Das Geschlechterregime: Eine intersektionale Dispositivanalyse von Work-Life-Balance-Maßnahmen [1. Aufl.] 9783839422083

Eine intersektionale Dispositivanalyse von »Geschlechterregimen« im Postfordismus: Neben einer regulationstheoretischen

211 62 5MB

German Pages 472 Year 2014

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Das Geschlechterregime: Eine intersektionale Dispositivanalyse von Work-Life-Balance-Maßnahmen [1. Aufl.]
 9783839422083

Table of contents :
Inhalt
Vorwort
1. Einleitung
TEIL 1: DAS THEORETISCH-ABSTRAKTE GESCHLECHTERREGIME
2. Zur Konzeptionierung eines intersektionalen Geschlechterregimekonzeptes
2.1 Forschungsstand zum Geschlechterregimeansatz
2.2 Methodologische Überlegungen zur Bestimmung einer intersektionalen Definition des Begriffs Geschlechterregime
2.3 Die intersektionale Mehrebenenanalyse nach Winker und Degele
2.4 Aufbau eines intersektionalen Geschlechterregimekonzeptes
2.5 Fazit und Operationalisierung des intersektionalen Geschlechterregimekonzeptes
3. Regulationstheorie
3.1 Akkumulationsregime und Geschlecht
3.2 Regulationsweise und Geschlecht
3.3 Fazit
4. Poststrukturalismus
4.1 Subjektivierung und Geschlecht
4.2 Gouvernementalität, Biomacht, Disziplinarmacht und Geschlecht
4.3 Fazit
5. Intersektionale Bausteine und intersektionale Definition des Konzeptes Geschlechterregime
5.1 Bausteine des Konzeptes Geschlechterregime
5.2 Definition des Konzeptes Geschlechterregime
5.3 Theorem Geschlechterregime
TEIL 2: DAS HISTORISCH-KONKRETE GESCHLECHTERREGIME
6. Zur intersektionalen Dispositivanalyse des Geschlechterregimes
6.1 Die Dispositivanalyse im Anschluss an Foucault
6.2 Operationalisierung der intersektionalen Dispositivanalyse des Geschlechterregimes
7. STRUKTUR: Soziohistorische Rahmenanalyse des Geschlechterregimes
7.1 Die Dispositivelemente des fordistischen Geschlechterregimes
7.2 Krise des fordistischen Geschlechterregimes
7.3 Die Dispositivelemente des postfordistischen Geschlechterregimes
7.4 Zusammenfassung der soziohistorischen Rahmenanalyse des Geschlechterregimes
7.5 Fazit
8. SYMBOL: Kritische Diskursanalyse des Work-Life-Balance-Konzepts der Initiative „Work-Life-Balance als Motor für wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftliche Stabilität“
8.1 Die Kritische Diskursanalyse
8.2 Durchführung der Kritischen Diskursanalyse des Work-Life-Balance-Konzeptes
8.3 Fazit
9. SUBJEKT: Intersektionale Mehrebenenanalyse von problemzentrierten Interviews über Work-Life-Balance
9.1 Die Erhebungsmethode des problemzentrierten Interviews
9.2 Intersektionale Mehrebenenanalyse der problemzentrierten Interviews
9.3 Block I: Einzelauswertung aller Interviews
9.4 Block II: Analyse und Interpretation aller Interviews
9.5 Fazit
10. INTERSEKTION: Zusammenfassung und abschließende Darstellung der intersektionalen Dispositivanalyse des Geschlechterregimes
10.1 Zusammenfassung und Beantwortung der Forschungsfragen
10.2 Abschliessende Bewertung der intersektionalen Dispositivanalyse des postfordistischen Geschlechterregimes
10.3 Ausblick
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis

Citation preview

Stefan Paulus Das Geschlechterregime. Eine intersektionale Dispositivanalyse von Work-Life-Balance-Maßnahmen

Vom Promotionsausschuss der Technischen Universität Hamburg-Harburg zur Erlangung des akademischen Grades Doktor der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften genehmigte Dissertation von Stefan Paulus aus Saarbrücken 2012

GutachterIn: Prof. Dr. Gabriele Winker, Prof. Dr. Harry Friebel Tag der mündlichen Prüfung: 08.05.2012

Stefan Paulus hat in der Arbeitsgruppe »Arbeit-Gender-Technik« der Technischen Universität Hamburg-Harburg promoviert. Seine Arbeitsschwerpunkte liegen in der Arbeits-, Geschlechter- und Gouvernementalitätsforschung.

Stefan Paulus

Das Geschlechterregime Eine intersektionale Dispositivanalyse von Work-Life-Balance-Maßnahmen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2012 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Lektorat: Martin Spirk Satz: Stefan Paulus Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar ISBN 978-3-8376-2208-9 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

Vorwort | 9 1.

Einleitung | 11 

TE IL 1: DAS THEORETISCH-ABSTRAKTE G ESCHLECHTERREGIME 2.

Zur Konzeptionierung eines intersektionalen Geschlechterregimekonzeptes | 25 

2.1 Forschungsstand zum Geschlechterregimeansatz | 26 2.2 Methodologische Überlegungen zur Bestimmung einer intersektionalen Definition des Begriffs Geschlechterregime | 35 2.3 Die intersektionale Mehrebenenanalyse nach Winker und Degele | 39 2.4 Aufbau eines intersektionalen Geschlechterregimekonzeptes | 44 2.5 Fazit und Operationalisierung des intersektionalen Geschlechterregimekonzeptes | 46 3.

Regulationstheorie | 51 

3.1 Akkumulationsregime und Geschlecht | 57 3.2 Regulationsweise und Geschlecht | 75 3.3 Fazit | 93 Poststrukturalismus | 99  4.1 Subjektivierung und Geschlecht | 107 4.2 Gouvernementalität, Biomacht, Disziplinarmacht und Geschlecht | 128 4.3 Fazit | 153 4.

5.

Intersektionale Bausteine und intersektionale Definition des Konzeptes Geschlechterregime | 157 

5.1 Bausteine des Konzeptes Geschlechterregime | 159 5.2 Definition des Konzeptes Geschlechterregime | 165 5.3 Theorem Geschlechterregime | 168

TEIL 2: DAS HISTORISCH-KONKRETE G ESCHLECHTERREGIME  6.

Zur intersektionalen Dispositivanalyse des Geschlechterregimes | 173 

6.1 Die Dispositivanalyse im Anschluss an Foucault | 174 6.2 Operationalisierung der intersektionalen Dispositivanalyse des Geschlechterregimes | 177 7.

STRUKTUR: Soziohistorische Rahmenanalyse des Geschlechterregimes | 181 

7.1 7.2 7.3 7.4

Die Dispositivelemente des fordistischen Geschlechterregimes | 182 Krise des fordistischen Geschlechterregimes | 191 Die Dispositivelemente des postfordistischen Geschlechterregimes | 197 Zusammenfassung der soziohistorischen Rahmenanalyse des Geschlechterregimes | 239 7.5 Fazit | 251 8.

SYMBOL: Kritische Diskursanalyse des Work-Life-BalanceKonzepts der Initiative „Work-Life-Balance als Motor für wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftliche Stabilität“ | 253 

8.1 Die Kritische Diskursanalyse | 254 8.2 Durchführung der Kritischen Diskursanalyse des Work-Life-BalanceKonzeptes | 261 8.3 Fazit | 305 9.

SUBJEKT: Intersektionale Mehrebenenanalyse von problemzentrierten Interviews über Work-Life-Balance | 307 

9.1 Die Erhebungsmethode des problemzentrierten Interviews | 309 9.2 Intersektionale Mehrebenenanalyse der problemzentrierten Interviews | 311 9.3 Block I: Einzelauswertung aller Interviews | 315 9.4 Block II: Analyse und Interpretation aller Interviews | 359 9.5 Fazit | 386



10. INTERSEKTION: Zusammenfassung und abschließende Darstellung der intersektionalen Dispositivanalyse des Geschlechterregimes | 393 

10.1 Zusammenfassung und Beantwortung der Forschungsfragen | 393 10.2 Abschliessende Bewertung der intersektionalen Dispositivanalyse des postfordistischen Geschlechterregimes | 421 10.3 Ausblick | 431 Literaturverzeichnis | 437 

Abbildungsverzeichnis | 469 Tabellenverzeichnis | 469

Vorwort

„Es ist etwas sehr Merkwürdiges“, schreibt Gilles Deleuze, „etwas in seinem eigenem Namen zu sagen; denn es ist gerade nicht im Moment, wo man sich für ein Ich, eine Person oder ein Subjekt hält, dass man in seinem Namen spricht. Im Gegenteil, ein Individuum erwirbt erst wirklich einen Eigennamen, wenn es die strengste Depersonalisierungsübung hinter sich hat, wenn es sich den Vielheiten öffnet, die es von einem Ende zum anderen durchziehen, den Intensitäten, die es durchlaufen. Der Name als augenblickliches Ergreifen einer solchen intensiven Vielheit ist das Gegenteil der Depersonalisierung, wie sie die Philosophiegeschichte bewirkt, ist eine Depersonalisierung aus Liebe und nicht aus Unterwerfung. Man spricht aus der Tiefe dessen, was man nicht weiß, aus der Tiefe der eigenen Unterentwicklung.“ (Deleuze 1993: 16) Diese Arbeit war in der Tat eine Depersonalisierungsübung, ein ständiges Ringen mit fremden oder mit eigenen Wörtern, mit der Kritik von Anderen und mit der eigenen Unsicherheit, die ein ständiges Sich-selbst-durch-dringen und ein Über-sich-hinaus-weisen abverlangten – was in der Tat zu einer Lust am Schreiben und am Erforschen von Vielheiten und von anderen Denkweisen geführt hat. Dass diese wissenschaftliche Tätigkeit nicht immer noch im „Werden“ begriffen ist und zu einer Schließung geführt hat, habe ich vor allem meiner Promotionsbetreuerin Gabriele Winker und meinem zweiten Gutachter Harry Friebel zu verdanken. Unwissenheit und Unterentwicklung braucht Anregungen, Korrekturen, Kritik und Unterstützung. Dafür danke ich der Arbeitsgruppe „Arbeit – Gender – Technik“ der TU Hamburg-Harburg; Tanja Carstensen, Wibke Derboven, Petra Schlegel, Jana Ballenthien, Kathrin Ganz, Iris Nowak, Jette Hausotter, Simon Schmiederer, Melanie Schnase, Rhoda Tretow, Kathrin Englert, Do Gerbig, Betje Schwarz und Grit Grigoleit. Vor allem gilt mein Dank hierbei Kathrin Schrader.

10 | D AS G ESCHLECHTERREGIME

Für die Unterstützung und das Vertrauen möchte ich mich auch bei meinen InterviewpartnerInnen bedanken, die bereit waren in ihrer intensiven Zeit ihre Gedanken zu teilen. Wissenschaftliche Tätigkeit braucht Freiraum zum unbeschwerten und augenblicklichen Ergreifen von Ideen. Dafür danke ich der Rosa-LuxemburgStiftung für ein dreijähriges Promotionsstipendium. Wissenschaftliches Tätigsein braucht auch Austausch, ein Überwinden von Grenzen. Dafür danke ich Minoo Moallem, die mich als Gastwissenschaftler an das Department Gender and Woman´s Studies der Universität Berkeley, USA eingeladen hat. Das Ergreifen von Ideen ist auch ein „Materialismus der Begegnung“, wie Louis Althusser sagen würde. Für diese Begegnungen, die mich inhaltlich inspiriert haben, danke ich u.a. Hilde Hoherz, Melanie Groß und Thomas Collmer – natürlich auch für das Korrekturlesen. Mein Dank gilt hierbei ebenso Martin Spirk für das Lektorat. Das Leben schreibt aber die besten Geschichten. Meiner Familie und meinen Freund_innen gilt dafür besonderen Dank. Sie haben mir Vielheiten eröffnet und die Dissertation in ganz unterschiedlicher Weise begleitet und unterstützt.

1. Einleitung „Man muss sich das Recht herausnehmen, Dinge zusammenzubringen, von denen andere sagen, dass man sie auseinanderzuhalten habe.“ (Donna Haraway 1995: 103)

1848 schreibt Karl Marx: „Das Bedürfnis nach einem stets ausgedehnteren Absatz für ihre Produkte jagt die Bourgeoisie über die ganze Erdkugel. Überall muss sie sich einnisten, überall anbauen, überall Verbindungen herstellen“ (MEW 4: 465). An diesem Bedürfnis, für stetige Profitmacherei über die ganze Erdkugel zu hetzen und die billigsten Standorte und Arbeitskräfte zu finden, hat sich auch im Kapitalismus des 21. Jahrhunderts nichts geändert. Ultraflexible Arbeitsformen, dezentralisierte Arbeitsplätze, Privatisierung und Rationalisierung; das Auslagern von Funktionen und Dienstleistungen an Subunternehmen oder Beschäftigte, die sich selbst für den Erfolg des Unternehmens verantwortlich fühlen sollen, sind die derzeitigen Säulen dieser Wirtschaftsweise. „Arbeit, Arbeit, Arbeit“ ist die neoliberale Losung, unter der sich alle vereinen sollen, und Meritokratie1 ihre Utopie. Die Herrschaft des Geldes ist das Prinzip. Die immerwährende Wiederkehr dieses abstrakten Verhältnisses ist scheinbar naturgegeben. Letztlich sind das lediglich Formen einer kapitalistischen Verwertungsstrategie, die darauf abzielt, Ausbeutungsbedingungen zu verschärfen und sozialstaatliche Sicherungen aufzulösen. In dieser postfordistischen Phase ist die neue ökonomische Rolle der Einzelnen in der Gesellschaft nicht mehr auf das Funktionieren in der Produktionssphäre beschränkt, sondern die abhängig Beschäftigten sollen sich als gesamte Person

1

Meritokratie lässt sich als eine bisher noch nicht da gewesene Regierungsform beschreiben, in der Güter, Belohnungen oder gesellschaftliches Prestige nach individuellem Leistungsvermögen verteilt werden (vgl. Hadjar, 2008: 44). Die Meritokratie zielt auf eine sich selbstreproduzierende leistungsstarke Elite ab.

12 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

mit den kapitalistischen Verhältnissen identifizieren. Flexible und mobile Arbeitsbedingungen, die Extensivierung und Intensivierung der Erwerbsarbeit erhöhen den Druck und die Anforderungen an soziale Beziehungen sowie an die Selbstorganisation der Beschäftigten. In dieser Periode geht es für Lohnabhängige weniger darum, über gewerkschaftliche Vereinbarungen den kapitalistischen Widerspruch zwischen Lohnarbeit und Freizeit zu minimieren, sondern darum, das materielle Überleben durch die Gegenleistung einer möglichst umfassenden egoistischen Flexibilität in Bezug auf die berufliche Qualifikation, den Arbeitsplatz, die Arbeitszeit und den Arbeitslohn zu sichern (vgl. Miller/Rose 1994: 100, Sennet 1998). Die unmittelbare Identifikation der Individuen mit „ihren“ Verhältnissen ist somit nicht nur „das Produkt einer ausgetüftelten, wissenschaftlichen Betriebsführung und Organisation“ (Marcuse 1994: 30), sondern auch Produkt einer Ideologie, die in einen Prozess führt, in dem „die ‚innere‘ Dimension des Geistes beschnitten“ (Marcuse 1994: 30) wird. Die in dieser Verwertungsmaschinerie Gefangenen sind zugleich mit einem komplexeren und aufwendiger zu organisierenden Alltag konfrontiert. Die Arbeitsbedingungen in dieser „schönen neuen Welt“ erschweren oder verunmöglichen sogar die Ausübung von Reproduktionsarbeiten. Die Ansprüche an die Herstellung der eigenen und vielleicht auch fremden Arbeitskraft messen sich an der Zeit, die dafür bleibt. Diese Faktoren ermöglichen folgendes Szenario: Ein Festhalten an traditionellen Geschlechterverhältnissen gefährdet den ökonomischen Erfolg von Unternehmen, indem undynamisch und unflexibel gestaltete Arbeitsverhältnisse scheinbar zur Bremse von wirtschaftlichem Wachstum werden, weil Erziehende nicht zu jeder Zeit an X-beliebigen Orten in der „Rund-um-die-Uhr-Ökonomie“ eingesetzt werden können. Dadurch wird das Auflösen traditioneller Erwerbsarbeits- und Geschlechterverhältnisse durch die postfordistischen Arbeitsbedingungen begünstigt. Bei prekären Einkommensverhältnissen, bei fehlender sozialer Absicherung, bei Erwerbslosigkeit oder bei „Arbeit auf Abruf“ stellt sich die Frage, ob jemand in einer solchen Situation bereit ist, Verantwortung für Kinder zu übernehmen. Infolge dessen treten in den Industrieländern Folgeerscheinungen auf wie: Individualisierung, Scheidung jeder zweiten Ehe, ein für Industrienationen scheinbar bedrohlicher Rückgang der Geburtenrate, eine zunehmende Anzahl Alleinerziehender und Patchworkfamilien, psychische Probleme wie Stress- und Burnout-Syndrome bis hin zu „Karǀshi“, den Tod durch Überarbeitung. Die Vereinbarkeit von „Arbeit und Leben“ scheint außer Kontrolle geraten zu sein. Dies ist kein Wunder, denn der den Kapitalismus antreibende Mechanismus zur Selbstverwertung des Werts – aus Geld mehr Geld zu machen – zwingt Unternehmen und staatliche Institutionen immer wieder dazu, die Ware

E INLEITUNG | 13

Arbeitskraft dem Produktionsprozess anzupassen und die Produktivität der Arbeitskraft nutzbar zu machen, sie zu entwickeln, sie zu reproduzieren. Die Arbeitskräfte, die in Rente gehen oder durch Unfälle oder Krankheiten ausfallen, müssen durch neue Arbeitskräfte ersetzt und angelernt werden, damit die Profitmaximierung nicht zum Erliegen kommt. Anders als in Aldous Huxleys dystopischer Vorstellung in seinem Roman „Schöne neue Welt“ ist die kapitalistische Gesellschaftsformation bislang noch nicht in der Lage, massenhaft Arbeitskräfte in vitro zu züchten und sie durch „Hypnopädia“ gefügig zu machen.2 Unsere Gesellschaftsformation ist noch auf unbezahlte Reproduktionsarbeiten (Gebären, Verpflegen etc.), staatliche Institutionen (Erziehung, Ausbildung etc.) und Ideologien (Nation, Familie etc.) angewiesen, um eine neue Generation von Arbeitskräften herzustellen. Für den Widerspruch in der kapitalistischen Gesellschaftsformation zwischen „Arbeit zum Leben zu haben“ und „Leben zum Arbeiten zu haben“ versprechen postmoderne Managementkonzepte Abhilfe. Denn das Problem des aktuellen Nachwuchsmangels und die Frage danach, wie die bundesdeutsche Geburtenrate gesteigert werden kann, werden nun seit einiger Zeit – nach 1945 – wieder verstärkt öffentlich diskutiert. Die Überlegungen zu Regulierung von Geschlechterverhältnissen und Bevölkerungsentwicklungen sind allerdings keine Eugenikmaßnahmen mehr, sondern nennen sich Work-Life-Balance. Work-Life-Balance-Konzepte zielen auf eine grundlegende Modernisierung der Arbeitsorganisation vor dem Hintergrund veränderter Geschlechterverhältnisse. Sie lassen sich als eine Verzahnung von betrieblicher Personalpolitik und Regierungsmaßnahmen verstehen, mit der eine Steigerung der Geburtenrate und der Binnennachfrage sowie eine Senkung der Lohnnebenkosten erreicht werden sollen. Um dieses Ziel zu erreichen, hat sich die Initiative „Work-Life-Balance als Motor für wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftliche Stabilität“ gebildet, unter der Schirmherrschaft des Bundesverbandes Deutscher Industrie (BDI), zusammen mit börsennotierten Konzernen, den Regierungsinstitutionen des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) sowie dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi). Aus ihrer Sichtweise bieten Work-Life-Balance-Maßnahmen als „Investitionen in das Humanvermögen“ (vgl. BMFSFJ 2005: 5) den Unternehmen die Chance, die Produktivität der Beschäftigten zu steigern, indem sie die Arbeitsmotivation erhöhen, Fehlzeiten verringern und die Belegschaft stärker an das Unternehmen

2

Hypnopädia ist eine Konditionierungsmethode in Huxleys Roman „Brave New World“, um Menschen zu kontrollieren, indem ihnen kontinuierlich im Schlaf „suggestions from the state“ (Huxley 1994: 43) gemacht werden. Das heißt, bestimmte Phrasen vorgespielt werden, die auf Stabilität, Uniformität – die keine Individualität zulässt –, auf Konsumgesellschaft, Hygiene und künstliche Fortpflanzung abzielen.

14 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

binden. Außerdem sollen Work-Life-Balance-Maßnahmen den Standort Deutschland durch eine Erhöhung der Frauenerwerbsquote sowie durch eine Steigerung der Geburtenrate sichern. Zunehmend wird hervorgehoben, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht nur unter dem Gesichtspunkt der „Humanisierung der Arbeitswelt“ oder dem der Chancengleichheit zu sehen ist, sondern dass diesbezügliche Investitionen für die Betriebe auch unter dem Gesichtspunkt der Kosten lohnend sein sollen, weil sich durch familienfreundliche Maßnahmen am Arbeitsplatz ein betriebswirtschaftlicher Nutzen ergibt. Aus diesen unterschiedlichen Blickwinkeln, Widersprüchlichkeiten und veränderten gesellschaftlichen Entwicklungen lässt sich die Relevanz erkennen, die es notwendig macht, die Art und Beschaffenheit der Materialität vergeschlechtlichter sozialer Beziehungen systematisch zu analysieren. Dies sind letztlich auch Probleme, denen sich (post)marxistische Perspektiven zu stellen haben. Es besteht daher die Dringlichkeit einer neuen Theoriedebatte, da die komplexe Entwicklungsdynamik der Gegenwart einen verfeinerten analytischen Rahmen braucht (vgl. Roth 2005: 46ff). In diesem Zusammenhang ist es sinnvoll, den Komplex gesellschaftlicher Reproduktionsbereiche durch differenzierte Analysekonzepte zu erweitern. Das Konzept Geschlechterregime soll hierzu einen Betrag leisten. Die vorliegende Arbeit setzt sich daher mit Fragen nach der Konstruktion und der Regulation von Geschlechterregimen auseinander. Im ersten Teil dieser Arbeit geht es um eine theoretisch-abstrakte Fundierung des bisher nicht ausgearbeiteten Begriffes „Geschlechterregime“. Im zweiten Teil dieses Forschungsvorhabens geht es darum, am Beispiel von Work-Life-Balance-Maßnahmen empirisch zu untersuchen, wie die postfordistischen Veränderungen der Produktions- und Reproduktionssphäre auf Geschlechterverhältnisse einwirken, bzw. wie Subjekte diese Verhältnisse selbst gestalten. Im Mittelpunkt dieses Vorhabens stehen Arbeitsorganisationsmodelle in Betrieben, gouvernementale und biopolitische Regierungsmaßnahmen und damit einhergehend Formen der Subjektivierung im Zusammenhang mit Work-Life-Balance-Maßnahmen. Hierbei geht es um ein tieferes Verständnis der Korrespondenz zwischen kapitalistischen Ausbeutungsverhältnissen und herrschenden Geschlechterverhältnissen, um soziale Praxen in deren Schnittstellen zu analysieren. Durch die Widersprüche, die sich aus den veränderten Lebensbedingungen und Arbeitsverhältnissen ergeben, entsteht die Schwierigkeit, die Veränderungen der Geschlechterverhältnisse in der derzeitigen postfordistischen Phase analytisch zu bestimmen. Dies verdeutlicht auch der Stand der derzeitigen Geschlechterforschung, da im Zentrum vieler Analysen die Widersprüchlichkeiten dieser Entwicklungen stehen, ohne dass diese theoretisch angemessen eingeordnet sind.

E INLEITUNG | 15

Das zweite Kapitel „Zur Konzeptionierung eines intersektionalen Geschlechterregimekonzeptes“ beschäftigt sich daher mit theoretischen Leerstellen, um zu verdeutlichen, wie die Regierung von Geschlechterverhältnissen heute theoretisch erfassbar ist. In diesem Kapitel werden die Hauptthemen der Geschlechterregimeforschung vorgestellt. Die Geschlechterregimeforschung bewegt sich insgesamt in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen. Hauptströmungen sind die vergleichende Wohlfahrtsstaatenforschung oder feministisch-politikwissenschaftliche Ansätze. In der Geschlechterregimeforschung werden daher auch unterschiedliche Konzeptionen von Geschlechterregimen verwendet, was zu dem Problem führt, dass in der Literatur viel von Geschlechterregimen gesprochen wird, aber nicht klar umschrieben wird, was damit gemeint ist. Dieses Kapitel versucht daher eine Verdeutlichung des Begriffes Geschlechterregime darzustellen und den Begriff zu operationalisieren. Hierbei wird der Frage nachgegangen, was theoretische Anknüpfungspunkte sind und wie diese zu konzeptionieren sind. Anspruch dieses Kapitels ist, es die verschiedenen Ebenen und Facetten des Geschlechterregimeansatzes intersektional zu verknüpfen. Das Konzept der intersektionalen Mehrebenenanalyse nach Gabriele Winker und Nina Degele (2009) wird deshalb als Operationalisierung des Begriffs Geschlechterregime verwendet, weil es an Schnittstellen zwischen Struktur, Symbol und Subjekt ansetzt, um Verkürzungen sowohl auf der einen als auch auf den anderen Ebenen zu vermeiden. Damit knüpft dieses Kapitel bzw. das zu entwickelnde Theorem vom Geschlechterregime auch an die aktuellen erkenntnistheoretischen Weiterentwicklungen der Frauen- und Geschlechterforschung an, um auf die Verwobenheit und das Zusammenwirken verschiedener Differenzkategorien sowie auf die unterschiedlichen Dimensionen sozialer Ungleichheit hinzuweisen, ohne dabei die Analyse von Herrschaftsverhältnissen auf eine Ableitung von Klasse, „Rasse“ oder Geschlecht zu reduzieren. Durch diese Perspektive richtet sich der Fokus eines intersektionalen Geschlechterregimeansatzes auf die Vermittlungsebenen von politökonomischen, sozioökonomischen und soziokulturellen Bestimmungsfaktoren von Geschlecht, die sowohl symbolisch und diskursiv als auch durch Selbstverhältnisse vermittelt sind. Das Kapitel wird ausgeleitet mit der Festlegung, wie das Konzept Geschlechterregime theoretisch weiter auf- und auszubauen ist. Die Beziehungen zwischen Männern und Frauen im Kontext der historischen Entwicklung der Produktivkräfte, geschlechtsspezifische Arten und Weisen der Mehrwertproduktion und die Organisation von Lohn- und Reproduktionsarbeit sind ebenso Bausteine des Begriffes Geschlechterregime wie die politisch-institutionellen Ebenen in Wechselwirkung mit den verschiedenen Formen der internen Organisationen und Institutionen des Staates. Die rechtlichen, ideologischen und ökono-

16 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

mischen Ausformungen der Staatsintervention gehören ebenso dazu wie geschlechtsspezifische Subjektivierungsweisen und deren symbolische Inaugurationen. Durch die Reflexion der dargestellten Anknüpfungspunkte ergibt sich in diesem Kapitel ein Analyseraster von Geschlechterregimen, das auf einer intersektionalen Verknüpfung der strukturellen, symbolischen und subjektiven Ebenen aufbaut. Hierbei bietet sich das Forschungsprogramm der Regulationstheorie an, um Geschlechterregime auf der strukturellen Ebene zu erforschen. Diesen Ansatz erweitere ich mit den poststrukturalistischen Überlegungen von Michel Foucault und Judith Butler, um sowohl Strukturebene als auch Symbol- und Subjektebene in das Untersuchungskonzept Geschlechterregime münden zu lassen. In den Kapiteln 3 und 4 zur Regulationstheorie bzw. zum Poststrukturalismus werden deshalb zentrale Kategorien regulationstheoretischer und poststrukturalistischer Denkformen vorgestellt, um mit diesen das Konzept Geschlechterregime zu verdichten. Ergebnisse werden Bausteine zur Bildung des Theorems Geschlechterregime sein, das aus den Grundannahmen der Regulationstheorie und poststrukturalistischer Sichtweisen mit den Mitteln der jeweiligen Theorie hergeleitet wird. Im Kapitel zur Regulationstheorie stehen Rahmenbedingungen der Konstitution von vergeschlechtlichten gesellschaftlichen Verhältnissen im Vordergrund. Dieser Teil der Arbeit versucht Geschlechterverhältnisse anhand der regulationstheoretischen Kategorien zu verdeutlichen. Die Fragestellung der Regulationstheorie richtet sich auf den Bereich der Reproduktion von Gesellschaftsformationen sowie auf die Regulation und die Funktionsweise kapitalistischer Produktionsverhältnisse in Korrespondenz mit strukturellen und institutionellen Formen (vgl. Kohlmorgen 2004, Chorus 2007). Zentrale Untersuchungskategorien sind die Begrifflichkeiten „Akkumulationsregime“ und „Regulationsweise“, die anhand einer geschlechtertheoretischen Perspektive in das Konzept des intersektionalen Geschlechterregimeansatzes eingebaut werden. Bestandteil meiner Herangehensweise ist die Offenlegung der Korrespondenz der Geschlechterverhältnisse mit ökonomischen und politischen Regulationsformen, die in bestimmten Formen wie Familien-, Arbeits- und Wertform ihre Entsprechung finden. Schwerpunkt hierzu bilden geschlechtertheoretische Anschlussstellen im Zusammenhang mit der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, der Reproduktionsarbeit, der Reproduktion der Produktionsverhältnisse und der institutionellen Herrschaftsorganisation sowie staatliche Regulationsweisen der Gesellschaftsformation. Mithilfe der Regulationstheorie soll auch gleichzeitig ein Überleiten auf die subjektiven Ebenen ermöglicht werden. Auch hier wird das Kapitel aus-

E INLEITUNG | 17

geleitet mit Feststellungen und Anknüpfungspunkten, wie das Theorem Geschlechterregime weiter auf- und ausgebaut werden könnte. Daraufhin beschäftige ich mich in dem folgenden vierten Kapitel mit poststrukturalistischen Sichtweisen und symbolischen bzw. ideologischen Prozessen, die unter dem Einfluss der biopolitischen und gouvernementalen Regulierung der Gesellschaft, der diskursiven Praxen der Identitätsbildung und damit einhergehend unter dem Einfluss der Formen der Subjektivierung zu einem Geschlechterregime führen. Die Denkweise von Judith Butler ist hierbei von zentraler Bedeutung. Hier wird die Kategorie „Geschlecht“ als eine soziale Materialisierung verstanden, die sich durch diskursive Praxen performativ herstellt. In diesem Zusammenhang sind in der momentanen Gesellschaftsformation sowohl Diskursstrategien als auch hegemoniale Denkangebote vorhanden, durch die sich eindeutige männliche oder weibliche Subjekte materialisieren. Die aus diesen Machtstrategien hervorgegangenen Geschlechter reproduzieren sich selbst durch eine permanent erzwungene Wiederholung hegemonialer Normen. Dieser Entwurf der Performativität diskursiver Praxen knüpft an Althussers Theorie der Interpellation und vor allem an Foucaults Vorstellung der Produktivität vermachteter Diskurse an (vgl. Butler 2001). Dieser poststrukturalistische Blickwinkel ist auf die Materialisierung von Geschlecht und auf die Vermittlung von hegemonialen Denkformen durch Institutionen gerichtet. Hierbei versuche ich zu ergründen, wie hegemoniale Ideologien und Machtapparate durch diskursive Praxen Geschlechtsidentitäten erzeugen. Durch die poststrukturalistischen Ansätze von Michel Foucault und Judith Butler ergibt sich die Möglichkeit Subjektkonstitutionen und -konstruktionen, Inkorporationen von Herrschaftsverhältnissen sowie die Materialisierung von Geschlechteridentitäten und -verhältnissen zu beschreiben und diese Beschreibungen ebenfalls als Bausteine in das Theorem Geschlechterregime einzuarbeiten. Ausgeleitet wird auch dieses Kapitel mit weitergehenden Überlegungen und Bausteinen, wie konkrete Geschlechterregime zu analysieren sind. Trotz der unterschiedlichen Theorieansätze existiert eine Verwandtschaft zwischen der Regulationstheorie und poststrukturalistischen Sichtweisen, die nicht nur dem gemeinsamen Vordenker Louis Althusser geschuldet ist. In diesem Zusammenhang folge ich der Ansicht der Herausgeber des Buches „Zur Genealogie der Regulation“, die davon ausgehen, dass das von Foucault begonnene Projekt „einer Analyse des modernen ‚Regierungsdenkens‘ (gouvernementalité) viele Berührungspunkte mit einem neuen ökonomischen Ansatz teilt, der gemeinhin als ‚Theorie der Regulation‘ gehandelt wird“ (Müller/Reinfeld/ Schwarz/Tuckfeld 1994: 7). Diese Verwandtschaft beruht allerdings nicht auf einer der beiden Ansätzen gemeinsamen Untersuchungsmethode, sondern beide

18 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Ansätze drehen sich um dasselbe Grundproblem. Sie untersuchen die ökonomischen, politischen und ideologischen Prozesse auf die Fragen hin: Wie ist Kapitalismus möglich? Wie wird dieser reproduziert? Der Begriff „Regime“ gibt auch aus der Sicht beider Ansätze Auskunft über den grundlegenden Charakter der Herrschaftsform. Er bezieht sich auf die sozialen Vergesellschaftungsmechanismen, Institutionen, Regeln, Ideologien, Diskurse, Normen und Machtverhältnisse und ist insofern ein Werkzeug, um Geschlechterverhältnisse mit den Koordinaten Struktur/Symbol/Subjekt zu analysieren. Mein Vorgehen soll aber keine Verbindung beider Theorien sein. Durch die geschlechtertheoretische Rekonstruktion beider Theorien soll eine Ableitung des Begriffes Geschlechterregime möglich sein, indem Inhalt und Form des Begriffes bestimmt und die Bedeutung des Begriffes erklärt werden. Daher leite ich im fünften Kapitel „Intersektionale Bausteine und intersektionale Definition des Begriffes Geschlechterregime“ aus den Sichtweisen der beiden Theorien eine Definition des Begriffes Geschlechterregime ab. Zusammenfassend versuche ich hierbei nochmals die Anschlussstellen der einzelnen Ansätze zu erläutern, um aus deren Sichtweisen theoretische Konsequenzen zu ziehen. Die bisherigen Annahmen, Hypothesen und intensionalen Bedeutungen von Geschlechterregimen innerhalb der vorgestellten Sichtweisen werde ich dazu reinterpretieren, um ihre Artikulation zu erfassen. Hierbei geht es darum die bisherigen Bausteine, Definitions- und Herleitungsketten in einem System zu verdichten und zusammenzuschließen. Ziel dieses Vorgehens ist es, eine theoretische Fundierung dieses Begriffes zu erarbeiten, um darauf aufbauend im empirischen Teil dieser Arbeit analysieren zu können, wie ein historisch-konkretes Geschlechterregime materialisiert, strukturiert und reguliert wird. Die hier eingenommene Perspektive zwischen Regulationstheorie und Poststrukturalismus beinhaltet somit auch theoretische Konsequenzen. Theoretisch soll es bei dem Konzept Geschlechterregime bzw. bei der Untersuchungskategorie Geschlechterregime darum gehen, objektivistische und subjektivistische Verkürzungen zu vermeiden und Verbindungen zwischen Subjekt- und Gesellschaftstheorie zu installieren. Fazit dieser Herangehensweise ist die Offenlegung der Wechselwirkungen und der Verzahnungen von sozioökonomischen Struktureinheiten des Staates, makroökonomischen Strukturimperativen, symbolischen und subjektiven Elementen und ihren Ensembles. Aufgrund dieser intersektionalen Überlegungen kann sich den Ebenen des Geschlechterregimes aus unterschiedlichen Stellungen oder von unterschiedlichen Bezugsorten genähert werden. Die Koordinaten dieser Systemelemente und ihrer Verkettungen kartographiere ich in drei möglichen Wechselwirkungen zwischen der Subjektebene, der Symbolebene und der Strukturebene. Je nach Standpunkt ergibt sich ein be-

E INLEITUNG | 19

stimmtes Analyseraster der wechselseitig in Beziehung tretenden (//) Ebenen: Struktur//Symbol, Struktur//Subjekt, Symbol//Subjekt (vgl. Winker/Degele 2009). Die Überschneidungen der Ebenen und die Knotenpunkte der Verkettungen verweisen dabei auf die Widersprüchlichkeiten und auf weitere komplexere Verbindungen, Abzweigungen und Wechselwirkungen zwischen den Ebenen bis hin zu den Subebenen des Geschlechterregimes. Ergebnis dieses Kapitels sind die aus diesen Verbindungen heraus sich ergebenden, aufeinander aufbauenden Konsequenzen, die das Konzept Geschlechterregime beschreiben. Der theoretisch-abstrakte Begriff des Geschlechterregimes verweist hierbei auf ein Ensemble bzw. auf ein Dispositiv von Strukturen, Maßnahmen und Regeln, die sich um den hegemonialen Prozess der geschlechtsspezifischen Identitätsbildung und asymmetrischen Machtverteilung zwischen den Geschlechtern innerhalb der kapitalistischen Gesellschaftsformation einordnen lassen. Das Geschlechterregime wird durch Herrschaftstechniken und (Selbst-)Regulierungen materialisiert und kann als ein Geflecht institutionalisierter vergeschlechtlichter Praxen und Formen verstanden werden. In diesem Zusammenhang wird das Theorem Geschlechterregime als Interaktionsform zwischen ökonomischen und institutionellen Machtverhältnissen, Zivilgesellschaft, kulturellen Diskursen/Ideologien bzw. essentialistischen Definitionen von Geschlecht und Selbstregierungsmechanismen definiert, das durch gouvernementale Politiken und durch die kapitalistische Verwertungslogik verfestigt wird. Das Geschlechterregime stellt mit dieser Definition ein Herrschaftsdispositiv dar. Der empirische Teil dieser Arbeit in Kapitel 6-9 widmet sich der historischkonkreten Formation des Geschlechterregimes der BRD in der historischen Periode des Fordismus und der aktuellen Periode des Postfordismus. Hierbei steht die Frage im Vordergrund, wie sich die Dispositivelemente des Geschlechterregimes in der postfordistischen Periode formieren. Eine intersektionale Dispositivanalyse im Anschluss an Michel Foucault richtet sich daher auf die Beziehungen zwischen den Formationsebenen des Dispositivs, um aktuelle geschlechterregimerelevante Herrschaftstechniken und Machtverhältnisse zu untersuchen, um die geschlechterregimerelevante symbolische Architektur ihrer zugrundeliegenden Diskurse und Ideologien offenzulegen sowie die damit verbundenen Subjektivierungsweisen darzustellen. Die Dispositivanalyse bezeichnet allerdings keine eigene schematisch anwendbare Methode und besitzt auch keine geregelte methodische Vorgehensweise. Deshalb werden im sechsten Kapitel methodologische Überlegungen vorangestellt, wie die Foucaultsche Dispositivanalyse mit der intersektionalen Methode nach Winker und Degele in Bezug auf das Theorem Geschlechterregime trianguliert werden kann. Es geht hierbei also darum, sich dem komplexen Zusammenhang von Struktur, Symbol und Subjekt

20 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

analytisch anzunähern sowie einer Erfassung des Zusammenhangs und der Wechselwirkungen der Dispositivelemente. Der Diskurs- und Dispositivanalytiker Siegfried Jäger (2006) schlägt zur Analyse von Dispositiven eine bestimmte Reihenfolge vor: Es müssen erstens vorwiegend historische und strategische Funktionen von Dispositivelementen betrachtet und herausgearbeitet werden. Zweitens bedarf es einer Ausweitung dieser soziohistorischen Rahmenanalyse hin zu einer Kritischen Diskursanalyse, um anschließend nicht-diskursive Praxen sichtbar und gegenständlich zu machen (vgl. Jäger 2001: 106f). Für meinen Anspruch in dem empirischen Teil dieser Arbeit die historisch-konkrete Formation eines Geschlechterregimes darzustellen, ergibt sich folglich eine Dreiteilung. Der erste Teil der intersektionalen Dispositivanalyse (Kapitel 7) widmet sich auf der Strukturebene der Rekonstruktion der soziohistorischen Formation des Geschlechterregimes. Der zweite Teil (Kapitel 8) widmet sich auf der Symbolebene Diskursen, die ein historischkonkretes Geschlechterregime formieren. Der dritte Teil (Kapitel 9) widmet sich auf der Subjektebene den Artikulationen von Interviewpartnerinnen und Interviewpartner, die zu den Materialisierungen eines historisch-konkreten Geschlechterregimes beitragen. Zur Anordnung und als inneren Rahmen dieser Dispositivanalyse trianguliere ich das Konzept mit der intersektionalen Mehrebenenanalyse. Durch diese Vorgehensweise können auch in der Empirie Schnittstellen und Wechselwirkungen zwischen Struktur, Symbol und Subjekt auf den einzelnen Ebenen gesondert analysiert und hervorgehoben werden. Der Vorteil dieser Triangulation liegt darin, dass die intersektionale Vorgehensweise eine klare Strukturierung der Dispositivanalyse ermöglicht, somit zu einer höheren Validität der Forschungsergebnisse beiträgt und systematische Abweichungen oder Verzerrungen verringert. Durch diese Vielschichtigkeit der intersektionalen Dispositivanalyse soll es möglich werden nachzuvollziehen, wie einerseits Geschlechterverhältnisse durch Kapitalverwertungsprozesse und staatliche Interventionsweise formiert werden, womit sich und andererseits zugleich spezielle und widersprüchliche vergeschlechtlichende kollektive und individuelle Praxen etablieren können. Folglich ist der empirische Teil in drei Kapiteln aufgebaut: Kapitel 7 beschäftigt sich mit der historisch-konkreten Strukturierung von Geschlechterregimen. Work-Life-Balance-Maßnahmen eignen sich hierbei besonders zur Verdeutlichung der für die Geschlechterregime relevanten Vernetzungen des derzeitigen gesellschaftspolitischen Systems. Daher wird in diesem ersten empirischen Kapitel am Beispiel der Work-Life-Balance-Maßnahmen dargestellt, wie betriebliche Personalpolitiken und Regierungsmaßnahmen entstanden sind, die auf die Vereinbarkeit von Erwerbs- und Fürsorgearbeit setzen,

E INLEITUNG | 21

um eine Steigerung der Binnennachfrage, höhere Geburtenraten und Senkungen der Lohnnebenkosten herzustellen. Die sich verändernden Arbeits- und Lebensverhältnisse im Postfordismus, das Verschwinden des fordistischen Modells des männlichen Familienernährers, das Auflösen der Identifikation der weiblichen Rolle mit der privaten Sphäre, Geburtenrückgänge, die Forderungen nach Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt und nach geschlechterspezifischen Politiken und Gesetzen sind ebenfalls Themen der Work-Life-Balance-Maßnahmen. Vorab lässt sich sagen, dass Work-Life-Balance-Maßnahmen auf eine grundlegende Modernisierung der Arbeitsorganisation zielen, die das Spannungsverhältnis von Lohn- und Reproduktionsarbeit vor dem Hintergrund der ökonomischen, technologischen und gesellschaftlichen Transformation mittels neuer Konzepte zu reorganisieren versucht. Dabei ist das Thema „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ ein wesentlicher Teilaspekt von Work-Life-Balance-Maßnahmen. Im Anschluss an diese Darstellung der konkreten Maßnahmen versuche ich im zweiten Schritt der intersektionalen Dispositivanalyse in Kapitel 8 mittels der Kritischen Diskursanalyse ideologische Repräsentationen in Work-Life-BalanceKonzepten auf der Symbolebene herauszuarbeiten und zu verdeutlichen. Bei dieser Methode wird die Foucaultsche Diskurstheorie dazu beitragen, die Bedeutungen und Kollektivsymboliken bzw. die Diskurspositionen der Agenten des Geschlechterregimes zu verdeutlichen. Hierbei stehen die Diskurspositionen der Initiative „Work-Life-Balance als Motor für wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftliche Stabilität“ im Vordergrund. Die Initiative, bestehend aus börsennotierten Konzernen und Bundesministerien unter der Schirmherrschaft des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI), und ihr Diskurs ist hierfür besonders relevant, da dieses Konglomerat aus staatlichen Institutionen und Großkonzernen Ziele der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung in den nächsten Jahrzehnten artikuliert und somit einen wirkmächtigen Herrschaftsdiskurs darstellt. Die Initiatoren dieses Work-Life-Balance-Diskurses sind als Multiplikatoren des Diskurses zu verstehen, da sie als Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber und als Regierung einen zentralen Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung ausüben können. In dieser Kritischen Diskursanalyse geraten so die ideologischen Standpunkte der Akteurinnen und Akteure bzw. der Klassenbündnisse, der Politik, der Gesetzgebung, der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber etc. und ihre eingesetzten Strategien im Kampf um Hegemonie in den Blick. Ziel dieses Kapitels wird es sein, die These – Geschlechterregime sind als ein Spiegel bzw. als eine Orientierungshilfe zu verstehen, wodurch Subjekte durch die hegemoniale symbolische Ordnung ihre Identität erfahren – zu bestätigen oder zu verwerfen. Diese These wird im abschließenden Kapitel der intersektionalen Dispositivanalyse auf der Subjektebene weiter überprüft.

22 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Gegenstand des letzten Schrittes der empirischen Dispositivanalyse in Kapitel 9 des Geschlechterregimes ist, nach der strukturellen und der symbolischen Ebene, die Untersuchung der subjektiven Ebene und die Untersuchung von subjektiven Verhältnissen. In dem Kapitel steht die Frage im Vordergrund, welche subjektiven Geschlechterpraktiken und -formen bei Beschäftigten durch WorkLife-Balance-Maßnahmen entstehen und wie das Geschlechterregime durch subjektive Praxen reproduziert wird. Mit Hilfe von problemzentrierten Interviews werden Standpunkte von Subjekten ermittelt. Mithilfe der intersektionalen Auswertungsmethode von Interviews nach Winker und Degele (2009) werden die subjektiven Sichtweisen, die Erfassung individueller Handlungen sowie Verarbeitungsweisen gesellschaftlicher Realität herausgearbeitet. Das letzte Kapitel dieser Arbeit verbindet die einzelnen Ergebnisse der intersektionalen Dispositivanalyse in einer Gesamtschau und beantwortet die in dieser Arbeit aufgestellten Forschungsfragen: • Was sind Elemente eines intersektionalen Geschlechterregimekonzeptes und

wie kann es theoretisch zusammengesetzt und definiert werden? • Wie sehen die theoretisch-abstrakten Dispositivelemente des Geschlechterre-

gimes historisch-konkret aus? • Wie wirken sich historische und aktuelle Transformationsprozesse des Kapitalismus und der Regulationsweisen des Staates auf die Konstitution von Geschlechterregimen aus? • Welche Diskurspositionen sind in der Initiative „Work-Life-Balance als Motor für wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftliche Stabilität“ in Bezug auf Geschlechterregime enthalten? • Welche subjektiven Geschlechterpraktiken und -formen entstehen durch Work-Life-Balance-Maßnahmen bei Erwerbstätigen, und wie wird das Geschlechterregime durch subjektive Praxen reproduziert? Durch diese Fragestellung ist diese Arbeit auch in zwei Teile untergliedert. Teil 1 beschreibt die Dispositivelemente des theoretisch-abstrakten Geschlechterregimes und Teil 2 beschreibt die Dispositivelemente des historisch-konkreten Geschlechterregimes.

Teil 1: Das theoretisch-abstrakte Geschlechterregime

2. Zur Konzeptionierung eines intersektionalen Geschlechterregimekonzeptes

Seit einigen Jahren besteht ein verstärktes Interesse innerhalb der Geschlechterforschung an dem theoretischen Konzept des „Geschlechterregimes“ (vgl. Bothfeld 2008: 7ff). Historisch betrachtet lässt sich die Geschlechterregimeforschung – sofern überhaupt schon von einer Geschlechterregimeforschung gesprochen werden kann – in der Auseinandersetzung um eine Verschränkung verschiedener geschlechterzentrierter Analysedimensionen verorten. Die aktuelle Geschlechterregimeforschung bewegt sich in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen wie der vergleichenden Wohlfahrtsstaatenforschung, der feministischen Politikwissenschaft sowie in poststrukturalistischen oder postmarxistischen Geisteswissenschaften und verwendet daher auch unterschiedliche Konzeptionen des Geschlechterregimes. Auch der unterschiedlich verwendete und nicht klar begründete Begriff des Geschlechterregimes, der „in der Literatur oftmals auch ohne explizierte Definition verwendet“ (Betzelt 2007: 11) wird, bedarf einer Verdeutlichung zum besseren Verständnis des Konzeptes. Dieses Kapitel beschäftigt sich daher zuerst mit den verschiedenen Ansätzen zur Definition des Geschlechterregimes, um auf dieser Grundlage eigene Schlüsse und Erweiterungen des Begriffes zu erarbeiten. Das erste Problem, das sich bei der Erarbeitung einer verbindenden Arbeitsgrundlage des Begriffes Geschlechterregime aus den verschiedenen Disziplinen und unterschiedlichen Konzeptspezifikationen ergibt, ist das Problem der Äquivokation. Damit ist gemeint, dass ein Begriff zwar eine gemeinsame Sprachwurzel besitzen kann, aber gleichzeitig unterschiedliche Bedeutungen, Verwendungen bzw. Konzeptionen aufweist. Um einer unklaren oder doppeldeutigen Verwendung von Begriffen zu entgehen, ist es sinnvoll, den Begriff zu operationalisieren. Deshalb möchte ich im Folgenden an exemplarischen Ansätzen Konzep-

26 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

tionen und Definitionen von Geschlechterregimen vorstellen. Im Anschluss daran werde ich der Frage nachgehen, wie die verschiedenen Dimensionen zur Beobachtung von Geschlechterregimen zu verknüpfen sind. Aufgrund der unterschiedlichen theoretischen Ansätze innerhalb der Geschlechterregimeforschung werden die oben genannten Ansätze in einen wissenschaftshistorischen Kontext eingebettet, um den bisherigen Forschungsstand aufzuarbeiten. Zentral hierbei ist nicht nur die Darstellung der bisherigen Geschlechterregimeansätze, sondern auch ein Bezug zu theoretischen Anknüpfungspunkten, mit denen ich die Untersuchungskategorie Geschlechterregime konzeptionieren und definieren möchte. Wie schon angedeutet, existieren sehr unterschiedliche Forschungsfelder und Forschungsansätze innerhalb der Geschlechterregimeforschung, wobei sich „durchaus ein erheblicher Forschungsbedarf [zeigt], um ein derart umfassendes analytisches Gesamtkonzept von Gender Regimes zu entwickeln, das alle Facetten und Ebenen der Komplexität von GR [Gender Regimes] berücksichtigt“ (Betzelt 2007: 34). Deshalb werde ich nun auf die verschiedenen Ebenen und Facetten des Geschlechterregimeansatzes eingehen. Hierbei orientiere ich mich an Sigrid Betzelts Literaturstudie zum Thema „Genderregime“ (2007).

2.1 F ORSCHUNGSSTAND ZUM G ESCHLECHTERREGIMEANSATZ Die Konzeptualisierung des Genderregimes1 entsteht Anfang der 1990er Jahre und bezieht sich auf Robert Connells Darstellung von Geschlechterordnungen (vgl. Connell 1987) und auf Gøsta Esping-Andersens Begriff des Wohlfahrtsregimes (vgl. Esping-Andersen 1990). Bevor ich auf Conells Entwurf des Begriffes Geschlechterregime eingehe, möchte ich zuerst den komplexen Forschungsstrang um Esping-Andersens Konzept des Wohlfahrtsregimes skizzieren, da dieser als ein wichtiger Bezugspunkt der Geschlechterregimeforschung verstanden wird. Esping-Andersen nimmt in seinen Untersuchungen der wohlfahrtsstaatlichen Regulierungen Bezug auf die Erwerbsarbeit sowie die soziale Absicherung von Frauen und teilt die OECD-Länder in konservative, liberale und sozialdemokra-

1

Im Folgenden benutze ich den Begriff Genderregime nur, wenn die zitierten Autorinnen und Autoren ebenfalls den Begriff Genderregime benutzen. In der Literatur wird der Begriff Genderregime und Geschlechterregime oft synonym verwendet. In meiner Darstellung beziehe ich mich allerdings explizit auf den Begriff des Geschlechterregimes, weil dieser Begriff keine Trennung zwischen Sex und Gender impliziert und dadurch auch die Dimensionen des körperlichen Geschlechts beinhaltet.

K ONZEPTIONIERUNG

| 27

tische Wohlfahrtsstaatenmodelle ein (vgl. Esping-Andersen 1990: 27, Betzelt 2007: 8). Mit der Einteilung in verschiedene Regimetypen versucht EspingAndersen den Grad der Dekommodifizierung, also die Abkopplung sozialer Sicherheit vom Arbeitsmarkt, zu verdeutlichen. In liberalen Regimen gibt es einen geringen Grad der Dekommodifizierung bzw. einen hohen Grad der Ökonomisierung des Sozialen. Sozialleistungen stehen in Verbindung mit Marktimperativen. In konservativen Regimen sind soziale Rechte institutionalisiert. Marktimperative spielen eine geringere Rolle. In sozialdemokratischen Regimen sind soziale Leistungen weitgehend öffentlich finanziert. Dieser hohe Grad der Dekommodifizierung ermöglicht Frauen, am Arbeitsmarkt teilzuhaben: „The decisions of women […] to enter the labor force are even more intimately patterned by the welfare state in terms of its service delivery […], transfer system […], tax system, and its labour demand“ (Esping-Andersen 1990: 160). Kritisiert wird aus feministischer Sichtweise an Esping-Andersens Konzept der Dekommodifizierung, dass „die durch den Wohlfahrtsstaat (re-)produzierten Muster geschlechtsspezifischer Ungleichheit nicht erfasst“ (Betzelt 2007: 8) werden, sowie dass Esping-Andersen „patriarchale Perspektiven reproduziert“ (Nowak, J. 2009: 156, vgl. Dackweiler 2006: 95). Im Anschluss an EspingAndersens Untersuchung der wohlfahrtsstaatlichen Regime ist in der feministischen Wohlfahrtsstaatsforschung dieser Ansatz hin zum Genderregimeansatz weiterentwickelt worden: Die ersten Fassungen teilen Wohlfahrtsstaaten danach ein, inwiefern der Staat insbesondere Mütter unterstützt bzw. aktiviert, an Erwerbsarbeit teilzuhaben. Insofern werden Wohlfahrtsregime in schwache, moderate oder starke Ernährermodelle – „weak, modified oder strong ‚male-breadwinner states’ (Lewis 1992: 159) – eingeteilt. Ist dieser erste Typlogisierungsansatz eines Genderregimes noch relativ erwerbsarbeitsorientiert, werden in daran anknüpfenden Untersuchungen nicht-staatliche Akteure, politische Institutionen, kulturelle und ökonomische Kategorien einbezogen. Birgit Pfau-Effinger betont hierbei besonders die kulturellen Einflüsse auf spezifische familiäre Erwerbsmuster (vgl. Pfau-Effinger 1994, 2009). Insgesamt existieren in der feministischen Wohlfahrtsstaatsforschung unterschiedliche Entwürfe, wie Genderregime zu fassen sind (vgl. Betzelt 2007: 13-29): Mary Daly und Katherine Rake (2003) verweisen in ihrem gendersensiblen empirischen Ländervergleich auf ein soziologisches Verständnis des Wohlfahrtsstaates. In Anlehnung an Esping-Andersen benutzen sie den Begriff „Regime“, um auf staatliche Partikularinteressen aufmerksam zu machen: „The use of the term ‚Regime‘ is significant in that it reflects an understanding of the welfare

28 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

state as part of an integrated system that articulates a particular policy2 logic“ (Daly/Rake 2003: 26). Der Wohlfahrtsstaat nimmt in dieser Sichtweise als sozialer und ökonomischer Akteur über Machtbeziehungen Einfluss auf die Konstitution von Geschlechterverhältnissen. Das heißt, der Staat reguliert den Arbeitsmarkt, die Arbeitsteilung, die geschlechterspezifische Entlohnung sowie die Bedingungen, unter denen Betreuungsarbeit geleistet wird – und der Staat verteilt wohlfahrtsstaatliche Leistungen unterschiedlich entlang von Geschlechterverhältnissen und Beziehungsgefügen (ledig, verheiratet mit Kindern, alleinerziehend etc.). Geschlechterregime werden in diesem Zusammenhang durch finanzielle, zeitliche und individuelle Ressourcen, soziale Rollen, inklusive Normen und Werte sowie durch Herrschafts- und Machtverhältnisse bestimmt (vgl. Daly/Rake 2003: 38ff, Betzelt 2007: 14ff). Einen weiteren „policy“-zentrierten Ansatz stellt das Analysemodell von Gillian Pascall und Jane Lewis (2004) dar. Ihr Ansatz beschäftigt sich mit der postindustriellen Transformation der unterschiedlichen Genderregime in Ost- und Westeuropa. Diese Untersuchung entwirft kein theoretisches Modell, sondern beschreibt reale Politiken, die in Europa vorherrschen und den Bereich der Care Work betreffen. Pascall/Lewis beschreiben Genderregime als „interconnected systems, through which paid work is connected to unpaid work, state services and benefits are delivered to individuals or households, costs are allocated, and time is shared between men and women in households, as well as between households and employment.“ (Pascall/Lewis 2004: 380)

Das Analysemodell von Pascall/Lewis richtet sich auf die Indikatoren der bezahlten Arbeit, des Einkommens, der Care Work, der Arbeits- und Betreuungszeiten sowie auf zivilrechtliche Indikatoren, um die Regulierung von Geschlechterregimen sichtbar zu machen. Dieses Analysemodell stellt eine umfassende Matrix zur Verfügung, wie die genannten Indikatoren für eine empirische Untersuchung zu operationalisieren wären. Dieses Analyseraster soll entlang der vier Stufen der politischen Dimensionen (individuelle, haushaltsbezogene, zivilgesellschaftliche und gesamtgesellschaftliche Ebene) mit den fünf genannten Indikatoren abgearbeitet werden (vgl. Pascall/Lewis 2004: 380-389, Betzelt 2007: 20ff).

2

In den US-amerikanischen Politikwissenschaften wird zwischen „Policy“, „Polity“ und „Politics“ unterschieden. Der Begriff „Polity“ bezeichnet die strukturelle, formelle und institutionelle Staatsorganisation. Der Begriff „Politics“ bezeichnet die Dimension politischer Verfahren und die Aktivitäten politischer Akteure. Der Begriff „Policy“ bezeichnet die Gesamtheit eines politischen Themenfeldes, wie z. B. Familienpolitik.

K ONZEPTIONIERUNG

| 29

Ann Shola Orloff erweitert die Analysekategorien von Esping-Andersen um geschlechtsspezifische Varianten (vgl. Orloff 1993: 322ff). Das Verhältnis zwischen Staat und Markt wird um deren Verhältnis zur Familie erweitert. Nichtentlohnte Arbeit wird als Kategorie aufgenommen, um soziale Schichtungen und Geschlechterverhältnisse erklären zu können. Ebenso wird der Zugang zum Arbeitsmarkt in Verbindung mit der jeweiligen Dekommodifizierung und der Möglichkeit, einen Haushalt zu finanzieren, als Analysekategorie aufgenommen. Orloffs Ansatz eröffnet die Möglichkeit, Genderregime sowohl in der Produktions- als auch in der Reproduktionssphäre zu identifizieren. In ihrer Fassung von 1996 werden Genderregime zusätzlich durch „Politics“-Kategorien wie Heterosexualität, bürgerliche Moral- und Normvorstellungen oder Produktion von Männlichkeit und Weiblichkeit erfasst. Insofern ist diese Konzeptualisierung des Genderregime um die kulturelle Dimension erweitert (vgl. Orloff 1996: 51ff). Im Gegensatz dazu finden bei dem sozialstrukturellen Ansatz von Sylvia Walby (2007, 2009) Normen, Werte und Ideologien nur unzureichend Berücksichtigung (vgl. Winker/Degele 2009: 23). Walbys Ansatz stellt vielmehr eine umfassende politökonomische bzw. „Polity“-Variante des Genderregimekonzepts dar. Sie beschreibt die Einflussfaktoren gesellschaftlicher bzw. geschlechtsspezifischer Ungleichheiten unter dem Aspekt eines globalisierten Kapitalismus. Genderregime stellen hierbei ein System interagierender Sphären und sozialer Praxen von Geschlechterbeziehungen in der Ökonomie, der Politik und der Zivilgesellschaft dar. Ein Genderregime durchzieht diese Sphären auf allen abstrakten Ebenen: Mikro-, Meso- und Makroebene sind ebenso intersektional verbunden wie interdependent (path dependent) entwickelt (vgl. Walby 2009: 60). Hervorzuheben bei diesem Ansatz ist, dass Geschlechterverhältnisse entlang politökonomischer Kategorien wie Regulierungen, Akkumulationsmechanismen, Produktions- und Reproduktionssphäre und Demographie untersucht werden und sich dadurch Schablonen ergeben, wie unterschiedliche Länder mit dem Genderregimeansatz zu untersuchen sind (vgl. Walby 2007: 26ff). Walby versteht den Genderregimeansatz als vielseitiges Konzept, um verschiedene geschlechtsspezifische Ebenen miteinander betrachten zu können. „A gender regime is best regard as a multilevel macro level concept, for example different countries may have different gender regimes“ (Walby 2009: 260). Im Prinzip richtet sich ein Großteil der an Esping-Andersen anknüpfenden Konzepte der Geschlechterregimeforschung auf länderspezifische Vergleiche von politischen Institutionen und deren Regulierungen. Verbunden damit sind hauptsächlich die Dimensionen der geschlechtsspezifischen „Politics“. Damit sind EU-Vereinbarungen, nationale Regierungen, Gewerkschaften und Verbände im Hinblick auf die Geschlechtergerechtigkeit gemeint (vgl. Betzelt 2007: 34ff).

30 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Ein umfassendes Konzept von Geschlechterregimen müsste sowohl wohlfahrtsstaatliche Regulierungen mit einbeziehen, die über die analoge Analyse der „Policies“-, „Polity“- und „Politics“-Ansätze hinausgehen. Es müsste auch Indikatoren umfassen, welche die sozialen Praxen und die symbolischen Dimensionen im Wechselspiel mit Strukturkategorien einbeziehen, um nicht hinter neue Paradigmen der Geschlechterforschung zurückzufallen. In diesem Zusammenhang postuliert Silvia Walby, dass ein Genderregime in einer intersektionalen Verbindung mit anderen Ungleichheitsregimen steht: „The gender regime […] should be neither reduced to a single base, nor dispersed in a rejektion of categories, and it has different levels of abstraction that are linked though emergence“ (Walby 2009: 264). Ein umfassenderes Modell von Geschlechterregimen, das symbolische Prozesse einbezieht, entwerfen Julia Adams und Tasleem Padamsee (2001). Sie betonen den kulturalistischen bzw. den diskursiven Charakter der Herstellung von Geschlechterregimen und beziehen sich auf ein postmarxistisches Verständnis von Herrschaft, um Geschlechterregime zu analysieren. Für Adams und Padamsee suggeriert der Begriff „Regime“ mehr als nur die Möglichkeit, staatliche Politiken zu beschreiben: „The concept conjures up etymologically built-in associations of management, rule making, and enforcement, invoking not simply efforts at regulation or discipline but a more organized mode of governance“ (Adams/Padamsee 2001: 4). Adams und Padamsee fragen, wie überhaupt ein Regime erkannt werden kann. Für die Autorinnen ist ein Regime dadurch gekennzeichnet, dass sich innerhalb des Regimes Diskurse, Subjekte, Strategien und Sanktionen auf ein bestimmtes Ziel richten. Das bedeutet, dass ein Geschlechterregime als solches definiert werden kann, wenn eine Reihe von geschlechtsspezifischen Maßnahmen, unterstützt durch ordnende Diskurse (signs) und begleitende Sanktionen, sich in einem Subjekt niederschlagen und dieses das Regime reproduziert (vgl. Adams/Padamsee 2001: 16). Ein ähnlich erweitertes Konzept und eine Definition von Genderregime finden sich bei Heather MacRae (2006): „,Gender regime‘ refers to a set of norms, values, policies, principles and laws that inform and influence gender relations in a given polity […]. A gender regime is constructed and supported by a range of policy issues and influenced by various structures and agents, each of whom is in turn influenced by its own historical context and path.“ (MacRae 2006: 524f)

MacRae zeichnet mit diesem Konzept die Entwicklungslinien des westdeutschen Genderregimes der Nachkriegszeit anhand von Gleichstellungspolitiken bis in

K ONZEPTIONIERUNG

| 31

die heutige Zeit nach. Ihre Definition ist insofern interessant, als auf der analytischen Ebene eine historische Achse hinzukommt, durch die Entwicklungen von hegemonialen Geschlechterverhältnissen nachzuvollziehen sind. Die Definitionen sowohl von Adams und Padamsee als auch von MacRae stellen theoretische Erweiterungen zu den bisher dargestellten Ansätzen der vergleichenden Wohlfahrtsstaatenforschung dar, weil sie Dimensionen sozialer Praxen sowie diskursiver Ebenen verbinden und in ihre Definitionen des Geschlechterregimes einbeziehen (Betzelt 2007: 34ff). Außerdem verweist die Definition von MacRae auf die historische Dimension und die damit verbundenen Arbeiten von Robert Connell (1987, 1990, 1997). Connell vertritt die Sichtweise, dass Staatsapparate durch jeweils eigene hegemoniale Geschlechterregime strukturiert sind, die sich entlang der Arbeitsteilung der Geschlechter, der Struktur der Macht und der Interaktionsformen der Geschlechter verdichten (vgl. Connell 1990: 523ff). Der Begriff Geschlechterregime bezieht sich in diesem Kontext auf spezifische Geschlechterkonstruktionen, die in den jeweiligen Perioden kapitalistischer Produktionsverhältnisse auftreten. „The division of labour, the structure of power, the structure of cathexis are the major elements of any gender order or gender regime“ (Connell 1987: 99). Für Connell sind die Struktureinheiten von Arbeit, Macht und Begehren (cathexis) nicht als Determinanten des Geschlechterregimes zu verstehen, sondern diese stellen eine historische Komposition dar. Sowohl die Struktureinheiten als auch die historische Komposition verändern sich durch soziale Praxen bzw. durch umkämpfte Hegemonien und dadurch transformiert sich auch das jeweilige Geschlechterregime (vgl. Connell 1997: 116). Das Geschlechterregime ist demnach der Überbau, der Selbst- und Fremdverhältnisse bzw. Selbst- und Fremdzuweisungen als Regierungsform bzw. als Herrschaftsform der Geschlechter begreift. Connell lässt sich daher als weiterer Stichwortgeber des Konzeptes Geschlechterregime bestimmen. Allerdings steht Connell nicht für einen Ansatz der vergleichenden Wohlfahrtsstaatenforschung. Connell bezieht sich auf den hegemonietheoretischen Ansatz von Antonio Gramsci und steht in kritischer Verbindung zu den ideologiekritischen und staatstheoretischen Arbeiten des französischen Marxismus um Louis Althusser (vgl. Connell 1979: 303, 342). Auch die Arbeiten der Politikwissenschaftlerin Brigitte Young zum Genderregime verweisen auf die Arbeiten von Connell (vgl. Young 2000a: 34). Nach ihrer Definition bezieht sich der Begriff des Genderregimes auf institutionalisierte Maßnahmen und geschlechtsspezifische Herrschaftsformationen „die als ein Geflecht von Normen, Regelungen und Prinzipien in den Strukturen gesellschaftlicher Praktiken verankert sind“ (Young 1998a: 177). Young bezieht sich auf die aus dem Marxismus um Althusser entstandene französische Regulations-

32 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

theorie. Sie liefert mit der Einbettung des Begriffes Geschlechterregime in einen regulationstheoretischen Kontext weiterführende Denkansätze, um die Neukonfiguration von Geschlechterverhältnissen innerhalb eines postfordistischen Akkumulationsregimes zu untersuchen (vgl. Young 2000a: 34ff, 2000b). Zu ihren grundlegenden Thesen gehört, dass die Veränderungen historisch-spezifischer Akkumulationsregime, wie beispielsweise der Fordismus, Hand in Hand gehen mit einer Neuzusammensetzung von Geschlechterregimen (vgl. Young 1999: 1). Ferner betont sie, dass Geschlechterregime eine symbolische Ordnung repräsentieren, deren Rahmung gleichzeitig durch Kämpfe zwischen den Geschlechtern und durch Machtverhältnisse definiert wird (vgl. Young 2000a: 34f). Mithilfe dieses von Young dargestellten Konzeptes lässt sich ein Geschlechterregime als ein heuristisches Werkzeug begreifen, durch das Geschlechterregime entlang historischer und aktueller Akkumulationsregime, Regulationsweisen und den darin verankerten strukturellen, symbolischen und subjektiven Ebenen zu analysieren sind. Die Politikwissenschaftlerin Regina-Maria Dackweiler formuliert offene Forschungsstellen im Konzept des Geschlechterregimeansatzes. Dackweiler stellt in diesem Zusammenhang die unterschiedlichen Ebenen und Dimensionen des Geschlechterregimeansatzes und Bausteine zur Analyse von Geschlechterregimen wie folgt dar (vgl. Dackweiler 2003: 98ff): • Zu fokussieren sind die Zugangsbedingungen von Frauen zum Arbeitsmarkt

und die Möglichkeiten von Frauen zu einer unabhängigen Haushaltsführung, um Geschlechterverhältnisse auf der Ebene der Produktionssphäre und Reproduktionssphäre zu identifizieren. • Es bedarf einer Auseinandersetzung mit der jeweiligen Staatsformation und den darin enthaltenen hegemonialen Männlichkeiten. Staatliche Regulationsweisen über Gesetze und Ressourcenzuteilung müssen in den Fokus der Analyse rücken, um Handlungsbehinderungen, Sanktionen und Handlungsmöglichkeiten der Akteure und Akteurinnen in Bezug auf eine Veränderung von Geschlechterverhältnissen betrachten zu können. • Es müssen die ideologischen und diskursiven Orientierungen in Bezug auf die Kategorie Geschlecht der politischen Parteien, der Zivilgesellschaft und der Subjekte betrachtet werden, um die Entwicklung staatlicher Steuerungsmodi zu verstehen. • Es bedarf einer geschlechterreflektierenden Analyse industrieller Beziehungen und staatlicher Regulationsweisen im Hinblick auf geschlechterspezifische Politiken zur Partizipation von Frauen in den Betrieben. Außerdem muss sich

K ONZEPTIONIERUNG

| 33

die Aufmerksamkeit auf eine „globalisierte Weltordnung“ richten, um nationale Geschlechterregime analysieren zu können. Zusammenfassend ist das Konzept Geschlechterregime in der bisherigen Darstellung größtenteils auf die Ebene der institutionalisierten Geschlechterverhältnisse und -anordnungen zugespitzt. Dadurch lassen sich nationale Geschlechterregime und das jeweilige Verhältnis zwischen Staat, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Haushalten über rechtliche, ökonomische, politische und soziokulturelle Konfigurationen beschreiben (vgl. Dackweiler 2005: 117). Hierbei werden unter anderem Rückkopplungseffekte wohlfahrtsstaatlicher Institutionen auf aktuelle Probleme untersucht. Festzuhalten ist, dass durch die Wohlfahrtsstaatenanalyse das Geschlechterregime als eine Formation beschrieben werden kann, die Geschlechterkonstruktionen in Strukturen und Verfahrensweisen von Institutionen einschreibt und dadurch bestehende Herrschaftsverhältnisse sichert bzw. verändert (vgl. Henninger/Ostendorf 2005: 10). Wie schon beschrieben sind die Ansätze der vergleichenden Wohlfahrtsstaatenforschung im Wesentlichen institutionalistischakteurzentriert und zeichnen sich durch eine große Bandbreite empirischer Analysen aus. Hauptaugenmerk liegt auf den nationalspezifischen Unterschieden in Bezug auf geschlechterzentrierte Politiken. Hierbei werden hierarchische Geschlechterverhältnisse deutlich. Allerdings ist bei vielen Autorinnen und Autoren „die politisch-strategische Perspektive auf Politikberatung für die herrschenden Gruppen [als] Vorschläge für Geschlechtergerechtigkeit im Rahmen von Konzepten wie der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik formuliert“ (Nowak, J. 2009: 168). Das Problem, das sich aus meiner Fragestellung heraus mit dem bisher dargestellten wohlfahrtsstaatlichen Genderregimeansatz stellt, ist, dass dieser im Kontext einer geschlechtersensiblen Wohlfahrtsstaatsforschung bzw. einer politischen Institutionenanalyse steht. Dies ist den unterschiedlichen Konzeptionen des Untersuchungsfeldes geschuldet, aber auch der Analysekonzeption, denn die Wohlfahrtsstaatsforschung untersucht die Koordination staatlicher Politiken. „Die damit einhergehende Ausklammerung von Aspekten der Steuerung und Organisation der Reproduktionssphäre [wird daher auch] als ‚blinder Fleck‘ in der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung kritisiert“ (Dingeldey 2002: 5, vgl. Schmid 1994). Da sich meine Forschungsfrage aber den wechselseitigen Verbindungen zwischen kapitalistischen Produktions- und Reproduktionsbedingungen und staatlicher Herrschaftsorganisation widmet sowie der ideologischen Konstruktion von Geschlechterverhältnissen und den Selbstverhältnissen und Selbstregulierungsweisen der Geschlechter, bedarf es auch für mein Untersuchungsfeld einer Erweiterung der Begriffsdefinition von Geschlechterregimen.

34 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Es bedarf auch einer analytischen Trennung zwischen dem Genderregimeansatz der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung und einem intersektional aufgebauten Geschlechterregimeansatz, der die Wechselwirkungen der Reproduktion der Produktionsbedingungen (vgl. Althusser 1977) untersuchen will. Denn wie die Analyse von Pascall und Lewis (vgl. 2004: 380-389) zeigt, ist der wohlfahrtsstaatliche Genderregimeansatz für eine Analyse der Zusammenhänge zwischen politökonomischen, diskursiven und subjektiven Prozessen in Wechselwirkung mit der Reproduktion gesellschaftlicher Verhältnisse nicht ausgelegt. Wohlfahrtsstaatliche Genderregimeansätze operieren auf den jeweiligen Ebenen und untersuchen nicht deren Wechselwirkungen. Mit diesem Anspruch, die Wechselwirkungen zu untersuchen, möchte ich die aktuellen Perspektiven bzw. den sogenannten Paradigmenwechsel innerhalb der Geschlechterforschung in den Begriff des Geschlechterregimes einbinden. Dieser Paradigmenwechsel der Geschlechterforschung formiert sich als intersektionale Mehrebenenanalyse von Herrschaftsverhältnissen auf der strukturellen, symbolischen und subjektiven Ebene (vgl. Klinger/Knapp 2007: 35, Winker/Degele 2007, Hardmeier/Vinz 2007: 25, Soiland 2008). Das unterschiedliche methodische Vorgehen zur Untersuchung von Geschlechterregimen meinerseits begründet auch eine Veränderung des Untersuchungsfeldes. Das heißt, ein Begriff des Geschlechterregimes, der über die politische Institutionenanalyse hinaus die intersektionalen Wechselwirkungen von Herrschaftsverhältnissen untersuchen will, muss sich auch aktuellen Veränderungen in den gesamtgesellschaftlichen Sphären zuwenden. Wie Tove Soiland (2008) im Rekurs auf Birgitte Aulenbacher (2007) und Gudrun-Alexi Knapp (2005) darstellt, gibt es im Rahmen aktueller gesellschaftstheoretischer Diskussionen kaum zeitdiagnostische Beiträge vonseiten der Geschlechterforschung, die sich mit den intersektionalen Verbindungen der veränderten Bedingungen des Postfordismus oder der Transformation des Wohlfahrtsstaates hin zum Wettbewerbsstaat auseinandersetzen. „Was weitgehend fehlt“, so Soiland, „sind ernsthafte Auseinandersetzungen mit der Frage, wie veränderte Dynamiken im Geschlechterverhältnis mit dem Akkumulationsregime spätkapitalistischer Gesellschaften interferieren“ (Soiland 2008: 1). Knapp (2008) kommentiert dies dahingehend, dass in diesem Zusammenhang die gesellschafts- und subjekttheoretischen Implikationen sowie die Potentiale, Grenzen und Desiderate weiter auszuloten seien, „die mit der Idee einer intersektionellen Analyse komplexer Ungleichheit oder der Frage nach den Vermittlungen, Ko-Artikulationen, Interdepenzen, Interferenzen zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Strukturprinzipien bzw. Herrschaftsformen verbunden sind“ (Knapp 2008: 1). Brigitte Aulenbacher und Birgit Rigraf weisen darauf hin, dass diese veränderten Dynamiken, die in einem interferierenden bzw. intersektionalen

K ONZEPTIONIERUNG

| 35

Zusammenhang stehen, mittels feministischer, intersektionaler und regulationstheoretischer Ansätze analysiert werden sollten (vgl. Aulenbacher/Riegraf 2009: 4f). „Das Reizvolle an solch einem Unterfangen besteht darin, dass hier Zugänge zur Diskussion kategorialer Grundfragen möglich wären, an denen vorherige Debatten, sei es die Hausarbeitsdebatte, sei es Gender and Class-Debate, gescheitert sind“ (Aulenbacher/Riegraf 2009: 5). Die Diagnose „blinder Flecken“ innerhalb des Geschlechterregimeansatzes (vgl. Betzelt 2007: 42) sowie das Postulat eines Paradigmenwechsel innerhalb der Geschlechterforschung geben zumindest Anlass, die bisher dargestellten Ansätze und ihre Bezugspunkte zu überdenken. Das bedeutet, dass ich im Folgenden die Bezugspunkte des traditionellen Geschlechterregimeansatzes um den Anspruch erweitern möchte, die intersektionalen Wechselwirkungen der verschiedenen Ebenen einzuarbeiten. Weiter werde ich Überlegungen darstellen, wie die intersektionalen Verbindungen kapitalistischer Strukturen des Akkumulationsregimes mit der staatlichen Herrschaftsorganisation, mit der ideologischen Konstruktion von Geschlechterverhältnissen sowie mit den Selbstverhältnissen und Selbstregulierungsweisen der Geschlechter theoretisch zu erfassen sind.

2.2 M ETHODOLOGISCHE Ü BERLEGUNGEN ZUR B ESTIMMUNG EINER INTERSEKTIONALEN D EFINITION DES B EGRIFFS G ESCHLECHTERREGIME Um den Begriff Geschlechterregime als analytischen Begriff weiterzuentwickeln, muss im Anschluss an die Darstellung der bisherigen Ansätze auch auf weiterführende Konzepte eingegangen und mit umfassenderen Definitionen gearbeitet werden: Erst dadurch können die Konstruktion und Regulation von Geschlechterregimen durch komplexe Herrschaftszusammenhänge und Machtverhältnisse sowie durch den Prozess von permanenten politisch-sozialen und (heteronormativ-)diskursiven Auseinandersetzungen und Einflüssen verstanden werden. Als notwendige Voraussetzung zur Erklärung dieser Zusammenhänge ist die Präzisierung eines intersektionalen Begriffes des Geschlechterregimes notwendig. Die weiteren Überlegungen schließen daher an der intersektionalen Mehrebenenanalyse nach Gabriele Winker und Nina Degele (2009) an. Im Folgenden wird diese in einen wissenschaftshistorischen Hintergrund eingeordnet und begründet, warum dieser Ansatz für die Konzeption des Geschlechterregimeansatzes sinnvoll erscheint. Die intersektionale Mehrebenenanalyse nach Winker und Degele (2009) versucht die Schnittmengen der Kategorie Geschlecht in der Wechselwirkung mit

36 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

anderen Ungleichheitskategorien wie Klasse, „Rasse“ oder Körper auf den Ebenen Ökonomie, Politik, Diskurs und Subjekt darzustellen. Die Frage, wie die Verschränkung von ökonomischen Strukturen und Geschlecht zu verstehen ist, ist allerdings keine neue Fragestellung. Erste Antworten auf die Frage nach dem Verhältnis von Geschlecht und Klasse lassen sich für die Autorinnen schon im marxistischen Forschung- und Arbeitszusammenhang der 1970er und 1980er Jahren begründen (vgl. Winker/Degele 2009: 29ff). Für diesen Forschungszusammenhang stand die Verschränkung von Kapitalismus und Patriarchat im Vordergrund. Die zentrale Frage hierbei lautete, welcher Widerspruch (Kapital/Arbeit oder Mann/Frau) der Hauptwiderspruch sei (vgl. ISMF 1984). Feministische Perspektiven auf die marxistische Theorie bezogen neben der Produktions- auch die Reproduktionssphäre in ihre Analysen mit ein. Für die Ausprägung der neuen Geschlechterverhältnisse sind aus einer marxistisch-feministischen Sicht die Entstehung der bürgerlich-industrialisierten Gesellschaftsformation, die „ursprüngliche Akkumulation“ (Marx) einhergehend mit der Auflösung des „ganzen Hauses“ zentrale Entwicklungskategorien (vgl. Haug 1996: 138f, Hausen 1978). Vor allem der Subsistenzansatz der Arbeitsgruppe Bielefelder Entwicklungssoziologen (u. a. Maria Mies, Claudia von Werlhof) betonte in den 1970er und 1980er Jahren, dass der „Einbezug nichtmarktvermittelter Arbeit in die Analyse sozialökonomischer Strukturen und Prozesse von großer theoretischer Bedeutung ist“ (Braig/Lentz 1983: 7), um die Verflechtungen von Geschlechterverhältnissen und kapitalistischer Akkumulation angemessen darstellen zu können. Allerdings verkürzt diese Analyse wiederum die gesellschaftlichen Verhältnisse, weil die meisten Autorinnen dieser Arbeitsgruppe davon ausgingen, dass alle geschlechtliche Unterdrückung auf eine ökonomische zu reduzieren sei (vgl. Beer 1983: 23ff). Dadurch bleiben ideologische und subjektive Prozesse unterbelichtet. Ursula Beer (1990) legte dagegen einen Ansatz vor, wie die Darstellung von Geschlecht als Strukturkategorie zu verstehen sei, indem sie einen Theoriekorpus entwickelte, „der wie kein anderer die systematische Geschlossenheit oder den Systemcharakter von sozialen Verhältnissen betont“ (Beer 1990: 23). Das bedeutet, Beer ist in ihrer Arbeit analytisch auf der Suche nach einer Begrifflichkeit, die noch nicht existiert, die sich aber durch ihre Analyse entwickelt. Als Ergebnis präsentiert Beer einen weitverzweigten und reformulierten Strukturbegriff im Anschluss an die Althusserische Interpretation der Marxschen Theorie. Dieser Strukturbegriff beinhaltet theoretische Anknüpfungspunkte, um der historischen Transformation der Vergesellschaftung von Arbeit im Geschlechterverhältnis nachzugehen, was im weitesten Sinne die generative Reproduktion der Gesellschaft und die damit verbundene geschlechtsspezifische Arbeitsteilung einschließt (vgl. Beer

K ONZEPTIONIERUNG

| 37

1990: 109ff). Wesentliche Erkenntnis dieser Arbeit ist das Postulat, dass die kapitalistische Ökonomie aus der Warenökonomie und der nicht-marktvermittelten Ökonomie besteht. Unbezahlte Reproduktionsarbeit erweist sich dabei als Bedingung der Warenproduktion (vgl. Beer 1990: 56ff, 253). Diese Erkenntnis ist insofern wegweisend für die derzeitige Arbeits- und Geschlechterforschung, weil dadurch der Haupt- und Nebenwiderspruchsdebatte die Grundlagen entzogen werden. Winker und Degele fragen in diesem Zusammenhang, wie es nun mit Versuchen aussieht, in denen nicht zwei Großsysteme, nämlich Kapitalismus und Patriarchat, miteinander verbunden werden, „sondern gesellschaftlich strukturierte Produktions- und Reproduktionsprozesse“ (Winker/Degele 2009: 34). Vergleicht man in diesem Zusammenhang neuere Analyseansätze innerhalb der Geschlechterforschung mit Ansätzen aus den 1980er und 1990er Jahren bestehen aktuelle zentrale Forschungsaufgaben darin, verschiedene Diskursstränge miteinander zu konfrontieren, miteinander zu verbinden oder zu ergänzen. Besonders Ansätze der Queer-Theory bzw. postrukturalistische Ansätze betonen die diskursive und symbolische Materialisierung von Geschlecht und die Problematisierung einer hierarchisch strukturierten und normativen Heterosexualität (vgl. Groß/Winker 2007, Groß 2007: 173ff, Groß 2008: 47ff, Winker/Degele 2009: 44ff). Durch den „cultural turn“ bzw. „linguistic turn“ poststrukturalistischer Ansätze – die Geschlecht nicht mehr als patriarchales Verhältnis verstehen – wird in der Geschlechterforschung ein Paradigmenwechsel eingeleitet. Die auf Arbeit und Ökonomie bezogene Geschlechterforschung wird durch eine auf Sprache und Kultur bezogene Geschlechterforschung abgelöst. Als zentral für diesen Diskurs ist Judith Butlers Buch „Das Unbehagen der Geschlechter“ (2001) zu nennen. Butler setzt sich in diesem Kontext mit der Frage nach dem SoGewordensein von „gender“ auseinander. Zweigeschlechtlichkeit wird hier als diskursiv-gewaltförmiger Prozess dargestellt: Männlichkeit und Weiblichkeit werden als etwas wesentlich Gegensätzliches innerhalb der abendländischen Kultur konstruiert und zur Herstellung von eigener Identität benötigt. Butler entwirft ein performatives Modell von Geschlecht, in dem die Kategorien „männlich“ und „weiblich“ ein Ergebnis von wiederholten, gesellschaftlich überformten geschlechtsstereotypen Handlungen sind. Geschlecht wird nicht als natürlich, sondern als Materialisierung von geschlechtsspezifischen Diskursen verstanden. Butler verdeutlicht hierbei die wechselseitige Verschränkung von Subjekt und Macht, sowie, dass Körper sich nie unabhängig von gesellschaftlichkultureller Form materialisieren. Dieser Blickwinkel führt nicht nur zu der erkenntnistheoretischen Einsicht, dass die biologische Begründung der Kategorien „Mann\Frau“ dekonstruierbar ist, sondern führt auch zu der Frage, wie Subjekte erzeugt bzw. dezentriert werden, wie sie sich selbst konstituieren, auf welche

38 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Verhältnisse und Strukturen sie sich einlassen bzw. in welche Verhältnisse und Strukturen sie eingelassen sind (vgl. Butler 2001, 2003). Für Butler lässt sich demnach das Geschlecht nicht unter eine bestimmte regulatorische Macht oder Struktur subsumieren, sondern sie versteht vielmehr die Kategorie Geschlecht als exemplarisches Beispiel dafür, dass Strukturen in sich geschlechtsspezifisch sind und das Geschlecht ein eigenes Regime erfordert (vgl. Butler 2004: 45). Durch diesen neuartigen Blickwinkel ergab sich eine Verschiebung der feministischen Theoriebildung von der Analysekategorie „Frau“ hin zu den Kategorien „Geschlecht“, „Gender“, „Geschlechterdifferenz“ aber auch zu „Gender“- oder „Geschlechterregime“ (vgl. Hornung 2003: 141, Dackweiler 2003: 88f). Für Winker und Degele bedeutet diese Sichtweise eine Erweiterung der Strukturkategorie Geschlecht, indem durch die Berücksichtigung von Zwangsheterosexualität naturalisierte Machtverhältnisse und damit Herrschaftsverhältnisse analysiert werden können (vgl. Winker/Degele 2009: 45). Dieser Paradigmenwechsel richtet den Fokus der Geschlechterforschung nun auf die Vermittlungsebenen von nationalen, polit- und sozioökonomischen, soziokulturellen und auch auf symbolische und diskursiv vermittelte Bestimmungsfaktoren von Geschlecht sowie auf „die Ebene des interaktiven Handelns“ (Hornung 2003: 141, vgl. Winker/Degele 2009: 20, 63ff). Aufgrund der Kritik eindimensionaler Erklärungsmodelle ist eine analytische Verschränkung des Geschlechterverhältnisses mit anderen Herrschaftsverhältnissen in die Erklärung materieller, generativer und symbolischer Reproduktionen von Geschlecht gerückt (vgl. Dackweiler 1995: 134, Winker/Degele 2009: 10). Besonders die aktuellen Debatten zur Intersektionalität berücksichtigen die Verwobenheit und das Zusammenwirken verschiedener Differenzkategorien sowie unterschiedlicher Dimensionen sozialer Ungleichheit, ohne dabei die Analyse von Herrschaftsverhältnissen auf eine Ableitung von Klasse oder Geschlecht zu reduzieren (vgl. Winker/Degele 2007, 2008, 2009). Der Begriff der Intersektionalität bezieht sich auf die Überschneidungen bzw. Kreuzungen von unterschiedlichen Diskriminierungs- bzw. Differenzierungskategorien wie Rassismus, Sexismus, Bodyismus oder Klassismus. Helma Lutz und Norbert Wenning (2001) schlagen sogar 13 bipolare hierarchische Linien der Differenz vor, um die Analyse von Herrschaftsverhältnissen zu erweitern: Geschlecht, Sexualität, „Rasse“/Hautfarbe, Ethnizität, Nation/Staat, Klasse, Kultur, Gesundheit, Alter, Sesshaftigkeit/Herkunft, Besitz, Nord-Süd/Ost-West, gesellschaftlicher Entwicklungsstand.3 Im Prinzip lassen sich dabei drei unter-

3

Im Grunde genommen stellen diese Anforderungen auch Überlegungen zu konkreten Dispositivanalysen im Anschluss an Foucault dar (vgl. Bublitz 2000, Bührmann 1997,

K ONZEPTIONIERUNG

| 39

schiedliche analytische Zugänge zur Intersektionalität unterscheiden (vgl. McCall 2005: 1771ff): • Der antikategoriale Zugang als Kritik der Diskriminierungskategorien bzw.

Differenzkategorien und Identitätskonstruktionen. • Der intrakategoriale Zugang als Analyse der Differenz und Ungleichheit im

Rahmen einer jeweiligen Kategorie. • Der interkategoriale Zugang als Analyse der Wechselwirkungen zwischen den Differenzkategorien. Auf diesen interkategorialen Zugang zur Intersektionalität beziehe ich mich in dieser Arbeit. Denn der interkategoriale Ansatz analysiert „existing analytical categories to document relationships of inequality among social groups and changing configurations of inequality along multiple and conflicting dimensions“ (McCall 2005: 1773). Dies ist ganz im Sinne der intersektionalen Mehrebenenanalyse zu verstehen, denn diese bezieht sich sowohl auf die Wechselwirkung zwischen den Kategorien als auch auf die Analyse der Kategorien der unterschiedlichen Ebenen. Die Frage, die sich hierbei stellt, ist: Wie lassen sich überhaupt die verschiedenen Verhältnisse, Dimensionen und Differenzkategorien intersektional verbinden?

2.3 D IE

INTERSEKTIONALE M EHREBENENANALYSE NACH W INKER UND D EGELE

Gabriele Winker und Nina Degele weisen darauf hin, dass bei intersektionalen Ansätzen noch weitgehend Konzepte fehlen, wie die Ebenen Struktur/Symbol/ Subjekt miteinander in Beziehung gesetzt werden können. Als Ausweg schlagen sie eine Anlehnung an Pierre Bourdieus praxeologische Erkenntnisweise vor (vgl. Winker/Degele 2009: 63ff): Bourdieus Ansatz ist sowohl eine Auseinandersetzung mit dem Begriffspaar Objektivismus und Subjektivismus als auch mit dem Verhältnis von Strukturalismus und Konstruktivismus.4 Bourdieu betont die Wechselwirkung zwischen

4

1998a, b, Bührmann/Schneider 2008: 119-135). Auf diesen Zusammenhang werde ich in Kapitel 6 und 10 weiter eingehen. Vom strukturalistischen Standpunkt aus werden soziale Akteure und Akteurinnen als Dinge klassifiziert. Vom konstruktivistischen Standpunkt aus konstruieren Handelnde

40 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Struktur und sozialer Praxis. Dabei versucht er, Elemente des Strukturalismus und des Konstruktivismus in einem zusammenführenden dritten Ansatz der praxeologischen Erkenntnisweise zu verbinden. Diese Erkenntnisweise ist auf Struktur, Habitus und Praxis aufgebaut. Mit dem Habitusbegriff versucht Bourdieu dabei die Verkürzungen des Objektivismus, der das Handeln ausschließlich aus materiellen Bedingungen herleitet, und des Subjektivismus, der das Handeln aus der inneren Welt oder einer Idee ableitet, zu vermeiden. Nach Bourdieu befinden sich Individuen in einem ständigen Kampf um ihre Positionen im sozialen Feld, indem sie sich immer wieder neu mit dem gegenwärtigen Zustand der Gesellschaft auseinandersetzen. Die Kämpfe im sozialen Raum sind nach Bourdieu nicht ausschließlich auf ökonomische Klassenkämpfe reduziert, sondern es existieren gleichzeitig Auseinandersetzungen um Symbolformen, die ihren Ausdruck in der Bestimmung hegemonialer Normen und Werte sowie in Lebensstilen finden. Demnach erhält eine Gesellschaftsform ihre spezifische Form durch eine umkämpfte soziale Praxis. Und Geschlechterverhältnisse entstehen dementsprechend erst durch klassifikatorische Praxen von Individuen oder Gruppen innerhalb der Gesellschaft, die um Hegemonie ringen (vgl. Bourdieu 1987: 730ff, Bourdieu/Wacquant 1996: 125ff, Jäger 2004: 172ff, Winker/Degele 2007: 63ff). Winker und Degele schließen daraus, dass Herrschaftsverhältnisse – wie Klassismen, Heteronormativismen, Rassismen oder Bodyismen – sich in Strukturen materialisieren, die gleichzeitig aber von Menschen hergestellt werden. Durch diese Sichtweise ergibt sich folgende Überlegung zur intersektionalen Analyse: Die Autorinnen berücksichtigen sowohl gesellschaftliche Sozialstrukturen inklusive Organisationen und Institutionen als auch subjektive Prozesse der Identitätsbildung und die kulturelle Symbolebene. Der Fokus hierbei liegt nicht auf den Ebenen allein, sondern auf den Wechselwirkungen und den Prozessen zwischen den Ebenen. Diese Überlegungen verdeutlichen drei zentrale Momente innerhalb einer intersektionalen Vorgehensweise: „Erstens müssen wir Wechselwirkungen hinsichtlich der Wirkungsrichtungen und der zueinander in Beziehung gesetzten Ebenen unterscheiden. Zweitens können wir nicht von einer Gleichförmigkeit der Wirkungen ausgehen, sondern müssen Widersprüche und Gegenläufigkeiten berücksichtigen. Drittens müssen wir auch und gerade solche Widersprüche und Gegenläufigkeiten empirisch spezifizieren und konkretisieren, um daraus im Idealfall Verallgemeinerungen ableiten zu können.“ (Winker/Degele 2009: 77f)

ihre soziale Realität, welche wiederum als das Produkt von individuellen Konstruktionsakten verstanden werden kann. Beide Entwürfe scheinen die Vergesellschaftungsmechanismen zu verkürzen.

K ONZEPTIONIERUNG

| 41

Mit der Ansicht, dass gesellschaftliche Instanzen, Ebenen und Strukturen in einem Wechselverhältnis zueinanderstehen, lässt sich gegen die Aussage argumentieren, dass die kapitalistische Produktionsweise einen gezielten, zweckbestimmten und finalistischen Verlauf nimmt. 5 Der ökonomisch-totalisierenden Analyse von der Entwicklung von Gesellschaften steht das Konzept des Intersektionalitätsansatzes entgegen, indem die Entwicklung und die Geschichte von Gesellschaften auf verschiedene gesellschaftliche Praxisformen – ökonomische, politische, symbolische oder identitäre Praxen – zurückgeführt wird. Diese Sichtweise schließt die Möglichkeit einer abgetrennten Wirkmächtigkeit der unterschiedlichen Praxisarten innerhalb der gesellschaftlichen Totalität ein. Insofern kann nur von einer Offenheit und der Ungleichzeitigkeit sozialer Praxen ausgegangen werden, in der die Einheit der sozialen Praxen – die Gesellschaftsformation – relativ autonome Ebenen ermöglicht, die in der komplexen strukturalen Einheit nebeneinander existieren und sich gemäß ihren spezifischen Formationen wechselseitig bestimmen, ergänzen oder abstoßen (vgl. Winker/Degele 2009: 77ff, Althusser/Balibar 1972: 127). So verstanden existieren keine alleinherrschenden Elemente oder Ebenen, die das soziale Ganze bestimmen. Innerhalb der Ebenen artikulieren sich Verhältnisse, die sich als Widersprüche zwi-

5

Louis Althusser hat mit dem Begriff der Überdetermination auf diese Schwierigkeit hingewiesen. Als überdeterminiert lässt sich eine Gesellschaftsformation bestimmen, wenn ihre Elemente oder Ebenen nicht auf eine einfache Ursache zurückzuführen sind oder eine eindeutige Bedeutung haben, sondern sich diese Elemente und Ebenen aus mehreren Stellungen oder Bezugsorten herstellen und sich gegenseitig beeinflussen. Die Überdeterminierung der Ebenen stellt so einen Knotenpunkt dar, durch den die Wechselwirkungen innerhalb einer Gesellschaftsformation in ihrer Komplexität und Widersprüchlichkeit erfassbar werden. Die Bestimmung einer Ebene ist demnach nicht einfach oder ableitbar, sondern vielschichtig, ungleichzeitig bzw. überdeterminiert. Widersprüche hören damit auf eindeutig zu sein, weil die Existenzbedingungen eines Widerspruchs zu einer Variation der sozialen Praxen werden. Die Kategorien innerhalb der Ebenen haben durch die Überdeterminierung keine festen Rollen mehr (vgl. Althusser 1968: 52). Postmarxistinnen und Postmarxisten wie Stuart Hall oder auch Regulationstheoretikerinnen und Regulationstheoretiker verfolgen diesen Ansatz weiter, indem sie den Begriff der Überdeterminierung in dem Ansatz der Artikulation umsetzen. Auch hierbei gilt es, die Wechselwirkungen bzw. die Artikulationen zwischen verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen erfassbar zu machen. Hintergrund des Konzeptes der Artikulation ist die Erkenntnis, dass gesellschaftliche Verhältnisse und Praxen sowie politische und ideologische Strukturen nicht ausschließlich von einer ökonomischen Ebene aus abgeleitet werden können. Artikulation meint Gliederung oder Verknüpfung, aber auch im wörtlichen Sinne Entsprechung oder Benennung. Der Begriff Artikulation ermöglicht dadurch, Strukturen als Beziehungen zu betrachten bzw. als Verbindung zwischen verschiedenen Ebenen und Instanzen (vgl. Hall 1994: 89-136, Demirovic 1994: 91).

42 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

schen den Struktureinheiten darstellen. Anders gesagt: Das soziale Ganze ist von unterschiedlichen und vielfältigen Widersprüchen durchzogen, die nicht die gleiche Ausgangsbasis und nicht das gleiche Ziel haben. Aufgrund widersprüchlicher Praxen kann jede Ebene oder Instanz in einer Gesellschaftsformation in einer bestimmten Zusammensetzung eine dominierende Rolle einnehmen. Althusser analysiert diesen Kampf um Hegemonie in kapitalistischen Gesellschaften dahingehend, dass er die ökonomische Struktur als dominant sieht (vgl. Althusser 1968: 81). Dennoch sei eine Gesellschaftsstruktur mit einer Dominanten durch die Wechselbeziehungen bzw. durch die Verhältnisse im Inneren letztlich mehrfach determiniert. Die Bestimmung der Gesellschaftsformation in letzter Instanz durch das Ökonomische sei irreführend, weil sich „die ökonomische Dialektik nie im reinen Zustand“ (Althusser 1968: 81) herstelle. Auch Degele und Winker gehen von einem kapitalistischen System aus, bei dem „die kapitalistische Akkumulationslogik nach wie vor und weltweit sogar mehr denn je gilt“ (Winker/Degele 2009: 37). Sie gehen aber auch davon aus, dass „herrschaftliche Strukturen nicht statisch bleiben, sondern dynamischen Verschiebungen und einem Bedeutungswandel unterliegen“ (Winker/Degele 2009: 37). Diese theoretische Konzeption bietet für das Theorem des Geschlechterregimes vielfältige Vorteile gegenüber einer vergleichenden Wohlfahrtsstaatenforschung: Mit den intersektionalen Sichtweisen ist es möglich, innerhalb jeder Gesellschaftsformation eine Vielschichtigkeit von Herrschaftsverhältnissen zu entdecken, die untereinander korrespondieren und sich miteinander artikulieren. Die relative Autonomie und gegenseitige Überdeterminierung des sozialen Ganzen ist ein Hauptaspekt der intersektionalen Grundlage, um das Wechselspiel sozialer Beziehungen zu verdeutlichen. Das Neue an der intersektionalen Mehrebenenanalyse ist, dass eine Methode zur Verfügung steht, die die Wechselwirkungen empirisch erfassbar macht. Der Intersektionalitätsansatz erhebt den „Anspruch, mit einer intersektionalen Mehrebenenanalyse mehr als jeweils nur eine der genannten Perspektiven und prozesshaften Verbindungen in den Blick zu bekommen. Das intersektionale Handwerk besteht nun gerade darin, mit dem oben dargestellten Modell von Wechselwirkungen verschiedene Formen und Verschiebungen von Ein- und Auswirkungen konzeptuell und begrifflich einzufangen und Widersprüche empirisch zu rekonstruieren und zu erklären.“ (Winker/Degele 2009: 79)

Winker und Degele plädieren für eine Kombination von induktiver (überraschungsoffener) und deduktiver (theoriegeleiteter) Forschung (Winker/Degele 2009: 68ff). Damit ist gemeint, dass sich nicht einfach aus der Theorie empirisch überprüfbare Hypothesen ableiten lassen, sondern dass erst Theoreme hergestellt

K ONZEPTIONIERUNG

| 43

werden müssen, die als ein theoretisches Raster zu verwenden sind, um Hypothesen anhand empirischer Beobachtungen zu bestätigen oder zu verwerfen. Die heuristische Herangehensweise dieses Ansatzes bedeutet, dass eine bekannte Einheit aufgrund ihrer Ähnlichkeit benutzt werden kann, um das Verständnis über eine unbekannte Einheit zu erweitern. Für die kritische intersektionale Gesellschaftsanalyse stehen dafür gesellschaftstheoretische Schritte bereit: Aufgrund der vorherigen Überlegungen unterscheiden die Autorinnen analytisch sechs mögliche Verbindungen zwischen der Subjektebene – klassifiziert als Identitätsebene (I) –, der Symbolebene – klassifiziert als Repräsentationsebene (R) –, und der Strukturebene (S). Je nach betrachteter Richtung ergibt sich folgendes Analyseraster der sich wechselseitig aufeinander beziehenden Ebenen im Feld sozialer Praxen: IĺR, RĺI, SĺR, RĺS, SĺI und IĺS. „Je nach untersuchter Richtung und Ebene können Wechselwirkungen – das steckt auch bereits im Begriff – ein widersprüchliches Bild ergeben“ (Winker/Degele 2009: 73). Die empirische Analyse bezieht sich auf acht methodische Schritte, die in zwei Themenblöcke unterteilt sind. Der erste Block erfolgt in vier Schritten. Er zielt darauf ab Identitätskonstruktionen zu beschreiben (Schritt 1), symbolische Repräsentationen zu identifizieren (Schritt 2), Bezüge zu Sozialstrukturen zu finden (Schritt 3) und abschließend die Wechselwirkungen zentraler Kategorien auf den drei Ebenen zu benennen und damit die Subjektkonstruktionen herauszuarbeiten (Schritt 4). Auch der zweite Block erfolgt in vier Schritten. Er dient als Analyse aller empirischer Erhebungen zum Vergleichen und Clustern von Subjektkonstruktionen (Schritt 5), zum Analysieren von Herrschaftsverhältnissen (Schritt 6) und zur Vertiefung von benannten Repräsentationen (Schritt 7). Im letzten Schritt sind deren Wechselwirkungen in einer Gesamtschau herauszuarbeiten (vgl. Winker/Degele 2009: 79-97, Winker/Degele 2011: 60ff). Eine solch komplexe Analyse methodologisch und gesellschaftstheoretisch in der Geschlechterforschung umzusetzen, war zu diesem Zeitpunkt ein Novum (vgl. Knapp 2006: 12, Soiland 2008: 1). In diesem Zusammenhang kann auch von einer Erneuerung des Paradigmas in der Geschlechterforschung gesprochen werden: Ein Paradigma bezeichnet allgemein ein vorherrschendes Denkmuster, ein Element in der Konstellation von Lehrmeinungen, das die Basis für erkenntnistheoretische Lösungen anbieten kann. Ein bestimmtes Paradigma ist solange anerkannt, bis ein wissenschaftlicher Gegendiskurs einen Paradigmenwechsel einleiten kann. Ein neues Paradigma entsteht laut Paul Feyerabend erst durch das Missachten konventioneller Regeln. Das bedeutet konkret, scheinbar gegensätzliche Ansichten zusammen zu denken bzw. kontrafaktisch in einem Theorienpluralismus aufgehen zu lassen. Erneuerung innerhalb wissenschaftlicher Arbeiten entsteht nicht durch die Abstraktion oder das Verringern von Alternativen, sondern durch die Entwicklung

44 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

über ihren Ausgangspunkt hinaus (vgl. Feyerabend 1986: 50). Ein Paradigma ist folglich nur solange anerkannt, bis ein wissenschaftlicher Gegendiskurs einen Paradigmenwechsel einleitet (vgl. Kuhn T. 1981: 186). Durch die Multiplizierung von Alternativen durch die intersektionale Vorgehensweise kann sogar tatsächlich auf der methodischen und methodologischen Seite von einem Paradigmenwechsel gesprochen werden. Insofern ist diese Mehrebenenanalyse auch ein tragfähiger Ansatz, um die verschiedenen Ebenen, Kategorien und Wechselwirkungen innerhalb von Geschlechterregimen zu analysieren und die Wechselwirkung des Geschlechterregimes mit anderen Regimen (Akkumulationsregime, Grenzregime, Körperregime etc.) zu verstehen (vgl. Kapitel 10.3).

2.4 AUFBAU EINES INTERSEKTIONALEN G ESCHLECHTERREGIMEKONZEPTES Abschließend möchte ich nun die verschiedenen Ansätze zur Bestimmung eines Geschlechterregimes interpolieren und verdichten sowie intersektional verknüpfen. In der bisherigen Darstellung ist ein Geschlechterregime ein vielseitiges Analysekonzept, um geschlechtsspezifische Herrschaftsmechanismen innerhalb gesellschaftlicher Makrostrukturen zu begreifen (vgl. Betzelt 2007, Walby 2009: 260). Im internationalen Vergleich können so verschiedene Staaten auch verschiedene Geschlechterregime ausbilden, die entlang historischer und aktueller ökonomischer Akkumulationsregime und staatlicher Regulationsweisen zu unterscheiden sind. In Erweiterung dessen werden auch kulturalistische bzw. diskursive Konstruktionsmechanismen zur Analyse von Geschlechterregimen betrachtet, um die Verbindung der Dimension der sozialen Praxen einzubeziehen (vgl. Adams/Padamsee 2001, MacRae 2006). Ein Geschlechterregime ist somit nicht ausschließlich auf Institutionen aufgebaut, sondern es erfährt seine Formation durch hegemoniale Kämpfe um die Anordnungen von Geschlechterverhältnissen (vgl. Connell 1997: 116). Eine erweiterte Definition von Geschlechterregimen würde sich in diesem Verlauf auf institutionalisierte Maßnahmen und geschlechtsspezifische Herrschaftsformationen beziehen, die auf struktureller Ebene, auf symbolischer Ebene und auf subjektiver Ebene als ein Geflecht bzw. ein Dispositiv6 von geschlechts-

6

Den Begriff des Dispositivs benutze ich im Sinne von Michel Foucault als Darstellung einer Anordnung von unterschiedlichen Diskursen, Institutionen, Normen, Entscheidungen, Gesetzen, administrativen Maßnahmen, wissenschaftlichen Aussagen, moralischen oder ideologischen Denkweisen. Das heißt, ein Dispositiv ist die Gesamtheit begrifflich erfassbarer Maßstäbe, innerhalb derer sich Diskurse und soziale Interaktionen entfalten, zur Erfassung und Beschreibung einer Gesellschaftsformation. Die Existenz eines Dis-

K ONZEPTIONIERUNG

| 45

spezifischen Normen, Regelungen und Prinzipien in sozialen Praxen verankert sind (vgl. Young 1998: 177). Da davon auszugehen ist, dass Geschlechterverhältnisse, kapitalistische Produktions-, Reproduktions- und Machtverhältnisse, diskursive und ideologische Herrschaftssicherungen sowie subjektive Handlungsfähigkeiten eng miteinander verwoben und konstitutiv füreinander sind, besitzt der Begriff Geschlechterregime in meiner Darstellung einen intersektionalen Charakter. Im Anschluss an die von Dackweiler formulierten offenen Forschungsstellen des Geschlechterregimes (vgl. Dackweiler 2003: 98ff) besitzt das Konzept des Geschlechterregimes folgenden intersektionalen Aufbau: Abbildung 1: Intersektionales Geschlechterregimekonzept (eigene Darstellung) 7

7

positivs ist zeitlich und räumlich begrenzt. Es kann nur existieren, wenn seine Maßstäbe befolgt und seine Institutionen benutzt werden. Das Dispositiv ist letztlich das Netz, das zwischen den unterschiedlichen Elementen geknüpft ist. Dieses Netz kann zum Wahrnehmungs-, Denk-, Entscheidungs- und Handlungsschemata für Subjekte werden. Das Dispositiv bringt Subjekte hervor bzw. reguliert diese (vgl. Foucault 1978a: 119f). Diese Darstellung geht auf das Sierpinski-Dreieck im Hegel-System nach Martin Grimsmann und Lutz Hansen zurück. Sie ermöglicht es, einen dialektischen Dreischritt graphisch darzustellen (vgl. Grimsmann/Hansen 2005).

46 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Aufgrund des methodologischen und theoretischen Aufbaus des Intersektionalitätsansatzes von Winker und Degele lässt sich formulieren, dass sich als Analysekonzeption eines historisch-konkreten Geschlechterregimes die intersektionale Mehrebenenanalyse anbietet, um die strukturellen, symbolischen und subjektiven Bestimmungsfaktoren des Geschlechterregimes wechselseitig näher zu beleuchten. Bei Winker und Degele bezieht sich die intersektionale Analyse auf Darstellung von Herrschaftsverhältnissen im Allgemeinen. In meiner Darstellung bezieht sich die intersektionale Analyse auf die Herrschaftsverhältnisse innerhalb des Geschlechterregimes: • Auf der Strukturebene bezieht sich der Begriff des Geschlechterregimes auf

den Prozess der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung innerhalb der kapitalistischen Gesellschaftsformation und die Effekte von staatlichen Regulationsweisen bzw. des Einwirkens von normativen Leitbildern und monetären Anreizstrukturen sozialstaatlicher Politiken auf die Lebensgestaltung von Geschlechtern. • Auf der Symbolebene bezieht sich der Begriff des Geschlechterregimes auf die in sie eingelassenen Ideologien und Diskurse über die soziale Positionierung von Geschlechtern. • Auf der Subjektebene bezieht sich der Begriff des Geschlechterregimes auf die geschlechtsspezifischen Subjektivierungsweisen und selbstregulativen Praxen und Handlungsmöglichkeiten der Geschlechter.

2.5 F AZIT

UND O PERATIONALISIERUNG DES INTERSEKTIONALEN G ESCHLECHTERREGIMEKONZEPTES

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass sowohl auf der abstrakten Ebene der Konzeption von Geschlechterregimen als auch auf der konkreten Ebene eines historischen oder aktuellen Geschlechterregimes verschiedene Forschungsansätze bereitstehen, um Inhalt und Form des intersektionalen Geschlechterregimekonzeptes zu verdichten. Als Ergebnis dieses Kapitels lässt sich schlussfolgern, dass sowohl hinsichtlich der strukturellen, symbolischen und subjektiven Dimensionen als auch hinsichtlich der theoretischen und methodologischen Weiterentwicklung des Geschlechterregimekonzeptes und dessen Operationalisierung offenkundig noch ein Forschungsbedarf besteht. Erforderlich hierfür sind

K ONZEPTIONIERUNG

| 47

„sowohl ein analytisches Konzept, das die kulturellen Komponenten in verschiedenen Feldern von Gender Regimes einbezieht und explizit den Prozess der Herausbildung von Normen und Leitbildern fokussiert, als auch die entsprechende Entwicklung einer hierfür geeigneten methodischen Vorgehensweise. Methoden der Diskurs- und Medienanalyse wie auch der Einstellungsforschung dürften hier besonders gewinnbringend sein.“ (Betzelt 2007: 35)

Für meinen Beitrag, innerhalb der Geschlechterforschung einen verfeinerten analytischen Rahmen auszuarbeiten, um den Komplex verschiedener Bestimmungsfaktoren von Geschlecht mittels differenzierter Analysekonzepte darstellen zu können, soll das intersektionale Geschlechterregimekonzept als Werkzeug zur Verfügung gestellt werden. Mithilfe einer theoretischen Fundierung des bisher nicht ausgearbeiteten Begriffes Geschlechterregime (vgl. Betzelt 2007: 11) wird ein tieferes Verständnis der Korrespondenz zwischen der Reproduktion kapitalistischer Produktionsbedingungen und herrschenden Geschlechterverhältnissen hergestellt. Durch die Erweiterungen der poststrukturalistischen Konzepte von Adam/Padamensee (2001) und MacRae (2006), der regulationstheoretischen Sichtweise von Young (1998) und den Ansätzen von Connell (1995) und Dackweiler (1995ff) sowie der methodologischen Vorgehensweise von Winker/Degele (2009) bieten sich Anschlussstellen, wie ein intersektionales Konzept des Geschlechterregimes inhaltlich auszuarbeiten ist. Im Gegensatz zum Konzept der wohlfahrtsstaatlichen Genderregimes, das linear die Beziehungen zwischen Männern und Frauen im Kontext der historischen Entwicklung der Produktivkräfte, der Arbeitsteilung und vor allem als Effekte geschlechtsspezifischer Politiken zum analytischen Gegenstand hat, konzentriere ich mich mit regulationstheoretischen und poststrukturalistischen Ansätzen zusätzlich auf das nicht-lineare bzw. intersektionale Verhältnis der Reproduktion der Produktionsbedingungen und der geschlechtsspezifischen Subjektivierungsweisen. Hier stehen vor allem die Verbindungen der Produktionsund Reproduktionsverhältnisse im Vordergrund. Mittels der Regulationstheorie lassen sich dabei besonders die Wechselwirkungen zwischen Produktionssphäre und Reproduktionssphäre auf der Strukturebene hervorheben. Im Mittelpunkt stehen hier die geschlechtsspezifischen Arten und Weisen der Mehrwertproduktion und die Organisation von Lohnarbeit und Reproduktionsarbeit sowie die politisch-institutionellen Ebenen in Wechselwirkung mit den verschiedenen Formen der internen Organisationen und Institutionen des Staates, einschließlich der rechtlichen, ideologischen und ökonomischen Ausformungen der Staatsintervention auf die Sphäre der Reproduktion. Die kulturelle bzw. symbolische Ebene des Geschlechterregimes lässt sich mithilfe poststrukturalistischer Sicht-

48 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

weisen untersuchbar machen. Hierbei kommen diskursive Prozesse, unter dem Einfluss von biopolitischen und gouvernementalen Regulierungen der Gesellschaft sowie von subjektiven Praxen der Geschlechtsidentitätsbildung, zum Vorschein. Mithilfe des symptomatischen Lesens in Bezug auf die Kategorie Geschlecht werden die geschlechterregimerelevanten Elemente und Ebenen herausgearbeitet und zu Definitionsketten verdichtet. Das symptomatische Lesen ist eine wissenschaftliche Methode und bedeutet das Herauslesen bestimmter Elemente innerhalb von Texten. Die symptomatische Vorgehensweise ermöglicht mit ihren begrifflichen Instrumentarien innerhalb der Texte selbst eine Antwort auf meine Fragestellung. Das bedeutet, dass Definitionsketten zum Begriff Geschlechterregime innerhalb der regulationstheoretischen und poststrukturalistischen Texte bereits existieren und nur noch herausgearbeitet und reinterpretiert werden müssen. Weiter entsteht dadurch auch ein Verhältnis zwischen den zwei unterschiedlichen Sichtweisen, welches eine neuartige Sichtweise hervorbringt. Diese Arbeitsweise geht auf Louis Althusser und Etienne Balibar zurück, die mit ihrer Interpretation und symptomatischen Lesart die Strukturebene des Marxschen Kapitals herausgelesen und neu interpretiert haben (vgl. Althusser/Balibar 1972). Dieser Methode liegt die Annahme zugrunde, dass unter bestimmten Umständen die Entwicklung der von einer Problematik produzierten Frage – in diesem Zusammenhang die Frage nach der Konstruktion und Regulation von Geschlechterregimen – „dazu führt, die flüchtige Anwesenheit eines Aspekts des Unsichtbaren im sichtbaren Feld der Problematik hervorzubringen, so kann dieses Hervorgebrachte selbst auch nur unsichtbar sein“ (Althusser/Balibar 1972: 31ff). Um das Unsichtbare – die geschlechterregimerelevanten Definitionsketten – innerhalb der Regulationstheorie und poststrukturalistischen Sichtweisen sichtbar zu machen, bedarf es eines zusätzlichen Standpunkts, der aus dem bearbeiteten Text gewonnen wird und diesen überschreitet (vgl. Althusser/Balibar 1972: 31). Der zusätzliche Standpunkt beinhaltet die bisherigen Überlegungen zu den Theorieansätzen des Geschlechterregimes. Der vorgestellte Ansatz der Intersektionalität nach Winker und Degele ermöglicht als analytischer und methodischer Rahmen, das hier skizzierte intersektionale Geschlechterregimekonzept durch die von der Regulationstheorie und von poststrukturalistischen Ansätzen bereitgestellten Sichtweisen auf den Ebenen Struktur, Symbol und Subjekt zu ordnen sowie diese wechselseitig in Verbindung zu bringen. Der Anspruch hierbei ist ein umfassendes Konzept von einem intersektionalen Geschlechterregime. Durch die intersektionale Rahmengestaltung kann die Definition des Begriffes Geschlechterregime für die empirische Untersuchung handhabbar gemacht werden.

K ONZEPTIONIERUNG

| 49

Die Definition des Begriffes Geschlechterregime kann anhand paradigmatischer Erkenntnisprobleme nur strategisch, situationsbezogen, partiell und temporär aufgebaut werden, sodass die Gültigkeit dieser Definition sich in ihrer konkreten Verwendung als operationalisierbar oder nicht operationalisierbar erweisen wird. Ziel und Zweck dieses Vorgehens ist es, das Konzept des Geschlechterregimes als Begriff bzw. Theorem, das heißt als konventionelle Abkürzung bzw. Verdichtung von Definitionsketten, so darzustellen, dass dieses Konzept durch die Mittel der intersektionalen, regulationstheoretischen und poststrukturalistischen Sichtweisen zum theoretischen Werkzeug wird, mit dem empirisch gearbeitet werden kann. Um durch das Theorem Geschlechterregime zur empirischen Analyse zu gelangen, müssen allerdings zuerst regulationstheoretische und poststrukturalistische Sichtweisen vor dem Hintergrund der Fragen überprüft werden, wie Geschlechterregime konstruiert und reguliert werden und welche Verbindungen, Ergänzungen und Erweiterungen beide Ansätze für die inhaltliche Zusammensetzung des Begriffes Geschlechterregime beinhalten. Was die theoretischen Eckpunkte zur Konstitution von Geschlechterregimen sind und wie diese Ebenen zu benennen sind, ist durch den intersektionalen Analyserahmen vorgegeben. Die Ebenen beziehen sich auf die Struktur und die Struktureinheiten (Akkumulationsregime, Regulationsweise), auf die Symbolebene (Diskurs, Ideologie) und auf die Subjektebene mit den performativen und materialisierenden Subjektivierungsweisen und Selbstverhältnissen der Geschlechter. Mit dieser Aufteilung lässt sich der Anspruch verfolgen, die wechselseitigen geschlechtsspezifischen Konfigurationen von Macht- und Herrschaftsverhältnissen herauszuarbeiten, welche die Geschlechterdiskurse und -leitbilder konstruieren, Geschlechterverhältnisse regulieren oder in Selbstverhältnisse überführen sowie den Einfluss von sozialen Praxen wiederum auf die Konfigurationen von Macht- und Herrschaftsverhältnissen zu verdeutlichen. So gesehen bewegt sich das Konzept des Geschlechterregimes in zwei Dimensionen: Einerseits beschreibt es eine historisch-konkrete Dimension, durch die das Geschlechterregime seine je spezifischhistorische Ausformung erlangt und Geschlechterverhältnisse innerhalb der Gesellschaftsformation normt, sanktioniert, reguliert oder verändert. Andererseits ist eine theoretisch-abstrakte Dimension ablesbar, die das Geschlechterregime als Theorem beschreibt, um diese normierenden, regulierenden oder umkämpften Strategien theoretisch und empirisch fassbar zu machen. Insgesamt ist somit meine Forschungsbewegung eine temporäre Definition aus dem symptomatischen Lesen regulationstheoretischer und poststrukturalistischer Texte, um den Begriff Geschlechterregime entlang der Ebenen (Struktur, Symbol und Subjekt) sichtbar zu machen.

3. Regulationstheorie

Im vorhergehenden Kapitel ist beschrieben worden, dass mittels der Regulationstheorie sich die strukturellen Ebenen des Geschlechterregimes hervorheben lassen. Im Mittelpunkt dieses Kapitels werden nun die geschlechtertheoretischen Anschlussstellen im Zusammenhang mit der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, der Reproduktionsarbeit, der Reproduktion der Produktionsverhältnisse und der institutionellen Herrschaftsorganisation sowie staatliche Regulationsweisen der Gesellschaftsformation stehen. Im Folgenden werde ich dazu die Grundlagen und zentralen Kategorien der Regulationstheorie umreißen und im Anschluss erste Hypothesen für die Bildung des Theorems Geschlechterregime formulieren. Mithilfe des symptomatischen Lesens werden die Anschlussstellen zum Begriff Geschlechterregime untersucht, Definitionsbausteine herausgearbeitet und Definitionsketten reinterpretiert. Vorab stelle ich aber den Bezugsrahmen der Regulationstheorie vor, um auf dieser Grundlage geschlechterregimetheoretische Anknüpfungspunkte aufzugreifen. Die Regulationstheorie bildet sich in Frankreich in den 1970er Jahren als Fortschreibung der „Kritik der Politischen Ökonomie“ (Marx) heraus und verpflichtet sich der grundlegenden sozialwissenschaftlichen Frage nach dem Verhältnis zwischen Handlung und Struktur. Im Kern ist die Regulationstheorie an der Analyse von gesellschaftlichen Entwicklungsprozessen interessiert (vgl. Hirsch 1990, Raza/Brand 2003, Kohlmorgen 2004). Die Fragestellungen richten sich in erster Linie auf den Bereich der Reproduktion von Gesellschaftsformationen1 und auf die Regulation und Funktionsweise kapitalistischer Produktionsverhältnisse in Korrespondenz mit strukturellen und institutionellen Formen. Die

1

Gesellschaftsformationen lassen sich als eine für den jeweiligen Geschichtsverlauf bestimmende Strukturform der Gesellschaft beschreiben, welche den Rahmen für die Effekte gesellschaftlicher Praxis von Individuen und sozialen Gruppen absteckt (vgl. Jung 1981: 231).

52 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

theoretischen Ursprünge der Regulationsschule lassen sich in der kritischen Auseinandersetzung mit den Werken des französischen Philosophen Louis Althusser „Pour Marx“ (1965 bzw. „Für Marx“ 1968) und dessen strukturalistischer Leseweise von „Das Kapital. Kritik der Politischen Ökonomie“ von Karl Marx („Lire le Capital“ 1965 bzw. „Das Kapital lesen“ 1972) ansiedeln (vgl. Lipietz 1988, 1992). Louis Althusser begründet Mitte der 1960er Jahre, in Abgrenzung zu poststalinistisch argumentierenden Strömungen, eine staatskritische und vor allem eine postmarxistische Sichtweise auf die kapitalistischen Verhältnisse. Merkmale seiner Theorie sind die Kritik am marxistischen Reduktionismus (bzw. Essentialismus), am ökonomistischen Determinismus und am marxistisch-hegelianischen Totalitätskonzept sowie die Infragestellung der Annahme eines revolutionären Subjekts. Althusser bietet eine Theorieverbindung zwischen dem Ökonomischen, Politischen und Ideologischen an, die nicht auf eine dieser Ebenen reduziert werden kann. Für Althusser ist es „nur vom Standpunkt der Reproduktion aus“ (Althusser 1977: 115) möglich, Fragen nach der Existenz, der Funktionsweise und dem Charakter des „sozialen Ganzen“ (Althusser 1968: 158) zu stellen. Althusser geht von der Annahme aus, dass „keine Produktion möglich ist, ohne dass die Reproduktion der materiellen Produktionsbedingungen erfolgt“ (Althusser 1977: 109). Jede Gesellschaft müsse die Bedingungen der Produktion erst reproduzieren, um weiter zu existieren. Damit sie existieren könne, müssten die vorhandenen Produktionsverhältnisse und die Produktivkräfte reproduziert werden. Dies kann auch wörtlich verstanden werden, dahingehend, dass nicht nur Lebensmittel, sondern auch Leben und Denkweisen reproduziert werden müssen. Althusser postuliert damit zusammenfassend, dass Ökonomie nicht als eine automatisch bestimmbare Ursache angesehen werden könne, die das außerökonomische Geschehen determiniert, sondern dass Ökonomie nur in ihrer Vermittlung durch soziale, juristische, politische und ideologische Formen in gesellschaftlichen Verhältnissen anwesend sei (vgl. Althusser 1968: 78ff). Regulationstheoretikerinnen und -theoretiker2 differenzierten Althussers Ansätze weiter aus, indem sie aufzeigen, dass die kapitalistische Reproduktion nicht

2

Der französische Regulationsansatz wird in Deutschland unter anderem mit Alain Lipietz und Michel Aglietta in Verbindung gebracht. Der genaue Zeitpunkt, ab dem von der Regulationstheorie gesprochen werden kann, lässt sich nicht genau festlegen. Das von Michel Aglietta 1976 aufgestellte Forschungsprogramm „Régulation et Crises du Capitalisme“ bzw. „A Theory of Capitalist Regulation“, London (1979), bildet die Grundlage einer sich formierenden „Ecole de la Régulation“. In dieser Arbeit ist ein neues sozialwissenschaftliches Feld eröffnet worden, um die verschiedenen Disziplinen der ökonomischen Theorie, der Soziologie und der Politik- und Geschichtswis-

R EGULATIONSTHEORIE

| 53

automatisch funktioniert, sondern auf staatliche und ideologische Regulationsweisen angewiesen ist. Die Regulationsweisen sind je nach gesellschaftlicher Formation und kapitalistischer Periode unterschiedlich. Demnach beschäftigt sich der Regulationsansatz mit Fragen zur Regulation bzw. zur Funktionsweise kapitalistischer Gesellschaftsformationen (vgl. Lipietz 1988: 82f; 1992: 9, 49; Jessop 2001a: 18). Die Analyse historischer Reproduktionsbedingungen seitens des Regulationsansatzes ist verbunden mit der Herausarbeitung systemisch bedingter Unbeständigkeiten und Brüche innerhalb von Gesellschaftsformationen und der damit verbundenen Veränderung institutioneller Strukturen. Die Besonderheit des Regulationsansatzes ist darin begründet, dass ein Set von verschiedenen miteinander verwobenen Theorieansätzen nicht eine homogene Theorie begründet, sondern ein wissenschaftliches Forschungsprogramm (vgl. Hübner 1990: 19). Die Untersuchungen der Regulationstheorie sind vielfältig und vielschichtig: Es existieren Arbeiten zu Theorien (post)fordistischer Modernisierung, zu materialistischer Staatstheorie, zu Theorien internationaler und transnationaler Beziehungen, zu Analysen zur Sozialstruktur, zu hegemonialen Vergesellschaftungspolitiken, zu Umwelt- und Raumverhältnissen und zu kapitalistischen Entwicklungsstrategien. Den verschiedenen Ansätzen der Regulationstheorie ist gemeinsam, zentrale Strukturen der Kapitalverwertungslogik „als endogene Variablen eines theoretischen Modells zu behandeln“ (Hübner 1990: 116). In diesem Zusammenhang sind folgende Fragestellungen für den Regulationsansatz und für die theoretische Konzeption des Begriffes Geschlechterregime aus einer regulationstheoretischen Sichtweise wesentlich:

senschaft auf Grundlage der Kritik der politischen Ökonomie und der aktuelleren Struktur- und Theoriedebatten im Anschluss an Marx zusammen zu denken. In der BRD ist die Rezeption des Regulationsansatzes durch Joachim Hirsch (1980) und Roland Roth (1986) von zentraler Bedeutung. Hirsch macht die struktur- und entwicklungstheoretischen Dimensionen des Regulationsansatzes für eine staats- und akkumulationstheoretische Untersuchung von konkreten Entwicklungstendenzen in der westdeutschen Gesellschaft nutzbar. Diesen Arbeiten „kommt das Verdienst zu, die ökonomistische Verkürzung der Regulationstheorie zugunsten einer gesamtgesellschaftlichen Analyse überwunden zu haben“ (Scherrer 2005: 153). Im Gegensatz zu den Hauptvertreterinnen und -vertretern der Pariser Regulationsschule stehen Vertreterinnen und Vertreter im deutschsprachigen Regulationsansatz staatlichen Regulationsmaßnahmen kritisch gegenüber und lehnen den Staatsapparat als Hebel gesellschaftlicher Veränderung ab (vgl. Hirsch 2005: 26ff). Denn „aus der Diskussion der politischen Formbestimmung lässt sich begründen, weshalb die Strategie einer ‚Eroberung des Staates’ – in welcher konkreten Form auch immer – in sozialrevolutionärer Perspektive nicht nur nutzlos ist, sondern tendenziell zu emanzipationsfeindlichen Ergebnissen führen muss“ (Esser/Görg/Hirsch 1994: 221, vgl. Paulus 2003: 74-102).

54 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

• Welche Machtverhältnisse, Bedingungen und Prozesse transformieren Gesell-

schaftsformationen oder garantieren einen langfristigen Zusammenhang? • Sind Krisen Folgeerscheinungen anderer historischer Wandlungen innerhalb

des Kapitalismus und liefern sie eine Argumentationsbasis über gesellschaftliche Widersprüche (vgl. Aglietta 1979: 16f)? Um die Analyse dieser Ausgangsfragestellung zu bewerkstelligen, entwickelt die Regulationstheorie eine theoretische Aufgliederung der Reproduktion sozialer Verhältnisse. Um die Gesellschaftsformation und Regulationsweisen zu analysieren, die Individuen und Gruppen zwingen, sich an die Logik bestehender Verhältnisse zu halten, werden ferner die Verinnerlichung sozialer Realitäten durch Individuen oder Gruppen in das Feld der Untersuchung einbezogen (vgl. Lipietz 1985: 113). Regulationstheoretikerinnen und -theoretiker betonen, dass die Entwicklung einer Gesellschaftsformation nicht einer kausalen Logik folge, und dass es auch kein steuerndes Zentrum gebe, sondern dass die Entwicklung einer Gesellschaft ein politisch umkämpfter Prozess sei (vgl. Alnasseri/Brand/Slabowski/Winter 2000: 23ff). Zusammenfassen lassen sich die zentralen Annahmen des Regulationsansatzes damit, dass die kapitalistische Gesellschaftsformation im Verlauf ihrer Entwicklung verschiedene Akkumulationsregime in Verbindung mit verschiedenen Produktionsverhältnissen und widersprüchlichen Gesellschaftsstrukturen ausbildet. Produktionsweise und Gesellschaftsformation erhalten eine relative Stabilität, wenn die inhärente Krisenhaftigkeit des kapitalistischen Systems und seine inhärenten antagonistischen Widersprüche durch politisch-institutionelle Regulationsweisen minimiert werden (vgl. Hirsch 2001a: 42). Grundsätzlich bezieht sich das regulationstheoretische Forschungsprogramm auf die Kritik der politischen Ökonomie und reflektiert dabei die Ebenen der Struktur (Zusammensetzung von Staat und Kapital) und ideologischer Elemente sowie das Verhältnis dieser Ebenen und Elemente zu den sozialen Praxen. Diese Ebenen und Elemente stehen in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander und lassen sich durchaus auch als Anschlussstellen bzw. als erste Bausteine des hier zu entwickelnden intersektionalen Geschlechterregimekonzeptes verstehen (vgl. Jessop 2001a: 17ff): • Das regulationstheoretische Vorgehen ist auf der Strukturebene die kritische

Weiterentwicklung der Althusserschen Epistemologie unter dem Aspekt der Überdetermination, hin zu einer strukturellen Formbestimmung bzw. hin zum

R EGULATIONSTHEORIE

| 55

Konzept der Artikulation3 der kapitalistischen Produktionsweise; es ist die Analyse der Verallgemeinerung der warenförmigen Arbeitskraft und der historisch-spezifischen Organisationsweisen des Kapitalismus. • Das regulationstheoretische Vorgehen ist auf der Symbolebene im Besonderen eine Beschäftigung mit den sich verändernden Formen und Elementen (Ideologien, Normen, Diskursen), durch die der Kapitalismus als gesellschaftliches Verhältnis seine Reproduktion erfährt. • Das regulationstheoretische Vorgehen ist auf der Subjektebene sowohl die Analyse des Verhältnisses von gesellschaftlichen Bedingungen und gesellschaftlichen Praxen als auch der damit verbundenen Tendenzen und Gegentendenzen und der daraus entstehenden Wirkungszusammenhänge. Die Subjektebene und insbesondere die Kategorie Geschlecht stellen für die Regulationstheorie allerdings eine zu erweiternde Forschungsperspektive bzw. eine Forschungslücke dar. Anfang der 1990er Jahre weist Susan Ruddick auf eine Jahre andauernde „umfassendere ‚Geschlechtsblindheit‘ (gender blindness)“ (Ruddick 1992: 295) innerhalb der Regulationstheorie hin. Selbst zehn Jahre später bleiben „zentrale Bereiche wie Geschlechterverhältnisse [...] oder die Subjektkonstitutionen unterbelichtet“ (Raza/Brand 2003: 8). Lars Kohlmorgen (2004: 308ff) betont, dass die Verwobenheit der Geschlechterverhältnisse und die Analyse von Geschlecht als Strukturkategorie eine theoretische und methodische Herausforderung sowohl an die Geschlechterforschung als auch an die Regulationstheorie darstellen (vgl. Kohlmorgen 2004: 308ff). Geschlechterverhältnisse werden aus der Sichtweise der Regulationstheorie nicht nur durch die materialistischen Mechanismen der Vergesellschaftung aufrechterhalten, sondern auch durch ideologische Regulationsweisen organisiert (vgl. Ruddick 1992: 297f). Hierzu liegen aber bisher nur wenige Veröffentlichungen vor (vgl. Ruf 1990, Diettrich 1999, Jessop 2001b, Kohlmorgen 2003, Chorus 2007). Das heißt, dass in einem regulationstheoretischen Kontext ausdifferenzierte und explizite analytische Verbindungen fehlen, um geschlechterzentrierte Politiken, Ideologien, Diskurse und soziale Praxen im Zusammenspiel mit den ökonomischen Strukturen eines Akkumulationsregimes darzustellen (vgl. Brenssell/Habermann 2001).

3

Zum einen meint Artikulation Gliederung oder Verknüpfung, zum anderen, im wörtlichen Sinne, Entsprechung oder Benennung. Der Begriff Artikulation ermöglicht auch, Strukturen als Beziehungen zu betrachten, als Verbindung und Wirksamkeit zwischen verschiedenen Ebenen und Instanzen. Artikulation bedeutet auch das Verhältnis zwischen zwei unterschiedlichen Ebenen, die durch einen aufeinander beziehenden bzw. dialektischen, aber auch gewaltsamen Prozess eine neuartige Ebene bzw. Struktur hervorbringen kann (vgl. Lipietz 1992: 23ff; Hall 1994: 112ff, Candeias 2004: 22).

56 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

In diesem Kontext hat Lars Kohlmorgen in seiner Forschungsarbeit „Regulation – Klasse – Geschlecht“ (2004) einen Ansatz einer integralen Analyse von Klassen- und Geschlechterverhältnissen entwickelt. Kohlmorgen zeigt einerseits die soziologischen Defizite in Bezug auf Geschlechterverhältnisse in Verbindung mit Klassenverhältnissen auf und bezieht andererseits die Ursachen und Prozesse der Konstituierung des Geschlechter- und Klassenverhältnisses in seine Sozialstrukturanalyse ein (vgl. Kohlmorgen 2007: 165). Kohlmorgens Erweiterungen beziehen sich auf eine geschlechtsspezifische Analyse des regulationstheoretischen Kategoriengerüsts, indem er das Verhältnis von Klasse und Geschlecht in die regulationstheoretischen Kategorien der institutionellen Formen, Regulationsmechanismen, Hegemonie, Periodisierung und Krise einarbeitet. Fazit seiner Sozialstrukturanalyse sind offene Fragen danach, „wie sich ökonomische und politische Strukturen und sozio-kulturelle Praxen und Identitäten zusammen untersuchen lassen“ (Kohlmorgen 2007: 175). Nach Kohlmorgen „müssten weitere theoretische Überlegungen und empirische Untersuchungen angestellt werden“ (Kohlmorgen 2004: 313), um die unzureichende „Behandlung des Struktur-Handlungs-Problems und den Mangel an gesellschaftstheoretischen Gehalt“ (Kohlmorgen 2004: 312) zu beheben. Die Regulationstheorie bietet für Kohlmorgen einen geeigneten Ansatz, weil dieses Forschungsprogramm die kapitalistische Gesellschaftsformation in ihren Wechselwirkungen zu begreifen versucht (vgl. Kohlmorgen 2004: 37ff). Kohlmorgens Erweiterungen, Ansichten und Anforderungen stellen für diese Arbeit im Folgenden weitere Anschlussstellen dar, das Konzept des Geschlechterregimes auszuarbeiten und zu verdichten. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass in regulationstheoretischen Arbeiten Gesellschaftsformationen als komplex strukturiert beschrieben werden: Sie sind aus einer dominierenden Produktionsweise und aus sozialen Verhältnissen zusammengesetzt. Um sozioökonomische Prozesse bzw. Verhältnisse zumindest theoretisch zu erfassen, hat die Regulationsschule ein Analyseinstrumentarium entwickelt, das die Analyse der Produktions- und Reproduktionsweise bzw. der Strukturierungs- und Regulationsweise einer kapitalistischen Gesellschaftsformation ermöglicht. Wesentliche Bestandteile dieser Analyse sind die Begrifflichkeiten Akkumulationsregime und Regulationsweise. Generell ist in der Regulationstheorie die Analyse und Kritik zentraler Bereiche wie die Geschlechterverhältnisse, die Konstitution von Subjekten und die ideologische Reproduktion gesellschaftlicher Verhältnisse zu wenig entwickelt und stellen „blinde Flecken“ dar (vgl. Raza/Brand 2003: 8f).

R EGULATIONSTHEORIE

| 57

Als Konsequenz dieser hier kurz skizzierten Bezugspunkte regulationstheoretischer und geschlechtertheoretischer Arbeiten werden in den nächsten Kapiteln die zentralen und offenen Fragen nach der Vermittlung von Struktur/Symbol/Subjekt aufgegriffen, um damit Eckpunkte der Definition und des Theorems Geschlechterregime bilden zu können. Im Folgenden werde ich daher die Grundlagen der Regulationstheorie nachzeichnen, um ihre Thesen für die Verwendung des Theorems Geschlechterregime zu operationalisieren. In diesem Zusammenhang werden die Kategorien Akkumulationsregime und Regulationsweise symptomatisch nach Definitionsbausteinen des Geschlechterregimes ausgelesen.

3.1 AKKUMULATIONSREGIME

UND

G ESCHLECHT

Dieses Kapitel fragt danach, wie die Reproduktion der Gesamtgesellschaft geregelt ist und wie die unterschiedlichen Praxen der Geschlechter selbst im Kontext der Entwicklung des Akkumulationsregimes inklusive der Arbeitsteilung und der jeweilig dominanten Herrschaftsorganisation formiert sind. Im Kern wird das Akkumulationsregime mit dem Verhältnis zwischen Kapitalakkumulation und Konsumtion und zwischen produktiven und reproduktiven Sektoren der Gesellschaftsformation über die Nutzung der Ware Arbeitskraft einschließlich des Kampfes um die Aufteilung des gesellschaftlich produzierten Werts und der staatlich gestützten Regulationsweise definiert (vgl. Bieling 2000: 200). Das Akkumulationsregime als regulationstheoretische Kategorie bezieht sich demnach im Wesentlichen auf die Zusammensetzung des Kapitals (vgl. MEW 23: 640ff) und umfasst somit die Art und Weise der Mehrwertproduktion. Das heißt, es umfasst die Organisation von Lohnarbeit, die Tätigkeiten der Lohnabhängigen, die Produktionstechnologien und die Zusammensetzung der politisch-institutionellen Ebenen der Gesellschaftsformation. Das Akkumulationsregime beschreibt die makro-ökonomischen Strukturen und besondere sozioökonomische Reproduktionsmuster der kapitalistischen Akkumulation (vgl. Lipietz 1985: 115). In diesem Komplex werden nun geschlechtertheoretische Anschlussstellen dargestellt. Auf eine historisch-konkrete Darstellung der geschlechtsspezifischen Art und Weise der Mehrwertproduktion bzw. der Organisation von Arbeit sowie der Zusammensetzung der politisch-institutionellen Ebenen in Bezug auf Geschlechter gehe ich in den Kapiteln 7, 8 und 9 ein. Im Folgenden werden die Grundlagen und die Mechanismen der geschlechtsspezifischen Regulationsmodi nachgezeichnet. Für die intersektionale Definition des Geschlechterregimes sind

58 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

hier die Wechselwirkungen zwischen der Struktur-/Symbol-/Subjektebene interessant. Besonders die „andere Seite“ der Produktionssphäre, die Reproduktionssphäre des Akkumulationsregimes, ist in diesem Kontext von entscheidender Bedeutung, da diese „andere Seite“ auch in den bisher dargestellten Geschlechterregimeansätzen „blinde Flecken“ sind (vgl. Kapitel 2.1). Folglich lassen sich die ersten Bausteine der Definition eines Geschlechterregimes aus der Dichotomie zwischen der Produktionssphäre und der Reproduktionssphäre sowie zwischen den damit verbundenen Mechanismen der Reproduktion der Gesamtgesellschaft ablesen. Zentraler Bestandteil des Akkumulationsregimes ist die spezifische Art und Weise der Kapitalanhäufung einschließlich der Aufteilung und Reproduktion des gesellschaftlich produzierten Wertes. Zweck der Warenproduktion ist die Erschaffung von Wert als abstrakter Reichtum. Folglich kann ein Akkumulationsregime nur Bestand haben, „wenn eine ausreichende Rate und Masse des Mehrwerts bzw. Profits erzeugt wird“ (Hirsch 1995: 49). Dieser Prozess steht historisch in Verbindung mit der sogenannten ursprünglichen Akkumulation. Grundsätzlich lassen sich – neben der historischen Entwicklung des Kapitalverhältnisses notwendige, vorkapitalistische Ausbildung von Wert – zwei Mechanismen herauskristallisieren, die zu einer ursprünglichen Kapitalakkumulation führen: • Es bedarf Personen, die freie Eigentümer ihrer Arbeitskraft sind und die auf

dem Markt nicht als Leibeigene, sondern als juristisch gleiche Personen gegenüber den Käufern von Arbeitskraft auftreten und für ihre geleistete Erwerbsarbeit einen Lohn erhalten. Das bedeutet, dass Lohnabhängige immer nur temporär ihre Arbeitskraft verkaufen und es gesellschaftlicher Regulationen bedarf, um Arbeitskräfte als Personen rechtlich so frei zu halten, dass sie über ihre Ware Arbeitskraft verfügen können. • Es bedarf Personen, die frei von Produktionsmitteln sind und frei von genügend Geld, um sich Produktionsmittel kaufen zu können. Das bedeutet, dass diese Personen einem ökonomischen Zwang unterliegen, ihre Arbeitskraft als Ware anzubieten (vgl. MEW 23: 742). Aus diesem Zusammenhang lassen sich das Akkumulationsregime und die Grundstruktur des kapitalistischen Vergesellschaftungsverhältnisses zusammenfassend wie folgt beschreiben: Durch die kapitalistische Produktionsweise sind notwendigerweise gesellschaftliche Widersprüche vorhanden. Hierbei beruht der Widerspruch auf der Spaltung zwischen Produktionsmittelbesitzenden und Lohnabhängigen. Diese Widersprüche wiederum sind ein grundlegender Bestandteil, ohne den das kapitalistische System nicht funktionieren könnte.

R EGULATIONSTHEORIE

| 59

Merkmal hierbei ist, dass diejenigen, die den gesellschaftlichen Reichtum erarbeiten, nicht die Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel und das Produkt ihrer Arbeit haben. Die Verfügungsgewalt über gesellschaftlichen Reichtum, über Produktion und Verteilung, über Rechtsstatus und Zugang zu Ressourcen wird ganz allgemein durch das Gewaltmonopol des Staates, durch Klassen- und Geschlechterverhältnisse und durch die Strukturen und Formen in der Produktions- und Reproduktionssphäre festgelegt (vgl. Hirsch 1974: 41; 1990: 33ff; 1994: 197; 2001b: 173; 2005: 111ff, Kohlmorgen 2004: 22). Die kapitalistischen Strukturen durchdringen die Gesellschaft, indem sie jede Lebensäußerung unter dem Gesichtspunkt der Nützlichkeit für die Profitinteressen betrachten. Die Warenform der kapitalistisch erzeugten Produkte sorgt dafür, dass die Arbeiten der Menschen die Form eines „beziehungslosen“ Vergesellschaftungsverhältnisses annehmen: Der Wert einer Ware und der kapitalistische Profit, der auf Mehrwert basiert, entspringt aus der lebendigen menschlichen Arbeit und entsteht dadurch, dass Lohnabhängige den Wert der Ware durch unbezahlte Mehrarbeit erzeugen. Das bedeutet, dass Lohnabhängige länger arbeiten als ihnen dafür bezahlt wird. In einem einheitlichen Prozess produziert die konkrete Arbeit den Gebrauchswert, der ein menschliches Bedürfnis befriedigen kann, und die abstrakte Arbeit, als Wertsubstanz, produziert den Tauschwert, der die Möglichkeit schafft, mit einem anderen Warenproduzenten in Kontakt zu treten, um gegenseitig Waren auszutauschen. Das heißt, dass die Ware aus zwei Faktoren besteht: Gebrauchswert und Tauschwert (vgl. MEW 23: 49ff). Der Gebrauchswert drückt den Nutzen aus, den das Produkt menschlicher Arbeit zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse bringt. Der Tauschwert ist die Eigenschaft der Ware, in einem bestimmten Verhältnis und unabhängig vom Gebrauchswert, gegen andere Waren austauschbar zu sein. Dieser Tauschwert ist das ausschlaggebende Moment zur Produktion einer Ware. Waren werden für den Austausch produziert, daher spielt der Gebrauchswert der Ware in der kapitalistischen Produktion eine untergeordnete Rolle. Hat die Ware keinen Tauschwert, wird sie auch nicht produziert, so hoch der Gebrauchswert auch sein mag. Demnach hat auch die konkrete Arbeit in einer kapitalistischen Gesellschaft scheinbar keinen Wert. Die abstrakte Arbeit ist qualitativ gleichgesetzte Arbeit, deren gesellschaftlicher Charakter im Verkauf bzw. Kauf von konkreten, privaten und affektiven Arbeiten zustande kommt. Abstrakte Arbeit ist somit ein gesellschaftliches Verhältnis (vgl. Aglietta 1979: 38f, Lipietz 1985: 120, Hübner 1990: 105, Candeias 2004: 209 in Bezug auf die Marxsche Wertformanalyse). Der Wert einer Ware wird „durch die in ihr enthaltene gesellschaftlich notwendige Arbeit“ (MEW 20: 97f) gemessen. Allerdings werden in einer kapitalistischen Gesellschaft Waren nicht durch konkrete menschliche Arbeiten bemessen oder in Verbindung gesetzt, sondern in und

60 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

durch die Geldform. Das bedeutet letztlich, dass die Geldform das mehrwertproduzierende Element und die dadurch entstehenden gesellschaftlichen Beziehungen der Produzenten und Produzentinnen verschleiert. Und „im Geld als allgemeines Äquivalent tritt den Menschen die nicht unmittelbar herstellbare Gesellschaftlichkeit ihrer Arbeiten als ein äußerer, sie beherrschender Zwangszusammenhang entgegen“ (Hirsch 2005: 22). In dieser Logik stehen auch nicht die Bedarfsbefriedigung und die konkrete Nützlichkeit der erschaffenen Gebrauchswerte im Vordergrund der kapitalistischen Produktionsweise, sondern die Verwertbarkeit der Waren, das heißt möglichst kostengünstige Produktionsfaktoren und maximale Mehrwertproduktion. Ziel der kapitalistischen Produktionsweise ist es, immer mehr Mehrwert in einer immer kürzeren Zeit durch eine Verdichtung der Mehrwertproduktion zu akkumulieren. Der durch die Lohnabhängigen hergestellte Mehrwert wird durch den Verkauf der aus der Produktion kommenden Ware mit dem Wiedereintritt in die Zirkulationssphäre realisiert. Dort tauscht sich die Ware gegen Geld. Das anfängliche Geldkapital (G) wird durch den Verkauf der Ware (W) um ein Inkrement (G`) erhöht. Durch den Verkauf (G-W-G`) der Ware entsteht Profit. „Die erste Bedingung der Akkumulation ist, dass der Kapitalist es fertiggebracht hat, seine Waren zu verkaufen und den größten Teil des so erhaltenen Geldes in Kapital rückzuverwandeln“ (MEW 23: 598). Die Akkumulation des Kapitals besteht nun darin, dass der Endpunkt des Formwechsels von G zu G' wieder zum Ausgangspunkt G eines neuen Zyklus wird. Die „Anwendung von Mehrwert als Kapital oder Rückverwandlung von Mehrwert in Kapital heißt Akkumulation des Kapitals“ (MEW 23: 605). Zusammenfassend lässt sich unter Kapitalakkumulation letztlich das Prinzip bzw. der Mechanismus verstehen, dass Arbeitskräfte Waren immer mehr Wert zusetzen. Damit ist auch schon der Zweck der kapitalistischen Produktionsweise erreicht, einen immer größeren Mehrwert, unter Beibehaltung des ursprünglichen Kapitals, zu produzieren. Die Rate des Mehrwerts kann erhöht werden, indem notwendige Arbeitszeit verkürzt wird. Die notwendige Arbeitszeit wird reduziert, indem eine kleiner werdende Anzahl von Arbeitskräften immer intensiver arbeitet (vgl. Hirsch 1974: 33, 2005: 108ff; Aglietta 1979: 69f). Ziel der kapitalistischen Produktionsweise ist es, immer mehr Mehrwert in einer immer kürzeren Zeit, durch eine Verdichtung der Mehrwertproduktion zu akkumulieren, damit der Endpunkt des Formwechsels von G zu G', also der Prozess der Herstellung und Verkauf einer Ware und der dadurch erzielte Wert, wieder zum Ausgangspunkt eines neuen Zyklus wird. Hierbei ist der Konsumtionsprozess

R EGULATIONSTHEORIE

| 61

der Arbeitskraft zugleich Produktionsprozess von Ware und Mehrwert (vgl. MEW 23: 189). Diese beschrieben Eckpunkte des Akkumulationsregimes korrespondieren somit wiederum mit sozialen Formen und Praxen (vgl. Kohlmorgen 2004: 5394), auf die nun genauer eingegangen wird. Im Folgenden werden Verbindungen zwischen geschlechtsspezifische Formationen und Praxen innerhalb des Akkumulationsregimes dargestellt. Das bedeutet eine Fokussierung auf geschlechtsspezifische Arbeitsformen und auf geschlechtertheoretische Erweiterungen der Regulationstheorie, um weitere Bausteine des Geschlechterregimekonzeptes auf der Ebene der Produktionssphäre und der Reproduktionssphäre zu identifizieren. 3.1.1 Geschlechtertheoretische Erweiterung des Akkumulationsregimes Für meine Argumentation in Bezug auf eine geschlechtertheoretische Erweiterung des Akkumulationsregimes ist das Verhältnis von Reproduktionsarbeit und Lohnarbeit von zentraler Bedeutung. Alain Lipietz beschreibt dieses Verhältnis zwischen Reproduktionsarbeit und Lohnarbeit wie folgt: „Zunächst einmal ist nicht die ganze Produktion […] durch kapitalistische Verhältnisse gesteuert. Das patriarchalische soziale Verhältnis oder die häusliche Produktionsweise sichern sich ihre Reproduktion, indem der Mann die ‚Reproduktionsmittel’ nutzt, die er mit seinem Lohn kaufen kann. Die ‚Produzentin’ in diesem sozialen Verhältnis, die Freundin, Mutter oder Tochter schafft keinen Wert, denn ihre Arbeit ist keine Ware. Sie ist kostenlos für den Kapitalismus. 4 Doch das heißt nicht, dass die häusliche Ausbeutung, weil sie die ‚Funktion’ hat, die Kosten der Arbeitskraft zu senken, auch dafür geschaffen wurde […].“ (Lipietz 1985: 119)

Lipietz beschreibt die Reproduktionsarbeit zwar als eine äußere und nicht wertproduzierende Arbeitsform, die dennoch direkt mit dem Akkumulationsregime verbunden ist (vgl. Lipietz 1985: 120). Dass Arbeitskräfte ihre Arbeitskraft ver-

4

Das heißt, die Reproduktionsarbeit wird nicht entlohnt. Sie ist aber nicht kostenlos für den Kapitalismus, weil die Herstellung dieses Verhältnisses im Kapitalismus durch den Familienlohn hergestellt wurde. Der Familienlohn bezeichnet die Bemessung des Lohnarbeitsentgelts unter Berücksichtigung der Anzahl und des Alters der Familienmitglieder eines männlichen Lohnabhängigen (vgl. Kapitel 7.1). Das heißt die Reproduktionsarbeit wird indirekt durch den Lohn subventioniert. In diesem Zusammenhang kann auch von „indirekter Lohnarbeit“ gesprochen werden (vgl. hierzu auch Coriat/Zarifan 1986: 63ff).

62 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

kaufen und dafür ein Äquivalent – den Lohn – bekommen, setzt voraus, dass sie ihre Arbeitskraft regenerieren und reproduzieren können, damit sie erneut im Produktionsprozess vernutzt werden kann (vgl. Beer 1984: 140, Lipietz 1985: 119f, Kohlmorgen 2004: 37ff, Chorus 2007: 29ff, Winker 2007a: 19). Joachim Hirsch schließt aus diesem Zusammenhang, dass „Lohn-, Haus-, und ‚Eigenarbeit’ unter der Dominanz des Kapitalverhältnisses“ (Hirsch 1990: 34) sich gegenseitig bedingen. Dies lässt sich damit erklären, dass das wesentliche Mittel zur Reproduktion von Arbeitskräften Lohn bzw. Geld ist, womit Wohnung, Kleidung, Nahrung bezahlt werden kann und, sofern vorhanden, die Betreuung und Erziehung der Kinder gewährleistet wird. Das bedeutet, dass im Lohn – als Äquivalent für die Arbeitszeit, die notwendig ist, um Lebensmittel zu bezahlen – schon die Reproduktionskosten enthalten sind (vgl. MEW 23: 184ff). Die Höhe des Lohns bestimmt wiederum den Umfang der kaufbaren Lebensmittel und Reproduktionstätigkeiten und „begrenzt somit auch die Entscheidungsfreiheit, Reproduktionsarbeit durch den Kauf solcher Produkte und Dienste zu ersetzen“ (Resch 1991: 36). Müssten die Kosten für Essenszubereitung, Putzen, Waschen, Zärtlichkeit oder die Erziehung von Kindern auf dem freien Markt eingekauft werden oder vom Lohn bezahlt werden, wäre einerseits der Akkumulationsprozess wahrscheinlich unrentabel, weil die Höhe des Lohns den Mehrwert der Ware drücken würde, andererseits würde ein reeller Lohn wahrscheinlich gar nicht ausreichen (vgl. Kohlmorgen 2004: 39). Sofern Lohnabhängige Reproduktionstätigkeiten nicht einkaufen können, sind sie im Wesentlichen auf unbezahlte Reproduktionsarbeiten angewiesen. Da diese Ebene der Arbeit hauptsächlich außerhalb des Betriebes und außerhalb des Lohnverhältnisses geleistet wird, sind unbezahlte Reproduktionsarbeiten dennoch unabdingbar für die Profitmaximierung, weil sie die Kosten der Reproduktion der Arbeitskraft reduzieren und dadurch den kapitalistischen Profit erhöhen. Denn „indem die Reproduktionsarbeit die notwendige Arbeitszeit reduziert, geht sie in die Mehrwertproduktion ein“ (Bauer 1985: 150). Damit ist die Reproduktionsarbeit keine „äußere Dimension“, wie durch Lipietz (1985: 120) postuliert, sondern eine „innere Dimension“ (Chorus 2007: 38). Silke Chorus hat sich in ihrer Arbeit „Ökonomie und Geschlecht? Regulationstheorie und Geschlechterverhältnisse im Fordismus und Postfordismus“ (2007) genauer mit dieser inneren Dimension beschäftigt. Für Chorus muss die Analyse des Lohnverhältnisses die Aufteilung der gesamtgesellschaftlich notwendigen Arbeit auf der Ebene der relativen Mehrwertproduktion sowie der reellen und formellen Subsumtion der Arbeitskraft unter das Kapitalverhältnis berücksichtigen. Dadurch, dass maximaler Profit durch maximale bzw. absolute Mehrwertproduktion akkumuliert werden kann, ist die kapitalistische Akkumula-

R EGULATIONSTHEORIE

| 63

tionsdynamik auf die Regulation der absoluten Mehrwertproduktion angewiesen. Die absolute Mehrwertproduktion wird über die Verlängerung des Arbeitstages und über das Gewaltverhältnis Produktionsmittelbesitzende versus Arbeitskraftbesitzende hergestellt. Dadurch, dass die absolute Mehrwertproduktion eine natürliche Schranke – 24 Stunden Arbeitstag, Vernutzung der Arbeitskraft bis zum Tod – besitzt, kann die Mehrwertproduktion nur relativ sein. Die Produktion von relativem Mehrwert setzt zwar die absolute und uneingeschränkte Mehrwertproduktion voraus, aber die relative Mehrwertproduktion wird nicht wie bei der absoluten Mehrwertproduktion über die Verlängerung des Arbeitstages hergestellt, sondern über die Verdichtung des Arbeitsprozesses und der Arbeitsproduktivität. Die Verdichtung vollzieht sich einerseits durch Kooperation, Arbeitsteilung, Maschinerie und Geschicklichkeit der Lohnabhängigen. Andererseits kann die Produktivität der Arbeitskraft sich steigern, wenn die Lohnabhängigen gesund und ausgeruht sind und die nötige Disziplin bzw. Selbstverantwortung besitzen, sodass Lohnabhängige in kürzerer Zeit den Gegenwert ihres Arbeitslohnes produzieren können (vgl. MEW 23: 531-552). Dadurch wird die Spanne der unbezahlten Mehrarbeit ohne Verlängerung des Arbeitstages vergrößert und die Spanne für die notwendige Erwerbsarbeit verkürzt. Lohnarbeit wird produktiver, der Wert der Arbeitskraft sinkt und damit auch der Lohn, weil die Reproduktionsarbeit zur Erhöhung des relativen Mehrwertes beiträgt (vgl. Chorus 2007: 31, 38-43, vgl. auch Bauer 1985, Mahnkopf 1988: 114ff, Altvater/Mahnkopf 1999: 64ff, Boyer/Saillard 2002: 73ff).5 Folglich sind Reproduktionsarbeiten für „die Wiederherstellung der geschundenen Arbeitskraft und als spezifische Ausbildung zukünftiger Arbeitskräfte Voraussetzung für die Produktion relativen Mehrwerts“ (Redaktionskollektiv Autonomie 1985: 208). Für Chorus stellt das Lohnverhältnis sowohl ein „Ergebnis von Regulationsprozessen zwischen Kapital und Arbeit als auch von solchen zwischen den Geschlechtern“ (Chorus 2007: 39) dar. Lohnarbeit und Reproduktionsarbeit sind demnach „zwei zusammengehörende, sich gleichzeitig entwickelnde Arbeitsweisen im kapitalistischen System“ (Bauer 1985: 149). Der kapitalistische Reproduktions- und Akkumulationsprozess ist somit auf die formale Trennung von bezahlter Lohnarbeit und unbezahlter Reproduktionsarbeit angewiesen, um die Kosten der Arbeitskraft zu mindern und kapitalistischen Profit zu erhöhen. Die unbezahlte Reproduktionsarbeit wird so zur „anderen Hälfte“ (Kurz 1992: 125) des Akkumulationsprozes-

5

Vgl. hierfür die historisch-konkrete Darstellung in Kapitel 7. Vgl. auch die unterschiedlichen feministischen und marxistischen Bezugspunkte zu dieser Thematik in von Werlhof 1978, Redaktionskollektiv Autonomie 1985, Beer 1990, Scholz 2000, Haug 2001a, Winker 2007b.

64 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

ses und ist dadurch eine unabdingbare Voraussetzung für die kapitalistische Produktion. Das heißt, die beiden Standbeine des Kapitalismus sind die Trennung von bezahlter Erwerbsarbeit und unbezahlter Reproduktionsarbeit. Der Doppelcharakter kapitalistisch benötigter Arbeit stellt sich auch als Widerspruch zwischen bezahlter Arbeit und unbezahlter Arbeit bzw. zwischen der Produktionssphäre und der Reproduktionssphäre dar. Ein weiter gefasstes Verständnis des Akkumulationsregimes müsste unter Berücksichtigung des hier beschriebenen Zusammenhangs von Produktionsarbeit und Reproduktionsarbeit im Hinblick auf die theoretische Konstitution eines Geschlechterregimes wie folgt lauten: Akkumulationsregime können nicht unmittelbar auf die Akkumulation von Kapital, auf ein Produktionsparadigma oder den makroökonomischen Kreislauf reduziert werden. Die kapitalistische Ökonomie kann auch nicht als duale Ökonomie oder als ein Binärsystem von öffentlicher Lohnarbeit einerseits und unbezahlter privater Hausarbeit andererseits beschrieben werden, weil Reproduktionsarbeit gesellschaftlich notwendige Arbeit ist (vgl. Winker/Degele 2009: 30ff). Insofern macht auch eine formale Trennung der öffentlichen und der privaten Sphäre keinen Sinn. In beiden Sphären wird gesellschaftlich notwenige Arbeit geleistet, die zur Wertbestimmung der Ware führt. Das bedeutet, dass Produktions- und Reproduktionsarbeiten in einem strukturellen Abhängigkeitsverhältnis stehen, das über monetäre und vergesellschaftende Formen vermittelt ist. Beide Formen der Arbeit müssen periodisch immer wieder von neuem dieselben Formen durchlaufen: „In einem stetigen Zusammenhang und dem beständigen Fluss seiner Erneuerung betrachtet, ist jeder gesellschaftliche Produktionsprozess daher zugleich Reproduktionsprozess“ (MEW 23: 591). Das heißt, dass die Bedingungen der Produktion gleichzeitig auch die Bedingungen der Reproduktion darstellen und umgekehrt. Dabei ist die Verwertung des Werts – Kreislauf der Ausbeutung der Arbeitskraft, der Aneignung unbezahlter Mehrarbeit, Fixierung dieser in Warenform, Mehrwert-Herstellung, Kapitalakkumulation, Wiederherstellung der Arbeitskraft – der zentrale Mechanismus der Reproduktion des Kapitalismus und die Reproduktion der Produktionsbedingungen (vgl. Althusser 1977) ist die zentrale Ausgangslage zur Verwertung des Werts. Der Mechanismus zur Selbstverwertung des Werts, um die Reproduktion des Kapitalverhältnisses aufrechtzuerhalten, zwingt „das Kapital“ wiederum dazu, sich die Produktivkraft der Arbeit nutzbar zu machen, sie zu entwickeln und zu reproduzieren, „und dies heißt wiederum: Verschärfung der Arbeitsteilung und Unterwerfung der lebendigen Arbeitskraft unter das System der Maschinerie“ (Hirsch 1974: 30). Daraus lässt sich folgern, dass erst durch die Reproduktion

R EGULATIONSTHEORIE

| 65

der Ware Arbeitskraft der Produktionsprozess stetig ist und zu einer Kapitalakkumulation führt. Somit ist das „warentauschbestimmende kapitalistische Vergesellschaftungsverhältnis ohne die anderen, also die Haus- oder ‚Beziehungs’-Arbeit“ (Hirsch 1990: 34) nicht existent. Lohnarbeit und Reproduktionsarbeit sind demnach zwei zusammengehörende Arbeitsweisen im kapitalistischen System. Der kapitalistische Reproduktionsund Akkumulationsprozess ist auf die formale Trennung von bezahlter Lohnarbeit und unbezahlter Reproduktionsarbeit angewiesen, um die Kosten der Arbeitskraft zu mindern und kapitalistischen Profit zu akkumulieren. Der Doppelcharakter kapitalistisch benötigter Arbeit begründet zumindest historisch betrachtet die geschlechtliche Arbeitsteilung (vgl. Hausen 1978, Beer 1984, Ruf 1990, Hoherz 1994, 2006, Haug 1996: 128, 2001b: 771ff; Scholz 2000: 116f). Denn dadurch, dass kapitalistische Gesellschaften scheinbar außerhalb ihrer kapitalistischen Produktionsweise reproduziert werden, ist ein Ort bzw. eine Struktur zur biologischen sowie sozialen und kulturellen Reproduktion notwendig: „Nach der materialistischen Auffassung ist das in letzter Instanz bestimmende Moment in der Geschichte: die Produktion und Reproduktion des unmittelbaren Lebens. Diese ist aber selbst wieder doppelter Art. Einerseits die Erzeugung von Lebensmitteln, von Gegenständen der Nahrung, Kleidung, Wohnung und den dazu erforderlichen Werkzeugen; andrerseits die Erzeugung von Menschen selbst, die Fortpflanzung der Gattung. Die gesellschaftlichen Einrichtungen, unter denen die Menschen einer bestimmten Geschichtsepoche und eines bestimmten Landes leben, werden bedingt durch beide Arten der Produktion: durch die Entwicklungsstufe einerseits der Arbeit, andrerseits der Familie.“ (MEW 21: 27f)

Im Kern bedeutet das, „dass die Warenform als solche eine geschlechtliche Besetzung und Voraussetzung aufweist: alles was an sinnlicher Welt des Menschen in dieser Form nicht aufgehen kann, wird als weiblicher Lebenszusammenhang von der Form und den Prozessen abstrakter Ökonomisierung der Welt ‚abgespalten’, wodurch sich die Warenform gleichzeitig als männlich besetzt erweist. Die Abspaltung des weiblichen Lebenszusammenhangs, der für die wertförmig nicht erfassbare Seite des menschlichen Lebens ‚zuständig’ ist, wird so zur ‚Bedingung der Möglichkeit’ für die Entfesselung der Warenform – und die von der kapitalistischen Produktivkraftentwicklung blind erzeugte Möglichkeit einer weiblichen Rollendistanz somit zum Krisenmoment der Warenform als solcher.“ (Kurz 1992: 124)

66 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Die Konstituierung von vergeschlechtlichter Arbeitsteilung sowie die Konstitution von Männlichkeiten und Weiblichkeiten und ihrem Verhältnis zueinander ist im Kontext eines warenproduzierenden Zivilisationsmodells zu sehen (vgl. Scholz 2000: 116, Haug 2001b: 771ff). Das heißt, dass die gesellschaftlichen Einrichtungen unter kapitalistischen Vorzeichen durch beide Arten der Produktion bedingt sind: durch die Entwicklungsstufe der Lohnarbeit einerseits und durch funktionale Sozialstrukturen andererseits, in der eine produktive Sexualität und eine soziale Reproduktion gewährleistet sind. Einfach gesagt bedeutet das, dass es nicht ausreicht, nur die Lebensmittel zu produzieren oder zu ernten, sondern sie müssen auch gekocht werden; es reicht auch nicht aus, Kleidung herzustellen, sondern sie muss auch gewaschen werden. Auch die Arbeitskräfte, die durch Vernutzung und Tod dem Markt entzogen werden, müssen entsprechend der Produktionsweise durch eine bestimmte Anzahl neuer Arbeitskräfte ersetzt und angepasst werden, um den Prozess der Reproduktion zirkulieren zu lassen (vgl. MEW 23: 185f, MEW 21: 27f): „Wie dies konkret passiert – in Klein- oder Großfamilien oder mit Unterstützung von im Haushalt Beschäftigten –, ist in der Logik des kapitalistischen Verwertungsprozesses weitgehend unbedeutend. Entscheidend ist, dass die entstehenden Reproduktionskosten die Mehrwertrate nicht allzu sehr belasten.“ (Winker 2007a: 19)

Reproduktionsarbeiten sind folglich nicht geschlechtsneutral – zumindest was die Regeneration von Arbeitskräften angeht. Zu sagen, dass sich die erweiterte Produktion von Mehrwert durch unbezahlte Reproduktionsarbeit vollzieht, trifft an diesem Punkt allerdings noch keine Aussage über die Personifikationen dieses Verhältnisses. Eine Ableitung von Geschlechterverhältnissen rein aus der Wertform des Kapitalverhältnisses ist daher nicht haltbar, weil bis auf die generative Reproduktion alle Arten von (Re-)Produktionsarbeiten von Frauen und Männern vollzogen werden können (vgl. Haensch 1969: 49). Zur Erklärung von vergeschlechtlichter Arbeitsteilung, der Abspaltung eines weiblichen Lebenszusammenhang vom Wert der gesellschaftlich hergestellten Waren und der Geschlechterverhältnisse als übergreifenden Formprinzipien aller sozialen Sphären (vgl. Beer 1990), bedarf es neben den ökonomischen Erklärungsversuchen weitere Erklärungsansätze, worauf ich in Kapitel 4 näher eingehe. Die geschlechtertheoretische Erweiterung des Akkumulationsregimes lässt sich wie folgt zusammenfassen. Um den strukturellen Bereich der Reproduktionsarbeit und der geschlechtlichen Arbeitsteilung als elementaren Bestandteil des Akkumulationsregimes zu beschreiben, sind folgende Bausteine unabdingbar:

R EGULATIONSTHEORIE

| 67

• Die Arbeitskraft nimmt im Tausch gegen Lohn Warenform an. Der Lohn steht

in keinem notwendigen Verhältnis zur Masse des Profits. Profit kann sich akkumulieren, wenn Lohnabhängige die Kosten der Realisierung des Mehrwerts durch unbezahlte Produktions- oder Reproduktionsarbeit vermindern helfen (vgl. MEW 25: 311). Der Lohn ist notwendig zur materiellen Reproduktion der Arbeitskraft. Reproduktionsarbeit ist somit indirekte Lohnabhängigkeit bzw. unbezahlte Mehrarbeit. Sie trägt zur Minderung der Kosten der Realisation des Mehrwerts bei, weil Reproduktionsarbeiten die Kosten der Reproduktion der Arbeitskraft ersetzen bzw. verbilligen. • Die Reproduktion der Arbeitskraft findet in einem „privaten“ Bereich statt. Sie muss stetig sein und täglich reproduziert werden. Es bedarf ausreichender Geburtenraten, um auch die zukünftige Kapitalakkumulation aufrechtzuerhalten. Die Familienform wird in diesem Zusammenhang zu einem zentralen und organisierenden Prinzip für die Produktionsverhältnisse der gesamten Gesellschaftsformation und konstituiert außerdem einen zentralen Ort der Reproduktion und der vergeschlechtlichten Arbeitsteilung, die aber nicht allein aus der Warenform abzuleiten ist (vgl. Kohlmorgen 2004: 54ff). Thesenhaft lässt sich demnach zusammenfassend feststellen, dass, wenn bestimmte Reproduktionstätigkeiten und die damit verbundene produktive Sexualität nicht erfüllt werden, der Akkumulationsprozess in eine Krise geraten kann. Weibliche Gebärfähigkeit und vor allem Reproduktionsarbeiten sind die Voraussetzung für die Produktion von relativem Mehrwert. Nicht nur durch eine Steigerung der Produktivität der Arbeitskräfte durch Kooperation, Arbeitsteilung, Maschinerie etc. kann der Wert der Arbeitskraft und damit auch der Lohn gesenkt werden, weil die Lebensmittel zur Reproduktion der Arbeitskraft billiger werden, sondern vor allem die Reproduktionsarbeiten tragen zu einer Senkung des Lohnniveaus und dadurch zu einer Steigerung der gratis geleisteten Mehrarbeit der Lohnabhängigen bei. Durch Reproduktionsarbeiten kann die Spanne der Mehrarbeit ohne Verlängerung des Arbeitstages erhöht werden, weil die notwendige Arbeitszeit zur Herstellung des Lohnäquivalents durch Reproduktionsarbeiten verkürzt wird. Dies ist dann der Fall, wenn Lohnabhängige in einem Reproduktionszusammenhang vergesellschaftet sind, der auf unbezahlter Reproduktionsarbeit basiert und dadurch Lebenserhaltungskosten verbilligt. Das bedeutet, dass im Lohn – als Äquivalent für die Arbeitszeit, die notwendig ist, um Lebensmittel zu bezahlen – schon die Reproduktionskosten enthalten sind (vgl. MEW 23: 185ff, Winker 2007a: 19ff). Die Höhe des Lohns bestimmt darüber, welche und wie viele Güter konsumiert werden können (vgl. Resch 1991: 36). Können Lohnabhängige nicht auf unbezahlte Reproduktionsarbeiten zugreifen,

68 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

bleibt die Ausbeutung in der Produktionssphäre die gleiche, aber der Prozess der Regeneration der Arbeitskraft verteuert sich. In der Regel wird den direkt Lohnabhängigen ein Lohn unterhalb des eigentlichen Subsistenzniveaus gezahlt. Die Abspaltung der Reproduktionsarbeit vom Wert der gesellschaftlich hergestellten Waren wird so zu einem ökonomischen und vergeschlechtlichten Gewaltverhältnis (vgl. Scholz 2000: 80). „Genderregime im Lohnverhältnis bestimmen, welche Lohnarbeiten als weiblich und welche als männlich definiert sind“ (Chorus 2007: 110). Das bedeutet abschließend, dass der Prozess der Wiederholung des Produktionsprozesses, der sich als Reproduktion beschreiben lässt, nur Bestand haben kann, wenn die verschiedenen Ebenen der Gesellschaftsstruktur durch das Fortbestehen sozialer, juristischer, politischer, repressiver und ideologischer Bedingungen reproduziert werden (vgl. Althusser 1977: 108ff; Balibar 1977: 327). Da der Kapitalismus nicht in der Lage ist, ohne Arbeitskräfte auszukommen, ist dieser auf Reproduktionstätigkeiten (Gebären, Verpflegen, Care Working etc.) angewiesen, um neue Generationen von Arbeitskräften zu formieren und zu reproduzieren. Das Reproduktionsverhältnis wird dadurch zu einem zentralen Element des Akkumulationsregimes, das durch soziale Verhältnisse reguliert werden muss (vgl. Hirsch 1995: 49f, Diettrich 1999: 91, Kohlmorgen 2004: 39). Das Geschlechterregime ist Teil dieser Regulationsweise. Anders gesagt muss eine kapitalistische Gesellschaftsformation erst die Bedingungen der Produktion reproduzieren, um weiter zu existieren. Deshalb ist die Reproduktion und Regeneration der Arbeitskraft ebenso wesentlich für die Reproduktion der Produktionsbedingungen wie die Verausgabung und Ausbeutung der Arbeitskraft (vgl. Althusser 1977). Das folgende Kapitel beschäftigt sich weitergehend mit den Mechanismen der Reproduktion der Produktionsbedingungen bzw. des Kapitals und dessen Krisenmomenten. Hierbei steht die kapitalistische Notwendigkeit im Vordergrund, den immanenten Krisenprozess der Kapitalakkumulation über stabile Produktionsverhältnisse und Gesellschaftsstrukturen und dementsprechend auch über produktive Geschlechterverhältnisse zu regulieren. 3.1.2 Reproduktion des Kapitals und Krise des Reproduktionsprozesses Wie schon beschrieben ist für meine Argumentation in Bezug auf eine geschlechtertheoretische Erweiterung des Akkumulationsregimes das Verhältnis von Produktion und Reproduktion von zentraler Bedeutung. In diesem Zusammenhang wurde im letzten Abschnitt festgehalten, dass Reproduktionstätigkeiten zu einem zentralen Element des Akkumulationsregimes gehören und dass das

R EGULATIONSTHEORIE

| 69

Akkumulationsregime durch soziale und politische Verhältnisse reguliert werden muss. Um auf die Notwendigkeit der Regulation einer Gesellschaftsformation über Geschlechterverhältnisse näher eingehen zu können, werde ich zunächst den Entwertungsprozess des Kapitals bzw. die krisentheoretischen Grundlagen der Regulationsschule verdeutlichen. Dies ist insofern von Bedeutung, als ich davon ausgehe, dass die Funktion eines Geschlechterregimes auch als Regulativ gegen Krisenprozesse verstanden werden kann. Außerdem lassen sich mit den krisentheoretischen Grundlagen Rückschlüsse auf die Work-Life-BalanceMaßnahmen im empirischen Teil dieser Arbeit ziehen. Störungen des Akkumulationsregimes ergeben sich u. a. aus einer Disproportionalität zwischen Konsumtion und Produktion, die wiederum zu einer instabilen Reproduktion des gesamtgesellschaftlichen Zusammenhangs führen kann. Welche Formen der Regulation dominant werden, ist von konkreten historischen und gesellschaftlichen Bedingungen abhängig. Da die kapitalistische Produktionsweise nicht in der Lage ist, ein in sich geschlossenes System der Kapitalakkumulation zu bilden und sich allein durch die Wertform zu reproduzieren, ist diese abhängig von sozialen, repressiven und ideologischen Bedingungen (vgl. Jessop 2001a: 28f). Wenn zum Beispiel die Kapitalakkumulation sich über den Zeitraum mehrerer Konjunkturzyklen hinweg relativ reibungslos vollzieht, ist dies unter anderem darauf zurückzuführen, dass die dem kapitalistischen Akkumulationsprozess inhärenten ökonomischen und sozialen Widersprüche über die jeweilig vorherrschende Regulationsweise in einem relativen Gleichgewicht gehalten werden konnten. Dies soll aber nicht bedeuten, dass der Reproduktionsprozess des Kapitals ein konstant krisenhafter Prozess ist, der mithilfe der Regulationsweise ausbalanciert wird, sondern dass dieser Prozess periodisch verläuft und die Regulationsweise als Gegentendenz wirkt (vgl. Hübner 1990: 227ff): Die Notwendigkeit der Regulation lässt sich unter anderem auch auf den krisenhaften Prozess der Akkumulation des Kapitals und auf den Prozess der permanenten Rückkopplung des Wertes auf sich selbst beziehen. Dieser Prozess bringt eine „periodische Entwertung vorhandenen Kapitals, somit Störungen seines Zirkulations- und Reproduktionsprozesses mit sich, der nur durch spezifische Formen der Regulation temporär stabilisiert werden kann“ (Candeias 2004: 31). Denn der Akkumulationsprozess besteht aus sich stets „wiedererzeugenden Zyklen, deren aufeinander folgende Phasen […] immer hinauslaufen auf eine allgemeine Krise, die Ende eines Zyklus und Ausgangspunkt eines neuen ist“ (MEW 23: 662). Folglich besitzt jeder Zyklus zwar die allgemeinen Widersprüche der Kapitalakkumulation, wie der Zwang zum stetigen Wachstum oder der Widerspruch zwischen direkter und indirekter Lohnarbeit, aber die Widersprüche er-

70 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

zeugen in der jeweiligen historisch-konkreten Situation ihre je eigenen Dynamiken und Erscheinungsformen. Eine wichtige Gegentendenz gegen den kapitalistischen Krisenmechanismus liegt in der Steigerung der Arbeitsproduktivität und in der Verkürzung der Produktions- und Zirkulationszeiten „durch die Entwicklung von Organisations-, Planungs-, Regelungs- und Steuerungstechniken, Verbesserung der Kommunikationsmittel“ (Hirsch 1974: 35). Die Steigerung der Arbeitsproduktivität ermöglicht so auch billigere Konsumtionsmittel und dadurch eine Verbilligung der Reproduktionskosten. Die Funktion der Krise besteht darin, die Disproportionalitäten des Akkumulationsregimes zu beseitigen und Gegentendenzen zu mobilisieren. „Mobilisierung von Gegentendenzen heißt faktisch: Reorganisation eines historischen Komplexes allgemeiner gesellschaftlicher Produktionsbedingungen und Ausbeutungsverhältnisse“ (Hirsch 1974: 40). Ob und wie sich das widersprüchliche Verhältnis der abstrakten Arbeit, der Trennung Produzent/Produktionsmittel, der Reproduktion des Kapitals als immanente Störung des Akkumulationsprozesses auf den Wechsel eines Akkumulationszyklus auswirkt, ist von der Intensität der Widersprüche und der daraus entstehenden Krise sowie der möglichen Regulationsmodi abhängig. Phasen relativer Stabilität sind daher auf funktionierende Regulationsweisen zurückzuführen. Diese organisieren, strukturieren, überwachen und schützen die Reproduktion sowohl des Kapitals als auch zweckmäßiger gesellschaftlicher Beziehungen über historisch-konkrete institutionelle Formen hinweg. Wie sich dieser Formwechsel bzw. diese Reproduktion des Kapitalverhältnisses realisiert, ist von den verschiedenen Arten der Kapitalakkumulation – der extensiven und der intensiven – sowie von den damit verbundenen Krisenmomenten abhängig (vgl. Hirsch 2005: 108ff). Einfach gesagt bedeutet dies, dass es mehrere mögliche Szenarien zur Reproduktion bzw. Regulation des Kapitals gibt (vgl. Hirsch 1974: 29-49, Hübner 1990: 246ff, Conert 1998: 289). Eine Möglichkeit ist, dass – durch die Rückkopplung des Wertes auf sich selbst – der Akkumulationsprozess gezwungen ist, technische Veränderungen des Arbeitsprozesses bzw. die Entfaltung der Produktivkräfte so zu organisieren, dass menschliche Arbeit durch maschinelle ersetzt wird. In diesem Fall müssen die verbliebenen Lohnabhängigen eine immer größer werdende Masse an Produktionsmitteln in Bewegung halten, weil die durch Kapitalakkumulation realisierten Gewinne als Produktionsmittel investiert werden. In dieser Phase der „extensiven Akkumulation“ wird versucht, die Produktion von Mehrwert durch die Einsparung von Erwerbsarbeit oder durch die Senkung der Reallöhne zu intensivieren. Dabei tendiert die Produktion von Produktionsmitteln dazu, sich schneller zu entwickeln als die Produktion von Konsumgütern. Den Produktionsmitteln

R EGULATIONSTHEORIE

| 71

steht eine weniger hohe Arbeitsproduktivität gegenüber. Der Masse an produzierten Waren fehlen die Käufer. Nachfrageschwankungen führen zu Verschlechterungen der Verwertungsbedingungen und zu nicht ausgelasteten kostenintensiven Großanlagen (vgl. Conert 1998: 289; Bieling 2000: 211). Es entsteht eine Disproportionalität zwischen Konsumtion und Produktion, eine Überakkumulation. Wenn durch Rationalisierung, Automatisierung, gesellschaftliche Arbeitsteilung und durch den technischen Fortschritt die wertbildende abstrakte Arbeit durch konstantes Kapital ersetzt wird, wird auch das profitproduzierende Element kleiner. Ein anderes Szenario ist, in einer Phase „intensiver Akkumulation“ durch erhöhte Produktivität die Konsumgüter zu verbilligen. Bei einer Verschiebung des Akkumulationsprozesses zugunsten der Lohnabhängigen bewirkt dies einen Anstieg der Lohnquote. Auf diese Art ist es möglich, durch die Steigerung der Reallöhne einen Massenkonsum zu ermöglichen und den Absatz der hergestellten Konsumgüter bei gleichbleibender Ausbeutung voranzutreiben. Liegt die Zuwachsrate des Lohns höher als die der Arbeitsproduktivität, fällt der Profit. Wenn mit sinkenden Profiten der Punkt erreicht ist, „wo die produzierte Profitmasse zu klein geworden ist, um den neu produzierten Mehrwert noch profitabel kapitalisieren zu können“ (Hirsch 1974: 33), kann der Akkumulationsprozess zusammenbrechen. Hierbei lassen sich drei unterschiedliche Krisentypen feststellen (vgl. Hübner 1990: 241ff, vgl. auch Altvater 1983: 229; HeinemannGrüder 1984; Hirsch 2005: 108ff): • Krisen erster Ordnung entstehen durch eine „höhere Macht“ wie Klima-

schwankungen, Erosion, Umweltkatastrophen etc. Die Faktoren übertragen sich auf kapitalistische Sektoren und können teilweise dennoch einem extensiven Akkumulationsregime zugerechnet werden, da Ökoprobleme u. a. auch auf eine nicht nachhaltige Naturausbeutung zurückzuführen sind. • Krisen zweiter Ordnung oder „kleine“ Krisen sind anhaftende Prozesse innerhalb der kapitalistischen Reproduktionsform wie konjunkturelle Krisen oder Regierungskrisen, wenn Regierungsparteien tauschen. Die Veränderung der Regulationsweise verläuft über die Zyklen hinweg in einem langsamen Tempo. Akkumulationsregime und Regulationsweise werden durch kleine Krisen nicht grundsätzlich infrage gestellt. • In „großen“ oder strukturellen Krisen gibt es hingegen keine möglichen Regulationsweisen für eine weitere Reproduktion des Akkumulationsregimes. Hinderungsfaktoren hierfür bilden kollektive gesellschaftliche Kämpfe und Auseinandersetzungen, wodurch Unvereinbarkeiten zwischen kapitalistischer Reproduktion und institutionellen Formen auftreten können. Aber auch die Ausschöpfung eines Regulationsmodus kann das Wachstumspotential eines

72 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Akkumulationsregimes verunmöglichen. Demnach können die periodisch auftretenden strukturellen Krisen auch als Bruchstellen bezeichnet werden, aus denen sich neue (Re-)Produktions- und Regulationsformationen entwickeln. Für Krisen stehen so mehrdimensionale Bedingungskonstellationen im Mittelpunkt, die sich aus Interessenskonflikten zwischen den sozialen Kräfteverhältnissen, aus strukturellen Vorgaben der Kapitalverwertung sowie aus Systemimperativen herstellen. Zu welchem „Preis“, Lohn oder „auf wessen Kosten“ sich die Reproduktion des Kapitalverhältnisses realisiert, hängt auch damit zusammen, wie mit dem Krisenmoment verfahren wird. Zu den möglichen Reaktionen der Vertreterinnen und Vertreter des Akkumulationsregimes gehören Initiativen zur Entwicklung neuer Produktionskonzepte, aber vor allem auch politische Regulationsweisen und die Veränderung der gesellschaftlichen Beziehungen (vgl. Deppe 2001). Die Verteilungsrate der Wertschöpfung führt in jedem Fall in einen Widerspruch: zu viel Lohn, zu wenig Profit – zu hoher Preis, zu geringe Nachfrage. Dies ist ein grundlegendes Regulationsproblem des Akkumulationsregimes. Deshalb hängt der Erfolg oder Misserfolg der Kapitalakkumulation sowohl von einer bestimmten Art von Kapitalverwertung ab als auch von materiellen und gesellschaftlichen Bedingungen (vgl. Jessop 2001a: 33). Ein Akkumulationssystem bzw. -regime lässt sich demnach als Modus systematischer Verteilung und Anpassung des gesellschaftlich hergestellten Wertes beschreiben, „der über eine längere Periode hinweg ein bestimmtes Entsprechungsverhältnis zwischen den Veränderungen der Produktionsbedingungen (den Volumen des eingesetzten Kapitals, der Distribution zwischen den Branchen und den Produktionsnormen) und den Veränderungen in den Bedingungen des Endverbrauches (Konsumnormen der Lohnabhängigen und anderer sozialer Klassen, Kollektivausgaben, usw.) herstellt…“ (Lipietz 1985: 120)

Zusammenfassend stellt sich sowohl der innere Zusammenhang der kapitalistischen Akkumulation, also der Zwang zum stetigen Wachstum als auch der Prozess der Einkommensverteilung als widersprüchlich und krisenanfällig dar. Die Akkumulationsspirale gerät durch die Rückkopplung des Wertes auf sich selbst an Grenzen der vorherrschenden produktionstechnologischen und gesellschaftlichen Bedingungen. Da der Prozess der kapitalistischen Reproduktion widersprüchlich und instabil ist – Phasen des wirtschaftlichen Aufschwungs wechseln mit Krisen bzw. mit Perioden der Stagnation oder Depression und tief greifender Strukturtransformationen ab – bedarf es der Regulation, um den Reproduktionsprozess des Kapitals und die kapitalistische Gesellschaftsformation aufrechtzuerhalten (vgl. Hirsch 2005: 111ff). Wie sich die Phasen der extensiven bzw. in-

R EGULATIONSTHEORIE

| 73

tensiven Akkumulation auf gesellschaftliche Verhältnisse bzw. auf Geschlechterregime auswirken, wird im empirischen Teil dieser Arbeit dargestellt. Vorab tauchen erst einmal – ausgehend von den vorherigen Überlegungen – offene Fragen im Hinblick auf die soziale und generative Reproduktion der Produktionsverhältnisse auf. In diesem Zusammenhang stellt sich konkret die Frage, ob ein Rückgang der Geburtenrate oder eine Veränderung der Geschlechterverhältnisse zu einer fundamentalen Krise des Akkumulationsregimes führen kann. Zumindest kann Verweigerung der weiblichen Reproduktionstätigkeiten und der damit verbundenen produktiven Sexualität sowie die Abspaltung „des weiblichen Lebenszusammenhangs, der für die wertförmig nicht erfassbare Seite des menschlichen Lebens ‚zuständig’ ist“ (Kurz 1992: 124), zu einem Krisenmoment der kapitalistischen Produktivkraftentwicklung werden, sofern sich Frauen von der ihnen zugewiesenen Rolle distanzieren. Dies schließt wiederum mit ein, dass eine Krise von Geschlechterverhältnissen, inklusive der damit verbundenen produktiven Sexualität, auch zu einer Krise von Produktionsverhältnissen führen kann. Im Kern bedeutet das folglich, dass das Akkumulationsregime als solches eine geschlechtliche Besetzung und Voraussetzung aufweist. 3.1.3 Zusammenfassung Akkumulationsregime und Geschlechterregime In Bezug auf die bisherigen Schlüsse lassen sich der erste Baustein und die ersten Definitionsketten des Begriffes Geschlechterregime wie folgt aufbauen. In den methodologischen Überlegungen zur Bestimmung einer intersektionalen Definition des Begriffs Geschlechterregime wurde in Kapitel 2.2 festgelegt, dass Geschlechterverhältnisse, kapitalistische Produktionsverhältnisse, Machtverhältnisse und ihre symbolischen Rechtfertigungen sowie subjektive Handlungsfähigkeiten eng miteinander verwoben und konstitutiv füreinander sind und dass das Konzept Geschlechterregime einen intersektionalen Charakter besitzt. Daraus ergeben sich drei wesentliche Ebenen: Struktur, Symbol, Subjekt. Die Verbindung von Akkumulationsregime und Geschlecht ist wesentlich auf der Strukturebene anzusiedeln. Dabei lässt sich das Konzept Geschlechterregime auf der Strukturebene als ökonomische Struktureinheit entfalten, wenn den Fragen nachgegangen wird, wie die Reproduktion der Gesamtgesellschaft geregelt ist und wie die unterschiedlichen Praxen der Geschlechter selbst im Kontext der historischen Entwicklung der Produktivkräfte, der Arbeitsteilung und der jeweilig dominanten Herrschaftsorganisation formiert sind. Die Spur läuft darauf hinaus, dass sich beide Regime kreuzen und dass die Verbindung Akkumulationsregime und Geschlechterregime sich überlagert und gegenseitig bedingt.

74 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Die gegenseitige Bedingtheit zwischen dem Akkumulationsregime und dem Geschlechterregime liegt in der verzahnten Arbeitsteilung bei der Produktion von Lebensmitteln und der Reproduktion von Arbeitskräften (vgl. Beer 1984, 1990, Haug 2001b, Kohlmorgen 2004: 53ff, Candeias 2004: 209ff). Die Funktion dieser gegenseitigen Bedingtheit ist die beständige Reproduktion der Produktionsbedingungen. Auf der abstrakten Ebene beschreibt das Konzept Geschlechterregime in erster Linie die Logik, dass die Produktionssphäre ihr Anderes, die Reproduktionssphäre, benötigt, um das Akkumulationsregime zu reproduzieren. Dies schließt wiederum mit ein, dass eine Krise von Reproduktionsverhältnissen folglich zu einer Krise von Produktionsverhältnissen führen muss. Hierbei ist allerdings die Frage noch offen, wie sich durch ökonomische Strukturvorgaben bzw. kapitalistische Logik vergeschlechtlichte Bedeutungen an die verschiedenen Arbeitsformen anheften. Die Schlussfolgerung daraus ergibt, dass einerseits die mit dem kapitalistischen Verwertungsprozess verbundenen Formen der Reproduktionsarbeit unter dem Akkumulationsregime gefasst werden müssen, und dass andererseits vergeschlechtlichte Arbeitsformen in einer kapitalistischen Gesellschaftsformation zentral für die Konstituierung des Akkumulationsregimes sowie des Geschlechterregimes sind. Diese Sichtweise soll nicht den Eindruck entstehen lassen, dass die Produktionsbedingungen insgesamt das Reproduktionsverhältnis determinieren und das Geschlechterregime formieren, sondern dass das Akkumulationsregime und das Reproduktionsverhältnis des Kapitals erst durch den Prozess der geschlechtsspezifischen Praxen und Ideologien bzw. durch soziale, juristische und politische Faktoren zu verstehen sind (vgl. Balibar 1977: 327). Damit ist eine reine ökonomische Reproduktionsform bzw. eine bloße wertgesetzregulierte Reproduktion der Gesellschaftsformation ausgeschlossen. Das bedeutet nichts anderes, als dass der Akkumulationsprozess auf gesellschaftlichen Bedingungen und Naturvoraussetzungen beruht und zu diesen Voraussetzungen „nicht nur die natürlichen Bedingungen der Produktion und des Lebens [zählen], sondern auch kulturelle Traditionen, Werteorientierungen und nicht warenförmige soziale Beziehungen, sowie außerhalb des unmittelbaren Kapitalverhältnisses stehende materielle Produktionsformen wie etwa agrarische oder handwerkliche Produktion oder Hausarbeit. Ohne diese wäre weder die Verfügbarkeit von Arbeitskräften, noch der Bestand und der Zusammenhalt der Gesellschaft gewährleistet.“ (Hirsch 2005: 27)

Die Zusammensetzung des Geschlechterregimekonzeptes ist auf der Strukturebene durch den Prozess der Arbeitsteilung innerhalb der kapitalistischen Gesellschaftsformation zu verstehen und durch die noch zu beschreibenden ge-

R EGULATIONSTHEORIE

| 75

schlechterregimerelevanten Regulationsweisen zu erweitern. Für das weitere Vorgehen bedeutet das, dass zusätzliche Struktureinheiten verdeutlicht werden müssen, die erklären können, wie ein Akkumulationsregime durch ideologische und subjektive Faktoren formiert wird. Das Konzept Geschlechterregime verweist daher zusätzlich auf Institutionen, Politiken, soziale, repressive und ideologische Verhältnisse bzw. Regulationsweisen und beinhaltet dadurch die Widersprüchlichkeit der gesellschaftlichen Sphärentrennung und die Widersprüchlichkeit gesellschaftlicher Praxen. Auf diese Elemente wird in dem Kapitel Regulationsweise und Geschlecht eingegangen.

3.2 R EGULATIONSWEISE

UND

G ESCHLECHT

Der Begriff Regulationsweise ist ein weiterer wesentlicher Bestandteil der Regulationstheorie. Die Regulationsweise ist als ein grundlegender „Steuerungsmodus“ der kapitalistischen Gesellschaftsformation zu betrachten. Der Begriff der Regulation lässt sich „als übergreifende Vereinheitlichung und Artikulation spezifischer struktureller Formen bzw. als Integral aller in bestimmten historischen Entwicklungsphasen auf den Prozess der Kapitalakkumulation einwirkenden institutionellen Beschränkungen“ (Hübner 1990: 115) definieren. Für die Bestimmung des Begriffes Geschlechterregime lassen sich mithilfe der Kategorie Regulationsweise weitere zentrale Bezugspunkte finden. Das folgende Kapitel beschäftigt sich daher mit der Verbindung Regulationsweise und Geschlecht. Die Auseinandersetzung mit den Bereichen Institution, Ideologie und soziale Form sind hierbei von besonderer Bedeutung. Die Regulationsweise lässt sich wie folgt definieren: „Zur Regulationsweise gehören die sich ausprägenden institutionellen Konfigurationen einschließlich der staatlichen Herrschaftsorganisation, die ideologischen Formen, die herrschenden Subjektprägungen und damit das Hegemonialverhältnis im Sinne generalisierter Vorstellungen von Ordnung und Entwicklung der Gesellschaft.“ (Hirsch 2001b: 174)

In diesem Verständnis steht das Akkumulationsregime nicht in einem deterministischen Verhältnis zur Regulationsweise. Vielmehr stehen Regulationsweise und Akkumulationsregime in einem wechselseitigen Bedingungsverhältnis. Deshalb werden innerhalb der Regulationstheorie auch die verschiedenen Perioden

76 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

des Kapitalismus als offener und umkämpfter Prozess6 verstanden, der durch keine übergeordnete Logik hergeleitet werden kann. Im Allgemeinen zeichnet die Regulationsweise drei Eigenschaften aus (vgl. Hübner 1990: 188f): • Eine Regulationsweise bringt eine Vielzahl politisch dezentral getroffener Ent-

scheidungen zusammen, ohne dass die handelnden Individuen oder Institutionen dabei den Zusammenhang der gesamten Struktur berücksichtigen müssen. • Die Regulationsweise formiert die Reproduktion des jeweiligen Akkumulationsregimes. • Die Regulationsweise schützt bzw. überwacht die Reproduktion zweckmäßiger gesellschaftlicher Beziehungen über historisch-konkrete institutionelle Formen hinweg. Die verschiedenen Formen sowohl der internen als auch der strukturellen Organisationen und Institutionen des Staates und der Kapitalverwertung, die hegemo-

6

Antonio Gramscis Hegemonietheorie beschäftigt sich mit diesen umkämpften Prozessen und mit den Rahmenbedingungen zur Konstitution von gesellschaftlichen Verhältnissen sowie mit der Vermittlung von hegemonialen Denkformen durch Institutionen. Gramsci verwendet den Begriff der Hegemonie nicht ausschließlich im Sinne Lenins, das heißt, im Sinne der Führung der Arbeiterklasse mit der Aufgabe, notfalls durch die gewaltsame Unterdrückung feindlicher Gruppen oder Klassen die Herrschaft zu sichern. Er versteht vielmehr darunter die theoretische Möglichkeit, die – über kulturelle Apparate – vermittelte Herrschaft einer einzelnen Klasse zu analysieren. Nach Gramsci wird die Hegemonie über alle Klassen ausgeübt, indem ein Konsens innerhalb der jeweiligen Staatsform organisiert wird, um so durch die Unterstützung des individuellen Staatsbürgers und der individuellen Staatsbürgerin die Duldung bzw. Zustimmung der Gesellschaftsformation zu erzielen (vgl. Gramsci 1980: 277, Kim 1995: 31ff). Hegemonien konstituieren sich, indem ein hegemonialer Block bzw. ein bestimmtes Klassenbündnis gesellschaftliche Kräfte kontrolliert und Herrschaftsverhältnisse entstehen lässt. Gramsci spricht in diesem Fall von der „Erziehung“ der Staatsbürger und Staatsbürgerinnen, die die Aufgabe hat, die Gesellschaft auf ein bestimmtes kulturelles und ideologisches Niveau zu heben, das den Interessen der herrschenden Klassen entspricht (vgl. Kim 1995: 33). Hegemonien resultieren aus einer bestimmten Überlegenheit im Klassenkampf, der nicht ausschließlich frontal geführt wird, sondern auch durch ökonomischen Zwang bzw. die „Einbindung der Arbeiterklasse in die Wertform“ (Hirsch 1992: 227). Hegemonien beruhen vor allem auf der ideologischen Unterwerfung und werden durch Politik vermittelt (vgl. Hall 1994: 121ff). Hegemonien können so als Zustand sozialer Autorität durch die Verbindung von „Bestechung und Bedrohung“ (Holzkamp 1997: 323) seitens eines bestimmten hegemonialen Blocks über die gesamte Gesellschaftsformation verstanden werden. Die Regulationstheoretikerinnen und -theoretiker haben explizit auf diesen Ansatz hingewiesen und ihn in das Konzept der Regulationsweise eingebunden (vgl. Demirovic 1992, Hirsch 1992).

R EGULATIONSTHEORIE

| 77

nialen rechtlichen, ideologischen und ökonomischen Ausformungen der Staatsintervention sowie die spezifische Regulation der Vergesellschaftung sind daher Grundlagen der Regulationsweise (vgl. Bieling 2000: 201; Kohlmorgen 2004: 53). Die Regulation bezieht sich wesentlich auf die je verschiedenen Formen von Lohnverhältnissen, auf die Reproduktion der Arbeitskraft, auf die jeweilige soziale Sicherung, auf Konsumformen und -normen, auf verschiedene Unternehmensformen inklusive der Formen der Konkurrenz und der Kooperation sowie auf die Formen der internen Organisation der Unternehmen und auf die Geldund Kreditbeziehungen bzw. auf die Reproduktion des Kapitals (vgl. Hübner 1990: 75ff). Im Folgenden gehe ich weiter auf die theoretisch-abstrakten Bezugspunkte der Regulationsweise ein, um die ideologischen Orientierungen in Bezug auf die Kategorien des Geschlechtes, der staatlichen Institutionen und der Zivilgesellschaft sowie der Subjekte herauszuarbeiten. Damit soll die Art und Weise der Regulationsweise verdeutlicht werden, um weitere Bausteine des Geschlechterregimekonzeptes aufzustellen. Anders gesagt bedeutet das, dass in den folgenden Bezugspunkten institutionelle, ideologische und soziale Herrschaftsformationen und geschlechterregimerelevante Prämissen extrahiert werden. 3.2.1 Institutionelle Herrschaftsformationen Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit institutionellen Herrschaftsbedingungen als Voraussetzungen zur Etablierung von Geschlechterregimen. Institutionelle Herrschaftsbedingungen lassen sich wie folgt ableiten. Dadurch, dass die kapitalistische Produktionsweise als bloße ökonomische Vergesellschaftungsform nicht existenzfähig wäre (vgl. Hirsch 2005: 28ff), erzwingen die inhärenten Widersprüche der kapitalistischen Produktionsweise (vgl. Kapitel 3.1.1) Tätigkeiten, die auf den materiellen Bestand, die Ordnung und den Erhalt der Gesellschaftsformation gerichtet sind. Diese Tätigkeiten können „nur in der Weise stattfinden, in der politische Gemeinschaftlichkeit in der kapitalistischen Gesellschaft möglich ist: mittels des Staates“ (Hirsch 2005: 28). „Der Staat“ als Subjekt existiert nicht; er verfolgt keine eigenen Ziele, sondern agiert aus umkämpften Hegemonien heraus, welche durch Dominanzverhältnisse entstehen. Im Inneren des Nationalstaates besteht ein komplexer Herrschaftszusammenhang, ein auf Zwang und Konsens gestützter hegemonialer Block, der versucht, in einem Prozess von permanenten politisch-sozialen und ideologischen Auseinandersetzungen ein „national-populäres“ Programm zu erzeugen (vgl. Hall 1994: 122). Akkumulation und Regulationsweise sind Ergebnis und Ausgangspunkt „eines komplizierten Prozesses von Hegemoniebildung“ (Hirsch

78 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

1992: 227). Demnach ist der Staat ein gesellschaftliches Verhältnis7 bzw. „die Verdichtung eines Kräfteverhältnisses zwischen Klassen und Klassenfraktionen, das sich im Staat immer in spezifischer Form ausdrückt“ (Poulantzas 2002: 159). Die politische Form bzw. die Staatsform bestimmt sich aus den jeweiligen Kräfteverhältnissen und Konfliktachsen der Gesellschaftsformation und drückt sich dementsprechend in institutionellen Konfigurationen bzw. Staatsapparaten aus. Die Staatsapparate sind demnach keine Überbauten, sondern integrale Bestandteile der kapitalistischen Produktionsweise (vgl. Agnoli 1975, 1995, Hirsch 2005: 28; Hirsch/Kannankulam 2006: 77; Poulantzas 1980: 228). Die in staatlichen Institutionen materialisierten gesellschaftlichen Machtverhältnisse bzw. das Gewaltmonopol des Staates besitzen gegenüber gesellschaftlichen Veränderungen eine relative Festigkeit. Das Gewaltmonopol – Judikative, Legislative, Exekutive – des Staates soll die Rechte der Gesamtheit bzw. seiner Staatsbürgerinnen und Staatsbürger gegenüber willkürlicher Machtausübung sowie vor der gewaltsamen Durchsetzung egoistischer Einzelinteressen schützen. Durch staatliche Maßnahmen und Instrumente – Gewaltmonopol, Überwachung durch Gesetze, Garantie auf Privateigentum, Bereitstellung von Infrastruktur, Reproduktion und Ausbildung von Arbeitskräften, Versicherungsleistungen – werden wiederum Strukturen der kapitalistischen Produktionsweise garantiert (vgl. Hirsch 2005: 49). Der Zusammenhang zwischen einem Akkumulationsregime und der institutionellen Herrschaftsorganisation besteht darin, dass stabile Akkumulationsregime auf dauerhafte institutionelle Formen angewiesen sind, welche die dezentralen ökonomischen, staatlichen, sozialen und ideologischen Einheiten verknüpfen sowie „Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verbinden“ (Hübner 1990: 174).8 Die Besonderheit des Staates gegen-

7

8

Die Funktionsweise des Staates entwickelt sich insofern aus der Kapitalbewegung, als „der Akkumulationszwang die Tätigkeit des Kapitals auf die eigene Verwertung und Realisierung, also auf die bloß ökonomische Reproduktion einengt“ (Agnoli 1995: 50). Das soll nicht bedeuten, dass der Staat einfach aus der Kapitalbewegung ableitbar wäre, sondern diese Sichtweise soll bedeuten, dass ein Akkumulationsregime für seine Existenz ein System benötigt, das im Prinzip die erweiterte Reproduktion garantiert und einen Ausgleich der sozialen und strukturellen Widersprüche ermöglicht. „Staat“ und „Kapital“ sind folglich keine Widersprüche, sondern zwei zusammengehörende und in sich verwobene Struktureinheiten einer kapitalistischen Gesellschaftsformation. Dieser Schluss geht aus einem Postulat von Althusser hervor: „Jede Produktionsweise hat ihre eigene Zeit und ihre eigene Geschichte, die auf besondere Weise von der Entwicklung der Produktivkräfte geprägt sind. Ebenso gibt es eine eigene Zeit und eine eigene Geschichte der Produktionsverhältnisse, die auch auf besondere Weise geprägt sind; ferner eine Zeit und Geschichte der politischen Suprastruktur, eine Zeit und Geschichte der Philosophie; der ästhetischen Produktion; der wissenschaftlichen

R EGULATIONSTHEORIE

| 79

über konkurrierenden bzw. sich bekämpfenden gesellschaftlichen Kräften liegt darin, dass der Staat zum Ort der Vermittlung sozialer Kompromisse und Gleichgewichte wird (vgl. Hirsch 2005: 30). „Der Staat ist eine Form der Regulation, damit die verschiedenen Fraktionen der Gesellschaft (die durch die sozialen Verhältnisse bestimmt sind: die sozialen Klassen, die Geschlechter, die Stände oder die Individuen) sich nicht in einem Kampf ohne Ende zerreiben.“ (Lipietz 1985: 112)

Die Regulation erfolgt dabei als Kombination von Zwang (Gesetze, Verordnungen) und Vertrag (institutionalisierter Kompromiss, gesellschaftliche Zustimmung), durch spezielle institutionelle Formen (Familie, Ehe, Haushalt) und gesellschaftliche Normen (Heteronormativität) (vgl. Hübner 1990: 175, Kohlmorgen 2004: 49ff). Die vom Staat monopolisierte Gewalt bezieht auch permanent Mechanismen des Konsenses ein, um die Materialität des gesellschaftlichen Körpers zu gestalten (vgl. Poulantzas 2002: 109). Demnach sind Geschlechterverhältnisse ebenfalls in einem von Zwang und Konsens durchzogenen Konstruierungssprozess eingebettet, der in der Herrschaftslogik nur erfolgreich sein kann, sofern ein relativer „innerer sozialer Frieden“ die Gesellschaftsformation durchzieht. Die Materialität der Geschlechterverhältnisse wird durch politische Apparate verteidigt oder entfaltet, die geschlechtsspezifische Strukturen bzw. Institutionen installieren, um für die Gesellschaftsformation dienliche Geschlechterverhältnisse zu reproduzieren. Das Prinzip des „inneren sozialen Friedens“ setzt ein geschlossenes, auf sich bezogenes Staatssystem voraus (vgl. Candeias 2004: 46ff, Kohlmorgen 2004: 91ff). Die institutionelle Herrschaftsorganisation drückt sich dabei in repressiven und ideologischen Staatsapparaten aus. Die repressiven Staatsapparate, die durch unmittelbare und mittelbare Gewalt funktionieren, umfassen Regierung, Verwaltung, Armee, Polizei, Gerichte, Gefängnisse usw., die wiederum auf der Grundlage ihrer Verfassung ausschließlich etatistische Gesellschaftsformationen zulassen. „Die Rolle des repressiven Staatsapparates besteht vor allem darin, als repressiver Apparat mit (physischer oder nichtphysischer) Gewalt die politischen Bedingungen der Reproduktion der Produktionsverhältnisse zu sichern [...]“ (Althusser 1977: 124). Das bedeutet, dass repressive Herrschaftsverhältnisse abstrakt über Gesetz und Recht sowie konkret

Formationen usw. Jeder dieser ‚eigenen’ Geschichtsabläufe ist von einem besonderen Rhythmus geprägt […]“ (Althusser 1972: 130f). Demnach sind auch Geschlechterverhältnisse nicht fest, sondern besitzen eine je eigene Geschichte, welche mit anderen Strukturen, Ebenen und Formationen korrespondieren.

80 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

über die Durchsetzung gesellschaftlicher Ordnung mittels Maßregelung und Strafe vermittelt sind. „Weil Regulation aus dem Zusammenspiel unterschiedlicher und relativ voneinander unabhängiger Institutionen und Prozesse entsteht, hat sie zwar kein steuerndes Subjekt, besitzt aber im Staat jedoch ein institutionelles Zentrum, weil die physische Zwangsgewalt Grundlage für den Erhalt der Klassenverhältnisse, ihrer sozialen Formen und institutionellen Ausdrucksweisen ist und weil soziale Kompromisse nur dort verbindlich festgeschrieben werden können.“ (Hirsch 2005: 90f)

Der Begriff des Staates lässt sich in diesem Zusammenhang allerdings nicht ausschließlich auf die Rolle der Disziplinar- und Kontrollmacht beschränken. Bei der Reproduktion der Produktionsverhältnisse fällt den repressiven Staatsapparaten die Aufgabe zu, nicht nur sich selbst zu reproduzieren, sondern auch die politischen Rahmenbedingungen der ideologischen Staatsapparate (vgl. Althusser 1977: 124) und der sozialen Formen (vgl. Hirsch 2005: 43) zu schaffen und damit Voraussetzungen für eine Einflussnahme auf gesellschaftliche Praxen zu gewährleisten. Das heißt, um nicht repressive Regulationsapparate wie Gerichte, Polizei, Gefängnis oder Militär für die Reproduktion sozialer Beziehungen einzusetzen – die Polizei kann schlecht die Sexualpraktiken der Staatsbürgerinnen und Staatsbürger kontrollieren – sind ideologische Apparate, wie Familie, Schule oder Kirche, nötig, um bestimmte Formen der Moral und der Beziehungen zu kultivieren (vgl. Althusser 1977: 122, Hirsch 2005: 42ff). In Bezug auf die Zusammensetzung des theoretisch-abstrakten Geschlechterregimes lassen die bisherigen Prämissen folgende Schlüsse zu. Die Regulation von Geschlechterregimen setzt ein aufeinander abgestimmtes System von Regulationsinstanzen voraus, das durch den Staat legitimiert ist. Geschlechterregime – die für die Zusammensetzung und den Erhalt der jeweiligen Staatsformation nützlich sind – besitzen im Kern nicht nur ein ökonomisches Gewaltverhältnis, sondern auch ein gesellschaftliches, durch Institutionen oder Herrschaftsinstanzen vermitteltes Gewaltverhältnis. Folglich ist ein Geschlechterregime, als institutionelle Herrschaftsformation verstanden, elementarer Bestandteil einer jeweiligen Staatsformation, um über die Organisation von Geschlechterverhältnissen Einfluss auf die Reproduktion der Gesamtgesellschaft auszuüben. Die Entwicklung und die Geschichte von Geschlechterregimen lassen sich nicht auf ontologische oder essentialistische Bedingungen zurückführen, sondern auf verschiedene gesellschaftliche Praxisformen wie ökonomische, politische, philosophische, ideologische, ästhetische und identitäre Praxen. Insofern kann von einer Offenheit und einer Ungleichzeitigkeit vergeschlechtlichender

R EGULATIONSTHEORIE

| 81

Prozesse mit ihren je spezifischen zeitlichen Verläufen ausgegangen werden. Geschlechterregime sind demnach eingebettet in „die Einheit eines strukturierten Ganzen, die verschiedene ‚relativ autonome’ Ebenen oder Instanzen ermöglicht, welche in der komplexen strukturalen Einheit nebeneinander existieren, indem sie sich gemäß den spezifischen, letztlich durch die ökonomische Ebene oder Instanz festgelegten Determinierungsweisen ineinanderfügen.“ (Althusser 1972: 127)9

Jede Ebene oder Instanz kann so in einer jeweiligen Gesellschaftsformation in einer bestimmten Zusammensetzung eine dominierende Rolle einnehmen. Demnach existieren auch keine alleinherrschenden Elemente oder Ebenen, die die Geschlechterregime bestimmen. Das Geschlechterregime ist somit eine Formation von Strukturen, in der einzelne Elemente durch ihre Stellung innerhalb des sozialen Ganzen voneinander abgegrenzt werden. Jedes Element wird durch die jeweils vorherrschende Gesellschaftsstruktur bestimmt und wirkt im Wechsel auf die Charakterisierung des Geschlechterregimes ein. Innerhalb des Geschlechterregimes artikulieren sich so Verhältnisse, die sich als Widersprüche zwischen unterschiedlichen Instanzen, Kategorien oder Ebenen darstellen können. „Jeder Widerspruch, jede wesentliche Gliederung der Struktur und das allgemeine Gliederungsverhältnis in der Struktur mit Dominante bilden ebenso viele Existenzbedingungen des komplexen Ganzen selbst. Diese Behauptung ist von allererster Wichtigkeit. Denn sie bedeutet, dass die Struktur des Ganzen, also der ‚Unterschied’ der wesentlichen Widersprüche und ihre Struktur mit Dominante die Existenz des Ganzen selbst ist, dass der ‚Unterschied’ der Widersprüche (dass es einen Unterschied gibt und dass jeder Widerspruch einen Hauptaspekt hat) eins ist mit den Existenzbedingungen des komplexen Ganzen. Klar gesagt, schließt diese Behauptung ein, dass die ‚Neben’-Widersprüche nicht das reine Phänomen des ‚Haupt’-Widerspruchs sind.“ (Althusser 1968: 151)

Das heißt, ein Geschlechterregime mit einer dominanten Ausprägung von bestimmten Herrschaftsformationen wird durch die Verhältnisse im Inneren letzt-

9

Nach Althusser ist die Bestimmung der kapitalistischen Gesellschaftsformation in „letzter Instanz durch das Ökonomische“ irreführend, weil sich „die ökonomische Dialektik nie im reinen Zustand“ (Althusser 1968: 81) geltend mache. Außerdem entwickelten sich die Grundelemente bzw. -ebenen der Gesellschaftsformation die Teilbereiche der Ökonomie, Politik und Ideologie verhältnismäßig autonom und standen trotzdem in komplexen Wechselwirkungsverhältnissen zueinander (vgl. Althusser 1968: 81).

82 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

lich durch das Dominante mehrfach determiniert. Die Bestimmung bzw. Determinierung des Geschlechterregimes ist demnach nicht einfach oder ableitbar, sondern vielschichtig und ungleichzeitig bzw. überdeterminiert. Widersprüche hören damit auf eindeutig zu sein, weil ihre Existenzbedingungen zu einer Variation der Struktur mit Dominante werden. Ein theoretisch-abstraktes Geschlechterregime ist „komplex-strukturell-ungleichmäßig-determiniert“ (Althusser 1968: 156). Anders gesagt ist das Geschlechterregime von unterschiedlichen und vielfältigen Widersprüchen durchzogen, die nicht die gleiche Ausgangsbasis und nicht das gleiche Ziel haben. Das bedeutet, dass Geschlechterregime von überdeterminierten Widersprüchen gekennzeichnet sind. Als überdeterminiert lässt sich ein Geschlechterregime bestimmen, wenn seine Elemente und Ebenen nicht auf eine einfache Ursache zurückzuführen sind oder eine eindeutige Bedeutung haben, sondern sich diese Elemente und Ebenen aus mehreren Stellungen oder Bezugsorten herstellen (vgl. Althusser 1968: 52, Demirovic 1994: 91, Kim 1995: 57). Der Begriff Überdetermination stellt für die Bestimmung des Geschlechterregimekonzeptes einen Knotenpunkt dar, durch den das theoretischabstrakte Geschlechterregime in seiner Komplexität erfassbar wird. Aus dieser Schlussfolgerung lässt sich ein weiterer Baustein des Geschlechterregimekonzeptes ableiten, der durch das Konzept der Überdetermination bestimmt ist. Mit dieser Sichtweise ist es möglich, innerhalb jeder Gesellschaftsformation eine Vielschichtigkeit von Geschlechterverhältnissen zu entdecken, die untereinander korrespondieren, sich miteinander artikulieren und in einer hegemonialen Form eines historisch-konkreten Geschlechterregimes korrelieren. Silke Chorus formuliert in diesem Zusammenhang, dass Geschlechterregime institutionelle Formen annähmen und ihre Regulationsweisen „das Handeln und das Verhandeln, sowie die Handlungsspielräume der Akteure“ (Chorus 2007: 114) prägten. Die relative Autonomie und gegenseitige Überdeterminierung des sozialen Ganzen sind Hauptaspekte des noch weiter zu entwickelnden Geschlechterregimekonzeptes, um das Gewebe sozialer Beziehungen zu erfassen. Durch diese überdeterminierte Sichtweise auf Geschlechterregimes ist es möglich, historischkonkrete Geschlechterregime zu untersuchen, ohne einen Hauptwiderspruch bzw. eine strukturgebende Hauptinstanz anzunehmen (vgl. Lipietz 1992: 10). 3.2.2 Ideologische Herrschaftsformationen Weitere Elemente der Regulationsweise und weitere Bedingungen zur Konstitution von Geschlechterregimen sind die in sie eingelassenen Ideologien bzw. „ideologische Formen“ (Hirsch 2001c: 17). Im Folgenden werden nun ge-

R EGULATIONSTHEORIE

| 83

schlechtsspezifische Ideologien und die damit verbundene soziale Positionierung von Geschlechtern untersucht. Die ideologische Regulationsweise bzw. die Herrschaftssicherung zur Reproduktion der Produktionsbedingungen wird allgemein in den „ideologischen Staatsapparaten“ (Althusser 1977), wie in religiösen, schulischen, juristischen, politischen, gewerkschaftlichen, medialen, kulturellen oder familiären Apparaten, hergestellt. Diese Apparate bzw. „Institutionen leiten gesellschaftliches Handeln an und begrenzen es“ (Hirsch 2005: 43). Effekte der Regulationsweise sind Institutionalisierungsprozesse der sozialen Formen, die sich nicht beliebig entwickeln, sondern dem „’Zwang der Form’“ (Hirsch 2005: 43) unterliegen. Die ideologischen Staatsapparate statten sozusagen ihre Staatsbürgerinnen und Staatsbürger mit der jeweiligen herrschenden Ideologie bzw. sozialen Form – demokratisch, faschistisch, religiös, neoliberal, heteronormativ etc. – aus, welche die jeweiligen Apparate bzw. Institutionen als ideologische Praxisformen vorgeben. Ideologien sind dabei „praktische Normen, die die Haltung und die konkrete Stellungnahme der Menschen gegenüber den realen Gegenständen und den realen Problemen ihrer gesellschaftlichen Existenz sowie ihrer Geschichte ‚bestimmen’.“ (Althusser 1985: 31)

Das heißt, Ideologien liefern komplexe Formationen von „Begriffen, Vorstellungen und Bildern innerhalb von Verhaltensweisen, Handlungen, Haltungen und Gesten“ (Althusser 1985: 31) und koppeln bestimmte Handlungen, Verhaltensweisen und Denkformen an eine gesellschaftliche Stellung. Das bedeutet, um bestimmte Vorstellungen als gültig und wahr einzusetzen, bedarf es nicht ausschließlich repressiver Institutionen und Apparate, sondern auch ideologischer Institutionen, die bestimmte „Wahrheiten“ verbürgen und reproduzieren. Ideologien sind somit gelebte gesellschaftliche Praxen und soziale Formen. Denkformen und Denkweisen sind daher kein „falsches Bewusstsein“ (Adorno 1998: 190), das nur durch richtiges Wissen und ein verändertes Sein ausgetauscht werden könnte, sondern Denkformen von Individuen werden materialisiert bzw. besitzen eine Materialität. Diese Materialität wird durch politische Institutionen und soziale Formationen bewahrt, verteidigt oder entfaltet, indem die ideologischen Formen und die daraus entstehenden Kulturen als Organisationsfeld oder als Schnittstelle zwischen Individuum und den staatlichen Institutionen installiert werden, um das zu materialisierende Denken zu inaugurieren (vgl. Kohlmorgen 2004: 76ff, 83ff, Bourdieu 2005: 77, Hirsch 2005: 43ff). Hierzu zählen Feierlichkeiten und gesellschaftlich anerkannte Rituale wie Taufe, Namensgebung, Kommunion bzw. Konfirmation, Volljährigkeit oder Heirat.

84 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Herrschaftsstrukturen halten verschiedene Vergesellschaftungsformen und muster bereit, die bestimmte Individualitäten durch ideologische Angebote prägen. Demnach wird ein Individuum zu einem Subjekt, indem „eine Ideologie, die innerhalb eines materiellen ideologischen Apparates existiert, materielle Praxen vorschreibt“ (Althusser 1977: 139). Diese Praxen sind dann wiederum in den materiellen Handlungen eines Subjektes präsent und das Subjekt handelt entsprechend mit vollem Bewusstsein und seinem Glauben nach (vgl. Althusser 1977: 139). Im Gegensatz zum Feudalismus, indem die Kirche der zentrale dominierende ideologische Staatsapparat und die Religion die grundlegende Ideologie zur Gesellschaftsreproduktion bildeten, kommen in der kapitalistischen Gesellschaftsformation den schulischen und familiären Staatsapparaten die dominierenden Rollen zu (vgl. Althusser 1977: 125ff). Da die Reproduktion der Arbeitskraft für die Reproduktion der Produktionsbedingungen wesentlich ist, ist nicht nur der Lohn ein wesentliches Mittel zur Reproduktion, sondern Betreuungs-, Fürsorgeund vor allem Qualifizierungstätigkeiten müssen ebenfalls gewährleistet werden. Die Qualifikation der Arbeitskraft erfolgt „mehr und mehr außerhalb der Produktion: durch das kapitalistische Schulsystem und durch andere Instanzen und Institutionen“ (Althusser 1977: 111). Das heißt, in Kindergärten, Schulen, Universitäten, Sportvereinen oder Familien werden potentiellen Arbeitskräften Regeln beigebracht. „Regeln der Einhaltung der gesellschaftlich-technischen Arbeitsteilung und letztlich Regeln der durch die Klassenherrschaft etablierten Ordnung“ (Althusser 1977: 112). Damit Arbeitskräfte ihre Aufgabe wahrnehmen können, müssen sie erst von den je verschiedenen Regeln durchdrungen sein, um ihre je eigene Arbeitsaufgabe umzusetzen. Im Prinzip erfolgt die Reproduktion der Qualifikation der Arbeitskraft „in und unter den Formen der ideologischen Unterwerfung“ (Althusser 1977: 112). Die grundlegende ideologische Formierung der Individuen findet demnach innerhalb der Familien, der schulischen Apparate – Kindergarten, Berufsschulen, Universitäten – und durch Erziehung bzw. Sozialisation statt. Jedes Individuum, das aus einem dieser Apparate bzw. „Einschließungsmilieus“ (Deleuze 1993: 255) ausscheidet, ist mit einer zweckmäßigen Ideologie ausgestattet, welche der Rolle als Lohnarbeiterin und Lohnarbeiter, Mutter und Hausfrau, Vater und Ehemann, Demokrat und Demokratin etc. entspricht, sofern das Individuum diese Rolle für sich annimmt.10 Das Erlernen zweckmäßiger und scheinbar neutraler

10 „Jede Gruppe, die unterwegs ‚fällt’, ist praktisch mit der Ideologie versehen, die ihrer Rolle in der Klassengesellschaft entspricht: der Rolle des Ausgebeuteten (mit stark ‚entwickeltem’ ‚professionellem’, ‚moralischem’, ‚staatsbürgerlichem’, ‚nationalem’

R EGULATIONSTHEORIE

| 85

Fertigkeiten dient letztlich dazu, die Produktionsverhältnisse einer kapitalistischen Gesellschaftsformation zu reproduzieren. Die Mechanismen, die diese Fähigkeiten als „für das kapitalistische Regime lebensnotwendige Ergebnis produzieren“ (Althusser 1977: 129), sind verdeckt und verborgen durch eine Ideologie, die die Bestrebungen der Bevölkerung deckungsgleich mit den Bestrebungen des hegemonialen Blocks erscheinen lassen. Für die Formierung des Geschlechterregimes ist die heteronormative Ideologie ein Bezugspunkt der ideologischen Herrschaftsformation. Heteronormativität bezeichnet im Prinzip das gesellschaftliche Ordnungssystem der Heterosexualität im Zusammenhang mit der sexuellen Orientierung von Personen. „Liebe“ oder sexuelles Begehren sind in dieser Ideologie ausschließlich gegenüber Angehörigen des „entgegengesetzten“ biologischen Geschlechts bzw. des sozialen Geschlechts zu empfinden. Heteronormativität kann hierbei als eine gesellschaftliche Norm verstanden werden, die institutionell und juristisch abgesichert ist. Sie ist außerdem an die Vorstellung gekoppelt, dass es nur zwei Geschlechter gibt sowie dass alle anderen Begehrensformen jenseits der Heterosexualität als Abweichung der Norm gelten und dementsprechend sanktioniert bzw. stigmatisiert werden (vgl. Warner 1991: 3ff). Diese zweigeschlechtliche Ideologie bzw. diese Zwangsheterosexualität strukturiert nicht nur das Zusammenleben von Menschen durch bestimmte Familien- und Begehrensformen, sondern strukturiert auch Denkweisen in Form von binären Denkmodellen wie Mann\Frau, weiblich\männlich, privat\öffentlich. Diese ideologischen Formen schaffen die Vorstellung einer essentialistischen Geschlechtsidentität, „um die Sexualität innerhalb des obligatorischen Rahmens der reproduktiven Heterosexualität zu regulieren“ (Butler 2003: 200). Die Familienformation – mit der Struktur Vater-MutterKind(er) und der heteronormativen Ideologie – übt als Geschlechterregime eine besondere Funktion aus, denn sie nimmt für das Kind oder die Kinder „die Autoritätsstruktur der Gesellschaft vorweg. In der Familie übt das Kind die Anpassung an autoritäre Hierarchien ein, verinnerlicht die Realität der Herrschaft von Menschen über Menschen, des ‚Oben‘ und ‚Unten‘, des Befehl und Gehorchens“ (Haensch 1969: 58). Das heißt, einen zentralen Rahmen der heteronormativen

und unpolitischem Bewusstsein); der Rolle des Agenten der Ausbeutung (Fähigkeit zu befehlen und zu Arbeitern zu sprechen: die ‚menschlichen Beziehungen’), der Rolle des Agenten der Unterdrückung (Fähigkeit zu befehlen und sich ‚ohne Diskussion’ Gehorsam zu verschaffen oder mit der Demagogie der Rhetorik von politischen Führern vorzugehen) oder der Berufsideologen (in der Lage, die Gehirne mit dem notwendigen Respekt, d. h. der entsprechenden Verachtung, Nötigung und Demagogie zu behandeln, die den Akzenten der Moral, der Tugend, der ‚Transzendenz’, der Nation, der Rolle Frankreichs in der Welt usw.) angepasst sind“ (Althusser 1977: 128).

86 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Ideologie gibt der Familienapparat vor. Seine Besonderheit liegt darin, dass er Produktions- und Reproduktionssphäre verbindet und sowohl repressive als auch ideologische Elemente beinhaltet. Durch die Einflussnahme über Gesetze, Besteuerung etc. versucht der Staat mittels seiner Definitionsgewalt die private Sphäre zu konstituieren und die Grenze zwischen privat und öffentlich festzulegen (vgl. Candeias 2004: 47). Dadurch, dass die Familienform durch Gesetze11 reglementiert ist und über Ideologien zusammenfindet, kann sich je nach der vorherrschenden Regulationsweise eine Verschiebung dieser Form vollziehen, wenn Funktionen oder Ideologien zwischen und in den Apparaten wechseln (vgl. Poulantzas 1975: 144f). Das bedeutet wiederum, dass die hegemoniale Idee von Heteronormativität und die Familienformation nur reproduziert werden können, wenn ein stabiles Verhältnis zwischen den einzelnen Apparaten vorherrscht und die Individuen auch die Ideologien für sich aufnehmen, annehmen und reartikulieren (vgl. Borg 2001: 68f). Zusammenfassend kann gesagt werden, dass zur Konstitution von Geschlechterregimen die eingelassenen geschlechtsspezifischen Ideologien und die damit verbundene soziale Positionierung von Geschlechtern wesentlich sind. Die Einheit der repressiven Elemente des Geschlechterregimes wird durch ihre je eigene aber aufeinander bezogene Struktur und Organisation sichergestellt, während die Einheit und Struktur der ideologischen Elemente des Geschlechterregimes durch die vorherrschenden Ideologien materialisiert werden. Die „Harmonie“ zwischen den repressiven und ideologischen Elementen wird ebenfalls über die Ideologie hergestellt und kein hegemonialer Block kann in einer solchen Konstellation dauerhaft ein Geschlechterregime regulieren, ohne gleichzeitig die Hegemonie „über und in den ideologischen Staatsapparaten auszuüben“ (Althusser 1977: 122). Die Regulation ist so als Kombination von Gewalt und Zustimmung zu verstehen. Als Folge gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse und Widersprüche, die durch die Kombination von Gewalt und Zustimmung entstehen, ist auch die

11 Siehe Artikel 6 des Grundgesetzes: „(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung. (2) Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft. (3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur aufgrund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen. (4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft. (5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern“(GG, Art.6).

R EGULATIONSTHEORIE

| 87

Staatsform selbst widersprüchlich und vielfach in sich fragmentiert (vgl. Hirsch 1974: 49ff, 2005: 33, Poulantzas 2001: 50ff; Kohlmorgen 2004: 71). Als Ausdruck der Überdeterminiertheit verschiedenartiger gesellschaftlicher Interessen verfolgen unterschiedliche Staatsapparate folglich auch unterschiedliche Ziele. „Dabei repräsentieren die einzelnen Staatsapparate nicht die Interessen einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe oder Fraktionen des Machtblocks, sondern einer spezifischen Artikulation des Verhältnisses mehrerer Gruppen oder Fraktionen, verdichtet auf eine bestimmte Zuspitzung gesellschaftlicher Auseinandersetzungen.“ (Candeias 2004: 46)

Ein Geschlechterregime ist entlang dieser Argumentationskette eine zeitlich begrenzte, aber auch verdichtete Form gesellschaftlicher Machtverhältnisse, ein materialisierter Ausdruck und eine temporäre Erstarrung institutionalisierter widersprüchlicher sozialer Kräfteverhältnisse. Als Schlussfolgerung aus dieser Extraktion lässt sich ableiten, dass ein Geschlechterregime eine staatlich-institutionalisierte Form ist, die wiederum selbst historisch-konkreten Funktionsmustern unterliegt. Das heißt, sie unterliegt Gesetzen, Verordnungen oder Regelwerken. Sofern diese Allgemeingültigkeit besitzen, erzeugen sie Bedingungen, die zu geschlechtstypischen sozialen Praxen von sozialen Gruppen und Individuen führen können.12 Darüber hinaus steuern gesellschaftliche Wertesysteme und deren Verfassungen individuelles und kollektives Verhalten. Dazu gehören neben heteronormativen Überzeugungen oder Benimmregeln der jeweiligen sozialen Gruppen und Individuen auch „langfristige ökonomische Erwartungen oder auch gesellschaftliche Spielregeln, die als Norm in die gesellschaftliche Reproduktion eingehen“ (Hübner 1990: 175). Wesentlich für die Konstitution von Geschlechterregimen sind daher die staatlichen Apparate sowie die sozialen Formen und die daran geknüpften Ideologien und Normen. Ziel und Zweck heteronormativer Ideologien ist die Konstituierung eines relativ stabilen inneren Friedens bzw. stabile Geschlechterverhältnisse zur Reproduktion der Produktionsbedingungen. Allerdings reicht es nicht aus, so die weitere These, zur Konstitution von stabilen Geschlechterregimen, Ideologien und Normen zu formulieren, sondern diese müssen auch von den Subjekten übernommen und verinnerlicht werden.

12 Im privatrechtlichen Bereich regeln z. B. Eheverträge, Unterhalts-, Vormundschafts-, Adoptions- und Erbrechte die Geschlechterverhältnisse. Den Gesetzen, Verordnungen oder Regelwerken sind meist Verhandlungen oder ideologische Auseinandersetzungen über die Ausformung und den zu erzielenden Effekt vorausgegangen.

88 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

3.2.3 Soziale Herrschaftsformationen In diesem Kapitel steht die These im Vordergrund, dass zur Konstitution von stabilen Geschlechterregimen spezielle Strategien und Mechanismen nötig sind. Das folgende Kapitel beschäftigt sich dementsprechend mit der Verinnerlichung von vergeschlechtlichten Normen und Werten sowie mit entsprechenden gesellschaftlichen Verhältnissen. In der Regel funktioniert die Übernahme sozialer Normen nicht über Gewalt, Erpressung oder offensichtlichen Zwang, sondern – so eine weitere These – die Übernahme sozialer Normen wird durch soziale Formen (Familienform etc.) vollzogen (vgl. Hirsch 1992: 205ff, Kohlmorgen 2004: 77ff, Chorus 2007: 108ff). „Auf das gesellschaftliche Handeln bezogen, bestimmen die sozialen Formen allgemeine und strukturelle Wahrnehmungs- und Verhaltensorientierungen, denen die Individuen unterworfen sind und die sie zugleich durch ihr Handeln reproduzieren.“ (Hirsch 2005: 40)

Eine Erklärung, wie Herrschaftsverhältnisse übernommen werden, ist durch Zuhilfenahme des Habituskonzeptes (vgl. Bourdieu 1997: 166) aufgrund der starken „Übereinstimmungen mit dem Konzept der institutionellen Form“ (Hübner 1990: 175) der Regulationstheorie möglich.13 Pierre Bourdieu beschreibt den Habitus als ein System verinnerlichter Denk-, Handlungs- und Wahrnehmungsschemata, die u. a. durch Sozialisationsprozesse erlernt werden (Bourdieu 1970: 150). Die Wahrnehmungsschemata ermöglichen die Strukturierung der sozialen Welt bzw. ermöglichen die Abgrenzung erfahrbarer Phänomene. Die Denkschemata ermöglichen die Interpretation der sozialen Welt und ordnen durch Normen und Werte die Beurteilung gesellschaftlicher

13 Zur Stabilisierung des inneren Theorierahmens der Regulationsschule verweisen Regulationstheoretiker und Regulationstheoretikerinnen auf Bourdieus praxeologische Erkenntnisweise bzw. Habituskonzept, um das Verhältnis Struktur-Handlung zu analysieren. (vgl. Boyer 2004, Candeais 2004: 32ff, Hübner 1990: 175ff, Kohlmorgen 2004: 85ff, kritisch dazu Demirovic 1992: 138ff, Mahnkopf 1988: 13). Dies scheint mir auch für diese Arbeit sinnvoll, da durch die Einbettung des Habituskonzeptes, das auch viele Ähnlichkeiten mit Judith Bulters Materialisierungskonzept aufweist (vgl. Butler 2001: 112, 194), die Verbindung zum Poststrukturalismus besonders deutlich wird. Das Habituskonzept wird auch in dieser Arbeit im Verhältnis Symbol/Subjekt im Kapitel 4.1.2 „Körperliche Subjektivierung“ als Einschreibung von Herrschaftsverhältnissen behandelt. In dem jetzigen Kapitel steht allerdings das Verhältnis Struktur/Symbol im Vordergrund.

R EGULATIONSTHEORIE

| 89

Handlungen, und die Handlungsschemata bringen Individuen als Akteure hervor. Allerdings sind diese Schemata nur analytisch trennbar und vollziehen sich auf verschiedenen Ebenen (vgl. Schwingel 1995: 60). Der Habitus beschreibt aber nicht ausschließlich bewusste Verhaltensweisen – Dispositionen – von Angehörigen bestimmter Gruppen oder Klassen, die einem ähnlichen Wahrnehmungs-, Interpretations- und Handlungsmuster entsprechen, sondern der Begriff Habitus lässt sich als „generative Grammatik der Handlungsmuster“ (Bourdieu 1970: 150) definieren. Er organisiert Muster, Ordnungen oder (kulturelle) Matrizen, die dem Handeln von Individuen vorausgehen bzw. die Handelnde reproduzieren, indem sie darauf bezugnehmend ein bestimmtes Verhalten generieren. Ähnlich wie beim Sprechen, bei dem die Sprechenden grammatischen Regeln folgen – ohne dass die Regeln allgegenwärtig beim Sprechakt bewusst sind – generiert der Habitus unbewusst Regeln und Normen, nach denen die jeweiligen Personen handeln (vgl. Hülst 1999: 273f). Der Habitus ist so nicht nur gesellschaftlich bedingt, sondern wird durch Mitmachen zu einer sozialen Praxis. Dies bedeutet wiederum, dass der Habitus mit sozialen Praxen bzw. mit gesellschaftlichen Verhältnissen verknüpft ist. Die Reproduktion von Gesellschaftsformationen ist so abhängig von historisch-konkret erzeugten Schemata bzw. sozialen Formen, die mithilfe individueller bzw. kollektiver Praxen organisiert werden. Der Habitus erzeugt so ein kollektives Gedächtnis, „indem er in den Nachfolgern reproduziert, was die Vorläufer erworben haben“ (Bourdieu 1987: 101). Nach Bourdieu befinden sich Individuen in einem ständigen Kampf um ihre Positionen im sozialen Feld, indem sie sich immer wieder neu mit dem Status quo auseinandersetzen. Dabei sind die Kämpfe im sozialen Raum nicht vollständig auf ökonomische Klassenkämpfe reduziert, sondern es existieren Auseinandersetzungen um Symbolformen, die ihren Ausdruck in der Definitionsmacht um hegemoniale Normen und Werte sowie um Lebensstile finden (vgl. Engler 2004). Demnach erhält eine kapitalistische Gesellschaftsform oder eine heteronormative Ideologie ihre spezifische Form durch eine umkämpfte soziale Praxis. Und das Geschlechterverhältnis entsteht dementsprechend erst durch klassifikatorische Praxen von Individuen oder Gruppen, die um Hegemonie ringen. Durch die relativ unbeschwerte, spontane Praxis in Bezug auf die direkte Gegenwart der Individuen lässt sich folgern, dass auch die eigene vergeschlechtlichte Form nicht ständig bewusst in Beziehung gesetzt wird zu anderen Menschen. Die vergeschlechtlichte Form fungiert nach Bourdieu eher wie akkumuliertes Kapital, „das Geschichte aus Geschichte erzeugt und damit die Dauerhaftigkeit im Wandel gewährleistet, die aus dem einzelnen Handelnden eine eigene Welt in der Welt macht“ (Bourdieu 1987: 105). Die eigene soziale Formation wird so zur eigenen „Natur“ und wird zur Spontaneität ohne Willen. Sie enthält unbewusste

90 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Vorstellungen, die über die bewussten Absichten des Individuums hinausgehen, weil Normen und Werte, die durch Institutionen bzw. ideologische Staatsapparate wie Familie, Schule, Politik oder Medien geprägt werden, den sozialen Formationen vorausgehen (vgl. Bourdieu 1987: 106, Hirsch 2005: 40). Deshalb existiert einerseits eine Vielzahl von Beurteilungen, subjektiver Wahrnehmungen etc. Andererseits sind diese Beurteilungen nicht unabhängig von den Unterscheidungsprinzipien, Ausschließungskriterien und Einteilungsmechanismen oder Normen der jeweiligen Hegemonie. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass der Habitus eine strukturierte und strukturierende Struktur ist, die Handlungsmöglichkeiten erzeugt und klassifiziert. Er ist nicht angeboren, sondern er beruht auf Erfahrungen, Handlungsprämissen und verdichteten Machtverhältnissen. Die sozialen Formationen dienen zur Orientierung innerhalb einer Gesellschaft und ermöglichen den Subjekten sich innerhalb dieser einen Platz zu suchen, bzw. weisen ihnen einen Platz zu (vgl. Bourdieu 1987: 104). Geschlechterregime lassen sich in diesem Kontext als Geschlechterverhältnisse strukturierende und strukturierte Struktur verstehen. Das heißt, der Geschlechtlichkeit oder der Konstruktionen der jeweiligen Form von Männlichkeit und Weiblichkeit gehen unterschiedliche geschlechtsspezifische Denk-, Handlungs- und Wahrnehmungsschemata sowie geschlechtsspezifische Ordnungen und (kulturelle) Matrizen voraus (vgl. Bourdieu 2005: 167ff, Kohlmorgen 2004: 86ff). Für die Konstitution eines Geschlechterregimes lässt sich als Schlussfolgerung aus dem bisher Dargestellten ableiten, dass durch das Habituskonzept zumindest ein Anhaltspunkt bestimmt werden kann, warum zum Beispiel Geschlechterregime angenommen und hingenommen werden und warum Menschen dieses Regime nicht nur für andere wollen, sondern auch für sich selbst. Das Habituskonzept verdeutlicht die Struktur/Subjekt Zusammenhänge insofern, weil heteronormative Ideologien und soziale Formen auf die Denkformen der Subjekte rückwirken und diese somit ein Geschlechterregime aufrechterhalten. Das Geschlechterregime strukturiert die soziale Form des Geschlechtes und ist durch die soziale Form des Geschlechtes strukturiert. Wie der Rückgriff auf das Habituskonzept von Bourdieu erkennen lässt, existieren in der Regulationstheorie bisher keine „eigenen“ Ansätze, den Zusammenhang zwischen Struktur und Subjekt in Bezug auf Geschlechterverhältnisse zu analysieren. Auf dieses Problem werde ich in Kapitel 4.2.1 eingehen, um die erkenntnistheoretischen Prämissen poststrukturalistischer Ansätze für das Theorem Geschlechterregime nutzbar zu machen.

R EGULATIONSTHEORIE

| 91

3.2.4 Zusammenfassung Regulationsweise und Geschlechterregime Die folgende Zusammenfassung bezieht sich auf das gesamte Kapitel Regulationsweise und Geschlechterregime und enthält weitere Bausteine zur theoretischen Erfassung des Theorems Geschlechterregime: Als Akteure der Regulation spielen staatliche Institutionen, Parteien, Wissenschaftseinrichtungen, Medien, Gewerkschaften, Gesetze, Polizei, Militär oder Familie und Schule – kurz gesagt: repressive wie ideologische Staatsapparate – wesentliche Rollen. Zur Regulationsweise zählen neben Ideologie und Gewalt auch Lebensstile, Lebenswelten, Orientierungen, Normen und Werte. Der Modus der Regulation ist an die verschiedenen Interessen der Akteure gebunden. Die vorherrschende Regulationsweise bzw. der Regulationsmodus ist wiederum bestimmt durch die Auseinandersetzungen und Kompromisse der Akteure, die um eine bestimmte Form der Hegemonie ringen. Die Ausformung eines historisch-konkreten Geschlechterregimes ist demnach mit spezifischen Regulationsweisen und mit institutionellen, sozialen und ideologischen Formen verbunden. Ein Geschlechterregime ist prinzipiell mit einer ganzen Reihe verschiedener Regulationsweisen kompatibel. Die Formation des Geschlechterregimes kann reproduziert werden, wenn die gesellschaftlichen Widersprüche, Konflikte und Ausformungen innerhalb des Geschlechterregimes durch das jeweilige Regulationsmodell bearbeitet und ausbalanciert werden können. Das heißt, dass ein Geschlechterregime nur eine relative Stabilität aufweist. Um eine relativ stabile Grundstruktur zu erhalten, muss die Produktion des spezifischen Kulturellen, Ökonomischen und Ideologischen tagtäglich reproduziert und aufrechterhalten werden. Dies funktioniert, wenn Regulationsmodi durch vorstrukturierte Denkformen und -weisen reproduziert und getragen werden. Denkformen werden allerdings lediglich vermittelt und nicht durch die Regulationsweise etabliert. Wie Denkformen und Denkweisen etabliert werden, sind demnach auch Fragen der Symbol- und der Subjektebene. Auf ein historisch-konkretes Geschlechterregime bezogen nimmt der Nationalstaat eine privilegierte Rolle ein, weil dieser durch seine Akteure und durch sein Gewaltmonopol ein hegemoniales System von institutionellen, ideologischen und sozialen Herrschaftsformationen konstituieren kann. Hierbei können die institutionellen, ideologischen und sozialen Herrschaftsformationen selbst als zentrale Akteure eines Prozesses sozialer Konstruktion und Regulation begriffen werden, weil diese in der Reproduktion der Produktionsverhältnisse unmittelbar präsent sind (vgl. Hirsch 1980: 98, Alnasseri/Brand/Slabowski/Winter 2001: 27, Demirovic 1992: 134f). Ein Geschlechterregime erhält so seine eigene Dichte bzw. Funktionslogik, die nicht unmittelbar

92 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

durch ökonomische Verhältnisse ableitbar sind. Gleichzeitig sind die jeweiligen institutionellen, ideologischen und sozialen Herrschaftsformationen selbst zur Reproduktion und Regulation spezifischer Mechanismen zur Kapitalakkumulation notwendig. Dadurch ist das soziale Ganze bzw. die kapitalistische Gesellschaftsformation bestimmt durch eine relative Autonomie ihrer institutionellen, ideologischen und sozialen Herrschaftsformationen. Dieser Argumentation folgend ist ein weiterer Baustein des Geschlechterregimekonzeptes die Annahme, dass sich in historisch-konkreten Geschlechterregimen hegemoniale Geschlechterverhältnisse als Verfestigung von Machtverhältnissen herausbilden, die aber letztlich nicht starr, sondern prozesshaft, umkämpft und wandelbar sind. Aufgrund der überdeterminierten Dynamik und widersprüchlichen Interessen, die durch die verschiedenen Regulationsweisen der Akteure und des Akkumulationsregimes auf die Gesellschaftsformation einwirken, ist das historisch-konkrete Geschlechterregime immer ein instabiles. In der theoretisch-abstrakten Dimension des Geschlechterregimes wird es durch die Einbindung des Überdeterminierungs- und Hegemoniekonzeptes sowie des Habituskonzeptes möglich, das Zusammenwirken von institutionellen, ideologischen und sozialen Formen auf der analytischen Ebene zu registrieren. Durch die Feststellung des Geschlechterregimes als Steuerungsmodus der Regulationsweise in der Wechselwirkung mit den Ebenen Struktur/Symbol/Subjekt können die Definitionsketten wie folgt erweitert werden: • Zur Regulationsweise von Gesellschaftsformationen im Allgemeinen gehört

das Geschlechterregime. Zum Geschlechterregime gehören die institutionellen Zusammensetzungen, einschließlich der ideologischen Formen, die die Beziehungen der Geschlechter und die Reproduktion der Gesellschaftsformation zum Ziel haben. • In der kapitalistischen Gesellschaftsformation im Besonderen erhält das Geschlechterregime seine Legitimationen vor allem durch den Staat und dessen institutionelle, ideologische und soziale Formationen. • Das Geschlechterregime organisiert und entwickelt heteronormative Ideologien sowie Subjektprägungen und damit das Hegemonialverhältnis im Sinne generalisierter Vorstellungen von der Zusammensetzung der Geschlechter. Zusammenfassend ist die Bestimmung eines Geschlechterregimes vielschichtig, ungleichzeitig und überdeterminiert. In dieser Annahme liegt ein wesentlicher Baustein und theoretischer Ausgangspunkt zur Bestimmung des Theorems Geschlechterregime. Für die Analyse der Verwobenheit und des Zusammenwirkens verschiedener Differenzkategorien sowie für die mehrdeutigen Dimensionen sozia-

R EGULATIONSTHEORIE

| 93

ler Ungleichheit ist dieses Geschlechterregimekonzept ein Erklärungsschema. Durch die bisherige Darstellung des Geschlechterregimes lassen sich Herrschaftsverhältnisse nicht auf eine Ableitung von Klasse oder Geschlecht reduzieren. Herrschaftskategorien, soziale Praxen oder subjektive Empfindungen lassen sich demnach nicht ausschließlich aus der Kapitalverwertungslogik ableiten und aus einem Haupt- und Nebenwiderspruch heraus erklären. Die Definitionsketten werden somit durch die geschlechterregimerelevanten Regulationsweisen erweitert.

3.3 F AZIT Das Kapitel zur Regulationstheorie hatte die Aufgabe, mittels des symptomatischen Lesens regulationstheoretischer Grundannahmen das Konzept Geschlechterregime entlang der Ebenen Struktur/Symbol/Subjekt theoretisch zu verdichten und erste Definitionsketten und Bausteine des Geschlechterregimekonzeptes herauszuarbeiten. Dabei traten die skizzierten Bezugspunkte regulationstheoretischer Kategorien – Akkumulationsregime und Regulationsweise – mit den methodologischen Überlegungen zur Bestimmung eines intersektionalen Geschlechterregimekonzeptes in Verbindung. Die Fruchtbarkeit der regulationstheoretischen Sichtweise für eine erste Annäherung an die Beschaffenheit von Geschlechterregimen liegt in der Darstellung der Regulationsweise des Akkumulationsregimes und in der damit zusammenhängenden institutionellen, ideologischen und sozialen Herrschaftsformation: • Für den ersten Baustein des Geschlechterregimes kann festgehalten werden,

dass eine gegenseitige Bedingtheit zwischen dem Akkumulationsregime und dem Geschlechterregime herrscht. Anhand der historisch-konkreten Ausformung des Akkumulationsregimes wurde deutlich, dass für die Beschreibung dessen, was ein Geschlechterregime ist, wie es konstruiert und reguliert wird, weitere Struktureinheiten nötig sind, um die Ausformungen beschreiben zu können. Ein Geschlechterregime bedarf zur Konstituierung zusätzliche soziale, juristische, politische und ideologische Verhältnisse sowie Institutionen. Das heißt, es braucht Regulationsweisen, um Geschlechterverhältnisse zu organisieren, zu stabilisieren und zu reproduzieren (vgl. Aglietta 1979: 171, Kohlmorgen 2004: 49ff, Chorus 2007: 31ff). • Für den zweiten Baustein des theoretisch-abstrakten Geschlechterregimekonzeptes kann festgehalten werden, dass ein Geschlechterregime eine zeitlich begrenzte Form gesellschaftlicher Machtverhältnisse, ein materialisierter Ausdruck und eine temporäre Erstarrung institutionalisierter sozialer Kräftever-

94 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

hältnisse ist und staatlich-institutionalisierte Formen annimmt. Wesentlich für die Konstitution von Geschlechterregimen sind die staatlichen Apparate und die daran geknüpften Ideologien und Normen. In diesem Zusammenhang stellt sich ein Geschlechterregime als ein Steuerungsmodus dar, um soziale Praxen geschlechtsspezifisch zu regulieren. Einen zentralen Rahmen des Steuerungsmodus gibt die Familienform vor. Die Besonderheit der Familienform liegt darin, dass sie Produktions- und Reproduktionssphäre verbindet und sowohl repressive als auch ideologische Elemente beinhaltet (vgl. Candeias 2004: 47). Dadurch, dass die Familienform über heteronormative Ideologien zusammenfindet, kann sich aber auch je nach der vorherrschenden Regulationsweise eine Verschiebung dieser Form vollziehen. Das heißt, dass die hegemonialen Ideen von Heteronormativität einerseits durch Institutionen und durch soziale Praxen reproduziert werden, sich aber andererseits durch gesellschaftliche Widersprüche verschieben bzw. verändern können. • Ein dritter Baustein lässt sich daraus ableiten, dass sich historisch-konkrete Geschlechterregime aus einer regulationstheoretischen Perspektive als eine Geschlechterverhältnisse strukturierende und strukturierte Struktur verstehen lassen. Geschlechterregime schützen zweckmäßige gesellschaftliche Beziehungen über historisch-konkrete Vergesellschaftungsformen hinweg. Das Ziel einer Geschlechterverhältnisse strukturierenden und strukturierten Struktur ist demnach die Reproduktion der jeweiligen Hegemonie und deren Produktionsbedingungen durch die den Geschlechtern zugewiesene Funktion und Formatierung. Das heißt, ein historisch-konkretes Geschlechterregime durchdringt seine Trägerinnen und Träger und bringt sie unter Bedingungen, unter denen die Produktions- und Herrschaftsverhältnisse reproduziert werden können. Die jeweiligen Konstruktionen der Formen von Männlichkeit und Weiblichkeit gehen mit unterschiedlichen und auch widersprüchlichen (Re-) Produktionsaufgaben, Rollenzuweisungen und Denkformen für Geschlechter einher. Als Folge gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse und Widersprüche, die durch die Kombination von Zwang und Zustimmung entstehen (vgl. Gramsci 1991: 120), sind Geschlechterregime in sich selbst widersprüchlich und vielfach fragmentiert. Eine zentrale Schlussfolgerung daraus ist, dass ein Regime nie eine Geschlossenheit erreichen kann, sondern dass die Elemente des Regimes beständig Brüche und Verschiebungen erfahren. Ebenso wenig wie Strukturen erreichen Subjekte bzw. Geschlechter eine in sich geschlossene Identität, weil sie sich ständig in Relation zu Ideologien und deren identitären Materialisierungen bewegen, die ebenfalls in Antagonismen aufeinander reagieren. Eine Struktur bzw. ein Symbol

R EGULATIONSTHEORIE

| 95

kann sich daher nicht vollständig allein konstituieren, und die Struktur oder das Symbol machen es den Individuen unmöglich, alle Bedeutungen je subjektiv zu generieren. „Diese gegenseitige Bestimmung bedeutet keinesfalls, dass das Subjekt Teil einer Struktur ist, sondern im Gegenteil, dass es existiert, gerade weil die Struktur sich nicht schließen kann“ (Scherrer 1995: 464). Die weitere Analyse von Geschlechterregimen muss so an Struktur- und Symbolöffnungen und Bruchstellen ansetzen, die selbst aus den Verschiebungen resultieren. In diesem Zusammenhang lassen sich drei Hypothesen für weitere Konstitutionsbedingungen des Geschlechterregimekonzepts formulieren. Sie sind als Ergebnis des bisherigen symptomatischen Lesens zu verstehen und werden im nächsten Kapitel durch poststrukturalistische Sichtweisen bearbeitet: • Ausgehend von der Annahme, dass kapitalistische Vergesellschaftungsformen

nur bedingt stabil sind und durch Hegemonien gefestigt werden müssen, kann die regulationstheoretische Formanalyse auf bestimmte funktionale Zusammenhänge und Widersprüche aufmerksam machen. Die Strukturen eines Akkumulationsregimes sind geschlechtsspezifisch und ständig Verschiebungsprozessen ausgesetzt. Im Inneren bzw. innerhalb der kapitalistischen Gesellschaftsformation entstehen dadurch komplexe Herrschaftszusammenhänge und Machtverhältnisse, die in einem Prozess von permanenten politischsozialen und ideologischen Auseinandersetzungen regulierend auf Geschlechterverhältnisse einwirken. Geschlechterregime verweisen daher auch auf symbolische Machtverhältnisse, die weiter zu untersuchen wären. • Die Durchsetzung zentraler kapitalistischer Vergesellschaftungsformen ergibt nicht automatisch deren Reproduktion. Geschlechterverhältnisse werden nicht nur durch die materialistischen Mechanismen der Vergesellschaftung aufrechterhalten, sondern sie werden auch durch heteronormative Praxen reguliert. Nicht „ökonomische Gesetzmäßigkeiten“, sondern die daraus resultierenden gesellschaftlichen Widersprüche und Bedeutungen, die sich für die Individuen ergeben, ermöglichen eine gesellschaftstheoretische Erklärungsgrundlage zur Konstituierung eines Geschlechterregimes. In diesem Zusammenhang bedarf es einer konkreten Analyse dazu, wie soziale Praxen und Strukturimperative im Kontext eines Geschlechterregimes korrespondieren. • Wenn der Staat als eine Ableitung aus dem Kapitalverhältnis gesehen wird, dann kann er nur unter dem Blickwinkel analysiert werden, inwieweit er zur Etablierung eines Akkumulationsregimes beiträgt. Dadurch wird die Reproduktion kapitalistischer Vergesellschaftung nur in Abhängigkeit eines entsprechenden Akkumulationsregimes gesehen. Die Konstituierung von Männlichkeiten und Weiblichkeiten und ihres Verhältnisses zueinander ist im Kontext

96 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

eines warenproduzierenden und heteronormativen Zivilisationsmodells zu verstehen, in der das Familien-Haushalts-System des heutigen Kapitalismus noch immer ein wichtiges organisierendes Prinzip für die Produktionsverhältnisse ist. Aber bei der Materialisierung von Männlichkeiten und Weiblichkeiten spielt das Akkumulationsregime durch das Wechselverhältnis zwischen den Struktur, Symbol- und Subjektebenen nur eine überdeterminierte Rolle. Durch die institutionellen, sozialen und ideologischen Herrschaftsformationen konstituieren sich Geschlechterverhältnisse auch unabhängig von der Warenform. Daher müssen weitere soziale, juristische, politische, repressive und ideologische Faktoren zur Etablierung eines Geschlechterregimes verdeutlicht werden. Diese Hypothesen sind für die Bildung des Geschlechterregimekonzeptes insofern von Bedeutung, als dadurch die Reflexionen von Wechselwirkungen innerhalb des Geschlechterregimes selbst ermöglicht und weitere analytische Zugänge und Theorieverbindungen eröffnet werden. Diese neuen Blickwinkel beziehen sich auf Fragen nach der Entstehung von unterworfenen und sich selbst unterwerfenden Subjekten, auf Fragen um normative Leitbegriffe und ihre Interpretation sowie auf Fragen nach dem Zusammenhang von Machtverhältnissen. Als Konsequenz daraus werden geschlechterregimerelevante strukturelle, symbolische und subjektive Ebenen mithilfe poststrukturalistischer Sichtweisen weiter differenziert. Poststrukturalisten wie Gilles Deleuze und Felix Guattari weisen darauf hin, dass sich die moderne Machtausübung nicht auf die „klassische Alternative von ‚Repression und Ideologie’ reduzieren lässt, sondern Vorgänge wie Normierung, Modulation, Modellierung und Information einschließt, die sich auf Sprache, Wahrnehmung, Begehren, Bewegung etc. beziehen und über Mikrogefüge laufen“ (Deleuze/Guattari 1992: 635). Die Schwäche des bisher vorgestellten Theoriekorpus liegt genau im Fehlen von Erklärungen von Mikrogefügen und von Verbindungsstücken zwischen der Analyse der Reproduktion gesellschaftlicher Bereiche und ihrer symbolischen und subjektiven Legitimation (vgl. Raza/Brand 2003: 6ff). In diesem Sinne wird von Alex Demirovic vorgeschlagen, die Regulationstheorie durch einen gesellschaftstheoretischen Zugang entlang der Komplexität der Lebens- und Machtverhältnisse sowie durch bisher „verpasste Anschlüsse an Foucault“ (Demirovic 2003: 50) zu erweitern. Diesen Vorschlag teilen auch die Herausgeber des Buches zur „Genealogie der Regulation“, weil das von Michel Foucault begonnene Projekt einer Analyse der Mikropolitik der Macht und des modernen „Regierungsdenkens“ viele Berührungspunkte mit der Theorie der Regulation teilt (vgl. Müller/Reinfeld/Schwarz/Tuckfeld 1994: 7). Zu der Kombination des gouvernementalen Ansatzes von Foucault mit der Regulationstheorie liegen bereits Veröffentlichungen vor (vgl. beispiel-

R EGULATIONSTHEORIE

| 97

haft Marchart 2004). Eine solche Kooperation funktioniert, wenn die Regulationstheorie und ihr Erkenntnisgegenstand, d. h. die historisch-spezifisch materialisierten Formen von Gesellschaft, in Verbindung mit der Symbolhaftigkeit ihrer Formen und Subjektivierungsweisen bearbeitet werden (vgl. Hirsch 1990: 69f, Naumann 2000, Borg 2001: 68f).

4. Poststrukturalismus

Im Kapitel „Methodologische Überlegungen zur Bestimmung einer intersektionalen Definition des Begriff Geschlechterregime“ wurde festgehalten, dass mittels des symptomatischen Lesens Definitionsketten aus regulationstheoretischen und poststrukturalistischen Sichtweisen extrahiert werden, um den Begriff Geschlechterregime zu untermauern. Das vorhergehende Kapitel hat sich hauptsächlich mit der politischen und ökonomischen Dimension der Definitionsbausteine beschäftigt. Das folgende Kapitel bezieht sich nun auf die kulturelle Dimension des Geschlechterregimes. Hierbei kommen symbolischen und subjektiven Prozessen, die unter dem Einfluss von biopolitischen und gouvernementalen Regulationsweisen und diskursiven Praxen der Identitätsbildung stehen, eine besondere Bedeutung zu. In Erweiterung der bisherigen Darstellung des Theorems Geschlechterregime, das Geschlecht im Kontext der Entwicklung der (Re-) Produktivkräfte zum Gegenstand hat, konzentriere ich mich mit poststrukturalistischen Ansätzen stärker auf geschlechtsspezifische Subjektivierungsweisen und deren symbolische Inaugurationen. Im Folgenden werde ich die Grundlagen und zentralen Kategorien des Poststrukturalismus umreißen und im Anschluss weitere Hypothesen für die Bildung des Theorems Geschlechterregime formulieren. Schwerpunkt hierzu bilden einerseits geschlechtertheoretische Anschlussstellen im Zusammenhang mit der Foucaultschen Machtanalyse, insbesondere die der Biomächte und der Selbstregierungsmechanismen, andererseits Anschlussstellen an die Butlersche Analyse von heteronormativen Subjektivierungsweisen im Zusammenhang mit der Materialisierung von Geschlecht. Für die Auseinandersetzung mit den grundlegenden geschlechtsspezifischen Kategorien im poststrukturalistischen Zusammenhang – Sexualität, Subjektivierung, Geschlechtsidentität – benutze ich die kritische Analyseform der Genealogie. Die genealogische Herangehensweise ist dadurch bestimmt, dass sie keine festen Wesenheiten, tiefer liegenden Gesetze oder metaphysischen Finalitäten und keine angeborene Sexualität annimmt (vgl. Drey-

100 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

fus/Rabinow 1994: 135). Die genealogische Kritik erforscht vielmehr die „politischen Einsätze, die auf dem Spiel stehen, wenn die Identitätskategorien als Ursprung und Ursache bezeichnet werden, obgleich sie Effekte von Institutionen, Verfahrensweisen und Diskursen mit vielfältigen und diffusen Ursprungsorten“ (Butler 2003: 9) sind. Vorab stelle ich zunächst den Bezugsrahmen und zentrale Sichtweisen des Poststrukturalismus vor, um auf dieser Grundlage geschlechtertheoretische Anknüpfungspunkte aufzugreifen. Der Poststrukturalismus kann als eine politische Denkform verstanden werden, die Ende der sechziger Jahre in Frankreich entstand. Im Wesentlichen gibt es keine zentrale These des Poststrukturalismus. Ein Grund dafür ist das poststrukturalistische Denken selbst, denn es bestimmt sich als Haltung, als Methode und als Praxis (vgl. Kuhn 2005: 13ff). Hierbei findet sich auch eine Brücke zwischen Poststrukturalismus und Regulationstheorie, welche nicht nur durch Althusser begründet ist. Eine wesentliche Verbindung zwischen den Theorien wird durch ein Postulat von Gilles Deleuze und Felix Guattari deutlich: Staatsformen übernehmen nicht nur die Machtvoraussetzungen für den Kapitalismus, sondern organisieren das Kapital durch Decodierung sozialer Verhältnisse über ideologische Formen. „Mit anderen Worten, die Konjunktion decodierter Ströme, ihre differentiellen Verhältnisse und ihre vielfältigen Spaltungen und Brüche erfordern eine umfassende Regulierung, deren Organ der Staat ist. Der kapitalistische Staat stellt den Regulator der als solche decodierten und in die Axiomatik eingelassenen Ströme dar.“ (Deleuze/Guattari 1977: 335, vgl. auch 1992: 634)

Die Verwandtschaft ist letztlich unter anderem dadurch begründet, dass Regulationstheorie und Poststrukturalismus sich um dasselbe Grundproblem drehen. Sie untersuchen ökonomische, politische, ideologische und subjektive Prozesse auf die Fragen hin: Wie werden Herrschaftsverhältnisse reproduziert? Deleuze/Guattari formulieren diese Frage folgendermaßen: „Warum kämpfen die Menschen für ihre Knechtschaft, als ginge es um ihr Heil? Warum ertragen sie seit Jahrhunderten Ausbeutung, Erniedrigungen, Sklaverei, und zwar in einer Weise, dass sie solches nicht nur für die anderen wollen, sondern auch für sich selbst?“ (Deleuze/Guattari 1977: 39)

Beide Denkansätze gehen davon aus, dass Gesellschaftsformationen umkämpft sind und dass Subjekte zur Reproduktion kapitalistischer Verhältnisse, die letztlich eine Behinderung der jeweiligen Lebensbedingungen sind, aktiv beitragen.

P OSTSTRUKTURALISMUS

| 101

Von Poststrukturalistinnen und Poststrukturalisten1 werden die Ideen einer Wahrheit und einer Wesenheit und alle damit in Verbindung stehenden Ideen bzw. Ideologien „als von den konkreten und vielfältigen Lebensverhältnissen abstrahierende Konstruktionen gesehen, die mit bestimmten Machtverhältnissen Hand in Hand gehen, und – genauso wie die jeweiligen Machtverhältnisse – keinen Anspruch auf allgemeine Akzeptanz im Sinne irgendeiner (intellektuellen, religiösen, moralischen oder anderen) Legitimation erheben können, sondern sich ihre Akzeptanz selbst terroristisch-diskursiv erarbeiten und absichern.“ (Kuhn, G. 2005: 22f)

Gemeinsam ist dem heterogenen Feld poststrukturalistischer Theorien die Kritik der Ideologien des vorherrschenden abendländischen Denkens, welche unmittelbar mit den gesellschaftlichen Lebensverhältnissen verbunden sind und zusammenfassend als autoritär, eindimensional, hierarchisch, totalitär und pluralitätsfeindlich bestimmt werden (vgl. Kuhn 2005: 56). Grundlage dieser Haltung ist eine kritische Herangehensweise an hegemoniale Vorstellungen und Denkangebote unter Verwendung genealogischer oder dekonstruktivistischer Methoden sowie eine grundsätzliche Infragestellung eines autonomen Subjekts unter Herrschaftsbedingungen. Louis Althusser gilt in vielerlei Hinsicht als Vordenker dieser poststrukturalistischen Theorien. Althusser bekennt in „Das Kapital Lesen“, wem er dieses Denken zu verdanken hat: unter anderem dem Psychoanalytiker Jacques Lacan und seinem Schüler Michel Foucault (vgl. Althusser 1972: 15). Wesentlich für seinen Theorieansatz ist der Versuch, die Beziehungen zwischen Ideologie und sozialen Praxen im Rahmen der Reproduktion von Produktionsbedingungen zu denken. Althusser entwickelte eine theoretische Praxis, die sich an den Erkenntnissen der vorherrschenden Wissenschaft, „an einer Grundmaterie (Vorstellungen, Begriffe, Tatsachen), die ihr durch andere Praxis-Arten gegeben wird, mögen sie ‚empirisch’, ‚technisch’ oder ‚ideologisch’ sein“ (Althusser 1968: 105), abarbeitet. Die theoretische Praxis soll nicht nur Begriffe oder Erkenntnisse ausarbeiten, sondern auch tatsächlich „durch eine radikale Kritik […] die ideologischen Irrtümer, Illusionen und Vermutungen, die bestehen können“ (Althusser 1968: 103), zerstören. Althussers Theorieansatz verabschiedet sich von monistischen Vorstellungen innerhalb marxistischer Fragestellungen. Er ist deshalb so

1

Bedeutende Vertreterinnen und Vertreter des Poststrukturalismus sind Michel Foucault, Judith Butler, Jacques Derrida, Chantal Mouffe, Felix Guattari und Gilles Deleuze.

102 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

wichtig, weil er einerseits die Brücke zwischen Regulationstheorie und poststrukturalistischen Sichtweisen bildet und andererseits als Werkzeug benutzt werden kann, um eben die Aspekte der Reproduktion der Produktionsbedingungen theoretisch zu zerlegen. Ein zentraler Aspekt in poststrukturalistischen Arbeiten ist die Untersuchung der Wirkungsweise von Macht im Kontext der Genealogien von Geschlecht, Subjekt, Staat und Regierung sowie die Verknüpfung zwischen modernen Machtformen – Disziplinierung, Subjektivierung, Regulierung – und Sexualität (vgl. Butler 2001, 2003, 2004, Foucault 1983, 1989, 1994, 2000a, 2006a, 2006b). In Erweiterung zu orthodox-marxistischen und staatstheoretischen Ansätzen, die Macht und die Funktionen der Macht in einer Quelle, einem Zentrum verorten oder in den Herrschenden personifiziert sehen, hat Michel Foucault einen poststrukturalistischen Machtbegriff entwickelt, der den repressiven und starren Machtbegriff der oben genannten Ansätze kritisiert bzw. erweitert (vgl. Paulus 2001: 12). Foucault postuliert: „Die Macht gibt es nicht. […] die Idee, dass es an einem gegebenen Ort, oder ausstrahlend von einem gegebenen Punkt etwas geben könnte, dass eine Macht ist, scheint mir auf einer trügerischen Analyse zu beruhen. […] Bei der Macht handelt es sich in Wirklichkeit um Beziehungen, um ein mehr oder weniger organisiertes, mehr oder weniger pyramidialisiertes, mehr oder weniger koordiniertes Bündel von Beziehungen.“ (Foucault 1978a: 126)

Foucault versteht darunter, dass es keine Gesellschaftsformation ohne Machtbeziehungen geben kann. In Gesellschaftsformationen sind demnach immer Strategien vorhanden, mit denen Individuen das Verhalten anderer zu lenken und zu bestimmen versuchen. Macht wird hierbei nicht als ausschließlich repressiv und negativ wirkende Kraft gesehen, sondern es wird von einer komplexen, produktiv wirkenden Macht ausgegangen, welche sich in Machtverhältnissen ausdrückt (vgl. Foucault 1977: 250; 1983: 113). Dieses Machtverhältnis vollzieht sich scheinbar zwischen Partnern und im Gegensatz zu einem Gewaltverhältnis erkennt es das Handeln von Menschen an (vgl. Foucault 1994: 254ff). Allerdings existiert neben diesen so genannten partnerschaftlichen Machtbeziehungen, die „zwischen den Einzelnen, in der Familie, in einer pädagogischen Beziehung, im politischen Körper etc. existieren können“ (Foucault 1985: 11), dennoch ein Gefüge, in dem Herrscher und Beherrschte sich konstituieren: Ein hegemonialer Block bzw. ein bestimmtes Klassenbündnis kontrolliert gesellschaftliche Kräfte und lässt hegemoniale Machtverhältnisse entstehen. Und „an dieser Stelle muss man den Begriff der Herrschaft einführen“ (Foucault 1985: 11).

P OSTSTRUKTURALISMUS

| 103

Aus poststrukturalistischer Sichtweise besteht der Unterschied zwischen Macht und Herrschaft in der jeweiligen Einwirkung auf die Individuen. Über die gewaltsame Einwirkung auf Körper vollziehen sich Herrschaftsverhältnisse, die den Handlungsspielraum von Individuen einengen oder verunmöglichen. Machtverhältnisse hingegen wirken indirekt und vermittelt auf Individuen. Ziel dieser Regulierung ist einerseits die Formierung und Steuerung der Individuen. Andererseits entstehen durch diese Regulierungen Handlungsspielräume und dadurch ein Möglichkeitsfeld subversiver Praxen (vgl. Lemke 1997: 304f). Das bedeutet, dass Herrschaftszustände sich herauskristallisieren, wenn bestimmte Menschen „mehr oder weniger umfassend die Führung anderer Menschen bestimmen“ (Foucault 1992: 40) oder wenn es einem bestimmten Herrschaftsbündnis gelingt, „ein Feld von Machtbeziehungen zu blockieren, sie unbeweglich und starr zu machen“ (Foucault 1985: 11) und dadurch ein dauerhaftes Ungleichgewicht von Macht zu etablieren. Darin liegt auch die Paradoxie der Machtausübung: Die Herrschenden versuchen, jedes Machtverhältnis in ein vertikales zu verwandeln, um die Gegen-Macht zu annullieren und die Beherrschten dazu zu zwingen, allein in den Herrschaftsformationen ihre Bestimmung zu finden und somit die vorherrschenden Strukturen zu reproduzieren (vgl. Negri/Hardt 1997: 132). Macht muss daher in einem poststrukturalistischen Verständnis als Beziehung oder Verhältnis zwischen Individuen, als Emanzipationsmöglichkeit, als Regulierungsweise und als Disziplinierungsweise gedacht werden. Foucault versteht daher unter diesen Prozessen eher die Vervielfältigung von Kräfteverhältnissen, „die ein Gebiet bevölkern und organisieren“ (Foucault 1983: 113) und ein Spiel der Macht, „das in unaufhörlichen Kämpfen und Auseinandersetzungen diese Kräfteverhältnisse verwandelt, verstärkt und verkürzt“ (Foucault 1983: 113). Foucault fragt dabei auch nicht, was Macht ist, sondern wie sie sich vollzieht, wie sie sich auf Individuen auswirkt. Bei dieser Analyse der Machtmechanismen geht es darum „zu wissen, wo, zwischen wen und wem, auf welche Art und Weise und zu welchem Zweck“ (Foucault 1978b: 1) sich diese Mechanismen vollziehen. Hierbei geht es um Strategien und Technologien von Macht, die Individuen durchqueren und produzieren. Geschlechterverhältnisse werden im poststrukturalistischen Denken als ein Produkt von Macht verstanden. Das Geschlecht ist in dieser Folge kein Gegenstand einer persönlichen Entscheidung, einer subjektiven Konstruktion oder von biologischem Schicksal, sondern es ist verhaftet in einem Feld von normierten Machtverhältnissen. „In diesem Sinne fungiert das ‚biologische Geschlecht’ demnach nicht nur als Norm, sondern ist Teil einer regulierenden Praxis, die die Körper herstellt, die sie beherrscht, das

104 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

heißt, deren regulierende Kraft sich als eine produktive Macht erweist, als Macht, die von ihr kontrollierten Körper zu produzieren – sie abzugrenzen, zirkulieren zu lassen und zu differenzieren.“ (Butler 1997: 21)

Für Butler bedeutet dies, dass das Geschlecht durch einen Prozess der Materialisierung in Anlehnung an „die produktiven und eben auch materialisierenden Effekte von regulierender Macht im Foucaultschen Sinne gedacht werden“ (Butler 1997: 32) muss. Allerdings ist die Konstruktion von Geschlecht weder so zu verstehen, dass sie erst durch übergeordnete regulatorische Machtverhältnisse entsteht, noch so, dass die Konstruktion von Geschlecht sozusagen unter ein Machtregime zu subsumieren oder als Ableitung aus übergeordneten Machtverhältnissen zu denken ist. Sie ist so zu verstehen, dass die Konstruktion von Geschlechterverhältnissen über eine regulatorische Apparatur entsteht, die selbst geschlechterspezifisch ist (vgl. Butler 2004: 45). Insofern stellen sich die Fragen, wie die regulatorischen Apparate funktionieren, durch welche regulierenden Normen sich Geschlechtskörper materialisieren und welche Konfiguration der Macht „das Subjekt und den Anderen bzw. die binäre Beziehung zwischen ‚Männern‘ und ‚Frauen‘“ (Butler 2003: 8) konstruiert. Ausgehend von der regulationstheoretischen Annahme, dass kapitalistische Vergesellschaftungsformen lediglich relativ stabil sind und reguliert werden müssen, entstehen komplexe Herrschaftszusammenhänge, die sich in einem Prozess von permanenten politisch-sozialen und ideologisch-diskursiven Auseinandersetzungen herstellen. Die regulationstheoretische Feststellung, dass die Durchsetzung zentraler kapitalistischer Vergesellschaftungsformen nicht automatisch deren Reproduktion ergibt, führt in der bisherigen Darstellung zu der Sichtweise, dass Geschlechterregime nicht nur durch die materialistischen Mechanismen der Vergesellschaftung aufrechterhalten werden, sondern durch heteronormative Ideen und Praxen reguliert werden müssen. Mit der Denkweise von Judith Butler lässt sich diese Annahme vertiefen, indem ihrer Frage nachgegangen wird, „ob es überhaupt gender gibt, das vor seiner Regulierung existiert – oder ob nicht etwa das geschlechtlich markierte Subjekt gerade dadurch entsteht, dass es der Regulierung unterworfen wird, es also in und durch diese spezifische Form der Subjektivierung hervorgebracht wird.“ (Butler 2004: 45)

Diese Fragestellung wird diese Arbeit begleiten. Zentral für ihre Beantwortung ist nach Butlers Einschätzung, dass der Materialisierung von Geschlecht eine zentrale Bedeutung beigemessen werden müsse, um überhaupt theoretische

P OSTSTRUKTURALISMUS

| 105

Grundlagen zur Regulierung von Geschlechtern zu begründen (vgl. Butler 2004: 44). Mithilfe poststrukturalistischer Sichtweisen sollen daher weitere soziale, juristische, politische, repressive und ideologische Faktoren zur Etablierung eines Geschlechterregimes verdeutlicht werden. Zusammenfassend lässt sich aus dieser allgemeinen Darstellung ableiten, dass für das weitere Vorgehen aus poststrukturalistischen Sichtweisen Bausteine für das Theorem Geschlechterregime symptomatisch herauszulesen sind und die geschlechterregimerelevanten Elemente der Theorien von Althusser, Foucault und Butler sowie Anschlüsse daran in den Vordergrund rücken. Begründet ist dies dadurch, dass die Vertreterinnen und Vertreter des Poststrukturalismus – bei allen Unterschieden – das Subjekt als Schnittpunkt von materiellen und ideologischen Praxen bzw. von Diskursen verstehen, durch die Individuen mittels Ideologie, Macht oder Normen sich subjektivieren oder subjektiviert werden. Das ist insofern für die weitere Herangehensweise relevant, als sich aus der Kritik der Annahme einer subjektiven Geschlechtsdetermination ein besonderer Blickwinkel auf das Geschlechterregime ergibt: Ein autonomes Subjekt mit einer festen, essentialistischen Geschlechtsidentität kann nicht existieren, und der Bezugspunkt des Geschlechterregimes muss durch Herrschaftsverhältnisse konstruiert und reguliert werden (vgl. Althusser 1977: 148). Dieser Blickwinkel kann durch Foucaults Fokus erweitert werden. Dieser liegt auf der Verschmelzung von Herrschaftstechniken und Machtverhältnissen, die als ideologische Rhetorik und als bevölkerungspolitisches Projekt darauf abzielen, eine soziale Realität herzustellen, die nicht auf Zwang, sondern auf Freiwilligkeit zu beruhen scheint. Als Effekt dieser Strategie lässt sich auch eine Stabilisierung von binären Geschlechterkonfigurationen und eines heteronormativen essentialistischen Denkens nachzeichnen, wie dies Judith Butler in Bezug auf Althusser verdeutlicht (vgl. Butler 2001: 101). Daraus folgt, dass Subjekte sich grundsätzlich mehrdeutig zusammensetzen und erst durch gesellschaftliche Verhältnisse und durch eine permanent erzwungene Wiederholung von hegemonialen Normen zu ihrer Kohärenz gelangen. Das bedeutet, dass Identitäten zeitlich bedingt sind und ständig durch identitätsstiftende Rituale und sprachliche Festschreibungen reproduziert werden müssen (vgl. Althusser 1977: 142). Mit den Arbeiten von Judith Butler kann so aufgezeigt werden, dass die Kategorie Geschlecht eine soziale Materialisierung ist. Butlers Kritik am allgemeinen Verständnis in Bezug auf diese Kategorie verbindet sich mit der Ablehnung eines androzentrisch geprägten Subjektverständnisses und seiner essentialistisch begründeter Metaphysik (vgl. Paulus 2001: 56). Butlers Ziel ist es, die Heteronormativität und die damit verbundenen Geschlechterkonstitutionen zu dekonstruieren. Sie zeigt auf, dass in der momen-

106 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

tanen Gesellschaftsformation sowohl Diskursstrategien als auch hegemoniale Denkangebote und Disziplinierungstechniken eindeutige männliche oder weibliche Subjekte materialisieren und dass die aus diesen Machtstrategien hervorgegangenen Geschlechtsidentitäten durch eine permanent erzwungene Wiederholung hegemonialer Normen reproduziert werden (vgl. Butler 2003: 49, 2001: 117). Ihr Entwurf der Performativität diskursiver Praxen knüpft wiederum an Althussers Subjektivierungstheorie und vor allem an Foucaults Vorstellung von der Produktivität vermachteter Diskurse an (vgl. Butler 2001: 101ff). Mit den Ansätzen von Foucault (vgl. Foucault 1977, 1978a, 1983, 2000a, b) kann rekonstruiert werden, wie ein Individuum sich als solches durch Macht konstituiert bzw. in einem Machtfeld konstituiert wird. Dabei kommen Bio-Politiken und Subjektivierungsweisen, die eine Doppelbewegung der Unterwerfung und der Selbstermächtigung darstellen, besondere Bedeutungen zu. Dadurch lassen sich die Verzahnungen von Machttechniken mit Strukturebenen von Macht und Staat inklusive bevölkerungspolitischer Maßnahmen betrachten (vgl. Lemke 1997) und in Verbindung mit einer Kritik von Geschlechtskonstruktionen weiterdenken, um das Theorem Geschlechterregime zu verdichten. Diese genannten Eckpunkte werden im Folgenden auch wesentliche Bausteine für die Definition von Geschlechterregime aus einer poststrukturalistischen Perspektive darstellen. In diesem Zusammenhang wird das Geschlechterregime im ersten Teil dieses Kapitels im Kontext der Begriffe Subjektivierung, Materialisierung von Geschlecht und Heteronormativität näher beleuchtet. Diese Ausgangspunkte bilden sozusagen den theoretischen Hintergrund für das symptomatische Herausarbeiten einzelner Bausteine für das Theorem Geschlechterregime. Im zweiten Teil des Kapitels werden weitere Bausteine im Kontext der Foucaultschen Machtanalyse herausgelesen und die Standpunkte der Politik, der Wissenschaft etc. und die von ihnen eingesetzten disziplinarischen, diskursiven oder bio-politischen Strategien im Kampf um die Materialisierung des Geschlechts analysiert. In Bezug auf das Theorem Geschlechterregime werden die Punkte berücksichtigt, die klären können, wie es der „Macht“ gelingt, Teil des Handelns von Subjekten zu werden bzw. deren Handeln zu strukturieren. Insofern halte ich mich an Foucaults Aufforderung, „das Regime von Zwang, Lust und Diskurs freizulegen“ (Foucault 1978a: 103). Im Folgenden gilt es, diese Punkte zu bearbeiten und für eine geschlechterregimetheoretische Perspektive zu entwickeln.

P OSTSTRUKTURALISMUS

| 107

4.1 S UBJEKTIVIERUNG UND G ESCHLECHT Zur Beantwortung der Frage, wie ein Regime der Macht ein vergeschlechtlichtes Subjekt konstruiert, versucht Judith Butler zu verdeutlichen, wie die Plausibilität der binären Beziehung zwischen Männlichkeit und Weiblichkeit diskursiv hervorgebracht wird (vgl. Butler 2003: 60). Dieser Spur möchte ich folgen. Im Folgenden wird daher sowohl auf die Subjektivierung in und durch Sprache eingegangen, als auch auf die Subjektivierung durch die kulturelle und symbolische Ordnung. Besonders hervorgehoben wird hierbei das Konzept der Anrufung und der leiblichen Einschreibung von geschlechtsspezifischen Stereotypen. Damit soll verdeutlich werden, wie sich die Konstruktion einer Geschlechtsidentität und eines vergeschlechtlichten Körpers bzw. die Subjektivierung vollzieht. In diesem Zusammenhang wird auch der Zusammensetzung des Geschlechterregimes und seiner Materialisierung nachgegangen. Dabei versuche ich, die materialistische Funktion der heteronormativen Ideologie für die Reproduktion der Produktionsverhältnisse und die symbolische Funktion der Ideologie für die Konstitution von Subjekten in einen Zusammenhang zu bringen. Vorab wird der Begriff des Subjekts klargestellt, um anschließend auf die Interpellation – die diskursive Anrufung des Subjekts – einzugehen. Das Wort Subjekt hat die geläufige Bedeutung, dass das Individuum Urheber seiner Handlungen und für sie verantwortlich ist. In einem poststrukturalistischen und einem strukturalistisch-marxistischen Kontext besitzt das Wort Subjekt einen doppelten Sinn: Einerseits ist es ein unterworfenes Wesen, das einer Autorität untergeordnet ist und „daher keine andere Freiheit hat als die der freiwilligen Anerkennung seiner Unterwerfung“ (Althusser 1977: 148). Andererseits bedeutet der Begriff Subjekt, durch die Freiheit des Bewusstseins und der Selbsterkenntnis mit der je eigenen Identität verhaftet zu sein (vgl. Foucault 1994: 246f). Es hat zur gleichen Zeit eine aktive und passive Bedeutung. Durch diese Definition entgeht dieser Subjektbegriff der absoluten Determination. Als Subjektivierung lässt sich die Erschaffung eines Subjekts bzw. sein Reglementierungsprinzip verstehen, „nach dem ein Subjekt ausformuliert oder hervorgebracht wird“ (Butler 2001: 81). Die Subjektivierung ist eine Art von Handlung bzw. Machttechnologie, die nicht einseitig repressiv auf ein Individuum einwirkt, sondern durch die sich ein Individuum aktiviert und formt. In diesem Sinne ist das Individuum, welches in einer Doppelbewegung von Unterwerfung und Selbstermächtigung auftritt, „als produziertes und zugleich aktives, Macht ausübendes und zur Selbstführung fähiges Subjekt“ (Pieper/Gutiérrez-Rodríguez 2003: 8, vgl. Gutiérrez-Rodríguez 2003: 165ff) zu verstehen.

108 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Das Subjekt konstituiert sich also erst durch Macht, es ist eine Wirkung der Macht: Kein Subjekt kann aus sich selbst heraus entstehen, sondern es entsteht in Machtverhältnissen und wird durch diese Verhältnisse gleichzeitig auch zu einem Macht ausübenden Subjekt (vgl. Krasmann 2003: 133). Folglich gibt es auch kein Subjekt außerhalb der Machtverhältnisse, und die Konstruktion eines Subjektes unterliegt dem hegemonialen Bedeutungssystem von Gesellschaftsformationen. Bedeutungen sind, ebenso wie Machtverhältnisse, die ebendiese Bedeutungen hervorbringen, sind aus poststrukturalistischer Sicht gesellschaftlichen Veränderungsprozessen unterworfen. Für die Konstituierung eines vergeschlechtlichten Subjektivierungsprozesses bedeutet dies, dass sich dieser Prozess im Kontext von veränderbaren Normen, Regulierungen, Selbstermächtigungen und vor allem im Kontext von Bedeutungsproduktionen abspielt. 4.1.1 Diskursive Subjektivierung Eine diskursive Praxis ist die Praxis der Bedeutungsproduktion (vgl. Hall 1994: 150). Sie ist mit Macht und Gegenmacht verknüpft und „selbst eines der ‚Systeme’, durch die Macht zirkuliert“ (Hall 1994: 154). Hierbei ist der Diskurs der Träger von Wissen und bezieht sich „auf die Produktion von Wissen durch Sprache“ (Hall 1994: 150). Das bedeutet nichts anderes, als dass keine vordiskursive Subjektivität existieren kann, weil alle Bedeutungen mit bestimmten gesellschaftlichen Zuschreibungen verhaftet sind. Demnach formieren sich vergeschlechtlichte Bedeutungs- und Identitätskategorien wie Mann oder Frau in dem jeweilig historisch-konkreten Kontext von Ideen von Männlichkeit oder Weiblichkeit. Das heißt, dass die jeweilig hegemoniale zweigeschlechtliche Ordnung der Erkenntnis eines materiellen Körpers vorausgeht. Folglich findet sich auf der Ebene des Körpergeschlechts (sex) das wieder, was im Bereich der Geschlechtsidentitäten (gender) zu finden ist und umgekehrt: Das, was auf der Ebene des Körpergeschlechtes zu finden ist, also binär strukturierte Körperoberflächen, ist wiederum in den verschiedenen Geschlechtsidentitäten zu finden, die Menschen einnehmen. Bei der Rückkopplung von Mann/Frau auf die diskursive Praxis sind die sexuierten (sexualisierten) Positionen innerhalb der Sprache von Bedeutung, weil die Sprache permanent und „hartnäckig die Frage nach dem biologischen Geschlecht erzwingt“ (Butler 1995: 134). Sie erfordert sexuierte Positionen, um Individuen bedeuten zu können. Wenn Menschen demnach z. B. von Männern sprechen, existiert bereits eine normativ codierte Vorstellung bzw. Signifika-

P OSTSTRUKTURALISMUS

| 109

tion,2 die eine Bezeichnungspraxis für Männer fassbar macht. Das heißt, bestimmte sprachliche Formulierungen festigen, regulieren oder reproduzieren durch eine geglückte Selbsterfassbarmachung oder „Selbst-Naturalisierung“ (Butler 2003: 60) das hegemoniale Zweigeschlechtermodell. Das heißt aber nicht, dass der Körper als materielle Realität vollständig durch Sprechakte bzw. durch Diskurse produziert ist, sondern lediglich, dass keine von einer symbolischen Ordnung losgelöste körperliche Materialität existiert. Geschlecht ist somit keine willkürliche und beliebige Inszenierung, die außerhalb des Diskurses existiert. Wir sind sozusagen nicht in der Lage das Jenseits des Diskurses zu erfassen, weil das Erfassen des Geschlechts sprachlich vermittelt ist und dem vorherrschenden Bedeutungsregime unterliegt. Folglich ist das Subjekt aber auch niemals vollständig konstituiert, sondern subjektiviert sich immer wieder neu. Insofern ist die Geschlechtszuschreibung „weder ein Ursprung noch ein bloßes Produkt, sondern stets die Möglichkeit eines bestimmten Prozesses der Umdeutung“ (Butler 1993: 45). Die Bedeutungsproduktionen oder Umdeutungen konstituieren sich somit erst innerhalb der Sprache. Demnach bringt die diskursive Praxis Geschlecht erst als Wahrnehmungskategorie hervor. Deleuze und Guattari bringen die Benennung und Subjektivierung auf folgende Formel: „keine Signifikanz ohne despotisches Gefüge, keine Subjektivierung ohne autoritäres Gefüge, keine Vermischung beider ohne Machtgefüge“ (Deleuze/Guattari 1992: 248). Mittels der Theorie der Anrufung oder Interpellation (vgl. Althusser 1977: 140ff), welche von Althusser aufgenommen und durch Butler weiterbearbeitet wurde, lässt sich die Subjektivierung auf sprachlicher Ebene verdeutlichen; „sie bietet ein Erklärungsmodell für ein Subjekt, das als Konsequenz aus der Sprache entsteht, jedoch immer innerhalb von deren Begriffen“ (Butler 2001: 101). Anrufungen charakterisieren spezifische Weisen des Anredens innerhalb diskursiver Praxen, z. B. durch die Verleihung eines Namens oder einer sozialen Bezeichnung (Mann\Frau, Inländer\Ausländer), die wiederum auf Identitäten bezogen sind (vgl. Villa 2004: 146). Als diskursive Praxis kann das gesamte Ensemble spezieller Wissensproduktion, bestehend aus Institutionen und aus Verfahren der Wissenssammlung und -verarbeitung sowie aus Regelungen der Versprachlichung, Verschriftlichung und Medialisierung verstanden werden (vgl. Link/ Link-Heer 1990: 90). Die Anrufung kann somit aus mehreren Aussagen be-

2

Dieser Begriff ist an Derridas poststrukturalistische Metaphysikkritik angelehnt. Derrida versteht Sprache als permanenten Prozess, in dem Begriffe lediglich Ideale der Bezeichnungspraxis darstellen und mit einem Identitätsdenken verhaftet sind. Der Sprache liegt dabei ein binär hierarchisch strukturiertes logisches Denken zugrunde, das durch Ausschlussmechanismen funktioniert. Die männliche Geschlechtsidentität lässt sich demnach nur durch die Verdrängung der Differenz herstellen (vgl. Derrida 1990).

110 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

stehen, um eine diskursive Formation als ein Feld von Möglichkeiten entstehen zu lassen. Folglich ist die Interpellation in einem Feld aus Formationsgesetzen, Formulierungstypen, Begriffen und theoretischen Optionen eingebettet, das sich in Institutionen, Techniken, individuellen oder kollektiven Verhaltensweisen, politischen Operationen, wissenschaftlichen Aktivitäten, literarischen Fiktionen oder theoretischen Spekulationen ausdrückt (vgl. Foucault 2001a: 920). Anrufungen oder Anfragen können auch wörtlich verstanden werden: Durch Anrufungen wie „Du bist Deutschland!“ oder Anfragen wie „Bist Du schwul oder was?“ werden Individuen aufgefordert, die jeweilige Bezeichnung zu hinterfragen, anzunehmen oder abzulehnen bzw. sich mit dieser zu identifizieren. Das bedeutet, dass Anrufungen durch je historisch-konkrete Ideologien mit ihren je eigenen konkreten Bedeutungen die Hervorbringung von individuellen und/oder kollektiven Identitäten ermöglichen. Die durch Annahme oder Ablehnung vollzogene „Wendung zum Subjekt“ (Müller/Reinfeld/Schwarz/Tuckfeld 1994: 51) ist somit selbst Teil des Prozesses der Subjektivierung (vgl. Villa 2004: 146). Das heißt, leere Subjektformen werden durch „Ideologien mit ihren je eigenen konkreten Inhaltsformen“ (Müller/Reinfeld/Schwarz/Tuckfeld 1994: 52) angefüllt. Durch das Zurufen einer sozialen Bezeichnung kann die Geschlechtsidentität strukturiert werden oder ein Individuum zu einer nationalen Identität gelangen, sofern das Individuum diesen Vorgang und die zugesprochene Identität für sich annimmt und reproduziert: „Wie Althusser selbst betont, kann diese performative Anstrengung des Benennens nur versuchen, den Angesprochenen ins Sein zu bringen: Es besteht immer ein Risiko einer gewissen Missachtung. Missachtet man diesen Versuch zur Hervorbringung eines Subjekts, dann gelingt diese Hervorbringung nicht.“ (Butler 2001: 92f)

Dies kann auch wörtlich verstanden werden, wenn eine Person gegen einen Namen oder eine Bezeichnung protestiert, die ihr zugerufen wurde (vgl. Butler 1998: 54). Dieser Protest wiederum kann nur funktionieren, wenn das Subjekt sich selbst anspricht und reflektiert, sich selbst als ein Ich herbeiruft, denn „erst durch Rückwendung gegen sich selbst erlangt das Ich überhaupt den Status eines Wahrnehmungsobjekts“ (Butler 2001: 158). Demnach bringt die Anrufung das Subjekt eine machtvolle Konstruktion im doppelten Sinne hervor: Einerseits wird das Subjekt durch Sprechakte geformt und unterworfen, und andererseits wird es dadurch mit einer Handlungsmacht ausgestattet (vgl. Butler 1998: 198). „Im bestimmten Sinne konstituiert sich das Subjekt durch einen bestimmten Prozess der Ausschließung und Differenz“ (Butler 1994: 45). Die Handlungsmacht – auszuschließen oder zu differenzieren – kann dazu benutzt werden, um andere

P OSTSTRUKTURALISMUS

| 111

wiederum zu unterwerfen oder zumindest „das Eingreifen dieser oder jener Abteilung des (repressiven) Staatsapparates [zu] provozieren“ (Althusser 1977: 148). Abgesehen davon bringen die Prozesse der Anrufung handelnde Subjekte hervor, die innerhalb von Machtverhältnissen und deren Diskursen „den starren Codes der hierarchischen Binaritäten widersprechen“ (Butler 2003: 213) können, ja sogar Anrufungen aufbrechen, verschieben und dezentralisieren können, indem sie neue Begrifflichkeiten, Bedeutungen und Identitäten fordern, die in keiner Opposition mehr zueinanderstehen. Dadurch entsteht eine „Möglichkeitsbedingung für eine radikal bedingte Form der Handlungsfähigkeit“ (Butler 2001: 19). In letzter Konsequenz wären dies Kämpfe, „die den Status des Individuums infragestellen“ (Foucault 1994: 246), indem sie all das bekämpfen, was „das Individuum auf sich selbst zurückwirft und zwanghaft an seine Identität fesselt“ (Foucault 1994: 246). Das Individuum erfährt seine Bestimmung durch hegemoniale Anrufungen, und es erhält dadurch seinen Platz in der Gesellschaft. Gleichzeitig ist seine Subjektivität umkämpft, „weil die Subjekte zur Reproduktion von Herrschaftsverhältnissen dienen und weil Subjekte zugleich auch die Potentialität einer unbotmäßigen Widerspenstigkeit bergen“ (Naumann 2000: 7). Ein wichtiges Bindemittel, um diskursive Anrufungen in Kraft zu setzen, ist die Kollektivsymbolik. Kollektivsymbole sind kulturelle Stereotypen bzw. Ideologien, die kollektiv besetzt sind und gemeinsam benutzt werden, um etwa Personen, Gruppen oder gesellschaftliche Beziehungen bedeuten zu können. Dabei ermöglichen Kollektivsymbole, dass sich Individuen von der gesellschaftlichen „Wirklichkeit“ ein Bild machen bzw. dieses Bild von Medien – im weitesten Sinne – gedeutet wird (vgl. Jäger 1993: 157ff). Das Symbolsystem der Sprache, das als Machtform verstanden werden kann, um aus Worten Dinge zu schaffen, dient zur Kommunikation. Es ist somit ein soziales System, damit Individuen miteinander kommunizieren, sich erkennen oder sich definieren können. Um dies zu tun, müssen die Individuen das vorgegebene System und dessen Strukturen und Funktionsweisen erlernen bzw. die Vorstellungen der Ideologien oder Diskurse aufnehmen und wiederholen (vgl. Althusser 1977: 133ff, Butler 2001: 104f, Bourdieu 2005: 20f; 1992: 153). Für den Psychoanalytiker Jacques Lacan gelten in der Gesellschaft die Regeln des Symbolischen bzw. die Regeln der Sprache. Selbst die Psyche unterliegt für Lacan der Struktur des Symbolischen, denn „das Unbewusste ist wie eine Sprache strukturiert“ (Lacan 1997: 26). Das heißt, das Symbolsystem der Sprache dient der Kommunikation und ist somit ein soziales System, das den Individuen vorausgeht. Diese müssen jenes vorgegebene System und dessen Strukturen und Funktionsweisen erlernen, um kommunizieren zu können. Diese Aneignung der symbolischen Ordnung ist schon die Konstitution des Menschen als

112 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Subjekt, indem er sich der gesellschaftlichen Ordnung unterwirft (vgl. Mümken 2003: 16f). Dadurch bekommen Herrschaftsverhältnisse auch eine symbolische Dimension (vgl. Lacan 1987: 322, Bourdieu 1992: 165). Die Subjektkonstitution vollzieht sich in Lacans Denkmodell in einem unauflösbaren Knoten des Realen/Imaginären/Symbolischen.3 Das bedeutet, dass alle drei Register der Subjektkonstitution untrennbar in einem sogenannten Borromäischen Knoten (vgl. Kapitel 8.2.6; Abbildung 9: Borromäischer Knoten) miteinander verbunden sind. Jedes dieser Register ist durch das Andere bedingt. In diesem Knoten ist es unmöglich, einen Teil herauszulösen, ohne dass er sich auflöst und das Geflecht seinen Zusammenhalt verliert (vgl. Evans 1998: 65). Dadurch ergeben sich Schnittmengen der Register bzw. Ebenen, die in sich wiederum durch die anderen überlagert sind. Daraus ergeben sich wiederum mannigfaltige Interpretationsmöglichkeiten der Strukturbestimmungen des Subjekts. Eine zentrale Denkfigur Lacans bezüglich der symbolischen Herrschaftsordnung ist der „große Andere“, der „im Namen des Vaters“ spricht – also das Nicht-Ich (vgl. Lacan 1987: 322). Sprechen im Namen des Vaters kann auch im Sinne einer Anrufung verstanden werden. Der „große Andere“ ist zum Beispiel verkörpert in der Mutter, die mit dem Kind spricht und es damit in die Ordnung der Sprache und des Sozialen einführt. Oder er ist verkörpert im Vater, im Lehrer oder im Pastor, die durch und mit ihren unterschiedlichen Aufgaben sprechen. Die Aneignung der bereits vorgefundenen symbolischen Ordnung ist damit schon Teil der Konstitution von Subjekten. Das heißt, die Sprache bzw. das Wissen über sich wird vorgefunden und somit erhält auch die Geschlechtsidentität „eine symbolische Dimension: Sie muss von den Beherrschten eine Form von Zustimmung erhalten, die nicht auf der freiwilligen Entscheidung eines aufgeklärten Bewusstseins beruht“ (Bourdieu 1992: 165), sondern auf der direkten und vorreflexiven Einordnung von Geschlechtsidentitäten. Die symbolische Ordnung hält hierfür ein Ensemble von als „Wahrnehmungskategorien fungierenden Gegensatzpaaren“ (Bourdieu 1997: 165) wie breit\schmal, groß\klein, männlich\weiblich etc. bereit. Durch diese Ausschlussmechanismen, entweder männlich oder weiblich etc. zu sein, entstehen und verfestigen sich identitäre Gruppierungen, die durch die Produktion von Innerlichkeit und Äußerlichkeit hergestellt werden. Die Subjektivierung von Geschlecht wird durch eine Reihe

3

Das Reale wird als Eingriff, als Wiederholungszwang, als Körper, als das Widerständige, als Materie oder als das Nicht-Kontrollierbare, das außerhalb der normalen Realität Liegende, verstanden. Das Imaginäre kann als Kollektivsymbolik, als Vorstellung von einem Ort der Selbstidentifikation oder als Selbstbild verstanden werden. Das Symbolische wird als die Ordnung des Diskurses und der Macht oder als symbolische Herrschaftsordnung verstanden, die das Subjekt unterwirft (vgl. Lacan 1987: 322).

P OSTSTRUKTURALISMUS

| 113

von Ausschließungen und Differenzierungen unterstützend hervorgebracht. Das heißt durch „Verbote, die die Identität gemäß den kulturell intelligiblen Rastern einer idealisierten Zwangsheterosexualität“ (Butler 2003: 199) entstehen lassen. Aber erst durch eine Norm, die die Körper und Identitäten klassifiziert, ist es möglich, geschlechtsspezifische Einteilungen, Praxen oder Handlungen als solche zu verstehen. Diese Norm regiert sozusagen die Hervorbringung der Geschlechter, weil selbst das, was außerhalb der Norm liegt, nur in Relation zur Norm gedacht werden kann. Einfach gesagt bedeutet dies: „Nicht ganz männlich, nicht ganz weiblich zu sein, heißt immer noch, ausschließlich im Verhältnis zur eigenen Beziehung zum ‚ziemlich Männlichen’ und ‚ziemlich Weiblichen’ verstanden zu werden“ (Butler 2004: 46). Die diskursive Subjektivierung ist nichts anderes als der Mechanismus, durch den sich die Produktion und Normalisierung von Männlichkeit und Weiblichkeit vollzieht. Die Eigen- und Fremdwahrnehmung des Subjekts ist von diskursiv hervorgebrachten hegemonialen und vor allem normativen Denkangeboten, Konfigurationen und Erklärungsmustern geprägt. Diese Zuschreibungen, wie ein Geschlecht zu sein hat, können natürlich mit dem Selbstbild, das eine Frau oder ein Mann hat, im Widerspruch stehen. Allerdings sind diese Unterscheidungsmerkmale in körperlicher Hinsicht so wirkmächtig, dass sie die Stelle des Wirklichen einnehmen und zu quasi natürlichen Voraussetzungen bzw. zur scheinbaren Ontologie werden (vgl. Butler 2003: 60, Bourdieu 2005: 19). Die sichtbaren Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Körpern werden so zu unanfechtbaren fixen Ideen, weil die Wahrnehmung der vergeschlechtlichten Körper aus einer heteronormativen Symbolordnung heraus interpretiert wird. Dabei ist nicht der Phallus – oder sein Fehlen – das Fundament dieser Weltsicht, sondern der Diskurs, der die Einteilung in männlich und weiblich organisiert, kann den Phallus als Symbol der Männlichkeit codieren und den Unterschied zwischen biologischen Körpern zu ontologischen Unterschieden stilisieren (vgl. Butler 2003: 37ff, Bourdieu 2005: 44). Aus dieser Schlussfolgerung lässt sich ableiten, dass kein Geschlecht vor der Subjektivierung existiert. Die Subjektivierung aus poststrukturalistischer Sicht ist somit nicht nur mit einer diskursiven Hervorbringung eines Geschlechtsstatus verbunden, sondern auch mit einer regulierenden heteronormativen Normierung, die erst durch ein konstitutives „Außen“ und „Innen“ hergestellt werden kann. Das Geschlecht wird durch eine binäre Beziehung, „in der sich der männliche Term vom weiblichen unterscheidet“ (Butler 2003: 46), als eine naturhafte Tatsache und als gesellschaftliche Norm festgelegt. Diese wiederum legt ihrerseits fest, wie die jeweilige Geschlechtsidentität sein soll. Das bedeutet, dass eine Geschlechtsidentität nur durch den Ausschluss der anderen Geschlechtsidentität

114 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

hergestellt werden kann. Demnach kann ein Mann nur durch Nicht-Frau-Sein existieren und umgekehrt. Allerdings ist dieser Diskurs der Heteronormativität einerseits instabil wie alle anderen Diskurse und andererseits ein Ideal, eine Ideologie, um Individuen zu determinieren (vgl. Villa 2003: 69f). In diesem Zusammenhang sind Geschlechteridentitäten als Effekt eines normativen Diskurses zu begreifen, der in Machtverhältnissen hervorgebracht wird (vgl. Butler 2003: 212). Die sexuierte Position, die Subjekten mittels von Sprache zugeschrieben wird bzw. die sie sich selbst zuschreiben, verläuft dabei entlang des biologischen Geschlechts. Diese performativen Sprechakte sind als machtvolles, normativ reguliertes, produktives Sprechen zu verstehen und ermöglichen die Realisierung von Geschlechtsidentität als performative Handlungen. Die Dimension der Konstruktion des Geschlechts ist in diesem Sinne durch eine permanent erzwungene Wiederholung von Normen zu sehen, in der die Performativität letztlich das ist, „was ein Subjekt ermöglicht“ (Butler 1997: 133). In dieser Darstellung der Performativität als ein ständiges wiederholtes Handeln verbinden sich Handlung, Sprache und Macht miteinander. Es handelt sich bei diesem Prozess um die Materialisierung der Geschlechtsidentität. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass weitere Bausteine des Theorems Geschlechterregime – sowohl des theoretisch-abstrakten als auch des historischkonkreten Geschlechterregimes – durch eine heterosexuelle Matrix strukturiert sind. Ein Geschlechterregime stellt somit die vergeschlechtlichten Matrizen her, die Subjekte abstempeln oder verändern, aber nur durch diese zum Subjekt werden. Ähnlich wie das Kapitalverhältnis als scheinbar natürliche Notwendigkeit existiert, wirkt auch die Geschlechtsidentität als scheinbar natürlich, weil sie durch hegemoniale Diskurse konstruiert ist. Eine Schlussfolgerung daraus ist, dass regulatorische Diskurse das Geschlecht formen und genau diese „diejenigen sind, die das zur Debatte stehende Subjekt erfordern und hervorrufen“ (Butler 2004: 45). Das Geschlechterregime ist demnach durch regulatorische Diskurse, die sich auf die Geschlechtsidentität beziehen, strukturiert. Gleichzeitig installiert das Geschlechterregime so einen gesellschaftlichen Zwang, hegemoniale Diskurse über Geschlecht bzw. über die Geschlechtsidentität zu produzieren. Als Effekt kann ein Geschlechterregime entstehen, das Prozeduren der Ausschließung durch Verbote, Normen und Gesetze installiert, damit unbotmäßige Subjekte nur das in den Diskurs einbringen, was zur Reproduktion vorherrschender Geschlechterverhältnisse notwendig ist (vgl. Butler 1998b: 256; Naumann 2000: 7). Durch das Geschlechterregime wird so ein gesellschaftlicher Zwang hergestellt, hegemoniale Diskurse über Geschlecht bzw. über die eigene Geschlechtsidentität zu produzieren und diese Aussagen an den vorherrschen Wahrheitsaus-

P OSTSTRUKTURALISMUS

| 115

sagen zu überprüfen (vgl. Lemke 1997: 51). „Letztlich werden wir gemäß wahren Diskursen, die spezifische Machtwirkungen mit sich bringen, be- und verurteilt, verdammt, klassifiziert, zu Aufgaben gezwungen und einer gewissen Lebens- oder Sterbeweise geweiht“ (Foucault 2003: 233 Bd. 3). Der hegemoniale Diskurs durch das Geschlechterregime bietet demnach Aussagetypen an, um Individuen miteinander zu verbinden und sie gleichzeitig auch von unbotmäßigen Geschlechtsidentitäten abzugrenzen (vgl. Butler 1998: 182ff, Foucault 2001b: 29). Dadurch, dass Diskurse Geschlechtsidentitäten hervorbringen können und Geschlechterregime diese regulieren, stellt sich folglich die Frage, wie das Hervorgebrachte und das Regulierte auch sichtbar bleiben. Das folgende Kapitel beschäftigt sich daher mit dem Prozess der Sichtbarmachung von Geschlechtern bzw. mit der körperlichen Subjektivierung. 4.1.2 Körperliche Subjektivierung Wie im vorherigen Kapitel beschrieben, ist das Geschlechterregime durch eine wirkmächtige heterosexuelle Matrix strukturiert und durch die diskursive Hervorbringung von Geschlechtsidentitäten hergestellt. Die geschlechtsspezifische Symbolordnung und die je spezifischen Geschlechtsidentitäten müssen allerdings reproduziert werden, damit sie wirkmächtig bleiben. Der Prozess der Konstruktion von Geschlecht durch die Normierung von Denkangeboten, kulturellen Konfigurationen und Erklärungsmustern ist nicht abgeschlossen. Deshalb stellt sich für dieses Kapitel die Frage, wie Geschlechtsidentitäten, die vergeschlechtlichten Normierungen und letztlich die vergeschlechtlichten Matrizen des Geschlechterregimes reproduziert werden. Für eine Klärung dieser Frage bietet der Körper einen zentralen Ort an, um die Prozesse der vergeschlechtlichten Subjektivierung zu verorten (vgl. Jäger 2004). Der Körper bietet der Sexualität wiederum die Möglichkeit, den Prozessen der vergeschlechtlichten Normierungen ein Zuhause zu geben. In diesem Zusammenhang folge ich den Ansätzen von Bourdieu, Butler und Foucault, da diese zur Klärung der Frage wesentliche Begriffe zur Verfügung stellen. Die Subjektivierung geschlechtsspezifischer hegemonialer Vorstellungen oder die Inkorporation der sexuellen Differenz wird von Bourdieu als „Somatisierung der Herrschaftsverhältnisse“ (Bourdieu 1997: 166) und von Butler als „leibliche Einschreibung“ (Butler 2003: 190) beschrieben.4 Beide Ansätze sehen

4

Schon Friedrich Nietzsche ging in „Ecce Homo“ oder in der „Genealogie der Moral“ der Frage nach, „wie man wird was man ist“ (Nietzsche 1999: 399). Er beschrieb den Vorgang der Subjekt-Werdung als „Einverseelung“ bzw. als „Einverleibung“ gesell-

116 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

in der Inkorporation der geschlechtlichten Differenz ein wesentliches Herrschaftsinstrument, das eine Bedeutungshegemonie hervorbringt, die je nach den kulturellen und historischen Bedingungen, Machtverhältnissen und hegemonialen Leitbildern eine bestimmte Wahrnehmung in Bezug auf den menschlichen Körper erzeugt. Effekt dieser Wahrnehmung ist die Darstellung und Wiederholung „einer“ bestimmten Geschlechtszugehörigkeit und die Möglichkeit, die eigene Geschlechtszugehörigkeit sowie die von Anderen zu identifizieren. Das Erklärungsmodell der Einschreibung der Herrschaftsverhältnisse in den Körper erklärt nicht nur geschlechtsspezifische Körpersprachen oder die Ausübung geschlechtsspezifischer Hobbys, sondern verdeutlicht auch, warum Normen und Werte sowie restriktive Ideologien sich innerlich ansiedeln bzw. so „tief sitzen“, dass sie gegenüber einer gesellschaftsverändernden Kritik resistent werden (vgl. Gisler/Emmenegger 1998: 149; Krasmann 2003: 19; Villa 2003: 72). Foucault beschreibt in seiner Analyse der Disziplinarmacht sowohl in „Mikrophysik der Macht“ (1976) als auch in „Überwachen und Strafen“ (1977) wie körperliche Disziplinarmaßnahmen Subjekte hervorbringen und formen und warum Normen und Werte so „tief sitzen“. Im Zentrum der Disziplinarmacht stehen Technologien, die „die Entdeckung des Körpers als Gegenstand und Zielscheibe der Macht“ (Foucault 1976: 30) herauskristallisieren. Die grundlegende Funktion der Disziplin ist die Erzeugung eines fügsamen Körpers durch Überwachung, durch Kontrolle des Verhaltens und des Betragens, um die Leistung zu steigern, um seine Fähigkeiten zu vervielfachen und um „ihn dorthin zu stellen, wo er nützlicher ist“ (Foucault 1995: 31). Hierfür ist die Disziplin „im Grunde der Machtmechanismus, durch den es uns gelingt, im sozialen Körper auch die winzigsten Elemente zu kontrollieren, durch die es uns gelingt, auch die sozialen Atome selbst zu erreichen, das heißt die Individuen […]“ (Foucault 1995: 31).

schaftlicher Moralvorstellungen, die durch eine Art Mnemotechnik umgesetzt werden, um Ideen unauslöschlich, allgegenwärtig, unvergessbar und fix zu machen. Die Einverleibung der herrschenden Moral dient letztlich dazu, Herrschaftszustände mittels Gewalt über den Körper zu etablieren. Für Nietzsche ist der Schmerz ein wesentliches Mittel, Herrschaftszustände, zu denen auch Geschlechterverhältnisse zählen, einzuverleiben. Dem Körper wird dabei die soziale Ordnung „eingebrannt“, denn „nur was nicht aufhört, wehzutun, bleibt im Gedächtnis […]. Es ging niemals ohne Blut, Martern, Opfer ab, wenn der Mensch es nötig hielt, sich ein Gedächtnis zu machen; die schauerlichsten Opfer und Pfänder (wohin die Erstlingsopfer gehören), die widerlichsten Verstümmelungen (zum Beispiel die Kastrationen), die grausamsten Ritualformen aller religiösen Kulte (und alle Religionen sind auf dem untersten Grunde Systeme von Grausamkeiten) - alles das hat in jenem Instinkte seinen Ursprung, welcher im Schmerz das mächtigste Hilfsmittel der Mnemotechnik erriet“ (Nietzsche 1999: 210).

P OSTSTRUKTURALISMUS

| 117

Der Körper gibt dem Individuum die Möglichkeit, seinem Geschlecht, seiner Herkunft oder seinem Alter eine Bedeutung zu verleihen. Demnach lässt sich der menschliche Körper als ein gesellschaftliches und kulturelles, aber auch als subjektives Projekt verstehen. Es vollziehen sich nicht nur biologische Funktionen im Körper, sondern der Körper speichert auch seine Geschichte bzw. der Körper ist ein Aufbewahrungsort von Geschichte (vgl. Bourdieu 1987: 126ff; 1992: 162ff). Er behält das Erlebte und dient als Informationsträger von sozialen Strukturen: Damit z. B. bestimmtes „normales“ Verhalten nicht ständig bewusst vollzogen werden muss, ermöglicht der Körper einen automatischen Ablauf von erwünschten Verhaltensweisen. Dies wird z. B. bei Spielen oder Ritualen – Begrüßungen, Bewegungen, Haltungen etc. – deutlich. Das bedeutet, dass die praktische Beherrschung von Verhaltensweisen unmittelbar durch den Körper vermittelt ist. Anders gesagt verinnerlicht der Körper soziale Normen oder Strukturen und speichert diese ab (vgl. Gisler/Emmenegger 1998: 149, Jäger 2004: 186). Denn was „der Leib gelernt hat, das besitzt man nicht wie ein wiederbetrachtbares Wissen, sondern das ist man“ (Bourdieu 1987: 135). Einfach gesagt: „Dem Leib prägen sich die Ereignisse ein“ (Foucault, zitiert nach Butler 2003: 191). Um dies zu verdeutlichen, bezieht sich Foucault bei der Analyse der Disziplinarmacht bzw. der Genealogie der Macht u. a. auf das Benthamsche Modell des Panoptikons.5 Das Panoptikon stammt aus der Gefängnisarchitektur und ist ein Überwachungsmodell, das die totale Kontrolle mittels Disziplinartechnologien auszuüben versucht. Benthams Entwurf sieht eine ringförmige Gebäudeformation mit nebeneinander angeordneten Zellen vor, die vom Zentrum aus einsehbar sind. Im Zentrum befindet sich ein Überwachungsturm, in dem sich Aufseher befinden. „Das Panopticon ist eine Maschine zur Scheidung des Paares Sehen/Gesehen-werden: Im Außenring wird man vollständig gesehen, ohne jemals zu sehen, im Zentralturm sieht man alles, ohne je gesehen zu werden“ (Foucault 1977: 259). Dieses Modell der Disziplinarmacht lässt sich im Einzelnen auch auf alle Institutionen oder „Einschließungsmilieus“ (Deleuze 1993: 255) der Gesellschaft, wie Schule, Fabrik, Büro, Familie etc., übertragen (vgl. Foucault 1977: 271f). Die Disziplinarmacht bedient sich dabei verschiedener Instrumente:

5

Der Englische Utilitarist Jeremias Bentham (1748-1832) beschreibt seine Idee des Panoptikons 1789 wie folgt: „Panopicon; or the Inspection House: containing the Idea of a new Principle of Construction applicable to any Sort of Establishment, in which Persons of any Description are to keep under Inspection; and in particular to Penitentairy-Houses, Prisons, Houses of Industry, Work houses, Poor Houses, Manufacturies, Mad Houses, Lazaretts, Hospitals and Schools“ (Bentham zitiert nach Foucault 1977: 258).

118 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

• Der hierarchische Blick (vgl. Foucault 1977: 221ff) dient dazu, Seher und Ge-

sehene zu trennen, und er dient als Ordnungsprinzip. Er normiert, kontrolliert, analysiert, zergliedert und strukturiert das Verhalten der Sichtbaren. Durch die Internalisierung des Blickes, der permanent vorhanden ist, entsteht eine Art Selbstkontrolle. Diejenigen, die sichtbar sind, haben einen Objektstatus. Sie werden mit dem Blick zurechtgewiesen. Die Zugriffe durch den Blick sind nicht spektakulär, sondern lassen sich eher als fein abgestimmter Zwang beschreiben. Allein die Vorstellung, dass der Sichtbare durch den Blick überwacht wird, ersetzt den Wärter. Dadurch können auch die Sehenden, z. B. die Wärter, zu Gesehenen werden. Es einsteht ein Netz „überwachter Überwacher“ (Mümken 2003: 23). • Die normierende Sanktion (vgl. Foucault 1977: 229) erweitert den hierarchisierenden Blick, indem auf jede kleine Abweichung der Regel eine Bestrafung folgt. Strafbar ist dabei „alles, was nicht konform ist“ (Foucault 1977: 232). Die Sanktionen wirken „normend, normierend, normalisierend“ (Foucault 1977: 236). • Die Prüfung ist eine Verbindung des hierarchischen Blickes und der Sanktion. Die Prüfung fragt das richtige Wissen ab. Die Prüfung klassifiziert und differenziert die Sichtbaren (vgl. Foucault 1977: 238). Durch diese Disziplinierungsprozesse und die daraus entstehende Selbstkontrolle, Selbstbeherrschung und Anpassung an das Normale wird ein selbstbeobachtendes Subjekt hergestellt. Durch eine strenge Zeitplanung innerhalb der Einschlussmilieus, die durch die Festsetzung von Rhythmen oder Ritualen, durch die Regelung der Wiederholungszyklen und durch den direkten Zwang zur Verrichtung bestimmter Tätigkeiten festgelegt ist, wird eine systematische Minimierung der freien Zeiteinteilung des Menschen innerhalb von Institutionen erreicht. Dies hat die Herabsetzung aller störenden Anlässe und Ablenkungen zur Folge. Und durch die zeitliche Zerlegung von Tätigkeiten in einzelne Elemente wird z. B. die Haltung des Körpers bei verschiedenen Ritualen festgeschrieben. Dadurch resultiert die Herstellung der Gesamthaltung des Körpers mit den je spezifischen Gesten. Schließlich ist der Körper in dieser Folge mit dem Objekt der Tätigkeit verzahnt oder zusammengeschaltet. Es bildet sich ein Komplex von Körper und Maschine, Körper und Instrument, Körper und Identität, etc. Der Effekt ist eine Zwangsbindung der kollektiven wie individualisierten Körper an einen Diskurs, an eine Idee, Institution bzw. an den Produktions- oder Reproduktionsapparat (vgl. Foucault 1977: 192ff, Mümken 2003: 22).6

6

Ein Beispiel hierfür ist die industrialisierte Arbeitsorganisation auf der Grundlage der Erhöhung der Arbeitsproduktivität bzw. der „rationellsten“ Nutzung der Arbeitskraft,

P OSTSTRUKTURALISMUS

| 119

Die Disziplin erweist sich dabei als eine eigenständige Macht, die nicht ausschließlich auf direkter Gewalt und Souveränität basiert, sondern auf ökonomischer Organisation. „Die wesentliche Funktion der Disziplin ist es, alles zu unterbinden, sogar und vor allem die Kleinigkeit“ (Foucault 2006a: 74). Der Mehrwert der Disziplinartechnik besteht in der Produktion von normierten Subjekten, die, sofern die Disziplinartechnik erfolgreich angewendet wird, nach den hegemonialen Vorstellungen der jeweiligen Gesellschaftsformation funktionieren. Die Disziplinarmacht ist erfolgreich, wenn sie ein Regime hervorbringt, das die Körper „zergliedert und wieder zusammensetzt“ (Foucault 1977: 176), indem es in die Körper eindringt, sie belagert und individualisiert und durch Kontrollen, Prüfungen und Blicke eine Regulierung und Normalisierung der Körperbewegungen und Gesten hervorruft – solange bis die Körper die gewünschten Normen internalisieren und reproduzieren. Diese performativen Prozesse können auch geschlechtsspezifisches Verhalten in Gang setzen. Das bedeutet, dass sich durch die Verbindung von Tätigkeit und Sein geschlechtsspezifische Normierungen bis in die Gesten, Haltungen, Körperwahrnehmungen, Deutungen, Verhaltensweisen etc. zurückverfolgen las-

die auf die Studien des US-amerikanischen Ingenieurs F.W. Taylor (1856-1915) zurückgehen: Taylor verstand die Gliederbewegungen beim Arbeiten als mechanische Vorgänge, die an die Gesetze der Mechanik angepasst werden sollten. Um die rationellste Ausführung zu ermitteln, mussten die spezifischen Tätigkeiten der Arbeit in einzelne Handlungen zerlegt werden, mittels der festgelegten Intervalle im Bewegungsrhythmus des Fließbandes wurden den Arbeiterinnen und Arbeitern diese mechanisierte Arbeitsverrichtung antrainiert (vgl. Conert 1998: 278). Taylor postulierte in der Einleitung zu seinem Buch „Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung“ (1913, hier 2004), die Prinzipien, die er in industriellen Unternehmungen entwickelt hatte, seien mit gleichem Recht und gleichem Erfolg auf alle Gebiete menschlicher Tätigkeit übertragbar – auch auf die Verwaltung und Leitung des Haushaltes. Die Architektin Schütte-Lihotzky versuchte, Taylors Ideen in der Reproduktionssphäre mit ihrem Entwurf der „Frankfurter Küche“ (1926) umzusetzen. Unter Rückgriff auf Arbeitsplatzanalysen sowie auf die tayloristischen Zeit- und Bewegungsstudien konzipierte Schütte-Lihotzky ein fabrikähnliches Küchenmodell, in dem jede Tätigkeit einem vorgeschriebenen Ablauf folgen sollte. Ziel dieses Entwurfes war es, die Ausdehnung der mechanisierten Produktionsweise in die Reproduktionssphäre zu übertragen und einen mechanisierten Reproduktionsraum zu schaffen. Dabei ging es nicht darum, die Reproduktionsarbeit zu reduzieren, sondern die Tätigkeitsfelder zu normieren und zu kontrollieren sowie die Produktivität der Reproduktionsarbeit zu erhöhen. Die Grundsätze arbeitssparender und wirtschaftlicher Organisation des Lebens gehen einher mit geschlechtsspezifischen Zuordnungen und den damals vorherrschenden Charakterbestimmungen von Männern und Frauen. Die Entscheidung, wer in der Produktions- und Reproduktionssphäre tätig ist, wurde durch die sozialen Geschlechtsmerkmale festgelegt (vgl. Paulus 2007: 12f).

120 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

sen bzw. einschreiben. Das Körperbewusstsein kann laut Foucault nur durch die Besetzung des Körpers durch Akte wie Gymnastik, militärische Übungen, Bodybuilding, Nacktheit, Askese etc. hergestellt werden. Beispiele hierfür sind auch die unterschiedlichen Kleidungen, Frisuren, Bewegungsabläufe, Kosmetika, sozialen Verhaltensformen für Männer und Frauen etc. Durch die Normen von Männlichkeit und Weiblichkeit wird ein hegemonialer Zwang in fast allen gesellschaftlichen Feldern hergestellt, das eigene Geschlecht durch spezielle Ausformung und Sichtbarmachung permanent zu inszenieren und zu modellieren (vgl. Villa 2003: 72, Kreisky 2003: 15, Krasmann 2003: 197). Diese körperliche Ordnung der Dinge ist daher nicht nur identitätsstiftend, sondern prägt auch die heteronormative Matrix. Die Beispiele hierfür erscheinen unendlich, wenn man sich auch noch architekturale Trennungen von Geschlechtern, Personalienfeststellungen durch Behörden, Männer- und Frauennamen, Geschlechtersegregation auf dem Arbeitsmarkt etc. anschaut (vgl. Villa 2003: 72). In diesem Zusammenhang ist die Dimension der vergeschlechtlichten Subjektivierung durch eine permanent erzwungene Wiederholung der Normen zu sehen. Das heißt, dass sich durch Wiederholungen, die sich unter Zwang und durch Zwang vollziehen, eine bestimmte (binäre) Form von Geschlechtlichkeit und auch von Sexualität herausstellt. Sexualität ist für Foucault ein wesentliches Element, um gesellschaftliche Machtverhältnisse zu erklären. Die Sexualität dient dabei als „Matrix der Disziplinen und als Prinzip der Regulierungen“ (Foucault 1983: 174). Sie betrifft die Vergesellschaftung der Individuen und ist eine der wirkmächtigsten Strategien, um Geschlechtlichkeit zu verstehen. Im Kontext der hegemonialen Sexualpraktiken weitet sich die Sexualität auch auf die Persönlichkeitsstruktur aus und formiert Geschlechtsidentitäten. Mit dem jeweiligen Geschlecht und der sexuellen Orientierung sind so auch gesellschaftliche Ein- und Ausschließungsprozesse verbunden, die eine kontrollierte Inwertsetzung und Verwertung der Individuen ermöglichen. Foucault hat in seinen Untersuchungen zum Sexualitätsdispositiv diese Verbindungen zwischen Disziplin und Regulierungen aufgezeigt. Das Sexualitätsdispositiv wird von Foucault als Schnittstelle oder als „Scharnier“ (Foucault 1983: 176) verstanden, um an den Körper und die Bevölkerung zu gelangen. Es beschreibt die Formierung von gesellschaftlichen Verhältnissen, die über Wissenschaften, Institutionen oder Gesetze bestimmten hegemonialen Verhaltensweisen in Bezug auf die Sexualität eine maßgebliche Bedeutung verleihen. Das Sexualitätsdispositiv ist so auch als Vermittlungsinstanz zwischen strategischen Machtbeziehungen und Herrschaftszuständen bzw. als Verknüpfungsmoment zwischen modernen Machtformen zu fassen. Das biologische und das soziale Geschlecht sind somit als Produkte des Sexualitätsdispositivs zu verstehen.

P OSTSTRUKTURALISMUS

| 121

Die Organisation der Sexualität kann durch den Zugriff auf die Körper, auf das Begehren und auf die Lüste maßgeblich die Reproduktion der kapitalistischen Produktionsbedingungen beeinflussen. Diese Strategie ist unmittelbar mit dem Leben und dem Gesundheitsniveau des „Bevölkerungskörpers“ verbunden. Sie kann als Biomacht, als Regulierungs- und Normalisierungsmaßnahme verstanden werden, in der ein engmaschiges Netz von Bevölkerungspolitiken dazu führt, gesellschaftliche Entwicklungsprozesse zu balancieren. Sexualität wurde historisch so zu einem hochwirksamen Strukturierungsprinzip der kapitalistischen Gesellschaftsformation (vgl. Lemke 1997: 137f; Opitz 2003: 36ff). Diese Erkenntnis erfordert „auch eine entsprechende Reformulierung der Geschlechtsidentität als Disziplinarproduktion“ (Butler 2003: 199). Die dem Körper andisziplinierte Zweigeschlechtlichkeit wird so auch zu einer Art normativem Ideal einer psychischen Identität (vgl. Butler 2001: 82). Die psychische Identität wird wiederum zur „Schnittstelle der körperlichen Form und des subjektiven Innersten“ (Opitz 2004: 67). Sie gibt dem Körper einerseits ein normatives und normalisierendes Sein, wodurch der Körper sowohl als Subjekt „als auch als subjektiver Körper anerkennbar wird“ (Opitz 2004: 67), und andererseits rahmt und formt sie den Körper, wodurch das Subjekt dessen Platz einnimmt. Dies führt zur Verdopplung der zu disziplinierenden Subjekte: Einerseits müssen die Körper direkt angeeignet werden und andererseits müssen die Disziplinartechniken die Identität aneignen (vgl. Foucault 1977: 40). Insgesamt werden die von den Disziplinartechniken durchzogenen Individuen zum Prinzip ihrer eigenen Unterwerfung (vgl. Foucault 1977: 260; vgl. Butler 2001: 82ff). Festzuhalten bleibt, dass für die Verinnerlichung von sozialen Normen und Werten Mechanismen nötig sind, die sich im Kontext der jeweiligen Gesellschaftsformation zusammensetzen. In der Regel funktioniert die Einverleibung oder „Einverseelung“ (Nietzsche 1999: 210) der Struktur der vorherrschenden Gesellschaftsformation, ihrer kulturellen und historischen Bedingungen und Machtverhältnisse sowie ihrer hegemonialen Leitbilder nicht mehr ausschließlich über Gewalt oder offensichtlichen Zwang, sondern sie wird auch durch subtile Formen vollzogen (vgl. Jäger, U. 2004: 184). Eine fundierte Erklärung, wie sich Herrschaftsverhältnisse im Körper durch subtile Formen einschreiben bzw. wie sie einverleibt werden, ist auch durch die Zuhilfenahme des in Kapitel 3.2.3 eingeführten Habituskonzeptes möglich (vgl. Bourdieu 1997: 166). Laut Butler lässt sich das Habituskonzept auch als Reformulierung von Althussers Ideologiebegriff lesen. Durch dieses Konzept können die verkörperten Alltagsrituale analysiert werden, mit der die „Kultur ihre eigene ‚Selbstverständlichkeit’ erzeugt und

122 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

aufrechterhält“ (Butler 2001: 194). Um diese Prozesse analytisch zu fassen, entwickelte Bourdieu die Begriffe Habitus und Hexis. Wie schon beschrieben, stellt der Habitus ein Dispositiv bzw. ein System verinnerlichter Denk-, Handlungs- und Wahrnehmungsschemata dar, die u. a. durch Sozialisationsprozesse erlernt werden. Bourdieu beschreibt den Begriff Habitus als „generative Grammatik der Handlungsmuster“ (Bourdieu 1970: 150). Der Habitus organisiert Muster, Ordnungen oder eine (kulturelle) Matrix, die dem Handeln von Einzelnen vorausgehen. Die Hexis kann als eine Art körperlicher Speicher der Struktur des Habitus verstanden werden. Dieses Konzept beschreibt aber keine vorsoziale Subjektivität und ist auch nicht als Verbindung von sozialen Strukturen und Handlungen von Subjekten zu verstehen (vgl. Bourdieu 1987: 126ff; 1992: 162ff, Jäger 2004: 186). Der Habitus ist soziale Struktur und Handlung, denn Individuen sind durch ihre körperliche Existenz und ihre Handlungen, Gesten etc. immer schon Akteure, die Normen und Werte generieren bzw. Geschichte machen. Ob Individuen sich nach hegemonialen Vorstellungen verhalten, ist nicht nur eine Frage des Habitus, sondern auch der Machtverhältnisse, denn „als ein Produkt der Geschichte ist er [der Habitus] ein offenes Dispositionssystem, das ständig mit neuen Erfahrungen konfrontiert und damit unentwegt von ihnen beeinflusst wird“ (Bourdieu/Wacquant 1996: 167). Dies bedeutet wiederum, dass der Habitus mit sozialen Praxen bzw. mit gesellschaftlichen Verhältnissen verknüpft ist. Die Reproduktion von heteronormativen Gesellschaftsformationen kann nur durch Machtverhältnisse erzeugte Schemata und mithilfe individueller bzw. kollektiver Praxen organisiert werden. Der Habitus ist so nicht nur gesellschaftlich bedingt, sondern wird durch Mitmachen zu einer sozialen Praxis, die sich verändert und andere Praxen umbilden kann. Er erzeugt ein kollektives Gedächtnis, „indem er in den Nachfolgern reproduziert, was die Vorläufer erworben haben“ (Bourdieu 1987: 101). Der Habitus ist somit strukturierte und strukturierende Struktur, er erzeugt und klassifiziert Handlungsmöglichkeiten, er ist nicht angeboren, sondern beruht auf Erfahrungen und Handlungsprämissen. Das habituelle Dispositionssystem dient zur Orientierung innerhalb einer Gesellschaftsformation und ermöglicht den Subjekten sich innerhalb dieser einen Platz zu suchen bzw. weist ihnen einen Platz zu (vgl. Bourdieu 1987: 104, Jäger 2004: 184ff). Das bedeutet wiederum „nicht einfach, eine bestimmte Gruppe von Regeln zu befolgen, sondern Regeln im Tun verkörpern und diese Regeln in verkörperten Handlungsritualen zu reproduzieren“ (Butler 2001: 112). Die Übernahme heteronormativer Normen und deren Reproduktion ist demnach nicht mechanisch, sondern „verweist darauf, dass sie durchgeführt, performiert wird und dass in der Durchführung dieser

P OSTSTRUKTURALISMUS

| 123

Wiederholung eine Überzeugung entsteht, die in der Folge dann in die Durchführung integriert wird“ (Butler 2001: 113). Verdeutlichen lässt sich diese Denkfigur zum Beispiel darüber, dass Handelnde mit ihren jeweiligen Geschmäckern Unterschiede im Geschmack daran festmachen, dass sie eigene Unterscheidungsprinzipien anwenden oder allgemeingültige Unterscheidungsprinzipien unterschiedlich anwenden (vgl. Bourdieu 1982: 36). Der Geschmack kontrolliert und bewertet die unterschiedlichen Zuweisungen bzw. paart und verbindet Menschen oder Dinge und Menschen, indem er sie aufeinander abstimmt und einander verwandt macht oder entgegensetzt. Deshalb gibt es z. B. einerseits eine Vielzahl an Beurteilungen vergeschlechtlichter Körper bzw. eine subjektive symbolische Definitionsmacht, andererseits sind die Definitionen nicht unabhängig von Unterscheidungsprinzipien, Ausschließungskriterien, Einteilungsmechanismen und Geschmacksnormen der hegemonialen Matrix. Dadurch, dass die Zweigeschlechtlichkeit strukturierte und strukturierende Struktur ist, sind die soziale Welt, die symbolische Ordnung etc. und das Wissen darum, wie z. B. Männer oder Frauen „sind“, im Prinzip schon durch die hegemonialen Klassifikationssysteme in den Denkformen der Subjekte enthalten. Damit der Geschmack, das Begehren oder die Lust nicht ständig bewusst in Beziehung gesetzt wird zu Menschen oder Dingen, fungiert der Habitus wie akkumuliertes Kapital, er erzeugt Geschichte aus Geschichte. Damit die Dauerhaftigkeit im Wandel gewährleistet wird – „die aus dem einzelnen Handelnden eine eigene Welt in der Welt macht“ (Bourdieu 1987: 105) – erzeugt die akkumulierte Geschichte eine relativ unbeschwerte und spontane Praxis, um die eigene Geschlechtlichkeit zu reproduzieren. Die hegemoniale Vorstellung einer Zweigeschlechtlichkeit wird so zur eigenen „Natur“, und die Zweigeschlechtlichkeit wird zur „Spontanität ohne Willen“ (Bourdieu 1987: 105). Einfach gesagt enthält die vergeschlechtlichte Subjektivierung schon unbewusste Vorstellungen und Strukturen, die über die bewussten Absichten des Individuums hinausgehen, weil sie an heteronormative Erfahrungen gekoppelt sind und weil Normen und Werte, die durch ideologische Apparate, wie Familie, Schule, Politik, Medien, geprägt werden, dem Verhalten vorausgehen. Die vergeschlechtlichte Subjektivierung steht so in einem Verhältnis von Tragen und getragen werden bzw. von Handeln und behandelt werden (vgl. Bourdieu 1987: 106). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die körperliche Subjektivierung nicht nur identitätsstiftend ist, sondern gleichermaßen vergeschlechtlichte Körper erzeugt. Der vergeschlechtlichte Körper spiegelt sich in einem erworbenen System von heteronormativen Ideologien wider. Durch dieses System können Gedanken, Wahrnehmungen und Handlungen relativ frei hervorgebracht werden,

124 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

allerdings nur innerhalb der Grenzen der diskursiven und symbolischen Geschlechterverhältnisse. Weiter lässt sich bekräftigen, dass die Struktur, welche die sexuelle Differenz erzeugt, auch über die sexuelle Differenz regiert wird. Die Inkorporation der sexuellen Differenz basiert auf Mechanismen, die Individuen sich selbst kontrollieren und selbst beherrschen lassen, bis sie sich durch diese Mechanismen an das Normale anpassen. Die ritualisierten „Akte, Gesten, artikulierte und inszenierte Begehren schaffen die Illusion eines inneren Organisationskerns der Geschlechtsidentität (organizing gender core), eine Illusion, die diskursiv aufrechterhalten wird, um die Sexualität innerhalb des obligatorischen Rahmens der reproduktiven Heterosexualität zu regulieren.“ (Butler 2003: 200)

Anders gesagt, es ist durch diese inkorporierte Politik schwer möglich „einen Körper nicht entweder als weiblichen oder männlichen zu sehen“ (Gisler/Emmenegger 1998: 149). Frauen und Männer erhalten in dieser Folge ein objektiviertes Verhältnis zu ihrem Körper. Sie verkörperlichen die gesellschaftlichen Umgangsformen von und mit Männern oder Frauen und werden letztlich „selber Subjekte von sich als Objekt“ (Gisler/Emmenegger 1998: 150). Daraus resultiert auch eine Herstellung einer Gesamthaltung des Körpers mit den je spezifischen Gesten, bis durch die vergeschlechtlichte Subjektivierung schließlich der Körper mit dem Ideal eines Mannes oder einer Frau verzahnt oder zusammengeschaltet ist. „Das derart Einverleibte findet sich jenseits des Bewusstseinsprozesses angesiedelt, also geschützt vor absichtlichen und überlegten Transformationen, geschützt selbst noch davor, explizit gemacht zu werden: Nichts erscheint unaussprechlicher, unkommunizierbarer, unersetzlicher, unnachahmlicher und dadurch kostbarer als die einverleibten, zu Körpern gemachten Werte...“ (Bourdieu 1976: 200)

Ein weiterer Baustein des Konzeptes Geschlechterregime ist durch Ausformungen habitueller und symbolischer Regelungen im Umgang miteinander festgelegt. Für ein historisch-konkretes Geschlechterregime würde dies buchstäblich bedeuten, dass Menschen durch die heteronormativen Diskursmatrizen auf bestimmte Rollen festgeschrieben werden bzw. selbst bestimmte Geschlechtsidentitäten markieren. Folglich hat ein historisch-konkretes Geschlechterregime seine eigene (hetero)normative und disziplinatorische Struktur. Die Definitionskette des Geschlechterregimes lässt sich somit weiter als Normierungs- und Disziplinierungs- und Vereinnahmungsapparat entfalten, der Übertragungsmacht von Bedeutungen besitzt (vgl. Deleuze/Guattari 1992: 534, 606).

P OSTSTRUKTURALISMUS

| 125

4.1.3 Zusammenfassung Subjektivierung und Geschlechterregime Als Fazit aus dem vorherigen Kapitel zur Regulationstheorie wurde festgehalten, dass die weitere Analyse von Geschlechterregimen an Strukturöffnungen und Bruchstellen innerhalb der kapitalistischen Gesellschaftsformation ansetzen muss. Das heißt, dass weitere Bausteine des Theorems Geschlechterregime in den komplexen Herrschaftszusammenhängen und Machtverhältnissen zu finden sind, die in einem Prozess von permanenten politisch-sozialen und ideologischen Auseinandersetzungen Geschlechterverhältnisse regulieren. Postuliert wurde hierbei, dass Geschlechterregime symbolische Machttechniken und vergeschlechtlichte Gewaltverhältnisse beinhalten, welche weiter zu untersuchen sind. Auch wurde festgehalten, dass es einer konkreten Analyse bedarf, wie soziale Praxen und Strukturimperative im Kontext eines Geschlechterregimes korrespondieren. Deshalb steht das Kapitel „Subjektivierung und Geschlechterregime“ im Zusammenhang mit den Fragen, wie sich die Materialisierung einer Geschlechtsidentität und eines vergeschlechtlichten Körpers vollzieht. Zur Klärung dieser Fragen ist bisher der Prozess der Subjektivierung in Verbindung mit der Einschreibung von Herrschaftsverhältnissen, mit der Anrufung von Individuen durch diskursive Praxen und mit den diskursiv hervorgebrachten binären Beziehungen zwischen Individuen verdeutlicht worden. Der Materialität von Diskursen kommt hierbei eine besondere Bedeutung zu, um erst einmal zu verstehen, wie Subjekte sich als Geschlecht bedeuten. Dieser Fokus auf die Verbindung von Handlung, Sprache und Macht ergibt einen weiteren Baustein des Theorems Geschlechterregime, mit dem die intersektionalen Ebenen Struktur, Symbol und Subjekt beleuchtet werden: Auf der Symbolebene des Geschlechterregimes sind besonders die Funktionen von Diskursen und ihre Machtwirkungen in den Blick der Analyse geraten. Wie beschrieben sind in Diskursen bestimmte Formationsgesetze, Formulierungstypen, Begriffe, theoretische Optionen, individuelle oder kollektive Verhaltensweisen enthalten, die über Kollektivsymboliken als kulturelle Stereotypen vermittelt sind. Der Diskurs ist insofern ein von Machtverhältnissen durchzogener offener Prozess, der durch die Darstellung, Formierung und auch Wiederholung gesellschaftlicher Konventionen ein gesellschaftliches Bedeutungsregime erzeugt (vgl. Jäger 1993: 152ff). Zentral für die Konstruktion einer Geschlechtsidentität sind hierbei die sexuierten Positionen innerhalb der Sprache, die bestimmte sprachliche Formulierungen bzw. die bestimmte kulturelle Konfigurationen einer Geschlechtsidentität besitzen. Durch eine heteronormativ codierte

126 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Performativität werden Geschlechtsidentitäten generiert, gefestigt oder reguliert. Insofern entsteht die sprachliche Hervorbringung von Geschlecht in einem scheinbar natürlichen Regime verbindlicher Konventionen, die ein „zitatförmiges Vermächtnis“ (Butler 1997: 298) von Geschlechtsidentitäten enthalten. Durch dieses System können Gedanken, Wahrnehmungen und Handlungen relativ frei hervorgebracht werden, allerdings nur innerhalb der Grenzen und Normen der diskursiven und symbolischen Geschlechterverhältnissen. Diese Subjektivierung geschlechtsspezifischer hegemonialer Vorstellungen fungiert gleichzeitig als „leibliche Einschreibung“ (Butler 2003: 190), weil je nach den kulturellen und historischen Bedingungen, Machtverhältnissen und hegemonialen Leitbildern eine bestimmte Wahrnehmung in Bezug auf den menschlichen Körper erzeugt werden kann. Effekt dieser Wahrnehmung ist die Darstellung und Wiederholung einer jeweiligen Geschlechtsidentität, weil der Körper dem Individuum die Möglichkeit gibt, seinem Geschlecht, seiner Herkunft oder seinem Alter eine Bedeutung zu verleihen (vgl. Jäger 2004). In diesem Zusammenhang ist die Dimension der vergeschlechtlichten Subjektivierung durch eine permanent erzwungene Wiederholung von gesellschaftlichen Normen zu sehen. Das bedeutet weiter, dass der vergeschlechtlichte Körper sich in einem erworbenen System von heteronormativen Ideologien widerspiegelt. Diese Einschreibung ist so wirkmächtig, dass es schwer möglich „einen Körper nicht entweder als weiblichen oder männlichen zu sehen“ (Gisler/Emmenegger 1998: 149). Festzuhalten ist, dass die historisch-konkrete Ausformung eines Geschlechterregimes sich entlang gesellschaftlicher Bedeutungen von Geschlecht vollzieht. Dabei legen die hegemonialen Diskurse über Geschlecht die Grenzen, Sollwerte und Richtlinien eines Geschlechterregimes fest. Abstrakt gesehen lässt sich ein Geschlechterregime auf der symbolischen Ebene als Normierungsapparat und Bedeutungsapparat beschreiben. In der Verbindung zwischen Symbolebene und Subjektebene lässt sich die Wirkung des Geschlechterregimes als Normierungsapparat und Bedeutungsapparat weiter verdeutlichen. Denn dadurch, dass weder eine jeweilige Strukturebene noch eine Symbolebene oder Subjekte sich vollständig allein konstituieren können, ergibt sich eine gegenseitige Bestimmung der jeweiligen Ebenen. Ein Beispiel dieser Wechselwirkung hat die Materialisierung der Geschlechtsidentität gezeigt. Sie spielt sich auf den verschiedenen Ebenen ab, und als Folge resultiert daraus die Konstruktion eines vergeschlechtlichten Körpers über die Einschreibung heteronormativer Ideen. Der Begriff Heteronormativität bezeichnet dabei die Vorherrschaft des Heterosexuellen und Zweigeschlechtlichen innerhalb der symbolischen Ordnung der Gesellschaft (vgl. Warner 1991: 3ff). Wenn die Geschlechtsidentität hierbei als Norm verstanden wird, ist das nicht dasselbe wie

P OSTSTRUKTURALISMUS

| 127

ein kulturelles Stereotyp, dem Individuen sich anzunähern versuchen. Geschlechternormen sind „im Gegenteil eine Form sozialer Macht, die das intelligible Feld der Subjekte hervorbringt, und ein Apparat, durch den die Geschlechterbinarität eingerichtet wird“ (Butler 2004: 51). In diesem Zusammenhang ist ein historisch-konkretes Geschlechterregime im Kontext der Begriffe Subjektivierung, Materialisierung von Geschlecht, Heteronormativität näher zu beleuchten. Auf diese Art und Weise sind die Trennung in Männlichkeit und Weiblichkeit und das Wissen über sich selbst auch mit normierenden (Selbst) Regulierungsweisen verbunden. Aber auch die Herrschenden selbst, die von einer androzentrischen Struktur profitieren, werden von ihrer Herrschaft beherrscht, weil die Herrschaftsstruktur permanent durch ihre eigenen Praxen legitimiert werden muss. Allerdings wird die Herrschaft der herrschenden Ideen „nicht dadurch garantiert, dass sie immer schon mit den herrschenden Klassen gekoppelt sind. Vielmehr ist die wirksame Kopplung herrschender Ideen an den historischen Block, der in einer bestimmten Periode hegemoniale Macht erlangt hat, genau das, was der Prozess des ideologischen Kampfes sicherstellen will. Sie ist das Ziel der Übung – nicht die Aufführung eines schon geschriebenen und abgeschlossenen Drehbuchs.“ (Hall 2004: 31)

Als erste Ergebnisse der symptomatischen Leseweise poststrukturalistischer Sichtweisen im Zusammenhang der Herausbildung eines konkreten Geschlechterregimes lässt sich Folgendes festhalten: • Ein hegemoniales Geschlechterregime ist ein Konglomerat regulatorischer

Apparate und Diskurse, durch die wiederum die regulierenden Geschlechternormen in Kraft treten können. Folglich besitzt ein Geschlechterregime keine systemische Totalität, sondern spiegelt vielmehr eine heteronormativ-fragile Machtform wider. Anders gesagt formt sich ein Geschlechterregime nach der je historisch-konkreten Hegemonie und wird durch die ebenfalls historisch gewachsenen Staatsapparate, Ideologien und Symbole sowie durch das Bedeutungsregime der Sprache abgesichert. Somit ist ein Geschlechterregime, welches die Struktur für die Materialisierung des Geschlechts hervorbringt, ebenso wie jede hegemoniale Formation, zeitlich bedingt und muss ständig durch soziale Praxen und sprachliche Festschreibungen reproduziert werden. Die vorherrschenden Bedeutungen der Geschlechtsidentität repräsentieren somit auch keine innere Tiefe, sondern liefern lediglich den sprachlichen Rahmen, welcher wiederum das soziale Geschlecht im Kontext des Geschlechterregimes materialisiert. Allerdings ist die vergeschlechtlichte Subjektivierung

128 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

nicht so zu verstehen, dass sie erst durch regulatorische Machtverhältnisse entsteht und Geschlecht sozusagen unter ein Machtregime zu subsumieren ist oder als Ableitung aus übergeordneten Machtverhältnissen zu denken ist (vgl. Butler 2004). • Weiter lässt sich die Lesart des Geschlechterregimes als Normierungs- und Bedeutungsapparat über die Inkorporation vorherrschender Geschlechterstereotypen verdeutlichen. Hegemoniale Ideen und Strukturen basieren auf Mechanismen, die das Normale erzeugen, und darauf, dass Individuen sich selbst kontrollieren, bis sie sich an das Normale anpassen. Durch den direkten Zwang bzw. durch ihre Zustimmung zur Verrichtung bestimmter Tätigkeiten werden Menschen systematisch auf bestimmte Rollen festgelegt, bzw. legen sie sich selbst auf bestimmte Rollen fest. Die Übernahme und Sichtbarmachung von geschlechtsspezifischen Mustern und Praxen bedeutet, dass das Geschlecht „sein eigenes, unverwechselbares regulatorisches und disziplinarisches Regime erfordert und einführt“ (Butler 2004: 45). Insofern bekräftigt sich die Definitionskette des Geschlechterregimes als Regulations-, Normierungs-, und Bedeutungsapparat. • Die vergeschlechtlichte Subjektivierung entwickelt sich entlang einer geschlechterspezifischen und regulatorischen Apparatur – dem Geschlechterregime. Das Geschlechterregime ist somit als ein überdeterminierter Bestandteil der kapitalistischen Gesellschaftsformation zu verstehen, durch den sich heteronormative Vorstellungen artikulieren und materialisieren. Das heißt abschließend: Für die Bestimmung des theoretisch-abstrakten Geschlechterregimes aus poststrukturalistischer Sichtweise gilt, dass der Fokus des Geschlechterregimes als Untersuchungskategorie auf den geschlechtsspezifischen Diskursen, Ideologien und Normen sowie auf den Apparaten und sozialen Praxen liegt.

4.2 G OUVERNEMENTALITÄT , B IOMACHT , D ISZIPLINARMACHT UND G ESCHLECHT Wie sich bisher herauskristallisiert hat, ist das Geschlechterregime im Kontext eines Regulierung-, Normierungs-, und Bedeutungsapparates zu sehen. Die Konstruktion von Geschlechterregimen ist somit eng verbunden mit verschiedenen historischen Machtformen und den dazugehörigen Machtdispositiven. Wie ein jeweiliges Geschlechterregime sich zusammensetzt, ist daher von den jeweiligen vorherrschenden Machtverhältnissen abhängig. Mein Ziel in diesem Kapi-

P OSTSTRUKTURALISMUS

| 129

tel ist es aufzuzeigen, wie das Geschlechterregime als immanente Konstitution von Macht- bzw. Herrschaftsbedingungen zu verstehen ist. Bevor ich auf die Vermittlungsinstanzen und -institutionen von strategischen Machtbeziehungen und Herrschaftszuständen eingehe, will ich zuerst mit der Foucaultschen Dispositivanalyse herausarbeiten, wie sich bestimmte Regierungsweisen oder Führungstechniken auf das Individuum bzw. auf die Bevölkerung auswirken. Damit soll verdeutlicht werden, wie ein Beziehungsgefüge entsteht, das Herrschaftsideologien deckungsgleich mit den sozialen Praxen und dem Begehren der Bevölkerung erscheinen lässt (vgl. Pieper/Gutierrez-Rodriguez 2003: 12). Dieser Ausgangspunkt ist Leitlinie der folgenden Kapitel und wird maßgeblich zur theoretischen Verdichtung des Begriffes Geschlechterregime beitragen. „In der Form konkreter Dispositionen“, schreibt Foucault (1983: 167), ließen sich die Kopplungen der Machtypen aufzeigen. Damit lässt sich auch die konkrete Zusammensetzung von Geschlechterregimen verdeutlichen. Für Foucault beschreiben Dispositive ein „heterogenes Ensemble, das Diskurse, Institutionen, architekturelle Einrichtungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze“ (Foucault 1978a: 120) beinhaltet. Foucault beschreibt das Dispositiv als inneren Rahmen der genealogischen Methode, um aufzuzeigen, wie sich Macht und Herrschaft herausgebildet haben. Deshalb verfolge ich in den folgenden Kapiteln mit der Foucaultschen Dispositivanalyse die Formierung spezieller historisch gewachsener Machttypen, unter anderem am Beispiel des Sexualitätsdispositivs, um anhand dieser Machtformationen die Genealogie von Geschlechterregimen herauszulesen. Konkret werde ich die allgemeinen Merkmale der drei verschiedenen Machttypen darstellen und die damit verbundenen Begriffe und Machtechniken als Bausteine zur Definition eines Geschlechterregimes weiterverwenden. Standen in den bisherigen Kapiteln die vergeschlechtlichten Subjektivierungsweisen im Vordergrund, werden die folgenden Kapitel einen Übergang des Geschlechterregimes als ein allein auf Subjekte ausgelegter Machtapparat hin zu einem Machtapparat darlegen, der auf die Vielheit ausgerichtet ist. In der Auseinandersetzung mit der Frage, wie Macht wirksam wird, geraten so neben dem leiblichen Körper auch der gesellschaftliche Körper bzw. die Bevölkerung in den Blick (vgl. Lemke 1997: 126ff). Mithilfe der Foucaultschen Dispositivanalyse, die ein Analyseraster, eine Machtanalytik darstellt, werden im Folgenden nun bestimmte Politiken und Maßnahmen in Bezug auf Geschlechter untersucht.

130 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

4.2.1 Disziplinar- und Biomacht Für Foucault werden Machtverhältnisse durch Regierungstechnologien vermittelt. Durch die Begriffe „Disziplin“, „Führung“ und „Regieren“ (vgl. Foucault 1994: 255) versucht Foucault, die Konstitution von Herrschaftsbedingungen zu verfolgen. Hierbei beschreibt er, wie sich seit dem 17. Jahrhundert zwei Hauptformen der Macht herausgebildet haben, die in gegenseitigen Bedingungen zueinanderstehen. Einerseits hat sich eine juridische und disziplinierende Macht gebildet, welche „die politische Anatomie des Körpers“ (Foucault 1983: 166) durch Machtprozeduren, Verbote und Gesetze sowie durch Disziplinierungs- und Unterdrückungsmechanismen innerhalb der Gesellschaftsformation zum Ausdruck bringt. Diese Disziplinargesellschaft ist wesentliche Voraussetzung zur ökonomischen Formation des Kapitalismus (vgl. Foucault 1978a: 35). Andererseits entwickelt sich Mitte des 18. Jahrhunderts eine weitere Machtform, welche die Kontrolle der Fortpflanzungs- und Mortalitätsrate sowie der gesundheitlichen Verfassung der Bevölkerung zum Ziel hatte, die Biomacht. Wie weiter oben dargelegt, schafft die Disziplinar- Regulierungs-, Normierungsmacht eine Maschinerie, welche die Körper „zergliedert und wieder zusammensetzt“ (Foucault 1977: 176). Durch Kontrollen, Prüfungen, Blicke, Regulierung und Normalisierung der Körperbewegungen und Gesten werden im Körper die Machtverhältnisse internalisiert. Das führt dazu, dass die Subjekte diese gegen sich selbst einsetzen und sie selbst zum Prinzip ihrer eigenen Unterwerfung werden (vgl. Foucault 1977: 260). Die Disziplinarmacht produziert ein erkennbares Subjekt, bei dem persönliche Schwächen, Perversionen und Anomalien sichtbar sind. Durch die Unterwerfungsmechanismen ergibt sich einerseits eine Wirkung der Macht, die den Körper erobert. Andererseits entstehen ein Begehren und „eine Rückforderung des eigenen Körpers gegen die Macht, der Gesundheit gegen die Ökonomie, der Lust gegen die moralischen Normen der Sexualität, der Heirat und der Schamhaftigkeit“ (Foucault 1977: 200f). Es entstehen so neben den Disziplinierungsmaßnahmen auch Entdisziplinierungsmaßnahmen bzw. Widerstände der Subjekte gegen die Kontrollmechanismen (vgl. Lemke 1997: 310ff). Neben der Disziplinarmacht, die auf Einzelne Macht ausübt und Subjekte mit einer persönlichen Geschichte, einer Strafvollzugs- oder Krankengeschichte hervorbringt, entwickelt sich – vor dem Hintergrund der souveränen Herrscher – eine zweite Form der Macht. Diese versucht durch die „Transformationen des politischen Rechts im 19. Jahrhundert“ (Foucault 1993: 62) die Gesamtheit der Bevölkerung zu bearbeiten. Die souveräne Macht, die das Recht besitzt, „sterben [zu] machen und leben [zu] lassen“ (Foucault 1993: 62), wird durch das umge-

P OSTSTRUKTURALISMUS

| 131

kehrte Recht durchdrungen bzw. modifiziert. Es entsteht eine Macht, die das Recht besitzt, „leben zu machen und sterben zu lassen“ (Foucault 1993: 62). Diese neue Form der Machttechnologie richtet sich nun auf die Vielzahl der Individuen, auf die „Massenmenschen“ (Foucault 1993: 64). Sie ist nicht wie die Disziplinartechnik individualisierend, sondern vermassend. Sie hat die Spezies Mensch und seine „Fortpflanzung, die Geburten- und Sterblichkeitsrate, das Gesundheitsniveau, die Lebensdauer, die Langlebigkeit mit allen ihren Variationsbedingungen“ (Foucault 1983: 166) im Visier. Foucault spricht bei diesen Prozessen von der „Biopolitik der Bevölkerung“ (Foucault 1983: 166). Diese Biopolitik entsteht im Kontext der immanenten Widersprüche der kapitalistischen Gesellschaft und des Auftretens einer Arbeiterbewegung. Da die „ursprüngliche Akkumulation“ (vgl. MEW 23: 741f) zu dem Effekt führt, dass die Ökonomisierung der gesellschaftlichen Produktionsmittel zum Raub an den Lebensbedingungen der Arbeiterinnen und Arbeiter wird und gleichzeitig lebensgefährliche oder gesundheitswidrige Umweltbedingungen herstellt (vgl. MEW 23: 449f), bildet sich entlang des sich formierenden industriellen Kapitalismus die Konstitution einer Machttechnologie heraus, die auf das Leben an sich gerichtet ist. Nicht nur durch die Folgen der Arbeitsunfälle oder der Pauperisierung, sondern besonders durch die Erkämpfung seitens der sich ebenfalls formierenden Arbeiterbewegung von besseren Lebensverhältnissen, tritt die Bevölkerung als politisches, ökonomisches, wissenschaftliches, biologisches und als Macht-Problem auf (vgl. Foucault 1993: 63). Mit Hilfe von biopolitischen Sicherheitsdispositiven wie Kranken-, Alters-, Sozialversicherungssystemen oder der Medizinalisierung sollte der immer größer werdende Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit bzw. zwischen Staat und Individuum und die verheerenden Folgen der Massenverelendung aufgefangen werden (vgl. Lemke 1997: 212ff, Mümken 2003: 148). Der Ausweg besteht darin, eine zunächst privatwirtschaftliche Technologie zur Regelung der gesellschaftlichen Prozesse zu installieren. Eine Versicherungstechnologie bzw. ein Versicherungssystem, das sich nicht an bestimmte soziale Klassen richtet, „sondern an das Kontinuum einer Bevölkerung, die sich nach Risiken unterscheidet, die durch Alter, Geschlecht, Beruf etc. bestimmt sind, nicht aber durch antagonistische Spaltungen. [...] Statt Kapital und Arbeit einander gegenüberzustellen, liefert die Versicherung Schutz für beide.“ (Lemke 1997: 213)

Somit ist durch die Versicherungstechnologie nicht nur ein Sicherheitsmechanismus gegen Revolutionen eingeführt, der eine korporative und sozialpartnerschaftliche Ebene zwischen Beherrschten und Herrschenden herstellt, sondern es

132 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

wird auch Wissen über die Bevölkerung durch Erhebungen, Registrierungen, Krankenberichte etc. gesammelt, um „etwas wie eine Homöostase“ (Foucault 1993: 64) anzustreben. Das heißt, es wird versucht, ein selbstregulierendes inneres Gleichgewicht der Bevölkerung herzustellen – entlang der Sicherheit der bevölkerungspolitischen Entwicklung verglichen mit ihren inneren Gefahren. Diese Biopolitik ist eine Technologie, die nicht die individuelle Dressur zum Gegenstand hat, sondern einen stabilen gesundheitlichen Zustand des „Volkskörpers“ herstellen will. Die neue Machtform richtet sich also nicht mehr ausschließlich auf den einzelnen Körper, sondern auf einen Körper mit vielen Köpfen, den „Produktionskörper“, den „Gattungskörper“, den „Staatskörper“ oder den „Volkskörper“. Ziel dieser Biopolitik ist es, „das Leben zu verwalten, zu sichern, zu entwickeln und zu bewirtschaften“ (Lemke 1997: 135). Dieser Modus ist vor allem als Regulationsmodus des Staates zu verstehen. Ohne dessen Entwicklung und dessen kontrollierende Anpassung der Menschen in den Produktionsapparat und in ökonomische Prozesse wäre die Entwicklung des Kapitalismus nicht möglich gewesen (vgl. Foucault 1983: 168; vgl. Mümken 2003: 22ff). Diese Anpassungsstrategien des Staates wurden mittels Disziplin und Regulation erreicht. Beide Techniken sind quasi ineinandergefügt und spielen sich auf unterschiedlichen Ebenen ab, die sich gegenseitig bedingen: „Man hat also zwei Reihen: die Reihe der Körper-Organismus-DisziplinInstitutionen; und die Reihe: Bevölkerung-biologischer Prozess-Regulierungsmechanismen-Staat“ (Foucault 1993: 64). Beide Ebenen umfassen, integrieren und modifizieren sich. Vor allem benutzen sie sich wechselseitig. Sie sind Teil einer „funktionellen Überdeterminierung“ (Foucault 1978a: 121), die sich in der Form des Sexualitätsdispositivs aufzeigen lässt. Die Sexualität dient dabei als „Matrix der Disziplinen und als Prinzip der Regulierungen“ (Foucault 1983: 174). Wie schon in Kapitel 4.1.2 beschrieben wurde, ist Sexualität für Foucault das ideale Element, um Machtverhältnisse zu erklären, weil sich Machtverhältnisse über den Zugriff auf Körper, ihre Materialität, ihre Kräfte sowie Begehren und Lüste organisieren können (vgl. Foucault 1983: 185): Das Sexualitätsdispositiv ist ein auf die Sexualität gerichtetes Gefüge von Maßnahmen. Es beschreibt die Formierung von gesellschaftlichen Verhältnissen, die über Ideologien, Institutionen und Gesetzen einem bestimmten hegemonialen Sexualverhalten eine maßgebliche Bedeutung zu verleihen versuchen (vgl. Foucault 1978a: 123). Das Sexualitätsdispositiv ist so auch als Vermittlungsinstanz und -institution von strategischen Machtbeziehungen und Herrschaftszuständen bzw. als Verknüpfungsmoment der Machtformen zu fassen. Hierbei ist das Sexualitätsdispositiv als Schnittstelle zu verstehen, um an den Körper und die Bevölkerung zu gelangen:

P OSTSTRUKTURALISMUS

| 133

„Auf der einen Seite unterliegt die Sexualität als gerade körperliches Verhalten einer disziplinären, individualisierenden Kontrolle […], und dann auf der anderen Seite die Tatsache, dass Sexualität sich durch ihre Fortpflanzungswirkung in weit gefasste biologische Prozesse einschreibt, die nicht mehr den Körper des Individuums betreffen, sondern dieses Element, diese vielfältige Einheit, die die Bevölkerung konstituiert.“ (Foucault 1993: 65)

Daraus lässt sich folgern, dass die beiden Ebenen – Disziplinarmacht und Biomacht – welche im Sexualitätsdispositiv aufgehen, somit auch als Konstitutionsmoment des Geschlechterregimes von besonderer Bedeutung sind. Die Analyse des Sexualitätsdispositivs – die zugleich Hinweise zur Zusammensetzung von Geschlechterregimen liefert – ist in einem Spannungsfeld zwischen den Bereichen des Wissens, der Normativität und der Subjektivität anzusiedeln (vgl. Foucault 1989: 10). An dieser Stelle möchte ich nicht weiter auf die Foucaultsche Genealogie des Sexualitätsdispositivs als moralische Problematisierung der Lüste (vgl. Foucault 1989) bzw. als das Regime der Lüste (vgl. Foucault 1989: 163) eingehen.7 Im Folgenden werde ich lediglich die Aspekte des Sexualitätsdispositivs benutzen, um Politiken zu beschreiben, welche auf die Sexualität und auf das Leben der Bevölkerung gerichtet ist. Der Fokus hierbei liegt auf der Reihe „Bevölkerung – biologischer Prozess – Regulierungsmechanismen – Staat“: Neben Medizin und Hygiene ist Sexualität Anfang des 19. Jahrhunderts zu einem Feld strategischer Bedeutung zur Regulation von Geschlechterverhältnissen geworden. Durch die medizinische Aufwertung der Sexualität ist diese auch zum Gegenstand des Diskurses über öffentliche Hygiene und der „Furcht vor rassischer Degeneration im 19. Jahrhundert“ (Opitz 2004: 37) geworden. Mit dem Ergebnis, dass sich mit dem Sexualitätsdispositiv eine „normierende Moralisierung, Medikalisierung und Psychiatrisierung“ (Opitz 2004: 38) in Verbindung mit der disziplinarischen Kontrolle der individuellen Gesundheit und der Sexualpraktiken verknüpft. Die Rechtsprechung legt in dieser Zeit hinsichtlich der sexuellen Begehren fest, was erlaubt und verboten ist (vgl. Foucault 2006b: 59).8 Die vorherrschende Sexualmoral stützt bestimmte Vorstellungen von

7

8

Für eine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Sexualitätsdispositiv von der Antike bis zum zwanzigsten Jahrhundert vgl. Bührmann 1995, Ott 1998, Jäger 2004: 81ff. Denn die „Vorstellung wonach der Mensch einem bestimmten Geschlecht angehört, ist erst im 18.Jahrhundert von Ärzten und Juristen formuliert worden. Aber kann man wirklich behaupten, jeder besitze ein wahres Geschlecht, […] das jeder für sich akzeptieren oder, falls es durch anatomische Anomalie verdeckt wird, entdecken sollte“ (Foucault 2003: 783, Bd. 3)?

134 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

(Zwangs-)Heterosexualität, die wesentlich zum Zwecke der Fortpflanzung praktiziert werden solle. In diesem Kontext geht es darum, „wie der Körper in eine Gestalt gebracht wird, die der Zivilisation nützlich ist“ (Laqueur 1992: 267). Dies ist die Gestalt „authentischer“ Geschlechter (vgl. Bührmann 1995), welche über die Sexualität reguliert werden. Dabei wird die sexuelle Funktion, wie Gramsci schreibt, „mechanisiert“ (vgl. Gramsci 1999: 529). Denn „der neue Industrialismus will die Monogamie, will, dass der arbeitende Mensch seine Nervenkräfte nicht bei der krampfhaften und ungeordneten Suche nach sexueller Befriedigung verschwendet“ (Gramsci 1999: 529). Begehren und Leidenschaft vertragen sich in diesem Kontext nicht mit den zeitgemessenen Bewegungen der Maschinen und den menschlichen Produktionsgesten (vgl. Haug 2001, Gramsci 1999: 529). Ein frei entfaltetes Sexualleben würde die Bereitschaft lebenslang monogame Ehen einzugehen und eine produktive Sexualität in Form hoher Geburtenraten erheblich vermindern (vgl. Haensch 1969: 58). Um die Mechanisierung der Sexualität zu erreichen, entstehen vier große „Angriffsfronten, an denen die Politik des Sexes“ (Foucault 1983: 174) sich bis in die Gegenwart hinein abarbeitet. Zwei Angriffsfronten verlaufen entlang der Geburtenkontrolle und der Psychiatrisierung von sogenannten Perversen und sind als Disziplinar- und Dressurmaßnahmen einzuordnen. Die beiden anderen Angriffsfronten sind als Regulierungsmaßnahmen in Bezug auf Arterhaltung und kollektive Gesundheit zu verorten. Der Krieg für die Gesundheit der „Art“ bzw. „Rasse“ ist in Form von Kampagnen9 und durch die „’Erteilung von Rat und

9

Vgl. z. B. das von Adolf Krupp mit 30000 Mark notierte Preisausschreiben unter der Leitung von Ernst Haeckel 1900, wodurch „Rassenhygiene“ im deutschen Kaiserreich erstmals breit in der Öffentlichkeit diskutiert wurde. Dieses Preisausschreiben diente dazu, die Ansichten von Haeckel weiter zu verbreiten (vgl. Hossfeld 2005: 200). Haeckel vertrat die Meinung, dass „ein ausgezeichnetes Beispiel von künstlicher Züchtung der Menschen in großem Maßstabe […] die alten Spartaner [liefern], bei denen auf Grund eines besonderen Gesetzes schon die neugeborenen Kinder einer sorgfältigen Musterung und Auslese unterworfen werden mussten. Alle schwächlichen, kränklichen oder mit irgendeinem körperlichen Gebrechen behafteten Kinder wurden getötet. [...] Gewiss verdankt das Volk von Sparta dieser künstlichen Auslese oder Züchtung zum großen Teil seinen seltenen Grad an männlicher Kraft und rauer Heldentugend“ (Haeckel 1868: 153). Der Begriff des Blutes und die damit verbundenen Erzählungen (vom selben Blut sein etc.) galten dabei lange Zeit als Bindemittel oder ideologisches Moment, die Mechanismen, Rituale und Manifestationen der Macht zu rechtfertigen. Nach Foucault entwickelte sich die moderne Gesellschaft von der Symbolik des Blutes weg hin zu einer Analytik der Sexualität, in der die eugenische Bewegung eine zentrale Rolle einnimmt (vgl. Foucault 1983: 175ff). In der BRD allerdings spielt das Blut als Bindemittel immer noch eine wesentliche Rolle: „Seit den Tagen des Kaiserreichs folgt das deutsche Staatsbürgerschaftsrecht dem Prinzip der

P OSTSTRUKTURALISMUS

| 135

Warnung’“ (Hoherz 2006: 46)10 geführt worden. Hier ist zum Beispiel die Kampagne der Hysterisierung11 der Frau Ende des 19. Jahrhunderts zu nennen. Diese führt zur Medizinisierung des Körpers zum Zwecke der Gesundheit der Kinder und der Familie (vgl. Foucault 1983: 174ff). Für die Bevölkerung entstehen in dieser Zeit zahlreiche normierende Regelungen, um ihre Rolle im symbolischen System der Zweigeschlechtlichkeit zu verankern und sich dem kapitalistischheteronormativen System unterzuordnen. Gleichzeitig entstehen populäre Arten von Diskurssträngen, zum Beispiel in Form von Romanen, Theaterstücken oder Märchen, die sich ebenfalls die Thematik der „Volksgesundheit“ annehmen.12 Vor allem durch einen negativen Diskurs einer freizügigen Sexualität wird die Angst vor „Entartung“ des Individuums, der Familie oder der „Rasse“ geschürt. „Überall sieht man diese Aufstachelung der Angst vor der Gefahr, die gewissermaßen die Bedingung, das psychologische und innere Korrelat des Liberalismus ist“ (Foucault 2006b: 102). In diesem Zusammenhang ist auch versucht worden, die „Phänomene wie Krankheit, Geburt und Tod so zu regulieren, dass im Ganzen die Bevölkerung und ihrer Reproduktion ein Gleichgewicht“ (Gräfe 2002: 30) gesichert bleibt. Als Wegbereiter, als Aufstachler der Angst vor der Gefahr der „Entartung“ und als Vordenkerin, der in der NS-Zeit praktizierten Eugenik und Euthanasie, kann die am Ende des 19. Jahrhunderts entstandene gesell-

Abstammung. Es ist die ‚jus sanguinis’ [Recht des Blutes], die grundsätzlich nur dem die vollen Bürgerrechte gewährt, in dessen Adern, deutsches Blut’ fließt“ (Aly 1998:1). Das reformierte Staatsangehörigkeitsrecht von 2000 enthält neben dem Abstammungsprinzip auch das Geburtsorts- bzw. Territorialprinzip. 10 Vgl. das Merkblatt des Vaterländischen Frauenvereins: „Jede gesunde Frau soll ihr Kind an der Brust stillen, denn bei dieser Nahrung gedeiht es am besten. Müsst ihr Mütter in die Arbeit gehen, so stillt es wenigstens morgens, mittags und abends. Jeder Tropfen Muttermilch macht das Kind widerstandfähiger gegen Krankheiten“ (zitiert nach Hoherz 2006: 46). Hilde Hoherz stellt in ihrer Arbeit „150 Jahre Hausfrau“ heraus, dass zum Beispiel Kampagnen gegen Säuglingssterblichkeit und für Schulgesundheit mit den Methoden der Sanktion, der Kontrolle, des „schlechten Gewissens machen“, aber auch durch finanzielle Anreize geführt wurden (vgl. Hoherz 2006: 47). 11 Die Diagnose „Hysterie“ wird in einem geschlechterspezifischen Zusammenhang verwendet. Frauen, die unter „Hysterie“ leiden, sollen bestimmte Persönlichkeitsmerkmale besitzen, die sich als subtiler Kampf gegen die männliche Übermacht ausdrücken. Sigmund Freud hat in seinen „Studien über Hysterie“ (1895) kritisiert, dass „Hysterie“ bzw. die Konversionsstörung nicht ausschließlich bei Frauen auftrete. Heutzutage ist die Diagnose „Hysterie“ aus den aktuell vorherrschenden internationalen diagnostischen Klassifikationssystemen gestrichen (vgl. Hohl 2009). 12 Vgl. z. B. das Theaterstück von Gerhart Hauptmann „Vor Sonnenaufgang“ von 1889, in der die Hauptfigur sich aus erbpflegerischen Gründen von seiner geliebten Frau abwendet. Kritisch dazu Tempel 2002.

136 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

schaftswissenschaftliche Theorie angesehen werden, die sich unter dem Namen Sozialdarwinismus formiert. Sozialdarwinisten behaupten – in Anlehnung an Charles Darwins Theorie der Evolution der Arten –, dass die Entwicklung von Individuen und Gesellschaften durch natürliche Selektion verlaufen würde und dass sich die Erbanlagen einer Art kontinuierlich verschlechtern würden, wenn die natürliche Selektion verhindert werde. Diese Theorie besagt im Wesentlichen, dass die Individuen einer Population alle verschieden voneinander sind. Von diesen sind bestimmte Individuen an die herrschenden Umweltbedingungen besser angepasst als andere und haben damit größere Überlebens- und Fortpflanzungswahrscheinlichkeiten. Die genetische Beschaffenheit dieser besser angepassten Individuen wird durch Vererbung an folgende Generationen weitergegeben (vgl. Becker 1996: 3ff). Die Eugenische Bewegung, welche von Francis Galton (1822-1911) initiiert ist und eine lange geschichtliche Tradition aufweist (vgl. Becker 1996: 11), führt ein Graduierungssystem zur Messung der genetischen Qualität von Menschen ein. In einem „naturwissenschaftlichen“ Kontext gesehen ist Eugenik die historische Bezeichnung für die Anwendung der Humangenetik auf Bevölkerungen durch die Begünstigung der Fortpflanzung „gesunder“ Menschen und die Verhinderung der Fortpflanzung „kranker“ Menschen. Die Sexualität hierbei ist eine Machttechnik, bei der die Körper in einen „(sozio)-biologischen“13 Gesamtprozess eingegliedert bzw. „unökonomische“ Körper ausgegliedert werden. Durch diesen Vorgang sollen die Erbanlagen der Gesamtbevölkerung langfristig verbessert werden. Ziel der Eugeniker ist „die Inventarisierung aller rassischen Merkmale von Menschen und die Förderung der Fortpflanzung von höheren und die Reduktion der Fortpflanzung von niederen Rassen“ (Mies 1992: 60). Der präfaschistische „Rassentheoretiker“ Wilhelm Schallmayer postuliert 1918 in seinem Buch „Vererbung und Auslese“ in diesem Zusammenhang: „Und in dem die Selektionstheorie zeigt, dass das letzte Ziel jeder staatlichen Politik kein anderes sein darf als das, das staatlich organisierte Volk zum Bestehen des Daseinskampfes für die Gegenwart und Zukunft zu kräftigen, um dem Volkskörper dauerndes Leben zu sichern, liefert sie uns auch einen Maßstab zur Wertung aller bestehenden und erstrebenden gesellschaftlichen Zustände und Einrichtungen.“ (Schallmayer zitiert nach Becker 1996: 7)

13 Vgl. dazu die kritisch-historische Auseinandersetzung zum „Sozialbiologismus“ (Marten 1983: 79ff).

P OSTSTRUKTURALISMUS

| 137

Mit Hilfe von Zwangssterilisationen und Züchtungen sollen die „rassenhygienischen“ Maßnahmen umgesetzt werden (vgl. auch Klee 1993; Bock 1996). Aber erst im Nationalsozialismus können die Eugeniker durch staatlich organisierte Programme „sich erstmals über die Beschränkungen der Pathologie hinwegsetzen und lebendige Körper bearbeiten und zerstückeln“ (Strobel 1989: 33). Die Form der Selektion von Körpern durch einen staatlich organisierten Prozess und durch die industrielle Verwertung von Menschen in Arbeits- und Konzentrationslagern erreicht im Nationalsozialismus bisher die ökonomischste Form (vgl. Postone 1988: 246ff). Sogar die Reproduktionsorgane der Frau werden zum Gegenstand der staatlichen Bevölkerungspolitik und die weibliche Reproduktionsfähigkeit im Familienzusammenhang gilt als „Keimzelle des Staates“. Das spezifische Interesse der NS-Mediziner und Forscher am Körper von Frauen steht in einem wesentlichen Zusammenhang mit dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses (GVeN) vom 14. Juli 1933.14 Das GVeN ist ein staatlich organisiertes Eugenikprogramm der Nationalsozialisten, das sich durch Zwangssterilisierungen hauptsächlich gegen sozial benachteiligte Bevölkerungsschichten richtet. Die erste Phase 1933/34 besteht in der Verabschiedung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses. In der zweiten Phase 1935/36 wird eine „Erbhygienische Forschungsstelle“ gegründet, welche später zur „Kriminalbiologischen Forschungsstelle“ wurde. Ihr Ziel ist die erbbiologische Erfassung der gesamten Bevölkerung. In den Jahren 1937/38 kommt der Kampf gegen „Gemeinschaftsunfähige“, das heißt gegen Erwerbslose, Juden und Jüdinnen, Roma und Sinti auf. Die vierte Phase beginnt mit der sogenannten „T4 Aktion“, der systematischen Ermordung derer, die als „lebensunwert“ eingestuft worden sind (vgl. Becker 1996: 20ff). Die Idee hinter diesen bevölkerungspolitischen Maßnahmen sei dadurch begründet, dass das Erbgut die soziale Stellung bestimmen würde, dass der Wert des Menschen sich angeblich nach seinen Erbanlagen bestimmen ließe und dass es durch „Rassenmischungen“ zu einer Degeneration des „Volkes“ komme, welche die „Volkswirtschaft“ beeinträchtige. Diese eugenische Reglementierung der Gesellschaft „verband sich mit einem

14 Das Gesetz lautet wie folgt: „§1(1): Wer erbkrank ist, kann durch chirurgischen Eingriff unfruchtbar gemacht (sterilisiert) werden, wenn nach den Erfahrungen der ärztlichen Wissenschaft mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass seine Nachkommen an schweren körperlichen oder geistigen Erbschäden leiden werden. (2) Erbkrank im Sinne dieses Gesetzes ist, wer an einer der folgenden Krankheiten leidet: 1. angeborener Schwachsinn, 2. Schizophrenie, 3. zirkulärem (manisch-depressiven) Irresein, 4. erblicher Fallsucht 5. erblichem Veitstanz (Huntingtonsche Chorea) 6. erblicher Blindheit, 7. erblicher Taubheit, 8. schwerer körperlicher Missbildung. (3) Ferner kann unfruchtbar gemacht werden, wer an schwerem Alkoholismus leidet“ (GVeN).

138 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

träumerischen Schwärmen von höherem Blut, das sowohl den systematischen Völkermord an anderen, wie auch die Bereitschaft zur totalen Selbstaufopferung einschloss“ (Foucault 1983: 178). Die damalige Verbindung von „Rassenhygiene“ und Geschlecht wird durch die Ehe- und Schwangerschaftsberatungen „zum Schutz der Erbgesundheit des Volkes“ verdeutlicht. Das sogenannte „Ehegesundheitsgesetz“ vom 18.10.1935 soll nach Ansicht der Nationalsozialisten alle unerwünschten und ihrer Auffassung nach „minderwertigen Nachkommen“ verhindern sowie die Steigerung der Kinderzahl durch eine „rassische Aufartung“ ermöglichen. Ziel dieses Gesetzes ist es, „gesunde“, funktionale und stabile Familienstrukturen zu schaffen, „die in Wohnungen mit Küche, Schlafzimmer und Kinderzimmer passten“ (Bauer 1985: 166). Nach dem Gesetz darf keine Ehe geschlossen werden, die „minderwertige Nachkommen“ produziere. Für die Eheschließung ist ein erbbiologisches Gutachten notwendig gewesen. Das Gesetz ist daher ein Eugenikinstrument zur „alleinigen Kontrolle der Eheschließung als staatsmedizinisch zu überwachender und unter bestimmten Bedingungen auch zu fördernder Angelegenheit“ (Czarnowski 1991: 105). In diesem Zusammenhang wurden Familien auch durch Sozialleistungen unterstützt und gefördert. Zum Beispiel bekommt jede Familie ein Ehestandsdarlehen (ca. 600 RM), wenn die Frau nach der Heirat ihren Arbeitsplatz aufgibt, wobei sich die Rückzahlungspflicht durch jedes Neugeborene um ein Viertel verringert. Mit diesen Maßnahmen wird versucht, den Arbeitsmarkt zu entlasten und die Arbeitslosenzahlen zu senken, die Frauen aus der Produktionssphäre abzuziehen und für den Reproduktionsbereich freizusetzen. Hingegen werden „minderwertige“ Familien, die keine Nachkommenschaft für den „Volkskörper“ produzieren, zur „Vermeidung von Volksschäden“ nicht unterstützt. 1938 wird sogar eine Strafsteuer für kinderlose Ehepaare eingeführt, die 5 Jahre nach der Heirat noch keine Nachkommen gezeugt haben (vgl. Bauer 1985: 166). Das Darlehen dient der medizinischen Erfassung der Bevölkerung. Weibliche Antragstellerinnen werden z. B. nach der Zahl der Schwangerschaften gefragt. Der Prüfungsbogen enthält außerdem Fragen nach Erbkrankheiten, um mögliche Zwangssterilisationskandidatinnen zu erfassen. Bei Antragstellerinnen, die Indikationen für Zwangssterilisationen aufweisen, wird das Darlehen abgewiesen. Die damit einhergehenden Maßnahmen sind die Förderung „erbgesunder“ Personen, die Aufstellung verschiedener Ehehindernisse, die „Fernhaltung fremdrassigen Blutes“, die Einleitung des Verfahrens auf „Unfruchtbarmachung erbkranker Personen“ sowie die Durchsetzung von Zwangssterilisationsverfahren (vgl. Czarnowski 1991: 127-156). Hierfür werden auch bestimmte Technologien eingesetzt. Durch die Gesetzesänderung des GVeN vom 04.02.1936 werden sogar auch andere als chirurgische Mittel zugelassen. Es werden Zwangsste-

P OSTSTRUKTURALISMUS

| 139

rilisationen mit „Röntgen- und Radiumstrahlen und somit Verfahren zur Massensterilisation zulässig“ (Becker 1996: 15). Entsprechende Versuche sind in einem weniger umfangreichen Rahmen im Konzentrationslager Auschwitz durchgeführt worden (vgl. Mitscherlich/Mielke 1978: 237ff).15 Zusammenfassend kann die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die Sexualpolitik des NS-Regimes letztlich durch die totale Kontrolle der Individuen aus „rassenanthropologischen“ Gründen für die Formierung eines produktiven „Volks- und Produktionskörpers“ nützlich war. Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses kann auch als Element des nationalsozialistischen Geschlechterregimes gelesen werden, dessen Funktion es ist, die Sicherheit der bevölkerungspolitischen bzw. biopolitischen Prozesse und somit der Reproduktion der Machtverhältnisse zu gewährleisten. Die Kontrolle der Sexualität bildet das Vermittlungsmoment zwischen der Herstellung von Geschlechtsidentitäten und der Regulierung der Bevölkerung. In diesem Kontext kann das nationalsozialistische Regime in Bezug auf die Geschlechterverhältnisse als besonders ausgeprägt verstanden werden, da der Zugriff auf die Bevölkerung, die Überwachung der Fortpflanzungsverhältnisse und die Beeinflussung der „Erbgesundheit“ und „Rassenreinheit“ ökonomisch, rational und grausam vollzogen wurden. Auf die aktuellen bevölkerungspolitischen Maßnahmen des Geschlechterregimes werde ich im empirischen Teil eingehen. Als Ergebnis meiner symptomatischen Lesweise ergeben sich, durch die schematische Darstellung der deutschen Bevölkerungs- und Sexualitätspolitik bis 1945, folgende Achsen und Ebenen, die für die Bildung des Geschlechterregimekonzeptes ins Zentrum rücken: Trotz der beschriebenen Unterschiede zwischen Disziplinarmacht und Biomacht, die eine wirkt disziplinär, die andere regulierend, stehen sich beide nicht gegenüber, sondern ergänzen sich und sind ineinandergefügt. Einerseits lässt sich eine gesamtgesellschaftliche Regulierungsweise von kollektiven Lebensprozessen als Bio-Politik des „Gattungskörpers“ formulieren. Andererseits zielt die Fortpflanzungspolitik auf die einzelnen Körper und konkrete reproduktive Verhaltensweisen. Gemeinsam ist beiden Ebenen die ideologische Achse von Nation und „Rasse“, welche sich entlang historisch-konkreter Machtverhältnisse

15 So steht in einem Brief des Oberdienstleiters Brack, von der Kanzlei Hitler, an Himmler: „Ein Weg der praktischen Durchführung wäre z. B. die abzufertigen Personen vor einen Schalter treten zu lassen und an dem sie Fragen gestellt erhalten [...], was ungefähr 2-3 Minuten aufhalten soll. [...] In einer Anlage mit 2 Röhren könnten [...] pro Tag etwa 150-200 Personen sterilisiert werden. [...] Eine Röntgenkastration ist nicht nur relativ billig, sondern lässt sich bei vielen Tausenden in kürzester Zeit durchführen“ zitiert nach Mitscherlich/Mielke 1978: 242.

140 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

materialisiert. Insgesamt stehen so auf der demographischen Ebene die kollektiven Lebensverhältnisse inklusive der ökonomischen und rassistischen Prozesse zur Formierung der „Volksgemeinschaft“ im Vordergrund. Auf der Ebene der Körperpolitik sind rassistische und heteronormative Geschlechterverhältnisse zu sehen, welche sich entlang essentialistischer Menschenbilder formieren. Die Beschreibung der Biomacht hat nicht nur die Formierung des Bevölkerungskörpers verdeutlicht, sondern hat auch eine weitere Ebene eröffnet, nämlich die Selbstverhältnisse von Individuen. Dadurch, dass Machtstrategien das Leben der Subjekte durchdringen, können sich Machtverhältnisse und Herrschaftszustände nur durch das Handeln bzw. durch das Bestätigen von Subjekten realisieren (vgl. Mümken 2003: 32). Denn der Grund dafür, dass Machtverhältnisse akzeptiert werden, liegt demnach ganz einfach darin, „dass sie nicht nur als neinsagende Gewalt auf uns lastet, sondern in Wirklichkeit die Körper durchdringt, Dinge produziert, Lust verursacht, Wissen hervorbringt, Diskurse produziert“ (Foucault 1978a: 35). Würden diese ordnenden und normierenden Verhältnisse und Zustände nur auf die Zerstörung des Subjekts zielen, würden sie ihre eigene Existenzmöglichkeit unterminieren. Neben der Exklusion von Subjekten herrscht auch eine Inklusion. Denn dadurch, dass Machtverhältnisse um Hegemonie ringen bzw. Krieg führen und „dass es im Kern der Machtverhältnisse und als deren ständige Existenzbedingung das Aufbegehren und die widerspenstigen Freiheiten gibt“ (Foucault 1994: 259), lässt sich behaupten, dass zumindest theoretisch keine Herrschaftsverhältnisse ohne Widerstand existieren können. Das bedeutet, dass Regime stabilisiert werden, wenn es den Kontrollmechanismen inklusive ihrer Dispositive gelingt, sich in die Widerstandsstrategien einzuhaken. Diese Widerstände können Machtstrategien sein, welche „die Gesamtheit der Mittel nennen, die aufgeboten werden, um ein Machtdispositiv funktionieren zu lassen“ (Foucault 1994: 259). Das heißt, das „Dispositiv beinhaltet eine Art kampfstrategisches Arrangement – es rechnet mit Widerstand und reagiert auf diesen aktiv. Es sorgt für Widerstandswiderstände“ (Gehring 2004: 131). Das kampfstrategische Arrangement richtet sich zwar auch gegen die institutionellen Zwänge im Regime, „aber nur, um einen noch härteren Zwang durchzusetzen. Sie gehen gegen die Macht vor, aber nicht als Gegenmacht, sondern selbst als Macht: eine Macht gegen die andere, keine Negation, vielmehr schlicht und einfach gesagt staatstragend und konstruktiv“ (Agnoli 1999: 14). Regime können auch durch Widerstandstrategien geschwächt werden, wenn destruktive Kämpfe „gegen die Formen der (ethischen, sozialen und religiösen) Herrschaft; [...] gegen Formen der Ausbeutung, die das Individuum von dem trennen, was es produziert; [...] Kämpfe gegen Subjektivierung, gegen Formen von Subjektivität und Unterwerfung“ (Foucault 1994: 247) entstehen. Diese Widerstandsstrategien führen in

P OSTSTRUKTURALISMUS

| 141

eine Beziehung der Gegnerschaft und zu Formen der Auseinandersetzung, die sich nicht darum drehen, „das Individuum vom Staat und dessen Institutionen zu befreien, sondern uns sowohl vom Staat als auch vom Typ der Individualisierung, der mit ihm verbunden ist, zu befreien“ (Foucault 1994: 250). Für Foucault sind dies „anarchische Kämpfe“ (Foucault 1994: 246), welche die unmittelbaren Lebensverhältnisse, seine Regime, die Machtapparate, -techniken, das hegemoniale Wissen und besonders das Regieren durch Individualisieren mittels permanenter Revolte, mündlich, schriftlich oder subversiv angreifen (vgl. Mümken 1998, Butler 1998: 198). Das durch vielfältige Diskurse und Machtbeziehungen angerufene und regierte Subjekt ist somit nicht rein durch das Regime determiniert. Es ist aber auch nicht rein autonom, sondern es ist mit Freiheiten ausgestattet, die wiederum Bedingungen von Machtverhältnissen und Widerstandsstrategien sind. Zwar führen Freiheiten und Widerstandstrategien nicht zwangsläufig zur Freiheit von Herrschaftszuständen, aber sie können ein Feld für Machtverhältnisse eröffnen, die von den „Praktiken der Freiheit“ (Foucault 1985: 11) kontrolliert werden. Diese analytische Erweiterung, dass Macht nicht ausschließlich ausgrenzend und repressiv wirkt, ermöglicht den Übergang zu der Frage nach Selbstregierungsmechanismen und somit „zu einer Analyse der Modalitäten und Techniken des Selbstbezugs“ (Ortega 1997: 111). Im Folgenden werde ich nun wiederum auf die historische und aktuelle Verkettung und Vermittlungsebenen zwischen Machttechnologien und Subjektivierung, zwischen Fremd- und Selbstführung eingehen. Ausgehend von Foucault werde ich die Gouvernementalitätsstudien (vgl. Lemke 1997, Bröckling/Krasmann/Lemke 2000, Bröckling 2007) betrachten und ihre Analyse der „Ökonomisierung des Sozialen“ auf der Suche nach geschlechterregimerelevanten Bausteinen einbinden. Dabei werde ich der Frage nachgehen, wie Selbstverhältnisse durch Machtverhältnisse entstehen. In diesem Zusammenhang interessieren mich besonders liberale und neoliberale Denkansätze, Regierungstechniken und der Blick auf das „unternehmerische Selbst“ in postfordistischen Firmen, um so weiteren Elementen zur Zusammensetzung des Geschlechterregimes auf die Spur zu kommen. 4.2.2 Gouvernementalität Disziplinar- und Biomacht beschreiben das Fremdeinwirken von normierenden Strukturen auf Individuen und Gesellschaftsformationen. Um aber den Prozess der Reproduktion von Denkformen und Handlungsweisen zu beschreiben, ist es wichtig, nicht nur Fremdtechniken zu betrachten, sondern auch die Selbsttechniken bzw. Selbstregulierungsmechanismen einzubeziehen. In diesem Kapitel nun

142 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

werden die Punkte analysiert, an denen Machttechniken sich der Prozesse bedienen, in denen das Individuum auf sich selbst einwirkt und in denen diese Selbstregulierungsmechanismen in spezifische Regime oder Herrschaftsstrukturen eingegliedert werden. In Bezug auf das Geschlechterregime soll hier verdeutlicht werden, wie die Formierung von geschlechtsspezifischen Verhaltensweisen mittels Selbst- und Fremdregulationsweisen entsteht. Wichtig in diesem Zusammenhang wird vor allem die Figur des „unternehmerischen Selbst“ sein, um so einen Bezug zu der Subjektebene bzw. zu den Fremd- und Selbstführungstechniken des Geschlechterregimes herzustellen. Ein modernes Bindeglied zwischen Fremd- und Selbstführung, zwischen individueller und gesellschaftlicher Reproduktion und zwischen der Regulation von Individuum und Gesellschaft bietet das Konzept der Gouvernementalität. Foucault beschreibt die Machtform der Gouvernementalität als eine Verkettung von Disziplinarmacht und Biomacht. Unter Gouvernementalität versteht Foucault: „die Gesamtheit, gebildet aus den Institutionen, den Verfahren, Analysen und Reflektionen, den Berechnungen und Taktiken, die es gestatten, diese recht spezifische Form der Macht auszuüben, die als Zielscheibe die Bevölkerung, als Hauptwissensform die politische Ökonomie und als wesentliches technisches Instrument die Sicherheitsdispositive hat.“ (Foucault 2000a: 64, vgl. 2006a: 162)

Die Gouvernementalität ist demnach ein spezieller Machttypus, der als „Regierung“ bezeichnet werden kann. Dieser Machttypus hat gegenüber allen anderen Machttypen – Souveränität, Disziplin – zu einer Vormachtstellung geführt und die Entwicklung einer ganzen Reihe spezifischer Regierungsapparate sowie einer ganzen Reihe von Wissensformen zur Folge gehabt (vgl. Foucault 2000a: 64f, 2006a: 162f). „Regieren heißt in diesem Sinne, das Feld eventuellen Handels der anderen zu strukturieren“ (Foucault 1994: 255). Es ist also eine Machttechnik, die auf Handlungsmöglichkeiten von Individuen oder Gruppen einwirkt und diese strukturiert. Der Begriff Gouvernementalität kennzeichnet den frühneuzeitlichen Staat, dessen Regierungs- und Regulierungsweisen, und ist aus „gouverner“ (Regieren) und „mentalité“ (Denkweise) zusammengesetzt, was als „Denkweise des Staates“ nur unzureichend übersetzt wäre (vgl. Foucault 2006a: 564). Letztlich beschreibt dieser Begriff eher die „Art und Weise, mit der man das Verhalten der Menschen steuert“ (Foucault 2006b: 261). Die Gouvernementalitätsstudien sind als ein allgemeines Analyseraster zu verstehen, durch das sich spezielle Regierungspraktiken untersuchen lassen (vgl. Bröckling/Krasmann/Lemke 2000). Im Folgenden möchte ich daher erst die allgemeinen Aspek-

P OSTSTRUKTURALISMUS

| 143

te der Analyse der Gouvernementalität umschreiben, um diese im Anschluss geschlechtsspezifisch zu verdichten. Die Form der gouvernementalen Machtausübung im Allgemeinen besteht „im ‚Führen der Führungen’“ (Foucault 1994: 255). Dabei eignet sich der Begriff „Führung“, um die Doppeldeutigkeit und das Spezifische von Machtverhältnissen zu erfassen. Führung bedeutet sowohl das Anführen durch Zwangsmechanismen von anderen als auch die Weise, sich selbst in einem Möglichkeitsfeld zu führen. Dieses Regieren oder Führen ist aber nicht allein durch den Staat monopolisiert, sondern regieren oder führen tun viele: Väter und Mütter, Lehrkräfte und ProfessorInnen, UnternehmerInnen, SozialarbeiterInnen etc., durch das Regiment von Kindern, SchülerInnen, Lohnabhängigen, Erwerbslosen oder des eigenen Selbst (vgl. Foucault 2000a: 47). Aufgabe des Staates ist es, das „Führen der Führungen“ zu organisieren, die SozialarbeiterInnen, ArchitektInnen, UnternehmensberaterInnen, PolitikerInnen und TrinkhallenbesitzerInnen richtig zu positionieren. Das bedeutet, sie in einem rationalen Verhältnis zu dem Regierungsziel, der Fremd- und Eigenführung der Individuen, einzusetzen (vgl. Bröckling/Krasmann/Lemke 2000: 12f). Für die Analyse von Geschlechterregimen bedeutet das eine Erweiterung des theoretischen Rahmens, da die Analyse der Regulationsweise nicht ausschließlich darin besteht „den Staat auf eine bestimmte Anzahl von Funktionen wie beispielsweise die Entwicklung der Produktivkräfte und die Reproduktion der Produktionsverhältnisse zu reduzieren“ (Foucault 2006a: 163). So rücken nunmehr die geschlechtsspezifischen Regierungstätigkeiten, Programme und Regierungsziele in Verhaftung mit der Selbstführung von Geschlechtern in den Vordergrund. Um Regierungsmaßnahmen in Verbindung mit der Selbstführung oder dem Selbstregime von Geschlechtern näher zu beleuchten, bedarf es wieder des Absteckens des genealogischen bzw. historischen Rahmens: Historisch betrachtet erfährt die Gouvernementalität im Liberalismus Mitte des 18. Jahrhunderts eine Veränderung. Durch das Zusammenbrechen feudaler Strukturen und ökonomischer Schranken des absolutistischen Systems, das Aufkommen von Nationalstaaten, den Übergang in ein ökonomisches und gewaltenteiliges Regierungsdenken, wird ein grundlegend neuartiges Regulierungsmodell benötigt. Der Liberalismus ist dabei als eine Technologie der Macht zu verstehen, die „als eine Regulierung, die sich auf die Freiheit eines jeden Menschen stützt“ (Foucault 1978b: 8), eingesetzt wird. Im liberalen Denken des 18. und 19. Jahrhunderts stellt der Markt eine zentrale Instanz des Systems von Freiheiten dar. Der Staat soll lediglich die Marktfreiheit und die persönliche Freiheit der Individuen garantieren und überwachen. Ablesbar wird diese neue Form des ra-

144 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

tionalen Regierens in dem Paradigmenwechsel der Regierungsprogramme, mit der die liberale Gouvernementalität durch „politische Ökonomie“ und durch bestimmte Wissenstypen eine Änderung der Denk- und Handlungsformen der Gesellschaften und Individuen erreichen will (vgl. Opitz 2004: 52ff). Demnach ist der Markt für die sozialen und ökonomischen Beziehungen der Menschen zuständig und jede überflüssige Form der Staatsintervention wäre ein Eingriff in den Markt. Dieser würde dadurch seine „natürliche“ Funktionsfähigkeit und Regulationskraft verlieren. Gerade diese Freiheit nimmt innerhalb der liberalen Regierungsform eine wesentliche Stellung ein, „denn sie ist das Medium und Instrument des Regierungshandelns“ (Lemke 1997: 185). Anders gesagt erfordert die Regierung der Individuen deren marktförmige Freiheit. Diese Freiheit wird – wenn sie rational angewendet wird – zur ökonomischen Bedingung der Regierung. Dadurch soll der Gebrauch einer rational angewendeten Freiheit den Wohlstand der freien Bürgerinnen und Bürger und somit auch der Nation und des Staates stützen. Die Regierung der Menschen bedarf dadurch auch keiner äußerlichen oder souveränen Macht mehr, sondern setzt auf eine interne Regulation durch die politische Ökonomie, als unsichtbare Einmischung auf dem Markt (vgl. Lemke 1997: 173f; Mümken 2003: 113f). Adam Smiths (1723–1790) Metapher der „unsichtbaren Hand“ (Smith 2003: 371) verdeutlicht die Technik der liberalen Regierungsform: „Von einer unsichtbaren Hand werden sie dahin geführt, beinahe die gleiche Verteilung der zum Leben notwendigen Güter zu verwirklichen […], und so fördern sie, ohne es zu beabsichtigen, ja ohne es zu wissen, das Interesse der Gesellschaft und gewähren die Mittel zur Vermehrung der Gattung.“ (Smith 1926: 316)

Anders als bei den Technologien der Herrschaft, die tendenziell versuchen Individuen einer Macht zu unterwerfen, ermöglichen die liberalen Regierungstechnologien es scheinbar dem Individuum „aus eigener Kraft oder mit Hilfe Anderer eine Reihe von Operationen an seinem Körper oder seiner Seele, seinem Denken, seinem Verhalten und seiner Existenzweise vorzunehmen“ (Foucault 1993b: 26). Ziel dabei ist es, persönliches Glück und persönliche Freiheit zu erlangen. Allerdings kann die uneingeschränkte egoistische Verfolgung persönlicher Interessen auch eine Gefahr für die künstlich hergestellte Freiheit innerhalb der liberalen Machtverhältnisse darstellen. Denn die Produktion von Freiheit seitens der liberalen Gouvernementalität ist paradox, weil durch die Freiheit die Gefahr entsteht, diese zu missbrauchen. Dadurch ist die liberale Gouvernementalität gezwungen, Sicherheitsdispositive (Rechtsstaat, Parlamentarismus, Gewaltenteilung, Versicherungen) zu errichten, deren Funktion es ist, die Sicherheit

P OSTSTRUKTURALISMUS

| 145

der ökonomischen Prozesse und der bevölkerungspolitischen Prozesse zu gewährleisten (vgl. Mümken 2003: 116f; Lemke 1997: 186). Die Regelungskapazitäten dieser Prozesse gehen in rationaler Weise auf die Mikroebene der Gesellschaft über. Das bedeutet, sie gehen auf soziale Gruppen und Individuen über, die durch ökonomische Konkurrenzverhältnisse und gesellschaftliche Mitbestimmung in eine Selbstregulation bzw. in Selbst-Verhältnisse geführt werden (vgl. Lemke 1997: 212). Aus dieser historischen Verschiebung gegenüber der Disziplinarmacht entsteht aber keine direkte Reduzierung der Vormachtstellung des Staates oder der Machtverhältnisse, sondern eher eine Verschiebung der Reglementierungen hin zu einem „Anspornen“, „Anreizen“ und „Machen-Lassen“ (vgl. Lemke 1997: 184). Wobei die Individuen zwar durch ihre „Freiheit“ wissen, was sie von ihrer Regierung wollen, nämlich bürgerliche Freiheiten, zugleich aber nicht wissen, „was man sie machen lässt“ (Foucault 2000a: 61). Das Neue dieser liberalen Gouvernementalität besteht in der doppelten Rolle der Individuen: Einerseits sind sie Objekt von Regierungspraktiken, andererseits werden sie quasi zu freiwilligen Partnerinnen und Partner der Regierung. Anders als die liberale Gouvernementalität, in der die Staatsform die Marktfreiheit garantierte, dreht die neoliberale Gouvernementalität des 21. Jahrhunderts diese Konfiguration um. Der Markt wird „zum organisierenden und regulierenden Prinzip des Staates“ (Bröckling/Krasmann/Lemke 2000: 15). Diese Gouvernementalität bringt so eine neue hegemoniale Rationalität hervor, in dessen Zentrum ein rational handelndes und selbstverantwortliches Subjekt als „Unternehmer seiner Selbst“ (Foucault 2006b: 314) bzw. „Unternehmerin ihrer Selbst“ (Pühl 2003) in einem Feld postmoderner Biopolitik steht (vgl. Bröckling 2002, 2007, Opitz 2004: 108ff). 16 Diese Figuren sollen eine neue Grundform der Ware Arbeitskraft darstellen, welche die verberuflichten Massenarbeiterinnen und Massenarbeiter des Fordismus ablösen (vgl. Henninger 2003a: 169f).

16 Ulrich Böckling (2002, 2007) und Sven Opitz (2004) beschreiben in diesem Zusammenhang anhand von Managementliteratur und Erfolgsratgebern die Rhetorik der Umwendung der Anrufungssignifikanten von repressiven Metaphern hin zu aktivierenden Metaphern. In diesen Metaphern steckt eine geteilte Sprache von UnternehmerInnen und MitarbeiterInnen, um den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit zu destabilisieren und eine „Verständigungsnorm einer Gemeinschaft zu etablieren, die dem Einzelnen bestimmte Subjektpositionen zuweist“ (Opitz 2004: 143). Das Konzept des Unternehmers, der Unternehmerin bezeichnet nicht mehr die Kapitaleigner allein, sondern auch Menschen, die ihre Ware Arbeitskraft verkaufen müssen. Diese werden zu „Arbeitskraftunternehmern“ (vgl. Voß/Pongratz 1998, 2001).

146 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

„Das unternehmerische Subjekt hat weder Namen noch Adresse. […] [Es] bezeichnet überhaupt keine empirisch vorfindbare Identität, sondern die Richtung, in der Individuen verändert werden und sich verändern sollen. Es existiert nur im Gerundivum, als zu produzierendes und zu optimierendes.“ (Bröckling 2002: 178f)

Die UnternehmerInnen ihrer Selbst markieren insofern lediglich die Stellung, auf die Subjekte verpflichtet werden, sobald sie sich vom gouvernementalen Diskurs angesprochen fühlen (vgl. Opitz 2004: 148f; Krasmann 2003: 190). Das unternehmerische Selbst befindet sich in Machtverhältnissen von atomisierten Individuen und von flexiblen Patchworkidentitäten (vgl. Krasmann 2003: 194). Es soll durch permanente Weiterbildungen, lebenslanges Lernen mit dem Zwang zur Selbstoptimierung ein breites Spezialwissen anhäufen, um sich gegenüber dem Mechanismus der Konkurrenz behaupten zu können. Gleichzeitig soll es „in Überanpassung an das hegemoniale, instrumentelle Tauschprinzip rücksichtslose Aktivitäten“ (Naumann 2000: 150) entwickeln, die wiederum die eigenverantwortliche Organisation der Arbeitsprozesse zur Voraussetzung machen (vgl. Opitz 2004: 110). Dieses unternehmerische Selbst ist die „totale Mobilmachung“ (Bröckling 2000: 131) der den warenförmigen Lebensverhältnissen unterworfenen Individuen zum Zwecke einer möglichst effizienten und dynamischen Anpassung an die marktförmigen sozialen Verhältnisse. Die gouvernementale Strategie besteht darin, die rigiden Disziplinarmechanismen durch Selbstregulationstechniken zu ersetzen, indem diese neuen Formen Mitbestimmung, Handlungsfähigkeit oder Autonomie suggerieren. Es entsteht dadurch eine „neoliberale Harmonie“ (Lemke 1997: 256), in der es keine Unterschiede mehr zwischen dem ökonomischen und sozialen Bereich der Individuen gibt. Alles wird systemrelevant. Anders gesagt ist diese Methode der Gouvernementalität ein Herunterbrechen des Makroökonomischen auf die Einzelnen. Es ist eine Humankapitalisierung, die nichts anderes bedeutet als Wissen, persönliche Fertigkeiten und Gewohnheiten, Gesundheitszustand, äußeres Erscheinungsbild, Sozialprestige und Arbeitsethos als wertschöpfende Ressourcen anzusehen. Diese Humankapitalisierung bezieht auch die Subjektkonstruktion jenseits der heteronormativen SollForm in ihr Kalkül mit ein. Dadurch wird die Normierung von Subjekten insofern erweitert, als dass die Einzelnen selbst zu Protagonisten der Verbesserungsprozesse an der eigenen Subjektivität werden (vgl. Bröckling 2003: 18; 2007: 180ff, 215ff). Ferner wirken noch geschlechtsspezifische Ausschließungsmechanismen fort, indem Frauen als symbolisches Kapital, als Dekoration oder Repräsentation, als Objekte von Produktion und Reproduktion, als Werte oder Zeichen codiert werden. Diese geschlechtsspezifischen Ausschließungsmechanismen re-

P OSTSTRUKTURALISMUS

| 147

produzieren so die unternehmerische Tauschwertlogik (vgl. Gisler/Emmenegger 1998: 150f). Unterstützt werden diese Mechanismen durch Männerbünde im Management, deren gemeinsames Ziel die Herrschaftssicherung durch Ausschluss von Frauen und nicht-hegemonialen Männlichkeiten durch das Aufrechterhalten von Differenzen ist (vgl. Rastetter 1994: 250f). Gestört wird aber diese Mikropolitik der Männerbünde, die ein „interessengeleitetes Handeln, mit dem Macht aufgebaut und Ungleichheit hergestellt oder aufrechterhalten wird“ (Rastetter 2002: 13), forcieren durch feministische Gegenstrategien des Empowerments. Hier versuchen die Unternehmerinnen ihrer Selbst systematisch das aufzubauen, was die männliche Konkurrenz ohnehin schon besitzt: Bündische Beziehungsnetze jenseits der offiziellen Hierarchien und informelle Unterstützungssysteme, welche die Arbeitszufriedenheit, Selbstmotivation, Selbstbestimmung als Frau und die Leistungsfähigkeit stützen. Vor diesem Hintergrund sind nun folgende Schlussfolgerungen zu ziehen: Wenn man davon ausgeht, dass die Analyse der Gouvernementalität eine allgemeine Analyse oder ein Forschungsprogramm darstellt, sind auch die Erweiterungen des Konzeptes Geschlechterregime, einschließlich der geschlechtsspezifischen Regierungsprogramme und Regierungsziele, in Verbindung mit einem Selbstregime von Geschlechtern zu begründen. Da die politischen Autoritäten versuchen „nicht länger durch Instruktionen die Individuen in allen Sphären ihrer Existenz, von den intimsten bis zu den öffentlichsten, zu regieren“ (Miller/Rose 1994: 104), kommt der Entwicklung von neuen Machttechnologien bzw. Führungstechniken eine besondere Bedeutung zu. Deren Ziel ist es, die Selbstregulierungsfähigkeiten der Individuen und sozialen Gruppen mit der kapitalistischen Profitmaximierung und gesellschaftspolitischen Zielen zu verbinden (vgl. Foucault 2006b: 316ff). Dies stellt einen weiteren wichtigen Baustein des Konzeptes Geschlechterregime dar. Um diese Schlussfolgerung weiter zu entfalten, möchte ich bei dem Beispiel des kapitalistischen Betriebes bleiben: Aus der Sicht der Gouvernementalitätsstudien avanciert das Unternehmen zu einem „privilegierten Ort der Subjektkonstitution“ (Opitz 2004: 144), gerade weil das Management sich mit der Personalentwicklung auseinandersetzt und diese als „erstrangige Managementaufgabe“ (Malik zitiert in Opitz 2004: 144) ansieht. So spricht sich das Unternehmen einen zusätzlichen „Erziehungsauftrag“ zu bzw. finden in Unternehmen (neo)liberale Zurichtungspraktiken ihre Entsprechung. Die Personalentwicklung steht in dem Kontext, „den Individuen verschiedene Schicksale zuzuweisen, die mit ihrer Fähigkeit im Einklang stehen, den Erfordernissen des Wettbewerbs und des Profits standzuhalten“ (Lemke 1997: 148). Das bedeutet zumindest theoretisch, dass das Unternehmen die ge-

148 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

zielte „Einnahme von Subjektpositionen“ (Opitz 2004: 135) unterstützt, die jenseits von privaten und öffentlichen Geschlechtsidentitäten liegen. Dabei wird versucht, diese Subjektpositionen in ein „Konzept der Androgynität, das Geschlechtsmerkmale zusammenfasst“ (Opitz 2004: 136, vgl. Naumann 2000: 168), zu überführen, um sexualisierte Ausschließungsprozesse durch z. B. ein Gender-Mainstreaming zu vermeiden und ein produktives Betriebsklima herzustellen. Die Identität wird dadurch auch zur Frage des Erscheinungsbildes, die durch Lifestylesymbole oder Markenzeichen präsentiert wird und in der die neoliberale Freiheit und Selbstbestimmung durch die Wahl von Marken oder (Schönheits-)Operationen am Körper Unterstützung erfährt (vgl. Krasmann 2003: 197). Der Körper wird so einerseits zu einer ausbeutbaren Ressource und andererseits auch zur Grundlage der Bestimmung der Identität (vgl. Lemke 2000: 241). Hierbei wird ein ständiges Eigenmonitoring und die Selbstplanung des Körpers zur Grundlage der gouvernementalen Subjektivität, wobei der Körper, mit dem man geboren wird, nicht mehr als Schicksal betrachtet wird, „sondern als etwas, das man sich selbst erschaffen kann“ (Posch 1999: 77). Der Körper kann aber nur durch die „freiwillige Erfüllung normierter Erwartungen der Körpertechnologisierung“ (Caysa 2003: 8) in Richtung „Soll-Form“ (Posch 1999: 77) modelliert werden. Die Propagierung von Körpermodifikationen seitens des „neoliberalen Körperdiktats“ (Kreisky 2003: 15) führt wiederum zu Ausschlussmechanismen. Diese verfestigen nicht nur soziale Klassen, sondern auch Körperklassen, die nach marktorientierten und hegemonialen Vorstellungen und „durch eine verstohlene Rückkehr der Eugenik unter dem trügerischen Deckmantel des allgemeinen Gesundheitszustandes“ (Virilio 1996: 133f) hergestellt werden. Durch diese Neuzusammensetzung von Körperklassen werden Behinderte, Kranke, Erwerbslose bzw. „unförmige“ Körper auf ihren Platz verwiesen. Der gesellschaftliche Platz wird nicht wie z. B. im Nationalsozialismus durch Selektion über Repression und Gewalt hergestellt, sondern durch eine „subtile Verinnerlichung ‚erwünschter’ Körpernormen“ (Kreisky 2003: 15). Prekarität und ein „prall gefülltes Portemonnaie erfüllen unter neoliberalen Vorzeichen dabei die ‚evolutionäre’ Funktion der ‚Selektion’“ (Kreisky 2003: 15). Im Geschlechterregime unter neoliberalen Vorzeichen wird Frage nach „nützlichen“ und „formbaren“ Körpern gestellt. Eine zentrale Aufgabe des neoliberalen Geschlechterregimes ist es, nicht mehr Körper gesund zu halten, sondern gesunde und gut funktionierende Körper weiter zu optimieren (vgl. Caysa 2003). Die Differenzierungskonzepte und Selbstermächtigungskonzepte verdeutlichen die Doppelbewegung eines neoliberalen Geschlechterregimes: Einerseits ist es heteronormativ strukturiert und andererseits führt es dazu, nicht-hegemoniale Geschlechtsidentitäten anzuerkennen und in Konkurrenz mit hegemonialen Ge-

P OSTSTRUKTURALISMUS

| 149

schlechtsidentitäten zu setzen. Dieses „menschliche Kapital“ – das sozusagen das „best of“ männlicher und weiblicher Fertig- und Fähigkeiten vereinigt – wird einerseits durch eine körperlich-genetische Ausstattung und andererseits durch erworbene Fähigkeiten akkumuliert. Es ist das Ergebnis von Investitionen in Ernährung, Ausbildung und Zuwendung (vgl. Lemke 1997: 250, Foucault 2006b: 320). Die neue Führungstechnik der Selbstverwirklichung soll zur Verinnerlichung der allgemeinen Ziele der Unternehmen führen, indem ihre Lebenswelten in den Makrokosmos der Fabrik, des Büros etc. eingelassen werden. Das Unternehmen wird zur eigenen DNA, „ohne dass es hier noch eine Dualität materieller Interessen oder von Identitäten gibt“ (Revelli 1997: 29).17 Durch diesen Mechanismus kann „ein Organisationsmodell konzipiert werden, das zu Partizipation und Selbstaktivierung stimuliert“ (Revelli 1997: 29). Dadurch wird die Disziplinarordnung insofern erweitert, als dass die Einzelnen selbst zu Protagonisten der Verbesserungsprozesse an der eigenen Subjektivität werden, indem eine Persönlichkeitsentwicklung im Sinne des Unternehmens in Gang gebracht wird, in der auch die eigenen Geschlechteridentitäten produktiv zum Zwecke der Durchkapitalisierung der Subjekte eingesetzt werden können (vgl. Naumann 2000: 162ff; Gisler/Emmenegger 1998: 150f). Zusammenfassend lässt sich beschreiben, dass die Übernahme von Selbstverantwortung, eigenmächtigem Denken und Handeln ebenso in diese gouvernementalen Führungstechniken eingeschlossen sind, wie die von Entdifferenzierungskonzepten (z. B. Gender-Mainstreaming) und Differenzierungskonzepten (z. B. feministisches Empowerment) in Bezug auf Geschlechtsidentitäten. Ein „gouvernementales“ bzw. neoliberales Geschlechterregime ist offener für „weibliche“ Lebenswelten, sofern sie ökonomisierbar sind. Eine gouvernementale Sichtweise auf ein Geschlechterregime ist vieldeutig, sie schließt einerseits den Blickwinkel von außen – im Sinne von Fremdführung – als auch von innen – im Sinne von Selbstführung – ein. Andererseits ermöglicht sie die speziellen Regierungstechniken, in Bezug auf die Fremd- und Eigenüberführung der Geschlechtsidentitäten, in den Blick zu nehmen. Zentrale Bausteine für die Defini-

17 Dieses Bild, in dem das Unternehmen zur eigenen DNA werden soll, beschwört Taiichi Ohno, der Begründer der „Lean Produktion“ bei Toyota, indem er die Organisation des Unternehmens mit dem menschlichen Körper vergleicht: „Dieser hat autonome Nerven, die ohne Rücksicht auf das Wollen des Menschen funktionieren (vegetatives Nervensystem). […] Bei Toyota begannen wir darüber nachzudenken, wie wir ein autonomes ‚vegetatives’ Nervensystem in unsere schnell wachsende Unternehmensorganisation einbauen können“ (Ohno: 1993: 73, vgl. auch Spear/Bowen 1999: 97ff).

150 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

tion des Theorems Geschlechterregime sind in geschlechtsspezifischen Regierungsprogrammen in Verbindung mit Selbstregulationsweisen von Geschlechtern zu finden. 4.2.3 Zusammenfassung Gouvernementalität, Biomacht, Disziplinarmacht und Geschlecht Die Anforderung, Regulationsweisen von Geschlechterregimen zu untersuchen, die sich unabhängig von der Warenform konstituieren, ergab sich als Schlussfolgerung aus dem Kapitel zur Regulationstheorie. Die Konsequenz daraus war, weitere soziale, juristische, politische, repressive und ideologische Faktoren zur Etablierung des Theorems Geschlechterregimes zu verdeutlichen und hat dazu geführt, Geschlechterregime im Kontext von Subjektivierungsweisen als Normierungsmechanismen zu beschreiben. Die Zusammensetzung von historischkonkreten Geschlechterregimen ist in der Foucaultschen Sichtweise eng verbunden mit historischen Machtformen bzw. Staatsformationen und den dazugehörigen Machtdispositiven. Mittels der von Foucault untersuchten Machtformationen ergeben sich nun weitere Bausteine, die das Konzept und den Begriff Geschlechterregime verdichten. Wie schon beschrieben, hat Foucault seine Machtanalytik nicht speziell in Bezug auf geschlechtsspezifische Verhaltensweisen oder geschlechterspezifisch ausgearbeitet. Dennoch ergibt sich durch seine Machtanalytik ein komplexes Analyseraster, eine Brille, wodurch spezielle Machttechniken, das heißt, bestimmte Politiken und Maßnahmen in Bezug auf Sexualität, Geschlechterverhältnisse sowie Praxen der Geschlechter untersuchbar werden. Im Folgenden werde ich die allgemeinen Merkmale der drei verschiedenen Machttypen darstellen und folglich die damit verbundenen Begriffe und Machtechniken als Bausteine zur Definition eines Geschlechterregimes herausstellen: • Der Bezugspunkt der Disziplinarmacht ist das Verhalten von Individuen, in-

dem sie auf ihre alltäglichen Gewohnheiten, Gesten, Tätigkeiten einwirkt. Diese Machtform bedient sich dazu spezieller Zwangsmaßnahmen und Übungen. Ziel dieser Machtform ist die Erzeugung von gehorsamen Individuen in den jeweiligen Einschlussmilieus wie Familie, Schule, Betrieb, Gefängnis etc. Die zentrale Leistung dieser Machtform ist die detaillierte Codierung der Körper und Tätigkeiten, durch Individualisierung, Funktionalisierung und Hierarchisierung innerhalb der Einschlussmilieus, über die ritualisierte Festlegung von Tätigkeiten, Gesten und Bewegungen sowie Wiederholungszyklen. Zur Durchsetzung und zur Kontrolle der zur Routine werdenden Tätigkeiten be-

P OSTSTRUKTURALISMUS

| 151

dient sich die Disziplinarmacht einer beständigen hierarchisierten Überwachung, normierenden Prüfungen sowie Tests und Sanktionen (vgl. Foucault 1978). • Der Bezugspunkt der Biomacht ist das Gleichgewicht bzw. die Regulation der Bevölkerungsentwicklung, indem sie auf Fortpflanzung, Geburten- und Sterblichkeitsrate, Gesundheitsniveau, „Arterhaltung“, Lebensdauer und Langlebigkeit einwirkt. Diese Machtform bedient sich dazu regulatorischer und normalisierender Maßnahmen. Ziel der Biomacht ist es, das Leben zu sichern, indem sie sich einerseits auf den individuellen Körper, auf die Steigerung seiner Nützlichkeit und auf die Ausnutzung seiner Kräfte richtet. Andererseits versucht sie das Leben zu sichern, in dem sie sich auf den „Gattungskörper“ richtet, um eine kollektive Gesundheit herzustellen, die man modifizieren, optimal verteilen und „inwertsetzen“ kann. Die zentrale Leistung dieser Machtform ist die Kontrolle der Sexualität, über Sexualitätsdispositive und deren identitäre, normative und generative Wirkung sowie der Verschaltung von Sexualität mit Gesundheit und Geschlecht. Zur Durchsetzung der Regulation der Bevölkerung bedient sich die Biomacht staatlicher Autorität bzw. staatlicher Maßnahmen, die auf die Lenkung, Kontrolle und Selbstregulation von Individuen und Bevölkerung zielen (vgl. Foucault 1983). • Der Bezugspunkt der Gouvernementalität ist die (Selbst-) Führung bzw. die (Selbst-) Regierung von Individuen, indem ein Zustand hergestellt wird, bei dem Herrschaft mit dem Einverständnis der Beherrschten ausgeübt wird. Hierfür bedient sich diese Machtformation der Korrespondenz von äußerer Fremdführung und Disziplinierung und innerer Selbstführung, Selbstregulation und Selbstmanagement. Ziel der gouvernementalen Führung ist, die Selbstregulierungsfähigkeit der Individuen und sozialen Gruppen mit der kapitalistischen Profitmaximierung und den gesellschaftspolitischen Zielen zu verbinden. Die zentrale Leistung dieser Machtformation ist es, gesunde und gut funktionierende Körper weiter zu optimieren und Herrschaft ohne Herrschaft auskommen zu lassen. Zur Durchsetzung dieser Humankapitalisierung dienen die Mechanismen der politischen Ökonomie, die Instrumente der Sicherheitsdispositive sowie die Techniken der Prävention, der Verantwortlichmachung und der Mitbestimmung (vgl. Foucault 2006a, b). Diese drei Machtformen und deren Mechanismen stellen folglich die Bezugspunkte dar, wodurch geschlechtsspezifische Machtdispositive symptomatisch herausgelesen werden können. Ein Geschlechterregime ist in dieser Lesart ein Apparat, der die Bevölkerung bzw. die Individuen anleitet, eine bestimmte Haltung einzunehmen. Vor allem die Begriffe Homöostase, Regulation und Regime im

152 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Kontext der Foucaultschen Denkweise tragen zu einer Zuspitzung des Begriffes Geschlechterregime bei. Der Begriff des Regimes lässt sich durch die Foucaultsche Machtanalytik wie folgt beschreiben: „Régime“ bedeutet im französischen nicht nur Regiment oder Regierungsform, sondern auch Diät, Ernährungsweise, Lebensweise, Leibordnung. So beschreibt Foucault die Leibordnung nicht als ein Korpus allgemeiner und einförmiger Regeln, „sondern eher als eine Anleitung, um auf die mannigfachen Situationen, in die man geraten kann, zu reagieren; eine Orientierung, um sein Verhalten den Umständen anzupassen“ (Foucault 1989: 138). Ziel des Geschlechterregimes hierbei ist demnach die Formierung und Modellierung von geschlechtsspezifischen Verhaltensweisen mittels der weiter oben beschrieben Machttechniken Disziplin, Kontrolle, Prävention und Selbstregulation. Konkrete Geschlechterregime korrespondieren in diesem Zusammenhang mit Sicherheitsmechanismen und können als Effekte oder Verfestigungsstrategien der Macht oder als „institutionelle Kristallisierungen“ (Foucault 1983: 113) von Machtverhältnissen angesehen werden. Sie haben das Ziel, den biologischen Fortbestand einer bestimmten Gesellschaftsformation zu sichern und Unregelmäßigkeiten der Bevölkerungsentwicklung auszubalancieren. Hierbei ist der Verweis auf den Begriff des Gleichgewichts und folglich auf den der Balance bzw. der Homöostase interessant. Denn um das Gleichgewicht einer Gesellschaftsformation zu erhalten, ist es aus der Sichtweise der Foucaultschen Machtanalyse notwendig, Sterberaten und Lebensdauer zu verändern und Geburtenraten zu stimulieren. Dabei geht es insbesondere darum, Regulationsmechanismen so einzuführen, dass diese in der Bevölkerung ein Gleichgewicht herstellen bzw. ein Mittelmaß wahren. Teil der Homöostase ist es Sicherheitsmechanismen zu etablieren, die einen demographischen Ausgleich garantieren und die Leistungsfähigkeit des Lebens optimieren (vgl. Foucault 1999a: 290). Die auf die Bevölkerungspolitik gerichtete Regulationsweise kulminiert im Sexualitätsdispositiv und hat die Aufgabe das Leben zu verwalten und zu bewirtschaften (vgl. Foucault 1983: 170f). Besonders die Analyse der gesellschaftlichen Organisation von Sexualität und des Sexualitätsdispositives verdeutlicht in vielerlei Hinsicht Foucaults Sichtweise und gibt Auskunft über die Wechselwirkung der verschiedenen intersektionalen Ebenen: • Ein Geschlechterregime ist auf der Strukturebene als ein auf die Subjektebene

bezogenes Bündel an geschlechtsspezifischen Maßnahmen und Regeln zu verstehen, die durch die jeweiligen Machtformationen und die dazugehörigen

P OSTSTRUKTURALISMUS

| 153

Machtverhältnisse, Machttechniken und Machtmechanismen sich verschieben, verändern oder stabilisieren. • Ferner ist auch in Anlehnung an Foucaults Beschreibung des Regimes der Lüste das Geschlechterregime auf der Symbolebene im Kontext von Anleitungen zu verstehen, die präventiv auf gesellschaftliche Umstände eingehen. Ziel hierbei ist es, Bedingungen zu schaffen, unter denen die menschliche Reproduktion bestenfalls selbstreguliert abläuft, andernfalls durch staatliche bevölkerungspolitische Maßnahmen organisiert wird, um letztlich ein reproduktives Gleichgewicht der Gesellschaftsformation zu erhalten (vgl. Foucault 1999a: 163f). • Weshalb und in welcher Weise sich ein spezielles Geschlechterregime herausbildet und wie es reguliert wird, ist nicht nur eine Frage der Strukturebene, sondern ist, in Verbindung und in der Wechselwirkung mit den Fremd- und Selbstregierungstechniken, eine Frage der Subjektebene. Zusammenfassend stellt das Geschlechterregime in dieser symptomatischen Lesart einen Machtapparat dar, der durch gouvernementale, biopolitische und disziplinarische Maßnahmen Einfluss auf die Zusammensetzung der Geschlechterverhältnisse erlangt und mittels regulativer Machttechnologien die Sexualität der Geschlechter zu normieren versucht.

4.3 F AZIT Eine poststrukturalistische Herangehensweise zur Analyse gesellschaftlicher Verhältnisse ist dadurch bestimmt, dass sie keine festen Wesenheiten, tiefer liegende Gesetze oder essentialistische Identitätskategorien als Ursprung und Ursache einer Gesellschaftsformation annimmt. Identitätskategorien werden vielmehr als Subjektivierungsweisen und als Effekte von Institutionen, Verfahrensweisen und Diskursen mit überdeterminierten Ursprungsorten begriffen. Die poststrukturalistische Kritik arbeitet sich dabei an den politischen und kulturellen Machtverhältnissen und Techniken ab, um eine radikale Kritik zu formulieren, die ideologische Irrtümer, Illusionen und Vermutungen dekonstruiert. Die überdeterminierten Bezugspunkte eines Geschlechterregimes lassen sich kartographieren, wenn die ökonomischen Verwertungsmechanismen, die Selbsttechniken – die nicht auf Zwang, sondern auf Freiwilligkeit zu beruhen scheinen – und die ideologischen Rhetoriken über Geschlechter mit Geschlechterpraxen in Verbindung gebracht werden. In diesem Zusammenhang sind unter Zuhilfenahme von poststrukturalistischen Sichtweisen, Subjekte als Kulminationspunkt von hetero-

154 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

normativen Diskursen zu verstehen. Folglich ist die Freilegung von geschlechterregimerelevanten Bausteinen mit der Offenlegung der Wechselwirkungen und der Verzahnungen von mikrophysikalischen Struktureinheiten des Staates, makroökonomischen Strukturimperativen, symbolischen und subjektiven Elementen und ihren Ensembles beschäftigt. Aus diesen Verbindungen heraus ergeben sich nun folgende aufeinander aufbauende Konsequenzen, um das Theorem Geschlechterregime zu verdichten. Sie sind als Ergebnis des symptomatischen Lesens der poststrukturalistischen Quellen zu verstehen: • Wenn Individuen auf den ständigen Kampf um ihre Positionen im sozialen

Feld ausgerichtet sind, dann setzten sie sich immer wieder neu mit dem Status quo bzw. mit der vorherrschenden Hegemonie auseinander. Die wahrnehmbaren Kämpfe im sozialen Raum sind so nicht vollständig auf strukturelle Klassenkämpfe reduziert, sondern es existieren Auseinandersetzungen um Symbolformen, die ihren Ausdruck in der Definitionsmacht um „wahre“ Diskurse, Normen und Werte, sowie Lebensstile finden. • Dadurch, dass Machtstrategien das Leben durchdringen und diskursive Praxen Subjekte konstruieren, können sich Machtverhältnisse und Herrschaftszustände nur durch das Handeln von Subjekten, die auch als solche anerkannt werden, realisieren. Würden diese ordnenden und normierenden Verhältnisse und Zustände auf die Zerstörung des Subjekts zielen, würden sie ihre eigene Existenzmöglichkeit untergraben. Daraus folgt, dass Subjektivität ein Regime braucht, das die Subjektivierung durch Normierung stabilisiert. • Zweigeschlechtlichkeit als soziale Klassifizierungs- und Differenzierungsform ist nach der Darstellung poststrukturalistischer Sichtweisen nicht als essentialistische Vorgabe der Natur zu verstehen, sondern als Effekte sozialer Konstruktionsprozesse, welche in gesellschaftliche Machtverhältnisse eingebettet sind. Geschlechterregime materialisieren sich folglich und sind ein überdeterminierter Teil gesellschaftlicher Herrschaftsbedingungen. Das Geschlechterregime entsteht dementsprechend erst durch klassifikatorische Praxen von Individuen oder Gruppen innerhalb der Gesellschaft, welche um Hegemonie ringen. • Aus einem poststrukturalistischen Konzept von Geschlechterregimen heraus stehen so umrissen Individuen in einem sozialen (Selbst-)Verhältnis, das unter heutigen gesellschaftlichen Bedingungen heteronormativ organisiert ist und bestimmte Körpernormen anbietet. Die Materialisierung von Geschlecht ist als ein diskursiver und umkämpfter Prozess zu verstehen. In der Wiederholung geschlechtsbezogener Normen liegt eine Materialität, welche die Produktivität eines hegemonialen Geschlechterdiskurses widerspiegelt. Durch diese post-

P OSTSTRUKTURALISMUS

| 155

strukturalistische Sichtweise wird einerseits auf die Gewaltförmigkeit der Konstruktion von Geschlechtern hingewiesen und andererseits sind damit auch Selbstregulierungspraxen der Geschlechter im Blick. Diese Eckpunkte sind somit Bausteine, wie ein konkretes Geschlechterregime aus einer poststrukturalistischen Perspektive zu analysieren ist: Ein Geschlechterregime gibt den Rahmen der Struktur- Symbol-, und Subjektebene vor, um die Materialisierung von Geschlecht in einer produktiven Bevölkerungspolitik aufgehen zulassen. Der zentrale Baustein für die Analyse eines Geschlechterregimes aus poststrukturalistischer Sichtweise liegt darin begründet, dass sich heteronormative Machtwirkungen, -mechanismen, -strategien und -politiken einerseits durch einen fein abgestimmten Zwang vollziehen und dass sich Individuen andererseits durch Selbstregierungen in das jeweilige Geschlechterregime integrieren. Dadurch entsteht ein Selbstzweck, sodass ein Geschlechterregime ohne Herrschaft auskommt. Es lässt sich als Vereinnahmungsapparat mit Übertragungsmacht beschreiben.

5. Intersektionale Bausteine und intersektionale Definition des Konzeptes Geschlechterregime

Wie schon beschrieben, verweist der bisher nicht klar begründete Begriff des Geschlechterregimes einerseits auf institutionalisierte Praxen und Formen eines vergeschlechtlichten Herrschaftssystems. Andererseits verweist dieser Begriff auf die Sichtweise, dass Staatsapparate und die kapitalistische Warenwirtschaft durch jeweils eigene hegemoniale Geschlechterregime strukturiert sind, welche sich entlang der Arbeitsteilung und der Interaktionsformen der Geschlechter sowie durch Machtverhältnisse zusammensetzen. Um das Konzept Geschlechterregime zu verdichten, habe ich die Konstitution der kapitalistischen Gesellschaftsformation durch ihre komplexe Herrschaftszusammenhänge und Machtverhältnisse, durch den Prozess von permanenten politisch-sozialen und heteronormativ-ideologischen Auseinandersetzungen und Einflüssen verdeutlicht. Hierfür war es nötig, den von Regina Dackweiler formulierten Anspruch – Geschlechterregime auf den Ebenen der institutionalisierten Geschlechterpraktiken und Geschlechterdiskurse zu erfassen – nachzugehen. Weiter bin ich ihrer Aufforderung gefolgt, die Regulierungen der nationalen Geschlechterregime im Verhältnis zwischen Staat, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Haushalten über rechtliche, ökonomische, politische und soziokulturelle Konfigurationen darzustellen (vgl. Dackweiler 2003: 98ff). Aufgrund der konzeptionellen Verkürzungen der wohlfahrtsstaatlichen Forschungen – Geschlechterregimekonzepte als politische Institutionenanalyse zu benutzen (vgl. Kapitel 2.4) – sowie den erkenntnistheoretischen Überlegungen zur Operationalisierung habe ich mich entschieden, den Begriff Geschlechterregime intersektional aufzubauen, um die Wechselwirkungen struktureller, symbolischer und subjektiver Faktoren untersuchen zu können.

158 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Durch diese Vorgaben bezieht sich nun die Darstellung des Konzeptes Geschlechterregime auf die Ebenen Struktur, Symbol und Subjekt. Mit den vorherigen Annahmen konnten sowohl Regulationstheorie als auch poststrukturalistische Sichtweisen vor dem Hintergrund der Fragen überprüft werden: • was theoretische Eckpunkte zur Konstitution von Geschlechterregimen sind, • welche Machtverhältnisse, Bedingungen und Prozesse einen langfristigen Zu-

sammenhang von Geschlechterregimen garantieren, • welche Verbindungen, Ergänzungen und Erweiterungen beide Ansätze für das

Theorem Geschlechterregime beinhalten. Das Konzept Geschlechterregime lässt sich dabei mittels regulationstheoretischer und poststrukturalistischer Sichtweisen am vollständigsten entfalten, wenn den Fragen nachgegangen wird: • wie die Reproduktion der Gesamtgesellschaft geregelt ist. • wie die unterschiedlichen Praxen der Geschlechter selbst, im Kontext der his-

torischen Entwicklung der Produktivkräfte, der Arbeitsteilung und der jeweilig dominanten Herrschaftsorganisation formiert sind. Hierfür sind durch die symptomatische Lesweise die Definitionsketten des vorausgesetzten Definiens herausgetreten und in den Zusammenfassungen der jeweiligen Kapitel als Wechselwirkungen zwischen den Ebenen dargestellt worden. Das Ergebnis ist eine Darstellung des Konzeptes Geschlechterregime auf zwei Dimensionen: Einerseits die historisch-konkrete Dimension, durch die das Geschlechterregime seine spezifische Ausformung erlangt, und andererseits ist eine theoretischabstrakte Dimension ablesbar, die es als Definition – im Sinne eines theoretischen Begriffes – und als Theorem – im Sinne eines analytischen Werkzeuges – beschreibt (vgl. Kapitel 2). Durch die Reinterpretation bzw. durch die Zusammenführung der bisher dargestellten Definitionsketten versuche ich nun im Folgenden, den Begriff des Geschlechterregimes zu definieren. Damit werde ich der Anforderung einer Definition gerecht, indem ich einerseits die Bedeutung des Begriffes erkläre und andererseits den Inhalt und die Form des Begriffes bestimme.

I NTERSEKTIONALE B AUSTEINE

5.1 B AUSTEINE

DES

| 159

K ONZEPTES G ESCHLECHTERREGIME

Die Zusammenführung der Begriffe Geschlechter und Regime verweist auf die verschiedenen Ebenen und Verkettungen, welche die gesamtgesellschaftliche Herrschaftsstabilisierung über die Regulierung der Geschlechterverhältnisse zum Ziel haben. Aufgrund der intersektionalen Überlegungen setzen sich die Bausteine des Geschlechterregimes aus verschiedenen Ebenen und ihren Elementen und Ensembles zusammen. Ein Geschlechterregime lässt sich demnach nur bestimmen, wenn sich den Ebenen aus unterschiedlichen Stellungen oder von unterschiedlichen Bezugsorten genähert wird. Die Koordinaten dieser Verkettungen lassen sich analytisch in drei einfach mögliche Wechselwirkungen zwischen der Subjektebene, der Symbolebene und der Strukturebene kartographieren. Je nach Standpunkt ergibt sich ein bestimmtes Analyseraster der wechselseitig in Beziehung tretenden (//) Ebenen: Struktur//Symbol, Struktur//Subjekt, Symbol//Subjekt (vgl. Winker/Degele 2009: 73). Die Knotenpunkte der Verkettungen verweisen auf die Widersprüchlichkeit eines Geschlechterregimes und auf weitere komplexere Verbindungen und Wechselwirkungen zwischen den Subebenen und Interzonen. Diese Wechselwirkungen lassen sich wie folgt beschreiben: 5.1.1 Wechselwirkung Struktur//Subjekt Die Infragestellung, dass der Kapitalismus als antagonistische, von Widersprüchen durchzogene Gesellschaftsformation überhaupt eine relativ stabile Reproduktion der Produktionsverhältnisse erlangen kann, führt zu der Sichtweise, dass das Akkumulationsregime von Regulationsweisen abhängig ist. Das bedeutet, dass die Produktion und Reproduktion in einem strukturellen Abhängigkeitsverhältnis steht und dass die gesellschaftlichen Produktionsprozesse zugleich auch Reproduktionsprozesse sind. In dieser Folge kann erst durch die Reproduktion der Ware Arbeitskraft der Produktionsprozess sich reproduzieren und zu einer Kapitalakkumulation führen. Folglich gerät der Akkumulationsprozess durch eine Nichterfüllung von Reproduktionstätigkeiten oder eine unproduktive Sexualität in eine Krise. Negative demographische Erscheinungen und Minimierung des relativen Mehrwerts sind die Folgen. Im Kern weist das Akkumulationsregime, das auch als Strukturgeber der kapitalistischen Gesellschaftsformation verstanden werden muss, als solches eine subjektive bzw. geschlechtliche Besetzung und Voraussetzung auf. Als Mechanismus gegen Krisen und für stabile gesellschaftliche Beziehungen muss ein konkretes Geschlechterregime installiert werden (vgl. Kapitel 3.1).

160 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Vor allem der Staat als Kristallisationspunkt gesellschaftlicher Machtverhältnisse und als legitime Gewaltstruktur inauguriert bzw. installiert das Geschlechterregime. Das Geschlechterregime stellt somit einen Machtapparat dar, welcher durch gouvernementale, biopolitische und disziplinarische Regulationsmaßnahmen Einfluss auf die Zusammensetzung der Geschlechterverhältnisse erlangt und mittels regulativer Machttechnologien die Sexualität der Geschlechter zu normieren versucht. Hierbei korrespondiert ein Geschlechterregime mit Sicherheitsmechanismen des Staates und ist als Moment der hegemonialen Herrschaftssicherung zu verstehen. Ein Geschlechterregime kann folglich als ein historisch-konkretes Regierungsmodell verstanden werden, das Geschlechterverhältnisse, die auf dem Doppelcharakter der Arbeit aufbauenden Produktionsverhältnisse und die Reproduktion der Produktionsverhältnisse mittels seiner Dispositive zu stabilisieren versucht. Zusammenfassend lässt sich erst einmal sagen, dass sich auf der Strukturebene des Geschlechterregimes neben den ökonomischen Strukturen auch die institutionellen Zusammensetzungen finden, welche im Wechselspiel durch subjektive bzw. soziale Praxen wirkmächtig werden (vgl. Kapitel 4.2). Die Wechselwirkung von Subjekt- und Strukturebene innerhalb eines Geschlechterregimes lässt sich anhand von geschlechtsspezifischen Regierungstechnologien bzw. Regulationsweisen weiter verdeutlichen. Ein Geschlechterregime gibt in diesem Zusammenhang den Rahmen der Subjekt- und Strukturebene vor, um die Geschlechterverhältnisse in einer produktiven Bevölkerungspolitik aufgehen zulassen. Um das Gleichgewicht einer Gesellschaftsformation zu erhalten, ist es notwendig, Einfluss auf Sterberaten und Lebensdauer zu nehmen und Geburtenraten zu stimulieren. Für ein auf Geschlechter bezogenes Regime ist es daher notwendig, Regulationsmechanismen einzuführen, welche die Sexualitätspraktiken in eine Homöostase überführen und einen Ausgleich zwischen Geburtsraten und Todesraten garantieren. Ein Geschlechterregime schützt produktive und zweckmäßige gesellschaftliche Beziehungen über historischkonkrete institutionelle Formen bzw. über Einschlussmilieus (Familie, Ehe, Schule, Unternehmen etc.) hinweg (vgl. Kapitel 3.2). Die geschlechtsspezifische Subjektivierung setzt ein aufeinander abgestimmtes System von Regulationsinstanzen voraus, die durch den Staat legitimiert sind. Heteronormative Machtwirkungen, -mechanismen, -strategien und -politiken, welche Individuen in das jeweilige Geschlechterverhältnis integrieren, vollziehen sich durch einen fein abgestimmten symbolischen Zwang. Heteronormative Machtwirkungen bzw. die damit verbundenen symbolischen Stereotype in Bezug auf das Geschlecht sind an die Vorstellung gekoppelt, dass es nur zwei Geschlechter gibt. Alle anderen Begehrensformen jenseits der Heterosexua-

I NTERSEKTIONALE B AUSTEINE

| 161

lität gelten als Abweichung der Norm und werden stigmatisiert und sanktioniert. Durch Subjektivierungsweisen wie Anrufung oder Inkorporation von Herrschaftsverhältnissen ist davon auszugehen, dass ein Geschlecht erst durch regulatorische Machtverhältnisse entsteht. Weiter ist davon auszugehen, dass durch die Konstruktion von Geschlechterverhältnissen über eine regulatorische Apparatur, Regime entstehen, die selbst geschlechterspezifisch sind. Daraus folgt, dass Geschlechterverhältnisse eine regulatorische und disziplinarische Struktur erfordern, um die Vergeschlechtlichung zu stabilisieren. Effekt dieses Regimes ist die kontrollierende Anpassung von Subjekten. Das Geschlechterregime besitzt in diesem Zusammenhang nationalökonomische und politische Struktureinheiten. Diese Struktureinheiten zielen auf die Herstellung einer hegemonialen Haltung, die von Individuen und Gesellschaften eingenommen werden sollen, um die vorherrschenden Verhältnisse selbstständig zu reproduzieren. Ziel der Struktureinheiten ist es, die Geschlechter an den für sie vorgesehenen Platz zu dirigieren und diese Plätze in Selbstverhältnisse zu überführen sowie den biologischen Fortbestand der Gesellschaftsformation zu sichern und Unregelmäßigkeiten in der Bevölkerungsentwicklung auszubalancieren (vgl. Kapitel 4.1). Die vergeschlechtlichten Strukturen können zwar über Regime fixiert werden, aber diese Strukturen sind durch die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse weder von Dauer, noch können sie zu einem totalen Geschlechterregime führen. Regime erreichen nie eine Geschlossenheit und sind durch ihre Überdeterminiertheit immanent krisenanfällig: Die Subjektivation resultiert aus den Verschiebungen der Struktur. Und die Strukturbildung resultiert aus den Widersprüchen der Subjekte. Eine Struktur kann sich daher nicht vollständig allein konstituieren, und die Struktur macht es dem Subjekt unmöglich, sich jederzeit frei zu generieren. Ebenso wenig wie Strukturen bzw. Regime erreichen Geschlechter auch keine in sich geschlossene Identität, weil sie sich permanent in widersprüchlicher Relation zu anderen Identitäten bewegen, die ebenfalls in Antagonismen aufeinander reagieren. Daraus ergibt sich auch eine gegenseitige Bestimmung von Geschlecht und Regime. Das bedeutet, dass ein Geschlechterregime geschlechtsspezifische Strukturimperative, Gesetze, Verordnungen, Regelwerke und subjektive Praxen sowie hegemoniale Kämpfe organisiert, um die Anordnungen der Geschlechter in der Gesellschaft zu formieren. Zusammenfassung: Das Geschlechterregime lässt sich allgemein als eine Geschlechterverhältnisse strukturierende und strukturierte Struktur verstehen. Das Ziel dieser Geschlechterverhältnisse strukturierenden und strukturierten Struktur ist demnach die Unterstützung der Reproduktion der jeweiligen Hegemonie und deren Produktionsbedingungen durch die den Subjekten zugewiesene Funktion

162 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

und Formatierung. Das Geschlechterregime erfährt durch das Waren- und über das Lohnverhältnis einen konstitutiven Einfluss auf seine Sozialstruktur und in der Wechselwirkung auch Einfluss auf die Gesamtformation der Subjekte. 5.1.2 Wechselwirkung Struktur//Symbol In dem bisherigen Zusammenhang lässt sich das Geschlechterregime auf der Strukturebene als geschlechterspezifischer Steuerungsmodus der Gesellschaftsformation verstehen, welcher über repressive und ideologische Vorgaben die Zusammensetzung einer heteronormativ-kapitalistischen Gesellschaftsformation zu organisieren und zu entwickeln versucht. Ausgehend von der Annahme, dass die Konstituierung der Symbolkategorien von Männlichkeiten und Weiblichkeiten und ihres Verhältnisses zueinander räumlich im Kontext eines kapitalistischen Zivilisationsmodells zu verstehen ist, spielt die Strukturebene aber nur eine überdeterminierende Rolle bei der Materialisierung von Geschlechterverhältnissen. Weiter bedeutet dies, dass Geschlechterverhältnisse nicht nur durch die materialistischen Mechanismen der Vergesellschaftung aufrechterhalten werden, sondern durch heteronormative Ideen reguliert sind. Begründet ist dies dadurch, dass der Kapitalismus nicht in der Lage ist, ohne die Reproduktion der Arbeitskräfte auszukommen und daher auf Reproduktionstätigkeiten (Kinder bekommen, verpflegen, ausbilden) angewiesen ist, um die Kapitalakkumulation zu organisieren und zu reproduzieren. Folglich gerät der Akkumulationsprozess durch eine stockende Reproduktion in eine Krise. Um die Reproduktion der Strukturebene zu organisieren, besitzt das Geschlechterregime auch ideologische Struktureinheiten. Hierbei spielt die ideologische Achse von Geschlecht, Nation und „Rasse“ innerhalb des auf Deutschland bezogenen Geschlechterregimes eine besondere Rolle, um auf der demographischen Seite die kollektiven Lebensverhältnisse zur Formierung einer „Volksgemeinschaft“ zu nutzen. Wesentlich für die Konstitution von Geschlechterregimen sind daher die Systemstrukturen und die damit geknüpften Symboliken. Ein Geschlechterregime ist daher auch als System zu verstehen, durch das die Produktion und Normalisierung von Geschlechtern vonstattengeht. Demnach konstituieren sich die Strukturen – die per se als Muster von Systemelementen und ihren Relationen untereinander verstanden werden müssen – in Bezug auf historisch-konkrete Geschlechterregime entlang der Verkettungen mit den symbolischen Bezugspunkten der Heteronormativität (vgl. Kapitel 3.1.1, 4.2.1). Auf der Symbolebene finden sich im Begriff des Geschlechts die wechselseitigen Bestimmungen von Struktur und Symbol wieder. Es finden sich auch die Bestimmungen des Körpergeschlechts (Sex) und die Bestimmungen der sozialen

I NTERSEKTIONALE B AUSTEINE

| 163

Geschlechtsmerkmale (Gender) wieder, die in einem wechselseitigen Zusammenhang stehen. Das heißt, das was auf der Seite des Körpergeschlechtes zu finden ist, also binär strukturierte Körperoberflächen, drückt sich wiederum in der Symbolik der binären Geschlechtsrollen aus. Für die Bedeutung des Begriffes Geschlecht sind hierbei die sexuierten Positionen innerhalb der Sprache erstrangig, um Individuen benennen zu können. Wenn demnach z. B. Männern von gesprochen wird, sind bereits normativ codierte Signifikationen als Bezeichnungspraxis für Männer vorhanden. Das bedeutet, dass keine vordiskursiven Subjektivitäten existieren, weil alle Bedeutungen mit bestimmten gesellschaftlichen Zuschreibungen verhaftet sind. Demnach konstruiert sich das Geschlecht durch vergeschlechtlichte Bedeutungs- und Identitätskategorien, und die jeweilig hegemoniale zweigeschlechtliche Ordnung geht der Benennung eines leiblichen Körpers voraus. Es existiert somit auch keine von einer symbolischen Ordnung losgelöste körperliche Materialität. Die symbolische Ordnung ist demnach die Verfassung der Struktur. Dadurch lässt sich bekräftigen, dass die Symbolstruktur, welche die sexuelle Differenz erzeugt, auch über die sexuelle Differenz regiert wird. Das Geschlechterregime organisiert die geschlechtliche Symbolordnung. Es ist ein Vereinnahmungsapparat, der die Übertragungsmacht von Bedeutungen besitzt (vgl. Kapitel 4.1.1). Zusammenfassung: Um mittels eines historisch-konkreten Geschlechterregimes ein Gefüge heteronormativer Vergesellschaftungsmechanismen herzustellen, sind ideologische Regulationsweisen wie Diskurse oder Normen notwendig. Ziel und Zweck heteronormativer Ideologien ist die Konstituierung eines relativ stabilen Geschlechterregimes zur Reproduktion der Produktionsbedingungen. 5.1.3 Wechselwirkung Symbol/Subjekt Ein Geschlechterregime ist, entlang der bisherigen Argumentationskette, eine zeitlich begrenzte, aber auch verdichtete Form gesellschaftlicher Machtverhältnisse, ein materialisierter Ausdruck und temporäre Erstarrung ideologischer und widersprüchlicher sozialer Kräfteverhältnisse. Es ist das Produkt eines gesellschaftlichen Entwicklungsprozesses und dadurch auch veränderbar. Eine Veränderung wird behindert, wenn das Geschlechterregime durch eine hierarchisch gegliederte Herrschaftsstruktur konstituiert ist, die einerseits über die Hegemonie der Bedeutungsproduktion verfügt und andererseits Mechanismen der SelbstÖkonomisierung und Selbst-Regulierung installiert, um Individuen an den für sie vorgesehenen Platz zu disziplinieren (vgl. Kapitel 4.2.2).

164 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Die Wechselwirkung von Struktur-Subjekt und Symbol-Struktur transferiert sich auch in die Ebenen Symbol-Subjekt, denn das Ergebnis der Subjektivierung aus den wechselseitigen Selbst- und Fremdregulierungsprozessen ist die Materialisierung eines vergeschlechtlichten Subjekts über die symbolische Ordnung. Diese Subjektivierung, sich selbst entlang kultureller Stereotype als Geschlecht zu konstruieren, ist vermittelt durch eine von Geschlechterregimen bzw. durch Machtstrategien produzierte Geschlechtsidentität, die durch eine permanent erzwungene Wiederholung der hegemonialen Normen hervorgeht. Effekt einer heteronormativ codierten Performativität ist ein Platz in der Gesellschaft und die Festigung eines hegemonialen Geschlechterregimes. Geschlecht ist dadurch keine willkürliche und beliebige Inszenierung, die außerhalb des Diskurses existiert. Insofern bringen diskursive Formulierungen ein bestimmtes Geschlecht hervor, festigen, regulieren oder reproduzieren es. Damit lässt sich auch formulieren, dass kein ungeschlechtliches Subjekt vor der Subjektivierung existiert. Die Geschlechtsidentität ist somit immer im „Werden“ begriffen und muss in einem permanenten Prozess der Annäherung und Abstoßung der gesetzten Norm der Heterosexualität gedacht werden. Die materialistische Funktion der heteronormativen Ideologie besteht darin, die Konstitution von Subjekten in einen Zusammenhang mit der Reproduktion der Produktionsverhältnisse zu bringen. Die Inkorporation der sexuellen Differenz basiert auf Mechanismen, die Individuen sich selbst kontrollieren und sich selbst beherrschen lassen. Durch die Inkorporation der geschlechtlichen Differenz, welche über eine bestimmte Wahrnehmung in Bezug auf den menschlichen Körper erzeugt wird, verfestigen sich Geschlechterstereotype. Das Geschlechterregime verleiht diesen Prozessen – je nach den kulturellen und historischen Bedingungen – Bedeutung. Die Inkorporation der geschlechtlichen Differenz liefert ein Erklärungsmodell, warum Normen und restriktive Ideologien sich innerlich ansiedeln, um den obligatorischen Rahmen der reproduktiven Heterosexualität über die Sexualität zu regulieren. Das Geschlechterregime ist Ausdruck subjektiver Bedeutungshegemonien in Bezug auf geschlechtsspezifische Symboliken (vgl. Kapitel 4.1.2). Da aber herrschaftsreproduzierendes Handeln weder einfach strukturell determiniert, noch symbolisch widerspruchsfrei ist, können die jeweiligen Materialisierungsprozesse von sozialen Formationen und die Konfigurationen von Männlichkeiten und Weiblichkeiten in eine dysfunktionale Formation für die Reproduktion der Produktionsbedingungen übergehen. In kapitalistischen Gesellschaftsformationen entstehen hierdurch Prozesse von permanenten politisch-sozialen und ideologisch-diskursiven Auseinandersetzungen, um Geschlechterverhältnisse, welche ein elementarer Bestandteil der Reproduktion der Produktionsbedingungen sind, zu regulieren, zu strukturieren, zu fixieren oder zu dislozieren.

I NTERSEKTIONALE B AUSTEINE

| 165

Zusammenfassung: Ein Geschlechterregime ist auf der Subjektebene ein Spiegel1 bzw. eine Orientierungshilfe, womit das Subjekt durch die symbolische Ordnung seine Identität erfahren, bestimmen oder verwerfen kann. Die Entwicklung und Geschichte eines Geschlechterregimes ist daher auf widersprüchliche symbolische und subjektive Praxisformen (ökonomische, politische, ideologische, diskursive Praxen) zurückzuführen.

5.2 D EFINITION

DES

K ONZEPTES G ESCHLECHTERREGIME

Im Allgemeinen wird unter Definition eine möglichst eindeutige Bestimmung eines Begriffes verstanden bzw. das „Eingrenzen des Wesentlichen und Bestimmen des Allgemeinen eines Begriffs und seines spezifischen Unterschieds über Abgrenzung gegen andere Begriffe“ (Collmer 2002: 306). Im herkömmlichen Sinne erfasst die Definition das Wesen eines Objekts im Gegensatz zu anderen Objekten. Nach Hegel kann die Definition dies nur leisten, weil sie den Prozess darstellt, wodurch ein Objekt sich im Speziellen differenziert: „Die Definition, indem sie auf diese Weise den Gegenstand auf seinen Begriff zurückführt, streift seine Äußerlichkeiten, welche zur Existenz erforderlich sind, ab; sie abstrahiert von dem, was zum Begriffe in seiner Realisation hinzukommt, wodurch er erstlich zur Idee und zweitens zur äußerlichen Existenz heraustritt. Die Beschreibung ist für die Vorstellung und nimmt diesen weiteren, der Realität angehörigen Inhalt auf.“ (Hegel 1979a: 512f)

Die abstrakte Definition wird hierbei durch die Negation des Konkreten dialektisch entfaltet. Dieser Prozess führt letztlich zur totalen Dekonstruktion der konkreten Welt und wiederum zur Dekonstruktion des Abstrakten, weil die Konstruktion des Allgemeinen in sich konkret ist. Insofern stellt sich das Problem, dass Definitionen für die Wissenschaft eigentlich wertlos sind, weil sie stets unzulänglich bleiben. Definitionen können nicht in einem einzelnen Satz dargestellt werden, sondern können lediglich durch die Konkretheit des Objekts erklärt werden. Daher ist die einzig zuverlässige Definition die Entwicklung der Sache selbst. Dadurch wird die Definition aber wieder konkret und ist daher auch keine Definition mehr (vgl. MEW 20: 578). Das führt zu dem Problem,

1

Die marxistische Annahme, dass gesellschaftliche Verhältnisse sich in den sozialen Praxen und Formen widerspiegeln, kann im Sinne der Zeichentheorie auch als Symbolisierung gelesen werden (vgl. Schiwy 1969: 228).

166 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

dass wir unfähig werden, „die Begriffe, die wir gebrauchen, klar zu umschreiben – nicht, weil wir ihre Definition nicht wissen, sondern weil sie keine wirkliche ‚Definition‘ haben“ (Wittgenstein 1989: 49). Die Idee einer „wirklichen“ Definition spiegelt sich in der Idee des Essentialismus wider, indem davon ausgegangen wird, dass der wesentliche Kern einer Sache selbst durch die spezifischen Eigenheiten gegen alle anderen Gegenstände abzugrenzen ist. Dies kann aber formal nur funktionieren, sofern von idealistischen Voraussetzungen einer Ontologie der Dinge ausgegangen wird. Das bedeutet, dass Definitionen vom Sein und Wesen einer Sache ausgehen, um bestimmte Gesetzmäßigkeiten darstellen zu können, die im Wesen der Sache ihren Ausdruck finden. In diesem Fall würde mein Begriff des Geschlechterregimes einerseits eine Seinslogik besitzen – das heißt, bestimmte Kategorien, auf die sich das Geschlechterregime bezieht (vgl. Hegel 1979a). Andererseits würde es eine Wesenslogik besitzen – das heißt, notwendige Eigenschaften, die das Geschlechterregime ausmachen, damit es existieren kann (vgl. Hegel 1979b). Die Annahme aber, dass Begriffe eine unveränderbare bzw. „wirkliche“ Definition haben müssen, „wäre wie die Annahme, dass Ball spielende Kinder grundsätzlich nach strengen Regeln spielen“ (Wittgenstein 1989: 49). Das bedeutet nichts anderes, als dass Begriffe bereits eine normativ codierte Vorstellung bzw. Signifikation besitzen und dass Begriffe nicht durch Definitionen zur Bedeutung kommen, sondern durch umkämpfte diskursive Praxen. Einfach gesagt heißt das: Ein Wort kommt nicht zu einer Bedeutung, weil diese durch eine unabhängige Macht existiert, sondern ein Wort hat eine Bedeutung, weil sie ihm gegeben wird (vgl. Wittgenstein 1989: 49ff). So verstanden sind Definitionen willkürlich, weil sie von der gesellschaftlichen Bedeutungsproduktion und vom subjektiven Sprachgebrauch der Sprechenden abhängig sind. Daher sind Definitionen weder wahr noch falsch,2 und die in der Definition enthaltenen Begriffe sind selbst nicht eindeutig. Dies kann zu dem Problem des definitorischen bzw. infiniten Regresses führen. Das bedeutet ein Definieren ohne Ende. Das Problem dieses infiniten Regresses möchte ich am Beispiel des Begriffs „Geschlechterregime“ verdeutlichen: Das Definiendum ist das Geschlechterregime. Das Definiens dabei sind die Begriffe Geschlecht und Regime. Wie die bisherigen Darstellungen zu den Begriffen Geschlecht und Regime belegen, sind beide Bedeutungen nicht eindeutig,

2

Denn Definitionen bzw. Explikationen können logisch richtig, verständlich oder erhellend sein. Definitionen sind somit „vollkommen kontextabhänig – […] Formell apodidaktisch erhobene Wahrheits- oder Richtigkeits- oder Gutheitsansprüche sind prinzipiell irrelevant, insofern die Form eines prädikativen Urteils sie nicht einzuverlösen mag“ (Collmer 2002: 160).

I NTERSEKTIONALE B AUSTEINE

| 167

weil sie von dem Wandel der Gesellschaftsformation und deren Machtverhältnissen abhängig sind. Außerdem beinhalten die Definiens wiederum weitere Definientia. Bei Geschlecht führen das biologische und das soziale Geschlecht wiederum neu zu bestimmende Herleitungen zur Definition ein. Bei dem Begriff Regime kann von einer Herrschaftsstruktur, einem Gewaltverhältnis oder einer Lebensanweisung etc. ausgegangen werden. Das Problem hierbei ist also, dass neue Begriffe jeweils einer eigenen Definition bedürfen, die wiederum aus alten Begriffen besteht, die wiederum ebenfalls nur durch andere Begriffe definiert werden können usw. Diese Art des Definierens führt zu einer unendlichen Reihe von Definitionen (vgl. Schnell 1993: 39ff, Collmer 2002: 168f). Hegel beschreibt dies als schlechte Unendlichkeit oder „Negation des Endlichen“ (Hegel 1979a: 157). Um aus diesem Paradox bzw. aus diesem Widerspruch herauszutreten, bedarf es einer operationalen Schließung des Begriffes (vgl. Luhmann 1990: 24). Das heißt, um den infiniten Regress oder die tautologischen Transformationen von Begriffen zu vermeiden, setze ich die bisher beschriebenen Definientia und Untersuchungskategorien der Theorien als gegeben für das Definiendum voraus. Von nun an beziehe ich mich auf diese intensionalen Bedeutungen. Das Wort Geschlechterregime besitzt in den bisherigen Beschreibungen mehrere Bedeutungen: • Einerseits lässt sich ein historisch-konkretes Geschlechterregime als Regie-

rungsform oder Regiment von Geschlechtern beschreiben und andererseits auch als Lebensweise oder Leibordnung der Geschlechter. Es ist als Anleitung und Orientierungshilfe sowie als Herrschaftssystem zu verstehen. In der bisherigen Darstellung besitzt das Regime sowohl Elemente der Fremdbestimmung als auch der Selbstaktivierung. • Andererseits besteht das theoretisch-abstrakte Geschlechterregime aus notwendigen Eigenschaften, die das Geschlechterregime ausmachen und aus bestimmten Kategorien, auf die sich das Geschlechterregime bezieht. Das heißt, das Geschlechterregime ist durch seine sozialen Dimensionen (Strukturebene/Symbolebene/Subjektebene), seine historische Periode (z. B. Fordismus oder Postfordismus), seine Formation (z. B. konservativ oder neoliberal) und seine Elemente (politökonomische Produktions- und Reproduktionsverhältnisse, Diskurse, Ideologien sowie Selbstverhältnisse) zusammengesetzt. Im Folgenden werde ich diese Definitions- und Herleitungsketten in einer Definition zusammenschließen. Würden die bisherigen Definitions- und Herleitungsketten sich nicht in einem „System zusammenschließen, dann wäre überhaupt keine Signifikation möglich“ (Laclau 2002: 66). Genau dieser theoretische Wi-

168 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

derspruch – unessentialistisch essentialistisch zu sein – führt mich zu dem Schluss, dass die Definition des Begriffes Geschlechterregime nur eine Definition sein kann, die strategisch, situationsbezogen, partiell und temporär Gültigkeit besitzen kann. Die Definition erweist sich insofern nur in ihrer historischkonkreten Verwendung als brauchbar oder unbrauchbar. Daher werde ich im Folgenden den Inhalt und die Form des Begriffes Geschlechterregime bestimmen und die für meine empirischen Untersuchungen relevante Bedeutung des Begriffes festlegen und operational abschließen. Ziel und Zweck dieses Vorgehens ist es, das Geschlechterregime als Theorem so zu begründen, um dieses als konventionelle Abstraktion bzw. Verdichtung für die umschriebenen Definientia zum Definiendum zu benutzen. Mit einem auf diese Grundlagen gestellten Verständnis von Geschlechterregime lautet die Definition des Begriffes so: Im Allgemeinen stellt das Geschlechterregime ein Herrschaftsdispositiv dar. Das Geschlechterregime herrscht in den ökonomischen, politischen, ideologischen und sozialen Formationen. Es herrscht durch die ökonomischen, politischen, ideologischen und sozialen Formationen und es reproduziert sich über diese Formationen. Das Geschlechterregime als Herrschaftsdispositiv ist im Besonderen ein auf Geschlechter bezogener Modus zur Regulation der kapitalistischen Produktions- und Reproduktionssphären. Im Einzelnen handelt es sich um ein komplexes Geflecht von Herrschaftstechniken und Machtverhältnissen, in denen verschiedene geschlechtsspezifische Politiken, Ideologien und Diskurse aufeinandertreffen, ineinandergreifen und in den Kreuzungen identitäre und heteronormativ-vergeschlechtlichte Subjektivierungsweisen stattfinden, welche wiederum die Allgemeinheit des Dispositivs Geschlechterregime konstituieren.

5.3 T HEOREM G ESCHLECHTERREGIME Die Definition des Geschlechterregimes und vor allem die Bausteine dieser Definition besitzen weitreichende Konsequenzen für die empirische Untersuchung. Sie legten fest, wie auf welchen Ebenen ermittelt wird. Daher ist das abstrakttheoretische bzw. das Theorem Geschlechterregime als Untersuchungskategorie aufgebaut.3 Allerdings ist die Bestimmung des Geschlechterregimes als Untersu-

3

„A theorem is a statement that can be demonstrated to be true by accepted […] operations and arguments. In general, a theorem is an embodiment of some general principle that makes it part of a larger theory. The process of showing a theorem to be correct is called a proof“ (Weisstein 2001: 1). Das bedeutet, ein Theorem im Allgemeinen beschreibt einen Lehrsatz, eine Lehrmeinung oder einen abstrakten Bestandteil

I NTERSEKTIONALE B AUSTEINE

| 169

chungskategorie nicht einfach ableitbar, sondern sie ist vielschichtig bzw. überdeterminiert. Insofern liegt in dieser Annahme ein theoretischer Ausgangspunkt zur Bestimmung des Theorems Geschlechterregime, weil dadurch die Funktionsweise und die Verwobenheit von Herrschaft erfassbar werden. Aus der Erkenntnis, dass Herrschaftsverhältnisse nicht auf eine Ableitung von Klasse oder Geschlecht reduzierbar sind, folgt, dass ein Geschlechterregime als Herrschaftsdispositiv nicht ausschließlich aus der Kapitalverwertungslogik abzuleiten ist. Für diese Analyse der Verwobenheit und des Zusammenwirkens verschiedener Differenzkategorien sowie den mehrdeutigen Dimensionen sozialer Subjektivierung bietet dieses Theorem daher ein Schema an, um heteronormativ-kapitalistische Herrschaftsstrukturen inklusive der dazugehörigen Reihen von Dispositivelementen darzustellen: Auf der Strukturebene können die geschlechtsspezifischen Verbindungen der Reproduktion der Produktionsbedingungen, der Reproduktion der Arbeitskraft, des relativen Mehrwerts und des Krisenprozesses untersucht werden. Weiter können die geschlechtsspezifischen Regulierungsweisen der Gouvernementalität und der Bevölkerungspolitik – Gesetze, Anleitungen, Maßnahmen – untersucht werden. Dispositivelemente: • Reihe 1 [Akkumulationsregime]: Gesellschaftsformation – Organisation von

Lohn- und Reproduktionsarbeit/Klassen- und Geschlechterzusammensetzung – Krise der Reproduktionsprozesse • Reihe 2 [Regulationsweisen]: Institutionelle/ideologische/soziale Herrschafts-

formationen – Gouvernementalität – Familien-/Bevölkerungspolitik/Demographie Auf der Symbolebene können die geschlechtsspezifischen Verbindungen der Diskurse und Ideologien untersucht werden. Dispositivelemente: • Reihe 3 [Diskurs und Ideologie]: Anrufungen/Bedeutungen/Normierungen –

kulturelle Stereotypen/soziale Geschlechtsmerkmale

einer Wissenschaftstheorie, der durch konkrete Untersuchungen bewiesen oder verworfen werden kann.

170 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Auf der Subjektebene können die geschlechtsspezifischen Verbindungen der Selbstverhältnisse und der Widerstandpotentiale untersucht werden. Dispositivelemente: • Reihe 4 [Selbstverhältnisse]: körperliche und diskursive Subjektivierung –

Habitus/Geschlechtsidentität/Soziale Formen – Verhalten/Anpassung/Widerstand Auf diesen Ebenen ist nun das Theorem Geschlechterregime als Interaktionsform zwischen ökonomischen und institutionellen Machtverhältnissen, Zivilgesellschaft, kulturellen Diskursen/Ideologien von Geschlecht und Selbstregierungsmechanismen festgelegt. Das Geschlecht ist in einem Regime als Elementarteil zu verstehen, welches sich wie beschrieben dreidimensional über soziales Feld, Zeit und Form festlegt. Schematisch lässt sich die intersektionale Dispositivanalyse des Geschlechterregimes als Untersuchungsmatrix wie in Abbildung 2 darstellen: Abbildung 2: Erweitertes Geschlechterregimekonzept (eigene Darstellung)

Teil 2: Das historisch-konkrete Geschlechterregime

6. Zur intersektionalen Dispositivanalyse des Geschlechterregimes

Bisher sind die Lesarten von Geschlechterregimen entlang regulationstheoretischer und poststrukturalistischer Sichtweisen nachgezeichnet und deren Bedeutungskonstitutionen extrapoliert worden. Daraufhin wurde das Theorem Geschlechterregime bestimmt. Das Theorem Geschlechterregime habe ich in Anschluss an regulationstheoretische und poststrukturalistische Sichtweisen so gesetzt, dass damit eine Vielzahl von Strukturen, diskursiven Formationen und Apparaten aus einer intersektionalen Perspektive analysiert werden können. Das Geschlechterregime beschreibt ein Herrschaftsdispositiv sowie ein auf Geschlechter bezogenes Gefüge von Subjektivierungsweisen. Um diese theoretischen Annahmen zu verdichten, wird in diesem empirischen Teil der Arbeit folgender Fragegestellung nachgegangen: • Strukturebene: Wie sehen die theoretisch-abstrakten Elemente des Ge-

schlechterregimes historisch-konkret aus? Wie wirken sich historische und aktuelle Transformationsprozesse des Kapitalismus und Regulationsweisen des Staates auf die Konstitution von Geschlechterregimen aus? • Symbolebene: Welche Diskurspositionen sind in der Initiative „Work-LifeBalance als Motor für wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftliche Stabilität“ in Bezug auf Geschlechterregime enthalten? • Subjektebene: Welche subjektiven Geschlechterpraktiken und -formen entstehen durch Work-Life-Balance-Maßnahmen bei Erwerbstätigen, und wie wird das Geschlechterregime durch subjektive Praxen reproduziert? Die Dispositivanalyse eines historisch-konkreten Geschlechterregimes hat die theoretisch-abstrakten Dispositive als Ausgangspunkt bzw. als Untersuchungsmatrix und verdeutlicht die Dispositive des Geschlechterregimes anhand von Dispositionen bzw. an aktuellen Verhältnissen, Entwicklungen, Beispielen.

174 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Durch die Beantwortung dieser Fragen kann die abstrakte Konzeptionalisierung des Begriffes Geschlechterregime konkretisiert und am Beispiel von Work-LifeBalance-Maßnahmen historisch verdeutlicht werden. Work-Life-Balance-Maßnahmen habe ich deshalb als Teil der Fragestellung ausgewählt, weil diese ein Teil des Netzwerkes des historisch-konkreten Geschlechterregimes darstellen. Diese Maßnahmen bilden gewissermaßen Verknüpfungen der verschiedenen Elemente des Geschlechterregimes und lassen sich sowohl als Krisenregulierungsmechanismen verstehen und auch als Disposition des Geschlechterregimes. Auf der Strukturebene möchte ich deshalb die geschlechterregimerelevanten Verbindungen der Reproduktion der Produktionsbedingungen, einschließlich der Reproduktion der Arbeitskraft, des relativen Mehrwerts und des Krisenprozesses, untersuchen sowie die geschlechtsspezifischen Verbindungen der Bevölkerungspolitik und Maßnahmen der Gouvernementalität. Auf der Symbolebene gehe ich den geschlechterregimerelevanten Verbindungen der Diskurse und Ideologien innerhalb der Work-Life-Balance-Konzepte nach und versuche im Anschluss auf der Subjektebene die geschlechterregimerelevanten Verbindungen der Selbstverhältnisse zu verdeutlichen. Diese Vorgehensweise verbindet methodologische Überlegungen der intersektionalen Mehrebenenanalyse nach Winker und Degele (2009) mit Ansätzen einer Dispositivanalyse im Anschluss an Foucault. Deshalb kann die Vorgehensweise, auf den verschiedenen Ebenen die geschlechterregimerelevanten Verbindungen zu kartographieren, als intersektionale Dispositivanalyse beschrieben werden. Zum besseren Verständnis der Kombination einer Dispositivanalyse mit der Methode der Intersektionalität werde ich im Folgenden näher darauf eingehen.

6.1 D IE D ISPOSITIVANALYSE AN F OUCAULT

IM

ANSCHLUSS

Der Begriff Dispositiv, wie er hier verwendet wird, geht auf Michel Foucault zurück. Foucault beschreibt das Dispositiv als heterogenes Ensemble von Diskursen, Institutionen, architekturalen Einrichtungen, reglementierenden Entscheidungen, Gesetzen, administrativen Maßnahmen und wissenschaftlichen Aussagen sowie von philosophischen, moralischen oder philanthropischen Lehrsätzen. Nach Foucault stellt das Dispositiv ein Netz dar, welches zwischen diesen Elementen geknüpft ist. Das Dispositiv besitzt hierbei eine strategische Funktion. Diese unterstellt, dass es sich bei dem Dispositiv um eine bestimmte Regulierung zur Kontrolle von Kräfteverhältnissen handelt, um diese in eine bestimmte

D ISPOSITIVANALYSE

| 175

Richtung zu entwickeln, zu blockieren oder zu stabilisieren. Einfach gesagt ist das Dispositiv die Strukturierung des heterogenen Ensembles sowie dessen Entwicklung (vgl. Foucault 1978a: 119f). Die Bedeutung des Dispositivs lässt sich in diesem Zusammenhang in der Anordnung (Hierarchisierung, Ein- und Ausschluss von Elementen) und in der Beschaffenheit (Mechanismen, Funktionsweise der Elemente) sowie in der Ausführung (Effekte, Maßnahmen der Elemente) verstehen (vgl. Agamben 2008: 16f). Folglich ist das Dispositiv einerseits ein Prozess der funktionalen Überdeterminierung seiner Teile und andererseits ein Prozess der ständigen strategischen Ausfüllung seiner Teile (vgl. Foucault 2003: 393 Bd. 3). In den entsprechenden Arbeiten zu den Inhaftierungs-, Sexualitäts-, oder Wissensdispositiven (vgl. Foucault 1977,1978, 1983, 1989) beschreibt Foucault die Funktion von Dispositiven damit, dass diese in einem je bestimmten historischen Zeitraum auf Krisen von Gesellschaftsformationen zu reagieren versuchen (vgl. Foucault 1978a: 123; 2003: 393ff Bd. 3). Die jeweiligen Dispositive sorgen dabei für „Widerstandswiderstände“ (Gehring 2004: 131). Zusammenfassend kann das Dispositiv wie folgt beschrieben werden: Ein Dispositiv ist die Gesamtheit und das Netz von sozialen Praxen, Maßnahmen und Anordnungen, deren Ziel es ist, das Verhalten von Individuen so zu regulieren, dass die Verhaltensweisen in einem relationalen Verhältnis zum Regulierten stehen. Folglich produziert das Dispositiv Subjektivierungen und reagiert bzw. antwortet auf Subjektivierungen. Als Dispositionen lassen sich historischkonkrete Verfassungen darstellen. Michel Foucaults Vorgehensweise zur Analyse von Dispositiven lässt sich wie folgt charakterisieren: „Er untersucht nämlich – ausgehend von der Frage nach dem (Trans-) Formierungsgeschehen moderner Subjektivierungsweisen – zum einen, welcher Wissensgegenstand bzw. Erkenntnisbereich diskursiv hervorgebracht wird, nach welcher Logik die Begrifflichkeiten konstruiert werden, wer autorisiert ist, über den Gegenstand zu reden, und schließlich welche strategischen Ziele in dieser diskursiven Praxis verfolgt werden. Zum anderen aber geht es ihm auch darum zu untersuchen, über welche Autorisierungsinstanzen sowie Machttechniken diese diskursiven Praktiken in welchem Feld der Machtverhältnisse gestützt bzw. durchgesetzt werden und welchen machtstrategischen Zielen sie dienen. Ausgehend von vielfältigen Kräfteverhältnissen und Aussagen tritt also im Verfahren der hier rekonstruierten Foucaultschen Dispositivanalyse neben die Analyse von Diskursbeziehungen eine Analyse der Machtbeziehungen und eine Analyse ihres Zusammenspiels in Form von Diskurs- und Machtformationen.“ (Bührmann 2005: 36)

176 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Nach Andrea Bührmann und Werner Schneider bezeichnet die Dispositivanalyse allerdings keine eigene schematisch anwendbare Methode und keine geregelte methodische Vorgehensweise. Eine Dispositivanalyse bezeichnet vielmehr einen Forschungsstil. Sie muss sich aus dem jeweiligen Erkenntnisinteresse entlang der Forschungsfragen, der begrifflich-theoretischen Grundlagen und der methodologischen Fundierungen sowie der Methodik zusammensetzen (vgl. Bührmann/Schneider 2008: 17, Bührmann 1998a, 1998b). Die Dispositivanalyse fragt „nach den grundlegenden Akzeptanzbedingungen von Sinn und Bedeutung, mit denen Welt und Wirklichkeit beschrieben werden“ (Junge 2008: 100). Das bedeutet andererseits, dass zu Beginn des praktischen Forschungsprozesses eine grundlegende konzeptionelle Darstellung des Untersuchungsgegenstands erforderlich ist, wodurch erst die methodologischen Eckpunkte einer empirischen Dispositivanalyse entfaltet werden können (vgl. Bührmann/Schneider 2008: 18ff). Diese Schritte sind somit nur eine Richtlinie und können innerhalb der Praxis modifiziert werden, damit die Empirie genügend Spielraum erhält, die Theorie zu verändern. „Eine explizite Methode ist bisher dafür noch nicht entwickelt worden und kann dies wohl auch erst in Verbindung mit konkreten Forschungsprojekten“ (Jäger 2000: 1). Für meine Arbeit geht es also darum, sich dem komplexen Zusammenhang von Struktur, Symbol und Subjekt analytisch anzunähern: Zur Anordnung und als inneren Rahmen für die Dispositivanalyse trianguliere ich diese deshalb mit dem Konzept der intersektionalen Mehrebenenanalyse nach Winker und Degele (2009). Diese Methode ist in dieser Arbeit schon mehrfach beschrieben worden (vgl. Kapitel 2.2) und bezieht sich auf die wechselseitige Analyse von Struktur-, Symbol- und Subjektebenen in gesellschaftlichen Verhältnissen. In Verbindung mit der Dispositivanalyse, welche die die Elemente der Untersuchung punktuell festlegt, verbindet die intersektionale Vorgehensweise die Elemente. Durch diese Vorgehensweise können Schnittstellen und Wechselwirkungen zwischen Struktur, Symbol und Subjekt auf den einzelnen Ebenen gesondert analysiert und hervorgehoben werden. Der Vorteil dieser Triangulation liegt darin, dass die intersektionale Vorgehensweise eine klare Strukturierung der Dispositivanalyse ermöglicht und somit zu einer höheren Validität der Forschungsergebnisse beiträgt und systematische Abweichungen oder Verzerrungen verringert. Für meine Vorgehensweise der intersektionalen Dispositivanalyse, die demnach den prozessierenden Zusammenhang von geschlechterregimerelevanten Struktur- Symbol- und Subjektebenen zum Gegenstand hat, sind daher folgende Überlegungen zentral:

D ISPOSITIVANALYSE

| 177

Eine intersektionale Dispositivanalyse im Anschluss an Foucault ist auf die Beziehungen zwischen den Formationsebenen des Dispositivs zu beziehen, um die Struktur der für Geschlechterregime relevanten Herrschaftstechniken und Machtverhältnisse zu untersuchen. Weiter sind Diskurse und Ideologien offenzulegen, die der geschlechterregimerelevanten symbolischen Architektur zugrunde liegen. Außerdem sind die damit verbundenen Subjektivierungsweisen darzustellen. Gleichzeitig ist diese Dispositivanalyse die Analyse eines Prozesses, in dem Machtstrukturen, hegemoniale Diskurse und Subjektivierungsweisen wiederum ein Geschlechterregime autorisieren. Die Dispositivanalyse eines historischkonkreten Geschlechterregimes beschreibt daher nicht die theoretisch-abstrakten Dispositivelemente, sondern verdeutlicht die Dispositionen des Dispositivs an aktuellen Verhältnissen, Entwicklungen, Beispielen. Siegfried Jäger (2001) schlägt zur Analyse von Dispositiven eine bestimmte Reihenfolge vor. In Anlehnung an diese Reihe lässt sich die erste Ausrichtung meiner empirischen Untersuchung wie folgt festlegen: Es müssen vorwiegend die historischen Krisenprozesse und die strategischen Funktionen des Geschlechterregimes betrachtet und herausgearbeitet werden. Ferner müsste dies eine Ausweitung dieser Rahmenanalyse hin zur ideologischen Ausrichtung der Macht autorisierenden Diskurse bedeuten, um anschließend nicht-diskursive Praxen sichtbar und gegenständlich zu machen (vgl. Jäger 2001: 106f). Auf das Geschlechterregime angewendet bedeutet dies: • Auf der Strukturebene wird die Rekonstruktion von historisch-spezifischen

Machtformationen und deren Elementen und Maßnahmen dargestellt, welche wiederum zu einem historisch-spezifischen Geschlechterregime führen. • Auf der Symbolebene werden Diskurse analysiert, welche ein historischkonkretes Geschlechterregime formieren. • Auf der Subjektebene wird die Artikulation von Subjektivierungsweisen herausgestellt, welche zu den Materialisierungen des historisch-konkreten Geschlechterregimes beitragen.

6.2 O PERATIONALISIERUNG DER INTERSEKTIONALEN D ISPOSITIVANALYSE DES G ESCHLECHTERREGIMES Aufgrund des hier dargestellten inhaltlichen Aufbaus der Dispositivanalyse wird in dem nun folgenden empirischen Teil dieser Arbeit diese Untersuchungsmatrix auf historisch-konkrete Sachverhalte angewandt. Daher wird im folgenden Kapitel der Forschungsfrage nachgegangen, wie sich historische und aktuelle Trans-

178 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

formationsprozesse des Kapitalismus auf die Situierung von Geschlechterregimen auswirken? Durch die Bearbeitung dieser Herangehensweise entwickelt sich eine „Geschichte der Gegenwart“ (Dreyfus/Rabinow 1994: 147, vgl. Honneth/Saar 2008: 1651ff), welche die Dispositionen des Geschlechterregimes offenlegt. Die Dispositionen wiederum können als Antwort auf die Probleme der aktuellen gesellschaftlichen Arbeits- und Lebensbereiche verstanden werden. Mit diesem Vorgehen können einerseits geschlechterregimerelevante Verbindungen auf einzelnen intersektionalen Ebenen verdeutlicht werden und andererseits können die historischen Momente, welche die verschiedenen Elemente des Herrschaftsdispositiv Geschlechterregime verknüpfen, anhand von aktuellen Verhältnissen, Entwicklungen sowie Beispielen nachgezeichnet werden. Konkret bedeutet dies zunächst eine historisch-konkrete Rahmenanalyse des Geschlechterregimes der BRD ab Beginn des Zeitraums der Fordismuskrise, um die historischen und sozialen Voraussetzungen und Ausgangspunkte darzustellen. Wesentliche Bausteine hierzu sind die Veränderungen und Krisenerscheinungen des fordistischen Geschlechterregimes. Folgen dieser Transformationsprozesse sind Hinweise auf entgrenzte gesellschaftliche Verhältnisse bzw. ein sogenanntes Ungleichgewicht zwischen Produktion und Reproduktion. WorkLife-Balance-Konzepte versprechen in diesem Zusammenhang eine Homöostase der Produktion und Reproduktion. Diese Maßnahmen bilden so wiederum das Netz bzw. ein Dispositiv, das geschlechterbezogene Diskurse, Institutionen, reglementierende Verordnungen, administrative Anweisungen, Gesetze, wissenschaftliche Aussagen und philosophische, moralische oder ideologische Anrufungen umfasst. An diesem Netz lassen sich für geschlechterregimerelevante Konstruktions- und Regulationsprozesse ablesen und verdichten. Als Fazit werden hierbei die Dispositivelemente auf der Struktur-, Symbol-, und Subjektebene intersektional herausgearbeitet und ihre Wechselwirkungen dargestellt. Ergebnis dieses Kapitels soll eine schematische Darstellung des aktuellen postfordistischen Geschlechterregimes sein. Im Anschluss an diese Darstellung werde ich in Kapitel 8 mithilfe der Kritischen Diskursanalyse Work-Life-Balance-Maßnahmen als Konzept analysieren. Konkret bedeutet dies eine diskursanalytische Überprüfung von relevanten Texten und Aussagen aus dem Kontext von Work-Life-Balance-Konzepten. Als Forschungsgegenstand für eine Kritische Diskursanalyse bieten sich die zentralen Publikationen der bundesweit operierenden Initiative „Work-Life-Balance als Motor für wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftliche Stabilität“ an, die aus Bundesministerien und börsennotierten Unternehmen zusammengesetzt ist (vgl. BMFSFJ 2005). Die Kritische Diskursanalyse bezieht sich auf das Sichtbarmachen aktueller Diskurse und ihrer Macht-Wirkung, auf die Kollektivsym-

D ISPOSITIVANALYSE

| 179

bolik und vor allem auf die Funktion von Diskursen als herrschaftslegitimierende und -sichernde Techniken (vgl. Jäger 1993, 2001, Hirseland/Schneider 2001: 373ff, Keller 2007). Auch hier werden die Wechselwirkungen der geschlechterregimerelevanten Dispositivelemente der Struktur-, Symbol-, und Subjektebene intersektional herausgearbeitet. Für meine Forschungsfrage, welche Geschlechterpraktiken und -formen bei abhängig Beschäftigten durch Work-Life-Balance-Maßnahmen entstehen und wie die Subjekte das Geschlechterregime reproduzieren, ist eine weitere Untersuchungsmethode zur Überprüfung notwendig. Hierfür bietet sich die Methode des problemzentrierten Interviews nach Andreas Witzel (1985, 1986, 2000) an, die wesentlicher Bestandteil des neunten Kapitels ist. Ziel des problemzentrierten Interviews ist die Darstellung subjektiver Sicht- und Handlungsweisen. In den Blick geraten so die Standpunkte und Praxen der Subjekte. Für die Auswertung der Interviews greife ich auf die Analyseschritte der intersektionalen Auswertungsmethode von Winker und Degele (2009) zurück. In den Blick geraten so nicht nur die Standpunkte und Selbstverhältnisse der Interviewten, sondern auch wiederum die Wechselwirkungen der geschlechterregimerelevanten Dispositivelemente der Struktur-, Symbol- und Subjektebene. Als letzten Punkt des empirischen Teils werde ich die Ergebnisse in einer Gesamtschau zusammenlaufen lassen. Da ich das Geschlechterregime als Herrschaftsdispositiv definiert habe, eignet sich die Methode der Dispositivanalyse besonders gut, um den prozessualen Zusammenhang der untersuchten Elemente darzustellen. Insofern lässt sich dieses Kapitel auch so verstehen, dass die empirische Untersuchung das Ziel verfolgt, das Netzwerk zwischen den Elementen des Geschlechterregimes zu entfalten. Da allen empirischen Kapiteln die intersektionale Vorgehensweise der Darstellung der Wechselwirkungen zwischen den Ebenen immanent ist, werden in diesem abschließenden Kapitel die Analyse der sozial-historischen Strukturen, diskursiven Praxen und Subjektivierungsweisen kulminiert. Dieses Kapitel transformiert die konkreten Ergebnisse der empirischen Forschung in eine abschließende Bestimmung und Bewertung des Geschlechterregimes. Bildhaft lässt sich die intersektionale Dispositivanalyse des Geschlechterregimes, mit den bisherigen Erweiterungen, wie folgt darstellen:

180 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Abbildung 3: Intersektionale Dispositivanalyse des Geschlechterregimes (eigene Darstellung)

Zunächst aber nähere ich mich im Anschluss an das Theorem Geschlechterregime dem Forschungsfeld der Work-Life-Balance durch eine strukturelle bzw. durch eine soziohistorische Rahmenanalyse.

7. STRUKTUR: Soziohistorische Rahmenanalyse des Geschlechterregimes

Für meinen Beitrag, innerhalb der Geschlechterforschung einen verfeinerten analytischen Rahmen auszuarbeiten, um den Komplex zentraler Bestimmungsfaktoren von Geschlechterverhältnissen als Herrschaftsverhältnisse mittels intersektionaler Analysekonzepte darstellen zu können, habe ich das Theorem Geschlechterregime entwickelt. Wie schon beschrieben, lassen sich mittels der Regulationstheorie die strukturellen Ebenen des Geschlechterregimes hervorheben. Im Mittelpunkt stehen so die geschlechtsspezifischen Arten und Weisen der Mehrwertproduktion, die Organisation von Lohnarbeit und Reproduktionsarbeit sowie die politisch-institutionellen Ebenen in Artikulation mit den verschiedenen Formen der internen Organisationen des Staates, einschließlich der rechtlichen, ideologischen und ökonomischen Ausformung der Staatsintervention. Die Frage, welche sich für dieses Kapitel daher stellt, ist, wie sich historische und aktuelle Transformationsprozesse des Kapitalismus auf die Konstitution von Geschlechterregimen ausgewirkt haben und auswirken? Mein auf dem regulationstheoretischen Forschungsprogramm basierender Geschlechterregimeansatz wird im Folgenden zur Beantwortung dieser Frage intersektional operationalisiert. Der Geschlechterregimeansatz arbeitet sich mithilfe der soziohistorischen Rahmenanalyse an der Fordismuskrise und an postfordistischen Produktions- und Reproduktionsmustern entlang, um die Grundlagen entgrenzter gesellschaftlicher Verhältnisse und die historischen Voraussetzungen des postfordistischen Geschlechterregimes in der BRD darzustellen. Für das weitere Vorgehen bedeutet das, die Wechselwirkungen zwischen Struktur-, Symbolund Subjektebene in einem soziohistorischen Rahmen zu analysieren. Der historische Rahmen – Fordismus, Fordismuskrise und fordistische Produktions- und Reproduktionsmuster – und die sozialen Auswirkungen werden in

182 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

dieser Arbeit nur skizziert, da dieser Bereich bereits umfassend erforscht ist (vgl. beispielhaft Ruf 1990, Diettrich 1999, Candeias 2004, Kohlmorgen 2004, Jürgens 2006, Chorus 2007, Nowak J. 2009). Die Darstellung der historischen Rahmenbedingungen ist allerdings unverzichtbar, um die Strategien, Techniken und vor allem die Konstitutionsprozesse des postfordistischen Geschlechterregimes offenlegen zu können. Hierbei sind die historischen Rahmenbedingungen auf die Dispositivelemente des Theorems des Geschlechterregimes festgelegt. Diese Perspektive bezieht sich daher auf strukturelle, symbolische und subjektive Faktoren. Darauf Bezug nehmend werden Veränderungen und Umbrüche in den gesellschaftlichen Arbeits- und Lebensbereichen dargestellt. Wie schon beschrieben bietet das Theorem Geschlechterregime eine Untersuchungsmatrix, um historisch-konkrete geschlechtsspezifische Verbindungen eines Akkumulationsregimes und dessen Regulationsweisen darzustellen. Auf der Basis dieser Matrize werden die Dispositivelemente vom Geschlechterregime des Postfordismus kartographiert. Zuerst werden die wesentlichen fordistischen Produktions- und Reproduktionsmuster und der Übergang zu deren Krisenerscheinungen vorgestellt, um anschließend ausführlich auf die postfordistische Periode einzugehen.

7.1 D IE D ISPOSITIVELEMENTE G ESCHLECHTERREGIMES

DES FORDISTISCHEN

Wie schon im Kapitel 3.1.2 „Reproduktion des Kapitals und Krise des Reproduktionsprozesses“ beschrieben, lassen sich Störungen in der Entwicklung bzw. die Notwendigkeit der Regulation von Geschlechterverhältnissen auf der Strukturebene u. a. auf den krisenhaften Prozess der Akkumulation des Kapitals beziehen. Um auf die Krise der fordistischen Produktions- und Reproduktionsmuster einzugehen, werde ich im Folgenden in groben Zügen die fordistischen Produktions- und Reproduktionsmuster anhand zentraler Argumentationslinien der Regulationstheorie darlegen. Diese Darlegung ist erweitert durch Ergebnisse der Frauen- und Geschlechterforschung (für eine ausführliche Darstellung vgl. Ruf 1990, Kohlmorgen 2004 und Chorus 2007) und bildet mit dem Theorem des Geschlechterregimes die Darstellung des fordistischen Geschlechterregimes in Deutschland: Auf der Strukturebene bzw. durch die Reihe 1 des Theorems Geschlechterregime: Akkumulationsregime [Gesellschaftsformation – Organisation von Lohn-

S TRUKTUR

| 183

und Reproduktionsarbeit/Klassen- und Geschlechterzusammensetzung – Krise der Reproduktionsprozesse] lassen sich folgende Dispositionen darstellen: Aus regulationstheoretischer Sicht wird die Gesellschaftsformation, die von dem Ersten Weltkrieg bis in die späten 1970er Jahre „auf der Basis eines eigenzentrierten Kreislaufes von Massenproduktion und Massenkonsumtion existierte“ (Jessop 2001b: 146), als Fordismus bezeichnet. Der Begriff Fordismus geht auf den Fabrikbesitzer Henry Ford (1863-1947) und sein 1913 eingeführtes Produktionsmodell zurück, welches auf Fließbandarbeit basiert und wodurch eine relativ hohe industrielle Produktivität erreicht wurde. Erst durch die lange anhaltende Krise in der Zeit vom Ersten Weltkrieg bis zu den 1950er Jahren entwickelt sich in den Industrienationen der Übergang zu einer fordistischen Gesellschaftsformation. Das Organisationsprinzip des Fordismus ist bürokratisch bzw. bürokratisch-militärisch: Die Lohnabhängigen müssen sich in militärartige Befehlshierarchien einfügen (vgl. Revelli 1997: 6, Gambino 1996: 144). Die allmähliche und branchenmäßig differenzierte Einführung dieser neuen Arbeitsorganisation, die auf einer weitgehenden Präzisierung und Standardisierung der Produktion, der „wissenschaftlichen“ bzw. tayloristischen Zerlegung des Arbeitsprozesses, der Anwendung von Fließbändern, einer extremen Ausweitung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung und auf einer weitgehenden Dequalifizierung der Arbeitskräfte beruht, ermöglicht eine enorme Steigerung der Arbeitsproduktivität. Diese wiederum ermöglicht auf längere Sicht eine Erhöhung des realen Lohnniveaus und lässt damit Teile der ArbeiterInnenklasse zu Konsumenten industriell erzeugter Massenprodukte werden. Durch die verbesserte materielle Güterversorgung kann sich auch eine Verbilligung der Arbeitskraftreproduktion durchsetzen, und es entsteht ein weltweiter Konkurrenzkampf um Absatzmärkte (vgl. Hirsch/Roth 1986: 50f). Die tayloristische Arbeitsorganisation führt nicht nur in der Produktionssphäre zu einer Rationalisierung und Spezialisierung der Arbeiten und zu einer Standardisierung der Konsumnormen durch das Warenangebot in Supermärkten, sondern sie führt auch zu einem Wandel in der Reproduktionssphäre (vgl. Haug, W.F. 1998: 10). Infolge der Mechanisierung und Rationalisierung veränderten neue Haushaltsgeräte (Kühlschrank, E-Herd, Waschmaschine etc.) die Reproduktionsarbeit.1 Die Folge ist eine Verfeinerung der Hausarbeit und „die Entste-

1

Die Modernisierung des Reproduktionsbereiches vollzieht sich in Deutschland mit einiger Zeitverzögerung zu den USA. Während 1953 in den USA 76,2 % aller Haushalte eine Waschmaschine besaßen, waren es in der BRD erst 3,5 %. 1953 vollzog sich dann ein Modernisierungsschub und ein Drittel aller Kühlschränke der 15,4 Millionen Haushalte in der BRD wurden in diesem Jahr angeschafft (vgl. Ruf 1990: 201).

184 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

hung neuer Anforderungen an die Reproduktionsarbeiterin“ (Kohlmorgen 2004: 153) sowie eine sehr weitgehende Standardisierung und Normierung des Alltagslebens (vgl. Hirsch/Roth 1986: 56ff). Dabei geht es nicht darum, die Reproduktionsarbeit zu reduzieren, sondern das Ziel ist vielmehr, die Tätigkeitsfelder zu normieren und zu kontrollieren sowie „weitere Kompensationsmöglichkeiten für die männliche Lohnarbeit“ (Bauer 1985: 163) herzustellen. Mit der Entwicklung dieser auf Massenkonsum und Massenproduktion basierenden Vergesellschaftung verändern sich die Produktions-, Zirkulations-, Konsumtions- und Reproduktionssphären. Durch die Entwicklung einer technologisierten und arbeitsteiligen Produktion wird der direkte Produktaustausch, der noch für die Subsistenzproduktion typisch ist, zum Hindernis. In der vorfordistischen Subsistenzwirtschaft ist die strukturelle Funktion der Geschlechter bzw. der Familien noch stärker in die Produktion und Konsumtion von Lebensmitteln involviert. Dafür sind die Abhängigkeiten zwischen den Geschlechtern strukturell gefestigter (vgl. Hausen 1978, Beer 1990: 149ff). Das heißt, in der einfachen Warenproduktion ist der gesellschaftliche Charakter der Privatarbeiten noch direkt, ohne zwischengeschaltete Personen und unmittelbar einsichtig. In der erweiterten Warenproduktion erscheint der gesellschaftliche Charakter der Gesamtarbeit in der kapitalistischen Warenproduktion aber erst innerhalb des Warenaustausches. Arbeitsteilung, Ausdifferenzierung der Produktions- und Reproduktionssphäre, Widerspruch zwischen gebrauchswertorientierter und tauschwertorientierter bzw. zwischen abstrakter und konkreter Arbeit sind die Folge. Die Organisation von Lohn- und Reproduktionsarbeiten und die strukturelle Funktion der Geschlechterzusammensetzung differenzieren sich aus. Die räumliche Trennung der Produktions- und Reproduktionssphäre trägt auch zu einer Trennung der Geschlechter bei, und die unbezahlte Reproduktionsarbeit löst sich scheinbar „von den Tauschgesetzen des Marktes immer mehr ab“ (Becker-Schmidt 2000: 58). In diesem Zusammenhang trägt die unbezahlte Reproduktionsarbeit, in der hauptsächlich Frauen vergesellschaftet sind, scheinbar nicht zur Mehrwertproduktion bei. Zwar wird unbezahlte Reproduktionsarbeit – im Gegensatz zur „produktiven“ Erwerbsarbeit – nicht in die Berechnung des Bruttosozialprodukts einbezogen, dennoch trägt die Hausfrauenarbeit als unbezahlte Reproduktionsarbeit zur Mehrwertproduktion bei. Denn durch die Reproduktionsarbeit der Hausfrau sind Männer von Hausarbeit und Kindererziehung freigestellt. Durch unbezahlte Reproduktionsarbeiten kann die Spanne der männlichen Mehrarbeit ohne Verlängerung des Arbeitstages erhöht werden, weil die notwendige Arbeitszeit zur Herstellung des Lohnäquivalents durch Reproduktionsarbeiten verkürzt werden kann (vgl. Werlhof/Mies/Bennholdt-Thomsen 1983, Beer 1984, Kohlmorgen 2004: 37ff, vgl. auch Kapitel 3.1). Strittig ist allerdings, ob unbezahlte Reproduktions-

S TRUKTUR

| 185

arbeit mehrwertproduzierende Arbeit ist (vgl. Secombe 1974, Coulson/Branka/Wainwright 1975, Kapitel 3.1.1). Die Krise der Reproduktionsverhältnisse leitet sich durch eine erhöhte Frauenerwerbstätigkeit ein (ausführlich dazu siehe Kapitel 7.1.2). Für die Reihe 2 des Theorems Geschlechterregime: Regulationsweisen [Institutionelle/ideologische/soziale Herrschaftsformationen – Gouvernementalität – Familien-/Bevölkerungspolitik/Demographie] lässt sich Folgendes feststellen: Die fordistische Gesellschaftsformation ist institutionell durch den keynesianischen Wohlfahrts-National-Staat reguliert worden (vgl. Jessop 2001c: 146).2 Die soziale Herrschaftsformation in der fordistischen Phase ist grob durch zwei Faktoren bestimmt: Zum einen durch Strukturanpassungsmaßnahmen und Modernisierungsprozesse der Produktionssphäre. Verdeutlichen lassen sich die Strukturanpassungsmaßnahmen und Modernisierungsprozesse am Beispiel der Sozialversicherungen. Die Massenverelendung der den warenförmigen Lebensverhältnissen ausgesetzten Menschen ist zum immer größer werdenden Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit bzw. zwischen Staat und Individuum Anfang des 20. Jahrhunderts geworden (vgl. Hoherz 2006: 41, Ruf 1990: 181ff). Um einen direkten Eingriff in die kapitalistische Produktionsweise durch die Arbeiterbewegung zu verhindern, ist Ende des 19. Jahrhunderts unter Otto von Bismarck das System der Sozialversicherungen (Krankenversicherung, Invaliden- und Rentenversicherung sowie Unfallversicherung) reichsgesetzlich geregelt und ist in der Weimarer Republik massiv ausgebaut worden. Dieses Versicherungssystem richtet sich nicht an bestimmte

2

Der fordistische Nationalstaat war z. B. über staatliche Unternehmen und Infrastruktur- und Konjunkturprogramme in den kapitalistischen Reproduktionsprozess integriert. Die Idee des Staatsinterventionismus geht auf John Maynard Keynes (18831946) zurück. Keynes zog aus den Lehren der Weltwirtschaftskrise der 20er Jahre die Konsequenz, dass die Wirtschaft nicht ihrem zyklischen Kapitalverwertungssystem überlassen werden dürfe, sondern dass die Konjunkturzyklen durch eine antizyklische Konjunkturpolitik des Staates reguliert werden müsse. Das bedeutet, der Staat solle in einer Rezession die Nachfrage durch eigene Ausgaben, Aufträge, Subventionen, Steuergeschenke und niedrige Zinssätze stärken (vgl. Heineman-Grüder 1984: 6ff, Conert 1998: 285, Paulus 2003: 20ff). Der Ausbau staatlich-polizeilicher Datenspeicherungs- und Informationssysteme sowie die Sammlung eines immer weiter verzweigten Wissens über gesellschaftliche Zustände und Konfliktlagen gehören ebenso dazu wie die Tätigkeiten der medizinischen Apparate und der Erziehung- und Sozialarbeitssysteme (vgl. Hirsch/Roth 1986: 68). Der fordistische Staat ist Sicherheitsstaat im doppelten Sinne: einerseits Wohlfahrtsstaat, andererseits bürokratischer Kontrollund Überwachungsstaat (vgl. Hirsch 1995: 78f).

186 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

soziale Klassen, sondern an die gesamte Bevölkerung, „die sich nach Risiken unterscheidet, die durch Alter, Geschlecht, Beruf etc. bestimmt sind, nicht aber durch antagonistische Spaltungen. [...] Statt Kapital und Arbeit einander gegenüberzustellen, liefert die Versicherung Schutz für beide“ (Lemke 1997: 213). Die Versicherungstechnologie ist somit nicht nur ein Sicherheitsmechanismus gegen Revolutionen, sondern hat auch zu einer gouvernementalen und sozialpartnerschaftlichen Ebene zwischen Unternehmen und reformistischen Arbeiterinnen und Arbeitern geführt (vgl. Lemke 1997: 213). Zum anderen haben die Strukturanpassungsmaßnahmen auch zu Modernisierungsprozessen der Reproduktionssphäre geführt. Die Stabilität bzw. die Sozialpartnerschaft beruht neben den wohlfahrtsstaatlichen Leistungen auch auf der Garantie einer lebenslangen Anstellung und weitestgehender Vollbeschäftigung für Männer. Das heißt, die soziale Herrschaftsformation basiert darauf, dass die männlichen Arbeiter am Wohlstand beteiligt werden und darauf, dass die Frauen die notwendige Reproduktionsarbeit leisten. Denn die Polarisierung in „Heim und Welt“ ist im Laufe der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts massiv vorangetrieben worden. Der bürgerliche „Mutterberuf“ tritt als Regulationsweise der Frau in den Vordergrund (vgl. Hausen 1978: 168ff, Hoherz 1994). Dies wird auch durch die Einführung des Unterrichtsfaches „Hauswirtschaft“ in den Volksschulen durch Reichsgesetze von 1914 und 1917 und durch die obligatorische Einführung von Hausfrauenberufsschulen in den 1920er Jahren deutlich. Hier wurde „die zwangsweise Ausbildung zur Hausfrau umgesetzt“ (Hoherz 1994: 153; vgl. Ruf 1990: 125). Ziel ist es, durch den Schulzwang für Hausfrauenberufsschulen die weibliche Reproduktionsarbeit den Effektivitätsanforderungen einer modernisierten Produktionsform anzupassen und mit Hilfe von Institutionen Hausarbeit zu „einem Beruf“ für Frauen zu machen (vgl. Hoherz 1994: 153ff). Allerdings konnte sich diese Regulationsweise in den Arbeiterfamilien nicht durchsetzen, da viele Familien auf den Lohn von Ehefrauen und Töchtern angewiesen sind.3 Wie schon in Kapitel 4.2.1 ausführlich dargestellt ist besonders während des Nationalsozialismus die Regulation der Familien- und Bevölkerungskonstitution und letztlich eine familienorientierte und auf heteronormative Strukturen aufbauende sowie rassistische Herrschaftsform massiv ausgeweitet worden. Hierbei gilt z. B. die weibliche Reproduktionsfähigkeit im Familienzu-

3

In den Kriegsjahren wird dies besonders deutlich: „Bis zum Herbst 1916 wurden 4,3 Millionen Frauen in die Fabriken gepresst, während der Männeranteil bei 4,7 Millionen stagnierte, Hildegard Kamer spricht von einer faktischen ökonomischen Eingliederung etwa der Hälfte aller erwerbstätigen Frauen in die Kriegswirtschaft“ (Ruf 1990: 183).

S TRUKTUR

| 187

sammenhang als „Keimzelle des Staates“.4 Die Nationalsozialisten fördern durch Ehestandsdarlehen die Entwicklung der heteronormativen Vergesellschaftungsform.5 Die NS-Maßnahmen hinterlassen bis heute ihre Spuren: „Die Förderung der Verheirateten durch den Familienlastenausgleich ist bis heute in der Konzeption des Familienlastenausgleichs im Steuerrecht durch das Ehegattensplitting dominant“ (Willenbacher 2007: 59). In Wechselwirkung mit der symbolischen Ebene bzw. mit der Reihe 3 des Geschlechterregimes: Diskurs und Ideologie [Anrufungen/Bedeutungen/Normierungen – kulturelle Stereotypen/soziale Geschlechtsmerkmale] lassen sich folgende Dispositionen des fordistischen Geschlechterregimes darstellen: Die faschistische Mutter- und Familienideologie erscheint nach dem Zweiten Weltkrieg nach wie vor „als Chance sozialer Konsolidierung und politischer wie ökonomischer Rekonstruktion“ (Kreisky 2003: 13). Demnach sind die 1950er Jahre auch die erste Hoch-Zeit konservativer Familienpolitik in Deutschland. Beschäftigungsverbote für Frauen in der Bauwirtschaft oder im öffentlichen Nachtdienst sind nach kurzzeitiger Aussetzung wieder aktiviert worden. Die allgemeine Erwerbsquote von Frauen sinkt „zunächst von 37,3 % (1946) auf 31,4 % (1950)“ (Ruf 1990: 196). Eine intakte Familie und das Male-BreadWinner-System ist als das allseits angestrebte Lebensmodell und als die einzige akzeptable Lebensform beschworen worden (vgl. Schäfgen 2000: 71ff, Kreisky 2003: 13, Kohlmorgen 2004: 149). Diese gesellschaftliche Ideologie ist zu dieser Zeit so weit verbreitet, dass es kaum zu einer zusätzlichen Beeinflussung bedarf, „um die Mehrheit der Frauen nach der Hausfrauenrolle streben zu lassen“ (Haensch 1969: 107). Allerdings steht die Mutterideologie im Gegensatz zu den In-

4

5

Vgl. dazu Adolf Hitler: „Das Programm unserer nationalsozialistischen Frauenbewegung [enthält] eigentlich nur einen einzigen Punkt, und dieser Punkt heißt: ‚das Kind’“ (Hitler 1934 zitiert nach Fest 1963: 363f). Allerdings ist der familien- und bevölkerungspolitische Sonderweg der Nationalsozialisten nicht ausschließlich durch Zwangseugenikmaßnahmen und der Verdrängung der Frauen aus der Produktionssphäre bedingt, sondern Hausfrauen sollten auch für außerhäusliche Arbeit abrufbar sein und als Reservearmee für Fließbandarbeiten bereitstehen. Mit der Umstellung auf die Kriegsproduktion 1936 ist Frauenarbeit massiv gefördert worden, und 1937 erhielten nur noch lohnabhängige Frauen ein Ehestandsdarlehen. 1938 ist der weibliche Pflichtarbeitsdienst eingeführt worden. 1939 sind Arbeitsschutzbestimmungen und Arbeitsbeschränkungen für bis dato verbotene Frauenerwerbsarbeiten (z. B. im Bergbau, Rüstungsindustrie, zivile Kriegshelferinnen) außer Kraft gesetzt worden (vgl. Bauer 1985: 189ff, für eine ausführliche Darstellung vgl. Gerber 1996).

188 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

teressen des Akkumulationsregimes der Nach-Kriegsjahre: Eine expandierende Industrie braucht Arbeitskräfte und einen erweiterten Absatzmarkt von Konsumgütern, der wiederum die Kaufkraft von erwerbstätigen Frauen einschließt (vgl. Haensch 1969: 107). So steigt die Frauenerwebsquote 1960 bis auf 49 Prozent an (vgl. Schäfgen 200: 144). Das fordistische Geschlechterregime ist somit von widersprüchlichen Hegemoniestrategien in Bezug auf die strukturelle und ideologische Klassen- und Geschlechterzusammensetzung begleitet. Durch die Wechselwirkungen von Struktur- und Symbolebene ergeben sich für die Subjektebene bzw. für die Reihe 4 des Theorems Geschlechterregime: Selbstverhältnisse [körperliche und diskursive Subjektivierung – Habitus/ Geschlechtsidentität/Soziale Formen – Verhalten/Anpassung/Widerstand] folgende Charakterisierungen des fordistischen Geschlechterregimes: Die Subjektivierungsweise der Geschlechter vollzieht sich in der Zeit des Fordismus durch eine besondere Unterwerfung des männlichen Subjekts unter die Lohnarbeit und durch eine besondere Unterwerfung des weiblichen Subjekts unter die Reproduktionsarbeit (vgl. Grossmann 1984: 45). An einem weiteren Beispiel zur Debatte über den Familienlohn lässt sich dies verdeutlichen: Gewerkschaften erkämpfen in den 1920er Jahren und nach dem Nationalsozialismus einen Familienlohn, der die ganze Familie ernähren soll und der damals zur Exklusion von Frauen vom Arbeitsmarkt beiträgt. Der Familienlohn bezeichnet die Bemessung des Arbeitsentgelts unter Berücksichtigung der Anzahl und des Alters der Familienmitglieder eines männlichen Lohnabhängigen. Für Frauen gelten sogenannte Leichtlohngruppen. Der Familienlohn steht damit im Widerspruch zum Leistungslohn. Dies hat auch der erste Familienminister der BRD Frans-Josef Wuermeling 1957 formuliert: „Der nackte Leistungslohn scheint mir eine Folge individualistischen, ja materialistischen Denkens zu sein“ (Wuermeling zitiert nach Mayer 1999: 154). Wuermeling plädiert dafür, dass der „Arbeitsdienst der Familienväter zur angemessenen Bestreitung des gemeinsamen häuslichen Aufwandes ausreicht“ (Wuermeling zitiert nach Mayer 1999: 155). Das bedeutet, dass der Familienlohn prinzipiell mehr warenförmigen Konsum und die „Haltung“ einer Familie erlaubt, durch den letztlich die Machtposition des Ernährers innerhalb der Familie gestärkt wird, weil er den Lohn verteilt. Die komplette Familie ist so von einem bezahlten Arbeitsplatz abhängig, wobei die Familie wiederum notwendig ist zur Aufrechterhaltung des männlichen Arbeitersubjekts. Die Funktion der Familie bietet so einen Rahmen zur Reproduktion der Arbeitskraft durch unbezahlte Fürsorgearbeit sowie eine Reproduktionssphäre für das Kapital durch den Konsum von Lebensmitteln einerseits und

S TRUKTUR

| 189

durch die Minimierung der Lohnkosten andererseits. Gleichzeitig gibt es in der fordistischen Gesellschaftsformation auch Frauenlohnarbeit, jedoch wird diese durch Arbeitsschutzgesetze und Maßnahmen wie den Familienlohn eingeschränkt, um möglichst viele Frauen in die Reproduktionssphäre abzudrängen (für eine ausführliche Darstellung vgl. Ruhl 1996: 104ff). Die Arbeitsbereiche, in denen Frauen lohnabhängig tätig sind, sind in der Regel niedriger entlohnt.6 Dadurch werden die sozialen Geschlechtsmerkmale weiter verzahnt, voneinander abhängig gemacht und gegeneinander ausgespielt. Männer haben den Druck, genügend Geld für eine Familie zu verdienen, und Frauen haben den Druck, dass die Ehe nicht in die Brüche gehen darf, weil sie dann ohne eigene finanzielle Mittel dastehen (vgl. Hoherz 2006: 50). Durch diese Trennung entstehen Formen von geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung, die wiederum die bürgerliche Vorstellung von zweigeteilten Geschlechterverhältnissen stabilisieren: Die weibliche unbezahlte Reproduktionsarbeit wird zum ergänzenden Arbeitsverhältnis der männlichen Lohnarbeit. Das bedeutet, das fordistische Produktionsmuster eignet sich nicht nur die Arbeitskraft der Lohnarbeiter an, sondern auch die Arbeitskraft von deren Reproduktionsarbeiterinnen (vgl. Delphy 1977: 13ff). Die damit einhergehende Familienform ist somit Teil des fordistischen Produktionsmusters, das auf die physische, psychische und generative Reproduktion von Arbeitskräften angewiesen ist (vgl. Hoherz 1994: 17ff, 2006: 39ff, Gottschall 1995: 125f, Paulus 2008: 175ff). Da Frauen in einer doppelten Abhängigkeit stehen, spricht Regine Becker-Schmitt auch von der „doppelten Vergesellschaftung von Frauen“ (vgl. Becker-Schmidt 1987, 2004). Zusammenfassend bedeutet das, dass die Produktions- und Reproduktionssphäre in dieser Phase der Durchkapitalisierung der Gesellschaft insgesamt immer mehr auseinander treten und die Daseinsbestimmung als Arbeiter oder als Mutter und Hausfrau stärker in den Vordergrund gerät. Kapitalistische Lohnarbeit ist daher „als ungeschlechtliche nicht denkbar“ (Beer 1990: 263). Das fordistische Geschlechterregime in dieser Zeit benötigt deshalb nicht nur die Schaffung eines Typs „Mann“, der dem neuen Typ der Lohnarbeit und des Produktionsprozesses angemessen ist, sondern es wird auch ein neuer Typ „Frau“ gebraucht, der die Normen der Rationalisierung auch in der Reproduktionssphäre erfüllt (vgl. Haug 2001b: 772, Paulus 2007: 12f). So

6

Während der Weimarer Republik betrug der Frauenlohn etwa 60-80 % bei gewerblichen und 80-90 % bei kaufmännischen Arbeiten vom Männerlohn. In der Zeit des Nationalsozialismus vollzog sich keine Veränderung dieser Relation. Zwischen 19501960 betrug der tarifliche Abschlag beim Frauenlohn durchschnittlich 5-30 % (z. B. Baubranche 20 % weniger, Chemiebranche 10-18 % weniger, Keramikbranche 25 % weniger). Bei ungelernten Arbeiterinnen im Druckgewerbe war es sogar bis zu 32 % weniger Lohn bei gleicher Arbeit (vgl. Ruhl 1996: 272f).

190 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

zumindest die idealisierte Form des binären Prinzips. Massive Widerstände gegen die vergeschlechtlichten Formen der Subjektivierung wie zum Beispiel Frauen- oder Identitätsstreiks (vgl. Paulus 2008) sind allerdings Teil der Auflösungserscheinungen des fordistischen Geschlechterregimes. Zusammenfassend lässt sich durch die regulationstheoretische Sichtweise festhalten, dass das Geschlechterregime des Fordismus in der Wechselwirkung von Struktur-/Symbol-/Subjektebene durch die Etablierung geschlechtsspezifischer Arbeitsformen, Arbeitsteilung und Mehrwertproduktion gekennzeichnet ist. Die Reproduktion der Produktionsbedingungen (vgl. Althusser 1977) des fordistischen Geschlechterregimes ist ohne den Rückgriff auf scheinbar biologische Essentialismen oder die heteronormative Familienform materiell nicht zu organisieren. Vor allem an der Familienform lässt sich die gesamtgesellschaftliche Funktionsweise des Fordismus erkennen: Die Familienform macht den Haushalt zu einer Wirtschaftseinheit, die an den Kreislauf der Verteilung von Einkommen gebunden ist und so eine Konsum- und Arbeitseinheit herstellt, die den direkt und indirekt Lohnabhängigen einen Ort der generativen Reproduktion sichert (vgl. Kapitel 3.1.1). Außerdem konstruiert sie in dieser Sichtweise einen Lebenszusammenhang in einem binär heterosexuell organisierten Geschlechterverhältnis und führt die Produktion von heteronormativen Geschlechterideologien durch die Sozialisation von Kindern fort (vgl. Haensch 1969: 58, Kohlmorgen 2004: 54). Die heteronormative Familienform ist somit ein zentrales Dispositivelement der fordistischen Produktions- und Reproduktionsweise und erfüllt somit eine wesentliche Konstitutionsfunktion des Geschlechterregimes. Sie übernimmt neben der biologischen und sozialen Reproduktion von Arbeitskräften und ihrer Funktion innerhalb der Reproduktionssphäre des Kapitals auch eine nicht unerhebliche Platzierungs- und Sozialisationsfunktion zukünftiger Arbeitskräfte (vgl. Hirsch 1992: 221, Becker-Schmidt 2000: 61, ausführlich Ruf 1990: 109ff). Das bedeutet abschließend, dass das fordistische Geschlechterregime über die geschlechtsspezifische Zweiteilung der Produktions- und Reproduktionssphäre mittels ungleichberechtigter Sozialstrukturen und heteronormativen Familienformationen, die Geschlechter- und Klassenzusammensetzungen produziert und reproduziert sowie die geschlechtliche Arbeitsteilung ideologisch materialisiert und vergeschlechtlichte Subjektivierungsweisen entwickelt. Allerdings verändert sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts diese Formation des Geschlechterregimes grundsätzlich.

S TRUKTUR

7.2 K RISE

DES FORDISTISCHEN

| 191

G ESCHLECHTERREGIMES

Die Dispositionen des fordistischen Geschlechterregimes verändern sich insofern, weil die gesamte Sozial- und Klassenstruktur der fordistischen Gesellschaftsformation in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von tief greifenden Veränderungen der Vergesellschaftungsform begleitet ist. Ursachen hierfür sieht die Arbeits- und Geschlechterforschung in der Auflösung traditioneller sozialer Milieus und Lebensformen sowie in den sozialen Bewegungen, der Urbanisierung, der „Kleinfamiliarisierung“ oder der Zunahme bürokratischer Daseinsfürsorge und in flexibilisierten Arbeitsbedingungen (vgl. Hirsch/Roth 1986: 56ff, Hochschild 2006, Winker/Carstensen 2004: 165ff, 2007: 277ff, Winker 2007a: 15ff). Diese Faktoren führen zu einer weitreichenden Individualisierung bei gleichzeitiger sozialer Isolierung und Vereinzelung, zu Patchwork-Identitäten, zu einer Verbetrieblichung der Lebensführung und Sozialisierung (vgl. Voß/Pongratz 1998, 2003). Die strukturelle Funktion der Familie zum Beispiel wird stärker durch staatliche Sozialleistungen geregelt. Die zunehmende Doppelerwerbstätigkeit in Familien führt zu einer Verschiebung des Geschlechterverhältnisses. Diese Veränderungen können ganz allgemein unter dem Begriff der „Entgrenzung“ bzw. „Entformalisierung“ von Erwerbsarbeit und Reproduktionsarbeit gefasst werden und haben in der Krise der fordistischen Produktions- und Reproduktionsmuster ihre Aktivierung erfahren (vgl. Voß 1998: 473ff, Hirsch 2005: 133ff). Auf diese Entgrenzungen bzw. Entformalisierungen wird nun im Folgenden genauer eingegangen: Auf der Strukturebene beginnt die Krise des fordistischen Geschlechterregimes in den 1960er Jahren und wird durch die Verschärfung sozialer Konflikte vorangetrieben. Aus regulationstheoretischer Sicht leitet sich die Krise der Sozial- und Klassenstruktur durch die Automation der Produktion ein, welche zu einer Freisetzung von Arbeitskräften und zu einer strukturellen Arbeitslosigkeit führt. Infolge dessen nehmen die Widerstände und Protestformen der ArbeiterInnenklasse gegen die Intensivierung der Lohnarbeit zu. Die auf der tayloristischen Basis erreichten Produktivitätszuwächse sind rückläufig, und eine sinkende Profitrate ist die Folge. Das heißt, wenn „mit sinkender Profitrate der Punkt erreicht ist, wo die produzierte Profitmasse zu klein geworden ist, um den neu produzierten Mehrwert noch profitabel kapitalisieren zu können“ (Hirsch 1974: 33), kann der Akkumulationsprozess zusammenbrechen oder muss restrukturiert werden (vgl. auch Kapitel 3.1.2, 7.3.1). Beim ersten Krisenzyklus des Fordismus bis in die 1980er Jahre handelt sich um eine Überakkumulationskrise. Die durch das fordistische Produktionsparadig-

192 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

ma bedingten Sättigungserscheinungen für standardisierte Massenprodukte führen zu rückläufigen Konsumentenzahlen und in eine ökonomische Verwertungskrise.7 Der Akkumulationsprozess gerät so an die Grenzen der vorherrschenden produktionstechnologischen wie auch gesellschaftlichen Bedingungen. Es entsteht eine Ungleichheit zwischen Konsumtion und Produktion, eine Überakkumulation. Die Gewinnerzielung aus der Ausnutzung von Wertpapier-, Wechselkurs- und Zinsdifferenzen wird im Gegensatz dazu immer wichtiger. Die Probleme der nationalen Marktsättigung führen zu einer tendenziellen Unterordnung des nationalen Industriekapitals unter die Logik des Finanzkapitals (vgl. Jessop 2001a: 17). Die Folge ist, dass das Welt-Bruttosozialprodukt seit den 1970er Jahren nur noch um zwei bis vier Prozent steigt und die Investitionen in Sachanlagen während der ganzen Zeit unter ihrem historischen Mittel8 bleiben. Einfach gesagt bedeutet das, dass die Grundlage der Realökonomie seit den 1970er Jahren eine riesige Finanzblase wird. Die Realökonomie wächst nur noch disproportional auf Kredit (vgl. Wildcat 2009: 9).9 Das fordistische Produktionsmuster, das auf Massenproduktion und Massenkonsum aufgebaut ist, gerät somit an seine verwertungslogischen Schranken.10 Zu

7

Die in der Aufschwungsphase realisierten Gewinne werden als Anlagekapital investiert. Dabei tendiert die Produktion von Produktionsmitteln dazu, sich schneller zu entwickeln als die Produktion von Konsumgütern. Es gibt immer mehr Fabriken, die nicht ausgelastet sind. Der Masse an produzierten Waren fehlen die Käufer. Nachfrageschwankungen führen zu Verschlechterungen der Verwertungsbedingungen und zu nicht ausgelasteten kostenintensiven Großanlagen (vgl. Conert 1998: 289). 8 „Das Mittel – unbedingte Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte – gerät in fortwährenden Konflikt mit dem beschränkten Zweck, der Verwertung des vorhandenen Kapitals. Wenn daher die kapitalistische Produktionsweise ein historisches Mittel ist, um die materielle Produktivkraft zu entwickeln und den ihr entsprechenden Weltmarkt zu schaffen, ist sie zugleich der beständige Widerspruch zwischen dieser ihrer historischen Aufgabe und den ihr entsprechenden gesellschaftlichen Produktionsverhältnissen“ (MEW 25: 260). 9 Der spekulative Überschuss an Geldmitteln auf internationalen Finanzmärkten, die sich aufgrund zunehmender Verwertungsschwierigkeiten in den Metropolen ansammeln, ermöglicht eine Kreditvergabe privater Banken an viele periphere Länder. Der Internationale Währungsfond (IWF) fungiert hierbei als Interessenvertretung staatlicher und privater Banken gegenüber einer Reihe von Staaten, die sich auf den deregulierten Finanzmärkten verschulden. Dies führt zur einer weltweiten Zinserhöhung und zu einem starken Anstieg des Dollars, was den vielen hochverschuldeten Ländern der kapitalistischen Peripherie Zinszahlungen und Kredittilgungen zusätzlich erschwert. Auf diese Weise schlägt die Krise des Fordismus, die Ende der 1960er Jahre in den kapitalistischen Zentren angefangen hatte, mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung zur Peripherie durch (vgl. Hirsch 2005: 128). 10 „Die wahre Schranke der kapitalistischen Produktion ist das Kapital selbst, ist dies: dass das Kapital und seine Selbstverwertung als Ausgangspunkt und Endpunkt, als

S TRUKTUR

| 193

Profitrückgängen11 und zu einer Verstärkung der Fordismuskrise hat auch die starke Position der Lohnabhängigen durch ihre massiven Streiks12 und die durch Vollbeschäftigung bedingte Verteuerung der Löhne beigetragen.13 Der sozialstaatliche Verteilungsmechanismus und die strukturerhaltenden Subventionen des keynesianischen Wohlfahrts-National-Staats konnten so nicht mehr durch Sozialproduktzuwächse finanziert werden. Die Einbußen des Sozialprodukts erzeugen ebenfalls Druck auf die Profitrate und das fordistische Geschlechterregime (für eine ausführliche Darstellung des Fordismus und seiner Krisen vgl. Hirsch 1974, 1990, 1995, 2010). In diesem Zusammenhang verändert sich die Klassen- und Geschlechterzusammensetzung durch die Funktion der Frauenerwerbsarbeit. Besonders die Veränderungen im bundesdeutschen Bildungssystem durch die sogenannte Bildungsexpansion, das Arbeitsförderungs- und Bildungsförderungsgesetz von 1969 sind als Katalysatoren der Veränderungen der Klassen- und Geschlechterzusammensetzung zu benennen (vgl. Friebel 2008: 152). Durch die Kürzungen

Motiv und Zweck der Produktion erscheint, dass die Produktion nur Produktion für das Kapital ist und nicht umgekehrt die Produktionsmittel bloße Mittel für eine stets sich erweiternde Gestaltung des Lebensprozesses für die Gesellschaft der Produzenten sind. Die Schranken, in denen sich die Erhaltung und Verwertung des Kapitalwerts, die auf der Enteignung und Verarmung der großen Masse der Produzenten beruht, allein bewegen kann, diese Schranken treten daher beständig in Widerspruch mit den Produktionsmethoden, die das Kapital zu seinem Zweck anwenden muss und die auf unbeschränkte Vermehrung der Produktion als Selbstzweck, auf unbedingte Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkräfte der Arbeit lossteuern“ (MEW 25: 260). 11 Laut den Berechnungen von Elmar Altvater liegt die Profitrate in Deutschland 1950 bei 12,60 Prozent, während sie 1970 nur noch 5,7 Prozent beträgt (Altvater 1974: 274). 12 Auf dem Höhepunkt der militanten Klassenkämpfe gehen in Großbritannien 1969 sechs Millionen Arbeitstage und 1970 zehn Millionen Arbeitstage durch Streiks verloren (vgl. Glyn/Sutcliffe 1972:155ff). In Italien sind es 1969 z. B. 294 Millionen Arbeitsstunden (vgl. Revelli 1999: 193). 1974 beträgt das Streikvolumen in Deutschland 200 Arbeitstage pro 1000 Beschäftigte. In der Zeit von 1991-2000 beträgt das durchschnittliche Streikvolumen bei 9,3 Arbeitstagen pro 1000 Beschäftigte (vgl. IAB 2005: 1f). Diese IAB-Studie untersucht das Streikvolumen in 17 OECD-Ländern über drei Jahrzehnte hinweg (1970 bis 2000). Im betrachteten Zeitraum hat diese Studie einen insgesamt ein abnehmenden Trend des Streikvolumens beobachtet und ist zu dem Schluss gekommen, dass vor allem „in der Globalisierung des Handels und der voranschreitenden Tertiarisierung der Wirtschaft“ (IAB 2005: 3) sowie im korporatistischen Tarifsystem Gründe für die Abnahme zu suchen seien (vgl. IAB 2005). 13 Die Bruttolohnquote steigt von 70,6 Prozent 1960 von auf 75,2 Prozent 1974 und erreicht 1981 den höchsten Wert von 75,3 Prozent (vgl. Bontrup 2008: 53, BMSA 2011).

194 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

von strukturerhaltenden Subventionen sind weibliche Arbeitskräfte nicht nur zur Ergänzung des männlichen Normalarbeitsverhältnisses eingesetzt worden, um die Reproduktion der Familie zu sichern, sondern auch um Löhne zu drücken und die Konkurrenz der Lohnabhängigen untereinander zu verschärfen (vgl. Barrett 1983: 142ff). Diese Veränderungen beleben die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt zwischen Männern und Frauen und werden empirisch nachweisbar: zwar liegt die Frauenerwerbsquote 1960 in der BRD bei 49,0 Prozent und 1970 bei 46,2 Prozent – Gleichzeitig steigt die aber Frauenerwerbsarbeit in Teilzeitarbeitsbereichen von 8,6 Prozent 1960 auf 24,4 Prozent im Jahr 1970 an (vgl. Schäfgen 2000: 144f). Die insgesamt rückläufige Erwerbsquote in der Gesamtbevölkerung14 geht bis in die 2000er Jahre einher mit einer stärkeren Beteiligung der Frauen am Erwerbsleben. Bezogen auf die 15- bis unter 65-jährigen Männern liegt die Erwerbsquote im März 2004 in Deutschland bei 79,3 Prozent. Für die Frauen gleichen Alters liegt die Erwerbsquote bei 65,2 Prozent in Gesamtdeutschland (vgl. Statistisches Bundesamt 2006). Die im fordistischen Geschlechterregime bis in die heutige Zeit existierenden geschlechtsspezifischen Lohnunterschiede zwischen Männern und Frauen – der sogenannte Gender Pay Gap – von bis zu 41 Prozent 1960 sinkt durchschnittlich in der BRD langsam auf ein Niveau von 22,7 Prozent im Jahr 2006 ab (vgl. Statistisches Bundesamt 2006b, 2010). Wie sich aus diesen Zahlen ablesen lässt, ist die traditionelle Rolle der Frau im Zangengriff von der ihr zugewiesenen Zuständigkeit für die Kinder und der niedrigeren Entlohnung. Vom Zangengriff befreit liegt die Möglichkeit ein eigenständiges Leben von der Erwerbsarbeit zu führen – ohne eine Abhängigkeit vom Male-Bread-Winner. Frauenerwerbstätigkeit ist so ein Krisenmoment des fordistischen Geschlechterregimes. Aber nicht nur die Produktionssphäre ist in eine Krise geraten. Auch auf den Ebenen der Bevölkerungspolitik und innerhalb der Reproduktionssphäre kommt es zu Krisenprozessen. Der Mangel männlicher Arbeitskräfte während und nach dem Zweiten Weltkrieg führt nicht nur zu Auflösungsprozessen der strukturellen Funktion des männlichen Familienernährers bzw. des Male-Bread-WinnerPrinzips sowie zu einer starken Ausdehnung weiblicher Erwerbstätigkeit, sondern führt auch zu einer strukturellen Veränderung des fordistischen Geschlechterregimes. Folgende Faktoren sind hierbei zu nennen: Vor allem die Kämpfe der sozialen Bewegungen – gegen strukturelle und symbolische Unterdrückung, staatliche Institutionen, Monogamie, für Selbstbe-

14 Zwischen 1972-1985 erhöhte sich der Anteil der Frauen um 300.000 und der Anteil an Männern innerhalb der Produktionssphäre ging um 700.000 Personen zurück (vgl. Rudolph et. al. 1987: 13).

S TRUKTUR

| 195

stimmung und sexuelle Befreiung – in den 1960er und 1970er Jahren haben zu neuen Vereinbarkeiten der Geschlechter gegenüber Lohn- und Reproduktionsarbeiten sowie zu differenzierten Subjektkonstitutionen geführt. Hervorheben lassen sich in der Krisenperiode des fordistischen Geschlechterregimes die wechselseitigen Anforderungen der Geschlechter zwischen einem fordistischen Geschlechterregime und einem nach-fordistischen Geschlechterregime. Uta Gerhardt beschreibt in ihren „Notizen zum Problem des Rollenkonflikts der Frau“ (1962), dass die Subjektkonstitutionen „zwischen beiden Extremen der Identifikation mit der Berufs- oder der Familienrolle“ (Gerhardt 1962: 27) stattfinden. Die damit einhergehenden „verschiedenen Entscheidungs- und Handlungsspielräume, die die verschiedenen sozialen Rollen des Individuums implizieren, bedingen eine Vielfalt von psychischen Spannungen […]“ (Gerhardt 1962: 28). Vor allem aber die Möglichkeiten von Empfängnisverhütung führen zu einer Krise des fordistischen Geschlechterregimes, denn die Funktion der Familie ist nicht mehr strukturell und symbolisch an die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung, die geschlechtsspezifische Reproduktion der Arbeitskraft, des Lebens und des Konsums gebunden. Durch die Empfängnisverhütung dient die Sexualität dadurch auch nicht mehr ausschließlich dem „Arterhaltungsprinzip“. Allgemein als negativ bewertete demographische Entwicklungen, unter anderem durch den Rückgang der Geburtenrate, sind die Folge. Die jährliche Geburtenrate sank von 1.047.737 Geburten im Jahr 1970 auf 665.126 Geburten im Jahr 2009. Seit 1972 gibt es einen kontinuierlichen Sterbeüberschuss von 64.032 Personen im Jahr 1972 bis hin zu 161.925 Personen im Jahr 2008 (vgl. Statistisches Bundesamt 2009a). Auch die Eheschließungs- und Scheidungsraten verändern sich nicht zugunsten der Erhaltung des fordistischen Geschlechterregimes. 1950 liegt die Zahl der Eheschließungen in der BRD noch bei knapp 750.500. Das sind 10,8 Eheschließungen je 1.000 Einwohner. Bis zum Jahre 2006 sinken die Eheschließungen von 9,4 (1960) über 7,4 (1970) auf 6,3 (1980) Eheschließungen je 1.000 Einwohner. Im Jahr 2006 werden nur noch 4,5 Ehen je 1.000 Einwohner geschlossen. Das sind 373.681 Eheschließungen. Die Scheidungsrate für Westdeutschland beträgt 15,1 Prozent im Jahr 1970 und nimmt kontinuierlich zu, sodass im Jahr 2003 von 395.992 geschlossenen Ehen 213.691 wieder geschieden werden. Das sind 54,0 Prozent (vgl. BPB 2011). Diese Zahlen verdeutlichen auch auf der subjektiven Ebene das Krisenmoment des fordistischen Geschlechterregimes: Je mehr Frauen sich durch die gesellschaftliche Entwicklung von ihrer traditionell zugewiesenen Rolle als Hausfrau und Mutter distanzieren, desto prekärer werden die heteronormativen Strukturen und Ideologien zur Reproduktion der Produktionsbedingungen.

196 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Die Verhältnisse und Widersprüche der Krise des fordistischen Geschlechterregimes können hier aber nur skizziert werden. Wesentlich für diesen Zusammenhang ist lediglich die Verdeutlichung des Prinzips der Krise des fordistischen Geschlechterregimes: Das fordistische Geschlechterregime ist in die Krise geraten, weil sich die fordistischen Reproduktionsbedingungen durch Entformalisierung und Deregulierung strukturell verändern und weil es symbolisch und subjektiv durch neue Lebensstile angegriffen worden ist. Zusammenfassend lässt sich die Krise des fordistischen Geschlechterregimes an der Krise der fordistischen Produktions- und Reproduktionsmuster ablesen: • Strukturelle Faktoren der Veränderung des fordistischen Geschlechterregimes

sind vor allem an der Zunahme der Frauenlohnarbeit und der damit bedingten Veränderung der Klassen- und Geschlechterzusammensetzung zu erkennen. Die auf dieses Weise einhergehende Einbeziehung großer Teile weiblicher Arbeitskraft verändert folglich die geschlechtliche Arbeitsteilung, und es entstehen dadurch verschiedene Formen von lohnförmig organisierter weiblicher Arbeitskraft in der Produktionssphäre. Die fordistischen Produktions- und Reproduktionsmuster werden mobilisiert. • Symbolisch haben die Forderungen nach Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt eine ideologische Veränderung des fordistischen Geschlechterregimes ermöglicht. Frauen werden nicht mehr ausschließlich als Hausfrau und Mutter angerufen, sondern werden zusätzlich mit einem emanzipierten Frauenbild konfrontiert. Scheidungsraten nehmen infolgedessen zu und Geburtenraten nehmen ab. Symbolische Rollenkonflikte können daher als weitere Indikatoren für eine Krise des fordistischen Geschlechterregimes charakterisiert werden. • In der Wechselwirkung mit strukturellen Mobilisierungen des fordistischen Geschlechterregimes und symbolischen Rollenkonflikten entstehen auf der subjektiven Ebene neue Identitätsformen und Subjektivierungsweisen. Deren Ausdruck spiegelt sich in der Deregulierung des fordistischen Geschlechterregimes und im Anwachsen von differenzierten sozialen und persönlichen Verhältnissen in der Produktions- der Reproduktionssphäre wider. Darauf wird im folgenden Kapitel detailliert eingegangen. Abschließend lässt sich sagen, dass sich in der Krise des fordistischen Geschlechterregimes ein postfordistisches Geschlechterregime widerspiegelt: Die Anforderungen an ein postfordistisches Geschlechterregime sind somit im Be-

S TRUKTUR

| 197

reich der Reregulierung und Rekonstruktion von zweckmäßigen und den Produktions- und Reproduktionsbedingungen angemessenen Geschlechterverhältnissen zu suchen (vgl. Ruf 1990: 298, Young 1999, Kohlmorgen 2004: 148ff, Candeias 2004: 239ff, Chorus 2007: 63ff).

7.3 D IE D ISPOSITIVELEMENTE DES POSTFORDISTISCHEN

G ESCHLECHTERREGIMES

Im Folgenden werde ich auf die Dispositivelemente des postfordistischen Geschlechterregimes eingehen und die Veränderungen der Dispositionen des fordistischen Geschlechterregimes beschreiben. Wie schon beschrieben, kann ein Geschlechterregime nur Bestand haben, wenn sich die Dispositivelemente in einer Homöostase befinden (vgl. Kapitel 5.1). Mögliche Regulationsweisen, um das Herrschaftsdispositiv zu stabilisieren und Krisen entgegen zu wirken, können ideologische oder repressive Eingriffe des Staates, eine Schwächung oder Veränderung sozialer Vergesellschaftungsformen, die Flexibilisierung oder Deregulierung der Lohn- und/oder der Geschlechterverhältnisse, die Transformation der Produktions- und Reproduktionsideologien sowie veränderte Subjektivierungsweisen sein (vgl. Kohlmorgen 2004: 189ff, Candeias 2004: 328). Es existieren somit grob dargestellt unterschiedliche Möglichkeiten die gesellschaftliche Zusammensetzung zu regulieren. Das bedeutet, dass für eine Krise überdeterminierte Bedingungskonstellationen im Mittelpunkt stehen, die sich aus Interessenkonflikten zwischen Klassen und/oder Geschlechtern, aus sozialen Kräfteverhältnissen, aus strukturellen, symbolischen und subjektiven Vorgaben der Kapitalverwertung oder aus widersprüchlichen Ideologien herstellen. Welcher Krisenregulierungsmodus dominant wird oder ob eine Krise zu einer radikalen Veränderung des Produktions- und Reproduktionsparadigmas, der Ideologien sowie der Subjektivierungsweisen führt, ist von konkreten historischen und gesellschaftlichen Machtverhältnissen abhängig. Für die Lösung der Krise des fordistischen Geschlechterregimes gibt es daher mehrere Szenarien. Dieses Kapitel beschäftigt sich daher mit den Veränderungen des fordistischen Geschlechterregimes und den Antworten für die Lösung des Krisenverlaufes. Wie schon beschrieben, ist die Dispositivanalyse des postfordistischen Geschlechterregimes eine historisch-konkrete Analyse und beschreibt daher nicht die theoretischabstrakten Dispositive, sondern verdeutlicht die Dispositionen der Dispositive des Geschlechterregimes an aktuellen Verhältnissen, Entwicklungen, Beispielen.

198 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

7.3.1 Strukturebene Um eine Aussage über die geschlechterregimerelevante Strukturebene zu machen, ist es notwendig die geschlechtsspezifischen Verbindungen der Reproduktion der Produktionsbedingungen zu untersuchen sowie die geschlechtsspezifischen Regulationsweisen. Auf der Strukturebene bzw. durch die Reihe 1 des Theorems Geschlechterregime: Akkumulationsregime [Gesellschaftsformation – Organisation von Lohnund Reproduktionsarbeit/Klassen- und Geschlechterzusammensetzung – Krise der Reproduktionsprozesse] lassen sich demnach folgende Dispositionen des Geschlechterregimes darstellen: Die Lösung der Krise auf der Ebene des Akkumulationsregimes seit Ende der 1970er Jahren wird von den Regierungen und Unternehmen in einer strukturellen Wiederherstellung der kapitalistischen Verwertungsbedingungen und in der Durchsetzung einer neuen kapitalistischen Gesellschaftsformation gesucht (vgl. Hirsch 1995: 87f, 2005: 131). Am deutlichsten wurden dabei neue Strukturen durch eine neoliberale Regulationsweise institutionalisiert. Die Vertreter von Kapital und Staat erblicken in neoliberalen Konzepten eine geeignete Strategie, die ökonomische Krisen- und Stagnationsphase zu überwinden. Fortan geht es weniger darum, über korporatistische Vereinbarungen den gesellschaftlichen Widerspruch zu minimieren. Es geht vielmehr für die Beschäftigten darum, das materielle Auskommen durch die Gegenleistung einer möglichst umfassenden Flexibilität in Bezug auf die berufliche Qualifikation, den Arbeitsplatz, die Arbeitszeit, den Arbeitslohn und die Geschlechterverhältnisse zu sichern. Letztlich zielt diese veränderte Form der Verwertungsstrategie darauf ab, den für den Fordismus noch typischen Zusammenhang von tayloristischer Massenproduktion und Massenkonsum, die gesetzlich geregelte Lohnarbeit sowie sozialstaatlichen Sicherungen aufzulösen. Regulationstheoretische Ansätze beschreiben die neuen Arbeits- und Lohnverhältnisse in den kapitalistischen Zentren damit, dass diese von Entformalisierung und Prekarisierung geprägt sind (vgl. Bieling, 2000: 211, Hirsch 2001b: 177, Deppe 2001: 48, Candeias 2004: 162ff). Im Sinne der Verwertungslogik werden „niedrig Qualifizierte“ dazu gedrängt, schlecht bezahlte, geringfügige und prekäre Arbeitsplätze anzunehmen. Im Zuge einer Strategie der weltweiten Ressourcenabschöpfung gehen multinationale Konzerne dazu über, Teile ihrer Unternehmensstruktur an andere Orte der Welt zu verlagern, die ihnen von den Lohnkosten, von den Umweltbedingungen oder von der staatlichen Gesetzgebung jeweils am besten geeignet erscheinen. Autoritäre und diktatori-

S TRUKTUR

| 199

sche Regime in der kapitalistischen Peripherie erweisen sich dabei scheinbar als gut geeignete Standorte. Die Gegebenheit, dass sich der Kapitalismus transnational strukturiert, heißt nicht, dass sich das Akkumulationsregime von seiner nationalen Basis abwendet. Im Gegenteil: Ein global operierender Konzern bedarf weiterhin stabiler nationaler Strukturen und Reproduktionsmuster. Er braucht einen funktionierenden Staat mit regionalen und kommunalen Institutionen und im Bedarfsfall benötigt er auch eine polizeiliche oder militärische Absicherung (vgl. Hirsch 1995: 90, Krätke 1997: 43, Wilk 1999: 89). Angesichts des sich globalisierenden Kapitalverhältnisses gibt es überhaupt keinen Staat mehr, der von der Dynamik des Akkumulationsprozesses in Form von spekulativen Kapitalbewegungen nicht betroffen ist. Unter dem Gesichtspunkt der Öffnung und Entwicklung der globalen Finanzmärkte führen die gewachsenen Möglichkeiten zu internationalen Finanzspekulationen, die in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre zu einem außergewöhnlichen Börsenboom geführt haben (vgl. Sablowski/Alnasseri 2001: 133). Dadurch stellt auch der Profit durch spekulative Aktiengeschäfte die Leitlinie von Konzernen dar (vgl. Aglietta 2000: 95f). Die Organisation der Lohnarbeit ist in diesem Zusammenhang auf der betrieblichen Strukturebene durch „Lean Production“ als typisch für die postfordistische Produktionsweise gekennzeichnet. Personal, Kosten und Herstellungszeiten werden noch stärker als in der tayloristischen Produktionsweise reduziert, um Profite zu maximieren. Durch Marktforschung und Integration der Kunden in den Produktionsprozess werden ebenfalls die Herstellungskosten gesenkt. Die Kosteneinsparung durch die Optimierung in der Zulieferung von Waren, die Auflösung bestehender Warenlager, die sogenannte „Just in Time“ Produktion oder die Auslagerung von Teilen des Produktionsprozesses in eigenständige Subunternehmen brechen die fordistischen Produktionsstrukturen auf und schaffen dezentrale und zersplitterte Standorte der Produktion (vgl. Revelli 1997: 19, Fuchs 2001: 78ff). Die Organisation der Reproduktionsarbeit spiegelt sich in der Entformalisierung und Prekarisierung sowie in der „Lean Production“ und in der „Just in Time“ Regulationsweise wider. Diese Rationalisierungsprozesse setzen sich mit einiger Zeitverzögerung in der Sphäre der Reproduktion Ende der 1990er Jahre durch und restrukturieren die Klassen- und Geschlechterzusammensetzungen. Verdeutlichen möchte ich diese These anhand von Teilzeitarbeitsverhältnissen, denn die Vermittlung in Teilzeitarbeit ist „von allen kapitalistischen Modellen das günstigste, weil es dazu in der Lage ist, Produktion und Reproduktion in der zeitlichen Abfolge gesehen, unmittelbar miteinander zu verbinden“ (Ruf 1990: 299). Vor allem in haushaltsnahen Dienstleistungstätigkeiten als auch im verbraucher- und personenorientierten Dienstleistungsbereich der Versorgungs-, Erziehungs-, Pflege- und Sozialberufe – da wo besonders viele Frauen anzutreffen

200 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

sind – herrschen Teilzeitarbeitsverhältnisse vor (vgl. Pühl 2003: 114, Kohlmorgen 2004: 275). In diesem Zusammenhang stehen auch Mini-Jobs, geringfügige Beschäftigungen, befristete Arbeitsverhältnisse, Heimarbeit oder der sogenannte zweite Arbeitsmarkt. Denn es gibt klare geschlechtsspezifische Vermittlungen in Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigungen. Nach Mitteilungen des Statistischen Bundesamtes ist vor allem der Anteil teilzeitbeschäftigter Mütter in Deutschland seit 1998 stark angestiegen. 1998 sind 53 Prozent aller erwerbstätigen Mütter, die minderjährige Kinder im Haushalt betreuen, in Teilzeitarbeitsverhältnissen. Im Jahr 2008 sind es 69 Prozent. Im Jahr 1998 üben nur 2 Prozent der erwerbstätigen Väter mit minderjährigen Kindern eine Beschäftigung in Teilzeit aus. 2008 sind es 5 Prozent. „Bei den Frauen ohne minderjährige Kinder erhöhte sich die Teilzeitquote im betrachteten Zeitraum um 6 Prozentpunkte auf 36 % im Jahr 2008. Bei den Männern stieg sie um 4 Prozentpunkte auf 9 %“ (Statistisches Bundesamt 2009b). Der Familienmonitor 2010, eine Studie der Bundesregierung,15 beschreibt, zum Beispiel, dass der Frauenanteil unter den Führungskräften in der BRD sich nicht erhöht hat. Die Zahl weiblicher Führungskräfte stagniert seit 2006 bei 27 Prozent. Ein Karriererisiko für Managerinnen stellt die Familiengründung dar, denn in der Kernerwerbsphase zwischen 35 bis 55 Jahren sinkt der Frauenanteil unter den Führungskräften auf 25 Prozent, wenngleich der Frauenanteil bei den unter 35-Jährigen 37 Prozent beträgt. Im Schnitt übernehmen Männer in Führungspositionen 20 Prozent der Reproduktionsarbeit, weibliche Führungskräfte hingegen 60 Prozent (vgl. Familienmonitor 2010). Das bedeutet, dass eine Vermittlung in haushaltsbezogene Bereiche der niedriglohnförmigen Reproduktionsarbeit zu einer Verfestigung traditioneller geschlechtsspezifischer Arbeitsteilungen führt. Es bedeutet auch, dass Einkommensungleichheiten zwischen Männern und Frauen sich fortführen, welche wiederum geschlechtshierarchische Abhängigkeitsstrukturen mit sich bringen. Hierbei ist die Segregation bzw. die Feminisierung der Berufsstrukturen deutlich erkennbar und diese lässt sich als eine weitere Disposition des postfordistischen Geschlechterregimes beschreiben (vgl. Pfau-Effinger 2000: 122ff; Candeias 2004: 226, Kohlmorgen 2004: 280). Dieser Befund deckt sich auch mit der Regulationsweise der momentanen Bundesregierung, welche durch die Öffnung des Niedriglohnsektors versucht, die Reproduktion der Gesellschaft insgesamt zu sichern. Die Öffnung des Niedriglohnsektors ist im Hartz-Bericht vorgesehen und

15 Diese Studie wurde im Auftrag des Bundesfamilienministeriums vom Institut für Demoskopie Allensbach erstellt. Hier wird die Entwicklung des Familienlebens in Deutschland quantitativ untersucht. Das Allensbach-Institut hatte vom 10. bis 23. April 2010 im gesamten Bundesgebiet insgesamt 1.814 Menschen befragt, darunter 435 Mütter und Väter mit Kindern unter 18 Jahren.

S TRUKTUR

| 201

wird seit 2003 durch die sogenannten Hartz-Gesetze schrittweise umgesetzt (vgl. Pühl 2003: 114). Mittel hierfür ist die Regulationsweise der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik. Denn diese „befähigt zum Anpassen an den Strukturwandel, fördert variable Arbeitsverhältnisse und Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sichert die Übergänge zwischen Familien- und Erwerbsphasen ab und ermöglicht Frauen wie Männern eine eigenständige Existenzsicherung“ (Bericht der HartzKommission 2003: 3). Teilzeitarbeitsverhältnisse sollen dabei vielen Frauen und insbesondere Müttern eine (Re-)Integration in die Vollzeitlohnarbeit ermöglichen (vgl. Bericht der Hartz-Kommission 2003: 92, 125). Ein ausdrückliches Ziel dabei ist die Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern (vgl. Bericht der Hartz-Kommission 2003: 3, 63). Die beschriebenen Teilzeitquoten belegen jedoch das Gegenteil. Gleichzeitig eröffnet sich durch diese Workfare Maßnahmen für Unternehmen ein gewinnbringender Niedriglohnsektor im haushaltsbezogenen Dienstleistungsbereich (vgl. Bericht der Hartz-Kommission 2003: 284). Ziel des Staates bzw. dieser Regulationsweise ist es dabei, die sozialen Kosten für die Reproduktion der nächsten Lohnabhängigengeneration zu senken. Denn „kann man sie nicht beschleunigen, muss sie, damit sie die Profitproduktion nicht hemmt, zumindest verbilligt werden [...], indem man alleinstehende Mütter zugleich zu Haus und außerhalb arbeiten lässt“ (Brennan 2000: 90f). Gabriele Winker beschreibt die Effekte dieser Regulationsweise damit, dass für viele Frauen die traditionelle Abhängigkeit als Hausfrau vom Familienernährer ersetzt wird durch eine Abhängigkeit vom Arbeitsmarkt. Dabei entstehen die Pflicht zur Vermarktung der eigenen Arbeitskraft unter prekären Bedingungen und ein Leben unter rigiden Einschränkungen und Zwängen durch ALG II zu führen (vgl. Winker 2009: 51). Letztlich wird durch die aktivierende Arbeitsmarktpolitik der Druck zur Sicherung der je eigenen Existenz verschärft. Bei prekären Einkommensverhältnissen und fehlender sozialer Absicherung bei Erwerbslosigkeit stellt sich die Frage, ob jemand in einer solchen Situation in der Lage ist Reproduktionsarbeiten angemessen zu organisieren oder bereit ist die Verantwortung für Kinder zu übernehmen. In einkommensstarken sozialen Gefügen entsteht eine Form der Organisation von Reproduktionsarbeiten im Zusammenhang mit Überschneidungen von Frauenkarrieren und Abhängigkeitsverhältnissen von Migrantinnen und Migranten (vgl. Hess 2009: 133, Englert 2007: 79ff). Diese Entwicklung verweist auf die geschlechtsspezifischen Auswirkungen der Transformation der postfordistischen Akkumulationsregimes, denn die Nachfrage nach billigen haushaltsnahen Dienstleisterinnen und Dienstleistern steht in Verbindung mit den Entgrenzungen von Arbeitszeit und Arbeitsort bei gut qualifizierten Arbeitskräften. In diesen Fällen greifen „nationale“ erwerbstätige Alleinerziehende oder besser ge-

202 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

stellte Familien auf billige und/oder illegalisierte Arbeiterinnen und Arbeiter zurück, um den Haushalt versorgen zu lassen und um gleichzeitig an professionellen Karrieren teilhaben zu können. Die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern zeichnet sich so als eine steigende Umverteilung der reproduktiven Arbeiten zwischen Frauen entlang von Klassen- und Staatenzugehörigkeit ab. Effekt ist eine Abfederung der Erwerbsarbeit nationaler Frauen und Männer (vgl. Hess 2009: 194). Die Folgen sind eine Weiterreichung bzw. eine Reprivatisierung der Reproduktionsarbeiten, die von z. B. überqualifizierten Frauen aus der kapitalistischen Peripherie erledigt werden und nur durch eine warenförmige Inwertsetzung möglich ist (vgl. Young 1999: 1ff, Hess 2009: 190ff). Gleichzeitig bleibt der häusliche Bereich dabei feminisiert. Das heißt, die Feminisierung der Arbeit geht mit einer Feminisierung der Migration einher. Geschlecht und „Rasse“ werden so als Hebel zu einer Umschichtung der weltweiten Klassenzusammensetzung eingesetzt und „werden zu immer wichtigeren Merkmalen der sich neu herausgebildeten kapitalistischen Weltgesellschaft“ (Hirsch 1995: 92). Kathrin Englert beschreibt diese Transformation damit, dass zu den klassischen Rohstoffen, die importiert werden müssen, der „neue ‚Rohstoff’ care work, der mehrheitlich von Frauen angeboten wird“ (Englert 2007: 98), hinzukommt. Diese Art von globalisierter Reproduktionsarbeit kann als Regulationsweise des sozialen Ganzen verstanden werden, um die prekären Reproduktionsbedingungen zu stabilisieren. Die Regulationsweise basiert „auf einem spezifisch neu zu konstruierenden Genderregime mit höchst ambivalenten Implikationen. Denn die weibliche Arbeitskraft spielt bei ihrer gleichzeitigen Entnennung auf der Ebene modernisierungstheoretischer Analysen und öffentlicher refeminisierender Inszenierungen eine herausragende Rolle für die ökonomischen Restrukturierungen.“ (Hess 2009: 79f)

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob sich die Krisenelemente des fordistischen Geschlechterregimes – die Distanzierung der Frauen von ihrer Rolle als Hausfrau und von geschlechtshierarchischen Arbeitsteilungen – durch strukturelle Unzulänglichkeiten wie unzureichende und nicht durch den Staat zur Verfügung gestellte Betreuungseinrichtungen16 restrukturieren bzw. beheben lassen?

16 „Am Jahresende 2002 gab es in Deutschland knapp 400 000 Hortplätze, aber etwa 4,5 Millionen Kinder im Hortalter. Daraus ergibt sich eine allgemeine Platz-KindRelation von 9 % für das gesamte Bundesgebiet. Diese Relation hat sich gegenüber 1998 nicht verändert, seit 1990 ist sie um einen Prozentpunkt angestiegen […]. In den neuen Ländern wird bis 2015 die Zahl der Kinder bis unter 12 Jahre um ca. 10 % stei-

S TRUKTUR

| 203

Gabriele Winker hat im Kontext der Geschlechter- und Klassenzusammensetzung durch die neoliberale Regulationsweise auf dem Arbeitsmarkt neu entstehende Familienmodelle untersucht. Sie unterscheidet dabei konkret drei verschiedene Familienmodelle. Im ökonomisierten Modell können Reproduktionsarbeiten ausgelagert werden, weil zwei ErnährerInnen dazu beitragen, die Familie zu reproduzieren und haushaltsnahe Dienstleistungen einkaufen können. Im prekären Modell existiert maximal ein/e Vollzeitbeschäftigte/r. Derzeit leben nur noch 35 Prozent aller Paare mit Kindern unter 15 Jahren in Deutschland allein vom Lohn des Vaters als Familienernährer. Hier ist eine hochflexible Reproduktion erforderlich, da die Lebensrealitäten sich durch die existentielle Notwendigkeit des „Am-Ball-Bleibens“ auszeichnen. Gelingt das nicht, droht der Abstieg in das subsistenzorientierte Modell. Kurzfristige und individuelle Überlebensstrategien im Kontext von Hartz-IV und dessen „Bedarfsgemeinschaften“ zeichnen das subsistenzorientierte Familienmodell aus. Hierbei müssen alle erwerbsfähigen Familienangehörigen – unabhängig von Geschlecht, Familienstatus oder der Anzahl der zu betreuenden Kinder und Angehörigen – für ihren eigenen Lebensunterhalt aufkommen. Hier stehen Selbstkontrolle und eigenverantwortliche Vermarktung ihrer Arbeitskraft im Vordergrund (vgl. Winker 2007a, 2009: 49ff). Allen Modellen ist gemeinsam, dass bestimmte reproduktive Tätigkeiten sich nicht ohne Nachteil der Betreuten wegrationalisieren lassen. Zwar erscheint die flexible Zeiteinteilung bei der Fürsorgearbeit als Chance für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf, Berufssuche und Familie. Die Flexibilisierung für die Aufrechterhaltung eines gemeinsamen Familienalltags wirkt sich allerdings als chronischer Zeitmangel aus, wenn Reproduktionsarbeiten nicht, wie im bessergestellten ökonomisierten Familienmodell, eingekauft werden können (vgl. Henninger 2003a: 174f, Winker/Carstensen 2007: 284f). Eine Schlussfolgerung daraus ist, dass für alle Modelle, die „Zeit für Reproduktionsarbeit zunehmend nach Effizienzkriterien organisiert und in kleinen Zeiteinheiten taylorisiert und intensiviert“ (Candeias 2004: 245) werden muss. Anstatt neun Stunden am Tag mit einem Kind zu verbringen, müssen Eltern in der Lage sein‚ dasselbe Resultat in nur einer, intensiv zugeschnittenen Stunde zu erreichen, weil sie einer festen Er-

gen, am stärksten bei den Hortkindern (ca. + 18 %), gefolgt von den Kindergartenkindern (ca. + 9 %), während die Zahl der Krippenkinder um ca. 0,6 % zurückgehen dürfte. Diese Bevölkerungsentwicklung würde – bei unveränderter Platzzahl – die Platzkind-Relation für Kindergartenkinder auf 96 % zurückgehen lassen. Um die „Vollversorgung“ in den neuen Ländern im Kindergartenbereich im Jahr 2015 sicherzustellen, müssten dort bis dahin etwa 30 000 neue Kindergartenplätze geschaffen werden. Für Hortkinder wären zusätzlich rund 80 000 Plätze nötig, wenn die PlatzKind-Relation bis 2015 nicht auf 35 % sinken soll“ (Statistisches Bundesamt 2004).

204 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

werbsarbeit nachgehen, weil sie in prekären Jobs tätig sind oder weil sie auf Arbeitssuche sind (vgl. Hochschild 1997: 75f). Arlie Russell Hochschild beschäftigt sich in ihren Studien seit den 1970ern mit der Doppelbelastung von Frauen, die sowohl Reproduktionsarbeit verrichten als auch Lohnarbeit nachgehen. Sie beschreibt das postfordistische Zeitmanagement im Reproduktionszusammenhang als tayloristische Form der „Quality Time“. Das heißt, als Minimierung des allgemeinen Zeitverlusts durch Einplanung von Zeiten effektiver Beziehungs- und Fürsorgearbeit (vgl. Hochschild 2002: 62). Die Organisation der Reproduktionsarbeit gleicht hierbei der „Lean Production“ und der „Just in Time“ Arbeitsweise in der Produktionssphäre. Das wesentliche Problem dieser „Verbetrieblichung der Lebensführung“ (vgl. Voß/Pongraz 1998) bzw. der „Ökonomisierung des Sozialen“ (Brökling/Krasmann/Lemke 2000) und der Krise der Reproduktionsprozesse stellt der Zeitfaktor der Arbeitsorganisation von Reproduktionsarbeiten dar. Wie schon dargelegt stehen feste Arbeitszeiten in Unternehmen zunehmend zur Disposition. In diesem Zusammenhang lautet das neue Stichwort in Unternehmen: „Ergebnisstatt Zeitorientierung“ (Jurczyk 2002: 99). Das bedeutet einerseits, dass es in Unternehmen immer weniger klare Zeitvorgaben für die Lohnarbeit gibt und andererseits, dass Ergebnisorientierung eine Zielformulierung der Unternehmensführungen ist. Die Erbringung der Arbeitsleistung bleibt im Wesentlichen der Selbst-Kontrolle und Selbst-Ökonomisierung der Lohnabhängigen überlassen. Im Gegensatz zur taktgebundenen Erwerbsarbeit stellen diese neuen Arbeitsformen eine Herausforderung an die persönliche Flexibilität, an die SelbstRationalisierung und an das Selbst-Management dar (vgl. Jurczyk/Voß 2000: 171ff, Jürgens 2003: 39ff). So kann zum Beispiel die Lohnarbeit durch die sogenannte Mobil- oder Heimarbeit auch nach Hause mitgebracht werden oder durch virtuelle Betriebe an jeden belieben Ort verlagert werden. Die damit verbundene Entgrenzung fester Zeitordnungen durch die flexibilisierten Arbeitsbedingungen, inklusive der Entgrenzung des Arbeitsplatzes, verkompliziert das Zeithandeln und die damit zusammenhängende Alltagsorganisation. Die ökonomische Organisation der alltäglichen Lebensführung wird dadurch noch zentraler und gerät besonders durch Fürsorgearbeiten an ihre Grenzen. Das bedeutet, dass die Felder der Produktions- und Reproduktionsarbeit zunehmend nicht mehr eindeutig erfassbar werden. Das heißt wiederum, „ihr Verhältnis zueinander wird dadurch zu einer nun aktiv individuell zu leistenden Aufgabe der (Neu-) Formierung, der aktiven Begrenzung, der bewussten Balance, des gezielten alltäglichen Managements“ (Voß 2001: 19). Die Organisation der Reproduktionsarbeit ist somit von widersprüchlichen Anforderungen begleitet. Unterschiedliche Studien zu diesem Thema verdeutlichen dies:

S TRUKTUR

| 205

Eine DGB-Studie zum Thema „Work-Life-Balance. Wie die Beschäftigten die Vereinbarkeit von Berufs-, Familien- und Privatleben beurteilen“ (2007) verdeutlicht, dass 42 Prozent der Beschäftigten in Deutschland ihre Arbeitsbedingungen so beschreiben, dass Familie, Freundschaft und private Interessen zu kurz kommen (vgl. DGB 2007: 4). Aus der Studie „Wo bleibt die Zeit?“ des Statistischen Bundesamts von 2003 geht hervor, dass Frauen in der Regel weniger erwerbstätig sind als Männer und dafür mehr unbezahlte Arbeit leisten. Gleichzeitig steht ihnen weniger freie Zeit zur Verfügung. Näher betrachtet geht aus dieser Studie hervor, dass Frauen mit knapp 31 Stunden (pro Woche) deutlich mehr unbezahlte Reproduktionsarbeit leisten als Männer mit 19,5 Stunden (pro Woche). Bei der Erwerbsarbeit – zu der hier auch Arbeitssuche und Fahrzeiten gezählt werden – kehrt sich das Verhältnis um (Frauen: 12 Stunden, Männer: 22,5 Stunden). Dennoch zeigt diese Studie im Vergleich zwischen Männern und Frauen, dass die gesamte Zeitbindung, durch die bezahlte und die unbezahlte Arbeit zusammen, bei Frauen mit 43 Stunden pro Woche durchschnittlich etwa eine Stunde höher ist als bei Männern (vgl. Statistisches Bundesamt 2003: 7ff). Aus diesen Studien wird deutlich, dass besonders Frauen von einer erhöhten Zeitaufwendung im Reproduktionszusammenhang betroffen und gezwungen sind, initiativ privat tätig zu werden und Reproduktionsarbeiten zu organisieren. Zusammenfassend schaffen die Veränderungen der fordistischen Produktionssphäre und Reproduktionssphäre durch eine zunehmende Frauenerwerbstätigkeit mehr Gleichheit zwischen gut ausgebildeten Frauen und Männern im ökonomischen Familienmodell. Die Übertragungen der Produktionsverhältnisse auf der Organisation der Reproduktionsarbeiten führen zu einer Neuzusammensetzung von Klassen- und Geschlechterverhältnissen durch ethnische und soziale Ausdifferenzierungen, weil die Eröffnung eines haushaltsnahen Niedriglohnsektors und die Kontrolle der Arbeitskräftemigration zu einer größeren strukturellen Ungleichheit besonders unter Frauen verschiedener Klassen- und Nationalstaatszugehörigkeit führt. Geschlechtsspezifische Vermittlungen in Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigungen sowie die Verfügung über Zeit und Geld für Reproduktionstätigkeiten sind damit zentrale Bestandteile der Modernisierung des fordistischen Geschlechterregimes und ein Kompromiss zwischen zunehmenden Emanzipationsorientierungen von Frauen (vgl. Pfau-Effinger 2000: 126, Kohlmorgen 2004: 280, Winker 2007c). Für die Reihe 2 des Theorems Geschlechterregime: Regulationsweisen [Institutionelle/ideologische/soziale Herrschaftsformationen – Gouvernementalität –

206 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Familien-/Bevölkerungspolitik/Demographie] lassen sich folgende Veränderungen hervorheben: In Kombination mit zunehmender Frauenerwerbstätigkeit und steigenden Reproduktionsanforderungen führen die Übertragungen postfordistischer Produktionsverhältnisse auf Reproduktionsverhältnisse zwangsläufig zu der Situation, dass die notwendigen Tätigkeiten zur Reproduktion von berufstätigen Familienmitgliedern, die Erziehung von Kindern und die Versorgung von unterstützungsbedürftigen Angehörigen nicht mehr angemessen realisiert werden können (vgl. Winker 2009: 52). Eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (2003) verdeutlicht die strukturellen Widersprüche denen sich berufstätige Mütter und Väter sowie Unternehmen befinden. Zu der Frage „Wie familienfreundlich ist die deutsche Wirtschaft?“ sind 878 Unternehmen befragt worden. Dabei zeigt sich, dass lediglich 1,9 Prozent der Unternehmen einen Betriebskindergarten haben und 1,8 Prozent eine Betriebskinderkrippe anbieten. 1,4 Prozent der befragten Unternehmen bieten Kinderbetreuungsplätze für ihre Beschäftigten und ein Prozent bietet einen Tagesmütterservice an. Unternehmen, die grundsätzlich familienfreundliche Maßnahmen anbieten, halten diese in den Bereichen der Arbeitszeitflexibilisierung (85 Prozent) und der Arbeitsorganisation (93 Prozent) vor. Diese Maßnahmen sind hauptsächlich Teamarbeit (81 Prozent), Teilzeit während der Elternzeit (73 Prozent), Gleitzeit mit Kernarbeitszeit (65 Prozent) und Arbeitszeitkonten (54 Prozent) (vgl. IdW 2003). Auch eine Studie der Hertie-Stiftung (2003) zu Strategien einer familienbewussten Unternehmenspolitik, in der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus 433 Unternehmen befragt wurden, nennt ähnliche Tendenzen. Aus dieser geht hervor, dass 65 Prozent der Befragten in ihrem Unternehmen keine Unterstützungsmaßnahmen bei der Kinderbetreuung haben. Zehn Prozent der befragten Unternehmen planen eine Ausweitung von familienfreundlichen Maßnahmen (vgl. Hertie 2003: 22). Der Familienmonitor 2010 kommt zu dem Ergebnis, dass 74 Prozent der Bevölkerung insgesamt die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf als schlecht bewerten. 34 Prozent der Mütter berichten, dass sie Beruf und Familie schlecht vereinbaren können. Sie wünschen sich eine Ganztagsbetreuung für die Kinder (54 Prozent) sowie an die Arbeitszeiten angepasste Betreuungszeiten in Kindergärten und Schulen (56 Prozent). 60 Prozent der Väter und 41 Prozent der Mütter würden ihre Arbeitszeit reduzieren, wenn es Möglichkeiten und Anreize dazu gäbe. Aus dem Familienmonitor lässt sich eine Neuzusammensetzung des postfordistischen Geschlechterregimes ableiten: 52 Prozent der kinderlosen Deutschen wünschen sich Nachwuchs. Das sind neun Prozent mehr als 2008. Die Hälfte der kinderlosen Männer unter 50

S TRUKTUR

| 207

Jahren könnte sich eine Elternzeit vorstellen (vgl. Familienmonitor 2010). Das heißt, das postfordistische Geschlechterregime basiert auf einem Widerspruch: Die Subjekte wünschen sich Kinder, möchten aber keine, weil sie es sich zeitlich nicht leisten können. Wie schon beschrieben sank die jährliche Geburtenrate von 1.047.737 Geburten im Jahr 1970 auf 665.126 Geburten im Jahr 2009 (vgl. Statistisches Bundesamt 2009). Seit 1972 gibt es einen kontinuierlichen Sterbeüberschuss (1972: 64.032 Personen bis 2008: 161.925). Die skizzierten Entwicklungen führen insgesamt und langfristig zu einer „Überalterung“ oder besser: zur „Unterjüngung“ der Gesellschaft. Unterjüngung bedeutet, dass der Anteil der älteren Bevölkerung entsprechend dieser Prognose in einem Ausmaß zunimmt, dass im Jahr 2050 doppelt so viele ältere Menschen leben wie jetzt. Gunnar Heinsohn beschreibt diese Entwicklung als demographisch größten anzunehmenden Unfall (GAU), weil die Lebenserwartung steigt, die Geburtenrate sinkt und die Einwanderung als Ausgleichsfaktor unerheblich ist. Heinsohn errechnet, dass in der BRD bald nur noch 13 Prozent der Einwohnerinnen und Einwohner unter 15 Jahren seien und schon 20 Prozent über 65 Jahren. Die Kinderquote der BRD liege bei 1,38 Kindern, wovon 20 Prozent der Migrantinnen 40 Prozent des Nachwuchses zusteuerten (vgl. Heinsohn 2008). Das bedeutet, dass von 100 Kindern, die Deutschland benötige, um nicht weiter zu schrumpfen, zu vergreisen und den demographischen GAU abzuwenden, 35 Kinder gar nicht erst geboren werden. Von den 65 Kindern, die geboren werden, gelten später 15 Jugendliche als nicht ausbildungsreif (vgl. Heinsohn 2010:1).17 Laut des 7. Familienberichtes der Bundesregierung führen diese demographischen Veränderungen zu einem drastischen Rückgang der Erwerbsbeteiligung (vgl. BMFSFJ 2006: 218). Eine Schlussfolgerung daraus ist, dass der ökonomische Erfolg von Unternehmen stärker auf die Innovationsfähigkeit und Flexibilität der Beschäftigten angewiesen ist und somit die Lohnabhängigen mit einem komplexeren und aufwändiger zu organisierenden Alltag konfrontiert sind: Mobilere und flexiblere Arbeitsbedingungen erhöhen den Druck auf soziale Beziehungen und auf das Familienleben, wirken sich eruierbar negativ auf die Geburtenraten sowie auf den demographischen Wandel in Deutschland aus.

17 Mehr als skurril wirken in diesem Zusammenhang Heinsohns politische Vorschläge. Solange die deutsche Regierung „das Recht auf Kinder als Recht auf beliebig viel öffentlich zu finanzierenden Nachwuchs auslegt, werden Frauen der Unterschicht ihre Schwangerschaften als Kapital ansehen. Allein eine Reform hin zu einer Sozialnotversicherung mit einer Begrenzung der Auszahlungen auf fünf Jahre statt lebenslanger Alimentierung würde wirken“ (Heinsohn 2010:1).

208 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Aus der Sicht der momentanen Bundesregierung gibt es zumindest „Notwendigkeiten“ der Regulation von Geschlechterverhältnissen und Familienverhältnissen als Garant für Kinder, die wiederum das zukünftige soziale Gefüge finanzieren müssen. Die Bundesregierung spricht hierbei von einer nachhaltigen Familienpolitik: „Familien schaffen mit der Erziehung und Sozialisation von Kindern die Basis für das Funktionieren demokratischer und marktwirtschaftlicher Gesellschaften, und Eltern leisten mit ihren Erziehungs- und Bildungstätigkeiten einen erheblichen Beitrag zur Bildung des Human- und des Arbeitsvermögens der Kindergeneration, das letztlich die gesamtwirtschaftliche Leistungsfähigkeit, das langfristige Wachstum und die Entwicklungsmöglichkeiten einer Gesellschaft beeinflusst.“ (Ott zitiert nach dem 7. Familienbericht der Bundesregierung; BMFSFJ 2006: 245)

Im 7. Familienbericht macht die Bundesregierung deutlich, dass die demographisch bedingten Veränderungen männlicher und weiblicher Lebensentwürfe dazu führen, „dass nur begrenzte Lebensabschnitte, nicht aber mehr das ganze Leben, mit Sinn und subjektiven Zukunftsperspektiven gefüllt werden können“ (BMFSFJ 2006: 246). Sowohl die gesellschaftlichen Konstruktionen von Lebensläufen als auch die individuellen Konstruktionen der Lebensbiographien im Kontext von Beruf und Familie setzen eine neue Konstruktion von männlichen und weiblichen Lebensrollen voraus. „Diese Neukonstruktionen müssen einerseits die Länge des Lebens und die Ausdifferenzierung des Humankapitals in einer Dienstleistungsgesellschaft reflektieren, andererseits aber auch die Möglichkeit schaffen, das eigene Leben so zu gestalten, dass eine Partizipation an der Fürsorge für andere, an der Erziehung für Kinder und an beruflichen und gesellschaftlichen Aktivitäten in unterschiedlichen Lebensphasen möglich ist. Damit kann die Formel der Industriegesellschaft ‚entweder Familie oder Beruf und später Rente’ überwunden werden.“ (BMFSFJ 2006: 246)

In Bezug auf die Regulationsweisen der Demographie und der Bevölkerungspolitik lässt sich die Disposition einer protoindustriellen Arbeitskräfteproduktion feststellen. Darunter lässt sich die halbmaschinelle Herstellung von Vital- und Arbeitsvermögen verstehen, wobei – genau wie in der frühkapitalistischen Warenproduktion – Teile des Fertigungsprozesses auf der Basis der Heimarbeit stattfinden, weil nicht alle Reproduktionsarbeiten industrialisiert werden können (vgl. Kurz 2002: 86, Matuschek 2003: 353). Allerdings ist dies keine postfordistische Version des „Ganzen Hauses“, sondern bezeichnet vielmehr den Umstand,

S TRUKTUR

| 209

die sogenannte private Sphäre zu entprivatisieren und soziale Beziehungen bis in die intimsten Bereiche des Lebens – inklusive Schwangerschaften und Geburten – einer verstärkten Kontrolle durch Strukturimperativen des Akkumulationsregimes zu unterwerfen. Dies begründet sich dadurch, dass der das Akkumulationsregime antreibende Mechanismus zur Selbstverwertung des Werts, Unternehmen und Regierungen dazu zwingt, die Produktivität und die Reproduktion der Arbeitskraft so kostengünstig wie möglich herzustellen, nutzbar zu machen und zu entwickeln. Wie schon in Kapitel 3.1 beschrieben müssen die Arbeitskräfte, welche in Rente gehen, durch Unfälle oder Krankheiten ausfallen oder sterben, durch neue Arbeitskräfte ersetzt und angelernt werden, damit die Profitmaximierung nicht zum Erliegen kommt. Daher ist das Akkumulationsregime bisher auf nichtrationalisierbare Reproduktionsarbeiten wie Schwangerschaften und Entbindungen angewiesen. Anders als in Aldous Huxleys dystopischem Roman „Schöne neue Welt“ ist die kapitalistische Gesellschaft bislang noch nicht in der Lage, massenhaft Arbeitskräfte durch „Hypnopädia“ zu erziehen und industriell Humanvermögen „in vitro“ zu züchten (vgl. Huxley 1932).18 Allerdings werden durch die allgemeine Entwicklung des Kapitalismus ständig neue Technologien zur Wegrationalisierung menschlicher Arbeitsabläufe eingeführt, um Arbeit billiger und besser kontrollierbar zu machen. So lassen sich auf der einen Seite bestimmte Formen der Reproduktionsarbeit, wie materielle Hausarbeit (kochen, putzen, etc.) durch Haushaltsgeräte, durch computeroptimierte Anwendungsprogramme und durch familiäre Unterstützungsarbeit mittels Zeitmanagement sowie Pflegearbeit durch geriatrisches Assessment oder durch pflegeunterstützende Maschinen rationalisieren. Allerdings lassen sich auf der anderen Seite Reproduktionsarbeiten, wie die Beziehungsarbeit durch Trösten, durch

18 In Huxleys fiktivem Roman werden Menschen in einer Art fordistischen Massenproduktion im Labor künstlich gezüchtet und durch Konditionierung bzw. Schlafhypnose auf ihre Rolle in der Gesellschaft vorbereitet. Damit der Staat die Kontrolle über seine Staatsbürgerinnen und Staatsbürger nicht verliert, werden keine Menschen mehr auf natürliche Weise gezeugt und geboren. Frauen werden sterilisiert, die Produktion von Kindern wird durch Maschinen gesteuert. In der Realität sind diesbezüglich schon erste Versuche bei Tieren durchgeführt worden. Yoshinori Kuwabara (Juntendo Universität Tokyo) hat 2002 bewiesen, dass Embryonen außerhalb eines weiblichen Körpers wachsen können. Der Wissenschaftler und sein Team haben einer Ziege einen Fötus entnommen und in einer künstlichen Gebärmutter zehn Tage lang am Leben erhalten. Der Embryo wurde aus dem Bauch geschnitten und dann in einer Wanne mit chemisch erzeugtem Fruchtwasserersatz an Schläuche geschlossen. Über die Nabelschnur wurde der Ziegenfötus anstatt mit seiner Mutter mit einer Maschine verbunden. Yoshinori Kuwabara betitelt die künstliche Gebärmutter als „die erste Muttermaschine der Welt“ (Kuwabara zitiert nach Clausnitzer 2009).

210 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Aufheitern oder durch zärtlich sein sowie die generative Reproduktion, wie Schwangerschaft und Geburt, nur schwer rationalisieren. Insofern kann die Produktion von verwertbarem „Humankapital“ nur begrenzt rationalisiert und unternehmerisch hergestellt werden (vgl. Dierks 2005: 48-86). Biomedizinische Technologien scheinen einen Paradigmenwechsel für die Rationalisierung der generativen Reproduktion darzustellen. Durch die Fortschritte von biomedizinischen Technologien (künstliche Befruchtung oder Gentechnologien wie Klonen, Stammzellenforschung und pränatale Diagnostik) wird der Körper nicht mehr als biologisch gegeben und unveränderbar angesehen (vgl. Haraway 1995: 34ff). Das Ziel der Reproduktionstechnologien bzw. Bio-Politiken ist es nicht mehr, in dem alten Sinne „unwertes Leben“ zu vernichten, „sondern dass man es bereits in der Entstehung behindern – oder vielleicht auch in die gewünschte Richtung manipulieren kann“ (Strobel 1989: 33). Durch die genetische bzw. pränatale Diagnostik entstehen neue Wahl- und Wunschmöglichkeiten für Eltern. Die genetische Diagnostik verspricht einerseits Freiheit von den Zwängen der Vererbung und den biologischen Naturnotwendigkeiten und andererseits ist sie eine weitere Zugriffsstrategie der Disziplinar- und Kontrollmächte auf den menschlichen Körper. Das Embryonenschutzgesetz in Deutschland verhindert zwar derzeit die künstliche Veränderung der Erbinformation menschlicher Keimbahnzellen und das Klonen oder Vermengen von Erbinformationen verschiedener Eizellen, die zur Chimären- oder Hybridbildung führt (vgl. Eschg § 5-7). Die ethischen Grundsätze sind allerdings in dem zuletzt 2001 novellierten Gesetz umstritten. Im Kontext des Urteils des Bundesgerichtshofes vom Juli 2001 zum Verbot der Präimplantationsdiagnostik kritisiert Hubert Markl, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft: „An Behinderten wird es der Gesellschaft also bestimmt nicht mangeln. Mich schreckt am meisten der Geist erbarmungsloser Moral und zugleich des rechtlichen Zwanges auf betroffene Einzelne im Dienste vermeintlicher Gemeinschaftsinteressen. So als gehörten eine Frau und ihr Reproduktionsverhalten und sogar die dabei instrumentalisierten Behinderten zu allererst einmal dem Staat, der dieser Frau in von Mehrheitsmeinung abhängigen Grenzen Freiheiten hinsichtlich ihres ureigensten Menschenrechts, nämlich der Entscheidung über die eigene Fortpflanzung, einräumt oder versagt, und sie gegebenenfalls dazu zwingt, ein schwerst behindertes Kind sozusagen als Exempel für andere auszutragen und aufzuziehen.“ (Markl 2001)

Am 07. Juli 2011 stimmen 326 von 594 Bundestagsabgeordneten für die Aufhebung des Verbotes der Präimplantationsdiagnostik und für die Zulassung von Gentests an Embryonen. Die sogenannte Präimplantationsdiagnostik ermöglicht

S TRUKTUR

| 211

das Erkennen von Gen-Defekten bei in Reagenzgläsern gezeugten Embryonen, bevor diese in Gebärmütter eingesetzt werden. Wird ein Gen-Defekt diagnostiziert, der eine Schädigung des Embryos erwarten lässt, der zur Tot- oder Fehlgeburt führen könnte oder der eine Behinderung für das Kind zur Folge hätte, ist es nun möglich, den Embryo zu vernichten bzw. absterben zu lassen (vgl. Bundestag 2011). Die Ergebnisse präventiver reproduktionsmedizinischer Diagnostiken sollen die Grundlage für die Gewährung einer individuellen Entscheidungsautonomie für oder gegen die (Re-)Produktion von Leben sein, schreibt Regine Kollek vom Deutschen Ethikrat (vgl. Kollek 2000: 128). Allerdings „wird menschliches Leben vernichtet“ (Kollek zitiert nach Bild 2011). Der Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse beurteilt die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik als „fundamentalen Paradigmenwechsel“. Diese ermögliche mit der Methode der „Selektion“ eine „Qualitätsüberprüfung menschlichen Lebens“. Die Präimplantationsdiagnostik könne vielleicht in Einzelfällen Leid verhindern, „aber sie verhindert in jedem Fall das Lebensrecht von gezeugtem menschlichen Leben“ (Thierse zitiert nach Bundestag 2011). Für das postfordistische Geschlechterregime ist dieser fundamentale Paradigmenwechsel in der Organisation der Reproduktionsverhältnisse eine wesentliche Disposition. Die „Lean Production“ der Reproduktionsarbeit bzw. die Entgrenzung von Reproduktionsarbeiten bewegt sich nicht nur in einem postdisziplinären Feld der Eugenik, sondern sie ist ein weiterer Machtmechanismus, um die (Re-)Produktivität des postfordistischen Geschlechterregimes zu organisieren, indem gleichzeitig die Abweichung von der biologischen Fortpflanzung der Geschlechter gefördert wird (vgl. Waldschmidt 1996: 31). Als Durchbruch für die Wendung im reproduktiven Paradigma gilt die Geburt des weltweit ersten „Retortenbabys“ Louise Joy Brown am 25. Juli 1978. Durch diesen Zusammenhang erweitert sich der Zugang zum Körper. Die Biotechnologie ermöglicht den Zugriff auf die DNA, das Rohmaterial des Menschen, auf „Organe ohne Körper“, welche „auseinandergenommen und zu neuen Bio-Maschinen zusammengesetzt werden“ (Mies 1992: 63) können. Durch die Fortpflanzungstechnologien bekommt die Modifizierung des Körpers eine neue Dimension und die Planung einer Familie bekommt eine neue Qualität, indem die Prinzipen der Selektion durch die Formen der vorgeburtlichen Diagnostik und „Qualitätskontrolle“ sowie durch die Technik der In-Vitro-Fertilisation (IVF) zur Anwendung kommen (vgl. Hofmann 2003: 235; Mies 1992: 65). Einerseits bedeutet dies, dass dieser Vorgang der IVF bzw. der „non-koitalen Reproduktion“ die Patientin ohne den Geschlechtsakt schwanger werden lässt. Fortpflanzung ist dadurch „ein Anhängsel des Erzeugens oder eine Funktion der Technologisierung der Lebensproduktion“ (Treusch-Dieter 1990: 203) gewor-

212 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

den. Die Zeugung ist „insofern immaterialisiert, als sie unabhängig vom geschlechtlichen Körper geworden“ (Riegler 1996: 206) ist. Gena Corea beschreibt diese Situation als ein Beispiel für die „Industrialisierung der Reproduktion [durch] die Anwendung des Fabrik-Fließband-Prinzips auf die Zeugung“ (Corea 1989: 63). Andererseits ermöglichen es die neuen Reproduktionstechnologien, Fortpflanzung von biologischen Geschlechterdifferenzen loszulösen. Verfahren wie pränatale Diagnostik, Leihmutterschaft oder IVF spalten den Körper in eine genetische, biologische und soziale Mutterschaft auf. Diese Aufspaltung hat letztlich insgesamt ökonomische und kulturelle Veränderungen auf der biopolitischen Ebene und auf der Ebene der Konstitution von Verwandtschaftsverhältnissen zur Folge. Hieran knüpft sich die Hoffnung der Cyberfeministin Donna Haraway: Fortschritte von biomedizinischen Technologien können eine Überwindung der Bindung an körper-geschlechtlicher Reproduktion ermöglichen (vgl. Haraway 1995).19 Zusammenfassend kann zugespitzt gesagt werden, dass durch die aktuellen Genund Reproduktionstechniken Menschen zu Material werden und Sexualität – im Gegensatz zur künstlichen Lebensschaffung durch non-koitale Befruchtung –

19 In ihrem „Manifest für Cyborgs“ (1995) plädiert Haraway dafür, „die Cyborg als eine Fiktion anzusehen, an der sich die Beschaffenheit unserer heutigen Gesellschaft und körperlicher Realität ablesen lässt“ (34). Dieses Manifest ist der Versuch, „zu einer sozialistisch-feministischen Kultur und Theorie in postmoderner, nichtnaturalistischer Weise beizutragen“ (35). Für Haraway sind Cyborgs Geschöpfe, die keine entfremdete Arbeit mehr leisten, die in einer Welt ohne Gender leben, die keiner Herrschaft oder Ideologie unterworfen sind. Durch die Einführung dieses Cyborg-Konzeptes erwartet Haraway eine „Revolution der sozialen Beziehungen“ (35). Cyborgisierung des Menschen erfolgt durch den Umbau seines Körpers: Ein Mensch wird Cyborg, wenn mechanische oder elektronische Komponenten in seinen Körper eingesetzt werden. Das bedeutet wiederum, dass das Konzept des biologisch gegebenen Körpers des Menschen für Haraway als veraltet gilt. Letztlich versucht sie in diesem Manifest aufzuzeigen, warum die Konstruktion und Produktion von universellen und totalisierenden Theorien und Begriffen (wie z. B. Mann\Frau, Natur\Kultur, Mensch\Maschine) „ein bedeutender Fehler“ (71) ist, und dass die Metaphorik des Cyborg den „Weg aus dem Labyrinth der Dualismen“ (72) weisen kann. „Cyborg“ ist eigentlich die Abkürzung für „kybernetischer Organismus“. Dieser Begriff wurde 1960 erstmals von den Wissenschaftlern Manfred E. Clynes und Nathan S. Kline verwendet. Er bezeichnet einen sich selbstregulierenden Mensch-Maschinen-Hybriden, der in der Lage sein soll, im Weltraum zu überleben. Letztlich beschreibt dieser Begriff die Verschmelzung von Technik und Körper. Laborratten oder -affen können ebenso als Cyborgs beschrieben werden wie Menschen mit künstlichen Organen und Prothesen bzw. alle Lebewesen, bei denen die Schnittstelle zwischen Maschine und Organismus unklar geworden ist (vgl. Haraway 1995: 33).

S TRUKTUR

| 213

überflüssig wird. Schwangerschaft und Geburt werden immer mehr zu wartungsbedürftigen Begebenheiten und die protoindustrielle Menschenproduktion durch die Familienmaschine (vgl. Deleuze/Guattari 1977: 7) wird zur staatlich und ökonomisch kontrollierbaren Angelegenheit. Das Leben an sich wird durch die Reproduktionstechnologien auf die Information der DNA und durch das neoliberale Postulat des Humankapitals auf die Verwertbarkeit herabgesetzt, sodass sich auch die Bedeutung eines Körpers und seines Geschlechts im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit verändert. Die protoindustrielle Arbeitskräfteproduktion hat somit auch weitreichende Folgen für die symbolische und subjektive Geschlechterzusammensetzung. Die strukturelle Ebene des postfordistischen Geschlechterregimes in Bezug auf die protoindustrielle Reproduktion ist jedoch zurzeit durch den Paradigmenstreit in der Gendiagnostik umkämpft und letztlich auch durch das Embryonenschutzgesetz blockiert. Das bedeutet, dass eine eindeutige Bestimmung des postfordistischen Geschlechterregimes in Bezug auf die generative Reproduktionsfähigkeit vage bleibt. Formierungen eines post-eugenischen Geschlechterregimes sind ebenso denkbar, wie ein klassenselektives Geschlechterregime oder ein egalitäres Cybergeschlechterregime. Aus den bisherigen Dispositionen des postfordistischen Geschlechterregimes geht hervor, dass die Krise der fordistischen Produktions- und Reproduktionsmuster in einem wechselseitigen Zusammenhang mit den Entformalisierungen der Geschlechterverhältnisse sowie mit den Entgrenzungen der Erwerbs- und Reproduktionsarbeit steht. Die Entgrenzungen und Entformalisierungen haben zu drastischen Rückgängen der Geburtenraten und zu Unvereinbarkeiten zwischen Familie und Beruf geführt. Wie die Bundesfamilienministerin Kristina Schröder beim Vorstellen der Studie „Monitor Familienleben 2010“ betonte, wird in Zukunft die „Balance von Arbeitswelt und Familie“ Kernaufgabe der bundesdeutschen Familienpolitik sein. „Dafür sind flexiblere Arbeitszeiten und eine Unternehmenskultur nötig, die nach der Qualität geleisteter Arbeit und nicht nach der Zeitpräsenz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fragt“ (Schröder 2010). Das heißt, bundesdeutsche Regierung und Unternehmen reagieren auf das transformierte Geschlechterregime, indem Familien- und Bevölkerungspolitiken – auch unter ökonomischen Gesichtspunkten – als Regulationsweisen des postfordistischen Akkumulationsregimes relevant werden. Work-Life-BalanceMaßnahmen gelten in diesem Zusammenhang als „Excellence Mittel“ und als „Best-Practice-Beispiele“, um die veränderten gesellschaftlichen Bedingungen zu stabilisieren (vgl. BMFSFJ 2005: 19ff). Die negativen Effekte einer Unvereinbarkeit von Beruf und Familie und die Notwendigkeit zu einer Verbesserung der Work-Life-Balance bestätigen unterschiedliche Studien und Analysen zum

214 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Thema Balance zwischen Produktions- und Reproduktionsarbeiten (vgl. Klammer/Klenner 2004, Klimpel/Schütte 2006, Buchmayr/Neissl 2006). Hervorheben hierbei möchte ich die sogenannte Darmstädter Studie „Work-Life-Balance im Topmanagement“ von Ruth Stock-Homburg und Eva-Maria Bauer (2007). Diese Studie untersuchte Typen weiblicher und männlicher Führungskräfte im Umgang mit ihrer Work-Life-Balance. Die Auswertung von 40 Tiefeninterviews mit 40 Führungskräften des oberen Managements besagt, dass knapp zwei Drittel der Führungskräfte eine günstige Vereinbarkeit von Beruf und Familie bzw. eine Work-Life-Balance als wichtig für ihre eigene Lebensqualität einschätzen (vgl. Stock-Homburg/Bauer 2007: 26ff). Auf der Basis dieser Tiefeninterviews entwickelten Stock-Homburg/Bauer die Fragebogenstudie „Work-Life-BalanceMonitor“, die 220 männlichen Managern und 40 weiblichen Managerinnen vorgelegt wurde. Die Ergebnisse zeigen, dass knapp 40 Prozent der Befragten ein Problem mit ihrer Work-Life-Balance haben, 13 Prozent unter Burnout leiden und 30 Prozent Symptome von Workaholismus zeigen. In diesem Zusammenhang merken Stock-Homburg/Bauer an, dass männliche und weibliche Führungskräfte unterschiedliche Strategien einsetzen, um ihre beruflichen und privaten Anforderungen miteinander auszubalancieren. Im Vergleich sind Frauen von Unvereinbarkeiten stärker betroffen – „vermutlich wegen der noch vielfach praktizierten klassischen Rollenverteilung, in der sie weitestgehend für Kinder und Haushalt verantwortlich sind“ (Stock-Homburg/Bauer 2008: 10). Für eine erfolgreiche Balance sind nach der Untersuchung von Stock-Homburg/Bauer folgende individuelle Faktoren wesentlich: Kontrolle über Zeit- und Selbstmanagement, Bereitschaft zur Delegation, Stressverarbeitung, keine Kompensation von Problemen durch Medikamente und Drogen. Ein weiterer wesentlicher Einfluss auf die Work-Life-Balance hat die Unternehmenskultur: Legen die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber Wert auf Ergebnis- statt Anwesenheitsorientierung und existieren hohe Toleranzschwellen im Unternehmen gegenüber familiären Verpflichtungen, kann „das die Work-Life-Balance von Mitarbeitern wie Führungskräften positiv beeinflussen“ (Stock-Homburg/Bauer 2008: 15). Die folgenden Dispositivelemente des Geschlechterregimes beschäftigen sich daher mit den gouvernementalen Neuzusammensetzungen zur Regulation des entgrenzten und entformalisierten Geschlechterregimes unter den Vorzeichen der sogenannten Work-Life-Balance. Hierzu werden nun Work-Life-BalanceMaßnahmen der bundesdeutschen Regierung und von Unternehmen vorgestellt. Vor dem beschriebenen Hintergrund – Entformalisierungen der Geschlechterverhältnisse, Entgrenzungen der Erwerbs- und Reproduktionsarbeit, Rückgänge der Geburtenraten und Unvereinbarkeiten zwischen Familie und Beruf, –

S TRUKTUR

| 215

haben sich die börsennotierten Konzerne Bertelsmann, Commerzbank, DaimlerChrysler, Deutsche Telekom, Fraport, Vattenfall Europe zusammen mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) sowie mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (BMWA) zusammengeschlossen. Unter der Schirmherrschaft des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI) bilden sie seit 2005 die bundesweit operierende Initiative „WorkLife-Balance als Motor für wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftliche Stabilität“ (vgl. BMFSFJ 2005: 5). Die Leitidee der Initiative ist es, über wirtschaftliches – das heißt kapitalistisches – Wachstum gesellschaftliche Stabilität zu erreichen. Zentrale Positionen der Initiative sehen vor, dass Work-LifeBalance-Maßnahmen, als Investitionen in das sogenannte Humanvermögen, der deutschen Wirtschaft die Chance bieten, die Produktivität der Beschäftigten zu steigern. Weiter sollen sie die Arbeitsmotivation erhöhen und Fehlzeiten ebenso wie die Personalfluktuation verringern. Die Initiative will eine nachhaltige Unternehmensrendite sichern, indem Work-Life-Balance-Maßnahmen die Identifikation der Belegschaft mit dem Unternehmen stärken. Letztlich sollen WorkLife-Balance-Maßnahmen auch den Standort Deutschland mittels einer Erhöhung der Frauenerwerbsquote sichern. Insbesondere eine bessere Nutzung der Arbeitskraft gut ausgebildeter Frauen, eine verbesserte Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie eine Steigerung der Geburtenrate sollen dazu beitragen (vgl. BMFSFJ 2005: 5). Die Maßnahmen der Initiative zielen auf eine grundlegende Modernisierung der Arbeitsorganisation, die das Spannungsverhältnis von Produktions- und Reproduktionsarbeit vor dem Hintergrund der ökonomischen, technologischen und gesellschaftlichen Transformation mittels angepasster Konzepte neu zu organisieren versucht. In diesem Zusammenhang versucht die Initiative in ihren Betrieben und Verwaltungen, bis zu 30 Prozent ihrer Beschäftigten an Work-Life-Balance-Maßnahmen bis zum Jahr 2020 teilhaben zu lassen (vgl. BMFSFJ 2005: 33). Konkret bedeutet das auf der betrieblichen Ebene den Ausbau von Arbeitsorganisationsmodulen wie Zeit- und Selbstmanagement, spezifisch ausgestaltete Arbeitszeitmodelle oder Modelle zur Flexibilisierung des Arbeitsortes (Telearbeit). Auf der Regierungsebene beinhalten diese Konzepte biopolitische Maßnahmen. Darunter sind finanzielle und gesundheitspräventive Leistungen für Lohnabhängige wie Elterngeld, Elternzeit, Kinderbetreuungsmaßnahmen oder Anti-Stress-Management zu verstehen. Bei den Lohnabhängigen sollen durch diese Maßnahmen die Arbeitsmotivation erhöht, Fehlzeiten und Personalfluktuation verringert sowie „Arbeit und Leben“ besser vereinbart werden – so zumindest die Hoffnungen der Initiative (vgl. BMFSFJ 2005: 5ff). Um diese Wirkungen zu erreichen, werden unterschiedliche gouvernementale Maßnahmen unter dem Label Work-Life-Balance aufgeführt. Im Folgenden werden

216 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

die zentralen Einheiten in drei Themengebiete zusammengefasst (vgl. BMFSFJ 2005: 16-19): • Der erste Themenkomplex beinhaltet Maßnahmen und Modelle zur Flexibili-

sierung von Arbeitszeit und -ort. Von vollzeitnaher Teilzeitarbeit mit 25 bis 34 Wochenarbeitsstunden, die für alle Beschäftigtengruppen unabhängig von ihrer Qualifikation eingeführt werden soll, wird eine Entkoppelung von Betriebs- und Arbeitszeiten erhofft. Vollzeitferne Teilzeitarbeit bis 24 Wochenarbeitsstunden soll Beschäftigungsgruppen in besonderen Lebenslagen ansprechen (Wiedereinstieg ins Arbeitsleben, Elder-care, Elternzeit).20 Variable Teilzeit- bzw. Zeitkontenmodelle oder Gleitzeitarbeitsmodelle sollen individuelle Gestaltungsspielräume von Arbeitszeit ermöglicht werden. Im Rahmen der Bildung von teilautonomen Arbeitsteams oder Job-Sharing soll den Beschäftigten eine eigenständige Arbeits- und Zeitplanung ermöglicht werden. Mithilfe der modernen Informations- und Telekommunikationstechniken bietet z. B. Telearbeit den Beschäftigten ein freieres Arbeitsortmanagement und damit flexible Möglichkeiten zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Das Arbeitszeitmodell des Sabbatjahrs, das ein ganzes Jahr Auszeit vorsieht (Sabbatical),

20 Elke Holst beschreibt in ihrer Untersuchung zu „Arbeitszeitwünschen von Frauen und Männern“ (2007), dass im Jahr 2005 sowohl Frauen als auch Männer am liebsten nicht mehr als maximal 40 Stunden pro Woche erwerbstätig sein möchten. Wunsch und Wirklichkeit der Work-Life-Balance-Maßnahmen klaffen aber noch tatsächlich deutlich auseinander: „52 % der Männer sind 41 und mehr Wochenstunden tätig, nur 16 % der erwerbstätigen Männer wünschen dies auch. Bei den Frauen liegen die Vergleichswerte bei 16 % bzw. 4 %. Unter 35 Stunden möchte über die Hälfte der Frauen (54 %, 12 % der Männer) arbeiten, dies sind etwas mehr als auch tatsächlich in diesem Bereich erwerbstätig sind (45 %; 8 % der Männer). Genau 30 Stunden pro Woche arbeiten nur 5 % der Frauen (1 % der Männer), aber 16 % (5 % der Männer) wünschen sich dies. Knapp ein Fünftel der Frauen präferieren eine Wochenarbeitszeit, die zwischen 20 und 29 Stunden liegt (2 % der Männer). Wochenarbeitszeiten von weniger als 20 Stunden werden von den Frauen seltener gewünscht (14 %) als tatsächlich ausgeübt (19 %). Bei den Männern ist es umgekehrt; hier wünschen sich mehr Beschäftigte (7 %) einen solchen Erwerbsumfang als tatsächlich in diesem Bereich anzutreffen sind (3 %)“ (Holst 2007: 212f). Die Grundlagen dieser Untersuchung basieren auf Arbeitszeitanalysen des Sozioökonomischen Panels (SOEP), in dem Arbeiterinnen und Arbeiter, Angestellte sowie Beamtinnen und Beamte (ohne Auszubildende) erfasst wurden. Auch Christina Klenner beschreibt in ihrer Untersuchung „Familienfreundliche Betriebe – Anspruch und Wirklichkeit“ (2007), dass eine familien- und g eschlechtergerechte Arbeitszeitgestaltung damit zusammenhängt, dass Eltern gerne kürzere Arbeitszeiten hätten. „Väter arbeiten erheblich länger als Männer ohne Kinder. Hochqualifizierte Mütter arbeiten weiniger als gering qualifizierte (Klenner 2007: 20).

S TRUKTUR

| 217

bleibt Beschäftigungsgruppen in biographischen Ausnahmesituationen vorbehalten.21 • Der zweite Themenkomplex zielt auf die Mitarbeiterinnenbindung und Mitarbeiterbindung ab. Für die Initiative erhält die Mitarbeiterinnenbindung und Mitarbeiterbindung durch den internationalen Wettbewerb um qualifiziertes Personal eine entscheidende Bedeutung. „Nicht nur die demographische Entwicklung, sondern auch das sich schon heute in einzelnen Branchen und Berufen abzeichnende Mismatch von Qualifikationsangebot und -nachfrage zeigen, dass das Instrument der Personalrekrutierung nicht alle Anforderungen an die Stellenbesetzung lösen kann“ (BMFSFJ 2005: 17). Das bedeutet, dass die Initiative als strategisches Handlungsfeld „von großer Relevanz“ die Sensibilisierung von Führungskräften hinsichtlich der unterschiedlichen Facetten bezüglich der Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben ansieht. Hierfür werden Sensibilisierungsstrategien für Führungskräfte, Mentoring, Wiedereinstiegsprogramme, Qualifizierungsangebote oder Sozialberatungen vorgeschlagen. Mit flankierenden Serviceangeboten wie haushaltsnahe Dienstleistungen oder Versorgungsarrangements für Kinder oder Pflegebedürftige sollen zeitliche Konflikte bei der Vereinbarung von Beruf und Privatleben entzerrt werden. Insgesamt soll der Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit unterstützt bzw. durch psychosoziale und gesundheitliche Weiterbildungsmaßnahmen gefördert werden.22

21 Schon 1998 ist in diesem Zusammenhang das „Gesetz zur sozialrechtlichen Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen“ (BGBl. I S. 688) verabschiedet worden. Dieses Gesetz sieht eine steuerliche und sozialversicherungsrechtliche Regelung des verdienten, aber noch nicht ausgezahlten Lohns und die Verwendung dieses Lohns für Freistellungen während des Arbeitslebens vor. Die Ausgestaltung von Arbeitszeitkonten ist im Rahmen der Novellierung des Gesetzes zum 1. 1. 2009 normiert. Das sogenannte „Flexi II-Gesetz“ regelt die Freistellungsphase insofern, als Kranken- und Rentenversicherung sowie ein bestimmter Betrag des Gehaltes weitergezahlt werden. 22 In diesem Zusammenhang sieht zum Beispiel ein Antrag der CDU/CSU Bundestragfraktion vom 08.07.11 einen staatlichen Zuschuss für Haushaltshilfen vor. Außerdem möchte die Union mit diesem Entwurf den Wiedereinstieg von Müttern in den Beruf erleichtern. Dazu sei ein staatlicher Zuschuss für die Entlohnung von Haushaltshilfen geplant, so „dass der Anspruch pro Frau auf 18 Monate beschränkt ist und eine Förderung in Höhe ca. 6 Euro pro in Anspruch genommener Dienstleistungsstunde gewährt wird.“ Die Förderung solle sich auf Frauen beschränken, „die nach längerer Erwerbsunterbrechung vor der Herausforderung stehen, den beruflichen Wiedereinstieg zu organisieren.“ Dies solle in einer ersten Stufe „auf Basis von Gutschein- bzw. Guthabenmodellen“ erfolgen. In einer zweiten Stufe sollen insbesondere „Familien mit mehreren Kindern unter 14 Jahren oder Haushalte, in denen die Frau als Familienernährerin besondere Belastungen schultern muss“ unterstützt werden. „Viele von ihnen

218 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

• Der dritte Themenkomplex widmet sich gesundheitspräventiven Maßnahmen.

Hierbei versucht die Initiative die demographische Entwicklung und das steigende Gesundheitsbewusstsein der Bevölkerung sowie den Stellenwert gesundheitsförderlicher Maßnahmen durch Präventions- und Fitnessangebote, durch Betriebssport, durch Programme zur Förderung gesundheitlicher Kompetenzen oder mit Gesundheits-Checks aufzufangen. Diese Maßnahmen sollen durch öffentliche Mittel und Krankenkassen finanziert werden und dienen zur Stressvermeidung sowie der Alltagsbewältigung in Familie und Beruf. Für Schwierigkeiten auf beruflichem Gebiet (etwa bei psychischer Belastung, Mobbing) gibt es Möglichkeiten von Mentoring, Coaching, Karriereberatung, beruflicher Weiterbildung oder psychologischer Beratung, die teilweise auch betriebsintern angeboten werden können.23 Wie aus diesem Maßnahmenkatalog ersichtlich wird, werden diverse Maßnahmen für unterschiedliche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in verschiedenen Lebenssituationen vorgeschlagen. Darin sind besondere Serviceleistungen für Eltern und Familien enthalten. Dieser Maßnahmen-Katalog sieht neben der schon dargestellten Kinderbetreuung und Notfall-Kindergärten weitere Maßnahmen im Bereich des Familienservices vor. Diese reichen von Hausaufgabenbetreuung, Seminarangeboten für Eltern über Elterninitiativen und Eltern-KindZimmer bis hin zu Reinigungs- und Bügelservice, Wäschedienst, Betreuung der Haustiere, Reinigung, Gartenpflege oder Winterdienst. Für familiäre Belastungssituationen gibt es neben einer ärztlichen Versorgung auch häusliche Hebammenbetreuung, Elternkurse, psychologische Beratung, Mutter-Kind-Kuren sowie Eheberatung und Paartherapie (vgl. BMFSFJ 2005: 18ff, vgl. auch die BestPractice-Beispiele der „Beruf und Familie GmbH“ 2010, die ebenfalls unter der

möchten nach einer familienbedingten Erwerbsunterbrechung gerne wieder erwerbstätig sein“, steht in dem Antrag (CDU-Antrag zitiert nach Buchsteiner 2011). 23 Laut dem Präventionsbericht des GKV-Spitzenverbandes und des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDS) haben die gesetzlichen Krankenkassen im Jahr 2009 311 Millionen Euro Primärprävention und betriebliche Gesundheitsförderung ausgegeben. Umgerechnet auf einen einzelnen Versicherten bzw. auf eine einzelne Versicherte sind die Kosten von 2,82€ im Jahr 2008 auf 4,44€ im Jahr 2009 fast verdoppelt worden. Im Jahr 2009 haben die Krankenkassen im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung 5.400 mehr Betriebe betreut. Das sind 12 Prozent plus gegenüber dem Jahr 2008. So nahmen im Jahr 2009 9,8 Mio. gesetzlich Versicherte an gesundheitspräventiven Maßnahmen teil (vgl. GKV 2010: 10ff). Die GKV fordert, diese Maßnahmen für psychische Belastungen in der Arbeitswelt auszubauen (vgl. GKV 2010: 107).

S TRUKTUR

| 219

Schirmherrschaft des BMFSFJ formiert ist und in der weitere Firmen wie Bosch, Braun, Globus, e-on, Vodafone, Ford, Airbus, Weleda etc. organisiert sind). Insgesamt erhofft sich die Initiative durch diese Maßnahmen bis 2020 eine Win-Situation für Unternehmen, für Beschäftigte und für die Volkswirtschaft. Durch eine höhere Produktivität von 1,6 Prozent pro Arbeitsstunde eine Stärkung des Wirtschaftswachstums bis zu € 248 Mrd. erreicht werden. Zusätzlich sollen durch eine Erhöhung der Geburtenrate auf 1,56 Geburten pro Frau 986.000 zusätzliche Geburten erreicht werden (vgl. BMFSFJ 2005: 8ff). Zugespitzt lässt sich die Gleichung der Initiative auf diese Formel bringen: • • • • •

Integration in das Unternehmen = Steigerung der Erwerbsarbeitsproduktivität Gesunde Lohnabhängige = weniger Lohnnebenkosten Weniger Fehlzeiten = mehr Wettbewerbsfähigkeit Mehr Kinder = mehr Arbeitskräfte = mehr privater Konsum Mehr Konsum = mehr Lohnarbeit

Zusammenfassend bedeutet dies, dass Work-Life-Balance-Konzepte und Maßnahmen sich als eine strukturelle Verzahnung von betrieblicher Personalpolitik und Regierungsmaßnahmen verstehen lassen. Sie setzen auf eine Zusammenführung von Erwerbs- und Fürsorgearbeit, um eine Steigerung der Binnennachfrage, höhere Geburtenraten und Senkungen der Lohnnebenkosten herzustellen. Mit Work-Life-Balance-Maßnahmen reagiert die Initiative maßgeblich auf die Krise der Reproduktionsmuster des Akkumulationsregimes als auch auf die Entformalisierungen des fordistischen Geschlechterregimes. Aus dieser Sichtweise ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Humanisierung der Arbeitswelt oder dem der Chancengleichheit zu bewerten. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist auch darunter zu verstehen, dass familienfreundliche Maßnahmen sich letztlich auch als Maßnahmen zur Profitmaximierung darstellen. Aus feministischer und arbeitssoziologischer Sicht werden Work-LifeBalance-Konzepte insofern kritisiert, weil aus gleichstellungspolitischer Hinsicht die Bewertung von Work-Life-Balance-Konzepten bisher negativ zu betrachten ist: Work-Life-Balance-Konzepte fallen hinter gleichstellungsorientierte Vereinbarkeitsmodelle zurück, weil diese Maßnahmen auf einen möglichst umfassenden Arbeitseinsatz im Betrieb vorbereiten, anstatt eine Minimierung der Arbeitszeit zu organisieren (vgl. Jürgens 2006: 167). Auch wird der Begriff „WorkLife-Balance" als irreführend kritisiert. Er suggeriere, dass das Leben jenseits der Lohnarbeit stattfände und es folglich im Leben keine Arbeit gebe (vgl. Janczyk 2009: 197f). In dieser Begriffsbildung wird Familienarbeit nicht als

220 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

„‚Arbeit’ erkannt, sondern unter den nicht erwerbsförmig organisierten Rest des ‚Lebens’ subsumiert. Dies greift zu kurz, da die Haus- und Sorgearbeit ganz eigene Zwänge und Autonomiedefizite mit sich bringt, die nicht ausreichend unter dem Label ‚Leben’ zum Ausdruck kommen“, schreiben Gabriele Winker und Tanja Carstensen zum Begriff (2004: 173). Iris Nowak kritisiert an WorkLife-Balance-Konzepten, dass die Zielsetzung der Geschlechtergerechtigkeit als Vehikel diene, den neoliberalen Eigenverantwortungsdiskurs weiter festzuschreiben. Probleme der Kinderbetreuung werden zum eigenverantwortlichen Problem eines negativen Zeitmanagements erklärt, und die Lebenswelten von Paaren werden als inwertgesetzte Beziehungen zum Coach und zum Unternehmen mit Diversity Management eingebunden (vgl. Nowak, I. 2007: 67). Letztlich zielen Work-Life-Balance-Konzepte – als gouvernementale Regulierungsweise verstanden – darauf ab, in Zukunft die Sicherheit der ökonomischen und der bevölkerungspolitischen Prozesse zu reorganisieren. Staat und Kapital entdecken den „Volkskörper“ neu, um die Verwertungsbedingungen der Arbeitskraft zu optimieren und eine möglichst „kostengünstige Reproduktion einer neuen Generation bei gleichzeitiger flexibler Beschäftigung aller erwerbsfähigen Personen, die auf dem Arbeitsmarkt benötigt werden“ (Winker 2007c: 1), zu gewährleisten. Zusammenfassend lässt sich für die Reihe 2 des Theorems Geschlechterregime feststellen, dass die Probleme des demographischen Wandels und die Flexibilitätsanforderungen in der Produktions- und Reproduktionssphäre eine massive Korrektur des traditionellen Geschlechterregimes notwendig erscheinen lässt. Work-Life-Balance-Maßnahmen erscheinen hierbei als gouvernementale Mittel regulierend auf die demographischen, bevölkerungspolitischen und vergeschlechtlichten Veränderungen des Geschlechterregimes einzugreifen. WorkLife-Balance-Konzepte und Maßnahmen lassen sich damit als Katalysator zur Konstruktion und Regulation eines postfordistischen Geschlechterregimes beschreiben. Insgesamt kann für die Strukturebene zusammenfassend die Reihe 1 [Akkumulationsregime] und Reihe 2 [Regulationsweise] des postfordistischen Geschlechterregimes wie folgt dargestellt werden: Das postfordistische Geschlechterregime ist auf der Strukturebene durch Entformalisierung und Prekarisierung der Klassen- und Geschlechterzusammensetzung geprägt. Die Organisation der Produktions- und Reproduktionsarbeit spiegelt sich in einer „Lean Production“ und in der „Just in Time“ Regulationsweise

S TRUKTUR

| 221

wider. Das heißt, dass die beschriebene Krise der Reproduktionsprozesse des fordistischen Geschlechterregimes mit einer veränderten Arbeitsorganisation einhergeht. Feste Arbeitszeiten in Unternehmen stehen hierbei zunehmend zur Disposition. Ergebnis- statt Zeitorientierung ist hierbei die Losung zur Organisation der Produktions- und Reproduktionsarbeiten(vgl. Jurczyk 2002: 99). Die Erbringung der Arbeitsleistung bleibt in beiden Sphären zunehmend der SelbstKontrolle und Selbst-Ökonomisierung der Lohnabhängigen überlassen. Die Familie als Struktur und die Reproduktionsarbeiten sind in diesem Zusammenhang besonders von widersprüchlichen Anforderungen betroffen. Einerseits müssen Frauen durch das Schrumpfen des Lohnniveaus stärker zum Familieneinkommen beitragen und Lohnarbeiten übernehmen. Andererseits bewirken die Veränderungen der Produktionssphäre verstärkte Anforderungen an das Reproduktionsverhalten der Frauen, um die ehemaligen finanziellen Leistungen des MaleBread-Winners auszugleichen. Teilzeitarbeitsverhältnisse sollen hierbei Frauen und insbesondere Müttern eine (Re-)Integration in die Vollzeitlohnarbeit ermöglichen und Produktionsarbeiten und Reproduktionsarbeiten unmittelbar miteinander verbinden (vgl. Winker 2007a). Hierbei ist die Segregation bzw. die Feminisierung der Berufsstrukturen deutlich erkennbar, weil eine Vermittlung von Teilzeitstellen in haushaltsbezogene Bereiche der niedriglohnförmigen Dienstleistung stattfindet. Die Verfestigung traditioneller geschlechtsspezifischer Arbeitsteilungen und Einkommensungleichheiten zwischen Männern und Frauen sind die Folge (vgl. Pfau-Effinger 2000: 122; Kohlmorgen 2004: 275). Das ökonomisierte Familienmodell profitiert von diesen Verhältnissen, da es auf haushaltsbezogene und niedriglohnförmige Dienstleistungen zurückgreifen kann. Die flexible Zeiteinteilung bei Reproduktionsarbeiten erscheint als Chance für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf, Berufssuche und Familie. Sie wirkt sich aber durch die Flexibilisierung für die Aufrechterhaltung eines gemeinsamen Familienalltags als chronischer Zeitmangel aus, wenn Reproduktionsarbeiten nicht eingekauft werden können (vgl. Candeias 2004: 244f). In einkommensstarken Familien entsteht eine Form der Organisation von Reproduktionsarbeiten im Zusammenhang mit Überschneidungen von Frauenkarrieren und Abhängigkeitsverhältnissen von Migrantinnen und Migranten. Diese Entwicklung verweist auf die geschlechtsspezifischen Auswirkungen der Transformation des postfordistischen Akkumulationsregimes; das heißt, auf Entgrenzungen von Arbeitszeit und Arbeitsort bei gut qualifizierten Arbeitskräften, die in Verbindung mit einer Nachfrage von billigen haushaltsnahen Dienstleisterinnen und Dienstleistern stehen (vgl. Winker 2007a: 37ff, Young 200b). In Kombination mit zunehmender Frauenerwerbstätigkeit und steigenden Reproduktionsanforderungen führen die Übertragungen postfordistischer Produktionsverhältnisse zu der Situation, dass

222 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

die zur Reproduktion der Produktionsbedingungen notwendigen Tätigkeiten nicht mehr angemessen realisiert werden können. Geburtenrückgänge und hohe Scheidungsraten sind die Folge. Diese Entwicklung stellt für das Fortbestehen des postfordistischen Geschlechterregimes eine große bevölkerungspolitische und demographische Schwierigkeit dar, weil eine Überalterung des Regimes die Folge ist, und die Unterjüngung zu einem drastischen Rückgang der Erwerbsbeteiligung führt. Eine Schlussfolgerung daraus ist, dass die Regulation der weiblichen Arbeitskraft und die Homöostasie der Bevölkerungsentwicklung in dem neu zu konstruierenden Geschlechterregime der postfordistischen Phase herausragende Rollen für die ökonomischen Restrukturierungen spielen. Work-Life-BalanceKonzepte können in diesem Zusammenhang als eine Strukturanpassungsmaßnahme für eine durch Entformalisierung veränderte Produktions- und Reproduktionssphäre verstanden werden. Work-Life-Balance-Konzepte lassen sich auch als wettbewerbsstrategische Antwort auf die entgrenzten gesellschaftlichen Beziehungen verstehen, sowie als eine gouvernementale Regulationsweise, um das prekäre fordistische Geschlechterregime zu reorganisieren. In Bezug auf die Regulationsweisen der Demographie und der Bevölkerungspolitik lässt sich dabei eine halbmaschinelle industrielle Herstellung von Vital- und Arbeitsvermögen – die protoindustrielle Arbeitskräfteproduktion – feststellen. Auch hier spiegelt sich die Organisation der Reproduktionsarbeit auf der Ebene der Bevölkerungspolitik in der Entformalisierung und Prekarisierung sowie in der „Lean Production“ und in der „Just in Time“ Regulationsweise wider. Denn die Bevölkerungspolitik, Schwangerschaft und Zeugung gehen mit einer Industrialisierung der generativen Reproduktion einher (vgl. Treusch-Dieter 1990). Die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik kann als fundamentaler Paradigmenwechsel in der Bevölkerungspolitik der BRD beschrieben werden, weil diese Methode eine Selektion und eine Qualitätsüberprüfung von menschlichem Leben ermöglicht. Neue Reproduktionstechnologien lösen die Fortpflanzung von biologischen Geschlechterdifferenzen los. Familienformen lösen sich im Zuge dessen noch nicht auf, aber es entstehen differenzierte Klassen- und Geschlechterzusammensetzungen. Ob hierbei das grundlegende binäre Konstruktionsprinzip des fordistischen Geschlechterregimes angetastet wird, ist unklar. Formierungen eines posteugenischen Geschlechterregimes, eines klassenselektiven Geschlechterregimes oder ein egalitäres Cybergeschlechterregime sind denkbar.

S TRUKTUR

| 223

7.3.2 Symbolebene Um auf der Symbolebene des postfordistischen Geschlechterregimes die geschlechtsspezifischen Verbindungen der Diskurse und Ideologien zu charakterisieren, lassen sich durch die Reihe 3 des Geschlechterregimes: Diskurs und Ideologie [Anrufungen/Bedeutungen/Normierungen und kulturelle Stereotypen/ soziale Geschlechtsmerkmale] folgende Dispositionen beschreiben: Auf der symbolischen Ebene hat sich durch die Krise des fordistischen Akkumulationsregimes in den Führungen der Unternehmen eine Philosophie einstellt, die den Geist des Kapitalismus verändert (vgl. Boltanski/Chiapello 2003: 142ff). Wie schon beschrieben, sind in der postfordistischen Periode Dezentralisierungen, Flexibilisierungen oder flache Hierarchien in Unternehmen die Basis von Konzepten zur Beteiligung der Beschäftigten an der Identifikation mit dem Unternehmen. Ein allgemeines Ziel dieses Human Resource Managements ist die Weiterentwicklung von „Soft Skills“, das heißt die Entwicklung von weichen Erfolgsfaktoren wie die Qualität der „Menschenführung“ oder die persönliche Entwicklung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zum Zwecke der Humankapitalisierung. Allerdings kann jede Form von Personalarbeit als „Human Resource Management angesehen werden, wenn sie dazu beiträgt, den Human Capital Value zu steigern“ (Rohleder 2005: 1). Die neue Art des Managements hat als Leitidee die Integration der Lohnabhängigen und ein harmonisches Produktionsverhältnis. Hierbei sollen Möglichkeiten von Selbstverwirklichung und der Selbstaktivation die Eigeninitiative der Arbeitenden fördern (vgl. Miller/Rose 1994: 101, Revelli 1997: 26). Was in der fordistischen Fabrik als Störung empfunden wurde, ist in dem postfordistischen Personalentwicklungsmodell erwünscht und wird in Ressourcen umgewandelt. Dieses New Management ist ein Echo der antiautoritären Kritik der 1960er und 1970er Jahre (vgl. Boltanski/Chiapello 2003: 143). So ist es auch nicht verwunderlich, dass „immer mehr Begrifflichkeiten aus (ehem.) linkem Kontext in jedem besseren Handbuch für Firmenmanagement zu finden sind“ (Wilk 1999: 27). Die ideologischen Veränderungen für das postfordistische Geschlechterregime lassen sich anhand der Anrufungen, Bedeutungen und Normierungen des sogenannten New Management im Kontext der Disposition um das Thema Work-Life-Balance darstellen: Ursprünglich stammt das Konzept der Work-Life-Balance aus der USamerikanischen Personalentwicklung um das „Human Resource Management“ und beinhaltet Maßnahmen zur Steuerung der Arbeits- und Lebensorganisation (vgl. Jürgens 2006: 165). Der Begriff Work-Life-Balance zielt, im Gegensatz zur Begrifflichkeit „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ weniger auf die gesell-

224 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

schaftlichen und politischen Strukturen ab, sondern bezieht sich stärker auf subjektive und symbolische Formen der Selbstorganisation sowie auf den scheinbaren Ausgleich der Interessen von Lohnabhängigen und Arbeitgebern. Eine Gemeinsamkeit der Work-Life-Balance-Literatur liegt darin, dass Work-LifeBalance-Konzepte besonders anwendungsorientiert sind und spezielle Gegenmaßnahmen für eine bessere „Balance“ anbieten (vgl. Rost 2004: 27ff, 65ff, Dorniok 2006: 24ff). Hierbei existieren die unterschiedlichsten Konzepte, Formen, Anwendungen und Anrufungen. In dem 2009 herausgegebenen „Handbuch für erfolgreiches Personalmanagement“ (Rosenstiel/Regnet/Dombusch 2009) wird zur „Führung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ bzw. zur „Führung der eigenen Person“ resümiert, dass es für eine gelingende Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben staatlich unterstützten Maßnahmen (Elternzeit, außerfamiliäre Kinderbetreuung), die Bereitstellung finanzieller Mittel (Erziehungsgeld, familienorientierte Steuerprivilegien) sowie familienorientierten Infrastrukturen bedarf (vgl. Schneewind 2009: 81-87). Auf der Unternehmensebene ist vor allem Flexibilität am Arbeitsplatz gefordert sowie geschlechter- und familiensensible Weiterbildungen nötig. Auf der Paar- und Familienebene soll eine Stärkung der Paarkompetenzen wie die Erweiterung des Verhaltensrepertoires und die Förderung elterlicher Kompetenzen durch die Praxis einer positiven Familienkultur im Vordergrund stehen. Hauptanliegen in diesem Zusammenhang ist die individuelle Ebene, auf der das „Selbst als Subjekt“ durch einen gesundheitsförderlichen Lebensstil (kalorienarme Ernährung, Sport) sein körperliches Wohlbefinden beeinflussen kann. Selbst-Coaching-Module wie das sogenannte „Münchner Selbst-Coaching Rad“ sehen Selbst-Klärung, -Beschränkung, -Häutung, -Kontrolle, -Motivation, -Wirksamkeit, -Überwindung, -Verwöhnung, -Erweiterung vor. Durch diese Module soll es zu positiven „’Überschwapp’-Effekten zwischen den Lebensdomänen Beruf und Familie im Sinne von Kompetenz stärkenden Erfahrungen kommen“ (Schneewind 2009: 86). Was sich hier als esoterisch anmutende Lebensphilosophie darstellt, ist allerdings kein Sonderfall von Work-LifeBalance-Konzepten im Personalmanagement. Peter Nieder und Silke Michalk beschreiben in dem Buch „Modernes Personalmanagement“ (2009), dass sich Work-Life-Balance unter folgendem Motto realisieren lasse: „Aus der Ruhe kommt die Kraft, die Gesundheit und die Work-Life-Balance“ (Nieder/Michalk 2009: 121). Dafür geben sie den Beschäftigten Anweisungen wie etwa, dass sie sich über ihre Lebensziele klar werden und vor sich darüber Rechenschaft ablegen müssen (vgl. S.120). Oder: „Alles was sie gut tun, bereitet Freude. Um die Freude an einer Aktivität zu bewahren, müssen sie die Komplexität erhöhen“ (S.123). Führungskräfte sollen darauf achten, eine „angenehme Arbeitsatmosphäre mit Spaß, Freude, viel Lachen“ (S.126) herzustellen, usw. Inzwischen

S TRUKTUR

| 225

existiert eine ganze Kulturindustriekultur zum Thema Work-Life-Balance mit Kursangeboten zu Work-Life-Balance-Yoga, Lachend in Führung, Konfliktlösung mit The Work, Stressmanagement mit Atem- und Mentaltrainern, Energiearbeit oder Lachtrainings zur Teambildung. So finden sich Bilder von Meditierenden und Yoga betreibenden Menschen in Zeitschriften zum Thema WorkLife-Balance und Personalführung (vgl. Schnelle/Brandstätter/Moser 2009: 48, 51). Mit diesen Aufzählungen möchte ich lediglich darstellen, wie umfassend das Thema schon Eingang in verschiedene Diskurse, Ideologien und Lebensstile gefunden hat. Je nach Schreibweise erscheinen in der Google-Suche bis zu 291.000.000 Einträgen zu Work-Life-Balance (Stand Mai 2012). Ein wichtiges Instrument zur Normierung der Work-Life-Balance ist die Übertragung der gouvernementalen Sichtweise auf die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Unternehmen durch Maßnahmen der MitarbeiterInnengewinnung und -bindung. Wesentlich hierfür, so schreibt Karl von Rohr, Personalleiter für Deutschland der Deutschen Bank AG in der Zeitschrift Personalführung, seien gut abgestimmte und flexible Angebote zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie eine „Führungsrealität“ von Managerinnen und Manager. Von Rohr verweist auf ein ganzes Bündel von Maßnahmen wie maßgeschneiderte Arbeitszeitkonzepte, Kinderbetreuungsangebote oder Maßnahmen für mentale und physische Gesundheit durch Betriebsärzte sowie Gesundheits-Check-ups, um qualifizierte Fachkräfte für die Deutsche Bank AG zu gewinnen. 2003 wurde die Betriebsvereinbarung „Fairness am Arbeitsplatz“ abgeschlossen, um Diskriminierung, Mobbing, sexuelle Belästigung auszuschließen. „Benachteiligung und unfaire Behandlung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern stehen in klarem Widerspruch zu den Werten der Deutschen Bank“, schreibt von Rohr (vgl. Rohr 2009: 39). Hier wird deutlich, dass auch zentrale Themen des GenderMainstreamings bzw. des Diversity Managements in Konzepten von Work-LifeBalance zu finden sind. Beispielhaft hierfür seien die Konzernbetriebsvereinbarung „Gleichstellung und Chancengleichheit“ 2001 und die Diversity-Policy 2005 der Deutschen Telekom genannt, deren Umsetzung für eine Work-LifeBalance eine zentrale Rolle spielt (vgl. BMFSFJ 2005: 23). Die Zielsetzung des Diversity Managements ist es, eine produktive Gesamtatmosphäre im Unternehmen zu erreichen, indem soziale Diskriminierungen bezüglich Geschlecht, Herkunft, Alter oder Behinderung sowie sexuelle Orientierung oder Lebensstil verhindert und Chancengleichheiten verbessert werden. Für das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist Gender-Mainstreaming sogar ein Leitprinzip, das politische Akteure, Unternehmen und alle Beschäftigten verpflichtet, unterschiedliche Interessen und Lebenssituationen von Frauen und

226 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Männern in der Gestaltung von Prozessen und Arbeitsabläufen, in der Kommunikation und in der Öffentlichkeitsarbeit zu berücksichtigen (vgl. gendermainstreaming.net). Mit der Änderung des GG Art. 3 Abs. 2 S. 2 von 1994 existieren auch rechtliche Grundlagen, „die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern“ zu fördern und „auf die Beseitigung bestehender Nachteile“ hinzuwirken (vgl. GG Art. 3 Abs. 2 S. 2 1994). Formal bedeutet das eine erhöhte Integration von Frauen in den Arbeitsmarkt und eine Minimierung von strukturellen Barrieren durch fehlende Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Work-Life-Balance-Konzepte stellen sich so als Klassen- und Geschlechterkompromiss zwischen sozialen Bewegungen und Unternehmensführungen dar, weil Work-Life-Balance-Konzepte auf das Begehren der Beschäftigten und auf Forderungen der Frauenrechtsbewegung nach Selbstbestimmung und Chancengleichheit reagieren. Der 7. Familienbericht der Bundesregierung verdeutlicht diese Idee für den Bereich der Familienpolitik. Hierbei wird erläutert, dass „ein Familienmodell, das die ökonomische Verantwortung für die Familie allein beim Mann als Haupternährer sieht und die Erziehungsleistungen der Familie im Wesentlichen auf die Frau konzentriert, einer nachhaltigen Familienpolitik nicht entspricht. Der dahinter stehende Lebensentwurf zweier klar und eindeutig getrennter Lebensrollen von Mann und Frau steht den Zukunftsvorstellungen und Lebensentwürfen der nachwachsenden Generation insofern entgegen, weil sich auf Dauer die Kompetenzen und Fähigkeiten in modernen Dienstleistungsgesellschaften auch außerhalb der Familie nicht mehr eindeutig in zwei getrennte Sphären, nämlich der männlich dominierten, erwerbsorientierten Berufswelt, und der weiblichen Fürsorgewelt unterteilen lassen.“ (BMFSFJ 2006: 246)

Kerstin Jürgens arbeitet in ihrer Habilitation „Arbeits- und Lebenskraft. Reproduktion als eigensinnige Grenzziehung“ (2006) heraus, dass Diskrepanzen zwischen den diskursiven Zielsetzungen der Work-Life-Balance-Maßnahmen und ihrer Umsetzung bestehen. Die Programme seien überwiegend für hochqualifizierte Beschäftigte vorgesehen und würden „im betrieblichen Alltag nicht in Form konkreter Angebote institutionalisiert und ‚gelebt’“ (Jürgens 2006: 166). Weiter beschreibt sie, dass die Konzepte zu „Balance“ das Thema „Vereinbarkeit“ erweitern, sodass „Wechselwirkungen zwischen Lebensbereichen insgesamt sowie die Prozesse das Balancierens jenseits von Geschlecht und Familienstand“ (Jürgens 2006: 174) salonfähig werden. Das bedeutet, dass der Grad und die Art der Integration der Produktions- und Reproduktionssphäre sich nicht mehr auf die vergeschlechtlichte Arbeitsteilung reduzieren lassen (Jürgens 2006: 174). Das heißt, einerseits verändert sich der Diskurs um Vereinbarkeit von Be-

S TRUKTUR

| 227

ruf und Familie zugunsten einer androgynen Version von „Balance“ zwischen „Life“ und „Work“, und andererseits stehen nicht mehr Verhältnisse zwischen Geschlechtern im Vordergrund, sondern Subjektorientierungen und „eine normative Idee des ‚Gelingens’ von Balance“ (Jürgens 2006: 175). Die kulturellen Stereotypen und die sozialen Geschlechtsmerkmale scheinen sich im Zuge der Debatte um Work-Life-Balance zumindest in den Konzepten zugunsten einer androgynen Geschlechterzusammensetzung zu nivellieren. Die diskursanalytische Untersuchung von Anja Ostendorp et. al. zu verschiedenen Verständnissen und Konsequenzen von „Familienfreundlichkeit in Organisationen“ (2003) fand heraus, dass Work-Life-Balance-Konzepte bei den Beschäftigten allerdings noch als „Frauensache“ angesehen werden und Familienarbeit gegenüber anderen Freizeitinteressen nicht unbedingt als vorrangig betrachtet wird (vgl. Ostendorp et.al. 2003: 42-46). „Dort, wo Familienfreundlichkeit ‚Frauensache’ ist, geht es somit in erster Linie nicht um Laufbahnplanung resp. Karriere. […] Familienfreundliche Arrangements finden oft dort statt, wo die Karriere ausbleibt“ (Ostendorp et. al. 2003: 43f). In familienpolitischer Hinsicht setzen Work-Life-Balance-Konzepte auf eine Kosten-Nutzen-Betrachtung (vgl. BMFSFJ 2003: 30, 2005: 4). Die Argumentationslinie der Kosten-Nutzen-Betrachtung basiert darauf, dass es zur Steigerung des Erwerbspotenzials unerlässlich sei, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu ermöglichen, um das „Humanvermögen“ in Deutschland zu vermehren. Betriebliche und betrieblich unterstützte Kinderbetreuung sei „eine Investition in das Humanvermögen der Arbeitskräfte von morgen. Wenn wir heute frühkindlich viel investieren, haben wir später ein Arbeitskräftepotenzial, das gut ausgebildet ist, und das Humanvermögen ist dann tatsächlich gut“ (Spieß 2007: 38), erläutert Katharina Spieß, die Familien- und Bildungsökonomin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Zusammenarbeit mit der Bertelsmann Stiftung, zum Thema „Work-Life-Balance: Meilenstein für eine zukunftsfähige Gesellschaft“ (2007). Das heißt, Work-Life-Balance-Konzepte verstehen das „Humankapital“, „Humanvermögen“ bzw. das Menschenmaterial als eine Ressource, welche das Wachstumspotential der nationalen Wirtschaft determiniere. Voraussetzung sei ein entsprechendes Management durch die Steuerung und Kontrolle von „Humanvermögen“ (vgl. BMFSFJ 2005: 32f). Familienpolitik verbindet sich in diesem Zusammenhang mit einer neoliberalen Wirtschaftstheorie. Als diskursives Ereignis bzw. als Kulminationspunkt verschiedener Diskurse zu einem Diskursstrang (vgl. Kapitel 8.1) – in diesem Fall Familienpolitik und neoliberale Wirtschaftspolitik – lässt sich in diesem Zusammenhang die Devise des 5. Familienberichtes 1994 des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend anführen:

228 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

„Die Anforderungen, die die moderne Gesellschaft an das Wissen, an die Verlässlichkeit, an die Effizienz und Kreativität des Handelns ihrer Menschen stellt, sind in erster Linie Ansprüche an die Qualität der Bildung und Erhaltung des Humanvermögens in den Familien. Die Bildung von Humanvermögen umfasst vor allem die Vermittlung von Befähigungen zur Bewältigung des Alltagslebens, das heißt: den Aufbau von Handlungsorientierungen und Werthaltungen in der Welt zwischenmenschlicher Beziehungen. Gefordert ist sowohl der Aufbau sozialer Daseinskompetenz (Vitalvermögen) als auch die Vermittlung von Befähigungen zur Lösung qualifizierter gesellschaftlicher Aufgaben in einer arbeitsteiligen Wirtschaftsgesellschaft, der Aufbau von Fachkompetenz (Arbeitsvermögen im weiten Sinne).“ (BMFSFJ 1994: 28)

Barbara Holland-Cunz beschreibt den familienpolitischen Diskurs, der sich um die Strategien der Steuerung demographischer Prozesse dreht, als brisante argumentative Mischung, in der Kinder nur noch unter dem Aspekt des „Humankapitals“ betrachtet werden. Dieser Diskurs habe heute bereits „ernsthafte“ Überlegungen zu rentenpolitischen Strafen für kinderlose Frauen auf den Plan gerufen.24 Diese Debatte gehe mittlerweile mit einer allgegenwärtigen Ökonomisierung der Familienpolitik einher, einschließlich einer „weitreichenden Marginalisierung der Frauenpolitik“ (Holland-Cunz 2007: 69, vgl. Kapitel 7.4, 8). Generell lassen sich in der familienpolitischen Debatte verstärkt Forderungen in die Richtung monetärer Unterstützung als Familien- oder Erziehungsgehalt feststellen, damit Reproduktionsarbeit geleistet wird. Dies ist allerdings keine neuartige Strategie oder Ideologie (vgl. Kapitel 4.2.1). Das Neuartige des postfordistischen Geschlechterregimes auf der symbolischen Ebene ist, dass die Familie immer noch der bevorzugte Ort der Sphäre der Reproduktion ist, allerdings mit der Transformation, dass die Entstehung und Erhaltung des sogenannten „Humanvermögens“ des eigenen Selbst, der Kinder und der Angehörigen hergestellt werden soll. Die Familie wird hierbei wie ein Unternehmen gedacht, das rational und flexibel auf die Anforderungen des Marktes reagieren solle (vgl. Foucault 2006b: 334). Fraglich hierbei ist allerdings, wie eine Verallgemeinerung und Normierung von Standards – wie dies in der Lohnarbeit zum Beispiel über die

24 2003 plädierte die damalige CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende und heutige Bundeskanzlerin Angelika Merkel dafür, dass kinderlose Frauen und Männer weniger Rente erhalten oder höhere Beiträge zahlen sollten. „Die Erziehung von Kindern muss einen Einfluss auf die Rente haben […] Komischerweise entbrennt dann sofort eine Debatte, obwohl Kinderlose in der gesetzlichen Krankenversicherung selbstverständlich schon immer für Familien mitzahlen“ (Merkel zitiert nach Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27. März 2003).

S TRUKTUR

| 229

Preisregulation durchgesetzt wird – auf die Ebene der Fürsorge- und Beziehungsarbeit übersetzt werden kann (vgl. Stolz-Willig 2004: 255ff). Zusammenfassend lässt sich das postfordistische Geschlechterregime für die Symbolebene unter Berücksichtigung der Dispositivelemente Reihe 3 [Diskurs und Ideologie] wie folgt beschreiben: Das Konzept Work-Life-Balance formiert in den personalwissenschaftlichen und (bio-) politischen Debatten als symbolische Chiffre und gleichsam als ein strukturelles Versprechen, Wettbewerbsvorteile durch motivierte Arbeitskräfte sowie durch eine Win-Win-Situation für Lohnabhängige und Unternehmen herzustellen. Versprochen wird ein „Ausgleich zwischen einer sozialverträglichen Arbeitsteilung einerseits und ökonomischen Interessen von Produktivitätssteigerung und Kostensenkung andererseits“ (Jürgens 2006: 165f). Die familienpolitische Ideologie des postfordistischen Geschlechterregimes verbindet einen neoliberalen Wirtschaftsdiskurs mit einem Vereinbarkeitsdiskurs, der darauf basiert, die Steigerung des „Humanvermögens“ herstellen zu wollen. Die kulturellen Stereotype und sozialen Geschlechtsmerkmale innerhalb der Work-LifeBalance-Diskurse scheinen sich zumindest auf der symbolischen Ebene zu nivellieren. Dies stellt eine wesentliche Transformation zum fordistischen Geschlechterregime dar. Das Neuartige des postfordistischen Geschlechterregimes ist, dass die Familie zwar immer als der bevorzugte Ort der Reproduktion angerufen wird, allerdings mit der Umformung, dass die Entstehung und Erhaltung des sogenannten „Humanvermögens“ reproduziert werden soll. Die Familie wird insofern als ein Produktionsfaktor einkalkuliert (vgl. Foucault 2006b: 318ff). Die Anrufungen an die Geschlechter bewegen sich stärker in subjektorientierten Normierungen und spiegeln weniger Thematiken von „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ auf gesellschaftlichen und politischen Strukturen wider, sondern zielen vielmehr auf subjektive und symbolische Formen der Selbstorganisation sowie auf den scheinbaren Ausgleich der Interessen von Lohnabhängigen und Arbeitgebern ab. Das postfordistische Geschlechterregime zeichnet sich in diesem Zusammenhang durch eine androgyne Geschlechterzusammensetzung aus. 7.3.3 Subjektebene Um eine Aussage über geschlechterregimerelevante Selbstverhältnisse zu machen sowie eine Beschreibung des postfordistischen Geschlechterregimes auf der subjektiven Ebene zu erhalten, ist es notwendig, die Subjektivierungsweisen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für die Produktionssphäre in Verbindung

230 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

mit der Reproduktionssphäre zu denken. Mithilfe der Reihe 4 des postfordistischen Geschlechterregimes: Selbstverhältnisse [körperliche und diskursive Subjektivierung – Habitus/Geschlechtsidentität/Soziale Formen – Verhalten/Anpassung/Widerstand] lassen sich folgende Dispositionen hervorheben: G. Günther Voß und Hans J. Pongratz beschreiben die postfordistischen Veränderungen für die subjektive Ebene in der Produktionssphäre und die Subjektivierungsweisen durch die Erwerbsarbeit wie folgt. Die Zeitstrukturen verändern sich für die Beschäftigten insofern, weil exzessive Gleitzeit, regelmäßige informelle Mehrarbeit, Erwerbsarbeit ohne feste Arbeitszeit, individuell zu gestaltende Zeitkorridore, Wochenendarbeit, Erwerbsarbeit auf Abruf usw. in Kauf genommen werden müssen. Diese Flexibilisierungen erzeugen Überlagerungen und permanent neu zu definierende Abgrenzungen zwischen der Lohnarbeitssphäre und anderen Lebenssphären bzw. Entgrenzungen zwischen Erwerbsarbeit und Reproduktionsarbeit. Auch die Modelle zur Flexibilisierung des Arbeitsortes wie Telearbeit, Home-Offices, mobile Büro-Einheiten, die Mobil- und Außendienstarbeit, virtuelle Unternehmensstrukturen oder Scheinselbständigkeit lösen die Bindungen an feste Arbeitsstrukturen auf. Diese Verwischungen von den lokal abgrenzbaren Orten der Lohnarbeit und der Nicht-Lohnarbeit führen auch dazu, dass eventuell private Hilfsmittel wie Auto, PC, Mobiltelefon etc. und private Räume für die Lohnarbeit genutzt werden. Lohnabhängige werden in diesem Zusammenhang als Arbeitskraftunternehmer (vgl. Voß 1998: 479, Voß/Pongratz 1998: 131ff, 2003, 2004) beschrieben. Die Figur des Arbeitskraftunternehmers stellt eine neue Grundform der Ware Arbeitskraft dar, welche die verberuflichten Massenarbeiterinnen und Massenarbeiter des Fordismus ablösen bzw. ergänzen (Krasmann 2003: 190, Henninger 2003a: 169f; Opitz 2004: 148f, Bröckling 2007: 47). Die Ablösung wird dadurch begründet, dass die Unternehmen auf das Begehren der Beschäftigten nach Selbstverwirklichung reagieren, indem sie zum Beispiel Routinen und Hierarchien wegrationalisieren oder Arbeitsverhältnisse flexibilisieren. Die Machtinhaber des Unternehmens treten zur Seite, geben keine direkten Befehle mehr, wie in der fordistischen Fabrik noch üblich, sondern sorgen durch strukturelle Arrangements dafür, dass die Beschäftigten direkt mit den Rahmenbedingungen ihres Handelns konfrontiert werden (vgl. Opitz 2004: 120f). Für die Lohnabhängigen bedeutet das, dass diese dazu aufgefordert werden, mögliche Innovationen vorzuschlagen. Jeder angeregte kleine Schritt, der dazu beiträgt, Bearbeitungszeiten zu verbessern oder die Erwerbsarbeit bequemer zu gestalten, wird im neuen Modell belohnt und führt zu besseren Aufstiegschancen im Betrieb. Auf diesem Wege wird die Subjektivität in den Arbeitsprozess einverleibt und als sofortige Qualitätskontrolle genutzt.

S TRUKTUR

| 231

Diese Dezentralisierungen und flachen Hierarchien in Unternehmen sind die Basis von Programmen wie dem „Human Resource Management“ bzw. dem partizipatorischen Management. Diese Programme sollen die Beschäftigten an Erneuerungen in der Arbeitsorganisation beteiligen und die Identifikation mit dem Unternehmen fördern (vgl. Revelli 1997: 26). Somit wird die Existenz der Beschäftigten noch stärker an das Funktionieren des Unternehmens gekoppelt. Es entstehen „unselbstständige Selbstständige“ (Peters 2001: 36), die mit einem unsichtbaren Kontrollregime konfrontiert sind. Diese Technik der Verantwortlichmachung beschreibt eine gouvernementale Subjektivierungsweise „an dem ethisch fundierte Vokabulare, Instrumente der Führung und Gelegenheiten der Bindung des Mitarbeiters an das Unternehmen ineinandergreifen“ (Opitz 2004: 123). Ein weiteres Beispiel für das Ineinandergreifen der Subjektivität der Lohnabhängigen und den Interessen der Unternehmen sind die Studien zur Emotionsarbeit von Arlie Russell Hochschild. Sie zeigt schon 1983 auf, dass ein effizienter und planvoller Umgang mit Emotionen in die Lohnarbeit mit einfließt. Ihr Ansatz betrachtet exemplarisch Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter und beschreibt die Freundlichkeit bei der Erwerbsarbeit nicht als Ergebnis des Charakters der Stewards und Stewardessen, sondern als die Vorgabe des Unternehmens (vgl. Hochschild 1990). Damit wird die Ausbeutung der Erwerbstätigen über ihre Gefühle, Kreativität und Kommunikation erweitert. Diese neue Form der Lohnarbeit wird auch als affektive bzw. immaterielle Arbeit beschrieben (vgl. Lazzarato 1998: 39ff, Hardt/Negri 2000: 289ff, Pieper/Panagiotidis/Tsianos 2009: 341ff). Immaterielle Arbeit beschreibt unter den Bedingungen des Postfordismus die prekäre Trennung zwischen Produktions- und Reproduktionsbereich, weil im Produktionsbereich Emotionalität und Beziehungen zu Profitfaktoren werden. Anders gesagt findet hier nicht nur eine reelle, sondern auch formelle Subsumtion von Tätigkeiten unter die kapitalistische Organisation des Akkumulationsregimes statt (vgl. MEW 23: 433). Als Subjektivierungsweise ergibt sich unter diesen Umständen eine Neuzusammensetzung, die als „Liebe zur Arbeit“ und mit „Liebe als Arbeit“ beschrieben werden kann (vgl. Bock/Duden 1977). An der Figur des Arbeitskraftunternehmers wird kritisiert, dass sie entlang typischer Lebenssituationen von Männern konstruiert sei, sowie dass Voß/Pongratz der Kategorie Geschlecht in ihrer ersten Fassung des Arbeitskraftunternehmers keine besondere Aufmerksamkeit schenken. Diesem Konzept wird Geschlechtsblindheit vorgeworfen sowie die Ausblendung der Reproduktionssphäre (vgl. Jurczyk 2002: 106, Henninger 2003b: 119, Jürgens 2006: 64, Winker/Carstensen 2007: 279f). Günter Voß und Cornelia Weiß lesen in ihrem Aufsatz „Ist der Arbeitskraftunternehmer weiblich?“ das Konzept des Arbeitskraftunterneh-

232 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

mers geschlechtersensibel und kommen zu „überraschenden, geschlechterrelevanten Befunden“ (Voß/Weiß 2005: 74). Ein Befund ist: „Der Arbeitskraftunternehmer ist vielleicht tatsächlich eher weiblich – aber ganz sicher keine Mutter“ (Voß/Weiß 2005: 84). Hinter dieser Aussage steht die Erkenntnis, dass insbesondere Frauen eher über Selbst-Kontrolle und Selbst-Rationalisierung verfügen müssen, weil sie aufgrund von reproduktiven Doppelbelastungen selbstökonomischer handeln müssen. Voß/Weiß schlagen vor, dass neue Forschungen an den Dimensionen des Geschlechtes und mit der Zusatzbedingung Mutterschaft anschließen sollten (vgl. Voß/Weiß 2005: 85). Das Konzept der ArbeitskraftmanagerIn von Gabriele Winker und Tanja Carstensen (2004, 2007) erweitert das Konzept des Arbeitskraftunternehmers für die Sphäre der Reproduktion und stellt eine geschlechtersensible Erweiterung zu der Figur des Arbeitskraftunternehmers dar. Für Winker und Carstensen führe der Begriff des Arbeitskraftunternehmers in die richtige Richtung. Er richte „den Schwerpunkt der Betrachtung auf die Orientierungen und Tätigkeiten von Personen, die das Hauptrisiko und die Verantwortung für die wichtigen Entscheidungen in Unternehmen tragen […]. Der Homo oeconomicus erwirtschaftet als Unternehmer seiner selbst Humankapital“ (Winker/Carstensen 2007: 283). Wird der Bereich der Fürsorgearbeit in diese Perspektive einbezogen, wird das Bild der Arbeitskraftunternehmer unscharf. Zwar sollen Subjekte im Postfordismus sich und ihre Familien wie Unternehmen führen (vgl. Foucault 2006b: 334, Kapitel 7.3.2), die Frage hierbei ist aber, wie der Homo oeconomicus bei der Kleinkindpflege Kapital erwirtschaften soll (vgl. Winker/Carstensen 2007: 284). Für Winker und Carstensen erscheint der Begriff der ArbeitskraftmanagerIn angemessener, weil er die Koordinierung von unterschiedlichen Tätigkeiten in allen Lebensbereichen betont und die Verbindung der Produktions- und Reproduktionssphäre verdeutlichen kann (vgl. Winker/Carstensen 2004: 175). Winker und Carstensen beschreiben die Subjektivierungsweise der Arbeitskraftmanagerinnen und Arbeitskraftmanager damit, dass die Anforderungen, welche für die Arbeitskraftunternehmer in der Sphäre der Produktion gelten, auch in die Sphäre der Reproduktion übertragen werden. Das heißt, die Subjektivierungsweise der Selbst-Kontrolle als verstärkte selbstständige Planung, Steuerung und Überwachung der eigenen Tätigkeiten soll auch auf die Organisation der Reproduktionsarbeit angewandt werden – sei es in Bezug auf Schwangerschaft, Kindererziehung oder Altenpflege. Die Selbst-Ökonomisierung, welche in der Produktion gefordert wird, gilt folglich auch für die Planung einer familienbiografischen Orientierung und steht in Zusammenhang mit einer Selbst-Sozialisierung. Familienplanung und die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt für Kinder unterliegen

S TRUKTUR

| 233

somit einer rationalen Entscheidung und werden in diesem Konzept als SelbstRationalisierung gekennzeichnet (vgl. Winker/Carstensen 2007: 282). Diese Sichtweise deckt sich mit auch mit den empirischen Ergebnissen von Voß/Pongratz (2003: 208ff). Voß/Pongraz beschreiben, dass weibliche Angestellte in Projektarbeit eine besonders ausgeprägte Leistungsorientierung und optimierung sowie ein strategisches Familienkalkül in Bezug auf Kinderwunsch und Schwangerschaft aufweisen müssen (vgl. Voß/Pongratz 2003: 208ff). Das Konzept der ArbeitskraftmanagerIn beinhaltet somit folgende Merkmale (vgl. Winker/Carstensen 2004: 174): • Selbst-Kontrolle durch Leistungsorientierungen im Produktions- und Repro-

duktionsbereich • Selbst-Ökonomisierung durch berufsbiografische Orientierungen • Selbst-Sozialisierung durch familienbiografische Orientierungen • Selbst-Rationalisierung durch Elastizitätsmuster von beruflichen, familiären

und sonstigen Tätigkeiten Verdeutlichen lassen sich die Subjektivierungsweisen der Arbeitskraftmanagerinnen und Arbeitskraftmanager am Beispiel einer Work-Life-Balance-Maßnahme; die der Telearbeit: Winker und Carstensen beschreiben, basierend u. a. auf einer qualitativen Studie zu Telearbeit,25 dass Telearbeiterinnen ihre Erwerbsarbeitszeit bevorzugt gegenläufig zu der ihrer Partner legen, damit die Kinder gleichzeitig beaufsichtigt sind, während sie ihrer Erwerbsarbeit nachgehen. Besonders am Wochenende müssen Mütter arbeiten, da sie während der Woche Fürsorgearbeit leisten (vgl. Winker/Carstensen 2004: 178). 65 Prozent der Telearbeiterinnen arbeiten auch zwischen 19 und 22 Uhr. Über 20 Prozent arbeiten später als 22 Uhr und zwischen 40 und 60 Prozent arbeiten am Wochenende (Winker/Maus 2001: 40f). Die Telearbeiterinnen empfinden die Anforderungen zwischen organisatorischen, emotionalen, qualifikationserhaltenden und integrierenden Faktoren der Vereinbarkeit zwischen Beruf und Familie als Vorteile. Sie beschreiben die organisatorische Vereinbarkeit damit, dass zwischendurch Reproduktionsarbeiten getätigt oder die Öffnungszeiten von Kindergarten und/oder Schule mit Anforderungen

25 In der von Winker/Maus (2001) in Baden-Württemberg unter 200 Telebeschäftigten durchgeführten qualitativen Studie stehen die Fragen nach strukturellen Veränderungen innerfamilialer Arbeitsteilung und der konkreten Verteilung von Tätigkeiten im Bereich der Haus- und Sorgearbeit im Vordergrund.

234 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

der Lohnarbeit verbunden werden. Die emotionale Vereinbarkeit zeichne sich durch die Nähe zur Familie aus. Die qualifikationserhaltende Vereinbarkeit bestehe darin trotz Kindererziehung zu arbeiten und beruflich am Ball zu bleiben. Die integrierende Vereinbarkeit bestehe in der Verbindung von Familie und Beruf, dadurch ergeben sich größere Überschneidungen der Eltern – besonders bei 80 Prozent der Väter – mit dem Lebensrhythmus der Kinder. 60 Prozent der Väter geben an, sich mehr an der Hausarbeit zu beteiligen. Das Ergebnis der Studie stellt somit ein Aufbrechen der Geschlechterrollen und eine Veränderung der vergeschlechtlichten Arbeitsteilung fest (vgl. Winker/Maus 2001: 47ff). „Es entstehen für Frauen und Männer neue Handlungsspielräume und Freiheitsgrade“ (Winker/Carstensen 2004: 180f) – wenn ein erfolgreiches Arbeitskraftmanagement zugrunde liegt. Die organisatorische Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Reproduktionsarbeit unterliegt insofern der Leistungsorientierung und der Selbst-Kontrolle der ArbeitskraftmanagerIn. Die emotionale Vereinbarkeit beider Sphären geht mit der Selbst-Sozialisierung einher. Die integrierende Vereinbarkeit bezieht sich dabei auf die Selbst-Rationalisierung und die qualifikationserhaltende Vereinbarkeit auf die Selbst-Ökonomisierung der Arbeitskraftmanagerinnen und Arbeitskraftmanager (Winker/Carstensen 2004: 179). Interessant in Bezug auf die Subjektivierungsweise ist die gouvernementale Überschneidung von Regulationsweisen der Produktionssphäre mit Vereinbarkeiten von Beruf und Familie durch Work-Life-Balance-Konzepte wie Telearbeit und mit subjektiven Handlungsmustern. Das heißt, dass die Konzepte der Telearbeit als eine Subjektivierungsweise gewertet werden können, welche die Anforderungen der Produktionssphäre auf die Reproduktionssphäre überträgt. Die damit verbundenen Anforderungen der alltäglichen Lebensführung werden mittels eines erfolgreichen Arbeitskraftmanagements ermöglicht. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sich durch ein erfolgreiches Arbeitskraftmanagement individuelle Lebensentwürfe realisieren und gleichberechtigte innerfamiliäre Arbeitsteilungen erproben lassen (vgl. Winker/Carstensen 2004: 181). Auch hier lässt sich eine Subjektivierungsweise erkennen, die sich mit „Liebe als Arbeit“ beschreiben lässt. Die Subjektivierungsweise der Geschlechter vollzieht sich hierbei nicht, wie in der Zeit des Fordismus, durch eine besondere Unterwerfung des männlichen Subjekts unter die Lohnarbeit und durch eine besondere Unterwerfung des weiblichen Subjekts unter die Reproduktionsarbeit. Die ganze Person ist in die kapitalistischen Verhältnisse eingelassen und wird auch unabhängig von der vergeschlechtlichten Arbeitsteilung subjektiviert, weil die Sphäre der Reproduktion nicht mehr trennscharf von der Sphäre der Produktion zu unterscheiden ist.

S TRUKTUR

| 235

Wie schon für die Strukturebene beschrieben verändern sich durch die postfordistischen Transformationen die Anforderungen an die Reproduktion der Ware Arbeitskraft und der Geschlechterverhältnisse. Entgrenzungen, Entformalisierungen und Prekarität sind die Folgen. Wegen der nicht gesicherten Ganztagsbetreuung von Kindern oder den Rationalisierungen in der Produktionssphäre bedeutet das für die Eltern den Zwang, mobil und zeitlich flexibel verfügbar zu sein (vgl. Winker/Carstensen 2007: 281). Familien zum Beispiel „werden zu Schaltstellen eines umfassenden Managements, das in den letzten Jahrzehnten immer komplexer geworden ist“, schreibt Winker (2007a: 27). Die Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist, welche Auswirkungen ein scheiterndes Arbeitskraftmanagement hat. Winker und Carstensen warnen vor der Zunahme einer individuellen Verantwortung in der Erwerbssphäre, der „Realität des Arbeitens ohne Ende“ (Winker/Carstensen 2004: 182). Sie warnen vor dem potenziellen Überforderungscharakter durch Selbstorganisation sowie vor der Gefahr der Selbstausbeutung, dass damit Handlungsspielräume nicht durch zunehmende Entgrenzung aufgesogen werden und Veränderungen der vergeschlechtlichten Arbeitsteilung ins Gegenteil umschlagen (vgl. Winker/Carstensen 2004: 182f) sowie gesundheitliche Schäden auftreten. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) verursachen stressbedingte Morbiditäts- und Mortalitätsmuster sowie psychische Störungen, wie Burnout, psychosomatische Krankheiten und Depressionen, gegenwärtig 15 Prozent der Gesundheitskosten in der Europäischen Union (vgl. WHO 2003: 8f).26 Die WHO prognostiziert bis zum Jahr 2020 eine so starke Zunahme von psychischen Erkrankungen, dass diese Erkrankungen nach Herz-Kreislauf-Leiden zur zweithäufigsten weltweit werden (vgl. Dolak 2010: 1). Derzeit leiden bis zu 25 Prozent aller Europäerinnen und Europäer mindestens einmal in ihrem Leben an einem Burnout-Syndrom. Laut der deutschen Rentenversicherungen und Krankenkassen sind psychische Erkrankungen der häufigste Grund für Berufsunfähigkeit (vgl. Steinicke 2008: 1, 5). Sogar Selbstmorde aufgrund psychischer Belastungen am Arbeitsplatz sind keine Einzelfälle. Der Fußballer Robert Enke ist in Deutschland das wohl bekannteste Beispiel. In Frankreich gab es sogar eine regelrechte Selbstmordserie von Telekom France Beschäftigten in den Jahren 2008, 2009. 32 Beschäftigte nahmen sich das Leben (vgl. DPA 2009: 1, Kläsgen 2009: 1).

26 Insgesamt sind in Deutschland 2008 durch psychische Belastungen am Arbeitsplatz Kosten von 6,3 Milliarden Euro verursacht worden. Darin sind 3 Milliarden für Krankheitsbehandlungen und Produktionsausfallkosten in Höhe von 3,9 Milliarden Euro enthalten (vgl. Korczak/Kister/Huber 2010: 28, 108).

236 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

In Japan wird seit der 51. Tagung der „Association of Industrial Health in Osaka“ 1978 der Tod durch Überarbeiten, „Karǀshi“, diskutiert. Karǀshi wird durch psychische Belastungen und Stresszustände hervorgerufen, die zu einem Zustand chronischer Überarbeitung führen. Die damit verbundene körperliche Ermüdung bzw. das sogenannte Burnout kann entweder zu Arbeitsunfähigkeit, zum physischen Zusammenbruch in Form von Hirnschlägen oder Herzversagen führen oder im Tod enden, als Folge einer psychogenen oder neurotischen Depression in Verbindung mit Selbstmord (vgl. Tieste 2003: 26ff). Karǀshi gilt mittlerweile als offiziell anerkannte Todesursache in Japan. Japans Behörden erkannten im Jahr 2006 etwa 147 Fälle von Karǀshi an, viele davon durch Schlaganfall und Herzinfarkt. In diesem Zusammenhang wurden auch 66 Fälle von Selbstmord durch Arbeitsüberlastung gezählt (vgl. Kanai 2009: 209f). Die Dunkelziffer liegt aber vermutlich wesentlich höher, da nicht alle Fälle des Karǀshi vom japanischen Gesundheitsministerium und den japanischen Gerichten anerkannt werden. „The National Defence Council for the Victims of Karǀshi“, eine Vereinigung von japanischen Rechtsanwälten, Ärzten und Psychologen, spricht von etwa 10.000 Todesfällen pro Jahr, die auf das arbeitsbedingte Burnout-Syndrom zurückzuführen sind (vgl. Tieste 2003: 34f). Auch der Rechtsanwalt Hiroshi Kawahito, der eine Hotline für Karǀshi-Angehörige ins Leben gerufen hat, geht von 10.000 Opfern pro Jahr aus (vgl. Novotny 2009: 1). Wie dieses Beispiel aus Japan zeigt, sind gesundheitliche Beeinträchtigungen durch Arbeitsbedingungen keine gesellschaftlichen Randphänomene mehr. Auch in Deutschland sind mit massiven volkswirtschaftlichen Defiziten aufgrund von Produktionsausfällen, Kosten der medizinischen Behandlung, Krankengeld, vorgezogenen Rentenzahlungen usw. sowie durch psychische und physische Belastungen am Arbeitsplatz zu rechnen. Der „Fehlzeiten-Report“, der vom wissenschaftlichen Institut der AOK und der Universität Bielefeld herausgegeben wird, informiert jährlich über die Krankenstandsentwicklung in der deutschen Wirtschaft. Unter dem Motto „Vielfalt managen: Gesundheit fördern - Potenziale nutzen“ wird in diesem Bericht herausgestellt, dass betriebliches Gesundheitsmanagement und Diversity Management zur Förderung und Aktivierung der Mitarbeiterinnenpotenziale und Mitarbeiterpotenziale eingesetzt werden muss, um wettbewerbsfähig zu bleiben (vgl. Lampert et al 2010: 69ff). Caroline Lanz beschreibt in ihrer Studie „Burnout aus ressourcenorientierter Sicht im Geschlechtervergleich“ (2010), dass die Kategorie Geschlecht als besonderer Stressfaktor betrachtet werden muss, da vor allem Frauen in Führungspositionen Vorurteilen, Diskriminierungen oder Mobbing ausgesetzt sind. Aber auch Rollenkonflikte (Managerin vs. Hausfrau) und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie werden als besondere Stressoren be-

S TRUKTUR

| 237

schrieben (vgl. Lanz 2010: 173f). Das bedeutet, dass ein erfolgreiches Arbeitskraftmanagement vor allem davon abhängt, wie die beschriebenen Stressoren im Kontext der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Reproduktionsarbeit ausbalanciert werden. Die Arbeitskraftmanagerinnen und Arbeitskraftmanager sind mit widersprüchlichen Subjektivierungsweisen konfrontiert. Im Kontext der gouvernementalen Gesundheitsprävention und Verbesserung der Arbeitsproduktivität gilt es einerseits, psychische Erkrankungen durch Arbeitsstress und negative Bilanzen durch Arbeitsausfälle zu vermeiden. Im Kontext der Vereinbarkeit von Beruf und Familie gilt es andererseits für die Arbeitskraftmanagerinnen und Arbeitskraftmanager individuelle Lebensentwürfe zu realisieren und gleichberechtigte Arbeitsteilungen zu erhalten. Abschließend lässt sich für die Subjektebene des postfordistischen Geschlechterregimes unter der Berücksichtigung der Reihe 4 [Subjektivierungsweisen] des Theorems Folgendes zusammenfassen: Die Subjektivierungsweise des postfordistischen Geschlechterregimes ist im Prinzip eine Übertragung der Organisationsmuster der Produktionssphäre auf die Organisation der Freizeit und auf das Reproduktionsverhalten. Diese Muster können damit klassifiziert werden, dass die Grenzen zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit immer mehr verschwimmen, da die Zuordnung der Tätigkeiten und die Normierungen von Erwerbsarbeitszeiten und Reproduktionsarbeitszeiten auch immer mehr verschwimmen. Die Flexibilisierungen in der Produktionssphäre erzeugen Überlagerungen und permanent neu zu definierende Abgrenzungen zwischen der Lohnarbeitssphäre und anderen Lebenssphären bzw. Entgrenzungen zwischen Erwerbsarbeit und Reproduktionsarbeit. Die Subjekte sind durch diese Verhältnisse insofern reguliert bzw. regulieren sich selbst, indem sie ihre Lebensführung verbetrieblichen. Dieses Phänomen wird für die Subjektebene in der Produktionssphäre mit dem Begriff des „Arbeitskraftunternehmers“ (vgl. Voß/Pongraz 1998) bzw. in Verbindung mit der Reproduktionssphäre als „ArbeitskraftmanagerIn“ (vgl. Winker/Carstensen 2004, 2007) beschrieben. Nach Winker/Carstensen zeichnen sich diese Figuren durch verstärkte Selbst-Kontrolle, erweiterte Selbst-Ökonomisierung, Selbst-Rationalisierung sowie der Selbst-Sozialisierung durch familienbiografische Orientierungen aus. Die Subjektivierungsweise der Arbeitskraftmanagerinnen und Arbeitskraftmanager lassen sich damit beschreiben, dass kapitalistische Betriebe zunehmend ergebnisorientiert wirtschaften und weniger Vorgaben für die Lohnabhängigen machen. Diesen ist es dann selbst überlassen, ihre Erwerbsarbeit im Rahmen der Unternehmensziele rational zu organisieren und zu kontrollieren. Die Lohnab-

238 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

hängigen verlegen ehemalige Managementaufgaben in die eigene Person bzw. subjektiveren diese. Die Arbeitskraftmanagerinnen und Arbeitskraftmanager sind genötigt, ihre Lebensperspektive durch Selbst-Kontrolle und SelbstÖkonomisierung diesen Umständen anzupassen. Das heißt, dass diese Subjektivierungsweisen auch in Bezug auf Schwangerschaft, Kindererziehung oder Altenpflege angewandt werden. Familienplanung oder die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt für Kinder unterliegen rationalen Entscheidungen. Insbesondere Frauen müssen über Selbstmanagementfähigkeiten verfügen, weil sie von reproduktiven Doppelbelastungen besonders betroffen sind (vgl. Winker/Carstensen 2007). Das heißt wiederum, um ein erfolgreiches Arbeitskraftmanagement zu besitzen, bedarf es disziplinierter Selbstregulierungsfähigkeiten. Sind diese nicht vorhanden, können die postfordistischen Lebensbedingungen mit einem erhöhten Leistungsdruck und mit neuartigen Formen gesundheitlicher Schädigungen, wie des Burnout-Syndroms, einhergehen. Das bedeutet, dass die Anforderungen an die Arbeitskraftmanagerinnen und Arbeitskraftmanager nicht nur durch die schon beschrieben Probleme der Entgrenzung demographische sowie bevölkerungspolitische Probleme hervorrufen, sondern auch mit gesundheitlichen Problemen einhergehen können. Auch hierbei sind Frauen wiederum besonders betroffen, da die Kategorie Geschlecht als besonderer Stressor betrachtet werden muss, da zum Beispiel Frauen in Führungspositionen geschlechtsstereotypischen Vorurteilen ausgesetzt sind. Rollenkonflikte (Managerin vs. Hausfrau) und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie werden als besondere Stressoren beschrieben (vgl. Lanz 2010: 173f). Der Effekt eines gescheiterten Arbeitskraftmanagements lässt sich auf die Formel „Entgrenzte Arbeit = gefährdete Reproduktion“ (vgl. Kratzer/Sauer 2007) bringen. Das bedeutet, dass ein erfolgreiches Arbeitskraftmanagement vor allem davon abhängt, wie die beschriebenen Stressoren im Kontext der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Reproduktionsarbeit ausbalanciert werden können. Die Arbeitskraftmanagerinnen und Arbeitskraftmanager sind dadurch mit widersprüchlichen Subjektivierungsweisen konfrontiert, die sich pointiert als gouvernemental-subjektivierte vs. gescheiterte ArbeitskraftmanagerInnen beschreiben lassen: • Gouvernemental-subjektivierte ArbeitskraftmanagerInnen betreiben Selbst-

Beherrschung durch eine planmäßige Ausrichtung individueller Ressourcen mit dem Ziel der Unterwerfung des Lebenszusammenhangs unter die Erwerbsarbeit. • Gescheiterte ArbeitskraftmanagerInnen betreiben Selbst-Ausbeutung, die eine individuelle und soziale Ressourcenausschöpfung zur Folge hat.

S TRUKTUR

| 239

Einfach gesagt lässt sich schlussfolgern, dass die Entgrenzungen durch Arbeitszeit- und Arbeitsortflexibilisierungen sich auf die Subjektebene bzw. auf die Perspektiven der Lebensführung ausweiten, sodass im postfordistischen Geschlechterregime die sozialen Stellungen nach den Kriterien „mit oder ohne Kind“ (vgl. Jurczyk 2002: 110, Winker/Carstensen 2007: 284, Ganz 2007: 54ff), „gesund oder krank“ sowie „Selbst-Beherrschung oder Selbst-Ausbeutung“ an Bedeutung gewinnen.

7.4 Z USAMMENFASSUNG DER SOZIOHISTORISCHEN R AHMENANALYSE DES G ESCHLECHTERREGIMES In diesem Kapitel stand die Forschungsfrage im Vordergrund, wie sich historische und aktuelle Transformationsprozesse des Kapitalismus auf die Etablierung von Geschlechterregimen auswirken. Durch die Bearbeitung dieser Frage hat sich eine „Geschichte der Gegenwart“ (Dreyfus/Rabinow 1994: 147, vgl. Kapitel 6.2) herausentwickelt, welche die historischen und aktuellen Ausgangspunkte von Work-Life-Balance-Maßnahmen als Antwort auf die Probleme der derzeitigen gesellschaftlichen Arbeits- und Lebensbereiche erfasst. Mithilfe des Theorems Geschlechterregime konnten einzelne Dispositivelemente in einem soziohistorischen Zusammenhang hervorgehoben werden. Durch die intersektionale Dispositivanalyse, die sich auf die Beziehungen der Dispositivelemente des Geschlechterregimes bezieht, ist es in diesem Kapitel möglich geworden, die Struktur der geschlechterregimerelevanten Herrschaftstechniken und Machtverhältnisse herauszuarbeiten. Weiter ist es möglich geworden, die geschlechterregimerelevante symbolische Architektur in Verbindung mit den damit vernetzten Subjektivierungsweisen darzustellen. Als Mittelpunkt dieser Analyse haben sich so die Veränderungen der Organisation von Lohnarbeit und Reproduktionsarbeit sowie die damit verbundenen politisch-ideologischen Regulationsweisen der Familienform und die damit verbundenen widersprüchlichen Vergesellschaftungsmöglichkeiten der Subjekte herauskristallisiert. In Tabelle 1 werden diese Ergebnisse im Überblick dargestellt:

240 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Tabelle 1: Formation und Periodisierung des historisch-konkreten Geschlechterregimes (eigene Darstellung)

S TRUKTUR

| 241

242 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Diese Tabelle ist so zu verstehen, dass auf der Strukturebene die geschlechtsspezifischen Dispositivelemente der Reproduktion der Produktionsbedingungen verortet sind. Die Symbolebene beschreibt die geschlechtsspezifischen Dispositivelemente der Diskurse und Ideologien, auf der Subjektebene sind die geschlechtsspezifischen Dispositivelemente der Selbstverhältnisse und der Widerstandspotentiale dargestellt. Als Ergebnis lässt sich erkennen, dass, was sich für das fordistische Geschlechterregime als strukturerhaltend darstellte, im postfordistischen Geschlechterregime zum Hindernis wird. Die Strukturen und die Regulationsweisen des postfordistischen Geschlechterregimes bilden sich komplementär zum fordistischen Geschlechterregime: Hier findet die Lohnarbeit z. B. zuhause statt und Reproduktionsarbeiten werden entprivatisiert. Der postfordistische Staat propagiert ein egalitäres Geschlechterbild. Fremdregulierungen gehen in Selbstregulierungsweisen über. Wie die Wechselwirkungen der einzelnen Ebenen des postfordistischen Geschlechterregimes sich insgesamt darstellen, möchte ich im Folgenden aufzeigen:

S TRUKTUR

| 243

7.4.1 Wechselwirkungen Struktur//Subjekt Auf der Strukturebene zeichnen sich grundlegende Veränderungen der Betriebsund Arbeitsorganisation sowie der Reproduktionsarbeit ab. Die radikale Liberalisierung des Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehrs auf transnationaler Ebene, die Veränderung von Subjektivierungsweisen durch den reproduktionsmedizinischen Paradigmenwechsel, die Durchsetzung neuer Technologien (Bio-, Gen- und Reproduktionstechnologien) und neuer Arbeitsregulationsweisen (Lean Produktion, Just in Time) in Verbindung mit immateriellen Arbeiten (Dienstleistungen, Emotionsarbeit) sowie die Deregulierung staatlicher Regulationsweisen dienen zur weltweiten Erschließung neuer Märkte, Profitquellen und Verhaltensnormen. Insgesamt erzeugen diese wesentlichen Bestandteile der neuen Produktions- und Reproduktionsmuster Arbeitszeit- und Arbeitsortflexibilisierungen sowie eine Enthierarchisierung und Dezentralisierung der Produktions- und Reproduktionsverhältnisse. Diese neuen Bestandteile bringen eine räumliche Zusammenlegung von Produktions- und Reproduktionssphären hervor, welche wiederum die Mobilität und Migration von Arbeitskräften hervorbringt. Als Wechselwirkung dieser Veränderungen lassen sich Entformalisierungen und Entgrenzungen der Geschlechterverhältnisse beschreiben. Die Transformationen des fordistischen Geschlechterregimes auf der Strukturebene haben eine Instabilität der politischen, ökonomischen und sozialen Vergesellschaftungsformen hervorgebracht. Grund für diese Instabilität ist die Tatsache, dass die Veränderung des Verhältnisses der Lohnarbeit bzw. die rationalisierte und flexibilisierte Produktionsweise einen entsprechenden „Menschentypus“ benötigt (vgl. Haug 2003). Auf der Subjektebene wird nun ein unternehmerisch und selbstverantwortlich handelndes Subjekt in einem Feld postmoderner Biopolitik angerufen (vgl. Lemke 1997: 254, Bröckling 2000: 139, Opitz 2004: 108ff). Das bedeutet für die neoliberale Zusammensetzung, dass der fordistische Menschentypus durch einen neoliberalen Typus ersetzt wird. Er wird abgelöst von den „Arbeitskraftunternehmern“ (vgl. Voß/Pongratz 1998ff) bzw. von den „Arbeitskraftmanagerinnen und Arbeitskraftmanagern“ (Winker/Carstensen 2004, 2007). In Wechselwirkung mit der Subjektebene erhöhen die flexiblen, mobilen und von „Corporate Identity“ durchdrungenen Arbeitsstrukturen den Druck und die Anforderungen an soziale Beziehungen sowie an die Selbstorganisation der Beschäftigten, wodurch sich auch gesellschaftliche Zusammensetzungen verändern. Die neue Produktions- und Reproduktionsschemata zeichnen sich deshalb auf der Subjektebene durch Entformalisierungen und durch Entgrenzungen in den Sphären der Lohnarbeit und Reproduktionsarbeit aus. Unter Entgrenzung ist der Zugriff des Kapitalismus auf das ganze Leben zu verstehen, das Ende der Rege-

244 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

lung von Erwerbsarbeitszeit und Reproduktionsarbeit sowie der Trennung von Arbeitsplatz und Zuhause. Unter den Entformalisierungen zeichnen sich Auflösungserscheinungen traditioneller Klassen- und Geschlechterzusammensetzungen ab. Sinkende Geburtenraten, eine Unterjüngung der Gesellschaft, hohe Scheidungsraten, Anstieg der Frauenerwerbsarbeit oder differenzierte Familienmodelle sind wesentliche Indikatoren hierfür. Frauenerwerbstätigkeit führt zu mehr Gleichheit zwischen gut ausgebildeten Frauen und Männern in einem besser gestellten Familienmodell. Sie führt aber auch zu ethnischen und sozialen Ausdifferenzierungen, weil die Eröffnung von haushaltsnahen Niedriglohnsektoren und die Kontrolle der Arbeitskräftemigration zu größeren strukturellen Ungleichheiten besonders unter Frauen verschiedener Klassen- und Nationalstaatszugehörigkeiten führt (vgl. Pfau-Effinger 2000: 126, Kohlmorgen 2004: 280, Winker 2007c). Das bedeutet, dass sich im Zuge der veränderten Produktionsschemas folglich die Reproduktionsmuster verändern und so sich auch „die historische Bindung der Frau an einen Mann aufzulösen“ (Ruf 1990: 289) beginnt. Denn die geforderte Flexibilisierung und Mobilität vertragen sich schlecht mit lebenslangen Ehen und mit der „reinen“ Reproduktionsarbeit. Im fordistischen Geschlechterregime waren Frauen noch vorwiegend für reproduktive Tätigkeiten zuständig, damit das Normalarbeitsverhältnis der lebenslang beschäftigten Ehemänner stabilisiert werden konnte. Dagegen haben die Umstrukturierungsmaßnahmen in den Industrieländern mit den zunehmenden prekären Familieneinkommen die Erwerbsarbeit von Frauen notwendig gemacht (vgl. Pühl 2003: 114f). In Bezug auf die Regulationsweisen der Demographie und der Bevölkerungspolitik lässt sich die Disposition einer protoindustriellen Arbeitskräfteproduktion feststellen. Hierbei ermöglichen biomedizinische Technologien einen Paradigmenwechsel für die Rationalisierung der generativen Reproduktion. Fortpflanzung wird zu einem Teil eines Fertigungsprozesses bzw. zur „Funktion der Technologisierung der Lebensproduktion“ (Treusch-Dieter 1990: 203). Die Zeugung ist dadurch immaterialisiert, weil sie unabhängig vom geschlechtlichen Körper wird (vgl. Riegler 1996: 206). Das Ziel der postfordistischen BioPolitiken ist es nicht mehr, „unwertes Leben“ zu vernichten, sondern bereits in der Entstehung zu behindern, zu manipulieren oder zu optimieren. Die „Lean Production“ der Reproduktionsarbeit bewegt sich in einem postdisziplinären Feld der Eugenik, und sie ist ein Machtmechanismus, um die (Re-)Produktivität des postfordistischen Geschlechterregimes zu organisieren (vgl. Waldschmidt 1996: 31). Die damit verbundene protoindustrielle Arbeitskräfteproduktion hat somit auch weitreichende Folgen für die subjektive Geschlechterzusammensetzung, sodass Formierungen eines post-eugenischen Geschlechterregimes ebenso denkbar sind, wie ein klassenselektives Geschlechterregime oder ein egalitäres

S TRUKTUR

| 245

Cybergeschlechterregime. Frauen befinden sich im Zangengriff von den Transformationen der Strukturebene einerseits und den postmodernen Subjektivierungsweisen andererseits. Interessant in Bezug auf die Subjektivierungsweisen ist die gouvernementale Überschneidung von politökonomischen Regulationsweisen mit subjektiven Handlungsmustern. Das Konzept der Work-Life-Balance und die damit verbundenen und teilweise erst noch zu etablierenden Arbeits- und Lebensverhältnisse lassen sich aus der soziohistorischen Rahmenanalyse heraus als Katalysator der Neuzusammensetzung des fordistischen Geschlechterregimes verstehen. Das Hauptregulationsmoment des postfordistischen Geschlechterregimes ist im Prinzip eine Übertragung der Produktionsmuster auf die Organisation der Reproduktionsarbeit. In diesem Zusammenhang verändert sich auch die Klassen- und Geschlechterzusammensetzung durch die Funktion der Frauenerwerbsarbeit. Geschlechtsspezifische Vermittlungen in Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigungen sowie die Verfügung über Zeit und Geld für Reproduktionstätigkeiten sind damit zentrale Bestandteile der Modernisierung des fordistischen Geschlechterregimes und ein Kompromiss zwischen zunehmenden Emanzipationsorientierungen von Frauen. Anhand des Übergangs vom fordistischen Geschlechterregime zum postfordistischen Geschlechterregime lässt sich besonders gut erkennen, wie diese Transformationen auch neue Symbolebenen in der Wechselwirkung mit den Verhaltensnormen entstehen lassen. 7.4.2 Wechselwirkungen Subjekt//Symbol War in der fordistischen Periode kapitalistische Lohn- und Reproduktionsarbeit durch vergeschlechtlichte Arbeitsteilung „als ungeschlechtliche nicht denkbar“ (Beer 1990: 263) und durch den Rückgriff auf scheinbar biologische Essentialismen materiell verankert, so ist in der postfordistischen Periode kapitalistische Lohnarbeit und Reproduktionsarbeit ausdiffenzierter. In der fordistischen Periode waren die typischen Geschlechterideologien und -verhältnisse die des Male-Bread-Winner-Modells und die der Kernfamilie. Hier wurde mittels der Kanalisierung von Sexualität der Nachwuchs sichergestellt, und der Haushalt wurde zu einer Wirtschaftseinheit gemacht, der an den Kreislauf der Verteilung von Einkommen gebunden war (vgl. Hirsch 1992: 221; Kohlmorgen 2004: 54ff). Das Male-Bread-Winner-Modell hat so eine Konsum- und Arbeitseinheit hergestellt und folglich den direkt und indirekt Lohnabhängigen einen Ort der generativen Reproduktion gesichert. Im Übergang zu postfordistischen Produktionsund Reproduktionsmustern sind Geschlechterideologien und -verhältnisse dagegen von sozialer Unsicherheit bzw. von Prekarität und Rollenveränderungen gekennzeichnet (vgl. Winker/Carstensen 2007: 284ff). Der Durchkapitalisierung

246 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

bis in „private“ Teile sind nicht nur Lohnabhängige in der Produktion ausgesetzt. In der Reproduktionssphäre gelten auch individualistisch-leistungsbezogene Normen für Familien, welche letztlich durch neoliberale Konzepte wie Arbeitszeitflexibilisierungen zu einer Transformation der bürgerlichen Kernfamilie führen. Dadurch und durch die Zunahme von Gender Mainstreaming Diskursen sowie durch die politökonomische Transformation der Idee von Normalarbeitsverhältnissen wird der Lebensentwurf der Nur-Hausfrau aufgelöst (vgl. Brensell/ Habermann 2001: 243). Die gesellschaftliche Anerkennung der Nur-Hausfrau verliert hierbei an Wert, was durch die Ausdehnung der Erwerbstätigkeit von Frauen und mit der damit verbundenen Wahrnehmung des Wertes eigener Arbeitskraft in Zusammenhang steht. Die Hausfrauenrolle ist im Allgemeinen nur noch dann sozial akzeptiert, „wenn sie mit der Betreuung abhängiger Kinder kombiniert wird, und auch das nur mit Einschränkungen“ (Pfau-Effinger 2000: 121f). Der Lebenszusammenhang in einem binär und heterosexuell organisierten Geschlechterverhältnis und die Produktion der Geschlechterideologien differenzieren sich folglich aus. Vor allem die Kämpfe der Sozialen Bewegungen – gegen strukturelle und symbolische Unterdrückung, für Selbstbestimmung und sexuelle Befreiung – haben zu neuen Vereinbarkeiten der Geschlechter gegenüber Lohn- und Reproduktionsarbeiten, zu differenzierten Subjektkonstitutionen, zu veränderten geschlechtsspezifischen Arbeitsteilungen und zu neuartigen geschlechtsspezifischen Reproduktionsformen der Arbeitskraft geführt. Symbolisch haben die Forderungen nach Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt zu ideologischen Veränderungen des fordistischen Geschlechterregimes geführt. Frauen werden nicht mehr ausschließlich als Hausfrau und Mutter angerufen, sondern werden zusätzlich mit einem emanzipierten Frauenbild konfrontiert. Scheidungsraten nehmen infolgedessen zu und Geburtenraten nehmen ab. Dadurch, dass Sexualität auch nicht mehr ausschließlich dem „Arterhaltungsprinzip“ dient, verändern sich demographische Entwicklungen – Alleinerziehende oder Patchworkfamilien existieren neben Kernfamilien. Allen Vergesellschaftungsmodellen ist jedoch gemeinsam, dass im postfordistischen Geschlechterregime reproduktive Tätigkeiten rationalisiert werden müssen, um „am Ball zu bleiben“. Daraus ergibt sich auch für alle Modelle, dass die Zeit für Reproduktionsarbeit zunehmend nach Effizienzkriterien organisiert werden muss. So fließt die neoliberale Ideologie der Rationalisierung auch in die Organisation des Alltags ein, und die „Ökonomisierung des Sozialen“ (vgl. Bröckling/Krasmann/ Lemke 2000) ist die Folge. Abschließend kann der Übergang des fordistischen Geschlechterregimes in ein postfordistisches Geschlechterregime damit beschrieben werden, dass die An-

S TRUKTUR

| 247

forderungen an ein postfordistisches Geschlechterregime im Bereich der Reregulierung und Rekonstruktion von zweckmäßigen Geschlechterideologien zu suchen ist. Das Konzept Work-Life-Balance fungiert hierbei als Katalysator eines postfordistischen Geschlechterregimes, als symbolische Chiffre und gleichsam als ein strukturelles Versprechen neue Geschlechterverhältnisse herzustellen. Versprochen wird ein „Ausgleich zwischen einer sozialverträglichen Arbeitsteilung einerseits und ökonomischen Interessen von Produktivitätssteigerung und Kostensenkung andererseits“ (Jürgens 2006: 165f). Die Anrufungen an die Geschlechter bewegen sich in subjektorientierten Normierungen und spiegeln weniger Thematiken von „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ auf der gesellschaftlichen und politischen Struktur wider, sondern zielen vielmehr auf subjektive und symbolische Formen der Selbstorganisation sowie auf den scheinbaren Ausgleich der Interessen von Lohnabhängigen und Arbeitgebern ab. Die zentralen Positionen des Konglomerates aus Bundesregierung und börsennotierten Konzernen „Work-Life-Balance als Motor für wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftliche Stabilität“ sehen vor, dass Work-Life-Balance-Maßnahmen, als Investitionen in das sogenannte Humanvermögen, Deutschland die Chance bieten, die Produktivität der Beschäftigten zu steigern. Weiter sollen sie die Arbeitsmotivation der Subjekte erhöhen und Fehlzeiten ebenso wie die Personalfluktuation verringern. Die Initiative will eine nachhaltige Unternehmensrendite sichern, indem Work-Life-Balance-Maßnahmen die Identifikation der Belegschaft mit dem Unternehmen stärken. Letztlich sollen Work-Life-BalanceMaßnahmen auch den Standort Deutschland mittels einer Erhöhung der Frauenerwerbsquote sichern. Dies soll insbesondere durch eine verbesserte Nutzung der Arbeitskraft gut ausgebildeter Frauen, durch eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie durch eine Steigerung der Geburtenrate organisiert werden (vgl. BMFSFJ 2005). Die zentralen Diskurse der Initiative lassen sich auf folgende Formeln bringen: • • • • •

Integration in das Unternehmen = Steigerung der Arbeitsproduktivität Gesunde Lohnabhängige = weniger Lohnnebenkosten Weniger Fehlzeiten = mehr Wettbewerbsfähigkeit Mehr Kinder = mehr Arbeitskräfte = mehr privater Konsum Mehr Konsum = mehr Erwerbsarbeit = mehr Profit

Für die Subjekte lassen sich aber gegenteilige Faktoren benennen, die für eine individuelle Work-Life-Balance wesentlich sind (vgl. Stock-Homburg/Bauer 2007, 2008):

248 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

• • • •

Kontrolle über Zeit- und Selbstmanagement = Vereinbarkeitsmöglichkeiten Bereitschaft zur Delegation von Arbeiten = Zeitersparnis Stressverarbeitung = Gesundheitsvermögen Hohe Toleranzschwellen im Unternehmen gegenüber familiären Verpflichtungen = Zufriedenheit

Für beide Fälle bedeutet dies, dass eine ausgewogene Work-Life-Balance bzw. ein erfolgreiches Arbeitskraftmanagement disziplinierte Selbstregulierungsfähigkeiten voraussetzt. Der Effekt eines gescheiterten Arbeitskraftmanagements lässt sich auf die Formel „Entgrenzte Lohnarbeit = gefährdete Reproduktion“ bringen. Die ArbeitskraftmanagerInnen sind dadurch mit widersprüchlichen Subjektivierungsweisen konfrontiert, die sich pointiert als gouvernementalsubjektivierte vs. gescheiterte ArbeitskraftmanagerInnen erklären lassen. Die gouvernemental-subjektivierten ArbeitskraftmanagerInnen betreiben SelbstBeherrschung durch eine planmäßige Ausrichtung individueller Ressourcen mit dem Ziel der Unterwerfung des Lebenszusammenhangs unter die Erwerbsarbeit. Die gescheiterten ArbeitskraftmanagerInnen betreiben Selbst-Ausbeutung, die eine individuelle und soziale Ressourcenausschöpfung zur Folge hat. Das Konzept des Arbeitskraftmanagements bezeichnet auf den subjektiven und symbolischen Ebenen die Managerinnen und Manager nicht mehr ausschließlich als Kapitaleignerinnen und Kapitaleigner. Als Managerinnen und Manager werden im Postfordismus auch z. B. Sekretärinnen verstanden, die zu „Officemanagerinnen“ werden, oder Verkäufer, die zu „Salesmanagern“ werden. Mütter, die ihre Familie wie einen „Familienbetrieb“ führen, oder wie schon beschrieben, Menschen, die ihre Ware Arbeitskraft verkaufen, selbstständig organisieren und reproduzieren müssen, werden zu Arbeitskraftmanagerinnen und Arbeitskraftmanagern. Tatsächlich stehen diesen Figuren nicht Selbstständigkeit, Ressourcen und Gewalt zur Verfügung, wie realen Firmenmanagern oder Unternehmen, sondern es ist eine „subtile und ‚verführerische Ethik’ und Rhetorik“ (Krasmann 2003: 188), mit der gespielt wird, um direkt oder indirekt Lohnabhängige in das Unternehmen und in die „Familien GmbH“ (BMFSFJ 2005: 29) zu integrieren. In diesen gouvernementalen Konzepten sollen die direkt und indirekt Lohnabhängigen in allen gesellschaftlichen Bereichen, auch innerhalb der Familie, unternehmerisch handeln bzw. ihrer Lebensweise eine unternehmerische Form geben. In diesem Zusammenhang kann auch von einer „inneren Kolonialisierung“ oder „inneren Landnahme“ gesprochen werden (vgl. Habermas 1981: 539, Hirsch 2005: 138). Die innere Landnahme bezieht sich nicht nur auf die Kreativität und Emotionalität der Erwerbstätigen wie durch das Konzept der immateriellen Arbeit beschrieben (vgl. Hardt/Negri 2000: 289ff), sondern auch auf den

S TRUKTUR

| 249

Versuch, ihre Selbstverwirklichung zu kontrollieren. Auf diesem Wege wird die Subjektivität in den Arbeitsprozess einverleibt und als sofortige Qualitätskontrolle genutzt. Diese Subjektivierungstechniken sind die Basis von Programmen wie dem „Human Resource Management“ bzw. dem partizipatorischen Management. Diese Programme dienen der Beteiligung der Beschäftigten an Erneuerungen in der Arbeitsorganisation und dienen der Identifikation der Beschäftigten mit dem Unternehmen (vgl. Revelli 1997: 26). Somit wird die Existenz der Beschäftigten noch stärker an das Funktionieren des Unternehmens gekoppelt. Es entstehen „unselbstständige Selbstständige“ (Peters 2001: 36), die mit einem unsichtbaren Kontrollregime konfrontiert sind. Das bedeutet, dass in der postfordistischen Phase des 21. Jahrhunderts die Rolle der Einzelnen in der Gesellschaft nicht mehr ausschließlich auf das Funktionieren in der Produktionssphäre beschränkt ist, sondern dass die Lohnabhängigen sich als gesamte Person mit den kapitalistischen Verhältnissen und dem Fortbestand der kapitalistischen Gesellschaftsformation identifizieren sollen (vgl. Bröckling 2007). Das postfordistische Kontrollregime verlagert sich dadurch auch in die Reproduktionssphäre und in das Innere des Körpers (vgl. Opitz 2004: 88ff). Insbesondere Frauen sind hierbei gefährdet, weil sie von reproduktiven Doppelbelastungen besonders betroffen sind und weil weibliche Angestellte in Projektarbeit eine besonders ausgeprägte Leistungsorientierung und -optimierung sowie ein strategisches Familienkalkül in Bezug auf Kinderwunsch und Schwangerschaft aufweisen müssen (vgl. Voß/Pongratz 2003: 208ff, Winker/Carstensen 2007). Letztlich zielen Work-Life-Balance-Konzepte – als gouvernementale Regulierungsweise verstanden – darauf ab, in Zukunft die Sicherheit der ökonomischen und der bevölkerungspolitischen Prozesse zu reorganisieren. Kulturelle Stereotypen und bipolare Geschlechtsmerkmale innerhalb der Work-Life-Balance-Diskurse scheinen sich zumindest in den Konzepten zugunsten einer androgynen Geschlechterzusammensetzung zu nivellieren. 7.4.3 Wechselwirkungen Struktur//Symbol Im postfordistischen Geschlechterregime verliert die soziale Stellung nach dem Kriterium „männlich-weiblich“ an Bedeutung, und Kriterien „mit oder ohne Kind“ (vgl. Jurczyk 2002: 110) oder „Kauf von Reproduktionsmöglichkeiten“ gewinnen an Bedeutung. Diese Entwicklung unterminiert das männliche Familienernährermodell und führt zu einer Veränderung geschlechtsspezifischer Gesellschaftsideologien, welche sich mit spezifischen Geschlechterstrukturen und -politiken verbinden. In diesen Wechselwirkungen lässt sich die Problematik des neoliberalen Wirtschaftens und Regierens feststellen, da einerseits an tra-

250 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

ditionellen Geschlechterverhältnissen zur demographischen Sicherung und zur wirtschaftlichen Profitmaximierung aufgrund der unbezahlten Reproduktionsarbeit festgehalten wird. Gleichzeitig gefährdet aber andererseits dieses Festhalten den ökonomischen Erfolg von Unternehmen, weil geschlechtergerechte sowie dynamisch und flexibel gestaltete Arbeitsverhältnisse zur demographischen Bremse der Gesellschaftsentwicklung werden (vgl. BMFSFJ 2005: 28). Die Anpassung der Geschlechterverhältnisse bzw. der Familienform an diese Verhältnisse wird so auch strukturell zu einem umkämpften „Produktionsfaktor“ eines symbolisch umkämpften Geschlechterregimes. Diese damit einhergehende Retraditionalisierung und Deregulierung des postfordistischen Geschlechterregimes ist vom Rückgang der Geburten bzw. von einer Unvereinbarkeit von Beruf und Familie geprägt. Das Neuartige des postfordistischen Geschlechterregimes auf der symbolischen Ebene ist, dass die Familie immer noch als der bevorzugte Ort der Reproduktion dargestellt wird, allerdings mit der Transformation, dass die Entstehung und Erhaltung des eigenen Selbst, der Kinder und der Angehörigen im Kontext des „Humanvermögens“ hergestellt werden soll. Die Familie wird hierbei wie ein Unternehmen gedacht, das rational und flexibel auf die Anforderungen des Marktes reagieren soll (vgl. Foucault 2006b: 318ff). Die Familie wird insofern tatsächlich als ein Produktionsfaktor einkalkuliert. Die Familienpolitik der Bundesregierung verbindet sich in diesem Zusammenhang mit einer neoliberalen Wirtschaftstheorie, die als Allianz bzw. Initiative „Work-Life-Balance als Motor für wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftliche Stabilität“ sich auf einen Vereinbarkeitsdiskurs festlegt, der darauf basiert, die Steigerung des „Humanvermögens“ bei gleichzeitigem Gender Mainstreaming herstellen zu wollen (vgl. BMFSFJ 2003: 30, 2005: 4). Im Gegensatz zur fordistischen Organisation des Geschlechterregimes stellen die neuen Personalmanagementkonzepte eine Regulationsweise dar, die zur Neusituierung des Geschlechterregimes beiträgt. Diese Neuzusammensetzungen beinhalten die Entgrenzung geschlechtsspezifischer Trennung zwischen fordistischen Produktions- und Reproduktionsformen und die ideologische und strukturelle Reorganisation der staatlich organisierten Bevölkerungspolitik. Die Zielsetzung und die symbolische Architektur von Work-Life-Balance-Konzepten als staatliche und ökonomische Umstrukturierungsmaßnahmen beinhalten erklärtermaßen den Versuch, „die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung nach dem traditionellen Modell eines männlichen Alleinverdieners und einer allenfalls in geringem Rahmen erwerbstätigen Hausfrau zu überwinden“ (BMFSFJ 2005: 29). Diese symbolischen Neuanordnungen beinhalten folglich die Überwindung des fordistischen Modells des männlichen Familienernährers sowie die Auflösung der Identifikation der weiblichen Rolle mit der privaten Sphäre. Dies lässt sich

S TRUKTUR

| 251

zumindest auf der symbolischen Ebene feststellen. Strukturell können die WorkLife-Balance-Maßnahmen in diesen Zusammenhang als Katalysator zur beschleunigten Durchsetzung eines neuen Geschlechterregimes eingeordnet werden. Kennzeichen dieser neuen Formation sind grundlegende Umstrukturierungsmaßnahmen der Reproduktion der Produktionsbedingungen, die den Aufund Ausbau unternehmerischer Dienstleistungen für die Reproduktionssphäre zur Folge haben. Weiter implizieren diese Maßnahmen die Neugestaltung der generativen Reproduktion von leistungsfähigen Arbeitskräften. Pointiert kann diese Regulationsweise als Übergriff auf die Sphäre der Reproduktion durch Ökonomisierung des Sozialen auch tatsächlich als protoindustrielle Arbeitskräfteproduktion identifiziert werden. Hauptkonstruktionsmoment des postfordistischen Geschlechterregimes ist hierbei im Prinzip eine Übertragung der Produktionsmuster auf die Organisation der Reproduktionsarbeit.

7.5 F AZIT Abschließend lässt sich mit der soziohistorischen Rahmenanalyse darstellen, dass durch veränderte Reproduktionsverhältnisse und Entgrenzungen der traditionellen Geschlechterarrangements sich das fordistische Geschlechterregime in ein neues Flexibilitätsmodell bzw. in ein postfordistisches Geschlechterregime transformiert. In diesem neuen postfordistischen Geschlechterregime dominiert weiterhin die Logik des Akkumulationsregimes, das alle Sphären bzw. „alle Poren des Lebens durchdringt“ (Jurczyk 2002: 108). Vor allem Work-LifeBalance-Konzepte und -Maßnahmen verdeutlichen dieses Prinzip. Diese Maßnahmen sind letztendlich der Versuch, die Profitraten der Unternehmen zu erhöhen und die Geschlechterverhältnisse wie eine Fabrik zu organisieren: effizient, rational, produktiv. Darüber hinaus erwecken Work-Life-Balance-Konzepte den Anschein, dass sie für alle erdenklichen Lebenssituationen konzipiert sind. Tatsächlich sind die einzelnen Maßnahmen im Wesentlichen für die Produktionssphäre zugeschnitten. Die Umsetzung der Work-Life-Balance-Maßnahmen bleibt im Unklaren. Hier könnten weitere sozialwissenschaftliche Untersuchungen ansetzten. Unklar sind Fragen nach der genauen ideologischen Zusammensetzung von Work-Life-Balance-Konzepten und den Diskurspositionen der Initiative geblieben. Auch konnten die Subjektivierungsweisen durch die Konzepte nicht ausführlich verdeutlicht werden. Es konnte auch nicht befriedigend dargelegt werden, welche gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse sich aus Work-LifeBalance-Diskursen ergeben. Es konnte auch nicht geklärt werden, ob Work-LifeBalance-Maßnahmen Einfluss auf die Geburtenrate oder auf die Denkformen

252 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

und das Verhalten von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben. Diese Fragen werden in den nächsten Kapiteln ausführlich bearbeitet. Dieses Kapitel hatte lediglich die Aufgabe, die Dispositivelemente des Geschlechterregimes soziohistorisch darzustellen und den Rahmen des aktuellen Geschlechterregimes mithilfe des erarbeiteten Theorems abzustecken. Bedeutsam hervorgetreten sind hierbei die Work-Life-Balance-Konzepte als Regulationsweise, um die entgrenzten gesellschaftlichen Bedingungen des postfordistischen Akkumulationsregimes zu organisieren. Schließlich können Work-Life-Balance-Konzepte als Methode verstanden werden, um die einzelnen Elemente des postfordistischen Geschlechterregimes zu verbinden. Sie können auch als Katalysator verstanden werden, um ein postfordistisches Geschlechterregime unter neoliberalen Vorzeichen zu formieren. Das nächste Kapitel soll Klarheit in Bezug auf die genauen Diskursstandpunkte der Initiative bringen, womit der Einfluss auf Subjekte und die Wirkmächtigkeit der Work-Life-Balance-Diskurse als Subjektivierungsweise im letzten empirischen Kapitel (Kapitel 9) der Dispositivanalyse verdeutlicht werden kann.

8. SYMBOL: Kritische Diskursanalyse des Work-Life-Balance-Konzepts der Initiative „Work-Life-Balance als Motor für wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftliche Stabilität“

Bisher konnte ich durch die regulationstheoretischen und poststrukturalistischen Sichtweisen das Theorem Geschlechterregime definieren. Die soziohistorische Rahmenanalyse hat die Koordinaten von Strukturen, Akteuren und deren überdeterminierten Praxen in Bezug auf ein historisch-konkretes Geschlechterregime dargelegt. Im Folgenden wird der diskursiven Formation von geschlechterregimerelevanten Aussagen in Verbindung mit Work-Life-Balance-Maßnahmen nachgegangen. Hierbei steht die Frage im Vordergrund, welche Diskurspositionen die Initiative „Work-Life-Balance als Motor für wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftliche Stabilität“ in Bezug auf ein Geschlechterregime vertritt. Da Diskurse immer ein Spiegel dessen sind, was „in einer bestimmten Gesellschaft zu einer bestimmten Zeit“ (Jäger 2001: 83) geäußert wird, können die Veröffentlichungen der Initiative zu dem Thema Work-Life-Balance diskursanalytisch untersucht werden. Bei dieser Methode wird die Foucaultsche Diskurstheorie dazu beitragen, die Bedeutungen und Kollektivsymboliken bzw. die Diskurspositionen in Texten zu analysieren. In den Blick geraten so die Artikulationen der Akteure bzw. der Klassenbündnisse, der Politik, der Gesetzgeber, der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler etc. und ihre eingesetzten Strategien im Kampf um Hegemonie.

254 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

8.1 D IE K RITISCHE D ISKURSANALYSE Die für diese Arbeit relevante Kritische Diskursanalyse ist im Umfeld des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (DISS) maßgeblich von Siegfried Jäger entwickelt worden (vgl. Jäger 1993). Die zentralen Ansätze der Diskursanalyse sind in den Bereichen des Postmarxismus (vgl. Titscher/Wodak/Meyer/Vetter 1998: 179) anzusiedeln. Wesentliche Bezugspunkte der Kritischen Diskursanalyse sind Antonio Gramscis Hegemoniekonzept, Louis Althussers Ideologietheorie, Michel Foucaults und Jürgen Links Diskurstheorie (vgl. Jäger 1993: 138ff, Keller et.al. 2001: 11ff). Die Methode der Kritischen Diskursanalyse stellt sich die Aufgabe politische Texte kritisch zu analysieren und in einen gesamtgesellschaftlichen Kontext zu stellen. Ziel dieser Vorgehensweise ist es, mit diskursanalytischen und ideologiekritischen Untersuchungen auf restaurative und undemokratische Tendenzen hinzuweisen (vgl. DISS). Als Kernproblem der Kritischen Diskursanalyse stellt sich die Frage, wie eine Diskursanalyse kritisch sein kann. In diesem Zusammenhang fragt Jäger, wozu eine Diskursanalyse außerdem imstande ist als lediglich Sachverhalte zu beschreiben. Seine Antwort ist zunächst: „Nichts! Foucault selbst bezeichnete sich selbst als ‚glücklichen Positivisten’ mit der Absicht diejenigen herauszufordern, die nach dem Sinn hinter der Geschichte oder dem Ziel von historischen Verläufen fragten. Ihm ging es darum, Wissenschaft, insbesondere Geschichtsschreibung, zu entmystifizieren.“ (Jäger 1993: 220)

Das bedeutet, dass eine Diskursanalyse erst zu einer Kritischen Diskursanalyse wird, indem sie durch eine sachliche Beschreibung gesellschaftlicher Diskurse Mystifizierungen aufdeckt, auf Widersprüchlichkeiten hinweist und herrschende Interessen freilegt. Letztlich geht es darum, „menschliche Verhältnisse zu verbessern“ (Jäger 1993: 222). Dabei zielt die Kritische Diskursanalyse darauf ab, den konkreten Zusammenhang von Wissen und Macht zu erkunden und hegemoniales Wissen einer Kritik zu unterziehen. In dieser Lesart ist die Kritische Diskursanalyse eine ideologiekritische Analyse und geht über eine Rekonstruktion der diskursiven Ordnungen hinaus.1 Es geht vielmehr darum, die Analyse

1

Dies lässt sich auch im Sinne des Diskursethikers Karl-Otto Apel verstehen: „Die sozialwissenschaftlichen ‚Erklärungen’ wären […] so zu begründen (und zu veröffentlichen!), dass sie nicht den Wissenden Macht über die Unwissenden geben, sondern eine Herausforderung an alle darstellen, durch Selbstbesinnung kausal erklärbare Verhaltensweisen in verstehendes Handeln zu transformieren. Der ‚terminus technicus’

SYMBOL

| 255

aktueller Diskurse und ihrer Macht-Wirkungen zu verdeutlichen, es geht um das Sichtbarmachen ihrer (sprachlichen und bildhaften) Wirkungsmittel, insbesondere der Kollektivsymbolik, die zur Vernetzung der verschiedenen Diskursstränge beiträgt (vgl. Jäger 1993: 157ff). Vor allem ist die Funktion von Diskursen als herrschaftslegitimierende und -sichernde Techniken in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsformation zentraler Blickpunkt der Kritischen Diskursanalyse. Die Kritische Diskursanalyse erfasst dabei die Strategien, mit denen bestimmte Aussagen über etwas ausgeweitet oder auch eingeengt werden, etwa Verleugnungsstrategien, Relativierungsstrategien, Enttabuisierungsstrategien etc. (vgl. Jäger 2000: 1). Um dieses Ziel zu erreichen, ist der Untersuchungsbereich der Kritischen Diskursanalyse dasjenige jeweils gültige Wissen, das durch Wissenschaften produziert wird, sowie das Wissen, das über die Staatsapparate wie Medien, Schule und Familie etc. vermittelt wird. Weiter ist die Methode der Kritischen Diskursanalyse darauf angelegt, das Verhältnis von Diskurs und gesellschaftlichen Verhältnissen zu verdeutlichen und zu fragen, wie in diesen gesellschaftlichen Verhältnissen Macht verankert ist, wer sie ausübt, über wen sie ausgeübt wird und wodurch sie ausgeübt wird. Zum Einstieg in die Methode der Kritischen Diskursanalyse möchte ich kurz auf die Zusammensetzung des Diskurses eingehen. Wie schon in Kapitel 4.1.1 beschrieben lassen sich Diskurse als Produktion von Wissen durch Sprache verstehen. Diskurse üben durch die Übermittlung von jeweils gültigem Wissen Macht aus, weil sie Wissen transportieren und dadurch kollektives und individuelles Bewusstsein ermöglichen. Sie sind gleichzeitig selbst ein Machtfaktor, indem sie Verhalten und andere Diskurse ins Leben rufen können. Demnach tragen sie zur Strukturierung von Machtverhältnissen in einer Gesellschaft bei. Der von Link/Link-Heer (1990) operationalisierte und auf Foucault rekurrierende Diskursbegriff lautet wie folgt: „,Diskurs‘ ist stets lediglich die sprachliche Seite einer ‚diskursiven Praxis‘. Unter ‚diskursiver Praxis‘ wird dabei das gesamte Ensemble einer speziellen Wissensproduktion verstanden, bestehend aus Institutionen, Verfahren der Wissenssammlung und -verarbeitung, autoritativen Sprechern bzw. Autoren. Regelungen der Versprachlichung, Verschriftlichung, Medialisierung.“ (Link/Link-Heer 1990: 90)

Der Diskurs besteht aus mehreren Aussagen, die zusammenwirken und in Beziehung zu anderen Aussagen stehen, um eine „diskursive Formation“ (Foucault

dieser dialektischen Vermittlung von ‚Verstehen‘ und ‚Erklären‘ lautet ‚Ideologiekritik‘“ (Apel 1980: 43f).

256 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

2001a: 916) zu bilden. In einer solchen diskursiven Formation sind Formulierungstypen, Begriffe, theoretische Optionen, individuelle oder kollektive Verhaltensweisen, politische Operationen, wissenschaftliche Aktivitäten, literarische Fiktionen oder theoretische Spekulationen eingebettet (vgl. Foucault 2001a: 920). Insofern existieren verschiedene Ebenen, Stränge, Verzweigungen oder Kreuzungen innerhalb der Diskurse: Abbildung 4: Was ist der Diskurs (Quelle: Jäger 1993: 156)

Charakteristisch lässt sich im Gesamtdiskurs zwischen Spezialdiskursen der Wissenschaft(en) und Interdiskursen, das heißt, allen nicht-wissenschaftlichen Diskursen (Alltagsverstand) unterscheiden. Zugleich fließen Elemente der Spezialdiskurse in den Interdiskurs ein. Innerhalb des gesellschaftlichen Gesamtdiskurses tauchen notwendig verschiedenste Themen auf. Thematisch einheitliche Diskursverläufe bezeichnet Jäger als Diskursstränge. In den Diskurssträngen sind einzelne Diskursfragmente enthalten. Die jeweiligen Diskursstränge operieren auf verschiedenen diskursiven Ebenen bzw. in verschiedenen Apparaten (Wissenschaft, Politik, Medien, Erziehung, Alltag, Geschäftsleben, Verwaltung etc.). Man könnte die Diskursebenen auch als soziale Orte bezeichnen, in denen oder von denen „gesprochen“ wird. Dabei wirken die Diskursebenen aufeinander

SYMBOL

| 257

ein, beziehen sich aufeinander, nutzen einander etc. So können etwa auf der Medien-Ebene Spezialdiskurse oder auch Politikdiskurse aufgenommen werden. Oder Medien nehmen den Alltagsdiskurs auf, bündeln diesen und spitzen ihn zu (vgl. Jäger 1993: 180ff). Wie jeweils gültiges Wissen zustande kommt, hat Foucault in „Die Ordnung des Diskurses“ (2001b) beschrieben. Demnach lassen sich drei zentrale Diskursregulierungsweisen in Gesellschaften „wie der unseren“ (Foucault 2001b: 11) ausmachen: • Es existieren Prozeduren der Ausschließung von bestimmten Diskursen, wel-

che durch Verbote installiert werden. Das bedeutet, dass Subjekte nicht alles in den Diskurs einbringen dürfen, was sie wollen, weil dieser durch Normen, Vorschriften und Gesetze bestimmt ist. • Ein zweites Regulierungsinstrument stellt eine Grenze zwischen dem Vernünftigen und dem Unvernünftigen auf, zwischen den „Wahnsinnigen“, die entmündigt werden können, und den Vernünftigen, welche die Träger der abendländischen Kultur sind. • Das dritte Regulierungsinstrument von Diskursen ist die Konstruktion des Gegensatzes von wahr und falsch, indem ein „Wille zur Wahrheit“ (Foucault 2001b: 16) auf der Grundlage des je vorherrschenden politischen, philosophischen, religiösen oder wissenschaftlichen Wahrheitsgehalts erzwungen wird (vgl. Foucault 2001b: 10-22). Ergebnis dieser Diskursreglements sind hegemonial durchorganisierte und durchstrukturierte Diskurse, die durch Kontrolle, Selektion, Kanalisation und Hierarchisierung von Wissen und Wahrheiten entstehen. Einerseits etablieren sich gesellschaftliche Zwänge, „wahre“ Diskurse zu produzieren und neue Diskurse an den vorherrschen Wahrheitsaussagen zu überprüfen (vgl. Lemke 1997: 51). Das bedeutet, dass die „wahren“ Diskurse die Individuen an bestimmte Aussagetypen, z.B. über Geschlecht, Nation, Klasse oder „Rasse“ binden und demnach alle anderen Denkformen diskreditieren, entmündigen, verbieten. Somit können Diskurse durch direkte Verbote und Einschränkungen, Anspielungen, aber auch durch Konventionen, Verinnerlichungen, Bewusstseinsregulierungen wie Moral oder Religion oder durch Selbstregime eingeengt werden. Die daraus entstehende „wahre“ Wissensproduktion normiert die Gesellschaften, und diese erhalten „so ihre eigene Ordnung der Wahrheit, die aus einer bestimmten Beziehung von Subjektivierungsweisen, Gesetzestexten, Normen, sinnvollen Optionen und Verhaltensweisen erwächst“ (Opitz 2004: 50). Einfach gesagt bedeutet dies,

258 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

dass Wissen durch Machtverhältnisse hervorgebracht wird. Andererseits sind die Diskurse, dadurch dass sie Machtverhältnisse widerspiegeln, nicht für allezeit ein Herrschaftsinstrument, sondern können zum Hindernis oder Ausgangspunkt einer widerständigen Strategie werden, indem diskursive Praxen die hegemonialen Verhältnisse unterminieren (vgl. Foucault 1983: 122). Das meint, dass die großen Erzählungen, die „wahren“ Diskurse, in sich brüchig werden können, weil hegemoniale Kräfte ihre Logik nicht konsequent durchhalten. Dadurch gerät die Reproduktion der herrschenden Ideologien in ihren Institutionen ins „Stottern“, oder die Individuen selbst geraten beim Vollzug der Erzählungen ins „Stottern“. Es können auch gegenhegemoniale Kämpfe entstehen, welche die Abstraktionen der herrschenden Diskurse, die aus Individuen Unterworfene machen, abweisen (vgl. Müller/Reinfeld/Schwarz/Tuckfeld 1994: 68f, Foucault 1994: 246). So verstanden sind Diskurse auf der subjektiven Ebene gesellschaftliche Produktionsmittel, indem Diskurse soziales Wissen produzieren und Vorgaben für die Subjektbildung und die Strukturierung von Gesellschaften schaffen. Der Diskurs ist demnach eine regulierende Instanz. Er formiert Subjekte und ihre Bedeutungskonstellationen. Subjekte werden dadurch zu Agenten „der Konstitution von Wissen“ (Foucault 1976: 119). Das meint, dass jedes Subjekt, das einen Diskurs entfaltet, automatisch eine Position einnimmt, „als ob es selbst Subjekt des Diskurses wäre“ (Hall 1994: 151). Folglich entsteht ein Netz von Diskursen, welche aufeinander aufgebaut sind und in ein Bedeutungsnetz eingebunden werden, das wiederum von Machtverhältnissen konstituiert ist. Zusammenfassend ist es die Aufgabe der Kritischen Diskursanalyse Bedeutungen, Diskursstandpunkte und hegemoniale Denkangebote als konstituierende Merkmale der Realität sozialer und politischer Vergesellschaftungen sichtbar zu machen. In diesem Sinne verfolgt die Kritische Diskursanalyse ein Sichtbarmachen unsichtbarer oder schwer durchschaubarer diskursiv geschaffener und abgesicherter Machtverhältnisse, ohne sich an der Reproduktion von Verschwörungsmythen zu beteiligen. Sie versucht vielmehr, durch theoretische Fundiertheit und methodische Genauigkeit, Verklärungen entgegenzuwirken. Bei der Diskursanalyse geht es nicht um die Bestätigung der eigenen Weltanschauung oder des eigenen Weltbildes, sondern um methodisch fundiertes Arbeiten im Umfeld von Texten (vgl. Titscher/Wodak/Meyer/Vetter 1998: 181). Das Problem hierbei ist, wie es gelingt, sich selbst und anderen zu verdeutlichen, wie ein Ergebnis Kritischer Diskursanalyse zu verstehen und zu begreifen ist. Denn wenn die Foucaultsche Diskurstheorie an sich ernst genommen wird, stellt sich auch die Frage nach dem eigenen verhaftet Sein in und durch Herrschaftsdiskurse. Hierbei können Zweifel an der vorurteilsfreien Interpretation der Diskurse

SYMBOL

| 259

aufkommen. Deshalb ist es notwendig, methodische Vorkehrungen zu treffen, damit die „sozialwissenschaftliche Alltagspraxis der Interpretation zu einem wissenschaftlichen Unternehmen wird“ (Keller 2007: 1). Wie schon beschrieben ist ein wesentliches Ziel der Kritischen Diskursanalyse das ermitteln von Diskurspositionen: „Unter einer Diskursposition verstehe ich den Ort, von dem aus eine Beteiligung am Diskurs und seine Bewertung für den Einzelnen und die Einzelne bzw. für Gruppen und Institutionen erfolgt.“ (Jäger M. 1996: 47)

Die Diskursposition ist somit als das Resultat der Verstricktheiten verschiedener Diskurse, denen das Individuum im Verlauf seines Lebens ausgesetzt ist bzw. die es produziert, zu verstehen. Einfach gesagt ist die Diskursposition als eine bestimmte ideologische bzw. weltanschauliche Position einer Person oder Institution zu verstehen. Das bedeutet, dass eine Diskursposition sich unter besonderen diskursiven Verstrickungen produziert und reproduziert. Diskurspositionen lassen sich im Grunde erst als Resultat von Diskursanalysen ermitteln. Das bedeutet für das weitere Vorgehen, dass für eine Analyse der Diskursposition der Initiative „Work-Life-Balance“ in Verbindung mit Aussagen zum und über das Geschlechterregime Fragen danach gestellt werden, wie und in welcher Beziehung geschlechterregimerelevante Positionen im Verhältnis zu den intersektionalen Ebenen stehen. Genau genommen orientiere ich mich zur Bestimmung der geschlechterregimerelevanten Diskurspositionen an der von Siegfried Jäger vorgeschlagenen Vorgehensweise (vgl. Jäger 1993: 188ff). Diese methodische Vorgehensweise wird ab dem vierten Schritt durch geschlechterregimerelevante Analyseschritte erweitert. Hierbei wird der Diskurs auf die wesentlichen Geschlechterregimeelemente symptomatisch untersucht. Die symptomatische Analyse bedeutet das Herauslesen bestimmter Elemente innerhalb von Texten (vgl. Kapitel 2.4): 1. Der erste Analyseschritt umfasst die Charakterisierung des institutionellen

Rahmens. Das heißt, die Autorinnen und Autoren werden vorgestellt, die politische Verortung des Diskurses wird aufgezeigt, Auflage und bibliographische Daten werden erfasst. 2. Der zweite Analyseschritt umfasst die Text-Oberfläche. Hierbei wird die Gestaltung des Textes thematisiert sowie im Artikel angesprochene Themen und Themenkomplexe geclustert.

260 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

3. Der dritte Analyseschritt umfasst die sprachlich-rhetorischen Mittel innerhalb

des Diskurses. Das bedeutet eine Analyse der Argumentationsstrategien, der Kollektivsymbolik und der Referenzbezüge. 4. Der vierte Analyseschritt bezieht sich auf die inhaltlich-ideologischen Aussagen zum Menschen- und Gesellschaftsbild, welches im Diskurs angesprochen wird. Hierbei wird mithilfe des Theorems Geschlechterregime das Menschenund Gesellschaftsbild der Initiative vertieft. 5. Im fünften Analyseschritt werden die Diskurspositionen als geschlechtsspezifische Anrufungen auf den intersektionalen Ebenen des Geschlechterregimes geordnet und interpretiert. Das heißt, hier wird die Interpretation des gesamten untersuchten Diskursstrangs mit abschließender kritischer Einordnung der Untersuchungsergebnisse vollzogen. Bei diesem letzten Schritt, der die eigentliche Diskursanalyse ist, wird mithilfe der Matrix des Theorems Geschlechterregime der Diskurs analysiert. Das bedeutet, dass Diskurspositionen auf der Ökonomieebene im Bereich der Produktion/Reproduktion, Arbeitsteilung und Krise, auf der Regierungsebene im Hinblick auf Biopolitik und Gouvernementalität, auf der Symbolebene nach geschlechterregimerelevanten Ideologien sowie auf der Subjektebene nach Selbstverhältnissen analysiert werden. 6. Die abschließende Bewertung der geschlechterregimerelevanten Diskurspositionen wird mithilfe der intersektionalen Darstellung von Wechselwirkungen der strukturellen, symbolischen und subjektiven Anrufungen vollzogen. Dies hat den Vorteil, die diskursiven Verstrickungen zu verdeutlichen. Zusammenfassend ist meine Vorgehensweise, bei der kritischen Diskursanalyse des Work-Life-Balance-Konzepts der Initiative „Work-Life-Balance als Motor für wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftliche Stabilität“ eine modifizierte Vorgehensweise. Sie orientiert sich an den Musteranalysen und Analyseschritten von Siegfried Jäger und wird mit dem Theorem des Geschlechterregimekonzeptes trianguliert. Die Modifikation liegt darin, dass die theoretischen Ebenen des Geschlechterregimes, insbesondere die intersektionalen Wechselwirkungen der geschlechterregimerelevanten Diskurse, in die Interpretation mit einfließen werden. Wie schon in der Einleitung des empirischen Kapitels „Zur intersektionalen Dispositivanalyse des Geschlechterregimes“ beschrieben, lässt sich mit diesem Vorgehen die Herausstellung der symbolischen und ideologischen Merkmale des historisch-konkreten Geschlechterregimes vertiefen.

SYMBOL

| 261

8.2 D URCHFÜHRUNG DER K RITISCHEN D ISKURSANALYSE DES W ORK -L IFE -B ALANCE K ONZEPTES 8.2.1 Charakterisierung des institutionellen Rahmens Der Diskurs, welcher hier analysiert wird, stellt einen Text zum Thema WorkLife-Balance dar. Dieser Text ist seinerseits eine Analyse der volkswirtschaftlichen Effekte von „Work-Life-Balance als Motor für wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftliche Stabilität“ sowie eine Zusammenfassung der Ergebnisse. Im Folgenden wird dieser Diskurs auf seine bibliographische Daten und politische bzw. strukturelle Verortung hin untersucht: Abbildung 5: Cover „Work-Life-Balance“ (BMFSFJ 2005)

262 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Die Broschüre ist 2005 in DIN A4 Format gedruckt worden und umfasst 52 Seiten. Sie ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit der deutschen Bundesregierung, wird kostenlos abgegeben und ist nicht zum Verkauf bestimmt. Erhältlich ist sie als PDF- sowie als Druckversion und wurde im Januar 2006 nachgedruckt. Auf diesen Nachdruck bezieht sich meine Diskursanalyse. Die Auflagen sind von Prognos publiziert. Die Prognos AG unterstützt die Analyse, Bewertung und Entwicklung von Zukunftsoptionen von Unternehmen oder von Institutionen. Zu den konkreten Autorinnen und Autoren der aktuellen Broschüre lassen sich aus dem Inhalt keine direkten Rückschlüsse ziehen. Auf telefonische Nachfrage bei der Pressestelle des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) ist die Broschüre im Juni 2005 10.000-mal, im August 2005 6.000-mal und im Januar 2006 weitere 8.000-mal gedruckt worden. Seitdem ist sie vergriffen und wird als Download im Internet angeboten2. Die Internetredaktion des BMFSFJ gibt aus Datenschutzgründen keine Angaben über die Downloadzahlen. Schätzungsweise könnten die Zahlen im 5-6 stelligen Bereich liegen, wenn von einer gleich bleibenden OnlineNachfrage ausgegangen wird. Die Initiatoren dieses Projektes sind börsennotierte Konzerne wie Bertelsmann, Commerzbank, Fraport, Vattenfall Europe, Voight, DaimlerChrysler und Deutsche Telekom3 zusammen mit der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA),4 dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) sowie dem Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit (jetzt Wirtschaft und Technologie, BMWi).5 Die Schirmherrschaft hat der Bundesver-

2 3

4

5

Download unter: http://www.bmfsfj.de/bmfsfj/generator/BMFSFJ/Service/Publikationen/publikationen,did=298 34.html Das bedeutet, dass an diesem Work-Life-Balance-Diskurs unter anderem die mächtigsten Konzerne der BRD vertreten sind. Die Deutsche Telekom zum Beispiel ist mit 85.89 Milliarden US$ Umsatz auf Platz 62 der mächtigsten Unternehmen der Welt, Daimler mit 133.43 Milliarden US$ ist auf Platz 83. Die Rangfolge errechnet sich aus einer Kombination von Umsatz, Nettogewinn, Aktiva und Marktwert. Die Ergebnisse erscheinen jährlich mit den 2000 größten börsennotierten Unternehmen der Welt in der Liste Forbes Global 2000 (vgl. Forbes 2009). Die BfA ist einer der größten Sozialleistungsträger in Europa und heißt seit Oktober 2005 Deutsche Rentenversicherung Bund. Dieser betreut generell alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Zu den Leistungen zählen nicht nur die Auszahlung von Renten, sondern auch Leistungen zur Rehabilitation nach dem Motto „Rehabilitation geht vor Rente“ (vgl. Deutsche Sozialversicherung 2010). Ab 2005 wurde das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit aufgeteilt in das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) und das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi). Zu den Aufgaben des BMWi gehören Europa-,

SYMBOL

| 263

band der deutschen Industrie (BDI).6 Herausgeber dieser Broschüre ist das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ 2005). Das BMFSFJ unterstand von 2005 bis 2009 der CDU-Politikerin Ursula Gertrud von der Leyen. Unter ihrer Führung wurde in Deutschland zum 1. Januar 2007 das Erziehungsgeld abgeschafft und ein einkommenabhängiges Elterngeld eingeführt. Von der Leyen will vor allem den Ausbau von Krippenplätzen voranbringen. Sie steht deshalb in der Kritik, die CDU vom traditionellen Familienleitbild wegzubewegen sowie „in den Fangarmen der Krake Bertelsmann zu sein“ (Lieb 2007: 1), da ihre Familienpolitik sich wirtschaftlichen Interessen unterordnet. Nach dem Rücktritt des Bundesministers für Arbeit und Soziales Franz Josef Jung wurde von der Leyen am 30. November 2009 zu dessen Nachfolgerin ernannt. Seit diesem Zeitpunkt ist nun Kristina Schröder die Nachfolgerin von von der Leyen. Die von der CDU gestellte Familienministerin möchte einerseits dem Kurs ihrer Vorgängerin von der Leyen folgen und möchte andererseits bei der geplanten Einführung des Betreuungsgelds streng nach den Richtlinien des Bundesregierungskoalitionsvertrages von CDU und FDP vorgehen. Der Koalitionsvertrag sieht vor, dass Eltern, die ihre Kleinkinder nicht in eine Kindertagesstätte geben wollen, ab 2013 monatlich ein sogenanntes Betreuungsgeld von 150 Euro monatlich erhalten. Von der Leyen lehnt eine solche Auszahlung ab und spricht sich für die Ausgabe von Gutscheinen aus. Schröder kommentiert den Vorschlag zum Betreuungsgeld damit, dass es richtig sei, „dass der Staat jungen Eltern, die ihr kleines Kind komplett zu Hause betreuen wollten, eine Anerkennung zukommen lasse. Denn vom Ausbau der Kinderkrippen profitierten diese nicht“ (Schröder 2009). Zusammenfassend lässt sich der institutionelle Rahmen damit charakterisieren, dass aus der strukturellen Zusammensetzung hervorgeht, dass staatliche Institutionen und Großkonzerne gemeinsame Interessen verbinden. Die Initiatoren dieses Work-Life-Balance-Diskurses sind nicht nur einfache Multiplikatoren des Diskurses, denn sie können als Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber und als Regie-

6

Wirtschafts-, Mittelstands-, Energie-, Industrie-, Außenwirtschafts-, Kommunikations- und Postpolitik sowie Technologiepolitik. Der BDI als Schirmherr ist die Superorganisation im Bereich von Industrieunternehmen und stellt einen Verband von Verbänden dar, in dem 36 Wirtschaftsverbände und mehr als 100.000 Unternehmen mit rund 8 Millionen Beschäftigten Mitglied sind. Als Interessenvertretung der Industrie trägt der BDI bei seinen Mitgliedern zur Meinungsbildung und zur Entscheidungsfindung bei (vgl. BDI 2011). Das heißt, der BDI transportiert die Interessen der deutschen Industrie an politisch Verantwortliche in Deutschland (auch Lobbyismus genannt).

264 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

rung einen zentralen Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung geltend machen. Außerdem können sie durch ihre zentralen Positionen innerhalb der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsformation die leistungsstarken Führungseliten, die „Führung der Führungen“ (Foucault 1994: 255, vgl. Kapitel 4.2.2, 7.4), organisieren. Die personelle Zusammensetzung dieser Initiative ist ebenfalls für die Analyse des Diskurses relevant. Hierbei lässt sich feststellen, dass es einen Bruch bei von der Leyen mit dem traditionellen Familienbild der CDU gibt und dass Schröder als Nachfolgerin von von der Leyen als Gegenpol zu von der Leyen betrachtet werden kann. Zugespitzt formuliert lässt sich zusammenfassen, dass in diesem Text ein Konglomerat aus staatlichen Institutionen und Großkonzernen Ziele der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung in den nächsten Jahrzehnten artikuliert. Hierbei lässt sich durchaus von einem wirkmächtigen Herrschaftsdiskurs sprechen. 8.2.2 Text-Oberfläche Das nun folgende Kapitel erteilt einen zusammenfassenden Überblick über die in der Broschüre angesprochenen Themen und zugrunde liegenden Thesen und Argumente. Dabei werden die wesentlichen Themen bzw. Diskursfragmente in verschiedene Themenblöcke eingeteilt: Der erste Themenblock „Work-Life-Balance“ (Seite 4-11) behandelt die Vorteile der Gesamtwirtschaft, sofern Work-Life-Balance-Maßnahmen flächendeckend in Unternehmen eingeführt werden. Zu den Vorteilen zählen eine Stärkung des Wirtschaftswachstums und eine Erhöhung des Bruttoinlandsproduktes, die Senkung der Lohnnebenkosten durch die Stärkung der Sozialversicherung sowie mehr Geburten, mehr Lohnarbeit und eine Stärkung des Binnenmarktes durch Work-Life-Balance. Der folgende Themenblock „Trends der Arbeitswelt am Beginn des 21. Jahrhunderts“ (Seite 12-14) beschreibt die Anforderungen, welche sich Unternehmen und Gesellschaft in den nächsten 40 Jahren zu stellen haben. Dieser Themenblock behandelt Probleme des wirtschaftlichen Strukturwandels sowie des demographischen Wandels. Der Themenblock „Instrumente und Maßnahmen der Unternehmen“ sowie „die Wirkungen von Work-Life-Balance-Maßnahmen“ (Seite 14-32) verdeutlicht die Möglichkeiten, positiv auf die gestellten Anforderungen und Probleme einwirken zu können. Im Vordergrund steht hier die Beschreibung, wie individuell die Beschäftigten entsprechend ihrer Anforderungen in konzerninterne Work-Life-Balance-Maßnahmen integriert werden können. Die vorgestellten

SYMBOL

| 265

Maßnahmen sind bedarfsspezifische Arbeitszeitmodelle, angepasste Arbeitsorganisation, Modelle zur Flexibilisierung des Arbeitsortes oder gesundheitspräventive Maßnahmen. Ein essentieller Aspekt dieser Perspektive ist die sogenannte Balance von Familie und Beruf. Im letzten Themenblock „Modellrechnung“ (Seite 32-41) werden in einem Szenario die aktuellen Trends der ökonomischen und bevölkerungspolitischen Entwicklung dargestellt. Im Fazit (Seite 42-45) werden die zentralen Themen wieder aufgegriffen und die Hauptthese wiederholt, wonach durch Work-Life-Balance-Maßnahmen eine dreifache Win-Situation für die Konzerne, für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie für die Volkswirtschaft entstehe. Diese dreifache WinSituation soll über eine Verzahnung von Arbeitsleben und Privatleben bzw. von Produktion und Reproduktion hergestellt werden. 8.2.3 Sprachlich-rhetorische Mittel In diesem Kapitel werden Jargon, Zeigewörter und Kollektivsymbolik untersucht. Als erstes Beispiel zu den sprachlich-rhetorischen Mitteln möchte ich die in dieser Broschüre benutzte Ausdrucksweise, deren Ziel eine wissenschaftlichen Fundierung und Absicherung von Work-Life-Balance-Maßnahmen ist, darstellen: „Die Diskussion um die Qualität des Standortes Deutschland zeigt, dass die Unternehmen bei Investitions- und Ansiedlungsentscheidungen neben harten ökonomischen bzw. steuerrechtlichen Faktoren auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen reflektieren. Zu nennen sind hier neben der Forschungs- und Bildungsinfrastruktur auch die Lebens- und Wohnqualität für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, soziale Stabilität und Sicherheit, die eine langfristige Planung ermöglichen, und Perspektiven der Nachwuchssicherung und Personalrekrutierung. Mit ihrem betrieblichen und personalpolitischen Handeln leisten wiederum die Unternehmen selbst einen aktiven Beitrag zur Gestaltung dieser Rahmenbedingungen: Werden privates, soziales und ehrenamtliches Engagement durch Freiräume und Flexibilität in der Arbeitsgestaltung unterstützt? Wird eine Gesundheitsorientierung vermittelt, die den Präventionsgedanken stärkt? Werden flankierend zur vorhandenen (Betreuungs-)Infrastruktur eigene Einrichtungen geschaffen und für eine weitere Nutzung geöffnet?“ (Seite 5)

Innerhalb der Broschüre existieren keine Referenzbezüge für eine Diskussion um die Qualität des Standortes Deutschland. Anscheinend soll hierdurch eine gesamtgesellschaftliche Relevanz suggeriert werden, die Work-Life-Balance in den

266 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Zusammenhang mit der Qualität des Standortes Deutschland bringen soll. Auch wird der Eindruck vermittelt, dass Unternehmen neben sogenannten ökonomischen Sachzwängen bzw. den harten ökonomischen und steuerrechtlichen Faktoren auch weiche Faktoren wie soziale Stabilität oder die Wohnqualität ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einbeziehen. In diesem Zusammenhang werden in der weiteren Argumentation die diesbezüglich gestellten Fragen aufgegriffen und beantwortet. So etwa zum privaten, sozialen und ehrenamtlichen Engagement: „Der Ausgleich zwischen Privatleben/Familie und Beruf zielt insbesondere darauf ab, unterschiedlichen Bedürfnissen in einzelnen Lebensphasen gerecht zu werden. Mit WorkLife-Balance-Maßnahmen soll allen Beschäftigten ermöglicht werden, dass Phasen der Qualifizierung, der Familiengründung, ggf. karitative und ehrenamtliche Tätigkeiten, Auslandsaufenthalte u.a.m. mit einer kontinuierlichen Erwerbsarbeit vereinbar bleiben und sich diese unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen von Arbeits- und Lebenszielen nicht wechselseitig ausschließen. Eine intelligente Verzahnung von Arbeits- und Privatleben gewinnt angesichts der Veränderungen in Arbeits- und Lebenswelt für alle Beschäftigtengruppen an Bedeutung.“ (Seite12)

Dieser Abschnitt ist sprachlich so zu verstehen, dass Work-Life-Balance „allen“ Beschäftigten zugutekommen soll und für „alle“ Beschäftigungsgruppen bedeutsam ist. Das Indefinitpronomen „alle“ meint also die Gesamtheit bzw. die Allgemeinheit. Aber auch als Metapher bzw. als Übertragung ist dieser Abschnitt interessant, denn besonders der Aspekt, dass Arbeits- und Lebensziele sich nicht wechselseitig ausschließen, lässt sich als eine Aktivierung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer für betriebliche Interessen interpretieren. Belegt wird diese Interpretation durch den Begriff des „Humanvermögens“ (Seite 5). Mit „Humanvermögen“ sind hierbei „alle“ Beschäftigten des Unternehmens gemeint. Das bedeutet, dass für das „Humankapital“ der Firmen Maßnahmen „angeboten“ werden, die es dazu bringen sollen produktiver und motivierter zu sein und dadurch dem Unternehmen die Rendite zu sichern: „Folglich bieten Work-Life-Balance-Maßnahmen als Investitionen in das Humanvermögen der Unternehmen die Chance: die Produktivität der Beschäftigten zu steigern, indem sie die Arbeitsmotivation erhöhen und Fehlzeiten ebenso wie die Personalfluktuation verringern, eine nachhaltige Unternehmensrendite zu sichern, indem sie die Identifikation der Belegschaft mit dem Unternehmen stärken, die Kundenorientierung verbessern, Verlusten im Bereich der qualifizierten Fachkräfte vorbeugen sowie die Personalrekrutierung durch positive Imageeffekte erleichtern und damit die Innovationsfähigkeit fördern und nachhal-

SYMBOL

| 267

tig die Akzeptanz des Unternehmens in der Öffentlichkeit zu erhöhen und somit die Attraktivität für potenzielle Investoren zu stärken.“ (Seite 5)

Diese Argumentation der Initiative lässt sich als eine Subjektivierungsweise beschreiben und schließt die neoliberalen rhetorischen Figuren der Unterordnung unter die Interessen der Wirtschaft als auch die Ausrichtung der eigenen Lebensinteressen an volks- und betriebswirtschaftlichen Effizienzkriterien ein. Die politisch-programmatischen Prämissen von Work-Life-Balance-Maßnahmen sowie die Notwendigkeit von Anpassungs- bzw. Entzerrungsstrategien von Privat- und Erwerbsleben werden sprachlich indikativ, als normative Kraft des Faktischen, dargestellt. Die Art und Form dieser Argumentation und die Argumentationsstrategie rekurrieren aber auf nicht belegte Referenzbezüge von internationalen Vergleichen und demographischen Entwicklungen: „Sowohl internationale Vergleiche als auch die immer noch geburtenstarken Jahrgänge im gebärfähigen Alter sowie aktuelle Zahlen aus der Bevölkerungsstatistik bestätigen diesen Trend. […] Für die Modellrechnung nehmen wir an, dass das Erwerbspersonenpotenzial durch vermehrte Work-Life-Balance-Maßnahmen um 0,7 % angehoben werden kann.“ (Seite 35)

Der Indikativ ist so eigentlich ein Konjunktiv, eine Möglichkeitsform. Im logisch-philosophischen Sinne mögen die Sätze des Konzeptes „wahr“ sein, das heißt, „dass die Conclusio von den Prämissen (logisch) impliziert ist“ (Tugendhat/Wolf 1997: 32). Dieser Schluss sagt aber nichts über die Faktizität der Prämissen aus, da diese sinnig oder unsinnig sein können. Dies belegen selbst Aussagen des Konzeptes: „Die Argumentation der Wirkungszusammenhänge basiert auf den vorliegenden Erkenntnissen und Erfahrungen der beteiligten Unternehmen, die sich neben der Optimierung betrieblicher Abläufe und Prozesse mit den Work-Life-Balance-Maßnahmen und ihrer innovativen Personalpolitik auch einer übergeordneten gesellschaftlichen Verantwortung stellen .“ (Seite 33)

Die normative Kraft des Faktischen stellt sich insofern auch als Erfahrungen aus den Unternehmen dar. Die Wirkmächtigkeit dieser sich so darstellenden Argumentation entfaltet indirekt einen Imperativ, der beinhaltet, Erwerbsarbeit und Privatleben dringend neu entlang der Wettbewerbsfähigkeit von Deutschland zu organisieren. Um diese Botschaft bzw. diese Aufforderung zu untermauern, sind in dieser Broschüre autoreferentielle Bezüge enthalten. Damit ist gemeint, dass

268 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

die Argumentation bzw. die Referenzbezüge dadurch stabilisiert werden, indem die Referenzbezüge auf sich selbst bezogen werden. Gleichzeitig sind dadurch andere Möglichkeiten ausgeschlossen. Folge ist eine geschlossene identitäre Systembildung. Beispielhaft hierzu: „Auf Grund der aktuellen Entwicklungen in den Unternehmen gehen wir in den Berechnungen davon aus, dass in den nächsten 15 Jahren rund 30 % der Beschäftigten an integrierten Work-Life-Balance-Konzepten partizipieren werden.“ (Seite 8)

Interessant an diesen Formulierungen ist mit Bezug auf das Personalpronomen „wir“ die gemeinschaftsstiftende Grammatik des Sozialen (vgl. Gramsci 1991: 260f). Das meint, dass die Funktion der Grammatik des Sozialen ein sprachliches Regelwerk und ein Feld politisch konformer Handlungsoptionen vermittelt. Anders gesagt ist in dieser Grammatik ein Wir-Code enthalten, der eine Ordnungskraft besitzt. Er verordnet die Akteure und weist dem Subjekt bzw. den Leserinnen und Leser den Platz des Ichs zu bzw. verhilft dem Ich in einem selbstreferentiellen Prozess zum Durchbruch. Der Durchbruch gelingt, wenn das Ich sich in der Form des „wir“ einfindet oder abstößt. Demnach sind Wir-Sätze Rituale zur kollektiven Hervorbringung einer Menge von Individuen und ein „sich-Zeigen“ bzw. Aufzeigen von gesellschaftlichen Praxen (vgl. Reucher 1987: 13ff). Dies verdeutlicht eine weitere Explikation von „wir“, nämlich „ihren“: „Die Motivation, mit umfassenden Konzepten der Work-Life-Balance Veränderungen in den Unternehmen anzustoßen, reflektiert folglich sowohl eine spezifische Haltung der Unternehmen gegenüber ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als auch Sachzwänge, wie z. B. vorhandene oder aber erwartete Engpässe in der Personalrekrutierung.“ (Seite 12)

Durch das Possessivpronomen „ihren“, das ein Abhängigkeitsverhältnis darstellt, ergibt sich ein Hinweis auf den Diskursstandpunkt der Autorinnen und Autoren – nämlich, dass Kapital und Arbeit keinen Widerspruch darstellen, sondern, dass Beschäftigte dem Unternehmen gehören. Doch bevor ich weitere Diskursstandpunkte sowie Handlungsanrufungen verdeutliche, möchte ich auf zusätzliche Referenzbezüge, das heißt, auf externe Berufungen des „wir“ über die Quellen des Wissens eingehen. Beispielhaft hierfür sei genannt, dass die Unternehmen der Initiative Work-Life-Balance sowie die Prognos AG als Referenzbezug dienen, weil die Unternehmen als Mitinitiatoren des Projekts

SYMBOL

| 269

„einen Einblick in die jeweiligen Work-Life-Balance-Programme und bereits vorliegende Bilanzierungen ermöglicht und damit die empirische Basis für die Forschungsthesen gelegt [haben]. Die Prognos AG hat im Auftrag dieses Konsortiums die genannten Zusammenhänge analysiert und in einer makroökonomischen Modellrechnung quantifiziert.“ (Seite 7)

Verstärkt wird dieser Referenzcharakter durch das zeigende „dieses“. Ein solcher Hinweismechanismus des Wortes „dieses“ vermittelt das Aufgezeigte mit einer kommunikativen Mitteilung und führt zu einer Abbildung der autoreferentiellen Bezüge. Wahrscheinlich ist die Grundstruktur von Denken und Handeln nicht anders erfassbar, als dieses in ein „zu-Sich-selbst-Zeigen“ zu bringen. Das heißt, dass Sprechen und Denken sowie das Sichverständigen, „mit sich und anderen und so des praktischen Sich-zu-sich-Verhaltens – zu einem Ich, das Wir, und Wir, das Ich ist, von welcher handelnden Tätigkeit das theoretische Sich-zusich-Verhalten (als Sich-zum-Anderen-seiner-selbst-Verhalten) sowohl ein Teil als auch selber das Ganze ist“ (Collmer 2009: 22). Einfach gesagt dreht sich die Argumentationsstruktur der Autorinnen und Autoren um sich selbst und ist sozusagen selbstbezüglich-totalisierend (vgl. Collmer 2002: 592ff). Diese SelbstTotalisierung kommt im Gegensatz zu populistischen Diskursen auch konsequent ohne Anspielungen aus. Auch andere rhetorische Figuren wie Floskeln oder Übertreibungen tauchen in diesem Diskurs nicht auf. Allerdings sind relativ viele Vergleiche zu finden, die wiederum selbstexplikativ sind. Zum Beispiel: „Work-Life-Balance-Konzepte als Wachstumsmotor […] als Bestandteil einer innovativen Unternehmens- und Personalpolitik.“ (Seite 8) „Work-Life-Balance als eine Maxime der betrieblichen Personalpolitik […] als Teil einer nachhaltigen Familienpolitik zu sehen.“ (Seite 10)

Die Satzteilkonjunktion „als“ dient in diesen Beispielen dazu die Begrifflichkeit Work-Life-Balance zu bestimmen und verweist damit auf einen autopoietischen Prozess (vgl. Luhmann 2008: 56). Damit ist gemeint, dass soziale Systeme sich selbst produzieren und reproduzieren, indem sie das Produkt des funktionalen Zusammenwirkens ihrer Bestandteile, in diesem Fall der Work-Life-Balance, zu ihrer Organisation machen, welche wiederum die Bestandteile des Systems herstellt. Lediglich ein Begriff dieser Broschüre könnte vom Prinzip her eine Anspielung oder Metapher sein:

270 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

„Ein Teil der Stillen Reserve und der Erwerbslosen kann dank besserer Vereinbarkeit der Anforderungen von Privat- und Berufsleben zusätzlich für den Arbeitsmarkt erschlossen werden und erhöht damit das Erwerbspersonenpotenzial.“ (Seite 32)

Sicherlich ist der Begriff der „Stillen Reserve“ doppel- bzw. mehrdeutig, und er kann auch als Metapher verstanden werden. Dennoch gibt der Satz in diesem Zusammenhang keine direkte Veranlassung einen Vergleich zur progressiven „Produktion einer relativen Überbevölkerung oder industriellen Reservearmee“, wie Marx die ständige Nachfrage nach stetig ausbeutbarem Menschenmaterial im ersten Band des Kapitals beschreibt, zu ziehen (vgl. MEW 23: 661). Als „Stille Reserve“ sind wahrscheinlich in diesem Zusammenhang Menschen gemeint, welche keinen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung besitzen, wie Hausfrauen, -männer, Schüler, Rentner etc. Für die Bundeszentrale für politische Bildung ist die „Stille Reserve“ sogar ein feststehender Begriff für verdeckte Arbeitslosigkeit (vgl. BPD 2008). In Bezug auf die Kollektivsymbolik lassen sich die Verwendung des Bundesadlers und die Farben „Schwarz-Rot-Gold“ auf dem Deckblatt der Broschüre hervorheben. Der deutsche Bundesadler, das heißt ein nach rechts blickender Adler, „ist eines der ältesten Staatssymbole der Welt und das älteste heute noch bestehende europäische Hoheitszeichen“, schreibt das Bundesministerium des Innern (BMI 2010).7 Am 8. Mai 1949 trat in der Bundesrepublik Deutschland

7

Als vielleicht eines der bedeutendsten Symbolfiguren überhaupt, ob für die griechische, ägyptische oder germanische Mythologie, symbolisiert der Adler Unsterblichkeit, Weitblick und Kraft oder wird als „König“ der Lüfte oder Bote der höchsten Götter verehrt. Das Adlersymbol durchzieht sich auch durch alle sogenannten Deutschen Reiche. Schon seit ca. 100 v. Chr. war der Adler das Feldzeichen des römischen Reiches. Das sogenannte erste heilige römische Reich deutscher Nation (912-1806) übernahm den Adler als Symbol des römischen Weltreichs. Unter Kaiser Sigismund im Jahre 1433 wurde der doppelköpfige Adler das Wappentier des römisch-deutschen Reiches. Der Adler symbolisiert hierbei das Reich als Ganzes. Auch die Frankfurter Nationalversammlung entschied 1848/49 den doppelköpfigen Adler zu benutzen, weil sie sich für ein deutsches Kaiserreich mit Königreichen bzw. Fürstentümern aussprach. Im sogenannten zweiten Reich (1874-1918) bzw. im deutschen Kaiserreich wurde der nach rechts blickende einköpfige Adler als Reichsadler bzw. als Hoheitszeichen gewählt. Das bedeutet, dass vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert der Reichsadler Kollektivsymbol für die aus römischer Tradition übernommene kaiserliche Gewalt war. Das Adlersymbol blieb auch Hoheitszeichen der Weimarer Republik (1919-1933). Im sogenannten Dritten Reich bzw. während des Nationalsozialismus (1933-1945) blieb der rechtsblickende Reichsadler Hoheitssymbol des Deutschen Reiches und wurde zusätzlich mit einem Hakenkreuz in seinen Krallen dargestellt. Allerdings sollte die Blickrichtung vom Wappentier aus gesehen nicht nach rechts,

SYMBOL

| 271

das Grundgesetz in Kraft. Seit dem heißt es in Art. 22 GG: „Die Bundesflagge ist schwarz-rot-gold.“ Das Verwenden der Hoheitszeichen des Bundes ist gesetzlich nur den amtlichen Stellen des Bundes erlaubt. Wird ein Hoheitszeichen des Bundes ohne Genehmigung der dafür zuständigen Stelle benutzt, liegt gemäß § 124 Absatz 1 OWiG eine Ordnungswidrigkeit vor (vgl. BMI 2010). Durch die rechtmäßige Verwendung der Hoheitszeichen im Kontext des Work-LifeBalance-Diskurses wird hier eine übergeordnete Verfasstheit dieses Diskurses suggeriert. Insgesamt lässt sich somit für den Wortschatz und Stil des Diskurses sagen, dass dieser Diskurs sich selbst genügt. Er ist selbstreferenztiell und autopoietisch, vermeidet rhetorische Figuren und ist in einer alltagsverständlichen Sprache mit Schlüsselwörtern aus den Sozialwissenschaften verfasst. Durch die selbst-totalisierende Sprache entsteht der Eindruck, dass dieser Diskurs über den Dingen steht. Der Eindruck der hegemonialen Autopoiesis wird durch die bildhafte Kollektivsymbolik der Broschüre verstärkt. 8.2.4 Inhaltlich-ideologische Aussagen Dieses Kapitel beschäftigt sich mit den grundlegenden inhaltlich-ideologischen Aussagen der Broschüre. Hierbei werden zuerst das Gesellschaftsverständnis der Initiative, ihre gesellschaftlichen Implikationen, Zukunftsperspektiven und vor allem die Aussagen der Initiative im Hinblick auf geschlechterregimerelevante Bezugspunkte analysiert. Um die Frage zu beantworten, welches Gesellschaftsverständnis die Broschüre vermittelt, habe ich exemplarisch Diskurspositionen zusammengestellt, in Themen zusammengefasst und kommentiert. Die Untersuchung ist insofern nötig, um die Wichtigkeit der in dieser Broschüre angesprochenen Positionen für die Zusammensetzung des historisch-konkreten Geschlechterregimes zu verdeutlichen. Der erste Themenkomplex umfasst Aussagen zur gesamtgesellschaftlichen Entwicklung: „Nicht nur diese verbesserte betriebliche Wettbewerbsposition sondern auch die Effekte einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie, von zusätzlichen Freiräumen für ein ehrenamtliches, politisches oder soziales Engagement sowie einer gesundheitsorientierten

sondern nach links sein, da das Parteisymbol der NSDAP ein linksblickender Reichsadler mit Hakenkreuz ist. Seit dem 20. Januar 1950 ist der Deutsche Bundesadler offiziell das Staatswappen der BRD (vgl. Dreyhaupt 2005: 12ff, Leichsenring 2008: 2).

272 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Lebensführung strahlen positiv auf die gesamtwirtschaftliche und die gesellschaftliche Entwicklung aus.“ (Seite 5)

Diese Aussagen lassen sich entlang des Theorems Geschlechterregime so interpretieren, dass die Bereiche der Erwerbsarbeit und der Reproduktionsarbeit im weitesten Sinne in Konkurrenz stehen und dass es volkswirtschaftlich und gesamtgesellschaftlich darum geht, der „Lebensseite“ mehr Freiraum einzuräumen. Dies ist insofern bemerkenswert, weil sich dadurch die Frage stellt, welche Form und welchen Inhalt dieser Freiraum annehmen soll. Vorausgesetzt wird, dass ehrenamtliches, politisches, soziales Engagement sowie eine gesundheitsorientierte Lebensführung die gesamtwirtschaftliche Seite stärkt. Hier schwingt die neoliberale Ideologie der sozialstaatlichen Deregulierung mit, in der die Zivilgesellschaft Verantwortung für gesellschaftliche Missstände übernehmen soll. Diese gesellschaftliche Ausrichtung ermöglicht es finanzielle Ressourcen für sozialstaatliche Aktivitäten einzusparen sowie durch eine „gesunde“ Lebensführung die Erwerbsarbeit und das Gesundheitssystem so kostengünstig wie möglich zu gestalten. In diesem Zusammenhang lässt sich auch das Thema der Gesundheitsprävention einordnen: „Die demographische Entwicklung und das steigende Gesundheitsbewusstsein der Bevölkerung erhöhen den Stellenwert gesundheitsförderlicher präventiver Maßnahmen. Neben der Behandlung arbeitsbedingter Erkrankungen sind vielfältige Präventionsangebote denkbar, bspw. Fitnessangebote und Betriebssport, Programme zur Förderung gesundheitlicher Kompetenzen oder Gesundheits-Checks. [...] Mit den Angeboten werden zeitliche Konflikte bei der Vereinbarung von Beruf und Privatleben entzerrt, der Erhalt der Beschäftigungsfähigkeit unterstützt oder bspw. psychosoziale und gesundheitliche Probleme aufgegriffen.“ (Seite 18)

Inhaltlich lässt sich dieser Diskursstrang dem in dem Theorem Geschlechterregime herausgearbeiteten Bezugspunkt der Biopolitik bzw. der Gouvernementalität zuordnen. Hiermit ist die (Selbst-)Führung bzw. das (Selbst-)Regieren von Individuen gemeint, indem ein Zustand hergestellt wird, bei dem Herrschaft mit dem Einverständnis der Beherrschten ausgeübt wird (vgl. Pieper/Gutierrez-Rodriguez 2003). Prävention ist hierfür ein wesentlicher Faktor und kann als ein zuvorkommendes Handlungsprinzip beschrieben werden. Das heißt, „man tut etwas, bevor ein bestimmtes Ereignis oder ein bestimmter Zustand eintreten, damit diese nicht eintreten oder zumindest der Zeitpunkt ihres Eintretens hinausgeschoben wird oder ihre Folgen begrenzt werden“ (Bröckling 2008: 38). Prävention ist möglich, wenn sich zukünftige unerwünschte Zustände prognostizieren

SYMBOL

| 273

lassen, sich Anzeichen von Fehlentwicklungen darstellen und frühzeitige Eingriffe eine größtmögliche Risikominimierung versprechen. Sicherlich sind in diesem Präventionsdiskurs nicht Eugenikprogramme gemeint. Hier ist Prävention im Sinne vorbeugender lebensverlängernder und arbeitskraftintensivierender Maßnahmen bzw. auch im Sinne von Burnout-Prävention gemeint. Die Frage, die sich hierbei stellt, ist, was die Normen, die Soll-Werte sind, an denen unerwünschte Zustände bzw. erwünschte Zustände gemessen werden. Zumindest das Prinzip dieser Argumentation ist klar: „Wer nicht vorbeugt, ist selbst schuld!“ Hier kristallisiert sich die argumentative Logik einer gouvernementalen Regulation heraus, denn das Ziel einer gouvernementalen Personalführung ist, die Selbstregulierungsfähigkeit der Individuen und sozialen Gruppen mit der kapitalistischen Profitmaximierung in Einklang zu bringen. In dieser Ideologie ist alles auf die Verhinderung des Zufallsfaktors ausgerichtet (vgl. Bröckling 2008). Dieser Systematik liegt es auch zugrunde, gesunde und gut funktionierende Körper weiter zu optimieren und anzupassen bzw. unförmige und unfunktionale Körper zu formieren bzw. zu selektieren (vgl. Kapitel 7.3.1). Der nächste Themenkomplex bezieht sich auf die Verbindungen von Privatleben und Deutschland als Standort in der weltweiten Konkurrenz um die besten Produktionsfaktoren: „Die Diskussion um die Qualität des Standortes Deutschland zeigt, dass die Unternehmen bei Investitions- und Ansiedlungsentscheidungen neben harten ökonomischen bzw. steuerrechtlichen Faktoren auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen reflektieren. Zu nennen sind hier neben der Forschungs- und Bildungsinfrastruktur auch die Lebens- und Wohnqualität für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, soziale Stabilität und Sicherheit, die eine langfristige Planung ermöglichen, und Perspektiven der Nachwuchssicherung und Personalrekrutierung.“ (Seite 5)

Diese bereits zitierte Aussage lässt sich so interpretieren, dass moderne kapitalistische Betriebe vor allem auf Kalkulation beruhen (vgl. Weber 1921: 140). Das bedeutet, dass sie für ihre Existenz ökonomische und steuerrechtliche Faktoren sowie einen Verwaltungsapparat einplanen müssen. Vor allem aber die Erwerbstätigen und deren Funktionieren müssen wenigstens im Prinzip ebenso auf generelle Normen festgelegt und planbar sein, wie die voraussichtliche Leistung einer Maschine kalkuliert werden kann. Dies stellt allerdings die Betriebe bzw. die Regierung Deutschlands vor mindestens ein Problem: Wie lässt sich der Faktor Mensch so rational einplanen, dass er den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen nicht gefährdet, Innovationschancen nicht verringert und zur Bremse für

274 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

wirtschaftliches Wachstum wird? Eine Antwort darauf gibt die Broschüre, derzufolge mittels der Einführung von Work-Life-Balance-Maßnahmen die Beschäftigten ihre Lebensentwürfe besser planen können, wodurch die Unternehmen besser kalkulieren können und die Entwicklung der Gesellschaft ebenfalls besser kalkulierbar wird: „Die Implementierung von Work-Life-Balance-Maßnahmen in den Unternehmen kommt sowohl den Unternehmen als auch den Beschäftigten und der Gesellschaft zu Gute. Die Unternehmen profitieren vor allem durch motiviertere und engagiertere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und sichere Rahmenbedingungen für langfristige Investitionen. Die Beschäftigten können ihre Lebensentwürfe unter verbesserten Rahmenbedingungen realisieren. Die Gesellschaft profitiert einerseits durch die Teilhabe aller gesellschaftlichen Gruppen am öffentlichen Leben und andererseits durch die Stabilisierung der sozialen Sicherungssysteme.“ (Seite 26)

Diese Aussage lässt sich so analysieren, dass in der Logik der Initiative WorkLife-Balance-Maßnahmen die Möglichkeiten bieten, die Produktivität der Beschäftigten zu steigern, indem sie die Arbeitsmotivation erhöhen. Ferner sollen Work-Life-Balance-Maßnahmen die Lohnabhängigen dazu bringen, engagiert bzw. eigeninitiativ bestimmte Rahmenbedingungen zu organisieren. In dieser Aussage wird die Form des rationalen bzw. des gouvernementalen Regierens sichtbar. Das Funktionieren von Individuen aufgrund von Disziplinierung und Normalisierung ist keine Garantie mehr für Produktivität, sondern für eine bessere Ausschöpfung des Arbeitskraftpotenzials zählen ebenso die Motivation und das Engagement der Lohnabhängigen. Diese Aussage lässt die Vermutung zu, dass durch die Etablierung der Work-Life-Balance-Maßnahmen bzw. durch einen Paradigmenwechsel im Regierungsprogramm bzw. in der politischen Ökonomie eine Änderung der Denk- und Handlungsformen der Individuen erreicht werden soll. Dieses Regierungsprogramm setzt folglich auch auf einen Mentalitätswechsel innerhalb der geschlechtlichen Rollenbilder und deren Funktionen innerhalb der Gesellschaft: „Ein insgesamt familienfreundlicheres gesellschaftliches Klima und ein Mentalitätswandel, die auf der konkreten betrieblichen Handlungsebene unterstützt werden durch verbesserte Rahmenbedingungen, führen aus Sicht der Autoren auch in einer kurzfristigeren Perspektive zu einem Geburtenanstieg.“ (Seite 35) „Der Zeitaufwand für Haushaltsarbeit von Männern steigt in Doppelverdienerhaushalten nur geringfügig an. Hier vollzieht sich nur allmählich ein Wandel, der auch die Neudefinition gesellschaftlicher Rollenbilder voraussetzt.“ (Seite 29)

SYMBOL

| 275

Interpretieren lassen sich die Schlagwörter „Mentalitätswandel“ und „Neudefinition gesellschaftlicher Rollenbilder“ damit, dass aufgrund des gegenwärtigen Wandels in der Produktionssphäre unter den Vorzeichen des neoliberalen Regierens auch die Reproduktionssphäre umgestellt werden muss. Dies umfasst somit auch eine Veränderung vergeschlechtlichter Arbeitsteilung. Dadurch, dass Reproduktionsarbeiten nicht eindeutig geschlechtsneutral sind und überwiegend durch Frauen erledigt werden (vgl. Statistisches Bundesamt 2003, vgl. Kapitel 7.3), steht hinter diesem Diskurs zum Mentalitätswandel eine moderne bzw. diversifizierte Gesellschaftsauffassung. In dieser diversifizierten Gesellschaftsauffassung können – bis auf die generative Reproduktion – alle Arten der (Re-) Produktionsarbeiten von Frauen und Männern vollzogen werden! Denkbar ist nach dieser Aussage auch, dass die Reproduktion der Arbeitskraft nicht ausschließlich in einem familiären Bereich stattfinden muss, weil Firmen in diesem Diskurs aufgefordert sind, auf der betrieblichen Handlungsebene den Bereich der Reproduktionsarbeit zu unterstützen (vgl. Seite 19ff). Diese Form der Regierungs- und Betriebspolitik ist auf die Gesamtheit der Sphären gerichtet und schließt sogar Fortpflanzung bzw. Geburtenrate und Denkformen in das Kalkül mit ein. Was sich noch vor zwanzig Jahren als feministische Gegenstrategie des Empowerments dargestellt hat, ist nun Teil einer hoheitlichen Verlautbarung. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Einflüsse von Diversity Management und vor allem Gender Mainstreaming Konzepten Eingang in den Work-Life-Balance-Diskurs gefunden haben (vgl. Kapitel 7.4). Gender Mainstreaming lässt sich als Politik und Managementpraxis verstehen, welches die Gleichstellung der Geschlechter auf allen betrieblichen und gesellschaftlichen Ebenen durchzusetzen versucht. Hinter den Diversity Management Diskursen verbergen sich Konzepte zur Unternehmensführung, welche die soziale Vielfalt bzw. die Heterogenität der Lohnabhängigen zum Vorteil des Unternehmens zu nutzen versuchen, indem Diskriminierungen aufgrund der sozialen Stellung von Minoritäten verhindert werden und indem Chancengleichheiten verbessert werden. Fraglich ist jedoch, wie in einem Gesellschaftssystem Chancengleichheit hergestellt werden kann, dessen Funktionieren und Teilhabe auf Hierarchie, Konkurrenz und Wettbewerb aufgebaut sind. Trotzdem vertritt die Work-LifeBalance Initiative eine klare Richtung, sie propagiert ein pluralistisches Gesellschaftsbild. Das folgende Beispiel ist ein Beleg dafür: „Work-Life-Balance-Konzepte unterstützen den sozialen Zusammenhalt in einer Gesellschaft und schaffen gleichzeitig die Voraussetzungen dafür, dass Frauen und Männer, gering und hoch Qualifizierte, Zuwanderinnen und Zuwanderer sowie Einheimische mehr Chancen erhalten, ihre durchaus unterschiedlichen Lebensentwürfe zu verwirklichen.“ (Seite 40)

276 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Der folgende Themenabschnitt vertieft nun die Zukunftsperspektive der Initiative. Die Auseinandersetzung mit dieser Thematik soll das Selbstverständnis der Initiative und den Einfluss von Work-Life-Balance-Maßnahmen auf die Zusammensetzung des Geschlechterregimes verdeutlichen. Auch hier werden wieder exemplarisch Aussagen zusammengestellt, in Themen zusammengefasst und kommentiert. Der erste Themenkomplex widmet sich der Wirtschaftsentwicklung: „Die Gestaltung der Arbeitsbedingungen von Morgen und damit einer nachhaltigen und zukunftsfähigen Work-Life-Balance wird jedoch nicht ausschließlich von der betrieblichen Handlungsebene beeinflusst, sondern steht in einem Kontext übergeordneter sozioökonomischer Trends, die sich […] in vier Schwerpunkten zusammenfassen lassen: Globalisierung, Demographischer Wandel, Neue Technologien, Wirtschaftlicher Strukturwandel.“ (Seite 12)

Die Wirtschaftsentwicklung lässt sich demnach nur schwerlich mit den WorkLife-Balance-Maßnahmen kompensieren, denn für die Autorinnen und Autoren dominieren die langen Entwicklungslinien der Globalisierung. Hierbei ist der Begriff „Globalisierung“ nur ein anderes Wort für eine altbekannte Sache: die kapitalistische Konkurrenz auf dem Weltmarkt. Die im Zitat angesprochene Globalisierung wird hier als die moderne Fassung der Sachzwang-Ideologie verwendet. Diese Sachzwang-Ideologie suggeriert, dass die Mechanismen und die Erträge der kapitalistischen Reichtumsproduktion in den Nationen stattfinden – eben als Konkurrenz der kapitalistischen Unternehmen unter Hilfestellung der der jeweiligen Nationalstaaten. Sie suggeriert auch, dass Konkurrenz eine sachliche Notwendigkeit ist und dass die Nation bzw. die kapitalistische Reichtumsproduktion an übergeordnete sozio-ökonomische Trends angepasst werden muss (vgl. Dozekal 2001: 4). Als Grundlage dieser sozio-ökonomischen Trends wird eine Modellrechnung der Prognos AG herangezogen (vgl. Seite 32ff). Die Grundlagen dieser Modellrechnung wiederum werden in der Broschüre nicht weiter erläutert. Diese unbekannten Daten werden dann in einer zweiten Modellrechnung, in der Work-Life-Balance-Maßnahmen eingerechnet sind, in einem Referenzszenario verglichen. In dieser zweiten Rechnung werden Auswirkungen durch Work-Life-Balance-Maßnahmen angenommen. Beginnend im Referenzjahr 2006 wird eine stetige Ausweitung der Work-Life-Balance-Maßnahmen in den Unternehmen bis zum Jahr 2020 eingerechnet. Ziel ist, dass in einer steigenden Anzahl von Betrieben bis zu 30 Prozent zusätzliche Beschäftigte bis zum Jahr 2020 eingestellt werden können. Das heißt, es wird ein stetig ansteigender Optimierungsprozess mit einem stetig wachsenden Impuls vorausgesagt, der durch Work-Life-Balance-Maßnahmen initiiert wird. Weiter werden in diesem

SYMBOL

| 277

Szenario eine höhere Geburtenrate von 1,56 Geburten, 221.000 zusätzliche sozialversicherungspflichtige Lohnabhängige, Senkung der Sozialversicherungsbeiträge von 0,86 Prozentpunkten sowie eine Stärkung der Binnennachfrage vorausgesagt. In dieser makroökonomischen Modellrechnung sind nach Ansicht der Initiative die wichtigsten ökonomischen Bezugsgrößen „abgebildet“, wodurch sich „konkret nachvollziehbare und berechenbare Wirkungen“ (Seite 32) aufzeigen lassen. Leider liegt diese Abbildung in der Broschüre nicht vor, daher sind die mittel- und langfristigen Prognosen tatsächlich nicht nachvollziehbar. Auch die Beschreibung des methodischen Hintergrunds der Modellrechnung verdeutlicht lediglich, welche Hypothesen diesen Rechenläufen zugrunde liegen: „Aus diesen Trends resultieren Veränderungen im ‚Verhältnis von Arbeit und Leben’, die eine stärkere individuelle Planung und Steuerung des Alltags einerseits und eine Intensivierung der Abstimmung zwischen unterschiedlichen Akteuren innerhalb und außerhalb des Betriebs andererseits erforderlich machen: Dies sind: eine Beschleunigung aller Geschäftsprozesse, von der Ideengenerierung über die Produktentwicklung bis hin zur Unikatfertigung und Dienstleistungserbringung, eine stärkere Kundenorientierung, die sich ebenfalls in kurzen Reaktionszeiten, Rund-um-die-Uhr-Service und einer Garantie störungsfreier Abläufe ausdrückt, die Dezentralisierung von Arbeitsaufgaben und -gestaltung, die im Wesentlichen zu einer stärkeren Verantwortungsübernahme und höheren Selbststeuerungsanforderungen aller Prozessbeteiligten führt, eine Vermarktlichung der Unternehmensbeziehungen, die eine Vielzahl von betrieblichen Funktionen in Konkurrenz mit internen und externen Wettbewerbern setzt und eine Ganzheitlichkeit in der Aufgabengestaltung und -wahrnehmung, die Fähigkeiten zur Selbstorganisation voraussetzt.“ (Seite 13)

In diesen Aussagen lassen sich ganz zentrale Elemente der Zukunftsperspektive des Work-Life-Balance-Diskurses erkennen. Diese Elemente sind nicht nur das Abbild einer postfordistischen Akkumulationsstrategie, sondern es verdeutlicht auch die gouvernementale Regulationsweise, welche in das „Verhältnis von Arbeit und Leben“ investiert und die Selbstregulationsfähigkeiten motiviert. Die hier angesprochenen Umgestaltungsprozesse werden als Voraussetzung dafür dargestellt, dass für die Volkswirtschaft eine systematisch durchgeführte Anpassung der innerhalb der globalen Konkurrenz notwendig wird. Einfach gesagt erscheint die Zukunftsperspektive der Initiative als umfassende Mobilisierung der Bevölkerung zum Profitmachen, die am ehesten herzustellen ist, wenn die „eigene Nation“ selbst als kapitalistisches Unternehmen begriffen wird (vgl. Dozekal 2001: 4) und das Individuum sich selbst in dieser weltweiten „Rund-um-dieUhr-Ökonomie“ einordnet. Mit dieser Sachzwang-Ideologie fordert die Initiative

278 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

folglich eine neue hegemoniale Rationalität, in dessen Zentrum hoch motivierte und engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Unternehmen stehen, die sich durch höhere Selbststeuerungsanforderungen gegenüber dem Mechanismus der Konkurrenz behaupten können (vgl. Opitz 2004: 153, Bröckling 2007: 180ff). Insgesamt entwirft die Initiative eine positive Zukunftsperspektive. Negativ besetzte Begriffe wie Krise oder Probleme werden in der Broschüre nicht erwähnt. Daher klingen auch die mantrenhaften Wiederholungen der positiven Effekte von Work-Life-Balance-Maßnahmen und die Beschreibung eines familienfreundlichen gesellschaftlichen Klimas in der Zukunft, als wären jene Maßnahmen und dieser Zustand nicht im Kontext einer selbsterfüllenden Prophezeiung zu werten, sondern schon auf dem besten Weg der Umsetzung. Das folgende Beispiel verdeutlicht diese Argumentation: „Ein insgesamt familienfreundlicheres gesellschaftliches Klima und ein Mentalitätswandel, die auf der konkreten betrieblichen Handlungsebene unterstützt werden durch verbesserte Rahmenbedingungen, führen aus Sicht der Autoren auch in einer kurzfristigeren Perspektive zu einem Geburtenanstieg. Sowohl internationale Vergleiche als auch die immer noch geburtenstarken Jahrgänge im gebärfähigen Alter sowie aktuelle Zahlen aus der Bevölkerungsstatistik bestätigen diesen Trend.“ (Seite 35)

Reale Zahlen allerdings beschreiben keinen kurzfristigen Anstieg der Geburtenrate, sondern eine Stagnation bzw. eine Depression (vgl. Kapitel 7.2). Es scheint eher, dass die Zukunftsperspektive der Initiative sich in der normativen Kraft der Imagination verliert. Aber dies ist keine ungewöhnliche Argumentationsstrategie. Ganze Wissenschaftszweige wie die sogenannte Finanz- und Wirtschaftspsychologie beschäftigen sich mit Placebo-Effekten, der Psychologie von Börsenkursen und dem „Herdentrieb“ von Kapitalanlegern (vgl. Akerlof/Shiller 2009). In der Sozialpsychologie sind Prophezeiungen als Bandwagon-Effekt oder als Thomas-Theorem bekannt. Das Thomas-Theorem postuliert, dass Beschreibungen von Situationen durch einen handelnden Menschen reale Konsequenzen bewirken, selbst wenn die objektive Situation, etwa durch andere beurteilt, different ist. Der Bandwagon-Effekt besagt, dass ein wahrgenommener Erfolg die Bereitschaft auslöst, sich den prognostizierten erfolgreichen Handlungsweisen anzuschließen. Die Erklärung dieses Phänomens liegt darin, dass die Individuen die negativen Folgekosten ihrer Entscheidung in Relation zu ihrer eigenen Handlungsfähigkeit stellen. Beispiele für soziale Situationen dieser Art sind vielfältig; Beteiligung an Pogromen, Entscheidungen zum Verlassen sozialer Situationen, Streiks, Elternschaft, etc. In allen diesen Beispielen spielt die

SYMBOL

| 279

Tatsache eine Rolle, wie viele andere sich bereits für die prognostizierte Gewinnstrategie entschieden haben (vgl. Müller-Benedict 1996: 57). Abschließend lässt sich sagen, dass eine Zukunftsperspektive naturgemäß Spekulation sein muss. Die inhaltliche Argumentationskette der Initiative, derzufolge Work-Life-Balance-Maßnahmen eingeführt werden müssen, verläuft entlang der sogenannten Sachzwang-Ideologie und entlang von wirtschaftspsychologischen Strategien und Taktiken, die auf einen Mitläufereffekt abzielen. Sie setzt ihre Hoffnung auch auf die selbsterfüllende Prophezeiung. Diese besagt, dass nur gesellschaftliche Stabilität und wirtschaftliches Wachstum prognostiziert werden müssen, und wenn genügend Angerufene an diese Prognose glauben, sich ein dementsprechendes Verhalten einstellen wird. Zusammenfassend lässt sich diskursanalytisch bewerten, dass diese Szenarien in der Zukunft möglich, aber auch unmöglich sein können. Wesentlich für die Zusammensetzung der Diskursposition erscheint mir hier eher die scheinbare wissenschaftliche Untermauerung der Kernthese, dass durch Work-Life-BalanceMaßnahmen eine dreifache Win-Situation für Unternehmen, Lohnabhängige und die Gesamtgesellschaft hergestellt wird. Diese Untermauerung umfasst im Prinzip somit mehrere Diskursfragmente. Makro- und Mikrowirtschaftliche, familienpolitische sowie bevölkerungspolitische Ansichten verbinden sich mit wissenschaftlichen Prognosen und Analysen. Das geschlechterregimerelevante Gesellschaftsverständnis der Autorinnen und Autoren besteht meines Erachtens darin, der Staatsform die Funktion zukommen zu lassen, soziale Praxen wie Familienleben, wirtschaftspolitische Strategien sowie Fragen der Geschlechterverhältnisse zusammenzubringen und in einer Struktur zu artikulieren. Hierbei kommen Staat und Unternehmen gesamtgesellschaftliche Regulierungsweisen von kollektiven Lebensprozessen zu. Dem sogenannten „Humanvermögen“ des Staates und der Unternehmen werden hierbei selbstregulative Fähigkeiten zugestanden. Die ideologische Achse von Nation und Geschlecht tritt in diesem Diskurs insofern in den Vordergrund, da die Formierung einer pluralen Gesellschaft unter profitorientierten Vorzeichen besondere Bedeutung zugemessen wird. 8.2.5 Ordnung der Aussagen als geschlechtsspezifische Anrufungen auf den intersektionalen Ebenen des Geschlechterregimes Dieses Kapitel dient dazu, im Folgenden die verschiedenen Aussagen und Themenkomplexe der Broschüre zu ordnen und den verschiedenen Ebenen des Geschlechterregimes (Reihe 1-4) zuzuweisen. Mit diesem Vorgehen verfolge ich

280 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

die Absicht, das historisch-konkrete Geschlechterregime in seinen Verbindungen zu den Ebenen Struktur, Symbol, Subjekt zu beschreiben. Demnach ordne ich die Themenkomplexe der Broschüre • auf der Strukturebene nach geschlechterregimerelevanten Anrufungen in Ver-

bindungen mit der Reproduktion der Produktionsbedingungen sowie den geschlechtsspezifischen Verbindungen der Bevölkerungspolitik und Themen der Gouvernementalität, • auf der Symbolebene nach Anrufungen in Verbindung mit geschlechtsspezifischen Ideologien, • auf der Subjektebene nach geschlechterregimerelevanten Anrufungen von Selbstverhältnissen. Mittels der Theorie der Interpellation bzw. der Anrufung (vgl. Althusser 1977: 140ff) versuche ich hierbei die geschlechterregimerelevanten Ebenen der Diskurse herauszuarbeiten sowie Implikationen der einzelnen Themenkomplexe zu vermitteln. Wie schon in Kapitel 4.1.1 ausführlich beschrieben, vermitteln Anrufungen spezifische Weisen des Anredens innerhalb diskursiver Praxen. Als Anrufung kann das gesamte Ensemble spezieller Wissensproduktion verstanden werden. Folglich ist die Interpellation in einem Feld von Formulierungstypen, Begriffen, theoretischen Optionen, die in Institutionen, Gesetzen oder politische Operationen eingebettet sind (vgl. Foucault 2001a: 920), zu lokalisieren. Hierbei lassen sich Anrufungen als Subjektivierungsweisen verstehen. Im Folgenden werden nun lediglich die geschlechterregimerelevanten Anrufungen als solche verdeutlicht, und die Intentionen dieser Anrufungen kommentiert. Hierzu habe ich die Broschüre nach sozialen Bezeichnungen und Verortungen durchsucht und geschlechterregimerelevante Anrufungen aufgezählt. Diese Aufzählungen sind zentraler Bestandteil der Kritischen Diskursanalysen nach Jäger und verdeutlichen die Gewichtung der einzelnen angesprochenen Themen (vgl. Jäger 1993: 269ff, 370ff). 8.2.5.1 Geschlechterregimerelevante Anrufungen auf der Strukturebene Der erste Themenkomplex bezieht sich auf die Reihe 1 des Theorems Geschlechterregime [Akkumulationsregime] mit den Elementen: Gesellschaftsformation – Organisation von Lohn- und Reproduktionsarbeit/Klassen- und Geschlechterzusammensetzung – Krise der Reproduktionsprozesse (vgl. Kapitel 5.3). Hier stehen die Anrufungen an die Personen in den Produktions- und Re-

SYMBOL

| 281

produktionssphären im Vordergrund. Insgesamt konnten hier explizit 22 Anrufungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, 10 für Erwerbstätige, 59 für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und 9 für Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber gezählt werden. Exemplarisch steht dafür die folgende Anrufung: „Die engere Verzahnung von Lernen und Arbeit erfordert eine höhere Flexibilität auf Seiten der Arbeitgeber/innen und Arbeitnehmer/innen: Die Bereitstellung von Lernangeboten durch die Unternehmen und die Nutzung derselben durch Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wird zur entscheidenden Einflussgröße des wirtschaftlichen Erfolgs.“ (Seite 28)

In den Aussagen des Themenkomplexes lässt sich deutlich erkennen, dass sich einerseits die Strukturen für ArbeitnehmerInnen sowie ArbeitgeberInnen verändern und andererseits sie selbst aufgefordert werden, sich den Veränderungen anzupassen. Die Veränderungen beinhalten Entgrenzungen zur fordistischen Produktionsweise (vgl. Kapitel 7.1). Zusammenfassend spiegeln sich in diesen Aussagen die Anrufungen an ein selbstverantwortliches Subjekt als „Arbeitskraftunternehmer“ (vgl. Voß/Pongratz 1998ff, Kapitel 4.2.2, 7.3) in einem Feld postmoderner Gouvernementalität wider. Hierbei ist das Subjekt gezwungen, durch permanente Weiterbildungen, lebenslanges Lernen und der Ansammlung von Spezialwissen sich selbst zu optimieren (vgl. Friebel 2008: 30f, 35). Analog dazu beziehen sich die Aufforderungen nach Selbst-Kontrolle, Selbst-Ökonomisierung und Selbst-Rationalisierung auch auf den Reproduktionsbereich (vgl. Winker/Carstensen 2004). Insgesamt ergeben sich 52 implizite Anrufungen in Richtung Haushalts- und Betreuungsarbeit und eine Anrufung in Richtung Fürsorge sowie 15 Anrufungen mit dem Kontext Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben. Im Folgenden wird nun eine exemplarische Anrufung im Kontext der Haushalts- und Betreuungsarbeit dargestellt: „Trotz einer steigenden Erwerbsbeteiligung von Frauen ist keine grundsätzliche Neuverteilung der Haushalts- und Betreuungsarbeit zwischen den Geschlechtern zu beobachten […] Das bedeutet, dass erwerbstätige Frauen oftmals einer Doppelbelastung durch bezahlte Erwerbsarbeit und unbezahlte Haushaltsarbeit ausgesetzt sind. Der Zeitaufwand für Haushaltsarbeit von Männern steigt in Doppelverdienerhaushalten nur geringfügig an. Hier vollzieht sich nur allmählich ein Wandel, der auch die Neudefinition gesellschaftlicher Rollenbilder voraussetzt […]. Auf lange Sicht gibt es eine Reihe von Gründen, die für die vermehrte Nachfrage nach Haushaltshilfen sprechen. Dazu zählen unter anderem die langfristig steigenden Haushaltseinkommen, der sich erhöhende Anteil der Rentner an den Haushalten, die Weiterentwicklung innovativer Kinderbetreuungsangebote, die bedarfsgerecht als Serviceangebote rund um die institutionellen Betreuungsangebote dem

282 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

individuellen Bedarf der Kinder, der Eltern und Unternehmen gerecht werden, die zunehmende Erwerbsbereitschaft der Frauen, die steigenden steuerlichen Anreize für verheiratete Frauen, erwerbstätig zu sein, sowie das sinkende Niveau der sozialen Sicherung für erwerbsfähige Arbeitslose. Somit kann eine steigende Erwerbsbeteiligung von Frauen auch als Chance für den Dienstleistungsmarkt begriffen werden, da durch das sinkende Zeitbudget für unbezahlte Haushaltsarbeit die Nachfrage nach haushaltsnahen Dienstleistungen gesteigert wird.“ (Seite 29f)

Dieses Zitat ist als zentrale geschlechterregimerelevante Textstelle zu bewerten. Hier treten unterschiedliche Elemente des Geschlechterregimes (Doppelbelastung von Frauen, diskursiver Bruch mit dem Familienernährermodell, haushaltsnahe Dienstleistungen, Deregulierung der sozialen Sicherung, ArbeitskraftmanagerIn) in Verbindung und verzahnen sich zu der Anrufung an weibliche Arbeitskräfte sich auf dem Arbeitsmarkt zu behaupten. Dies erfordert folglich eine bestimmte Regulationsweise der Reproduktionssphäre. Mittel hierfür sind innerhalb der Work-Life-Balance-Maßnahmen, zumindest ideologisch, Konzepte der Arbeitsort- und Arbeitszeitflexibilisierung sowie haushaltnahe Dienstleistungen, um die Übergänge zwischen Familien- und Erwerbsphasen abzusichern und um Frauen wie Männern eine eigenständige Existenzsicherung zu ermöglichen. Das bedeutet, dass mit den Work-Life-Balance-Maßnahmen versucht werden soll, ein Nebeneinander von Markt und Familie durch eine marktförmige und flexible Umgestaltung der Reproduktionssphäre zu organisieren. Dies ist dementsprechend nur möglich durch ein Anwachsen von professionellen sozialen und persönlichen Dienstleistungen, um den Bedarf an menschlicher Reproduktionsarbeit zu decken. Um die Erwerbsbeteiligung von Frauen nach der Logik der WorkLife-Balance-Konzepte zu ermöglichen, müsste dies – kritisch betrachtet – bedeuten, das bisherige Lohnsystem zu verändern. Denn das wesentliche Mittel zur Reproduktion von Arbeitskräften ist der Lohn, mit dem Reproduktionsmittel eingekauft werden können. Im Lohn – als Äquivalent für die Arbeitszeit, die notwendig ist, um Lebensmittel zu bezahlen – sind die Reproduktionskosten enthalten (vgl. MEW 23: 185ff). Die Höhe des Lohns entscheidet folglich über das Ausmaß der Entscheidungsfreiheit persönliche Reproduktionsarbeiten durch den Kauf von professionellen Dienstleistungen zu ersetzen. Das bedeutet, wenn Berufstätige mit Kindern auf professionelle Dienstleistungen umstellen, müsste ihr reeller Lohn entsprechend höher sein. Allerdings ist der kapitalistische Akkumulationsprozess auf die formale Trennung von bezahlter Lohnarbeit und unbezahlter Reproduktionsarbeit angewiesen, um die Kosten der Arbeitskraft zu mindern und kapitalistischen Profit zu erhöhen. Dadurch, dass die unbezahlte Reproduktionsarbeit die notwendige Arbeitszeit reduziert, haftet sie der reellen Mehrwert-

SYMBOL

| 283

produktion an. Lohnarbeit und unbezahlte Reproduktionsarbeit sind demnach zwei zusammengehörende Arbeitsweisen im kapitalistischen System und dadurch eine unabdingbare Voraussetzung für die kapitalistische Profitakkumulation (vgl. Kapitel 3.1.1). Dieses Verhältnis wird in der Broschüre nicht angesprochen. Es werden in diesem Zusammenhang auch keine Lösungsvorschläge bezüglich Lohnerhöhungen oder Lohnangleichungsstrategien für Frauen gemacht – die im Durchschnitt immer noch 23 Prozent weniger verdienen als Männer (vgl. Lohnspiegel 2010). Eher im Gegenteil, das vermutliche Ziel der Initiative ist es, die sozialen Kosten für die Reproduktion der nächsten Lohnabhängigengeneration zu senken, indem Mütter gleichzeitig zuhause und außerhalb arbeiten (vgl. Kapitel 7.3). In der Argumentation, dass betriebliche Work-Life-Balance-Konzepte die Chance bieten, „die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung nach dem traditionellen Modell eines männlichen Alleinverdieners und einer allenfalls in geringem Rahmen erwerbstätigen Hausfrau zu überwinden“ (Seite 29) und dadurch mehr Gleichheit zwischen gut ausgebildeten Frauen und Männern der Mittelklasse geschaffen wird, stellt sich die Frage, zu welchem Preis sich in einer Klassengesellschaft diese Chancengleichheit vollzieht. Bisherige Untersuchungen zeigen, dass im ökonomisierten Familienmodell (vgl. Winker 2007a, 2009: 49ff, Winker/Carstensen 2007: 284ff, Kapitel 7.3) „nationszugehörige“ erwerbstätige Frauen auf billige oder illegalisierte Arbeiterinnen zurückgreifen, um den Haushalt versorgen zu lassen und um gleichzeitig an professionellen Karrieren teilhaben zu können (vgl. Lutz 2008, Kapitel 7.3). Geschlecht und „Rasse“ bleiben so Mittel zur Organisation der weltweiten Klassenverhältnisse. Wie sich ein Mentalitätswandel und eine Modernisierung des fordistischen Geschlechterregimes und der geschlechtsspezifischen Arbeitsorganisation gestalten, bleibt an dieser Stelle diskursanalytisch eine Spekulation. Zwar lassen sich Haushaltsarbeiten durch professionelle Dienstleistungen oder durch eine Taylorisierung weniger zeitintensiv gestalten, aber bestimmte Care-Tätigkeiten, wie Zuwendung oder Zuhören, lassen sich nur schwer rationalisieren. Care Work erfordert eine extensive Zeitverausgabung, was neben dem Beruf zu einer strukturellen Überforderung führen kann. Aber auch die Konzepte der Arbeitszeit- und Arbeitsortflexibilisierung und die damit verbundene Entgrenzung fester Zeitordnungen verkomplizieren das Zeithandeln und die damit zusammenhängende Alltagsorganisation (vgl. Janczyk 2009). Wie die Ökonomisierung und Rationalisierung des Sozialen ohne Nachteil der Betreuten organisiert werden soll, bleiben hier außen vor.

284 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Zusammenfassend scheinen in diesen Anrufungen komplexe Veränderungswünsche der Initiative durch, die sich qualitativ und quantitativ deutlich zu traditionellen Geschlechterverhältnissen unterscheiden sollen. Es ist der Versuch mit Work-Life-Balance-Maßnahmen die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung nach dem traditionellen Modell eines männlichen Alleinverdieners und einer dazugehörigen Hausfrau zu überwinden. Dies ist besonders bedeutsam, da im Einzelnen explizit Männer und Frauen als Zielgruppe politischer Regulierungen angerufen werden. Ein weiter Themenkomplex bezieht sich auf die Reihe 2 des Theorems Geschlechterregime [Regulationsweisen] mit den Elementen: Institutionelle/ideologische/soziale Herrschaftsformationen – Gouvernementalität – Familien-/Bevölkerungspolitik/Demographie. Hierbei stehen Anrufungen an die Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in der Broschüre im Vordergrund. Insgesamt gibt es 51 Anrufungen zum Bereich Gesundheit, Gesundheitsprävention. Exemplarisch dazu die folgende Textstelle: „Gesundheitsprävention, die Vermeidung bzw. Reduzierung von Stresssituationen durch eine bessere Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben sowie ein dichteres und flexibleres Netzwerk von Betreuungsangeboten senkt die Zahl von Erkrankungen und Fehlzeiten und reduziert langfristig die Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung. Da ein hoher Anteil von Erkrankungen auf ein fehlendes Gesundheitsbewusstsein, die Addition von Stressfaktoren aus dem betrieblichen und außerbetrieblichen Bereich sowie die konkrete Ausgestaltung des Arbeitsplatzes zurückzuführen ist, führt ein integriertes Gesundheitsmanagement als wesentliches Element einer übergeordneten Work-Life-Balance-Strategie zu einem Absinken der Zahl und Dauer einzelner Krankheitsbilder und ermöglicht darüber hinaus den längeren Verbleib in der Erwerbstätigkeit.“ (Seite 33)

Dieses Zitat verdeutlicht biopolitische Regulationsweisen, welche einen individuellen und ganzheitlich stabilen gesundheitlichen Zustand der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer herstellen sollen. Verbunden sind diese Regulationsweisen mit Anrufungen an die Beschäftigten, ihre Verhaltensweisen zu ändern – hin zu einem ständigen gesundheitlichen Eigen-Monitoring, um die Selbsterhaltung ihrer Erwerbstätigkeit zu steuern. Die zentrale Anrufung, mit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hierbei konfrontiert sind, ist, ihren Gesundheitszustand zu optimieren. Die „Soll-Form“ der Gesundheit orientiert sich dabei an marktorientierten Vorstellungen (vgl. Posch 1999: 77). Diese Argumentation ist zugleich eine Logik der Kapitalakkumulation. Nicht die Gesundheit der Erwerbspersonen erhöht sich zwangsläufig, sondern die Profitrate. Denn auch das ge-

SYMBOL

| 285

sundheitsorientierte Modell der Kapitalakkumulation wird letztlich vom Grad der Ausbeutung der Arbeitskraft und vom Zustand der Arbeitsproduktivität bestimmt. Folglich kann unter „idealen“ Verhältnissen mehr Kapital akkumuliert werden, je höher die Arbeitsproduktivität ist. „Ideale“ kapitalistische Verhältnisse sind vor allem Verhältnisse, in denen als Äquivalent für Lohnarbeit lediglich so viel gezahlt wird, dass dieses ausreicht, um die Arbeitskraft zu reproduzieren. Die Produktivität der Arbeitskraft lässt sich steigern, wenn die Lohnabhängigen gesund, ausgeruht sind und die nötige Disziplin bzw. Selbstverantwortung aufwenden, sodass Lohnabhängige in kürzerer Zeit den Gegenwert ihres Arbeitslohnes produzieren können. Dadurch wird die Spanne der Mehrarbeit auch ohne Verlängerung des Arbeitstages vergrößert und die Spanne für die notwendige Erwerbsarbeit verkürzt. Lohnarbeit wird produktiver, der Wert der Arbeitskraft senkt sich und damit auch der Lohn. Das Äquivalent des Kapitals ist angeeignete, folglich unbezahlte fremde Arbeit. Die Entlohnung erfolgt immer unterhalb des produzierten Wertes, sonst könnte kein Profit erwirtschaftet werden (vgl. (vgl. MEW 23: 531-552, Chorus 2007: 31, 38-43, Kapitel 3.1.1). Dieser Mechanismus der Kapitalakkumulation kann nur funktionieren, wenn die Reproduktion des Kapitalverhältnisses aufrechterhalten wird. Dieser Mechanismus „zwingt“ das Kapital wiederum dazu, sich die Produktivkraft der Arbeit nutzbar zu machen und sie zu entwickeln. Das bedeutet wiederum: Mittels Work-LifeBalance-Maßnahmen Anreize zur Prävention von Fehlzeiten und die Verlängerung der Lebensarbeitszeit zu schaffen. Unter diesen Umständen wird auch der Zweck der Work-Life-Balance-Maßnahmen deutlich – maximaler Profit durch maximale Arbeitsproduktivität. Hierfür ist ein umfangreicher Gesundheitspräventionsdiskurs sinnvoll. Dieser verundeutlicht die Wirkungen auf der Seite der Profitmaximierung und stellt die persönlichen, (vermeintlich) positiven Wirkungen der Gesundheitskontrolle durch firmeninterne Untersuchungen und Gesundheits- und Fitnessangebote in den Vordergrund. Diese Argumentation ist eine klassische Form der Humankapitalisierung bzw. der „Ökonomisierung des Sozialen“ (Brökling/Krasmann/Lemke 2000, vgl. Kapitel 7.3), die darauf abzielt, den Gesundheitszustand als wertschöpfende Ressource zu betrachten. Diese Humankapitalisierung zielt folglich nicht nur auf den Bereich der Arbeitskrafterhaltung und Arbeitspotentialoptimierung, sondern auch auf den Bereich der Reproduktion von Arbeitskräften ab. Dementsprechend widmet sich der Work-Life-Balance-Diskurs einer ganzen Reihe von Anrufungen in Richtung Maßnahmen zu Geburt und Geburtenrate (insgesamt 28 Anrufungen):

286 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

„Von den Work-Life-Balance-Maßnahmen gehen auf vielfältige Weise Wirkungen aus, die das Erwerbspersonenpotenzial und seine Zusammensetzung betreffen. Beispielsweise hat eine veränderte Geburtenentwicklung Auswirkungen auf die Erwerbsbeteiligung der Mütter, aber durch die höhere Bevölkerungszahl mittel- und langfristig auch auf das Erwerbspersonenpotenzial in 20 bis 30 Jahren .“ (Seite 34) „Eine höhere Geburtenrate wirkt ab dem Jahr 2025 positiv auf das Wirtschaftswachstum aufgrund: der Vermeidung von Engpässen bei der Deckung des Arbeitskräftebedarfs, der nachfrageseitigen Impulse, die von der höheren Bevölkerungszahl ausgehen, einer verbesserten internationalen Wettbewerbsfähigkeit durch geringeren Lohndruck und niedrigere Lohnnebenkosten, einer Rückführung der Staatsquote.“ (Seite 41)

Diese Anrufungen durch Geburten den Standort Deutschland und das gesamtgesellschaftliche Wachstum zu sicheren, verdeutlicht einmal mehr den Zusammenhang zwischen den kapitalistischen Bedingungen der Produktion und der Reproduktion. Das Reproduktionsverhältnis der gesamten Gesellschaft ist ein zentrales Element des Akkumulationsregimes, das nur fortbestehen kann, wenn die sozialen, juristischen, politischen, repressiven und ideologischen Bedingungen reguliert werden. Mittel hierfür ist unter anderem eine produktive Sexualität. Nach Foucault ist das ein zentrales Prinzip von Regulierungsweisen (vgl. Foucault 1983, Kapitel 3.2, 4.2.1). Das bedeutet, Sexualität betrifft die Vergesellschaftung von Individuen und ist eine der wirkmächtigsten Strategien, um Geschlechtlichkeit in eine bestimmte Position zu bringen. Damit sind auch gesellschaftliche Ein- und Ausschließungsprozesse verbunden, die eine kontrollierte Inwertsetzung und Verwertung der Individuen ermöglichen. Die Regulierungen über das sexuelle Verhalten dienen so auch als Vermittlungsinstanz von Work-LifeBalance-Maßnahmen und als Verknüpfungsmoment der Sphären der Produktion und der Reproduktion. Diese vermittelnden Elemente sind unmittelbar mit dem Leben und dem Gesundheitsniveau des „Bevölkerungskörpers“ bzw. des „Produktionskörpers“ verbunden. Die Anrufungen im Kontext der Stimulation der Geburtenrate sind somit Teil einer bevölkerungspolitischen Regulationsweise, die dazu führen soll, gesellschaftliche Entwicklungsprozesse auszubalancieren. Verbunden mit Diskursen, wie der Stärkung der deutschen Wirtschaft oder gesundheitspräventiven Aspekten, erhält die Anrufungskette eine „soziobiologistische“ Konnotation, die im historischen Kontext als Eugenik beschrieben werden kann. Der Unterschied zwischen der historischen bzw. eugenischen Bevölkerungspolitik, wie in den Kapiteln 4.2 und 7.1 dargestellt, und der derzeitigen Bevölkerungspolitik liegt ganz deutlich darin, dass es keine aktiven Maßnahmen zur Verhinderung der Fortpflanzung oder zur Tötung „lebensunwerter“ Men-

SYMBOL

| 287

schen gibt.8 Lediglich das neu eingeführte einkommensabhängige Elterngeld ist eine aktive Methode, den Kinderwunsch von ökonomisch schlechter gestellten Eltern zu beeinflussen. Das Elterngeld, welches jetzt ausgezahlt wird, ist eine einkommensabhängige Transferzahlung bzw. Entgeltersatzleistung für Eltern mit Neugeborenen. Das Sozialstaatsprinzip wird hier ins Gegenteil verkehrt, indem Besserverdienende gestärkt werden (bis zu 1.800€/Monat) und einkommensschwache Eltern weiter geschwächt werden (300€/Monat). Um den Besserverdienenden hohe Geburtenprämien zahlen zu können, wurde die staatliche Unterstützung für finanzschwache Eltern auf die Hälfte gekürzt. Daher widerspricht die Zuteilung des Elterngeldes dem Gleichheitsgrundsatz und dem Diskriminierungsverbot, weil Eltern unterschiedlich bewertet werden – der Prämienunterschied kann bis zu 21.000 € zwischen „höchstwertigen“ und „mindestwertigen“ Geburten betragen. Letztlich zielt das Elterngeld darauf ab, Geburten in ganz bestimmten Bevölkerungsgruppen zu provozieren, nämlich bei Besserverdienenden und Höherqualifizierten, indem diese mit hohen finanziellen Belohnungen übervorteilt werden (vgl. Familiennetzwerk 2006: 1). Der konservative Interessenverband „Das Familiennetzwerk“ bewertet das Elterngeld nicht als eine familienpolitische Leistung, „sondern als bevölkerungspolitisches Steuerungsinstrument zur sozialen Selektion […]. Angesichts der Tatsache, dass jahrzehntelang in Deutschland jegliche politische Maßnahme, die auch nur im entferntesten an Bevölkerungspolitik erinnert hätte, unverzüglich an den Marterpfahl einer sozialkritischen Öffentlichkeit gekommen wäre, fällt deren großes Schweigen

8

Dennoch gibt es viele Parallelen der Work-Life-Balance-Maßnahmen zur Bevölkerungspolitik der Nationalsozialisten. Denn auch während des Nationalsozialismus gab es bevölkerungsorientierte Maßnahmen zur Steigerung der Geburtenraten. Bei den Nazis wurden Ehe- und Schwangerschaftsberatungen „zum Schutz der Erbgesundheit des Volkes“ durchgeführt. Gleichermaßen gibt es im Kontext der Work-Life-BalanceMaßnahmen für familiäre Belastungssituationen neben der ärztlichen Versorgung auch häusliche Hebammenbetreuung, Elternkurse, psychologische Beratung, MutterKind-Kuren sowie Eheberatung und Paartherapie. Das sogenannte „Ehegesundheitsgesetz“ der Nationalsozialisten hatte die Steigerung der Kinderzahl durch finanzielle Sozialleistungen zum Ziel. So bekamen Familien ein Ehestandsdarlehen, wenn die Frau nach der Heirat ihren Arbeitsplatz aufgibt. Die Rückzahlungspflicht wurde durch jedes Neugeborene um ein Viertel verringert. Das neue Elterngeld der Bundesregierung kann auch als Gebärprämie verstanden werden und weist in der Funktion Parallelen auf. Auch die aktuellen Möglichkeiten von späten Schwangerschaftsabbrüchen bei der Erwartung eines Kindes mit Behinderung können als eugenische Grauzone betrachtet werden (vgl. Kapitel 4.2.1, 7.1).

288 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

heute, angesichts einer als ‚Familienpolitik’ getarnten Bevölkerungspolitik mit unverhohlen eugenischen Zügen, besonders stark ins Gewicht.“ (Familiennetzwerk 2006: 1)

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Verbindung von arbeitsmarktpolitischen und bevölkerungspolitischen Anrufungen dazu dient, Instrumente mit „eugenischen Zügen“ zu installieren, welche die Kontrolle der Geburtenrate und der Bevölkerungsentwicklung wieder als staatlich und ökonomisch zu überwachende Angelegenheit ansehen. Die Work-Life-Balance, welche hier gemeint ist, hat vielmehr mit dem Begriff der Homöostase (vgl. Kapitel 4.2.3) zu tun als mit der ursprünglichen Verwendung des Wortes im Sinne der Vereinbarkeit von Erwerbsarbeitszeit und Reproduktionsarbeit. Das heißt, die hier besprochenen Work-Life-Balance-Maßnahmen sind als ein diskursiver Versuch anzusehen, ein selbstregulierendes inneres Gleichgewicht der Bevölkerungsentwicklung im Zusammenspiel mit der volkswirtschaftlichen Entwicklung der Nation Deutschland zu propagieren. Work-Life-Balance-Maßnahmen sind in diesem Kontext weiter als eine Anleitung zu verstehen, das Privatleben unter allen Umständen der volkswirtschaftlichen Entwicklungen anzupassen. Diese Argumentation wird auch im Anschluss an den nächsten Themenkomplex zu den Anrufungen in Richtung Bevölkerungsentwicklung (insgesamt 14), Volkswirtschaft (insgesamt 16), Anrufungen des Standortes Deutschland (insgesamt 6) bzw. Anrufungen an Deutschland (insgesamt 11) deutlich: „Durch Work-Life-Balance beschreitet Deutschland einen höheren Wachstumspfad.“ (Seite 3, 37) „Die konsequente Umsetzung von Work-Life-Balance-Maßnahmen in einer möglichst großen Zahl von Unternehmen sowie flankierende politische Maßnahmen, mit denen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wirksam verbessert wird, führen sowohl auf der betriebswirtschaftlichen als auch auf der volkswirtschaftlichen Betrachtungsebene zu positiven Effekten.“ (Seite 42) Durch Work-Life-Balance „erfährt der Standort Deutschland insgesamt eine Aufwertung im internationalen Vergleich.“ (Seite 10)

Dieses Diskursfragment verdeutlicht die Argumentation der Initiative in Richtung der Ökonomisierung des Sozialen. In der Anrufung einer ökonomisch und rational handelnden Bevölkerung, mit dem Ziel den Standort Deutschland zu sichern, spiegelt sich der Wunsch nach einer produktiven Bevölkerung wider, die zum Wohle der Nation arbeitet. Von wirtschaftlicher Seite wird die Bevölkerung Deutschlands als Produktionsfaktor wahrgenommen, der sich den gleichen Anpassungsstrategien unterwerfen soll wie die Unternehmen selbst, nämlich der

SYMBOL

| 289

Rationalisierung und Flexibilisierung. Von staatlicher Seite wird die Bevölkerung ebenfalls als Garant des Weiterbestehens der hegemonialen Ordnung funktionalisiert. Die Dienstleistung des Staates für die beteiligten Unternehmen besteht zumindest auf der diskursiven Ebene darin, dass allgemeine Voraussetzungen geschaffen werden, damit eine Profitmaximierung erreicht werden kann – die Ökonomisierung der Geburtenraten, des Gesundheitswesens und der Sozialleistungen sowie die Installierung von biopolitischen Leistungen und Maßnahmen, die als Infrastruktur wichtige Bedingungen der Kapitalakkumulation garantieren. Damit dies aber funktioniert, bewegen sich die Anrufungen auf einem wohlstandschauvinistischen Niveau. Das bedeutet, dass die Initiative ihre ökonomischen Ziele „eines höheren Wachstumspfades für den Standort Deutschland“ nur durch die Herausbildung konkurrierender nationaler Klassenformationen herstellen kann. Die Diskursfragmente beinhalten damit gouvernementale Anrufungen an „deutsche Identitäten“ und an eine produktive Sexualität. Sie sind damit strukturell mit Nationalismus, Eugenik und Wohlstandschauvinismus verbunden. Zusammenfassend verteilen sich die geschlechterregimerelevanten Anrufungen wie folgt: Abbildung 6: Geschlechterregimerelevante Anrufungen auf der Strukturebene (eigene Darstellung)

Work-Life-Balance-Maßnahmen sind damit auf der strukturellen Ebene mit Anrufungen und Feststellungen verbunden, die den Schluss nahe legen, dass die staatliche Seite der Initiative durch den Versuch der Organisation und der Kontrolle der Gesellschaft und durch die Schaffung von Rahmenbedingungen für die

290 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Produktion, die Position des „ideellen Gesamtkapitalisten“ durch die eines „reellen Gesamtkapitalisten“ vertauscht. Bei dieser Position geht es darum, die ganze Gesellschaft wie eine Fabrik zu verstehen, die dazu bestimmt ist, maximalen Profit zu erwirtschaften (vgl. Dozekal 2001). Mit den Anrufungen und Themenkomplexen auf der regulationstheoretischen Ebene und der damit verbundenen Offenlegung der strukturellen Bedürftigkeit der Work-Life-Balance-Maßnahmen möchte ich zu dem zweiten Teil der diskursiven Ebenenanalyse kommen. Dieser Teil dient dazu, die ideologische Bedürftigkeit des Work-Life-Balance-Diskurses im Hinblick auf die geschlechterspezifischen Vorstellungen und Ideologien offen zu legen. 8.2.5.2 Geschlechterregimerelevante Anrufungen auf der Symbolebene Dieser Abschnitt bezieht sich auf die Reihe 3 des Theorems Geschlechterregime [Diskurs und Ideologie] mit den Elementen: Anrufungen/Bedeutungen/Normierungen – kulturelle Stereotypen/soziale Geschlechtsmerkmale. In diesem Abschnitt geht es darum, die Geschlechterbilder und Leitvorstellungen in Bezug auf die Funktion der Geschlechter zu verdeutlichen. Der erste Themenkomplex widmet sich daher den allgemeinen Anrufungen zum Geschlecht (insgesamt 2 explizite Anrufungen). Die Zahl der impliziten Anrufungen an die Geschlechter ist wesentlich höher. Diese beinhalten die schon auf der strukturellen Ebene dargestellten Anrufungen in Bezug auf Hausarbeit, Geburt, Geburtenrate etc. Die folgende Textstelle bezieht sich darauf, wie über Geschlecht gesprochen wird: „Trotz einer steigenden Erwerbsbeteiligung von Frauen ist keine grundsätzliche Neuverteilung der Haushalts- und Betreuungsarbeit zwischen den Geschlechtern zu beobachten.“ (Seite 29)

Diese raren Aussagen zu der Funktion der Geschlechter sind in Bezug auf die Formierung des Geschlechterregimes trotzdem diskursanalytisch besonders relevant, da in diesen Aussagen das Dilemma zwischen gesellschaftlicher Zukunftsperspektive der Initiative und gesellschaftlichem Zustand der Geschlechterverhältnisse deutlich wird. Die Zukunftsperspektive der Initiative formuliert einen Bruch mit dem traditionellen männlichen Ernährermodell. Dadurch soll implizit die Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zugunsten von Frauen etabliert werden. Diese Perspektive ist insofern diskursanalytisch interessant, da zentrale feministische Forderungen nach Chancengleichheit und einer Überwindung patriarchaler Strukturen Eingang in politische Herrschaftsdiskurse gefun-

SYMBOL

| 291

den haben. Die symbolische Neuzusammensetzung der Geschlechterverhältnisse beinhaltet in der Logik der Initiative daher verschiedene Teildiskurse. Im Folgenden möchte ich auf deren erhoffte symbolische Neuzusammensetzung der Geschlechterbeziehungen weiter eingehen und darstellen, welchen Anrufungen Paare, Eltern (insgesamt 18), Vätern (insgesamt 0), Müttern (insgesamt 2) und Kindern (insgesamt 40) entgegengebracht werden: „Work-Life-Balance-Maßnahmen ermöglichen einer größeren Zahl von Paaren die Realisierung des Kinderwunsches und erhöhen damit langfristig die Geburtenrate. Hier kommen sowohl Unterstützungsmaßnahmen von Unternehmen zu einer verbesserten Kinderbetreuung als auch ein übergreifender Mentalitätswandel zur Wirkung, der in der Orientierung auf Familie und Karriere keinen Antagonismus sieht, sondern beiden Lebensschwerpunkten ein gleichberechtigtes Miteinander ermöglicht.“ (Seite 32)

In erster Linie wird in dieser Argumentation Geschlechtergerechtigkeit als Argument für eine ökonomische Wachstumsideologie eingesetzt. Mittels der Ausweitung der Kinderbetreuungsangebote sollen das gesamte Arbeitskräftepotential erweitert und zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden. Damit werden besonders gut qualifizierte Mütter angesprochen, ihre Kinder im öffentlichen, halböffentlichen, privaten oder betrieblichen Familienservice betreuen zu lassen, um dieses Potential der gut ausgebildeten Mütter effizienter zu nutzen. Die feministische Kritik an den mangelnden Möglichkeiten der Kinderbetreuung – zwecks Partizipation von Frauen am Erwerbsleben – ist somit verbunden mit einer wirtschaftlichen Wachstumsideologie, welche einhergeht mit der Ausweitung von Familienserviceangeboten. Die symbolische Neuzusammensetzung der Geschlechterverhältnisse beinhaltet zugleich einen feministischen und einen wirtschaftsliberalen Diskurs, der darum kreist, Elternschaft zu erleichtern und zu fördern und diese in Balance mit wirtschaftspolitischen Strategien zu bringen. Deshalb sind die Begrifflichkeiten von Familie und Familienfreundlichkeit zentrale Anrufungssignifikanten des Work-Life-Balance-Diskurses und beinhalten 40 Anrufungen in Richtung Familie bzw. Familienfreundlichkeit. Hier ein besonders verstricktes Diskursfragment: „…die konsequente Umsetzung von Work-Life-Balance-Maßnahmen in einer möglichst großen Zahl von Unternehmen sowie flankierende politische Maßnahmen, mit denen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wirksam verbessert wird, führen sowohl auf der betriebswirtschaftlichen als auch auf der volkswirtschaftlichen Betrachtungsebene zu positiven Effekten.“ (Seite 42)

292 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Die diskursive Verstrickung besteht hierbei in einer Befriedung feministischer, gouvernementaler und akkumulationslogischer Diskurse und läuft letztlich darauf hinaus, den beteiligten Unternehmen Maßnahmen vorzuschlagen, welche schon längst Bestandteil der Unternehmensstruktur sind: Arbeitsort- und Arbeitszeitflexibilisierung (vgl. Kapitel 7.3). Die Frage hier heißt aber nicht, ob schon genügend Plätze für eine Kinderbetreuung geschaffen worden sind oder wie Eltern und Kinder eine flexibilisierte Kinderbetreuung finden. In der ganzen Broschüre tauchen Kinder höchstens als Anhängsel von Eltern auf oder als Verschiebemasse kalkulatorisch zu klärender Flexibilisierungsprozesse. Wie eine flexible Kinderbetreuung aussehen könnte, verdeutlicht die Commerzbank mit ihrem „Kids und Co.“ Konzept, das in der Broschüre als „Best-Practice“ Beispiel herangezogen wird: „Als erstes deutsches Unternehmen pilotierte die Commerzbank 1999 gemeinsam mit dem Familienservice eine spontane Kinderbetreuung auf betrieblicher Ebene, die Commerzbank- Eltern in Ausnahmefällen unkompliziert unterstützt. Ist die Tagesmutter krank, kann der Kindergarten nicht öffnen, wird keine geeignete Ferienbetreuung angeboten oder übernehmen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unvorhergesehene Kundentermine: Bei Kids & Co. finden Kinder zwischen 0 und 12 Jahren die passende Betreuung. Dieser Service wird von 7.00 Uhr – 19.00 Uhr, nach Absprache auch zu früheren oder späteren Zeiten sowie am Wochenende angeboten. Die Kinder werden nach Bedarf stunden- oder tageweise, in Ausnahmefällen auch wochenweise betreut. Die Nutzung von Kids & Co. ist für Commerzbank-Eltern kostenfrei.“ (Seite 21)

Auch hier, in diesem Beispiel der Kinderbetreuung nach Work-Life-BalanceGesichtspunkten, finden sich die Anrufungssignifikanten der Flexibilisierung und der Ökonomisierung sowie der Identifizierung mit dem Unternehmen wieder. Demonstriert die spontane Kinderbetreuung beispielhaft das familienfreundlichere Klima und den geforderten gesellschaftlichen Mentalitätswandel? Aus der Sicht der Initiatorinnen und Initiatoren ist dies jedenfalls ein wesentlicher Baustein dafür. Insgesamt werden als Faktoren eines familienfreundlicheren Klimas vor allem diversifizierte und flexibilisierte Familienmuster als wirtschaftliche Faktoren einkalkuliert, welche zu Garanten für betriebs- und volkswirtschaftliche Wettbewerbshegemonien hochstilisiert sind. Zugespitzt lässt sich in diesem Zusammenhang feststellen, dass die „Familie als Keimzelle des Staates“ durch das Work-Life-Balance-Konzept der „Familie als Garant der Deutschland AG“ abgelöst wird. Diese Ablösung kann aber nur gelingen, insofern eine symbolische Werteverschiebung auf den Ebenen der Geschlechterideologie als auch im Ver-

SYMBOL

| 293

halten der Geschlechter erreicht wird. Dazu werden im Folgenden die Anrufungsketten an die männlichen Beschäftigten (5) bzw. an Männer (6) und an die weiblichen Beschäftigten (4) bzw. an Frauen (26) analysiert: „Der Zeitaufwand für Haushaltsarbeit von Männern steigt in Doppelverdienerhaushalten nur geringfügig an. Hier vollzieht sich nur allmählich ein Wandel, der auch die Neudefinition gesellschaftlicher Rollenbilder voraussetzt […] Trotz einer steigenden Erwerbsbeteiligung von Frauen ist keine grundsätzliche Neuverteilung der Haushalts- und Betreuungsarbeit zwischen den Geschlechtern zu beobachten.“ (Seite 29)

Erklärtes Ziel der Initiative ist es, mittels Work-Life-Balance-Maßnahmen einen gesamtgesellschaftlichen Wertewandel und eine Neudefinition gesellschaftlicher Rollenbilder durchzusetzen. Die geringe Anzahl von Anrufungssignifikanten in Richtung Neudefinition von Geschlechterbildern lassen die Frage zu, ob die Einfügung von geschlechterrelevanten Termini lediglich aus rhetorischen Gründen stattgefunden hat. Väter zum Beispiel werden in der Broschüre gar nicht erwähnt! Dies deutet auf eine sehr geringe bzw. nichtvorhandene Anzahl von explizit geschlechtergerechten Rollenmodellen innerhalb dieses Work-LifeBalance-Konzeptes hin. Für Frauen bewegen sich die Anrufungssignifikanten in den Feldern Wettbewerb, ökonomische Unabhängigkeit, Aufstiegschancen (vgl. Seite 6, 28). Hier scheint im Gegensatz zu den Anrufungen an Männer ein deutlich verändertes Rollenbild von Frauen durch. Auch im Gegensatz zum fordistischen Rollenbild, in dem Frauen aus der Produktionssphäre abgezogen wurden, um sie für den Reproduktionsbereich einzusetzen, eröffnen sich in diesem WorkLife-Balance-Geschlechtermodell völlig neue Perspektiven. Galt es im traditionellen Rollenmodell, die weibliche Reproduktionsfähigkeit im Familienzusammenhang als Garant für „gesunde“, funktionale und stabile Familienstrukturen einzusetzen, wird in diesem neuen Geschlechterbild die Frau als „moderne Hybridmutter“ stilisiert: ökonomisch, rational, fürsorglich, erfolgreich. Dieses Bild ist aber nicht nur für Frauen aus dem Mittelstand oder der oberen Klasse bestimmt, sondern es wird schichtenübergreifend vermittelt, da eine Erwerbsbeteiligung von Frauen auch als Chance für den haushaltsnahen Dienstleistungsmarkt begriffen werden soll. Hierbei wird ein neues Frauenbild angerufen, das die Funktion der Frau als Ganztagshausfrau und Mutter in ein Bild von der Frau als erfolgreiche Arbeitskraftmanagerin sowie Hausfrau und Mutter „light“ transferiert. Abschließend möchte ich die Anrufungssignifikanten auf der symbolischen Ebene wieder in einem Schaubild darstellen:

294 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Abbildung 7: Geschlechterregimerelevante Anrufungen auf der Symbolebene (eigene Darstellung)

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass in den strategischen Überlegungen der Work-Life-Balance-Initiative die explizite Ansprache von weiblichen Beschäftigten überwiegt. In den strategischen Überlegungen ist somit ein widersprüchliches Ziel enthalten, da die Überwindung der bisherigen Rollenbilder in Richtung Chancengleichheit der Geschlechter und die Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf lediglich an weibliche Arbeitnehmerinnen gerichtet sind. Das heißt, eine Work-Life-Balance vollzieht sich zulasten von Frauen, da Männer nicht angesprochen werden. Insgesamt ist damit auf der symbolischen Ebene keine signifikante Neudefinition von Geschlechterbildern zu finden, obwohl feministische Diskurse Eingang in die Konzepte gefunden haben und auch der wirtschaftsliberale Diskurs darum kreist, Elternschaft zu erleichtern und zu fördern bzw. Elternschaft in Balance mit wirtschaftspolitischen Strategien zu bringen. Dies ist aber noch keine Neudefinition von Geschlechterbildern oder eine Überwindung der Rollenbilder. Denn das Männerbild wird nicht verschoben oder verändert. Es kann auch nicht von einer expliziten „Ermutigung“ (Seite 29) der männlichen Beschäftigten gesprochen werden, da sich lediglich eine unmerkbar kleine Anzahl an spezifischen Anrufungen an männliche Beschäftigte richtet. Die weiblichen Beschäftigten sind jedoch mit einer veränderten Anrufung des Rollenbildes konfrontiert. Die Anrufungen gehen in die Richtung, dass weibliche Mitarbeiterinnen sich das aneignen müssen, womit die männlichen

SYMBOL

| 295

Kollegen zu tun haben; sich im Wettbewerb durchzusetzen und Reproduktionsarbeiten zu funktionalisieren und zu rationalisieren (vgl. Rastetter 1994, 2002). Mit diesem Ergebnis wird ein Widerspruch des Diskurses deutlich. Auf der Strukturebene sollen Frauen sich männlichen Verhältnissen anpassen. Dies lässt sich so interpretieren, weil die Rollenbilder für Frauen sich denen der Männer angleichen bzw. weil die Rollenbilder insgesamt androgynisiert werden. Auf der Symbolebene spiegeln die geschlechterregimerelevanten Anrufungssignifikanten des Work-Life-Balance-Diskurses ausschließlich heteronormative Geschlechterverhältnisse wider, in der Elternschaft, Familie und vergeschlechtlichte Rollenbilder allerdings unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten angesprochen werden. Die dazugehörigen Kinder sind auf der diskursiven Ebene verobjektiviert. Dieser Widerspruch ist den unterschiedlichen Diskurspositionen der Initiative geschuldet. Diese enthalten konservative, feministische und wirtschaftsliberale Positionen. Damit lässt sich festhalten, dass das Bild der „Familie als Keimzelle des Staates“ von der Work-Life-Balance-Initiative in ein Konzept der heteronormativen Familie als Garant einer produktiven Ökonomie und stabilen Bevölkerungsentwicklung transformiert wird. Die symbolische Bedürftigkeit des WorkLife-Balance-Diskurses im Hinblick auf die geschlechterspezifischen Veränderungen, um Bevölkerungs- und Wirtschaftspolitik zu stabilisieren, legt zumindest Zugeständnisse an feministische Forderungen nach Chancengleichheit von Geschlechtern offen. Auffällig ist dennoch die überproportionale Anrufung an Frauen, sich subjektiv den Anforderungen des Wettbewerbs anzupassen. Wie diese Anpassungsstrategien umgesetzt werden sollen, möchte ich mit der dritten Ebene verdeutlichen. 8.2.5.3 Geschlechterregimerelevante Anrufungen auf der Subjektebene Auf der Subjektebene untersuche ich die geschlechterregimerelevanten Anrufungen in Richtung der Reihe 4 des Theorems Geschlechterregime [Selbstverhältnisse]. Diese Ebene soll darüber Aufschluss erteilen, wie sich die Angerufenen der Struktur- und Symbolebene annähern können. Deshalb steht dieser Themenkomplex im Zusammenhang mit Anrufungen an die eigene Person (insgesamt 19 Anrufungen): „Die Anforderungen des lebenslangen Lernens an die Gestaltung der Arbeitsprozesse und die Selbstorganisationskompetenzen im privaten Bereich werden in weiten Teilen durch Work-Life-Balance-Maßnahmen im betrieblichen Kontext positiv unterstützt.“ (Seite 28)

296 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Wie schon beschrieben sind die Anrufungen an das Selbst die wirkmächtigsten Anrufungen überhaupt. Die Anrufung an das eigene Ich bezweckt eine Spiegelung der Anrufung in einem Selbst und führt zur Überprüfung der Anrufung bzw. im weiteren Prozess zur Übernahme oder Verwerfung der Anrufung. Dieser Prozess ist in Kapitel 4.1.1 ausführlich beschrieben, ebenso die damit verbundene Subjektivierung. Deutlich werden in diesem Zitat die Anrufungssignifikanten der wählbaren Selbstverhältnisse, der Eigenverantwortlichmachung, der eigenständigen Arbeitsplanung sowie die Verschiebung der Selbstverhältnisse in der Produktionssphäre. Wie schon beschrieben ist die Arbeitsorganisation schon so weit automatisiert, arbeitsteilig, rationalisiert, dass es keinen hierarchischen Apparat von Managern, Meistern, oder Vorarbeiterinnen und Vorarbeitern etc. mehr bedarf, um Arbeitsstrukturen aufrechtzuerhalten. In den Anrufungen an das Selbst wird deutlich, dass diese Verantwortung in das Subjekt übertragen werden soll. Die Chiffre „lebenslanges Lernen“ wird hier zu einem „individuellen Selbstaneignungs- bzw. Selbstorganisationsprozess stilisiert“ (Friebel 2008: 41). Work-Life-Balance-Maßnahmen, so die Idee der Initiative, werden durch Selbstorganisationskompetenzen auch in den privaten Bereich übersetzt. Das Subjekt muss sich nur in diese neuen Strukturen durch die Erlernung speziellen Wissens und durch die Übernahme von Gesamtverantwortung für das eigene Handeln einfügen. Mobilisiert werden diese neuen „Skills“ durch die „Vorbildfunktion der Führungskräfte, die Work-Life-Balance-Maßnahmen selbst nutzen“ (Seite 18). Insgesamt ist die Anrufung an die Eigenverantwortung darauf ausgelegt, das Konzept der Work-Life-Balance zur eigenen Philosophie, zum eigenen Lebensentwurf oder zur „DNA“ werden zu lassen (vgl. Kapitel 4.2.2, Spear/Bowen 1999: 97ff). Das Selbst wird hier aktiv als Arbeitskraftmanagerin oder Arbeitskraftmanager angerufen und als ausbeutbare „Human Ressource“ verstanden. Auf der betrieblichen Ebene scheint dieses Konzept einschließlich der dazugehörigen Soft Skills bereits anerkannt zu sein. Die insgesamt 3 Anrufungen bezüglich „Humankapital“ verdeutlichen diese These: „Die Managemententscheidung, Work-Life-Balance als eine Maxime der betrieblichen Personalpolitik anzuerkennen und gleichrangig mit anderen Investitionen der Unternehmen in die Human ressourcen zu betrachten, ist nicht an spezifische Voraussetzungen gebunden. Zentral hierfür ist die Erkenntnis, dass Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite gemeinsam profitieren und sich die Unternehmen im Wettbewerb um die besten Köpfe profilieren können […] Darüber hinaus entziehen sich einige Effekte der Quantifizierung in einem volkswirtschaftlichen Modell. Dazu gehören z. B. die Auswirkungen eines stabileren gesellschaftlichen Klimas, das sich positiv auf nationale und internationale Investitionsentscheidungen auswirkt, Wachstumseffekte durch eine Verringerung der heute

SYMBOL

| 297

schon bestehenden Fachkräftelücke in einzelnen, besonders zukunfts- und wachstumsträchtigen Wirtschaftsbereichen und eine Steigerung der Qualität des Humankapitals durch zusätzliche Investitionen in Aus- und Weiterbildung, die in den Modellrechnungen unberücksichtigt bleiben.“ (Seite 10)

Diese Aussage ist insofern diskursanalytisch interessant, da die Anrufung der eigenen Person in der dritten Person plural als „Human Ressource“ bzw. als „Humankapital“ gleichzeitig nicht nur eine semantische Anrufung ist, sondern auch eine der wirkmächtigsten Verobjektivierungen von Personen darstellt. Denn die Anrufung an das eigene Humankapital bedeutet nichts anderes, als dass das Selbst als IntrapreneurIn9 angerufen wird – als Binnenunternehmerin und Binnenunternehmer – und sich so verhalten soll, als ob es selbst EntrepreneurIn wäre und mit dem Unternehmen eine Wertschöpfungsgemeinschaft bilde. Dies ist zumindest die Grundlage der neoliberalen Managementtheorie zur „Ressource Mensch“ (vgl. Bröckling 2007: 62, Kapitel 4.2.2, 7.4). Der Mechanismus, der verhindert, dass die „Ressource Mensch“ nicht zu sehr eigenverantwortlich und selbstverwaltend handelt, ist die verobjektivierende Anrufung. Die verobjektivierende Anrufung ruft den eigenverantwortlich handelnden und sich selbstverwaltenden Menschen an jene Stelle, wo er in einer kapitalistischen Gesellschaft hingehört, auf den Markt bzw. in Konkurrenz zu anderen. Diese neue sogenannte Autonomie ist nichts anderes, als dass alle Abteilungen des Unternehmens dem Wettbewerbsdruck des Marktes ausgesetzt werden. Die ehemaligen Verantwortlichen, die Managerinnen und Manager, entziehen sich der Verantwortung. Das Unternehmen lebt von der „Ressource Mensch“. Das bedeutet, dass es kein Außen mehr gibt. Der Markt reguliert nicht nur die inneren Strukturen der Unternehmen und den Wettbewerb unter den Unternehmen, sondern der Marktmechanismus, die Marktideologie soll sich auch in das Selbst verlagern (vgl. Opitz 2004: 152). Hier wird die Doppeldeutigkeit der Work-Life-BalanceKonzepte besonders deutlich. Einerseits versprechen sie eine Balance zwischen Erwerbsarbeit und Reproduktionsarbeit, bei gleichzeitigen Lösungsstrategien in Richtung Konkurrenz andererseits.

9

Intrapreneurship-Programme umfassen in der Regel verschiedene Einzelmaßnahmen, die sowohl beim Unternehmen als auch bei den einzelnen Beschäftigten ansetzen. Das Management muss fördernde Rahmenbedingungen bereitstellen (z. B. flache Hierarchien, offene Kommunikations- und Informationskultur, Anreizsysteme). Die Beschäftigten müssen entsprechend geschult werden, um unternehmerische Tugenden (z. B. Kostenbewusstsein, Kundenorientierung, Eigeninitiative) zu verinnerlichen (vgl. Holzinger 2007: 233).

298 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Abschließend verteilen sich die geschlechterregimerelevanten Anrufungen auf der subjektiven Ebene wie folgt: Abbildung 8: Geschlechterregimerelevante Anrufungen auf der Subjektebene (eigene Darstellung)

Wie das Schaubild zeigt, liegt die Anzahl der Anrufungssignifikanten im Bereich der Selbstverhältnisse im Vergleich zu den strukturellen oder symbolischen Ebenen im unteren Bereich. Zusammenfassend ist für die Subjektebene die Schlussfolgerung festzuhalten, dass das Management in erster Linie Selbstverhältnisse nicht nur als Chance einsetzt, um mehr Profit zu erzielen. Selbstverhältnisse dienen vor allem zur Verinnerlichung der allgemeinen Ziele der Unternehmen, indem die Angerufenen ihre Lebenswelten in den Kosmos der Unternehmen verlagern. Ziel dabei ist es, die Interessenunterschiede der Unternehmen und der Subjekte zu nivellieren (vgl. Krasmann 2003: 188, Opitz 2004: 123ff). Dieses Ziel deckt sich mit dem Diskursstandpunkt, Work-Life-Balance-Maßnahmen als Investitionen in das Humanvermögen der Unternehmen zu betrachten. Aber wie das Beispiel des „Humankapitals“ verdeutlicht, sind die Kategorien der Selbstverhältnisse nur sehr schwer zu extrahieren und stehen grundsätzlich mit den anderen Ebenen in einem Wechselverhältnis. Deshalb beschäftigt sich der nächste Abschnitt mit der Verschränkung und den Wechselwirkungen der verschiedenen angesprochenen Themenkomplexe und Ebenen. Das bedeutet, dass in der folgenden Interpretation die allgemeinen Aussagen des gesamten Textes bzw. die inhaltlich-ideologische „Botschaft“ des Work-Life-BalanceDiskurses in Bezug auf das Theorem Geschlechterregime hin analysiert wird. Dies stellt die abschließende Interpretation des gesamten untersuchten Diskursstrangs unter Rückgriff auf alle vorliegenden Materialaufbereitungen dar.

SYMBOL

| 299

8.2.6 Zusammenfassende Interpretation der geschlechterregimerelevanten Diskurspositionen Wie schon beschrieben ist das Ziel der vorliegenden Kritischen Diskursanalyse das Herausarbeiten der Diskurspositionen der Initiative auf die Fragen, was mit Work-Life-Balance-Maßnahmen bezweckt werden soll und ob diese Maßnahmen als Teil eines herrschaftsstabilisierenden Geschlechterregimes zu begreifen sind. Die Diskursposition ist dabei ein spezifischer ideologischer Standort einer Person oder Institution. Bevor ich auf die Zusammenfassung und die intersektionalen Wechselwirkungen der Diskurspositionen eingehe, möchte ich noch eine grundsätzliche Überlegung zu der Verschränkung der Methode der Intersektionalität und der Kritischen Diskursanalyse anstellen. Wie schon in Kapitel 4.1.1 beschrieben konstituiert sich für Jacques Lacan das Subjekt in einem unauflösbaren Knoten von Realem/Symbolischem/Imaginärem. In diesem sogenannten Borromäischen Knoten ist es unmöglich, einen Teil herauszulösen, ohne dass der Knoten sich auflöst. Es ergeben sich durch diese Anordnung der Ringe im Knoten Schnittstellen der Ringe bzw. Schnittmengen der Ebenen. Das bedeutet, dass die Ebenen in sich wiederum durch die anderen Ebenen überlagert sind. Dadurch ergeben sich mannigfaltige Interpretationsmöglichkeiten der Strukturbestimmungen des Subjekts bzw. der Sprache (vgl. Evans 1998: 65). Die Erkenntnis von Überlagerungen und Untrennbarem der verschiedenen Ebenen bringt mich zu der nächsten Überlegung und Verschränkung: zur Erklärung der Wechselwirkungen von verschiedenen Ebenen durch den hermeneutischen Zirkel. Die Denkfigur des hermeneutischen Zirkels ist so angelegt, dass das Einzelne nur durch seinen Zusammenhang mit dem Ganzen zu verstehen ist. Vorausgesetzt ist, dass das Ganze schon bekannt ist. Im Umkehrschluss kann dadurch das Verstehen einzelner Teile die Gesamtschau des Ganzen verdeutlichen. Durch diese Bewegung ergibt sich eine Denkspirale bzw. ein Zirkel: Das Einzelne entschlüsselt sich durch das Ganze, das Ganze aus dem Einzelnen (vgl. Dilthey 1896/97: 184). Dies ist ein fortwährender Prozess, indem sich wiederum das Einzelne und das Ganze entfalten. Für die Diskursanalyse unter intersektionalen Vorzeichen heißt das, dass die einzelnen Anrufungen und deren Interpretation immer wieder im Zusammenhang mit den gesamten Anrufungssignifikantenketten gebracht werden müssen. Zusammenfassend bedeutet dies, dass die Wechselwirkungen der Anrufungen vor allem durch den gesamtgesellschaftlichen Kontext, die gesellschaftliche Situierung der Sprecher oder durch die Interessen der Sprecher verständlich werden. Für die Ebenen heißt dies aber nicht, dass die Wechselwirkungen sich proportional und gleichmäßig beeinflussen. Im Gegenteil, dadurch, dass das Konzept Geschlechterre-

300 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

gime als intersektionales Verhältnis gedacht ist, ergeben sich auch unterschiedliche Anordnungen, Kräfteverhältnisse, Strömungen. Deshalb kann auch im Folgenden ein Borromäischer Knoten gedacht werden, nur mit dem Unterschied, dass die Stärke der Ringe je nach der Anzahl der Anrufungssignifikanten der unterschiedlichen Ebenen variiert. In Bezug auf die bisherige Analyse ist die Verteilung der Anrufungssignifikanten bzw. die Größe der Ringe wie folgt: Abbildung 9: Borromäischer Knoten „Anrufungen auf allen Ebenen“ (eigene Darstellung)

Interpretieren lässt sich dieser Kreis bzw. Knoten damit, dass die strukturellen Anrufungen die anderen Ebenen dominieren. Das Verhältnis ist 277 strukturelle Anrufungen zu 155 symbolischen Anrufungen zu 22 subjektiven Anrufungen. Die Initiative Work-Life-Balance selbst versteht das Konzept Work-LifeBalance in erster Linie als ein Wirtschaftsthema (vgl. Seite 4). Work-LifeBalance-Maßnahmen lassen sich demnach als Instrument der Unternehmensund Personalpolitik zur Kapitalakkumulation und zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes Deutschland verstehen. Aus diesen Maßnahmen soll eine dreifache Win Situation für Unternehmen, Lohnabhängige sowie für gesamtgesellschaftli-

SYMBOL

| 301

che und volkswirtschaftliche Nutznießerinnen und Nutznießer entstehen (vgl. Seite 4). Diese Position erscheint unter dem Rückgriff auf das Marxsche Wertgesetz als absurd. Eine Win-Win Situation kann sich in einer auf Konkurrenz und Wettbewerb aufbauenden Gesellschaft nicht herausstellen, auch nicht, wenn die Aneignung fremder Erwerbsarbeit vermittelt durch Lohn als gerechter Tausch zwischen ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen erscheint. Dieses Verhältnis bleibt ungerecht, da Lohnarbeit immer ein Teil unbezahlter Mehrarbeit ist und Gewinn sich durch das kapitalistische Wirtschaften nur herstellt, wenn Ausbeutung stattfindet. Die Herstellung dieses Verhältnisses, mit welchen Mitteln auch immer – von Disziplin, Zwang, Korporatismus bis hin zum partizipatorischen Management in Form von Work-Life-Balance-Maßnahmen, ist die unumgängliche Bedingung für die Kontrollierbarkeit und Planbarkeit der kapitalistischen Ökonomie (vgl. MEW 23: 231). Werden die geschlechtsspezifischen Anrufungen auf den untersuchten Ebenen extrahiert, ergibt sich folgendes Schaubild: Abbildung 10: Verhältnis der geschlechtsspezifischen Anrufungen (eigene Darstellung)

Lediglich auf der symbolischen Ebene gibt es 6 explizit männliche und 34 explizit weibliche Anrufungen, was im Vergleich zu den strukturellen Anrufungen sehr gering erscheint, da ein Ziel der Initiative die Veränderung der Rollenbilder ist. Die Anrufungen in Richtung Haushalt und Geburt habe ich unter den neutralen Anrufungen verortet, da sich diese Anrufungen durch die Work-LifeBalance-Maßnahmen (Haushaltsnahe Dienstleistungen, Elternzeit etc.) sowohl an männliche als auch weibliche Beschäftigte richten. Das bedeutet dennoch, dass ein Überhang der Anrufungen an weibliche Subjekte zu verzeichnen ist.

302 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Dieses Ergebnis lässt sich damit interpretieren, dass vor allem Mitarbeiterinnen von den Maßnahmen angesprochen werden sollen. Fraglich bleibt, wie die Prozesse der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung und der asymmetrischen Machtverteilung zwischen den Geschlechtern überwunden werden, wenn die Anrufungen asymmetrisch ausgesprochen werden. Fraglich bleibt auch die Übersetzung des Wunsches der Initiative – mittels betrieblicher Work-LifeBalance-Konzepte die Veränderung von Geschlechterbildern nach dem traditionellen Modell eines männlichen Alleinverdieners zu überwinden. Denn theoretisch möchte die Initiative explizit darauf setzen, männliche Beschäftigte zu ermutigen, durch Work-Life-Balance zu einer Verbesserung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf beizutragen. Die sechs expliziten Anrufungen in diese Richtung stellt die Überwindung von traditionellen Geschlechterbildern praktisch infrage, weil keine konkreten Lösungs- bzw. Überwindungsvorschläge aus diesen Anrufungen resultieren. Daraus folgt, dass das Geschlechterregime innerhalb dieser Work-Life-Balance-Konzepte regulatorische Struktureinheiten (Anrufungen in Richtung, Familie, Geburtenrate, Standort Deutschland) benötigt, um die heteronormative Vergeschlechtlichung zu stabilisieren. Ziel dieser Anrufungsketten ist es, die Geschlechter an den für sie vorgesehenen Platz zu dirigieren und diese Plätze in Selbstverhältnisse zu überführen. Das bedeutet, dass diese intersektionalen Struktureinheiten darauf abzielen, dass die Angesprochenen hegemoniale Haltungen einnehmen, um die vorherrschenden Verhältnisse selbstständig zu reproduzieren. Insgesamt sind in den Wechselwirkungen der Struktur, Symbol- und Subjektebene Anrufungsketten und Diskurspositionen enthalten, welche den biologischen, heteronormativen und ökonomischen Fortbestand der deutschen Gesellschaftsformation zu sichern und Unregelmäßigkeiten der Bevölkerungs- und Wirtschaftsentwicklung auszubalancieren versuchen. In der Diskursposition der Initiative spielt daher die ideologische Achse von Geschlecht und Nation eine besondere Rolle, um auf der demographischen Ebene die kollektiven Lebensverhältnisse zur Formierung einer „Allianz für die Familie“ zu nutzen bzw. das Konzept der „heteronormativen Familie als Garant der Deutschland AG“ zu etablieren. Für die Initiative ist entscheidend, dass für alle Beteiligten an Work-LifeBalance-Maßnahmen der Nutzen von Work-Life-Balance-Konzepten ersichtlich wird. Für die Initiative ist auch entscheidend, dass alle beteiligten Firmen, Ministerien und Verbände dazu beitragen, Work-Life-Balance-Maßnahmen einer größeren Öffentlichkeit vorzustellen sowie Work-Life-Balance-Maßnahmen als ein „selbstverständliches Instrument von personalpolitischen Maßnahmen in der Arbeitswelt der Zukunft zu etablieren“ (Seite 43). Das bedeutet, dass der WorkLife-Balance-Diskurs allein durch die strukturelle Zusammensetzung der Betei-

SYMBOL

| 303

ligten, den Verbindungen zwischen Staat und Kapital sowie den Querverbindungen zu feministischen und wertkonservativen Ideologien als ein wirkmächtiger Diskurs bewertet werden muss. Die Diskursträger – börsennotierte Unternehmen mit Tausenden von Beschäftigten, zentrale Institutionen des Staates, der Bundesverband der Industrie, der mehr als 8 Millionen Mitglieder vertritt usw. – sind nicht als einfache Multiplikatoren des Diskurses zu betrachten. Denn als Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber und als Regierung und Gesetzgeber übt die Initiative maßgeblichen Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung aus. Diese zentralen Positionen innerhalb der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsformation befähigt die Initiative die leistungsstarken Eliten zu organisieren und zu führen. Die politisch-programmatischen Prämissen der Work-Life-Balance-Initiative werden indikativ, als normative Kraft des Faktischen dargestellt. Die Art und Form dieser Argumentation und die Anrufungsketten rekurrieren auf nicht belegte Referenzbezüge von internationalen Vergleichen und demographischen Entwicklungen. Die Wirkmächtigkeit des Diskurses entfaltet jedoch indirekt einen Imperativ, der beinhaltet, Erwerbsarbeit und Privatleben dringend neu entlang der Wettbewerbsfähigkeit von Deutschland organisieren zu müssen. Um diese Position zu untermauern, sind in dieser Broschüre autoreferentielle Bezüge enthalten, welche die Argumentation der Initiative dadurch stabilisieren sollen, indem die Referenzbezüge auf sich selbst bezogen werden. Die Folge ist eine geschlossene identitäre Systembildung. Die Kette der Anrufungssignifikanten stehen in einer bestimmten Ordnung zueinander: Work-Life-Balance [1.] als Motor für wirtschaftliches Wachstum und [2.] als gesellschaftliche Stabilität. Diese Reihenfolge impliziert die Existenz eines „Herrensignifikanten“, der nicht, wie Lacan sagen würde, auf den „Namen des Vaters“ lautet, sondern im „Namen des Staates“, der Initiative bzw. im Namen des Konglomerats von staatlichen Institutionen und kapitalistischen Unternehmen für [1.] wirtschaftliches Wachstum und [2.] für gesellschaftliche Stabilität steht. Der Work-Life-Balance-Diskurs ist somit „der große Andere“, der Identität verleiht und Autorität für sich selbst einfordert (vgl. Lacan 1997: 322). Zusammenfassend ermöglicht die Triade der Schnittmengen bzw. der Wechselwirkungen von Struktur/Subjekt, Symbol/Struktur und Symbol/Subjekt verschiedene Anrufungsketten aus wechselseitigen Selbst- und Fremdregulierungsweisen:

304 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

8.2.6.1 Wechselwirkungen von Struktur//Subjekt Die strukturellen Anrufungsketten verbinden sich zu der Diskursposition, mittels Work-Life-Balance-Maßnahmen geschlechtsspezifische Arbeitsteilungen nach dem traditionellen Modell eines männlichen Alleinverdieners und einer dazugehörigen Hausfrau zu überwinden. Die Subjekte werden angerufen, eine Veränderung ihrer bisherigen Reproduktionsstrukturen zu organisieren. Diese Anrufung formiert sich über die Ökonomisierung des Sozialen, die darauf abzielt, den Bereich der Arbeitskrafterhaltung und Arbeitspotentialoptimierung sowie den Bereich der Reproduktion von Arbeitskräften rational, effizient und flexibel zu gestalten. Das Selbst wird in dieser Struktur als ArbeitskraftmanagerIn und als „Human Ressource“ angerufen. Die generativen Anrufungen des Work-LifeBalance-Konzeptes sind gleichsam ein Verknüpfungsmoment der Sphären der Produktion und der Reproduktion als auch vermittelndes Element zwischen den persönlichen Leben der Subjekte, dem Gesundheitsniveau der Bevölkerung und der Struktur des Produktionsverhältnisses. Die Anrufungskette im Kontext der Stimulation der Geburtenrate ist Teil einer bevölkerungspolitischen Regulationsweise, welche die Subjekte dazu führen soll, strukturelle Entwicklungsprozesse auszubalancieren. Work-Life-Balance-Strukturen werden durch Selbstorganisationsanrufungen in den privaten Bereich übersetzt: Das Subjekt soll sich die neuen Strukturen mittels der Übernahme der bevölkerungspolitischen Gesamtverantwortung aneignen. Mobilisiert werden diese neuen „Skills“ durch die Vorbildfunktion von Führungskräften in den Unternehmen. Die Anrufungsketten der Eigenverantwortung sind darauf ausgelegt, das Konzept der Work-LifeBalance zum subjektiven Lebensentwurf werden zu lassen, bei dem es darum geht, die persönliche und die gesellschaftliche Struktur wie ein profiterwirtschaftendes Unternehmen zu organisieren. 8.2.6.2 Wechselwirkungen von Symbol//Struktur In der Wechselwirkung von Symbol- und Strukturebene sind als Faktoren einer Work-Life-Balance vor allem diversifizierte und flexibilisierte Familienmuster als Dispositionen einkalkuliert, welche zu Garanten für betriebs- und volkswirtschaftliche Wettbewerbshegemonien hochstilisiert sind. Die Darstellung der Familienrepräsentation in dem Konzept verbindet sich mit einem feministischen und zugleich neoliberalen Entwurf. Der formulierte Bruch der Initiative mit dem traditionellen männlichen Ernährermodell und der Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zugunsten von Frauen beinhaltet zentrale feministische Forderungen nach Chancengleichheit und einer Überwindung patriarchaler

SYMBOL

| 305

Strukturen. Die symbolische Neuzusammensetzung der Geschlechterverhältnisse beinhaltet somit Anrufungsketten, die sich durch feministische, neoliberale und konservative Diskurse zusammensetzen, welche darauf abzielen, Elternschaft zu erleichtern und zu fördern und diese in Balance mit wirtschaftspolitischen Strategien zu bringen. 8.2.6.3 Wechselwirkungen von Symbol//Subjekt Durch die Wechselwirkungen der Symbol- und der Subjektebene eröffnen sich in diesem Work-Life-Balance-Konzept neue Perspektiven für das Geschlechtermodell. Im Fordismus wurde die Frau als Hausfrau angerufen. In dem neuen, durch Work-Life-Balance durchsetzten Geschlechterbild wird die Frau als „moderne Hybridmutter“ stilisiert: Sie soll ökonomisch erfolgreich und rational fürsorglich sein. Die Implementierungen der Work-Life-Balance-Anrufungen verfolgen eine rationalisierte Subjektwerdung über die symbolische Ordnung. Diese rationalisierte Subjektwerdung ist formiert dadurch, dass die Angerufenen ihre Lebenswelten in den Kosmos der Unternehmen verlagern und die allgemeinen Ziele der Unternehmen verinnerlichen sollen. Die Wechselwirkungen lassen sich damit zusammenfassen, dass innerhalb des Work-Life-Balance-Diskurses Anrufungen verschiedene Diskurspositionen einnehmen und dadurch Prozesse von permanenten politisch-sozialen, ideologischdiskursiven Auseinandersetzungen auf den verschiedenen Ebenen auslösen. Die Gemeinsamkeit der Auseinandersetzungen ist aber das Ziel, die Interessenunterschiede zwischen Regierung, Unternehmen und Subjekten zu nivellieren.

8.3 F AZIT Abschließend lässt sich der Work-Life-Balance-Diskurs als „rhetorische Psychagogie“ (Oesterreich 2002: 213, Platon 1993: 97), also als „Seelen-“ bzw. „Menschenführungskunst“ verstehen. Er dient zur „Führung der Führungen“ (Foucault 1994: 255), das heißt, er dient zur eigenen Seelenführung, und er dient als Mittel, die Meinungen anderer Menschen in die vermeintlich richtige Richtung zu führen. Die Szenarien, die Vorhersagen, das in die Zukunft Schauen der Initiative entbehren allerdings jeder präzisen und soliden Logik einer wissenschaftlichen Analyse und sind ebenso valide wie Horoskope oder Wettervorhersagen (vgl. Feyerabend 2010). Allerdings beziehen die Szenarien ihre Wirkmächtigkeit aus dem Diskurs heraus. Daher sind diese Szenarien diskursanalytisch besonders he-

306 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

rausragend, da sie und die Broschüre insgesamt eher als Teil einer inhaltlichideologischen Darstellung der politischen Ökonomie in Deutschland denn als unabhängige wissenschaftliche Forschung zu dem Thema Work-Life-Balance zu bewerten ist. Ziel dieser Broschüre ist es Work-Life-Balance-Maßnahmen so darzustellen, dass von dem Nutzen der Work-Life-Balance-Konzepte überzeugt wird. Hierbei ist Work-Life-Balance in erster Linie als ein Wirtschaftsthema aufgemacht. Wie diese Anrufungen verinnerlicht werden bzw. sich diese Wechselwirkungen in der gesellschaftlichen Formation materialisieren, kann erst durch die anschließende Untersuchung der Interviews verdeutlicht werden. Aufschlussreich sind diese Anrufungen auf der diskursiven Ebene im Hinblick auf die Darstellung des historisch-konkreten Geschlechterregimes in jeder Hinsicht. Die theoretisch-abstrakte These, dass das Geschlechterregime als Spiegel bzw. als Orientierungshilfe dient, womit Subjekte durch die symbolische und strukturelle Ordnung ihre Identität erfahren, bestimmen oder verwerfen können, wird durch die Diskurspositionen und die Aufmachung des Work-Life-Balance-Diskurses der Initiative bestätigt. Auch die These, dass die Entwicklung eines Geschlechterregimes als Verhältnis zwischen heteronormativ- diskursiven, ideologischen, ökonomischen, politischen und identitären Anrufungen im Sinne von Subjektivierungsweisen zurückzuführen ist, erhärtet sich.

9. SUBJEKT: Intersektionale Mehrebenenanalyse von problemzentrierten Interviews über Work-Life-Balance

Gegenstand meiner empirischen Dispositivanalyse des Geschlechterregimes ist, neben den strukturellen und den symbolischen Ebenen, auch die Untersuchung von subjektiven Verhältnissen, die durch bestimmte politische Regulierungen bzw. Technologien des Regierens sowie die je eigenen Handlungsfähigkeiten hervorgebracht werden. Für die Frage, welche subjektiven Geschlechterpraktiken und -formen bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern durch Work-LifeBalance-Maßnahmen entstehen und wie das Geschlechterregime durch subjektive Praxen reproduziert wird, ist eine weitere Untersuchungsmethode zur Analyse notwendig. Hierfür bieten sich die Methode des problemzentrierten Interviews nach Andreas Witzel (vgl. 1985, 1986, 2000) und die intersektionale Auswertung nach Gabriele Winker und Nina Degele (2009) an. Ziel des problemzentrierten Interviews ist die Darstellung subjektiver Sichtweisen, die Erfassung individueller Handlungen sowie Verarbeitungsweisen gesellschaftlicher Realität. Subjektivität ist, wie schon in Kapitel 4.1.1 beschrieben, „die sprachliche Gelegenheit des Individuums, Verständlichkeit zu gewinnen und zu reproduzieren, also die sprachliche Bedingung seiner Existenz und Handlungsfähigkeit“ (Butler 2001: 15). Es ist demnach aus jedem Interview speziell herauszuarbeiten, wie und auf welche Art und Weise bei den Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern die Diskurse und Ideologien des Geschlechterregimes reproduziert werden. Ebenso ist am Einzelfall herauszuarbeiten, wie diese Diskurse und Ideologien durch die bewusste Berücksichtigung der jeweils beschränkten gesellschaftlichen Entwicklungsbedingungen benutzt werden. Es ist weiter herauszuarbeiten, wie die jeweiligen subjektiven Verarbeitungsweisen durch die Individuen zu einer bewussten Verfügung über ihre eigenen Lebensbedingungen hergestellt

308 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

werden. Damit würde dann auch durch den je subjektiven Fall deutlich werden, in welcher Art und Weise die gesellschaftlichen Lebensbedingungen verändert werden müssen, damit gemeinsame Verfügungsgewalten über die Möglichkeiten „zur kooperativen Selbstbestimmung unserer eigenen Angelegenheiten auch zu einem befriedigenden, angstfreien und erfüllten subjektiven Dasein kommen“ (Holzkamp 1984: 37). Das heißt, die Intention der intersektionalen Mehrebenenanalyse von problemzentrierten Interviews über Work-Life-Balance ist einerseits die Hervorhebung der Beschränkungen individueller Lebensmöglichkeiten durch Herrschaftsverhältnisse. Andererseits ist die Intention die Herausarbeitung subjektiver Befindlichkeiten und die Problematisierung von restriktiven gesellschaftlichen Verhältnissen durch die Individuen. Dreh- und Angelpunkt der Interviews ist dabei die Bedeutung der strukturellen Funktion des Geschlechterregimes für die Reproduktion der Produktionsverhältnisse sowie die Bedeutung der symbolischen Funktion der Diskurse für die Formierung des Subjekts. Mit den Aussagen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner ist es daher möglich, geschlechtsbezogene Subjektkonstitutionen im Zusammenhang mit WorkLife-Balance-Konzepten zu analysieren sowie darzustellen, wie diese sich artikulieren und materialisieren. Konkret geht es also darum, die komplexen Beziehungen zwischen Struktur, Symbol und Subjekt, die identitätsgenerierenden Regimestrategien, die graduellen Verschiebungen und Umwendungen der Diskurse und Ideologien durch das Subjekt zu verdeutlichen. Hierbei geht es also darum „eine Theorie zu entwickeln, die erklärt, wie Individuen in diskursiven Strukturen platziert werden“ (Hall 2004: 182f). Dafür ist ein Ansatz erforderlich, der darlegt, wie die Subjekte sich selbst in einer Identität konstruieren bzw. wie sie ihre Identitäten konstituieren. Es geht hierbei auch darum, die „Grenzen“ einer Identität zu finden, ihre Abgrenzungen und Schließungen. Diese Kartographie dient dazu, die Einheit der Identität und ihre scheinbare Homogenität als konstruierte Formen, als Regulation eines Regimes offen zu legen. Damit wird die Bewegung des Subjekts wiederum deutlich: Es bewegt sich im Ein- und Ausschluss, im Wiedererkennen oder Ablehnen von identitätsgenerierenden Diskursen. „Das Subjekt verdankt seine spezifische Existenz einem notwendigen Verlust anderer möglicher Existenzen, es ist damit eben nicht frei, der oder die zu sein, der oder die es sein möchte“ (Villa 2003: 51). Zusammenfassend ist das Ziel dieses Kapitels die Herausarbeitung der Doppelbewegung der Subjektivation der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner. Das heißt die Verdeutlichung der Bedingungen, unter denen ein Subjekt entsteht, dessen sprachliche Entäußerung, wie die Reproduktion dieser Bedingungen

S UBJEKT

| 309

übersetzt wird bzw. wie über diese Lebensbedingungen verfügt wird. Hauptaufgabe in diesem Zusammenhang ist die Konkretisierung der Selbstverhältnisse durch Work-Life-Balance-Maßnahmen als Teil des historisch-konkreten Geschlechterregimes. Im Folgenden werde ich nun die Erhebungsmethode des problemzentrierten Interviews vorstellen. Im Anschluss daran werde ich die intersektionale Auswertungsmethode der problemzentrierten Interviews nach Winker und Degele (2009) vorstellen und anwenden. Im abschließenden Fazit werden Überlegungen für weiterführende Forschungsarbeiten aufgegriffen.

9.1 D IE E RHEBUNGSMETHODE DES PROBLEMZENTRIERTEN I NTERVIEWS Meine Vorgehensweise zur Verdeutlichung von Selbstverhältnissen sind problemzentrierte Interviews mit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in WorkLife-Balance-Maßnahmen. Das Ziel dieser problemzentrierter Interviews ist, eine Auskunft über die Art und Weise der Umsetzung der Work-Life-BalanceKonzepte als Herrschaftstechnik des Geschlechterregimes zu erhalten. Ein weiteres Ziel ist die Erfassung des Selbstverhältnisses der Interviewperson zu WorkLife-Balance-Konzepten und den darin für sie enthaltenen restriktiven bzw. verallgemeinerten Handlungsperspektiven. Das qualitative Sample setzt sich dabei aus acht Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zusammen, deren Unternehmen Maßnahmen zur Work-Life-Balance anbieten bzw. mit Trägern von Work-LifeBalance-Maßnahmen kooperieren.1 Die Interviews sind offen gestaltet und lassen Platz für Narrationen. Während des Interviews werden keine festen Dimensionen und Kategorien abgefragt,

1

Das Finden von Interviewpartnerinnen und Interviewpartner gestaltete sich als relativ aufwendig und zeitintensiv. Alle Anfragen an Personalleitungen von Unternehmen der Initiative „Work-Life-Balance“ (wie z. B. Telekom, Commerzbank, Daimler etc.), an verschiedene Krankenkassen und Betriebskindergärten zur Unterstützung meiner Suche nach Interviewpartnerinnen und Interviewpartner wurden abgelehnt. Das heißt, ich konnte keine Gesuche in den verschiedenen Betrieben aushängen. In einem Fall hätte ich meinen Fragebogen durch einen Betriebsrat genehmigen lassen müssen. Dieses Problem hat ein Interviewpartner wie folgt kommentiert: „Die haben Angst, dass jemand einen Virus ins Unternehmen einpflanzt und die Leute anfangen zu denken.“ Erst über eine Work-Life-Balance-Coachin bin ich allmählich auf Interviewpartnerinnen und Interviewpartner gestoßen. Sie hat in ihrer Praxis einen Aushang aufgehängt und ihre Klientinnen und Klienten auf mein Forschungsanliegen aufmerksam gemacht.

310 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

sondern Leitfragen formuliert. Dies ermöglicht es, an die Narrationen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner anzuknüpfen und durch weitere Nachfragen das Problem zu zentrieren (vgl. Witzel 1985, 2000). Die Instrumente des problemzentrierten Interviews bestehen aus einem Kurzfragebogen, dem Interviewleitfaden und der Tonträgeraufzeichnung. Der Kurzfragebogen ermittelt die Sozialdaten der Interviewperson. Darüber hinausgehend beinhaltet der Interviewleitfaden Fragen nach einer geschlechtsspezifischen Vermittlung von WorkLife-Balance-Angeboten, nach einer speziellen Anrufung von Geschlechtsidentitäten, nach Identitätskonzepten in Verbindung mit Work-Life-Balance sowie nach individuellen Handlungsperspektiven der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner. Gegenüber den Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern legte ich dabei mein Erkenntnisinteresse offen und zog ihre jeweilige Situation in das Interview mit ein. Während der Interviews versuchte ich, erzählte Orientierungen und Handlungen der Interviewpartnerin und des Interviewpartners verstehend nachzuvollziehen und entlang der objektiven Rahmenbedingungen von Work-Life-Balance-Maßnahmen zu interpretieren, um dann an Widersprüchlichkeiten orientierte Nachfragen zu stellen. Die Frage danach, wie geschlechterregimerelevante Konstruktionsprozesse am Beispiel der Work-Life-BalanceMaßnahmen durch Subjekte übernommen und verinnerlicht werden, habe ich mit Hilfe von Interviewleitfragen versucht einzugrenzen. Die Interviewleitfragen berühren dabei die Themenkomplexe nach der Wirkmächtigkeit des Work-LifeBalance-Diskurses und nach der Fremdkonstitution und Selbstkonstitution von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durch Work-Life-Balance: • Wie haben Sie das erste Mal von Work-Life-Balance-Konzepten erfahren? • Welche Angebote/Programme Ihres Unternehmens zur Förderung der Work-

Life-Balance nehmen Sie in Anspruch? • Mit welcher Perspektive haben Sie Work-Life-Balance angenommen? Welche Vorteile haben Sie durch Work-Life-Balance, welche Nachteile? • Fühlen Sie sich besser in ihr Unternehmen eingegliedert durch Work-LifeBalance? • Haben Sie sich als Frau/Mann2 speziell von Work-Life-Balance angesprochen gefühlt? Bzw. sind Sie als Frau/Mann speziell angesprochen worden?

2

Ich habe explizit nach der Subjektkonstruktion von Frauen und Männern gefragt, da Anrufungen an Frauen und Männer Teil des Work-Life-Balance-Diskurses sind. Die Diskursposition der Initiative „Work-Life-Balance als Motor für wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftliche Stabilität“ (BMFSFJ 2005) in Bezug auf das Menschen- und Gesellschaftsbild besteht darin, dass die Initiative einen Mentalitätswandel

S UBJEKT

| 311

• Finden Sie, dass es eine chancengleiche Vermittlung in Work-Life-Balance-

Maßnahmen gibt? Oder hatten sie es als Frau/Mann schwerer oder leichter? • Haben Work-Life-Balance-Angebote Sie beeinflusst Mutter bzw. Vater zu

werden? • Was ist für Sie Work-Life-Balance? • Wenn es Ihrer Meinung nach Veränderungsbedarf gibt, in welchen Bereichen

sehen Sie Veränderungs- oder Verbesserungsmöglichkeiten? Die Fragen des Gesprächsleitfadens sind aber nicht wortgetreu gestellt worden, sondern sinngemäß in das Gespräch mit eingeflossen. Einige Fragen sind auch innerhalb des Interviews verändert bzw. wegen der Situationsgebundenheit zusätzlich gestellt worden. Diese zusätzlichen Fragen stellen allerdings nur eine Ergänzung des Gesprächsleitfadens dar. Außerdem geht den eigentlichen Interviewfragen ein kurzer Fragebogen voraus, der wesentliche Eckdaten zur Person und zum beruflichen Werdegang abfragt. Die Interviews wurden aufgezeichnet und im Anschluss vollständig transkribiert. Als Ergänzung zur Tonträgeraufzeichnung sind direkt nach den Interviews Postskripte angefertigt worden. Diese enthalten Skizzen zu den Gesprächsinhalten, Anmerkungen sowie die Schwerpunktsetzungen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner (vgl. Witzel 2000: 9).

9.2 I NTERSEKTIONALE M EHREBENENANALYSE DER PROBLEMZENTRIERTEN I NTERVIEWS Grundlage der Auswertung der problemzentrierten Interviews ist das vollständig transkribierte Interview, welches entlang der schon vorgestellten intersektionalen Mehrebenenanalyse nach Winker/Degele ausgewertet wird. Winker und Degele haben zur Auswertung von Interviews ein intersektionales Analysemodell entworfen (vgl. Winker/Degele 2009: 79ff). Wie schon in Kapitel 2.3 beschrieben, bezieht sich die empirische Analyse auf acht methodische Schritte: Im ersten Block zielt die Methode darauf ab, Identitätskonstruktionen zu beschreiben (Schritt 1), symbolische Repräsentationen zu identifizieren (Schritt 2) und Bezüge zu Sozialstrukturen (Schritt 3) zu finden. Abschließend zielt die Methode im ersten Block darauf ab, Wechselwirkungen zentraler Kategorien auf den drei Ebenen zu benennen und damit die Subjektkonstruktionen der Inter-

und eine Neudefinition gesellschaftlicher Rollenbilder herbeiführen will sowie das traditionelle Geschlechterverhältnis überwinden möchte (vgl. BMFSFJ 2005: 29).

312 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

viewpartnerinnen und Interviewpartner herauszuarbeiten (Schritt 4). Die Untersuchungsmatrix der intersektionalen Mehrebenenanalyse sieht dementsprechend wie folgt aus: Abbildung 11: Intersektionale Mehrebenenanalyse von Interviews - Block I (eigene Darstellung)

Die Darstellung der Schritte 1-3 wird aus Platzgründen zusammen im 4. Schritt abgebildet. Im 4. Schritt ist die Paraphrasierung der geschlechterregimerelevanten Aussagen und die Darstellung der Wechselwirkungen durchgeführt worden. Das bedeutet, dass im 4. Schritt die einzelnen Schritte – die Darstellung der Identitätskonstruktionen (Schritt 1), der symbolischen Repräsentationen (Schritt 2) und der Bezüge zu Sozialstrukturen (Schritt 3) – zusammenfassend als Wechselwirkung dargestellt werden. In diesen paraphrasierenden Zusammenfassungen werden die Subjektkonstruktionen durch die Wechselwirkungen der Struktur-, Symbol- und Subjektebenen sichtbar. Allerdings beschreibe ich hier keine festen Subjektkonstruktionen, sondern stelle nur Momentaufnahmen und Fragmente von Subjektkonstruktionen dar (vgl. hierzu die Erkenntnisse in Kapitel 4.1 über die diskursiven Subjektivierungsprozesse). Durch die Paraphrasierung der Aussagen im 4. Schritt bleiben die Aussagen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner vor einer theoriegeleiteten Überinterpretation geschützt. Die theoriegeleitete Interpretation erfolgt erst im zweiten Block.

S UBJEKT

| 313

Der zweite Block der intersektionalen Mehrebenenanalyse dient zum Vergleich von Subjektkonstruktionen (Schritt 5), zur Vertiefung von symbolischen und ideologischen Repräsentationen (Schritt 6) sowie zur Analyse der Herrschaftsstrukturen (Schritt 7). Im letzten Schritt (Schritt 8) sind dabei die Wechselwirkungen aller in einer Gesamtschau herauszuarbeiten (vgl. Winker/Degele 2009: 79-97). Ausgehend von der vorgestellten Methodologie vollziehe ich die Auswertung der einzelnen Interviews zusätzlich mit der Untersuchungsmatrix des Theorems Geschlechterregime (vgl. Kapitel 5.3). Im Gegensatz zum generellen Vorgehen der intersektionalen Mehrebenenanalyse nach Winker/Degele versuche ich nicht, wie Winker und Degele, im Allgemeinen soziale Ungleichheiten herauszustellen (vgl. Winker/Degele 2009: 80ff). Sondern ich versuche, insbesondere Aussagen zum Herrschaftsdispositiv des Geschlechterregimes und zu den Selbstverhältnissen im Kontext des Geschlechterregimes offenzulegen. Für die Anwendung der intersektionalen Mehrebenenanalyse zur Darstellung der Selbstverhältnisse im Geschlechterregime gehe ich wie folgt vor: Abbildung 12: Intersektionale Mehrebenenanalyse von Interviews - Block II (eigene Darstellung)

Das bedeutet für Block II, dass die geschlechterregimerelevanten Aussagen auf den Ebenen Struktur/Symbol/Subjekt eingeordnet werden. Hierbei werden die Aussagen durch die sozialen Felder des Theorems zu Struktur, Symbol und Sub-

314 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

jekt sowie mit den quer dazu liegenden Dispositivelementen der Reihen 1-4 analysiert. Diese Untersuchungsmatrix setzt in den Schritten 5-7 die Aussagen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner in Beziehung zu den Dispositivelementen des Geschlechterregimes: • Reihe 1 [Akkumulationsregime]: Gesellschaftsformation – Organisation von

Lohn- und Reproduktionsarbeit/Klassen- und Geschlechterzusammensetzung – Krise der Reproduktionsprozesse • Reihe 2 [Regulationsweisen]: Institutionelle/ideologische/soziale Herrschafts-

formationen – Gouvernementalität – Familien-/Bevölkerungspolitik/Demographie • Reihe 3 [Diskurs und Ideologie]: Anrufungen/Bedeutungen/Normierungen –

kulturelle Stereotypen/soziale Geschlechtsmerkmale • Reihe 4 [Selbstverhältnisse]: körperliche und diskursive Subjektivierung –

Habitus/Geschlechtsidentität/Soziale Formen – Verhalten/Anpassung/Widerstand Das heißt, die Schritte 5-7 beziehen sich auf die geschlechterregimerelevanten Repräsentationen aller Interviewpartnerinnen und Interviewpartner von sich selbst (Schritte 5), von Ideologien und Diskursen (Schritt 6) und von Herrschaftsstrukturen (Schritt 7). In den Schritten 5-7 werden gleichzeitig aus den Repräsentationen aller Befragten die geschlechterregimerelevanten Schlüsselwörter, Themen bzw. Dispositivelemente extrahiert. Daraus werden gemeinsame geschlechterregimerelevante Dispositionen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner ersichtlich. Im Gegensatz zu Winker/Degele (2009: 90f) bilde ich in diesem Schritt keine allgemeinen Typen, sondern ich stelle gemeinsame und/oder unterschiedliche Dispositionen (vgl. Kapitel 2.2.3) dar. Das heißt, ich stelle Verfassungen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner und Verfassungen des Geschlechterregimes dar. Im 8. Schritt werden diese Dispositionen wieder, wie bei Winker und Degele, geclustert, in einen Zusammenhang gestellt und ihre Wechselwirkungen herausgearbeitet (vgl. Winker/Degele 2009: 95). Dieser 8. Schritt im zweiten Block verdeutlicht abschließend die Subjektivierungsweisen des Geschlechterregimes. Da je nach gesellschaftlichem Kontext für die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner unterschiedliche Dimensionen bzw. Dispositionen des Geschlechterregimes entstehen können, sind die Fallvergleiche (vgl. Witzel 2000: 8) bzw. die Intersektionen der Interviews und

S UBJEKT

| 315

ihrer Ebenen in Schritt 8 zur Erarbeitung fallübergreifender Dispositionen relevant. Dieser letzte Schritt ist zugleich eine Überprüfung der theoretischen Annahmen aus der abstrakten Theoremisierung, der Ergebnisse der soziohistorischen Rahmenanalyse und der Diskursanalyse. Wesentliche Problembereiche, Querverbindungen oder Verkettungen dieser fallübergreifenden Dispositionen werden hierbei herausgearbeitet und können so das Theorem Geschlechterregime erweitern, ergänzen, verbessern.

9.3 B LOCK I: E INZELAUSWERTUNG

ALLER I NTERVIEWS

Da die die exklusive Darstellung der ersten 3 einzelnen Schritte des ersten Blocks – die Darstellung der Identitätskonstruktionen (Schritt 1), der symbolischen Repräsentationen (Schritt 2) und der Bezüge zu Sozialstrukturen (Schritt 3) – deutlich den Umfang dieser Arbeit sprengen würde, wird nur der 4. Schritt des ersten Blocks abgebildet. Der 4. Schritt dient dazu, die Schritte 1-3 in ihren Wechselwirkungen als Subjektkonstruktion darzustellen. Im 4. Schritt sind also die Schritte 1-3 enthalten. Im folgenden Text arbeite ich mit vielen Originalzitaten aus den Interviews, da ich damit dem Anspruch einer subjektwissenschaftlichen Betrachtungsweise der Interviews Ausdruck verleihen kann. Außerdem entsteht dadurch die Chance, dass die Subjekte ihre Erfahrungen und ihre Lebenssituation in ihren eigenen Worten darstellen können. Deshalb sind Paraphrasierungen nur an Stellen gesetzt worden, um den Inhalt zu kürzen oder um die Satzstellung zu verbessern. Eine gesamte paraphrasierende Wiedergabe des Sinngehalts durch mich hätte an vielen Stellen die prägnanten Aussagen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner verwässert oder sogar entstellt. Winker und Degele plädieren dafür, dass in diesem 4. Schritt „zunächst auf der Identitätsebene aus der Vielzahl der benannten Differenzierungskategorien die für die Interviewperson wichtigen Kategorien herauszuarbeiten“ (Winker/Degele 2009: 86) sind. Am Ende des Interviews steht in diesem Sinne die Subjektkonstruktion bzw. die „Zusammenschau der analysierten sozialen Praxen einer Person“ (Winker/Degele 2009: 88) in einem wechselseitigen Verhältnis zu den vorausgegangenen Analyseschritten. In diesen Zusammenfassungen beziehe ich mich auf die Repräsentationen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner von verschiedenen Dispositivelementen des Geschlechterregimes, ohne jedoch diese Elemente zu interpretieren oder Rückschlüsse zum historisch-konkreten Geschlechterregime zu ziehen. Die Interpretationen und Rückschlüsse geschehen erst in den Schritten 5-8. Zu Beginn der Darstellung eines jeweiligen Interviews

316 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

habe ich ein prägnantes Zitat der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner vorangestellt, da m. E. dieses Zitat das Interview besonders charakterisiert. 9.3.1 Subjektkonstruktion von Monika Zitat: „… das hätte ich irgendwie nicht geregelt gekriegt ohne diese BurnoutPrävention, weil ich da sozusagen für mich gemerkt habe, Mensch, ähm, das ist mein Leben.“ Wechselwirkungen zwischen Subjekt // Struktur Monika3 ist alleinstehende Projektmanagerin, die derzeit versucht, die Wochenarbeitszeit auf 40 bis 50 Stunden zu reduzieren. Früher hat Monika in der Industrie gearbeitet und hatte dort eine Wochenarbeitszeit von siebzig bis achtzig Stunden. Die Familien- und Haushaltsarbeit organisiert hauptsächlich Monika, die Kinder und eine Haushaltshilfe helfen allerdings mit. Die Haushaltshilfe „ist richtig gut und nimmt sehr viel ab. Das ist auch ein Teil meiner Work-LifeBalance“ (73).4 Monika hatte schon in ihrem vorherigen Anstellungsverhältnis geplant, ein Work-Life-Balance-Seminar zu belegen. Nur war dafür keine Zeit. Monika ist ständig in ganz Deutschland unterwegs gewesen. Sie hat diese Reisen selbst organisieren müssen, was für sie „körperlich unheimlich anstrengend“ gewesen ist. Monika ist teilweise erst um zwölf Uhr nachts nach Hause gekommen oder ist über Nacht weg gewesen. Die Übernachtungen sowie die Betreuung der Kinder durch den Vater, durch ihre Haushaltshilfe oder durch ihren Freund sind von ihr selbst organisiert worden. Früher ist die Arbeitssituation so gewesen, dass Monika im Nachbarhaus ein Home-Office in einer Wohnung angemietet hatte. Das Problem ist, dass sie „ständig zwischen diesen zwei Wohnungen oder meinem Büro und der Wohnung hin und her gerannt“ ist und dass die Erwerbsarbeit zunehmend mehr und mehr Raum in ihrem Privatleben eingenommen hatte. Das ist für Monika ein Hauptgrund gewesen, die Arbeitsstelle zu wechseln. Sie hat „wieder Office Base arbeiten [wollen], um diesem Vermischen von meinem Arbeitsleben und meinem Privatleben wirklich zu entgehen“ (261ff). Wenn sie nun von der Erwerbsarbeit wieder zu Hause ist, fängt auch der Familienalltag für Monika an. „Vorher war das halt immer durchmischt“ (295). Durch die Scheidung ist Monika am Rande ihrer Kräfte gewesen. Ihre zwei Kinder sind zum Zeitpunkt der Trennung vom Vater fünf und neun Jahre alt gewe-

3 4

Namen aller Interviewpartnerinnen und Interviewpartner geändert. Die folgenden Zahlen in Klammern beziehen sich auf die Zeilenangaben in den transkribierten Interviews.

S UBJEKT

| 317

sen. Die Trennung hatten Monika und die Kinder als „sehr schmerzhaft“ empfunden. So mussten sie aus dem gemeinsamen Haus ausziehen. Weil Monika nicht das Geld hatte, das Haus zu halten, haben ihre Kinder „ihr Zuhause verloren und, ähm, mein ganzes Lebenskonzept ist also völlig zertrümmert worden“. Das Lebenskonzept für Monika war das traditionelle Familienmodell gewesen, welches nun durch ein prekäres abgelöst worden ist: „… einer arbeitet Teilzeit und kümmert sich hauptsächlich um die Kinder und, ähm, dieses, dass ich wieder Vollzeit arbeiten musste, auch aus finanziellen Gründen, das hatte ich irgendwie gar nicht oder zu dem Zeitpunkt mit, mit relativ doch kleinen Kindern, wollte ich das eigentlich nicht und, ähm, dann zerbrach halt diese Familie“ (309ff). Ab diesem Zeitpunkt bis heute hat der Vater der Kinder die Erziehungsarbeit zu einem minimalen Anteil übernommen. „Also er betreut die Kinder schon aber na, maximal fünf bis zehn Prozent“ (78ff). Die Kinder haben die Trennung von ihrem Vater als sehr schmerzhaft empfunden und „haben aber irgendwie auch gemerkt, dass ich dafür sorgen wollte, dass wir finanziell unabhängig sind und dass wir das irgendwie schaffen“ (201). Deshalb hat Monika im Laufe der Jahre bestimmte Dinge unternommen, um sich das Leben leichter zu machen. Zum Zeitpunkt des Interviews wohnt sie direkt gegenüber einer Ganztags-Schule. Es war ein harter Kampf für Monika, die Kinder dort anzumelden, da der Vater sich gegen diesen Plan verwehrt habe. Da die Eltern ein geteiltes Sorgerecht vom Gericht zugesprochen bekommen hatten, musste Monika sich an das Familiengericht wenden, „um diese Schule durchzukämpfen“ (235). Das hat Monika ziemlich viel Kraft gekostet, da der Prozess mit hohen Kosten verbunden gewesen ist. Die Erleichterung liegt aber darin, dass es keine großen Fahrwege mehr gibt und dass durch das Home-Office mehr Zeit für Familienarbeit übrig bleibt. Für Monika ist es wichtig, dass „die Kinder immer gut versorgt waren, dass es denen gut ging, dass der Haushalt einigermaßen in Ordnung war, dass meine Finanzen in Ordnung waren und, ähm, ja, letztendlich bin ich selber dann so an den Rand meiner Kräfte gekommen“ (328ff). In diesem Zusammenhang gibt Monika an, eine Verhaltenstherapie angefangen zu haben. Hintergrund ist der Wunsch nach einem professionellen Gesprächspartner gewesen, der ihr helfen konnte, diese Situation zu bewältigen. Ohne „diese Verhaltens- oder Gesprächstherapie hätte ich das gar nicht geschafft“. Durch ihre Psychologin ist Monika für Work-Life-Balance sensibilisiert worden. Über die Techniker Krankenkasse hat sie dann herausgefunden, dass es Seminare über Work-LifeBalance und Burnout-Prävention gibt. Monika hat „schon das Gefühl [gehabt], es dauert nicht mehr lange trotz Verhaltenstherapie und trotz bestimmter Maßnahmen, denn klappste hier ab und es ging mir auch körperlich nicht gut. Also ich bin so ein Mensch, ähm, ich nehme unheimlich zu in Stresszeiten und ich

318 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

hatte also da in fünf Jahren dreißig Kilo zugenommen und da habe ich irgendwie gedacht, das geht nicht mehr und irgendwo musst du jetzt auch mal was für dich tun. Und dann habe ich mich erst bei diesem Work-Life-Balance angemeldet“ (328-349). Bei ihrem vorherigen Arbeitgeber hat Monika sich aber „nicht getraut zu sagen, ich mache jetzt Work-Life-Balance- oder ein Burnout-Präventionsseminar. Obwohl ich ein sehr, ich sage mal, selbstbewusster Mensch bin, hatte ich da ganz extreme Angst, ähm, so eine Schwäche zu zeigen also zu zeigen, ich packe das hier alles nicht mehr, ich suche mir Hilfe. Also allein schon das zuzugeben, hätte ich mich da nicht getraut“ (511ff). Das ist für Monika ein Grund gewesen, sich einen Arbeitgeber zu suchen, „der, äh, familienfreundlicher ist als mein vorheriger Arbeitgeber. Wobei ich dazu sagen muss, dass ich eben das unheimliche Glück habe, dass ich so einen seltenen Beruf habe, der auch sehr stark gefragt wird. Also ich gehöre halt zu einer Berufsgruppe, ich bin sozusagen eine Fachangestellte oder so ein Facharbeiter in einem Bereich, der, ähm, auch von der Wirtschaftskrise nicht so betroffen ist“ (42ff). Ihr derzeitiger Chef sage, die Arbeit müsse gemacht werden und die 38,5 Stunden, die im Tarifvertrag vereinbart seien, die müssen auch geleistet werden – aber wann Monika dies leiste ist egal. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist auch, dass das geführte Interview zur Arbeitszeit gezählt werde und dass Monika gefördert werde, an „solchen Dingen teilzunehmen“ (vgl. 285ff). Wechselwirkungen zwischen Subjekt // Symbol: Um die neue Arbeitsstelle zu bekommen, hat Monika, als im Vorstellungsgespräch nach Kindern gefragt wurde, die Antwort „so zurechtgelegt, dass der Vater meiner Kinder eben, was auch stimmt, also bei mir um die Ecke wohnt und sehr viel Arbeit mit übernehmen würde. Dass wir sozusagen geteiltes Sorgerecht und geteiltes Betreuungsrecht hätten. De facto stimmte das aber nicht“. Monika denkt, dass sie den Job nicht bekommen hätte, wenn sie diese Notlüge nicht so selbstsicher vermittelt hätte. „Und da wiederum hatte ich das Glück, das ich aus einer relativ großen Familie stamme, die mir auch so, also mein Bruder ist Anwalt, Wirtschaftsanwalt für Arbeitsrecht, meine Schwägerin auch. Also ich hatte da halt relativ viele Tipps bekommen, wie ich so eine Arbeitsstelle bekomme. Und ich hatte halt auch ein paar Erfahrungswerte, weil ich halt auch Vorstellungsgespräche vorher hatte, und dann eben gemerkt habe, wie der Hase lief. Dass ich meine Kinder im Prinzip verleugnet habe“ (176-190). Die Work-Life-Balance-Kompetenz ihres jetzigen Unternehmens schätzt Monika, „auf einer Skala von eins bis zehn“, dennoch als sehr hoch ein, da „wir ja sozusagen auch einen direkten Arm zur Familienministerin haben. Also hier wird

S UBJEKT

| 319

sehr, sehr viel getan“. Das ist für Monika auch der Grund gewesen, zur neuen Stelle zu wechseln. „Da wo ich vorher war, war die eins also sehr niedrig. Obwohl die da auch immer anders geredet haben. Also das war ein IndustrieUnternehmen ein sehr großes Pharma-Unternehmen, da war die ganz niedrig. Aber hier ist die sehr hoch. Also die machen halt auch Betriebssport und solche Geschichten“. Bei ihrem vorherigen Arbeitgeber hatte Monika „ganz extreme Angst“, Seminare über Work-Life-Balance oder ein Burnout-Präventionsseminar zu belegen. Selbst die Projektmanager oder „Teamleiter also die, die unter den Projektmanagern waren oder, ähm, ich sage mal normale in Gänsefüßchen Fachangestellte, Naturwissenschaftler, nicht EINER von denen hat gesagt, ok, ich mache das“ (511f). In dem Burnout-Seminar, das Monika besucht hat, gehört es zum Konzept, Frauen und Männer für die Seminare zu trennen. Die Seminarleiterinnen haben auch „ganz klar erklärt, warum sie das so machen, weil sie wollten halt nicht so Mann-Frau-Geschichten da mit drin haben. Also die beiden hatten, so wie ich die verstanden habe, die Erfahrung gemacht, dass, wenn sie diese Seminare eingeschlechtlich durchführen, dass, äh, es sich einfach besser arbeiten lässt. Weil Männer auch eine andere Art haben mit Stress umzugehen als Frauen und Frauen auch meistens noch andere Belastungen haben zumindest in diesen, ja noch ist es halt so in unserer Gesellschaft und deswegen haben die das getrennt“. Monika hätte sich aber auch angemeldet, „wenn da jetzt gestanden hätte für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen oder für Männer und Frauen oder Familien-Menschen oder wie auch immer“. Monika bezeichnet sich nicht irgendwie als „so eine Frauen-Fanatikerin“. Ihre Erfahrung ist sogar so, „dass Frauen untereinander auch noch so ein sehr starkes Konkurrenzdenken haben, viel schlimmer noch als Männer“. In ihrer vorherigen Firma hat sie sogar die Erfahrung gemacht, dass Männer vielleicht eher eine Work-Life-Balance-Maßnahme gemacht hätten als Frauen (vgl. 587-633ff). Die Einschätzung von Monika ist, dass Männer eher in der Firma zugeben würden, dass etwas mit ihrer Work-LifeBalance nicht stimme. Allerdings hätten die Männer in ihrer alten Firma aber immer noch „eine Frau im Rücken. Umgekehrt, die Frauen, auch die in Partnerschaften lebten, trauten sich irgendwie nicht zuzugeben, dass sie das alles irgendwie alleine nicht mehr hinkriegen“. Die persönliche Erfahrung von Monika bei ihrem neuen Arbeitgeber ist, dass Frauen sich nicht trauen würden zu sagen, „ich kann das nicht mehr alles stemmen und ich merke halt in meiner eigenen Familie“. Sie hat auch die Erfahrung gemacht, dass Männer viel offener mit solchen „Work-Life-Balance-Sachen umgehen“, weil Männer sich mehr herausnehmen würden als Frauen. „Ich habe dann gesagt, dann sage doch einfach, ich gehe donnerstags zum Sport – Punkt. Gar nicht rechtfertigen oder so, sondern einfach sagen, ich gehe jetzt. Und das fällt Frauen glaube ich extrem schwer“.

320 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Ihr Bruder zum Beispiel bezeichnet sie mittlerweile als „Kampf-Emanze“, weil Monika seiner Meinung nach eine Männer- und eine Frauenrolle gleichzeitig einnehme und das Geld komplett alleine verdiene. „Also ich arbeite voll und ich mache auch noch die ganze Familienarbeit mithilfe meiner Kinder. Aber die muss ich ja auch so erziehen, dass sie mir überhaupt helfen können oder bereit sind mir zu helfen“ (676ff). Work-Life-Balance in Deutschland müsse sich nach der Meinung von Monika darum drehen, „Menschen mit Kindern auch zu entlasten“. Als Beispiel nennt Monika eine Fernsehdiskussion bei Beckmann „mit diesem Arche-Typen also der diese Arche gegründet hat und unsere Familienministerin“. Dieser sage: „Das nützt überhaupt nichts, noch mehr Geld in die Familien direkt zu pumpen, sondern der sprach dann eben auch von Work-Life-Balance“ (814ff). Work-Life-Balance bedeutet für Monika, dass sie sich jetzt für eine Erwerbsarbeit entschieden habe, „wo ich einfach auch weniger verdiene, wo ich nicht mehr so große Sprünge machen kann, aber dafür sitze ich halt abends gemütlich zu Hause und kann mit meinem Kind mal in Ruhe einen Kuchen backen oder, ähm, meine Kerze anmachen und eine Tasse Tee trinken, dass diese Lebensqualität, dazu auch zu stehen, das finde ich also gerade hier in Deutschland, ähm, oder in Westeuropa kann man fast sagen, ganz, ganz schwer“ (546ff). Monika vermutet, dass Menschen unterer Einkommensschichten gar keinen Zugang zu Work-Life-Balance haben. Das findet Monika „hammerhart“ (767-804). Monika fragt sich: „Warum bist du dann siebzig bis achtzig Stunden die Woche für deinen Arbeitgeber unterwegs gewesen nur, um am Ende einen BMW in der Garage stehen zu haben, ein bisschen mehr Geld zu haben und von deinen Kindern hast du irgendwie gar nichts mehr mitbekommen“ (567ff). Nach dem BurnoutPräventionsseminar hat Monika gemerkt, dass es auch unheimlich viel Kraft kostet, gegen gesellschaftliche Zwänge anzugehen. Monika hätte dies ohne die Seminarleiterinnen und ohne den Rückhalt von den anderen Frauen aus der Gruppe niemals geschafft (vgl. 435ff). Wechselwirkungen zwischen Struktur // Symbol: Monika äußert im Zusammenhang mit Veränderungen in der Gesellschaft bezüglich der Work-Life-Balance: „O.k. also ich wäre jetzt auch bereit sage ich mal, in der Theorie von meinem Gehalt etwas abzugeben, dass da mehr gemacht würde weil, ähm, die Kinder, die aus diesen Familien kommen, die werden den Staat wahnsinnig teuer zu stehen kommen, wenn, wenn die jetzt nicht die Möglichkeit bekommen, eine gute Ausbildung zu machen, dass die Mütter und Väter da entlastet werden“ (837ff).

S UBJEKT

| 321

Zusammenfassende Subjektkonstruktion Monika beschreibt Wechselwirkungen der strukturellen Ebenen mit ihrer subjektiven Situation dadurch, dass sie sich über die Doppelbelastungen aus der Erwerbsarbeit und der Reproduktionsarbeit bewusst ist. Sie hat schon extreme Erschöpfung und einen Burnout durch die strukturelle Überforderungen in Lohnarbeits- und Reproduktionszusammenhängen erfahren. Sie ist sich auch der Gefährdung der Sorgearbeit durch Erwerbsarbeit bewusst und erlebt dadurch eine emotionale und strukturelle Zerrissenheit. Diese Entgrenzungserfahrung führt zu einer Zerstörung der Familienkonstellation und des Lebensentwurfs einer MaleBread-Winner-Familie. Ihre Zerrissenheit veranlasst Monika Grenzen zwischen Erwerbsarbeit und ihrer Freizeit zu ziehen. Einerseits empfindet Monika Angst bei dieser Grenzziehung. Andererseits „zwingt“ ihre Existenzangst sie zum Handeln. Sie verspürt den Druck Selbstsorge zu betreiben. Durch diese Erfahrung entwickelt Monika neue Formen von „Doing Elternteil“ und Sorgearbeit. Teile davon sind die Rationalisierung der Sorgearbeit und eine familienfreundliche Lebensweise durch eine Flexibilisierung der Arbeitszeit sowie die Durchführung eines Work-Life-Balance-Seminars. Monika beschreibt Wechselwirkungen von symbolischen Repräsentationen mit ihrer subjektiven Situation über negative Vorurteile und Diskurse gegenüber alleinerziehenden Frauen. Frauen müssen in diesen Diskursen auch mehr leisten als Männer um sich zu behaupten. Burnout-Prävention, Work-Life-Balance bzw. der Bereich der Selbstsorge sind als Elemente dieser Wechselwirkungen zu verstehen. Work-Life-Balance-Konzepte sollen sich dem Lebensaspekt und auch ärmeren Bevölkerungsschichten zuwenden. Die subjektiven Zwänge, die durch symbolische Vorurteile entstehen, lassen sich für Monika nur durch Solidarität lösen. Für Monika ergeben sich weitere strukturelle Probleme in der Gesellschaft, wenn sich die symbolische Ordnung bezüglich des Themas Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht verändert. 9.3.2 Subjektkonstruktion von Thomas Zitat: „Es war so, dass ich diese Stelle in XXX, die war, die war sehr anspruchsvoll, die war sehr schön, aber die hat einen mit Haut und Haaren, die hat mich aufgefressen, du kannst nicht siebzig Prozent Chef sein.“ Wechselwirkungen zwischen Subjekt // Struktur Thomas ist leitender Sekretär bei einem internationalen Verein gewesen. Momentan ist er zu Hause, bis seine kleine Tochter in den Kindergarten geht. Er

322 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

arbeitet im Nebenerwerb selbstständig in der Veranstaltungsbranche, während seine Frau Vollzeit arbeitet. Thomas schätzt seine aktuelle Work-Life-BalanceSituation im Moment sehr hoch ein. Für eine absolute Work-Life-Balance müssten Thomas und seine Frau noch mehr Zeit oder „qualitativ bessere Zeit“ miteinander verbringen. Das ist zurzeit durch das Kind bedingt nicht möglich. Die Arbeitszeit von Thomas ist tageweise in Absprache mit dem Dienstplan seiner Frau. Thomas arbeitet zum größten Teil nach Tagessatz. Selten arbeitet er zwei Wochen am Stück. Dann ist Thomas auf einer „Road-Tournee“ unterwegs, was aber nur funktionieren kann, wenn seine Frau Freischichten hat oder die Kinderbetreuung durch die Großeltern, die im geografischen Umfeld wohnen, sichergestellt wird. Das ist ein Grund gewesen, warum Thomas seinen Job in XXX aufgegeben hat und nach YYY zurück gezogen ist. Der Beweggrund, warum Thomas schwerpunktmäßig zu Hause ist und seine Frau Vollzeit arbeitet, war, dass seine Frau nach fast 5 Jahren Pause, inklusive Mutterschutzes, beruflich wieder einsteigen wollte und Thomas in seinem Beruf als leitender Sekretär ohnehin ausgebrannt gewesen sei. In dieser Zeit arbeitete Thomas mindestens sechzig Stunden in einer Woche. Die Arbeitsstunden hätten sich durch Wochenendarbeit, zusätzliche Konfirmandenfreizeiten, Mitarbeiterschulungen und Arbeit mit Ehrenamtlichen, die nur abends oder am Wochenende Zeit hatten, angehäuft. Thomas ist stutzig geworden, als seine Frau zu ihm sagte, er würde zu Hause immer nur auf dem Sofa liegen. Er sei zu nichts mehr zu gebrauchen, und er habe keine Lust mehr auf Leute. Freunde hätten formuliert: „Was ist denn mit dir los, wenn sie dann gehört haben, dass ich nicht mehr, ähm, zum Beispiel in den Gottesdienst gegangen bin, der mir eigentlich sehr gut gefallen hat, aber ich einfach keine Lust mehr hatte, irgendjemanden zu treffen, bin ich lieber zu Hause geblieben, weil ich, weil ich, weil der Kanal so voll war und das passte überhaupt nicht zu meiner Art“ (336-347). Von Work-Life-Balance hat er über ein Institut erfahren. Auf dieses Institut ist er gestoßen, weil er so platt gewesen ist und „weil wir beide [seine Frau und er] erschrocken waren, wie, wie ich in dem beruflichen Stress so eine Wesensveränderung durchgemacht habe“ (284ff). In dieser Zeit hat Thomas plötzlich Dinge an sich entdeckt, die er zuvor nicht kannte: „So diese klassischen also das, was man so in diesen ganzen Symptom-Listen für Burnout findet“ (452ff)5. Sein Verein hätte gewusst, „dass er ganz viel mache,

5

Burnout-Symptome: Phase 1: Emotionale Erschöpfung. Betroffene sind frustriert. Sie verlieren die Fähigkeit des Regenerierens. Schlafstörungen, Grübeln und physische Schmerzen (z.B. Rückenschmerzen, Tinnitus) können auftreten. Phase 2: Arbeit und Arbeitsplatz nehmen eine immer größere Rolle im Leben der Betroffenen ein. Erhöhte Reiz- bzw. Kränkbarkeit, aggressive Ausbrüche, Stressbedingte

S UBJEKT

| 323

die wussten nicht, wie, wie es innerlich aussieht, also die wussten gar nix von dieser Leere zu Hause. Also die wussten nicht, dass ich, dass ich das, wie sehr ich da, sagen wir mal im Privaten gekämpft habe, aber die wussten, dass ich zu viel arbeite, die haben das alles mitgekriegt“ (376ff). Der Verein hat den Vorschlag von Thomas, an einem Seminar gegen Burnout teilzunehmen, begrüßt und unterstützt. Thomas hat sich zu dem Kurs mit der Perspektive „Hauptsache etwas zu unternehmen“ angemeldet. Er hat sich nicht krank genug gefühlt, um sich krankzumelden, aber auch nicht gut genug, um nichts zu tun. Bis der Kurs tatsächlich stattfand, haben Thomas und seine Frau die Entscheidung getroffen, die Rollen zu tauschen und nach CCCdeutschland zu gehen. Seine Frau arbeitet nun Vollzeit, und er kümmert sich um die Kinder und den Haushalt. „Also wir haben die Maßnahmen, die vielleicht bei diesem Kurs dann als Ergebnis herausgekommen wären, die haben wir aber schon vorher eingeleitet. Und das, was wir dann auf dem Seminar gemacht haben, hat uns dann noch mal total bestätigt in dem, was wir, was wir für Schritte schon eingeleitet hatten, hat uns noch mal sehr bestätigt, dass wir das genau richtig machen“ (415-430). Ein struktureller Grund für diese Entscheidung ist gewesen, dass Thomas seine Stelle zeitlich nicht reduzieren konnte. Denn „du kannst nicht irgendwie siebzig Prozent, du kannst nicht siebzig Prozent Chef sein. So eine Leitungsstelle ist immer eine Vollzeitstelle“ (494f). Wechselwirkungen zwischen Subjekt // Symbol: Eine Herausforderung für Thomas ist es immer noch, eine Balance zwischen Beruf, Familie, Arbeitsdruck und Privatleben zu finden. „All das gehört ja zum, zu meiner Work-Life-Balance, da gehört ja das alles irgendwie mit rein. So, aber wenn ich immer nur drauf angewiesen bin, die einzelnen Bereiche für sich zu rechtfertigen, übt jeder einzelne Bereich auch für sich einen Druck aus. Das heißt, es konkurrieren verschiedene Drücke miteinander“ (755-776). In Bezug auf seine Persönlichkeitsveränderung hat seine Frau ihm Lustlosigkeit „zurückgespiegelt“ und gesagt, „pass mal auf, das entspricht überhaupt nicht dem, was du eigentlich bist oder wie du sonst bist und da müssten wir eigentlich mal was dagegen tun“. Daraufhin hat Thomas „mehr oder weniger seriöse, teilweise gute, teilweise schlechte“ Burnout-Selbst-Tests gemacht, indem Burnout-Symptome

Konzentrations- und Gedächtnisprobleme, sozialer Rückzug, zunehmende Gefühllosigkeit gegenüber Mitmenschen können die Folge sein. Phase 3: Sinkende Arbeitsleistungen. Freudlosigkeit, Interesselosigkeit und Motivationsverlust. Starke Stimmungsschwankungen bzw. Niedergeschlagenheit. Soziale Folgen, wie z. B. Verlust des Partners oder des Arbeitsplatzes sind Begleiterscheinungen. Selbstmordgedanken und starke Depressionen (vgl. Steinicke 2008: 5).

324 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

aufgeführt gewesen sind und gemerkt, „hoppla, da, da kann ich mich nicht mehr rausnehmen. Antriebslosigkeit, keine Lust auf Leute, so eine Lethargie, so eine Unlust, Dauermüdigkeit, all diese Dinge“ (297ff). In diesem sehr frühen Stadium hat sich Thomas bei einer Freundin, die in einem Sozialamt arbeitet und viel mit Burnout-Betroffenen zu tun hat, informiert. Sie hat ihn darauf hingewiesen, dass es in ZZZ ein „cooles Institut“ gibt, das mit dem Amt schon zusammengearbeitet hat. Trotzdem ist es Thomas schwergefallen zu seinem Chef zu gehen und zu sagen, „ich möchte jetzt gerne reduzieren. Weil der Chef eigentlich gerne möchte, dass man eher mehr macht oder noch mehr Gas gibt. Und weil man dann Angst hat, hinzugehen und derjenige in der Abteilung zu sein, der sagt, ich möchte eigentlich gerne weniger arbeiten, ich möchte mehr Zeit mit der Familie haben“. Für Thomas entsprechen Männer zum Teil schon dem Klischee „nach Außen Härte zu demonstrieren“ (723-732). Auf die Frage, ob es ihm schwergefallen ist, seine Rolle als Chef zu verlassen und einen kompletten Ausstieg aus dem Berufsleben zu machen und sich um die Kinder zu kümmern, antwortet Thomas, dass es ihm nicht schwergefallen ist, weil er „überhaupt nicht so der KarriereMensch“ ist. Das vorrangige Ziel der Familie ist, „dass wir als, als Traum das Konstrukt haben, dass wir beide Teilzeit arbeiten und so viel verdienen, wie wir brauchen, und so viel Zeit miteinander als Familie haben, die wir auch brauchen. Und das nimmt einen deutlich höheren Stellenwert ein als, ähm, beruflicher Erfolg oder berufliche Perspektiven“ (540ff). In seiner Jugendarbeit hat Thomas Verhältnisse von Familien mitbekommen, die ihm „ziemlich an die Nieren“ gegangen sind, sodass er dachte, „das sind alles Leute, denen geht es finanziell wesentlich besser als uns, aber da tun sich, ähm, da tun sich seelische Abgründe auf und da hatte ich, hatten wir auch ein bisschen Angst vor, und wenn man merkt, man steuert im Prinzip auf eine ähnliche Situation zu, ähm, das war mit ein Antrieb dann auch zusagen, wir ändern das Ganze jetzt mal“ (519ff). Der momentane Zugewinn an Lebensqualität durch die Zeit, die Thomas mit seiner Familie verbringen kann, ist für ihn mit Geld nicht zu bezahlen (598ff). Das Thema die Finanzierungsrollen innerhalb der Familie zu tauschen, ist „ – bei uns sagt man ‚Geschmäckle’ – so ein Tabu-Thema, weil es schon mit dem Bereich Schwäche zugeben oder Schwäche zeigen“ zu tun hat. Thomas beschreibt seine Situation damit, dass er ein ordentliches Selbstbewusstsein braucht, um niemandem etwas beweisen zu müssen und um das zu tun, was gut für einen sei. Viele Männer, so Thomas, sind noch in diesem Karriere-Denken und sagen, „oh, was ist denn dein nächster Schritt und da ist es völlig klar und da muss es im Prinzip immer nach oben gehen … Also quasi das nächstgrößere Rad zu drehen“. Das hat er bei Frauen bisher nicht beobachtet. Und auf der anderen Seite hat er aber auch bei Männern eine große Akzeptanz erfahren und „so ein ja nicht Neid aber so ein,

S UBJEKT

| 325

ich wäre auch gerne an einem Punkt, dass ich das sagen könnte“ (672-696). Es ist für Thomas sehr beeindruckend gewesen, „dass einige echt gesagt haben, hey, dass, was du jetzt machst, das ist genau richtig und … sehr angerührt gesagt haben, oh Mann, ich wünschte, ich hätte mit Ende dreißig so eine Entscheidung mal treffen können in meinem Leben … mit 45 drehst du nicht mal eben die Uhr zurück“ (698ff). Thomas hat bewusst ein Männerseminar gebucht. Diese Entscheidung kommt aus den Erfahrungen, „dass es für manche Dinge besser ist, man hat die Geschlechter getrennt. Also das ist auch, wenn man wirklich vernünftig ins Gespräch kommen will, ob es mit Jugendlichen oder mit Erwachsenen ist, ist es immer besser, ist man erst mal unter sich und man kann das dann und ich glaube, man kann das auch sehr gut zusammenbringen dann aber, aber wenn es wirklich, wenn ein Mann was von sich erzählen, äh, soll, ohne dass er dabei jemanden klar machen muss, wie cool er ist, dann macht er das besser, wenn keine Frau im Raum ist … Deshalb habe ich mich für so eine Geschichte auf ein, auf ein Männer-Seminar angemeldet.“ Aber „der Einstieg mit Frauen über das Thema Work-Life-Balance zu sprechen“ ist einfacher und es „ist viel mehr Verständnis von vornherein da. Bei Männern muss man vielmehr erklären“ (644-667). Wechselwirkungen zwischen Struktur // Symbol: Für Thomas muss ein „Mentalitätswandel“ (804ff) in der Gesellschaft stattfinden, in dem „Mitarbeiter nicht nur einfach als, als Arbeitskraft“ betrachtet werden. Das Thema Work-Life-Balance bringt nichts, wenn Work und Life nicht auch in der Firma zusammengebracht werden wird. Wenn den Arbeitgeber „nur mein Work interessiert, dann, dann kann ich viel versuchen in Einklang zu bringen und das ist das Problem“. Die Arbeitswelt, so Thomas weiter, sagt, WorkLife-Balance ist wichtig, aber letzten Endes hat sie nur ihr eigenes Interesse im Blick – „nämlich Work und für den Bereich Life ist dann jeder halt selbst irgendwie zuständig. Und, und so wie die Seminare oder so wie man das eigentlich angehalten ist, das als Einheit zu sehen, da muss das Gesamtsystem in die Balance kommen, ähm, so müsste eigentlich, äh, das auch ehrlicherweise dann, äh, in den Betrieben gesehen werden“ (804-820). In großen Betrieben, wo viel Leistungsdruck herrscht, müsste Work-Life-Balance, und das „ist wirklich meine ganz persönliche Einstellung, ich glaube, das müsste, von oben kommen“. Thomas versteht diese Aussage als Schneeballprinzip, denn wenn „irgendeine große Firma anfangen würde, das ihren Managern zu verordnen oder ihren Führungskräften zu verordnen, und die wiederum es ihren, ihrer nächsten Ebene zu verordnen und jeder Familienvater in einem Betrieb, ähm, genauso, wie er seine Stunden nachweisen müsste, … in welchem Verhältnis zur Arbeitszeit er sich

326 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

um seine Familie kümmert oder um ein Hobby kümmert und er im Prinzip Rechenschaft pflichtig über sein ganzes Leben wäre, nicht nur über sein Berufsleben, wenn das auf eine, auf eine vernünftige, auf eine homogene Art und Weise eingeübt wäre, gesellschaftlich, ich glaube, dann wäre viel geholfen“ (739ff). Zusammenfassende Subjektkonstruktion Thomas beschreibt Wechselwirkungen der strukturellen Ebene mit seiner subjektiven Situation dadurch, dass sich Work-Life-Balance in qualitativ hochwertiger Beziehungszeit und Lebenszeit widerspiegelt. Thomas erfährt Lethargie und Erschöpfung durch seine Erwerbsarbeit. Er fühlt durch die Vorbildfunktion als Vorgesetzter einen erhöhten Druck. Ein Burnout-Syndrom und eine Persönlichkeitsveränderung gefährdet das Beziehungs- und Familienleben von Thomas. Auch die extrem hohe Arbeitsbelastung und dadurch, dass Teilzeit als Vorgesetzter nicht möglich ist, sowie der Wunsch seiner Frau nach Vollzeit sind für Thomas der Grund für eine Elternzeit. Deshalb hat er sich für eine Work-LifeBalance-Maßnahme entschieden. Thomas und seine Frau haben einen Geschlechtsrollentausch als Work-Life-Balance-Maßnahme organisiert. Das heißt, er arbeitet Teilzeit und macht die Reproduktionsarbeit, während seine Frau Vollzeit arbeitet. Unterstützung erhält Thomas bei der Reproduktionsarbeit durch seine Familie. Seine Arbeitsstelle unterstützt seine Entscheidung, die Elternzeit als Work-Life-Balance-Maßnahme zu machen. Thomas beschreibt Wechselwirkungen von symbolischen Repräsentationen mit seiner subjektiven Situation dadurch, dass sich Work-Life-Balance für Thomas durch eine Balance zwischen Beruf, Familie, Arbeitsdruck und Privatleben zusammensetzt. Sein Wissen über Burnout und Work-Life-Balance hat er über Selbsttest und durch Spiegelung seiner Partnerin erfahren. Thomas hat Angst gespürt, dem Chef zu sagen, dass die Familie wichtiger ist. Für ihn ist auch seine Freizeit Lebensqualität und nicht mit Geld aufzuwiegen. Mit diesen Meinungen und den Konsequenzen, die Thomas und seine Frau daraus gezogen haben, hat es Thomas schwierig, denn ein Rollentausch der Geschlechter ist immer noch ein gesellschaftliches Tabu-Thema, weil Männer gezwungen sind, Härte zu demonstrieren. Für viele Männer steht ein Karriere-Denken im Vordergrund. Frauen verstehen dieses Problem der Vereinbarkeit besser. Allerdings findet Thomas, dass Männer, welche die Rollen tauschen, insgeheim beneidet werden. Die Wechselwirkungen zwischen strukturellen Vorgaben und symbolischen Repräsentationen beschreibt Thomas damit, dass Work und Life als Einheit gedacht werden müssten. Momentan liegt der Schwerpunkt bei Work-LifeBalance-Konzepten in der Erwerbsarbeit, und die Unternehmen sind nur an der Vernutzung der Arbeitskraft interessiert. Work-Life-Balance soll durch Ma-

S UBJEKT

| 327

nagement und Staat angeordnet werden, und Unternehmen wie Arbeitnehmer müssen Selbstsorge wie Arbeitsstunden kontrollieren. Dieser Strukturwandel muss ein Mentalitätswandel sein. 9.3.3 Subjektkonstruktion von Helmut Zitat: „… weshalb ich eben halt im Sommer diesen Jahres also in einen ziemlich starken Burnout rein geraten bin und im Moment also ja, wie sagt man so schön, eigentlich so in der Gegenwart herumirre und versuche, mich eben selbst zu finden.“ Wechselwirkungen zwischen Subjekt // Struktur Helmut ist seit 37 Berufsjahren Speditionskaufmann. 198X ist er zu einem mittelständischen Speditionsbetrieb gewechselt, der Spediteur in Deutschland für verpackte Chemiegüter ist. Er arbeitet hauptsächlich für die chemische Industrie, und hierbei managt Helmut den Exportverkehr. Gegenwärtig ist Helmut Abteilungsleiter. Zwischenzeitlich, „nichts ist so beständig wie die Veränderung im Leben,“ sagt Helmut, hat es verschiedene Restrukturierungen gegeben. Er ist immer noch auf der gleichen Stelle, aber die Bedingungen dafür hätten sich verändert. Anfänglich hieße seine Stelle Abteilungsleiter, dann Gruppenleiter, dann wieder Abteilungsleiter, und heute nenne sie sich Team-Leiter. Helmut leitet mit fünfzig bis fünfundfünfzig Stunden Wochenarbeitszeit das Team des Exportes für die östliche Himmelsphäre in XXX. „Das Team besteht mit mir aus vierzehn Personen“. Dadurch hat Helmut viel Verantwortung (66ff). Die Aufgabe besteht nicht nur aus der Leitung des Teams, sondern letzten Endes auch in einer aktiven Mitarbeit: „… äh, letztendlich wird eben auch erwartet, wenn irgendwo Engpässe sind, dass man auch das Tagesgeschäft eben halt ebenso gut machen kann, wie eben halt auch die Leute entsprechend zu führen, man ist da Ansprechpartner für den Kunden, wenn es eben halt auch mal Probleme gibt, Reklamationen gibt, die man dann machen muss. So und diese Spirale hat sich eigentlich immer weiter, äh, entwickelt oder raufgeschraubt, ähm, dass durch den, durch die Wirtschaftskrise also viel gearbeitet hat, man immer, ähm, ich bin eigentlich auch mit dem Druck, meine ich, ganz gut zurechtgekommen, aber dann hat es ein paar Probleme gegeben personeller Natur, und ich habe, ich hatte zwei Leute dabei, die also ein akutes Alkoholproblem haben, äh, das aber selbst nicht wahrhaben wollen und natürlich die Arbeitsleistung darunter leidet, äh, da finden dann natürlich auch sehr unangenehme Gespräche eigentlich statt, und dann sind wir im Grunde genommen ja alle so zum Jahreswechsel so in diese Wirtschaftskrise rein getaumelt. Was natürlich jetzt auch in unserem Gewerbe recht dramatische Ein-

328 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

schnitte bedeutet mit der Konsequenz, dass wir im März in die Kurzarbeit gegangen sind, auch einige Mitarbeitern, auch einigen Mitarbeitern kündigen mussten, ähm, man muss jetzt dazu sagen, wir sind weltweit ungefähr 1400 Mitarbeiter“ (126-145). Auf die Frage, ob man denn überhaupt davon reden könne, dass das Unternehmen so etwas wie eine Work-Life-Balance-Kompetenz besitze oder ob der ökonomische Druck und demzufolge die Sachzwänge weitergegeben werden, antwortet Helmut: „Also ich möchte mal sagen, die Firma ist eigentlich, was heißt eigentlich hört sich blöd an, ist nicht schlecht. Man denkt eben halt auch an seine Mitarbeiter, aber ich wage mal zu behaupten, dass unser Unternehmen eben halt keine Ausnahme ist“ (370-375). Für Helmut ist seine Führungsaufgabe eine „Sandwich-Position“: „Sie kriegen auf der einen Seite Druck von oben, das, was die Geschäftsleitung auf der einen Seite fordert, auf der anderen Seite bin ich aber auch, ich sage mal Kollege zu den Kollegen, die natürlich auch gewisse Anforderungen haben oder gewisse Dinge nicht mitmachen. Und Sie sind dann immer in dieser Pufferzone, den Druck, den Sie von oben haben und den Druck, den Sie eigentlich von unten bekommen, ähm, ja, und ich sage mal dann natürlich mein, mein eigenes Problem, was ich habe, dass ich eigentlich einen Hang zum Perfektionismus habe, das ist eigentlich auch mein Problem gewesen, weshalb ich eben halt im Sommer diesen Jahres also in einen ziemlich starken Burnout rein geraten bin und im Moment also ja, wie sagt man so schön, eigentlich so in der Gegenwart herumirre und versuche, mich eben selbst zu finden. Also gerade so in der Lage, lebenswichtige Entscheidungen zu treffen, wie nach dem Motto, esse ich jetzt was, trinke ich jetzt was, aber es können auch keine zwei Entscheidungen gleichzeitig laufen, ähm, da fühlt man sich eigentlich fast schon überfordert“. Für Helmut ist sein Burnout-Syndrom aufgrund der stressigen Jobsituation eine ganz neue Erfahrung, weil er in den letzten Jahren eigentlich „immer für die Firma, für den Beruf gelebt“ hat. Dabei hat er viele psychische und physische Ressourcen unbewusst überzogen, „was ich selbst auch gar nicht gemerkt habe. Sicherlich vom Körper also irgendwann schon mal so gewisse Signale bekomme“(91ff). In dieser enorm angespannten Situation „sich zehn Minuten zu nehmen, seinen Körper zu fühlen und eben die Seele hängen zu lassen, das kann ich mir am Arbeitsplatz eben halt schwerlich vorstellen“ (875-877). Diese Belastung hat bei Helmut letztendlich zu Panikattacken geführt, die wiederum zu Schlafstörungen geführt haben. „ … und dann wachen Sie auf und dann gehen Ihnen tausend Sachen durch den Kopf nach dem Motto, oh man, das habe ich vergessen, das muss ich mal eben zu Papier bringen, damit ich das morgen gleich als Erstes erledige so, ähm, dann fehlt einem der erholsame, der erholsame Schlaf“. Ferner haben auch seine privaten Interessen darunter gelitten, weil Helmut nur für die Firma oder für den Job gelebt hat. Helmut for-

S UBJEKT

| 329

muliert, er hat „vielleicht selbst auch den Fehler gemacht, dass ich nicht gesagt habe, mich soweit abgegrenzt und gesagt, so, jetzt ist vorbei, ähm, macht was ihr wollt aber nicht mehr mit mir, ich kann nicht mehr, es geht nicht mehr, ähm, den Schuh muss ich mir dann vielleicht anziehen. Aber es ist eben halt schwierig, wenn, solange man selbst also meint, man, man wuppt es, man, man kann das alles irgendwo schon schaffen und das ist eine Phase und danach wird es schon wieder gehen, aber man letzten Endes man dann doch so lange überzogen hat, und diese Phase des ‚Irgendwann-wird-es-wieder-gehen’ nicht kommt. Ähm, ja, wie gesagt, dann ist der totale Zusammenbruch halt da und gut, man merkt dann nachher, dass man, ich sage mal so diese Kleinigkeiten wie Konzentrationsverlust oder, dass man sich gegen gewisse Dinge, ich sage mal gegenüber den Leuten auch schon nachher, ohne dass man das selbst merkt, einen gewissen Sarkasmus an den Tag legt oder schon nach dem Motto, wenn jemand kommt, können sie mal eben oder darf ich mal eben was fragen, dass du dann schon so Reaktionen hast, ohne das auszusprechen, dass die denn also schon denken, uui besser, besser später oder so“ (225-254). Helmuts Ehefrau hat ihm „eigentlich immer den Rücken in vielen Dingen freigehalten, und wenn ich die Familie und den Rückhalt aus der Familie nicht hätte, wäre es wahrscheinlich noch deutlich schlechter gegangen als oder wäre meine Situation noch deutlich schlechter als sie jetzt ohnehin ist“ (254-271). Sie hat ihn nicht nur aufgefangen, sondern sich auch ein Stück weit um seine Freizeit gekümmert. Praktisch hat sie für ihn Termine gemacht, Freunde eingeladen etc.: „Naja alles, was so zu Hause zu regeln ist, ähm, was fällt mir jetzt ein – Geburtstage […], was so zu Hause zu regeln ist, dass sie das macht, dass ich, dass ich da dann den Rücken frei hatte, also ich mir keinen Kopf drüber machen musste, nun Weihnachtsgeschenke für die Kinder zu kaufen oder was man kauft, dass das alles so Sachen sind, die sie gemacht hat. Gut, wir haben dann familiär von meinen Eltern auch eine Situation gehabt, die recht unschön war, ähm, wo mein Vater verstorben ist in einer Phase, wo es meiner Mutter nicht so gut ging. Also was also auch sehr belastend gewesen ist, was also nachher auch viel Zeit bedurfte oder viel Zeit in Anspruch genommen hatte, sich um meine Mutter zu kümmern, was sie dann also auch gemacht hat, dass ich zumindest da, ja, wie heißt das so schön, den Rücken frei hatte. Und wenn, wenn sie nicht wäre, die mir in diesen Dingen, wie in vielen anderen Dingen halt helfen würde, und ja auch den Halt gibt, ja, dann wäre es total aus dem Ruder gelaufen“ (915-952). Dennoch endete Helmuts Alltag in einem Burnout. Seither ist Helmut nicht mehr arbeitsfähig. In Kürze steht für Helmut eine RehaMaßnahme an, wobei er sich erhofft, „dann vielleicht den Schlüssel zu finden, um die Tür wieder aufzubekommen, obwohl ich jetzt die ganze Zeit über eben halt auch eine Verhaltenstherapie mache, also versuche, gewisse Dinge eben halt

330 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

aufzuarbeiten und, und wieder Fuß zu fassen“ (194-199). Auf die Frage, ob vor dem Zusammenbruch Teilzeit eine Perspektive gewesen war, antwortet Helmut, dass er in seiner Funktion hingegangen wäre und gesagt hätte: „Also ich müsste jetzt vielleicht auf vier Tage verkürzen oder, ähm, halbtags oder wie auch immer. Ich wäre ja froh gewesen, wenn ich mit einer 40-Stunden-Woche, äh, zurückgekommen wäre. Ähm, das wäre also im Grunde genommen wie das Hornberger Schießen6 ausgegangen“ (461-466). In der Regel sind Teilzeitkräfte, die in diesem Betrieb beschäftigt werden, „also Damen die jetzt vielleicht für die Dateneingabe oder für die Abrechnung, die dann also auch wirklich nur einen Halbtagsjob ausüben oder eben drei Tage fünf Stunden, wenn das von vornherein bei der Einstellung schon als Teilzeitjob entsprechend abgeschlossen oder vereinbart worden ist, ist das in Ordnung. Ähm, gut ist aber jetzt als Führungskraft hinzugehen und zu sagen, selbst zum Beispiel was heute vielleicht für einen Jüngeren, wenn jetzt Nachwuchs käme, dass man jetzt sagt als Führungskraft, als männliche Führungskraft … ich möchte jetzt mein, mein Babyjahr nehmen oder ich möchte eine Phase zuhause bleiben, was ja heute halt durchaus machbar ist, ähm, das wäre also der berufliche Overkill also derjenige könnte, würde zwar nicht raus (…) nicht gekündigt werden, aber mit Sicherheit würde das für ihn einen deutlichen Nachteil bedeuten. Also, weil er dann im Grunde genommen seinen Job freigeben müsste, und, ähm, den also dann unter Garantie eben halt auch nicht wiederbekäme, wenn er dann eben halt nach X Monaten zurückkäme“ (473-503). Helmut beschreibt, wie es in dieser Situation und zu seinem nervlichen Zusammenbruch durch zu viel Lohnarbeit gekommen ist: Während der Wirtschaftskrise 2008 kam es zu Kurzarbeit. Dabei mussten auch „unpopuläre Entscheidungen getroffen werden, dass man einigen Mitarbeitern die Kündigung aussprechen musste. Also nicht aufgrund schlechter Leistungen, sondern aufgrund der dramatischen Auftragseinbrüche“. Die Gespräche sind für Helmut ein Auslöser für seinen „Blackout“ gewesen. Einen weiteren Grund formuliert Helmut so: „Wenn es natürlich ans Eingemachte geht, sprich Kurzarbeit, bedeutet das natürlich auf der einen Seite, trotz Kurzarbeiter-Geld, doch gewisse finanzielle Einbußen.“ Dadurch, dass im Team zwei Leute gekündigt worden sind und während Kurzarbeit keine Überstunden gearbeitet werden durften, ist die Erwerbsarbeit intensiver geworden. Hinzu kam, dass das mittlere Management, also die Teamleiter, keine Kurzarbeit bekommen haben, aber teilweise einen Gehaltsverzicht unterschrieben haben. „Also Schluss endlich, die Zeit, die man oh-

6

Redewendung, um zu erklären, wenn eine Angelegenheit mit großem Getöse angekündigt wird, aber dann nichts dabei herauskommt.

S UBJEKT

| 331

nehin für seine eigene Arbeit schon aufgebracht hat, hat natürlich noch einen oben drauf gekriegt durch diese Geschichten, dass man Spitzen noch abfangen musste, das ist natürlich dann noch dazu gekommen, dass einige Sachen nicht so rund gelaufen sind, wo sich dann zum Teil ja auch der Kunde, äh, beschwert hat. […] Nach dem Motto, da warten wir zu lange auf unsere Unterlagen oder das hat nicht geklappt oder dieses hat nicht geklappt und warum und wieso, wo man sich dann diplomatisch eben halt die Ausreden einfallen lassen musste und teilweise eben halt auch die Feuerwehr spielen. Schluss endlich, das Ganze ist, hat dann eben nachher eskaliert, dass es also einen totalen Nervenzusammenbruch gegeben hat und, äh, ja, sage ich mal, seitdem ist eben halt für mich der TotalBlackout da“ (149-190). Die Phase der Kurzarbeit ist für Helmut die Phase in seinem Arbeitsleben gewesen, die ihn am meisten gestresst hat (306f). „Und was ich halt sagte, dass für mich die Kurzarbeit letzten Endes auch bedeutet hat, dass ich nicht weniger gearbeitet habe, sondern im Grunde genommen durch diesen teilweisen Gehaltsverzicht Schluss endlich aus der Kurzarbeit raus und damit ist dann also auch die 38 oder 40 Stunden-Woche wieder vollkommen frei. Das heißt also nach oben sind dem Ganzen keine Grenzen gesetzt“ (358-363). Wechselwirkungen zwischen Subjekt // Symbol: Helmut ist zurzeit krankgeschrieben und nicht wieder arbeitsfähig. Für ihn ist das eine sehr schwierige Situation. „Die, die erste Zeit, ich sage mal, wo man komplett, ich sage mal neben sich steht also auf einer ganz anderen Spur läuft, ähm, ist es eine Situation, wo man, wo ich sagen muss, bis vor einem Dreivierteljahr hätte ich Leute, die seelische Probleme haben eigentlich gesagt, die passen nicht mehr in unsere heutige Zeitgeschichte, weil unsere Leistungsgesellschaft und wo alles eben halt auf, auf, auf Leistung und Geschwindigkeit und hast du nicht gesehen, basiert. Dass, dass solche Menschen nicht mehr in die Zeitgeschichte passen. Dass mir selbst dann so etwas passiert, ähm, ist also eine Erfahrung der ganz anderen Art, die ich mir eigentlich nie hätte so vorstellen können“. Helmut kann jetzt Menschen verstehen, die seelische Probleme haben, weil er auch Stimmungsschwankungen bzw. Depressionen hat. Helmut verweist auf „dieses Thema, was jetzt gerade die Nation die letzten Tage bewegt hat,7 aber ich kann sehr gut nachvollziehen, dass ein Mensch, wenn er dann tatsächlich dann total aus der Bahn geworfen wird, also zu Handlungen fähig ist, was, was normalerweise, ähm, eigentlich der letzte Schritt sein sollte, den man, den man machen kann“ (509-540). Für Helmut ist es schwierig gewesen im Ganzen mit der Situation umzugehen, weil ihm nicht klar gewesen ist, wie der Arbeitge-

7

Gemeint ist der Selbstmord des Fußballnationaltorhüters Robert Enke am 11.09.2009.

332 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

ber reagieren würde und ihm sowohl der Arzt als auch der Psychotherapeut gesagt haben, „das Ganze wird seine Zeit dauern … das eigene Ich zu finden, ist schon unheimlich schwierig und jetzt befindet man sich eigentlich in dieser Situation, wo es eigentlich unheimlich problematisch ist, zu erkennen oder besser gesagt, eine Leistung in Empfang zu nehmen, wenn Sie jetzt krank sind und Sie bekommen auf der einen Seite, ich sage mal Krankengeld. Auf der anderen Seite aber keine Gegenleistung … Also für mich ist es immer so gewesen, wenn ich für etwas Geld bekomme, hat ich auch eine Leistung zu erbringen. Also in Form, dass man da auch seine Arbeitskraft da einbringen muss und das, das zu akzeptieren fällt mir eben halt so unheimlich schwer so. Ich sage mal, man fühlt sich so ein bisschen, wie der Sozialschmarotzer, dass man da so ein bisschen auf Kosten anderer lebt. Ähm, ok, gut, auch wenn, wenn einem die Leute sagen, man hat Jahrzehnte letzten Endes auch in diese Sozialkasse mit eingezahlt, und wenn dieser Punkt kommt, ist es zwar betrüblich aber letzten Endes zählt in erster Linie der Mensch, und da sollte man zusehen, also erst mal wieder zu Kraft zu kommen aber, äh, diese Situation zu akzeptieren ist dann schon schwer. Es sind dann so Kleinigkeiten, man sieht ja nicht krank aus. Wenn, wenn sie jetzt sich ein Bein brechen, ein Arm brechen, haben Sie ein Bein in Gips oder ein Arm in Gips und jeder sagt, Mensch, ey, was hast du denn gemacht, ähm, aber dann haben Sie halt vier Wochen ihren Gips und dann ein bisschen Bewegungstherapie und denn ist die Sache nachher also auch ausgestanden, ist die Seele aber krank, äh, sehen Sie eigentlich total fit aus und laufen aber überhaupt nicht rund, es sieht aber keiner. Gut und man würde, ich würde, gut, bei uns ist es jetzt ja eine andere Geschichte, aber ich würde mit einem fremden Menschen eben halt nicht zwangsläufig über, über mein Problem, über meine Situation sprechen. Nur zwangsläufig kommt es natürlich schon dazu. Ich sage mal, Nachbarn, die einem über den Weg laufen und sagen, Mensch, man sieht Sie ja immer … sind Sie arbeitslos, so ungefähr, dass man sich dann eben halt mit gewissen Ausreden behilft oder auch schon zusieht, wenn man auch schon aus dem Haus geht, zu vermeiden, Leuten über den Weg zu laufen, um das Gespräch eben halt, dem Gespräch aus dem Wege zu gehen. Also es ist schon, ja, ein Erlebnis der ganz anderen Art“ (559-621). Der Betrieb ist anfänglich sehr verständnisvoll gewesen. Helmut ist gesagt worden, er solle sich keine Angst um seinen Arbeitsplatz machen, sondern sich die Zeit nehmen, die er braucht, um „wieder auf die Füße zu kommen“. Allerdings würde Helmut nur unter Umständen an Work-LifeBalance-Maßnahmen im weitesten Sinne teilnehmen, „weil es macht einen nicht dümmer, weil man vielleicht für sich irgendetwas nach Hause nehmen kann, äh“, aber wenn Helmut persönliche Dinge von sich offenbaren müsste, würde er dies auf der Ebene des Berufsalltags nicht tun, weil er fürchtet, die Kollegen würden

S UBJEKT

| 333

seine Schwächen als Druckmittel oder Mobbingmittel missbrauchen (784-806). Denn „was nach meinem Dafürhalten heute gefordert ist, ganz einfach Schwein sein und sagen, wer in den Arbeitsprozess nicht reinpasst, der muss dann aussortiert werden. Und äh, wenn, wenn das irgendwie erwartet wird und man diesen Schweinehund nicht, nicht herauskehren kann oder, oder ich sage mal nicht diese Ader oder diese Veranlagung hat, ähm, dann nimmt man viele Dinge eben halt mit, die einem ja, ich sage mal, innerlich aufreiben und im Zweifel kaputtmachen. Also die menschliche Komponente das, das ist eigentlich, jetzt fällt es mir halt ein, ich sage mal die, was in den Betrieben halt stattfinden sollte, ist also auch mehr, mehr Menschlichkeit. Also dass man die Menschen als solche auch behandelt und nicht nur immer erwartet, dass sie, dass sie funktionieren, sondern dass auch wenn gewisse Schwächen mal da sind, dass man, dass man das eben halt auch aufnimmt und dass man auch darüber sprechen kann und im Zweifel, ja, demjenigen dann auch sagt, Hilfe gibt es in welcher Form auch immer“ (1099-1115). Helmut hat während der Gespräche mit dem Psychologen oder während eines Burnout-Seminars gemerkt, dass es beim Thema Work-LifeBalance darum geht, „das Gleichgewicht zu finden, ich sage mal, Arbeit ja aber eben halt nicht nur Arbeit, sondern also auch Privatleben, um eben halt aus gewissen Dingen, die man in der Freizeit macht, also mit Freunden oder, oder den Hobbys nachzugehen oder vielleicht auch einfach nur mal ganz einfach die Seele baumeln zu lassen und in der Sonne zu sitzen“ (275ff). Zu Geschlechterverhältnissen sagt Helmut, dass man üblicherweise den Männern nachsagt, dass sie sich schwer damit tun würden, sich über Gefühle zu äußern. „Man muss eigentlich immer so der Kerl sein und so weiter. Und die anderen Sachen, das können wir den Frauen überlassen, über Gefühle zu sprechen. Hätte ich früher wahrscheinlich in der Form auch nicht gekonnt, weil es, ich glaube für mich dann auch ein Zeichen von Schwäche gewesen wäre. Aber eben halt durch die Gespräche, ich sage mal während des Seminars und auch hinterher, ich habe mit Frau CCC und auch Frau EEE immer noch ein bisschen Kontakt und eben halt jetzt auch die Verhaltenstherapie, die ja nun regelmäßig ein bis zweimal die Woche stattfindet, fällt es mir also zumindest leicht, nee, leicht kann man vielleicht nicht sagen, aber ich kann über meine Situation zumindest reden. Also ich kann sagen, was mich bewegt, was meine Probleme sind. Wobei ich dann halt auch schon abwäge, mit wem ich darüber spreche. Und, ähm, gut, ich sage mal jetzt im Zuge mit dem Arbeitgeber muss man natürlich auch darüber reden, ähm, dass die wissen, worum es geht. Also ich meine ich habe dadurch, dass ich ja nun keinen Armoder Beinbruch habe, ist es natürlich schon bekannt, ähm, wo mein Problem ist, und wie meine Situation ist“ (643ff). Das Seminar, das Helmut besucht hat, bestand aus einer Gruppe von acht Männern. Von den Veranstalterinnen wird be-

334 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

wusst zwischen Männer- und Frauenseminaren unterschieden, so Helmut. Was für Helmut zusätzlich „auch interessant war, es sind zwei Männer, nee ein Mann in der Gruppe gewesen, der gesagt hat, also er hätte an diesem Seminar auch nicht teilgenommen, wenn Frauen dabei gewesen wären“ (702-742). Wechselwirkungen zwischen Struktur // Symbol: Aus Gesprächen des Freundeskreises weiß Helmut, dass die Themen Work-LifeBalance „Lippenbekenntnisse“ der Unternehmen sind – „nach dem Motto, unser Mitarbeiter ist unser wertvollstes Potenzial oder Kapital, und wir tun alles, damit unsere Mitarbeiter sich wohlfühlen. Im Grunde genommen ist gleich das Gegenteil eben halt der Fall“ (373ff). Das Thema Work-Life-Balance ist für Helmut bis zu seinem „Blackout“ unbekannt gewesen. „Also, weil ich immer gedacht habe, dass so das Leben, das ich lebe, eigentlich durchaus, durchaus normal ist. Halt auch nicht mitbekommen habe, dass vieles eben halt, der Fokus eben halt immer nur auf den Beruf gerichtet gewesen ist. Ähm, sicherlich die Familie oder meine Frau hat dann hier und da schon mal gesagt – wenn man jetzt also abends noch Dinge eben gemacht hat – ‚Mensch wir können doch auch mal was anderes machen, lass das doch mal liegen’“. Über die Krankenkasse ist Helmut dann auf das Thema Work-Life-Balance hingewiesen worden. „Aber nichtsdestoweniger, ähm, hat sich da doch das Eine oder Andere für mich eben halt eröffnet, was, was mir doch, doch die Augen noch mal oder ins Bewusstsein gerufen hat, dass man zulange, eigentlich überzogen hat und eigentlich immer nur den Fokus auf Arbeit und das ganze Andere, was das Leben noch so nebenher zu bieten hat, häufig eben halt aus den Augen verloren hat“ (512-547). Auch für seinen „Job in der „Personalführung … was ja heute eigentlich sehr stark gelebt wird, auch nicht schlecht ist, viele Gespräche zu führen mit den Mitarbeitern, FeedbackGespräche, Beurteilungs-Gespräche, ähm, ja, Halbjahres-Gespräche, Zielvereinbarungen treffen, all diese Sachen und, ähm, dazu braucht man denn letzten Endes auch Ruhe und die man im Arbeits (…) also ich sage mal zumindest ich an meinem Arbeitsplatz selten gefunden habe, weil dann immer irgendwie was war“ (120ff). Die kommunikative Unfähigkeit zwischen den Kollegen und die Architektur des Großraumbüros hat für Helmut zu gewissen Stressmomenten geführt. Helmut beschreibt dies wie folgt: Manchmal hätte er den Eindruck gehabt, „als würdest du im Kindergarten arbeiten, da sind so diese Kleinigkeiten, dass Menschen dann nicht miteinander reden können, weil man vielleicht mal das Fenster aufmacht zum Lüften – oder warum das Fenster auf ist – und man sowieso Zug empfindlich ist. Wenn Sie denn einen Großraum haben, wo die Leute zusammensitzen, ähm, dass Sie denn schon solche Gespräche führen müssen nach dem

S UBJEKT

| 335

Motto, ‚können sie mal mit Herrn XY reden, weil der möchte immer das Fenster aufhaben und mir ist das zu kalt oder mir zieht das zu sehr’ … Es kann doch bitte nicht meine Aufgabe sein oder es steht auch nicht hier oben über der Tür Sozialstation. Dass ich nun, ich sage mal, solche Kinderdinge eben halt mit jemanden verhackstücken muss, da kann man doch sagen, ‚Mensch lass uns doch darauf einigen, nä, Viertelstunde Fenster auf, Viertelstunde Fenster zu’ und denn arrangiert man sich“ (332-352). Seiner Meinung nach ist „in erster Linie bei dem Großraum, man unterstellt eigentlich jedem Normal-Angestellten, dass er eigentlich, äh, ja, nur zur Arbeit geht, um sich auszuruhen. Ähm, dass die Leute sich gegeneinander kontrollieren sollen, äh, das wird zwar immer gesagt, man bekommt mehr mit, wenn man in einer größeren Arbeitsgruppe sitzt. Also ich … ja, ich wage zu behaupten, dass die meisten Leute also produktiver arbeiten können, wenn sie in kleineren Einheiten sitzen und das also auch etwas ruhiger, wo man denn auch mal gewisse Sachen, auf die man sich vielleicht stärker konzentrieren muss, und man die Ruhe hat und nicht durch zig andere Dinge eben halt abgelenkt wird. Und dann gibt es eben halt so Sachen wie Arbeitssicherheit oder, oder, äh, Berufsgenossenschaft, wenn dann eben halt ein Mediziner mal so durchgeht und gewisse Dinge eben halt dann feststellt und gut, vorher im alten Büro waren es so diese Sachen wie Fluchtwege, die vielleicht zu klein sind oder zu eng gehalten sind. Wir haben zwar heute unendlich viel Platz aber dadurch, dass so viel Platz da ist, wird natürlich die ganze Geräuschkulisse eben halt auch, auch zu laut. Ähm, und wenn sie dann mit so jemandem im Vieraugengespräch mit einem Arbeitsmediziner reden, der dann auch sagt, ok gut, man kann eigentlich nur Empfehlungen aussprechen, aber man kann einer Firma oder einem Unternehmer nicht vorschreiben, er hat Dinge eben halt zumachen. Wenn der Unternehmer sagt, er hat jetzt kein Geld dafür oder, nä, um das zu machen, müsste er jetzt fünf, sechs Leute entlassen, ähm wird natürlich auch jeder Externe sagen, ok, dann lieber die Arbeitsplätze erhalten und vielleicht eine Unzufriedenheit der Mitarbeiter in Kauf nehmen. Gut, ich mag vielleicht damit falsch liegen, wenn ich sage, dass das in vielen Firmen der Fall ist. Aber aus Gesprächen zumindest, was so den Freundeskreis angeht, weiß ich, dass eigentlich immer nur der Druck da ist, nach dem Motto: ‚Es muss Leistung gebracht werden’ und diese Lippenbekenntnisse nach dem Motto: ‚Uns liegt der zufriedene Mitarbeiter also ganz besonders am Herzen’ … wage ich immer zu behaupten, der Mitarbeiter muss nur funktionieren, und solange er funktioniert, ist also auch alles in Ordnung. Nur wenn er nicht mehr funktioniert, gerät also etwas aus der Bahn oder aus dem Gleichgewicht“. Mit Sicherheit, meint Helmut, würden eine veränderte Situation, ein freundlicheres Klima und kleinere Parzellen in dem Großraumbüro auch dazu beitragen, eine stressfreiere Atmosphäre zu schaffen. Denn

336 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

„ich denke mal, die, die nervliche Belastung, also die jetzt zu meiner Situation geführt hat, wäre also auch durch andere Architektur nicht zu vermeiden gewesen oder wäre wahrscheinlich auch aufgetreten. Aber der Wohlfühleffekt also auch vorher, ähm, das bisschen, was es jetzt für mich ausgemacht hat, ähm, wäre sicherlich deutlich besser gewesen, wenn man sich am Arbeitsplatz wohlgefühlt hätte. Also, dass man eine ja etwas ruhigere Atmosphäre gehabt hätte. Zumal eben halt einem die Gespräche, die man mit den Mitarbeitern oder mit den Kollegen gehabt hat, im Grunde genommen nicht gewesen wären, weil das eben halt also durch, durch die Atmosphäre zustande gekommen ist“ (398-451). Zum Thema Großraumbüro äußert Helmut weiter: „Wenn sie aus kleineren Einheiten kommen und dann in einen Großraum reingehen, ähm, was wirklich nicht nur Großraum ist, sondern tatsächlich auch ein großer Raum, weil es gibt keine Schall-Schluck-Wände oder keine Trenn-Wände, wo sie einen unheimlichen Geräuschpegel haben, wo die Leute sich alleine schon dadurch, ähm, in großem Maße eben halt belästigt und in ihrer Arbeitsweise eben halt eingeschränkt ja, und ich sage mal, sich nicht wohlfühlen, sich zum Teil nicht konzentrieren können, wo man zum Teil halt mitbekommt, also selbst dass der Kollege in 50 Meter Entfernung – wenn er dann lauter mit Asien telefoniert oder was – hört, was dann im Einzelnen abgeht. Wenn Sie dann, ich sage mal zu den nächsten Vorgesetzten gehen und sagen: ‚Wir müssen unbedingt da mal drüber reden, vielleicht gewisse Sachen zu machen, dass wir diese, den Geräuschpegel eben halt nach unten bringen’. Ähm, und es passiert nichts nach dem Motto, ‚das möchte halt der Inhaber nicht’, weil der findet das schön, wenn das alles so im Betty-FordWeiß gehalten ist und alles so schön klar, nä, einzusehen ist“ (375-394). Für ein besseres Arbeitsklima wünscht sich Helmut, dass die Unternehmen dazu beitragen würden, dass die Mitarbeiter für sich aktiver sind und dass man sportliche Aktivitäten in den Betrieb aufnimmt, um den Gemeinschaftssinn zu fördern. Betriebsfeste können für Helmut auch eine Möglichkeit sein, um die Beschäftigten zu vereinen, „weil die Leute eben halt auch mal über was anderes reden können als, als nur über Arbeit“ (922-1092). Für eine verwirklichte Work-Life-Balance im Work Bereich würde sich Helmut wünschen, „dass die Leute sich am Arbeitsplatz wohlfühlen also sprich die Architektur. Nicht der Großraum, sondern schon kleinere Einheiten, wo man also auch konzentriert und in Ruhe arbeiten kann […] Dass die Firmen nicht nur die Leitsätze, ähm, haben, dass die Mitarbeiter das wertvollste Gut sind, sondern das auch so auch wirklich, wirklich leben. Dass man, wenn Dinge eben halt bekannt werden, dass Leute Probleme haben, dass also auch dann an entsprechender Stelle, ähm, das von der Firmenleitung gelebt wird. Ähm, gut, was mir da so ad hoc einfallen würde, ist eben halt eine Geschichte, wenn Leute eingestellt werden, dann gibt es also auch die

S UBJEKT

| 337

Personalabteilung und ein Personalchef, der sich drum kümmert. Wenn es darum geht, Leute zu kündigen, fallen diese unangenehmen Aufgaben anderen zu. Also, wo ich ehrlich sagen muss, es kann ja nicht meine Aufgabe, sondern es wäre dann auch die Sache der Personalabteilung, ähm, diese Dinge zu machen. Also dass, das man da eben auch Mitarbeiter eben von entlastet also so, so unangenehme Dinge eben halt rüberbringen zu müssen. Dass man sicherlich auch versucht, auf die Arbeitszeitkonten der Mitarbeiter zu achten, ähm, nicht nur Überstunden abverlangt und dann ja, wenn es darum geht, einen Ausgleich zu schaffen, kommt dann immer ganz auf die Branche an wo man tätig ist, im kaufmännischen oder im Dienstleistungsgewerbe haben Sie eigentlich relativ wenig, dass Überstunden finanziell vergütet werden, aber im Regelfall ist es ja so, dass Überstunden dann nachher durch Freizeit ausgeglichen werden. Dass dann auch so was aktiv von einem Unternehmen gefordert oder gefördert wird und nicht nach dem Motto, wenn jetzt jemand sagt, ich hatte jetzt 30 Überstunden am Monatsende, wovon ich nur 20 mit rüber nehmen darf in den nächsten Monat, ich würde jetzt gerne 10 Stunden abbauen“ (961-988). Zusammenfassende Subjektkonstruktion Die Wechselwirkungen zwischen strukturellen Vorgaben und seinen subjektiven Verhältnissen beschreibt Helmut damit, dass Arbeitskraft ein hoch qualifiziertes und anzupassendes Produkt ist. Die Aufgabe des Unternehmens ist die Rahmensteuerung der Arbeitskraft. Es soll durch Sachzwänge Vorgaben für Arbeitskraft schaffen, um die Arbeitskraft flexibel einzusetzen. In diesem Zusammenhang erfährt Helmut einerseits selbst psychischen Druck durch die Struktur der Vorgaben, und andererseits muss er als Abteilungsleiter psychosoziale Kontrollfunktionen für andere ausüben. Helmut erfährt seine Führungsposition verbunden mit Kontrollausübung und Selbstdisziplinierung als Überforderung. Sein Arbeitsethos und seine Leistungsbereitschaft vertragen sich dabei nicht mit der Selbstsorge. Dadurch entsteht wiederum eine Unverträglichkeit der Erwerbsarbeit mit der Freizeit. Seine Lebenszeit verschiebt sich zugunsten der Erwerbsarbeit. Die Überbelastung, die Helmut während der Erwerbsarbeitszeit erfährt, führt zu einer persönlichen Ressourcenerschöpfung bezüglich des Familienbezugs. Helmut lebt in einer klassischen Male-Bread-Winner-Situation. Für Helmut ist ohne Hausfrau keine Erwerbsarbeit möglich, weil seine Frau absolut für die Reproduktionstätigkeiten zuständig ist. Gleichzeitig führt die Wirtschaftskrise zu Entlassungen, Angst, Leistungsdruck, finanziellen Einbußen und vor allem zu einer Intensivierung der Arbeit. Die Arbeitsintensivierung führt auch zu Arbeitsextensivierungen. Zusammen haben diese Faktoren bei Helmut zur physischen und psychischen Erschöpfung, zum Burnout-Syndrom und letztlich zu einem Nervenzu-

338 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

sammenbruch geführt. Durch sein Burnout hat Helmut kein Selbstbewusstsein mehr. Helmut beschreibt Wechselwirkungen der symbolischen Ebene mit seiner subjektiven Situation damit, dass seelische Probleme und Burnout nicht in den Leistungsdiskurs der Gesellschaft passen. In diesem Zusammenhang kann Helmut Selbstmord als Ausweg aus dem Leistungsdruck nachvollziehen. Seine Arbeitsunfähigkeit bekommt er als Sozialschmarotzertum widergespiegelt, obwohl er selbst denkt, dass für eine Leistung auch eine Gegenleistung gebracht werden muss. Deshalb hat Helmut Schuldgefühle und verspürt Scham durch seine Arbeitsunfähigkeit. Helmut erfährt seelische Probleme, weil Erschöpfungszustände auch als Mobbingmittel genutzt werden können. Berufliche und persönliche Egomanien seien die optimalen Charaktereigenschaften in der Leistungsgesellschaft. Gefühle zu zeigen gilt dabei als Zeichen der Schwäche und über Gefühle zu reden gleich als unmännlich und ist problematisch als Mann. Für ihn gibt es zu wenig Menschlichkeit in den Betrieben. Work-Life-Balance bedeutet für Helmut eine Verschiebung der Interessen hin zur Freizeit. Eine Veränderung bezüglich der Arbeitszeit ist für Helmut nicht denkbar, da Teilzeit weiblich besetzt ist und Teilzeit für männliche Führungskräfte symbolisch und strukturell tabu ist. Die Wechselwirkungen zwischen strukturellen Vorgaben und symbolischen Repräsentationen beschreibt Helmut damit, dass es Widersprüche in diesem Verhältnis gibt. Work-Life-Balance-Konzepte versteht er als Lippenbekenntnisse der Unternehmen, welche die Arbeitskraft als hochwertiges Kapital ansehen. Work-Life-Balance ist für Helmut völlig unvermittelt bis zu seinem Burnout gewesen, da es keine Gesundheitsprävention in seinem Betrieb gegeben hat und er keine Selbstsorge betrieb. Es gibt auch keinen Platz für Work-Life-BalanceDiskurse in Feedback-Gesprächen, Beurteilungs-Gesprächen, Halbjahres-Gesprächen oder Zielvereinbarungen. Generell führt eine Kommunikationsunfähigkeit im Betrieb zu Missverständnissen, Stress und zu emotionalen Ambivalenzen. Gemeinschaftssinn fördert dagegen das Arbeitsklima. Forderungen nach einer ruhigen Arbeitsatmosphäre und einer angemessenen Architektur und Regelungen zum Abbau der Überstunden würden die Work-Life-Balance verbessern. Work-Life-Balance ist für Helmut eine Aufgabe der Personalleitung. 9.3.4 Subjektkonstruktion von Petra Zitat: „Ich mache mich nie wieder finanziell abhängig … ich stehe nur noch mit dem Rücken an der Wand.“

S UBJEKT

| 339

Wechselwirkungen zwischen Subjekt // Struktur Früher hat Petra für ein inhabergeführtes Unternehmen gearbeitet, dessen Inhaber „cholerisch“ ist und „alles, was Sie an solchen Eigenschaften finden können und der hat in acht Jahren zehn Sekretärinnen verschlissen und ich war eine davon“ (214ff). Anschließend hat Petra in XXX gearbeitet, was schwierig für sie als alleinerziehende, Teilzeit arbeitende Mutter, wohnhaft in dem 50 Kilometer entfernten YYY, gewesen ist. Petra sagt, froh gewesen zu sein, überhaupt einen Job gefunden zu haben. Dieser Job ist allerdings an zwischenmenschlichen Problemen gescheitert, die Petra nicht weiter ausführen möchte. Gegenwärtig arbeitet Petra in einem Unternehmen mit 600 Mitarbeitern und kann, seit dem Zeitpunkt ihrer Trennung (vor 7 Jahren), langsam wieder „durchatmen“. Sie und ihr Sohn haben jetzt wieder ihren „Rhythmus sozusagen gefunden. Also jetzt läuft eigentlich alles und äh ja. Das ist alles wieder normal sozusagen. Vorher war es eben unheimlich anstrengend, weil man, ähm, also jetzt in der befristeten Phase, weil man letztendlich doch immer dran gedacht hat, was ist denn, wenn das vorbei ist oder wie auch immer“ (438f). Im Prinzip hat Petra „Controlling-Funktionen“: Die Vorgänge, die in ihrem Bereich ablaufen, werden von Petra „controllt“ (266). Für Petra ist es wichtig, Bestätigung durch den Job zu erfahren und zu wissen, dass sie sich an einem Ort befindet, an dem sie weiß, dass sie die Erwerbsarbeit schaffen kann. Petra besteht darauf, dass das Interview unter allen Umständen anonym bleiben muss, da die Einarbeitung in ihrer Firma eine absolute Katastrophe gewesen sei, und sie dies nur anonym äußern möchte. „Ich habe selten so eine beschissene Einarbeitung gehabt“ (285). Seit Längerem arbeitet Petra in Teilzeit. Dreißig Stunden etwa beträgt ihre Arbeitszeit, „weil ich das mit der Organisation, weil ich das Gefühl habe, ich, ich stehe nur noch mit dem Rücken an der Wand, und das hat mein Chef also auch erkannt und hat mich gefragt, ob mir damit geholfen wäre, wenn wir die Arbeitszeit etwas reduzieren und da habe ich gesagt, das wäre ganz großartig und haben dann fünf Stunden runtergenommen also pro Tag eine Stunde, und jetzt habe ich echt also immer noch Termine, aber es ist einfach entspannter sozusagen“ (75ff). Ihre Kollegen haben sehr viel Verständnis. Petra glaubt, dass die Kollegen einfach froh sind, dass jemand diesen Job macht. Gleichzeitig würden sie ihre Kollegen fortwährend bedauern, weil sie im Gegensatz zu ihnen alleine in einem Büro sitzen muss (885ff). Wechselwirkungen zwischen Subjekt // Symbol: Petra hat die Trennung von dem Vater ihres Kindes sehr bedauert, weil Familie für Petra ein „ganz hohes Gut [ist]. Und ich habe damals so gedacht für den Mann, also wenn man das klassische Modell wählt – und wir haben damals das

340 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

klassische Modell gewählt – Mann arbeitet, Frau zu Hause, äh, ändert sich ja eigentlich nichts außer, dass er einen Menschen mehr zu Hause sitzen hat, den er auch noch durchfüttern muss“. Petra war früher immer berufstätig, hatte immer ein eigenständiges Leben, hätte nie jemanden fragen müssen, wenn sie sich ein Paar Schuhe kaufen wollte. Und plötzlich hat Petra zu Hause gesessen und ein „schreiendes Bündel Mensch vor sich liegen und kein Mensch bereitet einen darauf vor, wie das ist, wenn da ein Säugling liegt“. Ihr Wissen, wie eine Familie zu gründen ist, hat sie sich durch Bücher angelesen. In der Realität ist es jedoch anders, bedauert Petra, „da können Sie noch so belesen oder sonst was sein, das Leben ändert sich schlagartig“. Die Schwangerschaft, das Stillen, die Figurveränderungen haben Petra zugesetzt. Petra hat ein halbes Jahr lang maximal nur vier Stunden am Stück geschlafen. Sie äußert dazu: „So und erst mal sehen Sie aus wie der Tod in Latschen und, und ich habe gedacht, oh Gott, das war es jetzt. Ich bin immer ein sehr aktiver Mensch gewesen, aber ich habe echt jahrelang damit zu kämpfen gehabt, zu meiner alten, ähm, wie soll ich sagen, also ich habe heute noch so Phasen, dass ich denke oh Gott, wie alt bist du eigentlich und das sind alles Dinge, das sagt einem kein Mensch“. Diese Leistung und Aufopferung ist aus Petras Sicht von dem Vater des Kindes viel zu wenig wertgeschätzt worden. Petra denkt, dass er sich „wahrscheinlich zu wenig gewürdigt“ gefühlt hat „für seinen Job als Alleinernährer und ich, äh, ähm, ich habe mich nicht unwohl gefühlt zu Hause und ich hatte auch nicht das Gefühl, ich verblöde da zwischen Windeln und Baby-Brei oder so“. Rückblickend ist Petra bewusst geworden, dass sie nicht mehr finanziell abhängig sein möchte: „ […] da können sie ganz sicher sein und da kann ich den tollsten Mann treffen oder was auch immer never, never again. Ich mache mich nie wieder finanziell abhängig“. Andererseits findet Petra, dass viele Frauen gar nicht wissen, wie gut es ihnen geht, wenn sie zu Hause sitzen und sich die Nägel lackieren können. Manchmal wünscht sie sich, nicht für alles verantwortlich zu sein. „Also dieses, was alles auf den Schultern lastet, wenn man alleine ist, also mal abgesehen davon, dass man sich in seinem Freundeskreis natürlich austauscht, aber das ist etwas anderes, als wenn Sie einen Partner haben, mit dem Sie sich mal austauschen können, oder wenn Sie abends mal nach Hause kommen und mal in den Arm genommen werden oder einfach mal sagen können, ‚oh das war ein Scheißtag heute im Büro’. Das ist alles, das macht man alles mit sich alleine aus und das ist echt hart“ (702796). Petra hat zwei Monate auf das Geld vom Sozialamt warten müssen, und sie hat es „nachher auch noch zurückzahlen [müssen], also wer Eigentum hat, der ist ja grundsätzlich gekniffen, die haben tatsächlich gesagt, verkaufen Sie das Haus, da habe ich gesagt, geht’s noch, ich sage, wenn ich das Haus verkaufe, dann bin ich in einem Jahr hier als kompletter Sozialfall, ich sage, das werde ich ganz be-

S UBJEKT

| 341

stimmt nicht tun“ (174ff). Petra hat eine Kollegin im Unternehmen, die ihre Situation teilt: „… die hat also während des Zusammenlebens mit dem Vater ihrer Tochter Teilzeit gearbeitet und seit der Trennung arbeitet sie jetzt voll, um das eben finanziell, aber die arbeitet wirklich richtig voll, und die wohnt auch in YYY. Also die, wie die das überhaupt schafft, das ist mir auch ein Rätsel, aber also ich bin jetzt froh, ich meine ich wohne vor Ort und habe nur dreißig Stunden, und die hat fünfunddreißig Stunden und Fahrzeit und ihre Tochter“ (468ff). Wechselwirkungen zwischen Struktur // Symbol: Petra hat sich einmal von einer Mutter anhören müssen, sie hätte gar keinen Anspruch auf einen Kindergartenplatz. „Da habe ich nur gedacht und das war eine Frau von einem Berufssoldaten also mit reichlich Schotter zu Hause, und die hat nicht gearbeitet, und da habe ich nur gedacht, alles klar, die wissen ja auch gar nicht, was das bedeutet, auch was das für eine seelische Belastung erst mal ist“ (168ff). In der Zeit, in der sie alleinstehend gewesen ist bis heute, hat sie ab und zu den einen oder anderen alleinerziehenden Vater kennengelernt. „Das ist ja eher echt immer noch eine Seltenheit“ (677ff). Petra hat schon oft gehört, dass wirklich Teilzeit arbeitende Menschen effektiver arbeiten müssen. Sie weiß auch, dass es in dem Unternehmen Väter in Elternzeit gibt (518f). Zurzeit hat die Arbeitsstelle von Petra einen Unternehmensberater in der Firma. „Was das bedeutet, das wissen wir ja alle zu gut. Und mein Chef hat nun gesagt, na ja, Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, der hat mir namentlich die Kollegen gesagt, die als Erstes gehen und sagte, Sie stehen ganz hinten in der Kette, alleinerziehend und da habe ich gesagt, ‚Ihr Wort in Gottes Ohr’, aber denen da oben ist es scheißegal, ob ich alleinerziehend bin, im Zweifel sage ich jetzt mal und von daher also, ich mache mir jetzt keine großen Sorgen, aber na ja, ich gucke schon“ (450ff). Zusammenfassende Subjektkonstruktion Die Wechselwirkungen zwischen strukturellen Vorgaben und ihren subjektiven Verhältnissen bestehen für Petra einerseits in der Schwierigkeit, die Mobilität für den Beruf mit der Aufrechterhaltung des Familienalltags zu koordinieren. Andererseits ist sie aber froh, einen Job zu haben. Alleinerziehend zu sein und vollzeit zu arbeiten empfindet sie als Belastung. Teilzeit dagegen ist für sie die optimale Balance zwischen Alleinerziehung und Erwerbsarbeit. Allerdings empfindet sie auch eine persönliche Bestätigung durch gelungene Herausforderungen im Berufsleben. Petra beschreibt Wechselwirkungen der symbolischen Ebene mit ihrer subjektiven Situation damit, dass sie ein traditionelles Familienmodell als Lebens-

342 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

ideal empfindet. Das Wissen über die Familie hat sie sich durch Bücher und durch ihren Alltagsverstand angeeignet. Die Aufopferung für das eigene Kind und die körperlichen Strapazen sind vom Vater allerdings nicht wertgeschätzt worden. Ihre finanzielle Abhängigkeit vom Male-Bread-Winner empfindet sie schlimmer als die Überbelastung durch die Eigenverantwortung bei der Alleinerziehung. Die Wechselwirkungen zwischen strukturellen Vorgaben und symbolischen Repräsentationen beschreibt Petra einerseits durch Ausgrenzungen von Alleinerziehenden im Alltag und andererseits damit, dass es auch Vorteile für Alleinerziehende im Beruf gibt. 9.3.5 Subjektkonstruktion von Melanie Zitat: „… ich führe zwei Leben.“

Wechselwirkungen zwischen Subjekt // Struktur Melanie ist verheiratet, hat ein Kind, ist promoviert, arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin etwa 300 Kilometer von ihrem Wohnort entfernt und lebt in einer modernen Beziehung, in der ihr Mann die Hälfte der Hausarbeit übernimmt. Melanie selbst beschreibt ihre Lebenssituation damit, dass sie zwei Leben führt: „Das eine findet in XXX statt. Ähm, und da sieht der Tag so aus, dass ich, ich habe da eine Wohnung mit meinem Kollegen zusammen und wenn wir, also wir fahren halt morgens nach dem Aufstehen, Frühstück, zur Uni und dann arbeiten wir da solange, bis wir fertig sind. Was in der Regel dazu führt, dass wir vor zehn abends nicht wieder zurück sind in der Wohnung. So, und dazwischen hocken wir halt in unserem Büro und tun, was zu tun ist. Das ist der XXX-Teil meines Lebens, und wenn ich hier in YYY bin, wo meine Familie eben auch wohnt, dann sieht das ein bisschen anders aus, dann, äh, habe ich eben alles was so, ich sage mal an Haushalt ist oder an privaten Aktionen wie Sport oder so, und das mache ich und dazwischen sitze ich dann eben immer hier an meinem heimischen Schreibtisch und arbeite“ (68-79). Melanie hat ihre Work-LifeBalance mehr oder weniger ad hoc privat organisiert. Diese ist nicht von Arbeitgeber-Seite an sie herangetragen worden (140ff). Ihre Work-Life-Balance schätzt Melanie „ganz ehrlich“, als „großartig“ ein. „Das ist, äh, ist auch was also zum einen ist es so, ich arbeite wirklich in einem ganz wunderbaren Team und das ist sozusagen der Privat-Anteil der, der ganzen Geschichte. Weil das also (…) Sowohl mein Chef als auch meine Kollegen, ähm, sind wirklich Leute, mit denen ich richtig gerne zusammen bin, also insofern vermisse ich da jetzt nicht so wirklich was“ (285ff). Auch die Familienarbeit funktioniert so gut, weil

S UBJEKT

| 343

Melanie in ihrer Tätigkeit an der Uni so ein bisschen flexibel sein könne: „Ich mache Telearbeit, ich mache flexible Arbeitszeiten, ich mache irgendwie Phasen in denen ich mehr arbeite als die normale Arbeitszeit, und Phasen, in denen ich weniger und so weiter. Aber das ist sozusagen alles im Rahmen der Privilegien, die man irgendwie mehr oder weniger ausdrücklich hat. Ja, und nicht und nicht im Sinne von, ähm, von organisierten Maßnahmen so“ (217-222). Wenn Melanie in YYY ist, dann richtet sich der Tagesablauf sehr nach den Terminen ihres Sohnes. Dieser ist auf einer Gesamtschule mit Ganztages-Unterricht. Er fährt zusätzlich nachmittags nach der Schule zu seinem Kumpel und „übernachtet da auch und fährt dann am nächsten Tag mit dem wieder zur Schule und, ähm, dadurch taucht der hier sozusagen am Dienstag gar nicht auf“ (91-96). Wechselwirkungen zwischen Subjekt // Symbol: Melanie versucht, eine moderne Familienkonstellation zu leben und ihrem Sohn möglichst viel Freiraum zu gewähren. Sie organisiert das wie einen „Familienbetrieb. Meine privaten Interessen und meine Arbeits- (…) ah Notwendigkeiten und Pflichten und also auch das, was ich da an Interessen habe irgendwie so, so auszubalancieren, dass da was Gutes, Ganzes draus entsteht, sage ich mal“ (247252). Dieses „postmoderne Puzzlespiel“ (664), dass zum Beispiel ihr Sohn eine Ganztagsschule besucht oder Melanie ihren Sohn dienstags nicht sieht und sie zum Teil in XXX lebe, hat damit zu tun, „wie wichtig man sich so als Mutter oder auch Vater findet“ (317-325). Allerdings sagt Melanie auch: „Aber ich weiß eben schon auch, wenn ich sonst so mit Leuten rede und erzähle, wie ich arbeite, wo ich arbeite und so weiter, da kriege ich ganz, ganz viel Skepsis“ (354ff). „Es ist auch also ich meine, das ist ja, was Erziehungsfragen angeht, ist das ja auch eine weitere Schwierigkeit, dass alles, wie so in einem postmodernen Puzzlespiel, ähm, wirklich ganz, ganz viel offen ist, und ich glaube, dass viele Eltern aus lauter Verunsicherung irgendwie wesentliche Jobs auch nicht mehr übernehmen. Dann den Kindern was freizustellen, das ist eine Sache, und den Kindern aber auch, ähm, klare Vorgaben zu machen oder auch Entscheidungshilfen zu geben oder auch mal zu sagen, ‚nee, pass auf, das kommt jetzt einfach nicht infrage’ und zwar notfalls, weil ich es nicht will“ (664-674). Dem zentralen Konzept in Work-Life-Balance-Maßnahmen, Kinderkrippen-Plätze einzurichten, steht Melanie positiv gegenüber, da auch ihr Sohn ein Krippenkind gewesen ist. Melanie findet die Konzeption von Kinderkrippen-Plätzen gut, „also das heißt, die Krippen-Erziehung allein ist es nicht, das ist schon, muss sozusagen schon auch bestimmten qualitativen Ansprüchen genügen, aber dann würde ich sagen, überhaupt keine Frage. Den Kindern tut das dermaßen gut, ähm, mit Gleichaltrigen zusammen zu sein, sehr früh und auch da eben ein Stück unabhängiger zu

344 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

werden von dieser, dieser Permanent-Bindung an die Mutter. Wir haben da extrem gute Erfahrungen mit gemacht und sind echt richtig zufrieden, dass wir das gemacht haben. Und es ist nicht nur eine Frage von ‚ich-muss-mein-Kindbetreuen-lassen’, weil ich ja zur Arbeit muss. Also ich sage Leuten auch, selbst wenn, es geht gar nicht um dich, es geht um dein Kind und selbst wenn du zu Hause sitzt und Schaumbäder nimmst, schick dein Kind in die Krippe, weil die profitieren davon einfach. Also ich finde, das ist noch mal so eine Sache, wenn die Frage nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, das hat ja immer – ist ja immer irgendwie auf die Frauen oder gelegentlich auch mal auf die Männer zentriert. Die Frage ist aber auch, was ist eigentlich für die Kinder gut“ (424447). Melanie beschreibt die Vorurteile in der Gesellschaft gegenüber berufstätigen Müttern so: „Das Kind ist um einen rum, immerzu und nur, nur in Notfällen, in dem Notfall eigentlich, dass man arbeiten muss oder sonst wie verhindert ist, muss dann das Kind in die Krippe gegeben werden, und das und das also Vokabular geht dann ja bis hin zu abschieben und so weiter, nä. Und das finde ich aber, also erstens haut es nicht hin, das hat auch mit der Realität nix zu tun und zweitens ist das aber genau das, was zu so einer Desavouierung führt. Also, ähm, und wenn man das nicht mal umdreht und sagt, ganz unabhängig davon, liebe Mutter, was du machst in der Zeit, für dein Kind ist eigentlich Krippenerziehung eine richtig gute Sache. Dann, dann kriegt das einen ganz anderen Schwung und ich glaube, dass das auch die Mütter entlasten würde. Weil es ist nämlich wirklich was anderes, wenn man sagt, ich tu meinem Kind was Gutes und hat selber noch den Vorteil, dass ich dann disponible Zeit bekomme als, als die andersrum Variante“ (449-479). Für Melanie müsste ein gesellschaftlicher Rollenwechsel stattfinden, aber „ich meine, das nützt nichts, das zu finden. (lacht) Finden wir ja schon seit den 80er Jahren oder noch länger aber, ähm, doch ganz klar. Und ich habe wirklich das Gefühl, dass, ähm, dass es da eher ein Rollback gibt und dass so, dass so Mutterschaft das ist, aus dem Frauen gelegentlich die einzige Art von, von Selbstvertrauen ziehen und es geht in der Regel nicht so gut“ (412422). Melanie beschreibt Politik und die Idee der Kinderkrippen-Plätze der damaligen Familienministerin Ursula von der Leyen allerdings nicht als Fortschritt, sondern auch als ein Rollback, weil „wenn wir uns in Sachen, äh, Mentalität plötzlich einig sein, mit den Konservativen, dann wäre ich echt erstaunt (lacht). […] Mir scheint, sie hat kein Interesse daran, zu sagen, dieses hergebrachte, sehr anspruchsvolle Mutterbild aufzubrechen, aber schon Interesse daran, für Frauen Leben mit Kindern lebbar zu machen. Und das die Variante, Frau bleibt zu Hause eben keine ist, die gesellschaftlich hoch gewertet wird, das ist ja, das ist klar, das weiß auch Frau von der Leyen. Da kommt man irgendwie nicht so ohne weiteres hin zurück. Wobei auf der anderen Seite gibt es, glaube ich, nicht wenige

S UBJEKT

| 345

Frauen, die genau das leben, und sich das dann auch, ähm, noch mal schön reden. Unter anderen eben zum Beispiel reden mit dem Argument, es gäbe ja auch so wenig Krippenplätze, oder das ist eben nicht gut für die Kinder, und sie tragen Entwicklungsstörungen davon und was man dann so alles hört. Also ich weiß es nicht, also mir scheint, dass die Einigkeit vielleicht erst mal in dem, in dem Ziel als konkreter Maßnahme besteht, ob das die Begründungen, die dahinter stecken, oder die Ziele, die dahinter stecken, ob wir uns da einig sind, da hätte ich eher Zweifel. Aber das sind so Grundsatzzweifel. Man geht nicht davon aus, dass man sich mit den Konservativen einig ist“ (502-517). Melanie findet, dass man im Diskurs um die Krippen- und Kindergartenerziehung „erfolgreicher ist, äh, wenn man, wenn man sagt, Leute, das ist gut für eure Kinder. Es geht hier gar nicht um euch. Weil, weil der, also diese, im Grunde ist das ja eine ziemliche Mutterzentrierung, die da eine Rolle spielt und eben einerseits ist es natürlich gut, dass Frauen gucken, was ist denn eigentlich mit mir, und andererseits bringt man einfach nicht Kinder auf die Welt, damit man irgendwie ein Haustier, ein Spielzeug oder sonst irgendwie was für sich hat. Sondern sie sind ja ab dem Zeitpunkt, wo sie auf der Welt sind, eigene Personen und ich glaube, dass man, dass man Mütter, gerade Mütter viel eher kriegt, in dem man sagt, hier wenn du deinem Kind was wirklich Gutes tun willst, dann das. Und wenn du zu Hause sitzt und dir die Augen ausweinst vor lauter Sehnsucht, dann ist es genau das, was schwierig ist am Muttersein. (lacht) Nä, also meine Mutter hat das immer so gesagt, betüddeln kann jeder, das ist einfach. Aber weggucken, wenn das Kind etwas versucht, das ist schwierig. Und das ist sozusagen die eigentliche Herausforderung. Und ich glaube, da also so herum kriegt man das, glaube ich, hin. Also eher also so immer noch mal zu sagen, also da musst du dich geil fühlen und da musst du noch was schaffen und da musst du irgendwie beweisen, dass dein Kind das Tollste ist oder so“ (605-624). Wechselwirkungen zwischen Struktur // Symbol: Die Frage nach dem Konzept von Work-Life-Balance vonseiten der Initiative hat Melanie wie folgt beantwortet: „Wobei ehrlich gesagt also diese, die Frage in welchem Zusammenhang haben Sie das erste Mal von Work-Life-BalanceKonzepten gehört, da würde ich sagen möglicherweise also außer so ganz entfernt, aber möglicherweise zunächst im Zusammenhang mit diesem Interview“ (114ff). Zusammenfassende Subjektkonstruktion Die Wechselwirkungen zwischen strukturellen Vorgaben und ihren subjektiven Verhältnissen beschreibt Melanie damit, dass sie diese durch die private Organi-

346 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

sation ihrer Work-Life-Balance an ihre persönlichen Bedürfnisse angepasst hat. Flexibilität spielt hierbei eine Rolle als Ressource zur Gestaltung der Familienarbeit und der Freizeit. Melanie beschreibt Wechselwirkungen der symbolischen Ebene mit ihrer subjektiven Situation damit, dass es in ihrer Reflexion des „Doing Family“ eine Infragestellung bezüglich des Alleinanspruches von Eltern auf Kinder gibt. Die Frage nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf soll nicht nur auf Frauen zentriert sein, sondern soll auch die Kinder im Blick haben. Für Melanie gibt es einen Rollback des Diskurses von Mutterschaft durch ein traditionelles Geschlechterbild, und sie empfindet eine Desavouierung von berufstätigen Müttern in der Gesellschaft. Ihre Meinung ist, dass Krippenerziehung für Eltern und Kinder besser ist als Einzelerziehung. Hierbei sollen sich Diskurse um die Krippenund Kindergartenerziehung gegen Mutterzentrierung und für die Selbstbestimmung der Kinder einsetzen. Melanie beschreibt ihren Zweifel am konservativen Feminismus, indem sie fragt, ob dieser das traditionelle Mutterbild ernsthaft aufbrechen möchte. Die Wechselwirkungen zwischen strukturellen Vorgaben und symbolischen Repräsentationen beschreibt Melanie damit, dass das Thema Work-Life-Balance bisher für sie nicht klar in Erscheinung getreten ist. 9.3.6 Subjektkonstruktion von Stephanie Zitat: „… und, ähm, da kommt vielleicht erschwerend noch etwas hinzu, ich muss heute einen Business-Plan abgeben. So, das brennt mir auch ein bisschen im Nacken, wenn ich ganz ehrlich sein soll, das alles jetzt zusammen sorgt dafür, dass ich gerade unheimlich wie auf heißen Kohlen sitze. Wäre das von Ihnen aus möglich, dass wir das an einem …“ Anmerkung: Das Interview musste in zwei Teilen geführt werden, da Stephanie zum ersten vereinbarten Termin gleichzeitig einen Business-Plan abgeben musste. Wechselwirkungen zwischen Subjekt // Struktur Stephanie ist selbstständige Verlagspartnerin von führenden Verlagshäusern in Deutschland. Sie ist auch ausgebildete Kommunikationswirtin, da legt Stephanie „doch Wert drauf“ (153). Ihr Job ist „Hardcore“, weil er auf Provision und Prämien basiert. Es hängt einem „die Faust im Nacken“. Außerdem neigt sie dazu, „alle paar Jahre mal zusammenzuklappen, also dann nicht mehr zu können, ist das schon so ein bisschen bedrohlich, nä, aber es läuft gut, also ich kann das gut und es läuft ganz gut“ (276ff). Zuvor ist Stephanie vierzehn Jahre in einem

S UBJEKT

| 347

Buchverlag als Produktmanagerin für die BBB Werke tätig gewesen. Das ist ein richtiger Management-Job, „mit einem sehr anspruchsvollen Umfeld gewesen und, äh, das ist in der Regel dann auch kein Achtstundentag“, sagt sie. Der Verlag ist umgezogen und deshalb hatte Stephanie weite Fahrwege. Bis sie sich entschieden hat, „das kann ich jetzt nicht mehr leisten, das schaffe ich nicht“ (338). Als sie noch angestellt war, ist ihr irgendwann der Büroalltag „auf die Nerven [gegangen], zumal ich das noch nie anders hatte. Also eigentlich kommt mir diese, dieses selbstständigere Arbeiten entgegen … abgesehen davon, dass es eben schon eine Bedrohung ist, wenn man immer selber dafür verantwortlich ist, ganz alleine ob Geld rein kommt oder nicht“ (355f). Stephanie arbeitet etwa 40 Stunden in der Woche inklusive Kundenbesuche. Dabei stellt sie Familien ein Lernsystem von XXX vor. Wann und wie sie das macht, kann sie selbst steuern. Stephanie findet es besser von Zuhause zu arbeiten. Wobei es für sie manchmal schwierig ist, sich „da immer aufzuraffen“. Aber auch die Flexibilität in ihrem Beruf stellt für Stephanie, als Alleinerziehende, einen Vorteil dar, „alles unter einen Hut zu bringen“ (385-406). Work-Life-Balance-Veranstaltungen wie „Motivationsveranstaltungen, Motivationstechniken, Kreativitätstechniken … gutes Miteinander der Kollegen … Kreativitätstechniken“ (471-507) sind fester Bestandteil der Zusammenarbeit mit dem Verlag NNN. Es gibt aufeinander aufbauende Schulungen, die begleitend zum Berufsalltag stattfinden „und die, wenn man sie alle abarbeitet, dazu führen, dass man ein NNN-ZertifikatFamilienberater by the way also als Ergebnis davon bekommt“ (573-583). Stephanie wird zu Seminaren eingeladen, die in einem der Vertriebszentren stattfinden, „und da sind dann Leute aus YYY, ich glaube Personal- und RecodingAbteilung gewesen“ (502-507). Wechselwirkungen zwischen Subjekt // Symbol: Manchmal hat Stephanie lustlose Phasen, „wo ich mich dann nicht aufraffen kann und auch wirklich körperlich kaputt bin“ (310). Sie beschreibt dies damit, dass sie „ab und zu mal reaktive Depressionen gehabt“ hat (285). Aber sie muss sich ja aufraffen, sagt sie, weil sie ist „alleinerziehende, berufstätige Mutter und dazu auch, pff, nicht direkt unsensibel und äh, dann wird das wahrscheinlich immer irgendwann zu viel“ (316). In diesem Zusammenhang hat Stephanie zwei Kuren und ein zweitägiges Seminar zum Thema Selbstmotivation durch Kreativität gemacht (511-515). Aber auch „unabhängig davon, ob man aus persönlichen Befindlichkeiten mal schlappmacht … wir sind da sehr gestützt durch das Unternehmen, das solche Veranstaltungen“ anbietet (530-536). Den Begriff Work-Life-Balance hat Stephanie schon vor dem Interview „irgendwo gelesen, aber immer nur so pff, hab dann nie weiter drüber nachgedacht. Ich dachte, das

348 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

ist einer von diesen ständig sich ändernden neuen Begriffen für alte Sachen […] Aber als ich dann durch Sie darauf gestoßen wurde oder durch diesen Brief, den mir die Vermittlerin, die Frau A., geschickt hat, als ich dann darauf gestoßen wurde, dass, dass, ähm, äh, ich damit zu tun bekomme, war mir dann nach einer Sekunden nachdenken auch gleich klar, was das bedeutet“ (426ff). Auf die Frage, ob sie diesen Begriff nicht schon mal bei YYY gehört hätte, antwortete Stephanie: „Dieser Begriff wird nicht benutzt, das ist ja eigentlich nur ein Begriff für, für einen relativ stinknormalen Umstand, der jetzt vielleicht zum Forschungs-, äh, Objekt gemacht wird.“ Work-Life-Balance spiele nicht als Begriff in diesem Unternehmen eine Rolle, trotzdem ist Work-Life-Balance wichtig, „weil die, ähm, die Leute die das steuern, sind sich sehr wohl dessen bewusst, dass diese Arbeit nur dann erledigt werden kann, wenn die Leute in guter Verfassung sind, nä“ (450ff). Stephanie beschreibt ihre Verfassung als „BurnoutDepression“. Das „wird manchmal Burnout genannt, aber ich befürchte, dass das so ist, weil das einfach besser klingt (…) Die Forschung ändert sich ja auch ständig. Also ich kann dann irgendwie nicht mehr. Ich will nicht mehr und ich kann nicht mehr und hänge nur noch rum und werde nicht aktiv, und ich befürchte, dass das, äh, ich hoffe, dass das nicht sobald wiederkommt“ (283-292). Der Aufhänger, sich aktiv um die Lösung dieser Burnout-Depression zu kümmern, beruht auf ihrer Eigeninitiative, „weil das ist ja für so selbstständige Leute, äh, wichtig, dass sie, dass sie eben selbst die Initiative ergreifen und, ähm, ja, dann war die Frage, die Frage, wie, ähm, wie motiviert man sich, wenn man in so einem Loch ist, in so einem Lustlosigkeitsloch, da wieder rauszukommen. Und ein Thema war dann eben, dass Gleichförmigkeit so einen Punkt hat, bis zu dem das o. k. ist, weil das wohltuende Routine ist, und dann, wenn das kippt, wird das Langeweile“ (530-536). In Bezug auf die Reproduktion ihrer Arbeitskraft und Familienstrukturen formuliert Stephanie: „Ich müsste eigentlich ein ganz anderes Leben führen … abgesichert mit Mann und jemand, der das Geld verdient, und ich kann dann so nebenbei halt arbeiten und das auch so ein bisschen nach meinen persönlichen Befindlichkeiten ausrichten, wann ich wie viel tue, das kann ich aber nicht. Weil ich eben das Geld verdienen muss“ (322ff). Work-Life-Balance ist für Stephanie „Anspannung und Entspannung in einem gesunden Verhältnis“. Das bedeutet, „seinen persönlichen Bedürfnissen entsprechend abgesichert“ zu sein. Für sie „gibt [es] Personen, die sind echte harte Draufgänger, die schlicht nix an, die können auch ständig ins kalte Wasser geschmissen werden. Dann gibt es andere Personen, die sind da sensibler, die brauchen vielleicht ein bisschen mehr, ähm, ähm, Rückhalt in irgendwas, nä … die, ähm, Anforderungen, die der Alltag an einen stellt, die einen auch wach halten, wenn das passt zu den persönlichen Bedürfnissen, und wenn dann Anspannung

S UBJEKT

| 349

und Entspannung und Aufregung und Ruhe sich die Waage halten, dann ist das für mich Work-Life-Balance“ (693ff). Stephanie hat zwar das Geld für ihre persönliche Work-Life-Balance, möchte aber diese Reserven nicht für Entspannung und Wellness ausgeben. „Wobei jetzt wo ich mich so reden höre, sollte ich das vielleicht doch einfach ganz konsequent tun. Ja“ (771-774). In diesem Zusammenhang ist Stephanie sich, durch die Befragung, über ihre Situation, ihre eigene Persönlichkeitsstruktur und Lebenssituation klarer geworden. Manchmal, sagt Stephanie, werden „einem die Dinge dann erst klar, wenn man sie so ausspricht … und jetzt wo ich mich so sprechen höre, merke ich gerade, ja eigentlich musst du das machen, denn das gehört für dich einfach dazu … Auch ganz interessant … habe ich schon eine Erkenntnis gewonnen“ (780-794). Wechselwirkungen zwischen Struktur // Symbol: Stephanie würde sich in Bezug auf ihre Work-Life-Balance wünschen, dass ihr Kooperationspartner ihr entgegenkommt, dass dieser sie arbeiten lässt, wie es ihren persönlichen Bedürfnissen entspricht und dass „die zum Beispiel sagen, das ist so ein harter Job, wir schicken die Leute alle zwei Jahre mal für sechs Wochen in den Himalaja oder so … oder irgendwo hin, wo es einfach nur schön ist und ruhig ist und so“ (716-756). Zusammenfassende Subjektkonstruktion Die Wechselwirkungen zwischen strukturellen Vorgaben und subjektiven Verhältnissen liegen in der prekären Vermarktung der Arbeitskraft von Stephanie. Ihr Job führt zu Stress. Sie erfährt Schwierigkeiten, die Erwerbsarbeitszeit und die Reproduktionsarbeit zu absolvieren. Die Folge ist die eigene gesundheitliche Gefährdung. Ihre prekäre Selbstvermarktung führt dann wiederum zu Unvereinbarkeiten von Beruf und Familie. Work-Life-Balance-Maßnahmen sind fester Bestandteil ihres Arbeitslebens und sind vom Arbeitgeber aufeinander abgestimmt (YYY ist auch ein zentraler Träger der Initiative „Initiative „Work-Life-Balance als Motor für wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftliche Stabilität“). Stephanie beschreibt die Wechselwirkungen der symbolischen Ebene mit ihrer subjektiven Situation damit, dass eine alleinerziehende, berufstätige Mutter sich keine Depression leisten kann. Für sie ist Work-Life-Balance das Gegenteil des Burnout-Syndroms und damit auch eine persönliche Absicherung sowie eine Möglichkeit zur Selbsterkenntnis zu gelangen. Sie beschreibt das Ideal des Selbst-Managements und das Ideal einer Male-Bread-Winner-Familie. Der Begriff Work-Life-Balance ist für sie allerdings eher unbekannt, aber deren Maßnahmen sind für sie althergebracht und deshalb bekannt.

350 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Die Wechselwirkungen zwischen strukturellen Vorgaben und symbolischen Repräsentationen beschreibt Stephanie damit, dass die Arbeitgeber stärker den Bedürfnissen der Beschäftigten entgegenkommen müssen. 9.3.7 Subjektkonstruktion von Kristina Zitat: Kristina über Telearbeit, Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort: „Nee und man hat, man ist ja sehr alleine, die sozialen Kontakte sind ja sehr begrenzt dann. Die ganzen Punkte zusammenhaben, ja, waren nicht gut für mich und ich konnte das genießen, wieder ganz normal von morgens bis nachmittags im Büro zu arbeiten“. Wechselwirkungen zwischen Subjekt // Struktur Kristina ist Diplom-Ökonomin, verheiratet, hat 2 Kinder und eine „Teilzeitstelle mit Überstunden“ (69). Offiziell arbeitet sie 32 Stunden pro Woche, real sind es aber ca. 40 Stunden pro Woche. Dieses Verhältnis kollidiert mit der Familienarbeit. Für Kristina ist die Erwerbsarbeitszeit dadurch bestimmt, dass sie diese mit der Betreuung ihrer Kinder abstimmen muss. Dadurch erlebt sie die Arbeitszeit als sehr intensiv. Ihre 60 Überstunden im Schnitt empfindet Kristina einerseits als grenzwertig. Andererseits empfindet Kristina tendenziell Teilzeit als zeitliche Erleichterung, da in Teilzeit oftmals fast genau so viel geschafft werden kann, wie in Vollzeit. Es sind weniger Lücken zwischen den Arbeitszeiten, und sie arbeitet daher konzentrierter. Zusätzlich hat sie die Möglichkeit, Erwerbsarbeit zu delegieren. Zwar gibt es ein relativ hohes Verständnis des Arbeitgebers für die Familiensituation, aber Work-Life-Balance-Seminare würden nur von Privat-Instituten angeboten. Diese zu besuchen liegt im Bereich der Selbstverantwortung. Allerdings werden die Seminare gleichzeitig als Arbeitszeit angerechnet und bezahlt. Im Unternehmen gibt es Teilzeit als Work-Life-BalanceMaßnahme sowie andere Maßnahmen, die Kristina aber unklar sind. Vom Betrieb werden keine speziellen Zeitmanagement-Kurse angeboten. Allerdings wird das Programm „Easy Economy“, das Telearbeit, Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort beinhaltet, momentan entwickelt. Kristina möchte aber nicht in die Easy Economy, weil der „soziale Aspekt, die soziale Komponente“ dabei fehlt. Für Kristina ergibt sich keine Trennung zwischen Haus- und Berufsarbeit durch die Telearbeit: „Ich habe schon mal in der alten Firma in der Elternzeit Teilzeit gearbeitet … bin dann einen Tag in der Woche für ein paar Stunden ins Büro gegangen, habe da quasi die Arbeit abgeliefert, neue Arbeit geholt und dann wieder zu Hause gemacht. Das fand ich sehr schwierig, weil ich mich, weil es mir hier nicht gelungen ist, mich tatsächlich auf die Arbeit durch-

S UBJEKT

| 351

gängig zu konzentrieren. Dann wurde noch mal eine Waschmaschine angestellt, die Wäsche aufgehängt, dann wird doch noch mal eine Geschirrspüle gemacht, dann irgendwas anderes, dann kommt ein Anruf, dann geht man ja doch ran, oder man nutzt die Zeit und kann ja einen Behördengang erledigen“ (448ff). Von diesem Standpunkt aus argumentiert Kristina, dass in ihrem beruflichen Umfeld nicht zwingend die Notwendigkeit da ist, etwas in Richtung Work-Life-Balance zu verändern, sondern eher die Idee vorherrscht, etwas im privaten Umfeld zu verändern. Kristina wünscht sich bessere Betreuungsstrukturen und -zeiten. Der Bereich der Reproduktionsarbeit und die Haus- und Betreuungsarbeit ist vorstrukturiert, weil ihr Mann eine „Vollzeitstelle mit Mega-Überstunden“ hat und zusätzlich eine Ausbildung macht. Daher ist die Haus- und Betreuungsarbeit hauptsächlich Aufgabe von Kristina. Dabei wird sie durch eine Putzfrau unterstützt. Besonders bei Fortbildungen oder Seminaren gibt es daher Betreuungsschwierigkeiten. Im persönlichen Bereich versucht Kristina sich durch Selbstreflexion bewusst zu machen, was nicht funktioniert und was nicht im Gleichgewicht ist: „Dann merke ich, dass es mir nicht gut geht, und dann versuche ich, so schnell als möglich, die Bremse zu ziehen. […] Zum Beispiel durch Stundenabbau von heute auf morgen – wenn es irgendwie geht. Wenn es mit den Terminen und allem passt. Oder mal eine lange Mittagspause oder irgendwie so was“ (558571). Wechselwirkungen zwischen Subjekt // Symbol: Von Gesetzen, Anleitungen oder Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben hat Kristina durch eine Kollegin in der Firma erfahren, die ein SafeManagement-Seminar gemacht hat. Mit ihrer Kollegin hat Kristina überlegt, ob Work-Life-Balance und Zeitmanagement-Maßnahmen sinnvoll wären, da in ihrem Job „vieles fremd bestimmt“ (201) und durchstrukturiert ist und deshalb Schwierigkeiten entstehen, Prioritäten zu setzen. Ihre Kollegen würden aber auch sehen, dass sie rotiere. Kristina ist stolz auf sich, dass sie alles „irgendwie hinkriegt“ und trotzdem einen guten Job macht. Sie schätzt auch, dass ihre Kollegen sie dafür bewundern, „weil sie das selber vielleicht gar nicht so hinkriegen würden“ (230ff). Für Kristina ist es wichtig, eine Balance zwischen dem Arbeitsleben, dem Familienleben, dem Leben mit den Kindern und sich selbst zu finden. In diesem Zusammenhang steht Kristina Work-Life-Balance-Maßnahmen skeptisch gegenüber und braucht dazu „nicht unbedingt extra einen tieferen Einblick in dieses Work-Life-Balance-Programm oder so“ (345ff).

352 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Wechselwirkungen zwischen Struktur // Symbol: Kristina denkt einerseits, dass Teilzeit ein Frauenthema ist, „weil sich doch wohl die Männer eher als den Versorger sehen und Hauptverdiener und Frauen mehr die ja, entsprechend anderen Bereiche abzudecken und zu kompensieren haben“ (526). Andererseits schätzt sie, dass Männer in ihrem Unternehmen durchaus in Teilzeit gehen wollen würden. Dies wäre auch möglich, weil es sich um ein Stadtwerkeunternehmen handelt und „die sind da schon noch nicht so hart wie unsere Privatwirtschaft“ (250f). Sie denkt, dass es theoretisch keinen Unterschied zwischen Männer und Frauen gibt, wenn Männer in Teilzeit gehen wollen. Gleichzeitig denkt sie aber, dass es für ihre männlichen Kollegen einen symbolischen Unterschied gibt. Zusammenfassende Subjektkonstruktion Kristina beschreibt die Wechselwirkungen zwischen strukturellen Vorgaben und ihren subjektiven Verhältnissen damit, dass Telearbeit, Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort die Familienarbeit erschwert bzw. verunmöglicht. Außerdem würde die Erwerbsarbeitszeit die Lebenszeit entgrenzen. Kristina findet, dass Teilzeit Lohnarbeit intensiver macht und dass es im privaten Umfeld besserer Betreuungsstrukturen und -zeiten bedarf. Kristina wird durch haushaltsnahe Dienstleistungen unterstützt. Wechselwirkungen der symbolischen Ebene mit ihrer subjektiven Situation lassen sich bei Kristina damit beschreiben, dass Selbstbestimmung und die Einteilung von Zeit wichtig für sie sind zur Etablierung der Vereinbarkeit zwischen Erwerbsarbeitsleben, Familienleben und Selbstsorge. Die Wechselwirkungen zwischen strukturellen Vorgaben und symbolischen Repräsentationen beschreibt Kristina damit, dass für sie Teilzeit ein Frauenthema sei, da Männer in der Regel zuständig für den Haupterwerb sind. Kristina findet, dass Teilzeit für Männer eine Art Tabu ist und dass es für Männer Unterschiede mache, ob sie bei öffentlichen Trägern und in der Privatwirtschaft angestellt sind. 9.3.8 Subjektkonstruktion von Frank Zitat: „… vielleicht bin ich einfach ausgebrannt, vielleicht ist es einfach das, was es am besten beschreibt da. Keine Kraft mehr!“ Wechselwirkungen zwischen Subjekt // Struktur Frank ist verheiratet. Er hat ein Kind und er hat keine Unterstützung durch Großeltern bei der Kinderbetreuung. Er ist promovierter Ingenieur und übt Tä-

S UBJEKT

| 353

tigkeiten in Forschung und Entwicklung in einem privatwirtschaftlichen Unternehmen aus. Zu dieser Tätigkeit gehören Produktentwicklung, Produktoptimierung und öffentliche Forschungsvorhaben. Sein Arbeitsvertrag hat 36,5 Stunden pro Woche. Real arbeitet er aber 42 oder 43 Stunden und nimmt Lohnarbeit mit nach Hause. „Haushalt mache ich dann ja am Wochenende höchstens was, da bleibt dann nicht viel Zeit“ (152f). Im Vordergrund für Frank steht die Frage, wie der Arbeitstag besser gemanagt werden kann. Der Grund für diese Fragestellung ist, dass Frank durch die Erwerbsarbeitsstruktur Stress empfindet, der während der Uni-Zeit von ihm nicht empfunden worden ist. Seine Fragen drehen sich darum, ob er als Person stressanfällig ist, ob er zu depressivem Verhalten neigt, ob er am Burnout-Syndrom leidet oder ob sein Job stressig ist. Um die Fragen zu beantworten, hat Frank ein Burnout-Seminar gemacht. Frank hat schon Erfahrungen mit Selbstreflexion. Denn er hat während seiner Studienzeit und am Anfang der Berufstätigkeit für etwa viereinhalb Jahre eine Psychoanalyse gemacht. Dabei hat er „auch viel gelernt, viel erfahren und hab mich auch sehr verändert, wie ich denke und, und das ist eine sehr wertvolle Erfahrung. Hab dann auch viel Handwerkszeug mitgenommen, um verschiedene Sachen zu regeln, bin dann halt so tief in, bin dann sozusagen tief in meinen Beruf eingestiegen und hab dann irgendwann gemerkt, nee, ich komme so nicht zurecht“ (288ff). Er beschreibt seine Situation damit, dass er nicht im Gleichgewicht mit sich ist. Nach der Therapie dachte er, dass er im Gleichgewicht ist. Später hat er aber feststellen müssen, dass der Arbeitsalltag ihn „zu doll vereinnahmt“. Das Gefühl der Vereinnahmung hat Frank dazu veranlasst zu experimentieren: „Wie mache ich das, mache ich mir jetzt ganz strikte Zeiten, in denen ich arbeite, in denen ich Freizeit habe, mache ich das so, dass ich mehr unternehme, beispielsweise mit meiner Frau und mit Freunden zusammen. Weil ich auch gemerkt habe, dass ich nicht mehr viel unternommen habe, einfach keine Kraft mehr gehabt habe“ (298-305). Insbesondere das letzte dreiviertel Jahr hat Frank praktisch jedes Wochenende zehn, zwölf Stunden gearbeitet, sodass er sich überlegt hat, ob er wirklich beruflich so weitermachen will. Er hat sich auch gefragt, ob er sich so einspannen lassen will und ob das Private immer auf Priorität zwei laufen muss. Obwohl in seinem Arbeitsvertrag 36,5 Stunden stehen, macht Frank jeden Tag mindestens eine halbe Stunde länger und kommt so auf ca. 50 Stunden im Wochendurchschnitt. „Im Vergleich zu anderen“ ist das seiner Meinung nach nicht viel. Frank nimmt sich zusätzlich immer auch Gedanken mit nach Hause (232-237). Nach dem Burnout-Seminar hat er sich fest vorgenommen, nicht mehr als ein bis zwei Stunden Überstunden zu machen, damit das Wochenende frei bleibt. Dennoch ist die Trennung zwischen Erwerbsarbeit und Freizeit „so ein schwammiger Übergang irgendwie“ (415). Die Familienarbeit ist dement-

354 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

sprechend ziemlich strikt organisiert. Frank ist während der Woche abends für sein Kind zuständig. Am Wochenende übernimmt Frank zwei Drittel der Zeit. Für Haushaltsarbeit bleibt höchstens am Wochenende etwas Zeit. Durch die Überstunden, den Druck zu Hause arbeiten zu müssen und durch die schwammige Trennung zwischen Erwerbsarbeit und Freizeit empfindet er Unzufriedenheit, die er auch auf seine Familie ausstrahlt. Die Überlegungen, diesen Umstand zu verändern, liegen für Frank darin, seine Persönlichkeit zu ändern und eine Psychotherapie zu machen. Er würde gerne eine Auszeit vom Beruf nehmen oder vielleicht in der Zukunft etwas ganz anderes studieren und den Beruf ganz wechseln. Generell ist Frank sich nicht sicher, ob seine Berufswahl wirklich auch seine Fähigkeiten abdeckt. In diesem Zusammenhang hat sich Frank dazu entschieden, im nächsten Jahr Elternzeit für sieben Monate zu beantragen und die Zeit dafür zu nutzen, sich noch mal neu zu orientieren. In dieser Zeit plant er die Fragen für sich zu klären, „was will ich im Leben erreichen, was will ich beruflich erreichen, bleibe ich dort, wo ich bin oder werde ich vielleicht Lehrer“ (688706). Wird dieser Plan in die Realität umgesetzt, wird sich Frank mit seiner Frau die Familien- und Hausarbeit zur Hälfte teilen (939ff). Wechselwirkungen zwischen Subjekt // Symbol: Die Erwerbsarbeit von Frank ist anspruchsvoll und deckt das gesamte Spektrum an Forschung und Entwicklung der Firma und Tochterfirma ab – Produktentwicklung, Produktoptimierung bis hin zu öffentlichen Forschungsvorhaben. Frank arbeitet in einem Institut, das eine „unheimlich hohe Akademiker-Rate“ hat. „Unter den Akademikern gibt es halt eine Hierarchie“ (78ff). Frank zählt sich zu den normalen Angestellten, danach gibt es Abteilungsleiter, darüber Hauptabteilungsleiter und die Geschäftsführung. Auf die Frage wie Frank seine Stellung im Unternehmen beschreiben würde, antwortet er: „Ganz unten, Arbeitstier“ (76). Frank hat das erste Mal von Work-Life-Balance gehört, als er 2003 berufstätig wurde. Er hat an verschiedenen Work-Life-Balance-Maßnahmen in seinem Betrieb teilgenommen, und er will an weiteren Maßnahmen teilnehmen. Die Maßnahmen sind „mehrere aufeinandergreifende“ Maßnahmen. Die „allererste Maßnahme soll einem einfach nur Soft Skills vermitteln, weil dem Unternehmen das wichtig ist, dass man vernünftig miteinander redet und dem Unternehmen auch klar ist, das wenn das nicht passiert, dass die Leistung einfach“ nicht stimme. Das „ist für die einfach eine ganz normale KostenNutzen-Rechnung. Also die sind der Meinung, dass das jeder können muss und dass sich diese Tage der Fortbildung lohnen unter dem Strich“. Im Betrieb wird Frank von seinen Vorgesetzten auch darauf hingewiesen, „dass man sich doch bitte gesund ernähren möge, Sport machen möge, aufhören zu rauchen und so

S UBJEKT

| 355

weiter“. Frank hat oft drüber nachgedacht, leistungssteigernde Medikamente zu nehmen. Aber Frank ist Drogen und Antidepressiva gegenüber eigentlich abgeneigt, weil ihn, wie er sagt, eigentlich die Welt interessiert und eigentlich alles gut ist, denn „ich habe einen wunderbaren Job, ich werde vernünftig bezahlt, ich habe ein Kind, ich habe ein Haus, ich habe eine Frau und so weiter, alles wunderbar. Mir fehlt halt nur dieses, diese ganze Portion Leistungsfähigkeit, und wenn ich die sozusagen durch ein Medikament bekommen könnte, wäre es perfekt“ (771-798). Das Gefühl, das Frank hat, ist „ein Zustand, ähm, des Erschöpftseins, das ist wie betrunken sein. Wo man einfach dreimal einen Satz liest, und man versteht den einfach nicht“ (428f). Frank hat vor zwei Jahren aufgehört Alkohol zu trinken, weil er gedanklich frei sein wollte. Er hat zu sich gesagt: „Nee, Alkohol das ist blöd, man trinkt samstags und sonntagmorgens ist man dann schlecht drauf und so“. In dieser Zeit will er lieber für sich selbst arbeiten als in der Freizeit für den Betrieb, weil er genau wisse, „dass das grenzenlos ausgenutzt wird. Dass ich sozusagen ständig bereit sein muss und dass das sich finanziell überhaupt nicht lohnt. Das ist schon jetzt so, dass ich also ja, dass Überstunden selbstverständlich also man muss, ich muss sagen, ich mache sehr viel Überstunden, die sind aber nicht bezahlt und werden auch nicht irgendwie dokumentiert oder abgebummelt. Sondern das macht jeder so selbstverständlich, weil jeder irgendwie Karriere machen will“ (990ff). Insgesamt hat Frank viel unternommen, um seine Gefühlswelt in den Griff zu bekommen, er hat zum Beispiel „zwischendurch mal Diät gemacht“. Er empfindet sich als ein sehr ehrgeizig veranlagter Mensch, und er hat öfter das Gefühl, dass er eine gute Leistung bringt, sodass „andere sagen, Mensch, was du so machst, das ist eine ganz hohe Leistung, und ich hatte da das Gefühl, und ich denke das heute auch noch, dass das ganz objektiv so ist, dass meine Leistungsfähigkeit extrem gefallen ist“ (683ff). Von der Personalabteilung bzw. von einer Unternehmensberatung werden Elemente angeboten, die in „die Richtung Work-Life-Balance gehen“. Ein „Trainer“ aus der Unternehmensberatung hat darüber geredet, „wie man sich ernähren müsste, was für einen Sport man treiben müsste und, ähm, wie viel man wiegen darf“. Frank geht das zum Teil „deutlich zu weit“ (518534). Im Betrieb von Frank werden Mitarbeitergespräche zwischen Personalabteilung und dem Vorgesetzten geführt, wenn „man so und so oft krank ist“. Der Arbeitgeber darf „natürlich nicht dem Arbeitnehmer sozusagen, ähm, ja, unterstellen, dass er, dass er krank wird, weil er sich nicht vernünftig verhält, aber es geht schon so ein bisschen in die Richtung“ (567-583). Für Frank stellt sich eine ausgewogene Situation zwischen Erwerbsarbeit und Familienarbeit durch Gesundheit, guter Ernährung, gutem Essen, Freude am Leben, „Selbstverwirklichung sowohl im Job als auch privat“ und im „lebenslangen Lernen“ dar.

356 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Außerdem soll die Möglichkeit herrschen „immer frei zu sein und den Beruf auch zu wechseln“, aber es soll auch eine „gesunde Situation bei der Arbeit herrschen, dass man vernünftige Bedingungen hat“. Bei Frank herrscht „relativ viel Dreck“ an seiner Arbeitsstelle, besonders weil Frank zuvor ein lichtdurchflutetes Büro genutzt hat. In Bezug auf die Familie wünscht sich Frank auch flexible Arbeitszeiten. Die Kinderversorgung ist für Frank „ein Thema für sich. Unterbringungsmöglichkeiten für ein Kind, Krippe und Kita, das finde ich, ist eine ganz absurd schlechte Situation in Deutschland, das müsste sich verändern, das gehört für mich auch mit in den Komplex, Freizeit, Arbeit und Familie unter einen Hut zu bringen“ (1168ff). „Nach sehr, sehr langem Ringen habe ich mir Elternzeit genommen.“ Die Entscheidung Elternzeit zu nehmen ist für Frank deshalb so schwierig gewesen, weil als Mann im Unternehmen Elternzeit zu beantragen eher unüblich ist. Frank habe damit gerechnet, dass er nicht weiter beschäftigt werden würde nach einer siebenmonatigen Auszeit. Es „ist ein Präzedenzfall“ im Unternehmen (846-871). Das Burnout-Seminar hat ihn in seiner Entscheidung bestärkt. Frank hat auch ein eindeutiges Statement von seinem Betrieb bekommen, dass sie ihn behalten wollen, wenn er Elternzeit nimmt. Für Frank ist dies „ausgesprochen fair“, und es hat für ihn auf eine sehr positive Unternehmenskultur hingedeutet. „Und hab das auch so gesagt und bin seitdem also auch mit meinem Arbeitgeber deutlich enger zusammengewachsen, als ich das vorher war. Das fand ich einen fairen Zug“ (917ff). Frank bekommt jedoch auch von seinen Kollegen „die Meinung zu hören, also was machst du denn, du bist kaum dabei und schon bleibst du wieder zu Hause, was soll das denn“ (876ff). Sein direkter Chef hat gesagt, dass man damit rechnen muss, seit es das Gesetz gibt, „dass es Männer auch machen, weil das ja sozusagen das jetzt auch gefördert wird“ (959ff). „Und dann hab ich auch gehört, auch von meinem Chef, dass man bei Frauen ja damit rechnet, wenn die Kinder kriegen. Die wussten, dass ich Nachwuchs habe, weil ich auch für die Geburt drei Tage Urlaub genommen habe. Ich war bei der Geburt dabei, ähm, da sagt mein Chef, ja, bei den Frauen damit rechnet man ja mehr oder weniger, wenn die ein Kind kriegen, dass sie dann auch längere Zeit wegbleiben, bei den Männern rechnet man nicht damit. Und jetzt ist das bei Ihnen der Fall. So. Der dann aber auch sagte, wenn er selbst Kinder hätte und sich das ergeben hätte, dass er Kinder hat, ich habe – die Hintergründe kenne ich nicht – dann wäre das für ihn auch mal eine Option gewesen. Also der hat da durchaus absolut Verständnis gehabt und, ähm, der Personalchef, der dann das Gespräch mit mir geführt hat und der Hauptabteilungsleiter, die sind beide auch Väter und haben beide gesagt, aus der Perspektive heraus haben sie da Verständnis für und begegnen dem auch mit großem Respekt, dass ich bereit bin, ähm, für meinen Sohn sieben Monate zu Hause zu bleiben.

S UBJEKT

| 357

Die haben also die Sichtweise, sozusagen der Job ist alles und man macht, ja man macht Abstriche, jetzt indem man zu Hause bleibt. Während für mich die Perspektive eine andere ist, muss ich sagen. Für mich ist es ein Glücksfall und eine Bereicherung, dass ich zuhause bleiben kann, auch unter dem Hintergrund, dass ich ja sozusagen für mich persönlich auch noch einiges vorhabe in der Zeit. Ähm, es gab auch sofort und spontan aus allen Richtungen den Vorschlag, dass ich zu Hause einen Internet-Anschluss kriege und einen Rechner und von zu Hause sozusagen in Video-Konferenz dann weiter arbeite, den Vorschlag habe ich sofort im Keim erstickt, weil das für mich halt keine Option ist“ (963-986). Von den Kollegen hört er ganz unterschiedliche Aussagen. „Gestern habe ich mich mit zwei Kollegen getroffen. Der eine hat gesagt: ‚Oh toll, wenn ich Kinder habe, dann überlege ich das auch, das so zu machen, wann kann man das sonst machen’. Ein Kollege, der eigentlich eine Karriere-Stufe weiter ist als ich. Also der eigentlich auch Karriere-Ambitionen hat und ein anderer Kollege, der sagte: ‚Nee, wie kann man nur. Du hast kaum angefangen, da willst du schon wieder blaumachen‘, so nach dem Motto“ (1017ff). Wechselwirkungen zwischen Struktur // Symbol: Im Betrieb von Frank gibt es zahlreiche Work-Life-Balance-Maßnahmen wie Zeit- und Selbstmanagement, Projektmanagement, Konfliktmanagement, emotionale Kompetenz im Team. Hierbei geht es darum „Regeln“ zu lernen, zum Beispiel, wie „gebe ich Feedback“, wie werden Gespräche mit Kollegen geführt. Die Maßnahmen sind speziell für Personen, die in dem Assessment-Center angeschlossen sind bzw. Trainees sind. Das umfasse alle Akademiker, die im ersten Jahr eingestellt werden. Im Unternehmen gehören Trainee-Programme zum Standard. Dort werden bestimmte Übungen wie Selbstmanagement und Konzentrationsaufgaben, logisches Kombinieren gelehrt. Frank hat dabei gemerkt, dass er im logischen Kombinieren „total schlecht“ ist und dass er vollkommen überarbeitet ist (434ff). Auf die Frage, wie Gesetze, Anleitungen und Maßnahmen zur Vereinbarkeit Berufs- und Privatleben, zur Verbesserung seiner Arbeitssituation beitragen würden, hat Frank wie folgt geantwortet: In seinem Unternehmen und in der Schwerindustrie allgemein, „herrscht ein sehr rauer Umgangston“. Dies könnte seiner Meinung nach der Arbeitgeber verbessern. „Also dass da Besprechungen von ja, hohen Herren torpediert werden, das man sehr unfreundlich angegangen wird, also das erlebt man täglich, das kann deutlich verbessert werden“ (1145ff). Frank erhofft sich mehr moralische Unterstützung darin, bestätigt zu bekommen, dass er Burnout hat und dass dies in Ordnung ist. Am liebsten würde Frank „fünfundzwanzig Stunden arbeiten und entsprechend wenig Geld haben, das wäre ein Traum“ für Frank. „Also wenn ich es mir aussuchen könnte,

358 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

das ist so eine Art Vision ja, würde ich sagen, Recht auf halbtags … Aber ich würde mir allgemein wünschen, Recht auf halbe Lohnarbeit und halbes Geld und halbe Verantwortung und alles. Das würde ich viel lieber machen, weniger Geld und dafür mehr Freizeit“ (1117ff). Zusammenfassende Subjektkonstruktion Die Wechselwirkungen zwischen strukturellen Vorgaben und subjektiven Verhältnissen liegen für Frank darin, dass er eine Elternzeit als Orientierungszeit plant und diese als Erholungszeit von der Erwerbsarbeit ansieht. Mit Hilfe von Selbstreflexion und Therapie als Selbstsorge will er neue bzw. veränderte Lebens- und Arbeitszeitmuster etablieren und eine Grenze zwischen Erwerbsarbeit und Lebenszeit ziehen. Er will sich auch nicht mehr so sehr von den Berufsstrukturen vereinnahmen lassen. Frank beschreibt Wechselwirkungen der symbolischen Ebene mit seiner subjektiven Situation damit, dass die Arbeitshierarchie in seinem Unternehmen und seine niedere Stellung darin ein positives oder negatives Selbstbild entlang der Spieglung von Leistungsmerkmalen durch andere generiert. Für eine Leistungssteigerung akzeptiert Frank Medikamente. Aber einen hedonistischen Lebenswandel lehnt er als uneffektiv ab. Er leidet unter der psychosozialen Kontrolle durch sein Unternehmen bezüglich seiner Leistungsbereitschaft. Seine Selbstsorge entsteht durch Fremdsorge sowie durch gesundheitspräventive Maßnahmen im Rahmen von Work-Life-Balance-Maßnahmen. Work-Life-Balance lohnt sich aus der Sicht des Unternehmens im Sinne eines Kosten-Nutzen Vergleiches. Besonders Soft-Skills sind für Umgang und Kommunikation notwendig sowie förderlich für das Unternehmen. Für Frank liegt eine Work-Life-Balance in einer ausgewogenen Situation zwischen Erwerbsarbeit und Freizeit, die über Gesundheit, die über gute Ernährung, über der Freude am Leben, über eine Selbstverwirklichung sowohl in der Erwerbsarbeit als auch privat, durch lebenslanges Lernen und die durch Flexibilität in Bezug auf den Beruf hergestellt werden kann. In Bezug auf die Familie wünscht sich Frank auch flexible Arbeitszeiten. Er beschreibt sein Ideal als moderner Vater, der selbstverwirklichend Freizeit, Erwerbsarbeit und Familie vereinbaren kann. Allerdings werden Väter in Elternzeit mit negativen Vorurteilen behaftet, da Väter in Elternzeit nicht der Normalfall in Unternehmen sind. Für Frank soll die Elternzeit eine bewusste Zeit sein. Dennoch sind Männer in Elternzeit Vorbildfunktion und Abarbeitungsobjekt. Die Wechselwirkungen zwischen strukturellen Vorgaben und symbolischen Repräsentationen beschreibt Frank damit, dass es in seinem Betrieb zahlreiche Work-Life-Balance-Maßnahmen wie Zeit-, Projekt- oder Konfliktmanagement, emotionale Kompetenz oder Feedbackübungen als zentrale Einheiten des

S UBJEKT

| 359

Selbstmanagements gibt. Trotzdem sind ein verbessertes Zeitmanagement, ein verbesserter Umgangston, ein zwischenmenschlicher Umgang und die Anerkennung der Persönlichkeit Maßnahmen, die der Arbeitgeber verbessern könnte.

9.4 B LOCK II: ANALYSE ALLER I NTERVIEWS

UND I NTERPRETATION

Der nun folgende zweite Block bezieht sich auf die geschlechterregimerelevanten Repräsentationen aller Interviewpartnerinnen und Interviewpartner von sich selbst (Schritt 5), von Ideologien und Diskursen (Schritt 6) und von Herrschaftsstrukturen (Schritt 7). „Dazu gehört, sowohl den subjektiv gemeinten Sinn wie auch die im Kontext wichtigen gesellschaftlichen Regeln und Strukturen zu erfassen und zueinander in Beziehung zu setzen“ (Winker/Degele 2009: 91). In diesen Schritten werden daher die Dispositionen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner aus ihren Gemeinsamkeiten extrahiert. Die Dispositionen beziehen sich auf die Dispositivelemente (Reihe 1-4) des Theorems Geschlechterregime (vgl. Kapitel 5.3) bzw. erweitern die Dispositivelemente des Theorems durch neuartige Dispositionen. Der Bezug zum Theorem ermöglicht einerseits die Eingrenzung des Interpretationsspielraums der Interviews, andererseits ermöglicht dieses Vorgehen die Verdichtung der geschlechterregimerelevanten Elemente. Die Bildung von Dispositionen und der Bezug auf diese in den Schritten 5-7 beziehen sich auf die Repräsentation von bestimmten Sichtweisen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner. Im 8. Schritt werden die Dispositionen aller Interviews in einer Gesamtschau in Bezug auf das Geschlechterregime verallgemeinert. Die Erzeugung von geschlechterregimerelevanten Dispositionen ermöglicht in diesem 8. Schritt die Intersektion aller Ebenen. Die Intersektion ermöglicht wiederum einen systematischen Vergleich aller Interviewebenen, indem die geschlechterregimerelevanten Dispositionen geclustert und in Zusammenhang mit ihren Wechselwirkungen gestellt werden. „Im Idealfall lassen sich hier Aussagen treffen, in wieweit sich Strukturen und Repräsentationen gegenseitig stützen oder sich Verschiebungen von der Struktur- auf die Repräsentationsebene oder andersherum abzeichnen“ (Winker/Degele 2009: 95). Sicherlich könnten alle bisher dargestellten Sichtweisen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner mit den Reihen 1-4 und den dazugehörigen Dispositivelementen analysiert werden. Allerdings würde dies den Rahmen dieser Arbeit erheblich sprengen. Deshalb greife ich im Folgenden einige wesentliche Sichtweisen und Gemeinsamkeiten der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner heraus. Die Sichtweisen und Gemeinsamkeiten stehen im Zusammen-

360 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

hang mit den Forschungsfragen: Welche subjektiven Geschlechterpraktiken und -formen entstehen bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern durch Work-LifeBalance-Maßnahmen und wie wird das Geschlechterregime durch subjektive Praxen reproduziert? 9.4.1 Subjektkonstruktionen In diesem Kapitel werden die subjektiven Repräsentationen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner erfasst. Winker und Degele schlagen zur Analyse dieses Schrittes unter anderem vor zu fragen, „mit welchen sozialen Praxen Personen auf bestimmte Herausforderungen reagieren, die ihnen gemeinsam sind“ (Winker/Degele 2009: 90). Hierfür sollen Vergleichsdimensionen aus den Interviews herausgearbeitet werden und in Form von unterscheidbaren Typen dargestellt werden. Im Fall der Dispositivanalyse werde ich dies in Form von Dispositionen herausarbeiten. Hierbei geht es darum, wesentliche Dispositionen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner auf der Subjektebene herauszustellen und diese in Differenzkategorien zu dimensionalisieren und miteinander zu kombinieren (vgl. Winker/Degele 2009: 90f). Zuerst werden daher die Dispositionen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner in Form der in den Interviews aufgetretenen verschiedenen Meinungen, Forderungen, Wünsche, Gefühle oder Verhaltensweisen vorgestellt. Im Anschluss daran werden die Dispositionen zusammengefasst, kombiniert und interpretiert. Die Dispositionen habe ich zur Verdeutlichung auf der Subjekt-, Symbol und Strukturebene, wie in Tabelle 2 dargestellt, eingeordnet:

S UBJEKT

| 361

Tabelle 2: Dispositionen der Interviewpersonen (eigene Darstellung)

Ein gemeinsames wiederkehrendes Moment der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner 1,2,3,8 ist das Bewusstsein von der Spannung zwischen Erwerbsarbeit und Reproduktionsarbeit und der sich daraus herstellenden Belastung durch die Entgrenzung von Erwerbsarbeitszeit, Familienzeit und Freizeit. Dieser Widerspruch drückt sich in diesen Fällen in einer emotionalen und strukturellen Zerrissenheit aus (vgl. Weber 2001), bis hin zu ernsthaften psychischen und physischen Problemen bzw. bis hin zum sogenannten Burnout-Syndrom. Die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner stehen bzw. standen vor dem Problem, einen Umgang mit ihrer Angst, ihrer Scham und ihren Schuldgefühlen zu finden – zum Beispiel dem Chef zu sagen, dass die Familie wichtiger ist oder dass sie nicht mehr in den Maßen arbeits- und leistungsfähig sind, wie es von ihnen erwartet wird. Ihr Selbstbild spiegelt sich entlang ihrer Leistungsfähigkeit.

362 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Bei Interviewpartner Nr. 3 gab es sogar Verständnis für den Selbstmord als Ausweg aus dem Leistungsdruck. Alle Interviewpersonen verspüren zumindest einen gesteigerten Druck, Selbstsorge zu betreiben, der in materiellen Existenzängsten kulminiert. Bei diesen Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern zeigen sich Dispositionen, welche die Entgrenzung von Erwerbsarbeit und Reproduktionsarbeit betreffen. Daraus bildet sich ein Habitus aus, der die Familienkonstellation bedroht, weil die Lebenskraft dazu verwendet wird, „um am Ball zu bleiben“. Das bedeutet wiederum, dass die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner genötigt sind, ihre Lebensperspektive durch Selbst-Kontrolle und Selbst-Ökonomisierung den Umständen der Erwerbsarbeitswelt anzupassen. Funktioniert dies nicht, können die Lebensbedingungen mit einem erhöhten Leistungsdruck und mit neuartigen Formen gesundheitlicher Schädigungen (Burnout-Syndrome) einhergehen. Hierbei muss die Kategorie Geschlecht als besonderer Stressor betrachtet werden, da die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner geschlechtsstereotypischen Vorurteilen ausgesetzt sind. Rollenkonflikte und Unvereinbarkeiten von Beruf und Familie werden als besondere Stressoren beschrieben. Dieses Ergebnis bestätigt die Erkenntnis der soziohistorischen Rahmenanalyse des Geschlechterregimes, dass die Entgrenzungen der Arbeitsorganisation sich auf die Perspektiven der Lebensführung insofern ausweiten, als im postfordistischen Geschlechterregime die sozialen Stellungen nach den Kriterien „mit oder ohne Kinder“, „gesund oder krank“ sowie „SelbstBeherrschung oder Selbst-Ausbeutung“ an Bedeutung gewinnen. Das Thema Selbstsorge als Work-Life-Balance ist für die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner 1,2,3,6,8 besonders relevant. Hier lassen sich allerdings keine allgemeinen, sondern nur individuelle Selbstsorgethemen festmachen. Die Idee der Selbstsorge reicht vom Ideal des Selbst-Managements über Coaching, Therapie oder andere Selbstreflexionsmaßnahmen, bis hin zu Gesundheitsprävention durch den Betrieb bzw. durch staatliche Maßnahmen. Allerdings wird die Kontrollausübung durch die Fremdsorge des Betriebes, durch Familie oder Bekannte und die Selbstdisziplinierung durch Selbstsorge als Herausforderung wahrgenommen, um „am Ball zu bleiben“. In diesem Zusammenhang werden bei Interviewpartner 8 Medikamente als leistungssteigernde Substanzen akzeptiert, um leistungsfähig zu bleiben. Das bedeutet, dass diese Interviewpersonen sich den widersprüchlichen Subjektivierungsweisen durch Erwerbs- und Reproduktionsarbeit bewusst ist. Durch ihre individuellen Selbstsorgemaßnahmen betreiben sie eine Form von Selbst-Beherrschung durch eine effiziente Ausrichtung individueller Ressourcen mit dem Ziel der Organisation des Lebenszusammenhangs entlang der Erwerbsarbeit. Diese sozialen Praxen spiegeln die gouvernementalen Subjektivierungsweisen und Anrufungssignifikanten

S UBJEKT

| 363

der Initiative Work-Life-Balance im Kontext der Humankapitalisierung wider. Work-Life-Balance-Maßnahmen sollen Anreize zur Prävention von Fehlzeiten und Anreize zur Verlängerung der Lebensarbeitszeit schaffen. Der Gesundheitszustand wird als wertschöpfende Ressource betrachtet, indem die Humankapitalisierung nicht nur auf den Bereich der Arbeitskrafterhaltung und der Arbeitspotenzialoptimierung, sondern auch auf den Bereich der Reproduktion ihrer Arbeitskraft abzielt (vgl. Kapitel 8.2.4). In diesem Zusammenhang beschreiben die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner 1,2,3,5,6,7, dass sich Work-Life-Balance-Konzepte stärker dem Reproduktionsaspekt zuwenden sollten. Work-Life-Balance ist für diese Interviewpartnerinnen und Interviewpartner verbunden mit einer persönlichen und finanziellen Absicherung sowie mit der Selbsterkenntnis, dass die Verschiebung der eigenen Interessen von der Erwerbsarbeit hin zur Selbstsorge als ein mehr an Lebenszeit sinnvoll sei. Bei diesen Interviewpersonen ist die Reflexion ihres Habitus als Familienmitglied Thema. Auch die negativen oder positiven Erlebnisse des „Doing Family“ (vgl. Schier/Jurczyk 2007) werden reflektiert. Interviewpartnerin 4 zum Beispiel kritisiert die Geringschätzung der Reproduktionsarbeit durch andere. Interviewpartner 8 sieht sich als modernen Vater, der selbstverwirklichend Erwerbsarbeit, Reproduktionsarbeit und Freizeit durch Elternzeit vereinbaren möchte. Die Fragen bei diesen Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern drehen sich darum, wie Teilzeit, Telearbeit, Flexibilisierung von Arbeitszeit und Arbeitsort die Familienarbeit erschweren bzw. verunmöglichen und wie einer Entgrenzung durch Erwerbsarbeit entgegengewirkt werden kann. Für sie bedarf es im privaten Umfeld besserer Betreuungsstrukturen und -zeiten. Das heißt im Umkehrschluss, dass für die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner momentan der Schwerpunkt bei Work-Life-Balance-Konzepten im Bereich der Erwerbsarbeit liegt. Die Gemeinsamkeit dieser Interviewpartnerinnen und Interviewpartner liegt darin Forderungen aufzustellen, dass die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber stärker den Bedürfnissen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entgegenkommen und dass Work-Life-Balance durch Management und Staat angeordnet werden müssten. Bei den Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern genießen Work-Life-Balance-Konzepte einen zwiespältigen Ruf, da sie auch als Eingriff in das Familienleben angesehen werden. Handlungsperspektiven und verbalen Widerstand gegen Erwerbsarbeitsstrukturen formulieren in diesem Zusammenhang die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner 1,2,3,8 insofern, als die Elternzeit eine bewusste Zeit sein soll, welche nicht durch Heimerwerbsarbeit entgrenzt werden darf. In diesem Zusammenhang steht auch die lebensphilosophische Idee, dass Zeit Lebensqualität und nicht mit Geld aufzuwiegen ist sowie dass Erwerbsarbeit und Reproduk-

364 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

tionsarbeit als Einheit gedacht werden müssen. Forderungen des Interviewpartners 3 beziehen sich auf eine ruhige Arbeitsatmosphäre und eine angemessene Architektur sowie nach Regeln, Überstunden abbauen zu können. In diesem Zusammenhang lassen sich Verbesserungen durch Eigenleistung und Selbstreflexion lösen. Allerdings hat die effiziente Ausrichtung individueller Ressourcen nicht die Organisation des Lebenszusammenhangs entlang der Erwerbsarbeit zum Ziel, sondern entlang der eigenen Lebensqualität. In diesem Zusammenhang gehen die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner 3,5,8 auch kritisch mit den eignen Geschlechterverhältnissen um. Beispielhaft lässt sich hierbei das Problem der Interviewpartner 3 und 8 anführen. Sie stellen fest, dass es unmännlich und problematisch ist, als Mann über Gefühle zu sprechen oder als Mann in Elternzeit zu gehen. Für Interviewpartnerin 5 steht die Selbstreflexion ihres Habitus als Mutter im Vordergrund. Sie stellt sogar den Alleinanspruch von Eltern auf Kinder infrage und postuliert, dass Krippenerziehung besser ist als Einzelerziehung der Kinder durch die Eltern. Die subjektiven Repräsentationen dieser Interviewpartnerinnen und Interviewpartner lassen sich mit einem modernen Geschlechterverständnis umschreiben. Die nun folgende Analyse der strukturellen Repräsentationen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner greift die subjektiven Repräsentationen bzw. die Dispositionen wieder auf und vertieft die vorhandenen Erkenntnisse entsprechend durch Kontextwissen aus der soziohistorischen Rahmenanalyse des Geschlechterregimes. 9.4.2 Strukturelle Repräsentationen In der nun folgenden Analyse der strukturellen Repräsentationen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner geht es darum, zusätzliche Datenquellen in die Analyse der Dispositionen einfließen zu lassen. „Denn Befragte sprechen zwar sehr oft Rahmenbedingungen an, vertiefen sie dann aber nicht oder stellen sie sachlich falsch dar“ (Winker/Degele 2009: 92). Das bedeutet, dass in diesen Fällen die angesprochenen Themen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner durch die schon beschriebenen historisch-konkreten Dispositionen des Geschlechterregimes in einen Zusammenhang gestellt werden: Was für die subjektive Ebene in Bezug auf die emotionale Zerrissenheit durch Erwerbsarbeit beschrieben wird, lässt sich auch auf der strukturellen Ebene erkennen. Die strukturellen Rahmenbedingungen aller Interviewpartnerinnen und Interviewpartner verweisen auf Verhältnisse, die extreme Erschöpfungszustände durch eine Überforderung in Erwerbsarbeits- und Reproduktionszusammenhän-

S UBJEKT

| 365

gen zur Folge haben. Diese Verhältnisse ergeben sich durch „zu wenig Menschlichkeit in den Betrieben“ oder durch psychisch erfahrenen Druck durch die Arbeitsstrukturen. Aber auch die psychosozialen Kontrollfunktionen, welche die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner auf andere ausüben müssen, sind Stressoren. Diese Verhältnisse führen bei allen Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern zu einer Überbelastung der Lebenskraft und zu einer persönlichen Ressourcenerschöpfung bezüglich der Familienarbeit und Selbstsorge. Problematisch ist auch in diesem Zusammenhang für alle analysierten Fälle die Entgrenzung von Erwerbsarbeitszeit und Reproduktionszeit. Dadurch entsteht die Schwierigkeit einer Aufrechterhaltung von traditionellen Geschlechterverhältnissen und Familienstrukturen. Für alle Befragten spielt die finanzielle Abhängigkeit vom Male-Bread-Winner-System oder die Orientierung an der Male-BreadWinner-Struktur eine wichtige Rolle. Die Gefährdung der Sorgearbeit, der Familienstrukturen durch Erwerbsarbeit und die persönliche Ressourcenerschöpfung nehmen durch strukturelle Ängste vor Arbeitsplatzverlust, vor Leistungsdruck sowie finanziellen Einbußen und durch Intensivierung der Erwerbsarbeit und Flexibilisierung der Arbeitszeit zu. Auch die Mobilitätsanforderungen durch den Beruf erschweren die Aufrechterhaltung des Familienalltags. Ergänzen bzw. erweitern lassen sich diese Repräsentationen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner auf der Strukturebene durch das Kontextwissen aus der soziohistorischen Rahmenanalyse des Geschlechterregimes. Wie schon beschrieben unterscheidet Gabriele Winker (2007a, vgl. Kapitel 7.3.1) idealtypisch drei verschiedene Familienmodelle: das ökonomisierte, das prekäre und das subsistenzorientierte Familienmodell. Bei allen Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern zeigt sich dabei ein sogenannter „Fahrstuhleffekt“ (Beck 1986: 122)8 zwischen den unterschiedlichen Familienmodellen – jedoch in unterschiedliche Richtungen. Das heißt, je nach der Umsetzung der hochflexibilisierten Anforderungen an die eigene Reproduktion und an die Umsetzung der existenziellen Notwendigkeit des „Am-Ball-und-Gesund-Bleibens“, gelingt die Auffahrt oder der Absturz in Richtung eines der Familienmodelle. Auf die Rationalisierung von Erwerbsarbeit und Reproduktionsarbeit und auf den Fahrstuhleffekt in beide Richtungen reagieren die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner mit unterschiedlichen Strategien. Hier stehen veränderte Formen bzw. die Entwicklung neuer sozialer Formen von „Doing Family“, „Doing

8

Der Soziologe Ulrich Beck beschreibt den „Fahrstuhl-Effekt“ wie folgt: Durch die Wohlstandsexplosion, den Wandel des Arbeitsmarktes nach dem 2. Weltkrieg wird „die Klassengesellschaft […] insgesamt eine Etage höher gefahren. […] Gleichzeitig wird ein Prozess der Individualisierung und Diversifizierung von Lebenslagen und Lebensstilen in Gang gesetzt […]“ (Beck 1986: 122).

366 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Elternteil“ bzw. „Doing ErwerbsarbeiterIn“ (vgl. Schier/Jurczyk 2007) im Vordergrund. Dies deckt sich wiederum mit den strukturellen Anforderungen der Initiative „Work-Life-Balance als Motor für wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftliche Stabilität“ (BMFSFJ 2005) in Bezug auf ihr Menschen- und Gesellschaftsbild. Dieses ist mit der Herbeiführung eines Mentalitätswandels und einer Neustrukturierung gesellschaftlicher Rollenbilder sowie mit der Überwindung traditioneller Geschlechterverhältnisse verbunden (vgl. BMFSFJ 2005: 29). So gibt es bei allen Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern die Versuche von Neustrukturierungen zwischen Erwerbsarbeit und Reproduktionsarbeit. Hier steht die strukturelle Etablierung neuer Formen und Lösungspraktiken von Familienalltag und Arbeitszeitmuster je subjektiv im Fokus. Diese strukturellen Verschiebungen und Veränderungen entsprechen wiederum der Palette angebotener Maßnahmen von Work-Life-Balance-Angeboten (vgl. Kapitel 8.2.5.1). Die signifikanten Lösungspraktiken der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner sind: Sorgearbeit durch Dienstleistungen rationalisieren Unterstützung der Reproduktionsarbeit durch Familienangehörige Teilzeit als optimale Balance zwischen Alleinerziehung und Erwerbsarbeit Veränderte Geschlechterrollen: Mann Teilzeit und Reproduktionsarbeit / Frau Vollzeit • Elternzeit als Orientierungszeit und als Erholungszeit von der Erwerbsarbeit • Flexibilität als Ressource zur Gestaltung der Familienarbeit • • • •

Insofern lassen sich die strukturellen Repräsentationen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner als anrufungsaffin gegenüber staatlichen Work-LifeBalance-Konzepten beschreiben. Die je subjektiven strukturellen Lösungspraktiken zur Vereinbarkeit von Familie, Beziehung, Freizeit und Erwerbsarbeit enthalten keine Lösungspraktiken, die von staatlichen und betrieblichen Regulationsweisen zu unterscheiden sind. Daher lässt sich festhalten, dass die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner durch strukturelle Sachzwänge auf vorgegebene gouvernementale Lösungspraktiken und Konzepte zurückgreifen. Eine Besonderheit bei Interviewpartner 8 ist, dass er durch die Arbeitsbelastungen und die prekäre Vermarktung seiner Arbeitskraft Selbstsorge durch Elternzeit als Erholungszeit einplant. Die Zusammenhänge der eigenverantwortlichen Entwicklung neuer sozialer Formen von „Doing Family“, „Doing Elternteil“ bzw. „Doing ErwerbsarbeiterIn“ (vgl. Schier/Jurczyk 2007) im Kontext von gouvernementalen Regulationsweisen lassen sich ebenfalls durch die Ergebnisse der soziohistorischen Rah-

S UBJEKT

| 367

menanalyse des Geschlechterregimes erklären. Festgestellt wurde in Kapitel 7.4.2, dass die Geschlechterverhältnisse im Übergang zu postfordistischen Produktions- und Reproduktionsmustern von sozialer Unsicherheit bzw. von Prekarität und Rollenveränderungen gekennzeichnet sind (vgl. Winker/Carstensen 2007: 284ff). Dadurch und durch die Ausdehnung der Erwerbstätigkeit von Frauen sowie durch die politökonomische Transformation von „Normalarbeitsverhältnissen“ wird das Male-Bread-Winner-System aufgelöst. Das Konzept Work-Life-Balance fungiert hierbei als Katalysator eines postfordistischen Geschlechterregimes, als symbolische Chiffre und gleichsam als ein strukturelles Versprechen, neue Geschlechter- und Arbeitsverhältnisse herzustellen. Versprochen wird ein „Ausgleich zwischen einer sozialverträglichen Arbeitsteilung einerseits und ökonomischen Interessen von Produktivitätssteigerung und Kostensenkung andererseits“ (Jürgens 2006: 165f). Zentrale Positionen von WorkLife-Balance-Konzepten sehen vor, dass Work-Life-Balance-Maßnahmen, als Investitionen in das sogenannte Humanvermögen, Deutschland die Chance bieten, die Produktivität der Beschäftigten zu steigern. Weiter sollen die Maßnahmen die Arbeitsmotivation der Subjekte erhöhen und Fehlzeiten ebenso wie die Personalfluktuation verringern. Letztlich sollen Work-Life-Balance-Maßnahmen den Standort Deutschland mittels einer Erhöhung der Frauenerwerbsquote und durch eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie durch eine Steigerung der Geburtenrate sichern (vgl. BMFSFJ 2005). Die Dispositionen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner 2,3,5,6,8 – strukturelle Subjektivierungsweisen von Work-Life-Balance-Konzepten in ihre Reproduktions- und Erwerbsarbeitsalltage zu übertragen – zeichnen sich allerdings zusätzlich durch ihre Gegenanrufungen aus, in denen strukturelle Verbesserungen von Work-Life-Balance-Konzepten gefordert werden. Ihre Subjektivierungsweisen beziehen sich darauf, die Konzepte von Work-Life-Balance strukturell verändert umzusetzen. Sie legen eine stärkere Gewichtung auf die Beziehungs- und Lebenszeit sowie auf die private Organisation der Work-LifeBalance, um diese an ihre je eigenen Bedürfnisse anpassen zu können. Für diese Interviewpartnerinnen und Interviewpartner müssen die Konzepte stärker dem Lebensaspekt zugewandt sein. Ihre Vorstellung von Work-Life-Balance sollte in der Erwerbsarbeitsstruktur, in Feedback-Gesprächen, in Beurteilungs-Gesprächen, in Halbjahres-Gesprächen oder in Zielvereinbarungen Eingang finden. Gegenanrufungen bzw. Repräsentationen von strukturellen Veränderungen in den Work-Life-Balance-Maßnahmen beziehen sich auch auf die Ebene der Selbstsorge. Die erfahrbaren strukturellen Probleme aller Interviewpartnerinnen und Interviewpartner, bis auf Interviewpartnerin Nr. 5, lassen sich wie folgt zusammenfassen:

368 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Durch Leistungsdruck und psychosoziale Kontrolle durch das Unternehmen bezüglich der Leistungsbereitschaft entsteht ein mangelhafter Selbstbezug. Die Intensivierung und die Extensivierung der Erwerbsarbeit führen zu Erschöpfung, teilweise zum Burnout oder zum Nervenzusammenbruch. Insbesondere Frauen sind hierbei gefährdet, weil sie von reproduktiven Doppelbelastungen besonders betroffen sind und weil weibliche Angestellte in Projektarbeit eine besonders ausgeprägte Leistungsorientierung und -optimierung sowie ein strategisches Familienkalkül aufweisen müssen (vgl. Voß/Pongratz 2003: 208ff, Winker/Carstensen 2007). Diese Problematiken führen bei den Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern 1,2,3,4,8 dazu, im Bereich der Selbstsorge eine betriebliche Rahmensteuerung der Fremd- und Selbstorganisationsfähigkeiten und der Gesundheitsprävention strukturell einzufordern. Ruth Stock-Homburg und Eva-Maria Bauer (2008) benennen in ihrer Darmstädter Work-Life-Balance Studie ergänzende Faktoren, die für eine individuelle Work-Life-Balance wesentlich sind. Es müsste bei den Beteiligten für eine erfolgreiche Work-Life-Balance die Kontrolle über Zeit- und Selbstmanagement und Vereinbarkeitsmöglichkeiten entstehen. Ebenso müsse die Bereitschaft zur Delegation von Arbeiten entstehen, um Zeitersparnisse auszubauen. Eine effektive Stressverarbeitung würde das Gesundheitsvermögen fördern, und vor allem hohe Toleranzschwellen im Unternehmen gegenüber familiären Verpflichtungen würden die Zufriedenheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer steigern. Auch hier setzt eine ausgewogene Work-Life-Balance ein erfolgreiches Arbeitskraftmanagement und disziplinierte Selbstregulierungsfähigkeiten voraus. Das Problematische dieser andisziplinierten Selbstregulierungsfähigkeiten ist, dass die eigene Subjektivität und die Gegenanrufungen in den Arbeitsprozess einverleibt werden. Die eigene Subjektivität und die Gegenanrufungen dienen als Basis von Programmen wie dem beschriebenen „Human Resource Management“ bzw. dem partizipatorischen Management zur Beteiligung der Beschäftigten an Erneuerungen in den Unternehmen (vgl. Revelli 1997: 26). Zum Abschluss möchte ich noch auf eine strukturelle Besonderheit bei den Interviewten 3 und 4 verweisen. Beide empfinden die Architektur des Büros als Begünstigung bzw. als Beeinträchtigung des Arbeitsvermögens. Das Großraumbüro wurde hier negativ als Kontrollinstanz und Stressfaktor dargestellt. Erklären lässt sich diese strukturelle Repräsentation durch die Funktion von Großraumbüros. Die ersten Großraumbüros in Deutschland entstehen 1958 bei der Firma Boehringer in Mannheim. Sie sollen nicht ein Symbol der Wirtschaftskraft des Unternehmens, sondern Ausdruck der zwischenmenschlichen Beziehungen im Unternehmen sein. Architektonisch werden die Trennwände beseitigt, um den Raum zu öffnen, damit die vorherrschenden Kommunikations- und Hierarchie-

S UBJEKT

| 369

probleme gelöst werden. Das in Boxen oder in Teilbereiche eingeteilte Großraumbüro ermöglicht die gegenseitige Beobachtung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Kommentierung der Arbeit anderer sowie die Interpretation der eigenen Arbeit (vgl. Payer 2001). Im Prinzip besteht in einem Großraumbüro ein demokratisches, nicht-hierarchisches Modell gegenseitiger Sichtbarkeit, „bei dem jeder zugleich Beobachter aller anderen und der von allen anderen Beobachtete ist“ (Bröckling 2000: 152). Hier lassen sich Ausläufer des Panoptismus in der Architektur des Unternehmens wieder finden. Diese Besonderheit verdeutlicht, wie die Interviewten mit einem unsichtbaren Kontrollregime konfrontiert sind (vgl. Kapitel 4.2.1). Das heißt, im offen einsehbaren Großraumbüro herrscht ein Überwachungsmodell, das Sehende und Gesehene herstellt (vgl. Paulus 2005: 33ff). Die Sehenden normieren, kontrollieren, analysieren, zergliedern und strukturieren das Verhalten der Gesehenen. Durch die Internalisierung des Blicks des Sehenden entsteht eine Art Selbstkontrolle bei den Gesehenen. Diejenigen, die sichtbar sind, haben einen Objektstatus. Sie werden mit dem Blick zurechtgewiesen. Die Zugriffe durch den Blick sind nicht spektakulär, sondern lassen sich eher als fein abgestimmter Zwang beschreiben. Durch diese Disziplinierungsprozesse und die daraus entstehende Selbstkontrolle, Selbstbeherrschung und Anpassung an das Normale wird ein selbstbeobachtendes Subjekt hergestellt (vgl. Foucault 1977: 232ff). Demnach lässt sich für die strukturellen Repräsentationen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner festhalten, dass sie verschiedene Kontrollmechanismen und Disziplinierungsprozesse darstellen, die auf ihr eigenes Verhalten ausgerichtet sind: Die erfahrbaren strukturellen Probleme der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner beziehen sich darauf, dass durch den Leistungsdruck, der in Unternehmen vorherrscht, ein mangelnder Selbstbezug entsteht. Die Probleme beziehen sich auch darauf, dass durch die psychosoziale Kontrolle in den Unternehmen und die Intensivierung und Extensivierung der Erwerbsarbeit extreme Erschöpfungszustände entstehen. Die Interviewten müssen, um sich und ihre Familien zu reproduzieren, ihre reproduktiven Tätigkeiten rationalisieren und die Zeit für Reproduktionsarbeit zunehmend nach Effizienzkriterien organisieren. Scheitern sie in diesem Vorgehen, können sie ihren sozioökonomischen Familienstatus verlieren. Alleinerziehende und berufstätige Mütter sind von einem Scheitern des Arbeitskraftmanagements und vom Fahrstuhleffekt vom ökonomisierten zum prekären oder zum subsistenzorientierten Familienmodell besonders betroffen. Weiter sind die Interviewten gezwungen bzw. aufgefordert, neue Formen des „Doing Family“, „Doing Elternteil“ bzw. „Doing ErwerbsarbeiterIn“ im Rahmen von Work-Life-Balance-Konzepten zu etablieren, um auf den Fahrstuhleffekt nach unten oder nach oben reagieren zu können. Das bedeutet, sie müssen die

370 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Bereitschaft zur Delegation von Arbeiten sowie eine effektive Stressverarbeitung einüben, um Zeitersparnisse auszubauen und ihr Gesundheits- bzw. ihr Humanvermögen zu fördern. Auf diese strukturellen Subjektivierungsweisen in Unternehmen, Work-Life-Balance-Konzepte in Reproduktions- und Erwerbsarbeitsalltage zu übertragen oder die Beeinträchtigung des Arbeitsvermögens durch strukturelle Bedingungen (fehlende Gesundheitsvorsorge, ungünstige Architektur der Büros), reagieren die Interviewten zusätzlich mit Gegenanrufungen. In den Gegenanrufungen werden strukturelle Verbesserungen von Work-Life-BalanceMaßnahmen sowie eine stärkere Gewichtung des „Life“ Bereiches in Work-LifeBalance-Konzepten gefordert. Zusammenfassend lassen die strukturellen Repräsentationen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner folgende Schlussfolgerungen zu. Durch das Kontextwissen aus der soziohistorischen Rahmenanalyse des Geschlechterregimes lassen sich die beschriebenen Dispositionen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner insofern vertiefen, als sich drei unterschiedliche Formen der Subjektivierung herauskristallisieren. Das heißt, die beschriebenen Dispositionen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner lassen sich im Kontext ihres Arbeitskraftmanagements in drei unterschiedliche Formen einordnen: • Die erste Form, die sich beschreiben lässt, ist ein gescheitertes Arbeitskraft-

management. Dieses repräsentiert eine Form von Selbst-Ausbeutung, die eine individuelle und soziale Ressourcenausschöpfung zur Folge hat. Die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner sind genötigt, ihre Lebensperspektive durch Selbst-Kontrolle und Selbst-Ökonomisierung den Umständen der Erwerbsarbeitswelt anzupassen. Funktioniert dies nicht, können die Lebensbedingungen mit einem erhöhten Leistungsdruck, Formen gesundheitlicher Schädigung und einer Unvereinbarkeit von Beruf und Familie einhergehen. Im Kontext des gescheiterten Arbeitskraftmanagements lässt sich diese Disposition erweiternd als Fahrstuhleffekt vom ökonomisierten zum prekären oder zum subsistenzorientierten Familienmodell beschreiben. Das bedeutet, dass im gescheiterten Arbeitskraftmanagement die beschriebenen Stressoren im Kontext der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Reproduktionsarbeit nicht ausbalanciert bzw. minimiert werden können. • Die zweite Form repräsentiert ein gouvernemental subjektiviertes Arbeitskraftmanagement. Dieses Arbeitskraftmanagement spiegelt gouvernementale Subjektivierungsweisen im Kontext der Humankapitalisierung wider. Die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner versuchen eine individuelle Selbstsorge in Form von Selbst-Beherrschung durch eine effiziente Ausrich-

S UBJEKT

| 371

tung individueller Ressourcen mit dem Ziel der Organisation des Lebenszusammenhangs entlang der Erwerbsarbeit zu betreiben. Der Gesundheitszustand wird hierbei als wertschöpfende Ressource betrachtet. Das gouvernemental subjektivierte Arbeitskraftmanagement geht mit einer ambivalenten Form von Solidarität vs. Selbstmanagement einher. Das heißt, als Folge des Selbstmanagements kann die Verarmung des Solidarprinzips auftreten. „Statt auf andere richten solche Menschen ihre Fürsorge auf sich, sie verwöhnen sich, sprechen viel von ihrem Leben, ihren Krankheiten, ihren Entwicklungen“ (Steden 1999: 133). • Die dritte Form, die sich herauskristallisiert, lässt sich als selbstbewusstes Arbeitskraftmanagement beschreiben. Diese Disposition ist eine Erweiterung zu der Form des gouvernemental subjektivierten Arbeitskraftmanagements. Diese Form repräsentiert vor allem eine Verbesserung der Organisation des eigenen Lebenszusammenhangs über eine effiziente Ausrichtung individueller und kollektiver Ressourcen zugunsten der Lebensqualität anstatt zugunsten gouvernementaler Vorgaben. Allen Vergesellschaftungsmodellen ist jedoch gemeinsam, dass die Interviewten ihre reproduktiven Tätigkeiten rationalisieren, um „am Ball zu bleiben“. Daraus ergibt sich auch für alle Formen, dass die Zeit für Reproduktionsarbeit zunehmend nach Effizienzkriterien organisiert wird. 9.4.3 Symbolische Repräsentationen In dem nun folgenden 7. Schritt, zur Analyse der symbolischen Repräsentationen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner, geht es darum, die Analyse von benannten Repräsentationen zu vertiefen. Das heißt, dieser Schritt erläutert Normen und Werte, mit denen sich die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner auseinandersetzen. Er erklärt vorherrschende Ideologien durch die Hinzuziehung zusätzlicher Datenquellen bzw. durch die Hinzuziehung der schon gewonnen Erkenntnisse durch die Dispositivanalyse des Geschlechterregimes. In diesem Zusammenhang gilt es beispielsweise, Geschlechterideologien „zu differenzieren und ihre unterschiedlichen Bedeutungen darzustellen (wenn sie in sozialen Praxen eine wichtige Orientierung darstellen), sich auf ihre Genealogie zu besinnen“ (Winker/Degele 2009: 92f) und herauszuarbeiten, wie Diskurse Geschlechterideologien immer wieder neu reproduzieren. Laut Winker und Degele können wir so „umfassend verstehen, in welchen gesellschaftlichen Zusammenhängen diese Normen und Werte aufgerufen und immer wieder neu am Leben gehalten werden“ (Winker/Degele 2009: 92). Am Beispiel der Selbst- und

372 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Fremdbilder der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner möchte ich dies verdeutlichen: In den symbolischen Repräsentationen treten bei Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern heteronormative Selbst- und Fremdbilder sowie konservative Geschlechtsstereotypen als Ideologien auf. Bestimmt werden diese Repräsentationen dadurch, dass die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner durch ein Abweichen von der geschlechterstereotypischen Norm der Male-Bread-WinnerIdeologie negative Diskurse erfahren bzw. selbst verbreiten, wenn Personen von dieser Norm abweichen. Zum Beispiel tauchen negativ erfahrene Vorurteile und Ausgrenzungen gegenüber Alleinerziehenden, gegenüber Vätern in Elternzeit oder Männern in Teilzeit bei allen Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern auf. In Bezug auf ihre eigenen Geschlechterverhältnisse im Zusammenhang mit Arbeits- und Familienstrukturen zeigen sich bei den Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern 1,3,4,6,7,8 eindeutig geschlechtsstereotype Rollenvorstellungen. Für die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner 1,4,6 war bzw. ist der Ideallebensentwurf die Male-Bread-Winner-Familie. In der Verbindung mit gouvernementalen Leistungsdiskursen und mit der Repräsentation von gesellschaftlichen Diskursen um die Frage herum, wer die Familie ernähren soll, dominieren bei den Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern 1,2,4,6,7 symbolische Repräsentationen, die von traditionellen Geschlechterbildern geprägt sind. Das heißt, in ihren Repräsentationen spiegeln sich unterschiedliche Wunschkonstellationen eines funktionierenden Familiensystems wider, in dem der Mann den Haupterwerb leistet. Bei beiden männlichen Interviewpartnern existieren geschlechtsstereotypische Repräsentationen davon, dass Frauen hauptsächlich für die Organisation der Reproduktionssphäre zuständig sind. Interviewpartnerin 5 bezieht sich kritisch auf geschlechtsstereotype Rollenvorstellungen. Für sie sollten sich Diskurse um die Krippen- und Kindergartenerziehung gegen Mutterzentrierung und für Selbstbestimmung der Kinder einsetzen. Sie reflektiert ihr „Doing Family“ und hegt Zweifel am konservativen Feminismus, ob dieser das traditionelle Mutterbild ernsthaft aufbrechen will. Diese Repräsentationen insgesamt verdeutlichen, wie in einem Geschlechterregime die diskursive Subjektivierung funktioniert, denn die Repräsentationen von geschlechterstereotypischen Normen sind nichts anderes als der Mechanismus, durch den sich die Produktion und Normalisierung von Männlichkeit und Weiblichkeit vollzieht (vgl. Kapitel 4.1.1). Eigen- und Fremdwahrnehmung der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner sind von diskursiv hervorgebrachten hegemonialen und vor allem normativen Denkangeboten, Konfigurationen und Erklärungsmustern geprägt. Die Zuschreibungen und Repräsentationen, wie ein

S UBJEKT

| 373

Geschlecht, wie eine Lebenssituation zu sein hat, können natürlich mit dem Selbstbild, das die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner haben, in Widerspruch stehen. Allerdings sind die gesellschaftlichen Diskurse bzw. die negativ erfahrenen Vorurteile der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner so wirkmächtig, dass sie die Stelle des Wirklichen, des Richtigen bzw. des Wahren einnehmen (vgl. Butler 2003: 60, Bourdieu 2005: 19). Das heißt, die Interpretation der eigenen Lebenssituation entsteht aus einer heteronormativen Symbolordnung heraus. Als Analyse dieser Repräsentationen bietet sich das vorgestellte Modell der diskursiven Subjektivierung an (vgl. Kapitel 4.1.1): Die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner verwenden in ihren Aussagen traditionelle Kollektivsymboliken von Männern und Frauen. Diese kulturellen Stereotypen bzw. Ideologien – die kollektiv besetzt sind und gemeinsam benutzt werden, um etwa Männer und Frauen oder gesellschaftliche Beziehungen zu bedeuten – ermöglichen, dass sich die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner von der gesellschaftlichen „Wirklichkeit“ ein Bild machen. Das Symbolsystem ihrer Sprache ist ein soziales System, damit Individuen miteinander kommunizieren, sich erkennen oder sich definieren können bzw. damit die Vorstellung von Ideologien oder Diskursen aufgenommen und wiederholt werden kann (vgl. Althusser 1977: 133ff, Butler 2001: 104f, Bourdieu 2005: 20f; 1992: 153). Um dies zu tun, verwenden die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner – aber auch der Interviewer – das vorgegebene Bedeutungssystem und dessen Strukturen und Funktionsweisen. Die Aneignung der bereits vorgefundenen symbolischen Geschlechterordnung ist damit schon Teil der Repräsentation der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner. Das heißt, die Sprache bzw. das Wissen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner wird von ihnen vorgefunden, und somit erhält auch ihre Geschlechtsidentität bzw. die Repräsentation von Geschlechterverhältnissen „eine symbolische Dimension: Sie muss von den Beherrschten eine Form von Zustimmung erhalten, die nicht auf der freiwilligen Entscheidung eines aufgeklärten Bewusstseins beruht“ (Bourdieu 1992: 165). Sie beruht vielmehr auf der direkten und vorreflexiven Einordnung von Geschlechtsidentitäten und Geschlechterverhältnissen. In diesem Zusammenhang sind die Repräsentationen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner und ihre Geschlechternormen als Effekt eines normativen Diskurses zu begreifen, der durch Machtverhältnisse innerhalb eines historisch-konkreten Geschlechterregimes hervorgebracht wird (vgl. Butler 2003: 212, Kapitel 4.1, 7.3.2). Deutlich zeigt sich eine heteronormative Symbolordnung in den bisher angesprochenen Diskursen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner. Sie enthalten vor allem traditionelle Repräsentationen von Geschlechterverhältnissen, wie sie zur Zeit des Fordismus hegemonial waren (vgl. Kapitel 7.1). Das heißt, in der fordistischen Periode wa-

374 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

ren die typischen Geschlechterideologien und -verhältnisse die des Male-BreadWinner-Modells und der Kernfamilie. Die Organisation der Lohn- und Reproduktionsarbeit funktionierte durch die vergeschlechtlichte Arbeitsteilung und war „als ungeschlechtliche nicht denkbar“ (Beer 1990: 263). Sicherlich ist das Lebensalter der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner bzw. das noch in den Ausläufern erfahrene fordistische System ein möglicher Grund ihrer Repräsentationen. Diese Erklärung von traditionellen Geschlechterideologien bestätigt wiederum einen Baustein des theoretisch-abstrakten Geschlechterregimes. Dieser besagt, dass das Individuum seine Bestimmung durch hegemoniale Anrufungen erfährt und dadurch seinen Platz in der Gesellschaft erhält. Gleichzeitig ist seine Subjektivität auch dadurch umkämpft, weil die Subjekte zur Reproduktion von Hegemonien bzw. Herrschaftsverhältnissen dienen. Allerdings sind die Diskurse der Heteronormativität – genau wie alle anderen Diskurse – instabil (vgl. Kapitel 4.1.1). Das bedeutet, dass immer das Risiko einer gewissen Missachtung zur Hervorbringung stereotyper Diskurse entstehen kann (Butler 2001: 92f). Denn handelnde Subjekte innerhalb von Machtverhältnissen und deren Diskursen können „den starren Codes der hierarchischen Binaritäten widersprechen“ (Butler 2003: 213), Anrufungen aufbrechen oder verschieben, indem sie neue Bedeutungen, Identitäten oder Konzepte benennen oder einfordern. Insofern handeln die kritischen Repräsentationen bei den weiblichen Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern davon, dass Frauen mehr leisten müssen als Männer, um sich zu behaupten oder dass Männer angeberisch vor Frauen sind. Kritisch wird bei den männlichen Interviewpartnern 3 und 8 das Thema „Veränderung sozialer Geschlechtsmerkmale in Erziehung und Beruf“ als ein Tabuthema verstanden. Ihre Repräsentation verbindet sich mit dem Diskurs, dass Teilzeit für männliche Führungskräfte subjektiv und strukturell unerwünscht ist und als ein weiblicher Arbeitszusammenhang gilt, da Männer in der Regel zuständig für den Haupterwerb sind. Dadurch, dass Diskurse die vergeschlechtlichten Subjektkonstruktionen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner hervorbringen können und Diskurse das historisch-konkrete Geschlechterregime regulieren können (vgl. Kapitel 7.3.2), stellen sich folgende Fragen: Durch welche Diskurse und Denkangebote wird das Regulierte hervorgebracht? Wie werden die Normen festgelegt, die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner repräsentieren? Eine Antwort auf diese Fragen lässt sich in den Repräsentationen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner in Bezug auf die Work-Life-Balance-Konzepte finden. Bei der Interviewpartnerin 5 und den Interviewpartnern 3 und 8 verbinden sich deren Geschlechterbilder – im Gegensatz zu den Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern 1,4,6 – mit der Wunschkonstellation einer modernen Work-Life-Balance. Sie vertreten Ge-

S UBJEKT

| 375

schlechtsideologien, die Ähnlichkeiten mit der Diskursposition der Initiative „Work-Life-Balance als Motor für wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftliche Stabilität“ (BMFSFJ 2005) zeigen. Das bedeutet, dass ihr Lebensentwurf einem Lebensentwurf in zwei klar und eindeutig getrennte Geschlechterrollen von Mann und Frau entgegensteht. Ihre Erfahrungen lassen sich nicht mehr eindeutig in zwei getrennte Sphären, nämlich in die männlich dominierte, erwerbsorientierte Berufswelt und in die weiblich dominierte, fürsorgeorientierte Familienwelt unterteilen. Vor dem Hintergrund eines drohenden Scheiterns des Arbeitskraftmanagements entstehen aber auch andere gesellschaftliche Realitäten und Ansichten bei den Interviewten. Hier ist zum Beispiel die Dimension zu nennen, dass Fragen nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf nicht nur auf Frauen zentriert sein sollen, sondern auch die Versorgung und das Wohlbefinden der Kinder im Blick haben müssen. Diese Kritik tritt bei den weiblichen Interviewpartnerinnen verstärkt auf und wird von Interviewpartnerin 5 sehr treffend benannt. Sie kritisiert die traditionellen Geschlechterideologien und -normen damit, dass geschlechtsstereotype Diskurse mit dem Effekt einer „Desavouierung in der Gesellschaft von berufstätigen Müttern“ einhergehen. Sie hegt Zweifel am konservativen Feminismus und an Work-Life-Balance-Diskursen. Sie fragt, ob der konservative Feminismus und Work-Life-Balance-Diskurse das traditionelle Mutterbild ernsthaft aufbrechen wollen. Die Diskurse um die Krippen- und Kindergartenerziehung sollten sich, laut der Interviewpartnerin 5, „gegen Mutterzentrierung und für Selbstbestimmung der Kinder einsetzen“. Wie in Kapitel 8.2.6 beschrieben, sieht die Diskursposition der Initiative „Work-Life-Balance“ eine symbolische Neuzusammensetzung der Geschlechterverhältnisse vor und beinhaltet Anrufungsketten, die sich durch feministische, neoliberale und konservative Diskurse zusammensetzen. Feministische, neoliberale und konservative Repräsentationen konnten auch bei den Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern verdeutlicht werden. Aufgreifen möchte ich allerdings in diesem Zusammenhang ein Ergebnis der soziohistorischen Analyse des Geschlechterregimes. Hier wurde herausgearbeitet, dass die kulturellen Stereotypen und Repräsentationen von sozialen Geschlechtsmerkmalen in Work-LifeBalance-Konzepten sich zugunsten einer androgynen Geschlechterzusammensetzung zu nivellieren scheinen (vgl. Kapitel 7.3.2, 8.2.5). Die Konzepte würden „im betrieblichen Alltag nicht in Form konkreter Angebote institutionalisiert und ‚gelebt’“ (Jürgens 2006: 166). Die männlichen Interviewpartner verdeutlichen und bestätigen dies durch ihre Erfahrungen im Unternehmen. Dort werden zum Beispiel Work-Life-Balance-Konzepte und Familienarbeit gegenüber anderen Freizeitinteressen nicht unbedingt als vorrangig betrachtet. Anders gesagt bedeu-

376 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

tet das, dass die Konzepte zu „Balance“ das Thema „Vereinbarkeit“ insofern erweitern, als „Wechselwirkungen zwischen Lebensbereichen insgesamt sowie die Prozesse des Balancierens jenseits von Geschlecht und Familienstand“ (Jürgens 2006: 174) salonfähig werden. Die Konzepte lassen sich nicht mehr auf die vergeschlechtlichte Arbeitsteilung reduzieren. Diese These lässt sich insofern bestätigen, als für die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner 1,2,3,8 eine Verbindung von Work-Life-Balance-Diskursen, Leistungsdiskursen und Selbstmanagementdiskursen bestehen. Ihre Work-Life-Balance steht wesentlich im Zusammenhang mit Selbstsorgetechniken (Therapie, Selbsttests, Work-LifeBalance-Seminaren). Die Selbstsorgetechniken sind wiederum als zentrale Einheiten von Selbstmangementdiskursen zu verstehen (vgl. Bröckling 2007, Kapitel 7.3.2.). Interpretieren lässt sich die Affinität dieser Interviewpartnerinnen und Interviewpartner zu Selbstsorgetechniken damit, dass das Konzept Work-LifeBalance in den personalwissenschaftlichen und biopolitischen Debatten sich als symbolische Chiffre und gleichsam als ein strukturelles Versprechen formiert. Es verspricht, ökonomische Wettbewerbsvorteile durch ein erfolgreiches Arbeitskraftmanagement in Verbindung mit einer sozialverträglichen Arbeitsteilung herstellen zu können (vgl. Jürgens 2006: 165f). Der gouvernementale Diskurs von Work-Life-Balance-Konzepten – in Zukunft die Sicherheit der ökonomischen und der bevölkerungspolitischen Prozesse zu reorganisieren – spielt für alle Interviewpartnerinnen und Interviewpartner eine untergeordnete Rolle. Von ihnen wird der Diskurs als „Lippenbekenntnisse“ der Unternehmen wiedergegeben. Für die Interviewpartnerin 5 war das Thema Work-Life-Balance als Konzept bis zu ihrem Interview unbekannt. Interviewpartner 3 war das Thema WorkLife-Balance bis zu seinem Burnout-Syndrom und dem anschließenden BurnoutSeminar völlig unvermittelt. Ihre Repräsentationen der Work-Life-BalanceKonzepte lassen sich als anrufungsresistent gegenüber gouvernementalen Diskursen beschreiben. Für sie müssten Work-Life-Balance-Konzepte zur Aufklärung der Ursachen von stressbedingten Krankheiten innerhalb der Gesellschaft einen wesentlichen Stellenwert einnehmen. Insgesamt lassen sich ihre Repräsentationen dahingehend interpretieren, dass der „Balance-Diskurs“ für die anrufungsresistenten Interviewpartnerinnen und Interviewpartner nicht mehr Verhältnisse zwischen den Geschlechtern repräsentiert, sondern die Idee des Gelingens bzw. Scheiterns. Zusammenfassend lässt sich für die symbolischen Repräsentationen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner in Bezug auf die Reproduktion von hegemonialen und geschlechtsspezifischen Diskursen feststellen, dass ihre Repräsentationen und ihre Interpretationen der eigenen Lebenssituation aus einer hete-

S UBJEKT

| 377

ronormativen Symbolordnung heraus entstehen. Die Reproduktion gesellschaftlicher Normen und Werte sind von normativen Denkangeboten geprägt, die als Effekt von normativen Diskursen innerhalb des historisch-konkreten Geschlechterregimes hervorgebracht werden. Diese Diskurse spiegeln das Spannungsverhältnis zwischen traditionellen und modernen bzw. zwischen fordistischen und postfordistischen Geschlechterideologien wider. Das Spannungsverhältnis der Repräsentationen drückt sich in der strukturellen und subjektiven Instabilität der Lebensverhältnisse der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner in Bezug auf traditionelle Familien- und Geschlechterverhältnisse aus. Es drückt sich auch gleichzeitig in der Kritik an Unvereinbarkeiten traditioneller Familienund Geschlechterverhältnisse mit postfordistischen Arbeitsverhältnissen aus. Die Organisation der Familien- und Geschlechterverhältnisse steht wesentlich im Zusammenhang mit dem Versuch einer gelingenden Work-Life-Balance. Die gelingende Work-Life-Balance ist wiederum bei den Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern mit Selbstsorgetechniken verbunden. Der Diskurs von WorkLife-Balance repräsentiert bei den Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern nicht mehr Verhältnisse zwischen den Geschlechtern, sondern Subjektorientierungen und die Idee des Gelingens bzw. des Scheiterns des Aufrechterhaltens von Erwerbsarbeit, Beziehungen bzw. Familienstrukturen und der eigenen Gesundheit. 9.4.4 Darstellung der Wechselwirkungen aller Interviews Der achte und abschließende Schritt der Interviewauswertung ist die Darstellung der Wechselwirkungen der verschiedenen untersuchten Ebenen innerhalb der Interviews in ihrer Gesamtschau. In diesem Schritt geht es darum, die unterschiedlichen Dispositive „noch mal im Lichte zusätzlicher Informationen und Daten auf der Struktur- und der Repräsentationsebene zu betrachten“ (Winker/Degele 2009: 93). Damit soll verdeutlicht werden, welche Querverbindungen, Wechselwirkungen oder Dominanzverhältnisse die geschlechterregimerelevanten Repräsentationen eingehen. Um diese Vorgehensweise enger zu fassen, geschieht die Analyse als Rückkopplung an das Theorem des Geschlechterregimes sowie an die geschlechterregimerelevanten Ergebnisse aus der Strukturund Diskursanalyse. Das bedeutet, dass die Darstellung der Querverbindungen, Wechselwirkungen oder Dominanzverhältnisse im Kontext der Frage nach den geschlechterregimerelevanten Konstruktions- und Regulationsprozessen in Work-Life-Balance-Konzepten stehen. Die konkreten Forschungsfragen in diesem Zusammenhang lauten: Welche subjektiven Geschlechterpraktiken und -formen entstehen bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern durch Work-Life-

378 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Balance-Maßnahmen und wie wird das Geschlechterregime durch subjektive Praxen reproduziert? Im Folgenden wird mithilfe des Theorems des Geschlechterregimes auf der Strukturebene der geschlechtsspezifischen Verbindung der Reproduktion der Produktionsbedingungen nachgegangen und die geschlechtsspezifische Verbindung von Bevölkerungspolitik und Gouvernementalität untersucht. Auf der Symbolebene wird die geschlechtsspezifische Verbindung der Diskurse und Ideologien analysiert, und auf der Subjektebene wird die geschlechtsspezifische Verbindung der Selbstverhältnisse und der Widerstandspotenziale dargestellt. 9.4.4.1 Wechselwirkung Struktur//Subjekt Die Wechselwirkungen zwischen der Struktur- und der Subjektebene sollen verdeutlichen, welchen Effekt „Herrschaftsverhältnisse auf die Identitätsebene haben“ (Winker/Degele 2009: 94) und wie Individuen den „Herrschaftsstrukturen unterliegen und inwieweit sie diese akzeptieren, in ihre Identitätskonstruktionen einbauen oder sich zur Wehr setzen“ (ebd.). Wie bisher schon durch die Struktur- und Diskursanalyse dargestellt, lässt sich die Subjektivierungsweise des Geschlechterregimes in Verbindung mit Work-Life-Balance-Maßnahmen zusammenfassend als geschlechtsspezifischer Steuerungsmodus verstehen. Konkret sieht der Steuerungsmodus von WorkLife-Balance-Maßnahmen Veränderungen in vier Steuerungsgrößen vor: Steigerung der Produktivität der Lohnabhängigen, Steigerung der Geburtenrate, Steigerung des Erwerbstätigenpotenzials und Senkung der Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung. Dabei beinhalten die Work-Life-Balance-Maßnahmen bedarfsspezifisch ausgestaltete Arbeitszeitmodelle, eine angepasste Arbeitsorganisation, Modelle zur Flexibilisierung des Arbeitsortes, Führungsrichtlinien sowie biopolitische bzw. gesundheitspräventive Leistungen für die Lohnabhängigen. Diese Sichtweise ist insofern auch Teil der Dispositionen bzw. Teil der Repräsentationen der Interviewten im Kontext ihres Arbeitskraftmanagements, da sie als Konsequenz aus ihrer Erwerbsarbeit versuchen, ihre Sorgearbeit bzw. Reproduktionsarbeit zu rationalisieren. Sie versuchen auch neue Formen der Beziehungsarbeit zu etablieren, indem Modelle zur Flexibilisierung von Arbeitsort, Arbeitsorganisation oder Arbeitszeit in den Alltag eingearbeitet werden (vgl. Kapitel 9.4.1). Hierbei lassen sich drei verschiedene Formen des Arbeitskraftmanagements als soziale Praxis der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner feststellen:

S UBJEKT

| 379

• Das gescheiterte Arbeitskraftmanagement

Das gescheiterte Arbeitskraftmanagement repräsentiert eine Form von SelbstAusbeutung, die eine individuelle und soziale Ressourcenausschöpfung zur Folge hat. Die Interviewpersonen sind genötigt, ihre Lebensperspektive, durch Selbst-Kontrolle und Selbst-Ökonomisierung, den Umständen der Erwerbsarbeitswelt anzupassen. Scheitern die Formen der Selbst-Kontrolle und der Selbst-Ökonomisierung, können die Lebensbedingungen mit einem erhöhten Leistungsdruck, Formen gesundheitlicher Schädigungen und einer Unvereinbarkeit von Beruf und Familie einhergehen. Das gescheiterte Arbeitskraftmanagement weist auf extreme Erschöpfungszustände hin. Burnout-Syndrome sind die Folge einer Überforderung in Erwerbsarbeits- und Reproduktionszusammenhängen. Diese Zustände führen zu einer Überbelastung der Lebenskraft und zu einer persönlichen Ressourcenerschöpfung bezüglich der Familienarbeit und Selbstsorge. Vor allem Entgrenzungserfahrungen haben negative Auswirkungen auf das Aufrechterhalten eines intakten Familienlebens. Bei dieser Disposition „versagen“ die Bereiche der Selbstrationalisierung und der Selbstkontrolle, da beide Elemente nicht erfolgreich auf die Vereinbarung der Bereiche der Erwerbsarbeit und der Fürsorgearbeit angewandt werden können. Vor allem Alleinerziehende und berufstätige Mütter sind von einem Scheitern des Arbeitskraftmanagements und von dem beschriebenen Fahrstuhleffekt vom ökonomisierten zum prekären oder zum subsistenzorientierten Familienmodell betroffen (vgl. Kapitel 9.4.1). Der Aspekt der Gefährdung der Sorgearbeit und der Familienstrukturen durch Erwerbsarbeit wird durch strukturelle Ängste vor Arbeitsplatzverlust, Leistungsdruck, finanziellen Einbußen, Intensivierung der Arbeit, Flexibilisierung der Arbeitszeit intensiviert. Die Unvereinbarkeit zwischen Erwerbsarbeit und Reproduktionsarbeit drückt sich in diesen Fällen in einer emotionalen und strukturellen Zerrissenheit aus. Die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner stehen bzw. standen vor dem Problem, einen Umgang mit ihrer Angst, ihrer Scham und ihren Schuldgefühlen zu finden. Das heißt, ihr Selbstbild spiegelt sich entlang ihrer Leistungsfähigkeit. Hierbei muss die Kategorie Geschlecht als besonderer Stressor betrachtet werden, da die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner geschlechtsstereotypischen Vorurteilen ausgesetzt sind. Rollenkonflikte sowie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie werden als weitere Stressoren von den Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern beschrieben. Zum Scheitern des Arbeitskraftmanagements kommt daher die Orientierung an geschlechtsstereotypen Geschlechterbildern hinzu, welche die Lebensplanung und Erwerbsarbeitsplanung im Postfordismus erschwert.

380 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

• Das gouvernemental subjektivierte Arbeitskraftmanagement

Die Form des gouvernemental subjektivierten Arbeitskraftmanagements zeichnet sich durch eine Übertragung struktureller Subjektivierungsweisen in die Reproduktions- und Erwerbsarbeitsalltage aus. Das Arbeitskraftmanagement spiegelt gouvernementale Subjektivierungsweisen im Kontext der Humankapitalisierung wider. Die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner versuchen, eine individuelle Selbstsorge in Form von Selbst-Beherrschung, durch eine effiziente Ausrichtung individueller Ressourcen mit dem Ziel der Organisation des Lebenszusammenhangs entlang der Erwerbsarbeit, zu betreiben. Der Gesundheitszustand wird hierbei als wertschöpfende Ressource betrachtet. Die Idee ihrer Selbstsorge reicht vom Ideal des Selbst-Managements über Coaching oder Therapie bis hin zu Gesundheitsprävention durch den Betrieb bzw. durch staatliche Maßnahmen. Insofern lassen sich die gouvernemental subjektivierten Interviewpartnerinnen und Interviewpartner als anrufungsaffin gegenüber staatlichen Work-LifeBalance-Konzepten beschreiben. Ihre je subjektiven strukturellen Lösungspraktiken zur Vereinbarkeit von Familie, Beziehung, Freizeit und Erwerbsarbeit enthalten Lösungspraktiken, die nicht von staatlichen und betrieblichen Regulationsweisen zu unterscheiden sind. Der Gesundheitszustand gilt im gouvernemental subjektivierten Arbeitskraftmanagement als wertschöpfende Ressource, weil die Humankapitalisierung nicht nur auf den Bereich der Arbeitskrafterhaltung und Arbeitspotenzialoptimierung, sondern auch auf den Bereich der Reproduktion der Arbeitskraft abzielt. Auf die Spannungen zwischen Erwerbsarbeit und unbezahlter Reproduktionsarbeit reagieren die gouvernemental Subjektivierten mit unterschiedlichen Strategien. Hier stehen veränderte Formen bzw. die Entwicklung neuer sozialer Formen von „Doing Family“, „Doing Elternteil“ bzw. „Doing ErwerbsarbeiterIn“ im Vordergrund. Konkret müssen sie die Bereitschaft zur Delegation von Arbeiten sowie eine effektive Stressverarbeitung einüben, um Zeitersparnisse auszubauen und um ihr Gesundheits- bzw. ihr Humanvermögen zu fördern. Effekt dieses Arbeitskraftmanagements ist wiederum eine Subjektkonstruktion, die sich an vorgegebenen Herrschafts- und Geschlechterverhältnissen bzw. an hegemonialen Work-Life-Balance-Maßnahmen orientiert. Die signifikanten Lösungspraktiken im gouvernemental subjektivierten Arbeitskraftmanagement sind: Sorgearbeit rationalisieren, Unterstützung der Reproduktionsarbeit durch Familienangehörige, veränderte Geschlechterrollen, Flexibilität als Ressource zur Gestaltung der Familienarbeit, Male-BreadWinner-Situation. Das bedeutet, dass ein erfolgreiches gouvernemental subjektiviertes Arbeitskraftmanagement vor allem davon abhängt, wie die beschriebenen

S UBJEKT

| 381

Stressoren im Kontext der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Reproduktionsarbeit ausbalanciert werden können. • Das selbstbewusste Arbeitskraftmanagement

Die dritte Form des Arbeitskraftmanagements ist eine Erweiterung zu dem Konzept des gouvernemental subjektivierten Arbeitskraftmanagements. Diese Form repräsentiert eine Verbesserung der Organisation des Lebenszusammenhangs über eine effiziente Ausrichtung individueller Ressourcen zugunsten der eigenen Lebensqualität. Diese Form des Arbeitskraftmanagements nimmt gouvernementale Konzepte in die Lebensweise auf, setzt sie aber im Gegensatz zu dem gouvernemental subjektivierten Arbeitskraftmanagement verändert um. Das heißt, im selbstbewussten Arbeitskraftmanagements wird eine stärkere Gewichtung auf die Beziehungszeit, Lebenszeit sowie auf die private Organisation der WorkLife-Balance gelegt, um diese dadurch an ihre je eigenen Bedürfnisse anpassen zu können. Das selbstbewusste Arbeitskraftmanagement drückt sich in Versuchen aus, sich auch gegen strukturelle Vorgaben in den postfordistischen Unternehmen zu wehren. Es äußert sich in der Kritik von Leistungsdruck und psychosozialer Kontrolle durch Unternehmen bezüglich Gesundheit und Selbstsorge. Hierbei werden verbale Gegenanrufungen von den Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern an die Unternehmen formuliert. Hauptsächlich basiert dieses „Sich-wehren“ auf der subjektiven Ebene nach Forderungen zu optimierten Work-Life-Balance-Maßnahmen. Zusammenfassend lassen sich Wechselwirkungen zwischen den sozialen Praxen der Interviewten und den Herrschaftsverhältnissen insofern feststellen, als allen sozialen Praxen im Zusammenhang mit der Organisation des Arbeitskraftmanagements gemein ist – sei es im gescheiterten, gouvernemental subjektivierten oder im selbstbewussten Arbeitskraftmanagement –, dass diese das derzeitige Geschlechterregime stützen. Die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner bauen hegemoniale Subjektivierungsweisen durch Work-Life-Balance-Maßnahmen in ihre Identitätskonstruktionen ein. Die These, dass Geschlechterregime als Spiegel bzw. als Orientierungshilfe dienen, womit Subjekte eine symbolische und strukturelle Ordnung erfahren, bestimmen oder verwerfen können, wird durch die Subjektivierungsweisen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner belegt. Dadurch, dass der Work-Life-Balance-Diskurs doppeldeutig formuliert ist – einerseits durch moderne und diversifizierte Geschlechterideologien, andererseits durch die Reformulierung traditioneller geschlechtsspezifischer Strukturen –, orientieren sich auch die Interviewpartnerinnen und Interviewpart-

382 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

ner an diesen doppeldeutigen Anrufungen. In allen je subjektiven Einzelfällen beziehen sich die Fragmente der Selbstidentifikation auf heteronormative Geschlechterbilder bzw. auf Ideallebenskonzepte einer Male-Bread-Winner-Familie. Allerdings wird die vorgefundene strukturelle und symbolische Ordnung unterschiedlich umgesetzt. Einerseits finden sich traditionelle Geschlechterrollen, andererseits aber auch feministische bzw. neoliberale Geschlechterrollen in den Subjektivierungsweisen wieder. Für die Identitätskonstruktionen der Interviewten spielen Herrschaftsverhältnisse keine bewusste Rolle bei der Materialisierung ihrer Geschlechtsidentitäten. Die Selbstkonstituierungen von Männlichkeit und Weiblichkeit und von deren Verhältnis zueinander werden aus einer vorreflexiven heteronormativen Symbolordnung heraus konstruiert. 9.4.4.2 Wechselwirkung Symbol//Subjekt Die Wechselwirkungen zwischen der Symbol- und der Subjektebene sollen verdeutlichen, welche Auswirkungen die bisher beschriebenen Normen auf die Selbstbilder der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner haben, und „inwieweit die Menschen im untersuchten Feld die herausgearbeiteten symbolischen Repräsentationen akzeptieren“ (vgl. Winker/Degele 2009: 95). Wie schon beschrieben, kann ein Geschlechterregime als ein Spiegel bzw. als eine Orientierungshilfe angesehen werden, womit das Subjekt durch die symbolische Ordnung seine Identität erfahren, bestimmen oder verwerfen kann. Ebenfalls bieten Work-Life-Balance-Konzepte als konkrete Subjektivierungsweisen identitäre Orientierungshilfen, die entlang heteronormativer Geschlechtsidentitäten und Geschlechterverhältnissen konstruiert werden. In den Interviews konstruieren sich Fragmente der Selbstidentifikation von Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern über heteronormative Geschlechterbilder und über Ideallebenskonzepte einer Male-Bread-Winner-Familie. Bestimmt sind diese symbolischen Selbstrepräsentationen als negativ erfahrene Diskurse, die andere über sie verbreiten, wenn den Ideallebenskonzepten nicht entsprochen wird. Sie sind auch bestimmt über die Rückspiegelung des eigenen Abweichens von der geschlechterstereotypen Norm der Male-Bread-Winner-Ideologie. Durch die Wechselwirkungen eröffnen sich für die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner neue Perspektiven, um über die eigenen Geschlechter- und Familienmodelle nachzudenken. In den symbolischen Selbstrepräsentationen beschreiben die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner durchaus Brüche mit den fordistischen Subjektivierungsweisen (vgl. Kapitel 7.4) und greifen auf Work-LifeBalance-Konzepte als Subjektivierungsweise zurück. In diesem Kontext lässt sich der Gesundheits- und Selbstsorgediskurs bei allen Interviewpartnerinnen

S UBJEKT

| 383

und Interviewpartnern als fester Bestandteil ihrer Subjektivierungsweise feststellen. Beide Elemente – heteronormative Geschlechterbilder und Gesundheits- und Selbstsorgediskurse – scheinen sich gegenseitig zu befruchten. Dies ist ganz im Sinne der Anrufungen und der erhofften Wirkungen der Initiative „Work-LifeBalance als Motor für wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftliche Stabilität“ (vgl. Kapitel 8.2.6). Im selbstbewussten Arbeitskraftmanagement allerdings scheint die fordistische Arbeitnehmermentalität im Widerspruch zu dominanten Anrufungsstrategien im Kontext der postfordistischen Work-Life-BalanceKonzepte zu stehen. In gewissem Sinne sind hier Überschneidungen zu der Disposition finden, die als anrufungsresistent bezeichnet wurde (vgl. Kapitel 9.4.3). Abschließend lassen sich die Wechselwirkungen auf der Symbol- und Subjektebene damit beschreiben, dass die Bekenntnisse und Selbstidentifikationen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner paradoxe Richtungen einschlagen. Das bedeutet, dass symbolische Identifikationen mit den hegemonialen Work-Life-Balance-Konzepten einerseits abgelehnt werden, aber andererseits dennoch durch subjektive Anpassungsstrategien eingenommen werden. Anders gesagt ist die Subjektivierungsweise der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner insofern paradox, da sie einerseits anrufungsaffin gegenüber Erneuerungen der Sozialstruktur reagieren und anrufungsresistent gegenüber Erneuerungen der geschlechtsspezifischen Ideologien und Normen. 9.4.4.3 Wechselwirkung Struktur//Symbol Die Wechselwirkungen zwischen der Struktur- und der Symbolebene sollen verdeutlichen, wie „strukturelle Gegebenheiten Auswirkungen auf Normen und Ideologien haben und [wie] sich dementsprechend symbolische Repräsentationen darstellen“ (Winker/Degele 2009: 95). Die Initiative „Work-Life-Balance als Motor für wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftliche Stabilität“ versteht das Konzept Work-Life-Balance in erster Linie als ein Wirtschaftsthema. Work-Life-Balance-Maßnahmen sollen in der Unternehmens- und Personalpolitik als ein wirkungsvolles Instrument zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes Deutschland dienen. Zu den Vorteilen der Einführung von Work-Life-Balance-Maßnahmen zählt die Initiative eine Stärkung des Wirtschaftswachstums, eine Erhöhung des Bruttoinlandsproduktes, die Senkung der Lohnnebenkosten sowie mehr Geburten, Erwerbsarbeit und eine Stärkung des Binnenmarktes. Vor allem die Sichtweise der Initiative zu den „Trends der Arbeitswelt am Beginn des 21. Jahrhunderts“ (vgl. BMFSFJ 2005: 12ff) behandelt Probleme des wirtschaftlichen Strukturwandels sowie des demographischen Wandels. Sie beschreibt die Anforderungen, die sich Unternehmen und

384 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Erwerbstätige in den nächsten 40 Jahren zu stellen haben. Im Vordergrund steht hier die Beschreibung, wie die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entsprechend ihrer Anforderungen in konzerninterne Work-Life-Balance-Maßnahmen integriert werden können. Die Maßnahmen, die vorgestellt werden, sind bedarfsspezifische Arbeitszeitmodelle, eine angepasste Arbeitsorganisation, Modelle zur Flexibilisierung des Arbeitsortes oder gesundheitspräventive Maßnahmen. Ein essenzieller Aspekt dieser Perspektive ist die sogenannte Balance von Familie und Beruf. In dem Zusammenhang werden als Faktoren einer Work-LifeBalance vor allem diversifizierte und flexibilisierte Familienmuster einkalkuliert, die zu Garanten für betriebs- und volkswirtschaftliche Wettbewerbshegemonien hochstilisiert sind. Die Darstellung der Familienrepräsentation in dem Konzept verbindet sich mit feministischen und zugleich neoliberalen Diskursen. Der formulierte Bruch der Initiative mit dem traditionell männlichen Ernährermodell und die Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zugunsten von Frauen beinhaltet zentrale feministische Forderungen nach Chancengleichheit und eine Überwindung patriarchaler Strukturen. Die symbolische Neuzusammensetzung der Geschlechterverhältnisse enthalten somit Anrufungsketten, die sich durch feministische, neoliberale und konservative Diskurse zusammensetzen. Diese Anrufungsketten versprechen, Elternschaft zu erleichtern, zu fördern und sie in Balance mit wirtschaftspolitischen Strategien zu bringen (vgl. Kapitel 8.2.6). Das Konzept dieser Work-Life-Balance ist auf der Strukturebene durch die marktförmige und flexible Umgestaltung der Reproduktionssphäre als Ökonomisierung des Sozialen zu verstehen (vgl. Kapitel 7.4, 8.2.6). Diese strukturellen Gegebenheiten und ihre Auswirkungen auf geschlechtsspezifische Normen und Ideologien haben sich dementsprechend auch in den symbolischen Repräsentationen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner niedergeschlagen (vgl. 9.4.2, 9.4.3). Verdeutlichen lässt sich dies an dem widersprüchlichen Diskurs im Kontext von Work-Life-Balance-Maßnahmen. Dieser will einerseits auf der symbolischen Ebene traditionelle Geschlechterbilder überwinden. Die symbolischen Anrufungen im Kontext von Work-Life-Balance-Diskursen spiegeln die „Frau als Mutter und erfolgreiche Arbeitskraftmanagerin“ wider. Das Geschlechterbild geht in die Richtung, dass Frauen sich dem Wettbewerb unter männlichen Vorzeichen anzupassen haben. Andererseits möchte dieser Diskurs auf der strukturellen Ebene die geschlechtsspezifische Arbeitszeitverteilung in Teil- und Vollarbeitszeitverhältnisse wieder rekonstruieren, um die Steigerung der Geburtenrate zu ermöglichen (vgl. Kapitel 8.2.5). Diese Widersprüchlichkeit lässt bei den Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern große Verunsicherungen entstehen. Die strukturell erfahrene ge-

S UBJEKT

| 385

sellschaftliche Nicht-Anerkennung von berufstätigen Müttern oder Vätern in Teil- und Elternzeit führt zu einer symbolischen Spieglung und Resorption von traditionellen Rollenverteilungen. Diese Resorptionen führen aber auch zu einer Neuformierung traditioneller Rollenverteilungen. Das heißt, die ideologische Aufbereitung und Verbreitung traditioneller Geschlechterbilder führt bei den Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern zu einer Steigerung ihres Kontrastempfindens. Rückkopplungsvorgänge sorgen für eine Subjektivierung hegemonialer Geschlechtsideologien. Das bedeutet, dass die geschlechterregimerelevanten Schnittmengen der Repräsentationen von Struktur- und Symbolebene – vorsichtig formuliert – vor allem auf ökonomisierte und heteronormative gesellschaftliche Beziehungen in Ehe, Familie und Unternehmen verweisen. Im gouvernemental subjektivierten Arbeitskraftmanagement finden sich entsprechende symbolische Repräsentationen wieder. Diese Repräsentationen geben Hinweise darauf, dass rationalisierte, ökonomisierte und staatliche Regulationsweisen als symbolische und strukturelle Anpassungsstrategien tatsächlich für die eigene Work-Life-Balance übernommen werden. Im gescheiterten Arbeitskraftmanagement dagegen wird der Anspruch der Vereinbarkeit in einem Widerspruch zwischen Struktur- und Symbolebene verkörpert. Sie sind ideologisch geneigt, gouvernementale Regulationsweisen anzunehmen. Sie sind aber strukturell eingeschränkt, gouvernementale Regulationsweisen zu übernehmen. Die Konzepte der Arbeitszeit- und Arbeitsortflexibilisierung und die damit verbundene Entgrenzung fester Zeitordnungen schränken das Zeithandeln ein, und die Alltagsorganisation wird folglich als Verkomplizierung verstanden. Zusammenfassend lassen sich die Wechselwirkungen zwischen der Strukturund der Symbolebene so beschreiben, dass die Subjekte durch hegemoniale Anrufungen eine Veränderung ihrer bisherigen Reproduktionsstrukturen zu organisieren versuchen. Diese Anrufungen formieren sich über die Ökonomisierung des Sozialen, die darauf abzielt, den Bereich der Reproduktion von Arbeitskräften rational, effizient und flexibel zu gestalten. Das Selbst wird in dieser Struktur als ArbeitskraftmanagerIn und als „Human Ressource“ angerufen. Work-LifeBalance-Konzepte sollen durch Selbstorganisationsweisen in den privaten Bereich übersetzt werden. Die Anrufungsketten der Eigenverantwortung sind darauf ausgelegt, das Konzept der Work-Life-Balance zum eigenen Lebensentwurf werden zu lassen. Wie beschrieben funktioniert diese Subjektivierungsweise – wenn auch mit unterschiedlichen Ausprägungen und Ergebnissen – als gescheitertes, als gouvernemental subjektiviertes und als selbstbewusstes Arbeitskraftmanagement. Allerdings sind die Work-Life-Balance-Konzepte auf der symbolischen Ebene paradox, da einerseits Diskurse formuliert werden, die traditionelle

386 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Geschlechterbilder überwinden wollen. Andererseits sind die Diskurse so formuliert, dass Work-Life-Balance-Konzepte auf der strukturellen Ebene traditionelle Geschlechterbilder durch geschlechtsspezifische Arbeitsteilungen rekonstituieren. Insgesamt lassen sich die Repräsentationen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner in Bezug auf diese Gegebenheiten als anrufungsaffin gegenüber staatlichen Work-Life-Balance-Konzepten beschreiben. Die je subjektiven Lösungspraktiken zur Vereinbarkeit von Familie, Beziehung, Freizeit und Erwerbsarbeit spiegeln sich in den vorgegebenen strukturellen und symbolischen Lösungspraktiken wider und zeichnen sich durch die Verinnerlichung von hegemonialen Normen und Ideologien aus. Daher lässt sich für die Wechselwirkungen der Struktur- und Symbolebene festhalten, dass die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner durch strukturelle Sachzwänge auf vorgegebene gouvernementale Diskurse zurückgreifen und staatliche Regulationsweisen annehmen. In der Darstellung der Wechselwirkungen ist es möglich geworden, entsprechend der Fragestellung intensiver auf Facetten der Repräsentationen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner einzugehen. Dabei konnten der subjektive Sinn und die im Kontext dazugehörigen gesellschaftlichen Strukturen, Normen und Werte erfasst und in Beziehung zueinander gesetzt werden. Im nächsten Kapitel möchte ich nun abschließend auf die Gesamtbewertung der intersektionalen Mehrebenenanalyse eingehen.

9.5 F AZIT Ziel des gesamten Kapitels war es, Querverbindungen, Wechselwirkungen und Dominanzverhältnisse der geschlechterregimerelevanten Repräsentationen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner darzustellen. Das Erkenntnisinteresse der intersektionalen Mehrebenenanalyse lag in der Beantwortung der Fragen, welche Subjektivierungsweisen bzw. welche subjektiven Geschlechterpraktiken und -formen bei Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern durch Work-LifeBalance-Maßnahmen entstehen und wie das Geschlechterregime durch subjektive Praxen reproduziert wird. Zur Klärung dieser Frage ist dem Aspekt nachgegangen worden, inwiefern die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner den Herrschaftsstrukturen des Geschlechterregimes unterliegen und inwieweit sie Subjektivierungsweisen akzeptieren oder sich zur Wehr setzen. Es konnten unterschiedliche soziale Praxen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner festgestellt werden. Die sozialen Praxen habe ich als drei verschiedene Formen im Kontext des Arbeitskraftmanagements der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner klassifiziert. Durch die intersektionale Mehrebenenanalyse konnte

S UBJEKT

| 387

ich in diesem Zusammenhang unterschiedliche Dispositionen von Arbeitskraftmanagementformen darstellen (vgl. Kapitel 9.4.4). Diese Formen geben zugleich eine Antwort auf meine Forschungsfrage, wie geschlechterregimerelevante Regulationsweisen und Diskurse von Work-Life-Balance-Konzepten subjektiviert bzw. durch Subjekte übernommen und verinnerlicht werden. Diese Frage, wie das Geschlechterregime durch diese subjektiven Praxen reproduziert wird, möchte ich am Beispiel der vorgestellten Subjektivierungsweisen im Kontext des Arbeitskraftmanagements weiter erläutern. Wie schon beschrieben stellt das Geschlechterregime ein Herrschaftsdispositiv dar, und seine Subjektivierungsweise lässt sich in Verbindung mit WorkLife-Balance-Maßnahmen als geschlechtsspezifischer Steuerungsmodus bzw. als geschlechtsspezifische Regulationsweise verstehen. In Bezug auf die unterschiedlichen Subjektivierungsweisen im Kontext des Arbeitskraftmanagements lassen sich neben den Unterschieden auch Gemeinsamkeiten in Bezug auf die Reproduktion des Herrschaftsdispositivs darstellen. Mittels der von der Kritischen Psychologie entwickelten Begrifflichkeit der restriktiven Handlungsfähigkeit kann die Reproduktion von Herrschaftsdispositiven näher erläutert werden. Für Kritische Psychologinnen und Psychologen stellt die Kategorie „Handlungsfähigkeit“ das Vermittlungsverhältnis sozialer Praxen mit gesellschaftlicher und individueller Reproduktion dar (vgl. Holzkamp 1997: 394, Markard 2000: 34). Handlungsfähigkeit bedeutet, dass Individuen keinen Determinationen oder scheinbar naturgegebenen Verhältnissen unterliegen, sondern stets Handlungsalternativen haben. Die jeweiligen Aktions- oder Reaktionsformen werden nicht in jeder Situation von den Beteiligten eigens erfunden, sondern sie sind in tradierten sozialen Formen angeboten: „Indem die Einzelnen bei der Austragung ihrer Konflikte ‚im Bedarfsfalle‘ auf [...] ideologische ‚Angebote‘ zurückgreifen, durchleben sie damit also spezifische Erscheinungsformen gesellschaftlich typischer Konfliktkonstellationen“ (Holzkamp 1997: 45). Besonders in Konfliktkonstellationen zeigen sich die unterschiedlichen Interessen zwischen den Herrschaftsdispositiven und den je subjektiven Lebensinteressen der Einzelnen. Dabei kann ein widersprüchliches Verhältnis von Möglichkeiten und Behinderungen entstehen. Bei starken Widersprüchen zur Umsetzung der je subjektiven Lebensinteressen können begrenzte bzw. restriktive Bewältigungsmöglichkeiten genutzt und die ihnen nahe gelegten Denkformen reproduziert werden (vgl. Markard 2000: 34). Restriktive Handlungsfähigkeit bedeutet, sich einzurichten, sich mit den bestehenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen abzufinden und unter diesen Bedingungen zu versuchen, einen Rest an Verfügungsgewalt zu erhalten und in Bestätigung der bestehenden Herrschaftsverhältnisse, zumindest partiell, an diesen teilzuhaben (vgl. Holzkamp 1997: 397). Nach Klaus Holz-

388 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

kamp (1983, 1985: 360ff) lässt sich die Handlungsfähigkeit als Verhältnis von Handlungsmöglichkeiten und -behinderungen von Menschen analysieren. Handlungsfähigkeit entwickelt sich aus den unterschiedlichsten Widersprüchen, in die Individuen verwoben sind. Das heißt, das spezifische und bestimmende Moment der Handlungsfähigkeit ist „die individuelle Teilhabe an der bewusst vorsorgenden Bestimmung über gesellschaftliche Lebensbedingungen“ (Holzkamp 1984: 35). Die individuelle Existenzsicherung ist demnach tendenziell das Gleiche wie die individuelle Teilhabe an der Verfügungsgewalt über gesellschaftliche Prozesse. Daraus schließt Holzkamp, dass das Individuum als Einzelnes gar nicht die Macht besitzt, in bewusster Vorsorge – zumindest unter kapitalistischen Vorzeichen – über die gesellschaftlichen Lebensbedingungen zu verfügen. Es bleibt mehr oder weniger den Daseinsumständen notwendig ausgeliefert. Das Individuum kann nur auf aktuelle Momente reagieren (vgl. Holzkamp 1984: 35). Insgesamt bedeutet das, dass das Subjekt einerseits Urheber seiner Handlungen ist und dass es andererseits als ein unterworfenes Wesen einer höheren Autorität, einem Regime oder einer Ideologie untergeordnet bleibt (vgl. Althusser 1977: 148). Da sich meine Forschungsfrage auf die Analyse des Anpassens an herrschende Bedingungen bzw. auf die Aufdeckung der Reproduktion von herrschenden Bedingungen innerhalb der Gesellschaft bezieht, verfolge ich nun die Analyse von restriktiven Handlungsfähigkeiten der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner. Die verallgemeinerte Handlungsfähigkeit ist der Versuch einer gemeinsamen Kontrolle über die gesamtgesellschaftlichen Lebensbedingungen. Ein solcher Versuch konnte zumindest anhand der Interviewpassagen nicht direkt nachgewiesen werden. Dies ist aber auf meine Fragestellung zurückzuführen. Ich habe es versäumt – trotz eines offenen Interviewleitfadens und der Methode des problemzentrierten Interviews – gezielte Nachfragen in Richtung der verallgemeinerten Handlungsfähigkeit zu stellen. Allerdings konnten Erweiterungen der Handlungsfähigkeiten vor allem im selbstbewussten Arbeitskraftmanagement nachgewiesen werden, die auf Wünsche nach einer verallgemeinerten Handlungsfähigkeit schließen lassen. Für Holzkamp dienen die Begriffe restriktive/verallgemeinerte Handlungsfähigkeit aber „nicht dazu, Menschen zu typologisieren bzw. ein- und auszugrenzen – manche Leute sind verallgemeinert handlungsfähig, andere nur restriktiv –, sondern sie haben die Funktion, die jeweils konkrete Situation darufhin zu analysieren, ob und in welcher Weise sie es ermöglicht, unsere Handlungsfähigkeit zu erweitern und die Bedingungen, die dem entgegenstehen, zu überwinden, oder ob wir unter dem Druck der aktuellen Situation auf Versuche zurückgeworfen sind oder regredieren, unsere Handlungsfähigkeit im Rahmen der herrschenden Bedingungen abzusichern.“ (Holzkamp 1997: 396)

S UBJEKT

| 389

Ein Überwinden der restriktiven Handlungsfähigkeit setzt das „Sich-bewusstverhalten-können-zu“ (Holzkamp 1997: 394) Herrschaftsdispositiven bzw. die „Überwindung des Unmittelbarkeitspostulats durch kategoriale Rekonstruktion des Zusammenhangs zwischen gesellschaftlicher und individueller Reproduktion“ (Holzkamp 1997: 390) voraus. Die restriktive Handlungsfähigkeit lässt sich in diesem Zusammenhang als ein zentraler Effekt der Reproduktion institutioneller Herrschaftsorganisation begreifen (vgl. Holzkamp 1997: 322, Naumann 2000: 140-168). Denn indem die je eigenen Interessen durch die Akzeptierung von gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnissen verfolgt werden, werden sie auch zugleich verletzt, weil mögliche Bündnispartnerinnen und Bündnispartner für die Erweiterung der gemeinsamen Lebensbedingungen und Handlungsmöglichkeiten verloren gehen. Frei nach dem Motto: „Ich verrate um meiner unmittelbaren Absicherung, Bestätigung etc. willen die eigenen Entwicklungs- und Lebensmöglichkeiten“ (Holzkamp 1997: 396). Diese Form von restriktiver Handlungsfähigkeit wird m. E. in den sozialen Praxen im Kontext des gescheiterten und gouvernemental subjektivierten Arbeitskraftmanagement besonders ersichtlich. Mit dem Kontextwissen aus der soziohistorischen Rahmenanalyse des Geschlechterregimes bezüglich der Fahrstuhleffekte zwischen den drei verschiedenen Familienmodellen – dem ökonomisierten, dem prekären und dem subsistenzorientierten Familienmodell (vgl. Kapitel 7.3.1, Winker 2007a) – zeigt sich bei allen Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern, dass die eigene Lebensführung sich darum dreht „am Ball zu bleiben“. Durch diesen Zwang „am Ball bleiben zu müssen“ werden gesellschaftliche Vorgaben von den Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern angenommen bzw. als Handlungsprämissen akzeptiert, um nicht zu scheitern oder um den sozialen Status zu verbessern. Auf der subjektiven Ebene bleibt durch den Zwang, gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse zu akzeptieren, allzu oft die Angst als Bündnispartnerin der Interviewten übrig (vgl. Kapitel 9.4.1). Das heißt, Angst vor Arbeitsplatzverlust, Leistungsdruck, finanziellen Einbußen, Intensivierung der Arbeit, Flexibilisierung der Arbeitszeit, Burnout oder die Angst vor einer persönlichen Ressourcenerschöpfung sind ständige Begleiterscheinungen des Arbeitskraftmanagements der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner (vgl. hierzu auch Groengroeft 2006: 74f, Sennet 1998: 10, 129). Das bedeutet wiederum, dass die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner zwecks Reproduktion ihrer Lebensbedingungen die eigene Unterdrückung selbst stärken und Verhältnisse bestätigen, die letztlich die Verfügungsgewalt über die je eigenen Lebensinteressen einschränken. Diese Selbstmobilisierung der Individuen für herrschende Interessen zeichnet ein Verhältnis ab, „in der die davon Angesprochenen unermüdlich an sich arbeiten, um

390 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

zu erfolgreichen Subjekten ihrer Entfremdung zu werden und so über ihre Konkurrenten zu triumphieren“ (Haug W.F. 1991: 42). Zusammenfassend lässt sich in Bezug auf die Reproduktion des Geschlechterregimes durch subjektive Praxen festhalten, dass die restriktive Handlungsfähigkeit mit einer ambivalenten Form der Selbstabsorption einhergeht. Das bedeutet, dass als Folge des Selbstmanagements die Verarmung des Solidarprinzips auftreten kann (vgl. Kapitel 9.4.2). Die vorgefundenen gouvernementalen Strukturen und Ideologien über Erwerbs- und Reproduktionsarbeit, Familie oder Geschlechterverhältnisse entfalten ihre Wirkungen bis in die Belohnungs- oder Angstzentren der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner. Das heißt, durch die Reproduktion der gouvernementalen Strukturen und Ideologien werden die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner mit einem Platz in der Gesellschaft belohnt. Durch eine Ablehnung von gouvernementalen Strukturen und Ideologien erfahren sie eine gesellschaftliche Nicht-Anerkennung. Da die Möglichkeit nicht restriktiv zu handeln auch die Möglichkeit birgt, „dass man in Konflikt mit den jeweils herrschenden Verhältnissen bzw. Kräften gerät, diese zurückschlagen und man auch noch den letzten Rest von Handlungsfähigkeit verliert“ (Holzkamp 1997: 396), erscheint das Arbeitskraftmanagement der gouvernemental subjektivierten und gescheiterten Interviewpartnerinnen und Interviewpartner als Reproduktion von Herrschaftsinteressen zur Absicherung der eigenen und familiären Lebensbedingungen. „Da aber Institutionen bildendes und reproduzierendes Handeln weder einfach strukturell determiniert noch konfliktlos ist, sondern von den Strategien widerstreitender Akteure bestimmt ist“ (Hirsch 2005: 41), können die jeweiligen geschlechterregimerelevanten Materialisierungsprozesse in eine dysfunktionale Formation für die Reproduktion der Produktionsbedingungen geraten. Anders gesagt können widersprüchliche Handlungen eine bedeutsame Trennung von herrschaftslegitimierenden und widerständigen sozialen Praxen bzw. eine restriktive und eine verallgemeinerte Handlungsfähigkeit hervorbringen (vgl. Holzkamp 1985: 360ff). Hauptsächlich wäre in diesem Zusammenhang die soziale Praxis des selbstbewussten Arbeitskraftmanagements zu nennen, da gouvernementale Konzepte in diese Subjektivierungsweise aufgenommen, die Konzepte aber verändert umgesetzt werden. Die Umsetzungen drücken sich in Versuchen aus, sich gegen strukturelle Vorgaben in den postfordistischen Unternehmen zu wehren. Das heißt, Widersprüche in den sozialen Praxen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner finden sich vor allem als Widerspruch zwischen ihrer fordistischen Arbeitnehmerinnenmentalität und den postfordistischen WorkLife-Balance-Konzepten. Jene lassen sich am ehesten darüber verdeutlichen, dass für sie die Maßnahmen der Flexibilisierung negative Auswirkungen in Be-

S UBJEKT

| 391

zug auf das Aufrechterhalten eines intakten Familienlebens beinhalten. Die Widersprüche der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner drücken sich durch verbale Gegenanrufungen an die Unternehmen und die Forderung von „richtigen“ Work-Life-Balance-Maßnahmen aus. In diesem Zusammenhang konnten durch Versäumnisse in der gezielten Nachfrage nach der verallgemeinerten Handlungsfähigkeit auch nicht gesagt werden, inwieweit der Widerstand der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner gegen die Durchsetzung von Herrschaftsverhältnissen auf eine verallgemeinerte Handlungsfähigkeit abzielte. Folglich bedeutet dies, dass die Aufschlüsselung und Analyse der Reaktionsund Bewältigungsstrategien der Subjekte gegenüber Herrschaftsverhältnissen und die damit verbundenen Handlungs- und Denkmöglichkeiten nicht eindeutig erklärt werden konnten. Die Gefahr einer Überinterpretation meinerseits hierbei ist zu groß. Die Reichweite meines intersektionalen Vorgehens stößt insofern an verschiedene Grenzen, weil einerseits die Gefahr der Überinterpretation von Aussagen der Befragten besteht und weil andererseits die Befragten nicht in den Prozess der Interpretation mit eingebunden wurden. Durch die Intention der intersektionalen Interviewauswertung – einerseits die Heraushebung der Beschränkungen individueller Lebensmöglichkeiten durch Herrschaftsverhältnisse und andererseits die Herausarbeitung subjektiver Befindlichkeiten sowie die Problematisierung von restriktiven gesellschaftlichen Verhältnissen – wird die Reichweite meines methodischen Vorgehens deutlich. Das intersektionale Handwerk besteht darin, durch ein methodologisches Modell Wechselwirkungen, verschiedene Formen und Verschiebungen von Kategorien, Ebenen und Elementen innerhalb der Gesellschaftsformation konzeptuell einzufangen sowie Widersprüche empirisch zu rekonstruieren (vgl. Winker/Degele 2009: 79). Damit aber ein intersektionaler Ansatz nicht selbstreferenziell und reduktionistisch auf einer deskriptiven Ebene von gesellschaftlichen Strukturbestimmungen agiert, bedarf es weiterer Überlegungen und Handlungsperspektiven des intersektionalen Auswertens, um Handlungsfähigkeiten von Subjekten berücksichtigen zu können. Meine Schlussfolgerung daraus ist, dass eine intersektionale Auswertung, die das Ziel hat, Herrschaftsverhältnisse zum Vorschein zu bringen, als Prozess nur die Forschung vom Standpunkt der Befragten sein kann. Als Methode muss die intersektionale Mehrebenenanalyse die „Mit-Untersuchung“ der Befragten einplanen, um die Perspektiven von Handlungsfähigkeiten adäquat einzubeziehen. Folglich würde dies für weitere Befragungen bedeuten, dass die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner nicht „beforscht“ werden, sondern dass sie zu Mitforschenden werden. Das bedeutet wiederum, dass die „Mit-Untersuchenden“ die Fragestellungen mitdiskutieren, die Ergebnisse mitauswerten und in die Form der Sozialforschung eingreifen. Dieser Prozess-

392 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

charakter eröffnet die Möglichkeit, sich durch die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner berichtigen zu lassen. Durch das Eingreifen der „Untersuchten“ in die Auswertung und in die Darstellung gesellschaftlicher Herrschaftsverhältnisse ergeben sich möglicherweise auch Bezugspunkte und Reflexionen eigener Standpunkte. Anknüpfungspunkte für eine „eingreifende Theorie der Intersektionalität“ könnten hierfür, unter anderem, die von den italienischen OperaistInnen erarbeiteten Instrumente der Mit-Untersuchung (vgl. Quaderni Rossi 1972) und die von der Kritischen Psychologie erarbeitete Forschung vom Standpunkt des jeweiligen Subjekts (vgl. Holzkamp 1997: 19ff, Markard 1993) liefern. Wie eine weiterführende Untersuchung aussehen könnte, ist allerdings offen und bedarf weiterer Überlegungen. Diese Schlussfolgerung kann an dieser Stelle auch nur als eine Empfehlung für weiterführende Forschungsarbeiten ausgesprochen werden.

10. INTERSEKTION: Zusammenfassung und abschließende Darstellung der intersektionalen Dispositivanalyse des Geschlechterregimes

Die Aufgabe dieses Kapitels ist es, eine Gesamtschau der intersektionalen Dispositivanalyse des Geschlechterregimes und die Wechselwirkungen aller Ebenen darzustellen. Am Ende der bisherigen Kapitel wurden bereits die jeweiligen Wechselwirkungen der einzelnen Ebenen dargestellt und Forschungsfragen beantwortet. Die Hauptaufgabe dieses Kapitels ist die abschließende Bewertung der intersektionalen Dispositivanalyse des Geschlechterregimes. Wurden bisher in den einzelnen Kapiteln zuvor Mikroebenen des Geschlechterregimes im Einzelnen untersucht, werden zum Abschluss die Wechselwirkungen dieser Subebenen als Gesamtschau dargestellt. Diese abschließende Bewertung der intersektionalen Dispositivanalyse ist die systematische Darstellung des postfordistischen Geschlechterregimes der BRD. Doch zuerst wird nun im Folgenden komprimiert auf die Darstellungen und die Beantwortung der Forschungsfragen eingegangen.

10.1 Z USAMMENFASSUNG UND B EANTWORTUNG DER F ORSCHUNGSFRAGEN Aufgrund meines Erkenntnisinteresses herauszufinden, wie Geschlechterregime durch strukturelle, symbolische und subjektive Faktoren organisiert und reguliert werden, bin ich folgenden Forschungsfragen nachgegangen: • Was sind Elemente eines intersektionalen Geschlechterregimekonzeptes?

394 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

• Wie kann ein intersektionales Geschlechterregimekonzept theoretisch zusam-

mengesetzt und definiert werden? Ausgehend von Erkenntnissen und Anknüpfungsstellen der vergleichenden Wohlfahrtsstaatenforschung und der feministischen Politikwissenschaft zum Geschlechterregimekonzept habe ich Grundlagen verdeutlicht, gegeneinander abgewägt und aufgrund dessen eigene Schlüsse und Erweiterungen des Konzeptes erarbeitet. Als problematisch an den Konzeptionen der vergleichenden Wohlfahrtsstaatenforschung zum Geschlechterregime hat sich herausgestellt, dass das Konzept Geschlechterregime aus der Sichtweise der vergleichenden Wohlfahrtsstaatenforschung für mein Erkenntnisinteresse verkürzt erscheint. Die Konzeptionen der vergleichenden Wohlfahrtsstaatenforschung werden als politische Institutionenanalyse der Produktionssphäre verwendet (vgl. Dingeldey 2002: 5, Kapitel 2.1). Mein Erkenntnisinteresse bezieht sich darüber hinaus auf die wechselseitigen Verbindungen kapitalistischer Produktions- und Reproduktionsbedienungen, staatlicher Herrschaftsorganisation, ideologischer Regulationen von Geschlechterverhältnissen sowie Selbstverhältnissen und Selbstregulierungsweisen der Geschlechter. Deshalb habe ich weitere Konzeptionen untersucht, welche die kulturellen, diskursiven, ideologischen und subjektiven Ebenen in das Geschlechterregimekonzept einbeziehen (vgl. Connell 1995, Dackweiler 1995ff, Young 1998a, Adam/Padamensee 2001b, MacRae 2006, Walby 2009, Kapitel 2.1). Wie Silvia Walby postuliert, ist ein Geschlechterregime intersektional verbunden und entwickelt (vgl. Walby 2009: 60). Das bedeutet, dass der Begriff des Geschlechterregimes, der, über die politische Institutionenanalyse hinaus, die intersektionalen Wechselwirkungen von Herrschaftsverhältnissen untersuchen will, sich folglich auf verschiedenen Ebenen den aktuellen bzw. historischen Veränderungen in den gesamtgesellschaftlichen Sphären zuwenden muss. Weiter bedeutet dies auch, dass ein erweitertes Geschlechterregimekonzept sich an den Anforderungen bzw. an dem Paradigmenwechsel innerhalb der Arbeits- und Geschlechterforschung messen lassen muss (vgl. Knapp 2005: 1, Soiland 2008: 1, Aulenbacher/Riegraf 2009: 5, Kapitel 2.2). Mit diesen Anforderungen an ein intersektionales Konzept eines Geschlechterregimes bzw. mit dieser so aufgestellten Forschungsausgangslage habe ich mittels des Intersektionalitätsansatzes von Gabriele Winker und Nina Degele (2009) methodologische Überlegungen und Operationalisierungen zur Bestimmung einer intersektionalen Definition und Konzeption des Konzeptes Geschlechterregime angestellt (vgl. Kapitel 2.3). Das Ergebnis dieser Überlegungen ist, dass ein erweitertes Konzept, sowohl auf der abstrakt-theoretischen Ebene als auch auf der konkret-historischen Ebene, sich den komplexen Wechselwirkungen verschiedener Bestimmungsfaktoren von

I NTERSEKTION

| 395

Geschlechterregimen zu stellen hat (vgl. Kapitel 2.4). Der Ansatz der Intersektionalität dient hierbei als analytischer und methodischer Rahmen. Mithilfe der Methode des symptomatischen Lesens nach Louis Althusser habe ich dazu weitere Anschlussstellen aus regulationstheoretischen und poststrukturalistischen Sichtweisen untersucht, Definitionsbausteine herausgelesen und Definitionsketten herausgearbeitet (vgl. Kapitel 3 und 4). Mittels der Regulationstheorie habe ich die strukturellen Ebenen des Geschlechterregimes hervorgehoben. Im Mittelpunkt des 3. Kapitels standen die geschlechtertheoretischen Anschlussstellen im Zusammenhang mit der geschlechtsspezifischen Kapitalakkumulation und Arbeitsteilung, der Reproduktionsarbeit, der Reproduktion der Produktionsverhältnisse und der institutionellen Herrschaftsorganisation sowie den staatlichen Regulationsweisen der Geschlechterverhältnisse. Die Fruchtbarkeit der regulationstheoretischen Sichtweise für Definitionsbausteine und Definitionsketten eines Geschlechterregimekonzeptes liegt in der Darstellung der Regulationsweise des Akkumulationsregimes und in der damit zusammenhängenden institutionellen, ideologischen und sozialen Herrschaftsformation. Für den ersten Baustein des Geschlechterregimekonzeptes wurde festgehalten, dass eine gegenseitige Bedingtheit zwischen dem Akkumulationsregime und dem Geschlechterregime herrscht. In diesem Zusammenhang ist dargelegt worden, dass ein Geschlechterregime zur Konstituierung zusätzliche soziale, juristische, politische, repressive und ideologische Verhältnisse sowie Institutionen bedarf. Das heißt, es braucht Regulationsweisen, um Geschlechterverhältnisse zu organisieren, zu stabilisieren und zu reproduzieren (vgl. Aglietta 1979: 171, Kohlmorgen 2004: 49ff, Chorus 2007: 31ff, Kapitel 3.1). Für den zweiten Baustein des theoretisch-abstrakten Geschlechterregimekonzeptes wurde festgehalten, dass ein Geschlechterregime eine zeitlich begrenzte Form gesellschaftlicher Machtverhältnisse, ein materialisierter Ausdruck und eine temporäre Erstarrung institutionalisierter sozialer Kräfteverhältnisse ist und staatlich-institutionalisierte Formen annimmt. Wesentlich für die Konstitution von Geschlechterregimen sind die staatlichen Institutionen und die daran geknüpften Ideologien und Normen. In diesem Zusammenhang stellt sich ein Geschlechterregime als ein Steuerungsmodus dar, um soziale Praxen geschlechtsspezifisch zu regulieren. Einen zentralen Rahmen des Steuerungsmodus gibt die Familienform vor. Die Besonderheit der Familienform liegt darin, dass sie Produktions- und Reproduktionssphäre verbindet und sowohl repressive als auch ideologische Elemente beinhaltet (vgl. Kohlmorgen 2004: 37ff; 54ff, Kapitel 3.2). In diesem Zusammenhang haben sich zwei wesentliche Hypothesen für weitere Konstitutionsbedingungen des Geschlechterregimes formulieren lassen (vgl. Kapitel 3.3):

396 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

• Dadurch, dass sich über die politischen, institutionellen und sozialen Herr-

schaftsformationen Geschlechterverhältnisse auch unabhängig von der Warenform konstituieren, müssen weitere symbolische und subjektive Faktoren zur Etablierung eines Geschlechterregimes verdeutlicht werden. • Dadurch, dass Geschlechterverhältnisse nicht nur durch die materialistischen Mechanismen der Vergesellschaftung aufrechterhalten werden, sondern auch durch heteronormative Praxen reguliert sind, bedarf es konkreter Analysen, wie soziale Praxen und Strukturimperative im Kontext eines Geschlechterregimes korrespondieren. Diese Hypothesen beziehen sich auf Fragen des Zusammenhangs von Machtverhältnissen, Ideologien, Diskursen und Subjektivierungsweisen. Als Konsequenz daraus wurden im folgenden 4. Kapitel geschlechterregimerelevante strukturelle, symbolische und subjektive Ebenen mithilfe poststrukturalistischer Sichtweisen weiter differenziert. Das Kapitel zur Regulationstheorie hat sich hauptsächlich mit den politischen und ökonomischen Dimensionen der Definitionsbausteine beschäftigt. Das Kapitel zum Poststrukturalismus bezieht sich auf die kulturelle Dimension des Geschlechterregimes. Hierbei kommen symbolischen und subjektiven Prozessen, die unter dem Einfluss von biopolitischen und gouvernementalen Regulationsweisen und diskursiven Praxen der Identitätsbildung stehen, eine besondere Bedeutung zu (vgl. Kapitel 4.1). Schwerpunkt hierzu bilden einerseits geschlechtertheoretische Anschlussstellen im Zusammenhang mit der Foucaultschen Machtanalyse und andererseits Anschlussstellen an die Butlersche Analyse von heteronormativen Subjektivierungsweisen im Zusammenhang mit der Materialisierung von Geschlecht. Aus diesen Verbindungen heraus ergaben sich folgende Definitionsketten eines theoretisch-abstrakten Geschlechterregimekonzeptes. Zweigeschlechtlichkeit als soziale Klassifizierungs- und Differenzierungsform ist nach der Darstellung poststrukturalistischer Sichtweisen nicht als essentialistische Vorgabe der Natur zu verstehen, sondern als Effekt sozialer Konstruktionsprozesse, die in gesellschaftlichen Machtverhältnissen eingebettet sind. Geschlechterregime materialisieren sich folglich und sind ein überdeterminierter Teil gesellschaftlicher Herrschaftsbedingungen (vgl. Kapitel 4.2). Das heißt, historisch-konkrete Geschlechterregime entwickeln sich durch Hegemonie, da Auseinandersetzungen um Symbolformen existieren, die ihren Ausdruck in der Definitionsmacht um „wahre“ Diskurse, Normen und Werte, sowie Lebensstile finden. Das Geschlechterregime entsteht dementsprechend erst durch klassifikatorische Praxen von Individuen oder Gruppen innerhalb der Gesellschaft, welche um Hegemonie ringen (vgl. Lemke 1997: 51). Aus einem poststrukturalistischen Konzept von Geschlechterregimen heraus stehen Individuen

I NTERSEKTION

| 397

in einem sozialen (Selbst-)Verhältnis, das unter heutigen gesellschaftlichen Bedingungen heteronormativ organisiert ist und bestimmte Körpernormen anbietet (vgl. Kreisky 2003). In der Wiederholung geschlechtsbezogener Normen liegt eine Materialität, welche die Produktivität eines hegemonialen Geschlechterdiskurses widerspiegelt. Durch diese poststrukturalistische Sichtweise wird einerseits auf die Gewaltförmigkeit der Konstruktion von Geschlechtern hingewiesen und andererseits sind mit dieser Sichtweise auch Selbstregulierungspraxen der Geschlechter im Blick. Der zentrale Baustein für die Analyse eines Geschlechterregimes aus poststrukturalistischer Sichtweise liegt darin begründet, dass sich heteronormative Machtwirkungen, -mechanismen, -strategien und -politiken durch einen fein abgestimmten Zwang vollziehen und dass sich Individuen durch Selbstregierungen in das jeweilige Geschlechterregime integrieren. Dadurch entsteht ein Selbstzweck, sodass ein Geschlechterregime ohne Herrschaft auskommt. Ein Geschlechterregime lässt sich als Vereinnahmungsapparat mit Übertragungsmacht beschreiben (vgl. Butler 2003, 2004, Kapitel 4.3). Die Zusammenführung beider theoretischer Ansätze wurde in Kapitel 5 „Intersektionale Bausteine und intersektionale Definition des Konzeptes Geschlechterregime“ vollzogen. Das Ergebnis der Zusammenführung sind die folgenden intersektionalen Definitionsketten, die sich aus dem symptomatischen Lesen der regulationstheoretischen und poststrukturalistischen Quellen heraus zusammensetzen (vgl. Kapitel 5.1): • Das Geschlechterregime kann auf der Strukturebene als eine Regulationsweise

verstanden werden, Geschlechterverhältnisse mittels nationalökonomischer, politischer und zivilgesellschaftlicher Dispositive bzw. Struktureinheiten zu stabilisieren. Ziel der Dispositive ist es, die Geschlechter an den für sie vorgesehenen Platz zu führen und Unregelmäßigkeiten in der Bevölkerungsentwicklung auszubalancieren sowie hegemoniale Kämpfe zu organisieren, um die Anordnungen der Geschlechter in der Gesellschaft zu formieren. Da im Kern das kapitalistische Akkumulationsregime eine vergeschlechtliche Besetzung und Voraussetzung aufweist, werden durch Geschlechterregime Mechanismen gegen Krisen und für stabile gesellschaftliche Beziehungen installiert. Über institutionelle, ideologische und soziale Herrschaftsformationen (Ehe, Heteronormativität, Familie etc.) hinweg werden die produktiven sowie zweckmäßigen gesellschaftlichen Beziehungen geschützt. Effekt des Geschlechterregimes ist die kontrollierende Anpassung von Subjekten. • Das Geschlechterregime kann auf der Symbolebene damit beschrieben werden, dass die Strukturen von Geschlechterregimen sich entlang der Verkettun-

398 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

gen mit den symbolischen Bezugspunkten der Heteronormativität konstituieren. Die ideologische Achse von Heteronormativität, Nation und „Rasse“ innerhalb des auf Deutschland bezogenen Geschlechterregimes spielt eine besondere Rolle, um die Volkswirtschaft zu stabilisieren. Ein Geschlechterregime lässt sich hierbei als geschlechtsspezifische Regulationsweise verstehen, um über repressive und ideologische Vorgaben die Zusammensetzung einer heteronormativ-kapitalistischen Gesellschaftsformation zu organisieren und zu entwickeln. • Das Geschlechterregime kann auf der Subjektebene damit beschrieben werden, dass ein Geschlechterregime ein Spiegel bzw. eine Orientierungshilfe darstellt, womit Subjekte durch die strukturelle und vorreflexive symbolische Ordnung ihre Identität erfahren, bestimmen oder verwerfen können. Das Geschlechterregime ist Ausdruck subjektiver Bedeutungshegemonien in Bezug auf geschlechtsspezifische Symboliken. Das Geschlechterregime ist demnach ein Vereinnahmungsapparat von Subjektivitäten, der mit einer Übertragungsmacht von heteronormativen Sichtweisen ausgestattet ist. Mit einem auf diese Definitionsketten orientierten Verständnis eines Geschlechterregimes konnte der Begriff wie folgt definiert werden (vgl. Kapitel 5.2): Im Allgemeinen stellt das Geschlechterregime ein Herrschaftsdispositiv dar. Das Geschlechterregime herrscht in den ökonomischen, politischen, ideologischen und sozialen Formationen. Es herrscht durch die ökonomischen, politischen, ideologischen und sozialen Formationen und es reproduziert sich über diese Formationen. Das Geschlechterregime als Herrschaftsdispositiv ist im Besonderen ein auf Geschlechter bezogener Modus zur Regulation der kapitalistischen Produktions- und Reproduktionssphären. Im Einzelnen handelt es sich um ein komplexes Geflecht von Herrschaftstechniken und Machtverhältnissen, in denen verschiedene geschlechtsspezifische Politiken, Ideologien und Diskurse aufeinandertreffen, ineinandergreifen und in den Kreuzungen identitäre und heteronormativ-vergeschlechtlichte Subjektivierungsweisen stattfinden, welche wiederum die Allgemeinheit des Dispositivs Geschlechterregime konstituieren. Durch diese Definition konnten folgende Schlussfolgerungen abgeleitet werden: Das Geschlechterregime lässt sich theoretisch-abstrakt als eine Geschlechterverhältnisse strukturierende und von Geschlechterverhältnissen strukturierte Struktur verstehen. Das Ziel dieser Geschlechterverhältnisse strukturierenden und

I NTERSEKTION

| 399

strukturierten Struktur ist demnach die Unterstützung der Reproduktion der jeweiligen Hegemonie und deren Produktionsbedingungen durch die den Subjekten zugewiesene geschlechtsspezifische Funktion und Formatierung. In meiner Darstellung bezieht sich der Begriff des Geschlechterregimes explizit – im Gegensatz zum Begriff Genderregime, der überwiegend in der Forschung benutzt wird (vgl. Betzelt 2007, Kapitel 2.1) – auch auf die Dimensionen des körperlichen Geschlechts. Mit dem Begriff Geschlechterregime lassen sich so die Anordnungen des biologischen als auch des sozialen Geschlechts verstehen. Das Geschlechterregime ist demnach der Überbau, der Selbstverhältnisse und Fremdzuweisungen, als Regulations- und Regierungsform bzw. als Herrschaftsformierung der Geschlechter begreift. Die historisch-konkrete Entwicklung und Geschichte eines Geschlechterregimes ist auf wechselseitige ökonomische, ideologische und subjektive Praxisformen zurückzuführen. Mit dieser Theoretisierung habe ich ein Theorem entwickelt (vgl. Kapitel 5.3). Das Theorem –allgemein als Lehrsatz und als Bestandteil einer wissenschaftlichen Theorie bezeichnet – besagt, dass mittels des theoretisch-abstrakten Konzeptes des Geschlechterregimes die historisch-konkreten Interaktionsformen zwischen ökonomischen und institutionellen Machtverhältnissen, Zivilgesellschaft, kulturellen Diskursen und Ideologien von Geschlechtern sowie Selbstregierungsmechanismen im Kontext der sozialen Dimensionen (Struktur/Symbol/ Subjekt), der geschichtlichen Periode und der hegemonialen Formation untersucht werden können. Für diese Analyse der Verwobenheit und des Zusammenwirkens heteronormativ-kapitalistischer Herrschaftsstrukturen habe ich das Theorem als intersektionale Dispositivanalyse aufgebaut, um es für die empirische Untersuchung benutzen zu können. Diese Untersuchungsmatrix besitzt folgende Koordinaten: • Dispositivelemente der Strukturebene [Reihe 1 Akkumulationsregime]: Ge-

sellschaftsformation – Organisation von Lohn- und Reproduktionsarbeit/ Klassen- und Geschlechterzusammensetzung – Krise der Reproduktionsprozesse • Dispositivelemente der Strukturebene [Reihe 2 Regulationsweisen]: Institutionelle/ideologische/soziale Herrschaftsformationen – Gouvernementalität – Familien-/Bevölkerungspolitik/Demographie • Dispositivelemente der Symbolebene [Reihe 3 Diskurs und Ideologie]: Anrufungen/Bedeutungen/Normierungen – kulturelle Stereotypen/soziale Geschlechtsmerkmale

400 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

• Dispositivelemente der Subjektebene [Reihe 4 Selbstverhältnisse]: körperliche

und diskursive Subjektivierung – Habitus/Geschlechtsidentität/Soziale Formen – Verhalten/Anpassung/Widerstand Für mein weiteres Vorgehen in Kapitel 6 bedeutete dies, dass sich die intersektionale Dispositivanalyse des Geschlechterregimes auf die Beziehungen zwischen den Elementen des Dispositivs bezieht, um die Struktur der für Geschlechterregime relevanten Herrschaftstechniken und Machtverhältnisse zu untersuchen, um deren symbolischer Architektur zugrunde liegende Diskurse und Ideologien offen zu legen, sowie die damit verbundenen Subjektivierungsweisen darzustellen. Gleichzeitig wurde die Dispositivanalyse damit zur Analyse des Prozesses, in dem Machtstrukturen, hegemoniale Diskurse und Subjektivierungsweisen wiederum ein Geschlechterregime autorisieren. Die Dispositivanalyse eines historisch-konkreten Geschlechterregimes beschreibt daher nicht die theoretischabstrakten Dispositive, sondern verdeutlicht die Dispositionen der Dispositive des Geschlechterregimes an aktuellen Verhältnissen, Entwicklungen, Beispielen. Aufgrund dieses Ergebnisses und der Beantwortung der Frage, wie das Geschlechterregimekonzept zu theoretisieren ist, konnte ich mich im empirischen Teil dem Fragenkomplex widmen: • Wie sehen die theoretisch-abstrakten Dispositivelemente des Geschlechterre-

gimes historisch-konkret aus? Da das Geschlechterregime als Theorem ein Dispositiv darstellt, habe ich die Dispositivanalyse im Anschluss an Michel Foucault als Untersuchungsmethode zur Beantwortung dieser Forschungsfrage ausgewählt. Die Dispositivanalyse im Anschluss an Foucault knüpft an dessen entsprechende Arbeiten an (vgl. Foucault 1977,1978, 1983, 1989) sowie an dessen Formulierung, dass Dispositive in einem je bestimmten historischen Zeitraum auf Krisen von Gesellschaftsformationen zu reagieren versuchen (vgl. Foucault 1978a: 123; 2003 Bd. 3: 393ff, Kapitel 6.1). Für das konkrete Vorgehen der Dispositivanalyse habe ich mich auf den Diskurs- und Dispositivanalytiker Siegfried Jäger bezogen. Dieser schlägt vor, historische Krisenprozesse und die strategischen Funktionen des Dispositivs, die diskursiven Ausrichtungen und die Akzeptanz des Dispositivs bei Individuen zu untersuchen (vgl. Jäger 2001: 106f). Auch hierbei habe ich zur Validierung der Ergebnisse die Dispositivanalyse mit der Intersektionalen Mehrebenenanalyse von Winker und Degele trianguliert (vgl. Kapitel 6.2). Darauf Bezug nehmend, habe ich in Kapitel 7, mittels einer soziohistorischen Strukturanalyse des Geschlechterregimes, die fordistischen und postfordistischen

I NTERSEKTION

| 401

Veränderungen und Umbrüche in den gesellschaftlichen Arbeits- und Lebensbereichen der BRD im Hinblick auf die folgende Forschungsfrage untersucht: • Wie wirken sich historische und aktuelle Transformationsprozesse des Kapita-

lismus und Regulationsweisen des Staates auf die Konstitution von Geschlechterregimen aus? Durch die intersektionale Dispositivanalyse, die sich auf die Beziehungen der Elemente und Dimensionen des Geschlechterregimes bezieht, ist es in diesem Kapitel möglich geworden, die für Geschlechterregime relevanten Herrschaftsdispositionen und deren strukturelle, symbolische Architektur und die ihr zugrunde liegenden Ideologien in Verbindung mit den damit verbundenen Subjektivierungsweisen darzustellen. Als Mittelpunkt dieser Analyse haben sich so die Veränderungen der Organisation von Lohnarbeit und Reproduktionsarbeit sowie die damit verbundenen politisch-institutionellen Regulationsweisen der Familienform und die damit verbundenen widersprüchlichen Vergesellschaftungsmöglichkeiten der Subjekte herauskristallisiert. Als Ergebnis ist hierbei ein Prinzip zum Vorschein getreten, dass das, was sich für das fordistische Geschlechterregime als strukturerhaltend darstellte, im postfordistischen Geschlechterregime zum Hindernis wird. Das heißt, Konstruktion und Regulation des postfordistischen Geschlechterregimes sind komplementär zum fordistischen Geschlechterregime. In Kapitel 7.1 „Die Dispositivelemente des fordistischen Geschlechterregimes“ sind daher folgende Transformationsprozesse beschrieben worden: Das fordistische Geschlechterregime zeichnet sich durch eine besondere Unterwerfung des männlichen Subjekts unter die Lohnarbeit und durch eine besondere Unterwerfung des weiblichen Subjekts unter die Reproduktionsarbeit aus. Die Arbeitsbereiche, in denen Frauen lohnabhängig tätig sind, sind in der Regel niedriger entlohnt. Die weibliche unbezahlte Reproduktionsarbeit ist so ein ergänzendes Arbeitsverhältnis der männlichen Lohnarbeit. Durch dieses Prinzip des Male-Bread-Winner-Systems werden die sozialen Geschlechtsmerkmale miteinander verzahnt, voneinander abhängig gemacht und gegeneinander ausgespielt (vgl. Hoherz 2006). Die damit einhergehende Familienform ist Teil des fordistischen Produktionsmusters, das auf die physische, psychische und generative Reproduktion von Arbeitskräften angewiesen ist. Die Reproduktion der Produktionsbedingungen des fordistischen Geschlechterregimes ist ohne den Rückgriff auf scheinbar biologische Essentialismen oder die heteronormative Familienform materiell nicht zu organisieren (vgl. Haensch 1969: 58, Kohlmorgen 2004: 54). Die heteronormative Familienform ist eine zentrale Disposition der fordistischen Produktions- und Reproduktionsweise und erfüllt eine wesent-

402 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

liche Konstitutionsfunktion des fordistischen Geschlechterregimes. Sie übernimmt neben der biologischen und sozialen Reproduktion von Arbeitskräften und ihrer Funktion innerhalb der Reproduktionssphäre des Kapitals auch eine nicht unerhebliche Platzierungs- und Sozialisationsfunktion zukünftiger Arbeitskräfte (vgl. Hirsch 1992: 221, Becker-Schmidt 2000: 61, ausführlich Ruf 1990: 109ff). Das bedeutet, dass im fordistischen Geschlechterregime die geschlechtsspezifische Zweiteilung der Produktions- und Reproduktionssphäre mittels ungleichberechtigter Sozialstrukturen und heteronormativer Familienformationen die Geschlechter- und Klassenzusammensetzungen produziert und reproduziert, die geschlechtliche Arbeitsteilung ideologisch materialisiert und vergeschlechtlichte Subjektivierungsweisen entwickelt werden (vgl. Kohlmorgen 2004: 38ff). Die Dispositionen des fordistischen Geschlechterregimes verändern sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, weil die gesamte Sozial- und Klassenstruktur der fordistischen Gesellschaftsformation von tief greifenden Veränderungen und Krisen der Vergesellschaftungsform begleitet ist (vgl. Kapitel 7.2). In diesem Kapitel konnten Transformationsprozesse beschrieben werden, die in der Wechselwirkung mit strukturellen Mobilisierungen des fordistischen Geschlechterregimes entstehen und symbolische Rollenkonflikte auf der subjektiven Ebene sowie neue Identitätsformen und Subjektivierungsweisen enthalten. Die Transformationsprozesse spiegeln sich in der Deregulierung des fordistischen Geschlechterregimes und im Anwachsen von differenzierten sozialen und persönlichen Verhältnissen in der Produktions- der Reproduktionssphäre wider. Die Dispositionen eines postfordistischen Geschlechterregimes sind im Bereich der Reregulierung und Rekonstruktion von zweckmäßigen und den Produktionsund Reproduktionsbedingungen angemessenen Geschlechterverhältnissen zu suchen (vgl. Ruf 1990: 298, Young 1999, Kohlmorgen 2004: 148ff, Candeias 2004: 239ff, Chorus 2007: 63ff). Im Kapitel 7.3 „Die Dispositivelemente des postfordistischen Geschlechterregimes“ sind daher die Veränderungen der Dispositionen des fordistischen Geschlechterregimes beschrieben worden. Das postfordistische Geschlechterregime zeichnet sich in diesem Zusammenhang durch Übertragungen der Produktionsverhältnisse auf die Organisation von Reproduktionsarbeiten aus (vgl. Hochschild 1997, 2002). Darüber hinaus zeichnet es sich durch eine Neuzusammensetzung von Klassen- und Geschlechterverhältnissen, durch eine zunehmende Frauenerwerbstätigkeit, durch mehr strukturelle Gleichheit zwischen gut ausgebildeten Frauen und Männern sowie durch die Eröffnung eines haushaltsnahen Niedriglohnsektors, in dem besonders viele Frauen anzutreffen sind, aus. In diesem Zusammenhang konnte nachgewiesen werden, dass die zunehmende Doppelerwerbstätigkeit in Familien zu einer Modernisierung der Geschlechterver-

I NTERSEKTION

| 403

hältnisse führt und die fordistischen Produktions- und Reproduktionsmuster modernisiert werden. Zentraler Bestandteil der Modernisierung des fordistischen Geschlechterregimes sind hierbei geschlechtsspezifische Vermittlungen in Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigungen (vgl. Pfau-Effinger 2000: 126, Kohlmorgen 2004: 280, Winker 2007c). Weiter konnte nachgewiesen werden, dass das postfordistische Geschlechterregime durch Entformalisierungen und Prekarisierungen der Klassen- und Geschlechterzusammensetzung geprägt ist und sich die Organisation der Produktions- und Reproduktionssphären in einer „Lean Production“ und in der „Just in Time“ Regulationsweise widerspiegelt (vgl. Candeias 2004: 244ff). Die Erbringung der Arbeitsleistung bleibt hierbei in beiden Sphären zunehmend der Selbst-Kontrolle und Selbst-Ökonomisierung überlassen. Frauen sind in diesem Zusammenhang besonders von widersprüchlichen Anforderungen betroffen. Einerseits müssen Frauen durch das Schrumpfen des Lohnniveaus stärker zum Familieneinkommen beitragen und Lohnarbeiten übernehmen. Andererseits bewirken Veränderungen der Produktionssphäre verstärkte Anforderungen an das Reproduktionsverhalten, um die ehemaligen finanziellen Leistungen des Male-Bread-Winners auszugleichen. Gabriele Winker beschreibt diese Effekte so, dass für viele Frauen die traditionelle Abhängigkeit als Hausfrau vom Familienernährer ersetzt wird durch eine Abhängigkeit vom Arbeitsmarkt (vgl. Winker 2009: 51). Teilzeitarbeitsverhältnisse sollen hierbei Frauen und insbesondere Müttern eine (Re-)Integration in die Vollzeitlohnarbeit ermöglichen. Hierbei wurde die Segregation bzw. die Feminisierung von Berufsstrukturen deutlich erkennbar, weil eine Vermittlung von Teilzeitstellen in haushaltsnahe Bereiche der niedriglohnförmigen Reproduktionsarbeit stattfindet und so zu einer Verfestigung traditioneller geschlechtsspezifischer Arbeitsteilungen und zu Einkommensungleichheiten zwischen Männern und Frauen führt (vgl. Ruf 1990, Statistisches Bundesamt 2009b, Familienmonitor 2010). In diesem Zusammenhang konnte für einkommensstarke soziale Gefüge nachgewiesen werden, dass eine Form der Organisation von Reproduktionsarbeiten in Verbindung mit Überschneidungen von Frauenkarrieren und Abhängigkeitsverhältnissen von Migrantinnen entsteht. Das heißt, besserverdienende Frauen kaufen haushaltsnahe Dienstleitungen ein, die hauptsächlich von Migrantinnen verrichtet werden (vgl. Hess 2009). Diese Entwicklung verweist auf die geschlechtsspezifischen Auswirkungen der Transformation des postfordistischen Akkumulationsregimes, denn die Nachfrage nach billigen haushaltsnahen Dienstleisterinnen und Dienstleistern steht in Verbindung mit den Entgrenzungen von Arbeitszeit und Arbeitsort bei gut qualifizierten Arbeitskräften. Das heißt, die Feminisierung der Arbeit geht mit einer Feminisierung der Migration

404 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

einher. Geschlecht und „Rasse“ werden so als Hebel zu einer Umschichtung der weltweiten Klassenzusammensetzung eingesetzt (vgl. Hirsch 1995: 92). Im postfordistischen Geschlechterregime erscheint die flexible Zeiteinteilung in Produktionssphäre und Reproduktionssphäre als Chance für eine bessere Vereinbarkeit von Beruf, Berufssuche und Familie. Allerdings konnte hierbei, entgegen den Postulierungen der Initiative „Work-Life-Balance als Motor für wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftliche Stabilität“ (BMFSFJ 2005), nachgewiesen werden, dass sich die Flexibilisierungen für die Aufrechterhaltung eines gemeinsamen Familienalltags als chronischer Zeitmangel auswirken, wenn Reproduktionsarbeiten nicht eingekauft werden können. Eine Schlussfolgerung daraus ist, dass die „Zeit für Reproduktionsarbeit zunehmend nach Effizienzkriterien organisiert und in kleinen Zeiteinheiten taylorisiert und intensiviert“ (Candeias 2004: 245, vgl. Hochschild 1997: 75f) werden muss. Erstes zentrales Ergebnis der Darstellung des postfordistischen Geschlechterregimes ist, dass Frauen sich verstärkt im Zangengriff von der ihr zugewiesenen Zuständigkeit für die Kinder und der niedrigeren Entlohnung befinden. Gleichzeitig entsteht durch Erwerbsarbeit die Möglichkeit ein eigenständiges Leben ohne Abhängigkeit vom Male-Bread-Winner zu führen. Frauenerwerbstätigkeit ist als Krisenmoment des fordistischen Geschlechterregimes zu bewerten und stellt eine wesentliche Disposition des postfordistischen Geschlechterregimes dar (vgl. Kapitel 7.3.1). In Kombination mit zunehmender Frauenerwerbstätigkeit und steigenden Reproduktionsanforderungen konnte dargestellt werden, dass die Übertragungen postfordistischer Produktionsverhältnisse auf die Sphäre der Reproduktion zwangsläufig zu der Situation führen, dass die zur Reproduktion der berufstätigen Familienmitglieder notwendigen Tätigkeiten nicht mehr angemessen realisiert werden können. Ebenso kann die Erziehung von Kindern und die Versorgung unterstützungsbedürftiger Angehöriger auch nicht mehr angemessen realisiert werden (vgl. Winker 2009: 52). Verdeutlichen lässt sich dieses Ergebnis an den Geburtenrückgängen. Die jährliche Geburtenrate sank von 1.047.737 Geburten im Jahr 1970 auf 665.126 Geburten im Jahr 2009 (vgl. Statistisches Bundesamt 2009a). Seit 1972 gibt es einen kontinuierlichen Sterbeüberschuss (1972: 64.032 Personen bis 2008: 161.925). Die skizzierten Entwicklungen führen insgesamt und langfristig zu einer „Überalterung“ der Gesellschaft und stellen für das Fortbestehen des postfordistischen Geschlechterregimes eine große bevölkerungspolitische und demographische Schwierigkeit dar (vgl. BMFSFJ 2006: 218). In Bezug auf die Regulationsweise der Demographie und der Bevölkerungspolitik hat sich für das postfordistische Geschlechterregime eine halbmaschinelle industrielle Herstellung von Vital- und Arbeitsvermögen – die protoindustrielle

I NTERSEKTION

| 405

Arbeitskräfteproduktion – als neues Paradigma dargestellt. Auch hier spiegelt sich die Organisation des postfordistischen Geschlechterregimes auf der Ebene der Bevölkerungspolitik ebenfalls in der Entformalisierung und Prekarisierung sowie in der „Lean Production“ und in der „Just in Time“ Regulationsweise wider. Für diesen Zusammenhang konnte anhand der Debatte um die Zulassung von Gesetzen zur Präimplantationsdiagnostik der Paradigmenwechsel zur Rationalisierung der generativen Reproduktion dargestellt werden. Fortpflanzung ist in diesem Zusammenhang Teil eines Fertigungsprozesses bzw. eine Funktion zur Technologisierung der Lebensproduktion. Die Fortpflanzung ist immaterialisiert, weil sie unabhängig vom geschlechtlichen Körper wird (vgl. Treusch-Dieter 1990: 203, Riegler 1996: 206). Die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik 2011 kann dabei als fundamentaler Paradigmenwechsel in der Bevölkerungspolitik der BRD beschrieben werden, weil diese Methode eine Selektion und eine Qualitätsüberprüfung von menschlichem Leben ermöglicht (vgl. Bundestag 2011). Das Ziel dieser postfordistischen Bio-Politik ist es nicht mehr „unwertes Leben“ zu vernichten, sondern Leben bereits in der Entstehung zu behindern, zu manipulieren oder zu optimieren (vgl. Waldschmidt 1996: 31). Die „Lean Production“ der Reproduktion bewegt sich folglich in einem postdisziplinären Feld der Eugenik, und sie ist eine Technik, um die (Re-)Produktivität des postfordistischen Geschlechterregimes zu organisieren: Das zweite zentrale Ergebnis ist somit die Schlussfolgerung, dass die Regulation der weiblichen Arbeitskraft und die Homöostase der Bevölkerungsentwicklung herausragende Rollen im postfordistischen Geschlechterregime spielen (vgl. Kapitel 7.3.1). Daran anknüpfend konnte in der soziohistorischen Rahmenanalyse des Geschlechterregimes verdeutlicht werden, wie Work-Life-Balance-Maßnahmen als Strukturanpassungsmaßnahmen für eine durch Entformalisierung veränderte Produktions- und Reproduktionssphäre fungieren. Hierbei ist der Zusammenhang anhand von zentralen Aussagen der Initiative „Work-Life-Balance als Motor für wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftliche Stabilität“ (BMFSFJ 2005) herausgestellt worden. Diese besagen, dass Work-Life-Balance-Konzepte als wettbewerbsstrategische Antwort auf die entgrenzten Geschlechterverhältnisse und als gouvernementale Regulationsweise zu verstehen sind, um das prekäre fordistische Geschlechterregime zu reorganisieren. Die Familienpolitik der Bundesregierung verbindet sich in diesem Zusammenhang mit einer neoliberalen Wirtschaftstheorie, die sich auf einen Vereinbarkeitsdiskurs festlegt und die darauf basiert, eine Steigerung des „Humanvermögens“ herstellen zu wollen (vgl. BMFSFJ 2003: 30, 2005: 4). Die Anrufungen an die Geschlechter bewegen sich in diesem Kontext stärker in subjektorientierten Normierungen und spiegeln we-

406 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

niger Thematiken von „Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ wider, sondern zielen vielmehr auf subjektive und symbolische Formen der Selbstorganisation ab. Das Neuartige des postfordistischen Geschlechterregimes ist, dass die Familie zwar immer als der bevorzugte Ort von Reproduktion angerufen wird, allerdings mit der Umformung, dass die Entstehung und Erhaltung des eigenen Selbst, der Kinder und der Angehörigen im Kontext des „Humanvermögens“ hergestellt werden soll. Die Familie wird insofern tatsächlich als ein Produktionsfaktor einkalkuliert (vgl. Foucault 2006b: 318ff). Das dritte zentrale Ergebnis im Anschluss daran lautet, dass das postfordistische Geschlechterregime sich durch eine androgyne Geschlechterregulation auszeichnet, die darauf abzielt die sozialen Formationen wie Familie oder Beziehungen wie Unternehmen zu organisieren, die rational und flexibel auf die Anforderungen des Marktes reagieren (vgl. Kapitel 7.3.2). Aufgrund dieses dritten Ergebnisses ist der Subjektivierungsweise im postfordistischen Geschlechterregime nachgegangen worden. Hierbei konnten mittels der Untersuchungen im Kontext der Anforderungen an die „ArbeitskraftmanagerInnen“ (Winker/Carstensen 2004, 2007) dargelegt werden, dass im Prinzip eine Übertragung der Organisationsmuster der Produktionssphäre auf die Organisation der Freizeit und auf das Reproduktionsverhalten stattfindet und Subjekte sich selbst regulieren, indem sie ihre Geschlechterverhältnisse – auch in Bezug auf Schwangerschaft, Kindererziehung oder Altenpflege – verbetrieblichen. Nach Winker/Carstensen zeichnen sich Arbeitskraftmanagerinnen und Arbeitskraftmanager durch verstärkte Selbst-Kontrolle, erweiterte Selbst-Ökonomisierung, Selbst-Rationalisierung sowie der Selbst-Sozialisierung durch familienbiografische Orientierungen aus (vgl. Winker/Carstensen 2004). Das heißt, Familienplanung oder die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt für Kinder unterliegen einer rationalen Entscheidung. Insbesondere Frauen müssen dabei über Selbstmanagementfähigkeiten verfügen, weil sie von reproduktiven Doppelbelastungen besonders betroffen sind (vgl. Winker/Carstensen 2007). Die Kategorie Geschlecht muss hierbei als besonderer Stressor betrachtet werden, da zum Beispiel Frauen in Führungspositionen geschlechtsstereotypischen Vorurteilen ausgesetzt sind (vgl. Lanz 2010: 173f). Das vierte zentrale Ergebnis lässt sich damit beschreiben, dass die Arbeitskraftmanagerinnen und Arbeitskraftmanager mit widersprüchlichen Subjektivierungsweisen konfrontiert sind, die sich pointiert als gouvernemental subjektiviertes vs. gescheitertes Arbeitskraftmanagement beschreiben lassen. Gouvernemental subjektivierte ArbeitskraftmanagerInnen betreiben Selbst-Beherrschung durch eine planmäßige Ausrichtung individueller Ressourcen mit dem Ziel der Unterwer-

I NTERSEKTION

| 407

fung des Lebenszusammenhangs unter die Erwerbsarbeit. Gescheiterte ArbeitskraftmanagerInnen betreiben Selbst-Ausbeutung, die eine individuelle und soziale Ressourcenausschöpfung als Burnout-Syndrom bis hin zum Tod durch Lohnarbeit zur Folge hat. Der Effekt eines gescheiterten Arbeitskraftmanagements ist in diesem Zusammenhang auf die Formel „Entgrenzte Arbeit = gefährdete Reproduktion“ (vgl. Kratzer/Sauer 2007) gebracht worden (vgl. Kapitel 7.3.3). Mithilfe des Theorems Geschlechterregime konnten einzelne Dispositivelemente in soziohistorischem Zusammenhang hervorgehoben werden, die (vgl. Kapitel 7.4) in der Tabelle „Formation und Periodisierung des historisch-konkreten Geschlechterregimes“ ausführlich dargestellt werden (vgl. Tabelle 1). Als Ergebnis der soziohistorischen Rahmenanalyse des postfordistischen Geschlechterregimes lassen sich insgesamt vier wesentliche Transformationsprozesse, die mithilfe der Reihen 1-4 des Theorems Geschlechterregime extrahiert wurden, beschreiben: • Strukturebene [Reihe 1 Akkumulationsregime] + [Reihe 2 Regulationswei-

sen]: Frauenerwerbsarbeit nimmt zu, sodass Frauen sich verstärkt im Zangengriff von der ihr zugewiesenen Zuständigkeit für die Kinder und der niedrigeren Entlohnung befinden. Demographische Probleme sind die Folge. Die Organisation der weiblichen Arbeitskraft und die Homöostase der Bevölkerungsentwicklung sind daher zentrale Bezugspunkte des postfordistischen Geschlechterregimes. • Symbolebene [Reihe 3 Diskurs und Ideologie]:

Regierung und Unternehmen propagieren ein egalitäres Geschlechterbild, sodass Diskurse um ein androgynes Geschlechterbild zunehmen, die darauf abzielen, die sozialen Formationen – z. B. Familie oder Beziehungen – wie Unternehmen zu organisieren, die rational und flexibel auf die Anforderungen des Marktes reagieren. • Subjektebene [Reihe 4 Selbstverhältnisse]:

Im Prinzip findet eine Übertragung der Organisationsmuster der Produktionssphäre auf die Organisation der Freizeit und auf das Reproduktionsverhalten statt. Fremdregulierungen der Geschlechterverhältnisse gehen in Selbstregulierungsweisen über, sodass die Geschlechter mit widersprüchlichen Subjektivierungsweisen konfrontiert sind. Subjekte können sich selbst regulieren, indem sie ihre Reproduktionsverhältnisse verbetrieblichen oder ihre Reproduktion durch unangepasste Verhaltensnormen gefährden.

408 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Das übergreifende Moment für die Reihen 1-4 wird in den Work-Life-BalanceKonzepten und Maßnahmen sichtbar. Work-Life-Balance-Konzepte können als gouvernementale Regulationsweise des postfordistischen Geschlechterregimes verstanden werden, um die entgrenzten Geschlechterverhältnisse des postfordistischen Akkumulationsregimes zu bearbeiten und die geschlechterregimerelevanten Dispositivelemente anzupassen. Work-Life-Balance-Konzepte und -Maßnahmen können als Katalysator klassifiziert werden (vgl. Jürgens 2006: 165f), um veränderte Reproduktionsverhältnisse und Entgrenzungen der traditionellen Geschlechterarrangements des fordistischen Geschlechterregimes – welches die Geschlechter auf bipolare und traditionelle Rollen hin disziplinierte – in ein neues Flexibilitätsmodell bzw. in ein postfordistisches Geschlechterregime unter neoliberalen Vorzeichen zu transformieren (vgl. Kapitel 7.4.4). In diesem 7. Kapitel sind allerdings Fragen nach der genauen ideologischen Zusammensetzung von Work-Life-Balance-Konzepten unklar geblieben. Es konnte auch nicht befriedigend dargelegt werden, welche symbolischen Kräfteverhältnisse sich aus Work-Life-Balance-Diskursen ergeben. Deshalb beschäftigt sich das 8. Kapitel mit Diskursstandpunkten zum Thema Work-Life-Balance. Hierbei habe ich dargelegt, was mit Work-Life-Balance-Maßnahmen bezweckt wird und wie diese Maßnahmen als Teil eines herrschaftsstabilisierenden Geschlechterregimes zu begreifen sind. In diesem Zusammenhang ist auf der Symbolebene folgender Forschungsfrage nachgegangen worden: • Welche Diskurspositionen sind in der Initiative „Work-Life-Balance als Motor

für wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftliche Stabilität“ (BMFSFJ 2005) in Bezug auf das Geschlechterregime enthalten? Mithilfe der Kritischen Diskursanalyse habe ich in diesem Kapitel die Diskurspositionen der Initiative „Work-Life-Balance als Motor für wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftliche Stabilität“, die als deren spezifischer ideologischer Standort zu begreifen ist, operationalisiert (vgl. Kapitel 8.1). In den folgenden Kapiteln habe ich dann systematisch die Methode der Kritischen Diskursanalyse nach Siegfried Jäger (1993) durchgeführt. Der erste Schritt dieser Methode hat den institutionellen Rahmen zum Gegenstand. Hierbei wurde die politische Verortung des Diskurses aufgezeigt. Der institutionelle Rahmen konnte insofern charakterisiert werden als ein Konglomerat aus staatlichen Institutionen und Großkonzernen, das Ziele der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung in den nächsten Jahrzehnten artikuliert. In diesem Zusammenhang konnte auch verdeutlicht werden, dass die staatlichen Institutionen und Großkonzerne ge-

I NTERSEKTION

| 409

meinsame wirtschaftliche und politische Interessen besitzen. Die Initiatoren dieses Work-Life-Balance-Diskurses sind dabei als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren des Diskurses zu bewerten, denn sie können als Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber und als Regierung einen zentralen Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung geltend machen. In diesem Zusammenhang lässt sich der analysierte Diskurs als Herrschaftsdiskurs beschreiben (vgl. Kapitel 8.2.1). Der zweite Analyseschritt umfasste die Text-Oberfläche. Hierbei wurden Themenkomplexe des Textes geclustert. Demnach haben sich Themen zu folgenden Bereichen herauskristallisiert (vgl. Kapitel 8.2.2): • Work-Life-Balance als Vorteil für Unternehmen und die Gesamtwirtschaft. • Work-Life-Balance als Lösung des wirtschaftlichen und des demographischen

Wandels. • Work-Life-Balance als Instrument und Maßnahme zur Vereinbarkeit von Fa-

milie und Beruf. Der dritte Analyseschritt umfasste die sprachlich-rhetorischen Mittel innerhalb des Diskurses. Diese Analyse der Argumentationsstrategien, der Kollektivsymbolik und der Referenzbezüge innerhalb des Textes konnte verdeutlichen, dass der Wortschatz und Stil des Diskurses autopoietisch ist (vgl. Luhmann 2008: 56) und eine gemeinschaftsstiftende Grammatik des Sozialen, den sogenannten WirCode, benutzt (vgl. Gramsci 1991: 260f, Reucher 1987: 13ff). Das heißt, um die zentrale Botschaft des Textes herum – Erwerbsarbeit und Privatleben entlang der Wettbewerbsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland zu organisieren –, werden in dieser Broschüre autoreferentielle Bezüge verwendet. Damit ist gemeint, dass die Argumentation bzw. die Referenzbezüge im Text dadurch stabilisiert sind, dass Referenzbezüge auf sich selbst bezogen werden. Die Form dieser Argumentation und die Argumentationsstrategie rekurrieren dabei auf nicht belegte Referenzbezüge von internationalen Vergleichen und demographischen Entwicklungen (vgl. BMFSFJ 2005: 35). Die Folge ist eine geschlossene identitäre Systembildung, die sich durch die eigenen Argumentationen reproduziert. Gleichzeitig werden dadurch alternative Möglichkeiten zur zentralen Botschaft ausgeschlossen. Die politisch-programmatischen Prämissen der Initiative sowie die Notwendigkeit von Anpassungs- bzw. Entzerrungsstrategien von Privat- und Erwerbsleben werden sprachlich indikativ als normative Kraft des Faktischen dargestellt. Im logisch-philosophischen Sinne mögen die Sätze des Konzeptes „wahr“ sein, das heißt, „dass die Conclusio von den Prämissen (logisch) impliziert ist“ (Tugendhat/Wolf 1997: 32). Dieser Schluss sagt aber nichts über die Faktizität der Prämissen aus, da diese sinnig oder unsinnig sein können. In die-

410 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

sem Sinne ist dieser Text als eine „Selbst-Totalisierung“ (vgl. Collmer 2009: 22) auf der sprachlichen Ebene zu bewerten (vgl. Kapitel 8.2.3). Der vierte Analyseschritt bezog sich auf die inhaltlich-ideologischen Aussagen zum Menschen- und Gesellschaftsbild, das im Diskurs angesprochen wird. Im Prinzip umfassen die inhaltlich-ideologischen Aussagen mehrere Diskursfragmente. Makro- und mikrowirtschaftliche, familienpolitische sowie bevölkerungspolitische Ansichten verbinden sich mit wissenschaftlichen Prognosen und Analysen. Die Diskursfragmente umfassen Positionen, wie soziale Praxen, Familienleben, wirtschaftspolitische Strategien sowie Fragen der Geschlechterverhältnisse produktiv durch Work-Life-Balance-Maßnahmen vereint werden können. Durch die Zusammenbringung erhofft sich die Initiative eine dreifache Win-Situation für Unternehmen, Lohnabhängige und die Gesamtgesellschaft. Mithilfe der Kritischen Diskursanalyse konnte nachgewiesen werden, dass die Diskurspositionen der Initiative in Bezug auf das Menschen- und Gesellschaftsbild darin bestehen, dass sie einen „Mentalitätswandel“ und eine „Neudefinition gesellschaftlicher Rollenbilder“ herbeiführen wollen (vgl. BMFSFJ 2005: 29). Außerdem müsse für die Initiative aufgrund des gegenwärtigen Wandels in der Produktionssphäre unter den Vorzeichen des neoliberalen Regierens auch die Reproduktionssphäre umgestellt werden. Dies umfasse auch eine Veränderung vergeschlechtlichter Arbeitsteilung. Hinter diesem Diskurs zum Mentalitätswandel steht eine moderne bzw. diversifizierte Gesellschaftsauffassung von Geschlechterverhältnissen, in der, bis auf die generative Reproduktion, alle Arten von (Re-) Produktionsarbeiten von Frauen und Männern vollzogen werden können (vgl. BMFSFJ 2005: 35). Die Zukunftsperspektive der Initiative erscheint in der umfassenden Mobilisierung der Bevölkerung zu einem effizienten Wirtschaften, welches am ehesten herzustellen sei, wenn die „eigene Nation“ selbst als kapitalistisches Unternehmen begriffen wird und das Individuum sich selbst in der weltweiten „Rund-um-die-Uhr-Ökonomie“ (BMFSFJ 2005: 13) durchsetzt. Die Initiative fordert eine neue hegemoniale Rationalität, in dessen Zentrum hoch motivierte und engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Unternehmen stehen, die sich durch höhere Selbststeuerungsanforderungen gegenüber dem Mechanismus der Konkurrenz behaupten können (vgl. BMFSFJ 2005: 13). Insgesamt entwirft die Initiative eine positive Zukunftsperspektive. Für das geschlechterregimerelevante Gesellschaftsverständnis konnte ebenso nachgewiesen werden, dass der ideologischen Achse von Nation und Geschlecht in diesem Diskurs unter profitorientierten Vorzeichen eine besondere Bedeutung beigemessen wird (vgl. Kapitel 8.2.4). Im fünften Analyseschritt sind die Diskurspositionen als geschlechtsspezifische Anrufungen auf den intersektionalen Ebenen des Geschlechterregimes ge-

I NTERSEKTION

| 411

ordnet und interpretiert worden. Für die Strukturebene konnte mithilfe der Reihe 1 des Theorems Geschlechterregime verdeutlicht werden, dass wesentliche Dispositionen des postfordistischen Geschlechterregimes (Doppelbelastung von Frauen, struktureller Bruch mit dem Familienernährermodell, haushaltsnahe Dienstleistungen, Deregulierung der sozialen Sicherung, Arbeitskraftmanagement) zugleich auch Themen des Work-Life-Balance-Diskurses sind. Weiter konnte verdeutlicht werden, dass diese Elemente sich mit Anrufungen an weibliche Arbeitskräfte verzahnen, damit diese Konzepte der Arbeitsort- und Arbeitszeitflexibilisierung sowie haushaltnahe Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, um die Übergänge zwischen Familien- und Erwerbsphasen abzusichern und um Frauen wie Männern eine eigenständige Existenzsicherung zu gewähren. Die Argumentation, dass betriebliche Work-Life-Balance-Konzepte die Chance bieten, „die geschlechtsspezifische Arbeitsteilung nach dem traditionellen Modell eines männlichen Alleinverdieners und einer allenfalls in geringem Rahmen erwerbstätigen Hausfrau zu überwinden“ (BMFSFJ 2005: 29), ist für die Darstellung der Diskursposition besonders bedeutsam, da im Einzelnen explizit Männer und Frauen als Zielgruppe politischer Regulierungen angerufen werden. Diese Perspektive ist insofern diskursanalytisch interessant, da zentrale feministische Forderungen nach Chancengleichheit und einer Überwindung patriarchaler Strukturen Eingang in politische Herrschaftsdiskurse gefunden haben. Ein weiter Themenkomplex bezieht sich auf die Reihe 2 des Theorems Geschlechterregime. Hierbei konnten biopolitische Regulationsweisen nachgewiesen werden, die sich darauf beziehen, einen individuellen und ganzheitlich stabilen gesundheitlichen Zustand der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer herstellen zu wollen. Verbunden sind diese Anrufungen damit, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre Verhaltensweisen in Richtung eines permanenten gesundheitlichen Eigen-Monitorings verändern, um die Selbsterhaltung ihrer Erwerbstätigkeit zu steuern. Die zentrale Anrufung in diesem Kontext ist, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihren Gesundheitszustand zu optimieren haben (vgl. Bröckling 2008, Opitz 2004: 153f). Insgesamt konnten so eine ganze Reihe impliziter Anrufungen in Richtung Haushalts- und Betreuungsarbeit, Fürsorge sowie Anrufungen mit dem Kontext der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben analysiert werden. Dementsprechend widmet sich der WorkLife-Balance-Diskurs auch den Maßnahmen zu Geburt und Geburtenrate. Zusammenfassend konnte hierbei verdeutlicht werden, dass die Argumentationsmuster der Initiative auf eine klassische Form der Humankapitalisierung abzielen, um den Gesundheitszustand und die Geburtenrate als wertschöpfende „Human Ressource“ zu betrachten (vgl. BMFSFJ 2005: 5). Die Anrufungen, durch

412 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Geburten den Standort Deutschland und das gesamtgesellschaftliche Wachstum zu sichern, verdeutlicht wiederum einen zentralen Baustein des Geschlechterregimekonzeptes – dass „keine Produktion möglich ist, ohne dass die Reproduktion der Produktionsbedingungen erfolgt“ (Althusser 1977: 109). Das heißt, die hier dargestellten Work-Life-Balance-Maßnahmen sind als ein diskursiver Versuch anzusehen, ein selbstregulierendes inneres Gleichgewicht der Bevölkerungsentwicklung im Zusammenspiel mit der volkswirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands zu propagieren (vgl. Kapitel 8.2.5.1). Die geschlechterregimerelevanten Anrufungen auf der Symbolebene beziehen sich auf die kulturellen Stereotype und sozialen Geschlechtsmerkmale. In Kapitel 8.2.5.2 sind Geschlechterbilder und Leitvorstellungen der Initiative in Bezug auf die Funktion der Geschlechter verdeutlicht worden. Hierbei hat sich herausgestellt, dass in erster Linie die Argumentation der Geschlechtergerechtigkeit als Argument für eine ökonomische Wachstumsideologie eingesetzt wird. Mittels der Ausweitung der Kinderbetreuungsangebote soll das gesamte Arbeitskräftepotential erweitert und zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen werden. Damit werden besonders gut qualifizierte Mütter angerufen, ihre Kinder im öffentlichen oder privaten Sektor oder durch den betrieblichen Familienservice betreuen zu lassen. Die Begrifflichkeiten von Familie und Familienfreundlichkeit sind hierbei zentrale Anrufungssignifikanten des Work-Life-Balance-Diskurses. Das erklärte Ziel der Initiative ist es, mittels Work-Life-Balance-Maßnahmen einen gesamtgesellschaftlichen Wertewandel und eine Neudefinition gesellschaftlicher Rollenbilder durchsetzen zu wollen. Die unerheblichen Anrufungsketten an die männlichen Beschäftigten und mannigfaltigen Anrufungen an die weiblichen Beschäftigten deuten darauf hin, dass vor allem für Frauen ein neues Frauenbild ausgerufen wird. Die Anrufungsketten deuten ebenfalls darauf hin, dass die Funktion der Frau als Ganztagshausfrau und Mutter in ein Bild von der Frau als erfolgreicher Arbeitskraftmanagerin transferiert werden soll. Insgesamt ist damit auf der symbolischen Ebene aber keine signifikante Neudefinition von Geschlechterbildern zu verzeichnen, obwohl feministische Diskurse Eingang in die Konzepte gefunden haben und auch der wirtschaftsliberale Diskurs darum kreist, Elternschaft zu erleichtern und zu fördern bzw. Elternschaft in Balance mit wirtschaftspolitischen Strategien zu bringen. Dies ist aber noch keine Neudefinition von Geschlechterbildern oder eine Überwindung der Rollenbilder. Denn das Männerbild wird nicht verschoben oder verändert, es kann auch nicht von einer expliziten „Ermutigung“ (BMFSFJ 2005: 29) der männlichen Beschäftigten gesprochen werden, da sich lediglich eine unmerkbar kleine Anzahl an spezifischen Anrufungen an männliche Beschäftigte richtet. Dies lässt sich so interpretieren, dass die Rollenbilder für Frauen sich denen der Männer angleichen sollen

I NTERSEKTION

| 413

und die Rollenbilder insgesamt androgynisiert werden. Dies lässt sich vielmehr als widersprüchliche Diskurspositionen beschreiben (vgl. Kapitel 8.2.5.2). Für die Subjektebene konnte mit der Reihe 4 des Theorems Geschlechterregime Anrufungen an die eigene Person analysiert werden. Die Anrufungssignifikanten dieser Ebene spiegeln sich in der Eigenverantwortlichkeit, in der eigenständigen Arbeitsplanung sowie in der Verschiebung der Selbstverhältnisse in der Produktionssphäre wider. Hier wird das Selbst als IntrapreneurIn angerufen. Es soll sich so verhalten, als ob es selbst EntrepreneurIn wäre und mit dem Unternehmen eine Wertschöpfungsgemeinschaft bilde (vgl. Bröckling 2007: 62ff). Für diese Anrufungskette konnte verdeutlicht werden, dass diese Argumentation Grundlage der neoliberalen Managementtheorie zur Humankapitalisierung ist. Für die Subjektebene konnte so herausgestellt werden, dass die Entscheidung der Initiative – Work-Life-Balance-Maßnahmen als Investitionen in das Humanvermögen der Unternehmen zu betrachten (vgl. BMFSFJ 2005: 5) – die Schlussfolgerung zulässt, dass Selbstverhältnisse in erster Linie als Chance eingesetzt werden, mehr Profit zu erzielen. Die Anrufungen dienen für die Subjekte dazu, die allgemeinen Ziele der Unternehmen zu verinnerlichen, indem die Angerufenen ihre Lebenswelten in den Kosmos der Unternehmen verlagern. Allerdings erreicht die diskursanalytische Vorgehensweise hierbei ihre Grenze, da die Kategorien der Selbstverhältnisse nur sehr schwer zu extrahieren sind und grundsätzlich der Interpretation bzw. eines Feedbacks der Subjekte bedürfen (vgl. Kapitel 8.5.3). Die abschließende Bewertung und Zusammenfassung der geschlechterregimerelevanten Diskurspositionen hatte die intersektionale Darstellung von Wechselwirkungen zum Ziel. Hierbei konnte verdeutlicht werden, dass die Diskursposition der Initiative die symbolische Neuzusammensetzung der Geschlechterverhältnisse beinhaltet. Die Diskurspositionen setzen sich aus feministischen, neoliberalen und konservativen Diskursen zusammen, die sich darauf beziehen, Elternschaft zu fördern und diese in Balance mit wirtschaftspolitischen Strategien zu bringen (vgl. Kapitel 8.2.6). Da der Gegenstand meiner empirischen Dispositivanalyse des Geschlechterregimes, neben den strukturellen und den symbolischen Ebenen, auch die Untersuchung von subjektiven Verhältnissen ist, bin ich in Kapitel 9 den Fragen nachgegangen: • Welche subjektiven Geschlechterpraktiken und -formen entstehen durch

Work-Life-Balance-Maßnahmen bei Arbeitnehmerinnen und bei Arbeitnehmern? • Wie wird das Geschlechterregime durch subjektive Praxen reproduziert?

414 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Zur Beantwortung dieser Fragen und zur Analyse der subjektiven Verhältnisse habe ich die Methode des problemzentrierten Interviews nach Andreas Witzel (vgl. Witzel 1985ff, Kapitel 9.1) gewählt. Die Interviews habe ich durch die schon dargelegte intersektionale Auswertungsmethode analysiert (vgl. Winker/Degele 2009). Das qualitative Sample setzt sich aus acht Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern zusammen, deren Unternehmen Maßnahmen zur Work-LifeBalance anbieten bzw. Träger von Work-Life-Balance-Maßnahmen sind oder mit Trägern kooperieren. Das Ziel ist die Darstellung der Subjektivation der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner, um gleichzeitig ihre Repräsentationen zum Ausgangspunkt der Konstitution des Subjekts in einer Doppelbewegung von „Selbst-Subjektivierung“ und „Subjektiviert-Werden“ zu verstehen (vgl. Kapitel 9.2). Zum besseren Verständnis der Subjektivierung ist in jedem Interview speziell herausgearbeitet worden, wie und auf welche Art und Weise bei den Interviewpersonen die vorbefindlichen geschlechterregimerelevanten Strukturen und Diskurse reproduziert werden. Zur Klärung der Forschungsfrage ist auch dem Aspekt nachgegangen worden, inwiefern die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner den Herrschaftsstrukturen des Geschlechterregimes unterliegen und inwieweit sie Subjektivierungsweisen akzeptieren oder sich zur Wehr setzen (vgl. Kapitel 9.3). Zur intersektionalen Analyse habe ich Vergleichsdimensionen aus den Interviews herausgearbeitet und in Form unterscheidbarer Dispositionen auf der Subjektebene (vgl. Kapitel 9.4.1), der Symbolebene (vgl. Kapitel 9.4.2) und der Strukturebene (vgl. Kapitel 9.4.3) dargestellt. In diesem Zusammenhang konnten unterschiedliche soziale Praxen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner festgestellt werden. Diese sozialen Praxen habe ich dann im letzten analytischen Schritt, der Darstellung der Wechselwirkungen aller Interviews (vgl. Kapitel 9.2.4), als drei zentrale Formen ihres Arbeitskraftmanagements klassifiziert. Diese Dispositionen beschreiben Geschlechterpraktiken und -formen sowie die Reproduktion des Geschlechterregimes durch subjektive Praxen: • Das gescheiterte Arbeitskraftmanagement

Die erste Disposition, die sich herausgestellt hat, ist das gescheiterte Arbeitskraftmanagement. Das gescheiterte Arbeitskraftmanagement repräsentiert eine Form von Selbst-Ausbeutung, die eine individuelle und soziale Ressourcenausschöpfung zur Folge hat. Die Arbeitskraftmanagerinnen und Arbeitskraftmanager generell sind genötigt ihre Lebensperspektive, durch Selbst-Kontrolle und Selbst-Ökonomisierung, den Umständen der Erwerbsarbeitswelt anzupassen. Sie müssen, um sich und ihre Familie zu reproduzieren, ihre reproduktiven Tätigkei-

I NTERSEKTION

| 415

ten rationalisieren und die Zeit für Reproduktionsarbeit zunehmend nach Effizienzkriterien organisieren. Scheitern sie in diesem Vorgehen, können sie ihren sozioökonmischen Familienstatus verlieren, sofern die Reproduktionsarbeit nicht durch Familienangehörige oder haushaltsnahe Dienstleistungen aufgefangen wird. Alleinerziehende und berufstätige Mütter sind von einem Scheitern des Arbeitskraftmanagements und vom Fahrstuhleffekt vom ökonomisierten zum prekären oder subsistenzorientierten Familienmodell besonders betroffen (vgl. Kapitel 7.3.1). Weiter sind die Interviewten gezwungen bzw. aufgefordert, neue Formen des „Doing Family“, „Doing Elternteil“ bzw. „Doing ErwerbsarbeiterIn“ (vgl. Schier/Jurczyk 2007) zu etablieren, um auf den Fahrstuhleffekt nach unten oder oben reagieren zu können. Das bedeutet, sie müssen die Bereitschaft zur Delegation von Arbeiten sowie eine effektive Stressverarbeitung einüben, um Zeitersparnisse auszubauen und ihr Gesundheits- bzw. ihr Humanvermögen zu fördern. Funktioniert diese Anpassung nicht, können die Lebensbedingungen mit einem erhöhten Leistungsdruck, Formen gesundheitlicher Schädigung und einer Unvereinbarkeit von Beruf und Familie einhergehen. Das gescheiterte Arbeitskraftmanagement weist dabei auf extreme Erschöpfungszustände bis hin zu Burnout-Syndromen durch eine Überforderung in Erwerbsarbeits- und Reproduktionszusammenhängen hin. Diese Verhältnisse führen zu einer Überbelastung der Lebenskraft und zu einer persönlichen Ressourcenerschöpfung bezüglich der Familienarbeit und Selbstsorge. Der Aspekt der Gefährdung der Sorgearbeit und der Familienstrukturen wird durch strukturelle Ängste vor Arbeitsplatzverlust, Leistungsdruck, finanziellen Einbußen, Intensivierung der Erwerbsarbeit und Flexibilisierung der Arbeitszeit verschärft. Die Unvereinbarkeit zwischen Erwerbsarbeit und Reproduktionsarbeit drückt sich in diesen Fällen in einer emotionalen und strukturellen Zerrissenheit aus. Die Arbeitskraftmanagerinnen und Arbeitskraftmanager stehen vor dem Problem, einen Umgang mit ihrer Angst, ihrer Scham und ihren Schuldgefühlen zu finden. Im gescheiterten Arbeitskraftmanagement muss die Kategorie Geschlecht als besonderer Stressor betrachtet werden, da die Arbeitskraftmanagerinnen und Arbeitskraftmanager geschlechtsstereotypischen Vorurteilen ausgesetzt sind (vgl. Lanz 2010: 173f). Rollenkonflikte sowie die Vereinbarkeitstätigkeiten sind ebenfalls als besondere Stressoren zu beschreiben. Insbesondere Frauen sind gefährdet, weil sie von reproduktiven Doppelbelastungen besonders betroffen sind und weil weibliche Angestellte in Projektarbeit eine besonders ausgeprägte Leistungsorientierung und -optimierung sowie ein strategisches Familienkalkül aufweisen müssen (vgl. Voß/Pongratz 2003: 208ff, Winker/Carstensen 2007). Das bedeutet, dass ein erfolgreiches Arbeitskraftmanagement vor allem davon abhängt, wie die beschriebenen Stressoren im Kontext der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Reproduk-

416 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

tionsarbeit ausbalanciert werden. Dieses Ergebnis bzw. diese Subjektivierungsweise des gescheiterten Arbeitskraftmanagements bestätigt die Erkenntnis der soziohistorischen Rahmenanalyse des Geschlechterregimes. Entgrenzungen der Arbeitsorganisation weiten sich auf die Perspektiven der Lebensführung aus, sodass im postfordistischen Geschlechterregime die sozialen Stellungen nach den Kriterien „mit oder ohne Kind“, „gesund oder krank“ sowie „Selbst-Beherrschung oder Selbst-Ausbeutung“ an Bedeutung gewinnen (vgl. Jurczyk 2002: 110, Winker/Carstensen 2007: 284, Ganz 2007: 54ff , Kapitel 9.4.1). • Das gouvernemental subjektivierte Arbeitskraftmanagement

Die zweite Subjektivierungsweise repräsentiert das gouvernemental subjektivierte Arbeitskraftmanagement. Dieses Arbeitskraftmanagement spiegelt gouvernementale Subjektivierungsweisen im Kontext der Humankapitalisierung wider, indem die Arbeitskraftmanagerinnen und Arbeitskraftmanager eine individuelle Selbstsorge in Form von Selbst-Beherrschung durch eine effiziente Ausrichtung individueller Ressourcen mit dem Ziel der Organisation des Lebenszusammenhangs entlang der Erwerbsarbeit zu betreiben versuchen (vgl. Foucault 2006b: 318ff, Bröckling 2007). Insofern lassen sich die gouvernemental subjektivierten ArbeitskraftmanagerInnen als anrufungsaffin gegenüber staatlichen Work-LifeBalance-Konzepten beschreiben. Ihre je subjektiven und strukturellen Lösungspraktiken zur Vereinbarkeit von Familie, Beziehung, Freizeit und Erwerbsarbeit enthalten Lösungspraktiken, die nicht von staatlichen und betrieblichen Regulationsweisen zu unterscheiden sind. Der Gesundheitszustand gilt im gouvernemental subjektivierten Arbeitskraftmanagement als wertschöpfende Ressource, weil die Humankapitalisierung nicht nur auf den Bereich der Arbeitskrafterhaltung und der Arbeitspotenzialoptimierung abzielt, sondern auch auf den Bereich der Reproduktion der Arbeitskraft. Die Idee der Selbstsorge reicht vom Ideal des Selbst-Managements, über Coaching, Therapie oder andere Selbstreflexionsmaßnahmen bis hin zu Gesundheitsprävention durch den Betrieb bzw. durch staatliche Maßnahmen. Auf die Spannungen zwischen Erwerbsarbeit und unbezahlter Reproduktionsarbeit reagieren die gouvernemental subjektivierten Arbeitskraftmanagerinnen und Arbeitskraftmanager mit unterschiedlichen Strategien. Hier stehen die Umsetzungen veränderter Formen bzw. die Entwicklung neuer sozialer Formen von „Doing Family“, „Doing Elternteil“ bzw. „Doing ErwerbsarbeiterIn“ im Vordergrund. Die signifikanten Lösungspraktiken des gouvernemental subjektivierten Arbeitskraftmanagements sind, unter anderem, die Sorgearbeit zu rationalisieren, die Unterstützung der Reproduktionsarbeit durch Familienangehörige oder haushaltsnahe Dienstleitungen, eine Verände-

I NTERSEKTION

| 417

rung der Geschlechterrollen oder die Flexibilisierung und Auslagerung der Familienarbeit. Das bedeutet, dass ein erfolgreiches Arbeitskraftmanagement vor allem davon abhängt, wie die beschriebenen Stressoren im Kontext der Vereinbarkeit von Erwerbs- und Reproduktionsarbeit ausbalanciert werden können. Die „Just in Time“ und „Lean Production“ Regulationsweise der Familienarbeit spielt eine wichtige Rolle der Arbeitskraftmanagerinnen und Arbeitskraftmanager. Diese Subjektivierungsweise bestätigt wiederum die bisherigen Erkenntnisse der Dispositivanalyse des Geschlechterregimes. Wie schon beschrieben kann ein Geschlechterregime im Allgemeinen als ein Spiegel bzw. als eine Orientierungshilfe angesehen werden, womit das Subjekt durch die strukturelle und symbolische Ordnung seine Identität erfahren, bestimmen oder verwerfen kann. Work-Life-Balance-Konzepte im Besonderen bieten ebenfalls konkrete Subjektivierungsweisen und identitäre Orientierungshilfen an, die entlang heteronormativer Geschlechterverhältnisse konstruiert werden. Die Zusammenhänge der eigenverantwortlichen Entwicklung neuer sozialer Formen von „Doing Family“, „Doing Elternteil“ bzw. „Doing ErwerbsarbeiterIn“ lassen sich ebenfalls durch die Ergebnisse der soziohistorischen Rahmenanalyse des Geschlechterregimes erklärend erweitern. Festgestellt wurde in Kapitel 9.4.2, dass die Geschlechterverhältnisse im Übergang zu postfordistischen Produktions- und Reproduktionsmustern von sozialer Unsicherheit bzw. von Prekarität und Rollenveränderungen gekennzeichnet sind (vgl. Winker/Carstensen 2007: 284ff). Das Konzept der Work-Life-Balance fungiert hierbei als Katalysator eines postfordistischen Geschlechterregimes, um neue Geschlechter- und Arbeitsverhältnisse herzustellen. Die gouvernemental subjektivierten Arbeitskraftmanagerinnen und Arbeitskraftmanager orientieren sich an den vorherrschenden Leitideen des postfordistischen Akkumulationsregimes. Dies deckt sich wiederum mit den strukturellen Anforderungen der Initiative „Work-Life-Balance als Motor für wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftliche Stabilität“ (BMFSFJ 2005) in Bezug auf das Menschen- und Gesellschaftsbild. Dieses ist damit verbunden, einen Mentalitätswandel und eine Neustrukturierung gesellschaftlicher Rollenbilder herbeizuführen sowie das traditionelle Geschlechterverhältnis zu überwinden (vgl. BMFSFJ 2005: 29). So gibt es bei dieser Disposition die Versuche von Neustrukturierungen zwischen Erwerbsarbeit und Reproduktionsarbeit. Hier steht die strukturelle Etablierung neuer Formen und Lösungspraktiken des Familienalltags und Arbeitszeitmuster je subjektiv im Fokus. Diese strukturellen Verschiebungen und Veränderungen entsprechen wiederum der Palette angebotener Maßnahmen im Kontext von Work-Life-Balance-Konzepten (vgl. Kapitel 9.2.5.1). Das gouvernemental subjektivierte Arbeitskraftmanagement ist die optimalste

418 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Subjektivierungsweise zur eigenen Reproduktion und der Reproduktion des postfordistischen Geschlechterregimes (vgl. Kapitel 9.4.4). • Das selbstbewusste Arbeitskraftmanagement

Die dritte Disposition des Arbeitskraftmanagements ist als eine Erweiterung zu dem Konzept des gouvernemental subjektivierten Arbeitskraftmanagements zu verstehen und lässt sich als selbstbewusstes Arbeitskraftmanagement beschreiben. Diese Subjektivierungsweise repräsentiert eine Verbesserung der Organisation des Lebenszusammenhangs über eine effiziente Ausrichtung individueller Ressourcen zugunsten der eigenen Lebensqualität. Das bedeutet, dass diese Form des Arbeitskraftmanagements gouvernementale Konzepte in die Lebensweise aufnimmt. Allerdings werden die Konzepte verändert umgesetzt. Die Subjektivierungsweisen legen eine stärkere Gewichtung auf die Beziehungszeit, Lebenszeit sowie auf die private Organisation der Work-Life-Balance, um die Lebenszeit dadurch an ihre je eigenen Bedürfnisse anzupassen. Die selbstbewussten Arbeitskraftmanagerinnen und Arbeitskraftmanager drücken sich in Versuchen aus, sich gegen strukturelle Vorgaben in den postfordistischen Unternehmen zu wehren. Sie drücken sich auch in einem kritischen Verhalten gegen den Leistungsdruck und die psychosoziale Kontrolle in den Unternehmen bezüglich ihrer Gesundheit und Selbstsorge aus. Verbale Gegenanrufungen an die Unternehmen werden formuliert. Hauptsächlich basiert das „Sich-wehren“ auf der subjektiven Ebene in Forderungen zu optimierten gouvernementalen Konzepten. Diese Subjektivierungsweise erweitert die bisherigen Erkenntnisse der Dispositivanalyse des Geschlechterregimes. Durch die schon beschriebenen strukturellen Sachzwänge für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – im Kontext der Vereinbarkeit von Beruf und Familie und der Fahrstuhleffekte in die verschiedenen Familienmodelle sowie vor dem Hintergrund des drohenden Scheiterns des Arbeitskraftmanagements – entstehen andere gesellschaftliche Realitäten, die der Leitidee des postfordistischen Geschlechterregimes und einer Work-LifeBalance als Lebensideal widersprechen (vgl. Kapitel 9.4.4). Das selbstbewusste Arbeitskraftmanagement als Subjektivierungsweise trägt zu einer Verbesserung des postfordistischen Geschlechterregimes – ganz im Sinne eines „Human Resource Managements“ – bei. Zusammenfassend lassen sich die drei Subjektivierungsweisen so beschreiben, dass die Repräsentationen und Subjektkonstruktionen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner paradoxe Richtungen einschlagen, da sie einerseits anrufungsaffin gegenüber Erneuerungen der Sozialstruktur des Geschlechterregimes

I NTERSEKTION

| 419

reagieren. Andererseits reagieren sie aber anrufungsresistent gegenüber Erneuerungen von geschlechtsspezifischen Ideologien und Normen. Denn für alle Befragten spielt die finanzielle Abhängigkeit vom Male-Bread-Winner-System oder die Orientierung an der Male-Bread-Winner-Struktur als verbindendes Element des Arbeitskraftmanagements eine wesentliche Rolle. Bestimmt sind die Selbstkonstruktionen durch negativ erfahrene Diskurse, die andere über sie verbreiten, wenn die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner den Ideallebenskonzepten nicht entsprechen. Ebenso bestimmt die Selbstidentifikationen die Rückspiegelung des eigenen Abweichens von der geschlechterstereotypen Norm der Male-Bread-Winner-Ideologie. Die kritische Reflexion des eigenen Verhaltens eröffnet aber auch neue Perspektiven, um über die eigenen Geschlechter- und Familienmodelle nachzudenken. In den symbolischen Selbstrepräsentationen (vgl. Kapitel 9.4.3) beschreiben die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner durchaus Brüche mit den fordistischen Subjektivierungsweisen (vgl. Kapitel 9.4) und greifen auf Work-Life-Balance-Konzepte – direkt oder indirekt – als Subjektivierungsweise zurück. In diesem Kontext lässt sich der Gesundheits- und Selbstsorgediskurs bei allen Interviewten als fester Bestandteil ihrer Subjektivierungsweise feststellen. Beide Elemente – heteronormative Geschlechterbilder und Gesundheits- und Selbstsorgediskurse – scheinen sich gegenseitig zu befruchten. Dies ist ganz im Sinne der Initiative „Work-LifeBalance als Motor für wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftliche Stabilität“ (vgl. Kapitel 9.2.6). Der Diskurs von Work-Life-Balance repräsentiert bei den Interviewpartnerinnen und Interviewpartnern nicht mehr Verhältnisse zwischen den Geschlechtern, sondern Subjektorientierungen und die Idee des Gelingens bzw. Scheiterns ihres Arbeitskraftmanagements. Durch diese Praxen stabilisieren die Interviewpartnerinnen und Interviewpartner das postfordistische Geschlechterregime. Abschließend lässt sich für die Subjektebene festhalten, dass es durch die intersektionale Auswertungsmethode möglich geworden ist, entsprechend der Fragestellung intensiver auf Facetten der Repräsentationen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner einzugehen. Dabei konnten der subjektive Sinn und die im Kontext dazugehörigen gesellschaftlichen Strukturen, Normen und Werte erfasst und in Beziehung zueinander gesetzt werden. In der folgenden tabellarischen Zusammenfassung (vgl. Tabelle 2) werden die Ergebnisse der intersektionalen Dispositivanalyse des Geschlechterregimes zusammengestellt. Die Gesamtschau beinhaltet die Dispositivelemente und die dazugehörigen Dispositionen. Sie stellt das Geschlechterregime als historischkonkret dar. Diese Darstellung des postfordistischen Geschlechterregimes der BRD seit ca. 1975 ermöglicht im Anschlusskapitel, die einzelnen Ebenen in ihren Wechselwirkungen zu erklären und eine abschließende Bewertung der in-

420 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

tersektionalen Dispositivanalyse des postfordistischen Geschlechterregimes vorzunehmen. Tabelle 3: Das postfordistische Geschlechterregime der BRD seit ca. 1975 (eigene Darstellung)

I NTERSEKTION

| 421

10.2 ABSCHLIESSENDE B EWERTUNG DER INTERSEKTIONALEN D ISPOSITIVANALYSE DES POSTFORDISTISCHEN G ESCHLECHTERREGIMES Im Folgenden möchte ich nun die Gesamtschau der intersektionalen Dispositivanalyse des Geschlechterregimes darstellen. Wurden in den einzelnen Kapiteln zuvor die „kleinen Dreiecke“ im Einzelnen untersucht, gilt es nun, diese in einen Gesamtzusammenhang zu bringen:

422 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Abbildung 13: Gesamtschau der intersektionalen Dispositivanalyse des Geschlechterregimes (eigene Darstellung)

10.2.1 Wechselwirkungen zwischen der Strukturebene und der Subjektebene Die Gesellschaftsformation des Postfordismus ist auf der Strukturebene durch die Veränderung geschlechtsspezifischer Arbeitsformen, Arbeitsteilung und Mehrwertproduktion gekennzeichnet. Die Reproduktion der Produktionsbedingungen ist durch den Rückgriff auf fordistische und heteronormative Geschlechter- und Familienbilder materiell verankert. Am Beispiel der Familienform lässt sich die gesamtgesellschaftliche Funktionsweise des postfordistischen Geschlechterregimes erklären: Im fordistischen Geschlechterregime, in Kontrast zum postfordistischen Geschlechterregime, ist die weibliche unbezahlte Reproduktionsarbeit das ergänzende Arbeitsverhältnis der männlichen Lohnarbeit. Dieses Verhältnis spiegelt auch die Geschlechterzusammensetzung wider. In Wechselwirkung mit der Subjektebene bedeutet das für die Geschlechterzusammensetzung eine besondere Unterwerfung des männlichen Subjekts unter die Lohnarbeit und eine besondere Unterwerfung des weiblichen Subjekts unter die Reproduktionsarbeit. Beide

I NTERSEKTION

| 423

Formen ergänzen sich und sind miteinander durch die Produktion von relativem Mehrwert verbunden. Dieses Verhältnis macht den Haushalt im Fordismus zu einer Wirtschaftseinheit, weil er an den Kreislauf der Verteilung von Lohn gebunden ist und so eine Konsum- und Arbeitseinheit herstellt. Die Familienform im Fordismus sichert den Ort der generativen Reproduktion und konstruiert einen Lebenszusammenhang in einem heteronormativ organisierten Geschlechterverhältnis. Dieser Lebenszusammenhang führt die Subjektivierung durch die Sozialisation von Kindern in den Denkformen der Erwachsenen fort. Das fordistische Akkumulationsregime ist ungeschlechtlich nicht denkbar (vgl. Haensch 1969, Secombe 1974, Coulson/Branka/Wainwright 1975, Werlhof/Mies/Bennholdt-Thomsen 1983, Beer 1984, 1990, Ruf 1990, Kohlmorgen 2004, Hoherz 2006, Chorus 2007). Die Subjektivierung der Vater-Mutter-Kind-Struktur übt im Geschlechterregime im Allgemeinen eine besondere Funktion aus, denn sie nimmt für das Kind die Herrschaftsstruktur der Gesellschaft vorweg, weil das Kind in dieser Struktur die geschlechtsspezifische Anpassung an autoritäre Hierarchien einübt und das Gewaltverhältnis der Herrschaft von Menschen über Menschen in Form der vergeschlechtlichten Arbeitsteilung verinnerlicht. Die Zusammensetzung der fordistischen Gesellschaftsformation ist in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts von tief greifenden Veränderungen begleitet. Verwertungskrisen führen zu einem veränderten Akkumulationsregime. Das Geschlechterregime dieser postfordistischen Phase ist dadurch gekennzeichnet, dass die Strukturen des fordistischen Geschlechterregimes sich entformalisieren. Kennzeichen sind Krisen traditioneller Vergesellschaftungsformen, „Kleinfamiliarisierung“, Individualisierung bei gleichzeitiger sozialer Isolierung und Vereinzelung. Die Verbetrieblichung der Lebensführung und der Sozialisierung sind weitere Dispositionen (vgl. Kohlmorgen 2004, Chorus 2007, Voß/Pongraz 1998ff, Winker/Carstensen 2004, 2007). Der ökonomische Erfolg von Unternehmen ist stärker auf die Innovationsfähigkeit und Flexibilität von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern angewiesen. Damit sind die Lohnabhängigen mit einem komplexeren und aufwändiger zu organisierenden Alltag konfrontiert. Die Erbringung der Arbeitsleistung bleibt stärker der Selbst-Kontrolle und SelbstÖkonomisierung der Lohnabhängigen überlassen (vgl. Voß/Pongraz 1998f). Diese Selbstverhältnisse dienen vor allem zur Verinnerlichung der allgemeinen Ziele der Unternehmen, indem die Lohnabhängigen ihre Lebenswelten in den Kosmos der Unternehmen verlagern. Ziel dabei ist es, die Interessensunterschiede der Unternehmen und der Subjekte zu nivellieren. Auf Prekarität und Entgrenzung von Erwerbsarbeit und unbezahlter Reproduktionsarbeit reagieren die Betroffenen mit unterschiedlichen Strategien wie der Entwicklung neuer sozialer Formen von „Doing Family“, „Doing Elternteil“ bzw. „Doing Erwerbsarbeite-

424 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

rIn“. Hierbei versuchen die Subjekte die Sorgearbeit zu rationalisieren, Unterstützung bei der Reproduktionsarbeit durch haushaltsnahe Dienstleistung zu finden, Teilzeitverhältnisse als optimale Balance zwischen Alleinerziehung und Erwerbsarbeit einzugehen oder Flexibilität als Ressource zur Gestaltung der Familienarbeit anzuwenden. Die Richtung, in die sich Produktions- und Reproduktionsarbeiten verändern, geht dahin, dass Formen der Selbst-Kontrolle als verstärkte selbstständige Planung, Steuerung und Überwachung der eigenen Tätigkeiten angewandt werden sollen. Das heißt, das Prinzip der neuen Akkumulationsweise soll auch für die Organisation der Reproduktionsarbeit, sei es in Bezug auf Schwangerschaft, Kindererziehung oder Altenpflege, eingesetzt werden. Die Selbst-Ökonomisierung, die in der Produktion gefordert wird, gilt folglich auch für die Planung einer familienbiografischen Orientierung. Geschlechterverhältnisse lösen sich nicht auf, aber es entstehen differenzierte Lebensformen. Allen Lebensformen ist jedoch gemeinsam, reproduktive Tätigkeiten rationalisieren zu müssen, um „am Ball zu bleiben“ (vgl. Winker/Carstensen 2007: 284). Durch die Zunahme dieser postfordistischen Arbeitsverhältnisse und die ökonomische Transformation der „Normalarbeitsverhältnisse“ löst sich der Lebensentwurf der Nur-Hausfrau und des männlichen Familienernährers bzw. die Male-Bread-Winner-Struktur auf. Die zunehmende Doppelerwerbstätigkeit in Familien führt zu einer Neuzusammensetzung der Klassen- und Geschlechterverhältnisse. Frauenerwerbstätigkeit wird so zu einem Krisenmoment des fordistischen Geschlechterregimes, weil sie sich negativ auf die Geburtenrate und den demographischen Wandel auswirkt. Im Umkehrschluss wird Frauenerwerbstätigkeit zum Konstitutionsmoment des postfordistischen Geschlechterregimes. An der fordistischen Struktur und Funktionsweise der Familienformation ändert sich im Postfordismus grundsätzlich nichts. Die Familie hat immer noch eine zentrale Funktion zur Sicherung der institutionellen Herrschaft, zur Stabilisierung der Gesellschaftsformation, zur Zusammensetzung der Geschlechter und zur Perpetuierung des Geschlechterregimes. Mobilere und flexiblere Arbeitsbedingungen erhöhen allerdings spürbar den Druck bei den Subjekten auf das Organisationsmanagement ihrer Lohn- und Reproduktionsarbeiten und auf soziale Beziehungen sowie das Familienleben. Von den Subjekten werden die Entgrenzungserfahrungen überwiegend als Belastung empfunden. Dies drückt sich in einer emotionalen und strukturellen Zerrissenheit aus, bis hin zu ernsthaften psychischen und physischen Gesundheitsproblemen. Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer verspüren den Druck, Selbstsorge zu betreiben, und stehen vor dem Problem, einen Umgang mit ihrer Angst und ihren Widerständen zu finden

I NTERSEKTION

| 425

– zum Beispiel dem Chef zu sagen, dass die Familie wichtiger ist oder dass sie nicht so arbeitsfähig sind, wie es von ihnen erwartet wird. Durch die Fortschritte von biomedizinischen Technologien (künstliche Befruchtung, pränatale Diagnostik und Stammzellenforschung oder Gentechnologie wie Klonen) wird der Körper im postfordistischen Geschlechterregime nicht mehr als biologisch gegeben und unveränderbar angesehen. Durch die postmodernen Gen- und Reproduktionstechniken werden Menschen zu Material. Sexualität zur Fortpflanzung wird im Prinzip überflüssig. Schwangerschaft und Geburt werden zu einer wartungsbedürftigen Begebenheit, und die protoindustrielle Menschen- bzw. Humankapitalproduktion wird zur staatlich und ökonomisch kontrollierbaren Angelegenheit (vgl. Treusch-Dieter 1990). Ein frei entfaltetes Sexualleben würde die Bereitschaft der Subjekte für eine produktive Sexualität in Form von Geburten erheblich vermindern. Vor allem die gouvernementalen bzw. monetären Angebote an die Subjekte, mittels Geburten den Standort Deutschland und das gesamtgesellschaftliche Wachstum zu sichern, verdeutlichen den Zusammenhang zwischen den kapitalistischen Bedingungen der Produktion und der Reproduktion. Hierbei geht es darum, die sogenannte „private“ Sphäre zu entprivatisieren und soziale Beziehungen bis in die intimsten Bereiche des Lebens einer verstärken Kontrolle durch Strukturimperative des Akkumulationsregimes und durch gouvernementale Regulationsweisen zu unterwerfen. Familienplanung und die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt für Kinder unterliegen einer rationalen Entscheidung. So fließt die rationalisierte Produktionsweise auch in die Organisation des Alltags ein. Doppelbelastungen wie Reproduktionsarbeit zu verrichten und der Lohnarbeit nachzugehen, versuchen die Subjekte durch postfordistisches Zeitmanagement aufzufangen. Diese Versuche sind im Sinne einer taylorisierten Reproduktionsarbeit als Minimierung des allgemeinen Zeitverlusts durch Einplanung von Zeiten effektiver Beziehungs- und Fürsorgearbeit zu verstehen. Die Folge ist ein Übergang der idealtypischen fordistisch-tyloristischen Arbeitsformen des männlichen Arbeitnehmers und der weiblichen Hausfrau zu einer Verbindung beider Formen, zum postfordistischen Arbeitskraftmanagement (vgl. Winker/Carstensen 2004, 2007). Diese neuen Formen können mit unterschiedlichen Dispositionen einhergehen. Formen eines gescheiterten, eines gouvernemental subjektivierten und eines selbstbewussten Arbeitskraftmanagements sind möglich. Die damit einhergehende Einbeziehung großer Teile weiblicher Arbeitskraft verändert folglich die geschlechtliche Arbeitsteilung und es entstehen dadurch auch verschiedene Formen von lohnförmig organisierter weiblicher Arbeitskraft in der Produktionssphäre. In diesen Fällen greifen besser gestellte Familien auf billige und/oder illegalisierte Arbeiterinnen und Arbeiter zurück,

426 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

um den Haushalt versorgen zu lassen und gleichzeitig an professionellen Karrieren teilhaben zu können. Gleichzeitig bleibt der häusliche Bereich dabei feminisiert (Hess 2009, Young 2000a, b). Die Vergesellschaftungsformen der Geschlechter verändern sich im postfordistischen Geschlechterregime, da die Produktion von verwertbarem „Humankapital“ und Reproduktionsarbeit unternehmerischen Effizienzkriterien entsprechen soll. Die Entgrenzungen durch diese Strukturanpassungsmaßnahmen der Arbeitszeit- und Arbeitsortflexibilisierungen weiten sich auf die Perspektiven der Lebensführung aus, sodass im postfordistischen Geschlechterregime die Klassen- und Geschlechterzusammensetzung einerseits nach dem Kriterium „männlich-weiblich“ an Bedeutung verliert und Kriterien „mit oder ohne Kind“ oder „Möglichkeiten zum Kauf von haushaltsnahen Dienstleistungen“ an Bedeutung gewinnen (vgl. Jurczyk 2002). Geschlechtsspezifische Vermittlungen in Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigungen sowie die Verfügung über Zeit und Geld für Reproduktionstätigkeiten im weitesten Sinne sind einerseits zentrale Bestandteile der Modernisierung des fordistischen Geschlechterregimes. Andererseits sitzen traditionelle Geschlechterideologien des fordistischen Geschlechterregimes noch so tief in den Subjekten, dass trotz allen gegenteiliger Diskurse sozialen Bewegungen, trotz Work-Life-Balance und Gender-Mainstreaming, trotz Diversity Management und Ergebnissen der Arbeits- und Geschlechterforschung die Frauen statistisch gesehen immer noch die Hauptlast der Kinderversorgung zu tragen haben – unabhängig davon, ob sie erwerbstätig sind oder nicht (vgl. Statistisches Bundesamt 2003, 2004, 2009b, 2010). Abschließend lässt sich durch die Wechselwirkung Struktur/Subjekt feststellen, dass die Probleme des demographischen Wandels und die Flexibilitätsanforderungen in der Produktions- und Reproduktionssphäre eine massive Regulation und Neuzusammensetzung des fordistischen Geschlechterregimes haben notwendig werden lassen. 10.2.2 Wechselwirkungen zwischen der Strukturebene und der Symbolebene Die Krisen der fordistischen Produktions- und Reproduktionsmuster stehen in einem wechselseitigen Zusammenhang mit Entgrenzungen der Geschlechterverhältnisse sowie mit Entgrenzungen der Erwerbs- und Reproduktionsarbeit. Hauptregulationsmoment des postfordistischen Geschlechterregimes ist im Prinzip eine strukturelle und ideologische Übertragung der Produktionsmuster auf die Organisation der Reproduktionsarbeit. Diese Muster können damit klassifi-

I NTERSEKTION

| 427

ziert werden, dass durch den Entgrenzungsprozess die Grenzen zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit immer mehr verschwimmen, weil die Zuordnung der Tätigkeiten und die Arbeitszeiten auch immer mehr verschwimmen. Effekte sind drastische Rückgänge der Geburtenraten, Unvereinbarkeiten zwischen Familie und Beruf und veränderte Geschlechterideologien. Das Ergebnis dieser Übertragung lässt sich auf die Formel „Entgrenzte Arbeit = entgrenzte Geschlechterideologien = gefährdete Reproduktion“ bringen (vgl. Kratzer/Sauer 2007). Werden in der Reproduktion der Produktionsverhältnisse Tendenzen festgestellt, die auf eine Krise der Reproduktion bzw. Familienformation hinauslaufen, greift der Staat auf familien-, bevölkerungs- und wirtschaftspolitische Maßnahmen zu, um die Aufrechterhaltung des Systems zu regulieren. Die Familien- und Bevölkerungspolitik im Postfordismus bringt die Familienform als Stabilisierungsstruktur des Geschlechterregimes hervor. Die Familie wird im postfordistischen Geschlechterregime neoliberal gedacht, in dem bestimmte Formen der Reproduktionsarbeit (Haus-, Erziehungs-, familiäre Unterstützungs- oder Pflegearbeit) rationalisiert werden sollen. Diejenigen Arbeiten, die nicht rationalisiert werden können (Beziehungsarbeit, generative Reproduktion, Sozialisation von „Humankapital“), sollen effizienter und dem Produktionsprozess mittels spezieller Maßnahmen angepasst werden (vgl. Dierks 2005). Ein zentrales Mittel der deutschen Familien- Bevölkerungs- und Wirtschaftspolitik sowie des Personalmanagements in Unternehmen ist das Work-Life-Balance-Konzept (vgl. BMFSFJ 2005). Das Konzept der Work-Life-Balance stammt aus der USamerikanischen Personalentwicklung und beinhaltet strukturelle und symbolische Maßnahmen zur Steuerung der Arbeits- und Lebensorganisation. WorkLife-Balance-Konzepte sind eine Strukturanpassungsmaßnahme für eine durch Globalisierung und Neoliberalismus, veränderte Produktions- und Reproduktionssphäre. Sie sind eine ideologische und wettbewerbsstrategische Antwort auf die entgrenzten gesellschaftlichen Beziehungen sowie als eine Regulationsweise zu verstehen, die prekären Geschlechterverhältnisse zu verfestigen. Eine Kooperation aus den wichtigsten börsennotierten Konzernen und zentralen Ministerien der Bundesregierung der BRD haben sich unter dem Motto „Work-Life-Balance als Motor für wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftliche Stabilität“ zusammengeschlossen. Die Zukunftsperspektive der Initiative formuliert einen diskursiven Bruch mit dem traditionellen männlichen Ernährermodell und die Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf zugunsten von Frauen. Diese Perspektive ist wesentlich für die Charakterisierung des postfordistischen Geschlechterregimes, weil zentrale feministische Forderungen nach Chancengleichheit und Überwindung patriarchaler Strukturen Eingang in politische Herrschaftsdiskurse und -strukturen gefunden haben. Die symbolische Neuzusam-

428 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

mensetzung der Geschlechterverhältnisse beinhaltet zugleich einen feministischen und einen wirtschaftsliberalen Diskurs, der darum kreist, Elternschaft zu erleichtern, Geburtenraten zu erhöhen und beides in Balance mit wirtschaftspolitischen Zielen zu bringen (vgl. BMFSFJ 2005). Dieser Diskurs ist höchst widersprüchlich, denn die Erhöhung der Geburtenrate und kinderreiche Familien unter postfordistischen Vorzeichen sind eine Regulationsweise zur Etablierung wirtschaftlicher Abhängigkeiten, sexueller Unterdrückung und ein Rückschritt in der Emanzipation der Geschlechter. Aufgrund der immer noch existenten konservativen Geschlechterideologien ist davon auszugehen, dass ein mehr an Kindern auch ein mehr an weiblicher Reproduktionsarbeit erfordert. Abschließend lässt sich durch die Wechselwirkung Struktur/Symbol feststellen, dass im Prinzip die Work-Life-Balance-Maßnahmen die ideologische Formel sind, die Profitraten der Unternehmen zu erhöhen und die Lebensformen wie ein Unternehmen zu organisieren: effizient, rational, produktiv. Auf wirtschaftlicher Seite wird die Bevölkerung Deutschlands als Produktionsfaktor wahrgenommen, sie soll sich den gleichen Anpassungsstrategien unterwerfen wie die Unternehmen selbst – nämlich der Rationalisierung und Flexibilisierung, lediglich auf mikrostruktureller Ebene. Strukturell lässt sich dieser Diskursstrang des Geschlechterregimes der Gouvernementalität zuordnen: Damit ist die (Selbst-) Führung bzw. das (Selbst-)Regieren von Individuen gemeint, indem ein Geschlechterregime hergestellt werden soll, bei dem Herrschaft mit dem Einverständnis der Beherrschten ausgeübt wird (vgl. Bröckling/Krasmann/Lemke 2000, Pieper/Gutiérrez-Rodríguez 2003, Kapitel 8). Die Begrifflichkeiten des wirtschaftspolitischen Nutzens von Familienfreundlichkeit, Elternschaft, zweckmäßiger bzw. heteronormativen Geschlechterverhältnissen fungieren als zentrale Anrufungssignifikanten des postfordistischen Geschlechterregimes. 10.2.3 Wechselwirkungen zwischen der Symbolebene und der Subjektebene Zentrale Themen des postfordistischen Geschlechterregimes sind der diskursive Bruch mit dem fordistischen Familienernährermodell, die Doppelbelastung von Frauen, negative Demographie und der damit zusammenhängende bedrohliche Rückgang von Geburtenraten. Mit Gender-Mainstreaming, Diversity Management oder mit Work-Life-Balance-Konzepten sollen für Frauen Zugänge zur Produktionssphäre geschaffen werden. Es soll auch ein Nebeneinander von Markt und Familie durch eine marktförmige und flexible Umgestaltung der Reproduktionssphäre hergestellt werden. Gender Mainstreaming als ein Leitprinzip

I NTERSEKTION

| 429

des Geschlechterregimes verpflichtet politische Akteure, Unternehmen und alle Beschäftigten dazu, unterschiedliche Interessen und Lebenssituationen von Frauen und Männern in der Struktur, in der Gestaltung von Prozessen und Arbeitsabläufen, in der Kommunikation und in der Öffentlichkeitsarbeit zu berücksichtigen. Work-Life-Balance als weiteres Leitprinzip firmiert in den personalwissenschaftlichen und biopolitischen Diskursen als symbolische Chiffre, durch eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf Wettbewerbsvorteile herzustellen und den Standort Deutschland mittels einer Erhöhung der Frauenerwerbsquote zu sichern. Die Diskurse beziehen sich insbesondere auf eine bessere Ausnutzung der Arbeitskraft gut ausgebildeter Frauen sowie auf eine Steigerung der Geburtenrate. Diese Leitprinzipien beinhalten demnach eine diskursive Wendung gegenüber dem fordistischen Geschlechterregime. Die Kategorie Geschlecht wird im postfordistischen Geschlechterregime nicht als Nachteil in der kapitalistischen Konkurrenz dargestellt, sondern so gewendet, dass Geschlechtlichkeit als Wettbewerbsvorteil genutzt werden kann. Diese Wendung lässt sich als Klassen- und Geschlechterkompromiss zwischen emanzipativen und neoliberalen Diskurselementen verstehen. Wesentliche Regulationsweisen zur Verzahnung dieses Themas sind zumindest ideologisch in den Konzepten des Work-Life-Balance-Diskurses zu finden. Diese Maßnahmen setzen explizit auf einen Mentalitätswechsel bezüglich der geschlechtlichen Rollenbilder und ihrer Funktionen innerhalb der Gesellschaft. Der Diskurs der Geschlechtergerechtigkeit dient als Vehikel, den neoliberalen Eigenverantwortungsdiskurs zu verschärfen. Die Argumentation enthält eine Subjektivierungsweise und schließt die neoliberalen rhetorischen Figuren der Unterordnung unter die Interessen der Wirtschaft als auch die Ausrichtung der eigenen Lebensinteressen an volks- und betriebswirtschaftlichen Effizienzkriterien ein (vgl. Lemke 1997, Bröckling 2007, Opitz 2004). Die Diskurse drehen sich im Wesentlichen um den Ausbau von Arbeitsorganisationsmodulen wie Zeit- und Selbstmanagement, spezifisch ausgestaltete Arbeitszeitmodelle, Modelle zur Flexibilisierung des Arbeitsortes sowie haushaltsnahe Dienstleistungen. Sie beinhalten auch wesentliche biopolitische Diskurselemente. Darunter sind finanzielle und gesundheitspräventive Leistungen für Lohnabhängige wie Elterngeld, Elternzeit, Kinderbetreuungsmaßnahmen oder Anti-Stress-Management bzw. Burnout-Prävention zu verstehen. Auf der subjektiven Ebene sollen durch Work-Life-BalanceMaßnahmen bei den Lohnabhängigen die Arbeitsmotivation erhöht, Fehlzeiten und Personalfluktuation verringert werden. Der ideologische Kernpunkt in Bezug auf Geschlechterregime ist die Herstellung von „Humankapital“, das folglich nicht nur auf den Bereich der Arbeitskrafterhaltung und Arbeitspotentialoptimierung abzielt, sondern auch auf

430 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

den Bereich der generativen Reproduktion von Arbeitskräften. Der persönliche und der gesellschaftliche Gesundheitszustand sowie eine erhöhte Geburtenrate gelten als wertschöpfende Ressourcen im postfordistischen Geschlechterregime. Verbunden mit Diskursen wie der Stärkung der deutschen Wirtschaft oder gesundheitspräventiven Aspekten zeichnet sich das postfordistische Geschlechterregime durch post-eugenische Züge aus, weil die Diskursfragmente gouvernementale Anrufungen an eine produktive Sexualität beinhalten und strukturell mit Klassismus, Nationalismus und Wohlstandschauvinismus verbunden sind (vgl. Foucault 2006a, b). Die umfassende ideologische Mobilisierung der Bevölkerung zum Profitmachen beinhaltet Teildiskurse, welche die „eigene Nation“ selbst als kapitalistisches Unternehmen zu begreifen und denen zufolge das Individuum sich selbst in eine weltweite „Rund-um-die-Uhr-Ökonomie“ einordnen soll (vgl. Dozekal 2001). Die sogenannte Sachzwang-Ideologie fordert in diesem Zusammenhang eine neue Rationalität der Individuen. Hoch motivierte und engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die sich durch eine effektive Selbststeuerung gegenüber dem Mechanismus der Konkurrenz behaupten sollen, stehen im Zentrum der Sachzwang-Ideologie. Das Selbstbild von Subjekten spiegelt sich entlang von Diskursen über Meritokratie und Leistungsbereitschaft. Dieses Selbstbild verbindet sich mit heteronormativen Diskursen. Galt es im fordistischen Geschlechterregime, die weibliche Reproduktionsfähigkeit im Familienzusammenhang als Garant für „gesunde“, funktionale und stabile Familienstrukturen einzusetzen, wird im postfordistischen Geschlechterregime die Frau allerdings als „moderne Hybridmutter“ stilisiert: ökonomisch, rational, fürsorglich, erfolgreich. Im Zusammenhang mit Arbeits- und Familienstrukturen zeigen sich auf der Subjektebene eindeutig geschlechtsstereotype Rollenvorstellungen und der Ideallebensentwurf einer Male-Bread-Winner-Familie. Von den Subjekten wird formuliert, dass z. B. das Male-Bread-Winner-System eine ideale Lebensweise sei oder dass Teilzeit für männliche Führungskräfte symbolisch und strukturell tabu ist, weil es als ein Frauenthema gehandelt wird. Es überwiegen bei den Subjekten ideologische Repräsentationen davon, dass Frauen mehr leisten müssen, um sich zu behaupten, als Männer. In der Verbindung mit dem Leistungsdiskurs entstehen Sehnsüchte nach traditionellen Geschlechter- bzw. entschleunigten Lebensverhältnissen. Die Forderungen der Interviewpartnerinnen und Interviewpartner gehen dahin, dass die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber stärker den Bedürfnissen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer entgegenkommen sollen. Ihre Gegenanrufungen beziehen sich darauf, dass die Konzepte von Work-LifeBalance eine stärkere Gewichtung auf die Beziehungszeit, Lebenszeit sowie auf die private Organisation der Work-Life-Balance beinhalten sollen. Kritisch ste-

I NTERSEKTION

| 431

hen sie dem Leistungsdruck und der psychosozialen Kontrolle durch den Betrieb bezüglich ihrer Leistungsbereitschaft und der prekären Vermarktung der Arbeitskraft als Arbeitskraftmanagerinnen oder Arbeitskraftmanager entgegen. Einige formulieren den Anspruch, dass Work-Life-Balance durch Management und Staat angeordnet werden müsste. Abschließend lässt sich durch die Wechselwirkung Symbol/Subjekt einerseits feststellen, dass die Work-Life-Balance-Maßnahmen als ein Katalysator zur beschleunigten Durchsetzung des postfordistischen Geschlechterregimes zu verstehen sind. Die Leitidee des postfordistischen Geschlechterregimes setzt explizit auf ein Gender-Mainstreaming bzw. auf einen Mentalitätswechsel bezüglich der fordistischen Geschlechterideologien. Andererseits setzen die Subjekte die gouvernementalen Vorgaben nur verzögert um. Ihre symbolischen Leitprinzipien kollidieren mit den Anforderungen des postfordistischen Geschlechterregimes. Dies führt zu Verzerrungen, aber auch zu eigenständigen Veränderungen in der Umsetzung der Ausbalancierung von Erwerbsarbeits- und Reproduktionsarbeitsverhältnissen.

10. 3 AUSBLICK „Es gibt keinen abbild- oder theorieunabhängigen Realitätsbegriff“, schreibt der Physiker Stephen Hawking (2010: 42). Damit meint Hawking, dass unsere Sinnesorgane Modelle der Außenwelt aufgrund von mentalen Konzepten und Theorien anfertigen: „Diese Konzepte sind die einzige Wirklichkeit, die wir erkennen können. Es gibt keinen modellunabhängigen Test der Wirklichkeit. Daraus folgt, dass ein gut konstruiertes Modell eine eigene Realität schafft“ (Hawking 2010: 168). Genau das versucht das Konzept des Geschlechterregimes erfahrbar zu machen: Eine Vorstellung, eine abstrakte Theorie mit konkreten Beobachtungen von der Realität zu verbinden. Denn ohne Modell oder Untersuchungsmatrix ist jede Empirie ein unergründliches Rauschen – sei es in den Naturwissenschaften oder in den Geisteswissenschaften. Durch den Aufbau des Konzeptes Geschlechterregime als theoretisch-abstraktes und historisch-konkretes ist ein oszillierendes System entstanden, das zwischen zwei Formen hin und her pendeln kann und über seine eigenen Grenzen hinausweist. Dieses System beschreibt einerseits die allgemeinen Bedingungen einer Herrschaftsformation und andererseits die erfahrbaren Kontrollmechanismen dieser Herrschaftsformation. Es beschreibt eine Untersuchungskategorie, welches die Basis für erkenntnistheoreti-

432 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

sche Lösungen anbietet. Dies ist allerdings nicht das Besondere des Geschlechterregimekonzeptes. Meines Erachtens liegt in der intersektionalen Dispositivanalyse die Möglichkeit der Überschreitung bisheriger erkenntnistheoretischer Lösungen zur Beschreibung von gesellschaftlichen Verhältnissen, weil der Theorien- und Methodenpluralismus des intersektionalen Geschlechterregimekonzeptes eine Vervielfältigung von Alternativen zur Abbildung der Realität ermöglicht. Die Wechselwirkung der verschiedenen Ebenen und die Reihen der Dispositivelemente erlauben mannigfaltige Verschaltungen und Verkettungen, die parallel oder überkreuz über ihren Ausgangspunkt hinausweisen. Dieses oszillierende Übergehen in ein Anderes, das wiederum umschlägt in ein „sich-über-sein-Anderes-zu-sichVermitteln“ (Collmer 2002: 96), bedeutet ein offenes und zugleich ein selbstkritisches Erkenntnissystem. Diese Permutationen von theoretisch-abstrakten und historisch-konkreten Darstellungen des Geschlechterregimes ermöglichen eine Selbstreflexion der empirisch erfassbaren Realität, die es wiederum gestattet, das eigene verhaftet-Sein in der Realität zu verstehen und zu erklären. Wie der Diskursethiker Karl-Otto Apel beschrieben hat, ist diese dialektische Vermittlung von Verstehen und Erklären „Ideologiekritik“ (Apel 1980: 44) und zwar in dem Zusammenhang, dass ein Erklärungsmodell nicht den Wissenden Macht über die Unwissenden verleiht, sondern dass ein wissenschaftliches Erklärungsmodell eine Herausforderung darstellt, durch Selbstreflexion Handlungsalternativen zu verstehen, zu erklären und zu erweitern. Diese Praxis der Theorie arbeitet sich somit nicht nur an Begriffen und Erkenntnissen ab, sondern nimmt durch die Kritik bestehender Verhältnisse eine Form der autonomen Wiederaneignung einer „theoretischen Praxis“ (Althusser 1968: 124, 103) ein. Dies lässt sich auch ganz im Sinne des Wissenschaftstheoretikers Paul Feyerabend verstehen: kritische oder politische Einflüsse dürfen für den Erkenntnisprozess nicht abgelehnt werden. Sie sind sogar „notwendig, um den wissenschaftlichen Chauvinismus zu überwinden, der sich oft der Einführung von Alternativen zum Status quo widersetzt“ (Feyerabend 1986: 55). Der intersektionale Interpretationsrahmen nach Gabriele Winker und Nina Degele (2009) bietet genau diese Schnittstelle zwischen Theorie, Methode und Politik. Darüber hinaus bietet dieser Rahmen, die Möglichkeit in größeren Zusammenhängen zu denken, und somit den Blickwinkel für eine verallgemeinerte Handlungsfähigkeit – im Sinne einer gemeinsamen Erweiterung der gesellschaftlichen Lebensverhältnisse durch das Begreifen der Verwobenheit unterschiedlicher Unterdrückungsmechanismen – zu schärfen (vgl. Winker/Degele 2009: 145). Denn mit einem eindimensionalen Abbild der Realität erfolgt ein restriktiver Zugriff auf gesellschaftliche Bedeutungen und Denkformen. Damit materia-

I NTERSEKTION

| 433

lisiert sich die Eindimensionalität der Subjekte selbst, die sich in ihrer sozialen Praxis auf die in den Bedeutungen enthaltenen Handlungsmöglichkeiten beziehen. Einfach gesagt bedeutet das, dass durch die Minimierung von Alternativen auch die Handlungsfähigkeit eingeschränkt wird. Ein Weg die gesellschaftlich vermittelten Handlungsbehinderungen zu erweitern, ist die Praxis der intersektionalen Mehrebenenanalyse. Denn durch die ideologiekritische Darstellung gesellschaftlicher Realität sind sowohl das Eingreifen in gesellschaftliche Prozesse und Kämpfe gegen soziale Ungleichheiten, als auch ein Bezug und eine Reflexion eigener Standpunkte möglich. Das Über-sich-hinaus-Weisen bezieht sich daher auf eine Vervielfältigung von Interpretationsalternativen. Vorstellbar als Vervielfältigung von Interpretationsalternativen ist in diesem Zusammenhang eine Erweiterung der intersektionalen Dispositivanalyse im Anschluss an Helma Lutz und Norbert Wenning (2001). In dieser Analyse können hierarchische Linien der Differenz in Zusammenhang mit den Herrschaftsverhältnissen von Geschlecht, Sexualität, „Rasse“/Hautfarbe, Ethnizität, Nation/ Staat, Klasse, Kultur, Gesundheit, Alter, Sesshaftigkeit/Herkunft, Besitz, NordSüd/Ost-West und dem gesellschaftlichen Entwicklungstand analysiert werden. Vorstellbar ist auch eine intersektionale Anbindung an die, noch zu leistende, soziotechnische Untersuchung der Kontrollmechanismen und Herrschaftsformen von Einschließungsmilieus wie die der Gefängnisregime, der Schulregime, der Krankenhausregime oder der Unternehmensregime, wie Gilles Deleuze vorschlägt (vgl. Deleuze 1993: 261f). Die intersektionale Dispositivanalyse, die wechselseitige Vermittlung von Struktur-, Symbol- und Subjektebenen und die dazugehörigen je spezifischen Dispositivelemente, bietet jedenfalls vielfältige Möglichkeiten, je einzelne Regime zu untersuchen und aber auch die jeweiligen Regime miteinander zu vermitteln. Beispielhaft hierfür soll die folgende Abbildung Möglichkeiten einer intersektionalen Regimeanalyse aufzeigen:

434 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Abbildung 14: Intersektionale Regimeanalyse (Quelle: Sierpinski-Dreieck nach eigener Darstellung)

Dadurch, dass die Vorstellung einer intersektionalen Dispositivanalyse bzw. dieses Dreieck selbstähnlich ist, erzeugt jede Regimeanalyse bzw. jedes Dreieck äußere Regimeanalysen bzw. Teildreiecke, die wiederum verkleinerte exakte Kopien des gesamten Fraktals enthalten. Ein beliebiges Teil des Fraktals erscheint somit wie das Gesamtobjekt selbst. Z. B. würde eine intersektionale Regimeanalyse nach diesem Muster keine Hierarchie im Sinne von Haupt- und Nebenregimen zulassen und es wäre somit überdeterminiert. Diese Schlussfolgerung ist allerdings nur eine Idee für weiterführende Forschungsarbeiten im Kontext der intersektionalen Mehrebenenanalyse. Ebenso wie die in Kapitel 9.5 entwickelte Idee einer „eingreifenden Theorie der Intersektionalität“, in der Beforschte zu Mitforschenden werden und aktiv in den Auswertungsprozess eingreifen sollen, bedürfen diese Empfehlungen, die Theorie der intersektionalen Mehrebenenanalyse zu erweitern, weiterer Überlegungen. Für alle Fälle eignet sich ein Griff in die intersektionale Werkzeugkiste, um „Machtsysteme kurzzu-

I NTERSEKTION

| 435

schließen, zu demontieren oder zu sprengen“, wie Michel Foucault sagen würde (1978: 53). Das Konzept der Intersektionalität besitzt jedenfalls konkrete Konsequenzen für politisches Handeln: „Aus intersektionaler Perspektive wird nämlich klar, dass Schwerpunktsetzungen bezüglich Kategorien und Ebenen notwendig sind, um erfolgreich politisch agieren zu können. Damit verbundene Stoßrichtungen oder Angriffsziele schließen sich nicht aus, sondern können sich gegenseitig ergänzen. So lassen sich auch inhaltlich begründete Allianzen weiterentwickeln. Neue und breitere Bündnisformen, die das Aufbrechen kategorialer Binaritäten unterstützen, sind heutzutage enorm wichtig, da für die Lösung vieler gesellschaftlicher Probleme wie menschenverachtender Kriege, ökologischer Katastrophen oder zunehmender Ungleichheiten und Armut die Solidarität zwischen sehr unterschiedlichen Menschen erforderlich ist. Zur Realisierung solcher Formen der Verbundenheit, über die wir bislang wenig wissen, können und sollen intersektionale Denkweisen inspirieren.“ (Winker/Degele 2009: 147)

Literaturverzeichnis

Adams, Julia/Padamsee, Tasleem 2001: Signs and Regimes. Rereading Feminist Work on Welfare States. In: Social Politics, Nr. 8, S. 1-23 Adorno, Theodor, W. 1998: Marx und die Grundbegriffe der soziologischen Theorie. Aus einer Seminarmitschrift im Sommer 1962. In: Backhaus, HansGeorg; Dialektik der Wertform, Freiburg, S. 514-532 Agamben, Giorgio 2008: Was ist ein Dispositiv? Zürich/Berlin Aglietta, Michael 1979: A Theory of Capitalist Regulation. The US Experience, London Aglietta, Michael 2000: Ein neues Akkumulationsregime, Hamburg Agnoli, Johannes 1975: Überlegungen zum bürgerlichen Staat, Berlin Agnoli, Johannes 1995: Der Staat des Kapitals, Freiburg Agnoli, Johannes 1999: Subversive Theorie. „Die Sache selbst“ und ihre Geschichte, Freiburg Akerlof, George A./Shiller, Robert J. 2009: Animal Spirits. How Human Psychology Drives the Economy, and Why It Matters for Global Capitalism, New Jersey Alnasseri, Sabah/Brand, Ulrich/Slabowski, Thomas/Winter, Jens 2001: Raum, Regulation und Periodisierung des Kapitalismus. In: Das Argument, Nr. 239, S. 23-42 Althusser, Louis 1968: Für Marx, Frankfurt/Main Althusser, Louis 1977: Ideologie und ideologische Staatsapparate, Hamburg/ Berlin Althusser, Louis 1985: Schriften, Bd. 4, Berlin Althusser, Louis/Balibar, Etienne 1972: Das Kapital lesen, Bd. 1, 2, Reinbek Altvater, Elmar 1974: Perspektiven des Kapitalismus, Frankfurt/Main Altvater, Elmar 1983: Bruch und Formwandel eines Entwicklungsmodells. Die gegenwärtige Krise ist ein Prozess gesellschaftlicher Transformation. In:

438 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Hoffmann Jürgen (Hg.); Überproduktion, Unterkonsumtion, Depression. Analysen und Kontroversen zur Krisentheorie, Hamburg, S. 217-252 Altvater, Elmar/Mahnkopf, Birgit 1999: Grenzen der Globalisierung. Ökonomie, Politik, Ökologie in der Weltgesellschaft, Münster Aly, Götz 1998: Deutsches Blut und deutscher Pass. [URL] www.berlinonline.de/berlinerzeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/1998/0328/none/ 0029/index.html, letzter Zugriff 22.10.08 Apel, Karl-Otto 1980: Szientistik Hermeneutik, Ideologiekritik. Entwurf einer Wissenschaftslehre in erkenntnisanthropologischer Sicht. In: Habermas, Jürgen/Henrich, Dieter/Taubes, Jacob (Hg); Hermeneutik und Ideologiekritik, Frankfurt/Main, S. 7-43 Aulenbacher, Brigitte 2007: Vom fordistischen Wohlfahrts- zum neoliberalen Wettbewerbsstaat. Bewegungen im gesellschaftlichen Gefüge und in den Verhältnissen von Klasse, Geschlecht und Ethnie. In: Klinger, Cornelia/Knapp, Gudrun-Axeli (Hg.); Achsen der Ungleichheit. Zum Verhältnis von Klasse, Geschlecht und Ethnizität, Frankfurt/Main, S. 42-55 Aulenbacher, Brigitte/Riegraf, Birgit 2009: Postfordistische Reproduktionsweise und soziale Ungleichheiten. Über die Erklärungspotenziale von Regulationstheorie, feministischer Gesellschaftsanalyse und Intersektionalitätsforschung. Paper für die gemeinsame Tagung „Kapitalismustheorien“ von ÖGPW und DVPW, Sektion Politik und Ökonomie, am 24. und 25. April 2009 in Wien. [URL] www.oegpw.at/tagung09/papers/AG1b_aulenbacher.pdf, letzter Zugriff 09.03.11 Balibar, Etienne 1977: Über historische Dialektik. Kritische Anmerkungen zu Lire le Capital. In: Jaeggi, Urs/Honneth, Axel (Hg); Theorien des Historischen Materialismus, Frankfurt/Main, S. 293-343 Barrett, Michele 1990: Das unterstellte Geschlecht. Umrisse eines marxistischen Feminismus, Hamburg Bauer, Ilona 1985: Frauenarbeit und kapitalistische Reproduktion. In: Autonomie. Materialien gegen die Fabrikgesellschaft. Klassengeschichte - Soziale Revolution? Berlin, S. 147-200 BDI 2011: Der BDI - Spitzenverband der deutschen Wirtschaft. [URL] www.bdi.eu/540.htm, letzter Zugriff 16.03.11 BDP 2008: Verdeckte Arbeitslosigkeit. [URL] www.bpb.de/wissen/KV63EE,0,0,Verdeckte_Arbeitslosigkeit.html, letzter Zugriff 16.03.11 Beck, Ulrich: Die Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt/Main

L ITERATUR

| 439

Becker, Michael 1996: Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 und Opferentschädigung in der Bundesrepublik Deutschland, Diplomarbeit an der Fachhochschule Frankfurt, FB Sozialarbeit, Frankfurt/Main Becker-Schmidt, Regina 1987: Die doppelte Vergesellschaftung - die doppelte Unterdrückung. In: Unterkirchner, Lilo/Wagner, Ina (Hg.); Die andere Hälfte der Gesellschaft. Österreichischer Soziologentag 1985, Wien, S. 10-27 Becker-Schmidt, Regina 2000: Frauenforschung, Geschlechterforschung, Geschlechterverhältnisforschung. In: Becker-Schmidt Regina/Knapp GudrunAxeli: Feministische Theorien zur Einführung, Hamburg, S. 14-62 Becker-Schmidt, Regina 2004: Doppelte Vergesellschaftung von Frauen. Divergenzen und Brückenschläge zwischen Privat- und Erwerbsleben. In: Becker, Ruth/Kortendiek, Beate (Hg.); Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung, Wiesbaden, S. 62-71 Beer, Ursula 1983: Marx auf die Füße gestellt? Zum theoretischen Entwurf von Claudia Werlhof. In: Prokla, Nr. 50, S. 22-38 Beer, Ursula 1984: Theorien geschlechtlicher Arbeitsteilung, Frankfurt/New York Beer, Ursula 1990: Geschlecht, Struktur, Geschichte. Soziale Konstituierung des Geschlechterverhältnisses, Frankfurt/New York Bericht der Hartz-Kommission 2003: Summery. [URL] www.soliserv.de/hartzkommission.htm, letzter Zugriff 08.05.05 Betzelt, Sigrid 2007: „Gender Regimes“. Ein ertragreiches Konzept für die komparative Forschung. Literaturstudie, ZeS-Arbeitspapier Nr. 12/2007 Bieling, Hans-Jürgen 2000: Dynamiken sozialer Spaltung und Ausgrenzung. Gesellschaftstheorien und Zeitdiagnosen, Münster Bieling, Hans-Jürgen 2000: Dynamiken sozialer Spaltung und Ausgrenzung. Gesellschaftstheorien und Zeitdiagnosen, Münster Bild 2011: Bundestag stimmt für Gentests an Embryonen, [URL] www.bild. de/politik/inland/praeimplantationsdiagnostik/pid-entscheidung-ueber-lebenund-tod-im-bundestag-18731520.bild.html, letzter Zugriff 07.07.11 BMAS, Bundesministerium für Arbeit und Soziales, 2011: Bereinigte Lohnquote. [URL] www.bmas.de/portal/5894/stb9__7__htm.html, letzter Zugriff 04.07.11 BMFSFJ 1994: 5. Familienbericht - Familien und Familienpolitik im geeinten Deutschland - Zukunft des Humanvermögens. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.), Bonn BMFSFJ 2003: Betriebswirtschaftliche Effekte familienfreundlicher Maßnahmen. Kosten-Nutzen-Analyse. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.), Berlin

440 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

BMFSFJ 2005: Work-Life-Balance - Motor für wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftliche Stabilität. Analyse der volkswirtschaftlichen Effekte - Zusammenfassung der Ergebnisse. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.), Berlin BMFSFJ 2006: 7. Familienbericht - Familie zwischen Flexibilität und Verlässlichkeit. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (Hg.), Berlin BMI 2010: Bundeswappen und Bundesadler. [URL] www.bmi.bund.de/ cln_183/DE/Service/Glossar/Functions/glossar.html?nn=105094&lv2=10510 8&lv3=152296, letzter Zugriff 13.03.11 Bock, Gisela 1986: Zwangssterilisation im Nationalsozialismus. Studien zur Rassenpolitik und Frauenpolitik, Opladen Bock, Gisela/Duden, Barbara 1977: Arbeit aus Liebe - Liebe als Arbeit - Zur Entstehung der Hausarbeit im Kapitalismus. In: Gruppe Berliner Dozentinnen; Berliner Sommeruniversität für Frauen (Hg.); Frauen und Wissenschaft - Beiträge zur Berliner Sommeruniversität für Frauen, Juli 1976, Berlin. S.118-199 Boltanski, Luc/Chiapello, Ève 2003: Der neue Geist des Kapitalismus, Konstanz Bontrup, Heinz-J. 2008: Lohn und Gewinn: Volks- und betriebswirtschaftliche Grundzüge, München Borg, Eric 2001: Hegemonie der Globalisierung? In: Candeias, Mario/Deppe, Frank (Hg.); Ein neuer Kapitalismus?, Hamburg, S.67-82 Bothfeld, Silke 2008: Under (Re-)Construction – Die Fragmentierung des deutschen Geschlechterregimes durch die neue Familienpolitik, ZeS-Arbeitspapier Nr. 1/2008 Bourdieu, Pierre/Wacquant, Loic 1996: Reflexive Anthropologie, Berlin Bourdieu, Pierre 1970: Zur Soziologie der symbolischen Formen, Frankfurt/Main Bourdieu, Pierre 1976: Entwurf einer Theorie der Praxis, Frankfurt/Main Bourdieu, Pierre 1982: Die feinen Unterschiede, Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt/Main Bourdieu, Pierre 1985: Sozialer Raum und „Klassen“. Zwei Vorlesungen, Frankfurt/Main Bourdieu, Pierre 1987: Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft, Frankfurt/Main Bourdieu, Pierre 1992: Sozialer Raum und symbolische Macht. In: Ders; Rede und Antwort, Frankfurt/Main, S. 135-154

L ITERATUR

| 441

Bourdieu, Pierre 1997: Die männliche Herrschaft. In: Dölling, Irene/Krais, Beate (Hg.); Ein alltägliches Spiel. Geschlechterkonstruktion in der sozialen Praxis, Frankfurt/Main, S.153-217 Bourdieu, Pierre 2005: Die männliche Herrschaft, Frankfurt/Main Boyer, Robert 2004: Pierre Bourdieu et la théorie de la régulation. In: Actes de la recherche en sciences sociales, Nr. 150, S. 65-78 Boyer, Robert/Saillard, Yves 2002: Perspectives on the wage-labour nexus? In: Dies. (Hg.); Regulation Theory. The State of the Art, London/New York, S.73-79 BPB; Bundeszentrale für politische Bildung 2011: Die soziale Situation in Deutschland. Eheschließungen. [URL] www.bpb.de/wissen/NHXRDM,0 ,Entwicklung_der_Scheidungs-rate.html, letzter Zugriff 28.06.11 Braig, Marianne/Lentz, Carola 1983: Wider die Enthistorisierung der Marxschen Werttheorie. Kritische Anmerkungen zur Kategorie „Subsistenzproduktion“. In: Prokla, Nr. 50, S. 5-22 Brennan, Teresa 2000: Der Dritte Weg in die globale Ausbeutungsgesellschaft. In: Das Argument, Nr. 234, S. 83-92 Brenssell, Ariane/Habermann, Friederike 2001: Von Keksen und Kapitalismus. Intervention gegen „männlichen“ Universalismus in Theorien zum Neoliberalismus. In: Candeias, Mario/Deppe, Frank (Hg.); Ein neuer Kapitalismus?, Hamburg, S. 241-264 Bröckling, Ulrich 2000: Totale Mobilmachung. Menschenführung im Qualitätsund Selbstmanagement. In: Bröckling, Ulrich/Krasmann, Susanne/Lemke, Thomas (Hg.); Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen, Frankfurt/Main, S. 131-167 Bröckling, Ulrich 2002: Das unternehmerische Selbst und seine Geschlechter. Gender-Konstruktion in Erfolgsratgebern. In: Leviathan, Nr. 2, S. 175-194 Bröckling, Ulrich 2003: Menschenökonomie, Humankapital. Eine Kritik der biopolitischen Ökonomie. In: Mittelweg, Nr. 36, S. 3-22 Bröckling, Ulrich 2007: Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivierungsform, Frankfurt/Main Bröckling, Ulrich 2008: Vorbeugen ist besser…Zur Soziologie der Prävention. In: Behemoth, Nr. 1, S. 38-48 Bröckling, Ulrich/Krasmann, Susanne/Lemke, Thomas 2000: Gouvernementalität, Neoliberalismus und Selbsttechnologien. Eine Einleitung. In: Bröckling, Ulrich/Krasmann, Susanne/Lemke, Thomas (Hg.); Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen, Frankfurt/Main, S. 740

442 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Brol, Rajmund 1998: Pränatale Diagnostik als ethische Herausforderung unserer Gesellschaft, St. Ottilien Bublitz, Hannelore 2000: „Die Gesellschaftsordnung unterliegt ‚dem Walten der Naturgesetze': Sozialdarwinismus als Schnittstelle der Rationalisierung von Arbeit, Bevölkerungspolitik und Sexualität.“ In: Bublitz, Hannelore/Hanke, Christine/Seier, Andrea (Hg.); Der Gesellschaftskörper. Zur Neuordnung von Kultur und Geschlecht um 1900, Frankfurt/Main, S. 236-324 Buchmayr, Maria/Neissl, Julia (Hg.): Work-Life-Balance & Wissenschaft - ein Widerspruch? Reihe Gender-Diskussion, Band 5, Münster/Hamburg/Berlin/Wien/London Buchsteiner, Rasmus 2011: Union plant staatlichen Zuschuss für Haushaltshilfen. [URL] www.ruhrnachrichten.de/nachrichten/politik/inland/art29862, 1341266, letzter Zugriff 12.07.11 Bührmann, Andrea D. 1995: Das authentische Geschlecht. Die Sexualitätsdebatte der Neuen Frauenbewegung, Münster Bührmann, Andrea D. 1997: Geschlecht als Dispositiv. In: Disselnkötter, Andreas/ Jäger, Siegfried /Kellershohn, Helmut/Slobodzian, Susanne (Hg.); Evidenzen im Fluß. Demokratieverluste in Deutschland, Duisburg, S. 135-152 Bührmann, Andrea D. 1998a: Die Erosion des modernen Geschlechterdispositivs zu Beginn des 20. Jahrhunderts. In: Cleve, Gabriele/Jäger, Margret/Ruth, Ina (Hg.); Schlank und (k)rank. Schlanke Körper - schlanke Gesellschaft, Duisburg, S. 50-63 Bührmann, Andrea D. 1998b: Die Normalisierung der Geschlechter in Geschlechterdispositiven. In: Bublitz, Hannelore (Hg.); Das Geschlecht der Moderne. Genealogie und Archäologie der Geschlechterdifferenz, Opladen S. 71-94 Bührmann, Andrea D. 2005: Das Auftauchen des unternehmerischen Selbst und seine gegenwärtige Hegemonialität. Einige grundlegende Anmerkungen zur Analyse des (Trans-) Formierungsgeschehens moderner Subjektivierungsweisen. In: Forum Qualitative Sozialforschung, Nr. 6, [URL] www. qualitative- research.net/fqs-texte/1-05/05-1-16-d.htm, letzter Zugriff 25.07.11 Bührmann, Andrea D./Schneider, Werner 2008: Von Diskurs zum Dispositiv. Eine Einführung in die Diskursanalyse, Bielefeld Bundestag 2011: PID in Deutschland künftig eingeschränkt erlaubt. [URL] www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2011/35036974_kw27_de_pid/ind ex.html, letzter Zugriff 07.07.11 Butler, Judith 1994: Kontingente Grundlagen: Der Feminismus und die Frage der „Postmoderne“. In: Benhabib, Seyla/Butler, Judith/Cornell, Drucil-

L ITERATUR

| 443

la/Fraser, Nancy (Hg.); Der Streit um Differenz. Feminismus und Postmoderne in der Gegenwart, Frankfurt/Main, S. 31-58 Butler, Judith 1997: Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen des Geschlechts, Berlin Butler, Judith 1998: Der Hass spricht. Zur Politik des Performativen, Berlin Butler, Judith 1998b: Weitere Reflexionen zu Hegemonie und Gender. In: Butler, Judith et.al. (Hg); Das Undarstellbare der Politik. Zur Hegemonietheorie Ernesto Laclaus, Wien, S. 123-131 Butler, Judith 2001: Psyche der Macht. Das Subjekt der Unterwerfung, Frankfurt/Main Butler, Judith 2003: Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt/Main Butler, Judith 2004: Gender-Regulierungen. In: Helduser, Urte/Marx, Daniela/ Paulitz, Tanja/Pühl, Katharina (Hg.); Under Construction. Konstruktivistische Perspektiven in feministischer Theorie und Forschungspraxis, Frankfurt/Main, S. 44-57 Candeias, Mario 2004: Neoliberalismus, Hochtechnologie, Hegemonie. Grundrisse einer transnationalen kapitalistischen Produktions- und Lebensweise. Eine Kritik, Hamburg Caysa, Volker 2003: Körperkult und Körperkapitalisierung. In: Initial, Nr. 14, S. 5-15 Chorus, Silke 2007: Ökonomie und Geschlecht. Regulationstheorie und Geschlechterverhältnisse im Fordismus und Postfordismus, Saarbrücken Clausnitzer, Beate 2009: Geschlechter ohne Verkehr. [URL] www.zeit.de/ 2002/03/Geschlechter_ohne_Verkehr, letzter Zugriff 16.03.11 Collmer, Thomas 2002: Hegels Dialektik der Negativität. Untersuchungen für eine selbst-kritische Theorie der Dialektik: „selbst“ als „absoluter“ Formausdruck, Identitätskritik, Negationslehre, Zeichen und „Ansichsein“, Gießen Collmer, Thomas 2009: Cut-Up und Dialektik, Wenzendorf Conert, Hansgeorg 1998: Vom Handelskapital zur Globalisierung, Münster Connell, Robert 1979: A Critique of the Althusserian Approach to Class. In: Theory and Society, Nr. 8, S. 303-345 Connell, Robert 1987: Gender and Power, Cambridge Connell, Robert 1990: The State, Gender, and Sexual Politics. Theory and Appraisal. In: Theory and Society, Nr. 5, S. 507-544 Connell, Robert 1997: Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeit, Opladen Corea, Gena 1989: Industrialisierung der Reproduktion. In: Frauen gegen Genund Reproduktionstechnologien. In: Bradish, Paula/Feyerabend, Erika/Winkler Ute (Hg.); Frauen gegen Gen- und Reproduktionstechnologien.

444 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Beiträge zum 2. bundesweiten Kongress Frankfurt, 28.-30.10.1988, München, S. 63-70 Coriat, Benjamin/Zarifan, Philippe 1986: Tendenzen der Automatisierung und Neuzusammensetzung der industriellen Lohnarbeit. In: Prokla, Nr. 62, S. 61-73 Coulson, Margaret/Magas, Branka/Wainwright, Hilary 1975: The housewife and her labour under capitalism- a critique. In: New Left Review, Nr. 89, S. 5971 Czarnowski, Gabriele 1991: Das kontrollierte Paar. Ehe- und Sexualpolitik im Nationalsozialismus. Ergebnisse der Frauenforschung, Bd. 24, Weinheim Dackweiler, Regina-Maria 1995: Ausgegrenzt und Eingemeindet. Neue Frauenbewegung im Blick der Sozialwissenschaften, Münster Dackweiler, Regina-Maria 2003: Zur Analyse wohlfahrtstaatlicher Geschlechterregime. In: Buckel, Sonja/Dackweiler, Regina-Maria/Noppe, Ronald (Hg.); Formen und Felder politischer Intervention. Zur Relevanz von Staat und Steuerung, Münster, S. 88-105 Dackweiler, Regina-Maria 2005: Gender Mainstreaming im Kontext nationaler Geschlechterregime. Welche Chancen - welche Hindernisse? In: Behning, Ute/Sauer, Birgit (Hg.); Was bewirkt Gender Mainstreaming? Evaluierung durch Policy Analysen, Frankfurt am Main/New York, S. 117-129. Dackweiler, Regina-Maria 2006: Reproduktives Handeln im Kontext wohlfahrtsstaatlicher Geschlechterregime. In: Berger, Peter A./Kahlert, Heike (Hg.); Der demographische Wandel, Chancen für die Neuordnung der Geschlechterverhältnisse, Frankfurt/New York, S. 81-107 Daly, Mary/Rake, Katharine 2003: Gender and the Welfare State. Care, Work and Welfare in Europe and the USA, Cambridge Deleuze, Gilles 1993: Unterhandlungen. 1972-1990, Frankfurt/Main Deleuze, Gilles/Guattari, Félix 1977: Anti-Ödipus. Kapitalismus und Schizophrenie 1, Frankfurt/Main Deleuze, Gilles/Guattari, Félix 1992: Tausend Plateaus. Kapitalismus und Schizophrenie 2, Berlin Delphy, Christine 1977: The Main Enemy: A Materialist Analysis of Woman´s Oppression, London Demirovic, Alex 1992: Regulation und Hegemonie. In: Demirovic, Alex/Krebs, Hans-Peter/Slabowski, Thomas (Hg.); Hegemonie und Staat. Kapitalistische Regulation als Projekt und Prozess, Münster, S.128-158 Demirovic, Alex 1994: Hegemonie und Öffentlichkeit. In: Das Argument, Nr. 206, S. 675-693.

L ITERATUR

| 445

Demirovic, Alex 2003: Stroboskopischer Effekt und die Kontinenz der Geschichte. Rückfragen an die Regulationstheorie In: Brand, Ulrich/Raza, Werner (Hg.); Fit für den Postfordismus? Theoretisch-politische Perspektiven des Regulationsansatzes, Münster, S. 43-58 Deppe, Frank 2001: Neue Formation – neue Epoche – neue Politik? In: Candeias, Mario/Deppe, Frank (Hg.): Ein neuer Kapitalismus? Hamburg, S. 48-66 Derrida, Jacques 1990: Semiologie und Grammatologie. Gespräch mit Julia Kristeva. In: Engelmann, Peter (Hg.); Postmoderne und Dekonstruktion. Texte französischer Philosophen der Gegenwart, Stuttgart, S. 140-164 Deutsche Sozialversicherung 2010: [URL] www.deutsche-sozialversicherung. de/de/renten-versicherung/versicherte.html, letzter Zugriff 16.03.11 DGB 2007: Index. Gute Arbeit. Work-Life-Balance. Der Report. Wie die Beschäftigten die Vereinbarkeit von Berufs-, Familien- und Privatleben beurteilen. [URL] www.dgb-index-gute-arbeit.de/dgb-index_2007/einzelauswer tungen/data/Work-Life-Balance%202007%20-%20Der%20Report, letzter Zugriff 11.03.11 Dierks, Marianne 2005: Karriere! - Kinder, Küche? Zur Reproduktionsarbeit in Familien mit qualifizierten berufsorientierten Müttern, Wiesbaden Diettrich, Ben 1999: Klassenfragmentierung im Postfordismus - Geschlecht, Arbeit, Rassismus, Marginalisierung, Münster/Hamburg Dilthey, Wilhelm 1896/97: Übersicht meines Systems. In Ders.; Gesammelte Schriften. Band VIII, Halle (1923) Dingeldey, Irene 2002: „Der blinde Fleck“ in der vergleichenden Wohlfahrtsstaatsforschung. Kritik und Erweiterung der Forschungsperspektiven, ZeS−Arbeitspapier, Nr. 2 Diss: Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung; Organisationsprofil, [URL] www.diss-duisburg.de, letzter Zugriff 16.03.11 Dolak, Gregor 2010: Burn-Out. Wie lindern wir die Volkskrankheit? [URL] www.focus.de/magazin/debatte/focus-leserdebatte-burn-out-wie-lindern-wirdie-volkskrankheit_aid_564501.html, letzter Zugriff 16.03.11 Dorniok, Daniel 2006: Betriebliche Work-Life-Balance-Maßnahmen. Auswirkungen auf Unternehmen und ihre Beschäftigten, München Dozekal, Egbert 2001: Globalisierung – Ideologie und Realität, Manuskript zum Vortrag am 10.05.2001 an der Fachhochschule Frankfurt/Main DPA 2009: Mehr als 20 Tote. Selbstmordserie erschüttert France Télécom. [URL] www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,648671,00.html, letzter Zugriff 16.03.11

446 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Dreyfus, Hubert L./Rabinow, Paul 1994: Die Genealogie des modernen Individuums. In: Dies (Hg.); Michel Foucault. Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik, Weinheim, S. 133-155 Dreyhaupt, Rüdiger F. 2005: Deutsche Nationalflaggen. In: Der Flaggenkurier, Nr. 19, S. 12-26 Engler, Steffanie 2004: Habitus und sozialer Raum: Zur Nutzung der Konzepte Pierre Bourdieus in der Frauen- und Geschlechterforschung. In: Becker, Ruth/Kortendiek, Beate (Hg.); Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung, Wiesbaden, S. 222-233 Englert, Kathrin 2007: Globalisierte Hausarbeiterinnen in Deutschland. In: Groß, Melanie/Winker, Gabriele (Hg.); Queer-/Feministische Kritiken neoliberaler Verhältnisse. Münster, S. 79-101 Eschg: Embryonenschutzgesetz. [URL] www.gesetze-im-internet.de/eschg/index.html, letzter Zugriff 16.03.11 Esping-Andersen, Gøsta 1990: The Three Worlds of Welfare Capitalism, Cambridge Esser, Josef/Görg, Christoph/Hirsch, Joachim 1994: Von den „Krisen der Regulation“ zum „radikalen Reformismus“. In: Esser, Josef/Görg, Christoph/Hirsch, Joachim (Hg.); Politik, Institutionen und Staat. Zur Kritik der Regulationstheorie, Hamburg, S. 213-228 Evans, Dylan 1998: Wörterbuch der Lacanschen Psychoanalyse, Wien Familienmonitor 2010: Einstellungen und Lebensverhältnisse von Familien. Ergebnisse einer Repräsentativbefragung. Berichtsband. [URL] www.ifdallensbach.de/main.php?selection =73&rubrik=0, letzter Zugriff 11.03.11 Familiennetzwerk 2006: Stoppt das Elterngeld! Pressemitteilung vom 21. Juni 2006. [URL] www.familie-ist-zukunft.de/seite/?p=144, letzter Zugriff 16.03.11 Fest, Joachim Clemens 1963: Das Gesicht des Deutschen Reiches. Profile einer totalitären Herrschaft, München Feyerabend, Paul 1986: Wider den Methodenzwang - Skizze einer anarchistischen Erkenntnistheorie, Frankfurt/Main Feyerabend, Paul 2010: Über die Methode. Ein Dialog - Eine Verteidigung der Astrologie, Tübingen Forbes 2009: [URL] www.forbes.com/lists/2009/18/global-09_The-Global2000_Counrty _4.html, letzter Zugriff 12.03.11 Foucault, Michel 1976: Mikrophysik der Macht. Michel Foucault über Strafjustiz, Psychiatrie und Medizin, Berlin Foucault, Michel 1977: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt/Main

L ITERATUR

| 447

Foucault, Michel 1978a: Dispositive der Macht. Über Sexualität, Wissen und Wahrheit, Berlin Foucault, Michel 1978b: Vorlesungen zur Analyse der Macht-Mechanismen. Das Denken des Staates. In: Ders; Der Staub und die Wolke, Grafenau, S. 144. (1993) Foucault, Michel 1983: Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit, Bd. 1, Frankfurt/Main Foucault, Michel 1985: Freiheit und Selbstsorge. Gespräch mit Michel Foucault. In: Helmut Becker et.al. (Hg.); Freiheit und Selbstsorge, Frankfurt/Main S. 7-28 Foucault, Michel 1989: Der Gebrauch der Lüste. Sexualität und Wahrheit, Bd. 2, Frankfurt/Main Foucault, Michel 1992: Was ist Kritik, Berlin Foucault, Michel 1993: Leben machen und sterben lassen. Die Geburt des Rassismus. In: Lettre International, Nr. 62, S. 62-67 Foucault, Michel 1994: Das Subjekt und die Macht. In: Dreyfus, Hubert L./Rabinow, Paul (Hg.): Michel Foucault. Jenseits von Strukturalismus und Hermeneutik, Weinheim, S. 241-261 Foucault, Michel 1995: Die Maschen der Macht. In: Freibeuter, Nr. 63, S. 22-42 Foucault, Michel 1999a: Die Sorge um sich. Sexualität und Wahrheit, Bd.3, Frankfurt/Main Foucault, Michel 2000a: Die Gouvernementalität. In: Bröckling, Ulrich/Krasmann, Susanne/Lemke, Thomas (Hg.); Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen, Frankfurt/Main, S. 41-67 Foucault, Michel 2000b: Staatsphobie. In: Bröckling, Ulrich/Krasmann, Susanne/Lemke, Thomas (Hg.); Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen, Frankfurt/Main, S. 68-71 Foucault, Michel 2001a: Über die Archäologie der Wissenschaften, In: Schriften 1, Frankfurt/Main (1968) Foucault, Michel 2001b: Die Ordnung des Diskurses, Frankfurt/Main (1972) Foucault, Michel 2003: Schriften in vier Bänden. Dits et Ecrits, Frankfurt/Main Foucault, Michel 2006a: Sicherheit, Territorium, Bevölkerung. Geschichte der Gouvernementalität I: Vorlesung am Collège de France 1978/1979, Frankfurt/Main Foucault, Michel 2006b: Die Geburt der Biopolitik. Geschichte der Gouvernementalität II: Vorlesung am Collège de France 1978/1979, Frankfurt/Main Freud, Sigmund 1895: Studien über Hysterie, Frankfurt/Main (2007) Friebel, Harry 2008: Die Kinder der Bildungsexpansion und das „Lebenslange Lernen“, Augsburg

448 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Fuchs, Christian 2001: Soziale Selbstorganisation im informationsgesellschaftlichen Kapitalismus, Wien Gambino, Ferruccio 1996: Kritik am Begriff des Fordismus, wie ihn die Regulationstheorie benutzt. In: Wildcat-Zirkular, Nr. 28/29, S. 139-160 Ganz, Kathrin 2007: Neoliberale Refamiliarisierung und queer-feministische Lebensformenpolitik, in Groß, Melanie/Winker, Gabriele (Hg.); Queer-| Feministische Perspektiven auf neoliberale Verhältnisse, Münster, S. 51-78 Gehardt, Uta 1962: Notizen zum Problem des Rollenkonflikts der Frau. In: Das Argument, Nr. 23, S. 26-28 Gehring, Petra 2004: Foucault. Die Philosophie im Archiv, Frankfurt/New York Gerber, Pia 1996: Erwerbsbeteiligung von deutschen und ausländischen Frauen 1933-1945 in Deutschland. Entwicklungslinien und Aspekte politischer Steuerung der Frauenerwerbstätigkeit im Nationalsozialismus, Bern GG: Grundgesetz 1949: [URL]: www.bundestag.de/dokumente/ rechtsgrundlagen /grundgesetz/index.html, letzter Zugriff 10.03.11 Gisler, Priska/Emmenegger, Barbara 1998: Geschlechtsspezifische Schließungsprozesse und Sexualität. In: Zeitschrift für Personalforschung, Heft 2/98, Mering, S.143-166 GKV 2010: Präventionsbericht 2010. Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung. Primärprävention und betriebliche Gesundheitsförderung. Betriebsjahr 2009, Berlin Glyn, Andrew/Sutcliffe, Bob 1972: Die Profitklemme. Arbeitskampf und Kapitalkrise am Beispiel Großbritanniens, Berlin Gottschall, Karin 1995: Geschlechterverhältnis und Arbeitsmarktsegregation. In: Regina Becker-Schmidt/Gudrun-Axeli Knapp (Hg.); Das Geschlechterverhältnis als Gegenstand der Sozialwissenschaften, Frankfurt/New York, 125162 Gräfe, Stephanie 2002: Way of life, way of death. Zur Normalisierung des „Lebenswertes“. In: Fantomas, Nr. 2, S. 30-33 Gramsci, Antonio 1980: Zu Politik, Geschichte und Kultur, Leipzig Gramsci, Antonio 1991: Gefängnishefte Band 1, Hamburg/Berlin Gramsci, Antonio 1999: Gefängnishefte Band 4, Hamburg/Berlin Grimsmann, Martin/Hansen, Lutz 2005: Abbildung der spekulativen Methode im Dreieck. [URL] www.hegel-system.de/de/v0methode-dreieck.htm, letzter Zugriff 09.03.11 Groengroeft, Sabine 2006: Angst essen Seele auf oder gemeinsamer Kampf? In: FAU-MAT (Hg.); Gender und Arbeit. Geschlechterverhältnisse im Kapitalismus, S.66-79

L ITERATUR

| 449

Groß, Melanie 2007: Feministischer Widerstand aus post.. | queer.. |linksradikal -feministischer Perspektive. In: Groß, Melanie; Winker, Gabriele (Hg.); Queer-|Feministische Kritiken neoliberaler Verhältnisse, Münster, S.169189. Groß, Melanie 2008: Geschlecht und Widerstand. post.. | queer.. |linksradikal., Königstein Groß, Melanie/Winker, Gabriele 2007: Queer-|Feministische Theorien und politisches Handeln. Eine Einleitung. In: Groß, Melanie; Winker, Gabriele (Hg.); Queer-|Feministische Kritiken neoliberaler Verhältnisse, Münster, S.7-14 Grossmann, Atina 1984: Sexualreform und Frauen. In: Schaeffer-Hegel, Barbara (Hg.); Frauen und Macht, Berlin, S. 36-46 Gutiérrez Rodríguez, Encarnación 2003: Gouvernementalität und die Ethnisierung des Sozialen. Migration, Arbeit und Biopolitik. In: Pieper, Marianne /Gutiérrez Rodríguez, Encarnación (Hg.), Gouvernementalität. Ein sozialwissenschaftliches Konzept in Anschluss an Foucault, Frankfurt/New York, S. 161-178 GVeN: Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933. [URL] www.documentarchiv.de/ns/erbk-nws.html, letzter Zugriff 11.03.11 Habermas, Jürgen 1981: Theorie des Kommunikativen Handelns. Band 2, Frankfurt/Main Hadjar, Andreas 2008: Meritokratie als Legitimationsprinzip. Die Entwicklung der Akzeptanz sozialer Ungleichheit im Zuge der Bildungsexpansion. Wiesbaden Haeckel, Ernst 1868: Natürliche Schöpfungs-Geschichte. [URL] www.caliban. mpiz-koeln.mpg.de/haeckel/natuerliche/index.html, letzter Zugriff 12.03.11 Haensch, Dietrich 1969: Repressive Familienpolitik. Sexualunterdrückung als Mittel der Politik, Reinbek Hall, Stuart 1994: Rassismus und kulturelle Identität, Ausgewählte Schriften 2, Hamburg Hall, Stuart 2004: Ideologie. Identität. Repräsentation. Ausgewählte Schriften 4, Hamburg Haraway, Donna 1995: Ein Manifest für Cyborgs. Feminismus im Streit mit den Technowissenschaften. In: Dies; Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen, Frankfurt/Main, S. 33-72 Hardmeier, Sibylle/Vinz, Dagmar 2007: Diversity und Intersectionality. Eine kritische Würdigung der Ansätze für die Politikwissenschaft. In: Femina Politica. Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft, Nr. 1, S. 23-33 Hardt, Michael/Negri, Toni 2000: Empire. Die neue Weltordnung, Frankfurt/New York

450 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Haug, Frigga 1996: Frauen-Politiken, Hamburg Haug, Frigga 2001a: Geschlechterverhältnisse. In: Haug, Wolfgang-Fritz (Hg.); Historisch-Kritisches Wörterbuch des Marxismus, Bd. 5, Hamburg, S. 531538 Haug, Frigga 2001b: Zur Theorie der Geschlechterverhältnisse. In: Das Argument, Nr. 243, S. 761-787 Haug, Frigga 2003: Schaffen wir einen neuen Menschentypus. In: Das Argument, Nr. 252, S. 606-617 Haug, Wolfgang Fritz 1991: Entfremdete Handlungsfähigkeit. Fitness und Selbstpsychiatrisierung im Spannungsverhältnis von Produktions- und Lebensweise. In: Brüsemeister, Thomas et.al. (Hg.); Die versteinerten Verhältnisse zum Tanzen bringen, Berlin, S. 34-51 Haug, Wolfgang Fritz 1998: Politisch richtig oder Richtig politisch, Hamburg Hausen, Karin 1978: Die Polarisierung der „Geschlechtscharaktere“. Eine Spiegelung der Dissoziation von Erwerbs- und Familienleben. In: Rosenbaum, Heide (Hg.); Familie und Gesellschaftsstruktur, Frankfurt/Main, S. 161-191 Hawking, Stephen W. 2010: Der große Entwurf. Eine neue Erklärung des Universums, Hamburg Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 1979a: Wissenschaft der Logik 1. In: Werke. Band 5, Frankfurt/Main Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 1979b: Wissenschaft der Logik 2. In: Werke. Band 6, Frankfurt/Main Heinsohn, Gunnar 2008: Strategie gegen Deutschlands demographischen und pädagogischen Sinkflug. [URL] www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/gunnar_heinsohn_strategie_gegen_deutschlands_demographischen_ und_paedagogis, letzter Zugriff 11.03.11 Heinsohn, Gunnar 2010: Sozialhilfe auf fünf Jahre begrenzen. [URL]: www.faz.net/s/Rub0B44038177824280BB9F799BC91030B0/Doc~E0AC5A 2CD5A6A481EABE50FAE2AEBA30B~ATpl~Ecommon~Scontent.html, letzter Zugriff 11.03.11 Henninger, Annette 2003a: Wer versorgt den Arbeitskraftunternehmer? Überlegungen zur Entgrenzung von Arbeit und Leben bei Alleinselbständigen. In: Schönberger, Klaus/Springer, Stefanie (Hg.); Subjektivierte Arbeit. Mensch, Organisation und Technik in einer entgrenzten Arbeitswelt, Frankfurt/Main, S.164-181 Henninger, Annette 2003b: Der Arbeitskraftunternehmer und seine Frau(en) eine geschlechterkritische Revision des Analysekonzepts. In: Kuhlmann, Ellen/Betzelt, Sigrid (Hg.); Geschlechterverhältnisse im Dienstleistungssektor.

L ITERATUR

| 451

Dynamiken, Differenzierungen und neue Horizonte, Baden-Baden, S.119132 Henninger, Annette/Ostendorf, Helga 2005: Einleitung. Erträge feministischer Institutionenanalyse. In: Henninger, Annette/Ostendorf, Helga (Hg.); Die politische Steuerung des Geschlechterregimes. Beiträge zur Theorie politischer Institutionen, Wiesbaden, S. 9-36 Hertie-Stiftung (Hg.) 2003: Strategien einer familienbewussten Unternehmenspolitik, [URL] www.familienhandbuch.de/cms/Familienpolitik_Hertie.pdf, letzter Zugriff 11.03.11 Hess, Sabine 2009: Globalisierte Hausarbeit. Au-pair als Migrationsstrategie von Frauen aus Osteuropa, Wiesbaden Hirsch, Joachim 1974: Staatsapparat und Reproduktion des Kapitals, Frankfurt/Main Hirsch, Joachim 1980: Der Sicherheitsstaat. Das "Modell Deutschland", seine Krise und die neuen sozialen Bewegungen, Frankfurt/Main Hirsch, Joachim 1990: Kapitalismus ohne Alternative. Materialistische Gesellschaftstheorie und Möglichkeiten einer sozialistischen Politik heute, Hamburg Hirsch, Joachim 1992: Regulation, Staat und Hegemonie. In: Demirovic, Alex/Krebs, Hans-Peter/Slabowski, Thomas (Hg.); Hegemonie und Staat. Kapitalistische Regulation als Projekt und Prozess, Münster, S. 193-232 Hirsch, Joachim 1994: Politische Form, politische Institutionen und Staat. In: Esser, Josef/Görg, Christoph/Hirsch, Joachim (Hg.); Politik, Institutionen und Staat. Zur Kritik der Regulationstheorie, Hamburg, S. 157-212 Hirsch, Joachim 1995: Der nationale Wettbewerbsstaat, Berlin Hirsch, Joachim 2001a: Weshalb Periodisierung? In: Candeias, Mario/Deppe, Frank 2001 (Hg.); Ein neuer Kapitalismus?, Hamburg, S. 41-48 Hirsch, Joachim 2001b: Postfordismus: Dimensionen einer neuen kapitalistischen Formation. In: Hirsch, Joachim/Jessop, Bob/Poulantzas, Nicos (Hg.); Die Zukunft des Staates, Hamburg, S. 171-211 Hirsch, Joachim 2001c: Des Staates neue Kleider. NGO im Prozess der Internationalisierung des Staates. In: Ulrich Brand et al. (Hg.); Nichtregierungsorganisationen in der Transformation des Staates, Münster, S.13- 42 Hirsch, Joachim 2005: Materialistische Staatstheorie. Transformationsprozesse des kapitalistischen Staatensystems, Hamburg Hirsch, Joachim 2010: Staat und Krise, [URL] www.links-netz.de/K_texte/ K_hirsch_widerspruch.html, letzter Zugriff 11.03.11

452 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Hirsch, Joachim/Kannankulam, John 2006: Poulantzas und Formanalyse. Zum Verhältnis zweier Ansätze materialistischer Staatstheorie. In: Bretthauer, Lars et.al. (Hg.); Poulantzas lesen, Hamburg, S. 65-81 Hirsch, Joachim/Roth, Roland 1986: Das neue Gesicht des Kapitalismus, Hamburg Hirseland, Andreas/Schneider, Werner 2001: Wahrheit, Ideologie und Diskurse. Zum Verhältnis von Diskursanalyse und Ideologiekritik. In: Keller, Reiner et.al (Hg.); Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse. Band 1: Theorien und Methoden, Opladen, S. 373-402 Hochschild, Arlie Russell 1990: Das gekaufte Herz: Zur Kommerzialisierung der Gefühle, Frankfurt/New York (1983) Hochschild, Arlie Russell, 1997: The Time Bind. When Work Becomes Home and Home Becomes Work, New York Hochschild, Arlie Russell, 2002: Keine Zeit. Wenn die Firma zum Zuhause wird und zu Hause nur Arbeit wartet, Wiesbaden Hofmann, Heidi 2003: Reproduktionstechnologien bedeuten soziokulturelle Veränderungen. Eine Skizze. In: Weber, Jutta /Bath, Ingrid (Hg.); Turbulente Körper, soziale Maschinen. Feministische Studien zur Technowissenschaftskultur, Opladen, S. 243-244 Hoherz, Hilde 1994: Gute Frauen für die Volkswirtschaft, St. Ingbert Hoherz, Hilde 2006: 150 Jahre Hausfrau. In: FAU-MAT (Hg.); Gender und Arbeit. Geschlechterverhältnisse im Kapitalismus, S.39-52 Hohl, Marina (Hg.) 2009: Hysterie heute, Wien Holland-Cunz, Barbara 2007: Alarmismus. Die Struktur der öffentlichen Debatte über den demographischen Wandel in Deutschland. In: Auth, Diana/HollandCunz Barbara (Hg.); Grenzen der Bevölkerungswissenschaft. Strategien und Diskurse demographischer Steuerung, Opladen, S. 63-80 Holst, Elke 2007: Arbeitszeitwünsche von Frauen und Männern liegen näher beieinander als tatsächliche Arbeitszeiten. In: Wochenbericht des DIW Berlin, Nr. 14/15, S. 209-215 Holzinger, Markus 2007: Kontingenz in der Gegenwartsgesellschaft. Dimensionen eines Leitbegriffs moderner Sozialtheorie, Bielefeld Holzkamp, Klaus 1983: Der Mensch als Subjekt wissenschaftlicher Methodik. In: Ders. et.al. (Hg); Karl Marx und die Wissenschaft vom Individuum, Marburg, S. 120-166 Holzkamp, Klaus 1984: Zum Verhältnis zwischen gesamtgesellschaftlichem Prozess und individuellem Lebensprozess. In: Konsequent, Nr. 6, S. 29-40 Holzkamp, Klaus 1985: Grundlegung der Psychologie, Frankfurt/New York

L ITERATUR

| 453

Holzkamp, Klaus 1993: Lernen. Subjektwissenschaftliche Grundlegung, Frankfurt/New York Holzkamp, Klaus 1997: Schriften 1. Normierung, Ausgrenzung, Widerstand, Hamburg Honneth, Axel/Saar, Martin, 2008: Nachwort: Geschichte der Gegenwart. Michel Foucaults Philosophie der Kritik. In: Foucault, Michel. Die Hauptwerke, Frankfurt/Main, S. 1651-1682 Horkheimer, Max 1936: Studien über Autorität und Familie. Forschungsberichte aus dem Institut für Sozialforschung. Band 1, Paris Hornung, Ursula 2003: Stachel „Geschlecht“. Der soziologische Diskurs über den Wandel und die Zukunft in Arbeit, Ökonomie und Geschlechterverhältnis - ein Überblick. In: Orth, Barbara/Schwiering, Thomas/Weiß, Johannes (Hg.); Soziologische Forschung. Stand und Perspektiven. Ein Handbuch, Opladen, S. 139-153 Hossfeld, Uwe 2005: Geschichte der biologischen Anthropologie in Deutschland. Von den Anfängen bis zur Nachkriegszeit, Stuttgart Hübner, Kurt 1990: Theorie der Regulation. Eine kritische Rekonstruktion eines neuen Ansatzes der Politischen Ökonomie, Berlin Hülst, Dirk 1999: Symbol und soziologische Symboltheorie, Opladen Huxley, Aldous 1932: Schöne neue Welt, Frankfurt/Main (2002) Huxley, Aldous 1994: Brave New World, London IdW 2003: Institut der Deutschen Wirtschaft Köln. Wie familienfreundlich ist die deutsche Wirtschaft? [URL] www.femtech.at/fileadmin/downloads/ Wissen/Themen/Vereinbarkeit/wie_familienfreundlich_ist_die_deutsche_wirtsch aft.pdf, letzter Zugriff 11.03.11 IMSF 1984: Patriarchat und Gesellschaft. Beiträge zur Geschichte der Frauenunterdrückung, zu Reproduktionsbereich und Hausfrauisierung. Institut für marxistische Studien und Forschungen (Hg.), Frankfurt/Main Jäger, Margret 1996: Fatale Effekte. Die Kritik am Patriarchat im Einwanderungsdiskurs, Duisburg Jäger, Siegfried 1993: Kritische Diskursanalyse. Eine Einführung, Duisburg Jäger, Siegfried 2000: Theoretische und methodische Aspekte einer Kritischen Diskurs- und Dispositivanalyse. [URL]: www.diss-duisburg.de/Internetbibliothek/Artikel/Aspekte_einer_Kritischen_Diskursanalyse.htm, letzter Zugriff 11.03.11 Jäger, Siegfried 2001: Diskurs und Wissen. Theoretische und methodische Aspekte einer Kritischen Diskurs- und Dispositivanalyse. In: Keller, Reiner/Hirseland, Andreas/Schneider, Werner/Viehöver, Willy (Hg.); Handbuch

454 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

der Sozialwissenschaftlichen Diskursanalyse. Band 1: Theorien und Methoden, Opladen, S.81-112 Jäger, Ulla 2004: Der Körper, der Leib und die Soziologie, Königstein/Taunus Janczyk, Stefanie 2009: Arbeit und Leben. Eine spannungsreiche Ko-Konstitution. Zur Revision zeitgenössischer Konzepte der Arbeitsforschung, Münster Jessop, Bob 2001a: Kritischer Realismus, Marxismus und Regulation - Zu den Grundlagen der Regulationstheorie. In: Candeias, Mario/Deppe, Frank (Hg.); Ein neuer Kapitalismus?, Hamburg, S. 16-41 Jessop, Bob 2001b: Die geschlechtsspezifischen Selektivitäten des Staates. In: Kreisky, Eva/Lang, Sabine/Sauer, Birgit (Hg.); EU. Geschlecht. Staat, Wien, S. 55-85 Jessop, Bob 2001c: Globalisierung des Kapitals und die Zukunft des Nationalstaats. In: Hirsch, Joachim/Jessop, Bob/Poulantzas, Nicos (Hg.); Die Zukunft des Staates, Hamburg, S.139-170 Jürgens, Kerstin 2003: Zeithandeln - eine neue Kategorie der Arbeitssoziologie. In: Gottschall, Karin/Voß, G. Günter (Hg.); Entgrenzung von Arbeit und Leben. Zum Wandel der Beziehung von Erwerbstätigkeit und Privatsphäre im Alltag. München/Mering, S. 37-58 Jürgens, Kerstin 2006: Arbeits- und Lebenskraft. Reproduktion als eigensinnige Grenzziehung, Wiesbaden Jung, Heinz 1981: Staatstyp und Staatsform. In: Institut für marxistischen Studien und Forschungen (IMSF) (Hg.); Der Staat in staatsmonopolitischen Kapitalismus der Bundesrepublik. Staatsdiskussion und Staatstheorie, Frankfurt/Main, S.226-240 Jurczyk, Karin 2002: Entgrenzung von Zeit und Gender - neue Anforderungen an die Funktionslogik von Lebensführung. In: Weihrich, Margit/Voß, Günter (Hg.); Tag für Tag. Alltag als Problem der Lebensführung, München, S. 95115 Jurczyk, Karin/Voß, Günter 2000: Flexible Arbeitszeit - Entgrenzte Lebenszeit. Die Zeiten des Arbeitskraftunternehmers. In: Hildebrandt, E. (Hg.); Reflexive Lebensführung. Zu den sozialökologischen Folgen flexibler Arbeit, Berlin, S. 151-206 Kanai, Atsuko 2009: „Karoshi (work to death)“ in Japan. In: Journal of business ethics, Nr. 84, S.209-216 Keller, Reiner 2007: Diskurse und Dispositive analysieren. Die Wissenssoziologische Diskursanalyse als Beitrag zu einer wissensanalytischen Profilierung der Diskursforschung. In: Forum Qualitative Sozialforschung, Nr.8, [URL]

L ITERATUR

| 455

www.qualitative-research.net/index.php/fqs/article/view/243/537, letzter Zugriff 11.03.11 Keller, Reiner et.al. 2001: Zur Aktualität sozialwissenschaftlicher Diskursanalyse. Eine Einführung. In: Keller, Reiner et.al. (Hg.); Handbuch Sozialwissenschaftliche Diskursanalyse. Theorien und Methoden. Bd.1, Opladen, S.7-27 Kim, Eun-Young 1995: Zur Ideologie- und Staatsanalyse. Ein Versuch über Marx, Gramsci und Althusser, Marburg Klammer, Ute/Klenner, Christina 2004: Geteilte Erwerbstätigkeit – Gemeinsame Fürsorge. Strategien und Perspektiven der Kombination von Erwerbs- und Familienleben in Deutschland. In: Leitner, Sigrid/Oster, Ilona/Schratzenstaller, Margit (Hg.); Wohlfahrtsstaat und Geschlechterverhältnis im Umbruch. Was kommt nach dem Ernährermodell? Wiesbaden, S. 177-207 Kläsgen, Michael 2009: Selbstmord in Serie. [URL] www.sueddeutsche.de/ wirtschaft/france-telecom-selbstmord-in-serie-1.158954, letzter Zugriff 11.03.11 Klee, Ernst 1993: „Euthanasie“ im NS-Staat. Die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“, Frankfurt/Main Klenner, Christina 2007: Familienfreundliche Betriebe - Anspruch und Wirklichkeit. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 34, S. 17-25 Klimpel, Melanie/Schütte, Tina 2006: Work-Life-Balance. Eine empirische Erhebung, Mering Klinger, Cornelia/Knapp, Gudrun-Axeli 2007: Achsen der Ungleichheit – Achsen der Differenz. In: Klinger, Cornelia/Knapp, Gudrun-Axeli (Hg.); Achsen der Ungleichheit. Zum Verhältnis von Klasse, Geschlecht und Ethnizität, Frankfurt/Main, S. 19-41 Knapp, Gudrun-Axeli 2005: „Intersectionality“ - ein neues Paradigma feministischer Theorie. In: Feministische Studien. Zeitschrift für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung, Nr. 1, S. 68-81 Knapp, Gudrun-Axeli 2006: „Intersectionality“: Feministische Perspektiven auf Ungleichheit und Differenz im gesellschaftlichen Transformationsprozeß. Vortragsmanuskript, Wien 30.11.2006, [URL] www.univie.ac.at/gender/ fileadmin/user_upload/gender/abstracts_ringvorlesung/Knapp.doc, letzter Zugriff 09.03.11 Knapp, Gudrun-Axeli 2008: Kommentar zu Tove Soilands Beitrag. In: querellesnet, Nr. 26, [URL]: www.querelles-net.de/index.php/qn/article/viewArticle/ 695/703, letzter Zugriff 09.03.11 Kohlmorgen, Lars 2004: Regulation, Klasse, Geschlecht. Die Konstituierung der Sozialstruktur im Fordismus und Postfordismus, Münster

456 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Kohlmorgen, Lars 2007: Klasse, Geschlecht, Regulation - Ein integraler Ansatz der Sozialstrukturanalyse. In: Klinger, Cornelia/Knapp, Gudrun-Axeli (Hg.); Achsen der Ungleichheit. Zum Verhältnis von Klasse, Geschlecht und Ethnizität, Frankfurt/Main, S. 163-177 Kollek, Regine 2000: Präimplantationsdiagnostik. Embryonenselektion, weibliche Autonomie und Recht, Tübingen/Basel Korczak, Dieter/Kister, Christine/Huber, Beate 2010: Differentialdiagnostik des Burnout-Syndroms, Köln Krasmann, Susanne 2003: Die Kriminalität der Gesellschaft. Zur Gouvernementalität der Gegenwart, Konstanz Krätke, Michael 1997: Kapital global? In: Altvater Elmar/Haug, Frigga/Negt, Oskar (Hg.); Turbokapitalismus, Hamburg, S. 18-59 Kratzer, Nick/Sauer, Dieter 2007: Entgrenzte Arbeit - Gefährdete Reproduktion Genderfragen in der Arbeitsforschung. In: Aulenbacher, Brigitte et.al. (Hg.); Arbeit und Geschlecht im Umbruch der modernen Gesellschaft, Wiesbaden, S. 235-249 Kreisky, Eva 2003: Neoliberale Körpergefühle. Vom Neuen Staatskörper zu profitablen Körpermärkten; Vortrag Universität Wien 15.05.03; [URL] www.evakreisky.at/onlinetexte/koerpergefuehle_kreisky.pdf, letzter Zugriff 10.03.11 Kuhn, Gabriel 2005: Tier-Werden, Schwarz-Werden, Frau-Werden. Eine Einführung in die politische Philosophie des Poststrukturalismus, Münster Kuhn, Thomas S. 1981: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Mit einem Postskriptum von 1969, Frankfurt/Main Kurz, Robert 1992: Geschlechterfetischismus. In: Krisis. Beiträge zur Warengesellschaft, Nr. 12, S. 117-169 Kurz, Robert 2002: Schwarzbuch Kapitalismus. Ein Abgesang auf die Marktwirtschaft, Berlin Lacan, Jacques 1987: Das Seminar. Buch 3. Die Psychosen, Berlin Lacan, Jacques 1997: Das Seminar. Buch 11. Die vier Grundbegriffe der Psychoanalyse, Berlin Laclau, Ernesteo 2002: Was haben leere Signifikanten mit Politik zu tun? In: Ders.; Emanzipation und Differenz. Wien, S. 65-78 Lampert, Thomas et. al. 2010: Gesundheitliche Lage und Gesundheitsverhalten der Bevölkerung im Erwerbsalter in Deutschland. In: Wissenschaftliches Institut der AOK (Hg.); Fehlzeiten Report. Vielfalt managen: Gesundheit fördern - Potenziale nutzen, Berlin S.69-72

L ITERATUR

| 457

Lanz, Caroline 2010: Burnout aus ressourcenorientierter Sicht im Geschlechtervergleich. Eine Untersuchung im Spitzenmanagement in Wirtschaft und Verwaltung, Wiesbaden Laqueur, Thomas 1992: Auf den Leib geschrieben. Die Inszenierung der Geschlechter von der Antike bis Freud, Frankfurt/New York Lazzarato, Maurizio 1998: Immaterielle Arbeit. Gesellschaftliche Tätigkeit unter den Bedingungen des Postfordismus. In: Negri, Toni/Lazzarato, Maurizio/ Virno, Paolo (Hg.); Umherschweifende Produzenten. Immaterielle Arbeit und Subversion, Berlin, S. 39-53 Leichsenring, Jana 2008: Staatssymbole. Der Bundesadler. In: Aktueller Begriff, Nr. 83, S. 1-2 Lemke, Thomas 1997: Eine Kritik der politischen Vernunft. Foucaults Analyse der modernen Gouvernementalität, Berlin/Hamburg Lemke, Thomas 2000: Die Regierung der Risiken - Von der Eugenik zur genetischen Gouvernementalität. In: Bröckling Ulrich/Krasmann, Susanne/Lemke Thomas (Hg.); Gouvernementalität der Gegenwart. Studien zur Ökonomisierung des Sozialen, Frankfurt/Main S. 227-264 Lewis, Jane 1992: Gender and the Development of Welfare Regimes. In: Journal of European Social Policy, Nr. 2, S. 159-173 Lieb, Wolfgang 2007: Familienministerin von der Leyen in den Fangarmen der Krake Bertelsmann. [URL] www.nachdenkseiten.de/?p=2331, letzter Zugriff 16.03.11 Link, Jürgen/Link-Heer, Ulla 1990: Diskurs/Interdiskurs und Literaturanalyse. In: Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik, Nr. 77, S. 88-99 Lipietz, Alain 1985: Akkumulation, Krise und Auswege aus der Krise. Einige methodische Überlegungen zum Begriff der „Regulation“. In: Prokla Nr.58, S. 109-137 Lipietz, Alain 1988: Building an alternative Movement in France. In: Rethinking Marxism, Nr. 3, S. 80-99 Lipietz, Alain 1992: Vom Althusserismus zur „Theorie der Regulation“. In: Demirovic, Alex/Krebs, Hans-Peter/Sablowski, Thomas (Hg.); Hegemonie und Staat - Kapitalistische Regulation als Projekt und Prozess, Münster, S.9-54. Lohnspiegel 2010: [URL]. www.lohnspiegel.de/main/frauenlohnspiegel, letzter Zugriff 02.11.2010 Luhmann, Niklas 1990: Die Wissenschaft der Gesellschaft, Frankfurt am Main Luhmann, Niklas 2008: Soziologische Aufklärung. Die Soziologie und der Mensch, Band 6, Wiesbaden Lukács, Georg 1997: Geschichte und Klassenbewusstsein, London Lutz, Helma 2008: Vom Weltmarkt in den privaten Haushalt, Opladen

458 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Lutz, Helma/Wenning, Norbert 2001: Differenzen über Differenz – Einführung in die Debatten. In: dies. (Hg.); Unterschiedlich verschieden. Differenz in der Erziehungswissenschaft, Opladen, S.11-24 MacRae, Heather 2006: Rescaling Gender Relations. The Influence of European Directives on the German Gender Regime. In: Social Politics, Nr. 13, S. 522550 Mahnkopf, Birgit 1988: Soziale Grenzen „fordistischer Regulation“. In: Dies. (Hg.); Der Gewendete Kapitalismus. Kritische Beiträge zur Theorie der Regulation, Münster, S. 99-143 Marchart, Oliver 2004: Der Apparat und die Öffentlichkeit. Zur medialen Differenz von „Politik“ und „dem Politischen“. In: Gethmann, Daniel/Stauff, Markus (Hg.); Politiken der Medien, Freiburg/Berlin, S.19-37 Marcuse, Herbert 1994: Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft, München Markard, Morus 1993: Methodik subjektwissenschaftlicher Forschung, Hamburg Markard, Morus 2000: Die Entwicklung der Kritischen Psychologie zur Subjektwissenschaft. In: Forum Kritische Psychologie (Hg.); Sonderpiranha, Berlin, S. 29-35 Markl, Hubert 2001 zitiert nach Die Zeit: Der Bürger Markl zum Bürger Rau. Freiheit, Verantwortung, Menschenwürde: Warum Lebenswissenschaften mehr sind als Biologie. [URL] www.zeit.de/reden/wissenschaft/200126 markl_max_planck?page=2;, letzter Zugriff 16.03.11 Marten, Heinz-Georg 1983: Sozialbiologismus. Biologische Grundlagen der politischen Ideengeschichte, Frankfurt/New York Matuschek, Ingo 2003: Hilfreiche Koproduktion: Die Sozialisierung entgrenzter Arbeit. In: Gottschall, Karin/Voß, G. Günter (Hg.); Entgrenzung von Arbeit und Leben. Zum Wandel der Beziehung von Erwerbstätigkeit und Privatsphäre im Alltag, München/Mering, S. 333-358 Mayer, Tilman 1999: Die demographische Krise. Eine integrative Theorie der Bevölkerungsentwicklung, Frankfurt/New York McCall, Leslie 2005: The Complexity of Intersectionality. In: Signs. Journal of Women in Culture and Society, vol. 30, Nr. 3, S. 1771-1800 MEW 20: Engels, Friedrich 1878: Herrn Eugen Dühring`s Umwälzung der Wissenschaft. In: Karl Marx/Friedrich Engels. Werke, Bd. 20, Berlin (1962) MEW 21: Engels, Friedrich 1884: Der Ursprung der Familie, des Privateigentums und des Staats. In: Karl Marx/Friedrich Engels. Werke, Bd. 21, Berlin, (1975), S. 25-173. MEW 23: Marx, Karl 1867: Das Kapital - Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band. In: Karl Marx/Friedrich Engels. Werke, Bd. 23, Berlin (1975)

L ITERATUR

| 459

MEW 25: Marx, Karl 1894: Das Kapital - Kritik der politischen Ökonomie. Dritter Band. In: Karl Marx/Friedrich Engels. Werke, Bd. 25, Berlin (1975) MEW 4: Marx, Karl 1848: Das kommunistische Manifest. In: Karl Marx/ Friedrich Engels. Werke, Bd.4, Berlin (1990) Mies, Maria 1992: Wider die Industrialisierung des Lebens. Eine feministische Kritik der Gen- und Reproduktionstechnik, Pfaffenweiler Miller, Peter/Rose, Nikolas 1994: Das politische Leben regieren. In: Donzelot, Jaques/Meuret, Denis/Miller, Peter/Rose, Nikolas (Hg.); Zur Genealogie der Regulation. Anschlüsse an Michel Foucault, Mainz Mitscherlich, Alexander/Mielke, Fred 1978: Medizin ohne Menschlichkeit. Dokumente des Nürnberger Ärzteprozesses, Frankfurt/Main Müller, Jens Christian/Reinfeld, Sebastian/Schwarz, Richard/Tuckfeld, Manon 1994: Einleitung. In: Müller, Jens Christian/Reinfeld, Sebastian/Schwarz, Richard/Tuckfeld, Manon (Hg.); Der Staat in den Köpfen. Anschlüsse an Louis Althusser und Nicos Poulantzas, Mainz, S. 9-16 Müller-Benedict, Volker 1996: Chaos und Selbstorganisation. Neue theoretische Ansätze in den Sozialwissenschaften. In: HSR-Transition, Nr. 77, S. 26-93 Mümken, Jürgen 1998: Keine Macht für Niemand. Versuch einer anarchistischen Aneignung des philosophischen Projektes von Michel Foucault, Edition bandera negra, Heft 2 Mümken, Jürgen 2003: Freiheit, Individualität und Subjektivität. Staat und Subjekt in der Postmoderne aus anarchistischer Perspektive, Frankfurt/Main Naumann, Tilo 2000: Das umkämpfte Subjekt. Subjektivität, Hegemonie und Emanzipation im Postfordismus, Tübingen Negri, Toni/Hardt, Michael 1997: Die Arbeit des Dionysos - Materialistische Staatskritik in der Postmoderne, Berlin/Amsterdam Nieder, Peter/Michalk, Silke 2009: Modernes Personalmanagement, Weinheim Nietzsche, Friedrich 1999: Zur Genealogie der Moral. In: Ders.; Werke; Band 2, Frankfurt/Main Novotny, Patrice 2009: Tausende Japaner sterben jährlich an Überlastung. [URL] www.wirtschaft.t-online.de/tausende-japaner-sterben-jaehrlich-anueberlastung/id_17808 036/index, letzter Zugriff 16.03.11 Nowak, Iris 2007: Von mutigen Männern und erfolgreichen Frauen. Work-LifeBalance in prekarisierten Verhältnissen. In: Kaindl, Christina (Hg.); Subjekte im Neoliberalismus, Marburg, S. 59-74 Nowak, Jörg 2009: Geschlechterpolitik und Klassenherrschaft. Eine Integration marxistischer und feministischer Staatstheorien, Münster

460 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Oesterreich, Peter 2002: Seelenführung durch Rede. Die rhetorische Psychologie des philosophischen Idealismus. In: Psychologie und Geschichte, Nr.3, S. 213-232 Ohno, Taiichi 1993: Das Toyota-Produktionssystem, Frankfurt/New York Opitz, Sven 2004: Gouvernementalität im Postfordismus. Macht, Wissen und Techniken des Selbst im Feld unternehmerischer Rationalität, Hamburg/ Berlin Orloff, Ann Shola 1993: Gender and the Social Rights of Citizenship. The Comparative Analysis of Gender Relations and Welfare States. In: American Sociological Review, Nr. 58, S. 303-328 Orloff, Ann Shola 1996: Gender in the welfare state. In: Annual Review of Sociology, Nr. 22, S. 51-78 Ortega, Francisco 1997: Michel Foucault. Rekonstruktion der Freundschaft, München Ostendorp, Anja et.al. 2003: „Family friendliness“ in Organisationen. Eine diskursanalytische Untersuchung zu verschiedenen Verständnissen und Konsequenzen von „Familienfreundlichkeit“. [URL] www.alexandria.unisg.ch/export/ DL/28568.pdf, letzter Zugriff 16.03.11 Ott, Cornelia 1998: Der Gebrauch der Lüste. Sexualität, Geschlecht und Macht, Opladen Pascall, Gilligan/Lewis Jane 2004: Emerging Gender Regimes and Policies for Gender Equality in a Wider Europe. In: Journal of Social Policy, Nr. 33, S. 373-394 Paulus, Stanislawa 2001: Identität außer Kontrolle. Handlungsfähigkeit und Identitätspolitik jenseits des autonomen Subjekts, Hamburg Paulus, Stefan 2003: Zur Kritik von Staat und Kapital in der kapitalistischen Globalisierung, Frankfurt/Main Paulus, Stefan 2005: Herrschaftstechniken und Machtverhältnisse, Hamburg Paulus, Stefan 2007: Mutti kocht, Vati schafft! Geschlechterverhältnisse im Spiegel der Wirtschafts- und Bevölkerungspolitik. In: Direkte Aktion, Nr. 182, S. 12-13 Paulus, Stefan 2008: Von der Reproduktion her denken - Geschlechterverhältnisse, Gebärstreiks, Hausarbeitsstreiks und Identitätsstreiks. Für einen erweiterten Streikbegriff. In: Bewernitz, Thorsten (Hg.); Die neuen Streiks. Münster, S.175-188 Payer, Margarete 2001: Internationale Kommunikationskulturen. Betriebskulturen und Entscheidungsfindung. [URL]: www.payer.de/kommkulturen /kultur071.htm, letzter Zugriff 13.03.11

L ITERATUR

| 461

Peters, Klaus 2001: Die neue Autonomie in der Arbeit. In: Gließmann, Wilfried/Peters, Klaus (Hg.); Mehr Druck durch mehr Freiheit. Die neue Autonomie der Arbeit und ihre paradoxen Folgen, Hamburg, S. 18-40 Pfau-Effinger, Birgit 1994: Erwerbspartnerin oder berufstätige Ehefrau? Soziokulturelle Kontextbedingungen der Arbeitsmarkt-Integration von Frauen im internationalen Vergleich. In: Soziale Welt, Nr. 3, S. 322-373. Pfau-Effinger, Birgit 2000: Kultur und Erwerbstätigkeit in Europa. Theorie und Empirie des internationalen Vergleichs, Opladen Pfau-Effinger, Birgit 2009: Kulturelle Grundlagen des Wandels von Wohlfahrtsstaaten. In: Österreichische Zeitschrift für Soziologie, Nr. 34, S.3-21 Pieper, Marianne/Gutiérrez-Rodríguez, Encarnación 2003: Einleitung. In: Pieper, Marianne /Gutiérrez Rodríguez, Encarnación (Hg.): Gouvernementalität. Ein sozialwissenschaftliches Konzept in Anschluss an Foucault, Frankfurt/New York, S.7-21 Pieper, Marianne/Panagiotidis, Efthimia/Tsianos, Vassilis 2009: Regime der Prekarität und verkörperte Subjektivierung. In: Arbeitstagungsband der Kommission Arbeitskulturen innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Volkskunde (dgv) Hamburg (Hg.); Arbeit und Nicht-Arbeit - Entgrenzungen und Begrenzungen von Lebensbereichen und Praxen. München, S. 341-359 Platon 1993: Phaidros. In: Sämtliche Dialoge, Bd. 2, Hamburg Posch, Waltraut 1999: Körper machen Leute, Frankfurt/Main Postone, Moishe 1988: Nationalsozialismus und Antisemitismus. In: Dan Diner (Hg.); Zivilisationsbruch. Denken nach Auschwitz, Frankfurt, S. 242-254 Poulantzas Nicos 2001: Die Internationalisierung der kapitalistischen Verhältnisse und der Nationalstaat. Hirsch, Joachim/Jessop, Bob/Poulantzas, Nicos (Hg.); Die Zukunft des Staates, Hamburg, S.19-71 Poulantzas, Nicos 1975: Klassen im Kapitalismus - heute, Berlin Poulantzas, Nicos 1980: Politische Macht und gesellschaftliche Klassen. Frankfurt/Main Poulantzas, Nicos 2002: Staatstheorie. Politischer Überbau, Ideologie, Autoritärer Etatismus. Hamburg Pühl, Katharina 2003: Der Bericht der Hartz-Kommission und die „Unternehmerin ihrer selbst“: Geschlechterverhältnisse, Gouvernementalität und Neoliberalismus. In: Pieper, Marianne/Gutiérrez Rodríguez, Encarnación (Hg.) 2003: Gouvernementalität. Ein sozialwissenschaftliches Konzept in Anschluss an Michel Foucault. Frankfurt/Main, S. 111-135 Quaderni Rossi 1972: Arbeiteruntersuchung und kapitalistische Organisation der Produktion, München

462 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Rastetter, Daniela 1994: Sexualität und Herrschaft in Organisationen: eine geschlechtervergleichende Analyse, Opladen Rastetter, Daniela 2002: Zwischen Meritokratie und Mikropolitik. Ein organisationspsychologischer Blick auf das Manangement-Geschlecht. In: Wirtschaftspsychologie, Nr. 4, S. 11-15 Raza, Werner/Brand, Ulrich 2003: Der Regulationsansatz als Fordismus- oder Kapitalismustheorie. In: Raza, Werner/Brand, Ulrich (Hg.); Fit für den Postfordismus? Theoretisch-politische Perspektiven des Regulationsansatzes, Münster, S. 7-18 Redaktionskollektiv Autonomie 1985: Klassenreproduktion und Kapitalverhältnis. In: Autonomie. Materialien gegen die Fabrikgesellschaft. Klassengeschichte - Soziale Revolution? Berlin, S. 201-216 Resch, Marianne 1991: Haushalt und Familie: Der zweite Arbeitsplatz. Analyse der Reproduktionsarbeit in Haushalt und Familie, Bern Resultate 1999: Der bürgerliche Staat. Karl Held (Hg.), München Reucher, Theo 1987: Wir-Sätze und Ich-Sätze als Basis sozialer Struktur. In: Ders. (Hg.); Grammatik des Sozialen. Eine Theorie des gesellschaftlichen Codes und des gesellschaftlichen Diskurses, Tübingen, S. 9-29 Revelli, Marco 1997: Vom Fordismus zum Toyotismus. In: Supplement der Zeitschrift Sozialismus, Nr. 4 Revelli, Marco 1999: Die gesellschaftliche Linke. Jenseits der Zivilisation der Arbeit, Münster Riegler, Johanna 1996: Die große Gesundheit im Bio-Lifestyle. In: Malleier, Elisabeth et. al.(Hg.); Körper – Geschlecht-Geschichte. Historische und aktuelle Debatten in der Medizin, Wien, S.195-208 Rohleder, Günter 2005: Pisa im Quadrat. „Humankapital“ - Streit um das Unwort des Jahres. [URL] www.dradio.de/dlf/sendungen/hintergrundpolitik/387378/, letzter Zugriff 16.03.11 Rohr, Karl von 2009: Work-Life-Balance am Beispiel der Deutschen Bank. In: Personalführung, Nr. 42, S. 34-39 Rosenstiel, Lutz von/Regnet, Erika/Dombusch, Michel E. (Hg.) 2009: Führung von Mitarbeitern. Handbuch für erfolgreiches Personalmanagement, Stuttgart Rost, Harald 2004: Work-Life-Balance. Neue Aufgaben für eine zukunftsorientierte Personalpolitik, Opladen Roth, Karl-Heinz 2005: Der Zustand der Welt. Gegen-Perspektiven, Hamburg Ruddick, Susan 1992: Das Geschlechtliche konstruieren. Armut, Geschlechterverhältnisse und Familie im Goldenen Zeitalter. In: Demirovic, Alex/Krebs, Hans-Peter/Slabowski, Thomas (Hg.); Hegemonie und Staat. Kapitalistische Regulation als Projekt und Prozess, Münster, S. 290-304

L ITERATUR

| 463

Rudolph, Hedwig et. al 1987: Ungeschützte Arbeitsverhältnisse. Frauen zwischen Risiko und neuer Lebensqualität, Hamburg Ruf, Anja 1990: Frauenarbeit und Fordismus-Theorie, Frankfurt/Main Ruhl, Klaus-Jörg 1994: Verordnete Unterordnung. Berufstätige Frauen zwischen Wirtschaftswachstum und konservativer Ideologie in der Nachkriegszeit (1945-1963), München Sablowski, Thomas/Alnasseri, Sabah 2001: Auf dem Weg in ein finanzgetriebenes Akkumulationsregime? In: Candeias, Mario/Deppe, Frank (Hg.); Ein neuer Kapitalismus? Hamburg, S. 131-149 Sablowski, Thomas/Alnasseri, Sabah 2001: Auf dem Weg zu einem finanzgetriebenen Akkumulationsregime? In: Candeias, Mario/Deppe, Frank 2001 (Hg.); Ein neuer Kapitalismus?, Hamburg, S. 131-150 Schäfgen Kathrin 2000: Die Verdoppelung der Ungleichheit. Sozialstruktur und Geschlechterverhältnisse in der Bundesrepublik und der DDR, Opladen Scherrer, Christoph 1995: Eine diskursanalytische Kritik der Regulationstheorie. In: Prokla, Nr. 100, S. 457-482 Scherrer, Christoph 2005: Die école de la régulation. Französische Wirtschaftstheorie mit Ausstrahlung jenseits des Rheins. In: Der Intellektuelle und der Mandarin, Festschrift für Hans Manfred Bock, Kassel, S.143-160 Schier, Michaela/Jurczyk, Karin 2007: „Familie als Herstellungsleistung“ in Zeiten der Entgrenzung. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 34, S. 10-17 Schiwy, Günther 1969: Der französische Strukturalismus. Mode, Methode, Ideologie, Reinbek Schmid, Günter 1994: Wettbewerb und Kooperation zwischen den Geschlechtern. Institutionelle Alternativen einer gerechten und effizienten Arbeitsmarktorganisation. In: Zapf Wolfgang/Dierkes, Meinolf (Hg.); Institutionenvergleich und Institutionendynamik, Berlin, S. 215-237 Schneewind, Klaus A. 2009: Work-Life-Balance. In: Rosenstiel, Lutz von/Regnet, Erika/Dombusch, Michel E. (Hg.) 2009: Führung von Mitarbeitern. Handbuch für erfolgreiches Personalmanagement, Stuttgart, S. 81-87 Schnell, Rainer/Hill, Paul B./Elke Esser 1993: Methoden der empirischen Sozialforschung, München/Wien Schnelle, Jessica/Brandstätter, Veronika/Moser, Barbara 2009: Aspekte der Work-Life-Balance aus motivationspsychologischer Perspektive. Zielkonflikte zwischen Beruf und Familie. In: Personalführung, Nr. 42, S. 46-54 Scholz, Roswitha 2000: Das Geschlecht der Kapitalismus. Feministische Theorien und die postmoderne Metamorphose der Patriarchats, Bad Honnef

464 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Schröder, Kristina 2009 zitiert nach Die Zeit: Köhler folgt von der Leyens Kurs. [URL]: www.zeit.de/politik/deutschland/2009-11/familienministerin-betreuungsgeld-koehler, letzter Zugriff 11.03.11 Schwingel, Markus 1995: Bourdieu zur Einführung, Hamburg Secombe, Wally 1974: The Housewife and Her Labour under Capitalism. In: New Left Review, Nr., 83, S. 3-24 Sennett, Richard 1998: Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus, New York /Berlin Smith, Adam 1926: Theorie der ethischen Gefühle, Leipzig (1759) Smith, Adam 2003: Der Wohlstand der Nationen, München (1776) Soiland, Tove 2008: „Die Verhältnisse gingen und die Kategorien kamen. Intersectionality oder vom Unbehagen an der amerikanischen Theorie.“ In: Querelles-Net. Rezensionszeitschrift für Frauen und Geschlechterforschung, [URL]: www.querelles-net.de/index.php/qn/article/view/694/702, letzter Zugriff 09.03.11 Spear, Steven/Bowen, Kent H. 1999: Decoding the DNA of the Toyota Production System, Harvard Business Review, Nr. 77, S. 97-106 Spieß, Katharina 2007: „Humankapital von morgen“. In: Bertelsmann Stiftung (Hg.); Work-Life-Balance: Meilenstein für eine zukunftsfähige Gesellschaft, Berlin, S.38-41 Statistisches Bundesamt 2003 (Hg.): Wo bleibt die Zeit? Die Zeitverwendung der Bevölkerung in Deutschland, Berlin Statistisches Bundesamt 2004: Kindertagesbetreuung in Deutschland. [URL] www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Presse/pk/20 04/Kindertagesbetreuung/Kindertagesbetreuung__04,templateId=renderPrint .psml, letzter Zugriff 28.07.11 Statistisches Bundesamt 2006a: Erwerbsarbeit. [URL] www.destatis.de/jetspeed/ portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Presse/pm/2004/03/PD04__103__p001 psml, letzter Zugriff 11.03.11 Statistisches Bundesamt 2006b: Verdienstabstand zwischen Männern und Frauen. [URL] www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/ Content/Statistiken/VerdiensteArbeitskosten/ThemenkastenVerdienst abstand,property=file.pdf, letzter Zugriff 28.07.11 Statistisches Bundesamt 2009a: Bevölkerungspyramide. [URL] www.destatis .de/bevoelk-erungspyramide, letzter Zugriff 11.03.11 Statistisches Bundesamt 2009b: Pressemitteilung Nr.391 vom 14.10.2009. Mütter arbeiten immer häufiger in Teilzeit. [URL] www.destatis.de/jetspeed/ portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Presse/pm/2009/10/PD09__391__122. psml, letzter Zugriff 04.07.11

L ITERATUR

| 465

Statistisches Bundesamt 2010: Gender Pay Gap 2008. Deutschland weiterhin eines der Schlusslichter in der EU. [URL] www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Presse/pm/2010/03/PD10__079__621,tem plateId=renderPrint.psml, letzter Zugriff 11.07.11 Steinicke Kerstin 2008: Kollateralschäden der Globalisierung? Psychische Erkrankungen durch Lohnarbeit nehmen zu. In: Direkte Aktion, Nr. 190, S. 1, 5 Stock-Homburg Ruth/Eva-Maria Bauer 2008: Abschalten unmöglich? In: Harvard Businessmanager, Nr. 29, S. 10-15 Stock-Homburg, Ruth/Bauer, Eva-Maria 2007: Work-Life-Balance im Topmanagement. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 34, S. 25-32 Stolz-Willig, Brigitte 2004: Familie und Arbeit zwischen Modernisierung und (Re-) Traditionalisierung. In: Baatz, Dagmar/Rudolph, Clarissa/Satilmis, Ayla (Hg.); Hauptsache Arbeit?! Feministische. Perspektiven auf den Wandel von Arbeit, Münster, S. 255-277 Strobel, Ingrid 1989: Gentechnologie. Instrument der Auslese. In: Bradish, Paula/Feyerabend, Erika/Winkler Ute (Hg.); Frauen gegen Gen- und Reproduktionstechnologien. Beiträge zum 2. bundesweiten Kongress Frankfurt, 28.30.10.1988, München, S. 30-35 Taylor, Frederick Winslow 2004: Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung, Düsseldorf (1913) Tempel, Bernhard 2002: Gerhart Hauptmanns Märchen (1941) im Kontext der nationalsozialistischen „Euthanasie“. Eine Untersuchung aufgrund des Nachlasses. In: Scientia Poetica, Nr. 6, S. 77-130 Tieste, Oliver 2003: Der Tod durch Überarbeitung. Arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Hintergründe. Materialrechtliche, epistemologische und betriebliche Rahmenbedingungen des Karoshi-Phänomens in Japan und Deutschland. Frankfurt/Main Titscher, Stefan/Wodak, Ruth/Meyer, Michael/Vetter, Eva 1998: Methoden der Diskursanalyse. Leitfaden und Überblick, Opladen Treusch-Dieter, Gerburg 1990: Von der sexuellen Rebellion zur Gen- und Reproduktionstechnologie, Tübingen Tugendhat, Ernst/Wolf, Ursula 1997: Logisch-semantische Propädeutik, Stuttgart Villa, Irene 2004: (De)Konstruktion und Diskurs-Genealogie: Zur Position und Rezeption von Judith Butler. In: Becker, Ruth / Kortendiek, Beate (Hg.): Handbuch Frauen- und Geschlechterforschung, Wiesbaden, S. 141-152 Villa, Paula-Irene 2003: Judith Butler, Frankfurt/Main Virilio, Paul 1996: Die Eroberung des Körpers. Vom Übermenschen zum überreizten Menschen, Frankfurt/Main

466 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Voß, G. Günter 1998: Entgrenzung von Arbeit und Arbeitskraft. Eine subjektorientierte Interpretation des Wandels der Arbeit. In: Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Nr. 3, S. 473-487 Voß, G. Günter/Pongratz, Hans J. 1998: Der Arbeitskraftunternehmer. Eine neue Grundform der „Ware Arbeitskraft“? In: KZfSS, Nr. 1, S. 131-158 Voß, G. Günter/Pongratz, Hans J. 2001: Erwerbstätige als „Arbeitskraftunternehmer“. Unternehmer ihrer eigenen Arbeitskraft? In: SOWI, Nr. 30, S. 4252 Voß, G. Günter/Pongratz, Hans J. 2003: Arbeitskraftunternehmer. Erwerbsorientierungen in entgrenzten Arbeitsformen, Berlin Voß, G. Günter/Weiß, Cornelia 2005: Ist der Arbeitskraftunternehmer weiblich? In Lohr Karin/Nickel, Hildegard Maria (Hg.); Subjektivierung von Arbeit. Riskante Chancen. Münster, S. 65-91 Voß, G. Günther 2001: Der Arbeitskraftunternehmer. Ein neuer Typus von Arbeitskraft und seine sozialen Folgen. In: Reichold, Hermann/ Löhr, Albert/Blickle, Gerhard (Hg.); Wirtschaftsbürger oder Marktopfer? Neue Beschäftigungsverhältnisse - ein Risiko für Gesellschaft, Recht und Ethik? München/Mering, S. 15-32 Walby, Sylvia 2009: Globalization and Inequalities. Complexity and Contested Modernities, London Walby, Sylvia, 2007: Introduction. Theorizing the Gendering of the Knowledge Economy. Comparative Approaches. In: Walby, Sylvia/Gottschall, Heidi/ Osawa, Karin Mari (Hg.); Gendering the Knowledge Economy. Comparative Perspectives, Houndmills, S. 3-50 Waldschmidt, Anne 1996: Das Subjekt in der Humangenetik. Expertendiskurse zur Programmatik und Konzeption der genetischen Beratung 1945-1990, Münster Warner, Michael 1991: Introduction. Fear of a Queer Planet. In: Social Text, Nr. 9, S. 3-17 Weber, Klaus: Subjektkonstruktionen im flexiblen Kapitalismus. In: StolzWillig, Brigitte (Hg.); Arbeit, Demokratie, Solidaritätspotenziale im flexibilisierten Kapitalismus, Hamburg, S. 33-51 Weber, Max 1921: Gesammelte Politische Schriften, Tübingen (1988) Weisstein, Eric W. 2011: Theorem. From MathWorld. [URL] www.mathworld.wolfram.com/Theorem.html, letzter Zugriff 11.12.11 Werlhof, Claudia von 1978: Frauenarbeit: der blinde Fleck in der Kritik der Politischen Ökonomie. In: Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis, Nr. 1, S. 18-32

L ITERATUR

| 467

Werlhof, Claudia von/Mies, Maria/Bennholdt-Thomsen, Veronika 1983: Frauen, die letzte Kolonie. Zur Hausfrauisierung der Arbeit, Reinbek WHO 2003: Psychische Gesundheit in der Europäischen Region der WHO, Kopenhagen. [URL] www.euro.who.int/__data/assets/pdf_file/0003/87708/ RC53 _gdoc07.pdf, letzter Zugriff 16.03.11 Wildcat 2009: 8 Thesen, in Wildcat, Nr. 83, S.9 Wilk, Michael 1999: Macht, Herrschaft, Emanzipation. Aspekte anarchistischer Staatskritik, Grafenau Willenbacher, Barbara 2007: Nationalsozialistische Bevölkerungspolitiken? In: Auth, Diana/Holland-Cunz, Barbara (Hg.); Grenzen der Bevölkerungswissenschaft. Strategien und Diskurse demographischer Steuerung, Opladen, S. 37-61 Winker, Gabriele 2007a: Traditionelle Geschlechterarrangements unter neoliberalem Druck. Veränderte Verwertungs- und Reproduktionsbedingungen der Arbeitskraft. In: Groß, Melanie/Winker, Gabriele (Hg.); Queer-|Feministische Kritiken neoliberaler Verhältnisse, Münster, S.15-49 Winker, Gabriele 2007b: Populäre Lesarten des Feminismus als Chance für gesellschaftskritische Debatten nutzen! [URL] www.feministisches-institut.de /feminismus_winker, letzter Zugriff 10.03.11 Winker, Gabriele 2007c: Freiheit oder Planwirtschaft? Das absurde Theater des Streits um Kinderkrippen und die Widersprüche im System der Reproduktion. [URL] www.feministisches-institut.de/krippen.html, letzter Zugriff 10.03.11 Winker, Gabriele 2008: Neoliberale Regulierung von Care Work und deren demografische Mystifikationen. In: Buchen, Sylvia/Maier, Maja S. (Hg.); Älterwerden neu denken. Interdisziplinäre Perspektiven auf den demografischen Wandel, Wiesbaden, S. 47-62 Winker, Gabriele 2009: Familienkonstruktionen in der gesellschaftlichen Mitte. Zum Wandel der Reproduktionsarbeit und den politischen Konsequenzen. In: Widersprüche, Nr. 111, S. 49-61 Winker, Gabriele/Carstensen, Tanja 2004: Flexible Arbeit - bewegliche Geschlechterarrangements. In: Kahlert, Heike/Kajatin, Claudia (Hg.); Arbeit und Vernetzung im Informationszeitalter, Frankfurt/New York, S. 167-185 Winker, Gabriele/Carstensen, Tanja 2007: Eigenverantwortung in Beruf und Familie - vom Arbeitskraftunternehmer zur ArbeitskraftmanagerIn. In: Feministische Studien, Nr.2, S. 277-288 Winker, Gabriele/Degele, Nina 2007: Intersektionalität als Mehrebenenanalyse. [URL] www.feministisches-institut.de/intersektionalitaet/#more-270, letzter Zugriff 09.03.11

468 | DAS G ESCHLECHTERREGIME

Winker, Gabriele/Degele, Nina 2008: Praxeologisch differenzieren. Ein Beitrag zur intersektionalen Gesellschaftsanalyse. In: Cornelia Klinger/Gudrun-Axeli Knapp (Hg.); ÜberKreuzungen. Fremdheit, Ungleichheit, Differenz, Münster, S. 194-209 Winker, Gabriele/Degele, Nina 2009: Intersektionalität. Zur Analyse sozialer Ungleichheiten, Bielefeld Winker, Gabriele/Degele, Nina 2011: Intersectionality as Multi-Level-Analysis. Dealing with Social Inequality. In: European Journal of Womens´s Studies, Nr.18, S. 51-66 Winker, Gabriele/Maus, Bettina 2001: Bewegliche Geschlechterarrangements bei Telebeschäftigten. In: Gabriele Winker (Hg.); Telearbeit und Lebensqualität. Zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Frankfurt/New York, S. 1760 Wittgenstein, Ludwig 1989: Das Blaue Buch. In: Werkausgabe in 8 Bänden, Band 5, Frankfurt/Main Witzel, Andreas 1985: Das problemzentrierte Interview. In: Jüttemann, Gerd (Hg.); Qualitative Forschung in der Psychologie. Grundfragen, Verfahrensweisen, Anwendungsfelder, Weinheim/Basel, S. 227-256 Witzel, Andreas 1996: Auswertung problemzentrierter Interviews. Grundlagen und Erfahrungen. In: Strobl, Rainer /Böttger, Andreas (Hg.); Wahre Geschichten? Zur Theorie und Praxis qualitativer Interviews. Baden Baden, S. 49-76 Witzel, Andreas 2000: Das problemzentrierte Interview (PDF). In: Forum Qualitative Sozialforschung, [URL] www.qualitative-research.net/index.php/fqs /article/view/1132, letzter Zugriff 11.03.11 Young, Brigitte 1998: Genderregime und Staat in der globalen Netzwerkökonomie. In: Prokla, Nr. 111, S.175-198 Young, Brigitte 1999: Die Herrin und die Magd. Globalisierung und die neue internationale Arbeitsteilung im Haushalt. In: Trend Onlinezeitung, [URL] www.trend.infopartisan.net /trd0900/t190900.htm, letzter Zugriff 04.08.2005 Young, Brigitte 2000a: Globalization and Gender. A European Perspective. In: Kelly, Rita Mae/Bayes, Jane/Young, Brigitte (Hg.); Gender, Globalization and Democratization, Lanham, S. 27-47 Young, Brigitte 2000b: Die Herrin und die Magd. Globalisierung und die ReKonstruktion von „class, gender, and race“. In: Widerspruch, Nr. 38, S.47-59

L ITERATUR

| 469

ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abbildung 1: Intersektionales Geschlechterregimekonzept (eigene Darstellung) | 45 Abbildung 2: Erweitertes Geschlechterregimekonzept (eigene Darstellung) | 170 Abbildung 3: Intersektionale Dispositivanalyse des Geschlechterregimes (eigene Darstellung) | 180 Abbildung 4: Was ist der Diskurs (Quelle: Jäger 1993: 156) | 256 Abbildung 5: Cover „Work-Life-Balance“ (BMFSFJ 2005) | 261 Abbildung 6: Geschlechterregimerelevante Anrufungen auf der Strukturebene (eigene Darstellung) | 289 Abbildung 7: Geschlechterregimerelevante Anrufungen auf der Symbolebene (eigene Darstellung) | 294 Abbildung 8: Geschlechterregimerelevante Anrufungen auf der Subjektebene (eigene Darstellung) | 298 Abbildung 9: Borromäischer Knoten „Anrufungen auf allen Ebenen“ (eigene Darstellung) | 300 Abbildung 10: Verhältnis der geschlechtsspezifischen Anrufungen (eigene Darstellung) | 301 Abbildung 11: Intersektionale Mehrebenenanalyse von Interviews - Block I (eigene Darstellung) | 312 Abbildung 12: Intersektionale Mehrebenenanalyse von Interviews - Block II (eigene Darstellung) | 313 Abbildung 13: Gesamtschau der intersektionalen Dispositivanalyse des Geschlechterregimes (eigene Darstellung) | 422 Abbildung 14: Intersektionale Regimeanalyse (Quelle: Sierpinski-Dreieck nach eigener Darstellung) | 434

T ABELLENVERZEICHNIS Tabelle 1: Formation und Periodisierung des historisch-konkreten Geschlechterregimes (eigene Darstellung) | 240 Tabelle 2: Dispositionen der Interviewpersonen (eigene Darstellung) | 361 Tabelle 3: Das postfordistische Geschlechterregime der BRD seit ca. 1975 (eigene Darstellung) | 420

Gender Studies Sarah Dangendorf Kleine Mädchen und High Heels Über die visuelle Sexualisierung frühadoleszenter Mädchen Oktober 2012, ca. 338 Seiten, kart., zahlr. Abb., ca. 29,80 €, ISBN 978-3-8376-2169-3

Dorett Funcke, Petra Thorn (Hg.) Die gleichgeschlechtliche Familie mit Kindern Interdisziplinäre Beiträge zu einer neuen Lebensform 2010, 498 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1073-4

Udo Gerheim Die Produktion des Freiers Macht im Feld der Prostitution. Eine soziologische Studie Januar 2012, 332 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1758-0

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Gender Studies Ralph J. Poole Gefährliche Maskulinitäten Männlichkeit und Subversion am Rande der Kulturen Januar 2012, 308 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1767-2

Julia Reuter Geschlecht und Körper Studien zur Materialität und Inszenierung gesellschaftlicher Wirklichkeit 2011, 252 Seiten, kart., 25,80 €, ISBN 978-3-8376-1526-5

Elli Scambor, Fränk Zimmer (Hg.) Die intersektionelle Stadt Geschlechterforschung und Medienkunst an den Achsen der Ungleichheit Februar 2012, 210 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1415-2

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de

Gender Studies Mart Busche, Laura Maikowski, Ines Pohlkamp, Ellen Wesemüller (Hg.) Feministische Mädchenarbeit weiterdenken Zur Aktualität einer bildungspolitischen Praxis 2010, 330 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1383-4

Andreas Heilmann Normalität auf Bewährung Outings in der Politik und die Konstruktion homosexueller Männlichkeit 2011, 354 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1606-4

Ute Kalender Körper von Wert Eine kritische Analyse der bioethischen Diskurse über die Stammzellforschung 2011, 446 Seiten, kart., 35,80 €, ISBN 978-3-8376-1825-9

Katharina Knüttel, Martin Seeliger (Hg.) Intersektionalität und Kulturindustrie Zum Verhältnis sozialer Kategorien und kultureller Repräsentationen 2011, 288 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1494-7

Stefan Krammer, Marion Löffler, Martin Weidinger (Hg.) Staat in Unordnung? Geschlechterperspektiven auf Deutschland und Österreich zwischen den Weltkriegen 2011, 260 Seiten, kart., zahlr. Abb., 28,80 €, ISBN 978-3-8376-1802-0

Martina Läubli, Sabrina Sahli (Hg.) Männlichkeiten denken Aktuelle Perspektiven der kulturwissenschaftlichen Masculinity Studies 2011, 310 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1720-7

Gerlinde Mauerer (Hg.) Frauengesundheit in Theorie und Praxis Feministische Perspektiven in den Gesundheitswissenschaften 2010, 240 Seiten, kart., 24,80 €, ISBN 978-3-8376-1461-9

Hanna Meissner Jenseits des autonomen Subjekts Zur gesellschaftlichen Konstitution von Handlungsfähigkeit im Anschluss an Butler, Foucault und Marx 2010, 306 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1381-0

Uta Schirmer Geschlecht anders gestalten Drag Kinging, geschlechtliche Selbstverhältnisse und Wirklichkeiten 2010, 438 Seiten, kart., 29,80 €, ISBN 978-3-8376-1345-2

Barbara Schütze Neo-Essentialismus in der Gender-Debatte Transsexualismus als Schattendiskurs pädagogischer Geschlechterforschung 2010, 272 Seiten, kart., 27,80 €, ISBN 978-3-8376-1276-9

Nadine Teuber Das Geschlecht der Depression »Weiblichkeit« und »Männlichkeit« in der Konzeptualisierung depressiver Störungen 2011, 324 Seiten, kart., 32,80 €, ISBN 978-3-8376-1753-5

Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de