Konfessionalisierung. Frankreich, der Kardinal von Lothringen und die religionspolitischen Optionen der 1560er Jahre Thomas Nicklas Das von der historischen Forschung in jahrzehntelanger Arbeit geschärfte Paradigma der Konfessionalisierung mit seiner primären Ausrichtung an politischen Entscheidungen und gesellschaftlichen Prozessen hat die Geschichtswissenschaften nachhaltig befruchtet,1 auch wenn gelegentlich eine stärkere Beachtung der Elemente frühneuzeitlicher Religionskultur angemahnt wurde.2 Außerdem hat man wiederholt auf die nur begrenzte Anwendbarkeit des Konfessionalisierungsschemas im internationalen Kontext hingewiesen. So betonte etwa Peter Hersche die Besonderheiten des „konfessionsgeschichtliche[n] Sonderfall[s] Frankreich“, die keineswegs mit den im Heiligen Römischen Reich durchaus üblichen Verfahren interkonfessioneller Abgrenzung und intrakonfessioneller Vereinheitlichung zur Deckung gebracht werden könnten.3 In der Tat fallen bei eingehender Betrachtung auch die „Grenzen der Konfessionalisierbarkeit“ ins Auge, auf die beispielsweise Anton Schindling verwiesen hat, der kulturelle Kontinua herausarbeiten konnte, die sich der Konfessionalisierung 1

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Als Meilensteine ragen hervor: Heinz Schilling (Hg.), Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland – Das Problem der „Zweiten Reformation“ (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte [künftig SVRG] 195), Gütersloh 1986; Hans-Christoph Rublack (Hg.), Die lutherische Konfessionalisierung in Deutschland (SVRG 197), Gütersloh 1992; Wolfgang Reinhard/Heinz Schilling (Hgg.), Die katholische Konfessionalisierung (SVRG 198), Gütersloh 1995. Der bibliographischen Orientierung dienen immer noch die Literaturberichte von Heinz Schilling: Konfessionelles Zeitalter, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht (künftig GWU) 48, 1997, S. 350–370; GWU 52, 2001, S. 346–371; GWU 53, 2002, S. 625–640. So z.B. bei: Thomas Kaufmann, La culture confessionelle luthérienne de la pre­mière modernité – remarques de méthode, in: Etudes Germaniques 57, 2002, S. 421–439. Peter Hersche, „Klassizistischer“ Katholizismus. Der konfessionsgeschichtliche Sonderfall Frankreich, in: Historische Zeitschrift 262, 1996, S. 357–389.

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entzogen.4 Es scheint daher gerechtfertigt, wenn in den folgenden Ausführungen der konfessionsgeschichtliche Sonderfall Frankreich in den Jahren vor und nach dem Abschluss des Trienter Konzils zum Thema gemacht werden soll, wobei es nicht zuletzt darum geht, die Grenzen der Konfessionalisierung abzuschreiten. Das Problem lässt sich am Wirken einer für Staat und Kirche im Frankreich des 16. Jahrhunderts zentralen Figur veranschaulichen, nämlich an Charles de Guise (1525–1574), der 1545 als Nachfolger seines Onkels Jean de Lorraine (1498–1550) Erzbischof von Reims wurde und wie sein Vorgänger gemeinhin der Kardinal von Lothringen genannt wurde. Er gehörte zur zweiten Generation der Herzöge von Guise, einer Nebenlinie des herzoglichen Hauses Lothringen, die erst seit dem frühen 16. Jahrhundert in Frankreich ansässig war. Im Jahre 1526 hatte König François I. die Besitzungen der Familie im Norden Frankreichs zum Herzogtum erhoben.5 Früh zu einer geistlichen Laufbahn bestimmt, hatte Charles de Guise glänzende Studien betrieben. Er galt als Liebhaber der Wissenschaften. 1548 gründete er in seiner Bischofsstadt Reims eine Universität, die zu einem Ausgangspunkt der Kirchenreform in Frankreich wurde.6 Er übernahm in jungen Jahren diplomatische Missionen für die Krone Frankreich und wirkte nach dem Tode Papst Pauls III. Ende 1549 erstmals bei einem Kon4

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Siehe Anton Schindling, Konfessionalisierung und Grenzen der Konfessionalisierbarkeit, in: ders./Walter Ziegler (Hgg.), Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650, Bd. 7: Bilanz – Forschungsperspektiven – Register (Katholisches Leben und Kirchenreform 57), Münster 1997, S. 9–44. René de Bouillé, Histoire des ducs de Guise, 4 Bde., Paris 1849/50; Henri Forneron, Les Ducs de Guise et leur époque. Etude historique sur le XVIe siècle, 2 Bde., Paris 1877; Jean-Marie Constant, Les Guise, Paris 1984; Joseph Bergin, Les Guises and their benefices, in: The English Historical Review 99, 1984, S. 34–58; Michel Pernot, Les Guises: une mise au point, in: Annales de l’est 42, 1990, S. 83–114. Eine den heutigen Bedürfnissen entsprechende Biographie existiert nicht und stellt ein dringendes Desiderat dar. Vorerst noch nützlich: Jean-Jacques Guillemin, Le Cardinal de Lorraine, son influence politique et religieuse au XVIe siècle, Paris 1847; daneben zum konfessionspolitischen Handeln des Kardinals vor Beginn der dritten Sessionsperiode des Trienter Konzils: Henry Outram Evennett, The Cardinal of Lorraine and the Council of Trent. A Study in the Counter-Reformation, Cambridge 1930; wegweisend drei Aufsätze in dem neueren Sammelband: Yvonne Bellenger, Le Mécénat et l’influence des Guises. Actes du Colloque organisé par le Centre de Recherche sur la Littérature de la Renaissance de l’Université de Reims, Paris 1997. Hier die Beiträge: Jacqueline Boucher, Le Cardinal de Lorraine, premier ministre de fait ou d’ambition (1559–1574), S. 295–310; Marc Venard, Le Cardinal de Lorraine dans l’Eglise de France (1564–1574), S. 311–329; Alain Tallon, Le Cardinal de Lorraine au concile de Trente, S. 331–343.

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klave mit. Die militärischen Erfolge seines Bruders François de Lorraine (1519–1563), wie die Verteidigung der Stadt Metz gegen Kaiser Karl V. 1552/53 und die Einnahme von Calais 1558, mehrten den Ruhm und das Prestige des Hauses. Der plötzliche Unfalltod von König Henri II. am 10. Juli 1559 sicherte den beiden Brüdern Guise die faktische Regentschaft in Frankreich für den minderjährigen König François II. Diese Monopolisierung der Macht durch eine erst seit einer Generation in Frankreich ansässige Familie ging zu Lasten des französischen Hochadels. Sie sorgte in Verbindung mit als willkürlich empfundenen finanzpolitischen Maßnahmen der Brüder für böses Blut bei den Eliten und der Bevölkerung.7 Ferner wurde der Kardinal von Lothringen persönlich für die harte Verfolgung der Protestanten im Königreich verantwortlich gemacht. Dies war nur teilweise berechtigt, bezog sich der Vorwurf doch auf die Ausführung antiprotestantischer Erlasse aus der Regierungszeit von Henri II. Anders lagen die Dinge jedoch in der Stadt Metz, die seit der Besetzung durch Frankreich 1552 der Jurisdiktion des Kardinals unterstand, der hier mit unerbittlicher Härte gegen die Reformierten vorging.8 So richtete sich gegen die Regentschaft der Guisen in Frankreich der Vorwurf politischer Illegitimität und religiöser Tyrannei. Beide Motive trieben die „Verschwörung von Amboise“ im März 1560 an, die sich unmittelbar gegen das Haus Guise richtete und dem Ziel diente, den jungen König von der Macht der „Usurpatoren“ zu befreien.9 Die brutale Niederschlagung dieser Adelsverschwörung steigerte den Hass der Gegner und entfesselte eine publizistische Kampagne, deren Wirkungen lange vorhalten sollten.

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Lucien Romier, La conjuration d’Amboise. L’aurore sanglante de la liberté de conscience, le règne et la mort de François II, Paris 1923, S. 3–8. Vgl. auch: Silvia C. Shannon, The Political Activity of François de Lorraine, duc de Guise (1559–1563). From Military Hero to Catholic Leader, Boston 1988, S. 55–62. Nicola Mary Sutherland, The Huguenot Struggle for Recognition, London 1980, S. 67–71; Donald R. Kelley, François Hotman. A Revolutionary’s Ordeal, Princeton 1973, S. 104. Siehe besonders: Corrado Vivanti, La congiura di Amboise, in: Yves-Marie Bercé/Elena Fasano Guarini (Hgg.), Complots et conjurations dans l’Europe moderne (Collections de L’Ecole Française de Rome 220), Roma 1996, S. 39–50.

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1. Machiavellismus und Lüge? Religionspolitik im Zwielicht Der umtriebige hugenottische Jurist und Polemiker François Hotman (1524–1590), der im Winter 1548/49 für einige Monate als Sekretär Calvins in Genf gearbeitet hatte, war von seinem Exil in Straßburg aus an der praktischen Vorbereitung, vor allem aber auch an der Begründung des Aufstandes gegen die Guisen mit den Mitteln der politischen Theorie beteiligt.10 Nach der Exekution der adligen Verschwörer verfasste er ein heftiges Pamphlet gegen Charles de Guise, den er unter Umkehrung des Sachverhalts als catilinarische Existenz brandmarkte und mit Vorwürfen überschüttete, mit denen er die persönliche Frömmigkeit, die Ehrlichkeit und die Moral des als „Tiger Frankreichs“ angegriffenen Kardinals in Zweifel zog.11 Die eigentlichen Rebellen waren demnach nicht die in Amboise hingerichteten protestantischen Adligen, sondern die Guise, die sich zu Unrecht die Macht im Königreich anmaßten! Die in Hotmans „Tiger“ gipfelnden oppositionellen Pamphlete entwarfen somit ein Bild des Kardinals als eines Mannes, dem zur Behauptung der eigenen Macht alle Mittel recht waren und der die Grundsätze politischer Legitimität mit Füßen trat, um seine Alleinherrschaft zu festigen. Diese negative Legende behauptete ihre Geltung auch nach dem Ende der faktischen Regentschaft der Guise mit dem Tod des jungen Königs François II. im Dezember 1560. Sie reicherte sich nach dem Massaker der Bartholomäusnacht von 1572 mit dem für den Kirchenmann besonders unglücklichen Vorwurf des „Machiavellismus“ an. Nach dem Tod Pius’ V. am 1. Mai 1572 reiste der Kardinal von Lothringen nach Rom ab, doch erreichte er die Stadt am Tiber nicht mehr rechtzeitig zur Wahl des Nachfolgers Gregor XIII. Allerdings weilte er immer noch an der Kurie, als in Paris im August 1572 das Blutbad der Bartholomäusnacht stattfand. Bis heute ist der Anteil des Hauses Guise an den blutigen Vorkommnissen in der Forschung umstritten.12 Unabhän10

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Kelley, Hotman (wie Anm. 8), S. 105–113; zu Hotmans politischen Verbindungen vorerst nur: Rudolphe Dareste, François Hotman. Sa vie et sa correspondance, in: Revue Historique 1, 1876, S. 1–59, 367–435; zu seinen Kontakten mit protestantischen Reichsfürsten: Gerhard Menk, Landgraf Wilhelm IV. von Hessen-Kassel, Franz Hotman und die hessisch-französischen Beziehungen vor und nach der Bartholomäusnacht, in: Zeitschrift des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde 88, 1980/81, S. 55–82. Jean-Claude Ternaux, Les excès de la maison de Lorraine dans l’épître et la satire du Tigre (1560–1561), in: Bellenger, Le mécénat et l’influence (wie Anm. 6), S. 381– 403. Das Pamphlet liegt in einem Nachdruck vor: Charles Read, Epistre envoiée au Tigre de la France, Genève 1875 (ND 1970). Das gilt auch für den bisher letzten Klärungsversuch: Arlette Jouanna, La SaintBarthélemy. Les mystères d’un crime d’Etat, 24 août 1572, Paris 2007; jeweils un-

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gig vom tatsächlichen Hergang des Ereignisses setzte sich jedoch noch im 16. Jahrhundert eine Version der Bartholomäusnacht durch, die von einem heimtückischen, minutiös vorbereiteten und von langer Hand geplanten Anschlag zur Vernichtung der Elite des französischen Protestantismus ausging. Diese These von der „Préméditation“ der Mordaktion, die dem Kardinal eine erhebliche Mitverantwortung zuweist, tauchte gelegentlich noch in der neueren Literatur auf.13 Sie stützte sich auf eine Veröffentlichung des römischen Sekretärs Camillo Capilupi (1531–1580), die 1574 in Rom erschien.14 Noch im selben Jahr sorgte eine von dem reformierten Genfer Buchdrucker Jacob Stoer (1542–1610) herausgebrachte französische Übersetzung des Textes für eine weite Verbreitung der Version im protestantischen Europa.15 Vergebens hatte der Kardinal von Lothringen versucht, die Publikation der eigenartigen Schrift zu verhindern, in der König Karl IX. von Frankreich als überlegener politischer Stratege gerühmt wird, dem es mit List und Verschlagenheit gelang, die um ihren Anführer Admiral Coligny gescharten Hugenotten bis zum grausamen Ende über das Verhängnis zu täuschen, das er ihnen kaltblütig bereitete. Für Capilupi handelte es sich somit bei der Bartholomäusnacht um eine politisch gerechtfertigte Mordaktion zur Verhinderung eines hugenottischen Staatsstreichs in Frankreich. Dieser Akt der Staatsnotwehr galt ihm als große staatsmännische Tat, deren kluge Anbahnung und entschlossene Durchführung er nicht genügend zu rühmen wusste. Mag sich das Werk des Römers auch selbst richten, so wog es für den Kardinal von Lothringen doch schwer, dass er neben dem französischen Gesandten bei der Kurie und dem Nuntius Salviati als der wichtigste Informant des Sekretärs Capilupi galt. Lothringen selbst hatte bei seinen Gesprächen in Rom die so folgenreiche These von der Préméditation der Mordaktion entwickelt und den leicht zu überzeugenden Capilupi damit auf eine Fährte gesetzt, der

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terschiedliche Ansichten zur Verantwortung und zur Motivlage finden sich bei: Jean-Louis Bourgeon, L’Assassinat de Coligny, Genève 1992; ders., Charles IX et la Saint-Barthélemy, Genève 1995; Denis Crouzet, La Nuit de la Saint-Barthélemy. Un rêve perdu de la Renaissance, Paris 1994; Robert Kingdon, Myths about the St Bartholomew’s Day Massacres: 1572–1576, Cambridge 1988. Zu den Quellen: Alfred Soman (Hg.), The Massacre of St Bartholomew. Reappraisals and documents, Den Haag 1974. Vgl. Philippe Erlanger, La 24 août 1572: le massacre de la Saint-Barthélemy, Paris 1960, S. 201. Camillo Capilupi, Lo stratagema di Carlo IX Re di Francia contro gli Ugonotti rebelli di Dio et suoi, Roma 1574. Siehe Sydney Anglo, Machiavelli – The First Century. Studies in Enthusiasm, Hostility, and Irrelevance, New York 2005, S. 254–265.

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dieser nur zu gern folgte.16 Nur hatte die These mit den Tatsachen nicht viel gemein! Zweifellos konnte das Haus Guise von dem Untergang Colignys und seiner mächtigsten Anhänger profitieren. In den Guisen aber die Urheber und Antreiber des Massakers zu sehen, verkennt die brutale Eigendynamik, welche der Konfessionskonflikt inzwischen in Frankreich angenommen hatte. Der Kardinal wurde aber zum Opfer seiner eigenen These. Sein Nachleben war von dem Vorwurf überschattet, er sei einer der Drahtzieher in einem großen Mordkomplott gewesen. So wurde er mit dem zähen Etikett des „Machiavellismus“ versehen, gerade zu einer Zeit, da die Diskussion über die Lehren Machiavellis und ihre verderblichen Folgen in der politischen Praxis nach dem Schock der Bartholomäusnacht auflebte, zumal im protestantischen Europa. Von großer Nachwirkung war bekanntlich die als „Anti-Machiavel“ bezeichnete Schrift des nach dem Pariser Massaker aus Frankreich nach Genf geflohenen Juristen Innocent Gentillet (1535–1588), der die Leiden des französischen Staates auf den Einfluss italienischer Politiklehren machiavellistischer Prägung zurückführte.17 In dieser Wahrnehmungsfalle fand sich dann auch der Ende 1574 in Avignon verstorbene Kardinal von Lothringen wieder, dessen konfessionspolitische Initiativen der 1560er Jahre dem Verdikt von Lüge und Täuschung verfielen. Der nach Holland emigrierte Hugenotte und frühe Aufklärer Pierre Bayle (1647–1706) gab diese Einschätzungen in seinem erstmals 1697 erschienenen „Dictionnaire historique et critique“ wieder, wenn er den Kardinal des „reinen Machiavellismus“ zieh, weil er evangelische Theologen in Deutschland aus den Mitteln des Bistums Metz finanziell unterstützte, um sie dann auf die Calvinisten zu hetzen.18 Solche Einschätzungen prägten folgerichtig auch im 19. Jahrhundert das Bild der Historiographie vom Kardinal von Lothringen, dessen eigenständige Konfessionspolitik der 1560er Jahre unter den Generalverdacht des politisch 16

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Siehe hierzu auch die Darlegungen bei Lucien Romier, La Saint-Bartélemy. Les Evénements de Rome et la préméditation du massacre, in: Revue du seizième siècle 1, 1913, S. 529–560. Der vollständige Titel des Werkes lautete: Discours sur les moyens de bien gouverner et maintenir en bonne paix un Royaume ou autre Principauté. Contre Nicolas Machiavel Florentin, Genève 1576. Neuere Ausgaben: Anti-Machiavel. Edition de 1576, hg. v. Charles Edward Rathé, Genève 1968; Discours contre Machiavel: A new Edition of the Original French Text with Selected Variant Readings, hg. v. Antonio D’Andrea und Pamela Stewart, Firenze 1974. Vgl. auch Pamela Stewart, Innocent Gentillet e la sua polemica antimachiavellica, Firenze 1969. „C’étoit un pur Machiavelisme“: Pierre Bayle, Dictionnaire historique et critique, Bd. III, Amsterdam 1740, S. 161, Note Q [http://www.lib.uchicago.edu/efts/ ARTFL/projects/dicos/BAYLE/]. Zur Wirkung des Dictionnaire: Hubert Bost, Pie­rre Bayle, Paris 2006, S. 429–464.

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motivierten Betruges und der Intrige gestellt wurde. Noch der agnostische Protestant Jules Michelet (1798–1874) gab seiner Abneigung freien Lauf, wenn er die Lüge als das eigentliche und der Natur entsprechende Element bezeichnete, in dem sich der Kardinal bewegte.19 War dessen eigenständige Konfessionspolitik also nur eine „machiavellistische“ Strategie, um den Protestantismus zu spalten und in einem nächsten Schritt zu vernichten? Diese Sichtweise konnte der Überprüfung durch die Forschung nicht standhalten. Als erster hat Henry O. Evennett dafür plädiert, die konfessionspolitischen Zielsetzungen des Kardinals ernst zu nehmen, sie als einen der letzten Versuche zur Wahrung christlicher Einheit und als politische Alternative zu demjenigen Prozess zu verstehen, den wir heute Konfessionalisierung nennen.20 Eine Reihe von Historikern ist ihm auf diesem Weg gefolgt, indem sie die Ansätze des Kardinals würdigten und als Ausdruck ehrlichen Einheitsstrebens für die Kirche werteten.21 Freilich halten sich auch noch die entgegengesetzten Ansichten. So hatte etwa Nicola Mary Sutherland darauf hingewiesen, dass der Religionsfrieden niemals das aufrichtig gemeinte Ziel guisischer Politik sein konnte, da das Haus nur im Krieg für die Krone unersetzlich war.22 Schwierigkeiten bereitet es den Historikern des konfessionellen Zeitalters bis heute, dass der Kardinal beim Religionsgespräch in Poissy 1561 dem aus Genf angereisten Théodore de Bèze den Vorschlag machte, an der Wiedervereinigung der Konfessionen auf der Grundlage des Augsburger Bekenntnisses zu arbeiten. Konnte dieses Spiel des Kardinals mit dem Basistext lutherischer Lehre ernst gemeint sein? Oder war es eben doch ein machiavellistisches Spiel? Zu letzterer Ansicht scheint Mario Turchetti zu neigen, der die Initiative für wenig vertrauenswürdig hält.23 Die Frage ist jedenfalls gestellt und bedarf einer weiteren Untersuchung, die in den Vor19

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Jules Michelet, Renaissance et Réforme. Histoire de France au XVIe siècle, Paris 1982, S. 533. Siehe auch: Henry O. Evennett, The Cardinal of Lorraine and the Colloquy of Poissy, in: Cambridge Historical Journal 2, 1927, S. 133–150. Das gilt insbesondere für: Donald Nugent, Ecumenism in the Age of the Reformation: The Colloquy of Poissy, Cambridge MA 1974, bes. S. 204–219; Alain Tallon, La France et le Concile de Trente (1518–1563), Roma 1997, S. 308–315; Stuart Carroll, The compromise of Charles Cardinal de Lorraine: new evidence, in: The Journal of Ecclesiastical History 54, 2003, S. 469–483. Actes du Colloque l’Amiral de Coligny et son temps, Paris 24–28 octobre 1972, Paris 1974, S. 169 (Diskussionsbeitrag). Mario Turchetti, Concordia o tolleranza? François Bauduin (1520–1573) e i ‚moyenneurs‘, Genève 1984, S. 272 («initiative hasardée»); ders., Une question mal posée: la Confession d’Augsbourg, le cardinal de Lorraine et les Moyenneurs au colloque de Poissy en 1561, in: Zwingliana 20, 1993, S. 53–101 (71: «subterfuge»).

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stößen des Kardinals von Lothringen vor allem eine Suche nach Alternativen zur Konfessionalisierung sieht. 2. Frieden dem Staat – Einheit der Kirche Der das Nachleben des Kardinals zäh begleitende Machiavellismus-Vorwurf bezieht sich auf die Methoden seiner Politik. Die Frage nach den Zielen wurde bisher kaum gestellt. Diese gehen aber aus seinem Handeln nach der Niederschlagung der Verschwörung von Amboise deutlich hervor. Demnach legte sich der königliche Rat, in dem Lothringen den Ausschlag gab, noch während der Ereignisse von Amboise auf eine gemäßigte Linie fest: strenge Bestrafung politischen Aufruhrs, jedoch keine weiteren Strafmaßnahmen gegen loyale Protestanten.24 Der Hof suchte das Gespräch mit den Eliten, um der zu Tage tretenden Unzufriedenheit den Wind aus den Segeln zu nehmen. Eine Notabelnversammlung in Fontainebleau im August 1560 legte die Marschrichtung für eine Lösung der Krise des Königreiches fest: Reformation der Kirche durch ein allgemeines Konzil oder, sollte dieses nicht zu erlangen sein, durch ein Nationalkonzil; Einberufung der Generalstände zur Beratung der politischen Probleme.25 Dieses Programm wurde konsequent befolgt. Auf der Tagung der Generalstände in Orléans im Dezember 1560/Januar 1561 kam es zu einer offenen Debatte über die Krise des Königreiches und die Mittel zu ihrer Behebung.26 Gleichzeitig war auch eine Versammlung der französischen Bischöfe vorgesehen, um den religiösen Bruch zu überwinden. Diese Versammlung trat im Sommer 1561 zusammen und nahm schließlich sogar die Form eines Kolloquiums von Katholiken und Reformierten auf der Suche nach der kirchlichen Einheit an. Der von den Protestanten zuvor so heftig angegriffene Kardinal von Lothringen suchte sich an die Spitze der Bewegung zu stellen. Tatsächlich konnte er bald als Anführer jener Gruppierung erscheinen, die Calvin mit dem verächtlich gemeinten Namen „Moyenneurs“ belegt hatte, weil sie einen konfessionellen Mittelweg zwischen den verhärteten Positionen Roms und Genfs suchten.27 Als Gallikaner hatte er überhaupt keine Schwierig-

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Vgl. dazu auch: Robert Stupperich, La Confession d’Augsbourg au colloque de Poissy, in: L’amiral de Coligny (wie Anm. 22), S. 117–133. Romier, La conspiration (wie Anm. 7), S. 97. Louis Paris, Négociations, Lettres et pièces diverses relatives au règne de François II, Paris 1841, S. 486–489. Georges Picot, Histoire des états généraux, Bd. II, Paris 1888, S. 32–53. Zum Begriff: Turchetti, Concordia o tolleranza (wie Anm. 23), S. 281, 332.

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keiten mit der Idee eines Nationalkonzils zur Wiederherstellung der konfessionellen Einheit an der Stelle des seit 1552 sistierten Trienter Konzils. Auch war es für ihn aus politischen Gründen unabweisbar nötig, die Calvinisten an einer solchen Versammlung zu beteiligen.28 Dem spanischen Botschafter erschienen seine Dialogbereitschaft und sein theologisches Interesse an lutherischen Auffassungen bereits Anfang 1560 suspekt.29 In der Konzilsfrage plädierte der Kardinal, ebenso wie Kaiser Ferdinand I., gegenüber Papst Pius IV. für einen Neuanfang. Er befürwortete eine wahrhaft universelle Kirchenversammlung an einem anderen Ort als Trient, zu der auch die Protestanten erscheinen sollten. Dagegen entschied sich die Kurie für die Fortsetzung des bereits begonnenen Konzils in Trient, was zum Ausschluss heterodoxer Auffassungen führen musste. Daher steuerte man in Frankreich auf die bereits ins Auge gefasste nationale Lösung hin, zu deren stärksten Befürwortern der Kardinal zählte, ungeachtet aller Belastungen, die diese Haltung für sein Verhältnis zur Kurie mit sich brachte.30 An einen offenen Bruch mit Rom dachte in der gallikanischen Kirche jedoch niemand. Daher wurde auch die von Lothringen verwandte Formel vom Nationalkonzil im offiziellen Sprachgebrauch niemals verwendet. Wenn es bei dem Kolloquium in Poissy im September 1561 zum Dialog katholischer und reformierter Theologen kam, so sollte es sich dabei doch nur um den Auftakt zu einer Versöhnung beider Bekenntnisse handeln, deren eigentlicher Ort nach vorherrschender Ansicht das allgemeine Konzil war. Damit wurde letztlich nur ein älterer Ansatz französischer Religionspolitik aus den 1530er Jahren aufgegriffen, der auf eine Versöhnung mit den deutschen Lutheranern zielte, von denen man wusste, dass sie in der zentralen dogmatischen Streitfrage der Realpräsenz nicht weit ab von der katholischen Position lagen. Das Augsburger Bekenntnis galt als integrierbar in jenem weiten Orbit katholischer Lehre, von dessen Zentrum es noch nicht allzu weit abwich. Diese Ansicht vertrat der Kardinal von Lothringen in einem theologischen Gutachten aus dem Sommer 1561 für die deutschen Reichsfürsten, die er für das bevorstehende Religionsgespräch in Frankreich gewinnen wollte.31 Nach diesem Prinzip handelte er auch bei 28

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Nicola Mary Sutherland, Princes, Politics and Religion, 1547–1589, London 1984, S. 116–137 (The Cardinal of Lorraine and the colloquy of Poissy 1561: a Reassessment). Romier, La conspiration (wie Anm. 7), S. 153. Vgl. dazu: Wolfgang P. Fischer, Frankreich und die Wiedereröffnung des Konzils von Trient 1559–1562, Münster 1973, bes. S. 69–71. Abgedruckt in: Concilium Tridentinum. Diariorum, actorum, epistularum, tractatuum nova collectio, Bd. XIII, Freiburg 1938, S. 464–473; Evennett, Cardinal of

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dem Treffen in Poissy, auf dem er als führender Repräsentant des französischen Klerus dem aus Genf angereisten Théodore de Bèze als Sprecher der Reformierten gegenübertrat.32 Zum Leidwesen des Kardinals vertrat der Genfer Theologe dabei gerade das Spaltende, nämlich die Ablehnung der Realpräsenz, die auf grundlegende Unvereinbarkeiten in der Auffassung von der Eucharistie verwies. Dagegen stellte Lothringen in seinen Ausführungen gerade das Gemeinsame aller christlichen Bekenntnisse heraus. Zur allgemeinen Überraschung präsentierte er Bèze das Augsburger Bekenntnis und ersuchte ihn um seine Unterschrift, damit man auf gemeinsamer Grundlage einen Kompromiss finden könnte.33 Bèze entzog sich freilich dieser Anregung und ersuchte den Kardinal stattdessen um seine Unterschrift, vor der dieser sich angesichts der ihn beobachtenden Versammlung des französischen Klerus jedoch hütete. Die Gespräche in Poissy führten jedenfalls nicht zur Versöhnung der Konfessionen, sondern sie zeigten allenfalls die Verhärtung der Fronten. Der Vorstoß des Kardinals, der die rechte Hand Calvins dazu nötigen wollte, das Augsburger Bekenntnis zu unterschreiben, wurde sogleich in das machiavellistische Schema eingeordnet. Ging es ihm nicht einfach darum, die Unvereinbarkeit lutherischer und calvinistischer Positionen offenzulegen und so die Spaltung des protestantischen Lagers zu demonstrieren? Durch diese Bresche konnte dann die Offensive der Gegenreformation eindringen. Wollte der Kardinal mit seinem Verweis auf die Confessio Augustana nicht eigentlich das Scheitern des Kolloquiums beschleunigen, um dann die ganze Schuld für den Misserfolg den Genfern zuzuweisen, nicht zuletzt vor den evangelischen Reichsfürsten? Diese von Théodore de Bèze geäußerten Vermutungen galten noch den Editoren seiner Korrespondenz im Jahre 1963 als Gewissheit.34 Wenn es dem Kardinal aber 32

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Lorraine (wie Anm. 20), S. 485–497. Zum Verlauf des Kolloquiums von Poissy vor allem: Nugent, Ecumenism (wie Anm. 21); Hubert Jedin, Geschichte des Konzils von Trient, Bd. IV/1, Freiburg 1975, S. 51–56; Alain Dufour, Le colloque de Poissy, in: Mélanges d’histoire du XVIe siècle offerts à Henri Meylan, Genève 1970, S. 127–137; siehe auch: Wolfgang Reinhard, Glaube, Geld, Diplomatie. Die Rahmenbedingungen des Religionsgesprächs von Poissy im Herbst 1561, in: Gerhard Müller (Hg.), Die Religionsgespräche der Reformationszeit, Gütersloh 1980, S. 89–116. Dabei handelte es sich um die 1532 von Johannes Brenz redigierte Fassung (Confessio Wurtembergica): Stupperich, La Confession d’Augsbourg (wie Anm. 23), S. 127; Turchetti, Une question mal posée (wie Anm. 23). Zur Rezeption des württembergischen Bekenntnisses in Frankreich siehe auch: Hans-Martin Maurer/Kuno Ulshöfer, Johannes Brenz und die Reformation in Württemberg, Stuttgart 1974, S. 201f. Théodore de Bèze, Correspondance, bearb. von Henri Meylan und Alain Dufour, Bd. 3, Genève 1963, S. 169.

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mit der Suche nach dem Kompromiss doch ernst gewesen wäre? Jedenfalls wollte er seine Initiativen auch dann nicht beenden, als das Scheitern des in Poissy beschrittenen Weges offensichtlich geworden war und nach langen Verzögerungen im Januar 1562 das von Pius IV. zusammengerufene Trienter Konzil zu seiner dritten Session zusammentrat. Im Gegenteil, die autonome internationale Konfessionspolitik des Hauses Guise betrat mit dem Treffen von Zabern im Februar 1562 eine neue Stufe. 3. Das Spiel an den Grenzen der Konfessionalisierung: Zabern 1562 Das Treffen des gemeinsam mit seinen Brüdern angereisten Kardinals von Lothringen mit dem lutherischen Herzog Christoph von Württemberg und dessen führenden Theologen Johannes Brenz und Jakob Andreae im elsässischen Zabern hat bei den Zeitgenossen verwunderte Reaktionen hervorgerufen und die Historiker zu mancherlei Überlegungen veranlasst.35 Dabei lag die Zusammenkunft ganz auf der Linie der vom Kardinal und den anderen Moyenneurs definierten französischen Religionspolitik: Versöhnung der Konfessionen auf der Grundlage des Dogmas und der eucharistischen Praxis im deutschen Luthertum. Der in Poissy geübte hartnäckige Widerstand von Théodore de Bèze gegen dieses Konzept hat auch den hugenottischen Parteiführer Admiral Coligny schwer betrübt.36 Im Kalkül des Kardinals von Lothringen war das aber nicht gleichbedeutend mit dem Scheitern des Konzepts. Wenn die Hugenotten sich einer Diskussion auf dieser Grundlage verweigerten, so mussten sie eben sehen, wie sie ohne die Unterstützung der lutherischen Reichsfürsten weiterkamen. 35

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Siehe Tallon, La France et le concile (wie Anm. 21), S. 328–335; Gustave Baguenault de Puchesse, Le Duc de Wurtemberg, les Guise et Cathérine de Médicis (1561– 1563), in: Bulletin philologique et historique du Comité des travaux historiques et scientifiques 1915, S. 173–197; die Forschung stützte sich dabei auf eine ältere Publikation der wichtigsten Quellen zu dem Zaberner Treffen, die aber nicht durchweg befriedigt, so dass ein Rückgriff auf den Stuttgarter Archivbestand unvermeidlich ist: André Muntz, Entrevue du duc Christophe de Wurtemberg avec les Guises à Saverne peu de jours avant le massacre de Vassy, in: Bulletin de la Société de l’histoire du protestantisme français (künftig: BSHPF) 4, 1856, S. 184–196; ders., Correspondance de François de Lorraine, Duc de Guise, avec Christophe, Duc de Wurtemberg, in: BSHPF 24, 1875, S. 71–83, 113–122, 209–221. Ferner auch: Christian Friedrich Sattler, Geschichte des Herzogthums Würtemberg unter der Regierung der Herzogen, Bd. 4, Tübingen 1771, S. 240–255; Bernhard Kugler, Christoph, Herzog zu Wirtemberg, Bd. 2, Stuttgart 1872, S. 291–304. Junko Shimizu, Conflict in loyalties. Politics and religion in the career of Gaspard de Coligny, Admiral of France, 1519–1572, Genève 1970, S. 64.

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Ohne nennenswerten Rückhalt im Heiligen Römischen Reich wären sie auf mittlere Sicht erst recht zu großen Zugeständnissen gezwungen, da die Machtverhältnisse in Frankreich eindeutig waren. Wenn Deutsche und Franzosen gemeinsam vorangingen, so konnte man die Einheit der Christenheit auf nationalkirchlicher Basis wiederherstellen, unter Anerkennung eines formalen Primats des Papsttums. Wenn erst einmal ein Fait accompli im deutsch-französischen Kontext geschaffen wäre, so mussten die Kurie und das Trienter Konzil dies akzeptieren.37 Guise operierte mit dem Augsburger Bekenntnis als politischem Instrument, um ein gemeinsames Fundament für die Gespräche von Katholiken und Protestanten zu haben. Das hatte nichts mit persönlichen konfessionellen Vorlieben zu tun. Die Frage, ob der Kardinal nun selbst Lutheraner werden wollte, stellte sich zumindest für ihn selbst überhaupt nicht. Anders für die deutschen Reichsfürsten, deren Wahrnehmung bereits durch den Fortgang der Konfessionalisierung tief geprägt war. Sie ordneten die politischen Initiativen des Kardinals in das konfessionelle Schema ein, wobei sich der Vorwurf von Lug und Trug bald wieder als nahe­liegend erwies. Das traf beispielsweise für den Kurfürsten Friedrich III. (den Frommen) von der Pfalz zu, der sich seit Mitte 1561 fortgesetzten Avancen des Hauses Guise ausgesetzt sah, die unter Verweis auf die Nachbarschaft zwischen Lothringen und der Pfalz sowie alte Verwandtschaftsbeziehungen die Offensive des Kardinals im Reich vorbereiten sollten. Fortschritte in die Richtung, die dieser wünschte, waren ohne den Fürsten in Heidelberg nicht zu erreichen, der sich allerdings bereits dem reformierten Bekenntnis zugewandt hatte. Die kurpfälzischen Theologen Zacharias Ursinus und Kaspar Olevian erarbeiteten im Auftrag des Kurfürsten den 1563 publizierten Heidelberger Katechismus.38 Der Pfälzer konnte sich über die Vorstöße aus Frankreich nicht genügend wundern. Er hätte sich den Versuchen des Hauses Guise zur Kontaktaufnahme gerne versagt, weil es sich seiner Einschätzung nach nur um ein Täuschungsmanöver ganz nach der Art geistlicher Fürsten handelte.39 Er entzog sich 37

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So die schlüssige Wiedergabe des Anfang 1562 noch gültigen Programms von Charles de Guise bei: Tallon, La France et le concile (wie Anm. 21), S. 313. Wulf Metz/Jürgen Fangmeier, Heidelberger Katechismus, in: Theologische Realenzyklopädie 14, Berlin/New York 1985, S. 582–590. Zur kurpfälzischen Konfessionspolitik: Volker Press, Die ‚Zweite Reformation‘ in der Kurpfalz, in: Schilling (Hg.), Die reformierte Konfessionalisierung (wie Anm. 1), S. 104–129. … und ist mir darin nichts mehr zuverwundern, dan das sich der Cardinal von Luttringen soll vernehmen lassen, er wolt sich zu unserer christlichen bekantnus der augspurgischen confession bekennen, es wird one zweyffel uff den schalk gespielt seyn, zugleich wie die bede bischoff Wurtzburg und Bamberg gegen Hertzog Mo-

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denn auch der Einladung zu dem Treffen in Zabern und hielt auch andere benachbarte Reichsfürsten wie Pfalzgraf Wolfgang von Zweibrücken von der Reise ins Elsass ab. Schließlich machte sich nur Herzog Christoph von Württemberg nach Zabern auf. Er tat dies jedoch nicht, weil er sich auf das offene konfessionspolitische Spiel des Kardinals einlassen wollte, sondern weil er ihn zu bekehren hoffte! Aus manchem Saulus sei schon ein Paulus geworden, schrieb er dem skeptischen Kurfürsten in Heidelberg.40 Die experimentelle Methode des Kardinals, der mit den konfessionellen Fragen politisch operierte, war den deutschen Fürsten fremd, weshalb sich eine Verständigung nur schwer ergeben konnte. So stand das Treffen, das zwischen 16. und 18. Februar 1562 stattfand, unter dem Vorzeichen des fortwährenden Missverständnisses.41 Der Kardinal hat die Begegnung mit den Württembergern allerdings von Anfang an auf einen konzilianten Ton gestimmt. Noch vor Beginn der Verhandlungen hielt er eine Predigt in der mit etwa 200 Personen gut gefüllten Zaberner Pfarrkirche, zu der auch Herzog Christoph und der Stuttgarter Reformator Johannes Brenz erschienen. Das Motiv dieser Predigt sollte den Lutheranern vertraut vorkommen: Christus ist der einzige Mittler und Erlöser!42 In den persönlichen Unterredungen mit Brenz und dem Herzog ließ es der Kardinal an weiteren Konzessionen an die deutschen Luthe-

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ritzen Churfürsten [von Sachsen, T.N.] selig sich obligirten und verschrieben, das evangelium unverhindert in iren stifften predigen zu lassen, nahmen auch daruff etliche predicanten ane, alleyn damit sie inen by sich und zu aynem gehilffen behalten möchten, da aber Hertzog Moritz seliger doth wahr, da hetten sies all gern an die beum gehenckt, jagtens mit schanden zum land hinaus. Wo es dieser pfaff thudt, so ist es gewiß auch uff eynen solchen schalck gemeyndt: Hauptstaatsarchiv Stuttgart, A 115 Frankreich, Bü. 16, unfol., Pfalz an Württemberg (Heidelberg, 12. VII. 1561). Und bin ich gleich eur Liebden [ = Pfalz] des bedenckhens, das uff ein Schalckh der Cardinal von Lottringen sich solcher andacht und religion vernemen last, wiewoll Gott der Herr noch aus einem Saulo einen Paulum khan und mag machen, welches aber die zeit zuerkennen wurdt geben: ebd., Württemberg an Pfalz (Stuttgart, 15. VII. 1561). Die erhaltene Überlieferung ist zusammengefasst in: Hauptstaatsarchiv Stuttgart, A 115 Frankreich, Bü. 21 a (teilweise sehr schlechter Erhaltungszustand). Ein GuiseArchiv existiert nicht mehr. Der von Herzog Christoph redigierte Bericht über den Verlauf ist veröffentlicht bei Sattler und Muntz (siehe Anm. 35). Im Folgenden wird nach dem (vollständig erhaltenen) Text in HStA Stuttgart, A 115 Bü. 20 zitiert (Summarische Verzeichnus was mit den Guisianern zu Zabern gehandlet worden 18. Feb. 1562). Und richtet die ganze predigt dahin, das der mensch allein sein vertrawen uff Gott den hern sollte haben, khein andern mittler oder fursprecher suchen noch haben dann unsern heiland Jhesum Christum, welcher unser ainiger erlöser und gnugthuung seie: ebd. (Bericht Herzog Christophs).

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raner nicht fehlen. Auch bei der Auffassung des Messopfers bewegte er sich weit auf die Württemberger zu,43 die dies mit großen Wohlgefallen vernahmen. Es herrschte bestes Einvernehmen. Wenn nur die Genfer so vernünftig wären wie die Deutschen, so könne man sich mit ihnen leichter verständigen,44 rief der Kardinal aus. Sein Ziel für Frankreich, so führte er weiter aus, sei die Wiederherstellung der religiösen Einheit oder, wenn diese nicht erreicht werden könne, eine Regelung nach dem Vorbild des Augsburger Religionsfriedens.45 Ein Augsburger Religionsfrieden für Europa – so sah die Zielvorstellung aus, die der Kardinal von Lothringen bei der Begegnung im Elsass entwickelte. Um diesen Zweck zu erreichen, sollte der Anfang in Deutschland gemacht werden, dessen Beispiel für das übrige Europa von entscheidender Bedeutung sei. Der Kardinal schlug vor, mit einer vom Trienter Konzil ermächtigten Deputation hervorragender Theologen nach Deutschland zu kommen, um hier mit den Vertretern der lutherischen Fürsten einen Religionsvergleich herbeizuführen. Er wollte das Vorhaben dem Kaiser, dem Papst und dem spanischen König vermitteln. Württembergs Part wäre es, mit der Idee bei den deutschen Fürsten vorstellig zu werden.46 Der Herzog, der immer noch hoffte, das Haus Guise zur evangelischen Lehre bekehren zu können, nahm die Anregung freudig auf und leitete sie an die anderen Höfe weiter. Doch erntete er nur skeptische Reaktionen. Den Tenor gab Landgraf Philipp von Hessen vor. Man dürfe, so 43

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Unter anderem sagte der Kardinal im Gespräch mit Christoph und Brenz: So hab ich in […] meinen Bisthumben angerichtet, das khein meß mer gelesen werde, es seien dann communicanten darbei, so bin ich im werckh, jetzt den canon auch in der meß auszulassen, wie euch dann solcher ordnung nach Ostern ein Exemplar will schicken: ebd. Sagt der Cardinal, wo Beza und andere Gallici ministri so bescheiden unnd discret weren, wie Ir Teutsche Theologici, so were mit Inen zuhandlen, unnd verhofften ein christliche vergleichung zu treffen: ebd. Sein Ziel sei Einigkeit der Religion in Franckhreich oder, wo das nit erfolgen, doch dermassen pax Religionis gemacht, wie da jetzt in Germania were, damit vilen beschwerdten gewissen geholffen: ebd. Ob das nit ein weg, das er der Cardinal bei der Kayserlichen Majestät, Bapst, Künig von Hispanien und andern potentaten hette gehandlet, das sie bewilligten, das er von dem Concilio ain acht, zehen, zwölff unnd zu dem hochsten sechtzehen gelerte Gots förchtige Bischoff unnd prelaten genommen hette, und were mit denselben herausser in das Teutschland an ain bequem und dem A.C. verwanndten stenden gelegenen ort khommen, alda ain freündtlich gesprech unnd conversation mit einander gehalten wurde, uber die strittige articul. Er verhoffte jhe sovil, das man sich deren vergleichen möchte, wo nun die vergleichung mit Teutschlannd beschehe, so were Franckhreich unnd andern nationen als Engellandt, Schotten, Poln auch geholffen, die alle ir uffsehen uff die Teutsche hetten: ebd.

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warnte der erfahrene Fürst in Kassel, einem Weltweisen wie dem Kardinal von Lothringen, der in besonderem Maße zur Täuschung fähig sei, nicht ohne weiteres vertrauen. Bekehre er sich tatsächlich, so sei es allerdings ein Mirakel.47 Vorderhand müsse man freilich annehmen, dass es die Guisen nur darauf anlegten, die Spaltung zwischen Lutheranern und Reformierten weiter voranzutreiben, um dann beide Gruppen in Frankreich desto leichter vernichten zu können.48 Nach Ansicht des hessischen Reformationsfürsten gab es überhaupt kein denkbares konfessionspolitisches Konzept jenseits der Konfessionalisierung. Daher konnte es der Kardinal von Lothringen überhaupt nicht ernst meinen! Ihm ging es, so der Landgraf, nicht um die Verwirklichung eines Programms zur Überwindung der konfessionellen Spaltung, sondern nur darum, kurzfristige taktische Vorteile in Frankreich zu erringen, indem er dem König von Navarra (Antoine de Bourbon) schadete, der an der Spitze der hugenottischen Partei stand. Außerdem strebte der Kardinal aus Prestigegründen nach Verbindungen ins Reich, um seine eigene Klientel fester an sich zu binden.49 Die Stellungnahme aus Kassel ließ erkennen, dass für die deutschen Fürsten zu diesem Zeitpunkt Konfessionspolitik nur auf der Grundlage des Status quo vorstellbar war. Wer Veränderungen wollte, wie der Kardinal von Lothringen, meinte es demnach nicht aufrichtig! Zum Unglück des Kardinals sollte wenige Tage nach dem Zaberner Treffen ein Ereignis eintreten, das diese Ansicht seiner Widersacher zu bestätigen schien. Es gab doch keine Alternativen mehr zur Konfessionalisierung. 4. Die alternativlose Konfessionalisierung: Von Wassy nach Trient Nur wenige Tage nach den Besprechungen in Zabern, am 1. März 1562, begingen Kriegsleute des Herzogs François de Guise ein Massaker an Hugenotten, die sich in dem Städtchen Wassy in der Champagne zum Gottes47

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Hauptstaatsarchiv Stuttgart, A 115 Frankreich, Bü. 20, unfol., Hessen an Württemberg (Kassel, 8. III. 1562). Wir thun aber als der sorgfeltige und besorgen, das es des Cardinals ernst nit sey, sonndernn darumb angefangenn, sich mit E.L. zu underredden, die annder parthey inn Franckreich jegenn die Teutschenn verhast zumachenn, unnd da sie mit solcher parthey hindurch, wurdenn sie leichtlich den uberigen theill, der mocht der A.C. sein, auch auß Franckreich außreutten: ebd. Dann es kondt woll der Cardinal als ein geschickter, listiger mensch allein darumb fur gut angesehen, Er, mit seinenn Brudernn zue E.L. zu kommenn, uff das er E.L. jegenn den Konnig vonn Navarra unnd des anhang verdechtig machte unnd gloriirenn mocht, Er und seine Brüder weren inn grossem vertrawen und inn trefflicher handlung mit E.L. unnd den Teutschen fuerstenn, desto mehr, darmit seine parthey inn Franckreich ann sich zubehaltenn: ebd.

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dienst versammelt hatten. In der aufgeheizten Atmosphäre dieser Wochen, die viele einen nahen Ausbruch des Bürgerkrieges in Frankreich befürchten ließ, war dieses blutige Ereignis nicht singulär. Die Nachricht fand aber nicht zuletzt wegen der Verantwortung eines so prominenten Fürsten für das Geschehen rasche Verbreitung, auch im Heiligen Römischen Reich. Für das konfessionspolitische Programm des Kardinals bedeutete diese Bluttat, in die sein Bruder tief verstrickt war, eine tödliche Gefahr, schien sie doch die Annahme zu bestätigen, dass die Guise bis dahin nur Komödie gespielt hatten, um taktische Vorteile zu erringen und ungestört finstere Pläne gegen die Protestanten aushecken zu können. Wohl auf Drängen des Kardinals sandte der Herzog, der seine Männer in Wassy nicht hatte zurückhalten können oder wollen, eine Reihe ausführlicher Schreiben an den Herzog von Württemberg, in denen er sich bemühte, das Blutbad als Unfall (accident) erscheinen zu lassen.50 In der Tat wird diese Version von den erhaltenen Quellen über das Ereignis gestützt, die auf eine spontane Eskalation der Gewalt auf beiden Seiten schließen lassen.51 Dennoch verstärkte sich auf Seiten der Reichsfürsten der Vorbehalt, dass die konfessionspolitischen Initiativen des Kardinals nur Mittel zur Täuschung gewesen seien.52 Trotz des schweren Verdachts, der nun auf seinen Unternehmungen lastete, wollte dieser aber zunächst nicht von den Plänen zur Wiederherstellung der Religionseinheit lassen und erhielt zu diesem Zweck die Kontakte ins Reich aufrecht.53 Herzog Christoph teilte er im Mai 1562 mit, dass er immer noch hoffte, die verlorene Glaubenseinheit Europas in Deutschland wiederfinden zu können. Der Unterstützung Kaiser Ferdinands glaubte er sich dabei weiterhin sicher.54 Dies waren aber fruchtlose Bekundungen der Zuversicht. In Wahrheit stand der Kardinal nach dem Ereignis von Wassy, das seine Glaubwürdigkeit beschädigte, vor den Trümmern seiner Politik. Es kam hinzu, dass sich die französische Regierung in Abwesenheit der Guise dafür entschieden hatte, von dem Streben nach der Einheit in der Religion abzugehen. Sie hatte im Ja50 51

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Silvia C. Shannon, The Political Activity (wie Anm. 7), S. 377. Ebd., S. 344–382, mit einem gründlichen Vergleich der Quellentexte, zwei davon katholischer, zwei protestantischer Provenienz. Herzog Christoph von Württemberg fügte seinem Bericht von dem Zaberner Treffen nach Wassy die düstere Zeile hinzu: Deus sit ultor doli et periurii (Hauptstaatsarchiv Stuttgart, A 115 Frankreich, Bü. 20). Vgl. Briefe Friedrichs des Frommen, Kurfürsten von der Pfalz, bearb. von August Kluckhohn, Bd. 1, Braunschweig 1868, S. 306. Sein Brief an den Herzog von Württemberg vom 22. Mai 1562 abgedruckt in: Mémoires de Condé, servant d’éclaircissement et de preuves à l’Histoire de M. de Thou, Bd. 3, London 1743, S. 453f.

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nuar 1562 das Toleranzedikt von Saint-Germain erlassen, das vom Prinzip der Bikonfessionalität Frankreichs ausging.55 Gerade diese Maßnahme, die den inneren Frieden des Königreiches sichern sollte, ließ die Gewaltbereitschaft auf beiden Seiten wachsen und beschleunigte so den Ausbruch des konfessionellen Bürgerkrieges. In dieser Situation wurde es dem Kardinal von Lothringen klar, dass er die Dinge nur noch vom Konzil aus in Bewegung bringen konnte, das inzwischen seine Arbeit in Trient wieder aufgenommen hatte. Man kann dabei von einem konziliaren Salto des Kirchenfürsten sprechen, der mit einem stattlichen Gefolge französischer Prälaten im Herbst 1562 nach Trient reiste.56 Ihm war klar, dass er die Dinge dort nur beeinflussen konnte, wenn er sich nicht in eine fruchtlose Oppositionshaltung gegen die Kurie und die Mehrheit der Konzilsversammlung begab. Allerdings hatte er es sich selbst zuzuschreiben, wenn ihn Papst Pius IV. und die kuriale Gruppe auf dem Konzil aufgrund seiner bisherigen religionspolitischen Initiativen als Widersacher und Anführer der gegnerischen Partei wahrnahmen. Konnte man angesichts der verhärteten Fronten wirklich noch Impulse für die christliche Einheit vom Konzil erwarten, nachdem die Vorstöße des Kardinals in Frankreich und im Heiligen Römischen Reich stecken geblieben waren? Anfangs hegten die wenigen verbleibenden Moyenneurs diese Hoffnung. Auch Lothringen selbst setzte um die Jahreswende 1562/63 noch auf die Einbeziehung der deutschen und englischen Protestanten sowie auf weitgehende Kirchenreformen, die eine Wiederherstellung der christlichen Einheit ermöglichten.57 Die Strategie, mit der er Papst Pius IV. und die kuriale Mehrheit auf die konfessionelle Kompromisslinie bringen wollte, war nicht schlecht gewählt. Er kalkulierte mit dem Druck der öffentlichen Meinung, indem er die Diskussion über die Reformthematik aus dem Konzil heraus in eine breitere humanistische Öffentlichkeit tragen wollte, und strebte nach einer Allianz zwischen dem Kaiser, Spanien und Frankreich, von der ein politischer Reformdruck auf die Kirchenversammlung ausgehen sollte.58 Während Charles de Guise von Trient aus Politik für die Glaubenseinheit Europas machte, errang sein Bruder François in einer der wenigen großen Feldschlachten des französischen Religionskrieges, der Schlacht von Dreux am 19. Dezember 1562, einen klaren Sieg über das Aufgebot der Hugenotten. Einen Augenblick schien es, als könnte der 55 56

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Edits des guerres de religion, bearb. von André Stegmann, Paris 1979, S. 10–13. Jedin, Geschichte des Konzils von Trient IV/1 (wie Anm. 32), S. 224–235; Tallon, La France et le concile (wie Anm. 21), S. 356–364. Ebd., S. 371f., 777–785. In diesem Zusammenhang findet auch die Reise des Kardinals zu Kaiser Ferdinand I. nach Innsbruck ihren Platz: ebd., S. 377, 381–385.

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künftige Frieden die Handschrift der Guisen tragen. Bereits zwei Monate später aber fiel der Herzog von Guise dem Attentat eines protestantischen Adligen, Poltrot de Méré, zum Opfer.59 Dieses Ereignis blieb nicht ohne Rückwirkung auf die Position des Kardinals in Trient. Mit dem Tod des Familienoberhauptes geriet das Haus Guise in eine Krise. Der Druck auf den konzilspolitisch stark engagierten Kardinal von Lothringen nahm zu. Er wollte rasch nach Frankreich zurückkehren. Allerdings konnte er die Rückreise nicht als trauernder Chef eines vom Unglück geschlagenen Hauses antreten. Er musste die Reformbemühungen in Trient zu einem erfolgreichen Abschluss bringen, damit er bei der Rückkehr in Frankreich als Repräsentant einer sich glänzend erneuernden römischen Kirche erscheinen konnte.60 Dies erforderte aber den Verzicht auf seine eigenständigen Initiativen und die Annäherung an die kuriale Partei des Konzils, die nach Lage der Dinge eine stattliche Mehrheit bildete. Ein Ende der Versammlung ohne klare Resultate in der Frage der Kirchenreform wäre jedenfalls für das Prestige des Kardinals von Lothringen ein schwerer Schlag gewesen. So wurde er, für viele überraschend, zum engsten und aktivsten Verbündeten Pius’ IV. in den letzten Monaten vor Abschluss des Tridentinums.61 Veränderungen in der Kirche waren freilich nur mit der Kurie zu erreichen, nicht gegen sie. So war dieser Kurswechsel des Kardinals zum einen kein vollständiger, hatte er doch die Rolle eines Opponenten gegen Rom niemals für sich angestrebt, zum anderen war er nach Lage der Dinge, die einen raschen Abschluss des Konzils erforderlich machten, auch völlig verständlich. Das Problem bestand allerdings darin, dass die französische Regierung, die zu diesem Zeitpunkt weitgehend in den Händen der Königinmutter Cathérine de Médicis lag, an den alten Plänen festhielt, die einst auch der Kardinal von Lothringen vertreten hatte: nationalkirchliche Neuordnung und Reformen der Kirche an Haupt und Gliedern.62 So war der unter seiner Mitwirkung zustande gekommene Abschluss des Konzils für den Kardinal ein Befreiungsschlag, jedoch einer mit ungewissem Ausgang. Zusammen mit zwölf anderen französischen Prälaten unterzeichnete er am 4. Dezember 1563 die Trienter Dekrete, die den Weg 59

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Nicola Mary Sutherland, The Assassination of François duc de Guise, February 1563, in: Dies., Princes, Politics and Religion, London 1984, S. 139–155. Tallon, La France et le concile (wie Anm. 21), S. 396. Ebd., S. 408–414; Hubert Jedin, Geschichte des Konzils von Trient, Bd. IV/2, Freiburg 1975, S. 69ff. André Tallon spricht hier von den „deux politiques conciliaires françaises“, da die Positionen Guises und der Königinmutter inzwischen unvereinbar waren: La France et le concile (wie Anm. 21), S. 400–408.

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in die Konfessionalisierung unumkehrbar machten. In wessen Namen leistete er die Unterschrift, für Frankreich oder nur für sich selbst? Über diese Frage sollte in den nächsten Jahrzehnten unerbittlich gestritten werden. Es war somit völlig offen, welche Bedeutung die Konzilsdekrete für Frankreich haben sollten. Kaum wieder in Paris eingetroffen, regte der Kardinal in einer Sitzung des königlichen Rates die sofortige Umsetzung der Beschlüsse des Tridentinums an, wurde jedoch überstimmt. Die Opponenten äußerten, dass er mit seiner Unterschrift in Trient nur sich selbst verpflichtet habe, nicht jedoch das Königreich. Der Streit um die Kirchenreform war somit auch von der jeweiligen Position zum Kardinal von Lothringen abhängig.63 Die Krone behielt sich vor, die Reformbeschlüsse nur partiell oder auch überhaupt nicht zu übernehmen. Die Juristenelite in den französischen Parlamenten äußerte radikale Kritik am Konzil. Dieses sei eine rein „papistische“ Veranstaltung gewesen und somit für die europäischen Monarchien nicht maßgeblich. Außerdem stünden die Beschlüsse der Versammlung in unaufhebbarem Widerspruch zu den Privilegien der gallikanischen Kirche, wobei die Autoren juristischer Provenienz es stets vermieden, diese Privilegien ausdrücklich zu benennen.64 So war dem Haus Guise in den politischen Konstellationen der nachkonziliaren Periode unversehens eine Mission zugefallen, der sich auch der Kardinal zu stellen hatte, nämlich Sachwalter des Tridentinums in Frankreich zu sein. Damit wurde der einstige Spieler gegen die Konfessionalisierung zu ihrem entschlossenen Akteur, der in seiner Erzdiözese Reims für eine konsequente Umsetzung der Trienter Beschlüsse nach Geist und Buchstaben sorgte und damit dem übrigen Frankreich um zumindest zwei Jahrzehnte vorauseilte.65 Die konfessionspolitischen Initiativen des Kardinals von Lothringen in Frankreich, im Heiligen Römischen Reich und auf dem Trienter Konzil geben Anlass, die Frage nach den Weichenstellungen in Richtung auf die Konfessionalisierung und nach den Alternativen zu diesem Prozess nochmals aufzuwerfen, nicht zuletzt im Hinblick auf den „Sonderfall Frank63

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Victor Martin, Le Gallicanisme et la Réforme catholique. Essai historique sur l’introduction en France des décrets du concile de Trente (1563–1615), Paris 1919 (ND Genève 1975), S. 30-36. Vgl. Thomas I. Crimando, Two French views on the council of Trent, in: The Sixteenth Century Journal 19, 1988, S. 169-186. Zum Kardinal von Lothringen als Akteur der katholischen Konfessionalisierung in den Jahren 1564-74 vgl. jetzt: Thomas Nicklas, Gegen und für das Tridentinum in Frankreich. Der Kardinal von Lothringen und seine Haltung zum Konzil – ein Forschungsproblem, in: Römische Quartalschrift 103, 2008, S. 153-171.

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reich“. Bei dem Kardinal aus dem Hause Guise verbanden sich politisch motivierter Wille zur Kirchenreform und das Ziel der Bewahrung oder Wiedergewinnung der Kircheneinheit. Damit stand er in der Tradition der französischen Religionspolitik der 1530er Jahre, als König François I. den im Reich losgebrochenen Konfessionskonflikt an der Seine schlichten zu können meinte. Den einengenden Schemata der Konfessionalisierung hat sich diese weit ausholende Versöhnungspolitik verweigert. Dem Kardinal von Lothringen erschien es sehr wohl plausibel, das Augsburger Bekenntnis zur Basis für eine Verständigung zwischen Katholiken und Protestanten zu machen. Die Aufrichtigkeit seines Einigungswillens ist freilich von den Zeitgenossen und der historischen Forschung wiederholt in Frage gestellt worden. War nicht Täuschung sein einziges Anliegen? Hatte er nicht allein im Sinn, die Spaltung der aus der Reformation hervorgegangenen Strömungen zu vertiefen? Manchen schien es ausgemacht, dass hinter seinen Plänen eine düstere Vernichtungsstrategie verborgen lag, die dem Protestantismus durch europäische Allianzen und Verschwörungen ein Ende zu bereiten hoffte. Die Schwierigkeiten der Historiographie mit den Anstößen des Kardinals hängen auch damit zusammen, dass ein späteres Ereignis wie das Massaker der Bartholomäusnacht, für das er neben anderen verantwortlich gemacht wurde, mit seiner Religionspolitik der 1560er Jahre in der Wahrnehmung interferierte. Es ist aber an der Zeit, zu einer Würdigung dieses späten Handelns wider die Konfessionalisierung zu kommen, die der Komplexität alles Politischen eher gerecht wird als die bejahrten Verschwörungshypothesen aus dem Konfessionellen Zeitalter. Damit ist die aktuelle und die künftige Richtung der Forschung zu dem Thema umrissen. Es trägt nicht wenig zu den Schwierigkeiten bei, wenn der Kardinal von Lothringen vor 1563 gegen die Konfessionalisierung arbeitete, wenn er sich nach Trient aber zu ihrem entschlossenen Akteur wandelte, der seine Erzdiözese Reims zu einem Modellfall des tridentinischen Katholizismus in Frankreich ausbaute. Nichts zeigt vielleicht besser die Unumkehrbarkeit des Prozesses der Konfessionalisierung nach den Weichenstellungen im dritten Viertel des 16. Jahrhunderts.

Die Iberische Halbinsel und die Kolonien zwischen Konfessionalisierung und Sonderweg Ludolf Pelizaeus Die Positionen zum Thema „Spanien und Konfessionalisierung“ scheinen unversöhnlich. Anton Schindling schrieb 1997, dass „der Begriff Konfessionalisierung […] jeden spezifischen Sinn [verliert], wenn er synonym mit Christianisierung gebraucht wird“ und „es verbietet sich für eine historisch differenzierende Betrachtung, Granada und Altötting über einen Kamm scheren zu wollen“.1 Peter Hersche sieht dies ähnlich: „[…] für Italien, Spanien, Portugal scheidet die [Konfessionalisierungs-]These, wenn man auf Zeedens Ansatz zurückgeht, eo ipso aus; erst recht aber, wenn man ihr noch andere Elemente aufpfropft: Die Mittelmeerländer sind ja die Paradebeispiele für Nichtmodernisierung und Nichtdisziplinierung“.2 Heißt das aber, dass man über Spanien gar kein Wort verlieren sollte, weil es katholisch war? Oder anders gefragt: Lässt sich das, was wir in Spanien, Portugal, aber natürlich auch in den anderen Teilen der spanischen Monarchie in Europa, besonders Italien und Außereuropa finden, wirklich allein als „Christianisierung“ bezeichnen? So ist schließlich Peer Schmidt erheblich vorsichtiger, der das Konfessionalisierungsparadigma für Spanien nicht ablehnt, jedoch einige Einschränkungen vornimmt.3 So wird sich auch dieser Aufsatz der Frage zuwenden, auf welche Bereiche sich die Konfessionalisierungsthese in Bezug auf Spanien anwenden lässt. 1

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Anton Schindling, Konfessionalisierung und Grenzen von Konfessionalisierbarkeit, in: ders. / Walter Ziegler (Hgg.), Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und der Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500–1650, Bd. 7 (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 57), Münster 1997, S. 9–44, hier S. 19. Peter Hersche, Muße und Verschwendung: Europäische Gesellschaft und Kultur im Barockzeitalter, Bd. 1, Freiburg i. Br. u.a. 2006, S. 59. Peer Schmidt, Inquisitoren – Mystikerinnen – Aufklärer. Religion und Kultur in Spanien zwischen Barock und Aufklärung, in: Peter C. Hartmann (Hg.), Religion und Kultur im Europa des 17. und 18. Jahrhunderts (Mainzer Studien zur Neueren Geschichte 12), Frankfurt a. M. u.a. 2004, S. 143–166, hier S. 163–166.

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Zunächst muss dabei die Unterschiedlichkeit der Großgruppe des „Katholizismus“ hervorgehoben werden, der seinerseits in Frankreich und den katholischen Niederlanden in den Jahren der Auseinandersetzung mit den Protestanten eine andere Prägung erfuhr als in Süditalien, Spanien, Portugal oder den spanischen und portugiesischen Kolonien.4 Hier gab es das Mayorazgo, also jene Institution, die nur dem Ältesten das Erbe zusprach, so dass die Jüngeren auf Kirche und Militär als Versorgungsinstitution angewiesen waren.5 Sich mit der Anwendung des Begriffs „Konfessionalisierung“ in Bezug auf Spanien auseinanderzusetzen, ist schon deswegen notwendig, weil die Konfessionalisierung ohne die Ideenwelt des Spaniers Ignatius von Loyola (1491–1556) ihre wichtigsten Impulse gar nicht erhalten hätte.6 Allgemein anerkannt ist die eminente Rolle, welche die Jesuiten für das europäische, aber auch für das durch König Philipp II. vom übrigen Europa weitgehend abgesonderte spanische Bildungssystem hatten. Wie in anderen Teilen Europas und der Welt lässt sich an großen Jesuitenkollegien nicht nur die Bedeutung der Gesellschaft Jesu, sondern auch deren Funktion innerhalb der Erneuerung der Kirche im tridentinischen Sinne ablesen. Die Clerecía in Salamanca mag dabei für die „Renovatio“ in Europa und die Bauten in und um Córdoba in Argentinien für die Bewegung in den Kolonien stehen.7 4

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Ob es andererseits einen „mediterranen Katholizismus“ gab, der hier dominierte, ist umstritten. Es kann aber als gesichert gelten, dass der Katholizismus in Italien, Spanien und Portugal eine eigene und abgesonderte Entwicklung durchmachte. Ausführlicher Überblick über die Diskussion bei: Hersche, Muße, Bd. 1 (wie Anm. 2), S. 112–151. Vgl. auch: Louis Châtelier, Katholische und protestantische Kultur in Frankreich im 17. und 18. Jahrhundert, in: Hartmann (Hg.), Religion und Kultur (wie Anm. 3), S. 51–56, hier S. 51–53. Für Spanien: Adolfo Carrasco Martínez, Sangre, honor y privilegio. La nobleza española bajo los Austrias, Barcelona 2000, S. 43–52. Vergleichend: Hersche, Muße, Bd. 1 (wie Anm. 2), S. 112f., speziell für Spanisch-Italien: Francesco Benigno, Der Adel in den italienischen Provinzen der spanischen Monarchie im 17. Jahrhundert, in: Ronald G. Asch (Hg.), Der europäische Adel im Ancien Régime. Von der Krise der ständischen Monarchien bis zur Revolution (ca. 1600–1789), Köln u.a. 2001, S. 385–408, hier S. 388–401. Peter C. Hartmann, Die Jesuiten (Beck’sche Reihe 2171), München 2001, S. 9–13; Kathleen M. Comerford, Clerical Education, Catechisis, and Catholic Confession­ alism. Teaching Religion in the Sixteenth and Seventeenth Centuries, in: Kathleen M. Comerford / Hilmar M. Pabel (Hgg.), Early Modern Catholicism. Essays in Honour of John W. O’Malley S.J., Toronto 2001, S. 241–265, hier S. 248f. Die internationale Zusammenarbeit bei der Entstehung dieser Kirchen beleuchtet: Gauvin Alexander Bailey, The Jesuits and the Non-Spanish Contribution to South American Colonial Architecture, in: Comerford / Pabel (Hgg.), Early Modern Catholicism (wie Anm. 6), S. 211–240.

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Ist einerseits die Rolle der Jesuiten für die „Konfessionalisierung“ unbestritten, so fällt andererseits auf, dass in Spanien oder Portugal diese Bezeichnung, wenn überhaupt, nur als eingeführter Terminus Verwendung findet. Die umfangreichste spanische Zeitschriftendatenbank, „Dialnet“, kann für diesen Begriff nur einen Treffer aufführen.8 Etwas mehr Glück hat man hier mit den Begriffen Disciplina oder Confesión (Bekenntnis), wobei letzterer vornehmlich in Titeln von Psychologen und Philosophen auftaucht.9 Es kann daher nicht verwundern, dass die spanischen Überblickswerke weiterhin den Terminus der Gegenreformation, der Contrareforma oder des Baroco, verwenden.10 Wenn wir also die Konfessionalisierung als einen Fundamentalprozess der europäischen Geschichte begreifen wollen, so ist zu fragen, was diese Bewegung im außerdeutschen Raum ausmacht. Da viele Aufsätze von Heinz Schilling und Wolfgang Reinhard Antworten auf erhobene Einwände gewesen sind, sei hier bewusst auf die von Wolfgang Reinhard in der Zeitschrift für Historische Forschung 1983 als konstitutiv ausgemachten Elemente der Konfessionalisierung zurückgegriffen.11 Zentrale Momente für die Konfessionalisierung sind nach seiner 8

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Federico Palomo, „Disciplina christiana“: Apuntes historiográficos en torno a la disciplina y el disciplinamiento social como categorías de la historia religiosa de la alta edad moderna, in: Cuadernos de Historia Moderna 18, 1997, S. 119–136. Ute Lotz-Heumann, The concept of „Confessionalization“: A Historiographical Paradigm in Dispute, in: Memoria y civilización. Anuario de historia 4, 2001, S. 93–114 ist ein Beitrag einer deutschen Wissenschaftlerin in Englisch zum Thema. Vgl. Eszter Andor / István György Tóth (Hgg.), Frontiers of Faith. Religious Exchange and the Constitution of Religious Identities 1400–1750, Budapest 2001, die einen umfassenden Blick auf Osteuropa werfen. Auch Hersche, Muße, Bd. 1 (wie Anm. 2), S. 56 verweist darauf, dass die Konfessionalisierungsthese außerhalb Italiens kaum Beachtung fand, auch Schmidt, Inquisitoren (wie Anm. 3), S. 164f. kam zu diesem Ergebnis. Vgl. Dialnet http://dialnet.unirioja.es/ (Zugriff: 20.1.2009). Zur „heuristischen“ Verwendung der Begriffe: Schmidt, Inquisitoren (wie Anm. 3), S. 164f. Henry Kamen, Spain 1469–1714. A Society of Conflict, London u.a. 1983, S. 122– 195 und John Lynch, Los Austrias (1516–1598) (Historia de Espana 10), Barcelona 1992, S. 294–328 bezeichnen die Zeit als „counter-reformation“ bzw. „contrareforma“. Renata Ago / Vittorio Vidotto, Storia moderna, 7. Aufl., Rom 2006, S. 65–73 überschreibt das Kapitel für einen Überblick über die europäische Geschichte mit „Controriforma“. Vgl. auch die umfangreichen Ausführungen, die aber eher den deutschen Forschungsstand wiedergeben sollen, bei Danilo Zardin, Controriforma, Riforma cattolica, cattolicesimo moderno: conflitti di interpretazione, in: Cesare Mozzarelli (Hg.), Identità italiana e cattolicesimo, Rom 2003, S. 289–307, hier S. 292–302. Wolfgang Reinhard, Zwang zur Konfessionalisierung. Prolegomena zu einer Theorie des konfessionellen Zeitalters, in: Zeitschrift für Historische Forschung (ZHF) 10, 1983, S. 257–277. Aktuelle Positionen: Wolfgang Reinhard, Geschichte

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Auffassung einerseits die „Herstellung von Großgruppen“ und andererseits die „Konfessionalisierung im Dienste des politischen Wachstums“.12 Es können dabei, das haben die Forschungen von Mack P. Holt gezeigt, durchaus einzelne Aspekte der Konfessionalisierung herausgegriffen werden, ohne dass allen Punkten Gültigkeit beigemessen wird. So kann für Frankreich zwar nicht nach der Ausformung der drei Konfessionen gefragt werden,13 doch kann man sich, Ernst Walter Zeeden folgend, mit der Frage nach der Herausbildung einer Identität befassen.14 Stellt sich für Holt die Frage nach der Integration des Calvinismus in der französischen Monarchie, so stellt sich für uns die Frage nach der Formierung von Glaubensidentitäten und wir werden sehen, dass Spanien und Portugal keinesfalls so leicht als einheitlich angesehen werden können. In Analogie zu dem Vorgehen von Mack P. Holt, James R. Farr, Gregory Hanlon und Emile Mâle ist also die Frage nach dem Prozess der Konfessionalisierung zu stellen, aber ohne davon auszugehen, dass eben dieser zu einer konfessionellen Spaltung führen muss.15 Die Iberische Halbinsel kannte ebenfalls die „Verarbeitung und Bewältigung der neuen Erfahrung von […] Nachbarschaft“. Schroffe Konfliktkonstellationen und die daraus erwachsenden „Kommunikations- und Kulturverdichtungen“ existierten in ihren jeweiligen Ausprägungen ebenso in Spanien. Man brauchte keinen Protestantismus, um die Kirche als bedroht zu sehen, denn natürlich verstand man gerade im ausgehenden 16. Jahrhundert den Glaubensbestand aufgrund der unterschiedlichen Glaubensströmungen als bedroht. Es ist also nach den Auswirkungen der durch das Trienter Konzil bedingten Änderungen

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der Staatsgewalt, München 1999, S. 322–330; Heinz Schilling, Die neue Zeit. Vom Christenheitseuropa zum Europa der Staaten 1250–1750, Berlin 1999, S. 62–87. Reinhard, Zwang zur Konfessionalisierung (wie Anm. 11), S. 263–268; Stefan Ehrenpreis / Ute Lotz-Heumann, Reformation und konfessionelles Zeitalter, 2., durchges. Aufl., Darmstadt 2008, S. 62–67. Kritisch dazu: Hersche, Muße, Bd. 1 (wie Anm. 2), S. 47–50, 55–64. Mack P. Holt, Confessionalization beyond the Germanies: The Case of France, in: John M. Headley u.a. (Hgg.), Confessionalization in Europe, 1555–1700. Essays in Honor and Memory of Bodo Nischan, Aldershot 2004, S. 257–274. Vgl. auch: James R. Farr, Confessionalization and Social Discipline in France, 1530–1685, in: Archiv für Reformationsgeschichte (künftig: ARG) 94, 2003, S. 276–293. Ernst Walter Zeeden, Die Entstehung der Konfessionen. Grundlagen und Formen der Konfessionsbildung im Zeitalter der Glaubenskämpfe, München 1965; Wolfgang Reinhard, Gegenreformation als Modernisierung? Prolegomena zu einer Theorie des konfessionellen Zeitalters, in: ARG 68, 1977, S. 226–252. Gregory Hanlon, Confession and Community in Seventeenth Century France. ­Catholic and Protestant Coexistence in Aquitaine, Philadelphia 1993. Zur Diskussion um die Sozialdisziplinierung in Frankreich: Benoît Garnot, Le peuple au siècle des lumières. Échec d’un dressage culturel, Paris 1990, S. 59–70.

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auf einen längeren Zeitraum bezogen zu fragen. Wo und wie änderten sich Glaubensvorstellungen? Wo und wie lange gab es das Zusammenleben, die „Convivencia“, die gemeinhin nur für das Mittelalter angenommen wird? In einem ersten Schritt muss daher das konfessionseinheitliche Spanien in konfessioneller wie territorialer Hinsicht aufgebrochen werden, um zu zeigen, wie viele Unterschiede, Verwerfungen und Schwierigkeiten es zwischen Gruppen, Völkern und Regionen gab. Dabei ist es wichtig, den Prozess der Konfessionalisierung als Modell für die Schaffung einer territorialen Identität zu sehen, ohne dies teleologisch als „Modernisierung“ begreifen zu müssen.16 Lutheraner, Erasmisten, Alumbrados Selbst auf der Iberischen Halbinsel musste die im Werden begriffene Glaubenseinheit zunächst gegen eine häretische Bedrohung gesichert werden. Zwar blieb dieser bis 1559 dauernde Prozess im europäischen Vergleich relativ kurz, als er 1559 in die Auto da fes von Valladolid, Zamora und Sevilla mündete. Es ist kein Zufall, dass diese großen Prozesse gegen Ketzer mit der Regierungsübernahme Philipps II. zusammenfielen. Diese Koinzidenz ist aber nicht einfach auf die Thronbesteigung eines fanatischen Katholiken zurückzuführen, wie dies noch von Forschern wie Charles Henry Lea oder Ernst Schäfer gesehen wurde. Vielmehr bedeutete die Regierungsübernahme Philipps II. das erstmalige Zusammenfügen der Reiche der spanischen Krone unter einem Herrscher ohne die österreichischen Lande. Es ist daher auch Philipp II., wie es Henry Kamen gezeigt hat, der als erster den Titel „König der Spanien“, Rey de las Españas, einführte und mit seinem Handeln 1558/59 eben nicht nur konfessionell, sondern auch staatlich ein Zeichen setzte.17 16

17

Palomo, Disciplina (wie Anm. 8), S. 121. – Vgl. zu den Grenzen von „Modernisierung“: Wolfgang Reinhard, Staatsbildung durch „Aushandeln“?, in: Staatsbildung als kultureller Prozess. Strukturwandel und Legitimation von Herrschaft in der Frühen Neuzeit, hg. v. Dagmar Freist und Ronald Asch, Köln/Wien 2005, S.  429-438; Dagmar Freist, Einleitung: Staatsbildung, lokale Herrschaftsprozesse und kultureller Wandel in der Frühen Neuzeit, in: ebenda, S. 1-48, hier S. 15-39. Zu den Prozessen ausführlich: Jesus Alonso Burgos, El Luteranismo en Casti­ lla durante el siglo XVI, San Lorenzo de El Escorial 1983; Henry Kamen, Philipp of Spain, New Haven 1997; Ernst Schäfer, Beiträge zur Geschichte des spanischen Protestantismus und der Inquisition im 16. Jahrhundert. Nach den Originalakten in Madrid und Simancas, Bd. 1-2, Gütersloh 1902 (ND Aalen 1969), S. 36–62.

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Vor dem Regierungsantritt Philipps war bereits die karolinische Monarchie seit den 1530er Jahren gegen Lutheraner und Erasmisten vorgegangen, doch hielt sich die Verfolgung schon deswegen in Grenzen, weil Kaiser Karl V. zu sehr mit umfassenderen Bedrohungen als jener, die von der kleinen heterodoxen Gruppe in Spanien ausging, beschäftigt war.18 Die ersten Nachrichten, die von Lutheranern aus Spanien vorliegen, erwähnen nur ihre Existenz, aber es wurde wenig gegen sie unternommen. Es wurden beispielsweise Ausländer ausgewiesen, wie jener deutsche Ex-Mönch, der 1525 in Valencia lutherisch predigte und einfach wieder aufs Meer zurückgeschickt wurde. Lediglich wenn es den engen Umkreis des Kaisers betraf, wurde ein energisches Einschreiten der Inquisition gebilligt, so im Umgang mit Alfonso de Valdés, dem Chronisten Karls V. Dieser war bereits zu Lebzeiten in den Kreis der Verdächtigen geraten, doch erst 1545 traf ihn „post mortem“ im Rahmen einer zunehmenden konfessionellen Frontstellung die Strafe des Heiligen Offiziums, als sein Leichnam von der Inquisition verbrannt und die Asche zerstreut wurde.19 Betrachten wir die Jahre um 1530, so fällt auf, dass zunächst der staatliche Arm in den Teilen Spaniens, in denen es auch nach der Niederschlagung der großen Aufstände der Comunidades und Germanias noch zu Widerstand kam, vornehmlich mit Verfolgung und Bestrafung von politischen Straftätern beschäftigt war. Die Inquisition hingegen wandte sich zunächst der Sicherung der Lehre gegenüber den konvertierten Juden und Moslems, den Conversos und Moriscos, zu.20

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José Martínez Millán, Del humanismo carolino al proceso de confesionalización filipino, in: Juan Luis García Hourcade / Juan Manuel Moreno Yuste (Hgg.), Andrés Laguna, humanismo, ciencia y política en la Europa renacentista. Congreso Internacional, Segovia, 22–26 de noviembre de 1999, Valladolid 2001, S. 123–160; Irene New, Die spanische Inquisition und die Lutheraner im 16. Jahrhundert, in: ARG 90, 1999, S. 289–320. – Folgende Angabe aus: Arxiv del Regne de València, Chancelleria Reial, libros, 168. Henry Kamen, Die spanische Inquisition, München 1969, S. 60–92; Alfonso de Valdés, Diálogo de Mercurio y Carón, hg. v. Rosa Navarro Durán, Barcelona 1987, S. XLVII–XLVIII. Leonard P. Harvey, Muslims in Spain, 1500 to 1614, Chicago 2006, S. 102–121; zur Aktion gegenüber den Conversos die unterschiedlichen Positionen von: Luís Suárez Fernández, La salida de los judios, in: Julio Valdéon Baruque (Hg.), Isabel la Católica y la Política. Ponencias presentadas al I Simposio sobre el Reinado de Isabel la Católica celebrado en las ciudades de Valladolid y México en el otoño de 2000 (Colleción V. Centenario de Isabel la Católica 1), Valladolid 2001, S. 85–90 und Benzion Netanyahu, Causas y fines de la Inquisición española, in: Baruque (Hg.), Isabel la Católica (wie oben in dieser Anm.), S. 315–331, hier S. 327–331.

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Bartolomé Carranza, Antonio Pérez In die Regierungszeit König Philipps II. fiel nicht nur die Umsetzung des Tridentinums, sondern auch der Machtkampf zwischen Kirche und Inquisition. Nur unter den ersten drei spanischen Großinquisitoren war die Verbindung Kirche – Staat noch relativ eng, dann begann sich eine Konkurrenz herauszubilden, die sich sehr deutlich an den Figuren Antonio Pérez und Bartolomé Carranza aufzeigen lässt.21 Während Philipp II. im Fall von Antonio Pérez, der bis 1582 königlicher Sekretär war, 1592 die Inquisition als politische Waffe für die Verurteilung eines gefallenen Günstlings als Ketzer nutzte, stellte der Fall Carranza durch seine Frontstellung zwischen kirchlicher Hierarchie und Inquisition einen innerklerikalen Machtkampf dar. Hier gelang es der Inquisition unter der Führung des Rivalen Carranzas, des Großinquisitors Fernando de Valdés (1546–1566), den Metropolitan der spanischen Kirche und Erzbischof von Toledo nicht nur anzuklagen, sondern ihn trotz seiner Intervention in Rom weiterhin im Gefängnis festzuhalten. Die Inquisition hatte sich also als Institution um 1590 endgültig durchgesetzt.22 Verfolgungen wie die Fälle Pérez und Carranza blieben keine Einzelfälle, sondern schrieben sich in eine Offensive der Inquisition unter Gaspar de Quiroga (1573–1594) ein, der nicht nur dort gegen die Kirche vorging, wo es ihm notwendig erschien, sondern auch sonst die Effektivität der Inquisition bei der Durchsetzung der tridentinischen Glaubensvorstellungen zu stärken suchte.23 Das Wirken der Inquisition hatte eine derart lang andauernde Wirkung für die Iberische Halbinsel, weil Portugal und Spanien in dieser Zeit intellektuell vom übrigen Europa abgetrennt wurden und die ständige Kontrolle durch das Offizium die Entwicklung einer freien Wissenschaft und Literatur weitgehend verhinderte. Bereits 1551 war ein Bücherindex erstellt worden, 1559 wurde Spaniern und damit ab 1580 auch Portugiesen das Studium im Ausland verboten. Das Alltagsleben war durch die tägliche Überwachung der Lebensführung der Untertanen bestimmt, was als sehr einschneidend empfunden wurde.24 21 22

23 24

Kamen, Inquisition (wie Anm. 19), S. 35–184. Pilar Sánchez, Antonio Pérez y la inquisición, in: Ricardo García Cárcel (Hg.), Antonio Pérez y su época (Historia 16), Barcelona 1985, S. 11–19, hier S. 16. Comerford, Clerical Education (wie Anm. 6), S. 246–248. Die Zahl der Verurteilungen lag wohl bei ungefähr 100 000, von denen zwischen 1485 und 1808 1,8 Prozent den Feuertod erleiden mussten. Schmidt, Inquisitoren (wie Anm. 3), S. 151.

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Augenfällig wurde dies in der Ausweitung des Netzwerks der Comisarios und Familiares zwischen 1556 und 1585 und der Einführung eines genauen Fragenkatalogs (1607; Cartilla), um die Durchführung der Befragung vor Ort zu ermöglichen. Durch die Familiares erfolgte die Denunziation der Verdächtigen, durch die Comisarios, die meist Priester waren, die erste Befragung. Da es Aufgabe der Untersuchenden war, Fälle von Blasphemie, Aberglauben, Glaubensfehlern (errores de fé) und alle Arten sexueller Verfehlungen zu verfolgen, wurden alle Lebensbereiche und Schichten erfasst.25 Begleitet wurde das Vorgehen gegen „Glaubensirrtümer“ von flankierenden Maßnahmen, die dank der Familiares durchgeführt werden konnten, um die Disziplinierung der Anhänger und die „richtige“ Anwendung der Riten zu erreichen.26 Was Wolfgang Reinhard als die „Wiedergewinnung klarer theoretischer Vorstellungen“, besonders aber als die „Durchsetzung neuer Normen“ bezeichnet hat, vollzog sich in diesen Schritten. Mit den Auto da fes und der klaren Positionierung einerseits sowie der Ausschaltung der Konkurrenz andererseits konnte die Inquisition in Bezug auf die „Geschlossenheit der Großgruppe Konfession“ voranschreiten.27 Mozarabes, Moriscos und Conversos Da die Juden 1492 aus Spanien vertrieben und die Moslems in Schritten zwischen 1499 und 1526 zur Konversion gezwungen worden waren, sah die Inquisition beide Gruppen als verdächtig an, während es im Zusammenleben der Bevölkerung durchaus beiderseitiges Verständnis füreinander gab. Beide Gruppen waren keine Konfessionen, doch ist es wichtig, auf diese gefühlte Unterschiedlichkeit in der Glaubensausrichtung auch in Spanien hinzuweisen. Spanien stellte im 16. Jahrhundert nicht einen monolithisch katholischen Block dar, sondern es herrschte die Diversität, die eine ständige Herausforderung bedingte. So wie in Frankreich, wie Gregory Hanlon für Aquitanien gezeigt hat, durchaus im 17. Jahrhundert ein 25

26

27

Sara T. Nalle, Inquisitors, Priests, and the People during the Catholic Reformation in Spain, in: Sixteenth Century Journal 18/4, 1987, S. 557–587, hier S. 558–560. Von Hersche, Muße, Bd. 1 (wie Anm. 2), S. 60 wird hervorgehoben, dass für die Gültigkeit der Konfessionalisierungsthese auch die „Selbstdisziplinierung“ berücksichtigt werden müsse, damit man nicht in eine etatistische Sicht verfalle. Eine solche, zwar von der Institution Inquisition angestoßene, dann aber sich selbst weiter entwickelnde Bewegung scheint mir aber gerade hier vorzuliegen. Reinhard, Zwang zur Konfessionalisierung (wie Anm. 11), S. 263.

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Zusammenleben zwischen Protestanten und Katholiken möglich war,28 so galt dies auch für Moriscos und Altchristen in den Gegenden, die, wie etwa Kastilien, schon lange christlich waren. Im weiteren Verlauf des 17. Jahrhunderts nahm indes in Frankreich die Bereitschaft zur Integration ab. Ebenso verhielt es sich in Spanien bereits nach 1571, wo man beispielsweise in Kastilien nach dem Alpujaraaufstand und der Schlacht von Lepanto die ersten Ressentiments wahrnehmen musste. Gerade aus der Gruppe der Conversos ging eine wichtige Bewegung, nämlich die Mystik, hervor, wobei die Tradition der jüdischen Mystik ihren Niederschlag bei der Entwicklung einer christlichen Mystik fand. Zudem erwartete die Öffentlichkeit gerade bei Conversos mehr Inbrunst bei der inneren Einkehr, was dazu führte, dass gerade aus dieser Gruppe viele Mystikerinnen hervorgingen. Teresa von Avila entstammte einer Converso-Familie und so wurde der Streit 1626/27, ob Teresa von Avila neben dem Heiligen Jakobus zur zweiten Nationalheiligen Spaniens erhoben werden sollte, auch zum Streit zwischen denjenigen, welche die Conversos ablehnten, und der Gruppe, zu der auch der Orden Teresas, die Karmeliten, gehörte, welche diesen Hintergrund nicht als Makel verstanden wissen wollte. Schließlich setzte sich der König mit Olivares zugunsten der Erhebung der Heiligen Teresa durch, wie überhaupt das Heiligenpantheon in Spanien bei insgesamt 55 Kanonisierungen im Untersuchungszeitraum 17 spanische Heilige zählen konnte.29 Doch längst nicht alle, die in der Sicht der Bevölkerung ein heiligmäßiges Leben führten, fanden Gnade vor den Augen der Amtskirche. Einerseits wurde vielen Mystikerinnen, die teilweise auch im Land umherzogen (Beatas), die kirchliche Zustimmung verweigert, andererseits galt dies auch für Eremiten, die jedoch aufgrund der schwierigen sozialen Situation und ihrer relativ hohen gesellschaftlichen Akzeptanz viele Anhänger in der Landbevölkerung hatten. Sie rekrutierten sich aus gescheiterten Existenzen, seien es Bauern, Handwerker, Soldaten, stellenlose Geistliche oder entlaufene Mönche, und waren daher ein unmittelbarer Teil der Gesellschaft. Während es in Deutschland pro Diözese einige Dutzend, in der Toscana schon 140 bis 170 waren, zählte man in Spanien im ausgehenden 17. Jahrhundert über 4000 Eremiten. Dies bedeutete natürlich für die Amtskirche erhebliche Probleme, da diese große Gruppe nicht im Sinne der tridentinischen Reformen wirkte,

28 29

Holt, Confessionalization (wie Anm. 13), S. 259–261. Schmidt, Inquisitoren (wie Anm. 3), S. 155.

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sondern vielfach eine Mischung aus Volksglauben und kanonisierten Glaubenssätzen verbreitete.30 Der Kirche, mehr aber noch der weltlichen Obrigkeit, wurde daher das „Wegsperren“ der Nonnen zu einem Anliegen, konnte man sie doch so leichter kontrollieren. Dies gelang mit Erfolg in Altkastilien, wo in den Konventen in Zamora in einem über Jahrzehnte dauernden Prozess die Klausur durchgesetzt werden konnte, während dies in Katalonien nicht der Fall war und man dort den Frauen weiterhin eine gewisse Bewegungsfreiheit einräumte.31 Huacas, Capitão Mor Wenn, um mit Anton Schindling zu sprechen, „die bisherige Konfessionalisierungsdebatte […] davon aus[ging], daß […] drei großkirchliche Räume von Konfessionalisierung“ zu scheiden seien, „also lutherische Konfessionalisierung von Tübingen bis Trondheim, katholische von Osnabrück bis Syrakus und reformierte von Appenzell bis Massachusetts“, so kann man auch bei der Betrachtung des spanischen Imperiums nicht einfach in Cadiz stehen bleiben.32 Konfessionalisierung, Medien und Volkskultur sind in vergleichender Perspektive zu betrachten, denn Konfessionalisierung, das heißt eben nicht nur die Evangelisation, sondern gerade auch die zweite Bewegung zur Erneuerung des Glaubens im tridentinischen Sinne, musste in den außereuropäischen Gebieten auf ganz andere Bedingungen als in Europa stoßen. Die amerikanischen Gebiete, die Indias, gehörten administrativ zum Königreich Kastilien. Zwar war man sich durchaus der Unterschiede bewusst, sah aber die Verbindung in der gemeinsamen Abhängigkeit als wichtigste Klammer an. Dies galt auch für die von Mexiko aus verwalteten Philippinen, die deshalb mit Mexiko verbunden worden waren, da Spanien 30

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32

Hersche, Muße, Bd. 1 (wie Anm. 2), S. 381; Schmidt, Inquisitoren (wie Anm. 3), S. 157. Gegen sie wurde unter den Bourbonen vorgegangen. Francisco Xavier Lorenzo Pinar, Beatas y mancebos, Zamora 1995. Francisco Xavier Lorenzo Pinar, Aspectos mentales y de vida cotidiana en la Edad Moderna zamorana, und: José Sánchez Herrero, La iglesia y la religiosidad católica en Zamora durante la Edad Moderna, in: Historia de Zamora, Bd 2, Zamora 1995, S. 341–364 und 413–462, bes. 354–360 und 433–446. Vgl. jetzt die unveröffentlichte Magisterarbeit von Monika Frohnapfel, Terziarinnen in Zamora und die Durchsetzung der Klausur nach dem Konzil von Trient, Mainz 2008, auf der ihre entstehende Dissertation aufbaut. Schindling, Konfessionalisierung (wie Anm. 1), S. 19.

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aufgrund der Trennungslinie des Vertrages von Zaragoza nicht weiter nach Westen vorstoßen durfte.33 Was die Integration betraf, stellten diese Gebiete die Monarchie indes vor eine Reihe von Problemen. Zunächst galt für Amerika die Notwendigkeit der Evangelisierung, die nach der ersten Phase bis ungefähr 1580 von der Phase der Verfestigung im Sinne des Tridentinums abgelöst wurde. War die erste Evangelisierung noch mit Pictogrammen für das Vaterunser ausgekommen, musste man bei der zweiten Phase auf gedruckte Katechismen, die nun zumindest in den wichtigsten indigenen Sprachen, wie Quiché, Nahua, Aymara und Quechua, vorliegen mussten, zurückgreifen. Die Inhalte wurden der indigenen Bevölkerung von Priestern und Katecheten mit Predigt, Prüfung, Drohung und Belohnung eingetrichtert. Durch Katechese, die Cura animarum, sollten einerseits die Glaubensvorstellungen gegen die „Volksfrömmigkeit“ verankert werden, wenngleich andererseits viele vorspanische Bräuche auch weiterhin toleriert wurden.34 In Spanien wie in Übersee stellte sich daher im Alltag die Frage, welche Formen der Volksfrömmigkeit noch tolerierbar waren und welche nicht. Es musste hier ein Gegenbild entworfen werden, welches einmal bestimmte präkolumbine Glaubensvorstellungen in das Reich Satans verwies; andererseits aber, schon aufgrund der Präsenz der Engländer und Niederländer in Übersee, musste der europäische Kampf gegen Häretiker und Moslems in die Kolonien getragen werden. Die Konsequenz dieses Denkens war, dass nicht nur gegen einzelne präkolumbine Vorstellungen zu Felde gezogen wurde, sondern auch lutherischen Häretikern oder Moslems ikonographisch in den Kolonien der Kampf angesagt wurde. Daher fand auch die bildliche Verurteilung Luthers und des Protestantismus Eingang in südamerikanische Bildprogramme, die damit auch die Erhöhung einer ketzerfreien Utopie in Lateinamerika im Sinne hatten.35 Überhaupt kam es zu 33

34

35

Ludolf Pelizaeus, Der Kolonialismus. Geschichte der europäischen Expansion (marixwissen), Wiesbaden 2008, S. 117–122. Pablo José de Arriaga, Eure Götter werden getötet. „Ausrottung des Götzendienstes in Peru“ (1621), aus dem Spanischen übersetzt und kommentiert v. Karl A. Wipf, Darmstadt 1992, S. 176–180. Zur Cura animarum als Säule nachtridentinischer Aktivität: Comerford, Clerical Education (wie Anm. 6), S. 254f. Zu Kontinui­ tätslinien: Annemarie Brückner, Das Corpus der heiligen Anna. Die Gemälde der Fronleichnamsprozession in Cusco um 1680, in: Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde 2003, S. 9–33, hier S. 11. Eine Arbeit über das Zeitalter der Konfessionalisierung insgesamt fehlt aber noch. Vgl. Alicia Mayer, Lutero en el Paraíso. La Nueva España en el espejo del reformador alemán, in: Anuario de historia de la Iglesia 15, 2006, S. 279–285; Wolfgang Brückner, Ketzer im Kirchenraum, in: Jahrbuch für Europäische Ethnologie 1, 2006, S. 121–147, hier S. 136–138; Fernando Cervantes, The Devil in the New

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einem langen Fortleben der Motive im 18. Jahrhundert. Die plakative Verurteilung von Ketzern in Flugschriften wurde nämlich in Spanien und seinen Besitzungen auch im 18. Jahrhundert nicht unterbrochen. So wurden noch im 18. Jahrhundert Flugblätter mit Motiven wie der Navis ecclesiae militantis aus dem 16. Jahrhundert mit spanischen Untertiteln aufgelegt.36 Doch die Hauptstoßrichtung in Lateinamerika war nicht die Bekämpfung der Ketzerei, sondern der Versuch, die Integration der vorkolumbinischen Glaubensvorstellungen in das Christentum möglichst zu verhindern. Seit dem Beginn der Evangelisation stellte sich die Frage, welche Riten noch tolerabel, welche hingegen als „satanisch“ zu verdammen seien. In Peru gingen die Geistlichen besonders gegen den Totenkult, die Verehrung der Huacas, also die Gemeinschaft, die mit den mumifizierten Toten gepflegt wurde und die bereits vorinkaisch in der Mochica-Kultur nachweisbar ist, vor. Die programmatische Schrift des Jesuiten José de Arriaga „Eure Götter werden getötet“, die das Ziel der „Ausrottung“ des Götzenkultes verfolgte, forderte daher nicht einfach nur Zerstörung, sondern verlangte neben der demonstrativen Verbrennung von Huacas auch flankierende Maßnahmen im Sinne des Tridentinums. Hier wurde so scharf vorgegangen, weil die Verehrung der Huacas eine Konkurrenz zur Messe darstellte. Visitationen, Katechese, Überprüfung von Normen und Personal, flankiert von Theater, Musik und Architektur sind Elemente, wie wir sie auch in anderen Teilen Europas im Zeitalter der Konfessionalisierung finden können, und die durchaus auch präkolumbine Elemente einbezogen. Es waren vornehmlich Jesuiten, welche durch Überzeugungsarbeit die Durchsetzung der tridentinischen Ideen erreichten (Predigt mit Außenkanzel; Aufbeten).37 Genau dies wurde auch in Spanien mit unterschiedlicher Intensität geleistet. Obwohl das Land bekenntniseinheitlich war, mussten Ideen und Vorschriften des Tridentinums hier genauso umgesetzt werden. Mit welchem Erfolg dies geschah, darüber haben wir nur wenige Zahlen, doch scheint es dort, obzwar regional unterschiedlich, doch er-

36 37

World. The Impact of Diabolism in New Spain, New Haven 1994, S. 11–39; Hersche, Muße, Bd. 1 (wie Anm. 2), S. 74f. Brückner, Ketzer (wie Anm. 35), S. 123f. Vgl. Ronnie Po-chia Hsia, Society and Religion in Münster 1535–1618, New Haven 1984, S. 84–92. Zu ähnlichen Ergebnissen sind auch Marc Forster, Counter Reformation in the Villages. Religion and Reform in the Bishopric of Speyer, 1560– 1720, Ithaca 1992, S. 94–116 und Gerrit Walther, Abt Balthasars Mission. Politische Mentalitäten, Gegenreformation und eine Adelsverschwörung im Hochstift Fulda (Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 67), Göttingen 2002, S. 225–238 gekommen.

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heblich besser als in manchem evangelischen Gebiet im Reich gelungen zu sein. Sechs bis acht von zehn Personen konnten in der Mancha die Zehn Gebote und das Vaterunser, während dies nach Henry Kamen in Katalonien, aber auch in Teilen Altkastiliens nicht so umfassend der Fall war.38 Zudem wurde die Confessión (Beichte) zusammen mit der Rolle und der Bildung des parrocos (Ortspfarrer) gestärkt. Es wird deutlich, wie viele Kräfte an der konfessionellen Festigung mitwirkten, nämlich Krone, Kirche und Inquisition, wobei sich letztere durchaus gegen die kirchliche Hierarchie wenden konnte, aber auch gegen lokale weltliche wie kirchliche Amtsträger. Die Konfessionalisierung war sicher in Spanien nicht „Modernisierung“ oder „Sozialdisziplinierung“, zwei jetzt ja mittlerweile umstrittene Begriffe, doch wird man der Bewegung, auch wenn ihr Einfluss, gerade bei der Beeinträchtigung des Alltags durch die Inquisition, umstritten ist, kaum absprechen können, in fast allen Gesellschaftsbereichen Veränderungen hervorgerufen zu haben.39 Die vollständige Glaubenseinheit wurde schließlich selbst in Spanien durch die Ausweisung aller Moriscos zwischen 1609 und 1624 nicht erreicht. Denn einerseits nötigten ökonomische Zwänge die Krone, die sephardischen Marranen als Finanziers 1600 wieder ins Land zu holen.40 Zudem musste die spanische Monarchie außerhalb der Iberischen Halbinsel muslimische und nicht-christliche Untertanen tolerieren. Hier sind die spanischen Gebiete in Nordafrika und die muslimischen Teile der Philippinen zu nennen. Dieser Lücke zwischen dem Anspruch, eine geschlossene katholische Monarchie zu sein, und der Wirklichkeit, sich in den geschlossenen muslimischen Gebieten durchaus mit dem Islam arrangieren zu müssen, war man sich in einer gewissen Weise bewusst, ohne dass aber der Gegensatz wirklich aufgelöst werden konnte. Vielmehr hatte die spanische Monarchie in den Grenzgebieten, also etwa auch im heutigen Südchile oder in Südargentinien, die Existenz von nicht-christlichen Völkern zu akzeptieren, für die dann freilich nicht die Leyes de Indias galten, sondern die jederzeit versklavt werden durften. Schließlich, dies hat Markus Reinbold nachweisen können, blieb Spanien in seiner Außenpolitik 38 39

40

Schmidt, Inquisitoren (wie Anm. 3), S. 154. Vgl. für den Streit, ob dank der Familiares die Inquisition fast omnipräsent war (Nalle) oder ob sie von dem einfachen Spanier und Indigenen fast nicht zur Kenntnis genommen wurde (Kamen): Sara T. Nalle, God in La Mancha. Religious Reform and the People of Cuenca, 1500–1650, Baltimore 1996, S. 129–133, 201–210, bzw. Kamen, Inquisition (wie Anm. 19), S. 336–346. Markus Schreiber, Marranen in Madrid, Stuttgart 1994, S. 25–57; Schmidt, Inquisitoren (wie Anm. 3), S. 147.

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relativ pragmatisch und machte nicht die Konfession zum Hauptmovens politischen Handelns.41 Es ist zudem bemerkenswert, dass in den Jahren, in welchen es zur geistlichen Sicherung des Imperiums kam, ebenfalls eine militärische Stärkung vonstatten ging. 1568 wurde im spanischen Kolonialreich der Sargento Major und Capitán Major, 1570 dann auch im portugiesischen System der Sargento mor und der Capitão mor zur militärischen Überwachung der Iberischen Halbinsel und der Kolonien eingeführt. Der Ausbau militärischer Kontrolle, die Intensivierung der Arbeit der Inquisition und die Durchsetzung konfessioneller Maßnahmen fanden also zeitlich parallel statt.42 Ausblick Federico Palomo, der als Forscher in Florenz, Lissabon und Madrid tätig war, ist einer der wenigen Spanier, die den Begriff confesionalización zum Gegenstand eines Aufsatzes gemacht haben. Ihm geht es darum, unter Rückgriff auf Forschungen in Italien, die für Spanien noch gültigen Begriffe von Reforma, Reforma católica und Contrareforma zu überwinden. Dabei setzt er jedoch, ganz Gerhard Oestreich folgend, „Konfessionalisierung“ mit „Sozialdisziplinierung“ gleich, richtet also den Fokus auf „die Fähigkeit […] der Kirche im rechten Moment die sozialen Verhaltensweisen zu korrigieren“.43 Es kann nicht Ziel dieses Aufsatzes sein, die eingangs gestellte Frage mit ja oder nein zu beantworten. Doch lassen sich meines Erachtens eine Reihe von Punkten, welche für den Prozess der Konfessionalisierung als 41

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Markus Reinbold, Jenseits der Konfession. Die frühe Frankreichpolitik Philipps II. von Spanien 1559–1571 (Beihefte der Francia 61), Ostfildern 2005, S. 271–223, der sich gegen den „angeblich obsessiv konfessionellen Charakter der Politik Philipps II.“ wendet. Zum „Konfessionsfundamentalismus“ zählt William Monter dann jedoch das Spanien des 17. Jahrhunderts: William Monter, Campanella’s Universal Monarchy and Lerma’s Pax Hispanica, 1598–1620, in: Heinz Schilling (Hg.), Konfessioneller Fundamentalismus. Religion als politischer Faktor im europäischen Mächtesystem um 1600 (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 70), München 2007, S. 237–245, hier S. 243–245. David Tengwall, A Study in Military Leadership: The Sargento Mor in the Portuguese South Atlantic Empire, in: The Americas 40, 1983, S. 73–94, hier S. 79–90; Wolfgang Reinhard, Kleine Geschichte des Kolonialismus (Kröners Taschenausgabe 475), Stuttgart 1996, S. 74–76. Palomo, Disciplina (wie Anm. 8), S. 121.

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grundlegend verstanden werden, auch für die Iberische Halbinsel ausmachen.44 Es kam zu einer Verbreitung von Normen und Reorganisationen (Diözesanaufteilung, Netz der Comisarios, Inquisitionstribunale) mit dem Ziel einer stärkeren Zentralisierung. Hier steht die Forschung in Bezug auf die Organisation solcher Strukturen auf der Iberischen Halbinsel noch am Anfang, da sie immer im portugiesisch-spanischen Blickwinkel ab 1580 gesehen werden müssen. „Modernisierung“ im Sinne einer Änderung von Riten vollzog sich auch auf der Iberischen Halbinsel, wenngleich dies sicher nicht derart umfassend erfolgte wie in manchem kleinen katholischen Reichsterritorium. Doch darf nicht vergessen werden, dass auch in Frankreich oder Irland Veränderungen ähnlich oft abgelehnt wurden.45 Es erfolgte die Internalisierung von Ordnung durch Bildung und Disziplinierung der Anhänger. Die Umsetzung auf Gemeindeebene lässt sich besonders an der veränderten Funktion des Párroco, des Dorfpfarrers, feststellen. Sein Amt wurde professionalisiert durch die Entwicklung vom „Seelenwächter“ (Cura de almas) zu einem Bevollmächtigten, der mit neuen Kompetenzen im Rahmen der Visitation ausgestattet wurde.46 Die Überwachung und Verwaltung der Dorfgemeinde verlangte die Einrichtung einer gewissen Bürokratie, präsent durch die Comisarios, deren Wirksamkeit für die dörfliche Gesellschaft jedoch umstritten bleibt. Ebenso gilt dies für die Anwendung und Intensivierung von Riten: Im Rahmen dieser nachtridentinischen Veränderungen spielte natürlich gerade die Confesión, die Beichte, zur Implementierung der tridentinischen Vorgaben eine herausragende Rolle. Beichte und Beichtvater, „confesión y confesór“, waren in dieser bekenntniseinheitlichen Konfessionalisierung von besonderer Bedeutung, weil die Beichte eine Verrechtlichung erfuhr, wobei man in der außereuropäischen Welt diese Intensivierung mit dem Kampf gegen bestimmte präkolumbine Kulte verband. 44 45

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Folgend: Ehrenpreis / Lotz-Heumann, Reformation (wie Anm. 12), S. 66. Federico Palomo, La autoridad de los prelados postridentinos y la sociedad moderna. El gobierno de don Teotonio de Braganza en el arzobispado de Évora (1578–1602), in: Hispania Sacra 47, 1995, S. 587–624; J. P. Paiva, A administração diocesana e a presence da Igreja. O caso da diocese de Coimbra nos sécolos XVII e XVIII, in: Lusitana Sacra 3, 1991, S. 77–110. Palomo stellt sich durch seine Darstellung allerdings gegen die Position von Hersche, Muße, Bd. 1 (wie Anm. 2), S. 57, wonach Konfessionalisierung und Modernisierung in enger Verbindung stehen. Steven Ellis, The Making of the British Isles. The State of Britain and Ireland 1450– 1660, Harlow 2007, S. 271–285. Palomo prägt hierfür sogar den Begriff der „Verpriesterung“ (sacerdotalización). Palomo, Disciplina (wie Anm. 8), S. 123f.

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Kann man in diesen drei Punkten durchaus die Konfessionalisierung ausmachen, so können die anderen drei Punkte nur eingeschränkte Gültigkeit beanspruchen. Es kam durch die Konfessionalisierung nur in einem geringen Maße zu einer Beeinflussung von Sprache. Dies geschah weit mehr durch die Inquisition, welche das geistige Leben überwachte, und andererseits durch die Orden in Übersee, wo umfangreiche katechetische Bemühungen zur Bildung einer neuen Sprache führten. Da es keine ketzerische oder muslimische Gegenreaktion in Spanien gab, blieben Propaganda und Gegenpropaganda relativ eingeschränkt. Zwar blühte die Erbauungsliteratur und viele Autoren wurden nicht müde, die Glaubensirrtümer von Ketzern, Juden, Moslems und indigenen „Satansanbetern“ zu Papier zu bringen, doch konnte sich aufgrund des Wirkens der Inquisition keine Kontroverstheologie entwickeln. Schließlich muss auch bei der „Wiedergewinnung“ klarer theoretischer Vorstellungen eine Einschränkung gemacht werden, da die Iberische Halbinsel nie einen nennenswerten Verlust von katholischen Glaubensvorstellungen hatte hinnehmen müssen. So zeigt sich, dass sich immerhin einige für die Konfessionalisierungsthese zentrale Punkte auch für die Iberische Halbinsel finden lassen.47 Selbstverständlich war dabei konfessionelle Verhaftung auch im Falle Spaniens als Movens politischer Orientierung abhängig von realpolitischen Interessen. Auch wenn Philipp II. in einem Klosterpalast regierte, verkannten weder er noch seine Nachfolger die Notwendigkeit, in politischen Fragen, vornehmlich in der Außenpolitik, Zugeständnisse zu machen. Es konnte aber aufgezeigt werden, dass nicht die Frage, ob der Begriff „Konfessionalisierung“ überhaupt angewandt werden darf, entscheidend ist, sondern vielmehr, ob er angewandt wird. Hier liegt nun das zentrale Problem, welches auch schon Peer Schmidt 2004 konstatierte und welches hier einleitend angeschnitten wurde. Weder in Italien noch in Spanien oder Portugal findet ein anderer Begriff als 47

Dabei spielt es auch keine Rolle, dass der „bayerische Katholizismus […] an prägenden Erfahrungsbedingungen […] mehr mit dem württembergischen Luthertum als mit den glaubensverwandten Andalusiern und Sizilianern gemeinsam“ hatte, ist dies doch eine Frage der kulturellen, nicht vornehmlich der konfessionellen Prägung, wie sich dies für alle Bereiche festmachen ließe. Anders ausgedrückt hatte der Württemberger schon im ausgehenden 15. Jahrhundert mit dem Bayern wohl mehr gemeinsam als mit einem Andalusier. Vgl. Schindling, Konfessionalisierung (wie Anm. 1), S. 19 und zur Außenpolitik Reinbold, Konfession (wie Anm. 41), S. 225f.

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Controriforma / Contrareforma Verwendung. Im Gegensatz zu Termini wie Toleranz und Säkularisierung, die selbstverständlich in Italien, Spanien und Portugal gebraucht werden, werden in diesen Ländern – übrigens auch in Frankreich und der englischsprachigen Welt – zwar durchaus auch die Terminologien von Zeeden, Reinhard, Schilling, Oestreich und Burschel rezipiert, allerdings immer nur in Übersetzung.48 Mehr noch als die Frage der Anwendbarkeit des Begriffes ist also die Frage der Verbreitung des Begriffes wichtig, und hier muss die Konfessionalisierungsforschung europäisch vergleichend noch einigen Boden bestellen. Es tut meines Erachtens not, hier sehr viel stärker über die deutschen Grenzen hinaus zu wirken, um die Integration auch dieser Länder in die Forschung, welche in Deutschland betrieben wird, zu erreichen. Allerdings müssen sich deutsche Forscher hierzu stärker den Begrifflichkeiten, die außerhalb Deutschlands verwandt werden, annähern.49 Dabei müssen wir Unterschiede annehmen. Spanien weist viele Besonderheiten und Abweichungen im Vergleich zu Entwicklungen in anderen Teilen Europas auf. Dazu gehört auch, dass die Säkularisation später einsetzte. Erstmals initiiert von Napoleon nach 1808, kommt es erst mit der Desamortización unter Königin Isabella II. im Jahr 1823 zur Aufhebung von Inquisition und Ordensbesitz; eine mentale Säkularisierung bedeutete dies längst noch nicht. Wann diese anzusetzen ist, vermutlich erst im 20. Jahrhundert, steht hier nicht zur Debatte.50 Es ist aber deutlich geworden, dass einige wichtige Punkte des Konfessionalisierungsparadigmas auch für die Forschung zum Spanischen Imperium befruchtend sind und eben durchaus auch im internationalen Rahmen Anwendung finden sollten. 48

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José Ignacio Ruiz Rodríguez / Igor Sosa Mayor, El concepto de la „confesionalización“ en el marco de la historiografía germana, in: Studia Historica. Historia Moderna 29, 2007, S. 279–305. Insofern hat Peter Hersche mit seiner Kritik auch recht, meines Erachtens weniger inhaltlich bei der strikten Zurückweisung, so aber doch in Bezug auf die Problematik der Rezeption, die eben außerhalb Deutschlands nicht gegeben ist. Allerdings ist das Ausklammern der Ideen von Reinhard, wie dies von Hersche vorgenommen wird, auch nicht ein Schlüssel zum Erfolg: „Die Konfessionalisierungsthese in der Reinhardschen Formulierung erweist sich als das größte Hindernis zur adäquaten Erkenntnis des frühneuzeitlichen Katholizismus im Barockzeitalter“. Hersche, Muße, Bd. 1 (wie Anm. 2), S. 63. Dies übersieht aber, dass es zu einer Verbindung der Forschung eben gerade auch mit dem protestantischen Bereich kommen muss, um einen europäischen Blick zu erhalten, und dass dies mit einer kategorischen Ablehnung nicht erreicht werden kann. Manuel Loff, La política cultural de los „Estados nuevos“ español y portugués (1936–1945): tradicionalismo, modernidad y confesionalización, in: Revista de Occidente 223, 1999, S. 41–62.

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Eine Unterscheidung zwischen Altötting und Granada kann bleiben, eine Internationalisierung aber tut not und wird gerade auch zur Erweiterung des Verständnisses konfessioneller Vorgänge beitragen.

Arminianismus in England und den Niederlanden (1590 – 1650) – Ein Beitrag zur Konfessionalisierungsdebatte? Dirk Pfeifer Dieses 20. Bayreuther Historische Kolloquium hat es sich zur Aufgabe gemacht, den seit fünfzig Jahren andauernden Diskurs im Rahmen der wissenschaftlichen Theorien von Konfessionsbildung und Konfessionalisierung in seinen Leistungen, Problemen und Grenzen zu beleuchten und weiter zu befruchten. Dabei verfolgt diese Tagung auch das Ziel, eine europäische Perspektive in der Untersuchung konfessioneller Formierungsprozesse der Frühen Neuzeit einzunehmen und laufenden Forschungen aus diesem Bereich Platz einzuräumen. Diese Chance soll an dieser Stelle ergriffen werden, um das Promotionsvorhaben zum Thema „Arminianismus in England und den Niederlanden (1590–1650) – Migration, Integration und Interaktion vor dem Hintergrund der theologischen Auseinandersetzungen im Calvinismus“ vorzustellen und zu fragen, ob die dabei zu erwartenden Forschungserkenntnisse einen Beitrag zur Konfessionalisierungsdebatte leisten können. Zunächst werden daher das Thema der Dissertation und die damit einhergehenden Fragestellungen im Mittelpunkt stehen (I), bevor der Arminianismus in einem zweiten Abschnitt deutlicher in den Kontext der Theorien von Konfessionsbildung und Konfessionalisierung gestellt werden wird (II).

I. Das Promotionsvorhaben rückt die Bewegung und Anhängerschaft des Arminianismus in seinen beiden Hauptwirkungsbereichen, der Republik der Vereinigten Niederlande und dem Königreich England, in den Fokus. Unter der Prämisse, dass sich der Arminianismus in beiden Untersuchungsgebieten als eine Richtung entwickelte, die zunächst vorwiegend

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durch Kritik an der theologischen Ausrichtung innerhalb des Calvinismus auftrat, später aber dynamisierend auch politische, kirchliche und gesellschaftliche Bereiche erfasste, soll die Entstehung und Entwicklung dieser Bewegung untersucht werden. Begrifflich ist der Arminianismus auf den niederländischen Theologen und Gelehrten Jacobus Arminius (1559–1609) zurückzuführen, der mit seiner von der damaligen Orthodoxie abweichenden Vorstellung der Prädestinationslehre ab ca. 1600 dem Arminianismus in den Niederlanden erste deutliche Konturen verlieh. Eine weitere Ausprägung im Bereich der niederländisch-reformierten Kirche, die den Status einer öffentlichen Kirche genoss, entwickelte der Arminianismus in den Folgejahren bis 1619, indem er die anerkannten Bekenntnisschriften des Niederländischen Glaubensbekenntnisses (Confessio Belgica) und des Heidelberger Katechismus wenigstens teilweise in deren Inhalten anzweifelte und eine Debatte über ihren theologischen Wahrheitsgehalt und die Verpflichtung auf diese außerbiblischen Schriften entfachte.1 Damit war ein innerkirchlicher Konflikt verbunden, der schließlich ab 1610 durch die Anhänger Arminius’ unter Anrufung der Ständeversammlung von Holland auch zunehmend die politische und gesellschaftliche Ebene der Republik der Vereinigten Niederlande erfasste. Aus diesem Zeitraum stammt die auch heute noch gebräuchliche Bezeichnung der Arminianer als Remonstranten. Erst durch das militärische Einschreiten des Statthalters der Provinz Holland, Moritz von Oranien (1567–1625), gegen seine politischen Gegner und damit auch gegen den Arminianismus 1618/19 erlebte die Auseinandersetzung in den Niederlanden ihren Höhepunkt. Nachdem der innenpolitische Rückhalt der Bewegung weggebrochen war, konnten die Lehren von Arminius und seiner Anhänger auf der Nationalsynode von Dordrecht 1619 verurteilt werden, womit auch der innerkirchliche Konflikt vorerst zugunsten eines orthodoxen Calvinismus in der niederländisch-reformierten Kirche entschieden war.2 Es folgte bis zum Tode Moritz von Oraniens 1625 eine Zeit der Verbannung und Verfolgung für die Arminianer. Im südniederländischen Exil versuchten sie jedoch, ihre Anhängerschaft zu organisieren und sich zu institutionalisieren. Unter der Leitung Johannes Uytenbogaerts (1557–1644), Simon Episcopius’ (1583– 1643) und Nicolaas Grevinchovens (†1632) wurde 1619 in Antwerpen die Remonstrantische Bruderschaft gegründet, welche seitdem die Bedienung der in der Republik noch im Untergrund bestehenden arminianischen 1

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Jonathan Israel, The Dutch Republic. Its Rise, Greatness, and Fall 1477–1806, Oxford 1998, S. 393f.; Arie Theodorus van Deursen, Bavianen en Slijkgeuzen. Kerk en kerkvolk ten tijde van Maurits en Oldenbarnevelt, Franeker 1998, S. 228f. Israel, Dutch Republic (wie Anm. 1), S. 433–449.

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Gemeinden versorgte.3 Erst unter dem neuen Statthalter Frederik Hendrik von Nassau-Oranien (1584–1647) ab 1625 verbesserte sich die Lage der Arminianer in den Vereinigten Provinzen wieder, so dass sie bereits ab 1634 ein eigenes Seminar am neu gegründeten Athenaeum Illustre in Amsterdam einrichten und ihre Gottesdienste zunehmend in geduldeten Kirchenräumen feiern konnten. Eine Wiedereingliederung in die reformierte Kirche der Niederlande fand jedoch bis zum heutigen Tage nicht statt, so dass die Remonstrantische Bruderschaft noch immer eine weitgehend eigenständige Kirche darstellt.4 Eine vergleichbare Entwicklung nahm der Arminianismus in England. Auch dort entwickelte sich insbesondere im universitär-akademischen Rahmen um 1600 eine wachsende Kritik an der Prädestinationslehre, wie sie in der damals vorwiegend calvinistisch geprägten englischen Staatskirche vorherrschte.5 Während der Arminianismus in den Niederlanden aber relativ zügig von der rein kirchlich-theologischen Ebene auf den politischen und gesellschaftlichen Bereich ausstrahlte, vollzog sich diese Entwicklung in England erst zunehmend in den letzten Regierungsjahren James I. Stuart (1566–1625) und insbesondere nach der Thronbesteigung Charles I. Stuart (1600–1649) nach 1625. Bis dahin war der Arminianismus englischer Prägung hauptsächlich auf eine Gruppe innerkirchlicher Amtsträger konzentriert, die kontinuierlich ihren Einfluss am Hof und in der Struktur der englischen Staatskirche ausbaute und dies nach 1625 ausnutzte, um wichtige Kirchenpositionen zu besetzen und somit eine allmähliche Veränderung vor allem der liturgischen Elemente des englischen Kirchenwesens umzusetzen. Als führende Vertreter dieser innerkirchlichen Faktion von Arminianern gelten die Bischöfe John Overall (1559–1619), Richard Neile (1562–1640) und William Laud (1573–1645).6 Erst ab 1625 tritt der Arminianismus innerhalb der Kirche von England und durch die enge Bindung an das Königshaus stärker auch auf der politischen Ebene auf, indem er unter anderem den Gottesdiensten eine stärker sakramenta-

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Gerrit Jan Hoenderdaal / P.M. Luca, Staat in de Vrijheid – De Geschiedenis van de Remonstranten, Zutphen 1982, S. 48. Eric H. Cossee / Th. M. van Leeuwen / M.A. Bosman-Huizinga, De Remonstranten, Kampen 2000, S. 27, 112. Nicholas Tyacke, Anti-Calvinists. The Rise of English Arminianism, c. 1590–1640, Oxford 1990, S. 29–86. Nicholas Tyacke, Aspects of English Protestantism c. 1530–1700, Manchester/New York 2001, S. 142.

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le Betonung auferlegt und die Steuerpolitik des Königs unterstützt.7 Der wachsende Interessengegensatz zwischen König und Parlament spiegelt sich auch in einer innerkirchlichen Opposition gegen die arminianische Faktion wider, so dass dem Arminianismus in England auch eine Rolle in der wachsenden Dynamisierung des politischen, gesellschaftlichen und kirchlichen Konflikts bis hin zum Bürgerkrieg und zur Hinrichtung Charles I. am 30. Januar 1649 eingeräumt werden kann.8 Damit bestehen durchaus Vergleichsmomente zwischen der niederländischen und der englischen Entwicklung des Arminianismus, wenngleich die Rahmenbedingungen dieser Entwicklung verschieden waren. Das Promotionsvorhaben verfolgt das Ziel, diese beiden Entwicklungen in ihren jeweiligen Rahmenbedingungen zu untersuchen und den Arminianismus von verschiedenen Perspektiven zum zentralen Forschungsgegenstand zu machen. Dabei soll er zunächst auf seinen theologischen Gehalt geprüft werden. Dies geschieht einerseits in Abgrenzung von der zum damaligen Zeitpunkt herrschenden Orthodoxie, aber vor allem auch in einem vergleichenden Ansatz zwischen den beiden Untersuchungsräumen. Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob sich beide Ausprägungen des Arminianismus unabhängig voneinander entwickelt haben und damit auch unterschiedliche theologische Schwerpunkte setzen, oder ob es Interdependenzen zwischen der niederländischen und der englischen Form gab. Damit ist auch eine terminologische Frage verbunden, nämlich, ob man die teilweise in der englischen Historiographie verwendete Bezeichnung des „Arminianism“ mit der in ihr implizierten Beziehung zu den Niederlanden tatsächlich verwenden kann oder ob es nicht sinnvoll wäre, eine alternative Bezeichnung zu finden und anzuwenden.9 Über diesen terminologischen Aspekt hinaus soll aber die besondere Form des Arminianismus auch unter den methodischen Leitgedanken der Migration, der Integration und der Interaktion genauer in den Blick genommen werden. Dabei konzentriert sich insbesondere ein sozialhistorischer Ansatz auf die breite Anhängerschaft des Arminianismus in beiden Entwicklungsgebieten. Mit dem Aspekt der Migration verbindet sich die 7

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John Spurr, The Post-Reformation. Religion, Politics and Society in Britain 1603– 1714, Harlow 2006, S. 72–81. Tyacke, Aspects (wie Anm. 6), S. 145, 150f. Den Begriff des „Arminianism“ hat Nicholas Tyacke wieder deutlicher in der englischen Historiographie verankert, auf dessen Forschungen in Bezug auf England hauptsächlich hier zurückgegriffen wird. Dabei soll zwar für die englische Form weiterhin der Terminus „Arminianismus“ verwendet werden, jedoch unter der genannten kritischen Betrachtung, ob diese Bezeichnung inhaltlich und in Bezug auf die Verbindungen in die Niederlande auch künftig noch aufrecht erhalten werden kann.

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Frage, ob es infolge der Entwicklungen ab 1619 in den Niederlanden eine Wanderungsbewegung von Arminianern gegeben hat und inwiefern diese in Richtung Englands nachzuweisen ist. Mit dem Leitgedanken der Integration sind zwei Untersuchungsperspektiven verbunden. Einerseits soll geprüft werden, inwiefern der Arminianismus selbst in sich vernetzt war und eine kohärente Bewegung in den einzelnen Gemeinwesen, aber auch auf einer weiter gefassten, europäischen Ebene darstellte. Andererseits wird die Integration des Arminianismus in bestehende kirchliche und politische Strukturen des jeweils eigenen Territoriums beziehungsweise in jene des potentiellen Migrationszieles untersucht werden. Eng damit verbunden ist auch der Gesichtspunkt der Interaktion, mit dem die Frage nach der inneren Kohärenz der Bewegung, aber auch die Frage nach der Verbindung zwischen der englischen und der niederländischen Entwicklung des Arminianismus akzentuiert werden soll. In diesen thematischen und methodischen Grenzen soll das Dissertationsprojekt den Arminianismus einerseits als eine Sonderform binnenkonfessioneller Entwicklungen darstellen und andererseits bewusst auch die historiographischen Grenzen der Niederlande und Englands, die sich dieser Phänomene in der jeweils eigenen Relevanz bereits angenommen haben, überschreiten, um die Bewegung in transnationaler und interdisziplinärer Perspektive zu beleuchten. Gleichzeitig soll damit aber auch ein Phänomen beschrieben und analysiert werden, welches in der deutschsprachigen Historiographie noch wenig Beachtung gefunden hat, es aber gerade aufgrund seiner konfessionellen Besonderheiten wert ist, genauer betrachtet zu werden.

II. In Hinblick auf die Thematik dieser Tagung bietet es sich an, den Arminianismus in seinen konfessionellen Dimensionen zu hinterfragen und dabei zu prüfen, ob Instrumente wie das Konfessionalisierungsparadigma oder die Idee der Konfessionsbildung geeignet sind, ein derartiges Phänomen zu beschreiben und zu kategorisieren. Dies wird zusätzlich durch den Umstand bestätigt, dass die Dissertation den Arminianismus in einem Zeitraum behandelt, der gemeinhin dem Konfessionellen Zeitalter zugerechnet wird.10 10

Auf die Problematik, die sich mit dieser Epochenbezeichnung verbindet, wurde bereits in mehreren Beiträgen des 20. Bayreuther Historischen Kolloquiums hingewiesen, so dass darauf an dieser Stelle nicht mehr eingegangen werden muss.

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Es fällt schon im Ansatz auf, dass der Arminianismus eine besondere Form im Kontext der Begriffe Konfessionsbildung und Konfessionalisierung darstellt, da es sich vielmehr um eine binnenkonfessionelle Entwicklung handelte, statt um den üblicherweise angenommenen Gegensatz der Großkonfessionen. Sowohl in den Niederlanden als auch in England tritt diese Sonderform im Kontext des Calvinismus beziehungsweise des Reformiertentums auf und bewegt sich innerhalb der kirchlichen Strukturen, die im Untersuchungszeitraum von 1590 bis 1650 gemeinhin als calvinistisch geprägt angesehen werden.11 An dieser Stelle könnte wohl bereits ein Einwand gegen die Anwendung von Konfessionsbildung und Konfessionalisierungsparadigma auf den Arminianismus angebracht werden, da wohl weder Zeeden noch Reinhard und Schilling bei ihren Theorien binnenkonfessionelle Entwicklungen im Auge hatten. Dennoch sollte man die Untersuchung fortsetzen, da es sicher den Forschungsansätzen nicht gerecht werden würde, sie so starr und unflexibel zu interpretieren, als dass ihre Elemente nicht auch auf diese konfessionellen Erscheinungsformen Anwendung finden könnten. Betrachtet man zunächst einmal die Republik der Vereinigten Niederlande und die dortige Entwicklung des Arminianismus, so fällt auf, dass das Jahr 1619 mit den politischen Umwälzungen, der Synode von Dordrecht und der anschließenden Verbannung der Arminianer einen klaren Einschnitt darstellt, der auch für die Einordnung in den Kontext von Konfessionalisierung eine wichtige Rolle spielt. Wie bereits angedeutet wurde, hatte sich der Arminianismus aufgrund seiner theologischen Umorientierung in Fragen der Erwählungslehre auch für eine Revision des Glaubensbekenntnisses und des Heidelberger Katechismus ausgesprochen und wachsende Kritik an der Verpflichtung kirchlicher Amtsträger auf diese Schriften, die als nicht biblisch betrachtet wurden, geäußert.12 Aus der Perspektive der calvinistischen Orthodoxie in der Reformierten Kirche sind somit bereits Merkmale insbesondere der Reinhardschen Vorstellung von Konfessionalisierung zu erkennen. Die Confessio Belgica wurde in ihrer Schlüsselfunktion zur Schaffung einer einheitlichen dogmatischen Grundlage aufgewertet und die Inhalte dieses Glaubensbekenntnisses sollten durchgesetzt und fest verankert werden, indem Pastoren und Kir11

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Für die Niederlande ist hier von der Reformierten Kirche die Rede, die prozentual an der Gesamtbevölkerung im Untersuchungszeitraum keine Mehrheit ausmachte, dennoch aber den privilegierten Status einer öffentlichen Kirche hatte. Vgl. dazu: Israel, Dutch Republic (wie Anm. 1), S. 361–367. Die englische Staatskirche kann zu Beginn des 17. Jahrhunderts als calvinistisch in der Lehre gelten. Vgl. dazu: ­Tyacke, Aspects (wie Anm. 6), S. 141. Van Deursen, Bavianen (wie Anm. 1), S. 230–232.

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chenamtsträger das Bekenntnis unterzeichneten. In ähnlicher Weise wurde mit dem Katechismus verfahren. Gegner dieser Maßnahmen wurden zunehmend der Kirchenzucht unterzogen und teilweise aus den Ämtern und Gemeinden entlassen.13 Es ist wohl insbesondere zwei Faktoren zuzuschreiben, weshalb die orthodoxen niederländischen Calvinisten verstärkt solche Maßnahmen ergriffen. Zum einen kann die äußere Bedrohungslage in den Vereinigten Provinzen vor allem gegen Ende des 16. Jahrhunderts und bis in die 1620er Jahre hinein als Grund genannt werden. Ein nicht zu unterschätzender Aspekt des Aufstandes war immerhin die Verteidigung der Religionsrechte und dies wurde im Verlauf des militärischen Konfliktes mit Spanien zunehmend durch die Reformierte Kirche zum Glaubenskampf stilisiert. Ergänzt wurde diese gefühlte äußere Bedrohungslage noch durch die Anwesenheit katholischer Glaubensanhänger in den Provinzen, über deren Loyalitäten oft Misstrauen herrschte und gegenüber denen die städtischen und provinzialen Autoritäten nach Meinung radikaler Kirchenanhänger oft eine zu lasche Haltung an den Tag legten. Somit entstand auch das Gefühl einer latenten inneren Bedrohung. Der zweite Faktor, der die genannten konfessionalisierenden Maßnahmen mit beeinflusste, geht auf die Migrationswellen zurück, die infolge der Vertreibungen aus den südlichen Provinzen nach Norden zogen und zum Teil radikalisierte Calvinisten in die Reformierte Kirche brachten, die unter anderem aufgrund ihrer negativen Erfahrungen liberale Strömungen zunehmend zu unterbinden suchten. Vor diesem Hintergrund sind einige Merkmale des Konfessionalisierungsparadigmas zu erkennen, jedoch waren diese zumeist unabhängig und zum Teil sogar gegen die weltlichen Autoritäten in den Vereinten Provinzen umgesetzt worden. Dabei drückt sich das überwiegende Interesse der Reformierten in den Niederlanden aus, eine relativ strikte Trennung von Kirche und weltlichen Instanzen zu bewahren.14 Wie aber nun ist die Haltung des Arminianismus bis 1619 zu werten? Die Forderung nach Revision der Bekenntnisschriften und die Weigerung zahlreicher Arminianer, 13

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Als markantes Beispiel hierfür können die Unruhen in der nordholländischen Stadt Alkmaar genannt werden. Die Umstände werden ausführlich in Flugschriften der Zeit wiedergegeben. Siehe hierzu: Nootwendigh Historisch Verhael, van allen Swaricheyden, verschillen ende Proceduren, soo wel in Kercklijcken, als Politijcken saken, etlijcke Jaren herwaerts binnen der Stadt Alckmaer voorghevallen. Vvtghe­ gheven by Burgemeesteren, Vroetschappen, ende Kerckenraedt, der voorsz. Stede (1611), in: Willem Pieter Cornelis Knuttel, Catalogus van de Pamfletten-Verzameling berustende in de Koninklijke Bibliotheek, Band 1, Utrecht 1978, Nr. 1841. Douglas Nobbs, Theocracy and Toleration. A Study of the Disputes in Dutch Calvinism from 1600 to 1650, Cambridge 1938, S. 1–24.

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diese zu unterzeichnen und sich auf sie zu verpflichten, ist als Reaktion auf die konfessionalisierenden Maßnahmen zu verstehen. In der Tat verweisen auch einige Vertreter des Arminianismus auf die aus dem Süden stammenden Calvinisten, die nun eine neue Lehre in die Kirche bringen wollten und in ihren Maßnahmen ähnlich vorgingen, wie es unter der Verfolgung der Spanier geschehen war.15 Die Frage, die sich nun stellt, ist, ob man den Arminianismus in seinem Verhalten und in seiner Argumentation gar als anti-konfessionalisierend bezeichnen kann. Dies greift offenbar zu weit, denn obgleich ein Widerstand gegen bestimmte Initiativen der Reformierten Kirche in Bezug auf Vereinheitlichung des Dogmas deutlich auszumachen ist, so ist auch nachzuweisen, dass zahlreiche Arminianer nicht gegen das Instrument des Glaubensbekenntnisses selbst gestellt waren, sondern es nur in genau dieser inhaltlichen Gestaltung ablehnten. Schließlich unterzeichnete eben doch eine Anzahl von Remonstranten die Confessio bis 1619.16 Hinzu kommt, dass es gerade die Arminianer waren, die seit 1608 zunehmend die weltlichen Autoritäten Hollands und der Generalstaaten in den Konflikt einzubinden versuchten und ihre eigene ekklesiologische Vorstellung, die diesen Instanzen ein weiterreichendes Mitspracherecht in kirchlichen Dingen einräumte, auf diese Weise durchsetzen wollten. Damit verband sich zugleich auch ein deutliches politisches Interesse der Stände von Holland und insbesondere des Landesadvokaten Johan van Oldenbarnevelt (1547–1619), die Eigenständigkeit der Reformierten Kirche zu beschränken.17 Gerade in dieser Interessensynthese der weltlichen Herrschaft und der Arminianer ist ein Merkmal des Konfessionalisierungsparadigmas zu erkennen, welches die Bewegung nicht als anti-konfessionalisierend charakterisiert. Unterstützt wird diese Ansicht noch, wenn man die weitere Entwicklung des Arminianismus in den Niederlanden nach 1619 betrachtet. Nach seiner Verurteilung und Verbannung auf der Synode von Dordrecht entwickelte sich der Arminianismus nunmehr als selbständige kirchliche Bewegung weiter. In der Exilsituation in Waalwijk und Antwerpen gaben sich die Arminianer unter der Führung von Uytenbogaert und Episcopius eine eigene Organisationsstruktur in Form der Remonstrantischen Bruderschaft. Eng damit verbunden waren auch Schritte, die durchaus im Rahmen des Konfessionalisierungsparadigmas wiederzufinden sind. Als Ziel der Bruderschaft wurde die Bedienung der verbliebenen und nun im 15

16 17

Geeraert Brandt, Historie der Reformatie, en andere Kerkelyke Geschiedenissen, in en ontrent de Nederlanden, Amsterdam 2. erweiterter Druck 1677, S. 549–552. Van Deursen, Bavianen (wie Anm. 1), S. 234. Van Deursen, Bavianen (wie Anm. 1), S. 300, vgl. hierzu die arminianische Ekklesiologie bei Nobbs, Theocracy (wie Anm. 14), S. 25–107.

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Untergrund agierenden remonstrantischen, also arminianisch orientierten, Gemeinden formuliert. Zu diesem Zweck gliederte sie sich in verschiedene Direktorien, womit eine stärkere Institutionalisierung verbunden war.18 Der bedeutendste Schritt zur Herausbildung einer eigenständigen Kirchlichkeit aber war ein eigenes Glaubensbekenntnis, welches durch Simon Episcopius im Jahr 1621 verfasst worden war. Dieses Bekenntnis scheint den Arminianismus am deutlichsten in das Konfessionalisierungsparadigma einzuordnen, jedoch muss hier einschränkend hinzugefügt werden, dass dessen Annahme unter den Arminianern durchaus umstritten war und es überdies in einer umfassenden Einleitung auch als nicht zwangsläufig bindend und notwendig beschrieben wird. Damit war offensichtlich eine bewusste Abgrenzung zu den Praktiken der Reformierten Kirche vollzogen worden.19 Der Arminianismus zeigt sich hier insofern als besonders, da er sich zwar eine Bekenntnisschrift gibt, diese aber in einer anderen Qualität gebraucht, als dies gemeinhin in den Großkonfessionen üblich war. Dabei war die Motivation zum Verfassen dieser Schrift durchaus ähnlich wie bei Lutheranern, Reformierten und Katholiken, nämlich die Beschreibung der eigenen Lehre in Abgrenzung zu anderen christlichen Konfessionen und zur Beförderung der Integrität der eigenen Konfession. Inwiefern dieses Glaubensbekenntnis auch innerhalb der Untergrundgemeinden mittels Kirchenzucht und Kirchenvisitation durchgesetzt wurde, bleibt noch zu prüfen. Weitere Schritte zur Festigung der eigenen Kirchenstruktur und der eigenen Lehre folgten jedoch, als sich die Remonstrantische Bruderschaft 1633 eine eigene Kirchenordnung gab und 1640 auch ein Katechismus erstellt wurde. Nachdem sich die Lage für Arminianer seit der Statthalterschaft Fredrik Hendriks von Nassau-Oranien in den Vereinten Provinzen gebessert hatte und auch die meisten führenden Arminianer in die Republik zurückgekehrt waren, konnte man infolge der Duldung des Amsterdamer Magistrats auch ein eigenes remonstrantisches Seminar zur Pastorenausbildung am neu in Amsterdam gegründeten Athenaeum Illustre einrichten.20 Mit Katechismus, Kirchenordnung und remonstrantischem Seminar scheinen weitere Elemente im Arminianismus durch, die ihn deutlicher an das Konfessionalisierungspa18 19

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Hoenderdaal, Staat (wie Anm. 3), S. 48f. Belydenis of Verklaring van het Gevoelen der Leeraren, die in de vereenigde Nederlanden Remonstranten worden genaamd, over de voornaamste Artykelen van den Christelyken Godsdienst, Leiden 1782, 8. Nachdruck, hier insbesondere: Voorreden aan den Christelyken Lezer, S. 1–34. Zur Entstehung des Seminars siehe Elze Jan Kuiper / Christiane M.G. BerkvensStevelinck, Vrijheid en Verdraagzaamheid: het Seminarium der Remonstranten driehondervijftig jaar, 1634–1984, Leiden 1984.

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radigma hinführen. Es gibt jedoch auch Faktoren, die dies widerlegen, denn besonders in den Liturgieformen der Arminianer scheint es eine bewusste Kontinuität zum calvinistisch-reformatorischen Gottesdienst gegeben zu haben. So wurde aus der Statenbijbel gelesen oder aus dem Psalmenbuch Petrus Datheens gesungen, wodurch sich liturgisch wohl kaum ein Unterschied zum Gottesdienst der orthodox Reformierten zeigte.21 Die größte Devianz zum Konfessionalisierungsparadigma zeigt sich aber in der fehlenden Verbindung von niederländischem Arminianismus und weltlicher Obrigkeit nach 1619. Mit dem Wegbrechen der politischen Unterstützung 1618/19 hatte es kaum noch Synthesen mit den Interessen weltlicher Autoritäten gegeben, so dass sich der Arminianismus in Form der Remonstrantischen Bruderschaft relativ isoliert und eigenständig weiterentwickelte. Es ist jedoch bemerkenswert, dass der Remonstrantismus trotz dieser fehlenden staatlichen Unterstützung ein stabiles und konsolidiertes Kirchentum entwickelte, welches bis heute besteht. Da jedoch die enge Verbindung zwischen den zweifellos vorhandenen Tendenzen zur Konfessionalisierung im Arminianismus und der obrigkeitlichen Ebene innerhalb Hollands und der gesamten Republik nach 1619 fehlt, muss die Frage, ob man diese Bewegung tatsächlich mit dem Konfessionalisierungsparadigma adäquat erfassen kann, kritisch betrachtet werden. Für eine klare Einordnung sowohl vor 1619 als auch danach fehlen zu viele Elemente. Wenn man aber zum ursprünglichen Konfessionsbildungskonzept Zeedens zurückkehrt und den Arminianismus unter diesen Aspekten betrachtet, die der staatlichen Einflussnahme zwar Raum bieten, diese jedoch nicht so stark betonen wie das Konfessionalisierungsparadigma, fällt eine Einordnung leichter. Ausgehend von Zeedens Definition von Konfessionsbildung findet sich im niederländischen Arminianismus nach 1619 in der Tat eine stärkere geistige und organisatorische Verfestigung, die zumindest in ein dogmatisch recht stabiles Kirchentum auswächst. Hinzu kommt, dass sich der Arminianismus im Rahmen seiner Möglichkeiten nach außen gegenüber anderen Bekenntnissen abschirmt, wenngleich ihm dazu keine politischen oder diplomatischen Mittel zur Verfügung stehen. Des Weiteren muss man konzedieren, dass sich der Arminianismus konfessionell auch durch außerkirchliche Kräfte gestaltete, denn durch die Exilierung und Verfolgung in den nördlichen Provinzen war eine stärkere organisatorische Konzeption der Bewegung nötig geworden.22 In diesem Kontext 21 22

Hoenderdaal, Staat (wie Anm. 3), S. 52. Vergleiche hierzu die Definition von Konfessionsbildung, Ernst-Walter Zeeden, Grundlagen und Wege der Konfessionsbildung in Deutschland im Zeitalter der Glaubenskämpfe, in: Historische Zeitschrift 185, 1958, S. 249–299, hier S. 251f.

Arminianismus in England und den Niederlanden (1590 – 1650)

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könnte man die Entwicklung des Arminianismus in der Republik der Vereinigten Niederlande vielmehr im Rahmen der Konfessionsbildungstheorie beschreiben, muss dann aber auch die These in Betracht ziehen, den Arminianismus als eigene Konfession oder als eine Sub-Konfession innerhalb der Großkonfession des Reformiertentums zu sehen.23 Interessant ist nun auch ein Blick auf die Entwicklung des Arminianismus in England und seine Einordnung in das Konfessionalisierungsparadigma. Erschwerend bei der Untersuchung dieser Bewegung ist der Umstand, dass sich die bisherige Forschung zum englischen Arminianismus hauptsächlich auf dessen Rolle im Vorfeld des Englischen Bürgerkrieges konzentriert und seine eigentlichen inhaltlichen Elemente noch nicht in dem Maße dargestellt wurden.24 Dennoch soll hier der Versuch unternommen werden, ihn im Rahmen der Konfessionalisierungsforschung einzuordnen. Wie in den Niederlanden hat sich der Arminianismus auch in England innerhalb der bestehenden Kirchenstrukturen entwickelt, wobei sich die Situation insofern abhebt, als in England eine Staatskirche mit episkopaler Hierarchie und zentraler Ausrichtung auf den Monarchen bestand. Dogmatisch kann die Kirche von England jedoch durchaus dem calvinistisch-reformierten Orbit der damaligen Zeit zugeordnet werden.25 Somit kann auch in England bei der Entwicklung des Arminianismus von einem binnenkonfessionellen und innerkirchlichen Prozess gesprochen werden. Die bestehenden kirchlichen Strukturen benutzten die Vertreter des englischen Arminianismus dann schließlich zwischen 1600 und 1625, um einerseits ihre eigenen theologischen Vorstellungen innerhalb ihres unmittelbaren Einflussbereiches durchzusetzen und um andererseits weiteren Anhängern ihrer Vorstellungen den Zugang in die Kirchenämter zu ermöglichen. Theologisch verbanden die englischen Arminianer ihre kritische Einstellung gegenüber der calvinistischen Prädestinationslehre mit einer stärkeren sakramentalen Betonung liturgischer Elemente im Gottesdienst, wobei die Taufe und das Abendmahl sowie die Privatbeichte besonders in den Vordergrund traten. Infolge dieser sakramentalen Akzentuierung 23

24

25

Der Begriff Sub-Konfession ist hier für eine Stufe kirchlicher Entwicklung innerhalb einer Großkonfession gemeint, die deutliche konfessionstypische Elemente aufweist und sich vor allem organisatorisch innerhalb der Großkonfession ausdifferenziert, ihrem theologischen Orbit aber weiterhin zuzuordnen ist. Es ist damit explizit keine qualitative, sondern vielmehr eine strukturelle Hierarchie gemeint. Mit dem Begriff Sub-Konfession soll ein Werkzeug zum Verständnis von Differenzierungsprozessen innerhalb der allgemein anerkannten Großkonfessionen vorgestellt werden. Auf die Problematik, ob man die englische Form überhaupt als Arminianismus bezeichnen sollte, wurde bereits hingewiesen. Siehe Anm. 9. Siehe Anm. 11.

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traten die englischen Arminianer erst ab ca. 1620 durch die Umgestaltung der Kirchenräume deutlicher in den Vordergrund. Die Kommunionstische größerer Kathedralen wie Durham oder Gloucester wurden zum Teil wieder aus der Kirchenmitte in den Ostchor verlegt und altarweise aufgestellt und die Teilnahme am Abendmahl wurde enger in Verbindung mit der Privatbeichte gebracht und kontrolliert. Unter Nutzung eines kirchen- und hofinternen Patronagesystems wurden in den letzten Jahren der Regentschaft James I. einige wichtige Bistümer unter Kontrolle der arminianischen Faktion gebracht und der Einfluss am Hof stark ausgebaut. Dieser Prozess der strategischen Platzierung von Arminianern innerhalb der Kirchenstruktur und in der Nähe des Herrschers setzte sich intensiviert unter der Herrschaft Charles I. ab 1625 fort.26 Es ist auch erst die Phase ab 1625, in der sich der englische Arminianismus deutlicher in das Konfessionalisierungsparadigma einordnen lässt, denn mit dem Herrschaftsantritt Charles I. lässt sich eine deutliche Synthese von politischen Zielen des Königs mit kirchlichen Interessen der Arminianer ausmachen. Einerseits verfolgten Letztere das Ziel, ihre theologischen Vorstellungen gegenüber den strenger calvinistisch orientierten Gegnern in der Kirche durchzusetzen, und fanden dabei im Königshaus einen mächtigen Verbündeten. Andererseits fand der König in den Arminianern ein bereitwilliges Instrument zur Legitimation seiner auf den Herrscher konzentrierten Steuerpolitik und seiner Heiratspolitik mit katholischen Mächten.27 Die äußeren Merkmale dieser engen Verbindung von monarchischen und arminianischen Interessen sind im Rahmen der von Wolfgang Reinhard vorgeschlagenen Methodik zur Konfessionalisierung zu erkennen. Die Arminianer in England mussten kein eigenes Glaubensbekenntnis entwickeln, sondern konnten auf die Thirty-Nine Articles of Religion zurückgreifen, die innerhalb der Kirche von England als Glaubensbekenntnis fungierten. Indem sie erreichten, dass Charles I. diese Glaubensartikel 1628 erneut ausgab mit dem ausführlichen Hinweis, diese nicht über ihre biblische Grundlage hinaus auszulegen, verhinderten sie eine weitere Verbreitung und Anwendung der calvinistischen Prädestinationslehre und sicherten ihre eigene arminianische Interpretation.28 Durch die intensivierte Anwendung des English Book of Common Prayer konnten sie zudem auf eine seit Edward VI. bestehende Tradition und damit ein urenglisches Element der Reformation hinweisen, dieses aber gleichzeitig für ihre sa26

27 28

Tyacke, Aspects (wie Anm. 6), S. 142–144. Die Vernetzung englischer Arminianer wird an der von Tyacke beschriebenen „Durham-House-Group“ besonders deutlich. Siehe dazu Tyacke, Anti-Calvinists (wie Anm. 5), S. 106–124. Spurr, Post-Reformation (wie Anm. 7), S. 61–66. Tyacke, Aspects (wie Anm. 6), S. 145.

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kramentale Liturgie entsprechend einsetzen. Damit rückte die arminianische Faktion die Glaubensartikel und das Gebetsbuch in die von Reinhard proponierte Schlüsselstellung, um somit innerhalb der Kirche von England ihre Vorstellungen zu festigen und auf diese Weise den innerkirchlichen Prozess der Konfessionalisierung umzusetzen und zu legitimieren. Durch den Suprematseid und die zentrale Stellung des Herrschers in der englischen Staatskirche wurde gleichzeitig versucht, die Verpflichtung des Kirchenpersonals und anderer Amtsträger in dieser Ausrichtung zu verankern. Inwiefern dies im Einzelnen durchgeführt wurde und ob dies erfolgreich war, bleibt noch zu klären. Nahezu unzweifelhaft scheint jedoch die Anwendung der Zensur auf Schriften gewesen zu sein, die eine andere Auslegung der Glaubensartikel proponierten. Ebenso deutlich wurden auch die zentralen Bildungseinrichtungen für das Personal der Kirche von England im Sinne der arminianischen Interpretation monopolisiert. Bereits 1626 wurde der Duke of Buckingham als Kanzler der Universität Cambridge eingesetzt und somit jegliche Lehre im Sinne der calvinistischen Prädestination unterbunden. Die Universität in Oxford musste sich mit der Neuausgabe der Glaubensartikel und der königlichen Erklärung von 1628 ebenfalls diesen Bestimmungen beugen und erhielt mit William Laud ab 1630 zudem noch einen führenden Vertreter des englischen Arminianismus als Kanzler.29 Mit der Ernennung Lauds zum Bischof von London 1628 und zum Erzbischof von Canterbury 1633 und der Ernennung Richard Neiles zum Erzbischof von York 1631 waren die wichtigsten kirchlichen Würden in England durch Arminianer besetzt und insbesondere unter William Laud sind recht umfassende Kirchenvisitationen durchgeführt worden, was darauf hindeutet, dass auch eine Durchdringung des Kirchenvolks mit arminianischen Ideen beabsichtigt wurde.30 Inwiefern diese Intentionen auch umgesetzt werden konnten, muss ebenfalls noch geklärt werden. Damit sind jedoch schon einige Methoden der Konfessionalisierung, wie sie das Paradigma beschreibt, durch den englischen Arminianismus wenigstens in Teilen erfüllt, so dass eine Einordnung dieses Phänomens in diese Kategorien durchaus als möglich gelten kann. Der Umstand, dass sich die arminianischen Versuche zur innerkirchlichen Konfessionalisierung innerhalb ihrer kurzen Wirkungszeit zwischen 1625 und 1645 wohl hauptsächlich nur auf die kirchliche Oberschicht konzentrierten und scheinbar weniger stark in die breiten gesellschaftlichen Ebenen durchdrangen, lässt die These aufscheinen, es handelte sich im betrachteten Zeitraum um einen gescheiterten Konfessionalisierungsversuch, 29 30

Tyacke, Aspects (wie Anm. 6), S. 148. Spurr, Post-Reformation (wie Anm. 7), S. 76.

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der jedoch zumindest vorbereitend für die spätere Restaurationsphase ab 1660 gelten darf.31 Als Ursache des Scheiterns ist zum einen die Radikalität der Einführung arminianischen Gedankengutes mit dem damit verbundenen Willen zur Herstellung von Konformität zu sehen, die sich vor allem gegen eine breite Masse innerkirchlicher Opposition richtete. Zum anderen trug die enge Verbindung des englischen Arminianismus mit den königlichen Bestrebungen zur Zentralisierung der Politik auf den Herrscher dazu bei, dass sich bestehende Konfliktlagen zwischen der Monarchie und dem Parlament auch auf diese Bewegung übertrugen und somit die Dynamisierung der Krise in England bis hin zum Bürgerkrieg und den damit einhergehenden Zusammenbruch der Kirchenstrukturen förderten.32 In diesem Sinne müsste man die Entwicklung des englischen Arminianismus auch als einen konfliktfördernden Prozess im Sinne des Konfessionalisierungsparadigmas werten. Damit ist der Versuch unternommen, den Untersuchungsgegenstand des Dissertationsprojektes, die Bewegung des Arminianismus in England und den Niederlanden, einerseits vorzustellen und andererseits im Rahmen dieser Konferenz mit den Begriffen der Konfessionsbildung und Konfessionalisierung zu beschreiben. Es ist auffällig, dass für beide Varianten des Arminianismus unterschiedliche Rahmenbedingungen in Betracht gezogen werden müssen, welche die Einordnung bedingen und somit den niederländischen Arminianismus eher im Kontext der Konfessionsbildungstheorie und die englische Ausprägung eher im Bereich der Konfessionalisierung erklären lassen. In beiden Fällen sind jedoch auch Defizite zu erkennen, die eine eindeutige Einordnung dieser Phänomene in diese wissenschaftlichen Instrumentarien fragwürdig erscheinen lassen. Ob die Tatsache, dass es sich um binnenkonfessionelle Differenzierungsprozesse handelt, dabei entscheidenden Einfluss hat, wird noch genauer herauszuarbeiten sein. Eventuell ist damit auch eine weitere Entwicklungsstufe des Paradigmas verbunden. Offensichtlich sind bei der Beschäftigung mit dem Arminianismus im Rahmen der Konfessionalisierungsforschung noch viele Fragen offen, die das hier vorgestellte Promotionsvorhaben aber weiter zu beantworten versucht. Es ist in diesem Zusammenhang also davon auszugehen, dass damit auch ein Beitrag zur Konfessionalisierungsdebatte geleistet werden kann.

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Carl Bangs, Arminianer (II. Großbritannien), in: Religion in Geschichte und Gegenwart 1, Tübingen 4. Auflage 1998, Sp. 776. Hans-Christoph Schröder, Die Revolutionen Englands im 17. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1986, S. 32–37.

Konfessioneller Fundamentalismus

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Konfessioneller Fundamentalismus und Konfessionalisierung der Aussenpolitik? Überlegungen zur Politik Ferdinands II. 1618-1630 Thomas Brockmann I. Erweiterungen des Konfessionalisierungsparadigmas: „Konfessionsfundamentalismus“ und „Konfessionalisierung der Außenpolitik“ Forschung und historische Theoriebildung zum Verhältnis von Politik und Religion verdanken Heinz Schilling nicht nur das um 1980 – parallel mit Wolfgang Reinhard – als binnenstaatliches Erklärungsmodell entwickelte Konfessionalisierungsparadigma, das die Funktion der parallelen Konfessionalisierungen für Modernisierung und Staatsbildung thematisiert. Heinz Schilling hat auch Erweiterungen des Konfessionalisierungsparadigmas vorgeschlagen, die der Forschungsdiskussion wiederum wichtige Impulse gegeben haben. Zum einen ist es wesentlich den seit Anfang der 1990er Jahre publizierten einschlägigen Arbeiten von Heinz Schilling zu danken, dass die konfessionelle Dimension der europäischen Außenpolitik heute mehr als früher im Fokus der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit steht.1 1

Vgl. insbes. Heinz Schilling, Formung und Gestalt des internationalen Systems in der werdenden Neuzeit – Phasen und bewegende Kräfte, in: Peter Krüger (Hg.), Kontinuität und Wandel in der Staatenordnung der Neuzeit. Beiträge zur Geschichte des internationalen Systems (Marburger Studien zur Neueren Geschichte 1), Marburg 1991, S. 19-46; ders., Konfessionalisierung und Formierung eines internationalen Systems während der frühen Neuzeit, in: Hans R. Guggisberg/ Gottfried G. Krodel (Hgg.) unter Mitarbeit von Hans Füglister, Die Reformation in Deutschland und Europa: Interpretationen und Debatten [...] (Archiv für Reformationsgeschichte, Sonderband), Gütersloh 1993, S. 591-613; ders., Die Konfessionalisierung und die Entstehung eines internationalen Systems in Europa, in: Irene Dingel/Volker Leppin/Christoph Strohm (Hgg.), Reformation und Recht. Festgabe für Gottfried Seebaß zum 65. Geburtstag, Gütersloh 2002, S. 127-144; ders., Gab es um 1600 in Europa einen Konfessionsfundamentalismus? Die Geburt des internationalen Systems in der Krise des konfessionellen Zeitalters, in: Jahrbuch des His­torischen Kollegs 2005, S. 69-93.

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Eine Summe seiner diesbezüglichen Forschungen enthält Schillings 2007 unter dem Titel „Konfessionalisierung und Staatsinteressen 1559-1660“ erschienener Teilband des „Handbuchs der Geschichte der Internationalen Beziehungen“; jeder, der sich wissenschaftlich mit der Außenpolitik des konfessionellen Zeitalters beschäftigt, wird diese magistrale Synthese, die wohl für lange Zeit als maßgebliches Referenzwerk zum Thema unverzichtbar bleiben wird, dankbar und mit größtem Gewinn zur Hand nehmen.2 Heinz Schilling hat sowohl den Stellenwert der Konfession in der zwischenstaatlichen Politik der frühen Neuzeit genauer zu bestimmen als auch ihre Funktion bei der Herausbildung des frühneuzeitlichen Systems der internationalen Beziehungen zu fassen gesucht. Was den Stellenwert anbetrifft, sieht er die Konfession in dem halben Jahrhundert um 1600 herum auch zu einer zentralen, wenn nicht zu der maßgeblichen (und eigentlich dominierenden) „Leitkategorie“ der auswärtigen Staatenpolitik aufsteigen, die die Tendenz zur konfessionsbedingten Intervention in innere Konflikte anderer Staaten befördert und die Bündnisbildung sehr wesentlich bestimmt.3 Im Ergebnis sieht Schilling die Mächtebeziehungen Ende des 16. Jahrhunderts und dann bis in das erste Jahrzehnt des Dreißigjährigen Krieges hinein insgesamt von konfessioneller Bipolarität geprägt, also vom Antagonismus zwischen einem katholischen, vom Hause Habsburg (Spanien, Österreich) angeführten und einem protestantischen, vorwiegend von calvinistischen Protagonisten (Nordniederlande, Pfalz) geführten Mächteblock.4 Der Funktion nach ordnet Heinz Schilling die außenpolitische (wie schon die innenpolitische) Konfessionalisierung einem fundamentalen Modernisierungsgeschehen zu; er beschreibt sie als Hauptagens in einem „Durchgangsstadium“, in einer „Modernisierungskrise“, in der sich das eigentliche internationale System der europäischen Neuzeit formierte: Die Konfessionalisierung habe die vordem „regionalen Mächtekreise“ in einen gesamteuropäischen bipolaren Blockantagonismus integriert und einen „auf gegenseitige Vernichtung angelegten Dualismus“ produziert – einen Antagonismus, der sich schließlich nur durch eine säkulare Gleichgewichtsordnung partikularer Mächte5 auflösen ließ und in 2

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Heinz Schilling, Konfessionalisierung und Staatsinteressen. Internationale Beziehungen 1559-1660 (Handbuch der Geschichte der Internationalen Beziehungen 2), Paderborn u.a. 2007. Schilling, Formung und Gestalt (wie Anm. 1), S. 22 (Zitat), 27, 29, 35; ders., Konfessionsfundamentalismus (wie Anm. 1), S. 77 f. Schilling, Formung und Gestalt (wie Anm. 1), S. 31-33, 36; ders., Konfessionsfundamentalismus (wie Anm. 1), S. 78 f. Die Formulierung in Anlehnung an Schilling, Konfessionsfundamentalismus (wie Anm. 1), S. 90; Schilling spricht hier von einem „Paradigmenwechsel in den Ord-

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einer Art dialektischem Umschlag das frühmoderne Staatensystem freisetzte.6 Bei dem zweiten neuen Impuls handelt es sich um die Rede und These vom „Konfessionsfundamentalismus“, der in den Jahrzehnten um 1600 im protestantischen wie im katholischen Lager innen- und außenpolitisch wirkmächtig und prägend gewesen sei. Die Rede vom Konfessionsfundamentalismus akzentuiert, jedenfalls meinem Eindruck nach, anders als die ursprüngliche Theorie von der binnenstaatlichen Konfessionalisierung, bei der die Indienstnahme der Konfession durch den werdenden Staat und der Durchgriff der Konfession auf den politischen Raum gleichermaßen betont und als zwei Seiten ein und derselben Medaille interpretiert wurden, nun letztlich doch vorwiegend und vor allem den zweitgenannten Aspekt, die Indienstnahme der Politik durch die Konfession. Die Konfession erscheint dabei, apostrophiert etwa als „internationaler Katholizismus“,7 „calvinistische[r]“8 oder „katholische[r] Internationalismus“,9 mitunter fast wie ein selbständig handelnder politischer Kollektivsingular. Betont erscheint auch die Bedeutung nichtstaatlicher international-konfessioneller Netzwerke und ihrer Protagonisten (calvinistische Netzwerke, Jesuitenorden, heterodoxe [Land-]Stände und so weiter) als „Agenten“ der Blöcke in der Innen- wie in der zwischenstaatlichen Politik.10 Inhaltlich zeichnet sich der Politiktyp des „christlichen Konfessionsfundamentalismus“ nach Schilling dadurch aus, dass er „bedingungslos auf gewaltsame Durchsetzung der jeweils eigenen religiösen Wahrheit und der daran gekoppelten innenpolitischen wie machtstaatlichen Interessen setzte. Hierin kam eine bedingungslose Verknüpfung der Religion mit der Politik, und zwar gerade der Außenpolitik, zum Tragen, die konfessionsübergreifend zeittypisch war.“11 Die genannten Impulse haben bekanntlich eine sehr rege und fruchtbare Forschungsdebatte entfacht, die freilich noch in vollem Gange ist und an dieser Stelle nicht bilanziert und schon gar nicht entschieden wernungskonzepten dahingehend [...], daß die Ordnung Europas nicht mehr als religiöse und konfessionspolitische Einheit, sondern als säkulares Gleichgewicht der partikularen Mächte zu errichten war“. 6 Schilling, Formung und Gestalt (wie Anm. 1), S. 24 f., 36 f. (Zitat 4: S. 36); ders., Konfessionsfundamentalismus (wie Anm. 1), S. 70, 88-90; ders., Konfessionalisierung und Staatsinteressen (wie Anm. 2), S. 417 f. (Zitate 1-3). 7 Schilling, Konfessionalisierung und Staatsinteressen (wie Anm. 2), S. 37. 8 Schilling, Konfessionalisierung und Staatsinteressen (wie Anm. 2), S. 114. 9 Schilling, Konfessionalisierung und Staatsinteressen (wie Anm. 2), S. 110. 10 Schilling, Konfessionsfundamentalismus (wie Anm. 1), S. 86 f.; ders., Kon­ fessionalisierung und Staatsinteressen (wie Anm. 2), S. 107-119. 11 Schilling, Konfessionalisierung und Staatsinteressen (wie Anm. 2), S. 416.

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den kann. Meine Überlegungen werden sich vielmehr exemplarisch auf einen Herrscher konzentrieren, der gemeinhin als Muster des „Konfessionalisten“ gilt, Kaiser Ferdinand II. Gefragt werden soll dabei, ob und inwieweit Ferdinand II. und seine Politik zwischen 1618 und 1630 dem von Heinz Schilling beschriebenen Politiktypus des „Konfessionsfundamentalismus“ zuzuordnen sind, und welche Rolle das Konfessionelle in Ferdinands II. Außenpolitik sowie in dem außen- und bündnispolitischen Szenarium, in dem er zwischen 1618 und 1630 agierte, gespielt hat.12 In den Blick genommen wird also ein Zeitraum, der nach Schillings Periodisierung noch (ganz oder zumindest bis 1625) der konfessionsbestimmt„fundamentalistischen“ Ära der europäischen Außenpolitik angehört,13 und für den auch die einschlägige Spezialforschung der kaiserlichen Politik zum Teil sehr dezidiert eine dominant religiös-konfessionelle Motivik attestiert.14 12

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Die folgenden Ausführungen basieren auf den Ergebnissen meiner Bayreuther Habilitationsschrift; s. jetzt die Druckfassung: Thomas Brockmann, Dynastie, Kaiseramt und Konfession. Politik und Ordnungsvorstellungen Ferdinands II. im Dreißigjährigen Krieg (Quellen und Forschungen aus dem Gebiet der Geschichte, Neue Folge 25), Paderborn u.a. 2011. Für ausführlichere Belege und Erörterungen zum Folgenden sei hier generell auf diese Studie verwiesen. In Schilling, Formung und Gestalt (wie Anm. 1), S. 22, heißt es: „Die Konfession war in der zweiten Phase des frühneuzeitlichen Mächteeuropa Leitkategorie, also von Mitte des 16. bis gegen Mitte des 17. Jahrhunderts [...]. Im Verlaufe des Dreißigjährigen Krieges trat Konfession als handlungsleitende Kategorie dann immer rascher in den Hintergrund [...].“ Ebd., S. 24 stellt Schilling hinsichtlich des „halben Jahrhundert[s] zwischen etwa 1575 und 1625/30“ fest, es handele sich um „diejenige Zeitspanne innerhalb der zweiten Phase der frühneuzeitlichen Mächtegeschichte, in der die Leitfunktion des konfessionellen Faktors am ausgeprägtesten war“. – Von einem „christlichen Konfessionsfundamentalismus“ wird in Schilling, Konfessionalisierung und Staatsinteressen (wie Anm. 2), S. 416 „für das erste Viertel des 17. Jahrhunderts“ gesprochen. Als Eckdaten für die Dominanz religionsbestimmter Bipolarität in den europäischen Staatenbeziehungen sieht Schilling offenbar die Jahre 1590 und 1635 an, s. ebd., S. 398-400. Vgl. zum Beispiel Robert Bireley, The Thirty Years’ War as Germany’s Religious War, in: Konrad Repgen (Hg.) unter Mitarbeit von Elisabeth Müller-Luckner, Krieg und Politik 1618-1648. Europäische Probleme und Perspektiven (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 8), München 1988, S. 85-106, bes. S. 85 f. Für die Jahre 1618-1627 attestiert Bireley Ferdinand eine primär religiös-konfessionelle, wiewohl defensiv-konsolidative Zielstellung, für die Jahre 1627-1635 eine ebenfalls primär religiös-konfessionelle, nun aber offensive Motivik – in dieser zweiten Kriegsphase habe der Kaiser einen „holy war“ mit dem Ziel der Restauration des Katholizismus im Reich nach Maßgabe des katholisch interpretierten Religionsfriedens von Augsburg (1555) geführt; in der dritten Kriegsphase, seit 1635, habe sich dann auch in Wien die Wahrnehmung des Krieges als religiöser Konflikt vermindert.

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Die Politik Ferdinands II. wird im Folgenden in einem Bezugsrahmen aus vier verschiedenen Politikfeldern zu betrachten sein: 1. die Erb- und Kronländer; 2. das Reich; 3. die österreichisch-spanischen dynastischen Beziehungen; 4. Wiens Beziehungen mit der übrigen europäischen Staatenwelt. Das in Bezug auf die habsburgischen Verhältnisse etwas anachronistische, aber schwer zu ersetzende Begriffspaar „Innenpolitik“ – „Außenpolitik“ wird dabei stets in dem Wissen angewandt, dass es die genannte komplexe Ebenenvierheit nicht vollständig abzubilden in der Lage ist. Keiner besonderen Erwähnung bedarf, dass die Thematik im hier gegebenen Rahmen nur aspekt- und ausschnitthaft und keineswegs mit dem Anspruch auf Vollständigkeit und Abgeschlossenheit behandelt werden kann. II. Die kaiserliche Landespolitik vor und nach der Schlacht am Weißen Berge Es bietet sich an, zunächst zu fragen, ob und gegebenenfalls in welchen Hinsichten Ferdinands Landespolitik nach Ziel und Prozedere als „fundamentalistisch“ gelten kann, und hier den Ausgangspunkt beim böhmischen Ständeaufstand zu nehmen. Den böhmischen Herrscher-Stände-Konflikt um Konfession und Verfassung „erbte“ Erzherzog Ferdinand von Steiermark, der erst in der zweiten Jahreshälfte 1618 faktisch in Wien die Leitung der Politik übernahm und Kaiser Matthias erst 1619 als regierender böhmischer Landesherr und Oberhaupt des römisch-deutschen Wahlreiches nachfolgte, von seinem Vorgänger; die Eskalation dieses Konflikts im Mai 1618, bei noch unvollendeter Sukzessionsregelung im österreichischhabsburgischen Herrschaftskonglomerat, hat er sicherlich nicht herbeigewünscht. Wohl aber hat er den einmal ausgebrochenen Aufstand, der die protestantischen Stände ins Unrecht setzte und Gelegenheit gab, ihre Religionsrechte und Privilegien als verwirkt zu behandeln, als Chance begriffen, in den rebellischen Landen zu stärker herrscherzentrierten Verfassungsverhältnissen zu gelangen und zugleich Konfessionseinheit im Sinne der Kongruenz mit dem katholischen Herrscherhaus herzustellen.15 Die 15

Ausbuchstabiert ist die Auffassung vom Aufstand als Gelegenheit in einer wohl von Melchior Khlesl stammenden Denkschrift betr. die böhmischen Unruhen, Preßburg, [ca. Mitte Juni 1618], Text in: Gottfried Lorenz (Hg.), Quellen zur Vorgeschichte und zu den Anfängen des Dreißigjährigen Krieges (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 19), Darmstadt 1991, S. 253-256, Nr. 34, hier S. 255 f.: „Diße unglegenheit und erschrökhliches factum [den Aufstand; T.B.] aber hat Gott derhalben sonders Zwei-

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meisten Habsburgerlande wiesen starke, oft mehrheitlich protestantische Bevölkerungs- und Elitenanteile auf; deren Loyalität sah Ferdinand als fraglich und die Kombination aus starkem Ständetum und Protestantismus als hochgefährlich für die mitteleuropäische Habsburgerherrschaft an.16 Mit dieser Auffassung stand Ferdinand in Wien keineswegs allein – sie war vielmehr Communis opinio im österreichischen Habsburgerhaus. Schon 1604 hatte Erzherzog Matthias – der spätere Kaiser – in einem von Melchior Khlesl für ihn verfassten Gutachten erklärt: „So ist vnmüglich, das rechte Politia bey vndterschidlichen Religionen kan erhalten werden, weil ein jede rechte Politia in dem Gehorsamb der Obrigkeit [und der] Lieb vnd Vertrewligkeit der Vnderthanen vndter einander stehet: wo aber vndterschidliche Religionen seyn, wirdt nothwendig der Respect gegen der Obrigkeit verlohrn [...].“17 „Integralistisch“ war Ferdinands landesherrliche Religionspolitik 1618-1630 – wie die vieler anderer katholischer und protestantischer Fürsten seiner Zeit, um eine exzentrische Position handelte es sich hier weder im binnenkatholischen noch im interkonfessionellen Vergleich – also in der Tat und ganz zweifellos insofern, als er die Mo-

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fels verhengen wöllen, weil solches bey der ganzen welt und allen vernunfftigen, was Religion auch dieselbigen sein, abscheulich, unrecht, unchristlich, unbillich, unevangelische Straff und Execution wirdig, fürkhumen mueß, dardurch der Rebellen högst und meistes fundament, welches Sy bißher aller orthen gebraucht, als wär diß [e]in Religionssach, fallet und zu wasser wirdt, das auch vill Predicanten auß ihnen selbst vermaledeyen und unrecht haissen werden. So haben disemnach Ir Mayest. und Ir ganzes Hauß quoad materiam dißer Rebellen, wie auch bey der gantzen Welt sich zu entschuldigen die allerbeste gelegenheit yetzundt, auff ainmahl von dißem Joch und servitut [der faktischen Herrschaft der Stände über den Landesherrn; T.B.] sich selbst und Ir ganzes Hauß zu erledigen, und widerumb in Ir landtsf[ü]r[st]l[iche] authoritet sich gantz einzuführen. Sy haben Gott, Ir Hauß und alle, Christliche Obrikheitten, so Ire Landt und Leuth, wie auch Ir Landtsfürstl. authoritet zu erhalten begehren, auff Irer seitten.“ Vgl. dazu Thomas Brockmann, Religion und Politik bei Ferdinand II., in: José Martínez Millán/Rubén González Cuerva (Hgg.), La Dinastía de los Austria. Las relaciones entre la Monarquía Católica y el Imperio (Coleccíon „La Corte en Europa“, Temas, Nr. 5), Bd. 1, Madrid 2011, S. 125-135, hier S. 127. Von Melchior Khlesl verfasstes Gutachten des Erzherzogs Matthias für den Kaiser, 1604, in: Joseph von Hammer-Purgstall, Khlesl’s, des Cardinals, Directors des geheimen Cabinetes Kaisers Matthias, Leben [...], Bd. 1, Wien 1847, Urkundenteil, S. 384-409, Nr. 166, hier S. 385 f. – Die Kenntnis dieser Stelle verdanke ich Arno Strohmeyer; s. dessen Studie: Vom Widerstand zur Rebellion: Praxis und Theorie des ständischen Widerstands in den östlichen österreichischen Ländern im Werden der Habsburgermonarchie (ca. 1550-1650), in: Robert von Friedeburg (Hg.), Widerstandsrecht in der frühen Neuzeit. Erträge und Perspektiven der Forschung im deutsch-britischen Vergleich (Zeitschrift für Historische Forschung, Beih. 26), Berlin 2001, S. 207-243, hier S. 240, Anm. 100.

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nopolisierung der Religionsverhältnisse im Sinne des herrscherlichen Bekenntnisses anstrebte. Freilich wurde dabei keineswegs im ausschließlich religiösen Interesse zu Lasten des politischen Interesses optiert: Das konfessionelle Motiv – die Geltendmachung der wahren Religion und die Mitsorge für das Seelenheil der Untertanen im Sinne der herrscherlichen cura religionis – ging vielmehr mit dem staatspolitischen vollkommen konform. Aus Gründen der politischen Klugheit leistete sich Ferdinand im böhmischen Aufstand keine konfessionell exklusive Bündnispolitik. Zwar warb er in der Aufstandszeit natürlich bei katholischen Fürsten um konfessionelle Solidarität und konnte sich militärisch vor allem behaupten, weil Spanien und ein von Bayern geführter konfessioneller Sonderbund ihn stützten. Gegenüber den Fürsten und Ständen evangelischer Konfession vertrat er jedoch zugleich die These vom ausschließlich politischen Charakter des böhmischen Konflikts, um einer Ausweitung der Krise in Gestalt eines reichsständischen Konfessionskonflikts vorzubeugen und über die Konfessionsgrenze hinweg bündnis- und unterstützungsfähig zu werden.18 Sehr intensiv bemühte sich Ferdinand um die Assistenz des lutherischen, aber traditionell kaiserfreundlich gesonnenen sächsischen Kurfürsten gegen die Aufständischen, womit er schlussendlich (1620) auch erfolgreich war.19 Schon in den ersten Monaten des böhmischen Aufstandes, im Dezember 1618, zeigte sich der Kaiserhof unter Ferdinands Ägide (nach anfänglicher Ablehnung) auch flexibel genug, ein auf Interposition zwischen den böhmischen Rebellen und ihrem habsburgischen Landesherrn lautendes Angebot des Kurfürsten von Sachsen zu akzeptieren, also, abstrakt gesprochen, die (Mit-)Mediation eines heterodoxen Lehnsmannes in einem doppelt asymmetrischen Konflikt mit heterodoxen, aufständischen Untertanen anzunehmen – ein Projekt, zu dessen Fortsetzung sich Ferdinand auch nach Kaiser Matthias’ Ableben im März 1619 ausdrücklich bereiterklärte, für das die Konflikteskalation dann aber keinen Spielraum mehr ließ.20

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S. dazu Brockmann, Dynastie (wie Anm. 12), S. 81 f. S. dazu die wichtige Studie von Frank Müller, Kursachsen und der Böhmische Aufstand 1618-1622 (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte 23), Münster/Westf. 1997. S. dazu Christoph Kampmann, Friedensstiftung von außen? Zur Problematik von Friedensvermittlung und Schiedsgerichtsbarkeit in frühneuzeitlichen Staatenkonflikten, in: Claudia Ulbrich/Claudia Jarzebowski/Michaela Hohkamp (Hgg.), Gewalt in der Frühen Neuzeit. Beiträge zur 5. Tagung der Arbeitsgemeinschaft Frühe Neuzeit im VHD (Historische Forschungen 81), Berlin 2005, S. 245-259, hier S. 249-252; Brockmann, Dynastie (wie Anm. 12), S. 85-89, 92.

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Nicht ganz ohne Weiteres „fundamentalistisch“ zu nennen ist auch Ferdinands Verhältnis zum religionspolitischen Kompromiss. Wo dies im Interesse der politischen Konfliktstillstellung, Selbstbehauptung, Risikominderung erforderlich war (oder schien), ging er in den frühen Jahren seiner Kaiserherrschaft auch religionsrechtliche Bindungen zugunsten der protestantischen Seite ein – in Niederösterreich,21 hinsichtlich Schlesiens22 und der Lausitzen23 sowie in Ungarn,24 obwohl in jedem dieser Fälle nach kaiserlichem Rechtsverständnis (Verwirkungstheorie) durchaus die Gegenreformation ohne jede Rücksicht gerechtfertigt war.25 Theologisch 21

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S. zur Geschichte und Vorgeschichte der niederösterreichischen Religionskonzession vom 11. Juli 1620 Thomas Brockmann, Gegenreformation und habsburgische Behauptungspolitik. Ferdinand II., der Papst, die Jesuiten und die Frage der protestantischen Religionsrechte im Erzherzogtum Österreich 1619/20, in: Jörg Engelbrecht/Stephan Laux (Hgg.), Landes- und Reichsgeschichte. Festschrift für Hansgeorg Molitor zum 65. Geburtstag (Studien zur Regionalgeschichte 18), Bielefeld 2004, S. 147-198. S. zur Bestätigung des Dresdner Akkords und des schlesischen Majestätsbriefs von 1609 durch Ferdinand am 17. April 1621: Christine van Eickels, Schlesien im böhmischen Ständestaat. Voraussetzungen und Verlauf der böhmischen Revolution von 1618 in Schlesien (Neue Forschungen zur Schlesischen Geschichte 2), Köln u.a. 1994, S. 446-452; Müller, Kursachsen (wie Anm. 19), S. 411-414 mit Anm. 324. S. zur Bestätigung der Religionsassekuration von 1611 für die Oberlausitz (29. Juni 1621) Müller, Kursachsen (wie Anm. 19), S. 417-419 mit Anm. 338 sowie 459 und zur Bestätigung der Religionsassekuration von 1611 für die Niederlausitz ebd., S. 459 mit Anm. 463 sowie Rudolf Lehmann, Geschichte der Niederlausitz. Mit zwei Kartenbeilagen (Veröffentlichungen der Berliner Historischen Kommission beim Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin 5), Berlin 1963, S. 184. S. zum Frieden von Nikolsburg vom 31. Dezember 1621 und zum kaiserlichen Assekurationsinstrument zum Nikolsburger Frieden für die ungarischen Stände vom 7. Januar 1622 Márta Fata, Ungarn, das Reich der Stephanskrone, im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Multiethnizität, Land und Konfession 1500 bis 1700, hg. von Franz Brendle und Anton Schindling (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 60), Münster 2000, S. 190; Andrea Schmidt-Rösler, Princeps Transilvaniae – Rex Hungariae? Gabriel Bethlens Außenpolitik zwischen Krieg und Frieden, in: Heinz Duchhardt/Martin Peters (Hgg.), Kalkül – Transfer – Symbol. Europäische Friedensverträge der Vormoderne, Mainz 2006-11-02 (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Beiheft online 1), URL: , URN: , Abschnitt 8098, hier Abschnitt 90. Auf ein weiteres Beispiel pragmatisch-interessegeleiteter Ferdinandeischer Religionspolitik weist Stefan Plaggenborg, Konfessionalisierung in Osteuropa im 17. Jahrhundert. Zur Reichweite eines Forschungskonzeptes, in: Bohemia 44, 2003, S. 3-28, hier S. 10 f., hin: In den 1620ern habe Ferdinand die Privilegien der böhmischen Juden erweitert, wohl, um „ein funktionales Äquivalent für die besonders

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rechtfertigen ließen sich Konzessionen an die Heterodoxie wie die soeben genannten nur mit einigem Wohlwollen und unter der prekären Voraussetzung einer entsprechenden Notfall-Situationsbewertung, im Rahmen der Minus-malum-Lehre, die die Duldung eines kleineren Übels zur Abwendung eines weitaus größeren (notabene: kirchlichen, nicht: staatspolitischen!) Übels für angängig erklärte; über weitergehende und zugleich allgemein akzeptierte Rechtfertigungskonzeptionen für religiöse Toleranz verfügte die zeitgenössische katholische Theologie noch nicht.26 Konfessionelle Politik betrieb eben auch Ferdinand II. nur in den Grenzen, die eine vernünftige Risikoabwägung und das Überlebensinteresse der mitteleuropäischen Habsburgerherrschaft zogen. Zeugnisse „fundamentalistischer“ Selbst-(oder Fremd-?)Stilisierung wie die in dem von dem langjährigen kaiserlichen Beichtvater Wilhelm Lamormaini SJ verfassten, panegyrisch-apologetischen Lebens- und Tugendbild „Virtutes Ferdinandei“ (1638) enthaltene Aussage, Ferdinand habe oft bekannt, er wolle „sich lieber und ehender seiner Königreich und Länder verzeihen [begeben], als eine Gelegenheit dem rechten Glauben fortzuhelffen, wissentlich verabsäumen“,27 dürfen daher nicht naiv und unter Absehung von der tatsächlichen politischen Praxis als Quintessenz der Ferdinandeischen Politik gelesen werden. In allen gemischtkonfessionellen Territorien, in denen er in den 1620er Jahren die habsburgische Landesherrschaft (wieder) ausüben konnte (die Lausitzen, 1620 von Kursachsen besetzt und seit 1623 kursächsischer Pfandbesitz, blieben außen vor, in Oberösterreich hatte bis 1628 der bay-

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hart abgestraften [sc. protestantischen; T.B.] Bürger der rebellischen Städte“ zu schaffen: „Der König setzte Juden in die von den akatholischen Christen freigewordenen wirtschaftlichen Funktionen ein und schuf sich damit zugleich günstige Steuer- und Darlehensverhältnisse.“ Vgl. dazu Thomas Brockmann, Die frühneuzeitlichen Religionsfrieden – Normhorizont, Instrumentarium und Probleme in vergleichender Perspektive, in: Christoph Kampmann/Maximilian Lanzinner/Guido Braun/Michael Rohrschneider (Hgg.), L’art de la paix. Kongresswesen und Friedensstiftung im Zeitalter des Westfälischen Friedens (Schriftenreihe der Vereinigung zur Erforschung der Neueren Geschichte 34), Münster/Westf. 2011, S. 575-611, hier S. 579-583. Wilhelm Lamormaini, Ferdinandi II. Christliche/ Heroische Tugenden, in: Franz Christoph von Khevenhiller, Annalium Ferdinandeorum Zwölffter und letzter Theil [...], Leipzig 1726, Sp. 2381-2468, hier Sp. 2383. „Lieber wolte er“, so der weitere Wortlaut des bei Khevenhiller in indirekter Rede gefassten Bekenntnisses Ferdinands, „sich allein mit Wasser und Brod erhalten; lieber mit Weib und Kind, und einem weissen Stäblein in der Hand sich ins Elend begeben; lieber von Hauß zu Hauß das Brodt betteln; lieber zu Stücken zerrissen werden: Als daß er das Unbill länger leiden wolte, so GOtt und seiner Kirchen in seinen Ländern biß auf selbige Zeit erwiesen worden“.

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erische Besatzer bzw. Pfandbesitzer mitzureden), trieb Ferdinand sein Programm der Herrschaftsintensivierung und Rekatholisierung allerdings im Rahmen des Machbaren entschieden voran; er nutzte insbesondere die Möglichkeiten der Rekatholisierung durch einseitig „katholische“ Lehens- und Ämtervergabe sowie durch planmäßige Förderung kirchlicher Institute und Orden und, je nachdem, die Macht- und Zwangsmittel der Staatsgewalt. Religionsverfassungsrechtlich stellten sich die Dinge in den einzelnen Ländern freilich unterschiedlich dar. Grundsätzlich galt: In allen seinen Reichsterritorien konnte Ferdinand wie andere weltliche Fürsten auch sein ius reformandi wahrnehmen und rekatholisieren, sofern er (oder, seine Nachfolger bindend, einer seiner Vorgänger) sich dieses Rechtes nicht selbst durch partikulare Vereinbarungen oder Privilegierungen zugunsten der Augsburgischen Konfessionsverwandten ganz oder teilweise begeben hatte. In Innerösterreich hatte Ferdinand schon bei seinem Regierungsantritt 1596 den Standpunkt vertreten, dass die Rechtslage ihn zur Bestätigung der protestantischen Religionsprivilegien im Zusammenhang mit der Huldigung nicht verpflichte, und sich damit durchgesetzt. Schon 1599-1601 hatten hier landesherrliche „Religionsreformationskommissionen“ in Begleitung von Militärkontingenten die Gegenreformation im Bauern- und Bürgertum durchgeführt; den vorläufigen Schlusspunkt der staatlichen Rekatholisierungspolitik bildete 1628 das Gebot an den protestantischen Adel, den katholischen Glauben anzunehmen oder das Land zu verlassen.28 In Böhmen und Mähren waren die protestantischen Religionsrechte nach der Wiener Rechtsauffassung infolge des Aufstandes verwirkt; königliche Patente (1624) sowie die neuen Landesordnungen (1627/28) machten hier die römisch-katholische zur einzigen anerkannten Konfession.29 Als religionsrechtlich ungebunden betrachtete sich Ferdinand auch in Oberösterreich, dessen Stände dem Aufstand angehangen und ihm 1620, 28

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Karl Amon, Innerösterreich, in: Anton Schindling/Walter Ziegler (Hgg.), Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500-1650, Bd. 1: Der Südosten (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 49), 2., verbesserte Aufl. Münster/Westf. 1992, S. 102-116, hier S. 113 f.; Thomas Winkelbauer, Ständefreiheit und Fürstenmacht. Länder und Untertanen des Hauses Habsburg im konfessionellen Zeitalter (Österreichische Geschichte 1522-1699), Teil 2, Wien 2003, S. 50 f.; Brockmann, Dynastie (wie Anm. 12), S. 60 mit Anm. 104 und 105. – Zur Gegenreformation in der Steiermark s. auch die wichtige Monographie von Regina Pörtner, The Counter-Reformation in Central Europe. Styria 1580-1630 (Oxford Historical Monographs), Oxford 2001. Jörg K. Hoensch, Geschichte Böhmens. Von der slavischen Landnahme bis zur Gegenwart, 3. aktualisierte und ergänzte Aufl., München 1997, S. 226 f.

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anders als Teile der österreichischen Stände unter der Enns, die Huldigung verweigert hatten; seit 1625 war hier das Bekenntnis zum katholischen Glauben verpflichtend, und 1627 wurde der protestantische Adel vor die Wahl zwischen Konversion oder Emigration gestellt.30 Anders sah die religionsrechtliche Lage in Niederösterreich und in Schlesien aus, wo sich Ferdinand aus Gründen der Krisenbewältigung und mit Rücksicht auf Kursachsen 1620/21 selbst erneut gebunden und Duldungsrechte konzediert hatte. Grundsätzlich, vom Absolutheitsanspruch der Konfession her, hat Ferdinand die Rechtsgeltung und Bindewirkung dieser und anderer Religionskonzessionen, soweit mir bekannt ist, nie explizit in Frage gestellt, sich also nicht den radikalsten Stimmen im katholischen Lager beigesellt, die auf die Frage „An haereticis pacta sunt servanda“ tatsächlich negativ antworteten. Andererseits bewogen ihn seine religiöse Einstellung und die Auffassung von der staatspolitischen Bedeutung konfessionell-katholischer Homogenität aber doch dahin, ihre Abschaffung oder Einschränkung zu wünschen – in rechtlich auf die eine oder andere Weise begründeter Form, möglichst unter Umständen, die einen konkreten Anlass dazu boten. In Niederösterreich wurden die Religionsrechte der protestantischen Adeligen 1627 schließlich zwar nicht aufgehoben, aber doch „auf das persönliche Bekenntnis eingeschränkt“; mit der Begründung, dass ihre Prediger und Schulmeister „sich zum Calvinismus bekennen, die katholische Religion schmähen und dadurch die Untertanen zur Rebellion treiben würden“, also die Bedingungen der Religionskonzession verletzten, verbot Ferdinand den protestantischen Adligen ihre Lehrer und Geistlichen.31 In Schlesien hat Ferdinand den Durchzug Ernst von Mansfelds und seiner Armee 1626 offenbar zum Anlass genommen, die Konzessionen von 1621 mit der Begründung für erledigt zu erklären, die schlesischen Protestanten hätten sich beim Durchzug der feindlichen Truppen nicht loyal verhalten;32 die bekannten Gewaltaktionen der Liechtensteiner Dragoner 30

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Walter Ziegler, Nieder- und Oberösterreich, in: Schindling/Ziegler (Hgg.), Territorien, Bd. 1 (wie Anm. 28), S. 118-133, hier S. 131. Ziegler, Nieder- und Oberösterreich (wie Anm. 30), S. 131. Arno Herzig, Schlesien und die Grafschaft Glatz im Zeitalter des Konfessionalismus, in: Jahrbuch für Schlesische Kirchengeschichte, NF 75, 1996, S. 1-22, hier S. 9 spricht allgemein von der „Aufkündigung des Dresdener Akkords“; bei van Eickels, Schlesien (wie Anm. 22), S. 471 ist etwas undeutlich davon die Rede, dass Ferdinand das Verhalten der schlesischen Fürsten und Stände, „die Mansfeld notgedrungen Durchzug und Einquartierung gewährt hatten“, „zum Vorwand“ genommen habe, „die im Dresdner Akkord gewährte Gnade, vor allem für den oberschlesischen Teil als verwirkt zu erklären“ (Hervorhebung: T.B.). Norbert Conrads, Schlesiens frühe Neuzeit (1469-1740), in: ders. (Hg.), Deutsche Geschichte

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mit dem Ziel der (Zwangs-)Bekehrung zur katholischen Religion fallen in die Folgezeit. Der Kriegsverlauf und die Rücksicht auf Kursachsen bewogen den Kaiser dann allerdings schon im Prager Frieden von 1635 zu einer neuerlichen Verbriefung protestantischer Kultus- und Religionsrechte. Wohl blieben die Konzessionen nun auf einige schlesische Teilterritorien beschränkt. Die protestantischen Stände hatten sich 1633 den Schweden angeschlossen, sich also ein weiteres Mal (wie 1618) offen gegen die habsburgische Herrschaft gestellt; „[n]ach Lage der Dinge hätte der Kaiser noch härter mit Schlesien verfahren können, als es der am 30. Mai 1635 in Prag geschlossene Sonderfrieden zwischen ihm und Sachsen regelte“ (Norbert Conrads).33 Einen besonderen Fall stellt das außerhalb des römisch-deutschen Reiches gelegene habsburgische Königreich Ungarn dar. Die Mehrfrontenproblematik, die exponierte Lage des Landes an der Grenze zum Osmanischen Reich und die relative Stärke des siebenbürgischen Gegners – Gabriel Bethlen – trugen hier dazu bei, dass Ferdinand II. 1621/22 den einigermaßen protestantenfreundlichen Religionsverfassungs-Status quo von 1606/08 bestätigte; auch in der Folgezeit hatte die rechtliche Duldung Bestand.34 Auch die Bestätigung der protestantischen Religionsrechte anläßlich der Wahl und Krönung seines Sohnes zum ungarischen König ließ Ferdinand 1625 – trotz der Bedenken seines Beichtvaters Lamormaini und des Wiener Nuntius Carafa – zu.35 Im Ergebnis und insgesamt stellen die 1620er Jahre in den gemischtkonfessionellen Habsburgerterritorien, obschon entgegenstehende rechtliche Bindungen und politische Rücksichten zum Teil retardierend wirkten, ganz ohne Zweifel eine Zeit großer, vom Herrscherhause getragener und gestützter gegenreformatorischer Dynamik dar, deren konkrete Folgen für

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im Osten Europas. Schlesien (Deutsche Geschichte im Osten Europas [4]), Berlin 1994, S. 177-344, hier S. 272-278 erwähnt die Aufkündigung nicht, sondern spricht erst im Zusammenhang mit dem Prager Frieden von 1635 davon, dass „der Kaiser nun den schlesischen Majestätsbrief und den Dresdner Akkord beiseite schob“ (S. 278). Hier besteht also ereignisgeschichtlich und rechtshistorisch noch Klärungsbedarf. Conrads, Neuzeit (wie Anm. 32), S. 278. Fata, Ungarn (wie Anm. 24), S. 136, 190 f.; Mihály Bucsay, Der Protestantismus in Ungarn 1521-1978. Ungarns Reformationskirchen in Geschichte und Gegenwart, Teil I: Im Zeitalter der Reformation, Gegenreformation und katholischen Reform (Studien und Texte zur Kirchengeschichte und Geschichte, Erste Reihe, III/1), Wien u.a. 1977, S. 170-173; Winkelbauer, Ständefreiheit, Teil 2 (wie Anm. 28), S. 80. Robert Bireley, Religion and Politics in the Age of the Counterreformation. Emperor Ferdinand II, William Lamormaini, S.J., and the Formation of Imperial Pol­ icy, Chapel Hill 1981, S. 28 f.

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die protestantischen Untertanen und Stände oft außerordentlich hart und einschneidend waren. Die Gegenreformation der 1620er Jahre bedeutete für sehr viele Protestanten im österreichisch-habsburgischen Länderkonglomerat – je nach Stand, Territorium und den politischen Rahmenbedingungen – den tatsächlichen Zwang zur Konversion, den Zwang zur Wahl zwischen Konversion und Emigration oder doch zumindest die mehr oder minder enge Einschränkung ihrer religiösen und konfessionskulturellen Praxis, für den protestantischen Adel, wo er bleiben durfte, in der Regel auch den zunehmenden Ausschluss von Ämtern und landesherrlicher Patronage und einen fortschreitenden politischen Einflussverlust; hinzu kamen die Auswirkungen subtilerer, informeller Mechanismen gesellschaftlichen Außendrucks und immer wieder auch überschießende Gewalt.36 III. Ferdinands Reichsreligionspolitik im Jahrzehnt der kaiserlich-ligistischen Präponderanz Die Schlacht am Weißen Berge Ende 1620 entschied nicht nur den Krieg mit den aufständischen Landständen in den habsburgischen Territorien zugunsten der kaiserlich-ligistischen Koalition; ihr Ausgang erhöhte zugleich auch deren Handlungsspielraum im Reich. Ganz außer Frage steht, dass Ferdinand II. den Sieg von 1620 auch hier in religionspolitische Erfolge umsetzen wollte. Schon im Februar 1621 stellte er den Ligaständen für ihre fortgesetzte Kooperation mit Wien mittel- und langfristig religionspolitische Geländegewinne in Aussicht, und zwar in Gestalt der Geltendmachung des Religionsfriedens von 1555 in dessen katholischer Auslegung.37 Zur weiteren Verbesserung der politischen Rahmenbedingungen trugen die Auflösung des protestantischen Ständebundes, der Union, im Mai 1621 sowie die erfolgreiche Vereitelung der Versuche Friedrichs V. von der Pfalz bei, sich im Reich zu behaupten. Auch im Kurkolleg war die katholische Position seit der Ächtung des Pfälzers (29. Januar 1621) und der Translation seiner Kur auf Maximilian von Bayern (25. Februar 1623) erheblich gestärkt. Tatsächlich machte die katholische Sache im Reich unter diesen Auspizien schon in den frühen 1620ern sehr beträchtliche Fortschritte. Neben den Erfolgen der Gegenreformation in den österreichischen Reichsterri36

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Vgl. für Böhmen kompakt zusammenfassend etwa Winkelbauer, Ständefreiheit, Teil 2 (wie Anm. 28), S. 26-28. S. dazu Brockmann, Dynastie (wie Anm. 12), S. 196.

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torien ist hier unter anderem vor allem der Beginn der Rekatholisierung in den eroberten pfälzischen Territorien zu nennen. 1622 eröffnete das Reichshofratsurteil im badischen Erbfolgestreit überdies die Möglichkeit der Rekatholisierung Baden-Badens; auch in einigen Streitfällen um mittelbares Kirchengut kam es bereits zur Wiederaufnahme der konfessionspolitisch relevanten Gerichtstätigkeit des Reichshofrates. Wiedergewonnen wurde zudem (1623) der Osnabrücker Bischofsstuhl, und punktuell bemühte sich Wien etwa, Einfluss auf die Besetzung der Stiftskanonikate in den protestantisch regierten norddeutschen Reichsstiften zu gewinnen. Ressourcen- und risikobewusster Pragmatismus hielt Ferdinand jedoch einstweilen von dem Versuch einer großen Gesamtlösung der Gravamina­ frage und insbesondere der überaus brisanten Hochstiftsfrage im katholischen Sinne ab – ein Pragmatismus, der namentlich dem päpstlichen Nuntius Carlo Carafa38 sehr missfiel und der 1625 auch Kurfürst-Erzbischof Johann Schweickart von Mainz zu kritischen Vorhaltungen gegenüber dem Kaiserhofe bewog.39 Auch die Verpflichtung Wallensteins 1625, der damit verbundene Aufbau einer eigenen großen, kaiserlichen Armee und der Anteil, den Ferdinand am Ausbruch des sogenannten „dänischen Krieges“ hatte, waren, soweit man sehen kann, nicht das Ergebnis offensiver reichsreligionspolitischer Ambition, sondern vielmehr primär Teil einer Präventivstrategie, mit der der Kaiser auf neue Bedrohungen reagierte. Ferdinand riskierte den Krieg gegen Christian IV. von Dänemark also nicht aus Gründen der reichsreligionspolitischen Offensivambition.40 Wohl aber nutzte er dann die durch den triumphalen Kriegsverlauf seit Ende 1627 erlangte Überlegenheit dazu, die katholische Sache im Reich nun endlich massiver voranzubringen; die aus katholischer Sicht religionsfriedenswidrigen Maßnahmen der Protestanten aus der Epoche nach 1552/55 zu revidieren betrachte er als „den höchsten gewin vnd fructum Bellj“, erklärte er in diesem Zusammenhang im Oktober 1627 dem Reichsvizekanzler Peter

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Zu Carlo Carafa, Bischof von Aversa, 1621-1628 Nuntius am Kaiserhof, s. jetzt Guido Braun, Kaiserhof, Kaiser und Reich in der Relazione des Nuntius Carlo Carafa (1628), in: Richard Bösel/Grete Klingenstein/Alexander Koller (Hgg.) unter Mitarbeit von Elisabeth Garms-Cornides, Jan Paul Niederkorn und Andrea Sommer-Mathis, Kaiserhof – Papsthof (16.-18. Jahrhundert) (Publikationen des Historischen Instituts beim Österreichischen Kulturforum in Rom, Abhandlungen 12), Wien 2006, S. 77-104. S. dazu Brockmann, Dynastie (wie Anm. 12), S. 251-256. S. dazu Brockmann, Dynastie (wie Anm. 12), S. 238-249.

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Heinrich von Stralendorff.41 Das Resultat war das Restitutionsedikt vom 6. März 1629. Die Deutung des Restitutionsedikts ist zentral auch für die Frage nach dem „Fundamentalismus“ Ferdinands II., nach der Reichweite und dem Profil seiner konfessionellen Politik. War das Edikt ein juristisch nur unzulänglich bemäntelter, im klaren Wissen um den Unrechtscharakter vorgenommener, eindeutig illegaler Akt konfessionalistischer Machtpolitik?42 Stand hinter dem Edikt tatsächlich bereits ein konkretes politisches Projekt zur vollständigen Rekatholisierung des gesamten Reichs?43 Ist es gerechtfertigt, vom Restitutionsedikt als „konfessionspolitische[m] Maximalprogramm“ zu sprechen?44 Ich denke, dass man diese Fragen, jedenfalls nach 41

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Kaiser Ferdinand II. an Reichsvizekanzler Peter Heinrich von Stralendorff, Schloss Bartowitz, 4. Oktober 1627, praes. Heiligenstadt, 11. Oktober 1627, Or.: Wien, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Reichskanzlei, Reichstagsakten, Kart. 97b, fol. 206r208v, Zitat fol. 206v. Diese Auffassung vertritt Helmut Urban, Das Restitutionsedikt. Versuch einer Interpretation, Diss. phil. Freie Universität Berlin, München 1968, S. 288-303. – Vgl. zum Restitutionsedikt neben Urbans Untersuchung auch die wichtige Studie von Michael Frisch, Das Restitutionsedikt Kaiser Ferdinands II. vom 6. März 1629. Eine rechtsgeschichtliche Untersuchung (Jus ecclesiasticum. Beiträge zum evangelischen Kirchenrecht und zum Staatskirchenrecht 44), Tübingen 1993. Bei Schilling, Formung und Gestalt (wie Anm. 1), S. 30 wird dies zumindest insinuiert: „Es [das Konzept des ‚gegenreformatorischen Internationalismus‘; T.B.] zielte darauf ab, das Reich zu umschließen durch einen Gürtel von katholischen Mächten, um hier in der Mitte Europas und im Ursprungsland der Reformation die Häresie auszulöschen. Der von Spanien-Habsburg geführte gegenreformatorische Internationalismus war somit die konfessionalistische Verlängerung der bis in die Reformationszeit zurückreichenden spanischen Rede von der ‚Pestis Germaniae‘, die es zu vertilgen gelte, um Europa vor dem Chaos zu schützen. [-] Greifbar nahe war der Erfolg dieses Konzeptes im Restitutionsedikt von 1629, das den Siegeslauf des habsburgisch-katholischen Internationalismus in der ersten Phase des Dreißigjährigen Krieges krönte. Es gab im Reich das Signal zur endgültigen Rekatholisierung und damit zur Eingliederung Mitteleuropas in den katholischen Internationalismus. Aber – im letzten Moment wurde seine Realisierung blockiert und damit auch der letzte Triumph des katholischen Internationalismus.“ Diese Charakterisierung des Restitutionsedikts bei Axel Gotthard, Maximilian und das Reich, in: Zeitschrift für bayerische Landesgeschichte 65, 2002, S. 35-68, hier S. 64. Zu den „konfessionalistischen Maximalprogramme[n]“ des konfessionellen Zeitalters wird das Restitutionsedikt auch von Anton Schindling, Konfessionalisierung und Grenzen von Konfessionalisierbarkeit, in: ders./Walter Ziegler (Hgg.) unter Mitarbeit von Franz Brendle, Die Territorien des Reichs im Zeitalter der Reformation und Konfessionalisierung. Land und Konfession 1500-1650, Bd. 7: Bilanz – Forschungsperspektiven – Register (Katholisches Leben und Kirchenreform im Zeitalter der Glaubensspaltung 57), Münster 1997, S. 9-44, hier S. 33 gezählt. Eine andere Bewertung dagegen bei Martin Heckel, Deutschland im konfessionel-

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dem derzeitigen Kenntnisstand, wohl eher verneinen muss. Nach eigenem Selbstverständnis stand Kaiser Ferdinand aufgrund der Wahlkapitulation und der Reichs­grundgesetze auch reichsrechtlich im Spannungsfeld zweier Pflichten – sein Amt verpflichtete ihn einerseits zur Wahrung und Durchsetzung des Religionsfriedens von 1555, andererseits aufgrund der traditionellen kaiserlichen Kirchenadvokatie aber auch zum Schutz der (katholischen) Kirche. Ferdinand löste den darin liegenden AnforderungsGegensatz 1629 nicht einseitig zugunsten der katholisch verstandenen Kirchenadvokatie auf, sondern nahm diese nur in den Grenzen wahr, die die katholische Interpretation des Religionsverfassungsrechts von 1555 ihm setzte. Zu einer entschieden „katholischen“ Reichsreligionspolitik innerhalb dieses Rahmens sah er sich aufgrund der kaiserlichen Kirchenadvokatie allerdings nicht nur als berechtigt, sondern auch als verpflichtet an – als bloßes konfessionspolitisches Neutrum betrachtete er sich auch reichsrechtlich keineswegs. Das Ergebnis dieses Ansatzes war das Restitutionsedikt. Hinter dieser Gegenreformation in den Grenzen des katholisch ausgelegten säkularen Reichsreligionsrechts verbargen sich in Wien, nach derzeitigem Kenntnisstand, auch nicht schon konkrete, weitergehende Pläne für eine Reichsreligionspolitik, die dann alsbald doch noch offen mit der Religionsverfassung von 1555 hätte brechen und eine Rekatholisierung jenseits der Maßgaben des katholischen Religionsfriedensverstandes hätte herbeiführen sollen. Zwar betrachtete der Kaiser das Fortbestehen der heterodoxen Bekenntnisse zweifellos nicht als einen Zustand, mit dem man sich für immer und ewig ohne Weiteres abfinden müsste und sollte – eine Einstellung, die er mit vielen anderen Fürsten seiner Epoche, die von der absoluten Wahrheit ihrer Konfession überzeugt waren, katholischen wie protestantischen, teilte. Dass Ferdinand aber das in langwierigen Beratungen mit dem Ziel der (Reichs-)Rechtsförmigkeit vorbereitete Restitutionsedikt schon in der Absicht erlassen hätte, dem taktisch-legalistischen ersten Schritt ohnehin alsbald eine im Vollsinne „fundamentalistische“ Gegenreformation im Sinne des strikt gefassten kanonischen Rechts und ohne Rücksicht auf das Reichsrecht folgen zu lassen, dafür sehe ich in den Akten zur Vorgeschichte des Restitutionsedikts keinen Beleg.45 Die Bindung an das (freilich strikt katholisch interpretierte) Reichsrecht hat offenbar im Rückblick auch sein Beichtvater Wilhelm Lamormaini als ein Proprium

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len Zeitalter (Deutsche Geschichte 5), 2. Aufl. Göttingen 2001, S. 146; Heckel sieht im Restitutionsedikt eine katholische „Mittellinie“ repräsentiert. S. zu den vorstehenden Ausführungen zum Restitutionsedikt insgesamt, mit ausführlichen Belegen und Begründungen, Brockmann, Dynastie (wie Anm. 12), S. 366-389.

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der Ferdinandeischen Reichsreligionspolitik gesehen. In der Wiener Nationalbibliothek hat sich Lamormainis Handexemplar der bereits erwähnten, von ihm verfassten „Virtutes Ferdinandei“ erhalten. Zu einer Textstelle, die vom Ziel einer Rekatholisierung ganz Deutschlands handelte, trug Ferdinands Beichtvater hier nachträglich die handschriftliche, präzisierende Marginalie ein, Ferdinand habe entsprechende Rechtsverfügungen getroffen, „inquantum pe[r] Constitutiones Imper[ii] licuit“.46 Das Restitutionsedikt ohne Weiteres fundamentalistisch zu nennen fällt auch noch aus einem anderen Grunde schwer: Das Edikt bediente zwar material entschieden die Interessen der katholischen Kirche und Konfession, bezog sich aber formal doch ganz auf das säkulare Reichsreligionsverfassungs-Recht von 1555, als dessen Klarstellung es sich verstand; in strikt römisch-kanonistischer Sicht explizierte es somit, pointiert formuliert, nur das Ergebnis eines gänzlich unerlaubten cäsaropapistischen Rechtsübergriffs.47 IV. Die Rolle der konfessionellen „Netzwerker“ Nur ganz kurz kann an dieser Stelle auf die Bedeutung der nichtstaatlichen konfessionellen „Netzwerker“, also insbesondere der geistlichen Berater und Beichtväter, für die kaiserliche Politik eingegangen werden.48 Abschließendes lässt sich hier zwar noch nicht sagen, doch geben die vorliegenden Befunde meines Erachtens keine Veranlassung anzunehmen, dass der Einfluss der Theologen bei Ferdinand über die an katholischen Höfen übliche und als gute Praxis angesehene Prüfung der geplanten politischen Projekte in theologisch-moralischer Hinsicht wesentlich hinausgegangen wäre und etwa die Dimension einer tatsächlichen politischen Dominanz der Theologen angenommen hätte.49 Theologischen „Außenhalt“ wollte Ferdinand für seine Entscheidungen zwar schon erhalten; exemplarisch lässt sich aber 46

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Wilhelm Lamormaini, Ferdinandi II. Romanorum Imperatoris Virtvtes [...], Wien 1638, Exemplar: Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Handschriften- und Inkunabelsammlung, Codex Vindobonensis Palatinus 7378, S. 61. Erstmals hingewiesen hat auf diese Marginalnotiz Bireley, Religion (wie Anm. 35), S. 76 f. S. dazu Heckel, Deutschland (wie Anm. 44), S. 146. Wichtige Arbeiten hat dazu Robert Bireley vorgelegt; s. ders., Religion (wie Anm. 35); ders., The Jesuits and the Thirty Years War. Kings, Courts, and Confessors, Cambridge 2003, Kap. 2-4. Als Beispiel für eine starke Abhängigkeit von klerikalen Voten wird insbesondere immer wieder gerne auf den Einfluss hingewiesen, den der Kapuzinerpater Hyacinth von Casale im Sommer 1621 auf Ferdinands Politik in der Frage der Translation der pfälzischen Kur auf Maximilian von Bayern ausgeübt habe; hier ist m.E.

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zeigen, dass der kaiserliche Auftraggeber theologischer Gutachten auf den Beratungsgang mitunter selbst erheblichen Einfluss nahm und seine Wünsche und Präferenzen sehr deutlich machte, so dass von einer bestimmenden Rolle des beratenden theologischen Apparats schwerlich die Rede sein kann.50 Auch hat es nicht den Anschein, als habe Ferdinand dazu geneigt, sich von der Geistlichkeit allzu riskante politische Entscheidungen aufdrängen zu lassen, die gegen alle Erfahrungswerte säkular-pragmatischer Politikfolgenabschätzung verstoßen und providentielle Erwartungen zur Hauptgrundlage des politischen Kalküls gemacht hätten.51 – Mit alledem soll keineswegs einer Vernachlässigung oder Geringschätzung der nichtstaatlichen Akteure in der vormodernen Politik das Wort geredet sein; aber gerade im Falle der jesuitischen Politikberatung ist eben auf Abstand zu den alten Verschwörungstheorien zu achten, die durch die neuere, differenzierende Forschung gerade erst so überzeugend überwunden worden sind. V. Die kaiserliche Politik im mächtepolitischen Feld Der Kaiser stützte sich in den Jahren 1618-1630 militärisch, machtpolitisch und subsidienmäßig ganz vorwiegend auf katholische Partner, vor allem auf Bayern, die übrigen Ligafürsten, das spanisch-habsburgische Schwesterhaus und zeitweilig auf den Papst. Dies war nicht nur eine Frage der Präferenz, sondern hatte auch mit den Konfliktkonstellationen zu tun: mit Ausnahme des Mantuakrieges besaßen die großen kriegerischen Konflikte, in denen der Kaiser in diesen Jahren stand, durchgängig (auch) eine religionspolitische Dimension. Sein konfessioneller Standpunkt hinderte Ferdinand ansonsten nicht daran, bei gegebener Gelegenheit gemäß den politischen Erfordernissen auch mit dem heterodoxen Kurfürsten von Sachsen im militärischen Bündnis zu kooperieren – 1620/21, wie gesagt, bei der Bekämpfung der Ständerebellion und dann wieder ab 1635 (Prager Friede) im Schulterschluss gegen die auswärtigen Mächte Schweden und Frankreich.

50

51

jedoch ein vorsichtigeres Urteil geboten, vgl. Brockmann, Dynastie (wie Anm. 12), S. 218 f. Vgl. z.B. zur theologischen Beratung im Vorfeld der Gewährung der niederösterreichischen Religionskonzession 1620 Brockmann, Gegenreformation (wie Anm. 21), S. 159-170, 184-187. S. dazu Brockmann, Dynastie (wie Anm. 12), S. 132; ders., Religion (wie Anm. 16), S. 130 f.

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Das Verhältnis des Kaisers zu den protestantischen Reichsständen, auch den gemäßigten, war allerdings in den 1620er Jahren schweren Belastungen ausgesetzt; dazu trugen insbesondere die Wiener Entscheidungen in der Pfalz- und Kur(translations)frage, die geschilderten Fortschritte der Gegenreformation, das Agieren der kaiserlich-ligistischen Truppenverbände und seit 1625 der Wallensteinschen Armee im Reich, die Depossedierung der Mecklenburger Herzöge 1628/29 sowie vor allem das Restitutionsedikt von 1629 bei. Ferdinand setzte im Reich ganz offenkundig darauf, dass die kaiserlich-ligistische Präponderanz und die Autorität und das Prestige des Reichsoberhaupts die protestantischen Stände politisch und militärisch zumindest zum Stillhalten veranlassen würden und dass sich insbesondere die politische Kommunikation und Interaktion mit den beiden verbliebenen protestantischen Kurfürsten, Sachsen und Brandenburg, trotz der besagten Belastungen werde aufrecht erhalten lassen. Kurz- und mittelfristig, bis zur Intervention Gustav Adolfs von Schweden im Reich 1630, hat Ferdinand mit dieser Linie auch einigen Erfolg gehabt. Zwar blieb das enge Einvernehmen, wie es der lutherische Landgraf Ludwig V. von Hessen-Darmstadt (reg. 1596-1626) bekanntermaßen mit dem Kaiserhof und dem habsburgischen Hause pflegte, die Ausnahme.52 Umgekehrt gelang es aber den Hauptgegnern des Kaisers auch nicht, eine politischmilitärisch hinreichend breite Aktionsbasis unter den protestantischen Reichsständen zu finden – nicht dem geächteten ehemaligen Pfälzer Kurfürsten Friedrich V. in den frühen 1620ern und nicht König Christian IV. von Dänemark in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts. Das kaiserfreundliche Kursachsen, das 1620/21 im Schulterschluss mit Ferdinand an der militärischen Niederschlagung des böhmischen Aufstandes teilgenommen hatte, beobachtete und begleitete die kaiserliche Reichspolitik der 1620er Jahre zwar zunehmend kritisch und brachte seine abweichenden Auffassungen auch diplomatisch immer wieder zu Gehör, brach aber politisch erst 1631, nach großer Zögerlichkeit, mit Wien.53 52

53

Vgl. zu Landgraf Ludwig V. jetzt Rouven Pons, Kaisertreu und lutherisch. Landgraf Ludwig V. von Hessen-Darmstadt und das politische Vermächtnis seines Schwiegervaters, des Kurfürsten Johann Georg von Brandenburg, in: Zeitschrift für Historische Forschung 36, 2009, S. 33-70. S. zur Politik Kursachsens in den 1620er Jahren und bis zum Prager Frieden Axel Gotthard, „Politice seint wir bäpstisch“. Kursachsen und der deutsche Protestantismus im frühen 17. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Historische Forschung 20, 1993, S. 275-319, hier S. 298-319; Müller, Kursachsen (wie Anm. 19), S. 467-475; Johannes Burkhardt, Der Dreißigjährige Krieg – Einfluß der sächsischen Politik auf die deutsche Geschichte, in: Dresdner Hefte. Beiträge zur Kulturgeschichte, 16. Jg., H. 56, 4/1998, S. 3-12.

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Was den Kaiser und seine katholischen Verbündeten einte, war die grundsätzliche Bereitschaft und Absicht, auch mächte- und außenpolitisch die katholische Konfession zu begünstigen; insofern und insoweit war ihr außenpolitisches Denken tatsächlich „konfessionalisiert“. Gemeinsam war ihnen und wohl allen wichtigeren katholischen Staaten der Zeit, und das zog den Kreis möglicher konfessionsbedingter Interventionen von vornherein wieder sehr eng, jedoch auch die Maßgabe, dass auswärtige Konfessionspolitik nicht zu Lasten der vitalen politischen Interessen gehen dürfe. Konrad Repgen hat dementsprechend einmal pointiert formuliert, außenpolitisch habe „kein Staat längerfristig dem Konfessionellen handlungsleitende Priorität eingeräumt“;54 und auch Heinz Schilling, der die Bedeutung des Konfessionellen an sich so stark betont, spricht selbst von den „inneren Grenzen der Konfessionalisierung als reichs- wie außenpolitische Leitkategorie“: „Konfessionssolidarität trug nur so weit, wie politische Essentials nicht tangiert waren.“55 Ferdinand war politisch auch nicht Teil eines einheitlichen und kompakten, europäisch-umfassenden katholischen Blocks (ebensowenig wie es einen derartigen, fest gefügten Block auf protestantischer Seite gab56). Habsburggegner waren eben „nicht allein Türken[,] Tartaren vnd vncatholische, sondern auch vnd[er] den Catholischen potentaten dero nicht wenig“, wie es in einem Wiener Gutachten einmal hieß.57 Der konfessionelle Antagonismus prägte die politische Landkarte im Staateneuropa des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts zwar durchaus wirkmächtig mit, aber er ebnete die genuin politischen Antagonismen nicht ein und hob sie nicht auf, sondern fügte sich mit ihnen zu einer neuen, komplizierten Gemengelage aus konfessionellen, dynastischen, interessenpolitischen Orientierungen. Dies hieß auch, dass Konfessionssolidarität allein, jedenfalls in der Regel, ein Bündnis nicht trug, sondern dass ein hinlängliches politisches Interesse beim konfessionsverwandten Allianzpartner hinzukommen und 54

55 56

57

Konrad Repgen, Dreißigjähriger Krieg, in: Ders., Dreißigjähriger Krieg und Westfälischer Friede. Studien und Quellen, hg. von Franz Bosbach und Christoph Kampmann (Rechts- und Staatswissenschaftliche Veröffentlichungen der GörresGesellschaft, NF Bd. 81), Paderborn/München/Wien/Zürich 1998, S. 291-318, hier S. 292. Der Text ist zuerst erschienen in der Theologische Realenzyklopädie, hg. von Gerhard Krause und Gerhard Müller, Bd. 9, Berlin/New York 1982, S. 169188. Schilling, Formung und Gestalt (wie Anm. 1), S. 31. Zu erinnern ist hier nur an den schwedisch-dänischen und an den kursächsischkurpfälzischen Gegensatz. Gutachten über die von den Kurfürsten auf dem Kollegialtag zu Mühlhausen 1627 gemachten Vorschläge, praes. 21./22. Januar 1628, Konzept: Wien, Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Kriegsakten, Kart. 58, Fasz. 79, fol. 57r-92v, hier fol. 87v.

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erhalten bleiben musste, um Bündnisse und Kooperationen zu begründen, langfristig funktionsfähig zu halten und ein erhebliches und beharrliches Engagement des Partners zu sichern. In einem Falle, das ist bekannt, war die Zentrifugalkraft der sozusagen „binnenkatholischen“ politischen Gegensätze grundsätzlich stärker als die Kohäsionskraft der Konfession. Schon seit Mitte der 1620er Jahre betrieb Frankreich unter der Führung des Kardinals Richelieu (im Staatsrat seit April 1624) zunehmend wieder konsequent antihabsburgische Politik. Den Auftakt bildete Ende 1624 der Einmarsch französischen Militärs in das Veltlin, das für Spaniens militärische Logistik wichtig war; gleichzeitig bemühte sich Paris nun darum, die Bildung einer politisch-militärischen Gegenmacht gegen die Präponderanz der Habsburger zuwege zu bringen, und entfaltete intensive diplomatische Aktivitäten, um die großen protestantischen Mächte, England, die Nordniederlande, Schweden, Dänemark, aber auch wichtige protestantische Reichsstände in diesem Sinne für seine Interessen einzuspannen.58 Im Mantuakonflikt trat Frankreich dann auch wieder als direkter Antipode des Hauses Habsburg auf.59 Die Intervention des lutherischen Schwedenkönigs Gustav II. Adolf im Reich seit 1630 bereitete das katholische Frankreich diplomatisch, durch Vermittlung des polnisch-schwedischen Waffenstillstandes von Altmark (26. September 1629), vor und finanzierte sie auf der Grundlage des Bündnisvertrages von Bärwalde (23. Januar 1631) mit beträchtlichen Subsidien mit.60 Von einer konfessionell maßgeblich bestimmten Außenpolitik kann hier also gar nicht die Rede sein. Priorität hatte vielmehr das politische Interesse, in dem großen Dauerkonflikt mit Spanien und dem habsburgischen Hause um Behauptung und europäische Vorrangposition zu obsiegen oder wenigstens Etappengewinne zu erzielen.61 An einen zweiten, der Konstellation nach besonders interessanten Fall „binnenkatholischer“ politischer Interessendivergenz zu Lasten der Habsburger hat vor einiger Zeit Alexander Koller wieder erinnert; gemeint 58

59

60

61

S. dazu jetzt prägnant zusammenfassend Christoph Kampmann, Europa und das Reich im Dreißigjährigen Krieg. Geschichte eines europäischen Konflikts, Stuttgart 2008, S. 54-56. Zur Politik Frankreichs im Mantuakonflikt 1627-1631 vgl. Sven Externbrink, Le cœur du monde – Frankreich und die norditalienischen Staaten (Mantua, Parma, Savoyen) im Zeitalter Richelieus 1624-1635 (Geschichte 23), Münster 1999, Kap. 3. S. zum Vorstehenden Kampmann, Europa (wie Anm. 58), S. 71-75 und Repgen, Dreißigjähriger Krieg (wie Anm. 54), S. 300-302. Vgl. zum spanisch-/habsburgisch-französischen Gegensatz im 16. und frühen 17. Jahrhundert jetzt Rainer Babel, Deutschland und Frankreich im Zeichen der habsburgischen Universalmonarchie 1500-1648 (WBG Deutsch-Französische Geschichte 3), Darmstadt 2005, bes. Teil I.

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sind die Divergenzen zwischen dem Kirchenstaat und Wien in der Zeit des böhmischen Aufstandes, in den 1620er und in den frühen 1630er Jahren. In der akuten Phase des böhmischen Aufstandes kam die Finanzhilfe des Papstes – Paul V. (1605-1621) – für den Kaiser und seine katholischen Verbündeten eher zurückhaltend und zögerlich. Erst Pauls V. Nachfolger Gregor XV. (1621-1623) betrieb eine deutlicher vom Primat der Konfession bestimmte Außenpolitik und engagierte sich dementsprechend stärker auf Seiten des Kaisers und der Liga, aber dabei „[handelte es sich] nur um ein Intermezzo“. Urban VIII. (1623-1644), ich referiere hier und im Folgenden immer Alexander Koller, fuhr die einschlägigen Finanzhilfen schon kurz nach Antritt seines Pontifikates wieder zurück – je erfolgreicher Kaiser und Liga waren, desto mehr. „Papst und Kurie konnte nicht an einem völligen Sieg des katholischen Lagers gelegen sein, da dies gleichzeitig die Hegemoniestellung des Hauses Habsburg in Europa befestigt hätte. Eine Anlehnung an Frankreich war die natürliche Folge.“62 Es war auch der Pariser Nuntius des Papstes, der 1631 jene französisch-bayerische Allianz vermittelte, die den für die katholische Religionsverfassungspolitik im Reich so zentralen Bund zwischen München und Wien hätte sprengen sollen.63 Und sogar „[d]ie Anbahnung des Offensivbündnisses zwischen Frankreich und dem protestantischen Schweden“, also des Vertrages von Bärwalde vom 23. Januar 1631, „war“, so Koller, „in Rom bekannt und wurde stillschweigend geduldet“.64 – Der Heilige Stuhl war im konfessionellen Zeitalter eben auch ein Akteur mit mächtepolitischer Motivik im außenpolitischen Feld, nicht nur Cathedra Petri; ähnlich wie Frankreich folgte die Kurie in ihrer – konfessionspolitisch hochproblematischen – antihabsburgischen Option bzw. bei der Distanznahme zum habsburgischen Lager nicht nur kurzfristig-akzidentiellen Präferenzen oder bloßen Traditionen, sondern einem langfristigen politischen Interessenmuster; das Lavieren zwischen Habsburg und Frankreich, je nachdem auch das zeitweise Optieren für Paris, gehörte schon zu Karls V. Zeiten zum Strategienarsenal der römischen Staatsräson.65 Neben der Staatsräson begrenzte überdies je 62

63 64 65

Alexander Koller, War der Papst ein militanter, kriegstreibender katholischer Monarch? Der Hl. Stuhl und die protestantischen „Häresien“ um 1600, in: Heinz Schilling (Hg.) unter Mitarbeit von Elisabeth Müller-Luckner, Konfessioneller Fundamentalismus. Religion als politischer Faktor im europäischen Mächtesystem um 1600 (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 70), München 2007, S. 6785, hier S. 71-75, Zitate S. 74 f. Koller, Hl. Stuhl (wie Anm. 62), S. 74. Koller, Hl. Stuhl (wie Anm. 62), S. 74. Vgl. dazu Erwin Iserloh, Die deutsche Fürstenreformation, in: ders./Josef Glazik/ Hubert Jedin, Reformation, Katholische Reform und Gegenreformation (Hand-

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nachdem auch der kostspielige Nepotismus der Päpste den Handlungsspielraum für eine konfessionsbetont-„katholische“ Außenpolitik.66 Wien hat die phasenweise römische Präferenz für die machtpolitische Räson und zu Lasten Habsburgs sowie der konfessionell-kirchlichen Interessen natürlich gesehen und sich auch, wiewohl vergeblich, über die mangelhafte römische Unterstützung für die zum Wohle der katholischen Religion wirkende kaiserliche Politik beklagt. „Propter bonum religionis Catholicae in Imperio proferendae“, hieß es Anfang 1628 in dem bereits zitierten Wiener Gutachten, „wehre die päbstliche H[eiligkeit] billig vnder den Assistirenden der erste und vornembste, wie wenig aber dieselbe bis daher zu solchem werck praestiret, ob sie schon darzue instendig req[ui]rirt, ist menniglich bekand“.67 Dass freilich auch der Kaiser, dessen Räte sich hier über das „konfessionelle“ Defizit der päpstlichen Politik beklagten, die „katholischen“ Interessen nicht gleichsam pur und objektiv, sondern seinerseits stets im Konnex mit den Erfordernissen der eigenen machtpolitischen und dynastischen Interessenlage vertrat, versteht sich von selbst und bedarf hier keiner besonderen Erläuterung. An politischen Interessendivergenzen scheiterte trotz Konfessionskongruenz in den 1620er Jahren schon in der Anbahnungsphase auch das Projekt einer „Habsburgerliga“, die Spanien mit den maßgeblichen katholischen Kräften des Reiches in einer großen Allianz zusammenbringen sollte – mit Bayern, der katholischen Liga und dem kaiserlichen Reichsoberhaupt. Alle Beteiligten verfolgten in den Brüsseler Verhandlungen 1626 ihre Partikularinteressen – wozu neben den je spezifischen politischen Zielen, notabene, auch das konfessionspolitische Interesse an der Priorität katholischer Zugewinne und der Konsolidierung der katholischen Position in der je eigenen Interessensphäre gehörte. Spanien suchte die Unterstützung von Kaiser und Reich auf dem niederländischen Konfliktschauplatz und forderte vom Kaiser einmal mehr die Verhängung der Reichsacht gegen die formell noch zum Reiche gehörigen, abtrünnigen Nordniederlande; der Kaiser und Bayern hingegen suchten umgekehrt Spaniens Unterstützung im Kampf gegen Christian IV. von Dänemark um die Behauptung der kaiserlich-katholischen Partei im Reich; keiner der Beteiligten konnte in größerem Umfang Ressourcen freigeben, ohne die eigenen, prioritären politischen und militärischen Engagements zu gefährden; hinzu kam, dass Bayern ohnehin nicht willens war, die Geschäfte der Spa-

66 67

buch der Kirchengeschichte 4), Sonderausgabe Freiburg/Basel/Wien 1985, S. 217312, hier S. 246-250, 298-300. Koller, Hl. Stuhl (wie Anm. 62), S. 76-78, 82. Gutachten über die von den Kurfürsten auf dem Kollegialtag zu Mühlhausen 1627 gemachten Vorschläge, praes. 21./22. Januar 1628 (wie Anm. 57), fol. 89v.

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nier in den Niederlanden zu besorgen – obwohl es dort gegen einen calvinistisch orientierten Gegner mit stark antikatholischen außenpolitischen Aktivitäten ging. Angesichts dieser Problemkonstellation – allseits fehlende Ressourcen, divergierende Interessenprioritäten (auch zwischen den beiden Habsburgerlinien), zum Teil grundsätzlich konträre Ziele – nimmt es nicht wunder, dass die Brüsseler Allianzverhandlungen ergebnislos blieben.68 Wien und Madrid, Wien und München kooperierten natürlich auch weiterhin; Möglichkeitsbedingung der Kooperation war aber stets eine zur Konfession konkret hinzukommende, hinlängliche politische Interessenkongruenz. Einen schlagenden Beleg dafür, dass die konfessionelle Zielkongruenz allein auch die katholischen Bündnispartner des Kaisers im Reich auf Dauer nicht bei der Stange hielt, bietet schließlich nochmals die Krise zwischen Kaiser und Liga auf dem Regensburger Kurfürstentag von 1630. Seit 1625 hatte die von Wallenstein für Wien ins Feld gestellte Armee den Kaiser nach und nach ein gutes Stück aus der politisch-militärischen Abhängigkeit von der Liga und insbesondere von deren bayerischer Führungsmacht gelöst, und daher stimmte die politische Vorteilsbalance zwischen den Bündnispartnern nun nach ständisch-ligistischer Auffassung nicht mehr. Die Ligastände, die vom Kaiser und seinem General dominiert zu werden fürchteten, forderten daher in Regensburg die Entlassung Wallensteins. Der konfessionspolitischen Risiken, die mit einer Schwächung des kaiserlichen Militärapparats für die Umsetzung des erst im Vorjahr ergangenen Restitutionsedikts verbunden sein konnten, waren sich die Ligisten sicherlich bewusst; an der konsequenten Durchsetzung ihrer Forderung hinderte sie das aber nicht.69 Dass auch die „Außenpolitik“ des Kaisers in den 1620er Jahren eine „konfessionelle“ Komponente hatte, soll selbstverständlich überhaupt nicht bestritten werden. Quellenmäßig greifbar ist diese Komponente schon im Zusammenhang mit dem 1624/25 von Spanien vorgeschlagenen „Flottenprojekt“ – auch dies, wie die „Habsburgerliga“, ein letztlich (1628) 68

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S. zu den Verhandlungen über die „Habsburgerliga“ 1625/26 Brockmann, Dynastie (wie Anm. 12), S. 259-266. S. zum Ringen um die Entlassung Wallensteins auf dem Regensburger Kurfürstentag von 1630 nach wie vor Dieter Albrecht, Der Regensburger Kurfürstentag 1630 und die Entlassung Wallensteins, in: ders. (Hg.), Regensburg – Stadt der Reichstage. Vortragsreihe der Universität Regensburg (Schriftenreihe der Universität Regensburg 3), Regensburg 1980, S. 51-71, ferner ders., Maximilian I. von Bayern 15731651, München 1998, S. 733-738 und jetzt Brockmann, Dynastie (wie Anm. 12), S. 389-405.

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gescheitertes habsburgisch-habsburgisches Kooperationsprojekt.70 Nach dem Flottenprojekt von 1625 sollten spanische, flandrische und norddeutsche Handelsgesellschaften sowie eine zu ihrer Unterstützung entsandte Kriegsmarine-Flotte den niederländischen Handel in Nord- und Ostsee stören, verdrängen und marginalisieren. Madrid erhoffte sich davon einen entscheidenden Durchbruch in dem 1621 wieder ausgebrochenen Krieg mit der nordniederländischen Republik; dem Kaiser winkte die kostengünstige Verfügung über ein schlagkräftiges Kontingent von Seekriegsschiffen. In seinem Gutachten zum Flottenprojekt vom 30. Mai 1625 bewertete der Direktor des kaiserlichen Geheimen Rates, Johann Ulrich von Eggenberg, das Vorhaben, sofern die entsprechenden Ressourcen und Voraussetzungen vorhanden seien, positiv; neben dem Nutzen für den Kaiser, das habsburgische Haus und das Reich hob er ausdrücklich auch den möglichen Ertrag des Projekts für die „Fürder- und Fortpflanzung der Ehre Gottes und seiner heiligen Religion“ hervor. Was, fragte er in allerdings politisch etwas vager und bemühter Missionsrhetorik zum Ausgang seines Gutachtens, „hat die Kezereien bishero erhalten und mehr befürdert, als dass die verführten Nationen von dem Haus Osterreich und desselben Tractation durch den Teufel und sein Anhang abgehalten werden? also und entgegen was kann die rechte Religion mehr propagieren und erweitern, als wenn eben dieselben verführten Nationen durch die Navigation und durch die vertreulichen Commertien mit dem Haus Osterreich bekannt, vertraut, in Conversation gebracht, und weil fides ex auditu, verhoffendlich mit der Zeit und leicht bekert werden können [...]“?71 Auch bei dem bis dahin einzigen großen Kriegsunternehmen Kaiser Ferdinands II. außerhalb seines eigenen Herrschaftsraumes, im dänischen Krieg, hatte die konfessionelle Perspektive ihr Gewicht. Zwar waren es, darauf ist schon hingewiesen worden, nicht offensive konfessionspolitische Ziele, die Ferdinand in den dänischen Krieg hineinführten, sondern eher das Motiv der Prävention;72 wohl aber eröffnete der Waffenerfolg, der die „katholische“ Koalition 1627 tatsächlich bis nach Jütland führte, dann konfessionspolitische Options- und Gestaltungsspielräume, von denen der Kaiserhof auch entschieden Gebrauch machte. Sehr aufschlussreich 70

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Vgl. zur Geschichte des Seehandels- und Flottenprojekts (mit weiteren Literaturund Quellenhinweisen) Brockmann, Dynastie (wie Anm. 12), S. 257-265, 282-284, 303-309. Johann Ulrich von Eggenberg an Kaiser Ferdinand II., Graz, 30. Mai 1625, in: Gottfried Lorenz (Hg.), Quellen zur Geschichte Wallensteins (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte der Neuzeit. Freiherr vom Stein-Gedächtnisausgabe 20), Darmstadt 1987, S. 79-82, hier S. 80 und 82. S. oben, S. 248.

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ist in dieser Hinsicht ein in den Wiener Akten überliefertes, ausführliches, mehr als 30 Blatt starkes Rätegutachten, das im Januar 1628, also auf dem Höhepunkt der kaiserlichen Machtentfaltung, die Strategie des Kaiserhofes in fast allen zentralen Materien erörterte und einigermaßen präzise Einblick in die Wiener Planungen und Erwägungen gibt; wir haben in anderem Zusammenhang bereits daraus zitiert.73 Wie zu erwarten, entwickelte das Gutachten ein ambitioniertes Ziel- und Projekttableau; angestrebt wurden, unter anderem: die Erledigung der Religionsgravamina im Reich im katholischen Sinne (eine Planung, die schließlich zum Restitutionsedikt führte); die baldige römische Königswahl Ferdinands (III.); die Sicherung einer starken kaiserlich-habsburgischen Stellung im bislang kaiserfernen Norden des Reichs einschließlich der Rekatholisierung der dortigen Reichsstifte; eine eigene maritime Präsenz des Kaisers auf Ostund Nordsee; die einstweilige Fortsetzung des Krieges gegen Dänemark, das im künftigen Frieden seine Reichsterritorien und weiteren Festlandsbesitz abgeben sollte; die Fernhaltung Schwedens vom Reich. Das Gutachten selbst formuliert die Rationale dieses Programms sehr präzise als eine doppelte, politische wie religionspolitische Repristination: es handle sich bei den Elementen des Programms um „grose vnd ansehnliche ding [...], durch welche das Teutsche Keyserthumb wieder zue seiner vorig[en] macht, hocheit und auctoritet, dabei auch die Catholische religion zu vorigem flore algemach waxen möchte“.74 Selbst auf dem triumphalen Höhepunkt der Kaisermacht blieb aber bei den gutachtenden kaiserlichen Räten, trotz der hier formulierten, sehr weitreichenden Ambitionen, eine letzte Skepsis hinsichtlich der Machbarkeit des Wünschenswerten und der Nachhaltigkeit des Erreichten im Spiel, die sich offenkundig schon im Zieltableau selbst niederschlug: es war nicht die Rede von einer völligen Debellation Dänemarks, nicht vom eigenen Dauerbesitz des Sunds oder von einem veritablen eigenen, kaiserlichen Dominium maris Baltici; vielmehr definierten die Gutachter auch Rückzugspositionen für den Fall eines minder günstigen Kriegsverlaufs. Auffällig ist ferner, dass das konfessionspolitische Revisionsprogramm für das Reich in dem Gutachten konkret entwickelt wird, während über die Optionen einer gegenreformatorischen Politik in der neugewonnenen Ein73

74

Gutachten über die von den Kurfürsten auf dem Kollegialtag zu Mühlhausen 1627 gemachten Vorschläge, praes. 21./22. Januar 1628 (wie Anm. 57). - S. zu dem Gutachten und zu den folgenden diesbezüglichen Ausführungen Brockmann, Dynastie (wie Anm. 12), S. 268 f., 277-288, 290-292. Gutachten über die von den Kurfürsten auf dem Kollegialtag zu Mühlhausen 1627 gemachten Vorschläge, praes. 21./22. Januar 1628 (wie Anm. 57), fol. 87r.

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flusszone des Nord- und Ostseeraums über die soeben zitierte, ganz allgemeine Bemerkung hinaus kein weiteres, konkreteres Wort zu finden ist. Insgesamt ist deutlich, was für die Wiener Außenpolitik im Norden im Zweifel tatsächlich Zielpriorität hatte: nicht die politische und konfessionspolitische Gestaltung im auswärtigen Staatenraum, sondern die Sicherung des im Reich und in den Erblanden politisch und konfessionspolitisch Erreichten. In Wien hatte man die Katastrophe des böhmischen Aufstandes stets im Gedächtnis und war sich der Schwäche der eigenen Territorialherrschaft im österreichisch-habsburgischen Länderkonglomerat wie auch der strukturellen Ressourcenprobleme des römisch-deutschen Kaisertums sehr wohl bewusst; zu Recht trieb den Kaiser und seine Räte daher die Sorge um, dass bei einer risikoträchtigen Politik ohne hinreichenden Rückhalt, wie es in dem besagten großen Gutachten hieß, „auch woll alles das jenige[,] so bisher glücklich in religione vnd politicis erbauwet, in unu[m] casum praecipitirt werd[en] könte“.75 Es herrschte, wenn man so will, am Kaiserhofe die meiste Zeit politisch wie konfessionspolitisch der Primat der Innenpolitik. Nordpolitisch zog aus alledem der Lübecker „Verzichtfrieden“ (Ernst Walter Zeeden)76 des Kaisers mit Dänemark vom 22. Mai 1629 die folgerichtige Konsequenz. VI. Resümee Ich fasse in drei Punkten zusammen: (1) Ferdinands II. entschieden gegenreformatorische Politik in den Erbund Kronlanden sowie im Reich bestätigt grundsätzlich Heinz Schillings Thesen vom engen Konnex zwischen Konfession und frühneuzeitlicher innerer Politik. Züge einer ebenso traditionalen wie „integralistischen“ Politikkonzeption zeigen sich insbesondere in Ferdinands Verständnis des Herrscheramtes, zu dessen Aufgaben der Habsburger an sich ganz selbstverständlich die konfessionell-katholisch aufgefasste cura animarum und die Förderung und Geltendmachung der wahren Religion zählte, sowie in der Überzeugung des Habsburgers, dass Heterodoxie ein erhebliches Risiko für die Stabilität und die Wohlfahrt des Gemeinwesens darstelle. Wer von Ferdinands „Fundamentalismus“ sprechen möchte, muss allerdings erwägen, ob der Terminus auch bestimmte differenzierende Befunde to75

76

Gutachten über die von den Kurfürsten auf dem Kollegialtag zu Mühlhausen 1627 gemachten Vorschläge, praes. 21./22. Januar 1628 (wie Anm. 57), 89r. Ernst Walter Zeeden, Das Zeitalter der Glaubenskämpfe 1555-1648 (Gebhardt Handbuch der deutschen Geschichte, 9., neu bearb. Aufl., Taschenbuchausgabe, Bd. 9), 4. Aufl. München 1980, S. 93.

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leriert. Zum einen ist festzuhalten, dass Ferdinands gegenreformatorische Landespolitik nicht etwa politische Interessen der Rekatholisierung opferte, sondern nach der Wahrnehmung Ferdinands politische und religiöse Interessen gleichermaßen bediente. Zum anderen ist zu verweisen auf die immerhin noch erhebliche Bedeutung des Rechts als Orientierungs- und Begründungsdimension der Religionspolitik – auch wenn das Recht natürlich konfessionspolitisch instrumentalisiert und aufgeladen, mit konfessionellem Bias interpretiert und konfessions-parteiisch gehandhabt wurde. Die Rücksicht auf die reichsrechtliche Begründbarkeit gehörte zu den Grundelementen der Ferdinandeischen Reichsreligionspolitik. Mit dem Rekurs auf das Reichsreligionsverfassungs-Recht von 1555 (im strikt „katholischen“ Verstand) bezog sich der Kaiser im Übrigen auch auf einen Normenrahmen, der mit dem eigentlichen römisch-katholischen Standard, dem römischen Kirchen- und Ketzerrecht, keineswegs kompatibel war. Zum dritten ist hinzuweisen auf die bleibende Bedeutung politischer Pragmatik für Ferdinands Religionspolitik. Im politischen Bedarfsfalle praktizierte Ferdinand auch selbst die notgedrungene Tolerierung der Heterodoxie, für die das katholisch-theologische Denken der Zeit (Minusmalum-Theorie) eine je nachdem nur sehr prekäre Rechtfertigung kannte. Auch orientierte sich Ferdinand an sachbezogen-vernünftigen Routinen politischer Risikoabschätzung und scheute den religiös-konfessionell und providentiell motivierten Hazard, den exaltierte Religiose gelegentlich von ihm forderten. Im genuin politischen Bereich war er – wiewohl er sich intensiv beraten ließ und für seine Entscheidungen, was deren religiös-kirchliche Aspekte anging, durchaus intensiv theologischen „Außenhalt“ suchte – nicht wirklich abhängig von seinen geistlichen Beratern. Allgemeiner formuliert: Bei aller religiös-konfessionellen Prägung, Ambition und Beeinflussung „begriff [Ferdinand] doch, daß die Politik eigenen Gesetzen folgte“ (Volker Press).77 (2) Im Mächteeuropa des 16. und 17. Jahrhunderts überschnitt sich der Konfessionsantagonismus zwar auf komplizierte Weise mit den genuin politischen Gegensätzen, setzte diese aber nicht im Sinne eines dominierenden Leitprinzips außer Kraft und brachte daher auch keine einfache und kompakte bipolar-konfessionelle Blockstruktur hervor. Wie das politische Szenarium, in dem Ferdinand agierte, zeigt, sanierte die Konfession schwerwiegende Gegensätze politischer Natur keineswegs; auch Bündnisse und Projekte konfessionsverwandter Partner trugen langfristig in der Regel nur, wenn neben der konfessionellen auch eine hinlängliche 77

Volker Press, Kriege und Krisen. Deutschland 1600-1715 (Die Neue Deutsche Geschichte 5), München 1991, S. 205.

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politische Interessenkongruenz oder -konvergenz im Sinne der Interessenwahrung der jeweiligen Partner gegeben war. Die Bündnis- und Vertragsfähigkeit heterodoxer Partner im reichs- und außenpolitischen Feld wurde auch von entschieden konfessionell geprägten Akteuren wie Ferdinand II. nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Die Tatsache, dass konfessionelle Antriebe mit im Spiele waren, setzte im übrigen gerade auch in der Mächtepolitik nicht per se das politische Kalkül und die nüchterne Politikfolgenabschätzung außer Kraft. (3) Ferdinand II. übte enge militärisch-mächtepolitische Kooperation 1618-1630 ganz vorwiegend mit konfessionskongruenten Partnern (Ausnahme zeitweilig: Kursachsen) und teilte mit diesen die grundsätzliche Bereitschaft und den Willen zur außenpolitischen Begünstigung und Förderung der katholischen Konfession; insofern war auch seine Außenpolitik konfessionell geprägt. Auswärtige Konfessionspolitik zu Lasten zentraler eigener politischer Interessen betrieb aber auch im konfessionellen Zeitalter langfristig kaum ein Staat, und Ferdinand II. macht hier keine Ausnahme. In konfessionspolitischer Hinsicht galt für Ferdinand überdies, pointiert formuliert, der „Primat der Innenpolitik“. Angesichts der Risiken und der stets angespannten Ressourcen Wiens blieb daher faktisch die Sicherung der inneren Religionspolitik und ihrer Errungenschaften (im Reich und, mit noch höherer Priorität, in den Erb- und Kronlanden) das wichtigste konfessionspolitische Ziel der Ferdinandeischen Außenpolitik.

Die frühneuzeitliche Konfessionalisierung und das 19. Jahrhundert Martin Friedrich Nachdem wir uns zwei Tage lang damit beschäftigt haben, die Konfessionalisierung in der Frühen Neuzeit zu beleuchten, soll nun nach der Anwendbarkeit dieses Paradigmas für die Neuere Zeit gefragt werden. Diese Frage wird bereits seit einigen Jahren gestellt, und so sage ich zuerst etwas zum Forschungsstand. Anschließend versuche ich, in einem eigenen Ansatz die in der Frühneuzeitforschung entwickelten Fragestellungen auf das 19. Jahrhundert anzuwenden. In einem dritten Schritt frage ich dann umgekehrt, wie weit Forschungstendenzen aus dem Bereich der Späten Neuzeit auch Impulse für die Frühneuzeitforschung enthalten können. I. Der Forschungsstand In der Geschichtswissenschaft sind – anders als etwa in der Theologie – die Erforschung der Frühen und der Späteren Neuzeit institutionell meist streng getrennt. Deshalb hat es lange gedauert, bis die Diskussion über die Konfessionalisierung in der Forschung zum 19. und 20. Jahrhundert aufgegriffen wurde. In den großen Sammelbänden zur Konfessionalisierung wurden die Linien nicht bis über die Französische Revolution hin ausgezogen.1 Und die Erforscher der Neueren Zeit vernachlässigten – jedenfalls 1

Vgl. Heinz Schilling (Hg.), Die reformierte Konfessionalisierung in Deutschland – Das Problem der „Zweiten Reformation“ (Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte [künftig SVRG] 195), Gütersloh 1986; Hans-Christoph Rublack (Hg.), Die lutherische Konfessionalisierung in Deutschland (SVRG 197), Gütersloh 1992; Heinz Schilling/Wolfgang Reinhard (Hgg.), Die katholische Konfessionalisierung (SVRG 198), Gütersloh 1995; Joachim Bahlcke/Arno Strohmeyer (Hgg.), Konfessionalisierung in Ostmitteleuropa. Wirkungen des religiösen Wandels im 16. und 17. Jahrhundert in Staat, Gesellschaft und Kultur (Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa 7), Stuttgart 1999; Kaspar von Greyerz u.a. (Hg.), Interkonfessionalität – Transkonfessionalität – binnenkonfessionelle Pluralität. Neue Forschungen zur Konfessionalisierungsthese (SVRG 201), Gütersloh 2003; Ute Lotz-Heumann (Hg.), Konversion und Konfession in der frühen Neu-

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in Deutschland – den Faktor Religion fast ganz.2 Zu vorherrschend schien die These einer fortschreitenden Säkularisierung im Sinne eines Bedeutungsverlustes der Religion seit der Aufklärung. Um dies zu überwinden, bedurfte es eines Paukenschlags, so war jedenfalls der Eindruck des jungen Historikers Olaf Blaschke. Und den setzte er im Jahr 2000 mit seinem Aufsatz „Das 19. Jahrhundert: Ein Zweites Konfessionelles Zeitalter?“.3 Seitdem ist das Thema virulent, denn Blaschke schob auch noch einen Sammelband4 nach und verteidigte seine These in mehreren Aufsätzen.5

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zeit (SVRG 205), Gütersloh 2007. – Auch in dem Sammelband Helmut Baier (Hg.), Konfessionalisierung vom 16.–19. Jahrhundert. Kirche und Traditionspflege. Referate des 5. Internationalen Kirchenarchivtags Budapest 1987 (Veröffentlichungen der Arbeitsgemeinschaft der Archive und Bibliotheken in der evangelischen Kirche 15), Neustadt an der Aisch 1989, behandelt Manfred Jacobs den „Neukonfessionalismus im 19. Jahrhundert“ (S. 119–153), ohne auf die Konfessionalisierungsdebatte einzugehen oder Beziehungen zur Frühen Neuzeit herzustellen. Vgl. die Literaturberichte von Jonathan Sperber, Kirchengeschichte or the Social and Cultural History of Religion, in: Neue Politische Literatur 43, 1998, S. 13– 35; Karl-Egon Lönne, Katholizismus-Forschung, in: Geschichte und Gesellschaft 26, 2000, S. 128–170; Helmut Walser Smith/Chris Clark, The Fate of Nathan, in: Helmut Walser Smith (Hg.), Protestants, Catholics, and Jews in Germany, 1800– 1914, New York 2001, S. 3–29, hier S. 4–13; Monika Neugebauer-Wölk, Zur Konstituierung historischer Religionsforschung 1974 bis 2004, in: zeitenblicke 5 (2006), Nr. 1, URL: http://www.zeitenblicke.de/2006/1/Einleitung/index_html, URN: urn:nbn:de:0009-9-2755 (zuletzt besucht am 27.4.2008). Olaf Blaschke, Das 19. Jahrhundert: Ein Zweites Konfessionelles Zeitalter?, in: Geschichte und Gesellschaft 26, 2000, S. 38–75. Schon in der Einleitung zu seiner Dissertation hatte er den Begriff erstmals gebraucht, vgl. ders., Katholizismus und Antisemitismus im Deutschen Kaiserreich (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 122), Göttingen 1997, S. 12. Die These, dass „der Religion im 19. Jahrhundert offensichtlich eine weitaus größere, auf viele Bereiche der gesellschaftlichen und politischen Wirklichkeit ausstrahlende Bedeutung“ zukomme, formulierte er schon in Olaf Blaschke/Frank-Michael Kuhlemann, Religion in Geschichte und Gesellschaft. Sozialhistorische Perspektiven für die vergleichende Erforschung religiöser Mentalitäten und Milieus, in: dies. (Hgg.), Religion im Kaiserreich. Milieus – Mentalitäten – Krisen (Religiöse Kulturen der Moderne 2), Gütersloh 1996, S. 7–56, hier S. 8. Olaf Blaschke (Hg.), Konfessionen im Konflikt. Deutschland zwischen 1800 und 1970: ein zweites konfessionelles Zeitalter, Göttingen 2002; hierin: Der „Dämon des Konfessionalismus“. Einführende Überlegungen, S. 13–69. Olaf Blaschke, Das Zweite Konfessionelle Zeitalter. Ein Deutungsangebot für Katholizismus- und Sozialhistoriker, in: Johannes Horstmann/Antonius Liedhegener (Hgg.), Konfession, Milieu, Moderne. Konzeptionelle Positionen und Kontroversen zur Geschichte von Katholizismus und Kirche im 19. und 20. Jahrhundert, Schwerte 2001, S. 27–78; Bürgertum und Bürgerlichkeit im Spannungsfeld des neuen Konfessionalismus von den 1830er bis zu den 1930er Jahren, in: Andreas Gotzmann/Reiner Liedtke/Till van Rahden (Hgg.), Bürger, Juden, Deutsche. Zur

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Dabei ist die These schwer zu fassen, denn Blaschke modifizierte sie mehrfach. Einmal ging es ihm darum, die Bedeutung konfessioneller Prägungen auch für die Menschen im angeblich säkularen Zeitalter herauszustellen.6 Der Einfluss des Faktors Konfession, so die erste These, verlief in Form einer Parabel; er stieg gegen 1830 an und fiel in den 1960er Jahren steil ab. Dies möchte er durch Kirchenbesuchszahlen, aber auch den Anteil religiöser Bücher an der gesamten Produktion deutlich machen.7 Mit diesen Jahreszahlen ist zugleich seine zweite These markiert: die Behauptung einer Epoche, die er meist „zweites konfessionelles Zeitalter“, mal aber auch „zweites Zeitalter des Konfessionalismus“ nennt.8 Die Gleichsetzung mit dem 19. Jahrhundert ist cum grano salis zu nehmen, denn meist setzt er es zwischen 1830 und 1970 an.9 Er will diese Epochenbezeichnung nicht exklusiv verstanden wissen, meint aber, dass sie mindestens ebenso viel Berechtigung habe wie die Bezeichnung des 19. Jahrhunderts als „bürgerliches Zeitalter“ oder „Zeitalter des Na­ tionalismus“.10 Von einem zweiten Zeitalter der Konfessionalisierung redet Blaschke fast nie.11 Dennoch will er explizit an die diesbezügliche Forschung an-

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Geschichte von Vielfalt und Grenzen: Deutschland 1780–1933, Tübingen 2001, S. 33–66; Die Inkubationszeit konfessioneller Intoleranz im frühen 19. Jahrhundert, in: Aram Mattioli/Markus Ries/Enno Rudolph (Hgg.), Intoleranz im Zeitalter der Revolutionen. Europa 1770–1848, Zürich 2004, S. 189–209; Abschied von der Säkularisierungslegende. Daten zur Karrierekurve der Religion (1800–1970) im zweiten konfessionellen Zeitalter: eine Parabel, in: zeitenblicke 5 (2006), Nr. 1, [04.04.2006], URL: http://www.zeitenblicke.de/2006/1/Blaschke/index_html, URN: urn:nbn:de:0009-9-2691 (zuletzt besucht am 27.4.2008). Vgl. Blaschke, Abschied (wie Anm. 5), Nr. 17; Blaschke, Inkubationszeit (wie Anm. 5), S. 206. Hier argumentiert er defensiv gegen Kritiker, die ihm vorwarfen, eine „Vorherrschaft konfessioneller Deutungsmuster im 19./20. Jahrhundert“ behauptet zu haben (so Carsten Kretschmann/Henning Pahl, Ein „Zweites Konfessionelles Zeitalter“? Vom Nutzen und Nachteil einer neuen Epochensignatur, in: Historische Zeitschrift 276, 2003, S. 369–392, hier S. 372). Vgl. Blaschke, Abschied (wie Anm. 5), Nr. 19ff. Ebd., Zusammenfassung; aber auch die Bezeichnungen „neokonfessionelles Zeitalter“ oder „neue[s] Zeitalter des Konfessionalismus“ fallen, vgl. ebd., Nr. 2, 8, 41. Ebd., Nr. 9, 18 u.ö. Schon in Blaschke, Das 19. Jahrhundert (wie Anm. 3), S. 43, waren dies in etwa die Eckdaten („das ... spätestens in den 1830er Jahren beginnt, im Kulturkampf kulminiert und in den 1960er Jahren abtritt“). Ebd., S. 58f., auch Begründungen für die „Spätdatierung“. Vorsichtiger Blaschke, „Dämon“ (wie Anm. 4), S. 26. Vgl. Blaschke, Abschied (wie Anm. 5), Nr. 11, 15; Blaschke, Inkubationszeit (wie Anm. 5), S. 202f. Vgl. aber ebd., S. 193 („Aber das 19. Jahrhundert ist das der wirklich erfolgreichen Konfessionalisierung“), S. 209 (Smiths Vorschlag, von einem Zeitalter des Konfes-

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knüpfen, denn seine dritte These lautet: Es gibt im 19. Jahrhundert eine mit dem 16. Jahrhundert vergleichbare „Konfessionalisierung im Inneren ... und nach außen“.12 Zusammengefasst geht es also a) um den Faktor Konfession, b) um ein „zweites konfessionelles Zeitalter“ und c) um Prozesse der Konfessionalisierung. Wie schon angedeutet hat Blaschke eine Reihe von Kritikern auf den Plan gerufen, die vor allem der zweiten und dritten These deutlich widersprochen haben. Denn dass die Geschichte der Neuzeit nicht als die einer fortschreitenden Entchristlichung zu erzählen ist, ist eigentlich längst Konsens, vor allem dank Hartmut Lehmann, der das Säkularisierungsparadigma in Frage gestellt und erweitert hat.13 So konnte Blaschke vorgehalten werden, er operiere mit einem veralteten Säkularisierungsbegriff.14 Außerdem renne er inzwischen offene Türen ein, denn tatsächlich häufen sich schon seit mehr als zehn Jahren die Forschungen zu Religion im 19. Jahrhundert.15

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sionalismus zu sprechen, sei diskussionswürdig). Auch Blaschke, Das 19. Jahrhundert (wie Anm. 3), S. 41, will „die ‚zweite‘ Konfessionalisierung“ ins Spiel bringen. Blaschke, Abschied (wie Anm. 5), Nr. 17; vgl. auch unten Anm. 20. Vgl. Hartmut Lehmann (Hg.), Säkularisierung, Dechristianisierung, Rechristianisierung im neuzeitlichen Europa, Göttingen 1997, sowie ders., Säkularisierung. Der europäische Sonderweg in Sachen Religion, Göttingen 2004 (bes. S. 58: „setzte eine umfassende und tiefgreifende Säkularisierung in Europa erst in den 1960er Jahren ein“). Ferner Hugh McLeod/Werner Ustorf (Hgg.), The Decline of Christendom in Western Europe 1750–2000, Cambridge 2003. Selbst McLeod, der an der Berechtigung des Säkularisierungsparadigmas weitgehend festhalten will, bringt hilfreiche Differenzierungen (Secularisation in Western Europe, 1848–1914, New York 2000, S. 285–289; noch deutlicher gegen eine Dominanz der Säkularisierung ders., New Perspectives on Religious History of Western and Northern Europe 1815– 1960, in: Kyrkohistorisk årsskrift 100, 2000, S. 135–145). Weitere neuere Ansätze bei Benjamin Ziemann, Säkularisierung, Konfessionalisierung, Organisationsbildung. Dimensionen der Sozialgeschichte der Religion im langen 19. Jahrhundert, in: Archiv für Sozialgeschichte 47, 2007, S. 485–508, hier S. 490–497. Zur religionssoziologischen Diskussion vgl. z.B. die Forschungsberichte von Staf Hellemans, Transformation der Religion und der Grosskirchen in der zweiten Moderne aus der Sicht des religiösen Modernisierungsparadigmas, und Mark Edward Ruff, The Post­modern Challenge to the Secularization Thesis: A Critical Assessment, in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte 99, 2005, S. 11–35, 385–401. Ziemann, Säkularisierung (wie Anm. 13), S. 497. Vgl. bes. Michael Geyer, Religion und Nation – eine unbewältigte Geschichte. Eine einführende Betrachtung, in: ders./Hartmut Lehmann (Hgg.), Religion und Nation / Nation und Religion. Beiträge zu einer unbewältigten Geschichte (Bausteine zu einer Europäischen Religionsgeschichte im Zeitalter der Säkularisierung 3), Göttingen 2004, S. 11–32, hier S. 13; Smith/Clark, The Fate (wie Anm. 2), S. 8f. – Anthony

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Eine ganz andere Frage ist, ob der Aufweis von konfessionellen Bindungen oder auch ihrer historischen Wirkmächtigkeit ausreicht, eine Epoche zu konstituieren und sie auf Blaschkes Weise zu begrenzen. Nicht nur die Ausdehnung bis weit ins 20. Jahrhundert ist dabei ein Problem,16 sondern mehr noch ihr Beginn. Blaschke kommt zu seiner These, indem er für die Zeit nach 1648 „rund 150 entspanntere Jahre konfessionellen Desinteresses“ konstatiert.17 In diesem Kreis ist es fast müßig zu sagen, dass er damit ein verzerrtes Bild zeichnet. Auch wenn nur manche Forscher das Konfessionelle Zeitalter bis weit ins 18. Jahrhundert reichen lassen,18 herrscht doch Einigkeit, dass auf vielen Gebieten die Konfessionalisierung nach 1648 noch voranschritt.19 Es ist also zu differenzieren, von welchen Konfessionalisierungsprozessen gesprochen werden soll.

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Steinhoff, Ein zweites konfessionelles Zeitalter? Nachdenken über die Religion im langen 19. Jahrhundert, in: Geschichte und Gesellschaft 30, 2004, S. 549–570, hier S. 550, spricht sogar von einem „religious turn“ in der neueren Geschichtsforschung. Dagegen argumentiert bes. Hugh McLeod, The Modern World – Secularised or not?, in: Peter Blickle/Rudolf Schlögl (Hgg.), Die Säkularisation im Prozess der Säkularisierung Europas (Oberschwaben – Geschichte und Kultur 13), Epfendorf 2005, S. 533–549. Blaschke, Inkubationszeit (wie Anm. 5), S. 199. Kritik hieran auch schon bei Martin Schulze Wessel, Das 19. Jahrhundert als „Zweites Konfessionelles Zeitalter“? Thesen zur Religionsgeschichte der böhmischen Länder in europäischer Hinsicht, in: Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung 50, 2001, S. 514–530, hier S. 516–518. Vgl. Wolfgang Reinhard, „Konfessionalisierung“ auf dem Prüfstand, in: Bahlcke/ Strohmeyer (Hgg.), Konfessionalisierung (wie Anm. 1), S. 79–88, hier S. 85: „Auch aus diesem Grunde plädiere ich für ein langdauerndes ‚Konfessionelles Zeitalter‘, das mit den ersten Anläufen zur konfessionellen Institutionalisierung um 1530 beginnt und bis weit ins 18., in manchen Ländern bis ins 19. und 20. Jahrhundert reicht“; Helga Schnabel-Schüle, Vierzig Jahre Konfessionalisierungsforschung – eine Standortbestimmung, in: Blaschke (Hg.), Konfessionen (wie Anm. 4), S. 71–93, hier S. 72–77; insgesamt vgl. Stefan Ehrenpreis/Ute Lotz-Heumann, Reformation und konfessionelles Zeitalter (Kontroversen um die Geschichte), Darmstadt 2002, S. 74f. – Auch zwei Beiträger zu Blaschkes Sammelband widersprechen hier, vgl. Manuel Frey, Toleranz und Selektion. Konfessionelle Signaturen zwischen 1770 und 1830, in: Blaschke (Hg.), Konfessionen (wie Anm. 4), S. 113–153; Tobias Dietrich, Konfessionelle Gegnerschaft im Dorf des 19. Jahrhunderts, in: ebd., S. 181–213 (deutlicher ist die Kritik bei dems., Konfession im Dorf. Westeuropäische Erfahrungen im 19. Jahrhundert [Industrielle Welt 65], Köln u.a. 2004, S. 25–27). Zu erinnern ist vor allem an die Forschungen von Etienne François, der die Weiterführung der Konfessionalisierung auch nach 1648 betonte und bis zum Ende des Alten Reiches die „unsichtbare Grenze“ zwischen den Konfessionen intakt sah. Vgl. zuletzt ders., Konfessioneller Pluralismus und deutsche Identität, in: Stefan Ehrenpreis u.a. (Hg.), Wege der Neuzeit. Festschrift für Heinz Schilling zum 65. Geburtstag, Berlin 2007, S. 285–309.

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Und damit sind wir bei der dritten These Blaschkes und dem dritten Problem. Er führt eine Reihe von Elementen der Konfessionalisierung an: Klerikalisierung, Zentralisierung und Sozialreglementierung, Polemisierung und Polarisierung, die Politisierung konfessioneller Konflikte und die Vergesellschaftung entlang konfessioneller Linien.20 Doch gerade hier setzen zahlreiche Einwände an. Blaschke macht nicht deutlich, von welchen Konfessionen er reden will;21 er argumentiert sehr stark von der Situation im Katholizismus her, ohne die Differenzierungen im Protestantismus zu beachten;22 er beschreibt nicht wirklich Prozesse und ihre Träger und Motive, sondern beschränkt sich weitgehend auf Resultate.23 Fragwürdig ist auch die Übertragbarkeit seiner auf Deutschland bezogenen These auf andere Länder.24 All diese Einwände müssen Blaschkes These nicht erledigen. Zwar wird sie von Historikern, soweit ich sehe, bislang nicht direkt bejaht,25 aber 20

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Blaschke, Abschied (wie Anm. 5), Nr. 17; Blaschke, Das 19. Jahrhundert (wie Anm. 3), S. 61–69; Blaschke, „Dämon“ (wie Anm. 4), S. 29–31. Vgl. Steinhoff, Konfessionelles Zeitalter? (wie Anm. 15), S. 554–557, 561–563; Martin Friedrich, Das 19. Jahrhundert als „Zweites Konfessionelles Zeitalter“? Anmerkungen aus evangelisch-theologischer Sicht, in: Blaschke (Hg.), Konfessionen (wie Anm. 4), S. 95–112, hier S. 98–102; Benjamin Ziemann, Rezension zu Blaschke (Hg.) Konfessionen (wie Anm. 4), in: Archiv für Sozialgeschichte 43, 2003 (nur Online-Abruf: http://library.fes.de/fulltext/afs/htmrez/80408.htm); Kretschmann/ Pahl, „Zweites Konfessionelles Zeitalter“ (wie Anm. 6), S. 377f. Friedrich, Das 19. Jahrhundert (wie Anm. 21), S. 103–110; Steinhoff, Konfessionelles Zeitalter? (wie Anm. 15), S. 554–557. Vgl. Steinhoff, Konfessionelles Zeitalter? (wie Anm. 15), S. 559; Kretschmann/Pahl, „Zweites Konfessionelles Zeitalter“ (wie Anm. 6), S. 389f. Schon Blaschke, Das 19. Jahrhundert (wie Anm. 3), S. 57, behauptete, dass sie neben den bikonfessionellen Ländern Deutschland, Schweiz und Niederlande auch auf monokonfessionelle Länder auszudehnen sei. Vgl. auch Blaschke, „Dämon“ (wie Anm. 4), S. 67f.; Blaschke, Inkubationszeit (wie Anm. 5), S. 203–205. Vgl. aber Oded Heilbronner, The Age of Catholic Revival, in: Stefan Berger (Hg.), A Companion to Nineteenth-Century Europe (1789–1914), Malden, Mass. 2006, S. 236–247, hier S. 236: „No wonder that more and more historians speak of nine­ teenth-century Europe as a ‘second confessional era’”. Als Beleg dient ihm aber nur Blaschke. Ich kenne nur einen Theologen und einen Literaturwissenschaftler, die den Begriff als programmatisch aufgenommen haben: Anders Jarlert, Det „långa“ 1800-talet som en andra konfessionell tidsålder, in: Rune Imberg/Torbjörn Johansson (Hgg.), Nåd och sanning. Församlingsfakulteten 10 år, Göteborg 2003, S. 87–98; Philipp W. Hildmann, Schreiben im zweiten konfessionellen Zeitalter. Jeremias Gotthelf (Albert Bitzius) und der Schweizer Katholizismus des 19. Jahrhunderts, Tübingen 2005 (der aber nur ganz knapp auf Blaschke eingeht und seiner These nichts Neues hinzufügt). – Manche Forscher sprechen mit Bezug auf Blasch-

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sie hat zumindest eine Reihe von weiteren Untersuchungen angeregt, die vielleicht dazu dienen, die These zu präzisieren und zu operationalisieren. Vier Versuche, den Ansatz weiterzuführen, möchte ich kurz nennen. Sie heben jeweils auf eins der drei Bestandteile der These ab, auf Konfession, konfessionelles Zeitalter und Konfessionalisierung. Der Basler Theologe Thomas Kuhn möchte den „Prozess der religiösen Pluralisierung im späten 18. und 19. Jahrhundert als Prozess der ‚Konfessionalisierung‘ verstehen“.26 Dabei sieht er durchaus die Problematik des Begriffs und überlegt, ob vielleicht doch „Schaffung konfessioneller Identitäten“ besser wäre. Er sieht sowohl in der Aufklärungstheologie als auch in der Erweckungsbewegung eine erfolgreiche Krisenbewältigung, anhand deren er den Beitrag des Protestantismus zur Modernisierung ins rechte Licht rücken will. Dabei sieht er eine Modernisierung sowohl der Religion als auch der Gesellschaft. Im Gegensatz zu Blaschke, der eine „Uniformisierung [sic] der religiösen Sphäre“ ausgemacht hatte,27 ist für Kuhn aber gerade die „Ausdifferenzierung des Protestantismus“28 entscheidend. Auch der Bochumer Historiker Lucian Hölscher nimmt Blaschkes These auf und will sie noch überbieten: „Wenn man ... überhaupt von einem ‚konfessionellen Zeitalter‘ sprechen will, so setzte es erst Ende des 18. Jahrhunderts ein“.29 Die gesamte Konfessionalisierungsforschung seit Zeeden ist für ihn verfehlt, weil sie von einem Begriff ausgeht, der in den zeitgenössischen Quellen überhaupt nicht vorkommt.30 Denn erst im Wöllnerschen Religionsedikt von 1788 sei erstmals von Konfessionen

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ke von Konfessionalisierung im 19. Jahrhundert bzw. dem zweiten Konfessionellen Zeitalter, als ob es schon Konsens sei, gehen auf die Debatte aber nicht ein bzw. führen sie nicht weiter; vgl. z.B. Manuel Borutta, „Pflanzstätten des Aberglaubens, der Dummheit und des Verbrechens“ – Moabiter Klostersturm und deutscher Kulturkampf, in: Christopher Clark/Wolfram Kaiser (Hgg.), Kulturkämpfe im Europa des 19. Jahrhunderts (Comparativ 12/5–6), Leipzig 2003, S. 63–80, hier S. 66; Klaus Fitschen, Die Transformation der christlichen Festkultur: Von der Aufklärung zur Konfessionalisierung im 19. Jahrhundert, in: Jahrbuch für Biblische Theologie 18, 2003, S. 307–337. Thomas K. Kuhn, Krisen und Erweckungen. Anmerkungen zur Modernisierung des Protestantismus im 19. Jahrhundert, in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte 99, 2005, S. 449–463, hier S. 460. Blaschke, Das 19. Jahrhundert (wie Anm. 3), S. 61. Kuhn, Krisen (wie Anm. 26), S. 459, vgl. S. 461. Lucian Hölscher, Konfessionspolitik in Deutschland zwischen Glaubensstreit und Koexistenz, in: ders. (Hg.), Baupläne der sichtbaren Kirche. Sprachliche Konzepte religiöser Vergemeinschaftung in Europa (Bausteine zu einer europäischen Religionsgeschichte im Zeitalter der Säkularisierung 10), Göttingen 2007, S. 11–52, hier S. 22. Ebd., S. 17–19.

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im heutigen Sinn die Rede, von sozialen Gruppen, die sich zu einem gemeinsamen Glauben bekennen.31 Dieser Begriff sei dann im 19. Jahrhundert von staatlicher Seite gern aufgegriffen worden, weil sich mit ihm „die Frage nach der religiösen Wahrheit einer Religion“ ausklammern ließ.32 In anderer Weise wurde Konfession in den kirchenpolitischen Auseinandersetzungen in Preußen zu einem Leitbegriff: in der gegen die Union gerichteten Oppositionsbewegung, die seit 1848 als Konfessionalismus bezeichnet wurde.33 Weil deshalb die Konservativen Konfessionstreue mit Christlichkeit geradezu in eins setzten, entstand auf Seiten der Liberalen eine Strömung, die für eine Rückdrängung des konfessionellen Elements kämpfte.34 Hier knüpfte der Nationalsozialismus mit seinem Programm der Entkonfessionalisierung an, und letztlich auch die Tendenz zur Entkonfessionalisierung nach 1945.35 Aber kann dies, so richtig es im Großen und Ganzen ist, ein konfessionelles Zeitalter oder Konfessionalisierungsprozesse im 19. Jahrhundert belegen? In seiner Zusammenfassung greift er dies auch nicht mehr auf, sondern stellt nur fest, dass „das Konfessionsmodell ... ein besonders potentes Konzept religionspolitischer Konfliktaustragung und -bewältigung“ gewesen sei.36 Ob man aber, wie er andeutet, das 19. Jahrhundert als eins der „Konfessionskämpfe“ sehen muss, bleibt zweifelhaft. Der Osteuropa-Historiker Martin Schulze Wessel weist die These vom „zweiten Konfessionellen Zeitalter“ ausdrücklich zurück,37 bejaht jedoch ebenso entschieden die Anwendung der Kategorie Konfessionalisierung. Dabei gibt er ihr eine wichtige Abwandlung, die auch Blaschke inzwischen übernommen hat: „in bezug auf die böhmische Geschichte [muss man] nicht nur die Konfessionen, sondern auch Konfession vs. Laizismus als wirksame Lagerbildungen“ auffassen.38 Während die Konfession sich diversifizierte, stellte die Nationalisierung ein integratives Moment her – 31 32 33 34 35

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Ebd., S. 20f. Ebd., S. 25. Vgl. ebd., S. 29–39. Vgl. ebd., S. 39–44. Vgl. ebd., S. 44–50. – Hölscher geht jedoch gar nicht auf den Begriff der „Entkonfessionalisierung“ ein, dessen Gebrauch durch Innenminister Wilhelm Frick und andere Nationalsozialisten jüngst bei Cornel Zwierlein, ‚(Ent)konfessionalisierung‘ (1935) und ‚Konfessionalisierung‘ (1981), in: Archiv für Reformationsgeschichte 98, 2007, S. 199–230, angeführt wurde, um die Konfessionalisierungsthese zu diskreditieren. Hölscher, Konfessionspolitik (wie Anm. 29), S. 51. Schulze Wessel, Das 19. Jahrhundert (wie Anm. 17), S. 516–519. Ebd., S. 527; vgl. Blaschke, Inkubationszeit (wie Anm. 5), S. 203: In den monokonfessionellen Staaten „vollzog sich die Spaltung nicht zwischen Konfessionen im engeren Sinne, sondern zwischen Kirchenloyalität und Laizismus“.

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nicht zuletzt dank der Aufnahme konfessioneller Elemente.39 Aber kann man dies als „Konfessionalisierung der tschechischen Nation“ bezeichnen, wie Schulze Wessel es in einem anderen Aufsatz tut?40 Was er dort beschreibt, ist eigentlich eher die Sakralisierung der Nation (dieser Begriff hat auch eher Leitcharakter in seiner Darstellung). Eine weitere Abwandlung gibt es bei Frank-Michael Kuhlemann, der – ohne direkten Bezug auf Blaschkes These – ausdrücklich von Konfessionalisierung der Nation in Deutschland reden will. Er meint damit „die Definition der Nation als einer wesentlich protestantischen oder katholischen“.41 Die bedeutsamen konfessionellen Unterschiede in der Art, wie die Nation konstruiert wird, sind in der neueren Forschung mehrfach hervorgehoben worden42 – aber Konfessionalisierung meint in diesem Fall etwas ganz Anderes als in der Frühen Neuzeit.

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Schulze Wessel, Das 19. Jahrhundert (wie Anm. 17), S. 527–529. – Einen anderen Akzent setzt Zdenok R. Nešpor, Nation statt Konfession. Der Niedergang konfessioneller Wahrnehmungsmuster und das Anwachsen des Nationalbewusstseins in Böhmen an der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, in: Historisches Jahrbuch 126, 2006, S. 191–219. Nach ihm löste die nationale Identifikation die konfessionelle ab. Auf Blaschke oder Schulze Wessel nimmt er keinen Bezug. Martin Schulze Wessel, Die Konfessionalisierung der tschechischen Nation, in: Heinz-Gerhard Haupt/Dieter Langewiesche (Hgg.), Nation und Religion in Europa. Mehrkonfessionelle Gesellschaften im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt/Main 2004, S. 135–152, bes. S. 138, 141. – In der Einleitung zu einem neuen Sammelband thematisiert Schulze Wessel das Verhältnis von Religion und Nation in einem größeren Zusammenhang, ohne aber auf den Begriff der Konfessionalisierung zurückzukommen, s. Martin Schulze Wessel (Hg.), Nationalisierung der Religion und Sakralisierung der Nation, Stuttgart 2006, S. 7–14. Frank-Michael Kuhlemann, Konfessionalisierung der Nation? Deutschland im 19. und frühen 20. Jahrhundert, in: Haupt/Langewiesche (Hgg.), Nation und Religion in Europa (wie Anm. 40), S. 27–63, hier S. 29. Vgl. z.B. Kevin Cramer, Religious Conflict in History. The Nation as the One True Church, in: Geyer/Lehmann (Hgg.), Religion und Nation (wie Anm. 15), S. 35–49; ders., The Cult of Gustavus Adolphus: Protestant Identity and German ­Nationalism, in: Smith (Hg.), Protestants (wie Anm. 2), S. 97–120; ferner Stephan Laube, Konfessionelle Brüche in der nationalen Heldengalerie – Protestantische, katholische und jüdische Erinnerungsgemeinschaften im deutschen Kaiserreich (1871–1918), in: Heinz-Gerhard Haupt/Dieter Langewiesche (Hgg.), Nation und Religion in der deutschen Geschichte, Frankfurt am Main/New York 2001, S. 293– 332; Franziska Metzger, Die Reformation in der Schweiz zwischen 1850 und 1950. Konkurrierende konfessionelle und nationale Geschichtskonstruktionen und Erinnerungsgemeinschaften, in: Haupt/Langewiesche (Hgg.), Nation und Religion in Europa (wie Anm. 40), S. 64–98 (und weitere Belege in diesem Sammelband).

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Mit diesen Fragen bin ich schon bei meiner eigenen Bewertung von Blaschkes Thesen. Gewiss ist die Kategorie Konfession von großer Bedeutung auch für die neuere Zeit, und es ist nur zu begrüßen, dass ihr immer größeres Interesse entgegengebracht wird. Ob man von Konfessionalisierung reden sollte, scheint mir noch offen. Fraglich ist, wie weit die Analogie zu den Phänomenen der Frühen Neuzeit wirklich trägt;43 fraglich ist vor allem aber, ob die hierunter gefassten Prozesse sich wirklich auf einen gemeinsamen Nenner bringen lassen – die Uniformierung wie die Ausdifferenzierung, der Beitrag zur Modernisierung wie der Aufschub im Säkularisierungsprozess, die Förderung des nation building wie seine Verzögerung durch den konfessionellen Antagonismus.44 Hier brauchen wir noch Forschungen und weitere Konzeptualisierungsarbeit. Die Rede vom zweiten konfessionellen Zeitalter aber sollte eingestellt werden, denn sie verdunkelt nur, unter welchen spezifischen Bedingungen Konfession bzw. Religion im 19. Jahrhundert geschichtswirksam wurde. Es ist doch offensichtlich, dass Französische Revolution und Napoleonische Zeit zwei entscheidende Umbrüche brachten: Die Staaten wurden zunehmend mehrkonfessionell – sei es, weil sie durch neue Grenzziehung nun eine gemischte Bevölkerung hatten wie die meisten deutschen Territorien, sei es, weil sie Angehörigen der konfessionellen Minoritäten das Bürgerrecht einräumten, wie in Frankreich oder Österreich. Zugleich änderte sich ihr Verhältnis zu den Kirchen, die der staatlichen Autonomie

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Margaret Lavinia Anderson, Living Apart and Together in Germany, in: Smith (Hg.), Protestants (wie Anm. 2), S. 319–332, hier S. 325f., weist vor allem darauf hin, dass das Ausmaß der konfessionellen Konflikte nicht so gewalttätig war; ähnlich Kretschmann/Pahl, „Zweites Konfessionelles Zeitalter“ (wie Anm. 6), S. 381– 383. Steinhoff, Konfessionelles Zeitalter? (wie Anm. 15), der auf S. 554–557 noch argumentiert hatte, dass Blaschkes Begriff von Konfessionalisierung bezogen auf den Katholizismus übertrieben und bezogen auf den Protestantismus gar nicht gegeben sei, sieht auf S. 564–568 dafür drei andere Elemente der frühneuzeitlichen Konfessionalisierung im 19. Jahrhundert wieder aufleben. Dies ist die These von Thomas Nipperdey, die äußerst befruchtend für das Interesse der Allgemeinhistoriker an der Erforschung der Religions- und Kirchengeschichte des 19. Jahrhunderts war; vgl. Thomas Nipperdey, Grundprobleme der deutschen Parteiengeschichte im 19. Jahrhundert (1967), in: ders., Gesellschaft, Kultur, Theorie. Gesammelte Aufsätze zur neueren Geschichte, München 1976, S. 89–122, hier S. 99; zur weiteren Diskussion vgl. Joel F. Harrington/Helmut W. Smith, Confessio­nalization, Community, and State Building in Germany, 1555– 1870, in: Journal of Modern History 69, 1997, S. 77–101, hier S. 92–96; zuletzt François, Konfessioneller Pluralismus (wie Anm. 44), bes. S. 304f.

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unterworfen werden sollten.45 In diesem Sinne – aber wohl nur in diesem – ist tatsächlich die Entkonfessionalisierung die beherrschende Tendenz der Neueren Zeit, wie René Rémond in seiner Gesamtdarstellung zeigen will.46 Denn gerade der versuchte Ausschluss aus der politischen Sphäre brachte die Kirchen dazu, eigene Kräfte zu vitalisieren47 – teils in der Rückeroberung ihres politischen Einflusses, teils aber auch in der Neuschaffung einer eigenen Sphäre transzendentaler Werte. Was also im 19. Jahrhundert als Konfessionalisierung bezeichnet werden kann, hat Analogien zur Konfessionalisierung der Kirchen in der Frühen Neuzeit, aber es geht gerade nicht im Gleichschritt mit einer Konfessionalisierung von Staat und Gesellschaft.48 II. Der Gegenvorschlag: „Kirchwerdung“ als Fundamentalvorgang im 19. Jahrhundert Ich habe deshalb versucht, die beherrschende Tendenz im 19. Jahrhundert als die der „Kirchwerdung“ zu beschreiben.49 Dabei bin ich mir bewusst, 45

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Von den Kritikern Blaschkes haben nur Kretschmann/Pahl, „Zweites Konfessionelles Zeitalter“ (wie Anm. 6), S. 379f., die Bedeutung dieses Faktors hervorgehoben. René Rémond, Religion und Gesellschaft in Europa. Von 1789 bis zur Gegenwart, München 2000. Rémond gebraucht zwar kaum den Begriff der Entkonfessionalisierung (nur S. 192), sondern meist den der Säkularisierung oder der Trennung von Staat und Kirche, aber darin spiegelt sich wohl vor allem, dass der Konfessionsbegriff im Französischen keine tragende Bedeutung hat. Zu dieser Dialektik vgl. auch Christopher Alan Bayly, Die Geburt der modernen Welt. Eine Globalgeschichte 1780–1914, Frankfurt/Main 2006, S. 400–450, bes. S. 414f. In einer höchst anregenden Skizze versucht er zu zeigen, dass nicht nur die etablierten Kirchen in Europa, sondern alle Weltreligionen nach 1800 eine bemerkenswerte Konsolidierung vollzogen und 1914 einen weit größeren Einfluss auf die Menschen hatten als zu Beginn der Epoche. Hierzu ausführlicher Friedrich, Das 19. Jahrhundert (wie Anm. 21), S. 97f., 103f. Andeutungsweise schon in Friedrich, Das 19. Jahrhundert (wie Anm. 21), S. 111f.; etwas ausführlicher ders., in: Die preußische Landeskirche im Vormärz. Kirchenpolitik und Verfassungsfrage, in: Bärbel Holtz/Hartmut Spenkuch (Hgg.), Preußens Weg in die politische Moderne. Verfassung – Verwaltung – politische Kultur zwischen Reform und Reformblockade, Berlin 2001, S. 141–167, hier S. 145–155. Der dort angekündigte Aufsatz zum Thema ist leider nicht erschienen, aber in meinem Studienbuch Kirche im gesellschaftlichen Umbruch. Das 19. Jahrhundert (Zugänge zur Kirchengeschichte 8), Göttingen 2006, bildet die These die untergründige Perspektive der Darstellung. – Der Begriff ist schon beiläufig bei Martin Greschat, Rechristianisierung und Dechristianisierung: Anmerkungen aus deutscher protestantischer Sicht, in: Lehmann (Hg.), Säkularisierung (wie Anm. 13), S. 76–85, hier

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dass dieser Begriff in der Sichtweise von Historikern, welche die gesamte Gesellschaft im Blick haben müssen, wohl nur einen Ausschnitt aus einem umfassenderen Prozess beschreiben kann, für den wir den Begriff noch suchen müssen.50 Für die Theologie, die – jedenfalls hier in Deutschland – auf eine Konfessionskirche bezogen ist, würde sie jedoch eine umfassende Perspektive bezeichnen, wenn sie sich verifizieren ließe. Hier ist nicht der Ort, das Konzept ausführlich zu entwickeln. Ich will nur an zwei Aspekten zeigen, wie es explizit an die frühneuzeitliche Konfessionalisierungsforschung anknüpft. Da ist einmal die schon von Zeeden betriebene Parallelisierung von Vorgängen aus den verschiedenen Konfessionen. Mit dem Begriff der Kirchwerdung möchte ich Vorgänge vergleichbar und verstehbar machen, die sich gleichermaßen im Katholizismus wie im Protestantismus vollzogen (und in letzterem auch wieder in verschiedenen seiner Ausprägungen); gewiss unter jeweils spezifischen Voraussetzungen und auch mit durchaus unterschiedlichen Ergebnissen, aber doch auch in deutlichen Strukturähnlichkeiten. Gleichzeitig soll der Begriff wie der der Konfessionalisierung verschiedene Perspektiven verbinden. Vor allem soll er, anders als Blaschkes Konfessionalisierungsbegriff, sich nicht von der „Säkularisierung“ als Antithese abheben, sondern beide Aspekte integrieren. Gewiss nimmt er seinen Ausgang bei den institutionellen Veränderungen. In gewisser Weise ist Kirchwerdung das Gegenstück zu dem, was Ernst Ludwig Böckenförde 1967 in seinem berühmten Aufsatz „Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation“ genannt hat.51 Böckenförde bezieht sich auf die fortschreitende Trennung von geistlichem

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S. 83 gebraucht: „Das 19. Jahrhundert“ sei „die Zeit der ‚Kirchwerdung‘ im Protestantismus“. Die Kirchwerdung ist hierbei als Gegenstück zur Ausdifferenzierung der Gesellschaft in Teilbereiche verstanden. In seinen größeren Werken (Das Zeitalter der industriellen Revolution, Stuttgart 1980; Christentumsgeschichte II, Stuttgart 1997; Der Protestantismus: Vom Vormärz zur deutschen Einheit, in: Martin Greschat u.a. [Hg.], Die Geschichte des Christentums. Religion – Politik – Kultur. Bd. 11: Liberalismus, Industrialisierung, Expansion Europas [1830–1914], Freiburg 1997, S. 309–326) hat Greschat diese Perspektive jedoch noch nicht durchgeführt. Dies vor allem zur Kritik bei Steinhoff, Konfessionelles Zeitalter? (wie Anm. 15), S. 558. Wieder abgedruckt in: Ernst Ludwig Böckenförde, Recht, Staat, Freiheit. Studien zu Rechtsphilosophie, Staatstheorie und Verfassungsgeschichte, Frankfurt a.M. 1991, S. 92–114. In diesem Aufsatz (S. 112) findet sich auch der bis in die Gegenwart immer wieder zitierte Satz: „Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.“

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und weltlichem Bereich, die um 1800 einen Höhepunkt erreicht.52 Ob dies – so Böckenförde und Heckel – eine Freigabe der Religion bedeutet, die „in den Bereich der Gesellschaft verwiesen“ wird, „ohne aber Bestandteil der staatlichen Ordnung als solcher zu sein“,53 oder eher eine In-DienstStellung der Religion zugunsten eines sich als total verstehenden Staates,54 wäre noch zu diskutieren. Für das revolutionäre Frankreich jedenfalls ist deutlich, dass die kirchlichen Institutionen der gallikanischen Kirche zerschlagen wurden, um eigene an ihre Stelle zu setzen, nämlich die konstitutionelle Kirche, später den Kult des Höchsten Wesens.55 Kirchwerdung bedeutet so für die katholische Kirche zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht nur eine Selbstbehauptung in existentieller Gefährdung, sondern auch eine völlige Neukonstruktion als übernationale Weltkirche, die auf den Papst ausgerichtet und von starken Bischöfen geleitet, aber auch von einer engagierten Laienbasis getragen ist.56 Und ähnlich sind die Veränderungen im Protestantismus, der in Deutschland und Skandinavien „bis ins neunzehnte Jahrhundert hinein kirchenlos gewesen ist, und zwar nicht aus Not oder aus Schwäche, son­

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Die „Französische Revolution brachte den politischen Staat, wie er in den konfessionellen Bürgerkriegen entstanden und von Hobbes vorgedacht worden war, zur Vollendung.“ (Ebd., S. 107). Ebd., S. 108; Martin Heckel, Die Neubestimmung des Verhältnisses von Staat und Kirche im 19. Jahrhundert, in: ders., Gesammelte Schriften 3, Tübingen 1997, S. 441–470, hier S. 444: „Der Staat wurde ein weltlicher Staat, aber vermied die Trennung von der Kirche … Die Kirche erhielt im Rahmen der staatlichen Schrankengesetze ein großes Maß innerer Autonomie in geistlichen Angelegenheiten …“ (ein Urteil, dem ich – selbst wenn es allein auf den nach dem Napoleonischen Konkordat geltenden Zustand bezogen sein soll – kaum zustimmen kann). Vgl. Martin Friedrich, Die Anfänge des neuzeitlichen Staatskirchenrechts: Vom preußischen Allgemeinen Landrecht (1794) bis zur Paulskirchenverfassung (1848/49), in: Günter Brakelmann/Norbert Friedrich/Traugott Jähnichen (Hgg.), Auf dem Weg zum Grundgesetz. Beiträge zum Verfassungsverständnis des neuzeitlichen Protestantismus, Göttingen 1999, S. 13–29. Genauere Belege bei Friedrich, Kirche (wie Anm. 49), S. 17–28. An neuerer Literatur zu diesen Phänomenen nenne ich nur: Christopher Clark, Der neuere Katholizismus und der europäische Kulturkampf, in: ders./Kaiser (Hgg.), Kulturkämpfe (wie Anm. 25), S. 14–37, bes. 16–21; Thomas Schulte-Umberg, Berlin – Rom – Verdun: Überlegungen zum Verhältnis von Ultramontanismus und Nation, in: Geyer/Lehmann (Hgg.), Religion und Nation (wie Anm. 15), S. 117–140.

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dern aus Grundsatz.“57 Es gab in Preußen ein „Kirchenwesen“58 oder in Dänemark die „Religion des Königs“ mit den Pfarrern als den Beauftragten jener Religion,59 aber es gab keine Kirche, weder als identifizierbare Institution noch im Bewusstsein der Gläubigen. Erst seit 1815 (in Skandinavien sogar erst seit 1848) entstehen dann die kirchlichen Institutionen, die nach 1918 ein relativ bruchloses Weiterleben der evangelischen Kirche ermöglichten. Im Protestantismus geschah die Kirchwerdung öfter im Einklang mit der staatlichen Entwicklung,60 im Katholizismus dagegen meist in schweren Auseinandersetzungen, aber dennoch in vergleichbaren Prozessen und mit vergleichbaren Resultaten. Meine erste Definition ist also: Kirchwerdung ist die Herausbildung von Institutionen, welche die Kirchen zu Subjekten eines eigenständigen kirchlichen Lebens werden ließen – gewiss oft in Nachahmung staatlicher Strukturen und oft auch mit dem Ziel einer Unterstützung staatlicher Herrschaft, aber doch in zunehmender Emanzipation von ihr. Läge das Augenmerk aber nur darauf, dann könnte dem Ansatz eine „etatistische“ Engführung vorgeworfen werden, wie der frühneuzeitlichen Konfessionalisierungsdebatte in ihren Anfängen.61 Darum ist zu betonen, dass „Kirchwerdung“ auch die mentalitäts- und theologiegeschichtlichen 57

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So die wichtige These von Erich Foerster, Die Entstehung der Preußischen Landeskirche unter der Regierung König Friedrich Wilhelms des Dritten nach den Quellen erzählt, Bd. 1, Tübingen 1905, S. VI; vgl. auch Bd. 2, 1907, S. 317f. Vgl. Foerster, Entstehung (wie Anm. 57), Bd. 1, S. 45. Dort auch Näheres zur Verwaltungsstruktur. So die Formulierung in der bis 1848 geltenden Staatsverfassung; vgl. Hans Raun Iversen, Kirkeordning og menighedsførståelse i Danmark. Udviklingen i 1800-tallet som baggrund for folkekirkens status i dag, in: Ingmar Brohed (Hg.), Kyrka och nationalism i Norden. Nationalism och skandinavism i de nordiska folkkyrkorna under 1800-talet, Lund 1998, S. 101–116, hier S. 107. Dieses allgemeine Bild darf freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass es neben dem obrigkeitlichen Modell, das sich meist durchsetzte, auch konkurrierende Modelle gab. Kirchenpolitik ist so weitgehend als eine Auseinandersetzung zwischen unterschiedlichen Modellen der Kirchwerdung zu beschreiben. Für Preußen habe ich das gezeigt in: Die preußische Landeskirche (wie Anm. 49); Die kirchliche Verfassungsdiskussion in Preußen 1815–1850, in: Die Anfänge der preußischen Provinz Sachsen und ihrer Kirchenorganisation (1816–1850). Tagung des Vereins für Kirchengeschichte der Kirchenprovinz Sachsen, Merseburg 16.–17. Juni 2006, Magdeburg 2008, S. 63–74. Vgl. zur Problematik Andreas Holzem, Die Konfessionsgesellschaft. Christenleben zwischen staatlichem Bekenntniszwang und religiöser Heilshoffnung, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 110, 1999, S. 53–85; Walter Ziegler, Sozial- und Religionsgeschichte in Deutschland in der frühen Neuzeit. Eine historiographische Bilanz, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 110, 1999, S. 372–385; Ehrenpreis/ Lotz-Heumann, Reformation (wie Anm. 18), S. 68f.

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Prozesse einschließen soll, welche die institutionellen Veränderungen begleiteten. Kirche ist im 19. Jahrhundert das beherrschende Thema sowohl im Katholizismus als auch im Protestantismus. Die Neuaufbrüche im theologischen Denken waren eine Reaktion auf die Herausforderungen und suchten Formen und Tempo der Wandlungen zu beeinflussen. Vor allem aber zielten die theologischen Entwürfe wie das Handeln der Kirchen darauf, ein kirchliches Bewusstsein überhaupt herzustellen. In der viel zitierten Definition von Heinrich Richard Schmidt ist Konfessionalisierung der „Prozeß ..., der ... die Menschen ... zu Angehörigen verschiedener Konfessionen machte“.62 Das zielte auf die Selbstidentifikation als Katholik, Lutheraner oder Calvinist. Erst in der Zeit fortgeschrittener Individualisierung musste wohl dabei das gemeinschaftliche Element ausdrücklich in den Mittelpunkt gestellt werden: Kirchwerdung, so meine zweite Definition, zielte darauf ab, dass sich die Gläubigen als Glied der katholischen, der lutherischen, der evangelischen63 Kirche verstanden. Kirchwerdung ist also religiöse Vergemeinschaftung – ein Hauptthema in der gegenwärtigen Forschung.64 Dieser Prozess war im 19. Jahrhundert zunehmend erfolgreich, und er nimmt vieles von dem auf, was auch Blaschke für seine These anführt. So hält auch Blaschke die These von der Kirchwerdung für eine bedenkenswerte Alternative für seine Rede von der Konfessionalisierung.65 Aber im Gegensatz zur Konfessionalisierung in der Frühen Neuzeit ist er kein Kardinalvorgang, an dem viele, um nicht zu sagen alle, sozialen Kräfte mitwirkten. Damals war Konfession der Integrationsfaktor für Staat und Gesellschaft, nun wird sie zunehmend zum Störfaktor. Denn die integrative Wirkung sollte eine Ideologie haben, die im 19. Jahrhundert ihren scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg begann: der Nationalismus. Mit ihm bin ich aber schon bei meinem dritten Punkt.

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Heinrich Richard Schmidt, Konfessionalisierung im 16. Jahrhundert (Enzyklopädie deutscher Geschichte 12), München 1992, S. XI. Auch Blaschke bezieht sich auf diese Definition, vgl. Blaschke, Das 19. Jahrhundert (wie Anm. 3), S. 55f. Mit dieser Differenzierung möchte ich auch die deutschen unierten Kirchen in das Schema aufnehmen, die sich dem Konfessionalisierungsbegriff ansonsten widersetzen; vgl. Friedrich, Das 19. Jahrhundert (wie Anm. 21), S. 106–109. Vgl. die Sammelbände von Hölscher (Hg.), Baupläne (wie Anm. 29) und Michael Geyer/Lucian Hölscher (Hgg.), Die Gegenwart Gottes in der modernen Gesellschaft. Transzendenz und religiöse Vergemeinschaftung in Deutschland (Bausteine zu einer Europäischen Religionsgeschichte im Zeitalter der Säkularisierung 8), Göttingen 2006. Vgl. Blaschke, „Dämon“ (wie Anm. 4), S. 29.

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III. Impulse für die Erforschung der Frühen Neuzeit Konfessionalisierung im 19. Jahrhundert festzumachen, ist schwierig, aber mit Konfessionalisierung beschäftigt sich die Frühneuzeitforschung ja ohnehin. Da möchte ich aus dem 19. Jahrhundert blickend lieber drei andere Prozesse nennen, die in ihrem Verhältnis zur Konfessionalisierung betrachtet werden sollten. Hierzu nur ein paar ganz knappe Anmerkungen. Das erste ist das Thema der Säkularisierung. Mir scheint, dass dieser Prozess inzwischen so differenziert worden ist, dass er als Leitkategorie eher geeignet wäre als der problematische Modernisierungsbegriff.66 Allerdings gibt es hierzu schon Forschungen, welche die Epochenschranke von 1800 überschreiten,67 und auch Heinz Schilling hat ein Projekt begonnen, das die Frühe Neuzeit als „Scharnierepoche“ des Säkularisierungsprozesses untersuchen soll.68 Das zweite, was zur Überprüfung meiner These von der Kirchwerdung wichtig wäre, ist die Institutionalisierung der Kirchen im Konfessionellen Zeitalter. Lässt sich die These halten, dass der Protestantismus kirchenlos war? Unterscheidet sich die Struktur der katholischen Kirche in der Frühen Neuzeit durchgreifend von der im 19. Jahrhundert oder hat sie auch schon starke zentralistische Züge? Auch hieran arbeitet die Konfessionalisierungsforschung, aber ich würde mir wünschen, dass die Fragen in größerem Zusammenhang neu bedacht werden. Das derzeit brennendste Forschungsthema in der Sozialwissenschaft und der Neuesten Geschichte ist Nation und Nationalismus. Besonders einflussreich waren die Ansätze von Benedict Anderson, Eric Hobsbawm und Ernest Gellner, wonach die Nationen „imaginierte Gemeinschaften“ sind, die sich über gemeinsame Codes und „erfundene Traditionen“ konstruierten, mit dem Zweck, die staatliche Gemeinschaft politisch zusammenzuhalten.69 Mit Verzögerung ist seit einem Jahrzehnt auch der Faktor 66

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Zur Problematik vgl. bes. Luise Schorn-Schütte, Konfessionalisierung als wissenschaftliches Paradigma?, in: Bahlcke/Strohmeyer, Konfessionalisierung (wie Anm. 1), S. 63–77. Zu Lehmann s.o. Anm. 13; ferner Blickle/Schlögl (Hgg.), Säkularisation (wie Anm. 16), hier besonders die epochenübergreifenden Beiträge. Es ist das Teilprojekt A3 von SFB 640: Religiöse und säkulare Repräsentation im frühneuzeitlichen Europa, vgl. http://www.repraesentationen.de/site/lang__ de/3855/teilprojekt_a3.aspx (zuletzt besucht 14.5.2008). Benedict Anderson, Imagined Communities. Reflections on the Origin and Spread of Nationalism, London/New York 1983 (deutsch: Die Erfindung der Nation, Berlin 1998); Ernest Gellner, Nations and Nationalism, Oxford 1983 (deutsch: Nationalismus und Moderne, Berlin 1991); Eric J. Hobsbawm, Nations and Nationalism since 1780, Cambridge 1990 (deutsch: Nationen und Nationalismus. Mythos und

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Religion in der neuen Forschung zum Nationalismus aufgenommen worden und hat sich als außerordentlich fruchtbar erwiesen.70 Nicht nur die Interaktion zwischen „Nationalisierung der Religion und Sakralisierung der Nation“71 wurde analysiert, sondern Thomas Schulte-Umberg schlug auch vor, den Ultramontanismus – in meinem Verständnis den Hauptzug katholischer Kirchwerdung – „als Deutungskultur einer ‚imaginierten Gemeinschaft‘ zu bezeichnen“.72 Und natürlich ist auch die schon in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts aufgekommene Deutung des Nationalismus als (politische) Religion erneut diskutiert worden.73

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Realität seit 1780, Frankfurt/Main 1991); ders./Terence Ranger (Hgg.), The Invention of Tradition, Cambridge 1983. Bahnbrechend: Adrian Hastings, The Construction of Nationhood. Ethnicity, Religion and Nationalism, Cambridge 1997. Inzwischen ist das Thema vor allem in einigen großen Sammelbänden ausgelotet worden: Peter van den Veer/Hartmut Lehmann (Hgg.), Nation and Religion. Perspectives on Europe and Asia, Princeton 1999; Gerd Krumeich/Hartmut Lehmann (Hgg.), «Gott mit uns». Nation, Religion und Gewalt im 19. und frühen 20. Jahrhundert, Göttingen 2000; Alois Mosser (Hg.), «Gottes auserwählte Völker». Erwählungsvorstellungen und kollektive Selbstfindung in der Geschichte, Frankfurt/Main u.a. 2001; Haupt/Langewiesche (Hgg.), Nation und Religion in der deutschen Geschichte (wie Anm. 42); dies., Nation und Religion in Europa (wie Anm. 40); Geyer/Lehmann (Hgg.), Religion und Nation (wie Anm. 15). S. auch Anm. 71. – Ein Forschungsüberblick und eine hilfreiche Kategorialisierung der Rolle des Katholizismus bei der Staats- und Nationsbildung in verschiedenen europäischen Ländern bei Urs Altermatt, Das komplexe Verhältnis von Religion und Nation: eine Typologie für den Katholizismus, in: Schweizerische Zeitschrift für Religions- und Kulturgeschichte 99, 2005, S. 417– 432. So der Titel eines neueren Sammelbandes von Martin Schulze Wessel (wie Anm. 40). Vgl. auch Hartmut Lehmann, Die Säkularisierung der Religion und die Sakralisierung der Nation im 20. Jahrhundert: Varianten einer komplementären Relation, in: Hans-Christian Maner/Martin Schulze Wessel (Hgg.), Religion im Nationalstaat zwischen den Weltkriegen 1918–1939, Stuttgart 2002, S. 13–27; Oliver Zimmer, Nation und Religion. Von der Imagination des Nationalen zur Verarbeitung von Nationalisierungsprozessen, in: Historische Zeitschrift 283, 2006, S. 617–656. Schulte-Umberg, Berlin – Rom – Verdun (wie Anm. 56), S. 118. Vgl. Carlton J. H. Hayes, Nationalism as a Religion, in: ders., Essays on National­ ism, New York 1926 (Nachdruck 1966), S. 93–125; Erich (später: Eric) Voegelin, Die politischen Religionen (Wien 1938), Stockholm 1939. Zur neueren Diskussion vgl. Peter Walkenhorst, Nationalismus als „politische Religion“? Zur religiösen Dimension nationalistischer Ideologie im Kaiserreich, in: Blaschke/Kuhlemann (Hgg.), Religion im Kaiserreich (wie Anm. 3), S. 503–529; Gangolf Hübinger, Sakralisierung der Nation und Formen des Nationalismus im deutschen Protestantismus, in: Krumeich/Lehmann (Hgg.), «Gott mit uns» (wie Anm. 70), S. 233–248; Emilio Gentile, Political Religions in the 20th century, in: Blickle/Schlögl (Hgg.), Säkularisation (wie Anm. 16), S. 551–562.

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All diesen Ansätzen ist hier nicht weiter nachzugehen. Ich möchte stattdessen zur Diskussion stellen, ob sie nicht auch neue Impulse zur Erforschung der Konfessionalisierung geben können. Wenn der Integrationsfaktor der Konfession in gewisser Weise von dem der Nation abgelöst werden konnte, dann müsste er doch auch in ähnlicher Weise konzeptualisiert werden können. Daraus ergeben sich einige Fragen, die ich Ihnen für die weitere Arbeit empfehlen möchte. – Hat nicht die Konfessionalisierungsforschung zu ihrem eigenen Schaden die Reformationszeit, wenn man sie nun überhaupt als Epoche abgrenzen kann,74 links liegen gelassen und sich zu schnell von der Zeedenschen Fragestellung der „Konfessionsbildung“ verabschiedet? Müsste nicht, statt die Konfessionen quasi als vorgegeben anzunehmen, noch intensiver nach ihrer Formierung gefragt werden? Der Zusammenhang von „Konfessionskonflikt und Staatsbildung“ sollte doch auch für die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts so intensiv untersucht werden wie für die zweite. – Es gibt natürlich eine Reihe von Untersuchungen zum Verhältnis von Nation und Konfessionalisierung.75 Aber Heinz Schillings einschlägiger Aufsatz76 ist ein Beleg, dass der Etatismus speziell in dieser Thematik noch deutlich vorherrscht. Müsste nicht zwischen Staatsbildung und Nationsbildung auch im 16. und 17. Jahrhundert so deutlich differenziert werden wie im 19.? – Lassen sich auch die frühneuzeitlichen Konfessionen als Imaginationen verstehen? Wenn ja, was wird imaginiert? Die Konfessionskirche oder doch die universale Kirche, allerdings nach dem Maßstab der eigenen Konfession?77 Und was sind die Elemente dieser Imaginierung? Die Kon74

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Zur Problematik aus evangelisch-theologischer Sicht: Thomas Kaufmann, Die Reformation als Epoche, in: Verkündigung und Forschung 47, 2002, S. 49–63; ders., Konfession und Kultur, Tübingen 2006, S. 7–9. Eine besonders gründliche und ergiebige Untersuchung, die aber leider erst nach dem Ende des Konfessionellen Zeitalters einsetzt: Pasi Ihalainen, Protestant Nations Redefined: Changing Perceptions of National Identity in the Rhetoric of the English, Dutch and Swedish Public Churches, 1685–1772 (Studies in Medieval and Reformation Traditions 109), Leiden 2005. Heinz Schilling, Nationale Identität und Konfession in der europäischen Neuzeit (zuerst 1991), in: ders., Ausgewählte Abhandlungen zur europäischen Reformations- und Konfessionsgeschichte, hg. v. Luise Schorn-Schütte und Olaf Mörke (Historische Forschungen 75), Berlin 2002, S. 541–587. Richard Helgerson, Forms of Nationhood: The Elizabethan Writing of England, Chicago 1992, S. 266f., hat schon vorgeschlagen, die „wahre Kirche“ der Puritaner als imaginierte Gemeinschaft zu verstehen. – Vgl. Ronald G. Asch, An elect nation? Protestantismus, nationales Selbstbewußtsein und nationale Feindbilder in England

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fessionalisierungsforschung hat sich ganz überwiegend mit den Strategien zur Abgrenzung beschäftigt, die selbstverständlich von großer Bedeutung sind. Aber müssten nicht die Strategien zur Vergemeinschaftung ebenso stark beachtet werden, d.h. neben dem bereits gut erforschten Bildungswesen auch z.B. die Liturgie und der Kirchenbau?78 Diese Fragen ließen sich beliebig vermehren, aber ich habe meine Zeit bereits erschöpft und muss mir nun gefallen lassen, dass Sie zunächst Fragen an mich richten.

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und Irland von zirka 1560 bis 1660, in: Mosser (Hg.), «Gottes auserwählte Völker» (wie Anm. 70), S. 117–141, hier S. 124. Gute Ansätze hierzu in dem Sammelband von Heinz Schilling/István György Tóth (Hgg.), Cultural exchange in early modern Europe, Bd. 1: Religion and cultural exchange in Europe, 1400 – 1700, Cambridge 2006, bes. die Beiträge von Schilling und Paiva.

Diskussionsbericht Dirk Pfeifer Das Grundnahrungsmittel der Geschichtswissenschaft sind die Quellen, doch zum Genussmittel werden sie erst durch eine gründliche Analyse. Damit sich die Wissenschaft davon jedoch nachhaltig und bewusst nähren kann, bedarf es des Diskurses. Ein anschauliches Beispiel für diese metaphorische Darstellung von wissenschaftlicher Auseinandersetzung ist die Beschäftigung mit konfessionellen Vorgängen der Neuzeit. Nicht erst seit der Vorstellung des Konzeptes von Konfessionsbildung durch Ernst Walter Zeeden 1956 fand die Untersuchung und Deutung dieser Entwicklungen einen klaren methodischen und konzeptuellen Rahmen, der Anlass zur Weiterentwicklung und Diskussion bot. Auch vorher hatten sich Historiker bereits mit Begriffen wie beispielsweise „Reformation“ und „Gegenreformation“ einen Diskursrahmen gegeben. Wohl aber verdankt die Historiographie Zeedens Konfessionsbildungstheorie die Loslösung der wissenschaftlichen Untersuchung von starren konfessionell geprägten Kategorien und von der chronologischen Folge dieser Prozesse sowie den damit einhergehenden Implikationen. Stattdessen wurde durch Zeeden eine vergleichende Analyse angestrebt, die auf die Gleichzeitigkeit der konfessionellen Formierungsprozesse gerichtet war. Damit war aber auch eine Ebene der wissenschaftlichen Debatte eröffnet worden, die Möglichkeiten zu einer Verfeinerung und Weiterentwicklung der historischen Konfessionenforschung offen hielt und schließlich in das Konfessionalisierungsparadigma von Schilling und Reinhard mit seiner gesellschaftshistorischen Ausrichtung mündete. Der von Zeeden eröffnete und durch Schilling und Reinhard fortgeführte wissenschaftliche Diskurs dauert bis heute an und hat die Frühneuzeitforschung nachhaltig geprägt. An diesem Diskurs beteiligte sich auch dieses 20. Bayreuther Historische Kolloquium mit seinen zahlreichen Beiträgen und den anschließenden Diskussionsrunden. Die Zielsetzung der Konferenz war es, Leistungen, Probleme und Grenzen des Konfessionalisierungsparadigmas zu beschreiben. Anhand der Vorträge zu vielen Bereichen der Forschung und illustriert durch zahlreiche Einzelstudien und Fallbeispiele wurde dieses Ziel verfolgt und letztlich ein umfas-

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sendes Bild der Konfessionalisierungsforschung der letzten fünfzig Jahre gezeichnet. Die Diskussionen im Anschluss an die Referate ergänzten die Darstellung entsprechend und führten zu einem produktiven Austausch. Die Fragen und Anmerkungen der Konferenzteilnehmer behandelten unter anderem das Problem des begrifflichen und konzeptuellen Gehalts von „Konfessionalisierung“ und „Konfessionsbildung“ sowie das eng damit verbundene Problem der Periodisierung. Weiterhin standen allgemeine Aspekte zum Konfessionalisierungsparadigma im Mittelpunkt des Diskurses, aber auch die in den Referaten angesprochenen Sonderaspekte einzelner Forschungsbereiche wurden thematisiert. Die Frage nach Terminologie und konzeptuellem Inhalt der Begriffe „Konfessionsbildung“ und „Konfessionalisierung“ beschäftigte die Tagungsteilnehmer insbesondere in den Anfangsvorträgen. Eng verbunden war dies auch mit dem Problem der Periodisierung der mit diesen Begriffen umschriebenen Vorgänge. Hierbei wurde insbesondere der Begriff des „Konfessionellen Zeitalters“ besprochen. Ludger Körntgen wollte im Anschluss an den Vortrag von Harm Klueting wissen, ob mit der zeitlichen und terminologischen Konzeption des Begriffes „Konfessionelles Zeitalter“ die Begriffsbildung selbst nicht schon zur Inhaltsbildung beigetragen habe und sich somit gewissermaßen bereits ein Geburtsfehler mit dem Terminus der Konfessionalisierung verbinde. Hierzu stellte Klueting zunächst klar, dass Konfessionalisierung und konfessionelles Zeitalter zwei verschiedene Dinge seien, die nur in Teilen deckungsgleich wären. Zugleich stimmte er aber zu, dass sich hinter Begriffen zumeist auch recht klare Konzepte verbergen und daher das Denken durch Termini kanalisiert wird. Demnach würden die mit Epochenbegriffen verbundenen Denkkategorien trotz ihrer Funktion als nützliche Hilfsmittel auch einschränkend und begrenzend wirken. Mit Verweis auf die von Klueting in seinem Vortrag genannte „Zeit der Reformen“ sprach Peter Segl die Frage der Periodisierung noch etwas fokussierter an. Segl betonte, er würde das Einsetzen der kirchlichen Reform in der Mitte des 13. Jahrhunderts verorten, und wollte nun wissen, wann der Referent diese „Zeit der Reformen“ beginnen lassen würde. Klueting antwortete auf diese Anfrage mit einem Hinweis auf sein kürzlich erschienenes Buch zum konfessionellen Zeitalter und erklärte, dass seines Erachtens der Beginn mit dem „Schwarzen Tod“ von 1348 anzusetzen sei, da die Pest mit ihren verheerenden sozialen und psychologischen Folgen das Versagen der Kirche und des Klerus gegenüber einer verstärkten Frömmigkeit offenbarte. Daraus resultierten wiederum Reformforderungen, die sich bis zu den Reformkonzilien fortsetzten. Pater Robert Bireley legte im Verlauf der Tagung ebenfalls großen Wert darauf, die Konzepte

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der Konfessionsbildung und Konfessionalisierung voneinander zu trennen und klar zu definieren. Nach Kluetings Vortrag sprach Pater Bireley diese Problematik an und erwähnte auch, dass im Rahmen einer anderen Tagung von einer jüdischen Konfessionsbildung die Rede gewesen sei und damit eine soziale und nicht dogmatische Verfestigung innerhalb der jüdischen Gemeinde impliziert wurde. Dem stimmte Klueting zu, zweifelte jedoch, ob der Begriff der Konfessionsbildung mit seiner vorwiegend christlichen Prägung hier angebracht sei. Im Kontext der von Ludolf Pelizaeus in seinem Vortrag angesprochenen spanischen Reconquista und der Eroberung der Überseegebiete sprach Pater Bireley zudem die Abgrenzung des Begriffes „Christianisierung“ von „Kon­fessionalisierung“ an und bat den Referenten, dies für den Bereich Spaniens zu erläutern. Pelizaeus erklärte, dass man bezüglich der spanischen Überseegebiete in einer ersten Phase von ca. 1532 bis 1560 von Christianisierung sprechen könne, die zentral wichtige Bereiche betraf und mittels Kirchenpredigten umgesetzt wurde. In einer zweiten Phase seien dann in einer spezifischen Form der Christianisierung, die man als Konfessionalisierung bezeichnen könne, die tridentinischen Glaubensvorstellungen im 17. Jahrhundert durchgesetzt worden. Diese Einteilung sei jedoch nicht für Europa anwendbar. In Spanien könne man allenfalls gegenüber den Muslimen infolge der Reconquista von Christianisierung sprechen, während eine Konfessionalisierung hier schon zwischen 1570 und 1590 anzusetzen wäre. Da sich der Vortrag von Pater Bireley mit dem Problem beschäftigte, ob man von einer katholischen Konfessionalisierung sprechen kann oder ob vielmehr der Begriff eines frühmodernen Katholizismus den Zustand und die Entwicklungen der römisch-katholischen Kirche der Frühen Neuzeit besser beschreibt, war auch die darauffolgende Diskussion von terminologischen Fragestellungen bestimmt. Martin Friedrich hegte Zweifel, ob die von Bireley gemachte Aussage, dass die Reformation zwar eine wichtige Herausforderung für die katholische Kirche gewesen sei, aber doch nur eine von vielen, zutreffend sei. Er schloss daraus, dass Bireley der Reformation einen geringeren Stellenwert einräume, als dies die Konfessionalisierungsdebatte gemeinhin tue. Friedrich hinterfragte zudem, ob manche vom Referenten unabhängig von der Reformation hergeleiteten Entwicklungen innerhalb der katholischen Kirche nicht doch deutlicher in diesen Kontext eingeordnet werden müssten. Pater Bireley entgegnete darauf, dass wohl viele Prozesse, insbesondere Entwicklungen der Individualisierung, im Protestantismus zu finden seien. Diese hätten aber seiner Meinung nach schon vor der Reformation eingesetzt und seien auf die Renaissance zurückzuführen und hätten sich daher aus diesem Ursprung

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im frühmodernen Katholizismus fortgesetzt. Thomas Brockmann äußerte grundsätzliche Sympathie mit der Theorie des Referenten von der Ausbildung der Form der katholischen Kirche im 16. Jahrhundert, meinte jedoch auch, dass der Protestantismus stärkere Berücksichtigung finden müsse. Sein Vorschlag war, in einem Gedankenexperiment der Frage nachzugehen, welche Entwicklungen stattgefunden hätten, wenn der Impuls aus der Reformation nicht gekommen wäre. Er vermutete zudem, dass ein Konzil von Trient in den meisten Punkten nicht denkbar gewesen sei ohne die reformatorischen Entwicklungen. Dieser Vermutung stimmte Pater Bireley zu und betonte nochmals, dass er die Reformation in ihrer Wirkung auf die Ausbildung des frühmodernen Katholizismus nicht unterschätzen wolle. Er meinte jedoch auch, dass ihre Rolle nicht überbewertet werden dürfe, da auch andere Faktoren wie die Entdeckung der Neuen Welt entscheidenden Einfluss hatten. Mit dem Vortrag von Thomas Brockmann über Konfessionalisierung der Außenpolitik und konfessionellen Fundamentalismus verband sich die definitorische Frage des „Religionskrieges“. Andreas Holzem äußerte, dass sich die Rechtsdebatten dazu ausschließlich im Diskursrahmen des gerechten Krieges abgespielt hätten, wonach der Religionskrieg dadurch definiert werde, dass die iusta causa des Krieges religiös sei, der Krieg selbst aber kein fanatisierter Konflikt mit besonderer Gewaltbereitschaft sein müsse. Demnach könne man zu dem Schluss kommen, dass der Dreißigjährige Krieg im Rahmen der iusta-causa-Lehre durchaus ein Religionskrieg gewesen sei, in dem aber Fanatisierungselemente nicht enthalten waren. Brockmann plädierte bei der Frage der Definition des Dreißigjährigen Krieges als Religionskrieg für die Prüfung jedes einzelnen Protagonisten. Für Kaiser Ferdinand II. lasse sich archivalisch nachweisen, dass der Krieg jedenfalls nicht in dem Sinne ein Religionskrieg gewesen sei, dass die ­religiöse Zielstellung und die religionspolitische Offensive ­alleinbestimmend gewesen seien; richtig sei aber wohl, dass der Kaiser nach Beschluss des Restitutionsediktes eine im Vergleich erhöhte Risikobereitschaft an den Tag gelegt habe, die dem Erhalt des Erreichten vieles andere unterordnete. Auch Martin Friedrichs Vortrag zur Konfessionalisierung und dem 19. Jahrhundert führte die anschließende Diskussionsrunde zu Fragestellungen der Terminologie. Einhellig teilten die Teilnehmer die Kritik Friedrichs an den Thesen Olaf Blaschkes zu einer Konfessionalisierung im 19. Jahrhundert und zu einem Zweiten Konfessionellen Zeitalter. Den von Friedrich vorgeschlagenen Alternativbegriff der „Kirchwerdung“ bewertete Stefan Ehrenpreis als vernünftig im spezifisch nationalen Kontext und würdigte die Darstellung des Zusammenhangs zwischen Konfessionsentwicklung

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und Konfessionalisierung sowie zwischen Säkularisierung und Nation. Harm Klueting sah den Begriff „Kirchwerdung“ für die katholischen Bereiche nur dann als passend an, wenn er im deutschen Raum den Vergleich zur vorherigen adligen Reichskirche sehr stark funktionalisiert. Demnach könne man im 19. Jahrhundert von einer Emanzipation der Kirche für den eigenen Zweck sprechen, was dem Konzept der Kirchwerdung, aber auch der Ghettoisierung entspreche, da somit die Kirche und ihre Mitglieder in einen sektoralen Raum geschoben wurden und Kirchwerdung damit neben einem übermächtig säkularisierten Bereich stattfände. Gleichfalls würde Klueting auch von Restauration sprechen, da nach 1815 viele Dinge, wie der Jesuitenorden und Klosterneugründungen, wieder auftauchen. Aus dem Bewusstwerden des Verlorenen entstehe somit ein restauratives Element. Man könne deshalb von einer starken Verweltlichung, aber auch von einer katholischen Renaissance im sektoralen Bereich sprechen. Zu Letzterem könnten Parallelen in der evangelischen Erweckungsbewegung gezogen werden. Friedrich entgegnete dazu, dass seine Interpretation des Begriffes hauptsächlich auf die weltliche Situation bezogen sei und er damit betonen wolle, dass dadurch sowohl auf evangelischer als auch auf katholischer Seite Kirchen in der Form geschaffen wurden, die sie vorher bereits zu sein behaupteten; eine katholische Kirche als weltumspannend unter der Leitung des Papstes mit den Bischöfen und eine evangelische Kirche auf der Basis des Bekenntnisses und des allgemeinen Priestertums aller Gläubigen. Andreas Holzem hegte abschließend noch Zweifel, ob der Begriff der „Kirchwerdung“ in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hinreichend sei. Seiner Meinung nach habe das Milieu eben nicht nur die Kirche als solche entwickelt, sondern hatte auch ein weites Ausgreifen auf andere gesellschaftliche Wirkungsbereiche. Demnach habe die Kirche im Kontext des Milieus erst eigene Presseorgane, einen eigenen Buchmarkt, Sport- und Theatervereine und sogar Parteien entwickelt. Unter den politischen Bedingungen des 19. Jahrhunderts und unter dem Eindruck der Konfessionalisierung des Nationalen sei ein besonderes Druckpotential auf bestimmte Konfessionen ausgeübt worden, so dass sich größere gesellschaftliche Bereiche formierten, als nur die Kirche. In den Diskussionsrunden wurden jedoch nicht nur begriffliche und konzeptionelle Fragen besprochen. Vielmehr reagierten die Tagungsteilnehmer auch auf die besonderen Aspekte, welche die Referenten in ihren Beiträgen präsentierten. Damit wurden spezifische Forschungsaspekte der Konfessionalisierungsforschung in den Mittelpunkt gerückt, die auch die Diskussion tiefer in Detailbereiche führten. Nach dem Vortrag von Günter Dippold

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erkundigte sich Stefan Ehrenpreis nach den klösterlichen Gemeinschaften und deren Position gegenüber den protestantischen Einwohnergruppen in Franken. Dazu erklärte Dippold zunächst, dass es sich bei dem nahegelegenen Kloster Banz als dem letzten fränkischen Adelskloster des Benediktinerordens um einen Sonderfall handelte, da hier die Landeshoheit zwischen Würzburg und Bamberg lange Zeit umstritten war. Hier wurde erst in den 1590er Jahren mit Fürstbischof Julius Echter von Würzburg die landesherrliche Gegenreformation eingeführt. Bei den anderen Prälatenklöstern Frankens wie Michelsberg und Langheim hingegen lag über lange Zeit eine Duldung protestantischer Einwohner auf den klösterlichen Ländereien durch die Äbte vor. Erst in den 1590er Jahren wurden die Klöster für die landesherrliche Gegenreformation instrumentalisiert und dienten als Experiment für weitere konfessionalisierende Vorgänge. Im Anschluss an den Vortrag von Stefan Ehrenpreis zum Problem der Mischkonfessionalität entwickelte sich eine rege Diskussion, die von Ursula Paintner eingeleitet wurde. Sie interessierte sich hinsichtlich der vom Referenten geschilderten Konfliktsituationen besonders für die Akteure und wollte wissen, ob es sich zumeist um spontane Aktionen handelte oder ob sich auch eine obrigkeitliche Beteiligung ausmachen lasse beziehungsweise ob derartige Konflikte auch ein Ausfluss eines theologischen Diskurses gewesen sein könnten. Ehrenpreis bestätigte, dass es sich in der Mehrzahl der von ihm untersuchten Gebiete wohl um spontane Aktionen handelte. Am Beispiel Donauwörths 1606 machte er deutlich, dass dort der Rat den Auflauf des Pöbels nicht verhinderte und dass sich ähnliche Entwicklungen auch in anderen Fällen nachweisen lassen. Weiter erläuterte er, dass in der Regel wenig direkte Agitation seitens der Kirchenleitung oder führender Kirchenführer aufzufinden sei und sich auch die Pfarrer in gemischt konfessionellen Gebieten zurückhielten, aus Furcht für den Aufruhr verantwortlich gemacht zu werden. Hier schloss sich die Frage Harm Kluetings zu den Bildungsaspekten in mischkonfessionellen Gebieten an. Er bat um eine Einschätzung zu dem Umstand, dass einige protestantische Adelsfamilien aus dem Hochstift Münster ihre Kinder aufgrund der besseren Ausbildung auf die Jesuitenschule geschickt hatten und diese Kinder als Erwachsene später katholisch wurden. Für Klueting stelle sich dies als ein wesentliches Element der Rekatholisierung dar. Eine ähnliche Situation zeige sich auch in Köln, jedoch sei dies dort nicht so eindeutig nachzuweisen. Ehrenpreis sprach sich bei der Beantwortung dieser Frage zunächst dafür aus, zu differenzieren, da mit Köln ein Sonderfall vorläge. In der Tat seien die Jesuitenschulen für höhere Schichten attraktiv gewesen. Dieser Entwicklung hatten die Reformierten versucht gegenzusteuern, indem

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sie Verträge mit den umliegenden protestantischen, vor allem linksrheinischen Gebieten schlossen, um die Söhne der Kölner Reformierten dort zur Schule gehen zu lassen. Dies habe zunächst für Frechen und Mühlheim gegolten, während später auch Stipendien für Herborn und Duisburg ausgegeben wurden. Derartige Maßnahmen ließen sich aber für andere Regionen nicht ausmachen. Überdies fänden sich Klagen und Beschwerden über die Ausbildung von Reformierten an Jesuitenschulen immer wieder in alten Konsistorialakten, wobei man gleichzeitig versuchte, die Attraktivität jesuitischer Bildung mit zum Teil absurden Motiven, wie dem Vorwurf der Homosexualität zu schmälern. Martin Friedrich sprach anschließend das Problem der Mischkonfessionalität im weiteren Kontext des Konfessionalisierungsparadigmas an und hinterfragte kritisch, ob man Mischkonfessionalität als außenpolitisches Kalkül oder gar als theologisches Programm sehen könne und welche Konsequenzen es für das Paradigma hätte, wenn Letzteres zuträfe. Ehrenpreis konnte sich der Ansicht, Mischkonfessionalität sei als theologisches Programm eingesetzt worden, nicht anschließen. Seiner Meinung nach sei sie vielmehr aus einer Duldungsproblematik entstanden, wie sie sich beispielsweise in Jülich zeigte. Demnach sei durch das vorkonfessionelle Verhalten der Mischung von altem Glauben und Protestantismus eine gemischt konfessionelle Form entstanden, weil die protestantischen Richtungen nicht konsequent verfolgt wurden. Hinzu kämen noch einige Sonderfälle, wie Köln, wo aus rein wirtschaftlichen Erwägungen die Motivation zur Duldung von Protestanten entstanden sei und so neben den Altgläubigen auch wohlhabende niederländische Glaubensflüchtlinge existierten, von denen der Standort aufgrund ihrer Wirtschaftskraft profitierte. Thomas Brockmann machte schließlich noch den Vorschlag, anhand der Zahlenverteilung der verschiedenen Konfessionsgruppen in bestimmten Gebieten und anhand weiterer Strukturmerkmale eine Typenbildung gemischt konfessioneller Gebiete aufzustellen. Diesen Hinweis nahm der Referent dankend auf und meinte, dass dies zum Teil noch nicht umsetzbar sei, da für manche Gebiete die zahlenmäßige Verteilung noch nicht klar sei. Für Jülich könnte man zwar Aussagen dahingehend treffen, dass die Hälfte der Bevölkerung katholisch und jeweils ein Viertel lutherisch und reformiert gewesen sei, aber für Niederösterreich ließen sich solche Angaben nicht machen. Dennoch sei diese Methode, trotz der Schwierigkeiten, für eine Typologie sehr schön geeignet. Einige kritische Anmerkungen provozierte der Beitrag Josef Schmids zur réligion monarchique, die er als Alternative zum Konfessionalisierungsparadigma präsentierte. Harm Klueting äußerte Vorbehalte gegenüber der These, die liturgischen Elemente der französischen Königsweihe seien als

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Widerstand gegen das Tridentinum zu werten. Seiner Meinung nach hätten hingegen auch nach dem Konzil von Trient die althergebrachten Liturgien weiterbestanden, was darauf hindeute, dass das Konfessionalisierungsparadigma in dieser Hinsicht durch nicht einheitliche konfessionelle Elemente relativiert würde. Auch Stefan Ehrenpreis zeigte sich kritisch und verwies auf die Bereiche, in denen zweifellos tridentinische Elemente wie die Katechismen und nicht die monarchische Religion vorherrschten. Ludolf Pelizaeus merkte zudem an, dass man bei der Untersuchung der Weiheliturgie das Heilige Römische Reich nicht komplett ausblenden dürfe. Thomas Nicklas ging im Anschluss an seinen Vortrag auf die Frage ein, inwiefern Lothringen unter der Führung des Hauses Guise Überbrückungsmöglichkeiten zwischen den Konfessionen und zwischen Frankreich und dem Heiligen Römischen Reich bot. Er betonte, dass Lothringen schon traditionell eine Mittlerrolle zwischen Frankreich und dem Heiligen Römischen Reich einnahm. Aufgrund dieser territorialen, aber auch rechtlichen Lage sei die politische Ausrichtung der Guise eher als europäisch zu kennzeichnen, denn als dezidiert französisch im Sinne eines gallikanischen Universalismus. Dennoch habe gerade darin zunächst eine Alternative zu Trient und zur Konfessionalisierung bestanden, da damit die Idee verbunden war, Europa nationalkirchlich zu organisieren. Unter dem Eindruck der wachsenden persönlichen Bedrohung 1563 habe sich Kardinal Guise jedoch von diesem Konzept verabschiedet und sei zur Konfessionalisierung übergegangen, vor allem um im Papsttum einen starken Verbündeten zu finden. Infolgedessen wurde das Nationalkirchenprinzip abgelegt und der Papst als Hirte der Universalkirche anerkannt. Dem Referenten zufolge verberge sich hinter diesem Umschwenken aber auch eine andere Facette lothringischen Denkens, nämlich die Notwendigkeit, die eigenen Überlebenschancen zu sichern, nachdem sich durch die veränderten Entwicklungen aufgrund der Mittelposition Lothringens eine besondere Bedrohungslage entwickelt hatte. Einen interessanten Hinweis zum Problem spezifisch binnenkonfessioneller Entwicklungen und konfessioneller Sonderformen lieferte Christoph Kampmann in seiner Stellungnahme zum Vortrag von Dirk Pfeifer, der sich mit dem Problem des Arminianismus in England und den Niederlanden auseinandersetzte. Kampmann nahm Bezug auf die englische Situation und bemerkte, dass in diesem Fall das Konfessionalisierungsparadigma zweifach sonderbar sei: Zum einen läge ein Fall vor, bei dem innerhalb einer Konfession Konfessionalisierung stattfinde und zum anderen habe die staatlich gelenkte Konfessionalisierung zu Gunsten des Arminianismus gerade die Gegenseite, nämlich den so bezeichneten Puritanismus,

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erst stark gemacht. Kampmann sah daher in England den interessanten Fall einer antizyklischen Konfessionalisierung vorliegen, an dem man das Paradigma genauer überprüfen müsse. Im Rahmen des Austausches nach den Vorträgen und in der Abschlussdiskussion kamen neben terminologischen und spezifisch fallbezogenen Aspekten auch Themen auf, die der Konfessionalisierungsdebatte generell zugeordnet werden und die im Zuge der nunmehr fünfzigjährigen wissenschaftlichen Beschäftigung mit diesem Themenfeld einen festen Bestandteil der Konfessionalisierungsforschung ausmachen. Dazu zählt auch die Verbindung von Konfessionalisierung mit der Entwicklung des frühneuzeitlichen Staates. Harm Klueting hatte in seinem Referat bereits die Entwicklung des Konfessionalisierungsparadigmas nach der Loslösung vom Konzept der frühmodernen Staatsbildung thematisiert. Daran schloss sich die Frage von Diethelm Klippel an, die sich jedoch dahin orientierte, wie sich die Geschichte des frühmodernen Staates ohne die Verknüpfung mit Konfessionalisierung entwickelt hätte. Daraufhin stellte Klueting fest, dass sich das Paradigma nicht komplett von der frühneuzeitlichen Staatsbildung gelöst habe, sondern nur partiell. Es ginge aber vielmehr darum, dass durch die Loslösung von einer einseitig „etatistischen“ Ausrichtung des Konfessionalisierungskonzepts neue Perspektiven und damit auch neue Erkenntnisse gewonnen wurden. Einerseits konnte man somit Konfessionalisierung im Dienste frühmoderner Staatsbildung feststellen, andererseits habe es aber auch Konfessionalisierung gegen die Staatsbildung gegeben. Stefan Ehrenpreis bemerkte ebenfalls in diesem Zusammenhang, dass seit dem 16. Jahrhundert eine deutliche quantitative und qualitative Änderung in der Tätigkeit kirchlicher Behörden stattgefunden habe, und richtete die Frage an den Referenten, wie dieser den Einzug von Institutionalisierung und Bürokratisierung in den Konfessionskirchen einschätze. Klueting entgegnete darauf, dass diese Prozesse sehr hoch einzuschätzen seien und durchaus korrespondierend zur weltlichen Ebene stattgefunden hätten, wo der Behördenaufbau bereits seit dem 15. Jahrhundert intensiviert fortgeschritten sei. Weiterhin erläuterte er, dass es in allen Konfessionen durch das landesherrliche Kirchenregiment eine starke Tendenz zur Konzentration und Institutionalisierung gegeben habe. Dies gelte auch für die katholische Kirche. Dass diese Entwicklungen jedoch im Reich verzögert einsetzten, erklärte Klueting mit dem Verweis auf die von Dieter Weiß in seinem Vortrag bereits genannten Strukturmerkmale der deutschen Reichskirche als Adelskirche und auf die Einbrüche des Dreißigjährigen Krieges. Hier habe die Umwandlung erst 1803 mit der Säkularisation und

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dem damit verbundenen Verschwinden starrer Strukturen abgeschlossen werden können. Um Ausprägungen und Formen des frühmodernen Katholizismus bewegte sich die Diskussion, die sich an den Vortrag von Pater Robert Bireley anschloss. Harm Klueting hob die vom Referenten bereits angesprochene Rolle der Feminisierung des Ordenslebens noch einmal hervor, mit dem Hinweis, dass es im evangelischen Bereich dieser Zeit keine Entsprechung gegeben habe. Im 16. Jahrhundert habe mit den Ursulinen und den Vinzentinerinnen in Frankreich der Aufbruch des weiblichen Ordenswesens begonnen. Wenngleich sich die Hauptaufgaben dieser Ordensschwestern auf den schulischen und karitativen Bereich konzentriert hätten, seien doch dadurch auch Frauen bis in die obersten kirchlichen Ränge aufgestiegen. Daher sei diese Feminisierung als ein wesentliches Proprium des frühneuzeitlichen Katholizismus zu werten. Die Diskussion nach Wolfgang Brückners Vortrag zur praxis pietatis behandelte insbesondere konfessionelle Unterscheidungsmerkmale. Zunächst interessierte sich Ralf Behrwald für den angesprochenen Widerspruch zwischen weltlicher Obrigkeit und Kirche in der Durchsetzung einer einheitlichen Glaubenspraxis und fragte, ob zu diesem Zweck eine gezielte Propaganda eingesetzt wurde. In der Beantwortung dieser Anfrage verwies Brückner auf den Katechismus, der die Aussagen zur verbindlichen Lehre kompakt, instruktiv, aber dennoch leicht verständlich zusammenfasste. Harm Klueting richtete die Frage nach der klaren Unterscheidung zwischen einem lutherischen und einem katholischen Gottesdienst an den Referenten. Hierzu meinte Brückner, dass die Abgrenzung im Luthertum von den Reformierten meist durch katechetische Lehrbilder im Kirchenraum oder durch das Abbild des Gekreuzigten auf dem Altar stattfand. Auf den Kirchenbildern wurde zudem meist die Spendung des Abendmahls in beiderlei Gestalt gezeigt, so dass davon auf eine Abgrenzung zum Katholischen geschlossen werden könne. Gleichzeitig verwies er aber auch darauf, dass die Eucharistie unter beiderlei Gestalt theologisch auch in der katholischen Kirche nicht untersagt war. Dem stimmte Klueting zu und erklärte, dass auch nach dem Konzil von Trient dazu keine konkrete katholische Lehrmeinung vorlag, so dass sich aus einer offenen theologischen Formulierung lediglich ein künstliches konfessionelles Unterscheidungsmerkmal herausbildete. Mit einem Verweis auf den niederländisch-spanischen Konflikt im Anschluss an den Vortrag von Ludolf Pelizaeus verband Thomas Brockmann die Frage, ob somit nicht doch Kontaktzonen verschiedener Konfessionen vorhanden gewesen seien, die Spanien damit deutlicher in die

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Konfessionalisierungsdebatte integrieren würden, als Anton Schindling dies proponiert habe. Pelizaeus meinte daraufhin, dass es zwar von spanischer Seite eine politische Auseinandersetzung mit den niederländischen Provinzen gegeben habe, eine inhaltliche Betrachtung der konfessionellen Unterschiede aber vermieden wurde, da darin eine latente Gefahr gesehen wurde. Harm Klueting betonte in seiner Anmerkung zu diesem Vortrag die Rückwirkungen, die von Spanien auf Europa ausgingen, und erwähnte dabei den reformierten Karmeliterorden, der auch nach Paris und Köln gekommen sei und dort in die Konfessionalisierungsprozesse eingegriffen habe. Klueting fragte sich, ob Spanien dabei nicht als Impulsgeber zu betrachten sei. Dieser Annahme schloss sich Pelizaeus an und erklärte, dass nicht nur die Jesuiten mit einer deutlichen Außenwirkung auf Europa zu nennen sind, sondern dass auch andere Orden von Spanien aus Impulse zur Konfessionalisierung gegeben hätten. Zur Entstehung des in Spanien gebrauchten Begriffes der „luteranos“ erklärte der Referent noch, dass die Konzeption des Begriffes auf die 1520er und 1530er Jahre zurückginge, in denen gegen am Hof Karls V. vertretene Erasmianer Prozesse zur Beschränkung ihrer Wirkungsfreiheit durchgeführt wurden. Infolgedessen wurde die Rezeption von Erasmus als gefährlich eingestuft, da diese aus dem ketzerverdächtigen Heiligen Römischen Reich stammte. Vor diesem Hintergrund wurden die Erasmianer als „luteranos“ bezeichnet. Eine weitere theologische Auseinandersetzung folgte indes nicht; die Inquisition weitete die inhaltliche Konnotation hingegen noch aus, indem diese Lehren auch als Gefahr für den staatlichen Zusammenhalt und die Monarchie interpretiert wurden. Die Schlussdiskussion der Tagung war insbesondere durch die Fragen nach der Kontinuität konfessioneller Elemente, nach der Bewertung des Konfessionalisierungsparadigmas nach fünfzig Jahren der wissenschaftlichen Beschäftigung damit und nach der weiteren Anwendung dieses Instruments, aber auch durch das Problem des Wandels der Interpretationen geprägt. Insbesondere der letzte Punkt hatte schon in der Diskussion um den Begriff des Fundamentalismus in der Außenpolitik, wie er auch im Vortrag Thomas Brockmanns auftauchte, eine Rolle gespielt. Andreas Holzem sah in der Schillingschen These des „Konfessionellen Fundamentalismus“ eine Problematik, die seiner Ansicht nach den Argumentationshintergrund des Konfessionalisierungsparadigmas völlig verschoben habe. Während in den achtziger und neunziger Jahren in diesem Zusammenhang noch von Modernisierung gesprochen worden war, sei nun unter dem Eindruck der islamistischen Bedrohung die Verbindung zum Fundamentalismus domi-

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nant. Damit wandle sich die Art und Weise der Interpretation konfessioneller Politik des 17. Jahrhunderts von einer Positivbewertung zu einer Negativbewertung. Da dieser Wandel aber von Ängsten getrieben sei, fehle eine passende Argumentationsbasis dafür. Brockmann stimmte Holzem zu und meinte, dass es nicht ungewöhnlich sei, dass zeitgeschichtliche Hintergründe für einen Wandel der Interpretationen von historischen Prozessen wie etwa des konfessionellen Fundamentalismus ursächlich seien. Diese Thematik griff Ludolf Pelizaeus in der abschließenden Debatte noch einmal auf und weitete sie auf das Interpretament der Modernisierung aus, mit dem die Konfessionalisierung ebenfalls verknüpft wurde. Er habe den Eindruck, dass dieser Begriff nunmehr durch den Fundamentalismusbegriff ersetzt worden sei. Pelizaeus stellte damit die Funktion von Interpretamenten zur Debatte. In diesem Zusammenhang merkte Harm Klueting an, dass man zurzeit nicht wissen könne, was modern sei. Seiner Meinung nach sei der Begriff der Moderne im Zusammenhang der Industrialisierung im 19. Jahrhundert aufgekommen und dann auf die Frühe Neuzeit übertragen worden. In der heutigen, vor allem nach den Ereignissen des 11. September 2001 unübersichtlich gewordenen Welt seien jedoch Zweifel über die Moderne präsent und der Modernebegriff habe an Glanz verloren. Andreas Holzem meinte, dass die frühen Vertreter der Konfessionalisierungsthese ihr Verständnis von Moderne präzise mitgeteilt hätten und dabei wesentliche Faktoren der Bielefelder Schule der Sozialwissenschaft entstammten. Allgemein seien bestimmte Kriterien der Moderne im historischen Prozess der Neuzeit und insbesondere des 19. Jahrhunderts auszumachen, zu denen unter anderem ein funktionsfähiger, verdichteter Staat, eine egalitäre und entprivilegierte Bürgergesellschaft, Bildung und Rationalität sowie das Entstehen des Industriekapitalismus zählten. Mit diesen Faktoren sei auch der Modernebegriff verbunden, der in den siebziger Jahren noch prägend war. Holzem vermutete aber, dass die Übertragung dieses Begriffes auf die Frühe Neuzeit erst dann einen Schub bekam, als Irritation bestand, ob die vorgestellten Paradigmen überhaupt noch trügen. Holzem plädierte weiter dafür, das Konfessionalisierungsparadigma so zu betrachten, dass es auch andere Fragehorizonte bediene, zum Beispiel die Funktionsfähigkeit des Zusammenlebens in einer komplexen Welt diversifizierender Handlungsträger. In diesem Sinne antworte der derzeitige Umgang mit dem Paradigma auf ein gegenwärtig besonders aktuelles Problem. Ludger Körntgen meinte, dass die Problematik der Modernisierung im Versuch bestünde, in einer teleologischen Absicht möglichst früh die Entwicklung des frühmodernen Staates zu situieren. Dabei sei es zu hinterfragen, ob man die Modernisierungsproblematik ohne eine teleolo-

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gische Perspektive beschreiben könne oder ob die Modernisierung eo ipso nur die Erklärung eines teleologisch gerichteten Prozesses sei. Diese Anregung nahm Thomas Brockmann auf und stellte fest, dass sich der Begriff der Post-Moderne von der teleologischen Perspektive gelöst habe und den Erwartungshorizont eines Immer-besser-Werdens nehme. Dabei hinterfragte er aber selbst auch kritisch, inwiefern die „Post-Moderne“ bereits ein tragfähiges Paradigma geworden sei. Pater Bireley nahm eine andere Position zu den Begriffen der Moderne und Post-Moderne ein und meinte, es gäbe immer eine noch neuere Moderne. Seine Ansicht sei, dass die Kirchengeschichte lehre, dass sich die Kirche in jeder Epoche neu an kulturelle, gesellschaftliche und politische Zustände anpassen musste. Damit einher ginge eine regelmäßige Notwendigkeit, sich an die jeweilige Moderne anzupassen. Die von der konfessionellen Verdichtung gekennzeichnete Epoche habe schließlich drei Versuche gezeigt, sich an die Umstände anzupassen. Peter Segl brachte am Ende der Tagung noch einmal den Aspekt der Kontinuität konfessioneller Elemente ein und verknüpfte seine Wahrnehmungen dazu insbesondere mit den von Andreas Holzem vorgetragenen Forschungsergebnissen. Segl fand es insbesondere anhand der bereits im Frühmittelalter bekannten und in der Frühen Neuzeit noch immer verwendeten Sendgerichte bemerkenswert, dass es innerhalb von 1000 Jahren ständiger Versuche der kirchlichen und staatlichen Regelung offenbar zu keiner dauerhaften Verbesserung gekommen war und dass im 18. Jahrhundert noch immer Versuche unternommen wurden, Fehler des Mittelalters abzustellen. Darauf erwiderte Holzem, dass die Kontinuität eben durch die Betrachtung dieser besonderen Quellengattung in der Struktur zu finden sei, die vor allem eine institutionelle Kontinuität sei. Weiter erläuterte Holzem in diesem Zusammenhang, dass bisher alle christlichen Verdichtungsversuche zweier Dinge neben der Theologie bedurften: materialer Ressourcen und Handlungsträger, die durch eine institutionelle Verstetigung die Dinge zusammenbrachten. Durch diese Faktoren sei ein großes Wandlungsmoment und Kontingenzpotential möglich gewesen, die Konstanz habe aber vor allem in den theologischen Ideen bestanden. Einmal Institutionalisiertes und Verfestigtes sei in fortlaufenden Dekompositionsprozessen verschwunden beziehungsweise in Schwundstufen innerhalb neuer Kontexte revitalisiert worden. Daher, so Holzem, sei im Grunde nie einfach Altes wiedergewonnen worden, sondern es fand vielmehr eine Rückbesinnung statt, durch die Vergangenes in neue Kontexte eingeordnet oder angepasst wurde. In diesem Sinne interpretiere Holzem auch die Konfessionalisierungsthese und die Ausbildung der drei Konfessionen.

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Abschließend blickten die Tagungsteilnehmer noch einmal auf die bisherige Konfessionalisierungsforschung zurück und würdigten das im Zentrum dieser Konferenz behandelte Paradigma. Harm Klueting griff dabei auf eine Formulierung Andreas Holzems zurück, der das Konfessionalisierungsparadigma als ein „mitlernendes Paradigma“ bezeichnet hatte. Klueting formulierte, dass in den späten 70er Jahren das Konfessionalisierungsparadigma seinen Blick vor allem auf die deutschen Kleinterritorien gerichtet hatte, dann aber ausgeweitet und europäisiert wurde. Diese Entwicklung der Interpretamente des Paradigmas sah Klueting auch in den Vorträgen des Kolloquiums reflektiert und forderte, diese Richtung der Debatte beizubehalten und den lernenden Prozess weiterzuführen, sobald die Grenzen der Theorien erreicht seien. In diesem Sinne hatte auch Holzem seine Idee von einem „mitlernenden Paradigma“ im doppelten Sinne definiert. Denn neben den damit angestrebten Forschungsergebnissen gäben die Fragestellungen und Methodenschlüssel auch Auskunft über die jeweils eigenen Befindlichkeiten. Daher halte das Paradigma die Forscher in einem permanenten Dialog von Vergangenheit und Gegenwart.

Diskussionsbericht

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Diskussionsteilnehmer Behrwald, Ralf, Dr. phil., Univ.-Prof., Bayreuth Bireley SJ, P. Robert, Ph. D., Univ.-Prof., Chicago Bosbach, Franz, Dr. phil., Univ.-Prof., Prorektor, Bayreuth / DuisburgEssen Brockmann, Thomas, Dr. phil., Priv.-Doz., Bayreuth / Münster Brückner, Wolfgang, Dr. phil., Univ.-Prof. (em.), Würzburg Dippold, Günter, Dr. phil., Prof., Bezirksheimatpfleger, Bayreuth / Lichtenfels Ehrenpreis, Stefan, Dr. phil., Univ.-Prof., München / Nürnberg Friedrich, Martin, Dr. theol., Univ-Prof., Bochum / Wien Holzem, Andreas, Dr. theol., Univ.-Prof., Tübingen Klippel, Diethelm, Dr. iur., Univ.-Prof., Bayreuth Klueting, Harm, M. A., Dipl.-Theol., Dr. theol. Dr. phil., Univ.-Prof., Köln / Fribourg Kampmann, Christoph, Dr. phil., Univ.-Prof., Marburg Körntgen, Ludger, Dr. phil., Univ.-Prof., Bayreuth / Mainz Nicklas, Thomas, Dr. phil., Univ.-Prof., Reims Paintner, Ursula, Dr. phil., Münster / Berlin Pelizaeus, Ludolf W. G., Dr. phil., apl. Prof., Mainz Pfeifer, Dirk, M. A., Bayreuth / Leiden Repgen, Konrad, Dr. phil., Dr. phil. h.c., Univ.-Prof. (em.), Bonn Schmid, Josef Johannes, Dr. phil., apl. Prof., Mainz Segl, Peter, Dr. phil., Univ.-Prof. (em.), Bayreuth / Pfaffenhofen Weiß, Dieter J., Dr. phil., Univ.-Prof., Bayreuth / München

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Dirk Pfeifer

AUTOREN Bireley SJ, P. Robert, Ph. D., Univ.-Prof., Chicago Brockmann, Thomas, Dr. phil., Priv.-Doz., Bayreuth / Münster Brückner, Wolfgang, Dr. phil., Univ.-Prof. (em.), Würzburg Dippold, Günter, Dr. phil., Prof., Bezirksheimatpfleger, Bayreuth / ­Lichtenfels Ehrenpreis, Stefan, Dr. phil., Univ.-Prof., München / Nürnberg Friedrich, Martin, Dr. theol., Univ-Prof., Bochum / Wien Holzem, Andreas, Dr. theol., Univ.-Prof., Tübingen Klueting, Harm, M. A., Dipl.-Theol., Dr. theol. Dr. phil., Univ.-Prof., Köln / Fribourg Nicklas, Thomas, Dr. phil., Univ.-Prof., Reims Pelizaeus, Ludolf W. G., Dr. phil., apl. Prof., Mainz Pfeifer, Dirk, M. A., Bayreuth / Leiden Schmid, Josef Johannes, Dr. phil., apl. Prof., Mainz Weiß, Dieter J., Dr. phil., Univ.-Prof., Bayreuth / München