Das Gottesbild in der Offenbarung des Johannes 3161534492, 9783161534492

Das Gottesbild der Offenbarung des Johannes erweist sich bei näherem Hinsehen als ausgesprochen facettenreich und religi

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German Pages 264 [265] Year 2015

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Das Gottesbild in der Offenbarung des Johannes
 3161534492, 9783161534492

Table of contents :
Cover
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Martin Stowasser: Einführung
Beate Kowalski: Gottesbilder in Offb 21,1–8. Alttestamentliche Vernetzungen
1. Einführung
2. Vernetzungen in Offb 21,1–8
3. Vernetzungen von Offb 21,1–8 im Makrotext der Offb
3.1 Schöpfung Gottes (Offb 21,1)
3.2 Jerusalem (Offb 21,2)
3.3 Laute Stimme vom Thron (Offb 21,3)
3.4 Zelt und Bund Gottes (Offb 21,3.7)
3.5 Tränen trocknen (Offb 21,4)
3.6 Gott als Thronender (Offb 21,5)
3.7 Schreibbefehl (Offb 21,5)
3.8 Selbstoffenbarung (Offb 21,6)
3.9 Überwindersprüche (Offb 21,7)
3.10 Lasterkatalog (Offb 21,8)
4. Vernetzungen von Offb 21,1–8 mit atl Prätexten
4.1 Neues Jerusalem (Offb 21,1)
4.2 Braut Jerusalem (Offb 21,2)
4.3 Gott als Thronender (Offb 21,3.5)
4.4 Zelt und Bund Gottes (Offb 21,3.7)
4.5 Gott als Tröstender (Offb 21,4)
4.6 Prophetischer Schreibbefehl (Offb 21,5)
4.7 Gott als Geber (Offb 21,6)
5. Vernetzungen von Gottesbildern
5.1 Gott als Neu-Schöpfer – Offb 21,1
5.2 Gott als Zentrum der ökumenischen Kirche – Offb 21,2f.
5.3 Gott als machtvoll Thronender – Offb 21,3.5
5.4 Gott als zeltender Bundespartner – Offb 21,3.7
5.5 Gott als tröstender und befreiender Gott (des Exodus) – Offb 21,4
5.6 Gott als alleiniger Gott – Offb 21,6
5.7 Gott als Garant für Lohn und Strafe – Offb 21,7.8
6. Zusammenfassung
Martin Karrer: Das Gottesbild der Offenbarung vor hellenistisch-frühkaiserzeitlichem Hintergrund
1. Historische und religionsgeschichtliche Voraussetzungen
2. Himmelsreise und Schau Gottes
3. Der Thronende
4. Der machtvolle Schöpfer und Herrscher
5. Der eine Gott und Zeus / Jupiter Identifikation und Konkurrenz
6. Abstraktionen im Gottesverständnis
7. Zwischenreflexion
8. Die anderen Götter
9. „Ich bin das Alpha und das Omega“
10. Der Pantokrator
11. Der ist und der war und der kommt
12. Fazit
Michael Labahn: Der Menschensohngleiche als Gottes Richter und Gottes Krieger in Offb 1,9–20. Christologie zwischen Schriftrezeption, griechisch-römischer Vorstellungswelt und christlicher Deutung
1. Einführung: Begründeter Zuspruch mitten im Alltag
2. Der Menschensohngleiche behält das letzte Wort: Eine Einführung in die narrative Struktur der Szene
2.1 Aufbau und Übersetzung
2.2 Die Figur des Sehers und der Menschensohngleiche – eine narrative Verhältnisbestimmung
2.3 Der Menschensohngleiche und die Menschen im Alltag der Bedrängnis
3. Das Wort im Bild – Christusbild als Gottesbild (Offb 1,13–16)
a) Gewand und Gürtel als (hohe-)priesterliche Insignien (Offb 1,13b)
b) Haupt, Haare und Augen als Ausdruck göttlicher Macht (Offb 1,14)
c) Metallene Füße als Ausdruck militärischer Macht (Offb 1,15a)
d) Göttliche Begleitmusik (Offb 1,15b)
e) Hand und Mund des Richters und Herrschers als Instrumente göttlicher Macht (Offb 1,16a–b)
f) Ein göttlich leuchtendes Gesicht (Offb 1,16c)
g) Zusammenfassung
4. Starke Worte – Gotteswort als Christuswort
4.1 Christusrede als Anrede (Offb 1,11)
4.2 Christusrede als Gottesrede (Offb 1,17–20)
a) Göttliche Selbstvorstellung
b) Das geschlachtete, mächtige Lamm und Offb 1,18b–c
c) Ein Schreibbefehl zur Gestaltung des besseren Jetzt
5. Zusammenfassung
Klaus Wengst: Protest als Zeugnis und Widerspruch. Soziale und politische Aspekte im Gottesbild der Offenbarung
1. Einige Klarstellungen vorab
2. „Der Er ist da und der Er war da und der Er kommt“ oder: Zukunft als Re-Vision des Gewesenen
3. „Der Herr, Gott, der Allherrscher“ Wem die Macht gehört
4. „… uns zu einem Königreich gemacht“ Gemeinde als Erfahrungsraum
Konrad Huber: „Gott bete an!“ (Offb 19,10; 22,9). Christusbild und Gottesbild der Johannesoffenbarung im Spannungsfeld von wesensmäßiger und funktionaler Einheit und Differenz
1. Gott und Christus als Adressaten von Anbetung
2. Throngemeinschaft als Ausdruck von gottgleicher Würde
3. Aspekte von Handlungs- und Funktionseinheit Christi mit Gott
3.1 Christus als Offenbarer
3.2 Christus als „Kommender“
3.3 Christus als endzeitlicher Richter
3.4 Christus als eschatologischer Heilsmittler
4. Vater-Sohn-Relation als Kern der Differenz
5. Ein Gott – mit Christus?
Martin Stowasser: Gottesepitheta als Christusepitheta. Überlegungen zur Gottheit Gottes in der Offenbarung des Johannes
1. Gottesepitheta der ersten Gottesrede (Offb 1,8)
1.2 Gott als ὁ ὢν καὶ ὁ ἦν καὶ ὁ ἐρχόμενος
2. Gottesepitheta der zweiten Gottesrede (Offb 21,5–8)
3. Christusepitheta der letzten Christusrede (Offb 22,10–16)
4. Gottesepitheta als Christusepitheta
Martin Hasitschka: Zeugnis für Gott in der Offenbarung des Johannes und im Johannesevangelium. Gemeinsamkeiten und Unterschiede
1. Texte und Themen der Offenbarung des Johannes im Vergleich mit Aussagen im Johannesevangelium
1.1 Bezüge zum Vorwort (Offb 1,1–3)
Offenbarung
Kommen
Zeugnis – bezeugen
1.2 Vergleichbare Themen in der briefartigen Einleitung (Offb 1,4–8)
Kommen
Sieben Geister
Zeuge – Zeugnis – bezeugen
Liebe – lieben
Vater
Kommen
1.3 Vergleichsmöglichkeiten in der Christusvision des Johannes am Herrentag und in den sieben Sendschreiben (Offb 1,9–3,22)
Bedrängnis
Leben
Überwinden
1.4 Bezüge zur Vision vom Thron Gottes und vom Lamm (Offb 4–5)
Öffnen
Leben
Buch
Lamm
1.5 Anklänge in der Vision vom Gottesvolk in seiner Vollendung(Offb 7,9–17)
Palmzweige
Bedrängnis
1.6 Verwandtschaft mit dem Sturz des Widersachers in der Vision von den zwei Zeichen am Himmel (Offb 12,1–17)
Sturz
1.7 Bezüge zur Vision von der neuen Schöpfung (Offb 21,1–8)
Zelt – zelten
Anfang und Ende
Wasser des Lebens
2. Auswertung der Textvergleiche
2.1 Das Gottesverständnis
2.2 Das Bild von Jesus
2.3 Gegenwart und Zukunft des Heils
Rita Müller-Fieberg: „Nah ist und schwer zu fassen der Gott“ (F. Hölderlin). Das Gottesbild der Johannesoffenbarung in ausgesuchten Beispielen literarischer Rezeption
Bibel und Literatur im Dialog: eine Selbstverortung
„Aus ungeheurer Ferne kommst du wieder…“ (Reinhold Schneider: „Apokalypse“, 1946)
„Man wird doch noch fragen dürfen…“ (Stefan Heym: „Ahasver“, 1981)
„good guys“ – „bad guys“ (Cormac McCarthy, „The Road“, 2006)
Kontrast – Korrektiv – Inspiration: Bibeltext und literarische Rezeption im theo-logischen Dialog
Verzeichnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Stellenregister
1. Altes Testament
2. Pseudepigraphen
3. Qumran
4. Jüdisch-hellenistische Literatur
5. Rabbinische Literatur /Judaica
6. Neues Testament
7. Apostolische Väter
8. Altkirchliche Schriften und Autoren
9. Pagane antike Literatur
10. Papyri
11. Inschriften
Autorenregister
Sachregister

Citation preview

Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament · 2. Reihe Herausgeber / Editor Jörg Frey (Zürich) Mitherausgeber / Associate Editors Markus Bockmuehl (Oxford) · James A. Kelhoffer (Uppsala) Hans-Josef Klauck (Chicago, IL) · Tobias Nicklas (Regensburg) J. Ross Wagner (Durham, NC)

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Das Gottesbild in der Offenbarung des Johannes Herausgegeben von

Martin Stowasser

Mohr Siebeck

Martin Stowasser, geboren 1959; 1978–83 Studium der Kath. Theologie in Rom; 1990 Promotion in Wien; 2001 Habilitation; seit 2001 Ao. Univ.-Prof. für Neutestamentliche Bibelwissenschaft an der Kath.-Theol. Fakultät der Universität Wien.

e-ISBN PDF 978-3-16-153972-5 ISBN 978-3-16-153449-2 ISSN 0340-9570 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 2. Reihe) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© 2015 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Laupp & Göbel in Nehren auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden.

Vorwort Am 28. und 29. März 2014 fand an der Kath.-Theol. Fakultät der Universität Wien eine Fachtagung zum Thema „Ein Gott – mit Christus. Das Gottesbild in der Offenbarung des Johannes“ statt. Titel wie Untertitel benennen die Perspektive, aus der das letzte Buch der christlichen Bibel in den Blick genommen wurde, nämlich der Blick auf Gott selbst. Angesichts der dominanten Stellung des Lammes bzw. des Christus in der Darstellung des Endgeschehens wird die „Theo-logie“ als eigenständiges Thema selten ins Zentrum gerückt, obwohl die gängige Rede von einer „christologischen Theozentrik“ bzw. „theozentrischen Christologie“ das erwarten lassen würde. Die Tagung hatte also zum Ziel, sich auf die Konturen des Gottesbildes in der Offenbarung des Johannes zu konzentrieren und aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu beleuchten. Sachgerecht konnte und sollte Christologisches nicht ausgeklammert werden, dennoch erwies sich der Ansatz als fruchtbar, beim direkten oder indirekten Reden von Gott anzusetzen und erst von dort christologische Verbindungslinien zu betrachten. Namhafte Vertreter und Vertreterinnen aus dem Forschungsfeld der Johannesoffenbarung konnten für die Tagung in Wien gewonnen werden, die produktiv, in Einzelpunkten auch durchaus kontroversiell, verlief und deren Ergebnisse der vorliegende Sammelband vereint. Den Kollegen und Kolleginnen sei nochmals für ihre Mitwirkung an der Tagung ebenso wie für die Bereitschaft zur vorliegenden gemeinsamen Publikation gedankt. An dieser Stelle gilt mein besonderer Dank auch Herrn Prof. Jörg Frey für die freundliche und unkomplizierte Aufnahme des Tagungsbandes in die Reihe der „Wissenschaftlichen Untersuchungen zum Neuen Testament“ und dem Verlag Mohr Siebeck für dessen ebenso kompetente verlegerische Betreuung. Zuletzt geht mein Dank auch an jene Institutionen und Menschen, die zur Realisierung der Tagung wie des Sammelbandes ihren Beitrag im Hintergrund geleistet haben. Dazu zählt die finanzielle Unterstützung durch die Stadt Wien (MA 7) sowie durch die Universität Wien, besonders aber gilt es, jene vor den Vorhang zu holen, durch deren perfekte organisatorische wie drucktechnische Hilfestellungen mein wissenschaftliches Projekt das Licht der Welt erst erblickt hat, den Mitarbeiterinnen des „Fachbereiches Neues Testament“ am Institut für Bibelwissenschaft der Kath.-Theol. Fakultät, insbesondere der Organisationsassistentin Frau Katharina Rötzer sowie den Studienassistentinnen Mag. Laura Battisti und Eva Hildmann. Wien, im April 2015

Martin Stowasser

Inhaltsverzeichnis Vorwort ....................................................................................................... V Einführung ....................................................................................................... 1 Beate Kowalski Gottesbilder in Offb 21,1–8 Alttestamentliche Vernetzungen ..................................................................... 11 Martin Karrer Das Gottesbild der Offenbarung vor hellenistisch-frühkaiserzeitlichem Hintergrund ................................................................................................ 53 Michael Labahn Der Menschensohngleiche als Gottes Richter und Gottes Krieger in Offb 1,9–20 Christologie zwischen Schriftrezeption, griechisch-römischer Vorstellungswelt und christlicher Deutung .................................................... 83 Klaus Wengst Protest als Zeugnis und Widerspruch Soziale und politische Aspekte im Gottesbild der Offenbarung .................... 113 Konrad Huber „Gott bete an!“ (Offb 19,10; 22,9) Christusbild und Gottesbild der Johannesoffenbarung im Spannungsfeld von wesensmäßiger und funktionaler Einheit und Differenz ......................... 129 Martin Stowasser Gottesepitheta als Christusepitheta Überlegungen zur Gottheit Gottes in der Offenbarung des Johannes ............ 149 Martin Hasitschka Zeugnis für Gott in der Offenbarung des Johannes und im Johannesevangelium Gemeinsamkeiten und Unterschiede .............................................................. 177

VIII

Inhaltsverzeichnis

Rita Müller-Fieberg „Nah ist und schwer zu fassen der Gott“ (F. Hölderlin) Das Gottesbild der Johannesoffenbarung in ausgesuchten Beispielen literarischer Rezeption .................................................................................... 199 Verzeichnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ......................................... 229 Stellenregister ................................................................................................. 231 Autorenregister ............................................................................................... 248 Sachregister .................................................................................................... 252

Einführung1 Martin Stowasser Beate Kowalski konzentriert sich in ihrem Beitrag „Gottesbilder in Offb 21,1–8. Alttestamentliche Vernetzungen“ auf den Beginn der großen Abschlussvision vom himmlischen Jerusalem und untersucht darin die für das Reden von Gott verwendeten Prätexte aus dem ersten Teil der christlichen Bibel. Dazu wird nach einer umfassenden Analyse von Offb 21,1–8 die Vernetzung des Abschnitts mit dem Rest der Johannesoffenbarung erhoben sowie nach möglichen alttestamentlichen Bezugstexten gesucht. Deren methodisch oft schwierige Identifizierung gilt es ebenso zu reflektieren wie die ursprüngliche Aussageabsicht der ausgewählten Motive, um Vers für Vers jene Veränderungen, die Johannes schafft, auf die unterschiedlichen Facetten des Gottesbildes hin auszuwerten. Das Buch gipfelt in der Selbstdurchsetzung Gottes, die sein Verfasser in Offb 21,1–8 in einer wahren Flut an Gottesbildern beginnen lässt, wozu er bewährte aufgreift und zugleich neue schafft. Er bedient sich dafür unterschiedlichster Motive, die nahezu alle bereits in seinem Text davor begegnen, setzt jedoch eigenständige theologische Akzente, indem er unverbrauchte Kombinationen kreiert und Bezüge zu alttestamentlichen Texten herstellt. Kontinuität wie Diskontinuität prägen dieses Konzept und es zeigt sich: „Die entworfenen Gottesbilder sind ohne Analogien und sprengen die menschliche Vorstellungskraft, obwohl sie auf bewährte Bilder der atl Heilsgeschichte zurückgreifen“ (S. 17). In der Vernetzung von Gottesbildern ergeben sich neue: Gott als Neu-Schöpfer (Offb 21,1), wobei politische Aspekte aus dem Gottesbild ebenso entweichen wie der Gedanke des Bösen; Gott als Zentrum der ökumenischen Kirche (Offb 21,2f.), die er von allem Leid und Bösen erlöst und mit seiner Gegenwart füllt, ein Gott freilich auch aufgeschlossen für alle Völker; Gott als machtvoll Thronender (Offb 21,3.2), der partizipatorisch das Lamm wie die Christen an seiner Macht teilhaben lässt, was nicht zuletzt als Gegenbild zum Römischen Kaiserkult 1

Im Sammelband werden die biblischen Bücher nach den „Loccumer Richtlinien“ abgekürzt. Abkürzungen für antike Schriften richten sich nach den Vorgaben des Registerbandes von „Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament“ (ThWNT 10,1 [1987]), darüber hinausgehende nach den Lexika „Religion in Geschichte und Gegenwart“ (RGG 1 [41998]) sowie H. G. Liddell/R. Scott, A Greek-English Lexicon, Oxford 1968. Die bibliographischen Abkürzungen orientieren sich an S. M. Schwertner, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin 32014.

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Martin Stowasser

gelten kann; Gott als zeltender Bundespartner (Offb 21,3.7) betont die einseitige Selbstverpflichtung des Bundesgottes sowie seine Nähe und Beweglichkeit; Gott als tröstender und befreiender Gott (des Exodus) (Offb 21,4) aktualisiert für die bedrängten Gemeinden Kleinasiens die Hoffnungsbotschaft Deuterojesajas; Gott als alleiniger Gott (Offb 21,6) ist eine Antwort auf die Konfrontation mit heidnischen Göttern für die christlichen Gemeinden Kleinasiens, doch bereitet die Übertragung zahlreicher Gottesepitheta wie der alttestamentlichen Selbstoffenbarungsformel auf Christus auch „den Boden für die nachkanonische Christologie bzw. Trinitätslehre vor“ (S. 49); Gott als Garant für Lohn und Strafe (Offb 21,7.8) zeigt zuletzt auf der Linie des TunErgehen-Zusammenhanges einen parteiischen Gott, der auf der Seite derjenigen steht, die sich zu ihm bekennen. Martin Karrer beleuchtet „Das Gottesbild der Offenbarung vor hellenistisch-frühkaiserzeitlichem Hintergrund“. Dieses steht einerseits häufig in (nuanciertem) Kontrast zu den religionshistorischen Voraussetzungen seiner Zeit, andererseits darf nicht übersehen werden: „Auch die Sprache der Auseinandersetzung stellt Kontexte her“ (S. 55). Dieses Wechselspiel von Kontroverse, Berührung, Rezeption und Überbietung wird an einer Reihe von Beispielen mittels detailreicher Analysen und Vergleiche beleuchtet: „Himmelsreise und Schau Gottes“, „Der Thronende“, „Der machtvolle Schöpfer und Herrscher“, „Der eine Gott und Zeus / Jupiter“, „Abstraktionen im Gottesverständnis“, „Beziehungen zu anderen Göttern“, aber auch abstrakte Begriffe wie „Alpha und Omega“, „Der Pantokrator“ sowie „Der ist und der war und der kommt“. Betrachtet man das Gottesbild der Offenbarung des Johannes vor seinem hellenistisch-frühkaiserzeitlichen Hintergrund, fällt zunächst ein Zug zur Universalisierung auf, der sich in der Verwendung entsprechender Prädikate („Pantokrator“, „König der Könige“) bei gleichzeitiger Vermeidung partikularisierender (z. B. „Gott der Väter“) niederschlägt. Dabei kommt es besonders durch Übernahme von Konkreta („Thron im Himmel“, „Begleitung durch den Adler“, „Sieger“), die originär mit der Gestalt des Zeus verbunden sind, zu einer intensiven Religionsbegegnung, die mittels Abweichungen bzw. Überbietungen jedoch nicht zur (antik üblichen) Verschmelzung der Götter führt. Dieser Religionsbegegnung im Gottesbild der Offenbarung dient auch das Abstrahieren von Zügen des Zeus / Jupiter („Vater von Göttern und Menschen“, seine Zeugungskraft) und dazu korrespondierend von Traditionen Israels („Gott der Väter“). Die Offenbarung verstärkt also die Transzendenz Gottes. So stellt der Verfasser auch die Vorstellung vom irdischen Tempel zugunsten eines im Himmel thronenden transzendenten Gottes zurück, was diesen aber zugleich allgegenwärtig und grundsätzlich zu einem Gott macht, dem jeder zu begegnen vermag. Diesem Befund einer Annäherung stehen gegenläufige Kontraste gegenüber, was den Verfasser selbst für seine Zwecke Naheliegendes vermeiden lässt, um das spezifische Profil des eigenen Gottes nicht zu verwischen oder gar aufzulösen; so z. B. die bei Zeus /

Einführung

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Jupiter verankerte Vorstellung vom „Retter“, welche die sonstige frühchristliche Tradition sehr wohl benutzt, oder vom „Wächter / Beschützer“, die das Judentum bereits übernommen hat. Zu dieser Profilierung und (einem allgemeinen Trend seiner Zeit folgend) zur gesteigerten Transzendenz Gottes, der für Israel und damit die frühen Christen jedoch immer auch der nahe Gott bleibt, trägt zuletzt auch die philosophisch-spekulative Reflexionsebene bei. In der Gestalt des Gottesnamens ΙΑΩ, den die hellenistisch-römische Welt kennt, erblickt der Verfasser das Alpha und Omega. Als Anfang und Ende ist dieser Gott zugleich für philosophisch geschulte Ohren „der Seiende“ schlechthin. Er ist Herr der Geschichte und vereint in sich Nähe sowie Ferne und Transzendenz, die er nur selbst als „der Kommende“ aufzuheben vermag. Insgesamt verstärkt also der Seher Johannes in seinem Gottesbild universale Züge, dokumentiert jedoch auch eine Spannung zwischen Tendenzen hin zu einem transzendenten Gott, denen er zeitgenössisch folgt, und einer für den Gott Israels stellenweise ungewöhnlichen Materialität. Der Gesamtbefund zum Vorgehen des Verfassers zeigt, dass er die Vorstellungen seiner griechisch-römischen Umwelt bestens kennt und eher beim höchsten Gott des antiken Denkens anknüpft als beim Zeus der archaischen Mythen und des Kultes. Das Gottesbild der Offenbarung sucht also, „das Gottesverständnis Israels im großen Umbruch der frühchristlichen Zeit aktuell zu formulieren“ (S. 81). Michael Labahn zielt in seinem Beitrag „Der Menschensohngleiche als Gottes Richter und Gottes Krieger in Offb 1,9–20. Christologie zwischen Schriftrezeption, griechisch-römischer Vorstellungswelt und christlicher Deutung“ darauf, die Pragmatik dieses ersten entfalteten Christusbildes als Schlüsselstelle für das Verhältnis von Theologie und Christologie der Johannesoffenbarung zu verstehen. Das Eingangsportrait des Menschensohngleichen erweist sich als ein inter- wie intratextuelles Mosaik aus Motiven des biblischen Gottes sowie antiker Götter bzw. Heroen, das „den erhöhten Christus Gott an die Seite stellt, ohne ihn zu Gott zu machen“. Das Bild dient als „eine Zusage Gottes in der Situation der bedrängten Gemeinden, die in der Hoffnung auf den gottnahen Christus zu geduldigem Ausharren bestärkt“ (S. 86). Das Portrait des Menschensohngleichen orientiert sich zwar grundlegend am Daniel- und Ezechielbuch des Alten Testaments, es werden allerdings hellenistisch-römische Motivelemente von Göttern und dem römischen Kaiser beigefügt, um diese von den ursprünglichen Trägern abzulösen, dieselben so zu beschneiden und vom dargestellten Christus überboten sein zu lassen. Ein Moment der Polemik ist diesem Vorgang also inhärent. Die Motivkombinationen werden vom Verfasser dabei im Christusportrait äußerst verdichtet, ,,aber nicht zu Wesensaussagen des Menschensohngleichen komprimiert (...) Offb 1,13–20 geht es nicht darum, den erhöhten Christus als Gott darzustellen, sondern rückt ihn deshalb nahe an Gott heran, um ihm die Machtfülle und die Lebensfülle Gottes zugunsten der christlichen Gemeinde

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zuzuschreiben.“ (S. 109) Wenn der Menschensohngleiche im Hauptteil des Buches auch als Gottes Richter und Krieger fungiert (Offb 19,11–16), bleibt er für den Verfasser doch zugleich der Gekreuzigte und Auferweckte; der irdische Jesus ist somit zumindest abbreviiert im Blick. Das Eingangsportrait des Menschensohngleichen ist also äußerst komplex und verbindet für die Johannesoffenbarung paradigmatisch Theologie und Christologie. „Der Christus ist Gott so nahe, damit der transzendente Gott den Adressaten im erhöhten Christus bereits jetzt nah ist.“ (S. 111) In der Kategorie bloßer „Funktionseinheit“ ist das freilich nicht mehr gänzlich zu fassen. Klaus Wengst wählt als Perspektive „Protest als Zeugnis und Widerspruch. Soziale und politische Aspekte im Gottesbild der Offenbarung“, wenn er im letzten Buch der Bibel nach Gott fragt. Grundsätzlich ist für ihn der Zusammenhang zwischen Gott und Christus „ein funktionaler, kein seins- oder wesensmäßiger“ (S. 114). Die dem Lamm übertragenen Funktionen wie auch Gottes eigenes Sein und Wirken erweisen sich als tief in den Traditionen Israels verwurzelt und durchaus politisch konnotiert. So lässt sich der Verfasser bei der Erstdefinition Gottes als ὁ ὢν καὶ ὁ ἦν καὶ ὁ ἐρχόµενος in Offb 1,4 zwar von der griechischen Dreizeitenformel inspirieren, inhaltlich wird sie jedoch von der biblischen Tradition, näherhin von Ex 3,14, bestimmt. Es ist nicht ein zeitlos unveränderlicher Gott griechischen Denkens, sondern der für Israel in seiner Geschichte Partei ergreifende Gott, der als ὁ ὢν in der Johannesoffenbarung – wie danach bei Rabbinen und im Targum – entgegen tritt. Die gezielt geschaffene Variation der Dreizeitenformel erschließt das eingespielte alttestamentliche Bild Gottes, dem es darum zu tun ist, „dass den Opfern des Geschichtsverlaufs zum Recht verholfen wird“ (S. 118). In der Verwendung von bedeutungsvollen Gottesprädikationen versichert der Verfasser die bedrängten Gemeinden der dazu nötigen All-Souveränität Gottes, des τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ. Er setzt der faktisch erlebten Herrschaft Roms „Israels Gott, der in Jesus, dem Gesalbten, endzeitlich handelnd auf den Plan getreten ist und auf den Plan treten wird“ (S. 120) als Allherrscher, als παντοκράτωρ (Offb 1,8), entgegen. Zwar verleiht der „Drache“ dem „Tier“ seine Macht, womit Roms Herrschaft als eine des Satans gebrandmarkt wird, dennoch wurde sie ihm zugleich von Gott „gegeben“ (Offb 13,5–7). Die Widersprüchlichkeit der Welt drückt sich in einem widersprüchlichen Text aus, der offenbart, „dass Gott selbst an der widersprüchlichen Wirklichkeit teilhat, an ihr leidet und ihr widerspricht und so dem Widersprechen Raum gibt“ (S. 122). Gott ist noch nicht am Ziel, aber dass er sich (endgültig) durchsetzen wird, ist die Botschaft. Denn sein Alleinanspruch auf die Macht, entlarvt die Machtausübung von Menschen über Menschen als „Usurpation“ (S. 123). Gott hat das regnum mundi bereits angetreten und übt seine Herrschaft durch den Auferweckten aus, der sich selbst als ὁ ἄρχων τῶν βασιλέων τῆς γῆς (Offb 1,5) vorstellt, also kontradiktorisch den zeitgenössisch wichtigsten Titel der römischen Kaiser trägt, den des princeps. Gottes All-Souveränität kommt

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somit durch den „Erstgeborenen der Toten“ zum Zug, ohne freilich „dass Jesus an die Stelle Gottes tritt oder vergöttlicht wird“ (S. 125). Neben Gottes regnum mundi durch Christus realisiert auch bereits die Gemeinde als Gegenraum zur erlebten Wirklichkeit „die Herrschaft Gottes als herrschaftsfreie Geschwisterschaft“ (S. 128). Konrad Huber beleuchtet in seinem Beitrag „‚Gott bete an‘ (Offb 19,10; 22,9). Christusbild und Gottesbild der Johannesoffenbarung im Spannungsfeld von wesensmäßiger und funktionaler Einheit und Differenz“ das Reden von Gott speziell von der Christologie her. Ohne explizite Epitheta, Hoheitstitel und titular gebrauchte Wendungen für Gott bzw. Christus miteinzubeziehen werden „Aussagen funktionaler und wesensmäßiger Art reflektiert“ (S. 130). So gebührt Anbetung allein Gott (Offb 19,10; 22,9), dennoch werden bereits in der Thronsaalvision – und mehrfach danach im Buch – Gott und dem Lamm huldigende Anbetung dargebracht (Offb 5,13f.), „ohne dass an einer dieser Stellen in irgendeiner Weise angezeigt wäre, dass damit das Postulat, Gott allein anzubeten, verletzt wäre“ (S. 133). In der Zusammenschau mit anderen Ausdrücken für die Einheit zwischen Gott und dem Lamm, die Johannes in seinem Buch bietet, „scheint unmissverständlich die Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass Jesus Christus auf die Seite Gottes gehört, eine Überzeugung, die sich nicht allein aus der Lebenshingabe und Auferweckung … begründet, sondern zutiefst auf sein Person-Sein, sein Wesen, abhebt“ (S. 133). Auch das Motiv der Throngemeinschaft ist darauf angelegt, „Christus in gottgleicher Würde und Hoheit und in wesensmäßiger Einheit mit Gott zu präsentieren“ (S. 134). Sie ist eingebunden in ein Phänomen „dramatischer Akoluthie“ (S. 134), bei dem im Verlauf des Buches das Lamm immer näher an Gott heran gerückt wird, sowie in eine Reihe „programmatischer Parataxen“ (S. 135), wenn Prädikate oder Pronomina im Singular stehen, obwohl unmittelbar davor von Gott und dem Lamm die Rede war. Freilich scheint die Partizipation der „Überwinder“ an der Throngemeinschaft von Gott und Lamm in Offb 3,21 (vgl. auch Offb 22,4.6) die Annahme, „das Motiv der Throngemeinschaft impliziere auch eine wesensmäßige Einheit, in Frage zu stellen oder zumindest zu relativieren“ (S. 136). Einen ambivalenten Befund von spezifischer Unterschiedenheit bei zugleich singulärer Nähe und Einheit zwischen Gott und dem Lamm liefern auch Aspekte der Handlungs- und Funktionseinheit (Christus als Schöpfungsmittler, Offenbarer, „Kommender“ sowie endzeitlicher Richter und Heilsmittler). Kern der Differenz zwischen Gott und Christus ist die Vater-Sohn-Relation, sodass trotz stark akzentuierter „Gottgleichheit Jesu Christi … im Gesamt der Johannesoffenbarung die Differenzierung zwischen Gott und Christus durchaus gewahrt“ (S. 144) bleibt, was z. B. auch durch für Gott reservierte Epitheta und anderes zum Ausdruck kommt. In Summe ergibt sich also „ein durchaus facettenreiches, vielschichtiges und auch nicht immer einfachhin auf einen Nenner zu bringendes Bild“, dennoch gibt der Befund der Johannesoffenba-

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rung „die Überzeugung von Wesensgleichheit und entsprechender Handlungs- und Funktionseinheit mit Gott zu erkennen“ (S. 146). Mit Blick auf das Gottesbild bleibt für die Deutung der Johannesoffenbarung „die Herausforderung eines angemessenen Zueinanders der Rede von dem ‚einen Gott mit Christus‘ und der biblischen Grundüberzeugung von dem einen und einzigen Gott“ (S. 147) bestehen. Martin Stowasser untersucht mit „Gottesepitheta als Christusepitheta. Überlegungen zur Gottheit Gottes in der Offenbarung des Johannes“ die Frage, „wie der Seher Johannes in einem monotheistischen Denkhorizont die Gottheit Gottes sichert, wenn er Gottesepitheta auf Christus überträgt“ (S. 150). Zwei Epitheta der ersten Gottesrede des Buches (Offb 1,8), ὁ παντοκράτωρ sowie ὁ ὢν καὶ ὁ ἦν καὶ ὁ ἐρχόµενος, bleiben Gott vorbehalten. „Das Epitheton ὁ παντοκράτωρ ist als Summe aller Aussagen über Gott verstanden“ (S. 152), es umfasst dessen rettende, richtende sowie herrscherliche Macht. Die Einzigartigkeit des παντοκράτωρ liegt allerdings in seinem Schöpfersein begründet. Zu Gott steht das Lamm in einer einzigartigen „funktionalen Aktionseinheit“ (S. 153). Die unüberbietbare Nähe des Lammes zu Gott verdankt sich seinem soteriologischen Handeln in Tod und Auferstehung, doch bleibt der Christus selbst in seiner Schöpfungsmittlerschaft ein Geschöpf Gottes. „Dagegen ist das Schöpfersein vor dem alttestamentlich-frühjüdischen Hintergrund keine (weitere) Funktion Gottes, sondern definiert vielmehr sein Gottsein und begründet seine Einzigkeit.“ (S. 155) In diese Koordinaten, die in der Thronsaalvision (Offb 4–5) grundgelegt werden, bleibt das Verhältnis von Gott und dem Lamm durch das gesamte Buch hindurch eingeschrieben. Im zweiten Gott vorbehaltenen Epitheton, ὁ ὢν καὶ ὁ ἦν καὶ ὁ ἐρχόµενος, bringt ὁ ὢν nicht nur Gottes rettendes Dasein für die Seinen, sondern im ὁ ἐρχόµενος auch sein Kommen im Christusgeschehen zum Ausdruck. Diese „christologisch entfaltete Theozentrik“ (S. 159) rückt im Buch zwar die Rede vom Handeln Gottes zugunsten vom Wirken des Lammes in den Hintergrund, dennoch wird „kontinuierlich Gott selbst eingeblendet“ (S. 161). Darüber hinaus kommt die Zu- und Unterordnung des Lammes im theozentrischen Koordinatensystem der Offenbarung des Johannes im Phänomen eines exklusiv zu verstehenden „theozentrischen Singulars“ (S. 163) zum Vorschein, wo zunächst von Gott und dem Lamm gemeinsam die Rede ist, der Text dann aber auffällig im Singular fortfährt. Der Verfasser greift auf ein (sprachliches) Konzept des hellenistischen Judentums zurück (vgl. Tob 11,14–15 [LXX]), das darauf abzielte, eine hochentwickelte Angelologie in den Rahmen eines strengen Monotheismus einzubetten. „Auf diese Weise sucht auch die Johannesoffenbarung die einmalige Nähe und Wirkgemeinschaft des Lammes mit Gott zum Ausdruck zu bringen, ohne Gottes alleiniges Gottsein zu berühren.“ (S. 165) In der zweiten Gottesrede (Offb 21,5–8) ist die Verwendung der Gottesepitheta (ἐγώ εἰµι τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ sowie ἡ ἀρχὴ καὶ τὸ τέλος) eingebettet in die Beschreibung der neuen Welt,

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die Offb 21 einsetzt. Dieser Kontext legt „den Horizont des Schöpfergottes für die beiden Gottesepitheta nahe“ (S. 168). Sie werden – neben dem für den Christus reservierten Epitheton ὁ πρῶτος καὶ ὁ ἔσχατος – in der letzten Rede des Christus (Offb 22,10–16) auf diesen übertragen und somit zu Christusepitheta. Die titularen Vernetzungen der letzten Christusrede mit dem Beginn des Buches schreiben die nunmehrigen Christusepitheta einerseits in jenes Verhältnis funktionaler Zu- und Unterordnung ein, das über das Buch hinweg entwickelt wurde. Andererseits ist für ihre Bedeutung (ganz wie zuvor für die Gottesepitheta) der Kontext entscheidend, der von Parusie und Gericht des Christus handelt. „Der gemeinsame Bedeutungshorizont der drei Christusepitheta wird somit funktional bestimmt“ (S. 171) und für die beiden Gottesepitheta als Christusepitheta werden je andere Elemente des Bedeutungsspektrums aktiviert; bedeutungsgleich sind sie somit nicht. „Im Vordergrund steht bei Christus jedenfalls der zeitliche Aspekt … seines eschatologischen Kommens …, nicht jedoch der Gedanke der Schöpfung bzw. Neuschöpfung“ (S. 173). Die Übertragung der Epitheta ist Teil eines textpragmatischen Konzeptes, welches durch das Mittel der Intensivierung einen „Perspektivenwechsel“ (S. 174) in den bedrängten Gemeinden zu bewirken sucht. Diese vielgestaltige Intensivierung betrifft gerade die Darstellung des Lammes, da das Christusgeschehen Gottes Rettungshandeln entfaltet. Als Teil dieses textpragmatischen Konzeptes werden „Gottesepitheta zu Christusepitheta, ohne die Gottheit des einzigen Gottes zu berühren“ (S. 175). Martin Hasitschka lotet im Beitrag „Zeugnis für Gott in der Offenbarung des Johannes und im Johannesevangelium. Gemeinsamkeiten und Unterschiede“ die Möglichkeit aus, anhand von präzisen Textvergleichen das Gottesverständnis, das Bild von Jesus sowie das Verhältnis von Gegenwart und Zukunft des Heils in beiden Schriften zu profilieren. Der genaue Vergleich ist umso erhellender, da zwar grundsätzlich „eine direkte Ableitung einer Schrift aus der anderen nicht möglich ist“ (S. 177), dennoch z. B. beim Lamm „das dargestellte Bündel von gemeinsamen Motiven den Schluss zu[lässt], dass … eine literarische und thematische Verwandtschaft zwischen der Offenbarung des Johannes und dem Johannesevangelium besteht“ (S. 191). In beiden Schriften erweist sich für das Gottesverständnis die Kontinuität zum Gott Israels als grundlegend. Das spiegelt sich im gemeinsamen Aufgreifen des Alten Testamentes wider, um „den Glauben an den Gott [zu] stärken, der in seinem rettenden Handeln sich treu bleibt“, wobei das Johannesevangelium auch „eine Überbietung dessen, was früher geschah, durch Jesus“ (S. 195) erkennen lässt. In beiden Schriften ist von Gott als dem „Vater“ Jesu die Rede, wobei allerdings die strenge Reservierung dieser Bezeichnung für Jesus allein die Johannesoffenbarung auszeichnet (im Johannesevangelium wird sie allerdings auch nur einmal auf die Christen ausgeweitet). Beide Schriften unterstreichen die Transzendenz Gottes sowie die Verbindung von Gottes Kommen mit dem Jesu. Gerade das Bild Jesu kennt eine Vielzahl an Berüh-

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rungen zwischen beiden Werken, wenn sie sich auch sprachlich oder in der Bilderwelt öfter nicht zur Gänze decken. Zu solchen Berührungen in Bildern oder Motiven zählen das „Lamm“ (wenn auch terminologisch different), die „singuläre Gottesgemeinschaft“ sowie die „Partizipation an der Macht und Herrschaft Gottes“, die die Johannesoffenbarung in der Throngemeinschaft, das Vierte Evangelium in den Einheitsaussagen ausdrückt. In beiden Büchern spielt der Gedanke eine Rolle, dass Jesus Gott „offenbart“, indem er im Johannesevangelium Kunde bringt, in der Offenbarung das Buch mit den sieben Siegeln zu öffnen vermag bzw. Jesus Gott (sehr differenziert) „bezeugt“. Eine Schnittmenge im Bild Jesu besteht zuletzt auch, wenn – allerdings erneut in unterschiedlicher Akzentuierung – vom „Kommen Jesu“ die Rede ist. „In der Offenbarung des Johannes dominiert der urchristliche Gedanke der Naherwartung“, den das Johannesevangelium „ansatzweise“ kennt, seinen Schwerpunkt jedoch mit „der Ankündigung des nachösterlichen Kommens zu den Seinen“ (S. 197f.) setzt. Eine ähnliche Gemeinsamkeit mit divergierender Akzentsetzung bietet das Sprechen von der Gegenwart und Zukunft des Heils, denn „in beiden Werken steht die Lebensthematik im Vordergrund“ (S. 197). Leben wird in gleicher Weise als bleibende Beziehung zu Jesus und zu Gott gesehen, wobei die Johannesoffenbarung den Akzent auf die Zukunft legt, das Johannesevangelium hingegen auf die Gegenwart des Heils. Rita Müller-Fieberg spürt mit „‚Nah ist und schwer zu fassen der Gott‘ (F. Hölderlin). Das Gottesbild der Johannesoffenbarung in ausgesuchten Beispielen literarischer Rezeption“ der Wirkungsgeschichte von Gott im letzten Buch der Bibel nach. Vom im Beitragstitel gebotenen Zitat ausgehend erweist sich die Dialektik „von rettender Nähe Gottes in gefährlicher Situation und seiner gleichzeitigen Unfassbarkeit und Unverfügbarkeit“ als wegweisend, „das Wechselspiel von Unsichtbarkeit und Ferne einerseits und Offenbarwerden Gottes andererseits“ (S. 200f.). In bewusst theologischer Perspektive wird das Feld „Bibel und Literatur“ betreten, da das Interesse nicht bloß an der Rezeption, dargestellt anhand dreier Beispiele des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts, liegt, sondern „auf die hermeneutischen Herausforderungen, die daraus wiederum für eine heutige Lektüre des Bibeltextes selbst erwachsen“ (S. 202), abzielt. Rezeptionsorientierte Lektüre ist hier also als „Auslegungsinstrument“ und „Instrument der Selbstkontrolle“ verstanden, die gegenwärtige „Rezeptionsbrillen“ bewusst(er) zu machen und die Exegese des Bibeltextes zu befruchten vermag. In Reinhold Schneiders „Apokalypse“ (1946) verschwimmen die Trennlinien zwischen Theologie und Christologie „in vielleicht stärkerem Maße als im biblischen Vorbild“ (S. 206). Alles Reden von Gott ist eingebettet in den Kampf „zwischen Gott und den Herrschern der Jetztzeit“ (S. 206), dem Naziterror. So stößt man in Schneiders Sonettezyklus in zugespitzter Form auf Problemstellungen des biblischen Textes: Die Verhältnisbestimmung zwischen Gott und Christus, den scheinbar das Leid religiös überhöhenden Aufruf zum Durchhalten angesichts eines

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der Katastrophe gegenüber passiv bleibenden Gottes sowie die Spannung zwischen Gewalt und Liebe, die dieser Gott in sich vereint. Der Grundzug in Schneiders Sonetten ist freilich affirmierend, doch drängt der Charakter solch engagierter „Zweckdichtung“ und „Trostlyrik“ (eben auch für die Johannesoffenbarung) historisch zur Frage nach ihrer besonderen Entstehungssituation sowie literarisch nach der Rezipierbarkeit solcher Literatur losgelöst von ihren spezifischen Entstehungsverhältnissen. – Der dritten „apokalyptischen Hochphase“ (S. 211f.) des 20. Jahrhunderts gehört Stefan Heyms „Ahasver“ (1981) an, der die christlich antijüdische Legende vom „Ewigen Juden“ aufgreift. Hier bricht sich der Zweifel an einem widersprüchlichen Gott direkt Bahn: „Man wird ja noch fragen dürfen, Herr“ – im klaren Kontrast zu Reinhold Schneiders „Wir fragen nicht“. Die Ordnung Gottes ist für Heym „so voller Widersprüche wie Er selbst“ (S. 213). Ahasver repräsentiert die moderne (jüdische) Gottsuche bzw. „Gottes-Findung“ (S. 214). Das Gesprächsangebot Gottes läuft ins Leere, die Begegnung von Vater und Sohn mündet „in Enttäuschung und Entfremdung“ (S. 215), die Emanzipation des Sohnes beendet aber auch das „Programm des Duldens und Leidens“ (S. 216). Die Charakterzüge Gottes in der Offenbarung des Johannes, seine Allmacht und Heiligkeit, weist Heym „schroff zurück“ (S. 217), der Aspekt der Handlungseinheit von Gott und dem Lamm wird ebenso aufgelöst wie die Vorstellung eines erhöhten Christus. Auf die Vernichtung der alten Schöpfung folgt keine neue, Bilder der göttlichen Zuwendung und Nähe werden konsequent nicht rezipiert. „So scheint im Licht des Ahasverromans der Weg zu einem Gott, wie ihn die Johannesoffenbarung präsentiert, verstellt“, doch hält der Romanschluss „das Geheimnis ‚Gottes‘ zumindest offen“ (S. 218). – An die Grenze von Rezeption der Offenbarung des Johannes und damit auch seines Gottesbildes führt Cormac McCarthy mit „The Road“ (2006). Zwar bleiben in diesem „postapokalyptischen Roadmovie“ (S. 223) die opulenten Bilder des Sehers von Patmos bis auf wenige, eher allgemein biblische Einzelmotive (z. B. Leben als Wegexistenz) ausgeblendet, doch ergibt sich „eine große Gemeinsamkeit … in dem Anspruch, vom Ende her denkend zu enthüllen, was in der Gegenwart noch verborgen angelegt ist“ (S. 223f.). Ein liebender Gott zählt trotzdem nur noch zu den Resten eines „unreflektierten Kinderglauben[s]“ (S. 224), die Hoffnung auf einen Neuanfang durch ihn ist verschwunden. So werden im Roman auch die klassischen Gottesattribute nicht rezipiert und „die unmittelbare Theozentrik der Johannesoffenbarung … ist durchbrochen“ (S. 224). In Summe jedenfalls vermag die literarische Rezeption des 20. und 21. Jahrhunderts „die Ecken, Kanten und Widersprüchlichkeiten in der Darstellung Gottes beim Seher Johannes noch bewusster zu machen“ (S. 225).

Gottesbilder in Offb 21,1–8 Alttestamentliche Vernetzungen Beate Kowalski 1. Einführung Offb 21,1–8 eröffnet die große Abschlussvision vom himmlischen Jerusalem (21,1–22,5).1 Zusammen mit der Doppelvision vom himmlischen Thronsaal (Offb 4–5) umklammert diese den Hauptteil der Offb, der von Visionserzählungen geprägt ist. Gemeinsame Motive verbinden die beiden rahmenden Visionserzählungen (Gott, Thron, Stimme, Meer). Aber auch zahlreiche Motive aus den programmatischen Sendschreiben und weiteren Texten sind mit Offb 21,1–8 semantisch vernetzt. Zudem ist Offb 21,1–22,5 ein Kontrastbild zum Untergangsszenario der Hure Babylon (Offb 17–18). So entsteht eine Bilderflut, mit der Johannes das große Finale seiner Schrift beschließt.2 Während die Thronsaalvision zu Beginn antizipierend einen Einblick in die Welt Gottes als tröstenden Kontrast zu irdischem Geschehen gibt, kommt die Abschlussvision ohne diese Kontraste aus, da in ihr die endgültige Selbstdurchsetzung Gottes das große Thema ist. Seine uneingeschränkte Gegenwart und die damit einhergehende dauerhafte Verbindung der nach antikem Weltbild getrennten himmlischen und irdischen Räume werden in bewährten und zugleich neuen Bildern zum Ausdruck gebracht. In beiden den apk Hauptteil rahmenden Visionserzählungen stehen somit Gott bzw. Gottesbilder zentral.3 Die Theozentrik der letzten Schrift des NT wird in Offb 4–5 eingeführt und in 21,1–22,5 zur Vollendung gebracht.

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Vgl. auch H. GIESEN, Die Offenbarung des Johannes (RNT), Regensburg 1997, 451; U. B. MÜLLER, Die Offenbarung des Johannes (ÖTBK 19), Gütersloh/Würzburg 21995, 353. 2 Vgl. auch H. LICHTENBERGER, Die Apokalypse (ThKNT 23), Stuttgart 2014, 159, der von Offb 21,1–8 als Zusammenfassung von Offb 21,9–22,5 „wie in einem Brennglas“ spricht. 3 Vgl. dazu auch R. MÜLLER-FIEBERG, Das „neue Jerusalem“. Vision für alle Herzen und alle Zeiten? (BBB 144), Bonn 2003, 252–260, die mit W. Thüsing von „Gottesverkündigung“ spricht.

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Obwohl nahezu alle Motive bereits aus dem Makrotext der Offb bekannt sind,4 so lassen sich in Offb 21,1–8 dennoch neue theologische Akzente ausmachen, die gerade erst durch die semantischen Vernetzungen mit anderen Texten deutlich werden. Zum anderen ist es die Kombination dieser Motive zu einer neuen visionären Schau, die so zum theozentrischen Höhepunkt der Offb wird. Die meisten Motive in Offb 21,1–8 sind nicht nur durch den Makrotext, sondern auch atl vorgeprägt, erfahren jedoch neue Akzentuierungen und Erweiterungen. Zudem führt die unvergleichliche Dichte und Zusammenstellung atl bekannter Bilder und Motive zu ungewohnten Aussagen. Das diesem Beitrag überschriebene Wort „Vernetzungen“ beschreibt zutreffend die Arbeitsweise des Johannes: In 21,1–8 werden zahlreiche semantische Felder und Motive des Makrotextes miteinander und mit atl Prätexten vernetzt. Dabei entsteht ein unübertroffen neues Bild von der Erlösung durch Gott. Im Folgenden werden die unterschiedlichen Ebenen der Vernetzung dieses Textes näher untersucht. Zuerst (1.) wird es um Vernetzungslinien innerhalb des Textabschnitts gehen. Dabei werden die Struktur, stilistische Gestaltungselemente und der Gebrauch der Verben näher analysiert. So wird ein dichtes und kohärentes Textgewebe sichtbar.5 In einem zweiten Schritt (2.) werden die Vernetzungen des Textes mit dem Makrotext der Offb in den Blick genommen. Dabei wird es vor allem um die unterschiedlich gesetzten Nuancierungen von Begriffen gehen, um die besondere Aussageintention von Offb 21,1–8 herauszustellen. Ein dritter Schritt (3.) untersucht die atl Prätexte. Es geht um die Rezeptionsweise, d. h. um allfällige Veränderungen, die Johannes bei seinen Anspielungen auf atl Texte vorgenommen hat. Damit wird das spezifische Anliegen der Offb deutlich. Abschließend werden die durch die unterschiedlichen Vernetzungen erkennbaren Gottesbilder vorgestellt und (4.) in ihrer Bedeutung gewürdigt. Ein punktueller Blick nur auf Offb 21,1–8 auf dem Hintergrund der dort zu findenden atl Anspielungen würde nicht die neuen Akzente des Gottesbildes erfassen, die sich durch semantische Nuancierungen zentraler Begriffe im Makrotext entwickeln. Die Ergebnisse der Untersuchungen werden abschließend thesenartig zusammengefasst.

4 Auf die zahlreichen thematischen Querverbindungen zu vorausgehenden Texten verweist auch zusammenfassend H. GIESEN, Offenbarung (s. Anm. 1) 451. 5 Gegen A. SATAKE, Die Offenbarung des Johannes (KEK 16), Göttingen 2008, 398, der in den V. 1–8 eine „Zusammensetzung von Texteinheiten unterschiedlichen Charakters“ erkennt. Satake hat richtig erkannt, dass hier vielfältige Motive zusammengestellt werden, die verstreut bereits in Makrotext vorkommen, jedoch verkennt er ihre sinnvolle Zusammenstellung in Offb 21,1–8.

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Gottesbilder in Offb 21,1–8 21,1a b c 2a

γῆν καινήν. καὶ οὐρανὸν καινὸν Καὶ εἶδον ἡ πρώτη γῆ καὶ πρῶτος οὐρανὸς ὁ γὰρ ἡ θάλασσα καὶ καὶ τὴν πόλιν τὴν ἁγίαν Ἰερουσαλὴµ καινὴν b καταβαίνουσαν ἐκ τοῦ οὐρανοῦ ἀπὸ τοῦ θεοῦ c ἡτοιµασµένην ὡς νύµφην d κεκοσµηµένην τῷ ἀνδρὶ αὐτῆς.

ἀπῆλθαν οὐκ ἔστιν ἔτι. εἶδον

3a καὶ ἤκουσα φωνῆς µεγάλης ἐκ τοῦ θρόνου b λεγούσης· c ἰδοὺ d ἡ σκηνὴ τοῦ θεοῦ µετὰ τῶν ἀνθρώπων, µετ᾽ αὐτῶν, σκηνώσει καὶ e f καὶ αὐτοὶ λαοὶ αὐτοῦ ἔσονται, g καὶ αὐτὸς ὁ θεὸς µετ᾽ αὐτῶν ἔσται [αὐτῶν θεός], 4a καὶ ἐξαλείψει πᾶν δάκρυον ἐκ τῶν ὀφθαλµῶν αὐτῶν, b καὶ ὁ θάνατος οὐκ ἔστιν ἔτι πένθος οὔτε c κραυγὴ οὔτε d e οὔτε πόνος οὐκ ἔστιν ἔτι. f [ὅτι] τὰ πρῶτα ἀπῆλθαν. 5a Καὶ εἶπεν ὁ καθήµενος ἐπὶ τῷ θρόνῳ. b ἰδοὺ καινὰ ποιῶ πάντα c d καὶ λέγει· e γράψον, f ὅτι οὗτοι οἱ λόγοι πιστοὶ καὶ ἀληθινοί εἰσιν. 6a καὶ εἶπέν µοι· γέγοναν. b τὸ ὦ, καὶ τὸ ἄλφα ἐγώ [εἰµι] c τὸ τέλος. καὶ ἡ ἀρχὴ d ἐγὼ τῷ διψῶντι δώσω ἐκ τῆς πηγῆς τοῦ ὕδατος τῆς ζωῆς δωρεάν. e κληρονοµήσει ταῦτα ὁ νικῶν 7a αὐτῷ θεὸς ἔσοµαι καὶ b µοι υἱός. ἔσται καὶ αὐτὸς c δειλοῖς τοῖς δὲ 8a ἀπίστοις καὶ b ἐβδελυγµένοις καὶ c φονεῦσιν καὶ d e καὶ πόρνοις f καὶ φαρµάκοις g καὶ εἰδωλολάτραις h καὶ πᾶσιν τοῖς ψευδέσιν i τὸ µέρος αὐτῶν ἐν τῇ λίµνῃ τῇ καιοµένῃ πυρὶ καὶ θείῳ, j ὅ ἐστιν ὁ θάνατος ὁ δεύτερος.

14 Sinneswahrnehmung V. 1a εἶδον (Ind. Aor.)

Beate Kowalski Bewegung

Sprechen

Sein

V. 1b εἶδον (Ind. Aor.) V. 1c ἔστιν (Ind. Präs.) V. 2a εἶδον (Ind. Aor.) V. 2b καταβαίνουσαν (Part. Präs.) V. 2c ἡτοιµασµένην (Part. Perf.) V. 2d κεκοσµηµένην (Part. Perf.) V. 3a ἤκουσα (Ind. Aor.) V. 3b λεγούσης (Part. Präs.) V. 3c ἰδού (Imp.) V. 3e σκηνώσει (Ind. Fut.) V. 3f ἔσονται (Ind. Fut.) V. 3g ἔσται (Ind. Fut.) V. 4a ἐξαλείψει (Ind. Fut.) V. 4b ἔσται (Ind. Fut.) V. 4e ἔσται (Ind. Fut.) V. 4f ἀπῆλθαν (Ind. Aor.) V. 5a εἶπεν (Ind. Aor.) V. 5a ὁ καθήµενος (Part. Präs.) V. 5b ἰδού (Imp.) V. 5c ποιῶ (Ind. Präs.) V. 5d λέγει·(Ind. Präs.) V. 5e γράψον (Imp. Aor.) V. 5f εἰσιν (Ind. Präs.)

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Gottesbilder in Offb 21,1–8 Sinneswahrnehmung

Bewegung

Sprechen V. 6a εἶπεν (Ind. Aor.)

Sein

V. 6b γέγοναν (Ind. Perf.) V. 6c εἰµι (Ind. Präs.) V. 6e διψῶντι (Part. Präs.) V. 6e δώσω (Ind. Fut.) V. 7a ὁ νικῶν (Part. Präs.) V. 7a κληρονοµήσει (Ind. Fut.) V. 7b ἔσοµαι (Ind. Fut.) V. 7c ἔσται (Ind. Fut.) V. 8c ἐβδελυγµένοις (Part. Perf.) V. 8i τῇ καιοµένῃ (Part. Präs.) V. 8j ἐστιν (Ind. Präs.)

Verheißungen im Futur: V. 3e σκηνώσει, V. 3f ἔσονται, V. 3g ἔσται, V. 4a ἐξαλείψει, V. 4b ἔσται, V. 4e ἔσται, V. 6e δώσω, V. 7a κληρονοµήσει, V. 7b ἔσοµαι, V. 7c ἔσται Perfektisches Geschehen: V. 6b γέγοναν

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2. Vernetzungen in Offb 21,1–8 Offb 21,1–8 lässt sich in zwei größere Abschnitte einteilen.6 Nach einem narrativen Einleitungsteil mit zwei Visionen (V. 1–2), die die Neuschöpfung, die vergangene Schöpfung und das Herabkommen des himmlischen Jerusalems zum Thema haben, folgt ein Redeteil mit zwei Auditionen (V. 3–8), der wiederum in zwei Unterabschnitte (V. 3–4.5–8) unterteilt ist. Der erste Unterabschnitt (V. 3–4) enthält die wörtliche Rede einer Stimme vom Thron mit Aussagen über Gott in der 3. Person Singular, der folgende, längere Abschnitt (V. 5–8) umfasst eine Gottesrede in prophetischer Sprache in der 1. Person Singular. Auf diesen letzten Abschnitt läuft der Duktus des Textes als Höhepunkt mit Achtergewichtung hinaus. Er ist durch drei Redeeinleitungen (V. 5a.d.6a) weiter strukturiert. Beide Redeteile werden mit ἰδού eingeleitet (V. 3c.5b). Während die erste Audition (V. 3–4) auf die Vision vom himmlischen Jerusalem bezogen ist und Offenbarungen über Gott enthält (V. 1–2), hat die Gottesrede klare Vernetzungen zur Vision von der Neuschöpfung und ist eine Gottesoffenbarung in prophetischer Sprache.7 Etwas unklar ist die Zuordnung des Schlussverses V. 8, der einen ausführlichen Lasterkatalog und eine Strafandrohung enthält. Er kann sowohl als Bestandteil der Gottesrede verstanden werden, als auch als narrativer Abschluss des Abschnitts, der dann als Kontrast zu den Eingangsversen V. 1– 2 dient. Für die Zuordnung zur Gottesrede spricht jedoch, dass V. 8 zusammen mit V. 7 eine Antithese bildet; dieser vorausgehende Vers ist durch die Bundesformel mit dem Verb in der 1. Person Singular (ἔσοµαι) und dem Personalpronomen im Dativ (µοι) deutlich Bestandteil der Gottesoffenbarung.

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J. ROLOFF, Die Offenbarung des Johannes (ZBK.NT 18), Zürich 21987, 198, gliedert ähnlich: V. 1–2: Doppelvision; V. 3–4: Audition der Stimme eines Engels, V. 5–8: Audition der Stimme Gottes. Die Identifikation der Stimme vom Thron mit einem Engel lässt sich jedoch nicht eindeutig vom Makrotext her belegen. Die Struktur von Offb 21,1–8 wird in den Kommentaren häufig kontrovers diskutiert. H. GIESEN, Offenbarung (s. Anm. 1) 451, gliedert nach thematischen Gesichtspunkten in zwei Abschnitte: V. 1–4 (Vision und Audition von der neuen Welt) und V. 5–8 (Bekräftigung und Ermahnung). U. B. MÜLLER, Offenbarung (s. Anm. 1) 349, gliedert den Abschnitt ebenso, jedoch unterscheidet er aufgrund seiner Beachtung der literarischen Gattungen in V. 1–4 eine Vision und in V. 5–8 eine Audition. Dabei verkennt er, dass bereits V. 3–4 eine Audition ist. A. SATAKE, Offenbarung (s. Anm. 5) 398, erkennt in 21,1–8 eine „Zusammensetzung von Texteinheiten“, die schwer zu gliedern ist. Er fasst V. 1–2 als Visionsteil zusammen und sieht in V. 3–8 sieben Stimmen; dieser These widerspricht er (vgl. 401), wo er die sieben Stimmen im Abschnitt V. 5–8 verortet. Damit ist die Zuordnung von V. 3–4 in seiner Kommentierung unklar. 7 Vgl. auch J. ROLOFF, Offenbarung (s. Anm. 6) 198.

Gottesbilder in Offb 21,1–8

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Eine Rahmung verbindet den Einleitungsteil (V. 1–2) mit dem ersten Abschnitt (V. 3–4) durch das Verb ἀπῆλθαν. Zwischen diesen Versen lässt sich dreimal die Verneinung des Verbs εἰµι ausmachen (V. 1c.4be. οὐκ ἔστιν ἔτι). Das Ende bzw. Verschwinden alles Ersten (V. 4f: τὰ πρῶτα) wird damit ausgesagt – sowohl Schöpfungswerke als auch das Leid des Menschen werden konkret genannt (V. 1b: πρῶτος οὐρανὸς καὶ ἡ πρώτη γῆ; V. 4b–e: ὁ θάνατος, πένθος, κραυγή, πόνος). Zu Beginn von V. 6a wird dieses Ende durch die perfektische Form γέγοναν – die einzige im Indikativ gebrauchte Perfektform in diesem Abschnitt – als endgültig in der Vergangenheit liegendes Ereignis rückblickend benannt. Damit ist der Weg für die in der zweiten Rede enthaltenen zahlreichen Verheißungen Gottes für die Zukunft eröffnet. Beide Reden unterscheiden sich nicht nur durch den Sprecher, sondern auch im Stil deutlich voneinander. Während die erste Rede (V. 3–4: φωνῆς µεγάλης ἐκ τοῦ θρόνου) von einer großen Stimme vom Thron gehalten wird und durch Verben aus dem semantischen Feld des „Verschwindens“ geprägt ist, verdeutlicht die Gottesrede dieses Ende bzw. den Neuanfang mit dem entsprechenden Wortfeld des Schaffens und schöpfungstheologisch konnotiertem Verb des Neuentstehens (V. 5c: ποιῶ). Die überwiegende Zahl der Verben steht in beiden Reden im Futur (V. 3e: σκηνώσει; V. 3f: ἔσονται; V. 3g: ἔσται; V. 4a: ἐξαλείψει; V. 6e: δώσω; V. 7a: κληρονοµήσει; V. 7b: ἔσοµαι; V. 7c: ἔσται). Der Abschnitt Offb 21,1–8 erhält seine Kohärenz nicht nur durch eine klare Struktur, sondern auch durch die erwähnten Inklusionen, Wortfelder, Parallelismen (V. 1a.c.2b–d.3de.fg.6cd.7bc.8ij) und antithetischen Aussagen (V. 1ab.7.8), Generalisierungen (V. 4f: τὰ πρῶτα; 5c: πάντα), Leitwörter (καινός: V. 1a.5c; πρῶτος: V. 1b.4f; οὐρανός: V. 1ab.2b; σκηνή / σκηνόω: V. 3de) und Aufzählungen (V. 4b–e: 4er Reihung; V. 8a–h: 8er Reihung). Facetten des Gottesbildes lassen sich in allen Teilen von Offb 21,1–8 ausmachen. Während in der einleitenden Doppelvision narrativ-deskriptiv die Auswirkungen des Handeln Gottes (V. 1–2) thematisiert werden, finden sich im Auditionsteil einerseits prophetische Verheißungen über Gott (V. 3–4), andererseits Selbstmitteilungen und Selbstoffenbarungen Gottes (V. 5–8) in prophetischer Sprache. In dem Abschnitt werden damit alle drei biblischen Möglichkeiten des Redens über Gott genutzt. Die dadurch entstehenden Gottesbilder im Auditionsteil sind größtenteils in futurischen Verbformen formuliert, während die indikativischen Verben des Visionsteils im Aorist gehalten sind. Durch die Wahl des Futurs sind Korrelationen mit der gegenwärtigen Situation kaum mehr möglich; die entworfenen Gottesbilder sind ohne Analogien und sprengen die menschliche Vorstellungskraft, obwohl sie auf bewährte Bilder der atl Heilsgeschichte zurückgreifen und einen Kontrast zum irdischen Geschehen der in den Sendschreiben genannten Gemeinden aufbauen.

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Beate Kowalski V. 1–2 VISIONEN: Herabkunft des himmlischen Jerusalem V. 1 Vision von der Neuschöpfung von Himmel und Erde in drei parallelen Sätzen V. 1a Vision eines neuen (καινόν) Himmels und einer neuen (καινήν) Erde V. 1b Ende (καινήν) des 1. (πρῶτος) Himmels und der 1. (πρώτη) Erde V. 1c Ende (οὐκ ἔστιν ἔτι) des Meeres V. 2 Vision von der Herabkunft des himmlischen Jerusalem als Braut von Gott V. 2a Vision von der heiligen Stadt, dem neuen (καινήν) Jerusalem V. 2b–d Beschreibung der Stadt V. 2b Herabkunft (καταβαίνουσαν) aus dem Himmel von Gott (ἀπὸ τοῦ θεοῦ) V. 2cd Geschmückte Braut (ἡτοιµασµένην – κεκοσµηµένην) V. 3–8 AUDITIONEN: Skenosis und Bundesschluss V. 3–4 Stimme vom Thron – Prophetenrede über Gott „Offenbarungen über Gott“ V3. ab Redeeinleitung V. 3cd Aufforderung (ἰδού) zum Sehen des Zeltes (ἡ σκηνή) Gottes (µετὰ τῶν ἀνθρώπων) V. 3e Verheißung (σκηνώσει) vom Zelten Gottes (µετ᾽ αὐτῶν) Verheißungen V. 3fg Verheißung (ἔσται) Volk-Gottes (Bundesformel) V. 4a Verheißung (ἐξαλείψει) des Trostes V. 4b–e Ende (V. 4b.e: οὐκ ἔσται) von Tod, Verheißungen Trauer, Klage, Mühsal V. 4f Ende des Ersten (τὰ πρῶτα ἀπῆλθαν) V. 5–8 Stimme des Thronenden – Gottesrede in Prophetenrede „Selbstoffenbarungen Gottes“ Redeeinleitung V. 5a V. 5bc Aufforderung (ἰδού) zum Sehen des Neugeschaffenen Redeeinleitung V. 5d V. 5ef Aufforderung zum Schreiben der Worte Redeeinleitung V. 6a V. 6b Feststellung des Geschehenen SelbstoffenV. 6c Selbstoffenbarung (Alpha & Omega) barungen V. 6d Selbstoffenbarung (Anfang & Ende) V. 6e Verheißung (δώσω) von Lebenswasser Verheißungen Verheißung (κληρονοµήσει) des V. 7 Bundes Gottes an Sieger V. 8 Strafankündigung (τὸ µέρος αὐτῶν) des Todes an Verlierer

Gottesbilder in Offb 21,1–8

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3. Vernetzungen von Offb 21,1–8 im Makrotext der Offb Offb 21,1–8 ist vielfältigst mit dem Makrotext der Offb vernetzt. Fast alle Motive sind in den vorausgehenden Kapiteln vorbereitet. Das Neue in Offb 21,1–8 ist die verdichtete Vernetzung dieser Motive, die wie in einem großen Finale zu einem neuen, zuvor nicht dagewesenen Gesamtbild verschmelzen. Es werden im Finale keine neuen Motive eingeführt, sondern die vorausgegangenen neu genutzt und miteinander kombiniert. So lässt sich ein dichtes Netzwerk erkennen, das über den gesamten Makrotext der Offb gespannt ist. Zu den Sendschreiben8 (Christus als Schöpfer: 3,14; Heilsort Jerusalem: 3,12; Schreibbefehl: 2,1.8.12.18; 3,1.7.14; zuverlässige und wahre Worte: 2,10.13; 3,7.14; Überwindersprüche: 2,7.11.17.26; 3,5.12.21), der doppelten Thronsaalvision (Gott als Thronender: 4,2f.; Gott als Schöpfer: 4,11) und dem dramatischen Mittelteil der Offb sind durch die Wiederaufnahme von Motiven zahlreiche Verbindungen hergestellt.9 Aus der folgenden Übersicht sind die semantischen Vernetzungen zum Makrotext zu erkennen. Auf zentrale semantische Motive und ihre unterschiedlichen Konnotationen in der Offb wird nachfolgend eingegangen. Dabei werden v. a. die neuen Akzentsetzungen in Offb 21,1–8 herausgestellt. Offb

21,1

21,2

Semantische Vernetzungen Schöpfung: − Gott als Schöpfer: 4,11; 10,6 − Christus als Schöpfer: 3,14 − Geschöpfe Gottes: 5,13; 8,9 Meer: − Schöpfungswerk Gottes: 7,1–3; 10,6; 14,7: 20,8 − Gläsernes Meer vor dem Thron Gottes: 4,6; 15,2 − Ort des Drachen und des Tieres: 12,12.18; 13,1 − Ort der Vernichtung: 8,8.9; 16,3; 18,21 − Macht über das Meer: 10,2.5.8 (Engel); 15,2 (Sieger) − Arbeitsort: 18,17.19 Jerusalem: − Heilsort: 3,12; 21,10 Babylon: − Stadt 14,8; 16,19; 18,2.10.21 − Hure Babylon: 17,[1].5.[15.16; 19,2]

8 Vgl. auch U. B. MÜLLER, Offenbarung (s. Anm. 1) 353f., der besonders auf die Bezüge von Offb 21,7 zu den Sendschreiben verweist. 9 A. SATAKE, Offenbarung (s. Anm. 5) 398, sieht in Offb 21,1–8 ein „komplementäres Gegenstück zu 20,7–15“.

20 Offb 21,3

21,4

21,5

21,6 21,7 21,8

Beate Kowalski Semantische Vernetzungen Stimmen: − Stimmen aus dem Himmel: 11,12.15; 12,10; 14,2; 19,1 − Laute Stimme aus dem Tempel bzw. vom Thron: 16,1; 19,5; 21,3 Zelt Gottes: 13,6; 15,5 Trost: − Tränen trocknen: 7,17 − Gott als Sitzender auf dem Thron (ὁ καθήµενος ἐπὶ τῷ θρόνῳ): 4,2f.9f.; 5,1.7.13; 6,16; 7,10.15; 19,4; 20,11 − Schreibbefehl: 1,11.19; 2,1.8.12.18; 3,1.7.14; 14,13; 19,9 − Zuverlässige und wahre Worte: 19,9 (auf Jesus bezogen: 1,5; 3,7.14; 19,11; auf Gott bezogen: 6,10; 15,3; 16,7; 19,2; auf Märtyrer bezogen: 2,13; 17,14; auf Adressaten bezogen: 2,10) − Selbstoffenbarungen: 1,8; 22,13 − Wasser des Lebens: 7,17 (Lamm wird dahin führen); 22,1 (geht vom Thron Gottes und dem Lamm aus); kostenlose Gabe für Durstige (21,6; 22,17)) − Überwindersprüche: 2,7.11.17.26; 3,5.12.21 (vgl. auch 12,11; 15,2) − Lasterkatalog: 22,15

3.1 Schöpfung Gottes (Offb 21,1) Schöpfungstheologisch konnotierte Begriffe werden mehrfach im Makrotext der Offb erwähnt; der Gedanke der absoluten Neuschöpfung von Himmel und Erde in 21,1 kommt daher nicht überraschend.10 Die atl Vorstellung, dass Gott Schöpfer der Welt ist, wird in 4,11 und 10,6 eingeführt und in 3,14 auf die Christusvorstellung (ἡ ἀρχὴ τῆς κτίσεως τοῦ θεοῦ) übertragen; Christus wird beinahe präexistent als Anfang der Schöpfung Gottes tituliert. Von den Geschöpfen Gottes ist in 5,13 und 8,9 die Rede. Die Schöpfungstheologie ist in der Offb ein verbindendes Element zwischen der Theologie und Christologie. Offb 4,11 Offb 3,14 Offb 10,6

ὅτι σὺ ἔκτισας τὰ πάντα καὶ διὰ τὸ θέληµά σου ἦσαν καὶ ἐκτίσθησαν ἡ ἀρχὴ τῆς κτίσεως τοῦ θεοῦ ὃς ἔκτισεν τὸν οὐρανὸν καὶ τὰ ἐν αὐτῷ καὶ τὴν γῆν καὶ τὰ ἐν αὐτῇ καὶ τὴν θάλασσαν καὶ τὰ ἐν αὐτῇ

Der Schöpfung eines neuen Himmels und einer neuen Erde geht die Vernichtung der alten Schöpfung vor dem Endgericht voraus (vgl. Offb 20,11).

10 Dass es nicht um eine Metamorphose geht, zeigt die Wahl des Verbs ποιέω (vgl. Gen 1); vgl. dazu auch R. MÜLLER-FIEBERG, Jerusalem (s. Anm. 3) 77.

Gottesbilder in Offb 21,1–8

Offb 20,11

Offb 21,1

21

Καὶ εἶδον θρόνον µέγαν λευκὸν καὶ τὸν καθήµενον ἐπ᾽ αὐτόν, οὗ ἀπὸ τοῦ προσώπου ἔφυγεν ἡ γῆ καὶ ὁ οὐρανὸς καὶ τόπος οὐχ εὑρέθη αὐτοῖς. Καὶ εἶδον οὐρανὸν καινὸν καὶ γῆν καινήν. ὁ γὰρ πρῶτος οὐρανὸς καὶ ἡ πρώτη γῆ ἀπῆλθαν καὶ ἡ θάλασσα οὐκ ἔστιν ἔτι.

Zur Neuschöpfung gehört auch die Vernichtung des Meeres, das in der Offb verschiedene Konnotationen hat. Es ist zum einen Ausdruck der Gegenwart Gottes, die mit dem Bild eines himmlischen Hofstaates vorgestellt wird. Ein gläsernes Meer hat dabei seinen Ort vor dem Thron Gottes (4,6; 15,2: θάλασσα ὑαλίνη).11 Dieses Bild eröffnet den apk Hauptteil der Offb als Kontrastbild zum kaiserlichen Hofzeremoniell. Es macht den Adressaten deutlich, wer der eigentliche Herrscher über die Welt und die Kirche ist. Diese polemische Aussage mit politischer Aussagekraft wird in der großen Schlussvision der Offb zugunsten völlig neuer Vorstellungen von Gottes Gegenwart aufgegeben. Das Meer wird aber nicht nur positiv in biblischen Texten vorgestellt; es ist zudem eine Chaosmacht, wie sich auch in der Offb zeigt:12 Es ist der Ort des Drachens und des Tieres (12,12.18; 13,1), die beide vernichtet werden.13 Die Nicht-Existenz des Meeres in 21,1c bedeutet zudem, dass es als Ort der Vernichtung (8,8.9; 16,3; 18,21) nicht mehr nötig ist, weil es nichts Böses mehr gibt, das vernichtet werden muss.14 Auch die Machtausübung über das Meer durch Engel (10,2.5.8) oder Sieger (15,2) ist nicht mehr möglich. Machtdemonstrationen jeglicher Art sind mit dem Ende des Meeres vernichtet. Es entfällt auch die Vorstellung vom Meer als Arbeitsort der Matrosen etc. (18,17.19).15 Mit der Vorstellung der Neuschöpfung entweichen politische Aspekte aus dem Gottesbild der Offb.

11 H. GIESEN, Offenbarung (s. Anm. 1) 152, betont, dass Johannes hier die Konjunktion ὡς gebraucht, um das Geheimnisvolle des Meeres auszudrücken. Das antike Weltbild mit der Vorstellung eines Meeres über dem Firmament ist in die Formulierung des Johannes eingegangen. Das Wasser des Meeres kann zudem die in V. 3–5 eingeführte große Farbenpracht wie ein Spiegel reflektieren. 12 Vgl. auch R. MÜLLER-FIEBERG, Jerusalem (s. Anm. 3) 65. 13 Vgl. auch J. ROLOFF, Offenbarung (s. Anm. 6) 198. 14 J. ROLOFF, Offenbarung (s. Anm. 6) 198 betont, dass in der neuen Welt dem Bösen kein Raum mehr gegeben wird. Nach Offb 20,10.14 sind alle eschatologischen Gegenspieler Gottes, Tod und Unterwelt, jedoch bereits im Feuersee vernichtet. Damit ist das Böse nicht mehr existent. 15 Zum Verschwinden des Meeres vgl. ausführlich G. K. BEALE, The Book of Revelation (NIGTC), Grand Rapids 1999, 1050f., der die Sicherheit des Gottesvolkes als Ziel benennt. Er listet zahlreiche atl Belege auf (z. B.: Jes 35,10; 51,11), die jedoch nicht exakt die Vorstellung in Offb 21,1c vorbereiten.

22

Beate Kowalski

3.2 Jerusalem (Offb 21,2) Die Vorstellung von Jerusalem als eines besonderen Heilsortes wird in 3,12 eingeführt. In diesem Überwinderspruch im Sendschreiben an die Gemeinde von Philadelphia findet sich erstmals die Vorstellung von der Herabkunft der Stadt von Gott aus dem Himmel, die nahezu wörtlich in 21,2 aufgegriffen wird. Offb 3,12 Offb 21,2

τῆς καινῆς Ἰερουσαλὴµ ἡ καταβαίνουσα ἐκ τοῦ οὐρανοῦ ἀπὸ τοῦ θεοῦ µου καὶ τὴν πόλιν τὴν ἁγίαν Ἰερουσαλὴµ καινὴν εἶδον καταβαίνουσαν ἐκ τοῦ οὐρανοῦ ἀπὸ τοῦ θεοῦ

Die Personifizierung der heiligen Stadt, des neuen Jerusalem, als Braut wird durch das Bild von der Hure Babylon kontrastiert (14,8; 16,19; 18,2.10.21; erstmals und einmalig in personifizierter Form in 17,[1].5.[15.16; 19,2]: Βαβυλὼν ἡ µεγάλη, ἡ µήτηρ τῶν πορνῶν καὶ τῶν βδελυγµάτων τῆς γῆς).16 Während Babylon im Abgrund vernichtet wird, erstrahlt das neue Jerusalem in vollem Glanz. Die für das himmlische Jerusalem genutzte Brautmetaphorik wird bereits in Offb 19,7–9 vorbereitet.17 In 19,7 wird die Braut als Frau des Lammes eingeführt, die mit ihm Hochzeit (vgl. auch 19,9) feiert. Ihre Kleidung, das strahlend reine Leinen, symbolisiert ihre gerechten Taten und ihre Heiligkeit. Aus diesem Kontext ist die Identität des Bräutigams der Braut Jerusalem (das Lamm Christus) bereits bekannt; sie wird explizit dann in 21,9 ausgedrückt. Offb 19,7 Offb 19,8 Offb 19,9 Offb 21,2 Offb 21,9

ἦλθεν ὁ γάµος τοῦ ἀρνίου καὶ ἡ γυνὴ αὐτοῦ ἡτοίµασεν ἑαυτήν καὶ ἐδόθη αὐτῇ ἵνα περιβάληται βύσσινον λαµπρὸν καθαρόν µακάριοι οἱ εἰς τὸ δεῖπνον τοῦ γάµου τοῦ ἀρνίου κεκληµένοι. ἡτοιµασµένην ὡς νύµφην κεκοσµηµένην τῷ ἀνδρὶ αὐτῆς δείξω σοι τὴν νύµφην τὴν γυναῖκα τοῦ ἀρνίου

Die Katabasis18 der vollendeten Heilsgemeinde von Gott in V. 2 ist bereits durch 3,12 vorbereitet, aber auch durch die Vorstellung von der Katabasis von Engeln in 10,1; 18,1; 20,1 (vgl. auch 21,10). Auch Plagen und das Böse kommen in der Offb von Gott herab: der Diabolos in 12,12; Feuer vom Himmel (13,13); Hagel (16,21) und Feuer (20,9). Die Gegenbewegung, die 16 Vgl. auch U. SIM, Das himmlische Jerusalem in Apk 21,1–22,5 im Kontext biblischjüdischer Tradition und antiken Städtebaus (Bochumer Altertumswissenschaftliches Colloquium 25), Trier 1996. 17 Vgl. dazu auch J. FEKKES, Isaiah and Prophetic Traditions in the Book of Revelation. Visionary Antecedents and their Development (JSNT.S 93), Sheffield 1994, 231–238, der auch auf diese Stellen aufmerksam macht. 18 Vgl. R. MÜLLER-FIEBERG, Jerusalem (s. Anm. 3) 68f.

Gottesbilder in Offb 21,1–8

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Anabasis, findet sich in der Offb, um die Verbindung und Kommunikation zwischen Gott und Welt auszudrücken.19 Einzigartig in der Offb und der gesamten biblischen Tradition ist jedoch die Vorstellung, dass Jerusalem, die Heilsgemeinde, von Gott herabsteigt.20 3.3 Laute Stimme vom Thron (Offb 21,3) Von einer lauten Stimme, die mit der Gegenwart Gottes verbunden ist, ist häufig in der Offb die Rede. Vielfach sind es Stimmen von Engeln, die als wortgewaltig beschrieben werden. Nicht näher bestimmte Stimmen aus dem Himmel werden in 11,12.15; 12,10; 14,2 (besonders ausgeschmückt) und 19,1 genannt. Einmal wird eine solche Stimme mit dem Menschensohn identifiziert (1,10). An drei Stellen der Offb, die durch ähnliche Formulierungen in Beziehung zueinander stehen, ist von einer lauten Stimme aus dem Tempel bzw. vom Thron die Rede: Offb 16,1 Offb 19,5 Offb 21,3

µεγάλης φωνῆς ἐκ τοῦ ναοῦ φωνὴ ἀπὸ τοῦ θρόνου ἐξῆλθεν φωνῆς µεγάλης ἐκ τοῦ θρόνου

Bei der ersten Stelle (Offb 16,1) wird die dritte Plagenreihe, die Schalenvisionen, mit einer lauten Stimme aus dem Tempel eingeleitet. An den beiden übrigen Stellen ist von einer Stimme die Rede, die vom Thron Gottes ausgeht. Sie sind damit eng miteinander verbunden. Während die Stimme in 19,5 zum universalen Gotteslob auffordert, verkündet sie in 21,3 den Bund Gottes mit den Völkern. 3.4 Zelt und Bund Gottes (Offb 21,3.7) Das Motiv vom Zelt Gottes wird erstmals im dramatischen Höhepunkt der Offb eingeführt (13,6), wo von Gott, seinem Namen und seinem Zelt die Rede ist. Auch kurz vor dem Beginn der letzten sieben Plagen ist von Gottes Zelt des Zeugnisses21 die Rede. Während sich an diesen beiden Stellen das Zelt Gottes jedoch im Himmel befindet, ist es in 21,3 unter den Menschen aufgeschlagen.

19

Es steigen hinauf: Johannes (4,1), ein Engel (7,2), Gebet mit Weihrauch (8,4; 19,3) und die beiden Zeugen / Propheten (11,12). 20 Dass Unheil auf Jerusalem von Gott herabkommt, weiß Mi 1,12. 21 Das Wortfeld µαρτυρέω/µαρτυρία/µάρτυς stellt Jesus (1,2.5.9; 3,14; 12,17; 19,10; 20,4; 22,20), Antipas (2,13), die Überwinder (6,9; 12,11.17; 17,6), die beiden Propheten (11,3.7), Engel (22,16), Johannes (22,18) als Zeugen vor.

24

Beate Kowalski

Offb 13,6 Offb 15,5 Offb 21,3

καὶ τὴν σκηνὴν αὐτοῦ, ὁ ναὸς τῆς σκηνῆς τοῦ µαρτυρίου ἡ σκηνὴ τοῦ θεοῦ

τοὺς ἐν τῷ οὐρανῷ ἐν τῷ οὐρανῷ µετὰ τῶν ἀνθρώπων µετ᾽ αὐτῶν

Die untrennbare Nähe Gottes mit den Menschen wird mit dieser Variation des Motivs ausgesagt und durch die sich unmittelbar anschließende Bundesformel noch einmal unterstrichen. Die Bundesformel kommt erstmals innerhalb des Makrotextes in 21,3 vor und führt damit eine neue Facette des Gottesbildes ein. Sie ist hier universal (vgl. auch den Ausdruck µετὰ τῶν ἀνθρώπων bei der Kenosis Gottes) ausgeweitet.22 Die Bundesformel wird in wiederholender Variation noch einmal in 21,7 aufgenommen. Dort ist sie jedoch nicht universal, sondern persönlich ausgedrückt (θεός – µοι υἱός). Das Vaterverhältnis Gottes zu seinem Volk wird jedoch nur mit der Sohnesbezeichnung für das Volk (υἱός) und ohne den Titel πατήρ für Gott beschrieben; dieser wird in der Offb nur auf das Verhältnis zu Jesus angewandt (1,6; 2,28; 3,5.21; 14,1). Damit wird das Bild Gottes als eines Vaters implizit aufgenommen. Die Bundesformel erhält in V. 7 eine sehr persönliche Note, die durch die Gottesrede bedingt ist.23 Offb 21,3 Offb 21,7

f f a b c

λαοὶ αὐτοῦ αὐτοὶ καὶ καὶ αὐτὸς ὁ θεὸς µετ᾽ αὐτῶν ὁ νικῶν κληρονοµήσει ταῦτα αὐτῷ ἔσοµαι καὶ καὶ αὐτὸς ἔσται

ἔσονται, ἔσται [αὐτῶν θεός], θεὸς µοι υἱός.

Aus kanontheologischer Sicht öffnet sich mit der letzten Schrift des NT und der Bibel damit die Bundestheologie universal. Der Bundesbegriff διαθήκη wird dabei vermieden, indem auf die atl Bundesformel zurückgegriffen wird.24 3.5 Tränen trocknen (Offb 21,4) Das Bild eines tröstenden Gottes in 21,4 wird in 7,17 bereits wörtlich identisch mit der späteren Wiederaufnahme eingeführt und mit dem christologischen Bild vom Lamm mit Hirtenfunktion verbunden. Trost ist in der Offb 22

Nur in 18,4 und 21,3 steht λαός ohne die Parallelbegriffe (φυλή, γλῶσσα, ἔθνος); in 18,4 ist jedoch durch das Possessivpronomen µου eindeutig das Gottesvolk gemeint. 23 Vgl. zu Offb 21,7 auch R. MÜLLER-FIEBERG, Jerusalem (s. Anm. 3) 179–181. 24 Vgl. auch die aktuelle Diskussion um die Einsetzungsworte (für viele / für alle) und dazu Mt 26,28: τὸ αἷµά µου τῆς διαθήκης τὸ περὶ πολλῶν; Mk 14,24: τὸ αἷµά µου τῆς διαθήκης τὸ ἐκχυννόµενον ὑπὲρ πολλῶν; Lk 22,20: τὸ ποτήριον ἡ καινὴ διαθήκη ἐν τῷ αἵµατί µου τὸ ὑπὲρ ὑµῶν ἐκχυννόµενον; 1 Kor 11,25: τοῦτο τὸ ποτήριον ἡ καινὴ διαθήκη ἐστὶν ἐν τῷ ἐµῷ αἵµατι.

Gottesbilder in Offb 21,1–8

25

ausschließlich Aufgabe Gottes; dieser Aspekt des Gottesbildes wird an keiner Stelle auf Christus übertragen (vgl. Jes 40,1). Adressaten dieses göttlichen Trostes sind in Offb 7,17 die 144 000 Besiegelten aus den 12 Stämmen Israels. Diese Gruppe wird in 21,4 – vorbereitet durch die Bundesformel in 21,3 – universal auf alle Völker ausgeweitet, die zu den Siegern über den Kaiserkult gehören (21,7).

Offb 7,17

Offb 21,4

a b c a b c d e f g

ὅτι τὸ ἀρνίον τὸ ἀνὰ µέσον τοῦ θρόνου ποιµανεῖ αὐτοὺς καὶ ὁδηγήσει αὐτοὺς ἐπὶ ζωῆς πηγὰς ὑδάτων, καὶ ἐξαλείψει ὁ θεὸς πᾶν δάκρυον ἐκ τῶν ὀφθαλµῶν αὐτῶν. καὶ ἐξαλείψει πᾶν δάκρυον ἐκ τῶν ὀφθαλµῶν αὐτῶν, καὶ ὁ θάνατος οὐκ ἔσται ἔτι οὔτε πένθος οὔτε κραυγὴ οὔτε πόνος οὐκ ἔσται ἔτι, [ὅτι] τὰ πρῶτα ἀπῆλθαν.

3.6 Gott als Thronender (Offb 21,5) Das Motiv von Gott als eines Herrschenden, der auf dem Thron sitzt (ὁ καθήµενος ἐπὶ τῷ θρόνῳ), ist ein zentrales Motiv des Gottesbildes in der Offb. Es wird im Präskript der Offb (1,4) eingeführt, gefolgt von zahlreichen weiteren Belegen (Offb 4,2.3.9.10; 5,1.7.13; 6,16; 7,10.15; 19,4; 20,11; 21,5).25 In Offb 4 wird am ausführlichsten die Umgebung Gottes beschrieben, um sein Wesen zu erfassen. Dabei vermeidet Johannes jeglichen Anthropomorphismus, um die Transzendenz Gottes zu wahren.26 Der Thron als ein zentrales Motiv der Offb hat eine kultische und politische Konnotation. Er dient als Umschreibung von Gottes Wesenseigenschaften. Theophaniezeichen wie Blitze, Stimmen und Donner, die vom Thron ausstrahlen, unterstreichen die Macht und das geheimnisvolle Wesen Gottes. Es ist jedoch nicht nur von Gott als einem Thronenden die Rede. Auch Christus (3,21; 5,6; 7,17; 22,1.3; vgl. zudem 19,11.19, wo Christus als Sitzender auf einem weißen Pferd Krieg führt gegen die Gegner Gottes), die 25

Vgl. zum Motiv des Thrones und des Thronenden in der Offb L. GALLUSZ, The Throne Motif in the Book of Revelation (The Library of New Testament Studies), Bloomsbury 2013. Gallusz hält das Bild vom Thronenden als „the most significant characterization of God“ (361). 26 „It has been established on the basis of an exegetical study of Rev. 4 that God’s throne functions in the book as the axis mundi of the universe. Though the throne is the very first thing John sees in heaven, I have argued that the lack of a description and the avoidance of dealing with the figure seated on it is motivated by the intention of protecting God’s transcendence“ (L. GALLUSZ, Throne [s. Anm. 25] 360).

26

Beate Kowalski

überwindenden Christen (3,21), die Ältesten (4,4; 11,16) und himmlische Richter (20,4) werden als Machthaber auf Thronen beschrieben. Dem dualistischen Denken des Johannes entsprechend werden auch die Gegner Gottes als Thronende beschrieben: Der Thron Satans (2,13), der des Drachen und des Tieres aus dem Meer (13,2; 16,10) werden genannt. Zudem wird die Hure Babylon als Sitzende dargestellt (17,1.3.9.15; 18,7 [κάθηµαι βασίλισσα]).27 Im Kontext der mysteriösen Ungeheuer ist auch deren Entthronung ein zentrales Thema (13,2; 16,10). In Offb 21,5 wird das Gottesbild als das eines Thronenden nicht mehr wie in der Eingangsvision mit dem himmlischen Thronsaal verbunden, sondern nun mit der vollendeten Heilsgemeinde. Die Zugänglichkeit Gottes und die Theozentrik der Ekklesiologie kommen so zum Ausdruck. 3.7 Schreibbefehl (Offb 21,5) Der Schreibbefehl in 21,5 ist nach 1,11.19; 2,1.8.12.18; 3,1.7.14; 14,13; 19,9 die letzte Aufforderung an den Propheten Johannes. Die Qualifizierung der niederzuschreibenden Worte als zuverlässig findet sich bereits in 19,9. Die beiden Attribute sind zugleich Eigenschaften, die in der Offb Jesus (1,5; 3,7.14; 19,11) und Gott (6,10; 15,3; 16,7; 19,2), dem Märtyrer Antipas und weiteren Bekennern (2,13; 17,14) zugeschrieben und von den Adressaten der Offb als ethische Haltung erwartet werden (2,10). Der Schreibbefehl qualifiziert die niederzuschreibende Botschaft als verbindliches Gotteswort. 3.8 Selbstoffenbarung (Offb 21,6) Die Gottesrede in 21,5–8 ist die erste Rede, die Gott als Thronender hält. Es ist jedoch die zweite Gottesrede in der Offb nach 1,8, wo Gott als κύριος ὁ θεός und als ὁ παντοκράτωρ bezeichnet wird.28 Beiden Reden gemeinsam ist die Selbstoffenbarungsformel ἐγώ [εἰµι] τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ (1,8a; 21,6c). Während die Gottesrede in 1,8 sehr kurz gehalten ist und nur aus Selbstoffenbarungen besteht (Herr und Gott, Alpha und Omega, Dreizeitenformel, Pantokrator), ist die Gottesrede in 21,5–8 wesentlich länger und durch drei Redeeinleitungen (V. 5bc.ef.6b–8j) näher strukturiert. Sie ist um Selbstmitteilungen Gottes in Form von Verheißungen erweitert.

27

L. GALLUSZ, Throne (s. Anm. 25) 250–291, stellt zudem die Bundeslade (11,19), die Zion-Szene (14,1) und das Motiv des Sitzens bzw. des/r Sitzenden (4,2–4.9f.; 5,1.7.13; 6,2.4f.8.16; 7,10.15; 9,17; 11,16; 14,6.14–16; 17,1.3.9.15; 18,7; 19,4.11.18f.21; 20,11; 21,5) als dem Thron verwandte Konzepte heraus. 28 Die dreifache Titulatur Gottes in 1,8 wird durch die Dreizeitenformel unterbrochen (ὁ ὢν καὶ ὁ ἦν καὶ ὁ ἐρχόµενος). Vgl. auch K. HUBER, Offb 21,1–22,5. Einführende Beobachtungen zu Struktur und Inhalt des Textes, in: PzB 8 (1999) 21–39, 25; J. ROLOFF, Offenbarung (s. Anm. 6) 200.

Gottesbilder in Offb 21,1–8

27

Die Selbstoffenbarung aus 1,8 findet sich im dritten und längsten der drei Redeteile (V. 6b–8j). Sie ist um die synonyme parallele Aussage ἡ ἀρχὴ καὶ τὸ τέλος verstärkt. Aufgrund der Länge und der inhaltlichen Aussagen kommt ihr im Makrotext große Bedeutung für das Gottesbild zu.

Offb 1,8

a Ἐγώ εἰµι τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ, b λέγει κύριος ὁ θεός, c ὁ ὢν καὶ ὁ ἦν καὶ ὁ ἐρχόµενος, d ὁ παντοκράτωρ.

Die erste Selbstmitteilung dieser Offenbarungsstimme besteht nur aus dem Verb γέγοναν (3. Person Plural) dem einzigen indikativisch gebrauchten Verb im Perfekt innerhalb des Textabschnitts. Die Perfektform des Verbs γίνοµαι (3. Person Singular: γέγονεν in 16,17) wird in der Offb nur zweimal gebraucht: Zum einen, um die Zerstörung der Stadt Babylon am Ende der dritten Plagenreihe, der siebten Schalenvision (16,17), einzuführen, zum anderen, um die Neuschöpfung Jerusalems und die Gegenwart Gottes anzukündigen. Mit Hilfe dieser dualistischen Gestaltungselemente erweitert Johannes die atl Schöpfungstheologie, indem er den Aspekt der Vernichtung des Bösen als Werk Gottes aufnimmt.

Offb 16,17

Offb 21,6

Sprecher: laute Stimme aus dem Tempel vom Thron (16,17: φωνὴ µεγάλη ἐκ τοῦ ναοῦ ἀπὸ τοῦ θρόνου) Wirkung: Theophaniezeichen (Blitze, Stimmen, Donner, großes Erdbeben, Hagel), Vernichtung Babylons und der Städte der Völker, Vernichtung von Inseln und Bergen (16,17–21) Sprecher: der Thronende (21,5: ὁ καθήµενος ἐπὶ τῷ θρόνῳ) Wirkung: Neuschöpfung, Schreibbefehl, Selbstoffenbarung der Ewigkeit Gottes, Lebenswasser, Bund Gottes

Beide Ereignisse sind nach Johannes untrennbar miteinander verbunden: Zur Selbstdurchsetzung Gottes gehört die vorausgehende Vernichtung des Bösen. Beide Ereignisse bilden den Schlusspunkt der Ankündigungen an den Seher Johannes, die ebenfalls mit dem Verb γίνοµαι verbunden werden. Das Verb gehört in die Kategorie der Schöpfungstheologie; in der Offb wird es sowohl für negative (Vernichtung des Bösen) als auch für positive Werke Gottes gebraucht. 1,1

22,6

δεῖξαι τοῖς δούλοις αὐτοῦ ἃ δεῖ γενέσθαι ἐν τάχει 1,19 γράψον οὖν ἃ εἶδες καὶ ἃ εἰσὶν καὶ ἃ µέλλει γενέσθαι µετὰ ταῦτα. 4,1 καὶ δείξω σοι ἃ δεῖ γενέσθαι µετὰ ταῦτα. δεῖξαι τοῖς δούλοις αὐτοῦ ἃ δεῖ γενέσθαι ἐν τάχει

28

Beate Kowalski

Der schöpfungstheologischen Feststellung schließt sich eine Selbstoffenbarung Gottes in V. 6cd an, die eng mit der ersten Gottesrede verknüpft und mit ihr größtenteils identisch ist:

Offb 1,8

Offb 21,6 Offb 22,13

a b c d a b a b c

Ἐγώ εἰµι τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ, λέγει κύριος ὁ θεός, ὁ ὢν καὶ ὁ ἦν καὶ ὁ ἐρχόµενος, ὁ παντοκράτωρ. ἐγώ [εἰµι] τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ, ἡ ἀρχὴ καὶ τὸ τέλος. ἐγὼ τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ, ὁ πρῶτος καὶ ὁ ἔσχατος, ἡ ἀρχὴ καὶ τὸ τέλος.

Im Unterschied zur ersten Selbstoffenbarung Gottes als Alpha und Omega (1,8), der die Dreizeitenformel sowie die Vorstellung von Gott als Pantokrator angeschlossen ist, wird diese in 21,6 durch einen Parallelismus verstärkt. Im Epilog der Offb findet sich die gleiche Selbstoffenbarung ein drittes Mal, nun auf Christus übertragen und durch den Einschub von ὁ πρῶτος καὶ ὁ ἔσχατος zu einem dreiteiligen Parallelismus verstärkt, der an vorangehende christologische Aussagen anknüpft:29 Offb 1,17 Offb 2,8 Offb 3,14 Offb 21,6 Offb 22,13

f b c d d a b a b c

ἐγώ εἰµι ὁ πρῶτος καὶ ὁ ἔσχατος Τάδε λέγει ὁ πρῶτος καὶ ὁ ἔσχατος, ὃς ἐγένετο νεκρὸς καὶ ἔζησεν· ἡ ἀρχὴ τῆς κτίσεως τοῦ θεοῦ ἐγώ [εἰµι] τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ, ἡ ἀρχὴ καὶ τὸ τέλος. ἐγὼ τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ, ὁ πρῶτος καὶ ὁ ἔσχατος, ἡ ἀρχὴ καὶ τὸ τέλος.

Der Selbstoffenbarung folgt die Verheißung Gottes, kostenlos das Wasser des Lebens zu spenden. Dieses Motiv ist bereits in 7,16 eingeführt, wo es den 144 000 Erlösten versprochen wird. Wieder aufgenommen wird es in der großen Abschlussvision (Offb 21,6; 22,1.17). Das Motiv vom kostenlosen Lebenswasser wird in der Offb nur den Nachfolgern des Lammes und den Siegern über die heidnischen Kulte versprochen.30 29

Vgl. auch H. GIESEN, Offenbarung (s. Anm. 1) 487 und G. K. BEALE, Revelation (s. Anm. 15) 1055f. 30 Das Substantiv ζωή wird ansonsten in der Offb mit στέφανος (2,10), πνεῦµα (11,11), ψυχή (16,3) und häufig mit βίβλος (3,5; 13,8; 17,8; 20,12.15; 21,27) und ξύλον (2,7; 22,2.14.19) verbunden.

Gottesbilder in Offb 21,1–8

Offb 7,17 Offb 21,6 Offb 22,1

Offb 22,17

a b c a a b c a b c d e f

29

ὅτι τὸ ἀρνίον τὸ ἀνὰ µέσον τοῦ θρόνου ποιµανεῖ αὐτοὺς καὶ ὁδηγήσει αὐτοὺς ἐπὶ ζωῆς πηγὰς ὑδάτων, καὶ ἐξαλείψει ὁ θεὸς πᾶν δάκρυον ἐκ τῶν ὀφθαλµῶν αὐτῶν. ἐγὼ τῷ διψῶντι δώσω ἐκ τῆς πηγῆς τοῦ ὕδατος τῆς ζωῆς δωρεάν Καὶ ἔδειξέν µοι ποταµὸν ὕδατος ζωῆς λαµπρὸν ὡς κρύσταλλον, ἐκπορευόµενον ἐκ τοῦ θρόνου τοῦ θεοῦ καὶ τοῦ ἀρνίου. Καὶ τὸ πνεῦµα καὶ ἡ νύµφη λέγουσιν· ἔρχου. καὶ ὁ ἀκούων εἰπάτω· ἔρχου. καὶ ὁ διψῶν ἐρχέσθω, ὁ θέλων λαβέτω ὕδωρ ζωῆς δωρεάν.

Schöpfungstheologie, Selbstoffenbarung in Anlehnung an Ex 3,14 und Verheißungen Gottes werden in V.6 auf einzigartige Weise und einmalig in der Bibel miteinander verbunden. 3.9 Überwindersprüche (Offb 21,7) Mit V. 7 ist eine Anknüpfung an die Überwindersprüche der sieben Sendschreiben gegeben (ὁ νικῶν: 2,7.11.17.26; 3,5.12.21 – vgl. auch 12,11; 15,2). Er übertrifft diese jedoch mit seiner Verheißung vom Bund Gottes (2,7: Essen vom Baum des Lebens im Paradies; 2,11: kein zweiter Tod; 2,17: verborgenes Manna und weißer Stein; 2,26: Macht über die Nationen; 3,5: weiße Gewänder und Eintrag in das Buch des Lebens; 3,12: Säule im Tempel Gottes; 3,21: Mitregentschaft mit Christus auf dem Thron). Das damit einhergehende Gottesbild liegt ganz auf der Linie des dualistischen Denkens des Johannes und zugleich des atl Tun-Ergehen-Zusammenhangs. Durch den Überwinderspruch und den Lasterkatalog in V. 7–8 wird deutlich, dass auch das Gottesbild der Offb vom dualistischen Denken geprägt ist und damit seine Grenzen hat. Es sind keine absoluten Aussagen über Gott; vielmehr sind die Gottesbilder aus dem geschichtlichen und politischen Kontext entstanden, auf die Johannes mit seiner radikalen Theologie reagiert. 3.10 Lasterkatalog (Offb 21,8) Die Gattung des Lasterkatalogs wird in 9,21 vorbereitet, kommt aber erstmals ausführlich in Offb 21,8 vor und wird noch einmal in 22,15 in modifizierter Weise aufgenommen. Allen drei Auflistungen gemeinsam sind die drei Sünden Mord, Zauberei (vgl. auch 18,23) und vor allem Unzucht (2,14.20f.; 9,21; 14,8; 17,1f.4f.15f.; 18,3.9; 19,2; 21,8; 22,15) als eine Metapher zur Umschreibung von Götzendienst, die in allen acht Lasterkatalogen des NT

30

Beate Kowalski

vorkommt.31 Die konkrete Auflistung von Ausgeschlossenen findet sich nur in der großen Abschlussvision, der die Vernichtung der Gottlosen in Offb 19– 20 bereits vorausgeht. Ihre paränetische Funktion ist damit unverkennbar. Der Ausschluss bedeutet jedoch keine Einschränkung der Universalität des Heils, die mit Offb 21,1–8 betont wird. Offb 9,21 21a καὶ οὐ µετενόησαν ἐκ τῶν φόνων αὐτῶν b οὔτε ἐκ τῶν φαρµάκων αὐτῶν c οὔτε ἐκ τῆς πορνείας αὐτῶν d οὔτε ἐκ τῶν κλεµµάτων αὐτῶν.

Offb 21,8 8a τοῖς δὲ δειλοῖς b καὶ ἀπίστοις c καὶ ἐβδελυγµένοις d καὶ φονεῦσιν e καὶ πόρνοις καὶ φαρµάκοις f g καὶ εἰδωλολάτραις h καὶ πᾶσιν τοῖς ψευδέσιν i τὸ µέρος αὐτῶν ἐν τῇ λίµνῃ τῇ καιοµένῃ πυρὶ καὶ θείῳ, ὅ ἐστιν ὁ θάνατος ὁ j δεύτερος.

Offb 22,15 15a ἔξω οἱ κύνες b καὶ οἱ φάρµακοι c καὶ οἱ πόρνοι d καὶ οἱ φονεῖς e καὶ οἱ εἰδωλολάτραι καὶ πᾶς φιλῶν f g καὶ ποιῶν ψεῦδος.

Es lassen sich in beiden Lasterkatalogen Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede erkennen. Die zweite Liste (sechs Laster) ist gegenüber der ersten (acht Laster) kürzer. Auch die ausgesprochenen Sanktionen unterscheiden sich: Während in 21,8 der zweite Tod in einem brennenden Schwefelsee angedroht wird, ist es in 22,15 der Ausschluss aus dem himmlischen Jerusalem. Gemeinsam aufgelistet werden φάρµακος, φονεύς, πόρνος und εἰδωλολάτρης. In der ersten Liste werden Begriffe, die zwar in anderen Schriften, aber nur einmal in der Offb vorkommen (βδελύσσοµαι, δειλός, ἄπιστος) und früher bereits erwähnte Laster (2,2: ψευδής) aufgelistet. Die Strafankündigung des ersten Lasterkatalogs ist zudem mit den Untergangsszenarien 19,20; 20,10.14f. vernetzt. Im brennenden Schwefelsee werden Tier und Lügenprophet (19,20), der Diabolos (20,10), Tod und Hades (20,14) und alle, die nicht im Buch des Lebens verzeichnet sind (20,15), vernichtet (die Nicht-Sieger, vgl. 3,5).

31 Vgl. G. FITZER, Art. πορνεία / πορνεύω, in: EWNT III (32011) 328–333; DERS., Art. πόρνη, in: EWNT III (32011) 333–336.

Gottesbilder in Offb 21,1–8

31

4. Vernetzungen von Offb 21,1–8 mit atl Prätexten In der Forschungsliteratur wird die Vernetzung zwischen Offb 21,1–8 und atl Prätexten unterschiedlich stark in die Interpretation einbezogen.32 Die hermeneutische Frage nach dem Verhältnis zwischen AT und NT wird auch in aktuellen Kommentaren mit dem Schema Verheißung–Erfüllung unreflektiert beantwortet.33 Offb 28

21,1

N BK N28 BK

Atl Prätexte34 Jes 65,17; 66,22 Gen 1,10 Neh 11,1.18; Jes 61,10 Joël 4,17; Jes 52,1; 66,20 Weitere Motive mit atl Prätexten: − Weiblich personifizierte Städte: Jerusalem: ! Tochter Zion (2 Kön 19,21; Ps 9,15; 47,12; 72,28; Mi 1,13; 4,8.10.13; Zef 3,14; Sach 2,14; 9,9; Jes 1,8; 3,16f.; 4,4; 10,32; 37,22; 52,2; 62,11; Jer 4,31; 6,2.23; Klgl 1,6; 2,1.4.8.10.13.18; 4,22) ! Dirne Zion (Jes 1,21) ! Braut Jerusalem (Jes 61,10; 62,1) Babylon: ! Tochter Babylon (Ps 136,8; Sach 2,11; Jes 47,1; Jer 27,42 LXX)

21,2

N28 21,3 BK

− Herabkommen Gottes: Gen 11,5; Ex 19,18; 24,16 Lev 26,12; 1 Kön 8,27; Ps 95,7; Jes 8,8; Jer 31,1; Ez 37,27; Sach 2,14f. Ez 1,25f.; 43,6f.

32 Gelungene Beispiele sind G. K. BEALE, John’s Use of the Old Testament in Revelation (JSNT.S 166), Sheffield 1998; S. MOYISE, The Old Testament in the Book of Revelation (JSNT.S 115), Sheffield 1995; J. PAULIEN, The Book of Revelation and the Old Testament, in: BR 43 (1998) 61–69 und S. E. PORTER, The Use of the Old Testament in the New Testament. A Brief Comment on Method and Terminology, in: C. A. Evans/J. A. Sanders (Hrsg.), Early Christian Interpretation of the Scriptures of Israel. Investigations and Proposals (JSNT.S 148 = Studies in Scripture in Early Judaism and Christianity 5), Sheffield 1997, 79– 96. 33 So vor allem J. ROLOFF, Offenbarung (s. Anm. 6) 198, der Offb 21,1 als Erfüllung der prophetischen Verheißung aus Jes 65,17 versteht. Sein Verweis auf Jes 54,11–17 als Prätext für Offb 21,2 zeigt zudem ein sehr freies Verständnis von Intertextualität. Ebenso versteht er Offb 21,3 als Erfüllung von Ez 37,27; Sach 2,14 (vgl. ebd. 199) und Offb 21,5 als Erfüllung von Jes 43,19 (vgl. ebd. 200). 34 N28 bezeichnet die 28. Auflage des Nestle-Aland, BK sind Anspielungen, die von der Autorin dieses Beitrags ergänzt wurden.

32

Beate Kowalski

Offb 28

21,4

N BK N28 BK

21,5

21,6 21,7 21,8

N28 BK N28 BK

Atl Prätexte34 Jes 25,8; Jes 35,10; 43,18; 51,11; 65,17.19; Jer 31,16 Ps 114,8 LXX Jes 43,19 Ez 1,25f.; 1,26; 43,6f. Weitere Motive mit atl Prätexten: − Gott als Thronender: 1 Kön 1,48; 22,19; 2 Chr 18,18; Ps 47,9; Sir 1,8; Jes 6,1; Dan 7,935 − Prophetischer Schreibbefehl: Hab 2,2; Jes 8,1; 30,8; Jer 37,2 LXX; 43,2.28 LXX; Ez 24,2; 37,16 Jes 55,1; Jer 2,13; Sach 14,8 Jes 41,4; 44,6; 48,12 Lev 26,12; 2 Sam 7,14; Ez 11,20; Sach 8,8 Ez 11,20 LXX (Zitat) keine Prätexte

Atl Anspielungen und Zitate werden in der gegenwärtigen Forschung der Offb tendenziell stärker beachtet als in der Vergangenheit; als Grundlage für Forschungsarbeiten empfiehlt sich trotz methodologischer Desiderata die 28. Auflage des Nestle-Aland. Darüber hinaus ist die von J. Oesch auf der Basis von N27 erstellte, jedoch um eigene Beobachtungen erweiterte Synopse eine solide Basis.36 Über diese Hilfsmittel hinaus lohnt es sich immer, mit Hilfe 35 Vgl. zum atl Thronmotiv auch L. GALLUSZ, Throne (s. Anm. 25) 21–54, der fünf theologische Bedeutungen des Motivs herausstellt: 1. Symbol göttlicher Herrschaft, 2. Symbol göttlicher Richterschaft, 3. Ort der Offenbarung, 4. Symbol kreativer Macht, 5. Sinnbild göttlichen Sieges. Hinsichtlich der Gottesfrage betone das Thronmotiv die souveräne Königsherrschaft Gottes, seine Gerechtigkeit, sein Richten und seine Gnade. Mit dem Thron werden zudem die Realität des Bösen, kosmische Konflikte und der Triumph der Königsherrschaft Gottes verbunden. 36 Weiters vgl. auch die älteren Hilfsmittel von E. BÖHL, Die alttestamentlichen Citate im Neuen Testament, Wien 1878; F. JOHNSON, The Quotations of the New Testament from the Old Considered in the Light of General Literature, London 1896; W. DITTMER, Vetus Testamentum in Novo. Die alttestamentlichen Parallelen des Neuen Testaments im Wortlaut der Urtexte und der Septuaginta, Göttingen 1903; A. LANCELOTTI, Sintassi ebraica nel greco dell’Apocalisse. I. Uso delle forme verbali (Cass 1), Assisi 1964; C. SMITS, OudTestamentische Citaten in het Nieuwe Testament. Deel I: Synoptische Evangeliën. Deel II: Handelingen van de Apostelen, Evangelie van Johannes, Apocalyps en Katholieke Brieven. Deel III: De brieven van Paulus. Deel IV: De brief aan de Hebreeën. Het Oude Testament in het Nieuwe. Algemene beschouwingen (CFN VIII/1), ’s-Hertogenbosch 1952/1955/ 1957/1963. Zu den neueren Werken vgl. besonders H. HÜBNER, Eine hermeneutisch unverzichtbare Unterscheidung: Vetus Testamentum und Vetus Testamentum in Novo receptum, in: Texts and Contexts. Biblical Texts in Their Textual and Situational Contexts (FS L. Hartman), Oslo 1995, 901–910 und G. L. ARCHER/G. C. CHIRICHIGNO, Old Testament Quotations in the New Testament. A Complete Survey, Chicago 1983. Darüber hinaus lohnt auch ein Blick in die Kommentare (insbesondere G. K. BEALE achtet auf den atl Hintergrund

Gottesbilder in Offb 21,1–8

33

von Konkordanzrecherchen weitere Prätexte ausfindig zu machen. Insbesondere die Offb ist dafür eine unergründliche Fundgrube. Bei der Auswertung der aktuellen Liste des N28 lässt sich deutlich ein Schwerpunkt bei der Rezeption atl Prophetenschriften ausmachen. Insbesondere der Prophet Jesaja liefert die entscheidenden Prätexte für Offb 21,1–8. Wörtliche Zitate sind nach N28 aus 2 Sam 7,14; Jes 25,8; Ez 11,20 entnommen, wobei zu beachten ist, dass in der Offb generell auf Einleitungsformeln zu Zitaten verzichtet wird. Es ist daher methodenkritisch zu fragen, was ein Zitat von einer Anspielung unterscheidet und wie eine Anspielung zu definieren ist. Atl Prätexte prägen bis auf Offb 21,8 alle Verse des Textabschnitts; in einzelnen Versen lassen sich gleich mehrere Prätexte benennen, die Johannes benutzt haben könnte. Seine Arbeitsweise ist einerseits durch die Kombination von Anspielungen, andererseits durch einen kreativen Umgang mit Prätexten geprägt. Bei aller Vorsicht können neben genauen sprachlichen Übereinstimungen auch thematische Berührungen mit atl Texten festgestellt werden. Über die in den gängigen Listen aufgeführten Anspielungen hinaus lassen sich weitere atl Texte anführen, die das Verständnis von Offb 21,1–8 erleichtern. Insbesondere das Phänomen weiblich personifizierter Städte, das Motiv vom Herabkommen Gottes zu den Menschen, das Bild von Gott als einem Thronenden und der prophetische Schreibbefehl sind zu nennen. Diese Einzelmotive erfüllen nicht die gängigen Definitionen von Anspielungen, bei denen eine sprachliche Übereinstimmung mindestens zweier relevanter Wörter zwischen atl Prätext und Rezeptionstext zu erkennen sein müsste. 37 Mit Blick auf die atl Prätexte zur Bundesformel müsste man die Liste in N28 korrigieren bzw. ergänzen. Im Folgenden werden die wichtigsten Motive aus Offb 21,1–8 mit ihren jeweiligen Prätexten vorgestellt. Dabei werden die ursprüngliche Aussageabsicht und die Veränderungen durch Johannes herausgearbeitet. Auf dieser Grundlage werden die unterschiedlichen Facetten des Gottesbildes von Offb 21,1–8 erkennbar. 4.1 Neues Jerusalem (Offb 21,1) Das Hoffnungsbild vom Neuen Jerusalem ist vor allem durch den Propheten Jesaja vorgeprägt (Jes 65,17; 66,22).38 Die große Abschlussvision der Offb der Offb) und die Spezialliteratur zur Rezeption bestimmter atl Schriften in der Offb, die an Ort und Stelle des Aufsatzes in den Fußnoten genannt werden. 37 Vgl. dazu B. KOWALSKI, Die Rezeption des Propheten Ezechiel in der Offenbarung des Johannes (SBB 52), Stuttgart 2004, 52–65. 38 Zu Jesaja in der Offb vgl. J. FEKKES, „His Bride Has Prepared Herself“. Revelation 19– 21 and Isaian Nuptial, in: JBL 109 (1990) 269–287 und ausführlicher DERS., Isaiah (s. Anm.

34

Beate Kowalski

wird durch das aus dem Propheten Jesaja stammenden Gottesbild von der Neuschöpfung eingeleitet:

Jes 65,17

‫א ִתזָּכ ְַרנ ָה ה ִָראשׁ ֹנוֹת‬/ְ‫ָאָרץ חֲדָ שָׁ ה ו‬ ֶ ‫בוֹרא שָׁ ַמי ִם חֲדָ שִׁ ים ו‬ ֵ ‫כִּי־ ִהנְנ ִי‬ ‫א ַת ֲעלֶינ ָה עַל־לֵב‬/ְ‫ו‬ ἔσται γὰρ ὁ οὐρανὸς καινὸς καὶ ἡ γῆ καινή καὶ οὐ µὴ µνησθῶσιν τῶν προτέρων οὐδ᾽ οὐ µὴ ἐπέλθῃ αὐτῶν ἐπὶ τὴν καρδίαν

‫שׂה‬ ֶ ֹ ‫שׁר ֲאנ ִי ע‬ ֶ ‫ָאָרץ ַהחֲדָ שָׁ ה ֲא‬ ֶ ‫שּׁ ַמי ִם ַהחֳדָ שִׁ ים ְוה‬ ָ ‫שׁר ַה‬ ֶ ‫כִּי ַכ ֲא‬ Jes 66,22 Offb 21,1a

ὃν τρόπον γὰρ ὁ οὐρανὸς καινὸς καὶ ἡ γῆ καινή ἃ ἐγὼ ποιῶ µένει ἐνώπιόν µου λέγει κύριος οὕτως στήσεται τὸ σπέρµα ὑµῶν καὶ τὸ ὄνοµα ὑµῶν Καὶ εἶδον οὐρανὸν καινὸν καὶ γῆν καινήν.

Der dreifache Parallelismus in V. 1 beginnt mit einer positiven Aussage über die Neuschöpfung von Himmel und Erde, die Johannes aus dem dritten Teil des Jesajabuches (Jes 65,17; 66,22)39 aufnimmt und weiterführt.40 Er führt sie mit einer antithetischen, im AT nicht vorgeprägten Vorstellung eines ersten Himmels und einer ersten Erde weiter. Dazu nutzt er die beiden Adjektive καινός und πρῶτος, die jedoch keine Antonyme sind (vgl. dazu auch den Gebrauch beider Adjektive in der Bundestheologie von Hebr 8,13). Offb καινός – πρῶτος καινός – πρῶτος

Alternativen καινός – ἀρχαῖος πρῶτος – ἔσχατος

Das eigentlich zu καινός zugehörige Antonym ἀρχαῖος vermeidet er, vermutlich weil es in der Offb ausschließlich zur Charakterisierung des Drachen gebraucht wird. Mit der Wahl des Adjektivs πρῶτος (vgl. auch das generalisierende τὰ πρῶτα in 21,4) vermeidet er zudem eine Gleichsetzung der Neuschöpfung mit der ersten Schöpfung. Weiters wird mit πρῶτος auch eine semantische Linie zur Christusoffenbarung in 1,17 (vgl. auch 2,8) (ἐγώ εἰµι ὁ πρῶτος καὶ ὁ ἔσχατος; vgl. 22,13) und zur ersten Auferstehung (20,5.6: 17); und B. MARCONCINI, L’utilizzazione del T. M. nelle citazioni Isaeiane dell’Apocalisse, in: RivBib 24 (1976) 113–136. Vgl. auch R. MÜLLER-FIEBERG, Jerusalem (s. Anm. 3) 156– 160. 39 Johannes geht vermutlich bei beiden möglichen Prätexten aus Jes auf den Text der LXX zurück, da er das spezifische Schöpfungsverb ‫( בּ ָָרא‬Jes 65,17) bzw. das neutralere ‫שׂה‬ ָ ‫( ָע‬Jes 66,22) des MT zugunsten des Verbs εἶδον vermeidet. Dies liegt an der unterschiedlichen Gattung der Texte: Während die beiden Jesajatexte Teile einer Gottesrede mit Gott als Sprecher in der 1. Person sind, handelt es sich bei Offb 21,1–8 um eine Visionserzählung des Propheten Johannes. 40 Zur Rezeption von Jes 65,17 vgl. besonders J. T. A. G. M. VAN RUITEN, Een begin zonder einde. De doorwerking van Jesaja 65:17 in de intertestamentaire literatuur en het Nieuwe Testament, Sliedrecht 1990.

Gottesbilder in Offb 21,1–8

35

αὕτη ἡ ἀνάστασις ἡ πρώτη) hergestellt. Schließlich finden sich keine atl Prätexte für die Vorstellung einer ersten Schöpfung. Um den Kontrast mit Hilfe eines Antonyms auszudrücken, wäre auch eine Abänderung der jesajanischen Ausdrucksweise von καινός durch ἔσχατος möglich gewesen. Doch auch diese Modifikation vermeidet Johannes, da er dieses Adjektiv als Attribut Christus vorbehält (1,17; 2,8; 22,13). Die in der gesamten Bibel ungewöhnliche Gegenüberstellung von καινός und πρῶτος lässt sich damit einerseits durch den Makrotext erklären, andererseits durch die Treue zur jesajanischen Vorlage. καινός bezeichnet zudem etwas qualitativ Neues, während νέος eher das Neue in Bezug auf die Zeit ausdrückt. Es geht Johannes hier nicht um die Ankündigung einer neuen Zeitepoche, sondern einer anderen Qualität der Schöpfung. Dennoch bleibt Johannes in der Vorstellungswelt des antiken Weltbildes, wenn er von einem neuen Himmel und einer neuen Erde spricht.41 Hinsichtlich des Gottesbildes wird deutlich, dass Johannes Gott als Schöpfer vorstellt, wie dies in Gen 1–2, aber auch und besonders im Jesajabuch geschieht. Vergleicht man die jeweilige geschichtliche Verortung der Schöpfungstheologie im AT und NT, so fällt auf, dass sie insbesondere in Krisenund Exilszeiten weiterentwickelt wird, in denen eine Auseinandersetzung mit anderen Religionen und Kulten gefordert ist. Mit Hilfe der biblischen Schöpfungstheologie konnten diese konkurrierenden Vorstellungen übertroffen und die Macht und Einzigkeit Gottes betont werden. In Ergänzung zu den klassischen atl Schöpfungswerken integriert Johannes den Gedanken der Vernichtung von Schöpfungswerken in die atl Schöpfungstheologie, der in der Jesaja-Apokalypse vorgeprägt ist (Jes 24).42 Dieser Gedanke wird in 20,11 eingeführt und bereitet 21,1 vor. Die endgültige Selbstdurchsetzung Gottes geht mit der Vernichtung des Bösen und der Neuschöpfung einher.43 Offb 20,11

a Καὶ εἶδον θρόνον µέγαν λευκὸν καὶ τὸν καθήµενον ἐπ᾽ αὐτόν, b οὗ ἀπὸ τοῦ προσώπου ἔφυγεν ἡ γῆ καὶ ὁ οὐρανὸς c καὶ τόπος οὐχ εὑρέθη αὐτοῖς.

Die damit verbundene Vernichtung des Meeres könnte an das Meerwunder in der Exodustradition (vgl. Jes 51,10: ἡ ἐρηµοῦσα θάλασσαν ὕδωρ ἀβύσσου πλῆθος ἡ θεῖσα τὰ βάθη τῆς θαλάσσης ὁδὸν διαβάσεως ῥυοµένοις) erinnern.44 Es bestehen jedoch keine sprachlichen Übereinstimmungen mit dem Prätext 41

Vgl. dazu auch G. K. BEALE, Revelation (s. Anm. 15) 1040. Für diesen Hinweis danke ich herzlich Georg Braulik OSB! 43 Vgl. auch J. FEKKES, Isaiah (s. Anm. 17) 229f., der die Frage stellt, ob Offb 21,1 an eine Neuschöpfung und Zerstörung zugleich denkt. Er betont die Diskontinuität der Neuschöpfung, die er mit der Wahl des Adjektivs καινός anstelle von νέος bzw. πρότερος begründet. 44 Vgl. G. K. BEALE, Revelation (s. Anm. 15) 1043. 42

36

Beate Kowalski

aus Jesaja. Nimmt man einen Zusammenhang zu Jes 51,10 an, so würde Johannes in 21,1 Schöpfungstheologie und Befreiungstheologie miteinander verbinden, wie es für das Jesajabuch nicht unüblich ist. Gott würde dann – wie bei Jesaja – als Neuschöpfer und Befreier in einer ausweglosen, verzweifelten Lage vorgestellt.45 4.2 Braut Jerusalem (Offb 21,2) Personifizierungen von Städten finden sich mehrfach im AT und können mit B. Bakke Kaiser treffend als „female impersonator“46 bezeichnet werden (Tochter Zion;47 Dirne Zion;48 Braut Zion;49 Tochter Babylon50). Es fällt auf, dass im AT – ebenso wie in der Offb – nur die Städte Jerusalem und Babylon weiblich personifiert werden.51 Der in der Offb genutzte Kontrast zwischen den Frauen / Städten als Sinnbild von Gut und Böse ist ebenfalls atl vorgeprägt. Dabei ist es jedoch nicht möglich, eine einzelne Textstelle als Referenzstelle anzugeben, da die Metaphern vor allem in den prophetischen Schriften des AT breit vertreten sind. Diese Form der Intertextualität eines weit verbreiteten Motivs ist in den Listen von N 28 nicht aufgenommen, könnte aber ergänzt werden. Konkret könnte der Prophet Jesaja mit seiner Vorstellung von der prächtig geschmückten Frau Jerusalem den Prätext für diese Vorstellung geliefert haben. Gemeinsamkeiten gibt es vor allem zwischen Jes 52,1f. und Offb 21,2.52 Auch der Ausschluss der Unreinen aus Jerusalem wird in der Offb in den Lasterkatalogen aufgenommen.53 Aber auch mit Jes 61,10 lassen sich enge Verbindungen erkennen:

45

Vgl. dazu auch J. FEKKES, Isaiah (s. Anm. 17) 231–238. Vgl. B. BAKKE KAISER, Poet as ‚Female Impersonator‘. The Image of Daughter Zion as Speaker in Biblical Poems of Suffering, in: JR 67 (1987) 164–182 und E. R. FOLLIS, The Holy City as Daughter, in: Dies. (Hrsg.), Directions in Biblical Hebrew Poetry (JSOT.S 40), Sheffield 1987, 173–184; weiters M. KARTVEIT, Rejoice, Dear Zion! Hebrew Construct Phrases with „Daughter“ and „Virgin“ as Nomen Regens (BZAW 447), Berlin 2013. 47 2 Kön 19,21; Ps 9,15; 47,12; 72,28; Mi 1,13; 4,8.10.13; Zef 3,14; Sach 2,14; 9,9; Jes 1,8; 3,16f.; 4,4; 10,32; 37,22; 52,2; 62,11; Jer 4,31; 6,2.23; Klgl 1,6; 2,1.4.8.10.13.18; 4,22. 48 Jes 1,2. 49 Jes 61,10; 62,1. 50 Ps 136,8; Sach 2,11; Jes 47,1; Jer 27,42 LXX. 51 Personifizierungen sind in der Offb nicht selten (vgl. z. B. den Adler in 8,13; den vom Himmel fallenden Stern in 9,1; die sieben Donner in 10,4 und besonders die Gegenspieler Gottes: Drache, Tier aus dem Meer / der Erde). 52 Vgl. G. K. BEALE, Revelation (s. Anm. 15) 1043; R. MÜLLER-FIEBERG, Jerusalem (s. Anm. 3) 165–174. 53 Auf diesen Zusammenhang verweist auch J. FEKKES, Isaiah (s. Anm. 17) 230f. 46

Gottesbilder in Offb 21,1–8

37

‫ְאַר ֵתּ! י ְרוּשָׁ לַ ִם עִיר הַקּ ֹדֶ שׁ‬ ְ ‫שׁי ִבּגְ ֵדי ִתפ‬ ִ ‫שׁי ֻעזּ ֵ! צִיּוֹן ִל ְב‬ ִ ‫עוּרי ִל ְב‬ ִ ‫עוּרי‬ ִ ‫ עוֹד ע ֵָרל ְו ָט ֵמא‬-ָ‫א יוֹסִיף י ָב ֹא־ב‬5 ִ ‫כּי‬ Jes 52,1

a b c d

ἐξεγείρου ἐξεγείρου Σιων ἔνδυσαι τὴν ἰσχύν σου Σιων καὶ ἔνδυσαι τὴν δόξαν σου Ιερουσαληµ πόλις ἡ ἁγία οὐκέτι προστεθήσεται διελθεῖν διὰ σοῦ ἀπερίτµητος καὶ ἀκάθαρτος

‫הַי‬$‫שׁי בֵּא‬ ִ ‫שׂישׂ בַּיהוָה ָתּגֵל נ ַ ְפ‬ ִ ‫שׂוֹשׂ ָא‬ ‫שׁע ְמעִיל ְצ ָד ָקה י ְ ָע ָטנ ִי‬ ַ ֶ ‫שׁנ ִי ִבּגְ ֵדי־י‬ ַ ‫כִּי ִה ְלבִּי‬ ‫ֶכּחָתָ ן י ְ ַכהֵן ְפּ ֵאר ְו ַכ ַכּלָּה תַּ עְדֶּ ה ֵכלֶי ָה‬ Jes 61,10

Offb 21,2

a b c d e f a b c d

καὶ εὐφροσύνῃ εὐφρανθήσονται ἐπὶ κύριον ἀγαλλιάσθω ἡ ψυχή µου ἐπὶ τῷ κυρίῳ ἐνέδυσεν γάρ µε ἱµάτιον σωτηρίου καὶ χιτῶνα εὐφροσύνης ὡς νυµφίῳ περιέθηκέν µοι µίτραν54 καὶ ὡς νύµφην κατεκόσµησέν µε κόσµῳ καὶ τὴν πόλιν τὴν ἁγίαν Ἰερουσαλὴµ καινὴν εἶδον καταβαίνουσαν ἐκ τοῦ οὐρανοῦ ἀπὸ τοῦ θεοῦ ἡτοιµασµένην ὡς νύµφην κεκοσµηµένην τῷ ἀνδρὶ αὐτῆς.

Die Charakterisierung Jerusalems als heiliger Stadt hat Vorbilder in der prophetischen Tradition des AT (Joël 4,17; Jes 52,1; 66,20). Das Motiv von der Braut Jerusalem entstammt ebenfalls der jesajanischen Tradition (Jes 61,10; 62,1).55 Damit wird Gott als ein liebender Gott beschrieben, dessen Verhältnis zu seiner Heilsgemeinde mit der innigsten Zuneigung eines Bräutigams zu seiner Braut beschrieben wird. 4.3 Gott als Thronender (Offb 21,3.5) Das Bild von Gott als eines Sitzenden und Redenden vom Thron stammt aus dem Propheten Ezechiel (Ez 1,25f.; 43,6f.).56 Das Spezifische an der 54 Im MT ist diese Handlung mit kultischer Sprache konnotiert; es geht um den priesterlichen Akt des Aufsetzens der Kopfbedeckung / des Turbans ( ‫ )י ִ ַכהֵן ִפּ ֵאר‬durch den Bräutigam. Damit verbindet T-Jes die gewählte Brautmetaphorik mit einer kultischen Handlung. Beide Motive kommen auch in der Offb vor. 55 Vgl. dazu auch J. FEKKES, Isaiah (s. Anm. 17) 231–238. 56 Vgl. dazu auch S. BØE, Gog and Magog. Ezekiel 38–39 as Pre-text for Revelation 19,17–21 and 20,7–10 (WUNT 2,135), Tübingen 2001; L. DÜRR, Die Stellung des Propheten Ezechiel in der israelitischen-jüdischen Apokalyptik (NTA 9,5), Münster 1923; D. J. HALPERIN, The Faces of the Chariot. Early Jewish Responses to Ezekiel’s Vision (TSAJ 16), Tübingen 1988; B. KOWALSKI, Rezeption (s. Anm. 37); G. T. MANNING, Echoes of a Prophet. The Use of Ezekiel in the Gospel of John and in Literature of the Second Temple Period (JSNT. S 270), London 2004; J.-P. RUIZ, Ezekiel in the Apocalypse. The Transformation of Prophetic Language in Revelation 16,17–19,10 (EHS.T 23/376), Frankfurt 1989; D. SÄNGER (Hrsg.), Das Ezechielbuch in der Johannesoffenbarung. Mit Beiträgen von M. Bachmann, B. Ego, T. Hieke und M. Karrer (BThSt 76), Neukirchen-Vluyn 2004; A. VANHOYE,

38

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ezechielianischen Gottesvorstellung ist jedoch, dass der Thron Gottes beweglich ist und in alle Himmelsrichtungen reisen kann. Diese Vorstellung eines mobilen Gottes in Anknüpfung an die Gottesbilder der Erzelternzeit ist eine Antwort auf die Exilierung Israels.57

Ez 1,25f.

‫שׁם ְבּ ָע ְמ ָדם ְתּ ַרפֶּינ ָה ַכנְפֵיהֶן‬ ָ ‫שׁר עַל־ר ֹא‬ ֶ ‫ ַויְהִי־קוֹל ֵמעַל ל ָָר ִקי ַע ֲא‬25 ‫שׁם ְכּ ַמ ְר ֵאה ֶאבֶן־ ַספִּיר ְדּמוּת ִכּסֵּא ְועַל ְדּמוּת ַה ִכּסֵּא‬ ָ ‫שׁר עַל־ר ֹא‬ ֶ ‫ וּ ִמ ַמּעַל ל ָָר ִקי ַע ֲא‬26 ‫ְדּמוּת ְכּ ַמ ְר ֵאה אָ ָדם ָעלָיו ִמ ְל ָמ ְעלָה‬ 25

καὶ ἰδοὺ φωνὴ ὑπεράνωθεν τοῦ στερεώµατος τοῦ ὄντος ὑπὲρ κεφαλῆς αὐτῶν 26 ὡς ὅρασις λίθου σαπφείρου ὁµοίωµα θρόνου ἐπ᾽ αὐτοῦ καὶ ἐπὶ τοῦ ὁµοιώµατος τοῦ θρόνου ὁµοίωµα ὡς εἶδος ἀνθρώπου ἄνωθεν

‫שׁ ַמע ִמ ַדּבֵּר ֵאלַי ֵמ ַה ָבּי ִת ְו ִאישׁ ָהי ָה ע ֹ ֵמד ֶא ְצלִי‬ ְ ‫ ָו ֶא‬6 ‫שׁם‬ ָ ‫שׁכָּן־‬ ְ ‫שׁר ֶא‬ ֶ ‫ וַיּ ֹא ֶמר ֵאלַי בֶּן־אָ ָדם ֶאת־ ְמקוֹם ִכּסְאִ י ְו ֶאת־ ְמקוֹם כַּפּוֹת ַרגְלַי ֲא‬7 6

Ez 43,6f.

Offb 21,3 Offb 21,5

καὶ ἔστην καὶ ἰδοὺ φωνὴ ἐκ τοῦ οἴκου λαλοῦντος πρός µε καὶ ὁ ἀνὴρ εἱστήκει ἐχόµενός µου 7 καὶ εἶπεν πρός µε ἑώρακας υἱὲ ἀνθρώπου τὸν τόπον τοῦ θρόνου µου καὶ τὸν τόπον τοῦ ἴχνους τῶν ποδῶν µου ἐν οἷς κατασκηνώσει τὸ ὄνοµά µου ἐν µέσῳ οἴκου Ισραηλ τὸν αἰῶνα καὶ οὐ βεβηλώσουσιν οὐκέτι οἶκος Ισραηλ τὸ ὄνοµα τὸ ἅγιόν µου αὐτοὶ καὶ οἱ ἡγούµενοι αὐτῶν ἐν τῇ πορνείᾳ αὐτῶν καὶ ἐν τοῖς φόνοις τῶν ἡγουµένων ἐν µέσῳ αὐτῶν καὶ ἤκουσα φωνῆς µεγάλης ἐκ τοῦ θρόνου λεγούσης Καὶ εἶπεν ὁ καθήµενος ἐπὶ τῷ θρόνῳ

Diese Gottesvorstellung von Gott als König, der auf einem Thron sitzt, ist eine im AT weit verbreitete Vorstellung (1 Kön 1,48; 22,19; 2 Chr 18,18; Ps 47,9; Sir 1,8; Jes 6,1; Dan 7,9). Irdische Machtverhältnisse (vgl. Ex 11,5; 12,29) haben dieses Bild von Gott beeinflusst. Zwar hat der Thron Gottes in der Offb nicht die Mobilität wie bei Ezechiel, doch betont auch Johannes mit dem Herabkommen des himmlischen Jerusalem von Gott in 21,2 und dem Zeltaufschlagen Gottes unter den Menschen in 21,3 die Beweglichkeit Gottes, die die bleibende Nähe zu den Menschen sucht. Die Transzendenz Gottes wird mit dem Thronmotiv, die Immanenz mit dem Zeltmotiv ausgedrückt. Indem Johannes beide Motive miteinander in Offb 21,1–8 verbindet, beschreibt er Gott mit Hilfe dieser Paradoxie. Dazu greift er besonders Motive aus der Exodustradition (Gen 11,5; Ex 19,18; 24,16) auf, die sich auch in der Theologie des Ezechiel finden.

„L’utilisation du livre d’Ézéchiel dans l’Apocalypse“, in: Bib. 43 (1962) 436–476; J. M. VOGELGESANG, The Interpretation of Ezekiel in the Book of Revelation, Cambridge 1985, Ph.D. Dissertation (unveröffentlicht); L. WEI, Ezekiel in Revelation. Literary and Hermeneutic Aspects, Edinburgh 1999, Ph.D. Dissertation (unveröffentlicht). 57 Vgl. auch G. FISCHER, Theologien des Alten Testaments (NSK.AT 31), Stuttgart 2012, 96f.

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Gottesbilder in Offb 21,1–8

Gen 11,5

Ex 19,18 Ex 24,16

καὶ κατέβη ( ‫ ) ַויּ ֵֶר ד‬κύριος ( ‫)י ְהוָה‬ ἰδεῖν τὴν πόλιν καὶ τὸν πύργον ὃν ᾠκοδόµησαν οἱ υἱοὶ τῶν ἀνθρώπων τὸ δὲ ὄρος τὸ Σινα ἐκαπνίζετο ὅλον διὰ τὸ καταβεβηκέναι ( ‫ )י ַָר ד‬ἐπ᾽ αὐτὸ τὸν θεὸν ( ‫ )י ְהוָה‬ἐν πυρί καὶ κατέβη ( ‫שׁ כַן‬ ָ ) ἡ δόξα ( ‫ )כָּבוֹד‬τοῦ θεοῦ ( ‫ )י ְהוָה‬ἐπὶ τὸ ὄρος τὸ Σινα b καὶ ἐκάλυψεν αὐτὸ ἡ νεφέλη ἓξ ἡµέρας

a b c d a b a

4.4 Zelt und Bund Gottes (Offb 21,3.7) Die erste wörtliche Rede in Offb 21,1–8 enthält nach einer Sehaufforderung die Botschaft vom Zelt Gottes (σκηνή / σκηνόω) bei den Menschen.58 Diese Vorstellung stammt aus der Exodustradition; insbesondere Ex 31,7 mit seiner genauen Beschreibung des Offenbarungszeltes kann als atl Prätext von Offb 21,3 (und 11,19) angesehen werden.59 Indem Johannes die Exodustradition aufnimmt, erinnert er an die Mobilität des Israel aus der Knechtschaft befreienden Gottes. Zugleich wird das zweite Thema von V. 3 damit bereits eingeführt: der Bundesschluss. Thron und Zelt Gottes als atl Orte seiner Präsenz in unterschiedlichen Epochen der Geschichte Israels werden in der Offb nebeneinander gestellt, um die Machtfülle und Nähe Gottes auszudrücken.

Ex 31,7

Offb 21,3

τὴν σκηνὴν ( ‫)א ֹהֶל‬ καὶ τὴν κιβωτὸν τῆς διαθήκης ( ‫) ָל ֵע ֻד ת‬ καὶ τὸ ἱλαστήριον τὸ ἐπ᾽ αὐτῆς καὶ τὴν διασκευὴν τῆς σκηνῆς c ἰδοὺ d ἡ σκηνὴ τοῦ θεοῦ e καὶ σκηνώσει

a b c d

τοῦ µαρτυρίου vgl. Offb 11,19

µετὰ τῶν ἀνθρώπων,60 µετ᾽ αὐτῶν

Unmittelbar nach der Erinnerung an das Motiv vom Offenbarungszelt fügt sich nahtlos die Bundesformel an, die verschiedene atl Prätexte haben kann, da sie breit überliefert ist. Am wahrscheinlichsten dürfte der Bezug zu Ez 37,27 sein, obwohl auch hier die Übereinstimmungen gegenüber den Mo58

Vgl. zur Schekina-Theologie M. GÖRG, Art. ‫שׁן ַכ‬ ָ , in: ThWAT VII (1993) 1337–1348; weiter B. JANOWSKI, „Ich will in eurer Mitte wohnen“. Struktur und Genese der exilischen Schekina-Theologie, in: JBTh 2 (1987) 165–193, 187.! 59 Neben σκηνή (τοῦ µαρτυρίου) wird auch ἁγίασµα (Ex 15,17; 25,8; 28,36; 29,6.34; 30,32.37; 36,37) für das Zelt gebraucht. 60 Die Formulierung µετὰ τῶν ἀνθρώπων könnte aus Ps 77,60 LXX entnommen sein (κατεσκήνωσεν ἐν ἀνθρώποις); vgl. dazu auch R. MÜLLER-FIEBERG, Jerusalem (s. Anm. 3) 177.

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difikationen durch Johannes unterliegen. Für Ez 37,27 spricht, dass sich nur hier auch die Verbindung zur Schekina-Theologie findet. 2 Sam 7,14 Ez 37,27

Offb 21,3

Offb 21,7

a b a b c c d e f g a b c

εἰς πατέρα αὐτῷ ἐγὼ ἔσοµαι καὶ αὐτὸς ἔσται µοι εἰς υἱόν ἐν αὐτοῖς ְ ‫ ) ִמ‬µου καὶ ἔσται ἡ κατασκήνωσίς ( ‫שׁ כָּן‬ καὶ ἔσοµαι αὐτοῖς θεός ( ‫) ֱא לוֹ ַהּ‬ καὶ αὐτοί µου ἔσονται λαός ( ‫)עַם‬ ἰδοὺ ἡ σκηνὴ τοῦ θεοῦ µετὰ τῶν ἀνθρώπων, καὶ σκηνώσει µετ᾽ αὐτῶν καὶ αὐτοὶ λαοὶ αὐτοῦ ἔσονται, καὶ αὐτὸς ὁ θεὸς µετ᾽ αὐτῶν ἔσται [αὐτῶν θεός] ὁ νικῶν κληρονοµήσει ταῦτα καὶ ἔσοµαι αὐτῷ θεὸς µοι υἱός. ἔσται καὶ αὐτὸς

Ein Vergleich mit der klassischen Bundesformel61 aus 2 Sam 7,14 zeigt in 21,3 das Ersetzen des Vaterbildes durch das abstraktere θεός in Offb; πατήρ findet sich nur fünfmal als Gottesprädikation in der Offb, darunter dreimal in den Sendschreiben (2,28; 3,5.21), einmal im soteriologischen Schlüsselvers und ein weiteres Mal in 14,1. Die Bundesformel bei Ez 37,27 steht Offb 21,3 als Prätext näher, da hier bereits die Vaterbezeichnung Gottes fehlt und sich das abstraktere θεός findet.62 Bei der Wiederaufnahme der Bundesformel in Offb 21,7 ist die Adoptionsformel 2 Sam 7,14 als Prätext anzunehmen.63 Die atl Bundesformel wird beim ersten Gebrauch der Bundesformel in Offb 21,1–8 durch den Plural λαοὶ αὐτοῦ (V. 3f; vgl. auch V. 3g µετ᾽ αὐτῶν) universal ausgeweitet.64 Λαός (5,9; 7,9; 10,11; 11,9; 13,7; 14,6; 17,15; 18,4; 21,3) hat aufgrund seines Kontextes65 jedoch zumeist eine nicht-theologische Bedeutung. Nur zweimal (18,4; 21,3) steht λαός allein und bezeichnet nur in 61 Zu den atl Bundesformeln vgl. N. LOHFINK, Dt 26,17–19 und die ‚Bundesformel‘, in: ZKTh 91 (1969) 517–553, der zwischen zwei- und eingliedrigen Bundesformeln unterscheidet und R. RENDTORFF, Die ‚Bundesformel‘. Eine exegetisch-theologische Untersuchung (SBB 160), Stuttgart 1995. Zur Forschungsgeschichte vgl. auch E. W. NICHOLSON, God and His People. Covenant and Theology in the Old Testament, Oxford 1986, 3–117. 62 J. LAMBRECHT, Final Judgments and Ultimate Blessings. The Climactic Visions of Revelation 20,11–21,8, in: Bib. 81 (2000) 362–385, 374, spricht sich für einen direkten Einfluss durch Ez 37,27 (LXX) aus. Vgl. auch R. MÜLLER-FIEBERG, Jerusalem (s. Anm. 3) 174–177. 63 Vgl. dazu auch R. MÜLLER-FIEBERG, Jerusalem (s. Anm. 3) 179–181 und G. K. BEALE, Revelation (s. Anm. 15) 1057f. 64 Vgl. auch S. MOYISE, Testament (s. Anm. 32) 81f. 65 In 5,9 steht λαός aufgereiht mit φυλή, γλῶσσα und ἔθνος, in 7,9 mit ἔθνος, φυλή, γλῶσσα, in 10,11 mit ἔθνος, γλῶσσα, βασιλεύς, in 11,9 mit φυλή, γλῶσσα, ἔθνος, in 13,7 mit γλῶσσα, ἔθνος, in 14,6 mit ἔθνος, φυλή, γλῶσσα, in 17,15 mit ὄχλος, ἔθνος, γλῶσσα.

Gottesbilder in Offb 21,1–8

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18,4 durch die Hinzufügung des Possessivpronomens µου eindeutig das Gottesvolk.66 In 21,3 wird der Plural gebraucht, was auf eine universale Bedeutung schließen lässt. Der in der Offb zumeist für das Volk Israel gebrauchte Begriff ist φυλή.67 Zusammenfassend lässt sich daher festhalten, dass die beiden theologischen Begriffe für das Volk Israel in der Offb sowohl durch die Hinzufügung des generalisierenden πᾶς und τῆς γῆς (1,7), als auch durch die Auflistung zusammen mit γλῶσσα, ὄχλος und ἔθνος universal ausgeweitet werden. In 21,3 wird Gott als universaler Bundespartner aller Völker68 und in seiner väterlichen Beziehung (21,7) zu allen Siegern dargestellt. Diese Vorstellung fügt sich in das Bild des Pantokrators ein und erklärt sich auch aus der politischen Theologie des Johannes, die sich gegen heidnische Kulte, besonders den römischen Kaiserkult, wendet. 4.5 Gott als Tröstender (Offb 21,4)69 Das Bild eines tröstenden und befreienden Gottes in Offb 21,4 hat verschiedene atl Prätexte (Jes 25,8; Jes 35,10; 43,18; 51,11; 65,17.19; Jer 31,16; Ps 114,8BK LXX), von denen Jes 25,8 dem Wortlaut des Verses am nächsten kommt:70

66

Vgl. zur Bedeutung des Gottesvolkes in der Offb auch S. PATTEMORE, The People of God in the Apocalypse. Discourse, Structure and Exegesis (SNTS.MS 128), Cambridge 2004. 67 Vgl. 5,5.9; 7,4–8; 21,12; nur in 1,7 hat φυλή eine universale Konnotation: πᾶσαι αἱ φυλαὶ τῆς γῆς. 68 Λαός steht in den meisten überlieferten Handschriften im Plural (λαοί); zur Textkritik dieser Stelle vgl. G. K. BEALE, Revelation (s. Anm. 15) 1048. Aus dem Makrotext der Offb geht hervor, dass λαός zusammen mit φυλή, γλῶσσα, ἔθνος, (5,9; 7,9; 10,11; 11,9; 13,7; 14,6; 17,15) gebraucht wird und daher vermutlich nicht theologisch (im Sinne von Gottesvolk) konnotiert ist (vgl. dazu auch R. MÜLLER-FIEBERG, Jerusalem [s. Anm. 3] 73). Vgl. weiter W. GROß, Zukunft für Israel. Alttestamentliche Bundeskonzepte und die aktuelle Debatte um den Neuen Bund (SBS 176), Stuttgart 1998. 69 Vgl. O. KEEL, Jahwe-Visionen und Siegelkunst. Eine neue Deutung der Majestätsschilderungen in Jes 6, Ez 1 und 10 und Sach 4 (SBS 84/85), Stuttgart 1977. 70 Vgl. dazu auch R. MÜLLER-FIEBERG, Jerusalem (s. Anm. 3) 163–165.

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Jes 25,8

Offb 21,4

a κατέπιεν ὁ θάνατος ( ‫ ) ִבּ לַּע ַה ָמּ וֶת‬ἰσχύσας b καὶ πάλιν ἀφεῖλεν ὁ θεὸς πᾶν δάκρυον ( ‫ )וּ ָמ חָה אֲ דֹנָי י ְהוִה דִּ ְמ עָה‬ἀπὸ παντὸς προσώπου c τὸ ὄνειδος τοῦ λαοῦ ἀφεῖλεν ἀπὸ πάσης τῆς γῆς d τὸ γὰρ στόµα κυρίου ἐλάλησεν a καὶ ἐξαλείψει πᾶν δάκρυον ἐκ τῶν ὀφθαλµῶν αὐτῶν, b καὶ ὁ θάνατος οὐκ ἔσται ἔτι c οὔτε πένθος d οὔτε κραυγὴ e οὔτε πόνος οὐκ ἔσται ἔτι, f [ὅτι] τὰ πρῶτα ἀπῆλθαν.

Während Jesaja zuächst von der Vernichtung des Todes und dann vom Abwischen der Tränen spricht, hat Johannes die Reihenfolge dieser Aussagen vertauscht. Diese Modifikation des Prätextes macht es möglich, in V. 4b–e eine absteigende Aufzählung anzuschließen, die durch den Tod (nur ὁ θάνατος mit Artikel!) als alles verursachende negative Macht angeführt wird.71 Die Reihung wird durch die Substantive ὁ θάνατος und πόνος gerahmt, denen die stark verneinende Form des Seins angefügt wird (οὐκ ἔσται ἔτι). Mit der generalisierenden Aussage [ὅτι] τὰ πρῶτα ἀπῆλθαν schließt Johannes den Bogen wieder zum Gottesbild, eines die Tränen trocknenden Trösters. 4.6 Prophetischer Schreibbefehl (Offb 21,5) Der prophetische Schreibbefehl kommt mehrfach in der Offb vor (1,11.19; 2,1.8.12.18; 3,1.7.14; 14,13; 19,9; 21,5). Die Wahrheit und Zuverlässigkeit der prophetischen Verkündigung wird zudem durch die Qualifizierung der Worte Gottes als ἀληθινός und πιστός ausgedrückt (19,9; 21,5; 22,6), die nicht versiegelt werden sollen (22,10: µὴ σφραγίσῃς τοὺς λόγους τῆς προφητείας τοῦ βιβλίου τούτου; vgl. auch die Textsicherungsformel 22,18f.). Der prophetische Schreibbefehl hat zahlreiche Vorbilder in der prophetischen Literatur des AT (Hab 2,2; Jes 8,1; 30,8; Jer 37,2 LXX; 43,2.28 LXX; Ez 24,2; 37,16 – vgl. auch den Schreibbefehl an Moses in Ex 34,27). Die Aufforderung, Worte Gottes72 niederzuschreiben findet sich explizit in Ex 34,27f.; Jer 37,2 LXX; 43,2.28 LXX. Die größte sprachliche Überein-

71

Vgl. auch J. ROLOFF, Offenbarung (s. Anm. 6) 199. Roloff betont, dass die Neuschöpfung nicht positiv beschrieben werde, weil sie keine Verbesserung oder Steigerung bedeute, sondern etwas radikal Neues. Dieser These Roloffs kann mit Hinweis auf die abschließende, generalisierende Aussage in V. 4f. zugestimmt werden. 72 Gott selbst wird in Jer 49,5 LXX als πιστός und µάρτυς bezeichnet wie Jesus in Offb 1,5; 3,14 und Antipas in Offb 2,13.

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Gottesbilder in Offb 21,1–8

stimmung zu Offb 21,5 lässt sich mit Jer 37,2 LXX erkennen.73 Gott wird als Auftraggeber und Berufender für eine prophetische Verkündigung vorgestellt – eine Vorstellung, die in der atl Heilsgeschichte vorgeprägt ist. Jer 37,2LXX (= 30,2) Offb 1,11 Offb 21,5

οὕτως εἶπεν κύριος ὁ θεὸς Ισραηλ λέγων γράψον πάντας τοὺς λόγους (‫ ֵאת כָּל־ ַה ְדּ ב ִָרים‬#ְ‫ ) ְכּ ָת ב־ל‬οὓς ἐχρηµάτισα πρὸς σέ ἐπὶ βιβλίου ( ‫שׁ ר־ ִדּ בּ ְַר ִתּי ֵא לֶי) ֶא ל־ ֵס פֶר‬ ֶ ‫) ֲא‬ ὃ βλέπεις γράψον εἰς βιβλίον γράψον, ὅτι οὗτοι οἱ λόγοι πιστοὶ καὶ ἀληθινοί εἰσιν.

4.7 Gott als Geber (Offb 21,6) Die doppelte Gottesoffenbarung ist im AT vielfältig vorgeprägt: Jes 41,4 Jes 44,6 Jes 48,12

Offb 1,8

Offb 21,6 Offb 22,13

a ἐγὼ θεὸς πρῶτος

‫ֲאנ ִי י ְהוָה ִראשׁוֹן‬ a ἐγὼ πρῶτος ( ‫) ִר אשׁוֹן‬ b a b a b c d a b a b c

καὶ

καὶ πλὴν ἐµοῦ οὐκ ἔστιν θεός ἐγὼ καλῶ ἐγώ εἰµι πρῶτος ( ‫אשׁוֹן‬ ֔ ‫ ) ִר‬καὶ καὶ Ἐγώ εἰµι τὸ ἄλφα λέγει κύριος ὁ θεός, ὁ ὢν καὶ ὁ ἦν καὶ ὁ ἐρχόµενος, ὁ παντοκράτωρ. ἐγώ [εἰµι] τὸ ἄλφα καὶ ἡ ἀρχὴ καὶ καὶ ἐγὼ τὸ ἄλφα ὁ πρῶτος καὶ καὶ ἡ ἀρχὴ

εἰς τὰ ἐπερχόµενα ἐγώ εἰµι ἐγὼ µετὰ ταῦτα

ἐγώ εἰµι εἰς τὸν τὸ ὦ,

αἰῶνα

ὦ, τὸ τέλος. τὸ ὦ, ὁ ἔσχατος, τὸ τέλος.

Die zeitliche Unbegrenztheit Gottes, die in Offb 21,6 in einem Parallelismus ausgedrückt und in 22,13 in variierter Form wieder aufgenommen wird, hat atl Prätexte beim Propheten D-Jesaja. Dieser betont im geschichtlichen Kontext des babylonischen Exils und der damit verbundenen Auseinandersetzung mit einer polytheistischen Religion mit der erweiterten Selbstoffenbarungsformel aus Ex 3,14 die Einzigkeit Gottes, die er mit Götzenpolemik verbindet und damit unterstreicht (vgl. besonders Jes 48,12–22). Mit der jesajanischen Theologie sind zudem die Integration alles Negativen mit dem Schöpfergott JHWH, seine universale Bedeutung und seine Zukunftsverheißungen verbunden.74 73

Vgl. auch G. DEIANA, Utilizzazione del libro di Geremia in alcuni brani dell’ Apocalisse, in: Lat. 48 (1982) 125–137. 74 Vgl. G. FISCHER, Theologien (s. Anm. 57) 85–87.

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Wenn auch keine der drei Jesaja-Stellen (41,4; 44,6; 48,12) wörtliche Übereinstimmungen mit Offb 21,6 (bzw. 22,13) zu erkennen gibt, so ist die gemeinsame Thematik dennoch gegeben. Ebenso wie Jesaja erhebt Johannes den Anspruch auf die Einzigkeit Gottes gegenüber anderen Gottheiten (wie etwa den Römischen Kaiser); dies wird durch die Gottesprädikation des παντοκράτωρ (1,8; 4,8; 11,17; 15,3; 16,7.14; 19,15; 21,22) und den Gebrauch der Dreizeitenformel unterstrichen (1,4.8; 4,8; 11,17; 16,5 – kontrastierend mit Negation auf das Tier bezogen 17,8). Auch Johannes integriert negative Aspekte in das Gottesbild, indem er Gott für die Vernichtung des Bösen verantwortlich macht und ihn als Verursacher der Plagen vorstellt (vgl. die drei Plagenreihen). Der Aspekt der universalen Bedeutung Gottes wird durch die Selbstoffenbarungsformel bei Johannes ausgedrückt; sie wird durch die Ausweitung der Bundesformel (21,3) unterstrichen. Schließlich ist mit den Begriffen Alpha und Omega, Anfang und Ende auch eine zeitlich unbegrenzte Bedeutung Gottes, seine Ewigkeit, ausgesagt. Ebenso wie Jesaja formuliert Johannes diese Gottesbilder in einem Reflexionsprozess, der durch die Auseinandersetzung mit heidnischen Gottheiten und dem Römischen Kaiserkult geprägt ist. Sein theologisches Fazit ist das Gleiche wie bei Jesaja: Das Ringen mit anderen Religionen und Kulten führt zu einer Betonung der Einzigkeit Gottes. Auffallend ist zudem, dass die Offenbarungsformel Elemente aus der Vision vom neuen Himmel und der neuen Erde aufnimmt. Theologisch wird die Neuschöpfung mit der Einzigkeit und Ewigkeit Gottes in der Offb begründet. Offb 21,1 Offb 21,6

a Καὶ εἶδον b ὁ γὰρ a ἐγώ [εἰµι] b

οὐρανὸν καινὸν πρῶτος οὐρανὸς τὸ ἄλφα ἡ ἀρχὴ

καὶ καὶ καὶ καὶ

γῆν καινήν. ἡ πρώτη γῆ ἀπῆλθαν τὸ ὦ, τὸ τέλος.

In Offb schließt sich der Selbstoffenbarungsformel die Verheißung an, dem Dürstenden umsonst das Lebenswasser zu geben. Auch dieses Verheißungsgut entstammt der Theologie des Propheten D-Jesaja:75

75

Vgl. auch R. MÜLLER-FIEBERG, Jerusalem (s. Anm. 3) 178f.

Gottesbilder in Offb 21,1–8

Jes 55,1

Jer 2,13

Sach 14,8

Offb 7,17 Offb 21,6 Offb 22,1

Offb 22,17

a b c d a b c d a b c d a b c a a b c a b c d e f

45

οἱ διψῶντες πορεύεσθε ἐφ᾽ ὕδωρ καὶ ὅσοι µὴ ἔχετε ἀργύριον βαδίσαντες ἀγοράσατε καὶ πίετε ἄνευ ἀργυρίου καὶ τιµῆς οἴνου καὶ στέαρ ὅτι δύο πονηρὰ ἐποίησεν ὁ λαός µου ἐµὲ ἐγκατέλιπον πηγὴν ὕδατος ζωῆς καὶ ὤρυξαν ἑαυτοῖς λάκκους συντετριµµένους οἳ οὐ δυνήσονται ὕδωρ συνέχειν καὶ ἐν τῇ ἡµέρᾳ ἐκείνῃ ἐξελεύσεται ὕδωρ ζῶν ἐξ Ιερουσαληµ τὸ ἥµισυ αὐτοῦ εἰς τὴν θάλασσαν τὴν πρώτην καὶ τὸ ἥµισυ αὐτοῦ εἰς τὴν θάλασσαν τὴν ἐσχάτην καὶ ἐν θέρει καὶ ἐν ἔαρι ἔσται οὕτως ὅτι τὸ ἀρνίον τὸ ἀνὰ µέσον τοῦ θρόνου ποιµανεῖ αὐτοὺς καὶ ὁδηγήσει αὐτοὺς ἐπὶ ζωῆς πηγὰς ὑδάτων, καὶ ἐξαλείψει ὁ θεὸς πᾶν δάκρυον ἐκ τῶν ὀφθαλµῶν αὐτῶν. ἐγὼ τῷ διψῶντι δώσω ἐκ τῆς πηγῆς τοῦ ὕδατος τῆς ζωῆς δωρεάν. Καὶ ἔδειξέν µοι ποταµὸν ὕδατος ζωῆς λαµπρὸν ὡς κρύσταλλον, ἐκπορευόµενον ἐκ τοῦ θρόνου τοῦ θεοῦ καὶ τοῦ ἀρνίου. Καὶ τὸ πνεῦµα καὶ ἡ νύµφη λέγουσιν· ἔρχου. καὶ ὁ ἀκούων εἰπάτω· ἔρχου. καὶ ὁ διψῶν ἐρχέσθω, ὁ θέλων λαβέτω ὕδωρ ζωῆς δωρεάν.

Während sich in Jesaja die Zusage des kostenlosen Genusses von Wasser innerhalb einer prophetischen Aufforderung an die Adressaten findet, ist diese in Offb 21,6 in einer Gottesrede zu finden. In beiden Fällen steht sie am Ende einer Schrift und hat damit programmatische Bedeutung. Bei Jesaja ist die Aufforderung reichhaltig ausgebaut (55,1–13), während Johannes nur die Gabe des Wassers aufnimmt und diese durch das Substantiv „Leben“ ergänzt. Das Motiv vom Wasser des Lebens entstammt am ehesten Jer 2,13, der Gott als Ursprung dieses Wassers vorstellt. Sach sieht in Jerusalem die Quelle lebendigen Wassers (Sach 14,8) – ein Motiv, wie es an den vier Stellen in Offb aufgenommen wird.76 Hinsichtlich der Frage nach dem atl Prätext kann man von einer Mischanspielung ausgehen, bei der insbesondere Jesaja und Jeremia77 die Aussage des Johannes beeinflusst haben.

76

Vgl. auch M. JAUHIAINEN, The Use of Zechariah (WUNT 2,199), Tübingen 2005, 122f., der Sach 14,8 vor allem mit Offb 22,1 und nicht mit Offb 21,6 in Verbindung bringt. Für den Textabschnitt Offb 21,1–8 (näherhin V. 3.7) nennt er zudem folgende Prätexte aus Sach 2,6– 13; 8,1–17 (vgl. ebd. 100). 77 Zu Jer in der Offb vgl. G. DEIANA, Utilizzazione (s. Anm. 73) 125–137.

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5. Vernetzungen von Gottesbildern Offb 21,1–8 beinhaltet eine wahre Flut an Gottesbildern, die sich gegenseitig abwechseln, ineinander greifen und einen inneren Zusammenhang bilden. In dieser Konzentration sind sie ein letztes Mal in der Offb Antwort auf die bedrängende Situation der Gemeinden. Im Folgenden werden die Gottesbilder, die aus der Vernetzung mit dem Makrotext und atl Prätexten sichtbar werden, zusammengetragen. 5.1 Gott als Neu-Schöpfer – Offb 21,1 Das atl vorgeprägte Bild von Gott als Schöpfer wird von Johannes sowohl in Kontinuität als auch in Diskontinuität fortgeführt. Einerseits betont er das radikal Neue, das entsteht, andererseits knüpft er an die klassische Schöpfungsvorstellung aus Gen 1 an, in der Himmel und Erde die grundlegenden Schöpfungswerke sind. Ein Novum ist auch die Schöpfung der vollendeten Heilsgemeinde, die von Gott herabkommt. So verbindet Johannes die Theologie sowohl mit der Ekklesiologie als auch mit der Soteriologie. Neu ist bei Johannes auch der Gedanke der endgültigen Vernichtung des Bösen, der mit der Schöpfungstheologie verknüpft wird. Das Meer als Chaosmacht existiert nicht mehr. Es ist auch als Schöpfungswerk Gottes (7,1–3; 10,6; 14,7; 20,8) nicht mehr notwendig, da die Nahrungs- und Wasserquellen der Menschen im erneuerten Jerusalem nun andere sind (22,1f.). Dadurch ändern sich auch die Gottesbilder: Gott wird nicht mehr in Abgrenzung und Überbietung zum römischen Kaiser gedacht, sondern als Schöpfer, wie er zu Beginn des AT vorgestellt wird. Die Macht Gottes wird nicht mehr als Anti-Macht zu irdischen Machthabern abgegrenzt, sondern zeigt sich in seiner Neu-Schöpfung mit kosmischen Dimensionen. Damit ist das Gottesbild – im Unterschied zu Jes 45,7 – am Ende vollständig vom Gedanken des Bösen entlastet. Indem Gott das Böse vernichtet, kommt am Ende nur mehr seine gute Seite zum Vorschein. 5.2 Gott als Zentrum der ökumenischen Kirche – Offb 21,2f. Die Ekklesiologie der Offb ist ganz theozentrisch geprägt; die verwendeten Bilder von Kirche sind daher eng mit den Gottesbildern verbunden und bedingen einander gegenseitig. Gottes Mit-Sein und seine Gegenwart in der Kirche zeigen sich nach Offb 21,1–8 auf vielfältige Weise: In der unvollendeten Kirche auf dem Weg ist Gott insbesondere durch sein Wort gegenwärtig. Dies wird durch den in 21,5 erneuerten Schreibbefehl (1,11.19; 2,1.8.12.18; 3,1.7.14; 14,13; 19,9) an den Propheten Johannes deutlich. Die niederzuschreibenden Worte werden als zuverlässig und wahr qualifiziert und damit auf eine Ebene mit Jesus (1,5; 3,7.14; 19,11) und Gott (6,10; 15,3; 16,7; 19,2) gestellt. In den gegenwärtigen Gemeinden, die auf die

Gottesbilder in Offb 21,1–8

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Vollendung der Kirche in der Zukunft warten, ist Gott vor allem in diesem Wort gegenwärtig.78 Hinsichtlich des Gottesbildes wird damit betont, dass Gott sich den Menschen in seinem Wort offenbart und seine Kirche auf ihrem teils schwierigen Weg begleitet. Davon zu unterscheiden ist die Gegenwart Gottes in der vollendeten Kirche. Diese wird in der eröffnenden Vision von Offb 21,2 als Stadt Gottes, als neues Jerusalem (vgl. 3,12) bildlich vorgestellt.79 Damit knüpft Johannes an atl Prätexte an, in denen von der Tochter Zion gesprochen wird (2 Kön 19,21; Ps 9,15; 47,12; 72,28; Mi 1,13; 4,8.10.13; Zef 3,14; Sach 2,14; 9,9; Jes 1,8; 3,16f.; 4,4; 10,32; 37,22; 52,2; 62,11; Jer 4,31; 6,2.23; Klgl 1,6; 2,1.4.8.10.13.18; 4,22).80 Zugleich nutzt er das atl vorgeprägte Bild einer weiblich personifizierten Stadt auch, um den Kontrast zur Kirche, zum Römischen Reich, der Hure Babylon, auszusagen (Tochter Babylon: Ps 136,8; Sach 2,11; Jes 47,1; Jer 27,42 LXX). Eine heilvolle Gemeinschaft ist nach Johannes immer durch die Gegenwart Gottes geprägt – was nur auf das neue Jerusalem zutrifft. Mit dieser Erinnerung an atl Heilsbilder wird die erlöste Kirche mit Israel in Verbindung gebracht, aber nicht auf Israel beschränkt; die universal ausgeweitete Bundesformel (Offb 21,3) verweist auf eine Weite des Gottesbildes, wie es sich bereits am Ende des atl Kanons andeutet (vgl. das Motiv der Völkerwallfahrt zum Zion). Johannes nutzt in Kontinuität zum AT bewährte Gottesbilder, die einen für sein Volk Israel parteiischen und zugleich für alle Völker aufgeschlossenen Gott beinhalten. In ihrer Vollendung ist die Kirche ein Werk Gottes (ἀπὸ τοῦ θεοῦ), während die Kirche(n) auf dem Weg (vgl. die Sendschreiben) Lob, Tadel und Umkehr nötig haben. In der endzeitlichen Kirche ist Gott ganz Gegenwart, so dass es kein Leid mehr gibt (21,3). Die einzige Voraussetzung, die von der erlösten Kirche erfüllt sein muss, ist ihr Bereitsein (ἑτοιµάζω), das mit der Haltung einer Braut zu ihrem Bräutigam verglichen wird. Kirche wird damit ganz theozentrisch gedacht. Das Gottesbild ist nicht abstrakt und losgelöst von der Kirche, sondern auf sie ausgerichtet: Zum Wesen Gottes gehört es nach Johannes, dass er seine Kirche von allem Leid und Bösen erlöst und sie mit seiner Gegenwart ausfüllt.81 Das Bild einer vom Himmel herabkommenden Stadt ist atl vorgeprägt durch Aussagen vom Herabkommen Gottes und seiner Zuwendung zu den Menschen (Gen 11,5; Ex 19,18; 24,16). Die große Nähe zu seinem Gottesvolk ist ein wichtiger Aspekt des bereits atl geprägten Gottesbildes. 78

Vgl. auch J. ROLOFF, Die Kirche im Neuen Testament (GNT 10), Göttingen 1993, 173. Vgl. dazu auch P. SÖLLNER, Jerusalem, die hochgebaute Stadt. Eschatologisches und Himmlisches Jerusalem im Frühjudentum und im frühen Christentum (TANZ 25), Tübingen 1998. 80 Vgl. auch J. ROLOFF, Kirche (s. Anm. 78) 179. 81 Vgl. J. ROLOFF, Offenbarung (s. Anm. 6) 199. 79

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5.3 Gott als machtvoll Thronender – Offb 21,3.5 In Offb 21,5 wird das Gottesbild als das eines Thronenden mit der vollendeten Heilsgemeinde verbunden. Die Zugänglichkeit Gottes und die Theozentrik der Ekklesiologie kommen so zum Ausdruck. In der Offb ist das Bild von Gott als Thronendem zusammen mit der Vorstellung Gottes als παντοκράτωρ ein Gegenbild zum Römischen Kaiserkult, das zu den meist gebrauchten Gottesbildern des Johannes gehört. Dieses Gottesbild des Thronenden wird nicht nur auf Christus übertragen, sondern auch auf die Christen, denen die Mitherrschaft verheißen wird. Zudem ist es ein Kontrastbild zur Macht des Bösen. Man könnte (in Anlehnung an die partizipatorische Christologie des Paulus)82 von einem partizipatorischen Gottesbild sprechen, das mit der geschichtlichen Situation in Kleinasien zur Zeit der Abfassung der Offb korreliert. 5.4 Gott als zeltender Bundespartner – Offb 21,3.7 Nach Gottesbildern, die aus der atl Schöpfungstheologie und der Königstheologie entstammen, greift Johannes auch auf Exodustraditionen zurück.83 Die theologisch zentralen Momente des befreienden, in seinem Volk zeltenden Bundesgottes greift Johannes dazu auf. Die einseitige Selbstverpflichtung Gottes, zu seinem immer wieder rückfällig werdenden Volk zu stehen und seinen Bund nicht aufzukündigen, sondern ihn auf alle Völker auszuweiten, stehen als Zusage am Ende der Offb und damit des ntl Kanons bzw. der christlichen Bibel. Als Korrelativ zum machtvoll thronenden Gott werden damit die Nähe und Beweglichkeit Gottes betont, dessen Gegenwart nun die vollendete Heilsgemeinde erfüllt (vgl. 22,3f.).84 5.5 Gott als tröstender und befreiender Gott (des Exodus) – Offb 21,4 Die Vorstellung Gottes als Tröster und Befreier hat seine Wurzeln in der Exodustradition, die in besonderer Weise von D-Jesaja als Hoffnungsbotschaft im Babylonischen Exil aufgenommen wird (Jes 40). In gleicher Linie lässt sich Offb 21,4 einordnen: Die Trost- und Hoffnungsbotschaft richtet sich an jene Gemeinden Kleinasiens (Offb 2–3), die in der Bedrängnis sind. 82

Vgl. J. D. G. DUNN, The Theology of Paul the Apostle, London 1998, 390–412. Vgl. dazu G. S. ADAMSEN, Exodusmotiver i Johannes’ Åbenbaring, Århus 1992; J. S. CASEY, Exodus Typology in the Book of Revelation, The Southern Baptist Theological Seminary, Louisville 1981, Ph.D. Dissertation (unveröffentlicht); DERS., Das Exodusthema im Buch der Offenbarung vor dem Hintergrund des Neuen Testaments, in: Conc (D) 23 (1987) 22–28. 84 Im Unterschied zur Beauftragungsvision (1,9–20) ist nicht Christus das Zentrum der sieben Gemeinden Kleinasiens, sondern Gott und Christus zusammen bilden den Mittelpunkt der vollendeten Kirche. 83

Gottesbilder in Offb 21,1–8

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Ihnen wird die gleiche Zusage gemacht, wie sie D-Jesaja dem exilierten Israel verkündet hat. Im Rückblick auf die Geschichte Israels haben sich diese Gottesworte – und letztlich Gott selbst als Tröster und Befreier seines Volkes – als zuverlässig und wahr erwiesen, so dass die Adressaten der Offb diese erneuerten und bekannten Verheißungen mit der Gewissheit der Erfüllung durch Gott lesen können. Insbesondere in Offb 21,4 ist mit Hilfe der Methode des mirror reading diese Situation der Gemeinden Kleinasiens wieder zu erkennen. 5.6 Gott als alleiniger Gott – Offb 21,6 Eine der wichtigsten Gottesaussagen in der Offb ist der Einzigkeitsanspruch Gottes, der in beiden Gottesreden der Offb (1,8; 21,6) seinen Platz hat. In Anlehnung an die Gottesoffenbarung in Ex 3,14 und die Betonung der Einzigkeit Gottes in D-Jesaja in Form von Selbstoffenbarungen ist diese zentrale theologische Aussage in der Offb einerseits eine Antwort auf die heidnischen Götter, mit denen die christlichen Gemeinden Kleinasiens konfrontiert werden. Der Monotheismus wird mit Hilfe dieser Selbstoffenbarungen betont. Andererseits wird innerhalb des innerchristlich geführten theologischen und christologischen Reflexionsprozesses die Einzigkeit Gottes betont. Mit der Übertragung zahlreicher Gottesepitheta wie auch dieser Selbstoffenbarungsformel auf Christus in der Offb (vgl. 22,13)85 betont Johannes die Einzigkeit Gottes und bereitet damit den Boden für die nachkanonische Christologie bzw. Trinitätslehre vor. 5.7 Gott als Garant für Lohn und Strafe – Offb 21,7.8 Mit dem Überwinderspruch und dem Lasterkatalog wird der Textabschnitt Offb 21,1–8 theologisch auf der Linie des atl Tun-Ergehen-Zusammenhangs abgeschlossen, der sich in das dualistische Denken der Offb gut einfügt. Lohn wird den Siegern über die heidnischen Kulte verheißen (Bund Gottes), die endgültige Vernichtung droht hingegen den Anhängern anderer Gottheiten.86 Mit Blick auf das Gottesbild sind drei Einsichten mit dieser Metaphorik verbunden: Zum einen wird die enge, liebende Verbindung zwischen Gott und seiner Stadt Jerusalem mit dem Verhältnis Braut und Bräutigam ausgesagt und gleichzeitig das Missverhältnis zu Babylon. Zweitens ist mit dem dualistischen Kontrast zwischen Jerusalem und Babylon das Bild eines 85

Vgl. auch die Selbstoffenbarung Christi in Offb 1,17 (ἐγώ εἰµι ὁ πρῶτος καὶ ὁ ἔσχατος) und die Christusbezeichnungen in 2,8 (Τάδε λέγει ὁ πρῶτος καὶ ὁ ἔσχατος, ὃς ἐγένετο νεκρὸς καὶ ἔζησεν) und 3,14 (ἡ ἀρχὴ τῆς κτίσεως τοῦ θεοῦ). 86 Vgl. auch H. GIESEN, Offenbarung (s. Anm. 1) 459, der im Lasterkatalog keine konkreten Sünden erkennt, sondern Verhaltensweisen von Menschen, die den heidnischen Kulten anhängen.

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parteiischen Gottes gezeichnet, der auf der Seite derjenigen steht, die sich zu ihm bekennen. Und schließlich wird mit der Wahl der Städtemetaphorik die Vorstellung verbunden, dass es für das Heil Gottes einen (geschützten) Raum gibt.

6. Zusammenfassung 1. Bei der Analyse von Offb 21,1–8 wurden einige Anspielungen / Zitate neu entdeckt, die über die Auflistung in N28 hinausgehen; für die Offb kann man neben Anspielungen mit genauer sprachlicher Übereinstimmung von mindestens zwei relevanten Wörtern auch zahlreiche thematische Prätexte ausmachen, die die Theologie prägen. 2. Die in der Zusammenstellung von Offb 21,1–8 entworfenen Gottesbilder sind ohne Analogien und sprengen die menschliche Vorstellungskraft, obwohl sie auf bewährte Bilder der atl Heilsgeschichte zurückgreifen und einen Kontrast zum irdischen Geschehen der in den Sendschreiben genannten Gemeinden aufbauen. 3. Johannes setzt neue Akzente in bewährte atl Gottesbilder, indem er diese miteinander kombiniert bzw. variierend erweitert. Polemische Aussagen mit politischer Aussagekraft werden in der großen Schlussvision der Offb zugunsten völlig neuer Vorstellungen von Gottes Gegenwart aufgegeben. Schöpfungstheologie, Selbstoffenbarung in Anlehnung an Ex 3,14 und Verheißungen Gottes werden auf einzigartige Weise und einmalig in der Bibel miteinander verbunden. 4. Offb 21,1–8 beinhaltet eine wahre Flut an Gottesbildern, die sich gegenseitig abwechseln, ineinander greifen und einen inneren Zusammenhang bilden. Als zentrale Gottesbilder lassen sich folgende benennen: 4.1 Gott als Neu-Schöpfer: Mit der Vorstellung der Neuschöpfung entweichen politische Aspekte aus dem Gottesbild der Offb. Mit Hilfe dualistischer Gestaltungselemente erweitert Johannes die atl Schöpfungstheologie, indem er den Aspekt der Vernichtung des Bösen und von Schöpfungswerken als Werk Gottes aufnimmt. Damit ist das Gottesbild am Ende vollständig vom Gedanken des Bösen entlastet. Zudem wird die Schöpfungstheologie auf Christus übertragen (vgl. Offb 3,14). 4.2 Gott als Offenbarer: Gott offenbart sein Wesen und teilt seine Botschaft als verbindliches Gotteswort mit.

Gottesbilder in Offb 21,1–8

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4.3

Gott als Pantokrator: Gott wird als Thronender vorgestellt, dessen Macht am Ende siegt.87 Zur Selbstdurchsetzung Gottes gehört auch die vorausgehende Vernichtung des Bösen. 4.4 Gott als parteiischer Richter: Auch das Gottesbild ist vom dualistischen Denken der Offb geprägt und hat damit seine Grenzen. Es finden sich keine absoluten Aussagen über Gott in der Offb; vielmehr sind die Gottesbilder aus dem geschichtlichen und politischen Kontext entstanden, auf die Johannes mit seiner radikalen Theologie reagiert. Richtende Funktionen lassen sich in Offb 21,7f. ausmachen. 4.5 Gott als Befreier: Gott wird als Befreier in einer ausweglosen, verzweifelten Lage vorgestellt. 4.6 Gott als Liebender: Gott wird als ein Liebender beschrieben, dessen Verhältnis zu seiner Heilsgemeinde mit der innigsten Zuneigung eines Bräutigams zu seiner Braut gedeutet wird. Durch die Bewegung der Katabasis wird diese Zuneigung ausgedrückt. In dieses Bild eines liebenden Gottes wird das Lamm einbezogen, insofern es als Bräutigam identifiziert wird. 4.7 Gott der Einzige: Ebenso wie Jesaja erhebt Johannes den Anspruch auf die Einzigkeit Gottes gegenüber anderen Gottheiten. Damit verbunden ist die Universalität der zeitlich unbegrenzten Bedeutung Gottes. 4.8 Gott als Tröstender: Die Vorstellung von Gott als Tröster ist wie bei D-Jesaja vorgeprägt und mit dem Gottesbild des Johannes verbunden. 4.9 Gott als Bundespartner ist ein Gottesbild, das erst am Ende der Offb eingeführt wird. Diese Vorstellung fügt sich in das Bild des Pantokrators ein und erklärt sich auch aus der politischen Theologie des Johannes, der sich gegen heidnische Kulte, besonders den römischen Kaiserkult wendet. Die universal ausgeweitete Bundesformel besiegelt damit die bleibende Nähe Gottes zu seiner erneuerten Schöpfung und seiner Gemeinde aller Erlösten. Dieser Aussage kommt am Ende des ntl Kanons besonderes Gewicht zu. Zugleich ist mit der Bundesvorstellung das Bild von Gott als Vater verbunden, der in liebevoller, inniger Beziehung zu seinem Sohn, d. h. den Siegern über die heidnischen Kulte steht. 5. Das Gottesbild ist von Paradoxien geprägt: Das statisch-erhabene Thronen Gottes zum Ausdruck seiner Machtfülle wird mit der dynamischen Präsenz Gottes (Exodustheologie: Zelten Gottes) verbunden, die sich den Menschen tröstend und fürsorglich zuwendet. Schöpfung und Vernichtung, 87 Zur Kritik an diesem macht- und herrschaftsorientierten Gottesbild vgl. R. MÜLLERFIEBERG, Jerusalem (s. Anm. 3) 254.

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Lohn und Strafe werden in das Gottesbild integriert. Schließlich lässt sich ein für seine Anhänger Partei ergreifender Gott ebenso ausmachen, wie ein allen Völkern aufgeschlossener Gott. Die beiden Pole der Transzendenz und Immanenz Gottes werden in der Offb durch die Vernetzung atl vorgeprägter Bilder ausgedrückt. In der Offb lassen sich partizipatorische Gottesbilder erkennen, die auf Christus übertragen werden: 6.1 Die Schöpfungstheologie ist in der Offb ein verbindendes Element zwischen der Theologie und Christologie. 6.2 Das Gottesbild des machtvoll Thronenden wird auf Christus übertragen. 6.3 Die Ewigkeit und Einzigkeit Gottes (Monotheismus) werden mit der Selbstoffenbarungsformel auf Christus übertragen.88 6.4 In das Gottesbild eines Liebenden wird Christus als Bräutigam der vollendeten Heilsgemeinde, die als Braut Jerusalem personifiziert wird, einbezogen. Die Ekklesiologie der Offb ist ganz theozentrisch gedacht. Die vollendete Kirche ist nach Johannes allein das Werk Gottes, für das sich die Gemeinschaft der Christen bereiten muss. Das Gottesbild ist nicht abstrakt und losgelöst von der Kirche, sondern auf sie ausgerichtet: Zum Wesen Gottes gehört es nach Johannes, dass er seine Kirche von allem Leid und Bösen erlöst und sie mit seiner Gegenwart ausfüllt. Man kann daher von einer relational theology sprechen. Aus kanontheologischer Sicht erhält die Gottesrede in Offb 21,5–8 als letzte Gottesrede der Bibel besonderes Gewicht. Damit endet der ntl Kanon und damit die Bibel in ihrer christlichen Fortführung mit dem universalen Bund Gottes mit allen Völkern. Das hermeneutische Schema „Verheißung-Erfüllung“ ist nicht geeignet, um die Rezeption atl Prätexte in der Offb zu beschreiben.89 Es impliziert, dass insbesondere die prophetischen Texte des AT mit Blick auf das Jesusereignis im NT geschrieben seien. Zudem entsteht der falsche Eindruck, als ob sich alle atl Verheißungen durch die ntl Botschaft erfüllt hätten.

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Vgl. dazu auch Joh 10,30 (ἐγὼ καὶ ὁ πατὴρ ἕν ἐσµεν). J. ROLOFF, Kirche (s. Anm. 78) 179, konstatiert zu Recht: „Es ist schwerlich reiner Zufall, daß die Offenbarung keinen einzigen alttestamentlichen Schriftbeweis enthält. Nirgends bemüht sie sich um den Nachweis, daß sich im Christusgeschehen die Zusage an sein Volk erfüllt; die Kategorien von Verheißung und Erfüllung bleiben ausgeblendet.“ 89

Das Gottesbild der Offenbarung vor hellenistisch-frühkaiserzeitlichem Hintergrund Martin Karrer 1. Historische und religionsgeschichtliche Voraussetzungen Als die Offb in den 90er Jahren des 1. Jh. oder – weniger wahrscheinlich – eine Generation später entstand,1 wurde der eine Gott Israels seit Jahrhunderten bildlos verehrt.2 Keine Statue und kein Kultsymbol, kein heiliger Stein, heiliger Hain o. Ä. erlaubte, ihm material greifbar zu begegnen.3 Seit 70 n. Chr. lag zudem der Tempelplatz Jerusalems in Trümmern. Das Allerheiligste war zerstört und die kultischen Symbole entweiht.4 Der eine Gott Israels und der frühchristlichen Gemeinde besaß, anders als die Götter der Völker, nur noch eine himmlische Wohnung. Er war transzendent und auf Erden nicht sichtbar, ἀόρατος, wie ein Teil der frühen Christen sagte (Kol 1,15; 1 Tim 1,17; Hebr 11,27). 1

Die Entscheidung über die Datierung ist für uns nicht unmittelbar relevant und mag daher offen bleiben. T. Witulski schlägt jüngst die erwähnte Spätdatierung der Offb auf die Jahre 132–135 n. Chr. vor (T. WITULSKI, Die Johannesoffenbarung und Kaiser Hadrian. Studien zur Datierung der neutestamentlichen Apokalypse [FRLANT 221], Göttingen 2007, 138 u. ö. und weitere Beiträge). Wahrscheinlicher ist allerdings nach wie vor die herkömmliche Datierung auf die Zeit Domitians (um 95 n. Chr.). 2 Dies hielt Livius aus römischer Sicht um die Zeitenwende fest. Er schrieb laut einem Fragment aus den verlorenen Teilen seines Geschichtswerks, es gebe in Jerusalem weder ein Götterbild noch überhaupt die Ansicht, die Gottheit sei bildlich darstellbar (Hierosolymis fanum cuius deorum sit, non nominant, neque ullum ibi simulacrum est; neque enim esse dei figuram putant; Comm. Bern. in Lucan. 2,593, 102. Buch, Frg. 31,1). Vgl. S. M. MCDONOUGH, YHWH at Patmos. Rev. 1:4 in its Hellenistic and Early Jewish Setting (WUNT 2,107), Tübingen 1999, 87; R. S. BLOCH, Antike Vorstellungen vom Judentum. Der Judenexkurs des Tacitus im Rahmen der griechisch-römischen Ethnographie, Stuttgart 2002, 54 (je Lit.). 3 Das blieb auch nach der Zerstörung Allgemeinwissen, so gewiss antijüdische Polemik gelegentlich doch ein Bildwerk im zerstörten Tempel ansiedelte: Zur Bildlosigkeit vgl. Tac, Hist 5,5,4 (nulla simulacra) und 5,9,1 (Rückblick auf Pompeius), zur These, im Heiligtum sei ein Tierbild (effigies animalis; implizit Eselskopf) geweiht worden, Hist 5,4,2 (dazu R. S. BLOCH, Vorstellungen [s. Anm. 2] 65). 4 Durch die Deportation der Kultgeräte zum Triumph nach Rom (abgebildet auf dem Titusbogen in Rom) waren selbst diese verunreinigt und dem Kult entzogen.

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Immerhin erlaubte die Vorstellung eines himmlischen Heiligtums Gottes, die sich im Judentum und ersten Christentum weit verbreitet hatte, ein Gegengewicht; denn das himmlische Heiligtum bestand weiter. Die tempellose Gemeinde konnte aus der Ferne am himmlischen Kult partizipieren5 und im Wissen um das himmlische Heiligtum neue Konzepte entwickeln. Unter diesen neuen Konzepten stechen im Neuen Testament der Hebr und die Offb hervor: Der Hebr erwähnt die Zerstörung des Jerusalemer Tempels nicht6 und würdigt das irdische Heiligtum als geschichtliche Größe, gepflegt vom aaronitischen Priestertum. Zugleich hält er es, wie alles Irdische und Sichtbare, für grundsätzlich vergänglich; allein das himmlische Priestertum mit der Priesterordnung Melchisedeks, die Christus wahrnimmt, ist unvergänglich. Über das Unsichtbare und das himmlische Priestertum Christi begründet sich deshalb die neue Gemeinde Jesu in Israel. Die Offb dagegen beklagt den Verlust auf Erden intensiv. Vielleicht benützt sie sogar eine unmittelbare Erinnerung aus dem jüdischen Krieg (bzw. bei später Datierung aus den Aufständen der Jahre 66–70 und / oder 132–135; Offb 11,1f.).7 Aber sie überträgt diese Erinnerung ohne Reflexion auf ein Priestertum Christi und ausdrücklich völkerkritisch: Die Völker mögen das irdische Jerusalem und die irdischen Vorhöfe von Gottes Heiligtum zertrampeln, schreibt sie (πατεῖν 11,2). Das himmlische Tempelhaus (den ναός, der 11,1 ausgemessen wird) erreichen sie nicht.8 Dieses bleibt ihnen, den gottfernen Menschen, die sich vor Gottes Angesicht geradezu verstecken (vgl. 6,16), entzogen. Und Christus müssen sie wie einen jungen stößigen Widder erleben, der trotz der Todeswunde Hörner der Macht trägt (5,6).9

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Vgl. bes. die Sabbatlieder aus den Funden am Toten Meer (Übersicht bei A. M. SCHWEMER, Gott als König in den Sabbatliedern, in: M. Hengel/A. M. Schwemer [Hrsg.], Königsherrschaft Gottes und himmlischer Kult im Judentum, Urchristentum und in der hellenistischen Welt [WUNT 55], Tübingen 1991, 45–118). 6 Weshalb immer wieder (wenn auch fraglich) eine Datierung vor die Tempelzerstörung erwogen wird; Nachweise bei U. SCHNELLE, Einleitung in das Neue Testament (UTB 1830), Göttingen 62007, 407f. und M. KARRER, Der Hebräerbrief, in: M. Ebner/S. Schreiber (Hrsg.), Einleitung in das Neue Testament (KStTh 6), Stuttgart 2008, 484f. 7 Die These, es liege ein Stück aus dem Jüdischen Krieg vor, wurde nach W. BOUSSET, Die Offenbarung Johannis (KEK 16), Göttingen 61906 (Neuauflage 1966), 324f., fast Allgemeingut. Zur jüngeren Diskussion vgl. paradigmatisch M. BACHMANN, Himmlisch. Der „Tempel Gottes“ von Offb 11,1, in: NTS 40 (1994) 474–480 und deutlich anders T. WITULSKI, Apk 11 und der Bar-Kokhba-Aufstand. Eine zeitgeschichtliche Interpretation (WUNT 2,337), Tübingen 2012 (je Lit.). 8 Die schwierigen textkritischen Fragen stellen wir hier zurück; vgl. aber M. KARRER, Eine Zeit des Lichts für Israel und die Völker. Das vom Himmel herabsteigende Jerusalem der Apk, in: JBTh 28 (2013) 159–181, hier 160–162. 9 Zur „Lamm“-Christologie vgl. L. L. JOHNS, The Lamb Christology of the Apocalypse of John. An Investigation into its Origins and Rhetorical Force (WUNT 2,167), Tübingen 2003; M. R. HOFFMANN, The Destroyer and the Lamb. The Relationship between Angelomorphic and Lamb Christology in the Book of Revelation (WUNT 2,203), Tübingen 2005, 113–152.

Das Gottesbild der Offenbarung vor hellenistisch-frühkaiserzeitlichem Hintergrund 55

Mit einem Kontrast müssen wir demnach beginnen: Die Völker verehren ihre Götter durch Bilder und in irdischen Häusern, den „Naoi“ ihrer Tempel. Der himmlische ναός, das heilige Haus des einen Gottes, und Gottes Angesicht10 dagegen ist ihnen grundsätzlich entzogen. Der eine Gott dagegen thront nach der Offb im himmlischen Heiligtum (Offb 4). Er ist anders, als Menschen aus den Völkern es sich wünschen. Trotzdem wäre falsch, allein den Kontrast herauszustellen. Auch die Sprache der Auseinandersetzung stellt Kontexte her. Das Gottesbild der Offb ist deshalb in ihren Kontrasten durchaus aufschlussreich vor hellenistischrömischem Hintergrund zu lesen. Vergegenwärtigen wir dies im Folgenden in mehreren Schritten, beginnend beim Visionscorpus der Offb (Abschnitte 2.– 8.) und endend bei den gedanklichen Abstraktionen in Offb 1,4 und 1,8 (Abschnitte 9.–11.). Die Christologie streifen wir nur,11 um uns gemäß dem gestellten Thema auf die Darstellung Gottes als solche zu konzentrieren.

2. Himmelsreise und Schau Gottes Die Offb schaut das Geschehen im Himmel, wie der Autor erzählt. Das ist gewagt. Denn nun kann er das Attribut, Gott sei ἀόρατος, unsichtbar, nicht verwenden, das den Deuteropaulinen und dem Hebr den Umgang mit der neuen Situation erleichtert (ἀόρατος fehlt in der Offb). Unser Seher muss sich stattdessen auf eine Himmelsreise begeben, die in der jüdischen Literatur gut vorbereitet und den Völkern in ihrer Weise vertraut ist.12 Selbst wenn er sich 10 Das Angesicht, das die Seinen eschatologisch sehen werden: τὸ πρόσωπον αὐτοῦ; Offb 22,4. 11 Zur Christologie vgl. M. KARRER, Hellenistische und frühkaiserzeitliche Motive in der Johannesapokalypse, in: T. Schmeller/M. Ebner/R. Hoppe (Hrsg.), Die Offenbarung des Johannes. Kommunikation im Konflikt (QD 253), Freiburg 2013, 32–73, hier 58–67. 12 Quellen in den Kommentaren und bei C. COLPE, Die „Himmelsreise der Seele“ als philosophie- und religionsgeschichtliches Problem, in: Philosophie und ihre Geschichte (FS J. Klein), Göttingen 1967, 85–104; M. DEAN-OTTING, Heavenly Journeys. A Study of the Motif in Hellenistic Jewish Literature (JudUm 8), Frankfurt a. M. 1984; A. F. SEGAL, Heavenly Ascent in Hellenistic Judaism. Early Christianity and Their Environment, in: ANRW II 23/2 (1980) 1333–1394; L. CARLSSON, Round Trips to Heaven. Otherworldly Travelers in Early Judaism and Christianity, Saarbrücken 2008; M. LÜTGE, Der Himmel als Heimat der Seele. Visionäre Himmelfahrtspraktiken und Konstrukte göttlicher Welten bei Schamanen, Magiern, Täufern und Sethianern. Iranische Spuren im Zostrianos von Nag Hammadi, Habilitation Universität Göttingen (Evangelische Theologie) 2008 (PDF unter http://homepage.ruhr-uni-bochum.de/Michael.Luetge/leben.htm, abgerufen am 23.3.2014). – Zu solchen Himmelsreisen im Judentum vgl. 1 Hen 70–71; 2 Hen 1–21; TestLev 2–5; VitAd 25,1–29,1. Bei den Völkern geht es in der Regel um eine Himmelsreise der Seele; vgl. Texte von Plat, Polit 614B–621B bis Plut, Ser Num Vind 563D–568A.

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für die Beschreibung sprachlich an jüdische Traditionen hält (Ez 1; Jes 6,1–3 u. a.), wie die Forschung breit herausarbeitete,13 entstehen unausweichlich Berührungen zu Mythen und bildlichen Vorstellungen der Völker. Leserinnen und Leser, die ihren Unterricht an Homer erhielten, wie es in der Antike üblich war, stoßen auf eine solche Berührung gleich in der Eröffnung der großen Thronsaalvision von Offb 4: Unser Seher wird gerufen, nach oben zu steigen, wie bei Homer Thetis zum Himmel und zum Olymp hinauf stieg; Il I,497 gebraucht dasselbe Verb ἀναβαίνειν wie Offb 4,1 – in der Ilias heißt es ἀνέβη µέγαν οὐρανὸν Οὔλυµπόν τε („sie [Thetis] stieg hinauf zum großen Himmel und Olymp“). Gewiss, unser Seher dachte bei seiner Szene kaum an eine solche Assoziation aus Homer; sich mit Thetis zu vergleichen, stünde ihm, dem demonstrativ bescheidenen Knecht Christi (vgl. 1,1) und „Bruder“ seiner Adressaten (vgl. 1,9), ganz ferne.14 Er intensiviert die antiken Traditionen der Himmelsreise eher vor dem Hintergrund der Septuaginta. Diese spricht mehrfach von einem Aufstieg zu Gott, sei es am Sinai 15 oder nach Jerusalem (und selbst im Heiligtum). 16 Wer sich zu dem einen Gott begibt, steigt demnach hinauf, im irdischen Leben oder metaphorisch in einem Aufstieg des Herzens (ἀναβάσεις ἐν τῇ καρδίᾳ Ps 83,6 LXX). Der Aufstieg zum Himmel wird zum Höhepunkt der Gottesbegegnung 17 und deshalb um die ntl. Zeit auch zu einem Ausdruck für postmortale Erhöhung.18 Die jüdisch-hellenistische Literatur führt das fort. Sie reflektiert zum einen über den Aufstieg in den Himmel zur Gegenwart Gottes.19 Zum anderen überträgt sie die Idee auf 13 Lit. in den Kommentaren, bei G. SCHIMANOWSKI, Die himmlische Liturgie in der Apokalypse des Johannes. Die frühjüdischen Traditionen in Offenbarung 4–5 unter Einschluß der Hekhalotliteratur (WUNT 2,154), Tübingen 2002, 62–179 und F. TÓTH, Der himmlische Kult. Wirklichkeitskonstruktionen und Sinnbildung in der Johannesoffenbarung (ABG 22), Leipzig 2006, 196–218 u. ö. 14 Eine Parodie schafft später Lukian im Ikaromenipp: Aufstieg zum Olymp (ἀναβαίνειν; 11) und von dort Weiterflug zu Zeus und den anderen Göttern (ἀναπέτεσθαι; 19). 15 So ἀναβαίνειν in Ex 19,24, der bekanntesten (bei Nestle-Aland28 einzig genannten) Vergleichsstelle. 16 2 Kön 6,2 versteht den Zug der Bundeslade nach Jerusalem der Berge wegen als „Aufstieg“ (ἀνάβασις). 2 Chr 9,11 und Neh 9,4 sprechen Aufstiege (ἀνάβασις) im Tempelbezirk an. 17 Dennoch vergesse kein Beter, dass er Gott nicht nur im Aufstieg findet: Vgl. Ps 138,8 LXX: ἐὰν ἀναβῶ εἰς τὸν οὐρανόν, σὺ εἶ ἐκεῖ· ἐὰν καταβῶ εἰς τὸν ᾅδην, πάρει („wenn ich zum Himmel hinaufsteige, bist du dort; wenn ich in den Hades hinabsteige, bist du dort“). 18 Vgl. das ἀναβαίνειν der beiden Zeugen von Offb 11,12. Die Wendung εἰς οὐρανοὺς ἀναβαίνειν in MartJes 2,9 lässt sich sowohl im Sinne einer Hoffnung auf Erhöhung als auch in dem eines Aufstiegs zur Himmelsschau lesen. Die Erhöhungsvorstellung mit dem Verb ἀναβαίνειν findet sich auch bei den Völkern (Dio C, Hist 59,11,4). 19 Engel steigen so zum Gebet auf (ApkMos 7,2), und Gott versagt es den gefallenen Engeln (1 Hen 14,5). Aber auch Menschen wollen voller Hybris aufsteigen (gegeißelt in Sib 3,100), und Gott versagt es (vgl. Sib 5,72).

Das Gottesbild der Offenbarung vor hellenistisch-frühkaiserzeitlichem Hintergrund 57 den Aufstieg des Hauses Abrahams (TestAbr B 7,13f.). Aber erst nachntl. finden wir einen wichtigen Beleg in einer Himmelsreise (ApkSedr 2,2–5). Daher ist stärker als bislang üblich eine ungewöhnliche Stelle der Septuaginta zu beachten: Der Übersetzer von Am 9,6a überträgt die hebräische Wendung ‫( בשמים מעלותו‬geläufig übersetzt als „Halle“ oder „Raum des Aufstiegs im Himmel“) sprachlich abbildend. So baut Gott in der griechischen Übersetzung einen von ihm bestimmten Aufstieg zum Himmel (εἰς τὸν οὐρανὸν ἀνάβασιν αὐτοῦ), vielleicht um ihn selbst zu beschreiten,20 vielleicht aber auch, um einen Aufstieg zu sich zu eröffnen (diese mehrschichtige Formulierung ist typisch für die Übersetzung eines schwierigen Ausgangstextes). Ob Offb 4,1 eine bewusste Assoziation zu Am 9,6 LXX schafft, muss offen bleiben. Doch vorstellungsgeschichtlich ist der Zusammenhang auf jeden Fall wichtig: Wenn Johannes als Judenchrist vom Aufstieg in den Himmel spricht, denkt er an den Aufstieg zum einen Gott auf einem Weg, den dieser Gott selber angibt und bahnt und den 4,1 nicht näher beschreibt.

Gleichwohl formuliert unser Autor den Aufstieg zum Himmel griechisch. Er gestattet seinen Leserinnen und Lesern die Assoziation zu Homer21 und vielleicht auch einen Kontrast zur Einweihung von kaiserzeitlichen Mysten in eine Himmelsschau: Die sog. Mithrasliturgie enthält ein Einweihungsritual, das dem Mysten erlauben soll, die Augen zu öffnen, die Türen geöffnet zu sehen und innerhalb der Türen die Welt der Götter, so dass der Geist aufsteige (ἀνεῳγµυίας τὰς θύρας καὶ τὸν κόσµον τῶν θεῶν, ὃς ἐστιν ἐντὸς τῶν θυρῶν, ὥστε [...] τὸ πνεῦµα σου [...] ἀναβαίνειν PGrM IV,625–628; die Türen sind nach 584 Sonnentüren). Sollte es vergleichbare Einweihungsrituale in der Zeit und Umgebung der Offb gegeben haben (ein Teil der Forschung gibt der Mithrasliturgie Wurzeln in unserer Zeit),22 lehnt die Offb sie implizit ab. Denn nicht ein Ritual erlaubt dem Seher seine Vision, sondern Gott und Christus gewähren sie ungerufen.

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Vgl. Gen 17,22 LXX und 1 Kön 2,10 (diff. MT). Für weitere Aspekte des Verses s. die Kommentare (D. E. AUNE, Revelation [WBC 52 A,B,C], Dallas/Nashville 1997–1998, 279–283 u. a.). Hom, Il I,497 und Am 9,6 LXX werden in der Auslegung bislang kaum beachtet. 22 H. D. BETZ, The „Mithras Liturgy“. Text, Translation and Commentary (STAC 18), Tübingen 2003, 37. 21

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3. Der Thronende Die Assoziationen setzen sich fort. Wer den zitierten Vers der Ilias aus dem antiken Schulgut kennt, erwartet nach dem Aufstieg, Zeus (den Kroniden) in olympisch-himmlischen Höhen thronend sitzen zu finden, herausgehoben aus den anderen Göttern (Κρονίδην ἄτερ ἥµενον ἄλλων; so der nächste Vers, Il I,498). Unser Seher geht bemerkenswerterweise denselben Weg und schaut nach dem Aufstieg die thronende Gottheit (nicht zuerst dazwischen gelagerte Himmelssphären23 o. ä.). Freilich schaut er nicht den Kroniden und variiert er die Sprache (für „sitzen“ verwendet er καθῆσθαι statt ἧσθαι etc.). Wir müssen uns mit der Strukturparallele begnügen (Offb 4,2). Sie allerdings ist gewichtig. Verfolgen wir deshalb einige Details: Der Sitzende der Offb nimmt trotz der vorsichtigen Vergleichsformulierung (ὅµοιος 4,3) eine erstaunlich, fast irritierend materiale Gestalt an. Gewiss, aus der biblischen Bildlosigkeit bleibt die Verweigerung, sie figural zu beschreiben. Und das Wagnis, der Gottesvision eine gewisse Materialität zu verleihen, ist durch die Tradition der Merkabah vorgezeichnet.24 Aber der Seher intensiviert die Materialität. Er schreibt in 4,3, der Sitzende gleiche an Aussehen einem Stein, Jaspis und Karneol (oder Sarder), ὁ καθήµενος ἦν ὅµοιος ὁράσει λίθῳ ἰάσπιδι καὶ σαρδίνῳ. Aus edlem Stein aber sind viele Götterbilder der Völker. Die Offb schafft unversehens und nolens volens eine Brücke zur antiken Präsenz der Gottheit im materialen Bild. Mehr noch: 4,3 nennt als edle Steine Jaspis und Karneol (Sarder), wie gerade zitiert, und fügt für die Umgebung des Throns den smaragdenen hinzu (σµαράγδινος; weiterhin 4,3). Keiner dieser drei Steine ist durch die Gottesvisionen der Septuaginta (Ez 1 und Jes 6,1–3) vorgeprägt oder gewinnt in Israels Beschreibungen Gottes und des Gottesthrons vor der Offb Gewicht.25 Eher sind es Steine der Völker.26 Und die ganze Dreierreihe findet sich als Auswahl der geliebtesten Steine in der berühmten himmlischen Schau auf die Erde aus Platos Phaidon (λιθίδια εἶναι ταῦτα τὰ ἀγαπώµενα µόρια, σάρδιά τε καὶ ἰάσπιδας καὶ σµαράγδους, Phaed 110d).27 Die Materialität der Throngestalt von Offb 4 beansprucht einen Glanz, den die Völker wahrnehmen. Unwillkürlich mag ein antiker Leser daraufhin einen Vergleich zum Hauptbild des Zeus, dem Zeus von Olympia anstellen (im Folgenden skizziert nach der Beschreibung des Pausanias). 23

Bei denen die Entrückung von 2 Kor 12,2 endete. Vgl. Kristall, Elektron etc. in der Beschreibung Ez 1,22.27 LXX. 25 Prüfung bei G. SCHIMANOWSKI, Liturgie (s. Anm. 13) 98–101. 26 Ez 28,13 LXX nennt die zwei Hauptsteine, Jaspis und Karneol (Sarder), unter den Schätzen von Tyrus. 27 In der Forschung bemerkt seit E. LOHMEYER, Die Offenbarung des Johannes (HNT 16), Tübingen 1953 (31970), 45. 24

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– Auf einem Thron sitzt dieser Gott (καθέζεται [...] ὁ θεὸς ἐν θρόνῳ) wie der Thronende aus Offb 4. Aber ein vom Künstler (Phidias) geschaffenes Bild ist er. Das reicht nicht an das aller Schöpfung überlegene jaspis- und sarderstrahlende Bild im Himmel. – In der linken Hand trägt der Zeus des Phidias das Zepter mit seinem wichtigsten Attribut, dem sitzenden Adler (ἐπὶ τῷ σκήπτρῳ καθήµενός ἐστιν ὁ ἀετός), und sein Gewand ist geschmückt mit den kleinen Tieren des Zodiaks (ζῴδια; Paus V,11,1). Die Äquivalente malt Offb 4 in himmlischer Überlegenheit: Nicht kleine Tiere (ζῴδια), sondern gewaltige Lebewesen umgeben den Thron von Offb 4,6f., und eines von ihnen ist dem Adler gleich (aus dem Adlergesicht von Ez 1,10 wird eine ganze Adlergestalt). So ist der himmlische Gott größer als Zeus, und das Adlerwesen, das ihn begleitet, sitzt nicht, sondern fliegt kraftvoll (es ist ein ζῷον ὅµοιον ἀετῷ πετοµένῳ). – In der rechten Hand trägt der olympische Zeus die Göttin des Siegs, die ihn begleitet (Νίκη; weiterhin Paus V,11,1). Die Offb antwortet im zweiten Teil der Thronsaalvision: „schau, siegreich ist und den Sieg schon errungen hat (ἰδοὺ ἐνίκησεν) der Löwe aus Juda“ (Christus). Dieser stellt sich daraufhin in anderer Bildgestalt (als ἀρνίον, junger Widder) mitten auf den himmlischen Thron (ἐν µέσῳ τοῦ θρόνου; Offb 5,5f.). Die Nike, die von Zeus auf den Arm genommen und getragen werden muss, ist nicht seinesgleichen. Ein eindeutiges Gefälle entsteht. Es gibt – mit antiken Augen gelesen – ein Sitzbild Gottes im Himmel, auch wenn ein solches auf Erden fehlt und nicht mehr auf Erden restituiert wird. Und dieses Sitzbild ist aussagekräftig: Der eine Gott integriert in seine himmlische Präsenz und Wirksamkeit, was die Völker Jupiter-Zeus zuschreiben, ihrem höchsten Gott.

4. Der machtvolle Schöpfer und Herrscher Aufmerksam werden wir für weitere Beobachtungen: – Vom Thron der Offb gehen Blitze, Stimmen und Donner aus (ἀστραπαὶ καὶ φωναὶ καὶ βρονταί28, Offb 4,5).29 Das erinnert innerbiblisch an die Blitze und den Klang, den der eine Gott vom Sinai auslöst (φωναὶ καὶ 28

Vgl. auch die Donnerstimme eines der vier Tiere 6,1. Eine auffällige Parallele zu den in feurigen Fackeln (λαµπάδες πυρός) symbolisierten Geistern von 4,5 bietet außerdem der orphische Gesang bei Cl Al, Strom V,14,125,3, in dem es heißt: Beim brennenden Thron der Gottheit stünden Engel, denen die Sorge um die Sterblichen obliege, solange alles vollendet werde (σῷ δὲ θρόνῳ πυρόεντι παρεστᾶσιν πολύµοχθοι / ἄγγελοι, οἷσι µέµηλε βροτοῖς ὡς πάντα τελεῖται). 29

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ἀστραπαί, Ex 19,16 LXX; φωνὴ τῆς βροντῆς σου und αἱ ἀστραπαί σου, Ps 76,19 LXX).30 Für die Völker aber überträgt es ein Attribut des Zeus; denn ihn begleiten geläufig Blitze und Donner (genannt interessanterweise in der Regel in der Wortfolge ἀστραπαὶ καὶ βρονταί,31 die der Offb entspricht). – „Alles sieht das Auge des Zeus“ (πάντ̕ ἐφορᾷ Διὸς ὀφθαλµός) bekundet ein klassischer, anonym überlieferter Vers der Griechen.32 In der Offb übernehmen diese Funktion die vieläugigen Tiere um den Thron (4,6). Der eine Gott sieht wie Zeus alles, aber in überbietender Gestalt.33 – Seinem Namen Δία („Durch“) nach entstehe alles „durch“ Zeus und werde durch ihn bewahrt (δι’ [!] αὐτὸν γίνεται καὶ σῴζεται πάντα), sagt Cornutus um die neutestamentliche Zeit in seinem philosophisch abstrahierenden Kompendium der griechischen Götterlehre.34 Die Akklamation35 Gottes in Offb 4,11 als dessen, der alles schuf und gründete (σὺ ἔκτισας τὰ πάντα), konstituiert ein Pendant aus den Schöpfungstraditionen Israels und dem frühchristlichen Bekenntnis heraus.36 Die für das griechische Wortspiel wichtige Präposition διά wird von der Offb nachgeordnet, und doch erscheint sie in der Explikation der Schlusszeile von 4,11 τὰ πάντα καὶ διὰ τὸ θέληµά σου [...] ἐκτίσθησαν (wieder vorbereitet durch frühchristliche Tradition).37 Die rettend-bewahrende Kraft des einen Gottes, die Kap. 4 nicht unmittelbar ausdrückt, bündelt das große Halleluja in Offb 19,1 (ἡ σωτηρία [...] τοῦ θεοῦ ἡµῶν). 30

Vgl. Ps 103,7 LXX; Jes 29,6 etc. Wendung vorneutestamentlich z. B. in Orph Fr, Frg. 49 III,6f. und in neutestamentlicher Zeit z. B. in Apollodor, Bibl III,27 (ἀστραπαὶ [...] καὶ βρονταί); zum Donner des Zeus vgl. schon Hom, Il XXI,199 usw. 32 Zitiert bei Cornut, Nat Deor 11,20 (zit. nach F. BERDOZZO, in: H.-G. Nesselrath [Hrsg.], Cornutus. Die griechischen Götter. Ein Überblick über Namen, Bilder und Deutungen [SAPERE 14], Tübingen 2009, 30–138, 42f.). 33 Einfluss auf die Stelle nimmt vor allem das Bild der Felgen von Gottes Thronwagen aus Ez 1,18; vgl. aber auch die Rede von den „Augen des Herrn“ (ὀφθαλµοὶ κυρίου), die „auf die ganze Erde blicken“ (ἐπιβλέποντες ἐπὶ πᾶσαν τὴν γῆν), in Sach 4,10. 34 Cornut, Nat Deor 2,1f. (F. BERDOZZO, Cornutus [s. Anm. 32] 32f.). R. FELDMEIER, Der „Beleber der Toten“ und die stoische Zeusallegorese – zur Genese einer unerwarteten Liaison, in: Weisheit als Lebensgrundlage (FS F. V. Reiterer) (DCLS 15), Berlin 2013, 140–149, stellt die Relevanz der Cornutus-Passage für ein anderes biblisches Motiv, den Gott des Lebens, heraus. 35 Zum ungewöhnlichen ἄξιος εἶ bes. K.-P. JÖRNS, Das hymnische Evangelium. Untersuchungen zu Aufbau, Funktion und Herkunft der hymnischen Stücke in der Johannesoffenbarung (StNT 5), Gütersloh 1971, 62–73. F. TÓTH, Kult (s. Anm. 13) 302, deutet es vor dem Hintergrund von Herrscherakklamationen. 36 Vgl. z. B. Weish 1,14; Sir 18,1 und Eph 3,9 (ἐν τῷ θεῷ τῷ τὰ πάντα κτίσαντι). 37 Vgl. 1 Kor 8,6 (dort allerdings in der Gott betreffenden Zeile ἐξ οὗ, erst in der christologischen Zeile δι᾽ οὗ) und 1 Kor 12,18 (das Wollen Gottes). 31

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– Schließlich verehren die Völker Zeus als König, der über alles herrsche. Homer hatte ihn ἄναξ genannt (Il II,102; VII,200; XVIII,118). Dieses Wort veraltete und wurde in klassisch-nachklassischer Zeit durch βασιλεύς38 / βασιλεύειν39 abgelöst. Nur letzterer Stamm ist für die Offb relevant und ihre Tendenz eindeutig: Für die Herrschaft eines anderen Gottes bleibt kein Platz, da der eine Gott auch „der König der Völker“ ist (ὁ βασιλεὺς τῶν ἐθνῶν, in Offb 15,3 im Anschluss an Jer 10,7 herausgestellt),40 der seine Herrschaft ergriffen hat (s. die Donnerstimme, φωνὴ βροντῶν, in Offb 19,6: ἐβασίλευσεν κύριος ὁ θεὸς [ἡµῶν]). Wieder zeigt sich: Der Seher der Offb verbindet christliche Tradition und Motive der Völker, die er geschickt integriert und überbietet.

5. Der eine Gott und Zeus / Jupiter Identifikation und Konkurrenz Je einzeln sind fast alle der beschriebenen Motive von Offb 4,1f. bis 19,6 gut in der jüdisch-frühchristlichen Tradition verankert. Doch die Parallelen sind zu umfangreich und das Gesamtgefüge zu auffällig, um die Berührungen mit der Vorstellung des höchsten Gottes41 (Zeus) im griechisch-römischen Religionsraum ignorieren zu können. Aufmerksam werden wir für eine sich schon länger vollziehende religionsgeschichtliche Entwicklung. In Israel wie in seiner Umwelt wurde seit hellenistischer Zeit eine gewisse Äquivalenz zwischen dem einen Gott Israels und dem höchsten Gott der Völker erwogen: Der Aristeasbrief schrieb für die griechischsprachige Religionsbegegnung, die Juden verehrten „den Betrachter und Schöpfer von allem“ (τὸν γὰρ πάντων ἐπόπτην καὶ κτίστην) als Gott (θεός), den die Griechen anders „Zeus und Dia“ nennen (Ζῆνα καὶ Δία; Arist 16). D. h. unser Autor aktualisiert eine religionsgeschichtlich gängige42 und plastische Auffassung.43 38

Berühmt war z. B. der Kult des „Zeus Basileus“ von Lebadeia. βασιλεύειν ὁ Ζεὺς λέγεται τῶν ὅλων schreibt Cornutus in Nat Deor 2,1f. (F. BERDOZZO, Cornutus [s. Anm. 32] 32f.). 40 LXX enthält diese Stelle nicht. Trotzdem greift die Offb nach J. HERNÁNDEZ, Recensional Activity and the Transmission of the Septuagint in John’s Apocalypse. Codex Sinaiticus and Other Witnesses, in: M. Labahn/M. Karrer (Hrsg.), Die Johannesoffenbarung. Ihr Text und ihre Auslegung (ABG 38), Leipzig 2012, 83–98, hier 95–98, wahrscheinlich nicht unmittelbar auf den hebräischen Text zurück, sondern benützt eine zeitgenössische griechische Fassung (nahe zu Theodotion). 41 Die Prädizierung θεὸς ὕψιστος verfolgen wir nicht, da sie in der Offb keine Rolle spielt; vgl. aber Apg 16,17 und Hebr 7,1. 42 Laut der Überlieferung bei Augustin bestätigte im 1. Jh. v. Chr. Varro die Äquivalenz, nun lateinisch zu Jupiter (August, Cons Euan 1,22,30: Varro […] Deum Iudaeorum 39

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Diese Auffassung war allerdings tief überschattet. Denn im 2. Jh. v. Chr. hatte Antiochos IV. versucht, den Tempel in Jerusalem einen Tempel des olympischen Zeus zu nennen (προσονοµάσαι Διὸς Ὀλυµπίου; 2 Makk 6,2), sei es, um Zeus und den Gott Israels in einer Religionsreform offiziell gleichzusetzen, oder sei es, um den Jerusalemer Kult in einen Zeuskult zu überführen.44 Und seit Vespasian wurde die jüdische Tempelsteuer an den kapitolinischen Zeus umgewidmet (Καπιτωλίῳ Δίι; Dio C, Hist 65,7,2).45 Womöglich war diese Umwidmung allein fiskalischem Bedarf geschuldet, denn der Wiederaufbau des 69 zerstörten Tempels in Rom bedurfte großer Geldsummen. Dennoch war sie auch ein religiöses Signal: Der höchste Gott im Pantheon des siegreichen Rom beanspruchte die Gelder, die in jüdischer Tradition für den Kult des einen Gottes bestimmt waren. Domitian führte das fort. Eine Generation später entstand sogar der Plan, Jupiter das Tempelgelände in Jerusalem zu widmen, was bei einer Spätdatierung der Offb relevant wäre.46

Die Offb abstrahiert auf der Oberfläche des Textes von diesen Konflikten. Statt von Rom schreibt sie von der Weltstadt Babylon (Kap. 17f.), und den kapitolinischen Tempel ignoriert sie ebenso wie den Fiscus Judaicus; dies übrigens gemeinsam mit allen spätneutestamentlichen Schriften. Indes schafft sie im neuen Jerusalem, das aus dem Himmel, von Gott herabkommt (ἐκ τοῦ οὐρανοῦ ἀπὸ τοῦ θεοῦ; 21,2), ein auffälliges Gegenüber. Denn diese Stadt wird keinen Tempelbau mehr enthalten; Gott, nicht ein einzelnes Gebäude, wird ihr Naos (ihr Tempelhaus) sein, er und Christus, das ἀρνίον (21,22).47 Das kompensiert den Verlust des irdischen Tempels in Jerusalem – von Gott her hatte er nur vorläu-

Iovem putavit nihil interesse censens, quo nomine nuncupetur, dum eadem res intellegatur). 43 Deren komplizierter Fortgang braucht uns hier nicht zu beschäftigen; vgl. bes. Orig, Cels 5,41 und Macr, Sat 1,18,20 (Orakel von Klaros). 44 Diskussion bei J. A. SCURLOCK, 167BCE: Hellenism or Reform?, in: JSJ 31 (2000) 125–161; A. E. PORTIER-YOUNG, Apocalypse Against Empire. Theologies of Resistance in Early Judaism, Grand Rapids 2011, 202–205 (Lit.) u. a. 45 Vgl. M. HEEMSTRA, The Fiscus Judaicus and the Parting of the Ways (WUNT 2,277), Tübingen 2010, 9–20 und passim sowie M. H. WILLIAMS, Jews in a Graeco-Roman Environment (WUNT 312), Tübingen 2013, 95–110 (je Lit.). 46 Nach Dio C, Hist 69 löste Hadrians Absicht, einen Jupitertempel an der Stelle des zerstörten Heiligtums in Jerusalem zu errichten, den Aufstand von 132–135 n. Chr. aus. Das ist historisch umstritten (T. WITULSKI, Apk 11 [s. Anm. 7] 193–208; 193f.), aber auch wenn sich im Text sekundäre Erinnerungen spiegeln, bestätigt die Quelle die besondere Konkurrenz Jupiters. 47 Dazu G. STEVENSON, Power and Place. Temple and Identity in the Book of Revelation (BZNW 107), Berlin 2001, 268f. und R. MÜLLER-FIEBERG, Das „neue Jerusalem“ – Vision für alle Herzen und alle Zeiten? Eine Auslegung von Offb 21,1–22,5 im Kontext von alttestamentlich-frühjüdischer Tradition und literarischer Rezeption (BBB 144), Berlin 2003, 200–204.

Das Gottesbild der Offenbarung vor hellenistisch-frühkaiserzeitlichem Hintergrund 63 fig Bestand – und kontrastiert Rom: Rom hat viele Tempel und ist gerade dadurch irdisch und nicht himmlisch, eine Stadt mit Heiligtümern, nicht insgesamt heilige Stadt. Die Offb nützt hier eine Nuance des Sprachgebrauchs im 1. Jh., die kaum mehr erkennbar ist, weil Rom heute verbreitet als „heilige Stadt“ gilt. Im 1. Jh. trug Rom diesen Beinamen noch nicht; erst die Severer sollten seine Aussagekraft entdecken und ihn verbreiten.48 „Heilige Stadt“ (ἡ πόλις ἡ ἁγία; 21,2) war für den Seher deshalb ausschließlich eine Tradition Jerusalems (Jes 52,1; Tob 13,10 u. ö.). Diese Tradition füllt sich nun über das irdische Jerusalem hinaus mit der unmittelbaren personalen Gegenwart Gottes.49

Zugleich schaut Offb 18,9 über der Weltstadt den Rauch großen Brandes. 50 Das steigert die Brände, die Rom in jüngster Zeit erlebte, den Brand unter Nero und zwei Brände des Jupitertempels. Beim ersten Tempelbrand, der Zerstörung durch die Kaiserprätendenten im Jahr 69 n. Chr., war Domitian im Tempelbezirk. Er musste sich beim Tempelwächter verstecken, rechnete seine Rettung Zeus zu und errichtete am Ort der Wächterstube ein kleines Heiligtum für Zeus, den Bewahrer (sacellum Iovi Conservatori).51 Die zweite Brandkatastrophe ereignete sich 80 n. Chr.52 Domitian erneuerte den Bau nach seinem Herrschaftsantritt daraufhin möglichst feuersicher. Er verwendete Stein und Gold,53 was den Bedarf an den Fiscus Judaicus schmerzlich erhöhte, und ehrte besonders Jupiter, den Beschützer (Jupiter Custos).54 Zur Zeit der Offb galt damit (ob wir sie in die 90er oder 130er Jahre datieren) der Jupiter auf dem Kapitol ausdrücklich als Schützer und Retter Roms. Für beide Prädikate – conservator und custos – könnte die Offb Äquivalente setzen, vorbereitet durch das Verständnis Gottes nach der Septuaginta. – „Bewahrer“ ist ein Aspekt des Prädikats σωτήρ, „Retter“, das das hellenistische Judentum in Konkurrenz zu paganen Soter-Kulten rezipiert hatte; der eine Gott war demnach schlechthin „der Gott Retter“ (ὁ θεός ὁ σωτήρ), mit Namen κύριος σωτήρ (der „Herr Retter“),55 und kein Retter neben ihm.56 48

J. L. DESNIER, Omina et Realia. Naissance de lʼUrbs sacra sévérienne (193–204 ap. J.-C.), in: MEFRA 105 (1993) 547–620. 49 Gott erlaubt, sein Angesicht frei zu schauen (Offb 22,4 nach Ps 17,15). 50 Offb 18 erinnert dabei in einigen Motiven an das brennende Troja – die mythische Mutterstadt Roms – nach den Troerinnen des Euripides (11. Auftritt, 1291–1332). 51 Tac, Hist 3,71–73 (facinus [...] sedem Iovis Optimi Maximi [...] furore principum excindi; 72,3) und 74,1 (Sacellum). 52 Plut, Publ 15,2: ἅµα γὰρ τῷ τελευτῆσαι Οὐεσπασιανὸν ἐνεπρήσθη τὸ Καπιτώλιον. 53 Die Pracht dessen erregte Anstoß. Plut, Publ 15,5 warf Domitian Bausucht und die Krankheit des Midas vor (ἔχεις νόσον χαίρεις κατοικοδοµῶν, ὥσπερ ὁ Μίδας ἐκεῖνος, ἅπαντά σοι χρυσᾶ). 54 Sich selbst ließ er auf einem Bild im Schoß Jupiters darstellen: Tac, Hist 3,74,1. 55 Zu ὁ θεός ὁ σωτήρ vgl. Dtn 32,15; Ps 23,5 LXX und 24,5 LXX; Mi 7,7; Hab 3,18 und PsSal 3,6;17,3; für κύριος σωτήρ PsSal 8,33; vgl. Ps 26,1 LXX. 56 Jes 45,21 LXX (vgl. H. WILDBERGER, Der Monotheismus Deuterojesajas, in: Beiträge zur alttestamentlichen Theologie [FS W. Zimmerli], Göttingen 1977, 506–530); vgl.

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– „Beschützer“ besaß ein Äquivalent im Verständnis Gottes als „Wächter Israels“ (φύλαξ Ισραηλ; 2 Kön [2 Sam] 23,3 LXX) und als Wächter des Einzelnen, der Zuflucht, Hilfe und Rettung gewährt.57 Trotzdem vermeidet der Autor der Offb beide Prädikate in seinem Verständnis Gottes und Christi. Das lässt sich am leichtesten erklären, wenn sie nach seiner Ansicht zu stark durch die irdische Religionskonkurrenz besetzt sind.58 Die Sache nämlich hält er klar fest: In 7,9f. rufen unzählige Menschen aller Völker, die Rettung (7,10 σωτηρία) komme von dem einen Gott, der auf dem Thron sitze, und Christus (dem ἀρνίον). Die Vulgata wird das mit salus übersetzen, was in der Tradition der salus Romana die Vorstellung von conservatio und custodia (Bewahrung und Schutz) enthält (vgl. 12,10; 19,1). D. h. der eine Gott ist in der Sache Retter, Bewahrer und Schützer, auch ohne dass die Offb die in Rom beanspruchten Prädikate benützt. Sein rettendes, göttliches Königtum für die Völker lässt keinen Raum für eine vereinfachende Übertragung von Aspekten der Jupiterverehrung, die Rom im neuen Kapitol pflegt.

6. Abstraktionen im Gottesverständnis Nicht nur die Konkurrenz zu Jupiter wirkt sich aus. Auch die Zusammensetzung der Gemeinde, die die Offb vor Augen hat, verlangt Abstraktion. Die Mehrzahl ihrer Mitglieder sind Völkerchristen. Der Seher übernimmt für sie die Redeweise von „dem Gott“ und „unserem Gott“ aus Israel („der Gott“ ab 1,1, „unser Gott“ 4,11; 5,10; 7,3; 12,10; 19,1 usw.). Aber er übergibt ihnen zwei Bezeichnungen nicht, die Israel durch die Abstammung von den Vätern von den Völkern abhoben (und in Israels Schriften weit verbreitet waren). Kein einziges Mal spricht er vom „Gott unserer Väter“ (ὁ θεὸς τῶν πατέρων ἡµῶν; vgl. Apg 3,13 u. ö.)59 oder vom „Gott Abrahams, Gott Isaaks und Gott Jakobs“ (ὁ θεὸς Ἀβραὰµ καὶ ὁ θεὸς Ἰσαὰκ καὶ ὁ θεὸς Ἰακώβ; vgl. Mt 22,32par. u. ö.).60 Das erklärt sich am genauesten bei einer pointiert judenchristlichen Position.61 Hos 13,4. 57 2 Kön 22,3: ὁ θεός µου φύλαξ ἔσται µου [...] ὑπερασπιστής µου καὶ κέρας σωτηρίας µου ἀντιλήµπτωρ µου καὶ καταφυγή µου σωτηρίας µου; 2 Kön 22,47: ὁ φύλαξ µου [...] ὁ φύλαξ τῆς σωτηρίας µου. 58 Bei φύλαξ gilt das vielleicht auch für das übrige frühe Christentum; jedenfalls beheimatet sich φύλαξ weder im Neuen Testament noch bei den Apostolischen Vätern als Gottes- oder Christusprädikat. 59 Sie begegnet auch in den Varianten „Gott eurer“, „meiner“ oder „deiner Väter“: s. Gen 43,23 usw., in Apg noch 5,30; 7,32; 22,14. 60 Alttestamentliche Belege (Ex 3,6 usw.) in den Konkordanzen, Gott Abrahams einzeln Gen 26,24 usw.; wichtige Reflexionen für das 1. Jh. bei Philo, Vit Mos I 75f. u. ö.; neutestamentlich s. noch Apg 3,13; 7,32. 61 Unser Autor ist tief in Israel verwurzelt und betont die besondere Würde Israels vor

Das Gottesbild der Offenbarung vor hellenistisch-frühkaiserzeitlichem Hintergrund 65 Schwieriger ist eine zweite Differenzierung zu erklären: Zeus heißt in seiner Sozialität bei den Griechen „Vater von Göttern und Menschen“ (πατὴρ θεῶν καὶ ἀνθρώπων).62 Die Offb reagiert mit größter Vorsicht. Kein einziges Mal nennt sie Gott „unseren Vater“, obwohl das in Israel grundgelegt war (ἡµῶν εἶ πατήρ in Jes 63,16 LXX; πατὴρ ἡµῶν σύ in Jes 64,7 LXX) und sich im frühen Christentum weit verbreitete (von 1 Kor 1,3 und Eph 1,2 bis hin zur Vaterunser-Fassung in Mt 6,9). Gott ist nur Jesu Vater (1,6; 2,28; 3,5.21; 14,1) und auch das strikt in theologischer, übertragener Aussage.63 Der eine Gott soll offenbar nicht wie Zeus viele Kinder bekommen;64 unser Autor denkt womöglich an die sexuelle Libertinität des Zeus und ist in diesem Punkt sehr achtsam, aus heutiger Warte gelesen fast zu scheu. Nennen wir noch ein drittes. Zeus sieht alles, zitierten wir oben. Wir müssen dem aus dem Zeusbild des 1. Jh. beifügen: „und er hört alles“ (καὶ πάντ̕ ἐπακούει bei Cornutus [11])65. Dieses Charakteristikum würde noch besser für den einen Gott Israels und der ersten Christen passen; denn dieser ist von den Psalmen (Ps 3,5; 55,18 usw.) über die Weisheitsliteratur (z. B. Spr 15,29 LXX) bis zu den PsSal (7,7) der Gott, der hört und erhört. In der Offb findet sich trotzdem kein einziger Beleg dieses Motivs.66 Gewiss, die Offb findet Wege, dies zu überbrücken. Die Gebete der Heiligen werden wie kultisches Räucherwerk vor Christus gebracht (5,8). Sie erreichen Gott und Christus, wenn auch in kultischer Verwandlung. Irdische Notschreie erfahren weiterhin Antwort aus Gottes Raum (6,9–11). Und doch ist der Gott der Offb in seiner himmlischen Höhe den Menschen ferner als in den älteren Überlieferungen Israels.

Nehmen wir die Beobachtungen mit denen zu den Prädikaten des Retters und Wächters zusammen, ist eindeutig: Die Offb verstärkt markant die Transzendenz und Erhabenheit Gottes.

7. Zwischenreflexion Summieren wir den Vergleich mit Zeus, entdecken wir drei religions- und theologiegeschichtlich gleichermaßen relevante Sachverhalte: 1. In der Offb wendet sich ein judenchristlicher Autor an Leserinnen und Leser mehrheitlich nichtjüdischer Herkunft. Überzeugt davon, dass der eidem einen Gott (Menschen aus den Stämmen Israels sind in 7,3–8 versiegelte Knechte Gottes; das himmlische Jerusalem trägt nach 21,12 auf den Toren die Namen der 12 Stämme Israels usw.). 62 Cornut, Nat Deor (F. BERDOZZO, Cornutus [s. Anm. 32]) 9,1f. (in einer Vergleichsaussage mit ὡς nach Hom, Od 1,28.45). 63 Ps 2,7, der die Vaterschaft durch ein Motiv der Zeugung oder Geburt explizieren würde, spielt in der Offb keine Rolle. 64 An der einen Stelle, an der die Offb die Bezeichnung „Sohn“ auf Gemeindeglieder überträgt, im Siegerspruch 21,7, nennt Gott sich sehr auffällig nicht „Vater“, sondern θεός („Gott“). 65 Vgl. für Zeus und Helios Hom, Il III,277. 66 Aufmerksam werden wir dafür, dass die Vision von Offb 4 schon das Sehen an die Wesen um Gottes Thron delegierte (4,6).

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ne Gott Israels der Gott schlechthin ist, schlägt er Brücken, wo sich die Vorstellung der Gottheit bei den Völkern in ähnlicher Richtung bewegt. Das aber zeigt nebenbei, dass er die Vorstellungen seiner griechischrömischen Umwelt vorzüglich kennt. 2. Die Bemühung um Äquivalenzen und gemeinsame Bilder entwickelt daraufhin eine Dynamik, die sich auf das Verständnis der fremden Gottheit und des eigenen Gottes auswirkt. – Was Zeus angeht, begegnen wir trotz der vielen Bilder der Offb implizit eher dem höchsten Gott antiken Denkens als dem Zeus der archaischen Mythen und des Kultes. – Der eine Gott gewinnt in der Offb umgekehrt durch Einflüsse der Griechen an himmlischer Materialität, was heute befremdet (4,3), und an Universalität, was heute fast selbstverständlich scheint, aber einen wichtigen Akzent in den Gottesprädikaten setzt. Das Prädikat „König der Völker“ (15,3) setzte sich zur Zeit der Offb in Israel gerade erst durch; in Jer LXX fehlt der Abschnitt mit dem Prädikat (10,7) noch. D. h. die Offb nimmt an einer jahrhundertealten und doch noch nicht abgeschlossenen jüdischen Religionsentwicklung teil und verstärkt das universale Denken.

3. In der Religionsbegegnung abstrahiert sich das Gottesbild, nicht zuletzt, um es vor einer vereinfachten Verschmelzung der Traditionen zu schützen. Der Offb ist dieser Schutz so wichtig, dass sie die Transzendenz des einen Gottes steigert und Attribute seiner Nähe mindert, die bei Griechen und Römern für Zeus-Jupiter geläufig waren. Wir beobachteten das für die Prädikate des Retters (σωτήρ), des Beschützers (φύλαξ) u. ä.

Das Gottesbild der Offb hat daher am Ende manche Facetten überraschend mit Zeus gemeinsam und ignoriert ebenso überraschend andere theologisch wichtige Facetten frühchristlichen Denkens, weil sie Zeus-Jupiter ähnlich wären.

8. Die anderen Götter Uns fehlt der Raum, andere Göttervorstellungen ähnlich genau zu vergleichen wie die des Zeus. Werfen wir aber ein paar Schlaglichter: 1. Dionysos: Die Völker hörten in der hebräischen Gottesverehrung gelegentlich den Ruf „Sabi“67. Darüber stellten sie einen Bezug zu Sabazios und

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Plut, Mor 671C–672C (= Quaest Conv IV 6,1f.). Ob das auf Sabaoth zurückging oder den Sabbat in Erinnerung rief, ist unklar und kann hier offen bleiben. Vgl. M. WHITTAKER, Jews and Christians. Greco-Roman Views (CCWJCW 6), Cambridge 1984, 126–129.

Das Gottesbild der Offenbarung vor hellenistisch-frühkaiserzeitlichem Hintergrund 67

Gestalten des Dionysos her.68 Außerdem beobachteten sie beim Laubhüttenfest eine in ihrem Sinn dionysische Freude.69 Deshalb wurde Dionysos zu einer zweiten Identifikationsmöglichkeit für den einen Gott neben Zeus. Wie weit sich das bis zum späten 1. Jh. verbreitete, ist unklar.70 Im Judentum gab es jedenfalls auch eine Linie des Widerstandes (vgl. bes. 2 Makk 6,7). Die Offb gehört, soweit sich Bezüge finden, zur kritischen Linie: Rausch und Gelage, wie sie der Feier des Dionysos zugeschrieben wurden, ereignen sich in der verworfenen Weltstadt (Offb 17,2 u. ö.). Die Gemeinde Gottes und Christi dagegen wird nicht zum Wein, sondern zum Wasser des Lebens gerufen; 22,17 evoziert sogar eine Gestalt der frühchristlichen Mahlfeier mit Wasser.71 Der Kontrast zu Dionysos gibt der Gottesverehrung der Offb daher eine asketische Note bzw. hilft der Offb, ihre unabhängig entwickelte asketische Note auszudrücken.72 2. Apoll: In Rom spielte Apoll-Helios seit der späten Republik eine zentrale Rolle.73 Zugleich war Apoll der Gott der großen Orakel in Delphi oder Klaros und Didyma. Die Seher flehten zu ihm seit Kalchas,74 „der“ dank Apoll „das Seiende und das Sein-Werdende und das Vorher-Seiende wusste“, wie man erzählte (ὃς ᾔδη τά τ᾽ ἐόντα τά τ᾽ ἐσσόµενα πρό τ᾽ ἐόντα; Hom, Il I,70)75. 68

Die religionsgeschichtliche Rekonstruktion ist schwierig, vgl. z. B. S. KRAUTER, Bürgerrecht und Kultteilnahme. Politische und kultische Rechte und Pflichten in griechischen Poleis, Rom und antikem Judentum (BZNW 127), Berlin 2004, 305–310 (zu Rom, 2. Jh. v. Chr.); P. R. TREBILCO, Jewish Communities in Asia Minor (MSSNTS 69), Cambridge 1991, 140–142 und G. H. VAN KOOTEN, Moses/Musaeus/Mochos and His God Yahweh, Iao, and Sabaoth, Seen from a Graeco-Roman Perspective, in: Ders. (Hrsg.), The Revelation of the Name YHWH to Moses. Perspectives from Judaism, the Pagan GraecoRoman World, and Early Christianity (Themes in Biblical Narrative: Jewish and Christian Traditions 9), Leiden 2006, 107–138. 69 Plut, Mor 671D–672B. 70 Die wichtigen Belege bei Cornelius Labeo (nach Macr, Sat 1,18,18–21) und Joh Lyd, Mens 4,53 sind jünger. Weitere in der Forschung diskutierte Belege bei S. M. MCDONOUGH, YHWH (s. Anm. 2) 88–90 (Lit.). 71 Vgl. H. J. STEIN, Frühchristliche Mahlfeiern. Ihre Gestalt und Bedeutung nach der neutestamentlichen Briefliteratur und der Johannesoffenbarung (WUNT 2,255), Tübingen 2008, 298–314. 72 Die Auseinandersetzung mit dem Weingenuss, den der „Rasende“ (Dionysos), der Erfinder des Weinbaus, ermöglichte (vgl. Philo, Plant 148), wird auch aus eigener jüdischer Tradition gepflegt (vgl. Philo, Ebr). 73 Augustus verband sogar seine Wohnung und das Apolloheiligtum auf dem Palatin, um sich sinnfällig unter die Zuwendung des Gottes zu stellen: vgl. die Ausgrabungen der domus Augusti auf dem Palatin (Rom). 74 Vgl. Hom, Il I,86f. 75 Vgl. B. SNELL, Die Entdeckung des Geistes. Studien zur Entstehung des europäischen Denkens bei den Griechen, Göttingen 41975, 143f.

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Martin Karrer Denn vom Seienden (Vorliegenden) aus und im Wissen um Vorangehendes vollzieht sich bis in die Zeit der Offb das mantische Verfahren, das Einblick in die Zukunft (τὸ µέλλον) gewährt (s. in etwa zeitgenössisch76 zur Offb Plut, De E apud Delphos 387B).77

Offb 1,19 spielt darauf an. Der Seher soll mitteilen, was ist und was danach geschehen wird, gegründet auf das, was er sah (γράψον οὖν ἃ εἶδες καὶ ἃ εἰσὶν καὶ ἃ µέλλει γενέσθαι µετὰ ταῦτα). Das benützt die griechische Dreizeitenformel und teilt ihr Interesse am Künftigen. Zugleich modifiziert es sie. Denn was Gott durch Christus zeigte (vgl. 1,1) und der Seher daher sah (εἶδες; 1,19), ist wichtiger als die mantischen Verfahren der Umwelt. Die Differenzierung ist also wesentlich, und doch wirkt sich das Gegenüber zu Apoll wiederum auf die Gottesvorstellung aus: Die Offb entfaltet in den Bildern ihres Visionscorpus die Macht Gottes, Geschichte anzusagen und in äußerster Härte in sie einzugreifen. Die Auseinandersetzung mit Apoll setzt im Corpus der Offb weitere wichtige Akzente. 9,11 verzerrt ihn, den Herrn der Tiere, zum Apollyon, und Kap. 13 wendet sich nach jüngster Forschung gegen seine Kulte.78 Apolls zentrales Gegenüber ist freilich die Christologie; wie der Apoll-Helios strahlt der Menschensohngleiche in Offb 1,16.

3. Wir könnten die katachthonischen Götter hinzufügen: Christus hält die Schlüssel des Todes und des Hades in der Hand.79 Der eine Gott ist, wie Christus zeigt, allen Mächten des Todes, die die Völker quälen, überlegen. 4. Alle beschriebenen Stilisierungen enthalten eine grundlegend monotheistische Dynamik. Ps 18,32 setzte das ins Wort. „Wer ist Gott außer dem Herrn (JHWH) und wer ein Fels, wenn nicht unser Gott?“ fragte der Psalmist in der hebräischen Fassung. Der Übersetzer der Septuaginta stieß sich am Bilde des Felsens und ersetzte es durch eine Wiederholung von θεός. So entstand in Ps 17,32 LXX eine noch intensivere monotheistische Aussage, formuliert als rhetorische Frage: τίς θεὸς πλὴν τοῦ κυρίου καὶ τίς θεὸς πλὴν τοῦ θεοῦ ἡµῶν, „wer ist Gott außer dem Herrn und wer Gott au-

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De E apud Delphos wird in der Regel auf die 90er Jahre datiert: H. OBSIEGER, Plutarch: „De E apud Delphos“. Über das Epsilon am Apolltempel in Delphi. Einführung, Ausgabe und Kommentar (Palingenesia 101), Stuttgart 2013, 19 (Lit.). 77 Dort kommentiert der Sprecher Theon (H. OBSIEGER, Plutarch [s. Anm. 76]) die zitierte Stelle aus der Ilias: καλῶς Ὅµηρος πρῶτον ἔταξε τὰ παρόντα εἶτα τὸ µέλλον καὶ τὸ παρῳχηµένον: ἀπὸ γὰρ τοῦ ὄντος ὁ συλλογισµὸς κατὰ τὴν τοῦ συνηµµένου δύναµιν. Unterschiedliche Interpretationsansätze zur Theonrede bei H. OBSIEGER, Plutarch (s. Anm. 76) 156f. und T. THUM, Plutarchs Dialog De E apud Delphos. Eine Studie (STAC 80), Tübingen 2013, 161f. 78 F. TÓTH, Das Tier, sein Bild und der falsche Prophet. Untersuchungen zum zeitgeschichtlichen Hintergrund von Johannesoffenbarung 13 unter Einbeziehung des antiken Orakelwesens (BThSt 126), Neukirchen 2012. 79 Vgl. M. KARRER, Motive (s. Anm. 11) 60f.

Das Gottesbild der Offenbarung vor hellenistisch-frühkaiserzeitlichem Hintergrund 69

ßer unserem Gott?“80 Offb 4,11 kontrahiert das zur Akklamation des himmlischen Hofes vor dem thronenden einen Gott: „Würdig bist du, der Herr und unser Gott.“ Die Abfolge von κύριος, καί und ὁ θεός ἡµῶν entspricht genau dem griechischen Psalm.81 Unsere Stelle ist daher einer der wichtigen Hinweise auf die Septuaginta-Benützung durch die Offb, was in der Auslegung der Offb wohl gerade deshalb fast unbekannt ist; denn die Parallele findet sich nicht über die normalerweise verglichene hebräische Bibel. Zu nennen ist das, weil es in der Konsequenz auch die religiöse Verehrung des irdischen Herrschers verunmöglicht. Dieser hieß in Dokumenten zum Fiscus Judaicus κύριος („Herr“)82 und wurde spätestens nach dem Tod als Gott (θεός) verehrt. Die Offb muss sich dem schlechterdings verweigern. Ihr Gottesverständnis erzwingt den Gegensatz zum Kaiserkult, ob dieser Gegensatz nun das Hauptinteresse der Offb bildet (wie herkömmlich angenommen wird) oder ein Nebeninteresse (wie aufgrund der jüngeren Forschungen zu Offb 13 und zu Domitian möglich ist).83 Die viel diskutierte Parallele von Offb 4,11 zu Suet, Dom 13,2 (dominus et deus noster) ist zwar für die Genese der Gottesprädikate in Offb 4,11 nicht maßgeblich, bleibt aber ein wesentliches Gegenüber. Die ältere Forschung entnahm aus Suet, Dom 13,2, Domitian habe unmittelbar beansprucht, „unser Herr und Gott“ genannt zu werden. Erhaltene Dokumente aus der Zeit Domitians (Papyri etc.) enthalten diese Formel aber nicht. Daher ist Offb 4,11 wahrscheinlich nicht als direkte Antwort auf Domitians Anspruch formuliert, sondern als akklamatorische Summa nach Ps 17 LXX. Der Kontrast zum Domitianbild entsteht somit vor allem im Nachhinein. Die Vulgata allerdings bestätigt, wie nahe er dann liegt (dort Übersetzung Domine et Deus noster).84

80

Dazu E. BONS, Die Rede von Gott in den PsalmenLXX , in: H.-J. Fabry/D. Böhler (Hrsg.), Im Brennpunkt: Die Septuaginta 3. Studien zur Theologie, Anthropologie, Ekklesiologie, Eschatologie und Liturgie der griechischen Bibel (BWANT 174), Stuttgart 2007, 182–202, hier 185–188. 81 Und sie hat keine andere vergleichbar enge Parallele in der vorneutestamentlichjüdischen Literatur. 82 Es haben sich eine ganze Reihe von Quittungen ab der Zeit Vespasians erhalten. In ihnen findet sich κύριος für Vespasian (CPJ 160) und Titus (CPJ 181) nur je einmal, für Domitian häufiger (CPJ [188,] 189, 193), für Trajan fast durchweg. Nachweise bei M. HEEMSTRA, Fiscus (s. Anm. 45) 17. 83 Wir können hier offen lassen, ob der „Thron des Satans“ von Offb 2,13 ein Heiligtum des Herrscherkultes meint (Übersicht über die Deutungen mit prononcierter Position bei T. WITULSKI, Johannesoffenbarung [s. Anm. 1] 250–278). Zur Diskussion um Offb 13 vgl. F. TÓTH, Tier (s. Anm. 78). 84 Lit. in den Kommentaren, bei F. TÓTH, Kult (s. Anm. 13) 302f. und H.-G. GRADL, Buch und Offenbarung. Medien und Medialität der Johannesapokalypse (HBS 75), Freiburg i. Br. 2014, 230.

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Verlassen wir damit die Beobachtungen am Corpus der Offb und wenden uns den zentralen theologischen Aussagen am Textanfang zu.

9. „Ich bin das Alpha und das Omega“ Der Name Gottes, das Tetragramm, wurde von Juden in der Regel nicht ausgesprochen. Doch verwendeten sie gelegentlich in einer griechischen Schriftfassung die Schreibung IAΩ (Lev 3,12 in 4QLXXLevb).85 Die entsprechende Aussprache verbreitete sich bei den Völkern. Diodorus Siculus und Varro kennen sie im 1. Jh. v. Chr.86 Eine große Anzahl von Belegen, vom magischen Amulett des 1. Jh. v. Chr. bis zum Zauberpapyrus, führt in die Magie.87 Ab ca. 200 ist daneben die Aussprache IAOYE belegt, die der heutigen Aussprache eher entspricht (vgl. auch Cl Al, Strom V,34,5).88 Für die Offb müssen wir sie zeitlich und sprachlich zurückstellen.

Jüdisch war die Benützung der Aussprache und Schreibung IAΩ in der Zeit der Offb verpönt.89 Unser Autor teilt diese Scheu und verwendet die Namenschreibung nicht unmittelbar. Aber er spielt mit dem Usus der Völker und bettet die Buchstaben dieses Namens an prominenter Stelle, bei der Selbstvorstellung Gottes in 1,8, in seinen Text ein, ein erneutes Indiz dafür, dass er sich an Leserinnen und Leser aus den Völkern wendet und mit deren Kenntnissen gut vertraut ist. Ἐγώ εἰµι τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ, spricht Gott in 1,8: „Ich bin das Alpha und das (lang ausgesprochene) O“; die Offb schreibt ὦµεγα nicht aus, weil diese Schreibung in ihrer Zeit noch nicht geläufig war.90 Alle Teile dieses Satzes sind wesentlich. Denn das εἰµί enthält den Buchstaben und Laut I (am Ende und bei itazistischer Lesung gleichfalls im eröffnenden εἰ), ἄλφα das A und ὦ

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Der Text ist nur fragmentarisch erhalten: in Rekonstruktion ἐὰν δ[ὲ ἀπὸ τῶν αἰγῶν τὸ δῶρ]ον αὐτο[ῦ καὶ προσάξει ἔναντι Ι]AΩ (LXX-Hauptüberlieferung κυρίου). Kontexte bei R. J. WILKINSON, Tetragrammaton (SHCT 179), Leiden 2015, 54–65. 86 Diod S, Bibl Hist I,94,2; Varro laut Joh Lyd, Mens 4,53,40. 87 S. „IAO IAO IAO SABAOTH ADONAI“ auf einem magischen Amulett aus Emesa im 1. Jh. v. Chr. (R. KOTANSKY, Greek Magical Amulets I, Opladen 1994, 248–256), für die Zauberpapyri PGrM IV,593; XXXVI,35f.; CVI,1–10 u. ö. 88 Weitere Belege und Erörterungen bei S. M. MCDONOUGH, YHWH (s. Anm. 2) 91– 97.116–122. 89 Kein einziger Beleg findet sich etwa bei Josephus. Vgl. S. M. MCDONOUGH, YHWH (s. Anm. 2) 111–116. 90 Die Ausschreibung ὦµεγα entsteht in der griechischen Grammatik später, wohl erst byzantinisch: D. E. AUNE, Revelation (s. Anm. 21) 51, nach B. M. METZGER, Manuscripts of the Greek Bible. An Introduction to Palaeography, Oxford 21991, 6f. Anm. 13.

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das O des Gottesnamens.91 Die Leserinnen und Leser aus den Völkern dürfen so ein Wortspiel entdecken. Die Wendung ἐγώ εἰµι, „ich bin“92, eröffnet die Selbstpräsentation, wie sie es bei einer Gottheit erwarten (vgl. ἐγώ εἰµι in der Isisaretalogie Plut, Mor 26,9 = Is et Os 354C u. ö.), und enthält schon den ersten Buchstaben für die Anrufung des einen Gottes (das I). Dieser eine Gott ist – enthüllt er ihnen sodann – das Alpha und das O(mega), der erste und der letzte Buchstabe ihres griechischen Alphabets.93 Er umfasst die Sprache, in der sich Gedanken bilden, und die Zahlen, die das Rechnen erlauben (die Antike verwendete die Buchstaben auch als Zahlzeichen). Alles Denken, Reden und Rechnen vom alltäglichen bis zum religiösen Leben wurzeln in ihm und selbst Anfang und Ende der Zeit, sofern auch Zeit gezählt wird. Ein Teil der Handschriften fügt deshalb in 1,8 die Wendung ἀρχὴ καὶ τέλος (Anfang und Ende) hinzu. Sie wurde über Erasmus Teil des Textus receptus, ist aber nach heutigem Stand aus 22,13 nach 1,8 übertragen.

All das ist griechisch ausgedrückt und damit eine eindrückliche Bestätigung für den religionsgeschichtlichen Ort der Offb im kaiserzeitlichen Hellenismus, außerdem die älteste christliche Anspielung auf den Gottesnamen IAΩ 94 und das A und Ω der Buchstabenspekulation. Anscheinend hat die Offb wenig Berührungsängste zur Magie, die in Formeln gern das A (nicht ausgeschrieben) und Ω hervorhob (z. B. Abrasax AΩ; PGrM V,363; Vokaldreiecke mit Spitzen in Ω und A; PGrM V,82–90). Die Einbettung der Formel in einen größeren Zusammenhang und die Ausschreibung des Buchstabens Alpha genügen ihr zur Sicherung einer mehr als magischen Macht Gottes.

Beachten wir, dass 1,8 alle Vokale des IAΩ anspricht, ergibt sich zudem die Möglichkeit, ein christologisches Detail stärker als bisher zu würdigen: Bei der Übertragung des A und Ω auf Jesus in 22,13 lässt unser Autor das εἰµί aus.95 D. h. Gott ist IAΩ (εἰµι ἄλφα ὦ), und Jesus repräsentiert das. Auch er ist A und O für alles Denken; und doch trägt er nicht den Gottesnamen wie der Vater.

91

Die Auslegungen der Kommentare (je z. St.) berücksichtigen in der Regel das εἰµί nicht und übersehen damit diesen wichtigen Akzent. 92 Vgl. Gen 17,1; Ex 3,14; Jes 43,10 u. ö. 93 Ältere Forschung suchte gerne nach einer Ableitung über den ersten und letzten Buchstaben des hebräischen Alphabets, ‫( א‬aleph) und ‫( ת‬taw). Das scheiterte, da sich das Ω nicht als Umschrift für ‫ ת‬eignet (das bräuchte „T“; s. Ps 118,169 LXX). Auch die Faszination durch die Bezeichnung Gottes als „Wahrheit“, ‫אמת‬, mit dem ersten, mittleren und letzten Buchstaben des hebr. Alphabets ist nicht vor dem 3. Jh. belegt; MekhJ Ex 23,13b; BerR 81,2. 94 Der später im Christentum auch als Iaho gelesen wird: B. D. EERDMANS, The Name Jahu (OTS 5), Leiden 1948, 1–29. 95 ‫ א‬und A schreiben übereinstimmend ἐγὼ τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ. In C ist die Stelle nicht erhalten.

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Interessant ist zudem der Vergleich mit einer anderen Namenspekulation der Zeit. In der Orakelstätte von Delphi war an prominenter Stelle ein „E“ – im antiken Alphabet gelesen als „ei“96 und damit wie „du bist“ – angebracht, das zur Deutung herausforderte. Plutarch formuliert eine Reihe solcher Deutungen im erwähnten Dialog über das E von Delphi. Eine davon knüpft an die Seins-Aussage an (Kap. 20): Zwingend müsse man sagen „Gott ist“ (ἔστιν ὁ θεὸς χρὴ φάναι; Mor 393A). Der Zuruf „Du bist“ (εἶ) besage aber mit dem Namen Apolls verbunden noch mehr. Der Hauptname des Gottes, Apoll, nämlich drücke (zusammengesetzt aus dem Alpha privativum und „pol“, „viel“97) die Ablehnung jeder Vielheit aus, mithin „Du (der Gott98) bist eines“ (εἶ ἕν; 393B), und sein weiterer Name IHIOC (abgeleitet wahrscheinlich aus dem ιη ιε-Ruf des Paian) unterstreiche dies; Plutarch versteht den Namensbestandteil ἰός als „einer“ (393C). Apoll wird, kunstvoll begründet durch Buchstaben- und Namenspekulation, zum einen Gott schlechthin,99 und IHIOC Gegenüber zum IAΩ. Es wäre vermessen, dem Autor der Offb eine Kenntnis solcher Spekulationen über Apoll zuzuschreiben, auch wenn die Motive, die Plutarch aufnimmt, älter sind. Doch ganz ausschließen dürfen wir es nicht, und auf jeden Fall erfahren Leser und Leserinnen, die sie kannten, implizit: Der Name IAΩ ist IHIOC und dem Paian IHIE100 an Kraft der Vokale überlegen, da beide apollinische Äußerungen nicht vom Anfang zum Ende des Alphabets reichen. Der Gott, der aussagt „ich bin“, überragt den Apoll, dem in Delphi „Du bist“ zugerufen wird. Er allein ist einzig. Der Kontrast zu Apoll, den wir beobachteten, erhält eine markante Pointe.101

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H. OBSIEGER, Plutarch (s. Anm. 76) 21. Vgl. 388F (Kap. 9); H. OBSIEGER, Plutarch (s. Anm. 76) 205f. 98 Im Satz geht ein Δία voraus, sodass Zeustradition die Aussage erleichtert. 99 Vgl. H. OBSIEGER, Plutarch (s. Anm. 76) 34f.352f. 100 Der häufig belegt ist: Aristoph, Vesp 874 usw. 101 Ein weiterer Kontrast kommt hinzu, falls das Sator-Rotas-Palindrom, das unter anderem in Pompeji gefunden wurde, schon im 1. Jh. unter anderem so aufgelöst wurde, dass ein A und O entstand. Es ließ sich dann auf eine dritte Vatergottheit oder Saturn (Sator) beziehen (ein Bezug aufs christliche Vaterunser ergibt sich erst sekundär). Auch diese dritte Gottheit aber würde vom A und O des einen Gottes in den Schatten verwiesen. Vgl. U. ERNST, Carmen figuratum. Geschichte des Figurengedichts von den antiken Ursprüngen bis zum Ausgang des Mittelalters (Pictura et Poesis 1), Köln 1991, 429–49; H.-P. MATHYS, Das Astarte-Quadrat, Zürich 2008, 13–42 u. a. 97

Das Gottesbild der Offenbarung vor hellenistisch-frühkaiserzeitlichem Hintergrund 73

10. Der Pantokrator Gott ist – endet Offb 1,8 – ὁ παντοκράτωρ, „der Allherrscher“. Dieses Prädikat entstand im hellenistischen Judentum102 als Äquivalenz zu Jahwe Zebaot und El Schaddaj, zwei schwer verständlichen und durch das Prädikat keineswegs unmittelbar übersetzten Ausdrücken (Jahwe Zebaoth wäre eher „Herr der Heerscharen“; die Grundbedeutung von El Schaddaj ist nicht sicher zu klären). Wir haben also von vornherein eine Gräzisierung vor uns. Sie wurde dadurch erleichtert, dass das Adjektiv παγκρατής, „allherrschend“, griechisch als Gottesbeschreibung vertraut war (für Zeus z. B. in Aesch, Eum 918),103 das Nomen aber religiös vor unserer Zeit kaum verwendet wurde104 (ganz ohne außerjüdisch-außerchristliche Parallelen, wie früher behauptet wurde, ist es allerdings nicht)105. Das griechische Judentum benützte das Prädikat, um die überragende Macht Gottes (des Herrn der himmlischen Heerscharen) auszudrücken, und bezog durch eine ägyptische Sprachassoziation außerdem die Inhaberschaft des höchsten Gottesthrons ein.106 Die Offb bricht dem Prädikat im ersten

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Bes. gewichtig in der LXX-Übersetzung des Dodekapropheton (Am 3,13 usw.). Eine detaillierte Untersuchung der Verwendung von Pantokrator in der LXX liefert C. ZIMMERMANN, Die Namen des Vaters. Studien zu ausgewählten neutestamentlichen Gottesbezeichnungen vor ihrem frühjüdischen und paganen Sprachhorizont (AJEC 69), Leiden 2007, bes. 240–250. 103 Interessant könnte auch der Kult des Zeus Pankrates aus dem 4./3. Jh. v. Chr. sein; vgl. C. ZIMMERMANN, Namen (s. Anm. 102) 234. 104 Die Rekonstruktion in POxy 2164 ist fraglich. Nur ägyptische Belege beginnen vor der Offb (vgl. SEG VIII 548,1–3; C. ZIMMERMANN, Namen [s. Anm. 102] 236–238). Belege aus dem Umkreis um die Adressatenregion der Offb sind jünger als die Offb, nämlich 2./3. Jh. (Zeus als Pantokrator). Die Verteilung der Belege erklärt sich am einfachsten, wenn sich die Vorstellung im Judentum (etwas früher) und im nichtjüdischen Religionsraum (etwas später) strukturparallel, aber untereinander unabhängig entwickelte. 105 Zu den etwas jüngeren Belegen vgl. NDIEC 5 (1989) 144; W. BRASHEAR, Vier Berliner Zaubertexte. Nr. 1: Anrufung an Sarapis, in: ZPE 17 (1975) 25–27 (3.–4. Jh.; παντοκράτωρ in Z. 4 unvollständig erhalten, aber rekonstruierbar durch Vergleich mit PGrM XII, 250) und G. F. CHIAI, Allmächtige Götter und fromme Menschen im ländlichen Kleinasien der Kaiserzeit, in: Millennium 6 (2009) 61–106, hier 79f. (dort auch zur Anrufung „Kyrie Pantokrator“ in SEG L 1233 [3. Jh.], die jüdischer oder christlicher Herkunft sein kann). – Für diesen Hinweis danke ich M. Öhler, Wien. 106 Vgl. M. GÖRG, Art. Zebaot, in: NBL 3 (2001) 1174f.; R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen. Eine biblische Gotteslehre (Topoi Biblischer Theologie 1), Tübingen 2011, 160–180; S. KREUZER, Art. Zebaot, in: WiBiLex (2013) http://www. bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/-anzeigen/details/zebaoth3/ch/ab07f34890998b290138d1a26bdb7a92/ (abgerufen am 28.1.2014).

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Christentum Bahn;107 anders als Paulus und der Jakobusbrief (in diesem Fall eine bemerkenswerte Allianz) vermeidet sie die partielle Transkription κύριος σαβαώθ (Röm 9,29; Jak 5,4). Inhaltlich aktualisiert sie die Motive aus dem griechischen Judentum: Der eine Gott, der in seinem Namen alles umfasst,108 hat in ihr überwältigende Macht und Gewalt. Er nimmt diese Macht von seinem Thron aus wahr (deshalb die Pantokrator-Akklamation in der Szenerie des Thronsaals 4,8)109 und übt sie gegenüber allen Völkern aus (15,3 kombiniert die Prädikate des παντοκράτωρ und des βασιλεὺς τῶν ἐθνῶν). Die Vorliebe der Offb für unser Prädikat erklärt sich nicht zuletzt durch diesen Universalismus. So prägnant ist die griechische Ausdrucksweise, dass zu erwägen ist, ob die Offb einen Beiton belebt, der griechisch vom Adjektiv παγκρατής ausgeht. Dieses drückt häufig die Allmacht im Sinne des Alles-Erhaltens aus (ableitbar von der Hauptbedeutung des Verbs κρατεῖν mit akkusativischem Objekt),110 so in der berühmten Eröffnung des Zeushymnus von Kleanthes: „Gegrüßt seist du, [...] du ewig Allherrschend-Allerhaltender, Zeus, Fürst der Natur, der du mit Gesetz alles lenkst“ (Z. 1–3 im Auszug; [...] παγκρατὲς αἰεὶ, Ζεῦ φύσεως ἀρχηγέ, νόµου µετὰ πάντα κυβερνῶν, χαῖρε).111 Im Judentum verwendete der Aristeasbrief diese Nuance und verlangte, „des Gottes zu gedenken, der herrscht und bewahrt“ (µνηµονεύειν τοῦ κρατοῦντος θεοῦ καὶ συντηροῦντος; Arist 157); Gott äußert seine Macht in Bewahrung und Geschichte (παντοκράτωρ folgt in Arist 185).112 Religionsgeschichtlich wäre ein solcher Einfluss also gut denkbar.113

107 Die Offb enthält 9 der 10 neutestamentlichen Belege. Der zehnte, 2 Kor 6,18 lehnt sich an 2 Kön 7,8 an. Die paulinische Herkunft von 2 Kor 6,18, ist umstritten (C. ZIMMERMANN, Namen [s. Anm. 102] 257–259). 108 Das A und O steht in 1,8 vor „Pantokrator“. 109 Weitere Aspekte bei R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN, Gott (s. Anm. 106) 197– 199. 110 Vgl. H. HOMMEL, Pantokrator, in: ThViat 5 (1953/54) 322–378‚ wieder in DERS., Sebasmata. Studien zur antiken Religionsgeschichte und zum frühen Christentum, 2 Bde., Tübingen 1983–84, Bd.1, 131–177; C. ZIMMERMANN, Namen (s. Anm. 102) 235, weist etwas anders auf die Nuance κρατεῖν mit Akkusativ im Sinne von „erobern“, „das Eroberte behalten“ hin. 111 Da die Aussage auf das ewige Lenken des Zeus ausgelegt ist, ist in ihr die Erhaltung der primäre Aspekt in der universalen Herrschaft des Zeus. 112 Arist. 185 bezieht sich auf das geschichtliche Handeln Gottes: Πληρώσαι σε, βασιλεῦ, πάντων τῶν ἀγαθῶν ὧν ἔκτισεν ὁ παντοκράτωρ θεός. 113 Und das auch, wenn wir auf Hommels Erwägungen stoischer Einflüsse im Prädikat und in Offb 1,8 verzichten (H. HOMMEL, Pantokrator [s. Anm. 111] 337–340 / Sebasmata [s. Anm. 111] 143–145); vgl. aber J. BAUKE-RUEGG, Die Allmacht Gottes. Systematischtheologische Erwägungen zwischen Metaphysik, Postmoderne und Poesie (TBT 96), Berlin 1998, 369–372.

Das Gottesbild der Offenbarung vor hellenistisch-frühkaiserzeitlichem Hintergrund 75

Dennoch zögert die Mehrheit der Forschung derzeit, den Aspekt der Erhaltung im Pantokratorverständnis der Offb groß zu schreiben; zu sehr scheint der Text auf das rasche Ende der Zeit und Geschichte und Kritik an den irdischen Herrschern angelegt, die im römischen Kaisertum die Macht eines Autokrators beanspruchen.114 Andererseits schließt das rasche Ende nicht aus, dessen zu gedenken, dass Gottes Wege auch in der Zeit gerecht und wahr sind (so Offb 15,3, gelesen vor dem Hintergrund von Dtn 32,4 und Ps 145,17). Berücksichtigen wir das, liegt der Hauptton von παντοκράτωρ in der Offb bei der Herrschaft Gottes,115 einer Herrschaft über Juden und Völker (ableitbar von κρατεῖν mit Genitiv; die Vulgata übersetzt in 1,4 usw. semantisch bewusst omnipotens). Aber wir dürfen den Nebenton, Gott erhalte vor dem Ende, was er schafft, nicht ganz ausklammern (lateinisch wäre das der omnitenens).

11. Der ist und der war und der kommt Wenden wir uns zuletzt der bedeutendsten Gottesbezeichnung der Offb zu, dem Prädikat „der ist und der war und der kommt“ (ὁ ὢν καὶ ὁ ἦν καὶ ὁ ἐρχόµενος). Im Neuen Testament hat es keine Vorläufer.116 Unser Autor aber stellt es an den Anfang des Werkes (in 1,4 sowie die Mitte des besprochenen Verses 1,8). Danach wiederholt er es mehrfach in Varianten (ὁ ἦν καὶ ὁ ὢν καὶ ὁ ἐρχόµενος; 4,8; ὁ ὢν καὶ ὁ ἦν; 11,17; 16,5). Er ist sich des Rangs der Aussage bewusst und hebt sie hervor. Ex 3,14 MT

‫הִי ֙ם ֶאל־מ ֹ ֶ֔שׁ ה‬.‫ו ַ֤יּ ֹא ֶמר ֱא‬ ‫אֶ ֽ ְה ֶי֖ה ֲא ֶ ֣שׁ ר אֶ ֽ ְה ֶי֑ה‬ Neue Zürcher Bibel: Da sprach Gott zu Mose: Ich werde sein, der ich sein werde.

LXX καὶ εἶπεν ὁ θεὸς πρὸς Μωυσῆν ἐγώ εἰµι ὁ ὤν

Aquila, Theod.

Plato Tim. 27d

ἔσοµαι ‹ὃς› ἔσοµ[αι]

τὸ ὂν ἀεί

Ich werde sein, (der) ich sein w(erde)

das ewig Seiende

LXX.D (Übersetzung Roloff / Schaper / Weber): Da sagte Gott zu Mose: Ich bin der Seiende.

114 Zu diesem kritischen Akzent bes. C. ZIMMERMANN, Namen (s. Anm. 102) 238–240 (vgl. 252–254). 115 Vgl. M. BACHMANN, Göttliche Allmacht und theologische Vorsicht. Zu Rezeption, Funktion und Konnotationen des biblisch-frühchristlichen Gottesepithetons „pantokrator“ (SBS 188), Stuttgart 2002, bes. 19–21.189. 116 Selbst der Hebr verfährt vorsichtiger und wählt mit dem betonten ἔστιν in 11,6 allenfalls eine Anspielung auf Ex 3,14.

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Wieder gehört die Aussage vor hellenistischen Hintergrund. Das ergibt sich schon aus ihrem Ausgangspunkt beim ὁ ὤν aus der Septuaginta. Überdeuten wir freilich den dortigen Anfang nicht. Der griechische Übersetzer von Ex 3,14 fand einen hebräischen Relativsatz vor: ‫שׁר ֶא ְהי ֶה‬ ֶ ‫ ֲא‬und übertrug die Verbform in ein gnomisches Partizip Präsens (ὁ ὤν, der dauerhaft und schlechthin Seiende). Der Übersetzer verstand das aber nicht als im strengen Sinne ontologische (über das Sein nachdenkende) Aussage und Brückenschlag zur Philosophie. Die Philosophie nämlich dachte über das Sein abstrakt und nicht personal nach. Plato hatte deshalb in seiner berühmten Formulierung aus dem Timaios gut ein Jahrhundert vor unserem Übersetzer das abstrahierende Partizip Neutrum gewählt und über „das ewig Seiende“ (τὸ ὂν ἀεί) geschrieben. Alle personalen Aussagen hatte er in das dem untergeordnete metaphorische Feld verwiesen. Der Übersetzer des Exodusbuches ignorierte diesen Ansatz. Er dachte nicht platonisch, selbst wenn er platonische Tradition kannte, was ein Teil der Forschung erwägt.117 Die sogenannten jüngeren Übersetzungen der Stelle bilden die hebräische Syntax im Übrigen genauer ab und verstehen die hebräische Präformativform ingressiv: „ich werde sein, der ich sein werde“ (ἔσοµαι ὃς ἔσοµ[αι]: Aquila, Theodotion; ähnlich die meisten heutigen Übersetzungen des hebräischen Textes). Das verstärkt, sei es absichtlich oder unabsichtlich, die Differenz zum platonischen Partizip Präsens.

Die Differenz zur Philosophie blieb lange bestehen. Denn die Schriften der Septuaginta griffen die personale Formulierung des Exodusbuches auf. Die Übersetzung des Jeremiabuches (Jer 1,6; 4,10; 14,13; 39[32],17 ed. Ziegler vs. Rahlfs) verwendete ὁ ὤν ausschließlich in der Anrede, so dass es dort fast wie ein indeklinabler Eigenname wirkt. Der zweite Rezeptionstext, das wahrscheinlich unmittelbar vorneutestamentliche Weisheitsbuch, belegt den Akkusativ τὸν ὄντα (Weish 13,1), so dass wir nebenbei erfahren, dass ὁ ὤν syntaktisch noch nicht allgemein wie ein Eigenname erstarrt war.

Die Philosophie dagegen ging bis zum 1. Jh. anders Vorneutestamentliche Belege sind weniger verbreitet wegen der Schwierigkeit, im Begriff des ὄν material eines vor aller Materie Seienden zu unterscheiden.118 117

vom Neutrum ὄν aus. als erwartet, vielleicht Seiendes und die Idee Doch das Interesse im

Aus der umfangreichen Diskussion seien genannt: COLLECTIVE: Dieu et l’être. Exégèses d’Exode 3,14 et de Coran 20,11–24, Paris 1978 (darin A. CAQUOT, Les énigmes d'un hémistische biblique, 17–26, bes. 19–20 und Beiträge unter anderem von M. Harl); M. RÖSEL, Theo-Logie der griechischen Bibel. Zur Wiedergabe der Gottesaussagen im LXX-Pentateuch, in: VT 48 (1998) 49–62, 55f.; S. M. MCDONOUGH, YHWH (s. Anm. 2) 131–137 und die weitere bei A. LE BOULLUEC/P. SANDEVOIR, L’Exode (La Bible d’Alexandrie 2), Paris 1989, 92 z. St. sowie F. SIEGERT, Zwischen Hebräischer Bibel und Altem Testament. Eine Einführung in die Septuaginta (MJSt 9), Münster 2001, 253, genannte Lit. 118 Die Belege für die neutestamentliche Zeit gehören im Wesentlichen zur Stoa: vgl. bes. SVF II,117 Frg. 329 (Alexander von Aphrodisias) und schon weiterreflektiert Chry-

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1. Jh. ist nachgewiesen hoch. Philo prüfte erstmals, wie personale und ontologische Auffassung miteinander zu verbinden seien; er verwendet daher ὤν und ὄν, allerdings eher vielschichtig als in einem geschlossenen Konzept.119 Seneca wählte lateinisch zur Reflexion anders noch einmal ausschließlich das Neutrum (im Relativsatz quod est, weil das lateinische Partizip nicht eindeutig wäre), und nannte als ersten der nach Plato zu berücksichtigenden Aspekte, dass das abstrakt Seiende sich den Sinnen entziehe (ep. 58,11f.16–22).120 Angesichts der Verbreitung der Reflexionen um das ὤν und ὄν und ihrer Relevanz für das Gottesverständnis müssen wir damit rechnen, dass der Autor der Offb, der unseren Begriff so auffällig ins frühe Christentum einbringt, zumindest einzelnen Aspekten der Diskussion begegnet war (ohne dass er Plato, Seneca oder Philo gelesen haben musste). Er aber ignoriert das Neutrum, wählt das Maskulinum und verwendet es indeklinabel wie einen Eigennamen. Demnach ist Gott strikt „der Seiende“ und als Person, nicht als Abstraktum zu denken. Der Autor der Offb verhält sich traditionsbewusster und philosophiekritischer als Philo. Gleichwohl ist ein Punkt schön mit Philo zu vergleichen: Offb 1,8 verwendet zusammen mit ὁ ὢν κτλ. die Prädikate κύριος und θεός. Philo, Abr 121 versteht diese Prädikate explizit als eine Entfaltung der Bezeichnung „der Seiende“ (ὁ ὤν); θεός, „Gott“ drücke dessen schöpferische Kraft aus (weil θεός nach τιθέναι zu deuten wäre), κύριος, „Herr“ die königlich regierende (nach κρατεῖν). Beide Aspekte sind uns im Gottesverständnis der Offb begegnet. Daher ist zu erwägen, dass unser Autor die Akzente ähnlich setzt. Blicken wir ausnahmsweise außerdem in spätantike Zeit voraus. Eine Gemme aus dem Adressatenraum der Offb (Ephesus?), die als Amulett benützt wurde und 1912 in Smyrna in den Antikenhandel kam, ruft Adonai an, bei dem Myriaden von Engeln stehen, und nennt ihn am Höhepunkt (vor einer Zauberformel) ὁ ὢν γὰρ εἶ („der Seiende bist du“). Die Gemme ist jüdischer Herkunft (verso hebräisch), nicht genau datiert und verwendet das εἶ ähnlich zu 2 Kön 7,29.121 Interessanterweise wählt sie den Karneol als Material; wie die Offb ist der Träger / die Trägerin fasziniert vom edlen Stein der Umwelt. Und wie in der Offb entsteht stillschweigend ein Kontrast zum Gott von Delphi, den die Völker mit „Du bist“ grüßten, wie wir sahen. Spuren des Milieus, in dem die Offb entstand (auch die Angelologie etc.), setzen sich hier fort.122

sipp (nach Stobäus), SVF II,152 Frg. 471. (Weiteres und Lit. bei S. M. MCDONOUGH, YHWH [s. Anm. 2] 32–34.) Ciceros Skizze einer epikureischen Auseinandersetzung mit dem Timaios in Nat Deor 18.30–32 verzichtet auf den Begriff. 119 Z. B. so, dass der Seiende der Grund für den Unterschied zwischen Seiendem und Nichtseiendem ist: Philo, Vit Mos I 75. Vgl. Philo, Mut Nom 7–10.14; Poster C 167; Som I 230f. usw.; zur Diskussion bes. L. A. MONTES-PERAL, Akataleptos Theos. Der unfassbare Gott (ALGHJ 16), Leiden 1987, 4–74 und D. ZELLER, Studien zu Philo und Paulus (BBB 165), Göttingen 2011, bes. 24f. (je Lit.). 120 Vgl. S. M. MCDONOUGH, YHWH (s. Anm. 2) 34–36 (Lit.). 121 Εἶ ist dort Zusatz gegenüber dem MT; F. SIEGERT, Bibel (s. Anm. 117) 254. 122 Zu ᾧ µυριάδες ἀνγέλων (scl. ἀγγέλων) παρεστήκασιν (Vorderseite Z. 6f. des Amuletts) vgl. Offb 5,11. Zur Gemme s. J. KEIL, Ein rätselhaftes Amulett (WienerJ [JÖAI] 32),

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Das zweite Glied der Wendung, ὁ ἦν, ist grammatisch noch auffälliger. Denn es kombiniert den Artikel eines Nomen (Eigennamens) mit einer Präteritalform. So müssten wir genauer übersetzen „der ›es war‹“ (oder ›er war‹). Kennerinnen und Kenner der philosophischen Diskussion stutzen. Denn Plato hatte im Timaios die Diskussion darüber eröffnet, wie das ὄν sich zur Zeit verhalte, und formuliert, wir (menschlichen Gesprächspartner) würden ihm Zeitformen zumessen, unter anderem „das es war“ (τὸ ἦν), obwohl dem Seienden seiner Ewigkeit und seiner Überlegenheit über die Zeit wegen, allein die Aussage gebühre, es sei (37e–38a; dort τό τ’ ἦν, ἦν und τὸ δὲ ἦν). Im 1. Jh. spitzte Ammonios laut Plutarch die Position Platos zu und setzte das Sein aller Zeitlichkeit (der die Menschen unterworfen sind) entgegen (De E apud Delphos 19).123 Das ist philosophisch eine Konsequenz aus dem Abstraktum und dem Unterschied zwischen Sein und Seiendem, würde jedoch angewandt auf den biblischen Gott bedeuten, dass seine Transzendenz ihn von seinen Geschöpfen und ihrem Leben in der Zeit strikt trennt. Die Offb widersetzt sich dem und schreibt sogar den Gegensatz fest: Gott sei trotz seiner Transzendenz der Seiende gerade so, dass er sich in die Zeitlichkeit begebe. Die Personalität Gottes eröffnet nach unserem Autor eine theologisch und philosophisch hochrelevante Nähe des Gottes zur Geschichte, der als der Seiende Grundlage allen Seins ist. Ob unser Autor diesen Akzent bewusst als Korrektur an der Philosophie seiner Zeit setzte, mag offen bleiben (das auffällige ἦν legt dies freilich nahe). In jedem Fall entsteht umgekehrt eine intensive Berührung zu den personal gedachten Göttern der Völker. Denn sie wirken in die Zeit. „Ich bin alles, was geworden ist, ist und sein wird“, behauptet Isis von sich (Plut, Mor 26,9 [= 354C; Is et Os 9]), und Zeus preist eine etwas jüngerer Quelle: „Zeus war, Zeus ist, Zeus wird sein, o großer Zeus“ (Paus X,12,10: Ζεὺς ἦν, Ζεὺς ἔστιν, Ζεὺς ἔσσεται, ὦ µεγάλε Ζεῦ).124 Umso wichtiger ist die dritte Aussage der Wendung aus der Offb: Gott kommt, er ist ὁ ἐρχόµενος (statt des Futurs „er wird sein“ aus den Vergleichsstellen). Das ist durch Jes 41,4 LXX vorbereitet,125 aber so prägnant formuliert, dass wieder ein philosophischer Vergleich naheliegt. Aristoteles benützte nämlich das Präsens „er kommt“ in seiner berühmten Reflexion über die Zeit (Phys IV,10–14), um die Zeitstufen zu differenzieren. Jemand komme, heißt demnach, er sei schon unterwegs und unter der Perspektive des jetzigen

1940, 79–84; R. SCHWINDT, Das Weltbild des Epheserbriefes. Eine religionsgeschichtlichexegetische Studie (WUNT 148), Tübingen 2002, 304. 123 = Mor 392E–393A, Erwähnung des ἦν in 393A. Diskussion bei T. THUM, Dialog (s. Anm. 77) 290–296 und H. OBSIEGER, Plutarch (s. Anm. 76) 33f.333–344. 124 Weitere Quellen bei S. M. MCDONOUGH, YHWH (s. Anm. 2) 41–57. 125 Dort heißt es „ich Gott bin der erste und auf das Kommende zu bin ich“ (ἐγὼ θεὸς πρῶτος καὶ εἰς τὰ ἐπερχόµενα ἐγώ εἰµι).

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Eintreffens zu sehen. Nur das Futur „er wird kommen“ verweise auf die etwas spätere Zukunft (die Zukunft in unserem heutigen Sinn). Aristoteles (Phys IV,222a) formuliert also abweichend vom heutigen Zeitempfinden: ἥξει νῦν, ὅτι τήµερον ἥξει ἥκει νῦν, ὅτι ἦλθε τήµερον / „(das Futur) er wird jetzt kommen (besagt), dass er heute kommen wird; (das Präsens) er kommt (besagt,) dass er heute kam“. Das griechische Wort „er kommt“ umfasst das deutsche Wort „er ist gekommen“ mit.126

Nichts spricht dafür, dass der Offb-Autor diese Aristotelespassage kennt, denn er gebraucht das Verb ἔρχεσθαι, nicht ἥκειν. Doch die Beobachtung zur Tempusform oder besser zum Aspekt des Verbs ist allgemeingriechisch und daher zu beachten. Gott ist demzufolge in der Offb „der Kommende“ (Präsens), weil er nicht erst in Zukunft erscheint, sondern schon unterwegs ist und daher im Jetzt bei den Seinen eintrifft, wenn sie dies nur realisieren. Unsere Formel schafft damit das entscheidende Gegengewicht zur Transzendenz Gottes, die der Offb ansonsten so wichtig ist. Denn das Kommen Gottes sorgt nun entscheidend dafür, dass der transzendente Gott nicht so fern rückt wie das abstrakte Sein dem konkreten Seienden in der Philosophie und auch näher kommt als die griechisch-römischen Götter. Unser Autor formuliert eine höchst selbständige und höchst gewichtige Theologie und befindet sich auf der Höhe von Reflexionen seiner Zeit, selbst wenn wir offenlassen müssen, ob er philosophische Traditionen der Völker unmittelbar kennt und sich bewusst mit ihnen auseinandersetzt.

12. Fazit In einem großen Bogen beobachteten wir in unserem Beitrag Berührungen mit griechischen Traditionen über Zeus (Thronbild etc.), dann Kontroversen (mit dem Jupiter Roms, Apoll etc.), schließlich trotz der Konflikte wieder Berührungen (die Berücksichtigung des griechischen Namens IAΩ etc.) und am Ende eine höchst selbständige, trotzdem vorzüglich zur antiken Philosophie- und Theologiegeschichte korrelierbare Reflexion über den Gott, der ist, war und kommt. Fassen wir die entscheidenden Aspekte in fünf Punkten zusammen: 1. Situation: Das Gottesverständnis der Offb antwortet (wie wohl jeder theologische Entwurf) auf eine spezifische Situation. Zwei Entwicklungen muss der Autor bewältigen, zum einen die Zerstörung des Heiligtums in Jerusalem, die die Nähe des Gottes Israels sinnlich bekundet hatte, und zum anderen die Ausweitung der Verehrerschaft dieses Gottes auf alle Völker. Der Autor der Offb entscheidet sich daraufhin für eine bewusste 126 H. WAGNER, Aristoteles. Physikvorlesung, Darmstadt 1967, 120, überträgt ἥκει νῦν mit „er ist jetzt gekommen“.

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Universalisierung. Der eine Gott, ursprünglich der Gott der Väter Israels, wird zum Herrn über Israel und Völker. Universalisierende Prädikate – der „Allherrscher“ und „König der Völker“ – pflegt er. Partikularisierende Prädikate – der „Gott der Väter“ etc. – vermeidet er. Konkretion: Durch die Universalisierung begegnen sich die Vorstellungen über den einen Gott Israels und über die Götter der Völker. Die Antike ist gewohnt, in einem solchen Fall Äquivalenzen zu entdecken und zu schaffen. Unser Autor wagt es, dieser Struktur ein beträchtliches Stück zu folgen. In einer Fülle von Konkreta stellt er Beziehungen des Gottesbildes insbesondere zu Traditionen über Zeus her, angefangen beim Thron im Himmel und bis hin zur Begleitung durch den Adler und eine Gestalt des Sieges. Manchmal wird die Konkretion fast zu dicht (so in der Materialität des Thronenden 4,3). Doch fängt er das durch Abweichungen auf und federt es durch Überbietungen ab (trotz Materialität wird der eine Gott in 4,3 nicht selbst sichtbar; über Zeus hinaus hat er mehr Begleitwesen etc.). Die Konkreta konstituieren daher eine Religionsbegegnung ohne Verschmelzung der Götter. Abstraktion: Eine Religionsbegegnung verlangt gleichwohl, mehr das Nahe und Vergleichbare als das Trennende zu sehen. Deshalb abstrahiert unser Autor von manchen Zügen des Zeus (namentlich dessen aristokratischer Sozialität und Zeugungskraft), aber auch von einzelnen Traditionen Israels. Er legt alles Gewicht auf den himmlischen, transzendenten Gott, der von seinem Thron aus über Völker und Israel regiert, und stellt Traditionen, die für den irdischen Tempel wichtig gewesen wären, zurück (bis hin zum Verzicht darauf, im neuen Jerusalem einen Tempelbau, der den verlorenen Tempel Jerusalems erneuern würde, zu sehen). Diese Abstraktion erlaubt ihm am Ende, den Verlust des konkreten Tempels vor allem als Chance zu sehen. Denn der eine Gott wohnt nun nicht mehr in einem Bau, der irdisch verginge (wie nicht nur der Jerusalemer Tempel, sondern auch der Haupttempel Roms mehrfach verging), sondern ist im neuen Jerusalem, der Stadt der Vollendung, überall gegenwärtig und begegnet jedem von Angesicht zu Angesicht. Kontrast: Würde die Religionsbegegnung nur Nähe und Transzendenz herausstellen, würden sich Spezifika der eigenen Religion verlieren. Um dem zu entgehen, hebt unser Autor gegenläufig Kontraste hervor und vermeidet selbst naheliegende Äquivalenzen. Weil Zeus hört, verzichtet er darauf, das Hören des einen Gottes zu formulieren, und weil Jupiter als „Retter“ oder „Wächter / Beschützer“ gilt, vermeidet er letztere Prädikate, obwohl sie hervorragend ausdrücken würden, dass alle Rettung bei dem einen Gott steht. Der Kontrast verstärkt die Tendenz der Offb zur Transzendierung Gottes. Reflexion: Der ferne Gott, den unser Autor so transzendiert, ist nach der Überzeugung Israels und der ersten Christen gleichwohl nahe, eine Über-

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zeugung, die unser Autor teilt. Er stellt sich daher der Aufgabe, diese Spannung zu bewältigen, und wird neben einem Autor der Bilder zu einem Autor gedanklicher Impulse. In der Gestalt des Gottesnamens, den Griechen und Römer kennen, dem IAΩ, gewahrt er das Alpha und Omega, Anfang und Ende alles Rechnens, Sprechens und Überlegens. Das erlaubt, den Kontrast zwischen Nähe und Ferne im Wirken dieses einen Gottes zu verankern. Mehr noch, dieser eine Gott ist nach dem Wissen des griechischen Judentums der schlechthin Seiende. Es gibt daher kein Seiendes, das jenseits Gottes wäre, es gibt den Gang der Geschichte nur durch ihn und transzendente Ferne nur so, dass Gott selber sie durch sein Kommen aufhebt. Überschauen wir diese Gesichtspunkte, ist die Offb religions- und theologiegeschichtlich hochbedeutsam. Sie enthält bemerkenswerte bildliche und hohe reflektierte Theologie und stellt sich in beidem der Aufgabe, das Gottesverständnis Israels im großen Umbruch der frühchristlichen Zeit aktuell zu formulieren.

Der Menschensohngleiche als Gottes Richter und Gottes Krieger in Offb 1,9–20 Christologie zwischen Schriftrezeption, griechisch-römischer Vorstellungswelt und christlicher Deutung Michael Labahn 1. Einführung: Begründeter Zuspruch mitten im Alltag Das Portrait des Menschensohngleichen in Offb 1,9–20 ist an einem zentralen Kommunikationsort der Johannesoffenbarung platziert.1 Der Beginn der Visionen bildet in der Johannesoffenbarung die Schnittstelle zwischen Adressaten- und Textwelt und damit die entscheidende Verbindung zwischen Adressaten und Text. Wie Daria Pezzoli-Olgiati in ihrer wegweisenden Studie „Täuschung und Klarheit“ festgestellt hat, erfolgt in diesen Versen der „Übergang von der Welt des täglichen Lebens zu jener der Visionen“2. Die Vision verbindet die Alltagssituation des Sehers mit der Eröffnung der anderen, für das Verständnis der Johannesoffenbarung maßgeblichen Wirklichkeit, dem himmlischen Raum als Durchsetzungsmatrix der Herrschaft Gottes.3 An dieser Schnittstelle werden durch die Figur des Sehers und den an ihn ergehenden Schreibbefehl die Adressaten in ihrer bedrängenden Alltagswelt mit der Gestalt des erhöhten Christus verbunden. Programmatisch werden die Deutung der Adressatensituation und ihre Transformation in die Textwelt hinein mit ihrer Wirklichkeitskonstruktion verknüpft,4 um mittels der subver1 Zu den Kommunikationsebenen der Johannesoffenbarung vgl. S. A LKIER, Die Johannesapokalypse als ein zusammenhängendes und vollständiges Ganzes, in: M. Labahn/M. Karrer (Hrsg.), Die Johannesoffenbarung – Ihr Text und ihre Auslegung (ABG 38), Leipzig 2012, 147–171. 2 D. P EZZOLI-O LGIATI, Täuschung und Klarheit. Zur Wechselwirkung zwischen Vision und Geschichte in der Johannesoffenbarung (FRLANT 175), Göttingen 1997, 16. 3 Vgl. M. L ABAHN, Apokalyptische Geographie. Einführende Überlegungen zu einer Toponomie der Johannesoffenbarung, in: Ders./O. Lehtipuu (Hrsg.), Imagery in the Book of Revelation (CBET 60), Leuven 2011, 107–143, bes. 129–133. 4 Zur Wirklichkeitskonstruktion der Johannesoffenbarung vgl. z. B. M. L ABAHN, „Gefallen, gefallen ist Babylon die Große“. Die Johannesoffenbarung als subversive Erzählung, in: J. Elschenbroich/J. de Vries (Hrsg.), Worte der Weissagung. Studien zu

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siven Erzählform5 Sinn zu stiften und durch den brieflichen Rahmen6 die Adressaten für diese Sinndeutung einzunehmen. So wird die Figurenkonstellation der Vision vom Menschensohngleichen in die Entwicklung der Pragmatik der Johannesoffenbarung eingebunden. Die Einleitung zur Vision in Offb 1,9 bestimmt den Standort des Sehers in einer Bedrohungsgemeinschaft mit den Adressaten, indem der Seher sich vorbildlich in ὑποµονή (vgl. Offb 2,2.19; 3,10; 13,10; 14,12) bewährt.7 Offb 1,10a beschreibt eine durch den Geist gewirkte Entrückung des Sehers, die eine ganzheitliche Erfahrung mit Ortsveränderung einschließt.8 Dieses Erleben beansprucht Autorität, Authentizität und Gültigkeit bei seinen als „Mitgenossen“ angesprochenen Adressaten. Durch seine Entrückung gelangt der Seher dorthin, wo er den Menschensohngleichen inmitten der sieben Septuaginta und Johannesoffenbarung (ABG 47), Leipzig 2014, 319–341, bes. 323–326; D ERS., The Resurrection of the Followers of the Lamb: Between Heavenly ‚Reality‘ and Hope for the Future. The Concept of Resurrection within the Imagery of Death and Life in the Book of Revelation, in: G. Van Oyen/T. Shepherd (Hrsg.), Resurrection of the Dead: Bible Traditions in Dialogue (BEThL 249), Leuven 2012, 319–342, 319–323. 5 Vgl. M. L ABAHN, Babylon (s. Anm. 4) 319–341 (weitere Lit.: ebd. 330 Anm. 36). 6 Vgl. M. K ARRER, Die Johannesoffenbarung als Brief. Studien zu ihrem literarischen, historischen und theologischen Ort (FRLANT 140), Göttingen 1986. 7 Vgl. zur Interpretation B. K OWALSKI, Das Verhältnis von Theologie und Zeitgeschichte in den Sendschreiben der Johannes-Offenbarung, in: K. Backhaus (Hrsg.), Theologie als Vision. Studien zur Johannes-Offenbarung (SBS 191), Stuttgart 2001, 54– 76, 58: „Zunächst ist die erfahrene Lebenssituation des Johannes im Text greifbar; er schildert sie mit ἐν τῇ θλίψει καὶ βασιλείᾳ καὶ ὑποµονῇ (V. 9); dabei sind θλῖψις und βασιλεία zwei einander diametral entgegengesetzte Wirklichkeiten, die auf ihn zukommen und deren Spannung er aktiv mit ὑποµονή bewältigen kann.“ Zu Offb 1,9f. s. a. die Erwägungen von F. B OVON, John’s Self-presentation in Rev 1:9–10, in: D ERS., New Testament and Christian Apocrypha. Collected Studies II (Hrsg. G. E. Snyder, WUNT 237), Tübingen 2009, 91–97. – Die zeitgeschichtlichen Bezüge sind umstritten, wobei vor allem die Frage der äußeren und inneren Bedrückung unterschiedlich beurteilt wird (einen guten Überblick gibt M. M AYORDOMO, Gewalt in der Johannesoffenbarung als theologisches Problem, in: T. Schmeller/M. Ebner/R. Hoppe [Hrsg.], Die Offenbarung des Johannes. Kommunikation im Konflikt [QD 253], Freiburg i. Br. 2013, 107–136, 111f., der einen in Kleinasien entstehenden Assimilationsdruck als Primärhintergrund versteht: ebd. 114: „Die Gefahr für die christlichen Gemeinden ging in diesem Zusammenhang weniger von Rom direkt aus, sie entsprang eher dem Versuch der kultautonomen Städte Kleinasiens, durch freiwillige Intensivierung des Kaiserkults an Ansehen und Status vonseiten Roms zu gewinnen.“). M. E. stellt die Johannesoffenbarung eine narrative Konstruktion der Wirklichkeit dar, die vorhandene äußere Gefährdungen der christlichen Gemeinden in der Asia mit apokalyptischen Motiven verdichtet sowie innerchristliche Auseinandersetzungen als Identitätsgefährdung interpretiert. 8 Vgl. z. B. H. G IESEN, Die Offenbarung des Johannes (RNT), Regensburg 1997, 85; K. H UBER, Einer gleich einem Menschensohn. Die Christusvisionen in Offb 1,9–20 und Offb 14,14–20 und die Christologie der Johannesoffenbarung (NTA 51), Münster 2007, 104–107.

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Leuchter (vgl. Ex 25,31.37; Sach 4,2) sieht. Der erhöhte Christus stellt sich ihm als seh- und hörbare Figur vor und zwar so, dass er „ein Beispiel für die Tendenz der Johannesoffenbarung, Christus ganz nahe an Gott heranzurücken“9, wird. In dieser Weise kommunikations-technisch und sinnschärfend in die Gesamterzählung eingebettet, kommt dem Christusporträt von Offb 1,13–20 paradigmatische Bedeutung für die Christologie der Johannesoffenbarung zu. Nachdem Konrad Huber in verschiedenen Studien Wesentliches zum Verstehen von Offb 1,9–20 beigetragen hat,10 wird sich die folgende Interpretation auf die Schnittmenge zwischen Adressatensituation und Christusdarstellung am Beispiel des Menschensohngleichen mit seinen gottesbildlichen Einflüssen konzentrieren. Methodisch werden Elemente narrativer Exegese 11 mit intertextuellen und intratextuellen12 Analysen sowie Fragestellungen der Enzyklopädieforschung13 verbunden, um die Pragmatik des Christusbildes von Offb 1,9–20 als einer Schlüsselstelle für das Verhältnis von Theologie und Christologie der Johannesoffenbarung zu verstehen. Mit diesem methodischen Ansatz erweist sich Offb 1,9–20 als besonders bemerkenswert, da das Bild des erhöhten Christus in einem intertextuellen 9

H. L ICHTENBERGER, Die Apokalypse (ThKNT 23), Stuttgart 2014, 76. O. H OFIUS, Das Zeugnis der Johannesoffenbarung von der Gottheit Jesu Christi, in: H. Lichtenberger (Hrsg.), Geschichte – Tradition – Reflexion, Bd. III, Frühes Christentum (FS M. Hengel), Tübingen 1996, 511–528, 514, stellt pointiert heraus: „Der seinen Zeugen Johannes beauftragende Christus soll ohne Frage nicht in Analogie zu einem Engelfürsten, sondern in der Hoheit Gottes selbst gezeichnet sein.“ 10 Vgl. K. H UBER, Menschensohn (s. Anm. 8) 74–217; D ERS., Zweischneidiges Schwert, scharfe Sichel und blutgetränkter Mantel. Herausfordernde Züge in den Christusbildern der Johannesoffenbarung, in: B. Heininger (Hrsg.), Mächtige Bilder. Zeitund Wirkungsgeschichte der Johannesoffenbarung (SBS 225), Stuttgart 2011, 39–59, 42–45; D ERS., Jesus Christus – der Erste und der Letzte. Zur Christologie der Johannesapokalypse, in: J. Frey/J. A. Kelhoffer/F. Tóth (Hrsg.), Die Johannesapokalypse. Kontexte – Konzepte – Rezeption (WUNT 287), Tübingen 2012, 435–472, 451–455. S. a. D ERS., Aspekte der Apokalypse-Interpretation des Victorinus von Pettau am Beispiel der Christusvision in Offb 1, in: J. Verheyden/T. Nicklas (Hrsg.), Ancient Christian Interpretations of „Violent Texts“ in the Apocalypse (NTOA 92), Göttingen 2011, 94– 117. 11 Zur narrativen Christologie der Johannesoffenbarung schon M. E. B ORING, Narrative Christology in the Apocalypse, in: CBQ 54 (1992) 702–723. 12 Z. B. M. K LAUS, Intertextualität und ihre Funktionen in Hubert Fichtes Detlevs Imitationen „Grünspan“, Diss. Bielefeld 2006 (http://bieson.ub.uni-bielefeld.de/volltexte /2006/831/pdf/Diss_Klaus.pdf). 13 Vgl. die einführenden Bemerkungen bei S. A LKIER, „For Nothing will be Impossible with God“ (Luke 1:37). The Reality of „The Feeding of the Five Thousand“ (Luke 9:10–17) in the Universe of Discourse of Luke’s Gospel, in: Ders./A. Weissenrieder (Hrsg.), Miracles Revisited: New Testament Miracle Stories and Their Concepts of Reality (SBR), Berlin 2013, 5–22, 11f.

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und intratextuellen Mosaik aus Motiven Gottes bzw. antiker Götter oder gottgleicher Heroen gezeichnet wird und sich somit die Frage nach dem Verhältnis von Christologie und Theologie stellt. Der Christus, dessen Zeugnis die Adressaten zu bewahren haben (z. B. Offb 2–3; 12,17), bewegt sich in Gottes Machtraum, nimmt Teil an der Autorität Gottes als Richter und an Gottes Macht- und Lebensfülle, die den christlichen Gemeinden Trost und Schutz garantieren.14 Aus diesen Beobachtungen lässt sich die These ableiten, dass die hohe Christologie,15 die den erhöhten Christus Gott an die Seite stellt, ohne ihn zu Gott zu machen, eine Zusage Gottes in der Situation der bedrängten Gemeinden darstellt, die in der Hoffnung auf den gottnahen Christus zu geduldigem Ausharren bestärkt.

2. Der Menschensohngleiche behält das letzte Wort: Eine Einführung in die narrative Struktur der Szene 2.1 Aufbau und Übersetzung Nach dem einleitenden, der Autorisierung und „Leserführung“16 der Johannesoffenbarung dienenden Paratext (Offb 1,1–3)17 und dem brieflichen Rahmen (Offb 1,4–8)18 mit der Selbstvorstellung Gottes als alles entscheidender Hauptfigur der Erzählung (Offb 1,8) kommt die Figur zu Wort, der der einlei-

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Vgl. die Deutung von Offb 1,9–20 bei S. A LKIER, Johannesapokalypse (s. Anm. 1), 157–159, als „ein zusammenhängendes und vollständiges Ganzes“. 15 Zur Christologie der Johannesoffenbarung s. a. z. B. M.-E. H ERGHELEGIU, Siehe, er kommt mit den Wolken! Studien zur Christologie der Johannesoffenbarung (EHS.T 785), Frankfurt a. M. 2004; T. H OLTZ, Die Christologie der Apokalypse des Johannes (TU 85), Berlin 2 1971; K. H UBER, Jesus Christus (s. Anm. 10); M. K ARRER, Sprechende Bilder: Zur Christologie der Johannesapokalypse, in: J. Frey/J. Rohls (Hrsg.), Metaphorik und Christologie (TBT 120), Berlin 2003, 111–129; D. S ÄNGER, „Amen, komm, Herr Jesus!“ (Apk 22,20). Anmerkungen zur Christologie der Johannes-Apokalypse in kanonischer Perspektive, in: Ders., Von der Bestimmtheit des Anfangs. Studien zu Jesus, Paulus und zum frühchristlichen Schriftverständnis, Neukirchen-Vluyn 2007, 349–370; T. S ÖDING, Gott und das Lamm. Theozentrik und Christologie in der Johannesapokalypse, in: K. Backhaus (Hrsg.), Theologie (s. Anm. 7) 77–120. 16 D. S ÄNGER, „Amen, komm, Herr Jesus!“ (s. Anm. 15) 358. 17 Zur Funktion und Charakteristik eines Paratexts kurz J. Z UMSTEIN, Der Prolog, Schwelle zum vierten Evangelium, in: D ERS., Kreative Erinnerung. Relecture und Auslegung im Johannesevangelium (AThANT 84), Zürich 2004, 105–126, 114f. Formal erinnern Offb 1,1–3 an einen titulus: vgl. L. H ARTMAN, Form and Message. A Preliminary Discussion of „Partial texts“ in Revelation 1–3 and 22:6ff., in: D ERS., TextCentered New Testament Studies. Text-Theoretical Essays on Early Jewish and Early Christian Literature (Hrsg. D. Hellholm, WUNT 102), Tübingen 1997, 125–149. 18 Hierzu vgl. M. K ARRER, Johannesoffenbarung (s. Anm. 6) 108–136.

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tende Schreibbefehl (Offb 1,1) gilt: In Offb 1,9 beginnt die Ich-Erzählung des Offenbarungsempfängers Johannes. Die Einleitung in die Eingangsvision ist aufzugliedern zwischen der Situationsschilderung (Offb 1,9–10a) und dem eigentlichen Erleben des Sehers ἐν πνεύµατι. Offb 1,10a beschreibt durch die Wendung ἐγενόµην ἐν πνεύµατι eine ganzheitliche Erfahrung des Sehers, die in Audition und Vision besteht. Der Seher spricht von seinem Hören (V. 10b) und dem dadurch ausgelösten Bedürfnis zu sehen (V. 12). Dem Handeln entsprechend wird jeweils seine Wahrnehmung geschildert: zunächst ein Schreibbefehl (V. 11), danach das Sehen seines Sprechers samt seiner Umgebung (V. 12b–16). Diese Wahrnehmung führt zur Reaktion des Sehers (V. 17a: Niederfallen wie tot) und zu einer abschließenden (Selbst-)Offenbarung der gehörten und gesehenen Figur: καὶ ἔθηκεν τὴν δεξιὰν αὐτοῦ ἐπ᾽ ἐµὲ λέγων (V. 17b) mit dessen Selbstvorstellung und Deutung (V. 17b–20): (9) Ich, Johannes (Ἐγὼ Ἰωάννης), euer Bruder und Mitteilhaber an der Bedrängnis und am Reich und an der Geduld in Jesus war auf der Insel, die Patmos genannt wird, wegen des Wortes Gottes und wegen des Zeugnisses für Jesus. (10) Ich war (ἐγενόµην) im Geist am Herrentag. Und ich hörte (καὶ ἤκουσα) hinter mir eine gewaltige Stimme wie von einer Posaune: (11) Was du gesehen hast, schreibe in ein Buch und sende es den sieben Gemeinden: nach Ephesus und nach Smyrna und nach Pergamon und nach Thyatira und nach Sardes und nach Philadelphia und nach Laodizea! (12) Und ich wandte mich um (Καὶ ἐπέστρεψα), um die Stimme zu sehen (βλέπειν), die mit mir sprach, und als ich mich umgewandt hatte, sah ich (εἶδον) sieben goldene Leuchter (13) und inmitten der sieben Leuchter einen wie einen Menschensohn bekleidet mit einem Gewand und um die Brust umgürtet mit einem goldenen Gürtel. (14) Sein Haupt aber und seine Haare waren weiß wie weiße Wolle, leuchtend wie Schnee, und seine Augen wie eine Feuerflamme (15) und seine Füße wie glänzendes Kupfer, wie im Ofen glühend, und seine Stimme wie das Grollen vieler Wasser. (16) Und er hielt in seiner rechten Hand sieben Sterne, und aus seinem Mund ging ein zweischneidiges Schwert hervor, und sein Gesicht leuchtete wie die Sonne in ihrer Macht. (17) Und da ich ihn sah (Καὶ ὅτε εἶδον αὐτόν), fiel ich (ἔπεσα) zu seinen Füßen nieder wie tot.

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Michael Labahn Er aber legte seine Rechte auf mich und sprach: Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte (18) und der Lebendige (ἐγώ εἰµι ὁ πρῶτος καὶ ὁ ἔσχατος καὶ ὁ ζῶν), und ich war tot, doch, siehe, ich lebe bis in alle Ewigkeit und ich habe die Schlüssel zum Tod und zum Hades. (19) Schreibe nun, was du gesehen hast und was ist und was geschehen wird nach diesem. (20) Das Geheimnis der sieben Sterne, die du gesehen hast in meiner rechten (Hand), und der sieben goldenen Leuchter: die sieben Sterne sind die Engel der sieben Gemeinden, und die Leuchter sind die sieben Gemeinden.

Die Darstellung der Christusfigur steht in der Linie des mit-grüßenden „treuen Zeugen“ (vgl. Offb 1,5b: ὁ µάρτυς, ὁ πιστός)19 und des mit den Wolken kommenden Menschensohns (Offb 1,7). Mit dieser Klammer werden zugleich die soteriologischen Zusagen an die Adressaten des Schreibens (Offb 1,5b–6) in die Christusfigur hinein transponiert; sie wird zu einem pro-existenten Charakter, der für die Zusagen an die Adressaten einsteht. Zielpunkt der Christusvision sind zunächst die sieben Sendschreiben an die sieben Gemeinden in der Asia20 (Offb 1,20 → 2–3), die mit der Auftaktvision durch die jeweils verwendete christologische Motivik und die Anrede durch den Erhöhten eng verbunden sind.21 Der weitere Bezugsrahmen ist die Durchsetzung der Herrschaft und Macht Gottes, für die die Christusfigur steht. In Offb 4,1 wird der Seher noch einmal Zugang zum himmlischen Raum erhalten; dann geht der erzählte Lauf der Geschichte zu ihrem Ende hin, an dem der Satan als der „gefährliche Verlierer“ und seine Vasallen endgültig

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Vgl. J. B EUTLER, Die Hermeneutik der Apokalypse und ihrer Bildersprache angesichts ihrer fundamentalistischen Deutungen (BBB 167), Göttingen 2012, 53–67, 63, der Offb 1,9–20 im Horizont des Titels „wahrhaftiger Zeuge“ versteht. 20 Zu bedenken ist, dass die Sendschreiben zwar nicht unmittelbar die gesamten christlichen Gruppen ansprechen (anders H. G IESEN, Christlicher Glaube in Anfechtung und Bewährung. Zur zeit- und religionsgeschichtlichen Situation der kleinasiatischen Gemeinden im Spiegel der Johannesoffenbarung, in: B. Heininger [Hrsg.], Mächtige Bilder [s. Anm. 10] 9–38, 13: Der Seher hat „die gesamte Kirche im Blick“), aber doch eine grundlegende Orientierung zu geben beanspruchen: C. B ÖTTRICH, Das Böse hat nicht das letzte Wort. Neutestamentliche Perspektiven zur Überwindung des Bösen, ZNT 28 (2011) 24–32, 28: „Die Sendschreiben am Anfang (Offb 2–3) richten sich zunächst an die christlichen Gemeinden des westlichen Kleinasiens, wobei die Siebenzahl schon deren exemplarischen Charakter andeutet. Auf jeden Fall misst der Seher dem, was er niederschreibt, auch über die konkreten Adressaten hinaus Bedeutung für die gesamte Kirche seiner Zeit zu.“ 21 S. a. z. B. O. C REMER, Das sagt der Sohn Gottes. Die Christologie der Sendschreiben der Johannesoffenbarung (WMANT 141), Neukirchen-Vluyn 2014, 21.

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besiegt sein werden22 und die Christusanhänger Zugang zu dem paradiesischen „Neuen Jerusalem“ erlangen. Wieder ist es eine Christusfigur, das Lamm, das die Herrschaftsdurchsetzung Gottes durch das Nehmen und Erbrechen der Siegel vorantreibt (Offb 5,6–6,1). 2.2 Die Figur des Sehers und der Menschensohngleiche – eine narrative Verhältnisbestimmung Der Seher ist die Figur, die die Alltagswelt als Welt der Bedrückung mit der Visionenwelt verbindet. Als Mitgenosse (ἀδελφὸς ὑµῶν καὶ κοινωνός) der Adressaten / Adressatinnen ist er für diese eine „Identifikationsfigur“ 23. Zugleich stellt ihn die Erzählung den Adressaten als autorisierter Deuter der von ihm beschriebenen Alltagswelt gegenüber.24 Er wird durch den Geist in den „Himmel“ als Raum des Gotteshandelns entrückt. Leicht könnte man den Eindruck gewinnen, in dieser von Verben in der ersten Person25 und dem starken Ἐγὼ Ἰωάννης (Offb 1,9a) beherrschten Szene sind der Erzähler Johannes und seine Wahrnehmung die entscheidende Figur und Handlung der Episode. Der himmlische Menschensohngleiche wäre nur Objekt der fremdartigen Mischung aus Hören und Sehen des Sehers (bes. Offb 1,12: βλέπειν τὴν φωνήν). Die erzählte Wahrnehmung des Sehers entwickelt ein anderes Bild. Das erste und letzte Wort hat der Gesehene und Gehörte selbst: V. 11 und V. 17b– 20. Stimmgewaltig (vgl. Offb 1,10b: ἤκουσα ὀπίσω µου φωνὴν µεγάλην ὡς σάλπιγγος) meldet sich der Menschensohngleiche zu Wort und stellt sich selbst in das Zentrum. Letzteres signalisiert von Anfang an (ab V. 12) die Partikel ὡς, die darüber Auskunft gibt, dass das Erzählte die gesehene Wirklichkeit nur näherungsweise wiederspiegeln kann, weil das Geschehen alle sprachlich-erzählerischen Mittel sprengt. Zudem ist das Wort des Sprechers auch durch eine Inklusion (Offb 1,11.19) in das Zentrum der Szene gerückt, die zugleich das eigentliche Interesse des Abschnitts markiert.

Die Autorität des erzählten Erzählers Johannes ist eine gewährte Auszeichnung (vgl. Offb 1,1–3), und dieses Verhältnis wird in der Begegnung mit dem Menschensohngleichen weiter entwickelt. Der Seher reagiert in dem autobiographischen Bericht auf die Begegnung mit dem erhöhten Christus. Die wah22

Vgl. M. L ABAHN, Teufelsgeschichten. Satan und seine Helfer in der Johannesapokalypse, in: ZNT 28 (2011) 33–42; ausführlicher: D ERS., The Dangerous Loser: The Narrative and Rhetorical Function of the Devil as Character in the Book of Revelation, in: I. Fröhlich/E. Koskenniemi (Hrsg.), Evil and the Devil (LNTS 481 = ESCO), London 2013, 156–179. 23 M. M AYORDOMO, Gewalt (s. Anm. 7) 124. 24 S. a. M. L ABAHN, Babylon (s. Anm. 5) 328f. 25 Offb 1,9 ἐγενόµην – V. 10 ἐγενόµην – ἤκουσα – V. 12 ἐπέστρεψα – εἶδον – V. 17 εἶδον – ἔπεσα.

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re Relation der Figuren wird am Episodenende (Offb 1,17–20) deutlich. Der Seher reagiert auf das Gesehene so, wie es der Begegnung mit Gott entspricht:26 Der Wahrnehmende kann vor dem eindrücklich Wahrgenommenen nur niederfallen und so signalisieren, dass er einer transzendenten Gestalt begegnet ist (V. 17a).27 Ez 1,28 berichtet vom Niederfallen als Reaktion auf die Begegnung mit dem Transzendenten angesichts seiner Herrlichkeit und seiner Anrede.28 Die Beschreibung des Niederfallens als ὡς νεκρός!appelliert an die Kenntnis der Konsequenzen, die die Begegnung Sterblicher mit der Transzendenz haben kann (vgl. z. B. Gen 23,31; Ex 33,20; Ri 6,22f.; Jes 6,5; 1 Hen 14,14.24). Sprachlich und inhaltlich ist vor allem der Einfluss von Dan 10,9f. erkennbar (s. a. Dan 8,17f.).29 Der Zustand der Todesstarre wird durch das wörtlich zu verstehende Eingreifen des Gottesboten (Dan 8,18: καὶ ἁψάµενός µου ἤγειρέ µε ἐπὶ τοῦ τόπου [vgl. Ez 2,1f.]; s. a. Dan 10,10) aufgelöst.

Der Menschensohngleiche wird nunmehr selbst aktiv und rettet den IchErzähler aus seiner Not. Ähnlich wie Jahwe sich in Jes 48,12 vorstellt (ἐγώ εἰµι πρῶτος καὶ ἐγώ εἰµι εἰς τὸν αἰῶνα), offenbart sich der Gesehene durch sein „Ego Eimi“. Zuvor berührt der Menschensohngleiche den Seher (ἔθηκεν τὴν δεξιὰν αὐτοῦ ἐπ᾽ ἐµέ) und gibt ihm verbunden mit der Formel µὴ φοβοῦ sein Leben zurück. Die Wendung µὴ φοβοῦ (Offb 1,17a) gehört zum Inventar atl Theophaniegeschichten, hat jedoch ihren Einzug in die Jesustradition genommen, wo vor allem die Verwendung in der Verherrlichungsepisode von interessanter Parallelität ist (Mt 17,7). Sie bezeichnet bereits den irdischen Jesus in seiner von Gott herkommenden Macht (vgl. Mk 5,36 par; Mt 14,30; Lk 5,10).

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Das Niederfallen entspräche auch einer Proskynese, wie sie vor einem hellenistischen Herrscher oder dem Kaiser etwa durch seine Vasallen erfolgt und durch Zeichen der herrscherlichen Milde begleitet sein kann (vgl. die Zuwendung des erhöhten Christus zum Seher): zur Proskynese vgl. J. W IESEHÖFER, Art. Proskynesis, in: DNP 10 (2001) 443f., und ausführlich T. W ITULSKI, Jesus und der Kaiser. Das Ritual der Proskynesis, in: G. Van Belle/J. Verheyden (Hrsg.), Christ and the Emperor. The Gospel Evidence (BTS 20), Leuven 2014, 101–146, bes. 102–120. 27 Der Akt des Niederfallens ist Akt der Akklamation, wie sie auch hellenistische Leser aus der Begegnung mit Göttern und mit göttlichen Qualitäten ausgestatteten Menschen kennen: vgl. die zusammenfassende Darstellung bei A. J. C LARK, Divine Qualities. Cult and Community in Republican Rome (OCM), Oxford 2007, 270–275. 28 Zur Nähe von Ez 1,28 und Offb 1,17 vgl. B. K OWALSKI, Die Rezeption des Propheten Ezechiel in der Offenbarung des Johannes (SBB 52), Stuttgart 2004, 92f. 29 Dan LXX 10,9f.12: καὶ οὐκ ἤκουσα τὴν φωνὴν λαλιᾶς αὐτοῦ ἐγὼ ἤµην πεπτωκὼς ἐπὶ πρόσωπόν µου ἐπὶ τὴν γῆν 10 καὶ ἰδοὺ χεῖρα προσήγαγέ µοι καὶ ἤγειρέ µε ἐπὶ τῶν γονάτων (Und siehe, er führte seine Hand zu mir heran und richtete mich auf den Knien auf; LXX-D) ἐπὶ τὰ ἴχνη τῶν ποδῶν µου … 12 καὶ εἶπεν πρός µε µὴ φοβοῦ …; vgl. G. K. B EALE, The Book of Revelation. A Commentary on the Greek Text (NIGTC), Grand Rapids 1999, 213.

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Offb 1,17–20 lassen den gesehenen und gehörten Menschensohngleichen zum eigentlichen Handlungsträger der Episode werden, dessen Handeln damit zugleich Einfluss gewinnt auf die Situation, aus der der Erzähler stammt, und damit auf die Adressaten selbst. Diese Relation verstärkt der Schreibbefehl des Stimmgewaltigen, das Gesehene den sieben Gemeinden in der Asia kundzutun (V. 11; vgl. Offb 1,4a: Ἰωάννης ταῖς ἑπτὰ ἐκκλησίαις ταῖς ἐν τῇ Ἀσίᾳ). Die Replik des Schreibbefehls in V. 19 identifiziert den Raum, in dem der Menschensohngleiche dargestellt wird: Die sieben Sterne sind die Engel der sieben Gemeinden, und die Leuchter sind die sieben Gemeinden (V. 20). Auch wenn der Menschensohngleiche der Zentralcharakter der Szene ist, geht es in ihr um die Gemeinden in der Asia, die Kenntnis und Neuinterpretation ihrer Widerfahrnisse und das Wissen, auf wen sie sich in dieser Gefährdung verlassen können.30 Der Menschensohngleiche wird als ihr Leitbild und ihnen Heil gewährender Herr eingeführt.31 2.3 Der Menschensohngleiche und die Menschen im Alltag der Bedrängnis Das pro-aktive Handeln des Menschensohngleichen gegenüber dem Seher an dieser zentralen Schnittstelle ist nicht auf die Vision zu beschränken, sondern gilt dem Seher und seinen Adressaten in ihrer Situation der Bedrängnis. 32 Dies unterstreichen die Stellung der Vision im Gesamtkontext und die Interaktion der beiden Figuren des Sehers und des Menschensohngleichen. Damit ist ein Deutungssignal für die christologische Darstellung gegeben. Der erhöhte Christus ist zugunsten der Adressaten des Werkes eingeführt, dessen Existenz sich seinem Schreibbefehl verdankt. Die Macht, Stärke und Lebensfülle des Menschensohngleichen kontrastieren die Machtlosigkeit seiner Nachfolger und Nachfolgerinnen in Bedrängnis, um sie zugleich des Königtums Gottes zu versichern, durch das sie zu Geduld ermächtigt werden (Offb 1,9).

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A. S ATAKE, Die Offenbarung des Johannes (KEK 16), Göttingen 2008, 144, betont die Schutzfunktion dieser Handlung. 31 S. a. T. H OLTZ, Christologie (s. Anm. 15) 109, fasst das Christusbild von 1,13–20 zusammen: „Offenbarung des Herrn der Gemeinde“. 32 Die Annahme, dass diese Zuwendung schon den Christen in der Asia bzw. den Adressaten der Sendschreiben gilt, wie es S. A LKIER, Johannesapokalypse (s. Anm. 1), formuliert („Der jeweiligen Selbstvorstellung des auferweckten und erhöhten Gekreuzigten in den einzelnen Briefen ist dessen Selbstvorstellung in der Vision des Johannes vorangestellt, die Johannes im einleitenden Brief allen angeschriebenen Gemeinden mitteilt [1,17b f.]: ‚Fürchte dich nicht. …‘“), wird dem exemplarischen Charakter des Johannes als συγκοινωνός (1,9) m. E. durchaus gerecht.

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3. Das Wort im Bild – Christusbild als Gottesbild (Offb 1,13–16) Im Zentrum der Episode steht die Darstellung des menschensohngleichen Christus, der mit Heinz Giesen als „eine über alle Maßen herausragende Gestalt“33 beschrieben wird. Die Deutung dieses Bildes muss eine Vertiefung wagen, die den Webteppich der intratextuellen wie intertextuellen Verknüpfungen der Christusfigur bedenkt: (1.) Intratextuell gehört die Darstellung des Menschensohngleichen in einen Kommunikationszusammenhang mit den Adressaten (aufgebaut in Offb 1,4–8 und V. 9). Zugleich ist die Christusvision in einen Zusammenhang mit den christologischen Figuren der Johannesoffenbarung (insbesondere dem Lamm in Offb 5, dem Reiter des weißen Pferdes in Offb 19,11–21) und den christologischen Prädikaten der Sendschreiben eingewebt. (2.) Intertextuell sind die Aufnahmen (a.) von Schriftbezügen und (b.) von Bildmotiven aus der Umwelt mit Kaiserideologie und Götter- / Heroenverehrung zu beachten. a) Gewand und Gürtel als (hohe-)priesterliche Insignien (Offb 1,13b) Wie der Kameralauf in einem Film entfaltet sich die Szene vor den Augen des Sehers. Ausgelöst durch den Klang der Stimme des Menschensohngleichen wendet sich der Seher um und berichtet, was er sieht. Zunächst blickt er auf sieben Leuchter,34 die durch ihren Lichtschein das Eigentliche, die zentrale Figur, beleuchten. Inmitten der Leuchter, die später (V. 20) als Repräsentanten der Adressaten ihr Schicksal und ihr Verhalten in der Bedrängnis in dem himmlischen Raum abbilden, steht der Menschensohngleiche szenisch im Mittelpunkt. An der Gestalt fallen zunächst sein Gewand (ἐνδεδυµένον ποδήρη) und sein um die Brust gelegter goldener Gürtel (ζώνην χρυσᾶν) auf. Die Bedeutung der Kleidung erschließt sich intratextuell gelenkt durch die Bezeichnung der Adressaten als βασιλείαν und als ἱερεῖς τῷ θεῷ (Offb 1,6a); es ist an das priesterliche Gewand (Ex 28,4.27; 29,5; Lxx39,8[9]; Weish 18,24) zu den-

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H. G IESEN, Offenbarung (s. Anm. 8) 88, zu Offb 1,13. Zu ihrem Hintergrund: K. H UBER, Menschensohn (s. Anm. 10) 122: Sach 4,1–14; aus diesem Hintergrund erschließt er die Geistbegabung der Gemeinde, die auch eine Aufgabe beinhaltet, denn sie soll „durch ihr prophetisches Glaubenszeugnis diesen Geist auch für alle Welt sichtbar machen“ (ebd. 123). 34

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ken.35 Diese Deutungslinie setzt sich beim Gürtel fort, dessen hohe Trageposition auf den Hohepriester (vgl. Jos, Ant III 153) und dessen Material auf den König (1 Makk 10,89) verweist.36 Neben dem Einfluss der griechischen Textform 37 von Ez 9,1138 können Quereinflüsse durch Dan 10,5 erkannt werden. Die Gestalt des Gottesboten wird in Leinen bekleidet (ἐνδεδυµένος) und (LXX: seine Hüfte) umgürtet (περιεζωσµένoς) dargestellt, wobei auch dieser Gürtel aus Gold (χρυσί) ist. Die sprachlichen Parallelen verstärken den Bezug auf eine himmlische Gestalt, auch wenn sie LXX als ἄνθρωπος und Thdt als ἀνήρ bezeichnen.

Die Bedeutung des Erhöhten für seine treuen Anhänger wird anschaubar. Intratextuelle Referenzen und Schrifterinnerungen ergänzen sich zu dem Gesamtbild vom pro-existenten himmlischen (Hohen-)Priester.

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Das in der LXX seltene und dort als Kleidung des Hohenpriesters verwendete ποδήρη nimmt eine Schlüsselfunktion in dieser Interpretation ein; in Ex 25,6 gehört es zu den eingeforderten Abgaben der Israeliten für das Heiligtum. Vgl. zum Referenzbereich und zur Deutung von Offb 1,13b: C. W OLFF, Die Gemeinde des Christus in der Apokalypse, in: NTS 27 (1980/81) 186–197, 189, der betont, dass deutlich wird, „wie Johannes das Herrscher- und Priestersein der Glaubenden versteht, eben als Anteilhabe am hohenpriesterlichen Sein Christi, wobei der Akzent auf der von Gott verliehenen und auf Gott ausgerichteten Herrscherwürde des Hohenpriesters liegt“. S. a. z. B. M. E. B ORING, Revelation (Interpretation), Louisville 1989, 83; E. L OHMEYER, Die Offenbarung des Johannes (HNT 16), Tübingen 2 1953, 17; E. L OHSE, Die Offenbarung des Johannes (NTD 11), Göttingen 8 1993, 20; U. B. M ÜLLER, Die Offenbarung des Johannes (ÖTBK 19), Gütersloh/Würzburg 1984, 84. Dass die Kleidung lediglich ein „supernatural figure, comparable to Daniel’s angel and to the angels of Revelation 15“ beschreibe, unterschätzt das Motivprogramm; gegen F. J. M URPHY, Fallen is Babylon. The Revelation to John (The New Testament in Context), Harrisburg 1998, 90. 36 E. P ETERSON, Offenbarung des Johannes und politisch-theologische Texte (Hrsg. B. Nichtweiß/W. Löser, Ausgewählte Schriften 4), Würzburg 2004, 30: „Der Menschensohn-Ähnliche trägt ein Schleppgewand wie der Hohepriester der Juden, auch die hohe Gürtung weist auf priesterliche Gürtungsweise hin, während der goldene Gürtel dem König gebührt. Es ist wahrscheinlich, dass der Menschensohn-Ähnliche als Priester und König gekleidet ist“; s. a. K. W ENGST, „Wie lange noch?“ Schreien nach Recht und Gerechtigkeit – eine Deutung der Apokalypse des Johannes, Stuttgart 2010, 114. Dagegen H. O MERZU, Gürtel/Gürtelung, in: H. Lichtenberger/G. S. Oegema (Hrsg.), Jüdische Schriften in ihrem antik-jüdischen und urchristlichen Kontext (JSHRZ. Studien 1), Gütersloh 2002, 140–143, 142f. 37 Die in Offb 1,13 aufgenommene Wendung καὶ ἐζωσµένος τῇ ζώνῃ ist eine ergänzende Übersetzung von ‫שׁ ר ַה ֶקּ ֶס ת ְבּ ָמ ְת נ ָיו‬ ֶ ‫ ֲא‬in MT. Doch schon ποδήρη, das fußlange, an die Priesterkleidung erinnernde Gewand ist weniger Übersetzung von ‫ ַה ַבּ ִדּ ים‬, denn Interpretation. Offb 1,13 setzt die Textform der LXX voraus. 38 Vgl. B. K OWALSKI, Rezeption (s. Anm. 28) 88.

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b) Haupt, Haare und Augen als Ausdruck göttlicher Macht (Offb 1,14) Die Danielrezeption von V. 1339 greift den Spruch vom bald kommenden Menschensohn in Offb 1,7 auf, so dass Dan 7 der grundlegende Referenzbereich für die Darstellung des Haupts und der Augen ist. Dan 7,9 bildet eine Art Palimpsest,40 das unter Verwendung eines weiteren Referenzverses, Dan 10,6, vom narrativen „setting“ der Johannesoffenbarung überschrieben wird. Der sprachliche Vergleich zeigt Übereinstimmung und Variation zu den Referenztexten. Die stärkste sprachliche Variation erfolgt gegen den Referenztext, insofern Haupt und Haare mit Wolle verglichen werden. Der Vergleich bezieht sich auf die leuchtend weiße Farbe der Haare.41 Die weiße Haupt- und Haarfarbe des Menschensohngleichen lässt sich aus der Kleidung des Thronenden (Gott!) im danielischen Referenztext (Dan 7,9) ableiten. So erklärt sich auch die Fortführung des Vergleichs der Haarfarbe mit dem Schnee. Die Beschreibung der Augen nimmt Dan 10,6 (eine Engelsgestalt) auf,42 wie die inhaltlichen Übereinstimmungen belegen.43 Giesen interpretiert das Bildprogramm funktionell und versteht die Darstellung der Augen als Hinweis auf das universale Gericht: „Das Bild besagt, daß seinem richtenden Auge nichts entgeht.“44

39 Dass Dan 7 zum grundlegenden Referenzbereich wird, ist durch die Bezeichnung des Erhöhten als ὅµοιον ὑιὸν ἀνθρώπου (1,13) bereits markiert. Zwar dient die Vergleichspartikel ὅµοιον primär der Wahrung der „Unanschaulichkeit“ apokalyptischer Vision, aber in 1,13–20 ist sie zugleich eine Referenzmarkierung, so dass nicht unmittelbar ein Christustitel übernommen, sondern ein Referenztext aufgenommen und aus ihm ein Christustitel (daher der grammatikalisch harte Akkusativ) neu gestaltet wird; gegen einen titularen Gebrauch ausdrücklich F. J. M URPHY, Babylon (s. Anm. 35) 89. 40 Zur Rezeptionsmethode eines Palimpsests vgl. H. T HYEN, Die Erzählung von den bethanischen Geschwistern (Joh 11,1–12,19) als „Palimpsest“ über synoptischen Texten, in: F. van Segbroeck u. a. (Hrsg.), The Four Gospels. 3Bde. (FS F. Neirynck) (BEThL 100), Leuven 1992, 2021–2050, 2021–2025. Im Hintergrund steht G. G ENETTE, Palimpsestes: La litérature au second degré, Paris 1982; dt.: Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe (Aesthetica, Edition Suhrkamp NF 683), Frankfurt a. M. 1993. 41 Der leuchtende Haarschopf kann an den Strahlenkranz in kaiserlichen Darstellungen erinnern, wodurch die Schriftrezeption ein Symbol römisch-kaiserlicher Macht überlagert und zugleich konterkariert. Die Einschmelzung des Rezeptionstextes Dan 7,9 schreibt dem Christus Gottes Macht zu; zugleich werden analoge Darstellungsprogramme entwertet bzw. wird ihnen eine wahrhaft mächtige und göttliche Figur entgegengestellt. 42 Vgl. z. B. A. S ATAKE, Offenbarung (s. Anm. 30) 143; bei H. G IESEN, Offenbarung (s. Anm. 8) 88, nur ein Referenzvers neben Dtn 4,24. 43 Drei der sieben Belege von φλόξ („Flamme“) im NT stehen in der Offb. Die zentrale Abweichung von φλόξ im Rezeptionsvers gegenüber dem λαµπάδες im Referenzvers ist durch den grundlegenden Einfluss von Dan 7,9 zu erklären, der die kreativ verwendete Basis für Offb 1,14 bildet (Palimpsest). 44 H. G IESEN, Offenbarung (s. Anm. 8) 88.

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Die aus Dan 10,6 entnommene Beschreibung der Augen entspricht der Darstellung antiker Götter.45 Besonders sind jedoch zwei Kaiserdarstellungen bei Suet, Aug 79,2 (über Augustus)46 und bei Stat, Silv I,1,99–104 (über eine Reiterstatue des Kaisers Domitian aus dem Jahr 91 n. Chr.) zu beachten.47 Die Beschreibung der „Augen wie eine Feuerflamme“ unterstützt vor diesem Hintergrund die göttliche Beschreibungslinie im Porträt des erhöhten Christus; es betont seine göttliche Macht48 auch in Konkurrenz zur Propaganda und zum Selbstverständnis irdischer Machthaber. Es entsteht ein Bild von dem Menschensohngleichen als einer leuchtenden Figur (Gürtel, Haar, Augen), die ein anschauliches und helles Zentrum für die Leuchter darstellt. Der himmlische Priester und machtvolle Christus glänzt inmitten seiner Gemeinden. Durch seine Zuwendung zu den Seinen ist er ihnen anders als der vergöttlichte Kaiser nah.49 45

Vgl. D. E. A UNE, Revelation (WBC 52 A,B,C), Dallas/Nashville 1997–1998, 95 mit ausführlichen Belegen – z. B.: Hom, Il III,397; XIII,474; XIX,366. 46 Suet, Aug 79,2: „Seine Augen waren hell und glänzend; er mochte gern, daß man in ihnen etwas von göttlicher Kraft fand (oculos habuit claros ac nitidos, quibus etiam existimari volebat inesse quiddam divini vigoris), und freute sich, wenn jemand, den er scharf anblickte, den Blick niederschlug.“ Zitiert nach Neuer Wettstein. Texte zum Neuen Testament aus Griechentum und Hellenismus. Band II/2. Texte zur Briefliteratur und zur Johannesapokalypse, hrsg. v. G. Strecker/U. Schnelle unter Mitarbeit von G. Seelig, Berlin 1996, 1467. 47 Stat, Silv I,1,99–104: „[99] Erfreue dich beständig an des Volkes und des erhabenen Senates [100] Geschenk! Apelles wäre begierig, eine Zeichnung von Dir auf seinen Wachstafeln festzuhalten, [101] und der Greis aus Athen hätte gewünscht, im neuen Tempel [102] des Eleischen Jupiters ein Bildnis von dir aufzustellen. Und das milde [103] Tarent würde dein Antlitz, das rauhe Rhodos deine Augen, die dem Funkeln der Sterne [104] gleichen (tua sidereas imitantia flammas / lumina), dem Phoebus vorziehen und ihn [im Vergleich mit dir] geringachten.“ Zitiert nach Neuer Wettstein II/2 (s. Anm. 46) 1466f. 48 A. S ATAKE, Offenbarung (s. Anm. 30) 143, bezieht die Darstellung der Augen „auf den kämpfenden Messias“. 49 M. K ARRER, Hellenistische und frühkaiserzeitliche Motive in der Johannesapokalypse, in: T. Schmeller/M. Ebner/R. Hoppe (Hrsg.), Offenbarung (s. Anm. 7) 32–73, 59, verweist darauf, dass der vergottete Kaiser Augustus mit den himmlischen Göttern zwischen den Sternen leuchtet. M. C LAUSS, Kaiser und Gott. Herrscherkult im Römischen Reich, Stuttgart 1999, 265–268, zeigt, dass römische Kaiser mit Sternen verglichen werden konnten und der vergöttlichte Kaiser zwischen den Sternen logiert; diese Attribute verweisen nach Clauss auf die Göttlichkeit des Kaisers. Besonders interessant für die astralen Bildelemente und das Leuchten des Menschensohngleichen ist der Hinweis auf Stat, Silv IV,1,3–4: „Und er (Germanicus = Domitian) geht auf mit der neuen Sonne, mit den gewaltigen Sternen, er selbst heller leuchtend und größer als der erste Morgenstern (atque oritur [Germanicus] cum sole novo, cum gradibus astris clarius ipse nitens et primo maior Eoo)“ (Übersetzung nach M. C LAUSS, Kaiser und Gott, 266). Für die Rezeption öffnet sich ein Horizont, der das Kaiserbild und das Christusbild in einen scharfen Kontrast stellt und zeigt, wie die Christusdarstellung vor dem Horizont der

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c) Metallene Füße als Ausdruck militärischer Macht (Offb 1,15a) Die Beine werden als ὅµοιοι χαλκολιβάνῳ beschrieben. Das Wort begegnet nur in Offb 1,15 und 2,8 und in hiervon abhängigen Stellen.50 Es setzt sich aus den Begriffen χαλκός (Bronze, Kupfer) und einem Wort, das an λίβανος („Weihrauch“) erinnert, zusammen.51 Χαλκός ist wieder auf dem Hintergrund von Dan 10,6 zu verstehen, wo allerdings χαλκὸς ἐξαστράπτων (LXX; „blitzendes Erz“) bzw. χαλκοῦ στίλβοντος (Thdt; „schimmerndes Erz“) zu lesen ist.

Offb 1,15a entwirft ein ähnliches Bild wie im Danielbuch, um die machtvolle, auch militärische Stärke seiner Figur zu unterstreichen.52 d) Göttliche Begleitmusik (Offb 1,15b) Der Vergleich der Stimme des Erhöhten mit Wassermassen ist eine weitere Inszenierung der Lautstärke der φωνὴ µεγάλη („gewaltigen Stimme“). Die verwendete Metapher von den Wassermassen ist verbreitet, wobei sich Ez 43,2 als Referenztext anbietet. Wie in Ez 43,2 die Rückkehr der göttlichen Herrlichkeit in das Heiligtum beschrieben wird,53 so dient der Laut in Offb 1,15b der Präsentation von Macht und Herrlichkeit des Menschsohngleichen, die am Motiv göttlicher Herrlichkeit partizipiert. e) Hand und Mund des Richters und Herrschers als Instrumente göttlicher Macht (Offb 1,16a–b) Die Insignien, die der Hand und dem Mund der machtvollen Gestalt zugeschrieben werden, sind wiederum intratextuell verwoben. Die sieben Sterne in den Händen wurden bereits als Mitgrüßende in Offb 1,4 genannt und werden in V. 20 als himmlische Repräsentanten der Gemeinden identifiziert (s. a. Offb 2,1). Diese Repräsentanten der irdischen Gemeinden werden durch die

römischen Herrscherdarstellung ebenfalls gottnah gelesen werden kann. Die Machtkategorien des Christusporträts fördern solche Rezeptionsansätze, ohne dass eine Abhängigkeit von konkreten Text- oder Bildinformationen behauptet werden muss. 50 A. S ATAKE, Offenbarung (s. Anm. 30) 143 mit Anm. 73. 51 H. G IESEN, Offenbarung (s. Anm. 8) 88. A. S ATAKE, Offenbarung (s. Anm. 30) 143 Anm. 73, denkt an nicht identifizierbares Metall bzw. Metalllegierung. 52 Der Kontext spricht gegen die Interpretation auf „moral purity“: zu G. K. B EALE, Revelation (s. Anm. 29) 209. 53 M. L ABAHN, Griechische Textformen in der Schriftrezeption der Johannesoffenbarung? Eine Problemanzeige zu Möglichkeiten und Grenzen ihrer Rekonstruktion anhand von Beispielen aus der Rezeption des Ezechielbuches, in: S. Kreuzer/M. Meiser/M. Sigismund (Hrsg.), Die Septuaginta. Entstehung, Sprache, Geschichte (WUNT 286), Tübingen 2012, 529–560, 541–543.

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rechte Hand des mächtigen Erhöhten getragen,54 wobei ἔχων in einem aktiven und machtvoll bewahrenden Sinn zu verstehen ist.55 Das Motiv der (erhobenen) rechten Hand ist Schriftrezeption, wo sie als Symbol sich aktiv durchsetzender Macht für Gottes Handeln gegen seine Feinde und zugunsten seiner Anhänger / seines Volkes steht.56 In Offb 5,1.7 gehört die Rechte zu den wenigen anthropomorphen Merkmalen des ansonsten spärlich beschriebenen thronenden Gottes – die Beschreibung des Menschensohngleichen als Träger der sieben Sterne rückt ihn nicht nur mittels der Intertextualität, sondern auch aufgrund der Intratextualität in die Macht- und Herrschaftsinszenierung Gottes hinein. Sieben Sterne begleiten in der römischen Münzprägung Kaiserporträts (oder Darstellungen von Mitgliedern der Kaiserfamilie).57 Sie verweisen auf die göttliche Macht des herrschenden Kaisers, der seinen Platz unter den Göttern haben wird.58 Ihnen vergleichbar hat der erhöhte Christus seinen Ort zwischen den sieben Leuchtern und hält dabei die sieben Sterne in der machtvollen Rechten – die andersartige Motivpräsentation transformiert das Motivprogramm der römischen Herrscherinszenierung,59 so dass der Christus als 54 S. a. T. H OLTZ, Die Offenbarung des Johannes. Hrsg. v. K.-W. Niebuhr (NTD 11), Göttingen 2008, 30. 55 Vgl. O. C REMER, Sohn Gottes (s. Anm. 21) 40–42, der die Wiederaufnahme des Motivs mit dem Verb κρατῶν gleichermaßen als „Schutz“ wie auch „den Aspekt des machtvollen Eingreifens Christi gegen seine Feinde und die seiner Gemeinde“ (ebd. 41) bedacht findet. Das Verbum ἔχων in 1,16a ist aufgrund seiner Kontextstellung nicht schwächer als das κρατῶν in 2,1, sondern liegt in dieser doppelten Linie des Erhaltens der Gemeinde. Cremer arbeitet zudem für 2,1 eine herrscherfeindliche Pointe heraus, die zwar nicht begrifflich, aber durch das Gesamtbild auch für 1,13–16 gilt. 56 Zum Motiv der „starken Hand und des ausgestreckten Arms“ im Rahmen der so genannten „Mächtigkeitsformel“ vgl. S. K REUZER, Die Mächtigkeitsformel im Deuteronomium. Gestaltung, Vorgeschichte und Entwicklung, in: ZNW 109 (1997) 188–207. 57 Zwei Beispiele mit der Darstellung von Kaiser Augustus und von Domitians Sohn als nackter Jupiter, der mit den Sternen spielt (zu dieser Münze: M. K ARRER, Motive [s. Anm. 49] 59f.), sind leicht zugänglich in O. C REMER, Sohn Gottes (s. Anm. 21) 248f. (s. a. ebd. 42f.). O. B ÖCHER, Jüdischer Sternglaube im Neuen Testament, in: D ERS., Kirche in Zeit und Endzeit. Aufsätze zur Offenbarung des Johannes, Neukirchen-Vluyn 1983, 13–27, 23, verweist auf Mithras. 58 Zum so genannten „Katasterismos“ des römischen Kaisers vgl. C. B ECHTOLD, Gott und Gestirn als Präsenzformen des toten Kaisers. Apotheose und Katasterismos in der politischen Kommunikation der römischen Kaiserzeit und ihre Anknüpfungspunkte im Hellenismus (Schriften zur politischen Kommunikation 9), Göttingen 2011. 59 E. L OHMEYER, Offenbarung (s. Anm. 35) 17f., deutet die Transformation, in der Christus „das Symbol der Weltherrschaft“ zugeschrieben wird, als „Polemik“. S. a. O. B ÖCHER, Israel und die Kirche in der Johannesapokalypse, in: D ERS., Kirche (s. Anm. 57) 28–57, 55: „Wenn der Herrscher Roms sich mit dem Sonnengott Mithras bzw. Sol Invictus identifizieren und mit dem Siebengestirn in der Rechten darstellen ließ, dann bekennt der Apokalyptiker durch die analoge Darstellung des erhöhten Christus

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der Stärkere sein Volk mit der Macht des wahren Gottes wie ein wahrhaft guter Herrscher erhält.60 Aus dem Mund des Menschensohngleichen ragt ein zweischneidiges Schwert heraus (vgl. Jes 49,2; s. a. 11,4), das in Offb 2,12.16 wieder aufgenommen wird. In Offb 2,16 droht das Schwert denen, die sich an die offensichtlich weltoffenere Lehre der Nikolaiten halten;61 aber in Offb 2,12 kann es auch als Garant des erhöhten Christus gelten, der seine Gemeinden in der tödlichen Bedrohung (Thron des Satans und Tod des Antipas) zur Seite steht.62 Für diese Interpretationslinie ist die Parallele in Offb 19,15 (καὶ ἐκ τοῦ στόµατος αὐτοῦ ἐκπορεύεται ῥοµφαία ὀξεῖα) und Offb 19,21 (… ἐν τῇ ῥοµφαίᾳ τοῦ καθηµένου ἐπὶ τοῦ ἵππου τῇ ἐξελθούσῃ ἐκ τοῦ στόµατος αὐτοῦ …) schlagend.63 Im Endkampf gegen die Feinde Gottes ist der Krieger Gottes die machtvolle Gestalt gegen die widergöttlichen Kräfte.64 Dieses anstößige Gewaltbild65 ermöglicht eine doppelte Interpretation der Figur des Menschensohngleichen. Der erhöhte Christus ist Richter und Krieger, der Gottes Herrschaft und Recht durchsetzt, und damit für die Seinen wie auch deren Feinde von entscheidender Bedeutung.

(Apk 1,16.20; 2,1), daß sein Weltherrscher und Helios Jesus heißt.“ Vgl. u. a. M. E. B ORING, Revelation (s. Anm. 35) 84. 60 Vgl. E. L OHMEYER, Offenbarung (s. Anm. 35) 18: „Schutz und Schirm“. 61 Vgl. K. H UBER, Schwert (s. Anm. 10) 45. Die Verwebung des Schwertmotivs lässt erkennen, dass die Schutz- und Gerichtsaspekte nicht auf die Pole der Gemeinde und ihrer Feinde zu verteilen sind, sondern von der Lehre des Sehers abweichende Gemeindeglieder zu Feinden werden können; zu A. S ATAKE, Offenbarung (s. Anm. 30) 144. 62 Vgl. O. C REMER, Sohn Gottes (s. Anm. 21) 86–88, der jedoch 1,16b zu einseitig positiv versteht. 63 K. H UBER, Menschensohn (s. Anm. 10) 163–166. 64 M. M AYORDOMO, Gewalt (s. Anm. 7) passim, analysiert die Gewaltbilder der Johannesoffenbarung und kann gleichermaßen das Gefahrenpotential aufzeigen wie auch nachweisen, dass diese Bilder in ihrer Kommunikationssituation begründet sind, die trotz aller Einseitigkeit in der „Erfahrung des Gekreuzigten und Auferstandenen“ gründet (ebd. 135; weitere Literatur zur Gewaltmetaphorik der Johannesoffenbarung: ebd. 108 Anm. 5). 65 Gerade von Offb 19,11–16 her, sollte das Bild von dem aus dem Mund des Christus hervorgehenden Schwertes (1,16) nicht vorschnell als das „Wort“ entschärft (z. B. D. L. B ARR, Tales of the End. A Narrative Commentary on the Book of Revelation, Santa Rosa 1998, 40; K. H UBER, Schwert [s. Anm. 10] 44; J. L. R ESSEGUIE, The Revelation of John. A Narrative Commentary, Grand Rapids 2009, 75), sondern bedacht werden, dass die Wirkung des Wortes durch die Schwert-Metapher bestimmt wird; vgl. M. M AYORDOMO, Gewalt (s. Anm. 7) 121. Anders das Bildprogramm in PsSal 17,35, wo die Völker durch das Wort aus dem Mund des Messias geschlagen werden.

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(1.) Als Richter spricht er (a) den Anhängern, die sich an seine Gebote halten, das Leben zu (vgl. den Überwinderspruch im Sendschreiben nach Pergamon), sanktioniert aber (b) gleichzeitig abweichendes christliches Verhalten.66 Die Rhetorik der Johannesoffenbarung nutzt also die Figur des Menschensohngleichen auch zur Verbreitung der eigenen rigoristischen Ethik, die jegliche Kompromisse mit der Umwelt und ihren religiösen wie politischen Repräsentationen ablehnt.67 (2.) Zugleich gehört diese Figur zu den Charakteren, die im plot der Johannesoffenbarung den göttlichen Heilsplan durchsetzen und zwar (a) gegen die Gegner durch ihre Zerstörung und (b) damit zugunsten der Anhänger und Anhängerinnen. f) Ein göttlich leuchtendes Gesicht (Offb 1,16c) Die Beschreibung kehrt zum Haupt des Recken und dessen Leuchten zurück (vgl. V. 14 mit den Augen und schneeweiß-leuchtenden Haupt und Haaren).68 Die Sonne als Vergleichsobjekt entspricht einem astralen Motivprogramm, wobei das Leuchten als Ausdruck von δύναµις gedeutet wird. Wieder ist das Danielbuch als Motivspender anzusehen (Dan 10,6).69 Entscheidend ist jedoch, dass das Leuchten die Macht der Gestalt visualisiert. Dass ὁ ἥλιος (mit Artikel!) eine direkte Anspielung auf die Gottheit Helios / Sol ist,70 ist angesichts der verschiedenen möglichen Bezugnahmen auf

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S. A LKIER, Johannesapokalypse (s. Anm. 1) 159, hebt die Richterfunktion des Menschensohngleichen in Offb 1,9–20 m. E. zu stark hervor; allerdings hat das richtende Element der göttlichen Charakterisierung des Menschensohngleichen mit Alkier eine bezogen auf die sieben Gemeinden externe wie interne Funktion. 67 Zum rhetorischen Programm der Johannesoffenbarung s. a. D. A. D ES ILVA, Seeing Things John’s Way. The Rhetoric of the Book of Revelation, Louisville 2009. 68 Z. B. P. P RIGENT, Commentary on the Apokalypse of St. John, Tübingen 2001, 140, der in Mt 17,2 (Verherrlichung Jesu) die engste narrative Parallele ausmacht. A. S ATAKE, Offenbarung (s. Anm. 30) 144, bezieht ὄψις αὐτοῦ umfassender auf das Aussehen des Erhöhten. 69 Vgl. z. B. C. R. K OESTER, Revelation (AYB), New Haven/London 2014, 247; anders A. S ATAKE, Offenbarung (s. Anm. 30) 144: Ri 5,31. 70 Nach M. K ARRER, Apoll und die apokalyptischen Reiter, in: M. Labahn/M. Karrer (Hrsg.), Johannesoffenbarung (s. Anm. 1) 227, liegt „ein bewusstes Spiel mit dem Namen des Sonnengottes vor. Christus trägt – besagt es – den Glanz des himmlischen Gottes, des Helios-Sol, wie der Apoll der Völker und entmachtet die katachthonischen Götter.“ M. K ARRER, Motive (s. Anm. 49) 59f., sieht auch das Raumkonzept mit den

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Helios / Sol in der Offb (s. a. 10,1.5f.; 12,1) denkbar. Der Begriff ὁ ἥλιος eröffnet einen den Gott Helios betreffenden Rezeptionsbereich, dessen Ausschöpfung bei kleinasiatischen Rezipienten erwartet werden kann. Die römische Gottheit Sol wächst in der römischen Kaiserpropaganda des 1. Jh. n. Chr. in die Rolle einer besonderen Schutzgottheit für den Kaiser hinein.71 Mehr noch, Kaiser Caligula selbst schlüpft offenbar in die Rolle des Sonnengottes: „Da die neue Sonne, Gaius Caesar Augustus Germanicus, mit ihren Strahlen auch die Königreiche, die der kaiserlichen Herrschaft untertan sind, erleuchten wollte, damit der Glanz ihrer Unsterblichkeit noch mehr Verehrung erheischt, (Z. 5) setzte er die Kinder des Kotys, Rhömetalkes, Polemon und Kotys, seine Jugendgespielen, in die ihnen seit ihren Vätern und Vorfahren zustehenden Königreiche ein, ohne daß die Könige in der Lage waren, entsprechenden Dank für die Wohltaten eines solchen Gottes zu finden, auch wenn sie es beabsichtigten.“72

Auch wenn die Referenz auf die Sonne in atl-jüdischer Tradition durch das Sonnenleuchten vorbereitet ist,73 ist das aufgerufene Bildprogramm des Sehers erneut sowohl auf dem Hintergrund griechisch-römischer Religiosität und der Herrscherpropaganda als auch im Kontext der biblischen Vorstellungswelt zu verstehen. Der Hinweis auf das Sonnenleuchten des Gesichts unterstreicht die (göttliche) Macht der dargestellten Figur und zugleich entsteht ein Gegenbild zum Anspruch besonderer göttlicher Nähe in der Kaiserinszenierung. g) Zusammenfassung Die Figur des erhöhten Christus ist als machtvolle Erscheinung abgebildet, die antike Götter oder Kaiserdarstellungen überbietet. Die Schriftrezeption lässt erkennen, wie dies geschieht. Der menschensohngleiche, erhöhte Chris-

sieben Leuchtern als „gegenbildlich(e)“ Überbietung der goldenen Strahlen auf dem Haupt des Gottes (ebd. 59). 71 So lässt Vespasian die Kolossalstatue des Nero in Sol umarbeiten und richtet mit der Einweihung der Statue 75 n. Chr. den Sonnengottkult ein, der als Garant des mit der Herrschaft der Flavier verbundenen goldenen Zeitalters steht (zur Kolossalstatue des Nero vgl. U. S INN, Einführung in die klassische Archäologie [C. H. Beck Studium], München 2000, 149–154; zur Umarbeitung der Statue: ebd. 150f.): Plin (dÄ), Hist Nat 34,45; Suet, Vespasian 18; Dio C, Hist 65,15,1. Die Statue dürfte schon beim Bau unter Nero den Strahlenkranz als Hinweis auf den Sonnengott getragen haben. 72 Syll.3 798 = IGRR IV 145. Übers. H. F REIS, Historische Inschriften zur römischen Kaiserzeit (TzF 49), Darmstadt 1984, Nr. 45; ein Volksbeschluss von Kyzikos aus dem Jahr 37 n. Chr. 73 Z. B. Ps 84,12 (‫שׁ ֶמ שׁ וּ ָמ גֵן י ְהוָה‬ ֶ ‫ ;כִּי‬LXX übersetzt: ὅτι ἔλεον καὶ ἀλήθειαν ἀγαπᾷ κύριος; M. K ARRER, Apoll [s. Anm. 70] 227f., erkennt eine intentionale Vermeidung der Nähe zum Gott Helios); vgl. JosAs 5,5–6.

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tus wird als eine mit göttlicher Macht in Szene gesetzte Gestalt dargestellt, indem seine Beschreibung Motivinventare verwendet, die in anderen literarischen Bildkontexten Gott vorbehalten sind. Die durch Schriftrezeption in die Macht Gottes einbezogene Gestalt ist gleichzeitig auf die Adressaten bezogen, als deren Orientierungspunkt (Zentrum der Gemeinde) sie ihnen Heil zusagt, aber auch mit Sanktionen droht.

4. Starke Worte – Gotteswort als Christuswort 4.1 Christusrede als Anrede (Offb 1,11) Bereits die erste Wahrnehmung des Menschensohngleichen ist durch ein machtvolles Bildprogramm geprägt. Der im Geist in den Himmel entrückte Seher nimmt „eine gewaltige Stimme wie von einer Posaune“ wahr, was nach Hermann Lichtenberger „epiphan-theophane Züge erkennen“74 lässt. Es liegt eine Mischanspielung aus Ex 19,16 und Ez 3,12 vor,75 bei der Ez 3,12 mit seiner Schilderung der Entrückung des Propheten Ezechiel den Leittext bildet,76 in den Ex 19,16 „eingeschmolzen“ wird. Schildert Ez 3,12 die Entrückung des Propheten zu den Exilierten (3,15), wo er als „Menschensohn“ durch den Gottesspruch in das Wächteramt eingesetzt wird, so gehört der Lärm in Ex 19,16 zu den Theophanieerscheinungen.

Die „gewaltige Stimme“ bildet die Macht des gesprochenen Wortes ab.77 Der Sprecher signalisiert mit seinem Stimmvolumen die Macht, das von ihm Gesprochene zu einem Geschehen werden zu lassen und damit für die Wirkkraft 74

H. L ICHTENBERGER, Apokalypse (s. Anm. 9) 73. Offb 1,10b: ἤκουσα ὀπίσω µου φωνὴν µεγάλην ὡς σάλπιγγος. Ex 19,16: ἐγίνοντο φωναὶ καὶ ἀστραπαὶ καὶ νεφέλη γνοφώδης ἐπ᾽ ὄρους Σινα, φωνὴ τῆς σάλπιγγος ἤχει µέγα· … Ez 3,12: καὶ ἀνέλαβέ µε πνεῦµα, καὶ ἤκουσα κατόπισθέν µου φωνὴν σεισµοῦ µεγάλου· Εὐλογηµένη ἡ δόξα κυρίου ἐκ τοῦ τόπου αὐτοῦ. Vgl. hierzu M. L ABAHN, „Geschrieben in diesem Buche“. Die „Anspielungen“ der Johannesapokalypse im Spannungsfeld zwischen den Referenztexten und der handschriftlichen Überlieferung in den großen Bibelhandschriften, in: M. Karrer/S. Kreuzer/M. Sigismund (Hrsg.), Von der Septuaginta zum Neuen Testament. Textgeschichtliche Erörterungen (ANTT 43), Berlin 2010, 339–383, 350–352. 76 Bei Ezechiel heißt es zuvor: καὶ ἀνέλαβέν µε πνεῦµα (und ein Geistwind ergriff mich; LXX-D). 77 Wie das im Referenztext Ez 3,12 verwendete Adjektiv µεγάλη zeigt, strahlt die Anrede durch ihre Lautstärke Bedeutung aus. Das Adjektiv µεγάλη wie die gesamte Wendung φωνὴ µεγάλη gehören zu den Vorzugsworten der Johannesoffenbarung. Sie werden vom Seher ausschließlich positiv besetzt verwendet und für Wesen des himmlischen Raumes oder Figuren im Himmel benutzt. Vgl. E. F. L UPIERI, A Commentary on the Apocalypse of John (Italian Texts & Studies on Religion & Society), Grand Rapids 2006, 107. 75

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des Gesprochenen. Die Charakterisierung der Stimme weist über die Situation hinaus, wie auch das Buch (βιβλίον)78 eine umfassende Zielsetzung hat, die in der Macht des Sprechers ruht. Die abstrakte Reflexion und Autorisierung der „Offenbarung“ (ἀποκάλυψις) in Offb 1,1–3 bekommen in Offb 1,11 ihre Verankerung in der Autobiographie des Sehers wie auch in der Lebenswelt der Adressaten. Die durch die Stimme signalisierte Machtfülle ist eine Macht, die es mit dem Ergehen und dem Ziel der Gemeinde zu tun hat, an die dieses Werk gesandt werden soll. Auch wenn es in Offb 1,10f. um den Seher in seiner Situationsverbundenheit mit den Adressaten geht, wird er als Objekt göttlicher Beauftragung zum Schreiber der göttlichen Offenbarung. Die Auftragsstellung wird in theophanen Farben geschildert, womit der Menschensohngleiche im Spektrum der Referenztexte sowohl Gottes Auftrag wahrnimmt als auch an Gottes Stelle handelt. Die Stimme des Menschensohngleichen ist mit theophaner Motivik dargestellt und unterstreicht seine große Macht. So wird der Menschensohngleiche bei seiner ersten Äußerung zum Aktanden Gottes; der Schreibbefehl nimmt die Rolle des Gottesspruchs an Ezechiel ein (vgl. Ez 3,16). Gleichzeitig wird diese Macht mit der Situation der Adressaten, denen sich das Buch widmet und für deren Orientierung und Sinnbildung es verfasst wird, verbunden. 4.2 Christusrede als Gottesrede (Offb 1,17–20) Besonders gewichtig kommt die zweite Rede des Menschensohngleichen daher. Hier wird aus dem Motivbereich der Gottesrede in den Schriften Israels geschöpft und in den Mund des erhöhten Christus gelegt. a) Göttliche Selbstvorstellung Für die Erzählung der Johannesoffenbarung wegweisend ist Offb 1,17. Der erhöhte Christus stellt sich vor als: ἐγώ εἰµι ὁ πρῶτος καὶ ὁ ἔσχατος καὶ ὁ ζῶν

78 Wenn hier von einem βιβλίον gesprochen wird, so ist 1,11 nicht exklusiv auf die folgenden Sendschreiben zu beziehen, vielmehr sind die Sendschreiben als Teil eines Gesamtwerkes im Schreibbefehl, der die Beauftragung aus Offb 1,1–3 reflektiert, mit anvisiert.

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Dies variiert die Himmelsstimme in Offb 1,8, deren Ursprung Gott ist:79 Ἐγώ εἰµι τὸ Ἄλφα καὶ τὸ Ὦ, λέγει κύριος ὁ θεός, ὁ ὢν καὶ ὁ ἦν καὶ ὁ ἐρχόµενος, ὁ παντοκράτωρ.

In deutlicher Abgrenzung zur Gottesstimme fehlt in Offb 1,17 der Begriff ὁ παντοκράτωρ.80 Dennoch finden sich in der Selbstvorstellung des Erhöhten Elemente alttestamentlich-jüdischer Gottesprädikationen: a. das ἐγώ εἰµι!der Gottesvorstellung vor Mose (Ex 3,14 nach LXX)! b. das Prädikat „der Erste und der Letzte“ (Jes 41,4; 44,6; 48,12) c. das Partizip ὁ ζῶν als Hinweis auf die Vorstellung vom „lebendigen Gott“ (Dtn 5,26; Dan 6,27; JosAs 11,10). Das ἐγώ εἰµι des Erhöhten unterstreicht seinen Vorrang gegenüber dem ἐγώ des Sehers Johannes in Offb 1,9, dem der sich Offenbarende als Zusage Gottes gegenübertritt, aber auch als Richter gegen die, die seine Gebote nicht halten. Zugleich verbindet das ἐγώ εἰµι den Erhöhten mit dem sich in Offb 1,8 vorstellenden Gott; dies unterstreicht, dass der in der Macht und Herrlichkeit Gottes Dargestellte eine entscheidende Rolle bei der Durchsetzung der Gottesherrschaft haben wird, die seinen Anhängern zu Gute kommt. Die Teilhabe des Christus an Gottes Macht ist zeitlich unbegrenzt, wie die Wendung ὁ πρῶτος καὶ ὁ ἔσχατος belegt, die dem τὸ Ἄλφα καὶ τὸ Ὦ der Gottesrede in Offb 1,8 (s. a. 1,4; 21,6) entspricht.81 Sie schließt den Sprecher eng mit Gott zusammen, wobei die Frage nach dem göttlichen „Wesen“ dieser Figur naheliegt.82 Gerade das Partizip ὁ ζῶν (nicht [ὁ] θεὸς ζῶν) warnt vor weitreichenden Schlussfolgerungen. Anders als die Selbstvorstellung 79 Zur Schriftrezeption in Offb 1,8 vgl. z. B. M. L ABAHN, Die Macht des Gedächtnisses. Überlegungen zu Möglichkeit und Grenzen des Einflusses hebräischer Texttradition auf die Johannesapokalypse, in: M. Karrer/S. Kreuzer/M. Sigismund (Hrsg.), Septuaginta (s. Anm. 75) 385–416, 395–402, wo Offb 1,8 als „ein Kommentar zum LXX-Text (von Ex 3,14; ML), um Gottes Funktion innerhalb der Erzählung der Johannesapokalypse zu verstehen und durch die höchste Autorität im Text selbst zu präsentieren“, bestimmt wird (ebd. 401f.). 80 Vgl. z. B. C. Z IMMERMANN, Die Namen des Vaters. Studien zu ausgewählten neutestamentlichen Gottesbezeichnungen und ihrem frühjüdischen und paganen Sprachhorizont (AJEC 69), Leiden 2007, 260. 81 Ὁ πρῶτος, das den Präexistenzgedanken mit einschließt, könnte dem römischen Prinzeps entgegenstehen: K. W ENGST, „Wie lange“ (s. Anm. 36) 112. 82 Nach O. H OFIUS, Zeugnis (s. Anm. 9) 515, gilt zu Offb 1,17b–18: „Christus ist seinem Wesen nach Gott“. Etwas vorsichtiger auch A. S ATAKE, Offenbarung (s. Anm. 30) 145: „Der Verfasser will gerade … dessen Gottgleichheit unterstreichen.“

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Gottes in Offb 1,8 wird die Selbstvorstellung des Menschensohngleichen durch eine zweite Dreierreihe ausgelegt, die vor allem das Partizip ὁ ζῶν interpretiert und zeigt, dass die Lebensfülle und damit beide christologische Dreierreihen den Proexistenz-Gedanken der Lebensgabe betonen. Damit wird die Zuordnung des Christus zu dem ihm voraus seienden Gott gewährleistet (Offb 1,17–18a):83 καὶ ἐγενόµην νεκρός καὶ ἰδοὺ ζῶν εἰµι εἰς τοὺς αἰῶνας τῶν αἰώνων καὶ ἔχω τὰς κλεῖς τοῦ θανάτου καὶ τοῦ ᾅδου.

Die Fortsetzung der Selbstoffenbarung erläutert das Partizip ὁ ζῶν durch den Rückbezug auf „die Geschichte Jesu Christi … und qualifiziert es damit gleichsam christologisch“84, wie Traugott Holtz betont. Der Lebendige stellt sich so vor, dass der Grund für sein gegenwärtiges Leben in seinen zurückliegenden Tod gelegt ist. Das ἐγενόµην νεκρός ist eine Abbreviatur des Wirkens Jesu, das als ein Weg zum Sterben gedeutet wird und, wenn man so will, die kreuzestheologisch ausgerichtete Jesusgeschichte nach Markus komprimiert. Zugleich ist die Auferstehung mitgedacht. Der Menschensohngleiche ist der erinnerte und gekreuzigte Jesus, der sich nun als Lebendiger und damit Auferstandener dem Seher vorstellt. Das Partizip ζῶν wird mit der zeitlichen Unbegrenztheitsformel εἰς τοὺς αἰῶνας τῶν αἰώνων verbunden, die sich an die Rede vom „für immer lebendigen Gott“ (Dtn 32,40: ζῶ ἐγὼ εἰς τὸν αἰῶνα; Sir 18,1: ὁ ζῶν εἰς τὸν αἰῶνα) anschließt. In dieser Formel geht es weniger um eine zeitliche Komponente als um eine Darstellung der Lebensfülle. Der Lebendige hat Leben in göttlicher Fülle. Zuletzt werden dem Christus die nach rabbinischen Belegen Gott vorbehaltenen Schlüssel85 τοῦ θανάτου καὶ τοῦ ᾅδου!zugesprochen. Die Aussage ist weder auf den Tod Jesu zu beziehen noch im Sinne eines descensus ad inferos zu verstehen.86 Etwas blass klingt die Bezeichnung als „Erhöhungsaussage“87. Vielmehr ist das Schlüsselwort in den Kontext der Lebensfülle zu stel-

83

S. a. K. W ENGST, „Wie lange“ (s. Anm. 36) 107f. T. H OLTZ, Offenbarung (s. Anm. 54) 31. 85 Textauswahl bei W. B OUSSET, Die Offenbarung des Johannes (KEK 16), Göttingen 1966 (ND von 6 1906), 197. 86 Z. B. zu W. B OUSSET, Offenbarung (s. Anm. 85) 197f.; E. L OHMEYER, Offenbarung (s. Anm. 35) 19; E. L OHSE, Offenbarung (s. Anm. 35) 21. Zur Kritik vgl. z. B. A. L INDEMANN, „Und der Tod wird nicht mehr sein“. Die Zukunft des Todes in der Jesusüberlieferung, bei Paulus und in der Johannesoffenbarung, in: J. Elschenbroich/J. de Vries (Hrsg.), Worte (s. Anm. 4) 258–278. 87 T. H OLTZ, Offenbarung (s. Anm. 54) 31. 84

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len88 und zwar so, dass der Aspekt ausübbarer Macht einbezogen wird. Die Schlüssel zum Totenreich in der Hand umfassen das Spektrum der Macht über den Tod zum Geschenk des Lebens89 wie auch eine Gerichtsfunktion (Offb 20,13), die mit der Herrschaftsdurchsetzung Gottes in eins geht. Das Schlüsselmotiv ist somit bezogen auf die christlichen Adressaten zugleich binnen- wie auch außenorientiert: (1.) Die göttliche Lebensfülle des Christus gilt auch seinen Anhängern, die daran partizipieren. Der Zusammenhang mit den Sendschreiben macht allerdings deutlich, dass diese Lebensgabe an bestimmte Voraussetzungen gebunden ist, nämlich die Einhaltung der Gebote Gottes (Offb 12,17; 14,12), der Werke (Offb 2,26) und des Wortes (Offb 3,8) sowie des Zeugnisses Christi (Offb 12,17) und damit letztlich nach dem Selbstanspruch der Johannesoffenbarung ihrer eigenen Worte (Offb 1,3; 22,7.9); darauf weist etwa die Wiederholung des Schwertmotivs in der Drohung nach Pergamon: 2,16. (2.) Das Schlüsselmotiv nimmt Kap. (17–)20 in den Blick mit den dort zum Ziel kommenden Endereignissen. Das Schlüsselmotiv bezieht sich nicht auf die Bindung des Satans in Offb 20,1, wo ein Engel mit dem Schlüssel zum ἄβυσσος genannt wird, sondern an die Übergabe der Verurteilten an den zweiten, den endgültigen Tod als Sachvoraussetzung für das kommende Neue. Die Schlüssel zum Todesreich schließen den Gerichtsgedanken ein und lassen die Figur des Menschensohngleichen zusammen mit Gott als Herrn der Geschichte und ihres Telos erscheinen. b) Das geschlachtete, mächtige Lamm und Offb 1,18b–c Die Selbstvorstellung in Offb 1,18b–c bereitet die Präsentation des Lammes in Offb 5,6 vor: ἀρνίον ἑστηκὸς ὡς ἐσφαγµένον ἔχων κέρατα ἑπτὰ καὶ ὀφθαλµοὺς ἑπτα.

88 Vgl. M. K ARRER, Motive (s. Anm. 49) 60f., der darauf aufmerksam macht, dass die antiken Figuren, die den Schlüssel zum Totenreich haben, Hekate, Pluto, ein Unterweltsrichter etc., den Verschluss dieses Reiches beschreiben, der Erhöhte jedoch ihnen „überlegen“ dargestellt ist: „er öffnet das Reich des Todes und des Hades, weil er, der tot war, lebt“. Eine mögliche Anspielung auf Hekate sucht D. E. A UNE, The Apocalypse of John and Graeco-Roman Revelatory Magic, in: Ders., Apocalypticism, Prophecy and Magic in Early Christianity. Collected Essays (WUNT 199), Tübingen 2006, 347–367, 353–361, zu begründen. 89 So z. B. A. L INDEMANN, „Tod“ (s. Anm. 86) 269; s. a. K. W ENGST, „Wie lange“ (s. Anm. 36) 108.

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Auch das Lamm wird durch seine Schächtwunde (ὡς ἐσφαγµένον) bleibend von seinem Sterben her charakterisiert. Diese tödliche Wunde gehört zu seiner aktuellen Machtfülle hinzu, die die Siebenzahl der Hörner und Augen abbildet und das Gerichts- / Machtmotiv von Offb 1,13–20 variiert (ἔχων κέρατα ἑπτὰ καὶ ὀφθαλµοὺς ἑπτά).90 Das Stehen des Lammes (ἑστηκός) ist Ausdruck seiner Lebendigkeit, dem Schächtschnitt zum Trotz.91 Es ist voller Lebendigkeit gegen den erlittenen Tod, ohne dabei die Erinnerung an das Sterben zu ignorieren. So antworten die vier Lebewesen und 24 Ältesten stellvertretend für alle, denen der Tod des Lammes befreiend zu Gute kommt, in ihrem Lobgesang (Offb 5,9): Du bist würdig, das Buch zu nehmen und die Siegel zu öffnen; denn du wurdest geschlachtet und hast mit deinem Blut ‹Menschen› ‹frei-›gekauft aus allen Stämmen und Sprachen und Nationen und Völkern für Gott.92

Wie beim Lamm so ist auch für den Menschensohngleichen festzuhalten, dass diese Figur mit dem Schicksal des Sehers und seiner „Mitgenossen und Mitgenossinnen“ vereint ist, indem sie ihre Lebensgefährdung an sich selbst erlebt hat. Zu Recht hat Stefan Schreiber für die Lamm-Christologie darauf aufmerksam gemacht:

90

Vgl. M. L ABAHN, Macht (s. Anm. 79) 407. Vgl. S. S CHREIBER, Die Lamm-Perspektive. Bemerkungen zu Offb 5, in: L. Hauser/F. R. Prostmeier/C. G. Zöller (Hrsg.), Jesus als Bote des Heils. Heilsverkündigung und Heilserfahrung in frühchristlicher Zeit (FS D. Dormeyer) (SBB 60), Stuttgart 2008, 294–307, 296: „Das Lamm lebt also wieder, was die Frage nach der Veränderung der Wirklichkeit, die dabei vorausgesetzt ist, aufwirft und in christlicher Perspektive natürlich die Erinnerung an Jesu Erweckung wachruft.“ S. a. M. F RENSCHKOWSKI, Art. Lamm Gottes, in: RAC XXII (2008) 853–882, 863, der zu Recht summiert: „Das L. vereint in paradoxer Weise Ohnmacht u. Allmacht: Gerade als ‚geschlachtetes‘ wird es zum Träger von Gericht, Vernichtung des Bösen u. Weltvollendung sowie zum Throngenossen Gottes erhoben. Es expliziert damit nicht nur die Christologie des Propheten Johannes, sondern impliziert auch eine subtile Dekonstruktion politischer u. sonstiger Macht u. wird schließlich zum Leitbild für die Existenz u. eschatologische Rehabilitation der Christen, deren Opposition gegenüber dem Kaiserkult sie der Gefahr des Martyriums aussetzt.“ – Zur Diskussion um den traditionsgeschichtlichen Hintergrund zuletzt H. G IESEN, Der Christustitel „Lamm“ in der Offenbarung des Johannes und sein religionsgeschichtlicher Hintergrund, in: M. Labahn/M. Karrer (Hrsg.), Die Johannesoffenbarung – Ihr Text und ihre Auslegung (Anm. 1), 173–196; s. a. M. F RENSCHKOWSKI, Lamm (ebd. 860, 862f.). 92 Der Freikauf lässt die Freigekauften in Aufnahme und Variation von 1,5 zu einem Königtum und zu Priestern werden, die über die Welt herrschen (καὶ ἐποίησας αὐτοὺς τῷ θεῷ ἡµῶν βασιλείαν καὶ ἱερεῖς, καὶ βασιλεύσουσιν ἐπὶ τῆς γῆς; 5,10a). Zur Befreiung durch das Blut Christi / des Lammes s. a. 7,14; 12,11. 91

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„Der Blick auf das Lamm als Identifikationsfigur erleichtert die Annahme der eigenen Verletzlichkeit einerseits, die Entdeckung der eigenen Stärke andererseits, wobei sich das eigene Verhalten, die Selbstdefinition vom Heilshandeln JHWHS umgriffen weiß.“93

Dies gilt mit etwas größerer Zurückhaltung auch für die Figur des Menschensohngleichen. Auch in seinem aktuellen Status des mächtigen Richters und Lebensspenders erinnert er an sein Sterben und seinen Tod. c) Ein Schreibbefehl zur Gestaltung des besseren Jetzt Der anschließende Schreibbefehl blickt nicht so sehr auf den Aspekt des „Übergang(s) von der Welt des täglichen Lebens zu jener der Visionen“94, sondern verbindet die Welt des täglichen Lebens (in der Wirklichkeitskonstruktion der Johannesoffenbarung) mit der Zusage eines besseren Jetzt durch die Gewissheit einer besseren und sicheren Zukunft in der Gemeinschaft mit Gott und dem Christus. Der Menschensohngleiche ist nicht nur der Gestorbene und darin mit denen in der Trübsal Verbundene, er ist bereits lebendig und hat mit Gott unbegrenzte Lebensfülle, so dass er den Bedrängten Anteil am Leben gewährt. Zugleich ist er geschichtsmächtig, indem er Gerichtsgewalt hat und damit die satanischen Mächte endgültig in den zweiten Tod führen wird. In der Durchsetzung der Gottesherrschaft durch die Vernichtung der widergöttlichen Mächte und der Ermöglichung der unmittelbaren Heilsgemeinschaft mit Gott kulminiert die Botschaft des Buches, das der Seher sieht, schreiben und senden soll. Im Schreibbefehl kommt die Neuschaffung der Alltagswelt der Adressaten auf ihren Punkt und wird die Macht des Menschensohngleichen zu Gegenwart (und Zukunft) in der Welt der Adressaten. 95 Die Gemeinden sind Zielpunkt der Visionen, wie die Erklärung des µυστήριον τῶν ἑπτὰ ἀστέρων! anschaulich den Lesern und Leserinnen vor Augen stellt (Offb 1,20). Damit wird verdeutlicht, dass der Lebensmittelpunkt dieser Gemeinden der erhöhte Christus ist, der in der mit Farben der göttlichen Präsenz und Macht Gottes gezeichneten Figur des Menschensohngleichen vorgestellt wird.

93

S. S CHREIBER, Lamm-Perspektive (s. Anm. 91) 306. Im erneuten Rückgriff auf D. PEZZOLI-OLGIATI, Täuschung (s. Anm. 2) 16. 95 Was C. W OLFF, Gemeinde (s. Anm. 35) 187, zu Offb 1,5 feststellt, gilt mutatis mutandis für 1,13–20 und insbesondere zum Schreibbefehl: „In dem jetzt an sie ergehenden Wort Christi hat sie [sc. die Gemeinde; ML.] eine verläßliche Stütze; er ist als der Todesüberwinder Unterpfand für das Leben der Glaubenden; alles, was die Gemeinde jetzt bedrängt, hat er in seiner Hand.“ S. a. K. E RLEMANN, Kampf der Trinitäten in der Johannesoffenbarung, in: J. Elschenbroich/J. de Vries (Hrsg.), Worte (s. Anm. 4), 225: „Neben seiner kosmisch-himmlischen Funktion offenbart Christus als das ‚Wort Gottes‘ (Apk 19,13) dem Seher Johannes die letzten Dinge (Apk 1,1.19; 10,8). Damit eröffnet er den Heiligen den Weg zur Erlösung (Apk 2f.).“ 94

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5. Zusammenfassung Im Christusporträt von Offb 1,13–20 fließen unterschiedliche Traditionsströme zusammen,96 die der Seher souverän bündelt und zu einem neuen Gesamtbild verschmilzt.97 Der „Grundton“ entstammt den Schriften Israels; vor allem bilden das Daniel- und das Ezechielbuch, aber auch Motive aus den Bereichen der Theophanie und der Selbstoffenbarung Gottes den Resonanzboden. Daneben lassen sich hellenistische und römische Einflüsse erkennen, die an die Schriftrezeption angeheftet bzw. von dieser neu kodiert werden; auch hier fällt auf, dass Motivelemente rezipiert werden, die Göttern und dem römischen Herrscher zugeschrieben werden. Die Motivfelder stimmen überein und werden zur Beschreibung der Christusfigur positiv aufgenommen. Durch den Übertragungsvorgang werden diese Motive ihren ursprünglichen Trägern entrissen, die Referenzgrößen in ihrer Bedeutung beschnitten und vom dargestellten Christus überboten.98 Im Einzelnen kann man mit Recht die Frage stellen, ob bei diesen hellenistisch-römischen Motiven tatsächlich eine produktionsorientierte Referenz erfolgt oder ob lediglich ein potentiell relevantes, 99 auf das Repertoire möglicher Leser bezogenes Lektürespektrum innerhalb der antiken Enzyklopädie aufgerufen wird. Insgesamt wird man Martin Karrer folgen dürfen, der in verschiedenen Beiträgen zum Verständnis der Johannesoffenbarung den hellenistisch-römischen Motivspendebereich zum Verständnis des Buches fruchtbar gemacht hat.100 Dieser Referenzbereich fügt sich in die Polemik der Johannesoffenbarung ein und ist in beachtlicher Breite nachweisbar.

Vor dem Spektrum der Enzyklopädie sowohl der atl-jüdischen Schriften als auch der religiösen Mitwelt ihrer Adressaten entwickelt die Johannesoffenba96 Nach U. B. M ÜLLER, Offenbarung (s. Anm. 35) 84, liegt die Pointe des Christusbildes von Offb 1,13–20 gerade darin „möglichst viele ausgezeichnete Züge mit ihr zu verbinden“; allerdings hat die Vielfalt ein Zentrum, Bildmotive Gottes und himmlischer Macht auf den erhöhten Christus zu zentrieren. 97 Diese kreative Rezeption hat schon E. P ETERSON, Offenbarung (s. Anm. 36) 30, besonders betont. 98 Vgl. M. L ABAHN, The book of Revelation − an early Christian ‚Search for Meaning‘ in critical conversation with its Jewish heritage and Hellenistic-Roman society, in: In die Skriflig 48(1), Art. #1833, 9 pages. http://dx.doi.org/10.4102/ids.v48i1.1833, 6. 99 Zur Unterscheidung zwischen potentiell und faktisch relevanten Voraussetzungen eines Textes vgl. M. T ITZMANN, Strukturale Textanalyse. Theorie und Praxis der Interpretation (UTB 582), München 3 1993, 263–330. 100 Vgl. M. K ARRER, Apoll (s. Anm. 70); D ERS., Motive (s. Anm. 49); natürlich muss im Einzelnen die Frage erlaubt sein, ob jeder hier unterbreitete Vorschlag Karrers konsensfähig ist (dort jeweils auch weiterführende Literatur); s. a. M. L ABAHN, Revelation (s. Anm. 98) 6–8. Eine breite Materialsammlung enthält die Kommentierung durch D. E. A UNE, Revelation (s. Anm. 45); eine Auswahl an Textmaterial wird im Neuen Wettstein II/2 (s. Anm. 46) präsentiert.

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rung eine Christusfigur, die Gottesbilder aus den Schriften ebenso aufnimmt wie Elemente der Verehrung des römischen Kaisers.101 Dieses theologisch aufgeladene Christusporträt ist eng mit den anderen christologischen Figuren der Johannesoffenbarung vernetzt (vor allem dem Lamm und dem „Wort Gottes“ als Reiter auf dem weißen Pferd; Offb 19,11–21).102 Durch das christologische Netzwerk wird die soteriologische Funktion des Christus für die Adressaten profiliert. In diesem Horizont formulieren Offb 1,13–20 Möglichkeitsbedingungen und Zusagen des Heils. Die theologischen Motivfelder zur Darstellung der Christusfigur in Offb 1,13–20 zusammen mit Göttermotiven der religiösen Mitwelt einschließlich der Kaisersemantik werden nicht zu Wesensaussagen des Menschensohngleichen komprimiert. Die Darstellung der Figur lässt ihn als eine himmlische Gestalt an der Macht Gottes und an dessen Herrschaftsausübung partizipieren; sie ist primär handlungsorientiert und an der Relation zur Gemeinde interessiert. Die Transzendenz Gottes bleibt gewahrt bis zur unmittelbaren Gemeinschaft im „Neuen Jerusalem“ (Offb 22,3f.). Diese Nähe ist kein bloßes Hoffnungsgut, sondern in der Gestalt des erhöhten Christus, der in Relation zu den Adressaten präsentiert wird, eine verlässliche Realität. Offb 1,13–20 geht es nicht darum, den erhöhten Christus als Gott darzustellen, sondern rückt ihn deshalb nahe an Gott heran, um ihm die Machtfülle und die Lebensfülle Gottes zugunsten der christlichen Gemeinde zuzuschreiben.103 Die Anteilnahme des erhöhten Christus an Gottes Macht zeigt, dass Gott den Gemeinden bei Wahrung seiner Transzendenz bereits im „Jetzt“ heilvoll nahe kommt. So ermächtigt das Christusporträt die Adressaten dazu, dem Sinnkonzept der Johannesoffenbarung in Abtrennung von der Mitwelt zu folgen.104 Die Unterscheidung zwischen Gott und Christus bleibt also gewahrt. In Offb 1,13–20 geschieht dies exponiert dort, wo der Menschensohngleiche am engsten mit Gott selbst verbunden wird, in seinem Ego Eimi-Wort. Der Vergleich zwischen Offb 1,8 und 1,18 lässt erkennen, wie weit die Christologie der Johannesoffenbarung darin gehen kann, den Christus an Gott heranzurücken, ohne dabei jedoch die sachnotwendige Differenzierung aufzugeben.105 Dabei wird die Geschichte des irdischen Jesus nicht übersprungen, sondern 101 Besonders E. P ETERSON, Christus als Imperator, in: Ders., Theologische Traktate (Hrsg. B. Nichtweiß, Ausgewählte Schriften 1), Würzburg 1994, 83–92, 86, hat die Darstellung des Menschensohngleichen in Offb 1,9–13 als Gegenbild zum römischen Kaiser verstanden (s. a. D ERS., Offenbarung [s. Anm. 36] 31f.). Gegenüber Peterson sind die religiösen Untertöne der Abgrenzung zu unterstreichen. 102 Vgl. hierzu z. B. K. H UBER, Schwert (s. Anm. 10) 45–48. 103 Vgl. T. S ÖDING, Gott (s. Anm. 15) 95: „Die umfassende Partizipation an der Majestät und Potenz Gottes begründet die soteriologische Wirkung Jesu Christi.“ 104 Gegen den Protest von O. H OFIUS, Zeugnis (s. Anm. 9) 523. 105 Vgl. T. S ÖDING, Gott (s. Anm. 15) 101f.

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abbreviiert. Es ist der Gekreuzigte, der auferweckt wurde und nun in göttlicher Macht- und Lebensfülle inmitten des himmlischen und damit göttlichen Machtraumes agiert.106 So verbindet das Christusporträt vom Menschensohngleichen zugleich die unterschiedlichen Erzählformen des Buches, die einleitende Überschrift (Offb 1,1–3;107 vgl. die Schreibbefehle: Offb 1,11.19), den brieflichen Rahmen mit den Einzelsprüchen (1,4–8: priesterliche Elemente des Christusporträts, das Ego-Eimi, die Menschensohnmotivik aus Dan 7) sowie die Sendschreiben (Kap. 2–3 mit zahlreichen Einzelmotiven zur soteriologischen wie richterlichen Funktion des erhöhten Christus) und den apokalyptischen Hauptteil (das Lammmotiv [bes. Offb 5,6–6,1], die Herrschaftsdurchsetzung und Gerichtsentfaltung [bes. Offb 19,11–21]). Literarisch gesehen ist das einführende Porträt des erhöhten Christus in Gottes lebensspendender Macht ein kohärenzstiftendes Element.108

Die christologische Entfaltung der göttlichen Lebens- und Machtfülle wird durch die gottesbildlichen Mosaiksteine des Christusporträts zur direkten Zusage an die christlichen Gemeinden, in deren „Beziehung“ der erhöhte Christus gestellt wird.109 Mit Konrad Huber stehen die „Beziehung Christi zu den Seinen und seine machtvolle Gegenwart mitten unter ihnen … im Fokus der Aussage“110 . Daher ist das Christusporträt im direkten Zusammenhang mit der erzählten Alltagswirklichkeit zu sehen. Es ist der Seher Johannes, der „Mitgenosse“ der Christen ἐν τῇ θλίψει (Offb 1,9), dem sich der himmlische mit göttlicher Macht ausgestattete Christus durch den Zuruf µὴ φοβοῦ zuwendet. Die gesamte Szene zeigt mit Stefan Schreiber, dass der „Verfasser … ‚Christologie‘ … in der Kategorie der Beziehung zwischen Christus und sich selbst“111 denkt. Die Christologie dient der Soteriologie und der Ethik, weil sie die Möglichkeit zum geduldigen Beharren wie auch die Forderung zum geduldigen Beharren begründet.

Zugleich wird der machtvolle Christus als geschichtsmächtiger Richter dargestellt. Der Ausgang der Weltgeschichte und der Sieg der göttlichen Herrschaft sind in der Zuwendung zu den Christusnachfolgern bereits wirksam. Die Wirklichkeitskonstruktion der Johannesoffenbarung mit ihrem durch göttliche Macht gestalteten Christusporträt de-konstruiert konkurrierende religiöse

106 Insofern ist das Bild zu undifferenziert, dass auf den Christus „übertragen [ist; ML], was das Judentum von Gott sagt“: R. B ULTMANN, Theologie des Neuen Testaments (durchges. u. erg. v. O. Merk; UTB 630), Tübingen 9 1984, 526. 107 Vgl. S. A LKIER, Johannesapokalypse (s. Anm. 1) 157. 108 Für E. L OHMEYER, Offenbarung (s. Anm. 35) 19, bildet sie „Keim und Kern der Apc“. 109 K. H UBER, Jesus Christus (s. Anm. 10) 454. 110 K. H UBER, Schwert (s. Anm. 10) 42. 111 S. S CHREIBER, Könige und Priester. Die Demokratisierung der Christologie in der Offenbarung des Johannes, in: M. Bär/M.-L. Hermann/T. Söding (Hrsg.), König und Priester. Facetten neutestamentlicher Christologie (FS C.-P. März) (EThSt 44), Würzburg 2012, 237–250, 237.

Der Menschensohngleiche als Gottes Richter und Gottes Krieger in Offb 1,9–20

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Orientierungsangebote und die Machtansprüche der textexternen Machthaber.112 Das Mosaik der Christusdarstellung und ihre an der Darstellung Gottes orientierten Bildelemente unterschiedlicher Referenzbereiche sind dynamisch aufgebaut. Das Porträt dient der Orientierung und Sinnbildung, indem die Wirklichkeitsdeutung der Adressaten mit dem Gottesbild der Schrift verknüpft wird, so dass über die christologische Bildersprache die Zuversicht des Heils in Gott grundgelegt und den Adressaten zugewandt ist. Der Christus ist Gott so nah, damit der transzendente Gott den Adressaten im erhöhten Christus bereits jetzt nah ist,113 wie er ihnen am Zielpunkt seiner Herrschaftsdurchsetzung nahe sein (Offb 22,3f.) wird.

112 Vgl. u. a. F. J. M URPHY, Babylon (s. Anm. 35) 96: „For those who experience the Roman empire and Hellenistic culture as foreign and inimical, this picture of a Christ intimately engaged with their communities affords an alternative vision of the universe, one in which they are the ones who are close to the ultimate power in the cosmos and are protected by it.“ 113 Hierin ist der Bereich einer ausschließlichen „Funktionseinheit“ deutlich überschritten; zu T. H OLTZ, Christologie (s. Anm. 15) 212.

Protest als Zeugnis und Widerspruch Soziale und politische Aspekte im Gottesbild der Offenbarung Klaus Wengst Otto Böcher zum 80. Geburtstag am 12. März 2015

1. Einige Klarstellungen vorab Dass in der Offenbarung des Johannes Gott und Jesus in einem ganz engen Zusammenhang miteinander stehen, leidet keinen Zweifel. So heißt es etwa in 11,15 nach dem Blasen der siebten Posaune: „Nun gehört die Herrschaft über die Welt unserem Herrn und seinem Gesalbten.“ Dennoch wird zwischen ihnen klar differenziert, und zwar in der Weise, dass nur Gott Gott ist und Jesus nicht Gott ist. Das zeigt sich an der zitierten Stelle daran, dass der Satz ohne Nennung eines neuen Subjekts nicht im Plural, sondern im Singular fortgesetzt wird: „und er wird herrschen immer und allezeit.“ 1 Ein unmittelbares Nebeneinander von Gott und Jesus findet sich auch in 22,1.3, wenn vom „Thron Gottes und des Lammes“ die Rede ist. Aber während der himmlische Thron Gott von vornherein zugehört, wurde Jesus als das „hingeschlachtete Lamm“ (5,6) aus dem Tod heraus „fortgerissen zu Gott, zu seinem Thron“ (12,5). Als der, der „gesiegt“, der die Treue zu Gott bis zum Tod durchgehalten hat, sagt er nach 3,21, „sitze ich mit meinem Vater auf seinem Thron“, und so verspricht er an dieser Stelle denen, die entsprechend ‚siegen‘, „mit mir auf meinem Thron zu sitzen“. Die klarste Unterscheidung zwischen Gott und Jesus zeigt Johannes an, wenn er den erhöhten Jesus fünfmal von Gott als „meinem Gott“ reden lässt (3,2.12). Wie das enge Verhältnis zwischen Gott und Jesus zu verstehen ist, macht gleich der erste Satz

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A. S ATAKE, Die Offenbarung des Johannes (KEK 16), Göttingen 2008, 274. H. G IESEN, Johannes-Apokalypse (SKK.NT 18), Stuttgart 1986, 92, sieht in dem Singular „die Aktionseinheit zwischen Gott und seinem Gesalbten unterstrichen“. Aber damit ist der in der Einheitsübersetzung gewählte Plural („und sie werden herrschen“) keineswegs als „durchaus sachgemäß“ erwiesen. Denn diese „Aktionseinheit“ vollzieht sich so, dass Gott an und durch Jesus handelt.

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des Buches deutlich: „Enthüllung Jesu, des Gesalbten, die Gott ihm gegeben hat, um seinen Sklavinnen und Sklaven zu zeigen, was in Bälde geschehen muss“ (1,1). Hier wird eine Beauftragung ausgesagt. Im Wirken als Beauftragter repräsentiert Jesus den ihn Beauftragenden, also keinen Geringeren als Gott selbst. Durch Jesus kommt Gott zu Wort und Wirkung. Der Zusammenhang zwischen ihnen ist also ein funktionaler, kein seins- oder wesensmäßiger. Das Denken in den Kategorien von Sein und Wesen ist der Bibel und der jüdischen Tradition, zu der die meisten neutestamentlichen Schriften ihrem Ursprung nach gehören, fremd. Im Hebräischen gibt es dafür erst im modernen Iwrit Worte. In der Septuaginta und im Neuen Testament begegnet das Wort οὐσία nur je zweimal, immer in der Bedeutung „Habe“, „Besitz“ (Tob 14,13; 3 Makk 3,28; Lk 15,12.13). Das ist verständlich, wenn man sich den Unterschied biblischen Redens von Gott zum griechisch-philosophischen deutlich macht. Es wird keine abstrakte Gotteslehre entwickelt. Charakteristisch ist vielmehr das Zusammendenken von Gott und einer höchst partikularen Geschichte, in der jüdischen Bibel der Geschichte des Volkes Israel, im Neuen Testament der Geschichte des einen Juden Jesus. Das führt primär zum Erzählen von Geschichten, die – um das Mitsein Gottes im erzählten Geschehen zum Ausdruck bringen zu können – notwendig legendarischen Charakter haben. Für diesen Gegensatz des biblisch-jüdischen Redens von Gott zum griechisch-philosophischen kann man sich die Augen öffnen lassen durch Lektüre der Christenschrift „Wahres Wort / Rechte Lehre“ des mittelplatonischen Philosophen Kelsos, der genau in diesem Zusammendenken von Gott und partikularer Geschichte den größten Skandal erkennt und so in seiner Abrechnung mit den Christen – gleichsam im selben Aufwasch – auch mit den Juden abrechnet. Im Blick auf die Offenbarung des Johannes wird dieser Gegensatz gerade da besonders deutlich, wo vordergründig eine große Nähe vorzuliegen scheint, nämlich bei der auf Gott bezogenen Dreizeitenformel.

2. „Der Er ist da und der Er war da und der Er kommt“ oder: Zukunft als Re-Vision des Gewesenen Im brieflichen Eingang der Offenbarung hat der Wohlergehenswunsch einen dreifachen Ursprung. An erster Stelle wird er entboten – ich zitiere jetzt Luthers Übersetzung – „von dem, der da ist und der da war und der da kommt“ (1,4). Diese Formulierung ähnelt griechischen Gottesprädikationen, die auf

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die drei Zeitformen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft aufgeteilt sind.2 Besonders aufschlussreich ist die Aion-Inschrift von Eleusis aus augusteischer Zeit.3 In ihr wird Aion beschrieben als „von solcher Art, dass er ist und war und sein wird“. Wenn es im Anschluss daran heißt: „Er hat weder Anfang noch Mitte noch Ende, ist von Veränderung frei“, so wird hier ausdrücklich gemacht, was für die griechischen Dreizeitenformeln überhaupt gilt: Der philosophische Hintergrund ist der Gedanke von der Unveränderlichkeit Gottes. Gott ist definiert als das Höchste und Vollkommenste und kann sich daher nicht verändern, weil per definitionem nur eine Veränderung zum Schlechteren möglich wäre. Das ausgesagte Sich-gleich-bleiben in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, das Übergreifen der Zeiten ist somit zugleich zeitlos, aber keineswegs unpolitisch. Die Widmung dieser Inschrift an Aion ist unmittelbar verbunden mit dem Ziel: „für die Macht Roms und den dauerhaften Bestand der Mysterien“ von Eleusis.4 Die formale Gestaltung der Aussage in Offb 1,4 mag von den griechischen Dreizeitenformeln angeregt sein, inhaltlich ist sie von der biblischen Tradition bestimmt. Bei der dreifachen Herkunftsangabe für das zugesprochene Wohlergehen, für „Freundlichkeit und Friede“, denkt Johannes an der ersten Stelle natürlich an Gott. Aber er formuliert nicht, wie Paulus es in seinen Briefen stereotyp tut, „von Gott, unserm Vater“, sondern bietet eine Umschreibung. Aber diese Umschreibung setzt er nicht, wie die Präposition ἀπό es verlangt, in den Genitiv, sondern lässt – grammatisch äußerst gewaltsam – auf diese Präposition den Nominativ folgen. Dass ἀπό mit dem Genitiv zu konstruieren ist, weiß Johannes. So verfährt er sofort anschließend in Vers 5 bei den beiden weiteren Herkunftsangaben für „Freundlichkeit und Friede“. Wenn er es hier nicht tut, ist das nicht grammatisches Unvermögen in einer ihm von Haus aus fremden Sprache, sondern es geschieht mit voller Absicht.5 2

Zu der „Dreizeitenformel in der griechischen Literatur“ vgl. ausführlich S. M. M CD ONOUGH, YHWH at Patmos. Rev. 1:4 in its Hellenistic and Early Jewish Setting (WUNT 2,107), Tübingen 1999, 41–57. 3 W. D ITTENBERGER, Sylloge inscriptionum Graecarum III, Leipzig 3 1920 (Nachdruck Hildesheim 1960), 288f., Nr. 1125. 4 S. M. M CD ONOUGH, YHWH (s. Anm. 2) 52, kennzeichnet die Veranlasser der Inschrift als „loyale römische Bürger, die den dauerhaften Bestand der römischen Macht ebenso wünschen wie die Erhaltung der eleusinischen Mysterien“. Aus ihr solle gelernt werden, „dass dieser Aion, der Bewahrer der Welt im Ganzen, selbstverständlich in der Lage ist, die römische Herrschaft und die eleusinischen Mysterien zu bewahren“ (53). 5 Dass „die Formulierung (im Nominativ) an unserer Stelle einfach als sein Schreibfehler zu verstehen“ sei (A. S ATAKE, Johannes-Apokalypse [s. Anm. 1] 129), unterschätzt den Verfasser enorm. Zu einigen bemerkenswerten grammatischen Gewaltsamkeiten des Johannes vgl. T. H OLTZ, Sprache als Metapher. Erwägungen zur Sprache der Johannesapokalypse, in: Studien zur Johannesoffenbarung und ihrer Auslegung (FS O. Böcher), Neukirchen-Vluyn 2005, 14–16. „… das Griechisch der J(ohannesApokalypse) ist kein Dokument sprachlichen Unvermögens, sondern eine ‚Kunstspra-

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Seine eigenartige Vorgehensweise zeigt, dass er die Gott bezeichnende Formulierung als eine Umschreibung des nicht auszusprechenden Namens Gottes versteht. Deshalb dekliniert er an dieser Stelle nicht; darauf macht die grammatische Gewaltsamkeit aufmerksam. Die von Johannes gebrauchte Gottesprädikation ist Aufnahme und Weiterbildung der berühmten Stelle Ex 3,14 und ihres Kontextes. Danach erscheint Gott dem Mose im brennenden und nicht verlöschenden Dornbusch und fordert ihn auf, nachdem er sich ihm als „Gott Abrahams, Gott Isaaks und Gott Jakobs“ vorgestellt hat, sein Volk Israel aus der Bedrängnis in Ägypten herauszuführen. Auf die Frage nach dem Namen Gottes erhält Mose zur Antwort: ‫„( אהיה אשׁר אהיה‬Ich werde sein, der ich sein werde“ oder besser noch: „Ich werde da sein, als der ich da sein werde“).6 Gott lässt sich hier nicht mit einem Namen dingfest machen, sondern er will sich als Gott in der Geschichte erweisen, die er mit seinem Volk Israel haben wird. Auf den Bund mit ihm wird in diesem Zusammenhang dreimal mit der Bezeichnung Gottes als „Gott Abrahams, Gott Isaaks und Gott Jakobs“ hingewiesen (V. 6.15.16). In der Treue zu diesem Bund erweist Gott seine Identität. Darin hat er seine Selbigkeit und bewährt er seine Treue als Befreier seines Volkes aus der Sklaverei. Besonders aufschlussreich ist in dieser Hinsicht im Zusammenhang von Ex 3 der Vers 12, wo Gott dem zaudernden Mose sagt: „Ja, ich will mit dir sein. Und das sei dir das Zeichen, dass ich dich gesandt habe: Wenn du das Volk aus Ägypten herausgeführt hast, werdet ihr Gott auf diesem Berg dienen.“ Aber damit er dieses Zeichen sehen kann, muss Mose sich erst einmal aufmachen und das Volk aus Ägypten herausführen und dann werden sie schon merken, dass Gott da sein wird. In der rabbinischen Auslegung von Ex 3,14 kann das griechische Dreizeitenschema aufgenommen werden: „Der Heilige, gesegnet er, sprach zu Mose: ‚Sage ihnen: Ich bin’s, ich, der ich gewesen bin, und ich, der ich jetzt bin, und ich in der kommenden Zeit.‘ Deswegen steht hier dreimal ‚Ich werde sein‘ geschrieben.“7 Dass hier nicht an die bleibende Unveränderlichkeit des göttlichen Seins und Wesens gedacht ist, sondern an Gottes helfende und rettende Gegenwart bei seinem Volk, zeigt sich im Kontext dieser Stelle. Unmittelbar vorher heißt es als Gottesrede: „Nach meinen Taten werde ich genannt.“ Als Namen werden aufgezählt: „El Schaddaj, Z’vaot, Elohim, Adonaj. Wenn ich die Menschen richte, heiße ich Elohim. Wenn ich über die Sünden eines Menschen Strafen verhänge, heiße ich El Schaddaj. Wenn ich Krieg gegen

che‘ auf hebräisch-aramäischer Basis“ (O. B ÖCHER, Art. Johannes-Apokalypse, in: RAC XVIII [1998], 595–646, 605). 6 Dem Text und seinem Kontext nicht gerecht wird die Übersetzung: „Ich bin, der ich bin“ (so z. B. die [alte] Zürcher Bibel und die Elberfelder Bibel). 7 ShemR 3,6. Vgl. A. S CHLATTER, Das Alte Testament in der johanneischen Apokalypse (BFChrTh 16/6), Gütersloh 1912, 12.

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die Frevler führe, heiße ich Z’vaot. Wenn ich mich über meine Welt erbarme, heiße ich Adonaj – gemäß dem, dass Adonaj nichts sonst bedeutet als das Maß des Erbarmens. Denn es steht geschrieben: ‚Adonaj, Adonaj, Gottheit, barmherzig und gnädig‘ (Ex 34,6). Das bedeutet: ‚Ich werde sein, der ich sein werde‘; nach meinen Taten werde ich benannt.“ Und unmittelbar anschließend an das zuerst gebrachte Zitat wird fortgefahren: „Rabbi Ja’akov bar Abina aus Zippori: Der Heilige, gesegnet er, sprach zu Mose: ‚Sage ihnen: In dieser Sklaverei werde ich mit euch sein, und in einer anderen Sklaverei, in die sie gehen, werde ich auch mit ihnen sein.‘“ Der Formulierung von Offb 1,4 recht nah kommt der Targum Pseudo-Jonathan zu Dtn 32,39.8 Dort wird die Aussage des hebräischen Textes: „Seht jetzt! Ich bin’s; und da ist kein Gott bei mir“ so umschrieben: „Seht jetzt! Ich doch bin’s, der da ist und da war, und ich bin’s, der künftig da sein wird; und da ist kein Gott außer mir.“ Dass bei Johannes in Offb 1,4 – wie bei den Rabbinen und im Targum – das Interesse nicht auf der Unveränderlichkeit Gottes liegt, sondern dass er die biblisch-jüdische Tradition fortführt, zeigt sich an allen drei Gliedern. Hier – wie in V. 8 und in 4,8 – hält er sich nicht an die zeitliche Reihenfolge, sondern setzt an die erste Stelle die Gegenwartsaussage und betont damit, dass Gott der Präsente ist. In seiner Formulierung nimmt er auf, wie die Septuaginta die Selbstvorstellung Gottes in Ex 3,14 – ‫ – אהיה אשר אהיה‬übersetzt: ἐγώ εἰµι ὁ ὤν, indem er an erster Stelle ὁ ὤν schreibt. McDonough (s. Anm. 2) hat dargelegt, dass sich ὁ ὤν als Bezeichnung Gottes vor der Septuaginta nicht findet, und es „eine radikale Innovation“ 9 ihrer Übersetzer genannt. Die impersonale traditionell platonische Bezeichnung τὸ ὄν wird hier gerade vermieden und durch die personale ersetzt. Bei Philon von Alexandria jedoch finden sich ὁ ὤν und τὸ ὄν nebeneinander.10 So zu formulieren, wäre für Johannes eine Unmöglichkeit. Für ihn geht es nicht um ein zu denkendes Sein Gottes, sondern um die Gewissheit, dass selbst und gerade in bedrängter Situation und in schlimmen Erfahrungen Gott da ist – wenn auch nur in der Form, dass mit den Märtyrerinnen und Märtyrern klagend zu ihm geschrien werden kann: „Wie lange noch, heiliger und wahrhaftiger Herrscher, richtest Du nicht und vergiltst Du nicht unser Blut an denen, die auf der Erde wohnen?!“ (6,10) Von daher ist das zweite Glied zu verstehen. Hier findet sich wieder eine grammatische Gewaltsamkeit, indem Johannes ein finites Verb substantiviert: 8

Darauf hat S. M. M CD ONOUGH, YHWH (s. Anm. 2) 183, hingewiesen (vgl. auch 183–185). 9 S. M. M CD ONOUGH, YHWH (s. Anm. 2) 137; vgl. den gesamten Abschnitt 131– 137. 10 Dass ihm dabei am Gedanken der Unveränderlichkeit Gottes liegt, wird am stärksten daran klar, dass er einen Traktat unter diesem Titel geschrieben hat: „Dass das Göttliche unveränderlich sei“, in dem τὸ ὄν als Gottesbezeichnung häufig begegnet (Philo, Deus Imm 33.61.81 u. ö.).

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ὁ ἦν. Er lässt damit seine Leser- und Hörerschaft stolpern und innehalten. Eine glatte Formulierung könnte sie verleiten, gedanklich in das griechische Dreizeitenschema hinein zu gleiten von einem die Zeiten übergreifenden Sein Gottes. Es geht ihm jedoch weder um die Beschreibung eines Seins noch um die Bestimmung eines Wesens Gottes, sondern um Erinnerung an die biblisch bezeugte Geschichte Gottes mit seinem Volk Israel. Es geht um konkrete Erinnerung, um Gott, der da war, mit und bei seinem Volk war und ihm Rettung gebracht hat. So wird an dieser Stelle auf die Selbstvorstellung Gottes in Ex 3,14 angespielt und damit der Beginn der Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei eingespielt. Entsprechend wird in 15,2–4 mit der Rede vom Meer und vom „Lied des Mose“ an die Rettung am Schilfmeer erinnert. Und solche Erinnerungen geschehen für die mit der Bibel Vertrauten immer wieder in den überaus zahlreichen Zitaten und Anspielungen: Gott war da; er war bei und mit seinem Volk. Aus der in bedrängter Situation erfolgenden Erinnerung an vergangene Rettung durch Gott speist sich die Hoffnung auf kommende Rettung. Daher steht an dritter Stelle nicht ὁ ἐσόµενος, sondern ὁ ἐρχόµενος. Johannes nimmt damit die biblische Rede von der Zeit, die kommt, auf, von Gott, der kommt, um Recht und Gerechtigkeit herzustellen.11 Er redet vom kommenden Gott, weil er sich nicht abfinden will mit dem Unrecht und der Gewalt, der Not und dem Elend, den Tränen, die aus Leid und aus Wut vergossen werden müssen. Und so geht es ihm in seinem Zeitverständnis nicht um die Erstreckung des Gewesenen und Seienden ins Zukünftige und gar ins Unendliche, sondern um die Revision des Gewesenen in der Weise, dass den Opfern des Geschichtsverlaufs zum Recht verholfen wird. Dieser Revision kann er nicht anders als durch Visionen Ausdruck geben. Helmut Schmidt hatte als Bundeskanzler in Auseinandersetzung mit der Friedensbewegung gemeint, wer Visionen hat, solle zum Psychiater gehen. Wer jedoch die Wirklichkeit so klar sieht wie Johannes, und zwar aus der Perspektive von unten und vom Rande her, wer den Strom gewaltsam vergossenen Blutes nicht übersieht, den Hunger auf der einen (6,6) und „die Dynamik des Luxus“ (18,3) auf der anderen Seite wahrnimmt und dennoch nicht verzweifeln will – wie sollte der nicht Visionen haben, Visionen über eine mögliche Revision der Wirklichkeit zugunsten ihrer Opfer. Doch ist bei diesen Visionen sofort herauszustellen, dass sie nicht freie Erfindungen des Johannes sind, sondern sich durch und durch aus

11 Vgl. schon J. T. B ECK, Erklärung der Offenbarung Johannis. Cap. 1–12 (hg. v. J. Lindenmeyer), Gütersloh 1884, 4: „Das A und O desselben (= des Buches) ist der Herr in seinem Kommen.“ Vgl. auch S. M. M CD ONOUGH, YHWH (s. Anm. 2) 216: „Die von Johannes vorgenommene Veränderung des erwarteten ‚wird sein‘ in ‚den, der kommt‘ ist ein Schritt von grundlegender theologischer Bedeutung. Gott definiert seine eigene Zukunft nicht als eine unbegrenzte Ausdehnung von Existenz, sondern als Befreiung für sein Volk.“

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Elementen seiner Bibel zusammensetzen. Man muss nicht bestreiten, dass Johannes tatsächlich „Gesichte“ gehabt hat, in jedem Fall aber hat er „gesichtet“, nämlich die Texte der zu seiner Zeit als heilig geltenden Schriften des Judentums.12 So gilt auch hier, dass Hoffnung aus der Erinnerung geschlagen wird.

3. „Der Herr, Gott, der Allherrscher“ Wem die Macht gehört Am Ende des erweiterten Briefpräskripts bietet Johannes in 1,8 ein Gotteswort, eine Selbstvorstellung Gottes, die die Prädikation von 1,4 aufnimmt und erweitert: „Ich bin das Alpha und das O(mega), spricht der Herr, Gott, der Er ist da und der Er war da und der Er kommt, der Allherrscher.“ Gott stellt sich hier zunächst vor als das Alpha und das Omega – der erste und der letzte Buchstabe des griechischen Alphabets. Die Buchstaben (στοιχεῖα) symbolisieren die Elemente. Der erste und letzte Buchstabe umgreifen das ganze Alphabet und also alle Elemente und so gilt hier Gott „als Innbegriff des Alls“13. Alpha und Omega betonen damit Gottes Allsouveränität. Gerade sie steht ja in den Erfahrungen des Johannes und seiner Leser- und Hörerschaft in Frage, die andere Macht leidend wahrnehmen und schmerzlich an sich erleben. Dass hier Gott spricht, gibt Johannes dadurch ausdrücklich zu erkennen, dass er eine in den prophetischen Schriften der Bibel häufig begegnende Zitationsformel aufnimmt, in die er die schon in V. 4 gebrachte Prädikation einfügt: „spricht der Herr, Gott, … der Allherrscher“. Dahinter stehen unterschiedliche Wendungen des hebräischen Bibeltextes. Einmal folgen an vielen Stellen ausgeschriebenes ‫אדני‬, das Tetragramm, das in solchem Fall dann als ‫ אלהים‬gelesen wird, und ‫ צבאות‬aufeinander, zum anderen, ebenfalls an vielen Stellen, das Tetragramm und ‫אלהי צבאות‬, eingeleitet mit ‫ אמר‬oder ‫נאם‬. Bis auf drei Stellen im Amosbuch hat die Septuaginta diese Wendungen verkürzt wiedergegeben. ‫ צבא ות‬hat sie entweder transkribiert (σαβαώθ) oder mit παντοκράτωρ übersetzt. Johannes hat in 1,8 die Bezeichnung παντοκράτωρ betont ans Ende gestellt. Sie findet sich im ganzen übrigen Neuen Testament nur noch einmal in 2 Kor 6,18 im Zitat aus 2 Sam 7,8, bei Johannes jedoch neunmal, siebenmal in der vollen Wendung mit κύριος und θεός, zweimal

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Vgl. J. E BACH, Apokalypse. Zum Ursprung einer Stimmung, in: F.-W. Marquardt u. a. (Hrsg.), Einwürfe 2, München 1985, 5–61, 16f.: „Viele ‚Gesichte‘ der Apokalyptiker erweisen sich bei näherem Hinsehen als das, was sie in den Büchern der hebräischen Bibel, besonders in den Prophetenbüchern ‚gesichtet‘ haben – die ‚Visionen‘ sind ‚Zitate‘.“ 13 E. L OHMEYER, Die Offenbarung des Johannes (HNT 16), Tübingen 1953, 33.

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ohne κύριος.14 Sachlich erfolgt diese Bezeichnung Gottes als des Allherrschers in der Apokalypse aus der Entgegensetzung der Herrschaft Gottes gegen die Herrschaft Roms. Nicht Rom hat die Macht über alle und alles, wenn es auch so aussieht, als habe es die ganze Welt unterworfen – und das ist ja auch sein Anspruch, dass dem so sei –, sondern Israels Gott, der in Jesus, dem Gesalbten, endzeitlich handelnd auf den Plan getreten ist und auf den Plan treten wird. In Offb 4,8 führt Johannes die drei geläufigen biblischen Gottesbezeichnungen und die schon in 1,8 wiederholte Gottesprädikation aus 1,4 noch einmal an, verbunden mit dem dreimaligen „Heilig“ aus Jes 6,3: „Heilig, heilig, heilig der Herr, Gott, mächtig über alles, der Er war da, der Er ist da und der Er kommt.“ An dieser Stelle liegt der Ton darauf, dass Gottes Einzigkeit, seine umfassende Macht und Souveränität im Himmel schon vorbehaltlos anerkannt wird – und sich deshalb auch auf der Erde durchsetzen wird.15 So wird hier die Prädikation aus 1,4.8 noch einmal aufgenommen, jetzt jedoch in der Reihenfolge der Zeiten geboten. Damit soll die All-Souveränität Gottes in ihrer zeitlichen Dimension entfaltet werden, wodurch noch stärker herausgestellt wird, dass diese Prädikation auf den kommenden Gott zuläuft. Das geschieht hier sehr bewusst, wie sich am Verhältnis der Verse 2–8 zu den Versen 9–11 zeigt. Denn die Verse 2–8 zeichnen ein majestätisches himmlisches Bild. Sie stellen heraus, was im Himmel schon offenbar, auf Erden aber noch verborgen ist: die Allherrschaft Gottes. Auf Erden herrschen ja faktisch noch ganz andere. Das ist das Problem, das die Verse 9–11 angehen, indem sie auf Gott als den blicken, der daran geht, seine endzeitliche Herrschaft durchzusetzen; und so werden die in V. 9f. dargestellten Aktionen im Futur formuliert. In V. 9 heißt es: „Und wenn die Wesen Preis, Ehre und Dank darbringen werden16 dem, der auf dem Thron sitzt, der da lebt in alle Weltzeit.“ Hier ist ein zukünftiger Akt im Blick, nicht das Dreimalheilig von V. 8. „Preis, Ehre und Dank“ sind auf lateinisch gloria, honor und actio gratiarum – Dinge, die im politischen Zeremoniell Herrschern zukommen, vor allem

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Man hat darauf hingewiesen, dass es sich bei παντοκράτωρ um einen Schlüsselbegriff der stoischen Gotteslehre handelt und von daher „die Reserve“ der neutestamentlichen Schriftsteller ihm gegenüber zu erklären versucht (so J. R OLOFF, Die Offenbarung des Johannes [ZBK.NT 18], Zürich 1984, 37). Aber ein argumentum e silentio ist immer misslich. Es ist zu erklären, warum der Begriff bei Johannes so häufig begegnet. 15 Nach S. M. M CD ONOUGH, YHWH (s. Anm. 2) 225, ersetzt Johannes die Aussage aus Jes 6,3 („die ganze Erde ist voll seiner Herrlichkeit“) durch die Dreizeitenformel, weil er „Jes 6,3 im Licht anderer Stellen des Alten Testaments liest, die von der Hoffnung sprechen, dass Gottes Herrlichkeit die Erde erfüllen wird“, wie etwa Ps 72,18f. 16 Dass hier das Futur zu lesen ist, zeigen die beiden unbestrittenen Futurformen im Hauptsatz in V. 10.

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natürlich dem Kaiser in Rom.17 Johannes entwirft hier ein himmlisches Gegenbild. Das wird in V. 10 fortgesetzt: Dann „werden die vierundzwanzig Ältesten niederfallen vor dem, der da auf dem Thron sitzt, und dem huldigen, der da lebt in alle Weltzeit, und vor dem Thron ihre Kränze niederwerfen“. Für ein Verständnis im Sinne eines einmaligen futurischen Aktes spricht besonders das letzte Bild vom Niederwerfen der Kränze vor dem Thron. Es ist einem zeitgenössischen Huldigungsakt entnommen, dem aureum coronarium. Dabei handelt es sich um ein Geschenk an den Herrscher, wenn er z. B. in einer Stadt erscheint. Dieses Kranzgeschenk ist ein Akt der Anerkennung und des Dankes für gewährten Schutz.18 Bei Johannes wird dieser Akt des Dankes und der Anerkennung gegenüber Gott vollzogen angesichts dessen, dass Gott dann endgültig alle Macht ergriffen und angetreten haben wird. Dass Gott alle Macht gehöre, er der Allherrscher sei, ist ein streitbarer Gegensatz zur erfahrenen Wirklichkeit, in der Roms allumfassende Macht so offensichtlich zu triumphieren scheint. Diese Wirklichkeit nimmt Johannes sehr deutlich wahr. Er sieht, dass „alle Welt in Bewunderung hinter dem Tier her“ läuft (13,3). Sie huldigt diesem „Tier“, mit dem er die politischmilitärische Macht Roms symbolisiert: „Wer ist dem Tier gleich und wer kann gegen es Krieg führen?!“ (13,4) Roms Waffen seien „unwiderstehlich“, stellen Plutarch und Josephus fest,19 was letzterer auch noch theologisch legitimiert: „Gott, der unter den Völkern die Herrschaft von einem zum anderen übergehen lässt, steht jetzt zu Italien. Als mächtigstes Gesetz gilt eben tatsächlich bei den Tieren wie bei den Menschen, dass man dem Stärkeren weichen muss und dass die Macht nur erlangt, wer die schärfsten Waffen führt.“20 Ganz anders Johannes. Für ihn ist es der Drache, den er als Teufel 17 „Die Ähnlichkeit zwischen den Hymnen in der Offenbarung und Herrscherhymnen, zu Ehren des Kaisers verfasst, zeigt, dass für die Kaiser gebrauchte Attribute von Johannes in den Hymnen der Offenbarung für Gott gebraucht wurden“ (D. E. A UNE, Revelation [WBC 52 A,B,C], Dallas/Nashville 1997–1998, 316). 18 Vgl. D. E. A UNE, The Influence of Roman Imperial Court Ceremonial on the Apocalypse of John, in: BR 28 (1983) 5–26; D ERS., Revelation (s. Anm. 17) 308f. sowie den Exkurs Ancient Wreath and Crown Imagery 172–175. Tac, Ann XV 29,1, berichtet von einem Treffen des mit der Führung der 5. Legion beauftragten jungen Corbulo mit König Tiridates, bei dem vereinbart wurde, „Tiridates solle vor dem Bild des Kaisers (= Nero) sein königliches Diadem niederlegen und es aus der Hand Neros zurücknehmen“. Die Prozedur des Niederlegens wenige Tage später wird in Abschnitt 3 geschildert: „An dieses (= das Bildnis Neros) trat Tiridates heran, nahm, nachdem der Sitte gemäß Opfertiere geschlachtet worden waren, vom Haupt das Diadem und legte es vor dem Bildnis nieder“ (zit. nach E. H ELLER [Hrsg.], Annalen. Lateinisch-Deutsch [Sammlung Tusculum], Düsseldorf ³1997). 19 Jos, Bell I 135; Plut, Lucull 26. 20 Jos, Bell V 366f. (zit. nach O. Michel/O. Bauernfeind [Hrsg.], De bello Iudaico. Griechisch-Deutsch, 3 Bde., Darmstadt 1959–69).

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identifiziert, die Macht des Chaotischen, der dem „Tier“ die Macht gegeben hat (13,2.4). Wenn er den Drachen als auctor römischer Staatsgewalt anführt, geht es ihm nicht um Mystifizierung, sondern ganz im Gegenteil um Kenntlichmachung: Die Staatsgötter, mit denen die bestehende strukturelle Gewalt des Reiches legitimiert wird, sind in Wahrheit die Macht des Chaotischen. Die von Rom hergestellte Ordnung ist zutiefst Unordnung; sie ist chaotisch. Wer der Macht der Gewalt vertraut, betet den Teufel an. Bei der Darstellung dessen, was das Tier nach 13,5–7 tut, zeigt sich eine eigenartige Besonderheit in der Formulierung. Bei allem, was Johannes hier von dem Tier als dessen Aktivitäten aussagt, stellt er voran: „Es wurde ihm gegeben“ (ἐδόθη). Das geschieht viermal. Es wurde ihm gegeben, es wurde ihm eingeräumt, das zu tun, was es tut. Logisches Subjekt kann in diesem Passiv nur Gott sein. Eben noch, in V. 4, hatte es wie schon in V. 2 geheißen, dass der Drache dem Tier seine Macht gegeben habe. Johannes bemüht sich nicht um einen logischen Ausgleich beider Aussagen; er bringt sie nicht in ein widerspruchsfreies System. Er macht sie beide nebeneinander und muss sie offenbar machen. Logische Widerspruchsfreiheit wäre hier nur um einen sehr hohen Preis zu haben. Das kann man sich daran klar machen, wenn jeweils nur eine Aussage gemacht würde. Dann wäre zwar Widerspruchsfreiheit erreicht, aber was wäre damit gewonnen? Würde nur ausgesagt, dass der Drache dem Tier seine Macht gegeben hätte, würde die Welt im wahrsten Sinn dem Teufel überlassen. Würde auf der anderen Seite nur gesagt, dass dem Tier von Gott gegeben worden ist, das zu tun, was es tut, dann würde eine als teuflisch erfahrene Wirklichkeit auch noch theologisch legitimiert. Johannes muss also beide Aussagen machen. Wie sollte angesichts der Erfahrungen, die er und die Seinen machen, angesichts der blutig erlittenen Herrschaft Roms, der Glaube an Gott als Schöpfer und Herrn der Welt anders festgehalten werden können als – im Widerspruch?! Die logische Widersprüchlichkeit ist nichts anderes als die Konsequenz dessen, dass Gott selbst an der widersprüchlichen Wirklichkeit teilhat, an ihr leidet und ihr widerspricht und so dem Widersprechen Raum gibt. Die widersprüchliche und dualistisch erscheinende Redeweise macht deutlich, dass Gott noch nicht am Ziel ist. Deshalb redet Johannes vom kommenden Gott. Gott ist noch nicht am Ziel. Aber als der kommende Gott überlässt er diejenigen nicht der Hoffnungslosigkeit, die auf ihn ihr Vertrauen setzen. An zwei Stellen, an denen Johannes zur Prädikation Gottes das Dreizeitenschema aufnimmt, lässt er das dritte Glied weg (11,17; 16,5). Dennoch bleibt für ihn Gott der Kommende. In 11,17 fallen nach dem Blasen der siebten Posaune die 24 Ältesten im himmlischen Thronsaal vor Gott nieder und huldigen ihm mit den Worten: „Wir danken Dir: Herr, Gott, Allherrscher, der Er ist da und der Er war da.“ Der Kontext zeigt, dass das dritte Glied bewusst weggelassen ist; denn in dieser Vision ist Gott schon gekommen bzw. im Kommen begriffen. Da muss er nicht mehr als der Kommende proklamiert

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werden. Das zeigt die Begründung des Dankes in V. 17b: „Denn Du hast Deine große Macht eingenommen und die Herrschaft ergriffen.“ Bei den Verben findet sich hier ein Nebeneinander von Perfekt und Aorist: das Feststellen einer erfolgten Aktion und deren Resultat, wobei das Resultat zuerst genannt wird. Inhaltlich erfolgt ein Bezug auf 4,11. Hatte es dort geheißen: „Du bist würdig, die Macht zu nehmen“, so wird hier nun festgestellt: „Du hast Deine Macht eingenommen.“ Diese Formulierung ist aufschlussreich. Gott hat nicht die Macht ergriffen, sondern seine. Die Macht ist seine, ihm kommt sie zu. Wird sie von anderen ergriffen, ist sie usurpierte Macht. Der Alleinanspruch Gottes auf Macht verurteilt daher Machtausübung von Menschen über Menschen als Usurpation. Diesem Alleinanspruch Gottes auf Macht entspricht somit auf Seiten der Menschen allein Geschwisterlichkeit. Der Dank in V. 17b nimmt auf, was vorher schon in Offb 11,15 „laute Stimmen im Himmel“ proklamierten: „Die Herrschaft über die Welt ist unserem Herrn zugefallen und seinem Gesalbten; und er wird herrschen auf immer und allezeit.“ Was diese Stimmen im Himmel von sich geben, ist die Spitzenaussage der Apokalypse, auf die Johannes dauernd schon hinzielte, die er hier erstmals in definitiver Form macht, die er der Sache nach noch mehrmals wiederholen wird und die trotz aller Definitivität der Formulierung doch den Modus der Hoffnung hat. Und hier ist sofort auch wieder klar, dass diese Spitzenaussage eine politische ist. Denn das regnum mundi, „die Herrschaft über die Welt“, hat gemäß den auf der Hand liegenden Fakten, gemäß der erfahrbaren und erfahrenen Macht der Kaiser in Rom inne. Das wird ihm bestritten. Das regnum mundi gehört Gott, der hier als „unser Herr“ bezeichnet wird. Die biblische Tradition von der Herrschaft Gottes bietet für Johannes die Voraussetzung seines Redens. So formuliert etwa Ps 22,29: „Ja, dem Ewigen gehört die Königsherrschaft und er herrscht über Völker.“ Oder in Obd 21 heißt es: „Dem Ewigen wird die Königsherrschaft zufallen.“ Der Aorist bei Johannes ist nicht gegenüber dem Futur bei Obadja zu profilieren, wie einerseits die präsentische Aussage in Ps 22,29 deutlich macht. Und andererseits steht auch bei Johannes die volle Einlösung noch aus. Die aoristische Form ist christologisch verursacht. Nach Gott wird „sein Gesalbter“ genannt, der Messias. Auch diese Formulierung hat biblische Voraussetzungen. In Ps 2,2 stehen „der Ewige“ (in der Septuaginta mit κύριος wiedergegeben) und „sein Gesalbter“ als der von Gott Beauftragte nebeneinander. Für Johannes zeigt sich der Herrschaftsantritt Gottes an dessen neuschöpferischem Handeln an Jesus. Das deutet sich schon an, wo er erstmals ausführlicher von Jesus spricht (1,5), und wird vollends klar, wo er ihn erstmals selbst reden lässt (1,17f.). Für den Wohlergehenswunsch wird in 1,5 als dritter Urheber der Gesalbte Jesus genannt und dann so näher gekennzeichnet: „der treue Zeuge, der Erstgeborene der Toten und der Herrscher über die Könige der Erde.“ Diese drei Umschreibungen Jesu stehen in einem sachlichen Zu-

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sammenhang miteinander und gehen auf Schriftstellen zurück, nämlich Ps 89,28.38. Als „mein treuer Zeuge“, der in Pergamon getötet worden ist, wird in 2,13 ein Antipas von dem dort als redend vorgestellten Jesus bezeichnet. Diese Parallelisierung legt für das Verständnis von 1,5 nahe: Wie Antipas treuer Zeuge Jesu bis zu und mit seinem Tod war, so ist Jesus als treuer Zeuge bis zu und mit seinem gewaltsamen Tod für Gott eingestanden. Zugleich spielt Johannes mit dieser Formulierung Ps 89 ein. Dort wird in V. 38 David mit dem Mond verglichen, der als „treuer Zeuge in der Höhe“ erscheint. Im selben Textzusammenhang hieß es vorher im Blick auf David in V. 28: „Ja, ich will ihn als Erstgeborenen einsetzen, als Höchsten unter den Königen der Erde.“ Hier begegnet sowohl die Prädikation „Erstgeborener“ als auch die Überordnung über die Könige der Erde. Beides wird gleich anschließend in Offb 1,5 auf Jesus bezogen ausgesagt. „Erstgeborener der Toten“ ist Jesus als von den Toten Auferweckter. Die Aufnahme dieser Prädikation an dieser Stelle der Apokalypse dürfte in folgender Weise ihr besonderes Profil gewinnen: Die vorangehende Zeugenprädikation stellte Jesus mit seinen getöteten Zeugen zusammen. Wenn er jetzt als „Erstgeborener der Toten“ im Blick auf seine Auferweckung bezeichnet wird, dann impliziert das die Vorstellung von „Nachgeborenen“, d. h. auch für die getöteten Zeugen Jesu wird der Tod nicht das Letzte sein, was über sie zu sagen ist. Die dritte Prädikation, „Herrscher der Könige der Erde“, betont die gegenwärtige Stellung des Gesalbten Jesus, die aber nicht an der faktischen Wirklichkeit der Welt festzumachen ist und ihr deshalb widerspricht. Ihr Anspruch ragt weit über den Bereich der Gemeinde hinaus, ist geradezu weltumspannend. Die gebrauchte Terminologie ist politisch. „Könige der Erde“ gab es faktisch, besonders im Osten des römischen Reiches, da hier Rom seine Herrschaft weithin mit einem Klientelsystem von abhängigen Vasallenfürsten ausübte. „Herrscher“ über sie war der römische Kaiser. Das hier von Johannes für Jesus beanspruchte Wort ἄρχων ist die griechische Entsprechung zu dem lateinischen princeps, also zu der wichtigsten Bezeichnung des römischen Kaisers seit Augustus.21 Dessen Herrschaft wird mit dieser auf Jesus bezogenen Prädikation als vordergründiger Schein behauptet und stattdessen die weltumspannende Herrschaft Jesu proklamiert,22 die von ganz anderer Qualität ist.23 21

Auf die bedeutende politische Dimension dieses Titels weist D. E. A UNE, Revelation (s. Anm. 17) 40, hin. 22 Nach C. K NORR VON R OSENROTH, Apokalypse-Kommentar (hg. v. I. M. Battafarano / Forschungen zur europäischen Kultur 22), Bern 2004 (= Eigentliche Erklärung über die Gesichter der Offenbarung S. Johannis, 1670) 41, bezeichnet Johannes Jesus so, „damit er den Glaubigen einen Muth mache / daß sie sich durch keine Furcht für weltlicher Gewalt abwendig machen liessen seiner Lehr und Leben zu folgen“. Das ist wesentlich näherliegend, als diese Kennzeichnung „vor dem Hintergrund einer überweltlichen

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Die drei Prädikationen Jesu in 1,5 stehen damit in einem klaren Zusammenhang: Tod – Auferweckung – gegenwärtige Herrschaft. Sie enthalten in der Tat so etwas wie „eine kleine Christologie“24, wobei aber zu betonen ist, dass diese Christologie deutlich politisch akzentuiert ist. Mit dem Zeugenbegriff wird Jesus in der Situation der Leser- und Hörerschaft der Apokalypse als Opfer römischer Herrschaft kenntlich gemacht und mit der Bezeichnung als ἄρχων am Schluss als ihr Überwinder. Der Glaube an Jesus widerspricht dem Anspruch römischer Herrschaft und vertraut dessen anderer Herrschaft, die in der Auferweckung begründet ist. Indem der Blick der die Apokalypse Lesenden und Hörenden, die ja selbst potentielle Opfer römischer Herrschaft sind, in dieser Weise auf Jesus gerichtet wird, werden sie ermutigt, bei ihrer Zeugenschaft zu bleiben und also weiterhin durchzuhalten und zu widerstehen. Als lebendig Gemachter, als „Erstgeborener der Toten“, als in einem Akt endzeitlicher Neuschöpfung an die Seite Gottes Gestellter wird Jesus in der Dimension Gottes gesehen, ohne damit zu Gott gemacht zu werden. Das wird auch deutlich, wo Johannes in seinem Buch Jesus erstmals selbst zu Wort kommen lässt, in 1,17f. Zunächst stellt sich Jesus mit drei Bezeichnungen vor: „Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige.“ In der biblischen Tradition werden solche Aussagen von Gott gemacht (Jes 44,6; 48,12), ebenso in Offb 1,4.8; 21,6. Wenn es hier Jesus von sich selbst sagt, so will Johannes damit deutlich machen: Gott tritt in ihm auf den Plan, handelt in ihm, und zwar als der, der er in seiner Treue immer schon war und bleiben wird.25 Mit „Erster und Letzter“ wird All-Souveränität in zeitlicher Hinsicht ausgesagt. Dass das von Jesus nicht absolut gilt, also losgelöst von seiner Beziehung auf Gott, sondern nur insofern der ewige Gott in ihm und durch ihn zum Zuge kommt, wird gleich der zweite Punkt deutlich machen. Es geht also nicht darum, dass Jesus an die Stelle Gottes tritt oder vergöttlicht wird. Doch zuvor

Archontenvorstellung … zu sehen“ (so M. K ARRER, Die Johannesoffenbarung als Brief. Studien zu ihrem literarischen, historischen und theologischen Ort [FRLANT 140], Göttingen 1986, 119). 23 Im Anschluss an E. Schüssler-Fiorenza sieht C. JOCHUM-B ORTFELD, Die zwölf Stämme in der Offenbarung des Johannes. Zum Verhältnis von Ekklesiologie und Ethik, München 2000, 130, hinter ἄρχων den ‫נישׂא‬: „Er ist ein Fürst inmitten des Zwölfstämmevolkes (und nicht über dem Volk). Er ist kein absoluter Herrscher mehr, der das Land, das dem ganzen Volk gehört, in seine Verfügungsgewalt bringt.“ 24 H. K RAFT, Die Offenbarung des Johannes (HNT 16a), Tübingen 1974, 33. 25 Nach H. G IESEN, Johannes-Apokalypse (s. Anm. 1) 37f., beweist diese Art der Darstellung, dass der Seher „wie tot“ zu seinen Füßen fällt, „die Gottgleichheit des Menschensohnähnlichen“. Er will das stützen durch Vergleich mit Offb 22,8f., wo es der Deuteengel Johannes untersagt, ihm zu huldigen; das komme allein Gott zu. Aber dort ist ausdrücklich vermerkt, dass Johannes ihm zu Füßen fiel, um ihm zu huldigen, während in 1,17 gesagt ist, dass er dem Menschensohnähnlichen „wie tot“ zu Füßen fiel.

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ist noch auf das auffällige dritte Glied in diesem ersten Punkt der Selbstvorstellung Jesu einzugehen: „der Lebendige“. Die All-Souveränität in Bezug auf die Zeit gilt so wenig wie beim Gott Israels in abstrakter Zeitlosigkeit, sondern der zeitüberlegene Jesus erweist sich in der Zeit als der Lebendige. Vor allem aber wird die Lebendigkeit Jesu ausgesagt im Blick auf sein Todesschicksal. Nicht die Weltmacht, die ihn brutal aus dem Weg geräumt hat, triumphiert. Er ist der Lebendige, nicht totzukriegen. Dieser Aspekt wird im zweiten Punkt der Selbstvorstellung ausdrücklich ausgeführt. Dessen Aussagen basieren auf einem bestimmten Geschehen. „Und ich war tot, und siehe: Lebendig bin ich auf immer und allezeit.“ Ähnliche Aussagen begegnen im Blick auf den zweiten Teil biblisch wiederum von Gott. So heißt es in Dtn 32,40 in der Gottesrede: „Lebendig bin ich auf immer.“ In Sir 18,1 wird Gott prädiziert: „Der auf immer Lebendige.“ Eigentümlich ist demgegenüber, dass sich der erhöhte Jesus ausdrücklich auf seinen Tod bezieht. Das ist nach der vorangehenden Prädikation eigentlich ein Unding. Wie kann vom Ersten und Letzten und Lebendigen ausgesagt werden, dass er „tot war“? Aber dieser Tod gehört offenbar unlösbar zu seiner Identität hinzu. So paradox es auch klingen mag: Er gehört hinzu als Teil seiner Lebendigkeit. Denn der Tod Jesu ist hier nicht verstanden als vorübergehender Betriebsunfall, der durch die Auferstehung schnell repariert und ausgebügelt worden wäre. Gewiss, Jesus ist nicht totzukriegen; seine legalen Mörder werden nicht triumphieren. Er triumphiert – dank Gottes endzeitlichneuschöpferischer Tat der Auferweckung. Aber sein Triumph ist anders als der ihre. In ihn bleibt sein Schicksal eingezeichnet. Als drittes sagt Jesus am Ende von V. 18: „Und ich habe die Schlüssel des Todes und des Hades.“ Diese Schlüssel schließen den Bereich zu und auf, in den die Toten eingeschlossen sind. Jesus als der Lebendige, der gestorben war und auf immer lebt, hat auch die Macht, Tod und Hades die Beute zu entreißen, hat die Macht, Tote lebendig zu machen. Die Weltgeschichte ist nicht tödlich geschlossen; die Weltgeschichte ist nicht das Weltgericht, sondern der von Gott Auferweckte schließt die Weltgeschichte, die über Leichen gegangen ist, wieder auf. Hier artikuliert sich Auferstehungshoffnung gegen die tödliche Macht des Faktischen. In erster Linie dürfte Johannes dabei an die Märtyrer in der eigenen Gemeinschaft denken. Vom Glauben an Gottes neuschöpferische Tat am toten Jesus her also kann Johannes in 11,15 formulieren: „Die Herrschaft über die Welt ist unserem Herrn zugefallen und seinem Gesalbten; und er wird herrschen auf immer und allezeit.“ Gott hat die Herrschaft über die Welt angetreten, das regnum mundi in die Hand genommen. Dennoch bleibt der in Jesus gekommene Gott doch immer noch zugleich der kommende Gott. Denn Jesus ist seiner Gemeinde entzogen als jemand, auf dessen Kommen gewartet wird. Das wird besonders deutlich im Schlusskapitel der Apokalypse. Als letztes Wort lässt Johannes Jesus sagen: „Ja, ich komme schnell“ (Offb 22,20; vgl. 22,7.12 und vorher

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schon 2,16; 3,11). Er antwortet damit auf die Rufe zu seinem Kommen aus V. 17. Daran fügt Johannes mit dem „Amen“ eine bekräftigende Zustimmung an und lässt die erneute Bitte um das Kommen Jesu folgen, wobei die Situation sicher so vorzustellen ist, dass die der Lesung dieses Buches zuhörende Gemeinde nun ihrerseits laut in diese Worte einstimmt: „Amen. Komm, Jesus, Herr!“ Die Gemeinde macht sich die Zusage Jesu zu eigen: Ja, so soll es sein; er möge endlich kommen. Und sie wiederholt noch einmal eindringlich mit lautem Rufen die Bitte. Es ist die Bitte der standhaltenden und durchhaltenden Gemeinde, die nur deshalb standhalten und durchhalten kann, weil sie die gewisse Hoffnung hat, dass schließlich doch Recht und Gerechtigkeit hergestellt werden wird. Dafür steht der kommende Gott ein.

4. „… uns zu einem Königreich gemacht“ Gemeinde als Erfahrungsraum Die Botschaft von der Herrschaft Gottes und seinem Gesalbten ist keine bloße Behauptung, die von der Wirklichkeit, d. h. von der faktischen Macht des Kaisers leicht falsifiziert werden könnte. Es ist keine Behauptung ohne jede Realität. Sie hat ihren Erfahrungsraum in der Gemeinde. Es gibt Menschen, die für diese Behauptung einstehen, die die Macht des Kaisers bestreiten, noch mit ihrem Tod bestreiten, Menschen, die sich dem politischen und gesellschaftlichen System ihrer Gegenwart entziehen. Es gibt die Gemeinde, die der proklamierten Herrschaft Gottes zu entsprechen sucht. Sie weiß sich von Jesus als dem messianisch von Gott Beauftragten „zu einem Königreich gemacht“, „zur Herrschaft gebracht“ (1,6; 5,10). Sie stellt diese βασιλεία dar. Die βασιλεία, die allen vor Augen lag, war das regnum romanum. Im Griechischen wurde der Kaiser in Rom als βασιλεύς („König“) bezeichnet. Es ist das besondere Profil dieser Stelle, dass demgegenüber nicht einfach nur eine überlegene βασιλεία des Gesalbten Jesus im Himmel behauptet wird, sondern dass diese βασιλεία Raum gewinnt auf der Erde in der Gemeinde. Die Gemeinde wird so verstanden als eine Gegenwelt zum Imperium Romanum, als Statthalter der Herrschaft des Gesalbten Jesus auf Erden. Βασιλεία wird hier von denen ausgesagt, die alles andere als Herrschaft in der Hand zu haben scheinen, die vielmehr in der Hand der Herrschenden sind, deren potentielle und aktuelle Opfer. Das bedeutet dann aber auch, dass diese Herrschaft anderer Art ist als die Roms, dass dieses Reich als ein Gegenreich dem Imperium Romanum nicht auf derselben Ebene der Gewalt entgegentritt. Die Entgegensetzung der Gemeinde zu Rom zeigt sich auch darin, dass die Vision des vom Himmel herabkommenden Jerusalem als der Braut des Lammes der Vision von der auf dem Tier reitenden Hure genau entgegengesetzt ist (vgl. 21,9f. mit 17,1–3). Johannes konzipiert also Gemeinde als einen antiimperialen

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Entwurf. Davon sei jetzt nur aufgenommen, dass es am Ende, in 22,5, von den Bewohnern dieser Stadt heißt: „Und sie werden machtvoll regieren (βασιλεύσουσιν) für immer und alle Zeit.“ Allerdings: Diese Regentschaft ist gegenstandslos im wahrsten Sinn des Wortes. Sie hat keine Objekte. Wenn alle herrschen, gibt es keine Beherrschten. Ihren Sinn hat solche Redeweise nur in der Bestreitung noch ausgeübter Herrschaft, unter der Johannes und die Seinen zu leiden haben. Unter ihnen vollzieht sich die Herrschaft Gottes als herrschaftsfreie Geschwisterschaft. Im Protest gegen eine als niederschmetternd erfahrene Realität bietet die Apokalypse die Imagination einer anderen Welt. Johannes ist kein Fetischist der Katastrophe. Sein Buch ist nicht düster; es ist durchzogen von Gesang. Immer wieder finden sich Stücke, die Gott und seinen Messias lobpreisen. In sie kann und soll die Gemeinde beim Verlesen des Buches einstimmen. So gilt: Das „neue Lied“ (5,9), dass es nicht immer so weiter gehen wird, wird schon gesungen, Gottesdienst wird schon gefeiert. Das Miteinander in der Gemeinde wird schon gelebt. Die Verweigerung des Mitmachens bei den Ritualen der herrschenden Macht, des Mitlaufens im allgemeinen gesellschaftlichen Trend ist kein Ausstieg aus der Geschichte, kein Rückzug in einen Raum untätigen Abwartens. Es geht vielmehr darum, dass eine Alternative gelebt wird: eine Prolepse aus der Kraft dessen, woran geglaubt und worauf gehofft wird, aus der Kraft des kommenden Gottes.

„Gott bete an!“ (Offb 19,10; 22,9) Christusbild und Gottesbild der Johannesoffenbarung im Spannungsfeld von wesensmäßiger und funktionaler Einheit und Differenz Konrad Huber Im Brennpunkt einer Sondierung und systematisierenden Beschreibung des im Text vermittelten Gottesbildes steht für die Offenbarung des Johannes wie für jede Schrift des Neuen Testaments nicht zuletzt immer auch die Frage nach der Relation von Theologie und Christologie, von monotheistischer Grundüberzeugung und Christusglaube. Auf der einen Seite attestiert man der Johannesoffenbarung gemeinhin eine ausgeprägte Theozentrik,1 auf der anderen Seite begegnet in ihr eine ausgesprochen facettenreiche, vielschichtige und nicht selten durchaus eigenwillig ins Bild gesetzte Christologie.2 Dabei gilt es, für die Christologie der Johannesoffenbarung in der modernen Forschung seit Beginn des 20. Jahrhunderts, was ihre Bewertung und Einstufung anlangt, eine zum Teil sehr deutlich artikulierte Kontroverse zu konstatieren: Sprechen die einen von einer Erhöhungschristologie oder einer zumindest in Teilaspekten nicht voll entfalteten Christologie, deren Entwicklungsgrad je nach Einschätzung zudem unterschiedlich eingestuft wird,3 steht dem auf der anderen Seite die Überzeugung einer kaum mehr zu überbietenden Hochchristologie gegenüber, zu deren zentralen Schlagworten die Rede von der Göttlichkeit Christi und seiner Seins- und Funktionseinheit mit Gott gehört.4 1

So z. B. F. J. MURPHY, The Book of Revelation, in: Currents in Research: Biblical Studies 2 (1994) 181–225, 202f. 2 Vgl. dazu K. HUBER, Jesus Christus – der Erste und der Letzte. Zur Christologie der Johannesapokalypse, in: J. Frey/J. A. Kelhoffer/F. Tóth (Hrsg.), Die Johannesapokalypse. Kontexte – Konzepte – Rezeption (WUNT 287), Tübingen 2012, 435–472. 3 So schon T. HOLTZ, Die Christologie der Apokalypse des Johannes (TU 85), Berlin 2 1971, der für die Christusgestalt in Offb 1 etwa eine „Stellung nahe unter Gott“ konstatiert, ohne dass der „Schritt zur vollen Vergottung“ (126) schon getan sei. Vgl. auch T. HOLTZ, Gott in der Apokalypse, in: DERS., Geschichte und Theologie des Urchristentums. Gesammelte Aufsätze, hrsg. v. E. Reinmuth/C. Wolff (WUNT 57), Tübingen 1991, 329–346, 343f. 4 So besonders etwa bei G. R. BEASLEY-MURRAY, The Contribution of the Book of Revelation to the Christian Belief in Immortality, in: SJTh 27 (1974) 76–93; D. GUTHRIE,

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Zu dieser Frage, dem „produktiven Spannungsverhältnis“ 5 zwischen Gottesbild und Christusbild im letzten Buch des neutestamentlichen Kanons, soll in den folgenden Ausführungen vor allem von der Christologie her kommend ein Beitrag geleistet werden. Das Feld der expliziten Epitheta, Hoheitstitel und titular gebrauchten Wendungen, die in der Johannesoffenbarung für Gott bzw. für Jesus Christus begegnen, und der spezifische Beitrag von dorther gerade auch für die Frage nach der Gottesrede dieser Schrift wird dabei bewusst ausgeblendet bleiben6 und das Verhältnis von Gottesbild und Christusbild primär vor dem Hintergrund von darüber hinausgehenden Aussagen funktionaler und wesensmäßiger Art reflektiert werden. Beide Themenbereiche lassen sich letztlich freilich nicht scharf voneinander trennen, und ein Gesamtbild ist ohnehin nur in der Zusammenschau der beiden – und noch weiterer – Fragestellungen zu gewinnen.7

1. Gott und Christus als Adressaten von Anbetung Das für den Titel dieses Beitrags gewählte Zitat führt einen der entscheidenden Kernaspekte der skizzierten Fragestellung unmittelbar vor Augen: „Gott bete an!“ In wörtlicher Übereinstimmung findet sich die prägnante Aufforderung τῷ θεῷ προσκύνησον gleich zweimal in der Johannesoffenbarung, in The Christology of Revelation, in: J. B. Green/M. Turner (Hrsg.), Jesus of Nazareth: Lord and Christ. Essays on the Historical Jesus and New Testament Christology, Grand Rapids 1994, 397–409; M. HENGEL, Die Throngemeinschaft des Lammes mit Gott in der Johannesapokalypse, in: ThBeitr 27 (1996) 159–175; O. HOFIUS, Das Zeugnis der Johannesoffenbarung von der Gottheit Jesu Christi, in: H. Lichtenberger (Hrsg.), Geschichte – Tradition – Reflexion. Band III: Frühes Christentum (FS M. Hengel), Tübingen 1996, 511–528; T. SÖDING, Gott und das Lamm. Theozentrik und Christologie in der Johannesapokalypse, in: K. Backhaus (Hrsg.), Theologie als Vision. Studien zur Johannes-Offenbarung (SBS 191), Stuttgart 2001, 77–120; D. SÄNGER, „Amen, komm, Herr Jesus!“ (Apk 22,20). Anmerkungen zur Christologie der Johannes-Apokalypse, in: F. W. Horn/M. Wolter (Hrsg.), Studien zur Johannesoffenbarung und ihrer Auslegung (FS O. Böcher), Neukirchen-Vluyn 2005, 71–92. – Vgl. insgesamt dazu den Forschungsüberblick in K. HUBER, Einer gleich einem Menschensohn. Die Christusvisionen in Offb 1,9–20 und Offb 14,14–20 und die Christologie der Johannesoffenbarung (NTA 51), Münster 2007, 16–73. 5 U. SCHNELLE, Theologie des Neuen Testaments (UTB 2917), Göttingen 22014, 716. 6 Siehe dazu den Beitrag von Martin Stowasser in diesem Band. 7 Ähnlich auch T. SÖDING, Gott (s. Anm. 4) 77: „Eine Konzentration auf christologischtheologische Titel und Formeln wäre eine Verkürzung.“ – Für einen Ansatz etwa unter dezidiert narrativer Perspektive vgl. beispielsweise M. E. BORING, Narrative Christology in the Apocalypse, in: CBQ 54 (1992) 702–723. Für eine metaphorische Perspektive vgl. z. B. M. KARRER, Sprechende Bilder. Zur Christologie der Johannesapokalypse, in: J. Frey/J. Rohls/R. Zimmermann (Hrsg.), Metaphorik und Christologie (TBT 120), Berlin 2003, 111–129.

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Offb 19,10 und Offb 22,9, beide Male in direkter Rede des Deuteengels an den Seher Johannes gerichtet, der seinerseits im Begriff ist, sich dem Engel zu Füßen zu werfen (πίπτειν ἔµπροσθεν τῶν ποδῶν) und ihn anzubeten (προσκυνεῖν). Mit dem Hinweis darauf, dass er nichts anderes als „Mitknecht“ (σύνδουλος) des Johannes und seiner Brüder ist, letztlich also – obwohl himmlisches Wesen – auf einer Stufe mit ihnen steht, begründet der Engel seine energische Zurückweisung dieses Ansinnens. Anbetung, Proskynese – so der Deuteengel und mit ihm auch die Aussageintention des gesamten Buches – gebührt allein Gott. Die Johannesoffenbarung insgesamt setzt sich im Grunde genommen mit der einen zentralen Frage auseinander, wem tatsächlich und eigentlich ausschließlich Anbetung, göttliche Verehrung zukommt. An den Vorkommen von προσκυνέω im Text lässt sich dabei die fundamentale Opposition deutlich ablesen. Von den beiden bereits genannten Stellen abgesehen (Offb 19,10; 22,8–9), steht das Verbum weitere achtmal dort, wo von Anbetung Gottes etwa im himmlischen Thronsaal (bzw. Tempel) durch himmlische Wesen, aber auch durch Menschen die Rede ist, diese inszeniert oder eingefordert wird (Offb 4,10; 5,14; 7,11; 11,1.16; 14,7; 15,4; 19,4). Auf der anderen Seite begegnet προσκυνέω neben der Götzenkritik in Offb 9,20 – trotz drastischer Plagen hören die Menschen nicht auf, sich vor Dämonen und Götzen, den Machwerken ihrer Hände, niederzuwerfen – in Verbindung mit den widergöttlichen Mächten: Der Drache und das Tier und das Standbild des Tieres erfahren geradezu weltweit Anbetung bzw., negativ formuliert, im Glauben standhafte Christen verweigern ihnen diese Verehrung und haben dafür mit entsprechend harten Konsequenzen zu rechnen (Offb 13,4.8.12.15; 14,9.11; 16,2; 19,20; 20,4). Lediglich Offb 3,9, die Ankündigung des Menschensohngleichen, dass er bewirken werde, dass Mitglieder der sogenannten Synagoge Satans sich vor den Füßen der christlichen Gemeinde huldigend niederwerfen werden (προσκυνήσουσιν ἐνώπιον8 τῶν ποδῶν σου), scheint (zumindest vordergründig) dieser nicht zuletzt auch numerisch ausgewogenen Opposition von Gott und widergöttlichen Mächten als Adressaten des προσκυνέω entgegenzustehen. In der Auslegung zur Stelle bemüht man sich denn auch, diese entsprechend einzuordnen: Es gehe nicht unmittelbar um eine Anbetung der Gemeinde, das hier in Aussicht gestellte Verhalten bedeu-

8 Die Konstruktion mit ἐνώπιον begegnet auch in Offb 15,4 (vgl. Ps 21,28; 85,9; Jes 66,23 u. a.). Ein Bedeutungsunterschied zur Konstruktion mit ἔµπροσθεν oder Dativ bzw. Akkusativ der Person ist nicht erkennbar; vgl. J. M. NÜTZEL, Art. προσκυνέω, in: EWNT III (32011) 419–423, 420. – Sprachlich fällt auf, dass ein προσκυνεῖν „vor den Füßen“ nur in Offb 3,9 begegnet. In Offb 19,10 und intentional wohl auch in Offb 22,8 (das ἔµπροσθεν ist dort freilich nicht eindeutig auf πίπτω zu beziehen) ist προσκυνέω demgegenüber mit direktem Objekt (αὐτῷ) konstruiert.

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te vielmehr „die Anerkennung des Handelns Gottes in Christus an der Gemeinde“9. So sehr es im Sinne der Johannesoffenbarung gilt, den satanischen Mächten die Anbetung zu verweigern, so sehr gilt auch, dass Proskynese keinem Geschöpf, und sei es selbst der Engel Gottes (vgl. Offb 22,6),10 zukommt. Wie alle übrigen himmlischen Wesen gehört auch dieser besondere Engel auf die Seite der Geschöpfe und nicht auf die des Schöpfers. Die Szene in Offb 5,1–5 im Rahmen der Thronsaalvision (Offb 4–5) macht das unmissverständlich deutlich. Dort ist zweifach unterstrichen die Rede davon, dass niemand (οὐδείς) im Himmel, auf der Erde und unter der Erde (Offb 5,3.4) – die „Gesamtheit der Geschöpfe Gottes“11 also (vgl. Offb 4,11; 5,13) – würdig ist, das siebenfach versiegelte Buch, das der auf dem Thron Sitzende in seiner Rechten hält (Offb 5,1), von Gott zu empfangen und es zu öffnen. Einzige Ausnahme ist das Lamm, der unter Rückgriff auf alttestamentliche messianische Verheißungen („der Löwe aus dem Stamm Juda“ [vgl. Gen 49,9–10]; „die Wurzel Davids“ [vgl. Jes 11,1.10]) in Offb 5,5 zunächst noch geheimnisvoll angekündigte und dann in Offb 5,6 in der Figur des geschlachteten (ὡς ἐσφαγµένον) und zugleich machtvoll dastehenden (ἑστηκός) Lammes präsentierte Christus. Anders als alle Geschöpfe ist Christus würdig, das Buch zu empfangen12 und Einsicht in dieses Buch zu nehmen (Offb 5,4.9.12). Und in der Folge werden dem Lamm – wie vorher in Offb 4 Gott selbst und zum Teil auch im Wortlaut darauf hin abgestimmt13 – von den 9

H. GIESEN, Die Offenbarung des Johannes (RNT), Regensburg 1997, 133. Vgl. auch J. M. NÜTZEL, προσκυνέω (s. Anm. 8) 422. Nach J. ROLOFF, Die Offenbarung des Johannes (ZBK.NT 18), Zürich 32001, 61, ist „die volle Teilhabe der Gemeinde an der Herrschaft Christi und das Sitzen mit ihm auf seinem Thron (V. 21)“ vorausgesetzt. 10 Der Engel Gottes (ὁ ἄγγελος αὐτοῦ; Offb 22,6; vgl. 22,8f.) ist mit Blick auf die parallelen Aussagen in Offb 1,1; 22,16 zugleich der Engel Jesu Christi – auch das Hinweis auf bzw. Ausdruck für die im Text postulierte Einheit zwischen Gott und Christus (siehe unten unter 3.1.). 11 O. HOFIUS, Zeugnis (s. Anm. 4) 520. 12 In der Bedeutung zwar offen, ist in Offb 5,7 (vgl. 5,8.9) analog zu Offb 4,11; 5,12 bei λαµβάνω wohl besser an ein Empfangen als an ein initiatives (Entgegen-)Nehmen zu denken. Dennoch sieht A. SATAKE, Die Offenbarung des Johannes (KEK 16), Göttingen 2008, 211 Anm. 86, mit der Formulierung „das Lamm kam und empfing“ dessen Aktivität betont. Mit der Präsentation Christi als einen „aktive[n] Initiator“ (ebd. 87) in seinem Verhältnis zu Gott mache die Johannesoffenbarung auch sonst „sorgfältig und konsequent einen Unterschied zwischen Christus und den Menschen“ (ebd. 88). 13 Vgl. T. SÖDING, Gott (s. Anm. 4) 107. H. GOLLINGER, Das geschlachtete Lamm auf Gottes Thron. Anmerkungen zum Christusbild der Johannesapokalypse, in: U. Busse/M. Reichardt/M. Theobald (Hrsg.), Erinnerung an Jesus. Kontinuität und Diskontinuität in der neutestamentlichen Überlieferung (FS R. Hoppe) (BBB 166), Bonn 2011, 401–417, 414, spricht demgegenüber von „signifikanten Unterschieden“ zwischen dem Lobpreis Gottes und dem des Lammes.

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vier Lebewesen, den vierundzwanzig Ältesten und allen Engeln Ehrerbietung und Lobpreis entgegengebracht (Offb 5,8–10.11–12) und am Ende in Offb 5,13–14, die Gottes- und Christusvisionen zusammenschließend, Gott und dem Lamm gemeinsam in universaler Weise huldigende Anbetung durch die gesamte Schöpfung zuteil. Ähnlich ist das auch später etwa in Offb 7,9– 10 beim Lobpreis Gottes und des Lammes durch die unzählbar große Schar der Vollendeten oder in Offb 15,3–4; 19,6–8; 22,3 der Fall, ohne dass an einer dieser Stellen in irgendeiner Weise angezeigt wäre, dass damit das Postulat, Gott allein anzubeten, verletzt wäre. Die im Glauben standhaften Christen können in Offb 14,4 als „Erstlingsgabe“ (ἀπαρχή) zugleich Gott und dem Lamm zugeschrieben werden14 und die in der Auferstehung zum Leben gelangten Christen in Offb 20,6 die Verheißung erhalten, „Priester“ (ἱερεῖς) Gottes und Christi zu sein15 – kultisch konnotierte Aussagen, die ihrerseits ein Verständnis von außerordentlicher Einheit zwischen Gott und Christus als den Adressaten der kultischen Zuwendung voraussetzen. Schon zu Beginn der Johannesoffenbarung findet sich unmittelbar im Anschluss an die briefliche Einleitung (Offb 1,4–5a) in Offb 1,5b–6 eine ausgesprochene Doxologie auf Jesus Christus, und damit auch auf der Kommunikationsebene des Verfassers eine literarische Form, die „ursprünglich Gott allein“ gilt und überhaupt nur unter der Voraussetzung auf Christus bezogen werden kann, dass dieser „des gleichen Lobpreises würdig ist wie Gott selbst“16. Mit all dem scheint unmissverständlich die Überzeugung zum Ausdruck gebracht, dass Jesus Christus auf die Seite Gottes gehört, eine Überzeugung, die sich nicht allein aus dessen Lebenshingabe und Auferweckung und dem darin initiierten Erlösungswerk für die Menschen begründet, sondern zutiefst auf sein Person-Sein, sein Wesen, abhebt.17 Die Übertragung von Gottesepitheta auf Jesus Christus und die Zuschreibung von Attributen und Wesenseigenschaften, die eigentlich Gott zukommen, an ihn sind von dorther nur folgerichtig.18 Nicht von ungefähr wird auch nach Traugott Holtz, der dessen 14

Anders ist in Offb 5,9 noch davon die Rede, dass das Lamm „für Gott“ Menschen aus allen Völkern erworben hat (ἠγόρασας τῷ θεῷ). Vgl. K. HUBER, Jesus Christus (s. Anm. 2) 468f. 15 In Offb 1,6 und 5,10 demgegenüber allein bezogen auf Gott ausgesagt (ἱερεῖς τῷ θεῷ καὶ πατρὶ αὐτοῦ bzw. τῷ θεῷ ἡµῶν […] ἱερεῖς). Vgl. T. SÖDING, Gott (s. Anm. 4) 115. 16 O. HOFIUS, Zeugnis (s. Anm. 4) 512f. Für das Neue Testament verweist Hofius neben Offb 1,5b–6 auch auf 2 Tim 4,18 und 2 Petr 3,18, evtl. auch Hebr 13,21. 17 In Offb 1,6 ist nicht zufällig von Gott als Vater Christi (πατὴρ αὐτοῦ) die Rede; vgl. dazu O. HOFIUS, Zeugnis (s. Anm. 4) 513; T. SÖDING, Gott (s. Anm. 4) 106 (seine Würde „eignet ihm […] von Anfang an“). Siehe auch unten unter 4. 18 So z. B.: in Offb 22,13 (vgl. 1,17; 2,8) τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ, ὁ πρῶτος καὶ ὁ ἔσχατος, ἡ ἀρχὴ καὶ τὸ τέλος (vgl. Offb 1,8; 21,6); in Offb 1,5 ὁ ἄρχων τῶν βασιλέων τῆς γῆς bzw. in Offb 17,14 (vgl. 19,16) κύριος κυρίων und βασιλεὺς βασιλέων (vgl. Offb 15,3); aber etwa

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ungeachtet von Erhöhungschristologie spricht, in Offb 5 die Grundlage der ganzen Christologie der Johannesoffenbarung gelegt.19

2. Throngemeinschaft als Ausdruck von gottgleicher Würde Neben dem Aspekt der entgegengebrachten Anbetung und eng damit verbunden ist auch das Motiv der Throngemeinschaft zwischen Gott und Christus darauf angelegt, Christus in gottgleicher Würde und Hoheit und in wesensmäßiger Einheit mit Gott zu präsentieren.20 Zugleich konnotiert dieses Motiv auch das Moment uneingeschränkter Partizipation an Gottes Herrschermacht und liegt unter dieser Rücksicht auf derselben Ebene wie die Aussagen in Offb 11,15 und Offb 12,10, wo es heißt, dass die βασιλεία Gott und seinem Gesalbten gehört, bzw. parallel zur σωτηρία, δύναµις und βασιλεία Gottes die ἐξουσία seines Gesalbten besungen wird.21 Das Lamm befindet sich – so die Thronsaalvision, bei der die christologische Leitfigur des ἀρνίον erstmals auftritt – anders als alle übrigen himmlischen Gestalten nicht im mehr oder weniger engen Umfeld des göttlichen Thrones, sondern ausdrücklich „inmitten“ (ἐν µέσῳ) des Thrones und der vier Lebewesen (Offb 5,6; vgl. 7,17: ἀνὰ µέσον) und damit auf singuläre Weise in unmittelbarster Nähe dessen, der seinerseits in Offb 4–5 vor allem als der auf dem Thron Sitzende eingeführt und bezeichnet wird (ὁ καθήµενος ἐπὶ τῷ θρόνῳ / τοῦ θρόνου).22 Martin Hengel spricht diesbezüglich von einer „nicht mehr räumlich differenzierbaren Einheit“23 und stellt sie auf eine Stufe mit dem Sein des Logos „zur Brust des Vaters hin“ in Joh 1,18 (ὁ ὢν εἰς τὸν κόλπον τοῦ πατρός). auch in Offb 1,13–16 für den Menschensohngleichen; etc. – T. SÖDING, Gott (s. Anm. 4) 109, weist darauf hin, dass die Übertragung göttlicher Attribute in „dramatische[r] Akoluthie“ (Gott – Christus) erfolgt, mit der „der Primat des Vaters in jeder Hinsicht gewahrt“ bleibe. 19 Vgl. T. HOLTZ, Christologie (s. Anm. 3) 31, insg. 27–54. 20 Auf die Throngemeinschaft mit Gott als ein zentrales Motiv der Christologie der Johannesoffenbarung hat vor allem M. HENGEL, Throngemeinschaft (s. Anm. 4) 159–175, hingewiesen. 21 Vgl. O. HOFIUS, Zeugnis (s. Anm. 4) 520 Anm. 46. – In Offb 11,15 zudem verbunden mit der Verheißung gemeinsamen Herrschens (βασιλεύσει [Singular!]). 22 Die Wendung „der Sitzende auf dem Thron“ (ὁ καθήµενος ἐπὶ τῷ θρόνῳ / τοῦ θρόνου) ist mit ihren 13 Vorkommen nach θεός (95-mal) die wichtigste Gottesbezeichnung in der Johannesapokalypse (Offb 4,2.3.9.10; 5,1.7.13; 6,16; 7,10.15; 19,4; 20,11; 21,5). Vgl. M. HENGEL, Throngemeinschaft (s. Anm. 4) 160f. Auch darin sieht T. SÖDING, Gott (s. Anm. 4) 90 Anm. 25 (vgl. auch ebd. 102, 113), den Primat des Vaters markiert, insofern nämlich er der einzige ist, der auf dem Thron „sitzt“. Siehe dazu aber auch Offb 3,21 (καὶ ἐκάθισα µετὰ τοῦ πατρός µου ἐν τῷ θρόνῳ αὐτοῦ). 23 M. HENGEL, Throngemeinschaft (s. Anm. 4) 169.

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Diese Throngemeinschaft bestimmt denn auch die Präsenz Gottes und des Lammes im himmlischen Jerusalem. Ist in Offb 21,5 noch allein Gott genannt als der, der auf dem Thron sitzt, so ist in Offb 22,1.3 als geradezu selbstverständliche und nicht weiter differenzierende24 Größe die Rede vom „Thron Gottes und des Lammes“ (ὁ θρόνος τοῦ θεοῦ καὶ τοῦ ἀρνίου): Vom Thron Gottes und des Lammes geht der Strom des Wassers des Lebens aus25 und in Gegenwart des Thrones Gottes und des Lammes werden die Knechte Gottes ihren kultischen Dienst ausüben (λατρεύσουσιν αὐτῷ).26 Gemeinsam ersetzen Gott und das Lamm im neuen Jerusalem den Tempel als den Ort göttlicher Gegenwart unter den Menschen und anbetender Verehrung durch sie (Offb 21,22). Und gemeinsam tauchen sie die eschatologische Stadt, die letztlich bildhaft für das Volk Gottes in der Heilsvollendung steht, in ihre göttliche Herrlichkeit und ihr strahlendes Licht (Offb 21,23).27 Es fällt auf, dass gerade in diesem Kontext gehäuft die auch sonst in der Johannesoffenbarung beobachtbare und insgesamt für sie typische Verwendung der Singularform für Prädikate und Pronomina dort, wo eigentlich von Gott und Christus die Rede ist, begegnet bzw. jenes Phänomen, das Thomas Söding „programmatische Parataxen“ nennt:28 Gott, der Herr, „ist ihr Tempel und das Lamm“, heißt es in Offb 21,22 (vgl. V. 23); und obwohl in Offb 22,3 vom „Thron Gottes und des Lammes“ die Rede ist, fährt der Text in der Singularform fort und spricht von „seinen“ Knechten, die „ihm“ dienen werden und die „sein“ Angesicht schauen und „seinen“ Namen auf der Stirn tragen werden (Offb 22,3–4; vgl. 14,1). Dieter Sänger spricht davon, dass die Grammatik an diesen Stellen „theologisch geadelt“ sei und die sprachliche Form zugleich Interpretament einer auf theonome Einheit hin abzielenden Christologie ist.29 24 T. SÖDING, Gott (s. Anm. 4) 113f., sieht die Differenzierung zwischen Gott, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm, das inmitten des Thrones steht, erst hier in Offb 22,3, im Schlussbild der Apokalypse, zurücktreten. 25 Gott und das Lamm sind so als Ursprung überströmender Lebensfülle und umfassender Heilung ausgewiesen (vgl. Offb 22,2; vgl. Ez 47,1–12; Joël 4,18; Sach 14,8). Zu Gott als Quelle lebendigen Wassers vgl. auch Jer 2,13; 17,13; auch Hld 4,15. 26 In Offb 7,15 ist das noch für Gott allein ausgesagt: ἐνώπιον τοῦ θρόνου τοῦ θεοῦ / λατρεύουσιν αὐτῷ. 27 Vgl. dazu auch Offb 21,3, wo allein von Gott als demjenigen die Rede ist, der „mit ihnen“ (µετ᾽ αὐτῶν) sein wird. Von Gottes Herrlichkeit (δόξα), die das himmlische Jerusalem erfüllt, ist schon in Offb 21,11 die Rede (vgl. Offb 22,5: φωτίσει ἐπ᾽ αὐτούς). – Zu Offb 21,23 bemerkt H. GIESEN, Offenbarung (s. Anm. 9) 470: „Der Seher denkt hier ebensowenig an zwei Leuchten wie in V. 22 an zwei Tempel.“ 28 Vgl. dazu T. SÖDING, Gott (s. Anm. 4) 110–116. Vgl. auch Offb 11,15; 20,6; außerdem Offb 6,17 (v. l.); evtl. auch Offb 1,1; vgl. dazu auch Offb 3,12; 5,13; 6,16; 7,9.10; 14,1.4. 29 So D. SÄNGER, Amen (s. Anm. 4) 89. Vgl. M. HENGEL, Throngemeinschaft (s. Anm. 4) 171 („Gott und das Lamm in ihrer göttlichen Einheit“).

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Ein erstes Mal begegnet das Motiv der Throngemeinschaft Christi mit Gott bereits in Offb 3,21, im letzten und abschließenden Überwinderspruch der Sendschreiben an die Gemeinden Kleinasiens. Dort sagt der erhöhte Herr von sich, dass er gesiegt, überwunden hat (ἐνίκησα) und dass er sich zusammen mit Gott, seinem Vater, auf dessen Thron gesetzt hat (ἐκάθισα µετὰ τοῦ πατρός µου ἐν τῷ θρόνῳ αὐτοῦ). Wenn in diesem Zusammenhang dann allerdings auch all jenen, die wie Christus überwinden (ὁ νικῶν), verheißen wird, dass sie gemeinsam mit ihm auf seinem Thron – und das heißt letztlich auf dem Thron Gottes – Platz nehmen werden, dann scheint das die eingangs geäußerte Annahme, das Motiv der Throngemeinschaft impliziere auch eine wesensmäßige Einheit, in Frage zu stellen oder zumindest zu relativieren. Und tatsächlich wird man dabei in erster Linie an eine Teilhabe an Gottes und Christi Herrschaftsausübung und Vollmacht zu denken haben, wie sie am Ende ja auch in Offb 22,5 ausgesagt wird, wenn dort die Rede davon ist, dass die Knechte Gottes in Ewigkeit „herrschen“ (βασιλεύω) werden (vgl. Offb 20,4.6; auch 2,26–28);30 eine Teilhabe, wie sie im Grunde für die Gläubigen auch schon für die Gegenwart, erwirkt durch Jesu Lebenshingabe, gilt (vgl. Offb 1,6.9; 5,10). In einem umfassenderen und tiefer gehenden Sinn lässt sich mit Martin Hengel darin durchaus auch eine Analogie vor allem zu den Reziprozitätsaussagen am Ende des Gebets Jesu in Joh 17 (V. 22f.24; vgl. Joh 12,26.32) und zu vergleichbaren anderen neutestamentlichen Aussagen erkennen (z. B. Röm 8,16f.29).31

3. Aspekte von Handlungs- und Funktionseinheit Christi mit Gott Im Kontext des hymnisch anbetenden Lobpreises auf Gott in Offb 4 begegnen spezifische Aussagen, die Gottes einzigartige Würde benennen und diese zugleich begründen. So ist in Offb 4,8 an erster Stelle in dreifach betonter Weise gesagt, dass Gott „heilig“ (ἅγιος) ist, Offb 4,10 bezeichnet Gott als den in Ewigkeit Lebenden (ὁ ζῶν εἰς τοὺς αἰῶνας τῶν αἰώνων) und der Hymnus in Offb 4,11 verweist auf Gottes souveräne Schöpfertätigkeit, deretwegen ihm die Herrlichkeit, Ehre und Macht zustehen („… denn du schufst das All und infolge deines Willens war es und wurde es geschaffen“ [κτίζω; vgl. Offb 10,6]). Vergleichbare Aussagen finden sich dann etwa in Offb 14,7 im Zusammenhang mit der Aufforderung an die Bewohner der Erde, Gott zu fürchten und ihm die Ehre zu erweisen, oder auch im Lied des Mose und des Lammes in Offb 15,3–4 im Umfeld der dort rhetorisch in den Raum gestell-

30 31

Vgl. T. SÖDING, Gott (s. Anm. 4) 103, 110. Vgl. M. HENGEL, Throngemeinschaft (s. Anm. 4) 173.

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ten Frage: „Wer wird nicht fürchten, Herr, und preisen deinen Namen?“ Sind im ersten Fall dabei das Eintreten des Gerichtswirkens Gottes (κρίσις) und erneut seine Schöpfertätigkeit (ποιέω) als Grund für die eingeforderte Ehrfurcht und Ehrerbietung genannt (Offb 14,7), so sind es an der zweiten Stelle (Offb 15,4) neuerlich Gottes Heiligkeit (ὅτι µόνος ὅσιος) und seine gerechten Taten (δικαιώµατα). Aussagen, die Gottes Göttlichkeit, sein Wesen, betreffen (heilig; lebend), stehen neben solchen, die zentrale Aspekte seines Handelns thematisieren (Schöpfung; Gericht / Gerechtigkeit), und erweisen darin Gott der Anbetung würdig (vgl. Offb 4,10–11: ἄξιος). Nun sind zwar für das Lamm im Kontext der Thronsaalvision selbst, konkret im huldigenden Lobgesang der vier Lebewesen und der vierundzwanzig Ältesten von Offb 5,9–10, durchaus andere Inhalte dafür genannt, weshalb es würdig (ἄξιος) ist, das Buch entgegenzunehmen und seine Siegel zu öffnen (V. 9) und in der Folge Vollmacht, Reichtum, Weisheit etc. (V. 12; vgl. V. 13) zu empfangen: sein gewaltsamer Tod nämlich (ὅτι ἐσφάγης) und die soteriologische Dimension seiner Lebenshingabe (ἠγόρασας […] καὶ ἐποίησας […]); – Inhalte, die nicht zuletzt auch eine spezifische Unterschiedenheit zwischen Christus und Gott inkludieren, wenn davon die Rede ist, dass das Lamm „in seinem Blut“ Menschen aus allen Völkern „für Gott“ erworben hat.32 Aussagen andernorts aber zu Wesen und zu Funktion bzw. Aktion Jesu Christi legen hinsichtlich der genannten und zahlreicher weiterer Aspekte deutlich die Vorstellung singulärer Nähe und Einheit mit Gott nahe. So ist – um vorweg die aus Offb 4 angesprochenen Aussagen für Gott aufzugreifen – etwa in Offb 3,7 auch Jesus Christus als „heilig“ (ἅγιος) betitelt, als „der Heilige und der Wahrhaftige“, und erhält dort im Verbund von ἅγιος und ἀληθινός zwei ureigentliche Attribute Gottes übertragen.33 In der Selbstaussage des Menschensohngleichen in Offb 1,18 wird auch Christus als „der Lebende“ (ὁ ζῶν) und der, der in alle Ewigkeit lebt (ζῶν εἰµι εἰς τοὺς αἰῶνας τῶν αἰώνων), vorgestellt. Was die Zuschreibung expliziter Schöpfertätigkeit anlangt, so bleibt diese zwar Gott allein vorbehalten, von Christus ist in Offb 3,14 aber als „Anfang der Schöpfung Gottes“ (ἡ ἀρχὴ τῆς κτίσεως τοῦ θεοῦ) die Rede, eine Prädizierung, die im Gesamt der Johannesoffenbarung und auf dem Hintergrund von Kol 1,15–16 und auch Joh 1,1–3.10 als Aussage über die Schöpfungsmittlerschaft des Präexistenten verstanden werden kann und implizit das Moment der Aktionseinheit mit Gott anklingen lässt.34 Das Moment der Aktions- und Funktionseinheit ist es denn auch, das unter vielfacher Rücksicht auch sonst im Verlauf der Johannesoffenbarung immer wieder begegnet und dabei längst nicht etwa allein auf die aus Offb 14,7 bzw. 32

Siehe dazu auch unten unter 4. Vgl. Offb 3,14; 19,11. Vgl. dazu K. HUBER, Menschensohn (s. Anm. 4) 203f. 34 Vgl. dazu K. HUBER, Menschensohn (s. Anm. 4) 204; auch O. HOFIUS, Zeugnis (s. Anm. 4) 515f.; T. SÖDING, Gott (s. Anm. 4) 101. 33

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Offb 15,4 noch offen gebliebene Gerichtsfunktion35 beschränkt bleibt. Ein exemplarischer Durchgang durch eine Reihe diesbezüglich zentraler Aspekte kann dies veranschaulichen. 3.1 Christus als Offenbarer Das Zusammenspiel von Gott und Christus im Sinne besonderer Aktionseinheit ist bereits in den allerersten Versen des Buches angedeutet, und zwar hinsichtlich der Rolle des Offenbarers, einer der fundamentalsten Funktionen Jesu Christi im gesamten weiteren Text.36 Der Inhalt des Buches – so macht es das programmatische Vorwort in Offb 1,1–2 deutlich – ist „Offenbarung Jesu Christi“, Offenbarung, Enthüllung von Verborgenem (ἀποκάλυψις), die Jesus Christus kundtut, deren Ursprung zugleich aber und im Letzten niemand anderer als Gott selbst ist. Der erhöhte Christus offenbart all das, was er direkt von Gott empfangen hat, um es den als „seine Knechte“ bezeichneten Christen vermittels „seines“ Engels und „seines Knechtes“ Johannes aufzuweisen (Offb 1,1). Die keineswegs eindeutige Zuordenbarkeit des Pronomens αὐτοῦ wie auch einzelner Formen des hier thematisierten Offenbarungsvorgangs (δεῖξαι; ἐσήµανεν) trägt in Offb 1,1 zur Verstärkung des Eindrucks engster Gemeinsamkeit zwischen Jesus Christus und Gott nicht unwesentlich bei.37 In der Parallelisierung von Wort Gottes (ὁ λόγος τοῦ θεοῦ) und Zeugnis Jesu Christi (ἡ µαρτυρία Ἰησοῦ Χριστοῦ), wie sie dann in Offb 1,2 erstmals begegnet und im Anschluss daran im weiteren Textverlauf in geradezu formelhafter Doppelwendung mehrfach wiederholt wird (Offb 1,9; 6,9; 20,4; vgl. 12,17), kommt dieses offenbarungstheologische Zueinander38 ebenso zum Ausdruck wie in der großräumigen Inszenierung von der Übergabe des versiegelten Buches, das sich „in der Rechten“ Gottes befindet, an das Lamm (Offb 5,1–14) und dessen Schritt für Schritt durchgeführter Öffnung des Buches (Offb 6ff.), die sinnbildhaft für den durch Christus ermöglichten und von ihm her in Gang gesetzten Erschließungsprozess der endgültigen, alles umfassenden Gottesbotschaft steht. Die Tatsache, dass der Ausdruck „das Wort Gottes“ (ὁ λόγος τοῦ θεοῦ) außerhalb der genannten Doppelwendung nur noch in Offb 19,13 vorkommt, 35

Siehe dazu unten unter 3.3. Vgl. K. HUBER, Jesus Christus (s. Anm. 2) 435f. Hervorgehoben wird die Offenbarerfunktion z. B. von A. SATAKE, Offenbarung (s. Anm. 12) 85, 121. 37 Vgl. auch A. VÖGTLE, Der Gott der Apokalypse. Wie redet die christliche Apokalypse von Gott, in: J. Coppens (Hrsg.), La notion biblique de Dieu. Le Dieu de la Bible et le Dieu des philosophes (BEThL 41), Leuven 1976, 377–398, 391. 38 T. SÖDING, Gott (s. Anm. 4) 114, bezeichnet das καί in Offb 1,2 als „das große offenbarungstheologische Vorzeichen“, von dem her sich dann auch die Inspirationstheologie der Johannesapokalypse erkläre (vgl. zur Thematik z. B. auch ebd. 104, 106). 36

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und zwar als Eigenname für den als Reiter auf einem weißen Pferd geschauten Christus, führt diesen Aspekt noch um einen entscheidenden Schritt weiter. Das Zeugnis Jesu Christi, seine Botschaft, hat nicht nur ihren Ursprung in Gott und ist Wort Gottes, er selbst in seiner Person ist wesenhafte Verkörperung dieses wirkmächtigen Wortes, ist Person gewordene Offenbarung Gottes (vgl. Joh 1,1.14).39 3.2 Christus als „Kommender“ Im Kontext der um Doxologie, Prophetenspruch und Selbstvorstellungsformel erweiterten brieflichen Einleitung (Offb 1,4–8) ist in Offb 1,7 das endzeitliche Kommen des gekreuzigten Christus zur Parusie verheißungsvoll angekündigt: „Siehe, er kommt mit den Wolken …“ (ἰδοὺ ἔρχεται µετὰ τῶν νεφελῶν […]). Von dort aus bestimmt die Thematik des bevorstehenden Kommens Christi nicht nur den Beginn der Johannesapokalypse und den weiteren Verlauf der Textlektüre. Die hoffnungsvolle Erwartung dieses Kommens bzw. die Ankündigung seiner definitiven Nähe ist schließlich auch im Schlussteil des Buches wieder betont hervorgehoben (Offb 22,6–21), wenn dort geradezu in der Form eines responsorischen Wechselgesangs mehrfach von Jesus selbst sein baldiges Kommen angekündigt (Offb 22,7.12.20: ἔρχοµαι ταχύ) bzw. umgekehrt die sehnsuchtsvolle Bitte um dieses sein Kommen zum Ausdruck gebracht ist (Offb 22,17.20: ἔρχου). Der literarische Rahmen stellt die gesamte Schrift unter eben diese Perspektive des Kommens Christi. Umso bemerkenswerter ist die Beobachtung, dass die christologischen Aussagen in der brieflichen Einleitung ihrerseits eingerahmt sind durch Aussagen über Gott, allen voran die charakteristische dreigliedrige Gottesbezeichnung ὁ ὢν καὶ ὁ ἦν καὶ ὁ ἐρχόµενος, die betont am Anfang (Offb 1,4) und am Ende (Offb 1,8) des Abschnitts zu stehen kommt. Fällt dabei das dritte Glied der Gottesprädikation an sich schon auf, weil es anders als in allen vergleichbaren Parallelen Gott als „den Kommenden“ (ὁ ἐρχόµενος) bezeichnet und so den Gedanken der Hinwendung Gottes zu den Menschen in besonderer Weise akzentuiert,40 so ist durch die textliche Nähe und literari39 Anders sieht U. B. MÜLLER, Die Offenbarung des Johannes (ÖTBK 19), Gütersloh/Würzburg 21995, 325, in ὁ λόγος τοῦ θεοῦ eine funktionale Bezeichnung Christi, nicht aber eine wesensmäßige Aussage. – Zur Frage eines Bezugs hin zur absolut gebrauchten Logos-Bezeichnung in Joh 1,1.14 (vgl. auch 1 Joh 1,1.10; 2,14) kritisch bzw. zurückweisend z. B. O. HOFIUS, Zeugnis (s. Anm. 4) 522 Anm. 50; U. B. MÜLLER, „Das Wort Gottes“. Der Name des Reiters auf weißem Pferd (Apk 19,13), in: DERS., Christologie und Apokalyptik. Ausgewählte Aufsätze (ABIG 12), Leipzig 2003, 312–325, 314–316; T. SÖDING, Gott (s. Anm. 4) 98 Anm. 41. 40 T. SÖDING, Gott (s. Anm. 4) 81, sieht diesen Teil der Entfaltung und Neuinterpretation der JHWH-Offenbarung von Ex 3,14 christologisch begründet und der Gegenwarts-

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sche Inklusion auch eine innere Beziehung zur Rede vom Kommen Christi hergestellt und wohl auch intendiert. Das gilt umso mehr, wenn man bedenkt, dass in der Johannesoffenbarung an keiner Stelle tatsächlich vom „Kommen“ Gottes gesprochen wird.41 Die Verheißung des Kommens Christi ist einerseits somit eingeschrieben in die Erwartung des Kommens Gottes. Andererseits ereignet und verwirklicht sich im Kommen Christi zu seinen Gemeinden und zur Welt das eschatologische Kommen Gottes selbst, oder umgekehrt formuliert: in Jesus Christus und seinem Kommen hat Gott sich definitiv als der Kommende geoffenbart.42 Diese Dynamik der wechselseitigen Verwiesenheit tangiert in der Folge nicht allein den Aspekt des Kommens, sondern auch die übrigen Aussagen über Jesu Tun und Stellung in den durch die Gottesprädikation eingerahmten Versen. Akira Satake versteht das in Offb 1,5–7 angesprochene (Heils)Wirken Christi von daher dann als „die Entfaltung des Gottseins Gottes“43. Das betrifft nicht zuletzt auch das Moment des Herrschaftsantritts und der Vollmachtsausübung, das für Christus in Offb 1,5 in der titularen Bezeichnung „der Herrscher über die Könige der Erde“ (ὁ ἄρχων τῶν βασιλέων τῆς γῆς; vgl. Offb 17,14; 19,16) oder später in Offb 5,6f. bildhaft durch die Übergabe des Buches aus der Rechten Gottes und darüber hinaus auch sonst mehrfach zum Ausdruck kommt. Im Sinne der Johannesoffenbarung ist Jesus Christus derjenige, durch den Gott seine Herrschaft ausübt. 3.3 Christus als endzeitlicher Richter Eng mit der Thematik der Vollmachtsausübung verbunden ist der Aspekt der Durchführung des endzeitlichen Gerichts. Auch für diesen Aspekt lässt sich an zahlreichen Stellen im Text und unter vielfacher Rücksicht von Aktionsund Funktionseinheit Jesu Christi mit Gott sprechen. Wenn in Offb 6,15–17 vor dem Hintergrund analoger Ausdrucksweise der alttestamentlichen Prophetie das göttliche Gericht, das über die Gottlosen hereinbricht, in Vers 17 als „der großer Tag ihres Zornes“ (ἡ ἡµέρα ἡ µεγάλη τῆς ὀργῆς αὐτῶν) bezeichnet wird, dann macht dort die Pluralform des Pro-

eschatologie geschuldet. Für U. SCHNELLE, Theologie (s. Anm. 5) 715, ist das Kommen Gottes „[d]as theologische Hauptthema der Offb“. 41 Vgl. O. HOFIUS, Zeugnis (s. Anm. 4) 513; K. HUBER, Jesus Christus (s. Anm. 2) 447f. 42 Vgl. dazu z. B. D. SÄNGER, Amen (s. Anm. 4) 82–85, 90; S. VOLLENWEIDER, ‚Der Name, der über jedem anderen Namen ist‘. Jesus als Träger des Gottesnamens im Neuen Testament, in: I. U. Dalferth/P. Stoellger (Hrsg.), Gott nennen. Gottes Namen und Gott als Name (RPT 35), Tübingen 2008, 173–186, 175–178. 43 A. SATAKE, Offenbarung (s. Anm. 12) 135.

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nomens44 deutlich, dass dieser große Tag die beiden Agenten Gott und Christus in der Ausübung des vernichtenden Zorngerichts zusammenschließt. Tatsächlich ist unmittelbar vorher in Offb 6,16 auch ausdrücklich vom „Zorn des Lammes“ (ἡ ὀργη τοῦ ἀρνίου) die Rede, vor dem sich die Gottlosen ebenso zu verbergen suchen wie vor dem Angesicht des auf dem Thron Sitzenden. An den ersten beiden Vorkommen des Wortes ὀργή in der Johannesoffenbarung ist damit eine Verbundenheit von Gott und Christus grundgelegt, die in der Sache auch dann ihre Gültigkeit hat, wenn an späterer Stelle stets nur mehr vom Zorn Gottes allein die Rede ist.45 Besonders anschaulich wird dieses Zusammenspiel von Gott und Christus in Bezug auf die eschatologische Gerichtsausübung in den beiden Christusvisionen von Offb 14,14–20 und Offb 19,11–21 und in der Zusammenschau derselben.46 Im Kontext der visionären Inszenierung des Endgerichts im Doppelbild von der Getreideernte einerseits und der Weinlese andererseits (vgl. Joël 4,13) tritt Christus in Offb 14,14–20 in der Figur des Menschensohngleichen, auf einer weißen Wolke sitzend und ausgestattet unter anderem mit dem Attribut einer scharfen Sichel, vor allem zunächst in der Funktion eines wirkmächtigen Richters vor Augen. Das anschließende Visionsgeschehen macht dann allerdings die Rückbezogenheit dieser Richtergestalt auf Gott unmissverständlich deutlich. Wie der Engel in der zweiten Teilszene (Offb 14,17) wirft auch der einem Menschensohn gleiche Christus erst auf ausdrückliches Geheiß einer anderen Engelgestalt, d. h. letztlich von Gott her dazu aufgefordert, seine Sichel über die Erde aus, um die Ernte der Erde abzuernten (Offb 14,15). Und wenn am Ende in Offb 14,16 für den Erntevollzug mit ἐθερίσθη eine Passivform gebraucht ist, dann lässt sich dabei mit gutem Grund an ein Passivum divinum denken; ähnlich wie später in Offb 14,20, wo in einem weiteren Gerichtsbild in Anspielung an Jes 63,2–3 die Rede davon ist, dass die Kelter des Zornes Gottes draußen vor der Stadt getreten wurde (ἐπατήθη). Das endzeitliche Tun Christi, wie es die Gerichtsvision von Offb 14 symbolhaft darstellt, ist deutlich rückgebunden und eingebunden in ein Handeln, das letztlich Gott selbst zuzuschreiben ist, und geschieht in engster Handlungseinheit zwischen Menschensohngleichem und Gott. 44 Die Pluralform αὐτῶν ist textkritisch gegenüber der Lesart im Singular (αὐτοῦ) zu bevorzugen. Vgl. H. GIESEN, Offenbarung (s. Anm. 9) 189. 45 So in Offb 11,18; 14,10; 16,19; 19,15; vgl. auch θυµός in Offb 14,10.19; 15,1.7; 16,1.19; 19,15. Vgl. insgesamt dazu auch A. VÖGTLE, Gott (s. Anm. 37) 391f.; D. SÄNGER, Amen (s. Anm. 4) 85–88. 46 Vgl. dazu u. a. K. HUBER, Jesus Christus (s. Anm. 2) 456f., 461–465, bzw. K. HUBER, Reiter auf weißem Pferd. Ein schillerndes Christusbild in der Offenbarung des Johannes, in: K. Huber/B. Repschinski (Hrsg.), Im Geist und in der Wahrheit. Studien zum Johannesevangelium und zur Offenbarung des Johannes sowie andere Beiträge (FS M. Hasitschka) (NTA 52), Münster 2008, 385–409.

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Eigenständig und aktiv am Gerichtsgeschehen beteiligt ist Christus in der Vision in Offb 19,11–21, in der er in Gestalt eines Reiters auf einem weißen Pferd präsentiert wird, der dem finalen Aufgebot der gottfeindlichen Mächte souverän entgegentritt. Die Charakterisierung Christi als siegreicher Weltenrichter erfolgt dabei durch eine Reihe unterschiedlicher Einzelzüge und nicht zuletzt im Verbund mit ausgesprochenen Gottesepitheta, die ihm hier im Verlauf der Visionsschilderung auffallend zahlreich zugeschrieben werden. Gleich zu Beginn in Offb 19,11 ist in einer verbal formulierten Aussage die Rede davon, dass dieser Reiter „in Gerechtigkeit richtet“ (ἐν δικαιοσύνῃ κρίνει). Nur an dieser Stelle in der Johannesoffenbarung ist das Verbum κρίνειν nicht von Gott selbst ausgesagt bzw. auf ihn hin angewandt, sondern für Christus gebraucht. Und während noch in Offb 14,20 – wie übrigens schon im Bezugstext Jes 63 – letztlich wohl Gott selbst es ist, der die Gerichtskelter seines Zornes tritt, heißt es in Offb 19,15 ausdrücklich und durch emphatisches αὐτός betont, dass nun der Reiter, d. h. Christus, diese ursprünglich göttliche Funktion ausübt. Das weitere Visionsgeschehen in Offb 19,19–21 zeigt dann freilich, dass Christus auch hier nicht einfach nur in Übernahme göttlicher Funktionen und an Gottes Stelle agiert, sondern neuerlich gemeinsam mit Gott und in Handlungseinheit mit ihm in Aktion tritt. So geschieht im Erzählverlauf überraschend das vernichtende Gerichtshandeln an den beiden Tieren in Offb 19,20 zunächst nicht eigentlich durch den Reiter, sondern – angezeigt erneut durch zwei Passivformen (ἐπιάσθη; ἐβλήθησαν) – letztlich von Gott her. Und selbst für Offb 19,21, wo der Reiter tatsächlich derjenige ist, der die übrigen Antagonisten vernichtet, gilt es anzumerken, dass diese Vernichtung allein durch das scharfe Schwert aus seinem Mund erfolgt, allein also mit seinem Wort, mit der ebenso wirkungsvollen wie unbezwingbaren Macht seiner Botschaft, die ihrerseits in Gott ihren Ursprung hat (vgl. Offb 1,1). 3.4 Christus als eschatologischer Heilsmittler An den bisher gebrachten Beispielen zeigt sich, dass das Moment der Handlungs- und Funktionseinheit Christi mit Gott in der Johannesoffenbarung in einer zweifachen, zum Teil freilich aufs Engste miteinander verwobenen Form begegnet: zum einen, wenn für dasselbe Faktum parallel zu einem Tun Gottes auch ein analoges Tun Jesu Christi ausgesagt ist; zum anderen, wenn für Christus eine Funktion bzw. deren Ausübung beansprucht wird, die andernorts im Text, ursprünglich oder genuin Gott selbst vorbehalten ist. Dabei gilt hier durchaus allgemein, was Thomas Söding speziell für das Phänomen der programmatischen Parataxen festhält: Es geht nicht etwa um „ein additives oder kooperatives Verhältnis“ zwischen Gott und Christus, sondern um

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ein zutiefst „inklusives“47 Verhältnis. Ein letztes Beispiel, ein Beispiel, das thematisch im Rahmen der Schilderungen des eschatologischen Heils angesiedelt ist, kann das auf ähnliche Weise veranschaulichen und bestätigen. In Offb 7,13–17 wird der Ausblick auf das Gottesvolk in der himmlischen Vollendung, auf jene unzählbar große Schar aus allen Völkern und Nationen, die in weißen Gewändern und mit Palmzweigen vor dem Thron und vor dem Lamm steht, von Anfang an durch eine Reihe von einschlägigen Motiven als besondere, unüberbietbare und bleibende Gemeinschaft mit Gott und mit Christus beschrieben. Als Abschluss dieser Schau findet sich in Offb 7,16–17 eine Verheißung formuliert, die unter Aufnahme von zwei Jesajastellen, Jes 49,10 und Jes 25,6–8, das Ende aller Mangel- und Leiderfahrungen in Aussicht stellt. Dabei ist zum einen von einem Tun des Lammes die Rede: in umfassender Hirtensorge wird das Lamm die Schar der Vollendeten weiden (ποιµαίνω) und zu Wasserquellen des Lebens führen. Christus tritt damit in jene Hirtenfunktion, die nach Jes 49 „der Erbarmer“ (LXX: ὁ ἐλεῶν), d. h. Gott selbst, seinem Volk gegenüber ausüben wird (vgl. Ps 23; Ez 34,23). Zum anderen ist parallel dazu von einem analogen Heilshandeln Gottes die Rede: Wie in Jes 25,8 angekündigt, wird Gott jede Träne von ihren Augen abwischen. Wenn auch mit zwei unterschiedlichen Bildern und unter Bezugnahme auf verschiedene Referenztexte, so wird auch hier letztlich nichts anderes als Handlungseinheit zwischen Gott und Christus zum Ausdruck gebracht.48 Textintern verweist die Verheißung von Offb 7,16f. voraus auf die große Schlussvision von der neuen Schöpfung und vom himmlischen Jerusalem in Offb 21,1–22,5. Dort begegnen neben einer Reihe anderer Motive aus Offb 7 die beiden Aussagen der Verheißung in ähnlicher Form erneut: in Offb 21,4 der Hinweis darauf, dass Gott alle Tränen abwischen wird; und in Offb 21,6 die Rede von den Wasserquellen des Lebens. Ist es in Offb 7,17 allerdings noch das Lamm, das zu den Wasserquellen des Lebens führt, kündigt in Offb 21,6 Gott selbst in direkter Rede an: „Ich werde dem Dürstenden geben aus der Quelle des Wassers des Lebens (ἡ πηγὴ τοῦ ὕδατος τῆς ζωῆς) umsonst.“ Im neuen Jerusalem realisiert sich diese Vorstellung dann darin, dass ein unerschöpflicher „Strom von Wasser des Lebens“ (ποταµὸν ὕδατος ζωῆς) die ganze Stadt heilvoll durchflutet, ein Strom, der ausdrücklich seinen Ausgang nimmt beim „Thron Gottes und des Lammes“ (Offb 22,1–2; vgl. 22,17).

47

T. SÖDING, Gott (s. Anm. 4) 111. O. HOFIUS, Zeugnis (s. Anm. 4) 522, verweist auf ein analoges Vorgehen des Verfassers der Johannesoffenbarung in Offb 21,23, wo im Begründungssatz der Parallelismus membrorum der alttestamentlichen Vorlage Jes 60,19 getrennt und je einzeln auf Gott und das Lamm verteilt wird. 48

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4. Vater-Sohn-Relation als Kern der Differenz Über all den Hinweisen auf eine Funktion und Wesen gleichermaßen betreffende Einheit mit Gott im Christusbild der Johannesoffenbarung gilt es, die im Text – und nicht zuletzt auch in vielen der bereits für das Moment der Einheit vorgebrachten Belege – gleichermaßen angezeigten Differenzen nicht aus dem Blick zu verlieren. Trotz der offensichtlich stark akzentuierten Gottgleichheit Jesu Christi bleibt im Gesamt der Johannesoffenbarung die Differenzierung zwischen Gott und Christus nämlich durchaus gewahrt. Auf der Ebene der Epitheta tritt das besonders deutlich dort zu Tage, wo zentrale Gottesprädikate der Johannesapokalypse gerade eben nicht auf Jesus Christus übertragen werden, sondern Gott allein vorbehalten bleiben. Gott allein ist der Pantokrator, der Allherrscher (ὁ παντοκράτωρ), ihm allein eignet die charakteristische Bezeichnung als ὁ ὢν καὶ ὁ ἦν καὶ ὁ ἐρχόµενος (Offb 1,8; 4,8; vgl. 11,17; 16,5), er allein wird explizit als „der Sitzende auf dem Thron“ betitelt;49 – ganz abgesehen davon, dass der Begriff (ὁ) θεός ausschließlich auf Gott bezogen bleibt, ja der Menschensohngleiche selbst an zwei Stellen in den Sendschreiben Gott sogar ausdrücklich als „meinen Gott“ (ὁ θεός µου) benennt (Offb 3,2 und Offb 3,12 [viermal]; vgl. auch Offb 2,7; 3,1.14).50 Vergleichbar damit ist umgekehrt die an der ursprünglich titularen Bedeutung orientierte Verwendung von χριστός für Jesus stets mit bestimmtem Artikel zur Bezeichnung „des Gesalbten“ Gottes, etwa wenn in Offb 11,15 von der βασιλεία Gottes „und seines Gesalbten“ (καὶ τοῦ χριστοῦ αὐτοῦ) die Rede ist (vgl. Offb 12,10; 20,4.6).51 Mit Blick auf Gott ist Jesus Christus in erster Linie der Sohn. Zwar begegnet in der Johannesoffenbarung der christologische Titel „Sohn Gottes“ (ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ) nur ein einziges Mal in Offb 2,18, mehrfach ist aber von Gott als Vater (πατήρ) Jesu Christi die Rede (Offb 1,6; 2,28; 3,5.21; 14,1). Die Vater-Sohn-Relation beschreibt eine zutiefst wesenhafte, das Person-Sein betreffende Zugehörigkeit und Koordination, hebt zugleich aber im Aspekt der Individualität die Differenz zu Gott nicht einfachhin auf. Bei aller Einheit mit Gott, dem Vater, bleibt Jesus stets der Sohn. Im Verständnis der Johan49

Nach O. HOFIUS, Zeugnis (s. Anm. 4) 524–527, handelt es sich dabei freilich von vornherein nicht um Gottesprädikate oder reine Hoheitstitel, sondern um „als Ersatz des heiligen Gottesnamens verstandene[] Gottesbezeichnungen“ (ebd. 527), die unmittelbar dem Vater Jesu Christi eignen. 50 U. B. MÜLLER, Offenbarung (s. Anm. 39) 330, spricht hier von Subordination. Für T. SÖDING, Gott (s. Anm. 4) 103, fügt sich das ein in das, was „Primat des Vaters genannt werden kann und der Theozentrik Jesu Christi selbst entspricht“. 51 Immer in Aussagen zu dessen endzeitlicher Herrschaftsausübung verwendet. Insbesondere etwa in Offb 11,15 und Offb 20,6 kommt dabei erneut eine äußerst enge Verbundenheit des Gesalbten mit Gott zum Ausdruck (vgl. die Singularform im anschließenden βασιλεύσει bzw. µετ᾽ αὐτοῦ). Vgl. K. HUBER, Jesus Christus (s. Anm. 2) 436.

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nesoffenbarung ist diese Vater-Sohn-Beziehung freilich eine, die exklusiv für Jesus gilt und in Abhebung von allen anderen „seine unvergleichliche Würde und Hoheit, ja sein analogieloses Wesen“52 zum Ausdruck bringt. Selbst dort, wo Gott in der Vision der neuen Schöpfung dem im Glauben treuen Christen in Aufnahme der Natansweissagung 2 Sam 7,14 die Gotteskindschaft verheißt, ist, um diese Einzigartigkeit der Gottesbeziehung Jesu zu wahren, die Vaterbezeichnung für Gott ausdrücklich vermieden: „Ich werde ihm Gott (θεός) sein“, heißt es entsprechend abgewandelt in Offb 21,7, „und er wird mir Sohn (υἱός) sein“. Die einzigartige Beziehungsgemeinschaft Jesu zu Gott als seinem Vater, der „Sohngedanke“ 53, ist das begründende Fundament und der Angelpunkt, von dem her und auf den hin sich auch das Gegenüber und die Unterschiedenheit in der facettenreichen Darstellung von Gottes- und Christusbild der Johannesoffenbarung adäquat einordnen lassen. Das gilt in der Folge auch hinsichtlich der im Text immer wieder herausgestellten Spezifika des Wirkens Jesu Christi. Im Zentrum steht dabei seine Lebenshingabe am Kreuz, die Johannes nicht nur passiv als ein Geschlachtet-Sein (Offb 5,6 [ἐσφαγµένος]; 5,9.12; 13,8) und Gekreuzigt-Werden (Offb 11,8 [ἐσταυρώθη]) benennt, sondern vor allem auch in einem aktiven Sinn als ein Siegen bzw. Überwinden (νικάω) Christi begreift (Offb 3,21; 5,5).54 In diesem seinem Sieg haben die Christen grundlegend jene Liebe Christi erfahren, die am Beginn der Doxologie in Offb 1,5 mit Hilfe der partizipialen Formulierung „dem uns Liebenden“ (τῷ ἀγαπῶντι ἡµᾶς) als eine dauerhaft bleibende gekennzeichnet ist.55 „Durch sein Blut“ (ἐν τῷ αἵµατι αὐτοῦ), d. h. durch seine Lebenshingabe, hat Christus schon jetzt umfassendes Heil, Erlösung von Sünden (Offb 1,5; vgl. 7,14), Zugang zum Leben (vgl. Offb 1,18) und neue Gemeinschaft mit Gott erwirkt, Menschen aus allen Völkern erworben „für Gott“ und sie „für seinen Gott und Vater“ zu einem Königreich und zu Priestern gemacht (Offb 1,6; 5,9f.; vgl. z. B. auch 2,26–28).56 Sein gewaltsamer Tod am Kreuz ermächtigt ihn, von Gott das Buch entgegenzunehmen und dessen Siegel zu öffnen (Offb 5,9) und damit das gesamte weitere Geschehen, Gottes endzeitlichen Heilsplan, unwiderruflich in Gang zu setzen (Offb 6ff.). Durch seine Lebenshingabe hat Christus 52

O. HOFIUS, Zeugnis (s. Anm. 4) 513. So schon F. BÜCHSEL, Die Christologie der Offenbarung Johannis, Halle a. S. 1907, bes. 5–18. 54 Auferweckung bzw. Entrückung Jesu bleiben demgegenüber augenscheinlich passivisch und darin als ein Tun Gottes charakterisiert: Offb 1,5 (ὁ πρωτότοκος τῶν νεκρῶν); Offb 12,5 (ἡρπάσθη); aber Offb 2,8 (vgl. 1,18). 55 Ἀγαπάω kennzeichnet im Besonderen ein Tun Christi (Offb 1,5; 3,9); vgl. aber Offb 20,9 (ἡ πόλις ἡ ἠγαπηµένη / „die [von Gott?] geliebte Stadt“). 56 Auch T. HOLTZ, Gott (s. Anm. 3) 341, sieht „[a]n diesem entscheidenden Punkt […] die Theozentrik der Apk christologisch aufgebrochen“. 53

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ein für alle Mal den endgültigen Sieg über die gottfeindlichen Mächte besiegelt. Der Kampf, der, ausgelöst durch die „Entrückung“ Christi „zu Gott und zu seinem Thron“ (Offb 12,5), im Himmel mit dem Satan entbrennt, wird zuallererst durch „das Blut des Lammes“ siegreich entschieden (Offb 12,11). Und es ist Christus, der in der Folge „den Kampf des großen Tages Gottes“ (Offb 16,14) schlägt und in der Figur des Lammes den Sieg über das gegnerische Aufgebot davon tragen wird (Offb 17,14). Schließlich wird der zur Parusie kommende Christus in absoluter Form als einer beschrieben, der „Krieg führt“ (Offb 19,11: πολεµέω).57 Sein blutgetränkter Mantel (Offb 19,13) verweist dabei erneut auf sein gewaltsames Todesgeschick, durch das sich Christus im Grunde schon jetzt als jener unüberwindbare Sieger erweist, als der er am Ende der Zeiten in Erscheinung treten wird. Der Lebenshingabe als dem Kernpunkt der Differenz im Wirken Jesu Christi steht in der Johannesoffenbarung als grundlegendes Spezifikum auf Seiten Gottes am ehesten vielleicht dessen Schöpfungshandeln gegenüber, das auch seine allumfassende Verfügungsgewalt begründet.58 Das gilt schon in protologischer Hinsicht: Gott hat das All und alles in ihm erschaffen (Offb 4,11; 14,7). Das gilt vor allem dann aber in eschatologischer Hinsicht, wenn Gott selbst in der Schlussvision konstatiert: „Siehe, ich mache alles neu!“ (Offb 21,5).

5. Ein Gott – mit Christus?59 Der für diesen Beitrag gewählte Zugang hat bei all seiner Fokussierung und trotz der auch dazu noch keineswegs erschöpfenden Zusammenstellung relevanter Textaussagen ein durchaus facettenreiches, vielschichtiges und auch nicht immer einfachhin auf einen Nenner zu bringendes Bild ergeben, ein Bild allerdings, das im angezeigten Spannungsfeld von Einheit und Differenz für die Christusbotschaft der Johannesoffenbarung meines Erachtens deutlich die Überzeugung von Wesensgleichheit und entsprechender Handlungs- und Funktionseinheit mit Gott zu erkennen gibt. Dieses Bild gilt es freilich noch zu ergänzen, weiter abzuklären und abzurunden, insbesondere etwa mit Blick auf den spezifischen Gebrauch expliziter Epitheta oder die Funktion der kreativ eingespielten Traditionen und nicht zuletzt unter Berücksichtigung des metaphorisch-eidetischen Grundcharakters der theologischen Rede im letzten Buch des Neuen Testaments. 57

Πολεµέω ist ein Tun, in das nicht Gott selbst, sondern Christus, Engel und die widergöttlichen Mächte involviert sind (Offb 2,16; 12,7; 13,4; 17,14; 19,11). 58 Vgl. dazu den Beitrag von Martin Stowasser in diesem Band. 59 „Ein Gott – mit Christus“ lautete der Titel der Tagung zum Gottesbild in der Offenbarung des Johannes, aus der der vorliegende Beitrag hervorgegangen ist.

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Allein schon angesichts des Ausgeführten ist allerdings deutlich anzufragen, ob und inwieweit für die Christologie der Johannesoffenbarung tatsächlich von einer defizitären Christologie, von Subordination oder Erhöhung mit bloß funktionalen Beziehungsmomenten gesprochen werden kann. Umgkehrt bleibt vor dem Hintergrund der ausgeprägt „theozentrischen Sinnstruktur“ 60 der Johannesoffenbarung gerade aber auch für diese neutestamentliche Schrift mit Blick auf das Gottesbild die Herausforderung eines angemessenen Zueinanders der Rede von dem „einen Gott mit Christus“ und der biblischen Grundüberzeugung von dem einen und einzigen Gott, dem allein die Anbetung gebührt.

60

Vgl. U. SCHNELLE, Theologie (s. Anm. 5) 714.

Gottesepitheta als Christusepitheta Überlegungen zur Gottheit Gottes in der Offenbarung des Johannes Martin Stowasser In der Offenbarung des Johannes meldet sich Gott nur zweimal direkt, dafür an prominenter Stelle zu Wort. Zu Beginn des Buches stellt er sich nach dem triadischen Präskript (Offb 1,4–6) des Briefrahmens in Offb 1,8 selbst vor. Am Ende des Buches, wenn das tausendjährige Reich vergangen ist und ein neuer Himmel und eine neue Erde die zweite Schöpfung bilden (Offb 21), spricht Gott nochmals und etwas umfangreicher (Offb 21,5–8). Mit Ἐγώ εἰµι τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ in Offb 1,8 wie Offb 21,61 sind die beiden Gottesreden über das Buchkorpus hinweg verklammert. In ähnlicher Weise setzt der Verfasser eine titulare Klammer durch die dem Lamm vorbehaltene Würdebezeichnung ὁ πρῶτος καὶ ὁ ἔσχατος, die er im Kontext der Eröffnungsvision des Menschensohnähnlichen verwendet (Offb 1,17) und erneut in Offb 22,13. Jene beiden Abschnitte, in denen am Ende des Buches Gott und das Lamm nochmals das Wort ergreifen (Offb 21,5–8; 22,10–16), sind sodann titular miteinander vernetzt, wie die Gottes- und Christusrede je einzeln mit dem Beginn des Buches. Die Gottesepitheta2 ἐγώ (εἰµι) τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ sowie ἡ ἀρχὴ καὶ τὸ τέλος (Offb 21,6) werden dabei zu Christusepitheta (Offb 22,13).3 Diese titularen Verschränkungen sind in einen dynamischen Erzählverlauf des Buches eingebettet, der das Verhältnis von Gott und dem Lamm definiert und damit auch die jeweilige Bedeutung der Epitheta. Dieses Verhältnis wird mit dem Doppelbild der Thronsaalvision (Offb 4–5) paradigmatisch darge1

Zum textkritischen Problem des ἐγώ εἰµι in Offb 21,6 vgl. u. S. 168 Anm. 80. „Gottesepitheta“ werden hier solche „Gottesprädikationen“ genannt, die für C. BÖTTRICH, Die neutestamentliche Rede von Gott im Spiegel der Gottesprädikationen, in: BThZ 16 (1999) 59–79, 62, „Gott benennen oder umschreiben und dabei für das Wort ‚Gott‘ selbst eintreten können“. Zu den terminologischen Problemen von „Gottesname“, „Gottesepitheton“, „Gottesprädikat“ etc. vgl. die Überlegungen bei C. ZIMMERMANN, Die Namen des Vaters. Studien zu ausgewählten neutestamentlichen Gottesbezeichnungen vor ihrem frühjüdischen und paganen Sprachhorizont (AJEC / AGJU 69), Leiden 2007, 20–23. 3 Auf andere Attribute Gottes, die außerhalb dieser titularen Verklammerungen auf Christus angewendet werden (vgl. ὁ ἅγιος, ὁ ἀληθινός [Offb 3,7], ὁ ἀµήν [Offb 3,14]), wird hier nicht weiter eingegangen. 2

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stellt und durch das Buch hindurch schrittweise entfaltet; es gipfelt in der abschließenden Gottes- und Christusrede, die literarisch parallel gestaltet sind und wo schließlich Gottesepitheta zu Christusepitheta werden. Auf der Erzählebene erfolgt über das Buch hinweg eine mehrdimensionale klimaktische Verdichtung der Gemeinsamkeiten zwischen Gott und dem Lamm. Parallel dazu werden aber auch jene Differenzierungen entwickelt, in welche die Interpretation der Gottesepitheta und ihre Übertragung auf das Lamm eingeschrieben sind. Ein Verständnis dieser Würdebezeichnungen in der Offenbarung des Johannes hat deshalb einerseits deren traditionsgeschichtlichen Hintergrund zu berücksichtigen, andererseits aber auch jenes Verhältnis zwischen Gott und dem Lamm miteinzubeziehen, das zwischen den titularen Inklusionen am Beginn und Ende des Buches entfaltet wird. Erst so zeigt sich, wie der Seher Johannes in einem monotheistischen Denkhorizont die Gottheit Gottes sichert, wenn er Gottesepitheta auf Christus überträgt. Im Folgenden sind also mit ὁ παντοκράτωρ sowie ὁ ὢν καὶ ὁ ἦν καὶ ὁ ἐρχόµενος zunächst zwei Gottesepitheta der ersten Gottesrede (Offb 1,8) näher zu betrachten und ist ihre inhaltliche Entfaltung innerhalb der Johannesoffenbarung zu verfolgen. Dabei ist zugleich jenes Verhältnis von Gott und Lamm im Blick zu behalten, das den Deuterahmen für die abschließende Übertragung von Gottesepitheta auf Christus liefert. In dem Zusammenhang kann nach der kontrovers diskutierten Alternative einer „wesensmäßigen“ oder „funktionalen“ Christologie gefragt werden, welche für das Gottesbild der Johannesoffenbarung ebenfalls bedeutsam ist. Abschließend sind die zweite Gottesrede (Offb 21,5–8) und die letzte Christusrede (Offb 22,10–16) als jene Kontexte zu beleuchten, in denen die zwischen Gott und Christus gemeinsamen Epitheta τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ und ἡ ἀρχὴ καὶ τὸ τέλος sowie das exklusive Christusepitheton ὁ πρῶτος καὶ ὁ ἔσχατος Verwendung finden; dabei kann ihr je spezifisches Verständnis herausgestellt werden.

1. Gottesepitheta der ersten Gottesrede (Offb 1,8) Offb 1,8 Ἐγώ εἰµι

τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ, λέγει κύριος ὁ θεός, ὁ ὢν καὶ ὁ ἦν καὶ ὁ ἐρχόµενος, ὁ παντοκράτωρ.

Die Selbstvorstellung Gottes zu Beginn der Offenbarung des Johannes (Offb 1,8) ist auffällig titular gestaltet. Gott wird zunächst mit κύριος ὁ θεός, ὁ ὢν καὶ ὁ ἦν καὶ ὁ ἐρχόµενος eingeführt und bezeichnet sich selbst als τὸ

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ἄλφα καὶ τὸ ὦ sowie ὁ παντοκράτωρ. Bis auf τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ,4 das in Offb 22,13 auf Christus übertragen wird, versammelt die erste Gottesrede in einmaliger Dichte jene Würdebezeichnungen, die Gott in der Offenbarung vorbehalten bleiben. Der Verfasser imitiert bereits eingangs die zeitgenössische Gewohnheit, Götter wie Herrscher mit langen Titelreihen auszustatten. Das zeigt, welches Gewicht er Titeln generell beimisst und beleuchtet zugleich die besondere Stellung Christi. Denn was als Herrschaftsanspruch Roms, seiner Herrscher wie Götter, indirekt bereits hier verworfen wird, erhält das Lamm umfangreich zugestanden. Es trägt entsprechende Titel, darunter sogar manche, die Gott selber zugeordnet sind. 1.1 Gott als ὁ παντοκράτωρ „Παντοκράτωρ ist das einzige substantivische Epitheton Gottes im Neuen Testament, das ausschließlich für den jüdisch-christlichen Gott verwendet wird, nicht für Christus, nicht für andere Götter, nicht für weltliche Herrscher.“5 Unter den Gottesbezeichnungen in Offb 1,8 kommt ὁ παντοκράτωρ6 eine besondere Bedeutung zu, was seine Position im Vers signalisiert. Denn das dreigliedrige κύριος, ὁ θεός, ὁ παντοκράτωρ, das an vielen Stellen des griechischen Alten Testaments die vollständige Gottesbezeichnung „Adonai JHWH Zebaot“7 der hebräischen Bibel wiedergibt, erfährt in Offb 1,8 durch das dazwischen gerückte ὁ ὢν καὶ ὁ ἦν καὶ ὁ ἐρχόµενος eine Aufspaltung. Ὁ παντοκράτωρ wird dadurch aus der Formel herausgelöst und „Teil des Got4

Daneben verwendet die Offenbarung nur noch ὁ καθήµενος ἐπὶ τοῦ θρόνου / τῷ θρόνῳ, das erst szenisch passend mit der Thronsaalvision in Offb 4,9 eingeführt wird. Zur Nähe dieser besonders häufig verwendeten Umschreibung Gottes zu ὁ παντοκράτωρ vgl. T. HOLTZ, Gott in der Apokalypse, in: J. Lambrecht (Hrsg.), L’Apocalypse johannique et l’Apocalyptique dans le Nouveau Testament (BEThL 53), Leuven 1980, 247–265, 256f., sowie C. ZIMMERMANN, Namen (s. Anm. 2) 263f. 5 C. ZIMMERMANN, Namen (s. Anm. 2) 233. Der fehlende Christusbezug erklärt sich in der Offenbarung kaum aus einem „caractère très peu dynamique“ von παντοκράτωρ, wie P. PRIGENT, L’Apocalypse de Saint Jean (CNT 14), Genève 32000, 94, meint. Gott wie Christus sind in der Offenbarung höchst dynamisch „Kommende“. – Die ikonographische Rezeptionsgeschichte der Offenbarung ändert diese Zuordnungen dann grundlegend, indem sie Christus zum παντοκράτωρ macht und so die Interpretation des Hippolyt (Contra Noetum 6) perpetuiert. 6 Zu παντοκράτωρ vgl. grundlegend M. BACHMANN, Göttliche Allmacht und theologische Vorsicht. Zur Rezeption, Funktion und Konnotation des biblisch-frühchristlichen Gottesepithetons pantokrator (SBS 188), Stuttgart 2002; C. ZIMMERMANN, Namen (s. Anm. 2) 233–271; R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen. Eine biblische Gotteslehre (Topoi Biblischer Theologie 1), Tübingen 2011, 149–202. 7 Zur sprachlich mannigfaltigen Wiedergabe der hebräischen Formel „Adonai JHWH Zebaot“ vgl. K. WENGST, „Wie lange noch?“ Schreien nach Recht und Gerechtigkeit – eine Deutung der Apokalypse des Johannes, Stuttgart 2010, 99.

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tesspruches selbst“8. Der Vorgang versieht diesen Titel innerhalb der ersten Gottesrede mit einem Achtergewicht, ja „scheint die vorausgegangenen Beschreibungen zusammenzufassen“9. Das Epitheton ὁ παντοκράτωρ ist als Summe aller Aussagen über Gott verstanden, woraus seine gezielt gewählte Position am Ende der Selbstvorstellung Gottes in Offb 1,8 resultiert. Das im Vergleich zur Septuaginta auffällige Setzen des Artikels10 unterstreicht die Exklusivität dieser Gottesbezeichnung für die Offenbarung zusätzlich. Mit ὁ παντοκράτωρ übersetzt die Septuaginta vielfach jene Stellen, in denen der Masoretentext „Zebaot“ bietet, womit die für die griechisch-römische Welt fremde Vorstellung eines „Herrn über die himmlischen Mächte“ verständlicher gemacht werden soll. Der zeitgenössische Neologismus, der das pagan übliche παγκρατής ersetzt, drückt biblisch jedoch weniger „eine Eigenschaft Gottes, denn sein Wirken“11 aus. Eng angelehnt an alttestamentliche Texte,12 vereint es für die Offenbarung des Johannes alle Aspekte des endzeitlichen Handelns Gottes in sich: sein Eingreifen in die Geschichte als Herrscher, Richter und Retter (vgl. Offb 1,8; 4,8; 11,17; 15,3; 16,7.14; 19,6.15; 21,22). Dementsprechend zieht sich der Gottestitel ὁ παντοκράτωρ wie ein roter Faden durch die Schilderung der Endzeitereignisse im apokalyptischen Hauptteil des Buches. Das traditionelle frühjüdische Gottesepitheton bot sich für die romfeindliche Haltung der Offenbarung als zentraler Gottestitel besonders an, verknüpft es doch die Dimension des rettenden Handelns Gottes zugunsten derer, die wegen ihrer Treue zum Lamm Gefährdungen ausgesetzt sind, mit seinem universalen Herrschaftsanspruch. Obwohl ὁ παντοκράτωρ keine direkte titulare Antithese zu Ansprüchen des römischen Kaisers bildet,13 bestreitet das Gottesepitheton doch der Sache nach den faktischen Anspruch der „Hure Babylon“, die gesamte Welt zu beherrschen und signalisiert den angeschriebenen Gemeinden Abhilfe, wo sie als Verweigerer des „Systems Rom“ den 8

U. B. MÜLLER, Die Offenbarung des Johannes (ÖTBK 19), Gütersloh/Würzburg 1995, 78. 9 C. ZIMMERMANN, Namen (s. Anm. 2) 260. 10 Vgl. G. DELLING, Zum gottesdienstlichen Stil der Johannes-Apokalypse, in: NT 3 (1959) 107–137, 133. 11 Vgl. R. FELDMEIER, Vom „Herrn der Heerscharen“ zum „Allmächtigen“. Die Septuaginta als Wegbereiterin einer christlichen Gotteslehre. II. Der neutestamentliche Befund, in: Th. S. Caulley/H. Lichtenberger (Hrsg.), Die Septuaginta und das frühe Christentum (WUNT 277), Tübingen 2011, 140–152, 144. Ähnlich R. BAUCKHAM, The Theology of the Book of Revelation (New Testament Theology), Cambridge 1993, 30. 12 Vgl. H. SPIECKERMANN, Vom „Herrn der Heerscharen“ zum „Allmächtigen“. Die Septuaginta als Wegbereiterin einer christlichen Gotteslehre. I. Der alttestamentliche Befund, in: Th. S. Caulley/H. Lichtenberger (Hrsg.), Die Septuaginta und das frühe Christentum (WUNT 277), Tübingen 2011, 119–139, 137. 13 An ein kritisches Gegenüber zum im Herrscherkult verwendeten αὐτοκράτωρ denkt C. ZIMMERMANN, Namen (s. Anm. 2) 238–240.

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Hass ihrer städtischen Mitbewohner14 zunehmend zu spüren bekommen. Deshalb erweist sich Gottes Herrschschaft und Rettersein in der Offenbarung „vornehmlich in seinem Gerichtshandeln“15. Diese umfassende, weil rettende, richtende und herrscherliche Macht des παντοκράτωρ, erfährt am Ende der Thronsaalvision, wo ὁ παντοκράτωρ in Offb 4,8 das nächste Mal nach Offb 1,8 begegnet, seine Begründung. Im Thronsaal mündet aller himmlische Jubel im Lobpreis von Gottes Schöpfersein: ὅτι σὺ ἔκτισας τὰ πάντα (Offb 4,11).16 Es ist die konkurrenzlose Würde des παντοκράτωρ, Schöpfergott zu sein, die keinen Zweifel am siegreichen Durchsetzen seiner eschatologischen Herrschaft zulässt.17 „Herausgefordert durch die hellenistische Welt und Kultur mit all ihren Aspekten, hat das Antike Judentum die Einzigartigkeit des biblischen Gottes vor allem mit Hilfe der Schöpfungsaussagen und (nicht selten damit verbunden) durch den Gedanken der Macht Gottes zum Ausdruck gebracht.“18 Gottes unüberbietbare Stellung als παντοκράτωρ gründet für die Johannesoffenbarung in seinem Schöpfersein, das ihn über alles Geschaffene erhebt und seine Macht konkurrenzlos und unantastbar sein lässt. Die Gottheit des einzigen Gottes wird durch sein Schöpfersein definiert. Das Lamm steht dazu in einer einzigartigen funktionalen Aktionseinheit. „In den beiden Hälften der einen Thronsaalvision – in Offb 4 und Offb 5 – werden die Schöpfung durch Gott und die Erlösung durch das Lamm thematisch zu einer Einheit verbunden. Schöpfung und Erlösung, die Versinnbildlichung der hoheitlichen Macht Gottes und der tatkräftigen Umsetzung des Heilsplanes Gottes durch das 14

Zur Situation der kleinasiatischen Gemeinden vgl. B. KOWALSKI, Das Verhältnis von Theologie und Zeitgeschichte in den Sendschreiben der Johannes-Offenbarung, in: K. Backhaus (Hrsg.), Theologie als Vision. Studien zur Johannesoffenbarung (SBS 191), Stuttgart 2001, 54–76; H. GIESEN, Christlicher Glaube in Anfechtung und Bewährung. Zur zeit- und religionsgeschichtlichen Situation der kleinasiatischen Gemeinden im Spiegel der Johannesoffenbarung, in: B. Heininger (Hrsg.), Mächtige Bilder. Zeit- und Wirkungsgeschichte der Johannesoffenbarung (SBS 225), Stuttgart 2011, 9–38. 15 T. HOLTZ, Gott (s. Anm. 4) 250. 16 Die Wortfolge des Verses (ὅτι σὺ ἔκτισας τὰ πάντα, καὶ διὰ τὸ θέληµά σου ἦσαν καὶ ἐκτίσθησαν) stellt vor erhebliche Verstehensschwierigkeiten, die auch die textkritischen Varianten widerspiegeln. Entweder spielt die Wortfolge keine Rolle und ἦσαν bezieht sich auf die Zeit nach der Schöpfung, oder der apokalyptische Gedanke der Präexistenz aller Dinge im Himmel, die auf Erden ihr irdisches Gegenstück finden, steht im Hintergrund. Vgl. P. PRIGENT, Apocalypse (s. Anm. 5) 183. Denkbar wäre auch eine Reihenfolge als Hysteronproteron (vgl. Offb 3,17; 5,2; 6,4; 10,4.19; 19,13). So D. E. AUNE, Revelation (WBC 52 A,B,C), Dallas/Nashville 1997–1998, 312. 17 Zur häufig vermuteten Antithese von ὁ κύριος καὶ ὁ θεὸς ἡµῶν in der ἄξιοςProklamation von Offb 4,11 zur Anrede römischer Kaiser, besonders auch Domitians, als „dominus et deus noster“, vgl. C. ZIMMERMANN (s. Anm. 2) 227. 18 R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN, Gott (s. Anm. 6) 175. Vgl. C. ZIMMERMANN, Namen (s. Anm. 2) 227.

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Lamm bilden eine zusammengehörige Handlungsfolge.“19 Die Thronsaalvision und die Vision des Lammes sind deshalb im Textaufbau aufeinander abgestimmt und in einer erzählerisch voranschreitenden Dynamik20 konzipiert, welche die Futura von Offb 4,9f. erzeugen: Gott wird im Lamm aktiv. Der Aufbau der beiden Kapitel gleicht sich in wesentlichen Zügen. In einem ersten Teil erfolgt die Vorstellung dessen, der auf dem Thron sitzt (Offb 4,2f.) bzw. des Lammes (Offb 5,6f.), dann kommt der umfangreiche himmlische Hofstaat in den Blick (Offb 4,4–7; 5,8). Den zweiten Teil füllt der Lobpreis dieser versammelten überirdischen Welt (Offb 4,8.11; 5,9–13), verbunden mit einem Akt der Proskynese (Offb 4,10; 5,14). Ein wesentliches Element der offenkundig angestrebten Parallelisierung liefern die dem römisch-hellenistischen Hofzeremoniell entnommenen ἄξιος-Proklamationen (Offb 4,11; 5,9f.).21 An sie schließt die Aussage an, was zu tun Gott bzw. das Lamm würdig sind (λαβεῖν τὴν δόξαν / λαβεῖν τὸ βιβλίον) sowie eine Begründung der je zugesprochenen Würde (ὅτι). Offb 4,11 Ἄξιος εἶ, ὁ κύριος καὶ ὁ θεὸς ἡµῶν, λαβεῖν τὴν δόξαν καὶ τὴν τιµὴν καὶ τὴν δύναµιν, ὅτι σὺ ἔκτισας τὰ πάντα, καὶ διὰ τὸ θέληµά σου ἦσαν καὶ ἐκτίσθησαν. Offb 5,9–10 Ἄξιος εἶ λαβεῖν τὸ βιβλίον καὶ ἀνοῖξαι τὰς σφραγῖδας αὐτοῦ, ὅτι ἐσφάγης καὶ ἠγόρασας τῷ θεῷ ἐν τῷ αἵµατί σου ἐκ πάσης φυλῆς καὶ γλώσσης καὶ λαοῦ καὶ ἔθνους, καὶ ἐποίησας αὐτοὺς τῷ θεῷ ἡµῶν βασιλείαν καὶ ἱερεῖς, καὶ βασιλεύσουσιν ἐπὶ τῆς γῆς.

Die Würde Gottes, als Pantokrator gepriesen zu werden, beruht auf seiner einzigartigen Stellung, Schöpfergott zu sein: ὅτι σὺ ἔκτισας τὰ πάντα. An diese Exklusivität erinnert bereits davor das „gläserne Meer“ (Offb 4,6), „une immédiate relation du thrône à la création“22. Im Blick auf Gottes Schöpfermacht bietet deshalb einzig die Thronsaalvision die antik gängige Reihenfolge der Dreizeitenformel in diesem Buch und stellt ὁ ἦν an den Anfang 19

H.-G. GRADL, Buch und Offenbarung. Medien und Medialität der Johannesapokalypse (HBS 75), Freiburg 2014, 238. 20 Vgl. dazu näher u. S. 160. 21 Vgl. J. ROLOFF, Die Offenbarung des Johannes (ZBK.NT 18), Zürich 32001, 70; P. PRIGENT, Apocalypse (s. Anm. 5) 181; H. GIESEN, Das Gottesbild in der Johannesoffenbarung, in: U. Busse (Hrsg.), Der Gott Israels im Zeugnis des Neuen Testaments (QD 201), Freiburg 2003, 162–192, 187. 22 P. PRIGENT, Apocalypse (s. Anm. 5) 176.

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(Offb 4,8).23 Die Würde des Lammes, ebenfalls Lobpreis zu empfangen, gründet hingegen in der Einzigartigkeit seines soteriologischen Handelns, das Gott ein Volk bereitet hat: ὅτι ἐσφάγης … καὶ ἠγόρασας τῷ θεῷ ἐν τῷ αἵµατί σου. Betont bleibt das Heilswerk des Lammes auf Gott hin ausgerichtet: Für Gott (τῷ θεῷ) hat das Lamm ein Volk erworben (Offb 5,9), für ihn (τῷ θεῷ) hat er sie zu einer Königsherrschaft und zu Priestern gemacht (Offb 5,10).24 Die Thronsaalvision, in der das Verhältnis von Gott und Lamm grundlegend bestimmt wird, definiert die Stellung des Lammes also funktional. Sein siegreiches soteriologisches Handeln führt zur einzigartigen Stellung neben Gott im himmlischen Thronsaal. Dagegen ist das Schöpfersein vor dem alttestamentlich-frühjüdischen Hintergrund keine (weitere) Funktion Gottes, sondern definiert vielmehr sein Gottsein und begründet seine Einzigkeit. In der klimaktischen Abfolge der Lobgesänge der Thronsaalvision in Offb 5 wird das Lamm abschließend auch im Bereich der Schöpfungsvorstellung an Gott herangerückt. Der Lobpreis erfährt eine dreifache Steigerung, welche durch die immer größere Zahl der Lobpreisenden ausgedrückt wird. Zunächst loben die vier Wesen und 24 Ältesten Gott (V. 8–10), dann treten noch Myriaden von Engeln hinzu, um dem Lamm Lobpreis zu spenden (V. 11f.), danach vereint sich die gesamte Schöpfung zum gemeinsamen Lob Gottes und des Lammes (V. 13). Jedes Geschöpf (πᾶν κτίσµα) erhebt dazu seine Stimme. So gehört das Lamm eindeutig auf die Seite Gottes, bleibt aber aufgrund seiner Spr 8,22–3025 verankerten frühchristlichen Schöpfungsmittlerschaft26 in einem für die Johannesoffenbarung soteriologisch funktional bestimmten Rahmen und auch in Offb 5,13 ein Geschöpf Gottes.27

23 24

260.

Vgl. H. GIESEN, Gottesbild (s. Anm. 21) 164f. mit Anm. 13. Vgl. T. HOLTZ, Die Christologie der Apokalypse des Johannes (TU 85), Berlin 1962,

25 Vgl. T. SÖDING, Gott und das Lamm, in: K. Backhaus (Hrsg.), Theologie als Vision. Studien zur Johannesoffenbarung (SBS 191), Stuttgart 2001, 77–120, 101 mit Anm. 51, der allerdings meint, „Jesus ist nicht das erste Geschöpf Gottes, sondern geht aller Schöpfung voraus“. 26 Vgl. P. PRIGENT, Apocalypse (s. Anm. 5) 163; D. E. AUNE, Revelation (s. Anm. 16) 256; K. HUBER, Einer gleich einem Menschensohn. Die Christusvisionen in Offb 1,9–20 und Offb 14,14–20 und die Christologie der Johannesoffenbarung (NTA 51), Münster 2007, 204, sowie grundsätzlich F. HAHN, Schöpfungsthematik in der Johannesoffenbarung, in: Eschatologie und Schöpfung (FS E. Gräßer) (BZNW 89), Berlin 1997, 85–93. 27 „Der Einzigkeit und Totalität Gottes steht die ‚Kreatur‘, in die nach 3,14 auch Christus eingeschlossen ist, in durchaus differenzierter Weise gegenüber.“ T. HOLTZ, Gott (s. Anm. 4) 263. Anders O. HOFIUS, Das Zeugnis der Johannesoffenbarung von der Gottheit Jesu Christi, in: H. Lichtenberger (Hrsg.), Geschichte – Tradition – Reflexion. Band III: Frühes Christentum (FS M. Hengel), Tübingen 1996, 511–528, 524 Anm. 58, der bestreitet, „daß Christus … seinem Ursprung und Wesen nach als creatura begriffen wird“.

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Das Lamm erhält also göttlichen Lobpreis28 wegen seiner Stellung im Geschichtsplan Gottes, nicht aber entfaltet sich ein gottgleiches Wesen des Lammes in seinem Heilswirken.29 Zu (einem) Gott wird das Lamm in der Johannesoffenbarung nicht (vgl. Offb 19,10; 22,9).30 Andererseits greift auch eine Erhöhungschristologie im strengen Sinn zu kurz, denn seine Schöpfungsmittlerschaft lässt das Lamm seinen Platz an der Seite Gottes schon vor aller Zeit finden.31 Die Bezeichnung als ἡ ἀρχὴ τῆς κτίσεως τοῦ θεοῦ in Offb 3,14 birgt dessen zeitliche Priorität aller Schöpfung gegenüber in sich, 32 freilich wird selbst in diesem Zusammenhang der Primat Gottes festgehalten, indem Johannes von der „Schöpfung Gottes“, κτίσις τοῦ θεοῦ, spricht.33 Das Lamm ist Schöpfungsmittler, aber nicht Schöpfergott. „Indem Christus als ihr Anfang in die Schöpfung Gottes einbezogen wird, ist die Einzigkeit Gottes betont festgehalten, Christus aber zugleich der übrigen Schöpfung zeitlich vor- und damit sachlich übergeordnet.“34 Der Schöpferaspekt im Bild des παντοκράτωρ ruft im apokalyptischen Szenario der Johannesoffenbarung die Bedrängten zu unerschütterlichem Vertrauen auf, da unmittelbar nach der Thronsaalvision mit Kapitel 6 die Vernichtung der bestehenden Welt einsetzen wird und Offb 21,1 bereits auf die vergangene alte Welt zurückblickt, ehe die Vision des Endheils anhebt: ὁ γὰρ πρῶτος οὐρανὸς καὶ ἡ πρώτη γῆ ἀπῆλθαν, καὶ ἡ θάλασσα οὐκ ἔστιν ἔτι. 28

R. BAUCKHAM, Worship of Jesus, in: ABD 3 (1992) 812–819, 816: „Revelation portrays the worship of Christ in heaven, quite explicitly as divine worship.“ (Hervorhebung im Original) 29 Anders O. HOFIUS, Zeugnis (s. Anm. 27) 524, der für die Johannesoffenbarung „von der seinsmäßigen Gottgleichheit Jesu Christi“ spricht. Der Sache nach ähnlich, aber bezüglich Hofius’ Kategorie der Wesensgleichheit zurückhaltender T. SÖDING, Gott (s. Anm. 25) 109 Anm. 64. 30 T. HOLTZ, Christologie (s. Anm. 24) 203 mit Anm. 1, plädiert zu Recht für eine „Gottgleichheit der Funktion des Christus“ in der Johannesoffenbarung, nicht aber für eine „seinsmäßige Gottgleichheit des Christus“. Vgl. auch T. HOLTZ, Gott (s. Anm. 4) 262f.; A. VÖGTLE, Der Gott der Apokalypse. Wie redet die christliche Apokalypse von Gott?, in: J. Coppens (Hrsg.), La Notion biblique de Dieu. Le Dieu de la Bible et le Dieu des philosophes (BEThL 49), Leuven 1976, 377–398, 391: „Aktionseinheit“. 31 T. SÖDING, Gott (s. Anm. 25) 90 Anm. 25: „Daß Jesus als geschlachtetes Paschalamm … ‚steht‘, verweist auf die Auferweckung und Erhöhung des Präexistenten.“ Vorsichtig gegenüber einer Präexistenzvorstellung M. R. HOFFMANN, The Destroyer and the Lamb. The Relationship between Angelomorphic and Lamb Christology in the Book of Revelation (WUNT 2,203), Tübingen 2005, 239f.252; zuversichtlich K. HUBER, Jesus Christus – der Erste und der Letzte. Zur Christologie der Johannesapokalypse, in: J. Frey/J. A. Kehlhoffer/F. Tóth (Hrsg.), Die Johannesapokalypse. Kontexte – Konzepte – Rezeption (WUNT 287), Tübingen 2012, 435–472, 455. 32 Vgl. D. E. AUNE, Revelation (s. Anm. 16) 256. 33 Auch die Proklamation der Neuschöpfung bleibt Gott vorbehalten. Vgl. J. ROLOFF, Neuschöpfung in der Offenbarung des Johannes, in: JBTh 5 (1990) 119–138, 121. 34 T. HOLTZ, Gott (s. Anm. 4) 249.

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Der Trost für die bedrängten Gemeinden besteht also darin, dass alle gegenwärtige Drangsal ihr kosmisch vollzogenes Ende findet, weshalb es auch jenes Meer nicht mehr geben wird, aus dem das satanische Tier heraufsteigt, das Rom symbolisiert (vgl. Offb 13,1).35 Über den Moment der versinkenden alten Welt hinaus garantiert das Schöpfersein des παντοκράτωρ die Zusage jener neuen Welt, welche Johannes bereits zu sehen gewürdigt ist. 1.2 Gott als ὁ ὢν καὶ ὁ ἦν καὶ ὁ ἐρχόµενος Die triadische Formel ὁ ὢν καὶ ὁ ἦν καὶ ὁ ἐρχόµενος,36 deren Einschub ὁ παντοκράτωρ in Offb 1,8 in seine betonte Endstellung rückt, ist als Gottestitel aufgefasst, weshalb schon beim erstmaligen Gebrauch in Offb 1,4 der die Präposition ἀπό regierende Genitiv bewusst unberücksichtigt bleibt. Das verdankt sich keinen Sprachdefiziten des Verfassers, wie die korrekten Formen ἀπὸ τῶν ἑπτὰ πνευµάτων in V. 4c sowie ἀπὸ Ἰησοῦ Χριστοῦ in V. 5 zeigen. Dessen erneut nominativisch appositionelle Fortsetzung (ὁ µάρτυς ὁ πιστός, ὁ πρωτότοκος τῶν νεκρῶν καὶ ὁ ἄρχων τῶν βασιλέων) stellt den titularen Charakter solcher Ausdrücke (und damit auch des parallelen ὁ ὢν καὶ ὁ ἦν καὶ ὁ ἐρχόµενος) klar, ist jedoch weder Ausdruck besonderer Ehrfurcht,37 noch zielt die grammatikalische Devianz auf die Unveränderlichkeit38 oder Souveränität39 Gottes. Überlegungen dieser Art müssten sonst auch für den in Offb 20,2 gleichfalls nicht deklinierten „Drachen, die alte Schlange“ (τὸν δράκοντα, ὁ ὄφις ὁ ἀρχαῖος) zutreffen. Eher liegt bei diesem Phänomen in der Johannesoffenbarung ein bewusster Hebraismus vor, um sprachlich einen „biblischen Klang“40 zu erzeugen und einmal mehr Kontinuität mit der Tradition Israels auszudrücken. In Offb 1,4 soll primär das korrekte τοῦ ὄντος vermieden werden, sodass mit ὁ ὤν als erstem Glied der triadischen Formel jene Gottesbezeichnung voransteht, die mit der LXX in den Sprachgebrauch des antiken Judentums eingeführt wurde41 und die als ἐγώ εἰµι ὁ ὤν in Ex 3,14 prominent begegnet. 35

R. BAUCKHAM, Theology (s. Anm. 11) 49, überzeugt daher nicht, wenn er mit Verweis auf Offb 21,4 den kosmischen Gehalt des traditionellen apokalyptischen Bildes meint abschwächen zu müssen: „It is the end of suffering and mortality that is in mind, when Revelation speaks of ‚passing away‘ of ‚the first things‘“. 36 Zur Dreizeitenformel vgl. grundlegend S. M. MCDONOUGH, YHWH at Patmos. Rev. 1:14 in its Hellenistic and Early Jewish Setting (WUNT 2,107), Tübingen 1999; speziell zu ihrem frühjüdischen Gebrauch vgl. auch G. K. BEALE, The Book of Revelation. A Commentary on the Greek Text (NIGTC), Grand Rapids 1999, 188. 37 Zu solchen Überlegungen vgl. P. PRIGENT, Apocalypse (s. Anm. 5) 87. 38 So T. HOLTZ, Gott (s. Anm. 4) 250. 39 So H. GIESEN, Gottesbild (s. Anm. 21) 163. 40 Vgl. G. K. BEALE, Revelation (s. Anm. 36) 189 Anm. 28: „In Hebrew the noun in the indirect cases is not inflected.“ Ähnlich A. VÖGTLE, Gott (s. Anm. 30) 380. 41 Vgl. S. M. MCDONOUGH, YHWH (s. Anm. 36) 131–137.

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Neben das platonische τὸ ὄν in seiner Unveränderlichkeit tritt das biblische ὁ ὤν als ein persönlich gedachter und dem Leben verpflichteter Gott, was wie ὁ παντοκράτωρ die geschichtsmächtig wirkende Präsenz JHWH zugunsten Israels einblendet, „sein Dasein für die Seinen“42. Das ὁ ὤν intendiert nicht nur eine abstrakte „Raum und Zeit übersteigende Erhabenheit Gottes“43, sondern hebt dessen Wirken für Israel wie auch der kleinasiatischen Gemeinden ins Grundsätzliche.44 Dem dient die Abweichung vom sonst chronologischen Schema der antiken Dreizeitenformel,45 nach der ein „war – ist – wird sein“ zu erwarten wäre. Neben der also gezielt an den Anfang gesetzten Nominativform ὁ ὤν sticht es weiters ins Auge, wenn das zu erwartende Futur („sein wird“)46 durch das präsentische ὁ ἐρχόµενος ersetzt wird. Es betont, dass Gott bereits in die aktuelle Bedrängnis der Gemeinden hinein „kommt“, d. h. diese beendet, indem er seine (ewige) Herrschaft nun (auf Erden) durchsetzt. Der präsentische Aspekt des ὁ ἐρχόµενος liefert auch den Grund dafür, dass es der Verfasser in Offb 11,17 wie in Offb 16,5 aus der Formel weglässt und sie auf ὁ ὢν καὶ ὁ ἦν verkürzt. In beiden Fällen ist die binomische Kurzform in einem hymnischen Kontext verwendet, wo der bereits errungene Sieg und die durchgesetzte Herrschaft Gottes bzw. das vollzogene Gericht antizipatorisch besungen werden. Gottes Handeln ist deshalb in Aorist bzw. Perfekt formuliert (Offb 11,17f.: ... εἴληφας τὴν δύναµίν σου … ἐβασίλευσας … ἦλθεν ἡ ὀργή σου / Offb 16,5f.: … ἔκρινας … δέδωκας πιεῖν). Dieses aktuelle Kommen Gottes ist als Prozess verstanden, der sich – zumindest großteils – im Wirken und Schicksal des Lammes vollzieht.47 Da die binomische Formel in Offb 16,5 aber auch ohne christologischen Bezug formuliert werden kann, erschöpft sich Gottes eschatologisches Handeln nicht im Christusgeschehen, sondern umfasst bzw. inkludiert dieses. Formal wird das bereits in Kap. 1 dadurch deutlich, dass Gott als ὁ ἐρχόµενος einen Rahmen (V. 4.8) um die Aussage von Christi Kommen (vgl. ἔρχεται in V. 7) bildet. „Il faut donc conclure que dès le début du livre, lorsque pour a première fois le nom secret de Dieu est révélé, il prend une resonance chris-

42

H. GIESEN, Gottesbild (s. Anm. 21) 165. Ähnlich S. M. MCDONOUGH, YHWH (s. Anm. 36) 216. 43 A. VÖGTLE, Gott (s. Anm. 30) 381; vgl. C. ZIMMERMANN, Name (s. Anm. 2) 226f. 44 C. ZIMMERMANN, Name (s. Anm. 2) 260 Anm. 388, sieht deshalb mit ὁ ὤν auch die Gegenwärtigkeit Gottes betont. 45 Vgl. D. E. AUNE, Revelation (s. Anm. 16) 30–32. 46 Vgl. ein entsprechendes ἐσόµενος in Plut, Is et Os 9 (= Mor 354c). Zitiert bei K. WENGST, „Wie lange“ (s. Anm. 7) 97. 47 Darin liegt der Grund, dass zwar vom Kommen Gottes die Rede ist, es jedoch in der Johannesoffenbarung nie selbständig entfaltet wird. Vgl. K. HUBER, Jesus Christus (s. Anm. 31) 447f.

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tologique. Ce christocentrisme, ou plus exactement ce théocentrisme christologique est l’une des grandes constantes de l’Apocalypse.“48 Gottes eschatologisches Kommen hat in Tod und Auferstehung Jesu seinen Auftakt genommen, weshalb einzig dessen soteriologisches Wirken im vorgeschalteten dreigliedrigen Präskript (Offb 1,4–6: Gott – Sieben Geister – Christus) in drei Tatepitheta entfaltet ist. Dazu werden wesentliche Elemente aus dem Lobpreis Gottes in Ps 89 verwendet, um deutlich zu machen, „daß Jesus Christus Gottes Werk treibt“49. Die drei Tatepitheta heben auf den Anfang des Kommens Gottes in Christus ab und schaffen vom Beginn des Buches weg eine funktionale Perspektive auf Christus.50 Dessen Wirken wird dabei für Vergangenheit wie Gegenwart entfaltet (ἀγαπῶντι – λύσαντι – ἐποίησεν – ἔρχεται).51 Mit ἔρχεται formuliert Johannes „das Motto seiner ganzen Schrift ‚Gott kommt – Christus kommt‘“52. Dieses „Kommen“ Christi umfasst neben dem eschatologischen Horizont der Parusie (Offb 22,7.12.20) auch das strafende und richtende Eingreifen in den sieben Gemeinden davor (Offb 2,16; 3,11; evtl. auch 2,5). „Therefore, Christ’s ‚coming‘ in 1:7 and elsewhere in the Apocalypse is understood better as a process occurring throughout history; the so-called ‚second coming‘ is actually a final coming concluding the whole process of comings.“ 53 Mit Jesu Tod und Auferstehung hebt im Buch der Offenbarung also der Prozess von Gottes Kommen an, in dem ὁ ὢν καὶ ὁ ἦν καὶ ὁ ἐρχόµενος seine Macht ergreift und diese gegen alle widerstreitenden Kräfte durchzusetzen beginnt. Es ist die „Auferstehung Jesu von den Toten, die Gottes endgültigen Sieg über die Welt verbürgt“54. Diese Grundkonzeption einer christologisch entfalteten Theozentrik der Johannesoffenbarung, die bereits die ersten Verse in äußerst verdichteter Form präsentieren, erfährt in der Doppelvision vom Thronsaal Gottes und dem hinzutretenden Lamm (Offb 4–5)55 seine erstmalige exemplarische Darstellung und prägt danach den gesamten weiteren Verlauf des Buches. Gottes sich im Sieg des Lammes vollziehende Machtergreifung wird mittels einer 48

P. PRIGENT, Apocalypse (s. Anm. 5) 87f. T. HOLTZ, Gott (s. Anm. 4) 250. 50 Die funktionale Perspektive eröffnet bereits der vorgeschaltete Hinweis auf die „sieben Geister“ vor dem Thron Gottes. Vgl. T. HOLTZ, Gott (s. Anm. 4) 250. Sie sollen nicht Christus vor- bzw. übergeordnet werden, sondern demonstrieren, dass sämtliche himmlischen Mächte – und so auch das Lamm – Gott zu Diensten sind. 51 A. VÖGTLE, Gott (s. Anm. 30) 387: „Mit dem präsentischen ‚Dem, der uns liebt‘ nennt Johannes den Grund für das Heilshandeln Christi, das in den beiden folgenden Gliedern entfaltet wird.“ Vgl. auch K. HUBER, Jesus Christus (s. Anm. 31) 448, der alle drei Zeitebenen angesprochen sieht. 52 U. B. MÜLLER, Offenbarung (s. Anm. 8) 76. 53 G. K. BEALE, Revelation (s. Anm. 36) 198. 54 T. SÖDING, Gott (s. Anm. 25) 81. 55 Zum parallelen Aufbau des Doppelbildes vgl. o. S. 154. 49

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erzählerischen Dynamik, die kunstvoll entwickelt wird, en miniature vorgeführt. Das Doppelbild von Gott und dem Lamm stellt zunächst die Erhabenheit und Zeitlosigkeit des Thronsaales Gottes vor Augen. Im Weglassen aller Anthropomorphismen, die noch das Gottesbild der alttestamentlichen Vorlage in Ez 1,26–28 prägen, präsentiert Johannes „the incomparability of God’s sovereignty“56. In dieser himmlischen Welt erschallt ohne Unterlass, Tag und Nacht, das Trishagion zum Lobpreis Gottes, des Pantokrators (Offb 4,2b–8). Gegen Ende der Thronsaalvision kommt allerdings Bewegung in das Bild. Der Blick richtet sich in die Zukunft, auf jenen Moment der Geschichte, an dem der himmlische Hofstaat seine goldenen Kränze ablegt, um Gott wegen seiner nun anhebenden alleinigen Herrschaft zu feiern (Offb 4,9–11). Wie in einer überlappenden Rückblende, in der die himmlischen Mächte (noch) nach demjenigen suchen, der das versiegelte Buch der Endzeitereignisse zu öffnen vermag (Offb 5,2–4), tritt das siegreiche Lamm herzu (Offb 5,6). Sein Erscheinen nimmt die Dynamik auf, die am Ende der Thronsaalvision einsetzt und entfaltet sie. Das Scharnier für das zweite Bild bilden die futurischen Aussagen in Offb 4,9f.,57 welche den ersten Teil der Thonsaalvision abschließen und so den Übergang schaffen von der Ewigkeit und Ruhe im Thronsaal Gottes hin zu Schicksal und Funktion des Lammes (Offb 5), mit dessen Sieg sich Gottes Machtergreifung auf Erden sowie sein rettendes Handeln an den bedrängten Gemeinden unaufhaltsam vollziehen.58 Die Feier der Machtergreifung Gottes in der himmlischen Welt ist durch das Bild der Proskynese und Kranzniederlegung in Offb 4,10 (πεσοῦνται … προσκυνήσουσιν … βαλοῦσιν τοὺς στεφάνους αὐτῶν ἐνώπιον τοῦ θρόνου) als doppelbödige Polemik für ein Publikum des 1. Jh. n. Chr. mehr als deutlich. „Dieser Huldigungsakt geht auf zeitgenössisch-hellenistische Sitten zurück. So unterwirft sich der Parther Tiridates vor Kaiser Nero, indem er vor dessen Bild tritt, das Diadem vom Haupt nimmt und dem Bild zu Füßen legt (Tacitus, Annalen 15,29). Damit deutet er seinen Verzicht auf die Herrschaft an.“59 Proskynese und Ablegen der Kränze bilden also den Demutsakt des himmlischen Hofstaates für jenen Moment, wenn Gott seine Herrschaft endgültig ergreift und selbst die Mächte des Himmels anerkennen, dass sich ihre Stellung allein Gott, dem παντοκράτωρ (Offb 4,8), verdankt.60 Die Durchset56

R. BAUCKHAM, Theology (s. Anm. 11) 43. Für ein futurisches Verständnis argumentieren zurecht U. B. MÜLLER, Offenbarung (s. Anm. 8) 142; K. WENGST, „Wie lange“ (s. Anm. 7) 101 mit Anm. 31 (unter Verweis auf die unbestrittenen Futura von V. 10); anders H. GIESEN, Gottesbild (s. Anm. 21) 184, der mit einem semitischen Imperfekt im Hintergrund rechnet und zeitlos iterativ deutet. 58 Zur narrativen Einheit von Thronsaalvision und Übergabe des Buches an das Lamm vgl. H.-G. GRADL, Buch (s. Anm. 19) 239. 59 U. B. MÜLLER, Offenbarung (s. Anm. 8) 148. 60 Vgl. R. BAUCKHAM, Theology (s. Anm. 11) 34. 57

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zung seiner ewigen Herrschaft, die das Ende der Weltmacht Rom einläutet, hebt mit dem Sieg des Lammes an, den anschließend bes. Offb 5,9f. skizziert. Die Offenbarung des Johannes kennzeichnet eine christologisch durchbuchstabierte Theozentrik, weshalb zwar im weiteren Erzählverlauf die Gestalt des Lammes im Vordergrund steht, dessen Zu- und Unterordnung Gott gegenüber jedoch immer wieder festgehalten wird. So tritt auch im apokalyptischen Hauptteil, der auf die Thronsaalvision folgt, die Rede vom Handeln Gottes zugunsten der vom Wirken des Lammes zurück, dem mit dem versiegelten Buch Gericht und Herrschaft übertragen werden. Dennoch wird an entscheidenden Stellen, die Heil und Gericht behandeln, kontinuierlich Gott selbst eingeblendet61 und in zentralen hymnischen Passagen des Buches leuchtet dessen theozentrische Grundkonzeption mehrfach auf. So werden die 144 000 mit dem „Siegel des lebendigen Gottes“ vor dem (kommenden) Unheil bewahrt (Offb 7,2f.), und der Frau, die vor dem Drachen flieht, wird von Gott ein Ort der Zuflucht bereitet (Offb 12,6). Wenn die sieben Schalen als abschließender Höhepunkt62 des einen Gerichtshandelns Gottes geleert werden, kommt darin dezidiert „der Zorn Gottes“ bzw. „des lebendigen Gottes“ zu seinem Abschluss (Offb 15,1.7). Die Theozentrik wird im Verlauf des Buches ebenso durch hymnische Texte mehrfach deutlich. In Offb 11,15 ertönt die 7. Posaune, die keine neue Plage bringt, sondern die gemeinsame siegreiche Königsherrschaft von Gott und Christus verkündet: Ἐγένετο ἡ βασιλεία τοῦ κόσµου τοῦ κυρίου ἡµῶν καὶ τοῦ Χριστοῦ αὐτοῦ, καὶ βασιλεύσει εἰς τοὺς αἰῶνας τῶν αἰώνων.63 Trotz der Gott und dem Lamm verdankten eschatologischen Vollendung bringt das Possessivum sehr gezielt Christi funktionale Zuordnung zu Gott zum Ausdruck, wenn es den titular-messianischen Charakter durch τοῦ Χριστοῦ αὐτοῦ festhält64 und der hymnische Preis im Anschluss Gott, den Pantokrator, allein rühmt: Εὐχαριστοῦµέν σοι, κύριε ὁ θεὸς ὁ παντοκράτωρ, ὁ ὢν καὶ ὁ ἦν, ὅτι εἴληφας τὴν δύναµίν σου τὴν µεγάλην καὶ ἐβασίλευσας (Offb 11,17). „Eigentliches Subjekt der Herrschaft bleibt Gott, was sich in der zweiten Hälfte der Proklamation zeigt, die den Zukunftsaspekt einbringt und im Singular nur von der ewigen Herrschaft Gottes spricht.“65

61

Vgl. T. HOLTZ, Gott (s. Anm. 4) 251–253. Den Aufbau der Offenbarung bezeichnet Stefan Schreiber zutreffend als „spiralförmig“, um die voranschreitende und doch immer das gleiche Geschehen intensivierende Darstellung der Johannesoffenbarung zu charakterisieren. Vgl. M. EBNER/S. SCHREIBER (Hrsg.), Einleitung in das Neue Testament (KStTh 6), Stuttgart 22013, 569. 63 Demgemäß begegnet die triadische Formel in V. 17 bewusst verkürzt als ὁ ὢν καὶ ὁ ἦν, also ohne ὁ ἐρχόµενος. Vgl. o. S. 158. 64 Vgl. D. E. AUNE, Revelation (s. Anm. 16) 639: „The phrase ‚his Messiah‘ certainly underscores the subordinate relationship of the Messiah to God.“ 65 U. B. MÜLLER, Offenbarung (s. Anm. 8) 223. 62

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Dieser Befund wiederholt sich im „Siegeslied des Mose“, das als „Siegeslied des Lammes“ (Offb 15,3–4) gesungen wird66 und unter soteriologischer Perspektive auf das Lamm blickt. „Die sühnewirkende Kraft der beim Auszug aus Ägypten geschlachteten Passalämmer ist Typos für die Erlösung der Gemeinde durch das Blut Jesu, des endzeitlichen Passalammes.“67 Aber auch wenn das Lied die grundlegende Rettungstat Gottes an der Exodusgeneration Israels mit jener eschatologischen des Lammes in Beziehung setzt, besingt es erneut ausschließlich Gott, den Pantokrator (V. 3: µεγάλα καὶ θαυµαστὰ τὰ ἔργα σου, κύριε ὁ θεὸς ὁ παντοκράτωρ), und die Unterwerfung der Völker vor ihm allein (V. 4: πάντα τὰ ἔθνη ἥξουσιν καὶ προσκυνήσουσιν ἐνώπιόν σου). Die Zu- und Unterordnung des Lammes im theozentrischen Koordinatensystem der Offenbarung des Johannes drückt sich nicht zuletzt in jenen kontrovers diskutierten Singularformen (vgl. Offb 1,1; 14,1; 20,6; 21,22; 22,3) aus, wo von Gott und dem Lamm zunächst gemeinsam die Rede ist, der Text dann aber auffällig im Singular fortfährt. „God and the Lamb are at no point in the Apocalpyse clearly referred to with a plural pronoun or are the subject of a plural verb.“68 Die strenge Theozentrik der Johannesoffenbarung macht eine exklusive Deutung der singularisch formulierten Verba in Offb 11,15 wie Offb 22,3f. auf Gott allein69 wahrscheinlicher als eine inklusive70. Ob bereits das singularische Possessivum in Offb 1,1 (δεῖξαι τοῖς δούλοις αὐτοῦ) die Einheit von Gott und Christus umfassen soll, erscheint vor dem Hintergrund der folgenden Überlegungen zweifelhaft und wäre für die Lesenden auch nicht zu erkennen.71 Ebensowenig ist in Offb 20,6 (ἀλλ’ ἔσονται ἱερεῖς τοῦ θεοῦ καὶ τοῦ Χριστοῦ, καὶ βασιλεύσουσιν µετ’ αὐτοῦ [τὰ] χίλια ἔτη) ein inklusives Verständnis von µετ’ αὐτοῦ anzunehmen, da die 1000 Jahre währende Herrschaft unmittelbar davor nur Christus zugesprochen wird 66

Da nur ein einziges Lied geboten wird, legt es sich nahe, καὶ τὴν ᾠδὴν τοῦ ἀρνίου explikativ zu verstehen. 67 J. ROLOFF, Offenbarung (s. Anm. 21) 158. 68 L. T. STUCKENBRUCK, Angel Veneration and Christology. A Study in Early Judaism and in the Christology of the Apocalypse of John (WUNT 2,70), Tübingen 1995, 262. – Einzige Ausnahme bildet eventuell der (allerdings textkritisch umstrittene) Befund in Offb 6,17. 69 Vgl. etwa U. B. MÜLLER (s. Anm. 8) 223.363; D. E. AUNE, Revelation (s. Anm. 16) 639.1179. 70 So aber z. B. A. VÖGTLE, Gott (s. Anm. 30) 391 mit Anm. 32; T. HOLTZ, Gott (s. Anm. 4) 262f.; DERS., Christologie (s. Anm. 24) 202; K. HUBER, Jesus Christus (s. Anm. 31) 470 mit Anm. 116 (vgl. dazu erneut auch seine Ausführungen in diesem Band); G. K. BEALE, Revelation (s. Anm. 36) 611.1113. 71 Unsicher selbst T. HOLTZ, Christologie (s. Anm. 24) 202, der das „Singularphänomen“ ansonsten inklusiv deutet (vgl. S. 202–204); zuversichtlich hingegen R. BAUCKHAM, The Climax of Prophecy. Studies on the Book of Revelation, Edinburgh 1993, 139 Anm. 68.

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(V. 4: καὶ ἔζησαν καὶ ἐβασίλευσαν µετὰ τοῦ Χριστοῦ χίλια ἔτη), somit keine gemeinsame Herrschaft der Märtyrer mit Gott und Christus intendiert sein kann. In Offb 11,15b verkündet der siebente Schalenengel zunächst feierlich: ἐγένετο ἡ βασιλεία τοῦ κόσµου τοῦ κυρίου ἡµῶν καὶ τοῦ Χριστοῦ αὐτοῦ. Das fortführende βασιλεύσει (V. 15c) wäre daher zwar inklusiv verstehbar, gedankt wird im Anschluss allerdings nur Gott (V. 17: εὐχαριστοῦµέν σοι, κύριε ὁ θεὸς ὁ παντοκράτωρ), auf den allein auch die abschließenden Theophanieelemente in V. 19 den Blick konzentrieren. Der hymnische Vorausblick auf das triumphale Ende der Geschichte formuliert mit βασιλεύσει (V. 15c) daher bereits streng theozentrisch, was durch das parallele und ohne Zweifel lediglich auf Gott bezogene εἴληφας τὴν δύναµίν σου τὴν µεγάλην καὶ ἐβασίλευσας (!) von V. 17 bestätigt wird. Das Perfekt bzw. der ingressive Aorist dieser Verba inkludieren nur insofern das Lamm, als Gott ihm im Endzeitgeschehen die zentrale Rolle überträgt, das Verhältnis der Zu- und Unterordnung wird durch die Singularformen jedoch festgeschrieben. Diese christologische Theozentrik der Johannesoffenbarung zeigt somit auch in Offb 22,3f. Gott und das Lamm zunächst triumphierend auf dem Thron sitzend (ὁ θρόνος τοῦ θεοῦ καὶ τοῦ ἀρνίου), im Anschluss dienen die Geretteten der Endzeit jedoch erneut allein Gott (λατρεύσουσιν αὐτῷ), nur sein Angesicht schauen sie (ὄψονται τὸ πρόσωπον αὐτοῦ), und im Unterschied zu Offb 14,1, wo die Perspektive auf das Lamm erweitert wird (τὸ ὄνοµα αὐτοῦ καὶ τὸ ὄνοµα τοῦ πατρὸς αὐτοῦ γεγραµµένον ἐπὶ τῶν µετώπων αὐτῶν), tragen sie in Offb 22,4 lediglich Gottes Namen auf der Stirn (τὸ ὄνοµα αὐτοῦ ἐπὶ τῶν µετώπων αὐτῶν).72 Diese Fokussierung auf Gott steht im Einklang mit dem anschließenden Bild und dessen Begründung, dass es keine Nacht mehr geben und das Neue Jerusalem keiner Leuchte mehr bedürfen wird, ὅτι κύριος ὁ θεὸς φωτίσει ἐπ’ αὐτούς (Offb 22,5). Der Vergleich mit der Parallelaussage in Offb 21,23 (ἡ γὰρ δόξα τοῦ θεοῦ ἐφώτισεν αὐτήν, καὶ ὁ λύχνος αὐτῆς τὸ ἀρνίον) zeigt, dass der Verfasser bewusst variiert. Im letzten Bild, das die Johannesoffenbarung von der Heilszeit skizziert, kommt der theozentrische Singular abschließend nochmals zur Anwendung. Das Bild ist zweiteilig und als Höhepunkt des Buches konzipiert. Die Schilderung des Neuen Jerusalem als Ort des Heiles, die Offb 21,9 beginnt, findet ihre Klimax im Doppelbild vom Strom des Lebens und des Paradiesgartens, die beide mit dem Motiv vom Thron Gottes und des Lammes verbunden werden. So schaffen ἐκ τοῦ θρόνου τοῦ θεοῦ καὶ τοῦ ἀρνίου (Offb 22,1b) und ὁ θρόνος τοῦ θεοῦ καὶ τοῦ ἀρνίου (V. 3b) eine Klammer um den ersten Teil. Dann schwenkt die Perspektive auf die geretteten Gerechten und den Höhepunkt ihrer Zukunft, die sie Priester und Könige sein lässt. Diesen zweiten Teil rahmen ihre zukünftigen Tätigkeiten: λατρεύσουσιν (V. 3c) – 72

Anders A. VÖGTLE, Gott (s. Anm. 30) 395; O. HOFIUS, Zeugnis (s. Anm. 27) 523.

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βασιλεύσουσιν (V. 5d); er spricht allein von Gott, welcher alle Nacht vertreiben und von nun an auf die Geretteten leuchten wird (V. 5c: κύριος ὁ θεὸς φωτίσει ἐπ’ αὐτούς). Mit λατρεύσουσιν αὐτῷ (V. 3c) wird im zweiten Teil des großen Abschlussbildes auf Gott Bezug genommen und nicht mehr jenes vom Thron Gottes und des Lammes weitergeführt. Die Johannesoffenbarung versucht also einerseits, dem Lamm göttlichen Status zu verleihen, und zwar primär aus textpragmatischen Gründen, um die Hoffnung in den bedrängten Gemeinden zu stärken. Andererseits trachtet der Verfasser mehrfach danach, mittels grammatikalisch auffälliger Singularformen die Grenze zum Ditheismus zu vermeiden. Er greift dabei auf ein (sprachliches) Konzept des hellenistischen Judentums zurück, das bestrebt war, eine hochentwickelte Angelologie in den Rahmen eines strengen Monotheismus einzubetten. Im Rahmen der Heilung Tobits (Tob 11,14f. [griech.]) erfahren etwa Gott wie auch seine heiligen Engel in gleicher Weise Lobpreis.73 Beide sind als dessen Empfänger genannt, dennoch fährt der Text mit Singularformen, also ausschließlich mit Bezug auf Gott, fort. Tob 11,14–15 (Langfassung: Codex Sinaiticus) V. 14 καὶ εἶπεν Εὐλογητὸς ὁ θεός, καὶ εὐλογητὸν τὸ ὄνοµα τὸ µέγα αὐτοῦ, καὶ εὐλογηµένοι πάντες οἱ ἄγγελοι οἱ ἅγιοι αὐτοῦ γένοιτο τὸ ὄνοµα τὸ µέγα αὐτοῦ ἐφ’ ἡµᾶς, καὶ εὐλογητοὶ πάντες οἱ ἄγγελοι εἰς πάντας τοὺς αἰῶνας ὅτι αὐτὸς ἐµαστίγωσέν µε, καὶ ἰδοὺ βλέπω Τωβιαν τὸν υἱόν µου. V. 15 καὶ εἰσῆλθεν Τωβιας χαίρων καὶ εὐλογῶν τὸν θεὸν ἐν ὅλῳ τῷ στόµατι αὐτοῦ, Tob 11,14 (Kurzfassung: Codex Alexandrinus / Codex Vaticanus) V. 14 Εὐλογητὸς εἶ, ὁ θεός, καὶ εὐλογητὸν τὸ ὄνοµά σου εἰς τοὺς αἰῶνας, καὶ εὐλογηµένοι πάντες οἱ ἅγιοί σου ἄγγελοι· ὅτι ἐµαστίγωσας καὶ ἠλέησάς µε, …

Es werden somit auch im Buch Tobit Gott und seine74 heiligen Engel (C. Sin.: οἱ ἄγγελοι οἱ ἅγιοι αὐτοῦ / C. Alex. u. C. Vat.: οἱ ἅγιοί σου ἄγγελοι) gepriesen, jedoch das Geschehen selbst (C. Sin.: αὐτὸς ἐµαστίγωσέν µε / C. Alex. u. C. Vat.: ἐµαστίγωσας καὶ ἠλέησάς µε) sowie besonders der Dank für die wunderbare Heilung (C. Sin.: εὐλογῶν τὸν θεὸν) bleiben ausschließlich Gott zugeordnet. Mithilfe der grammatikalisch inkorrekten oder zumindest holprigen Konstruktion, beide Empfänger des Lobpreises zwar zu nennen, daran aber mit Verben im Singular anzuschließen, die sich allein auf Gott beziehen, 73 Vgl. L. T. STUCKENBRUCK, Veneration (s. Anm. 68) 264, und die Anm. 161 genannten auffällig wenigen Beispiele aus den (paganen) griechischen Zauberpapyri, die den jüdischen Charakter dieses Motivs unterstreichen. 74 Vgl. τοῦ Χριστοῦ αὐτοῦ (!) in Offb 11,15.

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gelingt es im Buch Tobit, der Hoheitsstellung der Engelwesen gerecht zu werden, die Grenze des Monotheismus aber dabei nicht zu überschreiten. Das frühjüdische Sprach- und Denkmuster erweist sich hier mit dem der Offenbarung des Johannes als ident. Es bildet den Hintergrund für die exklusiv zu deutenden Singularformen der Verba und Pronomina in den genannten Stellen. Auf diese Weise sucht auch die Johannesoffenbarung die einmalige Nähe und Wirkgemeinschaft des Lammes mit Gott zum Ausdruck zu bringen, ohne Gottes alleiniges Gottsein zu berühren. „Attempts to safeguard monotheism from potential problems arising from the veneration of angels most likely provided a formative religio-historical development behind the way the author found it possible to merge the heavenly worship of Christ, on the one hand, with his emphasis that only God be worshiped, on the other.“75 Zwar übertreffen Stellung und Verehrung Christi die Parallelen im Engelkonzept des Frühjudentums, wie die exklusive Nähe des Lammes zu Gott bereits im himmlischen Thronsaal zeigt (Offb 5,6)76 und durch die singuläre Vater-Sohn-Relation der Johannesoffenbarung unterstrichen wird,77 aber die Art und Weise, dabei den monotheistischen Denkrahmen sprachlich zu wahren, scheint ein gemeinsames Erbe zu sein.78 Angesichts dieses frühjüdischen Hintergrundes ist es jedenfalls überzogen, davon zu sprechen, dass in der Johannesoffenbarung „die Grammatik theologisch geadelt“ erscheint bzw. für das Lamm der „Widerschein theonomer Einheit“79 geschaffen werden sollte. Gott ist ὁ ὢν καὶ ὁ ἦν καὶ ὁ ἐρχόµενος. Sein „Kommen“ realisiert sich im Christusgeschehen, das Tod, Auferstehung und eschatologisches Kommen des Lammes umfasst. Dieses wird zwar durch seine Aktionseinheit und nicht zuletzt durch seine Würde als präexistenter Schöpfungsmittler in herausragender Weise auf die Seite Gottes gestellt, aber Gottes einzigartige Würde 75

L. T. STUCKENBRUCK, Veneration (s. Anm. 68) 265. Für M. HENGEL, Die Throngemeinschaft des Lammes mit Gott in der Johannesapokalypse, in: ThBeitr 27 (1996) 159–175, 169, drückt der Verfasser in Offb 5,6 und 7,17 eine räumlich nicht mehr differenzierbare Einheit zwischen Lamm und Gott aus. 77 T. HOLTZ, Gott (s. Anm. 4) 264: „Einzig das Verhältnis Christus – Gott ist durch den Vater-Begriff bestimmt, womit die Singularität dieser Beziehung nachdrücklich hervorgehoben ist.“ Vgl. auch T. SÖDING, Gott (s. Anm. 25) 102: „Nie heißt es, Gott sei der Vater der Christen.“ 78 Die sprachliche Auffälligkeit des Singulars ist also nicht christologisch bzw. binitarisch orientiert, wie R. BAUCKHAM, Climax (s. Anm. 71) 139f., meint: „He [= the author] is evidently reluctant to speak of God and Christ together as a plurality (…) he places Christ on the divine side of the distinction between God and creation, but he wishes to avoid ways of speaking which sound to him polytheistic.“ Die Formulierungen im Singular sind vielmehr wie ihre frühjüdischen Parallelen streng theologisch ausgerichtet und nicht inklusiv zu deuten. 79 D. SÄNGER, „Amen, Komm, Herr Jesus!“ (Apk 22,20). Anmerkungen zur Christologie der Johannes-Apokalypse, in: F. W. Horn/M. Wolter (Hrsg.), Studien zur Johannesoffenbarung und ihrer Auslegung (FS O. Böcher), Neukirchen-Vluyn 2005, 71–92, 89. 76

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gründet darin, allein Schöpfergott zu sein, was den monotheistischen Rahmen vorgibt bzw. wahrt. Ausschließlich Gott trägt insofern auch den Titel ὁ παντοκράτωρ.

2. Gottesepitheta der zweiten Gottesrede (Offb 21,5–8) Die zweite Rede Gottes in der Johannesoffenbarung (Offb 21,5–8) wie auch die parallel gestaltete des Lammes (Offb 22,10–16) sind Teil der großen Heilsvision (Offb 21–22), die das Buch beschließt. Gott (Offb 21,5–6a) wie Christus (Offb 22,12) benennen dabei ihr zentrales Handeln im eschatologischen Geschehen, beide unterstreichen ihre Vollmacht durch Titel (Offb 21,6b; 22,13), in beiden Fällen folgt eine Gegenüberstellung des Heils der Glaubenden (Offb 21,6c–7; 22,14) und der Verwerfung der Frevler, welche durch Lasterkataloge charakterisiert werden (Offb 21,8; 22,15). Die durch das Buch hindurch immer wieder und auf unterschiedlichen Ebenen zum Ausdruck gebrachte Gemeinsamkeit zwischen Gott und dem Lamm prägt also auch die Schlussvision, in deren Rahmen Gottesepitheta der ersten Gottesrede sich nun im Mund Christi finden. Offb 21,5–8 5 Καὶ εἶπεν ὁ καθήµενος ἐπὶ τῷ θρόνῳ, Ἰδοὺ καινὰ ποιῶ πάντα. καὶ λέγει, Γράψον, ὅτι οὗτοι οἱ λόγοι πιστοὶ καὶ ἀληθινοί εἰσιν. 6 καὶ εἶπέν µοι, Γέγοναν. ἐγώ εἰµι80 τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ, ἡ ἀρχὴ καὶ τὸ τέλος. ἐγὼ τῷ διψῶντι δώσω ἐκ τῆς πηγῆς τοῦ ὕδατος τῆς ζωῆς δωρεάν. ὁ νικῶν κληρονοµήσει ταῦτα, 7 καὶ ἔσοµαι αὐτῷ θεὸς καὶ αὐτὸς ἔσται µοι υἱός. τοῖς δὲ δειλοῖς καὶ ἀπίστοις καὶ ἐβδελυγµένοις 8 καὶ φονεῦσιν καὶ πόρνοις καὶ φαρµάκοις καὶ εἰδωλολάτραις καὶ πᾶσιν τοῖς ψευδέσιν

80

Die textkritische Situation um die zusammenhängenden Varianten von γέγοναν (3. P. Pl.) alternativ zu γέγονα (1. P. Sgl.) und τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ mit bzw. ohne ἐγώ εἰµι lässt keine eindeutige Klärung zu, doch darf γέγοναν ἐγώ εἰµι eher als der ursprüngliche Text gelten. Vgl. die Diskussion bei D. E. AUNE, Revelation (s. Anm. 16) 1111f. Das textkritisch unstrittige Nicht-Setzen der Kopula εἰµί für die drei Christusepitheta in Offb 22,13, das besonders angesichts der Verwendung von ὁ πρῶτος καὶ ὁ ἔσχατος in 1,17 mit einleitendem ἐγώ εἰµι ins Auge sticht, könnte dann als weiteres Element einer nuancierten Unterscheidung zwischen Gottesepitheta und Christusepitheta in den jeweils letzten Reden von Gott und Christus verstanden werden.

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τὸ µέρος αὐτῶν ἐν τῇ λίµνῃ τῇ καιοµένῃ πυρὶ καὶ θείῳ, ὅ ἐστιν ὁ θάνατος ὁ δεύτερος.

Die Gottesepitheta der zweiten Gottesrede sind eingebettet in die Beschreibung der neuen Welt, die mit Kapitel 21 anhebt. Das Bild wird mit einer Doppelvision (Offb 21,1f.) eröffnet, die Gottes Neuschöpfung sowie das himmlische Jerusalem zum Inhalt hat und von einem Engel gedeutet wird (V. 3f.). Erst der Untergang der alten Welt schafft die Voraussetzung für die ersehnte neue, was das rahmende ἀπῆλθαν (V. 1.3)81 unterstreicht. Danach meldet sich Gott als Schöpfergott bestätigend zu Wort und bekräftigt das Vorangegangene. Das καινὰ ποιῶ πάντα zu Beginn der Gottesrede (V. 5a) greift das dreimalige καινόν bzw. καινήν der Vision (V. 1f.) auf, mit οὗτοι οἱ λόγοι πιστοὶ καὶ ἀληθινοί εἰσιν (V. 5b) bekräftigt Gott die vorangegangenen Deuteworte des Engels. In V. 6 setzt die Gottesrede dann neu ein. In dem machtvollen γέγοναν82 erscheint das gesamte Endzeitgeschehen in ein einziges Wort komprimiert. „Gott selbst stellt feierlich fest, daß seine Verheißung der Neuschöpfung sich erfüllt hat.“83 Sein καινὰ ποιῶ πάντα bringt den Gerechten Heil (V. 6c.7), den Frevlern die Vernichtung (V. 8). Gottes Handeln als Schöpfergott drückt Johannes neben κτίζειν84 (vgl. Offb 10,6) auch mit ποιεῖν aus (vgl. neben Offb 21,5 auch Offb 14,7), und beide Wortstämme, kombiniert mit τὰ πάντα, formulieren im Frühjudentum (vgl. Weish 9,1; Sir 18,1; 1 Hen 9,5; JosAs 12,1; Sib 3,20)85 wie im frühen Christentum (Röm 1,23; vgl. Apg 14,15; 17,24.26) häufig Gottes Schöpfermacht. Die Diskussion, ob sich der Plural γέγοναν auf λόγοι bezieht86 oder auf die durch καινὰ ποιῶ πάντα umschriebene Neuschöpfung,87 lässt sich philologisch nicht entscheiden. „John uses plural verbs with neuter plural nouns almost as frequently as he uses singular verbs with neutral plural nouns.“88 Fest steht allerdings, dass auch die Deuteworte des Engels (οἱ 81

So D. E. AUNE, Revelation (s. Anm. 16) 1125. Sowohl γέγοναν wie τὰ πρῶτα ἀπῆλθαν sind als „Vergangenheitstempus des Visionsstils“ zu deuten, wie U. B. MÜLLER, Offenbarung (s. Anm. 8) 352, richtig festhält, und drücken für H. GIESEN, Die Offenbarung des Johannes (RNT), Regensburg 1997, 456, „die prophetische Gewißheit des Sehers aus, daß die Verheißung tatsächlich eintreten wird“. 83 H. GIESEN, Offenbarung (s. Anm. 82) 457. Vgl. auch G. K. BEALE, Revelation (s. Anm. 36) 1054f. – Als Inhalt der 7. Posaune erschallt in Offb 16,17 vom Thron Gottes her ebenfalls der Ruf ge,gonen. Er signalisiert dort summarisch die Vollendung des Gerichtshandelns Gottes. 84 Vgl. E. BONS, Le verbe κτίζω comme terme technique de la création dans la Septante et dans le Nouveau Testament, in: J. Joosten/P. J. Tomson (Hrsg.), Voces biblicae. Septuagint Greek and the Significance for the New Testament (CBET 49), Leuven 2007, 1–15. 85 Vgl. D. E. AUNE, Revelation (s. Anm. 16) 312. 86 So etwa U. B. MÜLLER, Offenbarung (s. Anm. 8) 352. 87 So G. K. BEALE, Revelation (s. Anm. 36) 1055. 88 D. E. AUNE, Revelation (s. Anm. 16) 1126. 82

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λόγοι) eben diese Neuschöpfung zum Inhalt haben. Mit ihr demonstriert der Schöpfergott jedenfalls seine Treue zu den Gerechten. Sein machtvoll summarisches γέγοναν bekräftigt Gott mit zwei Selbstprädikationen: ἐγώ εἰµι89 τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ, ἡ ἀρχὴ καὶ τὸ τέλος. Ihrer Form nach handelt es sich um Merismen, die generell in der Antike etwas Allumfassendes auszudrücken suchen, weshalb Anfangs- und Endpol genannt sind. „All the events narrated and portrayed between 1:8 and 21:6 lie under God’s absolute sovereignty, as has all history prior to the writings of Revelation … On this basis, the readers are assured that just as God brought the first creation into being, so he will certainly bring it to conclusion.“90 Gott steht über der Geschichte, weshalb er sie auch zu lenken vermag. Zusätzlich zur zeitlichen bzw. überzeitlichen Dimension legt der schöpfungstheologische Grundtenor der zweiten Gottesrede allerdings auch den Horizont des Schöpfergottes für die beiden Gottesepitheta nahe. Der genaue traditionsgeschichtliche Hintergrund von τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ bleibt zwar ein ungelöstes Problem,91 doch ist im Bedeutungsspektrum sicher eine kosmologische Dimension enthalten. Die Buchstaben (στοιχεῖα) des griechischen Alphabets werden im Rahmen hellenistischer Buchstabensymbolik mit dem All in Beziehung gesetzt und repräsentieren dessen Elemente (στοιχεῖα), was hier Gott „als Inbegriff des Alls“92 definiert. Ebenso besitzt das parallele ἡ ἀρχὴ καὶ τὸ τέλος, „drawn from Hellenistic religious and philosophical tradition … a cosmological rather than a temporal significance“93. 89

Zum textkritischen Problem vgl. o. S. 166 Anm. 80. G. K. BEALE, Revelation (s. Anm. 36) 1055. 91 Mit hellenistischer Buchstabensymbolik rechnet z. B. A. VÖGTLE, Gott (s. Anm. 30) 380. Hingegen erkennt D. E. AUNE, Revelation (s. Anm. 16) 57, gestützt auf griechische Zauberpapyri, eine Anspielung an den Gottesnamen als ΙΑΩ, was zuletzt C. ZIMMERMANN, Namen (s. Anm. 2) 226, befürwortet, G. K. BEALE, Revelation (s. Anm. 36) 200, bezweifelt hat. An genuin jüdische Buchstabenspekulationen denken G. KITTEL, Art. ΑΩ, in: ThWNT 1 (1933) 1–3, 1; E. LOHSE, Die Offenbarung des Johannes (HNT 16), Göttingen 1960, 16; vgl. auch D. E. AUNE, Revelation (s. Anm. 16) 57. Allerdings sind solche Buchstabenspekulationen dem zeitgenössischen Judentum im 1. Jh. n. Chr. noch fremd, worauf U. B. MÜLLER, Offenbarung (s. Anm. 8) 77f., und H. GIESEN, Offenbarung (s. Anm. 82) 80, verweisen. Am ehesten überzeugt daher die Lösung von J. ROLOFF, Offenbarung (s. Anm. 21) 36, der die Aufnahme solcher Ideen durch Johannes aus den angeschriebenen (hellenistisch geprägten) Gemeinden vermutet. Ähnlich J. FEKKES, Isaiah and Prophetic Traditions in the Book of Revelation. Visionary Antecedents and Their Development (JSNT.S 93), Sheffield 1994, 124 (Hervorhebung im Original): „The source of the Alpha and Omega title must be left open, though it seems likely that it is not original with John.“ 92 E. LOHMEYER, Die Offenbarung des Johannes (HNT 16), Tübingen 1953, 33; zustimmend K. WENGST, „Wie lange“ (s. Anm. 7) 99. 93 D. E. AUNE, Revelation (s. Anm. 16) 1126, unter Bezug auf die grundlegende Studie von W. C. VAN UNNIK, Het Godespredikaat „Het Begin an het Einde“ bij Flavius Josephus 90

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Der Merismus ἡ ἀρχὴ καὶ τὸ τέλος ist eine gemeinantik verbreitete Gottesbezeichnung, die das Frühjudentum (vgl. Jos, Ant VIII 280; Philo, Plant 93) rezipiert.94 „Both Josephus and Philo borrow it from pagan philosophical tradition and apply it to the Jewish God for apologetic reasons.“95 Die Überzeitlichkeit Gottes steht biblisch in Bezug zu seiner Schöpfermacht, welche ἡ ἀρχὴ καὶ τὸ τέλος also ebenso impliziert wie das parallel gesetzte τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ.96 Die Dimension des Schöpfers ist Teil des Bedeutungsspektrums von τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ sowie ἡ ἀρχὴ καὶ τὸ τέλος und wird durch den Kontext aufgerufen. Beide Gottesepitheta sind deshalb nicht nur Ausdruck der überzeitlichen Macht Gottes, den Lauf der Geschichte zu bestimmen. Angesichts des Gedankens der neuen Schöpfung, der, mit Offb 22,1 beginnend, die Vision, Audition und Gottesrede durchzieht, steht der schöpfungstheologische Aspekt in Gottes Zusage ἐγώ εἰµι τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ, ἡ ἀρχὴ καὶ τὸ τέλος im Vordergrund. Gott umfasst die gesamte Schöpfung, die sich ihm allein verdankt. Auf diesen Schöpfergott können die Gerechten gegen alle gegenwärtig erlebte Unterdrückung durch die Hure Babylon ihre verlässliche Hoffnung setzen, denn „Endzeit und Urzeit, eschatologisches Handeln und Schöpfertat entsprechen sich“97. Mittels des Schöpfungsgedankens erweist sich Gott jedoch nicht nur anderen Göttern und dem vergöttlichten römischen Kaiser gegenüber konkurrenzlos überlegen,98 er zeigt sich vor allem als grundlegend treu und verlässlich. Denn für die antike Schöpfungsvorstellung steht nicht die intellektuelle Erklärung des Weltanfanges im Zentrum, vielmehr überwiegt das Interesse am weiteren Bestand des Kosmos und der Existenz des Menschen. „Der Glaube an den Schöpfergott ist somit ein Glaube an die Zuverlässigkeit der Abläufe und ein Vertrauen in die Zukunft.“99 Mit seinem feierlichen γέγοναν offenbart Gott, dass Hoffnung und Vertrauen berechtigt waren, denn „die Gewißheit

en in de Openbaring van Johannes, Amsterdam 1976 (die mir nicht zugänglich war). 94 Vgl. G. DELLING, Art. ἄρχω κτλ., in: ThWNT 1 (1933) 476–488, 478. 95 J. FEKKES, Traditions (s. Anm. 91) 123. 96 Im Gegensatz zu den meisten Kommentatoren plädiert K. WENGST, „Wie lange“ (s. Anm. 7) 101f., gegen die Synonymität der beiden Gottesepitheta von Offb 21,6 und bei ἡ ἀρχὴ καὶ τὸ τέλος für „Ursprung“, allerdings in einem dynamischen, den Geschichtsplan Gottes betreffenden Sinn. 97 U. B. MÜLLER, Offenbarung (s. Anm. 8) 149. 98 Zu möglichen polemischen Bezügen zur zeitgenössisch vermehrt nachweisbaren Benennung der römischen Kaiser als „Herren über Erde und Meer“ auf Inschriften vgl. C. ZIMMERMANN, Namen (s. Anm. 2) 377. Nach den von ihr S. 293 gebotenen Belegen deutet sich jedoch weniger eine Konnotation als Schöpfer, sondern vielmehr als Herrscher an. 99 G. PETZKE, Art. κτίζω κτλ., in: EWNT II (32011) 803–808, 805.

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dieses Wortes gründet in Gottes Wesen als Schöpfer und Vollender aller Dinge“100.

3. Christusepitheta der letzten Christusrede (Offb 22,10–16) Offb 22,10–16 10 καὶ λέγει µοι, Μὴ σφραγίσῃς τοὺς λόγους τῆς προφητείας τοῦ βιβλίου τούτου, ὁ καιρὸς γὰρ ἐγγύς ἐστιν. 11 ὁ ἀδικῶν ἀδικησάτω ἔτι, καὶ ὁ ῥυπαρὸς ῥυπανθήτω ἔτι, καὶ ὁ δίκαιος δικαιοσύνην ποιησάτω ἔτι, καὶ ὁ ἅγιος ἁγιασθήτω ἔτι. Ἰδοὺ ἔρχοµαι ταχύ, 12 καὶ ὁ µισθός µου µετ’ ἐµοῦ, ἀποδοῦναι ἑκάστῳ ὡς τὸ ἔργον ἐστὶν αὐτοῦ. ἐγὼ τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ, 13 ὁ πρῶτος καὶ ὁ ἔσχατος, ἡ ἀρχὴ καὶ τὸ τέλος. 14 Μακάριοι οἱ πλύνοντες τὰς στολὰς αὐτῶν, ἵνα ἔσται ἡ ἐξουσία αὐτῶν ἐπὶ τὸ ξύλον τῆς ζωῆς καὶ τοῖς πυλῶσιν εἰσέλθωσιν εἰς τὴν πόλιν. 15 ἔξω οἱ κύνες καὶ οἱ φάρµακοι καὶ οἱ πόρνοι καὶ οἱ φονεῖς καὶ οἱ εἰδωλολάτραι καὶ πᾶς φιλῶν καὶ ποιῶν ψεῦδος. 16 Ἐγὼ Ἰησοῦς ἔπεµψα τὸν ἄγγελόν µου µαρτυρῆσαι ὑµῖν ταῦτα ἐπὶ ταῖς ἐκκλησίαις. ἐγώ εἰµι ἡ ῥίζα καὶ τὸ γένος Δαυίδ, ὁ ἀστὴρ ὁ λαµπρὸς ὁ πρωϊνός.

In Offb 22,10–16 ergreift Christus nochmals umfassender das Wort,101 wobei der abschließende Charakter durch mannigfaltige sprachliche bzw. motivische Vernetzungen mit Stellen im Buch davor zum Ausdruck kommt.102 Zu diesen sehr gezielt erzeugten Verklammerungen zählt auch jene durch die drei Würdebezeichnungen in V. 13: ἐγὼ τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ, ὁ πρῶτος καὶ ὁ ἔσχατος, ἡ ἀρχὴ καὶ τὸ τέλος. Die Verwendung von zwei Gottesepitheta als Christusepitheta verknüpft darüber hinaus nicht nur literarisch die Christusrede mit der letzten Gottesrede (Offb 21,6; 22,13: ἐγώ (εἰµι) τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ sowie ἡ ἀρχὴ καὶ τὸ τέλος), sondern verleiht besonders dem unvergleichlichen Naheverhältnis zwischen Gott und seinem Christus auf neue Weise 100

U. B. MÜLLER, Offenbarung (s. Anm. 8) 352. Die Zuweisung der Sprecherrollen in Offb 22,6–20 ist schwierig, aber vielleicht sogar gewollt uneindeutig gehalten, damit „die vielen Stimmen letztlich in eine verschmelzen“. So H. GIESEN, Offenbarung (s. Anm. 82) 480f. Orientiert man sich an den explizit ausgeführten Sprecheinsätzen, legen sich Offb 22,10–16 sowie 22,18–20a als Christusbzw. Jesusrede (V. 16) nahe. 102 Vgl. z. B. ὁ καιρὸς ἐγγύς (Offb 1,3 / 22,10) oder die Motive „Wurzel Davids“ (Offb 2,28 / 22,16) und „Morgenstern“ (Offb 5,5 / 22,16). 101

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Ausdruck.103 Die beiden nun gemeinsamen Epitheta rahmen ὁ πρῶτος καὶ ὁ ἔσχατος, das in der Johannesoffenbarung für Christus reserviert bleibt und zugleich ebenfalls zu den kompositorischen Vernetzungen mit dem Beginn des Buches zählt (vgl. Offb 1,17; 22,13). Dieses literarische Konzept gebietet es, die Gottes- und Christusepitheta von Offb 21–22 in jenes Verhältnis eingeschrieben zu sehen, welches über das Buch hinweg zwischen den titularen Inklusionen entfaltet wird. Ebenso entscheidend für die Bedeutung der Epitheta in Offb 22,13 ist – wie zuvor in der Gottesrede – der unmittelbare Kontext, der in traditionsgebundener frühchristlicher Sprache von Parusie und Gericht Christi handelt. Denn die Ankündigung (ἰδοὺ) ἔρχοµαι ταχύ durchzieht diesen Schlussabschnitt wie ein cantus firmus (Offb 22,7.12.20) und wird von der Zusage ὁ καιρὸς ἐγγύς (Offb 22,10) wie dem dreifachen sehnsuchtsvollen Ruf der Gemeinde ἔρχου (Offb 22,17a.b.20) verstärkt. Das Ende der Offenbarung des Johannes lenkt also den Blick massiv auf Christi endgültiges Kommen und damit auf seine Funktion als eschatologischer Richter und Herrscher. Der gemeinsame Bedeutungshorizont der drei Christusepitheta wird somit funktional bestimmt. Denn in Offb 22,13 stehen sie alle drei – ohne die göttliche Offenbarungsformel ἐγώ εἰµι104 – asyndetisch aneinandergereiht und explizieren nachklappend das Subjekt von V. 12: ἰδοὺ ἔρχοµαι ταχύ. Das spezielle Christusepitheton ὁ πρῶτος καὶ ὁ ἔσχατος hilft, das eigenständige Profil der Trias in Offb 22,13 und somit auch den Unterschied zwischen Gott und dem Lamm nochmals zu verdeutlichen. Den alttestamentlichen Hintergrund des Merismus liefert die Selbstvorstellung Gottes, wie sie Jes 41,4; 44,6; 48,12 je etwas unterschiedlich formulieren, wobei der hebräische Text im Hintergrund steht. Denn die Septuaginta wählt umschreibende Formulierungen, „offenbar aus Bedenken, den griechisch verstandenen Begriff ὁ ἔσχατος auf Gott anzuwenden“105. Falls Johannes an eine spezielle Stelle gedacht hat, kommt am ehesten Jes 48,12 als Bezugstext in Betracht, da er dem Merismus sprachlich am nächsten steht (V. 12: „der Erste und auch der Letzte“) und sich der für Johannes zentrale Schöpfungsgedanke explizierend unmittelbar anschließt (V. 13: „Meine Hand hat die Fundamente der 103

Dass das Lamm in Offb 5,6 „nur“ steht und erst hier auf dem Thron sitzt, kann als weiteres Element verstanden werden, das den Schluss- und Höhepunkt des Buches kennzeichnet. 104 Eventuell darf die (gezielt) ausgelassene Kopula εἰµί als weiteres Zeichen der inhaltlichen Differenzierung zwischen dem gleichen Epitheton, das einmal für Gott, einmal für Christus gesetzt wird, gewertet werden. Es fällt jedenfalls auf, dass bei der zweiten Dreierreihe von Christusepitheta in V. 16 die Kopula erneut gesetzt ist: ἐγώ εἰµι ἡ ῥίζα. Eine Scheu vor dem alttestamentlich bedeutungsträchtigen ἐγώ εἰµι im Munde Christi hat die Johannesoffenbarung also nicht, wie gerade Offb 1,17 mit seinem ἐγώ εἰµι ὁ πρῶτος καὶ ὁ ἔσχατος beweist. 105 T. HOLTZ, Christologie (s. Anm. 24) 82; vgl. G. KITTEL, ΑΩ (s. Anm. 91) 2.

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Erde gelegt, meine Rechte hat den Himmel ausgespannt; ich rief ihnen zu, und schon standen sie alle da“). In Jes 41,4f. klingt der Schöpferaspekt zwar ebenfalls in V. 4 an, das Formelhafte des Merismus erscheint aber weniger stark ausgeprägt („Ich, der Herr, bin der Erste, und noch bei den Letzten bin ich derselbe“). Hingegen lässt Jes 44,6 keinen Bezug zum Thema Schöpfung erkennen, verknüpft aber den Merismus explizit mit der Monotheismusformel: „Ich bin der Erste, ich bin der Letzte, außer mir gibt es keinen Gott.“ Für eine Bezugnahme müsste man einen streng atomistischen Schriftgebrauch voraussetzen, wofür es in der Johannesoffenbarung freilich keine Berechtigung gibt,106 da Johannes mit einem solchen Christuswort die Grenze zum Ditheismus wohl überschritten hätte. Die Johannesoffenbarung verwendet das Christusepitheton ὁ πρῶτος καὶ ὁ ἔσχατος dreimal, wobei sie es konsequent mit dem Horizont der Auferstehung verknüpft107 und somit von Beginn an funktional einbettet. Im Rahmen der Beauftragungsvision (Offb 1,17f.) wird dazu der Merismus zu einem dreigliedrigen erweitert (V. 18a: καὶ ὁ ζῶν). Die angefügte Erklärung (V. 18 bc: καὶ ἐγενόµην νεκρὸς καὶ ἰδοὺ ζῶν εἰµι εἰς τοὺς αἰῶνας τῶν αἰώνων) schließt unübersehbar an den Gedanken des ὁ πρωτότοκος τῶν νεκρῶν aus Offb 1,5 an und sieht Christus aufgrund seiner Auferstehung von den Toten für sein endzeitliches Amt mit τὰς κλεῖς τοῦ θανάτου καὶ τοῦ ᾅδου (V. 18d) ausgestattet. Im Sendschreiben nach Smyrna (Offb 2,8) wird das Christusepitheton ebenso mit einem Verweis auf die Auferstehung explizierend ergänzt: ὃς ἐγένετο νεκρὸς καὶ ἔζησεν. Den Bedrängten kann Christus daher den „Kranz des Lebens“ (Offb 2,10) sowie das Bewahrtbleiben vor dem „Zweiten Tod“ (Offb 2,11) verheißen.108 Im Schlusswort Christi (Offb 22,13) wird der Bezug zur Auferstehung nicht nochmals wiederholt, „but there can be little doubt that, as in 1.17–18 and 2.8, it is related to Christ’s victory over death (cf. 2.26–27 with 5.5–7)“109. In Offb 22,13 werden zwar zwei Gottesepitheta auf Christus übertragen, aber der jeweilige Kontext aktiviert für τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ sowie ἡ ἀρχὴ καὶ τὸ τέλος je andere Elemente des Bedeutungsspektrums. Gott ist primär als Schöpfer Anfang und Ende bzw. Alpha und Omega, denn seinem göttlichen Willen verdanken sich Schöpfung wie Neuschöpfung. Das umfängt auch die zeitliche Dimension der beiden Merismen, sodass Gott, weil er über der Zeit und Geschichte steht, deren Herr ist. Bei Christus liegen die Akzente anders. 106

Vgl. G. K. BEALE, Revelation (s. Anm. 36) bes. 81–86. Vgl. J. FEKKES, Traditions (s. Anm. 91) 126. 108 Zu den inhaltlichen Bezügen zwischen Überwinderspruch bzw. Botenspruch vgl. M. STOWASSER, Die Sendschreiben der Offenbarung des Johannes: Literarische Gestaltung – Buchkompositorische Funktion – Textpragmatik, in: NTS 61 (2015) 50–66, bes. 57f. 109 J. FEKKES, Traditions (s. Anm. 91) 126f. 107

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Er ist im Auftrag Gottes, der ihm als dem Sieger in Tod und Auferstehung das versiegelte Buch übergibt, zuallererst der ersehnte Richter und Herrscher, dessen Kommen erfleht wird und der damit das Ende der Geschichte heraufführt.110 Im Vordergrund steht bei Christus jedenfalls der zeitliche Aspekt der drei Merismen, mit denen er die Verheißung seines eschatologischen Kommens (ἰδοὺ ἔρχοµαι ταχύ) bekräftigt, nicht jedoch der Gedanke der Schöpfung bzw. Neuschöpfung.111

4. Gottesepitheta als Christusepitheta Die Annäherung zwischen Gott und dem Lamm erfolgt in der Offenbarung des Johannes auf mannigfaltige Weise. Dazu zählt auch die Übertragung einzelner anfänglicher Gottesepitheta auf Christus. Dieser Austausch von Würdebezeichnungen ist Teil eines umfassenden textpragmatischen Konzeptes, das durch das Mittel der Intensivierung in den bedrängten Gemeinden Hoffnung wecken bzw. stärken möchte. In diesem Sinn wird nicht nur das Gerichtsgeschehen intensiviert,112 sondern auch das Naheverhältnis zwischen Gott und dem Lamm. Das Phänomen ist freilich nicht als eine Entwicklung zu verstehen. Weder schreiten die Endzeitereignisse linear voran,113 noch verdrängt das Lamm Gott und nimmt am Ende dessen Stelle ein. Vielmehr zielt der Verfasser textpragmatisch auf einen „Perspektivenwechsel“114, der die Leserinnen und Leser erfassen soll. So erwirbt das Lamm zunächst nur für Gott Menschen aus allen Völkern (Offb 5,9), später sind diese gemeinsame „Erstlingsgabe“ für Gott und das Lamm (Offb 14,4); ähnlich werden die Geretteten anfangs zu Priestern für Gott (Offb 1,6; 5,10), danach zusammen für Gott und Christus (Offb 20,6). Ebenso steht das Lamm in Gottes Thronsaal noch neben dessen Thron 110 Stärker ekklesiologisch akzentuiert J. FEKKES, Traditions (s. Anm. 91) 127: „Whereas God is beginning and end in relation to creation (4.11; 21.6), Christ is first and last in relation to the church. Where Christ shares in God’s role as Creator, he is called ἀρχὴ, and not πρῶτος or even πρωτότοκος (3.14; cf. Col. 1.15).“ 111 Es ist nicht auszuschließen, dass in ἡ ἀρχὴ καὶ τὸ τέλος auch die Perspektive der Schöpfungsmittlerschaft mitschwingt (vgl. Offb 3,14: ἡ ἀρχὴ τῆς κτίσεως τοῦ θεοῦ) und dadurch ebenso in den anderen beiden Merismen, dennoch bliebe der Unterschied zwischen Schöpfergott und Schöpfungsmittler gewahrt. 112 Zu solcher Intensivierung trägt unter anderem die anwachsende Zahl der von den Plagen Betroffenen bei (vgl. Offb 6,8: ein Viertel – Offb 8,7–12; 9,15: ein Drittel – Offb 16,1–21: „alles“, „ganz“). 113 Vgl. J. FREY, Was erwartet die Apokalypse? Zur Eschatologie des letzten Buches der Bibel, in: Ders./J. A. Kelhoffer/F. Tóth (Hrsg.), Die Johannesapokalypse. Kontexte – Konzepte – Rezeption (WUNT 287), Tübingen 2012, 473–551. 114 Vgl. T. SÖDING, Gott (s. Anm. 25) 110.

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(Offb 5,6) bzw. sitzt in Offb 21,5 nur Gott allein auf demselben, am Ende jedoch erhält auch das Lamm einen solchen Thronplatz (Offb 22,1.3).115 Dieser gerade für das Lamm vielfältig erweiterbare Befund der Intensivierung hat seine Ursache darin, dass das Christusgeschehen in der Johannesoffenbarung schlechthin den Rettungsakt Gottes an den Bedrängten bildet. Da das Buch auf die siegreiche „Endperspektive“ zusteuert, die sich zuallererst dem Lamm verdankt, wird es verstärkt neben Gott in den Heilsbildern sichtbar gemacht. Es ist Teil dieser literarischen Konzeption, dass Johannes Gottesepitheta aus der ersten Gottesrede zu Beginn des Buches an dessen Ende auf Christus überträgt und ihm in den Mund legt. Das dient dem angestrebten Perspektivenwechsel sowie der auf das endgültige Heil hinführenden Dynamik der Erzählung, aber am Verhältnis zwischen Gott und dem Lamm verändert das Übertragen der Gottesepitheta nichts. Dieses Verhältnis steht von den ersten Zeilen des Buches fest, wenn das „Kommen Christi“ als „Kommen Gottes“ (Offb 1,4–8) konzipiert wird. Im Rahmen des Dynamik erzeugenden Perspektivenwechsels intensiviert Johannes das Abschlussbild vom endgültigen Sieg Gottes in Christus also auch dadurch, dass er Gottesepitheta aufgreift und sie unterschiedlich akzentuiert gebraucht. Der Sinngehalt der inhaltlich recht offen gehaltenen Gottesund Christusepitheta erschließt sich einerseits durch den unmittelbaren Kontext der beiden Schlussworte, andererseits aber gebieten die titularen Inklusionen, die über das gesamte Buch hinweg an dessen Anfang verweisen, dass diese Würdebezeichnungen in jener Perspektive zu interpretieren sind, die zwischen diesen Klammern entfaltet wird. Angesichts der konkreten Ausgestaltung der christologischen Theozentrik, wie sie die Offenbarung des Johannes präsentiert, erfasst Anton Vögtles Begriff der „Aktionseinheit“116 den Befund jedenfalls besser als dogmatisch eingefärbte Begriffe späterer theologischer Reflexion.117 Johannes orientiert sich an Denk- und Sprachmustern 115

Wenn im Sendschreiben nach Laodizea den Siegern bereits vor dem apokalyptischen Hauptteil Throngemeinschaft mit Gott und dem Lamm zugesagt ist, verdankt sich das dem proleptischen Charakter der sieben Sendschreiben. Zu ihrer Konzeption als Korpus, das auf einen Perspektivenwechsel der Bedrängten abzielt und dieses Hauptanliegen des Buches bereits textpragmatisch vorwegnimmt vgl. M. STOWASSER, Sendschreiben (s. Anm. 108) 56f. 116 Vgl. o. S. 156 Anm. 30. 117 Ob späterer dogmatischer Theologie verpflichtete Begriffe wie „Wesensgleichheit“ (vgl. O. HOFIUS, Zeugnis [s. Anm. 27] 523) oder „Seinseinheit“ (vgl. K. HUBER, Jesus Christus [s. Anm. 31] 472), die das christologische Reflexionsniveau der Johannesoffenbarung möglichst hoch ansetzen wollen, oder am anderen Ende des Spektrums die Kategorie der „Subordination“ (vgl. U. B. MÜLLER, Offenbarung [s. Anm. 8] 330) oder des „ökonomischen Subordinatianismus“ (vgl. T. SÖDING, Gott [s. Anm. 25] 103 Anm. 54) für das Erfassen des – zugegebenermaßen ambivalenten – Befundes hilfreich sind, darf angefragt

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frühjüdischer Angelologie, wie sie das griechische Tobitbuch bereits kennt, wenn er das Verhältnis von Gott und Lamm formuliert. Auch wenn Würde und Stellung des Lammes jene solcher himmlischer Mächte bei weitem übertreffen, so bleibt der grundlegende Gedanke einer Zu- und Unterordnung aufrecht. Die Eckpunkte der theologisch im Hintergrund stehenden christologischen Theozentrik werden bereits in der Doppelvison von Offb 4–5 manifest: Gottes Einzigkeit als Schöpfer setzt den unumstößlichen monotheistischen Rahmen, die Übergabe des versiegelten Buches an den einzig siegreichen Löwen aus Juda offenbart die Einzigartigkeit des Lammes. Die Offenbarung des Johannes entfaltet aus textpragmatischen Motiven primär die Einzigartigkeit des Lammes, also den christologischen Akzent der Theozentrik. Die parallel immer wieder „eingestreuten“ Differenzierungen zwischen Gott und dem Lamm verhindern freilich, dass der Austausch einzelner Titel zu einem identen Verständnis von Gott und dem Lamm führt. Gottesepitheta werden demnach zwar auf Christus übertragen, bedeutungsgleich sind sie jedoch nicht. Der jeweilige Kontext aktiviert unterschiedliche Elemente, die den Titeln an sich inhärent sind. Bei Gott ist dies, wie schon in der Thronsaalvision besungen, sein Schöpfersein. Er ist τὸ ἄλφα καὶ τὸ ὦ sowie ἡ ἀρχὴ καὶ τὸ τέλος, garantiert er doch die Erschaffung jener neuen Welt, die den Glaubenstreuen das Ende aller gegenwärtigen Bedrängnisse bringen soll. Bei Christus unterstreichen die drei Epitheta in Offb 22,13 sein Herrsein über den Geschichtsverlauf und begründen so, dass die Hoffnung auf sein erlösendes Kommen gerechtfertigt ist. Er wird in Kürze seine Aufgabe als eschatologischer Richter wie Herrscher wahrnehmen. Was das Lamm durch die Übertragung von Attributen und Epitheta Gottes – bis hin zur Schöpfungsmittlerschaft – auf die Seite Gottes stellt, verleiht ihm göttliche Würde, macht es für die Offenbarung des Johannes aber nicht zu (einem) Gott. Die christologisch facettenreiche Einzigartigkeit, die das Lamm auszeichnet, bleibt eine von Gott verliehene. In diesem Koordinatensystem werden auch Gottesepitheta zu Christusepitheta, ohne die Gottheit des einzigen Gottes zu berühren.

werden. Man läuft am Ende dann jedenfalls Gefahr, die Nuancen, in denen Johannes das Verhältnis zwischen Gott und Christus dargestellt hat, mehr zu- als aufzudecken.

Zeugnis für Gott in der Offenbarung des Johannes und im Johannesevangelium Gemeinsamkeiten und Unterschiede Martin Hasitschka In der Diskussion über die literarischen und theologischen Beziehungen zwischen dem Johannesevangelium und der Offenbarung des Johannes hat Jörg Frey den Nachweis erbracht, dass beide Schriften eine Reihe von motivischen Berührungen und theologischen Gemeinsamkeiten haben, wenngleich eine direkte Ableitung einer Schrift aus der anderen nicht möglich ist.1 Über die zum Teil gravierenden sprachlichen und gattungsmäßigen Unterschiede hinweg besteht eine Gemeinsamkeit zwischen dem Johannesevangelium und der Offenbarung des Johannes vor allem darin, dass durch Jesus geoffenbart und bezeugt wird, wer Gott ist. Er ist kein anderer als JHWH, der Gott Israels. Durch Jesus wird aber auf einzigartige Weise ein neuer Zugang zu ihm erschlossen. Beide Werke heben die singuläre Gottesbeziehung Jesu hervor. Gott ist sein „Vater“. In beiden Werken spielt die Lebensthematik eine zentrale Rolle und wird das durch Jesus vermittelte Heil in der Realität von personalen Beziehungen gesehen, nämlich in der Gemeinschaft mit Jesus, in der durch ihn ermöglichten unmittelbaren Beziehung zu Gott und in einer neuen Gemeinsamkeit unter den Menschen. Dies soll im folgenden anhand von Textvergleichen in mehreren Einzelheiten aufgezeigt werden.

1

Vgl. M. HENGEL, Die johanneische Frage. Ein Lösungsversuch mit einem Beitrag zur Apokalypse von J. FREY (WUNT 67), Tübingen 1993, 383–415. Von neuem behandelt J. FREY die Beziehung zwischen dem Johannesevangelium und der Offenbarung des Johannes in seinem Beitrag „God’s Dwelling on Earth: ‚Shekhina-Theology‘ in Revelation 21 and the Gospel of John“, in: C. H Williams/Ch. Rowland (Hrsg.), John’s Gospel and Intimations of Apocalyptic, London 2013, 79–103.

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1. Texte und Themen der Offenbarung des Johannes im Vergleich mit Aussagen im Johannesevangelium 1.1 Bezüge zum Vorwort (Offb 1,1–3) Offenbarung Die Formulierung „Offenbarung Jesu Christi“ (Offb 1,1) enthält einen Genitivus subiectivus. Jesus ist Urheber der Offenbarung (vgl. Gal 1,12; 2 Kor 12,1). Das ganze Buch ist im Grunde eine Enthüllung, die von Jesus kommt. Er gibt jedoch, und zwar durch seinen Engel (Offb 1,1; vgl. 22,16), der zugleich der Engel Gottes ist (Offb 22,6), dem Johannes nur jene Offenbarung weiter, die Gott ihm gegeben hat (δίδωµι). In vergleichbarer Weise wird im Johannesevangelium betont, dass Jesus nichts von sich aus tut, sondern nur, was er den Vater tun sieht (Joh 5,19), dass er den Seinen die Worte gibt, die der Vater ihm gegeben hat (δίδωµι) (Joh 17,8; vgl. 17,14), und dass er ihnen die Herrlichkeit gibt, die der Vater ihm gegeben hat (δίδωµι) (Joh 17,22.24). Diese Aussagen im Johannesevangelium betreffen das Wirken des irdischen Jesus. Die „Offenbarung Jesu Christi“ im Buch der Offenbarung des Johannes bezieht sich hingegen auf die Tätigkeit des von den Toten auferweckten Christus. Kommen Die Offenbarung betrifft das, „was geschehen muss in Bälde“ (Offb 1,1; vgl. Offb 22,6).2 Zur Interpretation von „muss“ (δεῖ) hilft der Gedanke, dass hinter allen oft rätselhaften und dunklen Ereignissen der Geschichte ein tieferer Sinn liegt, ein geheimnisvoller Plan. Die Formulierung „in Bälde“ (ἐν τάχει) bildet zusammen mit der ähnlichen Wendung „die Zeit ist nahe“ (Offb 1,3) einen Rahmen innerhalb des Vorwortes (Offb 1,1–3) und führt das bedeutsame Thema der „Naherwartung“ ein. Was in Bälde und in naher Zeit geschehen wird, sind nicht nur die sogenannten apokalyptischen Ereignisse (Katastrophen, Drangsale). Diese sind vielmehr Vorzeichen für etwas anderes, nämlich das Kommen (ἔρχοµαι) Jesu. Dieses wird nicht nur in Offb 1,7; 3,11 und 16,15 thematisiert, sondern mit besonderem Nachdruck dreimal im briefartigen Buchschluss, Offb 22,7.12.20 („ich komme bald“ [ταχύ]). Vom Kommen des auferstandenen Jesus spricht das Johannesevangelium in zweifacher Weise. Einerseits verheißt Jesus in den Abschiedsgesprächen 2 Die Wendung „was geschehen muss“ ist ein Anklang an Dan 2,28–29.45 (LXX und Theodotion) und damit auch an das dort vermittelte Gottesbild (JHWHs Überlegenheit über andere Götter zeigt sich darin, dass er Geheimnisse offenbaren kann, die die Zukunft betreffen).

Zeugnis für Gott in Johannesoffenbarung und Johannesevangelium

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den Seinen: „Ich werde euch nicht als Waisen zurücklassen, ich komme (ἔρχοµαι) zu euch“ (Joh 14,18). Und: „Ich gehe fort und komme zu euch“ (Joh 14,28). Darüber hinaus wird jedem, der Jesus liebt, sowohl das Kommen des auferstandenen Jesus als auch das Kommen des Vaters verheißen: „Wir werden kommen und bei ihm wohnen“ (Joh 14,23). „Kurze Zeit“ (µικρόν) nach seinem Fortgang in den Tod wird Jesus kommen und die Seinen werden ihn „sehen“ (Joh 16,16.18). Anderseits deutet das Johannesevangelium auch Jesu Kommen zur „Parusie“ an.3 Jesus, der fortgeht, um im „Haus“ seines Vaters einen „Platz“ für die Seinen zu bereiten, verheißt ihnen: „Ich komme (ἔρχοµαι) wieder und werde euch zu mir nehmen, damit auch ihr dort seid, wo ich bin“ (Joh 14,3).4 Dieses Beisammensein mit den Seinen und die bleibende Verbundenheit mit ihnen im himmlischen Bereich kommen auch in dem Gebetswunsch Jesu zum Ausdruck: „Vater … ich will, dass wo ich bin, auch jene bei mir sind“ (Joh 17,24).5 Vergleichbar mit diesem Wunsch Jesu ist seine Verheißung an jene, die ihm dienen und nachfolgen: „Wo ich bin, dort wird auch mein Diener sein“ (Joh 12,26). Ähnlich wie Paulus (1 Thess 4,15–18; 1 Kor 15,51) vermittelt auch das Johannesevangelium an einer Stelle den Gedanken, dass die Parusie, das Kommen Jesu, sich zu Lebzeiten des Glaubenden ereignen kann. Im Blick auf den Jünger, „den Jesus liebte“, sagt der auferstandene Jesus zu Petrus: „Wenn ich will, dass er bleibt bis ich komme (ἔρχοµαι), was geht das dich an?“ (Joh 21,22). Mit „bleiben“ ist gemeint am Leben bleiben und nicht sterben. Im fünften und abschließenden Wort über den Parakleten (Joh 16,13–15) sagt Jesus, dass jener „das Kommende (τὰ ἐρχόµενα) verkünden“ wird (Joh 16,13). Dies steht in engem Zusammenhang mit Jesu Ankündigung: „Er wird mich verherrlichen“ und „von dem Meinen empfangen und euch verkünden“ (Joh 16,14). Und Jesus betont: „alles, was der Vater hat, ist mein; deshalb habe ich gesagt: Von dem Meinen empfängt er und wird euch ver3

Dieser Begriff wird allerdings nur in 1 Joh 2,28 verwendet und lässt im Kontext von 1 Joh 2,28–3,3 an individuelle Eschatologie denken. Jesus kommt und wird offenbar in der Lebensgeschichte des Glaubenden. 4 R. SCHNACKENBURG, Das Johannesevangelium. 3. Teil (HThK 4/3), Freiburg i. Br. 1975, hebt hervor, dass die Erfüllung der Verheißung Jesu in Joh 14,2 bereits nach Ostern beginnt, sich aber erst „nach dem Tod (bzw. nach der Parusie)“ vollendet (71). M. THEOBALD, Herrenworte im Johannesevangelium (HBS 34), Freiburg i. Br. 2002, 519, stützt sich auf Schnackenburg und deutet Joh 14,2 unter Annahme einer individuellen Eschatologie. Nach J. BEUTLER, Das Johannesevangelium. Kommentar, Freiburg i. Br. 2013, 395, wird in Joh 14,2–3 frühchristliche Überlieferung übernommen, die in Joh 14,4–24 neu im Sinne des Evangelisten interpretiert wird. 5 Zu Joh 17,24 sagt R. SCHNACKENBURG, Johannesevangelium (s. Anm. 4) 223: „Die Vereinigung mit Christus ist auch das Bindeglied zur sonstigen urchristlichen Zukunftserwartung.“

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künden“ (Joh 16,15).6 Es handelt sich also um „das Kommende“, insofern es mit Jesus selber zu tun hat, insofern es ihn und das Seinige betrifft. Wenn sich die Verkündigung des Kommenden nicht auf beliebige Sachverhalte bezieht, sondern speziell auf die Person Jesu, kann man sich fragen, ob die Funktion des Parakleten nicht auch darin besteht, die Hoffnung auf den kommenden Jesus im Sinne der Parusieerwartung wach zu halten. Das Kommende kann auch gesehen werden als das, was mit dem Kommen Jesu verbunden ist, nämlich das unvergängliche Leben, das der Auferstandene bereits erlangt hat, die Herrlichkeit, in der er sich befindet (Joh 17,5) und in die auch die Seinen gelangen sollen (Joh 17,24). Zeugnis – bezeugen Das programmatische Vorwort zur Offenbarung des Johannes führt weiter in die Zeugnisthematik ein, der in dem Buch große Bedeutung zukommt. Johannes „bezeugte das Wort Gottes und das Zeugnis Jesu Christi, alles, was er sah“ (Offb 1,2). Diese Aussage enthält die (auch in der Gerichtssprache geläufigen) Worte „bezeugen“ (µαρτυρέω) und „Zeugnis“ (µαρτυρία). Die Doppelwendung „das Wort Gottes und das Zeugnis Jesu“7 steht in Beziehung zu: „alles, was er sah“. Was Johannes visionär schaut, ist im Grunde Wort Gottes, Botschaft, die von Gott kommt, die zugleich identisch ist mit dem, wovon Jesus, und zwar als der Auferstandene und Erhöhte, Zeugnis gibt. In der Rolle des Zeugen wird – siehe unten – Jesus auch im Johannesevangelium gesehen. Im Unterschied zur Offenbarung des Johannes ist es nicht der auferstandene, sondern der irdische Jesus, der als Zeuge tätig ist. 1.2 Vergleichbare Themen in der briefartigen Einleitung (Offb 1,4–8) Der in Anlehnung an die Paulusbriefe gestaltete dreiteilige Wunsch für die sieben Gemeinden in Asien lautet so: „Gnade euch und Friede von: der Seiende und der ‚Er war‘ und der Kommende, und von den sieben Geistern, die vor seinem Thron (sind), und von Jesus Christus: der Zeuge, der Treue, der Erstgeborene der Toten und der Herrscher der Könige der Erde“ (Offb 1,4– 5a).

6 Das Verbum „verkünden“ (ἀναγγέλλω) kommt in Joh 16,13–15 dreimal vor. Mit einem ähnlichen Verbum für „verkünden“ / „Kunde geben“ (ἀπαγγέλλω) bezeichnet Jesus in Joh 16,25 seine eigene künftige Tätigkeit als Auferstandener: „Ich werde euch in Offenheit über den Vater verkünden.“ 7 Diese Doppelwendung findet sich auch in Offb 1,9 und ähnlich in Offb 20,4. Auch an diesen Stellen handelt es sich wie H. GIESEN, Die Offenbarung des Johannes (RNT), Regensburg 1997, 59, betont, um das Zeugnis, das Jesus gibt.

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Kommen Johannes charakterisiert Gott durch eine Aussage, die drei Dimensionen der Zeit umspannt. Sie wird in Offb 1,8 und ähnlich in Offb 4,8 wiederholt.8 Diese Aussage ist beeinflusst von der Selbstkundgabe Gottes beim brennenden Dornbusch (Ex 3,14 in der Version der Septuaginta), aber auch von Stellen bei Jesaja (vgl. Jes 41,4; 43,10; 44,6; 48,12). Sie umschreibt die Überzeugung, dass Gott sich treu bleibt. In derselben Intention, in der er einst gehandelt hat in der Geschichte Israels und im Leben Jesu, wirkt er in der Gegenwart und wird er auch in der Zukunft handeln. Die Offenbarung des Johannes spricht nicht nur vom Kommen (ἔρχοµαι) Jesu (Offb 1,7), das „bald“ (ταχύ – Offb 3,11; 22,7.12.20) und überraschend (Offb 16,15) sein wird, sondern vermittelt auch die Vorstellung von einem kommenden Gott.9 Beides darf in Beziehung zueinander gesehen werden. Im Kommen Jesu ereignet sich auch das Kommen Gottes. In vergleichbarer Weise spricht das Johannesevangelium an einer Stelle vom Kommen Gottes in Verbindung mit dem Kommen Jesu (Joh 14,23). Der Blick wird dabei auf den auferstandenen Jesus gelenkt. Sieben Geister „Die sieben Geister“ Gottes (Offb 1,4) werden später auf Christus bezogen. Er „hat“ sie (Offb 3,1) und durch ihn werden sie „gesandt auf die ganze Erde“ (Offb 5,6). In ähnlicher Weise hebt das Johannesevangelium die Geisterfülltheit Jesu hervor (vgl. Joh 1,32) und dass durch ihn der Geist den Menschen vermittelt wird (vgl. Joh 1,33; 20,22 sowie die Parakletworte in den Abschiedsgesprächen). Zeuge – Zeugnis – bezeugen Jesus Christus wird bezeichnet als „der Zeuge (µάρτυς), der Treue“ (Offb 1,5). Das erste und damit besonders akzentuierte Attribut ist „der Zeuge“. In erweiterter Form kommt diese Bezeichnung auch in der Botenformel im Sendschreiben an die Gemeinde von Laodizäa vor: Jesus ist „der Zeuge, der treue und wahrhaftige“ (Offb 3,14). Die Thematik des Zeugnisses spielt in der Offenbarung des Johannes eine wichtige Rolle.10 Das relevante Wortfeld wird gebildet durch das Verbum 8

In Offb 11,17 und 16,5 wird eine zweiteilige Variante verwendet. Der biblische Hintergrund für diese Erwartung ist vor allem in prophetischen Texten erkennbar (Jes 35,4; 40,10; Sach 2,14; Mal 3,1–2) aber auch in den Psalmen (Ps 50,3; 96,13; 98,9). 10 In Offb 2,13 hat „Zeuge“ bereits die vom 2. Jh. n. Chr. an geläufige Bedeutung von „Märtyrer“ (Blut-zeuge). 9

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„Zeuge sein“ / „bezeugen“ (µαρτυρέω) und die Substantive „Zeugnis“ (µαρτυρία) und „Zeuge“ (µάρτυς). Das Verbum findet sich viermal (Offb 1,2; 22,16.18.20). An einer Stelle wird damit eine Aussage über Jesus gemacht: „Es sagt der dieses Bezeugende: Ja, ich komme bald“ (Offb 22,20). Das Pronomen „dieses“ kann man auf das gesamte Buch der Offenbarung des Johannes beziehen.11 Das Substantiv „Zeugnis“ (µαρτυρία) kommt in der Offenbarung des Johannes neunmal vor. Von dem Zeugnis, das Jesus gibt, ist an sechs Stellen die Rede. Dreimal steht der Genitivausdruck „das Zeugnis Jesu“ in Parallele zu „das Wort Gottes“ (Offb 1,2; 1,9; 20,4), zweimal begegnet die Wendung „das Zeugnis Jesu haben“ (Offb 12,17; 19,10), an einer Stelle wird das Zeugnis Jesu gleichgesetzt mit dem Geist der Prophetie (Offb 19,10). Der Begriff „Zeuge“ (µάρτυς) findet sich fünfmal. Zweimal wird Jesus als der Zeuge bezeichnet (Offb 1,5 und 3,14).12 Die Thematik des Zeugnisses hat auch im Johannesevangelium besondere Bedeutung.13 Das Verbum „Zeuge sein“ / „bezeugen“ (µατυρέω) kommt oft (33mal) vor. Eine Spitzenaussage ist Jesu Bekenntnis vor Pilatus: „Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, damit ich Zeugnis ablege für die Wahrheit“ (Joh 18,37; vgl. Joh 5,33). Es handelt sich im Grunde um die Wahrheit über Gott (vgl. Joh 8,40). Häufig (14mal) wird auch der Begriff „Zeugnis“ (µαρτυρία) verwendet. Dieser Begriff dient auch zur Bezeichnung des Wirkens Jesu. Das Zeugnis, das er gibt, ist wahr und zuverlässig (vgl. Joh 8,13–14). Im Unterschied zur Offenbarung des Johannes fehlt im Johannesevangelium der Begriff „Zeuge“ (µάρτυς). Die Offenbarung des Johannes sieht nicht nur den irdischen Jesus in der Rolle des Zeugen (vgl. Offb 1,4), sondern auch den von den Toten auferstandenen (vgl. Offb 22,20). Er gibt Zeugnis über den lebendigen Gott in den Nöten und Plagen der Endzeit. Das Johannesevangelium lenkt den Blick auf den irdischen Jesus, der Zeugnis für die Wahrheit und für Gott gibt. Jesus verheißt jedoch auch, dass er als Auferstandener weiterhin den Namen Gottes kundtun (Joh 17,26) und über den Vater Kunde geben wird (Joh 16,25). Er wird in gewisser Weise auch weiterhin in der Rolle des Zeugen tätig sein.

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Vgl. H. GIESEN, Offenbarung (s. Anm. 7) 493. In Offb 15,5 bezeichnet der Ausdruck „Zelt des Zeugnisses (µαρτύριον)“ wie in Apg 7,44 das Heiligtum in der Zeit der Wüstenwanderung Israels. 13 Vgl. J. BEUTLER, Art. µαρτυρέω; Art. µαρτυρία; Art. µάρτυς in: EWNT II (32011) 958–964; 964–968; 969–973. 12

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Liebe – lieben An den briefartigen Wunsch (Offb 1,4–5a) schließt sich eine Doxologie auf Jesus an: „Dem uns Liebenden und uns Lösenden von unseren Sünden in seinem Blut, und er hat uns gemacht zu einem Königreich, zu Priestern für seinen Gott und Vater, ihm (sei) die Herrlichkeit und die Macht in die Äonen der Äonen. Amen“ (Offb 1,5b–6). Die im Präsenspartizip formulierte Aussage „der uns Liebende“ steht betont voran. Gleichsam ein Echo dazu bildet das Wort Jesu im Sendschreiben an die Gemeinde in Philadelphia: „Sie (= Gegner) werden erkennen, dass ich dich geliebt habe“ (Offb 3,9). Das in der Offenbarung des Johannes viermal verwendete Verbum „lieben“ (ἀγαπάω) kommt im Johannesevangelium häufig vor. Es hat ebenso wie das Substantiv „Liebe“ (ἀγάπη), welches in der Offenbarung des Johannes fehlt, große Bedeutung (z. B. Joh 3,16; 13,1; 15,12; 17,26). Vater In der Doxologie (Offb 1,5b–6) ist zum ersten Mal vom „Vater“ (πατήρ) Jesu die Rede. Der Begriff „Vater“ kommt in der Offenbarung des Johannes insgesamt nur fünfmal vor. Dabei ist jeweils von Gott als dem Vater Jesu die Rede (Offb 1,6; 2,28; 3,5; 3,21 und 14,1). Im Johannesevangelium hingegen kommt die Gottesbezeichnung „Vater“ (πατήρ) sehr oft vor. Dabei wird – mit einer Ausnahme – Gott ausschließlich als der Vater Jesu bezeichnet. Erst nach Ostern wird das Vaterverständnis ausgeweitet. Der Auferstandene sagt zu Maria von Magdala: „Geh zu meinen Brüdern und sag ihnen: Ich steige hinauf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott“ (Joh 20,17). Erstmals und zum einzigen Mal kommt hier ausdrücklich die Bezeichnung „euer Vater“ vor.14 Charakteristisch sowohl für die Offenbarung des Johannes als auch für das Johannesevangelium ist, dass die Gottesbezeichnung „Vater“ für Jesus reserviert bleibt. Kommen Am Schluss des einleitenden Abschnittes wird ein zweifaches „Kommen“ (ἔρχοµαι) angekündet. Die erste Ankündigung ist auf Jesus bezogen: „Siehe, er kommt mit den Wolken, und sehen wird ihn jedes Auge und die, welche ihn durchbohrt haben, und an die Brust werden sich schlagen seinetwegen alle Stämme der Erde“ (Offb 1,7). Diese Ankündigung enthält eine deutliche

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Eine gründliche Untersuchung der Aussage von Joh 20,17, und zwar vor dem Hintergrund der Abschiedsgespräche, präsentiert F. BACK, Gott als Vater der Jünger im Johannesevangelium (WUNT 2,336), Tübingen 2012.

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Anspielung an Joh 19,37 („Sie werden schauen auf den, den sie durchbohrt haben“) und darüber hinaus an Mt 24,30. Die zweite Ankündigung ist zugleich die Stimme Gottes: „Ich bin das Alpha und das O(mega), spricht der Herr, Gott, der Seiende und der ‚Er war‘ und der Kommende, der Allherrscher“ (Offb 1,8; vgl. 1,4). Die Stimme Gottes wird ein zweites Mal vernehmbar in Offb 21,5–8 („Ich bin das Alpha und das O[mega] …“). Hier wie dort macht Gott eine Aussage über sich selbst. Im Johannesevangelium ertönt die Stimme Gottes nur ein einziges Mal. Auch dort macht Gott eine Aussage über sich selbst, nämlich über seinen Namen („Ich habe ihn verherrlicht und werde ihn wieder verherrlichen“ [Joh 12,28]).15 Jesus Christus und Gott sind nicht nur das Ziel des Lebensweges des Menschen und des Verlaufes der Weltgeschichte, sondern sie sind gleichsam auch unterwegs zu uns. Mit der doppelten Ankündigung eines Kommens kann verglichen werden die Verheißung in den Abschiedsgesprächen im Johannesevangelium, dass Jesus und der Vater zu den Menschen kommen werden (Joh 14,23). 1.3 Vergleichsmöglichkeiten in der Christusvision des Johannes am Herrentag und in den sieben Sendschreiben (Offb 1,9–3,22) Bedrängnis Wiederholt spricht die Offenbarung des Johannes von „Bedrängnis“ (θλῖψις), welcher die Glaubenden ausgesetzt sind (Offb 1,9; 2,9–10; 2,22 und 7,14). Das Johannesevangelium verwendet diesen Begriff zweimal in ähnlichem Sinn (Joh 16,21 und 16,33 [„In der Welt habt ihr Bedrängnis“]). Leben Die ersten Worte des auferstandenen Jesus an Johannes sind eine dreifache Selbstprädikation: „Fürchte dich nicht! Ich bin der Erste und der Letzte und der Lebende. Und ich war tot, und siehe, lebend bin ich in die Äonen der Äonen. Und ich habe die Schlüssel des Todes und des Hades“ (Offb 1,17– 18). Die Wendung „lebend in die Äonen der Äonen“ begegnet später auch als Aussage über Gott (Offb 4,9; 4,10; 10,6; 15,7; vgl. 7,2). Was über Gott gesagt wird, trifft auch auf ihn zu. Das Bild vom Schlüssel deutet an, dass Jesus den Menschen auch den Zugang zum Leben der Auferstehung aufschließen kann.

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Im Unterschied dazu macht die Himmelsstimme in den synoptischen Evangelien bei der Taufe und Verklärung Jesu jeweils eine Aussage über Jesus (Mk 1,11; 9,7 und Parallelen).

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Vergleichbar mit der dreifachen Selbstprädikation Jesu ist im Johannesevangelium die Aussage, dass der „lebende Vater“ Jesus sendet und dass Jesus durch den Vater lebt (Joh 6,57). Er hat „Leben in sich“, wie der Vater „Leben in sich“ hat (Joh 5,26). Und im Blick auf seine Auferstehung sagt Jesus: „Ich lebe und ihr werdet leben“ (Joh 14,19). Jesus partizipiert am Leben Gottes und vermittelt das Leben auch den Seinen. Überwinden Die sog. Überwindersprüche in den sieben Sendschreiben (Offb 2–3) enthalten das Verbum „überwinden“ / „siegen“ (νικάω). Auch von Jesus wird gesagt, dass er „überwindet“ (Offb 3,21; 5,5). Der Gedanke, dass Jesus „überwindet“, findet sich an bedeutsamer Stelle auch im Johannesevangelium („Habt Mut, ich habe die Welt überwunden“ [Joh 16,33]). 1.4 Bezüge zur Vision vom Thron Gottes und vom Lamm (Offb 4–5) Öffnen Zu Beginn sieht Johannes eine „geöffnete“ (ἀνοίγω) Tür im Himmel (Offb 4,1). Ähnlich schaut er zu Beginn der Vision vom Reiter auf dem weißen Pferd (Offb 19,11–21) den „geöffneten“ Himmel (Offb 19,11). Im Johannesevangelium verheißt Jesus dem Nathanael: „Sehen werdet ihr den Himmel geöffnet (ἀνοίγω) und die Engel Gottes hinaufsteigend und herabsteigend auf den Menschensohn hin“ (Joh 1,51). Wie im Johannesevangelium wird auch in der Offenbarung des Johannes vom „offenen“ Himmel gesprochen im Zusammenhang mit Aussagen über Jesus.16 Leben Die Vision vom Thron und der Huldigung durch himmlische Wesen (Offb 4,2–11) bringt wiederholt die für das Gottesbild der Offenbarung des Johannes charakteristische Bezeichnung „der Lebende (ζῶν) in die Äonen der Äonen“ (Offb 4,9 und 4,10). In der Christusvision des Johannes am Herrentag (Offb 1,9–20 – siehe oben) wird diese Bezeichnung ähnlich auf Jesus übertragen. Buch Das Aussehen des Thronenden wird nicht beschrieben. Die Vision konzentriert sich auf das „Buch“ / die „Buchrolle“ (βιβλίον), das der Thronende „in der Rechten“ hält (Offb 5,1–5). Die rechte Hand ist Sinnbild nicht nur für 16 Das Bild vom offenen Himmel in Verbindung mit einer Aussage über Jesus begegnet auch in der Apostelgeschichte am Höhepunkt der Rede des Stephanus (Apg 7,56).

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Heil schaffende Kraft, sondern auch für besondere Zugehörigkeit (vgl. Offb 1,16). Der Inhalt des Buches ist so reich, dass nicht nur die Innenseite (der Rolle), sondern auch die Rückseite benützt wurde, ihn festzuhalten. Das Buch ist „versiegelt mit sieben Siegeln“, womit seine Herkunft von Gott beglaubigt wird (Offb 5,1).17 An keiner Stelle erwähnt die Offenbarung des Johannes ausdrücklich, was der Inhalt des Buches ist.18 Erst wenn alle Siegel geöffnet sind, d. h. nach allen endzeitlichen Wirren und Drangsalen, kann der Inhalt dargelegt werden. Er betrifft jedenfalls auch das, was nachher sein wird: das Leben in der Vollendung, in der neuen Welt Gottes. Das Buch kann gedeutet werden als Sinnbild für die heilsbedeutsame und umfassende Botschaft, die von Gott kommt und mit welcher Gott auch seine innersten Pläne, ja im Grunde sich selbst mitteilt und offenbart. Das Bild von einem Buch, das früher versiegelt wurde und dessen Inhalt erst zu einer bestimmten Zeit den Menschen zugänglich wird, ist auch ein Bild für die Beständigkeit des Ratschlusses Gottes und die Zuverlässigkeit seines Wortes. Sein bereits vorweg bestehender endgültiger und irreversibler Heilsplan mit der Welt wird durch den Verlauf der Menschheitsgeschichte nicht in Frage gestellt.19 Mit „großer“ Stimme verkündet ein starker Engel: „Wer (ist) würdig (ἄξιος) zu öffnen das Buch und zu lösen seine Siegel?“ (Offb 5,2). Gottes endzeitlicher Heilsplan soll bekanntgemacht werden, aber in der ganzen Schöpfung gibt es niemanden, der das Buch öffnen und in es sehen „kann“ (δύναµαι – Offb 5,3). Niemand ist von sich aus würdig, den innersten Willen und Plan Gottes zu erfassen und weiterzuvermitteln. Keiner hat den dafür erforderlichen persönlichen Zugang zu Gott, nicht einmal die vier Lebewesen (Offb 4,6–8).

17 Zum Bild vom versiegelten Buch vgl. Dan 12,4.9: Daniel soll das Buch versiegeln bis zur Zeit des Endes. Erst dann wird sein Inhalt bekannt werden. 18 Dieses Buch ist zu unterscheiden vom „Buch des Lebens“ (Offb 3,5; 13,8; 17,8; 20,12.15; 21,27) und auch von „diesem“ Buch (Offb 22,7.9.10.18.19), dem vorliegenden (prophetischen) Buch der Offenbarung des Johannes. Mit der Bezeichnung „dieses Buch“ ist in Joh 20,30 das vorliegende Johannesevangelium gemeint. Von einem „Büchlein“ (βιβλαρίδιον) ist in Offb 10,2.8.9.10 die Rede. 19 Der Buchinhalt wird unterschiedlich gedeutet. Nach A. WIKENHAUSER, Die Offenbarung des Johannes (RNT 9), Regensburg 1959, sind darin „die Ratschlüsse Gottes bezüglich der Heilsvollendung“ enthalten (55). Ähnlich interpretiert J. ROLOFF, Die Offenbarung des Johannes (ZBK.NT 18), Zürich 1987, den Buchinhalt als „die von Gott vorgesehene Vollendung der Geschichte“ (73). Für H. GIESEN, Offenbarung (s. Anm. 7), ist das Buch inhaltlich „mit dem ganzen Buch der Offenbarung identisch“ (161). G. K. BEALE, The Book of Revelation (NIGTC), Grand Rapids 1999, deutet das Buch als „a covenantal promise of an inheritance“ (340).

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Dem erschütterten Seher Johannes sagt einer der Ältesten: „Weine nicht! Siehe, überwunden (νικάω) hat der Löwe aus dem Stamm Juda, die Wurzel Davids, (um) zu öffnen das Buch und seine sieben Siegel“ (Offb 5,5). Im Grunde wird bereits das Ereignis von Tod und Auferweckung Jesu thematisiert (vgl. Offb 3,21). Wenn gesagt wird, dass einer überwunden hat, „(um) zu öffnen“, so ist damit auch ausgedrückt: Speziell sein Überwinden zeigt, dass er würdig ist, das Buch zu öffnen. Die Rückbindung an das Alte Testament („Löwe aus dem Stamm Juda“ [vgl. Gen 49,9–10], „Wurzel Davids“ [vgl. Jes 11,1.10]) besagt auch: Jener, der überwunden hat, ist zugleich der seit langem verheißene messianische Heilbringer. Der Älteste spricht vom siegreichen Löwen (Sinnbild für Macht und Stärke), Johannes sieht dann aber ein Lamm (Sinnbild für Macht- und Wehrlosigkeit). Dieses Lamm ist jedoch zu deuten als der verheißene Messias. Etwas Vergleichbares wird auch im Johannesevangelium gesagt. Johannes der Täufer weist zwei seiner Jünger auf Jesus hin: „Seht, das Lamm Gottes!“ (Joh 1,36). Die beiden folgen Jesus nach und werden eingeladen, bei ihm zu bleiben. Andreas, einer der beiden, „die das Wort des Johannes gehört hatten“ (Joh 1,40), sagt dann seinem Bruder Simon: „Wir haben den Messias gefunden“ (Joh 1,41). Er erkennt den messianischen Heilbringer im Bild des Lammes. Lamm Das „Lamm“ (ἀρνίον),20 das hier zum ersten Mal erscheint, ist das wichtigste und häufigste Bild für Christus in der Offenbarung des Johannes. Die Bezeichnung Lamm kommt 28mal vor. Manche Ausleger sehen den Hintergrund für dieses Bild im Paschalamm. Das Bild vom Lamm ist jedoch von vornherein Metapher für eine Person. Wenn man nach einer Vorlage im Alten Testament sucht, so eignet sich dafür am ehesten die Prophetie vom leidenden Gottesknecht, der in Jes 53,7 mit dem Lamm verglichen wird, das zur Schlachtung geführt wird. Ein ähnliches Bild findet sich in Jer 11,19 und Ps 44,23 (vgl. Röm 8,36). Das Bild vom Lamm (bzw. Schaf) ist an diesen Stellen Metapher für Menschen, die im Dienst ihres prophetischen Auftrages oder um Gottes willen verfolgt werden und Gewalt erleiden, im äußersten Fall den Tod. Bei der Beschreibung des Lammes in Offb 5,6 wird nicht nur seine besondere Nähe zu Gott hervorgehoben,21 sondern auch ein zweifacher Kontrast: 20

Diese Diminutivbildung von Lamm findet sich sonst nur noch in Joh 21,15 („Weide meine Lämmer!“). 21 Es befindet sich „inmitten“ (ἐν µέσῳ – vgl. Offb 1,13; 2,1 [der Menschensohn inmitten der Leuchter]; 4,6 [die vier Lebewesen inmitten des Thrones und rings um ihn]) des Thrones und der vier Lebewesen und zugleich inmitten des durch die Ältesten gebildeten Kreises. Diese Aussage ist nicht leicht zu interpretieren. Hinsichtlich seiner Stellung im

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(a) Das Lamm (Bild der Machtlosigkeit, ja der Ohnmacht) trägt „sieben Hörner“ (Bild für Macht in Fülle).22 (b) Das Lamm ist „wie geschlachtet“ (die Todeswunde tragend) und zugleich „stehend“ (lebend).23 Die „sieben Augen“ des Lammes (Offb 5,6) versinnbildlichen vollkommenes Wahrnehmen und Erkennen Gottes und darüber hinaus der gesamten Wirklichkeit.24 Das Lamm besitzt ein besonderes Sehvermögen und kann deshalb auch in das Buch „sehen“ (βλέπω – Offb 5,3). Johannes fügt eigens eine Deutung hinzu: Die Augen sind „die sieben Geister Gottes, gesandt auf die ganze Erde“ (vgl. Offb 1,4; 3,1; 4,5). Damit wird angedeutet, (a) dass ein Zusammenhang besteht zwischen der Art des Sehens und dem Erfülltsein vom Geist, durch den Gott sich selbst mitteilt, und (b) dass Gottes Geist durch das Lamm der ganzen Erde vermittelt wird. Die einzige Tätigkeit des Lammes im Rahmen der Vision von Offb 4–5 wird so beschrieben: „Und es kam und hat empfangen (das Buch) aus der Rechten des Sitzenden auf dem Thron“ (Offb 5,7). Das Verbum λαµβάνω ist (wie auch in Offb 4,11; 5,8.9.12) am besten mit „empfangen“ zu übersetzen (nicht mit „nehmen“). Jesus, der Gekreuzigte und Auferweckte – auf ihn ist ja das Bild vom Lamm zu beziehen – wird von Gott dazu ermächtigt, das Buch zu öffnen und seinen Inhalt zu verkünden. Bedeutsam ist der Gedanke: Das Lamm „kann“ (δύναµαι – Offb 5,3) das Buch öffnen und in es sehen. Es ist „würdig“ (ἄξιος) dazu. Der Grund für die Würdigkeit wird im „neuen Lied“ (Offb 5,9f.) besungen. Der auferstandene Jesus „kann“ mitteilen und offenbaren, wer Gott wirklich ist, nämlich sein „Vater“ (vgl. Offb 3,21: „Ich setzte mich mit meinem Vater auf seinen Thron“), und was Gott den Menschen sagen will und was sein irreversibler Heilsplan mit der Welt ist. Das Bild vom Lamm, das das Buch empfängt kann gegenübergestellt werden der Aussage von Offb 1,1, dass Jesus die Offenbarung weitergibt, die er von Gott empfängt. Im literarischen Aufbau der Offenbarung des Johannes bilden die Visionen vom Thron Gottes (Offb 4–5) und von der Siegelöffnung (Offb 6,1–8,1) eine untrennbare Einheit. Beide Visionen sind vor allem durch die Gestalt des Bereich des Thrones (= Ort der Gegenwart Gottes) unterscheidet sich das Lamm jedenfalls von der gesamten Schöpfung einschließlich der himmlischen Wesen. Dazu siehe M. HENGEL, Die Throngemeinschaft des Lammes mit Gott in der Johannesapokalypse, in: C.-J. Thornton (Hrsg.), Martin Hengel. Studien zur Christologie. Kleine Schriften IV (WUNT 201), Tübingen 2006, 368–385. Das Lamm befindet sich „in denkbar engster Gemeinschaft mit dem thronenden Gott selbst“. Die „Vorstellung dieser nicht mehr räumlich differenzierbaren Einheit (rückt) in die Nähe von Joh 1,18“ (379), zum Bild vom „Seienden zur Brust des Vaters hin“. 22 Das „Horn“ ist ein vertrautes biblisches Bild für Stärke und Macht. 23 Vgl. Apg 7,55: der Menschensohn stehend zur Rechten Gottes. 24 Auch in der Christusvision am Herrentag wird den Augen besondere Bedeutung gegeben („Flamme von Feuer“ – Offb 1,14).

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Lammes miteinander verbunden. Das Lamm löst mit dem Öffnen der einzelnen Siegel des Buches verschiedene Plagen und Ereignisse aus. Diese sind gleichsam „Begleitphänomene“ bei der Öffnung der Siegel. Erfahrung von „Drangsal“ kann die Christen somit in der Gewissheit bestärken, dass das Lamm bereits dabei ist, das Buch zu öffnen, dass also die ersehnte Erschließung seines Inhaltes nicht mehr lange auf sich warten lässt. Darüber hinaus kann man sagen, dass der Inhalt des Buches gültig bleibt trotz aller Bedrängnisse und Katastrophen und trotz der Vergänglichkeit der Welt.25 Das Bild vom Lamm, das das Buch öffnen kann, ist vergleichbar mit der Aussage von Joh 1,18: Jesus, der in einzigartiger Nähe zu Gott ist („der Einzige, Göttliche, der Seiende zur Brust des Vaters hin“), bringt Kunde (ἐξηγέοµαι) von dem Gott, den kein Mensch je gesehen hat.26 Der Gedanke der Vergleichbarkeit kann durch folgende Beobachtungen bestärkt werden: Im Sinne von Joh 1,1.14 ist Jesus in seiner Person „das Wort“ (ὁ λόγος), das Kunde von Gott bringt (Joh 1,18). In Offb 19,13 hat der auferstandene Jesus (visionär geschaut als Reiter auf dem weißen Pferd) den Namen „das Wort Gottes“ (ὁ λόγος τοῦ θεοῦ). Er verkündet nicht nur, sondern verkörpert das von Gott kommende Wort. Im Johannesprolog ist die Aussage, dass Jesus Kunde von Gott bringt (Joh 1,18), verbunden mit dem Gedanken, dass durch ihn Menschen in eine besondere Beziehung zu Gott gelangen (als Kinder Gottes und aus Gott Geborene – Joh 1,12f.). In der Offenbarung des Johannes ist das Lamm deshalb würdig das Buch zu öffnen, weil durch es (durch seine Lebenshingabe) den Menschen ein besonderer Zugang zu Gott vermittelt wird (als Priester für Gott – Offb 5,9f.). Inhaltlich verwandt mit Joh 1,18 (Jesus bringt Kunde von Gott) sind Worte Jesu im Gebet an den Vater: „Ich habe deinen Namen geoffenbart (φανερόω)“ (Joh 17,6); und: „Ich habe deinen Namen bekannt gemacht und werde ihn bekanntmachen (γνωρίσω – Futur!)“ (Joh 17,26). Sachlich ver25

Vgl. Jes 40,8 („Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, doch das Wort unseres Gottes bleibt in Ewigkeit.“), Jes 51,6 (Die Erde ist vergänglich und die Menschen sind sterblich, doch Gottes „Gnade bleibt für immer bestehen“ und seine „Gerechtigkeit wird niemals erschüttert“), Mk 13,32 (Himmel und Erde werden vergehen, doch Jesu Worte werden nicht vergehen). 26 Vgl. Joh 5,37 („Ihr habt weder seine [= des Vaters] Stimme gehört, noch seine Gestalt je gesehen.“), Joh 6,46 („Niemand hat den Vater gesehen, außer dem, der von Gott ist; nur er hat den Vater gesehen.“), 1 Joh 4,12 („Gott hat niemand jemals geschaut.“). Der transzendente Gott wird jedoch sichtbar in Jesus: Joh 12,45 („Wer mich sieht, sieht den, der mich gesandt hat.“), Joh 14,8f. (Philippus zu Jesus: „Herr, zeig uns den Vater; das genügt uns.“ – Jesu Antwort: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen.“). Im Blick auf das Thomasbekenntnis in Joh 20,28 sagt M. HENGEL, Throngemeinschaft (s. Anm. 21), dass im Auferstandenen „Gott selbst sichtbar und greifbar“ wird und dass sich damit das „Kundebringen“ im Sinne von Joh 1,18 erfüllt (369).

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wandt ist auch die Ankündigung Jesu: „Ich werde offen über den Vater Kunde geben“ (Joh 16,25). Mit der Kunde von Gott ist die Offenbarung seines Namens und damit seines innersten Wesens verbunden. Diese Offenbarungstätigkeit wird Jesus als Auferstandener fortsetzen. Dies deutet sich auch an im Bild vom Lamm, das in der Lage ist, das Buch zu öffnen. Die Aussagen über das Lamm in der Offenbarung des Johannes können insgesamt verglichen werden mit dem Zeugnis für das „Lamm Gottes“, das Johannes der Täufer im Johannesevangelium gibt. Hinsichtlich des Gesamtbildes vom Lamm27 lässt sich ein Bündel von Themen und Motiven erkennen, die beiden Schriften gemeinsam sind, und zwar: die erlösende Funktion des Todes Jesu,28 das Geschenk einer neuen Zugehörigkeit zu Gott,29 die bleibende Erinnerung an den Kreuzestod,30 die mit der Macht- und Wehrlosigkeit geheimnisvoll verbundene Hoheit und Macht,31 das Erfülltsein mit heiligem Geist,32 das Thema der Nachfolge,33 die Verbindung mit dem Bild von der Braut,34 die singuläre Verbundenheit mit Gott und Partizipation an Gottes Wirken und Macht,35 die Verbindung mit der Vorstellung vom davidischen Messias.36 27 Die Vergleichbarkeit des apokalyptischen Lammes mit jenem des Johannesevangeliums wird oft mit der Begründung abgelehnt, dass die Bezeichnung für Lamm in Joh 1,29 (ἀµνός) verschieden ist von jener in der Offenbarung des Johannes (ἀρνίον). In semantischer Hinsicht kann man jedoch kaum eine Differenz zwischen beiden Ausdrücken feststellen. Wäre es nicht denkbar, dass ἀρνίον gewählt wurde als sprachliche und lautliche Angleichung an θηρίον, die Bezeichnung für das in Offb 13 auftretende „Tier“? 28 Im Sinne von Offb 1,5 bewirkt das Blut des Lammes Erlösung von Sünde. Vergleichbar damit ist Joh 1,29: Das Lamm Gottes (seine Lebenshingabe wird allerdings noch nicht ausdrücklich genannt) nimmt hinweg die Sünde der Welt. 29 In Offb 5,9 kommt dies durch den Kaufgedanken zum Ausdruck, in Joh 1,33 (dieser Vers steht in enger Beziehung zu 1,29) durch die Taufe im heiligen Geist. 30 Nach Offb 5,6 ist am Lamm die Todeswunde erkennbar. Joh 20,20.27 betont, dass der Auferstandene (bleibend) die Wundmale trägt. 31 Offb 5,6 zeichnet das Lamm mit sieben Hörnern. Nach Joh 1,30 ist das Lamm Gottes zugleich der Präexistente, nach Joh 1,34 der Gottessohn, im Sinne von Joh 1,41 der Messias. 32 Das Lamm in Offb 5,6 hat sieben Augen (= sieben Geister Gottes). Die Aussage über das Lamm in Joh 1,29 steht in enger Verbindung mit Joh 1,32–33: Der Geist kommt auf Jesus herab und bleibt auf ihm. 33 Offb 14,4 spricht von der Nachfolge des Lammes. Nach Joh 1,35–37 folgen die beiden Jünger des Täufers dem nach, den dieser als Lamm Gottes bezeichnet. 34 Offb 19,7; 21,2.9 sprechen von der Braut (νύµφη) und Frau des Lammes. Im Johannesevangelium sieht Johannes der Täufer Jesus nicht nur als Lamm Gottes, sondern auch im Bild des Bräutigams, der die Braut (νύµφη) hat (Joh 3,29). 35 Im Sinne der Offenbarung des Johannes kann man von einer „Throngemeinschaft“ sprechen (Offb 5,6f.; 7,9; 21,22.23; 22,1.3). Unabhängig vom Bild des Lammes zeigt sich diese singuläre Beziehung Jesu zu Gott auch, wenn man die Aussagen von Offb 1,8; 21,6 und 22,13 (Alpha und Omega) miteinander vergleicht. Im Johannesevangelium ist die

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Freilich ist zu sagen, dass mit dem Bild vom Lamm in der Offenbarung des Johannes primär das Wirken des erhöhten Jesus beschrieben wird, während im Johannesevangelium das Lamm Bild für den irdischen Jesus ist. Dennoch lässt das dargestellte Bündel von gemeinsamen Motiven den Schluss zu, dass hinsichtlich des Bildes vom Lamm eine literarische und thematische Verwandtschaft zwischen der Offenbarung des Johannes und dem Johannesevangelium besteht. 1.5 Anklänge in der Vision vom Gottesvolk in seiner Vollendung (Offb 7,9–17) Palmzweige Johannes sieht eine unzählbar große Volksmenge (die vier Ausdrücke, mit denen sie umschrieben wird [Völkerschaft, Stämme, Völker, Zungen], sind dieselben wie in Offb 5,9, im „neuen Lied“, das dem Lamm gesungen wird) „stehend vor dem Thron und vor dem Lamm, bekleidet mit weißen Gewändern und Palmzweige in ihren Händen“ (Offb 7,9). Das weiße Gewand ist Bild der Zugehörigkeit zu Christus (vgl. Offb 3,4f.; 6,11). Der Ausdruck „Palmzweige“ (φοῖνιξ)37 kommt im Neuen Testament nur in Offb 7,9 und in Joh 12,13 vor, beide Male im Kontext der Huldigung vor Jesus. Unter einigen Aspekten lässt sich Offb 7,9f. vergleichen mit Joh 12,12–14, dem Bericht vom Einzug Jesu in Jerusalem. Offb 7,9f.: Eine unzählbar große Volksmenge (ὄχλος πολύς) mit Palmzweigen (φοῖνιξ) in den Händen steht vor dem Thron und vor dem Lamm. Sie rufen: „Die Rettung (σωτηρία) ist bei unserem Gott, dem Sitzenden auf dem Thron, und dem Lamm.“ Joh 12,12–14: Eine große Volksmenge (ὄχλος πολύς) mit Palmzweigen (φοῖνιξ) zieht Jesus von Jerusalem aus entgegen. Jesus setzt sich auf einen jungen Esel (vgl. Sach 9,9). Sie rufen: „Hosanna!“ (= „Hilf / rette doch!“ [LXX: σῴζω] – Ps 118,25). Ähnlich wie das Lamm in der Offenbarung des Johannes ist im Johannesevangelium der im Sinne von Sach 9,9 auf einem jungen Esel sitzende Friedensfürst Sinnbild für Gewaltfreiheit. Sowohl in

Verbundenheit zwischen Jesus und dem Vater ein zentrales Thema (vgl. bes. den Immanenzgedanken in Joh 10,38; 14,10–11.20; 17,21). Sie klingt auch in der Genitivverbindung „Lamm Gottes“ an. 36 Offb 5,5–7 macht deutlich, dass das Lamm niemand anderer ist als der verheissene „Löwe aus dem Stamm Juda“ und der Sproß aus der „Wurzel Davids“. Auch aus Joh 1,35– 42 ergibt sich, dass das Lamm Gottes zugleich der Messias ist (Joh 1,36 in Verbindung mit 1,41). 37 Von Palmzweigen als Symbol des Sieges ist die Rede in 1 Makk 13,51; 2 Makk 10,7. Der dafür verwendete Ausdruck φοῖνιξ ist ein Sinnbild für Sieg.

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Offb 7,9f. als auch in Joh 12,12–14 betrifft der Ruf der großen Volksmenge die durch Jesus vermittelte Rettung. Offb 7,9f. lenkt den Blick auf die himmlische Vollendung der an Jesus Glaubenden, Joh 12,12-14 beschreibt eine Szene aus dem Leben des irdischen Jesus. Offb 7,9f. kann jedoch als Wiederaufnahme und Transformation von Joh 12,12–14 gewertet werden. Der in Offb 7,10 und noch an zwei anderen Stellen (Offb 12,10; 19,1) verwendete Begriff „Rettung“ / „Heil“ (σωτηρία) begegnet einmal auch im Johannesevangelium, und zwar in dem Wort Jesu an die Frau am Jakobsbrunnen: „Die Rettung / das Heil ist aus den Juden“ (Joh 4,22). Bedrängnis Die große Volksmenge, die ihre Rettung verkündet, kommt, so erfährt es Johannes im Dialog mit einem der Ältesten (Offb 7,13–17), aus der „großen Bedrängnis“ (θλῖψις – vgl. Offb 1,9). In vergleichbarer Weise wird im Johannesevangelium gesagt, dass die an Jesus Glaubenden mit Bedrängnis (θλῖψις) in der Welt zu rechnen haben (Joh 16,33). Die Gewänder der aus der Bedrängnis kommenden Volksmenge sind „weiß gemacht im Blut des Lammes“ (Offb 7,14). Dies weist darauf hin, dass die Zugehörigkeit zu Christus (weißes Gewand) nicht auf eigenen Verdiensten (auch nicht auf dem eigenen Martyrium) beruht, sondern auf der Lebenshingabe Jesu als Ausdruck seiner Liebe (vgl. Offb 1,5). Das Ziel des Weges durch die Drangsal ist bleibende Gemeinschaft mit Gott und Jesus. Diese wird auch in Bildern aus dem kultischen Bereich beschrieben. Dazu gehört die Aussage: „Der Sitzende auf dem Thron wird (sein) Zelt aufschlagen über ihnen“ (Offb 7,15). Mit dem Verbum „Zelt aufschlagen“ / „zelten“ (σκηνόω) wird auch in Offb 21,3 Gottes Nähe bei den Menschen beschrieben. Das Heil, das das Gottesvolk in seiner Vollendung erfährt, wird auch gesehen im Bild vom Lamm, das die Geretteten „führen wird zu den Quellen der Wasser des Lebens“ (Offb 7,17). Die Metaphorik vom „Wasser des Lebens“ ist auch in Offb 21,6 und 22,1.17 enthalten. Das Heil in der Vollendung wird die volle Entfaltung dessen sein, was für den Glaubenden bereits jetzt begonnen hat. Die Bilder in Offb 7,9–17, die auf diese Vollendung Bezug nehmen, helfen den Christen, die gegenwärtigen Bedrängnisse zu bewältigen. Ähnlich wird im Sinne des Johannesevangeliums die Situation der Drangsal in der Welt abgelöst werden durch bleibende Gemeinschaft mit Jesus (Joh 17,24), die anfanghaft jetzt schon besteht.

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1.6 Verwandtschaft mit dem Sturz des Widersachers in der Vision von den zwei Zeichen am Himmel (Offb 12,1–17) Sturz Das Zentrum dieser Vision bilden der Sturz des Drachen und der hymnische Lobpreis (Offb 12,7–12). Der Drache kann sich im Himmel nicht halten. Sein Sturz wird mit dem Verbum „werfen“ (βάλλω) beschrieben (Offb 12,9; 12,10.13). Das Thema vom Sturz des Teufels erinnert an die Aussage Jesu im Johannesevangelium: „Jetzt ist das Gericht dieser Welt. Jetzt wird der Herrscher dieser Welt hinausgeworfen werden (ἐκβάλλω) nach draußen“ (Joh 12,31). Dieses Wort steht im Kontext der Ankündigung, dass Jesus „erhöht“ wird. Damit wird auch angedeutet, welchen Tod er sterben wird (Joh 12,32f.). Der „Herrscher dieser Welt“ (vgl. auch 14,30; 16,11) bringt wie der Teufel (Joh 6,70; 8,44; 13,2) und Satan (Joh 13,27) und „der Böse“ (Joh 17,15) seine widergöttliche Macht vor allem in jenen zur Geltung, die Jesus ablehnen und sein Passionsgeschick verursachen und eine Gefahr für die an Jesus Glaubenden sind. Er muss nicht als eine Gestalt neben Satan, Teufel und dem Bösen gedacht werden.38 Die Aussage von Joh 12,31f., die einen Zusammenhang erkennen lässt zwischen Jesu „Erhöhung“ am Kreuz und dem „Hinauswerfen“ des „Herrschers dieser Welt“ ist inhaltlich eng verwandt mit jener von Offb 12,11, wo von der Überwindung des Teufels durch das Blut des Lammes (= Sinnbild für Jesu Lebenshingabe) gesprochen wird. Das Johannesevangelium blickt vorausschauend, die Offenbarung des Johannes zurückschauend auf den Sturz des Widersachers aufgrund der Lebenshingabe Jesu. 1.7 Bezüge zur Vision von der neuen Schöpfung (Offb 21,1–8) Zelt – zelten Johannes hört „eine große Stimme vom Thron her sagend: Siehe, das Zelt Gottes bei den Menschen, und er wird zelten bei ihnen, und sie werden seine Völker sein, und er, Gott, wird bei ihnen sein als ihr Gott“ (Offb 21,3). Diese Audition stellt einen besonderen Bezug zur Vision vom neuen Jerusalem (Offb 21,2) her und legt den Gedanken nahe, dass die Stadt selbst zum Heiligtum, zum „Zelt Gottes“ wird.39 38

Vgl. U. SCHNELLE, Das Evangelium nach Johannes (ThHK 4), Leipzig 1998, 205; J. LEONHARDT-BALZER, The Ruler of the World, Antichrists and Pseudo-Prophets: Johannine Variations on an Apocalyptic Motif, in: C. H. Williams/Ch. Rowland (Hrsg.), John’s Gospel and Intimations of Apocalyptic, London 2013, 180–199. 39 Vgl. Offb 21,22: „Einen Tempel sah ich nicht in der Stadt. Denn der Herr, der Gott,

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Die Ausdrücke „Zelt“ (σκηνή) und „zelten“ (σκηνόω) erinnern an das einstige Zeltheiligtum (z. B. Ex 25,8; 33,7–11; 40,34–38; vgl. Apg 7,44), den Ort besonderer Gegenwart Gottes inmitten seines Volkes. Gott wird den Menschen nahe sein und sie werden in unmittelbarer Weise Zugang zu ihm haben. Das Verbum „zelten“ (σκηνόω) findet sich im Neuen Testament nur im Johannesevangelium (Joh 1,14) und in der Offenbarung des Johannes (Offb 7,15; 12,12; 13,6 und 21,3).40 Dieses Buch verwendet auch dreimal den Begriff „Zelt“ (σκηνή) (Offb 13,6; 15,5 und 21,3). Im Prolog zum Johannesevangelium wird gesagt: „Der Logos ist Fleisch geworden und hat gezeltet unter uns“ (Joh 1,14). Wie in der Offenbarung des Johannes enthält das Verbum „zelten“ einen Anklang an das Zelt Gottes, das Heiligtum als besonderer Ort seiner Gegenwart. Nunmehr ist der Mensch gewordene Logos der „Ort“, an dem Gottes Nähe erfahrbar wird. An das einstige Zeltheiligtum erinnert auch der in Joh 1,14 gebrauchte Begriff „Herrlichkeit“ (vgl. Ex 40,34f.). Im Unterschied zur Offenbarung des Johannes wird im Prolog des Johannesevangeliums das Verbum „zelten“ nicht auf Gott, sondern auf den Logos und damit auf Jesus bezogen. Im Sinne des Johannesevangeliums ist Jesus jedoch auf einzigartige Weise mit Gott verbunden und wird Gottes Nähe in Jesus erfahren (vgl. Joh 14,9).41 Anfang und Ende Johannes vernimmt auch die Stimme des „Sitzenden auf dem Thron“. Ähnlich wie in Offb 1,8 macht er eine Aussage über sich selbst: „Ich bin das Alpha und das O(mega), der Anfang und das Ende“ (Offb 21,6b). Die Bezeichnung „der Anfang und das Ende“ begegnet nochmals in Offb 22,13, dort als Selbstbezeichnung Jesu. Damit lässt sich der Präexistenzgedanke in Joh 1,1 vergleichen. Wasser des Lebens An die Selbstprädikation Gottes (Offb 21,6b) schließt sich eine doppelte Verheißung: „Ich werde dem Dürstenden geben aus der Quelle des Wassers des Lebens umsonst. Der Überwindende wird dieses erben, und ich werde ihm Gott sein, und er wird mir Sohn sein“ (Offb 21,6c–7).

der Pantokrator ist ihr Tempel, und das Lamm.“ Die Stadt ist geprägt durch besondere Unmittelbarkeit zu Gott und Jesus. 40 Der sprachliche Unterschied zwischen Offb 7,15 (Gott „wird sein Zelt aufschlagen / zelten über [ἐπί] ihnen“) und Offb 21,3 (Gott „wird zelten bei / mit [µετά] ihnen“) ist nicht gravierend. 41 Die Beziehung zwischen Joh 1,14 und Offb 21,3 und das gemeinsame theologische Motiv untersucht gründlich J. FREY, God’s Dwelling (s. Anm. 1) 79–103.

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Die erste Verheißung, dass Gott allen Durst stillen wird, und zwar geschenkweise, „umsonst“ (δωρεάν), ist in Anlehnung an Jes 55,1–2 (Einladung an Dürstende) formuliert. „Durst“ ist im Sinne von Ps 42,2f.; 63,3; 143,6 Ausdruck der Sehnsucht nach Gott. Das Bild der Gabe „des Wassers des Lebens“, dem wir bereits in Offb 7,17 begegnet sind, wird auch in Offb 22,1– 2.17 verwendet und weiter entfaltet. Es erinnert an Motive im Johannesevangelium, an Joh 4,10f. (Jesu Gabe ist „lebendiges Wasser“); 4,14 (Wasser, das „ins ewige Leben sprudelt“); sowie an Joh 7,37–39 („Aus seinem Inneren werden Ströme von lebendigem Wasser fließen“). Die zweite Verheißung gilt dem „Überwindenden“42. In kühner Weise wird hier die Nathansweissagung (2 Sam 7,14: „Ich werde ihm Vater sein, und er wird mir Sohn sein“) universalisiert. Es fällt auf, dass im Unterschied zur Nathansweissagung nicht vom „Vater“ die Rede ist, sondern von „Gott“. Das Bild von der Vater-Sohn-Beziehung ist – wie im Johannesevangelium – für Jesus reserviert.

2. Auswertung der Textvergleiche Der literarische und bibeltheologische Vergleich zwischen der Offenbarung des Johannes und dem Johannesevangelium kann zusammengefasst werden unter den Gesichtspunkten des Gottesverständnisses, des Bildes von Jesus und des Verhältnisses von Gegenwart und Zukunft des Heils. 2.1 Das Gottesverständnis Beide Werke heben hervor: Der in Jesus sich offenbarende und mitteilende Gott ist kein anderer als der Gott Israels. In der Offenbarung des Johannes geschehen die zahlreichen Wiederaufnahmen von Stellen aus dem Alten Testament (allerdings nie wörtlich zitiert) einerseits im Sinne der Anknüpfung, anderseits unter dem Thema der Weiterführung und Transformation (z. B.: neues Jerusalem ohne Tempel; universales Verständnis vom Gottesvolk). Johannes möchte damit den Glauben an den Gott stärken, der in seinem rettenden Handeln sich treu bleibt. Er hatte einst sein Volk im Exil nicht im Stich gelassen. Er hat in besonderer Weise in Jesus und durch die Auferweckung Jesu sein rettendes und heilendes Wirken bekundet. Auf ihn dürfen auch die bedrängten Christen Kleinasiens und die Christen aller Generationen ihr Vertrauen setzen. 42

Der Überwindende ist im Sinne der Sendschreiben (Offb 2–3) ein Mensch, der auch in Leid und Bedrängnis an Christus festhält und ihm nachfolgt. Er erlangt alle Verheißungen Gottes, die in der Zusage der neuen Schöpfung gipfeln, und zwar als sein Erbteil. Die Verheißungen betreffen letztlich nicht bestimmte Gaben, sondern die Beziehung zu deren Geber selbst.

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In vergleichbarer Weise greift auch das Johannesevangelium das Alte Testament auf, um einerseits Kontinuität im Heilswirken Gottes zu zeigen und anderseits eine Überbietung dessen, was früher geschah, durch Jesus. In der Offenbarung des Johannes ist die Bezeichnung „Vater“ für die Gottesbeziehung Jesu reserviert. In vergleichbarer Weise ist im Johannesevangelium (mit Ausnahme von Joh 20,17) stets von Gott als dem „Vater“ Jesu die Rede. Auf unterschiedliche Weise heben beide Werke die Unsichtbarkeit und Transzendenz Gottes hervor. In der Offenbarung des Johannes wird das Aussehen des auf dem Thron Sitzenden nicht beschrieben. Das Johannesevangelium betont bereits im Prolog, dass kein Mensch Gott je gesehen hat. In beiden Werken ist der transzendente Gott zugleich der durch Jesus sich offenbarende und mitteilende Gott und darüber hinaus der kommende Gott. Sein Kommen steht in Verbindung mit dem Kommen Jesu. 2.2 Das Bild von Jesus In beiden Werken kommt dem Bild vom Lamm (Sinnbild für Macht- und Gewaltlosigkeit) besondere Bedeutung zu. In programmatischer Weise wird im Johannesevangelium Jesus bei seinem ersten öffentlichen Auftreten von Johannes dem Täufer mit diesem Bild bezeichnet. In der Offenbarung des Johannes ist das Lamm christologisches Leitbild, angefangen von der Thronvision bis zur Vision vom neuen Jerusalem. Beide Werke heben die singuläre Gottesbeziehung Jesu hervor und seine Partizipation an der Macht und Herrschaft Gottes. Im Bild der Throngemeinschaft kommt in der Offenbarung des Johannes zum Ausdruck, dass Jesus an Gottes Hoheit partizipiert und eine Handlungs- und Gesinnungseinheit mit ihm bildet. Im Johannesevangelium kommt Jesu singuläre Nähe zu Gott zum Ausdruck, z. B. in der Aussage: „Ich und der Vater sind eins“ (Joh 10,30). Jesu Sendung wird im Johannesevangelium vor allem darin gesehen, dass er Kunde bringt von Gott und den Namen Gottes offenbart. Als der Auferstandene setzt er diese Offenbarung fort. Diese Tätigkeit Jesu kann in Beziehung gebracht werden zum Bild vom Lamm in der Offenbarung des Johannes, das würdig ist, das Buch mit den sieben Siegeln zu öffnen. Sowohl in der Offenbarung des Johannes als auch im Johannesevangelium spielt die Zeugnisthematik eine wichtige Rolle. Jesus gibt Zeugnis für Gott, und zwar in einer Weise, dass er Gott repräsentiert und die Gegenwart und Selbstoffenbarung Gottes in ihm erfahrbar wird. In der Offenbarung des Johannes wird Jesus gleich zu Beginn als der treue Zeuge bezeichnet. Im Johannesevangelium gipfelt Jesu Zeugnistätigkeit im Bekenntnis vor Pilatus, dass er Zeugnis gibt für die Wahrheit. In beiden Werken kann Jesu Lebenshingabe als Märtyrertod gedeutet werden.

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Mit unterschiedlicher Akzentsetzung ist in beiden Werken auch vom Kommen Jesu die Rede. In der Offenbarung des Johannes dominiert der urchristliche Gedanke der Naherwartung. Ansatzweise ist diese auch im Johannesevangelium enthalten. Der Schwerpunkt im Evangelium liegt jedoch auf der Ankündigung des nachösterlichen Kommens Jesu zu den Seinen. 2.3 Gegenwart und Zukunft des Heils In beiden Werken steht die Lebensthematik im Vordergrund. In der Offenbarung des Johannes vermitteln der „lebende“ Gott und Jesus, der „Lebende“, den Glaubenden unvergängliches Leben. In vergleichbarer Weise betont das Johannesevangelium, dass Jesu Heilsgabe das ewige Leben ist, das er in seiner Person verkörpert. In beiden Werken wird Leben gesehen in der Wirklichkeit einer bleibenden Beziehung zu Jesus und zu dem Gott, den er „Vater“ nennt. Die Offenbarung des Johannes legt den Akzent auf die Zukunft. Dennoch wird auch die anfängliche Gegenwart des künftigen Heils betont (z. B.: Der Dürstende kann bereits jetzt Wasser des Lebens empfangen). Das endgültige Heil kann als volle Entfaltung dessen verstanden werden, was bereits jetzt anfänglich Wirklichkeit ist. Das Johannesevangelium hingegen legt den Akzent auf die Gegenwart des Heils. Der Glaubende „hat“ das Leben bereits jetzt, wenngleich die Vollendung noch aussteht.

„Nah ist und schwer zu fassen der Gott“ (F. Hölderlin) Das Gottesbild der Johannesoffenbarung in ausgesuchten Beispielen literarischer Rezeption Rita Müller-Fieberg „Nah ist und schwer zu fassen der Gott. Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ (Z. 1–4)1

Mit diesen vielzitierten Versen beginnt eine der berühmten Hymnen des Spätwerks von Friedrich Hölderlin, deren Titel „Patmos“ (1803) wiederum unmittelbar auf die Insel verweist, die der Seher Johannes als Ursprungsort seiner ἀποκάλυψις angibt. Wenn in den verschiedensten Kontexten auf diese Anfangszeilen rekurriert wird,2 geschieht dies oft ungeachtet der Tatsache, dass sie nur den Auftakt bilden für einen grandiosen, fünfzehn Strophen umfassenden geschichtsphilosophischen Entwurf. Die gegenüber einer modernaufklärerischen Bibelkritik waltende Skepsis seines pietistisch verwurzelten Auftraggebers, des Landgrafen von Homburg, verwandelt Hölderlin darin in die idealistische Schau der Geschichte als einem fortschreitenden Vergeisti-

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F. HÖLDERLIN, Patmos, in: DERS., Sämtliche Werke Bd. 2,1: Gedichte nach 1800. Text, F. Beissner (Hrsg.), Stuttgart 1951, 165−172. Die Zeilenangaben folgen dieser Ausgabe. 2 So rahmte z. B. noch unlängst Jürgen Moltmann einen Artikel über das geforderte Dennoch einer lebensbejahenden Menschenfreundlichkeit angesichts der tödlichen Bedrohungen für die Menschheit von heute mit exakt diesen beiden Versen ein. Vgl. J. MOLTMANN, „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ Über eine Kultur des Lebens in den tödlichen Gefahren dieser Zeit, in: International Journal of Orthodox Theology 4:1 (2013) 11−26, 12; 26. Eine literarische Reminiszenz an Hölderlins Hymne, wenngleich in inhaltlicher Abgrenzung und formaler Umgestaltung zur Gebetsanrede, findet sich zu Beginn von Paul Celans Gedicht „Tenebrae“: „Nah sind wir, Herr, / nahe und greifbar“. P. CELAN, Gesammelte Werke in fünf Bänden. Erster Band: Gedichte I, B. Allemann/S. Reichert (Hrsg.), Frankfurt a. M. 21992, 163. Vgl. den diesbezüglichen Hinweis in: C. HELL, Der christliche Gott, in: H. Schmidinger (Hrsg.), Die Bibel in der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts. Bd. 2: Personen und Figuren, Mainz 1999, 303−325, 319.

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gungsprozess. Der Seher Johannes (hier wie in der kirchlichen Tradition gleichgesetzt mit dem Lieblingsjünger und Evangelisten) wird zu einer paradigmatischen Figur, die den Übergang von einer an die positive, unmittelbare sinnliche Erfahrung gebundenen Augenzeugenschaft zu einer „geistigen Schau“ selbst vollzieht. In vielfacher Durchwirkung des poetischen Textes mit biblischen Anspielungen weit über den Rahmen der Johannesoffenbarung hinaus3 entwirft Hölderlin ein synkretistisch-universalistisches Bild von der Geschichte als einem Klärungsprozess. Auf diesen gewaltigen Gesamtentwurf sei hier zumindest hingewiesen – in dem Wissen, dass ihm die spezifische Perspektive dieses Artikels in keinster Weise gerecht werden kann. Mit Blick auf eine Rezeption der Johannesoffenbarung fallen u. a. die der Hymne innewohnenden eschatologisch-apokalyptischen Denkmuster ins Auge, die sich z. B. bei Verweisen auf das Ende (Z. 178) und beim Rekurs auf die Erntemetaphorik (Z. 152−158) zeigen. Die Schlussformulierung4 ist in ihrer Funktion der Kanonformel des neutestamentlichen Buches (Offb 22,18f.) nicht unähnlich. Hinsichtlich der Präsentation des Göttlichen stößt man auf das Leitmotiv des „Sehens“ und des „Angesichts“. Ebenso wenig trennscharf wie der Gebrauch mancher Attribute in der Johannesapokalypse wird es auf Gottvater und Christus, den Sohn, gleichermaßen angewendet. 5 Bibelkundige Leser mögen sich an die für die Vollendung in Aussicht gestellte Schau des göttlichen Angesichts (Offb 22,4) erinnert fühlen. Vor allem aber stellt jener eingangs zitierte Hymnenbeginn – „Nah ist / Und schwer zu fassen der Gott …“ – eine Inspiration dar für die Frage nach dem Gottesbild der Johannesoffenbarung im Dialog mit einigen Beispielen literarischer Rezeption. Denn die Dialektik von rettender Nähe Gottes in gefährlicher Situation und seiner gleichzeitigen Unfassbarkeit und Unverfügbarkeit trifft man auch in der Johannesoffenbarung an.6 Das Wechselspiel von Unsichtbarkeit und Ferne 3

In besonderer Weise greift der Dichter dabei immer wieder auf das Johannesevangelium zurück. Vgl. J. SCHMIDT, Hölderlins geschichtsphilosophische Hymnen: „Friedensfeier“ – „Der Einzige“ – „Patmos“, Darmstadt 1990, 195. 4 „… der Vater aber liebt, / Der über allen waltet, / Am meisten, daß gepfleget werde / Der veste Buchstab, und bestehendes gut / Gedeutet. Dem folgt deutscher Gesang.“ (Z. 222–226). 5 So ist zunächst sehr konkret vom Angesicht Christi die Rede (z. B. in Z. 75−97), bis ab Z. 147 eine Übertragung auf die höchste Gottheit erfolgt. 6 Vgl. auch R. ANDRÉ, „Und weit, wohin ich nimmer / Zu kommen gedacht“. Hölderlin liest Johannes von Patmos, in: M. Moog-Grünewald/V. Olejniczak Lobsien (Hrsg.), Apokalypse. Der Anfang vom Ende (Neues Forum für allgemeine und vergleichende Literaturwissenschaft 16), Heidelberg 2003, 129−156, 130: „… die ersten Sentenzen von Hölderlins großem Gedicht nennen auch wesentliche Momente, welche die Vorstellungen in der jüdisch-christlichen Tradition von der kommenden Apokalypse bestimmen. Das ist zum einen die Gefahr, die mit der Entbergung des verborgenen Gottes verbunden ist, weil sich nur im Untergang des Alten das Neue zeigen könne. Zum anderen ist das die Ahnung, daß dieses Ereignis unmittelbar bevorstehe.“

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einerseits und Sichtbarkeit und Offenbarwerden Gottes andererseits wird (in sehr unterschiedlichen Verhältnisbestimmungen und Dosierungen) auch die literarischen Texte begleiten. So eröffnen auch hier die ersten Verse der Patmos-Hymne den Fragehorizont für alles Weitere.

Bibel und Literatur im Dialog: eine Selbstverortung Der Betrachtung dreier literarischer Rezeptionsbeispiele und der sich anschließenden Auswertung hinsichtlich des hermeneutischen Ertrags im Hinblick auf die Vorstellungen von Gott in der Johannesoffenbarung sei zunächst eine knappe Verortung im Kontext des inzwischen gut etablierten, breit gefächerten Forschungsfeldes „Theologie und Literatur“ vorangestellt. 7 Innerhalb des nach wie vor sehr produktiven Teilgebietes „Bibel und Literatur“8 erfolgen die hiesigen Ausführungen aus theologischer Perspektive. Dies ist insofern nicht ungewöhnlich, als die Diskussion während der letzten Jahrzehnte stark von Seiten der Theologie bestritten wurde.9 Mehrfach ist der geringe Anteil literaturwissenschaftlicher Stimmen im postulierten „Dialog“ und die damit verbundene schmerzliche Einseitigkeit beklagt worden.10 Jenseits aller wohlgehegten Annäherungsschwierigkeiten gibt es freilich gerade in den letzten Jahren mehrere Aufbrüche auch von literaturwissenschaftlicher Seite im Blick auf „Bibel und Literatur“ zu verzeichnen, sei es im Rahmen einer

7 Vgl. das diesbezügliche Grundlagenwerk von G. LANGENHORST, Theologie und Literatur. Ein Handbuch, Darmstadt 2005. Den aktuellen Forschungsstand referiert G. LANGENHORST, Theologie und Literatur: Aktuelle Tendenzen, in: ThRv 109 (2013) 355−372. Einen breit angelegten Einblick in Forschungsfelder und -einrichtungen, in Veröffentlichungen und Internetforen bietet die Homepage www.theologie-und-literatur.de. 8 Vgl. v. a. H. SCHMIDINGER (Hrsg.), Die Bibel in der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts, Bd. 1: Formen und Motive / Bd. 2: Personen und Figuren, Mainz 1999. 9 Zur Geschichte der Disziplin vgl. den Artikel von G. LANGENHORST, Literatur und Theologie, in: P. Eicher (Hrsg.), Neues Handbuch theologischer Grundbegriffe 2, München 2005, 506−523. 10 Vgl. z. B. W. BRAUNGART, Literaturwissenschaft und Theologie. Versuch zu einem schwierigen Verhältnis, ausgehend von Kafkas Erzählung ‚Ein Hungerkünstler‘, in: E. Garhammer/G. Langenhorst (Hrsg.), Schreiben ist Totenerweckung. Theologie und Literatur, Würzburg 205, 43−69. Braungart, selbst Literaturwissenschaftler, spricht diesbezüglich sogar von einer „theologischen Verweigerung“ der Literaturwissenschaft, die diese davon abhalte, ihren eigenen Gegenstand wirklich zu verstehen (ebd. 48). Kritisch äußert sich auch O. FUCHS, Im Raum der Poesie. Theologie auf den Wegen der Literatur (Theologie und Poesie 23), Ostfildern 2011, 37. Gar von einem „Abschied vom DialogParadigma“ mit durchaus auch befreiend-entlastender Wirkung spricht G. LANGENHORST, Theologie und Literatur. Ein Handbuch, Darmstadt 2005, 214.

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rein literaturwissenschaftlichen Betrachtungsweise,11 sei es in bewusst angelegter Interdisziplinarität.12 Wie dem auch sei: Mit der hiesigen Verortung im theologischen Forschungsfeld geht eine Positionierung einher, die einen bestimmten Begründungszusammenhang ebenso wie eine spezifische Interessenlage von vorneherein offenlegt. Ohne dass damit der Eigenwert literarischer Texte in Abrede gestellt würde,13 werden hier literarische Rezeptionen der neutestamentlichen Apokalypse gelesen im Hinblick auf die hermeneutischen Herausforderungen, die daraus wiederum für eine heutige Lektüre des Bibeltextes selbst erwachsen. Ob und inwiefern ein solches Vorhaben im Blickfeld der Arbeit von Exeget/innen sein sollte, kann man je nach Grenzziehung der Aufgabenbereiche, aber auch je nach Grundverständnis von Bibelwissenschaft und Exegese verschieden beurteilen. Man kann – durchaus ja auch mit gutem Grund – die „historische Perspektive als hermeneutisches Grundaxiom“14 der Exegese betonen und dann eine nach den gegenwärtigen Bedeutungspotentialen fragende Lektüre in den Zuständigkeitsbereich anderer theologischer Disziplinen verweisen, namentlich der Systematik und Praktischen Theologie. Rezeptionsorientierte Lektüren über den Horizont der Erstrezipienten hinaus mögen aus dieser Perspektive eher als potentielle Gefahr eisegetischer Überfrachtung und Verlust der Konzentration auf die ursprüngliche Intention eines biblischen Buches wahrgenommen werden.15 Vieles spricht jedoch dafür, dass 11

So in bewusster Beschränkung V. Kapp/D. Scholl (Hrsg.), Bibeldichtung (Schriften zur Literaturwissenschaft 26), Berlin 2006. Mit „ausschließlich literaturwissenschaftlicher Perspektive“ arbeitet auch der Band von O. Berwald/G. Thuswaldner (Hrsg.), Der untote Gott. Religion und Ästhetik in der deutschen und österreichischen Literatur des 20. Jahrhunderts, Köln 2007, 3. 12 So z. B. A. Polaschegg/D. Weidner (Hrsg.), Das Buch in den Büchern. Wechselwirkungen von Bibel und Literatur (Trajekte), München 2012. Die Herausgeber verweisen in der Einführung (ebd. 16) auf das oftmalige eigentlich befremdliche Nebeneinander von Bibel- und Literaturwissenschaft: „Und was die Bibelwissenschaft angeht, so darf es doch als einigermaßen bemerkenswert gelten, dass hier eine elaborierte Textwissenschaft neben der Literaturwissenschaft existiert, ohne dass sich die beiden Disziplinen merklich füreinander interessieren.“ Beispielhaft sei ferner genannt: M. Kłańska/J. Kita-Huber/P. Zarychta (Hrsg.), Der Heiligen Schrift auf der Spur. Beiträge zur biblischen Intertextualität in der Literatur (Beihefte zum Orbis Linguarum 83), Dresden 2009. Für 2015 geplant ist das Erscheinen eines vom Germanisten D. Weidner herausgegebenen, ebenfalls interdisziplinär ausgerichteten „Handbuchs Literatur und Religion“. 13 Denn diesbezüglich ist Maike Schult ganz und gar zuzustimmen, „dass das Spezifikum von Kunst nicht in ihrer Verwertbarkeit liegt, nicht der politischen, nicht der didaktischen, nicht der theologischen“. M. SCHULT, Im Grenzgebiet: Theologische Erkundung der Literatur, in: Dies./P. David (Hrsg.), Wortwelten. Theologische Erkundung der Literatur (Kieler Theologische Reihe 11), Berlin 2011, 1−30, 30. 14 T. WITULSKI, Die Johannesapokalypse – einige neuere Veröffentlichungen im Kontext der Forschung, in: ThRv 109 (2013) 443−460, 460. 15 T. WITULSKI, Johannesapokalypse (s. Anm. 14) 455.

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schon innerhalb der exegetischen Arbeit die Wirkungs- bzw. Rezeptionsgeschichte zu einem „Auslegungsinstrument“ werden kann, „das dem Exegeten einen die historische Tiefe eröffnenden Spiegel zur Verfügung stellt“16 und damit das besondere historische Profil eines biblischen Textes sogar zu schärfen vermag. Als „Instrument der Selbstkontrolle“ kann eine Auseinandersetzung mit der Rezeptionsgeschichte in selbstkritisch-reflexiver Optik das Vorhandensein der eigenen „Rezeptionsbrille“ und subjektiv-zeitgebundenen Standortverhaftetheit bewusster machen. Und so kann die Begegnung mit Exempeln der Rezeptionsgeschichte die Nähe, v. a. aber auch die Distanz zu einem biblischen Text als einem Zeugnis der orientalischen Antike umso stärker empfinden lassen und gerade dadurch den Blick für die wesentlichen, manchmal auch im Laufe der Rezeptionsgeschichte verschütteten Aussagen des Textes schulen. In diesem Sinne werden die hiesigen Ausführungen den Schwerpunkt auf die Darstellung literarischer Beispieltexte legen, jedoch mit der Zielperspektive der Rückfrage an die Exegese des Bibeltextes selbst. Aus der breiten Palette möglicher Rezeptionsbeispiele werde ich mich auf drei paradigmatische Texte aus verschiedenen Epochen des 20. und beginnenden 21. Jahrhunderts konzentrieren. Was sie in aller Verschiedenheit in Gattung (Lyrik oder Roman) und Herkunft (zwei deutschsprachige Werke, ein amerikanisches Beispiel) eint, ist der Bezug auf apokalyptische Strukturen und Bildlichkeit. Vorauszuschicken ist an dieser Stelle, dass die Verwendung des Begriffs „apokalyptisch“ in den literaturwissenschaftlichen Kontexten dieses Artikels mehrfach (entgegen der ursprünglichen Semantik von ἀποκάλυψις als „Offenbarung“ und „Enthüllung“) dem fundamentalen Bedeutungswandel in der jüngeren Rezeptionsgeschichte Rechnung trägt. Denn der gegenwärtige Wortgebrauch führt meist weg von der für die biblische Apokalypse unverzichtbaren Einheit von Vernichtung und Neuschöpfung hin zu einer „kupierten“ Apokalypse,17 die nur noch den Aspekt des Untergangs in den Blick nimmt. Die Sehnsucht nach Neuanfang und Veränderung lässt sich bisweilen indirekt oder versteckt durchaus entdecken,18 doch besitzt sie meist eben keine klar konturierten Formen mehr, und ihre Erfüllung ist mehr als ungewiss. Diese veränderte Perspektive auf Welt und Geschichte ist radi16

S. VOLLENWEIDER, Die Entdeckung der Wirkungsgeschichte, in: facultativ (Beilage zur Reformierten Presse, Zürich) 2/10 (2010) 10f., 11. 17 Zum Phänomen der „kupierten“ Apokalypse vgl. K. VONDUNG, Die Apokalypse in Deutschland, München 1988, 12. 18 Darauf verweist auch z. B. H.-P. Preußer: „Wenn die Offenbarung um ihren heilsgeschichtlichen Kern […] beschnitten wurde, so bleibt doch ein Versprechen ex negativo in ihr angelegt. Wenn etwas zu Ende geht, und sei es die Welt als Ganze, so die nur noch vage Hoffnung, muss etwas Neues ihr folgen, das schlechthin Andere möglicherweise.“ H.-P. PREUßER, Endzeitszenarien in der Literatur. Apokalyptik als Zivilisationskritik, in: B. U. Schipper/G. Plasger (Hrsg.), Apokalyptik und kein Ende? (Biblisch-theologische Schwerpunkte 29), Göttingen 2007, 229−252, 229.

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kal ernst zu nehmen – auch in ihrer Herausforderung für die christlichexegetische Rede von „Apokalyptik“. Einzukalkulieren ist ferner, dass es sich bei den Berührungspunkten von biblischer und literarischer Tradition nicht immer um eine Direktrezeption des biblischen Buches handeln muss.19 Gerade die Apokalypse hat sich so stark „in die Gedächtnisgeschichte der Menschheit“20 eingeschrieben, dass ihre Motive und Bilder oft auch vom ursprünglichen Kontext losgelöst weitertradiert wurden. Auch wenn damit eine gewisse Unschärfe einhergeht, wird daher um des breiteren Blickfeldes willen auf das Anlegen engmaschiger Kriterien der Intertextualität zwischen biblischem und literarischem Text verzichtet. Der Gottesbezug, dessen Betrachtung hier im Mittelpunkt steht, wird in den ausgewählten Beispielen von sehr unterschiedlicher Natur sein. Alle drei Literaten werden sich „das Wort Gott gönnen“.21 Die Zeiten mögen sich – auf Seiten der Schriftsteller wie auch ihrer Interpreten – dem Ende zuneigen, in denen das Verdikt Gottfried Benns von Gott als einem schlechten Stilprinzip22 generell nahezulegen schien, ästhetische Spitzenleistung sei nur unter Ausklammerung religiöser Überzeugungen zu haben.23 Und doch reicht es 19

Auf das vielfältige Reservoir der Prätexte (christliche Tradition und Liturgie, literarische Vorbilder usw.) verweist auch C. HELL, Gott (s. Anm. 2) 320, 322. A. Koch wählt in ihrem religionswissenschaftlichen Ansatz sogar einen Weg ganz jenseits der Suche nach biblischen Motiven in moderner Literatur, indem sie stattdessen die Johannesapokalypse ebenso wie heutige Kriminalromane lediglich als mit ähnlichen kulturellen Mustern arbeitende Medien der Sozialethik und -kritik beschreibt. Vgl. A. KOCH, Literatur und Religion als Medien einer Sozialethik und -kritik. Ein religionswissenschaftlicher Vergleich der christlichen „Apokalypse“ mit Henning Mankells Krimi „Brandmauer“, in: ZRGG 59 (2007) 155−174, 173. 20 M. KARRER, Ein optisches Instrument in der Hand der Leser. Wirkungsgeschichte und Auslegung der Johannesoffenbarung, in: Studien zur Johannesoffenbarung und ihrer Auslegung (FS O. Böcher), Neukirchen-Vluyn 2005, 402−432, 414. 21 So formuliert in Anklang an das Buch von G. LANGENHORST, „Ich gönne mir das Wort Gott“. Gott und Religion in der Literatur des 21. Jahrhunderts, Freiburg i. Br. 2009. Die dort allerdings erst auf die Literatur der letzten Jahre bezogene These einer „neuen Unbefangenheit“ zumindest einiger Literaten in der Rede über Gott blieb nicht unwidersprochen. Skeptisch ist z. B. Erich Garhammer, der „höchst unterschiedliche Sprechversuche“ wahrnimmt. E. GARHAMMER, „Ohne Gott geht die Wut ins Leere“. Rede von Gott in zeitgenössischer Literatur, in: B. Fresacher (Hrsg.), Neue Sprachen für Gott. Aufbrüche in Medien, Literatur und Wissenschaft, Ostfildern 2010, 25−51, 26. Vgl. auch die Besprechung aktueller literarischer Beispiele in: A. Grözinger/A. Mauz/A. Portmann (Hrsg.), Religion und Gegenwartsliteratur. Spielarten einer Liaison (Interpretation interdisziplinär 6), Würzburg 2009. 22 Vgl. G. BENN, Gesammelte Werke in acht Bänden 8: Autobiographische Schriften, D. Wellershoff (Hrsg.), Wiesbaden 1968, 2026. 23 Ein Indiz für ein neues Interesse an der Gottesfrage in der Literatur seitens der Philosophie und Theologie ist ferner der Band von R. Langthaler/W. Treitler (Hrsg.), Die Got-

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keinesfalls, „quasi mit einem ‚Gottesdetektor‘ das ‚Vorkommen‘ der Vokabel Gott […] aufzuspüren“24. In welchen Funktionen und Zusammenhängen Gott genannt wird und ob dieser teilweise in ein „profanapokalyptisches“ Szenario gesetzte Gott tatsächlich (in Anknüpfung und Widerspruch) Affinitäten zum Gott der Johannesapokalypse aufweist, muss sich erst noch von Fall zu Fall erweisen.

„Aus ungeheurer Ferne kommst du wieder…“ (Reinhold Schneider: „Apokalypse“, 1946) Mit dem Schriftsteller Reinhold Schneider (1903−1958) treffen wir zunächst auf einen Klassiker sowohl des Forschungsfeldes „Theologie und Literatur“ als auch der literarischen Rezeptionsgeschichte der Johannesoffenbarung. 25 Sein 1943 entstandener und 1946 erschienener Sonettzyklus „Apokalypse“26 lässt nicht nur im Titel von vorneherein keinen Zweifel am originär biblischen Bezug. Jedem der insgesamt sieben Sonette27 ist der Verweis auf eine Textstelle der Johannesoffenbarung vorangestellt, und allenthalben trifft man auf traditionelle Topoi biblischer Endzeitrede. Das lyrische Ich, sich äußernd im kollektiven „Wir“ und zumindest in vier von sieben Sonetten (I, III, V, VII) per Du-Ansprache direkt an die göttliche Instanz gewandt, situiert sich mitten in äußerster Bedrängnis und ist gleichzeitig aufgehoben in der Gewissheit des bevorstehenden Kommens Gottes in Christus. Wie eine rahmende Klammer um alle schmerzlichen Schilderungen zeugen von dieser Gewissheit der Wiederkunft die erste Zeile (I 1,1: „Aus ungeheurer Ferne kommst Du wieder“) und die letzten Zeilen des Zyklus (VII 1,1: „Du kommst, mein Gott“; VII 4,3: „Komm! O komme bald.“).28 tesfrage in der europäischen Philosophie und Literatur des 20. Jahrhunderts, Wien 2007. Bemerkenswert auf theologischer Seite ist auch die Einbindung literarischer Texte in A. STOCK, Poetische Dogmatik. Gotteslehre. Bd. 1: Orte. Bd. 2: Namen. Bd. 3: Bilder, Paderborn 2004/2005/2007. 24 C. HELL, Gott (s. Anm. 2) 305. 25 Zur Biographie vgl. C. KOEPCKE, Reinhold Schneider. Eine Biographie, Würzburg 1993. 26 Alle Zitate des Sonettzyklus folgen der Ausgabe: R. SCHNEIDER, Apokalypse. Sonette, Baden-Baden 1946. 27 Das diesem Siebenerzyklus vorangestellte Sonett „Der Engel“ hat deutlich appellativen Charakter (3,1: „Wann sind die Herzen rein?“; 4,2: „Ob sich ein Volk verwandle im Gebet“). 28 In Aufnahme der Zusage des Kommenden in Offb 22,7.12.20 und des ebenfalls pointiert an letzte Stelle vor der brieflichen Schlussformel gesetzten Gemeinderufs in Offb 22,20 (Ναί, ἔρχοµαι ταχύ. Ἀµήν, ἔρχου, κύριε Ἰησοῦ); vgl. den gräzisierten aramäischen Gebetsruf µαράνα θά in 1 Kor 16,22; Did 10,6.

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Analog zur biblischen Johannesoffenbarung begegnet Gott auch in Schneiders Sonetten „als in Jesus Gekommener und Kommender“29. An manchen Stellen scheint die Zuordnung leicht zu fallen, wenn z. B. das geschlachtete Lamm (II 3,1; VI 3,330) oder der Gekreuzigte (I 1,2) evoziert wird. Umgekehrt ist in Sonett V eher an Gott als den Weltenherrscher zu denken (V 2,1: „Du hast der Zeiten großen Plan erdacht“). Immer wieder aber und in vielleicht noch stärkerem Maße als im biblischen Vorbild verschwimmen die Trennlinien zwischen „Theologie“ und „Christologie“. Dies gilt bereits für die Anfangszeilen des ersten Sonetts (I 1,1f.), die gleichermaßen Distanz und Nähe Gottes bzw. Christi31 zum Ausdruck bringen: „Aus ungeheurer Ferne kommst Du wieder, / Der Dich umfing, der Dich am Kreuze sah / Fühlt deine Gottheit schreckensmächtig nah / Und bricht vor Deinem Angesichte nieder.“

Dies sei vorweggeschickt, wenn nun schwerpunktmäßig auf drei Sonette (I, V, VII) bezüglich weiterer Motivanleihen und -adaptationen im Hinblick auf die Gottesfrage eingegangen wird. Alles Reden von Gott in den Apokalypse-Sonetten findet sich eingebunden in den dualistischen Kontext des Kampfes32 zwischen Gott und den Herrschern der Jetztzeit. Das verheerende Wirken derer, „die noch thronen“ (VII 4,2) wird mit den apokalyptischen Chiffren von Tier und Drache (vgl. v. a. Offb 12f.) umschrieben. Gegenüber „der Menschen Macht“ (V 1,4) sind die das kollektive „Wir“ Präsentierenden in der „Gewalt der Zeit“ (V 1,3) ohnmächtig, „umzingelt“ (VII 3,1) in tiefster Nacht.33 Das aus dieser Perspektive heraus entworfene Gottesbild erscheint ambivalent: „Wir wollen dich nicht fragen in der Nacht“ (V 1,1) – mit diesen Worten legt der Beginn des fünften Sonetts ja gerade doch die brennende Anfrage an einen Gott nahe, der „in schrecklicher Gelassenheit“ (I 4,1) dem zerstörerischen Wirken der Feinde 29

K. WENGST, „Wie lange noch?“. Schreien nach Recht und Gerechtigkeit – eine Deutung der Apokalypse des Johannes, Stuttgart 2010, 105. 30 Anders als in Offb 21,22 wird das Lamm hier sogar in christologischer Zuspitzung als alleiniger Tempel beschrieben: „Hier ruhn die Werke, hier verschäumt die Zeit, / Und keine Träne netzt die schmalen Wangen; / Das Lamm ist Herrscher, Tempel und Gefährte.“ (VI 3,1−3). Die Kombination der Attribute „Herrscher“ und „Gefährte“ greift die auch in der Schlussvision der Johannesoffenbarung wirksame Verschränkung der Dimensionen von Herrschaft (vgl. das Thronmotiv, aber auch den Einbezug aller in die göttliche Herrschaft in Offb 22,5) und Mit-Sein Gottes (Offb 21,3) im Sinne einer machtvollen, alles erfüllenden göttlichen Präsenz auf. Vgl. zum Motiv der (abgewischten) Tränen auch Offb 21,4. 31 Vgl. die dem Sonett (neben 12,3f.) vorangestellte, auf die Vision des erhöhten Christus Bezug nehmende Passage Offb 1,11−18. 32 Vgl. Verse wie I 2,4 („Und furchtbar wankt ein Streiten hin und her“) oder I 3,3 („Streiterscharen“). 33 „Nacht“ ist ein Schlüsselbegriff des fünften Sonetts (vgl. die Nennung in den rahmenden Strophen 1 und 4).

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zumindest temporär Raum gibt.34 Von „ungeheurer Ferne“ (I 1,1) ist eingangs des Zyklus die Rede, und selbst die Nähe der Gottheit wird als „schreckensmächtig nah“ (I 1,3) bezeichnet in einer Welt, deren göttliche „Herrlichkeit“ (vgl. den biblischen Begriff der δόξα)35 zugleich „graunvoll“ ist (I 3,1). Und doch lautet die Aufforderung: „Wir fragen nicht. Uns fordert dein Gebot.“ (V 4,1) Erwartet wird ein Glaube, der des Sehens nicht bedarf,36 und eine Haltung der Ehrfurcht bzw. „Mehr-Furcht“37. Gott nämlich, der das eine Kreuz Christi zum Zeichen für „die Kreuze alle“ (VII 1,2; vgl. I 1,238) gemacht hat, „heiligt“ so selbst noch die Not und „weiht“ den Schmerz (V 2,2). Denn er setzt seine mehrfach beschworene Macht39 gegen die Bedränger ein. Mit Leidenschaft und Dynamik40 geht er gegen sie vor und wird „der Mächtigen Türme einreißen“ (VII 2,3). Für die bedrängenden Widersacher wird das Sehen des göttlichen Angesichts – ein Motiv, das sich rahmend um den Sonettzyklus legt (I 1,4; VII 4,2) – zum Verderben: „Schon schmettern Reiche hin wie morsche Hallen, / Und die noch thronen, sehn Dein Angesicht.“ (VII 4,1f.)41 Für die Bedrängten jedoch bedeutet Gottes Nähe Hoffnung. Niederreißen wird er für sie nämlich auch „jede Mauer, die von Dir noch trennt“ (VII 2,4). Selbst im „Fallen“, selbst im „schrecklichsten Gericht“ dürfen sie vertrauen auf die sie auffangende Liebe Gottes: „Wir sind umzingelt, und wir werden fallen In deine Macht. Im schrecklichsten Gericht Schenk’ uns der Liebe innigste Gewalt!“ (VII 3,1–3)

In der Gewissheit der lebensspendenden Macht Gottes kann der Dichter also formulieren: „Wir tragen in die tiefste Nacht hinein / Dein mächtig Wort, das Tote auferweckt.“ (V 4,3)

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I 4,1−3: „Du siehst in schrecklicher Gelassenheit / Den Drachen niederpeitschen reine Sterne / Eh Du ihn kettest und sein Blut entwallt.“ 35 Vgl. auch das „Gloria“ über den Streiterscharen in I 3,3. 36 V 2,3f.: „Was wär’ der Glaube, sähen wir im Streit / Schon Deiner Sterne unverhüllte Pracht.“ Zum biblischen Motiv vgl. u. a. Joh 20,29; 2 Kor 5,7; Hebr 11,1.27. 37 Vgl. V 1,2−4: „Gewähre nur, daß wir die Ewigkeit / Mehr fürchten, Herr, als die Gewalt der Zeit, / Und Dich mehr fürchten als der Menschen Macht.“ Hervorhebungen von mir. 38 Hinsichtlich des Sehens des Gekreuzigten vgl. auch Offb 1,7. 39 Vgl. z. B. die antithetische Formulierung „Dein ist die Macht. Des Tieres Macht ist tot“ in V 3,1. 40 Vgl. VII 2,1f.: „Durch Wolken bricht Dein glühend Element / Mit Schwertesträgern, die wie Adler kreisen.“ 41 Ähnlich negativ wird das Motiv der Gottesschau auch in Offb 6,16 und 20,11 verwendet. Dagegen stellt die Schau des Angesichts seitens der mitherrschenden Knechte Gottes in Offb 22,4 den Inbegriff inniger Nähe dar.

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Die Grundzüge eines solchen Gottesbildes sind uns aus der Johannesoffenbarung vertraut. So teilen Schneiders Sonette in ihrem der neutestamentlichen Überlieferung gegenüber weitgehend affirmativen Charakter insgesamt auch deren Stärken und Schwächen. Manche Akzentsetzungen lassen die Anfragen an das Gottesbild der Johannesoffenbarung noch stärker hervortreten. So spiegelt Schneiders fließender Duktus in der Erwähnung Gottes oder Christi die auch der Johannesapokalypse eigene Problematik einer Verhältnisbestimmung von Gott und Christus wider. Zwar steht der Dichter des 20. Jahrhunderts schon auf einem elaborierteren dogmatischen und wirkungsgeschichtlichen Fundament. Dennoch scheint er sich mit dem Autor der Johannesoffenbarung darin zu treffen, dass Gott und Christus v. a. dort untrennbar nahe aneinanderrücken, wo es um Hoffnung auf Rettung, d. h. um ihre soteriologische Funktion geht.42 Eine Anfrage an das Gottesbild stellt auch die frag-lose Haltung, das „Wir fragen nicht“ (V 4,1) des fünften Sonetts dar. Ist der Gott der Apokalypse ein Gott, der dem Leiden seiner Getreuen gelassen zusieht und es gar im Nachhinein durch religiöse Überhöhung legitimiert? Ein Blick in das biblische Buch zeigt: Auch hier wird zum Durchhalten aufgerufen (Offb 1,9; 2,2f.; 2,19; 3,10; 13,10; 14,12); auch hier gilt es Leid auszuhalten, bis das Maß voll ist. Und doch erhält das „Wie lange noch?“ im Protestschrei der Dahingeschlachteten (Offb 6,10) seinen berechtigten Platz. Eine Herausforderung auch für die Annäherung an den Gott der Apokalypse stellt schließlich die bei Schneider komprimierte Nebeneinanderstellung von „Gericht“, „Gewalt“ und „Liebe“ dar (VII 3,2f.: „Im schrecklichsten Gericht / Schenk’ uns der Liebe innigste Gewalt!“). Zwar kann man in Betracht ziehen, dass das Gericht den „anderen“ gilt, den mit „Wir“ Gemeinten dagegen die liebevolle Bewahrung. Es ist hier auch von einer „Gewalt“ die Rede, die aus der Liebe erwächst. Dennoch bleibt der Gesamteindruck ambivalent. Neben der menschlich ausgeübten und ertragenen Gewalt bleibt als Problemanzeige bestehen, dass auch das gewaltsame Agieren des richtenden Gottes zumindest den Feinden gegenüber angedacht, ja erwünscht zu sein scheint. Aus der Perspektive der Ohnmächtigen kann dies gelesen werden als Delegierung aller gewaltsamen Gegenwehr an Gott. Gefährliche Folgen kann eine solche Darstellung aber dort zeitigen, wo sich Menschen selbst zu Adjutanten einer solchen göttlichen Wirkweise ernennen und menschliche Gewalt eine religiöse Motivation erhält.43 42

Zu einer differenzierteren Sicht des Verhältnisses von Gott und Christus in der Johannesoffenbarung vgl. insbesondere die Artikel von Martin Stowasser und Konrad Huber in diesem Band. 43 Vgl. zur Gewaltproblematik in der Johannesoffenbarung aus neutestamentlicher Perspektive M. MAYORDORMO, Gewalt in der Johannesoffenbarung als theologisches Problem, in: T. Schmeller/M. Ebner/R. Hoppe (Hrsg.), Die Offenbarung des Johannes. Kom-

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Die Lektüre von Schneiders Sonettzyklus stößt uns so in zugespitzter Form auf Problemstellungen, die bereits die Lektüre des neutestamentlichen Textes aufwirft. Das mag v. a. auch darin begründet sein, dass der Autor der Apokalypse-Sonette seine Rolle dem des Propheten und Sehers Johannes von Patmos durchaus ähnlich sieht. Inmitten von Naziterror und Weltkrieg bieten seine unter Soldaten viel gelesenen Sonette geistlichen Trost. Traditionelle Glaubensvorstellungen und -bilder, die die Wirren der Zeit deuten im Horizont heilsgeschichtlicher Gewissheit, treffen hier auf einen lyrischen Traditionalismus, der sich einer der strengstmöglichen Gedichtformen bedient. 44 Bewusst wählt Schneider, dessen literarisches Schaffen insgesamt durchaus eine Vielzahl unterschiedlicher Gattungen von Geschichtsdramen über Essays bis hin zu autobiografischen Aufzeichnungen einbezieht, in diesem Fall eine Form, die alles Verstörend-Beunruhigende zu zähmen vermag: „Meine eigene höchste Lust ist es nun, in diese Strenge einen chaotischen Gehalt zu bannen. […] Da der Untergang in streng gebändigten Worten gefeiert wird, ist er von dem unbesiegbaren Bau- und Formtrieb doch schon überwunden.“45 Der Dichter selbst sieht sich dabei in dienender Funktion. „Allein der Wahrheit Stimme will ich sein“46 – mit diesen Worten beginnt sein Sonett „Kunst und Wahrheit“ aus dem Jahr 1943. In seinem erst posthum erschienenen Tagebuch „Winter in Wien“ (1958) wird er rückblickend von seinem Bemühen „in religiösem Sanitätsdienst“ 47 sprechen – zu einem Zeitpunkt, als er schon längst keine Sonette mehr schreibt und die Glaubensgewissheit der Kriegs-Sonette dem Zweifel gewichen ist. Gott beschreibt er in dieser spätemunikation im Konflikt (QD 253), Freiburg i. Br. 2013, 107−136. Mayordormo verweist z. B. auf die fundamentalistisch-apokalyptische Buchserie „Left Behind“ von Tim LaHaye und Jerry Jenkins (2004−2005), in der Gewalt Gottes unreflektiert positiv konnotiert wird. Vgl. ebd. 129. 44 „Seine Gedichte sind demnach Trosttexte, deren Trost doppelt wirkt: Fest stehende Form wird verbunden mit feststehenden Glaubensaussagen. Der zweifache Rückgriff auf Tradition wird so zum letzten geistigen Bollwerk gegen das Chaos der Gegenwart.“ G. LANGENHORST, Reinhold Schneider heute lesen? Theologisch-literarische Annäherungen, in: F. Emde/R. Schuster (Hrsg.), Wege zu Reinhold Schneider. Zum 50. Todestag des Dichters, Passau 2008, 1−30, 14f. 45 So Schneider 1931 in einer Reflexion angesichts des architektonisch strengen Escorial, das er in Bezug zu seinen Versen setzt. R. SCHNEIDER, Tagebuch 1930−1935, E. M. Landau (Hrsg.), Frankfurt 1983, 245. 46 R. SCHNEIDER, Lyrik, E. M. Landau (Hrsg.), Gesammelte Werke 5, Frankfurt a. M. 1981, 87. Das radikale Ethos der Wahrhaftigkeit und ausgeprägte Bewusstsein von der Verantwortung eines Schriftstellers macht R. Schuster für alle Werkphasen R. Schneiders als Grundhaltung geltend. Vgl. R. SCHUSTER, Antwort in der Geschichte. Zu den Übergängen zwischen den Werkphasen bei Reinhold Schneider (Mannheimer Beiträge zur Sprachund Literaturwissenschaft 51), Tübingen 2001, 349. 47 R. SCHNEIDER, Die Zeit in uns. Zwei autobiographische Werke. Verhüllter Tag. Winter in Wien, E. M. Landau (Hrsg.), Gesammelte Werke 10, Frankfurt a. M. 1978, 197.

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ren, agnostischen Phase als „ebenso nahe wie fern“48 und „das Antlitz des Vaters“ als „ganz unfaßbar“49. Was bleibt heute von Schneiders „Zweckdichtung“50 in Kriegstagen? Ein ZEIT-Artikel zum 100. Geburtstag des Dichters antwortet auf die Frage nach einer heutigen Lesbarkeit des Werks Reinhold Schneiders: „Das Pathos der Sonette setzt Einverständnis voraus, Stilfiguren und Formelvorrat des Lyrikers erscheinen verwechselbar und ohne poetische Evokationskraft. […] und für Leser, die nicht über einen lebensgeschichtlichen Konnex verfügen, dürfte von der Glut dieses Widerständigen wenig mehr zu verspüren sein. So teilen seine Werke – kaum eines ganz, aber doch jedes Einzelne – das Schicksal aller engagierten Literatur: Sie spricht unmittelbar nur zu den Zeitgenossen.“51 Es schließt sich in unserem Kontext die Frage an: Trifft ein solches Urteil auch die „littérature engagée“ der biblischen Apokalypse? Ist auch sie gewinnbringend rezipierbar nur aus der Perspektive „von unten“, in bedrängter Situation? Zumindest greift auch der neutestamentliche Seher auf bekannte Formen zurück, so z. B. auf apokalyptische Schemata oder die seinen Adressaten vertraute Briefform. Auch er bedient sich der inhaltlichen Bausteine ihm vorgegebener alttestamentlich-frühjüdischer Tradition. Freilich gestaltet er seine „Collage“ alttestamentlich-frühjüdischer Mosaiksteine im Lichte des Christusereignisses in großer kreativer Freiheit. Während Schneiders Apokalypse-Sonette eher in den Fußspuren ihrer Vorbilder verbleiben, scheut Johannes von Patmos vor bedeutenden Abweichungen und Neuakzentuierungen nicht zurück.52 Das beantwortet noch nicht die Frage heutiger Rezeptionsmöglichkeiten. Es ermutigt jedoch zumindest dazu, im Dialog mit der biblischen Tradition, so sperrig sie auch sein mag, ebenfalls zu einer je eigenen Position und Sprache zu finden. Notwendigerweise spekulativ, aber nicht minder sich aus den Überlegungen zu Reinhold Schneiders späterer Abkehr von der „Trostlyrik“ der Kriegs-

48 R. SCHNEIDER, Zeit (s. Anm. 47) 280, in konkreter Anspielung auf einen die Frage nach dem Schöpfergott in der Artenvielfalt weckenden Gang durch das Wiener Naturhistorische Museum. 49 R. SCHNEIDER, Zeit (s. Anm. 47) 281. 50 M. A. LEENEN, Reinhold Schneider. Eine Kurzbiographie. Mit einem Essay zu „Winter in Wien“, Leutesdorf 2003, 54. Im gegebenen geschichtlichen Augenblick sei es nicht mehr um Kunst, sondern um Seelsorge gegangen. 51 A. NENTWICH, Die Täter werden nie den Himmel zwingen. Konservativer Katholik, franziskanischer Monarchist, Dichter des christlichen Widerstands: Was geht uns das Werk Reinhold Schneiders heute noch an?, in: DIE ZEIT No 20 (8. Mai 2003), online im Internet URL: http://www.zeit.de/2003/20/L-Schneider (17.10.2014, 21.35 Uhr). 52 Für die abschließende Jerusalemvision vgl. diesbezüglich R. MÜLLER-FIEBERG, Das „neue Jerusalem“ – Vision für alle Herzen und alle Zeiten? Eine Auslegung von Offb 21,1−22,5 im Kontext von alttestamentlich-frühjüdischer Tradition und literarischer Rezeption (BBB 144), Berlin 2003, 144−235.

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zeit ergebend stellt sich eine letzte Frage: Inwieweit lässt sich auch die Johannesoffenbarung als eine „Momentaufnahme“ lesen, als Werk eines Autors, der angesichts der ihn umgebenden Vielfalt existierender, durchaus auch konträrer Optionen (vgl. Offb 2,6.14f.20–23)53 vielleicht nur zu diesem Zeitpunkt, in dieser besonderen zeitgeschichtlichen und individuellen Konstellation so schreibt? Diese Frage muss letztlich ohne Antwort bleiben. Sie ist dennoch als gedankliches Experiment nicht müßig zu stellen, drängt sie doch in besonderer Weise zu einer Berücksichtigung der Frage nach der besonderen Entstehungssituation der Apokalypse.

„Man wird doch noch fragen dürfen…“ (Stefan Heym: „Ahasver“, 1981) Im Hinblick auf die deutschsprachige Literatur des 20. Jahrhunderts spricht man oft54 von drei großen Schüben „apokalyptischer Literatur“.55 Eine erste Welle entwickelte sich im zeitlichen Umfeld des Ersten Weltkriegs, literaturhistorisch besonders verbunden mit der Bewegung des Expressionismus und getragen zunächst von der radikalen Sehnsucht nach Veränderung, später auch geprägt durch die Erfahrung des realen Grauens. Als repräsentativ für solche „Weltende-Lyrik“56 kann die Lyrik-Anthologie „Menschheitsdämmerung“ (1919) ebenso gelten wie die Tragödie „Die letzten Tage der Menschheit“ des österreichischen Schriftstellers Karl Kraus. Der zweite Schub „apokalyptischer Literatur“ lässt sich als Reaktion auf die Schrecken des Zweiten Weltkriegs und des Naziregimes verstehen. Christlicherseits werden diesbezüglich Namen wie Werner Bergengruen oder Jochen Klepper genannt, jüdischerseits Dichter wie Nelly Sachs oder Paul Celan. Eine dritte „apokalypti53

Zu den Gegnern des Johannes von Patmos und ihren eventuell aus paulinischen Wurzeln sich nährenden Positionen vgl. R. MÜLLER-FIEBERG, Paulusrezeption in der Johannesoffenbarung? Auf der Suche nach dem Erbe des Apostels im letzten Buch des biblischen Kanons, in: NTS 55 (2009) 83−103, 90−95. 54 Von theologischer Seite vgl. z. B. K.-J. KUSCHEL, Vor uns die Sintflut? Spuren der Apokalypse in der Gegenwartsliteratur, in: H.-J. Klauck (Hrsg.), Weltgericht und Weltvollendung. Zukunftsbilder im Neuen Testament (QD 150), Freiburg i. Br. 1994, 232−260; K.-J. KUSCHEL, Apokalypse, in: H. Schmidinger (Hrsg.), Die Bibel in der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts, Bd. 1: Formen und Motive, Mainz 1999, 543−568. Von germanistischer Seite aus sind u. a. zu nennen: K. VONDUNG, Apokalypse (s. Anm. 17); G. Kaiser (Hrsg.), Poesie der Apokalypse. Würzburg 1991; G. E. Grimm/W. Faulstich/P. Kuon (Hrsg.), Apokalypse. Weltuntergangsvisionen in der Literatur des 20. Jahrhunderts (suhrkamp taschenbuch 2067. Materialien), Frankfurt a. M. 1986. 55 Und auch hier wird der Begriff „apokalyptisch“ im säkularisiert-„kupierten“ Sinn verwendet. 56 K.-J. KUSCHEL, Sintflut (s. Anm. 54) 234.

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sche Hochphase“ wird – im Zeichen von atomarer Bedrohung und befürchtetem Ökozid – in die achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts situiert. Romane wie Christa Wolfs „Störfall“ (1987) oder „Die Rättin“ von Günter Grass (1986) sind diesbezüglich vielzitierte Paradebeispiele. Die Apokalypse-Sonette Reinhold Schneiders sind der zweitgenannten Phase zuzuordnen; Stefan Heyms 1981 veröffentlichter Roman „Ahasver“ bewegt sich im Gesamtkontext der dritten Phase, wenngleich mit sehr eigener Schwerpunktsetzung. Mit „Ahasver“57 greift Heym (1913–2001), selbst jüdischer Herkunft, das Motiv des „Ewigen Juden“ auf. Er folgt damit jener christlichen Legende, nach der ein Jerusalemer Schuster – seit Beginn des 17. Jahrhunderts „Ahasver“ genannt –58 Jesus bei der Kreuzigung anders als Simon von Zyrene jede Hilfe verweigert und nun bis zur Wiederkunft Christi zu unsteter Wanderschaft verdammt ist. Eine entscheidende Erweiterung dieser Legende nimmt der Autor vor, indem er sie mit dem frühjüdischen Motiv von den gefallenen Engeln verknüpft. So ist nicht nur die Figur des Ahasver, sondern auch diejenige des Lucifer den ganzen Roman über präsent.59 Die Handlung wird auf verschiedenen Erzählebenen entfaltet: Ahasver begegnet dem Rezipienten zum einen als wohlgesonnener, aber kritischer Zeitgenosse Jesu, im Roman „Reb Joshua“ genannt. Eine zweite Handlungsebene, die den Hauptteil des Romans ausmacht, zeigt ihn zum anderen rund um Wittenberg, Hamburg und Schlesien Mitte des 16. Jahrhunderts in Auseinandersetzung mit dem ebenso mittelmäßig wie ehrgeizig und dogmatisch gezeichneten Lutherschüler Paul von Eitzen, welcher wiederum von einem Freund namens „Johannes Leuchtentrager“ protegiert wird. In die achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts führt ein weiterer Handlungsstrang, der den Briefwechsel zweier Professoren rund um die Frage der Existenz des „Ewigen Juden“ umfasst. Während der Ost-Berliner Professor Beifuß (!) vom (fiktiven) „Institut für Wissenschaftlichen Atheismus“ diese Frage leidenschaftlich verneint, verweist der Jerusalemer Geschichtsprofessor „Jochanaan Leuchtentrager“ bestätigend auf einen Schuhgeschäftsinhaber an der Via Dolorosa und weitere Begegnungen mit dem „Ewigen Juden“ in der jüngeren Geschichte. Umklammert werden diese verschiedenen Handlungsstränge von einer mythischen „Universalebene“60, die einen Bogen von der „Genesis“ bis zur 57

Alle Seitenangaben folgen S. HEYM, Ahasver, München 32005. Vgl. G. OBERHÄNSLI-WIDMER, Stefan Heym: Ahasver (1981), in: KuI 23 (2008) 166−177, 167f., mit Beispielen aus der gesamten europäischen Literatur (J. W. Goethe, H. C. Andersen, A. Dumas u. a.). Zu Erklärungsversuchen der Namensgleichheit mit dem persischen König des Esterbuches vgl. ebd. 176. 59 Vgl. die „Leuchtentrager“ genannten Figuren. 60 A. REUTER, Die Frömmigkeit des Zweifels. Biblisch-messianische Motive und deren sozialkritische Funktion im Roman Ahasver von Stefan Heym (EHS I: Deutsche Sprache und Literatur 1768), Frankfurt a. M. 2001, 68. 58

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„Apokalypse“ schlägt. Am Anfang wie am Ende steht – in formaler wie auch inhaltlicher Parallelität – ein Sturz: Zu Beginn des Romans stürzen Luzifer und Ahasver, da sich beide weigern, als zuerst geschaffene Geistwesen dem aus Staub gemachten Menschen zu dienen. Dem entspricht am Ende des Romans der in einem gewaltigen „apokalyptischen“ Szenario inszenierte Sturz Ahasvers und des Rabbi „Joshua“. Im Hinblick auf die Rezeption der Johannesoffenbarung ist hauptsächlich diese Universalebene von Interesse, die auch innerhalb des Romans einige Male eingespielt wird (Kap. 13, 17, 26). Ebenso wie die Darstellung der Teufelsfigur für Heym literaturfähig ist, so scheut er auch vor Theophanie-Schilderungen nicht zurück. Verbunden mit dem Motiv der Jakobsleiter (Gen 28,10–17) begegnet Gott61 so in Kap. 13 im Gespräch mit Ahasver. Zunächst ist nur seine Stimme vernehmbar, fernab „aus den Wolken über den Wolken“ (105) kommend. Der die Leiter heruntergelassene Thronsitz, versehen mit einer Reihe biblischer Attribute,62 ist zunächst nichts anderes als „ein leeres Stück Möbel“ (106). Doch angesichts der Zweifel Ahasvers an der Gottebenbildlichkeit des Menschen beschließt Gott, sich zu zeigen: Begleitet von Lichtphänomenen erscheint ein weiß gekleideter „Mann in den besten Jahren“, „mit leuchtendem Aug und gewelltem Haar und gekräuseltem Bart“, „vollkommen und von großer Schönheit“, sich offenbarend mit Ex 3,14 auf den Lippen: „Ich bin, der Ich bin.“ (107) Ahasver jedoch, der „zugleich mit ihm und durch ihn hindurch die Jammergestalt des Reb Joshua“ sieht, bleibt bei seinem Zweifel: „Was ist wirklich, die GOttähnlichkeit des Menschen oder die Menschenähnlichkeit GOttes?“ (107) Und Gott lässt sich aus der Ruhe bringen, reagiert despotisch, unsouverän, zornig. Ahasvers kritischem Einwand „Man wird doch noch fragen dürfen, Herr“ (108) entzieht er sich – sich auflösend in einen Streif Nebel und den Thronsitz wiederum „in seiner leeren Pracht“ (108) zurücklassend. „GOtt ist, der Er ist, und Seine Ordnung so voller Widersprüche wie Er selbst.“ (108) So lautet das Fazit des Ahasver aus dieser Begegnung, mit Vorliebe gerade für die Unruhe und Widersprüchlichkeit Gottes. So definiert die Titelfigur später in einem in der Sheol situierten Dialog mit Lucifer: „GOtt ist Veränderung. […] Als Er die Welt schuf, aus dem Nichts heraus, veränderte er das Nichts.“ (145) Von seinem Gefährten und Widerpart Lucifer muss er sich daraufhin eine Entgegnung anhören, die nicht nur Gott, sondern auch die Protagonisten der anderen Handlungsstränge betrifft: „GOtt ist

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Heym schreibt den Gottesnamen im Roman durchgehend mit Binnenmajuskel. Der Text weist, wenn auch in anderem Arrangement, gemeinsame Elemente (kostbare Steine, Cherubim, Löwen,…) mit der Thronvision Offb 4,1−11 sowie der Epiphanieszene Ez 1,4−28 (vgl. auch Ez 10,1) auf. Gebrochen ist das Bild gleichzeitig durch die Verwebung mit anderen Elementen: Die Rücklehne des Throns ist gebildet aus Schlangen, deren Leiber ineinander verknotet sind und deren Häupter sich bekämpfen; so greift auch die Gestaltung des Throns das Motiv der Widersprüchlichkeit Gottes auf. 62

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wie alle, die einmal etwas veränderten; sogleich bangen sie um ihr Werk und die eigene Stellung, und aus den lautesten Revolutionären werden die strengsten Ordnungshüter. Nein, Bruder Ahasver, GOtt ist das Bestehende, GOtt ist das Gesetz.“ (145)63 Kap. 26 zeigt Ahasver und den Rabbi Joshua auf der gemeinsamen Suche nach Gott.64 Der Rabbi möchte einerseits festhalten an der fraglosen Ehrfurcht vor dem, der in grenzenloser Macht Zeit und Ewigkeit umfasst und „der Ursprung und das Ende“ (234) ist (vgl. Offb 21,6; 22,13). Andererseits stellt sich in „Wüste und Leere“ (234), im fahlen Grau der Sheol irgendwann doch die bange Frage ein: „Wenn es nun aber so wäre, daß es Ihn gar nicht gibt?“ (234) Ahasver dagegen ermutigt zur weiteren Suche; wer nur „tüchtig“ (234) glaube, werde den Vater auch finden. Und er betont, dass auch Gott seiner Geschöpfe bedarf: „Was jedoch wäre GOtt ohne uns? Ein Ruf ohne Widerhall, eine Kraft ohne Wirkung, ein Prinzip ohne Praxis.“ (234) Drei Anläufe dieser „Gottes-Findung“ werden nachfolgend geschildert, und sie werfen ein bezeichnendes Licht auf den Beziehungsprozess zwischen „Gottvater“ und „Gottes Sohn“. Die ersten beiden Begegnungen – erst in einem Palast, dann in einem Tempel – sind bis ins Detail hinsichtlich der Materialien und architektonischen Gegebenheiten parallel gestaltet, wobei die zweite Begegnung der ersten gegenüber zahlreiche Steigerungsmomente aufweist („noch prächtiger“, „noch mehr“, „noch kostbarer“; 235). Mit deutlichem Anklang nicht nur, aber auch an die Motivik der Johannesoffenbarung (v. a. an die Thronvision Offb 4f. sowie die Vision des Neuen Jerusalem in Offb 21f.) stellt die erste der beiden Epiphanien die Herrschermacht Gottes in den Vordergrund, die zweite dagegen seine Heiligkeit. Im Palast sitzt auf einem Thron aus Edelsteinen in allen Farben ein in Seide Gekleideter, „schön wie ein Engel“ (235), und spricht: „Ich bin der König der Könige,65 und ich habe dich längst schon erwartet, mein Sohn.“ (235) Im Tempel, wo sieben

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„Dieses Zitat verkehrt die christliche Utopie der vollkommenen paradiesischen Schöpfung in die teuflische Anti-Utopie der Unveränderbarkeit bestehender Verhältnisse.“ J. K. BLEICHER, Zwischen Erlösung und Apokalypse. Das Ende der Welt in der Gegenwartsliteratur, in: C. P. Thiede (Hrsg.), Zu hoffen wider Hoffnung. Endzeiterwartungen und menschliches Leid in der neueren Literatur (Christlicher Glaube und Literatur 6/7), Paderborn 1996, 47−64, 50. 64 Ahasver wird von A. Bodenheimer als „der permanente Gottsucher“ bezeichnet. Der Roman Heyms sei „zumindest auch als Sinngebung jüdischer Existenz zu lesen, die als Opfer einer dauernd sich neu konstituierenden und wieder in sich zusammenbrechenden Ver-Ordnung der Welt zugleich kämpfend das Prinzip der Veränderung bzw. des noch bevorstehenden ganz anderen Messianischen vertritt.“ A. BODENHEIMER, Wandernde Schatten. Ahasver, Moses und die Authentizität der jüdischen Moderne, Göttingen 2002, 198. 65 Vgl. Offb 19,16, hier allerdings auf den richtenden Parusiechristus bezogen.

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Priester flammende Opferschalen halten,66 trifft Joshua in der siebenten Kammer67 auf einen ganz in Weiß Gekleideten,68 dessen Haupt mit großem Glanz umkränzt ist und der zu ihm sagt: „Ich bin der Heiligste der Heiligen,69 und ich habe dich längst schon erwartet, mein Sohn.“ (235) In beiden Epiphanien wird der Vater, obwohl er doch den Sohn direkt anzusprechen versucht, jäh zurückgewiesen. „Dieser bedeutet mir nichts“ (235) lautet die wiederholte Antwort des Rabbis auf die Aufforderung Ahasvers hin, wenn dies der Vater wäre, doch mit ihm zu reden. Mit einem solchen Gott weiß Reb Joshua offenkundig nichts anzufangen; die Aufforderung zum Dialog, zur Beziehungsaufnahme bleibt unerfüllt. Wiederum reagiert der „König der Könige“ und „Heiligste der Heiligen“ (235) denkbar unsouverän; Zorn und Verstoßung Joshuas sind seine einzigen Maßnahmen. Erst bei der dritten Begegnung, als am Ende eines steilen, schmalen Weges ein in den Sand schreibender Alter sitzt, zeigt sich der Rabbi gesprächsbereit. Doch endet die Vater-Sohn-Begegnung in Enttäuschung und Entfremdung. Der Alte schreibt „das siebenfach versiegelte Buch des Lebens“ (236; vgl. Offb 5,1) in den Sand – als eine „flüchtige Spur“, dem Verwehen preisgegeben. Er gibt sich als Schöpfer der Welt zu erkennen – und muss dem Rabbi doch gleichzeitig resigniert zustimmen, dass ihm „die eigne Schöpfung entglitten“ (237) ist, ein „stinkender Sumpf, in dem alles, was lebt, nur danach trachtet, einander zu fressen“ (236). Vernichtung und Neuschöpfung sind von diesem Gottvater nicht mehr zu erwarten: Sieben „greise Engel mit schütteren Bärten und zerschlissenen Flügeln“ sowie „eine zerbeulte, rostige Posaune“ (237) sind sichtbar ungeeignet, das Endgeschehen in Gang zu setzen. Die Prophezeiungen des Alten Bundes, dem greisen Gott von seinem Sohn vorwurfsvoll vorgehalten (vgl. die Aufnahmen von Jes 65,17 bzw. Offb 21,1 70 sowie Ez 36,2671), verhallen unerfüllt. Die Enttäuschung aber ist für den Rabbi Anlass der Emanzipation des Sohnes vom Vater und der Loslösung

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Vgl. den Schalenzyklus der Johannesoffenbarung (Offb 15,1−16,21). Heym dehnt den Gebrauch der Zahl Sieben an dieser Stelle noch auf andere Gegebenheiten aus und folgt so einer gerade in der Johannesoffenbarung mit ihren verschiedenen Siebenerzyklen beliebten Zahlensymbolik. 68 Von weißen Gewändern ist in der Offenbarung mehrfach die Rede, z. B. hinsichtlich der Ältesten um den Thron (Offb 4,4) oder der großen Schar aus allen Nationen (Offb 7,9). Weiß wie Schnee leuchten allerdings auch Haupt und Haar des Menschensohngleichen in Offb 1,14, er erscheint auf einer weißen Wolke (Offb 14,14) und weiß ist auch die Farbe des Thrones beim Gericht (Offb 20,11). 69 Zur Heiligkeit Gottes vgl. z. B.: auch das Dreimal-Heilig in Jes 6,3; Offb 4,8. 70 „Du hast verlauten lassen durch den Mund Deines Propheten, Du wolltest einen neuen Himmel schaffen und eine neue Erde, daß man der vorigen nicht mehr gedenken werde.“ (236) 71 „Du wolltest das steinerne Herz aus ihrem Fleisch wegnehmen und ihnen ein neues Herz und einen neuen Geist eingeben.“ (236f.) 67

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vom in den Kreuzestod mündenden Programm des Duldens und Leidens. Das „Prinzip Lamm“, von dem Lucifer an anderer Stelle sagte: „Leiden […] ist kein Verdienst; das Lamm, das sich fressen läßt, stärkt die Ordnung der Wölfe.“ (146), hat ausgedient. So wird im Schlusskapitel des Buches der Rabbi selbst initiativ, vom Vater kritisch und ohne Zutrauen beäugt: „Und du wirst es schlauer anstellen? [...] Du, der du dich ans Kreuz hast schlagen lassen, statt aufzustehen und dich zu erheben gegen das Unrecht? Ach, mein Kleiner […].“ (237) In einem atemlosen Szenario, das sich in vielen Details direkt an die Schilderungen der Johannesoffenbarung anlehnt,72 führt Joshua als Reiter auf dem weißen Ross (vgl. Offb 19,11) den „Tag des Gerichts“ und den „Tag des Zornes“ (260) selbst herbei. Doch bleibt das himmlische Jerusalem, detailreich beschrieben73 und mit einem großen Marmortempel versehen,74 „in dessen Allerheiligstem GOtt selber thront auf einsamem Thron und sich anbeten läßt in alle Ewigkeit von den Gerechten“ (261), auch in den höchsten Himmeln unauffindbar. Schließlich macht der Rabbi die neue Schöpfung zu seinem eigenen Projekt: „Dieser GOtt ist nirgends […] und ich, des Menschen Sohn, bin GOtt an seiner Statt, und ich will tun, was Er geschworen, aber nie erfüllt hat; ich will einen neuen Himmel schaffen und eine neue Erde,75 darin sollen sein Liebe und Gerechtigkeit, und die Wölfe sollen bei den Lämmern liegen,76 und der Mensch soll nicht mehr des Menschen Feind sein, sondern Hand in Hand sollen sie wandeln unter meiner Sonne und im Schatten meines Gartens.“ (261f.)

Nur Hohngelächter jedoch erntet er seitens seiner Begleiter „ob solch abgedroschener Utopie“ (262). Und auch sein Emanzipationsversuch vom „Alten“ (den er wie eine lästige Fliege wegzuscheuchen und schließlich gar zu erschlagen versucht) ist zum Scheitern verurteilt: Während alles sich in eine einzige große Leere auflöst, wächst der Alte bis ins Unermessliche an. Untilgbar und unergründbar steht am Schluss nur ein Wort noch im Raum. Eine Stimme spricht „… nur dieses eine, nämlich Seinen Namen, den Namen Got72

Unter zahlreichen anderen Anleihen auf den S. 259−261 seien z. B. erwähnt die vier apokalyptischen Reiter (Offb 6,1−8), die Sonne wie ein härener Sack und der Mond wie Blut (Offb 6,12; dort allerdings ist von einem schwarzen Sack die Rede), die Scharen von Gog und Magog (Offb 20,8), das Tier mit den sieben Köpfen (Offb 13,1), das gläserne Meer (Offb 15,2) und die vom Himmel fallenden Sterne (Offb 6,13). 73 Auch hier sind die Anspielungen auf Offb 21f. augenkundig, v. a. was die Materialien Jaspis (Offb 21,11) und Gold (Offb 21,18) sowie die Schilderung der Tore (Offb 21,12f.) angeht. 74 Damit wird gerade das auf die unmittelbare Gegenwart Gottes unter den Menschen verweisende Fehlen eines konkreten Tempelbaus in Offb 21,22 bezeichnenderweise nicht rezipiert! 75 Vgl. Jes 65,17; Offb 21,1. 76 Vgl. Jes 65,25.

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tes, den unaussprechlichen, geheimnisvollen, geheiligten.“ (262) Der Rabbi aber stürzt in liebevoller Vereinigung mit seinem einstigen Gegenpol Ahasver. Er stürzt in untrennbarer Vereinigung letztendlich auch mit Gott selbst, wie es Ahasver im Schlusssatz zum Ausdruck bringt: „Und da er und GOtt eines waren, ward auch ich eines mit GOtt, ein Wesen, ein großer Gedanke, ein Traum.“ (263) *** Heyms Roman, der in so reichem Maß auf motivische Elemente der Johannesoffenbarung zurückgreift und auf der „Universalebene“ wie diese Einblicke in eine wenn auch anders gestaltete himmlische Welt gewährt, hinterlässt viele offene Fragen. Das dort entworfene Gottesbild bleibt (wohl durchaus beabsichtigt) widersprüchlich. Gott bleibt der Ferne, über allem thronend und sich nach Belieben entziehend – der, dessen Thron bisweilen leer bleibt. Es handelt sich um einen Gott, der sich nicht hinterfragen lassen mag. Dort, wo es (konträr zu dem strikten „Wir fragen nicht“ aus den Apokalypse-Sonetten Reinhold Schneiders) doch geschieht, wo ihm Menschen quasi zu nahe kommen, reagiert dieser Gott sehr anthropomorph mit unmäßigem Despotentum und Zorn. Ein (wenngleich verzerrtes) Spiegelbild des fern thronenden, zornigen Gottes der Johannesoffenbarung? Oder vielleicht mindestens ebenso auch eine kritische Anfrage an die Feedback-Kultur unter seinen irdischen Vertretern? Nicht nur die Beziehung zu den Menschen, auch diejenige zum „Menschensohn“, zum Rabbi Joshua ist nachhaltig gestört. Heyms Rabbi weist gerade die Charakterzüge Gottes, die die Johannesoffenbarung betont – nämlich seine Allmacht und Heiligkeit – schroff zurück. Lediglich den „Alten“ akzeptiert er als Vater – und dieser wird gleichzeitig in seiner Ohnmacht und Resignation dermaßen demontiert, dass eine Auflehnung als einzige Konsequenz erscheint. Auch der Vater lässt es an Vertrauen in die Aktionsfähigkeit des Sohnes mangeln. Sieht man einmal von der Vereinigungsszene am Romanschluss ab, ist der Gedanke einer Handlungseinheit von Gott und „Lamm“ Heyms Roman fern – zumal das Lamm hier anders als in der Johannesoffenbarung nur mit Leiden, nicht aber mit aktivem Kampf und Herrschen konnotiert wird. Die Vorstellung eines erhöhten Christus erscheint nur sehr periphär und wird sogleich wieder aufgelöst.77 Wie es in so vielen Werken „apokalyptischer Literatur“ seiner Zeit geschieht, so lässt auch Heym der Annihilation der bestehenden Schöpfung keine Neuschöpfung folgen. Die Angst vor dem Rückfall ins Nichts einer 77 Nur eine kleine Episode stellt die in himmlischen Gefilden spielende Szene in Kap. 20 dar, in der Joshua dem Ahasver als erhöhter Christus erscheint, „fremd und fern“ (171), wie zur Selbstbestätigung das Glaubensbekenntnis vor sich hin murmelnd. Aus dieser Starre weiß Ahasver den Reb Joshua schnell wieder zu lösen.

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Schöpfung, die als „creatio ex nihilo“ begann, zieht sich wie ein roter Faden durch den Roman. Bilder göttlicher Gegenwart und Zuwendung, wie sie die neutestamentliche Apokalypse besonders dicht in der Vision des neuen Jerusalem evoziert (darunter in Offb 22,3 als Zeichen der Nähe auch der Thron mitten unter den Menschen), werden damit gerade nicht rezipiert. Auch Gottestitel zur Kennzeichnung der geschichtsumfassenden Wirkmacht Gottes mögen zur Zeit der Johannesoffenbarung Verlässlichkeit und Beständigkeit in unruhigen Zeiten vermittelt haben – in Heyms Roman stehen sie viel eher für Beharrungstendenzen und den Mangel an Dynamik. So scheint im Licht des Ahasverromans der Weg zu einem Gott, wie ihn die Johannesoffenbarung präsentiert, verstellt. Der Schluss des Romans aber hält nach der Dekonstruktion so vieler Gottesbilder das Geheimnis „Gott“ zumindest offen. Und er zeigt Protagonisten, die sich in dieses Geheimnis wie auch immer mit einbegriffen sehen und – ob realisierbar oder nicht – in einem Traum vereint sind.

„good guys“ – „bad guys“ (Cormac McCarthy, „The Road“, 2006) „Postapokalyptisch“ werden – ganz im Sinne einer Reduzierung des Begriffs der Apokalypse auf die Dimension der Vernichtung und des Untergangs – solche Werke genannt, die die Zeit nach der Katastrophe in den Blick nehmen. Sie zeigen oft „letzte Menschen“, die in einer zerstörten Welt ums Überleben ringen. Der 2006 erschienene Roman „The Road“78 des USamerikanischen Schriftstellers Cormac McCarthy (geb. 1933), von der Literaturwissenschaftlerin Eva Horn als der „düsterste post-apokalyptische Roman der letzten Jahre“79 bezeichnet, ist ein beeindruckender Beleg dafür, dass auch nach der Jahrtausendwende „(post-)apokalyptische“ Muster weiterhin virulent sind.80 2007 mit dem Pulitzer-Preis gekrönt und 2009 in Hollywood verfilmt, zeugt er zudem von großer Breitentauglichkeit. Geschildert wird der Überlebenskampf eines Vaters und seines ungefähr zehnjährigen Sohnes irgendwo vermutlich im Süden der Vereinigten Staaten Jahre nach der großen Katastrophe. Die Hauptpersonen und Orte bleiben

78 Alle Zitate folgen: C. MCCARTHY, The Road, New York 2006. Deutsche Ausgabe: C. MCCARTHY, Die Straße. Roman. Deutsch von Nikolaus Stingl, Reinbek bei Hamburg 8 2013. 79 E. HORN, Zukunft als Katastrophe, Frankfurt a. M. 2014, 14. 80 Vgl. T. PIPPIN, Art. Apocalypses and Apocalypticism VII. Literature, in: H.-J. Klauck/B. McGinn/P. Mendes-Flohr u. a. (Hrsg.), Encyclopedia of the Bible and its Reception 1, Berlin 2009, 359f., 360.

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ohne Namen.81 Hinsichtlich sowohl der Ursache als auch des Ausmaßes des Untergangs in seiner lokalen Begrenzung oder globalen Auswirkung gibt es nur vage Andeutungen.82 Vater und Sohn ziehen auf einer noch existierenden asphaltierten Straße, einer ehemaligen Interstate, Richtung Süden dorthin, wo sie das Meer vermuten – ohne zu wissen, ob dort wirklich eine Überlebenschance auf sie wartet. Sie ziehen durch ein verwüstetes Land, dominiert von Dunkelheit und Kälte, durch eine Ruinenwelt aus Staub und Asche, in der selbst der Schnee schwarz wird. Als „godless“ (4) wird ihr Zustand bezeichnet, und diese „Gottverlassenheit“, wüst und leer, mutet wie ein Rückfall in das Chaos vor der Schöpfung an. Ausgehungert, voller Sehnsucht nach Licht und Wärme, erschöpft und mehr und mehr krank stellen sich Vater und Sohn wie zwei gehetzte Tiere dem alltäglichen Überlebenskampf.83 Sie ernähren sich von den geplünderten Relikten der zerstörten Zivilisation, stehen aber damit in ständiger Konkurrenz zu anderen Überlebenden. In einer Welt, in der alle sozialen Hemmschwellen gefallen sind, müssen sie sich zudem vor Marodeuren und Kannibalen in Acht nehmen; die letzten Kugeln im Revolver sind so für den letzten Ausweg reserviert, sich vor der Quälerei der Kannibalen durch Selbsttötung zu schützen. Immer wieder beschreibt der Junge seine Angst als grundlegendes Lebensgefühl, je länger, desto stärker (189: „I’m scared“; „I’m really scared.“) Dem Vater begegnet die verschwundene Welt vor dem Untergang noch in seinen Träumen. Dort erinnert er Kindheitserlebnisse, das Zusammensein mit seiner Frau, Wald, Tiere und Farben als eine rundum perfekte Welt: „… if he were God he would have made the world just so and no different.“ (219) Seinem erst nach dem Einbruch der Katastrophe geborenen Sohn erzählt er aus dieser verlorenen Epoche alte „stories of courage and justice“ (41). Auch 81 Umso stärker fällt ins Auge, wenn der Junge am Ende, beim Tod des Vaters, immer wieder seinen Namen nennt (281). 82 Das Eintreten der Katastrophe wird beschrieben mit den Worten: „The clocks stopped at 1:17. A long shear of light and then a series of low concussions.“ (52) Doch die Ursache – ob Nuklearkatastrophe, Krieg, Vulkanaktivität oder Meteoreinschlag – bleibt offen und soll es auch bleiben, so McCarthy 2009 in einem Interview: „I don’t have an opinion. […] It is not really important. The whole thing now is, what do you do?“ J. JURGENSEN, Hollywood’s Favorite Cowboy, in: The Wall Street Journal Nov. 20, 2009, online im Internet URL: http://www.wsj.com/articles/SB10001424052748704576204574529703577274572 (29.12.2014, 11.48 Uhr). Die „katastrophische Vagheit […] postapokalyptischer Räume, in der von einer konkreten Ausgestaltung der Hintergründe oder Ursachen abgesehen wird“, sieht J. Schoßböck als ein typisches Merkmal des postapokalyptischen Genres. J. SCHOßBÖCK, Letzte Menschen. Postapokalyptische Narrative und Identitäten in der neueren Literatur seit 1945 (Post-apocalyptic Studies 2), Bochum 2012, 11. 83 So z. B. eindringlich beschrieben auf S. 130: „… he saw for a brief moment the absolute truth of the world. The cold relentless circling of the intestate earth. Darkness implacable. The blind dogs of the sun in their running. The crushing black vacuum of the universe. And somewhere two hunted animals trembling like groundfoxes in their cover.“

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der Glaube an Gott scheint zu diesen Relikten aus vergangener Zeit zu gehören.84 Zwar werden die bedrohlichsten wie auch die rettenden Momente mehrfach mit dem Ausruf „Oh my God“ (138 u. ö.) begleitet. Generell aber empfindet der Vater die gefühlte Abwesenheit Gottes als schmerzend: „Are you there? he whispered. Will I see you at the last? Have you a neck by which to throttle you? Have you a heart? Damn you eternally have you a soul? Oh God, he whispered. Oh God.“ (11f.) Auch die Vermittlergestalten fehlen: „On this road there are no godspoke men. They are gone and I am left and they have taken with them the world. Query: How does the never to be differ from what never was?“ (32) Eine einzige prophetische Gestalt trifft man an: einen alten Mann, der sich (vielleicht in Anlehnung an Elia)85 „Ely“ nennt. Doch dieser entzieht sich der Erwartungshaltung, die Katastrophe erklären zu können, und negiert die Existenz Gottes: „There is no God and we are his prophets.“ (170) Für sich nimmt er keinerlei Besonderheit in Anspruch: „I’m just on the road the same as you. No different.“ (171) So muss der Vater erkennen, dass er für seinen Sohn „in der geschichtslosen Welt der Postapokalypse“86 selbst zu einem „alien“ (153) geworden ist, zu einem Wesen eines nicht länger existierenden Planeten. Die verlorene Welt kann er für ihn nicht auferstehen lassen – und dies auch deswegen, weil er im Herzen des Kindes nicht entfachen kann, was in seinem eigenen schon längst zu Asche geworden ist. Selbst was früher wahr, schön und heilig war, kann nach seinem Verschwinden nicht durch bloße Worte lebendig gehalten werden: „The world shrinking down about a raw core of parsible entities. The names of things slowly following those things into oblivion. Colors. The names of birds. Things to eat. Finally the names of things one believed to be true. More fragile than he would have thought. How much was gone already? The sacred idiom shorn of its referents and so of its reality. Drawing down like something trying to preserve heat. In time to wink out forever.“ (88f.)

Ganz zentral ist „The Road“ auch ein Roman einer der Situation geschuldeten exklusiven Vater-Sohn-Beziehung.87 Seit dem Suizid der Mutter, die vor der Aussichtslosigkeit des Überlebenskampfes kapituliert hat, haben die beiden nur noch einander, „each the other’s world entire“ (6). Das Kind 84 Natürlich gehört Gott von Anfang an in diese Szene – dies aber „natürlich […] als Abwesender“. A. MAUZ, Der Strasse entlang. Über Cormac McCarthys „The Road“ (2006), in: D. Plüss/T. Valther/A. Portmann (Hrsg.), Im Auge des Flaneurs. Fundstücke zur religiösen Lebenskunst (FS A. Grözinger) (Christentum und Kultur 11), Zürich 2009, 275−287, 276. 85 So die Vermutung von K. SCHÖPFLIN, Die Bibel in der Weltliteratur (UTB 3498), Tübingen 2011, 325. 86 A. GAILE, Nachwort, in: C. MCCARTHY, The Road, A. Gaile (Hrsg.) (Reclams Universal-Bibliothek 19757), Stuttgart 2009, 283−295, 287. 87 McCarthy widmet den Roman auch seinem 1999 geborenen Sohn.

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ist für den Vater das Einzige, was noch zwischen ihm und dem Tod steht, und dessen Tod wiederum wäre für ihn der letzte Tag der Erde (250: „Last day of the earth“). Wiederholt beteuert er ihm gegenüber: „I’m right here“ (5); „I wont ever leave you.“ (114); „Of course I wont go away.“ (247) Den Sohn zu schützen hat eine religiöse Dimension: „My job is to take care of you. I was appointed to do that by God. I will kill anyone who touches you.“ (77) Und der Junge gewinnt für ihn messianische Konturen, wird (in Anlehnung an den Prolog des Johannesevangeliums) für ihn quasi zum Wort Gottes: „He knew only that the child was his warrant. He said: If he is not the word of God God never spoke.“ (5) Diese „messianisch-christologische“ Interpretationslinie setzt sich auch dort fort, wo die körperliche Fürsorge für den Jungen mit einem Salbungsritual verglichen wird (74) oder sein Körper mit einem Kelch (74: „Golden chalice, good to house a god.“) bzw. Tabernakel (273: „glowing in that waste like a tabernacle“). Auch den alten Ely rührt die unverhoffte Begegnung mit einem Kind, doch widerspricht er vehement den religiösen Sehnsüchten, die der Vater mit seinem Sohn verbindet: „… to be on the road with the last god would be a terrible thing so I hope it’s not true. […] Things will be better when everybody’s gone. […] When we’re all gone at last then there’ll be nobody here but death and his days will be numbered too.“ (172f.) Auch für den Sohn ist der Vater alles, was er hat. Sein „okay“ am Ende fast aller ohnehin sehr knapp gehaltenen, formelhaften Dialoge signalisiert Zustimmung und Einwilligung. Der Vater ist seine einzig verfügbare moralische Instanz, derer er sich immer wieder vergewissert. Stehlen z. B. verstößt gegen den Moralkodex, und so nimmt er die Vorräte, auf die sie stoßen, nicht ohne Rückversicherung beim Vater und ohne ein kindlich-naives „Dankgebet“ an die ursprünglichen Besitzer an sich: „Dear people, thank you for all this food and stuff. We know that you saved it for yourself and if you were here we wouldn’t eat it no matter how hungry we were and we’re sorry that you didn’t get to eat it and we hope that you’re safe in heaven with God.“ (146) Er übernimmt vom Vater die dualistische Einteilung der Menschen in „good guys“ und „bad guys“ und will fortwährend bestätigt wissen, dass sie selbst nach wie vor zu den „Guten“ gehören: „Are we still the good guys? he said. Yes. We’re still the good guys. And we always will be. Yes. We always will be. Okay.“ (77)

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Rita Müller-Fieberg

Aufgabe der „good guys“ ist es, das Feuer zu bewahren („to carry the fire“, s. u.) – eine Formel der Humanität gleich einem „Glaubensbekenntnis“88, die leitmotivisch immer wiederkehrt und die der Grund für alle Durchhalteparolen ist.89 Und doch kommt es im Laufe der Reise zu einem Prozess der Distanzierung,90 wird das Handeln des Vaters für den Sohn fragwürdig und die moralische Gewissheit fragil: Warum hilft dieser, obwohl er doch zu den „Guten“ zählt, einem kleinen Jungen am Wegesrand nicht? Warum tötet er einen Menschen aus Angst und Misstrauen? Diese Irritation klingt auch noch nach, als der sterbende Vater seinem Sohn am Schluss die wichtigen Parolen erneut einschärft: „You need to go on“; „You need to find the good guys“; „You have to carry the fire“ (278) Dieses Mal fragt der Sohn nach: „I dont know how to. Yes you do. Is it real? The fire? Yes it is. Where is it? I dont know where it is. Yes you do. It’s inside you. It was always there. I can see it.“ (278f.)

Die Flamme der Humanität in den Menschen, die es trotz aller der Abgründe menschlicher Existenz weiterzutragen gilt, behält schließlich das letzte Wort.91 Der Junge begegnet einer Familie, die ihn aufnimmt. Es ist von der Herzlichkeit einer Frau die Rede, die dem Jungen auch von Gott erzählt. Dessen Versuch, mit Gott zu reden, ist jedoch weniger erfolgreich als die fortwährende Zwiesprache mit dem verstorbenen Vater. Von der Frau wird er darin unterstützt: „She said that the breath of God was his breath yet though it pass from man to man through all of time.“ (286) Der Roman endet mit einer an die Vision der Tempelquelle in Ez 47,9f. erinnernden Rückblende auf Forellen in der Strömung von Bergbächen als Zeugen einer Welt, die älter ist als die Menschen. Es ist der Blick zurück zu den Ursprüngen einer fragilen Welt. Was geschehen ist, lässt sich nicht rückgängig machen. Das letzte Wort des Romans lautet: „mystery“ (287). ***

88

A. GAILE, Nachwort (s. Anm. 86) 287. „This is what the good guys do. They keep trying. They dont give up.“ (136) [sic!] 90 „Some new distance between them. He could feel it.“ (190) 91 Eine solche Haltung entspricht auch der Aussage McCarthys in einem der seltenen Interviews. Auf die Frage nach dem religiösen Einfluss seiner irisch-katholischen Wurzeln spricht er von einem diskussionslosen Praktizieren der Religion im Elternhaus; für ihn selbst aber zähle v. a. die ethisch-moralische Dimension von Spiritualität. Vgl. J. JURGENSEN, Cowboy (s. Anm. 82). 89

„Nah ist und schwer zu fassen der Gott“

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Cormac McCarthy legt eine trotz des vagen eventuellen Hoffnungsschimmers am Schluss des Romans erschütternde Erzählung vor, schonungslos nüchtern und keine grausame Konsequenz scheuend. Entgegen der pompösen Bildpracht, die der Seher Johannes in Verderben und Vollendung liefert, bringt er auch sprachlich-formal minimalistisch die schrecklichen Realitäten auf den Punkt.92 Lässt sich McCarthys „postapokalyptisches Roadmovie“93 überhaupt als Rezeption der neutestamentlichen Offenbarung,94 näherhin ihres Gottesbildes lesen? Die opulente Fülle von Anspielungen auf die Johannesapokalypse, wie sie die beiden vorhergehenden Rezeptionsbeispiele auszeichnet, sucht man in diesem Roman vergebens. Auch die Bibel scheint zur versunkenen Welt zu gehören. Es bleiben lediglich rudimentäre Reste „präapokalyptischer“ Moral und Religionspraxis, darunter auch (und vielleicht noch nicht einmal unmittelbar entlehnt) einige Rezeptionssplitter biblischer Herkunft. Zu sehr allgemein gehaltenen Anspielungen auf die religiöse Tradition zählen das immer wiederkehrende Pilgermotiv und das Bild vom Leben als Wegexistenz (vgl. der wiederholt am Ende eines Absatzes geäußerte Satz „and they set off along the road again“; 22). Dennoch besteht mit dem Topos des Untergangs in einer quasi-universalistischen Perspektive natürlich eine besondere Affinität zum letzten Buch des Kanons. Nicht umsonst wird McCarthy in einem Artikel zu seinem achtzigsten Geburtstag als „apokalyptischer Reiter“ bezeichnet, als „Endzeit-Visionär“, „dessen Schreiben ein einziger Zug ist in die eschatologische Abendröte des Westens“95. Mit der Aufnahme solcher „apokalyptischer“ Strukturen bewegt sich der Autor nicht zuletzt in einer langen amerikanischen Traditionslinie in Kunst, Literatur, Film und Politik.96 Wenn man von der ursprünglichen Semantik des Wortfeldes um ἀποκάλυψις ausgeht, so ergibt sich eine große Gemeinsamkeit mit der biblischen Apokalyptik auch in dem Anspruch, vom Ende her denkend zu enthüllen, was in der Gegenwart

92 Der äußerst ökonomische Sprachstil, der nur dort unterbrochen wird, wo der Erzähler die Welt vor der Katastrophe evoziert, äußert sich bis hinein in die Grammatik und Interpunktion z. B. im Verzicht auf Anführungszeichen für die wörtliche Rede oder Apostrophe in den kontrahierten Verbformen („cant“, „didnt“ usw.) 93 C. SCHMIDT, Der apokalyptische Reiter. Cormac McCarthy wird 80, in: Süddeutsche Zeitung vom 20.07.2013, online im Internet URL: http://www.sueddeutsche.de/kultur/ cormac-mccarthy-wird-der-apokalyptische-reiter-1.1726377 (30.12.2014). 94 Karin Schöpflin z. B. wählt den Roman McCarthys in ihrem Kapitel zur Johannesoffenbarung als literarisches Rezeptionsbeispiel. Vgl. K. SCHÖPFLIN, Bibel (s. Anm. 85) 322−327. 95 C. SCHMIDT, Reiter (s. Anm. 93). 96 Einen guten Einblick nicht nur, aber vor allem in die amerikanische Rezeption der Moderne bis zur Gegenwart bietet: S. J. Stein (Hrsg.), Apocalypticism in the Modern Period and the Contemporary Age (The Encyclopedia of Apocalypticism 3), New York 1999.

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noch verborgen angelegt ist. Eine solche Perspektive legt unmissverständlich offen, was wirklich zählt: „Von hier aus offenbart sich der Wert und Unwert aller Dinge, aller Menschen, aller Machtstrukturen.“97 Und dies gilt für die (in ihrem ethischen Anspruch ja schon auf ein Rest-Tabu reduzierte) Anthropologie des Romans gleichermaßen wie für die Frage nach seiner in welchem Maß auch immer existenten „Theo-logie“. Dabei ist die zeitliche Perspektive freilich eine andere geworden: Blickt der neutestamentliche Seher von der negativ konnotierten Gegenwart in die nahe Zukunft und erwartet nach dem Zusammenbruch die Vollendung, so liegen für die Protagonisten des Romans die glücklichen Momente unwiederbringlich in der Vergangenheit. In McCarthys Roman ist die Zukunft nach der Zerstörung schon heil-lose Gegenwart ohne Aussicht auf Erlösung: „There is no later. This is later.“ (54) Da scheint auch die im „Gebet“ des Jungen geäußerte Hoffnung, die Toten seien beim „lieben Gott“ in Sicherheit, eher einen unreflektierten Kinderglauben zu spiegeln. Hoffnung aus der Erinnerung zu schöpfen und die Zukunft als vervollkommte Re-Vision des schon Gewesenen zu imaginieren in der Art und Weise, wie Johannes von Patmos das Bild der neuen Welt und des neuen Jerusalem (Offb 21f.) entwirft, ist den Protagonisten von „The Road“ nicht mehr möglich. Auch der Dualismus zwischen den „good guys“ und den „bad guys“ greift einen Grundzug der Johannesapokalypse auf und stellt zugleich alle SchwarzWeiß-Malerei in Frage. Denn wie leicht das „Gutsein“ in Gewalt umschlagen kann, wie leicht eine solch klare Gut-Böse-Trennung auch Gewalt zu rechtfertigen droht, solange man nur zur Seite der „Guten“ zählt, lässt sich u. a. an der ins Religiöse überhöhten Beschützerrolle des Vaters ablesen. Vor diesem Hintergrund fällt noch stärker auf, dass die klassischen Gottesattribute der Johannesoffenbarung keine Rolle mehr spielen und eben nicht rezipiert werden. Weder hat Gott diese „kupierte Apokalypse“ in Gang gesetzt noch lässt er ihr eine lebenswerte Alternative folgen. Es gibt auch keine Propheten mehr, die qua göttlicher Offenbarung den Weg zu weisen verstehen, wie es ein Johannes von Patmos mit großer Selbstverständlichkeit und Überzeugung unternimmt. Was in der Vergangenheit Gott zugeschrieben wurde, ist in der Gegenwart des Romans nur noch in Menschen ansatzweise präsent: im Vater, der seine Zusage des „Ich-bin-da“ gleichwohl nur bis zu seinem Tod einhalten kann; in der vagen Sehnsucht des Sohnes nach dem Guten; als göttlicher Atem in „good guys“ wie der Familie in der Schlussszene. Die unmittelbare Theozentrik der Johannesoffenbarung aber ist durchbrochen – und mit ihr die Hoffnung auf eine Zukunft für ein Leben, das diesen Namen verdient.

97

E. HORN, Zukunft (s. Anm. 79) 26.

„Nah ist und schwer zu fassen der Gott“

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Kontrast – Korrektiv – Inspiration: Bibeltext und literarische Rezeption im theo-logischen Dialog „Nah ist Und schwer zu fassen der Gott. Wo aber Gefahr ist, wächst Das Rettende auch.“ (Z. 1–4)98

Dieses Zitat Hölderlins bildete den Einstieg in die Thematik und soll auch der Schlussbetrachtung vorangestellt sein. Die Verhältnisbestimmungen von Nähe und Distanz, von Enthüllung und Unfassbarkeit, von Gefahr und Rettung fallen in den drei gewählten Beispielen sehr verschieden aus: Für das lyrische Ich in Reinhold Schneiders Apokalypse-Sonetten liegt alleine im Nahen des sich wirkmächtig für die Unterdrückten einsetzenden Gottes Rettung – und dieses Kommen ist trotz aller gegenwärtig erfahrenen Ferne gewiss. In Stefan Heyms Roman bleibt die Zeichnung Gottes höchst ambivalent: Gott ist manchmal unendlich fern, Rettung ist von ihm nicht zu erwarten, und wo er nahe kommt, zeigt er sich nicht unbedingt von der angenehmen Seite. Für die Protagonisten bei Cormac McCarthy könnte die allgegenwärtige Gefahr nicht größer sein. Rettung aber kommt nicht mehr vom verschwundenen Gott der Vergangenheit, sondern zeigt sich höchstens ansatzweise als „Atem Gottes“ im Ringen der Guten um Humanität. Viele sich daraus ergebende Einzelfragen und -probleme sind bereits zur Sprache gekommen. Sie vermögen anzuzeigen, wo das letzte Buch der Bibel in seiner Wirkungsgeschichte unverständlich blieb, gefährlich verengt oder missverstanden wurde. Weiterhin sensibilisieren sie für die möglichen Stolpersteine und Hürden, die sich für heutige Leser/innen der Johannesoffenbarung speziell hinsichtlich des eigenen Gottesbildes auftun. Sie verweisen auf die Kontingenz jeglicher Rezeption und warnen angesichts gewandelter Denkhorizonte und Lebenswelten vor dem Fehlschluss, es reiche für ein heutiges Verstehen aus, die Worte von damals lediglich zu wiederholen. Literarische Rezeptionen legen gleichzeitig den Finger in die „Wunden“ eines biblischen Textes; sie bewahren vor vorschneller Glättung und Harmonisierung z. B. auch hinsichtlich des in einer dualistischen Weltsicht verankerten macht- und herrschaftsorientierten Gottesbildes der Johannesoffenbarung und ermuntern zu einer genauen Lektüre auch und gerade dort, wo es weh tut. Indem literarische Rezeptionen die Ecken, Kanten und Widersprüchlichkeiten in der Darstellung Gottes beim Seher Johannes noch bewusster machen, laden sie auch dazu eine, diese als Chance zu begreifen: „Wenn nämlich die widerständigen Vorgaben dieses merkwürdigen Buches uns tatsächlich zur Stellungnahme darüber herausforderten, was Gott für uns ist und 98

F. HÖLDERLIN, Patmos (s. Anm. 1).

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Rita Müller-Fieberg

wie wir uns an ihm festmachen, dann wäre dies geradezu ein Glücksfall für die Auslegung.“99 So kann gerade der literarische Mut, die dunklen Seiten Gottes nicht zu verschweigen, und Widersprüche stehen zu lassen, zu einer exegetisch-theologischen Inspiration werden. Denn es gilt: „Wenn Gott als der eine Gott sich auf die ganze Wirklichkeit bezieht und diese Wirklichkeit widersprüchlich ist, dann wird sich, wenn denn von Gott geredet werden soll und muss, der Widerspruch auch in die Theologie, das Reden von Gott, eingraben.“100 Umgekehrt zeugt gerade die starke Resonanz der Johannesoffenbarung und ihres Gottesbildes in der zweitausendjährigen Wirkungsgeschichte davon, dass sich Menschen aller Herzen und aller Zeiten101 von ihr angesprochen fühlten. Im Angesicht moderner literarischer Rezeptionen – in denen speziell der Transzendenzbezug oft brüchig geworden ist – lautet die exegetischtheologische Aufgabe, diese ureigene, unverzichtbare Stimme im Chor der biblischen Gottesbilder vernehmbar zu machen und im Profil zu schärfen.102 In ihrer Anwaltfunktion gegenüber dem biblischen Text ist es Aufgabe der Exegese, den Blick zurück zum Ausgangspunkt aller Rezeptionen zu lenken und seinen bisweilen auch vergessenen oder verschütteten Sinnhorizont neu zu eröffnen.103 Denn gerade in der Konfrontation mit der Andersartigkeit des Welt- und Gottesbildes der Johannesoffenbarung kann sich modernen Leser/innen eine ebenso herausfordernde Korrektiv- und Kontrasterfahrung erschließen: Man muss die Welt nicht so sehen, wie wir es heute tun! Gott ist in der Johannesoffenbarung der thronende, geschichtsübergreifende Pantokrator, dessen Darstellung durch den Macht-, Herrschafts- und Gerichtsaspekt geprägt ist. Dass „Gott stärker ist als alle Mächte dieser Welt“, kann (mit großer Reibungsfläche gegenüber einem „kupierten“ ApokalypseBegriff) geradezu als „Kern der Apokalyptik und der apokalyptischen Litera99

C. P. MÄRZ, „Der ist, der war und der kommen wird“. Die Offenbarung des Johannes und unsere Rede von Gott, in: Zeiten des Übergangs (FS F. G. Friemel) (EThSt 80), Leipzig 2000, 42–64, 42f. 100 K. WENGST, „Wie lange“ (s. Anm. 29) 271. Um „der Möglichkeit und Freiheit zum Widersprechen willen“ darf logische Widerspruchsfreiheit kein theologisches Postulat sein! 101 J. G. Herder sprach von der Johannesoffenbarung als einem „Buch für alle Herzen und alle Zeiten“, das die gesamte Palette möglicher Handlungen und Emotionen in Menschen wecken könne. J. G. HERDER, Sämtliche Werke IX, hrsg. v. B. Suphan, Hildesheim 1967, 241. 102 Vgl. die pointierte Fragestellung F. Tóths, die sich auch auf die Gottesfrage hin spezifizieren lässt: „Was gewinnen wir für die Gegenwart, wenn wir den historischen, fernen, oft mehrdeutigen Apk-Text interpretieren und mit seinen vielen Fortschreibungen ins Gespräch bringen?“ F. TÓTH, Erträge und Tendenzen in der gegenwärtigen Forschung zur Johannesapokalypse, in: J. Frey/J. A. Kelhoffer/F. Tóth (Hrsg.), Die Johannesapokalypse. Kontexte – Konzepte – Rezeption (WUNT 287), Tübingen 2012, 1–39, 39. 103 Vgl. M. KARRER, Instrument (s. Anm. 20) 423.

„Nah ist und schwer zu fassen der Gott“

227

tur“104 bezeichnet werden. Nur so wird er nicht hineingezogen in das Chaos der Welt, nur so kann er zuverlässig handlungsfähig sein und wirkmächtig handeln. Dies aber ist eine radikale Theozentrik um der Schwachen willen. Sie gibt eine klare Antwort auf das Einklagen der Erfüllung göttlicher Zusagen in größter Not. „In diesem Sinne ist Apokalyptik der Mutterboden der Theologie: Sie hält an Gott fest – in extremis.“105 Gott ist im theologisch ungeheuer kühnen Entwurf der Johannesoffenbarung zugleich ein Gott, der schließlich so nah kommt, dass man ihn von Angesicht zu Angesicht schauen kann (Offb 22,4). In der Stadt der Vollendung dominieren Bilder göttlicher Gegenwart und Zuwendung, die an Beziehungsintensität kaum zu übertreffen sind. Geschaut wird ein Gott, der Wohnung nimmt mitten unter den Menschen (vgl. die Erwähnung der σκηνὴ τοῦ θεοῦ in Offb 21,3 und die metaphorische Übertragung des Tempelbegriffs auf Gott als Zeichen seiner unmittelbaren Gegenwart in Offb 21,22). Seine Fürsorge äußert sich im Abwischen der Tränen (Offb 21,4) ebenso wie in der Gabe des Lebenswassers (Offb 21,6) und der Verheißung des Erbes (Offb 21,7). Immer noch ist von Herrschaft die Rede – jedoch handelt es sich um eine „herrschaftsfreie Gottesherrschaft“106, an der die Menschen in egalitärer Weise teilhaben (Offb 22,5). Eine solche partizipatorische Gottesvorstellung steht in einem heilsamen Kontrast zu den weltlich-politischen Herrschaftserfahrungen nicht nur der Zeit des Johannes von Patmos. So vermag die exegetische Lektüre speziell der Thronvision in Offb 4f. sowie der Vollendungsvision in Offb 21f. hinsichtlich der Gottesthematik aufzuzeigen, dass Gott im letzten Buch der Bibel im Spannungsfeld von distanzierter Allmacht und liebender Nähe verbleibt – und dass dieser „Widerspruch“ mit gutem Grund nicht aufgelöst wird.

104 J. BEUTLER, Die Hermeneutik der Apokalypse und ihrer Bildersprache angesichts ihrer fundamentalistischen Deutungen, in: M. Labahn/O. Lehtipuu (Hrsg.), Imagery in the Book of Revelation (CBET 60), Leuven 2011, 11–27, 27. 105 So mit Bezug auf die gesamte Bewegung der Apokalyptik als einer „Gestalt der Klage“ G. STEINS, „Wie lange noch, Herr!?“ Zum Design apokalyptischen Denkens nach dem Buch Daniel, in: H. G. Gradl/G. Steins/F. Schuller (Hrsg.), Am Ende der Tage. Apokalyptische Bilder in Bibel, Kunst, Musik und Literatur, Regensburg 2011, 105–123, 122. 106 M. EBNER, Spiegelungen: himmlischer Thronsaal und himmlische Stadt. Theologie und Politik in Offb 4f. und 21f., in: B. Heininger (Hrsg.), Mächtige Bilder. Zeit- und Wirkungsgeschichte der Johannesoffenbarung (SBS 225), Stuttgart 2011, 100–131, 131.

Verzeichnis der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter Martin Hasitschka Em. Universitätsprofessor am Institut für Bibelwissenschaften und Historische Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck, Österreich. Konrad Huber Professor für Neues Testament an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Deutschland. Martin Karrer Professor für Neues Testament und seine Umwelt an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal / Bethel, Deutschland; Research Associate der Universtität Pretoria, South Africa. Beate Kowalski Universitätsprofessorin für Exegese und Theologie des Neuen Testaments am Institut für Katholische Theologie an der Technischen Universität Dortmund, Deutschland. Michael Labahn Außerplanmäßiger Professor an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Deutschland; Extraordinary Associate Professor, Faculty of Theology North-West University (Potchefstroom Campus), South Africa. Rita Müller-Fieberg Dozentin für Biblische Theologie und ihre Didaktik am Institut für Lehrerfortbildung, Essen. Dozentin für Exegese des Neuen Testaments an der Philosophisch-Theologischen Hochschule SVD St. Augustin, Deutschland. Martin Stowasser Außerordentlicher Universitätsprofessor am Institut für Bibelwissenschaft (Neues Testament) an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien, Österreich. Klaus Wengst Em. Professor für Neues Testament und Judentumskunde an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum, Deutschland.

Stellenregister 1. Altes Testament Genesis 1 1–2 1,10 11,5 17,1 17,22LXX 23,31 26,24 28,10–17 43,23 49,9–10 Exodus 3,6 3,12 3,14 3,14LXX 3,15 3,16 11,5 12,29 15,17 19,16 19,16LXX 19,18 19,24 24,16 25,6 25,8 25,31 25,37 28,4 28,27 28,36

20, 46 35 31 31, 38f., 47 71 57 90 64 213 64 132, 187

64, 116 116 29, 43, 49f., 71, 75f., 103, 116–118, 139, 157, 181, 213 103 116 116 38 38 39 101 60 31, 38f., 47 56 31, 38f., 47 93 39, 194 85 85 92 92 39

29,5 29,6 29,34 30,32 30,37 31,7 33,7–11 33,20 34,6 34,27 34,27f. 36,37 39,8[9]LXX 40,34f. 40,34–38

92 39 39 39 39 39 194 90 117 42 42 39 92 194 194

Levitikus 3,12 26,12

70 31, 32

Deuteronomium 4,24 5,26 26,17–19 32,4 32,15 32,40

94 103 40 75 63 104, 126

Richter 5,31 6,22f.

99 90

2 Samuel 7,8 7,14 23,3LXX

119 32f., 40, 145, 195 64

232

Stellenregister

1 Könige 1,48 2,10 8,27 22,19

32, 38 57 31 32, 38

2 Könige 6,2 7,8 7,29 19,21 22,3 22,47 23,3LXX

56 74 77 31, 36, 47 64 64 64

2 Chronik 9,11 18,18

56 32, 38

Nehemia 9,4 11,1 11,18

56 31 31

Tobit 11,14 11,14f. 11,14–15 13,10 14,13

164 164 164 63 114

1 Makkabäer 10,89 13,51

93 191

2 Makkabäer 6,2 6,7 10,7

62 67 191

Psalmen 2,2 2,7 3,5 9,15 17LXX 17,15 17,32LXX

123 65 65 31, 36, 47 69 63 68

18,32 21,28 22,29 23 23,5LXX 24,4LXX 26,2LXX 42,2f. 44,23 47,9 47,12 50,3 55,18 63,3 72,18f. 72,28 76,19LXX 77,60LXX 83,6LXX 84,12 85,9 89 89,9 89,28 89,39 95,7 96,13 103,7LXX 114,8 LXX 118,25 118,169LXX 136,8 138,8LXX 143,6 145,17

68 131 123 143 63 63 63 195 187 32, 38 31, 36, 47 181 65 195 120 31, 36, 47 60 39 56 100 131 159 181 124 124 31 181 60 32, 41 191 71 31, 36, 47 56 195 75

Sprichwörter 8,22–30 15,29LXX

155 65

Hohelied 4,15

135

Weisheit 1,14 9,1 13,1 18,24

60 167 76 92

233

Stellenregister Jesus Sirach 1,8 18,1 Jesaja 1,2 1,8 1,21 3,16f. 4,4 6 6,1 6,1–3 6,3 6,5 8,1 8,8 10,32 11,1 11,4 11,10 24 25,6–8 25,8 29,6 30,8 35,4 35,10 37,22 40 40,1 40,8 40,10 41,4 41,4LXX 41,4f. 43,10 43,18 43,19 44,1 44,6 45,7 45,21LXX 47,1 48,12 48,12–22

32, 38 60, 104, 126, 167

36 31, 36, 47 31 31, 36, 47 31, 36, 47 41 32, 38 56, 58 120, 215 90 32, 42 31 31, 36, 47 132, 187 98 132, 187 35 143 32f., 41f., 143 60 32, 42 181 21, 32, 41 31, 36, 47 48 25 189 181 32, 43f., 103, 171f., 181 78 172 71, 181 32, 41 31f. 171 32, 43f., 103, 125, 172, 181 46 63 31, 36, 47 32, 43f., 90, 103, 125, 171, 181 43

48,13 49 49,2 49,10 51,6 51,10 51,11 52,1 52,1f. 52,2 53,7 54,11–17 55,1 55,1–2 55,1–13 60,19 61,10 62,1 62,11 63 63,2–3 63,16LXX 64,7LXX 65,17 65,19 65,25 66,20 66,22 66,23

171 143 98 143 189 35, 36 21, 32, 41 31, 37, 63 36 31, 36, 47 187 31 32, 45 195 45 143 31, 36f. 31, 36f. 31, 36, 47 142 141 65 65 31–34, 41, 215f. 32, 41 216 31, 37 31, 33f. 131

Jeremia 1,6 2,13 4,10 4,31 6,2 6,23 10,7 10,7LXX 11,19 14,13 17,13 27,42LXX 30,2 31 31,1 31,16 37,2LXX 39[32],17

76 32, 45, 135 76 31, 47 31, 36, 47 31, 36, 47 61 66 187 76 135 31, 36, 47 43 36 31 32, 41 32, 42f. 76

234

Stellenregister

43,2LXX 43,28LXX 49,5LXX

32, 42 32, 42 42

Klagelieder 1,6 2,1 2,4 2,8 2,10 2,13 2,18 4,22

31, 36, 47 31, 36, 47 31, 36, 47 31, 36, 47 31, 36, 47 31, 36, 47 31, 36, 47 31, 36, 47

Ezechiel 1 1,4–28 1,10 1,18 1,22LXX 1,25f. 1,26 1,26–28 1,27LXX 1,28 2,1f. 3,12 3,15 3,16 9,11 10 10,1 11,20 11,20LXX 24,2 28,13LXX 34,23 36,26 37,16 37,27 38–39 43,2 43,6f. 47,1–12 47,9f.

41, 56, 58 213 59 60 58 31f., 37f. 32 160 58 90 90 101 101 102 93 41 213 32f. 32 32, 42 58 143 215 32, 42 31, 39f. 37 96 31f., 37f. 135 222

Daniel 2,28–29LXX 2,45LXX

178 178

6,27 7 7,9 8,17f. 8,18 10,5 10,6 10,9f.LXX 10,10 10,12LXX 12,4 12,9

103 94, 110 32, 38, 94 90 90 93 94–96, 99 90 90 90 186 186

Hosea 13,4

64

Joël 4,13 4,17 4,18

141 31, 37 135

Amos 3,13 9,6LXX

73 57

Obadja 21

123

Micha 1,12 1,13 4,8 4,10 4,13 7,7

23 31, 36, 47 31, 36, 47 31, 36, 47 31, 36, 47 63

Habakuk 2,2 3,18

32, 42 63

Zefanja 3,14

31, 36, 47

Sacharja 2,6–13 2,11 2,14 2,14f. 4

45 31, 36, 47 31, 36, 47, 181 31 41

235

Stellenregister 4,1–14 4,2 4,10 8,1–17 8,8

92 85 60 45 32

9,9 14,8

31, 36, 47, 191 32, 45, 135

Maleachi 3,1–2

181

2. Pseudepigraphen Psalmen Salomos (PsSal) 3,6 63 65 7,7 8,33 63 17,3 63 17,35 98

Apokalypse Mose (ApkMos) 7,2 56 Apokalypse Sedra (AbkSedr) 2,2–5 57 1 Henoch / Äthiopischer Henoch (1 Hen) 9,5 167 56 14,5 90 14,14 14,24 90 70–71 55 2 Henoch / Slavischer Henoch (2 Hen) 1–21 55 3 Makkabäer (3 Makk) 3,28 114 Martyrium Jesajas (MartJes) 2,9 56

Sibyllinische Orakel (Sib) 167 3,20 56 3,100 5,72 56 Testament Abrahams (TestAbr) 57 7,13f. (Rez A) Testament Levis (TestLev) 2–5 55 Vita Adae et Evae (VitAd) 25,1–29,1 55

3. Qumran 4QLXXLevb 3,12

70

4. Jüdisch-hellenistische Literatur Aristeasbrief (Arist) 16 61 157 74 185 74

Flavius Josephus Antiquitates Judaicae (Ant.) III 153 93 VIII 280 169

236

Stellenregister

Bellum Judaicum (Bell) 121 I 135 121 V 366f.

De Posteritate Caini (Poster C) 77 167 De Plantatione (Plant) 93 167 148 67

Joseph und Aseneth (JosAs) 5,5–6 100 11,10 103 167 12,1

Quod Deus sit immutabilis (Deus Imm) 33.61.81 117

Philo De Somniis (Som) I 230f.

De Abrahamo (Abr) 77 121 De Mutatione Nominum (Mut Nom) 7–10.14 77

77

De Vita Mosis (VitMos) I 75 77 I 75f. 64

5. Rabbinische Literatur /Judaica Bereshit Rabbati (BerR) 81,2 71

Shemot Rabba (ShemR) 3,6 116

Mekhilta de R. Yishmael (MekhJ) Ex 23,13b 71

Targum Pseudo-Jonathan (TPsJ) Dtn 32,39 117

6. Neues Testament Matthäus 1,6 2,28 3,5 3,21 6,9 14,1 14,30 17,2 17,7 22,32 24,30 26,28

65 65 65 65 65 65 90 99 90 64 184 24

Markus 1,11 5,36 9,7 13,32

184 90 184 189

14,24

24

Lukas 1,10–17 1,37 5,10 15,12 15,13 22,20

85 85 90 114 114 24

Johannes 1,1 1,1–3 1,10 1,12f. 1,14 1,18 1,29 1,30

139, 189, 194 137 137 189 139, 189, 194 134, 188f. 190 190

237

Stellenregister 1,32 1,32–33 1,33 1,34 1,35–37 1,35–42 1,36 1,40 1,41 1,51 3,16 3,29 4,10f. 4,14 4,22 5,19 5,26 5,33 5,37 6,46 6,57 6,70 7,37–39 8,13–14 8,40 8,44 10,30 10,38 11,1–12,19 12,12–14 12,13 12,26 12,28 12,31 12,31f. 12,32 12,32f. 12,45 13,1 13,12 13,27 13–15 14,2 14,2–3 14,3 14,4–24 14,8f. 14,9 14,10–11

181 190 181, 190 190 190 191 187, 191 187 187, 190f. 185 183 190 195 195 192 178 185 182 189 189 185 193 195 182 182 193 52, 196 191 94 191f. 191 136, 179 184 193 193 136 193 189 183 193 193 179 179 179 179 179 189 194 191

14,18 14,19 14,20 14,23 14,28 14,30 15,12 16,11 16,13 16,13–15 16,14 16,15 16,16 16,18 16,21 16,25 16,33 17,5 17,6 17,8 17,14 17,15 17,21 17,22 17,22f. 17,24 17,26 18,37 19,37 20,17 20,20 20,22 20,27 20,28 20,29 20,30 21,15 21,22

179 185 191 179, 181, 184 179 193 183 193 179 180 179 180 179 179 184 180, 190 184f., 192 180 189 178 178 193 191 178 136 136, 178–180, 192 183, 189 182 184 183, 196 190 181 190 189 207 186 187 179

Apostelgeschichte 3,13 5,30 7,4 7,32 7,44 7,55 7,56 14,15 16,17

64 64 182 64 194 188 185 167 61

238

Stellenregister

16,25 17,24 17,26 22,14

182 167 167, 182 64

Römer 1,23 8,16f. 8,29 8,36 9,29

167 136 136 187 74

1 Korinther 1,3 8,6 11,25 12,18 15,51 16,22 2 Korinther 5,7 6,18 12,1 12,2 Galater 1,12

65 60 24 60 179 205

207 74, 119 178 58

11,1 11,6 11,27 13,21

207 75 53, 207 133

Jakobus 5,4

74

2 Petrus 3,18

133

1 Johannes 1,1 1,10 1,14 2,28 2,28–3,3 4,12

139 139 139 179 179 189

Offenbarung 1 1,1

1,1–2 1,1–3 178

Epheser 1,2 3,9

65 60

Kolosser 1,15 1,15–16

53, 173 137

1 Thessalonicher 4,15–18

179

1,2 1,3 1,4

1,4–5 1,4–6 1,4–8 1,5

1 Timotheus 1,17

53

2 Timotheus 4,18

133

Hebräer 7,1 8,13

61 34

1,5b–6 1,5–7 1,6

85, 129 20, 27, 43, 56, 64, 68, 87, 107, 114, 132, 135, 138, 142, 162, 178, 188 138 86, 89, 102, 110, 178 23, 138, 180, 182 105, 170, 178 25, 44, 53, 55, 75, 91, 96, 103, 114f. 117, 119f., 125, 139, 157f., 181f., 184, 188 133, 180, 183 149, 159 86, 92, 110, 139, 174, 180 20, 23, 26, 42, 46, 88, 106f., 115. 123– 125, 133, 140, 145, 157, 172, 181f., 190, 192 88, 133, 183 140 24, 92, 127, 133, 136, 144f., 173, 183

Stellenregister 1,7

1,8

1,8–21,6 1,9

1,9f. 1,9–10 1,9–13 1,9–20 1,9–3,22 1,10 1,10f. 1,11 1,11–18 1,12 1,12–16 1,13 1,13–16 1,13–20 1,14 1,15 1,16 1,17

1,17f. 1,17–18 1,17–20 1,18 1,19 1,20 1–3

41, 88, 94, 139, 158f., 178, 181, 183, 207 20, 26–29, 43f., 49, 55, 70f., 73–75, 77, 103f., 109, 117, 119f., 125, 133, 139, 144, 149–153, 157f., 172, 181, 184, 190, 194 167 23, 56, 84, 86f., 89, 91f., 103, 110, 136, 138, 180, 182, 184, 192, 208 84 84, 87 109 48, 83–86, 88, 99, 130, 155, 185 184 23, 84, 87, 89, 101 102 26, 42, 46, 87, 89, 91, 101f., 110 206 87, 89 87 92–94, 187 92, 97, 134 85, 91, 94, 106–109 94, 99, 157, 188, 215 96 68, 96–99, 186 28, 34, 35, 49, 87, 89f., 102f., 123, 133, 149, 166, 171 91, 125, 172 103f., 172, 184 87–91, 102 105, 109, 126, 137, 145, 172 20, 26f., 42, 46, 68, 89, 91, 107 91f., 96, 110, 98, 107 86

1–12 2f. 2,1 2,2 2,2f. 2,5 2,6 2,7 2,8 2,9–10 2,10 2,11 2,12 2,13 2,14 2,14f. 2,16 2,17 2,18 2,19 2,20f. 2,20–23 2,26 2,26–27 2,26–28 2,28 2–3 3,1 3,2 3,4f. 3,5 3,7 3,8 3,9 3,10 3,11 3,12

239 118 107 19f., 26, 42, 46, 96– 98, 187 30, 84, 184 208 159 211 19f., 28f., 144 19f., 26, 28, 34f., 42, 46, 49, 96, 133, 145 184 19f., 26, 28, 172 19f., 29, 172 19f., 26, 42, 46, 98 19f., 23, 26, 42, 69, 124, 181 19, 29 211 98, 105, 127, 146, 159 19f., 29 19f., 26, 42, 46, 144 84, 208 29 211 19f., 29, 105 172 136, 145 24, 40, 144, 170, 183 48, 86, 88, 110, 185, 195 19f., 26, 42, 46, 144, 181, 188 113, 144 191 19, 24, 28, 29, 30, 40, 144, 183, 186 19f., 26, 42, 46, 137, 149 105 131, 145, 183 84, 208 127, 159, 178, 181 19, 22, 29, 47, 113, 135, 144

240 3,14

3,17 3,21

4 4f. 4,1 4,1f. 4,1–11 4,2 4,2f. 4,2–4 4,2–8 4,2–11 4,3 4,4 4,4–7 4,5 4,6 4,6f. 4,6–8 4,8

4,8–11 4,9 4,9f. 4,9–11 4,10 4,10–11 4,11

4–5

5 5,1

Stellenregister 19f., 23, 26, 28, 42, 46, 49f., 137, 144, 149, 155f., 173, 181f. 153 19, 24–26, 29, 40, 113, 132, 134, 136, 144f., 183, 185, 187f. 25, 55f., 58f., 60, 65, 132, 136f., 153 214, 227 23, 27, 56f., 88, 185 61 213 25, 58, 134 19f., 154 26 120, 160 185 25, 58, 66, 80, 134 26, 215 154 59, 188 19, 21, 60, 65, 154, 187 59 186 44, 74f., 117, 120, 136, 144, 152–155, 160, 181, 215 120 25, 120, 134, 151, 184f. 20, 26, 154, 160 120, 160 25, 120f., 131, 134, 136, 154, 160, 184f. 137 19f., 60, 64, 69, 123, 132, 136, 146, 153f., 173, 188 11, 56, 132, 134, 149, 159, 175, 185, 188 92, 106, 133, 153, 155, 160 20, 25f., 97, 132, 134, 185, 215

5,1–5 5,1–14 5,2 5,2–4 5,3 5,4 5,5 5,5f. 5,5–7 5,6

5,6f. 5,6–6,1 5,7 5,8 5,8–10 5,9

5,9f. 5,9–10 5,9–13 5,10 5,11 5,11–12 5,12 5,13 5,13–14 5,14 6ff. 6,1 6,1–8 6,1–8,1 6,2 6,4 6,4f. 6,6 6,8 6,9 6,9–11 6,10 6,11 6,12

132, 185 138 153, 186 160 132, 186, 188 132 41, 132, 145, 170, 185, 187 59 172, 191 25, 54, 105, 113, 132, 134, 145, 160, 165, 171, 174, 181, 187f., 190 140, 154, 190 89, 110 20, 25f., 97, 132, 134, 188 65, 132, 154, 188 133, 155 40f., 106, 128, 132f.. 137, 145, 155, 173, 188, 190f. 145, 154, 162, 188f. 137, 154 154 64, 106, 127, 133, 136, 155, 173 77, 155 133 132, 137, 145, 188 19f., 25f., 132, 134f., 137, 155 133 131, 154 138, 145, 156 59 216 188 26 153 26 118 26, 173 23, 138 65 20, 26, 46, 117, 208 191 216

Stellenregister 6,13 6,15–17 6,16 6,17 7 7,1–3 7,2 7,2f. 7,3 7,3–8 7,4–8 7,9 7,9f. 7,9–10 7,9–17 7,10 7,11 7,13–17 7,14 7,15 7,16 7,16f. 7,16–17 7,17 8,4 8,7–12 8,8 8,9 8,13 9,1 9,11 9,15 9,17 9,20 9,21 10,1 10,2 10,4 10,5 10,5f. 10,6 10,8 10,9 10,10

216 140 20, 25f., 54, 134f., 141, 207 135, 140 143 19, 46 23, 184 161 64 65 41 40f., 135, 190f., 215 64, 191f. 133 191f. 20, 25f., 64, 134f., 192 131 143, 192 106, 145, 184, 192 20, 25f., 134f., 192, 194 28 143 143 20, 24f., 29, 45, 134, 143, 165, 192, 195 23 173 19, 21 19–21 36 36 68 173 26 131 29, 30 22, 100 19, 21, 186 36, 153 19, 21 100 19f., 46, 136, 167, 184 19, 21, 107, 186 186 186

10,11 10,19 11 11,1 11,1f. 11,2 11,3 11,7 11,8 11,9 11,11 11,12 11,15

11,16 11,17

11,18 11,19 11,23 12f. 12,1 12,1–17 12,5 12,6 12,7 12,7–12 12,9 12,10 12,11 12,12 12,13 12,17 12,18 13 13,1 13,2 13,3 13,4 13,5–7 13,6 13,7 13,8 13,10

241 41 153 54, 62 54, 131 54 54, 56 23 23 145 40f. 28, 40 20, 23 20, 23, 113, 122, 126, 134f., 144, 161–164 26, 131 44, 75, 122f., 144, 152, 158, 161, 163, 181 141 26, 37, 39, 163 163 206 100, 144 193 113, 145f. 161 146 193 193 20, 23, 64, 134, 192f. 20, 23, 29, 106, 146, 193 19, 21f., 194 193 23, 86, 105, 138, 182 19, 21 68f., 190 19, 21, 157, 216 26, 122 121 121f., 131, 146 122 20, 23f., 194 40f. 28, 131, 145, 186 84, 208

242 13,12 13,13 13,15 14 14,1 14,2 14,4 14,6 14,7 14,8 14,9 14,10 14,11 14,12 14,13 14,14 14,14–16 14,14–20 14,15 14,16 14,17 14,19 14,20 15 15,1 15,1–16,21 15,2 15,2–4 15,3

15,3–4 15,4 15,5 15,7 15,16 16,1 16,1–21 16,2 16,3 16,5 16,7 16,10 16,14 16,15 16,17

Stellenregister 131 22 131 141 24, 26, 40, 135, 144, 162f., 183 20, 23 133, 135, 173, 190 26, 40f. 19, 46, 131, 136f., 167 19, 22, 29 131 141 131 84, 105, 208 20, 26, 42, 46 215 26 84, 130, 141, 155 141 141 141, 146 141 141f. 93 141, 161 215 19–21, 29, 216 118 20, 26, 44, 46, 61, 66, 74f., 133, 152, 162 133, 136, 162 131, 137f., 162 20, 24, 182, 194 141, 161, 184 19, 22 20, 23, 141 173 131 19, 21, 28 44, 75, 122, 144, 158, 181 20, 26, 44, 152 26 44, 146, 152 178 27, 46

16,17–21 16,17–19,10 16,19 16,21 17,1 17,1f. 17,1–3 17,2 17,4f. 17,5 17,6 17,8 17,9 17,14 17,15 17,15f. 17f. 17–18 17–20 18 18,2 18,3 18,4 18,7 18,9 18,10 18,17 18,19 18,21 19,1 19,2 19,3 19,4 19,5 19,6 19,6–8 19,7 19,7–9 19,8 19,9 19,10 19,11 19,11–16 19,11–21 19,13

27 37 19, 22, 141 22 19, 22, 26 29 127 67 29 19, 22, 23 28, 44, 186 26 20, 26, 133, 140, 146 19, 22, 26, 40f. 29 62 11 105 63 19, 22 29, 118 24, 40f. 26 29, 63 19, 22 19, 21 19, 21 19, 21f. 20, 23, 60, 64, 192 19, 22, 26, 29, 46 23f. 20, 25f., 131, 134 20, 23 61, 152 133 22, 190 22 22 20, 22, 26, 42, 46 23, 129, 131, 156, 182 20, 25f., 46, 137, 142, 146, 185, 216 98 92, 109f., 141f., 185 107, 138f., 146, 153, 189

Stellenregister 19,15 19,16 19,17–21 19,18f. 19,19 19,19–21 19,20 19,21 19–20 20,1 20,2 20,4

20,5 20,6 20,7–10 20,7–15 20,8 20,9 20,10 20,11 20,11–21,8 20,12 20,13 20,14 20,14f. 20,15 21 21f. 21,1

21,1f. 21,1–8

21,1–22,5 21,2 21,2f. 21,3

44, 98, 141f., 152 133, 140, 214 37 26 25 142 30, 131, 142 26, 98, 142 30, 33 22, 105 157 23, 25f., 131, 136, 138, 144, 163, 180, 182 34 34, 133, 135f., 144, 162, 173 37 19 19, 46, 216 22, 145 21, 30 20f., 26, 35, 134, 207, 215 40 28, 186 105 21, 30 30 28, 30, 186 149, 167, 177 214, 216, 224, 227 19–21, 31, 33–36, 44, 46, 156, 167, 215f. 167 11, 12–19, 30f., 33f., 38–40, 45f., 49f., 193 11, 22, 26, 62, 143, 210 19, 22, 31, 36f., 38, 47, 62f., 190, 193 46 20, 23–25, 31, 37– 41, 44, 47f., 135, 163, 167, 192–194, 206, 227

21,4

21,5

21,5–6 21,5–8 21,6

21,6–7 21,7

21,7f. 21,7–8 21,8 21,9 21,9f. 21,9–22,5 21,10 21,11 21,12 21,12f. 21,18 21,22

21,23 21,27 21–22 22,1

22,1f. 22,1–2 22,2 22,3

22,3f. 22,3–4 22,4

243 20, 24f., 32, 34, 41f., 48f., 143, 157, 206, 227 20, 25–27, 31f., 37f., 42f., 46, 48, 134f., 146, 167, 174 166 26, 52, 149f., 166, 184 20, 26–29, 32, 43– 45, 49, 103, 125, 133, 143, 149, 166f., 169f., 173, 190, 192, 194, 214, 227 166, 194 20, 24f., 29, 32, 39– 41, 48f., 65, 145, 167, 227 51 29 20, 29f., 32f., 49, 166f. 22, 163, 190 127 11 19, 22 135, 216 41, 65 216 216 44, 62, 135, 152, 162, 190, 193, 206, 216, 227 134f., 143, 190 28, 186 166, 171 25, 20, 28f., 45, 113, 135, 163, 169, 174, 190, 192 46 143, 195 28, 135, 165 25, 113, 133, 135, 162–164, 174, 190, 218 48, 109, 111, 162f. 135 55, 63, 163, 200, 207, 227

244 22,5 22,6 22,6ff. 22,6–20 22,6–21 22,7

22,8 22,8f. 22,8–9 22,9 22,10 22,10–16 22,11 22,12

Stellenregister 128, 135f., 163f., 206, 227 27, 42, 132, 178 86 170 139 105, 126, 139, 159, 171, 178, 181, 186, 205 131 125, 132 131 105, 129, 131, 155, 186 42, 167, 170f., 186 149f., 166, 170 170 126, 139, 159, 166f., 171, 178, 181, 205

22,13

22,14 22,15 22,16 22,17 22,18 22,18f. 22,18–20 22,19 22,20

20, 28, 34f., 43f., 49, 71, 133, 149, 151, 166, 170–172, 175, 190, 194, 214 28, 166, 170 20, 29f., 166, 170 23, 132, 170f., 178, 182 20, 28f., 45, 67, 127, 143, 171, 192, 195 23, 182, 186 42, 200 170 28, 186 23, 86, 126, 130, 139, 159, 171, 178, 181f., 205

7. Apostolische Väter Didache 10,6

205

8. Altkirchliche Schriften und Autoren Augustinus (August)

Hippolytus (Hipp)

De consensu euangelistarum (Cons Euan) 61 1,22,30

Contra Noetum 6

151

Origenes Clemens Alexandrinus Stromateis (Strom.) 59 V,14,125,3 70 V,34,5

Contra Celsum (Cels) 5,41 62

9. Pagane antike Literatur Appolodorus (Appolodor)

Aischylos Eumeniden (Eum) 918

73

Bibliotheca (Bibl) III,27

60

245

Stellenregister Aristophanes (Arist) Vespae (Vesp) 874

72

78 79

L. Annaeus Cornutus (Cornut) De natura deorum (Nat Deor) 6f. 2,1f. 9,1 65 M. Tullius Cicero (Cic) De natura deorum (Nat Deor) 77 18.30–32 Dio Cassius (Dio C)

De mensibus (Mens) 4,53 67 4,53,40 70 Lucianus (Luc) Icaromenippus (Icaromenipp) 56 11 56 19 Macrobius Theodosius (Macr) Saturnalia (Sat) 1,18,20 1,18,18–21

62 67

Orphicorum fragmenta (Orph Fr)

Historia Romana (Hist) 56 59,11,4 62 65,7,2 100 65,15,1 69 62 Diodorus Siculus (Diod S) Bibliotheca Historica (Bibl Hist) I,94,2 70 Homer (Hom) Ilias (Il) I,70 I,86f. I,497 I,498 II,102 III,277 III,397 VII,200 XIII,474 XVIII,118 XIX,366 XXI,199

65 65

Johannes Laurentius Lydus (Joh Lyd)

Aristoteles (Aristot) Physica (Phys) IV,10–14 IV,222a

Odyssee (Od) 1,28 1,45

67 67 56f. 58 61 65 95 61 95 61 95 60

Fragment (Frg.) 49 III,6f.

60

Pausanias (Paus) V,11,1 X,12,10

59 78

Plato (Plat) Phaidon (Phaed) 110d

58

Politicus (Polit) 614B–621B

55

Timaios (Tim) 27d 37e–38a

75 78

Plinius Secundus (Plin dÄ) Naturalis Historia (Hist Nat) 34,45 100

246

Stellenregister

Plutarchus (Plut)

L. Annaeus Seneca (Sen)

De E apud Delphos (E ap Delph) 78 19 347B 68

Epistulae (Ep) 58,11f. 58,16–22

De Lucullo (Lucull) 26 121

Stoicorum veterum fragmenta (SVF) II,117 Frag. 329 76 II,152 Frag. 471 77

Moralia (Mor) 354C 71, 78, 158 (= Is et Os 9) 72 388F 392E–393A 78 393A 72, 78 393B 72 393C 72 671C–672C 66 (= Quest Conv IV 6,1f.) 67 671D–672B De Sera Numinis Vindicta (Ser Num Vind) 55 563D–568A Publicola (Publ) 15,2 15,5

63 63

P. Papinius Statius (Stat) Silvae (Silv) I,1,99–104 IV,1,3–4

95 95

77 77

Sueton (Suet) Augustus (Aug) 79,2

95

Vespasian (Vesp) 18

100

Domitian (Dom) 13,2

69

Cornelius Tacitus (Tac) Annales (Ann) XV 29 XV 29,1

160 121

Historiae (Hist) 3,71–73 3,74,1 5,4,2 5,5,4 5,9,1

63 63 53 53 53

10. Papyri Corpus papyrorum Judaicarum (CPJ) 160 69 181 69 [188] 69 189 69 193 69 Oxyrhynchus-Papyri (POxy) 21,64 73

Papyri graecae magicae (PGrM) IV,593 70 IV,625–628 57 V,82–90 71 V,363 71 XII,250 73 XXXVI,35f. 70 CVI,1–10 70

247

Stellenregister

11. Inschriften Supplementum Epigraphicum Graecum (SEG) VIII 548,1–3 73 73 L 1233

Inscriptiones Graecae ad res Romanas pertinentes (IGRR) Syll.3 798 (= IGRR IV 145)

100

Autorenregister Adamsen G. S. 48 Alkier S. 83, 85, 86, 91, 99, 110 André R. 200 Archer G. L. 32 Aune D. E. 57, 70, 95, 105, 108, 121, 124, 153, 155, 156, 158, 161, 162, 166, 167, 168, Bachmann M. 54, 75, 151 Back F. 183 Bakke Kaiser B. 36 Barr D. L. 98 Bauckham R. 152, 156, 157, 160, 162, 165 Bauke-Ruegg J. 74 Beale G. K. 21, 28, 31, 32, 35, 36, 40, 41, 90, 96, 157, 159, 162, 167, 168, 172, 186 Beasley-Murray G. R. 129 Bechtold C. 97 Beck J. T. 118 Benn G. 204 Berdozzo F. 60, 61, 65 Betz H. D. 57 Beutler J. 88, 179, 182, 227 Bleicher J. K. 214 Bloch R. S. 53 Böcher O. 97, 116 Bodenheimer A. 214 Bøe S. 37 Böhl E. 32 Bons E. 69, 167 Boring M. E. 85, 93, 98, 130 Böttrich C. 88, 149 Bousset W. 54, 104 Bovon F. 84 Brashear W. 73 Braungart W. 201 Büchsel F. 145 Bultmann R. 110

Caquot A. 76 Carlsson L. 55 Casey J. S. 48 Celan P. 199 Chiai G. F. 73 Chirichigno G.C. 32 Clark A. J. 90 Clauss M. 95 Colpe C. 55 Cremer O. 88, 97, 98 Dean-Otting M. 55 Deiana G. 43, 45 Delling G. 152, 169 deSilva D. A. 99 Desnier J. L. 63 Dittenberger W. 115 Dittmer W. 32 Dunn J. D. G. 48 Dürr L. 37 Ebach J. 119 Ebner M. 161, 227 Eerdmans B. D. 71 Erlemann K. 107 Ernst U. 72 Fekkes J. 22, 33, 35, 36, 37, 168, 169, 172, 173 Feldmeier R. 60, 73, 74, 151, 152, 153 Fischer G. 38, 43 Fitzer G. 30 Follis E. R. 36 Freis H. 100 Frenschkowski M. 106 Frey J. 173, 177, 194 Fuchs O. 201 Gaile A. 220, 222 Gallusz L. 25, 26, 32

Autorenregister Garhammer E. 204 Genette G. 94 Giesen H. 11, 12, 16, 21, 28, 49, 84, 88, 92, 94, 96, 106, 113, 125, 132, 135, 141, 153, 154, 155, 157, 158, 160, 167, 168, 170, 180, 182, 186 Gollinger H. 132 Görg M. 39, 73 Gradl H.-G. 69, 154, 160 Groß W. 41 Guthrie D. 129 Hahn F. 155 Halperin D. J. 37 Hartman L. 86 Heemstra M. 62, 69 Hell C. 199, 204, 205 Heller E. 121 Hengel M. 130, 134, 135, 136, 165, 177, 188, 189 Herder J. G. 226 Herghelegiu M.-E. 86 Hernández J. 61 Heym S. 212 Hoffmann M. R. 54, 156 Hofius O. 85, 103, 109, 130, 132, 133, 134, 137, 139, 140, 143, 144, 145, 155, 156, 163, 174 Hölderlin F. 199, 225 Holtz T. 86, 91, 97, 104, 111, 115, 129, 134, 145, 151, 153, 155, 156, 157, 159, 161, 162, 165, 171 Hommel H. 74 Horn E. 218, 224 Huber K. 26, 84, 85, 86, 92, 98, 109, 110, 129, 133, 137, 138, 140, 141, 144, 155, 156, 158, 159, 162, 174 Hübner H. 32 Janowski B. 39 Jauhiainen M. 45 Jochum-Bortfeld C. 125 Johns L. L. 54 Johnson F. 32 Jörns K.-P. 60 Jurgensen J. 219, 222

249

Kaiser G. 211 Karrer M. 54, 55, 68, 84, 86, 95, 97, 99, 100, 105, 108, 125, 130, 204, 226 Kartveit M. 36 Keel O. 41 Keil J. 77 Kittel G. 168, 171 Klaus M. 85 Knorr von Rosenroth C. 124 Koch A. 204 Koepcke C. 205 Koester C. R. 99 Kotansky R. 70 Kowalski B. 33, 37, 84, 90, 93, 153 Kraft H. 125 Krauter S. 67 Kreuzer S. 73, 97 Kuschel K.-J. 211 Labahn M. 83, 84, 89, 96, 101, 103, 106, 108 Lambrecht J. 40 Lancelotti A. 32 Langenhorst G. 201, 204, 209 Le Boulluec A. 76 Leenen M. A. 210 Leonhardt-Balzer J. 193 Lichtenberger H. 11, 85, 101 Lindemann A. 104, 105 Lohfink N. 40 Lohmeyer E. 58, 93, 97, 98, 104, 110, 119, 168 Lohse E. 93, 104, 168 Lupieri E. F. 101 Lütge M. 55 Manning G. T. 37 Marconcini B. 34 März C. P. 226 Mathys H.-P. 72 Mauz A. 220 Mayordomo M. 84, 89, 98, 208 McCarthy C. 218, 220 McDonough S. M. 53, 67, 70, 76, 77, 78, 115, 117, 118, 120, 157, 158 Metzger B. M. 70

250

Autorenregister

Moltmann J. 199 Montes-Peral M. E. 77 Moyise S. 31, 40 Müller U. B. 11, 16, 19, 93, 108, 139, 144, 152, 159, 160, 161, 162, 167, 168, 169, 170, 174 Müller-Fieberg R. 11, 20, 21, 22, 24, 34, 36, 39, 40, 41, 44, 51, 62, 210, 211 Murphy F. J. 93, 94, 111, 129 Nentwich A. 210 Nicholson E. W. 40 Nützel J. M. 131, 132 Oberhänsli-Widmer G. 212 Obsieger H. 68, 72, 78 Omerzu H. 93 Pattemore S. 41 Paulien J. 31 Peterson E. 93, 108, 109 Petzke G. 169 Pezzoli-Olgiati D. 83, 107 Pippin T. 218 Porter S. E. 31 Portier-Young A. E. 62 Preußer H.-P. 203 Prigent P. 99, 151, 153, 154, 155, 157, 159 Rendtorff R. 40 Resseguie J. L. 98 Reuter A. 212 Roloff J. 16, 21, 31, 41, 47, 52, 120, 132, 154, 156, 162, 168, 186 Rösel M. 76 Ruiz J.-P. 37 Sandevoir P. 76 Sänger D. 37, 86, 130, 135, 140, 141, 165 Satake A. 12, 16, 19, 91, 94, 95, 96, 98, 99, 103, 113, 115, 132, 138, 140 Schimanowski G. 56, 58 Schlatter A. 116 Schmidinger H. 201 Schmidt C. 223 Schmidt J. 200 Schnackenburg R. 179, Schneider R. 205, 209, 210

Schnelle U. 54, 130, 140, 147, 193 Schöpflin K. 220, 223 Schoßböck J. 219 Schreiber S. 106, 107, 110, 161 Schult M. 202 Schuster R. 209 Schwemer A. M. 54 Schwindt R. 78 Scurlock J. A. 62 Segal A. F. 55 Siegert F. 76, 77 Sim U. 22 Sinn U. 100 Smits C. 32 Snell B. 67 Söding T. 86, 109, 130, 132, 133, 134, 135, 136, 137, 138, 139, 143, 144, 155, 156, 159, 165, 173, 174 Söllner P. 47 Spieckermann H. 73, 74, 151, 152, 153 Stein H. J. 67 Steins G. 227 Stevenson G. 62 Stock A. 205 Stowasser M. 172, 174 Stuckenbruck L. T. 162, 164, 165 Theobald M. 179 Thum T. 68, 78 Thyen H. 94 Titzmann M. 108 Tóth F. 56, 60, 68, 69, 226 Trebilco P. R. 67 Van Kooten G. H. 67 Van Ruiten J. T. A. G. M. 34 Van Unnik W.C. 168 Vanhoye A. 37 Vogelgesang J. M. 38 Vögtle A. 138, 141, 156, 157, 158, 159, 162, 163, 168 Vollenweider S. 140, 203 Vondung K. 203, 211 Wagner H. 79 Wei L. 38 Wengst K. 93, 103, 104, 105, 151, 158, 160, 168, 169, 206, 226 Whittaker M. 66

Autorenregister Wildberger H. 63 Wiesehöfer J. 90 Wikenhauser A. 186 Wilkinson R. J. 70 Williams M. H. 62 Witulski T. 53, 54, 62, 69, 90, 202 Wolff C. 93, 107

251

Zeller D. 77 Zimmermann C. 73, 74, 75, 103, 149, 151, 152, 153, 158, 168, 169 Zumstein J. 86

Sachregister Abschlussvision (s. Schlussvision) Abstraktion(en) 64 Adler 59, 80 Aion-Inschrift (Eleusis) 115 Akklamation 60, 69, 74, 90 Aktionseinheit (s. Lamm / Funktionseinheit) allherrschend (s. παγκρατής) Allherrscher (s. Pantokrator) Alpha und Omega 26, 44, 70–72, 81, 103, 119, 133, 168–170, 175, 184, 190 Anfang und Ende 27, 44, 133, 168–170, 175, 194 Angelologie 70, 164, 175 Anthropomorphismus 25, 97, 160 ἄξιος-Proklamation 154 Apoll 67, 78, 72, 77, 79, 99 Attribut Christi (s. Christusepitheton) Aufstieg 56–57, 58 Augustus 67, 95, 97, 124 aureum coronarium 121 Autokrator (αὐτοκράτωρ) 75, 152 Babylon / Hure Babylon 22, 26f., 31, 36, 47, 49, 62, 112, 127, 152, 169 Beschützer (s. Gott / s. Zeus) Bild Jesu 196f. Bildlosigkeit 53, 58 binitarisch 165 Bedrängnis 48, 91f., 116, 158, 175, 184, 189, 192f., 195, 205 Braut 18, 22, 36, 37, 47, 49, 51f., 127, 190 Buch (mit 7 Siegeln) 106, 132, 137, 145, 160, 161, 173, 185–187, 188, 189, 196, 215 Bund / Bundesformel / Bundestheologie 16, 23–25, 29, 33f., 39f., 44, 47–49, 51f., 116 Böses / Böser 21, 36, 46, 50f., 193

Caligula 100 Christus / Gesalbter (s. Lamm) Christusepitheton (s. Lamm) Christusrede (s. Lamm) Der ist und der war und der kommt (s. Dreizeitenformel) Dionysos 66, 67 Ditheismus 164, 172 Domitian 62, 63, 69, 95, 97 Dreizeitenformel 26, 28, 44, 68, 75–79, 114–119, 120, 122, 139, 144, 151, 154, 157–166, 184 Dualismus / dualistisch 26, 27, 29, 49– 51, 122, 206, 221, 224, 225 Durchhalten 127, 208, 222 Ego eimi 26, 71, 78, 90, 103, 109, 110, 117, 149, 166, 168, 171, 224 Einzigkeit Gottes (s. Monotheismus) Erster und Letzter 103, 125, 133, 149f., 170, 171–172 Erzählung (subversive) 28, 84 Erlösung / Soteriologie / soteriologisch 40, 46, 88, 107, 109, 110, 137, 145, 153, 155, 159, 162, 190, 208, 224 Geister (sieben) 159, 181, 188, 190 Gericht 94, 106, 137, 140, 141, 142, 153, 158, 161, 167, 171, 173, 193, 207, 208, 215, 216 Gläsernes Meer 21, 154, 216 Götter (antike) 49, 53, 55, 56, 57, 58, 66–70, 78, 79, 80, 86, 92, 95, 97, 100, 108, 122, 151, 169 Götterbild 53, 58 Gott – Befreier 36, 48f., 51, 116 – Beschützer / Wächter 64, 65, 66 – Gegenwart 21, 23, 27, 46f., 48, 50, 52, 56, 63, 116, 135, 188, 194, 196, 216, 227

Sachregister – Gottesbild / Gottesbilder / Gottesvorstellung 11f., 17, 21, 24f., 26, 29, 33, 34, 38, 42, 44, 48f., 50–52, 55, 66, 68, 80, 92, 103, 109, 130, 160, 178, 200, 206, 208, 217, 218, 223, 225, 226, 227 – Gottesepitheton / Gottesprädikat 49, 66, 69, 103, 114, 116, 117, 120, 133, 134, 137, 139, 142, 144, 149, 150– 170, 172, 173–175, 218, 224 – Gottesoffenbarung 16, 28f., 43, 49 – Gottesrede 16f., 26, 28, 34, 45, 49, 52, 102f., 116, 126, 149, 150–166, 166–170 – Gottesverständnis 64, 69, 77, 79, 81, 195f. – Gottsein 140, 155, 165, 175 – Herrscher 21, 25, 59, 117, 152, – König 38, 214 – König der Könige 214f. – König der Völker 61, 66, 80 – lebend / lebendig 103f., 106f., 125f., 137, 184f., 188, 197 – Liebe / lieben / Liebender 37, 49, 51f., 207f., 224 – Macht 46, 68, 71, 73, 88, 94, 97, 101, 103, 107, 109, 153, 169, 207 – Offenbarer 26, 50, 103, 138 – Pantokrator 26, 28, 41, 44, 48, 51, 73–75, 80, 103, 119–127, 144, 151– 157, 158, 160, 161, 162, 184, 226 – Paradoxie 38, 51 – Retter 63f., 65f., 152f. – Richter 51, 86, 140, 152 – Schöpfer 19f., 35f., 43, 46, 50, 59, 122, 132, 137, 146, 153, 154, 155, 156, 166, 167, 168, 169, 170, 172, 173, 175, 215 – Thronender 25f., 33, 37, 48, 51f., 58–59, 64, 80, 94, 97, 132, 134, 135, 141, 144, 151, 174, 185, 196 – Tröster / tröstend 24, 41f., 48f., 51 – Unbegrenztheit 43f., 51, 118 – Unsichtbarkeit / unsichtbar 55, 196, 200 – Unveränderlichkeit 115–117, 157 – Vater / Vater-Sohn 24, 40, 51, 65, 71, 115, 133, 134, 136, 144–146,

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165, 177, 183, 191, 195, 196, 197, 214, 215, 217, 219, 220, 221 – Wesen 25, 47, 50, 52, 114, 116, 118, 137, 170, 190 Gottesvision 58 Gottgleichheit / gottgleich (s. Lamm) Gottesepitheton / Gottesprädikat (s. Gott) Hades 68, 105, 126 Hadrian 62 Handlungseinheit (s. Lamm / Funktionseinheit) Hebraismus 157 Heiligkeit / heilig 136, 137, 214f., 217, 220 Heiligtum 53, 54, 55, 56, 62f., 69, 79, 93, 96, 182, 193f. Heilsmittler (s. Lamm) Hekate 105 Helios 65, 67, 68, 98, 99, 100 Herrschaft 61, 74, 100, 115, 120, 122, 124, 125, 128, 160 – Gottesherrschaft / Königsherrschaft 32, 103, 107, 155, 161, 227 – Herrschaft (Gemeinde / Sieger) 127, 132, 136, 163, 227 – Herrschaft Gottes 61, 75, 88, 98, 110, 120, 123, 126, 127, 128, 140, 153, 158, 160, 161, 206 – Herrschaft (Lamm / Jesus) 113, 124, 125, 140, 161, 162, 196 Herrscher 69, 75, 90, 97, 108, 120f., 124, 151, 169, 193, 206 Heym, Stefan: Ahasver 211–218, 225 Himmelsreise 55–57 Himmelsschau 57 Hoffnung 86, 118f., 123, 127, 164, 169, 173, 175, 180, 207, 208, 224 Hohepriester 92f. Hölderlin, Friedrich: Patmos 199–201 Homer 56, 57, 61 ΙΑΩ 70–72, 79, 81, 168 Immanenz 38, 52, 191 Intertextualität / intertextuell 31, 36, 85, 92, 97, 195, 204 – Anspielung 12, 31, 32f., 50, 75, 118, 141, 168, 184, 200, 216, 223

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Sachregister

Mischanspielung 45, 101 Prätext 12, 31–45, 47, 50, 204 Referenztext 102 Rezeptionstext 33, 76, 94 Vernetzung 12, 16–18, 19–30, 31– 45, 46–50, 170, 171 – Zitat 32f., 50, 118, 119 Intratextualität / intratextuell 85, 86, 92, 93, 96, 97 Isis / Isisaretalogie 71, 78 Israel 41, 47, 54, 61, 62, 64, 65, 66, 80f., 114, 116, 118, 157, 158, 177, 181, 195

– – – – –

Jerusalem (himmlisches; neues) 11, 16, 18f., 22f., 27, 30f., 33, 36–38, 47, 49, 65, 80, 89, 109, 127, 135, 143, 163, 167, 214, 216, 218, 224 Jupiter (s. Zeus) Kaiser 44, 46, 95, 97, 100, 108, 109, 121, 123, 124, 127, 152, 153, 160, 169 Kaiserkult / Herrscherkult 25, 41, 44, 48, 51, 69, 84, 106, 152 Katasterismos 97 Katastrophe 128, 178, 189, 219f., 223 Kirche 21, 46f., 52, 88 Kleanthes (Zeushymnus) 74 König 61, 93, 121, 123f., 127, 140, 163, 180, 212 Königtum Gottes 91 Kommen (Gottes / Christi) 79, 81, 118, 122, 126f., 139f., 151, 158, 159, 165, 171, 173, 174, 178–180, 181, 183, 184, 196, 197, 205, 206, 225 Lamm / Christus 22, 24, 51, 85, 86, 89, 92, 95, 97, 98, 99, 100, 105, 106, 107, 108, 109, 110, 111, 130, 132, 133, 134, 135, 138, 143, 144, 146, 150, 155, 158, 159, 160, 161, 173, 175, 187–191, 196, 206, 216, 217 – Anfang der Schöpfung 20, 137 – Christusepitheton 35, 149, 166, 170– 173, 173–175 – Christusrede 150, 170–173 – Funktionseinheit (mit Gott) / funktional 113, 114, 129, 136–143, 144,

146, 147, 153, 155, 156, 159, 160, 161, 165, 171, 172, 174, 196, 208, 217 – Gottgleichheit / gottgleich 86, 103, 125, 134, 144, 156 – Heilsmittler 142f. – Herrscher 96, 98, 123f., 125, 140, 171, 173, 175, 180, 206, 217 – Krieger 98 – Lebender / Lebendiger / lebendig 104, 126, 136, 137, 197 – Liebe / lieben / Liebender 145, 183, 192 – Offenbarer 103, 138, 178 – Richter 86, 96, 98f., 103, 107, 110, 140f., 171, 173, 175 – Schöpfungsmittler 19, 50, 137, 155, 156, 165, 173, 175 – Tatepitheta 159 – Thronender 25, 48, 52, 132, 174 – Wesen / Wesenseinheit / Wesensgleichheit 103, 109, 133, 137, 144, 145, 146, 155, 156, 174 – Lasterkatalog 29f., 36, 49, 166 Leben – irdisch 56, 71, 90, 124, 158, 179, 181, 192, 223f. – eschatologisch 45, 78, 99, 104, 107, 133, 145, 180, 184–185, 186, 195, 197 Lebender / Lebendiger / lebendig (s. Gott / s. Lamm) Leid 17, 47, 52, 118, 143, 195, 208, 216f. Liebe / lieben / Liebender (s. Gott / s. Lamm) Macht (s. Gott) McCarthy, Cormac: The Road 218–224, 225 Meer 21, 26, 35f., 46, 118, 157, 169 Merismus 168, 169, 171, 172, 173 Merkabah 58 Mithras 97 Mithrasliturgie 57 Monotheismus / monotheistisch 35, 43, 44, 49, 51, 52, 68, 120, 129, 147, 150, 153, 155f., 164–166, 175

Sachregister Naherwartung 178, 197 Narrative Exegese / narrativ 84, 85, 86, 89, 94, 99, 130 Nero 63, 100, 121, 160 Nike 59 öffnen / eröffnen 57, 78, 105, 132, 137, 145, 160, 185, 186, 187, 188, 189, 190, 196 Offenbarung (Vorgang) 16, 87, 102, 138, 139, 178, 190, 203, 224 παγκρατής 73, 74, 152 Palmzweige 143, 191f. Pantokrator (s. Gott) Paradoxie (s. Gott) Partizipation / partizipatorisch 48, 52, 109, 134, 190, 196, 227 Parusie 139, 146, 159, 171, 179, 214 Pausanias 58 Phidias 59 Pluto 105 politisch / sozial 21, 25, 41, 50f., 113, 115, 123, 124, 125, 227 Präexistenz / präexistent 20, 103, 137, 156, 165, 190, 194 Pragmatik / pragmatisch (s. Textpragmatik) princeps 124 Proexistenz / proexistent 88, 93, 104 Proskynese 90, 130–134, 137, 154, 160 regnum mundi 123, 126 Retter (s. Gott / s. Zeus) Richter (s. Gott / s. Lamm) Satan 88, 89, 105, 146, 193 Sator-Rotas-Palindrom 72 Schekina-Theologie 39, 40 Schlussvision / Abschlussvision 21, 28, 30, 33, 50, 143, 146, 166, 206 Schneider, Reinhold: Apokalypse 205– 211, 225 Schöpfung 16, 20, 34f., 46, 51, 137, 153, 155, 156, 169, 171, 172, 173, 188, 217, 218, 219 – Neuschöpfung 16, 18, 20f., 27, 34f., 42, 44, 46, 50f., 143, 156, 167, 168, 169, 172, 173, 193, 215, 217

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– Schöpfungstheologie / schöpfungstheologisch 17, 20, 27–29, 35f., 46, 48, 50, 52, 168, 169 – Schöpfungswerke 17, 35, 46, 50 Schreibbefehl 19, 26, 42, 46, 83, 87, 91, 102, 107, 110, 153, 174 Sendschreiben 19, 29, 40, 47, 50, 88, 92, 105, 136, 184 Septuaginta 56, 57, 58, 61, 68, 69, 73, 75, 76, 93, 114, 117, 119, 152, 171 Singular / Singularform (Gott mit Lamm) 113, 123, 134, 135, 161, 162–165 Sol 97, 99, 100 Soteriologie / soteriologisch (s. Erlösung) sozial (s. politisch) Sturz (des Drachen) 213 Tempel 54, 55, 62, 63, 80, 95, 131, 206, 214, 216 Textpragmatik / textpragmatisch 84, 85, 164, 173, 174, 175 Theologie und Literatur 201, 205 – apokalyptische Literatur 211, 217, 227 – Bibel und Literatur 201–205 – literarische Rezeption 201, 202, 225f. – Interdisziplinarität 202 – kupierte Apokalyptik 203, 211, 224, 226 – postapokalyptisch 218, 219, 220, 223 – Rezeption / Rezeptionsgeschichte 203, 205, 213, 223, 225f. Theophanie / theophan 25, 27, 90, 101, 102, 108, 163, 213 Theozentrik / theozentrisch 11f., 26, 46–48, 52, 129, 144, 145, 147, 159, 161–163, 174, 175, 224, 227 Thron 16–18, 21, 23, 25f., 38f., 58, 59, 60, 69, 74, 80, 98, 113, 121, 134– 136, 143, 159, 163, 164, 167, 171, 173, 185, 188, 213, 214, 215, 216, 217, 218 Throngemeinschaft 134–136, 174, 190, 196

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Sachregister

Thronsaal / Thronsaalvision 11, 19, 56, 59, 69, 122, 131, 134, 137, 149, 153–156, 159–160, 173, 214, 227 Tiridates 121, 160 Titus 69 Transzendenz / transzendent 25, 38, 52, 53, 65, 66, 78, 79, 80, 90, 109, 111, 189, 196 Trinitätslehre 49 Trost 20, 24, 25, 86, 157, 209 Überwindersprüche / überwinden 19, 26, 29, 136, 145, 172, 185, 187, 193, 195 Verheißung 18, 28, 29, 31, 44, 133, 134, 140, 143, 167, 173, 179, 184, 195, 227 – Verheißung-Erfüllung 31, 52

Vespasian 62, 69, 100 Vulgata 64, 69, 75 Wasser des Lebens 28, 45, 67, 13, 143, 192, 194–195, 197 Wächter (s. Gott / s. Zeus) Wesen / Wesensaussage / Wesenseinheit (s. Gott / s. Lamm) Wirklichkeitskonstruktion 83, 107, 110 Zelt / zelten / Zelt Gottes 23, 38f., 48, 51, 192, 193f. 227 Zeuge / Zeugnis / bezeugen 48, 85, 114, 123f., 180, 181–182, 196 Zeus (Jupiter) 58–67, 73, 78, 79, 80, 97 – Beschützer / Wächter 63, 66, 80 – Retter 63, 80 – Vater von Göttern und Menschen 65