Das intermediale Gemäldezitat: Zur literarischen Rezeption von Vermeer und Caravaggio [1. Aufl.] 9783839420690

Zahlreiche zeitgenössische Texte und Romane beschäftigen sich mit den realen sowie fiktiven Gemälden der beiden Malerper

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Das intermediale Gemäldezitat: Zur literarischen Rezeption von Vermeer und Caravaggio [1. Aufl.]
 9783839420690

Table of contents :
Inhalt
Einleitung
Historische Entwicklung der Bild-Text-Relation
Theoretische Grundlagen des intermedialen Gemäldezitats
Ekphrasis
Systematische Ansätze in der Intermedialitätsforschung
Intermediale Bild-Text-Relationen
Bild-Text-Relationen ohne Intermedialitätsbezug
Intertextuelle Bild-Text-Relationen
Zusammenfassung
Das intermediale Gemäldezitat
Zitatbegriff und intermediale zitative Verfahrensweisen
Das intermediale Gemäldezitat
Jan Vermeer – Charakteristika der Gemäldekonzeption
Michelangelo Merisi da Caravaggio – Charakteristika der Gemäldekonzeption
Intermediale Gemäldezitate in der Erzählliteratur zu Jan Vermeer
Perspektivierung der intermedialen Gemäldezitate
Transmediale Kategorien der Erzählung und Beschreibung
Einbettung der intermedialen Gemäldezitate in ein visuell-malerisches Textgefüge
Intermediale Gemäldezitate zu den Gemälden
Intermediale Gemäldezitate zur Gemäldeentstehung
Intermediale Gemäldezitate zur Gemälderezeption
Intermediale Gemäldezitate in der Erzählliteratur zu Michelangelo Merisi da Caravaggio
Michelangelo Merisi da Caravaggio vs. Jan Vermeer
Einbettung der intermedialen Gemäldezitate in ein visuell-malerisches Textgefüge
Intermediale Gemäldezitate zu den Gemälden
Intermediale Gemäldezitate zur Gemäldeentstehung
Intermediale Gemäldezitate zur Gemälderezeption
Schlussbemerkung
Literaturverzeichnis
Primärliteratur
Sekundärliteratur

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Andrea Ch. Berger Das intermediale Gemäldezitat

Lettre

Andrea Ch. Berger (Dr. phil.) hat Romanistik (Italienisch) und Kunstgeschichte in Graz studiert. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Bild & Text, Intermedialitätstheorien und Design.

Andrea Ch. Berger

Das intermediale Gemäldezitat Zur literarischen Rezeption von Vermeer und Caravaggio

Gedruckt mit Unterstützung der Universität Graz, der Landesregierung Steiermark (Abteilung Wissenschaft und Forschung) und der Stadt Graz (Kulturamt/Wissenschaft).

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagmotiv: Collage unter Verwendung eines Motivs aus: Jan Vermeer, Das Mädchen mit dem Perlenohrring, 1665 Lektorat & Satz: Andrea Ch. Berger Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2069-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Einleitung | 7 Historische Entwicklung der Bild-Text-Relation | 17 Theoretische Grundlagen des intermedialen Gemäldezitats | 29

Ekphrasis | 29 Systematische Ansätze in der Intermedialitätsforschung | 33 Intermediale Bild-Text-Relationen | 41 Bild-Text-Relationen ohne Intermedialitätsbezug | 47 Intertextuelle Bild-Text-Relationen | 51 Zusammenfassung | 54 Das intermediale Gemäldezitat | 57

Zitatbegriff und intermediale zitative Verfahrensweisen | 57 Das intermediale Gemäldezitat | 65 Jan Vermeer – Charakteristika der Gemäldekonzeption | 67 Michelangelo Merisi da Caravaggio – Charakteristika der Gemäldekonzeption | 81 Intermediale Gemäldezitate in der Erzählliteratur zu Jan Vermeer | 97

Perspektivierung der intermedialen Gemäldezitate | 97 Transmediale Kategorien der Erzählung und Beschreibung | 106 Einbettung der intermedialen Gemäldezitate in ein visuell-malerisches Textgefüge | 117 Intermediale Gemäldezitate zu den Gemälden | 121 Intermediale Gemäldezitate zur Gemäldeentstehung | 148 Intermediale Gemäldezitate zur Gemälderezeption | 164

Intermediale Gemäldezitate in der Erzählliteratur zu Michelangelo Merisi da Caravaggio | 175

Michelangelo Merisi da Caravaggio vs. Jan Vermeer | 175 Einbettung der intermedialen Gemäldezitate in ein visuell-malerisches Textgefüge | 185 Intermediale Gemäldezitate zu den Gemälden | 188 Intermediale Gemäldezitate zur Gemäldeentstehung | 211 Intermediale Gemäldezitate zur Gemälderezeption | 235 Schlussbemerkung | 245 Literaturverzeichnis | 251

Primärliteratur | 251 Sekundärliteratur | 252

Einleitung

Wirft man einen Blick auf die literarischen Neuerscheinungen der vergangenen Jahre, so ist die Präsenz von Malerei in der erzählenden Literatur unübersehbar. Meist bieten legendenumwobene Biografien alter Meister einen perfekten Rahmen für literarische Verarbeitungen. In vorwiegend chronologischen Erzählungen werden die Künstler zum Leben erweckt und die Stationen ihres Daseins nachempfunden. In diesen Geschichten, die die biografische Künstlerfigur in den Mittelpunkt stellen, wird den Bildern meist kein besonderes Interesse geschenkt. Jedoch sind abgesehen von dieser klassischen Form der fiktionalisierten Künstlerbiografie in jüngster Zeit vermehrt Erzähltexte zu finden, in denen den Gemälden eine zentrale Rolle zukommt. Reale wie fiktive Kunstwerke werden in den Fokus der Erzählung gestellt und erfüllen handlungsrelevante Funktionen. Besonderer Beliebtheit erfreuen sich die Gemälde jener beiden einflussreichen Malerpersönlichkeiten des 17. Jahrhunderts, die im Mittelpunkt dieser Arbeit stehen: Jan Vermeer und Michelangelo Merisi da Caravaggio. Von Interesse sind jedoch nicht in die Texte integrierte Abbildungen der Kunstwerke, sondern verbale Visualisierungsstrategien. Untersucht werden die unterschiedlichen Verweismöglichkeiten auf die Gemälde der beiden Künstler. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, welche Aspekte der Gemälde für diese intermedialen Bezugnahmen bevorzugt werden und ob diese stets dieselben sind. Dabei werden zunächst die Besonderheiten, die dem Œuvre der beiden Maler inhärent sind und die eine hohe Verarbeitungsfrequenz begründen, geklärt. Erklärungen, die sich aus den Biografien der beiden Maler ergeben, finden nur geringe Berücksichtigung, da eine intermediale Verarbeitung eine Konzentration auf Gemälde voraussetzt. Es sei jedoch erwähnt, dass man von den Lebensumständen Vermeers sehr wenig weiß und seine Biografie daher ein großes Füllpotential bietet, dem sich die Autoren literarischer Werke auch gerne angenommen haben. Im Gegensatz dazu gibt das Leben Caravaggios, das besonders drama-

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tisch verlief und von Mord und Verfolgungen geprägt war besondere Anreize zur literarischen Produktion. Die künstlerischen Charakteristika der Gemälde von Jan Vermeer und Michelangelo Merisi da Caravaggio werden mit unterschiedlichen Möglichkeiten der Bezugnahmen für die literarischen Texte funktionalisiert. Kennzeichnend für diese Bild-Text-Konstellation ist eine zu überwindende mediale Differenz der beteiligten Medien. Die Erzähltexte nehmen mit ihren eigenen medienspezifischen Mitteln Bezug auf das Referenzmedium der Malerei. Die vorliegende Arbeit widmet sich daher einer besonderen Form des Phänomens der intermedialen Bezüge. Mit dem Begriff des intermedialen Gemäldezitats werden die Verweise auf reale oder fiktive Gemälde von Vermeer oder Caravaggio benannt und analysiert. Anhand ausgewählter Erzähltexte zu den beiden Malern werden die unterschiedlichen Möglichkeiten des intermedialen Gemäldezitats erarbeitet und veranschaulicht. Die wichtigsten Texte seien zunächst kurz vorgestellt. Der als historischer Roman zu klassifizierende Text Girl with a Pearl Earring von Tracy Chevalier erzählt die erfundene Entstehungsgeschichte des berühmten titelgebenden Gemäldes. Das 17-jährige Mädchen Griet kommt als Dienstmagd in das Haus der Familie Vermeer und wird beauftragt das Atelier des Malers sauber zu halten. Allmählich wird Griet, die über einen instinktiven Sinn für Bildkomposition verfügt, zur Gehilfin des Malers. Aus ihrer Sicht kann der Leser die Genese des im Mittelpunkt der Geschichte stehenden Gemäldes und ihre persönliche künstlerische Entwicklung mitverfolgen. Im Laufe der Handlung entstehen noch weitere Gemälde im Atelier des Malers, wie zum Beispiel Junge Frau mit Perlenhalsband oder Junge Frau mit Wasserkanne am Fenster. Die Schilderungen des künstlerischen Produktionsprozesses stellen eine Möglichkeit des intermedialen Gemäldezitats dar. Eine andere Konstellation, die ebenfalls ein Gemälde in das Zentrum der Handlung rückt, präsentiert Susan Vreeland in ihrem Roman Girl in Hyacinth Blue, der sich als Provenienzgeschichte des gleichnamigen (fiktiven) Gemäldes von Jan Vermeer charakterisieren lässt. In einzelnen Kapiteln werden unabhängig voneinander die Schicksale der Bildbesitzer chronologisch rückwärts bis ins Atelier des Malers verfolgt. In den letzten beiden Kapiteln, die in ähnlicher Weise wie der Roman Chevaliers zur Zeit Vermeers angesiedelt sind, entsteht das Gemälde im Atelier des Künstlers, während das Kunstwerk in den übrigen Kapiteln als materieller Gegenstand isoliert steht. Die Besitzer kommen zu Wort und tragen im Laufe der Jahrhunderte unterschiedliche (meist persönliche) Interpretationen an das Gemälde heran. Das fiktive Gemälde lässt sich dank der Anlehnung an Versatzstücke, die realen Gemälden entnommen wurden, imaginieren. Durch die Besonderheit der stets ähnlichen Sujets von Jan Vermeer wird die

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Schaffung fiktiver Gemälde erleichtert und mittels unterschiedlicher Formen des intermedialen Gemäldezitats in den Text eingebracht. Um ein fiktives Gemälde von Vermeer geht es auch im Roman The Music Lesson von Katharine Weber. Das besondere Interesse gilt dem wissenschaftlichen Blick der Protagonistin, einer Kunsthistorikerin. Die Ich-Erzählerin Patricia ist in einen Erpressungsversuch einer irischen Untergrundorganisation verwickelt und wird mit dem Bild in einem abgelegenen Cottage in Irland zurückgelassen. Durch die Konzentration auf das Gemälde beginnt ein Prozess der Selbstreflexion. Aufgrund der außergewöhnlichen Wirkung des Bildes lässt sich Patricia immer wieder zu persönlichen Deutungen hinreißen, die ihre wissenschaftliche Perspektive auf das Bild durchbrechen. Damit werden unterschiedliche Zugänge zum Bild geboten, die für Visualisierungsstrategien eingesetzt werden, um das Bild in der Vorstellung des Lesers aufzurufen. Während in diesen Romanen vorwiegend ein reales oder fiktives Gemälde im Fokus der Geschichte steht, lassen sich auch Erzähltexte finden, die vermehrt den Maler ins Zentrum des Geschehens rücken und ihn zur Identifikationsfigur werden lassen. In dieser Konstellation werden meist mehrere Werke, denen bedeutungskonstituierende Funktionen im Text zukommen, eingebracht. Diese sind an die Schilderungen einzelner Lebensphasen des Künstlers gebunden und werden in weniger detaillierter Form zitiert. Dennoch können auch diese Rekursvarianten auf stets reale Gemälde Vermeers Möglichkeiten der Gemäldezitation darstellen. Der Roman Luce d’Orange. La strana vita di Jan Vermeer von Paolo Turati präsentiert einzelne Lebensphasen des Malers, wie zum Beispiel eine Italienreise des jungen Jan, legt jedoch das Augenmerk primär auf die geschichtlichen Zusammenhänge jener Zeit. Als Beispiele intermedialer Gemäldezitate sind vor allem jene Passagen entscheidend, in denen Vermeer selbst über seine Werke spricht oder zum Beispiel mit Van Leeuwenhoek über die Anfertigung seines Porträts als Der Geograph diskutiert. Von Vermeers Lehrjahren handelt auch der erste Abschnitt des Textes The Dance of Geometry von Brian Howell. Doch nicht nur der junge Jan lässt den Leser an seiner Entwicklung und der Anfertigung erster Gemälde teilhaben, auch aus dem Secret Journal des Reisenden Balthasar de Monconys erfährt man von dem Maler aus Delft und dessen Malerei. Der dritte Abschnitt des Buches lässt einen Fälscher zu Wort kommen, der in akribischen Details eine Anleitung zur Herstellung des Gemäldes Musikstunde gibt. Auch aus dieser Perspektive werden Gemäldezitate über den Prozess der Bildentstehung eingebracht. Anhand der Schilderung von Arbeitsschritten, die ein Restaurator an einem Bild vornimmt, kann ein Gemälde ebenfalls in der Vorstellung des Lesers aufgerufen werden;

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dies wird anhand einer Passage aus Matthew Harts The Irish Game. A True Story of Crime and Art ersichtlich. Im Roman Die Malerin des Feuersturms von Alexandra Guggenheim steht die Figur des Malers Vermeer nicht im Zentrum des Geschehens und dennoch werden mittels einzelner Verweise seine Gemälde zum Vergleich mit Werken seiner fiktiven Malerkollegin Sarah herangezogen. Es ist die Geschichte einer jungen Historienmalerin, die gegen die Vorurteile der männlich dominierten Gilde des 17. Jahrhunderts ankämpft und ihren Freund und Kollegen Vermeer um Rat und Hilfe bittet. Im Zuge eines kurzen Exkurses sollen auch zwei Romane interessieren, die sich mit der Biografie des Vermeer-Fälschers Han van Meegeren (La doppia vita di Vermeer von Luigi Guarnieri, I was Vermeer von Frank Wynne) beschäftigen. Es sind jedoch nur zwei Bildbeschreibungen relevant, da van Meegeren nur diese Übungsfälschungen thematisch an Darstellungen von Vermeer anlehnte. Diese Bilder werden im Text auf dieselbe Weise zitiert wie fiktive Vermeers und präsentieren dadurch eine Sonderform des intermedialen Gemäldezitats. Die Erzähltexte, in denen es um Kunstwerke von Michelangelo Merisi da Caravaggio geht weisen eine engere Verbindung von Leben und Werk auf. In der literarischen Produktion der letzten Jahre überwiegen fiktive Biografien und Pseudo-Autobiografien, die sich mehr oder weniger an die historisch überlieferten Fakten und Personen halten und die Gemälde als Spiegel des vermeintlich rebellischen Charakters von Caravaggio verarbeiten. Die Mehrheit der gewählten Texte lässt die Handlung zur Zeit Caravaggios oder zumindest in einem Zeitraum spielen, in dem sich der Berichterstatter an das Leben mit dem Künstler zurückerinnern kann. Auf diese Weise kommt der Entstehung der Gemälde große Bedeutung zu und der Leser wird zur Imaginierung der Bilder samt des situativen Zusammenhangs ihrer Entwicklung angehalten. Im Gegensatz zu den Romanen, die die Kunstwerke Vermeers behandeln, gibt es in den Texten zu Caravaggio keine fiktiven Gemälde. Wie bereits der Titel La fuga, la sosta. Caravaggio a Siracusa des Romans von Pino di Silvestro verrät, geht es in dieser Geschichte nicht um die gesamte Biografie Caravaggios, sondern es werden Ereignisse rund um den Aufenthalt in Syrakus in den Blick genommen. Der Roman beginnt mit der Flucht aus dem Gefängnis von Malta. Entscheidende Momente seines Lebens werden rückblickend in Form von Erinnerungen eingebracht. Im Zentrum des Aufenthalts in Syrakus steht die Anfertigung des Gemäldes Begräbnis der heiligen Lucia. Dieses wird auf unterschiedliche Weise, wie zum Beispiel durch die Schilderung des Produktionsprozesses oder anhand der Kritik der Auftraggeber, vorgestellt. Im Roman Caravaggios Flucht von Atle Næss geben fiktive Protokolle von Zeit-

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zeugen Auskunft über das Wesen und Arbeiten des Malers. Innocenzo Promontorio, ein enger Freund Caravaggios, aber auch Kollegen und Freunde berichten nicht nur von Saufgelagen und Frauengeschichten, sondern auch über das Revolutionäre seiner Kunst. Sie verleihen ihrem Erstaunen angesichts der unkonventionellen Darstellungen Ausdruck und setzen die Bilder Caravaggios in Relation zu Werken gleicher Thematik von anderen Malern der Zeit. Aber auch Modelle melden sich zu Wort und beschreiben wie sie für Caravaggio im Atelier Modell standen. Auf ähnliche Weise ist der Roman La notte dell’angelo von Luca Desiato konzipiert. Auch hier tritt ein Wegbegleiter Caravaggios auf, der sich an sein Leben an der Seite des Malers erinnert. Er beschreibt Modelle genauso wie die Arbeitsweise Caravaggios und gibt zum Beispiel die Reaktionen der Auftraggeber wieder. Durch diese unterschiedlichen Aspekte, die allesamt die Gemälde betreffen, können die jeweiligen Bilder in der Vorstellung des Lesers aufgerufen werden. Peter Dempf erzählt in Das Vermächtnis des Caravaggio die spektakuläre Lebensgeschichte des Malers, der über Jahre hinweg von Nerina begleitet wird. Während der Flucht nach Malta wird Nerina klar, dass es in der Vergangenheit Caravaggios einen schrecklichen Vorfall gegeben haben muss, da ihnen zwei Feinde nach dem Leben trachten. Das Rätsel um die Vergangenheit und die Zusammenhänge der Figurenkonstellation verpackt Caravaggio in die Darstellung eines Gemäldes. Um die Nachwelt auf seinen potentiellen Mörder aufmerksam zu machen, fügt er dessen Gestalt in das Bild Haupt des Johannes ein. Vorwiegend kommentiert Nerina die Arbeitsschritte an diesem Bild. Sie versucht anhand der den Bildfiguren zugeordneten Charaktere das Rätsel um die Vergangenheit Caravaggios zu lösen. Caravaggio als Prototyp des homosexuellen Künstlers lässt Dominique Fernandez in La corsa all’abisso auftreten. Abgesehen von vielen Bildern, in denen der Maler in dieser Pseudo-Autobiografie seine Leidenschaft eindeutig offenbart, wird vor allem die autobiografische Dimension des Gemäldes David mit dem Kopf des Goliath, das Caravaggio im Laufe der Geschichte angesichts neuer Lebenslagen mehrfach modifiziert, interessieren. Abgesehen von der überwiegenden Mehrheit der Texte, die die Handlung zur Zeit des Künstlers ansiedeln, gibt es (wenn auch in bedeutend geringerem Ausmaß) auch Romane, die den Plot in die jüngere Zeit setzen und sich rückblickend mit Caravaggios Œuvre beschäftigen. Die aktuelle Debatte der Zuschreibung von Original und Kopie greift zum Beispiel Jonathan Harr in seinem Roman The Lost Painting. The Quest for a Caravaggio Masterpiece auf. Der Bericht von geführten Interviews mit den auftretenden realen Kunsthistorikern verpackt die Su-

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che nach einem verschollenen Gemälde von Caravaggio in eine spannende Detektivgeschichte. Für die Funktionsweisen der intermedialen Gemäldezitate wird vor allem die Präsentation der zu Beginn des Romans vorgestellten Versionen des Bildes Johannes der Täufer interessieren. Zentral für die Analysen der vorliegenden Arbeit ist auch der im Rahmen der Ausstellung Caravaggio. Auf den Spuren eines Genies (Düsseldorf 2006/2007) entstandene Kurzgeschichtenband Maler Mörder Mythos. Geschichten zu Caravaggio. In Das weiße Hemd der Hure von Ingrid Noll schildert die Prostituierte Fillide den Lebens- und Arbeitsstil Caravaggios und beschreibt ihre Tätigkeit als Modell im Atelier. In der von Leben und Werk Caravaggios inspirierten Kurzgeschichte Amor vincit omnia von Gerhard Falkner meldet sich der Maler selbst zu Wort und versucht einem über seine Malkunst erzürnten Mann der Kutte seine Gemäldekonzeptionen zu erklären. Nino Filastò wählt für Fluch der Geschichte einige signifikante Werke Caravaggios, wie zum Beispiel Die büßende Maria Magdalena, Die heilige Katharina von Alexandria oder Tod der Jungfrau Maria, und beschreibt diese in Hinblick auf Caravaggios Leben und die Umstände der damaligen Zeit. Arnold Stadler konzentriert sich in Salvatore lediglich auf Caravaggios Die Berufung des heiligen Matthäus in San Luigi dei Francesi und liefert unterschiedliche Herangehensweisen und Interpretationen für das Bild. Anhand fiktiver Tagebuchseiten Caravaggios lassen sich in der Kurzgeschichte Die schwarze Sonne von Andrea Camilleri, die er in der Folge zum Roman Il colore del sole ausbaute, die letzten Lebensmonate des Malers nachvollziehen und geben Einblick in die Theorie seiner besonderen Helldunkelmalerei. Diese ausgewählten Erzähltexte sind für den Analyseteil heranzuziehen, um die unterschiedlichen Möglichkeiten der intermedialen Gemäldezitate zu veranschaulichen. Es wird der Frage nachgegangen, ob die Gemälde eine grundlegende Verarbeitungsmethode vorgeben, um eine bildmedial bedingte Illusionsbildung zu erwecken und inwieweit diese Aspekte in der Betrachtung der Kunstwerke zweier konträrer Maler divergieren. Das intermediale Gemäldezitat, das Rekurse auf reale oder fiktive Gemälde in literarischen Texten benennt, ist nicht nur als Beitrag zur Intermedialitätsforschung zu verstehen, sondern ist Teil der allgemeinen Debatte um Bild-TextRelationen. Die Wechselbeziehung von Bild und Text ist keineswegs erst seit der Etablierung des Intermedialitätsbegriffs von Bedeutung. Es wird sich in einem historischen Überblick zeigen, dass Literatur und bildende Kunst bereits seit der Antike in Relation zueinander stehen. Im Anschluss werden die theoretischen Grundlagen des intermedialen Gemäldezitats erarbeitet. Da sich nicht nur die Intermedialitätsforschung mit dem Phänomenbereich Bild und Text auseinandersetzt, werden auch theoretische und methodologische Ansätze zur Inter-

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textualität oder Ekphrasis herangezogen und die relevanten Theorien und Forschungsaspekte gegliedert vorgestellt. Den Anfang machen 1) systematische Arbeiten zur Intermedialität, denen Beiträge, die sich 2) mit Bild und Text im Rahmen der Intermedialitätsforschung beschäftigen, folgen. Diskutiert werden 3) Untersuchungen, die sich durch spezifische Fragestellungen in die Nähe des intermedialen Forschungsinteresses begeben, jedoch ohne den Begriff Intermedialität anzuführen, 4) Arbeiten, die sich der Bild-Text-Relation aus dem Blickwinkel der Intertextualität nähern und 5) solche, die sich mit Formen bildlicher Zitate auseinandersetzen. Um die theoretische Grundlage des Begriffs zu komplettieren, soll auf einen erweiterten Zitatbegriff sowie auf intermediale zitative Verfahrensweisen Bezug genommen werden. Beschäftigten sich Forschungsarbeiten der letzten Jahre vorwiegend mit dem Akt des Zitierens im intertextuellen Kontext, so zeigen sich auch bereits Versuche einen erweiterten Zitatbegriff zu etablieren, der für diverse intermediale Zusammenhänge eine zusätzliche Beschreibungskategorie bilden kann. Das Zitat im intermedialen Kontext verlangt nach der Abkehr vom Kriterium der identisch reproduzierbaren Elemente und richtet die Konzentration auf die Verweisfunktion. Als Ergebnis des Forschungsüberblicks und als Abschluss der theoretischen Grundlegungen ermöglicht es der neu gewonnene Terminus die bereits vorhandenen Einzelbegriffe, wie zum Beispiel Formzitat oder „associative quotation“, zu einem Begriff des intermedialen Zitats zusammenzufügen und mit den Möglichkeiten und Funktionen intermedialer Bezüge zu kombinieren. Entscheidend ist, dass durch die Bezugnahmen, die in unterschiedlichen Formen (evozierende, simulierende Systemerwähnung, „associative quotation“, Formzitate, usw.) eingebracht werden, beim Rezipienten eine Illusion des Bildmedialen („Als ob“Gemälde) analog zur Malereierfahrung bewirkt wird. Im Anschluss an das entwickelte Analyseinstrumentarium rückt der kunsthistorische Aspekt ins Zentrum und die Auseinandersetzung mit der Frage nach der Begründung der regen intermedialen Verarbeitung der vermeerschen und caravaggesken Bilder in den Texten wird vorgenommen. Die Aufarbeitung des aktuellen Forschungsstandes bildet die Grundlage zur Beschreibung eines spezifischen Bildprogramms der beiden Maler. Aus der Summe des vorwiegend auf Einzelwerkanalysen beruhenden Forschungsmaterials wird ein einheitliches Bildkonzept herausgearbeitet, das durch die Berücksichtigung derjenigen bildkompositorischen Besonderheiten, auf die die Texte rekurrieren, aufgebaut wird. Als Charakteristikum der Bildwerke von Jan Vermeer lässt sich eine eigentümliche Bildwirkung festlegen, die sich anhand des kennzeichnenden Aspekts des vermeerschen Lichts begründen lässt. In fast allen seinen Interieurszenen

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fällt das Licht von der linken Seite ein und trifft regelmäßig auf alles sich im Raum Befindende. Bei Vermeer ist das Licht nicht Hilfsmittel zur optimalen Beleuchtung von Figuren und Gegenständen, sondern es ist, verstärkt durch die Technik der Lichtpunktsetzung, die für eine Verwendung der Camera obscura spricht, Handlungsträger und Medium der Sichtbarkeit. Daraus ergibt sich eine Ruhe verströmende und Sinne anregende Bildstimmung, die durch weitere Charakteristika der Bildkonzeption, wie zum Beispiel der Wiederholung der Grundmotive und des Prinzips der Uneindeutigkeit, ergänzt werden und sich somit für unterschiedliche intermediale Verarbeitungsmöglichkeiten besonders geeignet erweisen. Denn die inhaltliche Offenheit, die nachträgliche Reduktion von Bildgegenständen, die zurückgenommene Narration, die tendenzielle Formauflösung und die unklare Bedeutung bildimmanenter Elemente formulieren zusammen mit dem kennzeichnenden Lichtaspekt die Strategie der Uneindeutigkeit, auf die die intermedialen Gemäldezitate in den Texten Rekurs nehmen. Das Potential zur intermedialen Verarbeitung der Gemälde von Michelangelo Merisi da Caravaggio liegt in der Besonderheit, die sich als das Unkonventionelle bezeichnen lässt. Inhaltliche und formale Kriterien werden unter diesem Begriff subsumierbar und ergeben ein einheitliches Konzept. Dieses caravaggeske Programm des Unkonventionellen, das sich vorwiegend gegen die Stilisiertheit des Manierismus wandte, lässt sich zusammenfassen als Kombination aus einer Neubehandlung von gängigen Bildsujets, die von Dramatik, Gewalt und Direktheit geprägt sind und dem Anspruch auf Alltagsbezug. Als unkonventionell und innovativ kann auch das spezifische „chiaroscuro“ (das unverwechselbare Helldunkel seiner Malerei) gewertet werden und die der inhaltlichen Bildaussage angepasste Farbgebung, auf die besonders simulierende Rekurse erfolgen. Aufbauend auf die Resultate der kunsthistorischen Fragestellung und die fundierte Begriffsdefinition des intermedialen Gemäldezitats werden in der Folge die ausgewählten Erzähltexte analysiert. Die synchron angelegte Analyse gliedert sich in zwei Hauptbereiche. Den Gemälden von Jan Vermeer und Michelangelo Merisi da Caravaggio wird jeweils ein gesonderter Abschnitt gewidmet. Innerhalb dieser Gliederung wird nach denselben Gesichtspunkten untersucht. Die Analysen zu den intermedialen Gemäldezitaten teilen sich in drei Bereiche. Der erste Abschnitt beschäftigt sich mit den Möglichkeiten und Funktionen der intermedialen Gemäldezitate in Hinblick auf die Bildwerke allgemein. In einem zweiten Teil wird nach Zitaten in Verbindung mit einem vermittelten Entstehungsprozess der Gemälde gefragt, bevor es im dritten Abschnitt um die Frage nach intermedialen Gemäldezitaten in Bezug auf Rezeption geht.

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Es soll gezeigt werden, dass bestimmte inhaltliche und/oder formale Bilddetails (abhängig von der Bildkomposition der beiden Maler) zur intermedialen Zitation herangezogen werden. Diese Aspekte werden stets mithilfe von Gemäldezitaten (simulierende, evozierende Zitate etc.) verarbeitet, um durch sprachlich herbeigeführte Rezeptionslenkung in der Vorstellung des Lesers das jeweilige Bild aufzurufen.

Historische Entwicklung der Bild-Text-Relation

Das vielschichtige Verhältnis von künstlerischem Bild und Text kann auf eine lange Tradition zurückblicken. Neben ersten Bildbeschreibungen, wie zum Beispiel die des Achilles-Schildes durch Homer in seiner Ilias, sind es vor allem die seit der Antike begründeten theoretischen Schriften zur Beziehung zwischen Wort und Bild, die grundlegende Reflexionen zu diesem Verhältnis liefern. Im Mittelpunkt dieser Abhandlungen stehen zum einen Fragen der Hierarchie der Künste und zum anderen Überlegungen zu Interdependenzen und Affinitäten. Zwar hatte sich in der Antike der Kunstbegriff noch nicht etabliert, so existierten jedoch mit Bezeichnungen wie „technƝ“ und „ars“ Entsprechungen für diesen. Unter diesen Bezeichnungen subsumierten sich unterschiedlichste Disziplinen, wobei die bildende Kunst im Bereich des Handwerks anzuführen wäre, da sie nicht zu den „artes liberales“ gezählt wurde. Weiters waren Malerei, Bildhauerei und Architektur durch keine der antiken Musen vertreten und es fehlten eigens ihnen gewidmete Traktate. Dennoch wurde dargelegt, dass es bereits in der Antike eine Verbindung von Poesie und bildender Kunst gab, die durch Kommentare und Verweise belegbar ist.1 Erste Reflexionen über das Verhältnis der Künste werden bereits Aristoteles zugeschrieben. Er übernimmt in seiner Poetik den Begriff der Mimesis von Platon. Zu den mimetischen Künsten zählen außer der Dichtung der Tanz, die Bild1

Zur Geschichte des Verhältnisses von Wort- und Bildkunst vgl. Ulrich Weisstein: „Einleitung. Literatur und bildende Kunst: Geschichte, Systematik, Methoden“, in: Ulrich Weisstein (Hg.), Literatur und Bildende Kunst. Ein Handbuch zur Theorie und Praxis eines komparatistischen Grenzgebietes. Berlin 1992, 11-20. Einen Kurzüberblick bietet auch der Artikel von Gustav Bebermeyer: „Literatur und bildende Kunst“, in: Werner Kohlschmidt; Wolfgang Mohr (Hg.), Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte. Bd. 2: L-O, Berlin 1965, 82-103.

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hauerei und die Malerei. Platon warf den Malern vor Trugbilder von Abbildern herzustellen, genauso wie dies Dichter mit ihrer Dichtkunst tun und „beider Ergebnisse sind im höchsten Maße unvollkommen und scheinhaft.“2 Aristoteles formt den Begriff der Mimesis von dem platonischen Spezifikum handwerklichen Herstellens in einen des künstlerischen Produzierens um. Gegenstand der Nachahmung ist für Aristoteles der handelnde Mensch. Nachgeahmt werden kann historisch Wahres oder Wahrscheinliches. Aristoteles setzt den Dichter (als Nachahmer) an mehreren Stellen seiner Poetik in Korrelation zum bildenden Künstler, im Besonderen zum Maler. „Da der Dichter ein Nachahmer ist, wie ein Maler oder ein anderer bildender Künstler, muss er von drei Nachahmungsweisen, die es gibt, stets eine befolgen: er stellt die Dinge entweder dar, wie sie waren oder sind, oder so, wie man sagt, daß sie seien, und wie sie zu 3

sein scheinen, oder so, wie sie sein sollten.“

In Zusammenhang mit den Tragödiendichtern verweist Aristoteles erneut auf die Malerei, indem er dazu aufruft, ebenso gut wie die „guten Porträtmaler“ zu verfahren. „Denn auch diese geben die individuellen Züge wieder und bilden sie ähnlich und zugleich schöner ab.“4 Auf Basis der Mimesis ging man davon aus, dass Künste, die sich durch Worte oder Bilder konstituieren, ähnliche Funktionen innehaben. Einen weiteren festen Bezugspunkt in der Diskussion um die Künste bildet das Diktum des Lyrikers Simonides von Keos aus dem 6. Jahrhundert v.Chr., demzufolge „die Malerei eine stumme Poesie, und die Poesie eine redende Malerei sei“5. Dieser Ausspruch wirkte in Plutarchs Moralia fort und prägte, wie auch die Horaz’sche Formel „ut pictura poesis“, bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts die ästhetische Reflexion.6 Maßgebend für die Postulierung der Verwandtschaft

2

Manfred Fuhrmann: „Nachwort“, in: Aristoteles, Poetik. Griech.-dt., hg. u. übers. v.

3

Aristoteles: Poetik, 85.

Manfred Fuhrmann, Stuttgart 1982, 157. 4

Ebda. 49.

5

Oliver Robert Scholz: „Bild“, in: Karlheinz Barck; Martin Fontius; Dieter Schlenstedt u.a. (Hg.), Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden. Bd. 1, Stuttgart 2000, 618-669, 628. Vgl. auch Gotthold Ephraim Lessing: Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Poesie. Stuttgart 1964, 4.

6

Vgl. Jürgen E. Müller: „Intermedialität als poetologisches und medientheoretisches Konzept. Einige Reflexionen zu dessen Geschichte“, in: Jörg Helbig (Hg.), Interme-

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von bildenden und redenden Künsten waren, außer dem bekannten programmatischen Satz, noch weitere Auffassungen aus der Ars Poetica des Horaz, wie zum Beispiel „und doch hatten Maler und Dichter seit je gleiche Freiheit, zu wagen, was sie nur wollen“7. Gedeutet wurde dies als Einforderung derselben Phantasiefreiheit von Malern und Dichtern, die in ihren Darstellungen über die Wirklichkeit hinausgehen und fiktive Gestalten schaffen dürfen.8 Der zum bild- und dichtungstheoretischen Topos gewordene Programmsatz „ut pictura poesis“ bezeichnet jedoch eine deutlich schwächere Analogie, als die durch Jahrhunderte geführte Debatte glauben machen wollte. „Eine Dichtung ist wie ein Gemälde: es gibt solche, die dich, wenn du näher stehst, mehr fesseln, und solche, wenn du weiter entfernt stehst; dieses liebt das Dunkel, dies will bei Lichte beschaut sein und fürchtet nicht den Scharfsinn des Richters; dieses hat einmal ge9

fallen, doch dieses wird, noch zehnmal betrachtet, gefallen.“

Es zeigt sich im ursprünglichen Zusammenhang eine deutliche Einschränkung der in der Folge tradierten rücksichtslosen Identifizierung von Dichtung und bildender Kunst. Erwähnenswert sind außer Aristoteles, Simonides und Horaz noch andere Theoretiker, die sich meist nur in beiläufigen Bemerkungen zum Verhältnis von Wort und Bild geäußert haben; so zum Beispiel Lukian, nach dem Homer „der beste der Maler“10 gewesen sei. Ob die Popularität dieser Äußerungen tatsächlich als Beweis für ein seit der Antike vorherrschendes Problembewusstsein für das Bild-Text-Verhältnis gewertet werden kann, ist fraglich. Der antiken Situation nicht unähnlich dürfte sich die Lage im Mittelalter verhalten haben. Explizite Stellungnahmen fehlen, doch von theologischer Seite wurde die Malerei, die noch stets als Handwerk galt, eher zwiespältig betrachtet.11 Feststeht, dass sich aus motivgeschichtlicher Sicht Bild- und Dichtkunst schon früh wechselseitig bereicherten. Im Mittelalter griffen beide auf den religiösen Fundus zurück; Bibel, Liturgie und christliche Legende bildeten die Grundlage für symbolisch-allegorische Ausdeutungen in der Kunst wie auch in

dialität. Theorie und Praxis eines interdisziplinären Forschungsgebiets. Berlin 1998, 31-40, 33. 7

Horaz: Ars Poetica. Lat.-dt., übers. v. Eckart Schäfer, Stuttgart 1972, 5.

8

Vgl. Oliver Robert Scholz: „Bild“, 628.

9

Horaz: Ars Poetica, 27.

10 Zitiert nach Oliver Robert Scholz: „Bild“, 629. 11 Vgl. Ulrich Weisstein: „Einleitung“, 13.

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der Literatur. Beiderseitiges Interesse zeigte sich auch an den Motiven der Tierfabeln, an ritterlichen und volkstümlich-satirischen Themen, aber auch an der Mystik.12 Besonders Miniaturmalereien und Illustrationen schmückten die Handschriften des Mittelalters, die zunächst Angelegenheit der Schreiber waren bis sich eigens dafür qualifizierte Spezialisten ausbildeten, die die Deckmalereien oder die farbig ausgefüllten Federzeichnungen als Bildschmuck den Texten beifügten. Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang auch die Studie von Horst Wenzel, der die Synonymisierung der mittelhochdeutschen Begriffe „schrîben“ und „mâlen“ anhand der handwerklichen Nähe der Künste erklärt.13 Doch nicht nur im Deutschen standen die Termini des Schreibens und des Malens in Relation, auch „Feder (ital. penna) und Pinsel (ital. pennello) liegen lange in demselben Werkzeugkasten“14 und das griechische graphein bedeutet neben „ritzen“ und „malen“ auch „schreiben“, genauso wie das lateinische scribere auch „Linien ziehen“, „zeichnen“ und „malen“ heißen konnte.15 Horst Wenzel führt diese Nähe auf eine identische oder zumindest ähnliche Funktion von Schrift und Bild zurück. Eine grundlegende Wertänderung erfuhren die Künste zur Zeit der italienischen Renaissance. Die Höherstellung der bildenden Kunst ging mit der Emanzipation der Künstler einher, die aus den Handwerkszünften austraten und mit der Gründung von Akademien begannen. Belege dieses Umdenkens sind auch die in dieser Zeit entstandenen Künstlerbiografien sowie die ersten bedeutsamen Malereitraktate von zum Beispiel Cennino Cennini oder Leon Battista Alberti. Mit den Schriften Leonardo da Vincis wurde eine neue, klare Position im „paragone“, der als Gegentopos zur Plädierung der „Verwandtschaft der Künste“ entstanden war, bezogen. Postulierten seine Vorgänger die Gleichberechtigung von Dichtung und Malerei, so setzte sich Leonardo für die Eigenständigkeit und Überlegenheit der Malerei gegenüber der Musik, der Bildhauerei wie auch gegenüber der Dichtung ein. Er war der Meinung, dass sich die Malerei (im Gegensatz zur Dichtung) dadurch auszeichnet, gleichzeitig Gegebenes auch simultan darstellen zu können, während Dichter die Dinge lediglich nacheinander be-

12 Vgl. Gustav Bebermeyer: „Literatur und bildende Kunst“, 88-92. 13 Vgl. Horst Wenzel: „Schrift und Gemeld. Zur Bildhaftigkeit der Literatur und zur Narrativik der Bilder“, in: Klaus Dirscherl (Hg.), Bild und Text im Dialog. Passau 1993, 29-52, 30. 14 Ebda. 31. 15 Vgl. ebda. 32.

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schreiben.16 Auf diese Argumentation wird sich in der Folge auch Gotthold Ephraim Lessing berufen, der der Malerei dieselben Fähigkeiten zuschreibt. Im Zeitalter des Barock beruhigte sich der Rangstreit um die Hierarchisierung der Künste, doch standen bildende Kunst und Literatur weiterhin in engem Konnex, der in der Bezeichnung „Schwesterkünste“17 kulminierte. Charakterisierend für die Barockzeit ist auch die Vorliebe für das architektonische bzw. theatralische Gesamtkunstwerk und die Entstehung der graphisch-literarischen Mischform des Emblems (aus Ikon, Motto und Epigramm bestehend), das Textund Bildelemente miteinander verbindet.18 Bild und Schrift gingen jedoch noch weitere vielfältige Verbindungen ein. Die piktographisch gestalteten Schriften wurden mit ornamentalen Majuskeln geschmückt, im Text inkorporierte Miniaturen und Gemäldeinschriften fanden genauso wie Bild- oder Figurengedichte großen Anklang. In den poetologischen Schriften des Barock wird die Frage des Mit- oder Gegeneinanders der Künste zugunsten der Gleichstellung von Dichtkunst und Malerei entschieden. In dem für diese Gleichberechtigung bedeutenden Werk Poetischer Trichter von Georg Phillip Harsdoerffer ist das „ut pictura poesis“-Prinzip als methodisches Postulat wegweisend. In der Mimesisfrage führt die Malerei als künstlerisches Ideal. Jedoch soll sich auch der Dichter an der Natur orientieren. Im Kapitel „Von den Bildereyen“ wird die Annahme von der Verwandtschaft der Künste deutlich. „Es wird die Poeterey ein redendes Gemähl / das Gemähl aber eine stumme Poeterey genennet / nicht nur wegen der Freyheit dieser verbrüderten und verschwesterten Kunste / in dem wir nach beliebten Einfällen / Reden im Gemähl und Mahlen in der Rede; sondern auch wegen der Bilder welche mit Kunstartiger Zierlichkeit dardurch vorstellig gemacht werden / deßwegen auch die Redner und Poeten sich der Personbildung vielfältig gebrauchen / und deßwegen in nachfolgenden Beschreibungen fast alle zeit die Ausbildung 19

angefüget werden.“

16 Vgl. Wolfgang Ullrich: „Kunst/Künste/System der Künste“, in: Ästhetische Grundbegriffe, Bd. 3, 2001, 556-616, 575. 17 Vgl. ebda. 574. 18 Vgl. Ulrich Weisstein: „Einleitung“, 14. 19 Georg Phillip Harsdoerffer: Poetischer Trichter. Reprografischer Nachdruck der Ausgabe Nürnberg 1648-1653, Darmstadt 1969, dritter Teil, 101, 102. Für eine ausführlichere Behandlung der Poetik Harsdoerffers vgl. Gottfried Willems: Anschaulichkeit. Zu Theorie und Geschichte der Wort-Bild-Beziehungen und des literarischen Darstellungsstils. Tübingen 1989, 241ff.

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Ungefähr 50 Jahre nach der Veröffentlichung von Harsdoerffer erschien die von Johann Jakob Bodmer und Johann Jakob Breitinger gegründete bürgerlich-moralische Zeitschrift Die Discourse der Mahlern, die zum Vergleich und zur Illustration für dichtungstheoretische Überlegungen durchgehend die Malerei anführte. Ihr Desiderat waren poetische Werke, die einerseits eine gelungene Nachahmung der Natur darstellen und andererseits diese Nachahmung auf ausdrucksvolle Weise unter Zuhilfenahme von „Gemälden aus Wörtern“ ausdrücken sollten. Malerei und Poesie konvergieren nach Bodmer, im poetologisch ausgerichteten XX. Discours des ersten Teils der Abhandlung, in der Naturnachahmung. Die Kontiguität der Künste wurde insofern bekräftigt als die Tätigkeit der Dichtkunst als „mahlen“ und die der Malerei als „beschreiben“ bezeichnet wurde. „Die Natur ist in der That die einzige und allgemeine Lehrerin derjenigen / welche recht schreiben / mahlen und ätzen; ihre Professionen treffen darinne genau überein / daß sie sämtlich dieselbe zum Original und Muster ihrer Wercken nehmen / sie studieren / 20

copieren / nachahmen.“

Trotz des gemeinsamen Anliegens der Naturnachahmung divergierten Malerei und Poesie in ihren Verfahrensweisen und in der Auswahl des zur Verfügung stehenden Materials. Nach der Untersuchung der Interferenzen und Unterschiede lässt Bodmer eine Hierarchie der Künste folgen. Die Vorrangstellung wird dem Schriftsteller zugeteilt, da er nicht nur die sichtbaren Objekte erfassen könne, sondern auch „ja was weit mehr ist / die Wercke des Gemüthes und die Gedancken selbst“21. Denn dafür steht der Malerei lediglich die Möglichkeit der Mimikgestaltung der Figuren zur Verfügung. Ab Mitte des 18. Jahrhunderts wurde eine neue Diskussion des Kunstvergleichs initiiert, die eine Differenzierung zwischen Dichtung und Malerei anstrebte. Die Motivation der Diskussion um den Bild-Text-Diskurs änderte sich mit dem Wandel des Kunstbegriffs. Den Wertparameter stellte ab diesem Zeitpunkt nicht mehr die Mimesisfrage, sondern die Kunst wird autonom von Naturmodellen. Den entscheidenden Wendepunkt markierte Gotthold Ephraim Lessing mit dem Versuch einer Grenzziehung zwischen den Künsten, die er mit seinem Werk Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Poesie aus dem

20 Johann Jakob Bodmer; Johann Jakob Breitinger: Die Discourse der Mahlern. Reprografischer Nachdruck der Ausgabe Zürich 1721-1723, vier Teile in einem Band, Hildesheim 1969, U. 21 Ebda. U 2.

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Jahre 1766 propagierte. Lessing reagierte auf die ästhetischen Vorstellungen seiner Zeitgenossen, die noch in der Tradition des „ut pictura poesis“-Dogmas Werke verfassten und den Vergleich der Wort- und Bildkünste einforderten. Explizit nahm Lessing auf Johann Joachim Winckelmann Bezug und konterte gegen dessen Interpretation der Laokoon-Gruppe in Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauer-Kunst (1755).22 Während Winckelmann die Tatsache, dass Laokoon kein schmerzverzerrtes Gesicht aufweist auf edle Selbstbeherrschung zurückführt, behauptet Lessing, dass Laokoon den Schmerz nicht aus Beherrschung unterdrücke, „sondern weil der Anblick seines verzerrten Gesichts dem Gesetz der Schönheit widersprechen würde und damit dem höchsten Imperativ auf dem Gebiet der bildenden Künste; Vergil andererseits habe als Dichter alles Recht, Laokoons Schreie als natürlichen Ausdruck seiner Qual zu beschreiben.“23 Weiters entwertete Lessing die malerischen Beschreibungen in der Poesie, die „poetischen Gemälde“, die seit Johann Jakob Bodmer auch in anderen poetologischen Untersuchungen Behandlung fanden, als „Schilderungssucht“24 und widmete sich eingehend der Systematisierung der Künste. Das bekannte Unterscheidungskriterium, das er zur Trennung von Poesie und bildender Kunst vorschlägt, ist die Relation von Raum und Zeit. „Wenn es wahr ist, daß die Malerei zu ihren Nachahmungen ganz andere Mittel, oder Zeichen gebrauchet, als die Poesie; jene nämlich Figuren und Farben in dem Raume, diese aber artikulierte Töne in der Zeit; wenn unstreitig die Zeichen ein bequemes Verhältnis zu dem Bezeichneten haben müssen: so können nebeneinander geordnete Zeichen auch nur Gegenstände, die nebeneinander, oder deren Teile nebeneinander existieren, aufeinanderfolgende Zeichen aber auch nur Gegenstände ausdrücken, die aufeinander, oder deren 25

Teile aufeinander folgen.“

Somit stellt die Malerei Körper, die Dichtung hingegen Handlungen dar. Doch die Malerei „kann auch Handlungen nachahmen, aber nur andeutungsweise durch Körper“ und umgekehrt „schildert die Poesie auch Körper, aber nur andeutungsweise durch Handlungen“26. Da die Malerei nur einen einzigen Moment der Handlung durch den Körper darstellen kann, muss der Maler „den prägnan-

22 Vgl. Gotthold Ephraim Lessing: Laokoon, 6 ff. 23 Hugh Barr Nisbet: Lessing. Eine Biographie. München 2008, 402. 24 Gotthold Ephraim Lessing: Laokoon, 5. 25 Ebda. 114. 26 Ebda. 114, 115.

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testen wählen, aus welchem das Vorhergehende und Folgende am begreiflichsten wird“27. Jedoch verweist Lessing bereits in der Vorrede auf die Vorrangstellung der Dichtung, indem er von den „engen Schranken der Malerei“ und der „weiten Sphäre der Poesie“28 spricht und weiters darauf hinweist, „daß die Poesie die weitere Kunst ist, daß ihr Schönheiten zu Gebote stehen, welche die Malerei nicht zu erreichen vermag“29. Lessings Ablehnung einer Symbiose der Künste stieß nicht ausschließlich auf bestätigende Zustimmung, denn bereits die Romantiker forderten erneut ein Zusammenwirken der Künste.30 Jedem Medium wurde die Fähigkeit zugeschrieben das andere nicht nur zu komplettieren, sondern auch das Undarstellbare zur Sprache, ins Bild oder eben in ein anderes Medium zu bringen. Das Wechselverhältnis zwischen Literatur und Musik zum Beispiel wurde durch Schopenhauer und Wagner intensiviert, indem sie den Versuch unternahmen die Ausdrucksformen der Musik auf andere Künste anzuwenden. Erwähnt werden kann in diesem Zusammenhang zum Beispiel das Wagner’sche Konzept des Gesamtkunstwerks, das an „die romantische [...] Idee der Maximierung ästhetischer Wirkung auf den Rezipienten durch mediale Grenzüberschreitungen und durch die Konstitution neuer medialer Formen“31 anknüpfte. Mit dem Durchbruch des Impressionismus traten erneut die bildenden Künste in engen Kontakt mit der Literatur. Nicht nur der aus der französischen Malerei stammende Name wurde übernommen (wie auch andere Kunststilbezeichnungen, zum Beispiel Expressionismus, die als Periodisierungsschema in die Literaturwissenschaft aufgenommen wurden), man postulierte auch die den Impressionismus bestimmende exakte Wahl des unverwechselbaren Augenblicks, des subjektiven Eindrucks. Der Wunsch nach Wiedergabe und Festhalten eines momentanen Eindruckes ging mit der Erfindung und Etablierung der Fotografie einher, an der sich auch die Literaten zu orientieren begannen und das Flüchtige des Augenblicks vorwiegend in kurzen literarischen Formen (zum Beispiel Lyrik) zum Ausdruck brachten. Innerhalb der literarischen und künstlerischen Entwicklung des 20. Jahrhunderts sind zahlreiche wechselseitige Durchdringungen von Literatur und bildender Kunst zu beobachten. Im Kubismus, Futurismus, Dadaismus und der abs-

27 Ebda. 115. 28 Ebda. 4, 5. 29 Ebda. 73. 30 Vgl. Jürgen E. Müller: „Intermedialität als poetologisches und medientheoretisches Konzept“, 34. 31 Ebda. 35.

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trakten Kunst liegen die Grundlagen für eine neue Formulierung der Grenzen zwischen Schriftlichem und Visuellem. Pablo Picasso, George Braque, die Protagonisten des Kubismus begannen um etwa 1911 mit der Sprachintegration in ihren Werken; es wurden Buchstaben, Schriftfragmente und Zeitungsausschnitte in die Bilder gemalt oder eingeklebt.32 Einen „literarischen Kubismus“ versuchten unter anderen Max Jacob, Gertrud Stein und Guillaume Apollinaire, der die moderne visuelle Poesie mit seinen Calligrammes (1913-1916) auf eine neue Ebene führte und „das Figurengedicht aus dem Korsett des traditionellen horizontalen Vers- und Zeilenspiegels befreite und in der Motivik auf ein breites Repertoire von Phänomenen der modernen Welt zurückgriff“33. Ins Zentrum rückte das Interesse um die Beschäftigung mit dem künstlerischen Kubismusbegriff und dessen Techniken. „Die Prinzipien der Abstraktion, der Montage, der Multiperspektivität, der Einfügung von Fremdmaterial waren übertragbar auf die Literatur. Ebenso die Vorstellung vom Kunst34

werk als neuer, künstlerischer Einheit, die dennoch Realitätsbezüge herstellen konnte.“

Noch strikter verhielt es sich mit dem Futurismus. Dieser strebte nach einer allgemeingültigen Erneuerung der Künste, die alle Bereiche der künstlerischen Tätigkeit umfassen und „zur programmatischen Verwischung der Gattungsgrenzen und zur Ausbildung von Gesamtkunstformen“35 führen sollte. Obwohl es sich ursprünglich bei der Begründung des Futurismus um eine dezidiert literarische Erneuerung handelte, wurde diese bald auch von Künstlern anderer Kunstsparten aufgenommen und weiterentwickelt. Neben einer von Carlo Carrà, Gino Severini, Umberto Boccioni, Luigi Russolo u.a. gegründeten futuristischen Malerei etablierte sich auch eine futuristische Musik, eine futuristische Architektur, ein futuristisches Theater und man bemühte sich um einen futuristischen Film. Den Grundstein für diese Entwicklungen legte Filippo Tommaso Marinetti mit seinem 1912 erschienenen Manifesto tecnico della letteratura futurista und dem wenig später veröffentlichten mehrteiligen Manifest Distruzione della sintassi.

32 Vgl. Wolfgang Max Faust: Bilder werden Worte. Zum Verhältnis von bildender Kunst und Literatur im 20. Jahrhundert oder Vom Anfang der Kunst im Ende der Künste. München/Wien 1977, 47 ff. 33 Ulrich Ernst: „Die Entwicklung der optischen Poesie in Antike, Mittelalter und Neuzeit“, in: Ulrich Weisstein (Hg.), Literatur und Bildende Kunst, 138-151, 146. 34 Wolfgang Max Faust: Bilder werden Worte, 61. 35 Ebda. 85.

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Immaginazione senza fili. Parole in libertà.36 Diese Manifeste formten den entscheidendsten Beitrag, den der Futurismus in die Entwicklung der modernen Literatur einbrachte. Marinetti propagierte eine Zerstörung der Syntax, eine Aufhebung der Deklinationen und Konjugationen sowie die Abschaffung der Zeichensetzung, um die Sprache von ihren Zwängen zu befreien. Außerdem postulierte er die Abkehr von der traditionellen Von-links-nach-rechts-Abfolge des Textes und begann Wörter, musikalische und mathematische Zeichen, Laute, Bildelemente usw. auf der Fläche zu verteilen.37 Aufgrund des Montageprinzips und des genreüberschreitenden Aspekts konnten die „parole in libertá“ aus dem literarischen Umfeld gelöst und in andere Kunstgattungen übertragen werden, wie es sich zum Beispiel anhand der Sprachintegration in futuristischen Bildern zeigt. Auch der Dadaismus beschleunigte die Vermengung der Künste, indem immer wieder neue Möglichkeiten und Varianten gefunden wurden, die Bild und Schrift miteinander verknüpften. Zudem standen sich Kunst- und Literaturbetrieb auch deshalb nahe, da die wichtigsten Schriften des Dadaismus sich auf beide Bereiche bezogen. Mit dieser Entwicklung ging auch die Formierung der Doppel- und Mehrfachbegabungen der Künstler einher, die (besonders im Expressionismus) keine Ausnahmeerscheinungen waren; wie zum Beispiel Wassily Kandinsky, Paul Klee, Oskar Kokoschka, Arnold Schönberg.38 Ein entscheidender Beitrag zur Debatte um das Verhältnis der Künste ist seit dem ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts unter dem Schlagwort der „wechselseitigen Erhellung der Künste“ bekannt. Man untersuchte, ob die Grundbegriffe der Analyse von Werken der bildenden Kunst auf die Literatur oder die Musik übertragbar sind. Oskar Walzel ging mit seiner Schrift Wechselseitige Erhellung der Künste. Ein Beitrag zur Würdigung kunstgeschichtlicher Begriffe (1917) dieser Frage nach, indem er verlautbarte „ich rufe nach einer Erhellung der Betrachtung von Poesie durch die Betrachtung der bildenden Kunst“39 und sich auf

36 Vgl. auch Christa Baumgarth: Geschichte des Futurismus. Reinbek 1966, 139 ff. 37 Vgl. Wolfgang Max Faust: Bilder werden Worte, 96 ff. Vgl. auch Reinhard Döhl: „Poesie zum Ansehen, Bilder zum Lesen?: Notwendiger Vorbericht und Hinweise zum Problem der Mischformen im 20. Jahrhundert“, in: Ulrich Weisstein (Hg.), Literatur und Bildende Kunst, 158-172, 162 ff. 38 Vgl. Henry I. Schvey: „Doppelbegabte Künstler als Seher: Oskar Kokoschka, D.H. Lawrence und William Blake“, in: Ulrich Weisstein (Hg.), Literatur und Bildende Kunst, 73-85. 39 Oskar Walzel: Wechselseitige Erhellung der Künste. Ein Beitrag zur Würdigung kunstgeschichtlicher Begriffe. Berlin 1917, 41.

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die Suche nach „genauere[n] Begriffe[n] für die Umschreibung dichterischer Gestaltungsmöglichkeiten“40 begab. Für seine Untersuchung zog Walzel das von Heinrich Wölfflin zwei Jahre zuvor veröffentlichte Werk Kunstgeschichtliche Grundbegriffe heran und legte die fünf kategorischen Begriffspaare (Lineares/Malerisches, Flächenhaftes/Tiefenhaftes, geschlossene/offene Form oder Tektonik/Atektonik, Vielheit/Einheit, absolute/relative Klarheit des Gegenständlichen)41 auf die Literatur um. Wurden weitere Schriften in Walzels Anschluss meist als zu beharrlich verknüpfungssuchend bewertet, so lohnt jedoch der Blick auf die Entwicklung ab Mitte der 50er Jahre, denn ab diesem Zeitpunkt kommt es zur Etablierung der Frage innerhalb der akademischen Forschung. In den USA als „interart studies“ oder „comparative art studies“ geführt, setzte sich im deutschsprachigen Raum vorwiegend die Benennung „Komparatistik“ durch.42 Im Sinne der „wechselseitigen Erhellung der Künste“ beschäftigte man sich jedoch vorrangig mit den traditionellen Wechselbeziehungen von Literatur, bildender Kunst und Musik. Seit jüngerer Zeit wird mit dem Terminus der Intermedialität die Beziehung zwischen Wortkunst und Bildkunst in einem einheitlichen Konzept zusammengefasst. Zögernd, da man sich sorgte dem in den 90er Jahren durch das Interesse und die Etablierung der Relation von Literatur zu den technischen und elektronischen Medien entstandenen „Modewort“ der Intermedialität und dem damit verbundenen Hype zum Opfer zu fallen. Mittlerweile ist man durchgehend von den Vorzügen des Intermedialitätsterminus überzeugt; „denn ‚Intermedialität‘ vermag potentiell Relationen zwischen allen medialen Ausdrucksformen [...] zu subsumieren und bleibt somit terminologisch wie konzeptuell nicht auf die sog. ‚Hohen Künste‘, ebenso wenig aber auf die sog. ‚Neuen Medien‘ beschränkt“43 (Herv. i.O.). Die Entwicklung und Forschungslage des Intermedialitätsbegriffs wird an anderer Stelle genau zu erklären sein. Es sei vorweggenommen, dass sich das Forschungsgebiet der Intermedialität kontinuierlich weiterentwickelt, das wissenschaftliche Interesse verschiedener Forschungsbereiche der Literatur-, Medien- und Kunstwissenschaft beständig wächst und neue Facetten zu beleuchten versucht. Theorie und Praxis standen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in einem intensiven Austausch und forderten ein offenes Verhältnis von Bild und Text. Das traditionell vorherrschende Kunstverständnis gemessen an Eigenhän-

40 Ebda. 42. 41 Ebda. 30. 42 Vgl. Irina O. Rajewsky: Intermedialität. Tübingen 2002, 8. 43 Ebda. 10.

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digkeit, Originalitätsbegriff und handwerklichem Können wurde pluralistisch aufgebrochen, denn seit etwa 1940 geht es um eine Erweiterung des Kunstbegriffs und die damit verbundenen neuen Verfahrensweisen in der Herstellung von künstlerischen Arbeiten. Ein dabei stets wiederkehrender Name ist zum Beispiel jener von Marcel Duchamp, ohne den die Kunst der zweiten Jahrhunderthälfte nicht denkbar ist. Auch die Künstler der Konzeptkunst bezogen sich in folgenden Aspekten auf sein Schaffen; „Reduktion des Werkes auf die Idee und das Spiel mit Sprach- und Bildwitz, die Infragestellung des Kunstobjekts und seines Vermittlungskontextes“44. Im Rahmen des Verhältnisses von Bild und Text sind beispielhaft jene Vertreter der Konzeptkunst zu erwähnen, die sich als Art & Language Group formierten und die sich für eine Verlagerung von Kunst auf theoretische, sprachliche Arbeiten einsetzten. Das offene Verhältnis von Bild und Text spiegelt sich in den verschiedenen Gattungen bis in die Gegenwart, für die exemplarisch die Medienkunst genannt werden kann. Wie dieser historische Überblick zeigt, wurde die Beziehung zwischen Literatur und bildender Kunst seit der Antike kooperierend, konkurrierend oder parallel propagiert; doch unbeachtet dieser positiv oder negativ bewerteten Verbindungen waren sie stets Gegenstand relationsuntersuchender Analysen.

44 Patrick Werkner: Kunst seit 1940. Von Jackson Pollock bis Joseph Beuys. Wien/Köln/Weimar 2007, 136.

Theoretische Grundlagen des intermedialen Gemäldezitats

Der Phänomenbereich Bild und Text wird von der Forschung aus unterschiedlichen theoretischen und methodischen Blickwinkeln bearbeitet. Es zeigt sich, dass die für die vorliegende Arbeit relevante Verarbeitung von Gemälden in der Literatur keineswegs ein neues Betätigungsfeld der Forschung ist. Jedoch wurde dieses Phänomen in den Forschungsbeiträgen zur Intermedialität der vergangenen Jahre auch unter neuen Perspektiven in den Blick genommen. Doch immer noch wird diese Facette der Bild-Text-Relation mit dem seit der Antike geläufigen Begriff der Ekphrasis beschrieben.1 Einer der Gründe mag aus der mancherorts nicht überwundenen Skepsis gegenüber dem teilweise unreflektiert verwendeten Begriff Intermedialität resultieren. Da Ekphrasis als Teilbereich der verbalen Bildvisualisierung auch für die Intermedialitätsforschung relevant ist, soll der Terminus aufgegriffen und genauer erläutert werden.

E KPHRASIS Der Begriff Ekphrasis, der „schwer zu fassen [ist]“2 und für den es „nicht eine wohldefinierte Gattung [gibt]“3, unterlag in seiner Entwicklungsgeschichte, die

1

Vgl. zum Beispiel Sabine Gross: „Bild-Text-Zeit: Ekphrasis in Gert Hofmanns ‚Der Blindensturz‘“, in: Ulla Fix; Hans Wellmann (Hg.), Bild im Text-Text im Bild. Heidelberg 2000, 105-128.

2

Albert W. Halsall: „Beschreibung“, in: Gert Ueding (Hg.), Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Bd. 1, Tübingen 1992, 1495-1510, 1498.

3

Monika Schmitz-Emans: Die Literatur, die Bilder und das Unsichtbare. Spielformen literarischer Bildinterpretation vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. Würzburg 1999, 17.

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nur skizziert werden soll,4 zahlreichen Bedeutungsmodifikationen. Da die Ekphrasis sowohl in den Bereich der Rhetorik als auch in den Bereich der Literatur- und Kunstwissenschaft fällt, ist eine einheitliche Verwendung und Begriffsterminologie nicht gegeben. Im Historischen Wörterbuch der Rhetorik wird unter dem Stichwort „Ekphrasis“ auf die Beiträge „Beschreibung“ und „Descriptio“ verwiesen, denn die antike Rhetorik verstand unter Ekphrasis zunächst die Beschreibung ganz allgemein. „Eine Beschreibung ist die kunstvolle sprachliche Darstellung äußerlich sichtbarer Elemente eines Gesamtbildes (Mensch, Gegenstand, Ort, Szene usw.) durch Porträtieren erkennbarer Züge, vollständiges Aufzählen aller Details oder pointiertes Herausstellen wesentlicher Merkmale. Beschreibung ist die Kunst, mit Worten zu malen oder die Technik, 5

mit Worten einen bildlichen Eindruck beim Zuhörer bzw. Leser hervorzurufen.“

Der Terminus Ekphrasis wurde erstmals von Theon von Smyrna in den sogenannten Progymnasmata definiert; in diesen Schulrhetorikbüchern galt als Ekphrasis jene Art von Rede, die eine präzise Beschreibung erforderte und so „das Mitgeteilte anschaulich [...] vor Augen führt[e]“6. Die Ekphrasis bezieht sich ursprünglich nicht auf die Beschreibung von Objekten der bildenden Kunst, sondern vielmehr auf jegliche Art von Beschreibung. Das zeigen auch die Ekphrasen von Theon, der Beschreibungen von Seuchen, Schlachten, Kriegsvorbereitungen usw. anführt.7 Angewiesen war die Ekphrasis in der klassischen Rhetorik auf die „Zeigekräfte der Sprache“8 und wurde mit dem Konzept der „enargeia“, der „visuellen Lebendigkeit“9 und der Anschauung verbunden, um

4

Eine ausführliche Behandlung findet man u.a. bei Mario Klarer: Ekphrasis. Bildbeschreibungen als Repräsentationstheorie bei Spenser, Sidney, Lyly und Shakespeare. Tübingen 2001, Monika Schmitz-Emans: Die Literatur, die Bilder und das Unsichtbare und bei Gottfried Boehm; Helmut Pfotenhauer (Hg.), BeschreibungskunstKunstbeschreibung. Ekphrasis von der Antike bis zur Gegenwart. München 1995.

5

Albert W. Halsall: „Beschreibung“, 1495.

6

Fritz Graf: „Ekphrasis: Die Entstehung der Gattung in der Antike“, in: Gottfried Boehm; Helmut Pfotenhauer (Hg.), Beschreibungskunst-Kunstbeschreibung, 143-155, 144. Vgl. auch Wolfgang Brassat: „Malerei“, in: Gert Ueding (Hg.), Historisches Wörterbuch der Rhetorik, Bd. 5, 740-842, 743.

7

Vgl. Mario Klarer: Ekphrasis, 5.

8

Monika Schmitz-Emans: Die Literatur, die Bilder und das Unsichtbare, 17.

9

Mario Klarer: Ekphrasis, 3.

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einen gewissen Grad an Verlebendigung und Vergegenwärtigung zu erreichen.10 Durch diese „enargeia“ unterschied sich die Ekphrasis vom bloßen Bericht. Als literarische Gattung wurde die Ekphrasis von Philostratos begründet, der sie mit seinen Eikones (fast gänzlich aus Beschreibungen von Kunstwerken bestehend) aus ihrem weitgespannten Begriffsterritorium herauslöste und im Sinne von Kunstwerksbeschreibungen weiterführte.11 Im Zentrum des Interesses stand aber nicht das Objekt der bildenden Kunst, es war vielmehr nur Grundlage um die Beschreibungsfähigkeiten und die rhetorische Kompetenz des Schülers zu schulen. Das Bestreben lag darin, das „Beschriebene für den Leser so zu veranschaulichen, daß dieser sich ein Bild davon machen konnte“12. In der Nachfolge Philostratos festigte sich zunehmend der Terminus Ekphrasis als Bezeichnung für Beschreibungen von Kunstwerken, vor allem der Malerei und der Plastik. Charakterisiert wurde der Terminus als Beschreibung eines als „mimetische Repräsentation ausgewiesenen Kunstwerks“13. Der Begriff Ekphrasis wurde in der Literaturwissenschaft vorwiegend mit der poetischen Gattung des Bildgedichts assoziiert und erlebte in dieser Form besonders in den 90er Jahren im Rahmen der „interart studies“ großen Aufschwung. Es folgten viele Definitionsversuche, wobei auffällig ist, dass sich zahlreiche Autoren auf die Definition von James Heffernan stützen, demzufolge Ekphrasis als „verbal representation of visual representation“14 verstanden wird. In den letzten Jahrzehnten beschränkte sich jedoch der Terminus Ekphrasis nicht mehr nur auf Wort-Bild-Beziehungen und auf das Kriterium der Beschreibung, sondern man ging bereits soweit, dass damit jedes verbale Äquivalent eines be-

10 Vgl. Hans Holländer: „Literatur, Malerei und Graphik. Wechselwirkungen, Funktionen und Konkurrenzen“, in: Peter V. Zima (Hg.), Literatur intermedial. Musik-Malerei-Photographie-Film. Darmstadt 1995, 129-170, 143. 11 Für ausführlichere Angaben vgl. Otto Schönberger: „Die Bilder des Philostratos“, in: Gottfried Boehm; Helmut Pfotenhauer (Hg.), Beschreibungskunst-Kunstbeschreibung, 157-176. 12 Monika Schmitz-Emans: Die Literatur, die Bilder und das Unsichtbare, 18. 13 Mario Klarer: Ekphrasis, 6. 14 James Heffernan: Museum of words. The poetics of Ekphrasis from Homer to Ashbery. Chicago 1993, 3. Verwendet wird diese Definition u.a. von Sabine Gross: „Bild-Text-Zeit: Ekphrasis in Gert Hofmanns ‚Der Blindensturz‘“, 105 und Siglind Bruhn: „Vom Bild zum Text, vom Text zum Ton. Picasso, Wallace Stevens und musikalische Ekphrasis in einem ‚Klaviergedicht‘ Ravels“, in: Jörg Helbig (Hg.), Intermedialität, 165-180, 165.

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liebigen Kunstwerkes gemeint sein kann.15 Damit kann auch die Beschränkung auf Wort-Bild-Beziehungen und die Einschränkung auf das Kriterium der Beschreibung fallen. So spricht zum Beispiel Siglind Bruhn von musikalischer Ekphrasis und erklärt, „Nachschöpfungen von ‚Texten‘ jedweden non-verbalen Zeichensystems [würden] tatsächlich dieselben Bedingungen wie das traditionelle Bildgedicht [erfüllen], denselben Konventionen [folgen] und dieselben Anforderungen an die Leser [stellen]“16. In neueren literaturwissenschaftlichen Beiträgen weichen die Definitionen der Ekphrasis deutlich von der ursprünglichen Auffassung ab und die Verwendung bleibt uneinheitlich und umstritten. Die für diese Arbeit relevante Bedeutung als Bezugnahme von Sprache auf Nichtsprachliches lässt sich mit dem Konzept der Intermedialität verbinden. Ekphrasis kann als eine besondere Form intermedialer Bezüge verstanden werden, bei der stets das sprachliche Medium auf das nichtsprachliche Medium Bezug nimmt und nicht umgekehrt. „Wäre nämlich die Richtung der Bezugnahme beliebig, könnten sämtliche Formen von intermedialen Rekursen als Ekphrasis bezeichnet werden. Der Terminus Ekphrasis wäre dann insofern überflüssig, als er synonym zu dem Begriff ‚intermedialer Bezug‘ wäre [...]. Ekphrasis müsste also als eine Subkategorie der intermedialen Bezüge verstanden werden, bei der Sprache das kontaktnehmende System, das nichtsprachliche Medium das kontaktgebende System ist.“17 Obwohl diese Grundbestimmung in den zu analysierenden Texten vorherrschend ist, wird zur Etablierung des Terminus intermediales Gemäldezitat der Begriff Ekphrasis nicht herangezogen. Einerseits vermag die Systematik der intermedialen Bezüge (mittels expliziter Systemerwähnungen und Systemerwähnungen qua Transposition) das Phänomen präziser und detaillierter zu fassen, andererseits soll mit dem intermedialen Gemäldezitat ein operabler Begriff zur Verfügung gestellt werden, der es erlaubt auch Untersuchungen zu den Bezügen von Filmen auf Bilder anzustellen. Daher liefert die Systematik der intermedialen Bezüge eine fundiertere Grundlage, die es ermöglicht sich mit der generellen Frage „wie sich mit Hilfe

15 Vgl. u.a. Hans-Peter Wagner: „Ekphrasis“, in: Ansgar Nünning (Hg.), Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze-Personen-Grundbegriffe. Stuttgart 2004, 137-138, 137 und Murray Krieger: „Das Problem der Ekphrasis: Wort und Bild, Raum und Zeit-und das literarische Werk“, in: Gottfried Boehm; Helmut Pfotenhauer (Hg.), Beschreibungskunst-Kunstbeschreibung, 41-57, 43. 16 Siglind Bruhn: „Vom Bild zum Text, vom Text zum Ton“, 166. 17 Christina Schaefer; Stefanie Rentsch: „Ekphrasis. Anmerkungen zur Begriffsbestimmung in der neueren Forschung“, in: Zeitschrift für französische Sprache. Bd. 114, Stuttgart 2004, 132-165, 136.

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der dem kontaktnehmenden Medium eigenen Mitteln Bezüge zu einem anderen Medium herstellen lassen“18 auseinander zu setzen. Doch bevor die Forschungsergebnisse der intermedialen Bezüge ins Zentrum rücken, sind grundlegende Ausführungen zum derzeitigen Forschungsstand der Intermedialität nötig.

S YSTEMATISCHE A NSÄTZE IN DER I NTERMEDIALITÄTSFORSCHUNG Es scheint als hätte der (literaturwissenschaftliche) Intermedialitätsbegriff die Phase, in der er „zwar in aller Munde, [aber als] kaum definiert“19 gegolten hat, mittlerweile überwunden. Mit den Arbeiten von Irina O. Rajewsky und Werner Wolf liegen Systematisierungen vor, die eine allgemein gültige, grundlegende Einteilung der vorwiegend literaturzentrierten Intermedialität bieten. Diese Arbeiten stellen deshalb einen Einschnitt in die Forschungslandschaft dar, da der Terminus Intermedialität als weitverbreiteter Sammelbegriff einer stetig anwachsenden Vielzahl von Publikationen, vorwiegend Sammelbänden, als oft unspezifischer, den Gegebenheiten angepasster Begriff diente. Trotz der typologischen Fortschritte in der literaturwissenschaftlichen Intermedialitätsforschung „ist aber [...] eine zunehmende, z.T. fachkompetenzspezifische Ausdifferenzierung intermedialer Forschungsperspektiven zu verzeichnen, die häufig mit neuen isolationistischen Tendenzen einhergeht“20. Das grundlegende Problem ist dabei, dass es nicht eine einzige, einheitliche Theorie der Intermedialität gibt, sondern je nach Forschungsperspektive (medientheoretische, literaturwissenschaftliche, etc.) etliche Spezifizierungen und unterschiedliche Terminologien.21 So spricht zum Beispiel Jens Schröter von „synthetischer“, „formaler“ oder „trans-medialer“, „transformationaler“ und „ontolo-

18 Irina O. Rajewsky: Intermedialität, 25. 19 Ebda. 3. 20 Irina O. Rajewsky: „Intermedialität light? Intermediale Bezüge und die bloße Thematisierung des Altermedialen“, in: Roger Lüdeke; Erika Greber (Hg.), Intermedium Literatur. Beiträge zu einer Medientheorie der Literaturwissenschaft. Göttingen 2004, 27-77, 30. 21 Vgl. auch Andreas Sombroek: Eine Poetik des Dazwischen. Zur Intermedialität und Intertextualität bei Alexander Kluge. Bielefeld 2005, 54-62.

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gischer“ Intermedialität22, während Uwe Wirth sie in „harte“ und „weiche“23 oder Rainer Leschke in „primäre“ und „sekundäre“24 unterteilt. Rajewsky äußert den Eindruck, als hätte man bei „medienwissenschaftlich verankerten Ansätzen auf der einen und Konzepten literatur- oder kunstwissenschaftlicher Provenienz auf der anderen Seite [...] zwei gänzlich getrennte Forschungsfelder, [...] die nebeneinander her ihre je eigenen Perspektiven entwickeln und verfolgen“25. Als gemeinsamer Nenner könnte jedoch die Differenzierung in die Bereiche Medienwechsel, Medienkombination und intermediale Bezüge gesehen werden, wie dies in letzter Zeit häufig unternommen wird. In der vorliegenden Untersuchung wird primär auf eine literaturzentrierte Intermedialität aufgebaut, für die die Systematik intermedialer Bezüge von Rajewsky grundlegender Bezugspunkt ist, stellt ihre Monographie doch eine „in ihrer Profundität bisher nicht dagewesenen Weise eine theoretische und vor allem typologische Grundlegung der gesamten Intermedialitätsdebatte“26 dar. Rajewsky erarbeitet Kategorien der Bezugnahme am Beispiel der Verarbeitung des Filmischen in der Literatur. Wie gezeigt werden wird, ist diese Systematik auch auf andere Bezugsobjekte anwendbar und stellt ein theoretisches Instrumentarium zur Entwicklung des intermedialen Gemäldezitats zur Verfügung. Aber auch der Ansatz Werner Wolfs, der in manchen Punkten differierend zu Rajewsky angelegt ist, soll einbezogen werden, um die unterschiedliche Systematisierung einzelner Phänomene aufzuzeigen. Eine erste Charakterisierung des Intermedialitätsbegriffs für die Literaturwissenschaft hat Wolf bereits 1996 in seinem wegweisenden Beitrag Intermedialität als neues Paradigma der Literaturwissenschaft?27 unternommen. In Anlehnung

22 Jens Schröter: „Intermedialität. Facetten und Probleme eines aktuellen medienwissenschaftlichen Begriffs“, in: montage/av 7/2 (1998), 129-154. 23 Uwe Wirth: „Intermedialität“, in: Alexander Roesler; Bernd Stiegler (Hg.), Grundbegriffe der Medientheorie. Paderborn 2005, 114-121. 24 Rainer Leschke: Einführung in die Medientheorie. München 2003. 25 Irina O. Rajewsky: „Intermedialität und remediation. Überlegungen zu einigen Problemfeldern der jüngeren Intermedialitätsforschung“, in: Joachim Paech; Jens Schröter (Hg.), Intermedialität analog/digital. Theorien-Methoden-Analysen. München 2008, 47-60, 48. Rajewsky merkt jedoch an, dass eine solch strikte Trennung in der Forschungspraxis nicht möglich ist. 26 Werner Wolf: „Irina O. Rajewsky: Intermedialität“, in: Poetica. Zeitschrift für Sprach- und Literaturwissenschaft 34 (2002), 456-461, 456. 27 Der vollständige Titel lautet „Intermedialität als neues Paradigma der Literaturwissenschaft? Plädoyer für eine literaturzentrierte Erforschung von Grenzüberschreitungen

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an die Intertextualität konkretisiert er die Intermedialität als ein „innerhalb eines ‚Kontaktnehmers‘ fassliches Resultat einer Beziehung zu einem ‚Kontaktgeber‘“28 (Herv. i.O.) und erklärt sie damit zu einem werkinternen Phänomen. 2002 erweitert er seinen „engeren, ‚werkinternen‘ Intermedialitätsbegriff“ zugunsten eines werkübergreifenden, da „nur so die Fülle verwandter Erscheinungen erfasst werden kann, die alle mit dem Überschreiten von Mediengrenzen zu tun haben“29 (Herv. i.O.). Daraus resultierend definiert Wolf den Terminus der Intermedialität in Rekurs auf Thomas Eicher als „das Überschreiten von Grenzen zwischen konventionell als distinkt angesehenen Kommunikationsmedien“30. Im Rahmen der grundlegenden Definition des Intermedialitätsbegriffs geht Irina Rajewsky mit anderen Forschern konform, wenn sie ihn als „Hyperonym für die Gesamtheit aller Mediengrenzen überschreitenden Phänomene“31 deklariert. In einem weitgefassten Intermedialitätskonzept grenzt sie das Phänomen des Intermedialen von dem des Intramedialen und ebenso von dem des Transmedialen ab. Innerhalb der Intermedialität ist zwischen den Phänomenen Medienwechsel, Medienkombination und intermediale Bezüge zu unterscheiden.32 Werner Wolf hingegen rechnet die Transmedialität als eine von zwei Subkategorien der „extracompositional intermediality“33 zu. Die zweite Subform ist jene der intermedialen Transposition, die im Sinne Rajewskys Phänomenen des Medienwechsels entsprechen. Die Medienkombination ist nach Wolf gemeinsam mit der Medienmischung als Erscheinungsform der Plurimedialität zu verstehen, die wiederum eine Ausprägung der werkintern nachweisbaren Intermedialität (Intermedialität im engeren Sinn) darstellt. Diese „intracompositional

zwischen Wortkunst und anderen Medien am Beispiel von Virginia Woolfs ‚The String Quartet‘“, in: Arbeiten aus Anglistik und Amerikanistik 21/1 (1996), 85-116. 28 Werner Wolf: „Intermedialität als neues Paradigma der Literaturwissenschaft?“, 86. 29 Werner Wolf: „Intermedialität: Ein weites Feld und eine Herausforderung für die Literaturwissenschaft“, in: Herbert Foltinek; Christoph Leitgeb (Hg.), Literaturwissenschaft intermedial-interdisziplinär. Wien 2002, 163-192, 169. 30 Ebda. 167. 31 Irina O. Rajewsky: Intermedialität, 12. 32 Vgl. ebda. 19. Vgl. auch Irina O. Rajewsky: „Intermedialität light?“, 37 ff und Irina O. Rajewsky: „Intermedialität und remediation“, 53 ff. 33 Werner Wolf: „Intermediality“, in: David Herman; Marie-Laure Ryan (Hg.), The Routledge Encyclopedia of Narrative Theory. London 2005, 252-256, 253 ff. Siehe Diagramm 2 Werner Wolf: „Intermedialität: Ein weites Feld und eine Herausforderung für die Literaturwissenschaft“, 178.

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intermediality“ umfasst in der Terminologie Rajewskys nicht nur die Medienkombination, sondern auch die Verfahren der intermedialen Bezugnahme. Der Rekurs des Textes auf das System der Malerei gliedert sich in den Phänomenbereich der intermedialen Bezüge ein. Die entscheidende Frage, die man sich in diesem Zusammenhang zu stellen hat, ist wie sich mit den Mitteln des kontaktnehmenden Mediums Text Bezüge zum Medium Bild herstellen lassen, denn das „Referenzmedium muss im kontaktnehmenden Produkt in seiner Spezifizität zu erkennen sein, die es von anderen medialen Ausdrucksformen unterscheidbar macht“34. Unter dieser Betrachtung wird der bedeutende Aspekt des „Als ob“35-Charakters deutlich und damit die mediale Differenz zwischen den beteiligten Medien. Denn durch das Überschreiten von Mediengrenzen kann immer nur eine Illusion des Fremdmedialen erzeugt werden. Unter der Bezeichnung einer fremdmedial (bildmedial) bezogenen Illusionsbildung wird die auf das System der Malerei bezogene Illusion verstanden.36 Diese „Qualität des intermedialen Bezugs“ ist ein „besonders wichtiges Differenzkriterium“37 anhand dessen Werner Wolf Intermedialität im Artikel des Metzler Lexikons Literatur- und Kulturtheorie charakterisiert. Er unterscheidet weiters zwischen manifester Intermedialität („direct/overt“), bei der die involvierten Medien als solche erkennbar bleiben, und „verdeckter Intermedialität (‚indirect/covert‘), bei der stets eine bestimmte Dominanzbildung stattfindet, so dass ein nicht-dominantes Medium als Folge eines Medienwechsels im dominanten Medium eines Werkes aufgeht, von diesem quasi verdeckt wird und deshalb an der Werkoberfläche nicht mehr in jedem Fall erkennbar ist“38. „As opposed to direct or overt intermediality, indirect or ‚covert‘ intermediality can be defined as the involvement of (at least) two conventionally distinct media in the signification

34 Irina O. Rajewsky: Intermedialität, 36. 35 Vgl. ebda. 39 ff. 36 Vgl. ebda. 195. 37 Werner Wolf: „Intermedialität“, in: Ansgar Nünning (Hg.), Metzler Lexikon Literaturund Kulturtheorie, 296-297, 296. Die weiteren Kategorien sind (a) nach beteiligten Medien, (b) nach der Dominanzbildung, (c) nach der Quantität der intermedialen Bezugnahmen, (d) nach der Genese der Intermedialität. 38 Werner Wolf: „Intermedialität“, 296. Zur Unterteilung vgl. auch Werner Wolf: „Intermedialität: Ein weites Feld und eine Herausforderung für die Literaturwissenschaft“, 174 und Werner Wolf: The Musicalization of Fiction. A Study in the Theory and History of Intermediality. Amsterdam/Atlanta 1999, 44 und Werner Wolf: „Intermediality“, 253 ff.

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of an artefact in which, however, only one (dominant) medium appears directly with its typical or conventional signifiers, the other one (the non-dominant medium) being only indirectly present ‚within‘ the first medium as a signified (in some cases also as a referent). It is, as it were, ‚covered‘ by the dominant medium (though the description of a statue in a novel, for instance, involves a visual art, it still remains literature), and hence the two media cannot be separated from each other, as in the case of overt/direct interme39

diality.“ (Herv. i.O.)

Irina Rajewsky weist darauf hin, dass es im Falle intermedialer Bezüge nicht um „das Resultat einer Transformation oder eines Medienwechsels“ gehe, wie Werner Wolf es betont, sondern „um den (Rück-) Bezug eines Textes auf ein vorfindliches (reales oder fiktives) Produkt oder das System eines anderen Mediums, und zwar im Sinne eines bedeutungskonstituierenden Aktes“40 (Herv. i.O.). Genauso wenig kann ein fremdmediales System im Sinne der intermedialen Bezugnahme involviert oder realisiert werden; obwohl der Begriff Realisierung im intermedialen Zusammenhang Verwendung findet.41 Auch der Begriff Übersetzung ist irritierend, da hier implizit die Bedeutung einer vollständigen Übertragbarkeit im Sinne einer Translation von einer Sprache in eine andere mitschwingt. Diese Umsetzung ist aufgrund der medialen Differenz der beiden beteiligten Medien nicht möglich.42 Kehrt man nochmals zur Variante der verdeckten Intermedialität bei Werner Wolf zurück, so unterscheidet er weiters zwischen der Thematisierung als explizite Referenz (im Modus des „telling“) und der impliziten Referenz intermedialer Imitation bzw. Inszenierung43 (im Modus des „showing“)44. Wolfs verdeckte

39 Werner Wolf: „Musicalized Fiction and Intermediality. Theoretical Aspects of Word and Music Studies“, in: Walter Bernhart; Steven Paul Scher; Werner Wolf (Hg.), Word and Music Studies. Defining the Field. Amsterdam/Atlanta 1999, 37-58, 44. 40 Irina O. Rajewsky: Intermedialität, 62. 41 U.a. von Thomas Eicher und Ulf Bleckmann, die sich mit der textuellen Realisierung von künstlerischen Gestaltungsmitteln beschäftigen (in: Intermedialität. Vom Bild zum Text. Bielefeld 1994). Vgl. dazu auch Irina O. Rajewsky: Intermedialität, 132 ff. 42 Der Begriff Übersetzung wird u.a. verwendet von Christoph Eykman, Martina Mai, Monika Schmitz-Emans, Melanie Klier. 43 Vgl. Werner Wolf: „Intermedialität“, 296-297 und Werner Wolf: „Intermedialität: Ein weites Feld und eine Herausforderung für die Literaturwissenschaft“, 175. 44 Vgl. Werner Wolf: „‚The musicalization of fiction‘. Versuche intermedialer Grenzüberschreitung zwischen Musik und Literatur im englischen Erzählen des 19. und 20. Jahrhunderts“, in: Jörg Helbig (Hg.), Intermedialität, 133-164, 133.

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Intermedialität stimmt mit Franziska Mosthafs metaphorischer Intermedialität überein. Dabei handelt es sich um „einen Kontakt zwischen zwei Medien, der sich auf der kontaktgebenden Ebene metaphorisch vollzieht“45. Auch sie differenziert in Anlehnung an Wolf die metaphorischen Verarbeitungsmodi in Thematisierung und Inszenierung46, wobei die Inszenierung eines Gemäldes auf Figurenebene bedeutet, „dass die literarischen Figuren den dargestellten Personen aus einem Gemälde nachempfunden werden bzw. dass die Welt des Gemäldes als referentielle fiktive Welt des Romans dient“47. Diese Einschränkung des Begriffs wird für diese Arbeit nicht übernommen, bedeutet sie doch eher eine Inszenierung der Figuren und nicht der Gemälde. Rajewskys Ansatz bietet eine differenziertere Trennung intermedialer Unterformen und ist trotz des Vorwurfs „systematischer Überkomplexität“48 heranzuziehen, da es jene klaren Trennungen sind, die in der Folge eine präzise Einteilung und Charakterisierung erlauben. Auf der Grundlage von Penzenstadlers Definitionen der intramedialen Systemerwähnung und Systemaktualisierung49 charakterisiert sie den Bereich der intermedialen Bezüge nach Einzelreferenz (Relationen zwischen Text und einem oder mehreren realen oder fiktiven Gemälde(n)) und Systemreferenz (Relation zwischen Text und einem oder mehreren semiotischen System(en) [Malerei], wobei Mediengrenzen überschritten werden).50 Wenn von Bezugssystemen die Rede ist, können auch bestimmte Subsysteme eines Mediums (verschiedene Genres wie zum Beispiel Landschaftsbild, Historienbild etc.) gemeint sein, allerdings wird damit immer auch das zugehörige Medium als solches aufgerufen. Jede Einzelreferenz geht mit dem über das Bezugsobjekt indizierten medialen System einher, d.h. jede Einzelreferenz indiziert eine Systemreferenz, die Rajewsky wiederum in Systemerwähnung und Systemkontamination klassifiziert. Unter Systemkontamina-

45 Franziska Mosthaf: Metaphorische Intermedialität. Formen und Funktionen der Verarbeitung von Malerei im Roman. Theorie und Praxis in der englischsprachigen Erzählkunst des 19. und 20. Jahrhunderts. Trier 2000, 7. Auch sie grenzt diesen Bereich vom Medienwechsel und der synchronen Verarbeitung zweier Medien ab (ebda. 5). 46 Vgl. ebda. 18 ff. 47 Ebda. 19, vgl. auch 30. 48 Werner Wolf: „Irina O. Rajewsky: Intermedialität“, 459. 49 Nicht die Intermedialität allgemein, „sondern lediglich das eingegrenzte Feld der intermedialen Bezüge [kann] berechtigter- und sinnvollerweise auf der Folie der Intertextualitätsdebatte betrachtet werden“. (Irina O. Rajewsky: Intermedialität, 156). 50 Vgl. ebda. 72 ff.

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tion bzw. fremdmedial bezogener Systemmodifikation versteht man den Versuch eines Textes, die fremdmediale Makroform durchgehend zu einer entscheidenden Gestaltungsgrundlage unter der „Einhaltung und Applikation der damit einhergehenden präskriptiven und restriktiven Regeln des Bezugssystems“51 zu machen. Für die vorliegende Untersuchung spielt die Systemkontamination keine Rolle, da in den zu analysierenden Romanen ein solches Texterzeugungsverfahren nicht zur Anwendung kommt. Sehr wohl von Relevanz ist hingegen die Systemerwähnung, die bei Rajewsky in explizite Systemerwähnung und Systemerwähnung qua Transposition untergliedert wird. Die explizite Systemerwähnung52 meint ein explizites Benennen des Bezugssystems oder ihm zugehöriger Elemente oder Strukturen. Solche Systemerwähnungen können meist auch im Paratext eines Werkes zu finden sein. Sie dienen als Indikatoren des Referenzsystems und haben Signalfunktion, die entscheidend für die Nachweisbarkeit intermedialer Bezüge ist. Werner Wolf grenzte 1996 die bloße Thematisierung aus, da sie „für echte Intermedialität, verstanden als ‚Angesteckt-‘ oder Beeinflusst-Werden von einem Fremdmedium zu wenig [ist]“53 (Herv. i.O.), änderte diese Auffassung jedoch in späteren Arbeiten.54 Expliziten Systemerwähnungen ist eine rezeptionslenkende Kraft inhärent, sie sind jedoch für sich alleine nicht ausreichend, um eine „fremd- bzw. altermedial bezogene Illusionsbildung“55 zu erzielen. Diese hingegen wird von der Systemerwähnung qua Transposition erreicht, die über eine bloße Thematisierung hinausragt und sich durch eine „Herbeiführung einer Illusion, eines ‚Als ob‘“56 (Herv. i.O.) des Malerischen definiert. Ziel einer solchen Illusionsbildung ist „die Ermöglichung einer den Rezipienten ansprechenden Erfahrung“57, die analog zur Malereierfahrung ist und somit malerisch wirkt. Aus diesen Ausführungen geht hervor, dass das kontaktgebende Medium (Bild) im kontaktnehmenden Medium (Text) nicht mit seinen medienspezifischen Eigenschaften sichtbar wird (Mediendifferenz),

51 Ebda. 118. 52 Vgl. ebda. 79 ff und 114 ff. Vgl. auch Irina O. Rajewsky: „Intermedialität light?“, 46 ff. 53 Werner Wolf: „Intermedialität als neues Paradigma der Literaturwissenschaft?“, 87. 54 Vgl. Werner Wolf: „Intermedialität: Ein weites Feld und eine Herausforderung für die Literaturwissenschaft“, 182 ff. Vgl. auch Werner Wolf: The Musicalization of Fiction, 45. 55 Irina O. Rajewsky: Intermedialität, 159. 56 Ebda. 114. 57 Ebda. 198.

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sondern das kontaktnehmende Medium mit seinen eigenen, medienspezifischen Mitteln das Referenzmedium zu verarbeiten versucht. Irina Rajewsky untergliedert des weiteren die Systemerwähnung qua Transposition in drei Bereiche (evozierende, simulierende, (teil-)reproduzierende Systemerwähnung). Die evozierende Systemerwähnung, die entscheidendste für die vorliegende Untersuchung, wird zusammenfassend definiert als „Bezugnahme, die in Form eines ‚Redens über‘ bzw. einer ‚Reflexion‘, d.h. in Form einer Thematisierung des Bezugssystems bzw. bestimmter seiner Komponenten vorgenommen wird, dabei aber insofern über eine explizite Systemerwähnung hinausgeht, als eine fremd- bzw. altermedial bezogene Illusionsbildung zustande kommt“58 (Herv. i.O.). Diese muss beim Leser zur Folge haben, dass er das Literarische als (scheinbar) Malerisches aufnimmt. „‚Evokationen‘ von Komponenten des Bezugssystems werden in Texten häufig in Form von Vergleichen realisiert“59 (Herv. i.O.), zum Beispiel „sie sah aus wie eine der Frauen auf Barockgemälden/in der Tradition der venezianischen Malkunst“. Die simulierende Systemerwähnung geht über eine Thematisierung des Bezugssystems hinaus, indem punktuell verfahrenstechnische Vorgänge des fremdmedialen Bezugssystems diskursiv nachvollzogen, d.h. imitiert werden.60 In Bezug auf das kontaktgebende Medium Bild kann dieses Phänomen unter speziellen Voraussetzungen (je nach Art des Bildes) gewährleistet sein. Vorstellbar wäre, dass zum Beispiel die Perspektive eines Gemäldes imitativ hergestellt werden kann, indem das Verfahren des Übergangs von Vordergrund zu Mittelgrund und Hintergrund verbalsprachlich simuliert wird. Ähnlich ließen sich bildkünstlerische Charakteristika wie Statik oder Bewegung im narrativen Diskurs (durch sprachliche Rezeptionslenkung oder durch Absatz- und Interpunktionsvarianten) gestalten. Der dritte Teilbereich, die (teil-)reproduzierende Systemerwähnung, die nahe an die Systemkontamination heranrückt, meint eine „Bezugnahme bei der punktuell medienunspezifische und/oder medial deckungsgleiche Komponenten des fremdmedialen Bezugssystems reproduziert, d.h. verwendet werden. Die reproduzierten Bestandteile werden [...] als dem jeweiligen fremdmedialen Bezugssystem zugehörig wahrgenommen und vom Leser assoziativ mit ihren nicht reproduzierbaren, medienspezifischen Korrelaten verknüpft, die auf diese Weise illusionistisch für die Bedeutungskonstitution des Textes fruchtbar gemacht wer-

58 Ebda. 196. 59 Ebda. 91. 60 Vgl. ebda. 115, 204.

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den.“61 Es ist davon auszugehen, dass diese Art der Systemerwähnung äußerst selten in Verbindung mit dem Bezugssystem Bild anzutreffen ist, daher wird ihr auch in dieser Arbeit keine weitere Bedeutung zukommen. Sucht man nach einem Beispiel um dieses Verfahren zu veranschaulichen, so scheint folgende Hypothese geeignet. Im Sinne der Concept Art müssten mehrere Künstler als Charakteristikum ihrer Zusammengehörigkeit jeweils ein präzises Wort oder konkrete Satzfragmente in einer typischen Form (zum Beispiel im Schreibmaschinentypus, in S-Linie etc.) in ihre Gemälde einfügen. Diese gleichlautenden/gleichgestalteten, literarisch reproduzierbaren Bestandteile könnten im Text verbalsprachlich reproduziert werden. Anhand der angeführten Beispiele wurde aufgezeigt, dass die systematischen Arbeiten zur Intermedialität von Irina Rajewsky und Werner Wolf auf den Bereich Bild und Text anwendbar sind. Am Ende des theoretischen Kapitels werden die entscheidenden Kriterien für die Charakterisierung des intermedialen Gemäldezitats nochmals zusammengefasst.

I NTERMEDIALE B ILD -T EXT -R ELATIONEN Bereits 1994 setzt sich Thomas Eicher im Rahmen des Sammelbandes Intermedialität. Vom Bild zum Text mit der Frage Was heißt (hier) Intermedialität?62 auseinander. Er stützt sich dabei auf Aage A. Hansen-Löve, der 1983 den Intermedialitätsbegriff in die Literaturwissenschaft einführte, ihn in Zusammenhang mit der Intertextualität als „eine Erweiterung intramedialer Beziehungen“63 und als Bezeichnung für das Verhältnis von Wort- und Bildkunst verwendete. Thomas Eicher strebt in seinen Ausführungen keine vollständige Typologie der Intermedialität an, „Ziel ist vielmehr eine Zusammenstellung von Möglichkeiten einer literarischen Reaktion auf Bilder“64. Entscheidend für den weiteren Verlauf der Forschung sind seine Stellungnahmen zur Abgrenzung der Intermedialität von Intertextualität. Denn nach Thomas Eicher führt eine „Erweiterung des Intertextualitätsbegriffs [...] zu unnötiger Verwirrung“ und daher wird die Einführung des Intermedialitätsbegriffs dort notwendig, „wo Beziehungen zwischen

61 Ebda. 206. 62 Thomas Eicher: „Was heißt (hier) Intermedialität?“, in: Thomas Eicher; Ulf Bleckmann (Hg.), Intermedialität, 11-28. 63 Ebda. 11. 64 Ebda. 12.

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Zeichenkomplexen Mediengrenzen überschreiten“65. Eine Definition, auf die nicht zuletzt Werner Wolf in seinen Ausführungen aufbaut. Die Eingrenzung des Themas, nämlich „die literarische und damit sprachliche Reaktion auf Bilder“ wird in seiner Nachfolge zentral für den Forschungsbereich intermedialer Bezüge und damit einhergehend die Annahme, dass „die Bilder im Text [...] niemals wirklich sichtbar [sind], sondern immer nur in Verbindung mit dem ebenso sichtbaren sprachlichen Medium ihrer Präsentation“66. Trotz der grundlegenden Definition zur Intermedialität von Bild und Text in Thomas Eichers Einleitungskapitel dient der Intermedialitätsbegriff in den Beiträgen des Sammelbandes „letztlich nur als Oberbegriff für ein komparatistisches Forschungsfeld, das um die vielseitigen Beziehungen zwischen Text- und Bildmedien kreist“67. Am eindeutigsten bezieht sich Ulf Bleckmann in seinem Beitrag Thematisierung und Realisierung der bildenden Kunst im Werk Robert Walsers auf die theoretischen Ausführungen zur Intermedialität von Thomas Eicher. Da er aber den Intermedialitätsbegriff nicht verwendet, wird sein Beitrag im Abschnitt jener Forschungsarbeiten zur Sprache kommen, die sich dem intermedialen Forschungsfeld nur annähern. Expliziten Rekurs auf den Intermedialitätsbegriff unternimmt Melanie Klier in ihrer Arbeit Kunstsehen68. Sie untersucht die Um- und Neugestaltung konkreter Gemälde in Texten von E.T.A. Hoffmann und konzentriert sich dabei auf „perspektivische Verschiebungen und Schwerpunkt-Versetzungen“69 innerhalb der „Literaturgemälde“70. Klier weist darauf hin, dass die Intertextualität als Arbeitsmethode nicht ausreichend ist.71 Es sei notwendig auf die Intermedialität zurückzugreifen und diese um den Aspekt des Kunstsehens zu erweitern, da ihrer Meinung nach der Intermedialitätsbegriff an seine Grenzen stößt, sobald es um die Rezeptionsleistung geht: „Wenn Hoffmann Bilder seiner Zeitgenossen ansieht und im Text literarisch entwirft, neu- oder umgestaltet, dann ist es der Leser, der diese anders gearteten Literaturbilder selbst zu visualisieren hat, weil sie nur als Text gemalt sind und so an die Imagination des Rezipienten appellie-

65 Ebda. 18. 66 Ebda. 15. 67 Andreas Sombroek: Eine Poetik des Dazwischen, 57. 68 Melanie Klier: Kunstsehen-Literarische Konstruktion und Reflexion von Gemälden in E.T.A. Hoffmanns Serapions-Brüder mit Blick auf die Prosa Georg Heyms. Frankfurt a.M. 2002. 69 Ebda. 6. 70 Ebda. u.a. 24. 71 Vgl. ebda. 30.

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ren.“72 Sie will daher den Begriff des Kunstsehens etablieren, der verstanden werden soll „als Kunst sehen, betrachten und das Sehen als Kunst“, denn dieser schließe „in seinem doppeldeutigen Gehalt sowohl die künstlerisch kreative Leistung E.T.A. Hoffmanns als auch die des fiktiven Kunstinteressierten sowie des Lesers mit ein“73. Dieser Aspekt der Rezeptionsleistung wird jedoch auch durch das Intermedialitätskonzept von Irina Rajewsky abgedeckt. Denn mittels evozierender, simulierender und (teil-) reproduzierender Systemerwähnung wird dem Leser eine Rezeptionslenkung geboten, die dazu führt, „daß bestimmte Textelemente und/oder -strukturen [...] als altermediale oder zumindest als dem jeweiligen Bezugssystem analoge rezipiert werden“74. Zu hinterfragen ist Kliers Unterscheidung „ob Gemälde simpel nacherzählt oder ob nicht in und mit dem Text neue Bilder erschaffen werden“75. Was unter simpler Nacherzählung eines Gemäldes durch den Text zu verstehen ist, bleibt unbeantwortet. Es wird deutlich, wie entscheidend eine Systematisierung und Definition der Modi der Beschreibung und der Erzählung für die Konkretisierung des intermedialen Gemäldezitats ist.76 Grundlegende Aspekte des Umgangs der Schriftsteller mit Werken der bildenden Kunst liefert Christoph Eykman in Über Bilder schreiben.77 Obwohl er sich nicht theoretisch mit dem Intermedialitätsbegriff auseinandersetzt, findet dieser (wie auch der Terminus Ekphrasis) in seinen Ausführungen Anwendung. Wenn er von intermedialen Begegnungen spricht, so ist generell „die sprachliche

72 Ebda. 34. 73 Ebda. 35. 74 Irina O. Rajewsky: Intermedialität, 88. 75 Melanie Klier: Kunstsehen, 21. 76 Im Kapitel „Dekonstruktion als Konstruktion: Das Auflösen der Perspektive“ formuliert Melanie Klier: „Das zentralperspektivische Bildmoment Kolbes weicht im Literaturbild einer verwirrenden, polyperspektivischen Sichtweise.“ (Melanie Klier: Kunstsehen, 83) Es handelt sich um das Bild Doge und Dogaresse von Carl Wilhelm Kolbe dem Jüngeren. Diese Änderung von einem zentralperspektivischen zu einem polyperspektivischen Blick bedeutet, dass der Text zum Beispiel auf die Zentralperspektivik eines Bildes Bezug nehmen kann, im Sinne einer Imitation und somit ein „Als ob“ des Fremdmedialen erzielt, das dem Leser eine der Malerei ähnliche Erfahrung ermöglicht. Dies entspricht der simulierenden Systemerwähnung bei Irina O. Rajewsky. 77 Christoph Eykman: Über Bilder schreiben. Zum Umgang der Schriftsteller mit Werken der bildenden Kunst. Heidelberg 2003.

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Auseinandersetzung der Schriftsteller mit den Werken der bildenden Kunst“78 und „die erzählerische Versprachlichung wahrgenommener Bildinhalte“79 gemeint. Abgesehen von dieser allzu selbstverständlich erscheinenden Begriffsverwendung stellt er sich die Fragen, wie und warum Schriftsteller über Bilder schreiben. Ausgehend von einer Gegenüberstellung unterschiedlicher theoretischer Denkpositionen von Kunstwissenschaftlern und Philosophen bezüglich eines sprachlichen Zugriffs auf Bilder versucht er im Anschluss zu klären, ob „das Bildwerk und sein Gesehen-Werden [...] eine der Sprache gegenüber gänzlich verschiedene Sphäre menschlicher Erfahrung darstellt“80. Grundsätzlich steht man der Möglichkeit von Sprache ein Bild zu erfassen skeptisch gegenüber; es geht um die „Ohnmacht der Sprache“81, denn „der sprachlich generierte vorstellungsmäßige Eindruck einer [...] zusammengesetzten und gleichsam verästelten Beschreibung bleibt dem Bild-Eindruck angesichts des Gemäldes differenzierter Konkretheit stets unterlegen“82. Die Sprache ist durch ihre mediale Spezifik gezwungen die mediale Besonderheit der Simultaneität des Gemäldes „in eine Sequenz von Einzelbeobachtungen [aufzulösen], die dann die Einbildungskraft des Lesers erst wieder zu einem Gesamteindruck zusammenzufügen hat“83. In Relation zur Ohnmacht der Sprache wird die Ohnmacht des Bildes gesetzt, denn auch das Bild hat Schwierigkeiten zum Beispiel Gefühle, Handlungen, Situationen und einen Zeitfluss darzustellen. Aufgrund seiner medialen Struktur ist es gezwungen den „prägnantesten Moment“ (Lessing) zu wählen und einen „freeze frame“84 zu zeigen. Der vom Text kreierte Bildeindruck ist durch „visuelle Nullpositionen (Leerstellen)“85 charakterisiert. Nach Christoph Eykman handelt es sich bei der sprachlichen Repräsentation des gemalten Bildes

78 Ebda. 51. 79 Ebda. 41. 80 Ebda. 228. 81 Ebda. 36. 82 Ebda. 227. Vgl. auch Martina Mai: Bilderspiegel-Spiegelbilder. Wechselbeziehungen zwischen Literatur und bildender Kunst in Malerromanen des 20. Jahrhunderts. Würzburg 2000, 83. 83 Christoph Eykman: Über Bilder schreiben, 227. Daraus folgt, dass es für den Leser schwierig ist „aus dem sukzessiv aufeinander folgenden textlichen Elementen ein klares und in sich zusammenhängendes Bild in der inneren Anschauung zu erstellen“ (ebda. 50). 84 Ebda. 47. 85 Martina Mai: Bilderspiegel-Spiegelbilder, 83. Vgl. auch Christoph Eykman: Über Bilder schreiben, 38.

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„um einen ästhetischen Gegenstand sozusagen in zweiter Potenz: die künstlerisch fingierte Dingwelt des Bildes, dargestellt mittels des fingierenden Mediums der Sprache“86. Trotz dieser medial bedingten Unterschiede wird aber eine Annäherung für möglich gehalten, da gewisse Strukturen Bild und Text gemeinsam sind. Wie Eykman zeigt, lässt sich auch ein Bild nicht in einem Blick erschließen, sondern nur infolge eines Rezeptionsprozesses. „Das Auge vermag nur kleine Einheiten sichtbarer Objekte zu erfassen und muss sie einzeln bewerten, um sie anschließend zu einem einheitlichen Bild zusammenzusetzen.“87 Der Unterschied in der Rezeption von Bild und Text ist damit nicht allzu groß. An die medial bedingten Unterschiede gehen die Schriftsteller mit ihren „eigenen Mittel[n]“88 heran. Einerseits mit der Methode ihr Schreiben an räumlich-simultane Strukturen bildnerischer Werke anzunähern und somit dem zeitlichen Nacheinander der Sprache ein Gepräge des Nebeneinander zu verleihen, und andererseits besteht die Möglichkeit gewisse „zeitlich-narrative Bauformen von Sprache und Erzählung in die Bilder hinein[zu]projizieren“89. Dieser Aspekt wird im Zusammenhang mit den Modi der Deskription und Narration noch untersucht werden. Soll jedoch etwas so wie es in seiner einmaligen Darstellung gemalt wurde wiedergegeben werden, sieht auch Christoph Eykman den Vergleich als adäquates Mittel.90 Der Vergleich wurde von Rajewsky im Zuge der evozierenden Systemerwähnung genannt. Aber auch als Hinweis auf eine Einzelreferenz kann der Vergleich wertvolle Dienste leisten. Diese Ansätze Eykmans werden in die Definition des intermedialen Gemäldezitats einfließen. Einen Beitrag zur literaturwissenschaftlichen Intermedialitätsforschung stellt die bereits erwähnte Arbeit von Franziska Mosthaf dar, die sich mit den Formen und Funktionen metaphorischer Intermedialität auseinandersetzt. Wie angesprochen, handelt es sich dabei „um einen Kontakt zwischen zwei Medien, der sich auf der kontaktgebenden Ebene metaphorisch vollzieht. Dies bedeutet, daß bestimmte Aspekte eines Mediums (beispielsweise der Malerei) in einem anderen Medium (beispielsweise der Literatur) mit dessen spezifi-

86 Christoph Eykman: Über Bilder schreiben, 181. 87 Martina Mai: Bilderspiegel-Spiegelbilder, 33. Vgl. auch Christoph Eykman: Über Bilder schreiben, 45. 88 Christoph Eykman: Über Bilder schreiben, 58. 89 Ebda. 42. 90 Ebda. 60.

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schen Mitteln evoziert werden können aufgrund einer konzeptuellen Überschneidung zwi91

schen Aspekten der beiden Medien.“

Das kontaktnehmende, literarische Zeichensystem bleibt dabei „einheitlich und geschlossen“92. Mosthaf wählt einen narratologischen Schwerpunkt, um aufzuzeigen wie Malerei für die Literatur funktionalisiert wird; wie die „typischen Bauformen von Erzähltexten“93 zur Verarbeitung von Aspekten der Malerei verwendet werden können. Sie arbeitet die relevanten Strukturcharakteristika des bildlichen und literarischen Zeichensystems heraus, um mögliche Analogien und Schnittstellen zu finden. Anschließend analysiert sie auf welchen narrativen Ebenen (N1-N5) einzelne Charakteristika der Malerei verarbeitet werden und „auf welche Weise narratologische Aspekte wie die Erzählsituation, die Zeitdarstellung, die Strukturierung des Personals, die Figurencharakterisierung, die Perspektivenstruktur, die Bewusstseinsdarstellung, die Raumdarstellung und der Stil intermediale Funktionen übernehmen können“94. So bezeichnet zum Beispiel das Kommunikationsniveau N1 die Kommunikationssituation innerhalb der fiktionalen Textwelt und ist in die Diskursebene N2 (dem Kommunikationsniveau N2) eingefügt. Analog lässt sich eine Bildebene B1 annehmen, die den Bildgegenstand präsentiert, denn auch im Gemälde existiert eine Art fiktionale Welt, die wie N1 durch die Kategorien Figuren, Handlung, Zeit und Raum charakterisiert ist. Trotz der Tatsache, dass die Malerei keine Sprechsituation beinhaltet, gibt es eine Bildebene B2, die die Darstellungsform von B1 meint und Merkmale wie Pinselduktus, Farbigkeit, Perspektive u.a. umfasst.95 Es seien nur diese beiden Ebenen herausgenommen, um ansatzweise eine Auswahl an Erscheinungsformen der metaphorischen Intermedialität aufzuzeigen. So kann nun zum Beispiel die Ebene des Bildinhalts B1 auf der Ebene der fiktiven Welt N1 eine Rolle spielen. „Dies bedeutet z.B., daß die im Bild dargestellte fiktive Welt zu einer literarischen fiktiven Welt ausgebaut wird.“96 Im Sinne Mosthafs wird das Gemälde im Roman inszeniert, da man für den dargestellten Zeitpunkt im Gemälde einen Kontext kreiert. Es besteht aber auch die Möglichkeit, dass B1 und B2 auf N1 verarbeitet werden und damit der

91 Franziska Mosthaf: Metaphorische Intermedialität, 7. 92 Ebda. 93 Ebda. Vorwort. 94 Ebda. 9. 95 Vgl. ebda. 35 ff. 96 Ebda. 41.

T HEORETISCHE GRUNDLAGEN | 47

Bildinhalt und auch die „Darstellungsform eines Gemäldes auf der Story-Ebene thematisiert wird“97. Die vorliegende Untersuchung zum intermedialen Gemäldezitat konzentriert sich nicht auf die Verarbeitung der Malereiaspekte auf den verschiedenen narrativen Ebenen, sondern es interessiert vielmehr wie aufgrund der unterschiedlichen Präsentationscharakteristika der beteiligten Medien ein Bezug hergestellt werden kann. Abgesehen von der diesbezüglichen Abgrenzung sind jedoch die kommunikativen Hauptaspekte der Malerei, auf die rekurriert werden kann, auch für diese Arbeit relevant. Dabei handelt es sich um Produktion, Werk (fiktiv oder real) und dessen Rezeption. Besonderes Augenmerk wird auf dem Vorgang der Bilderzeugung liegen, denn „indem ein Text erklärt, wie ein Bild ‚gemacht‘ wird [...], indem also die statische und simultane Ko-Präsenz der Bildpartien in den zeitlichen Vorgang ihrer Entstehung aufgelöst wird, wird der Leser eingeführt in eine Situation, in der das Bild noch nicht ‚da‘ ist [...]“98 (Herv. i.O.).

B ILD -T EXT -R ELATIONEN

OHNE I NTERMEDIALITÄTSBEZUG

Zu den Beiträgen, die sich dem intermedialen Forschungsinteresse von Bild und Text annähern, den Terminus aber nicht explizit verwenden, gehört u.a. der bereits erwähnte Beitrag von Ulf Bleckmann Thematisierung und Realisierung der bildenden Kunst im Werk Robert Walsers. Was die Thematisierung betrifft, unterscheidet er zwischen einer Referenz auf einzelne Bilder und einer Referenz auf das semiotische System der Malerei. Unter Realisierung will er „die sprachliche Nachahmung der spezifischen Gestaltungsmittel bildender Kunst“99 verstanden wissen. Während Einzelbilder eher für eine Deskription geschaffen sind, ist für eine Narration laut Bleckmann eine „kohärente Bilderfolge“100 am geeignetsten. Gemeint sind damit zum Beispiel Triptychen und Zyklen. Nach Bleckmann stehen solche Bilder jeweils unter einem gemeinsamen Oberthema und sind entweder untereinander verbunden oder isoliert.101 Das Besondere an den Bildbeschreibungen Walsers ist nun eine narrative Darstellung von Einzelbildern. Da vom Schriftsteller etwas in das Bild „hineingelesen“ wird, dient es

97

Ebda. 42.

98

Christoph Eykman: Über Bilder schreiben, 183.

99

Ulf Bleckmann: „Thematisierung und Realisierung der bildenden Kunst im Werk Robert Walsers“, in: Thomas Eicher; Ulf Bleckmann (Hg.), Intermedialität, 29-58, 29.

100 Ebda. 30. 101 Vgl. ebda. 30.

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als Vorlage oder Motiv für seine literarische Produktion. Die Unterteilung des Thematisierungsphänomens nimmt eine Vorstufe zu Rajewskys Einzelreferenz und Systemreferenz ein, wobei Bleckmann noch nicht hervorhebt, dass eine Einzelreferenz eine Systemreferenz indiziert. Eine weitere Untersuchung, die eine Annäherung an das Forschungsgebiet der intermedialen Bezüge darstellt, ist Korrespondenzen zwischen Literatur und bildender Kunst im 20. Jahrhundert (1995) von Swantje Petersen. Abgesehen von der grundlegenden Erkenntnis, dass es „zwischen Literatur und bildender Kunst [...] nur Berührungspunkte [...] aber keine Entsprechungen“102 geben kann, weist Petersen an anderer Stelle darauf hin, dass die Bildkomposition als Plan für die Romankonstruktion dienen kann. Denn zum Beispiel „von Klees Aquarell ‚polyphon gefasstes Weiß‘ ausgehend, überträgt Andersch den farbigen Vielklang und die Transparenz in das Literarische“103 oder dem „pointillistischen Prinzip entsprechend, setzt sich das Bild für den Leser erst allmählich zusammen“104. Im Gegensatz zu früheren Arbeiten macht Petersen deutlich, dass der Text nicht einfach über Bilder spricht, sondern auch auf deren Elemente und/oder Strukturen mit eigenen Mitteln Bezug nehmen kann. Bereits 1988 beschäftigt sich Bernard Dieterle in seiner Arbeit Erzählte Bilder. Zum narrativen Umgang mit Gemälden mit der Frage „inwiefern können Bilder in erzählende Literatur münden und welche sind die Modalitäten einer solchen Umwandlung“105. Er geht von einer literaturimmanenten Fragestellung aus, interessiert sich für die „Umwandlungsmechanismen“106 und zieht für seine Analysen Werke heran, „in denen Bilder nicht nur als Motiv, sondern vor allem als Motivation, Anstoß, Veranlassung eine tragende Rolle spielen“107. Eine Typologie wird von Dieterle nicht angestrebt, vielmehr versucht er am Ende seiner Arbeit in Rekurs auf die Typologie von Gisbert Kranz mögliche Parameter einer Systematik aufzuzeigen. Es seien einige dieser Parameter herausgenommen, an denen aufgezeigt werden kann, dass Dieterles Überlegungen bereits der intermedialen Forschung vorausgehen.

102 Swantje Petersen: Korrespondenzen zwischen Literatur und bildender Kunst im 20. Jahrhundert. Frankfurt a.M. 1995, 131. 103 Ebda. 115. 104 Ebda. 113. 105 Bernard Dieterle: Erzählte Bilder. Zum narrativen Umgang mit Gemälden. Marburg 1988, 9. 106 Ebda. 11. 107 Ebda. 10.

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Bezüglich der Transposition, die nach Kranz eine Übertragung von einem Medium in ein anderes bedeutet und nach stilistischen oder motivischen Elementen erfolgt, fordert Dieterle bereits nach einer weiteren Differenzierung, „um die mehr inhaltlichen von den mehr formalen Umsetzungen zu unterscheiden“108. Auch die Leistung der Provokation, deren ungünstige Benennung Dieterle beklagt, ist ein zentraler Aspekt, wird doch darunter die Schilderung der Wirkung eines Kunstwerkes verstanden. Einen weiteren Aspekt sieht er darin, „ob der Autor eher kunsthistorisch-traditionell mit der Bildvorlage umgeht oder das Moment des produktiven Phantasierens betont“109. Weiters gibt es verschiedene Möglichkeiten einer Bildschilderung. Von der Schilderung des fertigen Gemäldes ist jene der epischen Form zu unterscheiden. Dabei geht es um die Schilderung des Entstehungsprozesses oder um das Schicksal des Bildes.110 Einige der Typologisierungsparameter (Transposition, Provokation) werden in die Charakterisierung des intermedialen Gemäldezitats einfließen, da sie im tradierten Verhältnis von Bild und Text eine wesentliche Rolle spielen. Durch die Schilderungen des Produktionsprozesses oder des Wirkungspotentials kann der Leser dazu veranlasst werden, das eigentlich Literarische als Malerisches wahrzunehmen. Doch nicht nur diese frühen Beiträge verzichten auf die Verwendung des Intermedialitätsbegriffs, auch Martina Mai lässt ihn in ihrer im Jahr 2000 erschienenen Arbeit Bilderspiegel-Spiegelbilder. Wechselbeziehungen zwischen Literatur und bildender Kunst in Malerromanen des 20. Jahrhunderts unbeachtet. Sie grenzt sich von bisherigen Arbeiten zu diesem Thema ab, die sich mit der Person des Künstlers und dem Konfliktpotential von Leben und Kunst beschäftigen, indem sie das Verhältnis von Malerei und Literatur „wie es sich in der expliziten oder impliziten Autoreflexion des Malerromans darstellt“111 in den Mittelpunkt ihres Interesses stellt. Es geht ihr um „die Funktionen, die erzählte Bilder innerhalb des Gesamtkontextes eines Romans erfüllen können“112 und nicht so sehr um die Möglichkeiten der Umsetzung von Bild in Text. Im Sinne intermedialer Vorgehensweisen stellt sie „Überlegungen zur Medienproblematik“113 an, wobei die „Raum-Zeitlichkeit der Künste“114 im Zentrum steht. Wei-

108 Ebda. 206. 109 Ebda. 208. Vgl. auch Christoph Eykman: Über Bilder schreiben, Kapitel „DiskursTypen“, 83 ff. 110 Vgl. ebda. 210. 111 Martina Mai: Bilderspiegel-Spiegelbilder, 12. Vgl. auch 10. 112 Ebda. 13. 113 Ebda. 27.

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ters merkt Mai an, dass „jede Beschäftigung mit spezifischen Kunstwerken [...] auch Kunst an sich [betrifft]“115. Ihrer Meinung nach gewinnt der Malerroman durch die Auseinandersetzung mit einem Maler und dessen Kunst eine autoreflexive Prägung. Denn in allen von ihr untersuchten Werken ist die zum Ausdruck gebrachte Ästhetik des Schriftstellers „von großer Wichtigkeit für die Analyse des Verhältnisses der Künste“116. In der Folge greift sie auf die Forschung zur Autoreflexion und „mise en abyme“ zurück. Außerdem führt sie die neue Kategorie der „Metarelation“117 ein, die vereinfacht zusammengefasst „zur Bezeichnung von Kunstwerken eingeführt [wird], die das Verhältnis der Künste werkimmanent reflektieren und dabei selbst Teil der Wechselbeziehungen zwischen Literatur und Malerei sind“118. „Zum narrativen Umgang mit Gemälden“119 erkennt Martina Mai, dass „eine vollkommene Umsetzung von Bildern in Text aufgrund der medialen Gegensätze unmöglich [ist]“120. Trotzdem sieht sie die Übertragung eines Bildes in Sprache als einen „Übersetzungsakt“121 an und orientiert sich an der Übersetzungstheorie von Friedrich Schleiermacher. Wie bereits ausgeführt, ist der Begriff Übersetzung nicht passend, da er den Anschein erweckt die mediale Differenz der beteiligten Medien ohne Schwierigkeiten überwinden zu können. Auch der Aspekt der Verarbeitung der eigenen Ästhetik in Korrelation zum Maler und dessen Ästhetik wird im Rahmen des intermedialen Gemäldezitats nicht interessieren, schließlich soll es nicht um mögliche Bestimmungsmomente gehen, sondern primär um Rekursmöglichkeiten auf das fremdmediale System der Malerei.122

114 Ebda. 28. Aus ihren Überlegungen geht hervor, dass die Rezeption das stärkste Vergleichsmoment zwischen den Künsten ist. 115 Ebda. 13. 116 Ebda. 205. 117 Ebda. 63 ff. 118 Ebda. 12, Fn. 6. 119 Ebda. 77. 120 Ebda. 81. 121 Ebda. 122 Nicht zu vergessen ist in diesem Zusammenhang auch die Fülle an Sammelbänden, die sich mit spezifischen Fragestellungen und Beispielen im weiten Feld der Wechselbeziehungen von Bild und Text beschäftigen und die ihre theoretischen Überlegungen meist in Einleitungskapiteln darlegen. Siehe zum Beispiel Annegret Heitmann; Joachim Schiedermair (Hg.), Zwischen Text und Bild. Zur Funktionalisierung von Bildern in Texten und Kontexten. Freiburg 2000 und Klaus Dirscherl (Hg.), Bild und Text im Dialog.

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I NTERTEXTUELLE B ILD -T EXT -R ELATIONEN Um Bild-Text-Beziehungen als intertextuelle anzusehen, bedarf es grundsätzlich eines erweiterten Textbegriffs. Isabel Reissmann greift zum Beispiel auf die semiotische Textdefinition Roland Posners zurück, die es erlaubt „nicht auf spezifische Kodes beschränkt [zu sein] und so die Betrachtung bimedialer und multimedialer Texte [zu] ermöglich[en]“123. Innerhalb der Intertextualitätsforschung wird die Bild-Text-Relation u.a. von Monika Schmitz-Emans in ihrem Beitrag Die Intertextualität der Bilder als Gegenstand der Literaturwissenschaft behandelt. Im Sinne einer „weit gefassten Wortbedeutung“ seien „Bilder dann als ‚intertextuell‘ [zu] charakterisieren [...], wenn sie selbst erstens auf Bilder zurückgehen [und] zweitens wiederum neue Texte erzeugen, so dass sie unter kausalem wie diachronem Aspekt ‚zwischen‘ diesen Texten stehen“124 (Herv. i.O.). Schmitz-Emans spricht von Bildern als intertextuelle Phänomene, da sie „das Augenmerk auf deren Mittlerfunktionen in der Geschichte der Texte“125 lenken möchte. Es lässt sich erkennen, dass diese Überlegungen ein eingegrenztes Feld an Bild-Text-Relationen markiert und sich nicht generalisierend ausweiten lässt. Besonders geeignet erscheinen hierfür mythische, antike, christliche Stoffe, denn nicht zufällig illustriert Schmitz-Emans ihre Ausführungen anhand Brueghels Landschaft mit Sturz des Ikarus. Ähnlich wie Martina Mai wird auch sie im Bereich der Übersetzungstheorien fündig, um die komplexen Verhältnisse zwischen Gemälde und Literatur aufzudecken. Gestützt auf die Thesen von Hans-Jost Frey funktioniert sie dessen texttheoretisches Modell zu einem medientheoretischen um.126 Daraus folgt, dass „Bilder von ihren Kommentaren verändert [werden]. Umgekehrt gilt aber auch: Bilder legen Texte aus und transformieren sie dadurch.“127 Auch wenn Schmitz-

123 Isabel Reissmann: „‚Bild im Text-Text und Bild‘. Aspekte eines Kolloquiums zu Bild-Text-Beziehungen“, in: Ulla Fix; Hans Wellmann (Hg.), Bild im Text-Text im Bild, 391-398, 396. Vgl. auch Sandra Koch: „Die nackte Maske: Text-BildBeziehungen“, in: Ulla Fix; Hans Wellmann (Hg.), Bild im Text-Text im Bild, 409414, 409. 124 Monika Schmitz-Emans: „Die Intertextualität der Bilder als Gegenstand der Literaturwissenschaft“, in: Herbert Foltinek; Christoph Leitgeb (Hg.), Literaturwissenschaft: intermedial-interdisziplinär, 192-230, 196, Fn. 6. 125 Ebda. Sie stimmt jedoch grundsätzlich der Differenzierung in Intertextualität und Intermedialität nach Werner Wolf zu. 126 Vgl. ebda. 225 ff. 127 Ebda. 227.

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Emans in ihrem Beitrag von der Intertextualität der Bilder spricht, so merkt sie dennoch an, dass „trotz der unauflöslich engen Verschränkung des LiterarischSprachlichen mit dem Visuell-Bildhaften [...] es naiv [wäre] anzunehmen, man könne Bilder in demselben Sinne in Sprache übersetzen und sprachlich kommentieren, wie man dies mit Texten tut“128. Es sei nochmals betont, dass in der vorliegenden Arbeit unter Intertextualität Text-Text-Relationen verstanden werden (unter Annahme eines eng gefassten Textbegriffs, der begrenzt ist auf verbalsprachlich fixierte Texte) und unter Intermedialität nichtsprachlich-sprachliche Beziehungen. Intermedialität beschreibt somit Mediengrenzen überschreitende Phänomene, während Intertextualität als intramediale Erscheinung nur ein Medium umfasst. Bei intramedialen Bezügen besteht zum Beispiel keine Differenz zwischen den Systemen und daher kann das Bezugssystem durchgehend zur Textherstellung verwendet werden. Die intermediale Variante kann jedoch das andere System nicht in genuiner Weise verwenden, da zwischen kontaktgebendem und kontaktnehmendem Medium eine mediale Differenz vorliegt. In diesem Zusammenhang ist der für intermediale Bezüge charakteristische (im Abschnitt der systematischen Ansätze in der Intermedialitätsforschung erläuterte) „Als ob“-Charakter zu untersuchen.129 Anders sieht dies Martina Mauritz in ihrer im Jahr 2004 erschienenen Untersuchung Vom Tafelbild zum Textbild. Ihrer Meinung nach hat sich der Intermedialitätsbegriff in Ermangelung einer allgemein gültigen Definition zu einem „Passepartout-Wort“130 entwickelt, dem wahllos die unterschiedlichsten Phänomene zugeordnet werden. Angesichts dieses „aufgeblähten Begriffs“ scheint es ihr nicht dienlich „solche Randerscheinungen, wie das Gemäldezitat eine ist, nun auch noch partout mit dem Adjektiv intermedial versehen zu müssen“131. Trotzdem schickt sie dieser Überlegung voraus, dass es nicht ganz eindeutig ist, „ob es sich bei dem Gemäldezitat [...] um eine intermediale Erscheinung handelt“132. Da sie aber unter Intermedialität primär die Möglichkeiten des Medienwechsels und der Medienkombination versteht und das Gemäldezitat höchstens nach Werner Wolfs Typologie der intermedialen Thematisierung, einer Untergruppe verdeckter Intermedialität, zurechnen würde, entscheidet sie sich gegen eine Ver-

128 Ebda. 228. 129 Vgl. Irina O. Rajewsky: Intermedialität, 69 ff. 130 Martina Mauritz: Vom Tafelbild zum Textbild. Gemäldezitate in zeitgenössischen Romanen Spaniens. Wiesbaden 2004, 2. 131 Ebda. 5. 132 Ebda. 4.

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wendung der Intermedialität als Methode. Sie begründet dies damit, dass es in ihrer Arbeit um die „Konzentration des Romans auf den Text des Bildes und das Verbleiben der Romane im traditionellen Medium Buch“ geht, denn der „Gemäldeverweis im Roman liegt als Kette sprachlicher Zeichen vor und nicht als Kette malerischer Zeichen“133. In der Folge entwirft sie eine Beschreibungssystematik in Anlehnung an die Beschreibungskriterien der Intertextualität (u.a. Markierung, Selektivität, Dialogizität). Weiters ist Mauritz der Ansicht, dass für die Referenz vom literarischen Text auf ein Gemälde schon ein Begriff existiert, nämlich der der Ekphrasis und dass es sich mit dem Terminus Intermedialität in diesem Fall um eine „begriffliche Doppelung“134 handeln würde. Dass diesen Ausführungen nicht zugestimmt werden kann, geht bereits aus den anfänglichen Überlegungen zur Ekphrasis und den Möglichkeiten der intermedialen Bezüge hervor. Die Systematik intermedialer Bezüge stellt ein Instrumentarium zur Verfügung, das zur Erfassung der Verarbeitungsmöglichkeiten von Gemälden im Text eine detaillierte Einteilung erlaubt. Dass man es weiters nicht zwingend mit einer Kombination aus sprachlichen und bildlichen Zeichen oder einem Medienwechsel zu tun haben muss, um eine intermediale Erscheinung zu definieren, haben die Betrachtungen zu den intermedialen Bezügen gezeigt.135 Verdeutlicht wurde damit auch, dass es sich beim literaturwissenschaftlichen Intermedialitätsbegriff nicht mehr um jenes „aufgeblähte Passepartout-Wort“ handelt, sondern dass es mittlerweile dank systematischer wie definitorischer Aufarbeitung nicht mehr passend erscheint von einer fehlenden Begriffsbestimmung zu sprechen. Mauritz analysiert vorwiegend „an welchen Stellen [...] zitiert wird, wie oft und ob dies nach einem gewissen Muster geschieht“136, und vor allem interessieren sie die Interpretationen der Bilder durch die Romanfiguren. Die besondere Qualität des Fremdmedialen, der „Als ob“-Charakter des Bildes und die Möglichkeiten durch intermediale Bezüge eine Illusion der Gemälde zu erzielen, kommen bei Mauritz aufgrund der intertextuellen Ausrichtung nicht zur Sprache.

133 Ebda. 6. 134 Ebda. 5. 135 Vgl. Irina O. Rajewsky: Intermedialität, 19, Schema 2. 136 Martina Mauritz: Vom Tafelbild zum Textbild, 65.

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Z USAMMENFASSUNG Nach dieser Darstellung der aktuellen Forschungslage können die entscheidenden Aspekte der theoretischen Einbettung des intermedialen Gemäldezitates in die Intermedialitäts- und Bild-Text-Debatte zusammengefasst werden. In der Folge wird es möglich weitere Besonderheiten dieser Zitatform zu ergänzen und eine Definition in Anknüpfung und Abgrenzung zu bereits existenten Begriffen bildlicher Zitate zu versuchen. Grundsätzlich kann das intermediale Gemäldezitat als ein System von Verweisen auf reale oder fiktive Gemälde angesehen werden. Diesem Bezugscharakter liegt die Beteiligung zweier unterschiedlicher Medien zugrunde. Der Text nimmt Rekurs auf das System der Malerei und damit auf das Medium des Bildes. Es handelt sich somit um zwei differente Zeichensysteme (Eykman, Eicher, Mosthaf, u.a.) mit jeweils medienspezifischen Eigenschaften. Das kontaktgebende Medium kann im kontaktnehmenden nur in der Form eines „Als ob“ erscheinen und beim Leser eine der Malerei ähnliche Erfahrung hervorrufen (Rajewsky, Wolf). Wesentlich ist die Frage wie mit dieser Mediendifferenz in den Texten umgegangen wird. Wie gezeigt wurde, ist prinzipiell zwischen Einzelreferenz und Systemreferenz zu unterscheiden (Rajewsky, Wolf, Bleckmann, Eicher, Mai, u.a.). Eine Einzelreferenz stellt einen Verweis auf bestimmte reale oder fiktive Gemälde dar, wie dies zum Beispiel Bildtitel oder konkret zuordenbare Elemente eines Bildes ausdrücken können.137 Durch solche Vergleichsmomente kann eine Konkretisierung des Darzustellenden erreicht und für die Bedeutungskonstitution des Textes genutzt werden. Vorausgesetzt es handelt sich um ein Gemälde mit hohem Bekanntheitsgrad. Im Zuge einer Einzelreferenz wird aber nicht nur das bestimmte einzelne Bild aufgerufen, evoziert wird damit auch das System der Malerei. Im Bereich der Systemreferenz wurde deutlich, dass für das intermediale Gemäldezitat besonders die Systemerwähnung von Bedeutung ist, die sich in explizite Systemerwähnung und Systemerwähnung qua Transposition gliedern lässt (Rajewsky). Einer expliziten Systemerwähnung kommt die Funktion zu, den Leser für Aspekte der Malerei zu sensibilisieren und die Aufmerksamkeit auf das Visuelle zu lenken. Auf diese Weise kann der Leser auf eine bildmedial bezogene Illusionsbildung vorbereitet werden. Meist geschieht dies durch die Benennung von mit der Malerei in Verbindung stehenden Aspekten und Ele-

137 Spricht man zum Beispiel von einer nicht näher bestimmten Mariendarstellung, so handelt es sich um ein transmediales Phänomen, da diese nicht an eine bestimmte mediale Präsentationsform gebunden ist.

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menten (Gemälde, Bild, Kunstwerk, Malerei, Rahmen), aber auch durch die Nennung der Maler, des Kunststils (manieristisch, barock, expressionistisch) oder auch durch die Erwähnung von malerischen Subsystemen (Porträts, Landschaften [in Kombination mit dem expliziten Verweis auf die Malerei], Historienbilder, Stillleben). Oft handelt es sich dabei um rein „histoire“-spezifische Elemente, die auch im Paratext zu finden sind (zum Beispiel Titel des Buches oder Kapitelüberschriften). Im Bereich der Systemerwähnung qua Transposition sind im Rahmen des intermedialen Gemäldezitats die evozierende und simulierende Systemerwähnung heranzuziehen. Evokationen werden häufig in Form von Thematisierungen des Malereisystems gestaltet, die eine malerische Illusionsbildung hervorrufen und durch Vergleiche erzielt werden (Rajewsky, Mai, Eykman). Bei der simulierenden Systemerwähnung (Rajewsky, Klier, Petersen, u.a.) werden punktuell verfahrenstechnische Vorgänge des Systems der Malerei formal und inhaltlich imitiert (Perspektive, Bewegung, Licht). Für das intermediale Gemäldezitat wird zu zeigen sein, dass sich evozierende und simulierende Erwähnung nicht immer trennen lassen, sind die Gemäldezitate doch in den Form-Kategorien der Beschreibung und der Erzählung (Dieterle, Klier, Bleckmann) anzutreffen. Prinzipiell ist von Bedeutung welchen handlungsrelevanten Stellenwert ein Rekurs auf ein reales oder fiktives Gemälde hat. Davon ausgehend lässt sich das intermediale Verfahren erklären. Ist zum Beispiel ein Gemälde beim kunstinteressierten Leser als bekannt vorauszusetzen, reicht zur Visualisierung die Nennung des Bildtitels oder des zentralen Bildelements. Wird aber ein spezielles Detail eines Gemäldes für den Text entscheidend, so wird die Nennung des Bildtitels nicht ausreichen, vielmehr ist es notwendig zusätzlich eine Beschreibung anzufügen. Evoziert kann aber genauso ein fiktives Gemälde werden. Die Beschreibung kann in diesem Fall vergleichend zu real existenten Gemälden eines Malers erfolgen, indem zum Beispiel typische Farb- und Lichtgestaltung, Motive und Stimmungen dem Leser vor Augen geführt werden. Abgesehen von den verschiedenen Möglichkeiten der evozierenden Erwähnung (Dieterle, Eykman, Mai) kann diese auch im Sinne einer simulierenden Erwähnung gestaltet sein. Vermeers Gemälde sind zum Beispiel durch charakteristische Lichtverhältnisse gekennzeichnet (die Bilder Caravaggios durch eine spezielle „chiaroscuro“-Technik), die im Text imitiert werden können. Durch eine verstärkte Verwendung von Ausdrücken aus dem Wortfeld, die einer gewissen Bildatmosphäre zugrunde liegen, kann ein „Als ob“ der Bilder Vermeers erreicht werden. Auch die Perspektive und der Bildaufbau können im Text simuliert werden, wenn zum Beispiel das zentrale Bildobjekt zuerst beschrieben wird und sich daran anschließend die Übergänge von Vordergrund zu Hintergrund erschließen. Eine

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weitere Möglichkeit der Bildbeschreibung und Bilderzählung ist die Schilderung des Entstehungsprozesses (Dieterle, Mosthaf, Eykman, Mai) oder eines Rezeptionserlebnisses. Das intermediale Gemäldezitat könnte Gemälde als Zitate nicht nur in Form von Beschreibung und Erzählung, sondern auch in Form einer Abbildung umfassen. Dieser Sonderfall138 der Einfügung eines bildlichen Zeichens ist meist mit einer Beschreibung kombiniert und initiiert somit einen reziproken medialen Prozess.

138 Er wird als solcher bezeichnet, da Abbildungen generell nur sehr selten eingefügt werden.

Das intermediale Gemäldezitat

Z ITATBEGRIFF UND INTERMEDIALE ZITATIVE V ERFAHRENSWEISEN Das Zitat gilt als prototypische Konkretisationsform von Intertextualität1 und bezeichnet eine „wörtliche Übernahme und Einfügung aus fremden Texten, meist mit Markierung und Nachweis der Quelle“2. Das Charakteristikum des wörtlichen Zitats liegt in der Mediengleichheit von zitierendem und zitiertem Zeichen3 und damit in der identisch reproduzierbaren Wiederholung des Ausdrucks.4 Dieses traditionelle Verständnis stößt an seine Grenzen, sobald, wie im Fall der Bild-Text-Relation, zwei unterschiedliche Zeichensysteme aufeinander bezogen werden. Die Forschungsarbeiten zum Zitatbegriff beschäftigen sich in den letzten Jahren primär mit dem Akt des Zitierens im intertextuellen Kontext, aber es zeigen sich auch Versuche einen erweiterten Zitatbegriff zu etablieren, der in diver-

1

Gérard Genette unterscheidet fünf Typen transtextueller Beziehungen: Intertextualität (mit den Formen Zitat, Plagiat und Anspielung), Paratextualität, Metatextualität, Hypertextualität und Architextualität. Vgl. Gérard Genette: Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe. Frankfurt a.M. 1993, 10 ff.

2

Rudolf Helmstetter: „Zitat“, in: Jan-Dirk Müller (Hg.), Reallexikon der deutschen

3

Vgl. Roland Posner: „Zitat und Zitieren von Äußerungen, Ausdrücken und Kodes“,

Literaturwissenschaft. Bd. 3 (P-Z), Berlin/New York 2003, 896-899, 896. in: Zeitschrift für Semiotik. Bd. 14, Heft 1-2 (1992), 3-16, 7. 4

Andreas Böhn spricht in diesem Zusammenhang von Zeichensystemen mit und solchen ohne doppelte Artikulation. Vgl. Andreas Böhn: „Dimensionen intermedialen Zitierens und indirekter Formverwendung in audiovisuellen Medien“, in: Ernest W.B. Hess-Lüttich (Hg.), Medien, Texte und Maschinen. Angewandte Mediensemiotik. Wiesbaden 2001, 51-66, 56.

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sen intermedialen Zusammenhängen eine zusätzliche Beschreibungskategorie bildet. Bereits Hans-Ulrich Simon formuliert in seinem Beitrag Zitat im Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte die Möglichkeit, nichtliterarische Zeichen als Bezugstext unter „Materialzitat“ oder „Realienzitat“ zu fassen. Obwohl er prinzipiell von der Unmöglichkeit ausgeht, dass Werke anderer Künste als die der Literatur als Zitate gewertet werden können, kann durch Versprachlichung ein bildliches Zeichen zitierbar werden. „Ein Z[itat] aus nicht-literarischen B[ezugs]-Texten [...] ist zwar weniger strukturiert, dennoch auch immer ein präfabriziertes Konstrukt; da Z. durch seine Repräsentation des B-Textes diesen in den Verweisungszusammenhang von A[ufnahmetext] mit einbringt, ergibt sich durch die verschiedene Herkunft von Z. nur ein Gefälle in der referentiellen Struktur von A. Auch Z. aus einem nicht-literarischen Text wird (innerhalb des A-Textes) literarisch, fiktionalisiert.“

5

Rudolf Helmstetter führt hingegen in seinem Artikel über das Zitat bereits einen weiten Zitatbegriff an. „Der strengen Einschränkung auf wortlautliche Einzeltext-Referenz stehen begrifflich Tendenzen einer entdifferenzierenden Ausweitung auf jegliche Form von Bezugnahmen gegenüber.“6 Diese generellen Ausweitungen der Verweisfunktion bilden die Grundlage für eine Definition intermedialer Zitationsverfahren. Abgesehen von definitorischen Auslotungen des Begriffs Zitat, finden weiters Wortprägungen wie Kunstzitat, Bildzitat oder Notenzitat in Forschungsarbeiten (vor dem „intermedial turn“) Anwendung. Lea Ritter-Santini spricht bereits 1978 von optischen Zitaten, die Heinrich Mann in seinen Roman Die Göttinnen einbaut.7 Sie lässt jedoch offen, wie sie diesen Begriff terminologisch verankert. Heide Eilert hingegen beklagt in ihrer Arbeit Das Kunstzitat in der erzählenden Dichtung den „linguis-

5

Hans-Ulrich Simon: „Zitat“, in: Klaus Kanzog; Achim Masser (Hg.), Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte. Bd. 4 (Sl-Z), Berlin/New York 1984, 1049-1081, 1054.

6

Rudolf Helmstetter: „Zitat“, 896.

7

Lea Ritter-Santini: „Die Verfremdung des optischen Zitats. Anmerkungen zu Heinrich Manns Roman ‚Die Göttinnen‘“, in: Lea Ritter-Santini, Lesebilder. Essays zur europäischen Literatur. Stuttgart 1978, 7-47. Vgl. auch Lea Ritter-Santini: „Die Verfremdung des optischen Zitats. Anmerkungen zu Heinrich Manns Roman ‚Die Göttinnen‘“, in: Ulrich Weisstein (Hg.), Literatur und Bildende Kunst, 259-278. Lea RitterSantini verwendet auch Bezeichnungen wie Bildzitat (7 ff), Kunstzitat (10 ff), figurative Zitate (22 ff). Die Seitenangaben beziehen sich auf den Artikel von 1978.

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tischen Mangel“ dieses Oberbegriffs, der das „‚Hereinspielen‘ von nicht primär literarischen Kunstgattungen (Gemälden, Skulpturen, Instrumentalmusik, OpernTheater- und Tanzvorführungen)“8 (Herv. i.O.) in den Text bezeichnet.9 Da sie sich an der wörtlichen Zitation orientiert, die sie als genaueste Entsprechung im Bereich der Literatur zum Bild-im-Bild-Phänomen10 der Malerei ansetzt, kommt sie zur Schlussfolgerung, dass „gerade die nichtliterarischen Kunstgattungen nicht buchstäblich ‚zitiert‘ werden“ können und „mit den verweisenden Mitteln der Sprache [...] Kunstwerke zwar ‚herbeizitiert‘, evoziert, nicht aber im strikten Wortsinne ‚zitiert‘ [werden]“11 (Herv. i.O.) können. Daher schlägt Eilert vor den Sammelbegriff Kunstzitat gleichsam als „metaphorischen Zitatbegriff“12 anzusehen. Thomas Eicher nimmt Bezug auf Eilerts Kunstzitat und setzt sich mit dem Problem des Zitatbegriffs im Falle intermedialer Bezugnahmen auseinander. Zwar konstatiert auch er in Rekurs auf einen wörtlichen Zitatbegriff, dass die

8

Heide Eilert: Das Kunstzitat in der erzählenden Dichtung. Studien zur Literatur um

9

Für „hereingespielte“ Kunstwerke der bildenden Kunst verwendet auch sie die Be-

1900. Stuttgart 1991, 19. griffe „optisches Zitat“ und „Bildzitat“. 10 Das Bild-im-Bild ist Untersuchungsgegenstand der kunsthistorischen Interikonizitätsforschung (vgl. Christoph Zuschlag: „Auf dem Weg zu einer Theorie der Interikonizität“, in: Silke Horstkotte; Karin Leonhard (Hg.), Lesen ist wie Sehen. Intermediale Zitate in Bild und Text. Köln 2006, 89-99) und Interpikturalitätsforschung (vgl. Valeska von Rosen: „Interpikturaliät“, in: Ulrich Pfisterer (Hg.), Metzler Lexikon Kunstwissenschaft. Ideen, Methoden, Begriffe. Stuttgart 2003, 161-164), die die heterogenen Bezüge zwischen Kunstwerken epochen- und gattungsübergreifend analysieren (vgl. Christoph Zuschlag: „Auf dem Weg zu einer Theorie der Interikonizität“, 90). Diese Theorie der Interikonizität entsteht in Anlehnung an das Intertextualitätskonzept und plädiert für eine stärkere Auseinandersetzung mit literaturtheoretischen Ergebnissen. Begriffe wie Zitat, Paraphrase usw. sind bereits der Literaturtheorie entnommen. Weiters sei erwähnt, dass sich das Kunstzitat in der kunsttheoretischen Forschung als Begriff und Gegenstand fest etabliert hat. Besonders im Laufe des 20. Jahrhunderts kommt mit der Collage ein Medium zur Anwendung, das Kunstzitate ohne Ähnlichkeitsverlust ermöglicht (vgl. Ulrike Kristin Schmidt: Kunstzitat und Provokation im 20. Jahrhundert. Weimar 2000, 23 ff). In der Kunst des Kubismus, Futurismus, Surrealismus und auch in der Pop Art und Appropriation Art sind Kunstzitate ein fester Bestandteil der Bildkomposition. 11 Heide Eilert: Das Kunstzitat in der erzählenden Dichtung, 19. 12 Ebda.

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Bilder „genaugenommen zuerst in das andere Medium ‚übersetzt‘ werden [müssten], um dort ‚zitierfähig‘ zu werden“13 (Herv. i.O.), dennoch setzt er sich für die Beibehaltung des Zitatbegriffs ein, da seiner Meinung nach durch die medienspezifischen Eigenschaften der involvierten Medien keine „Verschleierung der medialen und konstruktiven Autonomie der Kunstformen“14 zu befürchten ist. Obwohl sich Eicher mit zitierten Bildern im Rahmen der Intermedialitätsforschung beschäftigt, wird durch die Fixierung auf das Kriterium der identisch reproduzierbaren Elemente (auf Basis des Mediums Sprache) klargestellt, dass der Zitatbegriff das zu beschreibende Phänomen nicht gänzlich abdeckt. Andreas Böhn bricht die Schranken der Intertextualität zugunsten des Zitatbegriffs auf, indem er u.a. auf die Vernachlässigung von Formen intermedialen Zitierens hinweist. Doch bevor diese intermedialen zitativen Verfahrensweisen genauer betrachtet werden, soll auch der Begriff Gemäldezitat bei Martina Mauritz Berücksichtigung finden. Wie im Forschungsüberblick ausgeführt wurde, beschäftigt sich Mauritz mit dem Gemäldezitat auf Basis der Intertextualitätsforschung. Sie geht über eine eng gefasste Definition von Zitat hinaus, begründet die Wahl des Terminus Gemäldezitat aber dahingehend, dass „die Tatsache des eindeutigen Bezugs auf ein reales Gemälde unterstrichen werden soll“, da der Zitatbegriff „den Ausschluss fiktiver Gemälde [impliziert]“15. Dass dies kein relevantes Kriterium für das intermediale Gemäldezitat ist, wird noch zu klären sein. Prinzipiell sei vorweggenommen, dass es beim intermedialen Zitatbegriff verstärkt um die Verweisfunktion geht. In der Folge versucht Mauritz eine Beschreibungssystematik für das Gemäldezitat in Anlehnung an textdeskriptive Intertextualitätsansätze, wobei sich diese in eine quantitative Beschreibung (nach den Kriterien Art, Umfang, Markiertheit, Verteilung, Dichte und Ort), eine qualitative Beschreibung (inhaltliche Darstellung des Gemäldes), in die Funktionen und eine Interpretation des Gemäldezitats untergliedert.16 Diese Einteilung ist zwar für die intertextuelle Ausrichtung ihrer Arbeit schlüssig, für eine Etablierung eines intermedialen Zitatbegriffs aber nicht geeignet. Explizite Erwähnung erfährt das Zitat als intermedialer Typus bei Dubravka Oraiü Toliü. In ihrer Arbeit Das Zitat in Literatur und Kunst erstellt sie eine Typologie für literarisch-künstlerische Zitate, die neben interliterarischen Zitaten,

13 Thomas Eicher: „Was heißt (hier) Intermedialität?“, 22. Vgl. auch Thomas Eicher: Erzählte Visualität. Studien zum Verhältnis von Text und Bild in Hermann Brochs Romantrilogie „Die Schlafwandler“. Frankfurt a.M. 1993, 26. 14 Thomas Eicher: „Was heißt (hier) Intermedialität?“, 23. 15 Martina Mauritz: Vom Tafelbild zum Textbild, 25. 16 Vgl. ebda. 65 ff.

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Autozitaten, Metazitaten und außerästhetischen Zitaten auch intermediale Zitate anführt.17 Ihrer Definition zufolge sind die Prototexte beim intermedialen Zitat „andere künstlerische Medien, wie z.B. Malerei, Musik, Film“18. Als Beispiele nennt sie abgedruckte Noten in einem Roman oder Illustrationen in literarischkünstlerischen Texten.19 Damit wird deutlich, dass Oraiü Toliü unter intermedial primär Medienkombinationen versteht. Dass aber auch Texte mit intermedialen Bezügen Zitatcharakter besitzen, soll u.a. mit dem Konzept der „associative quotation“ von Werner Wolf gezeigt werden. „This form can only exist under certain conditions, apart from the condition of medial dominance […]: the non-dominant (‚other‘ or ‚source‘) medium or medial sub-genre which is to be re-presented in the dominant (‚target‘) medium must in itself be an overtly intermedial hybrid containing, in one of its components, the dominant medium in question. […] Transferring material of the medial component that both media share […], by means of (total, partial, direct or indirect) quotation from the medially hybrid ‚source‘ work into the ‚target‘ work, so that the source work, including its other, non-quoted me20

dial component, is thereby evoked through association.“ (Herv. i.O.)

Werner Wolf exemplifiziert diese Art des intermedialen Rekurses am Beispiel von Songtexten, die in einem Roman zitiert werden. Dies führt beim Leser zu einem assoziativen Hinzudenken der Melodie, ähnlich dem Aufrufen von musikalischen und visuellen Komponenten infolge der Zitation der verbalsprachlichen Komponente eines Werbespots. Das Verfahren der „associative quotation“ ist entscheidend für einzelreferentielle Bezugnahmen, da „im Zuge der Zitation [...] bestimmter medial deckungsgleicher Elemente [...] illusionistisch auch die altermediale [...] Seite [...] in der Vorstellung des Lesers evoziert und für die Bedeutungskonstitution des Textes fruchtbar gemacht [wird]“21. Es stellt sich nun die Frage, ob dieses Rekursverfahren auch für Texte relevant ist, die sich auf Gemälde beziehen. Wolf verneint diese Möglichkeit; „such a hybridization is not typical of all possible (source) media (e.g. not for painting)“22. Geht man jedoch

17 Dubravka Oraiü Toliü: Das Zitat in Literatur und Kunst. Versuch einer Theorie. Wien/Köln/Weimar 1995,40 ff. 18 Ebda. 41. 19 Vgl. ebda. 42, 227. 20 Werner Wolf: The Musicalization of Fiction, 67. 21 Irina O. Rajewsky: Intermedialität, 150. Vgl. auch 112, 195. 22 Werner Wolf: The Musicalization of Fiction, 67, Fn. 127.

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davon aus, dass der Bildtitel wenn schon nicht als Bestandteil eines Gemäldes angesehen wird, dann doch unmittelbar mit diesem verbunden ist, wird im Idealfall durch die Zitation beim Leser ebenfalls das Bild wachgerufen. Meist wird zusätzlich auch eine explizite Systemerwähnung (zum Beispiel die Nennung des Künstlers oder des Stils) nötig sein, um eine exakte Vorstellung zu erreichen. Bei Kunstwerken mit Titelangaben wie ohne Titel wird eine „associative quotation“ nicht zu erreichen sein. Abgesehen von der Zitation von Bildtiteln kann ein Text auch auf Gemälde Bezug nehmen, indem (eventuelle) dem Bild inhärente Textelemente zitiert werden. Grundvoraussetzung für jede „associative quotation“ ist die Kenntnis des Liedes, Werbespots, Gemäldes usw. Mit diesen Beispielen wird deutlich, dass sich Wolf mit dem Konzept der „associative quotation“ und der damit verbundenen Wiederholung von verbalsprachlichen Elementen am traditionellen Zitat-Verständnis orientiert. Somit stellt die „associative quotation“ im Rahmen der Intermedialitätsforschung nur einen Teilaspekt und Sonderfall für einzelreferentielle Bezugnahmen dar. Ein weiterer Beitrag zu intermedialen Zitationsverfahren sind die Arbeiten von Andreas Böhn, der sich mit intermedialen Formzitaten in Fotografie und Film beschäftigt.23 In Rekurs auf das Zitat-Konzept der Intertextualitätsforschung weist er darauf hin, dass prinzipiell zwei Aspekte außer Acht gelassen wurden; einerseits „die Möglichkeit, zitierend nicht nur auf Einzeltexte, sondern auf Codes und Subcodes, vor allem auf Textgattungen und Formelemente Bezug zu nehmen“ und andererseits „die Möglichkeit intermedialen Zitierens, also der notwendigerweise transformativen Übertragung von Textelementen aus einem Medium in ein anderes“24. Am Beispiel von u.a. Cindy Shermans Untitled Film Stills zeigt Böhn wie durch das Zitieren von Filmstil und der Gattung des Filmstandbildes ein Medium auf ein anderes verweisen kann.25 Durch das Zitieren von charakteristischen Formelementen eines Stils entsteht darüber

23 Vgl.

u.a.

Andreas

Böhn

(Hg.):

Formzitate,

Gattungsparodien,

ironische

Formverwendung: Gattungsformen jenseits von Gattungsgrenzen. St. Ingbert 1999, Andreas Böhn (Hg.): Formzitat und Intermedialität. St. Ingbert 2003. 24 Andreas Böhn: „Dimensionen intermedialen Zitierens und indirekter Formverwendung in audiovisuellen Medien“, 51. 25 Vgl. ebda. 62. Vgl. auch Andreas Böhn: „Intermediale Form- und Stilzitate in Photographie und Film bei Godard, Greenaway und Cindy Sherman“, in: Andreas Böhn (Hg.), Formzitate, Gattungsparodien, ironische Formverwendung, 175-198.

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hinaus ein Verweis auf die gesamte Gattung.26 Dies erinnert an das Konzept der Systemreferenz bei Rajewsky, das infolge einer Einzelreferenz oder eines Subsystems stets indiziert wird. Besonders der Film kann durch Zitate formale Charakteristika und spezifische Eigenschaften anderer Medien simulativ nachahmen, denn „der Film bezieht aus Malerei-Zitaten Anreize zur Medienreflexion“27. Die Besonderheit intermedialer Zitate ist jene, dass sie dazu tendieren „nicht allein ein einzelnes Werk zu zitieren, sondern auch die formalen Qualitäten des Werks und sein ursprüngliches Medium“28. Ausgehend von Beispielen in den Medien Fotografie und Film sind Böhns Überlegungen auch auf das Medium Text übertragbar. Mit den Forschungsarbeiten von Böhn wurde eine entscheidende Grundlage für die Formierung eines Zitatbegriffs in der Intermedialitätsforschung geleistet, dessen Wichtigkeit er folgend verdeutlicht: „Für das ständig an Bedeutung gewinnende Feld der Intermedialität [...] bildet das Formzitat somit eine unverzichtbare Beschreibungskategorie.“29 Das intermediale Formzitat ist in seinen Grundzügen mit der simulierenden Systemerwähnung von Rajewsky zu vergleichen, denn auch dabei geht es um eine imitative Gestaltung medienspezifischer Elemente des fremdmedialen Bezugssystems. Es wäre somit möglich von simulativen Zitaten zu sprechen. Tamar Yacobi definiert die Ekphrasis als eine intermediale Form des Zitats („intermedia quotation“). In Rekurs auf „Meir Sternberg’s comprehensive theory

26 Vgl. Andreas Böhn: „Formzitate, Gattungsparodien und ironische Formverwendung im Medienvergleich“, in: Andreas Böhn (Hg.), Formzitate, Gattungsparodien, ironische Formverwendung, 7-57, 19. 27 Andreas Böhn: „Dimensionen intermedialen Zitierens und indirekter Formverwendung in audiovisuellen Medien“, 62. 28 Andreas Böhn: „Intermediale Form- und Stilzitate in Photographie und Film bei Godard, Greenaway und Cindy Sherman“, 178 ff. Er macht weiters darauf aufmerksam, dass v.a. im Film intermediale Zitate nicht mit Produkten auf der Ebene der dargestellten Welt verwechselt werden dürfen. Für intermediale Zitate sind nämlich zusätzliche Beziehungen zwischen den Medien erforderlich; wenn ein Film ein Gemälde zitiert, dann kann dies zum Beispiel durch eine dem Gemälde ähnliche Licht-, Farbsituation ausgedrückt werden. 29 Andreas Böhn: „Formzitate, Gattungsparodien und ironische Formverwendung im Medienvergleich“, 44.

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of ‚quotation‘ as discourse about discourse“ bestimmt Tamar Yacobi „the ekphrastic chain of mimesis“30 (Herv. i.O.). „Like all ‚quotation‘, therefore, ekphrasis bundles together no less than three, rather than two, domains: one first-order, strictly ‚represented‘; one second-order, ‚representational‘ in the visual mode; one third-order, ‚re-presentational‘ in the linguistic discourse. From the side of the reader of literature, we encounter the original object […] at a twofold remove, as a second-level reflex, mediated by the pictorial image that the language itself 31

mediates, re-images, quotes for us.“ (Herv. i.O.)

Diese Dreistufigkeit erlaubt es Yacobi die Ekphrasis über das Rahmenkonzept „intermedia quotation“ zu bestimmen. Von Bedeutung ist dabei, dass der Repräsentationsbegriff nicht mimetisch, sondern als Referenz verstanden wird. Yacobi sieht bereits die nicht mimetisch-abbildende Anspielung auf ein „pictorial model“ (zum Beispiel die Erwähnung einer Malerschule) als Ekphrasis an.32 Grundsätzlich ist dieses Konzept dank des weiten Zitatbegriffs im Sinne Meir Sternberg’s auch über den Bereich der Ekphrasis hinaus für intermediale Bezugnahmen hilfreich, doch sollte gerade in Hinblick auf fiktive Gemälde die dreistufige Verweisstruktur überdacht werden. Yacobi geht prinzipiell davon aus, dass „in ekphrasis, however, the represented as well as the representing domains are representations of an object“33. Dies bedeutet, dass es ein „dem Referenzobjekt (d.h. dem Artefakt) vorgängiges ‚Etwas‘“34 (Herv. i.O.) geben muss. Diese Annahme lässt sich nur auf gegenständliche, real existente Gemälde beziehen und schließt abstrakte Kunst und fiktive Gemälde aus. So ist für das in dieser Arbeit zu definierende intermediale Gemäldezitat nur eine Zweistufigkeit als Voraussetzung anzunehmen. (Eine Beibehaltung der Dreistufigkeit wäre möglich, wenn man nicht von „represented and representing as representations of an object“, sondern von „represented and representing as representations of an ‚idea‘“ spricht.) Im Bereich der Ekphrasis geht Claus Clüver einen entscheidenden Schritt weiter, indem er zwischen realen und fiktiven Beschreibungsgegenstän-

30 Tamar Yacobi: „Verbal Frames and Ekphrastic Figuration“, in: Ulla-Britta Lagerroth; Hans Lund; Erik Hedling (Hg.), Interart Poetics. Essays on the Interrelations of the Arts and Media. Amsterdam/Atlanta 1997, 35-46, 36. 31 Ebda. 32 Vgl. Christina Schaefer; Stefanie Rentsch: „Ekphrasis“, 145. 33 Tamar Yacobi: „Verbal Frames and Ekphrastic Figuration“, 36. 34 Christina Schaefer; Stefanie Rentsch: „Ekphrasis“, 145. Es handelt sich um eine doppelte Vermittlungsstruktur.

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den unterscheidet und sich so von der dem Referenzobjekt vorgängigen konkreten Erscheinung löst. „Ekphrasis is the verbal representation of a real or fictitious text composed in a non-verbal sign system.“35 Clüver geht zwar von einem weiten Textbegriff aus, dennoch wird durch den Rekurs auf fiktive Artefakte eine zusätzliche Variante aufgezeigt, die einen wichtigen Stellenwert in der Ekphrasisforschung einnimmt und darüber hinaus auch für den Phänomenbereich der intermedialen Bezüge entscheidend ist.36 Das Rahmenkonzept der „intermedia quotation“ von Tamar Yacobi in Rekurs auf Meir Sternberg liegt auch (eingeschränkt) dem intermedialen Gemäldezitat zugrunde. Ausweitung muss die intermediale Form des Zitats durch den Bezug auf fiktive Gemälde erfahren.

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Der Begriff intermediales Gemäldezitat ermöglicht es jene Einzelbegriffe, die sich bereits in einem intermedialen Rahmen etabliert haben, zusammenzuführen und mit den Möglichkeiten und Funktionen intermedialer Bezüge zu kombinieren. Entscheidend ist, dass durch die Bezugnahmen, in unterschiedlichen Formen (evozierende und simulierende Systemerwähnung, „associative quotation“, Formzitate, usw.) vorgenommen, beim Rezipienten analog zur Malereierfahrung eine Illusion des Fremdmedialen („Als ob“-Gemälde) bewirkt wird. Weiters bietet der Begriff des intermedialen Gemäldezitats die Möglichkeit nicht nur Texte, sondern auch Filme, die sich auf Malerei beziehen, zu umfassen.37 Dieser Vorteil wird durch einen erweiterten Zitatbegriff erzielt. Würde man auf dem

35 Claus Clüver: „Ekphrasis Reconsidered. On Verbal Representations of Non-Verbal Texts“, in: Ulla-Britta Lagerroth; Hans Lund; Erik Hedling (Hg.), Interart Poetics, 1933, 26. 36 Aber nicht nur Tamar Yacobi bezieht sich auf den weiten Zitatbegriff von Meir Sternberg, auch bei Silke Horstkotte und Karin Leonhard heißt es in der Einleitung des Buches Lesen ist wie Sehen. Intermediale Zitate in Bild und Text „eine Leitfunktion übernimmt [...] das Konzept des Zitats als einer strategischen und gezielten Bezugnahme auf andere Diskurse, die in einen neuen Kontext integriert werden“ (Silke Horstkotte; Karin Leonhard: „Einleitung. ‚Lesen ist wie Sehen‘ - über Möglichkeiten und Grenzen intermedialer Wahrnehmung“, in: Silke Horstkotte; Karin Leonhard (Hg.), Lesen ist wie Sehen, 1-15, 9). 37 Weiters wäre es mit dem Begriff intramediales Gemäldezitat denkbar auch Bild-BildBezüge einzuschließen.

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Konzept des wörtlichen Zitats aufbauen und folglich nach identisch wiederholbaren Elementen suchen, wären Gemälde nach diesem Verständnis nicht zitierbar. Denn weder eine in den Text eingefügte Reproduktion eines Gemäldes, noch eine Fotografie des Gemäldes und keinesfalls eine Gemäldebeschreibung sind mit dem Original identisch. „Die Ersetzung des Identitätskriteriums [in der Malerei das Kriterium Original] durch das weniger strenge des Enthaltenseins und die Betonung der konstitutiven Funktion des Verweiskriteriums führen zu einem Zitatbegriff, der nicht mehr wie der am wörtlichen Zitat orientierte auf das Medium ‚Sprache‘ beschränkt ist.“38 (Herv. i.O.) Zusammenfassend ist unter dem intermedialen Gemäldezitat folgendes zu verstehen: Ein auf Basis des Konzepts der „intermedia quotation“ und einer weiten Zitatdefinition gebildeter Begriff, der es ermöglicht die verschiedenen Formen der Bezugnahmen (evozierende und simulierende Systemerwähnung, „associative quotation“, Formzitate, usw.) von Texten und Filmen auf Gemälde zu untersuchen. Die Gemälde werden durch ein komplexes Verweissystem im Text zitiert und erzielen damit beim Rezipienten einen „Als ob“-Effekt von Malerei. Durch die Konstanten „Referenz“ und „Illusion“ wird es mit diesem intermedialen Zitat-Verständnis möglich nicht nur reale, sondern auch fiktive Gemälde zu berücksichtigen.

38 Andreas Böhn: „Formzitate, Gattungsparodien und ironische Formverwendung im Medienvergleich“, 38.

Jan Vermeer – Charakteristika der Gemäldekonzeption

Die Gründe für die häufige intermediale Zitation der Gemälde Jan Vermeers lassen sich anhand von mehreren Faktoren erklären. In erster Linie ist die spezielle Bildwirkung/Bildatmosphäre zu nennen, auf die in den literarischen Werken auch fiktive Gemälde rekurrieren. Diese atmosphärische Besonderheit lässt sich über den Aspekt des vermeerschen Lichts begründen. Charakteristika wie das Prinzip der Uneindeutigkeit und der Wiederholung von Bilddetails genauso wie eine konsequente inhaltliche Offenheit sind weitere zentrale Aspekte, die sich als prädestiniert für intermediale Rekurse erweisen. Vergleicht man die Bilder Vermeers mit jenen seiner Zeitgenossen Gerrit Dou, Gabriel Metsu, Gerard ter Borch und anderen, so unterscheiden sie sich thematisch kaum voneinander. Doch bereits seit den ersten Auseinandersetzungen mit dem Delfter Künstler wird auf etwas Nichtdefinierbares in der Wirkung seiner Werke hingewiesen. Es ist die Rede von einem „Geheimnis“1 in seinen Gemälden, von einer „Rätselhaftigkeit“2, von einem „Wunder“3. Dieses „Rätsel Vermeer“ ist bis heute nicht eindeutig gelöst, obwohl sich die Forschung aus unterschiedlichen Richtungen dem Phänomen nähert. Ein kurzer Überblick über den aktuellen Forschungsstand soll die divergenten Positionen in der bis heute andauernden Debatte nachskizzieren, um schließlich aufzuzeigen, dass unabhängig von der jeweiligen Sichtweise dieselben Kriterien Berücksichtigung gefunden haben. Diese Kriterien sind auch jene, auf die in den Romanen Bezug ge1

Anthony Bailey: Vermeer. Berlin 2002, 113.

2

Eddy de Jongh: „Die ‚Sprachlichkeit‘ der niederländischen Malerei im 17. Jahrhundert“, in: Sabine Schulze (Hg.), Leselust. Niederländische Malerei von Rembrandt bis Vermeer. (Katalog zur Ausstellung), Stuttgart 1993, 23-33, 26.

3

Ernst H. Gombrich: Die Geschichte der Kunst. London 1996, 433. Eingegangen ist auch die Benennung von Theophil Thoré, der Vermeer als eine Sphinx bezeichnete.

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nommen wird. Grundsätzlich lassen sich in der Vermeerforschung drei Standpunkte (ikonologische Forschung, holländische Malerei als Sehkultur, Kunst Vermeers in Hinblick auf zeitgenössische naturwissenschaftliche Theorien) konkretisieren. Die ikonologischen Forschungen der 1970er Jahre lassen sich als erste große Hauptrichtung charakterisieren, die die Auseinandersetzung mit der holländischen Malerei auf inhaltlicher Ebene entscheidend prägten. Zuvor war man maßgeblich damit beschäftigt (durch das von Theophil Thoré erweckte Interesse an Vermeer) das Œuvre des Malers erstmals vollständig zusammenzustellen.4 Es herrschte ein Bildverständnis vor, das die holländischen Genrebilder als authentische Abbilder des Alltagslebens ohne weitere Bedeutung ansah.5 Die ikonologischen Forschungen stützten sich hingegen auf die Tradition von Erwin Panofskys „disguised symbolism“6, demzufolge die Bedeutung eines Kunstwerkes hinter der vermeintlichen Oberfläche zu suchen wäre. Der Vorstellung einer verborgenen, verbalen Botschaft, die „norm- und werkvermittelnde Appelle in handlungsverändernder Absicht“7 aussendet, folgte ein kollektives „Rätsellösen“ basierend auf der im 17. Jahrhundert weitverbreiteten Emblemliteratur. Das Emblem als Methode eines Sinn-Verdeckens wurde aus dem Zusammenhang zwischen Bildmotiven in der Emblemliteratur (bestehend aus Bild, Motto und Epigramm) und bestimmten Motiven auf holländischen Bildern entdeckt.8 Dies impliziert, dass Sinn immer nur „hinter“ oder „außerhalb“ der Bilder verortet werden kann. Victor Stoichita hat in seinem Buch Das selbstbewusste Bild darauf hingewiesen, dass in der Diskussion von Befürwortern und Gegnern der emblematischen Lektüre darauf vergessen wurde „welchen Status

4

Vgl. Eduard Plietzsch: Vermeer van Delft. Leipzig 1911 und Ary Bob de Vries: Jan Vermeer van Delft. Basel 1945.

5

Thierry Greub spricht in diesem Zusammenhang von der Methode der realistischen Sichtweise. Vgl. Thierry Greub: Vermeer oder die Inszenierung der Imagination. Petersberg 2004, 13.

6

Erwin Panofsky: Early Netherlandish Painting. Cambridge/Massachusetts 1953, 131-

7

Norbert Schneider: Vermeer. Verhüllung der Gefühle. Köln 2004, 24.

8

Vgl. Christiane Rambach: Vermeer und die Schärfung der Sinne. Weimar 2007, 12.

148.

Vgl. auch Svetlana Alpers: Kunst als Beschreibung. Holländische Malerei des 17. Jahrhunderts. Köln 1985, 32 ff.

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das Emblem im XVII. Jahrhundert innehatte und in welchem besonderen Verhältnis es zur Welt der Darstellung stand“9. Er ist der Ansicht, dass „sich das Emblem seit seiner Erfindung als ein Zeichen anbietet, das geschaffen wurde, um zitiert zu werden. Es ist, könnte man sagen, das ‚moderne‘ Zitat par excellence. [...] Nichts gefährlicher also, als in dem Vermeerschen Verfahren einen Versuch zu sehen, einen Aspekt der Wirklichkeit durch das Mittel von emblematischen Bezügen zu ‚chiffrieren‘. Das emblematische Zitat hat eine ganz andere Funktion: die des Dechiffrierens. [...] Die emblematische Einfügung [ist] nicht gleichbedeutend mit einem transparenten Zeichen. Sie regt die Betrachter der Bilder an, ‚nachzudenken und zu überlegen‘; sie ‚verschafft dem Leser, der schließlich ihren Zweck und ihren Sinn gefunden hat, ein seltsames Vergnügen, sehr ähnlich dem, das jemand empfindet, der nach langer Suche endlich eine schöne Traube unter dichtem Laubwerk entdeckt‘. Diese Aufdeckung ist jedoch nicht obligatorisch. Die Suche selbst ist allerdings wichtig. Das Emblem ist ein polysemisches Zeichen. Dasselbe Emblem kann, je nach dem Kontext, eine soziale, erotische oder religi10

öse Erklärung haben.“ (Herv. i.O.)

Auf diese Schlussfolgerung wird im Rahmen der Besprechung einzelner Bilder und ihrer Verarbeitung im Text noch zurückzukommen sein, denn auch in diesem Zusammenhang sind es meist die Bilder-im-Bild, die in unterschiedlichen Gemälden zur Klärung des Bildinhalts herangezogen werden und Erklärungsansätze liefern. Doch zurück zur ikonologischen Deutung, die trotz neuerer Zugänge zu Vermeers Werk stets ein fundamentaler Bestandteil der Annäherung an die holländische Kunst geblieben ist. Eine Besonderheit der vermeerschen Bilder ist der Grad an Unklarheit, der sich inhaltlich wie formal konsequent durch das Œuvre zieht. Für die ikonologischen Auslegungen hatte dies zur Folge, dass eine Vielfalt an unterschiedlichen Interpretationen angeboten werden konnte.11 In Konflikt gerieten die Vertreter der traditionellen Ikonologie mit dem Aufsehen erregenden Buch Kunst als Beschreibung von Svetlana Alpers. In dem Statement von Eddy de Jongh, einem der führenden Ikonologen, ist die Stim-

9

Victor I. Stoichita: Das selbstbewusste Bild. Vom Ursprung der Metamalerei. München 1998, 186.

10 Ebda. 186, 187. Vgl. auch Thierry Greub: Vermeer, 172 ff. 11 Als Paradebeispiel gilt das Gemälde Perlenwägerin, dessen Deutungen von einer personifizierten Vanitasdarstellung, über die Allegorie der göttlichen Wahrheit bis zur Inkarnation der Justitia reichten. Vgl. Christiane Rambach: Vermeer, 13 ff und Thierry Greub: Vermeer, 106 ff.

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mung der diesbezüglichen Erneuerung festgehalten. „Die Ikonologen, die lange Zeit relativ ungestört arbeiten konnten, wurden [...] durch das Erscheinen des polemischen Buches The Art of Describing von Svetlana Alpers aufgeschreckt.“12 Sie sahen nicht wie Wolfgang Kemp im Vorwort zur deutschen Ausgabe die „Chance, die große Malerei des holländischen 17. Jahrhunderts neu zu sehen“13, sondern waren irritiert über die Ablehnung jeglicher, an der Emblematik orientierten ikonologischen Interpretationsweise. Alpers erarbeitete ein neues Methodenbewusstsein, das die holländische Malerei des 17. Jahrhunderts und besonders die Werke Jan Vermeers unter dem Blickpunkt einer dezidiert nicht-italienischen Kunstauffassung als Erzählung („istoria“), sondern als Sehkultur, als eine Beschreibung („descriptio“) von Welt ansah. In ihren Untersuchungen setzte sie die Malerei in Verbindung mit den naturwissenschaftlichen Errungenschaften der Zeit (Optik und Kartographie) und konnte somit als zentrales Element der Bildproduktion und des gesellschaftlichen Lebens ganz allgemein eine Begeisterung für das Sehen nachweisen.14 Dieser veränderte Blickwinkel führte zu neuen Wegen der Bildinterpretation durch Konsultierung vor allem naturwissenschaftlicher Schriften. Alpers Buch galt fortan als das bahnbrechende Werk, das kein Forscher in der Folge außer Acht lassen konnte.15 Als dritte Position in der Vermeerforschung lassen sich Arbeiten aus jüngster Zeit charakterisieren. Grundsätzlich überzeugen diese Aufarbeitungen durch eine „polyfokale Deutung“16, die Darstellungsform und Darstellungsinhalt kombinieren und unterschiedliche Interpretationsmodelle für eine neue Annäherung an

12 Eddy de Jongh: „Die ‚Sprachlichkeit‘“, 23. 13 Wolfgang Kemp: „Vorwort“, in: Svetlana Alpers, Kunst als Beschreibung, 7-20, 9. 14 Vgl. Svetlana Alpers: Kunst als Beschreibung, 35 ff. 15 Der Vollständigkeit wegen sei erwähnt, dass auch andere Forscher auf dem Gebiet der Annäherung an Vermeers Werke mittels optischer Gesichtspunkte viele neue Erkenntnisse lieferten. Eine besonders hitzige Debatte entbrannte infolge der Diskussion über eine mögliche Verwendung der Camera obscura. Darauf wird später im Zusammenhang mit der Lichtthematik noch hingewiesen werden. Aber auch die Verortung innerhalb zeitgenössischer Perspektivtheorien verfolgten u.a. Arthur Wheelock und Jørgen Wadum. John Michael Montias lieferte hingegen mit seinem 1989 erschienenen Buch Vermeer and his milieu einen entscheidenden Beitrag zur Quellenforschung. Vgl. u.a. Arthur K. Wheelock: Perspective, Optics, and Delft Artists around 1650. New York/London 1977, Jørgen Wadum: „Vermeer und die Perspektive“, in: Arthur K. Wheelock (Hg.), Vermeer. Das Gesamtwerk. (Katalog zur Ausstellung), Den Haag/Stuttgart/Zürich 1996, 67-79. 16 Thierry Greub: Vermeer, 14.

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Vermeers Kunst nützen. Exemplarisch für diese Arbeiten steht zum Beispiel die Wahrnehmungsstudie Das gemalte Zimmer von Karin Leonhard. Da sie sich eingehend mit Vermeers Raumgestaltung, den Raummodellen der Zeit und ihrer Korrelate in Optik und Wahrnehmungstheorien beschäftigt, präsentiert sie Vermeer als Maler erfüllter Raume, der seine Innenräume nach optischen Gesichtspunkten gestaltete. Weiters geht es um die Interieurmalerei als hochgradig selbstreflexive Bildgattung und als Gattung bewusster Nähebildung von Bildund Betrachterraum.17 Die Selbstreferenzialität der Malerei in Vermeers Gemälden ist u.a. auch in Thierry Greubs Vermeer oder die Inszenierung der Imagination Thema. Er belegt, dass Vermeer keinesfalls (wie so oft angenommen wurde) der zurückgezogen lebende, kaum sozialen Kontakt pflegende Maler war, sondern vielmehr ein angesehener Künstler seiner Zeit, der in seinen Bildern die medialen Bedingungen wie auch den sozialen Status reflektierte. Der Versuch, die Bilder als Kommentar zum Arbeitsprozess Vermeers zu verstehen, soll dazu beitragen „die Bewusstheit des künstlerischen Tuns Vermeers offenzulegen“18 (Herv. i.O.). Thierry Greub stützt sich dabei auf die Erkenntnisse Victor Stoichitas, der das tägliche Leben in einer Interieurszene als Gegenstand einer „mise en abyme“ ansieht und die „infolgedessen deren selbstreferentielles Moment dar[stellt]“19. Christiane Rambach konzentriert sich in ihrer 2007 erschienenen Arbeit Vermeer und die Schärfung der Sinne auf die stimulierende Wirkung der Gemälde von Jan Vermeer. Als Bezugsquelle zieht sie die Wahrnehmungstheorien des 17. Jahrhunderts heran und schafft somit eine Verbindung zwischen Vermeers Malerei und der zeitgenössischen Naturwissenschaft und Naturphilosophie. Der Lösung des „Rätsels Vermeer“ versucht die aktuelle Vermeerforschung nach wie vor mit inhaltlichen wie kompositorischen Merkmalen in Kombination mit zeitgenössischen kunst- und naturwissenschaftlichen Theorien näherzukommen. Um an die anfangs gestellte Frage nach den Gründen der regen Verarbeitung vermeerscher Bilder in den Romanen anzuknüpfen, werden für die folgende Erschließung der besonderen Bildwirkung die vorgestellten Ansätze gleichermaßen herangezogen.

17 Vgl. Karin Leonhard: Das gemalte Zimmer. Zur Interieurmalerei Jan Vermeers. München 2003, 61. 18 Thierry Greub: Vermeer, 195. 19 Victor I. Stoichita: Das selbstbewusste Bild, 181.

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Das Werk des „common sense-Vermeer“20 thematisiert beharrlich den Innenraum, in den meist von links durch geöffnete oder halb geschlossene Fenster Licht einfällt.21 Der Genre- und Interieurtradition seiner Zeit verpflichtet, sind es oftmals Frauen, die diversen häuslichen oder musikalischen Aktivitäten nachkommen. Besonders einprägsam sind die Gemälde Vermeers aufgrund ihrer Wiederholung, einer stets nur dezenten Abwandlung desselben Grundmotivs. Ähnliche Einrichtungsgegenstände (Stühle mit Löwenkopfarmlehnen, Vorhänge, Landkarten, Gemälde, teppichbelegte Tische) und wiederkehrende Gebrauchsgegenstände (weißer Fayencekrug, Spiegel, Fruchtschale usw.) erleichtern das Erinnern.22 Doch nicht nur den Innenraum vermutet man bereits gesehen zu haben, auch die dargestellten Frauen vermitteln das Gefühl sie bereits zu kennen. Anthony Bailey zeigte auf, dass zum Beispiel die bekannte gelbe Satinjacke mit weißem Pelz in sechs Gemälden getragen wird; aber auch die Frisuren wiederholen sich.23 Entweder „streng aus der Stirn nach hinten gekämmt, mit Schleifen und Bändern zusammengehalten, zum Knoten gebunden oder im Nacken zum Chignon geflochten“24, in Form von Ringellöckchen oder das Haar durch eine weiße Haube bedeckt. Weiters lassen sich die Frauen in zwei Gruppen unterteilen; in Geschmückte und Ungeschmückte.25 Auffallend dabei ist die Tatsache, dass es sich beim Schmuck fast ausschließlich um Perlen handelt. Auf diesen Wiedererkennungseffekt stützen sich auch die literarischen Werke. Verarbeitet werden fast ausschließlich Genredarstellungen, kaum Außenansichten und so gut wie nie die religiösen Themen des Frühwerks. Zugute kommen die sich wiederholenden, beim Betrachter unweigerlich eingeprägten Bilddetails einer Konkretisierung handlungsrelevanter Elemente und Figuren. Genutzt werden diese bekannten Bildmotive auch als Versatzstücke für fiktive Vermeers, um das somit geschaffene Bild leichter imaginieren zu können. Ein zusätzliches Spezifikum der vermeerschen Kunst ist die Tatsache, dass Vermeers Gemälde im Ge-

20 Thierry Greub: Vermeer, 28. Gemeint ist damit die Konzentration auf Vermeers Genrebilder ohne Berücksichtigung des Frühwerks, das religiöse Themen präsentierte. 21 Die Ausnahme bilden zwei Außenansichten: Straße in Delft und Ansicht von Delft. 22 Anthony Bailey spricht in diesem Zusammenhang von den Markenzeichen Vermeers. Vgl. Anthony Bailey: Vermeer, 102. Vgl. auch Christiane Rambach: Vermeer, 102. 23 Vgl. Anthony Bailey: Vermeer, 130. 24 Ebda. 138. 25 Vgl. Carrie Asman: „Der Kult um Vermeer-Kultur- und Wissenschaftsgeschichte zur Perle“, in: Gisela Ecker (Hg.), Dinge. Medien der Aneignung, Grenzen der Verfügung. Königstein 2002, 70-86, 73.

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gensatz zu denen seiner Zeitgenossen, die thematisch gleiche Bildmotive behandeln, uneindeutig bleiben. „Zwischen den anekdotenreichen Darstellungen seiner Zeitgenossen erscheinen seine Bilder außergewöhnlich still und unzugänglich. Zwar wählt auch Vermeer alltägliche Lebenssituationen als Bildmotiv, wie zum Beispiel das Brieflesen, Milchausgießen oder die tägliche Toilette vor dem Spiegel, aber er bindet sie nicht in einen narrativen Bildkontext ein. [...] Der Verzicht auf eine vordergründig ablaufende Bilderzählung lenkt die Auf26

merksamkeit über das Bildmotiv hinaus auf die künstlerische Gestaltung.“

Diese Gestaltungsstrategie der in Handlung und Bildmotiv reduzierten Räume kann grundlegend auf das Gegensatzpaar deskriptive/narrative Kunst zurückgeführt werden. Svetlana Alpers, die die Kunst des Nordens als eine Kunst des Beschreibens ansah, grenzte diese von der erzählenden Kunst Italiens ab. „In der Renaissance war [die] Welt eine Bühne, auf der menschliche Gestalten bedeutungsträchtige Handlungen vollführten, die ihre Grundlage in den Texten der Dichter hatten. Diese Kunst war narrativ.“27 Diese Art der verbalen Ausrichtung lag jedoch der Kunst Vermeers und insgesamt der holländischen Kunst fern, da die „Bilder als Schilderung und Beschreibung der sichtbaren Welt und nicht als Nachahmung bedeutungsvoller menschlicher Handlungen“28 verstanden werden sollten. Durch Fragmentierung der Ikonographie infolge von nachträglichen Reduktionen, Vereinfachungen und Tilgung von Bildgegenständen wurden mögliche narrative, kommentierende Elemente verwischt, die einen Handlungszusammenhang hätten erläutern können. Eine zurückgenommene Narration lenkt die Wahrnehmung auf das Bildhafte und auf die Atmosphäre der bildinhärenten Stille.29 Es erfolgt somit eine Verschiebung vom Darstellungsinhalt auf die Bildwirkung. Die erzielte Stimmung stellt ein entscheidendes Motiv zur literarischen Zitation dar. Die Bildatmosphäre (aber auch die Uneindeutigkeit der vermeerschen Bilder) wird einerseits thematisiert, andererseits wird sie textintern erfahren und führt zu einem Lernprozess aufseiten der Romanfiguren. Denn die in den Romanen zitierten Gemälde sind nicht aufgrund ihrer ikonologischen Deutung relevant, sondern wegen ihrer Wirkung und der damit verbundenen

26 Irene Netta: „Zeit als gestalterisches Element bei Jan Vermeer van Delft und Bill Viola“, in: Susanne Gaensheimer; Helmut Friedel (Hg.), Geschichten des Augenblicks. Über Narration und Langsamkeit. München 1999, 143-155, 147. 27 Svetlana Alpers: Kunst als Beschreibung, 25. 28 Ebda. 33. 29 Vgl. Anthony Bailey: Vermeer, 149 und Christiane Rambach: Vermeer, 70.

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Wahrnehmung. „Die für ein Vermeer-Bild wesentlichen Dinge, gerade die subtilen Beziehungen zwischen den Objekten in einem Raum, die Art und Weise, wie das Licht einfällt, worauf es zielt, was es erhellt, [...] die für das Bildverständnis zentrale Gestaltung des Gemäldes wird bei einer herkömmlichen Bildbeschreibung kaum wahrgenommen.“30 Deshalb sind Vermeers Gemälde auch geeignet auf literarischer Ebene simuliert zu werden und auf diese Weise ein „Als ob“ des Bildes zu kreieren. Die spezielle Bildwirkung wird durch das bildstrukturierende und bildbestimmende Moment des Lichts erreicht. „Bei Vermeer ist das Licht keineswegs künstlich: es ist präzis und normal wie in der Natur.“31 Über diese ästhetische Besonderheit berichtete bereits Theophil Thoré, einer der größten Bewunderer der vermeerschen Kunst. In seiner Nachfolge wurde die atmosphärische Wiedergabe des natürlichen, realen Licht- und Schattenspiels auf Oberflächen und Texturen stets betont32, was Vermeer den Ruf eines „Neuerers“33 einbrachte. Unter der Bezeichnung Lichtmalerei lassen sich die unterschiedlichen physikalischen Erscheinungszustände des Lichts subsumieren.34 Dieses Spiel mit dem Licht unterscheidet Vermeer von seinen Zeitgenossen und von der damals weit verbreiteten porzellanhaften Feinmalerei. In fast allen seinen Interieurszenen fällt das Licht von der linken Seite (als einzige Lichtquelle) ein. Es trifft gleichmäßig auf alles sich im Raum Befindende, ist niemals hart konturiert und scheint die ganze Szene in ein gelbliches Sonnenlicht zu tauchen. „Vermeer hatte [...] das richtige Verständnis für ‚Farbwerte‘ – für die eigenständige Kraft einer jeden Farbe und die Beziehungen zwischen den einzelnen Farben –, und er ging sehr viel weniger schematisch und schablonenhaft damit um als viele andere Maler. Sein ausgeprägter Farbsinn befähigte ihn, höchst subtile Differenzierungen zwischen Licht und Schatten vorzunehmen, warme und kühle Farben miteinander zu mischen und in Kontrast zueinander zu setzen; jede Farbschattierung war das Ergebnis einer leicht abgewandelten Kombination von Farben auf seiner Palette; so ist es zu erklären, dass seine Interieurs von realem Licht und realer Luft erfüllt zu sein scheinen.“35 (Herv. i.O.)

30 Thierry Greub: Vermeer, 93. 31 Theophil Thoré (W. Buerger): Jan Vermeer van Delft. Leipzig 1906, 59. 32 Vgl. Anthony Bailey: Vermeer, 164. 33 Norbert Schneider: Vermeer, 90. 34 Vgl. Christiane Rambach: Vermeer, 190. 35 Anthony Bailey: Vermeer, 164.

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Bei Vermeer ist das Licht nicht Hilfsmittel zur optimalen Ausleuchtung von Gegenständen und Figuren, sondern es ist Handlungsträger und Medium der Sichtbarkeit. Besonders die Technik der Lichtpunktsetzung wurde als Indiz des Interesses an der alltäglichen Wahrnehmung der damaligen Zeit gedeutet. Wie Alpers aufzeigte, wurden „die Bilder in einen Zusammenhang mit dem Auge und dem Sehen und insbesondere mit jenem neuen Wissen, das durch die neue, vielversprechende Technik der Linse sichtbar gemacht wird“36, gesetzt. Licht als Grundbedingung des Sehens wurde bei Alpers mit naturwissenschaftlichen Sehexperimenten in Relation gebracht, über die man ausführliche Beschreibungen in den Schriften der Zeit finden konnte. Auch Christiane Rambach will Erklärungen zu Vermeers ästhetischer Bildwirkung über Wahrnehmungstheorien und technische Errungenschaften gewinnen, denn Vermeer selbst verfasste keine schriftlichen Aufzeichnungen über seine Malerei.37 Daher kann (die charakteristische Lichtwirkung Vermeers betreffend) eine mögliche Anknüpfung an die spezielle Wahrnehmung des Lichts durch technische Apparate untersucht werden. Die technischen Mittel eines experimentellen Sehens waren vorwiegend Mikroskop, Teleskop, Linse, Fernrohr, Camera obscura. Auch wenn es keine historischen Belege über eine Verwendung der Camera obscura bei Vermeer gibt, so geht die Forschung nach kontroversen Diskussionen doch von ihrem Einsatz als praktikablem Hilfsmittel aus. Resümierend in Bezug auf die Frage nach den Gründen für die intermediale Zitation der Gemälde Vermeers kann festgehalten werden, dass die einzigartige Bildwirkung, die sich durch den besonderen Gestaltungsaspekt des natürlichen Lichts ergibt, den Hauptaspekt für die literarische Verarbeitung bildet. Der Wiedererkennungseffekt und das vermeersche Prinzip der Uneindeutigkeit ergänzen die Stille verströmende Bildstimmung. Thematisiert und diskutiert wird die Relation des besonderen Lichtverständnisses zu technischen Hilfsmitteln auch in den Romanen. Daher soll auch auf Vermeers Bildkonzeption in Hinblick auf die Verwendung einer Camera obscura eingegangen werden. Von den unterschiedlichen Phänomenen, die als Beweis für den Gebrauch dienen sollen, hat nur eines weitgehend Zustimmung erhalten: die Pointillés.38

36 Svetlana Alpers: Kunst als Beschreibung, 33. 37 Vgl. Christiane Rambach: Vermeer, 23 ff. 38 Zu erkennen unter anderem in Die Spitzenklöpplerin, Dienstmagd mit Milchkrug oder Mädchen mit rotem Hut. Vgl. dazu Norbert Schneider: Vermeer, 61 ff, Anthony Bailey: Vermeer, 171 ff, Thierry Greub: Vermeer, 145 ff, Svetlana Alpers: Kunst als Beschreibung, 87, Sanford Schwartz: „Kamera-Arbeit. Vermeers Raum“, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken. Jg. 55, Heft 12 (2001), 1069-1080,

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„Kleine weiße oder goldene Farbtupfer bilden jene diffusen Lichtkreise nach, die sich beim Bild der Camera obscura in Zonen partieller Unschärfe um Lichtreflexionen bilden. Da die Cameraprojektion ohne Blende keine große Tiefenschärfe aufweist, werden Gegenstände, die vor oder hinter der fokussierten Ebene liegen, unscharf abgebildet. Lichtquellen oder Lichtreflexionen bilden Lichtkreisel. Der Teppich vor dem Geographen weist in seinen beleuchteten Partien zahlreiche dieser hellen Punkte auf. Da diese Lichthöhungen größer sind, als sie mit bloßem Auge zu erkennen wären, deuten sie darauf hin, dass 39

Vermeer die Projektionen der Camera obscura zumindest studiert hat.“

Vermeer hat das Bild der Camera obscura als Ausgangspunkt herangezogen, um es seinen Bildvorstellungen anzupassen. Die wie funkelnde Diamanten und Perlen erscheinenden Farbpunkte verstärken und akzentuieren den vermeerschen Lichtaspekt zusätzlich. Dadurch kommt eine Intensivierung der Bildwirkung und eine gezielte, auf diesem Phänomen basierende Wahrnehmung beim Rezipienten zustande. Diese hat, wie auch Christiane Rambach aufzeigt, eine Stimulierung der Sinne zufolge. Die mit haptischen Qualitäten ausgestattete, lichtgetränkte Atmosphäre verleitet zu einem „Berühren-Wollen“40; eine Tatsache, die auch in den Romanen zum Ausdruck kommt. Der Einsatz von Perlen kann als unterstützender Gestaltungseffekt des Lichts angesehen werden. Ihren faszinierend transparenten Glanz verdanken sie der einfallenden Lichtintensität. Denn Perlen dienen „sowohl dem einfallenden Licht wie dem betrachtenden Blick [als] Sammelpunkt und [bieten] die Möglichkeit der Verteilung auf andere Objekte“41. Doch nicht nur die Perlen funkeln im Bild durch Bestrahlung besonders hell, auch das vermeersche Gelb leuchtet dadurch besonders auf.42 Vermeers Gemälde lassen sich in Anbetracht der angeführten

1072 ff. Carolin Bohlmann erklärt in ihrem Beitrag die Technik der Farbgebung, die diesem Effekt zugrunde liegt. Vgl. Carolin Bohlmann: „Von den ‚befreundeten Farben‘. Zur Materialität des Lichts bei Rembrandt und Vermeer“, in: Carolin Bohlmann; Thomas Fink; Philipp Weiss (Hg.), Lichtgefüge des 17. Jahrhunderts. Rembrandt und Vermeer-Spinoza und Leibniz. München 2008, 243-255. 39 Thorsten Smidt: „Kunst und Kartographie-Johannes Vermeers Geograph als Paradigma“, in: Lutz Hieber; Hans-Joachim Jürgens; Eva Koethen et al. (Hg.), Der kartographische Blick. Hamburg 2006, 86-112, 108. 40 Christiane Rambach: Vermeer, 90. 41 Carrie Asman: „Der Kult um Vermeer“, 77. 42 Vgl. Gregor J.M. Weber: „Die Empirie des Lichts. Anmerkungen zur Lichtbehandlung bei Johannes Vermeer“, in: Kritische Berichte. Zeitschrift für Kunst- und

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konzeptuellen Besonderheiten als Lichtstudien bezeichnen. Somit ist es auch nicht verwunderlich, dass diese herausragende Qualität der Bilder im 19. Jahrhundert von den Impressionisten hervorgehoben wurde. „Es war das klare Ziel der Impressionisten gewesen, der Farbe in der Malerei zu einem neuen Recht zu verhelfen. Sie entdeckten die Elementarkontraste, die Wirkung der Primärfarben und die Sinnlichkeit des colore neu. Diese Freisetzung des schieren Farbmaterials, die neue Gestaltung des Lichtes und der pleinair-Malweise öffnete die Augen für einen Maler, der all dies vermeintlich bereits vor mehr als 200 Jahren getan hatte. Man be43

gann Vermeer mit impressionistischem Blick zu sehen.“

Für die intermediale Zitation weiters von Relevanz ist die Tatsache, dass Vermeer in seiner Bildproduktion auf unterschiedliche Medien Bezug nimmt. Durch diese Integrierung wird nicht nur ein möglicher „clavis interpretandi“ ins Spiel gebracht, sondern auch eine Reflexion über die Medialität des Bildes initiiert. Eine besondere Vorliebe hatte Vermeer für die Einfügung anderer Gemälde, die mit der dargestellten Szene in einer gewissen Beziehung stehen.44 Dieses Phänomen kann als intramediales Gemäldezitat bezeichnet werden. Diese zitierten Gemälde45 sind meist in goldenen oder schwarzen Rahmen eingefasst, als Ganzes46 oder fragmentarisch47 und in unterschiedlichen Werken wiederkehrend dargestellt. Besonders die Ikonologen haben immer wieder versucht aus dem zitierten Gemälde im Bild eine eindeutige Erklärung für das Bildgeschehen im Vordergrund zu erhalten. Die Tatsache, dass ein zitiertes Bild in verschiedenen Werken unterschiedlich gedeutet werden kann, es keine eindeutige Relation zwischen Bildgeschehen und Bild-im-Bild gibt und weiters die zitierten Gemälde oftmals nur ausschnitthaft und kaum zu erkennen wiedergegeben sind, unterstreicht dieses Prinzip der Uneindeutigkeit.

Kulturwissenschaften. Mitteilungsorgan des Ulmer Vereins-Verband für Kunst- und Kulturwissenschaften e.V. 4 (2002), 38-57, 48. 43 Thierry Greub: Vermeer, 145. 44 Vgl. Hermann Ulrich Asemissen; Gunter Schweikhart: Malerei als Thema der Malerei. Berlin 1994. 45 Viele dieser Bilder stammten aus dem Besitz seiner Schwiegermutter. Vgl. Anthony Bailey: Vermeer, 145. 46 Zum Beispiel im Gemälde Stehende Virginalspielerin oder im Konzert. 47 Zum Beispiel im Gemälde Sitzende Virginalspielerin oder in Musikstunde.

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„Das Zitieren [von] Landkarten hat bei Vermeer oft [...] die Funktion eines Hinweisens auf aktuelle politische Verhältnisse.“48 Diese Karten „sollten wohl zum Nachdenken anregen über historische Grenzen, geopolitische Probleme und die blutigen Spannungen zwischen Staaten“49. „Mit Text und Bild versehen, erzählten Karten die Kultur- und Landesgeschichte einer Region.“50 Diese drei Statements treffen auf die Landkarten zu, die Vermeer in seine Bilder integriert.51 Die meisten seiner Karten sind vom Bildrand überschnitten aber dennoch so deutlich charakterisiert, dass sie trotzdem identifiziert werden konnten. So dienen sie als Quellen der Kartographiegeschichte und bieten laut Svetlana Alpers eine Beschreibung und Visualisierung von Wissen in Bildern.52 Holland war im 17. Jahrhundert das wichtigste Zentrum der kartographischen Produktion in Europa und „zu keiner anderen Zeit und an keinem anderen Ort [bestand] eine derartig große Übereinstimmung zwischen Landkarten und Bildern“53. Daher sah Alpers zwischen der Malerei des Nordens und den Landkarten ein Verwandtschaftsverhältnis. Das Verbindende liegt im Modus der Beschreibung und in der Betonung der Fläche. Dass Vermeer die Malerei als Pendant zur Kartographie ansah, wurde mehrmals anhand des Gemäldes Malkunst zu deuten versucht. Der in voller Größe an der Rückwand hängenden Landkarte ist am rechten Rand das Wort „Descriptio“ eingeschrieben, das den deskriptiven Anspruch der Malerei zum Ausdruck bringen soll. Ohne auf die Diskussion der Ähnlichkeit zwischen Karte und Bild näher einzugehen, sei festgehalten, dass die Landkarten in Vermeers Werken einen eigenen Darstellungscharakter besitzen und so in ihrer Funktion als eingefügtes Bild-im-Bild (als selbstständiges Bild) ganz allgemein über den Innenraum hinaus verweisen. In Vermeers Bildern lassen sich weiters auch medienkombinatorische Elemente entdecken. Gemeint sind damit sprachliche Elemente, wie zum Beispiel die Briefe seiner bekannten Briefleserinnen und Briefschreiberinnen der späten 1650er und 1660er Jahre. Außer dieser in den Darstellungen überwiegenden Form findet man auch Inschriften, wie zum Beispiel dem bereits erwähnten „Descriptio“ oder der Inschrift auf dem Deckel des Virginals in der Musikstunde: MVSICA LAETITIAE COMES MEDICINA DOLORVM.

48 Norbert Schneider: Vermeer, 31. 49 Anthony Bailey: Vermeer, 129. 50 Christiane Rambach: Vermeer, 72. 51 Zum Beispiel in Briefleserin in Blau, Der Soldat und das lachende Mädchen, Junge Frau mit Wasserkanne am Fenster. 52 Vgl. Svetlana Alpers: Kunst als Beschreibung, 35, 216. 53 Ebda. 213.

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Wie Alpers anmerkt, ist „deren Radius [...] begrenzt. Sie preisen entweder die lindernde Kraft der Musik oder zitieren die Anweisung des Psalmisten, Gott mit jedem Atemzug zu preisen“54. Aber auch diese Beschriftungen kommentieren oder übertiteln das Bildgeschehen nicht in eindeutiger Form. Diese Wörter im Bild stehen den genannten Briefen gegenüber, die zwar als solche identifiziert werden können, aber keinen visualisierten Text zeigen. Gewöhnlich ist den Briefen die ganze Aufmerksamkeit der Bildfiguren geschenkt, doch als Betrachter haben wir nicht die Möglichkeit einen Blick auf das Geschriebene zu werfen. Auch der Ausdruck der dargestellten Figuren verrät uns nichts, obwohl „der Brief [...] Ereignisse und Empfindungen [vertritt oder repräsentiert], die nicht sichtbar sind“55. Dass es sich um einen Liebesbrief handelt, ist unter anderem durch eventuelle Bild-im-Bild-Darstellungen gefolgert worden.56 Obwohl generell eine „Erhellung“ des Bildes durch den Text erwartet werden kann, wird diese Hoffnung bei der Betrachtung von Vermeers Bildern enttäuscht. Die Texte sind, wie auch die zitierten Bilder und Landkarten, Teil des Bildes; ihnen kommt keine übergreifende Funktion zu. Sie sind als Einzelelemente ebenso uneindeutig wie die Gesamtanlage der Bilder.57 Die inhaltliche Offenheit, die zurückgenommene Narration, die tendenzielle Formauflösung, die nachträgliche Reduktion von Bildgegenständen und die unbestimmte Bedeutung bildimmanenter, medialer Elemente ergeben in Summe jene Strategie der Uneindeutigkeit, die dazu beiträgt Vermeers Bilder bis heute als Rätsel zu deklarieren.

54 Ebda. 312. 55 Ebda. 328. 56 Vgl. Daniela Hammer-Tugendhat: „Der unsichtbare Text. Liebesbriefe in der holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts“, in: Horst Wenzel; Wilfried Seipel; Gotthart

Wunberg

(Hg.),

Audiovisualität

vor

und

nach

Gutenberg.

Zur

Kulturgeschichte der medialen Umbrüche. Wien 2001, 159-174. Vgl. auch Jeroen Giltaij (Hg.): Der Zauber des Alltäglichen. Holländische Malerei von Adriaen Brouwer bis Johannes Vermeer. (Katalog zur Ausstellung), Ostfildern-Ruit 2005, 249, 252. 57 Der Vollständigkeit wegen seien in Bezug auf Wörter/Text in Vermeers Gemälden auch dessen Signaturen erwähnt, die durch ihre Positionierung sinnstiftend sein können. Da sie aber in diesem Zusammenhang nicht weiter von Bedeutung sind, sei auf die Arbeit von Thierry Greub verwiesen, der ein ausführliches Kapitel den unterschiedlichen Signaturen Vermeers widmet. (Vgl. Thierry Greub: Vermeer, 125 ff).

Michelangelo Merisi da Caravaggio – Charakteristika der Gemäldekonzeption

Im Vergleich zu Jan Vermeer könnte das Leben und Werk des Michelangelo Merisi da Caravaggio nicht konträrer gewesen sein. Hält man sich Vermeer als verheirateten, mehrfachen Familienvater vor Augen, der in das gesellschaftliche Netzwerk seiner Zeit eingegliedert war, so liest sich die Biografie Caravaggios hingegen wie eine „Sensationsreportage der Boulevardpresse“1. Stets mit der Justiz in Konflikt wurde er mehrfach festgenommen, eingekerkert und wegen Mordes an einem Rivalen zum Tode verurteilt. Auf der Flucht starb Caravaggio elendig im Alter von nicht einmal 40 Jahren. Nicht weniger skandalös als sein Leben erschienen seine Werke. Besticht das äußerst kleine Œuvre Vermeers durch kleinformatige, Stille verströmende Genrebilder, so können Caravaggios Werke als absoluter Kontrapunkt dazu gesetzt werden. Ungefähr 90 Werke schuf Caravaggio in seinem kurzen Leben, davon vorwiegend großformatige Auftragsarbeiten für Kirchen und Kongregationen mit religiösen Themen, die er als besonders grausame, von Gewalt beherrschte Szenen anlegte. Thematisch ist er den Sujets seiner Zeit verpflichtet, doch seine bahnbrechende Darstellungsform revolutionierte in der Folge die europäische Kunstgeschichte und führte zur Bildung des internationalen Stilbegriffs des „Caravaggismus“. Caravaggio hat wie kein anderer die Malerei um 1600 geprägt und stand damit an der Schwelle zu einer neuen Bildauffassung. Diese Innovationen können als Anknüpfungspunkt zu den Texten, die Caravaggios Bilder zitieren, gesehen werden. Wie gezeigt werden wird, liegt das Potential zur intermedialen Verarbeitung in der caravaggesken Besonderheit des Unkonventionellen. Inhaltliche und formale Kriterien werden unter diesem Begriff subsumierbar und ergeben ein einheitliches Konzept, das den Romanen zugrunde liegt. Vorab soll die divergierende Bewertung des Unkonventionellen in der Caravaggio-For1

Boris von Brauchitsch: Caravaggio. Frankfurt a.M. 2007, 11.

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schung dokumentiert werden. Der aktuelle Forschungsstand ist gekennzeichnet durch eine Diskrepanz der Positionen in Bezug auf Caravaggios Arbeitsweise. Grundsätzlich geriet Caravaggio nach seinem Ableben sehr schnell in Vergessenheit und über einen Zeitraum von fast drei Jahrhunderten wurden seine Gemälde häufig dem holländischen Maler Honthorst zugeschrieben. In den Mittelpunkt des Interesses rückten Caravaggio und seine Werke erneut gegen 1920 und die legendäre Ausstellung Mostra del Caravaggio e dei Caravaggeschi 1951 in Mailand, die vom Caravaggio-Papst Roberto Longhi konzipiert wurde, trug entscheidend zu seiner spektakulären Wiederentdeckung bei.2 Es wurde eine Debatte über die Zuschreibung der Werke eröffnet, die dazu führte, dass Caravaggios Œuvre erst im Laufe des 20. Jahrhunderts langsam rekonstruiert wurde, wobei seine Werke in drei Gruppen eingeteilt wurden: in authentische Originale, zugeschriebene Werke und Kopien.3 Die großen Monografien der 70er und 80er Jahre von Mia Cinotti/Gian Alberto dell’Acqua4 und Howard Hibbard5 konnten in Datierungs- und Zuschreibungsfragen dank umfassender archivalischer Recherchen weitgehend Klarheit bringen. Die Schwierigkeit der Zuteilung caravaggesker Bilder zu Originalen, Kopien, Zweitfassungen und zugeschriebenen Werken tangiert den prekären Streitpunkt der älteren wie auch der neuen Caravaggio-Forschung; nämlich die Frage nach seiner Arbeitsweise, die stets mit dem Image des Künstlers als „bad boy“ in Verbindung gebracht wurde. Die rebellischen Züge seines Wesens wurden in die Bildwahrnehmung projiziert und man begann seinen Lebenswandel als Spiegel seiner Kunst zu werten.6 Der als provokant geltende, vordergründige Naturalismus wurde als Folge der Negierung von Traditionen und Konventionen gesehen. „Schon zu Caravaggios Leb-

2

Vgl. Gilles Lambert: Caravaggio. 1571-1610. Köln 2006, 8, 14 und Jean-Hubert Martin: „Vorwort“, in: Jürgen Harten; Jean-Hubert Martin (Hg.), Caravaggio. Originale und Kopien im Spiegel der Forschung. (Katalog zur Ausstellung), Düsseldorf 2006, 10-15, 13.

3

Vgl. Jean-Hubert Martin: „Vorwort“, 13. Grundlegende Erkenntnisse hierfür lieferte vor allem Herwarth Röttgen mit seinen dokumentarischen Funden. Siehe u.a. Herwarth Röttgen: Il Caravaggio. Ricerche e interpretazioni. Rom 1974.

4

Vgl. Mia Cinotti unter Mitarbeit von Gian Alberto Dell’Acqua: Il Caravaggio e le sue grandi opere da San Luigi dei Francesi. Milano 1971.

5

Vgl. Howard Hibbard: Caravaggio. New York 1983.

6

Vgl. Boris von Brauchitsch: Caravaggio, 38 und Valeska von Rosen: „Inszenierte Unkonventionalität. Caravaggios Ironisierung der Antikenimitatio“, in: Andreas Kablitz; Gerhard Regn (Hg.), Renaissance-Episteme und Agon. Heidelberg 2006, 423449, 424.

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zeiten wurden die Begriffe ‚dal naturale‘ und ‚di maniera‘ als Gegensätze empfunden. Man malte entweder direkt angesichts der Natur, oder man bezog sich auf die kultivierten akademischen Errungenschaften.“7 Diese angebliche Lossagung von der künstlerischen Tradition brachte Caravaggio den Ruf ein, er verfüge über keinerlei Bildungsstand und -grundlagen.8 Es wurde und wird seit Roberto Longhis Caravaggio-Studien angenommen, er habe ohne Vorzeichnung direkt nach der Natur, also direkt vor dem Modell gemalt.9 „[Demzufolge] hat der Maler keine Werkstatt im Sinne eines Handwerksbetriebs besessen, in dem Lehrlinge ausgebildet und eine gewisse Form der Arbeitsteilung betrieben wurde. Caravaggio habe seine Gemälde vielmehr vollständig eigenhändig ausgeführt, und dies obendrein in einer in hohem Maße unkonventionellen Art und Weise. Er habe [...] direkt vor der ‚Wirklichkeit‘ gemalt. Dabei habe er [...] die Modelle in seinem Atelier in Tableaux vivants gruppiert und anschließend das so gewonnene ‚Bild‘ in primamalerischer Technik rasch und unmittelbar auf die Leinwand gebannt. Das Tempo in der Ausführung der Werke sei dabei auch der Rücksicht auf die ermüdenden Modelle geschuldet gewesen. Auf Unterzeichnungen und die Verwendung von Kartons habe Caravaggio ebenso ver10

zichtet wie auf bildvorbereitende Studien im Medium der Zeichnung.“ (Herv. i.O.)

Dieser Auffassung der caravaggesken Arbeitsweise stehen die Meinungen einer Reihe neuer Beiträge von Kunsthistorikern gegenüber, die diese Vorstellung widerlegen. Sie beschreiben Caravaggio als „einen Kenner älterer Kunst und Darsteller komplizierter, ungewöhnlicher und z.T. außerordentlich tiefsinniger Inhalte [...]“11. Zu entkräften versucht wurde vor allem die These der vorzeichnungslosen Entwurfspraxis.

7

Boris von Brauchitsch: Caravaggio, 124.

8

Vgl. Noh Seong-Doo: Übernahme und Rhetorik in der Kunst Caravaggios. Münster 1996, 1.

9

Vgl. Mina Gregori: „Come dipingeva il Caravaggio“, in: Mina Gregori (Hg.), Michelangelo Merisi da Caravaggio. Come nascono i capolavori. (Katalog zur Ausstellung), Mailand 1991, 13-29. Vgl. auch Keith Christiansen: „Caravaggio and ‚L’esempio davanti del naturale‘“, in: Art Bulletin 68 (1986), 421-445. Siehe auch Gilles Lambert: Caravaggio, 7, 53.

10 Valeska von Rosen: „Arbeiten am Image. Caravaggios Selbststilisierung in Bezug auf seine Arbeitsweise“, in: Jürgen Harten; Jean-Hubert Martin (Hg.), Caravaggio, 62-72, 65. 11 Andreas Prater: Licht und Farbe bei Caravaggio. Stuttgart 1992, 16, 17.

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Dass Caravaggio keineswegs modellabhängig in „primamalerischer“ Technik arbeitete und zumindest in einigen Gemälden geometrische Konstruktionsprinzipien anwendete, hat vor allem Nevenka Kroschewski in ihren Studien bewiesen.12 Als Beweis führt sie u.a. die „Incisioni“ an, die für eine konventionelle dem Malakt vorausgehende Bildvorbereitung, die in der Folge zur Übertragung auf die Leinwand herangezogen wurde, sprechen; genauso wie die spärlich gesetzten „Pentimenti“ auf den Leinwänden gegen ein direktes Arbeiten auf diesem Bildmedium deuten.13 Weiters wurde die Charakterisierung Caravaggios als ungebildeter Maler, der keine tradierten Normen und Werte zu kennen scheint, relativiert. Für diesen Imagewandel zeichnen sich vor allem die zunehmenden Erkenntnisse über den „intellektuellen und künstlerischen Background des Malers“14 verantwortlich. „So gelang es der Forschung inzwischen nicht nur, Caravaggios Verankerung in den intellektuellen Kreisen Roms und seine Freundschaften mit Musikern und Dichtern wie etwa Giambattista Marino zu rekonstruieren, sondern auch seine Kenntnisse und Bezugnahmen auf ältere Werke gerade der Hochrenaissance und der Antike nachzuweisen, und überhaupt wurde und wird zunehmend die konzeptuelle und ästhetische Vielschichtigkeit sei15

ner Gemälde aufgezeigt.“

Valeska von Rosen, die in ihren Arbeiten auf die Ergebnisse von Kroschewski aufbaut, geht der Frage nach, „wie sich diese Erkenntnisse bezüglich des reflexiven Niveaus und Anspruchs seiner Gemälde mit dem unkonventionellen und ‚originellen‘ Charakter, den seine Gemälde ja dennoch unleugbar haben, ins Verhältnis setzen lassen“16 (Herv. i.O.). Diese Diskrepanz von Schein und Sein erklärt sie anhand der Strategie einer kalkulierten Evozierung und Inszenierung von Authentizität. Dieser unterliegen die nachweislichen Rekurse auf Werke bedeutender Künstler der Hochrenaissance und der Antike, auf die er in Form von interpikturalen Form- und Bildzitaten verwies. Diese Formanleihen an der Kunst seiner Zeit und der Antike setzen ein fundiertes Wissen voraus. Damit sind die Hauptpositionen der Debatte um Caravaggios Arbeitsweise umrissen, die in der Forschungsentwicklung noch durch umfassende Einzelbild-

12 Vgl. Nevenka Kroschewski: Über das allmähliche Verfertigen der Bilder-Neue Aspekte zu Caravaggio. München 2002. 13 Vgl. ebda. 76-86. 14 Valeska von Rosen: „Inszenierte Unkonventionalität“, 424. 15 Ebda. 424, 425. 16 Ebda. 425.

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analysen, ikonologische Fragestellungen, Beiträge zu den homoerotischen Aspekten seiner Kunst und durch andere Arbeiten ergänzt werden.17 Die zentralen Positionen des aktuellen Forschungsstandes sind auch für die intermediale Verarbeitung von Gemäldezitaten in den Texten von Relevanz. Im Analyseteil wird sich zeigen, dass sich entscheidende Aspekte und Argumente der jeweiligen Positionen im Handlungszusammenhang wiedererkennen lassen und diese Grundlagendiskussion widerspiegeln. Das Œuvre Caravaggios besteht einerseits aus profanen Frühwerken (meist Sammlerbilder) und andererseits aus religiösen Auftragsarbeiten, die für die Bezeichnung der „chiaroscuro“-Malerei bestimmend wurden. Mit den religiösen Historienbildern lässt es sich ergänzend zurückverweisen auf die im Kapitel zu Vermeer aufgezeigte Differenzierung zwischen deskriptiver und narrativer Kunst. Wurden die Gemälde Vermeers als Beschreibung von Welt in einer dezidiert nicht-italienischen Kunstauffassung gesehen, so lässt sich dieses narrative Kunstverständnis anhand der Werke Caravaggios erläutern. Zwar hat Svetlana Alpers Caravaggio Sympathien zur Kunst des Nordens attestiert, da auch er wie einige holländische Künstler keine Zeichnungen anfertigte18; ein Aspekt, der sich angesichts der aktuellen Forschungsergebnisse nicht mehr halten lässt. Weiters hat sie auf das Moment des Innehaltens in einigen seiner Bilder hingewiesen, das die Aufmerksamkeit für das Gegenwärtige schärfe und das somit eher einem beschreibenden Bildmodus zugeschrieben werden kann.19 Solche Überlegungen dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass den Darstellungen eine Erzählung zugrunde liegt, auf die sich das Historienbild zurückführen lässt. Denn die Aufgabe der bildenden Künstler war es, tradierte Inhalte anschaulich darzustellen. Caravaggios Œuvre ist somit unweigerlich der „religiösen Ikonografie seiner Zeit verpflichtet und wäre ohne kirchlich gesinnte Auftraggeber gar nicht zustande gekommen. Caravaggio hat wiederholt die nachweislich gefragtesten Heiligen dargestellt, Johannes den Täufer, die büßende Magdalena, den ekstatischen oder meditierenden Franziskus und Hieronymus den Schriftgelehrten.“20 Diese bekannten Inhalte riefen bei den Betrachtern sujetspezifische Darstellungsweisen hervor. Diese Erwartungshaltungen wurden in Inhalt und Form von Caravaggio nicht bedient, was dazu führte, dass seine oft als skandalös gel-

17 Eine ausführliche Rezeptionsgeschichte präsentiert Margit Franziska Brehm: Der Fall Caravaggio-Eine Rezeptionsgeschichte. Frankfurt a.M. 1992. 18 Vgl. Svetlana Alpers: Kunst als Beschreibung, 98. 19 Vgl. ebda. 27. 20 Jürgen Harten: „Auf der Suche nach den alten Bildern“, in: Jürgen Harten; JeanHubert Martin (Hg.), Caravaggio, 16-21, 20.

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tenden Bilder abgelehnt wurden oder nach einer Zweitfassung verlangt wurde. In welcher Art und Weise Caravaggio diese Erwartungen unterlief und wie er gleichbleibende Thematiken neu adaptierte, soll unter der Bezeichnung das Unkonventionelle erläutert werden. Dieser komplexe Aspekt der caravaggesken Bildkomposition ist das zentrale Element, auf das die Texte, die sich mit den Werken Caravaggios auf unterschiedliche Weise auseinandersetzen, Bezug nehmen. Das Unkonventionelle präsentiert sich als Summe inhaltlicher und formaler Komponenten; wobei die Schlagwörter hierfür u.a. Gewalt, Direktheit und Dramatik lauten. Die konstant betonte „chiaroscuro“-Charakteristik caravaggesker Bilder unterstreicht auf formaler Ebene die ungewöhnliche Bildsprache. Was beim Betrachten der Werke von Caravaggio auf den ersten Blick aussieht „wie eine Abhängigkeit vom Naturvorbild, ist die Weigerung, ‚alla maniera‘ zu malen, also der Verzicht auf die in der künstlerischen Tradition vorgeprägten Stilformeln“21. Diese Aussage bringt die Basis der künstlerischen Methode Caravaggios gezielt auf den Punkt. Denn seine Werke, die in Differenz zum Mainstream der römischen Malerei stehen, sind Paradebeispiele der Abgrenzung gegenüber den ästhetischen Paradigmen und Diskursen der Hochrenaissance und des Manierismus. Caravaggio verachtete das artifizielle Ideal des geschraubten Manierismus, „alles formelhaft Idealistische, alles übertrieben Künstliche und oberflächlich Edle war [seiner] Welt fremd“22. Die von der Malerei seiner Zeit geforderte „Ergebenheit“ und „Erhabenheit“23 interessierte ihn genauso wenig wie das idealisierte, stilisierte Körperbild des jugendlich schönen, beherrschten Körpers.24 Da er keinerlei Rücksicht auf gesellschaftliche Erwartungen nahm, wurden seine Werke oft als inakzeptabel, skandalös und provokant eingestuft. Doch diese skandalösen Details sind es, die als Charakteristikum der caravaggesken Bildsprache in die Geschichte eingingen. Caravaggio verweltlichte die Themen der Heiligen Schrift und versuchte sich den Inhalten von der Seite des Alltäglichen anzunähern. Er hatte sich „offensichtlich vorgenommen, das unendlich oft Erzählte, Beschriebene und Gemalte so zu behandeln, als ließe sich das immer wieder Behauptete und Geglaubte erneut [...] als tatsächlich und gegenwärtig rekonstruieren. Deshalb musste er das Sichtbare in

21 Andreas Prater: Licht und Farbe bei Caravaggio, 27. 22 Boris von Brauchitsch: Caravaggio, 8. 23 Vgl. ebda. 24. 24 Vgl. Jutta Held: Caravaggio. Politik und Martyrium der Körper. Berlin 1996, 86 und Gilles Lambert: Caravaggio, 7.

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der Malerei aus dem Korsett des Manierismus befreien und selbst wieder als glaubwürdig erscheinen lassen.“25 Seiner Vorstellung der Bildkonzeption zufolge verlangte die Szene nach der Darstellung im dramatischsten Augenblick, was zur Folge hatte, dass eine derartige Direktheit im Ausdruck den Betrachter, der es nicht gewohnt war Themen in so verblüffend profaner Ausführung wahrzunehmen, verstörte. „Die Direktheit seiner Bildsprache prägte sich stärker aus, je mehr er die dramatische Situation suchte, die seinen Bildern diese Kraft des Augenblicklichen verlieh [...].“26 Viele seiner zahlreichen von Gewalt beherrschten, grausamen Darstellungen haben ihren Ursprung in den Themen der Heiligen Schrift. Auffällig ist, dass Caravaggio aus der Vielzahl von biblischen Thematiken für seine ersten Historienbilder bevorzugt Hinrichtungen auswählte. Die überraschungseffektartige, direkte Dramatik dieser Bilder resultierte aus der Forderung das ungeheuerlich Brutale des Geschehens zu akzentuieren.27 Walther K. Lang hat in seinem Buch Grausame Bilder darauf hingewiesen, dass die Bildwelt der christlichen Ikonographie in der Kultur des christlichen Abendlandes in enger Verbindung mit Gewalt und Grausamkeit stand.28 „Die christliche Religion [galt] fast zweitausend Jahre lang als Bezugssystem für eine außerordentlich gewaltbereite Gesellschaft.“29 Folter und Torturen wurden aus einer Selbstverständlichkeit heraus „mit dem besten Gewissen verhängt, weil man sich ihren Sinn und ihre Notwenigkeit einredete, so hat die Grausamkeit der Martyrienbilder kommemorativen und metaphysischen Sinn“30. Als zeitgeschichtlicher Anknüpfungspunkt gilt besonders das Massenevent der öffentlichen Hinrichtungen, wobei zu Caravaggios Zeit besonders der Fall Cenci im Bewusstsein der Bevölkerung verankert war.31 Die caravaggeske Gewaltästhetik konzentriert sich auf das Abbilden von durchschnittenen Hälsen und kombiniert in dieser Form grausame Bildthemen mit

25 Jürgen Harten: „Auf der Suche nach den alten Bildern“, 21. 26 Gilles Lambert: Caravaggio, 47. 27 Siehe zum Beispiel Judith und Holofernes, Die Opferung Isaaks oder Das Martyrium des heiligen Matthäus. 28 Vgl. Walther K. Lang: Grausame Bilder. Sadismus in der neapolitanischen Malerei von Caravaggio bis Giordano. Berlin 2001. 29 Ebda. 8. 30 Ebda. 31 Vgl. Jutta Held: Caravaggio, 216.

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Studien hässlicher Physiognomien.32 Als prototypisches Beispiel der caravaggesken Enthauptungsdarstellungen, das ausdrucksstark Dramatik, Direktheit und Gewalt verbindet, soll das Bild Judith und Holofernes von 1598/99 herangezogen werden. Caravaggio lässt das Geschehen im kritischsten Moment stillstehen. Die Innovation dieser Szene liegt in der Darstellung des Tötungsaugenblicks und des noch lebenden Holofernes.33 „Völlig neu war jedoch Caravaggios Idee, den brutalen Vollzug der Enthauptung zu malen. In allen Darstellungen, vor oder nach der Tat, war Holofernes, entweder schlafend oder tot, als Subjekt an dem Geschehen unbeteiligt geblieben. Es ging allein um den Sieg der gerechten Sache, die Judith vertritt. Sie wurde typologisch auf Maria und die Kirche bezogen, so hoch wurde ihre Rettungstat bewertet. Dieses alte, theologisch begründete Deutungsmuster irritiert Caravaggio mit seiner Bildidee. Er zeigt die Qual des Opfers, das mit schreiend geöffnetem Mund den Blick auf seine Mörderin heftet. Auch die Täterin bleibt nicht unangefochten, nichts weist auf den Triumph der Siegerin hin. Ihre gefurchte Stirn deutet den Widerwillen an, den ihre eigene Tat ihr verursacht. Die Sache der Judith wird zusätzlich durch die grimmige Alte moralisch belastet, die es kaum erwarten kann, den Kopf in Empfang zu nehmen. [...] Einen Hinweis auf den Sinn der Tat, die Rettung des jüdischen Volkes, das mit Gott im Bunde ist, oder, auf allegorischer Ebene, die Be34

zwingung des Lasters, bleibt Caravaggio schuldig.“

Das Unkonventionelle in der Form von Neubehandlung gängiger Themen ist nicht nur am Beispiel der Judith evident, sondern wurde von der Forschung als Phänomen in den unterschiedlichen caravaggesken Bildsujets (nicht nur in Gewaltszenen) aufgezeigt. So bezeichnet zum Beispiel Gilles Lambert die Szene Verzückung des heiligen Franziskus, der in den Armen eines verführerischen Engels liegt, als Darstellung, „die noch nie zuvor in dieser Weise dargestellt worden war“35, oder Jutta Held zeigt nach einer Reihe von Vergleichsbildern auf, dass es keine andere Darstellung von Heiliger Matthäus mit dem Engel als die von Caravaggio gibt, auf der der Engel dem Matthäus die Hand führt und ihn

32 Vgl. Walther K. Lang: Grausame Bilder, 10 und Jutta Held: Caravaggio, 46. Caravaggio führte somit die bereits bestehende Tradition der Affekt- und Grimassenstudien fort. 33 Vgl. Walther K. Lang: Grausame Bilder, 79 ff. 34 Jutta Held: Caravaggio, 69. Walther K. Lang weist ausführlich auf die Abweichungen von der biblischen Geschichte hin (siehe Walther K. Lang: Grausame Bilder, 80). 35 Gilles Lambert: Caravaggio, 47.

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so als Analphabeten zu erkennen gibt.36 Eine wesentliche Abweichung in der Darstellung der Opferung Isaaks macht auch Noh Seong-Doo deutlich, wenn er erklärt, dass „ein wesentlicher ikonographischer Unterschied [darin liegt], dass Isaak in der Opferbereitschaft gefesselt und/oder betend wiedergegeben wird. Caravaggio ändert die Aussage in der Körperhaltung und im Ausdruck, er zeigt den Jungen in widerstrebender Haltung. Dieser ist bemüht, sich aus seiner Stellung zu befreien, bäumt auf, er schreit vor Todesangst.“37 Caravaggios Gemälde gelten nicht nur aufgrund der Abweichungen von vorgegebenen Darstellungsmomenten und der besonderen Dramatik- und Gewaltinszenierung als unkonventionell, sondern auch weil sie stets einen Bezug zum Alltag aufbauen. Seine Heiligen sind in erster Linie Menschen, die aussehen wie Personen von der Straße. Caravaggio interessiert sich vor allem für Körper, Landschaften und Architekturen hingegen findet man bei ihm sehr selten. Den Körpern haftet nichts Überirdisches an und so fehlen zum Beispiel dem Johannesknaben sämtliche Insignien, wie Nimbus, Kreuz oder Lamm, die Ausdruck seiner Heiligkeit wären. Wenn Caravaggio Engel darstellt, dann in derselben Art wie seine irdischen Figuren; auch sie sind keine übernatürlichen Erscheinungen. Auch in den heiligsten Szenen bestimmt der weltliche, lebensnahe Charakter die Bildaussage. Die profanisierten Protagonisten sind, wie zum Beispiel in Berufung des heiligen Matthäus, in eine Szenerie des römischen Alltags gesetzt. Ein düsterer Ort, dessen einziges Fenster geschlossen ist, erscheint als eher „wenig geeignetes Ambiente für das Erscheinen Christi“38. Caravaggio hatte mit diesem Bild gezeigt, dass sich das göttliche Wunder mit dem Alltag verbinden lässt. Weiters wird bei Todesdarstellungen eine diesseitige Perspektive bevorzugt. So zum Beispiel in Grablegung Christi, für die Caravaggio „auf jegliches Zeichen, das auf ein Jenseits, die Auferstehung Christi, sein Überleben und seine Gegenwart im geistigen und geistlichen Sinne hinwiese, [verzichtet]“39. Als Verstoß gegen das „Decorum“ werteten die Auftraggeber die allzu lebensnahen Details seiner Heiligen. Nackte, schmutzige Füße, die eher an jene von Bauern erinnern, ungereinigte Finger- und Zehennägel, ungleichmäßige Körperbräunung, drastische Gesichtszüge und so manche Glatzköpfigkeit entsprachen nicht den Geboten von Angemessenheit und Dezenz.40 Das Unkonventionelle der Alltäglichkeit

36 Vgl. Jutta Held: Caravaggio, 91 ff. 37 Noh Seong-Doo: Übernahme und Rhetorik, 59. 38 Gilles Lambert: Caravaggio, 63. 39 Jutta Held: Caravaggio, 112. 40 Siehe zum Beispiel Madonna di Loreto, Heiliger Matthäus mit dem Engel oder Bacchus. Caravaggio setzt aber auch in seinen als Stillleben arrangierten Fruchtkörben

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manifestiert sich auch in der Bekleidung der Protagonisten. Keine kostbare Kostümierung ziert die oft bäuerlich anmutenden Körper, sondern einfache, zeitlose Kleidung, die unverziert, in grober Optik und vorwiegend vom Verschleiß gezeichnet, die Eigenschaften des Schlichten und Einfachen unterstreicht. Die dargestellten Figuren sind meist nicht in statuarischer, heroischer Pose wiedergegeben, sondern demonstrieren die Anstrengungen der Arbeit. „Fast alle seine Bildthemen bestreitet Caravaggio mit Figuren in gebeugten, gebückten, kauernden, knienden oder liegenden Handlungen. [...] Dem Sichbeugen, -bücken und -kauern folgt der Blick nach unten.“41 Die Madonnendarstellungen Caravaggios verbinden auf besondere Weise das Unkonventionelle des profanisiert Religiösen mit einer neuen Darstellungsform. Er weicht in seinen Madonnenbildern vom Kanon der Mariendarstellungen ab. Nichts Majestätisches und würdevoll Erhabenes haben seine Madonnensujets an sich. Sie galten vielmehr als die Skandalbilder par excellence. Was nicht verwundert, wenn man zum Beispiel das Gemälde Tod der Jungfrau betrachtet. Mit aufgeblähtem Bauch und nackten Füßen entsprach sie wohl kaum den Vorstellungen einer glorreichen Himmelfahrt. „Natürlich lehnten die Karmeliter das Bild ab. Ging nicht das Gerücht um, dass Caravaggio eine Prostituierte als Modell benutzt hatte? Ihr Körper deutet auf eine Krankheit hin. Die Schüssel mit Essigwasser im Vordergrund, die zur Waschung des Körpers bestimmt ist, stellte eine Blasphemie dar.“42 Abgelehnt wurde auch die Madonna dei Palafrenieri, da die heilige Anna mit zerfurchtem Gesicht eher an eine alte Bäuerin erinnerte und Maria, in deren Gesichtszügen man das posierende Mädchen namens Lena wiedererkannte, mit einer Wäscherin assoziiert wurde. „Es war ein unbeschreibliches Desaster. Noch nie war Caravaggio so weit gegangen in seinem Realismus – manche sagten sogar, in der Vulgarität.“43 Dasselbe Modell lässt sich auch in der Darstellung der Madonna di Loreto erkennen. Lässig lehnt die schwarzhaarige Maria mit dem zu großen Kind am Arm und mit überkreuzten, nackten Beinen am Türrahmen. Anstatt einer schwebenden Muttergottes, wie es für diese beliebte Mariendarstellung eigentlich typisch war, steht Caravaggios Madonna auf festem Boden, nur auf einer Stufe erhöht vor den Pilgern. „Die Besonderheit seiner Darstellung besteht folglich darin, dass Caravaggio weitgehend auf die innerbildlichen Indikatoren, wie Wolken, Putti oder Differenzen im Farbauftrag,

in besonders realistischer Art welke neben frische Blätter und verdorbenes neben gesundes Obst. 41 Andreas Prater: Licht und Farbe bei Caravaggio, 161, 162. 42 Gilles Lambert: Caravaggio, 64. 43 Ebda. 75.

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verzichtet, welche die Erscheinung Mariens eben als wundersame Erscheinung markieren.“44 Die Erzählung von der Prostituierten als Madonnenmodell ist zur Legende geworden, doch die Tatsache, dass Caravaggio seine Figuren öfters mit physiognomischen Details ausstattete, die ein problemloses Zuordnen zu der/dem Posierenden ermöglichte, ist keineswegs ein gängiges Phänomen seiner Zeit, sondern vielmehr ein schweres Vergehen gegen die Angemessenheit. „Es gibt kaum einen bildtheologischen Traktat der Zeit, der die Wiedererkennbarkeit von Modellen gerade in religiösen Gemälden nicht streng verurteilte.“45 Somit wird auch diese Komponente Teil des caravaggesken Konzepts des Unkonventionellen. Die Mariendarstellungen Madonna di Loreto und Madonna dei Palafrenieri bilden gemeinsam mit der Grablegung Christi jenen Kulminationspunkt im Œuvre Caravaggios, in dem sein kennzeichnendes „chiaroscuro“ „seine reifste und monumentalste Form erhalten hat“46. Dieses unverwechselbare Helldunkel seiner Malerei, ohne dessen Erwähnung keine Aussage über Caravaggio vollständig wäre, wurde stets mit Bezeichnungen wie „Kellerlicht“47 und „Scheinwerferlicht“48 assoziiert. Weiters wurde Caravaggio und seine Lichtführung in der Folge mit der Erfindung des Kinolichts in Verbindung gebracht und man hat ihm durch seine Kontrastsetzung von starkem Licht und dunklem Hintergrund die Nähe zum Film und zur inszenierten Fotografie attestiert.49 „Wiederholt hat man in Caravaggio den ersten ‚modernen Künstler‘ erkennen wollen. Dabei handelt es sich natürlich um Projektionen des 20. Jahrhunderts, zu denen der bemerkenswerte Umstand beigetragen hat, dass Caravaggios Bilderfindungen, die noch vor der Mitte des 17. Jahrhunderts an Reiz verloren hatten, erst eigentlich parallel zur Moderne wieder entdeckt worden sind. Schon in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts haben Kunsthistoriker, die auch einen Blick für die Kunst ihrer Gegenwart hatten, auf Ca-

44 Valeska von Rosen: „Inszenierte Unkonventionalität“, 435. 45 Valeska von Rosen: „Arbeiten am Image“, 62. 46 Andreas Prater: Licht und Farbe bei Caravaggio, 61. 47 Boris von Brauchitsch: Caravaggio, 109. 48 Andreas Prater: Licht und Farbe bei Caravaggio, 19. 49 Vgl. Claudia Öhlschläger: „‚Die Erscheinung der Gewalt ist seltsam schön.‘ Caravaggio als Ikone tödlicher Obsession bei Christoph Meckel und Christoph Geiser“, in: Gerhard Härle; Wolfgang Popp; Annette Runte (Hg), Ikonen des Begehrens. Bildsprachen der männlichen und weiblichen Homosexualität in Literatur und Kunst. Stuttgart 1997, 151-173, 161. Vgl. auch Jean-Hubert Martin: „Vorwort“, 10.

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ravaggio aufmerksam gemacht. Zweifellos hat die breite Palette neuer realistischer Malerei zusammen mit der Fotografie und dann dem Film dazu beigetragen, uns wieder die Augen für die so natürlich wirkenden und doch genau kalkulierten Bilder Caravaggios zu 50

öffnen.“ (Herv. i.O.)

Die oft pauschal verwendete Bezeichnung des typisch caravaggesken „chiaroscuro“ ist dennoch kein einheitliches Phänomen in seinem Œuvre, sondern unterlag einem augenfälligen Wandel. Erst in seinen Werken der mittleren und späten Schaffensperiode wird die caravaggeske Illumination zunehmend kontrastreicher.51 In seinen früheren Bildern lassen sich noch helle Grundierungen erkennen, die in der Folge weitgehend dunkleren bis hin zu schwarzen Grundierungen weichen und mit der kontrastreichen Lichtsetzung eine dramatische Steigerung im Ausdruck erreichen. Andreas Prater hat in seiner Studie Licht und Farbe bei Caravaggio dargelegt, dass „in der reuigen Magdalena, im Bacchus der Uffizien, im Bacco malato und in dem Knaben mit dem Obstkorb, typischen Sammlerbildern also, [...] dieses Helldunkel sich noch nicht schlagartig über das ganze Bild aus[breitet], sondern [...] nur den Hintergrund und Dinge [erfasst], die als Motive selbst wieder der bildhaften Vereinzelung fähig sind: Karaffen, Obstkörbe, Musikinstrumente, überhaupt alle Requisiten.“52 Im Laufe seines Schaffens werden die Helldunkel-Kontraste immer stärker, die Figuren treten akzentuiert in den Vordergrund und setzen sich von den immer dunkler werdenden, folienartigen Hintergründen ab. Eine Raumsituation mit klaren Abmessungen lässt sich nicht mehr ausmachen. Das Licht, das weitgehend aus einer unbestimmten, bildexternen Lichtquelle kommt, hat bei Caravaggio nicht allein den selektierenden und wertenden Charakter einer ikonographischen Sinnakzentuierung, sondern es ist willkürlich und erfasst keineswegs nur die für das Geschehen zentralsten Elemente. „In einem Bild wie der Kreuzigung Petri verbirgt es mehr als es zeigt, es lässt fragen nach dem Ort und der Zeit von Handlungen und ihrem Zusammenhang, oder es verhüllt entscheidende Dinge wie Gesichter und Gesten, es fragmentiert und lässt anonym werden [...].“53 Das Helldunkel unterscheidet nicht nach der Wichtigkeit

50 Jürgen Harten: „Auf der Suche nach den alten Bildern“, 17. 51 Vgl. Boris von Brauchitsch: Caravaggio, 107 und Gilles Lambert: Caravaggio, 47. Vgl. auch Emil Maurer: „Zu Caravaggios Helldunkel“, in: Ellen J. Beer (Hg.), Festschrift Hans R. Hahnloser. Basel/Stuttgart 1961, 393-396, 393. 52 Andreas Prater: Licht und Farbe bei Caravaggio, 95. 53 Ebda. 26. Vgl. dazu auch Boris von Brauchitsch: Caravaggio, 106 ff und Jutta Held: Caravaggio, 208.

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der Bildgegenstände. Noch bestimmender als das Licht in den Bildern Caravaggios ist für den Ausdruck das Dunkelheits- und Finsternismoment. Zieht man hierfür nochmals die Madonna dei Palafrenieri, die für Andreas Prater den Höhepunkt von Caravaggios Helldunkelentwicklung darstellt, heran, so zeigt sich jenes schwarze unbestimmbare Bilddunkel, das für mehrere Werke dieser Phase bestimmend ist. Unkonventionell an der caravaggesken Lichtbehandlung ist die Tatsache, dass die heiligen Protagonisten keine selbstleuchtenden Zentren bilden. Das Licht bestrahlt von außen kommend gleichmäßig alle heiligen Bildfiguren, anstatt von ihnen auszugehen. „Die bedeutendste Leistung von Caravaggios Lichtbehandlung liegt in der weitgehenden Unabhängigkeit des Lichts sowohl von kausal-gegenständlichen Bedingungen als auch von metaphysischen und symbolischen Signifizierungen. Weder ist es das Resultat erklärbarer oder gar greifbarer Lichtquellen, noch gibt es seine Abkunft von einem übernatürlichen Bereich zu erkennen; es ist ebenso wenig Abbild natürlicher oder künstlicher Licht54

arten wie Abbild des göttlichen Lichtes.“

Die Eigenschaft des caravaggesken Lichts lässt sich in der Wertung des Bildganzen mit dem inhaltlichen Anspruch, alltägliche Personen im Alltagsambiente darzustellen, verknüpfen. Dieser Aspekt wird auf der Ebene der Farbgebung komplettiert. Die soziale Herkunft der Figuren spiegelt sich auch in der dunklen, in Braunabstufungen gehaltenen Farbgebung wider und unterstreicht das Konzept des Einfachen und Schlichten. Caravaggio bildet in seinem Farbverständnis den Gegenpol zur glanzvollen Buntfarbigkeit der Hochrenaissance.55 „Die kostbaren Violett- und Blautöne des Ultramarin, der teuren Lacke usw. erscheinen kaum noch in Caravaggios Palette, und damit entfällt ein Beurteilungskriterium, das für die mittelalterliche und z.T. noch für die frühneuzeitliche Malerei von großer Bedeutung gewesen war, nämlich der von der ästhetischen Erscheinung unabhängige Wert bestimmter Farben.“56 Resümierend lässt sich zusammenfassen, dass das caravaggeske Programm des Unkonventionellen, das sich vorwiegend gegen die Stilisiertheit des Manierismus wandte und auf dem die intermediale Verarbeitung in den Romanen basiert, die Neubehandlung von gängigen Bildsujets mit dem Alltagsanspruch kombiniert. Weiters galt es als ungewöhnlich die dargestellten Figuren der damaligen Zeit wiederzuerkennen, was in der Folge zu Skandalen und Bildableh-

54 Andreas Prater: Licht und Farbe bei Caravaggio, 83, 84. 55 Vgl. Jutta Held: Caravaggio, 206 ff. 56 Andreas Prater: Licht und Farbe bei Caravaggio, 114.

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nungen führte. Als unkonventionell und innovativ bestätigte sich auch das spezifische „chiaroscuro“ und die Farbgebung, der kein repräsentativer Charakter zukommt. Zwei weitere Aspekte der Gemälde Caravaggios sollen noch angeführt werden, da sie in der Caravaggio-Rezeption unterschiedlich bewertet wurden und auch in den Romanen eine bedeutende Rolle spielen: die Homoerotik und das Selbstporträt. Um das Merkmal des Homoerotischen in der Kunst Caravaggios und seine vermeintliche Homosexualität wurde viel diskutiert. Manche Kunsthistoriker sahen in den Bildern mit jungen Knabengestalten seine eigenen Vorlieben umgesetzt, und da er immer wieder mit denselben männlichen Modellen arbeitete, wurden diese als seine Liebhaber gedeutet, die jederzeit zum Posieren in Reichweite gewesen sein mussten. Als Indiz sollte auch die Tatsache gelten, dass er kein einziges Mal eine schöne nackte Frau abbildete.57 Doch abgesehen von Caravaggios vermeintlicher Homosexualität sprechen seine Frühwerke eine sinnlich-erotische Bildsprache. „Die römischen ragazzi mit femininem Einschlag“58, die mit entblößter Schulter, feuchten Lippen und auffordernd anrüchigem Blick, als Bacchus, mit Fruchtkorb oder in musikalischen Sujets wiedergegeben werden, versprühen eindeutig erotische Reize.59 Die sexuellen Anspielungen werden durch die auffällige Positionierung von Schleifen an den Knabengewändern, die als Einladung zum Zugreifen verstanden werden konnten, verstärkt;60 und Amor als Sieger gilt schlechthin als „der laszivste Kontrapost der Kunstgeschichte“61. „Der Umgang mit Homosexualität war ein im ausgehenden 16. Jahrhundert differenzierter. Offiziell verboten, wurden homosexuelle Handlungen dennoch nicht besonders oft geahndet. Knabenliebe war auf dem Kunstmarkt um 1600 nichts Ungewöhnliches und in der Mythologie ohnehin geduldet. [...] Natürlich ist es fraglich, inwieweit Homosexualität als identitätsstiftendes Empfinden um 1600 überhaupt denkbar war, vorstellbar ist aber in je-

57 Vgl. Jutta Held: Caravaggio, 210. 58 Herwarth Röttgen: Caravaggio. Der irdische Amor oder der Sieg der fleischlichen Liebe. Frankfurt a.M. 1992, 64. 59 Vgl. Wolfgang Popp: „Der biblische David als schwule Ikone der Kunst und Literatur“, in: Gerhard Härle; Wolfgang Popp; Annette Runte (Hg.), Ikonen des Begehrens, 67-100, 94. 60 Siehe zum Beispiel Der kranke Bacchus und Musizierende Knaben. 61 Boris von Brauchitsch: Caravaggio, 73.

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dem Fall eine selbstbewusste Einbeziehung erotischer Wirklichkeit, wie sie unverhohlen 62

Teil des Alltags gewesen ist.“

In einem der Bilder mit lasziven Knabengestalten (Musizierende Knaben) positionierte sich Caravaggio selbst als Sänger in enger Tuchfühlung mit den anderen Musikern. Da im Hintergrund ein geflügelter Amor anwesend ist, wurde diese Szene als Hinweis auf Caravaggios angebliche Homosexualität zu deuten versucht. Ein weiteres inszeniertes Selbstporträt Caravaggios soll auch im Bild Kranker Bacchus zu sehen sein, das er angeblich nach einem sechsmonatigen Hospitalaufenthalt unter der Zuhilfenahme eines Spiegels angefertigt hatte.63 In zwei weiteren mehrfigurigen Darstellungen ist jeweils ein Selbstbildnis Caravaggios zu finden. Im Martyrium des heiligen Matthäus flüchtet er als bereits älterer Mann nach links aus dem Bild und in der Gefangennahme Christi kommt ihm die Aufgabe des Laternenträgers zu. Abgesehen von der Porträthaftigkeit dieser eher marginalen Randfiguren lassen sich die Züge Caravaggios auch in der makabren Kopftrophäe im Bild David mit dem Haupt des Goliath erkennen. Die Dimension des Autobiografischen irritiert durch die Identifizierung mit dem Feindbild. Die schockierende Präsenz des abgeschlagenen Kopfes, der noch genauso lebendig erscheint wie die abgetrennten Köpfe in seinen anderen Hinrichtungsszenen, löste eine Reihe unterschiedlicher Interpretationen aus. Einerseits sah man darin die entstellte Trophäe des Malers in den Händen seines Liebhabers oder man deutete die Darstellung als Schuldbekenntnis bzw. Schuldgefühl für den begangenen Mord an Ranuccio Tomassoni.64 Walther K. Lang erläutert hingegen; „die Selbstdarstellung im entleibten Haupte des Goliath ist jedoch in erster Linie als ein Concetto zu sehen, als ein kalkulierter Überraschungseffekt, der den Betrachter gleichsam ‚vor den Kopf schlagen‘ will. Ohne diese concettistische Überrumpelungsabsicht zu bedenken, kann das spektakuläre, das heißt, zur Betrachtung auffordernde Selbstbildnis nicht voll erfasst werden.“65 (Herv. i.O.)

62 Ebda. 56. Vgl. auch Claudia Öhlschläger: „Die Erscheinung der Gewalt ist seltsam schön“, 165, Jutta Held: Caravaggio, 18 und Andreas Sternweiler: Die Lust der Götter. Homosexualität in der italienischen Kunst von Donatello zu Caravaggio. Berlin 1993, 23 ff. 63 Vgl. Gilles Lambert: Caravaggio, 39. 64 Vgl. Walther K. Lang: Grausame Bilder, 134 ff. Vgl. auch Boris von Brauchitsch: Caravaggio, 100 ff. 65 Walther K. Lang: Grausame Bilder, 136.

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Die Zitation von Selbstdarstellungen in den Texten erfordert besondere Aufmerksamkeit, da vor allem in pseudo-autobiografischen Erzählungen ein Entstehen der Bilder aus der Verbindung mit dem dargelegten biografischen Background zu beobachten ist. Abschließend soll noch eine spezielle Form der autobiografischen Dimension im Werk Caravaggios die Reihe der Selbstporträts komplettieren. Caravaggio hat seine Bilder nicht signiert, außer auf die Enthauptung des Johannes schreibt er mit dem verströmenden Blut des Johannes ein „f michel Ang“. Mit dieser Ausführung bezieht sich Caravaggio in die Bildaussage mit ein. Er identifiziert sich mit dem Getöteten oder „besiegelt mit diesem spektakulären Effekt die dargestellte Gewalttat als eigenhändiges Werk“66. In jedem Fall reicht die brutale Darstellung in ihrer Bedeutung über den Inhalt des biblischen Geschehens hinaus; sie inkludiert auf eindrucksvolle Weise auch den Schöpfer des Bildes. Auf die ausgeführten Teilaspekte, die in Summe das Konzept des Unkonventionellen ausmachen, wird in den Texten rekurriert. So kann zum Beispiel auf das eigentümliche „chiaroscuro“ und die typische Farbgebung simulierend Bezug genommen werden. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass im Gegensatz zu den Romanen, die die Gemälde Vermeers zitieren, in den Texten zu Caravaggio eine stärkere Verbindung von Werk und Biografie vorherrschend ist. Dies resultiert aus den Bildbesonderheiten der Selbstdarstellung und Homoerotik sowie aus der Tatsache, dass auch in der Forschung verstärkt die Person Caravaggio in Bezug zu seinen Werken gesetzt wurde. Auf diese Parallelisierung bauen einige der zu analysierenden Romane auf, was zur Folge hat, dass die Bilder vielmehr aus dem Figurenkonglomerat der Erzählungen heraus entstehen. Der Handlungszusammenhang der Romanfiguren bildet weitgehend das Grundgerüst zur Gemäldezitation. Caravaggios Alltagsmenschen, seine „Figuren aus dem Leben“ scheinen jene aus dem „Romanleben“ zu sein, die tägliche Probleme zu bewältigen haben. Eine besondere Konstellation stellt auch die Verbindung zwischen Selbstporträt und Pseudo-Autobiografie dar.

66 Boris von Brauchitsch: Caravaggio, 100.

Intermediale Gemäldezitate in der Erzählliteratur zu Jan Vermeer

P ERSPEKTIVIERUNG G EMÄLDEZITATE

DER INTERMEDIALEN

Die in die Romanhandlungen eingebundenen intermedialen Gemäldezitate sind Reaktionen eines textinternen Betrachters auf ein Kunstwerk. Der Betrachter im Text reagiert auf seinen persönlichen Sehvorgang und gibt bereits selektiert die für ihn entscheidenden Konstituenten wieder. Die dem Leser dargebotene Innenperspektive gewährt Einblicke in das Denken und Fühlen und begründet das Handeln der Protagonisten in Bezug auf den Umgang mit Gemälden. „Die Wortsprache erfüllt in Bezug auf Kunstbetrachtung mehrere Funktionen. Ihre Bandbreite reicht von der gewöhnlichen Umgangssprache bis zur wissenschaftlichen Fachsprache. [...] Da Interessen, Stimmungen, Auswahlkriterien der Wahrnehmungsinhalte von Betrachter zu Betrachter verschieden sind, ergeben sich daraus möglicherweise verschiedene ‚Ansichten‘, die einander gegenüberstehen oder auch ergänzen können.“1 (Herv. i.O.)

Die verschiedenen Ansichten ergeben sich, wie sich anhand der Texte zeigt, durch den divergierenden Zugang der Betrachter zur Kunst. Deshalb liefert eine Typologisierung der Rezipienten eine Orientierungshilfe, die Auskunft über das jeweilige Kunstverständnis geben kann. Dies ist entscheidend, da durch den Grad des vermittelten Informationsstandes über die Bedingungen der Malerei auch die intermedialen Gemäldezitate geprägt werden.

1

Helga Buchschartner: Kunstbetrachtung zwischen Kunsterfahrung und Kunstwissenschaft. Frankfurt a.M. 1998, 164, 166.

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Grundsätzlich lassen sich drei Großgruppen voneinander unterscheiden, wobei die erste Beschreibungsperspektive die der Bildproduzenten im weitesten Sinne umfasst. Es handelt sich dabei um jene Romanfiguren, die in irgendeiner Form mit dem Schaffensprozess von Gemälden in Verbindung stehen. Im Unterschied zu den anderen Gruppen betrachten sie Kunst nicht nur, sie produzieren diese oder sind zumindest an deren Fertigung beteiligt. Dazu zählen der Maler, kunstkompetente Figuren in dessen Umfeld, Assistenten, Malerkollegen, Fälscher und Restauratoren. Diese Gruppe zeichnet ein ausgeprägtes Verständnis für maltechnische und kompositorische Aspekte aus. Abzugrenzen ist diese Kategorie von jener der Kunsthistoriker, Kunstlehrer und Kunsthändler, deren Aussagen über die Kunst vor allem durch ein enormes Fach- und Faktenwissen gekennzeichnet sind. Die dritte Gruppe ist jene der laienhaften Betrachter, die bestenfalls über ein Basiswissen zum Künstler verfügen, aber keineswegs ein fundiertes Detailwissen aufweisen. Meist sind sie in Besitz eines Gemäldes, das eine besondere persönliche Bedeutung für sie hat. Im Vordergrund ihrer Äußerungen stehen Identifikationen mit den dargestellten Bildfiguren und Bemerkungen zur Bildwirkung. Eine Sonderstellung innerhalb der ersten Gruppe kommt der Figur des Malers zu. Durch ihn werden nicht nur Äußerungen über Bilder gemacht, sondern es können auch Einblicke in die Ideenfindung gegeben werden. Grundsätzlich ist der als Vermeer auftretende Charakter durch eine spezielle Wahrnehmung seiner Umwelt ausgezeichnet. „Das Sehen des Künstlers ist kein nur den optischen Eindruck aufnehmendes Sehen, sondern ein verstehendes oder erkennendes Sehen, das bereits die künstlerische Gestaltung beinhaltet.“2 In den Texten wird dies durch die Bezeichnung und Beschreibung eines speziellen Malerblicks konkretisiert. „He looked at me as if he were not seeing me, but someone else, or something else – as if he were looking at a painting. He is looking at the light that falls on my face, I thought, 3

not at my face itself.“

„Slowly, she came to understand that he looked at her with the same interest he gave to 4

the glass of milk.“

2

Ebda. 25.

3

Tracy Chevalier: Girl with a Pearl Earring. London 2000, 190, 191.

4

Susan Vreeland: Girl in Hyacinth Blue. London 2000, 234.

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In Hinblick auf mögliche kompositorische Bildarrangements werden Personen und Gegenstände als potentielle Form- und Farbvorlagen betrachtet. „He liked the straight, strong lines rising from the solid base and the voluptuous curve of 5

the handle.“

Der Fokus liegt auf maltechnischen Elementen und Aspekten. Dies kann zusätzlich dadurch vermittelt werden, dass die Figur des Malers auch bei der Betrachtung seiner eigenen Werke in erster Linie die künstlerischen Darstellungsmittel ins Auge fasst. „Here [...] there was comfort in the glazed smoothness of the blue slate roof of the Rotterdam Gate, and rightness in the sanded texture of his impasto on the foreground roof tiles. [...] And he’d gotten the folds of her sleeve right not just by altering color tones as every 6

painter did, but by varying the thickness of paint.“

Weiters ermöglicht der Standpunkt des Malers ein Teilhaben am künstlerischen Schaffensprozess eines Gemäldes; so kann zum Beispiel nicht nur ein nach mehreren Versuchen zufriedenstellend drapiertes Tableau vivant textintern einer Bildbeschreibung gleichbedeutend werden, sondern auch das Mitverfolgen des allmählichen Entstehens durch Farbflächenauftrag stellt eine besondere Möglichkeit des intermedialen Gemäldezitates dar. Dem Leser wird somit ein Blickwinkel präsentiert, der ihm sonst als kunstinteressierten, aber nicht fachkundigen Rezipienten verborgen bleiben würde. Die Figur des Malers liefert auch Einblicke in die Ideenfindung, die Kunstauffassung und in die dahinterstehenden Begründungen. Der Maler Vermeer kann aber nicht nur als erwachsener, bereits erfahrener Maler auftreten, sondern auch als heranwachsender. Dabei wird ihm stets ein besonderes Bildverständnis von Kindesbeinen an attribuiert. Vorwiegend wird der Lernprozess des jungen Jan mitverfolgt, der meist schon sehr früh auf die später so charakteristisch werdenden Aspekte seiner Malerei, wie zum Beispiel Licht und Farbe, hinweist. Seine Wahrnehmung konzentriert sich schon im Kindesalter bei alltäglichen Begebenheiten stets auf die Aspekte Form und Farbe, so zum Beispiel: „She turned her face to the light, the sun’s stencil of

5

Ebda. 213.

6

Ebda. 200, 206.

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lattice casting a stretched diamond of deep blue across her apron“7 oder „the town was now a stretched rhomboid of amber in the near distance“8. Ebenfalls mit einem erweiterten Kunstverständnis ausgezeichnet sind jene Figuren, die im Umfeld des Malers agieren. Sie haben durch ihren Assistentenund/oder Interessentenstatus Anteil an der Bildentstehung und drücken dahingehend ihre Beobachtungen aus. Anfänglich über ihren speziellen Blick nicht im Klaren können sie sich zum Beispiel einem unbewussten Lernprozess unterziehen, künstlerisch heranreifen und selbstständig notwendige Bildveränderungen erkennen. Dies trifft zum Beispiel auf Griet, die Magd in Tracy Chevaliers Roman zu, die durch ihr Grundverständnis für Farben und Formen heimlich zu Vermeers Assistentin wird. Bereits auf den ersten Seiten des Romans wird dem Leser dieses Potential vermittelt, noch bevor Griet selbst über diese Begabung reflektiert. „I always laid vegetables out in a circle, each with its own section like a slice of pie. There were five slices: red cabbage, onions, leeks, carrots and turnips. I had used a knife edge to 9

shape each slice, and placed a carrot disc in the centre.“

Im Fortlauf des Romans kommt Vermeer auf diese Episode zurück. „‚Think of your vegetables.‘ ‚My vegetables, sir?‘ [...] ‚Think of how you separated the whites. Your turnips and your onions – are they the same white?‘ Suddenly I understood. ‚No. The turnip has green in it, the onion yellow.‘“

10

Ihre Entscheidungen sind intuitiv, sie kann sie nicht begründen, hat aber deren Richtigkeit im Gespür. „Although I did not understand why, I knew he was right because I could see it in his painting of the woman.“11 Charakterisiert wird der Rezeptionsvorgang kunstkompetenter Figuren durch eine auf einen möglichen Bildaufbau gerichtete Wahrnehmung und durch ein beständiges Suchen nach Motiven. „She liked the cheese porters in their flat-brimmed red hats and stark white clothes. Their curved yellow carrying platforms stacked neatly with cheese rounds were suspended on

7

Brian Howell: The Dance of Geometry. London 2002, 21.

8

Ebda. 42.

9

Tracy Chevalier: Girl, 5.

10 Ebda. 107. 11 Ebda. 64.

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ropes between pairs of them, casting brown shadows on the paving stones. Two platforms diagonally placed in the midground between their carriers would make a nice composition with the repeated shapes of those bulging cheese rounds. She’d put a delivery boy wheeling his cart of silver cod in the background against the guild hall, and maybe in the fore12

ground a couple of lavender gray pigeons pecking crumbs.“

Der Ausschnitt zeigt, dass jene intermedialen Gemäldezitate, die durch kunstsinnige Figuren eingebracht werden auch verstärkt von maltechnischen, kompositorischen Elementen geprägt sind. Ein besonderer Standpunkt ergibt sich aus der Sichtweise von Modellen, die als „Bestandteil“ der Komposition in Form eines Tableau vivant den Prozess der Gemäldeentstehung und ihre Empfindungen dabei schildern. Dadurch wird eine Sonderform des Gemäldezitats möglich, die sich nicht aus der Beschreibung des angefertigten oder anzufertigen Gemäldes zeigt, sondern durch den Aufbau des Tableau vivant und sich somit „aus dem Bild heraus“ ergibt. Die Kunstauffassung Vermeers verstehen und teilen auch Malerkollegen, die vor allem auf die Besonderheiten seiner Bilder hinweisen und ihn bewundern „wegen des unübertroffenen Leuchtens seiner Farben und wegen der Gelassenheit, die seine Bilder ausstrahlten. Doch offenbar begriffen längst nicht alle Menschen das Außergewöhnliche seiner Werke.“13 Die Äußerungen der Malerkollegen über die Gemälde sind analog zu jenen der kunstsinnigen Figuren, denn auch sie legen nicht nur Wert auf das „Was“ der Gestaltung, sondern fokussieren das „Wie“. „Eine junge Frau in einer blauen Jacke und mit dunklen, hochgesteckten Haaren befand sich im Mittelpunkt der Komposition. [...] An der Wand hinter ihr zeichneten sich auf dem hellen Putz die Umrisse einer Landkarte ab, derselben, die auch tatsächlich in diesem Zimmer hing. Ein Stuhl und ein Tisch grenzten die Figur im Vordergrund vom Betrachter ab.“14

Der Fälscher vermeerscher Bilder bildet eine Schnittstelle zur zweiten Gruppe, die der Kunsthistoriker. Er besitzt die Fähigkeit eine Kopie anzufertigen und verfügt über eine künstlerische Schulung. Er ist selbst Maler und beschäftigt sich auf ähnliche Weise wie Vermeer mit Bildgestaltung und kompositorischen Fra-

12 Susan Vreeland: Girl, 233. 13 Alexandra Guggenheim: Die Malerin des Feuersturms. München 2008, 18. 14 Ebda. 162.

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gen. Auch aus seiner Perspektive ist es möglich dem Prozess der Bildentstehung beizuwohnen. Oftmals liefert er eine Anleitung zum Do-it-yourself. „After squaring the canvas, you draw, using dilute umber oil paint, then you establish the tonal range with darker earth colours and highlight with white. Paint in the black and white areas first, the man’s coat, his sleeve and flat square collar, the woman’s collar, the greyish-blue marble tiles, the black wall, the dark-blue tiles.“15

Der Fälscher verfügt aber nicht nur über Konstruktionskenntnisse, sondern auch über ein detailliertes Wissen zu Vermeer, seinen Gemälden und seinem Umfeld. Er weiß über wissenschaftliche Diskussionen, wie zum Beispiel die Theorie der Verwendung einer Camera obscura, Bescheid und ist sich der Untersuchungskriterien im Falle einer Echtheitsüberprüfung bewusst. Indem der Fälscher sein Bild beschreibt, zitiert er gleichsam das Original. Etwas anders verhält es sich hingegen mit Restauratoren. Abgesehen vom Einblick in Restaurierungsgrundlagen und den nötigen Bearbeitungsschritten, steht das jeweilige Gemälde im Zentrum der Aufmerksamkeit. Die intermedialen Gemäldezitate können sich aus der Sichtweise der Restauratoren daraus ergeben, dass durch die Beschreibung der Beschädigungen und deren Platzierung die Darstellung des Gemäldes zwar im ersten Moment sekundär erscheinen will, dem Leser jedoch nicht nur diese zu restaurierenden Stellen beschrieben werden, sondern im Zuge auch das Gemäldemotiv an sich zitiert wird. „The maid’s shoulder had a scratch; there were two nicks on the chair; a smear of chalk lay smudged across the curtain. […] There was also a deep scratch eleven inches long that had damaged parts of the background, the sleeve of the seated woman, and the carpet that 16

covered the table.“

Das Auftreten von Fälscher- und Restauratorenfiguren ist im Vergleich zum Maler Vermeer und Kunstlaien jedoch selten. Von dieser ersten Gruppe, die vorwiegend eine Perspektive auf praktische Malereiaspekte bietet, lässt sich die Präsentation und Charakterisierung der literarischen Kunsthistoriker, Kunstlehrer und Kunsthändler unterscheiden. Diese verfügen meist über ein umfassendes Detailwissen; „Where had I seen this room before? Hogarth? Brueghel? Jan Steen?“17. Was Vermeer und seine Werke be-

15 Brian Howell: The Dance, 169. 16 Matthew Hart: The Irish Game. A True Story of Crime and Art. New York 2004, 33. 17 Katharine Weber: The Music Lesson. London 2000, 147.

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trifft, treten sie oft als Experten niederländischer Malerei in Erscheinung und stellen Verknüpfungen zu anderen Malern der Zeit her. Diese Figuren verankern die Gemälde in einem kunsthistorischen Rahmen, wie zum Beispiel im Roman von Susan Vreeland. „He did at the most forty canvases. And only a matter of thirty to thirty-five are located. [...] That can likewise prove it was done by an inferior imitator, or by van Mieris, or de Hooch. They all did tile floors. Holland was paved with tile.“

18

Weiters bringen diese Figuren Theorieaspekte zu den Gemälden Vermeers ein oder, wie in Katharine Webers Roman, sie zitieren direkt aus wissenschaftlichen Abhandlungen, wie in diesem Fall aus Walter Benjamin. „In ‚The Work of Art in the Age of Mechanical Reproduction‘, Benjamin writes: Even the most perfect reproduction of a work of art is lacking in one element: its presence in time and space [...].“19 Teils in wissenschaftlicher Fachsprache kann das Detailwissen zu Vermeer und seinen Bildern transportiert werden oder es werden generelle Reflexionen über die Bedingungen der Malerei angestellt.20 Die intermedialen Gemäldezitate, die aus der Sicht von Laien dem Leser ein „Als ob“ des Malerischen vermitteln, fokussieren nicht (vorwiegend) kompositorische und kunsthistorische Elemente der Gemälde, sondern deren Wirkung, denn „es gilt [...] festzuhalten, dass sich das Rezeptionsniveau von Kunstkritik und ästhetischem Bewusstsein der Laien erheblich unterscheidet“21. Für die jeweiligen Betrachter stellen die Gemälde meist ein Objekt der Selbstreflexion dar. Die persönliche Relevanz des Bildes steht im Vordergrund. „Gerard said the painting was by a minor artist, some Johannes van der Meer. It didn’t matter to me. The girl was lovely, and I claimed her with all my heart.“22 In dieser Konstellation werden den Gemälden unterschiedliche Qualitäten und Eigenschaften zugeschrieben. So können sie zum Beispiel in schwierigen Momenten Halt geben, was meist durch die Identifikation des Bildrezipienten mit der dargestellten Bildhauptfigur geschieht. Ausgedrückt wird dies zum Beispiel durch die

18 Susan Vreeland: Girl, 5, 6. 19 Katharine Weber: The Music Lesson, 51. 20 So zum Beispiel: „What is painting but the art of expressing the visible by means of the invisible? It’s made up. It is a product entirely of the human mind. A mind has meditated to conceive it, and minds must meditate to understand it.“ (ebda. 66). 21 Jutta Held; Norbert Schneider: Grundzüge der Kunstwissenschaft. Gegenstandsbereiche-Institutionen-Problemfelder. Köln 2007, 230. 22 Susan Vreeland: Girl, 85.

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wiederkehrende Formel „just like her“.23 In ähnlicher Weise können auch auf das Bildsujet bezogene Wünsche geäußert werden. Der persönliche Zugang kann so weit reichen, dass die Bilder (gerade auch wegen der vermeerschen Besonderheiten) nach längerer Auseinandersetzung Ratschläge („I took the advice of the painting, [...] I stopped sewing.“24) und Belehrungen („I am grateful for her lesson, for what she has taught me about integrity, and constancy. Through her, I have come to know myself, and I have begun to understand the world a little better, too.“25) anzubieten scheinen. Als Konsequenz kann eine Änderung des Handelns der Figuren folgen. In das Bildmotiv werden weiters persönliche Erfahrungen hineinprojiziert und somit das Dargestellte nachempfunden. „There’s something else I cannot bear to look at anymore: the Metsu painting The Sick Child. Before I was a mother, the subject matter didn’t have any particular meaning for me. [...] Then Katie had a terrible virus when she was three, and her fever soared to 105 through an exceptionally harrowing night of cold baths and the fear of convulsions, and all that night my thoughts kept going back to that painting, because it seemed so true to the experience of holding a feverish child. Since Katie’s death, the painting seems to me to be about death. It’s so clear now, inevitable, that the child is going to die. How could I have 26

never noticed that?“

Dieser Ausschnitt lässt bereits erkennen, dass der Eindruck und der Zugang zu Gemälden nicht konstant derselbe bleiben muss. Je nachdem in welcher Situation, in welchem Umfeld sich der Rezipient befindet, nimmt er Unterschiedliches wahr und gibt verschiedene Eindrücke wieder. Für das intermediale Gemäldezitat bedeutet dies, dass nicht immer dieselben Bilddetails zur Sprache kommen, aber durch den Zusammenschluss verschiedener Blickpunkte der Gemäldeeindruck kontinuierlich vervollständigt werden kann.27 Dem Autor kommt dabei die Tatsache der Offenheit vermeerscher Bilder entgegen.

23 Zum Beispiel: „She was a desperate woman with frailties just like her, temptations just like her, a woman who had needs, a woman who loved almost to the point of there being no more her anymore, a woman who probably cried too much, just like her.“ (Susan Vreeland: Girl, 136). 24 Ebda. 80. 25 Katharine Weber: The Music Lesson, 126. 26 Ebda. 57. 27 Dass ein Gemälde von großem Wert ein besonderes Verhalten aufseiten der Protagonisten hervorrufen kann, zeigt sich auch in der Erzählung „La ragazza col turbante“ von Marta Morazzoni. „Contrariamente alle sue abitudini, aveva tenuto il di-

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In Hinblick auf die Charakterisierung der intermedialen Gemäldezitate lässt sich zusammenfassend festhalten, dass durch die dreiteilige Gliederung in Rezipientengruppen eine den Gemäldezitaten zugrundeliegende Verweisrichtung festgestellt wurde. Diese Gliederung darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass oftmals eine derart klare Abgrenzung zwischen den Gruppen nicht zu gewährleisten ist. Eine Figur kann durchaus auch mehrere Betrachtereigenschaften verkörpern, wobei diese meist zwischen der zweiten und dritten Gruppe anzusiedeln sind. Die Möglichkeit einer Überschneidung von kunsthistorischem Wissen und persönlichem, rein auf das Empfinden gerichtetem Bildeindruck wird zum Beispiel im Roman von Katharine Weber thematisiert. „What I can’t quite reconcile, given my art history training [...] is my own refusal to know that I am responding to a painted image. I confound myself with the feeling that this painting is merely a representation of something actual. While intellectually I can accept that this is indeed illusion [...] I am simultaneously convinced that she lived and she still 28

lives, brought to life and kept alive on a painted panel.“

Die Perspektivierung vermittelt einen jeweils speziellen Eindruck von der Komposition und der Stimmung der Bilder, der „die Imagination des Lesers in einer Weise stimulier[t], welche analog zu jener Stimulation ist, die von den Bildern ausgeht. Der Leser soll gleichsam in die Lage versetzt werden, sich die Gemälde zu vergegenwärtigen.“ 29

pinto in casa e non nel magazzino; appoggiata alla parete opposta alla finestra, nella camera da letto, la tela troneggiava già da un mese. [...] Tutto sommato, dunque, non era affatto innaturale che la signora Van Rijk si sorprendesse, talvolta, a considerare con una sorta di segreto astio la presenza di quel dipinto in casa.“ (Marta Morazzoni: „La ragazza col turbante“, in: La ragazza col turbante. Milano 1986, 68) Das Eigentümliche an dieser Erzählung ist (und dies ist auch der Grund warum sie im Rahmen der Untersuchung zum intermedialen Gemäldezitat nicht herangezogen werden kann), dass man erst am Ende in einer äußerst knappen Beschreibung erfährt, um welches Gemälde es sich handelte. „Il soggetto è un volto di donna ritratto di tre quarti, il capo è fasciato da un turbante e ha una perla all’orecchio.“ (Marta Morazzoni: „La ragazza“, 105). 28 Katharine Weber: The Music Lesson, 60, 61. 29 Monika Schmitz-Emans: „Das visuelle Gedächtnis der Literatur“, 22.

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T RANSMEDIALE K ATEGORIEN DER E RZÄHLUNG UND B ESCHREIBUNG Svetlana Alpers charakterisiert die Bilder der holländischen Kunst im Gegensatz zu den erzählenden Darstellungen der Kunst Italiens als deskriptiv. Besonders die Bilder Vermeers „seem to invite the viewer to read a narrative, then frustrate the reading“30. Dies wird auch in den Texten thematisiert. „‚What is she doing?‘ he asked after a moment. ‚She has one hand on a pewter pitcher sitting on a table and one on a window she’s partly opened. She’s about to pick up the pitcher and dump the water from it out the window, but she’s stopped in the middle of what she’s doing and is either dreaming or looking at something in the street.‘ ‚Which is she doing?‘ [...] ‚I’m sorry, Father. I’m trying to describe it accurately.‘ ‚But what is the 31

story in the painting?‘ ‚His paintings don’t tell stories.‘“

Wie kommt es dazu, dass die von kunstgeschichtlicher Seite dezidiert als deskriptiv bezeichneten Gemälde Vermeers, die „no action, so no drama“32 zu beinhalten scheinen, Anlass zur Narrativierung geben. Es bedarf an dieser Stelle einer Erklärung der Begriffe deskriptives und narratives Bild. Die formalen Bedingungen des bildlichen Mediums manifestieren sich durch eine simultan-statische Struktur, die die „Vermittlung einer zeitlichen Erlebnisdimension und eine auf zeitliche Abläufe und Zustandsveränderungen zielende Darstellung“, genauso wie das Vermitteln der inneren Welt „der Gedanken, Gefühle und Vorstellungen der Figuren und vor allem deren Rede“33 erschweren. Dennoch können Gemälde ein narratives Potential beherbergen, das sich am deutlichsten bei Bildern zeigt, die in einer kontextuellen Beziehung zu anderen Bildern stehen und so „eine Geschichte [...] über den im Bild dargestellten Augenblick hinaus weiterentwickeln“34. Diese Bilderserien (Zyklen, Triptychen,

30 Matthew Hart: The Irish Game, 29. 31 Tracy Chevalier: Girl, 96, 97. 32 Susan Vreeland: Girl, 152. 33 Werner Wolf: „Das Problem der Narrativität in Literatur, bildender Kunst und Musik: Ein Beitrag zu einer intermedialen Erzähltheorie“, in: Vera Nünning; Ansgar Nünning (Hg.), Erzähltheorie transgenerisch, intermedial, interdisziplinär. Trier 2002, 23-104, 54. 34 Martina Mai: Bilderspiegel-Spiegelbilder, 41.

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usw.) können entweder eine monoszenische35/einsträngige36 oder eine pluriszenische/mehrsträngige Handlung aufweisen, die nicht nur über die einzelne Bildfläche hinaus einen narrativen Zusammenhang suggerieren, sondern auch im jeweiligen Einzelbild zwischen Haupt- und Nebenhandlungen differenzieren. Davon lassen sich die Einzeldarstellungen unterscheiden, die jedoch wiederum pluriszenisch oder monoszenisch sein können und auch als PolyphasenEinzelbild und Monophasen-Einzelbild bezeichnet werden.37 Das PolyphasenEinzelbild verbindet in einem Gemälde mehrere oder zumindest zwei Phasen eines Geschehens, die in der richtigen Reihenfolge betrachtet einen zeitlichen Zusammenhang erkennen lassen. Es wird somit verständlich, dass es Bilderfolgen eher als Einzelbildern gelingt eine zeitliche Dimension zu kreieren und pluriszenischen Darstellungen eher als monoszenischen. Als verbreitetster Bildtyp gilt jedoch das Monophasen-Einzelbild, das durch das Darstellen von nur „einem Szenenausschnitt, einem Zustand oder einer Handlung“38 den geringsten Grad an Narrativität aufweist. Dennoch wurden und werden gerade diese Gemälde als narrativ bezeichnet. „Während die anderen drei Arten der visuellen narratio eine temporale Folge von Handlungen zeigen, die der Betrachter ziemlich leicht zu einer Geschichte zusammenfügen kann, kann er im Falle eines monoszenischen Einzelbildes nur eine Handlung wahrnehmen, jedoch keine Geschichte. Diese entsteht erst, wenn er die Handlung als Teil eines größeren narrativen Zusammenhanges erkannt hat, zum Beispiel nachdem er den Titel des 39

Bildes gelesen hat.“

Bildtitel können darstellungskonkretisierend und kontextbildend sein. Dies ist im besonderen Fall dann gegeben, wenn sich die Darstellung auf eine mythische, biblische oder historische Geschichte bezieht.40 Grundsätzlich wurde nur jenen

35 Vgl. Aron Kibédi Varga: „Visuelle Argumentation und visuelle Narrativität“, in: Wolfgang Harms (Hg.), Text und Bild, Bild und Text. Stuttgart 1990, 356-367, 360 ff. 36 Werner Wolf: „Das Problem der Narrativität“, 55 ff. 37 Ebda. 38 Ebda. 55. 39 Aron Kibédi Varga: „Visuelle Argumentation und visuelle Narrativität“, 363, 364. 40 Vgl. zum Beispiel: „[...] die Entzifferung eines mythischen, biblischen oder historischen Textes als Bild-Aussage stellt hierbei einen besonders konkreten und gleichsam abgesicherten Fall von Kontextualisierung dar.“ (Monika Schmitz-Emans: „Das visuelle Gedächtnis der Literatur“, 29. Vgl. weiters Werner Wolf: „Das Problem der Narrativität“, 73 ff).

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Bildern eine narrative Qualität zugeschrieben, die auf literarischen Texten basierten. Die Bezeichnung narratives Gemälde konnotierte stets die Abhängigkeit von einer literarischen Vorlage. Diese verlangte nach der Darstellung des „fruchtbarsten Augenblicks“ (Lessing), aus dem für den Rezipienten, der die zugrundeliegende Geschichte kannte, das Davor und Danach der Darstellung erschließbar wurde. Der explizit dargestellte eine Moment wurde auf diese Weise mit implizierten Sprachgehalten aufgeladen. Gegen diese textabhängige Definition von narrativen Bildern wandte sich Alpers, die keine Unterscheidung „between the representation of a known (textually established or traditional) narrative and the representation of action as such [...]“41 vollzieht. Deskriptive Gemälde sind nach ihrer Definition gekennzeichnet durch einen „lack of narrative action“, der sich anhand von Figurenisolierung und Ausdrucksneutralität der Dargestellten präsentiert. Alpers konstatiert zum Beispiel Caravaggio eine deskriptive Ausrichtung, da er u.a. „die Entwicklung vom Interesse an der Handlung und am Ereignis hin zum Interesse an der Materialität der dargestellten Objekte und Personen“42 unternahm. Dass die Gemälde mittels des Charakterisierungsmerkmals narrativ und deskriptiv nicht dezidiert und in aller Schärfe in zwei unabhängige Bereiche getrennt werden können, zeigt sich implizit in dieser Überlegung Alpers. Handelt es sich doch bei den Gemälden Caravaggios großteils um Historienbilder, die als Paradebeispiele narrativer Kunst gelten. Doch auch die sogenannten deskriptiven Gemälde von Vermeer, der allzu narrative Zusammenhänge durch nachträgliches Entfernen von Bildelementen vermied, können (zwar nicht in der Deutlichkeit und Intensität historischer Bilder) eine Handlung suggerieren. Dennoch ist die Beibehaltung dieses Klassifizierungskriteriums sinnvoll, da hiermit ein Grad an narrativem Potential festgelegt werden kann. Vermeers Gemälde gestalten es demnach schwieriger das Dargestellte in eine Erzählung zu projizieren, aber umso mehr bieten sie den Anreiz dazu, da keine Eindeutigkeit in der Präsentation des Bildinhaltes gegeben ist. Womit sich die Resultate aus dem kunsthistorischen Abschnitt und der gestellten Frage nach den Gründen der intermedialen Zitation von Vermeers Gemälden unterstreichen lassen. Das Prinzip der Uneindeutigkeit der Bildkomposition bietet dem Autor Spiel- und Deutungsfreiraum und in der Folge auch den textinternen Bildrezipienten, die über jenes Phänomen reflektieren, die Bilder als bedeutungsoffen akzeptieren und in der Folge unterschiedlich zitieren. Die Werke Vermeers erlauben in ihrer Verfasstheit aber auch

41 Svetlana Alpers: „Describe or Narrate? A Problem in Realistic Representation“. New Literary History 8 (1976), 15-42, 40. 42 Martina Mai: Bilderspiegel-Spiegelbilder, 42.

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eine narrative Ausweitung, wie zum Beispiel im Roman von Susan Vreeland das Zustandekommen des jeweiligen Bildarrangements. „He brought the sewing basket, placed it on the table, and thought of its dear, humble history, picked out by Catharina from a dozen at some merchant’s stall. He moved Geertruida’s glass of milk into the slant of light, that glass that someone had washed the day before and the day before that. He set the golden pitcher near it and slightly behind. It shimmered in the stream of sunlight, reflecting blue from Magdalena’s sleeve. No. He took it away. It was beautiful, but there was more truth without it. He placed on Magdalena’s lap her brother’s shirt that needed buttons. [...] He arranged her skirt and her white linen cap Catharina had made. Her hand had fallen palm upward on the shirt, her delicate fingers curled. Perfect. It was not in the act of doing anything. Any intended action was 43

forgotten and therefore it was full of peace.“

Die Bildobjekte wie der Nähkorb, das Glas und das Hemd werden mit „Bedeutung“ für die Textprotagonisten aufgeladen. Weiters wird das Arrangieren des Bildsujets durch Vermeer selbst erklärt und abschließend auf die Besonderheit der Darstellung als „kein Akt irgendeiner Tätigkeit“ verwiesen. Bei narrativen Gemälden, als Bilder mit verstärktem Potential zur erzählerischen Ausweitung verstanden, muss nicht ausschließlich die indizierte Geschichte zum Tragen kommen, vielmehr spielt im textinternen Geschehen zum Beispiel die Entstehung eine Rolle. Doch die intendierte Bedeutung kann textintern in der Figur mitschwingen. Das Monophasen-Einzelbild mit narrativer Indizierung kann zwar keine Geschichte erzählen, hat aber dennoch die Möglichkeit eine Geschichte mehr oder weniger stark zu suggerieren. Es ist somit „narrationsindizierend (geschichtenandeutend)“44 dank verschiedener werkinterner Stimuli. „Das bildliche Medium kann zwar, im Gegensatz zum verbalen, bei der Steuerung der Vorstellungsbildung statischer Objekte [...] wesentlich präziser sein, [...] ist jedoch dafür in der Repräsentation zeitlich-dynamischer ‚events‘ und in der Lenkung der Vorstellungsverknüpfung deutlich ungenauer.“45 Ein Grad an Unbestimmtheit bleibt bestehen, der in der Forschung meist mit der Bezeichnung „Leerstelle“46

43 Susan Vreeland: Girl, 222, 223. 44 Werner Wolf: „Das Problem der Narrativität“, 96. 45 Ebda. 65. 46 Vgl. ebda. Vgl. auch Christoph Eykman: Über Bilder schreiben, 38.

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charakterisiert und mithilfe von bildinternen „Lesehilfen“47 aufzufüllen versucht wird. Eventuelle Andeutungen im Bild werden aufgegriffen und über das Dargestellte hinaus ausgeweitet. Eine Möglichkeit besteht darin anhand der Mimik und Gestik der dargestellten Personen den Aspekt der Gefühle und Gedanken zu suggerieren und diesen in der Folge auf der textinternen Ebene weiterzuführen. „Now it became clear to her what made her love the girl in the painting. It was her quietness. A painting, after all, can’t speak. [...] Her face told her she probably wanted something so deep or so remote that she never dared breathe it but was thinking about it there 48

by the window.“

„I couldn’t keep my eyes from the girl in the painting. What I saw before as vacancy on her face seemed now an irretrievable innocence and deep calm that caused me a pang. It wasn’t just a feature of her youth, but of something finer – an artless nature. I could see it 49

in her eyes.“

„‚I bought it to commemorate a period in my life, and for that reason I can’t let it go.‘ [...] ‚The way the girl is looking out the window,‘ he said. ‚Waiting for someone. And her hand. Upturned, and so delicate. Inviting a kiss.‘ [...] ‚Her name was Tanneke. It was when I was working at the Haarlemmermeer pumping plant back in ’74.‘ [...] He remembered the satiny feel of Tanneke’s hand in his, the weight of it, relaxed, turned upward, and how he felt so gallant when, stiff-backed and formal, new at love, he bent to kiss it, her little finger extended, curved just as in the painting. [...] Like so many times at the pumping house, and much later when he looked at the painting, he indulged in imagining Tanneke and her braid of honey-colored hair, heavy in his hand when he unbraided it, and 50

his life with her, what it might have been.“

In diesen drei Ausschnitten, die auf dasselbe (fiktive) Gemälde rekurrieren, liegt der Ausgangspunkt der Bildbetrachtung der Rezipienten jeweils im Gesicht des dargestellten Mädchens. Ihr Blick verrät den Betrachtern etwas über sie, über ihre Gedanken, über ihr Handeln. In einer zweiten Instanz wird dieser Aspekt in irgendeiner Form auf den Betrachter rückgekoppelt und mit einer persönlichen

47 Werner Wolf: „Das Problem der Narrativität“, 66. Zu diesen Lesehilfen zählen u.a. auch die bei Vermeer üblichen Bild-im-Bild-Darstellungen, die (bei Vermeer aber nicht eindeutig) das Vordergrundgeschehen erhellen. 48 Susan Vreeland: Girl, 51. 49 Ebda. 105. 50 Ebda. 67, 68, 75, 76.

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Komponente verbunden. Die spezielle Bildwirkung Vermeers dient dafür als generelle Basis. Durch die isolierte Frauenfigur, die aus einem der bekannten Fenster in Vermeers Werken zu blicken scheint und die durch ihren Blick Anreiz zu Überlegungen ihres Tuns und Denkens liefert, wird das System der vermeerschen Bilder ganz allgemein aufgerufen. Das formale Kriterium des deskriptiven Bildes schwingt in der vorgelagerten Bildbeschreibung mit und doch werden die wenigen bildinternen Stimuli ausgeweitet. Betont wird weiters die vermeersche Besonderheit der Ruhe und Stille und auch das Prinzip der Uneindeutigkeit; dasselbe Bild wird auf drei unterschiedliche Weisen wahrgenommen. Das intermediale Gemäldezitat setzt sich in diesem Beispiel aus verschiedenen, für die Bilder Vermeers typischen Elementen zusammen, die unterschiedlich evoziert und simuliert werden. Abgesehen von möglichen Andeutungen über die Gestik und Mimik können die detailreichen Darstellungen Vermeers auch meist Fragen nach einem Davor und Danach des abgebildeten Moments aufwerfen. „Davvero, c’è un’immensità di dettagli, come la porta aperta che sottende magari al fatto che qualcuno – io credo un uomo, stante anche la veste della dormiente piuttosto…aperta! – stia per arrivare o se ne sia appena andato.“51 Die Stimuli einer möglichen Vergangenheit oder Zukunft werden in den Texten aber nicht nur auf der Ebene der dargestellten Bildperson gedeutet, sondern können eine Übertragung und Ausweitung in die Textwelt erfahren. Entweder wird über das Bild und über die dargestellten Figuren reflektiert52 oder die Bildfigur tritt als textinterne Figur auf

51 Paolo Turati: Luce d’Orange. La strana vita di Jan Vermeer. Torino 2007, 89. 52 So zum Beispiel: „She made up stories of the young woman in Groningen or Amsterdam or Utrecht, how she became famous for her sewing and people from all around would come to have a garment made by her.“ (Susan Vreeland: Girl, 122) Dabei handelt es sich um eine narrative Ausweitung der Bilddarstellung durch eine Bildbetrachterin im Text, ohne Gleichsetzung von Bild- und Textfigur. Im Gegensatz zu: „And suddenly there she was on canvas, framed. [...] Almost a child she was, it seemed to her, gazing out the window instead of doing her mending. [...] And those shoes! She had forgotten. How she loved the buckles, and thought they made her such a lady. Eventually she’d worn the soles right through, but now, brand-new, the buckles glinted on the canvas, each with a point of golden light. [...] No, she wasn’t beautiful, she owned, but there was a simplicity in her young face that she knew the years had eroded, a stilled longing in the forward lean of her body, a wishing in the intensity of her eyes.“ (Susan Vreeland: Girl, 239) Es zeigt sich aber auch die Möglichkeit einer narrativen Ausweitung, die nach dem Grund und dem Prozess der Bildherstellung fragt. „‚Siete pronto?‘ – tagliò corto Jan – ‚Siete convinto che quella lunga casacca di

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(zum Beispiel als Modell). In der zweiten Variante können die Stimuli des Davor oder Danach auf die Textebene bezogen und erklärt werden. Diese beiden unterschiedlichen Formen des Herantragens von Information im erzählenden Modus involvieren gleichsam die entscheidende und narrationsstimulierende Frage nach dem „wer ist dargestellt?“. Anhand eines Ausschnitts aus dem Roman Die Malerin des Feuersturms von Alexandra Guggenheim lassen sich die entscheidenden Aspekte in der Frage nach dem narrativen Potential der als deskriptiv deklarierten Gemälde Vermeers und der Diskussion um eine mögliche Bilderzählung zusammenfassen. „‚Aber nein, Sarah, es gibt kein Mysterium, ich male immer nur das, was ich um mich herum sehe. Ich erfinde nichts, und ich verweise weder auf die Bibel noch auf ein Ereignis in der Vergangenheit. Im Gegensatz zu dir. Deine Bilder fordern den Betrachter heraus, denn sie verlangen umfassende Kenntnisse der Geschichte und der Religion. Nicht umsonst steht die Historienmalerei von allen Gattungen an erster Stelle.‘ ‚Du bist viel zu bescheiden Johannes ... Erzähl mit etwas über die junge Frau. Wer ist sie? Und was steht in dem Brief, den sie gerade liest?‘ ‚Die älteste Tochter des Druckereibesitzers Jakob Dissius hat mir Modell gestanden. Ich habe sie gebeten, ein Schriftstück mitzubringen, das ihr viel bedeutet. Sie kam mit einem Brief, den sie zufällig am selben Morgen erhalten hatte und der noch ungeöffnet war. In meiner Gegenwart hat sie das Siegel aufgebrochen, ist ans Fenster getreten und hat die Zeilen gelesen. So habe ich sie festgehalten, ganz in ihre Gedanken vertieft, ohne sich um das zu kümmern, was um sie herum geschieht.‘ ‚Also gibt es sogar zwei Geheimnisse. Der unbekannte Absender und das, was er geschrieben hat.‘ [...] ‚Lass uns raten, von wem der Brief stammen könnte und was darin steht ... Wie gefällt dir diese Geschichte ... Die junge Frau liebt einen Mann, einen Naturforscher vielleicht, der zu einer Expedition nach Ostindien aufgebrochen ist. Die Regenzeit hat begonnen, und er muss länger bleiben als zunächst vorgesehen. Deshalb schreibt er einen Brief, in dem er seine Liebste bittet, auf ihn zu warten und ihm treu zu bleiben.‘ ‚Ja, so könnte es durchaus gewesen sein. Vielleicht steht in dem Brief aber auch etwas Beunruhigendes. Der Absender beschuldigt den Forscher der Untreue, will die junge Frau davor warnen, diesen Mann

raso blu vi doni?‘ ‚Scherzate?‘ – replicò ormai disarmato Van Leeuwenhoek – ‚Con quello che costa?‘ Il modello si mise in posa, appoggiandosi con i gomiti su un tavolo prospiciente alla finestra che si apriva sul vicolo, e tenendo in mano un compasso. ‚Mi raccomando, Jan,‘ – gli ricordò Van Leeuwenhoek – ‚date questo mio ritratto 1669. Deve ricordare la data della mia nomina ad agrimensore.‘“ (Paolo Turati: La Luce d’Orange, 133, 134).

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zu heiraten.‘ [...] ‚Ich habe heute ebenfalls einen Brief mitgebracht, Johannes. Ein merk53

würdiger Zufall. Ich wollte dich fragen, was du davon hältst.‘“

Der Historienmalerei wird das Bild von Vermeer gegenübergestellt, das kein biblisches oder historisches Geschehen abbildet, sondern eine Beobachtung aus seinem Umfeld. Damit wird der geringe Grad an narrativem Potential angedeutet. Durch die vorhandenen bildinternen Stimuli wird die Frage nach der dargestellten Person aufgeworfen. Diese wird beantwortet durch eine auf der Textebene angesiedelte Figur. Vermeer erzählt die Vorgeschichte des im Bild dargestellten Augenblicks. Die Mimik der Frau im Bild lässt zwar eine Gedankenversunkenheit erkennen, lässt jedoch keine eindeutige Folgerung auf den Briefinhalt zu. Damit wird der Aspekt der vermeerschen Uneindeutigkeit bekräftigt, denn ob es sich um etwas Erfreuliches oder Beunruhigendes handelt bleibt offen. Nicht nur das Narrative ist als transmediales Phänomen in den Medien unterschiedlich ausgeprägt, auch das Deskriptive ist sowohl im sprachlichen wie auch im visuellen Medium relevant; jedoch „while paintings can be exclusively descriptive and non-narrative, they cannot be totally narrative without descriptivity and in this differ from verbal narratives which do not absolutely require descriptions“54. Zu diesen rein deskriptiven Bildern zählen zum Beispiel Genres wie das Landschaftsbild oder das Stillleben, denen ein hohes deskriptives Potential inhärent ist und die geringe Stimuli zur Narration aufweisen. Grundsätzlich attestiert Werner Wolf der Malerei ein „very high descriptive potential“, da durch das Vorliegen der ikonischen Zeichen eine „much closer to real-life perception“ vorliegt, „than is the case, e.g., in written literature“55. Das Beschreibende im Medium des Bildes liegt ganz allgemein gesehen in der Situierung des Sujets. Eine Innenraumansicht oder auch nur eine am Tisch sitzende Figur vor kahlem Hintergrund „beschreibt“ im Gegensatz zu Bäumen und blühenden Gärten ein ganz anderes Umfeld. Es werden zusätzliche Informationen zum „setting“ geboten. Weiters können zum Beispiel Bekleidung, Frisur und auch das Gesicht (nicht aber die Mimik) durch Falten oder besonders glatte Haut den sozialen Stand einer Bildfigur oder deren ungefähres Alter beschreiben.

53 Alexandra Guggenheim: Die Malerin des Feuersturms, 164, 165. 54 Werner Wolf: „Description as a Transmedial Mode of Representation: General Features and Possibilities of Realization in Painting, Fiction and Music“, in: Werner Wolf; Walter Bernhart (Hg.), Description in Literature and Other Media. Amsterdam/New York 2007, 1-87, 45. 55 Ebda. 39.

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Besonders dem vermeerschen Licht, das Oberflächen in einer speziellen Wirkung erscheinen lässt, kommt beschreibende Qualität zu. Grundsätzlich kommen dem Deskriptiven im Text andere Funktionen zu als dem Narrativen. „While the typical suggestion of narrative is that ‚something happened because of something else and led to a certain end‘, the typical suggestion of description is simply that ‚something is there and like that‘.“56 Die Bildbeschreibungen, die in ihrer visuellen Evokationskraft stets Unbestimmtheitsstellen aufweisen, erreichen in Form von Gemäldezitaten beim Leser die gewünschte bildmedial bezogene Illusionsbildung. Die Gemälde stehen in den Texten jedoch nicht isoliert, auch wird nicht willkürlich auf sie verwiesen, sondern sie bilden einen integrativen Bestandteil, mit dem Verhaltensmuster und Konsequenzen der textinternen Rezipienten verknüpft werden. Die Bildbeschreibungen sind in den Texten aus den unterschiedlichen Blickwinkeln der Bildproduzenten, Kunsthistoriker oder der laienhaften Bildbetrachter perspektiviert, „since description [...] always presupposes a subject, the descriptor, and his or her perspective“57. Das die Beschreibung konstituierende Ordnungsprinzip der Perspektive ist im Text jedoch nicht nur von der beschreibenden Instanz abhängig, sondern auch von der Situation, in der das Gemälde beschrieben wird. Bildbeschreibungen sind aber nicht nur perspektiviert und partiell, sie sind auch bereits das Resultat einer Interpretation. „Eine Bildbeschreibung ist immer auch Interpretation, denn die Selektion, die Reihenfolge und Ausführlichkeit der beschriebenen Aspekte sowie der Stil sind vom beschreibenden Subjekt abhängig.“58 Doch bereits einer scheinbar sachlichen Benennung dessen, was auf einem Bild zu sehen ist, einer rein formalen Beschreibung (Panofsky) sozusagen, wird Sinn zugeordnet. Sie ist bereits von subjektiven Impulsen gelenkt.59 „Jede Deskription wird – gewissermaßen noch ehe sie überhaupt anfängt – die rein formalen Darstellungsfaktoren bereits zu Symbolen von etwas Dargestelltem umgedeutet haben müssen; und damit wächst sie bereits, sie mag es machen wie sie will, aus einer rein formalen Sphäre schon in eine Sinnregion hinauf.“60 Diese basale Sinnzuordnung, die der Mensch unweigerlich unternimmt, geht der

56 Ebda. 34. 57 Ebda. 26. 58 Franziska Mosthaf: Metaphorische Intermedialität, 121. 59 Vgl. Martina Mai: Bilderspiegel-Spiegelbilder, 85 und Christoph Eykman: Über Bilder schreiben, 58 ff. 60 Erwin Panofsky: „Zum Problem der Beschreibung und Inhaltsdeutung von Werken der bildenden Kunst“, in: Karen Michels; Martin Warnke (Hg.), Erwin Panofsky: Deutschsprachige Aufsätze II (Band 1 und 2). Berlin 1998, 1064-1077, 1065.

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Bildbeschreibung durch die vermittelnde Instanz im Text voraus; die Deskription beinhaltet bereits zusätzliche Verweise hinsichtlich der unterschiedlichen „Schichten“ des Bildes. Christoph Eykman weist darauf hin, dass Theoretiker und Schriftsteller der Meinung sind, „dass sie im Bild selbst und auch in seiner Rezeption (sei diese rein wahrnehmend oder eine in Sprache übersetzte) verschiedene Schichten konkret-gegenständlicher, maltechnischer oder intellektueller bzw. emotionaler Art voneinander unterscheiden“61. Eine Tatsache, die durch die Klassifizierung der Betrachterperspektiven ausgerichtet wird, wobei natürlich Kombinationen nicht nur möglich, sondern vorherrschend sind, wie die folgenden Beispiele aus den Romanen von Tracy Chevalier und Paolo Turati zeigen. „‚Do you remember the painting we saw in the Town Hall a few years ago, which van Ruijven was displaying after he bought it? It was a view of Delft, from the Rotterdam and Schiedam Gates. With the sky that took up so much of the painting, and the sunlight on some of the buildings.‘ ‚And the paint had sand in it to make the brickwork and the roofs look rough,‘ I added. ‚And there were long shadows in the water, and tiny people on the 62

shore nearest us.‘“

„È...Delft, vista da...dal canale fuori dalle porte di Rotterdam e Schiedam, con il ponte Capels che le unisce! Dio mio! Come hai fatto a renderla così…più bella della realtà…tu che, oltretutto non dipingi mai al di fuori di questo locale. Sembra in rilievo…i tetti delle case sono…sono fatti da centinaia di tocchi, che producono un’impressione ottica che non 63

avevo mai vista!“

In beiden Ausschnitten wird das Gemälde Vermeers Ansicht von Delft von jeweils einer kunstkompetenten Figur beschrieben. Es fällt auf, dass nach einer anfänglichen Benennung des zentralen Motivs eine maltechnische Besonderheit der Anfertigung hervorgehoben wird. Der vermittelnden Instanz, die mit einem erweiterten Kunstverständnis ausgestattet ist und im Laufe des Romans als solche erkennbar wird, gelingt es das Gemälde auf diese Weise glaubwürdig zu charakterisieren. Damit wird der Leser nicht nur für das Darstellungsmotiv, sondern darüber hinaus auch für die maltechnischen Qualitäten (die in einer Beschreibung und der damit verbundenen Hervorhebung als Besonderheiten der vermeerschen Bildkompositionen vermittelt werden) sensibilisiert.

61 Christoph Eykman: Über Bilder schreiben, 91, 92. 62 Tracy Chevalier: Girl, 7. 63 Paolo Turati: Luce d’Orange, 113.

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Die Beschreibungen von Bild- und Textfiguren werden oft zur wechselseitigen Konkretisierung herangezogen. Mittels des Vergleichs kann ein Anreiz an die genauere Imagination der Figuren gegeben werden. „I saw the van Ruijvens coming from a long way off. As they approached I recognised her from the painting [...].“64 „Catharina Vermeer betrat die Stube. In ihrem hellblauen Kleid und mit den am Hinterkopf aufgesteckten Haaren erinnerte sie an die jungen Frauen auf den Bildern ihres Ehemannes, die gedankenverloren ihren häuslichen Tätigkeiten nachgingen.“65 Aber nicht nur die Figuren können in einem konkretisierenden Wechselspiel aufeinander verweisen, auch die Ebene der Textwelt kann mit der durch die Einführung des Gemäldes gebildeten zusätzlichen Ebene der Diegese interferieren. „Auf der Leinwand war genau der Raum zu sehen, in dem Vermeer und sie sich gerade befanden, mit den gleichen weißschwarzen Bodenfliesen und der Landkarte an der Wand.“66 Beschrieben wird hiermit nicht nur die Innenraumansicht des Bildes, sondern auch die des Ateliers. Weiters ist es auch möglich in dieser Form die Aufmerksamkeit gezielt auf die spezielle Bedeutung von beschriebenen Elementen zu lenken. „Someone had wiped around the objects placed there – a powderbrush, a pewter bowl, a letter, a black ceramic pot, blue cloth heaped to one side and hanging over the edge – but they had to be moved for the table really to be cleaned. [...] A woman stood in front of a table, turned towards a mirror on the wall so that she was in profile. [...] Behind her on a bright white wall was an old map, in the dark foreground the table with the letter on it, the powderbrush and the other things I had dusted around. [...] It was odd to look at it with the setting just behind it. Already from my dusting I knew all of the objects on the table, and their relation to one another – the letter by the corner, the powderbrush lying casually next 67

to the pewter bowl, the blue cloth bunched around the dark pot.“

Die Wiederholung der sich am Tisch befindenden Objekte (sowohl im Atelier als auch auf dem Bild) erklärt sich aus der Sicht Griets. Für sie sind genau jene Gegenstände entscheidend, da es in diesem Moment noch nicht klar ist, ob sie im Haushalt der Vermeers bleiben wird. Ausschlaggegend ist nämlich, ob sie im Atelier des Malers putzen kann ohne dabei dessen Bildaufbau durcheinander zu bringen.

64 Tracy Chevalier: Girl, 75. 65 Alexandra Guggenheim: Die Malerin des Feuersturms, 103, 104. 66 Ebda. 49. 67 Tracy Chevalier: Girl, 35, 37, 38.

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Als entscheidende Faktoren der Deskription eines Gemäldes durch ein beschreibendes Subjekt wurden die Selektion, die Reihenfolge und die Ausführlichkeit genannt. Dies zeigt sich u.a. anhand von Beschreibungen von laienhaften Bildbetrachterinnen, die sich mit der dargestellten weiblichen Bildfigur identifizieren. Das zentrale Bildelement, die Figur, wird als erstes genannt, meist verbunden mit ihrer Tätigkeit oder einem besonderen Kleidungsstück, das als Anknüpfungspunkt für den persönlichen Zugang fungiert. Erst im weiteren Verlauf können auch andere Bilddetails hinzugefügt werden oder sich das Interesse insgesamt auf einen anderen Bildaspekt verlagern. Die unterschiedlichen Möglichkeiten der Bildvisualisierung und ihre Funktionalisierung im Rahmen der Texthandlung formieren einen entscheidenden Teil der intermedialen Gemäldezitate. In der Folge soll gezeigt werden, wie in den von der jeweiligen Betrachterperspektive aus getätigten Aussagen über die Gemälde Vermeers unterschiedliche Verweismechanismen zu erkennen sind und wie diese in ihrer Kombination mit den kompositorischen Besonderheiten der Bilder ein „Als ob“ der vermeerschen Gemälde erwirken. Dazu sei erwähnt, dass Bildbeschreibungen nicht kompakt, detailliert und in einem Stück eingebracht werden, sondern situationsabhängig sind und immer wieder andere Details und Elemente in den Blick genommen werden. Das Gemälde fügt sich so allmählich in der Vorstellung des Lesers zusammen.

E INBETTUNG

DER INTERMEDIALEN G EMÄLDEZITATE IN EIN VISUELL - MALERISCHES T EXTGEFÜGE Abgesehen von der vorgenommenen Gliederung in unterschiedliche Rezipientengruppen sind die intermedialen Gemäldezitate im Text stets in ein visuell-malerisches Textgefüge eingebettet. Dieses Gefüge ist gekennzeichnet durch verschiedene, mit dem Sehen von Gemälden in Verbindung stehende Aspekte. Der Leser wird auf diese Aspekte von Lektürebeginn an sensibilisiert; sein Augenmerk wird auf ein visuelles Feld gelenkt. Auf diese Weise wird die Grundlage für eine mögliche bildmedial bezogene Illusionsbildung gelegt. Abgesehen von der Umschlaggestaltung, die nicht zwingend der Autorintention unterliegen muss, kann bereits der Titel des Buches einen eindeutigen Hinweis auf die Kernthematik bieten. Girl in Hyacinth Blue lässt sich zum Beispiel ohne Schwierigkeiten als ein an Vermeers Frauendarstellungen angelehnter Bildtitel identifizieren. Der Titel Die Malerin des Feuersturms verweist auf die Tätigkeit der Protagonistin und markiert somit eine Ansiedlung der Handlung im Maler-

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milieu. Girl with a Pearl Earring weckt beim kunstinteressierten Leser bereits die Assoziation mit dem bekannten Gemälde von Vermeer. Wie entscheidend explizite Systemerwähnungen, die das Referenzsystem oder ihm zugehörige Komponenten explizit benennen, sein können, verdeutlicht der Beginn des Romans von Katharine Weber. „She’s beautiful. Surely, there is nothing more interesting to look at in all the world, nothing, than the human face. Her gaze catches me, pins me down, pulls me in. [...] I am never alone, whatever the village may think. Because she is here. And that is why I am here. [...] In a way, she’s incongruous here. But the contrast of her elegance with these simple surroundings isn’t really jarring, because tranquillity and timelessness transcend 68

everything else.“

Dass mit dem wiederkehrenden „sie“ nicht eine Person, sondern ein Gemälde gemeint ist, erfährt der Leser erst nach einigen Seiten. Erst durch die ausdrückliche Benennung des Gemäldes wird das Gelesene mit der Malerei in Verbindung gebracht. Ähnlich erforderlich sind explizite Systemerwähnungen um eine Personenbeschreibung als Porträt oder Innenraumbeschreibungen als Genrebild zu markieren. Die expliziten Systemerwähnungen weisen durch Begriffe wie Gemälde, Bild, Kunstwerk, durch die Charakterisierung des Protagonisten als Maler oder durch Figuren in seinem Umfeld auf eine Situierung des Geschehens im Umkreis der Malerei hin. Die visuell-malerische Dimension wird weiters unterstützt durch die gezielte, von der Thematik geforderte Wahl verschiedener Elemente der histoire, die als „faktische Bestandteile der dargestellten Realität des Textes“69 angesehen werden und zur visuell-malerischen Ausstattung der Texte beitragen. Ein Beispiel wäre die Tatsache, dass eine Protagonistin eine Vielzahl an Vermeer-Bildbänden besitzt und über sämtliche Vermeer-Ausstellungen Bescheid weiß. Damit werden aber nur Äußerungen über „die dargestellte Wirklichkeit der Figuren gemacht, zu der auch bestimmte mediale Konfigurationen gehören“70, ohne jedoch illusionistisch auf das System der Malerei zu verweisen. Die Relevanz des Visuellen ist aber auch in der Charakterisierung der Figuren, die als visuelle Typen bezeichnet werden können, festzustellen. Dem Prinzip der Visualität unterliegen

68 Katharine Weber: The Music Lesson, 1, 6, 10. 69 Irina O. Rajewsky: Intermediales Erzählen in der italienischen Literatur der Postmoderne. Von den giovani scrittori der 80er zum pulp der 90er Jahre. Tübingen 2003, 206. 70 Ebda. 128.

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ihre Wahrnehmungs-, und Vorstellungsweisen ebenso wie ihre Erinnerungen. Dies lässt sich für den Leser anhand von vergleichenden Beschreibungen erkennen, wie zum Beispiel „his hat pressed into hair the red of brick washed by rain“71. Die Charakterisierungen können sich auch an Farbwerten orientieren, die man mit jenen von Bildern vergleicht oder die in der Folge in die Bildgestaltung einfließen; wie zum Beispiel „the canal I walked along was a mirror of white light tinged with green. As the sun grew brighter the canal would darken to the colour of moss.“72 Weiters kann die visuell strukturierte Wahrnehmung auch klar thematisiert werden. „But my stongest memories are almost always visual. When I think of her, I think of that day, and when I think of that day, I recall the contrast of her yellowish skin against the white of the bed linen, her hands like bird wings, skimming the covers, a gesture I would recall with a shock of recognition twenty years later in front of a van der Weyden in Mu73

nich, at the Alte Pinakothek.“

Diese Dominanz des Visuellen trägt zwar zur bildmedialen Ausrichtung bei und umschließt die intermedialen Gemäldezitate in einem einheitlich geprägten Ambiente, sie mag „als solche zwar als Hinweis auf möglicherweise gegebene intermediale Systemreferenzen zu deuten sein, ist jedoch noch nicht als Bezugnahme auf das [malerische] System zu klassifizieren“74. Auch stößt der Leser auf ein dichtes Geflecht von Blicken innerhalb der Handlung. Der Blick auf das Bild (zum Beispiel der wissenschaftliche Blick) durch die Romanfiguren nimmt dabei eine zentrale Rolle ein, wird aber mit dem Blick aus dem Bild, dem Blick durch die Camera obscura (der experimentelle Blick) und dem kreativen Blick des Malers, der Figuren und Objekte in Farbflächen und Umriss zerlegt, ergänzt. Der Blick ist unweigerlich an den Körper gebunden, jedoch ist er „an sich [...] undarstellbar [...], [er] lässt sich wie ein Vektor verstehen, der überall zum Einsatz kommt und doch nirgendwo festgehalten

71 Tracy Chevalier: Girl, 5. 72 Ebda. 12. 73 Katharine Weber: The Music Lesson, 29. 74 Irina O. Rajewsky: Intermediales Erzählen, 235, 236. Ausgenommen davon ist im zuletzt angeführten Zitat der konkretisierende Vergleich mit Roger van der Weyden, denn hier wird bereits, wenn auch nicht eindeutig, auf das System der Malerei verwiesen.

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wird“75. In den Texten wird dies dadurch konstruiert, dass der Blickende konkretisiert, worauf er seinen Blick richtet; dies wird vor allem mit den Formulierungen „einen Blick werfen“, „der Blick fiel auf“, „innerhalb meines Blickfeldes lag“, „einem Blick nicht begegnen“, „den Blick auf etwas heften“ usw. erzielt. Weiters zeigt sich, dass sich die Frage der Blicke meist an eine Thematisierung der Augen binden lässt, die wiederum die visuell-malerische Auslegung der Texte stützt. Dieses „Blick-Auge-Motiv“ erstreckt sich von einfachen, aber häufig auftretenden Beschreibungen von Augen76, über die Augen und die daran gekoppelten Blicke der Bildfiguren, die auf die Blicke der textinternen Rezipienten treffen77, bis hin zum geistigen Auge, das Beschriebenes als Erblicktes imaginieren kann78. Abgesehen davon werden in allen untersuchten Romanen wiederholt Aufforderungen, den Blick auf spezielle Details zu richten, geleistet. „Look. Look at her eye. Like a pearl. [...] And look at that Delft light spilling onto her forehead from the window. [...] Take a look at the figures in the tapestry on the table. [...] Study, if you will, the varying depths of field. Take a look at the sewing basket placed 79

forward on the table [...].“

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„Look at that face. Look at those hands. Look at that sifted light.“

Diese Aufforderungen betreffen aber nicht nur den textinternen Betrachter, der dazu angehalten wird sich besondere Bilddetails genau anzusehen, um wie im ersten Zitat feststellen zu können, dass es sich um einen echten Vermeer handle

75 Hans Belting: „Der Blick im Bild. Zu einer Ikonologie des Blicks“, in: Bernd Hüppauf; Christoph Wulf (Hg.), Bild und Einbildungskraft. München 2006, 121-144, 122, 143. 76 Vor allem im Roman Girl with a Pearl Earring von Tracy Chevalier: „her eyes were two light brown buttons“ (4), „I looked into his eyes and saw kindness there. I also saw what I had feared - expectation“ (71), „I always found it hard to meet his gaze – his eyes felt like needles pricking my skin“ (122). 77 Der vermeintliche Blick aus dem Bild, der Blick der dargestellten Bildfigur wird an den Augen festgemacht, dies lässt sich auch anhand des Gemäldes Das Mädchen mit dem Perlenohrring zeigen. Meist wird die dargestellte Figur als Mädchen, das sehnsüchtig aus dem Bild blickt, bezeichnet. 78 „In his mind’s eye he could see Bramer’s description as clearly as if he were there now in Italy.“ (Brian Howell: The Dance, 32). 79 Susan Vreeland: Girl, 4, 6, 7. 80 Katharine Weber: The Music Lesson, 85.

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oder wie im zweiten Zitat, dass man einen besonders guten Vermeer vor sich hat, sondern sie richten sich auch an den Leser zum Zwecke einer gezielten Wahrnehmung. Der Leser wird aufgefordert sich einzelne Bilddetails besonders einzuprägen, denn meist handelt es sich dabei um solche, die für den Fortlauf der Handlung eine zentrale Rolle spielen. Das Zusammenspiel der genannten Aspekte führt gezielt auf das System der Malerei hin. Die auffällige Dominanz des Visuellen in Beschreibungen und Formulierungen, die expliziten Systemerwähnungen und das „Blick-Auge-Motiv“ führen den Leser in den Bereich der Malerei und werden in der Folge bei der Besprechung einzelner Beispiele berücksichtigt und im konkreten Fall genauer ausgeführt. Die Analysen zu den intermedialen Gemäldezitaten stützen sich auf diese vorbereitete visuelle Grundlage, die als eindeutige Markierung des Systems der Malerei angesehen werden kann. Die Untersuchungen zu den intermedialen Gemäldezitaten werden in drei Bereiche unterteilt. Der erste Abschnitt wird sich den Möglichkeiten und Funktionen der intermedialen Gemäldezitate, die sich auf die Gemälde ganz allgemein beziehen, widmen. Im zweiten Teil sollen die Zitate in Verbindung mit einem vermittelten Entstehungsprozess der vermeerschen Werke untersucht werden, bevor es im dritten Abschnitt um die Frage nach intermedialen Gemäldezitaten in Bezug auf Rezeption/Reaktion geht. Grundsätzlich sei vermerkt, dass diese Einteilung keine strikt getrennten Kategorien bilden, sondern sich gegenseitig bedingen. Die Untergliederung erfolgt jedoch nach dem im jeweiligen Beispiel vorherrschenden Aspekt. Diese Aufteilung spiegelt weiters die bereits behandelte Differenzierung der textinternen Rezipientengruppen wider und orientiert sich an der Situierung der Texte. Ist die Handlung zur Zeit Vermeers angelegt, steht besonders die Anfertigung von Gemälden im Vordergrund, während ein Gemälde in einem zeitlich aktuelleren Plot eher als Identifikationsobjekt verarbeitet wird.

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In unterschiedlichen Zusammenhängen werden dem Leser aus den verschiedenen Blickwinkeln der Romanfiguren Gemälde präsentiert. Mittels diverser Formen der Verweise werden Bilder zitiert, wobei sich der Eindruck des beschrie-

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benen Bildes erst allmählich zusammensetzt.81 Die Mechanismen der Gemäldezitate in den untersuchten Romanen zu Vermeer lassen sich zusammenfassend als primär auf die vermeersche Besonderheit der wiederholten Darstellung von Frauen und denselben oder sehr ähnlichen Gegenständen stützend charakterisieren. Durch diese Wiederholungen entsteht für das Funktionieren der intermedialen Gemäldezitate die Möglichkeit das daran gekoppelte „System der Bilder Vermeers“ aufzurufen und besonders für Fragen einer Vergleichsrelation heranzuziehen und nutzbar zu machen. Durch die Einprägsamkeit der Wiederholung hat der Leser ein konkretes Bild der Objekte und Figuren vor Augen. Dies leitet über zu einem zweiten entscheidenden Bereich, der in der Betrachtung zum intermedialen Gemäldezitat in Hinblick auf die Kunstwerke zum Tragen kommt. Die narrative Ausweitung des Bildes konstituiert sich nämlich vorwiegend über die Konkretisierung von Figuren, Gegenständen und Räumen. In einem sich wechselseitig bedingenden System wird daraus eine doppelte Konkretisierung möglich. Einerseits werden den Dargestellten auf den Gemälden Vermeers konkrete Charaktere zugeordnet (aus kunsthistorischer Sicht gibt es lediglich Spekulationen darüber, wen die meist weiblichen Personen repräsentieren) und andererseits lässt sich durch das Gemälde eine eindeutige Vorstellung von den Romanfiguren gewinnen. Obwohl sich diese beiden Aspekte nicht trennen lassen, sollen sie in der Folge in gesonderten Abschnitten untersucht werden, um eine Überschaubarkeit im Verweissystem zu garantieren. „Because it was the first painting of his I was to see, I always remembered it better than the others, even those I saw grow from the first layer of underpaint to the final high82

lights.“

Dieser Ausschnitt aus dem Roman Girl with a Pearl Earring dient als Ausgangspunkt für die folgenden Ausführungen, da daraus hervorgeht, dass die Protagonistin Griet in diesem Fall ein bereits fertiggestelltes Gemälde (und dieses zum ersten Mal) vor Augen hat. Griet kommt als Dienstmagd ins Haus der Familie Vermeer und ist neben anderen häuslichen Arbeiten dafür zuständig, das Atelier des Malers sorgfältig zu putzen. Aus der Perspektive Griets wird dem Leser der Alltag der Vermeers präsentiert, der sich durch die große Kinderschar

81 In diesem Kapitel wird unter der Bezeichnung „Werk“ eine Kombination aus materiellem Gegenstand und an das Objekt gebundener Bildinhalt verstanden. (Vgl. Franziska Mosthaf: Metaphorische Intermedialität, 29 ff). 82 Tracy Chevalier: Girl, 37.

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sehr lebhaft gestaltet. Abseits dieses regen Treibens fertigt Vermeer in seinem Atelier Werke nach den Wünschen des reichen Mäzens und Auftraggebers Van Ruijven an. Griets intuitives Verständnis für Farben und Formen bleibt auch Vermeer nicht verborgen und so macht er sie zu seiner geheimen Assistentin, die für ihn Farben mischt und ihn dank ihres sich kontinuierlich schulenden Auges bei kompositorischen Fragen unterstützt. Diese Tätigkeiten müssen jedoch vor der eifersüchtigen Ehefrau des Malers geheim gehalten werden. Die dezente Beziehung, die sich zwischen Griet und dem Maler durch die enge Zusammenarbeit anbahnt, gipfelt in der verhängnisvollen Anfertigung eines Porträts von Griet auf Wunsch von van Ruijven. Dieses Bild ist Griets Verderben, denn Vermeer verlangt zur Perfektion der ausgewogenen Komposition, dass sie die Perlenohrringe seiner Frau tragen muss. Doch diese schöpft Verdacht und als sie das Porträt sieht, kann Vermeer sie nur noch im letzten Moment davon abhalten das Bild zu zerstören. Griet bleibt nur noch die spontane Flucht aus dem Hause der Vermeers, das sie nur noch einmal betreten wird. Denn zehn Jahre nach diesem Vorfall wird sie anlässlich des Todes des Malers nochmals zu Catharina gerufen, die sich dem testamentarischen Wunsch ihres verstorbenen Ehemannes beugt und die Perlenohrringe Griet schenkt. Da der Roman zur Zeit Vermeers spielt und Griet als kunstkompetente Figur an der Seite des Künstlers tätig ist, erlebt auch sie den Prozess der Werkentstehung mit, der eine besondere Form der intermedialen Gemäldezitation prägt. Dem angeführten Ausschnitt geht das erste Betreten des Ateliers und die damit einhergehende erstmalige Putztätigkeit voraus. Auf dieses erste Gemälde wird in verschiedenen Situationen (mittels unterschiedlicher Verweise) verwiesen, sodass sich der Leser das entsprechende Gemälde eindeutig imaginieren kann, auch trotz der nicht vorhandenen Angabe des Werktitels. Wie komplex sich die einzelnen Bildelemente zu einem Gesamteindruck zusammenfügen, zeigt sich als Griet das Bild bewusst nicht betrachtet und sich nur auf das Putzen konzentriert. „I crossed the room, edging around an easel and chair to the middle window. I pulled open the lower window, then opened out the shutters. I did not look at the painting on the easel, not while Catharina was watching me from the doorway. A table had been pushed up against the window on the right, with a chair set in the corner. The chair’s back and seat were of leather tooled with yellow flowers and leaves. ‚Don’t move anything over there‘, Catharina reminded me. ‚That is what he is painting.‘“83

83 Ebda. 33.

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„Someone had wiped around the objects placed there – a powderbrush, a pewter bowl, a letter, a black ceramic pot, blue cloth heaped to one side and hanging over the edge – but they had to be moved for the table really to be cleaned. [...] I removed it, dusted, replaced 84

it, and measured the space between it and the letter. I did the same with the bowl.“

Obwohl Griet das Gemälde auf der Staffelei unbeachtet lässt, kann der Leser die darauffolgende Beschreibung zur Lokalisierung der sich in der Raumecke befindenden Gegenstände mit dem impliziten Hinweis „that is what he is painting“ postmarkierend als partielle Beschreibung des Gemäldes werten. Die Verortung des Tisches und des Stuhles in der spiegelbildlich rechten Ecke vor einem der Fenster ruft den typischen vermeerschen Innenraum mit dem meist von links durch ein Fenster eintretenden Lichteinfall auf.85 Griet versucht eine geeignete Putzmethode zu finden, die es ihr ermöglicht in dieser als Bildarrangement drapierten Raumsituation nichts durcheinander zu bringen. Anhand der Erklärung des gewählten Putzvorgangs geht die Deskription der anfänglichen Lokalisierung weiter ins Detail. Die sich am Tisch befindenden Gegenstände86 werden über mehrere Seiten hinweg in ihrer Lage zueinander erwähnt. Das anfangs aufgerufene Subsystem der Innenraumdarstellungen Vermeers wird weiters eingeschränkt und lässt für den Kenner bereits ein eindeutiges Zuordnen zu. Als Griet ihre erste Putztätigkeit im Atelier beendet, riskiert sie einen Blick auf das Gemälde. „A woman stood in front of a table, turned towards a mirror on the wall so that she was in profile. She wore a mantle of rich yellow satin trimmed with white ermine, and a fashionable five-pointed red ribbon in her hair. A window lit her from the left, falling across her face and tracing the delicate curve of her forehead and nose. She was tying a string of pearls round her neck, holding the ribbons up, her hands suspended in the air. Entranced with herself in the mirror, she did not seem to be aware that anyone was looking at her. Behind her on a bright white wall was an old map, in the dark foreground the table with 87

the letter on it, the powderbrush and the other things I had dusted around.“

84 Ebda. 35, 36. 85 Diese Konstellation wird im Roman noch ein zweites Mal genutzt, mit dem Unterschied, dass der arrangierte Raumausschnitt von Griet nun bewusst als „Malecke“ bezeichnet wird. „The next morning the table had been moved back to the painting corner and covered with a red, yellow and blue table-rug. A chair was set against the back wall, and a map hung over it. He had begun again.“ (ebda. 92). 86 Im Zitat nur ausschnitthaft wiedergegeben. 87 Tracy Chevalier: Girl, 37, 38.

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Griets Beschreibung beginnt bei der Position und dem (modischen) Erscheinungsbild des zentralen Bildobjekts der Frau, die sich im Unterschied zu den übrigen Elementen nicht in der textinternen Realität des Ateliers befindet. Dass es sich um das Gemälde Junge Frau mit Perlenhalsband handelt, ist spätestens nach der Benennung ihrer Tätigkeit („she was tying a string of pearls round her neck“) endgültig geklärt. Bereits diese erste Bestandsaufnahme aus der Sicht Griets kommt nicht ohne die Erwähnung des Lichts, das die dargestellte Person besonders hervorhebt, aus.88 Das Spiel der uneindeutigen Deskriptionssituation wird in dieser klar als Gemäldebeschreibung ausgewiesenen Äußerung Griets erneut durch die Erklärung „she did not seem to be aware that anyone was looking at her“ durchbrochen. Einerseits eine banale Bemerkung über die in ihr Spiegelbild versunkene Bildfigur, kann darin andererseits eine Anspielung auf die Implikation des Betrachters, sei es des Rezipienten oder des Künstlers, gesehen werden. Weiters verlangt die Beschreibung keine Wiederholung der sich am Tisch befindenden Gegenstände, da durch die Benennung „and the other things I had dusted around“ dem Leser durch die vorausgegangene Erklärung und der mittlerweile klaren Zuordnung diese verkürzte Angabe zum erneuten Aufrufen ausreicht. Obwohl die Frau als das Bild dominierende Element hervorsticht, fokussiert Griet immer wieder die Gegenstände auf dem Tisch. Als merkwürdig bezeichnet sie in der Folge „to look at it with the setting just behind it. Already from my dusting I knew all of the objects on the table, and their relation to one another – the letter by the corner, the powderbrush lying casually next to the pewter bowl, the blue cloth bunched around the dark pot.“89 Diese erneute Wiederholung, die für den Leser keine neuen Informationen beinhaltet, ist eine der im Laufe der Beschäftigung mit diesem Bild wiederkehrenden Aufzählungen dieser Gegenstände. Auch als Vermeer das Bild beendet hat und Griet aufgetragen wird das Arrangement abzubauen und die Dinge zu verstauen, kommt sie nochmals auf diese zurück. „Without the bowl and brush the tabletop was transformed into a picture I did not recognise. The letter, the cloth, the ceramic pot lay without meaning, as if someone had simply dropped them on the table.“90 Diese Bilddetails werden handlungsrelevant aufgeladen. Da es sich um den ersten Arbeitstag Griets handelt und ihre Leistung darüber entscheidet, ob sie bei den Vermeers bleiben darf oder nicht, ist es gerade die putztechnische Bewälti-

88 Auf die erwähnte Landkarte im Hintergrund wird im Kapitel zur Entstehung näher eingegangen. 89 Tracy Chevalier: Girl, 38. 90 Ebda. 74.

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gung dieser schwierigen „Komposition“ der Dinge am Tisch, die über ihren Verbleib entscheiden wird. Ergänzt wird dieses einzelreferentielle Gemäldezitat zum Bild Junge Dame mit Perlenhalsband, das durch die Betonung der für Vermeer typischen Elemente und durch den Zugang Griets die Basis für weitere im Laufe des Romans entstehende Gemälde bereitet, durch weitere Deskriptionen aus dem Blickwinkel Griets, aber in Hinblick auf Veränderungen im Entstehungsprozess oder in Hinblick auf die Konsultierung der Camera obscura. Dieses erste auf die Thematisierung gerichtete Verweisgeflecht wird, was die Lichtqualität des Bildes betrifft, in einer weiteren Beschreibung ausgeweitet. Griets blinder Vater fordert sie auf das Bild, das der Maler gerade anfertigt, zu beschreiben. Griets Antwort „I don’t know if I can in such a way that you will be able to see it“91 thematisiert die im Zuge jeder Bildbeschreibung bleibende Unbestimmtheit der Nachbildung des Gemäldes vor dem inneren Auge des Lesers. „So I tried to describe the woman tying pearls around her neck, her hands suspended, gazing at herself in the mirror, the light from the window bathing her face and her yellow mantle, the dark foreground that separated her from us. My father listened intently, but his own face was not illuminated until I said, ‚The light on the back wall is so warm that 92

looking at it feels the way the sun feels on your face.‘“

Erst im Vergleich erfüllt sich die Visualisierungs- und Konkretisierungsstrategie. Dem blinden Vater wird zur Evozierung eine Ähnlichkeitsrelation über ein Gefühl geboten; dem Leser bietet das sämtlichen Gemäldezitaten zu Vermeer zugrundeliegende, einheitliche System seiner Werke stets visuelle Anknüpfungspunkte, die durch den damit initiierten Imaginationsprozess illusionistisch vermittelt werden. Auffallend ist auch die Auswahl und die Reihenfolge der Elemente der Deskription. Ausgehend von der zentralen Bildfigur nennt Griet in einer aktiven, bewussten Beschreibung umgehend den Blick gefolgt von der Lichtkomponente. Darin spiegelt sich die Besonderheit der vermeerschen Bildkompositionen wider. Eine zentrale oder einzelne Bildfigur befindet sich in einem Innenraum in Gedanken.93 Diese Besonderheiten fokussierend und den Lichtaspekt ansatzweise simulierend wird auf das Bild Bezug genommen.

91 Ebda. 50. 92 Ebda. 93 Gedeutet wird dies im Gesicht (Mimik, Augen, Blick) der Frau.

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Die entscheidende Funktion evozierender Zitate sollen die folgenden Ausführungen zu fiktiven94 Gemälden von Vermeer verdeutlichen. Der Roman Girl in Hyacinth Blue lässt sich als Provenienzgeschichte des gleichnamigen (aber fiktiven)95 Bildes von Vermeer charakterisieren. In den einzelnen Kapiteln werden unabhängig voneinander die Schicksale der jeweiligen Bildbesitzer von der Gegenwart bis zurück in das Atelier Vermeers verfolgt. Abgesehen von den letzten beiden Kapiteln, die in ähnlicher Weise wie der Roman Chevaliers zur Zeit Vermeers angesiedelt sind, steht das Gemälde in den übrigen Abschnitten als materieller Gegenstand isoliert. Im Gegensatz zu den bisher vorgestellten Zugängen sind die jeweiligen Einzelkapitel anders perspektiviert und es herrschen andere Verweismechanismen vor. Besonders das erste Kapitel bedarf näherer Betrachtung, da alle weiteren Ausführungen zwar dasselbe Bild, jedoch aus völlig unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchten. Die sich gegenseitig ergänzenden Gemäldezitate sollen in Summe eine spezifische Vorstellung des fiktiven Vermeers beim Leser hervorrufen. Das erste Kapitel handelt von Cornelius, einem aus Angst vor Verurteilung völlig isoliert lebenden Mathematikprofessor, der einem seiner Kollegen, einem Kunstlehrer und Künstler, seinen geheimnisvollen Schatz präsentiert. Ein unsigniertes Meisterwerk von Vermeer hatte dessen Vater im Zuge einer Judenrazzia entgegen den Vorschriften mitgenommen. Cornelius vertraut sich dem Kunstlehrer an, da er der Meinung ist, dass dieser aus Hochachtung vor dem Werk ihn verstehe und ihm verzeihen könne. Weiters gesteht er, dass er das Gemälde als Bußeakt zerstören wollte. Zu Beginn des Kapitels bemüht sich Cornelius den skeptischen Kunstlehrer von der Echtheit des Gemäldes zu überzeugen. Das System der Verweise, das diesem Gemäldezitat zugrunde liegt, kombiniert verschiedene Formen der Systemerwähnung. Auch hier setzt sich der zu illusionierende Gemäldeeindruck erst allmählich zusammen, da in unterschiedlichen Situationen auf immer wieder andere Bilddetails verwiesen wird. Die erste Angabe zur Darstellung konzentriert sich auf das Wesentliche; es werden noch keine Bilddetails angeführt.

94 Monika Schmitz-Emans spricht von sprachlich evozierten, virtuellen Bildern. Sie meint damit „die literarische Thematisierung von Gemälden, die es geben könnte, aber nicht gibt [...]“. (Monika Schmitz-Emans: „Das visuelle Gedächtnis der Literatur“, 20, Herv. i.O.). 95 Dass es sich um ein fiktives Gemälde handelt, wird jedoch an keiner Stelle erwähnt.

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„A most extraordinary painting in which a young girl wearing a short blue smock over a 96

rust-colored skirt sat in profile at a table by an open window.“

Auch wenn in dieser knappen Stellungnahme noch keine explizite Vergleichsrelation formuliert wird, so ist dieser dennoch die Funktion eines evozierenden Zitates inhärent. In Rückblick auf das zuvor behandelte Gemäldezitat bei Chevalier lassen sich die bildkonstituierenden Parallelen unschwer erkennen. Der Leser kann durch die implizierte Systemerwähnung der vermeerschen Werke in diesem Stadium zumindest eine vage Komposition visualisieren, die sich aus den Versatzstücken „junges Mädchen“ (hier zusätzlich auch im Profil dargestellt), „Tisch“ und „Fenster“ in Anknüpfung an ähnliche Gemälde dieser Anordnung zusammensetzt. „‚Look. Look at her eye. Like a pearl. Pearls were favourite items of Vermeer. The longing in her expression. And look at the Delft light spilling onto her forehead from the window.‘ [...] ‚Remarkable,‘ I said. ‚Certainly done in the style of Vermeer. A beguiling imitation.‘ [...] ‚It is a Vermeer,‘ he whispered. [...] ‚It’s just that there are so few.‘ I hated to disillusion the man. ‚Yes, surely, very few. Very few. He did at the most forty canvases. 97

And only a matter of thirty to thirty-five are located.‘“

In dieser Konstellation treffen die Perspektiven des fachkundigen Kunstlehrers und die vermeintliche Sichtweise eines Laien aufeinander. Doch wie sich nach ein paar Seiten der Lektüre zeigt, hat sich Cornelius durch die Auseinandersetzung mit der Echtheitsfrage seines Werkes ein detailliertes Fachwissen angeeignet. So ist es ihm möglich den Argumenten des Kenners entgegenzuhalten. Die Aufforderung an den textinternen Rezipienten gewisse Details in den Blick zu nehmen, leitet auch den Leser an sich diese einzelnen Aspekte besonders einzuprägen. Der zur bildmedial bezogenen Illusionsbildung funktionalisierte Vergleich muss an dieser Stelle vom Leser nicht mehr erkannt werden, sondern es wird mit der darauffolgenden Erklärung, dass Perlen zu den Lieblingsgegenständen Vermeers zählen, explizit darauf verwiesen. Ein erneut betonter entscheidender Aspekt, auf den die gezielte Wahrnehmung gerichtet werden soll, ist das besondere Licht, das das Gesicht der Dargestellten in außergewöhnlicher Weise erhellt. Hat der Leser bisher die vergleichenden Versatzstücke selbst ausfindig machen müssen, so werden im Fortlauf der Beschreibung die genauen Bezugsquellen genannt.

96 Susan Vreeland: Girl, 4. 97 Ebda. 4, 5.

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„‚It’s his same window opening inward at the left that he used so often, the same splash of pale yellow light. Take a look at the figures in the tapestry on the table. Same as in nine other paintings. Same Spanish chair with lion’s head finials that he used in eleven canvases, same brass studs in the leather. Same black and white tiles placed diagonally on the floor.‘ [...] ‚Surely you can see that the floor suffers the same distortion of tiles he had in his earlier work, for example, The Music Lesson, roughly dated 1662 to ’64, or Girl with the Wineglass, 1660.‘ [...] ‚I can see you still doubt. Study, if you will, the varying depths of field. Take a look at the sewing basket placed forward on the table, as he often did. [...] Its weave is diffused, slightly out of focus, yet the girl’s face is sharply in focus. Look at the lace edge of her cap. Absolutely precise to a pinprick right there at her temple. And now look at the glass of milk. Soft-edged, and the map on the wall only a suggestion. 98

Agreed?‘ [...] ‚Well, then, he did the same in The Lacemaker, 1669.‘“

Eine Besonderheit der intermedialen Gemäldezitate zu fiktiven Vermeers ist die stets ähnlich aufgebaute Konstellation zur Gewährleistung einer möglichst eindeutigen Konkretisierung. Ausgehend von nur einem fiktiven Gemälde wird dieses stets in Relation zu real existenten gesetzt, denn nur auf diese Weise kann sich das visuelle Verweissystem entfalten und vom Leser zusammengefügt werden. Zu Beginn generell gehalten, werden die Verweise zunehmend konkreter, was sich anhand der Bemerkung einer allgemein auftretenden Häufigkeit, der genauen mengenmäßigen Angabe der Vergleichsobjekte bis hin zur einzelreferentiellen Konkretisierung mittels Bildtitel99 äußert. Thematisch ist vor allem die

98 Ebda. 5-7. 99 Diese Möglichkeit wird im Laufe der Erzählung noch mehrmals ausgeschöpft. Im folgenden Zitat wird der Vergleich zwar nicht explizit durch den Bildtitel geleistet, doch kann mittels eines einzigen Nebensatzes, der als minimale Bildbeschreibung anzusehen ist, das zum Vergleich bestimmte Gemälde problemlos zugeordnet werden. „In one delicious afternoon, convinced himself of the authenticity of his family’s prize by seeing layers of thin paint applied in grooved brush strokes creating light and shadow on the blue sleeve of a lady reading a letter, just like those on the sleeve of his sewing girl.“ (Susan Vreeland: Girl, 18, 19) Das beliebte Bildmotiv der Briefschreiberinnen und Briefleserinnen lässt sich durch die Nennung des blauen Ärmels auf ein einziges Werk dieses Motivs reduzieren, nämlich Briefleserin in Blau. Somit ist auch diesem Zitat ohne Nennung des Gemäldetitels eine einzelreferentielle Qualität inhärent, ähnlich dem darauffolgenden Vergleich. „At the Royal Cabinet of Paintings in the Mauritshuis, he saw points of brilliant light in the large, lovely, amber-brown eyes of Vermeer’s girl in a blue and yellow turban, the same as on his sewing girl.“ (Susan Vreeland: Girl, 19).

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Nennung des Bildes Spitzenklöpplerin von Bedeutung, da durch die Ähnlichkeit des Sujets der Handarbeit eine zusätzliche Komponente zur Klarheitsstiftung eingerichtet wird. Im Fortlauf der Handlung wird mittels weiterer intermedialer Gemäldezitate auch die Maltechnik in den Blick genommen, genauso wie der besondere Lichtaspekt in simulierenden Zitaten berücksichtigt und dem Leser vermittelt wird.100 Diese Gemäldezitate, die im ersten Kapitel des Romans angeführt werden, fokussieren die Bildelemente aus einer kunsthistorischen, fachlichen Sicht. Im Vergleich und als Ergänzung dazu stehen die Aussagen zum selben Bild am Ende des Romans, als das Bild im Atelier des Malers entsteht. Dieselben Bildgegenstände werden dann nicht in Relation zu anderen Werken gesetzt, sondern werden in ihrer Beschreibung mit der Bedeutung, die sie für die Familie Vermeer haben, aufgeladen.101 Die in den einzelnen Kapiteln verankerten Gemäldezitate sind nicht als einzelne, abgeschlossene Bereiche zu verstehen, sondern sie bereiten die in ihrem Anschluss eingeführten Zitate vor oder verweisen auf diese zurück. Mit ähnlichen Verfahren wird im Roman The Music Lesson von Katharine Weber gearbeitet. Auch hier steht ein fiktives Gemälde von Vermeer im Vordergrund. Im Unterschied zu Girl in Hyacinth Blue betont die Autorin bereits im Vorwort „the world has never seen this particular painting by Vermeer, because it does not quite exist“. Das besondere Interesse gilt in diesem Text dem wissenschaftlichen Blick der Protagonisten, einer Kunsthistorikerin. Die zeitliche Distanz zur Bildentstehung legt somit eine ähnliche Anlage der Verweise wie die Argumentationen von Cornelius und dem Kunstlehrer nahe. Die intermedialen Gemäldezitate, die von der Spezialistin für niederländische Malerei eingebracht werden, sind dennoch von einer stärkeren Fokussierung auf eine komparatistische, wissenschaftliche Sichtweise geprägt. Die Kunsthistorikerin Patricia Dolan befindet sich nur in Begleitung eines Gemäldes von Vermeer (mit dem Titel The Music Lesson), das eigentlich der Queen gehört und den Buckingham Palace ziert, in einem abgelegenen Cottage in Irland. Anhand Patricias Tagebucheinträgen erfährt der Leser von ihrem Schicksal, vom Verlust ihres Kindes und der Trennung von ihrem Mann und auch wie es dazukam, dass sie nun verwickelt in einen Erpressungsversuch einer irischen Untergrundorganisation mit dem Bild allein gelassen wurde. Durch die Konzentration auf das Gemälde beginnt für sie ein Prozess der Selbstreflexion;

100 So zum Beispiel: „The luster of the glass of milk shining like the surface of a pearl made me believe – this was no copyist’s art.“ (Susan Vreeland: Girl, 32). 101 Siehe dazu die Ausführungen im Kapitel zur Gemäldeentstehung.

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sie absolviert „the lesson of The Music Lesson“102, die ihr im entscheidenden Moment zum richtigen Handeln rät. Denn als die Mitglieder der Untergrundorganisation (mit deren Anführer sie eine Affäre beginnt) die Verbrennung des Gemäldes vor laufender Kamera vorbereiten, da der Buckingham Palace bestreitet im Besitz einer Kopie zu sein, tauscht Patricia das Original, das sie in den Sarg einer verstorbenen Freundin legt, gegen eine Reproduktion aus. In dieser Debatte um Original und Reproduktion werden auch die intertextuellen Zitate aus Walter Benjamins Das Kunstwerk im Zeitalter seiner Reproduzierbarkeit handlungsbeeinflussend.103 Erst nach circa 60 Seiten der Lektüre erfährt der Leser dank einer expliziten Systemerwähnung, dass es sich bei den unpräzisen Formulierungen („she is beautiful, she is here“, etc.) nicht um eine Person, sondern um das (fiktive) Gemälde The Music Lesson von Vermeer handelt. Dass für Patricia die dargestellte Frauenfigur und vor allem der Gesichtsausdruck von Bedeutung ist, beweist bereits der erste Absatz des Romans. „19th of January, raining She’s beautiful. Surely, there is nothing more interesting to look at in all the world, noth104

ing, than the human face. Her gaze catches me, pins me down, pulls me in.“

Mit dem Wissen, dass es sich hierbei bereits um die Beschreibung der abgebildeten Frau handelt, wird durch die Betonung des Blicktausches die Schilderung eines Rezeptionserlebnisses angenommen. Wir können zwar „nur mit lebenden Menschen Blicke wechseln, und doch erwidern wir dargestellte Blicke so, als ob sie von lebenden Menschen auf uns gerichtet würden. Die Erfahrung, dass unser Blick erwacht, wenn ihn ein anderer Blick trifft, lässt sich in Bildern natürlich nur simulieren.“105 Patricia ist einerseits mit ihrer wissenschaftlichen Perspektive präsent, durchbricht (und kommentiert) diese jedoch immer wieder durch ihre persönliche Sichtweise. Die kunsthistorische Perspektivierung „bringt dem Leser das nahe, was jenseits des oberflächlichen Eindrucks liegt, was er aber ohne kunsthistorische Schulung oder eingehende Beschäftigung mit dem Gemälde beziehungsweise dem Maler nicht wahrnehmen könnte“106. Abgesehen von der Vi-

102 Katharine Weber: The Music Lesson, 54. 103 Die genauen Betrachtungen dazu und zum Reflexionsprozess werden im Kapitel zur Rezeption erarbeitet. 104 Katharine Weber: The Music Lesson, 1. 105 Hans Belting: „Der Blick im Bild“, 123. 106 Martina Mai: Bilderspiegel-Spiegelbilder, 85.

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sualisierungsstrategie, die mit den intermedialen Gemäldezitaten verfolgt wird, werden durch die kunsthistorischen Einschübe allgemeine Zusatzinformationen zur niederländischen Malerei und zu Vermeer in Vergleich mit anderen Künstlern seiner Zeit gegeben. Doch zurück zum Gemälde im Text. Zwei Andeutungen können vor der expliziten Systemerwähnung als Hinweis auf eine mögliche Konfrontation mit einem Werk von Vermeer gewertet werden. Besonders soll ein Umstand beleuchtet werden, da gerade in diesem der Ursprung zur kunsthistorischen Sichtweise der Protagonistin angelegt ist und somit den den intermedialen Gemäldezitaten zugrundeliegenden Tenor vorwegnimmt. Nach ein paar Tagebucheinträgen zu ihrem Privatleben und ihrer beruflichen Laufbahn schildert Patricia die erste Begegnung mit einem Gemälde von Vermeer im Zuge einer Klassenreise in das Isabella Stewart Gardner Museum. „‚Sometimes you can learn all sorts of things about people when you look carefully at a painting, children,‘ the docent implored above our murmurings. ‚Can any one tell me something about the people in this painting?‘ She indicated the picture in front of us, which was Vermeer’s The Concert. I had never seen anything like it. [...] I drank in the complications of light and dark on the carpet on the table. The wall glowed with reflected sunlight. I had an overwhelming desire to be in that room with those three people. There was a landscape painting visible inside the raised lid of the harpsichord and another on the wall. What possibilities! [...] I was suddenly impatient that the figure of the man sitting on a chair in the middle of the group, in the middle of the canvas, blocked my view of the hands of the woman seated at the harpsichord. [...] ‚There are three people in the painting on the wall, just like the three people in the room,‘ I began, hesitant. She nodded, encouraging me. ‚The man sitting with his back to us‘ – I realised now he was playing a lute, and was part of the concert, not just an audience – ‚his hair is dark, like the man’s hat in the 107

painting inside the painting.‘“

Die Aussage der Dozentin, dass man durch genaues Betrachten eines Gemäldes viel über Menschen erfahren könne, scheint sich Patricia besonders zu verinnerlichen. Nicht nur dass sie das Betrachten von Kunstwerken zu ihrem Job108 machen wird, sie wird dadurch auch viel über sich selbst erfahren. In dieser Beschreibung infolge ihres ersten Erblickens liegt der Fokus nicht so sehr auf dem Sujet, sondern auf der kompositorischen Bildanlage. Der Lichtaspekt, wie sich zeigen wird, stellt auch für sie eine besonders hervorzuhebende Charakteristik

107 Katharine Weber: The Music Lesson, 36, 37. 108 „I think it is reasonable to identify this moment as my very first act of art history scholarship.“ (ebda. 37).

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dar. Unmittelbar mit der Benennung der Bildobjekte wird in jeglicher Beschreibung (meist) mittels simulierender Gemäldezitate darauf verwiesen. In dieser ersten Äußerung über Kunst kündigt sich bereits eine komparatistische, wissenschaftliche Sehweise an. Für den Leser wird mit der Einführung der Bilderwelt Vermeers und durch die Wahl des Bildes Konzert sogleich eine Brücke zum Titel des Romans geschlagen. Das aufgerufene System der vermeerschen Bilder wird dadurch auf Darstellungen musikalischer Motive eingeschränkt. Dies intendiert bereits mögliche Vergleichsansätze. Jedoch muss vorweg betont werden, dass dem Bildinhalt (ausgenommen der zentralen Bildfigur) nicht das besondere Interesse gilt, entscheidend ist vielmehr die Wirkung, die das Bild auf Patricia entfaltet. „I have spent the past hours up in the small windowless middle room where she must be locked away from the world, contemplating her again. I can join her in that simple, peaceful chamber, with the rich afternoon light falling through the window across the wooden grain of the table, the glazed surface of the gleaming white pitcher, the soft, precise fuzz of the peaches on the windowsill. The sun has warmed the smooth black and white squares of the stone floor. The lute lies in her lap, under her fingers.“109 „Absolutely the best. Look at that face. Look at those hands. Look at that sifted light. There’s no yellow in the world like a Vermeer yellow.“110 „I [...] looked down into those eyes of hers again, studied that faint smile, the bemused air somehow also present in the hands playfully splayed on lute strings centuries old.“111

Die Vermittlung des Gemäldes basiert auf der gezielten Forcierung des Lichts. Bereits in der Hinführung zum eigentlichen Gemäldezitat wird der Aufenthaltsort Patricias, der fensterlose Raum, in Relation zum lichtdurchfluteten Zimmer der Bilddarstellung gesetzt. Die lichtsimulierende Deskription folgt der Einstrahlung und veranschaulicht die Bildelemente in ihrer durch die Beleuchtung bedingten Erscheinung. Mittels dieser Modifikation des narrativen Diskurses wird die optische Qualität der den Kunstwerken Vermeers inhärenten Lichtstimmung punktuell diskursiv nachvollziehbar. Weiters können die Bildelemente vom Leser als bekannte Versatzstücke den real existenten Bildern zugeordnet und annähernd klar imaginiert werden. Der schwarz-weiß verflieste Fußboden, der Tisch und der Krug zählen zu den geläufigsten und häufig verwendeten Elementen, die sich in unzähligen Bildern von Vermeer finden lassen. Doch auch

109 Ebda. 59, 60. 110 Ebda. 85. 111 Ebda. 88, 89.

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die Pfirsiche und die Laute sind keineswegs untypische Bildelemente bei Vermeer.112 Im zweiten Zitat nennt Patricia The Music Lesson als das beste Gemälde von Vermeer. In ihrer Begründung führt sie erneut den Lichtaspekt an, geht aber einen entscheidenden Schritt weiter und charakterisiert ihn als Realisierung von Farbe (das vermeersche Gelb). Doch ihr Blick wird wiederum auch auf das Gesicht der Dargestellten gezogen, das Deutungen über ihr Innenleben zulässt. Warum sie auch die Hände faszinieren, kann durch das folgende Zitat erklärt werden. Der Ausdruck der Frauenfigur am Bild lässt sich nicht nur am Gesicht festmachen, sondern spiegelt sich auch an ihren Händen. Die Summe der Rekurse verweist auf die außergewöhnliche Wirkung der vermeerschen Bilder. Welche Auswirkungen diese Bildatmosphäre auf die Protagonistin hat, wird im Kapitel zur Rezeption vertieft. Doch nicht nur die Art der Darstellung ist für die Texthandlung entscheidend, auch das Bild als materieller Gegenstand ist (vor allem im Zuge des Austausches mit einer Kopie) von Bedeutung. Abgesehen von der kreierten Provenienz113 konzentrieren sich evozierende Zitate auf Größe und Untergrund in Anlehnung an reale Gemälde Vermeers. „It says here that The Music Lesson is the smallest known Vermeer, and it’s on a wooden panel, not canvas. [...] [It] is so small – not quite six by seven inches.“114 In diesem Zusammenhang kommt auch das detaillierte Fachwissen Patricias zum Ausdruck; im Vergleich kann sie andere Gemälde von Vermeer (die mit Titel genannt werden) größenmäßig zuordnen und weiß auf welchen

112 Die Pfirsiche findet man zum Beispiel im Gemälde Briefleserin am offenen Fenster; die Laute kennt man aus Lautenspielerin am Fenster. 113 „Its provenance is impeccable. Vermeer’s widow sold it to a baker to settle a debt the year after Vermeer’s death.“ (Katharine Weber: The Music Lesson, 90, 91) „When George III bought The Music Lesson in 1762 as part of a large collection of Dutch paintings, it was attributed to Frans van Mieris.“ (ebda. 111) Bemerkenswert ist die Integrierung des fiktiven Gemäldes in Geschehnisse, die sich real zugetragen haben. Vgl. dazu Anthony Bailey: Vermeer, 227 ff. Konkret zu diesem Beispiel: „Einen Monat nach dem Tod ihres Mannes übergab Catharina dem Bäcker Hendrick van Buyten zwei von Vermeers Gemälden, wahrscheinlich Die Gitarrenspielerin und Briefschreiberin und Dienstmagd.“ (ebda. 227) „Sowohl König Georg III. von Großbritannien wie auch der Herzog von Sachsen kauften Vermeers als Werke anderer Künstler.“ (ebda. 235). 114 Katharine Weber: The Music Lesson, 86, 103. Das sind 20 auf 25 Zentimeter. Dies entspricht ungefähr der Größe der Spitzenklöpplerin (24,5 x 21cm). Als das kleinste Bild ist jedoch Mädchen mit Flöte anzusehen (20 x 17,8cm).

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Untergrund sie gemalt sind. Ihr Ruf als Expertin ist es auch, der sie in der Folge in die Erpressungsgeschichte verwickelt. Gezielt wurde sie ausgesucht, da man ihr die Fähigkeit zutraut das beste Gemälde von Vermeer auszusuchen. Nach diesen Ausführungen zu den intermedialen Gemäldezitaten, die die Gemälde Vermeers betreffen und die sich auf die Inszenierung zweier fiktiver und eines real existenten Bildes bezogen haben, sei an dieser Stelle noch auf einen Sonderfall in diesem Zusammenhang eingegangen. Es handelt sich um reale Werke des Vermeer-Fälschers Han van Meegeren. In zwei Romanen, deren Titel jeweils auf Vermeer verweisen (La doppia vita di Vermeer von Luigi Guarnieri und I was Vermeer von Frank Wynne), wird dessen Leben und Schaffen in autobiografischer Form erzählt. Im Rahmen dieser Untersuchung sind jedoch nur zwei Fälschungen relevant, da van Meegeren nur diese beiden Übungsfälschungen thematisch an Darstellungen von Vermeer anlehnte. „L’incompiuta Donna che suona, una composizione che ha precisi punti di contatto con la Lezione di musica di Vermeer, mostra una giovane donna seduta e intenta ad accordare uno strumento simile al liuto. Uno specchio riflette la sua nuca coperta da una cuffia, le mattonelle quadrate del pavimento e circa metà della natura morta sul tavolo accanto a lei – uno spartito e una fruttiera. La fonte di luce è puro Vermeer: una finestra non schermata sulla sinistra del dipinto. Nella Donna che legge la musica, ispirato alla Donna in azzurro che legge una lettera di Vermeer, una giovane donna è seduta al tavolo di profilo, intenta a scorrere con lo sguardo uno spartito. Sul muro alle spalle c’è un grande dipinto incorniciato. La fonte di luce è, come di consueto, naturale – una finestra sulla sinistra della tela – poiché Vermeer non nutriva alcun interesse per il chiaroscuro, per la penombra, per i bagliori delle torce, per i riverberi di fiamma delle candele. Il volto della donna è quasi una copia di quello della Donna in azzurro, e il nastro per capelli è pressoché identico, anche se VM aggiunse una collana di perle e un grosso orecchino. Il vestito è estremamente si115

mile, e la donna sembra persino incinta.“

„Han’s imitation, A Woman Reading Music, brings together many of the same elements, but it affords no such suspense. The woman is now seated at the desk. The tilt of head, her clothes, her hair are almost indistinguishable from the original save for the fact that she now wears the pearl earrings which lay on the desk. The map hung on the wall has been replaced by a painting. [...] It [A Woman Playing Music] portrays a woman with a lute, her gaze turned to an archetypal Vermeer stained-glass window which floods the room with light. [...] The woman’s hair is covered by a white scarf like that worn by the girl in Ver-

115 Luigi Guarnieri: La doppia vita di Vermeer. Milano 2004, 67, 68.

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meer’s The Glass of Wine, her blouse is modelled on that worn by the woman in Officer and Laughing Girl […].“

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Ausgesprochen wird hier, was im Text fiktive Vermeers leisten. Die Fälscherbilder werden auf dieselbe Weise mittels gezielter Vergleiche (mit Angabe der Werktitel) wie fiktive Vermeers zitiert. Besonders der Lichtaspekt und die Darstellung der Frauenfigur erfahren durch die präzisen Ähnlichkeitsangaben an visueller Konkretisierung. Würde es diese Bilder nicht tatsächlich geben, wäre der Leser dazu angehalten sich anhand der Gemäldezitate das jeweilige Bild zu imaginieren. Umgekehrt bedeutet dies auch, dass die fiktiven Vermeers als „imaginierte Fälschungen“ angesehen werden können. Denn das Netz der Verweise zur Visualisierung verläuft auf Textebene nach denselben Strukturen. Wie sich anhand der Beispiele gezeigt hat, setzen sich die intermedialen Gemäldezitate zu den Gemälden als Kombination von evozierenden und simulierenden Systemerwähnungen zusammen. Unabhängig von der jeweiligen Betrachterperspektive und unabhängig davon, ob das Bild real existent oder fiktiv ist, werden die Werke in ihrer Beschreibung stets aufeinander bezogen. Die Wiederholung der typischen Gegenstände wird aber nicht nur als Äquivalenzrelation zwischen fiktiv und real genutzt, die Wiederholung der Gegenstände auf der Ebene der „histoire“ (Beispiel Griet) kann handlungsrelevant sein. Textcharaktere werden den Bildfiguren zugewiesen und die Werkentstehung kann als Prozess auf Textebene ausformuliert werden. Eine narrative Ausweitung der Gemälde ist im Grunde ein Phänomen jedes Romans, der sich um Bilder dreht. „Die Charakterisierung [...] von Figuren, Räumlichkeiten und Stimmungen wird [...] über die Zuordnung bestimmter medialer Produkte vorgenommen, wobei die Bezugsobjekte auf unterschiedliche Weise eingesetzt werden. [...] Anstatt per definitionem unbestimmte abstrakte Begriffe, Umschreibungen oder etwa Naturmetaphern zur Charakterisierung von Personen oder Gegebenheiten zu verwenden, wird die Erinnerung des Lesers an intersubjektive bestimmte Bilder bzw. Bildsequenzen abgerufen.“117 (Herv. i.O.) Irina Rajewsky meint in diesem Fall intermediale Einzelreferenzen zur Charakterisierung und Illustration von Personen, Räumlichkeiten und Stimmungen. Doch nicht nur einzelreferentielle Verweise, und darin liegt die Besonderheit der Verarbeitung vermeerscher Bilder begründet, können diese Konkretisierung leisten, den Texten steht dank der grundsätzlichen Ähnlichkeit der Kunstwerke

116 Frank Wynne: I was Vermeer. The Legend of the Forger who swindled the Nazis. London 2006, 110-112. 117 Irina O. Rajewsky: Intermediales Erzählen, 205, 207.

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generell das System „vermeersches Genrebild“ zur Konkretisierung zur Verfügung. Abgesehen von der Zuordnung gewisser Charaktere zu den am Bild Dargestellten dienen die Gemälde als „intersubjektive bestimmte Bilder“ zur Charakterisierung von Räumen. Meist bestimmt auch hier die Situierung des Handlungsgeschehens die Konkretisierungsrichtung vor. Wenn die Handlung zur Zeit Vermeers angesiedelt ist, treten die Bildfiguren meist als Textfiguren auf. Spielt das jeweilige Bild als Kunstwerk einer anderen Epoche in aktuellerem Kontext eine Rolle, werden meist Überlegungen und Vermutungen zur dargestellten Figur angestellt und Geschichten zu ihr erfunden. Abgesehen von den Figuren ist es vor allem das Atelier Vermeers, das durch die Gleichsetzung von Bild und Text an Konkretisierung erfährt. Die Beschreibungen des Ateliers werden an die Räumlichkeiten, die man aus den Bildern kennt, angelehnt. Ein Beispiel dafür liefert der Roman Girl with a Pearl Earring: „Now that I had a moment I surveyed the room. It was a large, square space, not as long as the great hall downstairs. With the windows open it was bright and airy, with whitewashed walls, and grey and white marble tiles on the floor, the darker tiles set in a pattern of square crosses. A row of Delft tiles painted with cupids lined the bottom of the walls to protect the whitewash from our mops. They were not my father’s. [...] Besides the chair I had stood on there was another by the table, of plain leather nailed on with brass studs, and two lion heads carved into the tops of the posts. [...] Two more lion-head chairs had 118

been set against the wall near the doorway.“

Die Beschreibung der einzelnen Elemente ruft ein aus realen Versatzstücken zusammengefügtes Gemälde ab. Der Fliesenboden lässt sich eindeutig Werken wie Konzert, Musikstunde, Stehende Virginalspielerin, Der Liebesbrief oder Briefschreiberin und Dienstmagd zuordnen, während die Fliesenreihe mit Amordarstellungen besonders gut in Dienstmagd mit Milchkrug und Stehende Virginalspielerin erkenntlich sind. Die Löwenkopfstühle sind sowohl im Mädchen mit rotem Hut und Briefschreiberin in Gelb als auch in Herr und Dame beim Wein zu sehen. Der auf diese Weise imaginierbare Raum wird zum textinternen Handlungsraum. Der Text gibt dem festgehaltenen „freeze frame“ der Bilder, die das Atelier als Kulisse abbilden, ein Davor und Danach. Durch die Auflösung der simultanen Präsenz des Bildes in Einzelbeobachtungssequenzen wird mit dieser vorweggenommenen Beschreibung des Ateliers die darauffolgende, explizite Bildbeschreibung vereinfacht und die Visualisierungsstrategie erleichtert. In der zitierten Passage aus Girl with a Pearl Earring erfolgt die Be-

118 Tracy Chevalier: Girl, 34, 35.

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schreibung von Bild und Atelier getrennt voneinander. Wie die folgenden Ausschnitte aus Die Malerin des Feuersturms zeigen sollen, kann dies auch in einer sich gegenseitig bedingenden und daher sich wechselseitig konkretisierenden Form geleistet werden. „Auf der Leinwand war genau der Raum zu sehen, in dem Vermeer und sie sich gerade befanden, mit den gleichen weiß-schwarzen Bodenfliesen und der Landkarte an der Wand.“119 „Wie in fast allen seinen Bildern diente Vermeer das eigene Atelier als Kulisse. Eine junge Frau in einer blauen Jacke und mit dunklen, hochgesteckten Haaren befand sich im Mittelpunkt der Komposition. [...] An der Wand hinter ihr zeichneten sich auf dem hellen Putz die Umrisse einer Landkarte ab, derselben, die auch tatsächlich in diesem Zimmer hing. Ein Stuhl und ein Tisch grenzten die Figur im Vordergrund vom Betrachter ab.“120

Nicht nur in dieser Beschreibung werden die beiden Ebenen in Relation gesetzt, es wird auch konkret darauf verwiesen, dass Vermeer sein Atelier „wie in fast allen seinen Bildern“ als Kulisse verwendet. Doch nicht nur der Bildraum wird zum Aufenthaltsort des im Roman auftretenden Vermeers ausgeweitet, auch die dargestellten Damen werden großteils mit Frauen aus seinem Umfeld besetzt. „Just pick one of those daughters of yours or Catharina again [...]“121, könnte auch als Aufforderung an die Romanautoren, die die Handlung zur Zeit Vermeers spielen lassen, gegangen sein, denn keiner der Texte kommt ohne diese Gleichsetzung aus. Als textinterne Modelle werden vorwiegend Catharina, Vermeers Ehefrau, eine seiner Töchter, Mägde oder die Frau oder Tochter des Auftraggebers gewählt. Diese Zuweisung der Charaktere macht sich die Uneindeutigkeit vermeerscher Gemälde zunutze. Denn nicht nur die Bildaussage bleibt bei Vermeer unpräzise, auch über die Frage nach der Identität der abgebildeten Frauen können die Forschung und der Bildbetrachter nur Mutmaßungen anstellen. Diese Offenheit wird genutzt und mit den von kunsthistorischer Seite angestellten Vermutungen kombiniert. Die Bilder werden dadurch „mit Leben gefüllt“ und regen durch die plausibel erscheinenden Ausschmückungen die Imaginationskraft des Lesers an. Anthony Bailey vermutet, dass „bis in die späten 1660er Jahre [...] Vermeers Töchter zu jung gewesen sein [dürften], um für seine Gemälde Modell zu stehen [...], aber Catharina ist [...] wahrscheinlich mehrfach

119 Alexandra Guggenheim: Die Malerin des Feuersturms, 49. 120 Ebda. 162. 121 Susan Vreeland: Girl, 202.

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zu sehen“122. Diese Annahmen werden in den Texten auf unterschiedliche Weise und mittels unterschiedlicher Zuordnungen verarbeitet. Im nachfolgenden Zitat aus dem Roman Luce d’Orange von Paolo Turati spricht Vermeer selbst über seine Modelle und seine Intentionen. „‚Dopo i soggetti che conoscete bene per averne viste le raffigurazioni appese a queste pareti, come La padrona e la serva oppure La signora in piedi alla spinetta o anche La donna con la collana di perle,‘ – spiegò il pittore – ‚dove la protagonista è una benestante donna matura che può essere identificata in una delle nostre…signore, ho pensato di ritornare alla freschezza dell’adolescenza. Questa Ragazza con l’orecchino di perla è…‘ ‚È vostra figlia…!‘ – lo interruppe lo scienziato. ‚Certo, è Maria.‘ – gli confermò Jan – ‚E in 123

quello sguardo ho voluto fissare la virtù della giovinezza […]‘.“

Die Aufzählung dieser Werke betont die Gemeinsamkeit der dargestellten Frau und verweist indirekt auf die Wiederholung desselben Grundmotivs, wobei die Deutung im Altersunterschied angelegt wird. Die Visualisierungsstrategie erfüllt sich in diesem Beispiel nicht über eine Beschreibung (wie bisher meist ohne Titelangabe) sondern mittels Einzelreferenzen. Durch die Angabe der Werktitel wird in der Vorstellung des Lesers im Sinne einer „associative quotation“ auch die visuelle Seite evoziert. Dies ist von Bedeutung, da dadurch die Erklärung und Begründung des Generationsunterschiedes erst Sinn ergeben kann. Verwiesen wird einerseits durch die Nennung mehrerer Gemälde auf die Ähnlichkeit der Bildkomposition und andererseits konkretisiert der Bildbereich das optische Erscheinungsbild der Tochter Maria. Das hier erneut funktionalisierte Vergleichsmoment erlaubt ein kursives Erzählen, das auf der Abkürzung der Beschreibung auf Grundlage des evozierten Hintergrundes basiert.124 Dass jedoch der Bildtitel nicht zwingend genannt werden muss, um die Textfigur der Bildfigur konkret zuzuordnen, werden die folgenden Ausführungen veranschaulichen. Im Roman von Tracy Chevalier wird ein Gemälde auf folgende Weise betitelt; „he finished the painting of the baker’s daughter.“125 Nach der Lektüre der dazugehörigen Passagen ist eindeutig geklärt, um welches Gemälde es sich handelt. Wird die Bezeichnung „the painting of the baker’s daughter“ in der Folge

122 Anthony Bailey: Vermeer, 130. Dass Vermeer vor allem seine Frau und seine älteren Töchter als Modelle einsetzte, begründet Bailey mit der Tatsache, dass diese unentgeltlich für ihn arbeiteten und stets zur Hand waren. 123 Paolo Turati: Luce d’Orange, 136. 124 Vgl. Irina O. Rajewsky: Intermedialität, 153. 125 Tracy Chevalier: Girl, 131.

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verwendet, wird in der Vorstellung des Lesers das dank einem Geflecht von Gemäldezitaten zugeordnete Bild aufgerufen und für die Bedeutung des Textes herangezogen. „‚The baker’s daughter stands in a bright corner by a window,‘ I began patiently. ‚She is facing us, but is looking out the window, down to her right. She is wearing a yellow and black fitted bodice of silk and velvet, a dark blue skirt, and a white cap that hangs down in two points below her chin.‘ [...] ‚She has one hand on a pewter pitcher sitting on a table 126

and one on a window she’s partly opened.‘“

Griet fokussiert erneut die Trias Frau-Licht-Blick. Erscheinen nach den ersten Zeilen noch mehrere Gemälde als Bezugsquellen möglich, so ist spätestens ab der Beschreibung der Tätigkeit eindeutig, dass es sich um das Bild Junge Frau mit Wasserkanne am Fenster handelt. Im Fortlauf der Erzählung steht die Bäckerstocher im Atelier als Modell dem Maler zur Verfügung. Inwiefern diese Zuordnung bedeutungskonstituierend sein kann, zeigt sich in einer späteren Beschreibung einer der Frauen des Gemäldes Konzert. „A young woman sits at a harpsichord, playing. She is wearing a yellow and black bodice – the same the baker’s daughter wore for her painting – [...].“127 Da im Roman keine Werktitel als einzelreferentielle Verweise verwendet werden, wird durch die Zuordnung einer konkreten Figur und die an sie gebundene Darstellung das Abrufen der zugehörigen visuellen Komponente gewährleistet. Die sich ergänzenden Ebenen des Textes und des Bildes werden durch eine explizite Systemerwähnung markiert und somit klar voneinander getrennt. Dass die Wahl der Dargestellten auf die Tochter des Bäckers fiel und nicht auf die des Fleischers, verknüpft die Geschichte mit den spärlichen Angaben zu Vermeers Leben und weitet nun dieses über das Gemälde aus. Wie bereits erwähnt, bekam der Bäcker Hendrick van Buyten nach dem Tod des Malers zwei Gemälde zur Tilgung von Schulden. In seinem Besitz befanden sich noch weitere Bilder von Vermeer jedoch fehlen konkrete Angaben um welche Bilder es sich handelte.128 Chevalier greift diese Lücke auf und schreibt dem Bäcker ein Gemälde zu, das tatsächlich in dessen Besitz gewesen sein könnte. Eine interessante Konstellation zur Thematik der Konkretisierung von Bildfiguren durch Textfiguren ergibt sich weiters aus dem Blickpunkt der Erzählenden, die sich (wie in einem Spiegel) selbst in einem Gemälde sieht. Diese Rela-

126 Ebda. 96. 127 Ebda. 184. 128 Vgl. Anthony Bailey: Vermeer, 46, 227.

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tion funktionalisiert das Zusammenfallen von Bildfigur und Textfigur. Das folgende Zitat bezieht sich auf den Moment als Griet das erste Mal ihr Porträt sieht. „The painting was like none of his others. It was just of me, of my head and shoulders, with no tables or curtains, no windows or powderbrushes to soften and distract. He had painted me with my eyes wide, the light falling across my face but the left side of me in shadow. I was wearing blue and yellow and brown. The cloth wound round my head made me look not like myself, but like Griet from another town, even from another country altogether. The background was black, making me appear very much alone, although I was clearly looking at someone.“129

Griets erster Hinweis, dass sich das Bild von allen übrigen unterscheidet, markiert für den Leser einen Bruch in den typischen Verweisen auf das System der vermeerschen Genrebilder. Jedoch wird in der Folge für die Beschreibung dieses neuen Bildtypus die Vergleichsrelation mit eben diesem System herangezogen. Dem Leser wird die Möglichkeit geboten in Anlehnung an bereits im Vorfeld zitierte Gemälde auch dieses zu visualisieren. Durch die Formulierung „I was wearing“ wird einerseits auf die Sitzungen als Modell im Atelier zurückverwiesen, aber auch auf den im Bild verewigten Augenblick. Die Äußerung, dass sie mit ihrem Kopfschmuck aussehe wie aus einem anderen Land, spielt auf den orientalischen Charakter der Tuchwicklung an. Diese für eine Magd eigenwillig anmutende Kopfbedeckung wird im Handlungsverlauf erklärt. Griet, die sich nicht als Magd mit ihrer weißen Haube abbilden lassen möchte, aber sich auch nicht mit offenen Haaren präsentieren kann, wird von Vermeer gebeten ein paar Tücher zu ihrer Zufriedenheit um den Kopf zu wickeln. Eine besondere Verfahrensweise der Gemäldezitation wird dem Leser in manch beiläufig erscheinender Beobachtung des jungen Jan Vermeers in The Dance of Geometry präsentiert. Im ersten von vier Teilen des Textes wird der berufliche Werdegang des jungen Jan mitverfolgt. Abgesehen von den unterschiedlichen Lehrern erfährt man auch von seinen anfänglichen Schwierigkeiten mit der Bibel und der Perspektive. Die folgenden zwei Ausschnitte lassen den Leser an zwei scheinbar unbedeutsamen, nebensächlichen Begebenheiten teilhaben.

129 Tracy Chevalier: Girl, 202, 203.

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„This brought his attention back to her, as he watched her in the corner of the room pour water from a gleaming brass pitcher into a basin. The reflection of her candle-lit image entranced him a moment […].“130 „Later that day, as he walked aimlessly about the house, Johannes saw beyond the door to the rear cooking kitchen where broad-hipped Tanneken was lifting the great earthenware milk jug so lightly, almost as if it were a baby.“131

Diese beobachteten Szenen, die Jan bewusst und konzentriert wahrnimmt, scheinen wie in seinem Gedächtnis abgespeichert. Der Leser glaubt nun, dass er diese Szenen als Versatzstücke zu einem späteren Zeitpunkt in seine Gemälde einbauen wird. Durch die Beschreibung kann der Leser das Bezugsgemälde aufrufen. Jan prägt sich diese Szenen im Laufe der Handlung ein, es kommt jedoch nicht zur Verarbeitung. Doch diese minimale Deskription reicht aus, damit der Leser den geschilderten, konkreten Seheindruck auf Textebene mittels der evozierten Gemälde visualisieren kann.132 Die bisherigen Ausführungen konzentrierten sich auf die Gleichsetzung von Bildfiguren und Textfiguren, was vor allem durch die Ansiedlung der Handlung zur Zeit Vermeers begründet ist. In der Folge soll nun ein Beispiel gewählt werden, das die Fragen und Spekulationen zur Identität der am Bild dargestellten Personen nicht über eine wechselseitige Konkretisierung beantwortet, sondern die Frage auch auf Textebene thematisiert. Zur Veranschaulichung soll erneut der Roman von Susan Vreeland herangezogen werden. Ging es im ersten Kapitel des Romans um die Echtheit des Gemäldes, so löst sich das Werk im Rücklauf der Jahrhunderte völlig von dieser Problematik. Die Konzentration und das Interesse verlagern sich auf den Bildinhalt und die Deskriptionen setzen an unterschiedlichen Punkten an. Der kreierte Bildeindruck, der im ersten Kapitel durch die evozierenden und simulierenden Gemäldezitate entstand, wird jedoch auch für die weiteren Kapitel vorausgesetzt und genutzt. Titelähnliche Angaben wie

130 Brian Howell: The Dance, 59. 131 Ebda. 71. 132 Auch Bilder, die er in den Ateliers seiner Lehrer sieht, speichert er auf dieselbe Weise in seinem Gedächtnis ab. Es handelt sich dabei um Werke von denen der Leser weiß, dass Vermeer sie zu einem späteren Zeitpunkt als Bild-im-BildDarstellungen heranziehen wird. „The series ran along the corridor wall, ending at a right angle to its companions, on the door to Van Loo’s studio, with a depiction of a cupido holding aloft a card displaying the numeral one, along with an exhortation to lovers to have only one partner.“ (ebda. 47, vgl. auch 90).

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Girl With a Sewing Basket133 und Morningshine134 regen den Leser dazu an, die am Beginn des Textes gewonnene Vorstellung des Gemäldes weiterzutragen. Bei der auf Textebene gestellten Frage nach der Abgebildeten geht es nicht um das Bild als Projektionsfläche von Wünschen oder Erinnerungen; hierfür stellt das Gemälde nur eine Schaltfläche da und betrifft den Rezeptionsvorgang und dessen Auswirkungen. Denn in diesem Zusammenhang interessiert nicht die Dargestellte, sondern über ihren Anblick werden beim Rezipienten gewisse persönliche Erinnerungen oder Wünsche geweckt. Zur Veranschaulichung soll das fünfte Kapitel herangezogen werden, da nicht nur die Frage „wer ist abgebildet“ textintern gestellt wird, sondern auch zwei unterschiedliche Betrachterperspektiven aufeinandertreffen. Das Kapitel handelt von einer Bauernfamilie, die während einer Flutkatastrophe 1717 in einem Boot ein ausgesetztes Kind findet. Neben dem Neugeborenen befindet sich ein Gemälde und ein Zertifikat mit der Bitte „Sell the painting. Feed the child“135 auf der Rückseite. Der Bäuerin fällt es schwer dieser Aufforderung nachzukommen, obwohl die Familie das Geld mehr als dringend benötigt. Als ihr jedoch keine andere Möglichkeit bleibt, verkauft sie das Bild für eine hohe Summe und kann so zumindest die Familie und das Neugeborene versorgen. Doch desto mehr Zeit Saskia mit dem Gemälde und dem Kind verbringt, desto mehr versucht sie eine Verbindung zwischen diesen beiden herzustellen. Sie beginnt sich Geschichten auszudenken. Nachdem sie das Bild vom Staub und Schmutz der Zeit befreit hat, zeigt sich ihr erst sein wahrer Glanz. „How it shone, more brilliant even than before. The russet of the girl’s skirt glistened like maple leaves in autumn sun. Pouring in the window, creamy yellow light the color of the inner petals of jonquils illuminated the young girl’s face and reflected points of light on her shiny fingernails. [...] She made up stories of the young woman in Groningen or Amsterdam or Utrecht, how she became famous for her sewing and people from all around would come to have a garment made by her.“

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Mit diesem Gemäldezitat wird der besondere Lichtcharakter des bildmedialen Bezugssystems imitiert. Dem lichtsimulierenden Zitat wird durch den Vergleich mit der Natur eine evozierende Komponente beigelegt, die als Visualisierungshilfe eingesetzt wird. Saskia erfindet auf Basis des Bildinhalts Geschichten zur

133 Susan Vreeland: Girl, 65. 134 Ebda. 121. 135 Ebda. 114. 136 Ebda. 121, 122.

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Dargestellten. Die Tätigkeit des Nähens, die im Bild angedeutet wird, nimmt sie als Indiz zur Klärung der Identität. Weiters vermutet sie, dass es sich um die Mutter des kleinen Jantje handeln könnte. „She held Jantje up to the painting. ‚See, Jantje, how beautiful she is. Maybe this is your mother. See how young she looks? A fine lady in a fine home.‘ [...] That’s the boy’s mother when she was a girl, I’m thinking. Only fine folk have their portraits painted. I want him to know her. It wouldn’t be right to claim him as ours.“137 „The invention of Jantje’s parentage became more real to her as her need for it grew greater. ‚Jantje came from a good home. In Groningen or Amsterdam. A home with a map on the wall and nice furniture and a mother who wore blue.‘“138 „The story she’d imagined came to life for her. Why would such a young woman who could afford to have her portrait painted by a great artist, why would she, how could she have given away her son?“139

Die Vermutung, es handle sich um die Mutter des Kleinen, festigt sich in Saskias Vorstellung zusehends. Hält sie dies zu Beginn selbst noch für Spekulation, so scheint ihr dies immer plausibler. Sie versucht die Abstammung Jantjes mit dem Bild zu erklären und es als Abbild des Hauses seiner Mutter zu deuten. Die Landkarte als typisches Versatzstück für einen Vermeer reicht aus, um die weitere Raumsituation mit dem Tisch vor einem Fenster in einer Ecke aufzurufen. Erneut wiederholt sie die Städte, aus denen er kommen könnte und die sie auch zuvor als Aufenthaltsorte ihrer berühmten Näherin für möglich gehalten hat. Als ihr Ehemann sie immer vehementer dazu drängt das Gemälde zu verkaufen, versucht Saskia mit ein paar Tricks dieser Notwenigkeit zu entkommen; doch als es keinen anderen Ausweg mehr gibt, macht sie sich auf den Weg, um das Gemälde bei mehreren Antiquitätenhändlern anzubieten. Es fällt ihr schwer sich von dem Gemälde zu trennen, da sie einerseits wenig Schönes in ihrem Leben hat und andererseits weil sie durch ihre projizierte Abstammungsgeschichte dem kleinen Jantje den einzigen Bezugspunkt zu seiner Mutter zu rauben glaubt. Zur Verschiebung der Fokussierung vom Bildinhalt auf maltechnische Aspekte und Wertfragen kommt es als Saskia das Bild zum Verkauf anbietet und sich unterschiedliche Expertenmeinungen einholt. Diese Verschiebung bringt zusätzlich die Perspektive eines Fachkundigen ein. Im Gespräch zwischen Saskia und den

137 Ebda. 123, 124. 138 Ebda. 126. 139 Ebda. 135.

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Antiquitätenhändlern wird dieser unterschiedliche Zugang zum Gemälde auch explizit thematisiert. „‚Well, perhaps one thing. Do you happen to know who Jan van der Meer is?‘ ‚Of course. From Delft. The painter from Delft. Vermeer.‘ [...] ‚Light. He painted light, you know. Lovely.‘ [...] ‚Look at the window glass. Smooth as liquid light. Not a brush stroke visible. Now look at the basket. Tiny grooves of brush strokes to show the texture of the reed. That’s Vermeer.‘ She tried to see what he saw but her eyes flooded, and in this last hungry look at the painting, the girl in a blue smock became a blur.“140

Der Lichtaspekt wird hier mit seiner maltechnischen Umsetzung in Verbindung gebracht. Das Interesse am Pinselstrich, den Saskia noch nie bewusst wahrgenommen hat, lässt ihr das Bild fremd erscheinen und sie „versucht zu sehen, was er sah“. Charakterisiert wird aus dieser Fachsicht Vermeer als Maler von Licht. Diese Besonderheit seiner Bilder honorierte zwar auch instinktiv Saskia, die dem Bild den Titel Morningshine gab, doch steht für sie die erhellte Figur und nicht technische Details zur Effekterzielung im Vordergrund. Alle bisherigen Ausführungen konzentrierten sich auf intermediale Gemäldezitate, die in mehreren unterschiedlichen Situationen und in Fokussierung auf unterschiedliche Aspekte ein Gemälde evozierten, simulierten oder mittels Einzelreferenzen einen eindeutigen Bezug herstellten. Es ging großteils um Gemälde, denen eine Handlungsrelevanz zukam und auf die in weiteren Zusammenhängen stets verwiesen wurde. Grundsätzlich lässt sich nämlich beobachten, dass in den detaillierter präsentierten Texten vorwiegend ein Gemälde im Handlungszentrum steht. Meist wird bereits durch den Romantitel, der gleichzeitig auch der Bildtitel dieses zentralen Werkes ist, darauf aufmerksam gemacht. Doch abgesehen von diesen ausführlich zitierten, im Zentrum der Handlung stehenden Gemälden werden auch weitere Werke Vermeers, die in ihrer Relevanz nicht derart dominierend sind, in speziellen Zusammenhängen und mittels meist nur kurzer Verweise zitiert. Berücksichtigung finden hier weiters auch jene Romane, die nicht ein spezielles Gemälde in den Mittelpunkt der Handlung setzen, die aber dennoch in unabhängigen, für die Handlung nicht weiterführenden Passagen mit Gemäldezitaten arbeiten. Doch auch diese kurzen Verweise sorgen durch ihre prägnante Verweisstruktur dafür, dass der Leser in seiner Vorstellung das gewünschte Bild visualisiert. Meist werden auch in diesen kurzen Bildverweisen die bildzentralen Figuren durch Textfiguren besetzt. Eine auffällige Ge-

140 Ebda. 133, 134, 153.

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meinsamkeit sollen nachstehende Ausschnitte aus den Romanen von Tracy Chevalier und Paolo Turati aufdecken, deren Begründung sich erneut mit dem spärlichen Wissen zu Vermeer deckt. „When Tanneke straightened, a bonnet in her hand, she said, ‚The master painted me once, you know. Painted me pouring milk. Eyeryone said it was his best painting.‘“141 „Proprio il dipinto La lattaia gli era stato ispirato, al di là di suggestioni artistiche […] di quella Tanneke che tutti i giorni Jan si ritrovava per casa a pulire, cucinare, rassettare.“142

Im ersten Ausschnitt wird eine kurze Beschreibung der Tätigkeit angegeben, während im zweiten Textbeispiel dies durch die Einzelreferenz des Titels geschieht. Die am Bild Dargestellte wird auf Textebene mit der im Haushalt Vermeers lebenden Magd Tanneke besetzt, die auch der junge Jan in The Dance of Geometry in dieser Tätigkeit wahrnahm. Es ist jedoch kein Zufall, dass der Dienstmagd mit Milchkrug in drei Fällen dieselbe Person zugeordnet wird. „Eine Frau namens Tanneke Everpoel wird in einer gerichtlichen Aussage erwähnt [...]. Sie blieb über längere Zeit im Dienst der Familie [...]. Tanneke könnte in dem einen oder anderen Gemälde Vermeers dargestellt sein, einen Wasserkrug haltend, einen Brief übergebend oder beim Milcheingießen.“143 Das Gemälde wird dadurch in einen erweiterten Zusammenhang gebracht und bietet die Grundlage, die dargestellte Bildfigur zu beleben. Diese Kurzverweise treten allerdings nicht nur in dieser konkreten, leicht zu erkennenden Form auf, sondern können auch sehr vage und unmarkiert vorkommen. Dies ist möglich, da für den Fortlauf des Textverständnisses diese Entschlüsselungen nicht zwingend notwendig sind. Auch ohne die bewusste Wahrnehmung, welches Gemälde dem Kurzverweis zugrunde liegt, bleibt die Handlung, wie ein Beispiel aus Girl in Hyacinth Blue zeigt, verständlich. „She remembered wishing, one particular morning when Father mixed lead white with the smallest dot of lead-tin yellow for the goose quill in a painting of Mother writing a letter, that she might someday have someone to write to [...]. [...] He painted Mother often, and Maria he painted once, draped her head in a golden mantle and her shoulders in a white satin shawl.“144

141 Tracy Chevalier: Girl, 40. 142 Paolo Turati: Luce d’Orange, 112. 143 Anthony Bailey: Vermeer, 83, 84. 144 Susan Vreeland: Girl, 228.

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Während im ersten Teil des Ausschnitts die Zuordnung zu einem konkreten Gemälde trotz der wiederholten vermeerschen Briefmotivik gewährleistet ist, muss der Leser im zweiten Teil ein Kennerauge beweisen, um auch diese äußerst knappe Schilderung zuordnen zu können. Auch in diesem kurzen Ausschnitt zeigt sich, wie sich die Bilddeskription über die Beschreibung der Vorbereitung des Modells auf Textebene konstituiert. Aus dem Blickwinkel der kunsthistorischen Ausrichtung sind die Gemälde nicht nur im Motiv- und Größenvergleich interessant, sondern sie können auch in einem kunsthistorischen Kontext verankert werden, wie zum Beispiel: „But the other little panel portrait in Washington, that girl with a flute, she’s definitely got a problem. She’s way too direct somehow, too enthusiastically present. More of a Maes kind of face, you know? [...] She’s had a major exfoliation or something in the last couple of hundred years, too, which hasn’t helped.“145 Keine Bedeutung wird hier dem Bildmotiv geschenkt, es geht nicht um die Frage „wer ist dargestellt“, sondern Patricia gibt Informationen zum Ausstellungsort des Gemäldes und ist durch die Direktheit im Ausdruck eher geneigt es Maes zuzuschreiben. Auch aus einem ikonologischen Blickwinkel können Werke vorgestellt werden. Dies ist nicht die Regel kommt jedoch, wie das folgende Zitat aus Paolo Turatis Roman zeigen soll, vereinzelt vor. Mehrere Bildbetrachter (Kollegen, Freunde, Auftraggeber, jedoch meist Kunstkenner) äußern sich im Beisein Vermeers über dessen Werke. „Gaston sorrise, mentre Colbert si soffermava ancora sul dipinto, soggiungendo: ‚Davvero, c’è un’immensità di dettagli, come la porta aperta che sottende magari al fatto che qualcuno – io credo un uomo, stante anche la veste della dormiente piuttosto…aperta! – stia per arrivare o se ne sia appena andato, e di simboli, come il cupido inserito nel quadro sopra la testa della donna. Veramente una magnifica opera!‘“146 „Al di là delle simbologie, che avverto chiaramente ma il cui significato spesso mi sfugge…‘ ‚Beh!‘ – s’intromise Pieter – ‚Qualcosa, però, lo si capisce piuttosto bene. In questa, che definirei come una Signora col bicchiere di vino, il significato della disponibilità della donna, coerente con la finestra aperta, nei confronti del bellimbusto che le somministra del vino mi pare evidente!‘ ‚Sì, giusto, a differenza di questo dipinto‘ – disse Evert fissando un’altra delle tele scoperte – ‚dove la figura femminile è una solida donna che versa del latte, una che accudisce alle faccende domestiche senza badare a quello che potrebbe distrarla dall’esterno: infatti la finestra è chiusa.‘“147

145 Ebda. 90. 146 Paolo Turati: Luce d’Orange, 89. 147 Ebda. 114.

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Diese Form der Auseinandersetzungen mit dem Bildinhalt unterscheidet sich grundlegend von allen bisherigen Präsentationen. Diese Ausführungen lesen sich eher wie eine Gemäldeinterpretation, die die symbolische Ebene des Bildes gedeutet wissen will. Ebenfalls in Kürze behandelt und trotzdem für das Handlungsverständnis funktionalisiert, wird das Gemälde Das Mädchen mit dem Weinglas in Chevaliers Roman. Die Besonderheit des Blicks der Dargestellten (sie blickt aus dem Bild heraus) wird grundsätzlich als „pose [that] he doesn’t paint often“148 charakterisiert. Die Ausweitung des Bildmotivs in den Textraum knüpft an die Darstellung eine negative Konnotation. „‚The maid. Remember van Ruijven and the maid in the red dress?‘ [...] ‚That was the last time anyone looked out from one of his paintings,‘ Maria Thins continued, ‚and what a scandal that was!‘ [...] ‚It seems van Ruijven wanted one of his kitchen maids to sit for a painting with him. They dressed her in one of his wife’s gowns, a red one, and van Ruijven made sure there was wine in the painting so he could get her to drink every time they sat together. Sure enough, before the painting was finished she was carrying van Ruijven’s child.‘“149

Textintern wird an die besondere Darstellungsform, die sich über den besonderen Blick konstituiert, ein Skandal gebunden. Durch die Rollenzuweisung der Magd und der Schilderung der Vorgeschichte und der Konsequenzen wird um das Bild eine Geschichte geschaffen. Diese kann jedoch nicht nur auf die in das Geschehen verwickelte Magd bezogen werden, sondern kündigt bereits den Skandal rund um Griet an. Auch sie wird auf ähnliche, wenn auch subtilere Weise in einen Skandal verstrickt werden, der ihr Verderben bedeutet. Auf Bildebene zeigt sich dies im wiederholten Blick aus dem Bild.

I NTERMEDIALE G EMÄLDEZITATE ZUR G EMÄLDEENTSTEHUNG Das System der intermedialen Gemäldezitate in den Texten beschränkt sich nicht nur auf Verweise zu den Gemälden allgemein, sondern kann auch den produktionsästhetischen Prozess als Möglichkeit der Bildbeschreibung funktionalisieren.

148 Tracy Chevalier: Girl, 134. 149 Ebda. 134, 135.

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Diese sogenannten „genetischen“150 Bildbeschreibungen geben dem Leser die Möglichkeit die Arbeit des Malers an einem Gemälde mitzuerleben und einen Wandel der Darstellung zu verfolgen. Vor allem formale und technische Fragen in Hinblick auf den Schaffensakt stehen im Interesse dieser Fokussierung. Weiters wird durch die Schilderung der Bildgenese die medienbedingte Differenz der Medien Bild und Text minimiert und aneinander angeglichen. Das Bild wird durch diese Form der Bezugnahmen der Zeitstruktur des Textes angenähert. Diese implizite dynamische Komponente der Entstehung lässt sukzessive ein oder mehrere Kunstwerke bis zum Ende der Erzählung entstehen. Christoph Eykman erklärt in diesem Zusammenhang: „Indem also der Leser das Bild mit den Augen und dem ‚Kunstsinn‘ des Künstlers selbst in statu nascendi erfährt, empfängt er Eindrücke, die ihm nur die Sprache vermitteln kann. Er erkauft sich dieses Mitwissen und dieses Dabei-Sein beim Werden des Werkes allerdings mit einem Verlust an Anschaulichkeit. Denn das Wort vermag nicht, die volle und konkrete Anschaulichkeit des perzeptuellen Sehens eines realen Bildes selbst zu ersetzen. Wenn ich aber aufgrund sprachlicher Information weiß, unter welchen Mühen und unter Überwindung welcher Hindernisse ein Bild ‚geworden‘ ist, habe ich ein Bildverständnis, das um eine geistige Dimension vermehrt ist und welche ein unvermitteltes naives Sehen 151

nicht gewähren kann.“

(Herv. i.O.)

Der Prozess der Bildanfertigung umfasst nicht nur das aktive Tun des Malers, sondern wird auch begleitet von Informationen über technologische Realisierungsgrundlagen, Aneignung von Fähigkeiten und Fertigkeiten, konzeptuelle Aspekte oder aber auch mögliche, den Entstehungsprozess begleitende historische, politische und kulturelle Gegebenheiten.152 Die Betonung des Prozessualen der künstlerischen Praxis macht die inhaltliche und maltechnische Entwicklung eines Gemäldes nachvollziehbar. Die „Bildentstehungsbeschreibungen“153 werden jedoch nicht als alleinige Verweisform eingebracht, sondern stehen stets in Verbindung mit einer das vollendete Werk zitierenden Beschreibung oder verdichten sich zu einer solchen. Der Aspekt der Gemäldeproduktion bezeichnet

150 Bernard Dieterle unterscheidet in Rekurs auf Gisbert Kranz zwischen epischen (den Inhalt des Bildes betreffend) und genetischen (die Entstehung oder das Schicksal des Bildes vortragend) Bildbeschreibungen. Vgl. Bernard Dieterle: Erzählte Bilder, 210. 151 Christoph Eykman: Über Bilder schreiben, 183. 152 Vgl. Jutta Held; Norbert Schneider: Grundzüge der Kunstwissenschaft, 165 ff. 153 Swantje Petersen: Korrespondenzen zwischen Literatur und bildender Kunst, 37 ff.

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nicht nur die Bildumsetzung als produktiven Malprozess, sondern kann auch andere den Schaffensakt charakterisierende Möglichkeiten umfassen. Dazu zählen kleine Änderungen, die der Maler an einem auf Textebene bereits existenten Werk vornimmt. Entscheidend ist auch der der Bildumsetzung vorausgehende Bildfindungsprozess, der sich meist über ein Probieren möglicher Arrangements präsentiert. In diesen Bereich der Bildgenese wird weiters der in Zusammenhang mit Vermeers Bildern entscheidende Aspekt der Verwendung einer Camera obscura eingebunden. Entweder kann diese in den Prozess der Gemäldeanfertigung einbezogen werden oder es wird über eine mögliche Verwendung spekuliert. Nicht nur der als Vermeer auftretende Maler reflektiert und kommentiert sein künstlerisches Handeln, auch die Entstehung beobachtende oder daran teilhabende Figuren können sich zur Fertigung äußern. Die Thematisierung von Änderungen, wie sie hauptsächlich im Roman von Tracy Chevalier unternommen werden, dient nicht nur der Vervollständigung des Bildeindrucks, sondern kann auch von handlungsrelevanter Bedeutung sein. Das zu Beginn des vorigen Kapitels aus der Sicht Griets präsentierte Gemälde Junge Dame mit Perlenhalsband wird mit einer Landkarte an der Rückwand beschrieben. Hat der Leser das konkret zuordenbare Gemälde vor Augen, so wundert er sich an dieser Stelle über die Abweichung des evozierten Gemäldes zum Original, das keine Landkarte in der Komposition aufweist. Dass die Bilder möglichen Veränderungen unterzogen werden, lässt sich für den Leser aus dem darauffolgenden Gesprächsausschnitt zwischen Griet und der Schwiegermutter Vermeers Maria Thins erahnen. „‚In the painting there are no lion heads on the chair next to the woman,‘ I said. ‚No. There was once a lute sitting on that chair as well. He makes plenty of changes. He doesn’t paint just what he sees, but what will suit.‘“

154

Diese Umgestaltungen, die Griet entweder selbst miterlebt („The map hanging on the wall behind the woman had been removed from both the painting and the scene itself. The wall was now bare. The painting looked the better for it – simpler [...].“155) oder über die sie von anderen erfährt, sind für sie und den Fortlauf der Handlung von Bedeutung. Denn Griet schult an diesen Änderungen ihr kunstkompetentes Auge. Dies führt dazu, dass sie zunehmend selbst notwendige Bildmodifikationen erkennt und Vermeer mit ihrem so erworbenen Blick und

154 Tracy Chevalier: Girl, 38. 155 Ebda. 64.

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Wissen unterstützt oder eigenmächtig Änderungen im Aufbau vornimmt, die Vermeer in seine Bildkomposition aufnimmt. „Although I valued tidiness over most things, I knew from his other paintings that there should be some disorder on the table, something to snag the eye. I pondered each object [...] and decided what I would change. [...] Then in one quick movement I pulled the front part of the blue cloth on to the table so that it flowed out of the dark shadows under the table and up in a slant on to the table in front of the jewellery box. I made a few adjustments to the lines of the folds, then stepped back. It echoed the shape of van Ruijven’s wife’s 156

arm as she rested it on the table. [...] He had made my change.“

Die evozierende Bezugnahme in Form des Kommentierens ihrer Handlungsschritte rekurriert auf den im Bild festgehaltenen Endpunkt aller zuvor unternommenen Modifikationen. Auch in diesem Beispiel setzt sich der visuelle Eindruck durch wechselseitige Konkretisierung von aufgebautem Bildarrangement im Textraum und dem realen Gemälde zusammen. Änderungen, die sich aus den Fortschritten in der Umsetzung von Ideen im Zuge des Bildentstehungsprozesses ergeben („At last one day I discovered that another pearl had been added to the woman’s necklace. Another day the shadow of the yellow curtain had grown bigger. I thought too that some of the fingers on her right hand had been moved.“157), stehen nachträglichen Tilgungen von Bildgegenständen gegenüber. Mit dieser zweitgenannten Variante wird auf die Tatsache der Uneindeutigkeit und der Verschleierung allzu offensichtlicher Handlungszusammenhänge der Kunstwerke Vermeers verwiesen. Dies geschieht nicht willkürlich, sondern basiert auf den tatsächlich nachweisbaren Bildmodifikationen. So zeigten angeblich Nachforschungen, dass Vermeer ursprünglich im Bild Junge Dame mit Perlenhalsband einen Gegenstand, vermutlich eine Laute auf dem Stuhl gemalt hatte.158 Mittels Autoradiografie wurde außerdem nachgewiesen, dass Vermeer (wie in manch anderen seiner Gemälde) auch in Junge Dame mit Perlenhalsband eine Landkarte abgebildet hatte, diese jedoch zu einem späteren Zeitpunkt wieder übermalte. Diese Möglichkeit der Bildentstehungsbeschreibung, die sich auf Modifikationen im Bildaufbau konzentriert, geht stets von dem real existenten Bezugsobjekt aus und muss zur Visualisierung mit einer epischen Bildbeschreibung kom-

156 Ebda. 140-142, 144. 157 Ebda. 55. 158 Vgl. Aillaud Gilles; Blankert Albert; Montias John Michael: Vermeer. Milano 1986, 180.

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biniert werden. Es zeigt sich, dass das System der intermedialen Gemäldezitate auch innerhalb der unterschiedlichen Kategorien auf gegenseitigen Bezug angewiesen ist. Die Summe dieser verbal evozierten Gemäldekomponenten, die jedoch auf visuelle Eindrücke jenseits der textuellen Ebene Bezug nehmen, lassen in der Vorstellung des Lesers das gewünschte Bild entstehen.159 Die schrittweise Hinführung zur endgültigen, auf dem Bild fixierten Version erfüllen weiters die den Anfertigungsprozess simulierenden Beschreibungen, denen jedoch auf Textebene der Prozess der Sujetfindung vorausgeht. Meist werden diese zwei Formen von Beschreibungen desselben Bildes nicht aufbauend genützt, sondern in abwechselnder Verwendung zur Einbringung von unterschiedlichen Gemäldezitaten herangezogen. Auch hier können die Perspektivierungen variieren; entweder schildert eine außenstehende Figur das Vorgehen Vermeers oder das Modell erklärt welche unterschiedlichen Positionen es bis zur optimalen Zufriedenheit des Malers einnehmen musste. Diese aus dem Handlungskontext heraus entstehenden Sujets ordnen den Originalen somit nicht nur (die möglicherweise nicht nur fiktiven) Charaktere zu, sondern geben dem Bild eine fiktive Entstehungsgeschichte, die dem kreativen Erfindungsgeist der Malerfigur entspringt. Der Prozess, infolge dessen der Maler die Elemente des Bildes organisiert bzw. anordnet, konstituiert sich auf Textebene nicht in Form von Skizzen oder Zeichnungen, sondern der Maler variiert und probiert die Anordnung möglicher Sujetelemente in seinem Atelier. An diesen Tableaux vivants orientiert sich der Maler in seiner künstlerischen Umsetzung. „He had her [van Ruijven’s wife] stand by the unshuttered window, then sit in one of the two lion-head chairs placed around the table. I heard him close some shutters. [...] After sliding the earring wires through the holes in her lobes, she looped the pearls around her neck. I had taken up the ribbons to tie the necklace for her when he said, ‚Don’t wear the necklace. Leave it on the table.‘ [...] He laid a table-rug on the table, then changed it for the blue cloth. He laid the pearls in a line on the table, then in a heap, then in a line again. He asked her to stand, to sit, then to sit back, then to sit forward. [...] When I returned he had given her a quill and paper. She sat in the chair, leaning forward, and wrote, an inkwell at her right. He opened a pair of the upper shutters and closed the bottom pair. The room became darker but the light shone on her high round forehead, on her arm resting on the table, on the sleeve of the yellow mantle. ‚Move your left hand forward slightly,‘ he said. ‚There.‘ She wrote. ‚Look at me,‘ he said. She looked at him. He got a map from the storeroom and hung it on the wall behind her. He took it down again. He tried a small landscape, a painting of a ship, the bare wall. [...] The next day he pulled up another chair

159 Vgl. Martina Mai: Bilderspiegel-Spiegelbilder, 87.

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to the table. The day after that he brought up Catharina’s jewellery box and set it on the table. Its drawers were studded with pearls around the keyholes.“160

Dieser Bildfindungsprozess, den Griet als Assistentin miterlebt, ist in den narrativen Handlungsverlauf der Erzählung eingebunden und nützt die zuvor eingeführte wechselseitige Konkretisierung von Bild und Handlungsraum sowie von Bild- und Textfiguren. Die Frage nach einem Davor und Danach der Bilddarstellung kann nicht nur in Hinblick auf die abgebildete Handlung textintern beantwortet werden, sondern sich auch auf einen vorausgehenden Aufbau und das Zusammensetzen von Bildelementen beziehen. Die Aufmerksamkeit des Lesers wird auf die einzelnen Bilddetails gelenkt, die in dieser Konstellation als gegenseitig austauschbar erscheinen; dadurch wird zusätzlich eine Verschiebung von der bisher vorwiegenden Konzentration auf den Bildinhalt zur materiellen Seite der Gemälde initiiert, die sich in der nächsten Stufe der Anfertigung vollzieht. Das Gemälde, es handelt sich in diesem Abschnitt um Briefschreiberin in Gelb, wird seinem statischen Zustand enthoben und um die dynamisierend wirkende Dimension der Herstellung erweitert. Diese Form der Gemäldezitation geht erneut über den Rahmen des am Bild Sichtbaren hinaus, verknüpft jedoch die dem Leser bekannte Vorstellung des jeweiligen Gemäldes mit einer Entwurfsgeschichte. In den Versuchen ein stimmiges Arrangement zusammenzustellen, werden erneut die für Vermeer typischen, sich wiederholenden Gegenstände und Handlungen genützt. Wie die evozierenden Zitate zu fiktiven Vermeers mittels Vergleiche zu real existenten Bildern arbeiten, so werden auch in den Sujetfindungsprozessen nicht beliebige Elemente als Möglichkeiten ausgewählt, sondern man nützt das bekannte System der vermeerschen Bilder. Im Ausschnitt lassen sich die Elemente „Tischläufer“, „Halskette tragende Frauenfigur“, „Landkarte“, „ein Gemälde eines Schiffes“ (das an ein Marinebild in dem sujetverwandten Gemälde Liebesbrief erinnert), die gegen andere Gegenstände ausgetauscht werden, eindeutig als anderen Bildern von Vermeer entnommene Vergleichsobjekte erkennen. Eingebunden in diese Bildentstehungsbeschreibungen werden aber auch detailliertere Deskriptionen jener Gegenstände und Handlungen, die das Bild als fixierte Version bereits vorgeben. So zum Beispiel die Beschreibung der darzustellenden Tätigkeit, für die Vermeer sich entschied oder die mit Perlen besetzte Schmuckschatulle. Dem Lichtaspekt wird in diesem Prozess des künstlerischen Entwurfs ebenfalls Bedeutung geschenkt. Vor allem durch das oftmalige Öffnen und Schließen der Fensterläden wird die Wichtigkeit der Präzision des exakten Lichteinfalls als bedeutende

160 Tracy Chevalier: Girl, 135-138.

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Komponente für das Bildwerk in den Vordergrund gerückt. Eine weitere Möglichkeit, die den Leser in die Gesamtheit der Trias um Werk, Entstehung und Rezeption einführt und von der Entstehungsschilderung eine Verbindung zum emotionalen Zugang zum Kunstwerk schafft, ist die Beschreibung des Prozessualen aus der Sicht des involvierten Modells. „‚Yes. Stand over there.‘ He gestured to the corner where he had painted the other women. The table he was using for the concert painting was set there, but he had cleared away the musical instruments. He handed me a letter. ‚Read that,‘ he said. I unfolded the sheet of paper and bowed my head over it, worried that he would discover I was only pretending to read an unfamiliar hand. Nothing was written on the paper. [...] ‚Try this instead,‘ he suggested, handing a book. [...] He had me sit with the book, then stand holding it while looking at him. He took away the book, handed me the white jug with the pewter top and had me pretend to pour a glass of wine. He asked me to stand and simply look out the window. [...] ‚It is the clothes,‘ he murmured. ‚That is the problem.‘ I understood. He was having me do things a lady would do, but I was wearing a maid’s clothes. I thought of the yellow mantle and the yellow and black bodice, and wondered which he would ask me to wear. [...] ‚I will paint you as I first saw you, Griet. Just you.‘ He set a chair near the easel, facing the middle window, and I sat down. [...] ‚Now turn your head very slowly towards me. No, not your shoulders. Keep your body turned towards the window. Move only your head. Slow, slow. Stop. A little more, so that – stop. Now sit still.‘“161

Über mehrere Seiten erstreckt sich die Diskussion um eine passende Darstellungsform Griets. Dabei lässt sich erkennen, dass sich die Bildfindung stets nur in kleinen Schritten vollzieht und die Darstellung nicht nach einem einmaligen Zusammensetzen der Elemente komplettiert werden kann. Dieses repetitive Herantasten an das endgültige, perfekte Motiv gipfelt in der Notwendigkeit des entscheidenden Bildelements des Perlenohrrings (der Vermeers Ehefrau gehört), nach dem die Darstellung verlangt und der zugleich das Ende Griets bedeutet. Doch gerade Griet ist es, die zu diesem Zeitpunkt der Handlung durch ihr geschultes Auge selbstständig das fehlende Element erkennt. „I knew before he did. When I saw what was needed – that point of brightness he had used to catch the eye in other paintings – I shivered.“162 In dieser Situation wird die Figur Griets doppelt besetzt; einerseits präsentiert sie sich dem Leser aus ihrem Standpunkt als Modell und andererseits nimmt sie durch ihr Kunstverständnis das Erkennen der optimalen Bildanlage vorweg. Der Unterschied zwischen beobach-

161 Ebda. 188-190. 162 Ebda. 203.

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tendem und teilhabendem Standpunkt an der Sujetfindung ist in diesem Beispiel, dass Griet ihre Gedanken und Gefühle einbringt und dem Leser somit eine emotionale Ebene der Bildanfertigung eröffnet. Sie setzt die Anweisungen nicht nur um, sondern kommentiert diese auch. „Leave your mouth open. I was so surprised by this request that my mouth remained open of its own will. I blinked back tears. Virtuous women did not open their mouths in paintings.“163 Die Verknüpfung erfolgt über die narrative Ausweitung der Figur; sowohl über den Herstellungsprozess als auch motivisch über Griet, die Dienstmagd, die in diese Situation kommt. Für das Funktionieren der intermedialen Gemäldezitate im Rahmen der Bildfindung wird abermals deutlich, dass Vermeer in seinen Überlegungen stets dieselben Elemente wiederholend einsetzt (Weinglas, Krug, Brief). Aber auch auf konkrete Versatzstücke anderer Gemälde und auf die typische Lokalisation (die Ecke, in der er auch die anderen Frauen malte) wird evozierend Bezug genommen. Selbst Griet assoziiert die Darstellungen mit bestimmten Kleidungsstücken der anderen Frauen. Dieses Beispiel einer einzelreferentiellen Bezugnahme vereint im Laufe der Erzählung sämtliche Varianten der intermedialen Gemäldezitation, die sich nicht nur über eine epische Bildbeschreibung mit evozierenden und simulierenden Zitaten erstreckt, sondern eben auch die genetische Variante der Bildentstehungsbeschreibung mit der daran gebundenen emotionalen Situation des Modells verknüpft. Die unterschiedliche Perspektivierung des Motivfindungsprozesses wird in den letzten beiden Kapiteln des Romans von Susan Vreeland präsentiert. Zuerst aus dem Blickwinkel des Malers und im darauffolgenden Kapitel aus der Sicht seiner Tochter, die ihm Modell stand. „‚If you sit here, I will paint you, Magdalena. But only if you stop that shouting.‘ [...] He brought the sewing basket, placed it on the table, and thought of its dear, humble history. [...] He set the golden pitcher near it and slightly behind. It shimmered in the stream of sunlight, reflecting blue from Magdalena’s sleeve. No. He took it away. It was beautiful, but there was more truth without it. [...] He adjusted her shoulders, and felt them tighten, then slowly relax under his hands. He arranged her skirt and her white linen cap Catharina had made. [...] In a sudden movement his wife rushed over to take away Geertruida’s glass of milk. ‚No, leave it, Catharina. Right there in the light. It makes the whole corner sacred with the tenderness of just living.‘“164

163 Ebda. 210. 164 Susan Vreeland: Girl, 222, 223.

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„He drew her over to the table by the window, brought the sewing basket, placed on her lap her brother’s shirt that needed buttons, adjusted the chair, opened the window, a little more, then less, and discovered that at a certain angle, it reflected her face. [...] He positioned her shoulders, and his hands resting a moment were warm through the muslin of her smock and seemed to settle her. [...] For days she sat there, still as she could for Father, and yet sewing a few stitches every so often to satisfy Mother.“165

Im Gegensatz zur Auslotung der passenderen Bilddetails im Roman von Chevalier handelt es sich hier um nur kleine Umänderungen des schon gedanklich zusammengestellten Aufbaus. Auch das Öffnen und Schließen des Fensters, um eine gewünschte Lichtsituation zu erzielen, ist zentral und akzentuiert die Bedeutung des charakteristischen Lichtaspekts. Im Grunde wäre die Wiederholung der Deskription des Bildaufbaues durch die Tochter Magdalena wenige Seiten danach für die Visualisierungsstrategie dieses Verfahrens nicht notwendig, aber das zu imaginierende Bild prägt sich dadurch nochmals schärfer in die Vorstellung des Lesers ein. Da in den vorangegangenen Kapiteln, in denen der Leser das Gemälde durch die Jahrhunderte begleitete, stets divergierende Vermutungen zu Motiv und Provenienz des Bildes angenommen wurden, scheint die Fokussierung auf das tatsächliche Entstehen dieses ominösen Gemäldes im Atelier Vermeers verstärkt darum bemüht, diese Annahmen zu revidieren. Obwohl das Motiv des zu entstehenden Gemäldes im Mittelpunkt steht und der Leser mittels zuvor geleisteter Gemäldezitate ein annähernd konkretes Bild imaginieren kann, geht es genau genommen in diesen Bildfindungsmomenten keineswegs um das Bildmedium. Beschrieben wird lediglich das Arrangieren eines Aufbaus im Atelier; doch durch explizite Systemerwähnungen und die gezielte Hinführung auf das Medium Gemälde nimmt der Leser diese in die Texthandlung integrierten Beschreibungen ähnlich einer dem visuellen Medium zugeordneten Deskription wahr und verbindet diese in seiner Vorstellung mit dem konkreten Bild. Weiters sei erwähnt, dass in den analysierten Romanen keine Orientierung Vermeers an verwandten Darstellungsmotiven anderer Künstler oder an generellen Prägungen seiner Zeit erkennbar ist. Die Figur des Malers Vermeer agiert auf Textebene isoliert und unabhängig von den Kollegen seines Umfeldes. Historische, politische und soziale Gegebenheiten scheinen keinen Einfluss auf seine künstlerische Praxis zu nehmen. Manche Auftraggeber können jedoch das Darstellungsmotiv mitbestimmen. Ein Sonderfall zur Sujetwahl zeigt sich in der kurzen Passage aus Paolo Turatis Text.

165 Ebda. 231, 232.

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„‚Siete pronto?‘ – tagliò corto Jan – ‚Siete convinto che quella lunga casacca di raso blu vi doni?‘ ‚Scherzate?‘ – replicò ormai disarmato Van Leeuwenhoek – ‚Con quello che costa?‘ Il modello si mise in posa, appoggiandosi con i gomiti su un tavolo prospiciente alla finestra che si apriva sul vicolo, e tenendo in mano un compasso. ‚Mi raccomando, Jan,‘ – gli ricordò Van Leeuwenhoek – ‚datate questo mio ritratto 1669. Deve ricordare la data della mia nomina ad agrimensore.‘ Se ne ricordava eccome, I. Ver Meer MDCLXVIIII, che con queste modalità, fissate da quel cliente originale, avrebbe dovuto firmare il quadro: gli era stato ripetuto almeno dieci volte, così come, per altro verso, era accaduto anche per il secondo ritratto, già quasi del tutto terminato; in quest’opera, Van Leeuwenhoek appariva come un astronomo, con veste color verde scuro, seduto al tavolo mentre osservava un mappamondo.“166

Es hat den Anschein, dass dem Maler Vermeer die Wahl des richtigen Motivs vom posierenden Modell abgenommen wird. In dieser Konstellation muss das Bildwerk den genauen Vorstellungen des Auftraggebers, der gleichzeitig das Modell ist, entsprechen und nach dessen Wünschen angefertigt werden. Dass das persönliche Urteil Vermeers und daran geknüpft eigene Motivpräferenzen nicht im Vordergrund stehen, impliziert die provokante Frage nach der passenden Wahl des Outfits. Weiters wird durch die Signatur und die Datierung, die im Text nach ausdrücklicher Bitte Van Leeuwenhoeks aber widerwillig anmutender Begeisterung Vermeers angebracht werden, auf die Besonderheit dieser zwei Bilder hingewiesen. Denn „mit Ausnahme des Bildes Bei der Kupplerin sind Der Geograph und Der Astronom die einzigen vom Künstler datierten Werke“167. Abgesehen vom kurzen Kommentar zum zweiten Porträt, das einen Astronomen darstellt und das durch die explizite Erwähnung des „ritratto quasi terminato“ die nachfolgende rudimentäre Deskription als Bildbeschreibung ausweist und somit eindeutig auf das Gemälde verweist, präsentiert sich im ersten Teil des Ausschnitts mit der Beschreibung, in welche Pose sich das Modell begibt, ein indirektes Gemäldezitat. Auch in diesem Fall wird nicht das Motiv des Gemäldes beschrieben, sondern das vom Künstler umzusetzende Tableau vivant, das jedoch in der Vorstellung des Lesers eindeutig als Gemäldemotiv mit dem konkreten Bild verbunden wird. Dieses Verfahren der Gemäldezitation bedarf jedoch einer eindeutigen Systemerwähnung, um die Beschreibung nicht einer Gegebenheit auf Textebene zuzuordnen und um eine Überleitung zu einer weiteren diegetischen Ebene zu schaffen.

166 Paolo Turati: Luce d’Orange, 133, 134. 167 Norbert Schneider: Vermeer, 75.

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Rückt in dieser Form das Kunstwerk als Objekt in den Hintergrund, so wird dies durch Zitate zum Malprozess fokussiert. Dabei tritt jedoch die Motivfrage in den Hintergrund und der Materialcharakter des Bildes wird hervorgehoben. Diese Betonung der materiellen Beschaffenheit konzentriert sich auf das Gemälde als „a piece of cloth smeared with mineral paste“168. Differenziert werden kann zwischen technologischen Realisierungsmöglichkeiten, das Mischen und Herstellen von gewünschten Farbnuancen und dem Bildumsetzungsprozess, das Arrangement von Farben und Formen auf dem flachen Bildträger. Die die Bildgenese begleitenden, technischen Vorgänge, wie zum Beispiel die Farbzubereitung, werden vereinzelt mittels eines maltechnischen Vokabulars aus produktionsästhetischer Perspektive in kurzen Bemerkungen eingebracht. Aus gemäldezitierender Sicht, die auf die bildmedial bezogene Illusionsbildung beim Leser zielt, sind diese Ausführungen dann relevant, sobald diese in eine weitere Beschreibung überleiten oder mit dieser kombiniert werden. Der Malprozess wird durch die Koppelung an die farbenbedingte Wirkung zur Fokussierung der speziellen Effekterzielung herangezogen. Durch dieses Verfahren wird einerseits simulierend auf den Lichtaspekt und den Malprozess (durch Farbauftrag) Bezug genommen und andererseits wird dadurch der Bildcharakter eines werdenden Gemäldes aufgedeckt. Das Darstellungsmotiv wird in die Bestandteile seiner künstlerischen Umsetzung zerlegt, wie die folgenden Ausschnitte aus den Romanen von Susan Vreeland und Alexandra Guggenheim zeigen. „Still, she studied how much linseed oil he used to thin the ultramarine, and watched him apply it over a glassy layer of reddish brown. By magic, it made the dress he painted warmer than the blue on the palatte.“169 „Auf seiner Palette mischte Vermeer eine winzige Spur von Azurit unter das Bleiweiß und tupfte helle Lichtreflexe auf den Jackenärmel der Frau.“170

Die besondere Bildatmosphäre, die durch den Aspekt des Lichts und durch die Farbauftragstechnik erzielt wird, wird genutzt, um den technischen Anfertigungsaspekt vor Augen zu halten. In diesen Einschüben wird vor allem die produktionstechnische Perspektive des Malers und der in seinem Umfeld agierenden, kunstkompetenten Figuren deutlich, wobei sich eine klare Distanzierung von Motivfragen erkennen lässt. Von der Bildfindung ausgehend wird mit diesen

168 Susan Vreeland: Girl, 35. 169 Ebda. 229. 170 Alexandra Guggenheim: Die Malerin des Feuersturms, 162.

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maltechnischen Ergänzungen auf die Schilderungen der Gemäldeanfertigung übergeleitet. Dieses Mitverfolgen der Bildidee vor und während der Entstehung wird meist nicht direkt aus der Perspektive und den damit direkt verbundenen Bewusstseinsvorgängen des Künstlers präsentiert, sondern von den beobachtenden und teilhabenden Figuren thematisiert. Griet aus dem Roman Girl with a Pearl Earring schildert ihre Eindrücke diesbezüglich folgendermaßen: „I had never seen a painting made from the beginning. I thought that you painted what you saw, using the colours you saw. He taught me. He began the painting of the baker’s daughter with a layer of pale grey on the white canvas. Then he made reddish-brown marks all over it to indicate where the girl and the table and pitcher and window and map would go. After that I thought he would begin to paint what he saw – a girl’s face, a blue skirt, a yellow and black bodice, a brown map, a silver pitcher and basin, a white wall. Instead he painted patches of colour – black where her skirt would be, ochre for the bodice and the map on the wall, red for the pitcher and the basin it sat in, another grey for the wall. They were the wrong colours – none was the colour of the thing itself. He spent a long time on these false colours, as I called them. [...] When at last he began to add colours on top of the false colours, I saw what he meant. He painted a light blue over the girl’s skirt, and it became a blue through which bits of black could be seen, darker in the shadow of the table, lighter closer to the window. [...] The pitcher and basin were the most complicated – they became yellow, and brown, and green, and blue. They reflected the pattern of the rug, the girl’s bodice, the blue cloth draped over the chair – everything but their true silver colour. And yet they looked as they should, like a pitcher and a basin.“171

Griet legt ihre Eindrücke und ihr anfängliches Unverständnis über den Arbeitsvorgang Vermeers dar. Durch die Benennung „painting of the baker’s daughter“ ist dem Leser durch die zuvor geleistete Konkretisierung klar, dass es sich um Junge Frau mit Wasserkanne am Fenster handelt. Damit die aufgetragenen Farbflächen nicht unkonkrete Konstrukte bleiben und um von Malprozess simulierenden Gemäldezitaten sprechen zu können, werden dem Leser zur Orientierung Anhaltspunkte gegeben. Durch eine erneute Wiederholung der zentralen Gemäldeelemente wird der entsprechende Farbauftrag für den Leser lokalisierbar und er verbindet in seiner Vorstellung die vollständige Darstellung mit den geschilderten Arbeitsschritten. Diese Visualisierungsstrategie nutzt die Auflösung der statischen Einheit des Bildes und bietet dem vielseitigen System der Gemäldezitate eine ergänzende Variante. Konstruiert wird dies durch die gemeinsame Nennung von Gegenstand und Farbe. Zu Beginn der Arbeitsschritte

171 Tracy Chevalier: Girl, 106, 108.

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werden nur die Flecken erwähnt, aber bereits in Verbindung mit der Erklärung, wo einzelne Bildelemente positioniert werden sollen. Es folgt eine Aufzählung der Objekte mit den ihnen inhärenten Farbwerten, dann mit den vermeintlich falschen Farben und schließlich die auflösende Erklärung, wie die Elemente doch in den passenden Farbtönen erscheinen. Diese Betonung der Materialität des Gemäldes komplettiert die vorwiegende Behandlung des Bildinhaltes und lässt dadurch den Kunstwerkcharakter in seiner Ganzheit zur Geltung kommen. Die Modifikation des narrativen Diskurses durch das punktuelle Simulieren nicht nur von Bildcharakteristika wie Licht und Perspektive, sondern auch der Herstellung lassen das Gemälde in der Vorstellung des Lesers entstehen. In Verbindung mit Sujetfindung und Malprozess steht der produktionstechnische Aspekt von Hilfsmitteln, der die Brisanz der Frage nach der Verwendung einer Camera obscura auch textintern aufwirft und unterschiedlich beantwortet. Abgesehen von der Thematisierung dieser Vermeer zugeschriebenen Arbeitstechnik, kann in einigen Beispielen auch der Blick durch die Camera obscura das Gesehene als potentielle Bildbeschreibung (mit expliziter Erwähnung des Systems) einbringen. Der visuelle Aspekt des Betrachtens wird durch die Camera obscura-Thematik zusätzlich akzentuiert. Das neue Sehen dank der Technik, die dem Künstler einen neuen Blickwinkel und neuen Zugang zur Kunst eröffnet, wird ergänzt durch den direkten Blick durch die Camera obscura auf die in ein Bild umzusetzenden Gegenstände und Figuren. Die Thematisierung einer möglichen Verwendung der Camera obscura, die die Forschung nicht eindeutig belegen kann, aber für die die Bilder relativ eindeutige Beweise liefern, kann textintern nicht wie bisher nur in Momenten der Bildproduktion eine Rolle spielen, sondern auch Spekulationsstoff für zeitlich versetzte Betrachtungen liefern. Ein Beispiel hierfür zeigt sich im Roman von Katharine Weber. „It’s been debated for centuries that he may have employed a camera obscura in his work. My own view is that he was a genius who was capable of recognising and appropriating the ‚objectivity‘ of the camera obscura, which is not to say that he literally projected camera obscura images and traced them in his work, as some have suggested. Vermeer was original – he did not need the camera obscura. Why can’t people understand that? Because he had seen camera obscura images, Vermeer saw things in new ways, which led him to paint in new ways. I cannot abide the art historian’s way of concluding, that smug ‚aha‘ that signifies only information, not feeling for art.“172

172 Katharine Weber: The Music Lesson, 64.

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Dass Vermeer keineswegs die projizierten Bilder einer Camera obscura kopierte, wurde bereits im kunsthistorischen Kapitel herausgearbeitet.173 Die Betonung der neuen Sichtweise auf Dinge und die daran geknüpfte veränderte Malweise weisen auf die besondere Bildatmosphäre hin und heben indirekt die Besonderheit der Lichteffekte hervor, denn als einziges offensichtliches Merkmal der Verwendung einer Camera obscura wurden die Pointillés gewertet. Jene Lichtpunkte, die in Vermeers Gemälden sichtbar werden, die jedoch mit freiem Auge nicht in dieser Weise hätten wahrgenommen werden können. Dieser indirekte Verweis auf die Lichtsituation darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der in diesem Ausschnitt präsentierte Zugang der Kunsthistorikerin nicht als funktionalisierbare Bildbeschreibung und Imaginationshilfe dient, sondern lediglich eine Zusatzinformation und Denkanregung für den Leser darstellt. Konträr verhält es sich mit den Seheindrücken, die Sarah im Roman Die Malerin des Feuersturms von Alexandra Guggenheim durch den Blick in die „box“174 erhält. „Sarah starrte hinein, blinzelte ... und hielt den Atem an. Sie hatte Schwärze erwartet, war auf etwas so Fantastisches überhaupt nicht gefasst. Wie von Zauberhand erschienen vor ihren Augen die sich gegenüber befindliche Wand des Ateliers und die Landkarte, ebenso der rechteckige Tisch mit dem daraufliegenden gemusterten Teppich, schräg davor der blaue Lederstuhl mit den geschnitzten Löwenköpfen an der Rückenlehne, das geöffnete Fenster, in dem sich die gleißend hellen Strahlen der Sonne spiegelten. Eigenartigerweise wirkten die Dinge im Vordergrund größer als die im Hintergrund. Und erschienen zudem seitenverkehrt.“175

Es wird zwar noch nicht ein konkreter Bildaufbau betrachtet, der in der Folge in ein Gemälde umgesetzt werden soll, dennoch lässt sich die Funktion dieser Variante intermedialer Gemäldezitate erkennen. Wiedergegeben wird der Eindruck, den Sarah (eine Malerkollegin Vermeers) durch den Blick in die Camera obscura gewinnt. Die für die vermeersche Bildkonzeption typischen Elemente werden auch hier genutzt, um den Sehausschnitt zu konkretisieren. Dieser Ausschnitt, der begrenzt wird durch die Rückwand (mit Landkarte), das geöffnete Fenster, den Tisch (mit Teppich) und den Lederstuhl (mit Löwenköpfen), ruft die soge-

173 Im Roman von Tracy Chevalier wird dies auch in dieser Form thematisiert. Vermeer erklärt Griet, „this is a tool. I use it to help me see, so that I am able to make the painting. [...] The camera obscura helps me to see in a different way, he explained. To see more of what is there.“ (Tracy Chevalier: Girl, 63, 64). 174 Ebda. 58 ff. 175 Alexandra Guggenheim: Die Malerin des Feuersturms, 90, 91.

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nannte „Malecke“ in die Vorstellung des Lesers. Das System der vermeerschen Bilder wird durch diese räumliche Strukturierung aufgerufen. In dieser evozierenden Zitatform wäre die Raumsituation festgelegt, allein es fehlt an einer weiterführenden Beschreibung oder der Intention des Künstlers, welche Figur in welcher Pose einzufügen ist. Wird dies jedoch mit einer vorhergehenden oder nachfolgenden Deskription oder einer Einzelreferenz geleistet, kann das zu visualisierende Gemälde klar hervortreten. Diese Variante, die diese Sehperspektive zu einer konkreten Bildillusion verdichtet, soll folgendes Zitat aus Tracy Chevaliers Roman veranschaulichen. „‚I saw the painting, sir. Except that the woman wasn’t in it, and it was smaller. And things were – switched around.‘ [...] As I brought the robe over my head the image, as he called it, became clearer and clearer – the table, the chairs, the yellow curtain in the corner, the back wall with the map hanging on it, the ceramic pot gleaming on the table, the pewter basin, the powderbrush, the letter. They were all there, assembled before my eyes on a flat surface, a painting that was not a painting.“176

Diese Beobachtung Griets wird auf dieselbe Weise geschildert wie der zuvor angeführte Ausschnitt. Als Reaktion auf das Gesehene beschreibt Griet, was sich ihr in diesem Moment darbietet. Das Gesehene präsentiert sich aus einem neuen Blickwinkel und kann als Konsequenz Anregungen zur Bildumsetzung geben. Die Aussagen beziehen sich in beiden Fällen auf die Raumsituation, auf das Tableau vivant, jedoch ohne die darzustellende Figur. Der Unterschied in der Klärung eines konkret zuordenbaren Zitats zeigt sich erst in der letzten Passage; einerseits durch die genauere Benennung der Gegenstände (die am Tisch liegenden Elemente wären auch ohne weitere Hinweise klar zuordenbar), aber auch durch die Einbindung in den Kontext. Dem Blick Griets durch die Camera obscura gehen bereits andere Varianten der Gemäldezitate voraus, die das Gemälde in der Auffassung des Lesers klar definieren.177 Abgesehen von der Betonung der Sonderbarkeit wird in dieser Aufzählung der Gegenstände ein weiterer Aspekt scheinbar beiläufig erwähnt, der jedoch die spezielle Bildpräsenz begründet und auf den die Anfertigung des Bildes mittels dieser Technikverwendung teilweise zurückgeführt werden kann. Die Sonnenstrahlen und das Leuchten rücken die Darstellungselemente in eine besondere Lichtbestrahlung. Auch dieser Aspekt wird im Handlungskontext mit simulierenden Zitaten ausgebaut und zur Visualisierung genutzt.

176 Tracy Chevalier: Girl, 61-63. 177 Es handelt sich um das Bild Junge Dame mit Perlenhalsband.

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Eine Sonderform, die wegen ihrer Komplexität nicht im vollen Ausmaß behandelt werden kann, soll exkursartig eine gänzlich andere Perspektive der Gemäldezitate zum Schöpfungsprozess aufzeigen. Ausschnitthaft sei eine charakteristische Passage aus Brian Howells The Dance of Geometry gewählt. „I cannot move, it is true, but I can look and I can go back in my memory, and I am indeed taken forward, carried from one room or house at my owner’s whim. […] It is the first day. He begins with the mirror. The drawing is already there, the design is clear to me. I stand facing the glass in full costume, and he works, saying nothing. [..] To my right, I can see a most valuable painting of an old man with his hands chained behind his back sucking at the breast of a young woman. I do not know who they are but I am certain that they must be important people in history, for else it would be indecent. […] ‚You should imagine a gentleman to your right,‘ he says. ‚Turn your head a little in that direction.‘ […] In the mirror (I have not turned round) Mijn Heer van Ruijven comes over to me. At first I think that he will accompany me out, but instead of taking my arm, he takes up a position to my right, his left hand resting on his cane. He is wearing a long black coat, with a square, white flat collar. The ruffed collars of his shirt are bright white too, and he is wearing a pinkish sash. I turn to face him for a moment, his gaze level with mine. ‚Turn to the mirror, Maritje.‘ I do so, and, as I do, my gaze falls on the Latin inscription on the lid of the virginal. ‚What does it mean, sir?‘ I say.“178

Das auf Leinwand gebrachte Modell Maritje des Gemäldes Musikstunde (eigentlich ihr Geist, da sie im Kapitel zuvor tot aufgefunden wurde) erinnert sich u.a. an die Entstehung des Bildes. Exemplarisch herangezogen werden nur jene Abschnitte, in denen die Entstehung des Werkes erkennbar ist. Diese ungewöhnliche, anfangs leicht irritierende Perspektivierung leistet jedoch, was das System der intermedialen Gemäldezitate betrifft, dieselben Funktionen wie herkömmliche Bezugnahmen. Zwischen dem Geschehen der Textwelt und der dargestellten Szene des Bildes wird hier nicht differenziert. So erscheint durch die Schilderung „aus dem Gemälde heraus“ das von Maritje beschriebene Bild-im-Bild nicht auf einer weiteren diegetischen Ebene wie bisherige Bild-im-Bild-Darstellungen, sondern fungiert als Bilddetail, das in diesem Beispiel auch der Textebene zugeordnet ist. In diese Referenzkonstellation können aber auch wie in bereits vorgestellten Verfahren Beschreibungen eingeflochten werden; zum Bespiel die Deskription des optischen Erscheinungsbildes van Ruijvens (auch in diesem Beispiel werden die Bildfiguren mit Romanfiguren gleichgesetzt). Vor allem die Anweisungen Vermeers an Maritje markieren das Prozessuale der Herstellung.

178 Brian Howell: The Dance, 174, 175, 187.

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I NTERMEDIALE G EMÄLDEZITATE ZUR G EMÄLDEREZEPTION Als dritte Variante der Gemäldezitate lassen sich jene über die Wirkung von Gemälden auf jeweils unterschiedliche textinterne Rezipienten nennen. Der Anblick eines Gemäldes ruft verschiedene Reaktionen, die sich durch emotionale Verhaltensweisen, durch Betroffenheit und Ergriffenheit der textinternen Betrachter äußern, hervor. Als intermediale Gemäldezitate lassen sich diese Schilderungen deshalb deklarieren, da mit ihnen (fragmentarische) Bildbeschreibungen oder evozierende, simulierende Referenzen verbunden sind, die das reaktionsauslösende Moment bestimmen. Im Zuge der geschilderten Gemälderezeption wird der Fokus nicht nur auf die materielle und inhaltliche Werk- und Entstehungsseite der Kunstwerke gelenkt, sondern es werden auch rezeptive Reaktionen in den Blick genommen. „Zum einen darf sie nicht bloß auf den Gesichtssinn, die visuelle Rezeption, eingeschränkt werden, vielmehr ist auch der Aspekt der Beteiligung der anderen Sinne (Tast-, Geruchssinn, Bewegungsempfindungen usw.) zu berücksichtigen. Zum anderen sind bei den die Wahrnehmung begleitenden ‚Erlebnissen‘ sowohl der kognitive Faktor – also die Ideen und Gedankenverbindungen [...] – als auch das Spektrum der vorwiegend emotional definierbaren Projektionen und Anmutungsqualitäten, nicht zuletzt auch das der somatischen Begleiterscheinungen zu beachten.“179

Es hat sich gezeigt, dass die Wirkung auf die textinternen Bildbetrachter auf zwei unterschiedlichen Gemäldeaspekten basiert: einerseits handelt es sich um eine Reaktion auf die Bildwirkung, die sich durch „die höchst sensualistische Virtuosität in der malerischen Gestaltung der Oberflächen“180 der vermeerschen Bilder begründen lässt, und andererseits können Reaktionen auf das Bildmotiv beobachtet werden. Durch die detaillierte Schilderung der Wirkung regt die Erzählinstanz den Imaginationsprozess des Lesers an und fördert die visualisierende Konkretisierung der Textwelt. Beim ersten Betrachten eines Gemäldes oder beim Anblick in einem unvorhersehbaren Moment stellt sich in diesen Fällen eine unerwartete Ergriffenheit ein, die in eine körperliche Reaktion mündet. Einer anfänglichen Betroffenheit, die in Form eines Innehaltens beschrieben wird, folgt ein Moment der Sprachlosigkeit („I look at the painting and it takes

179 Jutta Held; Norbert Schneider: Grundzüge der Kunstwissenschaft, 234. 180 Christiane Rambach: Vermeer, 13.

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my breath away.“181). Weiters kann die Verwunderung bewirken, dass sich die Anzahl der Atemzüge erhöht oder sie führt zum gegenteiligen Effekt; der Bildbetrachter wird, wie in den folgenden Ausschnitten aus den Romanen von Tracy Chevalier und Katharine Weber, durch das atemberaubende Gemälde im wahrsten Sinne des Wortes seines Atems beraubt. „When I glimpsed the yellow satin, however, I had to stop. [...] I did not know what to say [...]. ‚You’re not the only one to forget your manners in front of one of his paintings, girl.‘“182 „I felt my face go hot. [...] I looked at The Concert, desperately trying to find words.“183

Sowohl Griet im ersten als auch Patricia, die Kunsthistorikerin im zweiten Ausschnitt schildern ihre Betroffenheit infolge des ersten Erblickens eines der Gemälde von Vermeer. In beiden Fällen fehlen den Betrachterinnen die Worte, um ihrer Verblüffung angemessenen Ausdruck zu verleihen. Auch wenn Griet durch den erhaschten Blick auf den gelben Satin der Jacke in Junge Dame mit Perlenhalsband das die Reaktion initiierende Bildelemente nennt, reicht dies nicht aus, um beim Textrezipienten eine der Malerei ähnliche Erfahrung zu erwirken. Die Herbeiführung eines „Als ob“ des Malerischen kann jedoch durch die in beiden Fällen vor- oder nachgestellte Deskription des Bildmotivs erreicht werden. Die Darstellung der körperlichen Reaktionen trägt als Aspekt der intermedialen Gemäldezitate dazu bei, dass der Leser einen Gesamteindruck des Gemäldes vermittelt bekommt, der durch ein emotionales Nachempfinden infolge der Akzentuierung der Einzigartigkeit der vermeerschen Kunstwerke verstärkt werden kann. Auch Bernard Dieterle vermerkt in einem ähnlichen Zusammenhang die Möglichkeit der Betonung der Betroffenheit. „Wir haben gesehen, daß viele [Texte] das Moment der Betroffenheit des Bildbetrachters thematisieren und entfalten und daß durch die erzählerische Gestaltung oder Übersetzung dieser Betroffenheit das Kunstwerk für den Leser als sprachliches Kunstwerk emotional nachvollziehbar wird.“184

181 Katharine Weber: The Music Lesson, 65. 182 Tracy Chevalier: Girl, 37. 183 Katharine Weber: The Music Lesson, 36, 37. 184 Bernard Dieterle: Erzählte Bilder, 208.

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Diese emotionale Einbindung, die durch die spezielle Oberflächengestaltung der Bilder Vermeers stimuliert wird, präsentiert sich nicht nur in der Form einer überwältigenden Blockade, sondern auch anhand von Verhaltensweisen, die durch Abweichungen von einer regelmäßigen Atmung markiert werden. Auch in dieser Konstellation wird die emotionale Komponente mit anderen Verfahren der Bezugnahmen kombiniert, wie die folgenden Beispiele veranschaulichen. „I walked toward the painting, took off my glasses to see that close, and it was as he had said. If I moved my head to the right or left, certain brush strokes subtly changed their tint. [...] I suddenly found myself breathing fast.“185 „When this painting came up for bid, she gasped. The face of the girl in the painting almost glowed, her blue eyes, cheeks, the corner of her mouth all bright and glossy, the light coming right at her across the space between them.“186

Die vermittelten Reaktionen in diesen Ausschnitten werden jeweils mit der Fokussierung auf einen Bildaspekt kombiniert. Beiden gehen jedoch evozierende Gemäldezitate voraus, die das Gemälde in der Vorstellung des Lesers vorab zusammenfügten. Somit gelten diese weiteren Angaben als Zusatzinformation und es bedarf an dieser Stelle keiner weiteren Deskription, um den Imaginationsprozess problemlos zu vervollständigen. In einen aufgeregten Gemütszustand gerät der textinterne Bildbetrachter des ersten Zitatausschnittes, da er seinen Blick auf maltechnische Aspekte, genauer gesagt auf den Pinselstrich richtet. Als eine Besonderheit nimmt er das Gesehene wahr, das ihn erstaunen lässt und so zu einer körperlichen Reaktion führt. Dieser Teilbereich des Gemäldezitates schafft es zwei konträre Pole des Gemäldekomplexes zu verbinden. Konzipiert wird ein Eindruck, der wie eine tatsächliche Erfahrung wirkt. Im zweiten Ausschnitt wird die körperliche Reaktion an die Lichtkomponente geknüpft. Wurden im zuvor geschilderten Gemäldeaufbau noch die Anordnung und Motivwahl in den Mittelpunkt gerückt, so steht in dieser als Weiterführung des Gemäldezitats zu verstehenden Passage bereits das zentrale Element im Zentrum. Die Reaktion wird durch die besondere Wirkung des Bildes auf den Betrachter bedingt; diese spezielle Bildwirkung ergibt sich aus der besonderen Lichtgestaltung Vermeers. Das simulierende Gemäldezitat erreicht durch die Imitation des bildmedialen Lichtaspektes die gewünschte Illusionsbildung. Auch hier gilt, dass sich der zu imaginierende Gemäldeeindruck erst kontinuierlich in Versatzstücken (ähnlich den fiktiven Gemälden) im Laufe der Handlung zusammensetzt. Der Eindruck resul-

185 Susan Vreeland: Girl, 8. 186 Ebda. 41.

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tiert „allein aus einer verbalsprachlich herbeigeführten Rezeptionslenkung und Illusionsbildung, die durch eine entsprechende Markierung und evokatorische bzw. imitative Gestaltung des narrativen Diskurses zustande kommt“187. Die außergewöhnliche Bildwirkung, die in den Texten durch die Thematisierung einer möglichen Verwendung der Camera obscura und die Wichtigkeit der optimalen „Fenstersituation“ im Motivfindungsprozess produktionstechnisch nachvollziehbar wird, kann auf die Rezipienten im ersten Moment nicht nur blockierend oder aufregend, sondern auch anziehend wirken („and I couldn’t help it – I turned back to the painting“188). Den Betrachtern fällt es schwer den Blick vom Gemälde zu nehmen und sie haben das Gefühl, dass die von Licht geprägte Atmosphäre eine Sogwirkung ausübe. Beispiele dafür liefern die Romane von Tracy Chevalier, Susan Vreeland und Katharine Weber. „It may not have told a story, but it was still a painting you could not stop looking at.“189 „As always when she let herself, Saskia felt sucked into the clean, spare, sunlit room with the young girl in the painting.“190 „Here was a new world. I drank in the complications of light and dark on the carpet on the table. The wall glowed with reflected sunlight. I had an overwhelming desire to be in that room with those three people. [...] I felt effaced by it, absorbed.“191

Der erste Ausschnitt bezieht sich auf das Gespräch zwischen Griet und ihrem blinden Vater; Griet versucht das Gemälde Junge Frau mit Wasserkanne am Fenster zu beschreiben. Der Verweis auf den Mangel an Handlung der vermeerschen Darstellungen impliziert die Verschiebung der Konzentration auf den besonderen Bildcharakter. Denn trotz eines Minimums an narrativen Bildelementen ist das Bild (durch seine Wirkung und nicht durch eine zu entschlüsselnde Bildnarration) in der Lage, das Interesse des Betrachters stets erneut anzuziehen. Griet möchte die Uneindeutigkeit nicht als defizitär bewertet sehen, sondern die Einzigartigkeit der Gemälde soll eben durch diese Akzentverschiebung auf einen den Betrachter involvierenden Aspekt der Bildatmosphäre unterstrichen werden. Explizit wird im zweiten Ausschnitt die Anziehungskraft der Lichtgestaltung zu-

187 Irina O. Rajewsky: Intermediales Erzählen, 97. 188 Tracy Chevalier: Girl, 37. 189 Ebda. 97. 190 Susan Vreeland: Girl, 133, 134. 191 Katharine Weber: The Music Lesson, 36.

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geordnet. Saskia, der es schwer fällt das mit dem kleinen Jantje ausgesetzte Gemälde zu verkaufen, projiziert ihre Vorstellungen und Wünsche auf das Bild. Das die Wirkung des Gemäldes fokussierende Gemäldezitat wird, wie es für eine bildmedial bezogene Illusionsbildung notwendig ist, fragmentarisch mit der Benennung der zentralen Bildelemente kombiniert. Auch diesem Gemäldezitat geht eine ausführliche Deskription voraus. Ähnlich verhält es sich mit dem dritten Ausschnitt, der nochmals den ersten Kontakt zwischen Patricia und dem Bild Konzert von Vermeer nachvollziehen lässt. Für sie präsentiert das Kunstwerk etwas noch nie Gesehenes, das sie umgehend mit der Besonderheit der Lichtsituation in Verbindung bringt. Unterstrichen wird auch hier die Exquisität der lichtdurchfluteten Gestaltung, die den Betrachter in den Bann zu ziehen vermag. Folgt die detaillierte Beschreibung auch erst im Anschluss, so wird die Aufmerksamkeit des Lesers vorweg auf einzelne Elemente, die sich für den speziellen Wirkungseffekt verantwortlich zeigen, gelenkt und es bedarf nicht der die Perspektive simulierenden Gemäldezitate, die sich an den zentralen Bildobjekten orientieren. Weiters hat sich gezeigt, dass der außergewöhnlichen Gemäldewirkung auch ein „die Sinne stimulierender Charakter“192 inhärent ist. Abgesehen von der visuellen Aufnahme scheinen die Kunstwerke Vermeers auch ein Erfassen mit mehreren Sinnen zu begünstigen. Denn „wir sehen auch mit dem ganzen Körper und nicht nur mit dem Auge. Das Zusammenspiel der Sinne, unter welchen auch der Tastsinn nicht unerwähnt bleiben darf, reagiert auf eine schwer durchschaubare Weise unsere Wahrnehmung der Welt.“193 Das Wahrnehmen mit allen Sinnen wird in den Texten von Tracy Chevalier, Susan Vreeland und Brian Howell meist begründet mit einem Anschein nach Echtheit. „The satin mantle began to look so real I wanted to reach out and touch it.“194 „The dignity and importance of her action, the pouring of milk, so real he could almost hear it splash into the brown earthenware bowl.“195

192 Christiane Rambach: Vermeer, 24. 193 Hans Belting: „Blickwechsel mit Bildern. Die Bilderfrage als Körperfrage“, in: Hans Belting (Hg.), Bilderfragen. Die Bildwissenschaft im Aufbruch. München 2007, 4975, 54. Vgl. auch Christoph Eykman: Über Bilder schreiben, 175. 194 Tracy Chevalier: Girl, 56. 195 Susan Vreeland: Girl, 206.

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„I heard voices, the sound of a lute, whispers, the pouring of liquids, the rustle of paper, the sound of earthenware alighting on carpet, […]. I felt intoxicated by this indulgence of my senses […].“196

Während im dritten Ausschnitt auf mehrere Bilder Vermeers durch die Benennung des verursachenden Geräusches der dargestellten Bildobjekte verwiesen wird, ohne jedoch eine spezifische Funktion im Sinne der intermedialen Gemäldezitate zu verfolgen, können die anderen beiden Passagen eindeutig einem Gemälde zugeordnet werden und somit zu einer fremdmedial bedingten Illusionsbildung durch das aufgezogene System der Gemäldezitate beitragen. Betont wird in beiden Stellen die überaus realitätsnahe Gestaltung, die dazu führt, dass das Gesehene auch gehört und gefühlt werden kann. In der Vorstellung kann somit die taktile Qualität der Seide und das Geräusch von plätschernden Flüssigkeiten mit der Darstellung assoziiert werden. Erneut übt die gelbe Jacke, die die Frau in Junge Dame mit Perlenhalsband trägt, eine Anziehungskraft auf Griet aus. War es zuvor die effektvolle Gestaltung des gelben Satins, die sie innehalten ließ, so verführt nun wiederholt die besondere Qualität der Oberflächenbehandlung zur beinahen Berührung. Auch Christiane Rambach vermerkt in ihrer Arbeit Vermeer und die Schärfung der Sinne diese reaktionsauslösende Qualität der vermeerschen Bilder. Die Gemälde „stimulieren mit ihren farb- und lichtgetränkten Oberflächen, ihren rauen und sfumatoartigen Partien ein ‚Berühren-Wollen‘, nicht nur mit den Augen, sondern ein Aufnehmen mit all unseren Sinnen [...]“197 (Herv. i.O.). Akzentuiert und für den Leser stets erneut in Erinnerung gerufen wird der besondere Farbwert, der als leuchtenster (durch den bildimmanenten Lichteinstrahl bedingt) den Blick der Rezipientin auf sich zieht. Die simple Benennung der Tätigkeit würde im zweiten Ausschnitt ausreichen, um das Gemälde als Dienstmagd mit Milchkrug zu identifizieren. Der Imaginationsprozess wird auch hier durch die sinnliche Wahrnehmungsvermittlung, die ergänzend zu anderen Verfahren der Gemäldezitation genutzt wird, stimuliert. Diese auf sinnlichen Erfahrungen basierenden Einschübe unterstützen die Visualisierungsstrategie. Folgende Passage aus Girl in Hyacinth Blue exemplifiziert eine explizite Verknüpfung von Bildbeschreibung und sinnlicher Berührung. „He stood up to lift the painting off the wall. This one last afternoon, he would allow himself a luxury he’d never permitted himself before: He touched her cheek. A quiver ran

196 Brian Howell: The Dance, 113, 114. 197 Christiane Rambach: Vermeer, 90.

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through his body as the age cracks passed beneath the pads of his fingertips. He stroked her neck and was surprised he could not grasp the tie string hanging from her cap. And then her shoulder, and he was astonished he could not feel its roundness. She hardly had breasts. He moistened his lips suddenly gone dry, and touched there too, more delicately, two fingers only, and felt himself give in to a great wave of embarrassed and awkward pity [...]. Back in his study leaning toward the wall, he placed his cheek next to her dress. The shock of its coldness knifed through him.“198

Durch die Schilderung dessen, was der Bildrezipient berührt, werden auch die Kopfpartie des dargestellten Mädchens und ihre Kopfbedeckung fokussiert. Die Berührung der bemalten Oberfläche scheint jedoch nicht durch die besondere Bildatmosphäre begründet, sondern eher durch die Anziehungskraft des dargestellten Mädchens hervorgerufen zu werden. Abgesehen von dem Verhalten (begründet durch die Isoliertheit von Bildbetrachter und Bildfigur) stellt diese Variante, die sich von genetischen und epischen Bildbeschreibungen unterscheidet, eine Ergänzung zu Konkretisierungsstrategien von „Als ob“-Malerei dar. Die Berührung als Überzeugungsakt der materiellen, aber lebendig anmutenden Bildgestaltung (vorwiegend der Bildfigur) geht meist mit einer Form der Identifikation des Betrachters mit der dargestellten Gemäldefigur einher. Diese Konstellation leitet bereits zur zweiten Kategorie des Rezeptionsverhaltens über. Denn nicht nur die Bildwirkung kann eine Reaktion auslösen, sondern auch persönliche Deutungen, die sich über das Bildmotiv konstituieren. Diese Kategorie der Rezeptionsmuster funktionalisiert das Gemälde als Projektionsfläche für Erinnerungen, Wünsche und Identifizierungen.199 Dieser Aspekt wurde bereits im Abschnitt zur Gliederung der Rezipientengruppen und im Abschnitt zur wechselseitigen Konkretisierung von Bild- und Textfiguren diskutiert. Der textinterne Bildbetrachter bezieht sich auf die im Bild gezeigte Darstellung oder spricht der Gemäldefigur bestimmte Eigenschaften, die er zu erkennen glaubt, zu. In einem nächsten Schritt setzt sich der Rezipient in Relation zur dargestellten Figur, was dazu führen kann, dass aus dem Anblick und der Identifikation

198 Susan Vreeland: Girl, 25, 26. 199 Zwei Beispiele, die in der Folge nicht näher behandelt werden, da sie in Bezug auf das System der intermedialen Gemäldezitate nicht aussagekräftig sind, sollen dennoch beispielhaft aus Susan Vreelands Roman zur Veranschaulichung herangezogen werden. „I bought it to commemorate a period in my life, and for that reason I can’t let it go.“ (ebda. 67) „[He thought about] his life with her, what it might have been.“ (ebda. 76) „[...] I took the advice of the painting, [...] I stopped sewing.“ (ebda. 80).

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mit gewissen bildimmanenten Elementen eine Verhaltensänderung resultiert. Im Sinne der intermedialen Gemäldezitation können diese auf das Bildmotiv bezogenen Projektionen als ergänzende Ausführungen zum Bildinhalt gedeutet werden. Denn im Zuge dieser Projizierung wird auch erneut das entscheidende Bildhauptmotiv, das gleichzeitig den Hauptbezugspunkt für die Textfigur markiert, perspektivisch simulierend zitiert (indem es in das Zentrum des Interesses rückt) oder es wird zumindest fragmentarisch das sinnstiftende Element erwähnt. „Now it became clear to her what made her love the girl in the painting. It was her quietness. A painting, after all, can’t speak. Yet she felt this girl, sitting inside a room but looking out, was probably quiet by nature, like she was. But that didn’t mean that the girl didn’t want anything, like Mother said about her.“200 „[...] I determined I would be just as content as my lost girl gazing out her own sunlit window.“201 „She was a desperate woman with frailties just like her, temptations just like her, a woman who had needs, a woman who loved almost to the point of there being no more her anymore, a woman who probably cried too much, just like her […].“202

Die drei Ausschnitte beziehen sich auf das fiktive Gemälde des nähenden Mädchens, das aus einem Fenster blickt. Drei unterschiedliche Bildbetrachterinnen identifizieren sich in drei unterschiedlichen Kapiteln mit derselben Bildfigur. Als still, zufrieden und verzweifelt wird sie charakterisiert, da die Betrachterinnen ihre eigene psychische Verfassung in das Gemälde projizieren und sich dadurch verstanden und nicht alleine fühlen. Die Zuschreibung psychischer Eigenschaften führt nochmals zum Thema der narrativen Ausweitung zurück, die für das Handlungsgeschehen genutzt wird. Seelische Zustände, die die Textfigur anhand ihrer eigenen Eigenschaften im Ausdruck der Dargestellten im Bild deutet, lassen sich primär in den Gesichtszügen einer Figur ablesen. Dieses Verfahren kann auch für die wechselseitige Konkretisierung von Bild- und Textfigur angewendet werden. Leichter nachvollziehbar ist das Bild als Projektionsfläche von Befindlichkeiten der Textfiguren, wenn es nicht um die psychische Verfasstheit geht, sondern auf die dargestellte Tätigkeit Bezug genommen wird.

200 Ebda. 51. 201 Ebda. 107. 202 Ebda. 136.

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„She remembered wishing [...] in a painting of Mother writing a letter, that she might someday have someone to write to, that she could write at the end of a letter full of love and news, ‚As ever, your loving Magdalena Elisabeth.‘“203

Interessant ist dieser Ausschnitt nicht als Beispiel zur Funktionalisierung der intermedialen Gemäldezitatvarianten, da es sich nicht um ein weiter handlungsrelevantes Gemälde handelt, sondern als Veranschaulichung einer möglichen Motivklärung, die über einen projizierten Wunsch der Bildbetrachterin erzielt wird. Eine Tochter von Vermeer äußert in Hinblick auf das dargestellte Bildmotiv nicht den Wunsch nach Briefpapier, sondern die Sehnsucht nach einem Geliebten, dem sie, wie die Darstellung zeigt, einen Liebesbrief schreiben kann. Der Leser assoziiert nun durch diese Konstruktion das Bild mit einem amourösen Kontext und imaginiert die Darstellung als Liebesbriefmotiv. Die Uneindeutigkeit in der vermeerschen Bildanlage, die nicht konkret auf eine Liebesbriefthematik hinweist, diese aber auch nicht dezidiert ausschließen lässt, wird durch diese Visualisierungsstrategie ausgefüllt. Wenn diese Konstruktion im Text weitergeführt werden würde, könnte die Auslegung auch für die Handlung relevant und genutzt werden. Einen Sonderaspekt der rezeptionsseitigen Werkbetrachtung präsentiert das Verhalten der Kunsthistorikerin im Roman von Katharine Weber. In den Text fließen auch intertextuelle Zitate aus Walter Benjamins Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit ein, die die Kunsthistorikerin Patricia mit dem fiktiven Gemälde und ihrem Handeln verknüpft. Aus Bilddeutungen und der Lektüre des Werkes von Benjamin resultiert ihr Verhalten. Auch sie sieht im Gemälde und in der dargestellten Frau, die sie personifizierend nicht als dargestelltes Bildobjekt, sondern als Person charakterisiert, eine Lehrerin und Ratschlaggeberin („I knew what I needed to do. The Music Lesson had taught me.“204). Die Aussagen Benjamins (auch im Text zitiert) zum „Hier und Jetzt des Kunstwerks – sein einmaliges Dasein an dem Orte, an dem es sich befindet“205 schärfen das Bewusstsein der Protagonistin für die Einmaligkeit des Originals. „At the beginning of artistic production [...] there were ceremonial objects: What mattered was their existence, not their being on view.“206 An diese entscheidende

203 Ebda. 228. 204 Katharine Weber: The Music Lesson, 143. 205 Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. Frankfurt a.M. 1968, 13. 206 Katharine Weber: The Music Lesson, 107. Vgl. auch Walter Benjamin: Das Kunstwerk, 21.

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Stelle aus Benjamins Abhandlung erinnert sich Patricia in der schwierigen Situation, als die Untergrundorganisation das Kunstwerk Vermeers verbrennen will. Sie schafft es das Original, das gemeinsam mit einer Freundin begraben liegt, gegen eine Kopie auszutauschen. Obwohl das Gemälde auf diese Weise keinem Betrachter mehr zugänglich ist, ist es ihrer Meinung nach dennoch die bessere Alternative als es zu vernichten. Der Verbrennung der Kopie kann sie getrost beiwohnen, da in dem Bild „no form, no grace, [...] no magic“207 zu sehen ist. Doch nicht nur Patricias Handeln wird durch die Wirkung des Bildes beeinflusst, sie hat sich auch durch das Gemälde selbst kennengelernt.208 Denn aufgrund ihrer Isoliertheit, der sie durch den Aufenthalt im abgelegenen Cottage ausgesetzt ist, konzentriert sie sich auf sich selbst und beginnt im selbstreflexiven Prozess mithilfe des Gemäldes ihre Vergangenheit aufzuarbeiten. Sie lässt die Konfrontation mit ihrer teils schmerzhaften Vergangenheit zu und kann sie auf diese Weise bewältigen. „Everything I have ever thought I knew about the rest of my life has shifted in the last two months.“209

207 Katharine Weber: The Music Lesson, 157. 208 Vgl. ebda. 126. 209 Ebda. 6.

Intermediale Gemäldezitate in der Erzählliteratur zu Michelangelo Merisi da Caravaggio

M ICHELANGELO M ERISI VS . J AN V ERMEER

DA

C ARAVAGGIO

Bestechen die Werke von Vermeer durch eine friedliche, ruhige Atmosphäre, so lassen sich die Gemälde Caravaggios als aufrüttelnd und dramatisch definieren. Die „provozierende Paradoxie von Eros und Gewalt, von Vitalität und Tod, von Sakralität und Profanität“1 des vermeintlichen „Schmierfink(s), der die Heiligen beleidigt“2, bezeichnet jene den Bildern inhärente Differenz zu Vermeers Œuvre, auf die alle Unterschiede in der Verarbeitung der Gemälde im Text zurückzuführen sind. Die Begründung dieser Unterschiedlichkeit liegt in den Gemälden selbst und lässt sich anhand dieser erklären und nachvollziehen. Obwohl die zitierten Gemälde Caravaggios von dem bisher vorgestellten vermeerschen System eindeutig abweichen, wird mit denselben zitierenden Mechanismen gearbeitet, um die spezifische, unkonventionelle Bildqualität in die Texte zu bringen. Unter Berücksichtigung der im kunsthistorischen Abschnitt herausgearbeiteten, zur intermedialen Verarbeitung prädestinierten Aspekte werden in der Folge die Zitierverfahren untersucht, um deren generelle Abhängigkeit von den Bildeigenschaften aufzuzeigen. Die sich mit Caravaggio auseinandersetzenden Texte manifestieren sich vorwiegend über eine unlösliche Verbindung aus Leben und Werk und nutzen somit jenen biografischen Topos, der (wie im kunsthistorischen Kapitel aufge-

1

Claudia Öhlschläger: „Die Erscheinung der Gewalt ist seltsam schön“, 152.

2

Peter Dempf: Das Vermächtnis des Caravaggio. Frankfurt a.M. 2004, 34.

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zeigt) als Konstante in der Auseinandersetzung mit Caravaggios Werken zu beobachten ist. Denn erst in jüngster Zeit geht man zu einer differenzierteren Kunstauffassung über und löst sich von der Vorstellung den Lebensstil als Spiegel seiner Kunst zu deuten. In der literarischen Produktion der letzten Jahre überwiegen jedoch eindeutig fiktive Biografien und Pseudo-Autobiografien, die sich mehr oder weniger an die historisch überlieferten Fakten und Personen halten und vehement die Verschränkung von Kunst und Leben propagieren. So sind Statements wie „alle seine Bilder lassen sich als Spiegelungen seines Lebens lesen: die Summe ergibt ein Psychogramm des Künstlers“3 oder „Caravaggios Gemälde liest sich wie eine Anmerkung zu seinem Leben“4 nicht ungewöhnlich, aber auch der auftretende Maler selbst vertritt dieses Ineins von Werk und Leben; „non potrò mai dipingere questa Medusa se non trovo il modo di associarla a un avvenimento della mia storia personale“5. In ähnlicher Weise berichten auch fiktive Begleiter, Freunde und Modelle, die Caravaggio an die Seite gestellt werden, von seinem Lebens- und Arbeitsstil (zum Beispiel bei Noll, Næss, Dempf) oder es werden selektiv nur entscheidende Etappen seines Lebens zur Beschreibung herangezogen, über die die Forschung nur verhältnismäßig unkonkrete Angaben machen kann (zum Beispiel Di Silvestro). Die letzten Lebensmonate werden aber auch anhand von fiktiven Tagebuchseiten Caravaggios nachvollziehbar (zum Beispiel bei Camilleri). Weiters erläutert Caravaggio in pseudo-autobiografischer Form sein Handeln (zum Beispiel bei Fernandez, Falkner) oder fiktive Protokolle von Zeitzeugen geben Auskunft über den verrufenen Maler (zum Beispiel bei Næss, Desiato). Die Mehrheit der untersuchten Texte lässt, wie diese Konkretisierung nahe legt, die Handlung zur Zeit Caravaggios oder zumindest in einem Zeitraum spielen, in dem sich der Berichterstatter an das Leben mit dem Künstler zurückerinnern kann. In dieser Konstellation verwundert es weiters nicht, dass besonders der Entstehung der Gemälde große Bedeutung zukommt und der Leser zur Imaginierung der Bilder samt des situativen Zusammenhangs ihrer Entwicklung angehalten wird.

3

Arnold Stadler: „Salvatore. Mit der Narrenfreiheit des Dichters geschriebene Vergegenwärtigungen Caravaggios und seines Bildes Die Berufung des heiligen Matthäus in San Luigi dei Francesi zu Rom“, in: Jean-Hubert Martin; Bert Antonius Kaufmann (Hg.), Maler Mörder Mythos. Geschichten zu Caravaggio. Ostfildern 2006, 27-44, 40.

4

Peter Dempf: Das Vermächtnis, 560.

5

Dominique Fernandez: La corsa all’abisso. Aus dem Französischen von Fabrizio Ascari, Napoli 2005, 180.

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Im Gegensatz zu den Romanen, die die Werke Vermeers zitieren, steht in den Texten zu Caravaggio nicht ein zentrales Gemälde im Vordergrund, sondern es wird eine Vielzahl an Gemälden behandelt, wobei das Hauptaugenmerk auf den sich stets wiederholenden, besonders unkonventionellen Kunstwerken liegt. Außerdem werden in keinem der Texte fiktive Bilder evoziert. Aufgrund der unzähligen Werke, die in den Texten mehr oder weniger ausführlich verarbeitet werden, wird für die folgenden Untersuchungen eine Auswahl jener Gemälde getroffen, die beinahe in allen Texten detailliert vorkommen. Ergänzend sollen jedoch auch Werke herangezogen werden, die den unterschiedlichen Schaffensperioden Caravaggios zuzuschreiben sind. Abgesehen von der überwiegenden Mehrheit der Texte, die die Handlung zur Zeit des Künstlers ansiedeln, gibt es, wenn auch in bedeutend geringerem Ausmaß, auch Romane, die den Plot in die jüngere Zeit setzen und sich rückblickend mit Caravaggios Œuvre beschäftigen. Doch abgesehen von diesen Differenzen werden auch in diesen Texten alle mit der Malerei in Verbindung stehenden Aspekte aus den verschiedenen Betrachterperspektiven eingebracht. Daher ist die Beibehaltung der vorgenommenen Einteilung in die drei Rezipientengruppen (Bildproduzenten, Kunsthistoriker und laienhafte Betrachter) sinnvoll. Jene Figuren, die beobachtend, helfend oder posierend am Entstehungsprozess der Gemälde beteiligt sind, können ebenso wie die Bildproduzenten die Beschreibungsperspektive präsentieren. Vorwiegend werden dem Leser aus dieser Perspektivierung maltechnische und kompositorische Aspekte der Bilder geboten, wobei auch die dem Schaffensakt vorausgehende Bildfindungsphase aus dieser Sicht dokumentiert und für das Zustandekommen des „Als ob“ des Malerischen fruchtbar gemacht werden kann. Denn „der Schreibende versetzt sich in die von ihm subjektiv erschlossene bzw. vermutete seelische Verfassung des Malers und sucht dessen schöpferische Intention aus dem Bild herauszulesen. Er versteht die Gestaltungsweise des bildenden Künstlers als Ausdruck eines geistigen Erlebens mit emotionalen Zügen“6, was sich besonders in Hinblick auf das turbulente Leben Caravaggios hervorragend verbinden und interpretieren lässt. Durch das Mitverfolgen der emotionalen Höhen und Tiefen im Zuge des Werkprozesses bietet sich eine weitere Möglichkeit der Gemäldezitation. Der bereits genannte Malerblick, der Personen und Gegenstände stets als potentielle Bildarrangements fokussiert, wird auch Caravaggio auf Textebene zugeschrieben. Ein Beispiel aus dem Roman Caravaggios Flucht von Atle Næss veranschaulicht dies:

6

Christoph Eykman: Über Bilder schreiben, 59, 60.

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„Er hat sie benutzt! Selbst im Tod war sie kein Mensch für ihn, nur ein Körper, ebenso wie nach dem Auspeitschen. Verstehen Sie nicht? Ein Körper, ein Gegenstand! Ein Modell! Er merkte sich genau, wie der Tod sie prägte – er musste es wissen, denn er malte am Marientod!“7

Akzentuiert wird hiermit der Unterschied in der Wahrnehmung: Der Blick des Malers unterscheidet sich von jenem der anderen Textfiguren und kann auf diese besondere Weise für das Konstruieren des medialen Gefüges herangezogen werden. Meist vehement tritt die Figur des Caravaggio für seine Auffassung von Kunst und den kompositorischen Bedingungen ein, gilt es doch sich gegen die Anschuldigungen der Traditionsverweigerung zu rechtfertigen. Wurden die Konzepte und Erklärungen Vermeers eher zurückhaltend in den Kontext der Erzählung eingewoben, so geschieht dies in den Texten zu Caravaggio umso detaillierter und energischer. „Ich suche in meiner Malerei etwas, für das ich bereit sein muss, sehr weit zu gehen – ich suche die menschliche Natur, das Gefühl, das nicht verschleiert ist von einer matten Religiosität, die ehrliche Schönheit suche ich, der Laster und Schmutz nichts anzuhaben vermag. Ich will die Dinge ergründen, und dazu muss ich das Verhältnis von Betrachter und zu Betrachtendem neu setzen, dazu muss ich gültige Gesetze übertreten. Das sind meine Verbrechen. Ich male das Verbrechen des ergründenden Augenblicks. Und wie könnte ich die Opferung Isaaks malen, wenn ich nicht wüsste, wie man ein Messer führt?“8

Nimmt die Forschung auch in jüngster Zeit Abstand von der Verknüpfung „ciò che ha segnato la nostra vita segna anche la nostra opera“9, so bedingt diese in den Texten das Zustandekommen und Funktionieren der Gemäldezitation. Die grundlegende Klärung seines Zugangs zur Kunst mündet meist in eine Gegenüberstellung seiner Darstellungen mit den Sujets anderer Künstler, was in der Folge für die Mechanismen der intermedialen Gemäldezitate genutzt wird. Da durch den evozierenden Vergleich, der in diesem Fall nicht innerhalb des eigenen Œuvres verweist, sondern eine Relation zu Motiven anderer Maler herstellt, kommt eine eindeutige Form des Gemäldezitats zustande.

7

Atle Næss: Caravaggios Flucht. Aus dem Norwegischen von Angelika Gundlach,

8

Gerhard Falkner: „Amor vincit omnia (Die Liebe besiegt alles)“, in: Jean-Hubert Mar-

Frankfurt a.M./Leipzig 2003, 93. tin; Bert Antonius Kaufmann (Hg.), Maler Mörder Mythos, 45-51, 49. 9

Dominique Fernandez: La corsa, 407.

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Die einzelnen Schritte der Bildentstehung werden für den Leser auch durch die Eindrücke jener Figuren nachvollziehbar, die an der Seite des Künstlers agieren. Aus beobachtender oder posierender Sicht bringen sie nicht nur die Folgen des unbarmherzigen Künstlernaturells zur Sprache (und haben daher meist eine unterwürfige Position inne; „Michele, lass uns eine Pause machen. Die Modelle können sich kaum noch auf den Beinen halten!“10), sondern haben unter Umständen auch direkten Anteil an der Produktion („Froh bin ich, dass er mich Teile ausarbeiten lässt. Hände vor allem.“11). Diese Helfer, Freunde und Modelle melden sich zu Wort und geben die Anordnungen des Malers wieder. Auch aus ihrer Sicht wird das Werk meist in Hinblick auf die Lebensumstände interpretiert. Die Charakterisierung dieser kunstkompetenten Assistenten in Caravaggios Umfeld spannt sich von fiktiven (wie zum Beispiel Nerina bei Dempf oder Tommaso bei Desiato) bis zu historisch belegten Figuren. „Schon bald waren wir ein eingespieltes Team. Es war meine Idee, Caravaggios abgenutzten Kamm im Vordergrund zu platzieren, und er fand diese kleine Anzüglichkeit ausgesprochen raffiniert.“12 „Per associarlo ancora più intimamente a un quadro che non volevano avessi fatto in suo onore, ci tenni che Mario dipingesse personalmente una parte del lenzuolo.“13

Im ersten Ausschnitt schildert eines seiner beliebtesten Frauenmodelle (namens Fillide) die Zusammenarbeit mit Caravaggio. Dass es sich bei Fillide nicht um einen fiktiven Charakter, sondern um eine bekannte Kurtisane Roms handelt, lässt sich aus der Fachliteratur eindeutig entnehmen. „Für die Judith stand sein Lieblingsmodell Fillide Melandroni Modell, die auch für die Heilige Katharina von Alexandria und für die Martha in Die Bekehrung der Magdalena posiert hat.“14 Der im zweiten Ausschnitt genannte Mario, der im Roman von Dominique Fernandez als Freund, Begleiter und Liebhaber Caravaggios skizziert wird, ist aus der Forschung als Mario Minitti bekannt.

10 Peter Dempf: Das Vermächtnis, 45. 11 Ebda. 120. 12 Ingrid Noll: „Das weiße Hemd der Hure“, in: Jean-Hubert Martin; Bert Antonius Kaufmann (Hg.), Maler Mörder Mythos, 6-15, 10, 11. 13 Dominique Fernandez: La corsa, 179. 14 Gilles Lambert: Caravaggio, 38.

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„Etwa zu der Zeit, in der er bei Cesari arbeitete, wird Caravaggio auch den Sizilianer Mario Minitti (1577-1640) kennengelernt haben. Gerade einmal 16 Jahre alt, zog er mit Caravaggio zusammen, und es liegt nahe, in ihm das Modell mehrerer früher Werke Caravaggios, wie dem Bacchus oder dem Lautenspieler, wiederzuerkennen. Minitti, selbst Maler, haben die rund sieben Jahre, die er mit Caravaggio verbrachte, bevor er zurück nach Syracus ging, um dort zu heiraten, künstlerisch stark geprägt. Die Freundschaft zwischen den beiden Malern überstand auch die räumliche Trennung und währte bis zu Caravaggios Tod.“15

In den Grundzügen spiegelt sich in diesem Ausschnitt jenes Verhältnis zwischen den beiden Männern wider, das auch im Roman narrativ ausgeschmückt wird. Inwieweit der homoerotischen Komponente auch bildkonstituierende Funktion zukommt, wird noch behandelt werden. Dem „historischen Minitti“ wird auf Textebene Leben eingehaucht und er schildert seine Eindrücke als Modell im Prozess des Porträtierens. Zu dieser ersten Rezipientengruppe, die im weitesten Sinne als die der Bildproduzenten bezeichnet wurde, zählen auch die Malerkollegen. Im Gegensatz zu den produktiven Auseinandersetzungen zwischen Vermeer und seinen Kollegen, sind jene zwischen Caravaggio und seinen Zeitgenossen bedeutend kritischer und turbulenter. Das Unverständnis, das in der unkonventionellen Bildgestaltung Caravaggios seinen Ursprung nimmt, ist Ausgangspunkt für heftige Kontroversen. Caravaggio lässt die Anschuldigungen nicht auf sich ruhen und kritisiert seine Kollegen heftig, wie die folgenden Ausschnitte aus Peter Dempfs Das Vermächtnis des Caravaggio zeigen. „‚Bah. Sie alle können malen!‘ ‚Aber keiner wie ich! Ich hasse diese Dilettanten. Sie sind allesamt Schmierfinken, die den Begriff Maler nicht verdienen. Was können sie schon? Klecksen, Spielkarten malen, süßliches Heiligenbrimborium erschaffen. [...] Es gibt nur wenige, die ich als ehrenhafte Künstler bewundere, auch wenn es Gauner sind wie Cesari d’Arpino. Ich verabscheue den Menschen, aber ich respektiere den Künstler.‘ [...] ‚Den Zucchero lass ich noch gelten, den Pomarancio sowie Annibale Carracci und Antonio Tempesta. Alle anderen – pfeif auf sie.‘“16 „‚Ich male jedenfalls keine plumpen Jesusfiguren wie du, Baglione. Dein Gemälde in der Kirche Il Gesù ist für mich eines der schlechtesten, die ich kenne. Mir ist jedenfalls bislang kein Maler untergekommen, der dich zu den guten Künstlern zählte.‘ ‚Und warum

15 Boris von Brauchitsch: Caravaggio, 20. 16 Peter Dempf: Das Vermächtnis, 97, 98.

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sollten sie dich dazu zählen? Weil du alle Bilder dreimal und viermal malen musst? Weil du dich zwar mit der Wirklichkeit beschäftigst, aber eben mehr mit Hurerei und Sauferei als mit deinen Bildern [...].‘“17

Für die Systematik der intermedialen Gemäldezitate sind diese Auseinandersetzungen deshalb von Relevanz, da durch die Streitgespräche und Erklärungsversuche einzelne Bilder in den Blick genommen werden. Die Gemälde werden evoziert und es werden gemäß dieser Rezipientenperspektivierung großteils maltechnische Elemente fokussiert. In dem jeweiligen Schlagabtausch können einzelne Aspekte zur bildmedial bedingten Illusionsbildung funktionalisiert werden, die in ihrer Gesamtheit in der Vorstellung des Lesers ein klares Bild entstehen lassen können. Außerdem vermitteln diese feindseligen Gespräche (die auf Textebene auch dazu beitragen den Charakter Caravaggios zu unterstreichen) eine konkurrierende Grundstimmung; auch in Hinblick auf die Gemälde wird damit ein Bereich eröffnet, der die Bilder Caravaggios ohne konkrete Angabe als anders einstuft und die Aufmerksamkeit besonders auf diese Andersartigkeit im Vergleich mit den genannten Malern richtet. Wurden im Kapitel zu Vermeer in dieser Kategorie der Bildproduzenten auch Fälscherfiguren genannt, so sei an dieser Stelle vorweggenommen, dass es in den Texten zu Caravaggio keine fiktiven Bilder und auch keine die Gemälde Caravaggios fälschenden Charaktere gibt. Die aktuelle Forschungsfrage nach der Zuordnung seiner Werke in authentische Originale oder Kopien wird vor allem in jenen Texten reflektiert, in denen die Protagonisten als Kunsthistoriker tätig sind. Direkte Arbeiten am Bild nehmen jedoch auch Restauratoren vor, die wie auch in den Romanen zu Vermeer selten anzutreffen sind. Der Restaurator kann besonders die für seine Tätigkeit entscheidenden Ausschnitte eines Bildes in den Blick nehmen und durch die Schilderung der zu behandelnden Fläche auf die Darstellung Bezug nehmen. Dies kann zur Folge haben, dass dem Leser auch aus dieser fachkundigen Perspektive das jeweilige Gemälde oder ein bedeutsames Detail vor das innere Auge gerufen wird. Das folgende Zitat aus dem Roman Death and Restoration von Iain Pears gibt zwar Einblick in die möglichen Schwierigkeiten und Überlegungen der restauratorischen Arbeiten, klärt jedoch lediglich einen Sachverhalt auf Textebene und ist daher für eine fremdmedial bezogene Illusionsbildung nicht ausreichend. „‚What you normally have is a couple of square metres of peeling paint. Often heavily gone over by someone else. You don’t really think that Caravaggio wanted that man

17 Ebda. 115, 116.

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watching in the corner to have side whiskers and the air of a nineteenth-century property developer, do you?‘[...] ‚But a hundred years ago someone removed whatever he painted and stuck an entirely new face on.‘ [...] ‚Anyway, this face. I’ve taken it off, and there’s nothing underneath. I have to put something back, and go by intuition. Guesswork, if you like. Someone’s got to do it. It’s all very well going on about minimal restoration [...].‘“18

Fach- und detailspezifisches Wissen zu Caravaggio wird dem Leser aus der Perspektive der auftretenden Kunsthistoriker präsentiert, die die Werke des Künstlers mit jenen seiner Zeitgenossen auf Basis wissenschaftlicher Aspekte in Zusammenhang bringen. Wie erwähnt sind jene Texte, die die Handlung in aktuellen Zusammenhängen ansiedeln nicht in diesem Umfang erschienen wie jene, die zur Zeit Caravaggios spielen. Die Figuren der Kunsthistoriker (zum Beispiel bei Harr) oder der Kunstgeschichtestudenten (zum Beispiel bei Treichel, Harr) reflektieren über die Arbeitsweise und Werkentstehung des Malers. Interessant ist die Konstellation reale Größen der Caravaggio-Forschung auftreten zu lassen, die einerseits über aktuelle Forschungsthemen wie zum Beispiel die Kopie-Original-Debatte („He mentions one in particular – it was called The Taking of Christ – that had been the object of both his and Longhi’s desire. It had vanished without a trace more than two centuries ago. Like the St. John, many copies had turned up, all suggesting a masterpiece, but none worthy of attribution to Caravaggio.“19) diskutieren und forschen (über ihre teils fiktiven, spannenden Entdeckungen) und andererseits auch aus Fachliteratur zitieren, um den wissenschaftlichen Charakter zu unterstreichen und die zitierten Passagen als handlungsmitbestimmend zu nutzen („They started with a book known informally as the bible of Caravaggio studies, compiled by an art historian named Mia Cinotti. It carried the subtitle Tutte le opere [...].“20). In Hinblick auf die literarische Inszenierung der Werk-Leben-Relation tritt nun eine weitere, historisch bedingte „Mischposition“ auf, die sich aus fachkompetenter Wahrnehmung und laienhafter Betrachterrolle zusammensetzt. Es handelt sich um die Auftraggeber und Mäzene der damaligen Zeit (mit der Kompetenz, die Werke der großen Künstler zur Zeit Caravaggios und seiner Vorgänger zu kennen), die konkrete Wünsche äußern, da die Werke nach der Fertigstellung in ihr Eigentum übergehen. Insofern haben die Gemälde, wie dies der Gruppe der laienhaften Betrachter zugeschrieben wurde, sehr wohl eine persönliche Re-

18 Iain Pears: Death and Restoration. London 2007, 62. 19 Jonathan Harr: The Lost Painting. The Quest for a Caravaggio Masterpiece. New York 2005, 9. 20 Ebda. 22.

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levanz, dennoch werden sie aus einer fachkompetenten Sicht perspektiviert. Aufgrund ihres Wissens und ihrer Vorstellungen geben sie Caravaggio Tipps oder äußern konkrete Motivwünsche. Ihnen kommt weiters ein fundiertes ikonologisches Wissen zu und sie stellen Interpretationen und Erklärungen zu den einzelnen Bildsujets an. Als Beispiel lässt sich ein Ausschnitt aus dem Roman La corsa all’abisso von Dominique Fernandez anführen. „La divisione della vita morale fra luce e le tenebre ha la sua equivalenza pittorica nella ripartizione delle superfici colorate. Il fossato, che dico? l’abisso, il baratro senza fondo che separa il mondo della Grazia e il mondo del peccato si trova materializzato dal contrasto dei toni. Guardate la densità di questi neri, la vivacità di questi bianchi e di questi rossi. Né Michelangelo né Raffaello hanno giocato su contrapposizioni così spettacolari fra le tenebre dove si dibatte Satana e lo splendore che emana da Dio.“21

Dass es in den Texten, die die Bilder Caravaggios verarbeiten, kaum Eindrücke laienhafter Betrachter gibt, für die die Gemälde Objekte der Selbstreflexion darstellen oder die sich mit der dargestellten Bildfigur identifizieren, wie dies in Zusammenhang mit Vermeers Werken ersichtlich wurde, liegt in dem caravaggesken Bildgenre begründet. Dieser Unterschied in der literarischen Verarbeitung manifestiert sich dementsprechend auch in den unterschiedlichen Formen der Gemäldezitation. Es zeichnet sich dabei eine Verschiebung von Darstellung und Wirkung ab, die sich auf die gegensätzlichen Ansprüche der beiden Maler und die daraus resultierenden Besonderheiten der Bildkonzeption zurückführen lassen. Über ein Gemälde von Caravaggio wird in einem der Romane treffend formuliert: „Ich für meinen Teil habe geglaubt, Altarbilder sollten trostreich und erbaulich sein und keine detaillierten, ausgemalten Szenen von Hinrichtungen oder anderem zeigen, das die Gemeinde zu Tode erschrecken kann.“22 Dass Caravaggios Darstellungen nicht Mut und Trost spendend sind, wie man dies von Kirchenbildern erwarten könnte, geht aus seiner unkonventionellen Bildauffassung hervor, die Szenen im dramatischsten Augenblick ungeschönt abzubilden. Dies hatte zur Folge, dass die zeitgenössischen Betrachter verstört und schockiert reagierten. Dass so mancher textinterne Bildbetrachter von den vermeerschen Gemälden Mut, Trost und Rat empfängt, ist auf das Charakteristikum der Lichtgestaltung und der damit verbundenen ruhigen Atmosphäre zurückzuführen. Die Werke vermitteln eine beinah spirituelle, scheinhafte Ausstrahlung und lassen diese auf den Betrachter wirken, der seine Rezeptionserlebnisse auf

21 Dominique Fernandez: La corsa, 286. 22 Atle Næss: Caravaggios Flucht, 129.

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Textebene schildert und damit über die Wirkung einen sprachlich generierten visuellen Eindruck vom Gemälde beim Leser hervorrufen kann. Weiterhin gilt zu beachten, dass die differenzierten Sichtweisen und die damit verbundene Verweisrichtung „nicht in idealtypischer Reinheit“23 existieren. Es wurden bereits einige Differenzen der Bildverarbeitungsmöglichkeiten angedeutet, die auf dem unterschiedlichen Bildgenre der beiden Maler basieren. Doch nicht nur durch die Präferenz für die Biografie-Werk-Konstellation, sondern auch aufgrund der grundlegenden Kontrastierung von deskriptiven Bildern der holländischen Kunst und narrativen Darstellungen in der Kunst Italiens variieren die Visualisierungsmethoden. Dies soll nur ansatzweise erwähnt werden, da in den einzelnen Kapiteln und Beispielen noch konkret darauf eingegangen wird. Wurde in manchen der Romane zu Vermeer die Frage nach einer Geschichte in seinen Darstellungen verneint („his paintings don’t tell stories“24), so stößt man in den Texten zu Caravaggio auf zustimmende Aussagen („man sollte davor knien und in Stille und Meditation versunken die Geschichte auf sich wirken lassen, die es erzählt“25). Das erhöhte narrative Potential, das man den Szenen Caravaggios zuschreibt, da sein Œuvre vorwiegend aus Historienbildern, die auf transmediale Darstellungen rekurrieren, besteht, kann jedoch nicht ausschließlich durch den vorgelagerten Textbezug erklärt werden. Für diese Kategorie der narrationsindizierenden Monophasen-Einzelbilder gilt zwar der Bildtitel, der sich auf biblische oder mythische Geschichten bezieht, als darstellungskonkretisierend, jedoch kommt der abgebildeten Szene meist nur unterschwellige Bedeutung zu. Das Davor und Danach des dargestellten Gemäldeaugenblicks wird, genauso wie die Frage nach dem „wer ist dargestellt“ nicht primär auf das Bild, sondern bezogen auf die Geschehnisse im Text beantwortet. Die narrative Ausweitung bezieht sich auf den Plot, der nicht zwingend mit jenem der dargestellten Bildebene zusammenhängen muss. Die posierenden Bildfiguren, die die biblischen Figuren repräsentieren, treten auf Textebene auf; die intendierte Bedeutung des Bildmotivs, das meist auf eine biblische oder mythische Erzählung zurückgeht, kann jedoch textintern in der Figur mitschwingen. So kann zum Beispiel die Kurtisane, die für eine Darstellung der Maria Magdalena posiert, mit dieser transmedialen Gestalt (aus Bibelpassagen und aus einschlägigen Motiven christlicher Ikonographie bekannt) bezüglich Eigenschaften und dem äußeren Erscheinungsbild verglichen werden. Im folgenden Zitat meldet sich das Modell selbst zu Wort und stellt einen Vergleich zwischen ihr und der Darzustellenden

23 Christoph Eykman: Über Bilder schreiben, 84. 24 Tracy Chevalier: Girl, 97. 25 Peter Dempf: Das Vermächtnis, 434, 435.

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her. „Die heilige Maria und die verlorene Lena; wir hatten wohl nichts weiter gemeinsam, als dass keine von uns wirklich wusste, wer der Vater ihres Sohnes sein mochte.“26 Es soll gezeigt werden, wie durch diese Art der Vergleichsrelation evozierende Zitate zum „Als ob“ des Malerischen beitragen. Als handlungskonstituierende Elemente werden auch die Selbstbildnisse genutzt, da meist um die Bilder eine Geschichte entwickelt wird und durch die kontinuierliche Änderung der Besetzung der Bildfiguren durch Textfiguren die Handlung vorangetrieben werden kann. Durch die Parallelisierung von Caravaggio als Text- und Bildfigur nehmen nämlich auch andere Textcharaktere die Position von Bildfiguren ein und das Geschehen auf Textebene kann das Bildmotiv widerspiegeln. Die dargestellte Tat (Bild) wird aus ihrem historischen Bezug gelöst (dem Bild vorhergehender Stoff) und die erzählte Geschichte (Text) durch die Identifizierung der dargestellten Figuren in eine gewisse Richtung gelenkt. Aus diesem Blickwinkel wird auch das erhöhte narrative Potential der caravaggesken Gemälde genutzt, denn auf diese Weise wird die indizierte Geschichte des Bildes ausgebaut und für die Romanhandlung instrumentalisiert. Somit ergibt sich nicht nur eine wechselseitige Konkretisierung von Text- und Bildfiguren, sondern es wird weiters der der Bildszene zugrundeliegende Stoff miteinbezogen. Doch diese komplexe Möglichkeit der monomedialen Bild-Text-Inszenierung ist nicht die einzige (narrative) Form der intermedialen Gemäldezitation; im Zentrum der folgenden Analysen stehen vor allem jene Zitationsverfahren, die eindeutig auf die Besonderheiten der carvaggesken Bildkomposition verweisen. Der Fokus soll dabei auf jenen Bildern liegen, die in den unterschiedlichen Texten wiederholt zitiert werden.

E INBETTUNG DER INTERMEDIALEN G EMÄLDEZITATE VISUELL - MALERISCHES T EXTGEFÜGE

IN EIN

Die Basis für eine bildmedial bezogene Illusionsbildung wird durch die Sensibilisierung des Lesers für ein visuell-malerisches Ambiente gelegt. Dies wird (wie im gleichnamigen Kapitel zu Vermeer gezeigt) durch eine starke Ausprägung des Visuellen im Text erreicht und hat eine eindeutige Markierung des Systems der Malerei zur Folge. Ein aktiver, konzentrierter Prozess des Blickens wird auf Textebene durch verschiedene Konstellationen akzentuiert. Grundsätzlich gilt jedoch, „dass ‚der Blick‘ nur der dürftige Sammelbegriff für ein reiches Spekt-

26 Atle Næss: Caravaggios Flucht, 103.

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rum des Blickverhaltens ist, in dem die Intentionen, die Anlässe und die Bedingungen miteinander konkurrieren“27 (Herv. i.O.). In dieser Ausführung Beltings liegen die entscheidenden Konstanten der deskriptiven Wiedergabe der Bilder im Text verankert. Bezeichnet wird nämlich jener Umstand, der situationsabhängig zur Betrachtung und folglich zur Beschreibung führt. Die Intentionen, Anlässe und Bedingungen werden in den Bildbeschreibungen durch die Merkmale der Selektion, Reihenfolge und Ausführlichkeit reflektiert. Einige Aspekte, die die visuell-malerische Ausrichtung der Texte zu Vermeer markierten, divergieren aufgrund des unterschiedlichen Bildgenres von Caravaggio. Bereits genannt wurde die Tatsache, dass keiner der gewählten Texte einen Bildtitel als Titel verwendet. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass aufgrund des Genres der Bilder Caravaggios eine „associative quotation“, das assoziative Hinzudenken der visuellen Darstellung bei alleiniger Nennung des Titels, nicht funktionieren würde. Denn zum Beispiel Judith und Holofernes, Die Opferung Isaaks oder Tod der Jungfrau lassen keineswegs eindeutig auf Werke Caravaggios schließen, sondern sind vielmehr gängige Themen, die von vielen Malern auf unterschiedlichste Weise umgesetzt wurden. Dadurch wird erneut die Notwendigkeit expliziter Systemerwähnungen deutlich, die durch die Nennung Caravaggios einen eindeutigen Bezug zu dessen Gemälden herstellen. Da jedoch von Lektürebeginn an die Ansiedlung der Handlung im Milieu Caravaggios eindeutig dargelegt ist, bedarf es keiner fortlaufend ergänzenden Angaben zum Schöpfer der genannten Bildthemen (dies bezieht sich auf einzelreferentielle Bezugnahmen). Durch diese Situierung ist weiters klar, dass die „faktische[n] Bestandteile der dargestellten Realität des Textes“28 zur visuell-malerischen Ausstattung des Textes beitragen. Die expliziten Systemerwähnungen werden auch zur Differenzierung von Beschreibungen einzelner Figuren und ihres auf dem Malgrund gebannten Erscheinungsbildes eingesetzt, wobei diese zur wechselseitigen Konkretisierung funktionalisiert werden können. Durch die Deskription der optischen Erscheinung der Textfigur werden möglicherweise Bilddetails vorweggenommen, die in der Folge in einer explizit ausgewiesenen Bildbeschreibung nicht mehr angeführt werden müssen. Anweisungen den Blick gezielt zu richten („vor allem schaue man sich die Hände an“29; „sieh her!“30) und damit nicht nur eine Aufforderung an den

27 Hans Belting: „Der Blick im Bild“, 124, 125. 28 Irina O. Rajewsky: Intermediales Erzählen, 206. 29 Florian Illies: „Der gute Raub. Warum nach Caravaggios Geburt nicht mehr gesucht werden darf“, in: Jean-Hubert Martin; Bert Antonius Kaufmann (Hg.), Maler Mörder Mythos, 97-100, 98.

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textinternen Gemälderezipienten zu erteilen, sondern auch den Leser einzubinden, werden auch in den Texten zu Caravaggio eingesetzt, wobei die darauffolgende Verblüffung bei Vermeer meist positiv, bei Caravaggio eher negativ konnotiert ist. Dies liegt, wie gezeigt werden soll, in der literarischen Verarbeitung der Bildwirkung begründet, die in den Texten meist als eine skandalöse inszeniert wird. Eine spezielle Form der Aufmerksamkeitslenkung auf das bewusste Betrachten von Kunst wird durch die Gemäldeenthüllung als Handlung im öffentlichen Raum zum Beispiel im Roman von Peter Dempf arrangiert. „Vor dem verhüllten Altarbild hielt die Prozession inne. [...] Enrico glaubte schon, die Zeremonie würde ewig dauern, als der Gesang verstummte und sich eine beunruhigende Stille ausbreitete. Auf einen Wink des Priors trat einer der Kerzenträger an das Bild heran, zog an einem Strick, und das Leinen fiel, wie in Enricos Vorstellung das letzte Unterkleid einer Frau fallen müsste, in sanften wellenförmigen Bewegungen. Ein Ausruf des Erstaunens durchfuhr die Menge.“31

Die dem Enthüllungsakt vorausgehende Spannung bündelt die Konzentration des Lesers, der seine Aufmerksamkeit auf die Reaktion der textinternen Bildbetrachter richtet. Diese Zuspitzung kann als Indikator für folgende Gemäldezitate angesehen werden, da in der darauffolgenden Schilderung der Reaktion mittels verschiedener Formen der Bezugnahmen auch auf das Gemälde rekurriert wird und so eine bildmedial bezogene Illusionsbildung zustande kommen kann. Die Beschreibung der Enthüllungszeremonie an sich ist jedoch Teil der visuell-malerischen Ausstattung der Texte, die zwar eine Grundlage für intermediale Gemäldezitate darstellt, aber keinen „Als ob“-Eindruck von Malerei beim Leser erzielt. In der Folge wird für die Analysen zu den intermedialen Gemäldezitaten die Einteilung in die drei Bereiche (Werk, Entstehung, Rezeption) beibehalten. Dabei werden nicht nur die Möglichkeiten und Funktionen der Gemäldezitate in den Blick genommen, sondern es werden vor allem Unterschiede in der Zitation fokussiert, die sich aus den Besonderheiten der caravaggesken Bildkomposition ergeben.

30 Peter Dempf: Das Vermächtnis, 190. 31 Ebda. 90.

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Durch die bereits erwähnte, vorherrschende biografische Ausrichtung der Texte zu Caravaggio kann zum Beispiel ein Gemälde in seinem Entstehungsprozess, als fertiggestelltes Werk in Relation zu Bildern anderer Künstler und in seiner Wirkung auf den Betrachter beschrieben werden. In dieser bevorzugten Konstellation sind die Gemälde im Text an die narrative Ausschmückung des spektakulären Lebens gebunden. Dabei zeigt sich jedoch, dass Bilder nicht für den Gesamttext relevant sein müssen, sondern an bestimmte Lebensphasen geknüpft sein können und somit nur in einem bestimmten Zusammenhang zitiert werden. Sie gelten jedoch insofern als handlungskonstituierend, da sie für die Vermittlung gewisser Lebensabschnitte essentiell sind. Sie dienen dazu Caravaggios Einstellung und sein Handeln in der jeweiligen Situation zu unterlegen und somit die Geschichte voranzutreiben. Auf Basis der u.a. im kunsthistorischen Abschnitt vorgestellten Forschungsmeinung, die das Leben Caravaggios für sein Werk verantwortlich sieht, wird zum Beispiel die nicht unumstrittene Tatsache „Caravaggio habe ohne Vorzeichnung unmittelbar nach der Natur, also vor dem Modell gemalt“32 auf Textebene von Kunsthistorikern reflektiert33 oder Caravaggio meldet sich selbst zu Wort: „Dipingi direttamente sulla tela? – Direttamente. – Non hai imparato a disegnare? – Così male che salto volentieri questa fase. – Iscriviti a una scuola. – A dire il vero, Eminenza, credo che un disegno preparatorio nuocerebbe all’effetto di sorpresa e di velocità che intendo produrre con i miei quadri.“34 Für die Gemäldezitation hat dies zur Folge, dass keine Bezugnahmen auf mögliche Skizzen oder Entwürfe geleistet werden. Unabhängig von der jeweiligen Perspektivierung und der Art des intermedialen Gemäldezitates wird stets auf das Unkonventionelle der caravaggesken Bildkomposition Bezug genommen. „Le Madonne hanno carni di cortigiane godute, i santi Giovannini ragazzetti succubi di piaceri innominabili, e la figura stessa di Nostro Signore è sempre un ritratto di uomini vinti, disperati, più da redimere che redentori.“35

32 Jürgen Harten: „Auf der Suche nach den alten Bildern“, 19. 33 „He painted from life, from models sitting before him, and most art historians believed that he didn’t make preliminary drawings.“ (Jonathan Harr: The Lost Painting, 84, 85). 34 Dominique Fernandez: La corsa, 170. 35 Luca Desiato: La notte dell’angelo. Milano 1994, 214.

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In dieser Charakterisierung der Bilder Caravaggios im Roman von Dominique Fernandez lässt sich das in den Texten präsentierte Konzept deuten. Bekannte Sujets mit historischen oder biblischen Themen, wie sie zur damaligen Zeit gewünscht und auch von seinen Kollegen angefertigt wurden, stehen im Vordergrund. Wie bereits aus diesem Ausschnitt hervorgeht, zeigt sich der Unterschied in der Umsetzung des Bildinhaltes. Die Aufregung um diese Abweichungen liegt als Basiskonzept den Texten zugrunde, denn Caravaggios Bilder unterscheiden sich „from the customary mannered scenes of saints and angels and billowing clouds“36. Diese als neu zu definierende Kunstauffassung, die sich unter dem Motto „Al diavolo gli archetipi e i canoni!“37 subsumieren lässt, wird besonders ausführlich vertreten, liegt doch in ihr die Basis zur Gemäldezitation begründet. Ausführlich wird nicht nur die Summe der inhaltlichen und formalen Komponenten (Direktheit, Dramatik, „chiaroscuro“) der einzelnen Gemälde verarbeitet, eingebettet werden diese Verweise in eine heftige Debatte um den künstlerischen Zugang. Gegen das in den Texten großteils propagierte Unverständnis seiner Auftraggeber und Malerkollegen kämpft Caravaggio durch Erklärungsversuche, die stets in Hinblick auf das Unkonventionelle erfolgen, vehement an. Für das Funktionieren der Gemäldezitate ist die Gegenüberstellung von Kunstauffassungen ausschlaggebend. Im Mittelpunkt dieser Ausführungen stehen vor allem die Neubehandlung gängiger Themen, die Ablehnung des Manierismus und die Relation zwischen seinen Darstellungen und jenen anderer Künstler. Evozierende Zitate, die eine Bezugnahme in Form eines „Redens über“ gewährleisten und vorwiegend mit dem zur bildmedial bezogenen Illusionsbildung funktionalisierten Vergleich arbeiten, sind in ihren Mechanismen jenen zu Vermeers Gemälden ähnlich, jedoch liegt die Konzentration auf anderen (durch die Bildqualität geprägten) Bereichen. Die Relation wird nicht wie bei den Gemälden Vermeers zwischen den sich stets wiederholenden Darstellungselementen hergestellt, sondern Caravaggios Bildkonzeption wird mit traditionellen Motiven gleichen Themas verglichen. Der Vergleich konstituiert sich weiters über Bilder, die in einer Erst- und Zweitfassung vorliegen, aber auch werkintern, indem auf dasselbe Modell in verschiedenen Darstellungen verwiesen und daher an Eindeutigkeit gewonnen wird. Auch durch den Fokus auf den Alltagsbezug kann eine wechselseitige Konkretisierung von Bildfiguren und Textfiguren erreicht werden. Es sei darauf hingewiesen, dass die zwei Aspekte (Alltagsbezug und Vergleichsrelation) nur zu Analysezwecken gesondert bearbeitet werden, denn meist treten sie kombiniert in den jeweiligen Gemäldezitaten auf. Die Konzent-

36 Jonathan Harr: The Lost Painting, 35. 37 Dominique Fernandez: La corsa, 109.

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ration auf diese Punkte des Unkonventionellen macht eine Zitation der Werke erst möglich, denn in einer rein motivischen Beschreibung der einschlägigen Themen christlicher Ikonografie würden sich die Bilder Caravaggios nicht wesentlich von jenen anderer Maler unterscheiden. Bevor nun einzelne Gemälde und die Verfahren ihrer Visualisierung beleuchtet werden, soll die Konzeptionsdebatte anhand zweier Ausschnitte veranschaulicht werden. Diese trägt zwar zur bildmedial bezogenen Illusionsbildung einzelner Werke nicht unbedingt bei, nimmt jedoch entscheidende Aspekte durch ihre rezeptionslenkende Kraft vorweg und richtet somit die Aufmerksamkeit des Lesers auf intendierte Unterschiede. Vorwiegend in Texten, in denen Caravaggio als Textfigur erscheint (wie zum Beispiel in Amor vincit omnia von Gerhard Falkner), herrschen solche Debatten zur Kunstauffassung vor. „‚Schauen Sie sich die Maler der ‚maniera‘ doch an mit ihrem Allegorienplunder, ihrem Obskurantismus und ihrer ganzen hohlen Attitüde. Noch ’ne Kopie von da Vinci hier und noch ’n Detail von Michelangelo da. Die hausen wie die Maden im Werk dieser Giganten. Und warum? Weil sie innerlich tot sind. Ihre Gehirne sind Gruften. Sie kapieren nicht, dass eine Kunst, die nicht empfunden wird, auch nicht nachempfunden werden kann.‘ ‚Sie bedienen sich doch auch bei Michelangelo.‘ ‚Was meinen Sie?‘ ‚Na, zum Beispiel für Ihren Johannes den Täufer bei den Ignudi, besonders bei jenem nackten Jüngling, der auf dem Fresko in der Sixtinischen Kapelle neben der Sintflut und oberhalb der Eritreischen Sibylle lagert. Solche Knaben sind natürlich ganz nach Ihrem Geschmack.‘ ‚Die waren, als er sie malte, auch ganz nach Michelangelos Geschmack.‘ ‚Aber bei ihm sind sie nicht lasziv, haben nicht diesen schwül-begehrlichen Blick. Was seine Jünglinge überstrahlt, ist die Schönheit der göttlichen Schöpfung. Dagegen ist alles, was Sie malen, irgendwie lüstern, schockierend, geil. Das geht ja bis hin zu den Weintrauben.‘ [...] ‚Aber wir brauchen keine Bilder, auf denen die Gesichter und die Gesten eine ganz andere Geschichte erzählen als die biblische, die sie darzustellen vorgeben und die jedem religiösen Gleichnis immer nur die roheste Interpretation geben. Sie zeigen nur verderbte Gesichter, was ja kein Wunder ist, schließlich gabeln Sie Ihre Modelle ja auf der Straße auf und in der Gosse.‘“38

Angeprangert wird hier vom Mann der Kutte einerseits die Expressivität der caravaggesken Bildsprache und andererseits werden Andeutungen auf Caravaggios Arbeitsweise (über den persönlichen Zusammenhang des Nachempfindens und der Modellauswahl) und seine Homosexualität gemacht. Die Vergleichsrelation zwischen Michelangelo und ihm dient zwar nicht dem Zuwachs an Eindeutigkeit eines speziellen Gemäldes (in der Diskussion geht es vielmehr um die Frage der

38 Gerhard Falkner: „Amor vincit omnia“, 45, 46.

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Detailkopie, die zwar ihrerseits auch als zu visualisierende Strategie genutzt werden kann, jedoch nicht in Zusammenhang mit der hier ausgeführten Kunstkonzeption steht), markiert jedoch einen konkreten Bezugspunkt, mit dem seine Werke in Verbindung gebracht werden können. Das Unkonventionelle äußert sich in den nicht idealisierten Darstellungen, die eben keine jugendlich-schönen, vollkommenen Körper zeigen, sondern den Bezug zu gewöhnlichen Menschen suchen. Dem Vorwurf „Ihre Sujets sind krass. Ihre Kontraste sind krass. Nirgends die geistige Klarheit und geläuterte Ruhe der göttlichen Ordnung.“39 entgegnet der auf Textebene auftretende Maler u.a. mit folgenden Argumentationen. „Io voglio che si prenda questo episodio biblico per quello che è: un omicidio ripugnante. Voglio che Giuditta quando tronca con la spada la carotide di Oloferne, si imbratti del sangue dell’assassinato e ne schizzi lo spettatore. Voglio che Golia decapitato sembri un bue sul banco di una macelleria.“40 „I martiri della Chiesa? Condannati ai supplizi più atroci, anche loro se la cavano senza danni fisici apparenti. Arrotati, squartati, lapidati, impalati, scorticati, sventrati, carbonizzati, sembrano insensibili al dolore. San Lorenzo, che arrostisce sulla graticola, sembra prendere sole. Sant’Agata, cui strappano i seni con un paio di tenaglie, conserva la stessa dignità che se fosse seduta davanti alla sua toletta. Santa Lucia presenta i propri occhi su un vassoio come due uova fritte in padella. […] La stalla della Natività? In tutti i pittori, senza eccezione, somiglia alla sagrestia di un vescovo, ben spazzata, ben tenuta, più che a una baracca di campagna dove il bue e l’asino si rotolano nella paglia e nello sterco.“41

Die gefragtesten Heiligendarstellungen und die standardisierten Motive biblischer Szenerien werden von Caravaggio auf ihre realitätsferne Umsetzung hinterfragt. Dem Leser bietet dieses System der tradierten Heiligendarstellungen visuelle Anknüpfungspunkte, die in der Folge wiederholt in Relation zu Caravaggios Werken gesetzt werden. Diese in dem ausgewählten Ausschnitt von Caravaggio selbst gegebenen Hinweise schließen die Andersartigkeit seiner Bilder bereits mit ein. Markiert wird dadurch ein allgemeiner Bezugspunkt für das Funktionieren der intermedialen Gemäldezitate, der im konkreten Fall zur Visualisierungsstrategie herangezogen werden kann. Aus der Fülle der Werke Caravaggios werden jene Bilder besonders häufig intermedial verarbeitet, die durch äußerst unkonventionelle Bilddetails aus sei-

39 Ebda. 47. 40 Dominique Fernandez: La corsa, 30. 41 Ebda. 124, 125.

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nem Œuvre hervorstechen. Daraus ergibt sich die Möglichkeit dasselbe Bild auf seine zitativen Verfahren in den unterschiedlichen Texten zu untersuchen. „‚Warum haben Sie in Ihrer Bekehrung des heiligen Paulus das Pferd in den Mittelpunkt des Bildes gerückt und den heiligen Paulus am Boden platziert?‘ ‚Darum!‘ ‚Soll das Pferd etwa Gott sein?‘ ‚Nein, aber es steht im Licht Gottes.‘ ‚Aber im Buch Gottes steht das Pferd nicht im Mittelpunkt der Geschichte.‘ ‚Wenn sich die Sichtweisen nicht ändern würden, und zwar einfach deshalb, weil sie sich ändern müssen, dann könnten wir in allen Kirchen Kopien von Masaccio oder Fra Angelico aufhängen und uns die Mühe sparen, die Malerei, wie jede andere Entwicklung auch, voranzutreiben.‘“42

Der Titel als einzelreferentielles Gemäldezitat führt beim Leser nicht wie gewohnt zum assoziativen Hinzudenken der visuellen Komponente, doch durch die darauffolgende Nennung des zentralen Bildelements, das sozusagen als explizite Systemerwähnung fungiert, da Caravaggio zwei Bekehrungsbilder anfertigte, jedoch nur in der zweiten Fassung das Pferd markant in den Mittelpunkt setzte, kann der Leser das Gemälde eindeutig zuordnen. Rekurriert wird auf den transmedialen Stoff der Bekehrung Pauli und im Dialog mit Caravaggio versucht der Mann der Kutte eine Begründung für diese unkonventionelle Darstellung zu finden. In dieser Kurzgeschichte von Gerhard Falkner, in der es die Kunstauffassung Caravaggios im Dialog zwischen den beiden genannten Protagonisten zu klären und zu verstehen gilt, verweist Caravaggio auf den bevorstehenden Umbruch in der Malereitradition.43 In den erzählten Geschichten, die vorwiegend das Leben Caravaggios inszenieren und sein rebellisches Wesen auf die Kunst abfärben lassen, müssen die Gemälde als Bestandteile des biografischen Plots angesehen werden, die das „Gesamtkunstwerk“ Caravaggio komplettieren. In einem ähnlichen Zusammenhang werden im Roman von Dominique Fernandez die beiden Versionen des Bildes Bekehrung des heiligen Paulus aufeinander bezogen, wobei sich die Bilder erneut aus zwei unterschiedlichen Perspektiven erschließen.

42 Gerhard Falkner: „Amor vincit omnia“, 48. 43 Abgesehen davon handelt es sich laut Gilles Lambert um jenen realen Dialog, den ein Kirchendiener von Santa Maria del Popolo übermittelt hat. Vgl. Gilles Lambert: Caravaggio, 66.

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„Dov’è la luce sfolgorante nel tuo quadro? mi chiese Monsignore Bernardi, presidente del consiglio dell’ospedale. Perché, invece di suggerire una voce celeste, hai rappresentato Cristo stesso? Perché san Paolo si nasconde il volto fra le mani?“44 „Il nuovo quadro differì completamente dal primo. Al posto di una moltitudine di personaggi, misi san Paolo in primo piano, sdraiato sul dorso sotto i piedi del cavallo, avvolto dall’improvvisa luce che scende dal cielo su di lui, con le braccia aperte che riempiono la tela.“45

Die dem ersten Ausschnitt vorausgehende Titelangabe des Werkes ruft wie im zuvor gewählten Beispiel das Subsystem der caravaggesken Bekehrung PauliDarstellungen beim Leser auf. Aus dem Blickwinkel des Bibelvertrauten konstruiert sich die Beschreibung der ersten Fassung des Bildes allein aus den an Caravaggio gerichteten Fragen. Durch den Fokus auf die für den textinternen Betrachter als störend empfundenen Bilddetails, die nicht mit jenen aus gewohnten Darstellungen dieser Thematik korrespondieren, werden die Hauptfiguren und ihre Haltungen bezeichnet. Besonders die Haltung von Paulus soll sich in dieser Ausführung dem Leser einprägen, denn darauf nimmt Caravaggio in der Folge Bezug. Von Bedeutung ist dieses Bilddetail auch deshalb, da in ihm die theologischen Bedenken lagen, die zur tatsächlichen Ablehnung führten; denn als zu heftig wurde die Abwehrgeste von Paulus gegen den Anruf Christi empfunden. In dieser seiner unkonventionellen Deutung hat „Caravaggio den spontanen, emotionalen Reaktionen des Angesprochenen den Vorrang vor der symbolischen Bedeutung des Gründungsapostel für die katholische Kirche gegeben“46. Die Perspektivierung des intermedialen Gemäldezitats zur zweiten Fassung ist jene aus dem Blickwinkel Caravaggios. Der evozierende Vergleich nimmt Rekurs (abgesehen von dem vorbereitenden Hinweis der völligen Unterschiedlichkeit) auf die zuvor akzentuierten zentralen Bildobjekte und setzt die Anzahl der dargestellten Figuren in Relation. Caravaggio beschreibt im kompositorischen Aufbau Position und Haltung der Bildhauptfigur. Dass Paulus die Hände nun nicht mehr vor das Gesicht, sondern geöffnet hält, wird durch den maltechnischen Hinweis, dass sie eine raumfüllende Haltung einnehmen, verdeutlicht. Weiters wird die Stimmung des Bildes durch die Nennung der Lichtkomponente zu suggerieren versucht. Dass in diesem Fall die Konzentration auf der Figur des Paulus liegt und nicht wie meist an der monumentalen Rückenansicht des Pferdes Anstoß genommen wird, liegt in dem vorausgehenden Gemäl-

44 Dominique Fernandez: La corsa, 321. 45 Ebda. 322. 46 Jutta Held: Caravaggio, 99.

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dezitat zur ersten Version begründet, in der primär die Haltung von Paulus interessierte. Die weiteren Aspekte, die im Text an das Entstehen des Bildes und an dessen Betrachtung geknüpft sind, wie zum Beispiel der Einfluss amouröser Gedanken und die Interpretation durch Monsignore Bernardi, der das Werk völlig konträr der Intention Caravaggios deutet, dienen nicht im Sinne der intermedialen Gemäldezitation dazu die Anschaulichkeit weiter zu forcieren. Die Vermittlung der caravaggesken Kunstauffassung kann durch das Einbringen der Gemälde aus verschiedenen Blickwinkeln einen Zugang zur caravaggesken Kunst bieten, der dem Leser plausibel und nachvollziehbar erscheint. In dieser Textkonstruktion tritt im ständigen Rekurs auf diese auch die Figur Caravaggios mit seinen Eigenschaften klar vor Augen. In diesem Sinne „kann ein Gemälde sozusagen als ein ‚Fenster‘ in eine andere Zeit und deren Kultur dienen“47 (Herv. i.O.). Dieser Mechanismus kann jedoch nur durch das beständige Aufrufen des Referenzsystems seiner Bilder (den jeweiligen Situationen sind gewisse Bilder zugeordnet) funktionieren. Ein wichtiger Aspekt der hier vorgestellten Texte ist die „enge Bindung der künstlerischen Aktivität an die narrativ vermittelte Lebensgeschichte des Künstlers, deren krisenhafte Episoden in kausaler oder anderweitiger Relation zu seinem Schaffen stehen. Auch wenn der Leser kein konkretes Bild vor Augen hat, sondern stets an die Vermittlung durch das sprachliche Medium verwiesen bleibt, so empfängt er doch gerade aus dem Lebensbericht, dem biographischen ‚Hintergrund‘, der [...] dem Schaffen wie dem Bildwerk im Roman eigentlich gleich- bzw. nebengeordnet ist, ein vertieftes inhaltliches Wissen um besondere Eigenschaften der [...] Bilder, Eigenschaften, die zwar für ihn unanschaulich, aber gleichwohl geistig präsent und bedeutungsvoll sind.“48 (Herv. i.O.)

Dass den Gemälden noch weitere handlungsbestimmende Funktionen zukommen, wird in der Folge aufgezeigt werden. Wurde zur damaligen Zeit bereits die Haltung des Paulus und die Positionierung des Pferdes als provokant empfunden, so zählte Caravaggios Tod der Jungfrau zu den skandalösesten Darstellungen; aus diesem Grund hat das Bild wohl auch beinahe ausnahmslos Eingang in sämtliche literarische Arbeiten gefunden. Gegenübergestellt werden zwei Ausschnitte, die das Bild aus unterschiedlichen Perspektiven präsentieren; einerseits wiederum aus der Sicht Caravaggios, aber auch aus einem weiteren Blickwinkel,

47 Christoph Eykman: Über Bilder schreiben, 45. 48 Ebda. 182.

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der sich als kunsthistorische Fachperspektive definieren lässt. Der folgende Ausschnitt stammt aus Fluch der Geschichte von Nino Filastò: „Das Licht fällt von oben ein, bahnt sich seinen Weg durch das Dunkel. Es streift einige Details der um eine Liege Versammelten – eine Stirn, eine Hand, ein kahles Haupt, eine Geste des Schmerzes –, um dann erbarmungslos auf die Leiche einer Frau zu treffen, an der das flammende Rot ihres Gewandes ins Auge springt. Auch Gesicht und Hände sind beleuchtet, doch ihre nackten Füße, bläulich und von der einsetzenden Leichenstarre versteinert, ragen schon in die umgebenden Schatten hinein. Bald wird diese todbringende schwarze Finsternis auch alles andere verschlingen, uns ganz dem geschwollenen Frauengesicht ausliefern, jener ins Leere hängenden Hand, der Entkräftung, dem Sinnesverlust. [...] Im Bild des Merisi fehlt nicht nur jeder Hinweis auf die Jungfräulichkeit der Madonna [...], tauchen nicht nur weit und breit keine Engel auf, die den leblosen Körper beseelen und ins Paradies tragen könnten (es gibt weder Wolken noch Himmel, die Mutter Gottes liegt in einem dunklen, ärmlichen Zimmer, wenngleich mit einem üppigen roten Vorhang), nein, wer auch immer sie gekannt hat, auch im biblischen Sinne – und das sind viele –, erkennt in der Toten die Züge der ‚Anna Bugiarona‘ wieder. Es scheint offensichtlich, dass der Künstler nicht nur nicht vor der Schändlichkeit zurückschreckt, den Körper einer schwangeren Hure als Vorbild für die Heilige Jungfrau zu nehmen, sondern auch wenig vom Dogma der Unbefleckten Empfängnis hält.“49

In dieser Beschreibung des Gemäldes Tod der Jungfrau regt die Erzählinstanz die Imaginationskraft des Lesers zur visualisierenden Konkretisierung mittels einer Kombination aus evozierendem und simulierendem Gemäldezitat an. Im ersten Teil wird der besondere Charakter des „chiaroscuro“ des bildmedialen Bezugssystems diskursiv nachvollzogen. Die lichtsimulierende Systemerwähnung zu Beginn folgt dem einfallenden Lichtstrahl und bestimmt dadurch die Reihenfolge der Beschreibung. Die Deskription beginnt daher nicht bei der Nennung des zentralen Bildobjekts, sondern das gewünschte Gemälde wird in der Vorstellung des Lesers durch die Abfolge, in der das Licht auf die Bildelemente trifft, aufgerufen. Der nachhaltige Eindruck des Gemäldes stellt sich weiters durch den imitierenden Übergang der Lichtqualität zu den dunklen Passagen ein. Das „chiaroscuro“ manifestiert sich auf diese Weise als bildbestimmendes Charakteristikum und transportiert so ein Gefühl dieser malerischen Qualität in den Text. Strahlt das Licht über die Köpfe der Anwesenden herein, so werden diese in ihrer Erwähnung ebenfalls nur tangiert, während die Tote im Zentrum in ih-

49 Nino Filastò: „Fluch der Geschichte“, in: Jean-Hubert Martin; Bert Antonius Kaufmann (Hg.), Maler Mörder Mythos, 77-96, 93, 94.

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rem Erscheinungsbild konkret und detailliert eingeführt wird. Weiters wird dem „chiaroscuro“-simulierenden Zitat durch die intendierten Vergleiche eine evozierende Komponente beigelegt, die als Visualisierungshilfe gesehen werden kann. Die Relation, die zwar nicht zu anderen Malern aufgebaut wird, aber über Formulierungen wie „es fehlen“, „es gibt weder...noch...“ eindeutig Bezug zu traditionellen Darstellungen herstellt, akzentuiert das Konzept der Unkonventionalität zusätzlich. Das auch mehrmals in der Sekundärliteratur zu Caravaggio angeführte Gerücht, es handle sich bei der Dargestellten um eine Hure, wurde mit Vorliebe in die literarischen Produktionen aufgenommen.50 Denn eine weitere Ebene wird durch die wechselseitige Funktionalisierung von Text- und Bildfiguren eingeführt. Das die tote Maria repräsentierende Modell und die damit verbundenen Umstände bieten vor allem in den Texten, die das Geschehen zur Zeit Caravaggios spielen lassen, ausreichend Möglichkeiten zur Gemäldezitation. „Devi dipingere la morte della santissima Vergine? Ebbene! Non è una morta comune. Non hai il diritto di distendermi su un letto e di ignorare che la santissima Vergine, quando è morta, non ha dato alcun segno di decesso fisico. È salita subito in cielo, accolta dagli angeli, ed è così che bisogna dipingerla, come l’hanno dipinta tutti i pittori prima di te, in una gloria di raggi dorati e di cherubini alati.“51

Diese Äußerung wird im Roman von Fernandez von Lena, einem Modell von Caravaggio, eingebracht, die sich in der Folge nicht bereit erklärt sich für die Jungfrau Maria zur Verfügung zu stellen. In ihrer Aussage bezieht sie sich auf das gewohnte System der kanonisierten Darstellungen dieses Themas. Sie nennt die typischen Elemente einer solchen Szene und spannt auf diese Weise einen Bogen für mögliche evozierende Zitate zu Caravaggios Variante auf. Die Deskription seines Bildes erfolgt jedoch erst im Zuge der Kritik der Auftraggeber. Für die Erzählung wird in der Zwischenzeit jener Umstand fruchtbar gemacht, der stets mit diesem Bild in Verbindung gebracht wird.52

50 Eine Erklärung von Caravaggio wird in der Kurzgeschichte von Gerhard Falkner gegeben: „Um eine Tote so zu malen, wie eine Tote aussieht, habe ich eine Tote als Modell genommen. Dass es eine Hure war, dafür konnte ich nichts. Eine tote Heilige war gerade nicht zur Hand.“ (Gerhard Falkner: „Amor vincit omnia“, 48). 51 Dominique Fernandez: La corsa, 364. 52 Folgende Ausführungen werden deshalb nicht im Kapitel zur Bildentstehung vorgenommen, da die Beschreibung des Bildes anhand der Kritik, die sich auf das fertiggestellte Bild bezieht, erfolgt. Jedoch kann dieses Beispiel auch dem Bereich der Konkretisierung von Bild- und Textfiguren zugeordnet werden.

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„Non potendo convincere Lena a prestarsi alla mia idea, dovetti mettermi in cerca di un’altra modella. Un giorno in cui passeggiavo lungo il Tevere, scorsi un assembramento. Era stata ripescata un’annegata che veniva distesa sull’erba. Era Adriana, una prostituta assai nota. Incinta, si era gettata nel fiume per non mettere al mondo una creatura destinata alla sventura. Chiesi il permesso di recarmi all’obitorio e di dipingere il cadavere. [...] Il cadavere era sdraiato, con le braccia distese lungo il corpo. Lena mi suggerì una variante, che è risultata il più toccante di tutti i particolari, quello che si nota subito nella vasta composizione. Prese una mano della morta e gliela posò sul ventre, nel punto in cui Adriana avrebbe sentito muovere il suo bimbo, se non si fosse dannata togliendogli la vita.“53

Diese narrative Ausweitung lädt die Geste nicht nur handlungsrelevant auf (da dem angedeuteten Bauch der Bildfigur tatsächlich textintern eine Schwangere zugeordnet wird), sondern lenkt indes die Aufmerksamkeit des Lesers vor allem auf das Hauptobjekt und dessen Haltung, die in der folgenden Beschreibung nicht wiederholt wird und daher mitzudenken ist. „La loro indignazione si concentrò su punti secondari: piedi e caviglie nudi; aspetto popolare della modella; trascuratezza delle vesti, incuria inammissibile per colei che era la madre di Dio; aria accasciata degli apostoli disposti attorno al letto, come se vegliassero una vera morta, senza sapere che la santissima Vergine, già risuscitata, si librava in tutta la sua maestà nell’alto dei cieli. La bacinella dell’aceto posta in primo piano sembrò loro il dettaglio più sconveniente. A che cosa serve tale recipiente se non a fare la toeletta dei cadaveri? Quello della santissima Vergine aveva avuto bisogno di essere lavato?“54

In der stichwortartigen Ausführung der Kritikpunkte werden dem Leser weitere Imaginationsanreize gegeben. Die Jungfrau Maria als zentrales Bildobjekt wird in ihrer äußeren Erscheinung genauso beschrieben, wie die Haltung der Apostel angedeutet wird. Die Beschäftigung mit dem wohl unkonventionellsten Bilddetail, der Schüssel mit Essigwasser, die eine Blasphemie darstellte, komplettiert die Angabe der Hauptelemente des Bildes. Dieses Gemälde, in dem Caravaggio auf der „Endgültigkeit des irdischen Tods insistiert und jeden Verweis auf eine metaphysische Existenz verweigert“55, lehnten die Karmeliter der Kirche Santa Maria della Scala ab, wurde jedoch auf Anraten von Peter Paul Rubens vom

53 Dominique Fernandez: La corsa, 364, 365. 54 Ebda. 365. 55 Jutta Held: Caravaggio, 118.

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Herzog von Mantua, Vincenzo Gonzaga, erworben.56 Der Unterschied dieses intermedialen Zitatmechanismus liegt in der primären Fokussierung der motivischen Umsetzung des Stoffes und nicht in der Beleuchtungssituation. Die in dieser Passage angewandte Möglichkeit das Gemälde durch die Kritik in der Vorstellung des Lesers entstehen zu lassen, bedingt die Konzentration auf einige wenige, provokante Details zu richten. Bezüglich der Vermittlung der caravaggesken Kunstauffassung erscheint folgende Stellungnahme aus Caravaggios Flucht auch für das hier präsentierte Werk grundlegend. „Er sah das Motiv, wie es war, mit frischen Augen, als wäre es das erste Mal, dass jemand ein solches Motiv sah. Er sah das Motiv selbst, nicht wie es sein sollte – oder, wie es so viele tun, durch eine Glasschicht der Gewohnheit. Er sah neu, wo andere Maler nur sehen, wie die Dinge früher gemalt worden sind.“57 (Herv. i.O.)

Dass eine evozierende Vergleichsrelation über das Modell nicht nur über die Zuweisung von Bild- und Textfigur erfolgen muss (wie dies am Beispiel zum Gemälde Tod der Jungfrau bei Fernandez gezeigt wurde), sondern auch auf das Bild bezogen funktionalisiert werden kann, zeigen die beiden in ihrer Deskription aufeinander bezogenen Bilder Die büßende Maria Magdalena und Die heilige Katharina von Alexandria. „Das Bild wirkt alles andere als heilig, keine mystische Versenkung, der Blick nicht leidenschaftlich gen Himmel gerichtet, sondern im Gegenteil auf die im Schoß liegenden Hände gesenkt, eine Alltagsgeste, die extreme Müdigkeit auszudrücken scheint. Aus dem üppig fallenden, aber einfachen Kleid der billigen Prostituierten schaut ein sinnliches De-

56 Vgl. Gilles Lambert: Caravaggio, 64 ff. Dieser Umstand wurde auch literarisch umgesetzt. In einem Bericht, in dem sich Peter Paul Rubens über Caravaggio äußert, werden vorwiegend kompositorische Aspekte dieses Bildes in den Blick genommen. „Marientod ist ein bemerkenswertes Bild, denn es schildert genau diesen. Hier ist der Tod Marias kein Übergang zu ihrer Himmelfahrt, sondern ein irdisches Ende. Das tote Gesicht hat eine Starrheit und einen Farbton angenommen, die ungeheuer gut gemalt sind – und hier ist es ihm auch gelungen, die perspektivische Verkürzung des linken Arms der Leiche zu handhaben, der steif ausgestreckt in Richtung des Betrachters liegt. Das Licht ist zwar etwas zu theatralisch, der Hintergrund löst sich in diffuses Dunkel auf, und eine dieser Draperien, die Caravaggio so gern an den unmöglichsten Stellen anbrachte, hängt von der Decke.“ (Atle Næss: Caravaggios Flucht, 125, Herv. i.O.). 57 Atle Næss: Caravaggios Flucht, 113, 114.

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kolletee hervor, Hals und Gesicht tragen eher gewöhnliche Züge, umrahmt von langen, rötlichen Haaren. [...] Interessant ist auch das Fehlen des Heiligenscheins. [...] Wir sind also weit entfernt von der traditionellen Heiligendarstellung. Wer würde schon vor dieser Frau mit üblem Lebenswandel niederknien wollen, angesichts ihrer vollen Natürlichkeit?“58 „Dieses Mal sieht man einen schmalen Heiligenschein auf dem Bild. [...] So wird die Heilige [...] neben einem Rad abgebildet. Wie Magdalena wendet auch sie die Augen nicht zum Himmel. Auch hier keine Ekstase der Heiligen, sondern ein fester Blick, der, könnte man meinen, fast herausfordernd oder anklagend auf dem Betrachter liegt.“59

Im Zentrum dieser evozierenden Zitate aus dem Text von Filastò steht die Akzentuierung der unkonventionellen Darstellung Caravaggios im Vergleich zu gängigen Abbildungsformen (Ekstase, Heiligenschein, mystische Versenkung). Durch das Aufrufen des darstellungstypischen Systems werden vor allem die Haltung und der Blick in Relation gesetzt. Jedoch gewinnt das Bild mit der darauffolgenden Deskription der Physiognomie der büßenden Magdalena an Eindeutigkeit. Das Gemälde der heiligen Katharina wird im Anschluss nicht nur durch die erneute Thematisierung der unkonventionellen Elemente zitiert, sondern rekurriert in seinem zu visualisierenden Eindruck auf die vorhergehende Beschreibung der büßenden Maria Magdalena. Bezug genommen wird primär auf die optische Gestaltungskomponente und nicht auf die Klärung ihrer Tätigkeit. Der zugrundeliegende historische Stoff interessiert in beiden Fällen nicht; der Fokus der Zitation liegt ausschließlich auf der unkonventionellen malerischen Umsetzung; im Unterschied zu folgendem Bildzitat zur heiligen Katharina aus dem Roman von Atle Næss: „Die heilige Märtyrerin kniete auf einem roten Seidenkissen neben dem gespickten Rad, diesem schrecklichen Werkzeug, mit dem die Feinde des Glaubens versucht hatten, sie aus dem Weg zu schaffen, und das sie so wunderbarerweise überlebt hatte, wenn man den Berichten vertrauen will. In der Hand hielt sie das Schwert, das schließlich ihr Tod werden sollte, vor ihr aber lag eine Rute, als Zeichen für die Folter und Qual, die sie erleiden musste, nachdem sie mit Hilfe ihrer von Gott verliehenen Weisheit nicht weniger als fünfzehn heidnische Philosophen bekehrt hatte.“60

58 Nino Filastò: „Fluch der Geschichte“, 84, 85. 59 Ebda. 89. 60 Atle Næss: Caravaggios Flucht, 29.

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Informationscharakter kommt dieser ausführlicheren Beschreibung zu, denn als Hilfe zur Visualisierung können diese Angaben nicht angesehen werden. Es wird jedoch die Ebene des der Abbildung zugrundeliegenden Stoffes eingebaut und erklärend im Zitat funktionalisiert. In der Reihenfolge der Erwähnung der einzelnen Gegenstände, die in ihrer Position angegeben werden, werden diese auch in ihrer Funktion, die sie laut historischer Überlieferung innehatten, mitbestimmt. Auch in diesem Verfahren lässt sich eine Funktionsweise der intermedialen Gemäldezitation erkennen. Die Tatsache, dass beiden Bildern eine Prostituierte Modell gestanden haben soll61, wird in anderen Texten durch die Konkretisierung von Bildfigur und auftretender Textfigur verarbeitet und eröffnet somit die Möglichkeit der Gemäldezitation aus der Sicht der Posierenden. Doch abgesehen von diesen intermedialen Gemäldezitaten, die mittels evozierender Rekurse auf inhaltliche Komponenten verweisen, werden formale Aspekte und hierbei vorwiegend das spezielle „chiaroscuro“, das Hell-Dunkel einer unbestimmbaren Lichtquelle, simulierend, d.h. in „imitativer Gestaltung des narrativen Diskurses“62, eingebracht. Dies zeigt sich zum Beispiel in der Beschreibung des Gemäldes Martha tadelt Magdalena aus Fluch der Geschichte: „Hier scheint der Maler weniger auf eine religiöse und mystische Inspiration abheben zu wollen als auf seine künstlerischen Versuche über das Licht. Der Blick des Betrachters wird von dem konvexen Spiegel gefesselt, auf den Magdalena ihre Hand legt, als wolle sie ihn vorführen. Ein kleines, helles Quadrat auf dem Spiegel offenbart die Lichtquelle. Das Licht, das von oben kommt [...] wird Farbe, erschafft die massige Gestalt der Magdalena, lässt Marthas Gesicht im Schatten und betont den Faltenwurf der Kleider der beiden Frauen. Alles ist wunderbar neu, niemand hat bisher gewagt, den Lichteinfall auf diese Art abzubilden.“63

Das Gemäldezitat einleitend wird aus einer fachlichen, nicht eindeutig zu identifizierenden Sicht, die jedoch eine kunsthistorische Perspektive vermuten lässt, der zu fokussierende Lichtaspekt thematisiert. Auf diese Weise wird eine Rezeptionslenkung vorgenommen, die die Aufmerksamkeit des Lesers für diesen Aspekt sensibilisiert. Da sich das Gemäldezitat über diese „chiaroscuro“-Komponente konstituiert, setzt die Beschreibung nicht bei den zentralen Bildfiguren

61 Für die Heilige Katharina Fillide Melandroni (Boris von Brauchitsch: Caravaggio, 65) und für Die büßende Maria Magdalena eine gewisse Giulia (Gilles Lambert: Caravaggio, 48). 62 Irina O. Rajewsky: Intermedialität, 204. 63 Nino Filastò: „Fluch der Geschichte“, 90, 91.

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an, sondern bei dem das Licht reflektierendem Objekt des Spiegels. Zusätzlich folgt die Deskription der Blickbahn des textinternen Betrachters und lässt beim Leser durch die vorgenommene Verbalisierung den Eindruck erwecken, er nehme das Bild durch die Augen dieses textinternen Bildrezipienten wahr. Der darauffolgende „chiaroscuro“-simulierende Zitatteil streift auch nur verbalsprachlich jene Bildelemente, die vom einfallenden Licht getroffen werden und imitiert auf diese Weise die caravaggeske Illumination; den Kontrast von starken Schlaglichtern und dunklem Hintergrund. Die Bedeutung und Funktion dieser Zitatform wird am Ende der Beschreibung deutlich; die Neuheit dieser Lichtgestaltung soll durch die Umsetzung in diesem Bild dem Leser näher gebracht werden. Durch dieses Zitat gewinnt nämlich nicht nur das Gemälde Martha tadelt Magdalena an Anschaulichkeit, es wird weiters auch etwas über den Maler ausgesagt, der in dieser Form als Neuerer und Revolutionär seiner Zeit ausgezeichnet wird. Der Konzeptpunkt des Alltagsbezugs und der Verweltlichung der Themen der Heiligen Schrift wird vorwiegend durch die zweite Variante der Gemäldezitation abgedeckt, die sich besonders deutlich in der Verarbeitung von Bildfiguren als Textfiguren präsentiert und in der Folge behandelt werden wird. Zuvor sollen jedoch noch zwei weitere Verarbeitungszugänge der Gemälde Caravaggios am Beispiel des Bildes Geißelung Christi aus unterschiedlichen Texten präsentiert werden. Dabei werden simulierende Systemerwähnungen mit zur Bildsuggestion funktionalisierter Kritik, aber auch mit dem Einbringen von konkreten vorgelagerten Auftragswünschen ergänzt. Weiters bietet sich der Vergleich der Zitatmechanismen aus den Texten von Dominique Fernandez und Luca Desiato an. „Il contratto aveva fissato a grandi linee il soggetto: la colonna, Cristo legato con corde, l’agonia del Signore, la ferocia dei carnefici. Soltanto i miei tre carnefici rispondevano al programma. Volti di una potenza ottusa e bestiale, fronti stempiate corrugate dallo sforzo. Muscoli tesi, spalle da seviziatori. Raccolgono le loro energie per colpire. I loro volti trasudano crudeltà e odio, sembrano digrignare i denti. [...] Avvolgente come una carezza, calda come una sera d’estate, sensuale come l’olio con cui si strofinavano gli atleti nel mondo greco e romano, la luce color oro antico scende dalla spalla verso il petto, si spande sul ventre, scivola lungo la gamba, si illanguidisce sulla coscia, ricopre di una calda emulsione il torso e di un balsamo intorpidente le membra abbandonate.“64

64 Dominique Fernandez: La corsa, 399, 400.

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„L’opera questa volta venne lodata. Un Cristo alla colonna che un sole di mezzanotte ne scolpisce la figura ignuda e il bolo dell’ombre scurissime è saettato da una sferza di luce. Ma venne anche criticata, per la figura del Salvatore: un modello di uomo volgare, dissero, per non dire ignobile, con quel corpo scontorto, angariato dai torturatori, una feccia di corpo schiantato, quasi plebeo nella sofferenza, che quasi pareva averci goduto a infierire, l’artista, pittando un Cristo poco divino.“65

Die Nennung der laut Vertrag gewünschten Bilddetails umreist die Darstellung bereits in groben Umrissen. Anhand der folgenden Erklärung Caravaggios, dass lediglich die „carnefici“ der Vorgabe entsprechen, wird der Fokus auf diese Bildfiguren gelenkt. Was nun folgt ist die detaillierte Deskription der bildlichen Umsetzung der (gewünschten) „ferocia“. Die Physiognomie der Peiniger Christi wird ausführlich unter Verwendung einer die Grausamkeit akzentuierenden Wortwahl geschildert. Entgegengesetzt wird dieser in der Vorstellung erweckten Härte die Sanftheit der einfallenden Lichtquelle. Der lichtsimulierende Zitatteil benennt nicht nur die Gemäldedetails in der Reihenfolge ihrer Bestrahlungsintensität, sondern nutzt seinerseits eine evozierende Vergleichskomponente, um diese Sanftheit auch quasi taktil zu vermitteln. Den vergleichenden Verweisen wird über die verbalsprachliche Konstruktion des „come...come...“ eine Empfindung zugeordnet, bevor aus dieser evozierten Qualität des Lichtstrahls heraus der dargestellte Christus beschrieben und auf diese Weise zu seinen Peinigern kontrastiert wird. Der Vergleich als anschaulichkeitserweiternde Maßnahme bewirkt beim Leser ein Nachempfinden von Lichtstrahlen auf der Haut und bietet somit ein vermittelndes Sehen unter Einsatz aller Sinne. In der zweiten Passage zum selben Gemälde, das aus dem Blickwinkel eines Wegbegleiters von Caravaggio präsentiert wird, steht die Christusfigur im Zentrum. In der Gliederung der Beurteilung nach Lob und Kritik wird besonders die unkonventionelle Darstellungsform akzentuiert. Es hat sich gezeigt, dass je nach Art der gewählten Bildpräsentation unterschiedliche Aspekte forciert werden, die gewisse Mechanismen der Zitation nach sich ziehen. Der meist zu Beginn jedes Zitats verdeutlichte Zugang gibt erste rezeptionsleitende Hinweise, die in der Folge bezüglich ihrer Leistung im Bild zur Zitation herangezogen werden. Die bisherige Auswahl der vorgestellten Kunstwerke war größtenteils aus der Sicht des Malers oder einer in seinem Umfeld agierenden, kunstkompetenten Figur perspektiviert. Die Gemäldezitation aus dem Blickwinkel von Kunsthistorikern soll diesen Abschnitt zu den Gemälden komplettieren. Dabei wird auch die aktuelle Debatte der Zuschreibung von Original und Kopie aufgegriffen. Der

65 Luca Desiato: La notte, 213, 214.

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Roman The Lost Painting von Jonathan Harr, der wie sich im Anhang unter „A note on sources“ entnehmen lässt als ein Bericht von geführten Interviews mit den auftretenden realen Kunsthistorikern konzipiert ist, verpackt die Suche nach dem verschollenen Gemälde Gefangennahme Christi in eine spannende Detektivgeschichte. Im Rahmen der Funktionsweisen der intermedialen Gemäldezitate interessiert vor allem die Präsentation der zu Beginn des Romans vorgestellten Versionen des Bildes Johannes der Täufer (Knabe mit Widder). Der kunsthistorische Zugang ist von Lektürebeginn an erkenntlich und zeigt sich anhand von Fach- und Detailwissen der textinternen Bildrezipienten, anhand von theoretischen, wissenschaftlichen Positionen und durch das Einbringen von intertextuellen Zitaten aus der Literatur zu Caravaggio. Die Relation wird im folgenden Beispiel zwischen zwei Versionen desselben Bildes in Hinblick auf eine mögliche Kategorisierung nach Original und (eigenhändiger) Kopie gesetzt. „He remembers standing beneath it, his head canted back, gazing intently up and comparing it in his mind with the one he had seen at Longhi’s exhibition, the Doria Pamphili version. From his vantage point, several feet below the painting, it appeared almost identical in size and composition. It depicted a naked boy, perhaps twelve years old, partly reclined, his body in profile, but his face turned to the viewer, a coy smile crossing his mouth. Most art historians thought Caravaggio had stolen the pose from Michelangelo, from a nude in the Sistine Chapel, and had made a ribald, irreverent parody of it. [...] He thought he could discern some subtle differences between it and the Doria version. Here the boy’s gaze caught the viewer directly, mockingly, whereas the eyes of the Doria boy seemed slightly averted, the smile distinctly less open.“66

Die vorgenommene Differenzierung nach dem Ausstellungsort mündet in eine für beide Fassungen gültige Beschreibung, die das zentrale Bildobjekt des Knaben nennt. Eingeschränkt wird das aufgerufene System der caravaggesken Darstellungen des Johannes nicht nur durch die Ermittlung des ungefähren Alters, sondern vor allem durch dessen Haltung und den Widder. Der Fokus liegt nicht auf der Visualisierungsstrategie mittels des Unkonventionalitätskonzepts, obwohl sich dieses angesichts der untypischen Darstellung anbieten würde67, sondern es interessieren die nuancierten Unterschiede der beiden Darstellungen.

66 Jonathan Harr: The Lost Painting, 7, 8. 67 „Das Fehlen des Kreuz-Attributs und die Darstellung des Widders, von dem typischen ‚Lamm Gottes‘ abweichend, haben nahe gelegt, das Bild schlicht als Knabe mit Widder zu bezeichnen.“ (Jürgen Harten: „Farbtafeln“, in: Jürgen Harten; Jean-Hubert Martin (Hg.), Caravaggio, 150).

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Nach der allgemeinen Sujetklärung wird der jeweilige Gesichtsausdruck des Knaben näher betrachtet, jedoch lässt sich dadurch noch keine Einordnung als Original oder Kopie vornehmen. Die Zuschreibungsfrage löst sich textintern (wie auch real) nach Anwendung einschlägiger Fachmethoden und Fachstrategien. Röntgen- und Infrarotanalysen werden angewandt mit dem Ziel „nicht zuletzt dem Körper des Künstlers auf die Schliche [zu] kommen, indem man die Bildgeschichte, die Bildfläche, den Bildkörper nach dessen bestenfalls unwiderruflichen Spuren absucht“68. „But evidence of a different kind had emerged from beneath the surface of the Capitoline version, and it seemed to confirm the painting’s authenticity. The X rays and the infrared images had revealed a ghostly image – a pentimento – at the precise point where the boy’s arm and the curved horn of the ram intersected. The artist had painted the arm first, and then had painted the ram’s horn over the finished arm. This constituted a clear sign that the painting was the authentic one. A copyist, following the outlines of an original painting, would not have bothered to paint the arm and then paint the horn over it. The infrared images also revealed other pentimenti, in the folds and drapery of the red and white cloths, and in the foliage in the dark background. These were false starts and adjustments that no copyist would have needed to make.“69

Durch die Lokalisierung des aufgefundenen „pentimento“, das für die hier verfolgte Frage nach der eigenhändigen Anfertigung das Interesse am Bild ausmacht, wird das Gemälde in seinen Grundzügen beschrieben. Darüber hinaus geben die „pentimenti“ Aufschluss über die Arbeitsweise Caravaggios. In diesen Gemäldezitaten werden die zentralen Bildelemente aus kunsthistorischer Sicht fokussiert; der Unterschied zur Verarbeitung der Kunstwerke in anderen Texten, die sich vorwiegend auf die Relation von Werk und Biografie stützen, ist offensichtlich. Die Frage nach dem „wer ist dargestellt“ geht meist mit der narrativen Ausweitung der Bildszene einher (nicht Maria Magdalena ist abgebildet, sondern Lena, die für Maria Magdalena auf Textebene Modell gestanden hat). Textcharaktere werden den Bildfiguren zugewiesen, die sich auf diese Weise wechselseitig konkretisieren und an Anschaulichkeit gewinnen. Die Parallelisierung von

68 Markus Buschhaus: „Die Körper eines ‚Caravaggio‘. Grenzgänge zwischen Kunst, Kultur und Wissenschaft“, in: Beat Wyss; Markus Buschhaus (Hg.), Den Körper im Blick. Grenzgänge zwischen Kunst, Kultur und Wissenschaft. Symposium Quadriennale 06. München 2008, 131-140, 135. 69 Jonathan Harr: The Lost Painting, 85, 86.

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auftretender Textfigur und gezeigter Bildfigur lässt sich außerdem mit der bevorzugten Inszenierung der Verbindung von Leben und Kunst vereinbaren. Die caravaggeske Kunstauffassung bezieht auch diesen Aspekt der wechselseitigen Konkretisierung mit ein; denn die von Caravaggio propagierte Abkehr vom artifiziellen Ideal der Erhabenheit und Ergebenheit der Hochrenaissance und des Manierismus verlangt nach Darstellungen mit Alltagsbezug. Dieser lässt sich für das Textganze funktionalisieren und wird für die Bedeutungskonstitution ausgeschöpft. Dabei kann der der Darstellung zugrundeliegende historische Stoff einbezogen werden. Den auf dieser Grundlage basierenden Mechanismen der Gemäldezitation sollen nun zwei Ausschnitte zur Begründung dieses Alltagsanspruchs vorangestellt werden, denen eine klärende Funktion zukommt und die sich auf diese Weise dem Basiskonzept der intermedialen Verarbeitung einordnen. Die folgende Passage stammt aus dem Roman Das Vermächtnis des Caravaggio von Peter Dempf: „Gerne spielte er den Mittelpunkt einer Gesellschaft von Saufkumpanen und Prostituierten, und wenn sie seine Bilder betrachtete, dann fand sie gerade diesen Menschenschlag dort wieder, die Spieler und Bettler, die Mädchen und Wahrsagerinnen, die vom Würfel Besessenen und vom Leben Gepeinigten. Ob es der heilige Hieronymus war, den er malte, oder die heiligen Petrus und Paulus, ob es sich um die Berufung des Matthäus handelte oder tatsächlich um eine Runde von Spielern oder eine Wahrsagerin, er malte die Menschen Roms, nicht die erhabenen, die Prälaten und Monsignori, die Grafen und Herzöge, die Pfeffersäcke und bürgerlichen Beutelschneider mit Wappenrecht, oder irgendwelche erfundenen Gestalten, die man im Leben nirgends antraf und sich nur einbildete, sondern das Volk. Seine Gesichter zeigten die Erfahrung von Leid und Trauer, weil sie Leid erlebt und Trauer gefühlt hatten, die Hände hatten Schrunden und Schwielen, die Beine und Füße seiner Heiligen zeigten Narben und Hornhaut.“70

Die Relation zwischen der sozialen und künstlerischen Gestalt Merisi begründet den künstlerischen Anspruch und bedingt die Notwendigkeit der ungeschönten bildnerischen Umsetzung. Der Maler, der sich unter das Volk mischt, will auch dieses auf seinen Bildern zeigen. Die Gestaltung der Bilder wird textintern durch das Auftreten verschiedener Figuren der untersten Schichten beeinflusst; denn das Leid und die Trauer werden erfahren und die diesbezüglichen Erlebnisse aus der faktischen Realität des Textes werden auf die Leinwand gebannt. Somit ergibt sich ein Davor und Danach der dargestellten Szene, das zwar an das Sujet in irgendeiner Form gebunden sein kann, aber in der Umsetzung durch textin-

70 Peter Dempf: Das Vermächtnis, 113, 114.

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terne Ereignisse ausgeschmückt wird. Das erlebte Leid der Figur aus dem Volk kann durch den Vergleichswert zur Veranschaulichung des Bildes herangezogen werden. Dass vor allem der Gesichtsausdruck für den Maler entscheidend ist, da sich in diesem der Alltagsanspruch zeigt, begründet wie folgt auch Caravaggio. „Wofür brauchen wir gefällige Menschen auf den Bildern? Wofür glatte Gesichter und kräftige Körper? Findet ihr sie auf der Straße, in den Palästen? Sie existieren nur in den Köpfen der Prediger und Weltverbesserer. Nehmt Huren und Straßenräuber, wenn ihr Heilige malt. Sucht nach Charakterzügen im Gesicht, nach den Furchen der Zeit, nach dem gequälten Ausdruck des Hungernden, nach dem bittenden Blick des Bettlers, nach dem flehenden der geschändeten Hure – und danach malt eure Apostel, eure Heiligen, eure Marien. Sie tragen Runzeln im Gesicht und Schmutz unter den Fingernägeln. Ihre Fußsohlen sind voller Dreck und rissig vom Staub der Straße und die Beine voller blauer Flecken. Erst dann greift ihr nach dem Göttlichen. Denn wahrlich, so spricht der Herr, ich habe ihn geschaffen nach meinem Ebenbilde.“71

In der Aussage von Caravaggio wird bereits das Phänomen der wechselseitigen Konkretisierungsstrategie zur Visualisierung angedeutet. Denn durch die Aufzählung der körperlichen Eigenschaften werden einige Merkmale der Textfiguren genannt, die man manchen seiner Heiligendarstellungen zuordnen kann. Dieses Verfahren der Gleichsetzung von Bild- und Textfiguren wurde auch in den Analysen zu Vermeer vorgestellt; jedoch zeigt sich ein Unterschied, der sich erneut anhand des caravaggesken Bildgenres begründen lässt. Denn abgesehen von den Figuren erfuhr auch das Atelier des Malers durch die Parallelisierung von Bild und Text an Eindeutigkeit. Diese Charakterisierung von Räumlichkeiten durch die Zuordnung konkreter Bilder wird anhand der Werke Caravaggios nicht vorgenommen, da durch den „chiaroscuro“-Effekt die Hintergründe im Laufe seines Schaffens immer dunkler und undefinierbarer wurden und sich in diesen folienartigen Begrenzungen keine eindeutigen Raumsituationen ausmachen lassen. Beobachten lässt sich jedoch die vorgezogene Figurenbeschreibung, die als partielle Beschreibung des Gemäldes postmarkiert auftreten kann. Diesem Verfahren des intermedialen Gemäldezitats kommt die Funktion zu, die Bilddeskription abzukürzen und zu vereinfachen. Eine einmalige Beschreibung einer posierenden Figur kann in der Folge in der Vorstellung des Lesers aufgerufen und für andere Gemälde herangezogen werden. „Der Vorteil einer solchen Abkürzung liegt freilich nicht in der gesparten Zeilenzahl, sondern darin, dass mittels eines [...] Vergleichsmoments die Erinnerung des Le-

71 Ebda. 159.

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sers an ein intersubjektiv bestimmtes Bild abgerufen und für die Bedeutungskonstitution des Textes gewonnen werden kann.“72 „Meine rothaarige Freundin Giulia hatte mehr Glück. [...] Auf Befehl ihres Zuhälters hatte Giulia ihr Neugeborenes ertränkt, worauf sie für Wochen in Schwermut versank. In diesem Zustand wurde sie von Caravaggio angesprochen, der ein Modell für seine Büßende Magdalena suchte. [...] Obwohl Caravaggio nicht ahnen konnte, was Giulia gerade durchgemacht hatte, erkannte er ihre magdalenenhafte Stimmung an der schlaffen Haltung, dem trüben Blick, dem unendlich müden Ausdruck. Hinzu kam noch Giulias Angst vor Entdeckung und Bestrafung oder gar späteren Höllenqualen, die sie völlig verstörte.“73 „Alle Zeichen weltlicher Gefallsucht hat Magdalena abgelegt; Ohrringe, Perlenkette und Goldgürtel liegen achtlos neben dem bauchigen Ölfläschchen am Boden. Ihre roten Haarsträhnen hängen unfrisiert und zottelig nach vorn und hinten, die leicht gebräunten Hände ruhen im Schoß. Als reuige Sünderin hält sie das Haupt gesenkt und die Augen geschlossen und scheint in einen nach innen gekehrten, fast meditativen Zustand versunken.“74

Auf das charakteristische Merkmal der roten Haare Giulias wird in der Kurzgeschichte Das weiße Hemd der Hure von Ingrid Noll zu Beginn verwiesen, denn an diesem ist sie bereits eindeutig als eine der (wenigen) abgebildeten Frauen Caravaggios einzuordnen. Dass es sich bei der Abgebildeten tatsächlich um ein Mädchen von der Straße gehandelt hat, wird auch in der Literatur zu Caravaggio angegeben.75 Dieser auf Textebene auftretenden Prostituierten wird eine schreckliche Erfahrung zugeschrieben, die nun einerseits in narrativer Ausweitung der abgebildeten Szene eine Vorgeschichte gibt und andererseits den im Bild dargestellten schmerzlichen Ausdruck nachvollziehen lässt. Der intendierte historische Stoff der reuigen Magdalena verbindet sich auf diese Weise mit der auf Textebene bezüglich ihrer Tat bereuenden Giulia. In der Beschreibung des körperlichen Zustandes von Giulia, der ja als ausschlaggebend für Caravaggios Interesse angegeben wird, wird gleichzeitig ihre im Gemälde fixierte Haltung vorweggenommen. In der darauffolgenden Deskription des Bildes werden alle zentralen Bilddetails genannt, jedoch wird Magdalena nicht mehr anhand des charakteristischen Gesichtsausdrucks beschrieben. Die auftretende Figur der Giulia gewinnt nun durch die Zuweisung ihres Gemälde-Pendants an Eindeutigkeit. „Der durch den Vergleich eröffnete Bildbereich schränkt also gleichzeitig

72 Irina O. Rajewsky: Intermedialität, 153. 73 Ingrid Noll: „Das weiße Hemd der Hure“, 7. 74 Ebda. 9. 75 Gilles Lambert: Caravaggio, 48.

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den ursprünglich relativ weiten und vagen Bildbereich ein, der dem Leser verbalsprachlich vermittelt wurde, und spezifiziert ihn.“76 Dieser Verweis zwischen Bildern anhand desselben Modells funktioniert auch in der Variante der einzelreferentiellen Bezugnahmen, die mittels Werktitel und expliziter Systemerwähnung arbeiten. „Per la Madonna del Riposo nella fuga in Egitto che piaceva tanto al cardinale, avevo scelto [...] Anna Bianchina, la prostituta senese amica di Lena e di Fillide. [...] Maria Maddalena: [...] la mia scelta cadde di nuovo su Anna, che prese di buona grazia la posa che le chiedevo.“77 Die Kombination aus einzelreferentiellem Verweis mittels Titel und angeführter Beschreibung ist die häufigste Variante der Gemäldezitation. Abgesehen von der Zuweisung historisch belegter Modelle werden in den Texten auch fiktive Textfiguren als Bildfiguren besetzt. Den Abgebildeten werden, wie im Roman von Atle Næss, konkrete Charaktere zugeordnet, die mit einer Lebensgeschichte ausgestattet unter bestimmten Umständen „ins Bild geraten“. „Er malte neue Bilder, er hatte neue Modelle, vor allem einen älteren, aber noch stattlichen Mann, nahezu doppelt so alt wie er, mit hoher Stirn und kräftigem Bart. [...] Aber das zweite – der Märtyrertod des Evangelisten – ist ein wahres Meisterwerk. Hier ist Micheles neuer, älterer Freund das Modell für Matthäus.“78

In der darauffolgenden Beschreibung dieses Meisterwerks wird auf die dargestellte Szene eingegangen, auf die optische Erscheinung des Matthäus wird jedoch nicht näher Bezug genommen. Der Hinweis, dass es sich um Micheles neuen älteren Freund handelt, muss zum Aufrufen der vorangestellten Figurendeskription genügen. Die Summe dieser Verfahren ergibt ein komplexes Geflecht an Bezugnahmen auf das visuelle Medium des Gemäldes. Bisher hat die dritte Ebene, der der Bildszene zugrundeliegende Stoff, noch wenig Berücksichtigung gefunden. Folgender Ausschnitt aus Ingrid Nolls Das weiße Hemd der Hure handelt von dem Gemälde Martha tadelt Magdalena, für das die bereits bekannte Giulia und ihre Freundin Fillide dem Maler als Modell dienen. „Mit meinem Part konnte ich mehr als zufrieden sein, die Magdalena war der Mittelpunkt des Geschehens. In trotziger Arroganz, aber bereits leicht verunsichert, blicke ich von oben auf Martha herab und kann zudem in scharlachroter Seide, flaschengrünem Samt,

76 Irina O. Rajewsky: Intermedialität, 153. 77 Dominique Fernandez: La corsa, 205, 206. 78 Atle Næss: Caravaggios Flucht, 41, 42.

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besticktem Mieder und hauchzarten Ärmelrüschen prangen, während Martha triste, glanzlose Stoffe trägt. [...] Natürlich war es eine absurde Situation, dass eine mittelmäßige Hure wie Giulia eine viel erfolgreichere Kollegin bekehren sollte, aber gerade deshalb boten unsere Rollen Anlass zu allerhand Scherzen.“79

Die Perspektivierung erfolgt aus der Sicht Fillides, die als Modell gleichzeitig ihre Position im Textraum als Tableau vivant und die im Bild fixierte Darstellung beschreibt. Dieses Zusammenfallen der Deskriptionsebenen wird durch das auftretende „Ich“ erzielt. In Hinblick auf das darzustellende Sujet bezieht sich nun ihr Hinweis, dass Giulia sie in der (dargestellten) Realität (des Textes) nicht zu tadeln hätte, da sie in ihrem Beruf eindeutig erfolgreicher ist. In dieser Konstellation wird die intendierte Bildbedeutung zur Kontrastierung der auf Textebene zugeteilten Hierarchie herangezogen. Die Bezugnahmen auf die der abgebildeten Darstellung zugrundeliegenden Geschichte und die Funktionalisierung dieser im Text spielt besonders in den Betrachtungen zur Werkentstehung und in der Kombination mit den Selbstporträts von Caravaggio eine bedeutende Rolle. Eine prägnante Bezugsstruktur weisen weiters auch die vielen Kurzverweise auf die Gemälde von Caravaggio auf. Dass der Leser in seiner Vorstellung die Figur oder ein Geschehen eindeutig visualisieren kann, wird meist mittels einzelreferentieller Kurzverweise bewerkstelligt. Die Vergleichsrelation, die in dieser Konstellation einem evozierenden Zitat gleichbedeutend ist, muss sich jedoch nicht nur auf ein Gemälde beziehen, sondern kann über die vorgestellte Funktionsweise der wechselseitigen Konkretisierung auch für Verweise auf weitere Gemälde eingesetzt werden. Folgendes Beispiel aus dem Roman von Fernandez, das sich auf unterschiedliche einzelreferentielle Verweise stützt, sich jedoch auf das zentrale Darstellungsobjekt konzentriert, funktionalisiert durch die eindeutige Zuweisung eines Textcharakters zur Bildfigur das visuelle Medium des Bildes für die Eindeutigkeit und Anschaulichkeit des Textes. „Al Ragazzo morso da un ramarro fecero seguito altri tre ritratti di Mario. Anche se avessi avuto i mezzi per pagare dei modelli, nessuno mi avrebbe comunicato la stessa energia. Volevo dipingere solo Mario. Il Ragazzo che monda una pera, il Ragazzo con canestro di frutta, il Bacchino malato, dipinto a Tor Sanguigna, raffigurano lui. Tutte quelle figure a busto intero ritraggono il mio amante. [...] Il suo corpo, uscito da poco dall’infanzia, ne conservava tutte le grazie, senza mancare del vigore che costituisce

79 Ingrid Noll: „Das weiße Hemd der Hure“, 10, 11.

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l’attrattiva dell’età virile. Ventre piatto, duro, muscoloso, piega dell’inguine ben disegnata […].“80

Abgesehen von der homoerotischen Komponente dieses Ausschnitts erfüllt sich die Visualisierungsstrategie vordergründig nicht über Bildbeschreibungen, sondern mittels Einzelreferenzen. Im Sinne einer „associative quotation“ wird durch die Angabe der Werktitel, die sich alle auf die frühen, einfigurigen Jünglingsdarstellungen beziehen, auch die visuelle Seite evoziert. Durch den Hinweis, dass alle diese männlichen Dargestellten auf den Bildern eine Textfigur präsentieren, wird ein einheitliches System für Bezugnahmen eröffnet. „Aufgrund seines thematisierend-vergleichenden Charakters weisen diese einzelreferentielle[n] Bezugnahme[n] eine deutliche Parallele zu den [...] evozierenden Systemerwähnungen auf. Konstatiert wird auch hier eine Ähnlichkeitsbeziehung zwischen einem bestimmten histoire-Element des Textes und einem entsprechenden Element der aufgerufenen [...]“81 Bilder. Die knappe Beschreibung veranschaulicht anhand der genannten Bilder die körperliche Verfassung Marios und wird für die (durch die Bilder evozierte) homosexuelle Auslegung des Romans ausgeschöpft. Ein Beispiel für die Veranschaulichung einer Situation durch ein konkretes Gemälde ohne Nennung des Bildtitels zeigt das folgende kurze Zitat aus dem Roman La fuga, la sosta. Caravaggio a Siracusa von Pino di Silvestro, dem zwar keine handlungsrelevante Bedeutung zukommt, aber dennoch um die textuell evozierte Anschaulichkeit von Grausamkeit bemüht ist. „L’acciaio affonda, scava, cerca tra le vertebre, trova e taglia il filo della vita. Segue un tonfo, un tremito che annaspa. La lingua esce dalle fauci del toro. La bestia giace al suolo, morta. Il sangue schizza, rivola nella conca. Irrompe la macchia, come quella che sporcò l’abbagliante letto d’Oloferne scannata da Giuditta sotto la tenda drizzata nel deserto.“82 Die bisherigen Ausführungen konzentrierten sich auf die Varianten der intermedialen Gemäldezitate in den die Bilder Caravaggios verarbeitenden Texten. Dabei wurde in dieser ersten Kategorie den Gemälden allgemein die Aufmerksamkeit geschenkt. Es hat sich gezeigt, dass unabhängig von der Situation und der Perspektivierung ein Geflecht von Verweisen auf das Konzept der Unkonventionalität vorgenommen wurde. Eine entscheidende Rolle in der Verarbeitung der caravaggesken Bilder in literarischen Texten kommt der Entstehung dieser

80 Dominique Fernandez: La corsa, 153. 81 Irina O. Rajewsky: Intermedialität, 151. 82 Pino di Silvestro: La fuga, la sosta. Caravaggio a Siracusa. Milano 2002, 108.

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Werke zu, in der unter anderem das gesamte Handlungsgeschehen angelegt sein kann.83

I NTERMEDIALE G EMÄLDEZITATE ZUR G EMÄLDEENTSTEHUNG Die „Aufgabe des Romantextes ist [...] das Erstellen eines komplexen Beziehungsgeflechtes von Eindrücken, Vorstellungen, gedanklicher Deutung und strikt beschreibender Textsegmente. [...] In der Tat bilden technische bzw. formale Fragen im Hinblick auf den Vorgang der Erzeugung des Bildwerkes im Malerroman ein vorrangiges Thema der sprachlichen Erfassung eines Gemäldes oder einer Zeichnung.“84 (Herv. i.O.) Diese produktions- und werkästhetische Thematik, wie sie Christoph Eykman als Charakteristikum des Malerromans ausweist, bezeichnet eine weitere Dimension in der Bemühung um textuell evozierte Anschaulichkeit. Dem System der intermedialen Gemäldezitation und im Besonderen den das vollendete Werk zitierenden Bildvisualisierungsverfahren dient diese der Zeitstruktur des Textes angenäherte Bezugsvariante als ergänzendes Element. Die genetischen Bildbeschreibungen betonen das Prozessuale der künstlerischen Praxis und fokussieren je nach textinterner Rezipientenperspektive unterschiedliche Aspekte der Bildgenese.

83 Der Vollständigkeit wegen soll erwähnt werden, dass die Gemälde Caravaggios auch ohne zentralem Interesse an der Darstellung verarbeitet werden können. So zum Beispiel in Il muro del vetro von Giuseppe Quatriglio, in dem es um das Auftauchen eines verschollenen Bildes von Caravaggio geht, das jedoch erst in der angeführten „Nota“ mit dem Titel (Natività tra i SS. Francesco e Lorenzo) angegeben wird. Der einzige Anhaltspunkt zu einer möglichen Imaginierung ist die Erinnerung an das mögliche Motiv: „In uno sforzo di memoria apparvero le figure rappresentate in un celebre quadro che, nelle riproduzioni a colori di un rotocalco, sembrava emergesse da un fondo nero. Figure certamente di santi, arguì, forse convergenti verso un solo punto, verso una luce centrale. E ricordava ancora, vagamente, che il dipinto doveva contenere qualche angelo fluttuante nell’aria contro tutte le leggi di gravità, come appunto fanno gli angeli, ma anche come un astronauta dentro una navicella in navigazione nello spazio e sospeso nel vuoto, fuori dall’astronave. Colori sobri e un impasto pittorico deciso, con ombre ben delineate e una luce calda sui personaggi rappresentati: questa l’immagine estrema emersa nella mente di Giacomo Garzòn […].“ (Giuseppe Quatriglio: Il muro del vetro. Palermo 2005, 36). 84 Christoph Eykman: Über Bilder schreiben, 183.

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Wie auch in den Analysen zu den Bildern Vermeers gezeigt wurde, unterliegen der Kategorie der Gemäldeproduktion nicht nur die Schilderung des Schaffensakts per se, sondern auch mit diesem in Verbindung stehende Vorgänge wie zum Beispiel das Vornehmen von Änderungen an einem bereits auf Textebene vorhandenen Gemälde oder auch der der Bildanfertigung vorausgehende Sujetfindungsprozess. Es zeigt sich jedoch im Gegensatz zu den Verarbeitungsvarianten der vermeerschen Gemälde im Bereich der Bildentstehung, dass der produktionsästhetische Prozess in den Texten zu Caravaggios Werken nicht primär die Bildentwicklung über ein Probieren verschiedener Arrangements fokussiert, sondern vorwiegend das auf Textebene vorgenommene Drapieren der Modelle zur Gemäldezitation herangezogen wird. Außerdem wird auch in dieser erzählerisch ausgeweiteten Konstellation die Verschränkung von Leben und Arbeitsweise des Malers bedient, denn sein rebellisches Naturell zeigt sich auch in den erbarmungslosen Anforderungen an seine Modelle. Abgesehen von der Drapierungsvariante (entweder aus der Sicht des Malers oder des beobachtenden oder posierenden Modells) ergeben sich auch quasi aus alltäglichen Handlungen heraus Tableaux vivants, die Caravaggio mit raschen Pinselzügen auf die Leinwand bannt. Die Visualisierungsstrategie erfüllt sich in dieser Konstellation jedoch nicht durch den Bezug auf das Bildmedium, sondern durch die Relation zu dem aufgebauten Arrangement, das mittels expliziter Systemerwähnung in der Vorstellung des Lesers mit dem konkreten Kunstwerk verknüpft wird. Dieser Vorgang des Zusammenstellens geeigneter Bildkompositionen ist in den narrativen Handlungsverlauf der Geschichte eingebunden und verbindet das jeweilige Bild mit einer fiktiven Entstehungsgeschichte, die somit die Frage nach einem Davor und Danach der Darstellung textintern beantwortet und nicht nur die dargestellten Figuren wechselseitig konkretisiert, sondern auch die dargestellte Handlung auf unterschiedlichste Weise mit dem Geschehen der Textebene verknüpft. Durch dieses Verfahren werden zeitlich-narrative Formen von Sprache in die Bilder hineinprojiziert, die der bildmedial bezogenen Illusionsbildung dienen. Wie im vorigen Kapitel gezeigt, ist die Wahl des richtigen Modells für den auf Textebene auftretenden Maler von entscheidender Bedeutung, denn es gilt seinem Anspruch an die darzustellende Szene gerecht zu werden. Das Programm der Unkonventionalität wird auch in die Darstellung des Prozesses der künstlerischen Praxis eingeflochten. Für die Dramatik zeichnet sich vor allem die Mimik der dargestellten Figuren verantwortlich. Denn Caravaggio rät in Peter Dempfs Roman: „Sucht nach Charakterzügen im Gesicht, nach den Furchen der Zeit, nach dem gequälten Ausdruck des Hungernden [...] – und dann malt eure Apos-

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tel, eure Heiligen, eure Marien.“85 In der Mimik der dargestellten Bildprotagonisten spiegelt sich die Erbarmungslosigkeit der Bildszene (die meist auf einem historisch überlieferten Geschehen basiert), die in den Texten an einen für das posierende Modell schrecklichen Umstand gekoppelt wird. Die erlittene Grausamkeit der Textfiguren kann auf die Bilddarstellung rekurrieren und auf diese Weise an Eindeutigkeit gewinnen. Für die Konkretisierungsstrategie der intermedialen Gemäldezitate wird somit auch die intendierte Bildgeschichte fruchtbar gemacht. Dass es jedoch auch andere textinterne Möglichkeiten zum Aufrufen spezieller Gesichtsausdrücke gibt, soll folgendes Zitat aus Das weiße Hemd der Hure von Ingrid Noll zeigen. „Um den Höhepunkt der biblischen Erzählung darzustellen, brauchte es drei Personen: Judith, ihre Magd und Holofernes. Caravaggios zahnlose Waschfrau fürchtete sich zwar vor ihrer neuen Aufgabe, aber sie war geradezu prädestiniert dafür, eine neugierige Greisin zu spielen. Auf der zunächst nur grundierten Leinwand ragt ihr Profil als Erstes in die äußerste rechte Bildseite hinein. Auf Anordnung des Künstlers musste sie ihre Schürze mit beiden Händen wie einen Sack zusammenraffen, was mir vorerst nicht recht einleuchtete. Dann brauchte er ihr nur ein paar Schauergeschichten aus dem Kerker zu erzählen, und schon schnitt sie die passende Fratze: gebannt und zugleich entsetzt, lüstern und grimmig entschlossen. Mein Gott, dachte ich, dieses Weib ist ein Naturtalent, das ich niemals übertreffen kann! [...] Erst kurz darauf erklärte er mir, wie er sich das fertige Werk vorstellte: Holofernes sollte nicht bei einem Tete-a-Tete dargestellt werden, sondern im Augenblick seiner Enthauptung, die Kehle schon zur Hälfte durchgeschnitten. Das geschürzte Leinentuch war für den blutigen Kopf gedacht. [...] Caravaggio hatte mehrere Fackeln in sandgefüllte Tonkrüge gesteckt, um eine dramatische Beleuchtung zu erzielen. [...] Erst als es darum ging, die Miene einer Henkerin aufzusetzen, begann er an mir herumzunörgeln. ‚Viel zu überspannt! Reiß den Mund nicht so auf, sondern eher die Augen! Du brauchst Kraft, um einem ausgewachsenen Mannsbild den Kopf abzuschlagen, man muss deine Anstrengung spüren!‘ Und so weiter, bis mir die Lust verging. ‚Wie soll ich auch wissen, was für ein Gesicht man beim Enthaupten macht‘, maulte ich und knallte ihm das wuchtige Schwert vor die Füße. [...] ‚Gab es unter deinen Freiern einen Mann, der dir besonders zuwider war?‘ fragte Caravaggio unvermittelt. Mir fiel sofort ein Kunde meiner Mutter ein, der mich als Neunjährige vergewaltigt hatte. [...] ‚Ist er das?‘ fragte er mich. [...] Caravaggio reichte mir feierlich das Schwert. [...] Caravaggio hatte ihn bereits in zweckmäßiger Höhe auf eine Liege gelegt und dirigierte mich jetzt in die optimale Position. Mein Peiniger und ich sahen uns dabei unentwegt in die Augen. Im gleichen Moment, als in seinem Blick ein entsetztes Begreifen trat, stach ich zu. [...] Caravaggio malte

85 Peter Dempf: Das Vermächtnis, 159.

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mich mit einer steilen Falte über der Nasenwurzel und traf meine Stimmung so exakt, wie es ihm nie zuvor oder danach geglückt ist. [...] Um eine realistische Vorlage zu erhalten, legte er den Toten bäuchlings und in verdrehter Haltung auf die Pritsche und durchschnitt ihm posthum die Kehle. Als er den Körper nicht mehr brauchte, warf man ihn in einer stockfinsteren Nacht in den Tiber, während der Kopf viel später in einer Fäkaliengrube versenkt wurde. [...] Es gab noch viel für ihn zu tun, bis er meinen blanken Busen und den Kopf des Holofernes übermalt hatte.“86

Diese narrativ ausgeweitete, zusammengesetzte Strategie der Bildvisualisierung kombiniert eine Reihe unterschiedlicher intermedialer Verarbeitungs- und Verweismöglichkeiten. In dem Bestreben einen klaren Eindruck des Gemäldes zu vermitteln, wird in dem gewählten Textauszug ein Wechsel zwischen den Schilderungen, die die Textebene und jenen, die die Bildebene betreffen, vorgenommen. Der Leser wird jedoch durch die expliziten Systemerwähnungen konkret darauf verwiesen, die auf unterschiedlichen diegetischen Ebenen angeführten Aspekte als eine Einheit zu einem Bildganzen zu imaginieren. Dieses Beispiel arbeitet mit einem komplexen Verweisgeflecht und vereint eine Vielzahl der bisher beschriebenen Phänomene. Der Prozess der Bildentstehung wird aus der Sicht Fillides perspektiviert. Fillide Melandroni, die ja auf Textebene für mehrere Bilder Caravaggios (in unterschiedlichen Texten) als Modell fungierte, korrespondiert mit der tatsächlichen Fillide, die nachweislich von der Forschung als Modell identifiziert wurde. Abgesehen von dieser Parallelisierung werden auch die beiden verbleibenden Bildfiguren mit Charakteren der Textebene besetzt, die in einer mehr oder weniger engen Beziehung zu einander stehen und die ein grauenhaftes Geschehen verbindet. Nach der anfänglichen Klärung Fillides, wie viele Darsteller es für das Gemälde Judith und Holofernes braucht, setzt ihre Schilderung bei der Nebenfigur der alten Magd an, der als Modell die alte Waschfrau Caravaggios auf Textebene entspricht. Ihr Gesichtsausdruck, der entscheidend für die Wirkung des Kunstwerks ist, verknüpft nicht Bild mit Textgeschehen, sondern ergibt sich aus der Stimulierung der Fantasie der Alten auf Textebene (im Gegensatz zur Mimik der beiden Protagonisten). Ihre Tätigkeit, das Raffen des Tuches, wird anhand der Aufforderung Caravaggios in der Position als Tableau vivant beschrieben, während ihre Lokalisierung im Geschehen anhand des Bildmediums geklärt wird. Bevor nun Fillide über sich selbst (als im Tableau vivant Posierende und aus ihrem Leben Berichtende) Auskunft gibt, werden quasi beiläufig zwei Aspekte eingebracht, die auf das Konzept der Unkonventionalität hinweisen. Die Erwähnung und somit der indirekte Vergleich

86 Ingrid Noll: „Das weiße Hemd der Hure“, 11-15.

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mit anderen Darstellungen dieser Thematik, dass Caravaggio die Szene im Augenblick der Enthauptung zeigen will, deutet auf die Neugestaltung althergebrachter Darstellungsformen hin und untermauert seinen künstlerischen Anspruch. „Neu ist [...] die Darstellung der Tötung im Moment der Abtrennung des Kopfes. Für die Enthauptungsszenen aller betreffenden Ikonographien waren bislang entweder der Moment kurz vor oder kurz nach der Trennung des Kopfes vom Rumpf gewählt worden.“87 Weiters wird auch der „chiaroscuro“-Thematik in diesem Prozess des künstlerischen Anfertigens Bedeutung geschenkt. Das Aufstellen der Fackeln markiert die Beleuchtung als entscheidende Komponente für das Bildwerk. Doch abgesehen von diesem formalen Aspekt liegt das Interesse eindeutig an der inhaltlichen Vermittlung des Bildes. Fillide schildert aus ihrer Position im „lebenden Bild“ die Kritik Caravaggios an ihrem Gesichtsausdruck. Dieser wird dadurch als zentrales Element der Darstellung fokussiert. Alle weiteren Ausführungen konzentrieren sich in der Folge auf die Erzielung der gewünschten Mimik; dieses Bilddetail wird mittels der textinternen Geschichte aufgeladen. Die dargestellte Ermordung im Bild erfolgt auch auf Textebene, ist jedoch aus der Vergangenheit Fillides begründet. Die Schilderung ihrer Tat wird mit den Verweisen, wie Caravaggio diese für sein Vorhaben inszeniert, ergänzt. In der Deskription, wie Caravaggio den Toten als Bildvorlage verwendet und drapiert, wird die Position von Holofernes im Bild beschrieben. Diese wechselseitige Durchdringung von Bild und Text bezieht sich, und dies liegt im carvaggesken Bildgenre begründet, auf die dem Gemälde zugrundeliegende Geschichte. Denn im Bild präsentiert Judith die Rolle jener Frau, „die sich aus ihrer frommen Klausur verabschiedet, um sich aufreizend und aktiv gegen den Unterdrücker aufzulehnen, und entschlossen den Feind tötet“88. Auf diese Konstellation der starken Frau, die den Feind tötet, wird auf Textebene Bezug genommen. Verbunden werden die beiden unterschiedlichen Geschichten durch die Figur der Fillide. Erzählt wird somit nicht nur die Geschichte von Judith und Holofernes, sondern auch jene von Fillide und Luigi, die zwar unterschiedlich motiviert aber ebenfalls in der Ermordung des Feindes mündet. Der dadurch eröffnete Konkretisierungsbereich zwischen Tat und Ausdruck ruft in der Vorstellung des Lesers das konkrete Gemälde auf. Dem dargestellten „freeze frame“ wird durch die Textebene ein Davor und ein Danach gegeben, das jedoch in seiner Bedeutung dieselben Emotionen („entschlossen, fassungslos und mitleidig zugleich“89) weckt. Diese Emotionen können im Bild-

87 Walther K. Lang: Grausame Bilder, 84. 88 Boris von Brauchitsch: Caravaggio, 66. 89 Ebda.

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medium lediglich durch den Gesichtsausdruck vermittelt werden. Alle diese unterschiedlichen Verfahren der Bezugnahme auf das Gemälde Judith und Holofernes fügen die Einzelelemente kontinuierlich im Lesefluss zusammen, lassen das Bild in der Vorstellung des Lesers entstehen und nützen dies gleichzeitig für die Bedeutungskonstitution des Textes. Das Bild, das sich aus der dargestellten Realität des Textes konstituiert, wird in der Schilderung des Entstehungsprozesses aus statischer Bildpose und situativen Handlungsmomenten zusammengesetzt. Der letzte Satz der ausgewählten Textpassage fügt diesem komplexen Gerüst der intermedialen Gemäldezitation noch ein weiteres, den produktionsästhetischen Prozess betreffendes Element hinzu. Der Hinweis auf die noch vorzunehmenden Änderungen (den Kopf zu übermalen und die nackte Brust zu verhüllen) rekurriert auf den im Bild fixierten Darstellungsmodus. Von Interesse ist dabei, dass die Änderung des Kopfes textintern begründet ist (damit der Ermordete nicht als Luigi identifiziert werden kann), die Übermalung der Brust jedoch auf das Bild zurückzuführen ist, denn „Röntgenaufnahmen zeigen, dass ihre Brüste ursprünglich nackt waren und erst später mit einem Mieder bedeckt wurden“90. Zusammenfassend lässt sich für dieses intermediale Gemäldezitat festhalten, dass abgesehen von der Konkretisierung der Bildfiguren durch Textfiguren auch die Darstellung durch den Vergleichswert und die wechselseitige Durchdringung zur Veranschaulichung genutzt wird. Die Fokussierung auf die Mimik korrespondiert mit der tatsächlichen Anforderung Caravaggios, die Szenen im dramatischsten Augenblick darzustellen. Ein weiteres Beispiel, das ebenfalls aufgrund der Konzentration auf die Mimik zur Gemäldezitation führt, ist das Gemälde Knabe, der von einer Eidechse gebissen wird im Roman von Dominique Fernandez. „Portai le due rose a Tor Sanguigna, chiesi in prestito una caraffa alla governante del Cavaliere, scesi in cucina a farmi dare la lucertola, dopodiché, avendo chiesto a Mario di assumere pressappoco la stessa posa del modello dipinto dall’Anguissola, gli misi una rosa nella massa nera dei capelli e la caraffa davanti con l’altra rosa infilata nel collo. Ebbi qualche difficoltà con la lucertola che non voleva restar ferma. Quando riuscii a bloccarla fra le dita della mano destra di Mario, mano che avrebbe dovuto mordere, e tutto fu pronto, gli annunciai, come una cosa semplicissima, che avevo invitato a cena il nostro vicino. ‚Chi? Rutilio?‘. Ruggì, si raddrizzò come se il rettile lo avesse morso per davvero, alzò la mano sinistra in un gesto di orrore, corrugò la fronte, le pupille gli si rimpicciolirono per la collera, gli occhi gli scintillarono. […] ‚Ma è uno scherzo, suvvia! gli dissi

90 Gilles Lambert: Caravaggio, 58.

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quando ebbi schizzato al volo il quadro. Avevo bisogno di quell’espressione. Guarda che faccia fai quando sei morso dalla gelosia‘. […] ‚Oh, la miseria! Che faccia, in effetti!‘. Si sbudellava dalle risa vedendosi la bocca contratta, il volto alterato, le vesti in disordine poiché, nel moto di furore scatenato dal nome di Rutilio, la camicia gli era scivolata sul braccio, lasciandogli scoperta la spalla bruna, dettaglio che mi ero affrettato a riprodurre.“91

Dieses Beispiel ist ähnlich aufgebaut und funktionalisiert wie jenes zuvor. In der Bezugskonstellation liegt jedoch ein Unterschied, der sich aufgrund des hier gewählten Bildmotivs ergibt. Die Bildaussage, die in diesem Fall auf keinen historischen Stoff zurückgeht (und somit an dieser Stelle auch repräsentativ als ein Beispiel der caravaggesken Frühwerke angeführt werden soll), erfährt in ihrer textuellen Evozierung eine narrative Ausweitung, die nicht an eine tradierte Geschichte gebunden ist, sondern frei gewählt wurde. Alle weiteren im vorigen Beispiel aufgezeigten Verarbeitungsmöglichkeiten werden in beinahe identischer Weise auch für dieses Gemälde genutzt. Auch hier wird das Bildmedium nur teilweise zur Zitation herangezogen; vorwiegend ergeben sich die zur Visualisierungsstrategie funktionalisierten Verweise über das Tableau vivant auf Textebene. Caravaggio selbst schildert dem Leser die nötigen Schritte und Maßnahmen zur erfolgreichen Umsetzung des von ihm gewählten Themas. Nach der Beschaffung der notwendigen Requisiten92 stattet er sein Modell, das in Anlehnung an eine thematisch ähnliche Darstellung die gewünschte Pose einnehmen soll, mit diesen aus. Dem zuvor gegebenen einzelreferentiellen Verweis auf die Kohlezeichnung Bildnis ihres Sohnes Asdrubale, von einem Krebs gezwickt der Malerin Sofonisba Anguissola kommt keine weitere evozierende Funktion zur Visualisierung zu, sondern gibt textintern lediglich den Stimulus zu einer Darstellung ähnlicher Thematik. Im Zentrum steht der Gesichtsausdruck des Knaben, der auch die Aussage des Bildinhaltes übernimmt, da die Eidechse an sich kaum sichtbar ist. Dieser momentane Ausdruck des Schmerzes wird auf Textebene handlungsrelevant aufgeladen. Denn nachdem Mario (der Freund und Lover Caravaggios) unter Anweisung die verlangte Haltung einnimmt, schürt Caravaggio dessen (bereits im Laufe der Handlung mehrmals betonte) Eifersucht, um die gewünschte Mimik zu erzielen und diese als eingefrorene Momentauf-

91 Dominique Fernandez: La corsa, 149. 92 Was die Eidechse betrifft, so wird der Leser ein paar Seiten zuvor in einer scheinbar unbedeutsamen Bemerkung auf diese aufmerksam gemacht: „Il cuoco aveva addomesticato una lucertola, che dormiva in fondo a una pentola e si lasciava prendere in mano.“ (Ebda. 147).

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nahme in raschen Pinselzügen auf die Leinwand zu bringen. In der darauffolgenden Aufklärung werden durch die Nennung der durch diesen Trick sich ergebenen Haltung und optischen Erscheinung auch die übrigen, für diese Verarbeitungsmethode allerdings sekundären Bildelemente eingebracht. Durch die Ähnlichkeitsbeziehung zwischen Text- und Bildfigur wird der Leser zur Konkretisierung und Visualisierung angehalten; die narrative Ausweitung der Bilddarstellung zur Herbeiführung eines „Als ob“ des Gemäldes konstituiert sich im Vergleich zum vorigen Beispiel erneut über die Parallele von Textcharakter und Bildfigur, das dargestellte Geschehen wird jedoch nicht über die Bildszene verarbeitet, sondern es wird eine sich aus dem Handlungszusammenhang ergebende Möglichkeit gewählt, die den entscheidenden Gesichtsausdruck hervorruft. Den Bildaufbau simulierend setzt in dieser Variante außerdem die Visualisierungsstrategie bei dem zentralen Bildobjekt an und lässt einzelne Details, denen durch diese Konstellation nur sekundäre Bedeutung zukommt (wie zum Beispiel der Vase), unbeachtet. Obwohl diese Verfahren den Prozess der Gemäldeentstehung fokussieren, wird in den bisher vorgestellten Beispielen nicht der maltechnische Anfertigungsprozess in den Blick genommen. Anhand dieser ausgewählten Textpassagen soll auf die konzentrierte Einflechtung der caravaggesken Kunstauffassung hingewiesen werden. Die imitative Gestaltung und das Nachvollziehen des spezifischen Vorganges der Entstehung konzipiert sich nicht nur anhand der Mimik der Figuren, sondern kann auch auf andere Weise, wie zum Beispiel durch das Mitverfolgen von Drapierungen erreicht werden. Die bisherigen Ausführungen fügen sozusagen eine zusätzliche außerbildliche Erklärung hinzu, um das Bild in der Vorstellung des Lesers entstehen zu lassen. Wurde im entsprechenden Kapitel zu den Gemälden Vermeers die Bildidee des Malers vor und während der Bildgenese aus der Sicht des involvierten Modells in Bezug auf den Bildfindungsprozess, der sich über ein Probieren von möglichen Arrangements präsentierte, vorgestellt, so werden hier genetische Bildbeschreibungen aus der Perspektive der posierenden Figuren vorwiegend über die von Caravaggio vorgenommene Drapierung gegeben. Ein Ausschnitt aus Das Vermächtnis des Caravaggio liefert ein Beispiel: „‚Die Leiche stinkt bereits, Michele!‘ ‚Glaubst du, ich rieche es nicht? Glaubst du, mir macht es nichts aus?‘ Seit Stunden hockten und standen sie jetzt hier um Lena herum. Neun zerzauste, ältliche Gestalten mit Glatzen, die allesamt Apostel vorstellen sollten. Michele hatte ihnen Tücher gegeben, die sie als Togen über die Schultern werfen konnten. Lena lag als Maria aufgebahrt in ihrer Mitte, halb entblößt, während sie selbst auf einem einfach gezimmerten Stuhl vor ihr saß und als Maria Magdalena die Tote betrachtete.

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Doch Michele hatte bislang nichts anderes getan, als die Gruppe drapiert, den einen hierhin, den anderen dorthin gestellt [...]. Schließlich war er einer Eingebung gefolgt, auf die Leiter gesprungen und hatte die Pfannen vom Dach gerissen. [...] Unermüdlich pendelte er zwischen Staffelei und Arrangement, zog hier eine Hand zurecht, hob dort einen Kopf, ließ einen Statisten dort die Hände über die Augen legen und hier das Gesicht ganz verbergen, stellte jemanden hin und setzte einen anderen daneben. Er skizzierte und arbeitete wie ein Besessener, brüllte seine Wünsche, säuselte bittend, kreischte und weinte, wenn sich jemand bewegte. [...] Nerina ließ den Kopf auf die Knie sinken, erschöpft und verzweifelt [...]. [...] ‚Ja! Bleib so, bleib! Gut. Ich hätte selbst darauf kommen müssen, Nerina. Nach rechts, etwas mehr nach rechts, so dass der Rücken direkt unterhalb ihres Gesichts zu liegen kommt. Das Hautweiß deines Rückens gleichgesetzt mit dem Gesichtsweiß Lenas. So muss es sein! Soviel Demut, soviel Buße.‘“93

Dieser Ausschnitt stellt nur eine Komponente der im Laufe der Erzählung zum Bild Tod der Jungfrau eingebrachten Mechanismen der Gemäldezitation dar. Die ausgewählte Passage präsentiert eine narrative Ausweitung der Figuren, die auf Textebene auftreten und die im Atelier Caravaggios als Modelle für das anzufertigende Gemälde zur Verfügung stehen. Aus der Sicht Nerinas werden die Arbeitsschritte des Arrangierens bis zur endgültigen Zufriedenheit Caravaggios kommentiert. Textuell veranschaulicht wird aus diesem Blickwinkel die Aufstellung der Apostel um die aufgebahrte Lena unter Berücksichtigung der schwierigen Arbeitsbedingungen, die sich durch die Geruchsbelästigung der Leiche ergeben. Im Tableau vivant des nachgestellten Tod der Jungfrau stellt Lena, die als ein lebendes Bild des Todes tatsächlich aus dem Leben geschieden ist, die heilige Jungfrau Maria dar. Diese bereits bekannte Durchdringung von Text und Bildebene manifestiert sich in diesem Fall in einer quasi zufälligen Reaktion Nerinas, die die Maria Magdalena des Bildes repräsentieren soll. Aus ihrer textintern erfahrenen Verzweiflung und Erschöpfung, die aus den unbarmherzigen Anforderungen Caravaggios resultieren, nimmt sie eine entsprechende Haltung ein, die jener der Verzweiflung Maria Magdalenas angesichts des Todes der Jungfrau entspricht. Das Bild, das der Leser in seiner fixierten Darstellungsform während des narrativen Entstehens im Text vor Augen hat, kann somit als „intersubjektiv bestimmtes Bild abgerufen und für die Bedeutungskonstitution des Textes gewonnen werden“94. Funktionalisiert wird ebenso die Erbarmungslosigkeit Caravaggios, sowohl im Umgang mit seinen Modellen als auch in der Darstellung seiner Themen. Der

93 Peter Dempf: Das Vermächtnis, 46, 47. 94 Irina O. Rajewsky: Intermedialität, 153.

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letzte Satz der Textpassage, der aus dem Blickwinkel des Malers perspektiviert ist, verweist auf den maltechnischen Aspekt des Gemäldes, der von Nerina völlig unbeachtet blieb. Caravaggio äußert sich in erster Linie zum farblichen Aspekt, der sich aus der Haltung Nerinas ergibt. Im Gegensatz zu Zitationsvarianten desselben Bildes, die im vorigen Kapitel vor allem auf die unkonventionelle Darstellung der heiligen Jungfrau Maria rekurrierten, liegt der Fokus in dem hier präsentierten Ausschnitt aufgrund der differenten Perspektivierung auf einem anderen Bilddetail, das jedoch in seiner Funktion auf Textebene das zentrale Element bildet. Es lässt sich festhalten, dass die Art der Gemäldezitation zwar von dem caravaggesken Bildgenre vorgeprägt, der Zugang und die Fokussierung jedoch vom textinternen Stellenwert des jeweiligen Bilddetails abhängig sind und daraus unterschiedliche Bezugnahmen resultieren. Das jeweilige Bild betreffend sind jedoch nicht nur die einzelnen, in unterschiedlichen Kategorien eingebrachten Details relevant, sondern es wird vor allem auf die Rezeption als eine „Zusammenschau“ aller das jeweilige Gemälde betreffenden Zitationsverfahren gezielt. Die Akzentuierung eines Bilddetails, das angesichts der Bildkomposition zwar gleichbedeutend mit allen anderen wäre, aber durch die Bedeutung für die betroffene Figur im Text hervorgehoben wird, zeigt folgendes Beispiel aus Peter Dempfs Das Vermächtnis des Caravaggio. „Besonders geärgert hatte sich Nerina, dass sie ihm Modell für die Caritas Romana hatte stehen müssen, mit halb entblößter Brust, die sie einem Greis auf dem Bild reichte, der seinen Kopf zwischen den Gitterstäben seines Kerkers hindurchzwängte, um sich an ihrer Milch zu laben. Sie kannte die Legende von Cimon und Pero, der Tochter, die ihrem alten Vater durchs Kerkerfenster die Brust reichte, damit er überlebte. Sie wusste um die Bedeutung, die für die Speisung der Hungernden und die Sorge um die Gefangenen stand, aber ihr gefiel es nicht, dass sie sich zur Verfügung stellen sollte. [...] ‚Hier‘, Michele deutete auf die Szene, über die sich Nerina eben geärgert hatte, und forderte wieder ihre Aufmerksamkeit, ‚hier müsst ihr in einem Bild die tiefe Sorge der Tochter um den Vater mit ihrem inneren Kampf zusammenführen. Ihr ist es unangenehm, dass sie als junge Frau den alten Vater mit ihrer Milch säugt. Im Gesicht der Pero müssen sich Aufopferung und Abscheu mischen. Euer Modell darf sich nicht über den Auftrag freuen, die Brust zu entblößen, sie muss sich dafür schämen – und euch doch ausreichend Zutrauen entgegenbringen.‘ [...] Michele erklärte sein Vorgehen, erklärte, dass er sich vorgenommen habe, die allegorischen Verkörperungen in einen Handlungsablauf zu übersetzen: Die Bestattung der Toten solle durch eine Leiche angezeigt werden, die durchs Bild getragen werde. Der heilige Martin solle seinen Mantel mit dem Bettler teilen, für die Betreuung der Obdachlosen stünden Christus und die Jünger auf dem Weg nach Emmaus, denen ein Wirt die Her-

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berge weise. Samson trinke aus einem Eselskinnbacken und repräsentiere so die Dürstenden, die getränkt würden.“95

Auf diese Weise zählt nun Caravaggio alle verbleibenden Teilszenen des Gemäldes Die Sieben Werke der Barmherzigkeit auf. Auch in dieser Variante der Gemäldezitation herrscht ein Hin- und Herspringen zwischen den Ebenen des Textes und des Bildes vor. Im letzten Teil des Ausschnitts gibt Caravaggio über seinen Plan, alle Werke der Barmherzigkeit in einem einzigen Bild darstellen zu wollen, Auskunft. Dass es sich um die Schilderung von Vorstellungsbildern und nicht der auf Malgrund festgelegten Szenen handelt, markieren Formulierungen wie „die Bestattung solle angezeigt werden, der heilige Martin solle...“. Die Benennung dieser Einzelsequenzen reicht aus, um sie in der Vorstellung des Lesers mit dem konkreten Kunstwerk zu verbinden. Weitere Charakterisierungen oder detailliertere Angaben dieser einzelnen Szenen sind nicht notwendig, da ihnen auf Textebene keine weitere Bedeutung zukommt. Vielmehr interessiert die Neuerung dieses gängigen Sujets und dadurch die Akzentuierung des Unkonventionalitätskonzepts; denn „es war das erste Mal, dass ein Maler es wagte, die sieben im Evangelium nach Matthäus beschriebenen Werke in einem einzigen Bild darzustellen“96. Nur auf die Darstellung des Verses „Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mir zu essen gegeben“ wird genauer Bezug genommen, kommt ihr doch auf Textebene zentrale Bedeutung zu. Denn es ist Nerina, die für diese Szene posiert und die nun ihren Ärger über diese unangenehme Aufgabe einbringt. Die Grenze zwischen der Deskription der von ihr eingenommenen Haltung im lebenden Bild und der Umsetzung dieser auf der Leinwand ist nicht klar gezogen und kann sich daher auf beide Ebenen beziehen. Diese Art des kursiven Erzählens setzt in einer Beschreibung beide diegetischen Ebenen parallel und funktionalisiert sie gegenseitig. Hinzu kommt, dass Nerina nicht nur ihr optisches Erscheinungsbild beschreibt, sondern zusätzlich auch über die historische Bedeutung der Darstellung informiert. Der der Bildszene zugrundeliegende historische Stoff wird zwar an dieser Stelle noch nicht funktionalisierend in die Beschreibung eingebunden, er wird jedoch thematisiert. Bedeutungskonstitutiv verarbeitet wird er erst, als Caravaggio die beiden Situationen (über das Modell) in Bezug setzt. Wie bereits mehrfach betont, ist der Gesichtsausdruck für die Wirkung des jeweiligen Kunstwerks für Caravaggio zentral; folglich setzt er auch in diesem Zusammenhang bei der Herbeiführung des gewünschten Ausdrucksgehalts an. Aufopferung und Abscheu werden nun textintern provoziert,

95 Peter Dempf: Das Vermächtnis, 162, 163. 96 Gilles Lambert: Caravaggio, 81.

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um der Anforderung gemäß ins Bild gebracht zu werden. Aufopferung und Abscheu werden im Text ausformuliert und bildlich durch den Ausdruck Peros ergänzt. Wie sich gezeigt hat, handelt es sich hierbei um eine häufig eingesetzte Methode der intermedialen Gemäldezitate. Die textuell evozierte Bildvisualisierung kann sich jedoch auch aus der Schilderung der Positionierung der einzelnen Modelle ergeben. Um die Rezeption auf Einzelheiten wie zum Beispiel die Mimik zu lenken, bedarf es ausführlicher Behandlung, die jedoch nicht in Bezug auf jedes eingebrachte Gemälde nötig ist, wie folgende Passage zum Gemälde Berufung des heiligen Matthäus zeigt. „Quando tutti furono pronti, misi in posizione i diversi personaggi. Levi, il pubblicano, è seduto a un tavolo con i suoi quattro assistenti nella stanza buia che serve loro da ufficio. Cristo entra da destra, accompagnato da san Pietro. Stende il braccio destro e punta l’indice. Levi e due dei suoi aiutanti si voltano verso i visitatori. Benché sorpresi dal gesto di Cristo, si mostrano disposti ad ascoltare il suo richiamo. Gli altri due, chini sul tavolo, continuano a contare le monete, senza rendersi conto che il Salvatore è fra loro.“97

Ohne die anfängliche Erklärung „misi in posizione i personaggi“ wäre die darauffolgende Charakterisierung nicht als der Aufbau eines Tableau vivant, sondern als eine Beschreibung der auf der Leinwand abgebildeten Szene zu verstehen. Nur diese Beifügung markiert einen Vorgang auf Textebene. Diese Konstellation stellt ein intermediales Gemäldezitat dar, das zwar in Form des Bilddrapierungsprozesses eingebracht wird, durch diese Variante jedoch keinerlei Funktionen für den Text oder das Gemälde mit sich bringt. Eine weitere Möglichkeit, die unter diesem Aspekt der Betonung des Prozessualen der Bildfindung und Bilddrapierung zu berücksichtigen ist, zeigt der folgende Textausschnitt aus La corsa all’abisso von Fernandez, der zwar ebenfalls ein Tableau vivant auf Textebene beschreibt, für dessen Zustandekommen jedoch in keiner Weise Caravaggio verantwortlich ist. „È completamente nudo di fronte alla porta, a gambe aperte, in mezzo alla stanza devastata. Come ha avuto l’audacia di assumere quella posa? In piedi sulla gamba destra, ha posato l’altra sul letto, orizzontalmente. La posizione libera valorizza il sesso e grazie alla divaricazione accentuata delle cosce vedo anche l’inizio della fessura delle natiche. [...] Ai piedi del letto ha spinto e ammucchiato, per caso o intenzionalmente, una serie di accessori molto vari: degli strumenti musicali (riconosco il violino del Riposo nella fuga in

97 Dominique Fernandez: La corsa, 276.

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Egitto, il liuto del Suonatore di liuto), uno spartito (quello del Concerto), la corazza, un compasso, una squadra, un libro, una penna d’oca, un ramo di alloro, diversi altri piccoli oggetti o frantumi. [...] Dietro la coscia di Gregorio, scorgo i resti del mappamondo disseminato di stelle d’oro. Lo sforzo di divaricare la gamba e di spingerla lateralmente provoca una leggera torsione del busto che scava delle pieghe sul ventre, sopra l’ombelico. Inclina il capo di lato, mi lancia uno sguardo malizioso, ride. La massa dei capelli neri gli scende fino alle sopracciglia. [...] ‚Non muoverti, gli dico. Soprattutto non muoverti!‘. [...] Non ho bisogno di prendere nuovi accessori né di modificare la disposizione di questi.“98

Gregorio nimmt in einer beiläufigen Situation scheinbar unbewusst eine Position ein, die Caravaggio als ein gelungenes Bildmotiv erscheint und das er ohne Veränderungen vorzunehmen auf die Leinwand übertragen möchte. Indem er die Haltung Gregorios und die um ihn herum ausgebreiteten Gegenstände euphorisch beschreibt, ist nach wenigen Zeilen das Beschriebene eindeutig dem Bild Der siegreiche Amor zuzuordnen. Dieses aus dem Handlungskontext heraus entstehende Bildmotiv stellt einen Sonderfall dar, denn normalerweise ist stets Caravaggio aktiv in den Drapierungsvorgang involviert. Aber auch bezüglich eines anderen Aspektes ist dieses Beispiel untypisch. Das Phänomen einzelne Bildelemente mittels einzelreferentieller Verweise innerhalb des Werksystems in Relation zu setzen, war bisher vorwiegend als Visualisierungsstrategie der Bilder Vermeers zu beobachten. Jedoch kommt diesem Verfahren im gewählten Beispiel in erster Linie textintern Bedeutung zu, da durch die Erwähnung, dass diese Gegenstände bereits in anderen Gemälden als Accessoires dienten, die Umverteilung gerade dieser Utensilien an Erklärung und Plausibilität gewinnt. Die bisher vorgestellten Varianten der intermedialen Gemäldezitate, die über den Bildentstehungsprozess in das Textgeschehen eingebracht werden, nutzen die Auflösung der statischen Einheit des Gemäldes als Basis für die Visualisierungs- und Konkretisierungsstrategie und bieten auf diese Weise dem vielschichtigen System eine ergänzende Komponente. Nicht nur die bewusste Herbeiführung durch Caravaggio, sondern auch die Möglichkeit, dass sich durch ein scheinbar beiläufiges Textgeschehen ein Bilddetail erst ergibt, bietet eine Variante. Somit wird auch auf diese Weise dem dargestellten Bildmotiv auf Textebene ein Davor und Danach gegeben, das sich nicht primär auf das Modell bezieht. Es handelt sich dabei nicht wie im vorigen Beispiel um eine zufällige Situation, die die gesamte Bildanlage ergibt, sondern stets nur um einzelne Details, die in ihrer Relevanz jedoch den Grund der Aufmerksamkeitserregung bilden

98 Ebda. 331, 332.

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und den zentralen Ausgangspunkt der Gemäldezitation darstellen, wie folgender Ausschnitt aus Il colore del sole von Andrea Camilleri beweist. „Ho deciso che la dipintura del Seppellimento avrà in prima li doi seppellitori che il die passato vidi a lo cemeterio mentre stavan iscavando una fossa. Uno d’essi, veggendo come io isguardava attento lo lavoro suo, meco motteggiò se sariami piaciuto giacere in una fossa da loro approntata. Io resposi che una fossa valeva l’altra ma lui dissemi ciò non esser vero perché ogni morto dee avere una fossa acconcia. Io farò che lo corpo de la santa sia disteso longo la fossa appena principiata come se li seppellitori di lei pigliassero giusta misura.“99

Dieses Gemäldezitat ist eines der wenigen im Kontext Caravaggios, das ohne den einzelreferentiellen Verweis des Werktitels auskommt; doch bereits im ersten Satz wird durch die geplante Lokalisierung der beiden Bestatter im Bildvordergrund jenes unkonventionelle Bilddetail angeführt, das die Darstellung eindeutig dem Gemälde Begräbnis der heiligen Lucia zuordnen lässt. Die kurze Anekdote, die Caravaggio einbringt, scheint angesichts des Bildaufbaus eine plausible Erklärung. Dieses bereits bekannte Wechselspiel der gegenseitigen Konkretisierung wird auch in diesem Verfahren angewandt, jedoch ist die Begebenheit der Entstehung vorgelagert und wird nicht von Caravaggio bewusst herbeigeführt. Nicht nur fiktive Geschehnisse kann sich der Autor für den Text zunutze machen, um in der Vorstellung des Lesers das jeweilige Bild aufzurufen, auch historische Ereignisse können vorwiegend in jenen Texten, die den Plot zur Zeit Caravaggios ansiedeln, verarbeitet werden. Ein Beispiel dafür zeigt folgende Passage aus dem Roman von Dominique Fernandez: „Mi affrettai a ritornare nello studio e a dipingere di nuovo la figura di Oloferne: vena più gonfia sulla fronte, sopracciglia più arcuate, occhi fuori dalle orbite, bocca spalancata, ho riprodotto con una precisione anatomica i tormenti della morta, come li avevo osservati sul volto di Beatrice. Mi sono soffermato soprattutto sui particolari della lingua, incollata al palato dal terrore. Niente di più raccapricciante di quella lingua, ficcata come un pezzo di carne rosa in fondo alla bocca che non ha più la forza di gridare.“100

Die Figur des Caravaggio schildert in diesem Auszug welche Änderung am Gesicht des Holofernes seines Werkes Judith und Holofernes vorzunehmen ist. Diesem Ausschnitt geht im Text eine das gesamte Bild betreffende Beschreibung

99 Andrea Camilleri: Il colore del sole. Milano 2007, 80. 100 Dominique Fernandez: La corsa, 275.

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voraus; in dem hier präsentierten Zusammenhang wird jedoch ausschließlich auf die Expressivität des Gesichtsausdrucks, der mit einem relevanten Geschehen der dargestellten Realität des Textes verknüpft wird, rekurriert. Caravaggios kommentierter Schilderung der Arbeitsschritte geht das Beiwohnen an der öffentlichen Hinrichtung von Beatrice Cenci voraus. Tatsächlich ist in der Forschung „als ein möglicher zeitgeschichtlicher Aufhänger des Bildes [...] der aufsehenerregende Skandalprozess gegen die Familie Cenci erwähnt worden. 1598 war Francesco Cenci auf Anstiften seiner Tochter Beatrice, die er sexuell missbraucht haben soll, brutal ermordet worden. Die Hinrichtung der Familie Cenci fand im September 1599 statt.“101 Den evozierenden Vergleich führt die Figur des Malers mit der Formulierung „come li avevo osservati“ ein und spezifiziert dadurch auch den beschriebenen Ausdruck Beatrice Cencis. Die in diesem Kunstwerk betonte Prozesshaftigkeit der Tötung, die Caravaggio in der Folge auch in anderen Gemälden umsetzte, resultierte laut Forschungsmeinung aus der Notwendigkeit „zwecks naturalistischer Wiedergabe solcher Szenen den öffentlichen Hinrichtungen bei[zu]wohnen und die Mimik der Sterbenden [zu] studieren“102. Diese historisch belegten Ereignisse werden verhältnismäßig selten in die Texte einbezogen, da sie wenig Freiraum für Ausdeutungen bieten. Bevorzugt wird skurril anmutenden Details der caravaggesken Bildkompositionen eine Geschichte zugeschrieben, die sich aus dem Handlungszusammenhang und der Relevanz des speziellen Bildelements ergibt. Diese Varianten der intermedialen Gemäldezitation zum produktionsästhetischen Prozess funktionalisieren jedoch nicht die der Darstellung zugrundeliegende biblische oder historische Geschichte. „I domestici del palazzo posero sulla tavola cui ero seduto con Mario un pollo arrosto grondante d’olio forse per nasconderci quanto fosse magro. […] Quanto a me, seppi all’istante che quello scheletro era provvidenziale. Avevo trovato l’elemento che mi mancava. ‚Non lo tagliate subito‘ dissi al cameriere che si avvicinava con un coltello. Mi rialzai, ripresi i pennelli e, accanto alla frutta, alla pagnotta, alla caraffa di vino, misi il pollo davanti ai pellegrini. Sdraiato sul dorso, con le zampe all’aria, raggomitolato, rigido, sembra tutto pelle e ossa. Mi premurai di accentuarne l’aspetto funebre, dipingendo in bruno scuro le parti inferiori scheletriche delle cosce e in nero gli artigli delle dita rattrappite, in

101 Walther K. Lang: Grausame Bilder, 81. Im selben Jahr entstand auch das Gemälde Judith und Holofernes. 102 Ebda. 85.

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modo che quel gallinaceo non sembrasse soltanto un uccello morto, ma il messaggero di malaugurio che annuncia le sofferenze e il supplizio del Salvatore.“103

Im Zentrum steht das Geflügel, das Caravaggio und seinen Freunden serviert wird und das in seinem Bild Gastmahl in Emmaus in der Mitte des Tisches umgeben von Brot, Wein und einem Früchtestillleben platziert ist. Aus einer Alltagssituation heraus offenbart sich ihm der Einfall das Geflügel als Bildvorlage zu verwenden. Die anfängliche Deskription des servierten, äußerst mageren Geflügels korrespondiert in der Folge mit der Darstellung dessen im Gemälde und kann daher postmarkierend als partielle Bildbeschreibung angesehen werden. Der Ausschnitt konzentriert sich ausschließlich auf das Tier; als Mahlzeit, in Form und Farbe auf der Leinwand und in der von Caravaggio geäußerten, interpretativen Bedeutung als Vorbote des Todes Christi. Im Laufe der Handlung setzt sich der Gemäldeeindruck allmählich zusammen, denn im genannten Beispiel geht es in der Folge um das Geflügel als explizit textinternen Bestandteil der diesbezüglichen Situation („quando il cameriere ci ebbe servito le nostre porzioni, il pollo era freddo.“104). Jedoch wird nicht allen Bildelementen eine derart genaue Berücksichtigung geschenkt, da diese auch nicht handlungsmitbestimmend eingesetzt werden. In dieser Textpassage wird aber abgesehen von der Findung des geeigneten Bilddetails mittels der maltechnischen Ergänzungen auf den nächsten Arbeitsschritt der Gemäldeanfertigung übergeleitet. Die Fokussierung der materiellen Seite des Gemäldes ergänzt den vorwiegend behandelten bildmotivischen Aspekt und unterstreicht dadurch den Kunstwerkcharakter. Dank der genetischen Bildbeschreibung kann durch die Nennung der Farbe und der ihr zugeteilten Position und Funktion nicht nur das prozessuale Anfertigen mitverfolgt werden, sondern durch diese Methode wird auch das Gemälde als Konglomerat von Inhalt und Materialität in den Vordergrund gerückt. Die Bildvisualisierung erfolgt in Kombination von kommentiertem Farbauftrag und zugeteilten Figuren oder Gegenständen wie am Beispiel aus Luca Desiatos Roman La notte dell’angelo zu erkennen ist. „Nella tela della Decollazione del Battista Michelangelo talmente ci si immedesimò che man mano che si avvicinava al compimento pativa la voglia di non staccarsene. Continuava a ridipingere, a rifinire. Qua una pennellata, là un’agitazione minima di colore, dentro un’ombra ancora una gravezza, e ora faceva morire le tinte del mantello del martire a terra, ora raddolciva le braccia tese di Salomè. Persino la curiosità dei due carcerati che

103 Dominique Fernandez: La corsa, 254. 104 Ebda.

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osservavano la scena da una finestra l’aveva travagliata con un colore livido, facce degradate verde vescica, mentre il volto del martire rimandava un bagliore, che lentamente si spegneva. Sul collo gli restava la riga oscena del sangue.“105

Die anfänglich allgemein gehaltene Schilderung des Malvorgangs konkretisiert sich zunehmend durch die Benennung dessen, was und in welcher Farbe gemalt oder geändert wird. Im Zuge dieser Methode wird die dargestellte Szene in groben Zügen aufgerufen. Dieser Ausschnitt zeigt jedoch auf, dass diese Form des intermedialen Gemäldezitats meist in Kombination mit einer epischen Bildbeschreibung erfolgt oder sich zu einer solchen verdichtet. Die sich ausnahmslos über farbliche Realisierungsmöglichkeiten konstituierende Zitatvariante ist selten. Die Fokussierung des produktionsästhetischen Malvorgangs kann in den Texten nicht nur in Verbindung mit epischen Bilddeskriptionen bewerkstelligt werden, sondern, wie folgendes Beispiel aus dem Roman La corsa all’abisso zeigt, auch mit den bereits vorgestellten Drapierungsfragen einhergehen. „Secondo la mia abitudine, ho cominciato dallo sfondo, dove ho dipinto, su una collina in pieno sole, una chiesa bella e grande, il cui campanile merlato si staglia contro il cielo luminoso. […] Isidoro, capocuoco del palazzo, mi portò, da parte del cardinale, alcuni rami di alloro. I suoi aiutanti trascinavano un ariete. Isidoro era un vecchio calvo, cui la fronte rugosa e la barba fluente davano l’aspetto di un patriarca. Dove prendere un miglior modello per Abramo?“106

Es zeigt sich, dass die hier gewählte Variante einen Sprung zwischen den beiden diegetischen Ebenen des Textes und des Bildes unternimmt, um die Anschaulichkeit der halbfertigen Darstellung mittels Charakterisierungen der posierenden Textfiguren zu verdichten. Durch die Konzentration auf farb- und formtechnische Aspekte des Gemäldes wird das Motiv in die Bestandteile seiner künstlerischen Umsetzung zerlegt. „La materia, rosso-bruna, uniformemente opaca, era penetrata nelle fibre del tessuto, qua sottile e trasparente, là corposa e ancora umida. Era fatta di un impasto di ocre e nero vegetale diluito con olio spremuto dai semi della linosa […]. Non aveva voluto usare litargirio, nonostante avesse fretta, altrimenti il morbido velo di colore si sarebbe sì essiccato, ma troppo in fretta, lasciando una superficie pericolosamente cristallina. Ormai aveva chiara l’intera composizione. Con un grosso pennello riprese a integrare l’imprimitura con

105 Luca Desiato: La notte, 248, 249. 106 Dominique Fernandez: La corsa, 203.

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terra fine di colore bruno. Oscurò i campi a guazzo, là dove prevedeva di rappresentare il vasto muro della catacomba incombente sulla scena del dolore […].“107 „La morta giaceva sulla zolla, coperta dalle modeste vesti d’ogni giorno, rischiarata da una luce tenue che batteva bassa, disfatta, in onde concentriche, a illuminarne il petto, l’omero, la spalla, e le mani: una riversa, semiaperta; l’altra chiusa, posata sopra il ventre. La testa, molle, era adagiata nel flusso castano dei capelli. Il collo resecato, il labbro tumefatto, il naso e le arcate delle orbite erano ravvivati, da sotto in su, da un barlume spento, sciolto nell’ombra livida del cimitero sotterraneo. ‚Dov’è il pugnale? E la palma e la patena con le sclere, dove sono?‘“108 „Aveva riattaccato la testa al busto di Lucia con un ritocco di mestiere che riempì lo squarcio che ora appariva come una ferita di pugnale: un’asola vermiglia, slabbrata appena sulla gola bianca.“109

Diese repräsentativ gewählten Ausschnitte aus Pino di Silvestros La fuga, la sosta, die nicht in dieser kompakten Form im Text eingebracht sind, sondern über mehrere Seiten jeweils einen anderen Aspekt des Gemäldes Begräbnis der heiligen Lucia behandeln, vereinen einen Großteil der bereits präsentierten Varianten der intermedialen Gemäldezitation. Der erste und dritte Teil des Auszugs sind vor allem im Rahmen der in diesem Kapitel untersuchten Form des Gemäldezitats in Hinblick auf die Bildgenese interessant, während der zweite Teil auf das Kunstwerk im vollendeten Zustand rekurriert. Zu Beginn steht der produktionsästhetische, technische Aspekt im Zentrum, da die Konsistenz und Zusammensetzung der Farbe für den Untergrund beleuchtet wird. In der Folge fließen bereits erste Elemente der Darstellung in Verbindung mit dem zugeschriebenen Farbwert in die Beschreibung ein. Im zweiten Teil wird die Haltung und das Äußere Lucias mit detaillierter Angabe des Gesichtsausdrucks beschrieben, befindet sich ja in der Endversion das entscheidende Detail der Stichwunde in der Halsregion. Durch die genaue Fokussierung der Kopf-, und Halspartie wird die Aufmerksamkeit gezielt auf das unkonventionelle Bildelement gelenkt. Die darauffolgenden Fragen „dove il pugnale“ etc. verweisen auf die gängige Behandlung dieses Sujets und die zugrundeliegende historische Begebenheit. „In traditional iconography she is depicted holding a small dish containing her eyes. Other

107 Pino di Silvestro: La fuga, la sosta, 199. 108 Ebda. 209. 109 Ebda. 214.

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common features in the way she is usually portrayed are the presence of a knife stuck in her throat or of a bundle of corn in her arms.“110 Das Unkonventionelle lässt sich jedoch nicht nur im Fehlen der bekannten Attribute erkennen, sondern auch daran, dass Caravaggio ursprünglich den Kopf abgetrennt gemalt hatte. Hierbei handelt es sich, wie auch im Kapitel zu Vermeer gezeigt wurde, nicht um eine erfundene Änderung, sondern um eine nachweisliche Bildmodifikation. „Caravaggio, der zunächst das Haupt der Lucia abgetrennt von ihrem Körper gemalt hatte, musste diese Form des Martyriums offenbar korrigieren und hat nachträglich die Stichwunde am Hals angedeutet.“111 Weiters schreibt Pino di Silvestro der Darstellung eine persönliche Bedeutung für Caravaggio zu, die er in Form von Erinnerungen an familieninterne Schicksale in das Motiv einarbeitet. Gestärkt wird dadurch die Verbindung von Leben und Werk und das Konzept der wechselseitigen Konkretisierung, das den rezeptiven Imaginationsprozess über den Entstehungsprozess vorantreibt. „Undoubtedly, however, this painting is also highly autobiographical and, as Di Silvestro suggests in his novel, the enormous figures of the undertakers […] seem to convey the sense of bewilderment that young Caravaggio must have felt when, during the plague epidemic of 1576, within a few weeks, he lost his father and grandfather, who actually died on the same night, and an uncle.“112 Die autobiografische Dimension der Gemälde Caravaggios bietet eine besondere Vorlage für die intermediale Verarbeitung. Genutzt werden Selbstbildnisse als handlungskonstituierende Elemente, da sie nicht nur im Bild eine Relation zur repräsentierten Figur herstellen, sondern diese Konstellation auch in den Erzähltexten funktionalisiert werden kann. Dafür wird erneut das dreistufige Modell von Bild, zugrundeliegendem Stoff und Text herangezogen. In welcher besonderen Variante diese drei Ebenen ineinander übergehen und sich textintern beeinflussen, soll folgendes Beispiel veranschaulichen. Denn im Rahmen der in diesem Kapitel untersuchten intermedialen Gemäldezitate, die den Prozess der Gemäldeanfertigung fokussieren, lässt sich eine weitere Verarbeitungsvariante beobachten, die dem jeweiligen Gemälde nicht nur für einen gewissen Abschnitt der Texthandlung Bedeutung zumisst, sondern durch die zeitlich-narrative Komponente der kontinuierlichen Entstehung für den Gesamttext von Relevanz ist. Ein Gemälde als Rätsel wird durch die Zuweisung der Charaktere und der daran

110 Laura Rorato: „The Colour of Light: Caravaggio’s The Burial of St. Lucy Revisited by Pino Di Silvestro in La Fuga, La Sosta“ in: Romance Studies 23/2 (2005), 131141, 138, 139. 111 Jutta Held: Caravaggio, 187. 112 Laura Rorato: „The Colour of Light“, 139.

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geknüpften Geschichte im Roman von Peter Dempf gestaltet. Denn die vom textinternen Caravaggio am Bild vorgenommenen Modifikationen oder Detailausarbeitungen verändern und klären das Handlungsgeschehen. In einem zentralen Gemälde läuft die Handlung zusammen, während aber auf viele weitere Gemälde in den jeweiligen Lebenssituationen Bezug genommen wird. Peter Dempf erzählt in Das Vermächtnis des Caravaggio die spektakuläre Lebensgeschichte Caravaggios, der über Jahre hinweg von Nerina begleitet wird. Als die beiden von Rom über Neapel nach Malta flüchten, bestätigt sich Nerinas Verdacht, dass es in der Vergangenheit des Malers einen schrecklichen Vorfall gegeben haben muss, über den Caravaggio jedoch nicht spricht. Zwei Feinde sind den beiden auf den Fersen und trachten ihnen nach dem Leben, da sich ein Geheimnis hinter der tatsächlichen Herkunft Nerinas versteckt. Das Rätsel um die Zusammenhänge der auftretenden Figuren und ihre Rolle und Funktion in der Vergangenheit, die Caravaggio nicht preisgibt, wird in die Darstellung des Gemäldes verpackt. Um jedoch die Nachwelt auf seinen potentiellen Mörder aufmerksam zu machen, fügt Caravaggio dessen Gestalt in das Bild Haupt des Johannes ein. Vorwiegend Nerina ist es, die die Arbeitsschritte an diesem Bild kommentiert und versucht durch die den Bildfiguren zugeordneten Charaktere dem Rätsel auf die Schliche zu kommen. Auf diese Weise wird jedoch nicht nur die Handlung vorangetrieben, durch das evozierte Nachspüren der Entstehung des Gemäldes mittels diverser Formen intermedialer Bezugnahmen wird das Bild in der Vorstellung des Lesers kontinuierlich aufgerufen. „Ein Kopf prangte inmitten der dunklen Grundierung, dessen abschreckender Ausdruck Enrico sofort veranlasste, das Tuch wieder darüberzulegen. Vom Körper abgetrennt, lag unfertig, unausgearbeitet, aber dennoch bereits deutlich zu erkennen, auf einem nur angedeuteten Tablett der Kopf Micheles, als würde er serviert, blass, blutleer, starr, mit gebrochenen Augen und halboffenem Mund, als wolle er schreien. ‚Das Haupt des Johannes!‘ flüsterte Nerina. ‚Er wollte unbedingt mit diesem Bild beginnen.‘“113

Durch die Betonung des unfertigen Zustandes wird das Prozessuale der künstlerischen Praxis in den Mittelpunkt gestellt. Das textintern zentrale Detail des Bildes, nämlich der Kopf, der eindeutig die Züge Caravaggios zeigt, ist jedoch bereits klar erkennbar. Die genaue Beschreibung des abgetrennten Kopfes nimmt die Grausamkeit der Darstellung in den Blick und der Zusatz, dass Caravaggio dieses Bild unbedingt beginnen wollte, weist im Gegensatz zu den anderen im Text angefertigten Bildern darauf hin, dass es sich um keine Auftragsarbeit han-

113 Peter Dempf: Das Vermächtnis, 125, 126.

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delt. Somit wird bereits eine Abgrenzung zu anderen Gemälden vorgenommen. Das Bild ist im Text nicht von andauerndem, zentralem Interesse, sondern gerät in den Hintergrund, sobald andere Gemälde anzufertigen sind oder wenn alltägliche Situationen im Leben Caravaggios beleuchtet werden. Nimmt Caravaggio die Arbeit wieder auf, wird auf das Gemälde erneut Bezug genommen, jedoch wird der anfängliche Zustand erweitert und der Fortgang des Malprozesses schafft auch bezüglich anderer Figuren Klarheit. In der Konstellation des einbezogenen, dem Motiv zugrundeliegenden Stoffes wird die bildlich dargestellte Tat von den historischen Personen gelöst und durch die Textcharaktere ersetzt; die intendierte Geschichte der Ermordung ist auf Textebene relevant. „Vor ihr baute sich Das Haupt des Johannes auf. Neben Micheles Kopf, der bereits deutliche Konturen zeigte und beinahe vollständig porträtiert war, trat ein weiteres Gesicht deutlich zutage: der Soldat, der dem Johannes den Kopf abgeschnitten hatte und ihn an Salome weitergab. ‚Das ist er, Michele! Das ist er.‘ ‚Wer?‘ Michele schien völlig unbeteiligt zu sein und warf ein Tuch über das Gemälde. ‚Der Fremde‘, flüsterte Nerina und sah Michele ungläubig an. ‚Woher kennst du ihn?‘“114 „Es wird Furore machen, dieses Bild, wenn es in Rom öffentlich ausgestellt werden wird. Jeder wird fragen, wer sind die Menschen, die den Kopf Michelangelo Merisis da Caravaggio der Salome auf silberner Platte servieren? Und ich werde die Antwort dafür liefern, ich werde hinausposaunen, wer mich zu einem solchen Bild zwingt.“115

Diese für den Bildentstehungs-, und auch Handlungsprozess repräsentativ ausgewählten Ausschnitte erweitern die Fakten um das Bild. Neben dem bereits identifizierten und durch die Beschreibung visualisierten Kopf des Johannes verleiht der Maler nun auch einer weiteren Figur ein eindeutiges Gesicht. In dieser fortlaufenden Form der Bilddeskription steht jedoch nicht der vom Leser vorzunehmende Imaginationsprozess im Zentrum des Bestrebens, sondern die für die Geschichte zentrale narrative Ausweitung über die für Nerina noch nicht identifizierbare Figur, die darüber Auskunft geben würde, wer Caravaggio nach dem Leben trachtet. Im zweiten Teil meldet sich Caravaggio selbst zu Wort und löst nun vollständig die historische Geschichte von der persönlich erlebten; der Darstellungsgehalt dient als Schablone für die dargestellte Realität des Textes. Diese Variante des intermedialen Gemäldezitats strapaziert das Verfolgen der zeitlich-narrativen Bauformen in besonderem Maße, da die Einzelsequenzen mit der Fokussierung neuer Bilddetails über die Gesamthandlung hinweg die Leis-

114 Ebda. 175. 115 Ebda. 256.

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tung des Lesers zum Zusammenschluss der Teile gewährleisten müssen. Daher wird bei jeder Wiederaufnahme des Gemäldes eine kurze Wiederholung der bereits geklärten Zuweisungen vorangestellt und mit neuen Erkenntnissen ergänzt. „Michele arbeitete an dem Soldaten, in dem sie Fra Domenico erkannte, am Henker, der die Züge Pater Leonardus’ aufwies, während er die Salome, Auftraggeberin und Nutznießerin dieses Mordes, unberührt ließ. Warum hatte sie ihr Gesicht? Gehörte sie zu den Menschen, die Michele verfolgten und schaden versuchten, zu den langsamen Mördern Caravaggios? Sicherlich nicht. Irgendwo in Micheles Vergangenheit musste die Antwort liegen.“116 „Mir kommt ein Verdacht, Kardinal. Wenn Ihr das Gesicht der Salome genauer betrachtet. Könnte es nicht sein...natürlich, es wäre des Rätsels Lösung. So muss es sein.“117

Erst am Ende des Romans löst sich die Konstellation um die geheimnisvolle Abstammung Nerinas auf. Dieses Beispiel gilt als exemplarisches Muster für die vielschichtige Verarbeitung eines Gemäldes, das als Motor der Erzählung fungiert und dem handlungskonstituierende Funktion zukommt. Ausgangspunkt dieses intermedialen Phänomens ist das Selbstporträt, das als eine dezidiert auf Textebene vorgenommene Konkretisierung angesehen werden muss, da das zur Bezugnahme herangezogenen Bild in der Forschungsliteratur im Vergleich zu anderen Gemälden Caravaggios wenig behandelt und eine diesbezügliche Klärung der Darstellung nicht vorgenommen wurde. Die Verarbeitung und Funktionalisierung eines tatsächlichen Selbstporträts liefert hingegen Dominique Fernandez, der ebenfalls die spektakuläre Lebensgeschichte Caravaggios in einen Roman verpackt, den Maler dabei aber als Prototyp des homosexuellen Künstlers darstellt und seine Gemälde dahingehend ins Licht setzt. „Ein hinreichendes Verständnis des schöpferischen Werks also kann sich [...] kaum ohne die Spurensicherung biographischer Details einstellen und umgekehrt scheint zu gelten, dass Bilder zum besseren Verständnis einer Künstlerexistenz beitragen, wenn sie Zeichen bereitstellen, die sich narrativ entfalten lassen.“118 Besonders jene Zeichen der sinnlich-erotischen Bildsprache, die viele Forscher und Kritiker über lange Zeit ignoriert haben, sind charakteristisch für den Text; denn Fernandez konzipiert seinen Roman als Bestätigung der homosexuellen Neigung Caravaggios, die in den Bildern offensichtlich zum Ausdruck kommt. Dabei tritt Caravaggio selbst „als im Bild dargestelltes Objekt des Be-

116 Ebda. 526. 117 Ebda. 566. 118 Claudia Öhlschläger: „Die Erscheinung der Gewalt ist seltsam schön“, 155.

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gehrens“119 auf; im Sinne der intermedialen Gemäldezitate zeigt sich erneut eine Verstrickung der verschiedenen Ebenen, die sich für die Bedeutungskonstitution des Textes verantwortlich zeigt. Abgesehen von vielen anderen Bildern, in denen er seine Leidenschaft durchwegs offenbart, interessiert in dieser Form die autobiografische Dimension des Gemäldes David mit dem Kopf des Goliath, das Caravaggio im Laufe der Geschichte angesichts neuer Lebenslagen mehrfach modifiziert. Die bis heute nicht völlig geklärten Umstände seines Todes nützt Fernandez, um den bisher bekannten Vermutungen eine Wende zu geben und auch das Ende des Malers unter dem Licht der homosexuellen Neigung zu beleuchten. Der entkräftete Caravaggio lässt sich am Strand von Porto Ercole von seinem Geliebten Mario Minitti umbringen; veranschaulicht durch das Gemälde David mit dem Kopf des Goliath. „Fu in tali condizioni che cominciai a dipingere il Davide con la testa di Golia. Prima versione di un quadro che avrei ripreso così spesso durante gli anni seguenti. Il costume di Davide, lo scollo della sua camicia, la maniera in cui tiene la spada hanno subito importanti modifiche. La figura stessa di Davide è cambiata totalmente, secondo le identità successive che ho attribuito al giovane vincitore. Per il momento, lo dipingevo come guardia pontificia. Tiene per i capelli la testa mozza di Golia. Davide ha avuto quattro volti, nel corso delle quattro versioni successive del quadro. Golia non è mai cambiato. Fin da questa prima versione ho dipinto me stesso sotto le fattezze del gigante. Si vuole la mia testa: ve la consegno. Un occhio è spento, cupo, sotto la palpebra rialzata. L’altro continua a vivere, sotto la palpebra che cade.“120

Durch den einzelreferentiellen Verweis des Titels wird für den Leser der Bogen für folgende Bildvisualisierungsstrategien aufgespannt. Caravaggio nimmt in diesem ersten Statement zu seinem Gemälde bereits die Entstehungsgeschichte durch die Betonung, dass dieses Bild noch einigen Veränderungen unterzogen werden wird, vorweg. Diese Konstruktion soll die Aufmerksamkeit des Lesers auf die temporären Bildversionen lenken. Caravaggio fügt jedoch hinzu, dass sich die Gestalt des Davids je nach neu zugewiesenem Charakter verändern wird; dadurch wird das dreiteilige Verweisgerüst offengelegt. Der auf Textebene auftretende Caravaggio fertigt das Gemälde David mit dem Kopf des Goliath an, porträtiert jedoch sich selbst in der Gestalt des Goliath und variiert die Figur des David je nach Vorkommnis. Die dem Bildmotiv zugrundeliegende Bildaussage der Ermordung wird von den historischen Persönlichkeiten gelöst und für die

119 Ebda. 152. 120 Dominique Fernandez: La corsa, 383, 384.

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Textebene funktionalisiert. Das Zuweisen jeweils neuer Textcharaktere ergibt sich aus den prekären Lebenslagen, in die Caravaggio gerät. In dieser anfänglichen, aus der Sicht Caravaggios präsentierten Klärung möglicher Veränderungen der Darstellung wird das Bildmotiv in seinen Hauptmerkmalen durch eine eingearbeitete Beschreibung der beiden Figuren und ihrer Haltung zueinander umrissen. Im Zentrum des ersten Rekurses steht das optische Erscheinungsbild des Goliath und die Zuweisung als Selbstbildnis. Nachdem im Laufe der Handlung die Bedrohung durch den „sbirro del Vaticano“ gebannt werden kann, weist Caravaggio der Figur des David einen neuen Charakter zu. „Ripresi il quadro di Davide con la testa di Golia per cambiare la testa di Davide e mettere al posto dello sbirro del Vaticano un agente della polizia maltese. Non avevo più da temere dal Gran Maestro che dal Santo Padre? Questi voleva soltanto applicare la legge; quegli perseguiva una vendetta personale. […] Mario si spaventò constatando che mi ero raffigurato sotto le fattezze di Golia. ‚Perché lo hai fatto? chiedeva con voce alterata. È orribile, non posso sopportare questa vista‘. […] ‚Cambia anche la testa di Golia, ti supplico! Adesso non ti lascerò più, sarò sempre al tuo fianco. Coloro che vogliono la tua pelle dovranno fare i conti con me. Dovranno passare sul mio corpo per ucciderti. Ti scongiuro, Angelo, cambia quella testa. Non sei più solo al mondo, non hai più alcuna ragione di ritrarti come vittima né di immaginare una morte così orribile‘. […] ‚Sì, sì, grazie‘, gli dicevo, ma senza modificare nulla della testa di Golia.“121

Diese Weiterführung der Handlung über das Gemälde dient nicht dem Zuwachs an Eindeutigkeit. Denn abgesehen von der erneuten Fokussierung auf Caravaggio als Goliath, stehen alle weiteren Deutungen zwar mit dem Bild in Verbindung, nehmen jedoch nicht auf weitere bildbestimmende Aspekte Bezug. Der „agente della polizia maltese“ wird zu diesem Zeitpunkt des Handlungsgeschehens nicht an die optische Erscheinung Davids, obwohl er zwar temporär diesen Standpunkt einnimmt, aber nicht der endgültigen Version entspricht, gekoppelt. Das Drängen Mario Minittis auf eine Änderung des Selbstbildnisses wird als weitere, entscheidende Komponente des Bildes eingeführt. Das Verhältnis zueinander und die Angst um den Partner kennzeichnen eine mehr als freundschaftliche Beziehung, die in der Folge auch im Gemälde Ausdruck findet. Das Kunstwerk als thematischer Bezugspunkt dient den textinternen Handlungsfortschritten als Motor. Die Parallelisierung von Caravaggio als Textfigur und als sich am Bild selbst Darstellender ermöglicht zusammen mit der zeitlichen Komponente der Entstehung eine kontinuierliche Verarbeitung des Gemäldes im Text.

121 Ebda. 445, 446.

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„Durante la mia convalescenza, tornai a lavorare al Davide con la testa di Golia. Credendo di far piacere a Mario, cambiai ancora una volta la testa di Davide: al posto dello sbirro maltese della seconda versione, misi Gregorio stesso. […] Seduta stante, cancellai il ritratto di Gregorio e cominciai a sostituirlo con quello di Mario. […] Ho modificato solo il capo: il busto seminudo era dipinto da un pezzo. Era servito via via per l’agente della polizia pontificia, per lo sbirro dell’Ordine di Malta, per Gregorio. Ma, fin dal primo Davide, era proprio il corpo di Mario, solo il suo, che avevo dipinto. Per me, più o meno consapevolmente, la mano dell’amato non poteva essere che quella di Mario; […] Guarda la sua vittima con una tenerezza infinita; si vede bene che non l’ha ucciso per odio, ma per amore. Ho dipinto una relazione d’amore fra i due uomini; un amore che può realizzarsi solo nel delitto e che ha la morte come unica conclusione.“122 (Herv. i.O.)

Im letzten Teil wird nun explizit auf die endgültige, dem Leser bekannte Darstellung Bezug genommen. Fernandez verarbeitet in dieser Verbindung von homosexueller Liebe und Tod die unkonventionelle Differenz der caravaggesken Darstellung im Gegensatz zur gängigen Behandlung dieses Sujets. „Die ikonographische Tradition hat den Sieg des jugendlichen David in aller Regel gefeiert, ohne des gefallenen Gegners zu gedenken. Bei Caravaggio scheint hingegen selbst David über den Tod seines Freundes zu trauern. Den Kopf ein wenig geneigt, den Blick gesenkt, lässt keine Gebärde ein Triumphgefühl erkennen.“123 Die narrative Ausweitung als Facette der intermedialen Gemäldezitate präsentiert in diesem Beispiel eine besonders komplexe Variante, die nicht nur von Text auf Bild, sondern auch von Text auf zugrundeliegenden Stoff erfolgt und mit der Parallelisierung von Bildfiguren und Textfiguren arbeitet. Die dezenten Andeutungen der Forschung, es könnte sich bei diesem Bild um „die Selbstdarstellung als abgeschlagener Kopf in den Händen des Liebespartners“124 handeln, hat Dominique Fernandez umgesetzt.

I NTERMEDIALE G EMÄLDEZITATE ZUR G EMÄLDEREZEPTION Das System der intermedialen Gemäldezitation konzipiert sich abgesehen von den Varianten, die sich über den produktionsästhetischen Prozess und über die Gemälde allgemein einbringen lassen, auch über die Wirkung der Gemälde auf

122 Ebda. 468, 469. 123 Jutta Held: Caravaggio, 173. 124 Walther K. Lang: Grausame Bilder, 134.

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textinterne Rezipienten. Die Schilderung des Reaktionsverhaltens stellt für den Leser eine Schnittstelle für ein emotionales Nachempfinden des Kunstgenusses dar und rekurriert auf persönliche Erfahrungen. Dies kann zwar als eine komplettierende Variante zur textuell evozierten Erfassung des Kunstwerks angesehen werden, reicht jedoch alleine nicht aus, um ein „Als ob“ des Malerischen herbeizuführen. Daher sind im Sinne der intermedialen Gemäldezitation nur jene textinternen Reaktionen von Interesse, an die eine vor- oder nachgestellte Deskription des Bildmotivs gebunden ist. Für diesen Rekursmechanismus wird folglich eine zumindest fragmentarische Benennung des reaktionsauslösenden Bildaspekts zur Visualisierung benötigt. Im Gegensatz zu den gleichnamigen Analysen der Gemäldezitate zu Vermeer sind in Hinblick auf diesbezügliche Verarbeitungsmöglichkeiten einige Unterschiede aufgrund des divergierenden Bildgenres zu beobachten. In den Texten zu Caravaggio treten kaum laienhafte Betrachter auf, die in Besitz eines Gemäldes sind und das eine persönliche Bedeutung für sie hat. Die Bilder Caravaggios dienen nicht wie jene Vermeers zur Selbstreflexion oder zur Identifizierung mit der dargestellten Figur, sondern die Reaktionen der zur Zeit der Bildentstehung auftretenden Textfiguren äußern sich aufgrund des unkonventionellen Bildkonzepts in unterschiedlichen Formen von Betroffenheit. „Man könnte ihn einen Bildermacher nennen, der die religiösen und mythologischen Konventionen der Zeit mit so provozierend lebensnahen, erotischen, erschreckenden oder meditativen Darstellungen beantwortet hat, dass seine Bilder bis heute ein breites Publikum unmittelbar zu beeindrucken vermögen.“125

In diesem Ausschnitt werden zwei unterschiedliche Positionen zum Ausdruck gebracht; denn die zeitliche Distanz zur Bildentstehung bedingt gewisse Reaktionsmuster. Beeindruckt von den Darstellungen sind die Betrachter der caravaggesken Bilder bis heute, einen Skandal oder Inakzeptanz rufen sie jedoch nicht mehr hervor. Dies zeigt sich auch textintern, wie zum Beispiel im Roman The Lost Painting von Jonathan Harr: „The painting looked bigger than she’d thought, even though she’d known its precise measurements. The reflected light glinting from the soldier’s armor was more sharply brilliant, the colors more deeply luminous, than she had expected. The light – it was always the light in Caravaggio’s paintings that astonished her. She came close to see the details, the self-portrait of Caravaggio holding the lantern, the powerful, veined hand of

125 Jürgen Harten: „Auf der Suche nach den alten Bildern“, 16.

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Judas grasping the shoulder of Christ. [...] She felt herself drawn into the drama of the scene, spellbound the way she’d been as a young girl seeing for the first time The Calling of St. Matthew in the church of San Luigi dei Francesi.“126

Die Faszination des Gemäldes Die Gefangennahme Christi geht für Francesca von der Lichtsituation aus. Die Schilderung ihrer emotionalen Befindlichkeit beim Anblick des Originals (im Vergleich zu den Fotos davor) ist an jene Bildelemente gebunden, die besonders vom Lichtstrahl getroffen werden. Dieses simulierende Gemäldezitat, das mittels dieser punktuell bildbezogenen Eigenschaft den narrativen Diskurs modifiziert, führt zur gewünschten Illusionsbildung aufseiten des Lesers, denn es wird ihm durch die Koppelung von geschilderter Faszination an bestimmte Bilddetails eine Anleitung zur Visualisierung gegeben. Begründet wird die Betroffenheit durch die Betonung des ersten Erblickens des Originals; „Francesca knew the painting intimately, first from her imagination, and then from the photographs and slides that Benedetti had shown her at the Hertziana. And yet, seeing it for the first time, she had the eerie, vertiginous sensation of recognizing something familiar [...].“127 Diese Erfahrung wird in Relation zur ersten Begegnung mit Caravaggios Matthäus-Zyklus in der Kirche San Luigi dei Francesi gesetzt, um den Moment des Staunens und der Gebanntheit zu akzentuieren. Die vermittelte Reaktion ist an die Situierung der Handlung angepasst; Francesca wird gemäß ihrer Perspektivierung als Kunsthistorikerin vorwiegend von maltechnischen Besonderheiten wie der Gestaltung des „chiaroscuro“ in den Bann gezogen. Ihre Reaktion auf Caravaggios Kunst impliziert einen positiven Zugang, der aus Bewunderung über dessen Fähigkeiten resultiert. Im Gegensatz dazu stehen die Reaktionen der Bildbetrachter, die nicht aus einer großen zeitlichen Distanz auf die Gemälde blicken und die meist mit ablehnender Haltung reagieren. In den Texten, die den Plot zu Caravaggios Lebzeiten ansiedeln, werden vorwiegend jene Kunstwerke verarbeitet, die in ihrem Ausdruck besonders umstritten, skandalös und provokant waren. Der krude Effekt brutaler Sujets, hässliche Physiognomien, die Zerstückelung des Körpers und abgeschlagene Köpfe sind die Wirkungsmechanismen der Darstellung von Grausamkeit, die Schrecken hervorrufen. Die Reaktionen resultieren aus der Begegnung mit der unkonventionellen Darstellung und beziehen sich daher vorwiegend auf das Bildmotiv. Diese Ablehnung geht meist mit einer körperlichen Reaktion einher. Ausgenommen davon sind lediglich Rekurse auf die Früchte-

126 Jonathan Harr: The Lost Painting, 253, 254. 127 Ebda. 253.

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stillleben, diese vermitteln dem Rezipienten aufgrund der besonderen Maltechnik ein Wahrnehmen mit allen Sinnen. „Michels Stilleben waren mit erschreckender Geschicklichkeit gemalt. Ja, ich sage erschreckend, denn die Leinwände hatten etwas von Zauberei. Da war die unheimliche Lebendigkeit der Farbe bis in die kleinste Nuance, man war stark versucht, die Hand auszustrecken, um diese Trauben, Äpfel und Orangen zu berühren. Sie waren so gemalt, daß der Unterschied an der Oberfläche jeder einzelnen Frucht beinah fühlbar war, die glatte Feuchtigkeit der Trauben, die trockene, leicht faltige Haut des Apfels, das grobe Muster der Orangen.“128

Bezuggenommen wird in diesem Abschnitt aus dem Roman Caravaggios Flucht von Atle Næss nicht auf ein bestimmtes Gemälde, sondern auf all jene Bilder, die ein Früchtestillleben in der Darstellung aufweisen (zum Beispiel Knabe mit Früchtekorb, Bacchus) oder explizit ein solches darstellen (Der Fruchtkorb). Der Fokus liegt auf drei Früchten, die beinahe in jedem der caravaggesken Stillleben auftauchen und daher eine repräsentative Auswahl der Gesamtheit präsentieren. Das Betrachten der Früchte „è un’esperienza dell’occhio, del dito, dell’olfatto“129. Der Wunsch nach Berührung wird auf die besondere Fähigkeit der Oberflächengestaltung Caravaggios zurückgeführt. Der ersten Erwähnung der drei zentralen Früchte folgt eine Beschreibung ihrer optischen Erscheinung im Bild, die jedoch mit einer tatsächlichen Erfahrung des Berührens dieser Früchte assoziiert wird. Durch die Betonung der beinah fühlbaren Oberfläche der leicht faltigen Haut des Apfels zum Beispiel wird nicht nur auf die Erlebnisse eigener Kunstbetrachtung verwiesen, sondern auch eine nachvollziehbare Vergleichsrelation über die taktile Qualität der dargestellten Bildelemente hergestellt. Die Vermittlung sinnlicher Wahrnehmung stimuliert zusätzlich den Imaginationsprozess. Ein Appell an das Fühlen und Nachvollziehen der Darstellung wird auch im folgenden Ausschnitt eingebracht, jedoch resultiert dies aus der grausamen Darstellung des Bildes Kreuzigung Petri. „Drei Henkersknechte mühen sich wie brave Arbeiter mit der schweren Last ab, das Kreuz ist massiv und solide, der Apostel selbst noch kräftig in seiner gealterten Gestalt. [...] Beim Anschauen dieses Gemäldes ziehen die Linien den Blick unwillkürlich zu dem groben Nagel, der die linke Hand des Apostels durchbohrt und ihn ans Kreuzholz nagelt. [...]

128 Atle Næss: Caravaggios Flucht, 58. 129 Luca Desiato: La notte, 215.

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Ein Nagel durch eine Hand, nacktes Metall durch nacktes Fleisch. Man sieht, man fühlt, man greift unweigerlich nach der eigenen Hand.“130

Nur der Erwähnung der Reaktion würde keine bildzitative Qualität zukommen, jedoch ist in diesem Ausschnitt die Reaktion des textinternen Bildrezipienten an die Erwähnung des die Reaktion auslösenden Elementes gebunden, das gleichzeitig das Konzept der radikalen Darstellung der Kreuzigung untermauert. Um die Grausamkeit des Bildes bewusst zu machen, werden mittels der Konzentration auf den entscheidenden, die Bildaussage begründenden Aspekt der Nagelung Petri an das Kreuz die zentralen Details wiederholt. Abgesehen von der Vermittlung des Seheindrucks wird auch auf das Nachempfinden von Schmerz rekurriert, um auch dem Leser die Kompromisslosigkeit der caravaggesken Darstellung nahe zu bringen. Gewalt, Direktheit und Dramatik vieler Sujets verursachen beim textinternen Bildrezipienten eine Reaktion, die sich von erschrockenem Zustand bis erlittenen Schockeffekt erstreckt. Artikuliert werden diese Zustände anhand von körperlichen Auswirkungen wie Schwindelgefühl, Frösteln oder Schauder. „Wer Eure Gemälde betrachtet, den schaudert. Und dieser Schauder soll die Gläubigen überfallen, wenn sie Euer Bild sehen.“131 Über die Wirkung der Gemälde kann auch auf Textebene reflektiert und diese für bestimmte Zwecke funktionalisiert werden; somit kann für den Handlungsfortgang auch der Erzielung gewisser Reaktionen durch die Gemälde bedeutungskonstituierende und sinnstiftende Funktion zukommen. „Ich blieb vor der heiligen Katharina stehen, die mir mit ihrem sanften Blick Zugang zur Weisheit des Himmels versprach. Mir schwindelte, als hätte das Bild da an der Wand plötzlich eine Fallgrube enthüllt, eine lebensgefährliche Falle für den unschuldigen Betrachter. Denn Katharinas schönes Gesicht gehörte durchaus keiner unschuldigen Heiligen. Es war das Gesicht von Fillide Melandroni.“132

Eine detaillierte Beschreibung des Bildes geht diesem Ausschnitt voran, die in der Vorstellung des Lesers das Bild Die heilige Katharina von Alexandria aufruft und für alle weiteren Rekurse vorbereitet. Der Auslöser des Schwindelgefühls ist eine Entdeckung im Bild, die dem textinternen Betrachter bisher verborgen geblieben war. Der Grund für die körperliche Reaktion wird an einen un-

130 Atle Næss: Caravaggios Flucht, 60, 61. 131 Peter Dempf: Das Vermächtnis, 43. 132 Atle Næss: Caravaggios Flucht, 30, 31.

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konventionellen Bildaspekt geknüpft; nämlich an die plötzliche Erkenntnis, dass es sich bei der Dargestellten um die auf Textebene auftretende Kurtisane Fillide handelt. Durch diese Reaktion wird nun das provokante Detail besonders hervorgehoben. Die emotionale Reaktion als ein an die Visualisierungsstrategie gekoppeltes Phänomen lässt eine Verstärkung der reflexartigen Abwehrhaltung proportional zur Expressivität der dargestellten Szene erkennen. „Dieses Fleisch malte Merisi aus Caravaggio. Er malte Der ungläubige Thomas, als wäre der Apostel ein neugieriger Bauer aus der Campagna gewesen, ja, er malte Jesu Fleisch so handgreiflich und roh, dass es sich schwerlich besser – oder schlimmer – machen ließ. Jesus zieht den Mantel weg, Thomas beugt sich vor zu der länglichen Wunde in der Seite und steckt den Finger in den Körper des Herrn. Christus entblößt sein nacktes Fleisch, so daß selbst ich, der ich leider nicht zu den Eifrigsten im Glauben gehöre, angesichts dieser Szene einen Anflug von physischem Abscheu empfand, beim Anblick des Leibes des Herrn, dieses heiligsten und geistigsten aller stofflichen Objekte, inkarniert und auf diese brutale, auch obszöne Weise.“133 (Herv. i.O.)

Das Thema der Wahrnehmung ist in dieser quasi naturwissenschaftlich-medizinischen Studie von Caravaggio zentraler Punkt der Bildaussage. Das, was der Betrachter sieht, soll so fühlbar wie möglich sein. „Thomas ist nur bereit, der Auferstehung Christi zu trauen, wenn er seinen Finger in die Wunde des Herrn legen kann. Christus selbst führt ihm die Hand, mit dem Zeigefinger bohrt er geradezu in die Wunde, als könne nur der Tastsinn letzte Gewissheit vermitteln. Angespannt ist aller Aufmerksamkeit auf diesen Vorgang gerichtet. Christus gibt sich durch keine symbolische Handlung als Auferstandener zu erkennen, auch er setzt allein auf die empirische Erkenntnis seines Jüngers.“134 Diese kompromisslose Radikalität angesichts der allzu weltlichen Darbietung löst beim textinternen Bildbetrachter eine Aversion aus. Der Forcierung dieser provokanten Hinterfragung des Glaubens und Erkennens dient die textinterne Reaktion als ergänzende, das unkonventionelle Bildkonzept unterstützende Komponente, die in dieser Form auch über den Bildrand hinaus verarbeitet werden kann und eine spezielle, der Auslegung des Textes getreue Wirkung vermittelt. Besonders geschockte Reaktionen rufen bei den textinternen Bildbetrachtern jene Gemälde hervor, in denen Caravaggio als Selbstbildnis in einer grauenvollen Darstellung wie zum Beispiel im Bild David mit dem Kopf des Goliath zu

133 Ebda. 141. 134 Jutta Held: Caravaggio, 63.

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sehen ist. Dem Betrachter wird die makabre Kopftrophäe, die ihre schockierende Präsenz durch den entstellten Gesichtsausdruck mit den noch lebenden Augen erhält, entgegengestreckt. „Goliath, dessen abgeschlagenen Schädel David an den Haaren von sich weg hielt und aus dessen Halswunde noch das Blut strömte, hatten die Lebensgeister noch nicht verlassen. Sein Licht glomm und warf das Erstaunen des Verstörten, des Ungläubigen in den Raum: Ich werde bald sterben, verkündete das Gemälde, und Nerina schauderte, seit Michele es begonnen hatte. Bis in ihre nächtlichen Träume hinein verfolgte sie dieser Kopf.“135

Nerina aus Peter Dempfs Roman schaudert jedoch nicht nur angesichts der brutalen Darstellung, sondern auch aufgrund der Bedeutung, die das Bild verkündet. „Der Schrecken, den diese Miene des enthaupteten Goliath einflößt, beruht nicht zuletzt auch auf der Porträthaftigkeit des prägnanten Gesichts“136, das sie bis in ihre Träume verfolgt und belastet, da es in seiner Brutalität das Ende Caravaggios vorwegzunehmen scheint. Dieses Gesicht als Zentrum der Komposition wird als handlungskonstituierendes Element hervorgehoben. Auch in diesem Beispiel zeigt sich, dass reaktionsbedingte Gemäldeverweise grundsätzlich den Gemäldeeindruck komplettierende Verfahren benötigen. Zu Beginn der Bildvisualisierungs- und Konkretisierungsstrategie wird der Anblick des entsetzlichen Hauptes durch eine auf diese Trophäe fokussierte Beschreibung eingebracht und in der Folge durch die Bemerkung über die Wirkung auf Nerina akzentuiert. Diese Angst, die Nerina ab diesem Zeitpunkt verfolgt, ist eine durch das Bild hervorgerufene, die dem Gemälde in dieser Konstellation eine beschränkt handlungskonstituierende Funktion zuweist. Die bisher aufgezeigte Betroffenheit, die sich teils in körperlichen Auswirkungen manifestierte, betrifft jeweils einen einzelnen, textinternen Bildbetrachter. Im Zuge einer öffentlichen Gemäldepräsentation kann jedoch auch eine kollektive Reaktion inszeniert werden, wie das folgende Beispiel der Enthüllungszeremonie von Caravaggios Bild Tod der Jungfrau zeigt. „Vor dem verhüllten Altarbild hielt die Prozession inne. Die Mönche bildeten einen Halbkreis, stellten ihre Kerzen ab, die auf mannshohen Stangen steckten, der Prior kniete nieder, segnete das Bild erneut, spritzte Weihwasser auf das Leinen und hüllte es in Weihrauch. [...] Ein Ausruf des Erstaunens durchfuhr die Menge. Für einen Augenblick herrschte eine angespannte Ruhe, ein heftiges, vielkehliges Ein- und Ausatmen, aber

135 Peter Dempf: Das Vermächtnis, 524. 136 Walther K. Lang: Grausame Bilder, 133.

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plötzlich schwollen die Gespräche wieder an, ein Geraune durchlief die Menschen ringsum, ein irritiertes Wispern und Murren. Enrico betrachtete sich das Bild stumm. Es war wundervoll [...] aber es war ketzerisch. [...] Kaum hatte Enrico diesen Gedanken formuliert, als sich eisiges Schweigen über die Gemeinde legte. Selbst das Klirren der Ketten am Weihrauchfass verstummte. ‚Schande!‘ schrie eine Stimme. ‚Ketzerei!‘ folgte eine zweite, und plötzlich ging ein Sturm durch die Menge. Jeder schrie, jeder kreischte, jeder versuchte den anderen in seiner Ablehnung zu überbieten.“137

Geschildert wird in dieser Passage ausschließlich das Verhalten der Anwesenden. Als intermediales Gemäldezitat lässt sich dieser Ausschnitt nicht deklarieren, da in keiner Weise auf das Motiv Bezug genommen wird. Das Gemälde Tod der Jungfrau wird jedoch dieser Enthüllungszeremonie vorausgehend im Atelier des Malers angefertigt. Daher ist das Gemälde in der Vorstellung des Lesers bereits verankert und wird an dieser Stelle nicht mehr in seinen Einzelheiten beschrieben. Das erste Erblicken wird hier an einen Moment der Sprachlosigkeit geknüpft, der eine Pause für erste Gedanken der Bildrezipienten zu markieren scheint, ehe man auf heftige Weise den ersten intuitiven Bedenken Ausdruck verleiht. Nach diesen allgemeinen Äußerungen der Ablehnung werden diese nun begründet und auf das die Reaktion auslösende Element bezogen. Aussagen wie „Hier liegt nicht die Himmelskönigin, hier liegt eine Hure!“ oder „Die Mutter Gottes ist auf diesem Bild ein gewöhnliches Weib!“138, konkretisieren das Aufruhr erregende Bilddetail. Im gleichnamigen Analysekapitel zu den Werken Vermeers wurde in der Kategorie zum Rezeptionsverhalten das Gemälde als Projektionsfläche für Wünsche, Erinnerungen etc. vorgestellt. Dass dies durch das caravaggeske Bildgenre nicht geleistet werden kann, wurde bereits an anderer Stelle ausgeführt. Eine der wenigen Ausnahmen zeigt diesbezüglich Hans-Ulrich Treichels Der irdische Amor, in dem eine Relation zwischen Albert, dem Kunstgeschichtestudenten und der am Bild dargestellten Figur des irdischen Amor hergestellt wird. Im Mittelpunkt der Projektion steht jedoch nicht zentral der Amor als Motiv, sondern dessen selbstbewusster Umgang mit seiner Körperlichkeit. Für das Funktionieren der intermedialen Gemäldezitate kann diese auf das Bildmotiv bezogene Relation als ergänzende Ausführung zum Bildinhalt gesehen werden. Bezuggenommen wird in dieser Konstellation auf das entscheidende Bilddetail, das den Hauptbezugspunkt für die Textfigur markiert.

137 Peter Dempf: Das Vermächtnis, 90. 138 Ebda. 91.

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„Das, was ihn an dem Knaben von Anfang an vor allem fasziniert hatte, war dessen körperliche Unbefangenheit. Der Amor machte ihm vor, wie man sich in seiner nackten Knabenhaut auch fühlen konnte: beneidenswert unbekümmert und selbstsicher. Caravaggios Amor schien zudem beflügelt vom erwachsenden Geschlechtstrieb, ohne davon geplagt zu sein. [...] Er beneidete den Jungen um seine Unbefangenheit und wäre gern wie dieser einmal nackt und unverschämt aus sich selbst heraus- und der Welt entgegengetreten.“139

„Caravaggio’s painting offers Albert a radical alternative to his own adolescent experience“140 und im Zuge dieser kontrastierenden Gegenüberstellung wird die projizierte Eigenschaft der Unbefangenheit und Selbstsicherheit zum zentralen Bildelement. In dieser Vergleichsrelation wird jedoch nur auf das Bild Bezug genommen, das in der Vorstellung des Lesers von Lektürebeginn an aufgerufen wird und das auf diese Weise als konkretisierender Bezugspunkt für die Befindlichkeit der Textfigur herangezogen wird. Im Unterschied zu den zuvor präsentierten Rezeptionsverhalten, die ihren Ursprung in einem konkreten Bilddetail nehmen, wird in diesem Text vorwiegend eine Reaktion über den persönlichen Bezug des Rezipienten hergestellt, der von sich ausgehend gewisse Eigenschaften dem dargestellten Amor zuschreibt. Aber auch die Grundkonstellation von Bild und Text wird anhand der beiden Protagonisten funktionalisiert. „A painting which depicts the triumph of early love over the arts and sciences has obvious parallels with Albert’s difficulties in balancing his sexual obsessions with his academic work.“141

139 Hans-Ulrich Treichel: Der irdische Amor. Frankfurt a.M. 2002, 27. 140 Rhys W. Williams: „Caravaggio in Preußen: Hans-Ulrich Treichel’s Der irdische Amor“, in: David Basker (Hg.), Hans-Ulrich Treichel. Cardiff 2004, 94-110, 97. 141 Ebda. 96.

Schlussbemerkung

Die vorliegende Studie widmet sich einer besonderen Form des Phänomens der intermedialen Bezüge. Im Mittelpunkt steht der Begriff des intermedialen Gemäldezitats, mit dem Verweise auf reale und fiktive Gemälde in literarischen Texten benannt werden. Ein Anliegen war es diesen Terminus definitorisch festzulegen, um eine systematische Typologie von intermedialen Zitatformen zu ermitteln und auf diese Weise ein Instrumentarium zur Analyse der Erzähltexte bereitzustellen. Es konnte gezeigt werden, dass in Form von Beschreibung, Erzählung und einzelreferentieller Erwähnung evozierende und simulierende Zitate zustande kommen, die Textelemente als „malerische“ rezipieren lassen. Diese Visualisierungsstrategien mittels sprachlich herbeigeführter Rezeptionslenkung ermöglichen Bezugnahmen auf die Charakteristika der Bildkonzeptionen der beiden Maler Jan Vermeer und Michelangelo Merisi da Caravaggio. Es stellte sich die Frage, welche spezifischen Aspekte des Œuvres eines Malers zur intermedialen Verarbeitung bevorzugt werden und ob diese stets dieselben sind. Geben die Bilder eine grundlegende Verarbeitungsmethode vor, um ein „Als ob“ der Gemälde zu erwecken? Inwieweit divergieren diese Aspekte in der Betrachtung der Gemälde zweier konträrer Malerpersönlichkeiten? Mit welchen unterschiedlichen Möglichkeiten der Bezugnahmen werden die künstlerischen Charakteristika für den Text funktionalisiert? Die Rekursvarianten können unter dem Begriff des intermedialen Gemäldezitats zusammengefasst werden. Zur Festlegung dieses Begriffs wurden in einem ersten Schritt die Systematisierungen der intermedialen Bezüge auf ihre Anwendbarkeit auf das Medium der Malerei überprüft und ergänzt. Besonders die Bereiche der evozierenden und simulierenden Systemerwähnungen erwiesen sich für Bezugnahmen auf inhaltliche und formale Bilddetails ergiebig. Da der Phänomenbereich von Bild und Text nicht nur von der Intermedialitätsforschung, sondern auch in Arbeiten zum bildlichen Zitat und zur Intertextualität

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berücksichtigt wird, wurden weitere Ansätze einer Untersuchung unterzogen, um sie in Hinblick auf die theoretische Formierung des intermedialen Gemäldezitats zu überprüfen. Da die Ergebnisse zu den verschiedenen Formen der Bezugnahme die Klärung des Zitatbegriffs noch nicht ermöglichten, war es in einem weiteren Schritt unabdingbar ihn von verwandten, aber nicht eindeutig definierten Termini (Bildzitat, Kunstzitat) abzugrenzen. Deutlich wurde, dass ein erweiterter Zitatbegriff heranzuziehen und mit intermedialen zitativen Verfahrensweisen zu ergänzen ist. In der Folge wurden Einzelbegriffe („associative quotation“, Formzitat, etc.), die sich im Umfeld intermedialer Zitiermöglichkeiten finden lassen, mit Formen intermedialer Bezüge unter dem Begriff des Gemäldezitats subsumierbar. Wesentlich in diesem Zusammenhang ist auch der kunsthistorische Kontext. Die Berücksichtigung dieses Bereichs ermöglichte die Differenzierung dreier übergreifender Kategorien. Auf Basis einer für alle Kunstwerke gültigen Einteilung ließ sich die Analyse der Erzählliteratur in drei große Abschnitte gliedern: In einem ersten Kapitel wurden jeweils die Möglichkeiten und Funktionen der intermedialen Gemäldezitate in Hinblick auf die Kunstwerke allgemein untersucht, bevor in einem zweiten Abschnitt nach der intermedialen Gemäldezitation in Verbindung mit einem vermittelten Bildentstehungsprozess gefragt wurde. Im Zentrum des dritten Teils stand die Frage nach intermedialen Gemäldezitaten in Hinblick auf die Gemälderezeption. Basierend auf dem Umstand, dass Gemäldezitate im Text stets rezipientenorientiert sind, wurde eine dahingehende Gliederung der innertextlichen Rezipientengruppen vorgenommen. Es hat sich gezeigt, dass die Figur des Malers und die am Prozess der künstlerischen Praxis beteiligten Figuren vorwiegend einen Blick für potentielle Bildarrangements und maltechnische/ kompositorische Aspekte aufweisen, während bei Figuren mit kunsthistorischem Background die Gewichtung auf fach- und detailspezifischen Wissen zu Vermeer und Caravaggio liegt. Die Perspektive von Laien ist hingegen von der emotionalen Wirkung und vom persönlichen Zugang zum jeweiligen Bild bestimmt. Wesentlich ist auch die Situierung der Geschichte; ist die Handlung zur Zeit der Maler angelegt, steht besonders die Anfertigung von Gemälden und somit das Interesse an kompositorischen Elementen im Vordergrund, während ein Gemälde in einem zeitlich aktuelleren Plot zunehmend als Rezeptions- und Interpretationsobjekt für Laien und Kunsthistoriker zur Verfügung steht. In unterschiedlichen Situationen und Zusammenhängen werden dem Leser aus den verschiedenen Blickwinkeln der Romanfiguren Gemälde präsentiert, die mittels

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diverser Verweisformen zitiert werden, wobei sich das vorgeführte Bild erst allmählich zusammensetzt. Zusammenfassend lässt sich das intermediale Gemäldezitat als ein System von Rekursen auf die Bilder von Vermeer und Caravaggio beschreiben, das auf verschiedene mit den Gemälden in Verbindung stehende Aspekte (Gemälde, Entstehung, Rezeption) in Form von Beschreibung, Erzählung und einzelreferentieller Erwähnung (mittels evozierender und simulierender Zitate) aufbaut und zwar im Rückgriff auf die Besonderheiten der jeweiligen Gemäldekonzeption. Das Zusammenspiel dieser Mechanismen bewirkt beim Leser die gewünschte bildmedial bezogene Illusionsbildung. Die Mechanismen der Gemäldezitate in den untersuchten Texten zu Vermeer lassen sich zusammenfassend als primär auf die besondere Lichtsituation, auf die vermeersche Besonderheit der wiederholten Darstellung von Einrichtungs-, und Gebrauchsgegenständen sowie der dargestellten Frauenfiguren zurückführen. Durch diese Wiederholungen erwächst für das Funktionieren der intermedialen Gemäldezitate die Möglichkeit, das daran gekoppelte „System der Vermeerbilder“ aufzurufen und für eine Vergleichsrelation heranzuziehen. In einem sich wechselseitig bedingenden System kann daraus eine doppelte Konkretisierung möglich werden. Einerseits werden den Dargestellten auf den Gemälden konkrete Charaktere zugeordnet. Andererseits lässt sich durch das Gemälde eine eindeutige Vorstellung von den Romanfiguren gewinnen. Aus der vermeerschen Wiederholung der Motivik wird auch die Zitation fiktiver Bilder begründbar. Die intermedialen Gemäldezitate zu fiktiven Gemälden von Vermeer präsentieren eine stets ähnliche Konstellation zur Gewährleistung einer möglichst eindeutigen Visualisierung. Denn ausgehend von einem fiktiven Bild wird dieses stets in Relation zu real existenten gesetzt, denn nur auf diese Weise kann sich das visuelle Verweissystem entfalten. Die evozierenden Zitate, die sich häufig in Form von Vergleichen zwischen dem konkreten Bild und der Textebene darstellen, fokussieren grundsätzlich inhaltliche Gemäldeaspekte, während sich simulierende Zitate auf die formale Besonderheit des vermeerschen Lichts beziehen. Die den Kunstwerken Vermeers inhärente Lichtstimmung wird dadurch punktuell diskursiv nachvollzogen. Der produktionsästhetische Prozess als funktionalisierte Bildvisualisierung bezeichnete eine weitere Komponente im System der vermeerschen Gemäldezitation. Damit ist jedoch nicht nur die Schilderung des produktiven Malprozesses gemeint, sondern es sind auch andere den Schaffensakt charakterisierende Möglichkeiten darunter subsumierbar: das Vornehmen von Änderungen oder der jeder Bildumsetzung vorausgehende Bildfindungsprozess, der sich meist über ein Probieren möglicher Arrangements präsentiert. Wie die evozierenden Gemälde-

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zitate zu fiktiven Gemälden von Vermeer mittels Vergleiche zu real existenten Bildern arbeiten, so werden auch in den Sujetfindungsprozessen nicht beliebige Elemente als Möglichkeiten ausgewählt, sondern man nützt das bekannte System der vermeerschen Bilder und variiert die sich stets wiederholenden Bilddetails. In diesen Bildfindungsmomenten geht es genau genommen keineswegs um das Bildmedium. Geschildert wird lediglich das Arrangieren eines Aufbaus im Atelier oder das drapierte Tableau vivant; doch durch explizite Systemerwähnungen nimmt der Leser diese Beschreibungen ähnlich einer dem visuellen Medium zugeordneten Deskription wahr und verbindet diese mit dem konkreten Bild. Stehen die Kunstwerke vorwiegend in Relation zu ihrer Darstellung im Vordergrund, so wird ihr Objektcharakter durch Zitate zum Malprozess hervorgehoben. Indem die Schilderung der aufgetragenen Farbflächen auf die Leinwand mit dem Dargestellten kombiniert wird, kann das Gemälde in der Vorstellung des Lesers entstehen. Kontrastiert werden die Gemäldezitate zum produktionsästhetischen Prozess mit jenen zur Wirkung auf unterschiedliche Rezipienten. Als intermediale Gemäldezitate lassen sich diese Schilderungen deshalb bestimmen, da mit ihnen eine zumindest fragmentarische Bildbeschreibung verbunden ist, die das reaktionsauslösende Bilddetail charakterisiert. Es hat sich gezeigt, dass die Wirkung der Bilder auf zwei unterschiedliche Aspekte der Bilder Vermeers zurückzuführen ist. Einerseits ergeben sich Reaktionen auf die besondere Bildatmosphäre, die durch die sensualistische Gestaltung der Oberflächen hervorgerufen werden und andererseits reagieren die textinternen Bildbetrachter auf das Bildmotiv. Die beinah spirituelle, scheinhafte Ausstrahlung der Gemälde wirkt auf den Betrachter und vermittelt Mut, Trost und Rat. Indem der Betrachter seine Rezeptionserlebnisse in Bezug auf die konkreten Bilddetails schildert, wird über die Wirkung ein sprachlich generierter Eindruck vom Gemälde beim Leser hervorgerufen und damit eine weitere Form des intermedialen Gemäldezitats geboten. In einem zweiten großen Kapitel wurde nach den intermedialen Gemäldezitaten in Texten zu Michelangelo Merisi da Caravaggio gefragt. Da das Genre der Bilder Caravaggios gänzlich von jenem von Vermeer divergiert, werden auch andere Aspekte zur Gemäldezitation herangezogen. Im Gegensatz zu den Darstellungen häuslicher Tätigkeiten einzelner Bildfiguren bei Vermeer stehen die von Gewalt bestimmten Historienbilder von Caravaggio. Das den intermedialen Gemäldezitaten zugrundeliegende Programm des Unkonventionellen ließ sich als Kombination aus der Neubehandlung von gängigen Bildsujets, die von Dramatik und Direktheit geprägt sind, und dem Anspruch auf Alltagsbezug definieren. Simulierende Rekurse erfolgten vorwiegend auf das spezifische „chiaroscuro“ der Darstellungen. Das bescheidene Œuvre Vermeers steht unzähligen

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Werken Caravaggios gegenüber, aus denen die unkonventionellsten wiederholt zur intermedialen Verarbeitung herangezogen werden. Weiters konnte in den Erzähltexten zu Caravaggio eine unlösliche Verbindung von Leben und Werk beobachtet werden, die einerseits aus den Besonderheiten der Selbstporträts und der Thematik der Homoerotik resultiert, andererseits auf die lange Zeit vorherrschende Forschungsmeinung zurückgeht, dass die Bilder als Spiegel seines vermeintlich rebellischen Charakters anzusehen sind. In dieser Konstellation sind die Gemälde im Text an die narrative Ausschmückung des spektakulären Lebens von Caravaggio gebunden. Was evozierende Gemäldezitate betrifft, die vorwiegend mit Bezugnahmen in Form von Vergleichen arbeiten, sind diese in ihren Mechanismen jenen den Bildwerken von Vermeer ähnlich, jedoch liegt der Fokus aufgrund des Genres auf anderen Elementen. Es konnte gezeigt werden, dass sich die Relation anders als bei den Gemälden Vermeers nicht zwischen den sich stets wiederholenden Bilddetails herstellt, sondern Caravaggios Bilder werden mit dem gewohnten System der kanonisierten Darstellungen vergleichend zur Konkretisierung herangezogen. Abgesehen davon steht durch das Vorhandensein einer Erst- und Zweitfassung so manchen Bildes eine weitere Vergleichsmöglichkeit offen. Aber auch über dasselbe Modell in verschiedenen Darstellungen können Bezüge hergestellt werden. Dies leitet über zu jenem zweiten Aspekt, der sich auch bei den Bildern von Vermeer beobachten ließ, nämlich die wechselseitige Konkretisierung von Bild- und Textfiguren. Da es sich bei den Gemälden von Caravaggio großteils um historische, biblische oder mythologische Bilder handelt, wird verdeutlicht, dass auch der der Darstellung zugrundeliegende Stoff in die Texthandlung miteinbezogen werden kann. Abgesehen von den intermedialen Gemäldezitaten, die das gewünschte Gemälde aufgrund der evozierenden Rekurse auf inhaltliche Komponenten in der Vorstellung des Lesers entstehen lassen, werden formale Aspekte – vorwiegend das spezielle „chiaroscuro“ – simulierend in die Texte eingebracht. Die Betonung des Prozessualen der künstlerischen Praxis beschränkt sich auch in Bezug auf die Gemälde von Caravaggio nicht nur auf die Schilderung des Schaffensakts, sondern umfasst auch Änderungen oder den der Bildanfertigung vorausgehenden Sujetfindungsprozess. Es zeigt sich jedoch, dass im Gegensatz zu den Verarbeitungsvarianten zu Vermeer der produktionsästhetische Prozess in den Erzähltexten zu den Werken Caravaggios nicht primär über ein Probieren verschiedener Arrangements erfolgt, sondern hauptsächlich das Drapieren der Modelle die Gemäldezitation ausbildet. Daran knüpft erneut die Visualisierungsstrategie über eine wechselseitige Konkretisierung von Bild- und Textfiguren an. In diesem Zusammenhang bietet die autobiografische Dimension mancher Bilder eine zusätzliche Möglichkeit für die intermediale Verarbeitung.

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Genutzt werden die Selbstporträts als handlungskonstituierende Elemente, da die Relation von auftretendem Charakter, der sich selbst auf die Leinwand bannt, und die der Darstellung zugrundeliegende Geschichte für die Handlung herangezogen und für die textuell evozierte Bildvisualisierung genutzt werden kann. Das System der intermedialen Gemäldezitate bei Vermeer wurde durch die Rekursmechanismen, die sich über die Wirkung auf unterschiedliche textinterne Rezipienten ergeben, komplettiert. Durch die Relation der geschilderten Betroffenheit zu den reaktionsauslösenden Bilddetails wird dem Leser auch in den Texten zu Caravaggio eine Anleitung zur Visualisierung präsentiert. Die caravaggesken Darstellungen erlauben im Gegensatz zu den Motiven Vermeers keine Selbstreflexion oder Identifizierung mit der dargestellten Bildfigur, sondern funktionalisieren durch den kruden Effekt brutaler Sujets und den hässlichen Physiognomien die Wirkungsmechanismen der Darstellung von Grausamkeit und Schrecken. Artikuliert werden die Zustände anhand von körperlichen Auswirkungen wie Schwindelgefühl oder Frösteln. Um diese Komponente als intermediales Gemäldezitat bezeichnen zu können, muss die Reaktion stets in Verbindung mit einer Beschreibung des Motivs einhergehen. Die vorliegende Studie versteht sich als Beitrag zur allgemeinen Intermedialitätsforschung und zur Debatte um Bild-Text-Relationen. Es ist zu hoffen, dass mit der Entwicklung des Begriffs des intermedialen Gemäldezitats ein theoretisches Instrumentarium geschaffen wurde, das auch für die Verarbeitung von Malerei in anderen Medien (wie etwa dem Film) eine begriffliche Herangehensweise bietet.

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Jan Wilm, Mark Nixon (Hg.) Samuel Beckett und die deutsche Literatur April 2013, ca. 200 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 24,80 €, ISBN 978-3-8376-2067-2

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Tim Mehigan, Alan Corkhill (Hg.) Raumlektüren Der Spatial Turn und die Literatur der Moderne

September 2012, ca. 300 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 34,80 €, ISBN 978-3-8376-1918-8

November 2012, ca. 450 Seiten, kart., ca. 39,80 €, ISBN 978-3-8376-2099-3

Roman Halfmann Nach der Ironie David Foster Wallace, Franz Kafka und der Kampf um Authentizität

Takemitsu Morikawa Japanizität aus dem Geist der europäischen Romantik Der interkulturelle Vermittler Mori Ogai und die Reorganisierung des japanischen ›Selbstbildes‹ in der Weltgesellschaft um 1900

Juni 2012, 242 Seiten, kart., 26,80 €, ISBN 978-3-8376-2117-4

Anne-Kathrin Hillenbach Literatur und Fotografie Analysen eines intermedialen Verhältnisses

September 2012, ca. 270 Seiten, kart., ca. 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1893-8

April 2012, 280 Seiten, kart., zahlr. Abb., 33,80 €, ISBN 978-3-8376-1970-6

Miriam N. Reinhard Entwurf und Ordnung Übersetzungen aus »Jahrestage« von Uwe Johnson. Ein Dialog mit Fragen zur Bildung

Annabelle Hornung Queere Ritter Geschlecht und Begehren in den Gralsromanen des Mittelalters

Juni 2012, 248 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-2010-8

Oktober 2012, ca. 500 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 48,80 €, ISBN 978-3-8376-2058-0

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Zeitschrif t für Kultur wissenschaf ten Dorothee Kimmich, Schamma Schahadat (Hg.)

Essen Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Heft 1/2012

Mai 2012, 202 Seiten, kart., 8,50 €, ISBN 978-3-8376-2023-8 Der Befund zu aktuellen Konzepten kulturwissenschaftlicher Analyse und Synthese ist ambivalent. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften bietet eine Plattform für Diskussion und Kontroverse über »Kultur« und die Kulturwissenschaften – die Gegenwart braucht mehr denn je reflektierte Kultur sowie historisch situiertes und sozial verantwortetes Wissen. Aus den Einzelwissenschaften heraus wird mit interdisziplinären Forschungsansätzen diskutiert. Insbesondere jüngere Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen kommen dabei zu Wort. Lust auf mehr? Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften erscheint zweimal jährlich in Themenheften. Bisher liegen 11 Ausgaben vor. Die Zeitschrift für Kulturwissenschaften kann auch im Abonnement für den Preis von 8,50 € je Ausgabe bezogen werden. Bestellung per E-Mail unter: [email protected]

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